Gott in Bewegung: Religions- Und Theologiegeschichtliche Beitrage Zu Gottesvorstellungen Im Alten Israel 9783161507816, 9783161511172, 3161507819

English summary: According to the sources of Ancient Israel, YHWH is not a static, unmoving, but rather a dynamic God, m

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Table of contents :
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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Zur Einführung
Teil A: Jhwh als Wetter- und Sonnengott
Kapitel 1: Jhwhs Herkunft aus dem Süden
I. Forschungsgeschichtliche Einleitung
II. Archäologische Befunde
1. Spätbronzezeitliche Fremdnamenlisten aus Ägypten
2. Šasu in der Araba
III. Biblische Überlieferungen
1. Die Textgruppe Ri 5, Ps 68, Hab 3 und Dtn 33
2. Der Hauptbeleg Ri 5,4f
IV. Historische Korrelationen
Kapitel 2: Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh
I. Zur Fragestellung
II. Die Anfänge des Wettergottes Jhwh
III. Die religionsgeschichtlichen Voraussetzungen in Jerusalem und in der Levante
1. Vorisraelitische Sonnengottheiten in Jerusalem
2. Annäherungen und Kooperationen von Wetter- und Sonnengott
IV. Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh – am Paradigma Jerusalem
1. Der Vorgang: Solarisierung Jhwhs
a) Der salomonische Tempel und sein Weihspruch (1Kön 8,53LXX)
b) Personennamen
c) Die Theophanieschilderung in Dtn 33,2
2. Das Profil: Solar transformierte Jhwh-Vorstellungen
a) Solare Profile Jhwhs während der Staatszeit in der Ikonographie
b) Solare Profile Jhwhs während der Staatszeit in atl. Texten
c) Ausblick auf solare Profile Jhwhs in exilisch-nachexilischer Zeit
V. Auswertung
1. Vorgang und Profil der Solarisierung
2. Hermeneutisch-theologische Anschlussreflexion: Zur theologischen Relevanz einer lebensweltlichen Metapher
Teil B Jhwh und das Leben/der Tod
Kapitel 3 Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod
I. Die königszeitliche Idealvorstellung: Leben als von Jhwh gegebenes Wohlergehen im Diesseits
1. Die generelle Idealvorstellung
2. Eine Konkretion: Prov 3
II. Eine grundsätzliche Problematisierung: Der vorzeitige Tod
1. Der vorzeitige Tod
2. Der vorzeitige Tod als Problem
3. Königszeitliche Ausgangspunkte im AT: Jhwhs Rettung aus dem chaotisch in die Lebenswelt einbrechenden vorzeitigen Tod
a) Religionsgeschichtliche Annäherung
b) Theologische Problemlosigkeit des vorzeitigen Todes und der Sterblichkeit in einem polytheistischen Kontext?
c) Älteste Problemkonstellationen des vorzeitigen Todes (Ps 18; 13; 30)
III. Zu den Vorstellungen postmortaler Existenz nach Ausweis der Bestattungskultur
1. Jungsteinzeitliches Beispiel: 'Ain Ghazal
2. Das königszeitliche Israel/Juda
a) Die Befundvielfalt
b) Konstanten und ihre Implikationen für die Vorstellungen postmortaler Existenz
IV. Ausweitungen in der mittleren und späten Königszeit: Jhwh verdanktes Leben an der Todesgrenze – und darüber hinaus
1. Hirbet el-Qom (Qom 3)
2. Ketef Hinnom (KHin 1–2)
V. Eine Verschärfung in der späten Königszeit: Jhwh allein als Verursacher des vorzeitigen Todes (Ps 88)
VI. Exilisch-nachexilische Radikalisierungen: Generelle Vergänglichkeitsklagen
1. Ps 39
2. Ps 90
VII. Eine fundamentale Umformung: Relativierung des Todes durch die alles bestimmende Gottesrelation (Ps 63)
VIII. Hellenistische Innovationen: Transzendierungen der Todesgrenze durch ein Leben nach dem Tod versus kritische Rückbesinnungen auf das gelingende Leben im Diesseits
1. Eingriff Jhwhs in die Scheol und Aufnahme in den Himmel
2. (Endzeitliche) Auferweckung der Toten
a) Erfahrungshintergrund und Auferweckungsvorstellungen in Texten (1ApcHen 22; Dan 12)
b) Niederschlag der Auferweckungsvorstellungen in der Bestattungskultur?
3. Eliminierung des Todes
4. Weiterwirken königszeitlicher Vorstellungen (Jes 38; Ps 102)
5. Kritische Rückbesinnungen: Die Akzeptanz der menschlichen Vergänglichkeit und das gelingende Leben im Diesseits
a) Qohelet (Qoh 3,16–22)
b) Sirach (Sir 41,3f)
6. Nachtrag: Hoffnung auf Unsterblichkeit (Sap 4,7–9)
IX. Zusammenfassung
1. Konstitutive Bindung des Lebens an Jhwh
2. Asymmetrie von Leben und Tod
3. Leben ist mehr als bloße Existenz
4. Fazit
Kapitel 4 Wohl und Heil im Diesseits
I. Zur Einführung
II. Die althebräischen Segensinschriften
1. Die Segensgrundkonstellation
2. Die althebräischen Segensinschriften
a) Kuntillet 'Ağrud
b) Hirbet el-Qom
c) Ketef Hinnom
III. Auswertung
1. Segensgehalt: Wohl und Heil im Diesseits
2. Der Segensgehalt innerhalb der Gesamtkonstellation
3. Kontingenzbewältigung durch Segen im Rahmen der altisraelitischen Diesseitsreligion(en)
Kapitel 5 Die Psalterdoxologien
I. Entstehung der Psalterdoxologien
1. Der literarische Zusammenhang und Horizont
2. Einzelbeobachtungen zur Genese
a) Die Segensformel הרהۥרּרכּ
b) Der Gott Israel
c) Die םלﺶ-Formel
d) Das doppelte Amen
3. Auswertung
a) Die literarischen Verbindungen
b) Redaktionsgeschichtliche Synthese
II. Theologie der Psalterdoxologien
1. Zur Konstellation der Segensdoxologien
2. Theologischer Ertrag: Die vom Tun-Ergehen-Zusammenhang unab hängige Segnung Jhwhs im historisierenden Buchablauf des Psalters
Teil C Jhwh und die Geschichte
Kapitel 6 Theohistorie
I. Universale Theohistorie in der Apokalyptik und ihr prophetischer Hintergrund
1. Zum Phänomen
2. Zur Fragestellung
II. Prophetie und Apokalyptik: Forschungsgeschichtliche Vorbemerkungen und aktuelle Einsichten
1. Stationen der Forschungsgeschichte
2. Aktuelle Einsichten
III. Prophetische Geschichtstheologien
1. Jes 8: Ein theohistorisch gedeuteter Einzelvorgang
2. Von Am 8 bis Jes 65f: Stationen prophetischer Geschichtstheologien
a) Am 8: Der eschatologische Einsatz
b) Die priesterschriftliche Fluteröffnung: Eine protologische Rezeption außerhalb der Prophetie
c) Jes 65f: Frühapokalyptische Horizonterweiterung
3. Rückblick
IV. Apokalyptische Geschichtstheologien
1. 10-Siebent-Apokalypse: Universale Theohistorie in der Hoch-Apokalyptik
2. Wolkenvision: Zwei-Äonen-Lehre in der Spät-Apokalyptik
3. Rückblick
V. Auswertung
Kapitel 7 Gegenwart und Zukunft im Haggaibuch
I. Die völkerweit verankerte Heilswende in Hag 2,6–9.20–23
1. Hag 2,6–9
2. Hag 2,20–23
3. Auswertung
II. Redaktionsgeschichtliche Folgerungen
III. Gegenwart und Zukunft: Die theologiegeschichtliche Entwicklung des Zeit- und Geschichtsverständnisses
Teil D Jhwh und die Weisheit
Kapitel 8 Konsequente Erfahrungstheologien im Hiob- und Qoheletbuch
I. Zur theologiegeschichtlichen und ›erkenntnistheoretischen‹ Verortung
1. Die theologiegeschichtlichen Orte und Kontexte innerhalb der Weisheit
2. Erkenntnisquellen der Weisheitstheologie
II. Konsequente Erfahrungstheologien
1. Die Erfahrung des zerbrochenen Tun-Ergehen-Zusammenhangs als Argumentationsbasis
a) Hiob
b) Qohelet
2. Die Folgen für die Gottesvorstellungen
a) Begrifflichkeit
b) Metaphern
c) Schöpfergott
d) Gottesfurcht bzw. unbedingte Gottesrelation
e) Kurzfazit
III. Anschlussüberlegungen
1. Diskursivität
2. Erfahrungstheologie
3. Ergebnis
Kapitel 9 Die personifizierte Weisheit vorweltlichen Ursprungs von Hi 28 bis Joh 1
I. Zu Textauswahl und Fragestellung
II. Zur Personifizierung der Weisheit: Hintergründe und Ursachen
1. Traditionsgeschichtliche Hintergründe
2. Konkrete Ursachen
III. Der traditionsgeschichtliche Strang der personifizierten Weisheit vorweltlichen Ursprungs
1. Hi 28
2. Prov 8,22–31
3. Sir 24
4. 1 ApcHen 42
5. Weitere frühjüdische Texte zur Weisheitsgestalt
6. Ausblick: Joh 1,1–18*
IV. Ergebnis
Literaturverzeichnis
Stellenregister (Auswahl)
I. Altes Testament
II. Apokryphen und Pseudepigraphen
III. Neues Testament
IV. Qumran
V. Altisraelitische und altorientalische Primärquellen
VI. Antike Autoren
Wortregister (Auswahl)
I. Hebräisch
II. Griechisch
Autorenregister (Auswahl)
Namen- und Sachregister (Auswahl)
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Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski (Tübingen) · Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)

76

Martin Leuenberger

Gott in Bewegung Religions- und theologiegeschichtliche Beiträge zu Gottesvorstellungen im alten Israel

Mohr Siebeck

Martin Leuenberger: Geboren 1973; Studium der Theologie in Zürich und Tübingen; 2003 Promotion; 2007 Habilitation; seit 2008 Professor für Altes Testament an der Universität Münster.

e-ISBN PDF 978-3-16-151117-2 ISBN 978-3-16-150781-6 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. d-nb.de abrufbar. © 2011 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Die im vorliegenden Band zusammengestellten Beiträge sind zunächst als selbstständige Gelegenheitsarbeiten in ganz unterschiedlichen Kontexten entstanden. Entsprechend breit sind ihre Fragestellungen, Methoden und Einzelthemen angelegt, wie bereits die Überschriften erkennen lassen. Gleichwohl besitzen die Arbeiten, wie mir selbst im Verlaufe der Zeit immer deutlicher geworden ist, einen gemeinsamen Fluchtpunkt. Sie befassen sich allesamt mit einem Leitthema der altisraelitischen Kultur-, Religionsund Theologiegeschichte: mit der ›Geschichte Jhwhs‹, d.h. epistemologisch präziser formuliert mit der Geschichte der Jhwh-Vorstellungen im alten Israel – innerhalb wie außerhalb der hebräischen Bibel (HB). Wie Jhwh von Menschen wahrgenommen und mithilfe welcher Kategorien von ihm gesprochen wird, hängt – auch im alten Israel – zentral vom lebensweltlichen Kontext und von der spezifischen Kommunikationssituation ab: Die historischen Epochen, die altorientalischen Leitkulturen, die geographischen Abfassungsorte, die soziologischen Ebenen, die traditionsgeprägten Trägerkreise und die pragmatischen Funktionen der relevanten Quellen prägen die Gottesvorstellungen entscheidend, und mit jenen verändern sich auch diese. Mithin sind die biblischen Gottesvorstellungen in kulturelle Zeichenprozesse (Semiosen) eingebunden, die sich durch umfassende kultur-, religions- und theologiegeschichtliche Analysen rekonstruieren und erschließen lassen: Sie zeigen einen Gott in Bewegung, der nicht nur grundsätzlich auf die Menschen und die Welt zugeht, sondern der sich auch situationsspezifisch verändert und wandelt. Mit wichtigen Aspekten dieser Geschichte der Jhwh-Vorstellungen befassen sich die vorliegenden Beiträge. Sie bilden – zusammen mit weiteren Untersuchungen 1 – Vorarbeiten einer geplanten Gesamtdarstellung der Geschichte Jhwhs im alten Israel und haben dafür teils programmatischen, teils exemplarischen Charakter, wie auch aus der thematisch angelegten Zusammenstellung der Einzelbeiträge (s. dazu u. die Einführung in den Band) hervorgeht. 1

Vgl. LEUENBERGER, Segen; DERS., Monotheismus.

VI

Vorwort

Die Arbeiten sind in ihrer Mehrheit bisher unveröffentlicht und auch die bereits publizierten2 wurden aktualisiert, inhaltlich überarbeitet und an den neuen Kontext adaptiert, um dadurch die Argumentationslinien noch präziser herauszustellen. Die Einleitungen zu den einzelnen Buchteilen und die relativ häufigen Querverweise sollen zusätzlich zur Vereinheitlichung und thematischen Geschlossenheit beitragen, Synergien sichtbar machen und auf Parallelphänomene hinweisen. Den Herausgebern der »Forschungen zum Alten Testament«, Prof. Dr. Bernd Janowski, Prof. Dr. Mark S. Smith und Prof. Dr. Dr. hc. Hermann Spieckermann gilt mein großer Dank für die Aufnahme des Buches in die renommierte Reihe; Prof. Dr. Bernd Janowski verdanke ich zudem eine Fülle von wertvollen Anregungen und Hinweisen, die über die vorliegenden Arbeiten weit hinausgehen. Die zeitraubenden Arbeiten des Layoutens, des Korrekturlesens sowie der Registererstellung hat meine Assistentin Reettakaisa Sofia Salo, M.A., umsichtig bewältigt: vielen Dank! Schließlich danke ich Dr. Henning Ziebritzki und Ilse König für die verlegerische Betreuung des Bandes. Münster, im Februar 2011

2

Martin Leuenberger

S. die Angaben in den Anmerkungen zu den Kapitelüberschriften.

Inhaltsübersicht Zur Einführung .......................................................................................... 1 Teil A: Jhwh als Wetter- und Sonnengott .................................................. 7 Kapitel 1: Jhwhs Herkunft aus dem Süden. Archäologische Befunde – biblische Überlieferungen – historische Korrelationen ....................................................................... 10 Kapitel 2: Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh ............................... 34 Teil B: Jhwh und das Leben/der Tod ...................................................... 73 Kapitel 3: Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod ... 76 Kapitel 4: Wohl und Heil im Diesseits. Segensvorstellungen in den althebräischen Inschriften ......................... 148 Kapitel 5: Die Psalterdoxologien. Entstehung und Theologie .................................................................... 166 Teil C: Jhwh und die Geschichte .......................................................... 195 Kapitel 6: Theohistorie. Prophetische und apokalyptische Geschichtstheologien ....................... 199 Kapitel 7: Gegenwart und Zukunft im Haggaibuch. Das dynamische Zeit- und Geschichtsverständnis von Hag 2,6–9.20–23 .. 235 Teil D: Jhwh und die Weisheit ............................................................. 249 Kapitel 8: Konsequente Erfahrungstheologie im Hiob- und Qoheletbuch ...252 Kapitel 9: Die personifizierte Weisheit vorweltlichen Ursprungs von Hi 28 bis Joh 1. Ein traditionsgeschichtlicher Strang zwischen den Testamenten .................279

Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................... V Inhaltsübersicht ...................................................................................... VII Abkürzungen .......................................................................................... XV Zur Einführung .......................................................................................... 1 Teil A: Jhwh als Wetter- und Sonnengott ..................................................... 7 Kapitel 1: Jhwhs Herkunft aus dem Süden. Archäologische Befunde – biblische Überlieferungen – historische Korrelationen ........................................................................ 10 I. Forschungsgeschichtliche Einleitung .................................................10 II. Archäologische Befunde ...................................................................14 1. Spätbronzezeitliche Fremdnamenlisten aus Ägypten .................................... 14 2. Šasu in der Araba .............................................................................. 19 III. Biblische Überlieferungen ................................................................22 1. Die Textgruppe Ri 5, Ps 68, Hab 3 und Dtn 33 ........................................... 22 2. Der Hauptbeleg Ri 5,4f ....................................................................... 24 IV. Historische Korrelationen .................................................................29 Kapitel 2: Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh ............................... 34 I. Zur Fragestellung .............................................................................34 II. Die Anfänge des Wettergottes Jhwh ..................................................37 III. Die religionsgeschichtlichen Voraussetzungen in Jerusalem und in der Levante ............................................................................39 1. Vorisraelitische Sonnengottheiten in Jerusalem .......................................... 39 2. Annäherungen und Kooperationen von Wetter- und Sonnengott ..................... 41 IV. Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh – am Paradigma Jerusalem ..43 1. Der Vorgang: Solarisierung Jhwhs ......................................................... 44 a) Der salomonische Tempel und sein Weihspruch (1Kön 8,53LXX) ............... 44 b) Personennamen ............................................................................. 47 c) Die Theophanieschilderung in Dtn 33,2 ................................................ 50

X

Inhaltsverzeichnis 2. Das Profil: Solar transformierte Jhwh-Vorstellungen ................................... 51 a) Solare Profile Jhwhs während der Staatszeit in der Ikonographie ................. 51 b) Solare Profile Jhwhs während der Staatszeit in atl. Texten ......................... 55 c) Ausblick auf solare Profile Jhwhs in exilisch-nachexilischer Zeit ................ 60

V.

Auswertung ......................................................................................66 1. Vorgang und Profil der Solarisierung ...................................................... 66 2. Hermeneutisch-theologische Anschlussreflexion: Zur theologischen Relevanz einer lebensweltlichen Metapher ....................... 69

Teil B: Jhwh und das Leben/der Tod ..........................................................73 Kapitel 3: Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod ... 76 I. Die königszeitliche Idealvorstellung: Leben als von Jhwh gegebenes Wohlergehen im Diesseits .................78 1. Die generelle Idealvorstellung ............................................................... 78 2. Eine Konkretion: Prov 3 ..................................................................... 82 II. Eine grundsätzliche Problematisierung: Der vorzeitige Tod ................87 1. Der vorzeitige Tod ............................................................................. 87 2. Der vorzeitige Tod als Problem .................................................................. 89 3. Königszeitliche Ausgangspunkte im AT: Jhwhs Rettung aus dem chaotisch in die Lebenswelt einbrechenden vorzeitigen Tod .......................................... 92 a) Religionsgeschichtliche Annäherung ................................................... 93 b) Theologische Problemlosigkeit des vorzeitigen Todes und der Sterblichkeit in einem polytheistischen Kontext? ........................................................ 94 c) Älteste Problemkonstellationen des vorzeitigen Todes (Ps 18; 13; 30) .......... 96

III. Zu den Vorstellungen postmortaler Existenz nach Ausweis der Bestattungskultur ................................................ 102 1. Jungsteinzeitliches Beispiel: Ain Ghazal ............................................... 103 2. Das königszeitliche Israel/Juda ............................................................ 105 a) Die Befundvielfalt ........................................................................ 105 b) Konstanten und ihre Implikationen für die Vorstellungen postmortaler Existenz .................................................................... 106

IV. Ausweitungen in der mittleren und späten Königszeit: Jhwh-verdanktes Leben an der Todesgrenze – und darüber hinaus .... 109 1. irbet el-Qom (Qom 3) ..................................................................... 110 2. Ketef Hinnom (KHin 1–2) ................................................................. 111 V. Eine Verschärfung in der späten Königszeit: Jhwh allein als Verursacher des vorzeitigen Todes (Ps 88) .......... 113 VI. Exilisch-nachexilische Radikalisierungen: Generelle Vergänglichkeitsklagen ...................................................... 119 1. Ps 39 ............................................................................................ 119 2. Ps 90 ............................................................................................ 121 VII. Eine fundamentale Umformung: Relativierung des Todes durch die alles bestimmende Gottesrelation (Ps 63) ........................... 123

Inhaltsverzeichnis

XI

VIII. Hellenistische Innovationen: Transzendierungen der Todesgrenze durch ein Leben nach dem Tod versus kritische Rückbesinnungen auf das gelingende Leben im Diesseits ............................................... 126 1. Eingriff Jhwhs in die Scheol und Aufnahme in den Himmel ........................ 127 2. (Endzeitliche) Auferweckung der Toten ................................................. 129

3. 4. 5.

6.

a) Erfahrungshintergrund und Auferweckungsvorstellungen in Texten (1ApcHen 22; Dan 12) ....................................................................... 129 b) Niederschlag der Auferweckungsvorstellungen in der Bestattungskultur? .... 132 Eliminierung des Todes ..................................................................... 134 Weiterwirken königszeitlicher Vorstellungen (Jes 38; Ps 102) ...................... 134 Kritische Rückbesinnungen: Die Akzeptanz der menschlichen Vergänglichkeit und das gelingende Leben im Diesseits ..................................................... 136 a) Qohelet (Qoh 3,16–22) .................................................................. 136 b) Sirach (Sir 41,3f) ......................................................................... 140 Nachtrag: Hoffnung auf Unsterblichkeit (Sap 4,7–9) ................................. 141

IX. Zusammenfassung .......................................................................... 142 1. Konstitutive Bindung des Lebens an Jhwh .............................................. 142 2. Asymmetrie von Leben und Tod .......................................................... 143 3. Leben ist mehr als bloße Existenz ........................................................ 144 4. Fazit ............................................................................................ 146 Kapitel 4: Wohl und Heil im Diesseits. Segensvorstellungen in den althebräischen Inschriften ......................... 148 I. Zur Einführung .................................................................................... 148 II. Die althebräischen Segensinschriften .................................................. 150 1. Die Segensgrundkonstellation ............................................................. 151 2. Die althebräischen Segensinschriften .................................................... 152 a) Kuntillet Arud .......................................................................... 152 b) irbet el-Qom ............................................................................. 155 c) Ketef Hinnom ............................................................................. 157 III. Auswertung .................................................................................... 160 1. Segensgehalt: Wohl und Heil im Diesseits .............................................. 160 2. Der Segensgehalt innerhalb der Gesamtkonstellation ................................. 162 3. Kontingenzbewältigung durch Segen im Rahmen der altisraelitischen Diesseitsreligion(en) ............................................................................. 163

Kapitel 5: Die Psalterdoxologien. Entstehung und Theologie ...................................................................... 166 I. Entstehung der Psalterdoxologien .................................................... 167 1. Der literarische Zusammenhang und Horizont ......................................... 167 2. Einzelbeobachtungen zur Genese ......................................................... 169 a) Die Segensformel hw"hy> %WrB' ........................................................... 170 b) Der Gott Israels ........................................................................... 172 c) Die ~l'A[-Formel .......................................................................... 173 d) Das doppelte Amen ........................................................................... 175

XII

Inhaltsverzeichnis 3. Auswertung ................................................................................... 177 a) Die literarischen Verbindungen ........................................................ 177 b) Redaktionsgeschichtliche Synthese ................................................... 179

II.

Theologie der Psalterdoxologien ..................................................... 184 1. Zur Konstellation der Segensdoxologien ................................................ 185 2. Theologischer Ertrag: Die vom Tun-Ergehen-Zusammenhang unabhängige Segnung Jhwhs im historisierenden Buchablauf des Psalters ......................... 190

Teil C: Jhwh und die Geschichte .............................................................. 195 Kapitel 6: Theohistorie. Prophetische und apokalyptische Geschichtstheologien ....................... 199 I. Universale Theohistorie in der Apokalyptik und ihr prophetischer Hintergrund ...................................................... 199 1. Zum Phänomen ............................................................................... 199 2. Zur Fragestellung ............................................................................ 201 II. Prophetie und Apokalyptik: Forschungsgeschichtliche Vorbemerkungen und aktuelle Einsichten .......................................... 202 1. Stationen der Forschungsgeschichte ...................................................... 203 2. Aktuelle Einsichten .......................................................................... 204 III. Prophetische Geschichtstheologien .................................................. 207 1. Jes 8: Ein theohistorisch gedeuteter Einzelvorgang .................................... 207 2. Von Am 8 bis Jes 65f: Stationen prophetischer Geschichtstheologien ............. 211 a) Am 8: Der eschatologische Einsatz ................................................... 211 b) Die priesterschriftliche Fluteröffnung: Eine protologische Rezeption außerhalb der Prophetie ...................................................................... 214 c) Jes 65f: Frühapokalyptische Horizonterweiterung ................................. 217 3. Rückblick ...................................................................................... 219

IV. Apokalyptische Geschichtstheologien ............................................. 219 1. 10-Siebent-Apokalypse: Universale Theohistorie in der Hoch-Apokalyptik ...... 220 2. Wolkenvision: Zwei-Äonen-Lehre in der Spät-Apokalyptik ........................ 228 3. Rückblick ...................................................................................... 232 V. Auswertung .................................................................................... 233 Kapitel 7: Gegenwart und Zukunft im Haggaibuch. Das dynamische Zeit- und Geschichtsverständnis von Hag 2,6–9.20–23 ... 235 I. Die völkerweit verankerte Heilswende in Hag 2,6–9.20–23 .............. 236 1. Hag 2,6–9 ...................................................................................... 236 2. Hag 2,20–23 ................................................................................... 238 3. Auswertung .......................................................................................... 240 II. Redaktionsgeschichtliche Folgerungen ............................................ 242 III. Gegenwart und Zukunft: Die theologiegeschichtliche Entwicklung des Zeit- und Geschichtsverständnisses .............................................. 245

Inhaltsverzeichnis

XIII

Teil D: Jhwh und die Weisheit ................................................................. 249 Kapitel 8: Konsequente Erfahrungstheologien im Hiob- und Qoheletbuch .. 252 I. Zur theologiegeschichtlichen und ›erkenntnistheoretischen‹ Verortung ............................................................................................ 254 1. Die theologiegeschichtlichen Orte und Kontexte innerhalb der Weisheit ......... 254 2. Erkenntnisquellen der Weisheitstheologie ............................................... 256 II. Konsequente Erfahrungstheologien ................................................. 259 1. Die Erfahrung des zerbrochenen Tun-Ergehen-Zusammenhangs als Argumentationsbasis ............................................................................. 259 a) Hiob ......................................................................................... 260 b) Qohelet ..................................................................................... 264 2. Die Folgen für die Gottesvorstellungen ..................................................... 266 a) Begrifflichkeit ............................................................................. 267 b) Metaphern .................................................................................. 268 c) Schöpfergott ............................................................................... 269 d) Gottesfurcht bzw. unbedingte Gottesrelation ........................................ 271 e) Kurzfazit ................................................................................... 273

III. Anschlussüberlegungen ....................................................................... 274 1. Diskursivität .................................................................................. 274 2. Erfahrungstheologie ......................................................................... 275 3. Ergebnis ........................................................................................ 277 Kapitel 9: Die personifizierte Weisheit vorweltlichen Ursprungs von Hi 28 bis Joh 1. Ein traditionsgeschichtlicher Strang zwischen den Testamenten ................ 279 I. Zu Textauswahl und Fragestellung .................................................. 280 II. Zur Personifizierung der Weisheit: Hintergründe und Ursachen ....... 282 1. Traditionsgeschichtliche Hintergründe ................................................... 282 2. Konkrete Ursachen .......................................................................... 284 III. Der traditionsgeschichtliche Strang der personifizierten Weisheit vorweltlichen Ursprungs ..................................................................... 285 1. Hi 28 ............................................................................................ 285 2. Prov 8,22–31 .................................................................................. 292 3. Sir 24 ........................................................................................... 298 4. 1ApcHen 42 ................................................................................... 304 5. Weitere frühjüdische Texte zur Weisheitsgestalt ....................................... 307 6. Ausblick: Joh 1,1–18* ....................................................................... 308 IV. Ergebnis ......................................................................................... 311 Literaturverzeichnis ..................................................................................... 313 Stellenregister (Auswahl) ............................................................................. 355 Wortregister (Auswahl) ............................................................................... 371

XIV

Inhaltsverzeichnis

Autorenregister (Auswahl) .......................................................................... 373 Namen- und Sachregister (Auswahl) ........................................................... 376

Abkürzungen Die verwendeten Abkürzungen richten sich nach S. M. Schwertner, TRE. Abkürzungsverzeichnis, 2., überarb. und erw. Aufl., Berlin u.a. 1994, einige ergänzende wurden ThWNT 10/1, 53–85 (hg. von G. Kittel/G. Friedrich, Stuttgart u.a. 1978) entnommen oder sind nachstehend aufgeführt.

Ergänzende Abkürzungen ABD ALASP ATM BJSUC BZAR CoS

DDD

Einblicke HBS HGANT HThK LB.PT NIDOTTE NSK REH SEL TA Theophil

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XVI VWGTh WAS WBC ZAR

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Zur Einführung Dass Jhwh es mit Israel, mit den bzw. mit einzelnen Menschen und in einem weiteren Sinn mit der Welt insgesamt bleibend zu tun hat und haben will, stellt – mit unterschiedlichen Akzentsetzungen – die grundlegende theologische Einsicht der HB und der religiösen Texte der althebräischen Epigraphik dar: Jhwh befindet sich unhintergehbar in beziehungsreicher Bewegung1. Wenn man überhaupt von Jhwhs Wesen sprechen will, dann ist nach Überzeugung des alten Israel dafür konstitutiv, dass Jhwh ein Gott in Bewegung ist. Diese mobilitas dei umfasst zwei Dimensionen, wie einige theologische Überlegungen knapp umreißen sollen: Zum einen bewegt sich Jhwh auf Israel, die Menschen und die Welt zu. Er existiert den israelitischen Quellen zufolge also nicht in ›splendid isolation‹ als erster unbewegter Beweger bzw. erstes unbewegtes Bewegendes wie in der philosophischen Tradition spätestens seit Aristoteles, sondern als – seinerseits von Mensch und Welt – bewegter bzw. sich bewegen lassender Beweger. Wegen dieser unableitbaren Menschen- und Weltbezogenheit Jhwhs empfiehlt es sich, präziser von der bzw. den beziehungsreichen Bewegung(en) Jhwhs zu sprechen und sie grundsätzlich als Zuwendung(en) Jhwhs zu qualifizieren. Selbstverständlich wandeln sich die Formen der Zuwendung je nach Epoche, Leitkultur, Abfassungsort, Gesellschaftsebene, Trägerkreis und Quellenpragmatik mannigfaltig: Eben dies macht ja die in den altisraelitischen Zeugnissen dokumentierte Geschichte Jhwhs aus, wie sie in Ausschnitten von den folgenden Aufsätzen religions- und theologiegeschichtlich nachgezeichnet wird. Um nur stichwortartig auf einige Beispiele vorauszuweisen: Das punktuelle Zu-Hilfe-Kommen des spätbronzezeitlichen Wettergottes aus Südpalästina zu den Seinen (s.u. Kap. 1.) unterscheidet sich ebenso vom stetigen Rechtschaffen des staatszeitlichen Sonnengottes 1

Ebenso bestimmt BRUEGGEMANN die Hauptaussage der HB: Er fasst Jhwh als »a God in relationship« (God, XI; s. XVI u.ö.) – zieht dies dann aber im Blick auf die »Partner« Israel, Mensch, Völker, Schöpfung anders aus, als es die folgenden Beiträge tun.

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Zur Einführung

(s.u. Kap. 2.), der dauerhaft in Zion wohnt (!kv) bzw. auf dem Zion thront (bvy) 2 , wie dies vom sich wiederholenden schöpferischen Handeln des frühhellenistischen Weltgottes eines Qohelet (s.u. Kap. 8) differiert 3. So gilt es, die dynamischen Bewegungen Jhwhs in ihren lebensweltlich eingebetteten Kommunikationssituationen religions- und theologiegeschichtlich zu rekonstruieren. Repräsentativ an den angedeuteten Beispielen ist der – polyvalente – Zuwendungscharakter der dynamischen Bewegungen Jhwhs, der grundsätzlich ein Kommen Jhwhs zu den Seinen bedeutet. Diese Hin-Bewegung Jhwhs wirkt freilich nicht immer rettend, sondern bisweilen auch richtend oder gar vernichtend, wie bekanntlich v.a. die prophetische Tradition vor Augen führt (s.u. Kap. 6.f). Im Extremfall führt das Gerichtshandeln Jhwhs sogar dazu, dass von seinem ›fremden Werk‹ gesprochen wird (s. Whfe[]m; rz"/Atd'bo[] hY"rIk.n" Jes 28,21); ja, in der Folge kann dann auch Jhwh selbst als deus absconditus, als rTeT;s.mi lae: »sich verbergender Gott« (Jes 45,15) erfahren werden, der sich abgewandt hat; er zeichnet sich nicht mehr durch Präsenz, sondern durch unheilvolle Ferne und Abwesenheit aus, wovon insbesondere die Klagelieder des Einzelnen und des Volkes beredt Zeugnis ablegen. Diese »dunklen Seiten Gottes«4 dürfen keinesfalls vorschnell eingeebnet werden. Dennoch setzen diese Abwendungen und Weg-Bewegungen Jhwhs seine vorgängige Zuwendung voraus: Negative Gegenerfahrungen leben ihrerseits vom – nunmehr problematisch gewordenen – Gottesverhältnis und gewinnen allererst auf dieser Basis ihre Brisanz und Schärfe! Die Abwesenheit eines ohnehin weltfernen, selbstgenügsamen, in sich ruhenden Gottes wäre demgegenüber nicht der Rede wert. Bei aller Vielgestaltigkeit dieser Gottesrelationen bleibt also die beziehungsreiche Bewegung Jhwhs als Zuwendung zu den Seinen grundlegend. Freilich begnügt man sich im alten Israel nicht damit, von der Bewegung Gottes auf Mensch und Welt zu, gleichsam von der Außenbewegung Jhwhs, zu sprechen.

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In der Folge wird diese tempeltheologische Sicht der Staatszeit von den priesterlichen und dtn-dtr. Wohnaussagen des dAbK' bzw. ~ve Jhwhs transformiert rezipiert, bildet also einen markanten Strang der Jerusalemer Tempeltheologie (s. dazu nur LEUENBERGER, Schechina, Kap. 1.). 3 Zu weiteren Präsenzweisen Jhwhs s. knapp JANOWSKI, Gottesvorstellungen und LEUENBERGER, a.a.O. 4 So DIETRICH/LINK, Seiten 1–2; vgl. zur Sache bes. JEREMIAS, Reue; DERS., Zorn; SCHELLENBERG, Abwesenheit; DÖHLING, Gott; BURNETT, Absence.

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Vielmehr werden, zum anderen, auch Rückschlüsse auf Jhwh selbst, gleichsam auf seine Innenbewegung, gewagt: Auch Jhwh selbst befindet sich in Bewegung; nach Auskunft der Quellen bleibt er nicht statisch und unveränderlich, sondern wandelt sich selbst in vielfältiger Weise. Diese Selbstbewegung lässt sich religions- und theologiegeschichtlich etwa daran erkennen, dass (und in Grundzügen wie) Jhwh, der ursprünglich als spätbronzezeitlicher Wettergott in Südpalästina in Erscheinung trat, erst nachträglich zum befreienden Exodusgott und später zum Gott Israels geworden ist. Diese beiden mit am wichtigsten biblischen Charakterisierungen Jhwhs sind ihm also erst allmählich im Verlauf seiner Geschichte zugewachsen, womit sich sein Profil bzw., wenn man so will, sein Wesen grundlegend verändert hat. Ähnliches ließe sich für die zentrale Königsprädikation ab der Staatszeit oder das Verständnis von Jhwh als dem (schließlich) einzigen Gott überhaupt ab der Exilszeit ausführen, es gilt aber auch für sein Verhältnis zu Leben und Tod (s.u. Kap. 3.–5.). Mithin werden Wandlungen und Transformationen Jhwhs selbst greifbar, der sozusagen auch intrinsisch in Bewegung ist bzw. sich immer wieder in Bewegung setzt und setzen lässt. Diese interne ›Geschichte Jhwhs‹5 stellt die zweite Seite der Bewegung Jhwhs dar, die mit seiner externen Geschichte, seiner Bewegung auf Israel, Menschen und Welt zu unlösbar verquickt ist, wie etwa die Mittlerfigur der personifizierten Weisheit zeigt (s.u. Kap. 9.). Dem kommt theologisch insofern Relevanz zu, als es deutlich macht, dass die Aussagen über Jhwh selbst epistemologisch auf den Erfahrungen der Zuwendungsweisen Jhwhs basieren, dass jedoch ontologisch Jhwhs Selbstwandlungen die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Erfahrungen allererst ermöglichen. Gerade so wahrt der in Zeit und Geschichte sich in Bewegung befindende Gott seine Identität und Selbigkeit: ›Er wird der sein, der er sein wird‹, wie sich im Anschluss an den theo-

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Dass damit zunächst präziser die Geschichte der Jhwh-Vorstellungen bezeichnet wird, wurde im Vorwort bereits klargestellt. Von dieser historischen Perspektive ist das religiöse Binnenverständnis zu unterscheiden, wenn auch nicht zu trennen: Wenn etwa dem christlichen Glauben zufolge die ›Geschichte Jhwhs‹ als (Teil der) Geschichte der Selbstoffenbarung Gottes verstanden und so »Gott radikal in Beziehung gedacht [wird], präsentiert uns die Theologie des Alten Testaments nicht nur Wandlungen der Gottesvorstellung, sondern Wandlungen Gottes« (SCHWÖBEL, Erwartungen, 183 [Hervorhebung M.L.]).

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Zur Einführung

logischen Spitzensatz hy ynEP.mi Wlz>n" ~yrIh' 5 Die Berge erbebten vor Jhwh, dem vom Sinai, laer'f.yI yhel{a/ hw"hy> ynEP.mi vor Jhwh, dem Gott Israels. (1) Zum einen ist in V.5 die literarkritische Herauslösung des Jhwh-Titels yn:ysi hz< wenig zwingend, wie etwa Jörg Jeremias und Ernst Axel Knauf mit Überlegungen zum Metrum bzw. zur Struktur und zum Verständnis von hz< als Relativpronomen73 unterstrichen haben74. Gleichwohl ortet Pfeiffer in diesem Titel nicht nur irgendeinen späteren Zusatz, sondern beurteilt ihn als erst aus hellenistischer Zeit stammenden, sehr profilierten Reflex auf die Sinaitradition, der mit V.13b die EdomTheophanie auf den Sinai bezogen habe, »als man mit ›Edom‹ als Chiffre für das Gericht nichts mehr anzufangen« wusste75. Dabei versteht er die gesamte Sinaitradition – im programmatischen Gegenzug zu Hartmut Gese76 – als exilische Erfindung unter dem Motto ›vom Zion zum Sinai‹; die71

LEVIN, Alter, 135; ebenso KNAUF, Language, 167ff. Vgl. dazu SCHMID, Buchgestalten, 35ff (Lit.). 73 So seit GRIMME, Metrik (1896), 573 Anm. 1; jüngst GROSS, Richter, 308 (Lit.) trotz Vorbehalten von GESENIUS, WB18, 295, s.v. 5. 74 Vgl. JEREMIAS, Theophanie, 8f (wiederholtes hw"hy> ynEP.mi als archaische Stilform oder im Falle einer Streichung Eliminierung von hw"hy> ynEP.mi); KNAUF, Language, 173.176. 75 PFEIFFER, Kommen, 258; s. 69.90f. 76 S. dazu o. Anm. 11. 72

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se »Verlegung Jahwes an den Wüstenberg« sei erstmals »in einer Situation« erfolgt, »in der die Möglichkeit des Gotteskontaktes im Lande grundsätzlich nicht mehr gegeben war«77. Gegenüber diesem radikalen Spätdatierungsmodell für die komplette Sinaitradition bestehen jedoch erstens litera(tu)rgeschichtliche Vorbehalte: So gewiss die Sinaitradition in exilischer und nachexilischer Zeit literarisch gleichsam ›explodiert‹ ist, so gewiss lagen bereits ältere, zum Teil sehr viel ältere Überlieferungen vor. Dass Jhwhs »Verortung [sc. am Sinai, M.L.] auf halbem Wege zwischen Ägypten und Kanaan ausdrücklich gewollt« sei78, wirkt allzu sehr mit dem Rechenschieber konstruiert. Hinzu kommt zweitens, dass diese Verortung auch religions- und theologiegeschichtlich nicht zu überzeugen vermag79. Und drittens wird dabei die Kreativität atl. Traditionsliteratur überschätzt, die keineswegs nach Belieben frei konstruiert, wie etwa ein Vergleich von dtr und chronistischem Geschichtswerk zeigt80. Schließlich gilt es viertens in konzeptioneller Hinsicht zu beachten, dass in Ri 5,4f Jhwh vom Sinai her den Seinen beispringt, während die Sinaitradition von Ex 19ff die Israeliten Jhwh am Gottesberg aufsuchen lässt, was – im Rahmen atl. Tempeltheologie (vor- wie nachexilischer Ausprägung) – weniger unkonventionell ist81 und daher wohl eine jüngere (exilisch-nachexilische) Konzeption darstellt. Doch auch eine literarkritische Ausscheidung besagt als solche noch wenig über das traditionsgeschichtliche Alter der Vorstellung selbst82, obwohl Pfeiffer exakt dies impliziert, wenn er behauptet, dass »[t]raditionsgeschichtlich hohes Alter … damit definitiv ausgeschlossen werden« könne83. Dieser Kurzschluss von der Literar- und Redaktionsgeschichte auf die traditionsgeschichtliche Herkunft ist methodisch auf jeden Fall höchst problematisch.

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PFEIFFER, Kommen, 267. Ebd. 79 So mit KEEL, Geschichte, 201, der zu Recht auf den zeitgleichen ›Rückzug‹ Jhwhs in den Himmel und die entsprechende Entfaltung Jhwhs als Himmelsgott hinweist; dies hat sich in der Folgezeit als grundlegender Prozess herausgestellt (der freilich, wie etwa späte Weisheitstexte zur Vermittlung von Gott und Welt zeigen, neue Probleme generierte [s.u. Kap. 9.] – aber gerade deshalb offenkundig weitreichende Verbreitung besaß). 80 Vgl. KEEL, ebd. 81 Vgl. zu diesem nicht ganz unproblematischen Argument bereits WELLHAUSEN, Prolegomena, 343. 82 Mit KNAUF, Midian, 48f. 83 PFEIFFER, a.a.O., 90. 78

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(2) Zum anderen ist nun das Alter der Vorstellung von Jhwhs Herkunft aus dem Süden zu klären. Es soll hier nicht mehr näher auf yn:ysi hz< eingetreten werden, denn grundsätzlich hängt für die Frage nach der Herkunft Jhwhs aus dem Süden nicht sehr viel an diesem Titel und dessen Datierung: Es ist zwar m.E. a priori sehr wahrscheinlich, Jhwh vom Sinai theologiegeschichtlich mit den weiteren Traditionen einer südlichen Herkunft in Ri 5 usw. zu verbinden, doch dieser zweite Vorstellungskomplex ist vom Sinai nicht nur völlig unabhängig – zumal in Anbetracht der uneindeutigen Lokalisierung des Sinai in den alten Belegen –, sondern auch ungleich aufschlussreicher. Dabei müsste – ohne dies hier durchführen zu können – die theologiegeschichtliche Genese der südlichen Herkunft Jhwhs im Einzelnen aus den vier Texten rekonstruiert werden; in methodischer Hinsicht wären die von Pfeiffer benannten Defizite aufzugreifen, indem die philologischen Ergebnisse von Knauf u.a., die formgeschichtlichen Beobachtungen von Jeremias sowie die traditionsgeschichtlichen Analysen von Miller 84 mit literarund redaktionsgeschichtliche Erwägungen verbunden und in ein revidiertes, breit abgestütztes Gesamtmodell integriert würden. Auch ohne diese Ausarbeitung lassen sich bereits vier Argumente anführen, die ein hohes Alter der Vorstellung von Jhwhs Herkunft aus dem Süden begründen: (1) In einer sprachstatistischen und -historischen Analyse von Ri 5 hat Knauf kürzlich einen Grundbestand inklusive V.4f aus dem 10. oder 9. Jh. v. Chr. plausibilisiert, der später oberflächlich ›standardisiert‹ wurde: »The resulting impression ist that of a non-standard text incompletely standardized rather than that of a sub-standard text, i.e. a text produced by someone only semi-literate in SBH«85. (2) Von großer Bedeutung ist die Beobachtung Pfeiffers86, dass Jhwhs Verortung im Süden die in der Staatszeit dominante Vorstellung des auf dem Zion thronenden Jhwh fundamental konkurrenziert. Sie läuft jedoch im Effekt – nachdem sich eine nachexilische Erfindung als sehr unwahrscheinlich erwiesen hat – auf einen vorstaatlichen Traditionsursprung hinaus. 84

Vgl. MILLER, Warrior. KNAUF, Language, 176; s. 171ff; ebenso im Ergebnis GROSS, Richter, 296f; explizit angemerkt sei die damit implizierte Kritik sowohl am klassischen Corpus der ›Early Israelite Poetry‹ (s.o. Anm. 64) als auch umgekehrt an Spätdatierungen in nachexilischer (WALTISBERG, Alter, 229: 5.–3. Jh. v. Chr.), gar hellenistisch-römischer (DIEBNER, Deborah, 112ff.121ff: 1. Jh. v. Chr.–1. Jh. n. Chr.) Zeit. 86 PFEIFFER, Kommen, 90f.267f. 85

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(3) Bislang zu wenig Beachtung gefunden haben m.E. zwei konzeptionelle Eigenheiten: Zum einen variiert das Südgebiet, aus dem Jhwh hilfreich herankommt, in den vier Theophanietexten auf eine Weise, die sich weder durch literarische Abhängigkeit allein erklären lässt – das gilt in erster Linie für Hab 3,3, in zweiter Linie für Dtn 33,2 –, noch aus dem jeweiligen Kontext ableitbar ist. Vielmehr weist die Formulierungsvarianz von Edom, Seir, Teman und Paran auf einen gemeinsamen traditionsgeschichtlichen Hintergrund 87 , was nach den bisherigen Ausführungen auf eine vorstaatliche Entstehungssituation führt (und u.U. vielleicht sogar historisch ursprünglich mit einem Berg verbunden ist). (4) Dazu passt zum anderen der Befund, dass in sämtlichen Texten das konkrete Herkunftsgebiet eine marginale Rolle spielt gegenüber dem welterschütternden, für Israel indes hilfreichen Effekt der Ankunft Jhwhs; dies spricht gegen programmatische Redaktionstexte und für alte Überlieferungssubstrata. Deshalb überzeugt es auch in keiner Weise, wenn Pfeiffer die unterschiedlichen Gebietsnamen auf die Gleichung »›Edom‹ als Chiffre für das Gericht«88 reduziert – zumal er selbst zugibt, dass sich »die EdomBegrifflichkeit in Jdc 5,4 vielleicht nicht im präzisen Sinn dechiffrieren« lässt89. Auf das Ganze sind bei einer ausgewogenen Analyse mithin auch diese atl. Theophanietexte traditions- und religionsgeschichtlich auswertbar: Mit Ri 5 reichen sie literarisch in die frühstaatliche Phase, traditionsgeschichtlich sogar in die vorstaatliche Zeit zurück und belegen ihrerseits – gegen die mittelpalästinische Lozierung durch die Berliner These Pfeiffers und Köckerts – zuverlässig das hohe Alter der Vorstellung einer südpalästinischen Ursprungsheimat Jhwhs90 außerhalb Israels/Judas91, zu welcher Vor87

Auch wenn sich die spezifische Funktion der genannten Gebiete im jeweiligen (diesbezüglich nicht aufschlussreichen) Kontext nicht mehr bestimmen lässt, führt die Varianz umgekehrt nicht zwingend zur Einschätzung von JEREMIAS: »Seir, Gebirge Pharan und Edoms Gefilde sollen nur in groben Zügen vom palästinischen Kernland aus die Richtung angeben, aus der Jahwe kommt; er kommt vom Sinai« (Theophanie, 8). 88 PFEIFFER, Kommen, 258; s.a. 69.80ff.90f. 89 PFEIFFER, a.a.O., 86. 90 So in neuerer Zeit neben AXELSSON, Seir, 48ff etwa WEIPPERT, Jahwe 43f; ALBERTZ, Religionsgeschichte, 82f; DDD, 916 (V.D.TOORN); NIEHR, Religionen, 237; GÖRG, Monotheismus, 64; ZENGER, Monotheismus, 17ff; BERLEJUNG, Geschichte, 61; TIMM, Teman, 200ff (der freilich Hab 3,3 für deutlich nachdtn hält). Ebenso offenbar jüngst LEVIN, Alter, 134: »Die Aussage [sc. von Jhwhs Kommen von Seir, M.L.] wirkt so ursprünglich wie unerfindlich« (s. aber seine Bemerkung o. Anm. 17). 91 Dies macht im Übrigen auch die Deutung Jhwhs als vergöttlichter Ahne eines proto-israelitischen Stammes von DE MOOR, Rise, 332f.336ff sehr unwahrscheinlich (mit

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stellung man neben den vier Gebietsangaben vielleicht auch die Lokaltitulatur ›der vom Sinai‹ mit ihrem Hinweis auf einen Bergsitz Jhwhs hinzunehmen kann.

IV. Historische Korrelationen Wenn die vorgelegten Überlegungen zu den archäologischen Befunden und den biblischen Überlieferungen in groben Zügen zutreffen, ergeben sich schlüssige historische Korrelationen, die einen Beitrag zu einem Gesamtmodell der Vor- und Frühgeschichte Israels und Jhwhs leisten: Im Blick auf Jhwh fügen sich die archäologischen und exegetischen Ergebnisse zeitlich, räumlich und konzeptionell ausgezeichnet zueinander: Zum einen verorten die ägyptischen Quellen der Spätbronzezeit, die traditionsgeschichtlich ältesten Texte der Bibel aus vorstaatlicher Zeit sowie die staatszeitlichen Primärtexte aus Kuntillet Arud 92 übereinstimmend Jhwh im südpalästinischen Gebiet der Araba. Trotz der (bislang) bestehenden zeitlichen Lücken zwischen den Primärtexten aus Ägypten und Kuntillet Arud sowie der Datierungsunsicherheit der atl. Sekundärtexte macht diese Konvergenz der drei unabhängigen Quellengruppen traditionsgeschichtliche Verbindungslinien höchst wahrscheinlich. Zum anderen charakterisieren diese Texte – auf ikonographische Parallelen sei hier nur verwiesen (s.u. 2. II.) – Jhwh übereinstimmend, wenn auch mehr oder weniger deutlich, als Schutz und Beistand bietenden solitären Sturm-, Kriegs- und Wettergott: (1) Erstens und hauptsächlich manifestiert sich Jhwh, wie bereits die Etymologie von yhwh: »er weht (nämlich im Wind als Wettergott)« bzw. »er fällt ein/herab (nämlich durch Blitze als Gewitter- und Sturmgott)« vermuten lässt 93 , in Wetterphänomenen – und zwar als machtvoller Beschützer (und weniger als umfassende Fruchtbarkeit gebender RegenspenDDD, 914 [V.D.TOORN]; DKSTRA, Origins, 103), zumal solche Gottheiten ansonsten lokal begrenzt bleiben und nicht zum summus deus aufsteigen. 92 S. bes. yhwh [h]t[y]man: »Jhwh von Teman« in KAgr (6,2; 9,5) 10,1, wobei die Deutung von Teman (und yhwh šmrn: »Jhwh von Samaria« KAgr 8,2) nicht ganz unumstritten ist (s. LEUENBERGER, Segen, 121 Anm. 34 [Lit.]). 93 Vgl. die seit Wellhausen vertretene Ableitung von der altsüdarabischen Basis hwh (hwy): »wehen, durch die Luft fahren, (ein-/herab)fallen« (so etwa KNAUF, Yahwe, 468f; DERS., Midian, 44f; DDD, 915 [V.D.TOORN]; GÖRG, Monotheismus, 63f; DERS., Beziehungen, 155f; KÖCKERT, Wandlungen, 20; ZENGER, Monotheismus, 17; BERLEJUNG, Geschichte, 127f).

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der, zu dem er erst später wird): (a) Jhwh hält sich permanent in Wolken und Himmel auf und fährt auf ihnen einher (Hab 3,3; Dtn 33,26; s. Ps 68,3.5); ist er zu bestimmten Zeitpunkten gegenwärtig, triefen Wolken und Himmel (Ri 5,4; Ps 68,9), strömen Regen und Wasser (Ps 68,10; Hab 3,9f; s.a. Ps 68,15 [Schnee]). (b) Damit ursprünglich oder sekundär verbunden werden mehrfach – ebenfalls punktuell-diskret eintretende – kosmische Erschütterungen wie das Beben der Erde (Ri 5,4f; Hab 3,6.10; Ps 68,9.15– 18) und solare bzw. astrale Erscheinungen wie glanzvolles Aufstrahlen und Leuchten (Hab 3,4.11; Dtn 33,2; s. Ps 68,3). (c) Problematischer erscheint ein weiterer Bereich: Die punktuelle Präsenz des Wettergottes Jhwh lässt sich in der Folge auch so ausziehen, dass Jhwh als Regen- und Wasserspender in der Art Baals für die stetige Fruchtbarkeit der Erde sorgt, wie dann Dtn 33,28 explizit herausstellt. Hier ist wahrscheinlich religionsgeschichtlich zu differenzieren: Denn dass die Bedeutung umfassender Fruchtbarkeit, die auf den göttlichen Segen (Ašerahs, Jhwhs u.ä.) zurückgeführt wird94, in (mittel- und nordpalästinischen) Kulturlandverhältnissen fundamental an Bedeutung gewinnt, liegt auf der Hand und dürfte entsprechend zu verorten sein. Umgekehrt ist freilich (tierische) Fruchtbarkeit auch für (›halbnomadische‹) (Šasu-)Kleinviehzüchter lebenswichtig. In jedem Fall ist es bemerkenswert, dass in den genannten Texten die Verbindung Jhwhs mit (wie auch immer gefasster) Fruchtbarkeit nur am Rande vollzogen wird und das Hauptgewicht auf den Wetterphänomenen selbst liegt. (2) Zweitens ist sogleich hinzuzufügen, dass dem theophanen Wettergott Jhwh durchaus eine anthropologische Funktion zugewiesen wird: Die Texte deuten sein Erscheinen durchgängig als hilfreiches Kommen zu den Seinen, das Beistand und Schutz in Konflikt und Krieg gewährt. Darin stimmen alle kontextspezifischen Ausformungen überein (Ri 5,6ff; Hab 3,5ff; Ps 68,3f.11ff; Dtn 33,3.26ff), und dies korreliert abermals gut mit den etymologischen Indizien, sodass der Wettergott Jhwh seinen Verehrern Beistand und Schutz in spezifischen Konflikt- und Kriegssituationen bietet95. (3) Drittens besitzt der sich in dieser Weise manifestierende Jhwh aus dem Süden seinen Wohnsitz im südpalästinischen Gebiet, wie sich bereits ergab (s.o. III.). Näherhin dürfte sich Jhwhs Wohnsitz ursprünglich viel94

S. dazu umfassend LEUENBERGER, Segen. So mit KNAUF, RGG4 4, 504, der für den Kriegsaspekt auch auf Ex 15,21 und Num 21,14f (hw"hy> tmox]l.mi rp,se) verweist; ähnlich bereits WEIPPERT, Jahwe, 43; neuerdings etwa ZENGER, Monotheismus, 19; s.a. GÖRG, Beziehungen, 159 (im Exodushorizont). 95

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leicht sogar mit einem Berg verbinden lassen 96 (dessen Lage und Name unbekannt sind und wohl später mit dem Sinai identifiziert wurden); dafür sprechen einerseits religionsgeschichtliche Analogien – der westsemitische Typ des Wettergotts wohnt gern auf einem Berg (s. vorab den ugaritischen Baal aphon) 97 – und andererseits die ebenfalls auf einen gebirgigen Wohnsitz weisenden Textbefunde (yn:ysi Ri 5,5; Ps 68,9 [s.a. zum Berg V.15–18]; Dtn 33,2; !r'aP'-rh; Hab 3,3; Dtn 33,2)98. Dass dieser Zug dann später von der Sinaitradition aufgegriffen und neu interpretiert werden konnte, spricht eher für diese Erklärung als gegen sie, steht aber auf einem ganz anderen Blatt. (4) Viertens lässt sich schließlich ergänzen, dass Jhwh ursprünglich als Solitär auftritt (was noch nichts über einen exklusiven Charakter besagt!) und in kein Pantheon eingebunden ist (was sich dann bekanntlich im Palästina der Eisenzeit im kleinen Rahmen ändert). Dafür sprechen die folgenden Argumente99: (a) Grundsätzlich erfüllt der (Schutz bietende und Regen spendende) Wettergott Jhwh von seiner Typologie her sowie von seiner konkreten Charakterisierung in den Quellen her die Bedingungen der Möglichkeit einer ›göttlichen Autarkie‹. (b) Negativ ist eben das Fehlen Jhwhs in allen west-/nordwestsemitischen Panthea der Spätbronzezeit und der Eisenzeit I festzustellen. (c) Umgekehrt scheint das im eisenzeitlichen Israel rekonstruierbare ›Mini-Pantheon‹ für Jhwh eine Neuerung zu bedeuten und v.a. durch die Verschmelzung mit El bedingt zu sein; dabei werden die Mitglieder als »Götter-/Gottessöhne« (~yhwla ynb, Dtn 32,8 nach 4QDtnj) oder »Söhne des Höchsten« (!Ayl.[, ynEb., Ps 82,6) und nicht als Söhne Jhwhs bezeichnet100. (d) Und schließlich erklärt sich die ab der Eisenzeit IIC be-

96

Vgl. z.B. KNAUF, a.a.O., 48ff; 61 mit Anm. 303; JANOWSKI, Gottesvorstellungen,

25. 97

S. dazu FREVEL, NBL 1, 919ff, umfassend SCHWEMER, Wettergottheiten, bes. 443ff; zu Baal aphon s. NIEHR, Religionen, 30ff.73 (Lit.) zu El DERS., Baalšamem, 22 (Lit.). S. generell zu ikonographischen Verbindungen von Gottheit und Berg (sowie Vegetation/Fruchtbarkeit) METZGER, Gottheit, 69ff.77ff.85, wobei wiederum bes. der auf Bergen und Wellen schreitende › Baal au foudre‹ Erwähnung verdient. 98 Nur verwiesen sei auf weitere Psalmenbelege zum Gottesberg (s. knapp SCHMIDT, Königtum, 25ff; FREVEL, NBL 1, 920ff). 99 Vgl. dazu etwa ZENGER, Monotheismus, 21; ALBERTZ, Monotheismus, 367, der hier mit Recht die »extremen Lebensbedingungen der politischen Befreiung und einer längeren Wüstenexistenz« nicht mehr anführt (DERS., Religionsgeschichte, 99). 100 Dtn 32,8f und Ps 82,6 sind religionsgeschichtlich auch dann aufschlussreich, wenn es sich um literargeschichtlich relativ junge Kompositionen handelt, die ältere Traditionen verarbeiten (s. dazu SCHMID, Reste [Lit.]).

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obachtbare Kompetenzausweitung und der Aufstieg Jhwhs zum einen und einzigen Gott plausibler vor einem solitären Hintergrund. Im Blick auf die Šasu lässt sich festhalten, dass die den archäologischen Quellen zufolge als Träger der Jhwh-Verehrung fungierten. An dieser Stelle müssten auch biblische Überlieferungen mit herangezogen werden, um die mutmaßliche historische Zentralfunktion bestimmter Šasu-Verbände für die Vor- und Frühgeschichte Israels präziser bestimmen zu können. Dabei käme vorab der Exodusüberlieferung, die vermutlich ebenfalls eng mit den Šasu als Trägergruppe verquickt ist, eine wichtige Bedeutung zu, denn sie fügt sich nahtlos (zwar nicht zum gesamten Profil Jhwhs, aber doch) zu den beiden Zügen der südpalästinischen Herkunft und des hilfreichen Kommens. Blickt man von hier aus zurück, so ließ sich in methodischer Hinsicht an der begrenzten Frage der Herkunft Jhwhs aufzeigen, wie sich durch historische Korrelationen von archäologischen Befunden und biblischen Überlieferungen kumulative Evidenzen ergeben, die ungleich breiter fundiert sind als methodisch isolierte Untersuchungen einzelner Bibeltexte oder bestimmter materieller Hinterlassenschaften. Die alte These von Jhwhs südlicher Herkunft erhält durch den Einbezug neuerer archäologischer Befunde einen argumentativ entscheidenden Zuwachs an Daten: Die derart gewonnene Quellenverbreiterung führt zu einem differenzierteren und auf sämtlichen zur Verfügung stehenden Quellen basierenden Gesamtmodell. Damit geht es, wie Wolfgang Zwickel vor Kurzem formuliert hat, um »… eine neue Fragestellung, die wohl zwangsläufig zu dem Zeitpunkt aufkommen musste, als sich die Palästinaarchäologie als selbstständige und von der Exegese unabhängige Disziplin etabliert hat: Wie sieht das Verhältnis von Textinterpretation und archäologischem Befund aus?«101 Freilich ist zu präzisieren, dass sich das zentrale Problem der Verhältnisbestimmung von Texten und Artefakten102 nicht nur zwischen Exegese und Archäologie stellt, sondern, wie im ersten Teil deutlich wurde, auch ›binnenarchäologisch‹ die Kombination verschiedener Kategorien von Primärquellen – von Texten, Bildern und weiteren Artefakten – betrifft. Grundsätzlich sitzen dabei Exegese und Archäologie insofern im gleichen methodischen Boot, als in beiden Disziplinen das Verhältnis der basalen Daten und Beobachtungen zu den darauf aufbauenden Interpretationen und Theoriemodellen das notorische Hauptproblem darstellt, das transparente Darstellung und methodologische Reflexion erfordert. 101 102

ZWICKEL, ThR 2007, 153. S. dazu o. in der Einführung Anm. 8.

Jhwhs Herkunft aus dem Süden

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Im konkreten Fall, so lässt sich zum Schluss bilanzieren, konvergieren Archäologie und Exegese in beinahe idealtypischer Weise103 darin, dass sie Jhwhs Ursprungsheimat in der Araba lokalisieren und mithin seine Herkunft aus dem Süden begründen. Damit tragen sie, um mit Manfred Görg, der auf diesem Feld Pionierarbeit geleistet hat, zu sprechen, wesentlich »zur integrierenden Zusammenschau … der Anfänge des Jhwhglaubens« bei, die »ein bleibendes Postulat [ist]«104. In diesem Rahmen lässt sich das angedeutete, religions- und theologiegeschichtlich älteste Profil des Schutz und Beistand bietenden solitären Sturm-, Kriegs- und Wettergottes Jhwh aus dem südpalästinischen Bergland näher herausarbeiten: Es bildet den grundlegenden Ausgangspunkt einer jeden Geschichte der atl. Gottesvorstellungen, der weit über die atl. Wissenschaft hinaus von grundlegendem Interesse bleibt.

103

Unbeschadet dessen, wäre in materialer Hinsicht natürlich eine größere Quellendichte ebenso wünschbar wie ausführlichere Kontexte der archäologischen Quellen. 104 GÖRG, NBL 2, 264.

Kapitel 2

Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh »Die güldene Sonne bringt Leben und Wonne, die Finsternis weicht. Der Morgen sich zeiget, die Röte aufsteiget, der Monde verbleicht. / Nun sollen wir loben den Höchsten dort oben …« – so singen wir im (ökumenischen) Kirchenlied1. Dieser ›Sonnengesang‹, dessen serene Grundstimmung angesichts der Abfassung während des 30-jährigen Kriegs noch an Glanz gewinnt, ist theologisch ausbalanciert: Er nimmt die lebensdienliche Schöpfungsordnung – durch die Sonne repräsentiert – zum Anlass des Gotteslobs; die Sonne als geschaffenes Werk verweist schöpfungstheologisch auf Gott, wird mit diesem indes nicht explizit gleichgesetzt. Andere Kirchenlieder optieren hier dezidierter und identifizieren die Sonne, durchaus in biblischer Tradition, direkt mit Gott oder Jesus Christus als »Sonne der Gerechtigkeit« usw. (s. EG 262.441). Diese theologische Metapher besitzt angesichts der Prominenz der Sonne in unserer alltäglichen Erfahrungswelt eine enorme Plausibilität – und selbstredend gilt dies für die Welt des alten Orients ungleich stärker: Wie die Sonne spendet Gott Licht und Wärme, stetig wie der die Zeit strukturierende Sonnenlauf ist seine Präsenz, gibt und versorgt er Leben; hell und klar wie die gleißende Sonne ist seine Gerechtigkeit. So attraktiv sich diese Vorstellung präsentiert, so gravierend sind die mit solch ›natürlicher Theologie‹ einhergehenden Herausforderungen, auf die am Schluss zurückzukommen ist.

I. Zur Fragestellung Die Sonnenmetapher ist aber nicht nur hermeneutisch und systematischtheologisch anspruchsvoll, sondern auch – und darum soll es im Folgenden gehen – religions- und theologiegeschichtlich höchst interessant und tradi1

So EG 444 (Philipp von Zesen, 1641); die zweite Strophe, die den Gottesbezug explizit einbringt, fehlt interessanterweise im deutschschweizerischen RG 565.

Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh

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tionsreich: In unserem abendländischen Kulturkreis wirken natürlich römisch-griechische Elemente am stärksten nach, denn in der Spätantike verdrängte Jesus Christus bekanntlich den griechisch-römischen Helios-sol invictus und usurpierte solare Funktionen 2 . Die Durchsetzung derart geprägter Christologien profitierte zweifellos in hohem Maße von solaren Gottesbildern, wie sie in der israelitischen Tradition längst etabliert und wertgeschätzt waren. Diese solaren Gottesvorstellungen im alten Israel sollen im Folgenden im Zentrum stehen. Interesseleitend ist dabei eine religions- und theologiegeschichtliche Perspektive, die sich aus dem in der Einführung erwähnten Forschungsvorhabens zur Geschichte Jhwhs ergibt. Dabei kommt der Nachzeichnung der Profile Jhwhs in ihren historischen, regionalen und soziologischen Differenzierungen eine entscheidende Bedeutung zu: Es reicht heute nicht mehr, die geschichtlichen Transformationen und Entwicklungen (auf der Zeitebene) pauschal zu verfolgen; um ein hinreichend präzises Gesamtbild rekonstruieren zu können, müssen vielmehr – soweit es die Quellen ermöglichen – auch regionale/geographische (bzw. kulturelle) Unterschiede (auf der Raumebene) sowie soziologische Differenzen (auf der Religionsebene) einbezogen werden. Ein wichtiger Fall einer solchen Profiltransformation Jhwhs stellt nun seine Solarisierung dar, d.h. der Prozess, in dem sich Jhwh sonnenhafte Motive bzw. Vorstellungen aneignet und Eigenarten, Funktionen oder Kompetenzen von Sonnengottheiten übernimmt3. Besonders aufschlussreich ist dabei, dass Jhwh (auch) hier wesentlich altorientalisches und namentlich kanaanäisches Erbe antritt. Forschungsgeschichtlich stand diese sog. ›Kanaanisierung‹ des Jhwh-Glaubens lange im Vordergrund, ist inzwischen jedoch durch eine Reihe neuerer Arbeiten einem differenzierten Bild gewichen4. In jüngster Zeit ist die Frage nicht nur in zahlreichen Artikeln, sondern auch monographisch von Martin Arneth und Juliane Kutter bearbeitet worden5. Kutters religionsgeschichtliche Arbeit6 zu den nordwestsemitischen Sonnengottheiten vermittelt einen breit angelegten und auf unterschiedlichen Quellen basierenden Überblick; im Teil zu Israel/ Juda bereitet sie das Material sorgfältig auf und stellt es konsensfähig dar, bringt aber im

2

Vgl. dazu umfassend WALLRAFF, Christus verus sol. Dies wird als Desiderat bereits von TAYLOR, Sun (1993), 92 benannt (»a detailed reconstruction of the history and development of solar elements within Yahwism«), der selbst aber bewusst elementarer einsetzt. 4 Vgl. dazu das Referat von JANOWSKI, Sonnengott, 192ff. 5 ARNETH, Sonne (5ff zur Forschungsgeschichte); KUTTER, Sonnengottheiten; dort sowie bei KEEL, Geschichte, passim umfassende Lit. 6 KUTTER, a.a.O. 3

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Jhwh als Wetter- und Sonnengott

Blick auf die religions- und theologiegeschichtlichen Entwicklungen wenig Neues. Demgegenüber formuliert Arneth7 im Anschluss an die Deutung von Ps 72 als Krönungshymnus Joschijas die scharfe These, dass die »Vorgeschichte der Solarisierung Jahwes« in Ps 72 erst »in der neuassyrischen Zeit«, d.h. im späteren 8. Jh. v. Chr. zu orten sei (109, s.a. 201). Zwar diskutiert er die vorassyrischen Quellen knapp (137ff) und hält es für »wahrscheinlich, daß es im jebusitischen Jerusalem bzw. in der Umgebung Sonnenvorstellungen bzw. -verehrung gegeben hat« (201); dennoch ist ihm zufolge »nicht zu rekonstruieren, in welchem Verhältnis der Gott Jahwe zur ›Jerusalemer Sonnentheologie‹ gestanden … hat« (201). Angesichts des im Folgenden zu präsentierenden Materials ist diese monokausale Ableitung der Solarisierung Jhwhs aus neuassyrischer Zeit allerdings eine unwahrscheinliche Engführung, die dem interkulturellen Horizont Israel/Judas während allen Epochen nicht gerecht wird8; denn es lassen sich daneben auch ägyptische, kanaanäische und aramäische Prägungen ausmachen, und in späterer Zeit spielen persische und hellenistische Einflüsse eine Rolle. Zur Zeit kommt daher dem umfassenden Einbezug aller Quellen und ihrer umsichtigen, differenzierten Auswertung die vorrangige Aufgabe zu. (Grundsätzliche Skepsis bezüglich einer Solarisierung findet sich hingegen gegenwärtig mit Recht kaum mehr [s.u. Anm. 115].)

Anhand der Solarisierung lässt sich deshalb exemplarisch die Transformation einer Gottesvorstellung im Rahmen eines interkulturellen Austauschund Rezeptionsprozesses verfolgen. Ein solcher kann stets (mindestens) von zwei Standpunkten aus beschrieben werden: In der religionsgeschichtlichen Außenperspektive präsentiert sich der Vorgang als Jhwhisierung der Sonne bzw. Sonnengottheit(en); in der theologiegeschichtlichen Innensicht hingegen erscheint derselbe Prozess als Solarisierung Jhwhs (bzw. einer Gottheit). Methodisch sind beide Positionen und Perspektiven gleichwertig und gleichberechtigt; der Exeget tut gut daran, beide Perspektiven miteinander zu kombinieren, um ein historisch möglichst vollständiges Bild zeichnen zu können. Wenn hier, wie der Untertitel signalisiert, dennoch die Solarisierung Jhwhs in den Vordergrund tritt, so hängt dies schlicht mit dem erwähnten Forschungsprojekt zusammen, das dem israelitischen Gott Jhwh gewidmet ist; hinzu kommt, dass der Vorgang in der wissenschaftlichen Fachdiskussion unter diesem terminus technicus firmiert, selbst dort, wo mit Recht beide Perspektiven erörtert werden. 7

ARNETH, Sonne; daraus die folgenden Zitate. Vgl. bes. NIEHR, Gott, 162; JANOWSKI, Sonnengott, 199f.201; HARTENSTEIN, RGG4 7, 1441; s.a. MÜLLER, Wettergott, 248; so neben den Neoklassikern von STÄHLI, Elemente und TAYLOR, Sun (mit einem [zu] weit ausgreifenden Grundzug) und der austarierten Skizze JANOWSKIS, a.a.O. jüngst ausführlich KEEL, Geschichte, 189ff.264ff.273f; KUTTER, Sonnengottheiten, 355ff. Mit Recht bilanziert LAUBER, Sonne, 381, dass »während der gesamten literarisch greifbaren Epoche JHWH mit der Funktion der altorientalischen Sonnengottheiten entsprechenden solaren Zügen beschrieben wurde«. 8

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Die im vorliegenden Rahmen verfolgte Fragestellung mit ihrer religions- und theologiegeschichtlichen Ausrichtung konzentriert sich auf die Rekonstruktion der Solarisierung Jhwhs im alten Israel während verschiedener historischer Epochen und kulturgeschichtlicher Konstellationen. Im Vordergrund steht daher das Problem, ob bestimmte Ausdrucksbzw. Symbolisierungsweisen (1) solar konnotiert und (2) auf Jhwh bezogen sind. Es fällt auf, dass solare Deutungen Jhwhs im AT nur selten und indirekt kritisiert werden (s.u. zu Hos 6,3f: Relativierung?; Jes 60,19f: Überbietung bzw. Unterordnung der Sonne als Geschöpf unter Jhwh [s.a.u. Anm. 27]; Mal 3,20: kontextuelle Dekonstruktion); signifikant dürfte eher die vergleichsweise schmale Bezeugung im AT generell sein, hinter der möglicherweise (auch) implizite Selektion bzw. Präferierung anderer Vorstellungskreise steht. (3) Die Legitimität solarer (Jhwh-)Verehrung – die dieser Beitrag nur streift – wird in dtr. und prophetischer Perspektive vorab dort bestritten, wo die Alleinverehrung Jhwhs auf dem Spiel steht, d.h. dort, wo (für sie) der Jhwh-Bezug der Sonnenverehrung nicht mehr erkennbar ist und damit die Unterscheidung von Jhwh und Sonne bzw. Fremdgöttern verschwimmt (unabhängig davon, ob es sich im Einzelnen um solarisierte JhwhVerehrung oder um solare Fremdkulte handelt [s.u. zur Diskussion um 2Kön 23,11f und Ez 8,16ff])9.

Nimmt man die Solarisierung Jhwhs in dieser Weise im Horizont der Geschichte Jhwhs in den Blick, so lässt sie sich als Solarisierung des Wettergottes Jhwh präzisieren: Jhwh war ja von Haus aus kein altorientalischer Sonnengott, sondern ein südpalästinischer Wettergott mit einem distinkten Profil, wie im aktuellen Kontext kurz zu rekapitulieren ist (II.). Dies ermöglicht es dann, nach einer religionsgeschichtlichen Zwischenüberlegung zur Lage in Jerusalem und in der Levante (III.), die Solarisierung Jhwhs religions- und theologiegeschichtlich en détail zu verfolgen (IV.).

II. Die Anfänge des Wettergottes Jhwh Historisch erkennbar betritt Jhwh die Bühne der Geschichte erstmals in der Spätbronzezeit. Darüber besteht trotz neuerer Gegenthesen zur Zeit nach wie vor ein relativ solider Konsens10, denn archäologische und biblische

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Vgl. zu diesen methodischen Aspekten bes. JANOWSKI, Sonnengott, 197ff und zur inhaltlichen Polyvalenz der Sonne als Himmelskörper, lebensweltlich-poetischer Metapher, mythischer Figur oder gar Sonnengottheit – knapp IRSIGLER, Solarisierung, 27; KUTTER, Sonnengottheiten, 415. 10 Vgl. nur HARTENSTEIN, Wettergott, 77ff, MÜLLER, Wettergott, 14ff und o. Kap. 1. Differenzen bestehen freilich bei der näheren Bestimmung des Profils Jhwhs. So hält etwa KEEL, Geschichte, 206ff; DERS., Süden, 52f Jhwh ursprünglich zwar für einen Sturm- und Kriegsgott wie den ägyptischen Seth, grenzt ihn aber – m.E. allzu trennscharf

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Quellen konvergieren zeitlich, räumlich und konzeptionell darin, dass sie Jhwh als südpalästinischen Wettergott zu erkennen geben. Dies fügt sich nahtlos in die religionsphänomenologische Großwetterlage der Spätbronze- und Eisen I-Zeit ein, in der Wetter- und Kriegsgottheiten des westsemitischen Hadad-Baal-Typus’ und des südsemitischen SethBaal-Typus’ prominent hervortreten; am deutlichsten zeigt sich dies ikonographisch auf einigen Stempelsiegeln, die Baal mit der Spitzkappe bzw. den gehörnten Seth im Kampf gegen die Chaosschlange Leviathan bzw. Apophis darstellen (Abb. 3–6)11.

Abb. 3–6: Kämpfender Hadad-Baal bzw. Seth- Baal (13.–11. Jh. v. Chr.)

Jhwh selbst wird näherhin vorab in Wetterphänomenen als machtvoller Beschützer der Seinen wahrgenommen, wie schon die Namensetymologie indiziert (s.o. 1. IV. mit Anm. 93) und wie sich näherhin insbesondere aus der alten Theophanieschilderung in Ri 5,4f sowie verwandten Texten erheben lässt (s.o. 1. III.–IV.). Somit besitzt dieser ursprüngliche Wettergott aus dem Süden, der seinen Wohnsitz wohl auf einem Berg hat und von dort her auf Wind und Wolken einherfährt, ein ziemlich typisches und überschaubares Profil mit überschaubaren Funktionen und Zuständigkeiten. Im Verlaufe der anschließenden langen Geschichte hat er sich – und mit ihm auch sein Profil – vielfältig gewandelt und immer komplexere und vielschichtigere Züge angenommen: Im Kontext der Exoduserfahrung (und ihrer Rezeption im Land, vermutlich durch Midianiter/Keniter und Šasu vermittelt) wandelt er sich zum großpolitisch agierenden, mobilen Rettungs- und Befreiungsgott. Spä– von Wetter- und Fruchtbarkeitsgottheiten, namentlich dem »klassischen WettergottBaal«, ab (Geschichte, 208). 11 Abb. 3–6 aus: KEEL/UEHLINGER, Göttinnen, 87 # 87a; KEEL, Geschichte, 210 # 130; a.a.O., 209 # 129; KEEL, Ligaturen, 91 # 8 (s. die leicht andere Umzeichnung bei DERS., Geschichte, 209 # 129a).

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ter, während der Königszeit, entwickelt er sich dann – unter vielfältigen ›Kompetenzausweitungen‹ im weiteren Sinn – allmählich zum (alleinigen) Staatsgott des Nordreichs Israel wie des Südreichs Juda (und wird parallel dazu auch in der Privatreligion dominant), woran sich dann ab der Exilszeit abermals umfassende monotheistische Transformationen und Weiterentwicklungen anschließen. Ein wichtiges – wenn auch im AT selbst relativ eng umgrenztes – Element der Wandlungen Jhwhs ab der Staatszeit bildet nun auch die Solarisierung des ursprünglichen Wettergottes Jhwh. Sie verläuft – wie alle derartigen Prozesse – keineswegs einlinig und einheitlich, sondern inhaltlich vielgestaltig, zeitlich gestaffelt und soziologisch wie regional differenziert 12 . Regional soll im Folgenden aus mehreren Gründen ein Schwerpunkt auf Jerusalem liegen: Die Quellenbasis ist – auch für die vorisraelitische Zeit – vergleichsweise gut; historisch, politisch und religiös nimmt Jerusalem für das Südreich Juda eine Schlüsselrolle ein, weil die traditionsreiche Jebusiterstadt von David zur Hauptstadt erkoren wurde; auf Jerusalem beziehen sich schließlich – aus bekannten religions- und theologiegeschichtlichen Gründen – die meisten atl. Texte zur Solarisierung Jhwhs, seien sie aus der frühen Zeit der getrennten Reiche vor 720 v. Chr., aus der Zeit des Südreichs bis 587 v. Chr. oder aus exilisch-nachexilischer Zeit.

III. Die religionsgeschichtlichen Voraussetzungen in Jerusalem und in der Levante 1. Vorisraelitische Sonnengottheiten in Jerusalem Seit die Jebusiterstadt Jerusalem, für die sich die Quellenlage vergleichsweise komfortabel präsentiert, in der Mittelbronzezeit IIB (des 18. Jh. v. Chr.) kontinuierlich als Stadt befestigt und besiedelt ist, spielen – neben dem Wettergott und der Göttin eba(t) – Sonnengottheiten eine prägende Rolle im lokalen Pantheon13. (1) Einen ersten Hinweis liefert bereits der Name ~l;iv'Wry> (< keilschriftlich URUú-ru-sa-limKI [Amarnabriefe u.a.]); er heißt ja nicht, wie die Volksetymologie meint, »Stadt des Friedens« (vgl. Jer 4,10; Ez 13,16 u.a.), 12

S. zu einem umfassenden Gesamtbild die o. Anm. 8 genannte Lit. Vgl. vorab KEEL, Geschichte, 273ff (Lit.); DERS., Gerechtigkeit. Demgegenüber bestreitet NIEHR, Gott, 148 mit Anm. 52f zwar nicht kategorisch die Existenz, aber doch die Relevanz dieser Sonnengottheiten. 13

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sondern ist von yrh I (s. ug. yrw): »gründen« und dem auf die Gottheit verweisenden Verbaladjektiv šlm/šlem: »unversehrt, vollständig, ganz« herzuleiten und bedeutet »Gründung des Šalem«14. Šalem aber ist als levantinische Sonnengottheit bekannt: Im Verein mit Šaar manifestiert er sich in der Abend- und Morgenröte bzw. im Abend- und Morgenstern und gewährleistet damit den tageszeitlichen Rhythmus des Kosmos15. Näherhin gilt dies für die drei Bereiche ›Himmel‹, ›Erde‹ und ›Meer‹, wenn man sich für Šaar und Šalim an Ugarit orientieren darf, wo es von ihnen heißt: »61Gerichtet ist die eine Lippe 62zur Erde, die andere Lippe zum Himmel; so daß eintreten in ihre Mäuler die Vögel des Himmels 63und die Fische aus dem Meer« (KTU 1.23, Z.61ff)16. (2) Hinzu kommt der Befund, dass in der Umgebung Jerusalems auffällig viele solare Ortsnamen (mit den Elementen vm,v, bzw. sr,x), begegnen, wiewohl sich solche auch anderswo finden17. Natürlich bieten diese Namen keine differenzierten Aufschlüsse, sie dokumentieren aber generell die lebensweltliche Relevanz der Sonne und weisen im Fall von vm,v,-tyBe: »Haus bzw. Tempel der Sonne(ngottheit)« auch auf solare Kulte hin. (3) Ebenfalls meist nur unspezifisch auswertbar sind schließlich zahlreiche ikonographische Sonnenmotive, die v.a. auf Kleinobjekten (aus regional und soziologisch variierenden, vielfach aber leider auch unbekannten Herkunftsorten) auftreten und häufig keine distinkte solare Konstellation erkennen lassen. Das ändert sich auch in israelitischer Zeit nicht grundlegend, wenngleich dort in bestimmten Kontexten immerhin ein Jhwh-Bezug wahrscheinlich gemacht werden kann (s.u. IV. 2. a.). Nimmt man diese Befunde zusammen, so kommt in vorisraelitischer Zeit solarer Symbolik – von sonnenhaltigen Ortsnamen bis zu eigentlichen Sonnengottheiten im Jerusalemer Pantheon – v.a. innerhalb der offiziellen Religion – eine prominente Stellung zu: Inhaltlich geht es primär um die Sicherung der universalen Zeitstruktur des Kosmos (s.o.), vermutlich ist damit die Zuständigkeit für die Rechtsordnung verbunden18, möglicherweise wird auch die Funktion der königlichen Dynastiegottheit übernommen19. 14

S. nur RICHTER/TSEVAT, ThWAT 3, 930ff; KEEL, a.a.O., 49ff. Vgl. zu diesem Paar jetzt KEEL, a.a.O., 113ff. 16 TUAT 2/3, 356 (DIETRICH/LORETZ); s. DIETRICH/LORETZ/SANMARTÍN, KTU2, 69. 17 S. etwa die Zusammenstellungen von STÄHLI, Elemente, 12ff; TAYLOR, Sun, 95ff; KUTTER, Sonnengottheiten, 355f; KEEL, Geschichte, 276. 18 Auf diese Hauptaufgabe aller Sonnengottheiten weisen in Jerusalem die vorisraelitischen Personenamen mit dem Element ›qdc‹ hin (s.u. Anm. 76). 19 Sofern der Analogieschluss aus Ugarit trägt, wo Šapšu als Schutzgöttin für das (Stadt-)Königtum fungiert (s.u. Anm. 68). 15

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Mit dieser altehrwürdigen und mächtigen Tradition sieht sich Jhwh konfrontiert, als er aus dem Süden ins Land und dann in die neu designierte Hauptstadt kommt. Die Begegnung des Wettergottes Jhwh mit den Jerusalemer Sonnengottheiten stellt jedoch religionsgeschichtlich kein völliges Novum dar, sondern steht in einer Tradition mit älteren Annäherungen und Kooperationen von Wetter- und Sonnengöttern. 2. Annäherungen und Kooperationen von Wetter- und Sonnengott Denn in der Spätbronze- und der Eisen I-Zeit lässt sich in Texten und auf Bildern – namentlich aus der Levante – mehrfach eine Annäherung bzw. Kooperation der beiden Hauptgötter beobachten: des in Syrien vorherrschenden Wetter- und des in Ägypten dominanten Sonnengottes20. Ein generelles Nebeneinander dokumentiert bereits der Amarnabrief Abimilks von Tyrus, der den Pharo mit beiden Göttern vergleicht: »O König, mein Herr, wie die Sonne, 7wie Adad am Himmel bist du (šarru be-li-ia ki-i-ma ilušamaš 7ki-ma addi i-na sa-me at-ta)« (EA 149,6f)21. Am präzisesten bestimmt die Wenamun-Erzählung aus dem 10. Jh. v. Chr. die Relationen: »Amun donnert am Himmel (Jmn rw m t3 p.t), indem er eingesetzt hat Seth neben sich (jw dj=f Swt m rk=f)« (2,19)22. Hier kooperieren Sonnen- und Wettergott offensichtlich unter der Ägide des ersteren23. Exakt dasselbe lässt sich auch in den o. II. präsentierten Siegeln feststellen: Sie bringen den kämpfenden Wettergott in Verbindung mit der Sonne. Aus dieser ikonographischen Konstellation, die natürlich keine begrifflich scharfen Definitionen vornimmt, lässt sich methodisch verantwortet immerhin erschließen, dass die Sonnenscheibe – selten durch die gern mit der Sonnenbarke verbundene Hathor ergänzt – den Zweck der Chaosbesiegung angibt: die Sicherung der heilvollen Zeiten- und Kosmosordnung. Demnach steht die punktuelle, dynamische Präsenz des Wettergottes, etwa im Kampf, im Dienst der dauerhaften, stabilen Ordnung. Dies wird erhärtet durch die mehrfach belegte hieroglyphische Beischrift mry r: »geliebt von Ra«, die den Wettergott explizit und hierarchisch eindeutig dem Sonnengott zu- und unterordnet. Hier zeigt sich exemplarisch, dass die Solarisierung des Wettergottes nur die

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Vgl. das Belegmaterial bei KEEL, Geschichte, 19.139f.209f.284ff; DERS., Ligaturen, wo er auf HARTENSTEIN, Sonnengott reagiert. Dass dieser Prozess, der keineswegs exklusiv war (s. nur das Kontrastverhältnis von Iškur und Sonne [dUtu] in zwei sumerischen und akkadischen Hymnen sowie im Gilgameš-Epos, die HARTENSTEIN, a.a.O., 60ff nach SCHWEMER, Wettergottgestalten, 189f anführt), stattfand, dürfte unstrittig sein; strittig bleibt hingegen, ob er in Jerusalem relevant und – namentlich in 1Kön 8,53LXX – greifbar ist (s.u. IV.1.a). 21 KNUDTZON, Amarna, 614f. 22 Text und Übersetzung nach SCHIPPER, Wenamun, 72; so auch DE MOOR, Rise, 163 (mit Verweis auf H. Goedicke); s. etwas anders nuanciert TUAT 3/5, 918 (MOERS). 23 Gar eine Identifikation nehmen die akkadischen Personennamen Šamši-Adad/Addu: »meine Sonne ist Adad/Addu« vor.

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eine Seite des Verschmelzungsprozesses erfasst, denn der Sonnengott integriert sich dadurch ja umgekehrt Wetteraspekte. Diese in Palästina gut dokumentierte und von den Trägergruppen zweifellos in ihren Implikationen erfasste und reflektierte Konstellation wirkt auch in der Königszeit nach, wie ein bis ins 9. Jh. v. Chr. verwendeter Skarabäus aus Jerusalem belegt: Seth-Baal wird von zwei Sonnen flankiert, wobei freilich der Speerkampf nicht explizit dargestellt wird und die Schlange doppelt als [schützender] Uräus erscheint)24.

Abb. 7: Siegel mit Seth-Baal aus Jerusalem (ca. 10./9. Jh. v. Chr.)

Vergleichbare reziproke Annäherungen und Kooperationen zwischen Wetter- und Sonnengott lassen sich in levantinischen Quellen der Eisenzeit – zumal auf Bildstelen – mehrfach beobachten (s. Anm. 20.45).

Deshalb trifft es zu, dass die Solarisierung Jhwhs Teil eines (zumindest) gemeinlevantinischen Prozesses ist, der neben solaren auch lunare und astrale Elemente einschließt, also eine umfassende Uranisierung vollzieht. Man kann dies mit Juliane Kutter (eindimensional) als »Solarisierung des ›höchsten Gottes‹« bezeichnen 25 , wie sie in der eisenzeitlichen Levante breit zu verfolgen ist; man muss dann aber ein Doppeltes bewusst halten: Erstens wird dabei nur eine Seite des Prozesses erfasst, da eben die Wandlungen des Sonnengottes ausgeblendet werden. Zweitens wird – forschungsgeschichtlich nicht ganz unverständlich – von den spezifischen Zügen der Solarisierung Jhwhs abstrahiert. Dennoch beinhaltet eine gute

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Abb. 7 aus: KEEL, Geschichte, 207 # 126 (2006 von R. Reich/E. Shukron bei der Gihonquelle gefunden); zu Parallelen s. DERS., Ligaturen, 98ff. 25 KUTTER, Sonnengottheiten, 14 (s.a. 372.414f u.a.) in Weiterentwicklung von NIEHR, Gott, 141ff: 148; SMITH, Solar Language, 38f; PODELLA, Lichtkleid, 151f u.a. Übrigens verstehen auch KEEL/UEHLINGER, Göttinnen, 297 die »Tendenzen der … Solarisierung [sc. Jhwhs, M.L.] … als Aspekte eines die levantinischen Religionen generell prägenden Prozesses«. Dies schließt einen vorisraelitischen Jerusalemer Sonnenkult keineswegs aus, wie KUTTER, a.a.O., 14 Anm. 12 meint.

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historische Rekonstruktion immer allgemeine Prozesse und singuläre Vorgänge. Diese breiteren Vorüberlegungen waren erforderlich, um im Folgenden die Solarisierung Jhwhs in ihren historischen Kontexten adäquat nachzeichnen zu können.

IV. Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh – am Paradigma Jerusalem Die Importierung Jhwhs nach Jerusalem und die Begegnung mit den dortigen Sonnengottheiten ist historisch eng mit den beiden Gründungsfiguren David und Salomo verbunden – soviel lässt sich den biblischen Überlieferungen (1Sam 16–1Kön 11) und den epigraphischen Belegen für ein mit Jhw(h) verbundenes bytdwd: »Haus Davids« aus dem 9. Jh. v. Chr. mit Sicherheit entnehmen26. Dieser Vorgang ist in seiner religions- und theologiegeschichtlichen Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzen, inauguriert er doch die grundlegende königszeitliche Transformation Jhwhs schlechthin, welche die Grundaussage ›Jhwh aus dem Süden‹ in die neue Formel ›Jhwh auf dem Zion‹ überführt: Jhwh und Jerusalem, die beiden Größen gehören fortan – im Tempel – zuhaufe. Auf dieser Gleichung basieren nahezu alle wesentlichen staatszeitlichen Profiländerungen Jhwhs im Südreich, und das gilt eben auch für die Solarisierung Jhwhs (die als Solarisierung des höchsten Gottes nur reduktiv erfasst ist [s.o. bei Anm. 25]). Im Unterschied zur Unterordnung des Wettergottes unter den Sonnengott, wie sie auf den angeführten Siegeln zu eruieren war, vollzieht sich die Verschmelzung des Wettergottes Jhwh und des Jerusalemer Sonnengottes eindeutig unter der Führung des ersten, weshalb die gängige Rede von der Solarisierung Jhwhs ihr Recht besitzt: Der Schutz und Beistand bietende Wettergott Jhwh integriert sich sonnenhafte Züge – und verändert sich dabei. (Der umgekehrte Vorgang einer Jhwhisierung der Sonne[ngottheit] ist im jhwhzentrierten AT nicht greifbar [und auch epigraphisch nicht dokumentiert]: Die Sonne bzw. Leuchte wird in so prominenten exilisch-nachexilischen Texten wie Gen 1,14ff oder Ps 19,5ff [s.a. Jer 31,35; Ps 74,16; 104,19ff; 136,7ff; 148,3ff] als Geschöpf kategorial Jhwh 26

Vgl. Tell Dan-Inschrift Z.9 bytdwd (s. ATHAS, Inscription, 192ff; WEIPPERT, Textbuch, 267ff); strittig bleibt eine – m.E. plausibel rekonstruierte – entsprechende Erwähnung des bt[d]wd in der Meša-Stele Z.31 (so nach LEMAIRE, House; DERS., Maison, 305f; WEIPPERT, a.a.O., 248).

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untergeordnet, der darüber verfügen kann [s.a. Jos 10,12f; 2Kön 20,11/Jes 38,8; Hi 9,7]27.) Die Darstellung lässt sich in zwei Schritte gliedern: Zunächst soll die Solarisierung Jhwhs als solche aus den – verschiedenen Epochen entstammenden – Quellen aufgewiesen werden, da sie in ihrer zeitlichen Ansetzung in der Forschung wieder strittig ist (III. 1.); ein zweiter Schritt kann dann die inhaltliche Profilierung des solarisierten Jhwh im Verlauf der Religions- und Theologiegeschichte Altisraels detaillierter nachzeichnen (III. 2.). 1. Der Vorgang: Solarisierung Jhwhs a) Der salomonische Tempel und sein Weihspruch (1Kön 8,53LXX) Wie sich die Solarisierung des Wettergottes Jhwhs auf offizieller Religionsebene in Jerusalem vollzogen hat, lässt sich am präzisesten aus dem sog. Tempelweihspruch in 1Kön 8,53LXX rekonstruieren – sofern die griechische Fassung bzw. deren hebräische Vorlage ursprünglich und in Grundzügen historisch zuverlässig ist28, wofür es m.E. nach wie vor text-, redaktions- und religionsgeschichtlich stichhaltige Gründe gibt. Weil eben dies jedoch in jüngster Zeit kontrovers diskutiert wird 29 , soll hier eine knappe Erwägung zur Sache genügen. Im Anschluss an das Tempelweih27

S. aber nochmals o. I. mit Anm. 9 die methodischen Überlegungen zur Unterscheidung von Jhwh und Sonne. 28 Vgl. dazu die klassische Position bei NOTH, BK 9/1, 172.175.181f (freilich mit unzureichender Textrekonstruktion) und jüngst umsichtig RÖSEL, Salomo, 410ff (allerdings mit Vorbehalten bezüglich der religionsgeschichtlichen Auswertung für die frühe Königszeit, s. 415). Redaktionsgeschichtlich wäre dann der Spruch (aus dem früh-/mittelkönigszeitlichen Buch des Wackeren [bibli,on th/j wv|dh/j < r'yVih; rp,se als Metathese von rv'Y"h; rp,se > bibli,on tou/ euvqou/j]?) in den vordtr. Grundbestand von 1Kön 8 eingegangen und später innerhalb des jetzt im MT greifbaren Textstrangs umpositioniert und verkürzt worden. In religionsgeschichtlicher Hinsicht sei festgehalten, dass sowohl 1Kön 8,53LXX als auch 1Kön 8,12fMT »eine im Rahmen der oben erwähnten altorientalischen Tempelbautraditionen plausible, wenn auch sehr abgekürzte Aussage« darstellen (HARTENSTEIN, Sonnengott, 57 zur LXX-Fassung; s. 55f mit Anm. 9 zum MT-Text). 29 Vgl. vorläufig die Diskussion zwischen KEEL (Tempelweihspruch, 12ff; DERS., Geschichte, 267ff und die jüngsten Reaktionen auf Hartenstein: KEEL, Ligaturen; DERS., Minima methodica) und HARTENSTEIN (Unzugänglichkeit, 144ff; DERS., Sonnengott; ihm folgt jüngst ROHDE, Gegenwart, 169f); für die LXX-Fassung optieren jetzt auch KUTTER, Sonnengottheiten, 359ff; KÖCKERT, YHWH, 378f. Daneben wurden auch grundsätzliche Vorbehalte gegenüber der Rekonstruierbarkeit des Verses vorgebracht (LORETZ, Torso, 478ff).

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gebet Salomos überliefert die LXX ein (hier nur in seiner ersten Hälfte interessierendes) Diktum, dessen hebräische Vorlage gut rekonstruierbar ist30: h[lion evgnw,risen evn ouvranw/| ku,rioj ei=pen tou/ katoikei/n evn gno,fw|

~yIm'V'B; [;ydIAh vm,V, rm;a' hw"hy> lp,r'[]B' !Kov.li

Die Sonne31 hat bekannt gemacht am Himmel: Jhwh hat gesagt/bekundet, im Dunkel zu wohnen.

Wenn sich dieser Spruch historisch auch nur grob auf die Situation des salomonischen Tempelbaus bezieht, hält er einen grundlegenden Vorgang fest. Dann nimmt er nämlich – im Unterschied zum MT, wo die Sonne fehlt – eine aufschlussreiche Verhältnisbestimmung von Sonne und Jhwh vor: Wie auch immer man den Satz im Detail versteht, es liegt auf jeden Fall eine Unterordnung der Sonne unter Jhwh vor. Im Kern bekundet Jhwh, dass er – wie es Wettergötter zu tun pflegen – im Dunkel der Wolken bzw. nun der Jerusalemer Tempelcella wohnen bzw. thronen will (s. katoikei/n V.53LXX/bvy V.13MT); das impliziert, dass ihm dort dauerhafte Präsenz zukommt. Eben diesen Sachverhalt weltweit ›am Himmel‹ bekannt zu machen, ist die Aufgabe der Sonne – sei sie nun (religionsgeschichtlich plausibel) Subjekt und entsprechend personal agierende Größe (Sonnengottheit), sei sie wie im vorliegenden LXX-Text Objekt. So oder so, und nur darauf kommt es an dieser Stelle an, steht die Sonne(ngottheit) im Dienst Jhwhs. Der Spruch erklärt also, dass es Jhwhs ureigene Entscheidung ist, selbst unscheinbar im Dunkel zu wohnen, während die Sonne überall sichtbar am Himmel steht. Schon im ersten Teil geht es um eine Bekanntmachung der

30

Der hebräische Textbestand wird weitestgehend identisch bestimmt von KEEL, Geschichte, 269; DERS., Ligaturen und HARTENSTEIN, Sonnengott, 58f; s.a. die Übersicht bei RÖSEL, Salomo, 406ff. Unterschiede bestehen bezüglich der Satzabgrenzung und damit der Bestimmung des Subjekts im ersten Satz (im Text o. kursiv hervorgehoben), s. dazu folgende Anm. 31 Es spielt hier keine wesentliche Rolle, ob die Sonne Objekt (LXX) oder Subjekt (konjizierter Text von Keel in den neuesten Beiträgen) ist. Die Deutung als Subjekt und die neue Satzabgrenzung (die sich an 1Kön 8,12MT orientiert) begründet KEEL, Geschichte, 268f mit der Länge und v.a. der im Hebräischen ungewöhnlichen Satzteilfolge: Aufgrund des wörtlichen Übersetzungsstils habe die LXX die Sonne in Erstposition übernommen, aber als Objekt aufgefasst. Dies wäre nach Keel durch das (für griechische Ohren unproblematische) Verständnis von ku,rioj als Subjekt des ersten Satzes ausgelöst worden und hätte die Korrektur von h[lioj zu h[lion erfordert.

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Jhwh als Wetter- und Sonnengott

Relation von Sonne und Jhwh: [dy hi./gnwri,zein 32 besitzt keine genuin schöpfungstheologische Konnotation33; eine solche findet sich erst in der lukianischen Rezension 34 , die gnwri,zein durch e`sta,nai (!wk hi.) ersetzt: h[lion e;sthsen evn ouvranw/| ku,rioj. Im Kontext liegt vielmehr, und das wurde m.W. in der Forschung bisher noch nicht beachtet, eine Korrespondenz von [dy hi./gnwri,zein und rma/le,gein vor: Die Unterordnung der Sonne(ngottheit) unter Jhwh wird in einem legitimierenden Kommunikationsakt festgestellt, sei es kooperativ durch Sonne35 (als Subjekt von [dy hi./ gnwri,zein) und Jhwh, sei es zweifach durch Jhwh selbst (Sonne als Objekt). (Im Übrigen verhält sich diese Deutung keineswegs alternativ zur Korrelation von irdischem und himmlischem Wohnbereich Jhwhs, wie sie in der hier nicht behandelten Fortsetzung noch expliziter zur Sprache kommt36.) Dieser Befund lässt sich nun mit der religionsgeschichtlich wahrscheinlichen Annahme 37 verbinden, dass der salomonische Tempel mit seiner Ost-West-Achse einen Vorgängerbau abgelöst hat38, welcher der Jerusalemer Sonnengottheit gewidmet war. Othmar Keel bezeichnete dies zunächst als Ausbürgerung des Sonnengotts durch Jhwh39, jüngst hat er dieses Ab32

Die alte These einer Rückführung des evgnw,risen über eine Verschreibung von !ybihe auf !ykihe lässt sich mithilfe der Konkordanz rasch widerlegen und sollte definitiv ad acta gelegt werden. 33 So jedoch HARTENSTEIN, Sonnengott, 59.65ff.67; die von ihm 65ff angeführten Sirach-Beispiele bieten aber gerade nicht [dy hi./gnwri,zein! 34 Das hat JANOWSKI, Sonnengott, 203 für !wk hi./pol. mit Recht herausgearbeitet. Hier geht es in der Tat »um die Einordnung der Sonne in das Gesamtgefüge der Schöpfung, d.h. um die Installierung des Tagesgestirns am Himmel«. Dass allerdings »[d]ieser Schöpfungsbezug der Wendung kûn pol./hif. + Subj. JHWH, …, auch für die hebräische Vorlage von 1 Kön 8,12fLXX anzunehmen« sei (ebd.; ebenso Hartenstein, s. vorige Anm.), scheint mir angesichts der Semantik von [dy hi./gnwri,zein und der Kontextentsprechung [dy hi./rma unwahrscheinlich. 35 KUTTER, Sonnengottheiten, 362 verweist auf die ugaritische Analogie der Šapšu, die als Botin Els und auf dessen Geheiß agiert. 36 Vgl. dazu JANOWSKI, Sonnengott, 204; HARTENSTEIN, Sonnengott, 56. 37 Sie gilt ganz unabhängig von der Deutung des Tempelweihspruchs. Nach JANOWSKI, Sonnengott, 204 ist »solare Symbolik gerade für Jerusalem und seinen Tempel vorauszusetzen«, und er betont mit Recht, »[d]aß Jerusalem und sein Tempel der Ort ist, an dem sich der Prozeß der Solarisierung JHWHs vollzogen hat« (205). 38 Die Ost-West-Ausrichtung ist topographisch, städtebaulich und kultgeographisch zumindest auffällig (s. KEEL, Geschichte, 277), auch wenn sie nicht ganz schlüssig zu interpretieren ist (vgl. ZWICKEL, Tempel, 50ff mit generellen Reserven gegenüber einer Solarisierung Jhwhs; KUTTER, Sonnengottheiten, 359; JANOWSKI, Sonnengott, 202). 39 Kulttraditionen, 489; DERS./UEHLINGER, Sonnengottheit, 286f.

Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh

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grenzungsmodell aber zu einer Kohabitation modifiziert40. Und in der Tat kann man diesen Synoikismus von Sonnengott und Jhwh sehr plausibel als sukzessive Kooperation, Überlagerung und Verschmelzung von traditionellem Sonnengott und neu importiertem Jhwh, der sich auf dem Weg zum Staatsgott befindet, verstehen. In diesem Fall besitzen wir in 1Kön 8,53 LXX einen Reflex der Solarisierung Jhwhs auf der Ebene der offiziellen Jerusalemer Staatsreligion; in der Folge schlägt sich dieser Vorgang auch in ikonographischen Quellen nieder, weitet sich auf weitere Themenbereiche aus und prägt zunehmend auch die Privatreligion. Zwar fehlen im Tempelweihspruch Informationen, die Jhwhs Profil und Funktionen als solarisierter Wettergott näher bestimmen würden, doch widerspiegelt er den Vorgang als solchen, der nach allem, was wir wissen, im davidisch-salomonischen Jerusalem einsetzt: Ein davidischer Hof- und Staatstempel ist nicht nur religionspolitisch essentiell, sondern auch eine entscheidende Voraussetzung für die späteren monolatrischen und monotheistischen Transformationen des Staatsgottes Jhwh, wie sie die biblischen und außerbiblischen Quellen bezeugen. b) Personennamen Zunächst wird der Vorgang als solcher – wie in 1Kön 8, jedoch auf der Ebene der Privatreligion situiert – zweifelsfrei auch durch Personennamen dokumentiert41, die wie im alten Orient in aller Regel sinntragend sind. Bei nicht-theophoren Namen wie !Avm.vi: »Sönnchen/kleine Sonne/Sonnenkind«, yv;m.vi: »(die Gottheit ist) meine (kleine) Sonne« (Esr 4,8f.17.23), zr: »(die Gottheit ist) Sonnenaufgang« oder nr/nr /nry: »(die Gottheit ist meine) Leuchte«, šr: »(die Gottheit ist) Morgendämmerung«42 bleibt man noch auf bestreitbare Konvergenzargumente angewiesen, um sie auf Jhwh beziehen zu können. Explizit liegt dieser Konnex bei jhwhhaltigen Personennamen vor, wie sie sowohl auf Siegeln und Bullen (v.a. aus dem 8. und 7. Jh. v. Chr.) als auch im AT erhalten sind: Diese Namen – etwa ryw/ (w)ryhw/(W)hY"rIWa: »mein Licht ist Jhwh«; /yhh wr/ yhw wr/yw r: »Jhwh ist 40

KEEL, Tempelweihspruch, 18; DERS., Geschichte, 267ff.284. Auf wesentlich unsichererem Boden bewegt sich indes seine baugeschichtliche Folgerung, Jhwh habe im Sonnentempel als »Gast« eine »Seitenkapelle« erhalten (270.292, s. 267.271). 41 Vgl. die Zusammenstellungen von NOTH, Personennamen, 167ff.184; RENZ/ RÖLLIG, HAE 2/1, 53ff (RENZ); DIES., HAE 2/2, 116ff (RÖLLIG). Spezifisch zu den solaren Personennamen TAYLOR, Sun, 88ff.92ff.282f. 42 S. AVIGAD, Bullae, 38ff # 22f.24–26; 78f # 112f; RENZ/RÖLLIG, HAE 2/2, 385f (RÖLLIG); s.a. den Hinweis von RENZ, Jahwe, 307 auf eine mögliche Vollform x-šhr.

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Jhwh als Wetter- und Sonnengott

(mein) Licht«; nryhw/nryw/hY"rInE: »meine Leuchte ist Jhwh«; yhwzrh: »Jhwh ist aufgestrahlt«/hy"x.r;z>: »aufgestrahlt ist Jhwh« bzw. hy"x.r;z>yI: »(immer wieder) strahlt auf Jhwh«43, hy"r>x;v.: »Morgendämmerung ist Jhwh« – erfassen Jhwh mit Kategorien von Licht, Helligkeit, Aufstrahlen, Morgendämmerung usw. Es handelt sich also um die Gruppen (w)r: »leuchten, Licht«, nr: »Leuchte«, zrh: »aufstrahlen«, šhr: »Morgendämmerung/-röte«, wobei auffällt, dass im Unterschied zu den Ortsnamen bei den jhwhhaltigen Personennamen šmš-Bildungen fehlen. Methodisch stellt sich dabei die Schwierigkeit, dass solare Konnotationen zwar nahe liegen, oft aber nicht eindeutig nachweisbar sind (als Leuchte kann nicht nur die Sonne dienen, sondern auch andere natürliche oder künstliche Lichtquellen, etwa der Mond oder Öllämpchen, Fackeln usw.). Wichtig sind deshalb zwei Belege, die diesbezüglich Klarheit bringen: (1) Zum Ersten lohnt sich ein Blick auf ein Stempelsiegel aus dem 8. Jh. v. Chr. unbekannter Herkunft mit dem Namen yw r: »J(hwh) ist (mein) Licht« 44 (Abb. 8); der Name ist komplementär zu ryhw usw. und beschreibt Jhwh als Licht (des Benannten). Dass es sich hierbei tatsächlich um einen solarisierten Jhwh handelt, erweist der über dem Namen angebrachte geflügelte Skarabäus mit Sonnenscheibe (unabhängig davon, ob man diesen als Jhwh-Abbildung versteht oder nicht); hier bestimmt also das Bildmotiv den lichthaft umschriebenen Jhwh des Personennamens durch die Sonne näher. Expliziter lässt sich der Solarisierungsprozess Jhwhs ikonographisch kaum symbolisieren. (2) Zum Zweiten zeigt sich exakt derselbe Vorgang auf rein textlicher Ebene bei der Mikrogruppe der Personennamen mit zrh + Jh(wh), also bei den Varianten yhwzrh: »Jhwh ist aufgestrahlt« (s.u.)/hy"x.r;z:> »aufgestrahlt ist Jhwh«/hy"x.r;z>yI: »(immer wieder) strahlt auf Jhwh«. Sichtet man die xrz-Belege im Hebräischen45, so sticht der nahezu exklusive Gebrauch für das Aufgehen bzw. Erscheinen der Sonne ins Auge46, 43

S. zur indikativischen Deutung STÄHLI, Elemente, 40f mit Anm. 197 im Gegensatz zur Annahme eines Wunschnamens durch NOTH, Personennamen, 184. 44 Abb. 8 (angeblich aus Hebron) aus: AVIGAD/SASS, Corpus, 108 # 188; s.a. KEEL/ UEHLINGER, Göttinnen, 290 (die wegen der Kurzform des Gottesnamens und des Motivs eine Herkunft aus dem Nordreich vermuten, was aber unsicher ist); RENZ/RÖLLIG, HAE 2/2, 245 (RÖLLIG). 45 Vgl. jetzt RENZ, Jahwe, 313f; zudem SCHNUTENHAUS, Kommen, 9; LANGER, Licht, 33f; LIPISKI, ThWAT 8, 313; RINGGREN, ThWAT 2, 661ff, der bezüglich solarer Auswertung aber zurückhaltend bleibt. Wichtig ist diesbezüglich auch der (bislang) einzige inschriftliche Beleg auf der Wandinschrift aus Kuntillet Arud (KAgr 7,1): […]wbz‹r · l · wymsn hrm […]: »[…]

Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh

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der sich in der Konstruktusbildung vm,V'(h;) xr;z>Mimi: »Sonnenaufgang(sort), Osten« verfestigt hat. xrz ist somit geradezu »terminus technicus für den Sonnenaufgang«47 und auf das Engste mit der Sonne verbunden. Wenn der Begriff für Jhwh (oder auch El [s.o. Anm. 45]) verwendet wird, kommt dieser also in Sonnengestalt in den Blick: Abermals liegt explizit eine Solarisierung Jhwhs vor. Dabei konvergiert insbesondere ein hiskijazeitliches Siegel, das aus der anikonischen Inschrift lyhwzr/ bn · lq/yhw · bd · /zqy‹hw: »Dem Jehozarah (gehörend), dem Sohn ilqijas, dem Minister iskijas« besteht (Abb. 9)48, sehr gut mit den gleichzeitigen ikonographischen Tendenzen auf den noch zu behandelnden Namenssiegeln und lmlk-Stempeln (s.u. IV. 2. a.). Am Ende des 8. Jh. v. Chr. lässt sich in Juda somit auf vergleichsweise breiter Front die Solarisierung Jhwhs in der offiziellen wie der privaten Religion verfolgen49.

Abb. 8: yw r-Siegel

Abb. 9: yhwzr-Siegel

und beim Aufstrahlen Els/Gottes, da zerflossen (die) Berge […]«, der um 800 v. Chr. für das Nordreich analog eine Solarisierung Gottes bzw. Baals belegt (s. die Fortsetzung Z.2: […] b‹rk · bl · bym · ml[mh …]: »[…] Gesegnet ist/sei Baal am Tag des Krie[gs …]). Das Profil dieses solaren Els bietet zwar keine neuen Akzente, bestätigt aber die o. III. 1. angestellten Überlegungen: Das Aufstrahlen des Sonnengottes tritt neben die kosmoserschütternde und kriegerische Manifestation des Wettergottes (vgl. ssm ni. + ~yrIh' noch Ps 97,5; Mi 1,4). 46 Anders verwendet nur in 2Chr 26,19; explizit von Jhwh Dtn 33,2; Hos 6,3; Jes 60,1–3 (s.u. IV. 2. b–c). 47 ARNETH, Sonne, 200; ebenso bereits SCHNUTENHAUS, Kommen, 9 u.a. 48 Abb. 9 aus: AVIGAD/SASS, Corpus, 173 # 407 (Photographie); KEEL, Geschichte, 419 # 296 (Umzeichnung); s.a. RENZ/RÖLLIG, HAE 2/2, 238.296.299 (RÖLLIG). 49 Ob sich das yhzrh-Siegel klar der Privatreligion zuordnen lässt, scheint mir angesichts des offiziellen Titel durchaus fraglich zu sein; auf keinen Fall kann daraus – ganz abgesehen von den übrigen Belegen – gefolgert werden, »daß es der Bereich der persönlichen Frömmigkeit ist, in dem JHWH erstmalig in Israel als Sonne angesprochen wurde (NIEHR, Gott, 151 [Hervorhebung M.L.]).

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Jhwh als Wetter- und Sonnengott

c) Die Theophanieschilderung in Dtn 33,2 Der soeben erörterte Terminus xrz ist auch über die Personennamen hinaus interessant. Prominent tritt er insbesondere im berühmten Theophanietext Dtn 33,2 auf: aB' yn:ySimi hw"hy> 33,2 Jhwh kam vom Sinai Aml' ry[iFemi xr;z"w> und er strahlte auf von Seir für sie. !r'aP' rh;me [;ypiAh Er glänzte auf vom Berg Paran vdeq' tb;yrIm.mi ht'a'w> und er kam von Meribat Qadeš50, Aml' tAdvea] Anymiymi aus seinem Süden, den Berghängen, für sie. Wie xrz besitzt auch das dazu parallel stehende, nur 8-mal belegte [py hi. einen starken Bezug zu Sonne und Licht51, sodass zwischen beiden Verben eine enge Entsprechung besteht. In Dtn 33,2 werden daher die beiden Eckaussagen zum Kommen Jhwhs durch die Mittelformulierungen zum sonnenartigen Aufstrahlen (xrz) und Aufglänzen ([py hi.) solar interpretiert. Es gibt ja nach wie vor gute Gründe, die Tradition von Jhwhs Herkunft aus dem Süden in vorstaatlicher Zeit zu verorten und dafür auch die sog. Theophanietexte in Ri 5, Ps 68, Hab 3 und Dtn 33 heranzuziehen52. Vor dem Hintergrund der langen Traditionsgeschichte dieser Texte fällt auf – und dies wurde bisher kaum je gewürdigt53 –, dass Jhwhs Erscheinen nur in Dtn 33,2 (sowie in Hab 3,454, wo möglicherweise mit V.3b eine spätere 50

Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob aufgrund des geographischen Duktus’ (der die Einfügung von Dtn 33 hinter 32,51f unterstützt hätte) so zu lesen ist (so z.B. BEYERLE, Mosesegen, 15f; ARNETH, Sonne, 199, die den leicht umvokalisierten Konsonantentext plausibel deuten als »aus seinem Süden, den Berghängen, für sie«). Der MT vd,qo tbob.rIme ht'a'w>: »und er kam von heiligen Myriaden« (so PFEIFFER, Kommen, 182f) hätte wegen V.3 statt Qadeš Heiligkeit gelesen und Meribat zu den Myriaden ›verlesen‹; kühner erscheint die an LXX, Peschitta u.a. orientierte Lesung vd,qo tbob.rI ATaiw:> »und mit ihm Myriaden Heiliger« (so JEREMIAS, Theophanie, 63f). 51 Vgl. bes. Hi 3,4; 10,22; 37,15; auf Jhwh übertragen dann Ps 50,2; 80,2; 94,1; so mit STÄHLI, Elemente, 41; JANOWSKI, Sonnengott, 211; s.a. JENNI, THAT 1, 754f; BARTH, ThWAT 3, 791.794 (allerdings gegen eine solare Herleitung 794); zurückhaltend hingegen HARTENSTEIN, Angesicht, 203 Anm. 166, der mit BARTH, ebd. auf den göttlichen Schreckensglanz verweist und generell die höfisch-königliche Verortung des lichtvollen Angesichts Jhwhs herausarbeitet, was m.E. jedoch einer Solarisierung nicht im Wege steht [so auch KUTTER, Sonnengottheiten, 381f]). 52 Vgl. dazu o. 1. III. – Zum älteren Rahmenpsalm in Dtn 33,2–5.26–29, dem V.2(f) traditionsgeschichtlich wohl vorlag, s. die Skizze in LEUENBERGER, Segen, 350f (Lit.). 53 S. als seltene Ausnahmen LANGER, Licht, 25f.40ff und passim; TAYLOR, Sun, 235f; KUTTER, Sonnengottheiten, 384f. 54 hZO[u !Ayb.x, ~v'w> Al AdY"mi ~yIn:r>q; hynEw> 6,3 Und wir wollen erkennen, verfolgen die Erkenntnis Jhwhs! So feststehend wie die Morgenröte ist sein HervorkomAac'Am !Akn" rx;v;K. und es kommt wie der Regen über uns, [men Wnl' ~v,G)« (V.3f), stellt der Prophet im Gegenzug betont heraus: HB'r>qiB. qyDIc; hw"hy> hl'w>[; hf,[]y: al{ !TeyI AjP'v.mi rq,BoB; rq,BoB; rD'[.n< al{ rAal'{ (tv,Bo lW"[; [;deAy-al{w>)

3,5

Jhwh ist gerecht in ihrer Mitte, er tut kein Unrecht; Morgen für Morgen bringt er sein Recht, beim Licht (der Sonne) bleibt er/es nicht aus81. (Aber der Übeltäter kennt keine Scham.82)

Der Vers greift mit den Motiven der Mitte, des Unrechts/Rechts und des Morgens deutlich den näheren Prätext auf und setzt den gesellschaftszersetzenden Unrechtszuständen kontrastiv Jhwhs Rechtsordnung entgegen: Auf der Sachebene wird unterstrichen, dass Jhwh gerecht ist (qyDIc;) und kein Unrecht tut (hl'w>[;). Dies wird durch das Bild der allmorgendlichen Rechtsdurchsetzung Jhwhs konkretisiert, nach dem Jhwh sein Recht so gewiss und klar wie das Morgenlicht (hervor)bringt, bekannt macht und Einzelnachtrag einschätzt. Ob man dem bezüglich V.5 (bzw. V.5a.ba) zustimmt (so IRSIGLER, HThK, 62.334ff.339; s.a. das Referat von ARNETH, Sonne, 125 Anm. 51), hängt davon ab, ob (1) 3,1ff als bloßes Wehewort plausibilisiert werden kann (was möglich, aber nicht zwingend scheint) und ob (2) 3,5 mit seiner widerstehlichen Jhwh-Präsenz in Jerusalem erst nachexilisch zugesetzt wurde (was denkbar, aber nicht zwingend scheint): Non liquet. 81 Es ist strittig, ob rAal'{ – die früher beliebte Lesung rAaK'{ nach Peschitta und Targum (so etwa SEYBOLD, ZBK 24/2, 110) ist doch zu schwach bezeugt – zum Prätext (»… sein Recht zum/wie Licht«; so LXX und von den Exegeten z.B. NIEHR, Gott, 150; ARNETH, Sonne, 125) oder zum Posttext gehört. Der Parallelismus spricht m.E. für die zweite Option (so etwa STÄHLI, Elemente, 37; IRSIGLER, a.a.O., 321; LAUBER, Sonne, 332), zumal !tn + rAal. Jer 31,35, Jes 42,6; 49,6 einen anderen Sinn besitzt (in Zeph 3,5 ginge es in diesem Fall nicht um das [Hervor-]Bringen des Rechts wie Licht, sondern es würde das Recht morgendlich zum Licht gemacht/als Licht gesetzt). Ebenfalls ausweislich des Parallelismus scheint dann rD'[.n< al{ rAal'{ einen (invertierten) Verbalsatz darzustellen (und rD'[.n< al{ nicht als Relativsatz angehängt zu sein [»beim Licht, das nicht ausbleibt«]). Ob näherhin Jhwh oder sein Recht Subjekt von rd[ ist, bleibt offen und spielt keine entscheidende Rolle. (Die pointierteste solare Aussage rD'[.n< al rAaK'{: »wie das Licht bleibt er [d.h. Jhwh] nicht aus«, die Jhwh selbst mit dem Licht vergleicht bzw. gar identifiziert und mithin Jhwh selbst solarisiert, scheitert an der textlichen Bezeugung [s.o.]. Sie realisiert sich sachlich erst in Ps 84,21, s.u. IV. 2. c.). 82 Auf die Verbindung dieser Aussage, die bisweilen als Zusatz beurteilt wird, mit dem Vorangehenden muss hier nicht näher eingegangen werden; im vorliegenden Ablauf nach dem MT lässt sich immerhin schließen, dass Jhwhs Rechtsvollzug die Übeltäter nicht zwingend einsichtig macht oder sie gar ausmerzt.

Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh

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durchsetzt; dabei wird die Unausweichlichkeit dieses Vorgangs in der zweiten Bildzeile herausgestellt, wie immer man sie näherhin versteht. Der enge Konnex von Recht und Morgen/(Sonnen-)Licht macht denselben solaren Traditionshintergrund wie Hos 6,5 evident: Wie dort, aber bildhaft breiter ausgeführt83, setzt Jhwh sein Recht durch, das erneut solar konnotiert ist (Morgen; Licht). Abermals hat somit »Jahwe – in der ›Nachfolge‹ der Sonne – deren Platz eingenommen«84, hat er in seiner Funktion als Garant von Recht und Gerechtigkeit »die Stellung des Sonnengottes übernommen«85. (3) Nur knapp erwähnt sei der spätvorexilische86 Königspsalm 72, von dem ausgehend Martin Arneth die »Solarisierungsgeschichte der Jahwereligion« rekonstruieren will 87 , dabei jedoch die älteren Belege marginalisieren muss. Ps 72 ist hier v.a. insofern interessant, als er Jhwh als judäischen Dynastiegott zeichnet, der dem König Recht (jP'v.mi) und Gerechtigkeit (hq'd'c.) verleihen möge (!Te), auf dass dieser ebenso richte (!yD; V.1f). Es liegt nahe – ohne zwingend zu sein –, den als Herr über Recht und Gerechtigkeit gezeichneten Jhwh in der Funktion eines (oder gar des neuassyrischen88) Sonnengottes zu verstehen; dafür spricht der Befund, dass im Folgenden auch der König solar gezeichnet wird (langes Leben vor Sonne und Mond V.5; Sprossen seines Namens vor der Sonne V.17), der dann auch diese Züge von Jhwh übertragen bekommen hätte. Wenn diese Deutung zutrifft, konkretisiert sich in Ps 72 der o. III. 2. a. mit Anm. 66–68 angesprochene Konnex von solarisiertem Jhwh und in dessen Dienst stehendem Königtum89. (4) Ebenfalls nur gestreift werden kann hier die Kehrseite des Solarisierungsprozesses: die dtr. und prophetische Kritik an solaren Praktiken, die an drei Stellen formuliert wird. In 2Kön 23,11f wird von Joschija berichtet, er habe die der Sonne ›gegebenen‹ Pferde abgeschafft, die Sonnenwagen verbrannt und die Dachaltäre abgerissen. Dabei ist in der Forschung unklar – und das galt möglicherweise schon für die spätvorexilischen 83

NIEHR, Gott, 149f spricht davon, dass gegenüber Hos 6,5 »das Bild ausgeweitet« sei (150; ebenso jetzt KUTTER, Sonnengottheiten, 374); das trifft in quantitativer Hinsicht zu (Ausführlichkeit), nicht aber in qualitativer Hinsicht, wie Niehr meint. Denn wie in Hos 6,5 »JHWH selber … noch außerhalb des gewählten Bildes [bleibt]« (149), so auch in Zeph 3,5 (außer man präferiere rD'[.n< al rAaK' [s.o. Anm. 81]; Niehr liest ebenfalls rAal'{, expliziert sein Verständnis aber nicht; Kutter liest wie hier vertreten). 84 STÄHLI, Elemente, 38. 85 NIEHR, Gott, 150. 86 Die weithin übliche Datierung geht ins (spätere) 7. Jh. v. Chr. (s. nur JANOWSKI, König, 101ff; SAUR, Königspsalmen, 134ff; HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 307f.313f (ZENGER); eine argumentativ wenig überzeugende nachstaatliche Entstehung vertritt jetzt BECKER, Psalm 72, 134ff). 87 ARNETH, Sonne, 202, s.a. 125.208 und passim zur unwahrscheinlichen These, in Ps 72 sei literarisch direkt »der ›Krönungshymnus Assurbanipals‹ rezipiert worden« (17). 88 So ARNETH, a.a.O., 110: » Der Gott Jahwe ist in die Position des neuassyrischen Šamaš gerückt«; s. etwa a. JANOWSKI, Sonnengott, 215f, SAUR, Königspsalmen, 138f. 89 Diese Sicht kollektiviert Jes 58 in nachexilischer Zeit dann negativ gewendet.

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Jhwh als Wetter- und Sonnengott

Promotoren bzw. dann die darauf zurückblickenden Deuteronomisten –, ob diese Elemente neuassyrisch aufoktroyierten Fremdkulten oder in neuassyrischer Zeit aufgekommenen Formen der Jhwh-Verehrung zuzuordnen sind90. Ähnlich liegen die Dinge in Ez 8,16, wo Ezechiel in seiner vierten Vision am Eingang zum Jhwh-Tempel Männer schaut, die mit dem Rücken zum Tempel nach Osten blicken (hm'd>qe ~h,ynEp.W hw"hy> lk;yhe-la, ~h,yrexoa) und sich anschließend vor der Sonne niederwerfen (vm,V'l; hm'd>qe ~t,ywIx]T;v.mi hM'hew>). Gilt dies dem Propheten als ›grauenhafte‹ Sonnenanbetung (s. V.15.17), so verstanden sich diese Männer wahrscheinlich als aufrichtige (und nicht am wenigsten observante) Anhänger des (solare Züge inkorporierenden) Jhwh91. Schließlich steht wohl dieselbe Ambivalenz hinter der stereotypen Verurteilung der Verehrung der Sonne, des Mondes, und des ganzen Himmelsheers in Jer 8,2/Dtn 4,19f/Dtn 17,3. Die Kritik der Deuteronomisten und Propheten bricht demnach dort auf, wo ihrer Meinung nach die Alleinverehrung Jhwhs zugunsten der Sonnenanbetung aufgegeben wird. Dabei überlagern sich rückblickende Kritik und historische Realität in einem im Einzelnen nur noch schwer zu entflechtenden Ausmaß. Grundsätzlich dürfte der Konflikt (wie bei anderen Gottesbildern) darauf beruhen, dass eine Praktik oder ein kultischer Vollzug ohne damit verbundene Deutung meist mehrdeutig ›lesbar‹ ist und insofern die Unterscheidung zwischen Jhwh und Sonne bzw. Fremdgöttern in der Tat verschwimmen kann und sowohl in Jhwh- als auch in Sonnen-/Fremdgötter-Perspektive verstanden werden kann.

c) Ausblick auf solare Profile Jhwhs in exilisch-nachexilischer Zeit Die Solarisierung Jhwhs hat sich auch unter den veränderten Bedingungen der exilisch-nachexilischen Zeit fortgesetzt, wie ein knapper Ausblick auf einige prominente Belege zum Verhältnis von Jhwh und Sonne umreißen soll92. Es sei aber vorweg festgehalten, dass diese Relation bes. ab der hellenistischen Zeit im Vergleich mit anderen ›solaren Diskursen‹ an Bedeutung verliert: Die Sonne wird – nunmehr innerhalb eines etablierten monotheistischen Kontexts mit seiner Leitdifferenz von Gott und Welt – innerhalb der Schöpfungsordnung bedacht, so etwa (auf der Linie von Ps 19) in ihrem Verhältnis zur Tora als Inbegriff der auch kosmische Dimensionen einschließenden Weltordnung oder später (eine breite altorientalische und atl. Tradition aufnehmend) in ihrer kalendarischen Zeitmesserfunktion. 90

Vgl. die Analyse von UEHLINGER, Kultreform, 74ff (Requisiten assyrischer Divinationspraxis) und die offenen bzw. synthetischen Urteile von JANOWSKI, Sonnengott, 197.200f; ARNETH, Sonne, 167f; KUTTER, Sonnengottheiten, 411f. 91 So die seit ZIMMERLI, BK 13/1, 221 etablierte Deutung, z.B. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 362 Anm. 2; SMITH, Solar Language, 29ff: 34; ARNETH, Sonne, 170; POHLMANN, ATD 22/1, 141. 92 Vgl. dazu insgesamt die Übersichten von LANGER, Licht, 36ff; GRUND, Psalm 19, 87ff.

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(1) Pauschal lässt sich in nachexilischer Zeit – neben dem Weiterlaufen von (auch) solar konnotierten Funktionen wie der Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit (Ps 50; 113,3ff) oder der Zeitenordnungsfunktion (s. die Belege o. bei Anm. 27) – ein inflationärer Gebrauch solarer Wendungen konstatieren93. Weitgehend neu ist die »explizite Beschreibung der ›Lichtnatur‹ des dAbK' JHWHs«, die v.a. bei Ezechiel und in der Priesterschrift hervortritt 94 . Insbesondere in den Psalmen werden Ausdrücke wie ›die Sonne sehen‹, ›unter/vor der Sonne‹ in ihrer lebensgünstigen Bedeutung akzentuiert, und dasselbe belegen in Anwendung auf Jhwh der Zusammenhang von Licht und Rettung (Ps 27,1; s.a. 31,17; 80,4.8.20), Licht und Leben (Ps 27,1; 36,10; Hi 3,20; Prov 6,23; 16,15), Licht und Gerechtigkeit (Ps 37,6) u.ä. sowie die heilvollen Folgen (Gutes, Segen) des leuchtenden Angesichts Jhwhs (Ps 4,7; 67,2).

Konzeptionell basiert dieser verzweigte Sprachgebrauch offenkundig auf einer grundsätzlichen Solarisierung Jhwhs, doch ist im Einzelnen der solare Hintergrund des Übertragungsvorgangs häufig nicht mehr präzis nachzuweisen, da die Metaphern sich nicht selten verfestigt, aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst und verselbstständigt haben. (2) Der im AT vielleicht »ausdrucksstärkste Beleg einer solaren Jahweepiphanie« 95 ist Jes 60,1–3, der wohl in frühnachexilischer Zeit (vor ca. 450 v. Chr.) Zion-Jerusalem zum lichtvollen Aufbruch angesichts der solar gezeichneten Präsenz Jhwhs motivieren will: yrIAa ymiWq %reAa ab' yKi xr'z" %yIl;[' hw"hy> dAbk.W #r,a,-hS,k;y> %v,xoh; hNEhi-yKi ~yMiaul. lp,r'[]w: hw"hy> xr;z>yI %yIl;['w> ha,r'yE %yIl;[' AdAbk.W %reAal. ~yIAg Wkl.h'w> %xer>z: Hg:nOl. ~ykil'm.W

60,1

2

3

Stehe auf, werde licht, denn es ist gekommen dein Licht und die Herrlichkeit Jhwhs ist über dir aufgestrahlt. Denn siehe, die Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker; aber über dir wird aufgehen Jhwh und seine Herrlichkeit wird über dir erscheinen. Und es werden ziehen zu deinem Licht Völker und Könige zum Glanz deines Aufstrahlens.

93 S. dazu STÄHLI, Elemente, 23ff; JANOWSKI, Sonnengott, 198; LIPISKI, ThWAT 8, 314; LAUBER, Sonne, 379f; KUTTER, Sonnengottheiten, 369ff. – Den unverbrüchlichen Beistand verbürgt der implizit solar gezeichnete Hirte von Ps 23 (s. HUNZIKERRODEWALD, Psaume 23, 323f). 94 LAUBER, a.a.O., 341, s. ausführlich 339ff; PODELLA, Lichtkleid, 186ff. 95 ARNETH, Sonne, 208. Zur Datierung von 60,1ff in die frühere Perserzeit sowie von 60,17–22 bzw. 60,19f in frühhellenistische Zeit s. STECK, Jes 60–62, 119ff (Lit.); ZAPFF, NEB 37, 381f.388; für Einheitlichkeit plädiert LANGER, Licht, 16 und wieder ARNETH, a.a.O., 176ff.

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Jhwh und – neu (s.o.) – sein Kabod werden hier eindeutig solar gezeichnet, indem ihre lichtvolle Präsenz für Zion wie die Sonne aufgestrahlt ist (xrz). Derart ins Licht gerückt fungiert nun auch Zion – wie im rezipierten Ps 72 noch der König – als Repräsentant Jhwhs und d.h. hier näherhin als ›Licht der Völker‹ im Rahmen der persischen Ökumene. Es werden also verschiedene Elemente der Jerusalemer Tradition fortgeführt und an die perserzeitlichen Verhältnisse adaptiert: namentlich die solare Königsideologie, die zionstheologische Fokussierung sowie die solare Tradition der Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit in Jerusalem. Dabei wird das solare Profil Jhwhs (und dann Zions) einerseits völkerweit universalisiert und andererseits dominiert – ein innovativer Zug – im Blick auf die erstrebte Gerechtigkeitsordnung der Erkenntnisaspekt gegenüber dem Gerichtsaspekt. Gegenüber dieser positiven Weiterführung der Solarisierung Jhwhs nimmt dann 60,19f eine kritische Revision vor: Nicht mehr Sonne und Mond werden Zions Licht sein, »sondern Jhwh wird dir ewiges Licht sein (~l'A[ rAal. hw"hy> %l'-hy"h'w>)« (V.19, s. V.20ba), sodass »deine Sonne nicht mehr untergehen und dein Mond nicht mehr abnehmen wird (@sea'yE al{ %xereywI %vem.vi dA[ aAby"-al{)« (V.20a). Jhwh transzendiert also gleichsam Sonne und Mond und deren Licht, die ihre Orientierungskraft verlieren: Jhwh selbst wird ewiges (das Weltgericht überdauerndes, nicht untergehendes oder abnehmendes) Licht für Zion sein96. So wird Jhwh weiterhin (luni-)solar gezeichnet, doch als allein ewiges Licht tritt er in einen Gegensatz zum geschaffenen Licht der Sonne und des Mondes; als ewiges oder wahres Licht ersetzt Jhwh nachgerade das Tages- und Nachtgestirn und wird zu Zions Sonne und Mond. Dieser Überstieg wurde in historischer Hinsicht wahrscheinlich durch den Zusammenbruch der persischen Weltordnung ausgelöst und reagiert in frühhellenistischer Zeit (s.o. Anm. 95) darauf mit der Ansage eines universalen Weltgerichts und der Konzentration auf den über- und dann gegenweltlich konzipierten Jhwh. (3) Der Zionshymnus Ps 84 preist in seiner Schlussstrophe97 Jhwh aufgrund seiner Präsenz im Tempel:

96

S.a. die quantitative Steigerung von Mond- und Sonnenlicht infolge des ärztlichen Handelns Jhwhs in der Endzeit (Jes 30,26) oder später die ethisierende Überbietung der Sonne durch die an Jhwhs Stelle tretende Weisheit (Sap 7,29f). 97 Die V.9f.11–13 sind entstehungsgeschichtlich strittig (s. das Referat von HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 512ff [ZENGER]), V.12 dürfte aber zum Grundbestand gehören (ebd.).

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~yhil{a/ hw"hy> !gEm'W vm,v, yKi 84,12 Ja, Sonne98 und Schild ist Jhwh Elohim. Im Unterschied zu den bisherigen solaren Aussagen über Jhwh nimmt der Nominalsatz eine metaphorische Identifikation von Jhwh und Sonne (bzw. Schild) vor99; mit dieser Spitzenformulierung erreichen die solaren JhwhAussagen in der HB einen neuen Höhepunkt100, der vermutlich die perserzeitliche Ommipräsenz der geflügelten Sonne jhwhistisch rezipiert. Inhaltlich fungiert die Sonne dabei als lichtspendende Lebensquelle und der Schild als Lebensschutz, sodass Lebensversorgung und -sicherung umfassend abgedeckt sind. Bemerkenswert ist, dass die von Haus aus universale Solarisierung hier, in der (mittleren?) Perserzeit101, ein dezidiert partikulares Gefälle bekommt: Der solare Jhwh agiert wie in der Tradition lebensgünstig – er tut dies nunmehr jedoch für die Frommen bzw. Vollkommenen (~ymit'B. ~ykil.hol;), denen er Gutes nicht vorenthält (bAj-[n:m.yI al{; s.a. die Gabe von dAbk'w> !xe V.12). (4) Aus dem Bereich der Ikonographie – wie schon bemerkt hat im Perserreich die geflügelte Sonnenscheibe (aus der z.T. der Oberkörper eines bärtigen Gottes herausragt) eine blühende Hochkonjunktur – sei hier nur pauschal auf den (Juda oder Jhwh symbolisierenden) Löwen mit (göttlicher) Sonnenscheibe verwiesen102. Als Sonderfall zu erwähnen ist die einschlägige, aber motivisch singuläre Münze aus dem Juda des späteren 4.

98

Die Deutung von vm,v, als Zinne oder Bollwerk (so jüngst wieder DAY, Yahweh, 158) ist offenkundig apologetisch motiviert und sowohl religionsgeschichtlich als auch im Kontext des Zionspsalms obsolet (s. nur HAL, 1470f und KRAUS, BK 15/2, z.St.). – Die LXX bietet demgegenüber eine abstrakte Formulierung (e;leon kai. avlh,qeian), die – vom Folgetext her – das gesamte Metaphernfeld von Sonne und Schild weglässt. 99 Auf die Nominalsatzklasse ›Identifikation‹ weisen die beiden als Eigennamen determinierten Glieder vm,v, und hw"hy> hin (allerdings ist !gEm' indeterminiert, scheint aber mit der Sonne ein Binom oder ein Hendiadyoin zu bilden). 100 Vgl. dazu das Kurzreferat von GRUND, Psalm 19, 88 (die selbst eine Mittelposition einnimmt); so mit LAUBER, Sonne, 338f.385; KUTTER, Sonnengottheiten, 406f; NIEHR, Gott, 156, der dies als »direkte Bezeichnung JHWHs als Sonne« beschreibt und mit Recht in der offiziellen Religion nachexilischer Zeit verortet (aufgrund seiner These einer ursprünglichen Verortung der Solarisierung in der Privatreligion aber einen »Übergang von Elementen der persönlichen Frömmigkeit in die offizielle Religion im Gottesdienst am Zweiten Tempel« beobachten zu können glaubt [157]). 101 Der Grundpsalm mit V.12 (s.o. Anm. 97) setzt offenkundig den zweiten Tempel voraus, ist aber aus redaktionsgeschichtlichen Gründen deutlich vor der spätperserzeitlichen bzw. frühhellenistischen messianischen Redaktion 2–89* (spätestens um 300 v. Chr.) anzusetzen, die ihn wahrscheinlich in die hinteren Korachpsalmen eingefügt hat. 102 S. dazu nur KEEL, Geschichte, 975f (Lit.).

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Jh. v. Chr., auf deren Rückseite der sog. Gott auf dem Flügelrad zu sehen ist (Abb. 20)103.

Abb. 20: Münze mit der Konstellation ›Gott auf dem Flügelrad‹ (spätes 4. Jh. v. Chr.)

Unter der Inschrift yhd: »Juda« 104 sitzt ein Gott, der in der linken Hand einen Vogel (genauer einen Falken?) hält, auf einem Thron, dessen Hinterbeine aus einem (Sonnen-)Rad mit Speichen und dessen Rücklehne aus einem am Rad fixierten Flügel bestehen. Offenkundig wird das Motiv der geflügelten Sonnenscheibe mit Gottheit hier variiert – wobei die Gottesdarstellung (und der Vogel) deutlich hellenisierende Züge zeigen. Die Motivkomposition ist also auf das Stärkste solar imprägniert und zeichnet den abgebildeten Gott – im spätperserzeitlichen Juda höchst wahrscheinlich Jhwh105 – in dieser Gestalt; zugespitzt formuliert bildet sie »the conception of Yahweh’s sun-throne iconographically« ab106. So wird Jhwh griechisch geschulten Augen als solarer Gott des Himmels präsentiert107, dessen Profil 103

BMC Palestine, 181 # 29; vgl. dazu jetzt DE HULSTER, Exegesis, 194ff; HÜBNER, Münze, Kap. 3; BLUM, Drachme, 17ff (Lit.). Auf der Vorderseite dürfte ein ›Stratege‹ bzw. Statthalter Yehuds (Bagoas?) abgebildet sein (s. BLUM, a.a.O., 20f). – Abb. 20 aus: KEEL, a.a.O., 978 # 603. 104 So jetzt zu Recht die – auf zahlreichen Münzen belegte – übliche Lesung gegenüber dem zunächst und auch jüngst wieder (s. das Referat von KEEL, Geschichte, 979) vermuteten yhw: »Jhw(h)«, was zwar die Abbildung prägnant (und zutreffend) illustrieren würde, in dieser Direktheit im nachexilischen Juda aber schwer denkbar ist. 105 Vgl. nur BLUM, Drachme, 18ff.24; DE HULSTER, Exegesis, 198ff.204. 106 DDD 766 (LIPISKI), der auf die später belegte Bezeichnung der Sonne als ›Sonnenrad‹ (vmvh lglg im Sabbatkontext CD 10,15 [GARCÍA MARTÍNEZ/TIGCHELAAR, DSSE 1, 568f]; s.a. bJom 20b) hinweist. 107 So mit KUTTER, Sonnengottheiten, 409; s. ähnlich BLUM, a.a.O., 23f (»Himmelsgott«, aber nicht zwingend solar). Daneben lässt sich vielleicht anhand der in der unteren rechten Ecke dargestellten Gesichtsform bzw. Maske zusätzlich eine »›Dionysierung‹ des

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freilich nicht weiter expliziert wird und vermutlich auch gar nicht werden soll: Im Sinne einer interkulturellen Vermittlungshermeneutik, die unterschiedlich geprägten Traditionen Raum lässt, scheint Jhwh der griechisch orientierten Welt als solarer Himmelsgott präsentiert zu werden. (Das atl. Bilderverbot bildet für die auftraggebenden Kreise offenbar kein Hindernis für diese bildhafte Symbolisierung.) (5) Kehren wir in den atl. Bereich zurück, muss noch die letzte prominente – und später in der christlichen Wirkungsgeschichte dann alles überragende – Stelle zur Sprache kommen: die Sonne der Gerechtigkeit aus Mal 3,20. In spätpersischer oder frühhellenistischer Zeit108 blickt das abschließende literarische ›Diskussionswort‹ des Maleachibuchs auf den kommenden Gerichtstag (V.17.19) aus, der für Gottlose Vernichtung durch Feuer bringen wird, nicht jedoch für die Gerechten: hq'd'c. vm,v, ymiv. yaer>yI ~k,l' hx'r>z"w> 3,20a Aber es wird aufstrahlen für euch, die ihr meinen h'yp,n"k.Bi aPer>m;W

Namen fürchtet, die Sonne der Gerechtigkeit; und es ist Heilung unter ihren Flügeln.

Das löst Freude aus (V.20b). Wiederum tritt starke solare Motivik hervor im – forensisch-eschatologisch bestimmten – Aufstrahlen der Sonne der Gerechtigkeit 109 . Die epexegetische Konstruktuskonstruktion 110 legt die Metapher explizit auf den Aspekt der Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit fest; dies wird durch die Opposition von ›Gerechten‹ und ›Frevlern‹111 stärker noch als in Ps 84 gruppenspezifisch zugespitzt und damit partikularisiert. Auch wenn die Sonnenmetapher traditionsgeschichtlich weiterhin im Horizont des solaren Jhwh steht, ist doch zu beachten, dass dieser Hintergrund im Kontext nicht realisiert, vielmehr ›dekonstruiert‹ atl Gottes« ausmachen, sodass das Gesamtbild komplexer erscheint (so DUBACH, Trunkenheit, 291 im Anschluss an SMITH, Wine God, 231; KEEL, Geschichte, 978). 108 Vgl. das Referat von ZENGER, Zwölfprophetenbuch, 584f; s.a. SCHMID, Nebiim, 400 (insgesamt Fortschreibungstext); dagegen vermutet die traditionelle Ansetzung einen selbstständigen Propheten im 5. Jh. v. Chr. (z.B. RUDOLPH, KAT 13/4, 247ff; KUTTER, Sonnengottheiten, 400). 109 Im zeitgenössischen Horizont ist näherhin der »Symbolwert der achämenidischen Flügelsonne zur Darstellung der gerechten Weltordnung … gewissermaßen unverzichtbar für die Stimmigkeit des Gesamtbildes« (WILLI-PLEIN, ZBK 24/4, 280). 110 So die kontextuell wahrscheinlichste Deutung der indeterminierten und durch hq'd'c. feminin bestimmten Wendung (mit LAUBER, Sonne, 44f.331; DEISSLER, NEB 21, 336: »›Sonne‹ der heilschaffenden Bundesgerechtigkeit«, syntaktisch wäre auch eine Apposition denkbar: »Es strahlt auf über euch die Sonne, die Gerechtigkeit«). 111 S.a. das (nur) mit den Gerechten verbundene Licht Ps 97,11; 112,4; Prov 4,18; 13,9.

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wird, da die Sonne (in der dritten Person) innerhalb der Jhwh-Rede V.17ff auftritt 112 . Dasselbe gilt dann auch für das damit eng verbundene Heilungsmotiv (›Jhwh als Arzt‹ 113 ), das den ›soteriologischen‹ Duktus von V.20 zuspitzt. Hier, am Schluss der Nebiim, bleibt der Solarisierungsprozess also einerseits begrifflich zugespitzt (›Sonne der Gerechtigkeit‹), wird aber andererseits – in einer sachlich an Jes 60,19f erinnernden Weise – deutlich von Jhwh selbst unterschieden (Rede Jhwhs über die Sonne der Gerechtigkeit). Diese Ambivalenz – Relevanz der Sonne bzw. solarer Jhwh-Vorstellungen und-funktionen auf der einen Seite, kategoriale Differenzierung gegenüber Jhwh auf der anderen – prägt dann in den Folgeepochen auch die weitverzweigten solaren Diskurse außerhalb der HB, die den hier zu verfolgenden Horizont überschreiten114.

V. Auswertung 1. Vorgang und Profil der Solarisierung Im alten Israel hat eine vielschichtige Solarisierung Jhwhs stattgefunden – soviel ist in der jüngsten Forschung (nahezu115) unstrittig und hat sich hier erneut bestätigt. Strittig ist hingegen, wie sich der Solarisierungsprozess inhaltlich, zeitlich, regional und soziologisch abgespielt hat. Dabei stand die Solarisierung Jhwhs, soweit sie in den Quellen erschließbar ist, nicht am Anfang der Geschichte Jhwhs, sondern ereignete sich erst ›im Land‹, ausgelöst vorab durch die Begegnung mit den voris112

So mit Recht LAUBER, Sonne, 385f im Gegensatz zu NIEHR, Gott, 158, der Jhwh hier »in aller Deutlichkeit als den zum Recht verhelfenden Sonnengott« versteht. 113 Vgl. dazu NIEHR, Arzt; LAUBER, a.a.O., 387.398ff (Lit.). – Beide Motive werden, ebenfalls in einem eschatologischen Kontext, auf ähnliche Weise verbunden in Jes 30,26; s.a. 58,8 (Licht wie Morgenröte + Heilung [hk'Wra]]). 114 S. etwa MAIER, Sonne; WALLRAFF, Christus verus sol sowie knapp CANCIK, RGG4 7, 1441f. 115 Grundsätzlich zurückhaltend sind neuerdings v.a. Frank Zeeb und John Day, was aber angesichts des vorliegenden Materials eine Außenseiterposition darstellt. ZEEB, Sonnengott lehnt selbst eine »Solarisierung Jahwes während der späteren Königszeit«, ab, weil nirgends »eine Verehrung Jahwes als eines Sonnengottes« nachweisbar sei (908, s.a. 905.914); demgegenüber haben die behandelten Quellen eindeutig ein solares Verständnis Jhwhs erwiesen, obgleich sich über Kultformen (›Verehrung‹) nur wenig erschließen lässt. Ebenso bestreitet DAY, Yahweh, 156ff eine Solarisierung Jhwhs konsequent, auch wenn es kanaanäische Sonnenkulte gegeben habe.

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raelitischen Jerusalemer Sonnengottheiten. Angesichts des noch erhebbaren ursprünglichen Wettergottprofils Jhwhs lässt sich die Solarisierung Jhwhs näherhin pointiert als Solarisierung des Wettergottes Jhwh fassen116. Sie gewann ihr spezifisches Profil im königszeitlichen Jerusalem vor dem Horizont mehrfacher Annäherungen und Kooperationen von Wetter- und Sonnengottheiten in der spätbronze- und früheisenzeitlichen Levante. Blicken wir auf die Analyse zurück und werten sie zusammenfassend aus, lassen sich folgende Punkte festhalten: (1) Zunächst ließ sich der Vorgang als solcher in der früheren und mittleren Staatszeit anhand von drei voneinander unabhängigen Quellen und Methoden aufweisen: Literar- und überlieferungsgeschichtlich ergab sich im alten salomonischen Tempelweihspruch (1Kön 8,53LXX) die Indienstnahme der Sonne(ngottheit) durch Jhwh auf der Ebene der offiziellen Staatsreligion. Ikonographisch und epigraphisch dokumentierten die jhwhistischen Personennamen yw r und yhwzrh, auf Siegeln teils mit Sonnendarstellungen kombiniert, während der mittleren Königszeit einen solar symbolisierten Jhwh auch im Bereich der Privatreligion. Traditionsgeschichtlich zeigte sich ebenso in der (königszeitlichen) Theophanieschilderung Dtn 33,2 (s.a. Hab 3,3f) – in prägnanter Weise verdichtet – die Solarisierung des Wettergotts Jhwh. Die solare Wahrnehmung Jhwhs schlug sich auch in weiteren Primär- und Sekundärquellen der Staatszeit nieder, und sie hat auch später in exilisch-nachexilischer Zeit weiter beeindruckt: So zeichnet etwa Jes 60 eine imposante Sonnenerscheinung Jhwhs, die 60,19f dann kritisch transzendiert. Gleichsam auf den Begriff gebracht wurde der Solarisierungsvorgang schließlich mit der Identifizierung von Jhwh und Sonne in Ps 84,12, und ähnlich pointiert akzentuiert die – nunmehr freilich von Jhwh unterschiedene – »Sonne der Gerechtigkeit« (Mal 3,20) die forensische Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit. (2) Präzisere solare Profile Jhwhs wurden in ikonographischen Darstellungen und in atl. Texten sichtbar, wobei sich – mehrfach in Entsprechung zu den vorisraelitischen kanaanäischen Sonnengottheiten Jerusalems, zu ägyptischer Sonnentheologie, zu aramäischer und neuassyrischer Sonnensymbolik sowie exilisch-nachexilisch auch zu persischer und hellenistischer Sonnenmotivik – v.a. vier Funktionen unterscheiden ließen: 116 Damit soll der Grundvorgang akzentuiert werden; dies schließt aber selbstverständlich ein und nicht aus, dass sich Jhwh bereits weitere Züge angeeignet hat, die über das Profil einer spezifischen Wettergottgestalt hinausgehen (und z.B. in der vorstaatlich einsetzenden Exodustradition oder im frühstaatlich verwurzelten Königtum Jhwhs gründen).

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– Grundsätzlich gewinnt der solarisierte Jhwh an Permanenz. Gegenüber dem punktuell-dynamischen Einbrechen des ursprünglichen Wettergottes zeichnet sich der Sonnengott durch seine stetige und stabile Präsenz aus; dieser Aspekt könnte sich noch in den ikonographischen Konstellationen ›Herr der Strauße unter der Sonne‹ und ›Sonne über leerem Thron‹ aus der frühen Staatszeit spiegeln, wird ansonsten in den erhaltenen Quellen jedoch vorausgesetzt. – Die wichtigste solare Funktion stellt ohne Zweifel die Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit dar, die im vorisraelitischen Jerusalem wie im alten Orient generell mit der Sonne(ngottheit) verbunden war (daneben aber namentlich auch von Königsgöttern wahrgenommen wurde). Prominent trat dieser Zug in den vorexilischen Texten des AT, besonders in Hos 6 und Zeph 3 sowie mit dem Königtum gekoppelt in Ps 72, hervor und er wirkt auch exilisch-nachexilisch weiter, bis die »Sonne der Gerechtigkeit« in Mal 3,20 auf die Jhwhfürchtigen eingeschränkt und damit gruppenspezifisch enggeführt wird. – Damit verbindet sich während der Staatszeit die Aufgabe, das (dynastische) Königtum zu schützen. Der Konnex von solarem Jhwh und Königtum könnte in den frühstaatlichen Siegeln mit der ›Sonne über leerem Thron‹ zum Ausdruck kommen, sicher erkennbar wird sie in den Namenssiegeln und lmlk-Stempeln des (späteren) 8. Jh. v. Chr. Und paradigmatisch verbinden sich beide Aspekte in der Grundschicht des Königspsalms 72. – Hingegen tritt die gemeinaltorientalisch mit dem Sonnengott verbundene Universalität in der beschränkten Stellenauswahl kaum in Erscheinung (s. besonders Ps 19,7) – möglicherweise auch deshalb, weil sie den atl. Gott resultativ gesehen umfassend charakterisiert. Wenn man die Betrachtungsweise der Solarisierung allerdings etwas ausweitete, käme der weitläufige »Aspekt der Universalität (vom Himmel herabblickend sieht der Sonnengott alles)«117 hinzu. Dann wäre – im Rahmen des gegenüber dem 2. Jtsd. v. Chr. markant reduzierten königszeitlichen Pantheons – auch die zur Zeit viel verhandelte Kompetenzausweitung Jhwhs (in die Toten- und Unterwelt) näher zu erörtern, da sie vermutlich mit der Solarisierung zusammenhängt118 und im Gefolge chthonischer Funktionen von Sonnengottheiten erfolgt119.

117

JANOWSKI, Sonnengott, 219 (dort z.T. kursiv). S.u. 3. V. mit Anm. 154ff. 119 Vgl. bes. KUTTER, Sonnengottheiten, 207ff.293f.352f.396ff. 118

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Insgesamt hat die Begegnung Jhwhs mit den Jerusalemer Sonnengottheiten und die dadurch inaugurierte (und dann durch die Epochen vielfach neu stimulierte) Solarisierung das Profil Jhwhs in mehrfacher Hinsicht transformiert und Jhwh innovativ neue Funktionen und Zuständigkeitsbereiche erschlossen 120: Der dynamisch agierende Wettergott gewinnt permanente (und zunehmend universale) Präsenz, die sich vorab in einer kosmosstabilisierenden Sicherung von Recht und Gerechtigkeit sowie damit korrespondierend des irdischen Königtums manifestiert. Dieser inhaltlich, zeitlich, regional und soziologisch vielgestaltige Prozess ist – fasst man ihn wie im Vorangehenden methodisch kontrolliert – in einer quantitativ überschaubaren, aber sachlich gewichtigen Anzahl von Belegen aus ganz unterschiedlichen Quellen erhebbar. Stark generalisiert gilt, dass Jhwh nach dem Gros der Belege die »Nachfolge des Sonnengottes« antritt 121 . Dabei erweist sich die »solare Dimension als eine, wenn auch sehr bewegliche und adaptionsfähige, Konstante israelitischer und judäischer Jahwe-Verehrung«122. Freilich fehlt auch eine kritische Rezeption, ja sogar eine Ablehnung solarer Jhwh-Deutungen in Prophetie und Deuteronomismus nicht (2Kön 23,11f; Ez 8,16ff; s.a. Jer 8,2/Dtn 4,19/17,2). Angesichts der atl. Polyphonie drängt sich daher die Frage nach der theologischen Bewertung der Solarisierung Jhwhs intensiviert auf, zumal angesichts der nachexilischen Transzendierung (Jes 60,19f) bzw. kontextuellen Dekonstruktion (Mal 3,20) solarer Jhwh-Züge. 2. Hermeneutisch-theologische Anschlussreflexion: Zur theologischen Relevanz einer lebensweltlichen Metapher Die Solarisierung des Wettergottes Jhwh stellt eine exemplarische Transformation des atl. Gottes dar, die neben vielen anderen steht. Sie verleiht Jhwh, wie sich im Detail zeigte, neue Funktionen und Zuständigkeitsbereiche (wobei im konkreten Fall daran angeknüpft werden konnte, dass der Wettergott Jhwh immer schon ein Himmelsgott im weiteren Sinn war); die Solarisierung betrifft daher grundlegende Profilerweiterungen Jhwhs.

120

Für die Aspekte ›Recht/Gerechtigkeit‹, ›Schutz des Königtums‹ und ›Universalismus‹ haben KEEL/UEHLINGER, Sonnengottheit, 293 pointiert festgehalten: »Jahwe verdankt sie« – man mag einschränkend hinzufügen: ursprünglich – »der Jerusalemer Sonnengottheit«. 121 STÄHLI, Elemente, 40. 122 KEEL/UEHLINGER, Göttinnen, 449.

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Im Kern geht es dabei um die Inkulturation des Wettergottes Jhwh aus dem Süden in einen (klein)urbanen Kontext während der judäischen Staatszeit123. Historisch steht natürlich die Begegnung und Auseinandersetzung mit den Jerusalemer Sonnengottheiten im Zentrum, deren Funktionen und Profil sich Jhwh sukzessiv zu integrieren vermochte. Dies als (naturzyklische) Kanaanisierung des (geschichtsorientierten) Jhwh-Glaubens zu disqualifizieren, wie es in der Forschung im Gefolge der dialektischen Theologie lange üblich war (s.o. Anm. 4), bleibt in doppelter Hinsicht defizitär: Zum einen ist inzwischen klar, dass sich Israel im kanaanäischen Kulturbereich formiert hat und davon ebenso wesentlich wie dauerhaft geprägt ist124; und zum anderen geht es nicht nur um eine Kanaanisierung, sondern auch um eine Ägyptisierung, Aramaisierung, Neuassyrisierung, Persisierung und Hellenisierung. Zur Debatte steht also grundsätzlich die Frage der Inkulturation und Kontextualisierung Jhwhs im alten Orient. Konkret gewann Jhwh durch die Solarisierung ohne Zweifel wesentlich an lebensweltlicher Anschlussfähigkeit, indem er sich neue, vormals durch andere Gottheiten abgedeckte Bereiche erschloss. Die Träger und Promotoren dieser solaren Jhwh-Vorstellungen schätzten offenkundig die Chancen einer produktiven Transformation der Jhwh-Religion größer ein als die damit verbundenen Risiken (soweit nicht einfach dem übermächtigen Kulturdruck nachgegeben werden musste), vor denen prophetische und dtr. Kritiker warnten, etwa vor der ›Überfremdungsgefahr‹ oder später vor dem Verwechslungsrisiko von Schöpfer und Geschöpf (das ja aller weltlichen Rede von Gott – auch der sich auf soziomorphe Begriffe wie Liebe und dergleichen beschränkenden – inhärent ist). Die pro-solaren Kreise behielten, soviel lässt sich im historischen Rückblick festhalten, insofern Recht, als Jhwh die solaren Funktionen auch inhaltlich teilweise neu prägte (Jhwhs vielschichtige Permanenz/Präsenz, Recht und Gerechtigkeit Jhwhs; jhwhistische Königsideologie) und sich nie auf seine solaren Komponenten reduzieren ließ, sondern, wo nötig, klar Distanz markierte (indem er etwa die Sonne überbot: Jes 60,19f). So zeigen sich auch im Bereich der Solarisierung Jhwhs vielfältige und bewusste theologische Rezeptions- und Produktionsvorgänge innerhalb des 123

Insofern ist auch die implizit (ab)wertende Rede von einem »offiziellen Synkretismus« der Jerusalemer Tempeltheologie (ALBERTZ, Religionsgeschichte, 200) nicht unproblematisch. 124 So unterstreicht KEEL, Kulttraditionen, 501 gerade im Blick auf die Solarisierung mit Recht, »wie bedeutsam die kanaanäischen Wurzeln für die Theologie des Alten Testaments sind«.

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AT bzw. des alten Israel, die durchaus dezidiert als Theologie(n) im AT zu qualifizieren sind. Dass sich solche produktiven Modelle von Theologie bis heute bewähren, zeigt sich m.E. beispielhaft an der bleibenden Attraktivität der theologischen Metapher von Gott als Sonne, die eben nicht veraltet oder erstarrt, sondern »lebendig« geblieben ist (P. Ricœur). Dies dürfte wesentlich damit zusammenhängen, dass die Sonne bis heute – nun nicht mehr religiös-theologisch besetzt – einen basalen Faktor der Alltagserfahrung darstellt. Die lebensweltliche Metapher von Gott als Sonne verdeutlicht exemplarisch die theologische Relevanz einer ›natürlichen Theologie‹, die keineswegs Schöpfer und Geschöpf miteinander vermengt, sondern – eine Kernaufgabe aller (christlichen) Theologie – immer wieder und neu die lebensweltliche Anschlussfähigkeit des (christlichen) Gottesglaubens expliziert: Dieser betrifft auch und gerade unspektakuläre, aber elementare Alltagserfahrungen des menschlichen Lebens. Aus diesen Gründen ist die Solarisierung des Wettergottes Jhwh im alten Israel nicht nur religions- und theologiegeschichtlich »ein wichtiges Movens in der Geschichte des Jahweglaubens«125, sondern sie bleibt auch für aktuelle Bemühungen um eine angemessene (christliche) Rede von Gott theologisch anregend.

125

STÄHLI, Elemente, 46; ebenso JANOWSKI, Sonnengott, 196.

Teil B

Jhwh und das Leben/der Tod Der Mensch weiß, dass er sterblich ist und sterben wird; darin unterscheidet er sich nach allem, was uns bekannt ist, elementar vom Tier. Eben dieses Wissen um die menschliche Endlichkeit und Vergänglichkeit konstituiert einerseits ein, wenn nicht das anthropologische Grundproblem schlechthin und zählt andererseits zu den grundlegendsten Kulturgeneratoren überhaupt. Beides hängt unmittelbar miteinander zusammen und lässt sich nicht nur, aber besonders aufschlussreich im hier einschlägigen Horizont des alten Orients und des alten Israel verfolgen. In kulturanthropologischer Perspektive hat etwa Jan Assmann für das alte Ägypten mit seiner elaborierten Jenseitswelt überzeugend die These entfaltet, dass »[d]er Tod … Ursprung und Mitte der Kultur« und mithin der Religion als zwei zentralen Äußerungen des menschlichen Lebens ist1; damit konvergieren allgemeinere religionsphilosophische und -soziologische Theoriebildungen2. Das korrespondierende anthropologische Grundproblem lässt sich nun aufgrund seiner Prominenz und dank der relativ günstigen Quellenlage auch – zumal für das hier im Fokus stehende alte Israel – religions- und theologiegeschichtlich vergleichsweise genau beschreiben. Vorweg sei – unter anderem nach dem Vorlauf des Gilgameš, der vergeblich nach dem Lebenskraut mit dem Namen »Als Greis wird der Mensch jung«3 gesucht hat – nur auf die Paradieserzählung (Gen 2f) ver1

Tod, 1; zustimmend z.B. JANOWSKI, Sehnsucht, 432. Vgl. etwa John Hicks Religionsphilosophie, die er im – deutschen – Untertitel seines Klassikers auf den Leitsatz bringt: Die menschlichen Antworten auf die Frage nach Leben und Tod (HICK, Religion; allerdings bleibt dies bei der Entfaltung im Hintergrund). Zudem sei auf die einleitenden Überlegungen zur Kontingenzbewältigung u. Kap. 4. verwiesen. 3 Gilg. 11,282 (zit. nach TUAT 3/4, 738 [HECKER]). Vgl. in der altbabylonischen Fassung: »Gilgamesch, wohin läufst du? Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden! Als die Götter die Menschheit erschufen, wiesen sie der Menschheit den Tod zu, nahmen das Leben in ihre eigene Hand. Du Gilgamesch, voll sei dein Bauch, Tag und Nacht sei andauernd froh, du! … So ist das Tun [der Menschen]« (Meissner-Millard-Tafel 3,1ff: 2

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wiesen, wo die menschliche Zwischenstellung zwischen Gott und Tier im Blick auf die Endlichkeit und die Erkenntnisfähigkeit paradigmatisch reflektiert wird. Im alten Israel ist dabei für die atl. wie die epigraphischen Texte kennzeichnend, dass des Menschen Leben und Tod nicht allgemein, sondern in Bezogenheit auf Jhwh erörtert wird: Es handelt sich dabei um die Perspektive einer theologischen Anthropologie, die sich mit der conditio humana nicht allgemein, sondern pointiert coram deo auseinandersetzt. Wie sich das Verständnis der menschlichen Verfasstheit in dieser basalen Spannung von Leben und Tod vis-à-vis Jhwhs im alten Israel darstellt und religions- und theologiegeschichtlich transformiert, zeichnet Kap. 3. nach. Die Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod im alten Israel setzen bei der Beobachtung ein, dass die beiden Pole ›Leben‹ und ›Tod‹ durchwegs in einem asymmetrischen Verhältnis zueinander gesehen werden, welches Gefälle sich durch die Korrelation des Lebens mit Jhwh, dem Gott des Lebens, und des Todes mit Todesgottheiten (wie Mot) bzw. -mächten gleichsam theologisch potenziert. So umfasst die LebenTod-Grundkonstellation nicht nur das jeweils erstrebte Lebensideal, sondern auch dessen Scheitern, das im vorzeitigen Tod die schärfste Zuspitzung gewinnt. Diese beiden Grenzfälle und zahlreiche Erfahrungskonstellationen dazwischen, die je in umfassendere religiöse Symbolsysteme eingebunden sind, werden anhand ausgewählter Stationen in ihren religionsund theologiegeschichtlichen Entwicklungen und Verschiebungen im Israel des 1. Jtsd. v. Chr. beschrieben; damit lässt sich ein wichtiges Stück der israelitischen (Theologie-)Geschichte des Lebens und des Todes coram deo bzw. Jhwh rekonstruieren. Aus dieser komplexen Grundkonstellation von Leben und Tod – und besonders im Kontrast zum vorzeitigen Tod – greift Kap. 4. den erwünschten Fall des gelingenden Lebens heraus und vertieft dies anhand der – durchaus handfesten – Segensvorstellungen in den althebräischen Inschriften: Sie zielen auf Wohl und Heil für den Menschen im Diesseits. Diese ›natürliche‹ Segenstheologie sieht also Gott und Welt in der Wirklichkeitssphäre des Segens miteinander verbunden. In dieser Perspektive lässt sich Segen als exemplarische Kontingenzbewältigungspraxis (H. Lübbe) verstehen, die freilich durch ihre Einbettung in die altisraelitische Diesseitsreligion eine eigentümliche Zuspitzung gewinnt und so für die Leben-Tod-Thematik aufschlussreich ist.

a.a.O., 665f; s.a. 1,7f. Vgl. sachlich ähnlich Taf. 10 in der jüngeren Ninive-Fassung [a.a.O., 718ff]).

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Dass dies weder die einzige noch die letzte Positionsbestimmung im alten Israel darstellt, den Ausgangspunkt für weiterführende theologische Reflexionen in der nachexilischen Literatur markiert, erhellt aus Kap. 3. Eine der prominentesten Positionen besteht darin, wie besonders Ps 63 belegt, das Gottesverhältnis radikal vom diesseitigen Ergehen zu lösen und Glück oder Unglück menschlichen Lebens allein von der intakten Jhwhrelation her zu bestimmen. Eben dies exponieren die für den Psalter und dessen Konzeption insgesamt konstitutiven Psalterdoxologien in eindrücklicher Weise; näherhin muss dabei die Theologie der Psalterdoxologien auf der Basis einer redaktionsgeschichtlichen Rekonstruktion ihrer Entstehung erhoben werden, wie Kap. 5 im Einzelnen ausführt. Konzeptionell ergeben sich dabei enge Parallelen zum Hiobbuch und besonders zu dessen Rahmenerzählung, die andernorts bearbeitet wurde4. Derart wird unübersehbar, dass gerade die kritische Weisheit eine wichtige Position im breiten Spektrum des nachexilischen Diskurses zur Leben-Tod-Thematik markiert.

4

Vgl. LEUENBERGER, Segen, bes. 437ff.

Kapitel 3

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod1 ›Leben und Tod‹ – dieses elementare Gegensatzpaar stellt kulturgeschichtlich betrachtet so etwas wie eine ›anthropologische Konstante‹ dar: Es spielt in nahezu allen Kulturen und Religionen eine eminente Rolle2. Dabei handelt es sich nicht nur um eine äußerst spannungsreiche, sondern zugleich auch um eine stark asymmetrische Grundkonstellation, denn die positive Wertung von ›Leben‹ und die negative von ›Tod‹ ist – anders als in den späteren Martyriumsvorstellungen3 – im alten Orient (mit partiellen Einschränkungen für Ägypten), im alten Israel und im Alten Testament weithin selbstverständlich 4 . Positiv gewendet lautet diese asymmetrische 1

Kap. 3 synthetisiert und komplettiert die drei Aufsätze »Deine Gnade ist besser als Leben« (Ps 63,4). Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod im alten Israel, Bib. 86 (2005), 343–368, Das Problem des vorzeitigen Todes in der israelitischen Religions- und Theologiegeschichte, in: A. BERLEJUNG/B. JANOWSKI (Hg.), Tod und Jenseits im alten Israel und in seiner Umwelt. Theologische, religionsgeschichtliche, archäologische und ikonographische Aspekte (FAT 64), Tübingen, 2009, 151–176 sowie Bestattungskultur und Vorstellungen postmortaler Existenz im alten Israel, in: A. BERLEJUNG/J. DIETRICH/J. F. QUACK (Hg.), Menschenbilder und Körperkonzepte. Kulturanthropologische Studien zum Alten Testament, Alten Orient und Alten Ägypten (ORA), Tübingen 2011 (im Druck). 2 Vgl. zur ersten Orientierung die Lexikonartikel, bes. SUNDERMEIER, TRE 20, 514ff; GRÜNSCHLOSS, RGG4 5, 133f (je mit Lit.). 3 Martyrium bezeichnet dabei den gewaltsamen Tod aus Bekenntnis- bzw. Glaubensgründen; dies impliziert stets eine erhebliche (aber, wie die makkabäerzeitlich aufgekommenen Konzeptionen zeigen, keineswegs durchgängig christlich geprägte) Interpretationsleistung, die einen Todesvorgang als Martyrium deutet und mithin als ›Sinngeschichte‹ darstellt (s. dazu LEUENBERGER, Sterben). 4 Für letzteres sei exemplarisch verwiesen auf einige Aussagen im Dtn. Hier statuiert 30,15: [r'h'-ta,w> tw !qez": »alt und lebenssatt« in Gen 25,8; 35,29; 1Chr 23,1; 2Chr 24,15; Hi 42,17 (s.a. Gen 15,15; Ri 8,32; 1Chr 29,28) zeigen dies die Sachentsprechungen schon in sehr frühen Kernen der Vätergeschichte (Gen 27* im Jakobzyklus, s. dazu LEUENBERGER, a.a.O., 218ff), für @sa ni. + wyM'[;-la,: »zu seinen Völkern/Vorfahren versammelt werden« Gen 25,8.17; 35,29; 49,33; Num 27,13; Dtn 32,50 (s.a. »zu seinen Vätern« Ri 2,10) macht dies (zumindest sachlich) die stereotype Sterbe- und Bestattungsformel der Könige rbeQ'YIw: wyt'boa]-~[i NN bK;v.YIw: …: »und NN legte sich zu seinen Vätern und wurde begraben …« 1Kön 2,10 usw. wahrscheinlich. Das hohe Alter und die große Verbreitung solcher Vorstellungen wird durch zahlreiche Aussagen mit ähnlichem Gehalt untermauert, die im AT sehr breit gestreut sind: vgl. Gen 47,30; 49,29; Num 23,10; Jos 23,14; 2Sam 21,12–14; 1Kön 2,2.6; Hi 5,26; Ps 91,16; 92,15; Qoh 3,2; negativ z.B. 1Kön 13,21f; s. zum Ganzen immer noch DÜRR, Wertung, 3ff.19f; WÄCHTER, Tod, 56ff.64ff und WOLFF, Anthropologie, 168ff; neuerdings etwa LIESS, RGG4 8, 430; BOROWSKI, Life, 83; BERLEJUNG, Unterwelt, 2. 15 So die übliche Qualifizierung für den alten Orient wie das eisenzeitliche Israel, vgl. DÜRR, a.a.O., 36ff; WÄCHTER, a.a.O., 205 u.ö.; ZENGER, Toten, 139ff; PODELLA, Grundzüge, 73f; SCHROER, Liebe, 3; HIEKE, Sichtweisen, 20ff; BERLEJUNG, Tod, 466ff, bes. 469.479.486ff; DIES., Unterwelt, 2f; LIESS, Weg, 294f (Lit.); vorsichtiger blieb in der älteren Forschung etwa QUELL, Auffassung, 22f. 16 Vgl. DIETRICH/VOLLENWEIDER, TRE 33, 582 (mit Geschlechterdifferenzierung); SCHOTTROFF, Alter, 67f; mit knapp 4 Dekaden etwas höher schätzt GERSTENBERGER, Lebenslauf, 254ff; s.a. kritisch BLENKINSOPP, Expectancy, 50ff. 17 BERNER, Begräbnis, 241. 14

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(Ps 90,10)18. (2) Im Blick auf die Lebensqualität verdeutlicht der Doppelausdruck »alt und lebenssatt« – der für Personen unterschiedlichen Alters verwendet wird –, dass die Sättigung (oder modern formuliert: die Lebensqualität) das Alter bestimmt und nicht umgekehrt. Salopp formuliert geht es also nicht darum, dem Leben möglichst viele Jahre zu verschaffen, sondern den Jahren möglichst viel Leben zu geben. Lebensqualität, nicht absolute Lebensdauer steht zuoberst – ohne jedoch von einer gewissen Lebensdauer gelöst werden zu können. Das israelitische Lebensideal für das Diesseits umfasst also Lebensqualität und Lebensdauer, und zwar in dieser Reihenfolge: Erstrebt wird nicht, gleichsam als formale Bedingung der Möglichkeit eines guten Lebens, eine möglichst große quantitative Lebensdauer; diese braucht nicht, wie angesichts mancher Bemühungen der heutigen Geriatrie und Gerontologie bemerkt sei, über die Maßen verlängert zu werden. Erstrebt wird vielmehr ein durch keine Minderungen beeinträchtigtes Leben im Vollsinn – auch wenn dies möglichst lange währen soll; im Einzelnen lässt sich dieser Sachverhalt etwa an den Segensinschriften exemplarisch aufweisen (s.u. Kap. 4.). Demgegenüber wird über weite Strecken an der menschlichen Endlichkeit grundsätzlich kein Anstoß genommen: Tod und Sterblichkeit des Menschen bilden die ›natürlichen‹ und mithin akzeptierten Grenzen des diesseitiges Lebens; sie gehören zur conditio humana. Der Mensch ist nach Gen 6,3 – wie alle Kreatur bzw. alles »Fleisch« – sterblich geschaffen19. 18

So im Grundbestand von Ps 90 (s. LEUENBERGER, Konzeptionen, 132ff [Lit.]; für Einheitlichkeit votiert CLIFFORD, Psalm 90, 204, während nun BRANDSCHEIDT, Tage, 3 V.10 für sekundär hält]), wo dieses Motiv jedoch in eine die Vergänglichkeit beklagende Gesamtperspektive eingebettet ist. Auf das volle Jahrhundert dehnt Sir 18,9 die maximale Lebenserwartung aus (s.a. Gen 6,3: 120 Jahre). Demgegenüber sind die Lebensspannen im goldenen Zeitalter vor der Flut noch gewaltig (s. Gen 5; 11,10ff), und in der Endzeit werden sie sich diesen nach Erwartung prophetischer Spätschriften und apokalyptischer Auffassung gleichsam eschatologisch wieder annähern (vgl. Jes 65,20ff). 19 Zur selbstverständlich vorausgesetzten Sterblichkeit im AT vgl. außer Gen 3,19 etwa 2Sam 14,14; 1Kön 2,2; Ps 89,49; 90,3ff; Hi 14,1f; s. weiter WÄCHTER, Tod, 198ff u.ö.; KELLERMANN, Überwindung, 259.261f; STRAUß, Tod, 40. Ähnliches wird auch für den alten Orient behauptet (vgl. KAISER/LOHSE, Tod, 23; s.a. SCHWEMER, Tod), doch muss auch hier zeitlich und räumlich differenziert werden (s.dazu u. Anm. 181). Aus israelitischer Perspektive ist es jedenfalls interessant, dass die generelle Sterblichkeit im AT erst vergleichsweise spät – vermutlich ab dem Exil – problematisiert wird (s.u. VI.), obwohl einschlägige altorientalische Texte bereits seit dem 2. Jtsd. v. Chr. im kanaanäischen Bereich bekannt sind: Das bezeichnendste Beispiel ist die im spätbronzezeitlichen Megiddo gefundene 7. Tafel des Gilgameš-Epos’ mit der Erzählung der vorzei-

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

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Dies hat sich seit Gen 1 ja nicht verändert, sodass die Qualifikation des priesterlichen Schöpfungsmythos’, dergemäß die Erschaffung des Menschen wie der ganzen Schöpfung »sehr gut« ist (Gen 1,31), ein für alle Mal Gültigkeit beansprucht. In keiner Weise »sehr gut« ist hingegen jedwede Minderung des Lebens im Diesseits sowie dessen vor- und d.h. unzeitiges Ende, wie auch Zeugnisse der israelitisch-judäischen Religion aus der frühen und mittleren Königszeit (Eisenzeit II) untermauern. Leben – und dabei handelt es sich immer um diesseitiges Leben20 – soll von Jhwh umfassend gesichert und gesteigert werden: Vitales, dem Tod und jeder Minderung entgegengesetztes Wohlergehen im Diesseits wird erstrebt (s.a.u. Kap. 4.). Orientiert man sich für die Lebensthematik an der Wurzel yx*, so stehen neben den im Folgenden eingehender behandelten biblischen Aussagen nun einige archäologische Primärquellen zur Verfügung. Die Textzeugnisse sind indessen – abgesehen von zwei indirekt relevanten Funden aus H©irbet el-Qom und Ketef Hinnom (s.u. IV.) – nicht sehr ergiebig und beschränken sich im Wesentlichen auf einige spätvorexilische Belege der Schwurformel hwhy(y)x: »bei Jhwhs Leben« aus Arad und Lachisch kurz nach 600 v.Chr21. Sodann findet sich der Personenname yl[wxy: »lebendig macht/mache (bzw. ist) der Höchste« (vgl. 2Chr 29,14)22, und atl. ist der Ortsname yairo yx;l; raeB.: »Brunnen des Lebendigen, der mich sieht« einschlägig (Gen 16,14). Auch ikonographisch ist das Lebensthema in vielfältigen Motivkonstellationen recht präsent; nennen kann man etwa den Lebensbaum23 oder das mit Schutzmächten verbundene Lebenszeichen24. Diese Befunde, die eigenständige Untersuchungen erforderten, belegen auf jeden Fall die Virulenz des Lebensthemas im Rahmen eisenzeitlicher Religion(en) in SyrienPalästina. Es fällt auf, dass – wie im atl. Befund – Begriff und Vorstellung von Leben eng mit Jhwh respektive göttlichen Mächten verbunden werden, wenngleich Jhwh selbst im AT vergleichsweise selten als lebendig bezeichnet wird: Er ist eher Spender und

tigen Tötung Enkidus durch Enlil aufgrund der Tötung des Ungeheuers Humbaba (s. GEORGE, Gilgamesh, 339ff; HECKER, TUAT 3/4, 670; V.D.TOORN, Documents, 98). Trotz aller kulturellen und zeitlichen Differenzen zum eisenzeitlichen Israel-Juda wird man daher zurückhaltend sein mit Annahmen völliger Unbekanntheit solcher altorientalischer Traditionen. 20 Das trifft auch für das alte Israel weitestgehend zu (s.u. 4. III. 3. mit Anm. 59), während nach der ägyptischen Vorstellung das Leben den dies- und den jenseitigen Bereich umfasst (vgl. SCHLICHTING, LÄ 3, 949ff). 21 Die Texte sind leicht zugänglich in RENZ, HAE 1, 387 (Arad 21,5).417.427.431 (Lachisch 1.3,9; 1.6,12; 1.12,3). – Zur nominalen Interpretation der Schwurformel s. RINGGREN, ThWAT 2, 892f; WONIAK, Schwurformel, 249; KREUZER, Gott, 30ff. 22 Vgl. RENZ, HAE 2/1, 71. 23 Vgl. KEEL/UEHLINGER, Göttinnen, bes. 174ff.264ff und 518 (Register); YORK, RLA 5, 269ff; GAMMER-WALLERT, LÄ 1, 655ff. 24 Vgl. KEEL/UEHLINGER, a.a.O., 282ff., bes. 288ff.

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Quelle allen Lebens (Ps 36,10 u.a.; s.u. Anm. 36); dabei kommt der diesen Mächten entgegengesetzte Pol von Tod und Chaos kaum zur Darstellung! Und bezüglich der inhaltlichen Füllung dominieren bereits auf den ersten Blick die Elemente von Schutz und Wohlergehen.

2. Eine Konkretion: Prov 3 Die umrissene Idealvorstellung soll nun anhand eines atl. Mustertextes konkretisiert und präzisiert werden: Sie tritt repräsentativ in zwei Weisheitssprüchen aus Prov 3 in Erscheinung: V.2 mahnt dazu, Tora und Gebote (des Weisheitslehrers) zu halten, ~yYIx; tAnv.W ~ymiy" %r,ao yKi %l' WpysiAy ~Alv'w>

3,2

denn Länge der Tage und Jahre des Lebens und Wohlergehen (Frieden) mehren sie dir.

Und V.16f preist die Weisheit selbst: Hn"ymiyBi ~ymiy" %r,ao dAbk'w> rv,[o Hl'wamof.Bi ~[;nO-yker>d; h'yk,r'D> ~Alv' h'yt,Abytin>-lk'w>

3,16 17

Länge der Tage ist in ihrer Rechten, in ihrer Linken Reichtum und Ehre. Ihre Wege sind Wege der Wonne, und alle ihre Pfade Wohlergehen (Frieden).

Dass solche und zahlreiche ähnliche Aussagen vorab in der Weisheitsliteratur geballt auftreten, überrascht nicht, ist doch weisheitliches Denken – primär Ausdruck der (privaten) Religion des Einzelnen25 – genuin mit der Lebensbewältigung und der Frage nach gelingendem Leben im Rahmen der (göttlichen) Ordnung der Welt befasst. Prov 3 mit den angeführten Logien entstammt dem jüngsten Teil des Proverbienbuchs (1–9) aus hellenistischer Zeit26 und eröffnet mit der Erörterung des Gottesverhältnisses materialiter die Ausführung des ›Lehrprogramms‹ der Weisheit27. Dieser späte Kontext ist zweifellos dafür verantwortlich, dass nach unseren Versen prosperierendes Leben de-

25

Vgl. dazu knapp ALBERTZ, Religionsgeschichte, 561ff, der dementsprechend Prov 1–9 (und Hi) als private Oberschichttheologie bestimmt. Diese Affinität zeigt sich bei unserem Thema auch im weiteren Verlauf (s.u. IV.), deckt sich aber in der klassischen Ausformung wohl wesentlich mit ›offizielleren‹ Bereichen höfisch-staatlicher Weisheit. 26 S. dazu u. 9. II. mit Anm. 6f; 9. III. 2. mit Anm. 61ff. 27 So überzeugend MEINHOLD, ZBK 16, 72.46; SCOTT, AncB 18, 46; im Grundsatz zustimmend auch BAUMANN, Weisheitsgestalt, 251ff: 254.257; kritisch wertet hingegen der Forschungsüberblick von MÜLLER, Weisheit, 268ff (s. aber 275). Die verschiedenen Gliederungsvorschläge von Prov 3 (vgl. SCHÄFER, Poesie, 76ff; MÜLLER, a.a.O., 151ff) kommen darin überein, dass V.1f die Einleitung darstellt und V.2 sachlich eng mit V.16f verwandt ist (wobei V.16f »die ›zentralen‹, d.h. mittleren Verse des Abschnitts« V.13–20 bilden [BAUMANN, a.a.O., 238]); diese Fragen tragen indes für unser Thema wenig aus.

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

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zidiert von Tora und Geboten – mithin von der Gottesfurcht – abhängig ist (V.2) bzw. der Weisheit selbst zugeschrieben wird (V.16f). Hier konkretisiert sich die für das Proverbienbuch kompositionell und inhaltlich programmatische Maxime von der Gottesfurcht als Anfang der Weisheit (1,1–7)28. Umgekehrt weist die Substanz der beiden Worte sicherlich ein ungleich höheres Alter auf und repräsentiert die klassische Ausformung des Lebensverständnisses eisenzeitlicher Religion in Syrien-Palästina, wie sich im Folgenden aus den inhaltlichen Aspekten ergeben wird. (Literarhistorisch weist m.E. auch die kontextuelle Einbindung von V.16f in diese Richtung: Die Zuordnung von Weisheit und materiellem Wohlergehen steht im Kontrast zur Entgegensetzung beider bzw. zur Überbietung des letzteren durch die erstere in V.14f29. Doch können eingehendere Erörterungen zur Textentstehung, welche die eigentümlichen Gegebenheiten von Prov einzubeziehen hätten, an dieser Stelle auf sich beruhen.)

Drei Aspekte gilt es besonders hervorzuheben: (1) Die literarisch junge Formulierung von Prov 3 mit den vermittelnden Zwischengliedern Tora, Weisheit und Gottesfurcht fußt auf dem klassischen Lebensverständnis mit seinem Gottesbezug; diesen bringen im konkreten Fall V.5–12 prominent zum Ausdruck, wenn sie umfassend das Gottesverhältnis umschreiben. Entscheidend bleibt somit – auch in der Spätzeit – die Bindung des (gelingenden) Lebens an Jhwh30. Sie hält sich seit früher Zeit durch, wie nicht nur die erwähnten Primärzeugnisse belegen, sondern auch zahlreiche loci classici der Lebensthematik31: Immer ist es Jhwh, der Leben gibt, es be28 Vgl. die Inklusion des Prologs durch V.2/V.7 (t[;d;/t[;D' und rs'WmW hm'k.x'). Das Motto 1,7 – nach breitem Konsens redaktionell (vgl. bes. SCHÄFER, a.a.O., 255ff; BAUMANN, a.a.O., 251ff; komplizierter MÜLLER, a.a.O., 297ff.321) – rahmt ja zudem mit 9,10 den ersten, wesentlich vom Gegensatz zwischen Leben und Tod geprägten Buchteil (s. BOORER, Life, 189ff) und verleiht ihm dadurch mit sein Gepräge (so etwa SCOTT, a.a.O., 15; PLÖGER, BK 17, 13; MEINHOLD, a.a.O., 50f; BAUMANN, a.a.O., 226.255f.259; SCHÄFER, a.a.O., 19f). Exemplarisch wird die Konkretisierung der Weisheit etwa von Prov 10,27 bestätigt, wonach die Gottesfurcht ebenfalls des Lebens Tage und Jahre verlängert (tAnv.W ~ymiy" @ysiAT hw"hy> ta;r>yI). 29 Dies ist m.W. allerdings in der Forschung bisher nicht berücksichtigt worden (vgl. die Anm. 27f genannte Lit. z.St.). 30 Dies erfolgt eben durch Weisheitsgestalt bzw. Tora/Gebote und Gottesfurcht (vgl. RINGGREN/ZIMMERLI, ATD 16/1, 20 [RINGGREN]; s. weiter ausgreifend OBERFORCHER, Verheißung). MEINHOLD, ZBK 16, 51 summiert zutreffend: »Auf der Grundlage der JHWH-Furcht befindet sich der Weise in der richtigen Beziehung zu Gott, dem Menschen und der sonstigen Schöpfung«. 31 Ohne nähere theologiegeschichtliche Einordnungen diskutieren zu können sei neben dem Dtn (s.o. Anm. 4) auf Prov 21,21; Ex 20,12 und den Ausdruck ›Gott des Lebens‹ (s.u. Anm. 36) verwiesen. Hierher gehören auch Schöpfungstexte mit Aussagen, wie sie Ps 104,27ff; Hi 33,4; 34,14f oder urgeschichtlich Gen 2,7; 6,3.17; 7,15.22 machen: Sie beziehen sich auf das diesseitige Leben (von Mensch und Tier) und stellen die radikale Abhängigkeit des Lebens von Jhwhs Atem (hw"hy> x;Wr) heraus. Vgl. umgekehrt

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Jhwh und das Leben/der Tod

wahrt und in seiner ganzen Fülle und Vielfalt fördert; Gott und Leben ›gehören zuhaufe‹32. Dies gilt im polytheistischen Horizont in beide Richtungen: Nicht nur gehört Jhwh auf die Seite des Lebens, sondern umgekehrt kommt auch das Leben auf die Seite Jhwhs und nicht anderer Götter zu stehen33. Typisch für die (spätere) Weisheit ist an unseren Stellen, dass durch die Einführung der Zwischenglieder Tora, Weisheit und Gottesfurcht (richtiges und gelingendes) Leben prinzipiell als lernbar und damit – wenn auch bedingt – verfügbar und machbar erscheint. So formuliert es – dem Deuteronomismus nicht unähnlich – der Prolog in 1,2–6 programmatisch; im Blick auf unser Thema nennt V.4 am deutlichsten das Ziel der Sprüche: hm'r>[' ~yIat'p.li ttel': »den Unerfahrenen (Lebens-)Klugheit zu geben«34. Die Lernbarkeit gelingenden Lebens bildet den Hintergrund aller Lehrreden der Frau Weisheit in Prov 1– 9, wiewohl seit je und zumal in dieser späteren Zeit offenkundig ist, dass die Empirie dies nur teilweise bestätigt. Dennoch halten die Prov an diesem Anspruch dezidiert fest, mögen sie auch durch den (jetzt vermittelten) Gottesbezug und generell den dynamischen, an Jhwh gebundenen 35 Konnex von Tun und Ergehen ein Bewusstsein um die Grenzen der eigenen Möglichkeiten signalisieren.

(2) Derart bestätigt sich durchwegs die eingangs erwähnte, axiologische wie theologische Asymmetrie von Leben und Tod; der Tod wird nicht nur negativ bewertet, sondern er steht in einem diametralen und hier noch weitgehend ›beziehungslosen‹ Gegensatz zu Jhwh. Der »Gott des Lebens« (~yYIx; ~yhil{a/)36 ist ›verhältnislos‹ zum Tod und besitzt in dessen Machtbeauch die Aussagen zur Trennung von Todesbereich und Jhwh, bes. Ps 6,6; 30,10; 88,11ff; 115,17 (s.u. Anm. 164). Wohl bereits jünger und Jhwhs Zuständigkeit schon ausweitend sind 1Sam 2,6; Dtn 32,39; 2Kön 5,7, vollends Ps 49,15f; 73,24ff u.a. (s.u. VIII. 1.). 32 Wie man im Anschluss an LUTHER formulieren kann (vgl. BSLK, 560). D.h.: »Gott ist Leben und Lebensspender. Er ist der positive Pol, der dem negativen Pol Tod gegenübersteht« (TALMON, Wertung 51), und der »Tod bedeutet das Ausscheiden aus dem göttlichen Lebensbereich; im Tod endet mit dem Gotteslob auch die Gottesbeziehung« (so summarisch LIESS, Weg, 293). 33 Vgl. etwa Am 5,4–6.14f (dazu JEREMIAS, Tod, bes. 224ff) oder Hos 6,1f(f) (dazu JEREMIAS, ATD 24/1, 84ff). 34 Zur Übersetzung vgl. die Komm. Zu beachten ist die Parallelität von ~yIat'p./r[;n: und von hm'r>['/hM'zIm.W t[;D;, was m.E. die Deutung als ›(Lebens-)Erfahrung‹ und ›lebenspraktische Klugheit‹ nahelegt. 35 Dies ist spätestens seit KOCH, Vergeltungsdogma allseits anerkannt (s. LEUENBERGER, Segen, 431 Anm. 955). 36 Dtn 5,26; 1Sam 17,26.36; Jer 10,10; 23,36; vgl. yx; lae Jos 3,10; Hos 2,1; Ps 42,3; 84,3, yx; ~yhil{a/ 2Kön 19,4.16 par Jes 37,4.17 und aram. aY"x; ah'l'a/ Dan 6,21.27. Als Gott des Lebens ist Jhwh auch der lebendige, d.h. lebensschaffende Gott (vgl. dazu BARTH, Errettung, 30ff; DIETRICH/LINK, Seiten 2, 160; STRAUß, Tod, 38 und umfassend KREUZER, Gott).

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

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reich keinen Ort, geschweige denn Einfluss37: Die »Macht des Gottes Israels endet« »an den Pforten der Unterwelt« 38. Insofern bildet der Tod in dieser klassischen Sicht, die Jhwh und Leben zusammenschweißt, eine Leerstelle im Horizont des (privaten wie offiziellen) Jhwh-Glaubens. Sie wird innerhalb des ›polytheistischen‹ religiösen Symbolsystems des eisenzeitlichen Syrien-Palästina von Gottheiten neben Jhwh abgedeckt und beherrscht39. Insofern widerspiegelt diese klassische Grundkonstellation von Leben und Tod – auf der menschlichen wie der göttlichen Ebene – die konzeptionelle Leitdifferenz von Kosmos und Chaos40.

37

Selbst wenn er den Tod zulässt respektive später gar bewirkt (1Sam 2,6 usf. [s.o. Anm. 31]); wie erwähnt zeigen sich hier jedoch Verschiebungen (vgl. dazu die älteren Abrisse von V. RAD, Theologie 1, 288ff.399ff.417ff; DERS., Theologie 2, 371f; DERS./ BERTRAM/BULTMANN, ThWNT 2, 849 [V. RAD]; WOLFF, Anthropologie, 162ff; SCHMIDT, Glaube, 417ff; und jetzt überzeugend die kritischen Modifikationen bei LIESS, Weg, 294ff – die sich freilich [allzu] stark an LANG [vgl. knapp NBL 2, 599ff] anlehnt; s.a. im Folgenden). 38 DIETRICH/VOLLENWEIDER, TRE 33, 585; summarisch auch ZEVIT, Religions, 664. 39 Vgl. LIESS, a.a.O., 297 Anm. 27 (Lit.); JANOWSKI, a.a.O., 29; zurückhaltend hingegen GERLEMANN, THAT 1, 896. Im Vordergrund steht der Todesgott Mot (mwt), der aus der ugaritischen Mythologie bekannt ist (s. nur TUAT 3/6, 1091ff [DIETRICH/LORETZ]); dabei betont ZENGER, Todesbilder, 65; DERS., Monotheismus, 36f mit Recht, dass sich eine kultische Verehrung Mots bisher nicht nachweisen lässt. Im Anschluss an die ugaritischen Texte wird auch im AT diskutiert, wie stark ein solcher Unterweltsgott in Ps 18,5f; 49,15; 116,3; Prov 13,14; Jer 9,20; Hos 13,14; Hab 2,5 u.a. präsent ist (vgl. SCHMID, RGG3 6, 912; DIETRICH/VOLLENWEIDER, a.a.O., 589f; RINGGREN/ILLMAN/FABRY, ThWAT 4, 768 [ILLMAN]); vor dem mythologischen Hintergrund eines Götterkampfes lässt sich auch die beliebte Rede von der Verhältnis- bzw. Beziehungslosigkeit Jhwhs zum Tod(esbereich) präzisieren, denn Jhwh hat ja offenbar durchaus ein – antagonistisches – Verhältnis zum Tod(esbereich), über den er zwar keine Macht ausübt, den er aber von der gesicherten Lebenssphäre fernhält (was auch gilt, wenn im AT der Kampf gegen das Chaos immer schon entschieden sein sollte). Im Weiteren sei auf die vielfältigen Aspekte von Totenkult, Ahnenverehrung und Unterwelt verwiesen, wo ständig mit göttlichen Mächten operiert wird (s. BIEBERSTEIN, Umgang, 8f; LIESS, a.a.O., 301; SCHMIDT, Dead). Freilich bleibt zu beachten, dass damit unterschiedliche Ebenen des religiösen Symbolsystems miteinander verglichen werden (s. WEIPPERT, Synkretismus; HARTENSTEIN, VF 2003, 4ff), wenngleich mit Interaktionen zu rechnen ist; dazu wären genauere Untersuchungen zu Sitz im Leben und Funktion der jeweiligen Quellen erforderlich. 40 Vgl. dazu methodisch STOLZ, Weltbilder, 9ff; DERS., Grundzüge, 229ff; DERS., Unterscheidungen, bes. 15f; inhaltlich DERS., Monotheismus, 114ff; BAUKS, Chaos und das Material bei KEEL/UEHLINGER, Göttinnen, 123ff; exemplarisch etwa zu den Jhwh-KönigPsalmen LEUENBERGER, Konzeptionen, 51f.223ff und passim.

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Jhwh und das Leben/der Tod

(3) Inhaltlich sind in Prov 3 die Lebensdauer (V. 2.16) und das umfassende, aber vorrangig durchaus materielle Wohlergehen (V.2.16f) bestimmend: Gutes Leben zeichnet sich durch eine bestimmte Lebensdauer aus, wie betont wird. Denn angesichts der damaligen durchschnittlichen Lebenserwartung von nicht einmal drei Dezennien ist der vor- und unzeitige Tod eher die Regel als die Ausnahme (s.o.). Das Wohlergehen, das hier als Inbegriff gelingenden Lebens gilt, umfasst einerseits ganz materielle Elemente wie Reichtum und Ehre (V.16)41 sowie vieles mehr, was hier nicht angeführt wird (etwa Fruchtbarkeit, Gesundheit, Land und Besitz), andererseits auch geistige Güter wie Freude (V.17) usf. Darüber hinaus bezeichnet der verwendete Begriff ~Alv': »Wohlergehen/Friede« umfassend »die Qualität eines ganzen, unversehrten, vollen und heilen Lebens«42 in all seinen vielfältigen Aspekten. In einer kurzen Zwischenbilanz lässt sich festhalten: Anhand von Prov 3 kann die für die israelitisch-judäische Religion der frühen und mittleren Königszeit (Eisenzeit II) typische und insofern klassische Ausformung der Grundkonstellation von Leben und Tod in drei Hinsichten profiliert werden. (1) Leben, zumal gelingendes Leben, hängt ganz von Jhwh ab; es wird von der Jhwh-Bindung bestimmt. (2) Das von Jhwh abhängige Leben spielt sich im Diesseits ab und ist deshalb – in Prov 3 implizit zu erschließen – dem Tod und aller Lebensminderung diametral entgegengesetzt, sodass zwischen Leben (bzw. Jhwh) und Tod nicht nur ein fundamentaler Gegensatz, sondern nachgerade eine elementare Asymmetrie besteht. (3) Erstrebt wird nicht die nackte Existenz, sondern eine ›sättigende‹ Lebensdauer, die sich durch umfassendes Wohlergehen: durch Prosperität und Vitalität im Diesseits auszeichnet. Von diesen drei Zügen gilt pauschal: »Das alles stimmt mit allgemeiner israelitischer Anschauung gut überein«43. Es handelt sich um Gemeinsamkeiten, die sich im AT weithin durchhalten und als atl. Rahmenvorstellung der Leben-Tod-Grundkonstellation gelten können (s.u. IX.).

41 So auch 8,18; 22,4 (mit ~yYIx;); die Attribute, die sonst nur Königen zukommen (vgl. BAUMANN, Weisheitsgestalt, 102ff), werden hier demotisiert bzw. präziser sapientialisiert und jedem zugesagt, der sich an die Weisheit hält. 42 MEINHOLD, ZBK 16, 73; ebenso konsensuell etwa MURPHY, WBC 22, 20f; FUHS, NEB 35, 35; V. RAD/BERTRAM/BULTMANN, ThWNT 2, 844 (V. RAD); GERLEMANN, THAT 1, 551; RINGGREN, ThWAT 2, 884f; TALMON, Wertung, 55.59; SEEBASS, TRE 20, 521f; PREUSS, Theologie 2, 155f; LIESS/ZUMSTEIN, RGG4 5, 135 (LIESS); LIESS, Weg, 295; SCHMID, Leben, 154ff. 43 So RINGGREN/ZIMMERLI, ATD 16/1, 20 (RINGGREN) für Prov 3,1f.

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

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II. Eine grundsätzliche Problematisierung: Der vorzeitige Tod Die Realisierung des erstrebten Lebensideals war, wie bereits angedeutet, alles andere als der Regelfall; sie wurde vielmehr durch allgegenwärtige Gefährdungen und Minderungen bedroht und beeinträchtigt. Diese rücken – vor dem Hintergrund der (hier nicht eigens zu verhandelnden) dezidierten Diesseitsorientierung der israelitischen Religion(en) 44 – das Problem des vorzeitigen Todes scharf in den Vordergrund: »Nicht der Tod am Ende eines erfüllten Lebens, wohl aber der vorzeitige Tod bedeutet ein Problem« im alten Israel45, und man kann ergänzen: Im Problem des vorzeitigen Todes erreicht die Thematik von Leben und Tod quantitativ und qualitativ ihre schärfste Zuspitzung. Diese Einschätzung lässt sich zunächst in zwei Schritten – einer Annäherung an die Vorzeitigkeit und einer Überlegung zum Problemcharakter – untermauern (II. 1–2.), bevor wiederum Textbeispiele Konkretionen ermöglichen (II. 3.). Darüber hinaus wird sich aber auch in späteren Epochen auf Schritt und Tritt erweisen, dass das Problem des vorzeitigen Todes höchst virulent bleibt: Es bildet ein prominentes Segment der altisraelitischen Lebens- und Todesthematik während des gesamten hier im Blick stehenden Zeitraums. 1. Der vorzeitige Tod Was ist mit ›vorzeitigem Tod‹ gemeint? Ohne hier anhand der Texte eine Phänomenologie des vorzeitigen Todes bieten zu können46, ist nach dem Ausgeführten deutlich, dass sich die Rede vom vorzeitigen, verfrühten oder unzeitigen Tod grundsätzlich von der Vorstellung des Todes zur rechten Zeit ableitet, atl. gesprochen eben: »alt und lebenssatt«. Vorausgesetzt ist also, dass dem menschlichen Leben eine bestimmte Lebenszeit und qualität zukommt bzw. zukommen sollte – wobei im alten Israel selbstverständlich beides von Jhwh, dem Gott des Lebens (s.o. Anm. 36), festgesetzt wird. Die Vorzeitigkeit umfasst nach den obigen Bemerkungen zur Wendung »alt und lebenssatt« eine quantitative und eine qualitative Dimension: Der vorzeitige Tod manifestiert sich nicht nur (quantitativ) im verfrühten biologischen Tod, der irreversibel ist, sondern auch (qualitativ) in der unzeitigen und als metaphorischer Tod erfahrenen Lebensminde44

S. dazu u. 4. III. 3. mit Anm. 59. DIETRICH/VOLLENWEIDER, a.a.O., 582. 46 Sie ließe sich etwa thematisch oder – einfacher – biblisch-kanonisch zusammenstellen, beginnend bei Gen 2f (Androhung des sofortigen Fluchtods  Eintritt der [verzögerten] menschlichen Sterblichkeit), Gen 4 (Mord) usf. 45

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Jhwh und das Leben/der Tod

rung, die reversibel ist und eine diesseitige Rückkehr ins Leben ermöglicht bzw. erhoffen und erbitten lässt47. Im Blick auf die sich hier manifestierende Todesmetaphorik48 hat sich in der Forschung seit dem Standardwerk von Christoph Barth die Einsicht durchgesetzt, dass der vorab in den Klage- und Dankpsalmen des Einzelnen (KE/DE), aber etwa auch in Hi und in mesopotamischen (Gebets-)Texten verhandelte Einbruch des Todes mitten ins Leben metaphorisch im qualifizierten Sinne des Wortes die Lage des Beters/Betroffenen beschreibt49. Im Unterschied zum biologischen Tod kann man diesen metaphorischen Tod – mit Vorbehalten – als sozialen Tod bezeichnen50; entscheidend ist jedoch, dass der mitten im Leben erfahrene Tod das Leben selbst in seiner Vitalität, Prosperität und Sozialität ›tötet‹, d.h. auf beziehungs- und lebloses Existieren und (Dahin)vegetieren reduziert51. Es liegt demnach – im Unterschied zu einem rein biologisch-statischen Modell – ein ›dynamisches‹ Lebens- und Todesverständnis vor52, das durch die asymmetrische Spannung von Leben und Tod konstituiert wird und das Leben und Tod vom quantitativ wie qualitativ gefassten Grad an Lebendigkeit her bestimmt; ihm eignet entsprechend auch ein spezifisches dynamisches Raum- und Zeitverständnis53. Erst auf dieser Basis wird die Reversibilität (›Errettung‹ u.ä.) als Pointe der klagenden, bittenden und dankenden Aus-

47 Anders als in Ägypten, wo häufig eine jenseitige ›Lösung‹, d.h. eine Errettung aus dem Tod ins jenseitige Leben, erhofft wird, zielen die atl. KE/DE auf eine diesseitige Errettung ab (vgl. nur JANOWSKI, Konfliktgespräche, 258ff [Lit.]). 48 Vgl. zum Wortfeld umfassend KRIEG, Todesbilder, 148ff; knapp BARTH, a.a.O., 87ff; PODELLA, Grundzüge, 77ff; BERLEJUNG, Tod, 473ff; DE VOS, Klage, 96f; FISCHER, Tod, 131ff; JANOWSKI, a.a.O., 250ff; LIESS, Weg, 211ff.323 (Lit.). 49 Vgl. klassisch BARTH, a.a.O., der – gegenüber dem älteren ›nur‹ bildhaften Verständnis im abqualifizierenden Sinn – vom »wirklichen, wenn auch nur ›partiellen‹ Aufenthalt im Totenreich« spricht (94); vgl. neuerdings STRAUß, Tod, 43f und v.a. LIESS, a.a.O., 4ff.161ff (Lit.), die mit Gewinn neuere Metaphertheorien rezipiert. 50 So etwa HASENFRATZ, Tod, 223 und im AT bezeichnet SCHROER, Liebe, 3 den Tod nicht als »medizinisches«, sondern als »komplexes soziales Ereignis und Phänomen«. Dabei besteht jedoch insofern die Gefahr einer Engführung, als der Tod einerseits nur die Relation ›Jhwh – Beter‹ oder ›Jhwh – Beter – Krankheit‹ betreffen kann (und sich nur indirekt bzw. im Endeffekt sozial auswirkt); und andererseits bewirkt der Tod nicht nur sozial-gesellschaftlich eine Isolierung (bzw. einen Übergang in die Totengemeinschaft), sondern eben auch theologisch Gottesferne (s. dazu QUELL, Auffassung 31ff; klassisch WOLFF, Tod, 64ff; JÜNGEL, Tod, 98ff.138ff; neuerdings JANOWSKI, Toten 29f; LIESS, a.a.O., 299f u.ö.). 51 Vgl. SEEBASS, TRE 20, 521f; RINGGREN, ThWAT 2, 879.884ff; für Ägypten ASSMANN, Mensch, 18f. 52 S. dazu bereits WOLFF, Anthropologie, 26ff; LEUENBERGER, Segen, 474 mit Anm. 10 (Lit.). 53 Vgl. JANOWSKI, Konfliktgespräche, 250ff; LIESS, Weg, 328ff; DIES., RGG4 8, 430. Der sich bis mitten in den Lebensbereich hinein erstreckenden Totenwelt entspricht ein Zeitverständnis, das die Reversibilität des vorzeitigen Todes mitten im Leben ermöglicht.

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

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einandersetzung mit dem vorzeitigen Tod möglich (während im Fall des vorzeitigen biologischen Todes lediglich die [An]klage als Möglichkeit verbleibt)54.

Der so verstandene quantitative wie qualitative Tod kann durch drei knappe Präzisierungen schärfer profiliert werden: – Es geht im alten Israel stets um den vorzeitigen Tod des Menschen, wogegen das nicht-menschliche Leben diesbezüglich kein Thema bildet. – Der vorzeitige Tod betrifft nicht bzw. nur sehr eingeschränkt die generelle Sterblichkeit und Vergänglichkeit des Menschen. Diese ist im eisenzeitlichen Israel – wohl in gewisser Differenz zu Mesopotamien – in der Regel akzeptiert und nicht anstößig (s.o. I. 1. mit Anm. 19), sofern eben das befristete Leben einigermaßen gelingt. Vielmehr scheint die Vergänglichkeit als solche erst später und in spezifischen historischen Situationen kritisch thematisiert und problematisiert zu werden (s.u. VI.). – Sodann sei aus heutiger Perspektive ergänzt, dass im alten Israel nur der vorzeitige Tod problematisiert wird. Dagegen stellt sich das Problem des zu späten Todes, das hierzulande in der gegenwärtigen Geriatrie und Gerontologie zunehmend virulent wird, noch nicht, was sich angesichts der veränderten, ungleich bedrohlicheren Lebensumstände damals von selbst versteht. 2. Der vorzeitige Tod als Problem In den einschlägigen Texten aus dem alten Israel wird der vorzeitige Tod durchgehend nicht einfach neutral thematisiert, beschrieben oder berichtet, sondern stets als Problem präsentiert 55 : Anders als die Sterblichkeit des Menschen erregt der vorzeitige Tod immer Anstoß. Denn wenn dem Menschen von Jhwh eine bestimmte Lebensfrist zugemessen ist, muss der vorzeitige (sei es der biologische, sei es der metaphorische) Tod ›erklärt‹ und bewältigt werden. Wie sich an den Texten noch zeigen wird, stellt im alten Israel daher das Problem des vorzeitigen Todes die schärfste Zuspitzung der Todesthematik dar: Hier schiebt sich mit Gerhard von Rad die »Domä-

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Durchbrochen bzw. überwunden wird diese Konstellation dann erst in jüngeren Modellen, die – auf unterschiedliche Weise – eine vom menschlichen Ergehen unabhängige Gottesrelation entfalten, wie es Ps 63 (s.u. VII.), die Hiob-Rahmenerzählung (s. LEUENBERGER, Segen, 418ff) oder die Psalterdoxologien (s.u. Kap. 5.) tun. 55 So mit LIESS, Weg, 2; DIES., RGG4 8, 430; s.a. KELLERMANN, Überwindung, 259f; RICHARDS, ABD 2, 109; JANOWSKI, Konfliktgespräche, 229; BERLEJUNG, Unterwelt, 2.

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Jhwh und das Leben/der Tod

ne des Todes« am weitesten und unerhört »tief in den Bereich des Lebens« vor56. Der Problemcharakter des vorzeitigen Todes zeigt sich näherhin an den folgenden Befunden: (1) Wie angedeutet wird im AT der biologische und der metaphorische Tod vor der Zeit nie nur als Selbstverständlichkeit erzählt oder mitgeteilt, sondern besitzt Erklärungsbedarf57: Er wird beklagt oder es wird seine Abwendung erbittet bzw. im Rückblick dafür gedankt58. Mit dem vorzeitigen Tod kann man sich nicht einfach arrangieren, mit ihm wird vielmehr in unterschiedlichen Sprachmodi intensiv gerungen. (2) Dementsprechend wird der vorzeitige Tod im alten Israel fast ausnahmslos negativ bewertet 59 , sodass man axiologisch angemessen vom

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V. RAD, Theologie 1, 400. Das gilt ähnlich auch für Mesopotamien (s. SCHWEMER, Tod). – Zum Verlust der Selbstverständlichkeit als Indikator eines Problembewusstseins vgl. SCHELLENBERG, Erkenntnis, 2ff.30ff. 58 S. zu den KE/DE u. II. 3. c. – Die ausnahmsweise Reversibilität des vorzeitigen biologischen Todes, der ebenso problematisch ist wie der metaphorische, veranschaulichen die beiden atl. Erweckungsgeschichten in 1Kön 17,17ff; 2Kön 4,18ff, bei denen allzu früh verstorbene junge Menschen (für eine bestimmte Zeit) ins diesseitige Leben zurückgeholt werden (s.a. 2Kön 13,20f). Gerade hier verdeutlicht sich nochmals die Differenz zwischen vorzeitigem und ›normalem‹ Tod. Von den Primärtexten ist in diesem Zusammenhang v.a. die Grabinschrift Ešmun azars von Sidon aus dem 5. Jh. v. Chr. zu erwähnen, die im Ich-Stil den vorzeitigen Tod beklagt, ohne aber eine Ursache anzuführen: k nk nn ngzlt bl ty bn ms/k jmm: »Ja, ich Bedauernswerter bin dahingerafft worden nicht zu (=vor) meiner Zeit, ein Sohn einer Zahl von Tagen« (Z.12f, s. Z.2f, vgl. KAI 1, 3; KAI 2, 19ff; JAROŠ, Inschriften, 139ff; WEIPPERT, Textbuch, 473f). 59 Vgl. nur WOLFF, Anthropologie, 170 mit Verweis auf QUELL, Auffassung, 37. S.o. Anm. 3. Dies verschärft sich noch im Spezialfall des leidenden Gerechten Hiob im Dialogteil, der den metaphorischen Tod gestorben ist und wiederholt nicht (mehr) um Rettung bittet, sondern den biologischen Tod herbeiwünscht (s. bes. Kap. 29–31: 30,19.23) bzw. noch drastischer den Tag seiner Geburt, mit dem sein Leben allererst begann, verflucht (z.B. Hi 3,11ff.20ff; 6,8–10; 10,18): Der vorzeitige Tod wird zwar negativ beurteilt, aber völlig unerträglich ist das aussichtslose Auseinanderklaffen von metaphorischem Tod und biologischem Leben (zur Rahmenerzählung s.o. Anm. 54). Eine ähnliche Konstellation präsentiert sich bei Jeremia, der aufgrund seines ›(unheils)prophetischen Amtes‹ angefeindet und insofern sozial getötet wird (s. seine ›Konfessionen‹ Jer 11,18ff; 12,1ff; 15,10ff; 17,12ff; 18,18ff; 20,7ff sowie 20,14ff; generalisierend formuliert dies dann Sir 41,2, wo – antithetisch zur Klage über die Bitterkeit des Todes für den Glücklichen – gepriesen wird: »O Tod, wie gut ist dein Entscheid für einen 57

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

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bösen Tod sprechen kann. Das gilt selbst für Ps 63,4, die Hiob-Rahmenerzählung und die Psalterdoxologien, auch wenn dort prinzipielle – allerdings indirekte – Relativierungen in den Blick kommen (s. die Hinweise o. Anm. 54). Und noch bei der Entwicklung von (unterschiedlichen) Hoffnungen über den Tod hinaus, spielt der vorzeitige Tod (Gerechter) einer treibende Rolle (s.u. VIII.). Eine direkte und grundsätzliche Relativierung des vorzeitigen Todes – abermals von einer jenseitigen Unsterblichkeitsvorstellung her! – lässt sich im (spät)israelitischen Horizont abgesehen von den makkabäerzeitlich aufkommenden Martyriumsvorstellungen erst nach der Zeitenwende greifen, insbesondere in der Weisheit Salomos (s.u. VIII. 6.). Dass die negative Bewertung des vorzeitigen Todes insgesamt so radikal ausfällt, hängt natürlich mit der erwähnten Diesseitigkeit der israelitischen Religion zusammen. Erst dort, wo sich das Gesamtgefüge des religiösen Symbolsystems verändert, kann – in seltenen Fällen – auch die Bewertung des vorzeitigen Todes wechseln. (3) In vielen einschlägigen Texten werden ›Ursachen‹ angeführt, die den vorzeitigen Tod herbeiführen und ihn insofern ›erklären‹. Endogen, d.h. im Beter/Betroffenen gründend, spielen oft Schuld und Sünde die entscheidende Rolle60; sie fungieren innerhalb des Tun-Ergehen-Zusammenhangs als hinreichende Erklärung, werden dann aber in späterer Zeit wiederholt strittig61. Wichtiger sind meist exogene Faktoren, die als von außen auf den Beter/Betroffenen einwirkend erfahren werden; sie können mit endogenen Ursachen kombiniert werden oder selbstständig auftreten. Die wichtigsten exogenen Faktoren für den vorzeitigen Tod stellen Krankheiten, kultische Verunreinigungen, Feinde im weitesten Sinn, Unfälle, Naturkatastrophen oder komplexe Notlagen dar. Zudem kann auch Jhwh selbst als impliziter oder expliziter Verursacher des vorzeitigen Todes in den Blick kommen; dabei zeichnet sich eine theologiegeschichtliche Entwicklung ab, die den in Notlagen immer angerufenen Jhwh mit der Zeit auch als expliziten Verursacher des vorzeitigen Todes benennt62. Hier ist voller Leid und ohne Kraft, für den, der strauchelt und überall anstößt, der hadert und ohne Hoffnung ist« (s. dazu a.u. VIII. 5. b). 60 Vgl. dazu die leicht zu vermehrende Zusammenstellung von Belegen in Ex 20,5; 1Sam 2,31f; 2Sam 12,15ff; Hi 4,7ff; 22,15f; 36,14; Ps 90,8f; s. Ez 18,31; 33,11; Qoh 7,17; s. weiter RINGGREN/ILLMAN/FABRY, ThWAT 4, 775f (ILLMAN). 61 S. z.B. Hi 31 und u. VIII. zu Qoh 3,16ff bzw. diesseitsbezogen zu Ps 49; 73. 62 So wird gegenüber älteren Konzepten, die mit einer zerstörerischen Todesmacht o.ä. arbeiten, explizit Jhwh als Herr über Leben und Tod (Dtn 32,39; 1Sam 2,6; 2Kön 5,7; Jes 45,6f) verantwortlich gemacht, wo etwa in 1Sam 2,31f; Jona 2,4ff; Thr 3,6; Ps

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Jhwh und das Leben/der Tod

dann »Jahwe selbst in die Funktion der Todesmacht eingetreten« 63 , wie sich noch genauer zeigen wird (s.u. V.). Als kurze Zwischenbilanz lässt sich also festhalten, dass im alten Israel der metaphorische und der biologische Tod des Menschen vor der Zeit durchgängig als Problem erscheint; es wird in verschiedenen Sprachmodi thematisiert, durchwegs negativ bewertet und auf verschiedene endogene und exogene Ursachen (inkl. Jhwh) zurückgeführt. Hier erfährt die Todesthematik – und zwar fast ausschließlich auf das Individuum und nicht das Kollektiv konzentriert – ihre schärfste Zuspitzung: Wenn mit Diedrich Westermann das »Leben zu erhalten, … das wirkliche Ziel allen religiösen Tuns« ist (s.o. Anm. 5), dann bedeutet der vorzeitige Tod das definitive religiöse Scheitern der menschlichen Existenz eines jeden Individuums. 3. Königszeitliche Ausgangspunkte im AT: Jhwhs Rettung aus dem chaotisch in die Lebenswelt einbrechenden vorzeitigen Tod Das gewonnene Problemverständnis lässt sich wiederum an atl. Texten konkretisieren, wobei bei den ältesten erkennbaren Problem-Konstellationen in den dafür aufschlussreichen KE/DE eingesetzt wird. In ›formgeschichtlicher‹ Hinsicht überrascht es wenig, dass das anthropologische und theologische Problem des vorzeitigen Todes des Individuums hauptsächlich im Einflussbereich weisheitlicher Weltsicht erörtert wird64. Angesichts der Problemkonstellation, bei der Jhwh, dem Gott des Lebens, bei der Abwendung bzw. Rückgängigmachung des vorzeitigen Todes eine Schlüsselrolle zukommt, finden sich die wichtigsten Befunde verständlicherweise in den an Jhwh adressierten KE/DE inner- und außerhalb des Psalters. Erst in späteren Phasen gewinnen dann auch weisheitliche Reflexionen (in Form von Gebeten, Reden, Mono- oder Dialogen u.ä.) erheblich an Gewicht (Prov, Thr, Hi, Qoh, Sir u.a.). Die folgenden Beispiele konzentrieren sich daher auf die KE/DE inner- und außerhalb des Psalters, die für die religions- und theologiegeschichtliche Entwicklung des Problems des vorzeitigen Todes im alten Israel m.E. am aufschlussreichsten sind65. 22,16 und bes. 88,7ff. S. zur Sekundarität dieser Vorstellung u. Anm. 150; ZENGER, Toten, 144f; s.a. WÄCHTER, ThWAT 7, 909f. LINK/DIETRICH, Allmacht, 148f.163 schreiben zumindest die Zulassung immer schon Jhwh zu. 63 PODELLA, Grundzüge, 74. 64 Natürlich kommt auch in den erzählenden und den prophetischen Büchern der vorzeitige Tod von Einzelnen oder Kollektiven zur Sprache, doch ist dort in aller Regel der Strafcharakter evident, sodass nicht eigentlich ein Problem vorliegt (s. zu den kollektiven Texten WÄCHTER, Tod, 128ff, die er ins Zentrum stellt, während die Individualtexte, zumal die KE/DE, am Rande bleiben [s. a.a.O., 168ff]). 65 Vgl. die ähnliche Fokussierung auf das Lebens- und Todesverständnis in den KE/DE des Psalters bei LIESS, Weg (s. dazu meine Rez. LEUENBERGER, OLZ 2007, 479ff).

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

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a) Religionsgeschichtliche Annäherung In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten ist eine Reihe religionsgeschichtlicher Untersuchungen zur Todesthematik im alten Israel entstanden, die auch hier zu den am besten erforschbaren und erforschten Kultursegmenten zählt; dabei stehen die Fragen nach Totenpflege/-kult, Bestattungskultur und Unterweltsvorstellungen im Vordergrund66. Entgegen dem vom AT vermittelten Gesamteindruck hat sich dabei herausgestellt, dass namentlich im Israel der frühen und mittleren Königszeit der Welt der Toten eine wichtige religiöse Bedeutung zukommt: In faktischer Umkehrung der älteren Forschung, die von einem »sakralen Vakuum der Todessphäre« in Israel sprach67, hat sich in jüngerer Zeit die Einsicht durchgesetzt, dass im eisenzeitlichen Israel nachgerade von »einer eigenen Sakralität des Totenreiches« auszugehen ist68. Die Totenwelt gilt zwar – wie sich auch aus dem AT rekonstruieren lässt – zunächst und noch relativ lange als von Jhwh getrennt und mithin als jhwhfern, keineswegs jedoch – um in diesen Kategorien zu bleiben – als profan; vielmehr stellt sie eine schattenhafte Gegenwelt mit einer eigenen Herrschafts-/Organisationsstruktur und wohl einem göttlichen Unterweltsherrscher69 dar, die für die Welt der Lebenden von wichtiger (familien)religiöser Bedeutung ist70. Dieser Befund lässt sich wahrscheinlich religionssoziologisch so erklären, dass die offizielle(n) Jhwh-Religion(en) der Königszeit (zunächst) relativ konfliktfrei mit familiären und lokalen Religionen koexistieren, die seit je für den Bereich des Todes und den Umgang damit zuständig sind71.

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S.dazu u. III.; vgl. die Bibliographie von Janowski bei BARTH, Errettung (1997), 165ff; seither v.a. DIETRICH/VOLLENWEIDER, TRE 33, 582ff; LIESS, Weg, 293ff; BIEBERSTEIN, Umgang, 6ff und die Beiträge bei BERLEJUNG/JANOWSKI, Tod. 67 So GESE, Tod, 42; ähnlich V. RAD, Glaubensaussagen, 251f oder WOLFF, Tod, 65 (»theologisches Vakuum«); DERS., Anthropologie, 155 (»Entmythisierung des Todes«). S. dazu kritisch LIESS, a.a.O., 300ff. 68 So LIESS, a.a.O., 296; ebenso bereits JANOWSKI, Toten, 30. 69 Zu nennen ist natürlich v.a. Mot (mwt), s.o. Anm. 39. – Zum Machtcharakter der Scheol s. summarisch etwa FISCHER, Tod, 137ff; HIEKE, Tod, 31ff. 70 Das belegen Bestattungswesen, Totenpflege/-kult, Nekromantie u.ä. in aller Deutlichkeit (vgl. dazu v.a. WENNING, Bestattungen; SPRONK, Afterlife; V.D.TOORN, Totenkult; TROPPER, Nekromantie; PODELLA, Nekromantie; SCHMIDT, Dead; BERLEJUNG, Religionsgeschichte, 77ff; KING/STAGER, Life, 363ff; s. jetzt die einschlägigen Beiträge in BERLEJUNG/JANOWSKI, Tod [bes. Schroer, Niehr, Kühn, Schmitt]). 71 So mit BERLEJUNG, Religionsgeschichte, 78; LIESS, Weg, 297 u.v.a. Die These, dass »in Israels Glaubensvorstellungen, weil ja nur JHWH als Gott verehrt wird …, die Unterwelt ohne Gott (ist)« (WÄCHTER, ThWAT 7, 908), stellt eine systematisierende

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Das derart grob skizzierte neue Rahmenmodell führt im Blick auf den vorzeitigen Tod zu zwei Überlegungsgängen: zu einem einleitenden Gedankenspiel und zu einer textbasierten Korrektur. b) Theologische Problemlosigkeit des vorzeitigen Todes und der Sterblichkeit in einem polytheistischen Kontext? Tentativ könnte man zunächst erwägen, ob vorzeitiger Tod und Sterblichkeit generell in diesem polytheistischen Kontext (noch) kein ›theologisches‹ Problem darstellen: Wenn nämlich in den (individuellen bzw. familiären) religiösen Symbolsystemen der für (viele) Fragen des Lebens zuständige Jhwh-Glaube mit der Vorstellung einer sakralen Todeswelt (mit eigenen Unterweltgottheiten) harmonisch verbunden ist, stellt der Tod zwar allenfalls ein lebenspraktisches, aber kein eigentlich theologisches Problem dar, und schon gar nicht eines des Jhwh-Glaubens: Jhwh, der Gott des Lebens, sorgt für die Lebenden – für die Toten in der Unterwelt sind andere Gottheit zuständig72. Der Tod bedeutet dann nichts anderes als den Übergang vom Leben in die sakrale Todessphäre – mit dem korrelierenden göttlichen Machtwechsel. Solange Jhwh keinen religiösen Exklusivanspruch erhebt – wie er dann ab der mittleren Königszeit in der Kompetenzausweitung Jhwhs in die und in der Unterwelt zu beobachten ist (s.u. IV.– VIII.) – stellt der Tod kein theologisches Problem dar, sondern wird durch die polytheistische Kompetenzaufteilung verschiedener Gottheiten theologisch ›gelöst‹73. Der vorzeitige Tod bezeichnet dann – aus welchen Gründen auch immer – einen verfrühten Übergang von der Welt der Lebenden in jene der Toten, der zwar bedauerlich, aber nicht eigentlich theologisch problematisch ist. Zur relativen Problemlosigkeit des (vorzeitigen) Todes könnte auch das kollektive Lebens- und Todesverständnis beitragen: Ist das Leben in den Sippen- oder Großfamilienverband eingebunden, der sowohl den Lebens- als auch den Todesbereich abdeckt, verliert der (vorzeitige) Tod viel von seinem anthropologischen bzw. soziologischen SchreRückprojektion aus späterer monotheistischer Zeit dar, die den religionsgeschichtlichen Befunden im eisenzeitlichen Israel nicht gerecht wird. 72 Insofern ist m.E. die gängig gewordene Unterscheidung von offizieller Jhwh-Religion und familiärer Frömmigkeit zu differenzieren: Jhwh spielte offensichtlich, wie nicht zuletzt zahlreiche eisenzeitliche Primärtexte belegen, auch in der Privatreligion eine wichtige, wenngleich natürlich nicht exklusive Rolle. 73 Diese etwas geglättet dargestellte Sicht basiert auf einer synthetischen religionsgeschichtlichen Rekonstruktion aufgrund der wenigen atl. Hinweise und der zahlreichen archäologischen Indizien, die hier nicht näher erläutert werden kann (s. dazu die Lit. in Anm. 69–71).

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cken74. Die andernorts entscheidende Frage: ›warum ich/NN, und warum schon jetzt?‹ stellt sich hier weniger drängend.

Soweit so denkbar. Widerspruch gegen eine solche Problemlosigkeit des (vorzeitigen) Todes löst aber erstens die geminderte Existenzweise im Jenseits aus, die keineswegs als (zumal möglichst rasch) erstrebenswert erscheint. Zweitens tritt im Fall des vorzeitigen Todes, der nach allem, was wir wissen, eher die Regel als die Ausnahme war, die ganze Anstößigkeit der Vorzeitigkeit hinzu. Ob der vorzeitige Tod theologisch einfach als beschleunigter Wechsel der Aufenthaltssphäre gedeutet werden kann, ist daher mehr als fraglich; jedenfalls spricht die religionsgeschichtliche Analogie der ägyptischen Klagen, die trotz ausgesprochen differenziert ausgebildeter Jenseitsvorstellungen nicht selten ist, dagegen 75 . Und v.a. spricht drittens, und das bildet methodisch wie sachlich das Hauptargument, auch die Quellenlage dagegen: Sieht man zunächst vom AT ab, so lässt sich aufgrund der (nur in den seltensten Fällen texthaften) Primärquellen schlicht kein hinreichend begründetes Urteil fällen76: Es muss offen bleiben, welcher lebenspraktische Umgang mit dem (vorzeitigen) Tod vorliegt. Ob, wie oft und in welcher Weise bei den direkt Betroffenen Todesangst vorherrschte und wie sie sich damit in religiöser Hinsicht auseinandersetzten, ist uns nicht bekannt. Immerhin kann angesichts der tiefen Lebenserwartung kein Zweifel darüber bestehen, dass der vorzeitige Tod in erschreckender Häufigkeit in die Welt der Lebenden einbrach. Deswegen legt es sich aus grundsätzlichen Überlegungen eher nahe, von einer Problematisierung des vorzeitigen Todes auszugehen, auch wenn die Hinterbliebenen einen (lebenspraktisch) hilfreichen Umgang fanden, indem sie eine ausdifferenzierte Bestattungskultur und Totenpflege entwickelten, durch die sie die Verstorbenen auf dem Weg in die Unterwelt ein Stück begleiteten und sich phasenweise von ihnen verabschiedeten77.

Zieht man daher, wie es geboten ist, auch die atl. Texte zur Rekonstruktion heran, weisen die Befunde ziemlich genau in die Gegenrichtung des oben Erwogenen, wie nun auszuführen ist.

74

Vgl. zum kollektiven Lebens- und Todesverständnis von Stammesreligionen die knappe Generalübersicht von SUNDERMEIER, TRE 20, 514ff. 75 Vgl. die Texte bei VAN’T VELD, klacht, 13ff; zudem etwa aus dem Neuen Reich die Votivstele mit dem Danklied des Neb-Re (BEYERLIN, Textbuch, 58ff). 76 Vgl. zum Quellenproblem etwa PODELLA, Totenrituale, 530. 77 Wie sich dies konkret abspielen konnte, beschreiben anschaulich WENNING, Bestattungen, 89ff; KING/STAGER, Life, 372ff; BERLEJUNG, Religionsgeschichte, 77ff.

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c) Älteste Problemkonstellationen des vorzeitigen Todes (Ps 18; 13; 30) Denn in einigen in den Psalter eingegangenen KE/DE finden sich vergleichsweise alte Konstellationen, die sich exakt in das skizzierte religionsgeschichtliche Rahmenmodell einfügen: Indem sie (a) sich im Rahmen der als Opposition von Leben und Tod exemplifizierten Kosmos-ChaosKonstellation bewegen, (b) sich in Klage/Bitte/Dank an Jhwh wenden und (c) diesseitige Restitution angesichts des eingetretenen metaphorischen und drohenden biologischen Todes zum Ziel haben, problematisieren sie den vorzeitigen Tod sowohl theologisch als auch lebenspraktisch. (1) In das beschriebene religionsgeschichtliche Rahmenmodell fügen sich die Texte ein, die von einem antagonistischen Gegenüber von Jhwh und Todeswelt sprechen. Bezeichnend ist etwa die Klage in Ps 18,4–7 mit dem chiastisch aufgebauten Kern V.5f: hw"hy> ar'q.a, lL'hum. [;veW"ai yb;y>ao-!miW tw l[;Y:lib. ylex]n:w> ynIWbb's. lAav. yleb.x, tw yliAq Alk'yheme [m;v.yI wyn"z>a'b. aAbT' wyn"p'l. yti['w>v;w>

18,4 5 6 7

»Gelobt!« rufe ich zu Jhwh, und vor meinen Feinden werde ich gerettet. Es umfingen mich die Fesseln des Todes, und die Bäche des Verderbens erschreckten mich. Die Fesseln der Unterwelt umgaben mich, es ereilten mich die Fallen des Todes. In meiner Not rufe ich zu Jhwh, und zu meinem Gott schreie ich. Er hört aus seinem Tempel meine Stimme, und mein Schreien vor ihm dringt an seine Ohren.

Der königliche Beter beschreibt hier im rückblickenden Klageteil des DE seine Notlage mit ausgesprochen starker und expliziter Todesmetaphorik. Die »mythischen Bilder[.]«78 der »Fesseln«79 und »Fallen des Todes« bringen die (sei es personale, sei es wirksphärenhafte) Macht des Todes zum Ausdruck, wie es auch in anderen profilierten Aussagen der »um die Errettung des Beters aus dem Tod« kreisenden KE/DE geschieht80. Der angefeindete Beter geriet lebendig in die Klauen von Tod und Chaos – er starb den vorzeitigen (metaphorischen) Tod, dessen Sphäre sich allzu früh dynamisch bis in die Lebenswelt ausdehnte. Dabei hat sich der Beter in sei-

78

So HOSSFELD/ZENGER, NEB 29, 126 (HOSSFELD). Die insgesamt abhängige Parallele in 2Sam 22 (s. dazu SEYBOLD, HAT 1/15, 80f; ADAM, Held, 48ff.191f) bietet alternativ twTi hw"hy> hm'l': »warum/wozu, Jhwh, verwirfst du meine Seele?« (V.15). Dazu passt, dass nicht vom Machtcharakter des Todes gesprochen wird; dies und das Fehlen von Feinden sowie weiteren Ursachen führt dazu, dass sich das Problem des vorzeitigen Todes auf ein bipolares Geschehen zwischen Jhwh und Beter reduziert. Im Hintergrund steht wahrscheinlich die erwähnte Jhwh-allein-Bewegung, die Jhwh zunehmend als den einzig relevanten Gott versteht und propagiert. Damit spitzt sich die Frage nach Jhwhs Relation zum Tod und dessen Bereich derart zu, dass nun für den Jhwh-Glauben tatsächlich ein religiöses Vakuum in der Todessphäre droht. Mit diesem Problemkomplex ringt der Mittelteil (V.10ab–13), der vom Ich des Beters zu den Toten generell und deren Verhältnis zu Jhwh überleitet: ~Ay-lk'B. hw"hy> ^ytiar'q. yP'k; ^yl,ae yTix.J;vi al,P,-hf,[]T; ~ytiMel;h] hl'S, ^WdAy WmWqy" ~yaip'r>-~ai ^D,s.x; rb,Q,B; rP;suy>h; !ADb;a]B' ^t.n"Wma/ ^a,l.Pi %v,xoB; [d;W"yIh];i hY"vin> #r,a,B. ^t.q'd>ciw>

88,10 ab–b 11 12 13

Ich habe dich angerufen, Jhwh, jeden Tag, ich habe meine Hände zu dir ausgebreitet. Tust du etwa für die Toten ein Wunder, oder stehen Totengeister auf loben dich? Sela. Wird etwa im Grab deine Gnade erzählt, deine Treue im Abgrund? Wird etwa in der Finsternis dein Wunder gewusst/bekannt gemacht und deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens?

161 Dies im Unterschied zu älteren Texten (s.o. Anm. 62), wie bes. JANOWSKI, a.a.O., 17f; DERS., Konfliktgespräche, 240ff unterstreicht: Der Beter hält sich (mit Recht) für unschuldig wie Hiob (s. z.B. Hi 16,7ff; 19,8ff; s. stärker differenzierend ZENGER, Todesbilder, 66 [Totenwelt und Gott als Verursacher]). 162 Mit JANOWSKI, Toten, 17f (Elemente der ›Tötung‹).26; GROSS, Feind, 167f (Stellen) u.a. Die Belege zu Jhwhs (exklusiver) Verursachung des vorzeitigen Todes (Verstoßung, Verwerfung usw.) für Individuum (z.B. Ps 22,2.16; 27,9; 34,16f; 38,2.22; 43,2; 51,13; 71,9ff; 102,24; Thr 3,6; Hi 13,24ff; Jona 2,5) und Kollektiv (z.B. Ps 44,10ff; 60,3ff.12; 74,1; 79,5ff; 80,5ff.19ff; Thr 3,42f) müssten form-, motiv- und theologiegeschichtlich genauer analysiert werden.

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Die allesamt zu verneinenden rhetorischen Fragen in V.11–13 bestimmen die Toten und ihre Welt in ihrem Verhältnis zu Jhwh durch drei Aussagen näher: (1) Zunächst erweist Jhwh an den Toten kein Wunder (V.11a), d.h. er vollbringt an ihnen keine »das Erwartbare übersteigenden Taten«163, wie sie das AT von Jhwh sonst zu berichten weiß. Offen bleibt zunächst, ob Jhwh an den Toten denn überhaupt handelt bzw. handeln kann. (2) Ohne ein solches Wunder aber ist dann evident, dass die Toten Jhwh nicht loben können (V.11b). Das Loben Jhwhs als vornehmster und zugleich fundamentalster Vollzug der Gottesbeziehung des Menschen bricht also mit dem Tod ab, wie es im Psalter mehrfach heißt 164 . (3) Darüber hinaus fehlt schließlich in der Todeswelt sogar jedwede Kunde und Kenntnis von Jhwh und dessen heilvollen Handeln (V.12f). Die Abfolge ›hdy  rps  [dy‹ besitzt deutlich ein Gefälle zum Grundsätzlichen hin, und der Übergang der Stammesmodifikation vom Hifil (V.11) zum Nifal (V.12f), der die menschlichen Kommunikationssubjekte gleichsam eliminiert, verstärkt dies noch. Wo aber Loben, Erzählen und Kenntnis/Wissen fehlen, herrscht totale Verhältnislosigkeit: Während Jhwh zum Tod in einer streng antagonistischen Abgrenzungsrelation steht (s.o. Anm. 39), wird hier im Blick auf die Toten und ihre Welt die »Beziehungslosigkeit … ins Grundsätzliche gewendet«165. Wenn man sich zudem vergegenwärtigt, dass diese Relation durchaus gegenseitig ist und auch Jhwh »nicht mehr an sie denkt, da sie von deiner Hand abgeschnitten sind (Wrz"g>nI ^d>Y"mi hM'hew> dA[ ~T'r>k;z> al{)« (V.6), dann muss man nachgerade von einer reziproken Verhältnislosigkeit von Jhwh und Toten sprechen. Die Totenwelt ist in Bezug auf Jhwh und auf die Toten ein »Land des Vergessens« (V.13). Von daher lässt sich dann unschwer folgern, dass Jhwh im Totenreich nicht nur keine Wunder tut, sondern gemäß Ps 88 überhaupt keinen Macht- oder Handlungseinfluss besitzt und schlichtweg abwesend ist 166 . Diesbezüglich entspricht Ps 88 exakt den älteren KE/DE, sodass hier die umrissene Kompetenzausweitung nicht im Geringsten spürbar ist (oder aber konsequent negiert wird [s.u.]). Hier, in Ps 88, wird also gleichsam explizit formuliert, was o. III. aus den archäologischen Befunden erschlossen wurde: Die Toten existieren nach dem Ableben und einer allfälligen Übergangsphase in der Scheol wei163

So die Übersetzung von HARDMEIER, Tod, 304, s.a. 304f Anm. 55. So Ps 6,6; 30,10; 88,11; 115,17; s.a. Jes 38,18; Sir 17,27f; vgl. dazu DÜRR, Wertung, 39; WOLFF, Anthropologie, 160ff; KELLERMANN, Gotteslob, 125ff und weiterführend HARDMEIER, a.a.O., 294ff; JANOWSKI, Toten, 24ff.35; DERS., Dankbarkeit, 125ff. 165 JANOWSKI, Toten, 21. 166 Dies ändert sich später natürlich in unterschiedlicher Weise, wenn etwa in Ps 22,30 Jhwh auch über die Toten herrscht (s.u. VIII. 1.). 164

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

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ter, ihr Dasein ist jedoch durch Jhwh-Ferne, ja die Verhältnislosigkeit zu Jhwh gekennzeichnet und damit nicht als wirkliches Leben zu bewerten. Von einem Leben nach dem Tod, das diesen Namen verdient, kann eben keine Rede sein; vielmehr fokussiert sich die altisraelitische Diesseitsreligion klassischer Ausprägung – darin konvergieren die archäologischen Befunde der Bestattungskultur und die vorexilischen KE/DE – auf das Leben vor dem Tod, während die postmortale Fortexistenz zwar außer Frage steht, aber als wenig erfreuliches Dahinvegetieren qualifiziert ist. Im Schlussteil bezieht nun der Beter diese generellen Aussagen über die Totenwelt zurück auf sich selbst. Wenn Jhwh und die Toten derart beziehungslos sind und schlechterdings nichts miteinander zu schaffen haben, so bleibt das hm'l': »warum/wozu?« (V.15) des von Jhwh verhängten vorzeitigen Todes völlig opak – zumal Schuld oder Sünde aufseiten des Beters keine Rolle spielen167. Ja, Jhwhs Handeln erscheint geradezu unsinnig, da er sich grundlos seines Verehrers beraubt und sich damit selber schadet. Mit diesem argumentum ad deum führt der Beter Jhwh vor Augen, dass schon sein »Eigeninteresse es ihm verbieten müsste, den Beter vorzeitig in die Scheol zu verbannen« 168 . Die durch die exklusive Fokussierung auf Jhwh inaugurierte reduktive Transformation der Todeskonstellation führt somit insgesamt zu einer Intensivierung sowohl der Klage über den grundund sinnlosen vorzeitigen Tod als auch der Bitte um Rettung daraus. Denn obwohl der Psalm von der Klage beherrscht wird und Bitten nur eingeschränkt formuliert werden (s. V.2f.10ab–b.14), zielt die pragmatische Abzweckung offensichtlich darauf, »mit allen zu Gebote stehenden Mitteln Jahwe zu einer Änderung seiner Haltung dem Beter gegenüber zu bewegen«169. In dieser Konzentration äußert Ps 88 vielleicht »die düstersten Worte über den Tod im Alten Testament«170. Ihre Eindringlichkeit gewinnen sie wesentlich auch dadurch, dass die Rettung aus dem vorzeitigen Tod nach wie vor im Diesseits erfolgen muss: Wie in der Konstellation der älteren KE/DE gibt es ein zu spät für Jhwhs Handeln; ein rettendes Eingreifen ist nur möglich, solange sich der metaphorische Tod nicht biologisch verendgültigt hat! 167

So etwa GROSS, Feind, 166. Diese Thematik, über die ja die Hiobdichtung im Kern streitet, wird im gesamten Psalm nicht aufgegriffen – im Unterschied zum kontextuellen Horizont der Korachpsalmen. 168 GROSS, a.a.O., 164; s.a. JANOWSKI, Toten, 23 Anm. 76; ZENGER/HOSSFELD, HThK 2, 568 (ZENGER). 169 SEYBOLD, Gebet, 117; ähnlich JANOWSKI, a.a.O., 26. 170 V. RAD, Glaubensaussagen, 259.

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Jhwh und das Leben/der Tod

Insgesamt ist damit für den religions- und theologiegeschichtlichen Ort von Ps 88 ein Doppeltes bestimmend: Einerseits führt die Jhwh-allein-Bewegung eine reduktive und dadurch sachlich zuspitzende Transformation der Todeskonstellation herbei. Andererseits werden aber weitergehende Konsequenzen für die Verhältnisbestimmung von Jhwh und Todeswelt (Stichwort: Kompetenzausweitung Jhwhs) noch nicht gezogen. Man könnte freilich erwägen, ob die rhetorischen Fragen in V.11–13 positive Behauptungen zu Jhwhs Präsenz und Macht in der Scheol – wie sie ab dem 8. Jh. v. Chr. auftreten (s.o. IV.) – voraussetzen und dazu ablehnend Stellung beziehen171. Dagegen spricht m.E. jedoch zum einen, dass diese Annahme überflüssig ist, weil die suggestiven Fragen mindestens ebenso gut vor dem älteren Hintergrund einer Abwesenheit Jhwhs in der Totenwelt verständlich werden, ja in diesem Fall sogar an Schärfe gewinnen; zum anderen fehlen positive Indizien – wie Referate, Anspielungen oder Zitate – dafür, dass eine solche diskursive Bezugnahme vorliegt172. Insofern ergibt sich m.E. für die Datierung von Ps 88 – bzw. allenfalls auf einer Vorstufe für die Datierung von dessen substanziellen Aussagen, wie sie o. erörtert wurden – am überzeugendsten eine spätvorexilische Verortung. Das notorische Datierungsproblem von Psalmen, das sich auch hier stellt, weil handfeste Indizien fehlen, und das auf ein Spektrum zwischen spätvorexilischer und exilisch-frühnachexilischer Zeit hinausläuft173, lässt sich also am ehesten religions- und theologiegeschichtlich klären – wenigstens im Sinne einer groben Verortung.

Der beschriebene Übergangsort von Ps 88 scheint für die im AT herausragende Zuspitzung der Problematik des vorzeitigen Todes wesentlich verantwortlich zu zeichnen. In der Folgezeit wird weiter mit diesem Problem gerungen; für Ps 88 wäre dabei in redaktionsgeschichtlicher Perspektive die mit Ps 73 zusammen erfolgende Rahmung von Buch III sowie die Positionierung am Ende der Korachpsalmen (Ps 84ff*) bzw. eines ›messianischen Psalters‹ (Ps 2–89*) auszuwerten und die damit stattfindende Kollek171

So – allerdings mit Bezug auf ugaritische Texte – SPRONK, Afterlife, 272: 88,11 »is intended as a polemic against the opposite view« (ebenso LIWAK, ThWAT 7, 633; inneratl. Erwägungen stellt KELLERMANN, Gotteslob, 114f an). 172 Instruktiv als Vergleich sind etwa die einschlägigen Befunde bei Qoh (vgl. dazu KRÜGER, BK 19, 44–51; DERS., Nichts, 190ff; DERS., contexte, 135ff; s.a. die weitere Lit. bei LEUENBERGER, Konzeptionen, 29 Anm. 94). Im Blick auf das Folgende ist damit auch deutlich, dass im Vergleich mit Hi oder Qoh von »stark reflexivem Einschlag« (Ernst Haag, zit. nach SEYBOLD, HAT 1/15, 344) keine Rede sein kann. 173 Eher für erstere JANOWSKI, Toten, 33ff; für zweitere HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 570 (ZENGER); SEYBOLD, HAT 1/15, 344 (»wohl nachexilisch«).

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tivierung und historisierende Deutung auf das Geschick des Volks ›Israel‹ näher zu beschreiben174. Daneben wird die theologische Position von Ps 88 in verwandten Texten weitergeführt, es kommt – von der exilischen bis in die hellenistische Zeit – aber auch immer wieder zu neuen Problembearbeitungen und Lösungsversuchen bis hin zu unterschiedlichen jenseitigen Vermittlungen von Jhwh und Totenwelt, wie sich an ausgewählten Stationen instruktiv nachverfolgen lässt (VI.–VIII.).

VI. Exilisch-nachexilische Radikalisierungen: Generelle Vergänglichkeitsklagen Aus dem zunehmend komplexeren Diskurs, wie er sich in den literarischen Quellen der HB für die exilisch-(früh)nachexilische Zeit abzeichnet, seien zunächst zwei problemgeschichtlich besonders interessante Transformationen herausgegriffen, die gegenläufige Tendenzen der ›theologischen Arbeit‹ erkennen lassen: Generelle Vergänglichkeitsklagen einerseits (VI.) und die fundamentale Relativierung des Todes durch die alles bestimmende Jhwh-Relation andererseits (VII.). Gegenüber den bisherigen Auseinandersetzungen mit dem Problem des vorzeitigen Todes Einzelner bietet eine Reihe von (weisheitlich imprägnierten) Psalmen – vorab Ps 39; 49 und 90 – generelle Klagen über die menschliche Sterblichkeit, Vergänglichkeit und Nichtigkeit: »Dass die Sterblichkeit des Menschen als solche zum Problem wird, ist neu«175 und radikalisiert das Problem des vorzeitigen Todes zur generellen Klage über die menschliche Vergänglichkeit. In thematischer Hinsicht kann man daher pointiert von Vergänglichkeitsklagen sprechen. 1. Ps 39 Drastisch wird die Fragilität menschlichen Lebens bekanntlich im weisheitlichen KE Ps 39 formuliert: 174

S. dazu die Ansätze bei ZENGER, Korachpsalmen; LEUENBERGER, Konzeptionen,

115ff. 175

FORSTER, Leben, 3; sie untersucht Ps 39; 49 und 90 detailliert im Horizont der Weisheitsliteratur. Ebenso VAN’T VELD, klacht, 145ff.191, der auch weitere Vergänglichkeitsaussagen im AT und im alten Orient behandelt. In diesem Horizont wird der »gleichmachende Tod mehr und mehr zum Problem weisheitlichen Denkens« (KÖHLMOOS, TRE 35, 493, wobei die Anstößigkeit weniger in der Gleichmachung als in der Vorzeitigkeit bezüglich ausgeglichenem Tun-Ergehen-Zusammenhang liegen dürfte).

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ym;y" hT't;n" tAxp'j. hNEhi ^D,g>n< !yIa;k. yDIl.x,w> hl's, bC'nI ~d'a'-lK' lb,h,-lK' %a;

39,6

Siehe, handbreit (nur) hast du meine Tage gemacht und meine Lebenszeit ist wie nichts vor dir. Fürwahr, [gänzlich176] Windhauch ist jeder Mensch, der da steht. Sela.

Der Beter definiert seine Lebensspanne mit dem (neben dem Finger [s. Jer 52,21]) kleinsten Längenmaß der Handbreite; im Vergleich mit Gott tendiert es gegen null. Diese Vergänglichkeitsklage, die mit Vorliebe Gott und Mensch kontrastiert, begegnet häufiger im Psalter 177 und zwar an wahrscheinlich durchwegs exilisch-nachexilischen Stellen178. Kann man überlegen, ob in Ps 39,6 wiederum der von Jhwh verursachte (V.10f) vorzeitige Tod aufgrund der Schuld des Beters (V.9.12; s.a. V.2–4) im Blick steht, so geht spätestens V.6b vollends zu einer (onomatopoetischen) Generalaussage über die hinfällige menschliche Existenz als lb,h,: »(Wind-)Hauch«179 über, die von allen Menschen gilt. Dieser Übergang vom Ich (V.[2–]6a) zum Menschen allgemein (V.6bf) wiederholt sich im Refrain V.12 (gegenüber V.8–11.13f)180 und ähnelt der in Ps 88 beobachteten Dynamik. Vor dem Hintergrund der älteren KE/DE ergibt sich somit eine radikalisierende und generalisierende Transformation, indem die Klage über den vorzeitigen Tod nun zum Paradigma für die allgemeinmenschliche Vergänglichkeit und Sterblichkeit wird: Das Problem des vorzeitigen Todes wird in einer anthropologischen Generalisierung zum Problem des Todes als solchem vergrundsätzlicht; »der absolute Tod färbt die begrenzte Existenz ein, wie es die späte, nachexilische Weisheit als Problem umtreibt« 181 . Diese Transformation vollzieht demnach eine Fokussierung auf den biolo176

Die singuläre Fügung lb,h,-lK' ist wahrscheinlich Dittographie, s. die Komm. z.St.; MT folgen will VAN’T VELD, a.a.O., 99f. 177 Neben dem Refrain in Ps 39,12 s. etwa 49,13.21; 62,10; 89,48f; 94,11; 103,15f; 144,4; sie findet sich aber auch in der übrigen Weisheit, z.B. Hi 7,7.16; 14,1f.5.20 Qoh 2,3 u.ö. 178 Das ließe sich m.E. an den Belegen im Einzelnen nachweisen, wobei sich ergäbe, »dass in traditionellen Klageliedern Vergänglichkeitsaussagen nicht vorkommen« (FORSTER, Leben, 20). 179 SEYBOLD, HAT 1/15, 164 deutet Hauch und Schatten onomatopoetisch, indem er die »Vokalschwäche beider Termini« hervorhebt. 180 Trotz verschiedener Vorstöße lassen sich die Befunde kaum redaktionsgeschichtlich auswerten (vgl. das Referat von FORSTER, a.a.O., 25ff; s.a. KAISER, Psalm 39, 135f. 137f.141f, der in V.5–7.12 eine ältere Vergänglichkeitsklage vermutet; ähnlich SEYBOLD, a.a.O., 163f). 181 HOSSFELD/ZENGER, NEB 29, 247 (HOSSFELD); s.a. 250 (s. zur Datierung ins 5.–3. Jh. v. Chr. bes. FORSTER, a.a.O., 23ff). Im alten Orient hingegen sind solche Klagen seit alter Zeit belegt (s.o. Anm. 19; breit VAN’T VELD, klacht, 13ff.33ff).

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gischen Tod, während der metaphorische Tod und die Bitte um Rettung daraus ausgeblendet wird: »Tod bedeutet nicht mehr in erster Linie Trennung vom Leben der Gemeinschaft, sondern Grenze des unverwechselbareigenen Lebens, das als solches in den Blick zu kommen beginnt«182. Dieser Verschiebung entspricht es, dass zwar über die menschliche Sterblichkeit geklagt wird, dass aber – im Unterschied zu den mit dem vorzeitigen metaphorischen Tod befassten KE/DE – Rettungsbitten an Jhwh fehlen: Die menschliche Sterblichkeit wird zwar bedauert und beklagt, gilt aber prinzipiell als unabänderliche condition humaine. Es wäre lohnend, genauer zu erörtern, welche soziopolitischen, ökonomischen, religiösen usw. Faktoren im Einzelnen die entscheidenden Antriebe für diese Radikalisierung der Todesproblematik darstellen; die allgemeinen Verweise auf die traumatische Exilserfahrung (mit der omnipräsenten Schuldfrage) und auf die Zunahme sozialer Spannungen in der Perserzeit treffen sicherlich das Richtige, müssten aber bezüglich Auswirkungen auf das Leben-Tod-Verständnis konkretisiert werden. Angemerkt sei immerhin der Negativbefund, dass weder diese noch weitere Transformationen im archäologischen Befund der Grabtypen und der Bestattungspraxis während der Perserzeit niedergeschlagen haben, wo vielmehr weitgehende Kontinuität zur Eisenzeit besteht183. 2. Ps 90 Aufschlussreich für die eben genannte Exilserfahrung, die in der HB tiefste Spuren hinterlassen hat, ist insbesondere der bereits zitierte Ps 90, der im Anschluss an die thematische Einleitung (V.1f) eine zweistufige Vergänglichkeitsklage entfaltet: Zunächst bieten V.3–6 die wohlbekannte Klage vor Jhwh: ~d'a'-ynEb. WbWv rm,aTow: aK'D;-d[; vAna/ bveT: »Du lässt den Menschen zurückkehren zu Staub und sprichst: ›Kehrt zurück, Menschenkinder‹« usf. Diese generelle Klage über die condition humaine bezieht nun in V.7–9 das sprechende Wir-Kollektiv auf sich selbst; so klagt V.9: ^t,r'b.[,b. WnP' Wnymey"-lk' yKi hg rA[-d[;B. rA[; Hi 2,4). Demgegenüber kann in Ps 63 im Extremfall die Jhwh-Relation gegen das (irdische) Leben ausgespielt werden, wie es auch wenige andere Psalmenstellen tun (s. besonders Ps 73,26; 16,2 [s.a.u. Anm. 195]). (2) Mit dieser absoluten Dominanz der Jhwh-Bindung verändert sich nun auch die inhaltliche Füllung von Leben. Im Unterschied zur klassischen Ausformung, bei der umfassendes Wohlergehen das wichtigste Kennzeichen gelingenden Lebens bildet (s. nur Prov 3,2.16f o. I. 2.), rückt nun offenbar das vorrangige, sich im ds,x, konkretisierende Gottesverhältnis selbst in den Status des das Leben ausmachenden Merkmals ein: Die Zweitrangigkeit des (irdischen) Lebens gegenüber Jhwhs Gnade impliziert eine Wandlung und interne Differenzierung des Lebensbegriffs, die freilich nicht explizit gemacht wird. Der Vorzug von Jhwhs ds,x, besteht ja wohl doch nicht nur in einer besonderen (Lebens-)Qualität, sondern auch darin, dass er unverfügbar und damit den anklagenden Feinden entzogen ist – anders als das (irdische) Leben. Dabei bleibt zu fragen, ob dieser Vorzug auf das Diesseits beschränkt und rein qualitativ gedacht ist nach dem Motto ›besser mit Jhwh kurz leben als ohne ihn lang‹192, oder ob diese gesteigerte Lebensqualität nicht über das Diesseits hinausweist und ein fortdauerndes Gottesverhältnis anvisiert193. Für Letzteres spricht m.E. – angesichts der wahrscheinlichsten Entstehung in exilischer und Redaktion in nachexilischer Zeit194 – vorab die o. IV. beobachtete Ausweitung von Jhwhs Ein191

So mit SEYBOLD, HAT 1/15, 248f; s.a. strukturell AUFFRET, psaume 63, 92. In diesem Sinn deutet die Stelle DUHM, KHC 14, 244. Vgl. dazu Prov 15,16: »Besser wenig in Jhwh-Furcht als ein großer Schatz und Unruhe darin« (s. 15,17; 16,8 u.a.); umgekehrt urteilt Qoh 9,4: »Ein lebendiger Hund ist besser als ein toter Löwe«. 193 Vgl. ähnlich etwa WOLFF, Anthropologie, 164. 194 So aufgrund der Kontextbezüge überzeugend HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 194. 29ff (ZENGER), vgl. 201 zur Kombination von privater und offizieller Religion; s.a. die Beobachtungen zur Datierung von KRIEG, Todesbilder, 376; ähnlich vermutet GILLMAYR-BUCHER, Psalm 63, 86f eine exilische Entstehung oder Aktualisierung. 192

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fluss und Zuständigkeit über die Todesgrenze hinaus, die auch hier im Hintergrund stehen dürfte; hinzu kommt, dass »der Tat- und Gemeinschaftscharakter sowie die Beständigkeit« von Jhwhs ds,x,195 in diesem Horizont über den Tod hinaus weisen könnten. Dann aber hat sich der Lebensbegriff so differenziert, dass ein zweitrangiges (und entsprechend in einem relativierten Gegensatz zum Tod stehendes) diesseitiges Leben unterschieden wird von einem jenseitigen, konstitutiv auf Jhwhs ds,x, basierenden Leben. So verläuft die Jhwh-Relation gleichsam quer zur zeitlichen Leben-TodAchse; sie bestimmt den Beter im (dies- und jenseitigen) Leben ebenso wie im (vorzeitigen biologischen) Tod letztgültig; damit prägt sie den Beter aber auch nach dem Tod bleibend und steigert insofern dessen postmortale Existenz zu wahrem, des Begriffs würdigem Leben. Derart repräsentiert Ps 63 einen wichtigen Schritt innerhalb der langzeitigen Kompetenzausweitung Jhwhs, in welchem Prozess Jhwh zunehmend auch jenseits der Todesgrenze als wirksam und (lebens)relevant verstanden wurde. Die hiesige Deutung fasst Ps 63 somit als innovative Transformation der älteren KE/DEKonstellation. Trifft sie im Grundsatz zu, so fügt sich die in Ps 63 erhebbare Ausformung der Leben-Tod-Grundkonstellation in die o. IV. skizzierte Entwicklungslinie ein und nimmt auf einem Stand, wie er in Fortführung der Texte aus H©irbet el-Qom und Ketef Hinnom erreicht wird, eine prägnante Umgestaltung vor. Innerhalb des komplexen nachexilischen Diskurses hätte sie sich dann im Folgenden auf der u. VIII. 1. zu erörternden (Psalmen-)Linie eines aus dem Todesreich rettenden Eingreifens Jhwhs und einer Aufnahme in die himmlische Herrlichkeit weiter entwickelt.

Zusammenfassend erfährt die Grundkonstellation von Leben und Tod in Ps 63 also eine massive Umgestaltung. Die vom ds,x, repräsentierte JhwhRelation wird zum alles bestimmenden Faktor und prägt auch inhaltlich das Verständnis von Leben. Dadurch relativiert sich der bislang fundamentale Gegensatz von (irdischem) Leben und Tod, weil der Tod als Begrenzung des Lebens von der Relativierung des (irdischen) Lebens direkt betroffen ist. Zudem inauguriert der alles entscheidende ds,x, Jhwhs vermutlich eine Differenzierung des Lebensbegriffs, sodass nun ein ›zweitrangiges‹, dem Tod entgegengesetztes irdisches Leben und ein durch den fortdauernden ds,x, Jhwhs konstituiertes jenseitiges Leben unterschieden werden. In der Tat gilt mit Gerhard von Rad: »Der bündige Satz … (Ps. 63,4) läßt erkennen, was für eine tiefgreifende Umordnung aller Lebens-

195

So summarisch ZOBEL, ThWAT 3, 56. Im Vorstellungsumfeld von Ps 63,4 wäre der ähnlich ›entgrenzte‹ Gebrauch von ds,x, in den von ZOBEL, a.a.O., 62 aufgeführten Psalmenstellen zu vergleichen, bes. 36,11; 40,12; 103,17.

126

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werte sich hier vollzogen hat, denn das Leben und seine Steigerung durch Jahwes Segen war sonst für Israel zu allen Zeiten der Güter höchstes«196.

VIII. Hellenistische Innovationen: Transzendierungen der Todesgrenze durch ein Leben nach dem Tod versus kritische Rückbesinnungen auf das gelingende Leben im Diesseits Mit der hellenistischen Ära verschiebt sich die für Judäa maßgebende ›Leitkultur‹ vom persischen Osten in den griechischen Westen 197 . Auch wenn sich der Einfluss Hellas in der materiellen Hinterlassenschaft zunächst bescheiden präsentiert, so sind in administrativer und ökonomischer Hinsicht die ptolemäischen Vorgaben bestimmend, und ganz generell rückt – perserzeitliche Ansätze steigernd – das Individuum immer stärker in den Vordergrund. All dies zieht weitreichende religions- und theologiegeschichtlichen Konsequenzen nach sich: In der Begegnung und Auseinandersetzung mit dem hellenistischen Impact bildet sich das Frühjudentum aus, das durch neue Synthesen charakterisiert wird, die über die Zeit des zweiten Tempels hinaus prägend bleiben. Diese Änderungen betreffen auch das Verständnis von Leben und Tod, wie schon formal der literarische Befund andeutet, dass einschlägige (weisheitliche) Reflexionen jetzt gern als Gebete, Reden, oder Dialoge berühmter Personen stilisiert werden (Hi, Qoh, Sir und die pseudepigraphische Literatur). Im hiesigen Zusammenhang besteht nun die entscheidende Innovation der frühjüdischen Religions- und Theologiegeschichte darin, dass der Jhwh-Glaube die Begrenzung auf das Diesseits definitiv durchbricht und jenseitige Perspektiven, die ›Lösungen‹ des Todesproblems bieten, fundamental aufwertet und ausweitet: Auf der Basis der beiden o. VI.– VII. nachgezeichneten perserzeitlichen Grundtendenzen – der Problematisierung der menschlichen Vergänglichkeit und der Priorität der Jhwh-Relation gegenüber dem (irdischen) Leben – werden nun erstmals grundlegende Transzendierungen der Todesgrenze entwickelt 198 . Als Ausgangs196

V. RAD, Theologie 1, 416 – indes ohne dabei Geistliches und Körperliches einander entgegenzusetzen und einen »schon fast mystischen Spiritualismus« zu vermuten (ebd.; ähnlich etwa GUNKEL, HK 2/2, 268). 197 S. die Übersichten bei BERLEJUNG, Religionsgeschichte, 178ff; KRÜGER, BK 19, 39ff; ALBERTZ, Religionsgeschichte, 623ff. 198 S. zum Ganzen JANOWSKI, Konfliktgespräche, 226ff.336ff; DERS., Toten, 33ff; LIESS, Weg, 313ff; HIEKE, Tod, 32f und jetzt BIEBERSTEIN, Todesschwelle.

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

127

punkt erweist sich dabei eine starke Fokussierung auf den vorzeitigen biologischen Tod des Individuums; man kann dies in gewisser Hinsicht als weitere Zuspitzung verstehen, wichtiger scheint aber, dass dadurch notgedrungen jenseitige ›Lösungen‹ und damit Überwindungen der Todesgrenze in den Blick kommen. Sie sind dadurch charakterisiert, dass sie den Tod »als Beginn einer gegenüber dem Leben intensiveren Form der Gottesgemeinschaft« verstehen199 und mithin die postmortale Existenz als (wahres oder ewiges) Leben nach dem Tod anvisieren, das weiterhin fundamental durch das Jhwh-Verhältnis bestimmt wird. Es lassen sich drei Varianten (VIII. 1.–3.) unterscheiden – deren wirkmächtigste sich auch in der Bestattungskultur niederzuschlagen scheint –, die neben weiterwirkende ältere Modelle (VIII. 4.) treten. Dies und insbesondere die (ebenfalls im Rahmen der späten Weisheit aufbrechenden) Einsprüche Qohelets und Sirachs, die in kritischen Rückbesinnungen auf die älteren Vorstellungen auf dem gelingenden Leben im Diesseits insistieren (VIII. 5.), belegen jedoch, dass der theologische Diskurs weiterhin und gar verstärkt mit hoher Intensität und Komplexität geführt wurde; von einer einheitlichen Standardtheologie kann also auch in hellenistischer Zeit keine Rede sein, wie auch ein Blick auf die Unsterblichkeitshoffnung der Weisheit Salomos (VIII. 6.) unterstreicht. Diese theologischen Positionen sollen im ganzen Spektrum knapp vorgestellt und in ihre traditionsgeschichtlichen Bezugskontexte eingeordnet werden, womit sich nicht zuletzt bei der prominentesten Vorstellung einer simplifizierenden Reduktion auf das Schlagwort ›Auferstehungshoffnung‹ vorbeugen lässt. 1. Eingriff Jhwhs in die Scheol und Aufnahme in den Himmel Die Linie, die von den klassischen Klage- und Dankliedern über die Verschärfung von Ps 88 zur Relativierung von Ps 63 führt, wird am kontinuierlichsten weiterentwickelt durch die prominenten Aussagen zu einem aus dem Todesreich rettenden Eingreifen Jhwhs und zu einer Aufnahme in die himmlische Herrlichkeit. Dieses Verständnis entwickeln die weisheitlich imprägnierten Ps 49, 73 und 22 (s.a. 16), die neu davon sprechen, dass Jhwh erstens auch im Todesreich selber rettend eingreift und dass er zweitens den Beter zu sich in den Himmel aufnimmt.

199

So formuliert im Anschluss an ZENGER (Toten, 142) JANOWSKI, Toten, 29; s. 41ff; Konfliktgespräche, 344ff, wo er einleuchtend eine theologiegeschichtliche Linie Ps 88  Ps 16  Ps 73 skizziert.

DERS.,

128

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Den ersten Aspekt formuliert am prägnantesten Ps 49200, der im Rahmen einer Reflexion über das menschliche Todesgeschick zur Spitzenaussage vordringt: lAav.-dY:mi yvip.n: hD,p.yI ~yhil{a/-%a;: »Doch Gott wird loskaufen mein Leben – man muss hinzudenken: im Gegensatz zu dem der Selbstsicheren – aus der Macht der Todeswelt« (49,16a). Damit wird die obige Konstellation der Klage- und Danklieder konsequent auf der Linie des seine Kompetenzen ausweitenden einen Gottes Jhwh weiterentwickelt, der nun auch in der Unterwelt agiert. Wenn dabei der Tod selber (in V.15) als handelndes Subjekt auftritt und wenn die strafrechtliche Metapher des Loskaufs verwendet wird, so schimmert noch deutlich die aus den älteren Psalmen bekannte Opposition Jhwhs gegen die Scheol und die Anstößigkeit des Todesgeschicks durch. Die neuartige Hoffnung auf Jhwhs Eingreifen in der Scheol teilt auch (ein Zusatz zu201) Ps 73, der nun auch den Zielpunkt dieses Jhwh-Handelns ergänzt: ynIxen>t; ^t.c'[]B; ynIxeQ'Ti dAbK' rx;a;w> ~yIm'V'b; yli-ymi #r,a'b' yTic.p;x'-al{ ^M.[iw>

73,24

202

25

Nach deinem Plan wirst du mich führen, und danach/am Ende wirst du mich (in) Herrlichkeit Wer ist für mich im Himmel? [aufnehmen. Und bei dir (seiend) habe ich keinen Gefallen an/auf der Erde.

Der fromme Beter, der auch hier dem Gottlosen gegenübersteht, hofft nach dem Tod – so m.E. die plausibelste Deutung – auf eine Überführung bzw. Aufnahme in den Himmel. Zumindest für ihn gibt es nun also – in einem monotheistischen Horizont und mit deutlich hellenistisch geprägtem Fokus – über den Tod hinaus eine neue Perspektive. Dabei greift das auch in Ps 49 verwendete xql: »aufnehmen, wegnehmen«203 augenscheinlich die Entrückung Henochs und Elijahs in den Himmel auf (Gen 5,24; 2Kön 2,3.5.9), 200

S. zur Begründung bes. FORSTER, Leben, 83.125ff und WITTE, Tod, 543ff, der V.15f als das »eigentliche Herz des Psalms« (546) hervorhebt und überzeugend das Konzept einer »Erlösung aus dem Tod« (553, s. 549ff) aufweist (wobei hier die redaktionsgeschichtliche Problematik von V.16 keine Rolle spielt [s. die Skepsis gegenüber eines Zusatzes von WITTE, a.a.O., 547ff]). 201 S. WITTE, Weg, 18f, der in V.22–26 eine metrisch, kompositionell und thematisch erkennbare Fortschreibung plausibilisiert (s.a. BIEBERSTEIN, Todesschwelle, 425); dagegen optieren etwa HOSSFELD/ZENGER, HThKAT, 348ff (ZENGER) für Einheitlichkeit. 202 Vgl. zu den sehr strittigen Interpretationsmöglichkeiten statt vieler MICHEL, Unsterblichkeit, 169f. 203 So auch Ps 49,16. Dabei werden die Entrückungsaussagen über die herausragenden Figuren Henoch und Elijah für die Frommen kollektiviert (demokratisiert) und in den postmortalen Bereich verschoben.

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

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kollektiviert die Vorstellung aber für alle Frommen und verschiebt das Geschehen in den postmortalen Bereich204. Das so gar nicht dem Tun korrespondierende Wohlergehen der Prahler und Reichen trügt demnach, denn Jhwh wird des Frommen postmortales Geschick in der Unterwelt wenden: Dem Beter blüht – vermutlich direkt nach dem Tod und nicht erst am Zeitenende 205 – eine Fortdauer der »personalen Gemeinschaft mit Gott« im Jenseits206; entsprechend kann man mit Bernd Janowski von ›ewigem Leben‹ oder mit Diethelm Michel von der ›Unsterblichkeit der Gottesbeziehung‹ sprechen207, auch wenn sich hier am Toten selbst noch keine ›ontische Veränderung‹ ereignet. (Dass es sich dabei auch lohnte, dem dritten Psalmenbuch mit den beiden individuellen Eckpsalmen 73 und 88 redaktions- und kompositionsgeschichtlich genauer nachzugehen, wurde bereits o. V. erwähnt.) 2. (Endzeitliche) Auferweckung der Toten Dieses zweite Konzept, das wirkungsgeschichtlich ja weitaus am einflussreichsten geworden ist, entstammt apokalyptischer Tradition und rechnet nun eben mit einer solchen ontischen Veränderung der Toten durch eine (endzeitliche) Auferweckung. a) Erfahrungshintergrund und Auferweckungsvorstellungen in Texten (1ApcHen 22; Dan 12) Den Ausgangspunkt bildet auch hier die zentrale Erfahrung des unzeitigen Todes Gerechter: Sie häuften sich nach immer auftretenden Einzelfällen, wie sie in der Hiobdichtung oder im Gottesknecht aus Jes 53 verarbeitet 204

S. ähnlich WITTE, Tod, 552; DERS., Weg, 22; FREULING, Grube, 128). Zusätzlich kann man auf »das Sterben des Aaron und des Mose in der Nähe bzw. im Lebensbereich Gottes« (Num 20,28f; Dtn 34,6ff), wo Bestattungs-/Grabnotizen fehlen, verweisen (ZENGER, Toten, 142). 205 Ob es hier, wie FORSTER, Leben, 248 meint, »keinen ›Zwischenaufenthalt‹ in der Unterwelt [gibt], sondern sozusagen einen kontinuierlichen Uebergang vom irdischen zum himmlischen Leben«, scheint mir nach Ausweis von V.25a keineswegs eindeutig zu sein. 206 FISCHER, Tod, 165. 207 Vgl. JANOWSKI, Geschichte des Todes, 467 (in Anlehnung an MICHEL, Unsterblichkeit). – Zur Diskussion der strittigen Stellen Ps 49,15f; 73,24ff; (16,10;) 22,28ff vgl. seit BARTH, Errettung, 121ff GESE, Lebenssinn, 172ff; KELLERMANN, Überwindung, 273ff; MICHEL, Unsterblichkeit, 162ff; BAUCKHAM, Life, 81.85f; FISCHER, a.a.O., 159ff; WITTE, Tod; DERS., Weg; BIEBERSTEIN, Todesschwelle, 424ff; JANOWSKI, Toten, 33ff und breit LIESS, Weg, 3ff.211ff.313ff.

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sind, im frühhellenistischen Palästina durch die Diadochenkriege und die syrischen Kriege massiv. Hier steigert sich das Auseinanderklaffen von Tun und Ergehen allmählich zum ›theologischen‹ Skandal. Wenn, wie es in Krisensituationen gehäuft und unübersehbar geschieht, Gerechte den Tod verfrüht erleiden, sodass Lebenswandel und Lebenszeit sich nicht mehr entsprechen und eine diesseitige Balance verunmöglicht wird, dann drängt sich apokalyptischem Denken, soll nicht (der eine) Gott und seine Weltordnung in ein schiefes Licht geraten, eine Horizonterweiterung durch eine jenseitige, d.h. postmortale Korrektur – im positiven Sinn als Lohn und im negativen Sinn als Strafe – auf. Eben dies leistet die sich im 3. und 2. Jh. v. Chr. in apokalyptischen Texten innerhalb und außerhalb der HB ausbildende Hoffnung auf eine einfache bzw. doppelte Auferweckung einiger/vieler/aller Toten am Ende der Zeit (bzw. bisweilen bereits direkt nach dem jeweiligen Tod) (vgl. Ez 37; Jes 26,19; Dan 12,2f; 1ApcHen 22; 2Makk 7). Es wird hier also (noch) keineswegs der verfrühte, gewaltsame Tod positiv bewertet, sondern er wird durch Jenseitsperspektiven erträglich(er) gemacht und gleichsam theologisch ›abgesichert‹208. (Die Frage, ob sich denn irdische ›Ungerechtigkeit‹ durch himmlische Belohnung kompensieren lasse, drängt sich wohl erst aus heutiger Perspektive auf.) Genau diese Konstellation ermöglicht es nun allererst – wenn sie nicht mehr im Rückblick der Erfahrungsdeutung dient, sondern im Vorblick das Verhalten steuert –, dass der Tod dem irdischen Leben vorgezogen wird, und zwar eben auch aus Bekenntnis- oder Glaubensgründen. Exakt diese Martyriumsvorstellung tritt bekanntlich in der makkabäerzeitlichen Literatur neu und in rascher Ausweitung mehrfach auf. In den erhaltenen Texten wird die Auferweckungsvorstellung am differenziertesten in 1ApcHen 22 ausgestaltet. Nach der (jedenfalls noch vormakkabäischen) Schilderung bekommt Henoch »vier ausgehöhlte Räume« gezeigt, in denen »die Geister der Seelen der Toten versammelt werden; … die Seelen aller Menschenkinder zu versammeln …, bis zu dem Tag, an dem sie gerichtet werden, und bis zur Zeit des Endtages des großen Ge208

Dies gilt ja mutatis mutandis für die paulinischen Aussagen in Phil 1,19ff, die situativ (erst) in einer lebensgefährlichen Bedrängnis erfolgen. Grundsätzlicher formuliert vermutlich das Jesus-Logion Mt 10,39parr, das aber kontextuell schwieriger und wohl auf mehreren diachronen Ebenen zu interpretieren ist. Grundsätzlich erhellt aus diesen Befunden, dass es auf der beschriebenen Entwicklungslinie nur einen weiteren Schritt benötigt zu den ntl. Deutungen des vorzeitigen Todes Jesu, die dann freilich eine – hier nicht weiter zu verfolgende – Eigendynamik entwickeln.

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

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richts, das über sie stattfinden wird« (22,1–4*)209. Den unterschiedlichen Gruppen von Gerechten und Frevlern210, – deren jeweiliger Status den Henoch-Kreisen als problemlos erkennbar gilt – werden unterschiedlich qualifizierte Aufenthaltsbereiche (gleichsam Aufenthaltsräume bis zum Endgericht) zugewiesen211, sodass als Innovation212 die irdischen Verhaltensweisen abgebildet und je nach dem bestraft bzw. belohnt werden: Die »›Geschichte der Toten‹« wird »erstmals mit der ›Geschichte der Lebenden‹ verknüpft«213. Der genaue Status der Toten während dieser Kompensationsphase bleibt jedoch merkwürdig unbestimmt; erst am Tag des großen Gerichts fällt offenbar die Entscheidung über Tötung oder Auferweckung (vgl. V.13)214. Im Blick auf das Leben nach dem Tod äußert sich die berühmte Zukunftsschau über die im Land des Staubs Schlafenden in Dan 12 am dezidiertesten; hier liegt der Fokus ganz auf dem endzeitlichen AuferstehungsVorgang und den Folgen: Wcyqiy" rp'['-tm;d>a; ynEveY>mi ~yBir;w> ~l'A[ yYEx;l. hL,ae ~l'A[ !Aar>dIl. tApr'x]l; hL,aew>

12,2

Und viele der im Staub der Erde Schlafenden werden erwachen: die einen zu ewigem Leben215, die anderen zu Schmach, zu ewigem Abscheu.

Die so wirkmächtig gewordene Metapher vom Tod als Schlaf wird hier konsequent durch jene vom Erwachen (#yq hi.) fortgeführt. Indem sich die Bildsprache auf das endzeitliche Geschick der Toten bezieht, kommt – ähnlich wie beim »Aufstehen« (~wq) aus Jes 26,19, das nicht nur vielen, sondern universal allen gilt – eine ontische Veränderung der Toten in den Blick; eine solche war bisher unbekannt und kann die im positiven Fall als wahres und ewiges Leben nach dem Tod qualifiziert werden, wie die kosmologische Metapher des Glänzens (rhz) in V.3 zeigt. Durch eine Horizonterweiterung auf die Auferweckung hin gewährleistet die Apokalyptik also, dass das Problem der diesseitigen Disbalance von Tun und Ergehen 209 Zit. im Anschluss an UHLIG, JSHRZ 5/6, 555f; vgl. jüngst die profunde Bearbeitung von BIEBERSTEIN, Todesschwelle, 429ff. 210 Die exakte Korrelation der drei bzw. vier Höhlen mit bestimmten Gruppen ist im Einzelnen kontrovers; s. jetzt überzeugend BIEBERSTEIN, a.a.O., 432ff. 211 S.a. die Kammern in 4Esr 7,26ff und zum Ganzen immer noch VOLZ, Eschatologie, 256ff. 212 So mit HENGEL, Judentum, 361. 213 BIEBERSTEIN, Todesschwelle, 433. 214 Vgl. UHLIG, JSHRZ 5/6, 558 z.St. 215 S. implizit die Sammlung der Umgekommenen und Zerstreuten 1ApcHen 90,33.

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im postmortalen Jenseits ausgeglichen wird216. Derart erhält der vorzeitige Tod von Gerechten – und ebenso der verspätete Tod von Frevlern – eine jenseitige Kompensation 217 , welche das irdische Ungleichgewicht korrigiert. b) Niederschlag der Auferweckungsvorstellungen in der Bestattungskultur? An dieser Stelle ist nochmals auf die Bestattungskultur zu sprechen kommen, die hier erneut eine interessante Perspektive eröffnet. Auf das Ganze gesehen liegt im hellenistischen Palästina eine erhebliche Kontinuität der eisen- und perserzeitlichen Grabtypen vor – Gruben- und Höhlengräber sind (wieder) verbreitet 218 , wobei Diwan- und Senkgräber hervortreten. Analoges gilt für den Bestattungsvorgang 219 , denn gewisse Neuerungen wie das gelegentliche Auftreten von Münzen stehen in keinem direkten Zusammenhang mit der Bestattungskultur. Eine echte Innovation stellt jedoch das (von Kurt Galling) sog. Schiebestollengrab dar, das sich an ägyptischen Vorbildern orientiert und im Judäa des 2. Jh. v. Chr. aufkommt, wo es – jedenfalls in Jerusalem und im näheren Umland – um die Zeitenwende im 1. Jh. v. Chr. und im 1. Jh. n. Chr. vorherrscht220. Als typisches Beispiel kann man etwa auf ein Familiengrab auf dem French Hill im Nordostteil Jerusalems verweisen, das ab ca. der Mitte des 2. Jh. v. Chr. für rund ein Jahrhundert in Betrieb war221. Dabei werden die Grablegen der Felskammergräber durch verschließbare Stollen ersetzt, in denen die Toten meist kopfvoran bestattet werden. Fragt man nach dem Grund für diesen mit dem Vorläufermodell funktional weitgehend identischen neuen Typ, so legt es sich nahe, auf die gesteigerte Bedeutung des

216

Vgl. das Zitat von BOUSSET/GRESSMANN bei HENGEL, Judentum, 369: »Erst in dem Gedanken der jenseitigen Vergeltung bekommt der religiöse Individualismus seinen festen Halt und seine straffe Zusammenfassung«. 217 Das eigentliche Problem liegt dabei nicht im quantitativ vorzeitigen Tod, sondern im erlittenen Tod Gerechter in Notlagen und damit im qualitativ vorzeitigen Tod bevor sich Tun und Ergehen in Einklang bringen lassen. 218 Erstere betont KUHNEN, Palästina, 69ff, letztere WENNING, NBL 1, 945. 219 Vgl. dazu das Referat von KUHNEN, Palästina, 69ff; WENNING/KUHNEN, RGG4 1, 1364 (KUHNEN). 220 So auch KLONER, Tomb, 108; s. bereits WATZINGER, Denkmäler 2, 59ff: 70. 221 S. dazu KLONER, Tomb; HACHLILI, Funerary Customs, 453f; zu weiteren Gräbern ebendort STRANGE, Tombs.

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

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(auch) leibhaft gefassten Individuums zu verweisen222. Dass die personale Identität auf diese Weise über den Tod hinaus verlängert wird, überzeugt v.a. in den Fällen, wo die Stollen nur einmal benutzt und danach verschlossen wurden (im genannten Grab scheint das jedoch nicht der Fall gewesen zu sein). Allerdings wurden im 3./2. Jh. v. Chr. zunächst auch noch Sekundärbestattungen in einer Mittelgrube oder im Repositorium223 vorgenommen. Ganz unverkennbar wird diese Tendenz dann erst im späten 1. Jh. v. Chr., als im judäischen Bereich224 üblicherweise entweder jede Nische genau einen Holzsarg enthält225 oder aber eine – nunmehr echte – Sekundärbestattung in Ossuaren aus Stein, seltener auch aus Ton oder Holz erfolgt226, die oft ornamentartig verziert oder mit einer Namensbeschriftung versehen sind227. Durch dieses sog. Ossilegium bleibt die unverwechselbare Identität der sterblichen Überreste jeder Person definitiv gesichert. Da es dabei in judäischer Tradition nicht einfach um eine Konservierung gehen kann und auch rein ökonomische, soziologische oder kulturelle (römische) Faktoren nicht schlüssig sind, legt sich darüber hinaus ein Zusammenhang zum etwas früher aufgekommenen Auferweckungsglauben nahe228, wie er o. skizziert wurde. Wenn nach Dan 12 die im Land des Staubs Schlafenden erwachen, so ist impliziert, dass diese Toten bzw. deren Gebeine tatsächlich noch vorhanden und identifizierbar sind. Diese Vorstellung vermag somit die neue Bestattungssitte religions- und theologiegeschichtlich zu erschließen. Oder von der anderen Seite aus formuliert: Die neue Bestattungsform indiziert eine bisher unbekannte Bedeutung der sterblichen Überreste des Menschen, die im religions- und theologiegeschichtlichen Kontext der Zeit am plausibelsten mit der Vorstellung einer 222

Mit MAGNESS, Jesus’ Tomb, 43; MCCANE, Stone, 10ff.40; WENNING/ZENGER, Tod, 301. 223 So im genannten Beispiel in Kammer C, wo die Skelette in der Regel immerhin separat deponiert wurden. 224 So die Gesamttendenz, auch wenn es daneben etwa nabatäische Exemplare gibt (s. KUHNEN, Palästina, 271f). 225 Vgl. z.B. in Jericho Loculus 2, Grab 12 auf Hügel D, s. HACHLILI, Funerary Customs, 76ff. 226 Ossuare besitzen im palästinischen Küstenstreifen allerdings bereits chalkolithische Vorläufer (s. WEIPPERT, Palästina, 131.136). 227 Vgl. dazu jetzt umfassend HACHLILI, Funerary Customs, 94ff mit der dort entwickelten Typologie. 228 So mit WENNING/ZENGER, Tod, 303; WENNING/KUHNEN, RGG4 1, 1364 (KUHNEN); RAHMANI, Catalogue, 53f; LIESS, Weg, 317; HACHLILI, Funerary Customs, 522.524f.526ff; DIES., RGG4 1, 1365.

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(eschatologischen bzw. endzeitlichen) Auferweckung der Toten, d.h. eben der sterblichen Überreste, zu verbinden ist. Selbstverständlich müsste diese These umfassend ausgeführt und an den Quellen überprüft werden; methodisch ist an ihr aber zweifellos interessant, dass sich abermals eine signifikante Korrelation von Bestattungskultur und in Texten bezeugten Vorstellungen über die postmortale Existenz ergibt: Beide werden am besten verständlich, wenn man sie als Ausdruck der Vorstellung eines (nunmehr: wahren) Lebens nach dem Tod versteht. 3. Eliminierung des Todes Schließlich sei kurz eine dritte Variation angeführt, die konzeptionell noch einen Schritt weiter geht: Abermals in einem apokalyptischen Horizont verheißt Jes 25,8229 – in Umkehrung von Stellen wie den o. angeführten KE/DE oder Ps 69,16, wo der Beter vom Tod »verschlungen« zu werden droht 230 – die endzeitliche Eliminierung des Todes: Am Ende der Tage xc;n hl'Wcm. ynI[el'b.Ti-la;w> ~yIm; tl,Bovi ynIpej.v.Ti-la;: »Nicht soll die Wasserflut mich überfluten und nicht soll die Tiefe mich verschlingen und nicht soll die Grube ihren Mund über mir verschließen« (Jes 25,8). Vgl. dazu HIEKE, Tod, 32 Anm. 4.

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

135

mentierend) auf königszeitlichen Vorstellungen, die neu plausibilisiert werden. Zunächst dokumentieren etwa Jes 38 und Ps 102 profiliert, dass ähnlich eindringliche Klagen über den vorzeitigen Tod, wie sie in Ps 88 vorgetragen werden, auch in exilischer und nachexilischer Zeit weiterhin virulent sind. Der sog. Psalm Hiskijas in Jes 38,9–20, der in 2Kön 20 fehlt, stammt nach neuerem Konsens aus der späteren nachexilischen Zeit231. Das (modifizierte) Danklied des Einzelnen weist im Blick auf den vorzeitigen Tod eine ähnliche Konstellation auf wie Ps 88 und belegt deren anhaltende Präsenz: Hiskija klagt, dass er in der ›Hälfte seiner Tage zu den/durch die Tore(n) der Unterwelt (hinab)gehen muss‹ (lAav. yre[]v;B. hk'leae ym;y" ymid>Bi V.10); er rechnet also mit dem vorzeitigen (biologischen) Tod, befindet sich aber noch nicht im Totenreich selbst (wie es die klassischen KE/DE im Blick auf den metaphorischen Tod beschreiben), sondern auf dem sicheren Weg dorthin. Die Scheol wird nach wie vor Jhwh-Ferne und menschliche Isolation (sozialen Tod) bringen (V.11.18f). Ebenso wie in Ps 88 gilt auch hier Jhwh allein und explizit als Verursacher: … hf'[' aWhw> … : »… da er es (doch) getan hat …« (V.15). Im Unterschied zu Ps 88 wird dies jedoch letztlich auf die eigenen Sünden zurückgeführt, über die Jhwh bei der – diesseitigen – Rettung hinwegsehen wird/möge (ya'j'x]-lK' ^w>gE yrex]a; T'k.l;v.hi yKi V.17). Insgesamt liegt also dieselbe Gesamtkonstellation wie in Ps 88 vor, bei der Jhwh allein den (drohenden) vorzeitigen Tod verursacht und noch diesseitig vor ihm rettet (was ein leicht verschobenes Verständnis des Todes zeigt und möglicherweise einen Einfluss von Vergänglichkeitsklagen wie Ps 39; 90 hinweist). Das kollektive Elemente integrierende KE von Ps 102232 rezipiert zahlreiche Psalmentexte und verdichtet sie – wohl in frühhellenistischer Zeit – zu einer äußerst ergreifenden Bittklage, die ihresgleichen sucht; sie gipfelt im Jhwh direkt ansprechenden Hilferuf: ^yt,Anv. ~yrIAD rAdB. ym'y" ycix]B; ynIle[]T;-la; yliae: »Mein Gott, raff mich nicht dahin in der Hälfte meiner Tage!« (V.25a); diese Spitzenaussage gewinnt im Kontrast zur geschlechterübergreifenden Dauerpräsenz Jhwhs (V.25bff) zusätzlich an Schärfe und Dringlichkeit. Die Vorzeitigkeit des Todes wird äußerst scharf exponiert. Zugleich wird sie wieder explizit auf Jhwh zurückgeführt: ym'y" rC;qi yxiKo %r,D,b; hN"[i: »er hat auf dem Weg meine Kraft gebrochen, verkürzt meine Tage« (V.24; s.a. V.11). Umgekehrt kommen eigene Verfehlungen nicht zur Sprache. Anders als Jes 38 versteht sich der schwerkranke, biologisch »dem Tode nahe Beter«233 als (metaphorisch) bereits mitten in die Todeswelt versetzt, wie die kumulierten Todesmetaphern in V.4ff plastisch umschreiben.

231

Vgl. statt vieler KAISER, ATD 18, 291f.320ff; BERGES, Jesaja, 312ff. S. dazu LEUENBERGER, Konzeptionen, 177ff (Lit.); seither v.a. KÖRTING, Zion, 32ff und BOSSHARD, Ferne, 49ff. 233 KÖRTING, a.a.O., 32. 232

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Jhwh und das Leben/der Tod

Auf das Ganze entspricht die Konstellation von Ps 102 so am engsten derjenigen der ›Mustervorlage‹ von Ps 88; dabei nimmt sie noch intensiver als Jes 38 Elemente der KV auf.

5. Kritische Rückbesinnungen: Die Akzeptanz der menschlichen Vergänglichkeit und das gelingende Leben im Diesseits Dem harten Ringen mit dem Todesgeschick steht die nüchterne Akzeptanz der menschlichen Vergänglichkeit und die erneute Hochschätzung des gelingenden Lebens im Diesseits diametral gegenüber, die im weisheitlichen Schrifttum (dem auch die o. VIII. 1. angeführten Psalmenpassagen zuzurechnen sind) prominent entfaltet wird. An vorderster Front ist freilich Qohelet zu nennen, der die Sterblichkeit bekanntlich als des Menschen (wie des Viehs) Teil (ql,xe) versteht (worin ihm auch der ansonsten gegenüber Qohelet durchaus kritische optierende Sirazide folgt). Dies begründet er namentlich in Qoh 3,16ff, sehr wahrscheinlich in kritischer Stellungnahme zu Positionen à la Ps 49 und 73, konsequent erfahrungstheologisch234. a) Qohelet (Qoh 3,16–22) Mit am breitesten entfaltet Qohelet seine Position in der bekannten Anfrage in Qoh 3,19.21, in der er (hellenistischen) Alternativpositionen auf der Basis seiner eigenen Erfahrung kritisch begegnet. Argumentativ stringent überlegt er: ~d'a'h'-ynEb. hreq.mi yKi 3,19 Denn (es gibt) das Geschick der Menschen(kinder)235 hm'heB.h; hreq.miW und das Geschick der Tiere, ~h,l' dx'a, hr,q.miW und (es ist) ein Geschick für alle: hz< tAm !Ke hz< tAmK. wie deren Tod, so deren Tod; lKol; dx'a, x;Wrw> und (es ist) ein Geist für alle, !yIa' hm'heB.h;-!mi ~d'a'h' rt;AmW und einen Vorteil des Menschen vor dem Tier (gibt es) (…) lb,h' lKoh; yKi denn die beiden (sind) Windhauch. (...) [nicht; [;deAy ymi 21 Wer weiß: ~d'a'h' ynEB. x;Wr der Geist der Menschen – hl'[.m'l. ayhi hl'[oh; steigt er nach oben,

234

Vgl. zum Diskurs in der HB wegweisend MICHEL, Unsterblichkeit und KELLERÜberwindung; zur erfahrungstheologischen Argumentation Qohelets s.u. Kap. 8. 235 Die Übersetzung setzt im hebräischen Text in V.19 zweimal den Constructus hreq.mi und v.a. in V.21 nach breitem Konsens zweimal die Frageform hl'[oh;/td,r,YOh] voraus (vgl. BHS und KRÜGER, BK 19, 164ff; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, HThK, 278; die Vokalisierung des MT mit Artikeln verkehrt die Aussage ins glatte, inhaltlich ›orthodoxe‹ Gegenteil). MANN,

Ausformungen der Grundkonstellation von Leben und Tod

hm'heB.h; x;Wrw> #r,a'l' hJ'm;l. ayhi td,r,YOh]

137

aber der Geist der Tiere – steigt er hinab nach unten zur Erde?

Qohelet eröffnet seine Überlegungen zum von Gott bestimmten Geschick von Mensch und Tier in 3,16–22 mit der empirischen Einsicht (ytiyair'), dass unter der Sonne das Unrecht jedenfalls zuzeiten überhand nimmt und an die Stelle von Recht und Gerechtigkeit tritt (V.16); dennoch hält er – oder angesichts der recht ›erfahrungsfernen‹, spekulativen Deutung vielleicht doch eher ein ›orthodoxer‹ Redaktor 236 – am göttlichen Gericht zur bestimmten Zeit fest (V.17). V.18 setzt nun mit Bezug auf die atl. Schrifttradition der Urgeschichte neu ein und rekapituliert die von Gott beabsichtigte Sonderstellung (rrb) des Menschen und ihr Scheitern 237 , sodass »sie selbst Tiere sind füreinander« (~h,l' hM'he hm'heB.-~h,v.), womit der Zustand von V.16 auch ›biblisch-theologisch‹ eingeholt wird. V.19 begründet dies nun, auf Erfahrung und Schrift basierend, mit dem Mensch und Tier gemeinsamen Geschick: Tod und Sterblichkeit begrenzen beide und beider Leben verdankt sich demselben Geist238. Insofern239, bilanziert der Prediger vorläufig, hat der Mensch keinen Vorteil gegenüber dem Tier: Beide sind vergänglich wie ein Windhauch und kehren als Staub an denselben Ort zurück (V.19f). Ausgehend von diesen erfahrungsgedeckten Erkenntnissen, die auch durch atl. (Schrift-)Tradition gestützt werden, ist es deshalb nach V.21 für Qohelet und seinen die Grenzen der Erkenntnis240 konsequent beachtenden 236

Denn es erfolgt weder eine Zitierung noch eine ablehnende oder kritische Stellungnahme. Ein Nachtrag könnte jedenfalls – ähnlich wie in V.21 – sachlich dann nahe liegen, wenn bei Qoh nur »die eigene Erfahrung positiv beurteilt und als einzig zuverlässige Erkenntnisquelle wertend von Tradition und unmittelbarer Offenbarung unterschieden wird« (SCHELLENBERG, Erkenntnis, 296; s. aber zur Tradition auch im Folgenden). Vgl. zur literarkritischen Einschätzung von V.17 die Übersichten bei SCHWIENHORSTSCHÖNBERGER, a.a.O., 279 und KRÜGER, a.a.O., 180 mit Anm. 37, der selber an der Originalität festhält und in hegelschem Sinn »im Wechsel der Zeiten zugleich auch so etwas wie ein ›Gericht Gottes‹« erkennt (a.a.O., 180; ebenso SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, a.a.O., 279); sekundär ist V.17 etwa nach MICHEL, Qohelet, 139; FISCHER, Apokalyptik, 341ff; ROSE, Qohéleth, 204f. 237 Vgl. dazu Gen 1,26ff; 6–9: 6,3.12f; 9,8ff und KRÜGER, Rezeption, 316f. 238 S. die o. Anm. 31 genannten Belege, bes. Gen 6,17; 7,15.22 (~yYIx; x;Wr); Ps 104,29f; Hi 34,14f. 239 Andere Aspekte neben der Sterblichkeit werden nicht thematisch, etwa das Wissen des Menschen um seine Sterblichkeit, das durchaus als Vorteil (gegenüber den Toten) gilt (9,4f). 240 Sie werden vorab durch den Tod, die Zukunft und das Tun Gottes markiert, vgl. dazu SCHELLENBERG, Erkenntnis, 75ff.

138

Jhwh und das Leben/der Tod

›agnostizistischen‹ Standpunkt241 höchst fragwürdig, eine jenseitige Differenzierung des einen Lebensgeistes vorzunehmen: Das lässt sich weder aus der Erfahrung extrapolieren (V.16.19) noch mit atl. Schrifttradition begründen (V.18f). Dabei kritisiert Qohelet mit seiner von niemandem beantwortbaren Frage ›wer weiß denn, ob …?‹242 an unserer Stelle gar nicht, jedenfalls nicht explizit, die Verlässlichkeit von Jenseitsaussagen überhaupt – wiewohl diese seiner Position höchst fraglich, ja im Grunde völlig spekulativ und beliebig erscheinen243. Vielmehr bestreitet er, im Einklang mit atl. Schrifttradition (s.o. Anm. 238), eine postmortale Differenzierung zwischen Mensch und Tier. Fragt man, was ihn dazu herausfordert, so liegt es nahe, an Psalmaussagen wie 49,13ff und 73,21ff zu denken (s.o. VIII. 1.); sie betonen – im frühjüdischen Horizont allein auf weiter Flur – exakt diesen postmortalen Gegensatz von Mensch und Tier. Dezidiert behauptet das Ps 49,13b.15a*.16: (…) Wmd>nI tAmheB.K; lv;m.nI 49,13b WTv; lAav.li !aCoK; 15a (…) ~[er>yI tw ~veB.; s.a. nicht-performativ hw"hy> ynEp.li Gen 27,7, hw"hyl; Rut 2,20; 3,10 oder !Ayl.[, lael. Gen 14,19. 52 Möglicherweise, weil ein Jhwh-Bezug implizit deutlich genug erscheint (s. Gen 27,33; Dtn 7,14; 28,3–6*; 33,24; s.a. in Primärtexten fragmentarisch KAgr 6,1; einmal auf einer Felsblockinschrift, dazu LEUENBERGER, Segen, 150). 53 Vgl. GREINER, Segen, 47ff; MAIER, TRE 31, 75; HILDEBRANDT, TRE 31, 89.92; KÄHLER, segnen, 261f.

Wohl und Heil im Diesseits

163

erstens zu beachten: »Ein Segenswunsch … ist … kein Segen«54. Und zweitens lässt sich entsprechend zur theologisch intensiv rezipierten Sprechakttheorie konstatieren: Ähnlich wie in performativen, poetischen oder religiösen Sprachvollzügen stellt auch »[f]ür ein magisches Sprachverständnis … die Sprache einen unmittelbaren Faktor der Wirklichkeitsveränderung dar: sie verändert die Welt … bereits in dem, wie sie ist«55. In diesem Sinne kann man mit dem katholischen Praktologen Fulbert Steffenski pointiert festhalten: Die »Magie« enthält eben »manchmal mehr Wahrheit als die pure Aufgeklärtheit«56.

Wie immer man das sieht – deutlich ist, und nur darauf kommt es hier an, dass der (menschlich oder göttlich vermittelte) Segen dem menschlichen Segensempfänger Anteil gibt an der numinosen Lebenskraft: Der Segen stellt offenkundig mit Klaus Koch eine (mehr oder weniger autonome) Wirklichkeitssphäre dar 57 , die Gott und Mensch zusammenhält. Die Segenssphäre, an der der (menschliche oder göttliche) Spender Anteil geben kann, verbindet die göttliche und die weltliche Wirklichkeit miteinander. Die Segnung von Welt und Mensch bewirkt so eine Wohl und Heil bringende »Gotthaltigkeit der Welt« bzw. des Menschen58. Damit ordnet sich die Segenssphäre in die Leitdifferenz von Kosmos und Chaos ein, die für die eisenzeitlichen Religionen des alten Israel fundamental ist (s.o. 3. I. 2. mit Anm. 40) und die eine der wichtigsten und schwierigsten Herausforderungen im Rahmen der monotheistischen Unterscheidung von Gott und Welt bleibt. Deshalb stellt die segensthematische Vermittlungs- bzw. Integrationsleistung von Gott und Welt bzw. Mensch m.E. gegenwärtig einen der zentralen Brennpunkte für die systematische Entfaltung einer christlichen Segenstheologie dar. 3. Kontingenzbewältigung durch Segen im Rahmen der altisraelitischen Diesseitsreligion(en) Es hat sich gezeigt, dass der Segen, der umfassendes Wohl und Heil erstrebt, konstitutiver Bestandteil der Diesseitsreligion(en) des alten Israel (insbesondere der Staatszeit) ist. Der Begriff der Diesseitsreligion bringt dabei den elementaren Sachverhalt zum Ausdruck, dass es im alten Israel 54 So CORNELIUS-BUNDSCHUH, TRE 31, 94 im Anschluss an DIEBNER, Segen, 210ff und WONNEBERGER, Segen, 1073. 55 MÜLLER, Segen, 7; demgegenüber unterscheidet etwa eine semiotische Hermeneutik prinzipiell zwischen Zeichen und Welt. 56 STEFFENSKI, Segnen, 10. 57 Vgl. generell KOCH, Profeten 1, 21ff; ähnlich für die Segensthematik MÜLLER, Segen, 1ff. 58 MÜLLER, a.a.O., 1 (Hervorhebung M.L.), der vorsichtiger formuliert (»so etwas wie«, »gleichsam«); s.a. 1ff.13.31f.

164

Jhwh und das Leben/der Tod

zentral um den Menschen in der Welt, um Glück und Gelingen seines irdischen Lebens geht59. Selbstverständlich, und das ist soeben bei der im Segen anvisierten Gotthaltigkeit der Welt konkret deutlich geworden, wird diese Welt nicht als in sich geschlossenes System wahrgenommen, wie man neuzeitlich-naturwissenschaftlich denkend vielleicht vermuten könnte; sie wird vielmehr als Ort intensivster Begegnung von Irdischem und Göttlichem wahrgenommen. Die Pointe gegenüber sog. Jenseitsreligion(en) besteht deshalb darin, dass das irdische Leben gegen jede Minderung des hic et nunc durch eine Vertröstung auf ein illic et tunc geschützt wird und gerade so sein volles Gewicht erhält – im Gelingen wie im Scheitern. Diesseitsreligion und ihre ›natürliche‹ Theologie60 erweist sich damit keineswegs als banal, sondern gerade wegen ihres engen Wirklichkeitsbezugs als komplex und bisweilen höchst anspruchsvoll. Religionssystematisch betrachtet ›bearbeitet‹ Seg(n)en im alten Israel somit das Problem, dass alles auf ein umfassend gelingendes, gerade auch materiell gesichertes Leben ankommt, dass eben dies jedoch menschlich nicht garantierbar, nicht produzierbar ist, sondern unverfügbar und vom göttlichen Eingreifen abhängig bleibt. Genau diese Spannung lässt sich mit der Rede von der Kontingenzbewältigung durch Segen im Diesseits prägnant zum Ausdruck bringen. Dabei verteilen die unterschiedlichen Formulierungsweisen zwischen performativem Segensvollzug des menschlichen Spenders und jussivischem Segenswunsch an Gott die Gewichte innerhalb der Gott und Mensch verbindenden Segenssphäre sehr unterschiedlich; sie halten aber durchweg an dieser göttlich-menschlichen Wirklichkeitssphäre fest und widerstehen einseitigen Auflösungsversuchen. Deshalb führt die Kontingenzbewältigung durch Segen nicht zu einer vermeintlichen ›Lösung‹ oder ›Überwindung‹ der Kontingenz, sondern vielmehr zu ihrer gesteigerten Anerkennung. Denn die Kontingenz wird ja so ›bewältigt‹, dass

59

Vgl. dazu pointiert GRAF REVENTLOW, Tod, 136: »Durch die Auffassung des Menschen als einer vom Lebenshauch belebten körperlichen Einheit ergibt sich die für altisraelitische Sicht totale Diesseitigkeit aller Lebensvorgänge«. Diese Einschätzung schließt sich DÜRR, Wertung, 2 an: »Die alttestamentliche Religion ist … bis in die Ausgänge des letzten vorchristlichen Jahrhunderts wesentlich diesseitig orientiert« (Kursive im Original gesperrt), und auch nach ZIMMERLI, Weltlichkeit, 114 überschreitet sie »abgesehen von einigen Randaussagen … die Schwelle der Diesseitigkeit nicht« (s. ebenso FOHRER, Grundstrukturen, 171ff; HÜBNER, HWP 5, 56; DIETRICH/VOLLENWEIDER, TRE 33, 582ff; anders liegen die Dinge bekanntlich in Ägypten, s.. dazu SCHLICHTING, LÄ 3, 949ff). 60 Vgl. zuletzt das – im anvisierten trinitarischen Vorverständnis nicht unproblematische – Plädoyer von MCGRATH, Lied (Lit.).

Wohl und Heil im Diesseits

165

das fragile Zusammenspiel von Gott und Mensch in der Wirklichkeitssphäre des Segens nicht aufgelöst, sondern eben gesteigert festgehalten wird. Analoge Kontingenzbewältigungsstrategien im Diesseits lassen sich für das alte Israel auch in den wichtigen Bereichen der Ritualhandlungen, der Opfer und der Gebete nachweisen. Aus diesem Grund scheint es ein Desiderat zu sein, die altisraelitische Diesseitsreligion(en) diachron, regional und soziologisch detaillierter zu rekonstruieren. Dass dazu die Segensvollzüge – wie sie in den althebräischen Inschriften dokumentiert sind – einen prominenten, in der privaten Religionspraxis wurzelnden, jedoch nicht darauf beschränkten Beitrag leisten können, haben die vorgetragenen Überlegungen gezeigt: Segen erstrebt durch umfassendes Wohl und Heil im Diesseits Glück und Gelingen des irdischen Lebens. Damit handelt es sich um ein Konzept zur Kontingenzbewältigung par excellence – ein Konzept, dessen Potential m.E. auch im gegenwärtigen theologischen Kontext weithin noch ungenutzt ist und brach liegt.

Kapitel 5

Die Psalterdoxologien Entstehung und Theologie Eine der stärksten Tendenzen der neueren Psalmenforschung besteht in der der Wiederentdeckung des Psalters als planvolle literarische Komposition: Die Psalmen gelten weithin nicht mehr als ziemlich beliebige Zusammenstellung von 150 Einzeltexten zum Gesangbuch des zweiten Tempels, sondern als kompositionell gestaltetes Lese- und Meditationsbuch schriftgelehrter Frommer, deren Torafrömmigkeit auf alltagsorientierte Weisheitsbelehrung für die Lebensführung in der Gegenwart abzielt. Hermann Spieckermann hat deshalb bereits vor 10 Jahren die »Suchbewegungen des Forschens« unter den Titel »Psalmen und Psalter« gestellt1; und wenig später hat Erich Zenger »[n]eue Perspektiven der Forschung« mit einem Abschnitt »[v]on der Psalmenexegese zur Psalterexegese« begonnen 2 , was sich mittlerweile als Standardbestimmung etabliert hat. Nun stellt es keineswegs eine neue Entdeckung dar, dass die Doxologien den Psalter in fünf Bücher strukturieren; diese Einsicht zählt vielmehr zu den ältesten und bekanntesten der Psalmenauslegung: Der Psalter verdankt seine basalsten und auffälligsten Gliederungssignale offenkundig den Doxologien (s.u. I. 1. mit Anm. 12). Diese bieten daher – zusammen mit weiteren Schlüsseltexten (wie der Eröffnung Ps 1f, den Königspsalmen 2; 72; 89, den Jhwh-König-Psalmen 93–100 und 145 sowie dem Hallelujah-Finale Ps 146–150) – den wichtigsten Zugang zur literarischen Komposition des Psalters und damit auch zur Theologie des Psalters, wie sie im Buchganzen literarisch entfaltet wird; dies gilt jedenfalls dann, wenn man es mit Bernd Janowski für angemessen hält, dass atl. Theologie »nach den alttestamentlichen Überlieferungen in ihrem literarischen und redaktionsgeschichtlichen Kontext [fragt]«3. 1

SPIECKERMANN, Psalmen (1998), 137. ZENGER, ThRv 1999, 443. Vgl. zum Ganzen LEUENBERGER, Konzeptionen, 31ff (Lit.) und jüngst die Beiträge im Tagungsband von ZENGER (Hg.), Composition. 3 JANOWSKI, Theologie, 111. 2

Die Psalterdoxologien: Entstehung und Theologie

167

Am prominenten Beispiel der Doxologien soll daher im Folgenden aufgezeigt werden, dass und wie sich an altbekannten Befunden mit neuen methodischen Zugängen und Fragestellungen weiterführende Beobachtungen, Hypothesen und Auswertungen gewinnen lassen. Ins Zentrum rücken die Aspekte der Entstehung und der sich daraus ergebenden Theologie der Doxologien, weil sich bei ihnen die Beachtung des Buchhorizontes des Psalters in besonderer Weise auswirkt. In methodischer Hinsicht gilt es dabei, wie bei anderen Büchern der HB, mit einer textanalytischen Beschreibung der vorliegenden Endkomposition einzusetzen; erst auf dieser Basis lässt sich dann der redaktionsgeschichtliche Entstehungsprozess rekonstruieren, was beim Psalter aufgrund seiner poetischen Eigenart freilich mit besonderen Schwierigkeiten behaftet ist.

Dementsprechend wendet sich ein erster Teil der Frage der literar- und redaktionsgeschichtlichen Entstehung der Psalterdoxologien zu (I.), wobei sich an die Klärung der literarischen Eigenart (I. 1.) Einzelbeobachtungen zur Genese anschließen (I. 2.) und auswerten lassen (I. 3.). Denn allererst auf dieser Grundlage kann in einem zweiten Teil ein theologiegeschichtlich differenzierter Blick auf die – bisher kaum beachtete – Theologie der Psalterdoxologien geworfen werden (II.), der auf der Basis genereller Überlegungen (II. 1.) die Doxologien im Buchablauf in den Blick nimmt (II. 2.) und abschließend den theologischen Ertrag summiert (II. 3.). So leisten die Doxologien in beiderlei Hinsicht einen zentralen Beitrag zum »Ziel« der »vielfältigen methodischen Zugänge« der Psalterforschung, das sich mit Hermann Spieckermann als (religions- und theologiegeschichtlich fundierte) »Literaturgeschichte der Psalmen und des Psalters« bestimmen lässt4.

I. Entstehung der Psalterdoxologien 1. Der literarische Zusammenhang und Horizont Wie also sind die Psalterdoxologien entstanden5, die die vorliegende Psalterkomposition prägen? Zunächst erinnert ein Blick in die Auslegungsgeschichte daran, dass die doxologische Strukturierung des Psalters in fünf Bücher bereits seit Origenes in der ersten Hälfte des 3. Jh. n. Chr. vertreten 4

SPIECKERMANN, Psalmen, 145. S. zum Folgenden LEUENBERGER, Konzeptionen, 70ff (Lit.); seither bes. LEVIN, Büchereinteilung; BALLHORN, Telos, 44ff. 5

168

Jhwh und das Leben/der Tod

wird. In der neueren Forschung gilt sie – prinzipiell auf der gleichen Quellenbasis, da die Qumranfunde hierzu nichts austragen6 – völlig zu Recht als einer der breitesten Konsense der Psalterforschung. Denn die These einer zufälligen Übereinstimmung und nachkanonischen ›Entdeckung‹, die unter anderem von Hartmut Gese vertreten wurde7, scheitert daran, dass der gemeinsame Grundbestand der Doxologien – also Baruch-, Olam- und Amen-Formel sowie eingeschränkt (durch 89,53) die Näherbestimmung von Jhwh als Gott Israels – sich im AT nur hier und an der damit verbundenen Stelle 1Chr 16,36 findet. Eine Zufallsübereinstimmung lässt sich deshalb fast sicher ausschließen und es liegt ein literarischer Zusammenhang der Formulierungen vor8, wie die folgende Tabelle illustriert. Ps 41,14

hw"hy> %WrB' laer'f.yI yhel{a/

~l'A[h' d[;w> ~l'A[h'me

!mea'w> !mea'

Ps 72,18f

Ps 89,53

hw"hy> %WrB' ~yhil{a/ laer'f.yI yhel{a/ `ADb;l. tAal'p.nI hfe[o AdAbK. ~ve %Wrb'W ~l'A[l. #r,a'h' lKo-ta, AdAbk. aleM'yIw>

hw"hy> %WrB'

!mea'w> !mea'

!mea'w> !mea'

Ps 106,48

hw"hy> %WrB' laer'f.yI yhel{a/

~l'A[l. ~l'A[h' d[;w> ~l'A[h'-!mi

~['h'-lK' rm;a'w> !mea' Hy"-Wll.h;

Abb. 24: Synopse der Psalterdoxologien

Auf welchen literarischen Horizont sich diese Strukturierung bezieht, lässt sich aufgrund der Positionierung und der Kontexteinbindung deutlich entscheiden: Eine Beschränkung auf den jeweiligen Einzelpsalm, wie sie klassisch Sigmund Mowinckel für alle vier Doxologien postulierte9, kann sich 6 Die »fünf Bücher« aus 1Q30 (1QLiturgical Text) lassen sich nicht auswerten (s. LEUENBERGER, a.a.O., 70f Anm. 4). Im Übrigen fehlen die Doxologien – ausgenommen der Schluss von 106,48 (s.u. Anm. 48) – in den Handschriften (auch in 11QPsa). 7 GESE, Entstehung, 159f; so auch FÜGLISTER, Verwendung, 341f und SEYBOLD, HAT 1/15, 2f; DERS., Vorgeschichte, 265f. Noch KOENEN, Komposition, 45ff.95 hält die Doxologien zwar für Abschlüsse älterer Sammlungen, aber nicht für psaltergliederungsrelevant. 8 So mit KRATZ, Tora, 14; ZENGER, Psalter, 27ff; BALLHORN, Telos, 48f u.a. 9 MOWINCKEL meint, »the concluding doxologies in Pss. 41, 72; 89; 106 are connected with the use of each psalm in the temple service of post-exilic times, and were not

Die Psalterdoxologien: Entstehung und Theologie

169

zwar auf den mehr oder weniger engen Anschluss an den Prätext berufen; eine Durchsicht macht aber sofort deutlich, dass sich die Perspektive jeweils außerordentlich stark erweitert (s.u.). Hinzu kommt, dass die Doxologien – zumindest in den ersten drei Fällen – jeweils mit weiteren Makrogliederungssignalen konvergieren: Sie treten am Ende von Sammlungen auf (erster und zweiter Davidpsalter, Korachpsalmen), sind an Königspsalmen angefügt (72; 89) oder weisen mit starken Stichwortinklusionen auf den Buchanfang zurück (yrev.a;-Inklusion um Buch I10; ~l'A[-Rahmen um Buch IV11). Zusammengenommen sprechen diese Befunde klar für einen psalmenbuchweiten Bezugshorizont: Die Doxologien fungieren als Abschlüsse der Psalmenbücher und bilden als solche gemäß der opinio communis12 das stärkste Gliederungssignal des Psalters. 2. Einzelbeobachtungen zur Genese Die entscheidende Frage lautet dann, wie die Genese der Psalterdoxologien zu bestimmen ist. Wie erwähnt werden alle Einzelelemente nur in den Psalterdoxologien sowie in 1Chr 16,36 kombiniert, sodass augenscheinlich ein literarischer Konnex vorliegt. Daher müssen an dieser Stelle die weiteren traditionsgeschichtlichen Hintergründe der Doxologieelemente, die separat und in verschiedenen Kombinationen mehr oder weniger breit gestreut belegt sind13, nicht weiter verfolgt werden. Stammen die added by the collectors as ›concluding formulas‹ for the separate collections« (Worship 2, 193f; ebenso in neuerer Zeit WILSON, Editing, 81f.182ff [185: »integral parts of the pss they accompany«]; ANDERSON, Division, 225). 10 S. yrev.a; 1,1; 2,12; 40,5; 41,2. Die Verbindungen sind hier jedoch ebenso wie im Blick auf Buch III (89,16) oder IV (106,3) fraglich (s. LEUENBERGER, Konzeptionen, 79f). 11 S. ~l'A[-d[; ~l'A[me 90,2/~l'A[h' d[;w> ~l'A[h'-!mi 106,48 als äußere Rahmeninklusion von Buch IV (s. zum Ganzen LEUENBERGER, a.a.O., 80f); der Bezug ist selten und signifikant, weil er die innere Klammer 90,13f/106,45 ergänzt: 90,13 106,45 wyd's'x] broK. ~xeN"YIw: AtyrIB. ~h,l' rKoz>YIw: ^yd,b'[]-l[; ~xeN"hiw> yt'm'-d[; hw"hy> hb'Wv Wnymey"-lk'B. hx'm.f.nIw> hn"N>r;n>W ^D,s.x; rq,Bob; Wn[eB.f; 90,14 Im Buchablauf wird auf diese Weise die Bitte um Reue und Sättigung mit Gnade aus 90,13f im Narrativ von 106,45 eingelöst. 12 Vgl. für sie HOSSFELD/ZENGER, NEB 29, 9f; strittig ist dies nur für 106,48 (s.u. II. 2. d.). 13 S. dazu LEUENBERGER, Konzeptionen, 75. Auch die nur von David und Salomo in Sam–Kön bzw. Chr belegte Kombination von hw"hy> %WrB' + laer'f.yI yhel{a,/ auf die BALLHORN, Telos, 53ff hinweist, bietet kaum weiterführende literargeschichtliche Aufschlüsse; angesichts der Häufigkeit beider Elemente kommen eher traditionsgeschichtliche Auswertungen in Betracht.

170

Jhwh und das Leben/der Tod

Psalterdoxologien nun, wie Reinhard G. Kratz meint14, von einer einzigen Hand, sodass die Formulierungsdifferenzen durchgängig Anpassungen an den jeweiligen Kontext darstellen? Oder muss man mit Christoph Levin15 vier verschiedene Ebenen annehmen, und in welcher Reihenfolge sind diese dann anzuordnen? Wie so oft bei redaktionsgeschichtlichen Rekonstruktionen dürfte die wahrscheinlichste Lösung – wenig spektakulär – irgendwo zwischen den beiden Extrempositionen liegen. Wo sie m.E. zu vermuten ist, soll im Folgenden begründet werden. Nicht wenig hängt dabei – abgesehen von generellen Prämissen wie der Annahme einer planvollen Buchkomposition des Psalters und von redaktionsgeschichtlichen Gesamtmodellen (s.u.) – von den Maßstäben ab. Es sei deshalb explizit festgehalten, dass mir eine Rekonstruktion anhand von zwei Kriterien angemessen erscheint: einerseits anhand der Formulierungsübereinstimmungen und andererseits anhand der Kontexteinbindung16. Beides gilt es in einem kritischen Wechselspiel mit umfassenderen redaktionsgeschichtlichen Hypothesen zu verbinden; dabei liegt die methodische Crux natürlich in der gegenseitigen Korrelation und Korrektur, womit zugleich deutlich ist, dass die beiden Kriterien keineswegs zu einer linearen Abbildung der Entstehungsgeschichte führen – das Gegenteil ist der Fall, wie sich zeigen wird. Analysiert man mit diesem Instrumentarium den vierteiligen Aufbau der Doxologien, lassen sich folgende Befunde beobachten und daran anschließende Hypothesen formulieren: a) Die Segensformel hw"hy> %WrB' Die Segensformel hw"hy> %WrB' in Erstposition ist das konstanteste Element und tritt in sämtlichen Fällen identisch auf. Sie bildet damit die eigentliche Grundaussage der Doxologien; damit wirkt sie nicht nur namengebend, sondern sie ist auch sachlich bestimmend, was es theologisch auszuwerten gilt.

14 KRATZ spricht von »kontextgebundenen Neuformulierungen …, die eigens dafür in den Psalter eingeschrieben wurden, um der Gesamtkomposition ein bestimmtes redaktionelles Profil zu geben« (Tora, 29), das »zu einer der letzten Bearbeitungen des Psalters« gehört (32); nach ihm »erklären sich die Abweichungen aus dem Kontext des Psalters« (16). Ebenfalls eine einzige Ebene vermutet MITCHELL, Message, 75f. 15 LEVIN beurteilt den literarischen Zusammenhang als »schrittweise gewachsen« (Büchereinteilung, 84) und sieht den Anfang in 41,14 oder 72,18f, gefolgt von 89,53 und später 106,48 (84ff). 16 So mit KRATZ, Tora, 15; LEVIN, a.a.O., 87; LEUENBERGER, Konzeptionen, 76.

Die Psalterdoxologien: Entstehung und Theologie

171

Die einzigen Modifikationen liegen in 72,18f vor, wo zwei Erweiterungen vorliegen: Zum einen wird der Adressat als ~yhil{a/ hw"hy> präzisiert, was zweifellos durch den Kontext des elohistischen Psalters bedingt ist. Damit ist aber noch nicht entschieden, ob sich der ursprüngliche Horizont darauf beschränkt 17 oder ob es sich um eine spätere kontextsensible Fortschreibung handelt, wofür m.E. das seltene Jhwh-Elohim eher spricht 18 . Zum anderen folgt in V.19 eine zweite Segnung des herrlichen Jhwh-Namens (AdAbK. ~ve %Wrb'W). Im Horizont von Ps 72 fällt auf, dass in V.18f Jhwh bzw. sein Name selbst doppelt gesegnet wird, während zuvor der König im Zentrum steht (s. Amv. V.17), wenn man19 ihn segnet (V.15) und sich »in ihm« (Ab) die Völker (gegenseitig) segnen (V.17) 20 . Damit vollzieht die Doxologie einen massiven Perspektivenwechsel gegenüber dem Psalmkorpus, indem sie vom messianischen König weglenkt und in theokratischer Weise ganz auf Jhwh selbst fokussiert (s.a. die Einleitung V. 1.)21. Zusammen mit der noch zweimal zu beobachtenden gleichläufigen Tendenz (s.u.) weist dies deutlich auf eine redaktionelle Erweiterung hin, wobei die universalistische Völkerperspektive V.17ab.b als Brücke vom König zu Jhwh fungiert. Dabei scheint zunächst denkbar, dass V.18f mit der Redaktionsebene von V.8–11.15.17ab.b 22 , die vermutlich der messiani17

Dafür plädiert RÖSEL, Redaktion, 37, der literarkritisch differenziert und nur V.18a dem elohistischen Psalter zuordnet; laer'f.yI yhel{a/ ~yhil{a/ hw"hy> %WrB' V.18a ist aber – ohne Olam- und Amen-Formel – schwerlich mit den übrigen Doxologien zu vergleichen. 18 Vgl. v.a. Gen 2f; im Psalter 6-mal: 59,6; 80,5.20; 84,9.12. HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 31f haben mit Recht vermerkt, dass beim Gottesnamen ~yhil{a/ in Ps 42–83 eher eine »theologische Tendenz« mit einer »Gravitation zum Monotheismus« zu Tage tritt als eine schematische Redaktion, wie bes. deutlich etwa Ps 82 vorführt (vgl. DIES., Elohistic Psalter, 40ff: 51 und jetzt differenziert SÜSSENBACH, Psalter, 50ff [Lit.]). Dabei lässt sich häufig, wie hier in 72,18f sonst, ein universalistischer Zug ausmachen. 19 Es lässt sich nicht sicher entscheiden, wer Subjekt und Objekt ist. Doch scheint ab V.15(ab) der König wieder Objekt zu sein und für diese Deutung spricht auch die Parallele zu V.10 (s. SÜSSENBACH, Psalter, 278 Anm. 613); hinzu kommt, dass sich auf diese Weise in V.18f Jhwh und König auch bezüglich des Segens gegenüber stehen. 20 $rb hitp. entspricht deutlich Gen 22,18; 26,4 und benennt in charakteristisch universalistischer Weise den König als Segenskriterium für die wechselseitige Segnung der Völker (s. dazu LEUENBERGER, Segen, 197f mit Anm. 281; 210). 21 S. bereits KOCH, Psalter, 249; neuerdings SAUR, Königspsalmen, 312 oder SÜSSENBACH, Psalter, 286, die die Doxologien der Schlussredaktion zuweist (s. aber u. Anm. 24). 22 Vgl. dazu die konvergierenden Ergebnisse von ARNETH (Sonne, 29ff), ZENGER (Könige, 66ff; DERS., Lektüre, 68f; HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 312fff), JANOWSKI (König, 99; DERS., Psalm 72, 102ff) und SAUR (a.a.O., 134ff). – Weiterer Erörterung bedarf m.E. V.1, der in der Regel diskussionslos dem Grundbestand zugeordnet wird.

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Jhwh und das Leben/der Tod

schen Redaktion 2–89* zugehört23, zu verbinden ist; dagegen spricht jedoch die theokratische Spitze, die eine spätere Herkunft indiziert (s.u. I. 3.)24. b) Der Gott Israels Der Adressat der Segensformulierung, Jhwh, wird – außer in 89,53 – einheitlich als laer'f.yI yhel{a/: »Gott Israels« näherbestimmt. 72,18 bietet wiederum, und nicht zum letzten Mal, einen Zusatz. Die partizipiale Erläuterung ADb;l. tAal'p.nI hfe[o: »der allein Wunder tut« weist zwar keine wörtliche Stichwortverbindung zum Prätext auf25, kontrastiert aber thematisch offenkundig die im Psalm gepriesene (h)qdc-jpvm-Ordnung, die der König gewährleistet. Dagegen betont der im doxologischen Kontext singuläre Einschub, dass exklusiv Jhwh Wunder, also geheimnisvolle Heilstaten26, auszuüben vermag; deshalb wird er bzw. eben sein sich derart manifestierender herrlicher Name gesegnet, wie die nachgeschobene zweite Segensformel unterstreicht. Der Gegensatz zwischen Gott und König ist abermals mit Händen zu greifen. Umgekehrt fällt beim synoptischen Vergleich auf, dass in 89,53 die Näherbestimmung als laer'f.yI yhel{a/ fehlt. Das passt zur im Mittelteil massiv verkürzten Doxologie, die nur gut halb so lang ist wie das Referenzstück in 41,14. Man kann dies als Zufall abtun, eine kontextbezogene Erklärung verdient aber den Vorzug: Erweist sich nämlich in Ps 72 auf dem Höhepunkt des davidisch-salomonischen Königtums die mehrfache Ausweitung der Doxologie als Kontextadaption, so legt sich auch für Ps 89 eine entsprechende Erklärung nahe. Zwar ist bei Urteilen e silentio Vorsicht geboten, doch die düstere Klage in 89,39ff darüber, dass Jhwh sämtliche Heilszusagen an Israel, und zwar für König und Volk, rückgängig gemacht hat, verlangt förmlich nach einer Stellungnahme. Insofern bietet es sich an, die Verkürzung der Doxologie als pointierte »Reaktion auf die im vorangehenden Psalm 89 entfaltete Klage über das Ausbleiben der großen messia23

So insbes. HOSSFELD/ZENGER, a.a.O., 312ff. Dies widerrät auch der Erwägung von SÜSSENBACH, Psalter, 286 mit Anm. 637, 72,18f nicht nur kompositionell über die finalen Segensformeln 66,20; 68,36 mit der Psalmgruppe 65–68 zu verbinden, sondern auch genetisch »das Phänomen der sog. Schlußdoxologie« hier seinen »Ursprungsort« finden zu lassen. 25 twalpn findet sich in Buch II nur in 71,17 und wird demgegenüber in 72,18 stark universalisiert. 26 Vgl. CONRAD, ThWAT 6, 576: Es handelt sich um »Heilstaten Gottes, die für die menschliche Seite unerklärlich und unbeschreiblich sind, von dieser aber als äußerst wirkungsmächtige und ihre Existenz bestimmende Ereignisse erfahren werden«. 24

Die Psalterdoxologien: Entstehung und Theologie

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nischen Zusagen JHWHs«27 zu verstehen. Damit legt sich eine redaktionsgeschichtliche Verbindung mit dem messianischen Psalter 2–89* nahe 28, als dessen Abschluss Ps 89 verfasst oder redigiert wurde29: 89,53 zieht ein nüchternes Fazit, das zwischen Resignation und Restaurationshoffnung schwankt30. c) Die ~l'A[-Formel Das dritte Element, die ~l'A[-Formel, legt den zeitlichen Horizont der Doxologie fest; er wird auf zwei Arten bestimmt: Während 41,14 und 106,48 Vergangenheit und Zukunft gleichgewichtig einbeziehen, bieten 72,19 und 89,53 einfaches ~l'A[l.. Damit beschränken 72,19 und 89,53 die Segnung Jhwhs auf die zukünftige Erstreckung bis in fernste Zeit. Eine Erklärung der Begrenzung fällt schwer, zumal wenn man, was am wahrscheinlichsten ist, wieder eine Verkürzung gegenüber 41,14 annimmt. Es muss bei Erwägungen bleiben, die das Fehlen kontextuell zu plausibilisieren versuchen: Namentlich im positiv gestimmten Ps 72 erschiene der Einbezug der Vergangenheit stimmig, sodass ein Verweis auf die Überlänge 31 ein unbefriedigender Notbehelf bleibt. Denn zum Ersten werden nun – im Unterschied zur sonstigen Tendenz der Doxologie – Jhwh und König parallelisiert (nach V.17 soll ja der 27

ZENGER, Psalter, 29. Zu ihm s.u. Anm. 52. So etwa mit HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 316 für 41,14; 72,18f; 89,53 (s. dazu u. Anm. 65), was ihre andernorts geäußerte Sicht korrigiert: »Die formelhafte kurze Schlußdoxologie V 53, …, erweist sich deutlich als späterer Zusatz« (597). – Demgegenüber beschließt 89,53 nach KRATZ, Tora, 19 »allein die Sammlung von Sängerpsalmen 73–89«, was aber voraussetzt, dass 72,20 analog zu den Doxologien funktioniert. Umgekehrt nehmen STEYMANS, Psalm 89, 357ff Ps 2–100* und SAUR, Königspsalmen, 162 die Gesamtkomposition in den Blick. 29 Die diachrone Genese von Ps 89 wird kontrovers beurteilt (s. das Referat von HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 581ff und jetzt profiliert STEYMANS, Psalm 89, 302ff), wobei in neuerer Zeit ein Trend zu einer weitgehend einheitlichen Abfassung auszumachen ist (vgl. bes. SAUR, Königspsalmen, 158ff; bes. für V.53 BARBIERO, Salmo 89, 543f). 30 HOSSFELD, Ps 89, 179 beobachtet zutreffend: Jhwh »allein begründet das davidische Weltregiment, vgl. Ps 89,22–26.28«, doch sollte man dies nicht als »theokratische Tendenz« bezeichnen, die »in den auf Ps 89 folgenden Psalmen aufgegriffen wird«. Denn einerseits entspricht die Einsetzung und Sicherung des Davididen und seiner Herrschaft dem ›messianischen‹ Grundbestand von Ps 2 (bes. V.2.5f.8) und andererseits exponieren die Jhwh-König-Psalmen 93ff Jhwh gerade als immediaten Weltkönig, der keines irdischen Repräsentanten mehr bedarf. 31 So erwägend noch LEUENBERGER, Konzeptionen, 109. Auch eine Weglassung aus metrischen Gründen vermag – zumal neben V.18 – nicht zu überzeugen. 28

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Jhwh und das Leben/der Tod

Name des Königs ~l'A[l. bestehen). Und zum Zweiten folgt eben die Ergänzung #r,a'h' lKo-ta, AdAbk. aleM'yIw>: »und es wird/soll voll seiner Herrlichkeit werden die ganze Erde«, womit die zeitliche Andauer um die spatiale Universalität komplementiert wird; dies bildet exakt das theokratische Gegenstück zur universalen Völkersicht in V.17ab.b. Deswegen könnte man dann am ehesten noch erwägen, ob sich das einfache ~l'A[l. an der entsprechenden Zukunftsperspektive für den Namen des irdischen Königs V.17aa orientiert. Ergänzend dazu lässt sich eine makrokompositionelle Erklärung bedenken (s.u. I. 2. mit Anm. 72). Im Kontext von Ps 89 und Buch III erscheint dieselbe Kurzfassung in einem ganz anderem Licht: In der erreichten Nullpunktsituation wird die vergangene Zeit, die im Untergang des davidischen Königtums mündet, schlichtweg ignoriert und nicht in den Jhwh-Segen eingeschlossen. Entsprechend kann man diskutieren, ob die Zukunftsperspektive angesichts des ~l'A[l. zugesagten Königtums (V.37) eher restaurativ oder eher utopisch angelegt ist. Auf jeden Fall wird auch in 89,53 unter die Segnung Jhwhs das doppelte Amen gesetzt, das diese als gültig bekräftigt und ihr in pragmatischer Hinsicht zustimmt. Nun zur doppelten Formulierung in 41,14 und 106,48: Der Zukunftsaspekt wird mit ~l'A[h' d[;w>: »bis in die fernste Zeit« semantisch minimal anders formuliert als in Ps 72 und 89; vielleicht kann man eine sukzessive Fortsetzung (»bis in die fernste Zeit«) von einer statischen Andauer (»in fernste Zeit«) unterscheiden32, doch ist die Differenz möglicherweise auch insignifikant. Ähnliches gilt für die Detailabweichung im Vergangenheitsbezug zwischen 41,14: ~l'A[h'me und 106,48: ~l'A[h'-!mi. Da semantisch beide Wendungen identisch sind, lässt sich die Differenz nicht kontextbezogen oder tendenzkritisch auswerten. Will man nicht mit einem Zufall rechnen, da der textkritisch völlig unstrittige Befund vielleicht doch ein unterschiedliches Sprachgefühl artikuliert, so weist – auch – diese Nuance in literarkritischer Hinsicht auf unterschiedliche Ebenen33, wie es auch von der übergreifenden Redaktionsgeschichte her zu vermuten ist. Und dass 41,14 dann die ältere Stelle darstellt, versteht sich im Rahmen der gängigen diachronen Modelle mit Recht von selbst.

32 Nach JENNI, THAT 2, 233 »ist bei ad-lm fast immer das sukzessive zeitliche Fortschreiten in die Zukunft ausgedrückt« »[i]m Unterschied zu lelm mit seiner mehr statischen Bedeutung der endgültigen Dauer«. Das lässt sich an den Doxologien hingegen kaum verifizieren (insbes. an 41,14 und 72,18f nicht). 33 So mit BALLHORN, Telos, 49.

Die Psalterdoxologien: Entstehung und Theologie

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d) Das doppelte Amen Das doppelte Amen validiert die Doxologie und verleiht ihr abschließende Gültigkeit; es bezieht sich in seiner anaphorischen Eigenart primär auf die voranstehende ›Benediktion‹ und öffnet sich allenfalls indirekt zum vorangehenden Psalm(enbuch)34. Die einzige Abweichung bietet hier der Schlussvers von Ps 106, der am Ende die Standardform in doppelter Weise modifiziert: Zum einen nimmt er – explizierend oder innovativ interpretierend – eine liturgische Ausgestaltung vor, indem er das Amen vom Volk sprechen lässt: ~['h'-lK' rm;a'w:> »und es spreche das ganze Volk«. Zum anderen soll nun eben nicht zweimal Amen gesagt werden, sondern Hy"-Wll.h; !mea.' Dass hier die jüngste Doxologie im Psalter vorliegt, ist in allen gestuften Erklärungsmodellen aus generellen redaktionsgeschichtlichen Überlegungen heraus – (auch) der Psalter ist hauptsächlich gegen hinten angewachsen – unbestritten. Strittig ist hingegen das Verhältnis zu 1Chr 16. Dort wird nach Ps 105 und 96 auch 106,1.47f zitiert, wobei die Doxologie fast identisch formuliert ist und nur am Schluss minimal variiert: hw"hyl; WdAh hw"hyl; WdAh Hy"Wll.h; Ps 106,1 ADs.x; ~l'A[l. yKi bAj yKi ADs.x; ~l'A[l. yKi bAj yKi (~h,ybeAv-lK' ynEp.li ~ymix]r;l. ~t'Aa !TeYIw: 46) Wn[ev.yI yhel{a/ Wn[eyviAh Wrm.aiw> Wnyhel{a/ hw"hy> Wn[eyviAh 47 ~yIAGh;-!mi WnleyCih;w> WnceB.q;w> ~yIAGh;-!mi WnceB.q;w> ^t,L'hit.Bi x;BeT;v.hil. ^v,d>q' ~vel. tAdhol. ^t,L'hit.Bi x;BeT;v.hil. ^v,d>q' ~vel. tAdhol. laer'f.yI yhel{a/ hw"hy>-%WrB' laer'f.yI yhel{a/ hw"hy>-%WrB' 48 ~l'A[h' d[;w> ~l'A[h'-!mi ~l'A[h' d[;w> ~l'A[h'-!mi ~['h'-lk' Wrm.aYOw: ~['h'-lK' rm;a'w> !mea' !mea' hw"hyl; lLeh;w>: Hy"-Wll.h;

1Chr 16,34

35

36

Abb. 25: Ps 106,1.46–48/1Chr 16,34–36 im Vergleich

Auf das Ganze besteht gegenwärtig nahezu einhellige Übereinstimmung darüber35, dass 1Chr 16 die rezipierende Seite ist; das gilt auf jeden Fall in Bezug auf Ps 105, 96 und 106,1.47, denn namentlich die auf die Rückkehr aus dem Exil gemünzte Rettungsbitte Ps 106,47/1Chr 16,35 gehört genuin in den Geschichtsabriss von Ps 106; im chronistischen Horizont wird sie durch das vorangestellte Wrm.aiw> liturgisch inszeniert, womit gewissermaßen 34 35

Vgl. dazu LEUENBERGER, Konzeptionen, 74f. Vgl. die Diskussion bei LEUENBERGER, a.a.O., 212ff.

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Jhwh und das Leben/der Tod

das Modell von Ps 106,48 bereits für die Rettungsbitte umgesetzt wird36. Für die Doxologie selbst ist nun die Abhängigkeitsrichtung strittig: Kratz meint, der Einbezug des ganzen Volks passe nur in 1Chr 16 37, während Levin eben gerade dies bestreitet38. Angesichts des Volkshorizontes in Ps 106,4(f).40(ff) erscheint ~['h'-lK' rm;a'w> nun in der Tat »als Abschluß eines Psalms des Volkes und seiner Geschichte nur natürlich«39. Die Gegenprobe in 1Chr 16 ergibt, dass sowohl der pluralische Narrativ Wrm.aYOw: als auch das syndetisch verbundene und den Gottesnamen explizierende hw"hyl; lLeh;w>: in die Erzählsituation von 1Chr 16 passt, wo David bei der Ladeeinweihung den Asaphiten aufträgt, »Jhwh zu danken (hw"hyl; tAdhol.)«. Deshalb dürfte Ps 106 auch bezüglich der Doxologie die Spendestelle sein und auf Seiten von 1Chr 16 eine durchgängige Abhängigkeit bestehen40. Erhärtet wird dies durch den erwähnten Olam-Rahmen von Buch IV (s.o. Anm. 11) sowie durch eine weitere Makroinklusion des gesamten Psalters mittels 3,9/106,47f41. Diese literarischen Bezüge, die sich wahrscheinlich einer Ps 106 erweiternden Redaktion zuweisen lassen 42 , belegen konkret auch für Ps 106, dass ein psalmenbuchweiter Horizont im Blick steht und die Doxologie sich nicht auf den Einzelpsalm beschränkt 43 . Denn das Urteil, dass sich 106,48 »so gut in das Corpus des Psalms ein[fügt], wie es wohl keine der

36

Zu weiteren Kontextadaptierungen s. LEUENBERGER, a.a.O., 213f. KRATZ, Tora, 15; diesem Argument habe ich früher zu viel Gewicht beigemessen (s. LEUENBERGER, a.a.O., 214f und u. Anm. 40). 38 LEVIN, Büchereinteilung, 88. 39 BALLHORN, Telos, 133. 40 Vgl. noch mit größerer Zurückhaltung LEUENBERGER, Konzeptionen, 215f.258. So jetzt auch LEVIN, Büchereinteilung, 86ff; ebenso MATHYS, Dichter, 204f; KOCH, Psalter, 268f; ZENGER, Psalter, 28; SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 246f.250. 41 Die Belege decken die Pole der Rettung-Segen-Relation zwischen Jhwh und Volk ab und sind im Ablauf des Psalter zu verstehen (s. zur ausführlicheren Analyse LEUENBERGER, a.a.O., 203f.215.258): ~yIAGh;-!mi WnceB.q;w> Wnyhel{a/ hw"hy> Wn[eyviAh h['Wvy>h; hw"hyl; 3,9 106,47 37

^t,L'hit.Bi x;BeT;v.hil. ^v,d>q' ~vel. tAdhol. ~l'A[h' d[;w> ~l'A[h'-!mi laer'f.yI yhel{a/ hw"hy>-%WrB' Hy"-Wll.h; !mea' ~['h'-lK' rm;a'w>

48 42

^t,k'r>bi ^M.[;-l[;

Vgl. dazu LEUENBERGER, a.a.O., 205ff (Lit.). Anders neuerdings etwa KOENEN, Komposition, 46: Er vermutet »einen Zusatz, der sich ursprünglich allein auf den näheren Kontext bezog«; dies erwägen auch SAUR, Königspsalmen, 310 und BALLHORN (s. folgende Anm.). 43

Die Psalterdoxologien: Entstehung und Theologie

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anderen Schlußdoxologien im Psalter tut« 44, wird durch einen Vergleich mit 72,18f eindeutig widerlegt. Angesichts der planvollen intertextuellen Bezüge besitzt 106,48 eine Buch IV und zugleich den damals vorliegenden Psalter abschließende Funktion, was sich redaktionsgeschichtlich auswerten lässt im Blick auf einen vierteiligen theokratischen Psalter 2–106* (s.u. I. 3.). Wie 72,18f und 89,53 wird auch 106,48 als kontextadaptierte Rezeption der doxologischen Grundform aus 41,14 verständlich: Christoph Levin hat jüngst mit Recht betont, dass sich das Spezifikum ~['h'-lK' rm;a'w> »wörtlich neben Ps cvi 48 nur noch in Dtn xxvii 16–26 [findet], und dort nicht weniger als elfmal in Kette«45: Ps 106,48 zitiert offenkundig die (Segen-)FluchZeremonie aus Dtn 27; er tut dies vermutlich, um im Horizont der dtr. ›Sündengeschichte‹ von Ps 106, die in einer kollektiven Bitte um Rettung aus der Exilsnotlage mündet (V.47), das ganze Volk liturgisch-zeremoniell auf die Segensdoxologie zu verpflichten und so »den Psalter als das doxologische Gegenstück zur Tora zu verstehen« zu geben46. Im mutmaßlichen Psalterhorizont 2–106* resultiert auf diese Weise mit Klaus Koch »eine sinnvolle Folge hin zum bekräftigenden Amen des ganzen Volkes 106,48«47. (Nur in Klammern sei an dieser Stelle angemerkt, dass wohl auch die Ersetzung des zweiten Amen durch Hallelujah48 auf das Konto der Redaktion von Ps 2–106* geht49, während die jetzigen Vernetzungen mit Ps 107 als Eröffnung von Buch V später von dorther angelegt wurden50.) 3. Auswertung a) Die literarischen Verbindungen Wertet man die vorgelegten Beobachtungen zusammenfassend aus, ergibt sich, dass die Doxologien literarisch zusammenhängen und das stärkste 44

BALLHORN, Telos, 134; nach ihm gerät sie durch die Kontexteinbindung »auf seltsame Weise in die Schwebe. Ihre Wirkung als Buchabschluss ist nicht mit jener der anderen Doxologien zu vergleichen« (135). Er zählt sie vielmehr zur Gruppe 105–107, die Mose- und Davidkonzepte verbinde (127ff.363). 45 LEVIN, Büchereinteilung, 88; s.a. die Hinweise von KRATZ, Tora, 16. 46 LEVIN, a.a.O., 88. 47 KOCH, Psalter, 259; s. 248f. 48 Ebenso im fragmentarischen Manuskript 4QPsd (s. DJD 16, 66 [SKEHAN/ULRICH/ FLINT]), das wie folgt beginnt (Kol. 1, Z.5): [ ] vacat hylala[h] !a[ma ~[h lk rmaw]. Diesbezüglich führt der Qumranbefund also nicht weiter, zumal danach Ps 147 folgt. 49 Vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 206ff. Einen Konnex zur Schlussredaktion mit Ps 146–150 vermuten HOSSFELD/ZENGER, NEB 29, 10. 50 S. LEUENBERGER, a.a.O., 211f.285.

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Jhwh und das Leben/der Tod

Gliederungssystem des vorliegenden Psalters etablieren. Aus der literarkritischen Analyse resultieren die folgenden Auswertungen: 41,14 und 106,48 weisen die engsten Übereinstimmungen auf, gehören aber unterschiedlichen Ebenen an, wie die Olam-Formulierung belegt; dabei ist 106,48 aus redaktionsgeschichtlichen Gründen anerkanntermaßen spät entstanden, ja von den Doxologien insgesamt am jüngsten. Als früheste Möglichkeit kommt ein Abschluss von Buch IV in Frage und dies verdient angesichts der literarischen Vernetzungen, die auf die Buch IV formierende Redaktion führen, den Vorzug gegenüber einer späteren, rein numerischen und »kein Eigengewicht« besitzenden Eintragung51. 41,14 lässt sich dann mit 89,53 verbinden, wenn auch 41,14 (frühestens) der sog. messianischen Redaktion zugeordnet wird. Denn 89,53 bildet nach breitem Konsens den Abschluss des messianischen Psalters 2–89* aus der spätpersischen Zeit des 4. Jh. v. Chr.52, wie sich aufgrund der Kontexteinbettung vermuten lässt (s.o. bei Anm. 28). Dabei setzt 89,53 auf jeden Fall 41,14 voraus (sei es synchron oder diachron), weil sich eine kontextbedingte Erweiterung in 41,14 nicht erhärten lässt. 41,14 kann auch nicht auf eine gemeinsame Ebene mit 72,18f zu stehen kommen: Die Verkürzung zum einfachen ~l'A[l. in 72,19 lässt sich nicht bzw. nur mit Mühe als Kontextvariation von 41,14 erklären, und umgekehrt ist eine Erweiterung in 41,14 nicht plausibel, da ~l'A[l. 41,13; 72,17 sich in 41,14 bezüglich Jhwhs ausweitet, in 72,19 Jhwh aber mit dem König parallelisiert wird. Deutlich ist, dass 72,18f und 89,53 keine gemeinsame Herkunft besitzen, wie die übereinstimmende Olam-Formulierung zunächst vermuten lassen könnte; verunmöglicht wird dies jedoch durch die starken Unterschiede der Länge und v.a. der theologischen Ausrichtung. In genetischer Hinsicht bleibt somit zunächst zu klären, ob 41,14 (mit oder ohne 89,53) oder 72,18f älter ist und damit die ›Vorlage‹ für die übrigen Formulierungen abgibt, und auf welchen Ebenen die Doxologien eingefügt wurden. Aus redaktionsgeschichtlichen Gründen ist die Priorität beider Stellen denkbar, denn ob der erste oder der zweite Davidpsalter als Sammlung älter ist, bleibt vorderhand umstritten 53 . Klaus Koch hat auf51

So LEVIN, Büchereinteilung, 89, der auf der Ebene des Gesamtbuchs eine oberflächliche Gliederung vermutet, die Buch IV mit 17 Psalmen gleich lang macht wie Buch III, aber nicht kompositionell eine eigene Teilsammlung abschließt. 52 S. LEUENBERGER, Konzeptionen, 91f mit Anm. 84 (Lit.); 388f Anm. 366. Der Konsens hat sich seither in jüngsten Arbeiten noch verstärkt (s. nur SÜSSENBACH, Psalter, 385f; MARTTILA, Reinterpretation, 197; s. aber o. Anm. 28). 53 Vgl. LEVIN, Büchereinteilung, 84f, der die Entscheidung offen lässt.

Die Psalterdoxologien: Entstehung und Theologie

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grund der Kontextbezüge von 72,18f vermutet, »daß am frühesten an dieser Stelle eine Doxologie, nur zu diesem Text, angefügt worden« sei 54 . Dagegen spricht jedoch die dezidiert theokratische Umbiegung, die der Psalm durch die Doxologie erfährt und die m.E. erst als spätere, korrigierende Einschreibung in den messianischen Psalter verständlich wird 55 . Dann spricht aber alles dafür, dass in 41,14 (gegebenenfalls zusammen mit 89,53) die älteste Doxologie vorliegt, wie gleich zu präzisieren ist. b) Redaktionsgeschichtliche Synthese Die Psalterdoxologien sind also sukzessive entstanden. Eine redaktionsgeschichtliche Synthese ergibt, dass in 41,14 die Doxologie gewissermaßen in ihrer reinen und zugleich ältesten Grundform vorliegt, während die Abweichungen in 72,18f, 89,53 und 106,48 durchwegs 56 als Kontextanpassungen auf den verschiedenen Redaktionsebenen des messianischen Psalters 2–89* (89,53) und des doxologisch vierteiligen theokratischen Psalters 2–106* (72,18f; 106,48) zu erklären sind. (1) 41,14 ist intertextuell nur locker vernetzt, indem ~l'A[l. aus V.13 ausgeweitet wird. Entstehungsgeschichtlich gilt es neben der Grundform der Doxologie und deren ausgesprochen lockeren Kontexteinbindung den kollektiven Segen-Rettung-Themabogen in Ps 3–14 zu beachten. Insbesondere letzterer dürfte sich mit der Redaktion des ersten Davidpsalters 3– 41* verbinden lassen 57 . Zusammengenommen machen es diese Befunde zwar nicht gerade »[z]iemlich sicher …, daß die Doxologie xli 14 hinzukam, als die Sammlung Ps iii–xli noch für sich bestanden hat«58, sie spre54

KOCH, Psalter, 249. Die »Relativierung bzw. Korrektur« notiert KOCH, ebd. zwar auch, zieht daraus aber keine Konsequenzen. Tendenzkritisch kommt ein Abschluss von 51–72* oder eine Untergliederung des elohistischen Psalters 42–83* kaum in Frage (anders LEVIN, Büchereinteilung, 85, der 72,18f als Schlussdoxologie des elohistischen Psalters deutet). Vielmehr stützt die zum elohistischen Psalter quer stehende, weil ihn zerteilende Positionierung eine spätere Verortung (so mit SAUR, Königspsalmen, 310), die sich an 72,20 orientiert. – Demgegenüber will BARBIERO, Psalm 72, 82ff diesen Umschwung wenig überzeugend als Gesamtbewegung des (einheitlichen) Psalms fassen. 56 Eine Ausnahme bildet in 106,48 die Detailabweichung der Olam-Formulierung mit ausgeschriebenem !mi, und Schwierigkeiten bereitet die Ewigkeitsformel auch in 72,19 und 89,53, wo sie nur die Zukunft umfasst (s.u. bei Anm. 72). 57 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, NEB 29, 56.100; DIES., Gottesvolk 34ff; LORENZIN, LB.PT 14, 60ff. 58 LEVIN, Büchereinteilung, 85. – Die Verortung ergibt sich ja primär aus den redaktionsgeschichtlichen Querbezügen zu Ps 3–14*, die aber nicht zwingend auf einer Ebene liegen müssen (s. den analogen Fall o. Anm. 24). 55

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chen aber doch am ehesten für diese Verortung, wobei man mit FrankLothar Hossfeld und Erich Zenger erwägen kann, ob die Doxologie bereits für die älteste, »(spätvorexilische) Sammlung Ps 3–41*« geschaffen wurde59. Trifft dies zu, bildet 41,14 in der Tat die Grundform und genetisch zugleich die Vorlage für die übrigen Doxologien, sodass dies gegenüber der gleichzeitigen Verortung von 41,14 und 89,53 im messianischen Psalter die wahrscheinlichere Alternative ist. In einer historisierenden Ablauflesung60 bezieht sich 41,14 demnach – auf dem durch das Doppelportal von Ps 1f61 eröffneten ›Weg‹ des Psalters – auf die situativ variierenden Klage- und Dankvorgänge des ersten Davidpsalters und weitet dessen abschließende Rettungsaussage 41,12f aus. (2) Demgegenüber ist 72,18f am engsten in den vorangehenden Psalm eingepasst62, nimmt aber zugleich die stärkste theokratische Umakzentuierung vor: Jhwh, der Gott schlechthin, ebenso wie sein Name werden weltweit als alleinige Wirkmacht von ›Wundern‹ dem davidischen König gegenübergestellt. Da dies einer Verbindung mit dem messianischen Psalter63 widerrät und da sich eine literarkritische Schichtung von 72,18f nicht überzeugend durchführen lässt (s.o. Anm. 17), kommt redaktionsgeschichtlich – vorab aus konzeptionellen Gründen – eine postmessianische Einschreibung in Betracht (s.o. mit Anm. 55). Dabei liegt es am nächsten, entweder wegen der Sachentsprechung zu Ps 2,10–12 eine Korrelation mit der Erweiterung auf Ps 2–100* anzunehmen 64 oder noch wahrscheinlicher eine Verbindung mit der ebenfalls theokratischen Redaktion von Buch IV zum

59

HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 33; s.a. DIES., NEB 29, 14.260. Vgl. dazu neben KRATZ, Tora, 21ff Referat und Darstellung bei LEUENBERGER, Konzeptionen, 95ff; 118ff mit Anm. 157 (Lit.). 61 Vgl. dazu LEUENBERGER, a.a.O., 94f; LEVIN, Gebetbuch, 359ff und zuletzt JANOWSKI, Freude, 28ff. 62 Das gilt für alle vier Erweiterungen; auch das $rb-Element für sich ist keineswegs lockerer eingebunden als die ›Doxologien‹ (gemeint sind %WrB'-Formeln), die ZENGER, Könige, 71 als Belege für eine ›echte‹ »kompositionelle und semantische Einbindung einer Doxologie in einen Psalm« anführt (ebenso HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 316). 63 So HOSSFELD/ZENGER (s.o. Anm. 23 und u. Anm. 65). 64 In Ps 2 und 72 liegt ein paralleles Nebeneinander von messianischer und theokratischer Perspektive vor; 2,10–12 gehört dabei ausweislich der Korrespondenz von 2,11/ 100,2 auf diese Ebene (s. dazu LEUENBERGER, Konzeptionen, 94 Anm. 85; 169 Anm. 158); interessanterweise ordnet ihr STEYMANS auch 89,53 zu (s.o. Anm. 28). 60

Die Psalterdoxologien: Entstehung und Theologie

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Psalter 2–106*65, der sich auch 106,48 zuweisen lässt (s.u.), zu vermuten. Dafür spricht das gemeinsame theokratische Profil66 – das freilich in der Schlussdoxologie 106,48 am Ende des theokratischen Buchs IV nicht mehr eigens explizit gemacht wird – und das offenkundige Interesse dieses Psalters an doxologischen Abschlusssignalen. So kann man erwägen, ob die Verkürzung der Ewigkeitsaussage in 72,19 aus 89,53 übernommen wurde, um eine chiastische Gesamtstruktur zu erreichen, doch ist das nicht mehr als eine Mutmaßung. Auf jeden Fall fügt sich im historisierenden Buchablauf die zweite Doxologie passend zum Höhepunkt, der mit dem für Salomo konzipierten Königspsalm 72 erreicht wird, stellt aber Jhwh sehr dezidiert dem irdischen König gegenüber. Nur angemerkt sei, dass die Notiz zum Ende der Gebete Davids 72,20 höchst wahrscheinlich eine ältere Zäsur markiert67, an der sich V.18f orientiert hat. Am plausibelsten erscheint eine Verortung im Zuge der Anhängung von Ps 73–8368 (wohl bei der Schaffung eines asaphitischen Psalters 50–83* oder eines elohistischen Psalters 42–83*), denn in einem selbstständigen Davidpsalter 51–72* ergibt 72,20 wenig Sinn.

(3) Die durch Weglassung von laer'f.yI yhel{a/ und Kürzung der Ewigkeitsformel fast auf die Hälfte gekürzte Doxologie 89,53 beschränkt sich in der Nullpunktsituation am Ende von Buch III auf den minimalen Segensvollzug zugunsten Jhwhs (s.o.)69, der aber trotz allem für die Zukunft aufrechterhalten wird. Redaktionsgeschichtlich hat sich dies als Abschluss des messianischen Psalters plausibilisieren lassen (s.o. Anm. 28f.52), womit der wohl ältere Abschluss 41,14 an den neuen Kontext adaptiert wird: 65

Das habe ich knapp angedeutet: LEUENBERGER, a.a.O., 77.109f. Dagegen bleibt die Einordnung von V.18–20 (!) in den »Zusammenhang der Redaktion des Psalters« durch ARNETH, Sonne, 203 zu unspezifisch. Umgekehrt nehmen HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 316 – allein wegen des doppelten Amen, das in 106 fehlt – an, dass 41,14 von der messianischen Redaktion in 72,18f und 89,53 zeitgleich rezipiert wurden: Dass diese Doxologien »in der ›Amen-Bekräftigungsformel‹ gleich sind, spricht dafür, daß sie auf die gleiche Hand zurückgehen«. M.E. verbietet jedoch die theokratische Tendenz in 72,18f eine Verbindung mit dem messianischen Psalter. 66 Vgl. zu Ps 101–106 LEUENBERGER, Konzeptionen, 248ff. 67 S. statt vieler KRATZ, Tora, 19; ZENGER, Könige, 72; SAUR, Königspsalmen, 312. 68 So etwa RÖSEL, Redaktion, 53f; HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 314; SÜSSENBACH, Psalter, 49f; s. zu den redaktionsgeschichtlichen Optionen ZENGER, Könige, 71ff. 69 KOCH, Psalter, 249 erwägt, ob die Kürze von Buch III zur knappen Doxologie geführt hat, doch spricht 106,48 nach dem ebenfalls 17 Psalmen umfassenden Buch IV dagegen.

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Es liegt nun ein doxologisch zweigliedriger Psalter vor70; er wird durch die Abschlussbemerkung 72,20 (sowie möglicherweise durch weitere partielle Zäsuren nach Ps 49 oder 83) zusätzlich gegliedert, und von diesen Eckpunkten her wäre die kompositionelle Logik des messianischen Psalters genauer aufzuschlüsseln. Nach dem mit Ps 72 erreichten Höhepunkt beschreibt Buch III im Ganzen (trotz einzelnen Vorgriffen auf das Exil) den Niedergang durch geschichtliche Gerichtserfahrungen bis zum Ende des Königtums, das die knappe Doxologie 89,53 am Ende des Königspsalms 89 in der o. beschriebenen Weise akzeptiert – mit dem Festhalten an der Segnung Jhwhs. (4) Die letzte Doxologie 106,48 wird am Ende der Unheilsgeschichte von Ps 106 liturgisch so ausgestaltet, dass das ganze Volk mit Amen (und Hallelujah) antwortet. Aufgrund der Rückbezüge auf Ps 90 und sogar auf Ps 3 zeichnet hier wahrscheinlich die Redaktion von Buch IV verantwortlich. Zusammen mit 72,18f liegt dann die jüngste Ebene der Psalterdoxologien vor, die sich an 89,53 orientiert und die doxologische Grundform aus 41,14 in 72,18f und 106,48 kontextadaptiert einfügt, um den VierBücher-Psalter 2–106*71 doxologisch zu gliedern und damit segenstheologisch zu prägen (bzw. in pragmatischer Hinsicht zu legitimieren). Dabei lässt sich erwägen, ob die Olam-Formulierung (auch) eine chiastische Gesamtstrukturierung andeutet72. Im Rahmen einer historisierenden Ablauflesung präsentiert Buch IV die nahtlose Fortsetzung der geschichtlichen Notlage des Exils, die im Geschichtspsalm 106 rekapituliert wird und in der zuversichtlichen Rettungsbitte V.47 gipfelt. Daraufhin ergeht die liturgisch stilisierte Doxologie in V.48, die mitsamt ihrem vorausweisenden Hy"-Wll.h; dann in Buch V konsequent eingelöst und zu einem universalen Abschluss mit dem Hymnus auf die hw"hy> tWkl.m; in Ps 145 und dem Finalhallel in Ps 146–150 gebracht wird. Wenn diese Überlegungen zutreffen, so hat der doxologisch geprägte Psalter hier seinen formativen Abschluss gefunden. Denn das später sukzessiv angefügte Buch V wird bekanntlich durch ein System von ›WdAh  Hy"-Wll.h;‹ gegliedert73 und nicht mehr mit dem Segen für Jhwh abgerundet74:

70

S. LEUENBERGER, Konzeptionen, 109f. Vgl. bereits KOCH, Psalter, 260.273. 72 So mit ZENGER, Psalter, 28f, während KRATZ, Tora, 16 eine dem Umfang nach alternierende Abfolge vertritt (s. zum Ganzen LEUENBERGER, Konzeptionen, 77 Anm. 34). 73 Vgl. das Referat bei LEUENBERGER, a.a.O., 267ff.276ff. 74 So liegt es auch nach KOCH, Psalter, 250 nahe, »dass die ersten vier Teile einmal ein Psalterbuch für sich gebildet hatten«: »Nicht Lob und Preis, … sondern feierliche 71

Die Psalterdoxologien: Entstehung und Theologie

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Eine Schlussdoxologie zu Buch V fehlt ja, auch wenn es ziemlich bemerkenswert ist, dass der in vielerlei Hinsicht als eigentlicher Höhepunkt markierte Ps 145 75 von einer individuell-universalen Segnung Jhwhs eingerahmt ist, die sich locker von den Doxologien inspirieren lässt, Jhwh aber direkt anspricht, ihn als persönlichen Königsgott näherbestimmt und auch das ~l'A[l.-Element variierend aufnimmt (V.1f.21). %l,M,h; yh;Ala/ ^m.miAra] (...) 145,1 (...) Ich will dich erhöhen, mein Gott und König, und deinen Namen loben für immer und ewig. d[,w" ~l'A[l. ^m.vi hk'r]b'a]w: &'k,r]b'a] ~Ay-lk'B. 2 Allezeit will ich dich preisen (...) d[,w" ~l'A[l. ^m.vi hl'l.h;a]w: und loben deinen Namen immer und ewig. (...) yPi-rB,d;y> hw"hy> tL;hiT. 21 Das Lob Jhwhs verkünde mein Mund, Avd>q' ~ve rf'B'-lK' %reb'ywI und alles Fleisch segne seinen heiligen Namen d[,w" ~l'A[l. für immer und ewig. Festzuhalten ist selbstverständlich, dass die beibehaltene doxologische Buchstrukturierung auch für den vorliegenden Psalter 1–150 bestimmend bleibt, obwohl ein neuer Schlussakzent angefügt wird. Erst durch diese Fortschreibung und Abrundung des Psalters durch Buch V entsteht die jetzige Fünf-Bücher-Struktur, die weithin – aber nicht unproblematisch – als Analogie zur Tora des Mose verstanden wird76. Ob diese Tora-Entsprechung besteht und wie sie näherhin zu bestimmen ist, bleibt mangels Hinweisen schwierig zu entscheiden und kann hier nicht im Einzelnen erörtert werden 77 . Beachtung verdient jedoch der Sachverhalt, dass die Segensthematik in beiden Prädikation von $rb als Mitte des göttlichen Wesens wird zum Zweck der Psalmenrezitation« (260). 75 ZENGER, Psalter, 29f versteht Ps 145 aus diesem Grund als »kompositionellen Schlußpsalm des fünften Buchs, der … im Horizont dieses doxologischen Systems [sc. von 41,14 usw., M.L.] zu lesen ist«. Und noch einen Schritt weitergehend meint MARTTILA, Reinterpretation, 200 sogar, »that Ps 145:21 contains the doxology for the fifth book«. Demgegenüber wird häufiger 150,6 oder Ps 150 insgesamt als Abschlusselement herangezogen (vgl. nur KOCH, Psalter, 248ff, der umsichtige Auswertungen anfügt). 76 Vgl. die Lit. bei LEUENBERGER, Konzeptionen, 84 Anm. 57; 374 Anm. 353; s.a. folgende Anm. Im Blick auf die Abhängigkeitsrichtung gilt es indes zu beachten, dass die Fünfteilung nur im Psalter makrokompositionell zentral und sinntragend ist (LEUENBERGER, ebd.). – Wegen der fehlenden fünften Doxologie kritisch bleibt etwa BALLHORN, Telos, 49. 77 Nicht in Frage kommt eine Korrelation im Sinne eines parallelen (heilsgeschichtlichen) Ablaufs oder einer kontinuierlichen Synagogenlesung (s. gegen beides KOCH, Psalter, 248). Eine interessante These im Anschluss an V. RAD, Theologie 1, 366f vertritt ZENGER, Ps 23, 333, der die Psalmen als »lobpreisende Antwort« »Israels auf das in der Tora bezeugte Handeln des Gottes Israels« versteht. Dies dürfte für den späten ›kanon-

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Korpora eine zentrale Rolle spielt: Während der Pentateuch eine segensthematische Rahmung durch Gen/Dtn aufweist78, die auf die Verwirklichung von Segen für Israel zielt, wird der Psalter durchgängig durch die Jhwh segnenden Doxologien (gegebenenfalls inklusive Ps 145) strukturiert und formuliert damit Israels Reaktion und Antwort an Jhwh auf die mit ihm gemachten Gotteserfahrungen (die sich freilich kaum mit der Großerzählung des Pentateuch gleichsetzen lassen). Insofern scheinen der Psalter und seine Fünfteilung zunächst aus sich selbst verständlich zu werden.

Diese synthetische Skizze hat nochmals verdeutlicht, dass die Psalterdoxologien eine mehrphasige Entstehungs- und Redaktionsgeschichte durchlaufen haben und im historisierenden Ablauf des Psalters jeweils passgenau für die Psalmenbücher, die sie beschließen, formuliert wurden. Dies ergibt sich, wenn man anhand methodisch transparenter Beobachtungen zu Formulierungsbestand und Kontexteinbindung im Rahmen neuerer redaktionsgeschichtlicher Gesamtmodelle zu rekonstruieren unternimmt, wie sich die Genese der planvoll positionierten Doxologien im Detail am ehesten abgespielt hat. Das Resultat markiert dabei exakt die Gegenposition zur Standardmeinung vor Jahrhundertfrist: Carl Steuernagel konnte die damalige Forschung repräsentativ so bilanzieren, »daß die Doxologien nicht eingefügt sind, um den Psalter in fünf Bücher einzuteilen, sondern daß umgekehrt die Einteilung in fünf Bücher die ungesuchte Folge der vier Doxologien am Schluss von Ps 41. 72. 89. und 106 war«79.

II. Theologie der Psalterdoxologien Vor über 20 Jahren hat Ernst Jenni zutreffend moniert, dass von den »Doxologien … meist nur die Rede [ist], wenn es um die literargeschichtlichen Fragen des Werdens und Wachsens des jetzigen Psalters geht. … Viel seltener als diese literarkritischen Einleitungsprobleme kommen Fragen der Gattung oder gar des theologischen Inhalts zur Sprache«80. Jenni konzentriert sich dann zwar seinerseits auf die Traditionsgeschichte und Pragmatik der Doxologien, doch seine Einschätzung hat in der Zwischenzeit nichts

geschichtlichen‹ Rückbezug von Ps 1 via Mal 3 auf Jos 1/Dtn 34 zutreffen, angesichts des unterschiedlichen Geschichtshorizontes von Tora und Psalter jedoch schwerlich für vorangehende Formationsphasen des Psalters. 78 Vgl. dazu LEUENBERGER, Segen, 348ff.352ff.373f (Lit.). 79 STEUERNAGEL, Einleitung (1912), 748. 80 JENNI, Schlussformeln, 114.

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an Prägnanz eingebüßt81. Denn auch die inzwischen etablierten redaktionsund kompositionsgeschichtlichen bzw. endtextbasierten Zugänge interessieren sich kaum für die abschätzig sog. ›Formeltheologie‹ der Doxologien – m.E. zu Unrecht. Auf der Basis der entstehungsgeschichtlichen Rekonstruktion lassen sich vielmehr weitreichende theologische Überlegungen zu den Psalterdoxologien anstellen. Dies geschieht aus der keineswegs neuen Überzeugung heraus, dass theologische Konzeptionen literargeschichtlich in ihren jeweiligen Entstehungskontext eingebunden sind und theologiegeschichtliche Transformationen sich im diachronen Längsschnitt oft besonders scharf profilieren lassen. Aber auch unabhängig davon besteht in der neueren Psalterforschung weitestgehende Einigkeit darüber, dass die Doxologien auch auf der Endtextebene des Psalters eine Fünf-Bücher-Struktur signalisieren (oder – wenn man die Doxologien der Schlussredaktion zuordnet – gar etablieren)82. Deshalb bieten die Psalterdoxologien für jede an der literarischen Komposition orientierte Theologie des Psalters wegweisende Einsichten. Ich setze mit grundlegenden Erörterungen zur Konstellation der Segensdoxologien ein (II. 1.), um dann unter Beachtung des jeweiligen literarischen Kontexts im Buchablauf den theologischen Ertrag auswerten zu können (II. 2.). 1. Zur Konstellation der Segensdoxologien Es hat sich gezeigt, dass die Doxologien in der Regel aus vier Elementen bestehen: Die einleitende Segensformel hw"hy> %WrB': »gesegnet ist/sei Jhwh« vollzieht die eigentliche Segensprädikation, die dann im Blick auf den Adressaten, den Zeitbezug und die Gültigkeit näher bestimmt wird. Der grundlegende Vorgang der Doxologie besteht somit im %WrB'-Vollzug83, der Aufschluss über Eigenart, Gehalt und Funktion der Doxologie gibt. Beschreibt man diese Segenskonstellation im Horizont der atl. Segensformulierungen84, ist folgendes Profil auszumachen: (1) Formal liegt ein sog. Partizip Qal passiv vor, das die einzige belegte Form von $rb im Qal ist und im AT einen knappen Sechstel der $rb-Be81

Vgl. zuletzt den Titel von LEVIN: Die Entstehung der Büchereinteilung des Psalters (2004). 82 Anders nur die Vertreter eine zufälligen Anordnung (s.o. Anm. 7). 83 Vgl. zu ihm BALLHORN, Telos, 51ff (Lit.), LEUENBERGER, Segen, 449f u.ö. 84 Vgl. dazu und zum Folgenden umfassend LEUENBERGER, a.a.O. und jetzt auch AITKEN, Blessing.

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lege ausmacht. Das passive Partizip entspricht »syntaktisch praktisch den Adjektiven«85; es ist daher (statt als striktes Passiv86 besser) als Verbaladjektiv zu fassen im Sinne von: ›voll von Segenskraft sein‹, ›mit Segenskraft ausgestattet sein‹87. Damit steht es zwischen den finiten Verbalformulierungen, die insbesondere im Piel den Vorgang betonen, und den Nomina, die auf den bewirkten Zustand bzw. Gehalt abheben. Der Nominalsatz hw"hy> %WrB' besitzt dabei eine »indikativisch-jussivische Bedeutungsambivalenz« 88 , die syntaktisch nur in Verbalsätzen ausdifferenziert werden kann, ansonsten aber durch den Kontext bestimmt wird. Dieser führt in den vorliegenden Fällen indes nicht weiter – außer vielleicht in Ps 7289. Grundsätzlich ist entscheidend, dass der (jussivische) Segenswunsch – zumindest aus menschlicher Perspektive – die Wirklichkeit schaffen soll, die in der (indikativischen) Segensprädikation ausgesagt 85

BARTELMUS, Einführung, 65; s.a. JOÜON/MURAOKA, Grammar, § 50b–d.121q. Bei einem vorwiegend im Piel auftretenden Verb wäre nicht Qal, sondern Pual als Passiv zu erwarten. S. WEHMEIER, Segen, 108ff; RENZ, HAE 2/1, 30f. 87 So im Anschluss an PEDERSEN, Israel 1–2, 199; WEHMEIER, Segen, 66.117; MITCHELL, BRK, 168f u.a. 88 MÜLLER, Kolloquialsprache, 21, vgl. 49f; s. DERS., Segen, 6ff. 89 Hier finden sich im Prätext von V.15.17 eindeutig – auch Segen beinhaltende – jussivische Wünsche für den König. Sie legen es für V.18f ebenfalls nahe, den Segen für Jhwh als Wunsch zu verstehen. Im Posttext wäre dementsprechend auch die Parallelaussage von V.19 jussivisch aufzufassen: #r,a'h' lKo-ta, AdAbk. aleM'yIw:> »und es soll voll seiner Herrlichkeit werden die ganze Erde«. Freilich bleibt auch denkbar, dass die Doxologie erst mit aleM'yIw> V.19 in den Wunschmodus wechselt, während zuvor indikativische Segensvollzüge vorliegen: »Gesegnet ist sein herrlicher Name in fernste Zeit, und (dann endlich) soll voll seiner Herrlichkeit werden die ganze Erde«. Schließlich lässt sich als dritte Möglichkeit erwägen (und dabei ist auch die Zustandsaussage Jes 6,3 zu beachten [alm + (w)dwbk + #rah lk neben der späten Stelle Num 14,21 nur hier im AT], die futurisierend – aber wie: indikativisch oder jussivisch? – rezipiert wird), ob die w-yiqtolForm aleM'yIw> indikativisch als Zukunftsvoraussage zu lesen ist: »und (dann endlich [sc. wenn sich der Segen ~l'A[l. erstreckt]) wird voll seiner Herrlichkeit werden die ganze Erde«. Neigt man, aufgrund der Kumulation von jussivischen Indizien, für Ps 72 einem Gesamtverständnis der Doxologie als Segenswunsch zu, dann heißt das redaktionsgeschichtlich, dass jedenfalls auf dieser Ebene (des doxologisch vierteiligen Psalters 2–106* [s.o. I.]) die Psalterdoxologien als Wünsche verstanden werden und dies dann auch für den vorliegenden Psalter anzunehmen ist, während offen bleibt, ob dies bereits für die älteren Vorstufen in 41,14 und 89,53 zutrifft. Im Blick auf das Gesamtverständnis gilt es gleichwohl zu betonen – und das ist m.E. der entscheidende Punkt –, dass aus der menschlichen Perspektive der Psalmenbeter die Intention der Segenszuschreibung für Jhwh unzweideutig feststeht – ganz unabhängig davon, ob man von einem Segensvollzug oder -wunsch ausgeht. 86

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wird: Der Jussiv gilt als nicht weniger wirkmächtig als der Indikativ. Von daher ist m.E. zu erwägen, ob im Blick auf den heutigen deutschen Sprachgebrauch nicht eine unmissverständlich affirmative Übersetzung mit »gesegnet ist Jhwh« zu favorisieren wäre. Daneben gilt es die semantische Offenheit und den verbaladjektivischen Sinn im Blick darauf, dass $rb nicht nur von Menschen, sondern eben auch von Gottheiten – konkret: von Jhwh, dem Gott Israels – ausgesagt wird, zu beachten. Diese identische Verwendung für menschliche und göttliche Segensobjekte belegt, dass $rb eine theologisch-anthropologische Reziprozität besitzt 90 ; im Rahmen eines pragmatisch am Gebrauch orientierten Sprachverständnisses empfiehlt sich daher auch im Deutschen eine – bislang eher ungewohnte und insofern ›sprachschöpferische‹ – kohärente (Arbeits-)Übersetzung von $rb mit »segnen«91. (2) Der Segensgehalt, der uns – zumal im Blick auf Jhwh – am meisten interessieren mag, bleibt leider ohne jede Präzisierung. Es gestaltet sich deshalb schwierig, die »Grundbedeutung … ›Heilskraft, heilschaffende Kraft‹«92 kontextuell zu konkretisieren. (3) Ebenfalls ungenannt bleibt der Segensspender, doch ist hier deutlich, dass es sich auf der literarischen Ebene um den oder die Psalmenbeter und auf der realen Ebene um die sich damit identifizierende Leserschaft handelt. Darüber hinaus deutet Ps 106 eine liturgisch stilisierte Differenzierung an zwischen dem/den Psalmenbeter(n) und dem ganzen Volk Israel, das Amen sagen soll (während auf der Leserebene weiterhin beide Rollen eingenommen werden). (4) Am interessantesten ist im altorientalischen93 und im atl. Horizont, dass der Segensempfänger Jhwh ist. Dass im Psalter – anders als im AT 90

So im Anschluss an VETTER, Gebete, 15 (»Gegenseitigkeitsbegriff ›segnen‹«) und FRETTLÖH, Theologie, 401f, die von einer »asymmetrischen Reziprozität zwischen Gott und Mensch« spricht. Anders optieren hingegen WEHMEIER, Segen, 231: »Nicht der Mensch segnet Gott, sondern Gott segnet den Menschen. Diese Beziehung ist nicht reziprok« und jetzt wieder AITKEN, Blessing, 112f.116, der semantisch zwischen beiden Relationen unterscheiden will (›to bless‹ und ›to praise‹). 91 Vgl. zum deutschen Sprachgebrauch GRIMM/GRIMM, Wörterbuch 10, 100ff.118ff; DUDEN3 8, 3506f und das Referat von HECKEL, Segen, 12f. – Vgl. etwa die entsprechende Wiedergabe von Martin Buber: »Gesegnet Er« oder in der Bibel in gerechter Sprache: »gesegnet sei …«. 92 KELLER/WEHMEIER, THAT 1, 354f; ebenso auch MÜLLER, Segen, 3f; RENZ, HAE 2/1, 30. 93 Schon auf den ersten Blick ist deutlich, dass Gottheiten im alten Orient noch seltener als Segensempfänger auftreten als im alten Israel (Inschriften [s. KAgr 7; EGed 3] und AT). Es ist ein Desiderat, dies insbes. für die nordwestsemitischen Sprachen (brk)

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sonst – darauf der Akzent liegt, erweist schon ein flüchtiger Blick auf die Statistik: Zunächst dominiert in den 83 Belegen die vertikale Segensrelation zwischen Gott und Mensch (71-mal) massiv gegenüber unbestimmten oder horizontal-zwischenmenschlichen Vorgängen (12-mal). Dabei ergehen die aussagekräftigeren verbalen Segensformulierungen doppelt so häufig von Menschen an Jhwh (43-mal) wie von Jhwh an Menschen (22mal) 94 . Näherhin findet sich die Segnung Jhwhs durch Menschen neben den fünf buchkompositionell zentralen Belegen der Schlussdoxologien auch in zahlreichen Einzelformulierungen (z.B. 66,8.20; 68,20.36; 96,2; 100,4; 144,1 s.a. die Selbstaufforderung 103,1f.22; 104,1.35), wobei auch hier die knappe Formel yn"doa]/~yhil{a//hw"hy> %WrB' vorherrscht (13-mal). Zumal auf der Buchebene der Psalterdoxologien spielt also die vertikale Segensrelation die entscheidende Rolle – und zwar als Bewegung von ›unten‹, von den Psalmenbetern (Israels), nach ›oben‹, zu Jhwh, dem Gott Israels. Diese Näherbestimmung des Adressaten indiziert, dass der Segensvorgang im Verhältnis von Jhwh und Israel begründet ist; insofern sie nur am absoluten Tiefpunkt in Ps 89 fehlt, fügt sich dies ausgezeichnet zu einer historisierenden Ablauflesung des Psalters, wie sie o. I. 2. umrissen wurde. Zu präzisieren ist dabei, dass Jhwh als Segensempfänger nicht direkt angesprochen wird, sondern im Kommunikationsvorgang auf der menschlichen Ebene in der dritten Person auftritt95. Wenn man also den Psalter auch aufgrund der vertikalen Segensrelation theologisch als Antwort Israels auf seine Gotteserfahrungen versteht, was m.E. durchaus angemessen ist, so ist zu beachten, dass sich auf der Buchebene des Psalters diese Antwort nicht direkt an Jhwh richtet, sondern in zwischenmenschlicher Kommunikation – freilich coram deo – formuliert wird, also eine »Rede über Gott« darstellt96. Diese Sprechrichtung verunmöglicht es, aus der generellen Reziprozität von $rb zu folgern, dass die – auf Jhwh bezogenen – Doxologien

und für das Akkadische (karbu) umfassend und detailliert aufzuarbeiten (vgl. vorläufig AHw, 446 s.v. 3b; CAD 8, 192ff s.v. 2a)! 94 Anders liegen die Dinge bei den 9 nominalen Belegen, wo 6-mal Menschen Segen erhalten; 3 Belege sind unbestimmt oder ergehen zwischenmenschlich, was auch für die restlichen 9 der 74 Verbalbelege gilt. 95 Das ändert sich später, im Anschluss an Formulierungen wie 119,12; 1Chr 29,10 (hw"hy> hT'a; %WrB'), in den den gesamten Alltag prägenden twkrb: »Segnungen/Segenssprüchen« mit ihrer stereotypen Eröffnung yy hta $wrb: »gesegnet bist/seist du, Jhwh« (s. dazu SCHÄFER, TRE 5, 560; AITKEN, Blessing, 90.101). 96 So mit BALLHORN, Telos, 50; s.a. HOSSFELD/ZENGER, NEB 29, 11.

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»pragmatisch auch als Segen über Israel gesprochen werden«97 oder dass die Leser damit »die Psalmen als für sie gültige, segensreiche Lebensanweisung« rezipieren98. Als gültig werden die Psalmen zwar übernommen, wie das Amen dokumentiert, aber das Segensverständnis wird so radikal transformiert, dass von einer segensreichen Lebensanweisung im üblichen Sinn keinesfalls gesprochen werden kann (s.u. II. 2.). (5) Der Segensvollzug erfolgt in diesem Kommunikationsgeschehen sprachlich, d.h. konkret durch das Beten und Rezitieren des Psalters. Im Gegensatz zu ursprünglichen Segenskonstellationen, bei denen der Handlungsanteil mit der sprachlichen Äußerung kombiniert wird oder diese gar marginalisiert (vgl. insbesondere Gen 27*; 32*), ereignet sich in den Psalterdoxologien die Segnung ausschließlich sprachlich: Die Doxologien werden ›eulogisch‹ gesprochen99. Das ändert aber nichts daran, dass die (verbale) Segnung eine ›magische Funktionsweise‹ impliziert, insofern sie – ebenso wie die nonverbale Segenshandlung – mit Hans-Peter Müller »unverständlich« bleibt, »wenn man ihren jeweils mehr oder weniger gegenwärtigen Ursprung nicht in einer Kraftübertragung sieht«100: Jeder menschliche Segen – sei er Wunsch oder vollmächtiger Vollzug – vermittelt seiner Intention nach lebensförderliche Kraft. Versteht man die Segensdoxologien des Psalters im Horizont der atl. Segensthematik insgesamt, geht es in 97

BALLHORN, a.a.O., 61, s. 58f. HOSSFELD/ZENGER, NEB 29, 11. 99 So JENNI, Schlussformeln, 118 der sie vom Hymnus abgrenzt: Die Doxologien sind »nicht hymnisch, sondern eben ›eulogisch‹, nicht zu singen, sondern zu sprechen«. Im Unterschied zu Jennis Einschätzung gilt dies m.E. jedoch auch für die literarische Verwendungsweise im Psalter, wo »die Doxologien literarisch geworden« sind (KRATZ, Tora, 14). 100 MÜLLER, Segen, 3; s.a. LEUENBERGER, Segen, 482ff. – Magie stellt im gegenwärtigen Kontext, der dringend eine religionssystematische Klärung des Magieverständnisses im alten Israel und im angrenzenden alten Orient erfordert (als Komplement zur exegetischen Monographie von SCHMITT, Magie), freilich ein missverständliches Reizwort dar. Indes scheint mir auch der namentlich von Erhard Blum, Bernd Janowski, Matthias Köckert und Jörg Jeremias in die Diskussion eingebrachte Begriff des menschlichen Korrespondenzverhaltens der näheren Präzisierung aufgrund der quellenbasiert rekonstruierbaren Vorgänge zu bedürfen. An dieser Stelle muss die Problemanzeige genügen, s. die Übersichten bei SCHMITT, a.a.O., 5ff.62ff; BUSCH, Magie, 12ff, der Magie stark »von den soziologischen Bezugsgrößen bestimmt« sein lässt und in Verbindung mit Unterscheidung von Innen- und Außensicht als »Konsensphänomen« fasst (17); dies greift jedoch in doppelter Weise zu kurz, denn einerseits ändert etwa auch eine in der Referenzgruppe anerkannte Verwendung von apotropäischen Amuletten nichts an deren magischer Funktion und andererseits dürften Individuen wie Gruppen nicht selten magische und magiekritische Lebensvollzüge mehr oder weniger bewusst miteinander kombinieren. 98

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ihnen daher um einen (gewünschten oder vollzogenen) magischen Transfer von Segenskraft vom Spender zum Empfänger, der im Anschluss an Klaus Koch am besten als Anteilgabe an der (relativ) autonomen heilvollen Wirklichkeitssphäre des Segens verständlich wird 101 und in diesem Sinne ein (auf Gotteserfahrungen reagierendes [s.o. I. 3. bei Anm. 78]) ›regressive blessing‹ darstellt102. (6) Dabei beansprucht die Segnung Jhwhs bleibende Gültigkeit: Sie gilt »bis in (die) fernste Zeit« (~l'A[l. 72,19; 89,53/~l'A[h' d[;w> 41,14; 106,48), und im besseren Fall wird auch die Vergangenheit einbezogen, und zwar »seit der fernsten Zeit« (~l'A[h'me 41,14; ~l'A[h'-!mi 106,48). Die Segensrelation erfährt also eine ›Verewigung‹103: Segen bildet nicht eine diskrete Momentaufnahme, sondern eine stetige, vielzeitige Verhältnisbestimmung Israels zu Jhwh, die im historisierenden Ablauf an bestimmten Schlüsselstellen (vonseiten Israels) zur Sprache gebracht und bekräftigt wird. Und eben diese ›verewigte‹ Segensrelation wird bejaht und für gültig erklärt durch den Amen-Abschluss (s.o. I. 2. d. mit Anm. 34): Er ist als doppeltes !mea' bzw. als Hy"-Wll.h; !mea' formuliert, welch letzteres in Ps 106 durch den Sprecherwechsel liturgisch stilisiert und mit zusätzlichem Gewicht versehen wird. (7) Schließlich ist zu konstatieren, dass die Segensformel ohne Begründungen, Bedingungen oder argumentative Erläuterungen erfolgt. Es wird also nicht explizit gemacht, auf welchen Ursachen der Segen beruht, worauf er reagiert, unter welchen Konditionen er geschieht oder in welche Zusammenhänge er eingebettet ist. Alle diese Aspekte müssen aus dem Kontext erschlossen werden (s.u. II. 2.). Dies gilt namentlich auch für 72,18f, wo – ähnlich wie in manchen Einzelformulierungen, die auf Jhwhs Hilfe, Rettung usw. als wahrscheinliche Ursache für die (reaktive) Segnung Jhwhs verweisen – der Gott Israels im Stil des partizipialen Hymnus als alleiniger Wundertäter (im Unterschied selbst zum König) gepriesen wird und damit vermutlich ein Grund für den doxologischen Segensvollzug impliziert wird. 2. Theologischer Ertrag: Die vom Tun-Ergehen-Zusammenhang unabhängige Segnung Jhwhs im historisierenden Buchablauf des Psalters Aus einer Bündelung der bisherigen Erörterungen ergibt sich der theologische Ertrag: Ein erster Durchgang hat gezeigt, dass und wie die Doxolo101

S. ähnlich MÜLLER, a.a.O., 1ff und passim. Vgl. zu dieser Kategorie MURTONEN, Meaning, 175f. 103 So JENNI, Schlussformeln 119f. 102

Die Psalterdoxologien: Entstehung und Theologie

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gien sukzessive entstanden sind und dass sie jeweils größere Teilsammlungen beschließen, die auf den letzten Ebenen – denen des Psalters 2–106* und der Endgestalt – als die Bücher I–IV zu bestimmen sind. Dabei fügen sich die Doxologien in den historisierenden Buchablauf des Psalters ein, indem sie die davidisch-salomonische Blütezeit der Bücher I und II positiv bis euphorisch abschließen, den Niedergang des Königtums mit dessen Ende in Buch III jedoch nüchtern besiegeln, um endlich an der Hoffnung auf die Wende aus dem Exil in Buch IV teilzuhaben, die sich dann in Buch V sukzessive für ›Israel‹ und ›alles Fleisch‹ realisiert. Diesen Befund gilt es zu kombinieren mit der im zweiten Durchgang vorgenommenen Analyse der Segenskonstellation der Psalterdoxologien: Die auch sonst im Psalter dominierende Segensbewegung von unten nach oben verdichtet sich an den doxologischen Schlüsselstellen zur ~l'A[l. geltenden und mit doppeltem !mea' bekräftigten Segnung Jhwhs, des Gottes Israels (o.ä.), durch die Psalmenbeter. Der theologisch entscheidende Punkt besteht m.E. nun darin, dass die Psalterdoxologien ihre Gestalt zwar dem jeweiligen Makrokontext anpassen, jedoch am grundlegenden Segensvorgang, wie ihn die %WrB'-Formel zum Ausdruck bringt, konstant festhalten: Die Segenskonstellation passt sich in der Umschreibung des Empfängers, in der Ausführlichkeit und Stimmungslage sowie im Einbezug der Vergangenheit dem jeweiligen Kontext an, weist aber grundsätzlich eine Vollzugskonstanz auf. Das Festhalten an der Segnung Jhwhs auch in der absoluten Krisensituation von Ps 89, in der König, Staat und Volk ans Ende gekommen sind, ist dabei höchst erstaunlich. Denn gemäß dem (überkommenen und weisheitlich geprägten) basalen Wirklichkeitsverständnis hängt der Segensvollzug vom Tun-Ergehen-Zusammenhang ab und setzt Wohlergehen bzw. eine positive Relation zwischen Segensspender und -empfänger voraus, während bei Missergehen bzw. bei einem negativen Verhältnis eben eine Verfluchung erfolgt. Im Fall von Ps 89 wäre (ähnlich wie im Fall Hiobs) eben dies Letztere zu erwarten: wenn nicht ein expliziter Fluch gegenüber Jhwh oder eine radikale Absage, so doch etwa scharfe Anklagen, resignierende Feststellungen oder eindringliche Bitten und in der Folge v.a. der Verzicht auf eine explizite Segnung. Nun enthalten die Klagen über den Verlust des Königtums und über die Vergänglichkeit generell in 89,39.47ff104 ja man104

Redaktionsgeschichtlich wäre hier vom Kontext (Ps 88; 90) her genauer zu differenzieren (vgl. nur HOSSFELD/ZENGER, HThK 2, 582ff.597f); dabei ließe sich m.E. eine Kollektivierung und historisierende Deutung auf das Geschick des Volks ›Israel‹ beobachten (s.o. 3. V. mit Anm. 174).

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Jhwh und das Leben/der Tod

che dieser Elemente – und dennoch bildet die Segensdoxologie den entscheidenden Schlusspunkt. Dieser spannungsvolle Sachverhalt gewinnt erst recht an Brisanz, wenn man sich den vermutlich signifikantesten Befund der $rb-Statistik im Psalter vor Augen führt, dass nämlich Buch III außer in 89,53 keinen einzigen verbalen Beleg von $rb aufweist105! In dem auf den absoluten Nullpunkt zusteuernden Buch III fehlt also die Segensrelation ›Israel-Jhwh‹ völlig – bis auf die redaktionelle Schlussdoxologie, die wider Erwarten und wider Israels Erfahrungen an der Segnung Jhwhs festhält! Hier – und nach der vorgenommenen Rekonstruktion handelt es sich theologiegeschichtlich um die vermutlich spätperserzeitlich zu verortende messianische Redaktion von Ps 2–89*106, deren Impetus von den Folgeredaktionen übernommen und durch die Kontrastierungen in Ps 72 und 106 noch verstärkt wird – spielt sich m.E. eine grundlegende Transformation der Segenstheologie ab, wie sie sich in dieser Radikalität sonst nur in der Rahmenerzählung des Hiobbuchs findet 107 : Wie dort steht die vertikale Segensrelation im Zentrum, nun jedoch nicht im Blick auf die (paradigmatische) Einzelgestalt ›Hiob‹, sondern im Blick auf das Kollektiv ›Israel‹ bzw. die Psalmenbeter. Auch in den Psalterdoxologien wird die Segensrelation Israels zu Jhwh grundsätzlich vom Ergehen Israels abgelöst. So sehr mit der Notlage gehadert, mit der Katastrophe gerungen, auf die Notwende gehofft wird – es hat sich (wie in der Hiob-Rahmenerzählung) die Einsicht Bahn gebrochen, dass das Gottesverhältnis nicht vom menschlichen Ergehen abhängt; vielmehr definiert die davon abgekoppelte Segensrelation das intakte Gottesverhältnis: Unabhängig von den Wechselfällen des Lebens – 105

Der einzige weitere nominale Beleg in 84,7 handelt vom Ackersegen, betrifft also die Segensrelation ›Israel-Jhwh‹ gar nicht. 106 S.o. Anm. 52. – Möglicherweise ließe sich auf dieser Linie eine engere Verwandtschaft zur zweistufigen Hiob-Rahmenerzählung herausarbeiten, die zeitlich und insbes. auch segenstheologisch enge Entsprechungen zeigt (s. die Hinweise in der folgenden Anm.); diese Nähe wäre im Blick auf weitere Themen zu substanziieren. 107 Vgl. dazu LEUENBERGER, Segen, 418ff, bes. 439ff (Lit.); im narrativen Kontext des Hiob-Rahmens lässt sich die Transformation noch deutlicher herausarbeiten. In kanon- und rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht sei erwähnt, dass in der namentlich von Hieronymus (im prologus [galeatus] in libro regum der Vulgata [s. WEBER/GRYSON, Biblia sacra 365,36ff]) bezeugten Abfolge ›Hiob  Psalmen‹ eine Perspektivierung des Psalters durch die Hiob-Rahmenerzählung erfolgt, was die vorgeschlagene Deutung der Segensdoxologien zusätzlich plausibilisiert – wiewohl dies kaum die historisch ursprüngliche Ketubim-Anordnung darstellt und weit von den entstehungsgeschichtlichen Vorgängen im Psalter entfernt ist (s. LEUENBERGER, Konzeptionen, 20 Anm. 66 [Lit.] und zum Ganzen jetzt SCHMID, Christologien, 49ff).

Die Psalterdoxologien: Entstehung und Theologie

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und d.h. konkret inmitten, trotz oder jenseits aller geschichtlichen Höheund Tiefpunkte Israels mit Königtum, Exil und Exilswende samt Sammlung und Rettung – wird Jhwh mit der konstanten %WrB'-Formel gesegnet. Die Segnung Jhwhs durch Israel erfolgt also grundsätzlich in jeder geschichtlichen Situation, sodass sich der Segen konsequent vom Tun-Ergehen-Zusammenhang entkoppelt und das Verhältnis von Jhwh und Israel unabhängig vom Geschick Israels bestimmt. (Dass sich in Buch IV dann zugleich eine faktische Wende abzeichnet, ändert an diesem Grundzug ebenso wenig etwas, wie es die Restitution Hiobs im Hiobbuch tut108.) Diese weisheitskritische Transformation der Segenstheologie bildet m.E. die theologische Pointe der Schlussdoxologien der Psalmenbücher, die sich bei einer Auswertung im Buchhorizont des Psalters ergibt. Dieser Vorgang, der nicht weniger markant als sein berühmteres Pendant in der Rahmenerzählung des Hiobbuchs ist, erscheint von fundamentaler theologiegeschichtlicher Bedeutung. Obwohl er in der Forschung bisher kaum wahrgenommen wurde, stellt er m.E. ein konstitutives Element der Theologie des Psalters dar, das mit der Rahmung durch Ps 1f/146ff und der auf die Etablierung der universal-elementar geprägten Königsherrschaft Jhwhs ausgerichteten Gesamtdynamik integrativ zu verbinden ist. Insofern sind die Psalterdoxologien nicht nur entstehungsgeschichtlich von Belang, sondern verdienen zukünftig auch vertiefte Beachtung bei der Ausarbeitung einer Psaltertheologie109.

108

Vgl. dazu knapp LEUENBERGER, Segen, 436.440f; breit NGWA, Ending, 131ff.

143ff. 109

Vgl. dazu die aktuelle Synthese von JANOWSKI, Architektur; s.a. LEUENBERGER, Theologie.

Teil C

Jhwh und die Geschichte Jhwh steht in einem höchst intimen, aber keineswegs reibungslosen Verhältnis zur Geschichte, wie die biblischen und hier insbesondere die prophetischen Zeugnisse darlegen. Religions- und theologiegeschichtlich betrachtet hat er sich auch dies, wie so viele seiner Züge, erst allmählich angeeignet: Diese Geschichte Jhwhs mit der Geschichte markiert ein weiteres, ebenso bedeutendes wie forschungsgeschichtlich belastetes Feld des göttlichen Wirkens. Eine elementare Grundannahme biblischer und altorientalischer Texte, die sich mit Geschichte befassen1, besteht darin, dass für sie die (jeweils verhandelte) Geschichte nicht aus sich selbst heraus verständlich ist, sondern sich letztlich nur von Gott – als dem Herrn der Zeit und der Geschichte – her erschließt und insofern Theohistorie ist. Es wird also unterstellt, dass ›die‹ (in späteren biblischen und nachbiblischen Schriften nicht selten in Totalperspektive erfasste) Geschichte ein ›Geheimnis‹ besitzt: einen tieferen Sinn und Zweck, wodurch die Geschichte im Innersten zusammengehalten wird. Auch die neuzeitliche Geschichtsschreibung und –wissenschaft fragt ja nach den die Geschichte im Innersten zusammenhaltenden Kräften, ortet diese aber eben ›innerweltlich‹ in ökonomischen, soziologischen oder politischen Strukturen, Prozessen und Ereignissen. Hier wie dort gilt daher die (in unterschiedlichem Maße bewusste) hermeneutische Einsicht, dass es sich bei Geschichtsdarstellungen stets um Konstruktionen, genauer um »kulturelle Konstruktion[en] der Zeit« handelt 2 , die durch alternative ›Geschichten‹ ergänzt und modifiziert oder auch relativiert und gekontert werden können. Deswegen ist der Rekurs auf vermeintliche bruta facta, den die populäre Definition von Geschichte als

1 Auch für den Begriff ›Geschichte‹ fehlt ja ein exaktes hebräisches Äquivalent, doch lassen sich hier partielle Sachentsprechungen nennen, so bes. rb'D': »Wort, Sache«, hf,[]m;: »Werk, Tat«, %r,D,: »Weg« und hr,q.mi: »Schicksal, Geschick« (s. WITTE, Geschichte, Kap. 1.1 und die Lit u. Anm. 4.6). 2 ASSMANN, Zeit, 9; s. dazu a. die materialen Entfaltungen in demselben Band.

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Jhwh und die Geschichte

dem, was geschehen ist3, impliziert, in einem ganz entscheidenden Punkt unzureichend: Zwar besitzt Geschichte immer eine irreversible Gerichtetheit in der Zeit, doch jede Geschichtsdarstellung muss die unendlich komplexe Wirklichkeit selektiv als Sequenz bestimmter, eben relevanter bzw. ausgewählter Ereignisse darstellen, womit ihr eo ipso eine Deutungs- bzw. Interpretationsperspektive inhärent ist. Allererst dieser – unhintergehbar konstruktive – Darstellungszusammenhang konstituiert (kommunizierbare) Geschichte als solche4. Gegenüber den ›innerweltlichen‹ Interpretationskategorien der neuzeitlichen Geschichtswissenschaft rekurrieren die biblischen (wie die altorientalischen) Geschichtsdeutungen also ›außerweltlich‹ auf die göttliche Welt und deren Kräfte, d.h. letztlich auf Gott als Grund der Wirklichkeit und damit als gerechten Lenker von Zeit und Geschichte: Sie bestimmen Gott als ›Geheimnis der Welt‹ und der Geschichte, was sich m.E. sachlich prägnant mit dem Schlagwort der Theohistorie fassen lässt. Dabei handelt es sich im Unterschied zu historischen Rekonstruktionen der Neuzeit – mit Klaus Koch formuliert – um ein »metahistorisches Grundmodell«5. Es verbindet im Grundsatz biblische und altorientalische Geschichtsdeutungen bzw. eben -theologien. Diese stellen, so ist im Blick auf die Forschungsgeschichte festzuhalten, keineswegs eine Singularität Israels gegenüber dem alten Orient dar, sondern werden da wie dort intensiv bearbeitet; das zeigt sich bei sorgfältiger Komparatistik ganz deutlich6. Eine grundsätzliche Skepsis gegenüber atl. Geschichtstheologien, wie sie seit 3 S. http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte (27.10.2010); s.a. V. RANKES berühmtes Diktum: Die Historie »will bloß sagen, wie es eigentlich gewesen« ist (Völker, VI). 4 Es muss hier genügen, auf den komplexen und vielstimmigen Diskurs über Geschichtsverständnisse zu verweisen (s. nur die Lemmata ›Geschichte/Geschichtsauffassung‹, ›Geschichtlichkeit‹, ›Geschichtsphilosophie‹, ›Geschichtsschreibung‹, ›Geschichtstheologie‹ und ›Geschichtsverständnis‹ in der RGG4 3, 775–817 [Lit.]). In der Geschichte Israels lässt sich dies an zahlreichen Einzelprobleme durchdeklinieren, die zwischen den beiden (ihrerseits je konstruktiven Charakter besitzenden) Polen der biblischen Geschichte und der historischen Realität angesiedelt sind (s. dazu KRÜGER, Probleme, 4ff [Lit.] sowie das gesamte Themenheft VF 53 [1/2008]: ›Geschichte Israels und Biblische Geschichtskonzepte‹). 5 So in faktischer Aufnahme von Hayden White: KOCH, TRE 12, 578, s. 582; s.a. DERS., Profeten 1, 21ff. 6 S. das Referat von KOCH, TRE 12, 569ff; ebenso GÖRG, RGG4 3, 776ff, der auf die Bedeutung der Legitimierungsfunktion verweist, und HECKER, RGG4 3, 803f (Lit.). Ein instruktives Beispiel stellt z.B. der Vergleich des Kyros-Orakels (Jes 45) mit dem Kyros-Zylinder dar (s. dazu LEUENBERGER, Monotheismus, 32ff; DERS., Kyros-Zylinder; zum Text des Kyros-Zylinders jüngst WEIPPERT, Textbuch, 453ff).

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geraumer Zeit en vogue ist, wird damit als ebenso einseitig entlarvt wie eine diastatische Entgegensetzung des linearen Geschichtsdenkens des AT und des zyklischen Naturdenkens der Nachbarkulturen, die um die Mitte des 20. Jh. zum Forschungskonsens zählte7. Dennoch gilt gerade im Horizont der altorientalischen Texte, dass die HB auf das Ganze gesehen – und die sog. apokryphen und pseudepigraphen Schriften anderer Kanonfassungen verstärken diese Gesamttendenz noch – »beinahe nichts anderes als Geschichtstheologie enthält«8. Damit steht die atl. Wissenschaft vor der Aufgabe, sich im Diskurs mit der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft (wieder) intensiver mit den biblischen Geschichtstheologien auseinanderzusetzen, deren Ausprägungen im Einzelnen differenziert nachgegangen werden muss. Denn natürlich variiert in den biblischen Schriften die Art und Weise, wie Gott in die Geschichte eingreift und in ihr agiert in höchst vielfältiger Weise. Dessen unbeschadet lassen sich grundsätzlich zwei Perspektiven auf die Geschichte unterscheiden: Auf der einen Seite rekurrieren die Geschichtserzählungen des bzw. im Enneateuch auf Gottes Handeln in der deutlich vergangenen (Ursprungs-)Geschichte. Das leitende Interesse besteht dabei pauschal betrachtet darin, die eigene Gegenwart durch geschichtlich gewonnene Identitätsvergewisserungen und damit korrespondierende Verhaltensweisen (›ways of life‹) zu erschließen. Dieselbe Abzweckung verfolgen auf der anderen Seite die prophetischen und später apokalyptischen Geschichtsdeutungen, die vom (durch Gott in naher Zukunft herbeigeführten) Ende der Geschichte her auf die Geschichte (zurück)blicken und somit einen eschatologischen, tendenziell zu einer Totalperspektive neigenden Standpunkt einnehmen. Nur diese zweite Perspektive wird in den folgenden Kapiteln eingehender behandelt. Kap. 6 untersucht unter der Überschrift ›Theohistorie‹ prophetische und apokalyptische Geschichtstheologien vom 8. Jh. v. Chr. bis ins 2. Jh. n. Chr., die in der umrissenen Weise nach Zukunft und Ende der Geschichte sub specie dei fragen. Diese eschatologisch zu nennende Betrachtung der Geschichte bildet einen Grundzug der israelitischen Prophetie und der frühjüdischen Apokalyptik und besitzt ihre Pointe darin, dass 7

Repräsentativ ist insbes. die bekannte These V. RADS: »Das A.T. ist ein Geschichtsbuch« (Auslegung, 278; s. DERS., Theologie 1, 117ff; vgl. dazu die so scharfe wie simplifizierende Kritik von ALBREKTSON, History; vgl. zur aktuellen Auseinandersetzung mit v. Rad die Beiträge im Sammelband von BLUM [Hg.], Geschichtsbuch und die instruktive Skizze von KÖRTNER, Geschichtstheorie). 8 So das Gesamturteil von SCHMID, Vordergrund, 96; ebenso GERTZ, Erinnerung, 3.

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Gott durchwegs als Herr der Geschichte exponiert wird. Dabei variiert der konkrete Geschichtshorizont zwischen Einzelereignissen und Universalgeschichte ebenso vielgestaltig wie das göttliche Geschichtshandeln, das historisch einmalige Konstellationen, die Erhaltung der Schöpfung oder die prädeterminierte Weltgeschichte betreffen kann. Innerhalb dieser Rahmenvorstellung erörtert Kap. 7. mit größerer Tiefenschärfe das Verständnis von Gegenwart und Zukunft im Haggaibuch. An diesem eng umgrenzten Textkorpus und darin besonders in den beiden Passagen zur völkerweit verankerten Heilswende (2,6–9.20–23) lässt sich beispielhaft verfolgen, wie sich in der religions- und theologiegeschichtlichen Schlüsselzeit des Exilsendes – die als Exilswende propagiert wird – das Zeit- und Geschichtsverständnis in mehreren Schüben transformiert: Während die ereignisnahe Grundschicht in der (deutungs)offenen Situation um 520 v. Chr. mit Verve die Heilswende als eingetreten zu plausibilisieren sucht, zwingen spätere Gegenerfahrungen dazu, die theokratisch-tempelbasierte Heilsgegenwart mehrfach zu differenzieren und (in völkerweiter Universalisierung) zu eschatologisieren. Damit gewährt das Haggaibuch einen zwar nur partiellen, dafür detaillierten Einblick in die konkrete Genese (geschichts)theologischer Reflexionsvorgänge innerhalb der nachexilischen Prophetie.

Kapitel 6

Theohistorie Prophetische und apokalyptische Geschichtstheologien Klaus Koch hat vor einem guten Vierteljahrhundert in seinem viel beachteten TRE-Artikel ›Geschichte/Geschichtsschreibung/Geschichtsphilosophie‹ den Grundimpetus der frühjüdischen Apokalyptik überzeugend dahingehend bestimmt, »das Geheimnis der Geschichte insgesamt zu lüften«1. Als dieses die Geschichte im Innersten zusammenhaltende Geheim-nis gilt, wie o. in der Einleitung zu Teil C kurz ausgeführt wurde, Gott; in der apokalyptischen Literatur wird dabei näherhin auf den göttlichen Plan rekurriert, der sich durch göttliche Offenbarung erschließt: Erst diese Einsicht in die von Gott gelenkten verborgenen Zusammenhänge vermag apokalyptischem Denken den prima vista verwirrenden Gang der Geschichte plausibel zu erklären.

I. Universale Theohistorie in der Apokalyptik und ihr prophetischer Hintergrund 1. Zum Phänomen Die frühjüdische Apokalyptik bzw. die apokalyptische Historiographie2 ist daher durch die Konzeption einer – im Unterschied zur Prophetie – universalen Theohistorie gekennzeichnet, dergemäß Gott die gesamte Geschichte im Voraus geplant hat, sie dementsprechend lenkt und zu ihrem Ziel führt.

1

KOCH, TRE 12, 582 (1984). Auf »die Geheimnisse der Geschichte« fokussiert die Apokalyptik auch nach WITTE, Geschichte, Kap. 3.2 und ganz ähnlich umschreibt COLLINS, Morphology, 5 in seinem klassischen Aufsatz den Offenbarungsinhalt als »historical and eschatological events on a temporal axis« (s.a. sein Summarium DERS., Apocalypses, 35). 2 So nach DITOMMASO, History, 414 mit Anm. 7, der von »apocalyptic historiography« spricht (dort kursiv); s. zur Sache auch MARTIN HOGAN, Periodization, 63ff.

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Jhwh und die Geschichte

Dieses Grundmodell wird literarisch – also in den frühjüdischen Apokalypsen vom 5./4. Jh. v. Chr. bis zum 3. Jh. n. Chr., in denen sich die Geistesströmung bzw. die Weltsicht der Apokalyptik3 niedergeschlagen hat – in der Regel so umgesetzt, dass eine privilegierte Gestalt der Urzeit bzw. der ferneren Vergangenheit auf exzeptionelle Weise (Vision, Dialog mit Engel o.ä., Himmelsreise) Einsicht in die göttlichen Geheimisse erhält – namentlich in die Geheimnisse der Geschichte (und zwar unter Einschluss von deren Ende). Deshalb sind Apokalypsen oft als futurische Geschichtsprophezeiungen stilisiert. In sachlicher Hinsicht stellen sie damit sicher, dass die gesamte Geschichte – vom Anfang bis zum Ende (und noch darüber hinaus) – entsprechend dem göttlichen Plan verläuft: Die bedrängenden Gegenwartserfahrungen, die in der apokalyptischen Tiefenschau am Ende der Zeiten zu stehen kommen, sind von Gott vorhergesehen und -bestimmt; die apokalyptische Befürchtung, dass die Welt aus den Fugen geraten könnte (›Weltangst‹), erweist sich dadurch als unbegründet. Bei Apokalypsen handelt es sich somit im Kern um (krisenbezogene) Offenbarungsliteratur; diese vermittelt und enthüllt jenseitiges, himmlisches, göttliches Geheimwissen, das zwar verborgen und allgemein unzugänglich, zugleich aber wesentlich und (über)lebensrelevant ist: Insofern trifft die (sich an Apk 1,1 anlehnende) Terminologie avpoka,luyij: »Offenbarung, Enthüllung« bzw. avpokalu,ptein: »offenbaren, enthüllen« in der Tat den wesentlichen Vorgang, der sich in den Apokalypsen abspielt. (Ohne damit die strittigen und in der Sache kaum weiterführenden Definitionsprobleme um Apokalyptik und Apokalypsen weiter zu erörtern [s. Anm. 3].)

Diese auf das Elementarste reduzierte theohistorische Grundstruktur apokalyptischen Denkens ist inhaltlich in doppelter Weise bestimmt: Die göttliche Aufklärung über Sinn und Verlauf der Geschichte erfolgt – in Abhebung von der prophetischen Geschichtstheologie – in aller Regel universalgeschichtlich und d.h., sie ergeht – erstens in einer die gesamte Geschichte umfassenden Perspektive4 (gegenüber dem räumlichen und zeitlichen Partikularismus weiter Teile der Prophetie),

3

Vgl. zu den terminologischen Differenzierungen KOCH, Apokalyptik, 15ff; HAHN, Apokalyptik, 1ff; FREY, Apokalyptik, 21f. Zur Apokalyptik als Geistesströmung und Weltsicht s. jüngst COLLINS, Reflections, 44f; SCHMID, Literaturgeschichte, 186; DITOMMASO, Apocalypses, 238ff (Lit.). Zu Recht hält FABRY, Apokalyptik, 66 fest, dass »durch die literarische Form der Apokalypse hindurch nach der Denkbewegung der Apokalyptik selbst zu fragen« ist. Explizit notiert sei an dieser Stelle, dass Apokalyptik keinen Epochenbegriff darstellt, da sie innerhalb des Frühjudentums stets nur eine (zu keinem Zeitpunkt dominante) Strömung unter mehreren war. 4 Bereits HENGEL, Judentum, 330.395 hat die Apokalyptik in dieser Weise über das Vorhandensein »eines einheitlichen universalen Geschichtsbildes« und eines »apokalyptischen Geschichtsdenkens« erfasst.

Theohistorie: Prophetische und apokalyptische Geschichtstheologien

201

– und zweitens im Blick auf das zukünftige Ende der Geschichte bzw. deren Überwindung (gegenüber der prophetischen Verheißung einer zukünftigen, innergeschichtlichen bzw. innerweltlichen Heilszeit). Wenn diese Umschreibung das Wesentliche trifft, wie die folgenden Ausführungen zu entfalten suchen, so bildet die Theohistorie mit ihrem Ringen um die Geschichte und deren Sinn sub specie dei in der Tat das Hauptanliegen der frühjüdischen Apokalyptik; diese lässt sich entsprechend als höchst profilierte Form einer ›kulturellen Konstruktion der Zeit‹ begreifen (s.o. Einl. zu Teil C). Hier hat man sich, mit Gerbern S. Oegema geurteilt, »am intensivsten mit den theologischen Fragen bezüglich der politischen Ereignisse in der Antike auseinandergesetzt«5. Claus Westermann hat deshalb völlig zutreffend festgehalten: Der Apokalyptik »wichtigste[r] … Zug ist eine Sicht der Geschichte, in der diese als ganze auf ihr Ende zugeht«6. Eine Untersuchung apokalyptischer Geschichtstheologien verspricht demnach, paradigmatisch Einsicht in die Apokalyptik als Ganze bieten und deren Grundimpetus erhellen zu können – trotz der vielfältigen literarischen Ausformungen der Apokalypsen, in welchen sich die Apokalyptik produktiv niedergeschlagen hat und greifbar wird. 2. Zur Fragestellung Im Folgenden sollen anhand exemplarischer Positionen wichtige Hintergründe, Entwicklungen und Charakteristika prophetischer und apokalyptischer Geschichtstheologien beschrieben werden. Im Zentrum stehen dabei thematische Textauswertungen, die sich sodann auch – wiewohl es dazu umfassenderer Bearbeitungen bedürfte – im Blick auf religions- und theologiegeschichtliche Prozesse auswerten lassen (während etwa gattungsgeschichtliche Folgerungen ausgespart bleiben7). Dabei muss, wie bereits in den einleitenden Bemerkungen angedeutet, den prophetischen Geschichtstheologien ein besonderes Augenmerk gelten. Dies lässt sich forschungsgeschichtlich begründen, beruht aber auch auf starken sachlichen Argumenten (einzelne Gattungsmerkmale, literarische Topoi, Thema und Abzweckung prophetischer bzw. apokalyptischer Geschichtstheologien): Wiewohl man sich vor Engführungen hüten muss, bildet die Prophetie zweifellos auch im Blick auf die Theohistorie die 5

OEGEMA, JSHRZ 6/1,5, 1; s.a. 6. WESTERMANN, Theologie, 132 (Hervorhebung M.L.); s.a. den Verweis auf die Geschichte als Eines und Ganzes von KOCH, Apokalyptik, 40. 7 So hat etwa KOCH, Visionsbericht einen gattungsgeschichtlichen Zugang zu Prophetie und Apokalyptik anhand des Visionsberichts skizziert. 6

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Jhwh und die Geschichte

wichtigste Ahnin der Apokalyptik, die sich umgekehrt als Haupterbin der Prophetie durchgesetzt hat (s.u. II.). Geschichtstheologie bzw. Theohistorie im umrissenen Sinn besitzt offenkundig einen kanonübergreifenden Charakter. Zwar begegnen apokalyptische Texte nur am Rand der HB und sind – entsprechend ihrer Eigenart (s.o.) – weitestgehend in und als pseudepigraphische(r) Literatur überliefert. Umgekehrt stellt aber auch die größtenteils ›apokalyptikfreie‹ HB ganz wesentlich ein Geschichtsbuch dar8, das unterschiedliche Geschichtstheologien entwirft. Über die Kanongrenze (der HB9) hinweg besitzt die Apokalyptik somit vorab zur Prophetie eine tiefgreifende thematische Verwandtschaft, der enge historische Verbindungslinien korrespondieren.

Bevor anhand signifikanter Textbeispiele prophetische (III.) und apokalyptische (IV.) Geschichtstheologien bearbeitet werden können, sind daher einige forschungsgeschichtliche Vorbemerkungen zum Verhältnis von Prophetie und Apokalyptik angezeigt (II.).

II. Prophetie und Apokalyptik: Forschungsgeschichtliche Vorbemerkungen und aktuelle Einsichten Die frühjüdische Apokalyptik stellt einen Spätling im alten Israel (und zumal im alten Orient) dar, sie wurzelt aber zugleich ganz elementar in altisraelitischen (und dann eben auch altorientalischen) Traditionen. Unter diesen nimmt der prophetische Traditionsbereich eine dominante, aber keineswegs exklusive Stellung ein, wie nun einige forschungsgeschichtliche Vorbemerkungen (II. 1.) und zentrale neuere Einsichten (II. 2.) erläutern sollen.

8

S. dazu o. in der Einl. zu Teil C. Andere Kanones beinhalten bekanntlich eine unterschiedliche Anzahl von Apokalypsen. Interessant ist etwa ein Mailänder Manuskript aus dem 6.–7. Jh. n. Chr. (Bibliotheca Ambrosiana B 21 Inf., 257r–267r), das am Ende des AT in der geschichtlichen Abfolge der Erzählzeit einen zweiten, abschließenden Block von ›späten‹ Geschichtsbüchern mitsamt zweier Apokalypsen bietet (1–2Chr, ApcBar, 4Esr, Esr–Neh, 1–4Makk sowie das 6. Buch von Josephus’ bellum judaicum; s. dazu LEUENBERGER, Wolkenvision, 209f). 9

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1. Stationen der Forschungsgeschichte Im Blick auf das Verhältnis von Prophetie und Apokalyptik lassen sich die entscheidenden Stationen der Forschungsgeschichte in aller Knappheit wie folgt skizzieren10: (1) Seit den Anfängen der historischen Apokalyptikforschung im früheren 19. Jh. galt die Apokalyptik bei allen Nuancen im Grundsatz als Weiterentwicklung der Prophetie11. (2) Demgegenüber lancierte Gerhard von Rad die Gegenthese von der (ihm zufolge im AT ihrerseits randständigen) Weisheit als dem entscheidenden Nährboden der Apokalyptik: »Die Apokalyptik scheint vornehmlich in den Überlieferungen der Weisheit zu wurzeln«12. Bemerkenswerterweise formuliert v. Rad dieses Urteil zuerst am Ende des zweiten Bandes seiner Theologie des Alten Testaments, der den Untertitel »Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels« trägt. Man könnte daher den Eindruck gewinnen, zumindest von der Disposition her wirke der prophetische Ursprung noch nach13, doch dient der Abschnitt hauptsächlich der theologischen Abgrenzung des AT gegenüber der Apokalyptik: Die Apokalyptik stammt nicht nur von der geschichtslosen und innerhalb des AT peripheren Weisheit ab, sondern ihr eignet nach v. Rad auch »ein im Grunde geschichtsloses Denken«14. (3) In der Folge fand v. Rads These in den 1960er und 1970er Jahren einige Gefolgschaft15, rief aber mitunter auch scharfen Widerspruch auf den Plan16. 10 Vgl. zum Ganzen den Abriss von ZAGER, Apokalyptik; knapp etwa KOCH, Einleitung, 20f und neuerdings BEDENBENDER, Gott, 62ff; DITOMMASO, Apocalypses, 367ff; FREY, Apokalyptik, 52f. 11 S. ZAGER, a.a.O., bes. 21ff zu F. Lücke. 12 V. RAD, Theologie 2, 318. 13 Das ändert sich ein Stück weit dadurch, dass der späte V. RAD die Weisheit bekanntlich zu rehabilitieren versucht hat, indes wurde diese Wendung in der Forschung zunächst weitgehend ignoriert und blieb folgenlos. Im Zuge dessen hat V. RAD die Apokalyptik bzw. die Zeitendetermination auch im Kontext der Weisheit exkursartig erörtert (Weisheit, 337ff, bes. 355f). 14 V. RAD, Theologie 2, 322; dies stellt das exakte atl. Pendant zur Diagnose einer ›Entgeschichtlichung der Geschichte‹ in der Apokalyptik dar, die in der ntl. Wissenschaft von Bultmann bis zu VIELHAUER/STRECKER (s. Einleitung 502 mit Zitatnachweisen) gestellt wurde. 15 So etwa bei LEBRAM, TRE 3, 195ff; s. differenziert auch STECK, Eigenart, 313, der als Wurzelboden »die der eschatologischen Erwartung für Israel geöffnete, die Interpretation prophetischer Weissagungen einschließende, mit dem komplexen Priesterwissen kontaktierende Weisheitstradition« nennt. Vgl. rezent etwa MACASKILL, Wisdom, 9ff.

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(4) Die allzu stark schematisierende Kontroverse ist danach, namentlich seit dem großen Apokalyptikkongress 1979 in Uppsala, zu Recht abgeebbt. Sie hat in der neueren Forschung spätestens seit den 1990er Jahren differenzierteren und komplexeren – zugleich aber auch weniger profilierteren – Verhältnisbestimmungen von Prophetie, Weisheit und Apokalyptik Platz gemacht17, was einer präzisen religions- und theologiegeschichtlichen Beschreibung und Einordnung der frühjüdischen Apokalyptik dienlich ist. 2. Aktuelle Einsichten Der gegenwärtige Forschungsstand ist aber – über die umrissenen Standpunkte und Entwicklungslinien hinaus – auch durch einige grundlegende aktuelle Einsichten geprägt: (1) Die Qumran-Funde – die in der Tat nicht weniger als »eine völlige Veränderung der Situation der Erforschung der jüdischen Apokalyptik bedeuten« 18 – haben definitiv erwiesen, dass die Anfänge der Apokalyptik bzw. der literarischen Gattung ›Apokalypse‹ nicht erst mit dem makkabäischen Danielbuch aus der Mitte des 2. Jh. v. Chr. einsetzen19, sondern weit dahinter zurückreichen. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die Anfänge vielmehr in der ältesten Henoch-Überlieferung zu suchen (astronomisches Buch 72–82*; Wächterbuch 1/6–36*) und führen damit in die persisch-hellenistische Zeit des 5.–3. Jh. v. Chr.20. Damit ergibt sich – entgegen dem literarischen Überlieferungsbefund, nach dem die prophetischen und die apokalyptischen Schriften durch die Kanongrenze der HB getrennt sind – eine erhebliche historische Überschneidungsphase im 5.–3./2. Jh. v. Chr., in der (Schrift-)Prophetie und Apokalyptik bzw. deren Schriften nebeneinander existieren. (Weshalb es in der HB nur so wenige apokalyptische ›Einsprengsel‹ gibt, die sich aber 16

Vgl. namentlich von V. D. OSTEN-SACKEN, Apokalyptik und GESE, Apokalyptik, bes. 221; neuerdings fasst GRABBE die Apokalyptik wieder als Teilmenge (subdivision) der Prophetie (Introduction, 12.21ff.37; DERS., Prophetic, 117ff). 17 Vgl. dazu bes. die Arbeiten von COLLINS (z.B. Reflections, 44ff; DERS., Expectation, 145ff). Jüngst verortet etwa FREY, Apokalyptik, 52f die Anfänge der Apokalyptik im altorientalischen Horizont mantischer Weisheit, während ab dem 2. Jh. v. Chr. eine intensive Rezeption prophetischer Überlieferungen eingesetzt habe. 18 So FREY, Apokalyptik, 15, s.a. 23ff im Anschluss an STEGEMANN; GARCÍA MARTÍNEZ und COLLINS. 19 Dasselbe gilt mutatis mutandis für apokalyptische Texte namentlich im Jesajabuch, bes. für Jes 24–27; 33–35; 65f. 20 Vgl. dazu knapp FREY, Apokalyptik, 15.23ff; LEUENBERGER, 10-Siebent-Apokalypse 2, 67ff (Lit.).

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[mit Ausnahme des Danielbuchs] auf die hinteren Propheten konzentrieren, bedarf dementsprechend vertiefter Erklärungen, die möglicherweise soziologisch die unterschiedlichen Trägerkreise und literarisch den Aspekt ›Spezialistenwissen/Geheimliteratur‹ mit einzubeziehen haben.) (2) Konzeptionell steht die theohistorische Grundfrage der Apokalyptik nach Zukunft und Ende der Geschichte sub specie dei offensichtlich in größter Nähe zur prophetischen Eschatologie (s.o. I.); dies gilt unbeschadet der apokalyptischen Transformation ins ›Transzendente‹: der Wendung zur Universalgeschichte, zur Geschichtsüberwindung und zum kosmischen Weltganzen. Umgekehrt besitzt die damit unlösbar verbundene Frage nach der Gerechtigkeit (Gottes) und ihrer Durchsetzung einen deutlich weisheitlichen Hintergrund21. (Das ändert aber nichts am Sachverhalt, dass die Apokalyptik im Kern wie die Prophetie eschatologisch vom Ende her argumentiert und nicht wie die Weisheit protologisch auf Schöpfungsbasis22.) Deshalb scheint es plausibel, der theohistorischen Grundkonzeption der Apokalyptik eine integrative Rezeption weisheitlichen Denkens und prophetischer Traditionen zuzuweisen. Diese These bedarf allerdings der umfassenden Substanziierung, namentlich im Blick auf die apokalyptischen Frühphasen innerhalb der Henoch-Überlieferung, die hier nicht näher erörtert werden können. Dann ist es allerdings, wie bereits der kurze Blick in die Forschungsgeschichte gezeigt hat, zu einseitig, die Apokalyptik als Teilmenge der Prophetie zu bestimmen, wie das jüngst Grabbe erneut vorgeschlagen hat23. Dies wird schon dadurch verunmöglicht, dass die Apokalyptik seit ihren Anfängen auf dezidiert weisheitliche (und eben nicht auf prophetische) Protagonisten zurückgreift: Die Eponymen der apokalyptischen Hauptschriften von Henoch bis Esra und Baruch sind Weise und keine Propheten24.

(3) Mit diesem Befund korreliert die soziologische Einsicht, dass Prophetie und Weisheit jedenfalls im 3./2. Jh. v. Chr. kaum mehr unabhängige Traditionsströmungen darstellen25, sondern sich einander zunehmend angenähert und (spätestens) im frühen 2. Jh. v. Chr. in der von den sog.

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S. jetzt knapp SCHMID, Literaturgeschichte, 186. So mit Recht HAHN, Apokalyptik, 5. 23 S.o. Anm. 16. 24 Freilich treten in der Spätzeit des 2.–3. Jh. n. Chr. auch einige Ausnahmen auf: Apokalypse Eliae; Apokalypse Zephanjas; Apokryphon Ezechiels; s.a. das Martyrium Isaiae. 25 So bereits KOCH, Einleitung, 21. 22

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Hasidim/Asidäern getragenen Sammelbewegung integrativ verbunden haben26. (4) Die Auswertungen der Qumran-Befunde in neueren Arbeiten zur Apokalyptik haben en détail ergeben, dass die frühjüdische Apokalyptik kein monolithisches, sondern ein stark differenziertes Gebilde darstellt27; dies erfordert detaillierte Ausarbeitungen der Geschichte der Apokalyptik. Dabei gilt es nicht nur in synchroner Hinsicht verschiedene Überlieferungs- und Literaturbereiche zu beschreiben (vom Einbezug altorientalischer Parallelerscheinungen einmal abgesehen), sondern auch in diachroner Hinsicht dürfte sich eine Untergliederung in mehrere Phasen als heuristisch fruchtbar erweisen: Von den (vorab) prophetischen Voraussetzungen scheinen sich apokalyptische Anfänge (Früh-Apokalyptik im 5.–3. Jh. v. Chr.) von reifen Apokalypsen (Hoch-Apokalyptik ab dem frühen 2. Jh. v. Chr.)28 und späten Apokalypsen (Spät-Apokalyptik nach 70 n. Chr.) abheben zu lassen. (5) Eine solche Geschichte der Apokalyptik kann aber letztlich, wie die differenzierteren Verhältnisbestimmungen von Prophetie, Weisheit und Apokalyptik in neuerer Zeit deutlich gemacht haben (s.o.), nicht abgekoppelt von einem religions-, theologie- und literaturgeschichtlichen Gesamtmodell für das alte Israel erarbeitet werden; vielmehr muss sie die vielfältigen Querbezüge zu anderen Literaturbereichen auf Schritt und Tritt integrativ miteinbeziehen29. Eine solche Zusammenschau zeichnet sich gegenwärtig – in einer Phase, in der sich die Apokalyptikforschung in zahlrei-

26

S. dazu bereits STECK, Strömungen, 313ff und zur neueren Debatte bes. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 598ff; kritische Differenzierungen fordern mit gewissem Recht etwa NICKELSBURG, Aspects; COLLINS, Daniel, 67ff; DERS., Issues, 9ff und FREY, Apokalyptik, 53ff ein. 27 S. die älteren Bilanzen aus den 1970er Jahren von KOCH, Einleitung; DERS., Apokalyptik, 11ff; MÜLLER, TRE 3, bes. 202,25ff sowie die Beiträge im Sammelband von HELLHOLM, Apocalypticism. Neuere und neueste Überblicke bieten ZAGER, Apokalyptik, 4ff; BEYERLE, Wiederentdeckung; HOFFMANN, Gesetz, 46ff; SCHIPPER/BLASIUS, Forschungsüberblick, 11ff.15ff; COLLINS, Expectation; OEGEMA, JSHRZ 6/1,5, 1ff; FREY, Apokalyptik, 11ff; DITOMMASO, Apocalypses. 28 Vgl. etwa die von STECK, Eigenart, 313 vorgenommene Unterscheidung: »Apokalyptik im eigentlichen Sinne [sc. einer Betrachtung der Gegenwart im Blick auf die sie bestimmenden »göttlichen Gesetze, Ordnungen und Ziele«, kurz einer »Reflexion umfassender Ordnung« (s. 314), M.L.] entsteht freilich erst unter den besonderen Konstellationen der Makkabäerzeit«. 29 Auf diesen wichtigen Gesichtspunkt weist mit Recht SCHMID, Literaturgeschichte, 187 hin.

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chen, z.T. divergierenden Einzelarbeitsfeldern organisiert hat – mehr und mehr als wichtiges Desiderat ab. Die angeführten Beobachtungen, Befunde und Einsichten zur älteren und neueren Apokalyptikforschung wirken sich konkret auch auf die Erfassung prophetischer und apokalyptischer Geschichtstheologien aus, die nun in Auswahl vorgestellt werden sollen.

III. Prophetische Geschichtstheologien Prophetische Geschichtstheologien setzen – literarisch greifbar – mit dem Auftreten von (Schrift-)Propheten in der Mitte des 8. Jh. v. Chr. ein und ziehen sich mit vielfältigen Wandlungen bis zum (kanongeschichtlichen) ›Abschluss‹ der Prophetie im späten 3. Jh. v. Chr. durch. Einige wesentliche Stationen, an denen prophetische Geschichtstheologien profiliert hervortreten, sollen nun, vorab in der jesajanischen Überlieferung, skizziert werden. 1. Jes 8: Ein theohistorisch gedeuteter Einzelvorgang Als Einsatzpunkt empfiehlt es sich, einen näheren Blick auf Jes 8,1–8 zu werfen, da die Passage einen außerordentlich deutlichen Geschichtsbezug aufweist: Sie bezieht sich nach allgemeinem Konsens auf Vorgänge des sog. syrisch-ephraimitischen Kriegs und reagiert darauf mit zwei – unterschiedlich orientierten – Gerichtsprophetien. Aus diesem Grund zählen diese Prophetenlogien zum unstrittigsten Grundbestand der Jesaja-Überlieferung30 aus dem letzten Drittel des 8. Jh. v. Chr. und sind redaktionsgeschichtlich aller Wahrscheinlichkeit nach im Horizont der sog. Denkschrift 6,1–8,18* zu verorten31: yl;ae hw"hy> rm,aYOw: 8,1 Und Jhwh sprach zu mir: wyl'[' btok.W lAdG" !AyL'GI ^l.-xq; »Nimm dir eine große Tafel und schreibe darauf mit zB; vx' ll'v' rhem;l. vAna/ jr,x,B. Menschengriffel ›für Eiligbeute-Raschraub‹«.

30 S. dazu den Diskussionsstand bei KÖCKERT/BECKER/BARTHEL, Jesaja (2003), bes. 114f.120f.129ff und die Lit. in der folgenden Anm. 31 Vgl. zu ihr hauptsächlich BARTHEL, Prophetenwort, 37ff; BECKER, Jesaja, 21ff; BEUKEN, HThK 1, 30ff und zuletzt WAGNER, Herrschaft, 18ff; DERS., Jesaja-Denkschrift (Lit.); HARTENSTEIN, Archiv, Xf.1ff.

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2

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5 6

3

4

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8

Da bestellte32 ich mir als Zeugen verlässliche Zeugen: Urijah, den Priester, und Secharjah, den Sohn Jeberekjahs. Dann näherte ich mich der Prophetin, und sie wurde schwanger und gebar einen Sohn. Und Jhwh sprach zu mir: »Nenne seinen Namen ›Eiligbeute-Raschraub‹, denn bevor der Knabe rufen kann ›mein Vater‹ und ›meine Mutter‹, wird man (einher/hin)tragen den Reichtum von Damaskus und die Beute von Samaria vor dem König von Assur.« Und weiter sprach Jhwh zu mir noch wie folgt: »Weil dieses Volk verachtet hat die sanft fließenden Wasser Šiloas und Freude hat an/zerfließt vor der Hoheit von33 Rezin und dem Sohn Remaljas, darum siehe, lässt der Allherr steigen über sie die starken und vielen Wasser des (Euphrat-)Stromes, [den König von Assur und seine ganze Herrlichkeit,] und er steigt über alle seine Bachrinnen/Kanäle und er tritt über alle seine Ufer und er wird dahingehen in Juda, überschwemmen und [überfluten, bis zum Hals reicht er.« [Und es wird sein: die Ausspannung seiner Flügel die Fülle der Weite deines Landes, ›Gott mit uns‹.]

Der Abschnitt untergliedert sich durch die Einleitungsformeln in V.1.5 (und 11), die formgeschichtliche Gestaltung als Selbst- bzw. Fremdbericht, die Ankündigung des Gerichts als Ausraubung bzw. Überflutung offenkun32

Aus inneren Gründen ist hd'y[ia'w" (wayyiqtol-LF, s. GK, § 49e; HAL, 751 s.v. 1b) zu konjizieren; während MT den Koh. bietet (›und ich [sc. Jhwh] will als Zeugen bestellen‹ – so z.B. BEUKEN, a.a.O., 211.213, der die Gottesrede entsprechend bis V.2 fortführt) und LXX, 1QIsa den Imp. lesen. 33 MT lautet: »und Freude hat an Rezin ...« (so z.B. BEUKEN, a.a.O., 212f.223, der dies als politisches Sympathisieren mit der antiassyrischen Koalition deutet). Oft wird aber zu swOsm'W (Inf. abs. q. ssm: ›zerfließen, zergehen‹ [HAL, 574]), zu swOsm.W (Inf. cs. q.) oder ss;m'(w>) (AK, so DUHM, HK 3/1, z.St.) konjiziert. Dann kann man das Wort entweder zu V.6a ziehen (»die sanft fließenden und verrinnenden Wasser …«), was V.6b völlig unverständlich macht (auch wenn man ta als Präp. anschließt: »… gemeinsam mit« [vgl. HAL, 97f]). Oder man bezieht ssmw auf V.6b und ersetzt ta durch eine Präp. wie !m u.ä. – so oben: taeFmi ss;m'w> (tafm = !m + Inf. cs. q. von afn; das weqatal wäre gleichzeitig zu sam: resultatives Perfekt [AK]) – oder postuliert eine entsprechende Bedeutung für ta (s. HAL, 97f). So oder so handelt es sich um eine Erläuterung der Verachtung der Šiloah-Wasser – entweder als Anschluss an die antiassyrische Koalition oder als Kapitulation vor ihr.

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dig in die beiden Teile V.1–4 und – situativ daran anknüpfend – V.5–8. Dem korrespondiert auch eine wechselnde Stoßrichtung der hier interessierenden Unheilsprophetie: (1) In V.1–4 sind die beiden – situativ selbstständigen – Zeichenhandlungen der Tafelbeschriftung (V.1f) und der Namensgebung (V.3) durch den gemeinsamen Unheilsbegriff, der in V.3 als Personenname präzisiert wird, miteinander verbunden; dieser wird in V.4 unheilsprophetisch gedeutet: In naher Zukunft, in etwa binnen Jahresfrist, werden Damaskus und Samaria von den Assyrern ausgeraubt sein. Wie V.6 substanziiert, ergeht das Wort im Kontext des syrisch-ephraimitischen Kriegs, in dem sich Rezin von Aram-Damaskus und Pekach von Israel, der Sohn Remaljahs34, in einer antiassyrischen Koalition verbünden, in die sie auch das zurückhaltende Juda einzubinden suchen. – In dieser Konstellation ergeht also die unkonditionierte und unbegründete Untergangsprophetie über Samaria-Israel und Damaskus-Aram insgesamt (und nicht mehr nur wie zuvor in Jes 7 über einzelne Repräsentanten). Diese Größen werden aber im literarischen Setting der Szene – und auch der Denkschrift – nicht angesprochen, sondern der Bericht richtet sich – zunächst implizit – (wiederum kollektiv) an »dieses Volk«, d.h. an Juda (8,6; 6,9f). Daher besteht die Pointe der Gerichtsaussage über Israel/Aram darin, eine indirekte – ebenfalls unkonditionierte und unbegründete – Heilsprophetie an Juda zu formulieren. – Im Blick auf die leitende Fragestellung lässt sich somit festhalten, dass die prophetische Zukunftsaussage eine spezifische historische Konstellation von der Dauer weniger Monate bis Jahre betrifft und einen bestimmten Ausgang vorhersagt. Dass dieser Duktus geschichtlich und inhaltlich zum historischen Jesaja passt, plausibilisiert die Historizität der Ankündigung einigermaßen. – Dabei bleibt im Nahkontext offen, ob dieser Geschichtsverlauf auf dem Handeln Jhwhs beruht oder von Jhwh einfach im Voraus korrekt angekündigt wird. Freilich liegt im altisraelitischen Kontext Ersteres näher und wird im Horizont der Denkschrift narrativ in Kap. 7* (wohl zumin-

34

S. neben den Königsbüchern Jes 7,1; in den Annalen Tiglat-Pilesers III. taucht Rezin ca. 738 und 734 v. Chr. mehrfach auf (TUAT 1/4, 371f: Z.150.205ff [BORGER]; 377: Z.5ff [BORGER]; 378: Kol. 2, Z.4 [BORGER]), und auch Pekach wird ca. 733/732 v. Chr. einmal erwähnt (TUAT 1/4, 373f: Z.16f [BORGER]).

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dest mit 7,16f*.18* [von Jhwh herbeigepfiffene assyrische Feindmacht]35) expliziert. Trifft diese Deutung zu, so greift Jhwh in einen zeitlich und räumlich eng umgrenzten Geschichtsbereich ein und lenkt den Verlauf der Geschichte in seinem Sinne: zugunsten Judas, indem Assur Israel-Aram ausraubt. Man kann diesen Vorgang mit Jan Assmann als »charismatische[s] Ereignis« bezeichnen 36 ; es wird »erzeugt durch göttliche Intervention, die in den Fluß des Geschehens eingreift. Hier teilt sich der Strom des Geschehenden in den trivialen, entsemiotisierten Hintergrund des Regelmäßigen und den semiotisierten Vordergrund der Ausnahmen«37. (2) In dieselbe Kategorie fällt auch der zweite Abschnitt V.5–8, wo nun das Gericht durch Assur auch über »dieses Volk« Juda ergeht, und zwar in Gestalt einer Überflutung durch Assur. – Unabhängig davon, ob der Zerstörungsvorgang vollständig (~h,yle[] hl,[]m; V.7aa) oder partiell ([;yGIy: raW"c;-d[; V.8ab) verläuft, verkehrt sich damit das Gefälle von V.1–4 nachgerade ins Gegenteil: Die implizite, aber bedingungslose Heilszusage für Juda hat sich zur unbedingten Gerichtsprophetie über Juda gewandelt. – Diese fundamentale Transformation erfordert im pragmatischen Kontext von 8,1ff bzw. der Denkschrift – anders als die ursprüngliche Heilsaussage von 8,1–4 – eine Begründung: Die Zukunftsansage in V.7f wird durch die in V.6 vorangestellte prophetische Gegenwartskritik legitimiert, die zionstheologisch (Verachtung der sanft fließenden Wasser Šiloahs) und realpolitisch (Sympathie mit/Kapitulation vor Israel/Aram [s.o. bei Anm. 34]) argumentiert. Daher machen es diese Differenzen redaktions- und theologiegeschichtlich wahrscheinlich, dass eine gegenüber 8,1–4 spätere Geschichtssituation vorliegt, die in die Zeit nach dem Untergang Israels – vielleicht in die Konstellation der Belagerung Jerusalems 701 v. Chr. – führt38. 35

Jedenfalls noch vorexilisch dürften die Belege zur ›Fliege aus Ägypten‹ (~yIr'c.mi yreaoy> hceq.Bi rv,a] bWbZ>) bzw. ›Biene aus Aššur‹ (rWVa; #r,a,B. rv,a] hr'AbD>, Jes 7,18; s. 5,26–29) sowie auch die Rede von Aššur als dem ›Knüppel des Zorns Jhwhs‹ (yPia; jb,ve rWVa; Jes 10,5–9; s.a. Jer 4,5–8) sein (vgl. dazu immer noch BARTH, JesajaWorte, 21ff.198ff; zu Nuancen in der neueren Diskussion, bes. BECKER, Jesaja, je z.St und LEVINE, Wehe, 89ff). 36 ASSMANN, Gedächtnis, 249. 37 ASSMANN, a.a.O., 249f. 38 Über den Fortschreibungscharakter von 8,5ff bildet sich ein zunehmender Konsens aus, so etwa HARTENSTEIN, Archiv, 8ff.23f; BEUKEN, HThK 1, 217f; BECKER, Jesaja, 102ff; SCHMID, RGG4 4, 455; DERS., Literaturgeschichte, 98f; s. aber BARTHEL, Prophe-

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– Auf jeden Fall ist (anders als in V.1–4) ganz unübersehbar, dass nun Jhwh selbst hinter dem Gerichtsvorgang steht: Der Allherr lässt die Überflutung zu (… ~h,yle[] hl,[]m; yn"doa)] und steuert damit den im Blick stehenden Geschichtsverlauf, der eng umgrenzt ist. Jes 8 erzählt also einen theohistorisch gedeuteten Einzelvorgang. Diese auf eine raum-zeitlich genau spezifizierte, für uns historisch noch erkennbare Situation bezogene Geschichtstheologie, die (noch) keine Theohistorie im umfassenden Sinn entwirft, scheint repräsentativ zu sein für die vorexilische Schriftprophetie insgesamt – zumindest in vorjoschijanischer Zeit. Man kann dies mit Markus Witte wie folgt generalisieren: »Die prophetischen Bücher deuten punktuell und ausschnitthaft Zeitgeschichte theologisch, ohne erzählerisch geschichtliche Prozesse und Abfolgen nachzuzeichnen. Dabei fragen sie metahistorisch nach einem übergreifenden Handlungsmuster Jahwes und spitzen Geschichte im Rahmen ihrer Fortschreibung eschatologisch zu. Insofern stellen sie keine Geschichtsschreibung im herkömmlichen Sinn dar, sondern bieten geschichtstheoretische Symboltexte«39. Diese Charakterisierung erfasst m.E. Jes 8,1–8 recht gut – abgesehen von der eschatologischen Zuspitzung, die auch in V.5ff weitgehend fehlt. Dieser eschatologische Aspekt lässt sich durch einen Seitenblick auf nichtjesajanische Texte erhellen, der zugleich weiter führt auf spätjesajanische Texte, die an der Schwelle zur Apokalyptik stehen. 2. Von Am 8 bis Jes 65f: Stationen prophetischer Geschichtstheologien a) Am 8: Der eschatologische Einsatz Wahrscheinlich rund eine Generation früher als die Verkündigung Jesajas datiert die Gerichtsprophetie des ältesten sog. Schriftpropheten Amos. Zwar bleibt die Redaktionsgeschichte des Amosbuchs im Einzelnen strittig, am Anfang oder jedenfalls an einem der Anfänge stehen aber nach einem (noch) relativ breiten Konsens die literarisch eng miteinander verbundenen Visionen aus Am 7–9 bzw. genauer wohl die beiden Visionspaare 7,1–3.4–6 und 7,7f; 8,1f (ohne die explizierend die Folgen für Heiligtum

tenwort, 192f und anders jüngst wieder WAGNER, Herrschaft, 167ff. – Demgegenüber sind alle näheren Eingrenzungen, selbst eine vorexilische Verortung, strittiger und müssten ausführlicher erörtert werden, wobei die wichtigen Verbindungen zur Bildsprache neuassyrischer Königsinschriften auszuwerten wären, die jüngst HARTENSTEIN, a.a.O., 11ff.76ff herausgearbeitet hat. 39 WITTE, Geschichte.

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und Volk beschreibende fünfte Vision 9,1[–4])40. Entstehungsgeschichtlich ist es am wahrscheinlichsten, sie entweder noch auf den historischen Amos in der Mitte des 8. Jh. v. Chr. zurückzuführen (so etwa mit sorgfältiger Begründung Jan Christian Gertz41) oder sie im Zug der Bewältigung der Nordreichs-Katastrophe 722/720 v. Chr. einem ersten Verschriftungsvorgang am Ausgang des 8. Jh. v. Chr. zuzuweisen (so Konrad Schmid42). In beiden Fällen besteht darüber Einigkeit, dass die Visionen eine pointierte Dynamik aufweisen und im Effekt als »Legitimation der unbedingten Gerichtsprophetie«43 fungieren. Ihren sachlichen Höhepunkt erreichen sie in 8,1f: hwIhy> yn"doa] ynIa;r>hi hKo #yIq' bWlK. hNEhiw> rm,aYOw: sAm[' ha,ro hT'a;-hm' rm;aow" #yIq' bWlK. yl;ae hw"hy> rm,aYOw: laer'f.yI yMi[;-la, #Qeh; aB' Al rAb[] dA[ @ysiAa-al{

8,1 2

Dies ließ mich der Allherr Jhwh sehen: Und siehe, ein Korb mit Sommerobst Und er sagte: »Was siehst du, Amos?« Und ich sagte: »Einen Korb mit Sommerobst.« Und Jhwh sagte zu mir: »Gekommen ist das Ende für mein Volk Israel. [gehen!« Ich kann/werde nicht mehr (schonend) an ihm vorüber-

Amos hat sich hier nolens volens vom Fürbitter Israels vor Jhwh zum Künder Jhwhs an Israel gewandelt. Und diese Botschaft beinhaltet dem zweiten Visionspaar zufolge unbedingtes und totales Gericht (7,8; 8,2): Für das Jhwh-Volk ist das Ende gekommen.

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So mit GERTZ, Gerichtsankündigung, 158ff; JEREMIAS, ATD 24/2, XVIff, der aber 9,1ff »als Gipfel und Ziel« beurteilt und dazunimmt (96); s. jetzt den Forschungsüberblick von RIEDE, Erbarmen, 4ff (prinzipielle Skepsis gegenüber einer auch nur entfernt zeitgeschichtlichen Auswertung meldet jüngst STEINS, Gericht, 29ff.67ff an, der Teile der Visionen 3 und 5 als relativ älteste Partien ansieht; doch ist hier nicht der Ort, um diese Grundsatzdiskussion zu führen). In Kap. 3–6* orten hingegen WÖHRLE, Sammlungen, 59ff.102ff oder KRATZ, Propheten, 63ff den ältesten Kern, wo Amos allein aufgrund »der Evidenz des Faktischen« (69) als Gerichtsprophet agiere. 41 Vgl. die Doppelthese von GERTZ, a.a.O., 155f: »Die Visionen markieren den Übergang zur unbedingten Gerichtsprophetie, und sie gehen auf eine historische Prophetengestalt Amos zurück«. Ebenso namentlich JEREMIAS, a.a.O., 96f. 42 SCHMID, Literaturgeschichte, 96; ähnlich KRATZ, Propheten, 52 u.ö.; DERS., Redaktionen, 19ff; s. das Referat von GERTZ, a.a.O., 153ff (mit Verweisen auf die Versuche eine redaktionsgeschichtlichen Stufung von FRITZ oder einer in globo nachexilischen Ansetzung von Becker). 43 GERTZ, a.a.O., 164; s. ebenso JEREMIAS, ATD 24/2, 97; SCHMID, a.a.O., 96 u.v.a.

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– In der mutmaßlichen Entstehungssituation des 8. Jh. v. Chr. kommt wie in Jes 8 eine kollektiv-nationale Größe in den Blick; es handelt sich bei Israel im zweiten Visionspaar aber – im Unterschied zum kleinen und hilfsbedürftigen Jakob zuvor –, um eine staatliche, gesellschaftliche, ökonomische und kultische Größe. – Zum andern ist dieses Israel an sein Ende gekommen: Es hat keine Zukunft mehr, seine Zeit ist abgelaufen. Der Gerichtsvorgang wird zwar nicht näher spezifiziert – im Kontext verweist das Zinn (%n"a]) 7,8 immerhin deutlich auf Kriegsereignisse –, doch das Erntemotiv bzw. genauer das Bild des bereits eingesammelten Obstes und der (als Assonanz noch unterbewertete) Konnex #yIq'/#Qe weisen auf eine totale Zäsur, ein absolutes Ende hin. Im Unterschied zu den dynamischen Vorgängen im ersten Visionspaar, die sich auf Amos’ Intervention hin noch abbrechen ließen, verbleibt beim statischen Endzustand von 8,1f kein Handlungsspielraum mehr: Das Sommerobst ist bereits im Korb eingesammelt. Dies wird zusätzlich durch das pointierte Perfekt (AK) im Deutesatz (im Kontrast zur Partizip-Konstruktion ~f' ynIn>hi in 7,8 sowie zu den PKFormen in 7,3.6) unterstrichen, nach dem das Ende – vor Jhwh – bereits eingetreten ist: Coram deo hat sich der Untergang Israels bereits verwirklicht, auch wenn er auf der Welt erst noch vollzogen werden muss. All dies macht deutlich: Das Ende für Israel ist unwiderruflich gekommen. – Dabei ist von der Anlage des Visionszyklus her evident und 7,8; 8,2 halten es nochmals explizit fest: Jhwh selbst ist der Urheber des Gerichts. Wie immer das Ende konkret eintritt – verursacht oder zumindest zugelassen (vgl. das Nicht-mehr-vorübergehen-Können) hat es Jhwh, der dafür die Verantwortung trägt. (Nur in Klammern sei angemerkt, dass zumindest im ältesten Visionszyklus das Gericht unbegründet bleibt 44 : Zwar wird auf das Nicht-mehr-vorübergehen-Können rekurriert, aber weshalb dies ab 7,8 nicht mehr möglich sei, bleibt innerhalb des Visionszyklus unbegründet.) – Das in der Visionswelt bereits realisierte Ende steht irreversibel bevor; dies bedeutet, dass die Geschichte des Jhwh-Volks Israel abbricht. Es 44 Das ändert sich sekundär natürlich durch die Einfügung der Amazjah-Erzählung 7,10–17 (s. dazu jüngst das Referat von SCHMIDT, Amazja, 222ff; COUEY, Prophecy, 310 mit Anm. 22) und v.a. die Voranstellung von Kap. 3–6*. – Die umgekehrte theologiegeschichtliche Entwicklung resultiert, wenn man mit einer diachronen Priorität von Kap. 3– 6* arbeitet (s.o. Anm. 40).

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fehlt zwar ein Geschichtssummarium o.ä., doch der traditionsgeschichtliche Hintergrund der Bezeichnung ›Israel‹ bringt – deutlicher als ›dieses Volk (Juda)‹ in Jes 8 – zum Ausdruck, dass hier nicht nur geschichtliche Einzelvorgänge im Blick stehen, sondern dass die gesamte Geschichte Israels, das wie in Jes 8 als ›nationales‹ Kollektiv in den Blick genommen wird, beendet wird. Im Unterschied zur jesajanischen Konstellation liegt dabei kein genuin außenpolitischer Horizont vor – auch wenn das Gericht als Krieg eintreten mag (s.o.) –, sondern es geht offenbar um binnenisraelitische Vorgänge, die das Ende heraufbeschwört haben. Sowohl der Geschichtsausschnitt (›mein Volk Israel‹) als auch der Gerichtsvorgang (›Ende‹) sind also umfassender konzipiert als in Jes 8; trotz eines fehlenden Geschichtsrückblicks kann man daher erwägen, bereits hier (und nicht erst bei Größen wie den dtr. Geschichtswerken [s.u. Anm. 51]) Assmanns Modell einer ›charismatischen Geschichte‹ festzumachen45, das auf der Relation von Jhwh und seinem Volk Israel basiert. Am 8 gewinnt dadurch eine Radikalität, die man mit Fug und Recht als eschatologische Zuspitzung46 bezeichnen kann: Das Ende ist total und definitiv; eine Zukunft Israels, eine Weiterführung der Geschichte Jhwhs mit seinem Volk, scheint für Amos in 7,7f/8,1f nicht (mehr) denkbar; der Zukunftshorizont wird vom Ende gänzlich verschlungen. Mit dem unbedingten Ende der Geschichte Israels scheint somit bereits am historisch mutmaßlichen Beginn der schriftprophetischen Unheilsverkündigung ein qualitativer Sprung vollzogen zu sein, der in den anschließenden Fortschreibungsprozessen innerhalb der prophetischen Literatur intensiv rezipiert und weiterentwickelt wird, der aber im Kern für die Dauer von ca. einem halben Jahrtausend maßgebend bleibt. Dies soll durch einen Abstecher in die Priesterschrift an der jesajanischen Traditionsbildung knapp illustriert werden. b) Die priesterschriftliche Fluteröffnung: Eine protologische Rezeption außerhalb der Prophetie Die Amos’sche Ankündigung des Endes hat nicht nur im Bereich der prophetischen Traditionen seine Wirkung entfaltet (so insbesondere in Ez

45

Vgl. dazu ASSMANN, Gedächtnis, 251ff. S.o. das Zitat von WITTE in Anm. 39. Hingegen lässt sich daraus keineswegs zwingend ein »Vorrang der Zukunft«, eine »Zukunftsgewissheit«, ableiten, wie dies SCHMIDT, Zukunftsgewissheit, 18 propagiert (s.a. 18ff.55ff u.ö.). 46

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7,2.6 47 ), sondern sie wurde bekanntlich auch von der Priesterschrift auf kreativ-kritische Weise rezipiert: Die Toledot Noahs leiten – unmittelbar nach der Einführung Noahs (s. die genealogische Rahmennotiz 6,9f) – die Fluterzählung48 in 6,11f.13 wie folgt ein: ~yhil{a/h' ynEp.li #r,a'h' txeV'Tiw: 6,11 Und die Erde verdarb vor Gott, sm'x' #r,a'h' aleM'Tiw: und die Erde wurde voll von Gewalttat. #r,a'h'-ta, ~yhil{a/ ar>Y:w: 12 Und Gott sah die Erde: ht'x'v.nI hNEhiw> Und siehe, sie war verderbt, #r,a'h'-l[; AKr>D;-ta, rf'B'-lK' tyxiv.hi-yKi denn verderbt hatte alles Fleisch seinen Weg x;nOl. ~yhil{a/ rm,aYOw: yn:p'l. aB' rf'B'-lK' #qe ~h,ynEP.mi sm'x' #r,a'h' ha'l.m'-yKi #r,a'h'-ta, ~t'yxiv.m; ynIn>hiw>

auf der Erde. 13 Da sprach Gott zu Noah: »Das Ende alles Fleisches ist vor mich gekommen, denn die Erde ist durch sie voll geworden von Gewalttat. Und siehe, ich bin daran, sie zu verderben mitsamt der Erde. ( + V.14–21)«

Im totalen Kontrast zum Schöpfungsbericht in Gen 1, nach dem die Menschen die Erde füllen sollen (h'vub.kiw> #r,a'h'-ta, Wal.miW Wbr>W WrP., 1,28) und der mit der sog. Billigungsformel daom. bAj-hNEhiw: »und siehe, es war sehr gut« (1,31) abgeschlossen wird, muss nun – nachdem lediglich die Toledot Adams in Gen 5* referiert wurden – konstatiert werden, dass die Erde mit Gewalttat (sm'x') statt mit Menschen angefüllt (alm PK ni. 6,11/AK q. 6,13) und entsprechend verderbt (txv AK ni. 6,12) statt sehr gut ist. Dieser Befund zieht das göttliche Urteil nach sich, dass das »Ende allen Fleisches« gekommen ist, woraufhin Gottes Vernichtungsansage folgt (txv Pt. hi. 6,13). Damit wird bekanntlich Am 8,2 aufgegriffen49 und zugleich tiefgreifend transformiert: 47 S. #qe aB' a. Thr 4,18; Jer 51,13 (Babel); individuell Dan 11,45 (der verachtete König: Antiochus IV. Epiphanes). 48 Vgl. dazu jetzt BOSSHARD-NEPUSTIL, Sintflut, 110ff; JANOWSKI, Erinnerung, 74ff (Lit.). 49 So klassisch SMEND, Ende, 156ff. Möglicherweise erklärt die Amos-Rezeption – freilich lag wohl eine bereits Völkersprüche, Israelworte und Visionen umfassende exilische Buchgestalt im Rahmen eines Vierprophetenbuchs Hos–Am–Mi–Zeph* vor (vgl. umfassend WÖHRLE, Sammlungen, 245ff; DERS., Abschluss, 14ff [Lit.]; s.a. LEUENBERGER, Herrschaftsverheißungen, 105) – auch den auffallenden Sachverhalt, dass innerhalb der priesterlichen Urgeschichte, die ja zunehmend als älteste und/oder einzige Quelle in Gen 1–11 gilt, eine Begründung für die weltweite Verderbtheit fehlt: Die beiden einzigen Hinweise in Gen 6,12f konstatieren vielmehr schlicht den Negativbefund. Neben theologischen Gründen für dieses Schweigen (das Gericht/Ende war nicht göttlich intendiert oder bestimmt) könnte dabei die theo-

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Jhwh und die Geschichte

– Der Gerichtsvorgang wird (in Fortführung von Ez 7,2) universalisiert, indem er nicht mehr nur Israel, sondern weltweit alle Menschen und darüber hinaus sämtliche (Land-)Tiere: »alles Fleisch« betrifft50. – Die eschatologische Gerichtsansage wird von der Priesterschrift protologisiert und in der ersten (weltweiten) Phase ihrer Ursprungsgeschichte von der universalen Schöpfung bis zur Einrichtung der Kultordnung für Israel verortet. – Dies führt dazu, dass das Ende zu einem Vorgang innerhalb der Geschichte – wenn auch innerhalb der mythischen Urzeit – wird und somit in die Weltgeschichte integriert wird: Obwohl das Ende eigentlich entsprechend der völligen Verderbtheit allen Fleisches total sein müsste, überlebt ein ›Rest‹ (die Noahsippe und ein Paar aller Landtiere) aufgrund göttlichen Eingreifens; und obwohl es keine Anzeichen für eine Lageverbesserung gibt, sagt Gott diesem Rest im Noahbund gnadenhaft ewigen Bestand – und mithin eine ebensolche Geschichte51 – zu (s. dA[ 9,11). Alles Fleisch und zumal der von der Priesterschrift im Folgenden fokussierte Israelkreis kommt dementsprechend vom Gericht her und hat das Ende überlebt, das sich mithin vom Ende der Geschichte (Israels) zum Ende (allen Fleischs) in der Geschichte gewandelt hat. Indem die Priesterschrift also Amos’ Gerichtsansage vom Ende der Geschichte universalisiert, protologisiert und (urgeschichtlich) historisiert, verdankt sich bereits die folgende Geschichte Israels von allem Anfang an der gnadenhaften Bundestreue Gottes (Gen 9; 17), aus der die Menschheit und Israel aus eigener Leistung nicht herausfallen können (sondern allenfalls nur einzelne Glieder). In gewisser Weise ist die (nachsintflutliche) Geschichte und Gegenwart Israels daher bereits eine ›neue Welt‹, zumindest eine fundamental erneuerte Welt; das impliziert aber umgekehrt – auch wenn die Priesterschrift sich nicht dazu explizit äußert – eine grundlogische Verarbeitung des Amos’schen Endes eine prägende Rolle gespielt haben, wofür die souveräne Traditionshandhabung der Priesterschrift keineswegs ein Hindernis darstellt. 50 Vgl. zu rf'B'-lK' neben den Komm. die Belegübersicht von HULST, Kol ba ar, 34ff. 51 An dieser Stelle sei auf die konzeptionell breit gefächerten atl. Geschichtssummarien verwiesen, die bestimmte Geschichtsepochen der Vergangenheit theologisch deuten. Das Spektrum verbreitert sich noch, wenn man die diversen Ursprungs- bzw. Großgeschichtserzählungen einbezieht (von den Vätergeschichten über die Exoduserzählung, die dtr. Geschichtswerke mit ihren bundestheologischen Geschichtsverständnissen bis zum enneateuchischen Bogen von Schöpfung bis zum Exil). Jenseits der HB schließen hier die auch die Makkabäerbücher, Josephus usw. sowie natürlich die apokalyptischen Geschichtsverständnisse an (s.u. IV.).

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sätzliche Absage an zukünftige Endankündigungen, wie sie für die prophetische Überlieferung weithin konstitutiv sind. Vielmehr vermag der Geschichtsverlauf im Einzelnen (der für Israel-Juda unter anderem das Ende von Königtum, Nationalstaat und Tempel bringt, wie die Priesterschrift nur zu gut weiß) die grundlegende Bestandes- und Bundeszusage Gottes nicht zu tangieren. c) Jes 65f: Frühapokalyptische Horizonterweiterung Dieser priester(schrift)lichen Interpretation konnten und wollten sich die prophetischen Tradentenkreise nicht anschließen. Denn für sie gewann das historische Schicksal von Israel-Juda bis zum Exil im Lichte der eschatologischen Ankündigung Amos’ eine gewisse Selbstevidenz (die freilich – jedenfalls sehr bald – am bevorstehenden Gericht/Ende festhalten ließ). (Schrift-)Prophetie vollzieht sich hier, wie bereits in vorexilischer Zeit nach 722/720 v. Chr., wesentlich als produktive Deutung (auch) der Geschichte im Lichte der (prophetischen) Traditionen: Es handelt sich je länger je mehr um (fortschreibende) Auslegungsliteratur. Im vorliegenden Zusammenhang stellt Jes 65f dafür ein spätes, aber interessantes Beispiel dar52; denn hier wird – am formativen Abschluss des Jesajabuchs (Inklusionen Jes 1/66) im späteren 3. Jh. v. Chr.53 – auf eine neue/erneuerte Schöpfung nach dem Gericht ausgeblickt. Der Hauptbeleg ist Jes 65,17: hv'd'x] #r,a'w" ~yvid'x] ~yIm;v' areAb ynIn>hi-yKi 65,17 Denn siehe, ich bin daran, einen neuen tAnvoarIh' hn"r>k;Z"ti al{w> ble-l[; hn"yl,[]t; al{w>

Himmel und eine neue Erde zu erschaffen. Und der früheren (Himmel und Erde) wird nicht mehr gedacht werden, und sie werden nicht mehr (ins Herz, d.h.) in den Sinn kommen.

Den frommen Jhwh-Knechten wird hier im Gegensatz zu den Frevlern (s. 65,13ff) in unmittelbarer Zukunft (s. das sog. futurum instans V.17) ein neuer/erneuerter Himmel und eine neue/erneuerte Erde verheißen (so im AT nur Jes 65,17; 66,22).

52

Weitere Beispiele ließen sich namentlich aus dem dtjes Bereich heranziehen, wo einerseits etwa in Jes 45 die Einzigkeit Jhwhs geschichtstheologisch begründet wird (s. dazu LEUENBERGER, Monotheismus, 25ff; DERS., Begründung) und wo andererseits insbes. Gegensatzpaare wie ›das Frühere (tAnvoarIh')‹ und ›das Künftige (tAaB'h;)‹ u.ä. den Geschichtshorizont dezidiert ausweiten und profilierte Epochenbewertungen vornehmen. 53 Vgl. dazu vorab STECK, Abschluss, 92ff; DERS., Himmel, 349ff.

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Jhwh und die Geschichte

– In Fortführung der in der priesterschriftlichen Urgeschichte zu beobachtenden Universalisierung wird die Horizonterweiterung 54 abermals gesteigert: Die Garantie des Schöpfungsbestands aus Gen 6–9 wird zwar für die Dauer übernommen, zugleich wird aber die prophetische Eschatologie so ergänzt, dass – nach einem weltweiten Vergeltungsgericht – eine neue/erneuerte Schöpfung endgültiges Heil bringen wird; dieser Universalismus wird allerdings mit einer partikularen Fokussierung auf die Frommen gekoppelt, die alles andere als spannungsfrei ist. – Zu präzisieren ist, dass der Ausblick auf die neue Schöpfung in urgeschichtlichen Kategorien beschrieben wird: Wenn es zutrifft, dass sich V.18ff auf die neue Erde beziehen (vgl. die zu V.17 parallele Einleitung areAb ynIn>hi yKi V.18), so wird diese als erneuertes Paradies vorgestellt, wie die Rückgriffe auf Gen 2f und auf den Tierfrieden aus Jes 11 zeigen55. Grundsätzlich bleibt zwar offen, ob Himmel und Erde diskontinuierlichdiskret durch neue Exemplare ausgetauscht werden, sodass die alte Schöpfung durch eine neue ersetzt wird, oder ob Himmel und Erde kontinuierlich-stetig erneuert werden, sodass die alte Schöpfung grundlegend verwandelt wird. Letzteres ist aus motiv- und theologiegeschichtlichen Gründen plausibler, an dieser Stelle genügt jedoch der Hinweis auf eine grundlegende, an innerweltlichen (urgeschichtlichen) Kategorien orientierte Erneuerung der gesamten Schöpfung. – Wertet man die literarischen Rückbezüge auf Jes 1 und Gen 1ff auf kompositionsgeschichtlicher Ebene aus, so hat sich die Geschichte zur Universalgeschichte geweitet und man kann mit Klaus Koch von einer doppelt gebrochenen heilsgeschichtlichen Linie sprechen 56. Es kommt hier also erstmals in breiter Ausführung die gesamte Geschichte von der Schöpfung bis zum Weltende in den Blick – und zwar als von Gott gesteuerte. Mithin erreicht der von Jan Assmann als »Theologisierung der Geschichte« 57 bezeichnete Prozess, den er selber freilich weiter fasst, hier einen (vorläufig) neuen Höhepunkt. Die skizzierte Perspektivenausdehnung gilt demnach in räumlicher wie in zeitlicher Hinsicht; sachlich liegt es deshalb m.E. nahe, diesen universalgeschichtlichen Horizont dezidiert innerhalb der frühen Apokalyptik zu verorten. Diese Einschätzung wird auch durch die frühe Rezeptionsgeschichte untermauert: So wurde Jesaja Sir 48,20–25 zufolge die Weltge54

Vgl. zu ihr programmatisch LUCK, Welterfahrung, 303f. S. die Komm. z.St. und bes. STECK, Himmel. 56 Vgl. KOCH, TRE 12, 579 (zum prophetischen Geschichtsbild). 57 ASSMANN, Gedächtnis, 256. 55

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schichte offenbart: Er »schaute die Endzeit (tyrxa hzx/ei=den ta. e;scata)« (V.24) und er »verkündete die kommenden Geheimnisse/Verborgenheiten für die fernste Zeit (twrtsn twyhn dygh ~lw[ d[/e[wj tou/ aivw/noj u`pe,deixen ta. evso,mena kai. ta. avpo,krufa)« (V.25). Ein ähnliches (apokalyptisches) Prophetenverständnis dokumentieren wenig später auch die Jesaja-Pescharim aus Qumran58. 3. Rückblick Rekapitulieren wir die angeführten Beispiele aus einem halben Jahrtausend Prophetie, so zeigen sich innerhalb der prophetischen Geschichtstheologien massive Entwicklungen und Transformationen: Die (Schrift-)Prophetie hat sich von der zeitgeschichtlichen Deutung des syrisch-ephraimitischen Kriegs (Jes 8) bzw. der innenpolitischen Zustände im 8. Jh. v. Chr. (Am 8) zur universalgeschichtlichen Hermeneutik im 3. Jh. v. Chr. (Jes 65f) stark gewandelt. Die Prophetie erweist sich also auch im Blick auf den Umgang mit und die Deutung von Geschichte als in sich sehr vielgestaltig – und dasselbe wird sich auch in der Apokalyptik zeigen. Es lässt sich vorwegnehmen, dass umfassende Geschichtstheologien, wie sie in Jes 65f59 auftreten, der Apokalyptik ungleich näher stehen als den vorexilischen Gerichtsprophetien, wie sie sich in Jes 8 oder Am 8 finden. Im Blick auf die o. angesprochenen Definitionsfragen bzw. Verhältnisbestimmungen sprechen somit auch die geschichtstheologischen Befunde für die Maxime: contra definitionem, pro descriptione.

IV. Apokalyptische Geschichtstheologien Die skizzierten prophetischen Geschichtstheologien – v.a. die späten Fortschreibungen in Jesaja – finden nun konzeptionell eine ziemlich kontinuierliche Weiterführung in der Apokalyptik, die zwar grundlegend ebenfalls Auslegungsliteratur ist, die sich nun jedoch nicht mehr in buchinternen Fortschreibungen, sondern in literarisch selbstständigen Werken nieder-

58

Vgl. STEGEMANN, Essener, 176ff und METZENTHIN, Jesaja-Auslegung. Weitere Beispiele im Vor- und Umfeld wären die einschlägigen atl. Texte von Sach 1–6* bis zu Dan 7(f) und 9(–12), wobei bekanntlich im makkabäischen Danielbuch die göttliche Geschichtsdetermination mit der bestimmenden Frage nach dem Zeitpunkt des Endes bes. ausgeprägt hervortritt. 59

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Jhwh und die Geschichte

schlägt60. Die Apokalyptik besitzt, wie angedeutet wurde, wesentlich ältere Anfänge im astronomischen Buch und im Wächterbuch der Henoch-Überlieferung (s.o. II. mit Anm. 20). Gleichwohl ist festzustellen, dass erst in der ›Hoch-Apokalyptik‹ des frühen 2. Jh. v. Chr. Geschichtsüberblicke hinzukommen, welche die theohistorische Grundfrage universalgeschichtlich im engeren Sinn (s.o. I.) bearbeiten. Im Folgenden sollen daher die beiden vielleicht berühmtesten Geschichtsvisionen der Apokalyptik erörtert werden: auf der einen Seite die 10-Siebent-Apokalypse des Henochbuchs, die aus dem früheren 2. Jh. v. Chr. stammt und die beginnende erste Blütezeit der Apokalyptik dokumentiert (IV. 1.), und auf der anderen Seite die kaum minder berühmte Wolkenvision aus der syrischen Baruch-Apokalypse, welche die späte Apokalyptik nach 70 n. Chr. repräsentiert (IV. 2.). 1. 10-Siebent-Apokalypse: Universale Theohistorie in der Hoch-Apokalyptik Die äthiopisch, griechisch und aramäisch überlieferte 10-Wochen- oder besser 10-Siebent-Apokalypse (10SA) entstand wahrscheinlich in vormakkabäischer Zeit: Sie wurde vermutlich in den früheren Jahrzehnten des 2. Jh. v. Chr. von der Henoch-Schule als selbstständiges kleines Geschichtswerk verfasst61. Kurze Zeit später – wohl in der frühmakkabäischen Phase – wurde sie in das Buch der Traumvisionen (83–91) integriert, das zumindest konzeptionell an das astronomische Buch als Teil einer Henoch-Biographie anschloss62. ohne dass der Textbestand der 10SA dabei wesentlich überarbeitet worden wäre63. Die 10SA ist von herausragendem Interesse, weil ihre Gattung des umfassenden Geschichtsüberblicks in futurischer Form als typisch apokalyptisch gilt 64 und weil sie eine profilierte Konzeption aufweist, welche die 60

Im Blick auf biblisch-theologische Fragestellungen sei an dieser Stelle wenigstens die folgende Bemerkung angefügt: Auch diese literaturgeschichtlichen Befunde verunmöglichen die von KOCH polemisch sog. Propheten-Anschluss-Theorie, nach der Jesus über die depravierte nachexilische Zeit hinweg auf die genialen Propheten der vorexilischen und exilischen Epochen zurückgegriffen habe (s. KOCH, Apokalyptik, 35ff und das neuere forschungsgeschichtliche Referat von THEISSEN/MERZ, Jesus 21ff.223ff). 61 Vgl. dazu LEUENBERGER, 10-Siebent-Apokalypse 2, 64.55f, dort auch Einzelnachweise zum Folgenden; s. jetzt a. BEYERLE, Gottesvorstellungen, 197. 62 S. LEUENBERGER, a.a.O. 2, 60ff. 63 Angesichts der parallel und nicht selten formelhaft formulierten Siebente lassen sich allenfalls für Einleitung und Abschluss Erwägungen anstellen (s. das Referat bei LEUENBERGER, a.a.O. 2, 56f). 64 S. LEUENBERGER, a.a.O. 1, 57 mit Anm. 4; jüngst FREY, Apokalyptik, 18f.29.51f.

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Weltzeit streng periodisiert und auf die eschatologische Erwählung Gerechter als Anfang der Endgerichtsvorgänge hin perspektiviert. Zudem stellt die 10SA in chronologischer Hinsicht bislang die wahrscheinlich älteste Apokalypse mit Geschichtsüberblick dar65. Der beste Textzeuge ist das aramäische Qumran-Manuskript 4QEng (4Q 212/PAM 43.214–215)66. Seine Bedeutung liegt unter anderem darin, dass es die ältere Hypothese empirisch bewiesen hat, dass die äthiopische TextAbfolge 93,1–10  91,11–17 auf einer späteren – wohl im Dienst einer engeren Einbindung des Briefs (92–105) stehenden67 – Umstellung beruht. Die zu rekonstruierende ursprüngliche aramäische Textfassung der 10SA lautet wie folgt68: rma2 hltm $wna[x bysnw hwh hrtb !mw] Kol. 1, [Und danach geschah es: Und es nahm w[qpn yd aml[ yryxb l[w ajXwq ynb l[] llma !la ajXwqw] atbcy tncn !m $nx awh hna yna[b !wkl [dwaw !wkl rmm [!mw !ymX ywzxb alk hna ta]yazxa yxwlbw] t[dy alk hna !yXdq yXayadaqa t[nnwbtaw ty]rq a[lk hna aymX

rmaw hltm $wnx bsn [b]tawa [[wbXb tdlyta] ya[yba[X $wnx awh h]naaa

~yqtm hwh r]bk ajXq yl[ d[w ymdq

arqX hb yd !ynt [[wbX ~wqy yrtb !mw aymdq acq hb ydw !w]xamcy asmxw ~lX rtbw rty Xwna hb ydw] Kol. 2 [awht 65

93,1f auf He]noch seine Rede, 2sprechend: [»Über die Söhne der Gerechtigkeit und über die Erwählten der Ewigkeit, die hervorgegang]en sind aus der Pflanze der Rechtschaffenheit [und Gerechtigkeit. Diese will ich zu euch sprechen, und ich mache euch bekannt, meine Söhne: Ich selber, Henoch, habe alles gezeigt bekommen in einer Vision des Himmels. Und aus] dem Reden der Heiligen der Heiligen habe ich alles erkannt. [Und auf einer Tafel des Himmels habe ich all]es geles[en und bin verständig geword]en.« 3 Und wie[der] nahm Henoch seine Rede auf und sprach: »I[ch selber, Henoch, als der Sie]bte [wurde ich geboren im] ersten [Siebent]; und bis zu mir [war] Gerechtigkeit läng[st bestehend. 4 Und nach mir wird erstehen das] zweite [Siebent], in dem Lüge und Gewalttätigkeit sprieß[en, und in dem das erste

So DEXINGER, Probleme, 189; VANDERKAM, Enoch, 149; jüngst HENZE, Architecture, 209; für eine Vorordnung der Tierapokalypse votieren hingegen v.a. REESE, Geschichte, 66f und in seinem Gefolge MÜLLER, TRE 3, 219f sowie zuletzt BEDENBENDER, Gott, 120ff; DERS., Date, 202. 66 Ediert von MILIK, Enoch, 245ff mit Plates XXI–XXIV. 67 Vgl. LEUENBERGER, 10-Siebent-Apokalypse 2, 70ff. 68 S. dazu im Einzelnen die Nachweise bei LEUENBERGER, a.a.O. 1.

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Jhwh und die Geschichte

Ende sein wird Kol. 2 und in ihm wird ein Mann gerettet werden. Und nachdem vollendet ist, da wird groß werden die Bosheit, und der Bund wird gemacht werden den Sündern. hpws] [~[w ytylt [wbX ~wqy hrtb !mw 5 Und danach wird erstehen das dritte qpt hrxaw ajXq tbcnl Xwna rxbty Siebent. Und an seinem Ende wird ~l[l ajXq] [tbcn erwählt werden ein Mann zur Pflanze der Gerechtigkeit, und nach ihm wird hervorgehen die Pflanze der Gerechtigkeit für ewig. [hpws ~[w y[br [wbX ~wqy hrtb !mw 6 Und danach wird erstehen das vierte rdl amyqw wyzxta !yjyXqw !yXdqd !wwzx] Siebent. Und an seinem Ende Visionen !whl db[ty arydw] [ard (, solche) der Heiligen und der Gerechten werden geschaut werden. Und das Gesetz für die Generation der Generation und die (Zelt-)Wohnung wird gemacht werden für sie. hpws ~[w] [yXymx [wbX ~wqy hrtb !mw 7 Und danach wird erstehen das fünfte ~l[l hnbta atwklmw atwbr lkyh Siebent. Und an seinem Ende der Tempel der Herrlichkeit und des Königtums wird gebaut werden für ewig. hb !wwhl yd ytyX [wbX ~wqy hrtb] !m[w 8 Und] da[nach wird erstehen das sechste hb ydw atmkxm wXnty !whlwkd] [ablw !yms Siebent, in dem die, die in ihm sein dqyta hpws ~[w] [amwrml arbg bsnta werden, blind und das tdlwt] [lk rdbtt hb ydw arwnb lkyh Herz von allen vergessen wird die aryxb aXrX Weisheit, und in dem aufgenommen wird ein Mann in die Höhe. Und an seinem Ende wird verbrannt werden der Tempel mit Feuer. Und in ihm wird zerstreut werden das ganze Geschlecht der erwählten Wurzel. a[j] [rdw y[bX [wbX ~wqy hrtb !mw 9 Und danach wird erstehen das siebte yaha[wdb[ lwkw yhwdb[ !ygXw ~wqy Siebent. Und eine (ab)irrende Genera[atw[]jab tion wird erstehen, und ihre Taten werden zahlreich sein, und alle] ihre [Taten] in I[rrtum. ydhXla [!yjyXq] !wrxbt[y hpws ~[w10] 10 Und an seinem Ende wer]den erwählt h[bX yd [am]la[ jXaq [tbc]n !m jXq [Gerechte] zu Zeugen der Gerechtigkeit aus der Pf[lanze der] Gerechtigkeit der [!whl b]haytt [dmw hmakx !a[ym[]pa Ewi[gkeit], wobei siebenf[ac]h Weisheit und Erkenntnis gegeb[en wird ihnen]. db[w asmx yXa !yrq[ !whlw91,11 91,11 Und (für) sie , die ausreißen die Fundamente der Ge[anyd] db[ml hb arqX walttätigkeit und die Tat der Lüge in ihm, um auszuüben [das Gericht].

!yjxl db[ty] [amyqw a[Xr tbrw

Theohistorie: Prophetische und apokalyptische Geschichtstheologien

jwXq ynymt [wbX ~wqy hrtb !mw !yjyXq lwkl [brx b]hytt hbd lwk !m jwXq !yd anyd db[ml !whdyb !wbhytyw !ya[ayXr

12

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13

!yd h]bada[w ~w]qy y[Xt [wbX hrtb !mw lwkw hlk a[ra ynb lwkl algty[ ajXq a[ra lwk !m [!wrb[y ay[Xr yd]ba[ !wzxyw aml[ ]rwbl !wmryw hlwk aml[ jXq xral !whlka[ aXwna

14

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15

!y]mXw !wrb[y hb !ymdq !ymXw aymX[ ynjlX lwkw !wzxty !ytdx !ym[p h[bX !]yml[ lwkl !yxndw !y[rh]ca

16

@ws ytya [al yd] wgX !y[b[X hrtb !mw !wdb[y aj[Xqbw abjbw !yml[l !whnyn]m lwkl [… ~l[l arqty dw[ al ayjxw] Kol. 3 hl[w] [… h]kalhw […] […] aa[…] yrd lk [d[… a[]ra xwntw [… hx]bXt !]yml[

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[lk !wkl azxaw ynb rma hna !wkl ![kw tbwtw alw[ txra @aw a]jXq txra ham !w[dt yd [lbwqlk !wkl tyzx

18

223

Und danach wird erstehen das achte Siebent Gerechtigkeit, in dem gegeb[en wird ein Schwert] allen Gerechten, um auszuüben das Gericht der Gerechtigkeit an allen Frevlern, und sie werden gegeben werden in ihre Hände. Und an seinem Ende werden sie erwerben Besitztümer durch Gerechtigkeit. Und gebaut werden wird der Tempel des [Kö]ni[g]tums des Großen in der Herrlichkeit seines Glanzes für alle Generationen der Ewigkeit. Und danach das neunte Siebent wird er[stehen. Und] in [ihm das Gericht der Gerechtigkeit] wird offenbart werden allen Söhnen der ganzen Erde. Und alle Tat[en der Bosheit werden vergehen] von der ganzen Erde vollständig und sie werden sich werfen in die Grube [der Ewigkeit. Und schauen werden die Menschen] in ihrer Gesamtheit den Weg der Gerechtigkeit der Ewigkeit. Und da[nach das zehnte Siebent. In seinem siebten Tei]l das Gericht der Ewigkeit, und das Ende des großen Gerichts [wird in Rache vollzogen werden an den Wächtern des Himmels der Ewigkeit]. Und ein erster Himmel in ihm wird vergehen. Und ein [neuer] Him[mel wird erscheinen. Und alle Mächte des] Himmels leu[chten au]f und gehen auf für alle Ewigkei[t siebenfach. Und danach werden Sie]bente zahlreich sein, [die nicht] ein Ende haben bezüglich all [ihrer Anzahl für ewig; und in Güte und in Gerech]tigkeit werden sie handeln. Kol. 3 Und die Sünde wird nicht länger genannt werden bis in Ewigkeit. …] [… ] und [sein] Wandel [ … ] und für ihn Lobpreis […]. Und ruhen wird die Er[de … bis zu] allen Generationen der Ewigkei[t. Und nun, euch, sage ich, meine Söhne und zeige euch alle] Wege der Gerechtigkei[t und auch alle Wege des

224

Jhwh und die Geschichte

d]ba[[ty ] ajXwq [txra wrxb yl w[mX ynb ![kw alw[ txra wrxb al]wa !whb $hml !dba @wsl dba yada l[[] [!whb $hml [asmx txrab $lh yd lk aml][a

19

Unrechts. Und wiederum habe ich gezeigt euch, dam]it ihr erkennt, was [gesch]eh[en wird. Und nun, meine Söhne, hört auf mich, und (er)wählt die Wege der] Gerechtigkeit, um zu wandeln auf ihnen, und [nicht (er)wählt die Wege des Unrechts, um zu wandeln auf ihnen], denn es geht zugrunde am Ende des Untergangs der E[wigkeit jeder, der geht auf den Wegen der Gewalttätigkeit].«

Es liegt offensichtlich die Gattung ›Apokalypse‹ vor, wie die Überschrift !ymX ywzx: »Himmelsvision« (93,2) und der Visionsinhalt belegen: Es wird die gesamte Weltzeit von der Urzeit ab Henoch bis zum neuen, ewigen Himmel in 10 ebenmäßigen Epochen ([;Wbv': »Siebent« 69) durchschritten. Dabei stellen die Epochen 1–7 die Geschichte der Welt bzw. Israels, die Epochen 8–10 die endzeitlichen Ereignisse mit der Wende zur neuen ›Himmelswelt‹ dar. Dem korrespondiert die Komposition: Die 10 Siebente (93,3–10; 91,11– 17) werden von einer Einleitung (93,1–3a) und einem Schluss (91,18f) gerahmt. Durch die numerische Zählung resultiert ein unumkehrbar linearer Ablauf: Zeit und Geschichte bewegen sich unaufhaltsam und streng nach göttlichem Fahrplan auf ihr Ende in den Gerichtsvorgängen der Epochen 8–10 und den dann entstehenden neuen Himmel zu. Darin integriert werden jedoch auch markante Entsprechungen zwischen einzelnen Epochen, die eine konzentrische Struktur offen legen70; ihre Pointe besteht darin, dass die eschatologischen Vorgänge jeweils durch deren protologische Vorläufer entschlüsselt und qualifiziert werden. Das lässt sich graphisch wie folgt illustrieren71:

69

Es geht also um »die siebengeteilte Zeit, ein festes Zeitsiebent« (KOCH, Sabbatstruktur, 48), was oft als Woche übersetzt wird (s. HAL, 1287f; OTTO, ThWAT 7, 1005; dasselbe gilt auch für das koptische \ebdomac [s. gr. e`bdwma,j] und das äthiopische sanbat). 70 Vgl. dazu LEUENBERGER, 10-Siebent-Apokalypse 2, 46ff; knapp HENZE, Architecture, 207ff. 71 Kursiv: typische Charakteristika; KAPITÄLCHEN: Entsprechungen der Epochen; eckige Klammern: biblisch-historische Bezüge.

Theohistorie: Prophetische und apokalyptische Geschichtstheologien Siebent

225

Inhalt: Ereignis (am Ende) und Charakteristika

Einleitung Henochs BERICHT einer !ymX ywzx an die SÖHNE der GERECH(93,1–3a) TIGKEIT und Erwählten der Weltzeit 1

2

3

4

5

Geburt Henochs als SIEBTER: Recht und Gerechtigkeit [Schöpfung–Henoch] Zunahme von Gewalttat; ERSTES ENDE [FLUTGERICHT]; Rettung eines Mannes [Noah]; Zunahme von Lüge und Gewalttätigkeit; BUND FÜR SÜNDER [Henoch–Sintflut/Noahbund] Erwählung eines Mannes zur Pflanze der GERECHTIGKEIT [Abraham]: Pflanze der GERECHTIGKEIT für ewig [Sintflut/Noahbund–Abraham] Visionen der Heiligen [in Ägypten?]; GESETZ für alle Generationen und (Zelt-)Wohnung für sie [Isaak–Exodus/Mose] TEMPEL DES KÖNIGTUMS FÜR EWIG [Exodus/Mose–Tempelbau]

6

7

Verblendung aller; Auffahrt eines Mannes [Elia]; ZERSTÖRUNG DES TEMPELS; Zerstreuung der Erwählten [Tempelbau–Exil] Abtrünniges Geschlecht; Erwählung Gerechter zu Zeugen und siebenfache WEISHEIT/ ERKENNTNIS; Vernichtung der Gewalt, um Gericht auszuüben [Exil–Makkabäer/Gegenwart]

8

Siebent der GERECHTIGKEIT; Gerechte vollziehen Gericht mit Schwert an Frevlern; Tempel des Königtums des Großen für alle Generationen der Ewigkeit

9

Offenbarung des WELTGERICHTS der Gerechtigkeit; Frevler werden vollständig vernichtet; ALLE SCHAUEN DEN WEG DER GERECHTIGKEIT der Ewigkeit

10

Ewiges Gericht im SIEBTEN Teil an den Wächtern des Himmels; Vernichtung des ersten, Erscheinen des neuen Himmels; zahlreiche Siebente (Sünde; Gerechte; Gotteslob; Erdenruhe)

Henoch ZEIGT/HAT GEZEIGT seinen SÖHNEN die Wege der Abschluss GERECHTIGKEIT, damit sie wissen, was geschehen wird, und (91,18f) auf den Wegen der Gerechtigkeit wandeln – denn jeder, der auf den Wegen des Unrechts wandelt, wird zugrunde gehen Abb. 26: Komposition der 10-Siebent-Apokalypse

226

Jhwh und die Geschichte

Konzeptionell zeigt sich in der 10SA damit in mehrfacher Hinsicht eine neue Geschichtstheologie, welche für die Hoch-Apokalyptik bezeichnend ist: – Aus der prophetischen Tradition wirkt die eschatologische Grundperspektive oder der Blick auf das Ende nach, wie bereits die Beobachtungen zur Komposition angedeutet haben: Einerseits werden die einzelnen Siebente (mit Ausnahme von # 9 und evt. von # 2) durchwegs aufgrund der sich an ihrem Ende abspielenden Ereignisse charakterisiert und qualifiziert. Andererseits stechen die beiden Epochen 7 und 10 quantitativ und qualitativ hervor: Mit dem Ende von Epoche 7 (womit in der jetzigen äthiopischen Buchgestalt die 10SA ja endet!) – wo nach breitem Konsens die historische Verfassergegenwart liegt 72 – hebt die Wendezeit an, aus der die in Epoche 8–10 breit geschilderten Gerichtsvorgänge herauswachsen. Wie ›innergeschichtlich‹ am Ende von Epoche 7 das Ziel und damit die eschatologische Wende zur Endzeit erreicht wird, so kommt es am Ende von Epoche 10 zur Vollendung der Weltzeit überhaupt. – Damit verbindet sich eine dezidiert apokalyptische Geschichtsschreibung bzw. -theologie: Der gleichmäßig getaktete Geschichtsverlauf 73 läuft zunächst auf die Erwählung Gerechter hinaus, womit die letzten, zur Vollendung der Weltzeit führenden Endgerichtsvorgänge anheben. Günter Reese hat dies zu Recht als »die eigentliche geschichtstheologische Leistung der 10WApk« bestimmt74; entsprechend liegt (wie bei der Tierapokalypse) eine Geschichtskonzeption vor, die – von der Verfassergegenwart aus – durchaus eine eschatologisch-apokalyptische Naherwartung versprüht75. Sie hofft freilich nicht auf das baldige, abrupte Weltende, sondern sieht die eschatologische Wende zu einer besseren Welt bevorstehen: Die Erwählung Gerechter inauguriert eine fundamentale Welterneuerung.

72 Vgl. etwa VANDERKAM, Weeks, 521f; UHLIG, JSHRZ 5/6, 713; erst in Epoche 8 ortet sie DEXINGER, Probleme, 136ff; s. 140 für weitere Vertreter. 73 Damit unterscheidet er sich von den atl. Geschichtsschreibungen/-deutungen im Blick auf die Vergangenheit wie die Zukunft, s. etwa Gen–2Kön oder das Jesajabuch. 74 REESE, Geschichte, 65; vgl. 60ff.64ff. 75 Vgl. besonders HARTMAN, Functions, 12f. Dagegen macht KOCH, Sabbatstruktur, 66 hier – auf der Basis seiner Deutung der Siebente als 490 Jahre – eine »im vorchristlichen Israel« singuläre »Fernerwartung« aus. Ihre Funktion läge dann vor dem Hintergrund der zeitgeschichtlichen Vorgänge in einer kritisch-beruhigenden Distanznahme und einem Rekurs auf die göttlich bestimmte Langzeitentwicklung der Geschichte.

Theohistorie: Prophetische und apokalyptische Geschichtstheologien

227

– In sachlicher Weiterführung der im Jesajabuch beobachteten Horizonterweiterung kommt somit die gesamte Weltzeit (explizit ab Henoch) in den Blick. Sie gipfelt in den vielen gerechten Siebenten in Ewigkeit (mitsamt Verschwinden der Sünde, Wohlergehen der Gerechten, Lobpreis Gottes und Ruhen der Erde). Es bleibt also wie bei Jesaja bei der einen Welt, die der umfassenden Erneuerung bedarf: Es wird ein neuer/ erneuerter Himmel erwartet (91,15f), aber keine neue/erneuerte Erde. Diese selektive Rezeption atl. Erwartungen (s.o. III. 2. c. zu Jes 65,17; 66,22) indiziert indes keine Einschränkung prophetischer Restitutionshoffnungen, sondern eine Verlagerung und – angesichts des Kompositionsgefälles – Ausweitung: Sie beruht offenkundig darauf, dass – entsprechend des sich ausweitenden Gerichts in Epoche 8–10 (Frevler  gesamte Erde  Wächter im Himmel) – Gericht und Heil letztlich im Himmel statthaben76. – Inhaltlich lässt sich die Geschichtstheologie der 10SA als theozentrisch und dtr.-eschatologisch charakterisieren. Zum einen verdanken sich die dominanten Passivformulierungen und der regelmäßige Geschichtsverlauf offenkundig göttlicher Determination und weisen Gott als Herr und Lenker der Geschichte aus77: Er ist Immediatherrscher (bzw. wird sich im Sinn einer eschatologisierten Theokratie als solcher erweisen) und bedarf keines irdisch-messianischen Repräsentanten. (Die »Zeugen der Gerechtigkeit« werden von ihm berufen und üben in seinem Auftrag das Gericht aus: Die genuin messianische Funktion wird also kollektiviert und auf die Gerechten übertragen78). Zum anderen wird die Geschichte Israels seit der Königszeit über das Exil bis zur Verfassergegenwart konsequent negativ beurteilt79 – erst die 76

Auch die Tierapokalypse kennt keinen »kommenden Äon« (so aber UHLIG, JSHRZ 5/6, 492; s.a. 713; dagegen LUCK, Weltverständnis, 297). Das mag mehrere Gründe haben: Es könnte durch das Tun der Gerechten ab Epoche 7 vorläufig doch noch Einiges für diese Welt erwartet werden; wichtiger ist aber, dass trotz der Gerichtsvorgänge keine vollständige restitutio in integrum erreicht wird und so eine Neuschöpfung des Himmels erforderlich ist – da das definitive Heil für die Gerechten dort angesiedelt ist (vgl. 91,10; 92,3; 91,17 [+]ar; Kap. 103f [v.a. 104,1f]; s. aber 22,1ff). 77 Insofern vermag die Deutung BEYERLES, Gottesvorstellungen, 333, dass »im zehnten Siebent der Apokalypse das Numen als handelndes Subjekt völlig zurücktritt«, nicht ganz zu überzeugen. Demgegenüber fällt auf, dass im älteren Wächterbuch die Wächter, die gegen Gottes Willen agieren, den Geschichtsverlauf prägen (s. dazu SACCHI, TRE 15, 46). 78 So nur noch die Tierapokalypse (90,19) und Ps 149,6 (s. LEUENBERGER, Schwert). 79 Ebenso die Tierapokalypse (s. REESE, Geschichte, 60; 64 reklamiert er aber wenig plausibel einen »heilsgeschichtlichen Charakter«, der sie von der 10SA abhebe).

228

Jhwh und die Geschichte

Erwählung Gerechter in Korrespondenz zur Gesetzesgabe und zur Erwählung Abrahams bringt die eschatologische Wende und damit einen radikalen Umschwung der Zeitqualifikation. Die Theozentrik ist also mit einer dtr.-eschatologischen Geschichtstheologie kombiniert80. Mithin bietet die kompositionell geschlossene 10SA eine universale Theohistorie, welche die gesamte Weltzeit regelmäßig periodisiert und auf die eschatologische Erwählung Gerechter sowie die damit einsetzenden umfassenden Endgerichtsvorgänge fokussiert. 2. Wolkenvision: Zwei-Äonen-Lehre in der Spät-Apokalyptik Die historischen Vorgänge um die Zerstörung Jerusalems um 70 n. Chr. markieren auch geistes- und theologiegeschichtlich eine fundamentale Zäsur, die sich nicht zuletzt in der Apokalyptik manifestiert: Nach einem breiten Konsens hat die Aufarbeitung und Bewältigung des (zweiten) Untergangs Jerusalems nachgerade die reife Blütezeit der Spät-Apokalyptik inauguriert und genährt 81. Für sie ist theologisch und zumal hinsichtlich des Geschichts- und Zeitverständnisses die Lehre von zwei Äonen oder Welt(zeit)en kennzeichnend, wie die beiden spätapokalyptischen Hauptwerke82 des 4Esr und der ApcBar(syr) belegen. Die vielleicht prominenteste 83 Geschichtstheologie in diesem Bereich bietet die sog. Wolkenvision und ihre Deutung in der ApcBar(syr) 53; 56– 7484. Sie finden sich im zweiten Buchteil, der der Leitfrage ›Was also wird geschehen nach diesen Dingen?‹ (3,5) nachgeht; hier erörtern die eine dreifache Horizontausweitung vollziehenden Abschnitte IV–VI, in deren Zentrum je eine Vision mitsamt Deutung steht, »das Ende der Zeiten« (šwlmhwn dzbn 30,3, s. 40,3; 74,2). Kompositionell und sachlich bildet daher die Wolkenvision mit Deutung den Höhepunkt der ApcBar(syr)85. 80

So programmatisch STECK, Israel, 153f; DERS., Weltgeschehen, 283f. S. COLLINS, Introduction, 194ff; LEUENBERGER, Wolkenvision, 207 Anm. 4 (Lit.). 82 So etwa HARNISCH, Verhängnis, 10f; COLLINS, Introduction, 195; SACCHI, Apocalyptic, 28.105f. 83 Vergleichbar ist noch die Adlervision in 4Esr 11,1–12,34. 84 Der Text ist nur in der Mailänder Handschrift aus der Bibliotheca Ambrosiana B 21 Inf., 257r–267r vollständig erhalten (s. CERIANI, Monumenta 1, 73ff [Übersetzung]; DERS., Monumenta 5, 113ff [Edition]; DERS., Translatio [Faksimile-Ausgabe]); zwei spätere syrische Lektionarmanuskripte enthalten – ohne wesentliche Differenzen – Kap. 72f (s. KLIJN, JSHRZ 5/2, 107ff; OEGEMA, JSHRZ 6/1,5, 59f). 85 Vgl. LEUENBERGER, Wolkenvision, 209ff. – Entstehungsgeschichtlich gehen Vision und Deutung auf den Verfasser der ApcBar(syr) im frühen 2. Jh. n. Chr. zurück (s. 223 [Referat]), der in der (verkürzten) Vision älteres Überlieferungs- und Traditionsgut auf81

Theohistorie: Prophetische und apokalyptische Geschichtstheologien

229

Die Wolkenvision (Kap. 53), eingeleitet mit den Worten »und ich [sc. Baruch] sah ein Gesicht« (whzyt hzw 53,1), schildert eine große, aus dem Meer aufgestiegene Wolke mit einem Blitz am oberen Rand. Zwölfmal regnen aus ihr schwarze und weiße Wasser auf die Erde nieder, wobei die schwarzen immer mehr sind; danach folgt ein letztes (dreizehntes) Wasser, das mit Feuer durchsetzt ist und Vernichtung bringt, bevor der noch mächtigere Blitz die Wolke auf die Erde schleudert und die ganze Erde erleuchtet und beherrscht, sodass ihm auch zwölf aus dem Meer hervorgehende Ströme untertan werden. Baruch bittet im Gebet um Auslegung und erhält sie von Ramael (Kap. 55f) in einer breit ausgeführten allegorischen Deutung der Vision (Kap. 56–74): Es geht um »den Lauf der Zeiten« (dwbr dzbn ), »die schon vergangen sind und die in seiner [sc. Gottes, M.L.] Welt vorübergehen werden, vom Anfang seiner Schöpfung bis zu ihrem Ende« (56,2). So werden die zwölf Wasser als Geschichtsabriss ausgedeutet, der mit der Sünde Adams einsetzt (1., schwarze Wasser [56,5ff]) und mit dem Fall Zions die fiktive Verfassergegenwart86 erreicht (11., schwarze Wasser [67]), um dann die Zukunft anzukünden (Not und Rettung; Wiederaufbau Zions und Opferkult: 12., schwarze Wasser [68]). Entsprechend zur Vision (53,7) erreicht auch die Deutung mit den auf den Rückblick (69) folgenden 13., schwarzen Wassern (70f) einen ersten Höhepunkt: Weltweit (69,1) herrschen Chaos, Verwirrung und Krieg; doch beendet der Messias diese Periode. Damit beschließt Ramael vorerst seine Erklärung: »Dies ist nun das Gesicht, das du gesehen hast, und dies ist seine Deutung« (71,2); doch folgt sogleich als Nachtrag der zweite Höhepunkt zur messianischen Zeit; sie – in der Vision fehlend, sachlich aber problemlos mit der erleuchtenden Weltherrschaft des Blitzes korrelierbar – wird als 14., helle Wasser (72–74) dargestellt: Der Messias vollzieht das Völkergericht (72) und etabliert so eine paradiesische Heilszeit (73,1–74,1), die zugleich das Zeitenende, den Übergang von dieser zur kommenden Welt, markiert: »Denn jene Zeit wird das Ende dessen sein, was vergänglich ist, und der Anfang dessen, was unvergänglich ist« (74,2).

Eine detaillierte Kompositionsanalyse ergäbe, dass Vision und Deutung miteinander korreliert sind und dass die Deutung die Visionswasser alternierend-konzentrisch ausführt; schematisch lässt sich dies der in Abb. 27 dargestellten Synopse zur Wolkenvision und ihrer Deutung entnehmen87:

nehmen mag; dass auch ein Rückgriff auf die 10SA vorliegt, wie jetzt HENZE, Architecture, 209 vermutet, liegt traditionsgeschichtlich und thematisch nahe, lässt sich indes kaum anhand des Textbefunds substanziieren. 86 Der reale Verfasserstandpunkt nach 100 n. Chr. liegt in der 12. (s. 68,5f), angesichts möglicher zeitgeschichtlicher Bezüge in Kap. 70 vielleicht gar in der 13. Epoche (vgl. KLIJN, JSHRZ 5/2, 113f; BOGAERT, Baruch 2, 125), sodass unmittelbar bessere Zeiten (14. Phase, neue Welt) bevorstehen. 87 S. dazu LEUENBERGER, Wolkenvision, 222ff. KAPITÄLCHEN: Entsprechungen der Zeiten; kursiv: zentrale Gesetzesaussagen; eckige Klammern: Verweise auf die wichtigsten alttestamentlichen Referenztexte.

Rahmensetting: Wolke aus Meer, Wasser; Blitz darüber

V.8–11

V.7

Vorgang II: Blitz (Zeit/ Ort, Vorgang, Reichweite, 12 Ströme)

Letztes (13.) Wasser mit Feuer; Wertung

V.3–7 V.3 Vorgang I: Wasser V.4ff Ausdifferenzierung: Abfolgeschilderung (Beschaffenheit, Verteilung, Wertung der Wasser)

V.1f

Wolkenvision (53) Einleitung: Erklärung des Gesichts Thema und Horizont: Lauf der Zeiten (raum-zeitlich umfassend: von Anfang bis Ende Schöpfung, die ganze Erde umfassend)

72–74

71,2f

69–71

14.W.:

69,1–5: 13.s.W. (70f):

Nachtrag: messianische Zeit: Völkergericht durch Messias, Heilszeit. Übergang von Vergänglichkeit zu Unvergänglichkeit (74,2)

Abschluss: Dies ist Gesicht und Deutung

Rückblick (von Gott vorhergewusst und -begrenzt) UNIVERSALES Scheidungs-/Völkergericht durch Messias (Außenaspekt), Schutz im Land (Innenaspekt)

[messianische.. Weissagung:. Jes 11; 65f usf.].

56,5–68,8 12 Wasser alternierend schwarz (= s.W.)/hell (= h.W.) 1.s.W. (56,5ff): UNIVERSALE Übertretung Adams [Gen 1–11: 3.6]. 2.h.W. (57): Abraham (ff): ungeschriebenes Gesetz [Gen 12–50]. 3.s.W. (58): Ägypten: Freveltaten, UNTERJOCHUNG ISRAELS [Ex 1ff]. 4.h.W. (59): Mose/Josua: ewiges Gesetz, KULTGRÜNDUNG [Ex 19–Jos]. 5.s.W. (60): Amoriter/Richterzeit: KULTFREVEL, SÜNDEN [Ri (?)]. 6.h.W. (61): David (f): ZIONHEILIGTUM, GERECHTIGKEITS-Gebote [Sam–1Kön 11]. 7.s.W. (62): Jerobeams (ff) Kultfrevel [1Kön 11ff]. 8.h.W. (63): Hiskia: Werke/GERECHTIGKEIT, RETTUNG ZIONS [2Kön 18–20]. 9.s.W. (64f): Manasse: KULTFREVEL, SÜNDEN [2Kön 21]. 10.h.W. (66): Josia: KULTRESTAURATION, Gesetzesobservanz [2Kön 22f]. 11.s.W. (67): UNTERJOCHUNG ZIONS, Gesetzlosigkeit [2Kön 23–25]. 12.h.W. (68): Zion wieder gebaut, Opferkult [Esr–Neh].

56,1 56,2–4

Deutung der Vision (56–74)

230 Jhwh und die Geschichte

Theohistorie: Prophetische und apokalyptische Geschichtstheologien

231

Abermals präsentiert sich, ohne hier Einzelheiten ausführen zu können, eine profilierte und umfassende Geschichtstheologie über ›der Zeiten Ordnung‹ (kairw/n ta,xij)88: – Die gesamte Geschichte, von der Schöpfung bis zum Endgericht mit der Vernichtung der (ersten) Welt, ist durch den göttlichen Plan strukturiert. Insbesondere die alternierende Abfolge schwarzer und heller Wasser89 bringt eine strenge Ordnung in Zeit und Geschichte; die einzelnen Epochen sind zwar nicht quantitativ gleich strikt bemessen wie in der 10SA, doch ändert sich dadurch nichts am entscheidenden Aspekt der göttlichen Determination. Diese wird durch das Auf und Ab der Geschichte vielmehr noch schärfer herausgestellt. Zugleich verstärkt die konzentrische Komposition ähnlich wie in der 10SA das Gefälle auf das Ende hin: Es ist nicht einfach nur nahe, weil die Weltzeit 12, 13 oder 14 Epochen umfasst, sondern weil die 12. und die 13. Phase der realen Verfassergegenwart in eine enge Sachanalogie zum 2. bzw. zum 1. Stadium, dem Anfang also, gebracht wird: Das der Schöpfung korrespondierende erste Ende steht unmittelbar bevor. – Das bleibt aber nicht das letzte Wort, vielmehr öffnet sich jetzt – nach dem Untergang Jerusalems 70 n. Chr. – erstmals konsequent der Blick auf eine neue Welt: Aus der atl. und frühjüdischen Literatur werden verschiedene messianische Erwartungen einer heilvollen Endzeit rezipiert und zur spätapokalyptischen Lehre der zwei Äonen/Welten mit dem darin inhärenten Dualismus von hZ ~yIAGh;-lK'-ta, yTiv.[;r>hiw> ~yIAGh;-lK' tD;m.x, Wab'W

2,6

7

dAbK' hZ ~aun> ~Alv' !Tea, hZ

9

2,20

Und das Wort Jhwhs erging zum zweiten Mal an Haggai am Vierundzwanzigsten des Monats: Sprich zu Serubbabel, dem Statthalter/ Sonderbeauftragten Judas: Ich erschüttere den Himmel und die Erde! Und ich werde den Thron der Königreiche umstürzen, und ich werde die Macht der Königreiche9 der Völker zerschmettern, und ich werde die Streitwagen und ihre Fahrer umstürzen, und die Pferde und ihre Reiter werden niedersinken, ein jeder durch das Schwert seines Bruders!

Ob tAkl.m.m; aus metrischen Gründen zu streichen ist (s. BHS), sei hier dahingestellt.

Gegenwart und Zukunft im Haggaibuch

tAab'c. hw"hy>-~aun> aWhh; ~AYB; hw"hy>-~aun> yDIb.[; laeyTil.a;v.-!B, lb,B'ruz> ^x]Q'a,

~t'AxK; ^yTim.f;w> tAab'c. hw"hy> ~aun> yTir>x;b' ^b.-yKi

23

239

An jenem Tag – Spruch Jhwh Zebaots – werde ich dich nehmen, Serubbabel, Sohn des Schealtiel, mein Knecht10– Spruch Jhwhs –, und ich werde dich zum Siegelring machen, denn dich habe ich erwählt – Spruch Jhwh Zebaots.

Wiederum wird ein zweiphasiges Heilsgeschehen anvisiert, das (1) von Jhwh bestimmt wird und sich (2) von einem universalen Ausgangspunkt zu einem partikularen Endzustand fortentwickelt: Bereits in der Gegenwart11 ist Jhwh daran, universal Himmel und Erde zu erschüttern (v[r hi. V.21b) und die – als politisch-militärische Machtgebilde gezeichneten – Völker umzustürzen ($ph V.22aa.ba) bzw. zu zerschmettern (dmv hi. V.22ab), was ihre Selbstzerstörung durch interne Zwiste (V.22bb) zur Folge hat (Wdr>y"w>, s. par. Wab'W 2,7). Dann erst (aWhh; ~AYB;) handelt Jhwh in partikularer Konzentration an Serubbabel, der nicht mehr als Sonderbeauftragter oder Statthalter (hx'P,), der er im besten Fall historisch war, angesprochen wird, sondern der nun Knecht Jhwhs heißt: Jhwh macht ihn zum Siegelring (V.23ab), weil er ihn erwählt hat (V.23ba). Damit wird offenkundig der messianische Traditionsstrang des von Jhwh installierten und in seinem Auftrag herrschenden Königs in Jerusalem aufgegriffen12 und im nachexilischen Kontext aktualisiert13. Schematisch stellt sich der Vorgang wie folgt dar: 10

Die Anrede umfasst wohl die ganze Einheit bis vor hw"hy>-~aun>, weshalb nicht übersetzt wird »werde ich dich, …, nehmen als meinen Knecht«. 11 Wie in 2,6 wird hier partizipial formuliert (vy[ir>m; ynIa]), also ein unbetonter Gegenwartsbezug zum Kontext hergestellt. Dies führt im Unterschied zu 2,6 (ayhi j[;m. tx;a; dA[) unmittelbar in die Jetztzeit. (Freilich: Wie verhält sich dazu aWhh; ~AYB; 2,23?) Diese – vielfach ignorierte (s. CLINES, Temple, 56 Anm. 22) – Differenz lässt sich zunächst auf der literarischen Ebene deuten, wo 2,20ff später angesetzt wird als 2,1ff (24.9. gegenüber 21.7.) Wenn man davon ausgehen kann, dass Jhwhs welterschütterndes Handeln in beiden Fällen ein und denselben Vorgang bezeichnet, herrscht in 2,6ff also eine akute Naherwartung, die in 2,20ff bereits eingesetzt hat. Vermutlich ist aber zusätzlich redaktionsgeschichtlich zu differenzieren: Dann dürfte V.21b–22 gegenüber dem Datum von V.20 (und zunächst vielleicht aWhh; ~AYB; V.23) implizit später – in naher (vgl. explizit 2,6) oder fernerer Zukunft – vorgestellt sein, wobei die Verortung möglicherweise absichtlich unpräzise bleibt (s.u. III.). 12 Vgl. dazu LEUENBERGER, Herrschaftsverheißungen, 97f mit Anm. 85. 13 Auch ohne Königstitel und Salbungsterminologie, die u.U. aus theologiegeschichtlichen Gründen am Exilsende unter der Perserherrschaft fehlen, signalisieren dies die Begriffe ›Knecht‹, ›Siegelring‹, ›erwählen‹ klar (s. die Komm. und KEEL, Geschichte, 1007f; anders ROSE, Zemah, 209ff.230ff; DERS., Expectations, 169ff, der V.23 als Schutzaussage deutet, und GOSWELL, Fate, bes. 81.89f, der eine »royal identity« [90] ne-

240

Jhwh und die Geschichte

Jhwh wird erschüttern/umstürzen bzw. zerschmettern

Jhwh wird einsetzen

Jhwh wird erwählt haben

Welt

Königreiche universal: Kosmos

Niedersinken

Knecht Serubbabel partikular: ›König‹

Abb. 29: Struktur von Hag 2,20–23

3. Auswertung Der Vergleich von 2,6ff und 2,20ff hat deutlich gemacht, dass die Heilswende je als universal-partikulare Konzentrationsbewegung dargestellt wird, die in naher Zukunft von einer universalen Erschütterung von Welt und Völkern zum partikularen Heil führt. Dabei kommt das Heil in tempel- bzw. königsbezogenen Kategorien zur Sprache; sieht man die beiden Abschnitte zusammen, so werden mit dem Tempel als Zentrum des heilvoll geordneten Kosmos und mit dem erwählten ›König‹ (s.o. Anm. 12f) selektive Aspekte der staatszeitlichen Tempeltheologie revitalisiert, die mithin den traditionsgeschichtlichen Basishintergrund bildet. Formal würden sich schließlich beide Passagen entsprechen, wenn Hag 2,6–9 tatsächlich – wie zuletzt Othmar Keel vermutet hat14 – eine redimensionierte Schriftauslegung von Jes 60 darstellt, doch handelt es sich um Motiventsprechungen, die nicht zwingend eine giert; s.a. MEYERS, RGG4 3, 1376, die sich gegen Naherwartung und für einen notwendigen Zwischenschritt zur Realisierung der Endzeit ausspricht [s. bereits MEYERS/MEYERS, AncB 25B, 68.83f]). Im Horizont der einen meist zukünftigen (oder gar ›eschatologischen‹) Heilskönig erwartenden Texte der HB fällt die gesteigerte kosmische Dimension auf, in die gerade die historische Figur des Serubbabel eingestellt wird. 14 Vgl. KEEL, Geschichte, 1006, der Hag 2,6ff als »dürftige Version von Jes 60« bezeichnet; die umgekehrte Abhängigkeitsrichtung favorisiert ALBERTZ, Religionsgeschichte, 486f. S. zum Vergleich bereits detailliert SAUER, Tempeltheologie, 120ff.

Gegenwart und Zukunft im Haggaibuch

241

literarische Bezugnahme (zumal in dieser Richtung) erfordern. Demgegenüber besteht ein breiter Konsens darüber, das Hag 2,23 mit dem Motiv des Siegelrings Jer 22,24(–26) aufgreift und theologisch als überwunden begreift15.

Im Einzelnen bestehen natürlich Differenzen, die über die tempel- bzw. königsbezogenen Kategorien und deren Elemente hinausgehen: Argumentativ sind 2,6–9 Teil des Gotteswortes 2,1–9, während 2,20–23 das vierte Gotteswort in seiner Gänze ausmachen; zusammen mit dem Achtergewicht des Buchschlusses dürfte hier also kompositionell (und wahrscheinlich auch redaktionsgeschichtlich [s.u. II.]) ein besonderer Schlussakzent liegen. Interessant ist auch die jeweilige Völkerperspektive: Sie ist nur in 2,22 als totales Völkergericht mit Völkervernichtung akzentuiert, während 2,7f lediglich die Wirkung der Völkererschütterung – die Schätze »kommen« (wie?) nach Jerusalem – erläutert, sich über das Geschick der Völker aber nichts äußert. Dies lässt sich zwar jetzt im Buchablauf einigermaßen sinnvoll lesen16, es signalisiert aber zugleich deutlich, dass die Völkerthematik eine (kontextuell je unterschiedliche) Hilfsfunktion im Blick auf die Heilswende einnimmt – wie immer man dies entstehungsgeschichtlich bewertet (s. dazu im Folgenden). Schließlich ist festzuhalten, dass eine dem ~Alv'Zustand (2,9) entsprechende Zielformulierung in 2,20ff fehlt, was möglicherweise auf unterschiedliche Formulierungestappen hinweist. Insgesamt verbindet also die universal-partikulare Dynamik mit ihrem je Himmel, Erde und Völker umfassenden Ausgangshorizont und ihrer partikularen, tempel- bzw. königsbezogenen Zielperspektive die beiden Abschnitte Hag 2,6–9.20–23 eng miteinander. Die thematische Entsprechung legt redaktionsgeschichtliche Folgerungen nahe, wie in der jüngsten Forschung mehrfach gesehen wird.

15

S. in neuerer Zeit GOSWELL, Fate, 82 (Lit.); SCHMID, Literaturgeschichte, 161f; anders noch WOLFF, BK 14/6, 84; offen lässt die Deutung REVENTLOW, ATD 25/2, 30, der zu 2,21f urteilt: »Es ist noch nicht die Zeit der Schriftgelehrten, sondern eine, wenn auch späte, Periode lebendiger prophetischer Verkündigung« (29). 16 Die Völker bringen zuerst Schätze nach Jerusalem, werden dort dann aber vernichtet (s.a. Jo 4,12ff). Diese keineswegs eindeutige Lesart wird zusätzlich durch die Zeitangaben in 2,6ff.20ff erschwert.

242

Jhwh und die Geschichte

II. Redaktionsgeschichtliche Folgerungen Betrachtet man Hag 2,6–9.20–23 in der vorliegenden Buchkomposition, sticht sofort ins Auge, dass der hier vorliegende universale Kosmos- bzw. Völkerhorizont den übrigen Vorstellungsrahmen massiv sprengt: Das Buch dreht sich zentral um die Überwindung der agrarisch-ökonomischen Mangelsituation Jerusalems und seiner Umgebung am Exilsende, was gemäß Haggais theologischer Einsicht eben durch den Tempelneubau erreicht werden kann. Diese Konstellation kennzeichnet mit Ausnahme von Hag 2,6–9.20–23 nahezu das gesamte Buch: Sie gilt, ohne hier eine redaktionsgeschichtliche Analyse und Modellbildung eigens durchführen zu können 17 , bereits für allfällige prophetische Gottesworte (besonders in 1,2–11*.12bf*; 2,3–5*. 11–19*) und in jedem Fall für deren (sekundäre?) Einbindung in den vorliegenden chronistisch-narrativen Rahmen (einmal abgesehen von den Zusätzen 2,5aa.17[f]*). Daher ist es wahrscheinlich, in 2,6–9 und 2,20–23 bzw. genauer 2,21b– 22 zwei – wohl zusammengehörende – kompositionell planvolle und konzeptionell profilierte Fortschreibungen anzunehmen. Sie greifen die partikulare Zielperspektive der älteren Buchgestalt auf durch den vorgegebenen Tempelbezug (2,6ff) bzw. durch die komplementäre Ergänzung der Erwählung Serubbabels (2,20ff), begründen diese jedoch in ganz neuer Weise durch Jhwhs universales Ausgangshandeln: die Kosmoserschütterung und die daraus folgende Lösung des Völkerproblems. 2,6–9 sprengt 2,3–5* jedoch nicht nur sachlich und räumlich, sondern bringt auch eine zeitliche Verlagerung in die (nahe, aber unbestimmte) Zukunft ein; all dies unterstreicht den formalen Neueinsatz durch Botenformel und Partizipialkonstruktion, sodass wahrscheinlich eine Fortschreibung vorliegt 18 . Sie greift u.a. das Stichwort des herrlichen

17

Vgl. dazu vorab (s.a.o. Anm. 1) die sorgfältige Analyse von WÖHRLE, Sammlungen, 288ff; DERS., Abschluss, 139ff. Nicht zwingend scheint mir die Ausgrenzung von 2,11–14 aus der Grundschicht (zumal wenn man mit einer historischen Prophetengestalt rechnet, die dann jedenfalls durchgängig stark von priesterlichen Kategorien geprägt ist) einerseits und die Zuweisung von 2,23 zu dieser andererseits (s.u.). Zu den ursprünglichen Prophetenworten sind zahlreiche Beobachtungen WOLFFs, BK 14/6, 3ff, DERS., Haggai, 130ff nach wie vor grundlegend. 18 So mit KRATZ, Serubbabel, 88.90 für V.6–9 (mit Stufungen) und ausführlich WÖHRLE, Sammlungen, 300ff für V.6–8 gegen die klassische Zuordnung zur Grundschicht (so etwa mit Verweis auf die planvolle Struktur [REVENTLOW, ATD 25/2, 5.7.19ff] oder auf das »eigentliche[.] Wort zur Situation in V.6« [WILLI-PLEIN, ZBK 24/4, 32]; ebenso jetzt ASSIS, Temple, 584ff; LUX, Völkertheologie, 111ff).

Gegenwart und Zukunft im Haggaibuch

243

Tempels aus V.3 auf (V.7.9) und liefert dafür eine umfassendere Begründung, die V.9 mit der tempelbezogenden Friedenszusage abschließt19. In 2,20–23 liegen die Dinge ganz ähnlich, was den raumzeitlichen und formalen Neueinsatz in V.21b betrifft, der hier direkt auf eine an Serubbabel gerichtete Rahmennotiz folgt. Der Fortschreibungscharakter betrifft nun freilich auch das Serubbabel-Wort V.2320, das durch seine Schlussposition strukturell hervorgehoben wird, wie es analog für zahlreiche königskonzeptionelle bzw. sog. ›messianische‹ Texte des AT zutrifft: Es ergänzt die Wende der agrarisch-ökonomischen Not durch den Tempelneubau um eine messianische Perspektive, die sich theologisch als Schriftauslegung von Jer 22,24(ff) präsentiert (s.o. I mit Anm. 15). Redaktionsgeschichtlich bietet sich damit eine Verbindung von V.23* (ab ^x]Q'a,) mit der Rahmennotiz V.20–21a (und d.h. der in der Forschung meist sog. chronistisch-narrativen Redaktion) an; sie verbindet die bisherige Tempelperspektive mit Jehoschua und stellt Serubbabel als ›königliches‹ Pendant daneben, für den eigens der Schlussabschnitt (2,20–21a.23) neu formuliert wird. Für diese meist noch zeitnah, während des Tempelbaus, angesetzte Redaktion spricht auch, dass dies überhaupt die einzig bekannte ›messianische‹ Verheißung ist, die an eine namentlich genannte konkrete Einzelperson ergeht, was im distanzierten Rückblick kaum so beschränkt und mit so offenem Ausgang konstruiert worden wäre 21 . Demgegenüber bieten V.21b–22 dann die davon deutlich abgehobene Horizonterweiterung, wie sie o. I. beschrieben wurde22. Der dort skizzierte argumentative Gleichlauf macht es darüber hinaus sehr wahrscheinlich, dass 2,6–9 und 2,21b–22 redaktionsgeschichtlich zusammengehören, auch wenn die Völkersicht im Detail variiert23. Ob eine weitergehende Verortung im Rahmen 19 ~Alv' kann zwar agrarisches Wohlergehen bezeichnen (WÖHRLE, a.a.O., 302, der V.9 zur Grundschicht zählt [ebenso für V.9a KRATZ, a.a.O., 88 und ihm folgend HALLASCHKA, Haggai, 70ff]); traditionsgeschichtlich steht jedoch in erster Linie die Tempeltheologie im Hintergrund, und auch im vorliegenden Kontext wird der ~Alv' explizit auf den Tempel bzw. Jerusalem (hZ ~d'a' ble Ad[]c; !ykiy" hw"hyw:

16,9

Des Menschen Herz plant seinen Weg, doch Jhwh lenkt/setzt fest seinen Schritt.

vyai-bl,B. tAbv'x]m; tABr: ~Wqt' ayhi hw"hy> tc;[]w:

19,21

Viele Pläne sind im Herzen eines Mannes, doch der Ratschluss Jhwhs, er kommt zustande.

Durch solche Einsichten (s.a. Prov 16,1ff; 20,24; 21,30f) wird die Reichweite der traditionellen Erfahrungsweisheit also in ersten Ansätzen problematisiert und beschränkt (auch wenn namentlich 16,9 jünger sein mag), was in der Folge weiter und schärfer bedacht wird. Diese kritische Reflexion und Transformation des Erfahrungsverständnisses erreicht durch die Zuspitzungen im Hiob- und Qoheletbuch innerhalb der HB Höhepunkte, die sich als konsequente Erfahrungstheologien bezeichnen lassen und die im Folgenden genauer betrachtet werden sollen. 22

S.u. II. 1. b. nach Anm. 45.

Konsequente Erfahrungstheologien im Hiob- und Qoheletbuch

259

II. Konsequente Erfahrungstheologien Der Ausdruck ›konsequente Erfahrungstheologien‹ nimmt also wie erläutert den Alleingeltungsanspruch und die Reichweitenbeschränkung der Erfahrung in den Blick, die das o. grob skizzierte transformierte Erfahrungsverständnis prägen. Die beiden – im Rahmen der sog. kritischen Weisheit entwickelten – pointiertesten Positionen im Hiob- und Qoheletbuch stimmen bei allen Differenzen darin überein, dass sie je von einem strengen, d.h. gemäß dem zeitgenössischen common sense unstrittigen Rekurs auf Erfahrung aus eine analoge Argumentationsweise diskursiv entfalten. Diese argumentative Struktur der konsequenten Erfahrungstheologien des Hiob- und Qoheletbuchs soll im Folgenden herausgearbeitet werden; um der Vergleichbarkeit willen werden die Argumentationsschritte dabei jeweils parallel für beide Bücher dargestellt, statt den gesamten Argumentationsgang jeweils geschlossen für Hiob und Qohelet durchzugehen. Entfalten lässt sich die argumentative Grundstruktur in zwei Schritten, die im vorliegenden Rahmen freilich nur exemplarisch beschrieben werden können: Indem zuerst die Erfahrung des zerbrochenen TEZ als Argumentationsbasis exponiert wird und sodann die daraus resultierenden Folgen für die Gottesvorstellungen erörtert werden. 1. Die Erfahrung des zerbrochenen Tun-Ergehen-Zusammenhangs als Argumentationsbasis Die basale Erfahrung, die »das Grundproblem des Hiobbuchs und der Ausgangspunkt der Reflexion Kohelets« 23 markiert, besteht darin, dass das Konzept des TEZ zerbrochen ist: zerbrochen einerseits angesichts des (literarisch zugespitzten) biographischen Individualgeschicks Hiobs und andererseits angesichts Qohelets eigener (allerdings allgemeingültiger) Beobachtung der menschlichen Lebenswelt. Der dabei jeweils kritisierte TEZ kann in aller Kürze wie folgt umrissen werden24: In der traditionellen Weisheit wird die – letztlich dynamisch von Jhwh durchgesetzte – Entsprechung von Tun (Verhalten/Haltung) und Ergehen als Faustregel verstanden, die einen

23

CRÜSEMANN, Hiob, 373. Vgl. jüngst RÖMER, Introduction, 587: »Job insiste sur le fait que Dieu est incomprehensible (Schmid 186) et Qohéleth en tire les conclusions en affirmant qu’une pensée sapientiale est impossible«. 24 Vgl. zum Ganzen klassisch V. RAD, Weisheit, 171ff und zuletzt mit umfassendem Belegmaterial FREULING, Grube; s.a. knapp MÜLLNER, Herz, 47ff; NÕMMIK, Freundesreden, 162ff.

260

Jhwh und die Weisheit

üblicherweise geltenden Zusammenhang (›Regelfall‹) formuliert 25 , so z.B. sprichwörtlich: »Wer eine Grube gräbt, fällt hinein (lPoyI PK); und wer einen Stein wälzt, auf den rollt er zurück (bWvT' PK)« (Prov 26,27). Die spezielle oder allgemeine Lebensbereiche betreffende Regel fungiert damit zugleich als (implizite) Verhaltensempfehlung 26 , wie etwa Prov 12,7 zeigt: »Frevler stürzen (%Aph' Inf.) und sind nicht mehr, aber das Haus der Gerechten bleibt stehen (dmo[]y: PK)«. Dieser ›gemäßigte‹ TEZ kann als Inbegriff weisheitlichen Denkens gelten und wird weder von Hiob noch von Qohelet – man denke nur an den (relativen) Gewinn der Weisheit – grundsätzlich in Frage gestellt. Sie wenden sich vielmehr gegen zwei Steigerungsformen: Zum einen kann der TEZ zum umfassenden und strikten Kausalnexus, der oft mit dem (theologisch und/oder pädagogisch motivierten) stereotypen Antagonismus von Gerechtem und Frevler einhergeht, gesteigert werden; er gilt in jedem Einzelfall: [r' Wal.m' ~y[iv'r>W !w ~T'

9,21 22

Schuldlos bin ich! (…) Ich verachte mein Leben. Eins ist es; deshalb sage ich: Den Schuldlosen wie den Frevler bringt er [sc. Gott] um.

Dabei geht es im Horizont des TEZ weniger um eine komplette oder prinzipielle Schuldlosigkeit des Menschen vor Gott – auch darüber wird gestritten 31 –, sondern genauer darum, dass Hiobs ›Tun‹ im Vergleich mit demjenigen anderer Gerechter oder eben auch Frevler, denen es gut geht, nicht schuldhafter ist 32 , sodass die scharfen Ergehensdifferenzen opak bleiben. Denn erfahrungsgestützt gelangt Hiob zur Erkenntnis seiner Unschuld 33 (was in der REH Gott selbst bestätigt [42,7]). Im Rahmen des TEZ, wie ihn Bildad in Kap. 8 breit vertritt34, schlägt dies aber mit voller Wucht auf Gott zurück; das zeigt Hiobs Entgegnung: Wenn der gerechte Hiob leidet – und wenn generell nicht selten gilt: »Gut steht es um die Zelte der Verwüster, und Sicherheit gibt es für die, die Gott erzürnen, für den, der Gott in seiner Hand führt« (12,6) –, dann handelt Gott (immer nach Maßgabe des TEZ) keineswegs gerecht; vielmehr erscheint er nachgerade als »Verbrecher/Übeltäter ([v'r')« (9,24), der wegen seiner Souveränität als Schöpfer und Richter aber vom Menschen nicht belangt werden kann (9,4ff; s.a. Qoh 6,10; 8,2–4). Kommt es gar zum unverschuldeten Tod Ge30

Vgl. ähnliche Argumentationslinien etwa im dritten Redegang (s. WITTE, Leiden, summarisch 224ff) oder in den Gottesreden (s.u. Anm. 63). 31 Bes. scharf z.B. in der Antithese von Bildad in Kap. 25, bes. V.4 (»Und wie kann ein Mensch gerecht sein [qdc] vor Gott? Und wie kann rein sein [hkz] ein von der Frau Geborener?«), und Hiob in Kap. 26f, bes. 27,5f (»… ich lasse meine Rechtschaffenheit [ytiM'Tu] nicht von mir weichen. 6An meiner Gerechtigkeit [ytiq'd>ci] halte ich fest …«). 32 Dies bestreitet Eliphas im Zuge der Gesprächszuspitzung dann freilich in 22,5ff (dagegen dann wiederum Hiob in 23,11ff). 33 So dann schließlich nochmals in 31,5f (»Wenn ich in Falschheit gegangen bin und mein Fuß zum Betrug geeilt ist, 6so soll er mich auf den Waagschalen der Gerechtigkeit wiegen und Gott wird meine Rechtschaffenheit erkennen!«). 34 Er insistiert darauf, dass Gott in jedem Fall Recht und Gerechtigkeit walten lässt (V.3), gesteht aber zu, dass eine zeitliche Verzögerung bei der Durchsetzung von Gerechtigkeit möglich ist (V.5f), was aber ›von hinten her‹ gesehen vernachlässigbar ist (V.7; umgekehrt für die Gottlosen V.13f).

262

Jhwh und die Weisheit

rechter (s.o. 9,21f), so ist der TEZ nicht nur gedehnt oder vorläufig sistiert worden, sondern vom betroffenen Umgekommenen aus gesehen definitiv und irreversibel zerbrochen. Der TEZ funktioniert mithin, so hält Hiob unter strikter Berufung auf seine (und vergleichbare) Erfahrungen beharrlich fest, nicht in jedem Fall35. Damit bestreitet er mehrere Argumente der Freunde: (1) Zunächst wendet er sich gegen das Traditionsargument, wie es kurz zuvor Bildad verwendet hat: !AvyrI rdol. an"-la;v.-yKi ~t'Aba] rq,xel. !nEAkw> [d'nE al{w> Wnx.n:a] lAmt.-yKi #r,a'-yle[] Wnymey" lce yKi %l' Wrm.ayO ^WrAy ~he-al{h] ~yLimi WaciAy ~B'LimiW

8,8 9 10

Denn befrage doch die vorige Generation und achte auf die Erforschung ihrer Väter! Denn von gestern sind wir und erkennen nichts, denn ein Schatten sind unsere Tage auf Erden. Werden sie dich nicht belehren, zu dir sprechen und aus ihrem Herzen Worte hervorbringen?

Dass im Blick auf den TEZ erst eine generationenübergreifende Perspektive die richtige Erkenntnis bringen könne, bestreitet Hiob mit Recht, denn der TEZ selbst bezieht sich ja (jedenfalls im hiesigen weisheitlichen Traditionsbereich) auf den Einzelmenschen. (2) Sodann ist auch die Erfahrung selbst strittig: Eliphas kann zu Beginn seiner Rede in Kap. 4, der sich geradezu als »Kompendium der konventionellen weisheitlichen Theologie« lesen lässt36, im Sinne zugespitzter traditioneller Erfahrungsweisheit fragen (V.7) und sofort beantworten (V.8f): an"-rk'z> db'a' yqin" aWh ymi Wdx'k.nI ~yrIv'y> hpoyaew> ytiyair' rv,a]K; Whruc.q.yI lm'[' y[er>zOw> !wq;z"-~G: ytiyyIh' r[;n: A[r>z:w> bz"[/n< qyDIc; ytiyair'-al{w> ~x,l'-vQ,b;m.

37,25

Ich war jung, bin auch alt geworden, doch habe ich nicht gesehen: einen Gerechten verlassen und seinen Nachkommen um Brot betteln.

Insgesamt steht hier nun Erfahrung gegen Erfahrung: Die Erfahrung selbst ist also mehrdeutig und strittig geworden. Dem unbefangenen Leser des Hiobbuchs wird aber schnell klar, dass Hiobs strikter und auf die Lebenswelt beschränkte Erfahrungsrekurs differenzierter und zugleich komplexer als der seiner Freunde ist, weil Hiob ja gar nicht bestreitet, dass es Gerechten gut und Frevlern schlecht ergeht, sondern nur, dass dies in jedem – und besonders seinem – Fall so sei. Damit aber gewinnt Hiobs Erfahrung, die daraus resultierende Bestreitung des TEZ und die Begrenzung der menschlichen Erkenntnis im Vergleich zu den Freunden eine höhere Evidenz – allerdings um den Preis der Rätselhaftigkeit des menschlichen Ergehens bzw. des Weltgeschehens. Traditions- und theologiegeschichtlich sind für diese Erfahrungstransformation zwei Aspekte von grundlegender Bedeutung, die sich bei einem Vergleich mit der klassischen Konstellation früher KE erschließen. In diesen spielt sich die Erfahrung der – durch Gottesferne – verursachten Notlage (wobei hier der Fall ›unschuldiger Beter‹ im Blick steht) im Horizont einer partikularen Gottesvorstellung ab: Jhwh ist nicht immer, überall und für alle(s) zuständig; sei es, weil Jhwh als ›Funktionsgott‹ nur in spezifischen Bereichen und Aktionsformen handelt, sei es, weil neben ihm noch andere Gottheiten oder Mächte agieren. Der dadurch außer Kraft gesetzte TEZ wird dann durch die erbetene Zuwendung Jhwhs und die Wiederherstellung des Beters erneut etabliert. Demgegenüber vollzieht sich Hiobs Erfahrungsdeutung – im Anschluss an die altorientalische ›Auseinandersetzungsliteratur‹ mit dem persönlichen Gott, d.h. in einer Bekenntnissituation – in einem

37

Vgl. allerdings die Gegenerfahrungen in V.2ff (s.a. Ps 49,6ff) und bes. Ps 73,3ff. In beiden Fällen rückt der Tod der Frevler die Erfahrung ins rechte Licht: in Ps 73,16ff interessanterweise vom Standort im Tempel, also gleichsam einer göttlichen Perspektive aus gewonnen, in Ps 37 vom Jhwhvertrauen her formuliert: »[A]ngesichts widersprüchlicher Erfahrungen … ermöglicht dieses Vertrauen ein Festhalten an der Gemeinschaftstreue« (FREULING, Grube, 121).

264

Jhwh und die Weisheit

selbstverständlich monotheistischen Horizont38, sodass fraglos der Gott Hiobs das Auseinanderbrechen von Tun und Ergehen zu verantworten hat. Hinzu kommt zum Zweiten, dass – zwar nicht bei Hiob selbst, aber bei der von ihm angeführten Erfahrung (s.o. zu Hi 9,21f) – die Notlage durch den (vorzeitigen) Tod des Gerechten innerweltlich irreversibel ist. Durch diese Erfahrungsbeobachtung wird jedoch der traditionelle TEZ auf das Äußerste strapaziert und der als strenges System gefasste (aber noch auf das Diesseits beschränkte) TEZ grundsätzlich problematisiert. Dem entspricht, dass es im Hiobbuch um eine prinzipielle Lehrdiskussion geht: Hiob liegt über seinem unverschuldeten Leiden mit Gott im Rechtsstreit, den er einfordert, aber nie eine Rettungsbitte nach Art der KE äußert – auch nicht im Zuge der unmittelbaren Gottesbegegnung ab Kap. 38, die ihn, da er den »aus dem Sturm (hr'['S.h; !mi)« redenden Gott mit ›seinem Auge gesehen hat (^t.a'r' ynIy[e)‹39, dazu bringt, »aufzugeben/zu verwerfen (sam)« und »in/über Staub und Asche sich zu trösten/zu bereuen (~xn)« (42,5f)40.

b) Qohelet Hiobs erfahrungstheologische Bestreitung des TEZ und die damit verbundene Begrenzung des Erfahrungsraums teilt, trotz einigen Akzentverschiebungen, auch Qohelet; dieser breite Forschungskonsens stützt sich auf deutliche Aussagen Qohelets, sodass hier ein knappes Zitat genügen mag: Ganz allgemein konstatiert Qoh 8,10–15, dass der TEZ, der in V.12bf referiert wird, kein ›Naturgesetz‹ darstellt, das in allen Fällen gilt (V.14)41. ynIa' [;deAy-~G: yKi ~yhil{a/h' yaer>yIl. bAJ-hy ~yhil{a/ ynEp.Limi arey" WNnh' hfe[]m;K. ~h,lea]

8,12b

13

14

Ja, auch ich weiß: Gut geht es den Gottesfürchtigen, weil sie sich fürchten vor Gott. [sein, Und gut geht es dem Frevler nicht und wie ein Schatten werden die Tage nicht lang weil er sich nicht fürchtet vor Gott. Es gibt Nichtiges, das auf Erden geschieht: Es gibt Gerechte, denen es nach dem Tun der Frevler ergeht,

38 Das gilt im Übrigen auch für die interne Ausdifferenzierung Gottes in der REH, wie sie die Figur des Satans zeigt (s. KOCH, Angelologie, 228ff; SCHMID, Hiob, 74f). 39 Es ist unter erfahrungstheologischen Gesichtspunkten beachtenswert, dass auch diese Grenzerfahrung – die in/mit/unter dem Sturm, der innerhalb des menschlichen Erfahrungsbereichs liegt (und nicht etwa einen jenseitigen Einblick in den Himmel gibt), Gott selbst erkennt – »außer dem Glauben an einen einzigen und gerechten Gott nicht an spezielle Theologumena der judäisch-jerusalemischen Theologie« anknüpft (KEEL, Geschichte, 1118ff). 40 Vgl. zu dieser crux interpretum KRÜGER, Job. 41 S.a. 7,4f; 9,2f u.a.

Konsequente Erfahrungstheologien im Hiob- und Qoheletbuch

265

und es gibt Frevler, denen es nach dem Tun der Gerechten ergeht. Ich sagte: Auch dies ist nichtig.

~h,lea] [;yGIM;v, ~y[iv'r> vyEw> ~yqiyDIC;h; hfe[]m;K. lb,h' hzm;a'

Und zwar betrifft dieser Befund den Einzelmenschen nicht nur partikular – in bestimmten Bereichen oder Zeiten –, sondern er kann bisweilen auch die gesamte Existenz umfassen und damit irreversibel sein: ylib.h, ymeyBi ytiyair' lKoh;-ta Aqd>ciB. dbeao qyDIc; vyE At['r'B. %yrIa]m; [v'r' vyEw>

7,15

Beides habe ich in meinen flüchtigen Tagen gesehen: Da ist ein Gerechter, der in seiner Gerechtigkeit umkommt, und da ist ein Frevler, der in seiner Bosheit lange lebt.

Ein systematischer TEZ scheitert also grundsätzlich an der Erfahrungswirklichkeit, und diese Einschätzung wird auch durch die folgende Empfehlung des goldenen Mittelmaßes und der diesem entsprechenden Gottesfurcht in 7,16ff in keiner Weise relativiert42. Denn in diesem Zusammenhang ist an die Begrenzung der menschlichen Erkenntnis zu erinnern, die Qoh immer wieder betont und die er theologiegeschichtlich wohl sogar in direkter Reaktion auf die personifizierte ›Frau Weisheit‹ in Prov 1–9 vornimmt43. Markant ist in diesem Kontext die Dichte des erfahrungsbezogenen Wortfelds Qohelets: Er sieht (har), erkennt (hdy), findet (acm) usw.44; dabei handelt es sich um unmittelbare Beobachtungsvorgänge, um »das induktive Erkunden der eigenen Lebensbedingungen«45, sodass man summieren kann: ›seine (und d.h. des Menschen) Erfahrung zeigt, dass …‹. Entscheidend ist freilich, auf welche Objekte sich diese Erfahrungstermini beziehen. Denn auch in der prophetischen Tradition spielt ja etwa der Einblick in die göttliche Welt seit je eine zentrale Rolle: Jesaja »sieht (har)« den Königsgott im Tempel thronen (Jes 6,1), Amos »sieht‹ (har q.)« den Allherrn (Am 9,1) bzw. Jhwh »lässt (sich und Vorgänge in der göttlichen Welt) sehen (har hi.)« (Am 7,1.4.7; 8,1). Derartige Erfahrungen stellen offenkundig visionäre Spezialerfahrungen dar, die nicht allgemein zugänglich sind, sondern auf göttlicher Offenbarung der jenseitigen Wirklichkeit beruhen (s.o. I. 2.). Dasselbe gilt aber auch für Hiobs Sehen Gottes (s.o. bei Anm. 39), das ja durchaus zu einer ›Lö42 Der TEZ wird also nicht negiert, sondern relativiert: Er gilt nicht in jedem Fall und er ist für den Menschen nur fragmentarisch erkennbar, hat also »nur einen partiellen Aussagewert« (LUX, Mensch, 279). Als solcher aber stellt er ein Tun des Schöpfergottes dar (s.u. II. 2.), und insofern besitzt die Weisheit etc. durchaus einen relativen Vorteil. 43 Vgl. dazu bes. die Diskussion um 7,23ff (s. KRÜGER, BK 19, 262ff); zur personifizierten Weisheit in Prov 1ff LEUENBERGER, Weisheit, 366.373ff; DERS., Schechina, Kap. 2 (Lit.). 44 Vgl. dazu SCHELLENBERG, Erkenntnis, 180ff. 45 BEYERLE, Erkenntnis, 154.

266

Jhwh und die Weisheit

sung‹ führt – freilich zu einer höchst ambivalenten Lösung, die erstens unverfügbar ist und die zweitens im erfahrungstheologischen Horizont des Hiobdialogs geradezu ironisch wirkt46. Demgegenüber beschränken sich Qohelets Erfahrungen klipp und klar auf den Bereich vm,V'h; tx;T;: »unter der Sonne« bzw. ~yIm'V'h; tx;T;: »unter dem Himmel«, auf die menschliche Lebenswelt also, was freilich keine ›empiristische Kurzsichtigkeit‹ bedeutet, wie einerseits Qohelets (königliche) Totalperspektive auf ~yIm'V'h; tx;T; hf'[]n: rv,a]-lK': »alles, was unter dem Himmel getan wird/geschieht« (1,13), und andererseits das dabei erfolgende Sehen des (schöpferischen) Tun Gottes belegt (s.u. III.).

So nimmt auch das Qoheletbuch eine konsequente »Akzentuierung ihres [sc. der Weisheit, M.L.] Erfahrungsbezuges, ihrer ›empirischen‹ Dimension« vor 47 und entfaltet damit eine »radikal erfahrungsbezogene Theologie«48. Insgesamt kommen Hiob und Qohelet darin überein, dass vermeintliches Offenbarungs- und Traditionswissen durch die menschliche Erfahrung kritisch zu überprüfen ist; um intersubjektiv nachvollziehbar und damit als theologische Argumentationsbasis validierbar zu sein, muss die Reichweite der Erfahrung freilich auf innerweltliche Sachverhalte »unter der Sonne« beschränkt werden, womit sich das Erfahrungsverständnis theologiegeschichtlich geklärt und zugleich erheblich gewandelt hat49. Von dieser soliden Erfahrungsgrundlage aus lässt sich in sachlicher Hinsicht ein strenger, lehrhaft-systematischer TEZ widerlegen, ohne dass freilich umgekehrt eine Erklärung des menschlichen Ergehens bzw. gar des Weltgeschehens, die theologisch opak bleiben50, erreicht wird bzw. werden kann. 2. Die Folgen für die Gottesvorstellungen Der strenge Rekurs auf Erfahrung, wie er beschrieben wurde, bildet also die argumentative Ausgangsbasis für die Erfahrungstheologien des Hiobund des Qoheletbuchs. Dies zeitigt erstens Folgen auf allen theologischen Feldern, so etwa für das Verständnis der Welt (Kosmologie) oder des Menschen (Anthropologie). Zweitens verändert sich damit natürlich auch – gerade aufgrund des redimensionierten Erfahrungsverständnisses – das theo46

Diese Verständnismöglichkeit bedürfte ausführlicherer Begründung, wie der Hinweis u. Anm. 63 anzeigt. 47 KRÜGER, BK 19, 45, s. 46. 48 V. OORSCHOT, VF 2003, 66. 49 Darauf reagieren bekanntlich Sir und Sap ihrerseits kritisch, indem sie die Erfahrung je wieder mit Tradition und Offenbarung korrelieren. 50 Es wird also selbst bei Qohelet keine positive Gegenthese zum TEZ formuliert (so mit SCHELLENBERG, Erkenntnis, 177ff u.v.a.).

Konsequente Erfahrungstheologien im Hiob- und Qoheletbuch

267

logische Gebäude insgesamt und darin die Gewichtsverteilung der erwähnten Einzelfelder. In beiderlei Hinsicht besonders interessant erscheinen die Auswirkungen auf die Gottesvorstellungen: Denn im Unterschied zur älteren KosmosChaos-Leitdifferenz, die sozusagen mitten durch die menschliche und die göttliche Sphäre verläuft, steht gemäß dem im Hiob- und Qoheletbuch vorausgesetzten Monotheismus Gott der Welt diametral gegenüber und ist mithin der direkten Erfahrung nicht mehr zugänglich (s. aber nochmals Hi 38ff). Prägnant hält dies die bekannte Formel Qohelets fest: #r,a'h'-l[; hT'a;w> ~yIm;V'B; ~yhil{a/h'

5,1

Gott ist im Himmel und du auf der Erde.

Dennoch bleibt das göttliche Wirken in der Welt völlig unbestritten – im individuellen Geschick Hiobs, für das Gott als personales Gegenüber unstrittig verantwortlich zeichnet, bzw. im Kosmos und Menschenwelt bestimmenden Tun Gottes bei Qohelet. Was bedeutet diese Grundkonstellation nun im Einzelnen für die Gottesvorstellungen? a) Begrifflichkeit Als Einstieg mag ein Blick auf die Begrifflichkeit dienen: Wie bekannt ist, tritt der Eigenname ›Jhwh‹ in beiden Büchern – außer in der REH und in Jhwhs Reden aus dem Sturm (Hi 38ff) – stark zurück gegenüber Gattungsbezeichnungen mit dem Element ›*la‹ (wobei hier auch der im Hi-Dialog 31-mal belegte Titel ›yD;v;‹ zu nennen ist)51, deren Häufigkeit insgesamt jedoch relativ gering ist. Ohne hier umfassend alle Titel und Bezeichnungen Gottes in den Hiobbuchteilen und im Qoheletbuch inventarisieren und quantifizieren zu können, lässt sich im Horizont der HB gesamthaft eine begriffliche Verschiebung und eine numerische Ausdünnung der Gottesbezeichnungen konstatieren – bei Qohelet ausgeprägter noch als bei Hiob. Dieser Doppelbefund ist signifikant für die sog. nichttheologisierte Weisheit (der Frühzeit wie der Spätzeit), lässt sich aber offensichtlich nicht unmittelbar mit den konsequenten Erfahrungstheologien korrelieren, sondern hängt mit verschiedenen kultur-, sozial- und theologiegeschichtlichen Eigenarten der Weisheitsliteratur zusammen. Und dasselbe gilt für das weitestgehende Fehlen eines Handeln Gottes – bzw. Jhwhs! – am Volk Israel in Geschichte oder Gegenwart, wie die weitestgehende Abwesenheit der ›klassischen‹ heilsgeschichtlichen Themen (Erwählung, Exodus, Bund, Sinai usf.) augenscheinlich belegt. 51

S. zu Hi: SYRING, Hiob, 99ff; zu Qoh: KRÜGER, BK 19, 13f; ZIMMER, Tod, 162ff; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, HThK, 91ff.

268

Jhwh und die Weisheit

b) Metaphern Der Sachverhalt verkompliziert sich nochmals, wenn man über die genannten Begriffe hinaus sämtliche Bezeichnungen, Umschreibungen und Metaphern für Gott mit einbezieht, was eine eigene Aufgabe wäre. Bereits eine provisorische Durchsicht führt aber eine markante Differenz zwischen den beiden interessierenden Büchern vor Augen: Hiob pflegt in allen Buchteilen ein persönliches, wenngleich mitunter höchst strittiges Verhältnis zu Gott52. So schimpft er ihn etwa, wie o. zitiert, einen tyrannischen »Verbrecher/Übeltäter ([v'r')« (9,24), bezeichnet ihn aber auch als »Menschenwächter/-hüter (~d'a'h' rcenO)« (7,20) und als seinen ›Zeugen im Himmel und Fürsprecher in der Höhe (~ymiArM.B; ydIh]f'w> ydI[e ~yIm;V'b;)‹ (16,19) oder hofft bekanntlich auf seinen »Löser (laeGO)« (19,25). Bei aller Ambivalenz nimmt das persönliche Gottesverhältnis Hiobs also eine zentrale Stellung ein, die mit den Befunden in den – wie die Weisheitsliteratur ebenfalls weitgehend geschichtslosen – Klagepsalmen vergleichbar ist. Im Unterschied dazu spielt eine persönliche Gottesrelation bei Qohelet keine Rolle53: Gott ist gleichsam Gott der Menschheit. Und selbst als solcher bleibt er – inhaltlich, nicht formal! – weitgehend ›beziehungslos‹: Er wird nie durch Adjektive in seinen (Beziehungs-)Eigenschaften näherbestimmt, was in der HB (abgesehen von Est) singulär ist; und selbst das als grundlegend verstandene Tun Gottes will und kann Qohelet – abgesehen vom göttlichen Schaffen und Richten (s.u.) – inhaltlich nicht substanziieren 54 . Diese radikale Reduktion auf das (beinahe) nackte Dass des (schöpferischen) Tuns Gottes lässt sich m.E. nur mit der strengen Erfahrungsbasiertheit aller theologischen Aussagen Qohelets erklären und bildet insofern den erfahrungstheologischen Höhepunkt innerhalb der HB. Trotz den im Ansatz ähnlichen Erfahrungstheologien von Hiob und Qohelet resultieren also in beiden Fällen recht unterschiedliche Gottesvorstellungen, die mit den spezifischen Problemkonstellationen Hiobs und Qohelets zusammenhängen (Bewältigung des Individualgeschicks des leidenden 52 Dasselbe trifft für die Freunde zu, deren Gottesvorstellungen im Einzelnen variieren (s. NÕMMIK, Freundesreden, 204ff). 53 Anders VONACH, Gottesvorstellungen, 23, der die ~yhil{a/h'-Aussagen als »persönliche Glaubensaussagen des Koheletautors« interpretiert (ebenso SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, HThK, 92). 54 Eine breitere Forschungstendenz spitzt SCHOORS, God, 270 wie folgt zu: »This God is distant and cool« – als »cool« mag man ihn zeitgeistig bezeichnen, »distant« verfehlt m.E. hingegen die Stoßrichtung Qohelets (s.a. im Folgenden II. 2. c.). Umgekehrt ist es weit überzogen, dass »[e]ven Qoheleth, …, claims all kinds of knowledge about the Deity that cannot derive from personal observation« (CRENSHAW, Wisdom, 223).

Konsequente Erfahrungstheologien im Hiob- und Qoheletbuch

269

Gerechten bzw. Beobachtung der menschlichen Lebenswelt im Blick auf das Glück). c) Schöpfergott Innerhalb dieser Gottesvorstellungen verdienen nun unter erfahrungstheologischen Gesichtspunkten zwei – m.E. komplementäre – Einzelaspekte gesonderte Erwähnung: Das Verständnis Gottes als Schöpfer und die menschliche Haltung der Gottesfurcht als Ausdruck einer unbedingten Gottesrelation. Mit dem Schöpfergott, der für Hiob wie für Qohelet von grundlegender Bedeutung und »geradezu der theologische Leitgedanke« ist55, taucht nämlich gleichsam ein ›überempirisches‹ Element in den konsequenten Erfahrungstheologien auf. Für das Hiobbuch muss hier ein doppelter Hinweis genügen: Zum einen präsentiert sich – gemäß der Klimax des Dialogteils in den Gottesreden – Jhwh (s. 38,1; 40,1.3.6; 42,1) in seinen Reden aus dem Sturm vor Hiobs Auge (s.o. bei Anm. 40) als universaler Schöpfer und Erhalter des Kosmos. Zum anderen sei an den Hiobs Leiden verursachenden persönlichen Schöpfergott erinnert, dessen ›Hand Hiob getroffen hat‹ gemäß dem Dialogteil (19,21; s. 23,14 u.ö.), und der nach der REH wie das Leben selbst so auch alle Lebensgüter gibt und nimmt (s. 1,21; 2,10). Auch für Qohelet ist Gott – selbstverständlich – Schöpfer und d.h. nicht nur ›Produzent‹ (creatio prima), sondern mehr noch Erhalter (creatio continua) der Welt und aller Menschen (s. 3,11.14; 7,29; 8,15; 9,9; 12,7)56. Zwar wird Gott lediglich an der nicht ganz unstrittigen Stelle 12,1 explizit als ^ya,r>AB: »dein Schöpfer« bezeichnet57; er ist aber – anders als man von Qohelets Ansatz her vielleicht vermuten könnte – kein ferner (s.o. Anm. 54), passiver oder gar deistischer Gott, sondern nach Auskunft Qohelets AT[ib. hp,y" hf'[' lKoh;-ta,: »hat er alles schön gemacht zu seiner Zeit« (3,11)

55

WITTE, Theologien, Kap. 2.1. Ebenso konstatiert SCHUBERT, Schöpfungstheologie, 125 für Qoh: »Die Schöpfungstheologie ist ganz ohne Zweifel die theologische Basis Kohelets. Redet Kohelet von Gott, meint er ausschließlich den Schöpfer«. – Weitere theologiegeschichtliche Entwicklungen des Schöpfungsthemas müssen an dieser Stelle übergangen werden (s. dazu JANOWSKI, RGG4 7, 970ff [Lit.]). 56 So etwa mit SCHUBERT, a.a.O., 119. 57 S. zur textkritischen und interpretatorischen Absicherung KRÜGER, BK 19, 338. 348f; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, HThK, 522f.531f, die die intendierte Mehrdeutigkeit der Formulierung betonen, wogegen MÜLLER, Gott, 513 einen Euphemismus im Sinne von ›Gott, der das Leben nehmen kann‹ erwägt und die Stelle für untypisch weisheitlich hält.

270

Jhwh und die Weisheit

und ›gibt (!tn)‹ dem Menschen das Leben und seine Güter (sowie einige »Mühsal« dazu)58, ›richtet (jpv/jpvm)‹ diese freilich auch59. In diesem Zusammenhang spricht Qohelet auch wiederholt vom »Tun Gottes (~yhil{a/h' hfe[]m; u.ä.)«, dem eine ambivalente Stellung zukommt: Auf der einen Seite ragt es in die menschliche Lebenswelt hinein und prägt diese umfassend, wie die o. genannten Belege und besonders klar 11,5, wonach Gott lKoh;-ta, hf,[]y:: »all dies tut/erschafft«, zeigen. Es ist also für den Menschen erfahrbar – allerdings nur begrenzt60: Nach 7,13 ist es für die Erfahrung zwar problemlos sichtbar, aber dennoch dem menschlichen Einfluss gänzlich entzogen (s.a. 3,14): ~yhil{a/h' hfe[]m;-ta, haer> AtW>[i rv,a] tae !Qet;l. lk;Wy ymi yKi

7,13

Siehe das Tun Gottes: Wer kann gerade machen, was er gekrümmt hat?

Meist zieht Qohelet die Erfahrungsgrenzen jedoch enger, gleichsam mitten durch das Tun Gottes hindurch, das zwar sichtbar und erkennbar ist, sich aber nicht verstehen lässt (s.a. 11,5): ~yhil{a/h' hfe[]m;-lK'-ta, ytiyair'w -ta, aAcm.li ~d'a'h' lk;Wy al{ yKi vm,V,h;-tx;t; hf'[]n: rv,a] hf,[]M;h;

8,17

Und ich sah alles Tun Gottes, dass der Mensch das Tun nicht ergründen kann, das unter der Sonne getan wird.

Oder, so eine dritte Variante, das göttliche Wirken ist zwar verstehbar und erfassbar, jedoch nur partiell; so insinuiert es die berühmte Stelle 3,11, wonach der Mensch das Tun Gottes »nicht von Anfang bis Ende finden/begreifen kann« (@As-d[;w> varome ~yhil{a/h' hf'['-rv,a] hf,[]M;h;-ta, ~d'a'h' ac'm.yI-al{). Damit markiert das Tun Gottes auf der anderen Seite zugleich eine Grenze menschlicher Erfahrungs- und Erkenntnismöglichkeiten 61 , transzendiert also die Erfahrung. Freilich bleibt dabei erfahrungstheologisch zunächst unklar, wie Qohelet Aussagen über »alles Tun Gottes« treffen kann, wenn es für ihn doch gemäß seiner Hauptaussage (s. aber 7,13) zugleich nur par-

58

Vgl. zu den Tätigkeiten SCHUBERT, Schöpfungstheologie, 84ff; MÜLLER, a.a.O., 508ff; SCHOORS, God, 251ff; KRÜGER, a.a.O., 14 und je z.St.; KEEL/SCHROER, Schöpfung, 231f; skeptischer beurteilt SPIECKERMANN, Ganze, 140ff den Schöpfergott Qohelets. 59 jpv(m) findet sich terminologisch jedoch nur 3,17; 11,9; 12,14 – allesamt in ihrer Echtheit umstrittene Stellen. 60 Ebenso summarisch VONACH, Gottesvorstellungen, 148. 61 S. dazu v.a. SCHELLENBERG, Erkenntnis, 124ff.

Konsequente Erfahrungstheologien im Hiob- und Qoheletbuch

271

tiell erfassbar ist 62 . Darauf ist in den Anschlussüberlegungen zurückzukommen (s.u. III.). d) Gottesfurcht bzw. unbedingte Gottesrelation Der Vorstellung vom Schöpfergott und dessen Tun entspricht nun auf menschlicher Seite die Haltung der Gottesfurcht bzw. sachäquivalent dazu die unbedingte Gottesrelation. Im Hiobbuch lässt sich letztere einerseits in Hiobs Antworten auf die unmittelbare Begegnung mit Gott in den Gottesreden ausmachen: Angesichts der schieren Übermacht Gottes (die freilich nicht alles bestimmt, sondern seiner Schöpfung bzw. manchen negativen Vorgängen darin einen gewissen Spielraum einräumt) erkennt Hiob seine Unterlegenheit und seine begrenzte Erkenntnisfähigkeit kompromisslos an (s. besonders 42,5f). Damit bleibt zwar die Ursache seines von ihm unverschuldeten Leidens unerklärt, doch das Gottesverhältnis ist vonseiten Hiobs wieder bedingungslos hergestellt – so lässt sich m.E. in aller Kürze die Pointe von Hi 38,1–42,6 umschreiben63. Genau dies führt die mit dem Dialogteil kombinierte Redaktionsebene der REH narrativ breiter aus, wenn Hiob dort inmitten des Leidens von sich aus Jhwh segnet und damit in einer bedingungslosen, vom TEZ komplett unabhängigen Jhwhrelation steht (1,21f; 2,9f) 64; deshalb stellt auch

62

Vgl. dazu jüngst die weiterführenden Überlegungen V. OORSCHOTs, Grenzen, der zeigt, wie diese und andere »Grenzen menschlicher Erkenntnis … zugleich zu neuen Orten der Erkenntnis« werden (1288). 63 Vgl. V. OORSCHOT, Gott, 192ff; FREULING, Grube, 229f, der hier einen »Perspektivenwechsel« sieht: »Gott steht als Schöpfer jenseits menschlicher Erkenntnismöglichkeit; als souveräner Schöpfer läßt er sich nicht mit der Realität und ihren Widersprüchen verrechnen und setzt menschlichem Erkennen eine Grenze« (230). Und so »wechselt« möglicherweise »die Dichtung mehrfach die Argumentationsbasis, die von der Erörterung des Leidens Hiobs im Kontext des Tun-Ergehen-Zusammenhangs durch die Freunde in Hi 3– 27 über den in der Rechtssprache gehaltenen Appell Hiobs in Hi 29–31 zur Sprache des Schöpfers fortschreitet« in Hi 38ff (SAUR, Hiobbuch, 7). Wenn man dies aber konsequent denkt, dann relativiert sich der ›Lehranspruch‹ des Dialogteils mit dem Gipfel der Gottesreden in ähnlich ironisch-hintergründiger Weise, wie es in der REH der Fall ist: Es mag sich zwar so verhalten, doch die menschliche Normalerfahrung und -erkenntnis verfügt weder über einen Einblick in den Himmel (Hi 1,6ff; 2,1ff) noch in die umfassende Schöpfungsordnung (Hi 38ff). Erfahrungstheologisch lässt sich darüber nicht urteilen! 64 Vgl. zur Begründung dieses Verständnisses ausführlicher LEUENBERGER, Segen, 430ff.469f.

272

Jhwh und die Weisheit

die – begründungslose65 – Notwende und ›Restituierung‹ Hiobs in 42,11ff kein unbedarftes happy end dar, sondern setzt diese intakte Gottesrelation im Rahmen der Segenstheologie der REH narrativ um66. Im aktuellen Horizont kann ergänzt werden, dass sich dies auch als Explikation der Gottesfurcht Hiobs (1,1.8f; 2,3)67 verstehen lässt. Damit ist das für Qohelet entscheidende Stichwort gefallen, dem zufolge die Gottesfurcht (~yhil{a/[h'] ary) 68 die angemessene Haltung des Menschen dem Schöpfergott gegenüber darstellt: hf,[]y: rv,a]-lK' yKi yTi[.d;y" ~l'A[l. hyYIv, hf'[' ~yhil{a/h'w>

3,14

Ich erkannte, dass alles, was Gott tut, für immer ist. Es lässt sich zu ihm nichts hinzuzufügen und nichts davon wegnehmen. Und Gott hat es gemacht, dass man sich vor ihm fürchtet

Bei einer Belegdurchsicht 69 fällt auf, dass auch die Gottesfurcht für Qohelet in erster Linie ein kritisches Potenzial gegenüber kultischer und ethischer Tradition beinhaltet, ohne dass ihr Profil inhaltlich näherbestimmt würde: Sie scheint »so etwas wie eine alle religiösen Einzelakte durchdringende, sie auf ihre ursprüngliche Mitte hin freilegende Haltung« 70 , eine »Grundstimmung des Daseins« 71 zu bezeichnen. Diese Unschärfe stellt theologiegeschichtlich sehr wahrscheinlich ein bewusstes Gegenkonzept zum Motto von Prov 1–9 dar, ›Gottesfurcht als Anfang der Weisheit‹ zu fassen (womit die Weisheit zwar religiös domestiziert, aber doch als wei-

65

42,10 ist wahrscheinlich eine spätere Einzelfortschreibung (s. LEUENBERGER, a.a.O., 435f mit Lit.) 66 S. LEUENBERGER, a.a.O., 436 mit dem Verweis auf NGWA, Ending, 131ff.143f; ebenso FREULING, Grube, 154ff. 67 Die verbalen bzw. adjektivischen Formulierungen weisen darauf hin, dass es sich dabei nicht um einen statischen Zustand handelt, sondern vielmehr eine Haltung und Verhalten Hiobs leitende Lebenspraxis im Blick steht. S.a. die parallelen Begriffe rv'y"w> ~T' 1,1.8; 2,3. 68 Total 7-mal: 3,14; 5,6; 7,18; 8,12f (3-mal); 12,13, wobei 12,13 – die einzige Stelle, die Gottesfurcht durch Gleichsetzung mit dem Halten der Gebote näherbestimmt – mit Recht allgemein als sekundär gilt. 69 S. KRÜGER, BK 19, 14; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, HThK, 98ff; HOSSFELD, Relevanz, 387; KAISER, Gott, 9ff. – Zum größeren traditionsgeschichtlichen Horizont s. BECKER, Gottesfurcht; FUHS, ThWAT 3, 889ff. 70 SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, a.a.O., 99; ähnlich VONACH, Gottesvorstellungen, 148; s.a. SCHOORS, God, 266f. 71 KAISER, Gott, 23.

Konsequente Erfahrungstheologien im Hiob- und Qoheletbuch

273

terführende ›Vervollkomnung‹ exponiert wird)72: Es versteht Gottesfurcht als Ergebnis und Quintessenz der begrenzten (!) Weisheit. Qohelet empfiehlt sie wiederholt (s. besonders 3,14; 7,18) als angemessen, wertet sie also grundsätzlich positiv und sieht in ihr keineswegs »das auflehnungsund erwartungslose Respektieren einer Macht im Hintergrund der sich verfinsternden Welt«73. Wie namentlich 7,18 im Kontext von 7,15ff verdeutlicht (s.o. II. 1. vor Anm. 43), verortet auch Qoh die Gottesfurcht jenseits des TEZ: Wer Gott fürchtet, erwartet »keine Belohnung von Gott. Die Gottesfurcht hat ihren Wert in sich selbst«74. Sie bringt demnach die unbedingte Gottesrelation zum Ausdruck, welche die angemessene menschliche Haltung coram deo darstellt. e) Kurzfazit Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die konsequenten Erfahrungstheologien im Hiob- und Qoheletbuch für die Gottesvorstellungen die Folge zeitigen, dass diese – vorab bei Qohelet – auf die zwar weithin inhaltsleere, aber das Grundsätzliche akzentuierende Konzeption vom Schöpfergott und von der Gottesfurcht bzw. der unbedingten Gottesrelation beschränkt werden 75. Es handelt sich somit, von der Erfahrungsbasis aus gesehen, nicht um eine pessimistische oder gar nihilistische, sondern um eine durchaus realistische Theologie, die freilich sehr genau um ihre eigenen Grenzen weiß76.

72

Vgl. dazu knapp KRÜGER, BK 19, 44ff. So MÜLLER, Gott, 516, der entsprechend summiert: »Gottesfurcht wird zur Resignation« (520). 74 KRÜGER, BK 19, 14; s.a. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, HThK, 100. 75 Weiterführend an dieser Stelle wäre es, wie ANNETTE SCHELLENBERG (San Francisco) anregt, die ›Gegenprobe‹ durchzuführen: Ein Vergleich mit den Gottesaussagen der jüngeren ›theologisierten‹ Weisheit (Prov 1–9; Sir; Sap), die deutlich weiter gehen und mehr ›wissen‹, wäre vermutlich sehr aufschlussreich und könnte den Stellenwert der Erfahrung im Hiob- und Qoheletbuch zusätzlich von externer Warte aus evaluieren. 76 Vgl. zu den forschungsgeschichtlichen Extrempositionen knapp VONACH, Gottesvorstellungen, 150. Skeptisch bzw. kritisch ist Qohelet, wie deutlich wurde, im Blick auf Traditionsvorgaben; und von seiner Erfahrungsbasis aus bleibt er bezüglich Jenseitsaussagen eben Agnostiker, positioniert sich also jenseits von spekulativem Positivismus und Nihilismus. 73

274

Jhwh und die Weisheit

III. Anschlussüberlegungen Die bisherigen Überlegungen haben aufgezeigt, dass und auf welche Weise das Hiob- und das Qoheletbuch in sachlicher Hinsicht durch einen strengen Erfahrungsbezug und in formaler Hinsicht durch eine ausgeprägte Diskursivität gekennzeichnet sind, sodass man prägnant von konsequenten Erfahrungstheologien sprechen kann. Diese beiden Grundzüge ragen im Horizont der HB heraus und bilden m.E. auch für heutiges Theologietreiben grundlegende und viel versprechende Anknüpfungspunkte, die es lohnt, abschließend im Sinne einer theologischen Problemanzeige, nochmals aufzunehmen. 1. Diskursivität Der diskursive Charakter zeigt sich auf je unterschiedliche Weise in Qohelets Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Alternativpositionen und in Hiobs Dialog mit den Freunden und Gott; ein vergleichbares Niveau theologischer Argumentation77 wird dabei in der HB sonst kaum erreicht: Ausgehend von der Erfahrung des zerbrochenen TEZ (s.o. II. 1.) werden argumentativ die Folgen für das religiöse Symbolsystem, insbesondere für die Gottesvorstellungen (s.o. II. 2.), entwickelt. Theologische Positionen werden also rhetorisch nicht einfach dekretiert, sondern mit leidenschaftlichen Argumentationen begründet: Es handelt sich um Theologie im Werden, für die der (argumentative) Erkenntnisweg ebenso wichtig ist wie der Erkenntnisgehalt. Dieses Charakteristikum kann man mit Markus Saur prägnant als sapientia discursiva bezeichnen78: Hier wird modellhaft ein weisheitstheologischer Diskurs über die angemessene Deutung menschlicher Erfahrungen geführt. Dieser Diskurs lässt sich auch literatur- bzw. kanongeschichtlich nachvollziehen, wie hier nur in aller Kürze angedeutet sei: Möglicherweise wurde er in seiner ganzen Spannbreite in einer älteren Ketubim-Teilsammlung aus Prov, Hi, Hld und Qoh abgebildet79; er wurde dann aber vorab durch Sir und Sap abermals kritisch fortgeführt, bevor der hebräi-

77

Trotz des exemplarischen Charakters der Ausführungen ist deutlich geworden, dass die Argumentationsstruktur selbst bei Qohelet eine fallbezogene Flexibilität zeigt und sich nicht auf ein einheitliches Argumentationssystem zurückführen lässt (s. dazu das Referat von SCHELLENBERG, Erkenntnis, 167ff). 78 Vgl. den Titel seiner Gastvorlesung von in Münster am 1.2.2010 zum Thema: Sapientia discursiva. Die alttestamentlichen Weisheitsliteratur als offener Prozess, die in der ZAW 123 (2011) publiziert wird (im Druck). 79 Vgl. dazu DE PURY, Ketubim, 189ff, der sie neben den Psalter stellt.

Konsequente Erfahrungstheologien im Hiob- und Qoheletbuch

275

sche Kanon die Ketubim wieder formal und sprachlich enger umgrenzte. So lassen sich die Ketubim sachlich als bewusst breit gefächerte, exemplarische Sammlung bzw. Anthologie verstehen80. Sie ist von ihren produktiven Abschlussphasen her als positionell offene Sammlung autoritativer Literatur konzipiert und vermag damit eine fundamentale theologische Offenheit zu wahren: Der theologische Diskurs etwa über die Tora-Rezeption rechnet mit der Notwendigkeit je neuer Interpretationsarbeit auch in der Gegenwart und in der Zukunft. Ähnlich wie bei der erörterten Erfahrungstheologie kommt darin das hermeneutische Bewusstsein zum Ausdruck, dass Theologie stets und unhintergehbar in spezifischen raumzeitlichen Kontexten situiert ist.

2. Erfahrungstheologie Die strikte Erfahrungsbasiertheit dieser späten, kritisch-weisheitlichen Theologien (s.o. I. 1.) manifestiert sich darin, dass die Erfahrung zum exklusiven Kriterium theologischer Aussagen avanciert, das nunmehr auch Offenbarungs- und Traditionswissen kritisch prüft; im Zuge dessen wird gleichzeitig der Erfahrungsbegriff selbst transformiert und präzisiert (s.o. I. 2.). Im Blick auf die Gottesvorstellungen, die die crux jeder Erfahrungstheologie bilden, wirkt sich dies in einer weitgehenden Beschränkung auf ein Dass aus, die ältere weisheitstheologische Traditionen verstärkt, jedoch nicht bis zur prinzipiellen Infragestellung Gottes (oder besser: von Aussagen über Gott) gesteigert wird. Vielmehr wird weiterhin sowohl für die menschliche Haltung der Gottesfurcht bzw. für ein unbedingtes Gottesverhältnis plädiert, als auch dezidiert vom Schöpfergott und dessen schöpferischem Tun (sowie dessen Richten [s.o. Anm. 59]) gesprochen, das gemäß Qohelet näherhin die menschliche Lebenswelt nicht nur umfassend bestimmt, sondern zugleich überschreitet. Beide Erfahrungsdimensionen bringen also aus neuzeitlicher Sicht offensichtlich nicht- bzw. überempirische ›Kategorien‹ ins Spiel: Für Hiob zumal, aber auch »[f]ür Kohelet ist nicht nur die bloße Existenz Gottes unzweifelhaft, sondern auch seine Wirksamkeit«81. Wie aber verhält sich dies zum strengen Erfahrungsbezug? Diese Frage soll für Qohelet, der sie insgesamt stärker zuspitzt, abschließend etwas weiterzuführen versucht werden: Denn trifft die traditionsgeschichtliche Erklärung, die für Qohelets Rede vom Schöpfergott schlicht konstatiert, dass sie »auf der Grundlage biblischer Schöpfungstheologie« steht, das

80

So im Anschluss an WITTE, Ketubim, 414. 81 ZIMMER, Tod, 162.

DE

PURY, a.a.O.;

DERS.,

Canon, bes. 27ff; LANG, Writings;

276

Jhwh und die Weisheit

Richtige82 und reicht sie aus? Sie benennt zwar offenkundig das Unstrittige, blendet aber die gemeinaltorientalische wie hellenistische Grundübereinstimmung bezüglich Schöpfung und Gottesverehrung aus. Ohne hier den dafür maßgeblichen religions- und theologiegeschichtlichen Diskurshorizont rekonstruieren zu können83, lässt sich m.E. festhalten, dass Qohelets Schöpfergott und Gottesfurcht sachlich einen nur selten bestrittenen minimalen Grundnenner der frühhellenistischen Zeit darstellen: Innerhalb einer monotheistischen Grundkonstellation wird das Individuum in einen universalen Schöpfungs- und damit Gottesbezug gestellt. Spezifisch israelitische Prägungen der Gottesvorstellung Qohelets und seines Konzept der Gottesverehrung – die terminologisch freilich wie das ganze Buch die frühjüdische Herkunft zu erkennen geben – fehlen hingegen. Vielmehr scheint Qoh damit in der Sprache seiner eigenen Tradition einen interkulturell tragfähigen Konsens zu formulieren, der sich aus seiner konsequenten Erfahrungstheologie ergibt. Mit anderen Worten: Qohelet bringt nicht- bzw. überempirische Kategorien ins Spiel, die sich jedoch auf der Höhe des zeitgenössischen Diskurses bewegen und kaum bestrittene Grundüberzeugungen formulieren. Dabei bleibt m.E. bei Qohelet offen, ob es sich um (deduktive) »Vorgaben …, welche seine Wahrnehmung leiten und prägen« 84 , handelt oder um (im weiteren Sinne induktive) Folgerungen aus seinen lebensweltlichen Beobachtungen und Erfahrungen. Damit, und das scheint mir einer der theologisch wichtigsten Beiträge der Weisheitsliteratur zu sein, steht aber das Erfahrungsverständnis selbst zur Diskussion: Theologie kann, wenn sie sprachfähig – d.h. intersubjektiv kommunizier- und verstehbar – sein und bleiben will, nicht hinter Qohelets Erfahrungsbasiertheit und Erfahrungsbeschränkung auf den Bereich »unter der Sonne« bzw. »unter dem Himmel« zurückfallen. Auf dieser Einsicht gilt es gerade in interdisziplinären bzw. gesamttheologischen Diskurshorizonten hartnäckig zu insistieren! Qohelets Rede vom Schöpfergott und von dessen kreativem Tun besteht aber – ganz unabhängig von der Frage nach der Zeitgebundenheit dieser Vorstellungen – zugleich darauf, dass Erfahrung mehrdimensional sein

82

SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, HThK, 91; s. 90f.93. Vgl. dazu neuere Komm. zu 3,11 bzw. 3,14, bes. KRÜGER, BK 19, 27ff.43ff und SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, a.a.O., 104ff selbst. 84 So SCHELLENBERG, Erkenntnis, 163 (z.T. kursiv). 83

Konsequente Erfahrungstheologien im Hiob- und Qoheletbuch

277

kann – und theologisch wohl (bis heute) sein muss85: Ein rein empiristisches oder naturalistisches Erfahrungsverständnis wäre Qohelet zufolge reduktionistisch und defizitär. Auf dem Spiel steht damit nichts weniger als die Multidimensionalität und -perspektivität der Erfahrung selbst, die von der oben erörterten Reichweitenbeschränkung strikt zu unterscheiden ist und gleichsam quer dazu verläuft. Das zeigt sich am deutlichsten auf der Sprachebene: Qohelets Erfahrung lässt sich offensichtlich mit rein ›alltäglicher‹ oder technischer Sprache nicht vollständig artikulieren, sondern bedarf unhintergehbar auch der poetischen und metaphorischen Bildsprache, die – erfahrungstheologisch – vom Schöpfergott, dessen Tun und der dazu angemessenen menschlichen Haltung der Gottesfurcht redet. Das ist m.E. eine der zentralen, in ihren Konsequenzen aber noch viel zu wenig beachteten und durchdachten Pointen Qohelets, die eine ausführliche Untersuchung lohnte86. 3. Ergebnis Insgesamt ist die konsequente Erfahrungstheologie Qohelets stärker noch als die Hiobs vordergründig traditionskritisch, indem die Erfahrung als Kriterium für alle theologischen Aussagen fungiert und ihre Reichweite nüchtern begrenzt wird. Wenn Qohelet damit in Übereinstimmung zugleich – poetisch – vom schöpferischen Tun Gottes, das er (zumindest fragmentarisch) »sieht«, spricht, so erweist sich als hintergründige Leistung seiner konsequenten (aber eben nicht empiristischen oder naturalistischen) Erfahrungstheologie, 85

Einschlägig ist in diesem Zusammenhang EBERHARD JÜNGELS Rede von der »Erfahrung mit der Erfahrung« (Gott, 40f). Der Erfahrungsbegriff wurde in der Theologie in neuerer Zeit mehrfach und ähnlich schillernd wie in der Philosophie (s.o. Anm. 3) aufgenommen (s. die bei KEDING, Theologia, 16ff genannten Problemfelder; im Einzelnen etwa exegetisch LUCK, Welterfahrung; praktologisch HEINE, Erfahrung; theologiegeschichtlich KEDING, a.a.O.; systematisch MOSTERT, Erfahrung), wobei oft auf das Dictum Luthers »sola autem experientia facit theologum« (LUTHER, WA.TR 1, 16,13 [# 46]) zurückgegriffen wird. 86 FREULING, Grube, 263 summiert zutreffend: Qohelet hält am relativen »Zusammenhang [sc. von Tun und Ergehen, M.L.] fest, obwohl er sich nicht immer durch die Erfahrung bestätigt findet«. Wenn FREULING, a.a.O., 267 dies dann in den »theologischen Bezugsrahmen der Weisheitskritik Kohelets« einordnet – »Gott verfügt den Wechsel der Zeiten« (3,11) –, so ist das Problem exakt benannt; freilich ist damit Qohelets Rede vom Schöpfergott und dessen Tun noch nicht eigentlich begründet oder besser einsichtig gemacht; doch erst damit lässt sich, ganz im Sinne FREULINGs, vermeiden, dies bloß als »unreflektierten Restbestand weisheitlicher Vergeltungslehre« (MÜLLER, Weisheit, 244) misszuverstehen.

278

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dass sie in, mit und unter weltlichen Erfahrungen zugleich Gotteserfahrungen (d.h. Erfahrungen des schöpferischen Tuns Gottes) zur Sprache bringt87: Derart wahrt das die menschliche Erfahrungswelt und Erkenntnisfähigkeit transzendierende Tun des Schöpfergottes (weisheits)theologisch die Unverfügbarkeit und Freiheit Gottes. Indem es gemäß Qohelets Erfahrung zugleich die menschliche Lebenswelt und den Kosmos umfassend prägt, visiert es – formal und inhaltlich freilich auf ganz andere Weise als die geschichtsbezogene Prophetie und Apokalyptik (s.o. Teil C) – letztlich »Gott als Geheimnis der Welt« (Eberhard Jüngel) an.

87

Damit gerät auch die ebenso schwierige und komplexe wie interessante und virulente Frage der natürlichen Theologie in den Blick (s. die Problemanzeigen bei LEUENBERGER, Segen, 480 Anm. 26 und o. 4. III. 3. mit Anm. 60).

Kapitel 9

Die personifizierte Weisheit vorweltlichen Ursprungs von Hi 28 bis Joh 1 Ein traditionsgeschichtlicher Strang zwischen den Testamenten1 Zu den plastischsten Gestalten der HB zählt zweifellos ›Frau Weisheit‹2, wie sie im ersten Teil des Proverbienbuchs auftritt: Sie »ruft auf der Gasse, auf den freien Plätzen erhebt sie die Stimme« (Prov 1,20); weithin sichtbar »[steht sie] oben auf den Höhen am Weg, wo die Pfade sich kreuzen« (8,2), und unübersehbar »zur Seite der Tore am Ausgang der Stadt, am Eingang der Pforten ruft sie laut« (V.3), auch wenn sie nicht explizit dort »wohnt«. Ja, sie spricht ihre Adressaten direkt an: »Zu euch, Männer (~yviyai), rufe ich, an die Menschensöhne (~d'a' ynEB.) meine Stimme« (V.4). Und mit ernsthafter Ermahnung fährt sie fort: »Ihr Unerfahrenen, gewinnt Einsicht in die Klugheit (hm'r>['), und ihr Toren gewinnt Einsicht in den Verstand (ble)! Hört zu, denn Vortreffliches (~ydIygIn>) rede ich …« (V.5f). Vergleichbar bittet sie schließlich in Kap. 9 als begüterte Hausherrin, die ihren Palast gebaut hat (9,1; s. 8,34), zum feierlichen Gastmahl und verspricht lange Lebenszeit (9,11). Nach diesen fulminanten Auftritten erscheint die Person von ›Frau Weisheit‹ mindestens ebenso interessant wie der Inhalt ihrer Lehrreden. Näherhin konzentriert sich im Folgenden das Interesse auf eine Reihe biblischer und frühjüdischer Texte, die von der personifizierten Weisheit vorweltlichen Ursprungs handelt. In einem Textensemble, das von Hi 28 über Prov 8, Sir 24 und 1ApcHen 42 bis zu Joh 1 reicht, präsentiert sich die Weisheit – nicht selten ergreift sie selbst das Wort – als faszinierende Gestalt: Im Spannungsfeld zwischen Gott und Welt bzw. Menschen bestimmt sie ihr Wesen, erläutert sie ihren Ursprung und übt sie ihre Funktionen aus; 1 Erweiterte Fassung des gleichnamigen Art. in: ZAW 120 (2008), 366–386, dem der Probevortrag im Rahmen des Habilitationsverfahrens am 15.6.2007 vor der Theologischen Fakultät der Universität Zürich zugrunde liegt. 2 Als solche wird sie zwar nicht explizit – auch nicht in Prov 1–9 – bezeichnet, aber doch ganz klar stilisiert, weshalb Anführungszeichen gesetzt sind.

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in traditionsgeschichtlicher Perspektive resultiert dabei eine religions- und theologiegeschichtlich aufschlussreiche Geschichte der personifizierten Weisheit vorweltlichen Ursprungs. Der vorliegende Beitrag widmet sich der Aufgabe, diesen traditionsgeschichtlichen Strang in seinen Grundzügen herauszuarbeiten, natürlich ohne dabei sämtliche internen Verästelungen und externen Verflechtungen berücksichtigen zu können; dennoch lassen sich gerade so Wesen, Ursprung, Funktion und Geschichte der personifizierten Weisheit vorweltlichen Ursprungs beschreiben.

I. Zu Textauswahl und Fragestellung Die hier im Blick stehenden Texte bilden einen kleinen, aber prägnanten Ausschnitt aus der israelitischen, frühjüdischen und christlichen Weisheitsliteratur, die auf dem Boden der weisheitlichen Weltsicht und Literatur des alten Orients fußt. Aus dem Korpus weisheitlicher Texte aus dem alten Israel bzw. der Bibel lässt sich unsere Textgruppe graduell in drei Schritten herausschälen: (1) Zum Ersten treten in ihr nicht nur weisheitliche Themen im Allgemeinen auf – wie etwa gerechte Vergeltung, gutes/gottgefälliges Verhalten u.ä. –, sondern die Weisheit selbst wird zum mehr oder weniger expliziten und bestimmenden Thema. (2) Zum Zweiten erscheint die Weisheit profiliert als personifizierte Weisheit, als ›Frau Weisheit‹ (und nicht nur als Weisheitsgestalt allgemein): Die hm'k.x' wird metaphorisch und d.h. konkret: sozio-, anthropooder gynomorph beschrieben, und diese Anwendung anthropomorpher Konzepte ist es, die zur poetischen Personifizierung der Weisheit führt3. Dieser komplexe Vorgang, auf den gleich näher einzugehen ist (s.u. II.), spielt sich in einer recht ansehnlichen Zahl von spätweisheitlichen Texten ab (Prov 1–9, evt. implizit Qoh 7,23ff; dann Sir, Sap u.a.)4. (3) Zum Dritten kommt nur in der hiesigen Textgruppe die personifizierte Weisheit als Größe ›vorweltlichen‹ Ursprungs in den Blick, sodass 3

So unter anderem im Anschluss an LANG, Frau, 59.170, der mit der dichterischen Personifikation stärker auf das Resultat als auf den Prozess fokussiert; s.a.u. Anm. 46. Insofern kann man auch von der Weisheit als »(quasi-)personaler Instanz[..]« sprechen (KRÜGER, Traditionsgeschichte, 240 Anm. 44) und dies – recht verstanden – als (Re-) Mythologisierung bezeichnen (so WEDER, Mythos, 408ff). 4 S. dazu die aktuellen Übersichten FISCHER, Gotteslehrerinnen, 173ff; STROTMANN, Frau.

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Wesen, Funktion und Entstehung der personifizierten Weisheit thematisch werden. Damit liegt auf der Ebene von Textkompositionen – heuristisch verstanden als formal und thematisch abgehobene Aussageeinheit von mehr als einem Satz bzw. Vers – ein Kriterium vor, das unsere Textgruppe distinkt ausgrenzt. Daneben gibt es auf der Ebene von Einzelaussagen selbstverständlich weitere Belege, die einschlägige Formulierungen bieten und insofern zum gleichen traditionsgeschichtlichen Strang gehören; eine Durchsicht zeigt aber, dass die ausgewählte Textgruppe nicht nur die konzeptionell profiliertesten Aussagen enthält, sondern auch das inhaltliche Spektrum und die theologiegeschichtliche Entwicklung in der ganzen Breite abdeckt. Die Textgruppe von Hi 28 bis Joh 1 ermöglicht es daher, einen traditionsgeschichtlichen Strang der personifizierten Weisheit vorweltlichen Ursprungs in der frühjüdischen Literatur bzw. in der christlichen Bibel zu rekonstruieren und diesen zu beschreiben, zu analysieren und zu interpretieren. Als Anweg dazu soll zunächst der dabei vorausgesetzte Vorgang der Personifizierung der Weisheit in den Blick genommen werden (II.). Auf dieser Basis lässt sich dann die personifizierte Weisheit vorweltlichen Ursprungs bearbeiten: Dieser traditionsgeschichtliche Fragestellung steht hier im Zentrum, denn sie leistet einen Beitrag zu einem m.E. bisher und insbesondere im neueren Forschungshorizont zu wenig beachteten Kapitel Religions- und Theologiegeschichte der jüngeren Weisheit (III.) 5 . Im Anschluss an das traditionsgeschichtliche Ergebnis sollen dann knapp einige weiterführende Perspektiven anvisiert werden (IV.).

5 Forschungsgeschichtlich sind dazu in neuerer Zeit – über ungezählte Analysen der Einzeltexte hinaus – einige Beiträge vorgelegt worden, ohne dass jedoch der traditionsgeschichtliche Strang mit seinen (für die Religions- und Theologiegeschichte bes. relevanten) konzeptionellen Zusammenhängen und Transformationen der personifizierten Weisheit vorweltlichen Ursprungs in den Mittelpunkt gerückt ist. Am weitesten in diese Richtung sind bisher MURPHY, Personification; GESE, Weisheit; SCOTT, Sophia, 49ff; BORGONOVO, Incarnazione; jüngst STROTMANN, Präexistenz, 93ff; NICCACCI, Logos, 77ff; knapp MARBÖCK, Weisheit, 12f vorgestoßen; von den älteren Beiträgen s. bes. BULTMANN, Hintergrund; CONZELMANN, Mutter; CHRIST, Sophia, 13ff.156ff.

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II. Zur Personifizierung der Weisheit: Hintergründe und Ursachen Die personifizierte Weisheit übt nach Ausweis der einschlägigen Texte primär eine Vermittlungsfunktion zwischen Gott und Welt aus. Damit stellt sie offenkundig eine Reaktion auf die Problematisierung des genuin weisheitlichen Junktims von Gott und Welt bzw. Gottes- und Welterkenntnis usf. (s.o. die Einl. zu Teil D) dar, womit unter spezifischen religions- und theologiegeschichtlichen Bedingungen die Frage nach Gottes Präsenz in der Welt und seiner Zugänglichkeit für die Menschen neu verhandelt wird: Die Personifizierung der Weisheit lässt sich nämlich ziemlich präzise datieren. Sie findet sich in der HB erstmals – ebenso deutlich wie prominent ausgeformt, wie die einleitenden Zitate belegen – in Prov 1–9, dem jüngsten, sehr wahrscheinlich aus frühhellenistischer Zeit stammenden Buchteil. Das aber bedeutet, dass die Personifizierung der Weisheit nicht nur generell in »der nachexilischen Zeit« erfolgt6, sondern sich präziser in der frühhellenistischen Umbruchszeit verorten lässt7. Wie es dazu kam, erhellt aus einem Blick auf die historischen Hintergründe und Ursachen dieses Prozesses. 1. Traditionsgeschichtliche Hintergründe Die traditionsgeschichtlichen Hintergründe des Vorgangs lassen sich stichwortartig in fünf Punkten umreißen8: – Konstitutiv für das Profil der personifizierten Weisheit ist die ägyptische Maat (m3t), die als Göttin bzw. als ›Prinzip‹ die gerechte Weltordnung verkörpert9.

6

So im Anschluss an MEINHOLD, ZBK 16, 45 u.ö. MAIER, Weisheit, Kap. 1.1 (s. aber ihre Endredaktion von Prov 1–9 im 3. Jh. v. Chr. [DIES., Frau, 19ff]); SCHROER, Weisheit, 12 u.ö.; BAUMANN, Weisheitsgestalt, 268ff; GORGES-BRAUNWARTH, Frauenbilder, 379ff; YODER, Wisdom, 12 und passim; s.a. SINNOTT, Personification, 6f.53ff (exilisch). 7 Darauf weisen die redaktions- und literaturgeschichtliche Befunde (s. summarisch FOX, AncB 18A, 48f; WITTE, Ketubim, 452f; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Sprichwörter, 376ff). 8 Vgl dazu die ausgezeichnete Übersicht von FOX, a.a.O., 333ff sowie ausführlich SINNOTT, Personification, 10ff. 9 S. das Referat von BAUMANN, a.a.O., 13ff (Lit.), die selbst sehr zurückhaltend bleibt (s. 280ff), aber religionssoziologisch ein ähnliches Milieu persönlicher Frömmigkeit umreißt (s. 303ff); s. zur Maat bes. KAYATZ, Studien, 93ff und die – allzu scharfe – Kritik von FOX, Maat.

Die personifizierte Weisheit vorweltlichen Ursprungs

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– Darüber hinaus wirken im Blick auf die lebensförderliche Aufgabe wohl auch Göttinnen aus dem syrisch-kanaanäischen Raum nach10. – Hingegen spielt in Prov 1–9 die Rezeption von Isis-Aretalogien, die textlich erst aus späterer Zeit erhalten sind, höchstens eine generelle Rolle im Blick auf die Lehrreden (s.u. Anm. 56); erst in den jüngeren Texten Sir 24 (?) und besonders Sap 7 ist die Aufnahme spezifischer inhaltlicher Züge diskutabel bis plausibel11. – Hinzunehmen muss man die sozialgeschichtlichen Verhältnisse im vorund nachexilischen Israel, die verschiedene Rollen hervorbringen, namentlich die auch für die Weisheit wichtige Figur des Königs12; daneben stehen bei der Modellierung der Frau Weisheit auch – durchaus ambivalente – Frauenrollen Pate (Ratgeberin und Königsmutter, v.a. aber Hausherrin, Gastgeberin oder Braut)13, ohne dass sich die Weisheit darauf reduzieren ließe (s. nur die quasigöttlichen Funktionen als Schöpfungs›mittlerin‹ und Weltordnungsexpertin). – Schließlich müssen ältere Analogien für Personifizierungsprozesse herangezogen werden14: Allgemein kann man auf personifizierte Abstrakta verweisen (z.B. tm,a/w)? Und wo ist der Ort der Einsicht (hn"yBi ~Aqm. hz< yaew>)? 13 Der Mensch kennt nicht ihren Preis, und sie ist nicht zu finden im Land der Lebenden. 14 Die Flut spricht: In mir ist sie nicht, und das Meer spricht: Sie ist nicht bei mir. 15 Man kann nicht Feingold für sie geben und nicht in Silber ihren Wert darwägen. (…) 20 Die Weisheit indes, wo kommt sie her (aAbT' !yIa;me hm'k.x'h;w>)? Und wo ist der Ort der Einsicht (hn"yBi ~Aqm. hz< yaew>)? 21 Verhüllt ist sie vor den Augen alles Lebendigen, und vor den Vögeln des Himmels ist sie verborgen. 22 Abgrund und Tod sprechen: Mit unseren Ohren haben wir (nur) ein Gerücht von ihr gehört. 23 Gott weiß (!ybihe) den Weg zu ihr (HK'r>D;), und er kennt ([d;y") ihren Ort (Hm'Aqm.-ta,). 24 Denn er blickt bis zu den Enden der Welt, unter dem ganzen Himmel schaut er. 25 Als er machte (tAf[]l;) dem Wind dessen Gewicht und den Wassern ihr Maß bestimmte, 26 als er machte (Atf[]B;) dem Regen die Ordnung und die Bahn dem Donnergebrüll, 27 da hat er sie angesehen und sie gezählt (Hr'P.s;y>w: Ha'r' za'), sie hingestellt und auch erforscht (Hr'q'x]-~g:w> Hn"ykih/). 28 Und er sprach zum Menschen: Siehe, die Furcht des Allherrn, das ist Weisheit (hm'k.x' ayhi yn"doa] ta;r>yI !he), und das Meiden von Bösem (ist) Erkenntnis (hn"yBi [r'me rWsw>).

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Gliederung und Inhalt lassen sich wie folgt summieren17: Der in V.12 und V.20 fast identische Refrain zum Ort der Weisheit und der Einsicht deutet eine dreistufige Themaentwicklung an, die sich gut mit dem aus formalen (Umfang) und thematischen Gründen plausibelsten Aufbau aus den drei bzw. vier Strophen V.1–6.7–11, V.12–22 (mit der parallelen Rahmung V.12–14/V.20–22) und V.23–28 verbinden lässt: V.1–6 und V.7–11 beschreiben zunächst anhand des Bergbaus unter Tag den technisch erweiterten Erfahrungsbereich des Menschen. Dennoch sind nach V.12–22 Weisheit und Einsicht für den Menschen unauffindbar – sie befinden sich nicht an einem bestimmten Ort der Schöpfung: weder im Land der Lebendigen (V.13) noch bei der Flut (V.14) bzw. im Todesreich (V.22) noch im Himmel (V.21). Sie lassen sich daher auch nicht erwerben (V.15–19, in der [älteren] LXX wie V.14 fehlend). Der abschließenden Konstatierung der Abwesenheit der Weisheit auf allen drei Weltebenen von Himmel, Erde und Unterwelt in V.21f setzen V.23–28 Gottes Kenntnis von Weisheit und Einsicht entgegen, um schließlich in V.28 dem Menschen Weisheit – nun ohne Artikel – als (religiöse) Gottesfurcht (yn"doa] ta;r>yI) und Einsicht als (ethische) Meidung des Bösen ([r'me rWs) durch Gott zugänglich zu machen. Weisheit und Einsicht dominieren so spätestens ab V.12 das Gesamtbild. Im Blick auf das Profil der Weisheit – und d.h. in Hi 28 zugleich der dazu parallelen Einsicht (hn"yBi V.12.20.28) – ergibt sich folgendes Bild: (1) Zunächst und hauptsächlich ist eine Differenzierung des Phänomens ›Weisheit‹ zu beobachten: In V.1ff kommt am Beispiel des Bergbaus die Weisheit als technischer Sachverstand in den Blick; dadurch ist der Mensch den Tieren überlegen (V.7f), was durchaus positiv bewertet wird (s. V.10). Es liegt somit nicht einfach eine pessimistische Anthropologie vor, welche die menschlichen Möglichkeiten und die technischen Errungenschaften abwertete oder einschränkte; vielmehr wird – im Rahmen damaliger Verhältnisse, denen moderne Material-, Maschinen- und Biotechnologien noch unbekannt waren – eine in neue Lebensdimensionen vorstoßende Spitzentechnologie herangezogen, um auf der Höhe der Zeit das menschliche Potential der Weisheitsfindung zu klären. Hier steht offensichtlich das klassische Bild der Weisheit als Mittel zur technisch-prak-

17 Im Einzelnen sind Aufbau und Gliederung strittig, vgl. die Übersicht bei STECK, Gesetz, 458ff; NEHER, Weisheit, 63ff (mit Verweis auf ~Aqm' V.1.6.12.20.23; ebenso bereits WITTE, Leiden, 162f); ZIMMERMANN, Hiob 28, 86f; JONES, Rumors, 38f. (Die Konjektur der alten Zürcher Bibel und anderer, die den Refrain – in welcher Gestalt? – auch vor V.1.7 ergänzen, empfiehlt sich jedoch nicht [s.a. STRAUß, BK 16/2, 134f].)

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tischen Lebensbewältigung im Hintergrund18. Neu ist hingegen, dass der Weisheitsbegriff so zugespitzt wird, dass in V.12ff diese technisch-praktische Dimension, die sich der Mensch angeeignet hat, nicht mehr als Weisheit im eigentlichen Sinn bezeichnet wird, sondern vielmehr davon abgegrenzt wird. Umgekehrt wird die Weisheit für den Menschen – zunächst – zu einer inkommensurablen Größe, die ihm verborgen, unauffindbar (V.12) und entzogen (V.20) ist; sie lässt sich – sodann – ausschließlich durch göttliche Vermittlung als Gottesfurcht und Meidung des Bösen aneignen (V.28). Damit verbunden ist die positive Charakterisierung von Weisheit und Einsicht in V.23ff: Allein »Gott weiß den Weg zu ihr (HK'r>D; !ybihe ~yhil{a/)« und »kennt ihren Ort (Hm'Aqm.-ta, [d;y")« (V.23); vor aller Zeit, bei der Weltschöpfung qua Ordnung und Einrichtung der Welt (V.25), hat er Weisheit und Einsicht »angesehen (har)«, »gezählt/verkündigt (rps)«, »hingestellt/geschaffen (!wk)« und »erforscht (rqx)« (V.27)19. Diese anfängliche und völlige Kenntnis vonseiten Gottes steht der totalen Unkenntnis vonseiten des Menschen diametral gegenüber. Dabei bildet die Verborgenheit der Weisheit für die Menschen ein Spezifikum von Hi 28 gegenüber Prov 8 (in Prov 1–9) und Sir 24, das erst in der Apokalyptik wieder breiter aufgegriffen wird (1ApcHen 42; Bar 3,15ff, s.u. III. 4.–5.). Dieser Zug reflektiert im weisheitlichen Bereich wahrscheinlich die Exilserfahrung Israels und enstprechende Individualgeschicke (besonders in nachexilischer Zeit) 20 , indem die Weisheit zwar nicht negiert wird, zunächst aber für den Menschen verborgen bleibt, um dann nach V.28 in re-

18

S.o. Einl. zu Teil D mit Anm. 2; vgl. etwa KAISER, Theologie 1, 264 Anm. 3: »So ist der in Ex 31,3 als hkm bezeichnete Bezalel gleichsam der Chefarchitekt für den Bau und die Ausstattung des Zeltheiligtums. Den handfertigen Frauen, die kunstvoll zu weben verstehen, wird Ex 35,25 håkmat lb, ein sachverständiger Sinn zugeschrieben. In ähnlicher Weise kann von der Weisheit der Erzgießer, 1. Kön 7,14, der Goldschmiede, Jer 10,9, der Schiffsbauer, Ez 27,9, der am Tempelbau beteiligten Facharbeiter, 1. Chr 22,15, der Klagefrauen, Jer 9,16, und natürlich auch der Traumdeuter, Gen. 41,8, vgl. Gen. 41,39, die Rede sein«. 19 Die Verbreihe lässt sich entweder aspektivisch als Aufzählung von vier Tätigkeiten verstehen oder (besser) als Abfolge ›Wahrnehmen, Ausmessen, Ordnen, Untersuchen‹ lesen. Vgl. zur Deutung der teils strittigen Ausdrücke neben den Komm. SCHIMANOWSKI, Weisheit, 20; jüngst NEHER, Weisheit, 66ff. Dabei stellen Weisheit und Erkenntnis die syntaktisch und kontextuell plausibelsten Objekte in V.27 dar und nicht, wie HARRIS, Creation, 421ff vermutet, die Schöpfung bzw. die in V.23–26 aufgezählten Schöpfungsräume und -vorgänge (so z.B. CLINES, WBC 18A, 922). 20 So mit V. OORSCHOT, Hiob 28, 200f.

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ligiös-ethischer Beschränkung von Gott selbst (!) zugänglich gemacht zu werden. (2) Weisheit und Einsicht im engen Sinn erfahren somit eine doppelte Präzisierung, indem sie theologisiert und auf die Schöpfung bezogen werden. Es erfolgt eine dezidierte Theologisierung der hm'k.x' – und der hn"yBi –, indem allein noch die von Jhwh vermittelte, theologisierte Weisheit diesen Namen verdient: »Die Rede von der verborgenen Weisheit in Hi 28 zielt … auf die Überwindung der generalisierten Spruchweisheit … Durch eine neue und doch an die ältere Weisheit erinnernde Eingrenzung menschlicher Erkenntnis führt sie zu einer theologisch reflektierten Weisheit als Gottesfurcht, die konsequent im Rahmen der theozentrisch gedeuteten Skepsis verbleibt«21. In gewisser Weise bahnt sich mit dieser theologisierten Weisheit die Trennung von Technik (sowie Naturwissenschaft) und Religion bzw. Ethik an – und zwar im Namen der letzteren (was man bis heute unterschiedlich beurteilen kann). Oder anthropologisch gewendet: Vom homo faber führt kein Weg mehr zum homo sapiens, um den es Hi 28 letztlich zu tun ist und der ›nur‹ noch als Kreatur Gottes existiert. Zudem wird der Weisheit ein Schöpfungsbezug und ›Vorweltlichkeit‹ zugeschrieben. Zwar fehlt – im Unterschied zu den späteren Texten – noch eine exakte Verhältnisbestimmung von Gott, Weisheit, Schöpfung, Welt und Mensch22; doch aus kreatürlicher Sicht wird die prinzipielle Vorweltlichkeit der Weisheit (sei sie nun von Gott geschaffen oder ›nur‹ hingestellt) dadurch deutlich, dass die uranfänglichen, vielleicht in phönizischer 24 Tradition dargestellten23 Schöpfungsakte Gottes in V.25f (l/b ) mit Gottes gleichzeitiger Beschäftigung mit der Weisheit und der Einsicht in V.27 (za') zusammengestellt werden. Dass die Weisheit hingegen das Mittel sei, mit dem Gott die Schöpfung ordnet, wird nicht gesagt25. 21

V. OORSCHOT, Hiob 28, 200f; s.a. 187; ZIMMERMANN, Hiob 28, 93f; RÖMER, chemins, 46.75. Dabei mag hier der interessante Befund auf sich beruhen, dass und auf welche narrative Weise in Hi 28 ebenso wie im Hiobbuch Grenzaussagen formuliert werden, die nach den eigenen Kriterien die menschliche Erkenntnis und Weisheit eigentlich sprengen (s. dazu generell SCHELLENBERG, Erkenntnis; zu Hiob bes. 204ff; LEUENBERGER, Segen, 437ff). 22 So mit V. OORSCHOT, a.a.O., 188; s.a. HADLEY, Wisdom, 240f; V. WOLDE, Approach, 364f. 23 Vgl. dazu SCHIMANOWSKI, Weisheit, 19 (Lit.). 24 V.25 und V.26 fasse ich aus inhaltlichen Gründen als Parallelaussagen auf (mit STECK, Gesetz, 460 Anm. 12; anders etwa STRAUß, BK 16/2, 133.153, der V.25 modal an V.24 anschließt). 25 Zutreffend von V. RAD, Weisheit, 192 festgehalten.

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Jhwh und die Weisheit

Theologiegeschichtlich dokumentieren diese Vorgänge offensichtlich einen Schlüsselvorgang in der Geschichte der Weisheit. Die sich manifestierende sog. ›Krise der Weisheit‹ 26 , der das umfassende weisheitliche Ordnungsdenken brüchig geworden ist, stellt auch im alten Israel einen sehr vielschichtigen Vorgang dar, schlägt sich aber textlich und literarisch in größeren Kompositionen gleichwohl erstmals massiv im Verlauf der Perserzeit (des 5./4. Jh. v. Chr.) nieder (s.o. bei Anm. 20)27. (3) Demgegenüber findet keine deutliche Personifizierung der Weisheit – und der parallelen Einsicht – statt. Dies lässt sich im Kontext aus der Verborgenheit in der ganzen Schöpfung, aus der Parallelisierung mit den Schöpfungsobjekten V.25f und aus der durchgängigen Doppelformulierung ›Weisheit und Einsicht‹ folgern, während die in V.27 verwendeten Verben eine Personifizierung nicht ausschließen – aber auch nicht speziell insinuieren28. So mag allenfalls ein gewisses Changieren zwischen Dinghaftigkeit und Personalität vorliegen, das die Eigenart der Weisheit bewusst in der Schwebe hält – auf jeden Fall ist keine eindeutige Personifizierung intendiert. Insgesamt ist in Hi 28 also die Gestalt der Weisheit (und der Einsicht) durch Theologisierung und schöpfungsbezogene Vorweltlichkeit charakterisiert, aber noch nicht personifiziert. Dabei ermöglicht das Konzept der verborgenen Weisheit ein – epistemologisch allerdings ungeklärtes – Festhalten am umfassenden weisheitlichen Weltordnungsdenken bei gleichzeitiger Verarbeitung der ›Krise der Weisheit‹, was in V.28 via göttliche Vermittlung im religiösen (Gottesfurcht) und ethischen (Meidung des Bösen) Bereich erfolgt. 26

So für Hi 28 etwa FIDDES, Job 28, 171; s. zur Krise der Weisheit und zur kritischen Weisheit s.o. 8. I. 1. mit Anm. 11; KRÜGER, Weisheit, Vff; DERS., BK 19, 44ff und jüngst umfassend FREULING, Grube. 27 Dass man sich vor einseitigen historischen Verortungen hüten muss, belegt die Bandbreite altorientalischer Texte zu ›Krisen der Weisheit‹ (insbes. des Tun-ErgehenZusammenhangs) in aller Deutlichkeit (s. klassisch SCHMID, Weisheit, 74ff.131ff). Vgl. zur nachexilisch-perserzeitlichen Krise der Weisheit in Israel SCHMID, a.a.O., 173ff; V. LIPS, Traditionen, 92ff; KRÜGER, a.a.O.; FREULING, a.a.O.; knapp LANGE, RGG4 8, 1367ff. In der Folge wird die Gottesfurcht spätestens seit der Mitte des 4. Jh. v. Chr. zum weisheitlichen Grundmotiv (so mit KAISER, Anweisungen, 29), wie es etwa in Hi 28,28 der Fall ist. 28 S.o. Anm. 19. – Gleichwohl vertreten eine Personifizierung HÖLSCHER, HAT 1/17, 65f; GESE, Weisheit, 223f; MCKANE, Job, 716; dagegen zu Recht FOHRER, KAT 16, 394f; FIDDES, Job 28, 174f; ZIMMERMANN, Hiob 28, 94f; V. OORSCHOT, Hiob 28, 188; s.a. V. LIPS, a.a.O., 157f; MURPHY, Personification, 224; STRAUß, BK 16/2, 146f; BORGONOVO, Incarnazione, 49; JONES, Rumors, 173f.

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Im Blick auf die Datierung von Hi 28 spricht zunächst die beschriebene Gestalt der Weisheit relativ für eine traditionsgeschichtliche Vorordnung gegenüber Prov 8, wo die Weisheit personifiziert und ihr Verhältnis zu Gott und Schöpfung präzisiert wird29. Literarkritisch und redaktionsgeschichtlich ist das Kap. sehr umstritten: Für nahezu sämtliche Partien wird Nachtragscharakter vertreten30, doch ein überzeugender Vorschlag liegt bisher nicht vor, sodass (unabhängig davon) ein traditionsgeschichtlicher Zugang mehr Erfolg verspricht31 – und im vorliegenden Rahmen auch wichtiger ist. Festgehalten sei hier, dass V.2832 auch im m.E. durchaus plausiblen Fall einer redaktionellen Ergänzung als stringente Lösung des Problems der verborgenen Weisheit (V.12ff.20ff) fungiert. Kompositionell unterbricht Kap. 28 – das ebenfalls Hiob in den Mund gelegt wird – ja die letzten beiden (jetzt monologischen33) Reden Hiobs in 27,1ff und 29,1ff und bildet wohl einen sekundären redaktionellen Einschub34, der über das Konzept der verborgenen Weisheit mit verschiedenen Dialogpassagen 35 und über die Gottesfurchtlösung mit der (erweiterten) Rahmenerzählung verbunden ist; derart kommt er wohl auf die Ebene des erstmals Dialog und Erzählung verbindenden Hiobbuchs zu stehen36. Zusammengenommen führen diese Erwägungen in die frühhellenistische Zeit des 4.–3. Jh. v. Chr.37.

29

So mit V. OORSCHOT, a.a.O., 188 Anm. 32; HENGEL, Judentum, 276; GESE, a.a.O., 225; SCHIMANOWSKI, Weisheit, 18; BORGONOVO, a.a.O., 45, worauf auch die fehlenden Textbezüge deuten; s. dagegen für eine Reaktion von Hi 28 auf Prov 1–9 WITTE, Leiden, 207; SCHROER, Weisheit, 49; implizit NEHER, Weisheit, 60ff, der aber sieht, dass Hi 28 »zu Prov 8,22–31 sachlich die größte Nähe aufweist« (59). 30 S. dazu die Komm. und die Referate von NEHER, a.a.O., 63f; V. OORSCHOT, a.a.O., 185. 31 In diesem Sinne auch V. OORSCHOT, a.a.O., 186. 32 Ursprünglich: BUDDE, HK 2/1, 163.171 (Konjektur zu ytia'r>yI); HARRIS, Creation, 427; CLINES, Fear, 76 (der Kap. 28 indes als Abschluss der Elihu-Reden versteht und hinter 32–37 stellt [a.a.O., 80ff; DERS., WBC 18A, 908f; GREENSTEIN, Poem, 264ff]). – Kontextredaktion: KAISER, Grundriß 3, 80; WITTE, Leiden, 164; ZIMMERMANN, Hiob 28, 85.94; STRAUß, BK 16/2, 137.155. – Glosse: DUHM, KHC 16, 137. 33 So v.a. KÖHLMOOS, Auge, 303f. 34 Zur kompositionellen Logik der Redaktion vgl. bes. STRAUß, BK 16/2, 133f. 35 Ob eine direkte entstehungsgeschichtliche Verbindung mit Hi 38ff vorliegt, bleibt m.E. zugunsten einer Vorordnung von Hi 38ff fraglich. Nach MAIER, Weisheit, Kap. 1.1.2 fehlt in Hi 28 die Personifizierung, weil sie – aufgrund der Unzugänglichkeit des Weisheit in der Schöpfungsordnung in Hi 38ff – »im Gesamtduktus des Buches funktionslos [bliebe]«. 36 Vgl. zum Ganzen LEUENBERGER, Segen, 419ff.439ff (Lit.); V. OORSCHOT, Hiob 28, 197ff (im Anschluss an WITTE, Leiden, 190ff.205ff.226ff); DERS., Entstehung, 176ff: weisheitskritische Gottesfurchtredaktion. Für die verborgene Weisheit verweist V. OORSCHOT bes. auf 11,6ff; 12,7ff; 26 (sowie, m.E. fraglich, auf 36f), für 28,28 auf 1,1.8; 2,3. 37 Ähnlich STECK, Gesetz, 469, der eine Reaktion auf »eine frühhellenistische Ausprägung griechischer Naturphilosophie« annimmt (für V.1–27); etwas früher vermutet GESE, Weisheit, 222 die zweite Hälfte des 5. Jh. v. Chr.

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Jhwh und die Weisheit

2. Prov 8,22–31 Im ersten und jüngsten Teil des Proverbienbuchs (Kap. 1–9) aus frühhellenistischer Zeit38 spielt die – im gesamten Buch nur hier personifizierte – Weisheit in mehreren sog. Weisheitsgedichten eine prominente Rolle (1,20–33; 8f). Dies trifft insbesondere für die große Selbstpreisung der Weisheit in Kap. 8 zu; sie umfasst neben der Einleitung, welche – wie eingangs geschildert – ›Frau Weisheit‹ öffentlich an Wegkreuzungen und Stadttoren verortet (V.1–3), vier Teile39: In V.4–11 beginnt die Ich-Rede der Weisheit mit der imperativischen Aufforderung, auf sie zu hören, weil sie vortreffliche Erkenntnis vermittle. V.12–21 explizieren dies durch eine Selbstvorstellung und -preisung der Weisheit als gegenwärtiger Repräsentantin von Klugheit und Gerechtigkeit40. V.22–31 – der meist untersuchte Abschnitt des gesamten Proverbienbuchs – lenken den Blick zurück in die Vorzeit und begründen derart die gegenwärtige Bedeutung der Weisheit mit ihrer uranfänglichen Herkunft und Funktion. Auf dieser Basis fordert die Weisheit in V.32–36 abschließend zur existentiellen Entscheidung für sie auf und preist den Hörenden im Gegensatz zum sie Verfehlenden mit einem doppelten Makarismus »glücklich (yrev.a;)«.

Im vorliegenden Rahmen interessiert nun weniger die kontextuelle Funktion von V.22–31 innerhalb von Kap. 8 als das Sachprofil der personifizierten Weisheit selbst. vorweltliche 22 Jhwh hat mich geschaffen (ynIn"q') Anfang seines Wegs (AKr>D; tyviare), Erschaffung Frühestes seiner Werke seit jeher (za'me wyl'['p.mi ~d,q,). 23 Von fernster Zeit an bin ich gewoben worden (yTik.S;nI), von Anfang an, von frühesten Erdzeiten an. 24 Als Fluten (noch) nicht waren, wurde ich (unter Geburtswehen) hervorgeals Quellen, schwer von Wasser, (noch) nicht waren. [bracht, 25 Bevor Berge eingesenkt wurden, vor Hügeln wurde ich (unter Geburtswehen) hervorgebracht, 26 als er [sc. Jhwh] noch nicht gemacht hatte Erde und Felder und die ersten Schollen des Festlands.

38

S. dazu o. II. mit Anm. 6f und u. bei Anm. 61ff. S. zur Analyse neben den Komm. bes. BAUMANN, Weisheitsgestalt, 66ff und NEHER, Weisheit, 32ff, die das Kap. ähnlich gliedern. 40 Von »Segnungen der Weisheitslehre« (FISCHER, Gotteslehrerinnen, 190; s.a. PLÖGER, BK 17, 89ff) sollte man angesichts der atl. Konstellationen nur mit Zurückhaltung bzw. entsprechender Erläuterung der zu $rb äquivalenten Funktionen sprechen (s. LEUENBERGER, Segen, 28ff). 39

Die personifizierte Weisheit vorweltlichen Ursprungs

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Schöpfungs- 27 Als er hinstellte (den) Himmel, war ich dort, präsenz als er absteckte (den) (Erd)kreis über (der) Flut, 28 als er fest machte (die) Wolken oben, als stark waren die Quellen der Flut, 29 als er setzte (dem) Meer dessen Grenze und (so) (die) Wasser nicht überals er feststeckte die Fundamente der Erde – [traten seinen Befehl, Mittler30 da war ich (hyD; tyviare: »Anfang seines Wegs« und als za'me wyl'['p.mi ~d,q,: »Frühestes seiner Werke seit jeher« »geschaffen« (hnq), er hat sie »von fernster Zeit an gewoben« (yTik.S;nI ~l'A[me) (V.22f)43; und V.24–26 führen – mit temporalen Präpositionen (b, ynpl, d[) + Perfekta (AK) – die Vorzeitigkeit der Weisheit gegenüber Fluten und Quellen, Bergen und Hügeln, Erde, Feldern und Ackerschollen aus. Dabei verdeutlichen – innerhalb der andauernden Rede der Weisheit – der in V.22.26–29 stattfindende Subjektwechsel zu Jhwh und die unverhohlenen Anspielungen auf Gen 1 (von tyviare V.22 bis ~d'a' V.31) den thematischen Neueinsatz des Abschnitts innerhalb von Kap. 8. Dies gilt auch für V.27–31, wo – v.a. mit der Gleichzeitigkeit ausdrückenden Konstruktion ›b + Inf. cs.‹ – die Schöpfungspräsenz der Weisheit bei der Erschaffung von Himmel und Erdkreis, Wolken und Flutquellen, Meer, Wasser und Erdfundamenten (V.27–29) ausgeführt wird und dann abschließend die Mittlerrolle der Weisheit zwischen Gott und Welt bzw. Menschen (V.30f) zum Ausdruck kommt, indem die Weisheit als »Schoßkind

41 Ob im Gefolge der LXX wy['vu[]v; vorzuziehen ist, lässt sich nicht schlüssig entscheiden, doch bleibt die sachliche Differenz gering. – Zur chiastischen Struktur von V.30f s. MEINHOLD, ZBK 16, 147. 42 Die Zweiteilung in V.22–26 und V.27–31 ist allgemein anerkannt (s. die Komm. und KEEL, Weisheit, 20f; BAUMANN, Weisheitsgestalt, 115f; SCHÄFER, Poesie, 220ff; NEHER, Weisheit, 45f); zusätzlich werden bisweilen weitere Unterteilungen vorgenommen (z.B. BAUMANN, a.a.O., 113ff; GORGES-BRAUNWARTH, Frauenbilder, 286ff: Einleitung V.22f und Schluss V.30f/V.29cff). 43 M.E. als ni. von $sn II (s. HAL 664)/$ks herzuleiten (s. jetzt BHQ, z.St. und dazu bes. BAUMANN, a.a.O., 120ff, die für eine Nebenform von $ks plädiert).

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Jhwh und die Weisheit

(!Ama')«44 (be)ständig an Jhwhs Seite war, vor ihm auf der Erde »fröhlich spielte (tq,x,f;m.)« und an den Menschen ihre Vergnügen (y[;vu[]v;) hatte. Diese ausgesprochen dichte Schilderung bietet ein ebenso scharfes wie interessantes Profil der Weisheit: (1) Zunächst liegt im Unterschied zu Hi 28 ganz deutlich eine Personifizierung der Weisheit vor: Anders als dort fehlen hier Parallelbegriffe zur Weisheit45; wie in den übrigen Lehrreden des Proverbienbuchs spricht und lehrt ›Frau Weisheit‹ selber; ihre Entstehung bzw. Geburt wird mit personalen Metaphern beschrieben ($sn II/$ks V.23; lyx V.24f; s.a. tyviare V.22), die Jhwh gynomorph als gebärende Mutter der Weisheit schildern; und sie spielt fröhlich (qxf) – nämlich als Schoßkind – vor Jhwh und hat ihr Vergnügen an den Menschen. (Dabei kann man erwägen, ob der Bewegung von der Urzeit in V.22ff zur Gegenwart der Rede von Kap. 8 die biographische Entwicklung vom Schoßkind zur erwachsenen Frau korrespondiert, was V.30f dann wieder durchbräche.) Dieser kreative sprachliche Vorgang wird seit einigen Jahrzehnten als poetische Personifizierung der Weisheit bzw. (ergebnisbezogen) als poetische Personifikation der Weisheit bezeichnet46; diese auf der sprachlichen Ebene ansetzende Benennung hat zu Recht die ältere, vieldeutige und dogmengeschichtlich vorbelastete Rede von der Weisheit als Hypostase abge44 So jetzt mehrheitlich und mit Herleitung als Pt. pass. q. von !ma (vgl. z.B. GESE, Weisheit, 225; DELL, Proverbs, 143; in Kombination mit »Werkmeisterin« HADLEY, Wisdom, 238; MURPHY, WBC 22, 53; s. zum Ganzen das Referat BAUMANNS, a.a.O., 131ff; GORGES-BRAUNWARTH, Frauenbilder, 242ff), wobei m.E. alternativ auch eine zu V.30a .b parallele temporale Deutung als »beständig« erwägenswert ist (mit PLÖGER, BK 17, 95f u.a.; s.a. nicht-temporal WEEKS, Proverbs 8:30a: »faithfully«); anders jüngst NEHER, Weisheit, 47ff, der !Ama' (< !M'a'): »Werkmeister« auf Jhwh bezieht (so bereits WINTER, Frau, 517ff; MÜLLER, Weisheit, 236 mit Anm. 2; 239f), wogegen m.E. der Duktus von V.30f spricht (mit SCHÄFER, Gottesbilder, 43f). Dass mit der Kleinkindmetapher ein anderes Bildfeld in den Blick kommt, als mit der vorherigen Schöpfungspräsenz, ist richtig, spricht aber nicht gegen diese Deutung. Vielmehr werden bewusst mehrere Metaphern kombiniert, wie V.30f belegt, wo die Weisheit ja vor Gott spielt – und wer spielte eher als ein Kind? 45 Dies gilt auch für die zahlreichen Termini in V.4ff.12ff, die nie als gleichwertige Begriffe auftreten, wie es für hm'k.x' und hn"yBi in Hi 28 zutrifft. 46 S.o. Anm. 3 und zum Vorgang SCHROER, Weisheit, 38ff. So konsensuell von SCOTT, AncB 18, 71, s. 69f über PREUSS, Einführung, 64; WINTER, a.a.O., 510; BAUMANN, Weisheitsgestalt, 282 bis jüngst zu NEHER, Weisheit, 50f, s.a. 17.31.58f.240 (in Abgrenzung gegenüber einer von ihm allzu eng gefassten Hypostase); s. zum metaphorischen Prozess bes. GORGES-BRAUNWARTH, Frauenbilder, 73ff.91ff (Lit.). S.a. weitere Personifizierungen wie ›Schwester‹, ›Mutter‹, ›Geliebte‹, ›Braut‹, ›Gastgeberin‹, ›Lehrerin‹, ›Führerin‹ (s. WINTER, Frau, 508ff; WITTE, Leiden, 206 Anm. 61).

Die personifizierte Weisheit vorweltlichen Ursprungs

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löst 47 und erlaubt eine sachgemäßere Erfassung der metaphorischen (und nicht bloß abbildenden oder figurativen) Sprache. (2) Der Weisheit in Prov 8 wird wie in Hi 28 eine prinzipielle Vorweltlichkeit, d.h. eine »Vorzeitigkeit vor aller Schöpfung«48 zugeschrieben: Sie ist zu Urbeginn als erstes Geschöpf entstanden (V.22f), noch vor der Erschaffung der Welt, wie die altorientalisch verbreiteten Als-noch-nichtFormulierungen in V.24ff plastisch ausführen. Dabei wird nun, über Hi 28 hinaus, das Verhältnis der Weisheit zu Gott und zu der Welt bzw. den Menschen in doppelter Weise präzisiert: Auch die Weisheit ist zwar (wie alles andere) von Jhwh geschaffen, jedoch als ›Anfang seiner Werke‹ und als sein Schoßkind (V.30)49; dementsprechend ist sie beim weiteren Schöpfungswirken – gleichsam als Weltordnungsexpertin – anwesend (v.a. V.27) und steht namentlich zu den Menschen in einem besonderen Verhältnis (V.30f, s.u.). Indem Prov 8 derart die vielfältigen weltlichen Erscheinungsweisen der Weisheit im vorweltlichen Ursprung des ersten Geschöpfs Jhwhs fundiert, wird die protologische Bestimmung der Weisheit gegenüber Hi 28 präzisiert. (3) Dem personifizierten Wesen und der vorweltlichen Entstehung korrespondiert schließlich die mediatorische Funktion der Weisheit (V.30f), in der V.22ff gipfeln: Weil die Weisheit als Erstling bei der Schöpfung der Welt präsent ist und insofern – ohne dass eine Mitschöpfungstätigkeit in den Blick käme (s. 3,19f; Ps 104,24 u.a.) 50 – Weltordnungsexpertin ist (V.27–29), deshalb kann sie, gleichsam die Königsideologie beerbend, als Mittlerin zwischen Gott und Welt bzw. Menschen fungieren51. Die »theo47

Derart ist die forschungsgeschichtliche Einseitigkeit, die die Personifizierung als stilistische Kategorie der Hypostase als religionsgeschichtlicher Kategorie gegenüberstellte (s. dazu V. LIPS, Traditionen, 154; NEHER, a.a.O., 15ff) mit Recht überwunden worden: Auch die poetische Personifizierung gilt es religionsgeschichtlich zu verorten. 48 So JANOWSKI, Weisheit, 15. 49 Trifft diese Deutung zu (s.o. Anm. 44), so wird hier die Relation von Jhwh und Weisheit, die im Proverbienbuch ohnehin am präzisesten ausgedrückt wird, gleichsam auf den Begriff gebracht. 50 So mit Recht etwa MURPHY, Personification, 225; YODER, Wisdom, 6. Gegenüber der nicht aktiv beteiligten Präsenz der Weisheit bei der Schöpfung in V.22ff betonen 3,19f (hm'k.x'B.; hn"Wbt.Bi; AT[.d;B.) ebenso wie Ps 104,24 (hm'k.x'B.; s.a. Jer 10,12; 51,15) instrumental die Weisheit als Schöpfungsprinzip – um den Preis, dass die Personifizierung (noch/wieder) fehlt, weshalb man allenfalls im übertragenen Sinn mit BAUMANN, Weisheitsgestalt, 238 vom »Mit-Handeln der Weisheit mit JHWH« sprechen kann. 51 S. SCHROER, Schlüsselfigur, 198. Die Mittlerfunktion ist seit ihrer ›Entdeckung‹ durch Paul Heinisch 1923 nahezu unbestritten (s. ausführlich BAUMANN, a.a.O., 41ff. 291ff).

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Jhwh und die Weisheit

logische Mitte von Spr.«52 in V.30f formuliert dies in einer doppelten Analogie: Einerseits besteht die Tätigkeit der Weisheit im fröhlichen Spiel (tq,x,f;m.), und zwar lokal vor Jhwh und auch auf der Erde (V30b/V.31a); andererseits »ist« die Weisheit gleichsam wesenhaft – das doppelte hy>, THAT 1 ( 1984) 701–707. 3 DERS., Art. ~lwO[, THAT 2 ( 1984) 228–243. JEREMIAS, J., Theophanie. Die Geschichte einer alttestamentlichen Gattung (WMANT 10), 2., überarb. Aufl., Neukirchen-Vluyn 1977. DERS., Der Prophet Hosea (ATD 24/1), Göttingen 1983. DERS., Der Prophet Amos (ATD 24/2), Göttingen 1995. DERS., Tod und Leben in Am 5,1–17, in DERS., Hosea und Amos. Studien zu den Anfängen des Dodekapropheton (FAT 13), Tübingen 1996, 214–230. DERS., Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung (BThSt 31), 2., erw. Aufl., Neukirchen-Vluyn 1997. DERS., Der Zorn Gottes im Alten Testament. Das biblische Israel zwischen Verwerfung und Erwählung (BThSt 104), Neukirchen-Vluyn 2009. JEREMIAS, J./HARTENSTEIN, F., »JHWH und sein Aschera«. »Offizielle Religion« und »Volksreligion« zur Zeit der klassischen Propheten, in: Religionsgeschichte Israels. Formale und materiale Aspekte (VWGTh 15), hg. von B. Janowski/M. Köckert, Gütersloh 1999, 79–138. JERICKE, D., Die Landnahme im Negev. Protoisraelitische Gruppen im Süden Palästinas. Eine archäologische und exegetische Studie (ADPV 20), Wiesbaden 1997. JONES, S. C., Rumors of Wisdom. Job 28 as Poetry (BZAW 398), Berlin u.a. 2009. DERS.,

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Stellenregister (Auswahl) Die Register sind so eingerichtet, dass Fettdruck auf die wichtigsten Passagen, ein nachgestelltes n auf Anmerkungen verweist.

I. Altes Testament Genesis 1–50 1–11 1 1,1 1,2 1,14ff 1,22–31 1,26ff 1,28 1,31 2-3 2,7 3,6 3,19 4 5 6-9 6,3 6,9–10 6,11–13 6,12–13 6,14–21 6,17 7,15 7,22 9 9,8ff

226n 215n, 218, 230 81, 215, 297 309 297n 43 293 137n 215 81, 215 73, 87n, 122n, 171n, 218, 253n 83n 230 80n 87n 80n, 215 137n, 218 80, 83n, 137n 215 214–217 137n 215 83n, 137n 83n, 137n 83n, 137n 216 137n

9,11 11,10ff 12–50 14,18 14,19 15,15 16,14 17 19,15ff 22,18 25,8 25,9 25,17 26,4 27 27,7 27,33 32 32,23ff 35,29 37–50 41,8 41,39 47,30 49 49,29.33

216 80n 230 57n 162n 79n, 106n 81 216 56n 171n 79n, 106n 106n 79n 171n 79n, 161, 189 162n 162n 189 56n 79n, 106n 253m 288n 288n 79n, 106n 161 79n

Exodus 1ff

230

356 3,14 15,21 19ff 20,5 20,12 31,3 35,25

Stellenregister 4, 296 30n 26, 230 91n 83n 288n 288n

Levitikus 14,21 19,31 20,6 20,27

186n 104 104 104

Numeri 1–36 6,24–26 6,25 6,25–26 20,28–29 21,14–15 23,10 27,13

301n 112 158n 112n 129n 30n 79n 79n

Deuteronomium 1–34 4,6 4,19–20 4,19 5,26 7,14 17,2 17,3 18,10–12 26,14 27,16–26 28,3ff 30,15 30,19 32,8–9 32,39 32,50 33 33,2–5

301n 302n 60 69 84n 162n 69 60 104 108n 177 76n, 161, 162n 76n 76n 31n, 97n 84n, 91n 79n 12, 22–24, 50 11, 50n

33,2 33,3 33,6 33,24 33,26ff 33,26 34 34,6ff

11, 23, 28, 30–31, 50– 51, 56n, 67 30 77n 162n 30, 50n 30 184n 129n

Josua 1–24 1 3,10 10,1 10,3 10,12ff 10,12–13 23,14

230 184n 84n 57n 57n 56n 44 79n

Richter 1–21 2,10 5 5,4–5 5,4 5,5 5,6ff 5,12 5,13 5,18 5,19–21 5,22 5,24–28 5,29–30 5,31 8,32 19,14ff

230 79n 12, 22–24, 50 11, 24–30, 38 23, 30 23, 25, 31 30 24 24–25 24 24 24 24 24 25 79n 56n

Rut 1–4 2,20 3,10

253n 162n 162n

357

Stellenregister 1 Samuel 1–31 2,6 2,31–32 16 17,26 17,36 28,14

230 84n, 85n, 91n 91n 43 84n 84n 107n

2 Samuel 1–24 12,15ff 14,14 21,12–14 22 22,5 28

230 91n 80 79 97n 96n 104

1 Könige 1–11 2,2 2,6 2,10 7,14 7,23ff 8,12–13 8,12–13LXX 8,53LXX 11 12ff 12,28 13,21–22 17,17ff

230 79n, 80n 79n 79n 288n 52 44–45 46n 41n, 44–47, 51, 67 43 230 52 79n 90n

20,11 21 22–23 22,20 23–25 23,11–12

44 230 230 106n 230 37, 59, 69

1 Chronik 1–29 16 16,34–36 16,36 22,15 23,1 29,10 29,28

202n 175–176 175 168–169 288n 79n 188n 79n

2 Chronik 1–36 24,15 29,14

202n 79n 81

Esra 1–10 4,8–9 4,17 4,23

202n, 230 47 47 47

Nehemia 1–13

202n, 230

Ester 1–10

253n, 268

2 Könige 1–25 4,18ff 5,7 9–20 13,20–21 18–20 19,4 19,16 20

226n 90n 84n, 91n 253n 90n 230 84n 84n 135

Hiob 1,1–2,13 1,1 1,3 1,6ff 1,7–12 1,8–9 1,21–22 1,21

192, 260, 267, 271, 284 256, 272 256 271n 260 272 260, 271 269

358 2,1–7 2,3 2,4 2,7–10 2,9–10 2,10 2,11–13 3–42 3–27 3,4 3,11ff 3,20ff 3,20 4,7–9 4,7 5,3–7 5,26 6,8–10 7,7 7,16 7,20 8 8,3 8,5–6 8,7 8,8–10 8,13–14 9,4ff 9,7 9,21–22 9,24 10,18 10,22 12,6 13,24ff 14,1–2 14,5 14,20 16,7ff 16,19 19,8ff 19,21 19,25 21–22 22,5ff 22,15–16

Stellenregister 260, 271n 272 124 260 271 269 260 255, 267 271n 50n 90n 90n 61 91n, 262–263 260 263 79n 90n 120n 120n 268 261 261n 261n 261n 262 261n 261 44 261–262, 264 261, 267 90n 50n 261 115n 80n, 120n 120n 120n 115n 268 115n 269 268 260n 261n 91n, 101n

23,11ff 23,14 25,4 26–27 27,1ff 27,5 28

28,1–27 28,1–6 28,1–2 28,7–11 28,7–8 28,9–15 28,10 28,12–22 28,12–14 28,12 28,13 28,14 28,15–19 28,20–28 28,20–22 28,20 28,21–22 28,23–28 28,23 28,24 28,25–26 28,25 28,27 28,28 29–31 29,1ff 30,19 30,23 31 31,5–6 32ff 33,4 34,14–15 36,14 37,15 38ff 38,1–42,6

261n 269 261n 261n 291 261n 251, 279, 281, 285– 291, 294–297, 305– 307, 311 291n 287 286 287 287 286 287 287-288 287, 291 287 287 287 287 286 287, 291 287–288 287 287–288 288 289n 289–290 288 288–290 287–288, 291, 301 90n, 271n 291 90n 90n 91n 261 260n 83n 83n, 137n 91n, 101n 50n 267, 291n 271

Stellenregister 38,1 40,1 40,3 40,6 42,1 42,7–17 42,7–9 42,7 42,11ff 42,17

269 269 269 269 269 192, 260, 267, 271, 284 260 261 260n, 271 79n

Psalmen 1–2 1 1,1 1,2–3 2-106 2–100 2–89 2 2,2 2,5–6 2,8 2,10–12 2,12 3–14 3–41 3 3,9 4,6 4,7 6,6 9,14 12–14 12,2 12,6 12,9 13 13,2 13,3 13,4 13,5 13,6

166, 180, 193 184n 169n 302n 177, 179, 181–182, 186n, 191 173n, 180 63n, 118, 172–173, 178–179, 192 166, 180n 173n 173n 173n 180 169n 98n, 179 179–180 182 176 57n 61 84n, 116n 102n 98 98n 98n 98n 99, 101, 115, 142, 147 98, 100, 102 98 97–98, 100 98 98

16,2 17,1 18 18,4–7 18,5–6 18,8–16 18,17–18 19 19,5ff 19,7 19,8ff 22 22,2 22,16 22,30 23 25–34 27,1 27,9 30 30,1 30,2–6 30,3 30,4 30,5–11 30,7–13 30,8 30,10 30,12–13 30,12 30,10 31,17 33,19 34,16–17 36,10 37 37,2ff 37,6 37,25 38,2 38,22 39 39,2–4

359 124 57n 11, 99, 101, 142, 147 96–97 85n, 96–98, 100, 102, 114 97 97 60, 301n 43 68 302n 127, 143, 147 115n 91n, 115n 116n 61n 99n 61 115n 97, 98–101, 115, 142, 147 99n 99–100 99 100 99n 99 100, 102 100, 116n 99n 99n 84n 61 102n 115n 61, 82 163n 263n 61 263 115n 115n 119–121, 122, 135, 142, 147, 255n 120

360 39,5–7 39,6 39,8–11 39,9 39,10–11 39,12 39,13–14 40,5 41 41,2 41,13 41,14 42–83 42,3 43,2 44 44,10ff 49 49,6ff 49,13ff 49,13 49,15–16 49,15 49,16 49,21 50–83 50 50,2 51–72 51,13 56,14 59,6 60,3ff 60,12 61–64 62,10 63 63,3 63,4 65–68 66,8 66,20 67,2 68

Stellenregister 120n 120 120 120 120 120 120 169n 168n 169n 178 166–184, 186n, 190 171n, 179n, 181 84n 115n 122 115n 91n, 119, 122, 127– 128, 139, 143, 147 263n 138 120n, 84n, 128n, 129n 85n, 96n, 128 128 120n 181 61 50n 179n, 181 115n 102n 171n 115n 115n 123 120n 75, 89n, 123–126, 127, 139, 142–144, 147 123 91, 123, 125 172n 188 188 61 12, 22–24, 50

68,1–9 68,3–4 68,5 68,8–9 68,9 68,10 68,11ff 68,15 68,15–18 68,20 68,34–36 68,36 69,16 71,9ff 71,17 72 72,1–2 72,5 72,8–11 72,15 72,17 72,18–20 72,18–19 72,20 73–89 73–83 73 73,3ff 73,16ff 73,21ff 73,22–26 73,24ff 73,25 73,26 74 74,1 74,16 79–80 79,5ff 80,2 80,4 80,5ff 80,5 80,8

11 30 30 24 23, 30–31 30 30 30 30–31 188 11 188 134 115n 172n 36, 54, 59, 62, 68, 166, 168n, 169, 186, 192 59 59 171 171, 186n 59, 171, 178, 186n 181n 166–184, 186n, 190 179, 181–182 173n 181 91n, 118, 127–129, 139, 143, 147 263n 263n 138 128n 84n, 128, 129n 129n 124 122 115n 43 122 115n 50n 61 115n 171n 61

362 112,4 113,3ff 115,17 116,3ff 116,3 118,26 119,12 119,97ff 129,8 136,7ff 139,7–8 144,1 144,4 145 145,1–2 145,21 146–150 148,3ff 150 150,6 154,3–19 154,5–6 154,12ff 154,13-14

Stellenregister 65n 61 84n, 116n 102n 85n, 96n 162n 188n 302n 162n 43 111n 188 120n 166, 182–184 183 183 166, 177, 182, 193 43 183n 183n 308 308 308 308

Proverbien 1–31 1–9

1,1–7 1,2–6 1,20–33 1,20 3 3,2 3,5–12 3,13–20 3,14–15 3,16–17 3,19–20 4,18 6,20 7,6ff

274 82, 84, 256–257, 265, 273n, 279, 282–284, 288, 291n, 292, 296, 298, 306 83 84 292, 298n, 311 279 82–86, 142–144, 147 82–83, 86, 124 83 82n 83 82–83, 86, 100n, 124 295 65n 61 260n

7,23ff 8–9 8 8,1–3 8,2ff 8,2 8,3 8,4–11 8,4 8,5–6 8,12–21 8,18 8,22–31 8,22–26 8,22–23 8,22 8,23 8,24–26 8,24–25 8,26–29 8,27–31 8,27–29 8,27 8,29 8,30–31 8,32–36 8,34 9,1 9,11 9,13 10–29 10–22 10,27 12,7 12,21 13,9 13,14 15,11 15,16 15,17 15,24 16,1ff 16,8 16,9

280 292, 311 279, 288, 291, 292– 298, 300–304, 307, 312 292 304 279 279 292, 294 279 279 292, 294 86n 251, 291n, 292–298, 311 293–294 293, 295, 300n, 303 293, 294, 300n, 309 294, 300n 293, 295 294 293 293 293, 295 295 298n 293–296, 311 292, 296 279 279, 311 279 306 255 258 83n 260 260 65n 85n, 96n 111n 124n 124n 100n 258 124n 258

363

Stellenregister 16,15 19,21 20,24 21,21 21,30–31 22,4 24,16 24,30–34 26,27 29,1

61 258 258 83n 258 86n 262n 263 260 141n

8,17 9,2–3 9,4–5 9,4 9,9 11,5 11,9 12,1 12,7 12,13 12,14

270 264n 137n 124n 269 270 270n 269 138n, 269 272n 270n

Qohelet 1,13 2,3 3 3,2 3,11 3,13 3,14 3,16–22 3,16 3,17 3,18–19 3,18 3,19–20 3,19 3,21 3,22 5,1 5,6 6,10 7,4–5 7,13 7,15ff 7,15 7,16ff 7,17 7,18 7,23ff 7,29 8,2–4 8,10–15 8,12–14 8,12–13 8,15

266 120n 143, 147 79n 269–270, 277n 139 269–270, 272-273 91n, 136–140 138 137, 270n 138 137 137 136–138 136–138 139 267 272n 261 264n 270 273 265 265 91n 272n, 273 265n 269 261 264 264–265 272n 269

Canticum 1–8

274

Jesaja 1 1,26 5,26–29 6,1–8,18 6,1 6,3 6,9–10 7 7,1 7,16–17 7,18 8 8,1–8 8,1–4 8,1 8,2 8,5–8 8,5 8,6 8,11 8,19 10,5–9 11 24–27 25 25,8 26,19 28,21 30,26

217–218 57n 210n 207 265 186n 209 209 209n 210 210 213–214, 219, 233 207–211 209 208 208n 209–210 208 208n, 209 208 104 210n 218, 230 204n 143, 147 134, 141–142 130–131 2 62n, 66n

364 33–35 37,4 37,17 38 38,8 38,9–20 38,10 38,15 38,17 38,18 40–55 42,6 45 45,6–7 45,15 46,4 49,6 51,1 53 58 58,8 60 60,1–3 60,19–20 61,3 65–66 65,13ff 65,17 65,18ff 65,20ff 66 66,22

Stellenregister 204n 84n 84n 134–136, 142, 147 44 135 135 135 135 116n 245, 284 58n 196, 217n 91n 2 4 58n 57n 129 59n 66n 67, 240 61–62 37, 62, 66–67, 69–70 57n 204n, 211, 217–219, 230, 233 217 217–219, 227 218 80n 217 217, 227

17,12ff 18,18ff 20,7ff 20,14ff 22,24–26 22,24 23,6 23,36 31,35 33,16 51,13 51,15 52,21

90n 90n 90n 90n 241, 243 241 57n 84n 43, 58n 57n 215n 295n 120

Threni 3,6 3,42–43 3,55ff 4,18

91n, 115n 115n 102n 215n

Ezechiel 7,2 7,6 8,15 8,16ff 8,16 8,17 18,31 27,9 33,11 37

215–216 215 60 37, 69 60 60 91n 288n 91n 130

Daniel Jeremia 4,5–8 8,2 9,16 9,20 10,9 10,10 10,12 11,18ff 12,1ff 15,10ff

210n 60, 69 288 85n, 96n 288n 84n 295n 90n 90n 90n

1–12 6,21 6,27 7–8 9–12 11,45 12 12,2f

204, 219n 84n 84n 219n 219n 215n 129–132, 133, 143, 147 130–131

Hosea 2,1

84n

365

Stellenregister 4ff 5,15 6 6,1–3 6,1–2 6,2 6,3–4 6,3 6,5 13,14

57 55 68 55 55, 84n 57n 37, 57n 55–57 55–57, 59 85n, 96n

Habakuk

237n 241n 237n

Zephanja

Joel 2,10 4,12ff 4,16 Amos 3–6 5,4–6 5,14–15 7,1–3 7,1 7,3 7,4–6 7,4 7,6 7,7–8 7,8 7,10–17 8,1–2 8,1 8,2 9,1–4 9,1 9,2

212n, 213n 84n 84n 211 265 213 211 265 213 211, 214 212–213 213n 211–214, 219, 233 265n 215 212 212, 265 111n

Jona 1–4 2,4ff 2,5 2,7

253n 91n 115n 102n

2,5 3 3,3 3,3–4 3,4 3,5ff 3,6 3,9–10 3,10 3,11

3 3,1–5 3,1–2 3,3–4 3,5 3,8

85n, 96n 12, 22–24, 50 23, 28, 30–31, 50–51 67 30, 50–51 30 30 30 30 30

68 57n 58 58 57–59 57n

Haggai 1,1 1,2–11 1,12–13 1,14–15 1,15 2,1–9 2,3–5 2,3 2,4–5 2,5 2,6–9 2,10 2,11–19 2,15 2,17 2,18 2,19 2,20–23 2,23

246 242 242 245 236, 246 236, 239n, 241 242 243 236 242 198, 235–248 237n, 246 242 245 242 245 244–246 198, 235–248 244, 246

Sacharja Micha 1,4

49n

1–8 1–6

244 219n

366 1,7ff 3,8–10 4,6–10 6,1ff 6,9–15

Stellenregister 243 243n 243n 243n 243n

Maleachi 3 3,6a 3,17 3,19 3,20

184n 4 65 65 37, 65, 67–69

II. Apokryphen und Pseudepigraphen 2 Makkabäer 7

130

4 Esra 5,9–10 7,50 11,1–12,34

305n, 306n 232 228n

Baruch 3–4 3,9–4,4 3,15ff 3,37–38 3,37 3,38 4,1

307n 307 288, 307 307 307 307n 307

syr. Baruch (ApcBar[syr.]) 3,5 14,1 14,13 15,7–8 20,6 30,3 40,3 42,6 44,9 44,12 44,15 48,2 48,36 48,38 48,50 51,8 51,10 51,14 53

228 231n 231n 231n 231n 228 228 231n 231n 231n 231n 231n 305n, 306n 231n 231n 231n 231n 231n 228–232

53,1–2 53,1 53,3–7 53,7 53,8–11 55–56 56–74 56,1 56,2–4 56,2 56,5–68,8 56,5ff 57,2 59,7 59,9 59,11 67 68 69–71 69,1 70–71 71,2 72–74 72–73 72 73–74 74,2 81,4 83,7–8 85,10

230 229 230 229 230 229 228–232 230 230 229, 231n 230 229–230 231n 306n 231n 231n 229 229 230 229 229 229–230 229–230 228n 229 229 228–230 231n 231n 231n

äth. Henoch (1ApcHen) 1 1,1–2 5,8 6–36 22 22,1–4 22,13

204, 220 312 306n 204 129–132, 143, 147 131, 227n 131

Stellenregister 80,19ff 80,20 82 82,6 84ff 84 84,3 84,7 84,9–10 84,9 84,11–13 84,12 84,17ff 84,20 84,21 85,11 86,13 88

88,2–10 88,2–3 88,4–6 88,6 88,7ff 88,10–13 88,10 88,11ff 88,12f 88,14–19 88,14 88,15–19 88,15 88,16 89 89,22–26 89,28 89,37 89,39ff 89,39 89,47ff 89,48–49 89,49 89,53

115n 61, 171n 97n, 171n 31 118 62, 65 84n 192n 62n 171n 62n 63, 67, 171n 66 66 58n 283 102n 113–119, 120, 127, 129, 135, 142, 144, 147, 191n 114 117 114 116 92n, 115 114–115 117 84n, 116, 118 116 114 117 115 117 114 166, 168n, 169, 188, 191 173n 173n 174 172 191 191 120n 80n 166–184, 186n, 190, 192

90

90,1–2 90,2 90,3ff 90,7–9 90,8–9 90,10 90,13ff 90,13–14 91,16 92,15 93–100 94,1 94,11 96 96,2 97,5 97,11 100,4 101–106 102 102,11 102,24 102,25 103,1–2 103,4 103,15–16 103,22 104,1 104,19ff 104,24 104,27ff 104,29–30 104,35 105 106 106,1 106,4–5 106,40ff 106,45 106,46–48 106,47–48 106,48 107

361 119, 121–122, 135, 142, 147, 182, 191n, 255n 121 169n 80n, 121–122 121–122 91n 80 121–122 169 79n 79n 166 50n 120n 175 188 49n 65n 188 181n 134–136, 142, 147 135 115n, 135 135 188 102n 120n 188 188 43 295, 297 83n 137n 188 175 168n, 187, 190, 192 175 176 176 169n 175 176 166–184, 190 177

367

Stellenregister 37–71 41–43 41,3 41,9 42 42,1–3 42,2 42,3 46,2ff 72–82 83–91 90,33 91,10 91,11–19 91,11–17 91,15–16 91,17 91,18–19 92–105 92,3 93,1–10 93,1–3 93,3–10 93,8 93,10 94,5 103–104 104,1–2 104,12

304 304 304n 304n 251, 279, 288, 304– 306, 311 304–305 305 304n 304n 204 220 131n 227n, 305n, 306n 222–224 221, 224 227 227n 224–225 221 227n 221-222 224–225 224 306n 305n 305n, 306n 227n 227n 306n

Jesus Sirach 1–51 1 1,1 1,5 1,6 1,9–10 1,26–27 6,37 14,12ff 15,1 17,1–2 17,27–28 18,9 19,20 21,11 23,27

256–257, 266n, 273– 274, 280 298 301 301n 301 301 301n 301n 140n 301n 140n 116n 80n 301n 301n 301n

24

24,3ff 33,2–3 34,8 38,34–39,11 39,10 40,11 41 41,2 41,3–4 42,21 44–50 45,5 48,20–25 51,9ff

251, 279, 283, 288, 298–304, 305–307, 310–312 283n, 303 301n 301n 301n 302n 138n 143, 147 90n 140–141 300n 298 301n 218–219 102n

Sapientia Salomonis 1–19 1,1–10 1,4–5 1,13ff 2,23 3-5 3,4 4,7–9 6,18–19 7 7,1–14 7,15–8,1 7,22–8,1 7,22 7,29–30 8,6 8,17 9 9,6 9,9 9,10 10,1–11,1 10,10 10,11ff 15,3

256–257, 266n, 273– 274, 280 307 307 141n 141n 142 141n 141–142, 147 141n 283 307 307 283n 307, 310n 62n 310n 141n 307 307 307 307 307 307 307 141n

Tobit 6,18

300n

368

Stellenregister

III. Neues Testament Römer

Matthäus 10,39 11,19 23,34–36

130n 308n 308n

8,3 8,38–39

309n 145

2 Korinther Lukas 7,35 11,49–50

4,4 308n 308n

1–12 1 1,1–18 1,1–3 1,2 1,3 1,4–5 1,6–8 1,9 1,10ff 1,10–11 1,12–13 1,14 1,15 1,16 1,17–18 1,17 1,18

Galater 4,4

Johannes 310 251, 279-280 308-311, 312 308–309 310 310 310 308n 310 310 310 308n 308-310 308n 310 308n 310 309

309n

309n

Philipper 1,19ff 2,6

130n 309n

Kolosser 1,15–20 1,15–16

309n 310n

Hebräer 1,2–3

309n

Offenbarung 1,1

200

IV. Qumran 1QIsa

208n

4QSapiential Work 308

1QLiturgical Text 168n

11QPsa

4QDtnj

31

Kol. 18, Z. 1–16 308

4QEng

221

Kol. 1, Z. 5

CD 10,15

4QPsd 177n

168n, 308n

64n

369

Stellenregister

V. Altisraelitische und altorientalische Primärquellen irbet Bet Layy

Ahiqar 9,14 (# 187) 9,16 (#189) 10,1 (# 79)

283n 283n 283n

Amara West, Liste Ramses’ II. 45 83–91 92–98 92

16n, 21 16n 14–16 23

Amarnabriefe (EA) allg. 149,6–7

39 41

Anastasi, Papyrus 6,54–55

17, 19

Arad 16,2–3 21,2–3 21,5 40,3

162n 162n 81n 162n

babylonische Theodizee allg.

255n

En Gedi 3

187n

Ešmun azar Z. 2–3 Z. 12–13

90n 90n

Gilgameš 1,7f 3,1ff 7 10 11,282

74n 73n 80n 74n 73n

Harris, Papyrus 76,9–10

19

2

153

irbet el-Qom 3

110–111, 112, 142– 144, 147, 155–157

Isis-Aretalogien allg.

283, 297, 303-304

Karnak, Liste Sethos’ I. Z. 11–15

19f

Ketef Hinnom 1–2 1,12ff 2,8–9

111-113, 142-144, 147, 157–160 55n 55n

Kuntillet A rud 6 6,1 6,2 7 7,1 8–10 8 8,1–2 8,2 9 9,4–6 9,5 9,6ff 9,6–7 9,10 9,11 10,1 10,1–2

78-79 162n 23, 29n 187n 48n 152–155, 162n 154, 156n 112n, 153 29n 153–153, 156n 112n 23, 29n 159 158n 153-154 153 23, 29n, 112n 153

Lachisch 1.3,9 1.6,12 1.12,3 3,6–7 6,5–7

81n 81n 81n 101n 101n

370

Stellenregister

Ludlul bl nmeqi

Soleb, Liste Amenophis’ III.

allg.

II 69 IV N 4 

255n

14f 14–16

Der Mensch und sein Gott allg.

255n

Tell Dan Z.9

43n

Meša Z. 31

43n

Ugarit (KTU) Beschwörung (1.23, Z.61ff) 40

Sargtexte Spruch 80

303n

Wenamun 2,19

41

VI. Antike Autoren Aristobul Frg. 5

Philo 301n

Josephus Bell. 6

Spec. Leg. 1,81 310n Plutarch

202n

Consolatio ad Apollonium 142n

Wortregister (Auswahl) I. Hebräisch rWa/rAa

tyrxa !Ama') !ma* tm,ae %n"a]) @sa yrev.a;

47, 49, 50n, 56, 58, 59n, 61–62, 66n, 67, 110 219 293–294 175, 190–191, 294n 283 213 106n 169, 292

tAaB' awb hn"yBi ~yhwla ynb arb %rb

217n 106n 287, 289, 294n 31 269 78, 110, 150–153, 156, 158, 168, 169n, 170– 171, 180n, 183n, 185– 188, 191-193

laeGO

268

rb'D': !yD %r,D,

195n 59 195n

lb,he lk;yhe %ph

120 60 239

rhz xrz

131 48–50, 62, 67

!ymX ywzx

224–225

yx*

ql,xe sm'x' dsx rqx sr,xe

76n, 77, 81, 84, 86n, 114, 137n 294 83n, 249, 280, 289, 294n, 295n, 297n 136, 139, 141 215 122–125, 143, 283 288 40

hdy [dy [py acy xerey laer'f.yI bvy

116 46, 116, 288 50 56 62 7 2, 45

dAbK' !wk hlk hmk

2n, 61–63, 171, 174, 186n, 237–238 46, 288 122 123

ble xql twm*

279 128 76n, 77, 114, 134

alm hf,[]m; hZ