In Freiheit glauben: Historisches zu Gott und Kirche 9783205790686, 9783205794769


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In Freiheit glauben: Historisches zu Gott und Kirche
 9783205790686, 9783205794769

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Karl Brunner

In Freiheit glauben Historisches zu Gott und Kirche

2013 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR



Gedruckt mit Unterstützung durch die Kulturabteilung der Stadt Wien – MA 7

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung nach © Bibliothèque nationale de France, Paris, man. lat. 6734 fol. 3v, 2. Drittel 12. Jahrhundert, daraus auch die Ausschnitte auf S. 7, 15, 45, 127 und S. 173. © 2013 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG,Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, 1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung:Tanja Forster Satz: Bettina Waringer Druck und Bindung: UAB BALTO print Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier ISBN 978-3-205-79476-9



Inhalt

VORWORT . . . . . . . . . . . . 7 SO EINFACH – IN DER THEORIE . . . . Warum Gott ist . . . . . . . . . . Sinn . . . . . . . . . . . . Freiheit . . . . . . . . . . . . Wie Gott ist . . . . . . . . . . . Liebe . . . . . . . . . . . . Trinität . . . . . . . . . . . . Gott als Schöpfer . . . . . . . . . . Dämonisches Zwischenspiel . . . . . . Gottes erste Offenbarung . . . . . . . . Wunder . . . . . . . . . . . Menschen als Ebenbild . . . . . . . . Eva und Maria . . . . . . . . . . Geschichten und Geschichte . . . . . . .

15 15 16 17 18 19 21 23 24 25 28 32 35 39

GAR NICHT EINFACH – IN DER PRAXIS . Begriffe . . . . . . . . . . . . Religion . . . . . . . . . . . Kirche . . . . . . . . . . . . Konfession . . . . . . . . . . . Einrichtungen . . . . . . . . . . . Gemeinde . . . . . . . . . . . Gebäude . . . . . . . . . . . Klöster . . . . . . . . . . . .

45 45 46 47 51 57 58 61 66

5

Inhalt

Jahreskreis . . . . . . . . . . . . 70 Advent und Weihnachten . . . . . . . 76 Osterkreis . . . . . . . . . . . 81 Marienfeste . . . . . . . . . . 85 Verkündigung . . . . . . . . . . 85 Heimsuchung . . . . . . . . . . 89 Himmelfahrt . . . . . . . . . . . 91 Geburt . . . . . . . . . . . . 93 Pfingsten . . . . . . . . . . . 95 Allerheiligen – Allerseelen . . . . . . . 96 Heiligenfeste . . . . . . . . . . 98 Lebenszyklus . . . . . . . . . . 101 Taufe und Firmung . . . . . . . . 101 Hochzeit . . . . . . . . . . . 103 Leiden, Tod und Begräbnis . . . . . . 107 Caritas . . . . . . . . . . . . 109 fremd und anders . . . . . . . . 112 alt . . . . . . . . . . . . 115 Umgang mit einer Kirche . . . . . . . 117 Warum katholisch? . . . . . . . . 121

AM ENDE IST ALLES WIEDER EINFACH .

127

GLOSSAR . . . . . . . . . . .

131

REGISTER . . . . . . . . . . .

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Vorwort In diesem Buch geht es mir darum, als Historiker einige­ grundlegende Fragen neu zu stellen und in zeitgemäßer Sprache dazu Stellung zu nehmen:Wie bleibt man glaubwürdig? Wie vermittelt man die Bilder, die uns von den Heiligen Schriften und der reichen Tradition vorgestellt werden? Wie bewahrt man die grundlegenden Werte? Ich bin kein Theologe und habe mich von meinem Philosophiestudium der konkreteren Historie zugewandt, genauer der Geschichte des Mittelalters. Meine Kompetenz für die hier infrage kommenden Themen reicht von den Kirchenvätern bis etwa zu Nikolaus von Kues. Das ist die Zeit, in der Europa, wie wir es kennen, entstand. Das Mittelalter ist zudem das „eigene Fremde“: Einerseits ist es Bestandteil unserer Geschichte, andererseits ist das Denken des Mittelalters – vor allem in seinem ganzheitlichen Zugang – für einen modernen Intellekt nicht ganz leicht zu erfassen. Gerade dieses „Andere“ als Element der eigenen Kultur kann anregende Denkanstöße in vielen heute brennenden Fragen geben. Auch die Ökologie 7

Vorwort

z. B. muss oft weit bis zu den Anfängen unserer Weltgestaltung zurückgreifen, um an die Wurzeln der gegenwärtigen Zustände zu gelangen. In der Theologie rief die Rückbesinnung auf die Gedanken der Väter immer wieder neue Ideen hervor. Jede spirituelle Erneuerung in der europäischen Kirchen­ geschichte begann damit, dass man Augustinus wieder neu las, jede Dogmatik ging von Thomas von Aquin aus. Hildegard von Bingen und Nikolaus Kusanus haben Denkformen eröffnet, die in der heutigen Medizin und den Naturwissenschaften noch nachwirken. So gesehen kann das Handwerkszeug eines Mediävisten für diese Erörterungen nützlich sein, auch wenn es in diesem Text nicht im Vordergrund stehen soll. Sozialisiert wurde ich in einer gemäßigt katholischen Umgebung. Aus der Verwandtschaft und dem für mich prägenden Studium beim Philosophen Erich Heintel an der Universität Wien habe ich bedeutsames protestantisches Gedankengut mitbekommen. Wichtig für mich sind Initiativen wie die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ des lutherischen Weltbundes und der katholischen Kirche. Auch die Differenzen in der Sakramentenlehre lassen sich meiner Meinung nach überbrücken. Gläubige Juden sind für mich so etwas wie ältere Brüder und Schwestern mit gemeinsamen Wurzeln, und ich hatte das große Glück, Menschen aus diesem Zweig der „Familie“ kennen und schätzen zu lernen. Es gibt nur einen Gott, wie es im Islam heißt, aber er spricht zu den Menschen in verschiedenen Sprachen. Das ist aus dem Bericht über das Pfingstwunder (Apg 2, 6) vertraut. In Bezug auf die anderen Religionen halte ich es mit dem Zweiten Vaticanum (Nostra aetate, vgl. Lumen Genti8

Vorwort

um Art. 8), wo festgehalten wurde, die Kirche lehne „nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.“ Jedenfalls aber wird „jeder Theorie oder Praxis das Fundament entzogen, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk bezüglich der Menschenwürde und der daraus fließenden Rechte einen Unterschied macht“ (Nostra aetate Art. 2 und 5). Ich schrieb diesen Text in einer Zeit der Krisen für fast alle Kirchen. Das gab den Anlass für die Verwirklichung eines lang gehegten Planes, mich einmal aus der Perspektive des Historikers und mit diesem Wissen grundsätzlich mit den Themen Gott und Kirche auseinanderzusetzen. Das Wort „Krise“ kommt aus dem Griechischen, von κρίνειν (krínein) = entscheiden. Heute nehmen viele Menschen Anstoß an Missständen und entscheiden sich, ihre Kirche zu verlassen. Kommen Skandale ans Licht, sollte das jedoch eigentlich keine Aus-, sondern eine Eintrittswelle hervorrufen: Denn nicht die Aufdeckung des Übels ist der Skandal, sondern das Übel war es; und es ist erfreulich, dass das endlich erkannt wird. Das Übel aber war und ist keine spezielle Eigenart der Kirchenleute, sondern wuchs aus dem Menschenbild jener unguten, noch gar nicht so alten Zeit, nach der sich unverständlicherweise noch immer Menschen zurücksehnen. Es ist immerhin erfreulich, dass man von den Kirchen mehr Sauberkeit erhofft. Schlimmer wären Zeiten, in denen das Salz des Glaubens schal wird (Mt 5, 13) und die Amtsträger ihrer Macht sicher wären. 9

Vorwort

Die Perversion, um die es diesmal geht, ist nur die andere Seite der sogenannten Normalität. Ihre Ursachen sind noch längst nicht aufgearbeitet. Zugrunde liegt unter anderem eine Pädagogik, die „Erziehung“ beim Wort nimmt. Jeder Gärtner weiß, dass eine Pflanze nicht schneller wächst, wenn man an ihr zieht, sondern dass man sie auf diese Weise ausreißt. Statt jungen Menschen Raum zur Entfaltung zu geben, üben „Erzieher“ Dressur, schlimmstenfalls „altersgemäß“; damit wird Gewalt gegenüber Kindern „wissenschaftlich“ gerechtfertigt. Wir begehen aus Überzeugung Diebstahl am Leben junger Menschen.Wir sagen ständig „noch nicht“, statt ihnen Freude an ihrer Gegenwart zu vermitteln; „wenn du einmal groß bist, dann …“. Lebt eine Raupe nur, um irgendwann für kurze Zeit Schmetterling zu sein? Nur zu rasch kommen dann die Tage, in denen es heißt, „nicht mehr …“ (vgl. Joh 21, 18). Gewalt nährt sich an der Verzweiflung, einer zugeschriebenen Rolle nicht gerecht zu werden. Das gilt für Täter wie für Opfer. Sexualität und ihre Unterdrückung werden besonders häufig als Mittel zur Macht gebraucht. Der Missbrauch ist nur die Kehrseite einer Medaille, die legitimiert, Menschen unter dem Aspekt ihres Nutzens, des Gebrauchs, zu beurteilen. Menschen zu gebrauchen kann so schändlich sein, wie sie zu missbrauchen. Mit Religion hat das wenig zu tun. Die meisten Gebote, die heute als einschränkend empfunden werden, waren ursprünglich zum Schutz des Lebens bestimmt. Das Verbot, bestimmte Tiere zu essen (z. B. Schwein, Lev 11, 7 und Koran 2, 173), und das Gebot, sie so zu schlachten, dass sie ausbluten (schächten, Dt 12, 21) – im Judentum und im Islam –, hatten ökologische und medizinische Hintergründe. Die biblischen 10

 Vorwort

Reinheitsgebote schützten Frauen während der Menstruation und nach der Geburt (Lev 15, 19; Lev 12). Die Regeln sind für die Menschen da, nicht die Menschen für die Regeln (vgl. Mt 15 und Mk 2, 27). Im Apostelkonzil (zwischen 44 und 49) wurden das Beschneidungsgebot und andere Vorschriften für Nichtjuden aufgehoben (Apg 15; Gal 2, 1–10). Ist das nicht auch ein Muster? Warum sollte es jetzt anstößig sein, die Ausübung der Gebote den Zeitumständen anzupassen? Damit soll am Gesetz kein Jota geändert werden (Mt 5, 17f.). Wahrhaft Konservative müssen weiter ausgreifen als bis zu den Gewohnheiten von gestern. Sie müssen mit der Tradition so lebendig umgehen, wie es die Apostel taten. Aggiornamento (Johannes XXIII.), das „auf den heutigen Stand bringen“, bedeutet nicht Abkehr vom Erbe, sondern Zuwendung. An einigen Beispielen kann das unschwer verdeutlicht werden. Jahrtausendelang starb eine Mehrzahl der Kinder noch in frühem Alter. Zugleich waren es die Kinder, die alten Menschen und der jeweiligen Gemeinschaft das Weiterleben sicherten. Dem trugen die Gebote im Zusammenhang mit der Reproduktion Rechnung. Heute müssen nicht mehr so viele Kinder geboren werden und es wird zunehmend weniger verantwortbar, den Planeten Erde mit Menschen zu überfüllen. Die Fragen der „Moral“ sind komplexer, als es sich manche kirchliche Würdenträger vorstellen. Erst 1828 hat Karl Ernst Baer die Bedeutung des weib­ lichen Eis bei Säugetieren entdeckt. Bis dahin wurde der Beitrag der Frauen an der Menschwerdung unter der Metapher der Saat gesehen: Der entscheidende Beitrag kam scheinbar durch den Samen des Mannes. Die Rolle der Frauen schien der des passiven Ackers zu ähneln. Diese medizinische Er11

Vorwort

kenntnis hätte auf allen Ebenen des Zusammenlebens einen grundlegenden Paradigmenwechsel herbeiführen müssen. Sind doch damit die Geschlechterrollen neu zu definieren; übrigens auch der körperliche Beitrag Mariens bei der Menschwerdung Christi. Sie ist – ganz im Sinne der uralten Dogmatik von der Gottesgebärerin (Θεοτόκος, theotókos) – nicht nur das Gefäß des Geistes, sondern Mitschöpferin des Erlösers. Nach fast 200 Jahren werden die Auswirkungen auf die Bilder vom Verhältnis zwischen Mann und Frau immer noch nicht hinreichend bedacht. Menschen können glücklicherweise immer älter werden. Sie widmen dementsprechend eine viel kürzere Spanne ihres Lebens der Begleitung ihrer Kinder. Danach und davor müssen bzw. dürfen sie einen anderen, neuen Weg zu- und miteinander finden. Das Heiratsalter steigt; sollten wirklich alle davor wie Nonnen und Mönche leben? Sie tun es ja doch nicht und Vorschriften, die ins Leere gehen, untergraben die Moral. Damit genug aktueller Beispiele. Ich habe für diesen Text um keine kirchliche Approbation angesucht und kein Theologe hat ihn zuvor gelesen, doch will ich zwar Debatten nicht ausweichen, aber grundsätzlich keinen Anstoß erregen. Ich stelle kein Lehrgebäude auf, sondern berichte nur davon, wie ich gelernt habe, mit der christlichen Religion und der Kirche, in die ich hineingeboren und hineingewachsen bin, bewusst zu leben. Manche der schönen alten Geschichten wirken leider abgegriffen, viele sind nur mehr in ihrem historischen Kontext zu verstehen. Es wäre schön, könnte man neue Mythen und Bilder für die immer gleichen Wahrheiten finden. Vielleicht geben sie Orientierung, vielleicht erregen sie kreativen Wi12

 Vorwort

derspruch. Das Bilderverbot (Ex 20, 4) gilt ja ausdrücklich nur für Götzenbilder (Lev 26, 1); verboten werden Bilder, die für sich selbst Wahrheit beanspruchen, aber nicht Bilder, die Zeichen sind für anderes, Größeres, das sich anders schwer in Worte gießen lässt. Am Anfang meines Buches versuche ich zu skizzieren, auf welche Weise heute von Gott die Rede sein könnte und welche Konsequenzen sich für mich daraus ergeben.Was dahinter steht, ist ein vielfältiges Erbe der europäischen Tradition, das ganze Bibliotheken füllt und hier nicht aufgearbeitet werden kann und soll. Die leitenden Begriffe „Freiheit“, „Sinn“ und „Liebe“ haben in jeder Kultur und bei jedem Individuum eine andere Farbe. Die Behauptung, dass sich die wesentlichen Grundlinien durch diese für mich erfreuliche Buntheit nicht ändern und jede Person in ihrem Rahmen für den Aufbau ­eines eigenen Glaubensgerüsts Platz findet, gilt bis zum Beweis des Gegenteils. Als Historiker ist es für mich selbstverständlich, ad fontes zu gehen, an die Quellen. Das ist als Erstes und vor allem die christliche Bibel. Das Beiwort „christlich“ bezieht sich auch auf das sogenannte Alte Testament, denn ich kann nicht Hebräisch. Der Originaltext war allerdings in einem Großteil der europäischen Tradition – außerhalb der jüdischen – nicht unmittelbar geschichtswirksam. Alle Übersetzungen der Bibel tragen den Stempel ihrer Zeit. Schon in der lateinischen Vulgata des Hieronymus († 420) wirkte sich das christliche Verständnis auf die Formulierungen der Texte des Alten Bundes aus. Die Hinweise auf die weiteren theologischen Diskurse habe ich so gering wie möglich gehalten. Dafür gibt es die jeweiligen Experten und Fachbücher. 13

Vorwort

Ich möchte zeigen, dass es sich immer noch lohnt, die

­alten Texte neu zu lesen und damit eine Tradition fortzusetzen, die eindrucksvolle Interpretationen hervorgebracht hat. Es sind überraschend präzise Beschreibungen menschlicher Zustände und Träume, und man wundert sich und wird sehr traurig, wenn man sieht, mit welcher Blindheit und Gewalt die Botschaft der Befreiung, die sie enthalten, überlesen oder verbogen wurde. Im Übrigen kann ich nur Papst Benedikt XVI. zitieren: „Ich habe mich bemüht, in diesem Sinn mit den Texten in Dialog zu treten. Dabei bin ich mir bewusst, dass dieses Gespräch im Ineinander von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nie zu Ende sein kann …“ (Jesus von Nazareth,Vorwort). Gewidmet ist das Büchlein meinen Söhnen, in der Hoffnung auf gute Gespräche, und meinen Enkeln, in der Erwartung von vielen neugierigen Fragen. Zu danken ist einigen Vor-Lesern, besonders Georg Hauptfeld, Guido Heintel, Peter Rauch und Alexander Weiger und, wie immer, meiner Frau.

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Warum Gott ist

So einfach – in der Theorie Ich strebte danach, eine Ketzerei zu finden, die mir paßt, und kaum hatte ich ihr den letzten Schliff gegeben, mußte ich feststellen, daß es die Orthodoxie war. Gilbert Keith Chesterton († 1936), Othodoxie 33

Warum Gott ist Der Anfang ist einfach – das Ende wird übrigens noch ein­ facher sein. Dazwischen spießt es sich manchmal. Natürlich kann man Gott nicht beweisen. Könnte man das, würde man ihn in ein menschliches Maß zwängen – und das wäre dann nicht Gott, denn der Begriff ist nur sinnvoll, wenn er dieses Maß überschreitet (transzendiert, davon kommt „Transzendenz“). Aber es gibt gute Gründe dafür, dass es Gott geben soll. Es gibt auch gute Gründe für bestimmte Vorstellungen von Gott. Glauben heißt, solche guten Gründe zu haben, etwas aus sicherem Wissen heraus anzunehmen, wie 15

So einfach – in der Theorie

schon der Kirchenvater Augustinus († 354) sagte (z. B. De civitate Dei XIX 18). Wissen wird immer auf etwas anderes, schon Gewisses, zurückgeführt, bis man auf Voraussetzungen stößt, die nicht mehr im System beweisbar, aber auch schwer änderbar sind, sonst müsste man das ganze Gebäude des Wissens umgestalten. Auch die Mathematik kann ihre Axiome, ihre Voraussetzungen, nicht selbst beweisen; das hat Kurt Gödel († 1978) in seinen Unvollständigkeitssätzen gezeigt. Der Glaube versucht, über seine Voraussetzungen hinauszugreifen. Dieses Denken muss, wie das mathematische Axiomensystem, hinreichend einfach sein, d. h. für Menschen entscheidbar.

Sinn Ich beginne mit einem Postulat: Ich will, dass mein Leben ­einen Sinn hat. Bei diesem Satz kommt es auf jedes Wort an: Ich – in irgendeiner Weise einzigartig; will – das setzt voraus, dass ich das kann; mein – individuell und nicht im Allgemeinen; Leben – hier und jetzt; Sinn – und für mich einsehbar. Über jedes dieser Worte kann man dicke Bücher philosophieren, aber nehmen wir es einmal schlicht so, wie es da steht. Das entscheidende Wort in diesem Postulat ist „will“. Denn damit mein Leben Sinn haben kann, muss ich wollen können, muss ich für dieses mein Leben verantwortlich sein, also Freiheit haben – in welchem Ausmaß auch immer. Ein Stein, eine Pflanze, ein Tier, sie haben auch „Sinn“, indem sie für jemanden oder etwas anderes von Nutzen sind, im Rahmen einer unendlichen Kette füreinander Ursachen und Wirkungen zeitigen und gewollte Teile der Schöpfung sind. 16

Warum Gott ist

Das seiner selbst bewusste „Ich“ will für sich Sinn, und das ist genau das Gegenteil der Zweckmäßigkeit, die wir in der Natur beobachten können.

Freiheit Damit sind wir bei einem entscheidenden Punkt, von dem es kein Zurück mehr gibt: Freiheit kann ebenfalls nicht von etwas anderem abgeleitet werden, ebenso wenig wie Gott. Sie entsteht auch nicht, wenn es zwei oder mehrere Lösungen einer Gleichung gibt oder wenn etwas „zufällig“ geschieht. Seit der Quantentheorie gibt es übrigens zwei Begriffe von Zufall: Der eine entsteht, wenn man einfach nicht alle Ur­sachen kennt bzw. kontrollieren kann, wie beim Würfeln. Die Zahl fällt nach bestimmten Parametern, wie Wurf, Schwerkraft, Gewicht, Unterlage usw., aber es ist uns nicht möglich, sie alle im Voraus zu berechnen. Der andere besteht darin, dass es bei bestimmten Prozessen grundsätzlich keine Möglichkeit geben kann, ihre Richtung vorherzusagen. Das hat aber auch nichts mit Freiheit zu tun, denn die Teilchen „wollen“ nichts. Ich sehe keine Möglichkeit, zu denken, dass Freiheit evolutionär „entstünde“. Freie Handlung ist so, wie sie getan wird, nicht notwendig, aber sie hat hinreichende Gründe, Motive, aus denen eines zur Entscheidung ausgewählt wird. Nur dann gibt es die Unterscheidung zwischen Gut und Böse – und von der ist im Schöpfungsmythos auch die Rede. Für den Menschen ist daher paradoxerweise das höchste Gut der kreative Umgang mit der Unvorhersagbarkeit: Denn das macht ihn zum Menschen, dass er „weiß, dass er nichts weiß“ (Sokrates), weil man im Prinzip 17

So einfach – in der Theorie

niemals im Voraus wissen kann, was aus einer Handlung herauskommt. Natürlich ist klar, dass im Alltag und in der Masse vieles vorhersagbar sein wird, aber nur in seiner Wahrscheinlichkeit. Bei Bernhard von Clairvaux († 1153) habe ich in seinem Buch „Über die Gottesliebe“ (II 2) gefunden: Wie der Mensch zum Leben Brot, Licht und Luft brauche, brauche die Seele Würde, Erkenntnis und Tugend. Würde bestehe im Wesentlichen im Freien Willen, Erkenntnis darin, dass dieser Freie Wille nicht aus uns selber kommt, und Tugend darin, dementsprechend zu handeln, was in diesem Fall heißt, auf Gottsuche zu gehen. Oder, andersherum, wie der Wiener ­Pastoraltheologe Paul Zulehner es in einer Fernsehsendung treffend ausgedrückt hat: Atheisten glauben an einen Gott, den es ihrer Meinung nach Gott sei Dank nicht gibt. Ich habe gute Gründe, zu glauben, dass es ihn gibt.

Wie Gott ist Gott hat, spitzfindig genommen, auch kein „Voraus-Wissen“ – denn dann würde die Freiheit ja illusorisch –, sondern steht überhaupt außerhalb – metaphorisch könnte man sagen: oberhalb – der Zeit, die erst mit der Schöpfung zur Welt kam. Er ist Beobachter und erblickt Anfang und Ende einer Geschichte zugleich, in der Regel, ohne sich einzumischen. Er weiß daher „immer schon“, aber nicht „vorher“ (weil er eben nicht in dem Zeitablauf gefangen ist), wie die Geschichte a­ usgegangen ist und wie sich Menschen entschieden haben: Weil er zugleich ihre Entscheidung und deren Folgen sieht. Freiheit kann also aus zureichend logischen Gründen nicht Resultat von Bedingungen sein. Freiheit – und da setzt meine 18

Wie Gott ist

Interpretation ein – kann nur dann entstehen, wenn sie gegeben wird, von einem Wesen, das an sich frei ist. Daraus folgt ein Zweites, wieder logisch verankert: Freiheit reicht nicht aus, wenn sie bloß zwischen Akzeptanz und Widerspruch wählen kann – denn die bloße Verneinung ist nicht frei, weil sie von dem abhängt, dem widersprochen wird, und sie macht daher auch nicht frei. Freiheit entfaltet sich erst als kreative Kategorie. Noch einmal zur schlichten Logik: Freiheit braucht Zeit, ein Davor und ein Danach, und Veränderung. Freiheit ist daher für uns nur in der Welt der Zeit denkbar.

Liebe Ein Zipfelchen des Geheimnisses, das wir zu beschreiben versuchen, wird damit sichtbar: Diese Schöpfung hat auch für Gott nur Sinn als Erweis seiner Freiheit. Das ist eine logische, keine theologische Aussage, aber vielleicht eines jener Bilder, die das Verständnis erleichtern. Also ist diese Schöpfung und darin mein Ich, das nach Freiheit strebt, von ihm so gewollt. Das sind für mich die ersten Rahmenbedingungen, in denen sich ein sinnvolles Gottesbild bewegen muss. Der Gott, der mir Sinn zu geben vermag, muss also frei sein und ein Geschöpf in Freiheit wollen. Dafür muss er auch einen Grund haben. Der einzige Grund, der sich ausdenken lässt und der das Geschaffene nicht instrumentalisiert, sondern ihm Freiheit lässt, ist Liebe. Nun denn, werde ich gefragt, was ist Liebe? Selbst unter Menschen ist sie ein Rätsel. Eine junge Frau, fast ein Kind noch, fragt bei Wolfram von Eschenbach: „Minne [Liebe, in der Dichtung wie Venus gerne personifiziert], ist es ein ,Er‘? Kannst du es mir beschreiben? Und läuft mir Minne zu, was 19

So einfach – in der Theorie

soll ich mit Minne treiben? Darf sie im Schrein bei den Puppen liegen? Ist die Minne wild, oder ist sie handzahm? Wenn ich locke, wird sie zu mir fliegen?“ (Titurel I 64). Sigune, so heißt sie, spielt noch, und sie schickt ihren Liebsten in ein Abenteuer und damit in den Tod. Soll man ihre Frage ausweichend beantworten, wie Augustinus über die Zeit schrieb? „Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht“ (Bekenntnisse XI 14). So wie die Zeit nicht festgehalten werden kann – der Augenblick ist gleich Vergangenheit, die Zukunft ist noch nicht –, so ist die Liebe nicht festzuhalten in einem Sein, sondern nur zu verwirklichen in einem Tun, oder besser, im Grund für ein Tun: „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht …“, schreibt Paulus an die Korinther (1 Kor 13, 1). Dort steht viel über die Liebe, aber, wie das so ist mit Begriffen, die alles Fassbare übersteigen, vor allem, was sie nicht ist (vgl. S. 32). „Sage mir jemand: Was ist Minne?“, singt Walther von der Vogel­ weide. „Minne ist zweier Herzen Freude.“ Ist das genug? Wäre das nicht auch ein schöne Definition für Religion: Freude?! Liebe ist letztlich das einzig sinnvolle Ziel, das Freiheit haben kann. Die Liebe bewegt Gott und alles Geschaffene. Das ist nicht neu – aber es ist schön, diesem alten Lied so beiläufig wieder zu begegnen. Damit sind wir bei einer nächsten Stufe des primären Postulats, der wichtigsten für mich: Denn ich will, dass Liebe Sinn hat. Alles andere ergibt sich daraus. Es entspricht in etwa dem, was Augustinus sagte: Dilige, et quod vis fac, liebe, und mache, was du willst (in Johannis epistolam tract. 7). Nur die Sprache und die Bilder wechseln, je nach den Kulturen und Traditionen. 20

Wie Gott ist

Trinität „Mein“ Gott liebt also. Wollen wir ihm diese Liebe an sich zugestehen, dürfen wir sie nicht von der Schöpfung allein abhängig machen. Dann wäre – wieder logisch – die Schöpfung notwendig für Gott – und er wäre schon wieder keiner, nämlich nicht frei. Damit sind wir überraschenderweise beim scheinbar heikelsten Punkt des christlichen Gottesbegriffes, der Dreifaltigkeit. Denn um eine innergöttliche Liebe denken zu können, hat das Christentum ein höchst dynamisches Gottesbild gefunden. Christen denken, um Sinn zu finden, Gott am Modell der Person. Biblisch erscheint das einfach: „als Abbild Gottes schuf er ihn (den Menschen)“ (Gen 1, 27); das gilt natürlich auch umgekehrt. Was Menschen zu sein wünschen, das ist Gott schon. Ich formuliere das bewusst als hermeneutischen Zirkel; mit weniger Fachbegriffen dann später (S. 30). Eine Person, die liebt, kann man sich nicht narzisstisch, d. h. in bloßer Selbstliebe, vorstellen. Das reicht nicht aus, obwohl es ja heißt, liebe deinen Nächsten wie dich selbst (Mt 19, 19). Genau da setzt das Modell der Trinität an. Es mag ein großes Geheimnis sein, wie Augustinus feststellte (vgl. Bekenntnisse, Buch 13, bes. c. 5), aber man kann zu einem einfachen Bild Zuflucht nehmen: Gott, der liebt, Gott, der geliebt wird, und die Liebe, die Gott ist. Diese Dreiheit in der Einheit stellt – im Spiegel unseres Verstandes – nichts anderes dar als den Versuch, alle Eigenschaften in Gott zu denken, die nötig sind, um aus dem Begriff Sinn zu machen. Die Dynamik der Liebe ist in ihm verankert. Das ist das alleinige und kostbare Angebot des Christentums.

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So einfach – in der Theorie

Man hat im Verlauf der Tradition dieses Bild vielfach ausgestaltet. Es ist nicht verwunderlich, dass die engste Form der Liebe am Beispiel der Elternschaft gedacht wurde, wobei die geschlechtliche Zuschreibung in „Vater“ und „Sohn“ mehr als nebensächlich ist. Schon Augustinus hat abgelehnt, aus der Tatsache irgendwelche Schlüsse zu ziehen, dass das grammatikalische Geschlecht des „Geistes“ – (Gen 1, 2, πνεῦμα, pneuma, ruah) – im Hebräischen weiblich sein kann. Auch da steht die Botschaft ganz klar im biblischen Text, man muss nur weiterlesen (noch einmal Gen 1, 27). Das (Ab-)Bild, Gleichnis (lat. imago, griech. εἰκών), Gottes sind Mann und Frau: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ Deren Liebe ist somit in diese Bildhaftigkeit eingebunden. Diese Abbildhaftigkeit gilt, wie gesagt, auch umgekehrt: Eine Rede über Gott kann nur „analog“, bildhaft, hinweisend, gleichnishaft sein. Diese Sichtweise hat Augustinus so beschrieben (Bekenntnisse XI 4): Tu ergo, Domine, fecisti ea (caelum et terra) … oder besser gleich in der Übersetzung (von Otto F. Lachmann): „Du, o Herr, hast sie [Himmel und Erde] geschaffen, der du schön bist, denn sie sind schön; der du gut bist, denn sie sind gut; der du bist, denn sie sind. Nicht aber sind sie so schön, nicht aber so gut wie du, ihr Schöpfer; mit dir verglichen sind sie nicht schön, nicht gut, sind sie überhaupt nicht. Wir wissen dies und danken dir. Und unser Wissen, mit deinem Wissen verglichen, ist Nichtwissen.“ Daraus wird dann bei Nikolaus Kusanus († 1464) an der Schwelle zum neuzeitlichen Denken die „Docta ignorantia“, das gelehrte Unwissen (vgl. S. 32):Wir können nur versuchen, unser Unwissen mit Sorgfalt zu umschreiben. 22

Gott als Schöpfer

Gott als Schöpfer Eine weitere Zuschreibung der Dreifaltigkeit bezeichnet den „Schöpfer“, der den Anfang setzte, den „Erlöser“, der den in der Freiheit gefallenen Menschen versöhnt hat – wir kommen darauf gleich zurück –, und die liebende, ständig präsente Wirkkraft, den „Geist“; spiritus, πνεῦμα hat etwas mit Seele und Lebenskraft (ind. atman) zu tun. Die Kraft, die Weisheit und die Liebe sind eine weitere göttliche Trias. Die Weisheit wurde irgendwann von Theologen ihrer Kreativität beraubt und der Geist „verkopft“, d. h. rein intellektuell aufgefasst; das macht es ziemlich schwierig, dieses Geheimnis auch nur in Ansätzen zu verstehen. Die Feuerzungen des Pfingstwunders (Apg 2, 2) sind ein Liebessymbol. Daher sollte es niemanden wundern, dass alle, in den verschiedensten Sprachen, diese Liebesbotschaft verstehen. Die „erste Schöpfung“ ist also die Auffaltung Gottes in sich selbst.Was Gott denkt, existiert, auch darum denken wir existierende Wesenheiten, Personen, in ihm. So „gebar“ Gott den Geliebten und „schuf“ damit die Liebe – vor aller Zeit. Er ist in Einheit diese Dreiheit. Natürlich gibt es auch legitime Gottesvorstellungen, die – von einem christlichen Standpunkt her gesehen – nicht in diese Tiefe gehen. Juden und Muslime hatten immer wieder große Probleme mit der Trinität, die für sie – wohl auch verursacht durch zu simple Erklärungen – gefährlich an die Vielgötterei ihrer Nachbarvölker herankam. Es bleibt dennoch derselbe einzige Gott. Auch ohne personales Gottesbild ruht im buddhistischen „Nirwana“, soweit ich das verstehe, eine transzendentale Vorstellung, denn dieses „Nichts“ ist nicht „leer“, sondern es berührt sich nach dem 23

So einfach – in der Theorie

kusanischen Gesetz der „Concidentia oppositorum“, des Zusammengehens der Gegensätze, mit dem „Alles“ unseres Gottesbildes. Das auszuführen wäre aber eine andere Geschichte, die zu erzählen es Berufenere gibt.

Dämonisches Zwischenspiel Aus dieser Liebe Gottes entsteht das Bedürfnis nach einem Gegenüber. Die jüdisch-christlichen Mythen, nicht so sehr die kanonisierten Heiligen Schriften, haben im Schöpfungsgeschehen eine Zwischenstufe eingeschoben, in der das Prinzip der Freiheit noch außerhalb von Zeit und Welt umrissen wird. Die Geschichte vom Himmelssturz, von Luzifer und Michael, findet im Neuen Testament nur verschlüsselt und nebenbei (Lk 10, 18) Erwähnung: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.“ Diese Geschichte war also offenbar im ersten nachchristlichen Jahrhundert vertraut. Ein zweites biblisches Bild ist der Kampf Michaels und seiner Engel mit dem Drachen in der Apokalypse, die wohl ebenfalls gegen Ende des ersten Jahrhunderts entstand. In einem dritten Bild wird von den Engeln die Weihnachtsgeschichte kommentiert: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude“ (Lk 2, 10). Die meisten anderen Quellen zu den Engeln stehen sowohl in der jüdischen wie in der christlichen Tradition außerhalb des anerkannten Lehr-Kanons. Die Idee der Freiheit nahm also in der Mythologie zunächst die Gestalt der Engel an. Sie sind die Ersten, die Gott lieben – oder hassen. Sie, auch die gefallenen, ja gerade die, sind die Boten der göttlichen Idee der Freiheit und spielen in der europäischen Geistesgeschichte eine bedeutende, aber 24

Gottes erste Offenbarung

nicht immer rühmliche Rolle. Der Teufel war immer wieder für die Menschen präsenter als Gott, die Vorstellung von der Wirksamkeit der Engel regte die Phantasie der Menschen ungeheuer an. Allerdings wimmelt es im Neuen Testament von Dämonen. In moderner Interpretation würden wir heute sagen, es handelt sich um Wirkkräfte, die mit der damaligen Wissenschaft nicht erklärbar waren. Die Vorstellung von Dämonen hatte auch einen therapeutischen Sinn: Es muss immerhin tröstlich gewesen sein, für bestimmte Formen von Unglück und Krankheit nicht verantwortlich – weil „besessen“ – zu sein. Mit der Austreibung der Dämonen war dann die Heilung perfekt, körperlich und seelisch. Das ist biblische Psycho­ therapie. In der christlichen Mythologie wimmelt es aber auch von Engeln. Es wurde eine ganze Hierarchie (heilige Herrschaft) von Engeln aufgebaut. Es entstand aber auch ein einfacher, tröstlicher Gedanke, der die Liebe Gottes auf beinahe menschliches Maß brachte, die Idee vom Schutzengel, die sehr alt ist. Die Vorstellung wurzelt u. a. in Mt 18, 10: „Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.“ Das ist zugleich das schrecklichste Urteil gegen alle Schänder.

Gottes erste Offenbarung Die Naturgeschichte ist dann also die „zweite Schöpfung“, aber die erste Offenbarung für uns Menschen. Ein mittelalterlicher Gelehrter, Johannes Scotus († 877), den man auch 25

So einfach – in der Theorie

Eriugena nannte, weil er aus Irland (abgeleitet vom Namen der keltischen Göttin Ériu) stammte, hat sie als „Ausatmen“ Gottes beschrieben. Das Ende dieser Schöpfung wäre dann ein wieder Einatmen. Diese Offenbarung, und zwar als Ganzes mit der in die Geschichte eingebetteten Erlösung – Heilsgeschichte nennt man das –, muss den Sinn und die Freiheit jedes einzelnen Menschen tragen. Der Sinn kann nicht darin liegen, dass man eine Welt verleugnet, die Gott so hat werden lassen und in die er seinen Sohn hinein gesandt hat. Manche fromme Weltabkehr kommt, wenn sie rein negativ ist, gefährlich in die Nähe von Manichäismus und Ketzertum (vgl. S. 54), indem sie die Welt als solche zum Bösen verkehrt. Das widerspräche auch dem Liebesgebot. Die Heilsgeschichte ist mit der Erlösungstat auch nicht zu Ende. Diesem Irrtum verfielen viele frühe Christen, die den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang erwarteten (nach Mt 24, 34, Erwartung der Parusie von Δευτέρα Παρουσία, zweite Ankunft, Wiederkunft). Aus dieser Phase stammt so mancher Text der Weltverachtung. Die Kirchen verwalten ein spirituelles Erbe, und zwar nicht indem sie einmal festgelegte Wahrheiten bewahren, sondern indem sie an der dynamischproduktiven Entfaltung der Erkenntnis und an der Vergegenwärtigung der Sakramente wirken. Die Schöpfung ist, metaphorisch gesprochen, nicht nur zu hüten, sondern auch zu bebauen (Gen 2, 15). Diese Aussage halte ich nicht für etwas, woran man glauben kann oder nicht, sondern ihr Gehalt ist eine beinharte logische Konsequenz aus den religiösen und menschlichen Grundpostulaten, die Voraussetzung für die Sinnhaftigkeit von Glauben sind. Das war im Übrigen der Anstoß, der John 26

Gottes erste Offenbarung

Henry Newman († 1890) zum Wechsel von der anglikanischen zur katholischen Kirche trieb. Diese These widerspricht in ihrem Verständnis von der lebendigen Tradition manchen Anschauungen, die von protestantischen Theologen gegen die katholische Kirche ins Treffen geführt wurden. Das Prinzip sola scriptura, allein die (heilige) Schrift, darf aber nicht dazu führen, dass der Sinn der Geschichte als Heilsgeschichte im Ganzen und für jeden Einzelnen geleugnet würde. Das heißt jedoch nicht, dass man alles, was als „Tradition“, oft mit Herrschaftsanspruch, daherkommt, unbesehen und ohne Inter­ pretation annehmen kann. Die Tradition unterliegt ja ihrerseits ebenfalls der Dialektik der Entfaltung. Von dieser Schöpfung wird im Mythos das Sechstagewerk erzählt (Gen 1). In diesem Mythos wird jeder Wesenheit dieser Welt ein eigener Bezug zu Gott und damit ein eigener Wert zugemessen. Am fünften und sechsten Tag schuf Gott die Lebewesen. Einst im Lateinischen – und heute noch nachklingend in vielen romanischen Sprachen und im Englischen – wurde die Gemeinsamkeit aller Lebewesen als animalia, Beseelte, beschrieben. Es steckt also von vornherein eine deutliche ökologische Botschaft in diesem Mythos, der Menschen und Tieren übrigens zunächst nur Pflanzen, schon am dritten Tag erwähnt, als Nahrung zuweist. Die Naturwissenschaft ist vom religiösen Standpunkt her nichts anderes als das Lesen in Gottes erster Offenbarung. So hat es Hildegard von Bingen († 1179) gesehen und ent­ wickelt. Es kann daher, recht gesehen, keinen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Religion geben, höchstens Missverständnisse. Wenn die Menschen Ebenbilder Gottes sind, dann stehen ihre Gedanken ebenbildlich zu seiner Schöpfung. 27

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Die regelrecht gewonnenen Ergebnisse der Naturwissenschaften können also nichts anderes als Analogien zur Schöpfung sein. Die Naturwissenschaften erzählen nicht von „Wahrheiten“ über die Welt, sondern von Begegnungen mit ihr, selbst wenn sie die feinsten Messinstrumente benützen. Irgendeine Sprache für die Vermittlung ihrer Inhalte – und wenn es die Sprache der Mathematik ist – brauchen sie selbstverständlich auch. Daher sind auch ihre Produkte bei aller Exaktheit im Einzelnen, die definitionsgemäß ja ohnehin nur für einen begrenzten Erkenntnisraum gelten kann, eben nur Analogien zur Wirklichkeit. Dass es zu Verständnisproblemen kommen kann, wenn Menschen verschiedene Sprachen sprechen, ist banal. Schiedsrichter wird es dabei nicht brauchen, nur Interpreten.

Wunder Bei Edgar Allan Poe habe ich vor vielen Jahren die Frage gelesen, was das für eine Schöpfung sei, wenn Gott sie ständig durch Wunder korrigieren müsse. Mein Religionslehrer, ein kluger Mann und sehr kunstsinnig, drückte sich um eine Antwort. Man mag zu Wundern stehen, wie man will, aber es hängt sehr viel davon ab, ob man sich eine Vorstellung davon machen kann, wie Gott mit seiner Schöpfung kommuniziert. Das, was Menschen Wunder zu nennen gewohnt sind, wäre jedenfalls eine Form der liebenden Kommunikation. Die Antwort auf Poes Zumutung ist in der Tat nicht so leicht und wurde durch einen merkwürdigen Anflug von Wissenschaftsgläubigkeit unter den Theologen eher verwirrt: Es heißt ja, ein Wunder sei ein Ereignis, das mit den wissen28

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schaftlichen Erkenntnissen der jeweiligen Zeit nicht erklärbar wäre, ja, ihnen widerspräche. Das ist nicht ganz falsch, aber zu kurz gegriffen. In der Tat ist ein Wunder wie Gott „transzendent“, unsere Lebenswirklichkeit übersteigend. Es ist daher mit menschlicher Wissenschaft nicht nachzuweisen. Der Umkehrschluss, dass alles, was den wissenschaftlichen Verstand übersteige, ein Wunder sei, gilt aus den folgenden Gründen nicht: •• Erstens könnte man in diesem Sinne zynisch bemerken, dass es zu früheren Zeiten deshalb so viel „Wunder“ gegeben habe, weil die Wissenschaft noch nicht so viele Erklärungen liefern konnte. Das ist, historisch gesehen, tatsächlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber es erklärt nicht, ob es nun Wunder gegeben hat oder nicht. •• Zweitens kann die Naturwissenschaft nur eine negative Aussage treffen: jetzt und unter diesen Parametern nicht deutbar; aber morgen oder nie? Auch das erklärt nichts. Die Wissenschaften können Argumente liefern, ob es sich lohnt, sich mit einem Ereignis näher zu beschäftigen. Aber sie können unter Umständen weit in die Irre führen. •• Denn drittens ist nicht gesagt, dass ein zeitgerechtes Eintreffen eines „natürlichen“ Ereignisses kein Wunder sei. Schon lange haben Menschen über Wunder nachgedacht. Gregor, Bischof von Tours im Frühmittelalter († 594), Geschichtsschreiber und Autor von Heiligenbiographien, schrieb einmal, die Menschen drängten sich um „wundersame“ Dinge und Ereignisse, aber vor dem Wunder, dass aus einem winzigen Samen ein riesiger Baum werde, verneige sich niemand. Bischof Gregor glaubte durchaus an die Wunder „seines“ 29

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Heiligen Martin von Tours, aber er wies ihnen zu Recht gegenüber der Schöpfung selbst einen zweiten Rang zu. Wenn Gott Person ist und seine Schöpfung liebt – so sehr, dass er seinen Sohn in die Schöpfungsgeschichte hinein­ gesandt hat –, müssen wir uns auch vorstellen können, dass Gott in Dialog mit seinen Geschöpfen tritt. Liebe ist ja die intensivste Form der Begegnung.Wir versuchen ja umgekehrt auch, im Gebet einen Kontakt mit Gott zu gewinnen. Der Glaube manifestiert sich im Dialog mit Gott. Daher heißt es ja immer wieder: „dein Glaube hat dir geholfen“ (Mt 9, 22; Mk 5, 34; 10, 52; Lk 7, 50; 8, 48; 17, 19; 18, 42). Wunder sind im biblischen Sinn Zeichen des Glaubens, dass ein persönlicher Kontakt mit Gott gelingen kann. Das Zeichen kann für einzelne Menschen oder viele lesbar werden. Bei Zeichen von allgemeinerer Bedeutung wird man nicht darum herumkommen, dass jemand sie prüft. Eine verpflichtende Glaubensentscheidung entsteht dadurch nicht, denn eine solche Prüfung kann im Wesentlichen – wegen der transzendentalen Dimension – nur negative Aussagen und positive Argumente liefern. Solche Zeichen darf man nicht einfordern (Mt 12, 38f.), aber sie können eine wertvolle Hilfe bei der Pastoral (Seelsorge) sein (Mk 16, 20). Das erste Zeichen setzte Jesus bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2, 11, vgl. S. 103). Es ist so kostbar, weil es eine Bejahung des Lebens und der Freude darstellt, die ihm seine Mutter gegen anfänglichen Widerstand abringt. Aber auch sie sagt zu ihrem Sohn nicht, „tu das“, sondern sie sagt zu den Dienern, sie sollten tun, was er sage. Die Welt als Ganzes ist ein wunderbares Zeichen vom ­Dialog Gottes mit seiner Schöpfung. Einzelne Botschaften, 30

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wie z. B. die Texte der Bibel, sind in Sprache und Sprachbilder gefasste Elemente dieses Dialogs. Die Sprache ist klarer, unter Menschen mitteilbar, aber ihre Ausdrucksfähigkeit ist begrenzt. Das erfahren wir selber ganz besonders dann, wenn es um große Gefühle geht. Ereignisse, die als Zeichen wahrgenommen werden, sind eine andere Form des Dialogs, die unsere Sinne unmittelbar anspricht. Dafür besteht in diesem Fall die Gefahr, dass Menschen an der sinnlich-materiellen Oberfläche der Ereignisse hängen bleiben und nicht danach suchen, wofür sie eigentlich Zeichen sind. Das ist manchmal sogar ein Problem von Gläubigen, oft aber das grundlegende Problem von außenstehenden Beobachtern. Für das Weltbild der Menschen des Alten Bundes und noch für weite Strecken der europäischen Geschichte war die Grenze zwischen Wunder und Zauber fließend, wie in der Szene, in der die Stäbe Aarons und die der ägyptischen Zauberer zu Schlangen werden (Ex 7, 10–12). Für unser heutiges Weltbild ist die Sache schwieriger. Man kann sich aber vorstellen, dass sich bei großen Inszenierungen an berühmten Reliquien (vgl. S. 160) oder Gnadenorten eine so starke soziale Energie aufbaut, dass die erstaunlichsten psychosomatischen Prozesse geschehen können. Das soll kein Muster für eine rationale Erklärung darstellen, sondern nur eine Form, in der sich ein aufgeklärter Geist solchen Ereignissen annähern kann. Tatsächlich ist ein großer Teil der als wundersam berichteten Ereignisse für moderne Mediziner ohne größere Probleme nachvollziehbar. Das Wesentliche an einem Wunder ist aber, das sei noch einmal betont, nicht so sehr das Ereignis selbst, so unerklärlich es in seiner Wirksamkeit auch scheinen mag. Wesentlich ist es 31

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als Zeichen für die Gegenwart und die Gesprächsbereitschaft Gottes. So gesehen geschehen ständig zahllose Wunder. Man braucht nur ein Kind begleiten zu dürfen. Jedenfalls aber kann man sagen, ein Wunder korrigiert keinesfalls den Schöpfungsplan, denn es ist in der Überzeitlichkeit Gottes in diesem Plan enthalten, es macht ihn nur deutlicher.

Menschen als Ebenbild Im ersten Schöpfungsbericht ist alles klar und einfach (Gen 1, 26–28): Die Menschen sind Gottes Abbild, ihm (wesens-) ähnlich. Das kann man, wie schon mehrfach betont, auch umdrehen. Unsere Vorstellung von Gott kann ja auch nur menschenähnlich sein. Das Gottesbild ist unleugbar von Menschen gemacht, aber es darf kein Götzenbild werden: Es ist nicht selber Wahrheit, sondern verweist auf die Wahrheit, wie sie in Gott existiert. Die Differenz liegt genau dort, wohin ich mit meinen Postulaten zeigen wollte. Ein allzu menschliches Gottesbild würde einfach nutzlos sein in meiner Suche nach dem Sinn. Ein für alle Menschen gültiges Gottesbild kann also nicht gezeichnet werden, aber ein Rahmen, innerhalb dessen ein solches stimmig sein könnte. Das nennt man, im Sinne der „Gelehrten Unwissenheit“ (Docta Ignorantia) des Nikolaus von Kues († 1464), leider leicht misszuverstehen, „negative Theologie“. Niemand kann zureichend beschreiben, was Gott ist, und zwar nicht aufgrund von religiöser Ehrfurcht, sondern wegen der schon beschriebenen Logik der Transzendenz.Wir suchen sozusagen den Schatten, den er in unseren Geist wirft (vgl. Platons Höhlengleichnis). Die „negative Theologie“ sagt 32

Menschen als Ebenbild

recht präzise aus, was Gott aus logischen Gründen nicht sein kann und was wir von ihm ausmachen können. Auch dafür gibt es in den Texten des Neuen Testaments ein direktes Vorbild, und zwar in der Beschreibung der Gestalt (effigies, Mk 16, 12) Jesu nach der Auferstehung. Die Jünger und Apostel erschrecken vor ihm, als er zu ihnen in den Versammlungsraum tritt (Lk 24, 37). Darum lässt er sich von ihnen und vom ungläubigen Thomas prüfen (Lk 24, 39; Joh 20, 24–28). Ansonsten erkennen die Jünger ihn erst an seinem Tun, vor allem, wenn er das Brot bricht, das heißt in der l­iturgischen Handlung, die seither in jeder Messfeier voll­zogen wird (Lk 24, 13–31; Joh 21, 4 und 7). Auch Maria aus Magdala hält ihn zuerst für den Gärtner, was im Übrigen wieder symbolisch aufgefasst werden kann. Er redet sie mit dem Namen an, sie antwortet zärtlich „Rabbuni“, Meister, darf ihn aber nicht berühren (Joh 20, 14–17). Das ist auf den ersten Blick ein rätselhafter Gegensatz zur Szene mit Thomas und den Aposteln. Die Evangelisten wollen wohl damit zeigen, dass die Existenz Jesu zwar unbezweifelbar sei, aber so ganz anders als vorher, dass er selbst den Vertrauten nicht gleich erkennbar war. Thomas kann die Wahrhaftigkeit der Geschichte bezeugen: Dieser jetzt erschienene Jesus ist auch der Jesus der Passion. Aber sein Wesen ist nun verändert, und das hätte die Frau in einer liebevollen Umarmung wohl gespürt; oder das hat sie gespürt und ist darum auf das Verbot eingegangen. Was da vorging, ist etwas ganz anderes als bei der Geschichte von Lazarus, der nach seiner Erweckung weiterlebte wie bisher. Damit wird ein Rahmen abgesteckt, der nicht ­direkt aussagt, was jetzt diese neue, transzendente Wesensform 33

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sei, aber es werden deutlich Parameter festlegt, innerhalb deren das Sein und das Anders-Sein in passende Bilder gegossen werden: die Erinnerung an das Geschehen und dessen Erneuerung in der Liturgie. Auch die Gemeinschaft hat sich verändert, wird zur Kirche. Als drittes Element kann man der Erzählung ein bestimmtes Verhältnis zur Körperlichkeit des Menschen nach der Auferstehung entnehmen: Die Individualität und die Geschichte, die sich in den Körper eingeschrieben hat, bleiben – wie die Wundmale – im Wesentlichen bestehen, wenn sie auch eine für uns nicht begreifbare Wandlung erfahren. Mit diesem Wissen lässt sich auch der Mythos vom Anfang der Schöpfung für Christen leichter lesen. Im lateinischen Text der sogenannten Vulgata, die in der europäischen Kulturgeschichte lange Zeit die wichtigste Fassung der Bibel war, wird also ausgesagt: Gott schuf den Menschen ad imaginem et similitudinem, als sein Abbild und als Ähnlichkeit (Gen 1, 26). Das Wort similitudo verwendet von den Evangelisten nur Lukas (in „seiner“ Sprache παραβολή, parabolé, Lk 4, 23 und öfter), und zwar im Sinne von „Gleichnis“. In diesem Sinne sei der Mensch ein Gleichnis Gottes. Als solcher kann er – allerdings nur „wie in einem Spiegel“ (1 Kor 13, 12), also unvollkommen (die Spiegel waren damals uneben und daher nicht so genau) – erkennen, was gleichnishaft hinter Gottes Schöpfungsidee steht. Also, noch einmal zitiert (Gen 1, 27): „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild (imago); als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ Und dann kommt gleich der Auftrag: „Seid fruchtbar und vermehret euch.“ In diesem Zusammenhang kann gar nicht deutlich genug ge34

Menschen als Ebenbild

sagt werden: Die Geschlechtlichkeit der Menschen ist damit als Bestandteil ihrer Gottähnlichkeit festgeschrieben. Die geschlechtliche Liebe ist ein Abbild von Gottes Liebe und mit ihr ist keinerlei Form der Über- oder Unterordnung verbunden. Der Garten, in dem das stattfinden sollte, das Paradies, heißt im Lateinischen ausdrücklich „Lustgarten“, paradisum voluptatis. Das ist ein fundamentum fidei, eine Basis des Glaubens. ­Alles andere, was im Verlauf der Jahrhunderte im Namen von Kirchen und Religionen um die Geschlechtlichkeit herum gedichtet worden ist, war und ist zumeist zeitlich und kulturell befangen. Das beginnt allerdings schon mit dem zweiten Schöpfungsbericht und dem Mythos vom Sündenfall (Gen 2, 4–3, 19), der – vielleicht sogar älter – stärker darauf ausgelegt ist, eine bestimmte soziale Ordnung zu propagieren.

Eva und Maria Schon im Mittelalter hat man sich, besonders in Kreisen kluger Frauen, über einzelne Details und vor allem deren Aus­ legung lustig gemacht: Adam stamme aus Lehm, während es für Eva edleren Materials bedurfte. Für Eva musste sich der Teufel persönlich bemühen, für Adam genügte seine Frau. So ist es also gar nicht so neu, diesen Schöpfungsbericht nicht nach den Buchstaben, sondern nach dem Sinn aufzufassen – denn der Buchstabe tötet (2 Kor 3, 6) –, und auch erlaubt, einige hochgelehrte Auslegungen zu belächeln. Aber auch der zweite Genesis-Mythos lohnt eine erneute Lektüre. Es wird in ihm nicht mehr und nicht weniger vorgestellt, dass von den beiden Menschen die Frau es war, die 35

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das Geschenk der Freiheit zuerst in Anspruch genommen hat; dass ihr dann die schlimmen Folgen zugeschrieben wurden, ist eine andere, zivilisationsabhängige Geschichte; dass damit – vorübergehend – eine Absonderung (das heißt das Wort Sünde) von Gott verbunden ist, erklärt die Geschichte der Menschheit. Der wichtigste Kommentar zum Mythos vom Sündenfall findet sich in der Osterliturgie: O felix culpa, oh selige Schuld. Denn – und das ist die christliche Weiterdichtung des Mythos – wiederum eine Frau, Maria, hat mit ihrem fiat, es geschehe (Lk 1, 38), den entscheidenden Schritt zur Versöhnung in ­einem für sie gefahrvollen Wagnis vollzogen. In beiden Fällen wurden die Frauen von Männern nur unterstützt. Man könnte meinen, dass die Männer ihre führende Rolle­ in den Kirchen nur deshalb so heftig verteidigen, weil sie den Frauen die Gottes-Unmittelbarkeit neiden, die sich im Geschenk der Fruchtbarkeit äußert. Der priesterliche Weiheakt in der Messe wurde immer wieder mit einer Geburt ver­ glichen. Es gibt Bilder, auf denen durch die Weihe der Hostie das Jesuskind figural „geboren“ wird. Doch zurück zum Kern. Was lange Zeit „Erbsünde“ hieß und nun „Ursünde“ genannt werden soll, verweist auf nichts anderes als auf die dem Menschen innewohnende – und daher gottgewollte – Fähigkeit zur Freiheit, bei der Gott in Liebe auch eine Absage in Kauf nimmt. Adam ist im Verständnis der modernen Theologie kein „Vorfahre“, der etwas vererbt, sondern der symbolische Repräsentant des Menschengeschlechts, in dessen Bild dem Gläubigen seine grundlegenden Konflikte deutlich werden sollen. Um diesen Konflikt zu heilen, musste eine dritte Schöpfung in der Geschichte selbst vollzogen wer36

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den, die Erlösung. Damit ist die Geschichte Gottes mit den Menschen endgültig zur Heilsgeschichte geworden und wird in ihrer Gesamtheit ernst genommen wie in keiner anderen Religion. Noch einmal sollte die Ebenbildlichkeit Gottes und der Menschen verdeutlicht und sinnlich erfahrbar werden. Das konnte nur durch das untrennbare Zusammenwirken der beiden Prinzipien geschehen. Eine Frau gebiert einen Sohn, der Gottes Sohn ist. Dieser Sohn nimmt das Leid der Menschen auf sich bis zum Tod – und darüber hinaus. Die junge Jüdin Maria gab sich als Werkzeug dieses Erlösungswerkes hin. Mit dieser Geschichte sind ein paar Probleme verbunden, die zwar unnötig sind, aber von vielen Theologen eher verunklärt als offengelegt wurden. Wie oft sprechen die Quellen eine deutlichere Sprache als ihre Auslegungsversuche. Das Evangelium des Matthäus, griechisch geschrieben, aber bemüht, das jüdische Erbe hochzuhalten, beginnt mit dem Stammbaum Jesu, in dreimal 14 Generationen zurückgehend bis zu Abraham. Dieser Stammbaum erwähnt vier Frauen, die alle keine Jüdinnen waren und keine einfachen Schicksale hatten: Tamar (2 Sam 13) wird von ihrem Bruder vergewaltigt und von einem anderen Bruder blutig gerächt. Rahab (Jos 2, 1) war eine Dirne, die in Jericho Kundschafter beherbergte und schützte, damit aber auch ihre Familie rettete. Rut ist ein eigenes Buch der Bibel gewidmet. Sie ist „Ausländerin“,Witwe und wird von einem Verwandten ihres Mannes geheiratet. Ihr Sohn ist der Großvater Davids. Die vierte, im Stammbaum nicht mit Namen genannt, ist Batseba, die Frau des Hetiters Urija, den David in den Tod schickte, um sie zu bekommen (2 Sam 11, 3–17). David hatte sie schon zu Lebzeiten des Ehemannes geschwängert. Dieses erste Kind, das er mit ihr zeugte, starb, das zweite aber 37

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war Salomon. Es hat die Interpreten einigen Schweiß gekostet, diese Frauen als Vorbilder herauszustellen, und manches davon ist recht amüsant zu lesen. Der Grundton ist die Liebe, aber sie hat im Schicksal dieser Frauen seltsame Formen angenommen. Frömmelei hat da jedenfalls keinen Platz. Der Stammbaum bei Matthäus mündet bei „Josef, dem Mann Marias“ (Mt 1, 16). Stillschweigend wird angenommen, dass Josef seine Frau aus dem gleichen Stamm genommen habe, aber das steht nicht da. Im zweiten Teil desselben Kapitels geht es darum, zu beweisen, dass sich die Prophetie des Isaias (7, 14) erfüllt habe: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen.“ Sie sei mit ihrem Verlobten noch nicht zusammengekommen (Mt 1, 18). Nun kann man sich, wie viele Interpreten, auf den Standpunkt der Bibel stellen (Mk 10, 27), „denn für Gott ist nichts unmöglich“ (Lk 1, 37). Der Gedanke an eine Parthenogenese (Jungfrauengeburt) war übrigens in den antiken Vorstellungen von Biologie nicht ganz außer­ gewöhnlich. Man dachte auch, dass sich Insekten, z. B. Bienen, so fortpflanzten. Aber man wird, besonders angeregt durch die Passage bei Matthäus, besser zum Schluss kommen, dass es bei dieser Erzählung für den Evangelisten letztlich gar nicht um Biologie geht. „Der Heilige Geist wird über Dich kommen“, das klingt nicht dunkel, wenn man daran denkt: Der Heilige Geist ist schlicht die Liebe Gottes. In gewisser Weise geschieht dieser radikale Neuanfang aus Maria, eine „dritte Schöpfung“, heute noch und immer: Wer sein Kind annimmt, geht über die biologischen Zusammenhänge weit hinaus. Das ist für mich ein wichtiger Aspekt des Geheimnisses, wofür das Bild der Jungfräulichkeit steht. Die Mütter nehmen wie Maria das Kind als eigenständiges Wesen 38

Geschichten und Geschichte

an, unmittelbar von Gott. Die Väter haben kein Recht allein aus der Zeugung, sondern nehmen als Zieh- und Nährväter die Verantwortung für dieses neu geborene Wesen auf sich, unmittelbar vor Gott. In der Taufe empfängt dann das Kind, wie wir Christen glauben, Anteil an diesem Neuanfang Jesu und ist nicht mehr nur „aus dem Willen des Fleisches …, sondern aus Gott geboren“ (Joh 1, 13). Wo das Kind Jesus in irdische Rechte eintritt, gilt die Abstammung von David, die über Josef gespannt wird (Lk 3, 23). Wo die Seele des Kindes in ihre Einmaligkeit eintritt, gelten beide Eltern als unberührt, nur Begleiter des Lebensgeheimnisses, das ihnen anvertraut wurde. Allerdings ist die Nähe zum werdenden Leben bei der Mutter naturgemäß viel größer. Sie vollzieht den göttlichen Schöpfungsakt in ihrem fiat, es werde, jedes Mal neu. Wo eine Frau sich diesem Wunder öffnet, hat sie Anteil an Maria. Wo ein Mann diese Nähe achtet, hat er Anteil an Josef, der nicht Gottes Hahnrei war, sondern der Hüter des größten Wunders, das Menschen widerfahren kann. Es ist ja nicht so, dass das Christentum solche Vorstellungen erfunden oder allein getragen hätte. Der Traum, dass eine Frau durch wahre Liebe nicht verletzt würde, ist verbreitet über die ganze Menschheit und alle Religionen. Die Sehnsucht nach der reinen, vollkommenen, göttlichen Liebe ist Inhalt der gesamten Weltliteratur, nicht nur der religiösen.

Geschichten und Geschichte Von Maria ist in der Bibel weiters nicht viel zu lesen, außer dass sie alles, was sie wahrnahm, bedacht und überlegt habe. In den ersten Jahrhunderten des Christentums machte man auch 39

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nicht viel Aufhebens um sie, aber für Lukas war sie – oder ein auf sie zurückgehendes Wissen – offenbar eine wichtige Quelle: Denn wie sonst sollte er wissen, was sie „in ihrem Herzen bewahrte“ (Lk 2, 19 und 2, 51). Dann aber, vielleicht schon nach ihrem Tod beginnend (Ratzinger, Jesus 29), brach das Christenvolk mit ihrer Hilfe eine Bresche in die kühle, intellektuelle Theologie, die den „von unten“ gewachsenen und aus anderen Kulten übernommenen Bildern nur widerstrebend folgte. Sie als Königin abzuheben und leiblich in den Himmel zu versetzen, gelang nur unvollkommen. Auch eine Königin hat eine tröstliche Befugnis: Sie kann und soll beim Herrscher um Gnade bitten – und diese Bitte musste nach altem Recht gehört werden. Das ist eines ihrer Ämter. Die Geliebte Gottes herauszukehren, wagten die Theologen nur zögerlich, obwohl sie mit dem Hohen Lied des Alten Bundes einen der schönsten Liebestexte der Weltliteratur für das Verhältnis von Maria und Gott in Dienst nehmen konnten. Die Mystikerinnen und Mystiker nahmen sich dieses Aspektes besonders an, bis zur höchsten Ekstase. Im 19. und 20. Jahrhundert kultivierte man leider wieder vor allem ihre Entrücktheit. Aber viele Jahrhunderte davor war gerade ihre Körperlichkeit ein Thema, das Lieder hervorbrachte, die den weltlichen Liebesliedern kaum nachstanden. Ihr Leib war der Thron des Gottessohnes, damit war sie Sitz der Weisheit. Sie saß zu Pfingsten unter den Aposteln im Liebessturm der Feuerzungen, wie man in vielen Darstellungen sehen kann. Sie stillte mit ihrer mütterlichen Brust die nach Erkenntnis Dürstenden. Sie war es, durch die die Härte des Gesetzes, wie die Christen den Alten Bund verstanden, „aufgehoben“ wurde. 40

Geschichten und Geschichte

Vergine madre, figlia del tuo Figlio, Umile ed alta piú che creatura, Termine fisso d’eterno consiglio.

Jungfrau und Mutter, Tochter deines Sohnes Demütig und hehr vor aller Kreatur Voraus Erkorene des ewigen Thrones. (Dante, Divina Commedia, Paradiso 33,1)

Maria sollte in unzähligen märchenhaften Wundergeschichten die Strenge des Gesetzes lindern: Da steht sie unter den Füßen des Gehenkten, damit er das grausame Urteil überleben kann. Da versieht sie unerkannt den Dienst einer entlaufenen Nonne. Da rettet sie im Widerstand gegen alle Teufel noch den Mönch, der in einer Abwandlung der Geschichte von Hero und Leander fast ersoffen wäre, wenn sie ihn nicht ans Ufer geworfen hätte, damit er das Wasser und seine Sünde ausspeien kann. Da wehrt sie mit den Brüsten, die den Erlöser genährt haben, die Dämonen vom Totenbett einer sündigen Nonne ab.Von dieser Anarchie der Liebe zu erzählen, würde ein eigenes Buch füllen. Die Moral von diesen Geschichten: Es muss ein Gesetz geben, aber auch die Güte, welche d­ arüber steht und die rechtlichen Regeln menschlich macht. Das zusammen erst ist Gottes Gerechtigkeit. Überhaupt Geschichten: Seit den Anfängen gab es sie, ein kostbares Erzählgut, das sich auch gerne um die Kindheit Jesu rankte. Diese „Apokryphen“ waren zur Erbauung zu lesen erlaubt und wurden sogar im Mittelalter nachgedichtet. So kam z. B. auf der Flucht nach Ägypten das Heilige Paar im niederösterreichischen Weinviertel vorbei. Das Jesus-Baby wurde fein gebadet, strampelte vor Freude und so entstand 41

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Abb. 1: Lucas Cranach d. Ältere, Gnade, Gemälde (um 1535). © Germanisches Nationalmuseum

ein Schaum, der sich danach als heilsam erwies und die ritterlichen Gastgeber reich gemacht hat (Konrad von Fußesbrunnen). Für die ersten Protestanten war Maria mit ihrem fiat, es geschehe, das Inbild des sola fide-Grundsatzes. Das sollte heißen, mit Gott kann man nicht handeln, am wenigsten ihn bestechen: Gute Werke sind schon recht, aber nur im Glauben, nicht in einem do ut des, ich gebe, damit du gibst, mit dem man sich das Jenseits erkauft. Das hat Luther ja nicht erfunden: 42

Geschichten und Geschichte

Er fand es, nicht ohne Anleitung aus seiner augustinischen Vergangenheit, bei Paulus. Erst als im Dreißigjährigen Krieg die katholischen Heere unter Marienfahnen marschierten, trat für die Evangelischen eine nachhaltige Entfremdung von der Gestalt Mariens ein. Der bethlehemitische Kindermord soll nicht historisch sein, sondern an Moses und den Pharao erinnern (Ex 1, 22–2, 8 und Mose-Haggada). Aber diese Herrscher mit dem Namen Herodes waren allesamt höchst unerfreuliche Gestalten, denen man alles Mögliche zutrauen konnte. Ein Herodes hat im Jahr 7 v. – also ungefähr zur Zeit der historisch errechneten Geburt Christi – zwei seiner Söhne hinrichten lassen, im Jahr 4 v. noch einen. Ob Josef in Ägypten nun Wirtschaftsflüchtling oder Asylwerber war, soll uns nicht weiter interessieren. Das Milieu, in das Jesus hineingeboren wurde, war der Mittelstand. Auch die Hirten (Lk 2, 8f.) entstammten nicht der Unterschicht, im Gegenteil: Sie hüteten für die damalige Zeit hohe Vermögenswerte und kamen mit ihren Herden weit herum, sodass sie auch Meinungsmacher sein konnten. Es ging dann in diesem Milieu der Fachleute und Handwerker weiter. Die Fischer sorgten schließlich für eines der Grundnahrungsmittel. Die ersten Christen waren zwar meist nicht aus den führenden, aber aus den tragenden Schichten des Römischen Reiches, die zu den wichtigsten Steuerzahlern gehörten.Widerstand oder auch nur mangelnde Loyalität aus diesen Kreisen konnte gefährlich werden. Man begegnete ihnen mit Arroganz und Gewalt – und machte aus so manchen Märtyrer, „Zeugen“. Diese Märtyrer brachten die Theologen in der Kirchenväterzeit fast genauso in Verlegenheit wie die Kompromissler, 43

So einfach – in der Theorie

die sich mit der Staatsgewalt vorübergehend arrangiert hatten und über deren Wiederaufnahme in die Gemeinschaft dann heftig gestritten wurde. Um die Märtyrer entstanden die ersten Heiligen-Kulte, die, z. B. nach der Meinung des Kirchenvaters Augustinus, mit der reinen Lehre eigentlich nichts zu tun hatten. Danach entstand ein Problem, das bis in unsere Tage nachwirkt. Aus der Pfingstgemeinde wurde eine Kirchenorganisation. Die „vierte Schöpfung“ begann, der einsame Weg der Menschen zu sich selbst.

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Begriffe

Gar nicht einfach – in der Praxis Begriffe Um mein Verständnis von Institutionen und Begriffen offen­ zulegen, die ich bisher ohne nähere Erklärung verwendet habe, muss ich – meinem Beruf als Historiker entsprechend – mehrmals ein wenig ausholen. Es soll keine Kirchengeschichte daraus werden, aber die Frage nach den „Anfängen“ dürfte nicht nur mich faszinieren. Der Gedanke an „Ursprünge“ hat nicht bloß ein zeitliches, sondern auch ein wertendes Element. Da aller Ursprung, wie glaubende Menschen meinen, aus Gott kommt, wird nicht unbedingt die zeitlich früheste, sondern die richtige Interpretation gesucht. „Richtig“ bezieht sich aber nicht bloß, wie in den Wissenschaften, auf innere Widerspruchsfreiheit, sondern nur allzu oft auch auf das jeweilige zeitgenössische Verständnis, die „herrschende Lehre“.

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Gar nicht einfach – in der Praxis

Religion Die Bedeutung des Wortes Religion regt zum Nachdenken an: Ligare heißt „binden“. Die lateinische Vorsilbe re- hat es in sich: Sie bedeutet zwar oft nur „zurück“, aber meist weist sie dorthin, wo etwas hingehört. So bedeutet renovare nicht nur „erneuern“, sondern etwas so zu machen, wie es sich gehört. „Reform“ ist die Rückführung in eine Form, aber nicht in irgendeine, sondern in die, die sich gehört – wer immer das jeweils zu definieren vermag. Religion ist also Bindung, und zwar konkret unter Menschen, denen man sich zugehörig fühlt. Das kann eine Familie sein, ein Stamm, eine politische oder eine religiöse Gemeinschaft; meist sind diese sozialen Elemente miteinander verwoben. Diesen Menschen schuldet man fides, das hieß zuerst Treue, dann erst Glauben. Das Begriffspaar „Treu und Glaube“ wurde also für ein im weitesten Sinn des Wortes politisches Gebilde geprägt, in dem die gemeinsame Religion mit der politischen Struktur verbunden war. Heute sind „Volk“, „Nation“ und „Religion“ streng getrennt. Aber Bindungen – momentan gerne „Netzwerke“ genannt – spielen in der Lebenswirklichkeit immer noch eine große Rolle. Bei der Gretchenfrage aus Goethes Faust: „Wie hältst Du’s mit der Religion?“, handelt es sich wohl vordergründig um die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer real existierenden Kirche. Für „faustische“ Menschen aber stellt sie sich grundsätzlicher: Welche gesellschaftliche und religiöse Bindung bist du überhaupt bereit, einzugehen? Erst als Faust am Ende des zweiten Teils darangeht, etwas für die Menschen zu schaffen, ist sein Irrweg am Ende. Dabei ist, gut protestantisch, allein der Glaube maßgeblich; in der Dichtung geschieht das gute 46

Begriffe

Werk ja gar nicht wirklich, Faust wird vom Teufel getäuscht. Dieser verliert dennoch. Religion ist demnach das Bewusstsein, ja das Bekenntnis (Konfession) der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Menschen mit gemeinsamer Geschichte, ähnlichen Lebensvorstellungen und gleichem Glauben; das führt uns zum nächsten Hauptbegriff:

Kirche Unser Wort Kirche kommt vom griechischen κυριακόν (kyriakón), zum Herrn gehörig, und meint sowohl das Gotteshaus als auch die dort versammelte Gemeinde. Sein Vorgänger, das lateinische bzw. griechische Wort ecclesia (ἐκκλησία), bedeutete ursprünglich eine Volksversammlung, die vom Herold „he­ rausgerufen“ (ἐκκαλεῖν) wurde. „Herausgerufen“ ist nicht weit entfernt von „auserwählt“. In der Tat wurde das Wort in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der sogenannten Septuaginta, auch für die jüdische Gemeinde gebraucht. Die frühe christliche Gemeinschaft stellte sich also auch hier in die Tradition als messianische Erneuerung des alten Bundes. Aus der Zeit der anfänglich innerjüdischen Debatte sind von beiden Seiten, den „orthodoxen“ Juden und der neuen Gruppe der Jesus-Jünger, böse Worte und Diffamierungen überliefert. Es ist tragisch, dass schließlich die „Synagoge“ – ebenfalls zunächst nur „Versammlung“ bedeutend – der „Ecclesia“ polemisch gegenübergestellt wurde. Das geschah, z. B. an mittelalterlichen Kirchenportalen, auch bildhaft, in Form von Frauenstatuen. Dabei hat die Gestalt der „Synagoge“ die Augen verbunden, weil sie die neue Botschaft des Messias 47

Gar nicht einfach – in der Praxis

Abb. 2: Straßburg, Münster. Ecclesia und Synagoge. © wikimedia.commons

Christus nicht sehen wolle. Schade, dass man heute keine Legenden mehr schreiben kann. Dann müssten nämlich endlich die beiden Frauen von ihren Podesten steigen und einander als Schwestern in die Arme fallen. Die frühe Gemeinde hatte aber auch ganz praktische Sorgen. Man brauchte Leute, die das gemeinsame Vermögen verwalteten. Diakone nannte man sie, Diener. Andere mussten mit den Behörden reden können, zum Beispiel bei der Einrichtung der Begräbnisvereine. Als solche traten in der Frühzeit christliche Gruppen oft zuerst an die Öffentlichkeit. Man 48

Begriffe

brauchte auch Leute, die ihre Häuser für die Treffen zur Verfügung stellen konnten. Dort wurde rituell nach dem Vorbild Jesu vom Gründonnerstag das Brot gebrochen (Mt 26, 26–28; vgl. auch Lk 24, 30f.), gepredigt, aber es wurden auch Neuigkeiten ausgetauscht und Geschichten erzählt. Man brauchte auch Personen, die unterrichten konnten. In allen diesen Rollen findet man auch Frauen (z. B. Apg 12, 12); einige davon waren prophetisch begabt (Apg 21, 9). In Philippi trat die Purpurhändlerin Lydia mit ihrem ganzen Haus zum neuen Glauben über (Apg 16, 14), in Athen wird ausdrücklich eine Frau namens Damaris erwähnt (Apg 17, 34), in Korinth die Frau des Zeltmachers, Priszilla (Apg 18, 2). Mit ihr und ihrem Mann reiste Paulus nach Ephesus. Eine andere Frau, Tabita, das heißt Gazelle, war berühmt für die Kleider, die sie machte, und konnte von ihrem Einkommen karitativ tätig sein. Als sie krank wurde, holte man Petrus, und er erweckte sie wieder zum Leben (Apg 9, 36–41). Im Vergleich zur üblichen sozialen Rolle der Frauen in der antiken Gesellschaft ist sowohl in den Evangelien als auch in der Apostel­geschichte von vielen aktiven Frauen die Rede. Die einzeln oder zu zweit umherreisenden Prediger waren, der damaligen Gesellschaft gemäß, fast nur Männer. In den Gemeinden selbst nahmen viele Frauen verantwortungsvolle Stellen ein, vor allem diejenigen, die von Familienpflichten frei waren, „Jungfrauen“ (junge Frauen) und „Witwen“; das war wohl nicht nur eine Beschreibung ihres Familienstandes, sondern auch ein Ehrentitel. Man muss sich vor Augen halten, dass jahrhundertelang der Familiendienst sehr anstrengend und verantwortungsvoll war. Zu den häufigen Schwangerschaften und Geburten – viele Kinder starben in den ers49

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ten Lebensjahren – kam die Sicherung des Überlebens im Rahmen der Ernährung, der Vorratshaltung und der Medizin, dazu meist noch die Schaffung wichtiger Werte in der Textilproduktion. Die „politische“ Arbeit, vor allem die Außenvertretung, stand, wie auch sonst in den Kulturen des Römischen Reiches, den Männern zu. Den „Ältesten“ wurde die Leitung der Gemeinden anvertraut, den πρεσβύτεροι (presbyteroi), woraus das Wort Priester entstand, und man legte ihnen bei der Bestellung zeremoniell die Hände auf. Schon die Apostel hielten mit gewählten Gemeindevertretern auch überregionale Versammlungen über Glaubens- und Lebensfragen ab. Die wichtigsten Funktionsträger wurden von den Aposteln legitimiert oder verstanden sich als ihre Nachfolger. Das gilt bis heute so, allerdings wird die Nachfolge in den verschiedenen christlichen Kirchen verschieden verstanden. In der Organisation und deren Legitimierung liegen gegenwärtig die schwierigsten Probleme im ökumenischen Gespräch. Jede Reform muss sich mit den Verhältnissen bei den ersten Christen auseinandersetzen, und zwar aus zwei Gründen: Einmal, was leicht einleuchtet, weil man hoffen darf, dass der Einfluss der Apostel (Abgesandte, Reisende) und damit der Einfluss der Frauen und Männer um Jesus nach dessen Tod noch weiterwirkte. Zum Zweiten aber auch, weil die vielgestaltige Gesellschaft der späten Antike der unseren überraschend ähnelt. Das Christentum war zunächst nur eine unter mehreren Erlösungsreligionen und hatte sich gegen ein aufgeklärtes Heidentum zu bewähren, und zwar mit Überzeugungskraft und nicht mit Macht. Der Bildungsstand breiter Bevölkerungskreise war verhältnismäßig hoch, was allerdings 50

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auch relativ bald zu erbitterten theologischen Debatten führte und zu Spaltungen. Deren Ursachen waren ebenso von Grundsatzfragen wie von Eitelkeiten geprägt.

Konfession Die Ersten, die sich mit der neuen christlichen „Sekte“ auseinandersetzen mussten, waren, wie erwähnt, die Juden selbst. Die Gegnerschaft hatte vielfältige Gründe: Da war das jüdische Establishment, das sich angegriffen fühlte, aber auch die Enttäuschung darüber, dass sich dieser Jesus nicht in den politischen und militärischen Widerstand gegen Rom einlassen wollte. Er und seine Leute fragten nach dem Sinn von überkommenen Ritualen, und obwohl er immer wieder das Gegenteil betonte, wurde dieses Hinterfragen als Abkehr von der Tradition verstanden. Seine Jünger sprachen ausdrücklich Nichtjuden an und lockerten für diese sogar die für heilig gehaltenen Gesetze: Speiseverbote und das Beschneidungsgebot sollten für sie nicht gelten. Einer der heftigsten Kritiker, ja Verfolger war eine Zeit lang bekanntlich Saulus, später Paulus genannt, bestens zu Hause im jüdischen religiösen Diskurs, bis er sein Damaskus-Erlebnis hatte (Apg 9, 1–30). Die zweite Ebene der Auseinandersetzung war innerchristlich und ist bis heute leider nicht abgerissen. Die Theologen ergriffen das Wort, beginnend mit dem eben genannten Konvertiten Paulus. Was für manche Menschen die Pornographie bedeutet, ist für Theologen die Häresie: Es muss für viele Gelehrte lustvoll sein, um ein Jota zu streiten. Jota ist auf Griechisch das -i-, und darum ging es z. B. in der Tat bei der Polemik gegen die sogenannten Arianer, benannt nach einem 51

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Theologen namens Arius († 336): War Christus nur gottähnlich – auf Griechisch ὁμοῖος (homoíos) – oder gottgleich, ὁμός (homós). Darüber konnte man weidlich debattieren, aber auch später lebensgefährlich streiten. Denn zu diesem Gelehrtenstreit kam unglücklicherweise ein politischer Faktor. Mehr oder minder zufällig waren germanische Stämme zu einer Zeit missioniert worden, als in Byzanz eine Arianer-Partei die Oberhand hatte. Den Germanen waren wohl die christologischen Spitzfindigkeiten eher gleichgültig, aber es war ihnen in der Folge, als die Mehrheit der Christen sich der anderen Partei zuwandte – wir beten heute noch das Glaubensbekenntnis des Arianer-Gegners Athanasius († 373), Bischof von Alexandria –, willkommen, eine Art Sonderkirche zu haben. Auf diese Weise konnten ihre Gefolgschaftsverbände im dominanten römischen Kulturgebiet ihre besondere Identität wahren und die Anführer eine Zeit lang das Verschmelzen mit der Mehrheitsbevölkerung verhindern. „Arianer“ wurde ein beliebtes Schimpfwort, meist ohne dass sich diejenigen, die es gebrauchten, in die philosophisch-logischen Fragen einließen. Es gab mehrere Versuche, den alten Begriff der religio als politisches Bezugssystem in das Christentum hinüberzuretten. Viele Christen in Nordafrika benützten Differenzen über die Behandlung von Menschen, die in der Verfolgungszeit öffentlich abgeschworen hatten, um eine ziemlich fundamentalistische Sonderkirche zu gestalten. Mit diesen „Donatisten“ – wieder nach einer Leitfigur benannt (1. H. 4. Jh.) – hatte sich Augustinus auseinanderzusetzen und arbeitete im Rahmen seiner Polemik die Grundlagen für eine „katholische“, das heißt umfassende, und „orthodoxe“, das heißt rechtgläubige,Weltkirche heraus. 52

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„Katholisch“ und „orthodox“ nennen sich bis heute auch die griechischen Kirchen, davon blieb in unserem Sprachgebrauch das zweite Wort an ihnen und das erste an der lateinischen Kirche zur Unterscheidung hängen. Theologisch wurde die Differenz diesmal an ein Wort im Glaubensbekenntnis gehängt: Im Westen wurde in diesem Glaubensbekenntnis zum Heiligen Geist – wohl zunächst nur als Verdeutlichung gemeint – ein filioque eingehängt. Ursprünglich hieß es vom Geist, „der vom Vater ausgeht“, und nun, „der vom Vater und vom Sohne ausgeht“. Bei der Einheit der Personen in der Dreifaltigkeit eine wahrhaft spitzfindige Angelegenheit, die aber jeden Versöhnungsversuch verhinderte und großes Unglück anrichtete, weil es eigentlich „nur“ um Rang und Macht ging; denn die Differenz besteht ausdrücklich nur darin, dass diese Ergänzung nicht durch ein gemeinsames Konzil beschlossen wurde. Theologisch ist sie unerheblich, aber ­politisch unselig. Der innerkirchliche Konzentrationsprozess brauchte Kristallisationspunkte. Als solche bildeten sich zunächst die sogenannten Patriarchate heraus, und zwar ursprünglich in den antiken Hauptstädten Konstantinopel, Antiochia, Alexandria, Jerusalem und Rom. An die Leiter von solchen Haupt­kirchen, die sogenannten Patriarchen, wurden bei theologischen Streitigkeiten gerne Anfragen gerichtet, die sie mit mehr oder weniger großer Autorität beantworteten. Solche Antworten wurden auch gesammelt. Aus politischen Gründen wurden erwartungsgemäß die Vorsteher der Kirchen in den Kaiserstädten Konstantinopel und in Rom besonders prominent. Der byzantinische Patriarch genoss alle Vor- und Nachteile der Kaisernähe, der römi53

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sche Bischof hatte in der Übergangszeit von der Antike zum Mittelalter viele Funktionen der meist im Osten weilenden römischen Kaiser zu übernehmen. So entstand langsam das Papsttum, das in der lateinischen Kirche immer mehr Vorrechte an sich zog. Zu den Sonderformen des Christentums kamen auch Einflüsse aus anderen orientalischen Religionen, die z. T. unter den Deckmantel der erfolgreichen christlichen Bewegung zu schlüpfen versuchten. Augustinus selbst stand in seiner Jugend einer dieser Anschauungen sehr nahe: Es ging dabei um die Idee, dass es in der Welt eine harte Auseinandersetzung zwischen einem guten und einem bösen Prinzip gäbe. Diese oft recht weltfeindlich ausgelegte Vorstellung der sogenannten „Manichäer“ kam auf verschlungenen Wegen im Mittelalter noch einmal zum Tragen.Von Südfrankreich ging eine Sonderbewegung von Menschen aus, die sich καθαρόι (katharói, Katharer), die Reinen, nannten. Von diesem Wort stammt unser Begriff „Ketzer“. Ihre Vorstellungen hatten wirklich nicht mehr viel mit dem Christentum zu tun. Die Bewegung vermischte sich mit einer vornehmlich sozial begründeten Kirchen- und Herrschaftskritik. Außerdem kam dazu noch der kulturelle Gegensatz zwischen Norden und Süden in Frankreich. Die grausame Unterdrückung und Vernichtung der „Albigenser“, wie die Katharer nach „ihrer“ Stadt Albi, etwa 80 km nordöstlich von Toulouse, auch genannt wurden, gehört zu den schlimmsten Kapiteln der europäischen Geschichte. Viele Häretiker – das Wort kommt aus dem Griechischen und steht für „Überzeugung“ – waren vergleichsweise harmlos. Gefährlich wurde es, wenn durch sie auch soziale oder 54

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politische Probleme aufgezeigt wurden. Im Rahmen einer Vielfalt von Reformbewegungen des 12. Jahrhunderts gab es auch, heute würden wir sagen, evangelikale Gruppen, die ihre Anschauungen unabhängig von der Amtskirche verbreiten wollten und oft damit eine scharfe – und nicht selten berechtigte – Kritik an kirchlichen Amtsträgern verbanden. Es war eine Frage von Datum und Uhrzeit, ob man ihre Dynamik als Reformkraft vereinnahmen konnte, wie die der Anhänger des heiligen Franziskus von Assisi († 1226), oder ob man sie verfolgte, wie die Gefolgsleute des Petrus Waldes von Lyon († vor 1218). Beide Bewegungen gibt es heute noch: die Franziskaner als Orden in der Kirche, die „Waldenser“, auch „Böhmische Brüder“ genannt, vor allem in Übersee und innerhalb der evangelischen Glaubensgemeinschaften. Martin Luther und andere Reformatoren an der Schwelle zur Neuzeit wollten zunächst keine eigene Kirche gründen. Das weitgehende Versagen der römischen Kirche gegenüber dem Reformbedürfnis jener Zeit und ihre Verquickung mit finanz- und machtpolitischen Aspekten führten aber – um eine lange, ungute Geschichte kurz zu machen – zu einer Spaltung, die organisatorisch bis heute besteht. Am Ende des 20. Jahrhunderts hat endlich eine Kommission unter Billigung des Vatikans festgehalten, dass einige wesentliche theologische Fragen nicht mehr trennend seien. Es gibt seit 1999 einen „Grundkonsens in Fragen der Rechtfertigungslehre“. Ein Problem macht – von der Kirchenorganisation abgesehen – im Alltag das verschiedene Sakramentsverständnis; ich wage zu behaupten, dass es auch da lediglich um Traditions- und Definitionsfragen geht.

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Die anglikanischen Kirchen wurden aus rein politischen Gründen von Rom abgespalten. Nichts inhaltlich Wesent­liches, außer der Organisation und verschiedener Auslegungsgewohnheiten, trennt die beiden Glaubensgemeinschaften. Zahlreiche christliche Gruppen in der Welt haben einerseits eine Wurzel in der Autonomie der protestantischen Gemeinden, andererseits entsprangen sie den Bedürfnissen von Menschen mit besonderen kulturellen Hintergründen. Außerdem spielt die Gruppendynamik von Kleingruppen eine große Rolle. Einige haben sich inhaltlich eigene Wege gesucht, sodass man sie mit dem nicht freundlich gemeinten Begriff „Sekten“ (von lat. secare, trennen) zusammenfasst. Man kann über Einzelheiten diskutieren – es gibt durchaus in manchen Gruppen beunruhigende Tendenzen –, aber man sollte immer großen Respekt haben vor dem religiösen Bedürfnis, das für ihre Mitglieder dahintersteht. Die großen Kirchen würden sich freuen, wenn ihre Anhänger ein ähnliches Engagement an den Tag legten. Traurig stimmen mich nur jene, die sich oft selber „Fundamentalisten“ nennen, weil sie den ganzen Schatz der Geschichte wegwerfen zugunsten einer oft recht vereinfachenden Interpretation der Bibeltexte, deren historischer Hintergrund ihnen weitgehend verschlossen bleibt und die sie oft gar nicht in einer der traditionsbildenden „heiligen“ Sprachen lesen können. Dieser Abschnitt sollte, wie gesagt, keine Kirchengeschichte werden. Es sollte die alte Sorge wiederbeleben: Ausgerechnet aus den Lehren eines Mannes, der sich der Politik seiner Zeit radikal verweigert hatte und dafür auch gestorben ist, gingen Kirchen hervor, die sich vordergründig um Rechtgläubigkeit, aber hintergründig nur zu oft um Machtpositionen stritten. 56

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Ausgrenzungen finden bis heute statt, allerdings landen die Beschuldigten wenigstens nicht mehr auf Scheiterhaufen. Aber, so höre ich oft, es gehe doch um die Wahrheit. Nun, wer kennt sie, außer Gott? In den drei synoptischen Evangelien Matthäus, Markus und Lukas wird nie behauptet, Jesus sage die Wahrheit, sondern bedeutungsvoll, er sei die Wahrheit und was er tue, folge daraus. Nur an einer Stelle bei Johannes (8, 45) wird in einem höchst polemischen Zusammenhang formuliert, „weil ich die Wahrheit sage“. Auch der zweifelnde Satz des Pilatus, „Was ist Wahrheit?“, steht übrigens bei Johannes (18, 38). Dessen Evangelium ist griechisch gedacht und geschrieben; es versucht, sich mit der Philosophie des λόγος (Logos) auseinanderzusetzen, wie er schon am Beginn programmatisch schreibt. Da gehört der philosophische Wahrheitsbegriff dazu, aber, wie gesagt, in der Polemik. Die christliche Wahrheit aber ist nicht etwas Abstraktes, sondern etwas Lebendiges – und darum sehr Verletzliches. Man kann sie nur tun, in der Nachfolge Christi.

Einrichtungen Die wahren Bausteine der Kirchen sind die Menschen, die ihnen angehören, auf welche Weise auch immer. Alles andere sind, wie die Kathedralen, zwar mächtige und schöne Gebäude, aber doch nichts weiter als zeit- und kulturspezifische Angebote, die Gemeinschaft von Menschen zu organisieren und ihnen zu helfen, ihr Leben auf religiöse Grundlagen zu stellen. Die Fehlbarkeit ihrer Führer ist ihnen von Anfang an mit­gegeben (S. 84), ihre Unfehlbarkeit verdanken sie dem schlichten Gottvertrauen. Der katholische Papst trägt den 57

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­Titel Servus servorum Dei (Mt 20, 25–28), Diener der Diener Gottes, und nicht servorum ecclesiae, der Diener der (Amts-) Kirche, und diese Demut sollte bis an die Basis als Fundament des Glaubens nicht nur Formel bleiben.

Gemeinde Der Kern des religiösen Lebens ist in allen Religionen, die ich kenne, die Familie, wie auch immer sie jeweils strukturiert sein mag. Dass sich da in „modernen“ Zeiten viel verändert, ist nichts Neues. Immer schon war ihre soziale Organisation abhängig vom sozialen Stand ihrer Mitglieder und den zeitbedingten Gewohnheiten. Die miteinander lebende Groß­ familie gibt es heute nur mehr selten. Aber neben dem Kern – Eltern und Kinder – gibt es immer noch einen Kreis von Verwandten, Paten und nahestehenden Personen, die ein hilfreiches Netzwerk bilden. Die zunehmende Langlebigkeit hat die Generation der Großeltern in ihrer Rolle sogar wieder aufgewertet; die Enkel heißen ja auch danach: Das Wort ist eine alte Verkleinerungsform von „Ahn“. Auf der anderen Seite gehört fast jede Person den verschiedensten eigenständigen Netzwerken an, z. B. Freundschaften, Vereinen oder politischen Verbänden. Die Pfarrgemeinde ist heute nur eine unter vielen dieser Gruppierungen. Jahrhundertelang war sie die wichtigste, wo die wichtigsten jahresund lebenszeitlichen Feste – Ostern und Weihnachten, Taufe, Hochzeit und Begräbnis (vgl. S. 70ff.) – gefeiert wurden. Bei der Untersuchung von Zusammenlegungen politischer Gemeinden fand der Historiker Michael Mitterauer überraschenderweise heraus, dass es noch in unserer Zeit über58

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all dort Schwierigkeiten gab, wo Pfarrgrenzen überschritten oder ignoriert wurden. Die Umstellungen, die angesichts des Priestermangels und der kleiner werdenden Gemeinden unvermeidbar erscheinen, werden noch viel Geduld und Einfühlungsvermögen erfordern. Sogar praktizierende Christen richten ihren Messbesuch oft danach, wann ihnen das Angebot in den umliegenden Kirchen zeitlich oder inhaltlich am besten passt. Je später die Messe, desto jünger das Publikum. Man heiratet, wo es dem Paar gefällt, und lässt die Kinder von einem Priester des besonderen Vertrauens taufen. Da seit der Aufklärung die Friedhöfe nur mehr selten um die Kirchen angelegt sind, löst sich auch die Feier des Begräbnisses in der Regel von der Pfarrgemeinde, zumindest in größeren Orten. Schon im Mittelalter gab es die Tendenz, die Beichte gerade nicht beim eigenen Pfarrer abzulegen, vor dem man Scheu hatte, ohne dabei gleich an einen Missbrauch des Beichtgeheimnisses zu denken. Nur die Kinder- und Altenseelsorge konzentriert sich aus verständ­lichen Gründen noch stark auf nahe gelegene Kirchen. Evangelikale Gruppen und Sondergemeinschaften sind selten darauf ausgelegt, das alltägliche Gemeindeleben zu befruchten. Der Mangel an geistlichen Berufungen, den es in allen christlichen Kirchen gibt, macht es immer schwieriger, dass Pfarrer und Pfarrerinnen von sich aus auf ihre Gemeindemitglieder zugehen. Die katholische Kirche macht es sich durch die Vorschrift des Zölibats und die Weigerung, Frauen zum Priesteramt zuzulassen, noch schwerer. Beides sind, entgegen anderslautender Behauptungen, nur Organisationsfragen und nicht Bestandteil der Glaubensfundamente, wie auch ein Blick auf die frühe Kirche zeigt. Aber eine Änderung in die59

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sen Fragen wird die personalen Probleme nicht lösen, wie der Vergleich mit anderen christlichen Kirchen zeigt. Wie bei der immer beklagten Politikverdrossenheit gilt auch hier der abgewandelte Spruch Churchills: Die Kirchen haben die Pfarrer und Pfarrerinnen, die sie verdienen, und für die Gemeinden gilt das auch. Wer besser funktionierende Gemeinden will und mehr Priester und Priesterinnen, muss sich engagieren. In einem dichten Gewebe verfangen sich die Berufungen von selbst. Wieder heißt also die Devise für eine Veränderung: Ein- und nicht Austreten. Die geistlichen Leiter einer Gemeinde werden unterstützt von Pfarrgemeinderäten, Diakonen – ich habe im katholischen Bereich noch keine Diakonin gesehen –, Kommunion­ austeilerinnen und -austeiler, Pfarrassistentinnen und -assistenten und vielerlei freiwillige Helferinnen und Helfer, von den um die Pfarren angeordneten Vereinen einmal abgesehen. Das alltägliche Gemeindeleben ist vornehmlich weiblich. Die Kirchenleitungen sind gezwungen, den Laien immer mehr Autonomie, Autorität und Funktionen zu „gewähren“, weil sonst wenig weiterginge. Wie könnte man das Engagement in diesen Funktionen noch attraktiver gestalten? Denn Angebote zum „Socialising“ gibt es genug. Es gibt nur ein Alleinstellungsmerkmal: die Religion. Das ist nicht so einfach hingeschrieben, sondern bezieht sich auf eine leidige Tendenz, den Kern der Botschaft eher zu verstecken als zu propagieren. Man schaue sich nur die Lehrbücher an. Das Ausmaß an Unwissen in religiösen Dingen ist – auch bei praktizierenden Christen – kaum mehr zu überbieten. Schöne Gefühle allein werden es nicht tun, religiöse Wellness ist nicht konkurrenzfähig, auch und schon gar 60

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nicht bei der Jugend. Aber einer wie ich, der sich ein Leben lang selbst keine Zeit genommen hat für die Pfarre, darf sich nicht als Experte aufspielen.

Gebäude Der Abt eines bedeutenden und prächtigen österreichischen Klosters hat mir einmal erzählt, dass er in seiner Jugend am liebsten das riesige Gebäude für einen symbolischen Betrag verkauft hätte, um sich mit seinen Mitbrüdern in einer ein­ fachen Unterkunft ihrer eigentlichen Berufung zu widmen. Er hat es nicht getan, sondern sein Kloster steht prächtiger da denn je. Die Kritik an der Prachtentfaltung der Kirchen ist so alt wie ihre Gebäude.Wer würde aber gerne auf diese Kulturleistungen verzichten? Der Staat trägt zu ihrer Erhaltung nicht viel mehr bei, als er durch die Mehrwertsteuer wieder hereinbekommt. Vom Gold kann man nicht leben, aber es kostet viel, es sicher zu bewahren. Es soll hier aber nicht um Kunstgeschichte gehen, sondern um die Funktionen, denen diese Gebäude dienen. Auch Laien und Fernstehende sollten sie „lesen“ können, denn nur so erschließt sich die künstlerische Ausstattung. Das Erste, was man sieht, ist der Turm. Er gehört vor allem­ den Leuten, die er mit seiner Glocke ruft und denen er oft die Zeit ansagt. Die Bürger haben ihn zumeist finanziert und über ganz Europa hinweg Wettbewerbe betrieben, wer den höchsten habe, so wie heute bei den Hochhäusern. Der Türmer hatte auch Ausschau zu halten, um frühzeitig Feuergefahr zu entdecken. Selbst im toleranten Josephinismus hat man nichtkatholischen Gemeinschaften die Errichtung von Kirchtürmen verboten. 61

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Das Zweite, was man wahrnimmt, ist – sehr oft – der Platz. Da war ursprünglich zumeist ein Friedhof. Da der Platz dafür begrenzt war, baute man manchmal einen Karner, ein Beinhaus, um exhumierte Knochen aufzubewahren und den Friedhof neu belegen zu können. Diese Karner sind meist Rundkapellen – die Rotunde der Grabeskirche von Jerusalem steht Pate – und haben oft ein übergroßes, reich verziertes Portal, das den Eingang in das himmlische Jerusalem symbolisiert. Manchmal gab es, besonders in älteren Zeiten, auch eine eigene Taufkapelle, denn eintreten in die Kirche sollten ja erst die Getauften. Ein Teil des Platzes war meistens Baustelle, wo die „Bauhütte“ stand – und mancherorts noch steht –, denn an den größeren Kirchen baut man, wie an manchen indischen Tempeln, sozusagen ewig.Vor dem Hauptportal der Kirche wurden auch Gerichtsversammlungen abgehalten. Darauf deutet nicht selten heute noch der Figurenschmuck dieses Portals, über dem Christus als Weltenrichter thront. Sogar Festveranstaltungen wurden auf diesem Platz abgehalten, weil er samt dem Friedhof eine eigene Rechtszone war, wo einige städtische Verordnungen nicht galten. Ich kenne keine detaillierte Schilderung solcher Feste und kann mir nicht recht vorstellen, wie es dabei zuging. Die Kirchen dominierten rundherum einen ganzen Baukomplex, was zum Teil heute noch bemerkbar ist. Dort standen die Unterkünfte der Geistlichen, der Pfarrhof war nicht weit. Auch Handwerker-Gilden bauten dort ihre Versammlungshäuser, und einen Kirchenwirt brauchte man auch. Die Außenseite der Kirchen, besonders der Bischofskirchen in den Städten, ist nicht zuletzt auch bestimmt von der 62

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kirchlichen Verkündigung, aber auch von weltlicher Propaganda, besonders im Umfeld der Eingänge. Auch Könige und Fürsten ließen dort gerne ihre Standbilder aufstellen. Jede Kirche ist, wenn vom Gelände her irgend möglich, mit der Apsis nach Osten hin orientiert. Daher liegt der Haupteingang in der Regel im Westen. Durch diesen Eingang ging man allerdings nur bei feierlichen Anlässen. Für den Alltag gibt es Seiteneingänge, die ebenfalls geschmückt sein konnten. Die gesamte Ausstattung der Kirchen folgt einem Steigerungsprogramm: von Motiven der Buße und des Gerichts im Westen bis zu Glorie und Auferstehung am Hauptaltar. Über dem Westteil befindet sich meist eine Empore, auf der die Orgel steht und der Chor Platz hat. Beide sind symbolisch die Stimmen des Kirchenvolkes. Das Kirchenschiff, der größte Teil des Inneren, ist der Raum, in dem sich die Gläubigen aufhalten, besonders während der heiligen Handlung der Messe. An den Seiten können sich Nebenaltäre und Seitenkapellen befinden, die besonderen Heiligen gewidmet sind und für spezielle Anliegen gestiftet wurden. In vielen Kirchen steht noch die Kanzel, meist am Rand der vorderen Hälfte des Schiffes. Sie wird aber nur mehr selten benützt, weil man ihrer Wirkung nicht mehr bedarf. Kanzeln wurden nämlich errichtet, damit die Predigt besser verstanden werde. Manche sehnen die Zeiten wieder herbei, als noch autoritativ „von der Kanzel“ gesprochen wurde, aber Mikrophon und Lautsprecher sind praktischer und Autorität bezieht das Gotteswort durch seinen Inhalt. Rechts und links vor dem Altarraum steht in der Regel je ein Pult. Nur, wo ist „rechts“ und wo „links“? Zumindest für den Altarraum gilt, dass die maßgebliche „Person“, die das 63

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bestimmt, Jesus Christus ist, symbolisch anwesend am Altar oder in dem in der Nähe aufbewahrten Sakrament. Daher wird das Evangelium „rechts“ von ihm gelesen, die übrigen Lesungen „links“. Auch für die Interpretation der künst­ lerischen Ausgestaltung des Altarraums muss man das wissen. Für das Kirchenschiff hingegen gilt oft, dass von den Gläubigen ausgegangen wird: Im Norden – symbolisch ohnehin die „schlechtere“ Seite – sind oft die mahnenden Bilder das Thema, im Süden die positiven. Weitgehend aufgelöst hat sich die alte Sitzordnung: Links (von den Gläubigen aus) saßen die Frauen. Heute findet man kaum mehr die alten Namensschilder an den Kirchenbänken. Bis ins 20. Jahrhundert konnte man sich einen Stammplatz in der Kirche mieten. Heute bemühen sich viele Gemeinden, die Kinder vorne zu halten oder überhaupt ins Geschehen einzubeziehen. Bis weit in die Nachkriegszeit durften nur Knaben ministrieren. Dann kamen die Mädchen dazu. Als dann einmal eine Weisung aus Rom kam, die Rolle der Mädchen zu beschränken, reagierten die meisten Gemeinden und Pfarrer mit aktivem Widerstand. Ich kenne sogar ein Kloster, das ein Knaben­ internat betrieb, also genug Ministranten hatte, und „zufällig“ genau zu dieser Zeit erstmals Mädchen an den Altar rief. Es gäbe noch viel im Detail zu erzählen, aber das überlasse ich dem jeweiligen Kirchenführer. Im deutschsprachigen Bereich liegt in fast jeder Kirche ein kleines, wohlfeiles Heftchen auf, das meist von hervorragenden Fachleuten in verständ­ licher Sprache geschrieben wurde. Auf zwei Elemente möchte ich noch aufmerksam machen: Die Kirche ist nicht nur ein architektonischer Raum, sondern dessen Eindruck wird ganz 64

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wesentlich auch durch die Lichtregie bestimmt. Das gilt bei Tag und bei Dunkelheit, allerdings war der „Lichtraum“ in älteren Kirchen noch durch die spezielle Beleuchtung durch Kerzen charakterisiert, die – auch abhängig von der Liturgie – immer nur bestimmte Segmente des Raums hervorhoben. Bei der Liturgie in katholischen Kirchen entsteht auch noch ein „Duftraum“, den vor allem der Geruch des Weihrauchs beherrscht. Der „Klangraum“ wird einerseits durch Orgel und Chor, andererseits durch die Worte und Klingelsignale vom Altar bei der Messe organisiert. Im Mittelalter war der Altarraum vielfach durch eine künstlerisch gestaltete Wand, den Lettner, vom Kirchenraum abgegrenzt. Dahinter wurde die heilige Handlung gefeiert, der Priester kam nur zu bestimmten Zeremonien hervor. So etwas gilt heute noch in den meisten orthodoxen Kirchen, wo die „Ikonostase“, eine mit Ikonen (geistlichen Darstellungen) geschmückte Wand, den Altarraum abgrenzt.Von den Lettnern sind nur mehr wenige erhalten. Bis zur Liturgie­ reform des Zweiten Vaticanischen Konzils feierte (zelebrierte) der Priester die Messe mit dem Rücken zum Volk. Das konnte zweifach ausgelegt werden: Für die einen diente es der Bewahrung des Geheimnisses, für die anderen stand der Priester damit sozusagen stellvertretend vor dem Kirchenvolk. Seit der Reform wurden sogenannte „Volksaltäre“ aufgestellt. Hier gilt die Botschaft, dass das heilige Mahl im Gedenken an die Einsetzung des Sakraments beim Abendmahl am Grün­ donnerstag gemeinsam gefeiert wird. Zu erwähnen sind noch die Sakristei, wo sich der Priester mit seinen Messdienern vorbereitet und von wo er zur Feier der Messe herauskommt, sehr oft vom Beschauer aus gesehen 65

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rechts vom Altarraum. In Klosterkirchen haben die Mönche ein eigenes, schön gestaltetes Chorgestühl, Nonnen in strengen Orden folgen der Messe von einer eigenen Nonnen­ empore hinten oder an der Seite.

Klöster Ein Kloster ist eine eigene Welt. Ich kann persönlich naturgemäß nur von katholischen Männerklöstern berichten, wo ich die Ehre hatte, mehrmals eine Zeit lang im abgeschlossenen Bereich der Mönche, der Klausur, zu verbringen. Lange Zeit hat man aus dieser Klausur ein großes Geheimnis gemacht. Es ist eine Art Schutzzone. Tritt man durch die Tür, hat man schon das Gefühl einer gewissen Distanz zur Welt, die unter Umständen die Konzentration sehr stark fördert. Männer und Frauen haben beschlossen – oder wurden, nach christlichen Vorstellungen, dazu von Gott berufen – ihr ganzes Leben dem Dienst an Gott zu widmen. Das gilt – und das kann nicht genug betont werden – ausdrücklich nicht zur Selbstheiligung, sondern sie stehen stellvertretend für die Gläubigen in diesem Dienst. Das Klosterleben ist schwer, sodass die Selbstheiligung ohnehin nicht viel leichter ist als im Alltag außerhalb, aus dem sie sich zurückzogen, um nach einer bestimmten Klosterregel zu leben. Der Dienst vollzieht sich – wenn nicht andere Aufgaben die Mönche zwingen, davon abzuweichen – in einem festgesetzten Rhythmus von Gebet, Kontemplation (Nachdenken,Versenkung) und Arbeit. Die Konventglocke ruft zum Gebet und zur Liturgie. Beim Signal am Morgen um 6 Uhr zu den Laudes (Lobgesang) habe ich mich meistens im Bett noch einmal umgedreht und die 66

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Herren dann beim Frühstück getroffen. Bei Gesprächen nach dem Abendgebet (Vesper) war ich oft müde, habe entspannt zugehört, bin aber häufig bis zum Schlussgebet (Komplet) geblieben. Das Mittagsgebet unterbricht den Tag, wenn es sich ausgeht, auf eine angenehme Weise. Die beiden anderen Gebetsstunden können selbst Mönche nur mehr selten gemeinsam halten, weil sie mit verschiedensten Aufgaben beschäftigt sind. Die bekanntesten Klosterregeln: Die älteste ist die des Heiligen Benedikt von Nursia († um 550), nach der sich z. B. die Benediktiner und die Zisterzienser richten. Eine zweite Regel, die auf den Heiligen Augustinus († 430) zurückgeht, aber erst später nach einem seiner Lehrbriefe ausgestaltet wurde, gilt für Priesterorden wie die Augustiner Chorherren und die Prämonstratenser. Alle diese Orden haben auch weibliche Zweige. Eine dritte Gruppe sind die sogenannten Minoriten. Weil sie sich ursprünglich nur mit Spenden durchbrachten, werden sie auch „Bettelorden“ genannt. Dazu gehören die in der Nachfolge von Franz von Assisi († 1226) gegründeten Franziskaner und Clarissen und der Predigerorden der Dominikaner, gegründet vom Heiligen Dominikus († 1221). Es gibt selbstverständlich auch Dominikanerinnen, von denen viele im Schuldienst beschäftigt sind. Ihre Klöster wurden vornehmlich in den Städten gegründet. Die Kartäuser sind ein Eremitenorden. Begründet wurde dieser Orden von Bruno von Köln († 1101). Er versucht, das Leben als Einsiedler mit dem klösterlichen Zusammenhalt zu verbinden. Fallweise wurden für diese Mönche kleine Häuschen gebaut, die um das Klostergelände gruppiert waren und sind. Zu bestimmten 67

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liturgischen Stunden treffen die Mönche zusammen. Es gibt auch einen weiblichen Zweig, heute sind es vier Klöster. Ignatius von Loyola († 1556) gründete die Societas Jesu, die Jesuiten, deren Gemeinschaften ursprünglich vor allem der katholischen Erneuerung nach der Reformation gewidmet waren und sich direkt dem Papst unterstellten. Auch die Englischen Fräulein, gegründet von Mary Ward († 1645), heute Congregatio Jesu, stützen sich auf die Regel des Ignatius. Es gibt noch viele ordensähnliche Gemeinschaften, auch protestantische (z. B. die Diakonissen- und Diakonverbände), und in der Neuzeit und der Gegenwart entwickelten und entwickeln sich neue Gruppierungen, wie die Krankenhausorden der Barmherzigen Brüder und Schwestern (Johannes von Gott, †1550), der Schulorden des Don Bosco († 1888), ­einige Missionsorden, die heute vor allem in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, und die Gemeinschaft der seligen Mutter Teresa († 1997), von denen so manche inzwischen in Europa „missioniert“. Die Szene ist lebendiger, als man glaubt, und umfasst auch Gemeinschaften von Menschen, die als „Laien“ im normalen Alltag leben. Meiner Erfahrung nach haben aber auch die „alten Orden“ dort, wo die spirituelle Gemeinschaft gelingt, keine besonderen Nachwuchssorgen. Über den viel kritisierten Laienorden Opus Dei, gegründet 1928 von Josemaría Escrivá, weiß ich nichts aus persönlicher Erfahrung und erlaube mir daher kein Urteil. Ich bin, wenigstens bewusst, selbst noch nie einem Mitglied des Opus Dei begegnet. Dem, was erzählt wird, kann ich nichts abgewinnen. Aber, wie gesagt, ich bin bei den alten Orden benediktinischer Tradition „zu Hause“.

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Man unterscheidet im Prinzip kontemplative Orden, die vornehmlich für den Gottesdienst leben, und tätige Orden, die ihre Aufgaben vornehmlich im sozialen Dienst suchen – aber diese klassische Aufteilung ist zum Großteil längst ­illusorisch. Zum einen wurden die meisten „kontemplativen“ Klöster in der Zeit der Aufklärung, in Österreich zur Zeit Josephs II., aufgehoben. Zum anderen braucht die Kirche die Dienste der Mönche, vor allem als Priester. Das hat eine überraschende Folge: Diese Geistlichen unterstehen zwar theoretisch in ihrem Amt dem zuständigen Bischof, in der Tat sind sie aber weitgehend unabhängig, denn sie können jederzeit ins Kloster zurückgehen. Ich habe erlebt, wie stark sich das bei einer verfehlten Bischofseinsetzung auswirkte. An der Spitze steht ein „Prälat“ oder eine „Prälatin“, das heißt nichts anderes als Vorgesetzte(r); je nach Orden heißen er oder sie Abt und Äbtissin (in der benediktinischen Tradition), Propst (in der augustinischen) oder anders. Die Vorgesetzten sind in Regel durch den Konvent frei gewählt; das ist im Übrigen die älteste freie Wahl in der europäischen Geschichte nach der Antike. Häufig ist heute diese sehr schwierige Aufgabe befristet. Der Pflicht des Gehorsams steht die Pflicht der Obsorge gegenüber. Es gibt verschiedene Ämter, die an der Leitung der Gemeinschaft mitwirken.Vor der Aufnahme steht ein mehr oder weniger langes Noviziat, das der Ausbildung und der Selbstprüfung der Novizen und Novizinnen dient, dann kommt in der Regel ein vorläufiges und schließlich ein bindendes Versprechen. Für Außenstehende mag es seltsam erscheinen, aber ein Charakteristikum der klösterlichen Lebensweise ist die Freiheit. Das beginnt mit der Freiheit von persönlichen materiel69

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len Sorgen. Die meisten Klöster haben als Institution durchaus finanzielle Probleme, denn die Erhaltung der historischen Gebäude kostet Unsummen, von den „Schätzen“ kann man nicht leben, ein touristischer Betrieb kostet Personal und die Lebensgrundlage war ursprünglich meist landwirtschaftlich genutzter Grundbesitz, der heute wenig einträgt. Aber in vielen klösterlichen Gemeinschaften sind neue Ideen erwachsen, einige arbeiten vorbildlich mit ökologischen Prinzipien. Die Orden, die Spitäler betreiben, können heute, u. a. durch ihre Zusammenarbeit, trotz des zahlreichen Laien-Personals und der teuren Geräte weit kostengünstiger wirtschaften als die öffentlichen Betriebe. Ein schwerwiegendes Problem ist, vor allem bei Männerklöstern in Österreich, die Betreuung der Pfarren, die meist auch Geld kostet und Personal abzieht; aber schlimmer noch als das ist, dass so viele außerhalb der Gemeinschaft arbeiten müssen. Die innere Freiheit zum Dienst muss heute hart erkämpft werden. Aber ich habe keine Sorge um die Idee an sich. Sie ist viel älter als das Christentum.

Jahreskreis Jahrhundertelang hat die Kirche ganz wesentlich die Abläufe im Jahres- und Lebenskreis mitbestimmt. Im 20. Jahrhundert verloren diese Rhythmen zunehmend ihre Bedeutung. Einige davon sind heute noch lebendig, einige stehen, ohne dass es die meisten wissen, noch hinter alltäglichen Gewohnheiten und einige werden durch Kommerz und Brauchtumspflege – vornehmlich für den Fremdenverkehr – noch künstlich am Leben gehalten. Daher mag ein kurzer Überblick ein bisschen Aufklärung bringen. 70

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Abb. 3: Christlicher Festkalender. © wikimedia.commons

Meine Generation ist die letzte, die Lebensformen und Strukturen einer alten Welt noch selbst erleben konnte. In dem Dorf, aus dem mein Großvater kam, wurde der elektrische Strom erst eingeführt, als ich ein Kind war. Im Stall unserer Verwandten stand das Pferd des Gemeindearztes. Später kaufte sich der Jungbauer ein Motorrad. Ein „Luxusauto“ zu besitzen, wie damals ein PKW hieß, kam den Leuten nicht in den Sinn. Wieder war es der Doktor, der als Erster ein 71

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solches gebrauchen konnte; die Güterwege waren verbessert worden. Ich habe noch gesehen, wie das Korn – Roggen – mit der Sense geschnitten wurde. Dann kam ein Balkenmäher, eigens so hergerichtet, dass die Halme gleichmäßig zur Seite fielen. Das Binden der Garben und Aufrichten der Kornmandeln war eine Kunst, den Männern vorbehalten. Ich habe damals unweit der Schnitter in einem „Kobel“ gespielt. Das waren riesige Granitbrocken, mit Moos überdeckt und von Sträuchern und kleinen Bäumchen umwachsen. Die wurden dann alle gesprengt, die Felder eingeebnet. Das Dreschen mit der riesigen Maschine war ein Abenteuer für die ganze Bevölkerung des Dorfes. Zur Kirche ging man mehr als eine Stunde. Die Bauernbuben, die Ministranten waren, lernten die Messgebete noch auf Lateinisch. In den Sprüchen der Bauersleute gaben die Heiligenfeste die Eckdaten für bestimmte Tätigkeiten, Gebote und Verbote vor. Die „Eismänner“ Pankraz, Servaz, Bonifaz und die „kalte Sophie“ (12.–15. Mai) markieren tatsächlich eine „meteorologische Singularität“, wie die Fachleute Wetterelemente nennen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten. Diese und andere Bauernweisheiten, aus sehr langen Beobachtungen entstanden, haben nachweislich eine ähnliche Trefferquote wie die Meteorologen mit ihren Computern. Unsere Gesellschaft hat sich heute von den Zwängen der jahreszeitlichen Rhythmen weitgehend abgekoppelt – glaubt man. Es mag sein, dass man immer alles kaufen kann, oft von weit hergeholt, und dass die Konservierungsmöglichkeiten nahezu unbegrenzt sind. Es erhebt sich jedoch wieder mehr denn je die Frage, ob das alles ökologisch zu rechtfertigen sei. Aber wie soll man in den Stadtwüsten eine konkrete Vorstellung 72

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von Jahreszeiten bekommen? Nach den Kriegen haben die Schreber­gärten vielen Menschen beim Überleben geholfen. Heute sollte man in den Städten wieder kleine Gärten einrichten, in denen die Kinder lernen, was die Jahreszeiten bedeuten, und dass nicht immer, wenn die Sonne die Pflanzen verdorrt, „Schönwetter“ ist, wie fröhlich in den Medien verkündet wird. Eine kurze Umschau über die Feste im Jahreskreis und im Lebenszyklus erklärt also nicht nur so manche Überreste, die heute noch, oft unbedacht und unverstanden, in den K ­ öpfen und in den Museen existieren, sondern sie kann auch zur Besinnung anregen. Historisch gesehen ist eine solche Skizze aber ein gutes Beispiel, wie Kirche und Welt – in alten Zeiten recht zwingend – ineinanderspielten. Die Bedeutung des „Kirchenjahrs“ für die Alltagskultur in Europa ist kaum zu unterschätzen. Diese Bezeichnung ist allerdings erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts nachweisbar: So selbstverständlich war bis dahin der Jahreskreis mit den kirchlichen Festen verbunden. Es wird sich zeigen, dass viele Aspekte mit dem Christentum direkt nur wenig zu tun haben. Dahinter steht aber der liturgische Zyklus, dessen Feste im Wesentlichen auf Weihnachten und Ostern hin orientiert sind. Das Fest der Geburt des Neuen Bundes (Weihnachten) hat nach römischem Muster ein fixes Datum in dem an der Sonne orientierten Kalenderjahr (am 25. 12.), das Osterfest, das vom alten jüdischen Pessach-Fest abstammt, richtet sich – wie der ganze jüdische Kalender – nach dem Mond. Im Lateinischen und in den romanischen Sprachen haben Sonne und Mond umgekehrte Geschlechter. Manche alten deutschen Texte übernahmen das. Die mâninne, Möndin, regierte ja auch den Zyklus der Frauen. 73

Gar nicht einfach – in der Praxis

Demgegenüber scheinbar zufällig verteilen sich – meist nach ihren Sterbedaten – die Heiligenfeste übers Jahr. Einige, über deren Namengeber kaum mehr jemand etwas weiß, ­haben aus äußeren Gründen eine gewisse Prominenz aufzuweisen: Sie wurden z. B. Steuertermine oder Lostage im Rahmen der bäuerlichen Wetteregeln. Alte Menschen kannten zu meinen Lebzeiten noch die wichtigsten Merksprüche darüber, was man um welche Heiligenfeste herum zu tun hatte oder lassen sollte. Einzelne Heilige wurden für bestimmte Anliegen und Ängste der Menschen für zuständig erklärt. Das hat oft mit ihrem Leben und Sterben zu tun oder mit den Wundern, die sie wirkten (vgl. S. 98). Theologisch lässt der Jahreskreis die großen Zyklen der Heilsgeschichte nachvollziehen, praktisch wurden an den bekannten Kirchenfesten die üblichen und notwendigen Tätigkeiten der Menschen merkbar gemacht.Viele jahreszeitliche Arbeiten mussten ja in einer bestimmten Region unter den Bauern einigermaßen im Gleichklang erfolgen. Im 20. Jahrhundert musste – gegen heftigen Widerstand von Traditionalisten – die kirchliche Liturgie gründlich reformiert werden. Ging sie doch – im Wesentlichen seit der Karolingerzeit – in ihrem Aufbau, besonders in der Fastenzeit, immer noch von einem täglichen Kirchenbesuch aus, und ein solcher war mit wenigen Ausnahmen nur mehr geist­lichen Personen möglich. Die Umstellung von der lateinischen Sprache zu den jeweiligen Volkssprachen war für die Pastoral sicherlich hilfreich, aber die Bedeutung der lateinischen Liturgie haben auch Leute, die nicht Latein gelernt hatten, auch vor der Umstellung verstanden. Die zeitlichen Parallelen von Kirchenfesten zu heidnischen Feiern sind – entgegen der 74

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landläufigen Meinung – meist eher zufällig. Die Anliegen, die Menschen in agrarischen Gesellschaften haben, sind nun einmal zu großen Teilen an den Kreis der Jahreszeiten gebunden. Außerdem bleibt das „Vokabular“, die Wünsche, Sorgen und Ängste der Menschen sinnlich auszudrücken, begrenzt. Wir wissen im Übrigen sehr wenig über die vorchristliche Alltagsreligiosität. Wie bei den Göttern sind vor allem Berichte von jenen Feiern überliefert, die im politischen Rahmen von Bedeutung waren. Das nur zur Hälfte erhaltene Werk Ovids, die „Fasti“, Kalender, macht deutlich: Der „Staatskalender“ und die in der Öffentlichkeit verehrten Götter bestimmten den religiösen Alltag nicht so sehr wie zahlreiche Gebräuche in den römischen Haushalten. So wird es in den anderen Kulturen in- und außerhalb des Reiches auch eine Vielfalt von Ritualen gegeben haben, die für die Regelung des Gemeinschaftslebens von Bedeutung waren. Das Gefühl, Gewalten des Wetters und Gefahren der Krankheit für Saat, Vieh und Menschen ausgeliefert zu sein, war noch bis in moderne Zeiten lebendig. Bei einem nächtlichen Gewitter musste man aufstehen und beten – und war damit auch für einen möglichen Unglücksfall vorbereitet. Noch in der Neuzeit haben Menschen auf dem Land aufgeklärte Priester geradezu gezwungen, Segenshandlungen in der Natur vorzunehmen oder bei einem Unwetter mit dem Allerheiligsten vor die Kirche zu treten. Das Wetterläuten gibt es nicht mehr. Aber heute noch steckt in so manchem Acker ein Zweig vom Palmbuschen (vgl. S. 82). Gesellschaftliche und politische Abläufe waren bis in die höchste Ebene an die Jahreszeiten gebunden. Es ging dabei um das Fortkommen der Menschen, die Möglichkeit, zahlreiche 75

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Menschen an einem Ort zu ernähren und die bedeutungsgeladene Gelegenheit, einander zu treffen, die kirchliche Feste boten. Noch der Beginn des Ersten Weltkriegs wurde hinausgezögert, bis die jungen Leute mit der Ernte fertig waren. Im Kleinen boten die Feiern für Kirchenpatrone und zur Wiederkehr des Kirchweihtages Gelegenheiten zu Veranstaltungen, in denen es auch um die Selbstdarstellung und die Präsentation der sozialen Rangordnung gehen konnte. Lange Zeit höchst politisch besetzt war das Fronleichnamsfest. Da wurde noch in meiner Jugendzeit über den gebührenden Platz nahe dem „Himmel“ gestritten, einem Baldachin, unter dem der Priester mit dem Sakrament ging. Bei den Umzügen taten die Gläubigen auch ihre konfessionelle Zugehörigkeit öffentlich kund. Im Ständestaat der Zwischenkriegszeit waren Aufmärsche und Prozessionen eine höchst politische Angelegenheit; heute sind sie zum Glück nur mehr ein schöner Brauch. Kaum jemand wird die politischen Aspekte vermissen. Einige Feste verdanken ihr – säkularisiertes – Überleben fast nur mehr dem Kommerz. In manchen Ländern wurde ein Großteil der Feiertage abgeschafft oder an Wochenenden angebunden. Staatsfeiertage werden als Ruhetage genossen, aber bleiben für die meisten Menschen ohne Pathos. Kaisers Geburtstag am 18. August wird in Bad Ischl für den Fremdenverkehr gefeiert, so wie manches andere Fest auch.

Advent und Weihnachten Der liturgische Jahreskreis beginnt mit dem Advent. Die Bauern­arbeit war im Dezember weitgehend aufs Haus beschränkt. Der Schlamm auf den Wegen hinderte daran, allzu 76

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viel unterwegs zu sein. Das Nahrungsangebot erschien nach einer guten Ernte hingegen noch grenzenlos. Manche, besonders größere Tiere, wurden vor der „Kühlschrankzeit“ – und deren Beginn ist noch nicht so lange her – erst spät geschlachtet, um die Kühlung der Natur ausnützen zu können. Konnte man das Fleisch der Tiere nicht aufheben oder konservieren, machte man ein Fest daraus, um es aufzuessen. Das geschah bei den gerupften Gänsen, deren Federn zu Martini am 11. November als Abgabe fällig waren. Die MartiniGans gibt es heute noch, ohne dass wir uns der Wurzeln dieses Brauches bewusst sind. Manche andere Bräuche, die uns uralt erscheinen, sind aber erstaunlich jung: Den Adventkranz hat erst im 19. Jahrhundert ein evangelischer Pastor erfunden. Den winterlichen Geschenke-Reigen eröffnet der heilige Nikolaus am 6. Dezember. Nikolaus war im 4. Jahrhundert Bischof von Myra in der heutigen Türkei (heute Demre) und beschenkte arme Mädchen, die mangels Mitgift Prostituierte hätten werden sollen. Aus dem Nikolaus hat sich die weltweit bekannte und kaum mehr mit dem Christentum verbundene Figur des Weihnachtsmannes entwickelt. Kleine Kinder in vielen christlichen Haushalten werden in dem Glauben gelassen, dass das Christkind die Geschenke bringt. Auch der Weihnachtsbaum kam erst im 19. Jahrhundert auf. Der erste Weihnachtsbaum in Wien wurde von Fanny von Arnstein, einer angesehenen jüdischen Dame der Gesellschaft, aufgestellt. Denn auch die Juden feiern um diese Zeit ein Lichterfest, bei dem die Kinder Geschenke bekommen: Chanukka, liebevoll im Hinblick auf das christliche Fest auch „Weihnukka“ genannt. Sein Zeichen ist ein neunarmiger Leuchter. In Skandinavien gibt es am 13. Dezember das Lichterfest der 77

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heiligen Lucia. Der ältere Weihnachtsbrauch bei den Christen, vornehmlich in katholischen Regionen, ist das Aufstellen einer Weihnachtskrippe. Sie soll unter anderem auf nachgestellte Weihnachtsszenen durch Franz von Assisi zurückgehen. Die Faszination des christlichen Weihnachtsfestes geht von der Hauptfigur aus, dem Kind. Das stellt eigentlich jede klassische Vorstellung des Gottesbildes auf den Kopf – aber die Dynamik dieses „Skandals“ ging auch unter Christen weitgehend verloren. Die Hirten vertreten die Öffentlichkeit. Und wen vertreten Ochs und Esel? Über sie steht nichts im Neuen Testament. Vermutlich gehen sie auf einen Spruch bei Isaias zurück: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe des Herrn“ (Is 1, 3). Dieser Spruch hat das Erzählgut in apokryphen Schriften befruchtet. Den Esel braucht Maria auch, um nach Ägypten zu reisen. Das Neujahrsfest ist genau die Oktav danach, also der achte Tag nach Weihnachten. Nachzählen sollten nur jene, die von der Umgangssprache her die Redensart „acht Tage“ für eine Woche gewohnt sind: Der erste und der nächste erste Tag – z. B. Sonntag bis Sonntag – werden mitgezählt. Es ist seltsam, dass es der Kirche in 2.000 Jahren nie gelang, das heidnische Brauchtum zu Neujahr irgendwie zu verdrängen, obwohl zu allen Zeiten heftig dagegen gepredigt wurde. Auch die rednerische Kunst eines Augustinus und vieler anderer prominenter Kirchenleute nützten nichts, auch nicht, dass man den Neujahrstag unter allerhöchsten Schutz als „Fest der Gottesmutter Maria“ stellte. In einige Bereiche des Lebens konnte das Christentum nie völlig eindringen. Der Wunsch, sich auf magische Weise der Zukunft zu versichern, bleibt offenbar stärker, auch wenn das Brauchtum heute meist eher spielerisch 78

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daherkommt. Aber für das Feuerwerk zu Silvester – der Name kommt vom Tagesheiligen – werden alljährlich Unsummen ausgegeben. Manches andere Außerchristliche wurde notdürftig „getauft“; das Ausräuchern der Ställe und Wohnungen zur Wintersonnenwende geschieht heute mit Weihrauch. Im orthodoxen Bereich ist das Hauptfest, auch mit Geschenken verbunden, das Fest der Erscheinung des Herrn, die Epiphanie, am 6. Jänner. Gefeiert werden dann die vier Hauptereignisse des ersten öffentlichen Auftretens Jesu: die Geburt, die Anbetung der Weisen, die Taufe im Jordan und die Hochzeit von Kana. Im westlichen Brauchtum haben sich die Weisen, die Heiligen Drei Könige, in den Vordergrund gedrängt. Erst in jüngster Zeit gehen Kinder der Pfarrgemeinde, besonders die Ministranten und Ministrantinnen, als „Könige“ verkleidet von Haus zu Haus, singen und sammeln für einen guten Zweck. Im angelsächsischen Bereich gibt es die „Twelfth Night“, gezählt ab dem Weihnachtstag am 25. Dezember.Wer in einem Kuchen die eingebackene Bohne findet, ist der König in einem Fest, an dem alle Rangordnungen umgekehrt werden. Um die Weihnachtszeit hat man im Mittelalter schon in manchen Klöstern „verkehrte Welt“ gespielt. In katholischen Regionen beginnt vielfach die Karneval-Saison. Wenn man Pech hatte und der früheste Ostertermin zutraf, dann war am 4. Februar Aschermittwoch und der Fasching schon wieder aus. Der Fasching hat aber mit dem Christentum wenig zu tun und gehört darum nicht hierher. Eine seltsame Mischung von Brauchtum und religiöser Bedeutsamkeit findet sich auch zu Mariä Lichtmess am 2. Februar, heute meist „Darstellung des Herrn“ genannt. Mit dem Festgedanken „Mariä Reinigung“ fangen und fingen nur 79

Gar nicht einfach – in der Praxis

wenige etwas an.Vierzig Tage nach der Geburt eines Sohnes – und doppelt so lange nach der Geburt einer Tochter – sollte nach jüdischem Gesetz (Lev 12) eine Frau sich einer Opfer- und Reinigungszeremonie unterziehen. Danach durfte sie wieder öffentlich auftreten und der eheliche Verkehr wurde aufgenommen. Wie viele der biblischen Reinheitsgebote ist auch dieses eine hygienische Maßnahme, ursprünglich zum Schutz der Frauen gedacht. Beim Evangelisten Lukas stellt die entsprechende Passage, wie die Erwähnung der Beschneidung des Jesuskindes acht Tage nach der Geburt, also im Festkreis am Neujahrstag, ein Zeugnis dafür dar, dass sich der Gottessohn den Gesetzen des alten Bundes unterworfen hat. Gleichzeitig wird das Kind durch einen alten Mann im Tempel ­namens Simeon und eine alte Frau namens Hanna als Messias begrüßt (Lk 2, 21–38). Aber das ist noch längst nicht alles. Für ein fast vergessenes Fest hat dieses ganz schön viel an Tradition. Gemäß dem Spruch des alten Simeon, dass „ein Licht, das die Heiden erleuchtet“, erschienen sei – übrigens ein programmatischer Satz, der betont, dass dieser Messias nicht nur zu den Juden gesandt ist, und wieder eine Anspielung auf Isaias (42, 6 und 49, 6) –, werden an diesem Tag in der Kirche Kerzen geweiht; daher der Name „Lichtmess“. Auch Prozessionen finden statt. Prediger haben sich oft darüber ausgelassen, dass Menschen gerne mit der Größe und der Pracht ihrer Kerzen geprunkt haben. Früher war an diesem Tag auch Zahltag und es fand Dienstbotenwechsel statt. Im römischen Festkalender war der Februar ein Reinigungsmonat und nach einem Reinigungsfest am Ende des Monats benannt. Am 23. Februar wurden auch die „Termina80

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lia“ gefeiert, denn als ein alter Jahresbeginn galt der März (was sich noch in jenen Monatsnamen widerspiegelt, die Zahlen enthalten, wie September von septem, 7, Oktober von octo, 8, November von novem, 9, und Dezember von decem, 10). Im Bauernjahr war der Februar mit Winterarbeit aus­ gefüllt: Die Wege waren im Allgemeinen wegen des Frostes wieder sicher, der Schnee erlaubte, schwere Güter wie Holz auf Schlitten zu ziehen, und im Weinberg musste der Rebenschnitt begonnen werden. Bessere Leute konnten einander besuchen und auf die Jagd gehen; besonders die Greifvogeljagd war in dieser Jahreszeit unter vornehmen Menschen sehr beliebt. Es gab Hochzeiten, Hoftage und Jahrmärkte, die im Advent nicht hatten stattfinden dürfen und bald, in der Fastenzeit, wieder verboten waren. Am 3. Februar bekommt man heute noch den Blasius-­ Segen. Der Heilige hatte im 4. Jahrhundert einmal einen jungen Mann von einer Fischgräte in der Luftröhre befreit und war so für Halskrankheiten zuständig geworden; solchen Schutz braucht man in dieser Jahreszeit. Der Segen wird mit zwei gekreuzten Kerzen gespendet, ist sicher gut gemeint und hat mit einem Christentum zu tun, zu dem vielen heute der Zugang fehlt.

Osterkreis Die nächsten Feste richten sich nach dem Ostertermin. Der wiederum richtet sich nach dem Frühlingsvollmond, d. h. ­jenem Vollmond, der auf oder nach dem für Berechnungszwecke fix am 21. März angenommenen Frühlingsbeginn fällt. Der Sonntag danach ist der Ostersonntag. Schwierig? 81

Gar nicht einfach – in der Praxis

Es gibt Berechnungsmethoden und Tabellen – aber nur für Gelehrte, und das war schon zu jüdischen Zeiten so, und es gab lange Zeit viel Streit um das richtige Datum von Pessach und ­Ostern. Das ist nicht nur eine praktische Frage, weil viele Feste von der Berechnung dieses Ostertermins abhängen, sondern wurde auch inner- und außerkirchlich zu Prestige­ zwecken genützt: Die Herrschaft über die Zeit und, was Menschen darin tun sollten, hat einen großen Symbolwert. Die Fastenzeit war und ist eine Zeit der Reinigung, körperlich und seelisch, und eine Zeit der Besinnung. Manchmal war sie bitter nötig, weil die Wintervorräte zu Ende gingen. Auch die Hühner legen unter natürlichen Umständen um diese Zeit keine Eier mehr. Nur Fische kann man immer fangen, notfalls durch Löcher im Eis. Höhepunkt der vorösterlichen Zeit ist die Karwoche. Das Wort gibt es nur im Deutschen, der Name soll von althochdeutsch kara,Trauer, kommen. Osterwoche ist die Woche da­rauf, die mit dem Ostersonntag beginnt. In den anderen Sprachen schließt die semana santa, die Heilige Woche, die Feiertage mit ein. Am Palmsonntag wird eines feierlichen Einzuges Jesu in Jerusalem gedacht (Mt 21, 1–11, vgl. Sach 9, 9), als manche Juden in Jesus noch einen Propheten ihrer Tradition und einen weltlichen Erlöser erhofften. Die Umzüge mit den „Palm­buschen“, bei uns vornehmlich aus Zweigen mit ­Hasel- und Weidenkätzchen, immergrünen Zweigen, Bändern und manchmal einem letzten schönen Apfel bestehend, haben schon einen Hauch des Frühlings. In der Karwoche kommen die Priester an den Bischofshof, um dort das geweihte „Chrisam“ zu holen, ein Salböl für liturgische Verwendung. Bei der Gelegenheit fanden auch regionale Synoden,Versammlungen, statt. 82

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Abb. 4: Jüdischer Kalender. © Educult 2007

Dann beginnen die eigentlichen Kartage: Der Gründonnerstag – wohl von greinen, weinen – ist der Gedenktag an das letzte Abendmahl und die Einsetzung des Altarsakraments. Als Zeichen der Demut waschen Geistliche nach dem Vorbild Jesu 12 Personen die Füße. Am Ende des Gottesdienstes werden Kelch, Kerzen und Altarschmuck weggeräumt. Die Szenen der Passion, die in diesen Tagen in allen Varianten gelesen werden, bergen die wichtigsten Geheimnisse des Christentums. Jede Person, unabhängig von ihrer Weltan83

Gar nicht einfach – in der Praxis

schauung, sollte diese Texte einmal selbst gelesen haben. Deshalb wird die Handlung hier bewusst nicht nacherzählt. Jesus zeigt Angst und Menschlichkeit, die Jünger Großspurigkeit und Versagen. Judas, der Jesus verrät, ist eine der interessantesten Figuren: Wie man sich Menschsein nicht ohne das vorstellen kann, was hinter dem Sündenfall steckt, wäre die Erlösung nicht denkbar ohne den Verrat des Jüngers – vielleicht verworfen, aber heilsnotwendig. Auch er trinkt aus dem Kelch der Vergebung (Mt 26, 28). Darüber haben schon viele nachgedacht. Das Verbot, mit dem Schwert für Jesus einzutreten, volkstümlich betont mit dem Wunder am Ohr des Malchus (Joh 18, 10f.), ist leider eines der am wenigsten geachteten Verbote in der christlichen Tradition. Die beiden Urteilssprüche vor dem jüdischen und dem römischen Gericht sind vom System her unvermeidlich. Die Buchstaben am Kreuz INRI bedeuten Jesus Nazarenus rex Iudaeorum, Jesus, Nazarener, König der Juden. Sie sind Spott und Anklageschrift zugleich, denn es darf keinen König geben außer von Gnaden der Römer. Ausgerechnet der Apostel Petrus, auf den sich das höchste katholische Kirchenamt beruft, versagt am erbärmlichsten. Er hatte schon gegen Malchus das Schwert gezogen und jetzt verleugnet er vor einer Frau, einer Magd, seinen Herrn. Der Auftrag an Petrus, „weide meine Schafe“, kommt bei Johannes (21, 16) wohl bewusst erst nach dem Verrat und ist eine Bestätigung der umstrittenen Passage Mt 16, 18, in der Petrus der Fels sein soll, auf den die Kirche aufgebaut werde; die letztere Stelle halten manche Theologen für einen späteren Zusatz. Aber dass die Kirche hier symbolisch ihren Anfang in der Fehlbarkeit nimmt, halte ich für zutiefst bedeutsam. Die 84

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dialektische Spannung zwischen Institution und Glauben ist bereits in der Bibel in aller Schärfe ausgedrückt und gehört zum Leben in einer religiösen Gemeinschaft einfach dazu. Noch einmal wird ein scharfer Kontrast zu jeder Art von Politik gezogen, indem der Populismus, der die Volksmenge aufhetzt, bloßgestellt wird und der Aufständische Barabbas freikommt, über den dann die Geschichte hinweggeht. Jede, aber auch jede weltlich legitime Instanz wird hier relativiert; zuletzt noch am Kreuz, indem die beiden Schuldigen, die ebenfalls verurteilt wurden, eben nicht gleich behandelt werden. Der eine bereut und ihm wird der Himmel versprochen. Die Männer haben Angst und schließen sich ein, die Frauen­aber wollen dem Toten wenigstens noch den letzten Dienst erweisen, indem sie den Leichnam salben. Sie sind es, die als Erste dem Auferstandenen begegnen, und die Männer wollen es ihnen zuerst nicht glauben. Die „Frauenkirche“ ist keine Sache von Feministinnen, sie ist Kern der Botschaft. Christi Himmelfahrt ist am 40. Tag des Osterfestkreises, einem Donnerstag – danach sind es zehn Tage bis Pfingsten – und schließt den österlichen Prozess ab.

Marienfeste Die meisten Marienfeste haben, wenn man nicht zu viel in sie hineininterpretiert, einen Grundton der Freude. Verkündigung Natürlich ist das erste Mariä Verkündigung, am 25. März, denn es muss ja neun Monate vor Weihnachten liegen. Die 85

Gar nicht einfach – in der Praxis

Botschaft wird in das Alltagsleben eingeflochten. In dem Bericht beim Evangelisten Lukas (1, 26–38) stecken einige Geheimnisse: Ein Engel namens Gabriel wird zu Maria gesandt. Jeder kennt ihn, aber er kommt nur hier und im Buch Daniel im Alten Testament vor (8, 16 und 9, 21), dort vor allem als Erklärer der Visionen. Er heißt „Kraft Gottes“. Im Islam bringt der Verkünder (Djibril) Mohammed die Offenbarung und diktiert ihm die erste Sure des Korans: Bi-smi llāhi r-rahmāni

Im Namen des barmherzigen und

r-rahīm

gnädigen Gottes.

Al-hamdu li-llāhi rabbi

Lob sei Gott, dem Herrn der

l-‘ālamīn

Welten,

Ar-rahmāni r-rahīm

dem Barmherzigen und Gnädigen,

Māliki yaumi d-dīn

der am Tag des Gerichts regiert!

Iyyāka na‘budu wa-iyyāka

Dir dienen wir, und dich bitten

nasta‘īn

wir um Hilfe.

Ihdinā s-sirāta l-mustaqīm

Führe uns den geraden Weg,

Sirāta l-ladhīna an‘amta

den Weg derer, denen du Gnade

‘alayhim ghayri

erwiesen hast, nicht (den Weg)

l-maghdūbi ‘alayhim wa-

derer, die d(ein)em Zorn verfallen

lā d-dāllīn

sind und irregehen!

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Gabriel begrüßt Maria mit einem zweigeteilten Gruß: das klassische Χαῖρε (chaire, freue dich), verbunden mit dem Wunsch „Der Herr sei mit dir!“. Beides ist damals recht alltäglich gewesen, der Wunsch aber wurde zuerst einem großen Helden gewidmet (Gideon, Ri 6, 12).Weiter geht es mit dem Segen aus dem Lied der Debora (Ri 5, 24), der Prophetin und Richterin, einer der bedeutendsten Frauen Israels, „gepriesen seist du unter den Frauen“; das Lied der Debora kannten alle, und auch darum musste Maria überlegen, was dieser Gruß für sie zu bedeuten habe. Dann folgt die Verkündigung in den Worten des Propheten Isaias (7, 14). Jeder Satz hat also einen Subtext, und es ist schade, dass heute so wenige darum wissen, welche Fülle an Motiven sich hier einfindet. Eine Generation vor der Geburt Jesu dichtete Vergil auf die Geburt eines Sprösslings aus dem Kaiserhaus in seiner 4. Ekloge: Iam redit et Virgo redeunt Saturnia regna

Schon kehrt wieder die Jungfrau, kehren wieder saturnische Reiche,

iam nova progenies caelo demittitur alto

schon wird neu ein Sprössling entsandt aus himmlischen Höhen.

tu modo nascenti puero quo ferrea primum

Sei nur dem eben geborenen Jungen, mit dem das Geschlecht von Eisen vergeht

desinet ac toto surget gens aurea mundo

und in aller Welt das Geschlecht von Gold sich erhebt,

casta fave Lucina tuus iam regnat Apollo.

sei nur, Lucina, du reine, ihm gut; schon herrscht dein Apollo!

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Dieses Gedicht war in der Antike jedem einigermaßen latei­ nisch Gebildeten bekannt. Es wurde unter den Christen rasch als Prophetie des Heiden auf Christus gedeutet. Darum ist Vergil als „Seher“ der Führer des Dichters Dante in dessen Divina Commedia. Sowohl im Orient als auch bei den Griechen und den Römern gab es dieses Bild von einer erhabenen Geburt schon lange vorher, und Lukas schrieb für gebildete Zeitgenossen. Die Sehnsucht nach Erneuerung war groß, und das Christentum sollte die besten Antworten geben, daher verbreitete es sich schneller als alle anderen Erlösungsreligionen, deren es noch einige gab. Eine davon war der Isiskult, und von dort kannte man das Bild der Frau mit dem Knaben auf dem Schoß: Isis und Horus. Das wurde ein Vorbild für zahllose Statuen, auch der Madonna lactans, der stillenden Maria. Maria betont ihre Unberührtheit mit den Worten der namenlosen Tochter Jiftachs, die sich für ihren Vater und das Volk opferte (Ri 11, 39): Sie erkennt keinen Mann (Lk 1, 34). Doch für Gott ist nichts unmöglich (Lk 1, 37), das hat der Herr schon zu Abraham gesagt, als Sara noch ein Kind bekommen sollte (Gen 18, 14); das Kind war Isaak (21, 3). Zu der Zeit gingen Sodom und Gomorra unter (Gen 19, 1–29). Der neue Heiland sollte jetzt auch alle Schuld austilgen, aber nicht mit Feuer. Übrigens: Zu Mariä Verkündigung kommen die Schwalben wiederum, heißt es in einem Bauernspruch, der noch recht populär ist.

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Heimsuchung Die Szene, von der das nächste Marienfest ausgeht, ist vielleicht eine der schönsten des Neuen Testaments (Lk 1, 39–56). Dieses Fest wurde am 2. Juli gefeiert; eine Liturgiereform versuchte, es auf den 31. Mai zu verlegen, aber im deutschen Regionalkalender steht es nach wie vor beim alten Termin. Der alte Termin schien den Reformern zu spät, weil nach dem Fest der Geburt des Johannes angesetzt, die am 24. Juni gefeiert wird. Der neue ginge sich besser aus und schließe den Marienmonat Mai würdig ab, war das Argument. Maria weiß um ihre Schwangerschaft und tut, was am besten für sie ist. Sie geht ins Bergland zu ihrer Verwandten Elisabeth, die selber schon hochschwanger ist. Dass die Ältere doch noch ein Kind bekommen würde, hat sich wohl herum­gesprochen. Bei uns hieß das „auswarten“, wenn eine jüngere Frau einer älteren bis zur Geburt und darüber hinaus aushilft. Dabei wird viel Frauenwissen weitergegeben. Elisabeth erkennt sofort, dass auch Maria ein Kind trägt. Das merkt man mit eini­ ger Sensibilität, auch wenn das Bäuchlein noch Abb. 5: Isis, 3./4. Jh., koptisch. nicht sichtbar ist. Ihr eige© bpk 89

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Abb. 6: Schottenmeister, Mariä Heimsuchung (Ausschnitt). © Schottenstift Wien

nes Kind hüpft in ihrem Leib. So weit alltäglich. Dann kommt ein förmlicher Text: wieder der Segensgruß, und er wird zum Bestandteil des Mariengebets, des zweitwichtigsten christlichen Gebets nach dem Vater Unser (Lk 1, 42): „Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes Jesus.“ „Gebenedeit“ ist lat. benedicta, gesegnet, und so steht es 90

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auch heute in der Einheitsübersetzung. Es sind Worte, die man immer noch zu einer schwangeren Frau sagen möchte. Die Antwort Mariens, das „Magnificat“ (Lk 1, 46–55), ist eine freie Variation aus dem Danklied der Hanna (1 Sam 2, 1–10), der Mutter des Propheten Samuel, und aus Psalmen, mit Anklängen an einige andere Bibelstellen. Alles Weitere ist eine Sache unter den beiden Frauen. Ich würde mir gerne vorstellen, dass Maria bis zur Geburt des Johannes bei Elisabeth blieb und erst nachher heimkehrte, obwohl es in umgekehrter Reihenfolge erzählt wird. Himmelfahrt Das nächste der großen Marienfeste, Mariens leibliche Aufnahme in den Himmel, ist für Menschen mit intellektuellem Zugang schwerer zu verstehen. Es ist bezeichnend, dass der Festgedanke seit dem 6. Jahrhundert bezeugt ist, aber erst 1950 von Pius XII. zum Dogma erhoben wurde. Man muss wohl die Motivation des Volksglaubens und den theologischen Hintergrund unterscheiden. Das Fest wird gegen Ende des Sommers gefeiert, wenn in vielen Gegenden die erste Ernte vorbei ist. Genau genommen ist es ein Ernte-Fest: Die Ernte für die Erlösungstat. Es war für die Leute offenbar unerträglich, dass irgendetwas oder jemand die leibliche Integrität der Gottesmutter angreifen könnte. Dementsprechend durfte es auch keine körperlichen Marien-Reliquien geben; nur Gewandbestandteile und ihre Milch werden da und dort verehrt. Nun ist die Sache mit den Reliquien überhaupt eine eigene Geschichte, mit der wir uns an anderer Stelle beschäftigen werden (vgl. Lexikon S. 160). 91

Gar nicht einfach – in der Praxis

Von einer regelrechten Himmelfahrt ist im Alten Testament schon bei Elija die Rede (2 Kg 2, 11), stilvoll mit feurigen Pferden, die einen feurigen Wagen ziehen. Elija ist nach Moses der wichtigste Prophet. Er vermehrt den Vorrat der Witwe, weckt ihren Sohn wieder aus dem Tod, vertreibt den Baalskult und die Dürre. Seine Gegnerin ist die böse Königin Isebel. Seine Gottesbegegnung ist wundervoll: ER ist nicht im Sturm, nicht im Feuer, nicht im Erdbeben, sondern im sanften, leisen Säuseln (1 Kg 19, 12). Elija erscheint mit Moses zur Legitimation Jesu am Berg der Verklärung (Tabor, Mt 17, 3). Dort will der bodenständige Petrus „Hütten bauen“ – schon wieder ein Missverständnis, d. h., er versteht materiell, was spirituell gemeint ist: noch ein Grundproblem der Kirche. Aber manche dieser „Hütten“ sind schon sehr schön, z. B. die Kirchen und ihr Schmuck … Wir haben schon bei der Auferstehung Jesu gesehen, dass dieser verklärte, auferstandene Körper irgendwie „anders“ ist (vgl. S. 33). Wie „anders“, können wir höchstens eingrenzen, nicht aussagen. Denn das hat wieder mit der grundsätzlichen Unvereinbarkeit der Transzendenz mit unserer Logik zu tun. Dafür gibt es eine kleine Geschichte aus dem Mittelalter: Zwei Mönche hatten sich das Paradies in den schönsten Farben vorgestellt und vereinbart, dass der, welcher zuerst sterben würde, dem anderen erschiene und verkünde, wer von beiden der Wahrheit am nächsten gekommen wäre. Er solle entweder sagen taliter, d. h. ja, so wie ich mir das vorgestellt habe, oder aliter, anders, wie der Mitbruder phantasierte. Nun, er sagte totaliter aliter, ganz anders, und das ist gut so. Diese Geschichte hat einige bedeutende Theologen der Moderne befruchtet, z. B. Rudolf Bultmann († 1976) und Karl Barth († 1968), 92

Jahreskreis

beide Mitglieder der „Bekennenden Kirche“ der Protestanten und daher im Widerstand zum Dritten Reich. In respektvollem Gedenken an Bultmann, der eine „Entmythologisierungsdebatte“ ausgelöst hat, frage ich mit meinem intellektuellen Verstand:Warum brauchen wir überhaupt diese sinnlichen Bilder? Wir brauchen sie, und zwar nicht bloß zur „Erbauung“, sondern aus einem philosophisch fundamentalen Grund. Unser Ich und unser Leben sind sozusagen „verkörpert“, eingeschrieben in den irdischen Leib, der dann in seiner ganzen Integrität „aufgehoben“ wird. Wieder zeigt das Bild dieser Frau Maria unseren Weg voraus, und das wussten die einfachen Menschen vor den Theologen: Denn diese Metapher der leiblichen Himmelfahrt sagt nicht mehr und nicht weniger aus, dass wir als vollständige Individuen angenommen werden in dem, was „Himmel“ heißt und wo jedenfalls Gott wohnt. Damit kommt diese Vorstellung einem der wesentlichsten Postulate entgegen, die ich am Anfang aufgestellt habe – und das ausgerechnet mit einem Bild, dem ich lange Zeit intellektuellen Widerstand entgegengebracht habe. Am Ende der Oktav wird das Fest Maria Königin gefeiert: Das ist sie auch, vorgestellt als Herrscherin über die Engel; für viele war es offenbar tröstlich, eine so mächtige Schutzherrin zu haben. Geburt Der sogenannte „kleine Frauentag“ am 8. September (Mariä Geburt) ist recht alt und fügt Maria in die Reihe der Aus­ erwählten, deren Geburtsfest gefeiert wird: Jesus und Johannes. Es war ursprünglich schlicht der Weihetag der Kirche für 93

Gar nicht einfach – in der Praxis

die Mutter Mariens, Anna, von der nur apokryphe Evangelien berichten. Der theologische Inhalt dieses Festes, der im Mittelalter Kontroversen ausgelöst hat – kein Geringerer als Bernhard von Clairvaux fand den Gedanken ungustiös, auch Thomas von Aquin hatte Vorbehalte –, braucht uns heute nicht mehr besonders zu beschäftigen: Ursprünglich hieß es, Maria sei „ohne Erbsünde empfangen“ worden. Die klassische Erbsündelehre wurde als Lehre von einer „Ursünde“ entschärft. Mit einigen Winkelzügen über das Vorauswissen Gottes von Mariens künftiger Entscheidung lässt sich eine gänzliche Sündenlosigkeit trotz Freiheit plausibel machen. Doch darum geht es nicht so sehr. Das historische Bedürfnis nach gänzlicher Reinheit Mariens im Kirchenvolk ging der Dogmatisierung im Jahre 1854 Jahrhunderte voraus. Die Verkündigung von Papst Pius IX. wurde mit den Marienerscheinungen von Lourdes propagiert, wo sich 1858 die „schöne weiße Dame“ der Bernadette Soubirou als „unbefleckte Empfängnis“ vorstellte. Mit Mariens Jungfräulichkeit jedenfalls, wie immer wieder fälschlich geglaubt wird, hat das alles nichts zu tun, aber viel mit den verzweifelten Versuchen der damaligen Kirche, im Zeitalter der Industrialisierung ohne die gefürchteten „Modernismen“ dennoch Präsenz zu zeigen. Diese Krise, glaubten wir, wäre mit dem Zweiten Vaticanischen Konzil (1962–1965) zu Ende gegangen; es ist aber noch viel zu tun. Und: Zu Mariä Geburt fliegen die Schwalben „furt“ (fort, weg). Warum eigentlich so viel Getue um die Schwalben? Ganz abgesehen von der Schönheit ihres Fluges markiert ihr Zug den Wechsel der Jahreszeiten. Außerdem fressen sie eine Menge lästiger Insekten, und am Land kann man nach ihrem 94

Jahreskreis

Abflug heute noch spüren, wenn sie fehlen: Die Stechmücken treten vorübergehend vermehrt auf. Doch nun zurück zum Jahresfestkreis.

Pfingsten Im Pfingstfest vollendet sich der österliche Festkreis, und zwar in mehrerer Hinsicht. Leider gelingt es den Verantwortlichen der Kirchen immer weniger, die einzigartige Bedeutung dieses Festes zu vermitteln. Das hat damit zu tun, dass die Vorstellung von der dritten göttlichen Person zunehmend „verkopft“ wurde. Doch davon war schon die Rede (S. 21). Es kommt ein Brausen wie ein Sturm (Apg 2, 2); wir erinnern uns an die Gottesbegegnung des Elija (1 Kg 19, 12, vgl. S. 91). Es erscheinen Zungen wie von Feuer, die sich auf jede einzelne Person herniederließen. Die Apostel waren „zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern“ (Apg 1, 14). Die Theologen beeilen sich, zu versichern, dass mit den Brüdern nur Verwandte gemeint sein können (vgl. auch Mt 12, 46), weil Maria ja Jungfrau geblieben sei. Das Feuer, das nicht verbrennt, ist, wie gesagt (S. 23), ein Feuer der Liebe: „Er hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig. … Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“ (2 Kor 3, 6 und 17). Die vielen Sprachen, in denen man die Botschaft verstand, symbolisieren die Universalität der Liebesbotschaft, aber auch ihren universalen Anspruch. Die Religion der Fischer ist nicht so sehr aus dem Hirn, sondern mit dem Herzen verbreitet worden. 95

Gar nicht einfach – in der Praxis

Historisch gesehen darf man allerdings Pfingsten als Frühlingsfest nicht vergessen. Auch das ist, trotz zusätzlicher Hilfe vonseiten Goethes – „Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen“ (Reineke Fuchs) –, für uns ein wenig verschüttet. Zu Pfingsten fanden im Mittelalter unzählige wichtige Feiern und Versammlungen statt, und das weniger wegen des Heiligen Geistes. Die Zeit vom Osterspaziergang bis zum Pfingst­ereignis war für viele Menschen mit agrarischen Tätigkeiten verbunden. Für Pfingsten standen aber schon die ersten Gemüse und Kräuter der Gärten und die frisch gezüchteten Hühner zur Verfügung. Man konnte auch die ersten Jung­ tiere schlachten, die man nicht zur Aufzucht brauchte, und die Pferde fanden genügend Gras. In dieser Zeit, vor dem ersten Grasschnitt, spielen die schönsten Frühlings- und Sommerlieder der mittelalterlichen Minnedichtung, in denen Blumen und Vögel real und metaphorisch eine große Rolle spielen. In der Zeit danach begannen die lebenswichtigen Ernte­ arbeiten, zuerst auf den Wiesen. Es kommt die große Sommerpause, an deren Ende das Fest Mariä Himmelfahrt am 15. August steht. Bis zum Ende des Herbstes gibt es dann keine größeren Feste mehr. Die Ernte geht weiter, die Scheunen werden voll. Leider hatte das auch eine andere Folge: Der Herbst war nicht nur eine Zeit des Dankes, sondern auch eine Zeit der Jagd und des Krieges.

Allerheiligen – Allerseelen Dieses Fest sollte ermöglichen, auch jener Heiligen zu gedenken, denen kein eigener Festtag gewidmet ist. Seit der Weihe einer Kapelle in St. Peter für alle Heiligen im 8. Jahrhundert 96

Jahreskreis

ist der Tag mit dem 1. November festgelegt. Im 10. Jahrhundert kam, ausgehend vom Reformkloster Cluny, die Feier für alle Seelen, deren Heiligkeit noch nicht feststeht, dazu. In den orthodoxen Kirchen erhielt sich ein älterer Termin am ersten Sonntag nach Pfingsten. Das Brauchtum zu Halloween, das Wort ist nur eine Verballhornung von „all hallow souls“ oder „all hallow eve“ in der Nacht davor, geht auf ein keltisches Erntedank- und Neujahrsfest (Samhein) zurück, ist aber in einer recht kommerzialisierten Form aus den USA wieder nach Europa gekommen. Zum Allerheiligen-Fest habe ich ein etwas zwiespältiges Verhältnis. Aufgewachsen in der Stadt, nahm ich von Allerheiligen vor allem zwei Dinge wahr: den unmäßigen Wettbewerb unter den Leuten, was den Gräberschmuck betrifft, verbunden mit der Angst vor einem Nachtfrost, der die Blumen k­ aputt machen könnte, und die aufdringliche Konkurrenz unter den Friedhofbesuchern, besonders was die Kleidung der Damen betrifft, die wiederum auf Kälte hofften, um ihre Pelzmäntel zum ersten Mal ausführen zu dürfen. Außerdem traf man Verwandte, denen man sonst das ganze Jahr über lieber aus dem Weg ging, und stand als Kind herum, während die Erwachsenen tratschten. Am Tag vor Allerheiligen kamen die protestantischen Kollegen nicht in die Schule: Sie feierten Reformationstag. An diesem Tag hatte angeblich Luther seine Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen. Selbstverständlich ging man am Allerheiligentag auf den Friedhof, nicht zu ­Allerseelen, weil da nicht alle frei hatten. Das verwirrte mich, bis ich draufkam, dass darin auch ein gewisser Sinn liegt: Die offiziell als solche bezeichneten Heiligen sind ja nur eine Aus97

Gar nicht einfach – in der Praxis

wahl aller jener, die „im Himmel“ sind. Außerdem war es am Allerseelentag schön, mit dem Großvater alleine zum Grab der Oma zu gehen.

Heiligenfeste Heilige sind Personen, die von der Kirche – sei es als Gemeinschaft oder als Institution – nach ihrem Tod als Vorbilder für die Lebenden bezeichnet wurden. Anfangs geschah dies durchaus in einem lokalen Rahmen. Die wichtigste legitimierende Instanz war der für die Pastoral (Seelsorge) zuständige Bischof. Erst allmählich zog Rom auch diese Zuständigkeit an sich und entwickelte ein aufwändiges Verfahren zur Heiligsprechung. Es gibt regionale Heiligenlandschaften und einzelne Gestalten, deren Kult aus politischen Gründen verbreitet wurde. Der „Erfolg“ misst sich am Zulauf von Verehrerinnen und Verehrern. Dementsprechend sind auch die regionalen Wallfahrten kulturgeschichtlich von größter Bedeutung. Kirchliche Institutionen, besonders Klöster, versuchten, mit „ihren“ Heiligen ein Geschäft zu machen. Dabei kam es auch zu kuriosen Phänomenen:Warb die eine Gemeinschaft damit, ihre Heilige wäre besonders nützlich, um Nachkommenschaft zu bekommen, so versuchte eine andere das zu übertrumpfen, indem sie verkündete, ihre Heilige brächte besonders Buben. Heilige wurden auch in die Pflicht genommen: Halfen sie nicht, wurden sie mit Verachtung gestraft. Es gibt eine Legende, dass eine Mutter, deren Kind entführt worden war, einer Marienstatue das Jesuskind weggenommen habe, mit der Drohung, sie bekäme es erst zurück, sobald die Mutter ihr Kind wiederhabe. 98

Jahreskreis

Es soll gewirkt haben. Man sollte über solchen „Aberglauben“ nicht lächelnd hinweggehen, wie das lange Zeit auch in der historischen Forschung geschah. Eine heilsame Therapie auch für meine intellektuelle Kälte war, dass ich einmal an einem lokalen Wallfahrtsort ganz seitlich zu sitzen kam und die Anwesenden beobachten konnte. Wer da nicht Respekt vor den „Mühs­eligen und Beladenen“ (Mt 11, 28, heute übersetzt: „die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt“) gewinnt, verliert den meinen. Da kann man deuten, soviel man will, die Sorgen und Leiden, die von den Menschen hierhergetragen werden, sind echt, und der Trost auch. Meine liebste Metapher ist die schon erwähnte von der sozialen Energie (vgl. S. 31), die sich bei Wallfahrten, in der gemeinschaftlichen Energie und am bedeutungsvollen Ort aufbaut. Manche Dinge – und nicht die unwichtigsten – sind ja ganz einfach: sich herauszunehmen aus vielfältigen Formen des Stresses, sich zu erlauben, die eigene Person in ihrer Verstrickung ernst zu nehmen … Manchmal geht es nur um den Augenblick der Besinnung, wie bei den Müttern, deren Kleinkinder Krampfanfälle erleiden, in Österreich Fraisen genannt. In einem Wallfahrtsort konnte man kleine Oblaten bekommen, mit dem Bild der Dreifaltigkeit darauf. Die sollte man dem Kind auf die Zunge legen. Klingt seltsam? Wird klar, wenn man bedenkt, dass es in diesem Fall um den Augenblick besonnener Zuwendung geht. Denn der Krampf löst sich wieder, aber davor darf dem Kind nichts geschehen. Viel Leid entspringt der Ausgrenzung. Das wird jedes Kind bestätigen, dass der Glaube – das heißt das gesicherte Wissen –, nicht allein zu sein, Kraft hat (Mt 9, 22; Lk 8, 45–48; vgl. Lk 7, 50). So lässt sich aus den Legenden und Wundergeschich99

Gar nicht einfach – in der Praxis

ten, mit ein bisschen Empathie gelesen, viel über die Befindlichkeit der Menschen lernen – und viel über die ­eigene. Beispiele dafür gibt es zahllose, aber diese würden ein eigenes Buch füllen. Eine Geschichte vielleicht, aus dem Alltag einfacher Menschen, ohne große Geheimnisse dahinter: Eine Frau verletzt sich beim Spinnen. Die Spindel dringt in ihre Hand ein, und weil ihr Schaft mit einem Widerhaken versehen ist, bleibt er in der Hand hängen. So weit, so schlecht. Aber es war zudem spät in der Nacht von Samstag auf Sonntag: Nicht nur, dass die Frau mit dieser Verwundung nicht mehr arbeiten konnte, sie war vermutlich strafweise geschehen, weil sie zu der Zeit nicht mehr hätte spinnen dürfen! Das wissen auch die Verwandten und Nachbarn, und schlechten Gewissens machen sie gemeinsam eine Wallfahrt zum nächstbesten Heiligen, und das war Bischof Adalbert von Würzburg, der in seiner Gründung Lambach in Oberösterreich begraben worden war. Nun, die Spindel fiel nach Gebeten an seinem Grab ab. Das wäre mit der Zeit sowieso geschehen. So wie auch Zahnweh bei einer längeren Wallfahrt von selbst aufhört, weil der Nerv abstirbt. Das seien keine Wunder? Dann habe ich mich nicht zureichend verständlich gemacht. Der Autor der Geschichte hatte Gelegenheit, wieder einmal die Sonntagsheiligung zu propagieren. Wahrscheinlich geschah das nicht erst durch den überlieferten Text, sondern schon durch eine Predigt. Die Familie aber musste zur Kenntnis nehmen und öffentlich bekennen, dass die (Selbst-)Ausbeutung Grenzen haben muss. Denn der Sabbat/Sonntag ist für den Menschen da (Mk 2, 27). Für die betroffene Frau war das möglicherweise mehr als eine Heilung. 100

Lebenszyklus

Derartige Probleme haben wir heute auch. Nur die Therapien sind viel schwieriger – und wohl auch teurer. So eine Wallfahrt kostete einiges. Man kommt ja auch nicht mit leeren Händen zu einem Heiligen. Ob das Unglück mit der Spindel durch Müdigkeit oder unbewusste Schuldgefühle entstanden ist, kann von heute aus nicht beurteilt werden. Jedenfalls aber wurde das Problem ins Bewusstsein gehoben, in einen gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt – und behoben. Denn die „Schuld“ ist durch das „Wunder“ und die gemeinsamen Rituale ein für alle Mal verziehen. Die rechte Ordnung ist wiederhergestellt.

Lebenszyklus Es gibt einige Feierlichkeiten, die möchten auch Menschen nicht missen, die kaum in kirchliche Angelegenheiten eingebunden sind, z. B. Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse. Notfalls wurden in kirchenfeindlichen Kreisen Ersatzrituale erfunden, von der Französischen Revolution bis zu gottfernen Feiern in Kommunismus und Kapitalismus.

Taufe und Firmung In vielen außerchristlichen Religionen sind zeremonielle Reinigungsakte mit Wasser bekannt. Zur Zeit, als Johannes, der seiner Herkunft nach zu den Priestern gehörte (Lk 1, 5), taufte, war seine Tätigkeit offenbar den Zeitgenossen vertraut; niemand wunderte sich darüber. Jesu Taufe im Jordan durch Johannes wird im Evangelientext als Legitimationsakt inszeniert (Mt 3, 13–17): Der Geist Gottes kommt wie eine Taube 101

Gar nicht einfach – in der Praxis

herab und eine Stimme spricht: „Das ist mein geliebter Sohn.“ An diese Szene schließt dann der Auftrag Jesu an die Jünger an: „Geht zu allen Völkern“ und „tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28, 19). Die Taufe ist in allen christlichen Gemeinschaften das wichtigste Sakrament. Drei Bedeutungen stehen dabei im Vordergrund: eine symbolische Reinigung, eine besondere Beziehung zu Gott und die Aufnahme in die Gemeinde. Wie sie ausgeübt wird, kann recht verschieden sein. Zunächst war es eine Erwachsenentaufe. Es gab sogar Leute, die sich erst möglichst spät taufen ließen, um dann ganz „rein“ in den Himmel zu kommen. Dann kam die Kindertaufe auf; das Gewicht liegt dabei auf der Aufnahme in die christliche Gemeinschaft. Augustinus hat sie sehr propagiert, allerdings mit seiner Erbsünde-Lehre verquickt. Kurzsichtige Theologen haben aus dieser Verbindung eine Drohung gemacht, indem sie behaupteten, dass ein ungetauftes Kind nicht in den Himmel, sondern an einen anderen Ort käme, den man „Limbus“ nannte. Das war nie Bestandteil der Lehre, wurde aber erst vor Kurzem von kirchenoffizieller Seite als veraltet bezeichnet. Zahllose Mütter von schwächlichen Kindern hat diese Legende in große Verzweiflung gestürzt. Es wurde üblich, Taufpaten zu bestellen, die das Kind auf seinem Lebensweg neben den Eltern begleiten sollen. Das bewirkt eine spirituelle Verwandtschaft, die auch in den Eheverboten eine Rolle spielt. Damit alle wichtigen Personen anwesend sein konnten, wartete man oft lange mit der Taufe, was der Kirche auch wieder ein Dorn im Auge war. Einige Sonderbewegungen lehnten die Wassertaufe ab und inszenierten eine „Geisttaufe“, andere kehrten zur Erwachsenentaufe zurück. 102

Lebenszyklus

Es gibt die grundlegende Idee, dass unter bestimmten Umständen ein gerechtes Leben, z. B. die bloße Sehnsucht oder ein Martyrium, ein Äquivalent zur Taufe darstellten. Taufen kann grundsätzlich jede(r) Christ(in), aber kirchenoffiziell wird eine Laientaufe nicht gerne gesehen. Die Taufe sollte vom Kind, wenn es ein bestimmtes Alter erreicht hat, in dem es selber Einsicht in die Zusammenhänge hat, bekräftigt werden. Im katholischen Bereich bildet die erste Kommunion eine Art Zwischenstufe, und mit vielen liturgischen Handlungen wird eine Tauferneuerung verbunden. Dann erfolgt die Firmung, die für Katholiken zu einem eigenen Sakrament wurde, das nur der Bischof oder eine von ihm beauftragte Person vollziehen kann. Die bischöfliche Massenfirmung hatte im 20. Jahrhundert die Firmung stark des Sinnes entleert. Daher bemühte man sich, auch die Firmung wieder in das Pfarrleben einzubinden. Es gibt auch Firmpaten. Bei den Protestanten ist die „Konfirmation“ ausdrücklich eine Tauferneuerung in der Gemeinde an der Schwelle zur Eigenverantwortlichkeit.

Hochzeit An sich ist die Sache einfach: Das Sakrament – im katholischen Verständnis – der Ehe spenden die Partner einander, der Priester ist nur Zeuge und segnet den Bund, der ein Leben lang gilt. Alles andere ist Brauchtum. Den hohen Stellenwert, den die jüdische Tradition der Ehe zumisst, sieht man auch daran, dass das erste öffentliche Wunder, das Jesus wirkte, auf der Hochzeit zu Kana stattfand (Joh 2, 1–11). Rätselhaft sind mir die Übersetzungen des auf Griechisch verfassten Textes: Die ältere, die manche vielleicht noch im 103

Gar nicht einfach – in der Praxis

Ohr haben, „Weib, was habe ich mit Dir zu schaffen?“, war schlichtweg falsch; in der Einheitsübersetzung heißt es jetzt: „Was willst du von mir, Frau?“, in der Lutherbibel von 1984 noch gröber: „Was geht’s dich an, Frau?“ Das ist immer noch verwunderlich, denn im lateinischen – und entsprechend im griechischen – Text liegt hier gar kein Hintersinn: Quid mihi et tibi est, mulier (Τί ἐμοὶ καὶ σοί, γύναι) enthält keine Spitze gegen seine Mutter, sondern heißt ganz einfach: „Was geht das mich und dich [also: uns] an, Frau?“ „Frau“ ist eine ehrende Anrede; früher sagte man „Frau Mutter“. Bei der Stelle Lk 8, 28, wo ein Dämon in ähnlicher Weise Christus anredet, könnte man umgangssprachlich übersetzen: Was läuft da zwischen mir und dir? Aber Respekt ist dort ebenfalls dabei, denn der Dämon erkennt die Göttlichkeit Jesu. Jesus sagt in Kana, seine Stunde sei noch nicht gekommen – aber er tut, was Mama sagt. Es ist hübsch und theologisch hoch bedeutsam, dass der Sohn zu seiner ersten Offenbarung gedrängt werden muss. Maria ist auch nicht beleidigt, dass er zögert, sondern sagt bloß zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut!“ Wasser wird in Wein verwandelt.Wenn man das auf die Hochzeit bezieht, wird aus einem körperlichen Akt, den viele Lebewesen vollziehen, sehr viel mehr, jedenfalls aber Kultur. Ich halte die grundsätzliche Unaufhebbarkeit der Ehe für unverzichtbar. Es geht um Liebe und Erkenntnis. Man kann sich, so paradox es klingt, nicht erkennen, indem man in den Spiegel schaut. Nur ein Du führt zur Erkenntnis des Ich. Das ist ein Prozess, der durch alle Höhen und Tiefen einer Beziehung geht. Einer meiner Lehrer hat die Ehe ein „Total­experiment“ genannt. Der Sinn der Ehe und der körperlichen Liebe liegt ja nicht nur im Hervorbringen von 104

Lebenszyklus

Kindern, wie oft behauptet wird, sondern auch im sinnlichen Ausdruck der gegenseitigen Zuneigung und der lebenslangen, verlässlichen Gefährtenschaft. Auch das steht bei Paulus (1 Kor 7, 2). Grundlegend ist dabei, dass die Partner in ihrer Verschiedenheit – nicht nur in Bezug auf das Geschlecht – einander ergänzen und als Paar die Ebenbildlichkeit mit Gott darstellen. Nun sind, auch physiologisch, in jeder Person „männ­ liche“ und „weibliche“ Elemente vermischt. Das ist vielleicht ein Weg, über gleichgeschlechtliche Liebe zu denken, aber da kann ich nicht mitreden, weil ich keine solchen Beziehungen kenne. Die Idee vom Totalexperiment ist vermutlich auch dort zu verwirklichen. Doch gibt es leider gar nicht so selten einen unlösbaren Konflikt zwischen der idealen Regel und der Realität des Lebens. Eine Partnerschaft kann auch misslingen; über die Gründe will ich mich hier nicht verbreitern. Es ist für viele Menschen nicht nachvollziehbar, warum dann der Versuch nicht noch einmal gemacht werden sollte. Wenn jede „Schuld“ vergeben werden kann, warum dann die der Scheidung nicht? Es wird noch viel liebevolles und nicht nur juristisches Nachdenken bedürfen, bis von kirchlicher Seite ein gangbarer Weg gefunden wird. Man muss ja auch berücksichtigen, dass sich die Lebensumstände in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert haben. Die Lebensspanne ist länger geworden, die man miteinander verbringt, und geht weit über die Zeit der Kindererziehung hinaus. Die Rollenbilder von Frauen und Männern haben sich grundlegend verändert. Darin liegen viele Chancen, aber sie wahrzunehmen, 105

Gar nicht einfach – in der Praxis

erfordert ein hohes Maß an Reife, auch von den Obrigkeiten. Kein Verständnis habe ich für das Verhalten mancher kirchlicher Verantwortungsträger gegenüber der Empfängnisver­ hütung. Es ist angesichts unserer medizinischen Möglichkeiten längst nicht mehr notwendig, eine größere Schar von Kindern aufzuziehen. Die Vermehrung der Weltbevölkerung im gegenwärtigen Ausmaß kann nicht wünschenswert sein. Die Konzentration auf die Kinder ist nicht mehr ausreichend zur Begründung einer lebenslangen Partnerschaft. Das Heiratsalter steigt, sodass die Spanne zwischen der Geschlechts­ reife und der Gründung einer Familie immer länger wird. Auch da wird ein Umdenken nötig sein.Wir sehen aus der Geschichte, dass die Kirchen sich selten wirklich gegen die gesellschaftlichen Gewohnheiten stemmen konnten. Es hat tausend Jahre gebraucht, bis sie überhaupt ihre Vorstellungen von Ehe einigermaßen durchsetzten. Sehr, sehr lange Zeit war Ehe bloß ein gesellschaftlicher Vertrag, der nach den Regeln der Macht und des Vermögens eingegangen wurde. Das Verhalten der Menschen, besonders der Männer, in sexuellen Belangen hat selten den kirchlichen Normen entsprochen. Ich bin keineswegs dafür, dass sich die Kirchen in allem den weltlichen Gewohnheiten beugen müssen, aber eine Reihe von Konflikten auf diesen Gebieten müssen, wie gesagt, gründlich und mit Verständnis überdacht werden. Ständig missachtete Gebote untergraben die Moral.

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Lebenszyklus

Leiden,Tod und Begräbnis denn ich war hungrig … ich war durstig … ich war fremd und obdachlos … ich war nackt … ich war krank … ich war im Gefängnis … Mt 25, 34–46 Das sind die Kriterien, an denen die Menschen gemessen werden sollen. Was beim Apostel als Prophetie des Jüngsten Gerichts formuliert wird, ergibt ein sehr konkretes Programm für das Leben im Alltag. Die einzelnen Punkte sollten eigentlich außer Streit stehen. Doch in der Praxis sieht es anders aus. In der Tat werden die sozialen Dienste der Kirchen noch am ehesten anerkannt und angenommen. Das Leid, das die Menschen einander antun, Unzulänglichkeit, Krankheit und Tod werden aber auch zum großen Vorwurf: Warum kann, wenn es ihn gibt, Gott so etwas zulassen? Seit Jahrtausenden ist die Theodizee, die Rechtfertigung Gottes, ein grundlegendes Thema der Religionskritik. Zum Umgang mit diesem Problem genügt es nicht, auf die institutionellen Angebote der Kirchen zu verweisen. Wir versuchen ja nur zu oft, das Leid und den Tod aus dem Alltag auszublenden. Da sind die kirchlichen Einrichtungen so gut wie die weltlichen, um sich ein bisschen Seelenruhe zu erkaufen, nur billiger. Spenden beruhigt. Ein Dauerauftrag belastet nicht einmal das Gedächtnis und gelegentlich kann man sogar große Inszenierungen daraus machen. 107

Gar nicht einfach – in der Praxis

Ich möchte aber zunächst das Kapitel über den kirchlich gestalteten „Lebenskreis“ abschließen. Das Sakrament der Krankensalbung wird nur mehr von wenigen Menschen verstanden und wahrgenommen. Oft wurde und wird das, was symbolische Hilfe für die Lebenden sein soll und Hoffnung machen will, mit dem Geschehen des Sterbens verbunden, als „letzte Ölung“; diese volkstümliche Bezeichnung sollte seit dem letzten Konzil nicht mehr verwendet werden. Seit Jahrhunderten gilt es als ein „guter Tod“, wenn Zeit für eine Vorbereitung bleibt, gemeinsam mit einem Priester eine Art Lebensbeichte abgelegt werden kann und zeremonielle Handlungen, wie eben die Salbung mit dem Krankenöl, das Hinübergehen begleiten. Da viele Menschen der kirchliche Trost nicht mehr erreicht und die familiäre Umgebung nicht mehr ausreicht oder gar nicht gegeben ist, hat sich mit der „Palliative care“ – wörtlich mit einem Mantel (pallium) versorgen – eine großartige Disziplin im Grenzbereich von Medizin und Psychologie entwickelt, hervorgegangen aus der Hospizbewegung. Ich hoffe, dass diese Kunst für immer breitere Kreise fruchtbar werden kann. Die ganze Hilflosigkeit überkommt die Menschen dann, wenn sie schlussendlich mit dem Tod fertig werden sollen. Die Verstorbenen berührt das ja nicht mehr. Die Zeremonien sind dafür bestimmt, den Überlebenden den Schmerz zu erleichtern. Da wird oft noch einmal auch von Fernstehenden der Dienst von kirchlicher Seite in Anspruch genommen. Kaum jemand kommt ganz ohne Rituale aus, sie haben ja auch ein wenig den Charakter einer Therapie. Die mit dem Tod verbundenen Gebräuche sind, wenn man sich ein wenig weiter umsieht, stark zeit- und kulturabhängig. 108

Caritas

Etwas zutiefst Christliches sind in diesem Zusammenhang die Gebete und Fürbitten. Wir versuchen damit, eine Solidargemeinschaft über den Tod hinaus zu errichten. Die Menschen, die für andere beten, treten vor Gott eine Art Zeugenschaft an: „Denn er/sie war unser“ und wir treten ein letztes Mal für ihn oder sie ein. Danach aber beginnt ein geheimnisvoller Prozess, der für mich Wirklichkeit ist, aber unendlich schwer mitzuteilen und verständlich zu machen: Die Erinnerung, für die in der Geschichte die Mächtigen ­r iesigen Aufwand getrieben haben, kann sich verwandeln zu einer Form der Kommunikation, die als gegenseitig empfunden wird. Historisch gesehen, aber immer noch lebendig in der Lebenspraxis vieler Menschen, drückt sich das am deutlichsten darin aus, dass Christen die Gottesmutter Maria und die Heiligen um Hilfe bitten. Menschlich empfunden kann ein Gebet in glücklichen Augenblicken das Gefühl geben, dass die Grenze unseres Lebens nur ein Übergang ist. Wer es nicht in der ganzen Tiefe fassen kann, dem oder der sei verraten, dass es ein guter Weg ist, mit dem Schmerz der Trennung umzugehen. Man „spricht“ ja auch mit Blumen, warum nicht mit Toten; aber, wie gesagt, für mich ist das etwas sehr Wichtiges und Lebendiges.

Caritas Nun zurück zu den Geboten der caritas, der Liebe, wie sie Matthäus in seiner Vision vom Weltgericht formuliert hat. Unterscheidet diese Vision sich nicht wohltuend vom Schrecken der Apokalypse? Aber ist der Auftrag, der damit verbunden ist, so leicht zu erfüllen? Gibt es nicht machtvolle 109

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politische Gruppen, die nach dem Prinzip „die sind selber schuld“ oder, ganz schrecklich, „die sind von Gott verflucht“ operieren? Damit sind wir, wie schon angedeutet, bei einem der wichtigsten Kapitel jedes religiösen Lebens angekommen. Der Dienst an den „Armen“ – ein globales Wort für alle, die Hilfe brauchen – ist nach dem christlichen Liebesgebot nicht etwas, was man nach Belieben tun oder lassen kann, sondern geschuldet. Er erhöht nicht das Potenzial der göttlichen Gnade; die kann man – was Luther einst so stark betonte, aber allgemein gilt – nicht „kaufen“. Seine Verweigerung hingegen würde dieses Potenzial zunichtemachen. „Arme“ sind nicht Empfänger von Almosen, die sich möglichst untertänig zu benehmen haben, sondern sind Lebenspartner in der Gesellschaft. Diese Erkenntnis ersetzt nicht die Verpflichtung, wo möglich die Ursachen von „Armut“ zu beseitigen. Das gelingt nur sehr unzulänglich. Aber diese Unzulänglichkeit kann kein Grund sein, es nicht zu tun. Das Werk und der Dienst an sich geben kein Verdienst, sondern sie sind „nur“ eine Entfaltung dessen, was die Menschlichkeit im Wesentlichen ausmacht, der Liebesfähigkeit (Mt 22, 39; Mk 12, 31; Lk 10, 27). Für jede Möglichkeit zu ihrer Entfaltung sollten wir dankbar sein. Wenn man will, kann man auch vorrechnen. Kein Staat könnte bestehen, wenn die unbezahlte Arbeit vieler Tausender ausfiele. Aber man kann auch sagen: Keine Gesellschaft darf sich menschlich nennen, wenn sie diese Bewährung der Menschlichkeit nicht erfüllt.Viele Teilgebiete der sozialen Arbeit sind ohnehin reine Investitionen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Krankenhäuser erhalten Arbeitskraft. Wenn Menschen zur Selbsthilfe befähigt werden, kosten sie weniger. 110

Caritas

Das kann man auch global sehen. Stipendien für Studierende sind Investitionen für die Zukunft. Der volkswirtschaftliche Nutzen der „Caritas“ ist nicht zu unterschätzen. Es gilt aber: „Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts“ (1 Kor 13, 3). Denn darauf kommt es an: Selbst wenn kein reales oder symbolisches Kapital zurückzukommen scheint, brauchen die Geber diesen Dienst genauso wie die Empfänger. Nur dann verdienen sie, Mensch zu heißen. Im Übrigen, das ist meine Erfahrung, es kommt ja doch immer etwas zurück, und zwar nicht erst im Jenseits. Dort aber haben wir nicht Lohn zu erwarten, sondern die peinliche Frage: Wo warst du, Adam (vgl. Gen 3, 9)? Wie weit hast du deine Aufgabe, Mensch zu sein, erfüllt? Es wird kein Gericht mehr nötig sein. Wir werden uns selber richten, wenn wir in den unbestechlichen Spiegel schauen, den wir Gott nennen. Schon in Dantes Purgatorio reinigen sich die Menschen selbst; die Gnade gibt ihnen die Zeit dazu. Die „Schätze im Himmel“ (Mt 6, 20), die wir sammeln sollen, sind nicht materieller Natur. Das ist kein Tauschgeschäft, wie es viele aufgefasst haben, die sozusagen auf ein himmlisches Konto eingezahlt haben. Es geht darum, Gottes Plan mit uns, sein „Reich“ und seine Gerechtigkeit lebendig werden zu lassen, „dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6, 33). Die Bergpredigt, deren bekanntester Ausschnitt die Seligpreisungen sind (Mt 5, 3–12), ist keine einfache Kost. Sie kommt so schlicht und klar daher – aber sie umzusetzen, dazu braucht es wohl doch große Gnade. Wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Lohn. Das ist ein Satz aus der Bibel (Lk 10, 7), nicht aus einem Gewerkschafts111

Gar nicht einfach – in der Praxis

handbuch. Das trifft ganz besonders auf jede Art von sozialer Arbeit zu, regional oder global. Menschen, die sich dort engagieren, verwirklichen stellvertretend, was uns allen aufgegeben ist: nicht weil es geboten ist, sondern weil es unverzichtbarer Teil eines sinnvollen Menschenbildes ist, ganz unabhängig von der Religion. Zwei Vorgaben des Kriterienkatalogs bei Matthäus 25, 31–46 beschäftigen mich besonders: der eine, weil er besonders aktuell ist und eine fundamentale politische Dimension enthält – der Umgang mit dem Fremden; der andere, weil er mich als alten Menschen naturgemäß besonders betrifft.

fremd und anders ich war fremd … Von der „hohen“ Politik bis zum Wirtshaustisch hört man immer wieder, wenn von Fremden die Rede ist, „integrieren sollen sie sich“. Die meisten verstehen darunter „anpassen“. Nun kann man das spöttisch illustrieren: Wenn sich die böhmischen Köchinnen in Wien zu rasch angepasst hätten, wäre unser Speisezettel um einiges ärmer. Gerade in Österreich müsste man eigentlich ein Gefühl dafür entwickeln, welchen ungeheuren Reichtum wir der Integration fremder Kulturen verdanken. Aber selbst wenn wir nicht die Absicht haben, bestimmte Aspekte einer fremden Kultur zu übernehmen, lernen wir doch in der Begegnung mit ihr unsere eigene besser zu verstehen, ja notfalls auch zu verteidigen. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: Wir haben ja alle patriarchalischen Züge unserer Gesellschaft aufgegeben, nicht wahr? Was wir auf Reisen in anderen Ländern begreifen – die Bereicherung 112

Caritas

und die Erkenntnis des Andersseins –, das sollten wir denen, die zu uns kommen, auch zugestehen, und nicht nur wenn wir exotisch essen gehen wollen. Die Grundidee geht ja noch viel tiefer. Sind wir einander denn nicht alle „Andere“? Finden wir uns nicht erst als Individuum, wenn wir – was in der Pubertät ziemlich schmerzhaft sein kann – unser Anderssein entdecken? Ist nicht gerade das ein tiefes Geheimnis der Liebe, dass wir das Andere im Freund, der Freundin, im Partner, der Partnerin als Bereicherung und Ergänzung unseres Selbst empfinden? Wenn diese fruchtbare Spannung weg ist, kann es sein, dass die Liebe erlischt. Das Fremde in anderen Menschen, anderen Lebewesen, der ganzen Natur macht ja erst die Fülle des Lebens aus. Niemand will wirklich eine Gesellschaft der gänzlich Angepassten. Wie langweilig wird es, wenn wir alles und jeden nach unserem Muster „kolonisieren“. Ähnliches gilt für den Umgang mit Menschen, die nach den – oft sehr beschränkten – Kriterien einer Gesellschaft als „behindert“ gelten; ausnahmsweise ist der moderne Euphemismus von „Menschen mit speziellen Bedürfnissen“ wirklich besser. Es heißt richtig, man ist nicht behindert, sondern man wird behindert. Die Vielfalt der Menschen ist so groß, dass es oft ein reiner Willkürakt ist, die einen in den Topf der „normalen“ Menschen zu werfen, die anderen aber auszugrenzen. Subjektiv ist jedes Leben zu achten und die Welt so einzurichten, dass Menschen mit verschiedenen Talenten und Mängeln – und das sind in der einen oder anderen Weise wir alle – in ihr leben können.Wohlbefinden und Glück schulden wir allen.

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Gar nicht einfach – in der Praxis

Der Dienst, den uns Menschen leisten, die irgendwie „anders“ sind, ist unschätzbar. Noch einmal: Jede und jeder ist zum Glück „anders“; die schönsten Dichtungen feiern das Anders-Sein der Geschlechter. Dieses schöpferische Prinzip der Verschiedenheit unterscheidet sich bei „Behinderten“ und Alten nur graduell, nicht grundsätzlich. Niemand könnte alleine, ganz auf sich gestellt, leben. Jede Person ist auf Vorsorge der alltäglichsten Art, aber vor allem auf Liebe angewiesen. Man kann von Blinden sehen lernen und von Tauben hören – und das meine ich wörtlich. Ich durfte es erleben. Zu sehen, wie die Finger einer blinden Person über ein Ding streifen, heißt, es neu wahrzunehmen. Ihnen zu erzählen, was einem wichtig ist, schafft große Klarheit. Freude zu spüren trotz der Bedrängnis kann sehr erfüllend sein. Unsere ganze Kultur lebt davon, „Anderes“ wahrzunehmen. Wie viele Quellen hat dieser Strom! Warum also gehen wir so leichtfertig darüber hinweg, was an Anderem in unserer engsten Umgebung geschieht? Es tut mir leid, dass das zunehmende Altern der Menschen und die Präsenz von Behinderungen fast nur als „Problem“ gesehen werden. Den Eigenwert eines jeden, aber auch wirklich eines jeden Lebens zu suchen, das ist eine der wichtigsten Aufgaben einer zivilisierten Gesellschaft. Diese Aufgabe wahrzunehmen, ist alles andere als banal. Sie obliegt aber jeder Person, nicht bloß denen, die man dafür bezahlt. Es wird viel Aufhebens um die Bildungspolitik gemacht. Es wird an allen Ecken und Enden zu wenig getan. Aber was gänzlich im Argen liegt, ist die Lebensbildung. Man lernt ein bisschen etwas über Sexualität, aber viel zu wenig über die Liebe. Man lernt kaum etwas über das Beisammensein über 114

Caritas

die erste Hitze der Liebe hinaus. Die so oft vergebliche Flucht in die Trennung und die immer neuen Versuche, diese Wärme wiederzugewinnen, sind ein beredtes Zeugnis davon.

alt Mundus senescit, die Welt altert. Diese uralte Plattitüde ist ebenso unsinnig wie ihre Entsprechung, die jeweils heutige Jugend sei nichts mehr wert. Das Letztere findet man angeblich schon auf ägyptischen Tontäfelchen, das Erstere beschäftigte besonders Menschen gegen Ende des Römischen Reiches. Beides sind meist Aussagen von alternden Personen, die sich nicht vorstellen können, dass nach ihnen noch etwas Gescheites käme. Zu unserer Zeit hat der Spruch von der alternden Welt aber eine neue Bedeutung gewonnen. Wir werden tatsächlich älter als je und versuchen das, so weit und so lange es geht, zu verdrängen. Wir fühlen uns für immer jung und ­stehen den wirklich Jungen oft im Weg, statt zurückzutreten und ihnen den Weg zu weisen. Zwischen der Frühpension und der Hilfsbedürftigkeit lassen die Reisen und der Konsum die Kassen noch einmal klingeln. Alles kann man irgendwo lernen, nur das Altern nicht. Irgendwann geraten wir ins Abseits und schließlich holt uns die Hinfälligkeit ein. „Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest.Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst“ (Joh 21, 18). Eine Aufgabe, die immer mehr Menschen beschäftigt, ist die Begleitung alternder Personen. Die Lebenspartner sind 115

Gar nicht einfach – in der Praxis

oft überfordert. Die „Altenarbeit“ den jüngeren Frauen unter den Angehörigen zuzuschanzen, wie es oft geschah, ist nicht nur unfair, sondern auch angesichts der Berufstätigkeit vieler Frauen nicht mehr möglich. Diese Berufstätigkeit bringt umgekehrt einen neuen Akzent ins Spiel: Man braucht die Großeltern dringend. Das kann sehr schön sein, aber was ist, wenn die Enkelkinder größer sind und die Großeltern Betreuung bräuchten? Während man für die Kinder die Heime abschafft, steckt man die Alten in solche: Dort wird bewundernswert viel geleistet, aber notgedrungen hat die Professionalität Grenzen. Meine Großmutter sagte oft, „umgekehrt wird ein Schuh daraus“. Ich habe diesen Spruch lange nicht verstanden. Er kommt aus der Schustersprache: Der Schuh wird genäht und dann umgedreht, sodass die Nähte außen kaum sichtbar sind. Dann erst ist er schön. So ist es häufig, dass man etwas umdrehen muss, um seine eigentliche Gestalt zu erkennen. Alte Menschen sind, wie Kinder, nicht nur eine Sorge, sondern auch ein Schatz, und den verliert unsere Gesellschaft mehr und mehr. In vielen Kulturen und deren Sprachen – nur in der deutschen nicht – wird gesellschaftlicher Vorrang mit Alter gleichgesetzt: Senior, signore, seigneur … Auch das Wort „Priester“ kommt von presbyter, der Ältere. Da geht es nicht nur um das, was alte Menschen an Erfahrung mitteilen können. Zu oft heißt es, sie verstehen das nicht mehr, und zu oft ist das auf den ersten Blick richtig. Das war schon ein Problem, als der Bauer den Hof übergeben musste, die Alten in die „Ausnahm“ (Ausgedinge) kamen – und sich dennoch überall einmischten. Was fehlt, ist ein eigenständiges 116

Umgang mit einer Kirche

Rollenbild und ein Nachdenken über Werte, nicht bloß über Nutzen. Dann ginge es z. B. darum, dass der Dienst, den die Generationen einander leisten, uns – wie alle sozialen Dienste – erst als Menschen definiert. Seit es Menschen gibt, ist für sie kennzeichnend, dass sie sich um einander bis über den Tod hinaus kümmern; das geht aus unzähligen Grabungen hervor. Die Begleitung eines geliebten Menschen, notfalls bis in den Tod, ist ein ziemlich intensives Erlebnis, das auf beiden Seiten grundlegende Charakterzüge offenbart. Das ist nicht immer schön. In dem wenig bekannten, aber sehr empfehlenswerten Roman „Der Stern der Ungeborenen“ von Franz Werfel gibt es eine Möglichkeit, sich zu verjüngen: Manche werden wieder Babys, aber die Bösen – und das ist dort ein Staatsgeheimnis – werden hässliche Wurzelzwerge. Altern kann aber ein ganz großes Geschenk sein, jenseits aller Mühseligkeiten. Da wird etwas sichtbar, spürbar, erlebbar, was über den Alltagshorizont hinausweist. Auch das kann man Religion, Bindung an Wesentliches, nennen. Aber wer hat in der Blüte seines Lebens schon dafür Zeit? Zum ganzen Menschen gehört auch sein Tod, und zur Schule des Lebens sollte der Umgang damit gehören.

Umgang mit einer Kirche Es genügt also nicht, den Nutzen von Kirchen mit dem Schaden, den ihre Funktionsträger und Angehörigen anrichten, abzuwägen. Der Anteil an unguten Menschen wird dort wohl nicht höher sein als in der übrigen Gesellschaft; ich behaupte, eher geringer. Nur die Erwartungshaltung ist, auch bei fern117

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stehenden Menschen, sensibler. Was tut man, wenn in einem Staat Korruption auffliegt? Sie abstellen oder den Staat verlassen? Das ist nur eine rhetorische Frage, aber eine brauchbare Metapher. Solange sich in autoritären Regimen nichts bewegt, fliegt nur dann etwas auf, wenn die Herrschenden jemanden loswerden wollen. Die militanten Atheisten, die ich kennenlernte, waren alle in Klosterschulen gegangen. Aber von den Zuständen in ihren Schulen erzählten sie nichts. Jetzt ist offenbar die Macht des Schweigens gebrochen. Man ist dabei, eine Reihe von Übelständen, die die Kirchen zum Großteil mit dem Rest der Gesellschaft teilen, loszuwerden. Sensibilität und Aufmüpfigkeit sind stark gestiegen.Wie schon einleitend gesagt, das wäre eine Gelegenheit für Eintritte, nicht für Austritte. In allen politischen Freiheitsbewegungen der letzten Zeit hat Religion eine erstaunliche Rolle gespielt, sowohl in christlichen wie auch in islamischen Ländern. Dabei wurden oft etablierte religiöse Organisationen an den Rand gedrängt oder gezwungen, flexibel mitzuspielen. Ob von den Kirchen im Widerstand und Untergrund etwas bleiben wird? Bei den Kriegs- und Trümmerfrauen des Zweiten Weltkrieges, die ohne Männer auskamen, hat es eine halbe Generation gedauert, bis ihre Töchter die Kraft gefunden haben, diese Emanzipation zum Prinzip zu erheben. Es müsste Menschen geben, die mit aller Deutlichkeit die „Normalisierung“ verhindern, wenn das nur Rückkehr zu den alten Strukturen heißt. Aber um Revolutionen geht es eigentlich gar nicht. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Einander die Übel aufzurechnen, ist bloß frivol. Aus der Defensive muss eine neue Form wachsen, die Tradition muss im dialektischen Sinn „aufgeho118

Umgang mit einer Kirche

ben“, d. h. auf eine neue Ebene gehoben werden. Und die Reichweite, die wir in unsere Überlegungen einbeziehen, muss weit über das 19. und 20. Jahrhundert zurückgehen. So wie die Kirchen damals die Arbeiter und die Intellektuellen verloren, so verlieren wir heute die mittlere und jüngere Generation. Für viele junge Menschen ist Religion etwas ziemlich Exotisches, Gestriges. Sie wissen zum Teil gar nicht mehr, wovon dort die Rede ist. Wenn die Kirche der mystische Leib Christi ist, dann sind nur allzu viele Elemente der Kirche in der Welt seine Wundmale, das wissen wir. Aber Wunden sind zu lindern oder zu heilen und sollen nicht Anlass geben, den Leib aufzugeben. Kirchen als weltliche Organisationen religiöser Gemeinschaften sind entweder sinnvoll oder nicht. Wenn das Leben Sinn haben soll, dann sicher nicht für eine Person allein. Aber auch nicht für eine kleine Gruppe oder eine Familie, so sehr das Lernfelder sind für das Zusammenleben. Es gilt nicht mehr und nicht weniger, als den Sinn für alle zu suchen, zu respektieren – und zu organisieren. Regeln und Autoritäten, die darauf achten, dass sie eingehalten werden, sind entweder sinnvoll oder nicht. Ich gehe, wenn kein Verkehr ist, ohne Gewissensbisse bei Rot über die Straße – außer, Kinder sind in der Nähe. Aber dann liegt die Verantwortung alleine bei mir. Dennoch muss ich mich beim Autofahren weitgehend darauf verlassen, dass die wichtigsten Regeln eingehalten werden. Es gibt verschiedene Stufen der Veränderbarkeit, auch in der Gesellschaft. Manches, wie die Menschenrechte oder die Verfassung, steht unter besonderem Schutz. Auch Kirchen haben Grundlagen, mit denen man besonders behutsam umgehen muss. Aber meistens geht es 119

Gar nicht einfach – in der Praxis

ohnehin nicht darum, sie aufzugeben, sondern darum, sie neu zu interpretieren und nachvollziehbar zu machen. Demokratie beginnt von unten. „Wir sind Kirche“ war der Slogan der machtvollsten Bewegungen innerhalb der Kirchen in der jüngeren Zeit; ein Slogan, übernommen von der machtvollsten Volksbewegung des 20. Jahrhunderts, wo er lautete, „Wir sind das Volk“. Die Kirche mag hierarchisch organisiert sein, aber wenn man die Hierarchien den Reaktionären überlässt, dann bekommt man, was man verdient. Und „dem Priester wird es ergehen wie dem Volk“ (Hos 4, 9). Vielen Pfarren mangelt es an Priestern – wer von den Laien soll sich engagieren, um sie zu tragen? Widerstand kann nicht von außen kommen. Der „Feind“ kommt nicht von außen. ­Widerstand erfordert Gegenleistung. Die draußen sind, machen nichts besser. Es gibt den Spruch, der Churchill zugeschrieben wurde; ich kann es nicht verifizieren: Jede Nation hat die Politiker, die sie verdient. Wenn man die Politik gewissen Typen überlässt, dann bekommt man, was denen entspricht. Ich habe dennoch nicht beschlossen, Politiker zu werden; nur in der Personalvertretung habe ich mich eine Zeit lang engagiert. Jede Kirche hat die Priester(innen), die sie verdient.Wer führt mich an „Wasser des Lebens“ (Ps. 23, 2 in der alten Fassung, die liturgisch noch erhalten blieb, aqua refectionis, angelehnt an Offb. 7, 17 und 22, 17 u. a. aqua vitae)? Wie so oft, wurde dieser Text in der sogenannten „Einheitsübersetzung“ vielleicht philologisch korrekt, aber ohne Gefühl für die Tradition übersetzt als „Ruheplatz am Wasser“. Die „Einheit“ konnte sich ohnehin nur auf die katholischen Bistümer beziehen. Es gab anfangs zwar Mitarbeit von evan120

Umgang mit einer Kirche

gelischer Seite, aber die modernisierte Form der Lutherbibel sollte zu keiner Zeit ersetzt werden und die letzten Evangelischen zogen sich aus dem Unternehmen 2005 zurück. Das Werk ist leider ein sprachlich hässliches Kind des Zweiten Vaticanischen Konzils, das vielleicht sogar Verunsicherung auslöste, weil lieb gewordene Sprüche plötzlich nicht mehr gelten sollten.

Warum katholisch? Ich habe mich bisher weitgehend bemüht, möglichst wenig konfessionelle Akzente zu setzen. Wir leben zum Glück in einer Zeit, die meiner Meinung nach Übertritte nicht mehr nötig macht. Es gibt nur einen Gott, La ilahe ill allah, aber er spricht viele Sprachen. Ich habe anfangs mitgeteilt, dass ich in einem katholischen Kontext sozialisiert wurde. Daher sollte ich vor dem Abschluss noch einmal sagen, warum ich dieses Bekenntnis weiterhin praktiziere. Im Grunde sind das, zur Enttäuschung mancher Theologen, eher persönliche Motive. In einem bin ich froh, in diese Gemeinschaft gestellt worden zu sein, weil ich ganz stark zu intellektuellem Gehabe neigte. Das wäre, zumindest zu meiner Zeit, in einem protestantischen Umfeld – soweit ich es erlebt habe – zu sehr gefördert worden. Mir wurde die sinnliche Komponente, die im Katholizismus mitschwingt, mit den Jahren immer bedeutsamer. Dabei meine ich nicht so sehr, wie ich immer wieder zu hören bekam, die Rituale der kirchlichen Liturgie, die alle Sinne anspricht. Weihrauch und Weihwasser sind mir gleichgültig. Bei der Musik liegen meine Vorlieben bei sehr alten Formen und beim protestantischen Kirchengesang. Ich scheue 121

Gar nicht einfach – in der Praxis

körperbetonte Begegnungen und allzu persönliche Ansprachen, wie etwa beim Bußsakrament. Barock war mir ziemlich fremd, bis ich sein theatralisches Element zu schätzen lernte. An einem völlig unerwarteten Ort – im Widmungsbrief Papst Gregors des Großen an Bischof Leander von Sevilla († um 660), den Bruder des als Historiker und Lexikograph berühmteren Nachfolgers Isidor (c. 4) – fand ich einen Satz, der mich – wie viele vor mir – nicht mehr losließ. Ich gebe ihn sehr frei übersetzt, aber im Sinne des traditionellen Verständnisses wieder: Die Theologie ist wie ein tiefer Fluss, in dem die Schafe an der Oberfläche bleiben, die Elefanten aber schwimmen müssen. Die Religion der Fischer ist zugäng­licher für die Herzen als für die Hirne. Die pfingstlichen Flammen sind nicht die des Intellekts, sondern der Liebe. Es war ein langer Weg für mich, so etwas nicht kitschig zu finden, und vom hochgelehrten Papst Gregor konnte ich das akzeptieren. Letztlich geht es um die Akzeptanz der Schöpfung in ihrer Ganzheit, bis hin zum Glauben an eine – wie immer im Detail zu denkende – körperliche Auferstehung. Das meine ich mit „Sinnlichkeit“, aber auch die Indienstnahme aller Formen von bildhafter Rede und symbolischer Handlungen. Die himmlische Botschaft sei, meinte Papst Gregor fast spöttisch, nicht den Regeln des Grammatikers unterworfen. Er hatte sicher im Hintergrund das Pauluszitat, „denn der Buch­stabe tötet“ – und der Geist, der lebendig macht, ist nicht der Verstand, sondern mehr (2 Kor 3, 6). Das heißt nicht, dass die Inhalte unverständig seien – der Einsatz der Ratio ist durchaus erforderlich –, sondern dass die Glaubensinhalte darüber hinauszielen und nur in analoger Rede, also bildhaft, auszudrücken sind. Zu dieser Art von „Bildung“ gehört aber auch 122

Umgang mit einer Kirche

das Be-greifen. Es gibt, besonders im Liedgut, wunderschöne Beiträge von protestantischer Seite zu diesem Thema, aber, wie gesagt, die intellektuelle Seite habe ich dort, oft zu meinem Vergnügen, stärker erlebt. Mit der Hierarchie habe ich – das mag vielleicht viele überraschen – kein grundsätzliches Problem. Kopf der Kirche ist immer noch Christus, und Petrus ist eine der am öftesten irrenden Gestalten in der biblischen Geschichte. Nicht nur junge Menschen neigen dazu, alle Fehler noch einmal zu machen.Warum nicht wenigstens in Glaubensdingen Wachen aufstellen, die vor den ärgsten Fehlern warnen? Ich halte es da mit Benedikt von Nursia und Ignatius von Loyola. Benedikt hat in seiner Regel am Ende der Anweisungen für den Psalmengesang geschrieben: Und wenn ein Abt sie anders anordnen möchte, möge er das tun, wenn nur das Prinzip, nämlich jede Woche den ganzen Psalter zu lesen, eingehalten würde (Reg. Ben. c. 18, 22f.). Das ist das Geheimnis des Erfolgs seiner Regel: genaue Anweisungen und die Möglichkeit des Widerspruchs. Ignatius soll seinen China-Missionaren detaillierte Vorschriften mitgegeben haben und ebenfalls offengelassen haben, sich den Umständen anzupassen. Sie verhielten sich ganz anders und hatten unerwarteten Erfolg – bis Leute in Rom kalte Füße bekamen und meinten, sich wie ein chinesischer Gelehrter zu verhalten, sei zu viel der Anpassung. Ich für meinen Teil möchte gerne wissen, woran ich bin, und fühle mich in Teilgebieten dann dennoch selbstbewusst genug, mir eine eigene Meinung zu bilden, während ich in anderen den Fachleuten vertraue; so halte ich es auch in alltäglichen Dingen der Lebenspraxis. Die Unfehlbarkeit des 123

Gar nicht einfach – in der Praxis

Papstes in grundsätzlichen Glaubensdingen ist an viele Bedingungen geknüpft, unter anderem an die Zustimmung des gesamten Kirchenvolkes (Lumen gentium 12). Außerdem ist nur der Kern einer dogmatischen Aussage verbindlich, die sogenannten Canones, nicht aber die Lehrkapitel, Kommentare und Auslegungen dazu. Über Details der Dogmatik kann – und sollte – man trefflich streiten, aber der grundlegende Kern erscheint mir relativ schlicht. Wie Hegel von der List der Vernunft spricht, sprechen manche Theologen von der List des Heiligen Geistes. Das bekannte Zitat „Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade“ stammt von Paul Claudel. Wenn wir an die Möglichkeit der Kommunikation Gottes mit seiner Schöpfung glauben – und das ergibt sich aus meinen Postulaten –, dann werden wir wohl auch das Vertrauen haben müssen, dass der liebende Gott nicht erlaubt, dass seine Herde in den Abgrund geführt werde. Bin ich misstrauisch, muss ich mich in der kirchlichen Gemeinschaft engagieren. Wieder gilt: Das Misstrauen ist eine Aufforderung zum Eintritt, nicht zum Austritt. Wie ein Prediger aus der späten Antike schrieb: Ich weiß zwar, dass ich mit meiner Rede bei euch wenig ausrichte, aber ich kann wenigstens vor Gott sagen, ich habe es probiert. Das letzte Wort hat – auch das ist Bestandteil der Dogmatik – das Gewissen. Aber ein starker Widerstand gegen leichtfertige Aussagen ist schon notwendig. Ich habe keine Funktion in der Pfarre und bin kein Mitglied irgendeines konfessionell gebundenen Vereins. Mein Dienst ist der des Historikers, das habe ich gelernt, und der des einfachen Zeugen. Aber die Sehnsucht bleibt, irgendwo 124

Umgang mit einer Kirche

dazuzugehören: Nicht in einem Verein mit seinesgleichen, sondern zu einer Vielfalt von Menschen mit verschiedenen „Talenten“. Ich hatte mit meinen Ausstellungen, Vorträgen und Büchern immer die Aufgabe, auch Menschen zu erreichen, deren Alltag nichts mit meiner Profession zu tun hat. Das ist die einzige Legitimation für das Privileg, in großer Freiheit Wissenschaft treiben zu dürfen, d. h. seiner Neugier gründlich nachzugehen und auch noch dafür bezahlt zu werden. Daher bin ich auch mit Pfarrgruppen zu Ausstellungen gefahren und habe in der Pfarre Vorträge gehalten, vor Menschen aller möglichen Berufsgruppen. Darauf bin ich ein bisschen stolz. Nun, auf die Gefahr hin, dass es banal klingt: Das katholische Milieu ist nun einmal meine seelische Heimat, wie das Land, in das ich geboren wurde, meine leibliche ist. Und trotz aller Makel, die ich sehr gut kenne, bleibe ich treu wie Cordelia, die Tochter König Lears.

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Jahreskreis

Am Ende ist alles wieder einfach Jemand sagte einmal, er fürchte nicht den Tod, sondern das Sterben. Bei einer lebensbedrohenden Krankheit merkte ich, dass es gar nicht so schwer wäre, hinüberzugehen, aber der Gedanke an den Abschied von den Lieben sehr traurig macht. Ich begann in Gedanken mit Gott zu feilschen wie einst Abraham (Gen 18, 23–32): Noch ein Jahr, dann wird mein Enkelkind so und so alt und kann sich immer besser an mich erinnern, und wieder eines, dann kann ich ihm dies und das zeigen, und seinem jüngerer Bruder auch … Wie dem auch sei, es gilt zwar für das ganze Leben, aber ab einem bestimmten Alter sollte es einem bewusst sein, wie viel man geschenkt bekommen hat und dass alles, was nun kommt, eine noch größere Gabe ist. Wenige Menschen schaffen es in dieser Phase des Lebens, sich besonnen wie wirkliche Christen zu benehmen. Der Schmerz des Abschieds überwuchert scheinbar alles. Man sollte den Liebsten klarmachen können, dass sie sich freuen 127

Am Ende ist alles wieder einfach

dürfen: Es ist ja nur ein Übergang. Eine kleine Weile … und wir werden einander wiedersehen (Joh 16, 16–22). Aber sind wir uns dessen, angesichts dieser Endgültigkeit des Verlassen-Seins, nun wieder auch so sicher? Aber ist das denn wirklich so wichtig? Wie es auch kommt, so kommt es. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass es aus ist, und man nur mehr in der Erinnerung weiterlebt. Daraus kann man, meinten viele Menschen über Jahrhunderte und Kulturen hinweg, ja noch etwas machen, und errichteten Monumente und richteten Gedenkzeremonien ein. Das ist wirklich etwas komisch, denn für die Hauptfigur, die tote Person, ist es jedenfalls ziemlich gleichgültig – wenn sie nicht glaubt.Wenn es dann wirklich aus ist, tut mir auch nichts mehr leid: Ich habe mein Leben auf einen Glauben eingestellt, der mir dazu verholfen hat, ein Mensch zu werden. Der Lohn wird jedenfalls groß sein – ich werde wissen. So schnell vergeht das Unkraut nicht, sagte meine Großmutter, wenn ich Angst hatte.

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Am Ende ist alles wieder einfach

Abb. 7: Cartoon Rattelschneck. © www.rattelschneck.de

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Glossar Das sind nicht die Antworten eines Theologen. Das sind die Antworten eines (Groß-)Vaters auf zumeist nie gestellte Fragen, wie er sie seinen Söhnen gerne gegeben hätte, wenn sich eine Gelegenheit ergeben hätte und sie ihm zur rechten Zeit eingefallen wären; der Versuch, gegen alle Konjunktive anzuschreiben, auch gegen die in meinem Herzen. Dazu kommen Informationen über Dinge, die nicht nur innerkirchlich verwendet werden, sondern auch in vielen Museen und Ausstellungen zu finden sind, als „Kunstwerke“ aus ihrem Zusammenhang gerissen, aber selten erklärt. Selbst ein ehemaliger Ministrant unter meinen Studenten hat mir berichtet, sein Pfarrer hätte ihm die Altargeräte nie erklärt. Dafür habe ich mich von Fachleuten beraten lassen. Ein besonderer Dank gilt P. Alkuin Schachenmayr, Heiligenkreuz, dessen Handout für Studierende ich benützte. Historische und theologische Details sind im Internet zu finden; man muss nur genau hinsehen, von wem die entsprechende Information stammt. Daher erübrigen sich auch die Literaturhinweise. Hier geht es darum, Verständnis zu er­wecken, konstruktiven Widerspruch zu provozieren und Nachdenken anzuregen.

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Glossar

ABENDMAHL:  Eucharistie ABT / ÄBTISSIN: Leiter/innen eines  Benediktiner/innen-Klosters. Sie werden vom Konvent (der Versammlung der Schwestern/Brüder) frei gewählt; das ist übrigens die älteste demokratische Wahl in der europäischen Geschichte. Die Wahl galt ursprünglich auf Lebenszeit, heute wird üblicherweise eine bestimmte Amtsdauer festgelegt. Nach der Regel sind die Mitglieder des Konvents ihnen zu Gehorsam verpflichtet, sie haben aber auch das Recht, in wichtigen Dingen angehört zu werden. Äbtissinnen/Äbte vertreten das Kloster nach außen. Ihnen zur Seite stehen, vor allem für die inneren Belange, ein  Prior, eine Priorin und andere Amtsträger/ innen, die von ihnen ernannt werden. ALBA: (lat. alba: die Weiße) ein knöchellanges weißes (Mess-) Gewand ALTARSAKRAMENT:  Eucharistie ALTAR: Der Altar ist ein Tisch, der an die Einsetzung des Sakramentes beim letzten  Abendmahl am Gründonnerstag erinnert. Um diesen Tisch versammeln sich die Gläubigen, daher ist die Umwendung des Priesters am „Volksaltar“ eine Rückführung zum Wesentlichen. Davor stand der Priester die meiste Zeit mit dem Rücken zur Gemeinde und wandte sich nur bei bestimmten Gelegenheiten um. Dabei vermischten sich zwei Vorstellungen: Einerseits die, er stünde stellver­tretend für die Gemeinde vor dem Allerheiligsten, andererseits, er zelebriere ein Geheimnis. Der Aufbau hinter dem Altar und 132

Glossar

Abb. 8: Raffael, Engel der Sixtinischen Madonna, Dresden. © Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut

das Altarbild wurden dementsprechend künstlerisch gestaltet. Meist besteht ein Bezug zum Kirchenpatron (auch  Flügelaltar). Kommt so ein Altarbild, abgelöst vom ursprünglichen Ambiente, in ein Museum, ist es oft sehr schwer, es zu „lesen“. Setzt man z. B. die berühmte Sixtinische Madonna, heute in Dresden, in einen realen Kirchenraum, so gewinnen Gesten und Blickrichtungen der dargestellten Personen erst einen Sinn. Der eine von den berühmten und vielmals verkitschten Engeln zu Füßen der Madonna schaut wohl auf sie hinauf, der andere aber nicht ins Leere, sondern auf ein Kreuz, das am  Lettner vor ihm stand. Die Engel helfen, gedanklich die Brücke zu schlagen zwischen dem Jesuskind im Arm Mariens und seiner Erlösungstat am Kreuz.

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Glossar

Im Altar deponiert man in der katholischen Kirche eine  Reliquie, die den speziellen Bezug zur überzeitlichen Gemeinschaft der Kirche dokumentiert. ALTES TESTAMENT: Die heiligen Bücher des Judentums,

in etwas anderer Anordnung und Auswahl, werden von den Christen als Texte des „Alten Bundes“ und Teil der Offenbarung gehalten. Dabei herrscht die Vorstellung, dass die meisten Inhalte schon auf den „Neuen Bund“ ( Neues Testament) verweisen. Dieser Gedanke ist bereits in der lateinischen Übersetzung des hl. Hieronymus ( Vulgata) zu spüren. Daher sind die christlichen Interpretationen der Texte nicht identisch mit den jüdischen. AMBO: Erhöhter Ort, meist mit Pult, für die Lesungen und

das Evangelium; wurde durch die  Kanzel ersetzt und nach dem Zweiten Vatikanum wiederbelebt. APOKRYPHEN: Sammelbegriff für Texte verschiedenster

Herkunft zu biblischen Themen, die in ihrem Inhalt oft als erbaulich, aber nicht als verbindlich ( Evangelien) anerkannt wurden. Sehr beliebt waren Erzählungen über die Kindheit Mariens und Jesu. Andere Texte haben außerchristliches Gedankengut aufgenommen (z. B. Gnosis). APOSTEL: 12 der Jünger wurden von Jesus ausgewählt und

mit besonderen Aufträgen versehen (Simon Petrus; Andreas,­ „dessen Bruder“; Jakobus, Sohn des Zebedäus; Johannes, „dessen Bruder“, als Evangelist angesehen; Philippus; Bartholo­ mäus; Thomas; Matthäus, als Evangelist angesehen; Jakobus, 134

Glossar

Sohn des Alphäus; Thaddäus, „dessen Bruder“; Simon mit den Beinamen Kananäus oder Zelotes, der Eiferer; und Judas. Der hat ihn verraten und daraufhin Selbstmord begangen (vgl. aber S. 84). Er wurde durch Matthias ersetzt (Apg 1, 15ff.). In der katholischen und orthodoxen Kirche gelten die Bischöfe wegen ihrer Weihe (Handauflegung) durch andere Bischöfe, die eine ununterbrochene Kette zu den Aposteln herstellt, als deren direkte Nachfolger. In den evangelischen Kirchen wird diese Nachfolge eher spirituell gedacht. APSIS: Östlicher Teil der Kirche, vom Rest des Gebäudes oft

abgesetzt und äußerlich erkennbar, halbkreisförmig oder polygonal (mehreckig), selten rechteckig, meist den Altarraum umschließend ASPERGILL: Gerät zum Besprengen mit 

Weihwasser, meist mit einem Stiel und einer durchlöcherten Hohlkugel am Ende, aus der das Wasser versprüht wird

Abb. 9: Aspergill

AUFERSTEHUNG: Das Christentum bietet sich an als die

Lösung für das einzige Problem, das jeden Menschen sicher betrifft, den Tod. Christen glauben, dass der Tod nur einen Übergang darstellt in eine neue Existenzform, in der alles, was in Körper und Seele des Menschen im Leben eingeschrieben wurde, bewahrt bleibt. Daher ist die Auferstehung „leiblich“, wenn auch in veränderter Weise. Dabei wird das Individuum mit dem absolut Guten (Gott) konfrontiert und erlebt ein abgestuftes Urteil über sich selbst. Der Tod zerreißt die Gemeinschaft mit den Lebenden nicht, sodass auch weiterhin eine 135

Glossar

liebevolle Beziehung möglich ist, die sich in gegenseitigen Fürbitten äußert. Diese Hoffnung sehen Christen begründet in der Auferstehung Jesu, die zu Ostern  gefeiert wird. BEICHTE: Die Beichte ist in der katholischen Kirche eines

der sieben, in der evangelisch-lutherischen Kirche eines der drei  Sakramente. In beiden Kirchen gibt es das individuelle Sündenbekenntnis vor dem Geistlichen, der in diesem Fall nur der Vermittler zu Gott hin ist. Man sollte die psychotherapeutische Wirkung der Beichte nicht unterschätzen. In Notfällen ist die Beichte vor Laien möglich. Daneben tritt, in anderen christlichen Kirchen vorherrschend, eine verschieden gestaltete allgemeine Bußliturgie. Bei der individuellen Beichte wird eine angemessene Buße als Zeichen der Reue auferlegt, heute meist Gebete. Das Beichtgeheimnis ist ein hohes Gut; allerdings muss der Priester vor einer Lossprechung (Absolution) von den Beichtenden im Falle einer strafrechtlich relevanten Tat das Geständnis vor weltlichen Behörden verlangen. BENEDIKTINERINNEN UND BENEDIKTINER: So nennt

man jene geistlichen Personen, die in Gemeinschaft nach der Regel des heiligen Benedikt von Nursia († ca. 550) leben. Es gibt auch einige Reformbewegungen nach derselben Regel, die bekannteste davon sind die  Zisterzienser. Die Benediktiner nennt man auch nach ihrem Gewand die „schwarzen“ Mönche und Nonnen, die Zisterzienser waren ursprünglich nach dem ungebleichten  Habit die „grauen“, jetzt sind sie die „weißen“.

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Glossar

BISCHOF: Ein Bischof hat den höchsten Weihegrad in der

Kirchenorganisation und ist formell Nachfolger der  Apostel. Er hat die Aufsicht über Organisation und Lehre in seiner Diözese, dem Bistum. Ein Erzbischof hat den Vorsitz in der Versammlung der Bischöfe seiner Erzdiözese. Die  Päpste haben sich zwar Rechte bei der Bischofsernennung verschafft, haben aber keine höhere Weihe. BREVIER: Sammlung von Gebeten für das tägliche  Stun-

dengebet (Laudes, Matutin, Terz, Sext, Non,Vesper, Komplet  Stundenbuch), wechselnd im Jahreskreis, mit dem Schwerpunkt auf den  Psalmen BURSA: Mappenähnliche Stofftasche für das  Korporale BUSSE:  Beichte CASEL: liturgisches Obergewand, ursprünglich ohne Öffnun-

gen an den Seiten.Vgl. auch die liturgischen  Farben CHANUKKA: jüdisches Lichterfest, Gedenken an die zweite

Einweihung des Tempels in Jerusalem im Jahr 164 v. Chr., verbunden mit einem neunarmigen Leuchter (vgl. S. 54); der neunte ist der „Diener“, mit dem die anderen der Reihe nach angezündet werden. Erinnert an ein Wunder bei der Tempelweihe: Zur Herstellung geweihten Öls werden acht Tage benötigt, man hatte aber nur mehr für einen Tag Öl übrig.Wunderbarerweise brannte dieses die volle Zeit. Im Alltag rückt das Fest oft an das christliche Weihnachten heran. Die Kinder bekommen Geschenke und Süßigkeiten. 137

Glossar

CIBORIUM: Gefäß zur Aufbewahrung des Allerheiligsten (

Eucharistie) CINGULUM: Gürtel am Gewand eines Priesters, Diakons

oder Mönches CHORRAUM: Vorderer (östlicher) Teil der Kirche, meist ar-

chitektonisch abgesetzt und ursprünglich vom  Kirchenschiff durch einen  Lettner getrennt. Eine solche Abtrennung gibt es noch in orthodoxen Kirchenbauten durch die sogenannte Ikonostase. Hier steht der Hauptaltar, an dem die Messe gefeiert wird. Zutritt hatten ursprünglich nur Kleriker und besondere Gäste. Heute steht der Messaltar meist am Übergang von Chorraum und Kirchenschiff und der Priester feiert die Messe mit dem Gesicht zu den Laien. In  Kloster- oder Bischofskirchen findet man im Chorraum meist das Chorgestühl für die Mönche bzw. Domherren ( Domkapitel). CORPORALE  Korporale DALMATIK: ursprünglich dem Wort nach ein „aus Dalma-

tien stammendes Gewand“, heute Amtskleidung des  Diakons DARSTELLUNG DES HERRN: Früher Mariä Lichtmess

(2. Feb., vgl. S. 55) DEKAN (DECHANT): Leitender Priester eines Dekanats,

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Glossar

d. h. einer Region aus mehreren Pfarren innerhalb eines  Bistums DIAKON: Eine der ältesten Funktionen in der Kirche (vgl.

1 Tim 3, 8–13). Sie unterstützten die Apostel vor allem in finanziellen Angelegenheiten; es gab auch weibliche Diakone (Röm 16, 1 und außerbiblisch). Lange Zeit wurde das Diakonat nur als Vorstufe für die Priesterweihe verstanden. Seit dem Zweiten Vaticanischen Konzil gibt es wieder eigene, ständige Diakone mit eigener Weihe. DIGITUS: Wörtlich „Finger“, Zeiger, oft kunstvoll ausge-

führt, mit dem ein Assistent für den Zelebranten (messfeiernden Geistlichen) auf bestimmte Stellen in liturgischen Büchern zeigen kann DIÖZESE: Amtssprengel eines  Bischofs DOGMA: Verpflichtende Kirchenlehre (vgl. S. 124). „Die Ka-

tholiken glauben nicht an diese Lehre, weil sie definiert wurde, sondern sie wurde definiert, weil sie an dieselbe glauben“ (John Henry Newman, Apologia). DOM: Die Ableitung vom antik-heidnischen „Deo optimo

maximo“, das in der Abkürzung D.O.M. über Eingängen von Tempeln stand, wird wohl nicht zu halten sein. Sie wurde in der Renaissance auch für Grabinschriften verwendet.Vermutlich kommt das Wort von domus Dei, Haus Gottes. Das Wort bezeichnet eine größere Kirche, oft den Sitz eines  Bischofs.

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Glossar

DOMKAPITEL: Nach dem Vorbild des  Kardinalskollegi-

ums bildete sich um die Bischöfe ein Kreis von Priestern, den Domherren, die zur Wahl des Bischofs berechtigt waren und verschiedene Funktionen der bischöflichen Verwaltung wahrnahmen. Zuvor hatten „Klerus und Volk“ gewählt, was zu sehr starken politischen Einflussnahmen geführt hatte. Heute haben die Domkapitel bestenfalls ein Vorschlagsrecht, die Entscheidung fällt in Rom. DREIFALTIGKEIT: Das Geheimnis der Dreifaltigkeit ist un-

ergründlich und die Theologie darüber voller Fallstricke. Zwei einfache Grundtatsachen können aus der Tradition festgehalten werden: Die Dreifaltigkeit, d. h. die Vorstellung dreier Personen, die ungeteilt Gott sind, beschreibt eine innergött­liche Dynamik der Liebe, die auch als Urgrund der Schöpfung gedacht werden kann. Das heißt, die christliche Gottesvorstellung geht nicht von einem starren Prinzip aus, sondern von einer Personalität, als deren Abbild sich die Menschen in ihrem aufeinander liebend bezogenen Sein verstehen können. Die Dreifaltigkeit beschreibt für viele Menschen die drei wichtigsten Weisen, in denen Gott wirkt: Als Schöpfer ( Gottvater), als Grund jeder Weisheit ( Gottsohn) und als Liebe ( Heiliger Geist). In Bezug auf die Menschen ist der Schöpfer als Vater-/Mutterfigur (weil ungeschlechtlich), der Sohn als Bruder/Erlöser und der Geist als Vermittler von beiden denkbar. EHE: Sakrament, das einander zwei verschiedengeschlecht­

liche Partner spenden, die einander versprechen, ein Leben lang liebend miteinander verbunden zu bleiben. Vgl. auch S. 103. 140

Glossar

EMPORE: Balkonartiger Einbau über dem hinteren  Kir-

chenschiff, wo oft der Chor singt und die Orgel eingebaut ist Erbsünde:  Ursünde ERZBISCHOF:  Bischof EUCHARISTIE: Bei der Messfeier geweihtes Brot ( Hos-

tie), der Leib Christi, der bei der Kommunion von den Gläubigen zu sich genommen wird. Seit dem 4. Laterankonzil von 1215 gilt die Lehre von der „Transsubstantiation“, der Wesensverwandlung. Der Begriff ist leicht missverständlich, weil er auf einen aristotelischen Substanzbegriff zurückgeht. Er bedeutet nicht, dass sich die Hostie materiell verändert, sondern dass durch die Wandlung eine Realpräsenz Jesu hergestellt wird (Mt 26, 26; Mk 14, 22; Lk 22, 19: „das ist mein Leib“). Das Gleiche gilt für den Wein (Mt 26, 28; Mk 14, 24; Lk 22, 20: „das ist mein Blut“). In Details unterscheiden sich die Auffassungen in den christlichen Kirchen. Differenzen betreffen aber oft weniger das Sakrament als die Auffassung vom Priestertum. Die Kommunion in beiderlei Gestalt, also von Brot und Wein, wurde aus praktischen und hygienischen Gründen aufgegeben. Manche christliche Gruppen, z. B. die Hussiten, verlangten gegen den Widerstand der etablierten Kirche die Kommunion in beiderlei Gestalt wieder. Heute finden viele Geistliche auch in katholischen Messfeiern wieder Wege, sie einer größeren Zahl von Gläubigen zugänglich zu machen. EVANGELIEN: In der frühen Kirche haben sich vier Berich-

te über das Wirken Jesu von Matthäus, Markus, Lukas und 141

Glossar

J­ ohannes als allgemein anerkannt herausgestellt. Die Evangelisten werden in der Kunst oft durch Mensch, Löwe, Stier und Adler symbolisiert. Die ersten drei nennt man auch „Synoptiker“, weil sie sehr ähnlich aufgebaut sind.Weitere Texte nennt man  Apokryphen. FARBEN, LITURGISCHE: Die Farbe von Stola und Casel

wird dem Festkreis angepasst.Weiß ist beispielsweise die Farbe an Festen der Bekenner und Jungfrauen, der Engel, zu Weihnachten, bei Johannes dem Täufer, zu Epiphanie, Lichtmess, am Gründonnerstag, zu Auferstehung und Himmelfahrt, bei der Bischofsweihe und zur Kirchweih. Rot wird gewählt an den Festen der Apostel und Märtyrer, am Fest des Kreuzes (zu dem aber auch Weiß getragen wird) und zu Pfingsten. Schwarz galt als passend im Advent und in der Fastenzeit, wurde bei diesen Anlässen aber abgelöst von Violett, und – wie heute noch – bei Totenfeiern (auch dabei kommt manchmal Violett vor). Grün ist die Farbe an gewöhnlichen Tagen. FIRMUNG: Tauferneuerung in einem Alter, in dem der jun-

ge Mensch die wesentlichen Züge der Glaubenslehre begreifen sollte (vgl. S. 103). Bei den Katholiken ein eigenes Sa­ krament, das nur der Bischof oder eine von ihm beauftragte Person spenden kann, bei den Protestanten „Konfirmation“ in der Gemeinde. FISTULA: Röhrchen zum Trinken des Blutes Christi FLÜGELALTAR: ( Altar) In der Gotik entstanden Altäre,

deren Zentrum mit aufklappbaren Flügeln versehen war. Jeder 142

Glossar

Flügel war künstlerisch gestaltet mit Themen aus Heiligenlegenden und zur Kirchenlehre. Geschlossen war der Alltagszustand, die Bilder erzählten oft Heiligengeschichten oder von der Passion. Ganz geöffnet konnten im „Schrein“ in der Mitte kostbare Schnitzereien sichtbar werden. Die Darstellungen konnten zur Unterstützung oder Erinnerung der Predigt dienen. Viele dieser Altäre wurden aus Mitteln der Gemeinden finanziert, manche – wie der berühmte Altar von Lana (Südtirol) – von der Gemeinde gegen jeden Versuch der Modernisierung verteidigt. Manche blieben allerdings nur erhalten, weil sich die Gemeinde keinen neuen Altar leisten konnte. FRIEDHOF: Begräbnisstätte, ursprünglich meist um die

Pfarrkirche angelegt, erst in moderner Zeit (z. B. zur Zeit der josephinischen Reform) an die Ränder der Stadt verlegt. Im Volksglauben spielte das Begräbnis „in geweihter Erde“ eine ganz besondere Rolle; bestimmte Übeltäter waren davon ausgesperrt. In jüdischer Auffassung sollte die dauerhafte Totenruhe als unantastbar gelten; Besucher legen oft statt der Blumen kleine Steine aufs Grab. Der Name kommt von ­einem besonderen Frieden, der an dem Ort herrschen sollte. GEBET: Grundsätzlich ist der Versuch, mit  Gott oder den

 Heiligen in Kommunikation zu treten, nicht an eine bestimmte Form gebunden. Im Laufe der Geschichte haben sich bestimmte Gebete herausgebildet. Vollständig aus der Bibel stammt das „Herrengebet“, das „Vater unser“ (Mt 6, 9; Pater noster). Auch das Mariengebet (Ave Maria) geht auf biblische Vorbilder zurück (vgl. Lk 1, 28). Der „Rosenkranz“ verbindet diese beiden Gebete mit dem Gedenken an Passion und 143

Glossar

Heilsgeschichte. Zur besseren Merkbarkeit benützt man dazu eine Gebetskette, wie sie ähnlich auch in anderen Religionen vorkommt. Ein Christ sollte von alters her auch noch das Glaubensbekenntnis kennen; den christlichen Kirchen im Wesentlichen gemeinsam ist das „Apostolische Glaubens­ bekenntnis“. Umfangreicher ist das „Nikäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis“, das auch vielen musikalischen Kunstwerken zugrunde liegt (Credo). Weitere Gebete haben sich im Rahmen der Liturgie entwickelt. Natürlich ist die Neigung zum Bittgebet sehr stark, aber wenn man sich daran gewöhnt, möglichst oft „danke“ zu sagen, stärkt das unmittelbar das positive Denken. Diesen Rat werde ich einem alten Pater nie vergessen. GNADENORT:  Wallfahrt GOTT: Es ist naturgemäß nicht möglich, die Existenz Gottes

zu beweisen, denn wenn man diese in das begrenzte menschliche Begriffssystem hineinpressen könnte – wäre er nicht Gott (vgl. S. 15–24). Aber es gibt für den Glauben an Gott gute Argumente: Da ist zum einen die schiere Möglichkeit, über dieses menschliche Denkvermögen hinauszugreifen. Das führt nicht weit, denn man kann dagegen einwenden, dass ­alles, was wir über ihn aussagen, als Negation der menschlichen Existenz aufgefasst werden könnte. In der Tat hat ­Nikolaus von Kues eine „Negative Theologie“ begründet, aber in einem anderen Sinn: Wir können immerhin aussagen, was Gott nicht ist. Er kann nicht in seiner Macht durch etwas außer ihm begrenzt sein, er kann nicht der Zeit unterliegen, die zur  Schöpfung gehört, und er kann dieser nicht gleich144

Glossar

gültig gegenüberstehen. Für mich das stärkste Argument ist die menschliche Freiheit, ohne die eine Sinngebung des Lebens und eine konkrete Begründung der Moral nicht möglich ist. Sie kann nicht auf den Zufall zurückgeführt werden, sie kann eigentlich auf gar nichts zurückgeführt werden, denn dann kämen wir wieder in einen inneren Widerspruch, sie kann nur auf etwas zurückgeführt werden, das immer schon frei ist und frei gibt – und das ist Gott. HABIT: Kleidung der Priester, Nonnen und Mönche HEILIGE: Heilige sind Personen, deren Leben die Kirche als

vorbildlich vorstellt. Bis ins Frühmittelalter genügte zur Anerkennung die Verehrung einer Teilkirche, ab dem Hochmittel­ alter setzte sich durch, dass nur der Papst als Vertreter der Gesamtkirche eine solche Vorbildlichkeit feststellen darf. In der Volksreligion haben sich um Heilige zahlreiche Legenden gebildet und den meisten wird eine spezielle Zuständigkeit zugeschrieben. Heilige werden nicht angebetet, sondern um Vermittlung gebeten: Genau genommen ist ein solches  Gebet selbstverständlich eine Bitte an Gott, aber erleichtert durch die Vorstellung von der Figur der heiligen Person. Dahinter steckt allerdings der feste Glaube, dass sich Gott um die Menschen kümmert und dass das Band zwischen den Menschen auch nach dem Tod nicht vollständig abreißt. HIERARCHIE: Das Wort bedeutet „heilige Herrschaft“ und taucht zum ersten Mal auf für die Ordnung der Engel. Später und bis heute meint man damit die Ordnung der Ämter in der Kirche, manchmal allgemein eine Herrschaftsordnung. 145

Glossar

HOCHFEST DER GEBURT DES HERRN:  Weihnachten

(S. 77f.) HOCHFEST DER GOTTESMUTTER MARIA: = Neujahr HOCHFEST DER ERSCHEINUNG DES HERRN: 

Dreikönigsfest (S. 79) HOSTIE: Vom Wort her „Opfer“, bei der Messe in der Wand-

lung geweihtes Brot ( Eucharistie), meist in Form von Oblaten aus Weizenmehl und Wasser JESUS CHRISTUS: Die historische Person Jesus ist außerhalb

der Heiligen Schrift nicht belegt, es kann jedoch auch nichts gegen seine reale Existenz angeführt werden. Seine Lehren, soweit sie aus dem Neuen Testament mit einer historisch-kritischen Methode herausgefiltert werden können, wurzeln in der biblischen Tradition und einigen jüdischen Sondergruppen, deren Existenz einwandfrei und zuletzt auch durch die Qumram-Fragmente belegbar ist. Der Evangelist Matthäus bezieht den „Stammbaum Jesu“ auf Josef, den Mann Mariens – und schreibt danach von der Jungfernschaft Mariens bis zur Geburt Jesu. Man kann davon ausgehen, dass in diesen Kreisen eine Heirat nur unter Personen arrangiert wird, die sich der gleichen Abstammung verpflichtet fühlen. Es ist mehrfach von Verwandten, sogar „Brüdern“ Jesu die Rede, aber alle diese Bezeichnungen sind weder biologisch noch sozial präzise: Selbst für Skeptiker bleibt eines sicher – es ist nicht von Biologie die Rede, sondern vom Verhältnis zu Gott und zur jüdischen Tradition.Von seiner Kindheit gibt es rüh146

Glossar

rende Geschichten, die aber allesamt außerhalb des biblischen Kanons bleiben ( Apokryphen). Wichtig sind seine notorische Verweigerung, sich politisch vereinnahmen zu lassen, seine Akzeptanz nichtjüdischer Personen im Vielvölkerland des damaligen Palästina und die tragende Rolle von Frauen in seiner Gefolgschaft. Wenn er „Menschensohn“ genannt wird, dann spielt das nicht nur auf seine Abstammung an, das ist auch ein Ausdruck, der auf Propheten angewandt wird. Seine Beglaubigung als Sohn Gottes ist von der  Auferstehung her zu lesen. JUNGFRÄULICHKEIT: Die aus freiem Willen bewahrte

körperliche Integrität ist für viele Christen, insbesondere aber für Menschen, die einen geistlichen Beruf gewählt haben, von großem Wert. Sie ist jedoch weder eine medizinische Frage, noch bezieht sie sich speziell auf das weibliche Geschlecht, sondern ist ein Zeichen der möglichst vollständigen Hin­gabe auf die Beziehung zu Gott, mit Körper und Seele. Diese Beziehung kann nur, meint auch der heilige Benedikt, in Gemeinschaft und Liebe verwirklicht werden; Einsiedelei ist eine Ausnahme. KANZEL: Die Kanzel ist ein erhöhter Ort, von dem aus die

Predigt besser verstehbar sein sollte. Oft ist sie prunkvoll ausgestattet. Die Konstruktion darüber sollte ursprünglich der akustischen Verbesserung dienen. Der Ausdruck „von der Kanzel sprechen“ bedeutet vielfach, mit großer Autorität verkünden. Nostalgische Sehnsüchte danach in konservativen Kirchenkreisen sind allerdings unsinnig, weil die Kanzel eine Zuwendung zum Kirchenvolk darstellt, erfunden von den 147

Glossar

Predigerorden im 13. Jahrhundert, die heute durch elektroakustische Anlagen besser gewährleistet wird. KAPELLE: Kleinere Kirchen ohne besondere Rechte (vgl. 

Pfarre) oder besonderer Raum in einer größeren Kirche. Das Wort kommt von einem Raum, in dem in fränkischer Zeit die cappa, der Mantel des Heiligen Martin aufbewahrt wurde, hat sich aber im Laufe der Zeit völlig verselbstständigt.Viele Kapellen wurden von wohlhabenden Personen oder von Personengruppen gestiftet. KARDINAL: Das Wort kommt von cardo, Türangel, und be-

zeichnet Priester, zumeist Bischöfe, die zur römischen Hauptkirche gehören und ein Kollegium bilden, das zur Papstwahl berechtigt ist. Kardinäle werden – allerdings zumeist bestimmten Traditionen folgend – vom Papst frei ernannt. Die meisten stehen als Bischöfe ihren Ortskirchen vor, andere sind „Kurien­kardinäle“ und nehmen Ämter in der päpstlichen „Kurie“, der zentralen Kirchenverwaltung, ein. KARFREITAG: Freitag in der Karwoche, an dem des Todes

Jesu, des Beginns der Erlösungstat, gedacht wird; Feiertag für die Protestanten KATHEDRALE: Vom griechischen kathedra, Sitz, Thron, ist

die Kathedrale in der Regel der Sitz eines Bischofs oder Erzbischofs. Wir denken dabei zumeist an die wundervollen gotischen Kathedralen. KELCH: Gefäß für den bei der Wandlung verwendeten Wein 148

Glossar

KELCHVELUM: textile Abdeckung des Kelches KIRCHE (BEGRIFF): Kirche ist die Gemeinschaft von Men-

schen, die sich in einer besonderen Beziehung zu Gott verstehen. Das ist die einzige gültige Definition. Dass der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist, erscheint als ziemlich banaler Gemeinplatz. Aber die Gemeinschaft der Kirche begründet sich auf der caritas, der Liebe untereinander; und die kommt, je größer die Gemeinschaft wird, nicht ohne Ordnung aus. Die meisten Menschen sehen in der „Kirche“ nur die Organisationsformen, die sich im Laufe der Geschichte herausgebildet haben. Deren Funktionsträger unterliegen einerseits allen menschlichen Unzulänglichkeiten, ihre Mitglieder können aber auch andererseits darauf vertrauen, dass ihre Beziehung zu Gott nicht einseitig ist und sich dieser daher um seine Gemeinschaft kümmert. In der katholischen Kirche werden einige Funktionen als von  Jesus Christus eingesetzt betrachtet. Sonst wäre sie längst untergegangen. In der Regel geschieht das, was wir als Wirken des Heiligen Geistes begreifen, aber nicht im Scheinwerferlicht der jeweiligen Obrigkeiten, sondern wie bei jeder echten Saat am verborgenen Ort und durch – jedenfalls zunächst – eher unscheinbare Persönlichkeiten. Die Verteilung der Rollen ist geschichtlich gewachsen und daher veränderbar. Der Spruch ist alt: Ecclesia semper reformanda, die Kirche ist immer zu reformieren. KIRCHENSCHIFF: Hauptteil der Kirche für den Aufenthalt

des Kirchenvolkes, im Laufe der Geschichte in verschiedener Größe und Ausstattung; von Westen nach Osten liegt zumeist das Hauptschiff, häufig – besonders in der Gotik – gibt es 149

Glossar

auch ein Querschiff, meist vor dem Altarraum gelegen, das mit dem Hauptschiff ein Kreuz bildet. KIRCHTURM: Einen Glockenturm gab es schon lange, aber

er war nicht immer mit dem  Kirchenschiff verbunden. Die Glocke gab zunächst die Tages- und Gottesdienstzeiten an, bis in der Neuzeit am Kirchturm oft Turmuhren installiert wurden. Auch nach dem Toleranzedikt war den Protestanten und Juden der Bau eines Kirchturms lange verwehrt. KLOSTER: Gemeinschaft von  Mönchen, Nonnen und/

oder Priestern, die ihr Leben ganz dem Gottesdienst widmen und nach einer bestimmten Regel leben. Die bekanntesten Regeln sind die des heiligen Benedikt von Nursia († 547) und die auf den heiligen Augustinus († 430) zurückgehende Regel für Priesterorden. Die Gebäude, in denen sie leben, sind nicht nur kunsthistorisch interessant, sondern auch wirtschaftsgeschichtlich. Der (protestantische) Soziologe Max Weber bezeichnete Klöster als die ersten „kapitalistischen“ Wirtschaftsbetriebe, weil sie, damit sich die Menschen ihren geistlichen Aufgaben widmen konnten, sehr rational geführt werden mussten. KLOSTERKIRCHE: muss neben den üblichen Einrichtun-

gen für den Gottesdienst auch für die Liturgie der Mönche und Nonnen Platz bieten. Die Mönche nehmen meist im Altarraum ( Chor) Platz, während die Damen oft verborgen auf einer eigenen  Empore die Messe mitfeiern.Viele Klöster haben auch Pfarrrechte, aber manchmal ist – wie in Heiligenkreuz, NÖ – die örtliche Pfarrkirche von der Klosterkirche getrennt. 150

Glossar

KONVENT:  Abt KORPORALE: leinenes Tüchlein, auf dem die  Hostie zu

liegen kommt KREUZ: Das Kreuz ist das wichtigste Symbol des Christen-

tums, zugleich Zeichen tiefster Demut und höchsten Triumphes. Beide Aspekte kommen zu verschiedenen Zeiten in der Kunstgeschichte zum Tragen. Ich verstehe Emotionen von Nicht- oder Andersgläubigen gegen alles Mögliche in und an der Kirche, aber nicht die gegen dieses Zeichen. Aber schon Paulus musste zur Kenntnis nehmen, dass das Kreuz für die einen ein empörendes Ärgernis, für die anderen eine Torheit, aber für Christen ein Zeichen von Gottes Kraft und Weisheit sei (1 Kor 23). Leid und Tod werden in ihm nicht abgetan, sondern „aufgehoben“. Die Inschrift am Kreuz (INRI = ­Jesus Nazarenus Rex Iudeorum, Jesus aus Nazareth König der ­Juden) ist zugleich Spott und Kurzfassung der Anklageschrift, denn es durfte außer den Rom genehmen keine Könige geben. KOMMUNION: Christen nehmen am Altar in der Messfeier

geweihtes Brot (meist eine Hostie) und – seltener – Wein zu sich, in der Überzeugung, damit existenziell mit dem Erlöser Jesus Christus, der darin als anwesend gedacht wird, in Verbindung zu treten. Das Wort, das „Gemeinschaft“ bedeutet, kann man verschieden deuten: Gemeinschaft der Kommunizierenden, damit der Kirche, und Gemeinschaft mit Gott. Da in frühen Kulturen miteinander zu essen immer auch eine religiöse Bedeutung hatte und sich die Messfeier einerseits als Gedenk151

Glossar

feier an den Gründonnerstag, die Einsetzung des Sakraments, andererseits aus dem Liebesmahl unter den Gläubigen (Agape, vgl. auch S. 49) entwickelt hat, wurde die symbolische Kraft dieser Geste eigentlich immer verstanden. KRANKENSALBUNG: Ein Sakrament (katholisch) oder

Sakramentale, das dem Trost und der Stärkung der Kranken dient; wurde ziemlich bald missverstanden: Aus der heilsamen Salbung der Kranken wurde eine Salbung der Sterbenden, und als solche wird es bis heute oft verstanden. LESEPULT: Es gibt in der Regel zwei Pulte in der Kirche.

Ihre Bedeutung erschließt sich erst, wenn man, wie seit alten Zeiten, den Altar als Position Christi auffasst. Damit ist zu seiner Rechten (also vom Publikum aus gesehen links, vgl. S. 64) der Platz, von dem aus das Evangelium – also eine genau festgelegte Stelle aus dem Neuen Testament – verkündet wird, und links von dort der Platz für die Lesungen (Stellen aus dem Alten Testament, den Apostelbriefen), Fürbitten etc. LETTNER: In mittelalterlichen Kirchen trennte vielfach eine

architektonische Konstruktion das Kirchenschiff vom Altarraum, wie es heute noch in orthodoxen Kirchen der Brauch ist. Eine komplizierte Liturgie und verschiedene Lautzeichen ermöglichen den Gläubigen dennoch, dem sakralen Geschehen zu folgen. Über dem Lettner befand sich häufig eine Kreuzigungsgruppe, vom „Balkon“ konnte die Verkündigung erfolgen und häufig befindet sich vor dem Lettner ein Kreuzaltar, an dem Messen für das Volk gelesen wurden.

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Glossar

Abb. 10: Naumburger Dom, Westlettner. © akg-images/Hilbich

MARIA: Maria ist die Mutter von  Jesus Christus in seiner

leiblichen Gestalt. Ihre  Jungfräulichkeit ist der Ausdruck der Unmittelbarkeit ihrer Beziehung zu Gott. Aus der Unbedingtheit dieser Beziehung ergibt sich auch ihre Sündenlosigkeit. In der Vorstellung von der  Himmelfahrt Mariens äußert sich der Glaube, dass Gott ihre Zuwendung ebenso bedingungslos angenommen hat. Fast alle Vorstellungen von der Besonderheit Mariens sind zuerst in der Kirchengemeinde gewachsen und dann erst von der Kirchenorganisation formuliert worden, wobei einige dieser Formulierungen ( Dogmen) aufgrund ihrer geschichtlichen Bedingtheit nicht leicht zu verstehen sind. Im Volksglauben wird ihr die Rolle der vornehmsten Vermittlerin und der Stellvertreterin für die Menschheit zugedacht. Daher haben viele Marien153

Glossar

Legenden fast einen anarchischen Zug, weil sie über jedem gesetzten Recht noch helfen kann. Selbstverständlich wird auch sie nicht angebetet, sondern in einem Gebet an sie wird ein besonderer Zug der göttlichen Liebe konkret empfindbar. Es wundert mich, dass die feministischen Theologinnen diese Gestalt nicht deutlicher neu entdeckt und mit Inhalt erfüllt haben. MÄRTYRER: Zeuge, in der Zeit der Verfolgung Blutzeuge.

Märtyrer waren die ersten Menschen, die als Heilige verehrt wurden. „Zeugnis“ abzulegen muss nicht mehr zum Tod führen, ist aber besonders in der heutigen Gesellschaft gar nicht so leicht. Die Rolle derer, die sich – wie z. B. im Islam – selbst zu Blutzeugen machen, ist immer heiß umstritten gewesen, denn sie kommt dem Selbstmord gleich, und Gottes Geschenk des Lebens darf niemand leichtfertig beenden. Aber angesichts des Einsatzes verstummen oft die Argumente. Jemanden anderen, Unschuldigen, dabei mit in den Tod zu reißen, halte ich aber auf jeden Fall für verwerflich. MENORAH: Siebenarmiger Leuchter (vgl. Ex 25, 31ff.), der

in das israelische Staatswappen aufgenommen wurde. Er gehörte zum Stiftszelt und zum Jerusalemer Tempel. Am Titusbogen ist eine Menorah als Beutestück abgebildet. ME(S)SNER: Kirchendiener, heute meist nebenberuflich, der

dafür zu sorgen hat, dass die materiellen Voraussetzungen für die liturgischen Handlungen vorhanden und in gutem Zustand sind

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Glossar

Abb. 11: Titusbogen, Menorah. © wikimedia.commons

MINISTRANTEN UND MINISTRANTINNEN: Messdiener,

heute meist Kinder beiderlei Geschlechts, die den  Priester bei der Messfeier unterstützen. Die zeitweise Ablehnung von Mädchen wurde von vielen Priestern einfach nicht befolgt. MISSION: Die Mission hat eine vielfältige, nicht immer er-

freuliche Geschichte, weil sich mit ihr sehr oft politische Interessen verbunden haben, ja sie sogar mit kriegerischer Gewalt betrieben wurde. Heute sind Missionen der verschiedenen christlichen Kirchen meist wichtige Institutionen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und bereichern kulturell auch die „alte“ europäische Kirche. Seit mit dem Zweiten Vaticanischen Konzil anerkannt wurde, dass in allen Religionen Botschaften der Wahrheit enthalten sind, muss die Christianisierung sehr behutsam vorgenommen werden, um sich vom Verdacht der Kolonisierung zu befreien und eigenständige Kulturen nicht zu zerstören. Einige Missionsgemeinschaften, 155

Glossar

wie Steyler oder die von Marianhill, erarbeiten wichtige Informationen für die Ethnologie und die Entwicklungszusammenarbeit. Einige Gemeinschaften, wie die der seligen Mutter Teresa († 1997), wirken inzwischen zurück nach Europa. MÖNCH: Mitglied einer geistlichen Gemeinschaft in einem

 Kloster, der sein Leben ganz dem Gottesdienst gewidmet hat MONSTRANZ: Im Spätmittelalter entwickeltes Gerät, meist

sonnenförmig, in dem das Allerheiligste (die geweihte Hostie) dem Kirchenvolk präsentiert werden kann; darin wird die Eucharistie an der Lunula, einer mondförmigen Halterung, befestigt. NEUES TESTAMENT: Die vier allgemein anerkannten Be-

richte über das Leben Jesu (vgl. S. 57); die christliche Tradition stellt sie in Gegensatz zum „Alten Testament“, das wir – zwar mit unterschiedlichen Auslegungen – mit den Juden gemeinsam haben NONNE: Mitglied einer geistlichen Gemeinschaft in einem 

Kloster, die ihr Leben ganz dem Dienst Gottes gewidmet hat NOVIZE, NOVIZIN: Menschen, die in ein Kloster eintreten

wollen, und sich dafür vorbereiten und ausgebildet werden. NUNTIUS: Botschafter des Papstes, heute formalrechtlich

als Botschafter des Vatikan-Staates den anderen Botschaftern gleichgestellt 156

Glossar

ÖKUMENE: Gemeinsame Bemühungen christlicher Kir-

chen, die Gemeinsamkeiten vor das Trennende zu stellen. ­Dabei ist in Glaubensfragen und in der sozialen Arbeit eine große Annäherung erreichbar, an organisatorischen Fragen (vgl. auch  Papst) scheitert das Zusammengehen der Christen im „ganzen Erdkreis“ (Wortsinn). PALLA: Stoffquadrat zur Bedeckung des Kelches (etymologisch

von pallium, Überhang, Mantel); das „Pallium“ ist im Laufe der Zeit ein mit Kreuzen gezierter Stoffstreifen geworden, den der Papst trägt und an Metropoliten und Erzbischöfe verleiht. PAPST: Bischof von Rom, der in der katholischen Kirche

einen absoluten Vorrang in Glaubensdingen beansprucht. Er wird von den  Kardinälen gewählt. Er spielt auch eine entscheidende Rolle bei den Bischofseinsetzungen und hat das Monopol auf Heilig- und Seligsprechungen. Das katholische Verständnis der Hierarchie (wörtlich„heilige Herrschaft“) ist das größte Hindernis für die  Ökumene. PASTORAL: Mit dem Begriff der Pastoral fasst man alle An-

gebote für eine religiöse Betreuung der Gläubigen zusammen, die nicht im engeren Sinn aus liturgischen Handlungen hervorgehen oder diese vorbereiten und begleiten. PASTOR(IN): Vorsteher(in) („Hirte“) einer protestantischen

Gemeinde, der/die ursprünglich von dieser gewählt werden konnte. Heute wird eine entsprechend ausgebildete Person von der Kirche in eine Pfarrstelle ordiniert (eingesetzt, gesegnet und gesendet). 157

Glossar

PATENE: Sie liegt auf dem Kelch und trägt die große Zele-

brationshostie. PATRIARCH: Die Bischöfe an den Hauptorten des Römi-

schen Reiches (Rom, Konstantinopel, Antiochia, Alexandria, Jerusalem) erhielten Sonderrechte, die anfangs vor allem in der Schlichtung von Glaubensstreitigkeiten bestanden. In der orthodoxen Kirche entstanden weitere Patriarchate aus verschiedenen historischen Wurzeln. Es gibt auch „lateinische“ Patriarchen, teils nur Titel, teils Vorsteher unierter (mit der katholischen Kirche vereinigter) Kirchen. PFARRE: Im Mittelmeerraum war die Pastoral (Seelsorge) auf

dem Land nach dem Vorbild der römischen Verwaltung vornehmlich von den Städten her organisiert, die Priester blieben direkt den Bischöfen zugeordnet, fallweise wurden Landbischöfe (Chorbischöfe, von griech. χῶρος, choros, Land) eingesetzt, die dem Stadtbischof weisungsgebunden blieben. Das konnte nördlich der Alpen wegen der viel geringeren Dichte an Zentralorten nicht funktionieren. Längere Zeit musste sich die Kirche daher auf die von Laien eingerichteten Seelsorge­ einrichtungen stützen; dem Bischof blieb mit dem Recht der Weihe von Kirchen und Geistlichen ein gewisser Einfluss erhalten. Erst im Hochmittelalter wurde ein flächendeckendes Pfarrsystem eingerichtet: Die Priester der Pfarrkirchen, Pfarrer und Gehilfen, hatten in einer genau bestimmten Region, der Pfarre, das exklusive Recht der Ausübung von Taufe, Heirat und Begräbnis. Pfarrhöfe waren eigene Wirtschaftseinheiten. Die Aufsicht über die Geistlichen lag beim Bischof, zu dem sie wenigstens in der österlichen Zeit kommen mussten und 158

Glossar

der die Pfarren regelmäßig visitierte und wenigstens zweimal im Jahr Regionalversammlungen (Synoden) abhielt. Wesent­ liche Züge dieses Pfarrsystems sind heute noch erhalten. Eine Diözese (Sprengel des Bischofs) ist außerdem noch in Dekanate eingeteilt; die dortigen Amtsinhaber üben eine Zwischenstellung zwischen Bischöfen und Pfarrern aus. Der gewählte Pfarrgemeinderat hat im Wesentlichen beratende Funktion. PLUVIALE (oder Vespermantel): halbkreisförmiger, ärmelloser

Mantel oder Umhang; lat. ursprünglich „Regenmantel“ PRIESTER: Mit der Ordination eines katholischen Priesters

ist eine förmliche Weihe (Sakrament) verbunden, aus der heraus er erst die Vollmacht zur Ausübung des Altarsakraments bekommt. Immer noch ist mit dem Priesteramt der  Zölibat verbunden. PRÄLAT: „Vorsteher“, Leiter einer kirchlichen Gemeinschaft,

eines Ordens PRIOR: Vom Abt bestellter Funktionsträger eines Klosters,

sozusagen der „Innenminister“ PROPHET/IN: Eines der wenigen Stichworte, bei dem die

geschlechter-übergreifende Sprechweise wirklich aus den biblischen Quellen stammt: Denn prophetisch Reden wird immer schon auch ausdrücklich den Frauen zugestanden. PROPST: Vorsteher einer Ordensgemeinschaft in augustini-

scher Tradition ( Kloster) 159

Glossar

PSALMEN: Sammlung von geistlichen Liedern im  Alten

Testament, die aus verschiedenen Epochen stammen, aber in der Tradition alle dem König David zugeschrieben wurden. In den Klöstern  benediktinischer Tradition werden jede Woche alle 150 Psalmen gebetet oder gesungen. PYXIS: (Büchse) – eine verzierte, oft vergoldete Dose zur

Aufbewahrung der Eucharistie RELIQUIEN: Schon der Kirchenvater Augustinus hader-

te mit dem Bedürfnis der Menschen, das keineswegs auf das Christentum beschränkt ist, sinnliche Berührungen mit dem Heiligen zuzulassen. Im Neuen Testament gibt es dafür keinen Anhalt, im Gegenteil (vgl. Mt 8, 22), ebenso wenig in der frühen Christengemeinde, die stark in der Erwartung der „Parousie“, der baldigen Wiederkehr Christi stand. Es handelt sich also um Formen der Alltagsreligion, die alle sozialen Gruppen erfasste, obwohl sie keinen theologischen Hintergrund hatten. Dennoch ist die europäische Kulturgeschichte auf das Engste mit diesen sinnlichen Symbolen verbunden. Das können Körperbestandteile, Stücke der Kleidung und andere Erinnerungsstücke sein, aber auch oft bloß Dinge, die mit dem Heiligen Körper in Berührung kamen. Eine ganze Industrie lebte davon, auch von der Herstellung von Fälschungen. Mit den Spänen vom Kreuz Christi könnte man Wagenladungen füllen. Mit den Dornen der Dornenkrone, die in der Sainte Chapelle in Paris aufbewahrt wird, betrieben die französischen Könige Politik, indem sie einzelne strategisch an Königs- und Fürstenhäuser verteilten. Auch der letzte Babenberger Friedrich der Streitbare erhielt eine, die 160

Glossar

er in seiner Musterburg Starhemberg bei Wiener Neustadt aufbewahrte. Der einzige Beweis der „Echtheit“ von Reliquien lag in ihrer Wirksamkeit. Blieb die aus, wurden sogar die Überreste Heiliger förmlich bestraft, z. B. indem man sie aus der Kirche verbannte. Das galt im Übrigen auch für Statuen. SAKRAMENT: In der Kirche entwickelten sich liturgische

Gebräuche, die einerseits die besondere Verbundenheit mit Gott und speziell mit Christus ausdrückten, wie Taufe und Altarsakrament, andererseits wichtige Stationen des Lebens markierten, wie Heirat und Begräbnis, oder einfach Versöhnung und Trost spenden sollten. Aus diesen kristallisierten sich in der katholischen Tradition die sieben Sakramente heraus (Taufe, Firmung, Eucharistie, Bußsakrament, Kranken­salbung, Weihen von Geistlichen und Ehe). In den evangelisch-­ lutherischen Kirchen gelten Taufe, Abendmahl und Beichte als ­Sakramente, fallweise werden die Ordination als Geistliche und die Ehe als solche betrachtet. Andere liturgische Handlungen, z. B. Segnungen, nennt man „Sakramentalien“. ­Sakramente sind nach lutherischer Auffassung „Zeichen und Zeugnis“ des göttlichen Willens. In der katholischen Interpretation wird betont, dass das materielle Zeichen auf eine besondere Gnade verweist. Die sittliche Einstellung der geistlichen Spender ist dabei nicht von Bedeutung. SAKRISTEI: Raum in der Kirche, meist angrenzend an den

Altarraum, in dem sich die Priester für die Messfeier vorbereiten und wo daher geistliche Gewänder und liturgische Geräte aufbewahrt werden

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Glossar

SCHULTERVELUM: streifenartiger Stoffüberwurf für den

Umgang des Priesters mit dem Allerheiligsten SEELSORGE:  Pastoral SEPTUAGINTA: Angeblich 70 jüdische Gelehrte – daher der

Name – haben in Alexandrien für die Juden, die kaum mehr Hebräisch konnten, das – von uns so genannte – Alte Testament in die damals verbreitete griechische Sprache übersetzt. STOLA: ein etwa 2,50 m langer schmaler Stoffstreifen, als

Amtsabzeichen dem Priester vorbehalten und bei allen sakramentalen Handlungen vorgeschrieben STUNDENBUCH: Gebetbuch für die sogenannten Stun-

dengebete (d. h. Gebete zu bestimmten Stunden des Tages). Im späten Mittelalter wurden für Laien, besonders für Frauen, Exemplare von großer Schönheit hergestellt. Am bekanntesten sind die „Très Riches Heures du Duc de Berry“, das Stundenbuch des Herzogs von Berry, das sich mehrfach im Internet findet. SUPERINTENDENT: Das protestantische Gegenstück zum

katholischen Bischof. Das Wort ist aus der lat. Bibel genommen und ist nichts anderes als eine Lehnübersetzung von griechisch ἐπίσκοπος (episkopos  Bischof). TABERNAKEL: Meist verziertes Schränkchen oder Nische

zur Aufbewahrung des Altarsakraments, entweder am Altar selbst, dahinter oder daneben, von lat. „Hütte“ oder „Zelt“, 162

Glossar

nach dem Vorbild des Offenbarungszeltes, in dem die Bundeslade stand (zuerst Ex 27, 21) TAUFE: Nach dem Altarsakrament in allen christlichen Kir-

chen das wichtigste Sakrament, das zeremoniell die Aufnahme eines Menschen – heute zumeist eines Kindes – in die Gemeinde darstellt und eine besondere Beziehung zu Gott grundlegen soll (vgl. S. 101ff.) TAUFE DES HERRN: am Sonntag nach Dreikönig (6. Jan.,

vgl. S. 79) THURIBULUM:  Weihrauchfass URSÜNDE: Die sogenannte Ursünde, in der Geschichte oft

auch als Erbsünde bezeichnet, ist die in der menschlichen Freiheit angelegte Fähigkeit zu Abwendung von Gott und seinen Geboten. Weil sie die Erlösungstat Gottes nötig machte, wird sie in der Osternacht auch als felix culpa, glückliche Schuld, angesprochen. In den mythischen Aussagen des ersten Buches des  Alten Testaments (Gen 3) wird sie als primäre Übertretung eines Gebotes durch Adam und Eva umschrieben. Daraus ergibt sich, entgegen zahllosen Missverständnissen im Verlauf der Kirchengeschichte, keine anthropologische Nachrangigkeit von Frauen. Das geht schon aus dem zweiten Schöpfungsbericht (Gen 1, 27f.) hervor. Für Christen wird jedoch ein symbolischer Bogen gespannt zwischen Evas Fall und dem Anteil  Mariens an der Erlösung. VULGATA: Die lateinische Übersetzung der Bibel durch 163

Glossar

­ ieronymus († 420) hat sich in Europa seit der Karolingerzeit H als verbindlich durchgesetzt. Bis dahin gab es verschiedene Übersetzungen, die man mit dem Sammelnamen „Vetus Latina“ bezeichnet. WEIHNACHTEN: Kirchenfest von der Geburt Jesu, vor al-

lem mit Lk 2, 1–20 und vielem Volksbrauchtum verbunden. Seltsamerweise weiß man nach neueren Forschungen über Entstehung und Herkunft eines der wichtigsten christlichen Feste kaum etwas. Die Meinung, man habe ein wichtiges heidnisches Fest sozusagen „überlagert“, hat sich bei näherem Hinsehen als irrig herausgestellt. Die bedeutenden heidnischen Feste, die infrage kämen, sind vorher (Saturnalien, zwischen 17. und 23. Dez.) und nachher das Neujahrsfest. Die Marienfeste und das Fest Johannes des Täufers orientieren sich am Weihnachtstermin. WEIHRAUCHFASS / THURIBULUM (Thus = Weihrauch

bzw. Inzens): Meist ist das Weihrauchfass ein rundliches Gefäß aus Metall, in das glühende Kohle und Weihrauchkörner hi­ neingegeben werden. Es hängt an einer Kette, mit deren Hilfe auch die Lüftung geregelt werden kann. Schwenkt man das Gefäß, kommt mehr Luft zu der Kohle und der Weihrauch tritt aus. Dieser Duft spielt in vielen Religionen seit sehr langer Zeit eine Rolle. Sehr oft hat das Gefäß eine architekturartige Form und symbolisiert damit das himmlische Jerusalem. Der Weihrauch soll zum Himmel steigen wie ein Gebet (Ps 141, 2).

164

Glossar

Abb. 12: Romanisches Weihrauchfass, Südtirol, 13. Jh., Privatbesitz, Foto: Katalog Nö. Landesausstellung Seitenstetten. Kunst und Mönchtum an der Wiege Österreichs, 1988

WEIHRAUCHSCHIFFCHEN / NAVICULA (Schiffchen):

Aufbewahrungsgefäß für die Weihrauchkörner aus dem Harz eines Baumes, z. B. Boswellia sacra, Arabischer Weihrauch WUNDER: Ereignisse, bei denen das unmittelbare Eingreifen

Gottes in die Geschichte und das Schicksal von Menschen angenommen wird (vgl. auch S. 28). Ob sie dabei den Naturgesetzen widersprechen, ist nebensächlich, denn niemals können von Menschen aufgestellte Gesetze die gesamte Schöpfungswirklichkeit beschreiben.Vieles in der Schöpfung kann man mit Recht als wundervoll ansehen. Werden sie offiziell anerkannt, sind sie Zeichen für die lebendige Beziehung von Gott zu seiner Schöpfung, insbesondere zu uns Menschen. 165

Glossar

ZISTERZIENSERINNEN UND ZISTERZIENSER: Orden,

der nach der  Benediktiner-Regel lebt, deren Klöster aber untereinander straffer organisiert sind und sich ursprünglich als Reformbewegung gegenüber diesen verstanden. Nach ihrem Gewand die „grauen“ und später, als man nicht mehr das ungebleichte Leinen verwendete, die „weißen“ Mönche und Nonnen. ZÖLIBAT: Der Zölibat, also die Ehelosigkeit, hat vor allem

zwei Hintergründe. Bei  Priestern geht es um die organisatorische Frage, ob das Hirtenamt für eine Gemeinde mit den Verpflichtungen einer eigenen Familie vereinbar sei. Geschichtlich war auch die Frage des Erbrechts damit verbunden, weil die Gefahr bestand, dass Kirchengut als persönliches Gut betrachtet und vererbt werden konnte. Über die Notwendigkeit des Zölibats für Priester gibt es geteilte Meinungen. Nach den Erfahrungen der Protestanten behebt der Wegfall des Zölibats den Priestermangel nicht. Da viele Priester Partnerinnen haben, wäre die Aufhebung des Zölibats ehrlicher und fairer. Das wäre aber wegen der dann offiziellen Priesterkinder mit finanziellen Aufwendungen für die Kirche verbunden. Für  Nonnen und  Mönche ist der freiwillige Verzicht auf Ausübung der körperlichen Sexualität eine Grundbedingung für die vollständige Hinwendung an den Dienst an Gott und den Menschen.

166

Register A

Athanasius 52

Aaron 31

Auferstehung 33, 34, 92, 122,

Abbild 21, 22, 32, 34, 140

135, 142

Abendmahl 65, 83, 132, 161

Augustiner Chorherren 67

Abraham 37

Augustinus 8, 16, 20, 21, 22, 52,

Abt 61, 69, 123, 132, 159

54, 67, 78, 102, 160

Äbtissin 69, 132 Adalbert von Würzburg 100

B

Adam 35, 36, 111, 163

Barabbas 85

Advent 76, 81, 142

Barmherzige Brüder und

Albigenser 54

Schwestern 68

Allerheiligen/Allerseelen 96, 97

Batseba 37

Allerseelen 96, 97

Begräbnis 108, 142, 158

Altar 132, 142

Beichte 136

Altarsakrament  Eucharistie

Benediktiner 67, 132, 136, 166

Alter 115, 116, 117, 127

Benedikt von Nursia 67, 123,

Altes Testament 134

136

Ambo 134

Benedikt XVI. 14, 40

Anglikanismus 56

Bernhard von Clairvaux 18, 94

Anna 94

Bettelorden 67

Apokryphen 134, 142

Bibel 13, 31, 34, 37, 38, 39, 120,

Apostel 134

163

Apsis 63, 135

Bischöfe 50, 137

Arianer 51, 52

Blasius 81

Arnstein, Fanny von 77

Böhmische Brüder 55

Aschermittwoch 79

Brevier 137

Aspergill 135

Bruno von Köln 67 167

Register

Buddhismus 23

Dogmatik 124, 139

Bundeslade 163

Dom 139

Bursa 137

Dominikaner 67

Buße 136

Domkapitel 138, 140 Donatisten 52

C

Don Bosco 68

Caritas 109, 111

Dreifaltigkeit 21, 23, 53, 99,

Casel 137, 142

140

Chanukka 77, 137 Chorraum 138

E

Christi Himmelfahrt 85

Ehe 103, 104, 106, 140, 161

Ciborium 138

Elija 92, 95

Cingulum 138

Elisabeth 89

Clarissen 67

Empfängnisverhütung 106

Cluny 97

Empore 141

Corporale 138

Engel 20, 24, 25, 86, 93, 133, 142

D

Englische Fräulein 68

Dalmatik 138

Entwicklungszusammenarbeit

Damaris 49

68, 155

Dämonen 25

Epiphanie 79

Dante 41, 111

Erbsünde 36, 94, 102, 141, 163

David 37, 39, 160

Erlösung 26, 37, 84, 163

Debora 87

Erzbischof 137

Dekan 138

Escrivá, Josemaria 68

Diakone 48, 138, 139

Eucharistie 132, 138, 141, 156,

Diakonissen 68

160, 161, 163

Dialog 14, 30, 31

Eva 35, 163

Digitus 139

Evangelien 49, 57, 94, 134, 141

Diözese 139, 159 168

Register

F

Häresie 51, 54

Farben, liturgische 142

Heilige 98

Fasching 79

Heilsgeschichte 26, 27, 37, 74

Fasten 82

Hierarchie 25, 120, 123, 157

Firmung 101, 103, 142, 161

Hieronymus 13, 134, 164

Fischer 95, 122

Hildegard von Bingen 8, 27

Fistula 142

Hirten 78

Flügelaltar 133, 142

Hochzeit 30, 58, 79, 103, 104,

Franziskaner 55, 67 Franz von Assisi 55, 67, 78

158 Hussiten 141

Frauen 49 Frauenkirche 85

I

Fürbitten 109, 136

Ignatius von Loyola 68, 123 Ikonostase 65, 138

G

Isaias 38, 80

Gabriel 86, 87

Isebel 92

Geschlechterrollen 12, 22, 35,

Isidor von Sevilla 122

105

Islam 8, 10, 23, 86, 154

Gleichnis 22, 34 Gnosis 134

J

Gödel, Kurt 16

Jesuiten 68

Gregor der Große 122

Johannes 25, 57, 68, 84, 91, 93,

Gregor von Tours 29 Gründonnerstag 49, 65, 83, 132, 142

101, 134, 142, 164 Johannes Scotus 25 Johannes von Gott 68 Johannes XXIII. 11

H

Josef 38, 39

Habit 136

Judas 84, 135

Halloween 97

Judentum 8, 23, 47, 51

Hanna 80, 91

Jungfräulichkeit 38, 94, 153 169

Register

K

Liturgie 34, 65, 66, 74, 121, 152

Kanzel 63, 134

Lourdes 94

Kardinalskollegium 140

Lucia 78

Karner 62

Lumen gentium 124

Karneval 79

Lunula 156

Kartäuser 67

Luther, Martin 27, 55, 97

Karwoche 82

Luzifer 24

Katharer 54

Lydia 49

Kathedralen 57 Katholizismus 121

M

Ketzertum 26, 54

Magnificat 91

Kirchenschiff 63, 64, 138, 141,

Malchus 84

152

Manichäer 26, 54

Klausur 66

Maria 12, 30, 33, 35, 36, 37, 38,

Kommunion 103, 141

39, 40, 78, 86, 87, 89, 91, 93,

Komplet 67, 137

95, 104, 109, 153

Konfession 51

Mariä Geburt 93, 94

Konfirmation 103, 142

Mariä Himmelfahrt 91, 96

Korporale 137

Mariä Lichtmess 79, 138

Krankensalbung 108, 161

Mariä Verkündigung 85

Kreuz 84, 85, 133, 160

Maria Magdalena 33

Krippe 78

Martin 30, 77 Märtyrer 142, 154

L

Mary Ward 68

Lambach 100

Menorah 154

Laudes 66, 137

Messias 47, 80

Lazarus 33

Me(s)sner 154

Leander von Sevilla 122

Michael 24

Lettner 65, 133, 138, 152

Ministranten 64, 72, 79, 155

Limbus 102

Mission 155 170

Register

Mönch 156, 166

P

Monstranz 156

Palla 157

Moses 92

Palliative care 108

Motive 17

Pallium 157

Mutter Teresa 68, 156

Palmsonntag 82

Mystik 40

Papst 157 Papsttum 57

N

Parousie 160

Naturwissenschaft 27, 28, 29

Passion 33, 83, 143

Navicula 165

Pastoral 30, 74, 98, 157, 158,

Neues Testament 156

162

Neujahrsfest 78

Pastor(in) 157

Newman, John Henry 27

Patriarchen 53, 158

Nikolaus 7, 77

Paulus 20, 49, 51, 105

Nikolaus Kusanus 8, 22, 24, 32

Person 13, 21, 30, 99, 103, 105,

Nonne 156, 166

114, 142

Nostra aetate 8, 9

Pessach 73, 82

Noviziat 69, 156

Petrus 49, 55, 84, 92, 123, 134

Nuntius 156

Petrus Waldes 55 Pfarre 124, 158

O

Pfingsten 40, 85, 95, 96, 97, 142

Offenbarung 25, 27, 104, 134

Pfingstwunder 8, 23

Ökologie 7, 27

Pilatus 57

Ökumene 157

Pius IX. 94

Opus Dei 68

Pius XII. 91

Ordination 161

Platon 32

Orthodoxie 53, 79

Pluviale 159

Ostern 58, 73, 82, 136

Prälat 69, 159

Ovid 75

Prämonstratenser 67 Predigerorden 67 171

Register

Priester 36, 50, 59, 60, 65, 69,

Sekten 56

75, 76, 82, 103, 116, 120, 132,

Septuaginta 162

136, 138, 155, 158, 159, 161,

Silvester 79

162, 166

Simeon 80

Prior 132, 159

Societas Jesu 68

Priszilla 49

Sokrates 17

Prophet/in 159

Soubirou, Bernadette 94

Propst 69, 159

Stola 142, 162

Protestanten 8, 27, 55

Stundenbuch 162

Psalmen 91, 137, 160

Superintendent 162

Pyxis 160

Synagoge 47 Synode 159

R Rahab 37

T

Rechtfertigungslehre 8, 55

Tabernakel 162

Reformation 55

Tabita 49

Reformationstag 97

Tamar 37

Reliquien 31, 91, 134, 160

Taufe 39, 58, 79, 101, 102, 103,

Rut 37

158, 161, 163 Terminalia 81

S

Teufel 25, 35

Sakramentalien 161

Theodizee 107

Sakramente 26, 55, 136, 161

Thomas 33, 134

Sakristei 161

Thomas von Aquin 8, 94

Salomon 38

Thuribulum 163, 164

Samhein 97

Tod 20, 37, 40, 50, 92, 98, 107,

Schöpfung 16, 18, 19, 21, 23,

108, 109, 117, 127, 135, 154

25, 26, 27, 28, 30, 32, 34, 36, 38, 122, 124, 140, 165

Tradition 7, 11, 13, 14, 22, 24, 27, 51, 69, 118, 120, 140, 156,

Schultervelum 162

159, 160 172

Register

Transzendenz 15, 29, 32, 92

Weihnachten 58, 73, 76, 78, 85,

Twelfth Night 79

137, 142, 164 Weihrauchfass 164

U

Weihrauchschiffchen 165

Unfehlbarkeit 123

Wunder 100

Urija 37 Ursünde 36, 94, 141, 163

Z Zeichen 13, 30, 32, 83, 136,

V

161, 165

Vergil 87

Zeit 18

Vesper 67, 137

Zisterzienser 67, 136, 166

Vetus Latina 164

Zölibat 166

Vulgata 13, 34, 134, 163

Zufall 17

W Wahrheit 57 Waldenser 55 Wallfahrten 31, 98, 99 Walther von der Vogelweide 20

173

K arl Jaroš

Jesus von nazareth ein leben

»Wir sind ja keinen ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch die Macht und Ankunft unseres Herrn Jesus Christus verkündeten, sondern wir waren Augenzeugen.« (2. Petrusbrief 1, 16) Seit Jahrhunderten schon ringen Theologen, Historiker und Philologen um das Verständnis der Quellen, die über Jesus von Nazareth berichten: Legenden und Mythen oder doch historische Berichte? Wer war das Kind, das in Bethlehem zur Welt kam? Wer war der Mann, dessen Leben wie das eines Verbrechers am Kreuz endete? Karl Jaroš hat die Quellen nach langjähriger Forschungsarbeit neu bewertet. Er belegt überzeugend, dass sie auf Berichten von Augenzeugen beruhen und von historischen Ereignissen berichten, auch wenn sie diese interpretieren. Das Buch bietet eine umfassende Darstellung vom Leben Jesu und seiner Zeit und vermittelt dem Leser das Wissen, das heute historisch fundiert über Jesus von Nazareth vorliegt. 2011. 388 S. 36 S/w-Abb. Gb. mit SU. 155 x 230 mm. iSbN 978-3-412-20754-0

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KARL JAROŠ

DER ISLAM HISTORISCHE GRUNDLAGEN UND GLAUBENSLEHRE (UTB 3728 S)

Das Studienbuch bietet eine knappe und kompetente Einführung in den Islam, seine historischen Grundlagen und seine Glaubenslehre. Die klassische Glaubenslehre sunnitischer Prägung, die wegen der Weite ihres Denkens bis heute Ausgangspunkt jeder theologischen Diskussion ist, steht dabei im Zentrum. Besonders verwiesen wird auf die Gemeinsamkeiten sowie auf die fundamentalen Unterschiede zum Christentum. Das Buch richtet sich in erster Linie an Studenten der Theologie, der vergleichenden Religionswissenschaft, der Islamistik, der Arabistik sowie der alten Geschichte. 2012. 208 S. 4 KARTEN BR. 120 X 185 MM | ISBN 978-3-8252-3728-8

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KARL BRUNNER

LEOPOLD, DER HEILIGE EIN PORTRAIT AUS DEM FRÜHLING DES MITTELALTERS

Markgraf Leopold III, der Heilige, ist wohl die bedeutendste Persönlichkeit unter den Babenbergern. Früh schon wurde die historische Person mit den stilisierten Zügen eines idealen Landesfürsten übermalt, so dass wir erstaunlich wenig über ihn selbst wissen. Der Mittelalterexperte Karl Brunner bettet die Biographie in ein Zeitbild aus dem „Frühling des Mittelalters“, das seinen besonderen Reiz daher gewinnt, dass zur Zeit Leopolds III. vieles geformt wurde, was unsere heutige Vorstellung vom Mittelalter ausmacht. Auch das Land, das man Ostarrîchi nannte, gewann damals an Gestalt. Die Person bildet also den roten Faden für eine Darstellung der Verfassung und der Lebensformen in den Anfängen Österreichs. 2009. 253 S. GB. MIT SU. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-205-78351-0

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