Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen: Ghana und Ägypten als Zentren der afrikanischen Dekolonisation 9783839444160

In the 1950s, Ghana and Egypt developed into centres of anti-colonial struggle. This volume describes the transnational

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German Pages 260 Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Der globalpolitische Kontext als Katalysator der Transnationalisierung in der afrikanischen Dekolonisation
3. Die Entwicklung panafrikanischer Ideen im Spannungsfeld von Metropole, Kolonie und postkolonialem Staat
4. Panarabismus, Sueskrise und Afrikapolitik – Ägyptens globalpolitische Rolle in den 1950er Jahren
5. Zwischenräume der Dekolonisation. Die All-African People’s Conferences (AAPC) und die Positive Action Conference for Peace and Security in Africa (PACPSA)
6. Das afro-asiatische Solidaritätsnetz als Motor der afrikanischen Dekolonisation? Die Entwicklung einer antikolonialen Agenda in der Frühphase der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (AAPSO)
7. Schlussbemerkungen
8. Kurzbiographien
9. Quellen- und Literaturverzeichnis
Danksagung
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Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen: Ghana und Ägypten als Zentren der afrikanischen Dekolonisation
 9783839444160

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Philmon Ghirmai Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Histoire  | Band 142

Philmon Ghirmai, geb. 1984, promovierte am Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Dekolonisation Afrikas.

Philmon Ghirmai

Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen Ghana und Ägypten als Zentren der afrikanischen Dekolonisation

Dissertation Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4416-6 PDF-ISBN 978-3-8394-4416-0 https://doi.org/10.14361/9783839444160 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt 1 Einleitung  | 7 2

Der globalpolitische Kontext als Katalysator der Transnationalisierung in der afrikanischen Dekolonisation  | 27

2.1

Die Anfänge der Vereinten Nationen als Fortschreibung der kolonialen Zweiklassengesellschaft  | 30

2.2

Die Eurafrika-Pläne im Kontext des Europäischen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg  | 34

2.3

Gemeinsame Anstrengungen, sich Gehör zu verschaffen. Die Bandung-Konferenz als Auftakt afro-asiatischer Konferenzen  | 41

2.4

Die Entwicklung der Afrika-Strategien der USA, der UdSSR und der VR China in den 1950er Jahren  | 49

2.5 Zwischenfazit  | 56 3

Die Entwicklung panafrikanischer Ideen im Spannungsfeld von Metropole, Kolonie und postkolonialem Staat  | 59

3.1

Die Panafrikanischen Kongresse zwischen 1919 und 1945  | 61

3.2

Rezentrierung des Panafrikanismus. Die Einrichtung transnationaler Netze und die Implementierung antikolonialer Strategien in der Goldküste zwischen 1947 und 1957  | 67

3.3

Nkrumahs Vision der Vereinigten Staaten von Afrika.



»Afrikanische« Konzepte einer postkolonialen Ordnung?  | 77

3.4

Accra als Exil. Antikoloniale Einrichtungen und AktivistInnen im postkolonialen Accra  | 84

3.5 Zwischenfazit  | 91 4

Panarabismus, Sueskrise und Afrikapolitik – Ägyptens globalpolitische Rolle in den 1950er Jahren  | 93

4.1

Die Sueskrise als global moment  | 94

4.2

Der ägyptische Panarabismus als innen- und außenpolitische Strategie  | 102

4.3

»This struggle will affect us whether we want or not«. Die neue ägyptische Afrikapolitik zwischen 1956 und 1961  | 109

4.4 Zwischenfazit  | 118

5

Zwischenräume der Dekolonisation. Die All-African People’s Conferences (AAPC) und die Positive Action Conference for Peace and Security in Africa (PACPSA)  | 119

5.1

Transnationale Gegenentwürfe für ein postkoloniales Afrika. Inhalte und Strategien der All-African People’s Conference 1958  | 120

5.2

Erfolge und Konfliktlinien der All-African People’s Conference.  Die Radikalisierung des antikolonialen Netzes auf der zweiten und dritten Konferenz  | 137

5.3

Nkrumahs zweiter Anlauf. Die Positive Action Conference on Peace and Security in Africa als Alternative zur Alternative  | 157

5.4 Zwischenfazit  | 170 6

Das afro-asiatische Solidaritätsnetz als Motor der afrikanischen Dekolonisation? Die Entwicklung einer antikolonialen Agenda in der Frühphase der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (AAPSO)  | 171

6.1

Die arabisch-asiatische Dominanz auf der ersten Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference (AAPSC) in Kairo  | 173

6.2

Die Afrikanisierung des afro-asiatischen Solidaritätsnetzes. Die antikoloniale Agenda auf der zweiten Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference  | 193

6.3

Über den Nutzen der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization für afrikanische antikoloniale AkteurInnen  | 208

6.4 Zwischenfazit  | 219 7 Schlussbemerkungen  | 221 8 Kurzbiographien  | 231 9

Quellen- und Literaturverzeichnis  | 239

9.1

Ungedruckte Quellen  | 239

9.2

Gedruckte Quellen  | 240

9.3 Literaturverzeichnis  | 243 Danksagung  | 256

1

Einleitung

»Africa was never the same after Suez and the coming into play on the continent and in the world of the forces of Pan-Africanism. […] it was no longer the planners in the Colonial Office who set the tempo, but Accra and Cairo […].«1

Viele afrikanische PolitikerInnen2 vertraten in den 1960er Jahren die Ansicht, dass während der Dekolonisation neue globalpolitische Zentren entstanden seien, von denen ein Strukturwandel des internationalen Systems seinen Ausgang genommen hätte. Zwei Argumente, die hier untersucht werden sollen, sind zentral für diese These: Erstens sei diese Strukturveränderung nicht lediglich das Ergebnis der formalen Dekolonisation, sondern ein Prozess gewesen, der derselben vorausgegangen sei und sie bedingt habe. Zweitens habe es eine Gewichtsverlagerung im internatio1

Vgl. Oginga Odinga, Not yet Uhuru. The autobiography of Oginga Odinga, 1967, London, S. 175. 2 Die von mir untersuchten Netzwerke sind, soweit ich es ermitteln konnte, von männlichen Personen dominiert gewesen. Dennoch waren auf den internationalen Konferenzen und in den internationalen Organisationen sicherlich mehr Frauen zugegen, als es in den von mir untersuchten Quellen abgebildet wurde. Nicht nur als PolitikerInnen und GewerkschafterInnen, sondern auch in Funktionen, die von Quellen häufig übersehen werden (ÜbersetzerInnen, ProtokollantInnen, SekretärInnen, usw.). Frauen werden also in den von mir untersuchten Kontexten vermutlich eine größere Rolle eingenommen haben, als es von den Quellen her nachzuweisen ist. Es erscheint mir daher geboten, auf die Anwesenheit von Frauen aufmerksam zu machen, indem ich statt des generischen Maskulinums im Folgenden die Binnen-I-Schreibweise verwende. Zudem wird der Begriff »Schwarz« in dieser Arbeit auch in der Verwendung als Adjektiv großgeschrieben. Diese Schreibweise findet häufig in Publikationen Verwendung, in denen die AutorInnen auf die Konstruiertheit des Begriffs hinweisen und sich von der Annahme, dass Hautfarben eine biologische Determinante seien, abgrenzen möchten.

8 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

nalen System zugunsten afrikanischer AkteurInnen und Zentren gegeben. Konkret attestiert Oginga Odinga im Eingangszitat den europäischen Zentren einen Bedeutungsverlust und stellt ihnen Ägypten und Ghana als Orte gegenüber, von denen aus besagter Strukturwandel vorangetrieben worden sei. Die von afrikanischen PolitikerInnen formulierte Interpretation der Dekolonisierung als einem Prozess, der maßgeblich von afrikanischen AkteurInnen durch die Etablierung neuer internationaler Strukturen bewirkt worden sei, ist bislang kaum geschichtswissenschaftlich untersucht worden. Dieses Narrativ über die Dekolonisierung in Afrika widerspricht der eurozentrischen, in die Historiographie zum Kalten Krieg eingebetteten Erzählung einer linearen Entwicklung derselben, deren Ergebnis einzelne Nationalstaaten gewesen seien, die sich im Nachhinein ihren Platz im internationalen System hätten suchen müssen.3 Um diesen Versäumnissen und Verzerrungen der bisherigen Forschung zu begegnen, nimmt die vorliegende Arbeit einen Perspektivenwechsel vor: Die Frage, was die AkteurInnen mit der Veränderung internationaler Strukturen beabsichtigten und wie sie die Veränderung herbeiführen wollten, soll aus der Sicht von afrikanischen PolitikerInnen und Intellektuellen diskutiert werden. Dabei ist von zentralem Interesse, welche Konzepte entwickelt wurden und inwiefern diese über die von den westlich dominierten Aushandlungsräumen entwickelten postkolonialen Ordnungsvorstellungen, die im Wesentlichen auf Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika ausgerichtet waren, hinausgingen. Zu diesem Zweck werden antikoloniale Konferenzen und Organisationen untersucht, die zwischen 1957 und 1961

3

Frederick Cooper hat jüngst darauf verwiesen, dass vor den formalen Unabhängigkeiten und den Gründungen von Nationalstaaten intensiv alternative Ordnungskonzepte diskutiert wurden. In seinem Aufsatz »Alternatives to Nationalism in French Africa« skizziert er Debatten über mögliche transnationale postkoloniale Ordnungen, die innerhalb des französischen Kolonialreichs etabliert werden sollten. In diese Verhandlungen waren VertreterInnen aus den Kolonien und VertreterInnen der Metropolen eingebunden. Die vorliegende Arbeit nimmt Aushandlungsräume in den Blick, die postkoloniale Ordnungskonzepte nicht in den Grenzen eines Imperiums dachten und an deren Diskussion VertreterInnen von Kolonialstaaten gleichberechtigt teilnehmen konnten. Vgl. Frederick Cooper, Alternatives to Nationalism in French Africa. 1945–1960, in: Jost Düllfer und Marc Frey (Hg.), Elites and Decolonization in the Twentieth Century, 2011, Basingstoke, S. 110–137.

1 Einleitung | 9

stattfanden beziehungsweise gegründet wurden.4 Dieser Fokus ermöglicht es, die innerafrikanische Vernetzung detailliert zu analysieren. Bei diesen Konferenzen und Organisationen kamen Menschen aus bereits unabhängigen Ländern und aus Kolonien, ungeachtet ihrer (vormaligen) Zugehörigkeit zu den jeweiligen »Imperien«, zusammen. In Accra und Kairo tauschten sie sich aus, vernetzten sich und koordinierten gemeinsame Anstrengungen, die gegen die vorherrschende internationale Ordnung gerichtet waren, von der sie sich benachteiligt fühlten.5 Die Analyse konzentriert sich auf die beiden Orte Accra und Kairo in ihrer Funktion als Austragungsorte der Konferenzen. Deshalb liegt ihr Hauptaugenmerk auf denjenigen Debatten über die Dekolonisation, die in Afrika selbst geführt wurden, sowie den dort entwickelten Konzepten und Strategien. Damit reiht sie sich in globalhistorische Untersuchungen ein, die erstens eurozentrischen Lesarten der Geschichte widersprechen, zweitens die nationalgeschichtliche Lesart der afrikanischen Unabhängigkeitskämpfe transnationalisieren und drittens zeigen, dass afrikanische PolitikerInnen keine isolierten lokalen Unabhängigkeitskämpfe führten. Der Fokus auf Kairo und Accra ermöglicht es, den Aufstieg dieser Orte zu Zentren der afrikanischen Dekolonisation darzustellen. Daher sind die jeweiligen regionalen Kontexte in Ägypten und Ghana von besonderer Bedeutung. Die beiden Gastgeber der Konferenzen und Anstoßgeber der Organisationen, Gamal Abdel Nasser und Kwame Nkrumah6, begünstigten diese aus unterschiedlichen Motiven. Nasser hatte Kairo als ein antikoloniales Zentrum etabliert, um die afrikanische Dekolonisation und die afroasiatische Solidarität zu fördern. Dadurch wollte er die neue, globalpolitische Rolle Ägyptens festigen, die es 1956 in der Sueskrise erlangt hatte, als es Israel und den Imperialstaaten Frankreich und England in einer militärischen Auseinandersetzung trotzte. Als institutioneller Motor dieser

4

Die Arbeit analysiert die drei All-African People’s Conferences (AAPC), die Positive Action Conference for Peace and Security in Africa (PACPSA) und die ersten beiden Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conferences (AAPSC), sowie die All-Afrian People’s Conference Organisation (AAPCO) und die Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (AAPSO). 5 Durch die Zusammensetzung der AkteurInnen unterschieden sich die genannten Konferenzen auch von anderen antikolonialen Veranstaltungen – beispielsweise der Conference of Independent African States, die ebenfalls im Untersuchungszeitraum stattfanden, aber zwischenstaatliche Aushandlungsräume waren. 6 Kurzbiographien von Gamal Abdel Nasser und Kwame Nkrumah siehe S. 237 f.

10 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Entwicklung fungierte die antikoloniale Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization, die sich 1958 in Kairo gründete. Kwame Nkrumah wiederum etablierte ab 1957, unmittelbar nach der formellen Unabhängigkeit Ghanas, Accra als ein panafrikanisches Zentrum. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen stand die Überzeugung, dass die afrikanischen Länder sich einzeln im globalpolitischen Gefüge nicht würden behaupten können. Starke transnationale Bande sollten die einzelnen Länder stärken. Daher etablierte er semi-offizielle Einrichtungen wie das Bureau of African Affairs (BAA) oder das African Affairs Committee (AAC), die AkteurInnen aus den Kolonien die politische Arbeit aus dem Exil heraus ermöglichten. Auch forcierte er die Ausrichtung der ersten All-Afrcian People’s Conference in Accra im Dezember 1958, an deren Anschluss in Accra eine gleichnamige Organisation gegründet wurde.7 Ich gehe davon aus, dass, trotz der Gemeinsamkeit, AkteurInnen der Dekolonisation unterstützen zu wollen, der Nutzen der Konferenzen und Organisationen in Ghana und Ägypten für die afrikanischen AktivistInnen aufgrund anderer politischer Schwerpunktsetzungen unterschiedlich war. Denn in Ghana waren die Konferenzen geprägt von panafrikanischen Konzepten, die nicht plötzlich vor Ort entstanden, sondern von Intellektuellen wie Kwame Nkrumah importiert wurden, die sich seit den 1930er Jahren »zwischen der Kolonie und der Metropole« hin und her bewegten. Die AAPSO dagegen war geprägt vom ägyptischen Selbstverständnis, an der Schnittstelle der afrikanischen, arabischen und asiatischen Welt eine Schlüsselrolle einzunehmen. Geschichtswissenschaftliche Ansätze

Die Untersuchung greift auf Ansätze der Globalgeschichte, der Kolonialgeschichtsschreibung sowie der postkolonialen Theorie zurück. Globalgeschichte geht von einer tiefgreifenden Verflechtung der Welt aus und analysiert den grenzüberschreitenden Austausch von Prozessen, Ideen, Personen und Gegenständen. Sie ist damit das Gegenstück zum 7

Sowohl für Nasser als auch Nkrumah eröffnete die Institutionalisierung der Netzwerke in Form von antikolonialen Organisationen in Kairo und Accra die Möglichkeit, sich in transnationale Prozesse einzuschalten, die auf einer nichtstaatlichen Ebene ausgetragen wurden. Akira Iriye hat darauf hingewiesen, dass Regierungen auch auf nichtstaatliche Organisationen international Einfluss ausüben können. Vgl. Akira Iriye, Global Community. The Role of International Organizations in the Making of the Contemporary World, 2002, Berkley, S. 14  ff.

1 Einleitung | 11

methodologischen Nationalismus früherer Geschichtsschreibung, die den Nationalstaat als Ausgangspunkt ihrer Untersuchung nahm und damit ihre Untersuchungsgegenstände und ihre Ergebnisse an dessen Möglichkeiten, Grenzen sowie die diesem inhärente Logik kettete.8 Die Rolle des Nationalstaats als Ordnungskategorie darf zwar nicht übergangen werden, da sie sowohl innergesellschaftlich als auch in grenzüberschreitenden Kontexten wirkmächtig war und ist; allerdings erlauben es globalgeschichtliche Ansätze, die transnationale Dynamik zu analysieren und AkteurInnen zu berücksichtigen, die in klassischen Erzählungen nicht vorkommen.9 Um grenzüberschreitende Prozesse in Afrika in einem globalen Kontext zu untersuchen, braucht es genau diese Perspektive, da der grenzüberschreitende Austausch das Denken und Handeln der AkteurInnen stark prägte. Globalgeschichtliche Studien müssen aber über die bloße Beschreibung grenzüberschreitender Prozesse hinausgehen und eine relationale Einordnung des stattfindenden Austauschs vornehmen. Dabei müssen sie die Relevanz, die Spezifika und die Reichweite der von ihnen in den Blick genommenen Verflechtung bestimmen.10 Im gegebenen Fall bilden diesen Rahmen die Bandung-Konferenz, die Vereinten Nationen (VN), die Debatten über den europäischen Wiederaufbau sowie die Spezifika, die sich aus den Orten Accra und Kairo ergeben, waren die untersuchten Konferenzen in ihrer Form, ihrem Anspruch und ihrem Inhalt doch maßgeblich von diesen beeinflusst. Die AAPC war überdies von Nkrumahs panafrikanischen Politikidealen, die AAPSO hingegen von Nassers afro-asiatischem Hegemonial­ anspruch geprägt. Margrit Pernau hat in ihrem Einführungswerk zu transnationaler Geschichte auf zwei Vorteile transnational ausgerichteter Forschungsarbeit hingewiesen: Erstens legen entsprechende Studien offen, dass ihre Untersuchungsgegenstände nicht an Grenzen gebunden sind. Zweitens können

8

Sebastian Conrad hat jüngst eine grundlegende Einführung in die Globalgeschichte veröffentlicht. Vgl. Sebastian Conrad, Globalgeschichte. Eine Einführung, 2013, München, hier: S. 7, 11, 24 und 27  f. Zum konstruktivistischen Forschungsbegriff des Konzepts Nation in der Historiographie, vgl. Margrit Pernau, Transnationale Geschichte, 2011, Göttingen, S. 10  f. 9 Vgl. Angelika Epple, The Global, the Transnational and the Subaltern. The Limits of History Beyond the National Paradigm, in: Anna Amelina (Hg.), Beyond Methodological Nationalism. Research Methodologies of Cross-Border Studies, 2012, New York, S. 155–175, hier: S. 155 und 164. 10 Vgl. Conrad, Globalgeschichte, S. 27  f., 91 und 100.

12 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

sie den Nationenbegriff »transzendieren«, ihn als orthodoxe Ordnungskategorie in Frage stellen.11 In der vorliegenden Arbeit spielen beide Momente eine Rolle: Denn einerseits überquerten antikoloniale AkteurInnen selbst regelmäßig Grenzen, um für ihre Ziele auf internationalen Konferenzen und im Rahmen transnationaler Netzwerke zu streiten. Die Unabhängigkeitskämpfe fanden folglich nicht nur in den Kolonien statt. Andererseits ist die Ordnungskategorie »Nation« auf der Ebene des Untersuchungsgegenstands selbst relativiert – nämlich in den politischen Konzepten, die antikoloniale AkteurInnen in Accra diskutierten. Der Antikolonialismus war hier in der Tat eng verbunden mit panafrikanischen Ordnungskonzepten für die nachkoloniale Zeit, die über die Gründung von Nationalstaaten hinausgingen. Konkret sah der in Accra diskutierte Dekolonisierungsprozess folgende Schrittfolge vor: Erst formale Unabhängigkeit, dann regionale Integration und schließlich die Gründung der Vereinigten Staaten von Afrika.12 Der Rückgriff auf transnationale Geschichtsschreibung ermöglicht es folglich, antikoloniale AkteurInnen in alternativen politischen Räumen darzustellen, sie aus den teleologischen, nationalstaatszentrierten Erzählungen der Dekolonisation herauszulösen sowie ihr Nachdenken über alternative Ordnungskonzepte und ihr Mitwirken in transnationalen Netzwerken nachzuvollziehen.13 In der Tat stellt die Netzwerkanalyse einen wichtigen Aspekt der Globalgeschichte dar. Die Untersuchung von Netzwerken relativiert das Gewicht von Entitäten wie Staaten und Gesellschaften, indem sie Beziehungsgeflechte in den Blick nimmt, die aufgrund grenzüberschreitender Interaktionen entstehen. Dabei können wahlweise die Netzwerke selbst oder aber die durch sie ermöglichten Transfers von Wissen, Personen, Gütern oder Praktiken im Fokus stehen.14 Dies gestattet es, AkteurInnen sichtbar zu 11

Vgl. Pernau, Transnationale Geschichte, S. 17. Vgl. Kapitel 5.1. 13 Einführend zu transnationaler Geschichte vgl. Kiran Klaus Patel, Nach der Nationalfixiertheit. Perspektiven einer transnationalen Geschichte. Antrittsvorlesung, 2004, Berlin; Mathias Albert, Transnational Political Spaces. Agents – Structures – Encounters, 2009, Frankfurt; Pierre-Yves Saunier, Transnational History, 2013, Basingstoke. 14 Vgl. Jürgen Mittag und Berthold Unfried, Einleitung – Transnationale Netzwerke. Annäherungen an ein Medium des Transfers und der Machtausübung, in: dies. und Marcel van der Linden (Hg.), Transnationale Netzwerke im 20. Jahrhundert. Historische Erkundungen zu Ideen und Praktiken, Individuen und Organisationen, 2008, Leipzig, S. 9–26, hier: S. 10  f. 12

1 Einleitung | 13

machen, die durch das Raster klassischer Diplomatie- und internationaler Geschichte fallen.15 So kann ich mich dem Wirken afrikanischer PolitikerInnen zuwenden, die aus den etablierten internationalen Verhandlungsräumen ausgeschlossen waren. Dabei handelt es sich um eine sinnvolle Ergänzung diplomatiegeschichtlicher Arbeiten, die die Rolle etablierter internationaler Organisationen im Kontext der Dekolonisation untersuchen. Da die Analysekategorie Netzwerk immer auch eine räumliche Dimension hat, können durch sie auch (neue) politische Zentren lokalisiert werden. Netzwerke besitzen zwar oft keine Kontinuität und sind nur schwach institutionalisiert, sind aber dennoch immer an Lokalitäten gebunden.16 Im Rahmen meiner Untersuchung werden derart Ghana und Ägypten als bedeutende antikoloniale Zentren identifiziert. Dort etablierten sich rund um die AAPCO und die AAPSO und deren Konferenzen Räume und Netzwerke, dank derer die AkteurInnen aus den afrikanischen Ländern und aus den Kolonien die Dekolonisation verhandeln konnten. Ich folge dem Aufruf Frederick Coopers und Ann Laura Stolers, sich der dichotomen Gegenüberstellung Kolonisator/Kolonisierter zu entziehen und untersuche stattdessen das Verhältnis zwischen den AkteurInnen aus den Kolonien und Metropolen samt deren gegenseitigen Beeinflussungen.17 Eine solche Herangehensweise ermöglicht es, die AkteurInnen aus Kolonien genauer zu charakterisieren, da sie tiefer auf deren Handlungsmöglichkeiten eingehen kann. Eine solche eingehendere Charakterisierung erfolgt durch die Darstellung der spezifischen antikolonialen Techniken, die darin bestanden, die diplomatischen Riten und die von westlichen Staaten dominierten globalpolitischen Verhandlungen zu rezipieren und für die eigenen Zwecke zu adaptieren.18 Afrikanische PolitikerInnen reagierten auf den 15

Deren Ansätze sind gekoppelt an formale Parameter wie Souveränität, die dazu führen, dass nichtstaatliche AkteurInnen ausgeschlossen oder zumindest nicht gleichrangig behandelt werden. Vgl. ebd., S. 12 und Madeleine Herren, Netzwerke, in: Jost Dülffer und Wilfried Loth (Hg.), Dimensionen internationaler Geschichte, 2012, München, S. 107–128, hier: S. 108  ff. und 118. 16 Vgl. Herren, Netzwerke, S. 113 und Mittag und Unfried, Transnationale Netzwerke, S. 17. 17 Vgl. Frederick Cooper und Ann Laura Stoler, Zwischen Metropole und Kolonie: Ein Forschungsprogramm neu denken, in: Claudia Kraft, Alf Lüdtke und Jürgen Martschukat (Hg.), Kolonialgeschichten. Regionale Perspektiven auf ein globales Phänomen, 2010, Frankfurt, S. 26–62. 18 Dadurch kann die Historiographie der Dekolonisation um eine nicht-europäische Perspektive erweitert werden. Vgl. Conrad, Globalgeschichte, S.  122  f.

14 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Ausschluss aus den internationalen Aushandlungsräumen, indem sie entsprechende eigene Räume schufen. Wie Cooper und Stoler spricht sich auch Wolfgang Reinhard für ein dialektisches Verständnis von Kolonialismus aus, das Widersprüche in den Blick zu nehmen erlaubt.19 Dabei verweist er darauf, dass antikoloniale Handlungen von genau den AkteurInnen getragen worden seien, die der Kolonialismus erst erschaffen habe.20 Andreas Eckert schließt hier an und kritisiert in seinem Aufsatz Widerstand, Protest und Nationalismus die mangelnde Analysekraft ebenjener Begriffe in der Kolonialismus-Forschung.21 Alternativ schlägt er Forschungsperspektiven vor, die das strategische Vorgehen der antikolonialen AkteurInnen und deren Ordnungsvorstellungen in den Vordergrund rücken.22 Dem pflichtet wiederum Frederick Cooper bei, der zeigt, dass antikoloniale Handlungen selten durch eine simple Konfrontationslogik gegenüber den KolonisatorInnen charakterisiert waren. Stattdessen hätten Menschen aus den Kolonien oft auf subtile Weise Widersprüche in der europäischen Ideologie aufgegriffen, die dem Kolonialismus inhärent gewesen seien, und diese dann für ihre eigenen Ziele genutzt.23 Ich will entsprechend zeigen, dass das Entstehen antikolonialer Zentren in Ägypten und Ghana eben nicht Ausdruck einer Abkehr von vorherigen politischen Zentren war. Im Gegenteil: Die politischen Debatten der Konferenzen in Accra und in Kairo nahmen fortwährend Bezug auf Debatten der VN und der EWG, während afrikanische PolitikerInnen zudem versuchten, mit der bipolaren Logik des Kalten Krieges zu brechen. Sowohl auf den AllAfrican People’s Conferences als auch auf den Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conferences entwickelten antikoloniale AkteurInnen Gegenentwürfe zu den Ordnungskonzepten, an deren Aushandlung sie nicht gleichberechtigt beteiligt waren. In vielen Fällen aber lehnten sie westliche Konzepte nicht 19

20 21

22 23

Reinhard widerspricht auch dem Gegensatzpaar »modern« – »traditionell«, das in Betrachtungen zum Kolonialismus häufig verwendet wird. Vgl. Wolfgang Reinhard, Dialektik des Kolonialismus. Europa und die Anderen, in: Klaus J. Bade und Dieter Brötel (Hg.), Europa und die Dritte Welt. Kolonialismus – Gegenwartsprobleme – Zukunftsperspektiven, 1992, Hannover, S. 5–25, hier: S. 7. Vgl. Ebd., S. 19. Vgl. Andreas Eckert, Widerstand, Protest und Nationalismus, in: Jan-Georg Deutsch und Albert Wirz (Hg.), Geschichte in Afrika. Einführung in Probleme und Debatten, 1997, Berlin, S. 129–149. Vgl. Ebd., S. 144. Vgl. Frederick Cooper, Kolonialismus denken. Konzepte und Theorien in kritischer Perspektive, 2012, Frankfurt, S. 337–378.

1 Einleitung | 15

schlicht ab, sondern unterwarfen diese einer kritischen Transformation.24 Dadurch versuchten sie, auf das westlich dominierte internationale System zurückzuwirken. Nicht zuletzt berücksichtige ich die Aufforderung des postkolonialen Theoretikers Dipesh Chakrabarty, außereuropäische Regionen nicht länger zu Subalternen europäischer Geschichtsschreibungen zu degradieren.25 Zu lange hätten historische Arbeiten teleologische Forschungsdesigns begünstigt, die Ideale der (europäischen) Moderne unhinterfragt übernehmen. Es sei aber nicht möglich, europäische Erzählungen eins zu eins auf andere Regionen zu übertragen. Mehr noch: Solche Arbeiten würden dadurch Geschichte(n) über Asien und Afrika auf Geschichte(n) von Unzulänglichkeit und Scheitern reduzieren.26 Daher spricht sich Chakrabarty dafür aus, Geschichten eines »hyperrealen Europas« andere Erzählungen entgegenzustellen, die die regionalen Spezifika berücksichtigen. Ich nehme deshalb Aushandlungsräume in den Blick, in denen afrikanische (und asiatische) AkteurInnen bestrebt waren, eigene Konzepte für eine nachkoloniale Ordnung zu entwickeln, die den Vorstellungen eines »hyperrealen Europas« entgegenstehen sollten. Diese spezifischen Aushandlungsräume entsprachen gerade nicht den gängigen internationalen, die auf die VertreterInnen von Nationalstaaten ausgerichtet waren, sondern standen explizit auch den VertreterInnen kolonisierter Gesellschaften offen. Thesen und Forschungsüberblick

Meine Hauptthese ist, dass sich in den späten 1950er Jahren die Hauptstädte Ghanas und Ägyptens zu zentralen Knotenpunkten der Dekolonisation entwickelten und dergestalt ein Gegengewicht zu Aushandlungsräumen in Europa und Nordamerika bildeten. Über die AAPCO und die AAPSO sowie deren Konferenzen – so die Annahme – erhielten afrikanische AkteurInnen, die von der europäisch geprägten internationalen Staatengemeinschaft ausgeschlossen waren, Zugang zur internationalen Ebene. Dadurch konnten sie eigenständig und gleichberechtigt mit VertreterInnen afrikanischer Regierungen nachkoloniale Ordnungskonzepte verhandeln.

24

Vgl. Cooper und Stoler, Metropole und Kolonie, S. 37. Vgl. Dipesh Chakrabarty, Europa als Provinz. Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung, (Theorie und Gesellschaft, 72), 2010, Frankfurt, S. 41–66. 26 Vgl. ebd., S. 46, 49 und 57. 25

16 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Meine zweite These ist, dass sich über die Netzwerke und die Orte zwar das Selbstverständnis etablierte, dass afrikanische und asiatische Länder eigenständige Positionen im globalen Gefüge beziehen konnten, dass die integrative Kraft, die vom Ausschluss durch Europa ausging, jedoch nicht genügte, um eine dauerhafte alternative Struktur zu etablieren. In den Knotenpunkten des Netzwerks waren von Beginn an Spannungen zu beobachten, die ab dem Jahr 1960 zunehmend zu dessen Auflösung führten. Die historische Nacherzählung einer temporär begrenzten alternativen internationalen Ordnung verbietet es jedoch, vorschnell von einem gescheiterten Versuch zu sprechen. Vielmehr sind die transnationalen Konferenzen in Afrika in die Geschichtsschreibung zurückzuholen und deren Wirkung nachzuzeichnen. Dadurch werden hinter den Unabhängigkeitsprozessen der afrikanischen Staaten komplexe und langanhaltende intellektuelle und politische Verflechtungen und Vorbereitungen sichtbar. Eine Fokussierung der Forschung auf die Bedeutung von Süd-Süd-Netzwerken im globalpolitischen Setting des 20. Jahrhunderts ist mehr als überfällig. Denn eine eingehende geschichtswissenschaftliche Erforschung der antikolonialen Konferenzen sowie der innerafrikanischen und afroasiatischen Vernetzung vor 1960 hat es bisher nur vereinzelt gegeben. Dies überrascht umso mehr, als die internationale Dimension der afrikanischen Dekolonisation mindestens in zwei Forschungsfeldern seit einigen Jahren wieder verstärkt beachtet wird: so einerseits in der globalgeschichtlichen Forschung zu internationalen Organisationen und Konferenzen sowie andererseits in der jüngsten Forschung zu antikolonialen Konferenzen und Bewegungen. Jüngste globalgeschichtliche Arbeiten über die Vereinten Nationen, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Bandung-Konferenz legen dar, dass die Dekolonisation eng mit anderen globalpolitischen Prozessen und Aushandlungsräumen verschränkt war. Darüber hinaus haben sie die Rolle afrikanischer und asiatischer AkteurInnen neu bewertet. Studien über die Konferenz in Bandung lösen die Dekolonisation aus dem Schatten des Kalten Krieges heraus, setzen andere geopolitische Schwerpunkte und zeigen afrikanische und asiatische PolitikerInnen in bisher unbeachteten Konstellationen. Jüngst erschienene Arbeiten über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft legen wiederum offen, dass in Europa seit den späten 1940er Jahren Pläne und Überlegungen zum europäischen Wiederaufbau den afrikani-

1 Einleitung | 17

schen Kontinent systematisch mitgedacht haben.27 Desgleichen bestätigen Publikationen zu den Vereinten Nationen, dass diese einerseits ein zentraler Aushandlungsraum der Dekolonisation, aber andererseits auch, besonders in ihrer Anfangszeit, ein Ort imperialer und kolonialer Kontinuitäten war.28 Die vorliegende Arbeit versteht sich als Fortsetzung derjenigen Forschungspfade, die die Bedeutung der afrikanischen Dekolonisation in europäischen und VN-Diskussionen verdeutlichen; indem sie die genannten Konferenzen und Organisationen mit den antikolonialen Zentren in Accra und Kairo in Verbindung setzt, bereichert sie die Erzählung um neue Orte und AkteurInnen. Dabei zeige ich, dass die antikolonialen Konferenzen in den 1950er Jahren, wie etwa die Bandung-Konferenz, explizite Reaktionen auf den Ausschluss aus den westlich dominierten Aushandlungsräumen waren, in denen die postkoloniale Zukunft verhandelt wurde. Das Entstehen neuer Zentren hing demzufolge unmittelbar mit dem Ausschluss aus den etablierten internationalen Strukturen zusammen. Studien zu antikolonialen Netzwerken und Bewegungen legen dar, dass antikoloniale Gruppen und AktivistInnen bereits frühzeitig transnational agierten und kooperierten. Tony Ballantyne und Antoinette Burton weisen darauf hin, dass parallel zur Ausbreitung von Imperien antikoloniale, transnational vernetzte Bewegungen entstanden.29 Andere Beiträge zeigen, dass Netzwerke häufig in kolonialen Metropolen entstanden. Jürgen Dinkel untersucht antikoloniale Konferenzen, die in der Frühphase der Dekolonisation in europäischen Metropolen abgehalten wurden,30 während 27

Vgl. Peo Hansen und Stefan Jonsson, Eurafrica. The Untold Story of European Integration and Colonialism, 2015, London; Daniel Speich Chassé, Towards a Global History of the Marshall Plan. European Post-war Reconstruction and the Rise of Development Economic Expertise, in: Christian Grabas und Alexander Nützenadel (Hg.), Industrial Policy in Europe after 1945. Wealth, Power and Economic Development in the Cold War, 2014, Basingstoke, S. 187–212. 28 Vgl. Mark Mazower, No enchanted Palace. The End of Empire and the Ideological Origins of the United Nations, 2009, Princeton; Marika Sherwood, ›There Is No New Deal for the Blackman in San Francisco‹: African Attempts to Influence the Founding Conference of the United Nations, April–July 1945, in: The International Journal of African Historical Studies, Vol. 29, Nr. 1, 1996, Boston, S. 71–94. 29 Vgl. Tony Ballantyne und Antoinette Burton, Empires and the Reach of the Global, in: Emily S. Rosenberg (Hg.), A World Connecting. 1870–1945, 2012, Cambridge, S. 285–389. 30 Vgl. Jürgen Dinkel, Globalisierung des Widerstands: Antikoloniale Konferenzen und die ›Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit‹. 1927–1937, in: Sönke Kunkel und Christoph Meyer (Hg.), Aufbruch ins postkoloniale Zeital-

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Marika Sherwood und Hakim Adi detailliert die Hintergründe des Fünften Panafrikanischen Kongresses nachzeichnen, der 1945 in Manchester stattfand.31 Die Offenlegung neuer zeitlicher und örtlicher Dimensionen sowie die Beschreibung der in der Forschung bisher vernachlässigten Praktiken afrikanischer AkteurInnen, über internationale Konferenzen und antikoloniale Organisationen systematisch transnationale Netzwerke zu etablieren, ist der Beitrag vorliegender Untersuchung. Die antikolonialen Konferenzen, die im Spätkolonialismus auf dem afrikanischen Kontinent stattfanden, rücken erst langsam in den Blick der Forschung. Vijay Prashads grundlegendes Buch The Darker Nations diskutiert Konferenzen, die zwischen den 1950ern und den 1970ern in Asien und Afrika stattfanden und wesentlich zum Entstehen der »Dritten Welt« beitrugen.32 In jüngster Zeit haben einige Publikationen zwar explizit auch Konferenzen in den Blick genommen, die in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren in Ghana stattfanden.33 Eine umfassende und systematische Untersuchung der PACPSA und der AAPC sowie der gleichnamigen Organisation stand bisher aber noch aus. Sie ermöglicht, das Entstehen und den Verfall afrikanischer antikolonialer Netzwerke in diesem Zeitraum zu untersuchen und Accra und die AAPC systematisch als Aushandlungsort der Dekolonisation zu erfassen.

ter. Globalisierung und die außereuropäische Welt in den 1920er und 1930er Jahren, 2012, Frankfurt, S. 209–230. 31 Vgl. Hakim Adi und Marika Sherwood, The 1945 Manchester Pan-African Congress Revisited, 1995, London. 32 Vgl. Vijay Prashad, The Darker Nations. A People’s History of the Third World, 2008, New York. 33 Vgl. Jeffrey S. Ahlman, The Algerian Question in Nkrumah’s Ghana, 1958–1960: Debating »Violence« and »Nonviolence« in African Decolonization, in: Africa Today, Vol. 57, Nr. 2, 2010, Indiana, S. 66–84; ders., Road to Ghana: Nkrumah, Southern African and the Eclipse of a Decolonizing Africa, in: Kronos, Nr. 37 (Rethinking Cold War History in Southern Africa), 2011, Bellville, S. 23–40; Jean Allman, Nuclear Imperialism and the Pan-African Struggle for Peace and Freedom. Ghana, 1959–1962, in: Manning Marable and Vanessa Agard-Jones (Hg.), Transnational Blackness. Navigating the Global Color Line, 2008, New York, S. 333–354; Mélanie Torrent, A ›New’ Commonwealth for Britain? Negotiating Ghana’s Pan-African and Asian Connections at the End of Empire (1951–8), in: The International History Review, 2015, New York, S. 1–41, Frank Gerits, The Ideological Scramble for Africa. The US, Ghanaian, French and British Competition for Africa’s Future. 1953–1963, (unveröffentlichte Dissertation, verteidigt im November 2014 am European University Institute Florence (Department of History and Civilization)).

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Zur AAPSO und ihren ersten beiden Konferenzen gibt es bisher wenig Literatur. Es liegen lediglich vereinzelte Arbeiten von Politikwissenschaftlern aus den 1960er und 70er Jahren vor, in deren Fokus die Verschränkungen der Organisation mit den kommunistischen Staaten stehen.34 Interessen der UdSSR oder der VR China mit Blick auf die AAPSO dürfen zwar nicht unterbewertet werden, allerdings laufen solche Arbeiten Gefahr, afrikanische AkteurInnen zu StatistInnen einer globalen Entwicklung zu degradieren. Geschichtswissenschaftliche Arbeiten, die systematisch die Frühphase der AAPSO in den Blick nehmen und nach ihrer Bedeutung für die afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen fragen würden, fehlen hingegen bislang gänzlich. Gleiches gilt für Arbeiten, die die Beziehungen der AAPSO mit anderen antikolonialen Drehscheiben wie der AAPC untersuchen würden.35 Diese Forschungslücken resultieren auch daraus, dass westliche HistorikerInnen das Archiv der AAPSO bislang übersehen haben. Jedoch kann erst dort lagerndes Material – beispielsweise die Korrespondenz des Ständigen Sekretariats der Organisation mit den Unabhängigkeitsbewegungen aus den Kolonien – zeigen, welche Handlungsmöglichkeiten sich für die antikolonialen AkteurInnen durch die AAPSO ergaben. Quellenmaterial

Die Untersuchung greift auf Quellenmaterial aus Ghana, Ägypten, England, Deutschland und den Niederlanden zurück. Zu den aufgesuchten Archiven zählen sowohl Nationalarchive als auch Archive internationaler Organisationen und anderer nichtstaatlicher Einrichtungen. Die umfangreiche, transnational ausgerichtete Archivrecherche war notwendig, um der Fragestellung sowie der globalgeschichtlichen Ausrichtung gerecht zu werden. Zwei Überlegungen waren dabei leitend: Erstens muss sich die anvisierte Überwindung des methodologischen Nationalismus auch in der Auswahl des Quellenmaterials widerspiegeln. Neben Beständen von 34

Vgl. Charles Neuhauser, Third World Politics. China and the Afro-Asian People’s Solidarity Organization. 1957–1967, 1967, Cambridge; Helmut Müller, Geschichte der Organisation für Afro-Asiatische Völkersolidarität (AAPSO), 1989, Berlin. 35 Sebastian Conrad hat auf die Grenzen der historiographischen Forschung zur Globalgeschichte aufgrund von (mangelnden) sprachlichen Fähigkeiten verwiesen. Vgl. Conrad, Globalgeschichte, S. 27. Im Falle internationaler Organisationen wie der AAPSO werden diese Grenzen besonders sichtbar. Aufgrund von Sprachbarrieren nehme ich nicht in Anspruch, mögliche Publikationen zur AAPSO aus dem russisch- oder mandarinsprachigen Raum bewerten zu können.

20 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Nationalarchiven werden auch private Nachlässe und Bestände nichtstaatlicher Einrichtungen und internationaler Organisationen ausgewertet, um die Perspektiven und Handlungen nichtstaatlicher AkteurInnen einzufangen, deren transnationale Ideen und Handlungen eine Gegenperspektive zu den nationalstaatlich denkenden Autoren von Regierungsakten eröffnen, die das Gros der Quellen der Nationalarchive ausmachen. Zweitens erfordert der Versuch, den historiographischen Eurozentrismus zu überwinden und Geschichte(n) aus afrikanischer Perspektive zu erzählen, die Einbeziehung von Beständen aus Archiven in afrikanischen Ländern. Dies ist im Falle nach eigenem Selbstverständnis subversiv agierender antikolonialer AkteurInnen und Organisationen besonders virulent, da diese darauf bedacht waren, von kolonialen Verwaltungen nicht erfasst zu werden.36 Gleichwohl bleiben auch europäische Nationalarchive zentrale Anlaufstellen, mit deren Hilfe Bestandslücken in afrikanischen Archiven geschlossen werden können. Auch bleiben sie unverzichtbar, um historische Kausalitäten verstehen, die Handlungen der politischen AkteurInnen einordnen und die jeweiligen historischen Ereignisse gewichten zu können. In Ghana habe ich die Bestände des ghanaischen Nationalarchivs (Public Records and Archives Administration Department (PRAAD)) und der George Padmore Research Library on African Affairs (GPRLAA) untersucht. Die GPRLAA hatte Kwame Nkrumah im Juni 1961 in Accra gegründet, um an seinen verstorbenen politischen Freund zu erinnern. Die Bibliothek beherbergt heute u.a. die Akten des Bureau of African Affairs.37 Quellen des PRAAD und der GPRLAA bilden sowohl die Basis für die Untersuchung der Konferenzen, die in Accra stattfanden, als auch für die Untersuchung der AAPC-Organisation und der antikolonialen Arbeit der Nkrumah-Regierung. Der Bestand der African Affairs Papers des PRAAD führt Material über internationale Konferenzen (ADM 16-12). Darin finden sich umfangreiche Dokumentationen der ersten All-African People’s Conference und der Positive Action Conference on Peace and Security in Africa. Diese Quellen eignen sich dazu, die zentralen AkteurInnen des antikolonialen Netzwerks auszumachen und die alternativen Ordnungsvorstellungen für die postkoloniale Zeit offenzulegen, die diese in Accra diskutierten. Für die Analyse der AAPC und 36

Bestände afrikanischer Nationalarchive bauen häufig auf Material von Kolonialverwaltungen auf. Entsprechende Bestände spielen im Falle des in Ghana aufgesuchten Nationalarchivs keine Rolle, da ich Quellen der Zeit nach der Unabhängigkeit untersuchte. 37 Vgl. Kapitel 3.4.

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der PACPSA erwies sich auch der Bestand »Conferences« der GPRLAA als wertvoll. Dort finden sich sowohl Quellen, die einen Blick in die organisatorische Vorbereitung der Konferenzen erlauben, als auch Reden, mit deren Hilfe kontroverse Debatten über die inhaltliche Ausrichtung der Konferenzen und Organisationen zum Vorschein gebracht werden können.38 Daneben ist die Korrespondenz des ersten Ministerpräsidenten und späteren Präsidenten Ghanas im PRAAD aufschlussreich (Bestand Kwame Nkrumah Private Papers (KNPP)). Deren Analyse erbringt für ein tieferes Verständnis unerlässliche Hintergrundinformationen zu den Konferenzen. Die Auswertung der Korrespondenz Kwame Nkrumahs mit anderen afrikanischen PolitikerInnen erlaubt es zudem, Rückschlüsse auf die Bedeutung einzelner Mitglieder für das rund um die AAPC entstandene Netzwerk zu ziehen sowie deren Einschätzung des antikolonialen Netzwerks und der Rolle Accras als Knotenpunkt der Dekolonisation darzustellen. Nicht zuletzt ermöglichen die Quellen der KNPP auch ein Nachvollziehen der verdeckten antikolonialen Arbeit der ghanaischen Regierung, die semi-offizielle Zirkel und Einrichtungen wie das AAC und das BAA vorangetrieben haben39. In Ghana konnte ich zwar umfangreiches Quellenmaterial recherchieren. Allerdings verdeutlichten Gespräche mit ArchivarInnen, HistorikerInnen und (ehemaligen) PolitikerInnen, dass die Bestände Lücken aufweisen. Kofi Baku, Professor für Geschichte an der University of Ghana, stellte für mich Kontakt zu K. B. Asante her, der von 1963 an das African Affairs Secretariat leitete, das Kwame Nkrumah direkt unterstellt war und dessen Afrikapolitik koordinierte. In einem Gespräch beschrieb er mir die Arbeitsweise des Sekretariats und machte mich darauf aufmerksam, dass semi-offizielle Aspekte ihrer Arbeit, z. B. die finanzielle Unterstützung politischer Parteien in afrikanischen Kolonien, sich nicht in schriftlichen Dokumenten finden lassen.40 Die Recherche führte mich des Weiteren ins Parteibüro der Con38

Der US-amerikanische Historiker Jeffrey S. Ahlman hat 2008 während eines Archiv­aufenthalts in Ghana eine Bestandsliste für die GPRLAA angelegt. Die Bestände, die ich hier aufgelistet habe, beziehen sich auf diese Bestandsliste. 39 Die Aufgabe des BAA fasste der ehemalige Staatssekretär des ghanaischen Außenministeriums A. L. Adu wie folgt zusammen: »[…] to carry through (Nkrumah’s) policy for the emancipation of those parts of Africa still under foreign rule and therefore to work with nationalist movements and political parties, an area of activity which it would be inappropriate for civil servants to engage in at the time«. Vgl. Kwadwo Afari-Gyan, Kwame Nkrumah, George Padmore and W.E.B. Du Bois, in: Research Reviews (New Series), Vol. 7, Nr. 1 und 2, 1991, Legon, S. 1–10, hier: S. 4. 40 Mit Herrn Asante führte ich Gespräche am 12./18. Juni 2012.

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vention People’s Party. Ich hoffte, in einem Archiv der Partei die Korrespondenz mit Parteien aus anderen afrikanischen Ländern finden und mit deren Hilfe die transnationalen Verbindungen der Partei untersuchen zu können. Allerdings erhielten meine Bemühungen einen Dämpfer: Ivor Greenstreet, Generalsekretär der 1998 wieder gegründeten Convention People’s Party, berichtete, dass nach dem Coup gegen Kwame Nkrumah 1966 und dem Verbot der Partei durch die damalige Übergangsregierung alle Dokumente beschlagnahmt worden und bis heute nicht wieder aufgetaucht seien.41 Schließlich wandte ich mich auf der Suche nach privater Korrespondenz Kwame Nkrumahs mit VertreterInnen afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen an dessen Tochter Samia Nkrumah.42 Sie teilte mir mit, dass die Familie nicht in Besitz privater Korrespondenz ihres Vaters sei.43 Den Kern des Quellenkorpus für die Analysen der ersten beiden AfroAsian Peoples’ Solidarity Conferences und der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization bildet Material, das ich im AAPSO-Organisationsarchiv in Kairo gesammelt habe.44 Das Archiv befindet sich im Gebäude der heute noch existierenden Organisation in Kairo. Durch einen Brand vor einigen Jahren sind leider Bestände des Archivs verloren gegangen.45 Es beherbergt dennoch eine umfangreiche Dokumentation der Frühphase der Organisation. Da das Organisationsarchiv zur Zeit meiner Recherche über kein Findbuch verfügte, war ich auf Unterstützung von MitarbeiterInnen desselben angewiesen. Sie erschlossen mir Quellen zu Konferenzen, die Korrespondenz des Sekretariats der AAPSO und Dokumente zu den Gremien der Organisation. Aus Gründen der Übersichtlichkeit habe ich eine eigene Kategorisierung vorgenommen. Demnach finden Dokumente aus folgenden Bereichen Eingang in die Arbeit: »Conference«, »Correspondence«, »Perma41

Gespräch mit Ivor Greenstreet in Accra am 19. Juni 2012. Gespräch mit Samia Nkrumah in Accra am 19. Juni 2012. 43 Weitere Recherchen führten mich zum Ministry of Information, zum Ghana Trades Union Congress (GTUC) und zur Ghana Broadcasting Corporation (GBC). Meine Anfragen nach Archivmaterial beim GTUC und bei der GBC wurden negativ beschieden. Im Falle der GBC hatte ein Feuer im Archiv in den 1980er Jahren weite Teile des Archivmaterials zerstört. 44 Bei der AAPSO handelt es sich um eine internationale Organisation mit Sitz in Ägypten. Sie operierte in den Verkehrssprachen Französisch und Englisch. Quellenmaterial ist in englischer, französischer und arabischer Sprache verfügbar. 45 Dies berichtete mir der damals amtierende Generalsekretär der AAPSO Nouri Abdel Razzak in einem persönlichen Gespräch am 19. Dezember 2013. 42

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nent Secretariat«, »Executive Committee« und »Solidarity Council«. Unter »Conference« fallen Quellen mit Bezug zur ersten und zweiten AAPSC, darunter Dokumente zu Vorbereitungsmaßnahmen, TeilnehmerInnenlisten und Konferenzbroschüren. Die Auswertung des Quellenmaterials der weiteren genannten Bestände ermöglichte es, die Arbeitsweise der Organisation und deren inhaltliche Entwicklung nachzuzeichnen. Sie enthalten Rundschreiben, die das Organisationssekretariat an die Organisationsmitglieder versandte, dessen Korrespondenz sowie Beschlüsse und Protokolle der Gremiensitzungen der AAPSO und Hintergründe zu diesen. Die weiteren Archivrecherchen vor Ort brachten kein positives Ergebnis. Der Rechercheaufenthalt in Kairo fiel in die Zeit einer vom Militär gestützten Übergangsregierung, während derer ich als Nicht-Ägypter keinen Zugang zum Nationalarchiv erhielt.46 Schließlich suchte ich die heute noch existierende African Society auf, in der Hoffnung, dort Quellenmaterial zu finden. Im Untersuchungszeitraum der Arbeit betreuten VertreterInnen afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen, die in Kairo im Exil lebten, die Einrichtung. Geleitet wurde sie von den beiden ehemaligen ägyptischen Botschaftern Ahmed Haggag und Nasr El Din. Diese teilten mir mit, dass die African Society kein Archiv habe, in dem sie Quellen aus der damaligen Zeit verwahre.47 Eingang in meine Auswertung haben aber Erinnerungen Helmi Sharawys gefunden, der im Untersuchungszeitraum in der African Society arbeitete und seine Erinnerungen in kleineren Artikeln dokumentierte.48 Das Quellenkorpus wird durch Dokumente ergänzt, die ich im britischen Nationalarchiv (TNA), im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA) in Berlin sowie im Archiv des Institute for International Social History (IISH) in Amsterdam und im Archiv der School for Oriental and African Studies (SOAS) gesammelt habe. Durch die Auswertung der dort recherchierten Quellen können erstens Bestandslücken der Archive in Ghana und Ägypten geschlossen und kann zweitens die globalpolitische Relevanz der Konferenzen und der Organisationen aus dem Blickwinkel nichtafrikanischer

46

Wiederholte Nachfragen im Büro des damaligen Direktors führten zu keinem positiven Bescheid. Eine nicht weiter spezifizierte »Sicherheitsüberprüfung« – deren Grundlage nicht ersichtlich war – wurde nie abgeschlossen. 47 Ein Gespräch führte ich mit beiden Botschaftern a.D. jeweils am 1. Dezember 2013. 48 In Kairo bekam ich am 16. Dezember 2013 die Gelegenheit, Helmi Sharawy zu einem Gespräch zu treffen.

24 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

AkteurInnen taxiert werden.49 Denn die Regierungen Großbritanniens, der BRD und der DDR wie auch die ICFTU und das MCF haben die Konferenzen und die Arbeit der Organisationen in Kairo und Accra intensiv beobachtet. Beim dortigen Quellenmaterial handelt es sich um Berichte, die beobachtende TeilnehmerInnen der Konferenzen, MitarbeiterInnen von Botschaften und Mitglieder afrikanischer Gewerkschaften, die mit der ICFTU assoziiert waren, angefertigt haben.50 Gliederung

Die Kapitel 2–4 wenden sich dem globalpolitischen Rahmen der Konferenzen zu und skizzieren die Entwicklung Ghanas und Ägyptens zu antikolo­ nialen Zentren. Die darauffolgenden Kapitel 5 und 6 untersuchen – basierend auf Quellenanalysen – die antikolonialen Konferenzen und Organisationen in Ghana und Ägypten. Kapitel 2 analysiert, wie afrikanische AkteurInnen aus den Kolonien von internationalen Aushandlungsräumen ausgeschlossen wurden, in denen deren eigene Zukunft verhandelt wurde. Eine solche Untersuchung ist notwendig, da Konferenzen und Organisation in Accra und Kairo in Reaktion auf den Ausschluss aus etablierten internationalen Aushandlungsräumen entstanden. Diese politischen Debatten, die antikoloniale AktivistInnen über nachkoloniale Ordnungen in Accra und Kairo führten, nahmen aber ihrerseits durchaus Bezug auf Debatten in den VN und in der EWG. Eine Skizze der Bandung-Konferenz wird zudem darstellen, wie afrikanische und asiatische PolitikerInnen bereits 1955 den Anspruch formulierten, einen eigenständigen Platz im globalen Gefüge einzunehmen und globalpolitische Fragestellungen selbstbestimmt mitzuverhandeln. Die Bandung-Konferenz diente den folgenden antikolonialen Konferenzen als Blaupause in puncto Inszenierung und Zusammensetzung. Schließlich eruiert dieses Kapitel auch die Afrikastrategien, die die USA, die UdSSR und die VR China im Untersuchungszeitraum entwickelten, und fragt, welchen Stellenwert die Knotenpunkte Ghana und Ägypten in diesen hatten.

49

Sowohl das IISH als auch die SOAS beherbergen Archive von NROs. Erstere unterhält das Archiv der International Confederation of Free Trade Unions (ICFTU), letztere das Organisationsarchiv des Movement for Colonial Freedom (MCF). 50 Aus den British National Archives haben Quellen aus den Beständen Colonial Office (CO), Foreign Office (FO), Foreign Commonwealth Office (FCO) und District Office (DO) Eingang in die Arbeit gefunden.

1 Einleitung | 25

Kapitel 3 versucht nachzuzeichnen, wie Ghana zum antikolonialen Zentrum wurde. Dabei spielt, da sie die Verflechtungsgeschichte der afrikanischen Eliten dokumentiert, ein Teil der Biographie Nkrumahs eine zentrale Rolle: Der in der Kolonie Goldküste geborene Kwame Nkrumah wanderte 1935 in die USA aus und lebte zwischen 1945 und 1947 in Großbritannien. Dort kam er in Berührung mit panafrikanischen Konzepten und war Teil eines antikolonialen Netzwerks, das über transnationale Ordnungskonzepte debattierte. 1947 kehrte er dann in die Goldküste zurück, trieb deren Unabhängigkeit voran und etablierte seine politischen Vorstellungen. Kapitel 4 untersucht, wie Ägypten angesichts der Sueskrise eine panarabische Innen- und Außenpolitik entwickelte und durch die Umsetzung einer afrikapolitischen Strategie zu einem antikolonialen Zentrum wurde. Gamal Abdel Nasser verfolgte nach der Sueskrise offen einen transregionalen Führungsanspruch, der sich über Afrika, die arabische Welt und Asien erstreckte. In diesem Kontext fand die erste Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference in der ägyptischen Hauptstadt statt, in Anschluss an welche sich die Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization gründete. Das fünfte Kapitel untersucht, wie in Ghana zwischen 1958 und 1961 ein transnationales Netzwerk antikolonialer AkteurInnen entstand und wie dieses die afrikanische Dekolonisation vorantrieb sowie panafrikanische Ordnungsvorstellungen für die nachkoloniale Zeit diskutierte. Zu diesem Zweck analysiere ich drei All-African People’s Conferences und die Arbeitsweise der gleichnamigen Organisation. Das Kapitel wird auch den Dissens dokumentieren, der innerhalb des Netzwerks herrschte. Die unterschiedlichen Ansichten über den »richtigen« Weg in die Unabhängigkeit führten letztlich zum Zerfall des Netzwerks. So sprach sich Kwame Nkrumah für das Mittel des zivilen Ungehorsams aus, während AkteurInnen aus den Kolonien militante Schritte forderten. Das sechste Kapitel rekonstruiert abschließend, wie in Ägypten zwischen 1957 und 1960 ein antikoloniales afro-asiatisches Netzwerk entstand, das für sich in Anspruch nahm, das globalpolitische Gefüge neu zu ordnen. Zu diesem Zweck analysiere ich die ersten beiden Konferenzen der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization, die 1957 und 1960 stattfanden. Dabei lege ich auch Konflikte offen, die zeigen, dass es VertreterInnen afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen schwer hatten, eigene Interessen gegenüber den Delegationen aus bereits unabhängigen arabischen und asiatischen Ländern durchzusetzen. So war die zweite Konferenz auch ein

26 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Versuch, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, indem das Sekretariat der gleichnamigen Organisation dort den Fokus auf die politischen Anliegen der afrikanischen AkteurInnen aus den Kolonien richtete. Überdies erörtert Kapitel 6 Fragen der Praxis, die mit der Instaurierung und Aufrechterhaltung einer internationalen antikolonialen Organisation verbunden waren. Dabei stehen die finanzielle Ausstattung, die Infrastruktur und die Arbeitsweise des Sekretariats sowie die Arbeit der politischen Gremien im Zentrum.

2

Der globalpolitische Kontext als Katalysator der Transnationalisierung in der afrikanischen Dekolonisation

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg standen die Suche nach einer stabilen Friedensordnung, die Dekolonisation und der sich zuspitzende Kalte Krieg auf der globalpolitischen Tagesordnung. Mit diesen zum Teil sich überlagernden und durchdringenden Themen und Konflikten gingen notgedrungen globalpolitische Machtverschiebungen einher. Ideen und Konzepte für eine neue globale Ordnung wurden von politischen AkteurInnen dabei auch in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen (öffentlichkeitswirksam) verhandelt. Die Vereinten Nationen (VN), die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die BandungKonferenz, die 1955 stattfand, waren dabei zentrale Aushandlungsräume. Ihnen allen war gemein, dass in ihnen die Zukunft des afrikanischen Kontinents verhandelt wurde, ohne dass die afrikanischen PolitikerInnen und AktivistInnen aus den Kolonien einen gleichberechtigten Zugang zu diesen Verhandlungen gehabt hätten. Dieses globale Setting im Folgenden zu beleuchten ist notwendig, um die Entstehung und die Ausrichtung der in den Kapiteln 5 und 6 untersuchten Konferenzen und Organisationen in Accra und Kairo nachvollziehen zu können. Diese stellten nämlich Räume und Foren dar, in denen die afrikanischen AkteurInnen die Dekolonisation selbst voranbringen und nachkoloniale Ordnungsvorstellungen entwerfen konnten und waren von diesen explizit als Antwort auf ihren Ausschluss aus den oben genannten internationalen Verhandlungsräumen konzipiert. Zuerst will ich deshalb in diesem Zusammenhang die Anfangszeit der Vereinten Nationen untersuchen, da diese in der bisherigen Forschung als

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ein zentraler Aushandlungsraum der Dekolonisation gelten.1 In ihrem Aufsatz New Histories of the Untied Nations dokumentieren Sunil Amrith und Glenda Sluga entsprechend das wiedererstarkende Interesse von HistorikerInnen an den VN und meinen, Untersuchungen derselben seien sowohl für Ansätze der internationalen als auch der transnationalen Geschichtsschreibung instruktiv.2 Zu beachten ist dabei ihre Empfehlung, dass Arbeiten, die die Geschichte der VN aus einer postkolonialen und transnationalen Perspektive erzählen, gleichberechtigt neben den bisher dominierenden Arbeiten stehen sollten, die dies aus einer westlich geprägten Nachweltkriegsperspektive heraus tun (Kapitel 2.1).3 Anschließend sind, wie in der jüngeren Forschung vermehrt geschehen, die Verschränkungen des europäischen Wiederaufbaus und der afrikanischen Dekolonisation sowie die Assoziierungspläne im Kontext europäischer Friedens- und Sicherheitspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg in den Blick zu nehmen.4 Peo Hansen und Stefan Jonsson kritisieren, dass die bisherige Forschung die Gleichzeitigkeit von europäischer Integration, Spät1

Evan Luard hat den Anfangsjahren der Organisation ein zweibändiges Werk gewidmet, das bis heute viel Beachtung findet. In der Einleitung des Bandes über die Zeit von 1955 bis 1965 bewertet Luard diese Periode als die bis dahin wichtigste in der Geschichte der Organisation. Während die ersten Jahre der VN vom Kalten Krieg dominiert waren, prägte in dieser Dekade der Dekolonisa­tionsprozess die immer noch anhaltende Entwicklung derselben. Im Folgenden argumentiere ich, dass dies vor allem für die Zeit nach 1960 mit der dann einsetzenden Mehrheit afrikanischer, asiatischer und lateinamerikanischer Staaten in den Vereinten Nationen galt. Vgl. Evan Luard, A History of the United Nations. Volume 1. The Years of Western Domination. 1945–1955, 1982, London und ders.: A History of Decolonization. Volume 2: The Age of Decolonization. 1955–1965, 1989, London. 2 Vgl. Sunil Amrith und Glenda Sluga, New Histories of the United Nations, in: Journal of World History, Vol. 19, Nr. 3, 2008, Honolulu, S. 251–274, hier: S. 252. 3 Vgl. ebd., S. 256. 4 Vgl. Daniel Speich Chassé, Towards a Global History of the Marshall Plan. European Post-war Reconstruction and the Rise of Development Economic Expertise, in: Christian Grabas und Alexander Nützenadel (Hg.), Industrial Policy in Europe after 1945. Wealth, Power and Economic Development in the Cold War, 2014, Basingstoke, S. 187–212; Thomas Moser, Europäische Integration, Dekolonisation, Eurafrika. Eine historische Analyse über die Entstehungsbedingungen der Eurafrikanischen Gemeinschaft von der Weltwirtschaftskrise bis zum Jaunde-Vertrag. 1929–1962, 2000, Baden-Baden; Rachel Jean-Baptiste, ›Miss Eurafrica‹. Men, Women’s Sexuality, and Métis Identity in Late Colonial French Africa. 1945–1960, in: Journal of the History of Sexuality, Vol. 20, Nr. 3, 2011, Austin, S. 568–593; Peo Hansen und Stefan Jonsson, Eurafrica. The Untold Story of European Integration and Colonialism, 2015, London.

2 Der globalpolitische Kontext als Katalysator | 29

kolonialismus und Dekolonisation übergangen habe und argumentieren ihrerseits aus globalgeschichtlicher Perspektive, dass die Eurafrika-Pläne in den 1950er Jahren eine Antwort auf panarabische und panafrikanische Formierungen der Zeit gewesen seien.5 Ich möchte dagegen zeigen, dass gerade umgekehrt die postkolonialen panafrikanischen Konzepte Antworten auf die neokolonialen Tendenzen in Europa waren (Kapitel 2.2). Zentral für das globale Setting der Nachkriegszeit ist auch die BandungKonferenz, die in der Forschung lange Zeit wenig Beachtung gefunden hat, auch, weil sich deren konkreten Auswirkungen nicht bemessen ließen.6 Das hat sich in letzter Zeit geändert, untersucht doch beispielsweise der von Christopher Lee herausgegebene Sammelband Making a World after Empire die Konferenz im Spannungsfeld der Globalgeschichte, der postkolonialen Geschichte sowie Diplomatiegeschichte und verortet sie vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs (Kapitel 2.3).7 Nicht zuletzt sind im Zuge einer Analyse der Dekolonisation auch die Afrika-Strategien der zentralen Akteure des Kalten Krieges (zu denen auch die VR China zu zählen ist) von Belang.8 Denn weder dürfen US-amerika5

Vgl. Peo Hansen und Stefan Jonsson, A Statue to Nasser? Eurafrica, the Colonial Roots of European Integration, and the 2012 Nobel Peace Prize, in: Mediterranean Quarterly, Vol. 24, Nr. 4, 2013, Durham, S. 5–18. 6 Antonia Finnane geht davon aus, dass die Gründung einer internationalen Organisation oder die Aufrechterhaltung nachhaltiger enger Beziehungen im Anschluss an die Bandung-Konferenz zu einer größeren Beachtung derselben durch HistorikerInnen geführt hätten. Vgl. Antonia Finnane, Bandung as History, in: dies. und Derek McDougall (Hg.), Bandung 1955. Little Histories, 2010, Caulfield, hier: S. 2. 7 Der Band bildet damit die gesamte thematische und perspektivische Bandbreite jüngerer Forschung zur Bandung-Konferenz ab. Einführende Literatur zur Bandung-Konferenz: Christopher Lee (Hg.), Making a World after Empire. The Bandung Moment and its Political Afterlives, 2010, Athens; Nataša Mišković, Harald Fischer-Tiné und Nada Boškovska (Hg.), The Non-Aligned Movement and the Cold War: Delhi, Bandung, Belgrade, 2014, London; Amitav Acharya und See Seng Tan (Hg.), Bandung Revisited. The Legacy of the 1955 Asian-African Conference for International Order, 2008, Singapur; Antonia Finnane und Derek McDougall (Hg.), Bandung 1955. Little Histories, Caulfield, 2010; Vijay Prashad, The Darker Nations. A People’s History of the Third World, 2007, New York; Jürgen Dinkel, Die Bewegung Bündnisfreier Staaten: Genese, Organisation und Politik (1927–1992), 2015, Berlin. 8 In jüngster Zeit haben globalgeschichtliche Arbeiten das Verhältnis von Dekolonisation und Kaltem Krieg neu vermessen und zu einer Vervielfältigung der Perspektiven sowie der von der Geschichtsschreibung beachteten AkteurInnen geführt. Vgl. u.a. Odd Arne Westad, The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of our Times, 2007, Cambridge; Sergey Mazov, A Distant Front in the Cold

30 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

nische und sowjetische Interessen zwischen den 1940er und 1960er Jahren unterbewertet, noch umgekehrt die afrikanischen AkteurInnen zu StatistInnen einer globalen Entwicklung degradiert werden (Kapitel 2.4).9

2.1

Die Anfänge der Vereinten Nationen als Fortschreibung der kolonialen Zweiklassengesellschaft

Bis 1960 waren die VN ein wichtiger ideeller Impulsgeber der Dekolonisation. Aufgrund von Ausschlussmechanismen, die den internationalen Organisationen damals inhärent waren und die antikolonialen AkteurInnen betrafen, eigneten sich die VN aber nicht als zentrales Forum derselben.10 Als Reaktion auf die Marginalisierung verhandelten VertreterInnen afrikanischer Kolonien und unabhängiger Länder deshalb ihrerseits die Dekolonisation auf alternativen internationalen Konferenzen und in Organisationen auf dem afrikanischen Kontinent, wobei sie in ihrem Diskurs jedoch auf die VN referierten.11

War. The USSR in West Africa and the Congo. 1956–1964, 2010, Washington; John Lamberton Harper, The Cold War, 2011, Oxford. Auch die Auswertung von mittlerweile zugänglichem Archivmaterial in Europa, Russland und den USA hat zu einer Neubewertung geführt. Vgl. Westad, Global Cold War, S. 1 und Mazov, Cold War, S. 1. 9 Letzteres ist bisher zu häufig geschehen. Die wenigen Untersuchungen, die es zur Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization gibt, legen den Fokus allesamt auf die versuchte kommunistische Einflussnahme statt auf die Bedeutung dieser Organisation und der von ihr initiierten Konferenzen für die Unabhängigkeiten. Vgl. u.a. Charles Neuhauser, Third World Politics. China and the Afro-Asian People’s Solidarity Organization. 1957–1967, 1968, Cambridge. 10 Es ist nicht der Anspruch dieses skizzenartigen Kapitels, die Geschichte der VN in ihrer Frühzeit umfänglich darzustellen. Für einführende Literatur zu den Vereinten Nationen vgl. Thomas George Weiss (Hg.), The Oxford Handbook on the United Nations, 2007, Oxford; Helmut Volger, Geschichte der Vereinten Nationen, 2008, München; Peter Opitz, Die Vereinten Nationen. Geschichte, Struktur, Perspektiven, 2002, München. Die Vereinten Nationen unterhalten ein eigenes Geschichtsprojekt (United Nations Inellectual History Project). Aus dieser Reihe vgl. Richard Jolly, Louis Emmerij und Thomas George Weiss, UN Ideas that Changed the World, 2009, Bloomington. 11 Vgl. Kapitel 5 und 6.

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Imperiale Kontinuitäten auf der Gründungskonferenz

Die Gründungskonferenz12 der VN vom 25. April bis zum 26. Juni 1945 in San Francisco stellte keinen referenzlosen Neustart multilateraler Beziehungen dar. Vielmehr standen die VN in der Tradition des Völkerbunds und der die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts prägenden imperialen Weltordnung,13 was sich auch durch personelle Kontinuitäten bemerkbar machte. So wurden 1945 die globalen kolonialpolitischen Verhandlungen zum Teil von denselben Personen geführt, die bereits 1919 im Zuge der Verhandlungen von Versailles entscheidend beteiligt gewesen waren. Der Südafrikaner Jan Smuts beispielsweise war sowohl an den Friedensverhandlungen in Versailles als auch an der Gründungskonferenz der VN maßgeblich beteiligt und bereits bei der Errichtung des Mandatssystems des Völkerbunds eine prägende Figur gewesen.14 In San Francisco leitete Smuts diejenige Kommission, die für das neue Treuhandsystem der VN verantwortlich war. Dort verfolgte er die Interessen von Kolonialstaaten und verhinderte gemeinsam mit den französischen und britischen Unterhändlern, dass alle Kolonien in Mandatsgebiete umgewandelt und in das Treuhandsystem der VN überführt werden konnten.15 Anders als Smuts konnten die Menschen aus den Kolonien ihre Vorstellungen auf den Foren von San Francisco nicht zur Diskussion stellen, da die VertreterInnen afrikanischer Kolonien zu den Beratungen der Gründungskonferenz nicht als gleichberechtigte Delegierte eingeladen worden waren. In Teilen wiesen die Kolonialverwaltungen sogar die Bemühungen von Menschen aus Kolonien ab, zumindest als BeobachterInnen teilnehmen

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Die Gründungskonferenz fand weltweit mediale Beachtung und bedeutete für die AusrichterInnen einen enormen Organisationsaufwand. 2636 Journalisten wurden akkreditiert. Über 3000 Helfer des US-amerikanischen Militärs, des Internationalen Roten Kreuzes und der Pfadfinder unterstützen die Konferenz. Vgl. Marika Sherwood, ›There Is No New Deal for the Blackman in San Francisco‹: African Attempts to Influence the Founding Conference of the United Nations, April–July 1945, in: The International Journal of African Historical Studies, Vol. 29, Nr. 1, 1996, Boston, S. 71–94, hier: S. 3. 13 Vgl. Mark Mazower, No enchanted Palace. The End of Empire and the Ideological Origins of the United Nations, 2009, Princeton, S. 17  f. und 30  f. 14 Vgl. Susan Pedersen, The Meaning of the Madates System: An Argument, in: Geschichte und Gesellschaft, Bd. 32, Heft 4, 2006, Oldenburg, S. 560–582. 15 Vgl. Ryan M. Irwin, Imagining Nation, State, and Order in the Mid-Twentieth Century, in: Kronos, Nr. 37, 2011, Bellville, S. 12–22, hier: S. 14  f.

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zu dürfen.16 Trotz des Ungleichgewichts erhofften sich die AfrikanerInnen im Vorfeld weitreichende und konkrete Impulse von der Gründung der VN und betrieben daher einen großen Aufwand, um in San Francisco präsent zu sein und direkt oder indirekt Einfluss auszuüben.17 Dabei konnten sie auch auf die Unterstützung durch Dritte zurückgreifen, beispielsweise auf die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), die Teil des offiziellen Beraterstabs der US-amerikanischen Delegation war. W.E.B. Du Bois,18 ein Gründungsmitglied der NAACP, unterhielt so in San Francisco enge Kontakte mit afrikanischen AkteurInnen,19 die dadurch an Informationen über die Arbeit der Subkomitees gelangten und versuchen konnten, Einfluss auf deren Arbeit zu nehmen. Zudem vertraten Delegationen aus Südamerika, Asien und dem arabischen Raum antikoloniale Positionen, fanden für diese aber in San Francisco keine Mehrheiten.20 Um ihren Forderungen nach Unabhängigkeit und Gleichberechtigung Nachdruck zu verleihen, bereiteten die antikolonialen AkteurInnen diese auch medial auf und adressierten mit Pressekonferenzen, Demonstrationen und medienwirksamen Verabschiedungen eigener Resolutionen die internationale Öffentlichkeit.21

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Die britische Kolonialverwaltung lehnte die Bitte des Nigeria Legislative Council ab, Beobachter nach San Francisco entsenden zu dürfen. Vgl. Marika Sherwood, San Francisco, S. 81. Das antikoloniale Potential globaler Verhandlungen über die Nachkriegsordnung hatte sich bereits nach dem Ersten Weltkrieg gezeigt. Damals entfachte das postulierte Selbstbestimmungsrecht der Völker eine große Wirkungsmacht. Vgl. einführend Jörg Fisch, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker: die Domestizierung einer Illusion, 2010, München und Manuel Erez, The Wilsonian Moment. Self Determination and the International Origins of Anticolonial Nationalism, 2009, Oxford. Wie schon die Friedensverhandlungen in Versailles begleitete der US-Amerikaner W.E.B. Du Bois auch die Gründungskonferenz der VN. Beide Male versuchte er, die Interessen Schwarzer Menschen auf die Agenda zu setzen und zu verhandeln. Du Bois war auch eine zentrale Figur der frühen Panafrikanischen Kongresse. Vgl. Kapitel 3.1. Einführend zu Du Bois und seiner politischen Arbeit vgl. Gerald Horne und Mary Young (Hg.), W.E.B. Du Bois. An Encyclopedia, 2009, Westport. W.E.B. Du Bois, der damals Director of Research der NAACP war, hatte zu den Ghanaern Kwame Nkrumah und J.B. Danquah Kontakt und ermöglichte diesen, Einfluss auf die Konferenz zu nehmen. Vgl. Sherwood, San Francisco, S.  76  f. Vgl. Mazower, The End of Empire, S. 62. Vgl. Sherwood, San Francisco, S. 83.

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Afrikanische Reaktionen auf die Gründungskonferenz

Die in San Francisco verabschiedete Charta der Vereinten Nationen verdeutlichte den Menschen aus den Kolonien, dass diese für sie nicht der geeignete Raum sein würden, um die Unabhängigkeiten voranzutreiben. Vor allem das Gebot der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates – im Falle von Großbritannien und Frankreich de facto eines empires – verhinderte, dass koloniale Fragen auf die Tagesordnung der VN kommen bzw. gleichrangig von Menschen aus den Kolonien mitverhandelt werden konnten. Und dies obwohl, wie antikoloniale AkteurInnen argumentierten, die Grundsätze der Charta mit dem Kolonialismus per se unvereinbar seien.22 Um sich dennoch Gehör zu verschaffen, veranstalteten afrikanische antikoloniale AkteurInnen in den 1950er Jahren eine Reihe von internationalen Konferenzen auf dem afrikanischen Kontinent. Zwischen den VN und diesen Aushandlungsräumen entstand in der Folge eine wechselseitige Beeinflussung. Denn ungeachtet der Tatsache, dass sie dieselben systematisch ausschlossen, entfalteten die Vereinten Nationen unmittelbar nach ihrer Gründung eine ideelle Wirkungsmacht auf die AkteurInnen der Unabhängigkeitsbewegungen. So beriefen sich beispielsweise die OrganisatorInnen und Delegierten auf den antikolonialen Konferenzen in Accra und Kairo auf die VN-Charta und die darin enthaltenen völkerrechtlichen Grundsätze.23 22 In

Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt hat Fabian Klose dargelegt, dass seit den frühen 1940er Jahren die Idee universell gültiger Menschenrechte die Perspektive antikolonialer AkteurInnen auf die Nachkriegsordnung prägte. So kämpften die afrikanischen KombattantInnen, geködert vom Versprechen einer nachkolonialen Nachkriegsordnung, im Zweiten Weltkrieg in den Reihen der Alliierten – ein Einsatz, der in den Kolonien die Hoffnung auf Unabhängigkeit wachsen ließ. In der Folge wurden Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker immer zentralere Argumente der asiatischen und afrikanischen antikolonialen AktivistInnen im Streben nach Unabhängigkeit. Dabei verwendeten sie dieselben Freiheitsnarrative, mit Hilfe derer die Alliierten während des Zweiten Weltkriegs Kombattanten in den Kolonien rekrutiert hatten. Vgl. Fabian Klose, Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt. Die Dekolonisierungskriege in Kenia und Algerien 1945–1962, 2009, München, insbesondere S. 27  ff., S. 34 und S. 44. 23 Der Historiker Prem Kumar Rajaram argumentiert, dass dies zur Festigung des nationalstaatlichen Ordnungssystems beigetragen habe, zum Beispiel wenn Forderungen nach Unabhängigkeit mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker begründet wurden. Zugleich bezweifelt Rajaram, dass die Festigung nationalstaatlicher Ordnungskonzepte von den antikolonialen AkteurInnen beabsichtigt war und verweist darauf, dass die afro-asiatischen AkteurInnen parallel zur Errichtung

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Im Zuge der voranschreitenden Dekolonisation aber – besonders nach 1960 – beeinflussten auch umgekehrt afrikanische und asiatische Länder die VN.24 So geht etwa die Forderung nach der Beendigung des Kolonialismus in der Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples, die in der Forschung als wichtiger Meilenstein in der Dekolonisation klassifiziert wird und im Dezember 1960 von der VN-Generalversammlung verabschiedet wurde, ursprünglich nicht auf die VN zurück, sondern war bereits wiederholt auf antikolonialen Konferenzen in Ghana und Ägypten gestellt worden.25 Zusammenfassung

Die Vereinten Nationen waren in ihrer Gründungszeit geprägt von personellen und strukturellen imperialen Kontinuitäten. Wie bereits nach dem Ersten Weltkrieg waren auch 1945 VertreterInnen weiter Teile der Weltbevölkerung von einer gleichrangigen Verhandlung der Nachkriegsordnung ausgeschlossen, während VertreterInnen der imperialen Ordnung an entscheidenden Stellen mitverhandeln konnten. Nichtsdestotrotz rezipierten antikoloniale AkteurInnen die Foren der VN und die dort postulierten Ideen und verwendeten diese in ihrer eigenen politischen Arbeit.

2.2 Die Eurafrika-Pläne im Kontext des Europäischen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg Die VN waren aber nicht die einzige internationale Organisation, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Zukunft der Kolonien verhandelte: Auch in internationalen Organisationen, in denen in den 1940er und 50er Jahren

von Nationalstaaten versuchten, politische und gesellschaftliche Ordnungen jenseits nationalstaatlicher Konzepte zu etablieren. Diese Vorstellungen, so meine Argumentation, verhandelten sie aber nicht in New York oder Genf, sondern in der vermeintlichen Peripherie, d.i. in Accra und Kairo. Vgl. Prem Kumar Rajaram, Die Vereinten Nationen, Selbstbestimmung und die Grenzen der Dekolonialisierung, in: Fischer, Karin und Zimmermann, Susan (Hg.), Internationalismen. Transformation weltweiter Ungleichheit im 19. und 20. Jahrhundert, S. 215–235, 2008, Wien. 24 Vgl. Rajaram, Die Vereinten Nationen, S. 224. 25 Vgl. Irwin, Imagining Nation, S. 20; Luard, Decolonization, S.  186  ff. Kernforderungen der Resolution waren u.a. bereits Teil der Resolutionen der All-African People’s Conference, die im Dezember 1958 in Accra stattfand. Vgl. hierzu Kapitel 5.1.

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der europäische Wiederaufbau geplant wurde, spielten die afrikanischen Kolonien eine entscheidende Rolle. Kolonialismus mit anderen Mitteln: Das European Recovery Program (ERP) und die Organisation for European Economic Co-Operation (OEEC)

1957 wurden in Europa geplante koloniale Kontinuitäten noch offen ausgesprochen. So eröffnete im Kontext der Unterzeichnung der Gründungsverträge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der niederländische Außenminister Joseph Luns freimütig, die Assoziierung würde »[…] assure the conditions of an increasing prosperity to our old continent and permit the continuation of her grand and global civilizing mission«.26 Im EWG-Vertrag bekamen die Beziehungen zu »überseeischen Gebieten« sogar ein eigenes Kapitel. Dort ist zu lesen, dass Länder, die in »besonderen Beziehungen« zu Frankreich, Italien, Belgien und den Niederlanden stünden, der EWG assoziiert werden sollten.27 Vordergründig wurde dabei das Ziel verfolgt, die lokalen Gesellschaften bei ihrer »Entwicklung« zu unterstützen. Tatsächlich verbarg sich hinter den europäischen Plänen aber eine gemeinschaftliche Kolonialisierung in neuem Gewand.28 Denn in den Programmen für den europäischen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg spielten die afrikanischen Kolonien eine zentrale Rolle. Die europäischen PolitikerInnen verfolgten dabei  – zunächst im Rahmen des Marshall-Plans, dann in der 1948 gegründeten Organization for European Economic Co-Operation sowie in der EWG  – den Plan, die Kolonien in Afrika in den Wiederaufbau Europas einzubeziehen. Allen diesen europäischen Bündnissen war dabei gemein, dass die europäischen KolonialakteurInnen deren Ausgestaltung einseitig vorantrieben und die afrikanischen AkteurInnen aus den Kolonien an der Neuverhandlung der

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Zit. nach Peo Hansen und Stefan Jonsson, Imperial Origins of European Integration and the Case of Eurafrica: A Reply to Gary Marks’ Europe and its Empires, in: Journal of Common Market Studies, Vol. 50, Nr. 6, 2012, Oxford, S. 1028–1041, hier: S. 1036. 27 Die gemeinsamen Bemühungen sollten primär in den französischen und belgischen Kolonien sowie den Mandaten Kamerun und Togo umgesetzt werden. Vgl. Dirk van Laak, Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas. 1880 bis 1960, 2004, Paderborn, S. 350–353. 28 Vgl. van Laak, Imperiale Infrastruktur, S.  342  ff.

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Beziehungen mit europäischen Staaten nicht gleichberechtigt beteiligt waren.29 Bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der afrikanische Kontinent in den Überlegungen zum europäischen Wiederaufbau eine zentrale Rolle gespielt. Europäische Staaten wollten nämlich die durch den Zweiten Weltkrieg bedingte hohe Verschuldung bei den USA unter anderem durch den Verkauf von Rohstoffen aus den Kolonien an die USA abbauen. Deshalb hatten die Kolonien schon im European Recovery Program, gemeinhin bekannt als Marshall-Plan, eine gewisse Berücksichtigung erhalten. Im Rahmen des ERP, dessen ausführendes Organ die Economic Co-Operation Administration (ECA) war, flossen insgesamt ca. 6% der Mittel in afrikanische Länder. Das Geld ging aber nicht direkt in die Kolonien, sondern in die Entwicklungsprogramme der Kolonialstaaten ein. Zwischen 1948 und 1952 erhielten die beteiligten Kolonialstaaten dadurch 500 Mio. Dollar.30 Auf diese Weise finanzierte der Marshall-Plan letztlich den Erhalt kolonialer Strukturen. Hinter dem offiziellen Ziel der Entwicklung der Kolonien verbarg sich das eigentliche Vorhaben, afrikanische Absatzmärkte zur eigenen wirtschaftlichen Gesundung und damit zur Befriedung Europas zu benutzen. Auf die tatsächliche Ausgestaltung der Entwicklungsprogramme hatte die ECA keinen Einfluss. Letztlich war sie auf die Verwaltungen der Kolonialmächte angewiesen, um die Mittel des Marshall-Plans in Afrika einzusetzen, wofür sie selbst weder das Knowhow noch die personellen Kapazitäten hatte.31 So gilt für die unmittelbare Nachkriegszeit, dass die Afrikapolitik im

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Dies geschah erst nach den formalen Unabhängigkeiten, als die EWG-Länder in direkte Verhandlungen mit ihnen traten. Die Folge davon war, dass sich die Assoziierungspläne verliefen. Vgl. Hansen und Jonsson, Eurafrica, S. 1039. Dennoch hatte sich bereits in dieser frühen Phase der Dekolonisation das asymmetrische Verhältnis zwischen den afrikanischen und europäischen Staaten verstetigt. Vgl. Hansen und Jonsson, A Statue to Nasser?, S. 17. 30 Im Falle Frankreichs machten diese Zuwendungen 10% der gesamten Finanzhilfen aus, die das Land über den Marshall-Plan erhielt. Vgl. Rik Schreurs, Marshall Plan for Africa? The Overseas Territories Committee and the Origins of European Co-operation in Africa, in: Richard T. Griffiths (Hg.), Explorations in OEEC History, 1997, Paris, S. 87–98, hier: S. 88. 31 Zudem traute die ECA afrikanischen Personen nicht zu, komplexe wissenschaftliche Fakten zu recherchieren, die für die Umsetzung der Entwicklungsprogramme nötig waren. Vgl. Abbot Low Moffat, The Marshall Plan and British Africa, in: African Affairs, Vol. 49, Nr. 197, 1950, Oxford, S. 302–308, hier S. 303.

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Kontext des europäischen Wiederaufbaus auf kolonialen Strukturen und kolonialem Wissen basierte und vornehmlich die Interessen europäischer Kolonialstaaten bediente.32 Eine zweite Organisation, die friedens- und sicherheitspolitische Ziele in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgte, war die 1948 gegründete Organisation for European Economic Co-Operation (OEEC). Im Gründungsvertrag der OEEC hielten die unterzeichnenden Staaten die Bedeutung der Rohstoffe der Kolonien für den Wiederaufbau Europas fest und bezeichneten deren Entwicklung als Gemeinschaftsaufgabe.33 Auch die Entwicklungspolitik der OEEC basierte dabei auf kolonialem Wissen, das die betreffenden Kolonialstaaten aufbereiteten.34 Das zentrale Organ, das sich innerhalb der OEEC mit den Kolonien befasste, war das Overseas Territories Committee (OTC). Es war dafür verantwortlich, für den Rat und das Exekutivkomitee der OEEC Informationen über die Kolonien zusammenzustellen. Dort diskutierten Vertreter-Innen der Kolonialstaaten Niederlande, Portugal, Belgien, Frankreich und Großbritannien Entwicklungspläne für die Kolonien.35 Die Kolonialstaaten bemühten sich, solche zentralen Positionen in internationalen Organisationen zu besetzen und fürchteten den zunehmenden Einfluss »externer« Akteure in den Kolonien.36 Europäische Integration und Eurafrika-Pläne

Neben den wirtschaftlichen Vorteilen sollten die europäischen Integrationspläne den EuropäerInnen auch dazu dienen, sich gegenüber den USA und

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Vgl. ebd., Marshall Plan, S. 303. Vgl. Schreurs, Marshall Plan, S. 87. 34 Neben kolonialem Wissen verfügten die Kolonialmächte auch über die nötige Infrastruktur. Davon war auch die ECA abhängig. Vgl. Moffat, Marshall Plan, S. 303. 35 Vgl. Schreurs, Marshall Plan, S. 87. 36 In ihren vordergründigen Anstrengungen, die Kolonien zu entwickeln, konkurrierten sie beispielsweise mit Subkomitees der VN. Programme der VN wie das United Nations Expanded Programme for Technical Assistance oder den Special United Nations Fund for Economic Development fassten sie als Konkurrenz auf. Vgl. Schreurs, Marshall Plan, S. 93. 33

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der UdSSR machtpolitisch zu etablieren. Einzeln waren die euro­päischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg dazu nicht mehr im Stande.37 Um als »dritte Kraft« neben den USA und der UdSSR auftreten zu können, erschien pro-europäischen PolitikerInnen ein Zusammenschluss europäischer Staaten nötig.38 Für solch ambitionierte Pläne benötigten die verschuldeten europäischen Staaten über den Marshall-Plan hinausgehende Wirtschaftskonzepte, Absatzmärkte und Rohstoffe. Die »überseeischen Gebiete« spielten in den Augen pro-europäischer PolitikerInnen dabei in der Form von Eurafrika-Plänen eine zentrale Rolle. Europäische PolitikerInnen begriffen im Rahmen der europäischen Integration den Nachbarkontinent als natürliches geostrategisches Einflussgebiet sowie als Rohstofflieferanten, der beim Wiederaufbau Europas und bei der Sicherung des Friedens von Nutzen sein würde. Dadurch sollte »Eurafrika« Europa in die Lage versetzen, den zwischenzeitlich übermächtig wirkenden USA und UdSSR ebenbürtig zu werden. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg griffen sie damit eine Idee auf, die bereits Teil der Überlegungen europäischer Intellektueller nach dem Ersten Weltkrieg gewesen war39 und überführten mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft diese nun zu ihrem vorläufigen institutionellen Höhepunkt. Die EWG konstituierte sich im März 1957 mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Sie war das Ergebnis der Verabredung enger wirtschaftspolitischer Beziehungen von sechs europäischen Staaten.40 Von Beginn an war sie aber nicht auf den europäischen Kontinent beschränkt, sondern bezog explizit afrikanische Regionen ein.41 Besonders die französische Regierung trieb die Entwicklung von Eurafrika-Plänen im Kontext der EWG voran. Mit der Assoziierung »überseeischer Gebiete« – wie es später im EWG-Vertrag heißen sollte – verfolgte das Land ein konkretes Ziel: Die EWG sollte dazu genutzt werden, die finanziellen Anforderungen des Kolo-

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Dieser zunehmende Bedeutungsverlust der einzelnen Staaten bildet sich auch in der Sueskrise ab, welche die europäischen Integrationspläne beschleunigte. Zur Sueskrise vgl. Kapitel 4.1. Vgl. Hansen und Jonsson, A Statue to Nasser?, S. 7. Eine zentrale Figur war der japanisch-österreichische Intellektuelle Richard Coudenhove-Kalergi. Er gründete 1922 in Wien die Paneuropa-Union, die sich für eine Einheit Europas einsetzte. Vgl. Hansen und Jonsson, A Statue to Nasser?, S.  11  f. Die Gründungsmitglieder waren Frankreich, Italien, Deutschland und die Benelux-Länder. Die EWG stellt den Kern der heutigen Europäischen Union dar. Vgl. Hansen und Jonsson, Eurafrica, S. 1032.

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nialismus sowie die Kosten des Spätkolonialismus auf mehreren Schultern zu verteilen. Bereits während der Verhandlungen der Römischen Verträge schlug Frankreich vor, dass pro Jahr eine Milliarde US-Dollar in einen Investitionsfonds eingezahlt werden sollten, um Infrastrukturprojekte in den Kolonien durchzuführen.42 Im Gegenzug versprach Frankreich, seinen Partnern den Weg zu den Märkten und Rohstoffen der Kolonien zu ebnen. Zunächst sollte die gemeinsame Politik in den französischen und belgischen Kolonien sowie den Mandaten Kamerun und Togo ausgeübt werden.43 Tatsächlich entwickelte sich die gemeinsame Entwicklungspolitik der EWG rasch zu einem ihrer zentralen Politikfelder.44 Das abschließende Ziel dieser Politik war die Assoziation afrikanischer Gebiete in einem europäisch dominierten eurafrikanischen Raum.45 1957 bekräftigte der französische Außenminister Christian Pineau vor der VN-Vollversammlung, dass die europäische Integration und die Assoziierung außereuropäischer Gebiete zum Entstehen einer »dritten Kraft« führen werde;46 dabei würden die assoziierten afrikanischen Gebiete indirekt durch ihre soziale und technische Entwicklung profitieren.47 Wie bei der OTC und der OEEC war auch die Entwicklungspolitik der EWG von kolonialem Wissen geprägt.48 Die Generaldirektion VIII (GA), die für überseeische Länder und Hoheitsgebiete verantwortlich war, leitete der Franzose Robert Lemaignen, der wie die anderen französischen Mitarbeiter 42 43 44 45

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Vgl. ebd., S. 1035. Vgl. van Laak, Imperiale Infrastruktur, S. 350. Vgl. Martin Rempe, Entwicklung im Konflikt. Die EWG und der Senegal. 1957–1975, 2012, Köln, S. 11. Wenig überraschend stießen solche Vorstellungen und Pläne auch in Deutschland bei einem kolonialrevisionistischen Milieu auf offene Ohren. Vgl. van Laak, Imperiale Infrastrukturen, S.  344  ff. Vgl. Hansen und Jonsson, Eurafrica, S. 1037. In ihrem Bemühen um diese Gebiete wähnten sie sich in einem Wettstreit mit der UdSSR. Vgl. Hansen und Jonsson, A Statue to Nasser?, S. 17. Die EWG stützte sich zwar zu Beginn ihrer Entwicklungspolitik auf koloniales Personal und Wissen Frankreichs, allerdings überdauerten die kolonialen Kontinuitäten nicht lange. Aus dem anfänglich als Feigenblatt gedachten entwicklungspolitischen Paradigma der Institution entwickelte sich nach und nach ein tatsächlicher Politikschwerpunkt, der französischen neokolonialen Ambitionen und konkreten Assoziierungsplänen entgegenlief. Martin Rempe geht davon aus, dass umgekehrt diese Entwicklung sogar die französische Kolonialpolitik verändert habe. Vgl. Rempe, Entwicklung im Konflikt, S. 88.

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der GA VIII koloniale Hintergründe aufwies.49 Die französische Regierung wollte nicht, dass die EWG eine eigenständige Entwicklungspolitik betreibe, sondern die französischen Konzepte übernähme.50 Durch die Einspeisung von kolonialem Wissen und die sich daraus ableitenden Modelle versuchte sie, eigene Interessen in der EWG durchzusetzen.51 Durch die gemeinsame Afrikapolitik unterstrichen die europäischen Staaten ihren hegemonialen Anspruch.52 Während sie dies in Abgrenzung zur USA und UdSSR taten, spielten eigenständige afrikanische Positionen und Ordnungskonzepte in den Überlegungen europäischer PolitikerInnen keine Rolle. An den Verhandlungen der Römischen Verträge waren Menschen aus den Kolonien dementsprechend nicht gleichberechtigt beteiligt.53 In Teilen schaffte es die französische Regierung, bereits vor den formalen Unabhängigkeiten manche afrikanische Länder in die EWG-Politik ein und sie damit an sich zu binden. Die senegalesische Territorialregierung identifizierte sich mit den französischen spätkolonialen Entwicklungsplänen und lancierte über Frankreich Finanzierungsanträge für Infrastrukturmaßnahmen.54 Allerdings ist bei den wenigen direkten Begegnungen im EWG-Kontext auch Kritik an den Assoziierungsplänen lautgeworden.55 Afrikanische BeobachterInnen nahmen die kolonialen Kontinuitäten und neokolonialen Ambitionen, die in der Frühphase der EWG vorherrschten, deutlich wahr, weshalb sie die europäischen »Entwicklungsmodelle« ablehnten und eigene Gegenentwürfe präsentierten. 49 50

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Vgl. ebd., S. 53  f. und S. 63  ff. Der Europäische Entwicklungsfonds sollte auch nicht in Konkurrenz zum französischen Fonds d’aide et de coopération stehen. Dem widersprach aber die GA, die in ihrer Frühphase darum bemüht war, die Abhängigkeit von bestehendem kolonialen Wissen zu verkleinern und deshalb eigene Studien in Auftrag gab. Vgl. ebd., S. 63  ff. Selbst nach den formalen Unabhängigkeiten bemühte sie sich, direkte Kontakte zwischen afrikanischen Regierungen und der EWG zu kontrollieren. Vgl. ebd., S. 83. Die Absichten waren keineswegs geheim: Guy Mollet unterbreitete diese Vorstellungen in seiner Funktion als französischer Ministerpräsident im Januar 1957 der UN-Vollversammlung. Vgl. Hansen und Jonsson, Eurafrica, S. 1037. Umso erstaunlicher ist es, dass Assoziierungsabsichten in der Forschung zur europäischen Integration erst seit kurzem wieder Beachtung finden. Vgl. Hansen und Jonsson, Eurafrica, S. 1039. Vgl. Rempe, Entwicklung im Konflikt, S.  75  f. AfrikanerInnen, die über Stipendienprogramme der EWG zu Europa-Bildungsreisen eingeladen waren, nutzten diese Gelegenheiten, um Kritik an den Plänen zu üben. Vgl. ebd., S. 59.

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Zusammenfassung

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden internationale Organisationen, deren Ziel es war, ein ökonomisches Fundament für eine stabile europäische Nachkriegsordnung zu schaffen. In den Gedankenspielen der OEEC und der EWG war ein Ende des Kolonialismus nicht eingeplant. Im Gegenteil: In den 1950er Jahren diskutierten europäische PolitikerInnen im Rahmen von Integrationsgesprächen eine koordinierte Afrikapolitik, die den Kolonialismus fortzuschreiben gedachte.56 Afrikanische AkteurInnen waren in diese Gespräche nicht eingebunden – rezipierten aber die Pläne.

2.3 Gemeinsame Anstrengungen, sich Gehör zu verschaffen. Die Bandung-Konferenz als Auftakt afro-asiatischer Konferenzen Zwischen dem 18. und 24. April 1955 trafen sich in Bandung über 600 Delegierte aus 29 asiatischen und afrikanischen Ländern.57 RegierungsvertreterInnen unterschiedlicher politischer Strömungen kamen zusammen, um sich ihrer Solidarität zu vergewissern und postkoloniale Ordnungskonzepte zu besprechen. Dort suchten die neu entstandenen und entstehenden Länder Asiens und Afrikas einen eigenständigen Platz im globalpolitischen Gefüge, das vom Kalten Krieg und Spätkolonialismus geprägt war. Erklärtes Ziel der Bandung-Konferenz war »[…] to promote goodwill and cooperation among the nations of Asia and Africa; to consider social, economic and cultural problems of special interest such as sovereignty, racialism and colonialism; to view the position of Asia and Africa and of their peoples in the world of today, and the successor contribution they can make to the promotion of world peace and co-operation.«58

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Nach den formalen Unabhängigkeiten afrikanischer Länder haben sich konkrete europäische Assoziierungspläne zwar verlaufen. Dennoch trugen sie nachhaltig zu den asymmetrischen Beziehungen der EU mit Afrika bei. Vgl. Hansen und Jonsson, Nasser, S. 17. 57 Ägypten, Äthiopien, Liberia und Libyen nahmen als unabhängige afrikanische Länder gleichberechtigt an der Konferenz teil. Die Goldküste und Sudan hatten einen Beobachterstatus. 58 Vgl. Colin Legum, Bandung, Cairo and Accra. A Report on the First Conference of Independent African States, 1958, London, S. 4.

42 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Auftakt afro-asiatischer Vernetzung

Der Bandung-Konferenz gingen jüngere Vernetzungen asiatischer Staaten voraus. Deren »Hauptimpuls« war der Ausschluss von der Genfer IndochinaKonferenz und von der damit verbundenen Neuordnung des asiatischen Kontinents nach dem Indochina- und dem Koreakrieg.59 Im Anschluss an diese trafen sich 1954 in Colombo und später in Bogor VertreterInnen Indonesiens, Burmas, Ceylons, Indiens und Pakistans und verabredeten, die Vernetzung und den Austausch auf eine afro-asiatische Ebene auszuweiten, um ein Gegengewicht zu den Militärbündnissen SEATO und CENTO zu schaffen.60 Die Einladung zur Bandung-Konferenz erfolgte im Namen aller Bogor/Colombo-Staaten, die auch die Kosten untereinander aufteilten.61 Dass die Bandung-Konferenz in einem asiatischen Land stattfand, unterstrich die wachsende Bedeutung der neu entstandenen Länder. Durch diese Ortswahl wurde das bisherige Verhältnis zwischen den europäischen Metropolen als Zentrum und den (ehemaligen) Kolonien als Peripherie des Weltgeschehens bewusst umgekehrt. Sie war folglich ein politisches Statement, das von Seiten antikolonialer AkteurInnen auch in den Folgejahren aufgegriffen werden sollte: Die Aushandlungsorte der neuen Weltordnungen sollten zukünftig nicht mehr London oder Paris heißen, sondern Bandung, Kairo und Accra. Die Zusammensetzung der Delegationen der Bandung-Konferenz war bemerkenswert und bezeugte den Anspruch der Beteiligten, die globale Ordnung auf Augenhöhe mitzuverhandeln. Zum ersten Mal trafen sich VertreterInnen afrikanischer und asiatischer Länder bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung. Die Kolonialstaaten dagegen bekamen keine Einla-

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Jürgen Dinkel betont den Anspruch asiatischer Staaten, an einer regionalen und globalen Neuordnung beteiligt zu werden. Vgl. Dinkel, Die Bewegung Bündnisfreier Staaten, S.  62  f. 60 Das Verteidigungsbündnis Southeast Asia Treaty Organisation trat 1954 in Kraft. Mitglieder waren die USA, Frankreich, Großbritannien, Australien, Neuseeland, Thailand, Pakistan und die Philippinen. Kambodscha, Laos und Südvietnam waren assoziiert. Die Central Treaty Organization war ein Verteidigungsbündnis zwischen Iran, Irak, Pakistan, Türkei, Großbritannien und den USA. Vgl. Prashad, The Darker Nations, S. 38. 61 In vielen Reden in Bandung bedankten sich die Delegierten bei allen ausrichtenden Nationen und nicht nur bei Indonesien. Vgl. Lee, The Bandung Moment, S. 10 und Roesland Abdulgani (The Ministry of Foreign Affairs, Republic of Indonesia) (Hg.), Asia-Africa Speaks From Bandung, 1955, Jakarta.

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dungen und auch US-amerikanische und sowjetische Delegationen durften nicht an der Konferenz teilnehmen. Die afro-asiatische Staatengemeinde war natürlich selbst nicht frei von Konflikten. Bei den Einladungen bemühten sich die VeranstalterInnen daher, möglichen Konfliktherden bereits im Vorfeld aus dem Weg zu gehen. Aufgrund des Disputs zwischen der VR China und der Republik China (Taiwan) erhielt Taiwan keine Einladung. Damit markierte die Bandung-Konferenz einen Kontrapunkt zu den Vereinten Nationen, wo Taiwan statt der VR China ein ordentliches Mitglied war. Zudem erhielt Israel keine Einladung, damit die Teilnahme arabischer und nordafrikanischer Staaten nicht gefährdet würde. Des Weiteren blieben trotz ihrer formalen Unabhängigkeit und ihrer regionalen Zugehörigkeit Südafrika – aufgrund seiner Apartheidpolitik – sowie Nord- und Südkorea – aufgrund des Koreakriegs – außen vor.62 In Bandung trafen sich die VertreterInnen folglich nicht aufgrund einer schon bestehenden gemeinsamen politischen Ausrichtung, sondern um eine ebensolche zu verhandeln. In der Zusammensetzung der Delegationen spiegelte sich durchaus die Bündnispolitik des Kalten Krieges wider: Viele der teilnehmenden Staaten waren bereits militärische Abkommen mit den USA oder der UdSSR eingegangen.63 Bereits in der Eröffnungsrede der Konferenz bemühte sich der indonesische Premierminister Sukarno, den politischen Unterschieden zwischen den Delegationen gemeinsame historische Hintergründe gegenüberzustellen: »We are united, for instance, by a common detestation of colonialism in whatever form it appears. We are united by a common detestation of racialism. And we are united by a common determination to preserve and stabilize peace in the world.«64

62

Vgl. Lee, The Bandung Moment, S. 11 und Dieter Schröder, Die Konferenzen der »Dritten Welt«. Solidarität zwischen nachkolonialen Staaten, 1968, Hamburg, S. 89. 63 Jürgen Dinkel rechnet die VR China und Nordkorea dem sowjetischen Lager und Pakistan, die Philippinen, Thailand, Südvietnam, Ceylon, Libanon, Türkei, Irak, Iran, Saudi-Arabien, Liberia und Japan dem westlichen Lager zu. Während einige teilnehmende Länder Mitglieder der militärischen Bündnisse SEATO und CENTO waren, kritisierten andere teilnehmende Länder – v.a. Indien und Ägypten – diese Bündnisse auf der Konferenz scharf. Vgl. Dinkel, Die Bewegung Bündnisfreier Staaten, S. 59. 64 Aus der Eröffnungsrede Sukarnos. Vgl. Abdulgani, Asia-Africa Speak, S. 22.

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Resolutionen und Abschlusskommuniqué

Um Konflikte zu vermeiden, gingen die Delegierten auf der Konferenz deshalb strittigen Punkten aus dem Weg und einigten sich im Konsensverfahren auf Resolutionen. Der inhaltliche Höhepunkt der Bandung-Konferenz war die Verabschiedung der Zehn-Punkte-Erklärung.65 Diese wurde in den Folgejahren zu einer Art Manifest, auf das die Delegierten auf den antikolonialen Konferenzen sich in den 1950er und 1960er Jahren wiederholt bezogen. Sie war eingebettet in ein Abschlusskommuniqué, welches die Delegierten am letzten Konferenztag verabschiedeten. Darin demonstrierten sie nach außen Einheit und forderten für sich einen eigenständigen Platz im globalpolitischen Gefüge, eine Forderung, die sich sowohl gegen die Kolonialstaaten als auch gegen die Kräfte des Kalten Krieges richtete. Um Unabhängigkeit gegenüber der kolonialen Vergangenheit und gegenüber der gegenwärtigen Bedrohung des Kalten Krieges zu demonstrieren, setzte sich auf der Konferenz die Losung durch, dass Kolonialismus in jeder Form verurteilt werden müsse. Diese Devise wandte sich sowohl gegen den Kolonialismus der Vergangenheit und Gegenwart als auch gegen imperiale Bemühungen der UdSSR und der USA.66

65

Die zehn Punkte der Erklärung waren: 1.) Respect for fundamental human rights and for the purposes and the principles of the Charter of the United Nations. 2.)  Respect for the sovereignty and territorial integrity of all nations. 3.) Recognition of the equality of all races and of the equality of all nations large and small. 4.) Abstention from intervention or interference in the internal affairs of another country. 5.) Respect for the right of each nation to defend itself singly or collectively, in conformity with the Charter of the United Nations. 6.) Abstention from the use of arrangements of collective defense to serve the particular interests of any of the big powers, abstention by any country from exerting pressures on other countries. 7.) Refraining from acts or threats of aggression or the use of force against the territorial integrity or political independence of any country. 8.) Settlement of all international disputes by peaceful means, such as negotiation, conciliation, arbitration or judicial settlement as well as other peaceful means of the parties’ own choice, in conformity with the Charter of the United Nations. 9.) Promotion of mutual interests and cooperation. 10.) Respect for justice and international obligation. 66 Vgl. Schröder, Dritte Welt, S. 90 und Dipesh Chakrabarty, Europa als Provinz. Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung, 2010, Frankfurt, S. 50. In den folgenden Kapiteln werde ich aufzeigen, dass diese Neutralität in Bezug auf die Fronten des Kalten Kriegs auch in Accra mit dem Ziel proklamiert wurde, eigenständige afrikanische Entwicklungswege zu beschreiten. Auf den Konferenzen der AAPSO,

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Das Ziel der Eigenständigkeit sollte durch Süd-Süd-Kooperationen erreicht werden.67 Zu diesem Zweck planten die TeilnehmerInnen, möglichst schnell ökonomische Beziehungen untereinander aufzunehmen, um die wirtschaftlichen Abhängigkeiten der einzelnen Länder von den ehemaligen Kolonialmächten zu reduzieren.68 In diesem Kontext spielten auch die VN eine zentrale Rolle: Unter dem Dach der Organisation sollten Kommissionen mit dem Auftrag gegründet werden, afrikanische und asiatische Staaten bei deren Entwicklungsvorhaben zu unterstützen.69 Doch obzwar das Kommuniqué eine klare kolonialismuskritische Ausrichtung hat, ist diese bei weitem nicht so entschieden, wie es für eine afroasiatische Konferenz 1955 zu erwarten gewesen wäre. Konkrete Unabhängigkeitsforderungen finden sich lediglich für die nordafrikanischen Länder Algerien, Marokko und Tunesien.70 Dominanz der schon unabhängigen Staaten

Die offensichtliche Gemeinsamkeit der teilnehmenden Regierungen lag – wie Sukarno es beschrieben hatte – in der Erfahrung des westlichen Kolonialismus und Imperialismus.71 Doch die Ungleichzeitigkeit der Dekolonisation spiegelte sich bei der Konferenz in den unterschiedlichen Interessen der teilnehmenden Staaten wider.72 Die VertreterInnen der formal bereits

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72

an denen auch Delegationen der UdSSR teilnahmen, wurde diese Formulierung hingegen vermieden. Vgl. Kapitel 5.1 und 6.1. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Kommuniqué. Vgl. Abdulgani, Asia-Africa Speak, S. 161–169. Vgl. Schröder, Dritte Welt, S. 95. Sowohl die AAPSO, als auch die AAPC griffen diese Strategie später auf. Vgl. Prashad, Darker Nations, S. 41 und 44. Der antikoloniale Duktus wird auf den späteren Konferenzen in Accra und Kairo deutlich sichtbar. Vgl. Kapitel 5 und 6. Jürgen Dinkel versucht, die Hauptpunkte der gemeinsamen Interessen der afrikanischen und asiatischen Delegationen in Bandung festzuhalten: 1.) Schutz der erlangten Souveränität, 2.) Kritik an erschwerten Bedingungen beim Versuch, das eigene Land zu modernisieren und 3.) Integration ins System internationaler Politik. Vgl. Jürgen Dinkel, To Grab the Headlines in the World Press. Die Afroasiatische Konferenz in Bandung (1955) und die ersten blockfreien Konferenzen als Medienereignisse, in: Zeitgeschichte-online, 2010, (http://www.zeitgeschichte-online.de/ thema/grab-headlines-world-press zuletzt aufgerufen am 11.07.2017). Die Ungleichzeitigkeiten der Dekolonisation werden in der Literatur zu Bandung meist übergangen, doch werden wir ihre Auswirkungen auch auf den antikolonialen Konferenzen in Accra und Kairo wiederfinden.

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unabhängigen Staaten hielten sich nicht weiter mit konkreten antikolonialen Forderungen auf, die vor allem für Länder auf dem afrikanischen Kontinent relevant gewesen wären. Kolonisierte Gesellschaften und deren grundlegende Forderung nach formaler Unabhängigkeit spielten in Bandung eine untergeordnete Rolle. Bei der Konferenz stand letztlich die arabisch-asiatische Annäherung stärker als die afro-asiatische Solidarität im Vordergrund. Die Delegierten der Konferenz, die Presse und die zeitgenössischen BeobachterInnen wiederholten zwar das Diktum, dass in Bandung eine afro-asiatische Konferenz stattfinde bzw. stattgefunden habe;73 zahlenmäßig dominierten aber die asiatischen und arabischsprachigen Delegationen die Konferenz. Die afrikanischen VertreterInnen fielen im Vergleich nicht ins Gewicht und verhielten sich zurückhaltend.74 Auch stand die Veranstaltung nicht allen afrikanischen und asiatischen Ländern gleichermaßen offen. Das Vorhaben, eine afro-asiatische Konferenz auszurichten, war eher ideell zu verstehen: So richteten die OrganisatorInnen die Einladungen vornehmlich an bereits unabhängige Staaten. Ausnahmen gab es für die Goldküste und den Sudan, da sich die formalen Unabhängigkeiten dieser beiden Länder bereits abzeichneten. Delegationen kolonialer Gesellschaften, die vor Ort waren, erhielten hingegen keinen gleichberechtigten Zugang zur Konferenz und nahmen nur als beobachtende Delegationen teil.75 Naoko Shimazu führt dies auf den Wunsch der neuen Regierungschefs zurück, sich von sozialen Bewegungen zu distanzieren. Demnach nutzten sie die Bandung-Konferenz dafür, die erlangte Unabhängigkeit und ihren damit verbundenen persönlichen Aufstieg zum »Staatsmann« zu inszenie73

Vgl. Richard Wright, The Color Curtain. A Report on the Bandung Conference, 1956, Cleveland, S. 128. Richard Wright, ein afro-amerikanischer Autor kommunistischer Prägung, berichtet in seinem Buch über seine Eindrücke, die er als Beobachter der Bandung-Konferenz sammelte. Dabei handelt es sich um die Schilderung seiner persönlichen Wahrnehmung der multiplen Hintergründe der anwesenden Personen. Wright schreibt, dass neue Einstellungen und Prägungen sichtbar geworden seien, die jenseits der dogmatischen Einteilung der Welt in links/rechts oder Schwarz/Weiß lägen. 74 Vgl. Legum, Bandung, S. 5. 75 In Bandung waren unter anderem VertreterInnen algerischer, marokkanischer, südafrikanischer, malaysischer, zypriotischer und tunesischer Unabhängigkeitsbewegungen zugegen. Vgl. Gerrit Hansen, Nonalignment and the Afro-Asian States, 1966, New York, S. 187.

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ren.76 Dies habe auch die Abkehr verschiedener VertreterInnen der Unabhängigkeitsbewegungen von der offiziellen Politik zur Folge gehabt. Erfolge und Auswirkungen der Bandung-Konferenz

Die Teilnahme an der Bandung-Konferenz brachte den Regierungschefs sowohl nach innen wie nach außen Reputation ein. So demonstrierten die Delegierten ihre Fähigkeit, sich auf der diplomatischen Ebene zu bewegen und außenpolitische Debatten zu führen.77 Dabei kam ihnen zugute, dass die Konferenz sich zu einem globalen Medienereignis entwickelt hatte, das ca. 550 angereiste JournalistInnen vor Ort begleiteten. Die MedienvertreterInnen aus asiatischen und afrikanischen Ländern, aus der UdSSR, den USA und Europa kamen in ihren Berichten freilich zu unterschiedlichen Einschätzungen der Ereignisse in Bandung.78 Der sichtbare Erfolg der Bandung-Konferenz bewirkte, dass in den Jahren danach vergleichbare Veranstaltungen in Asien und Afrika stattfanden. Sowohl die von mir untersuchten All-African People’s Conferences als auch die Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conferences orientierten sich inhaltlich und formal an ihr. Ökonomische Kooperationen, Kulturprogramme, die konsequente Umsetzung der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker, die Verurteilung von Kolonialismus bzw. Imperialismus und Militärbündnissen mit externen Mächten waren zentrale und wiederkehrende Forderungen und Kritikpunkte, die ihren Weg von Bandung nach Accra und Kairo nahmen und sich dort an prominenten Stellen im Programm und in den Resolutionen wiederfanden.79

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Vgl. Naoko Shimazu, Diplomacy As Theatre. Staging the Bandung Conference of 1955, in: Modern Asia Studies, Vol. 48, Nr. 1, 2014, Cambridge, S. 225–252. 77 Gamal Abdel Nasser festigte durch seinen Auftritt in Bandung seine innenpolitische Position. Vgl. Dinkel, Die Bewegung Bündnisfreier Staaten, S. 77 und 81  f. 78 Neben der Presse der teilnehmenden Länder zeigten sich auch sowjetische Medien in ihren Berichterstattungen überwiegend wohlwollend. Vgl. Dinkel, Die Bewegung Bündnisfreier Staaten, S. 84 ff. Aus dem Blickwinkel europäischer und USamerikanischer Regierungen hingegen, verhießen die Ausrichtung der Konferenz in einem asiatischen Land und die Zusammensetzung der Delegationen nichts Gutes. Sie befürchteten, dass unerfahrene afrikanische und asiatische Länder einem kommunistischen Sog bzw. antikolonialen Stimmungen verfallen könnten. Kweku Ampiah hat eine umfangreiche Arbeit über die Rezeption der Konferenz in den USA und Großbritannien (und Japan) geschrieben. Vgl. Kweku Ampiah, The Political and Moral Imperatives of the Bandung Conference of 1955, 2007, Folkstone. 79 Vgl. Legum, Bandung, S. 4.

48 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Vor allem Ägypten ist es zu verdanken, dass die Bedeutung des in Bandung gegründeten afro-asiatischen Bündnisses auch in Afrika dauerhaft sichtbar blieb. Die dort geknüpften Kontakte und das Ansehen, das Nasser seit der Konferenz auch in Asien genoss, führten nämlich zur Planung der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference. Doch die Bandung-Konferenz diente den nachfolgenden antikolonialen Konferenzen nicht nur als Vorbild. Es wurde auch versucht, deren »Fehler« zu vermeiden. So stellte Anwar El Sadat 1957 in der Eröffnungsrede der Kairoer Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference die Konferenz zwar als Nachfolgerin von Bandung dar, bemerkte in seiner Rede aber auch, dass dort Menschen aus den Kolonien benachteiligt worden waren: »Today this peoples’ conference meets to salute and continue the Bandung spirit, on the one hand, and to be another step forward, on the other hand. Because our conference is a peoples’ conference[,] it was able to include not only the countries which international law recognizes as one independent unit[,] but also all peoples which are recognized by the established fact, history and humanity and the peoples which are still suffering under the yoke of imperialism on [sic!] one form or another.«80

Sadat kritisiert also den Umstand, dass die VertreterInnen aus den Kolonien nicht gleichberechtigt mit den bereits unabhängigen asiatischen und afrikanischen Ländern verhandeln durften. Um diese Hierarchisierung von staatlichen und nichtstaatlichen VertreterInnen nicht zu wiederholen, richtete sich die Konferenz in Kairo explizit an zivilgesellschaftliche VertreterInnen asiatischer und afrikanischer Länder. Zusammenfassung

Auf der Konferenz in Indonesien präsentierte sich erstmals ein neuer Block auf der weltpolitischen Bühne. PolitikerInnen vormaliger Kolonien führten der Welt vor Augen, dass sie nicht länger ein Spielball imperialer Kräfte sein wollten. Auf der zwischenstaatlichen Konferenz in Bandung formulierten die VertreterInnen bereits unabhängiger asiatischer und arabischsprachiger Länder die politische Agenda, wodurch konkrete Forderungen von Men80

Auszug der Eröffnungsrede Anwar El Sadats auf der ersten Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference. Vgl. »Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference. Cairo, December 26, 1957–January 1, 1958«, 1958, Kairo, S. 46.

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schen aus den Kolonien hintan standen. Das Diktum der »afro-asiatischen« Solidarität blieb in der afrikanischen Dekolonisation auch in den Folgejahren wirkmächtig.

2.4 Die Entwicklung der Afrika-Strategien der USA, der UdSSR und der VR China in den 1950er Jahren In der Frühphase des Kalten Krieges hatten sich weder die USA noch die UdSSR sonderlich um die afrikanischen Länder bemüht, beanspruchten doch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Entwicklungen in Europa die Aufmerksamkeit der beiden Staaten.81 Erst mit dem einsetzenden Bedeutungsgewinn afrikanischer (und asiatischer) Länder ab Mitte der 1950er Jahre sowie im Kontext des Kalten Krieges begannen dieselben, explizite Afrikastrategien zu entwickeln. Da die Bandung-Konferenz verdeutlicht hatte, dass afrikanische und asiatische Staaten eine eigenständige Politik verfolgen wollten, befürchteten nach der Sueskrise sowohl die USA als auch die UdSSR, dass das feindliche Gegenüber das Machtvakuum okkupieren könnte, das die europäischen Kolonialmächte, wie absehbar zu werden schien, in Afrika hinterlassen würden.82 Deshalb versuchten beide Staaten, ihren militärischen, kulturellen und ökonomischen Einfluss auf dem Kontinent zu vergrößern. Eine Beschränkung der Analyse auf die USA und die UdSSR würde dem Kontext des Kalten Krieges freilich nicht gerecht werden, da diese im Wettstreit um Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent auch mit der VR China konkurrierten. Um internationale Anerkennung bemüht, entwickelte das asiatische kommunistische Land in dieser Zeit nämlich ebenfalls eine eigenständige Strategie in Bezug auf die afrikanischen Länder.83 Eine Konkur-

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Vgl. Mark Philip Bradley, Decolonization, the Global South, and the Cold War. 1919– 1962, in: Melvyn P. Leffler und Odd Arne Westad (Hg.), The Cambridge History of the Cold War. Vol. 1. Origins, 2010, Cambridge, S. 464–484, hier: S. 472. 82 Zur Sueskrise vgl. Kapitel 4.1. 83 Die VR China hatte keinen Sitz bei den Vereinten Nationen und war auf alternative internationale Konferenzen und Organisationen angewiesen, um in internationalen Foren präsent und sichtbar zu sein. Vgl. Richard Lowenthal, China, in: Zbigniew Brzezinski (Hg.), Africa and the Communist World, 1964, London, S.  142–203, hier: S.  146  ff. und S.  159  ff.

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renzsituation um Afrika bestand also nicht nur zu den USA, sondern auch innerhalb des kommunistischen Lagers selbst. Die Afrika-Politik der UdSSR

Die UdSSR konkretisierte nach der Machtübernahme Chruschtschows ihre neue Afrika-Strategie.84 Diese verfolgte das Ziel, anti-imperiale Bündnisse mit afrikanischen Ländern zu etablieren. Zu diesem Zweck betrieb die UdSSR großen personellen und finanziellen Aufwand. So siedelten ab 1958 sowjetische SprachwissenschaftlerInnen und KulturanthropologInnen in westafrikanische Länder über, um vor Ort Wissen über afrikanische Gesellschaften zu generieren. Sowjetischen Printmedien und Hörfunkstationen berichteten nun aus Ghana und Guinea, so dass afrikanische und sowjetische Gesellschaften mittels Kulturprogrammen vice versa übereinander unterrichtet wurden. Hinzu kamen umfangreiche Studien- und Stipendienprogramme. Auf Einladung der UdSSR reisten afrikanische PolitikerInnen, AktivistInnen und Militärs wiederholt in die Sowjetunion und nahmen dort Bildungsangebote wahr.85 TeilnehmerInnen einer Orientalisten-Konferenz, die im Oktober 1958 in Moskau stattfand, entwickelten für die sowjetische Führung ein Narrativ, das die afrikanische PolitikerInnen und Gesellschaften vom kommunistischen Entwicklungsweg überzeugen sollte.86 Die Erzählung orientierte sich dabei an den Interessen der antikolonialen AkteurInnen und zielte darauf ab, das Streben nach Unabhängigkeit und Entwicklung auf attraktive Weise miteinander zu verbinden. Demnach wäre eine autonome industrielle und gesellschaftliche Entwicklung nur durch politische Unabhängigkeit möglich. Als Vorbild sollte dabei die sowjetische Industrialisierung im 20. Jahrhundert dienen, hatten die westlichen Industrialisierungsprozesse doch im Vergleich dazu deutlich länger gedauert. Das Narrativ war mithin auf die Zeitnot hin konzipiert, in der sich die afrikanischen und asiatischen Länder

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Im Vergleich zu den USA hinkte die UdSSR in Afrika zunächst hinterher. Während Erstere bereits Kontakte und Verbindungen zu afrikanischen Ländern unterhielten, fing Letztere erst spät an, sich um solche zu bemühen. Vgl. Walter Leimgruber, Kalter Krieg in Afrika. Die amerikanische Afrikapolitik unter Präsident Kennedy. 1961–1963, Stuttgart, 1990, S. 169. 85 Vgl. Mazov, Cold War, S. 16  ff. und S. 22. 86 Vgl. ebd., S.  16  ff.

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zu befinden glaubten und wurde von den sowjetischen Delegierten auf Konferenzen der AAPSO gezielt platziert und wiederholt.87 Ägypten war für die UdSSR in der Tat ein zentraler Ort, von dem aus sie ihre neue Afrikapolitik zu koordinieren hoffte. Denn die ägyptische Hauptstadt hatte sich seit der Sueskrise zu einem antikolonialen Zentrum entwickelt, an dem sich zahlreiche VertreterInnen afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen aufhielten, wodurch sie auch für nicht-afrikanische AkteurInnen interessant wurde.88 In der neuen Afrikapolitik der UdSSR war die AAPSO ein wichtiger Baustein. In der UdSSR gab es ein nationales Solidaritätskomitee, das eine Mitgliedsorganisation der AAPSO bildete und beim sowjetischen Versuch, Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent zu gewinnen, eine zentrale Rolle einnahm. Vordergründig war das Komitee zwar ein unabhängiger zivilgesellschaftlicher Akteur, tatsächlich handelte es sich aber um eine von der KPdSU finanzierte und kontrollierte Einrichtung.89 Für die Entwicklung und Umsetzung der eigenen Afrikastrategie war die UdSSR Ende der 1950er-Jahre neben Ägypten auch auf Ghana und Guinea angewiesen. Die UdSSR nahm mit beiden Ländern kurz nach deren Unabhängigkeiten diplomatische Beziehungen auf und eröffnete Botschaften in Accra und Conakry. Ähnlich wie in Kairo bewegten sich auch in diesen Städten afrikanische UnabhängigkeitsaktivistInnen, die aus dem Exil heraus arbeiteten.90 Zudem wurden zwischen 1958 und 1961 in Ghana antikoloniale Konferenzen ausgerichtet und von dort aus geplant, die sich dezidiert an zivilgesellschaftliche AkteurInnen richteten. Die sowjetischen Botschaften waren dazu angehalten, möglichst viele Informationen über afrikanische AktivistInnen in Conakry und Accra zu sammeln, um ein besseres Bild von den bestehenden Unabhängigkeitsbewegungen zu erhalten und sich früh Einflussmöglichkeiten zu sichern.91

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89 90 91

Vgl. Alexander Dallin, The Soviet Union: Political Activity, in: Zbigniew Brzezinski (Hg.), Africa and the Communist World, 1964, London, S. 7–49, hier: S. 21  f. So beschlossen 1958 die Delegierten der ersten Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference, dass die sich gründende Organisation gleichen Namens ihren Sitz in Kairo haben sollte. Vgl. Kapitel 4.3. Vgl. Mazov, Cold War, S. 26. Das Solidaritätskomitee erfüllte damit seinen Zweck, dass es Kontakte zu afrikanischen AktivistInnen herstellte. Vgl. Kapitel 6.3 Zu Accra vgl. Kapitel 3.4 Vgl. Mazov, Cold War, S.  24  f.

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Die Afrika-Politik der VR China

Die VR China hatte im Vergleich zu seinen beiden Konkurrenten einen deutlich einfacheren Zugang zu den afrikanischen Ländern. Mit Ägypten unterhielt sie bereits seit Mai 1955 – also seit kurz nach der Bandung-Konferenz – diplomatische Beziehungen und brachte sich schon 1956 in die Planung der ersten Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference entscheidend ein.92 Über die AAPSO versuchte die chinesische Führung, Kontakte mit afrikanischen und asiatischen AkteurInnen zu knüpfen und zu pflegen. Dabei grenzte sie sich von der UdSSR unter anderem dadurch ab, dass sie die eigenen Bemühungen auf Regierungen sowie Unabhängigkeitsbewegungen fokussierte, die den offenen Konflikt mit den Kolonialmächten suchten.93 In Ländern, die von vermeintlichen KollaborateurInnen regiert wurden, unterstützte die VR China hingegen oppositionelle Gruppen und Bewegungen.94 Als die panarabischen und kommunistischen Ordnungsvorstellungen zunehmend miteinander zu konkurrieren begannen, kühlten die Beziehungen zwischen der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) und der VR China jedoch merklich ab.95 1959 verschlechterten sich die Beziehungen, als auf der Zehnjahresfeier der VR China der Iraker Khalid Bakdash die VAR scharf angriff und deren Botschafter daraufhin den Saal verließ. Auf der Suche nach einer alternativen Basis, von der aus sie ihre Afrikapolitik vorantreiben könnte, wandte sich die VR China nun Guinea zu. Conakry hatte sich mittlerweile zu einem Exilort für frankophone afrikanische Oppositionelle entwickelt und sollte nach dem Willen der chinesischen Führung zukünftig das Hauptquartier der AAPSO beherbergen.96

92

Vgl. Kapitel 6.1. Vgl. Lowenthal, China, S.  152  ff. 94 Neben Ägypten und Guinea standen Algerien, Kamerun, der Kongo und Marokko im chinesischen Fokus. Besonders den FLN und die UPC unterstützte die VR China finanziell und strukturell. Vgl. ebd., S. 163. 95 Zwischen 1958 und 1961 war Ägypten Teil der Vereinigten Arabischen Republik. Vgl. auch Kapitel 4.2. 96 Die zunehmende chinesische Einflussnahme auf die Organisation führte aber nicht zum erwünschten Erfolg. Die Mitglieder der AAPSO lehnten das Gesuch ab, den Organisationssitz von Kairo nach Conakry zu verlegen. Vgl. Lowenthal, China, S. 175. 93

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Die Afrika-Politik der USA

Die US-amerikanische Regierung hingegen verfolgte mit ihrer Afrikapolitik das Ziel, den eigenen Einfluss in der Region angesichts des sich abzeichnenden Machtvakuums in Afrika im Wettstreit mit den kommunistischen Kräften zu erweitern und zu sichern.97 Die Strategie fußte dabei auf zwei Säulen: auf militärischen Bündnissen und auf entwicklungspolitischen Maßnahmen. Um den neuen geopolitischen Entwicklungen zu begegnen, schlossen die USA in Asien und Afrika Verteidigungsbündnisse und etablierten ein weltweites Netz an Militärbasen.98 Bereits 1954 argumentierten die USamerikanischen Modernisierungstheoretiker Max Millikan und Walt Whitman Rostow in einer Studie für die CIA, dass Entwicklungshilfe ein geeignetes sicherheitspolitisches Mittel sei, um das Entstehen von feindlich gesinnten Gesellschaften zu verhindern.99 Dem lag die Annahme zugrunde, dass systemgleiche Staaten keine Kriege miteinander führen.100 Der Fokus US-amerikanischer Finanzhilfen lag in den 1950er-Jahren auf Bündnispartnern in Europa und Asien, die ihnen strategisch wichtige Militärbasen zur Verfügung stellten. Bis 1961 floss nur ein Viertel der US-Finanzmittel, die ins Ausland gingen, an afrikanische Länder.101 Wie die UdSSR und die VR China fokussierten sich auch die USA zunächst auf Ägypten und Ghana. Zwischen 1945 und 1961 erhielt(en) Ägypten / die VAR die größte finanzielle Unterstützung seitens der USA in Afrika. Ghana wurde vor allem 97

Vgl. Westad, Global Cold War, S. 26. Hierfür wurden sievon den afrikanischen AktivistInnen und PolitikerInnen auf den von mir untersuchten Konferenzen scharf kritisiert. 99 Vgl. Marc Frey, Die Vereinigten Staaten und die Dritte Welt im Kalten Krieg, in: Bernd Greiner, Christian Müller et.al. (Hg.), Heiße Kriege im Kalten Krieg, 2006, Hamburg, S. 35–60, hier: S. 54. Einführend zu Entwicklungshilfe vgl. Hubertus Büschel und Daniel Speich (Hg.), Entwicklungswelten. Globalgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit, 2009, Frankfurt. 100 Eine Kritik am Konzept des Demokratischen Friedens, das in der Politikwissenschaft nach wie vor verankert ist, findet sich bei Harald Müller, Antinomien des demokratischen Friedens, in: Politische Vierteljahresschrift, Vol. 43, Nr. 1, 2002, Wiesbaden, S. 46–81. 101 1960 vergab die UdSSR Kredite an vier afrikanische Staaten. Das meiste Geld kam im Untersuchungszeitraum aus Europa. Vgl. Leimgruber, Afrika, S.  259  f., S.  263  f., S. 279 und S. 328. Afrikanische Regierungen und Unabhängigkeitsbewegungen waren an diesen deutlich mehr interessiert als an inhaltlichem Austausch über kommunistische oder kapitalistische Weltanschauungen. Vgl. Bradley, Decolonization, S. 475. 98

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finanziell und technisch bei der Umsetzung des wichtigsten Infrastrukturprojekts, dem Akosombo-Staudamm, unterstützt.102 An den Konferenzen der AAPSO durfte dennoch keine US-amerikanische Delegation teilnehmen. Die starke chinesische und sowjetische Präsenz und die US-amerikanische Abwesenheit führten dazu, dass Kairo sich zu einem Ort entwickelte, an dem im Untersuchungszeitraum vor allem die VR China und die UdSSR Einfluss auf afrikanische AktivistInnen ausüben konnten.103 Auf den Konferenzen in Accra hingegen waren US-amerikanische zivilgesellschaftliche Personen und Delegationen als Beobachter zugegen. Wie UdSSR-Theoretiker reagierten auch US-amerikanische Intellektuelle auf das Interesse afrikanischer AkteurInnen an postkolonialen Entwicklungskonzepten. Neu entstehende afrikanische Staaten waren dem Modernisierungsdenken genauso verfallen wie die USA oder die UdSSR. Frederick Cooper zeigt in seinem Buch »Africa Since 1940«, wie sich der Entwicklungsdiskurs des Kolonialismus in die »DNA« der neuen afrikanischen Staaten eingeschrieben hatte.104 Afrikanische agency angesichts versuchter Einflussnahme

Die afrikanischen PolitikerInnen und AktivistInnen waren externen AkteurInnen und Interessen aber nicht willenlos ausgeliefert. Sergey Mazov beschreibt beispielhaft, wie afrikanische Regierungschefs es verstanden, die USA und die UdSSR gegeneinander auszuspielen, um eigene Interessen voranzutreiben. Als Kwame Nkrumah nach der formalen Unabhängigkeit Ghanas auf der Suche nach einer Finanzierung des Akosombo-Staudamms war, kokettierte er offen sowohl mit der UdSSR als auch mit den USA und

102 Die

US-amerikanische Privatwirtschaft profitierte von der neuen Afrikastrategie. Der US-amerikanischen Volta Aluminium Company sicherte die Regierung so im Kontext der Finanzierungsvereinbarung den Bauauftrag und Betrieb eines geplanten Aluminiumwerks in Ghana zu. Zudem waren die Kredite an weitreichende Politik­auflagen gebunden. Vgl. Leimgruber, Afrika, S.  191  ff. 103 Vgl. Mazov, Cold War, S. 27. 104 Vgl. Frederick Cooper, Africa Since 1940. The Past of the Present, 2002, Cambridge. Auch das Konzept der »Entwicklungshilfe« entstand nicht erst in jener Zeit. Entwicklungskonzepte wurden bereits im Völkerbund systematisch ausgearbeitet. Einführend vgl. Sönke Kunkel und Christoph Meyer, Fortschritt nach Plan? Der globale Entwicklungsdiskurs des Völkerbunds und die Anfänge des systemischen Denkens, in: dies. (Hg.), Aufbruch ins postkoloniale Zeitalter. Globalisierung und die außereuropäische Welt in den 1920er und 1930er Jahren, 2012, Frankfurt, S. 123–144.

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sicherte sich dadurch von beiden Seiten technische Expertise und notwendige Kredite für das geplante Großprojekt.105 Die afrikanische agency reduzierte sich freilich nicht auf das Ausspielen der beiden »Supermächte«. Insbesondere auf den Konferenzen in Kairo und Accra diskutierten afrikanische Delegierte Ordnungskonzepte und Allianzen, die sie als Alternativen zum kommunistischen und kapitalistischen System präsentierten. Die bipolare Logik des Kalten Krieges klammerte die alternativen postkolonialen Ordnungskonzepte der AfrikanerInnen aber aus. Sowohl die USA als auch die UdSSR duldeten panafrikanische Konzepte oder Ansätze des afrikanischen oder arabischen Sozialismus nur, solange sie nicht anti-westlich bzw. antikommunistisch waren.106 Die afrikanischen Unabhängigkeiten passten nicht in die revolutionäre Logik der KpdSU und die ökonomischen und gesellschaftlichen Ordnungen afrikanischer Gesellschaften nicht zu US-amerikanischen Entwicklungsmodellen.107 Für die UdSSR stellten die afrikanischen Unabhängigkeiten sogar einen reaktionären, nicht einen progressiven Schritt dar. Die revolutionäre Leistung würde, so die sowjetische Annahme, erst mit der Umsetzung des Kommunismus in den neu entstehenden Staaten geschehen.108

105 Vgl. Mazov, Cold War, S. 43  ff. Während der Verhandlungen zwischen den USA und

Ghana über Kreditzusagen für den Bau des Staudamms sicherten sich auch USamerikanische Unternehmen gegenüber der eigenen Regierung vorteilhafte Konditionen. Die Volta Aluminium Company übte mit dem Verweis auf den Einfluss der UdSSR auf die ghanaische Regierung und der Gefahr, die aus der Lücke entstehe, die VALCO in Ghana hinterlassen würde, Druck auf die Kennedy-Regierung aus. Vgl. Leimgruber, Afrika, S.  192  f. 106 Vgl. Dallin, Soviet Union, S. 35  f. und Leimgruber, Afrika, S.  184  ff. 107 Vgl. Westad, Global Cold War, S. 32. 108 Die Solidarität und Zusammenarbeit mit »bürgerlichen Eliten« statt mit kommunistischen Parteien und Gewerkschaften in den afrikanischen Kolonien und den neu entstandenen Staaten musste die sowjetische Führung theoretisch begründen. Im Dezember 1960 verabschiedeten daher 81 kommunistische Parteien das Konzept der »nationalen Demokratien«. Damit sollten eben jene Staaten erfasst werden, die sich gegen Kolonialismus und Neo-Kolonialismus wehrten. Die theoretische Notlösung beschrieb aber keinen Dauerzustand. »Nationale Demokratien«, die kein notwendiger Schritt auf dem kommunistischen Weg waren, sollten nicht ausgeschlossen werden. Gleichwohl erwarteten die Ideologen, dass entsprechende Entwicklungen nach einer Zeit der Konsolidierung eingeleitet würden. Die Definition der »nationalen Demokratien« orientierte sich an den politischen Realitäten, die in Ghana, Guinea und Mali vorherrschten. Vgl. Dallin, Soviet Union, S.  16  ff. und Leimgruber, Afrika, S. 233.

56 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Zusammenfassung

Die USA, die UdSSR und die VR China versuchten ab Mitte der 1950er Jahre systematisch, Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent zu gewinnen. In ihren Überlegungen spielten vor allem Ägypten und Ghana zentrale Rollen, wobei diese beiden Staaten auch aufgrund der Ausrichtung internationaler Konferenzen, an denen antikoloniale AktivistInnen teilnahmen, besonders interessant waren. Kairo und Accra entwickelten sich ab Mitte der 1950er Jahre zu antikolonialen Zentren, von denen aus VertreterInnen afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen ihre politischen Ziele verfolgten. Alle drei Länder waren daran interessiert, über Accra respektive Kairo Kontakte mit Unabhängigkeitsbewegungen zu knüpfen, Wissen zu generieren oder außenpolitisch in Erscheinung zu treten. Im untersuchten Zeitraum schaffte es aber keines der Länder, die Agenden der antikolonialen AkteurInnen in Ghana oder Ägypten maßgeblich zu bestimmen.

2.5 Zwischenfazit In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum »Afrikanischen Jahr« war das internationale System von kolonialen Kontinuitäten geprägt. Die formale Dekolonisation und die vollständige, gleichberechtigte Einbindung ehemaliger Kolonien waren von den bis dato dominanten Akteuren nicht vorgesehen. Die Vereinten Nationen und diverse internationale Organisationen, die den europäischen Wiederaufbau vorantrieben, verhandelten so unilateral die Zukunft afrikanischer Kolonien, waren die antikolonialen AkteurInnen aus den Kolonien doch von diesen Aushandlungsräumen ausgeschlossen. Die Bandung-Konferenz 1955 war dann ein weltweit beachtetes Ereignis, das in seiner Konzeption gegen diesen Ausschluss afrikanischer und asiatischer Länder aus den globalpolitischen Debatten protestierte. Diese bekundeten dort auf öffentlichkeitswirksame Weise, dass sie nicht länger bereit waren, sich den alten Hierarchien zu beugen. Die Bandung-Konferenz diente deshalb den antikolonialen Konferenzen, die zwischen 1957 und 1961 in Accra und Kairo stattfanden und an denen auch Menschen aus den Kolonien gleichberechtigt teilnehmen durften, als Blaupause. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges registrierten die USA, die UdSSR und die VR China die sich anbahnende Machtverschiebung, die mit der Dekolonisation einherging. Ab Mitte der 1950er Jahre entwickelten sie

2 Der globalpolitische Kontext als Katalysator | 57

deshalb entsprechende Afrikastrategien, bei deren Umsetzung Ghana und Ägypten, respektive die dort stattfindenden antikolonialen Konferenzen und dort ansässigen Organisationen, eine zentrale Rolle spielten.

3

Die Entwicklung panafrikanischer Ideen im Spannungsfeld von Metropole, Kolonie und postkolonialem Staat

Unmittelbar nach seiner formalen Unabhängigkeit wurde Ghana zu einem Zentrum des panafrikanischen Antikolonialismus. Internationale Konferenzen, die zwischen 1958 und 1961 in Accra stattfanden, sowie Organisationen, die dort ihren Sitz hatten, waren zentrale Aushandlungsräume der afrikanischen Dekolonisation. Rund um die All-African People’s Conference (AAPC) und die gleichnamige Organisation etablierte sich ein antikoloniales Netzwerk und Ghana sich so zum wichtigen Knotenpunkt.1 Diese Entwicklung in der ehemaligen Goldküste war eng mit der Person Kwame Nkrumah verknüpft, der ideell und strukturell von Erfahrungen geprägt war, die er in seiner Zeit im Exil gemacht hatte. Er hatte 1935 die Goldküste verlassen und die folgenden zwölf Jahre u.a. in Großbritannien gelebt, wo er sich in antikolonialen Netzwerken engagierte.2 Eine zentrale Rolle in der Ausarbeitung gesamtafrikanischer Ideen im Dekolonisationsprozess kam dabei den Panafrikanischen Kongressen zu. So veranstalteten in der Zwischenkriegszeit antikoloniale und antiimperiale AkteurInnen in den kolonialen Metropolen wiederholt Konferenzen, um sich untereinander zu vernetzen und sich gegenüber einer globalen Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen.3 Auf den ersten panafrikanischen Kongres1

Vgl. Kapitel 5. Nkrumah war seit Sommer 1945 in England und beteiligte sich an den Vorbereitungen des 5. Panafrikanischen Kongresses. Für einen Überblick über seine Zeit in den USA und Großbritannien vgl. Marika Sherwood, Kwame Nkrumah. The Years Abroad. 1935–1947, 1996, Legon. 3 Die jüngste Forschung hat sich intensiv mit der »Liga gegen Imperialismus« auseinandergesetzt. Vgl. Jürgen Dinkel, Globalisierung des Widerstands: Antikoloniale 2

60 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

sen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stattfanden, kritisierten Schwarze Delegierte aus den Kolonien, Nordamerika und der Karibik die Lage Schwarzer Menschen in den USA und in den Kolonien. Diese Kritik wandelte sich auf dem fünften und letzten Kongress 1945 in Manchester, an dem Kwame Nkrumah in zentraler Position teilnahm, zu radikalen antikolonialen Forderungen (Kapitel 3.1). Bei seiner Rückkehr in die Goldküste 1947 brachte Kwame Nkrumah etliche anti- und postkoloniale Ideen, Denktraditionen und Kontakte aus den »Metropolen« in die »Kolonie« mit und richtete – basierend auf seinen Erfahrungen im Exil – den Weg der Goldküste in die Unabhängigkeit frühzeitig ideell und strukturell nach transnationalen Prinzipien aus (Kapitel 3.2). Seinen Anspruch, eine zentrale Figur der gesamtafrikanischen Dekolonisation zu sein, versuchte er mit Politik- und Ordnungskonzepten zu untermauern, die er als genuin afrikanisch bezeichnete. Er etablierte diese aber keineswegs in einem referenzlosen Raum, vielmehr erweisen sie sich als eine Synthese westlicher und antikolonialer Konzepte (Kapitel 3.3).4

4

Konferenzen und die ›Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit‹. 1927–1937, in: Sönke Kunkel und Christoph Meyer (Hg.), Aufbruch ins postkoloniale Zeitalter. Globalisierung und die außereuropäische Welt in den 1920er und 1930er Jahren, 2012, Frankfurt, S. 209–232; Vijay Prashad, The Darker Nations. A People’s History of the Third World, 2007, New York, S. 16–30. Bisherige Arbeiten fokussierten europäische, amerikanische und karibische Räume und vernachlässigten dabei afrikanische Orte und Personen. Es fehlen folglich aktuelle Studien, die systematisch panafrikanische Ideen im Spannungsfeld von Dekolonisation und Internationalisierung antikolonialer Bewegungen untersuchen. Für das Verständnis des späteren Panafrikanismus ist es aber wichtig, die frühen Kongresse nicht nur im Zusammenhang einer Genealogie des Panafrikanismus zu erwähnen, sondern die Unterschiede zwischen dem amerikazentrischen und dem afrozentrischen Panafrikanismus detailliert herauszuarbeiten. Diesem Manko möchte ich in der vorliegenden Arbeit Abhilfe verschaffen. Frederic Cooper/Ann Laura Stoler, Wolfgang Reinhard und Andreas Eckert haben auf die antikoloniale Strategie hingewiesen, westliche Konzepte zu adaptieren und sie für eigene Zwecke zu verwenden. Vgl. die Einleitung und Wolfgang Reinhard, Dialektik des Kolonialismus. Europa und die Anderen, in: Klaus J. Bade und Dieter Brötel (Hg.), Europa und die Dritte Welt. Kolonialismus – Gegenwartsprobleme – Zukunftsperspektiven, 1992, Hannover, S. 5–25; Frederick Cooper und Ann Laura Stoler, Zwischen Metropole und Kolonie: Ein Forschungsprogramm neu denken, in: Claudia Kraft, Alf Lüdtke und Jürgen Martschukat (Hg.), Kolonialgeschichten. Regionale Perspektiven auf ein globales Phänomen, 2010, Frankfurt, S. 26–62; Andreas Eckert, Widerstand, Protest und Nationalismus, in: Jan-Georg Deutsch

3 Die Entwicklung panafrikanischer Ideen | 61

Tatsächlich entwickelte sich Accra so in der frühen Phase der formalen ghanaischen Unabhängigkeit zu einem Ort globalpolitischer Relevanz, in dem sich die antikolonialen AkteurInnen aus den afrikanischen Kolonien organisieren konnten. Ermöglicht wurde dies durch semi-offizielle Einrichtungen in der ghanaischen Hauptstadt, die nach der Unabhängigkeit des Landes afrikanische antikoloniale Bewegungen und deren VertreterInnen unterstützten (Kapitel 3.4).

3.1

Die Panafrikanischen Kongresse zwischen 1919 und 1945

Die ersten vier der fünf panafrikanischen Kongresse in europäischen und nordamerikanischen Metropolen fanden in der Zeit zwischen 1919 und 1927 statt. Sie zeichneten sich durch zwei gemeinsame Merkmale aus: erstens dadurch, dass jeweils transnationale Argumentationsstrategien entwickelt und neue Öffentlichkeiten geschaffen wurden; zweitens dadurch, dass sich die Delegierten dieser Kongresse an den bestehenden europäischen Kolonialdiskursen orientierten und die imperiale Herrschaft über die Afrika­ nerInnen nicht per se in Frage stellten. Der fünfte Kongress hingegen fand erst 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs statt. Während die ersten vier Konferenzen von Menschen aus den USA und der Karibik dominiert worden waren, nahmen am Kongress in Manchester, der dezidiert antikolonial ausgerichtet war, die AkteurInnen aus den Kolonien schon einen deutlich größeren Raum ein. Die ersten vier Panafrikanischen Kongresse

Die transnationale Ausrichtung panafrikanischer Ideen spiegelte sich in der Strategie des ersten Kongresses wider. So hofften kurz nach dem Ersten Weltkrieg und der Verkündung von Präsident Wilsons 14-Punkte-Plan die Schwarzen AktivistInnen aus den USA, dass die Situationen der Schwarzen in den USA und in den Kolonien Teil der Friedensverhandlungen werden würden.5 Um Einfluss auf die Friedensverhandlungen nehmen zu können, fand deshalb im Februar 1919 der erste Panafrikanische Kongress in Paris und Albert Wirz (Hg.), Geschichte in Afrika. Einführung in Probleme und Debatten, 1997, Berlin, S. 129–149. 5 Zwar konnten sie ihre Ergebnisse nicht persönlich im Rahmen der Friedensverhandlungen vorstellen. Allerdings erhielten europäische und US-amerikanische TeilnehmerInnen der Friedenskonferenz Kopien der Resolutionen. Vgl. Clarence

62 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

parallel zu den Versailler Friedensverhandlungen statt. William Edward Burghardt Du Bois, US-Amerikaner und Mitglied des Vorstands der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), war eine der treibenden Kräfte des Kongresses, dessen Finanzierung zum Großteil die NAACP trug. Die anteilige Zusammensetzung der Delegationen auf dem ersten Kongress entsprach zunächst dem bestehenden Netzwerk von W.E.B. Du Bois. Von den 57 TeilnehmerInnen kamen lediglich zwölf Personen aus afrikanischen Staaten und Kolonien,6 so dass die Delegierten aus den USA und der Karibik die inhaltliche Ausrichtung der ersten Kongresse festlegten. Nichtsdestotrotz hatten die Delegierten den Anspruch, über die eigenen Grenzen hinauszudenken. Dies hatte neben ideellen auch strategische Hintergründe: Die OrganisatorInnen hofften, dass eine Berücksichtigung der Kolonien in Versailles auch zu einer Diskussion über die Lebensbedingungen der Schwarzen in den USA führen würde.7 Eine zweite Strategie der ersten panafrikanischen Kongresse bestand darin, die gesetzten Ziele über das geschickte Adressieren der Weltöffentlichkeit zu erreichen. Um eine größere Wirksamkeit zu generieren, traf sich Du Bois deshalb vor dem zweiten und dritten Panafrikanischen Kongress 1921 in Brüssel und 1923 in London mit VertreterInnen zivilgesellschaftlicher Organisationen und prominenten Persönlichkeiten.8 Diese Bemühungen waren erfolgreich, konnte er doch europäische Fürsprecher für die Ziele der Kongresse gewinnen. Eine dritte Strategie bestand darin, internationale Organisationen in die Pflicht zu nehmen, sich für die Interessen Schwarzer Menschen einzusetzen. So forderten die Delegierten des ersten Kongresses in einer Resolution den Völkerbund auf, die Aufsicht über die Verbesserung der LebensumContee, Du Bois, the NAACP, and the Pan-African Congress of 1919, in: The Journal of Negro History, Vol. 57, Nr. 1, 1972, Washington, S. 13–28, hier S. 20 und 26  f. 6 Dies lag unter anderem daran, dass Großbritannien Schwarzen aus seinen Kolonien die Ausreise nach Paris verbot. Vgl. Geiss, Panafrikanismus, S.  186  f. 7 Vgl. ebd., S.  18  ff. 8 In London traf sich Du Bois u.a. mit der Anti-Slavery and Aborigines Protection Society und in Brüssel mit den beiden Pazifisten Paul Otlet und Henri Marie La Fontaine. Außerdem solidarisierten sich mit dem Schriftsteller Herbert George Wells und dem Politologen und Ökonomen Harold Laski prominente Persönlichkeiten öffentlichkeitswirksam mit den Kongressen. Vgl. Hakim Adi und Marika Sherwood, The 1945 Manchester Pan-African Congress Revisited, 1995, London, S. 66.

3 Die Entwicklung panafrikanischer Ideen | 63

stände der Menschen in den Kolonien zu übernehmen. Im Anschluss an den zweiten Kongress 1921 reiste Du Bois zudem nach Genf, um sich mit Vertretern des Völkerbunds und der International Labour Organization (ILO) zu treffen. Dort tauschte er sich mit William Rappard, dem Direktor der Mandatssektion des Völkerbunds, und Albert Thomas, dem Direktor der ILO, über das Mandatssystem aus und forderte, dass ein Schwarzer Mitglied der Mandatskommission sein müsse.9 Dabei hinterfragte er aber nicht das Mandatssystem an sich und schrieb damit dem Völkerbund eben jene Rolle zu, die dieser für sich beanspruchte.10 Die Schwarzen Intellektuellen, die die ersten Kongresse prägten, folgten Argumentationsmustern europäisch dominierter Diskurse über den Kolonialismus und forderten lediglich Reformen innerhalb des internationalen Systems. Du Bois erkannte sogar explizit an, dass Kolonien im ökonomischen Wiederaufbau europäischer Länder eine wichtige Rolle spielten.11 Die Forderungen auf den frühen Kongressen sahen dementsprechend vor, a) die Lebensbedingungen in den Kolonien zu verbessern und b) den Bevölkerungen afrikanischer Kolonien Unterstützung zu bieten, um eines Tages an der Regierungsbildung beteiligt werden zu können.12 Wie aus diesen Forderungen zu ersehen ist, stellten die frühen panafrikanischen Kongresse den

9

Der Haitianer Dantès Bellegarde, der Mitglied der Völkerbundversammlung war, stellte den Kontakt her. Bellegarde nahm auch am zweiten Panafrikanischen Kongress teil. Vgl. Imanuel Geiss, Panafrikanismus. Zur Geschichte der Dekolonisation, 1968, Frankfurt am Main, S. 189. 10 Sönke Kunkel und Christoph Meyer haben kürzlich auf die »Entwicklungsmission« hingewiesen, die, neben der Friedenssicherung, ein elementarer Teil der Völkerbundagenda war. Vgl. Sönke Kunkel und Christoph Meyer, Fortschritt nach Plan? Der globale Entwicklungsdiskurs des Völkerbundes und die Anfänge des systemischen Denkens, in: dies. (Hg.), Aufbruch ins postkoloniale Zeitalter. Globalisierung und die außereuropäische Welt in den 1920er und 1930er Jahren, 2012, Frankfurt, S. 123–144. 11 Vgl. ebd., S. 190. Bei den Planungen vor Ort unterstützte Blaise Diagne Du Bois. Diagne war zu dieser Zeit Abgeordneter für den Senegal in der französischen Nationalversammlung. Er wurde zum Vorsitzenden der Konferenz gewählt und W.E.B. Du Bois zu seinem Sekretär. Diagne setzte sich persönlich beim französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau dafür ein, dass die Konferenz in Paris ausgerichtet wurde. Zunächst war die französische Regierung nicht begeistert davon gewesen. Vgl. Contee, Pan-African Congress, S. 19 und 23. Zudem konnte Du Bois Kontakte nach Großbritannien und Frankreich nutzen, um Vertreter bereits unabhängiger afrikanischer Länder von einer Teilnahme zu überzeugen. Vgl. ebd., S. 22. 12 Vgl. Geiss, Panafrikanismus, S. 188.

64 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Kolonialismus und die paternalistischen Beziehungen also nicht an sich in Frage. Die französische Kolonialverwaltung reagierte daher zunächst entspannt auf die frühen Kongresse. So kam Maurice Delafosse, der den ersten Kongress 1919 als französischer Kolonialbeamter beobachtete, zu dem Schluss, dass die Forderungen ob ihrer geringen Radikalität den Kolonialismus kaum gefährdeten.13 Dies veränderte sich allerdings, als die AfrikanerInnen auf dem dritten Panafrikanischen Kongress dominanter auftraten und Du Bois Planungen aufnahm, die folgenden Zusammenkünfte nicht mehr in europäischen, sondern in afrikanischen Städten durchzuführen. Ein Teil des dritten Kongresses fand im November des Jahres 1923 in Lissabon statt, wo das Teilnehmerfeld anders aufgestellt war, da Vertreterinnen und Vertreter aller portugiesischen Kolonien teilnahmen. Diese rekrutierten sich vor allem aus der Liga Africana, einem Interessenverband von AfrikanerInnen aus portugiesischen Kolonien, der seinen Sitz in Lissabon hatte.14 TeilnehmerInnen, die direkt aus den Kolonien zu den Kongressen fuhren, gab es folglich immer noch nicht. Die neue Zusammensetzung, auch wenn sie nur indirekte VertreterInnen der Kolonien berücksichtigte, drückte sich aber dennoch in den Resolutionen aus, die sich für eine größere politische Teilhabe von AfrikanerInnen in den Kolonien aussprachen. Nach dem vierten Kongress, der außerplanmäßig in New York stattfand, plante Du Bois, den nächsten panafrikanischen Kongress 1929 in einer Kolonie auf dem afrikanischen Kontinent auszurichten. Die OrganisatorInnen nahmen Tunis in den Blick, doch die französische Regierung verweigerte die Ausrichtung eines solchen Kongresses in Tunesien. Ein panafrikanischer Kongress könne in jeder Stadt Frankreichs ausgerichtet werden, lautete die Begründung, aber keinesfalls auf dem afrikanischen Kontinent.15 Der Afrikanisierungsprozess fand damit vorerst ein Ende und der nächste Kongress erst im Herbst 1945 in Manchester statt, da die Weltwirtschaftskrise und der

13

Vgl. John Hargreaves, Maurice Delafosse on the Pan-African Congress of 1919, in: African Historical Studies, Vol. 1, Nr. 2, 1968, Boston, S. 233–241. 14 Dafür fehlten hier RepräsentantInnen des frankophonen Afrika. Deren bis dato prominentester Vertreter, Blaise Diagne, nahm nur an den ersten beiden Kongressen teil. Vgl. Geiss, Panafrikanismus, S. 204. 15 Vgl. George Padmore, Colonial and Coloured Unity, in: Hakim Adi und Marika Sherwood, The 1945 Manchester Pan-African Congress Revisited, 1995, London, hier: S. 72.

3 Die Entwicklung panafrikanischer Ideen | 65

Zweite Weltkrieg verhinderten, dass weitere Zusammenkünfte ausgerichtet werden konnten. Der fünfte Panafrikanische Kongress

Der fünfte Kongress fiel, wie auch der erste, mitten in eine globalpolitisch hochdynamische Phase, in der eine neue Nachkriegsordnung zu verhandeln war. Die Konferenz in Manchester wurde von in England ansässigen antikolonialen AktivistInnen organisiert, die aus der Karibik und Afrika stammten und der Konferenz eine antikoloniale Ausrichtung gaben. An der Veranstaltung nahmen circa 200 Personen teil. US-amerikanische Delegierte waren mit Ausnahme von W.E.B. Du Bois nicht anwesend. Stattdessen partizipierten viele afrikanische AkteurInnen. Unter ihnen waren neben Kwame Nkrumah weitere Personen, die in den Folgejahren an zentraler Stelle in die Netzwerkbildung in Accra eingebunden sein sollten. George Padmore, der nach der Unabhängigkeit Ghanas Nkrumahs Special Adviser on African Affairs wurde,16 sowie Ras T. Makonnen, der sich nach der Unabhängigkeit Ghanas um antikoloniale AktivistInnen, die in Accra im Exil lebten, kümmern sollte,17 waren maßgeblich in die Organisation des fünften Kongresses in Manchester eingebunden. Hinzu kamen Personen, die in den 1950er- und 60er-Jahren Führungsfiguren afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen werden oder politische Ämter in den neu entstandenen afrikanischen Staaten einnehmen würden.18 So wurde z.B. Hastings Banda später der erste Premierminister Malawis und Jomo Kenyatta der erste Premierminister Kenias, während Jaja Wachuku und Obafemi Awolowo Politiker im unabhängigen Nigeria wurden. In Manchester kamen folglich viele Personen zusammen, die – wie Kwame Nkrumah – politische Ambitionen in ihren jeweiligen Herkunftsländern verfolgten. Die Resolutionen in Manchester standen freilich in deutlichem Gegensatz zu denen früherer panafrikanischer Kongresse. Zum ersten Mal waren die Forderungen nach Unabhängigkeit klar formuliert und verschob sich 16

Kurzbiographie zu George Padmore siehe S. 239. Jüngst erschien eine umfangreiche und detaillierte Biografie über George Padmore, die sein gesamtes politisches Wirken aufarbeitet. Vgl. Leslie James, George Padmore and Decolonization from below. Pan-Africanism, the Cold War and the End of Empire, 2015, Basingstoke. 17 Kurzbiographie zu George Padmore siehe S. 236. Ras Makonnen hat in seinen Memoiren seine Zeit in panafrikanischen Netzwerken festgehalten. Vgl. Ras Makonnen, Pan-Africanism from within, 1973, Nairobi. 18 Vgl. Geiss, Panafrikanismus, S.  309  ff.

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der inhaltliche Schwerpunkt der Debatten auf afrikabezogene Themen. Andere hingegen, die auf den vorherigen Kongressen noch viel Raum eingenommen hatten – z.B. Rassismus in Europa und in den USA – rückten in den Hintergrund oder fanden in den Resolutionen gar keine Berücksichtigung mehr. Auch betrachteten die Delegierten das Wirken der internationalen Organisationen dieses Mal deutlich negativer. So kritisierten sie das Treuhandsystem der Vereinten Nationen mit dem Verweis, dass das Mandats­ system des Völkerbunds nichts zur behaupteten »Entwicklung« der Gebiete beigetragen habe. In von Nkrumah und Padmore geleiteten Kommissionen erarbeiteten die Delegierten zudem Resolutionen, in denen sie die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Kolonialismus und Imperialismus verurteilten und sich für die Unabhängigkeit der Kolonien aussprachen.19 In weiteren Kommissionen diskutierten die Delegierten auch die konkreten politischen Situationen in Ost- und Zentralafrika sowie in den bereits unabhängigen afrikanischen und karibischen Staaten. Dabei kamen die Delegierten zu dem Schluss, dass die schon unabhängigen Staaten performativ die von den KolonisatorInnen angezweifelte Regierungsfähigkeit Schwarzer Menschen beweisen würden.20 Zudem einigten sich die Delegierten auf erste transnationale Ideen für eine nachkoloniale Ordnung und übten deutliche Kritik an der kolonialen Grenzziehung, die eine regionale Integration in Westafrika verhindere.21 Für Westafrika und für die westindischen Inseln artikulierten sie föderale Pläne und verfolgten diese auch konkret. Zusammenfassung

Die ersten vier Panafrikanischen Kongresse zielten darauf ab, auf die Lage Schwarzer Menschen in den USA, in Europa und in den Kolonien aufmerksam zu machen. Strategisch verfolgten die Kongresse das Ziel, Netzwerke aufzubauen, politische Forderungen Schwarzer Menschen öffentlichkeitswirksam zu platzieren und internationale Organisationen wie den Völkerbund und die ILO in die Pflicht zu nehmen, sich für die Interessen Schwarzer Menschen einzusetzen.

19

Vgl. Adi und Sherwood, Manchester, S.  80  ff. Vgl. ebd., S. 85–101. 21 Vgl. ebd., S.  102  f. 20

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Dezidiert antikoloniale Positionen bezogen die Delegierten jedoch erst auf dem fünften Panafrikanischen Kongress 1945 in Manchester. Dort stellten sie westlich dominierten Aushandlungsräumen und Konzepten einer Nachkriegsordnung postkoloniale Entwürfe entgegen und eigneten sich die Deutungshoheit über die panafrikanische Bewegung an, während bis dahin Delegierte aus Nordamerika und aus der Karibik deren Ausrichtung bestimmt hatten.

3.2 Rezentrierung des Panafrikanismus. Die Einrichtung transnationaler Netze und die Implementierung antikolonialer Strategien in der Goldküste zwischen 1947 und 1957 Nach seiner Zeit im Exil wurde Kwame Nkrumah, nicht zuletzt ob des von ihm geleisteten Wissenstransfers, zur zentralen Figur schlechthin auf dem Weg der Goldküste in die Unabhängigkeit. Das oberste Ziel seines politischen Wirkens war, wie er in seinem 1963 erschienenen Buch Africa must Unite konstatiert, dabei stets die Unabhängigkeit des gesamten afrikanischen Kontinents: »When I returned to West Africa in 1947, it was with the intention of using the Gold Coast as a starting-off point for African independence and unity.«22 Deshalb gilt es, seine Rolle in der Dekolonisation der Goldküste im Konkreten und Afrikas im Allgemeinen nun näher zu untersuchen. Nkrumahs Zeit im englischen Exil

Nach der Konferenz in Manchester bewegte sich Kwame Nkrumah, dessen Zeit und politische Arbeit im Exil ihn nachhaltig prägen sollten, noch für zwei weitere Jahre in den panafrikanischen Netzwerken Großbritanniens und begann darüber hinaus, sich von dort aus mit AktivistInnen und PolitikerInnen des frankophonen Afrikas zu vernetzen. In England brachte er sich federführend in den antikolonialen Organisationen ein, die einen transnationalen westafrikanischen Fokus hatten, und gründete gemeinsam mit anderen antikolonialen AktivistInnen das West African National Secretariat (WANS).23 Die Arbeit des WANS, das einen regionalen Fokus hatte und 22 23

Vgl. Kwame Nkrumah, Africa Must Unite, 1963, London, S. 136. Weitere Gründungsmitglieder waren Bankole Akpata, Ashie Nikoi, Wallace Johnson, Awoonor-Renner und Joe Appiah. Vgl. Sherwood, Nkrumah, S. 127. Das WANS

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dessen zentrales Ziel die westafrikanische Einheit war, bestand darin, Kontakte zu lokalen politischen Gruppen herzustellen, Informationen zwischen verschiedenen Kreisen zirkulieren zu lassen sowie Forderungen gegenüber den Vereinten Nationen zu stellen.24 Im antikolonialen Netzwerk in England engagierten sich vor allem Personen aus den englischen Kolonien. Nkrumah wollte aber die regionale Integration nicht auf diese Gebiete reduzieren und reiste daher 1946 nach Paris, um sich dort mit politischen AktivistInnen aus den französischen Kolonien zu vernetzen. Daher traf er sich im Mai mit afrikanischen Vertretern der französischen Nationalversammlung, unter ihnen der spätere senegalesische Präsident Léopold Senghor, der spätere Präsident Dahomeys Sourous Apithy und Félix Houphouët-Boigny, späterer Präsident der Elfenbeinküste.25 Sein ausgedehntes Netzwerk und seine organisatorischen Fähigkeiten machten Nkrumah zu einem sehr gefragten Mann. So nahm er im Herbst 1947 das Angebot an, in der Goldküste die politische Aufgabe wahrzunehmen, Generalsekretär der neu gegründeten Partei United Gold Coast Convention (UGCC) zu werden.26 Auf seinem Weg in die Goldküste legte er Zwischenstopps in Sierra Leone und Liberia ein, wo er jeweils auf öffentlichen Veranstaltungen für transnationale Wege in die Unabhängigkeiten warb.27 Im Januar 1948 trat Kwame Nkrumah dann seine neue Stelle in der Goldküste an und brachte dort politisches Verständnis und organisatorische Fähigkeiten ein, die er sich im Exil angeeignet hatte. Nkrumahs Wirken in der Goldküste

Dipesh Chakrabarty beschreibt, wie sich nicht-europäische Gesellschaften nolens-volens dem Konzept des »Bürgers« beugen mussten, welches mit

24 25 26

27

ist ein gutes Beispiel dafür, wie die afrikanischen antikolonialen AkteurInnen die Netzwerke nutzten, die sich in Großbritannien etabliert hatten, und wie sie sich auf diese Weise mit praktischer politischer Arbeit vertraut machen konnten. Vgl. Sherwood, Nkrumah, S. 128. Nkrumah schaffte es, einige von ihnen zu überzeugen, im September nach London zu reisen, um an einer Konferenz des WANS teilzunehmen. Vgl. ebd., S. 130. Nkrumah ist nicht das einzige Beispiel für den Transfer von Wissen und politischer Organisationsfähigkeit. Auch andere Mitglieder des WANS gingen in ihre Heimat zurück, um politische Ämter zu übernehmen. Vgl. ebd., S. 129. Vgl. ebd., S. 193.

3 Die Entwicklung panafrikanischer Ideen | 69

dem Konzept von Nationalstaaten einhergeht.28 Desgleichen sah sich nach seiner Rückkehr auch Nkrumah veranlasst bzw. gezwungen, die Bevölkerung der Goldküste nach westlichen Maßstäben zu politisieren. Er bereiste die gesamte Kolonie und versuchte – wider die koloniale divide and rulePolitik – ein Einheitsgefühl unter der gesamten Bevölkerung zu erzeugen. Der UGCC, die in Städten und Regionen umfangreiche politische Bildungsveranstaltungen anbieten sollte, verordnete er dezentrale Strukturen, um möglichst viele Menschen zu erreichen und diese möglichst eigenverantwortlich zu politisieren.29 Diese ersten Maßnahmen führten zu politischen Unruhen und verschreckten die britische Verwaltung vor Ort dermaßen, dass sie Nkrumah und andere UGCC-Führungspersönlichkeiten kurzzeitig festsetzte.30 Gleichzeitig setzte die Kolonialverwaltung eine Kommission unter der Leitung des Briten James Henley Coussey ein, um eine neue Verfassung für die Goldküste auszuarbeiten, die der kolonialen Bevölkerung mehr politische Partizipationsmöglichkeiten einräumen sollte. Konflikte entstanden freilich nicht nur entlang der Linie Kolonisierte/ KolonisatorInnen, sondern auch innerhalb der lokalen Bevölkerung selbst. In den Folgemonaten spitzten sich die Unstimmigkeiten über die politische Ausrichtung der UGCC zwischen den Führungspersonen der Partei zu. Nkrumah artikulierte ambitioniertere Unabhängigkeitsforderungen, als es die lokalen PolitikerInnen in der Goldküste bisher getan hatten, woran sich diese sehr störten.31 Im September 1948 wurde Kwame Nkrumah deshalb vom Posten des Generalsekretärs abberufen, was die Spannungen in der Partei aber keineswegs linderte. Nach wiederholten erfolglosen Schlich-

28

Vgl. Dipesh Chakrabarty, Europa als Provinz. Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung, 2010, Frankfurt, S. 46  ff. 29 Vgl. Bankole Timothy, Kwame Nkrumah from Cradle to Grave, 1981, Dorchester, S.  30  ff. 30 Ende Februar 1948 eskalierte die Situation rund um eine Protestkundgebung der Ex-Servicemen’s Union, bei der Veteranen des Zweiten Weltkriegs ihre Lebensumstände nach dem Krieg beklagten. An der Kundgebung beteiligte sich auch die UGCC. Die Polizei erschoss drei Veteranen, woraufhin Plünderungen in der ganzen Stadt folgten. Die Kolonialverwaltung sprach von kommunistischen Provokateuren und nahm die UGCC ins Visier, deren sechs Führungsfiguren sie festnahm. Vgl. ebd., S.  43  f. 31 Vgl. ebd., S. 47.

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tungsversuchen gründete Nkrumah schließlich im Juni 1949 die Convention People’s Party (CPP).32 In seiner neuen Funktion plante Nkrumah, mittels umfangreicher Demonstrationen und Aktionen zivilen Ungehorsams, eine politische Krise in der Goldküste herbeizuführen und dadurch ernsthafte Schritte Richtung Unabhängigkeit zu erzwingen.33 Bei dieser Strategie, die er unter den Begriff »Positive Action« fasste, orientierte er sich stark am indischen Weg in die Unabhängigkeit.34 Auf einer Rede im Januar 1950 erklärte Nkrumah die Herangehensweise wie folgt: »By Positive Action we mean the adoption of all legitimate and constitutional means by which we can cripple the forces of Imperialism in this country. The weapons of Positive Action are: 1. Legitimate political agitation; 2. Newspaper and educational campaigns; and 3. as a last resort, the constitutional application of strikes, boycotts and non-co-operation based on the principle of absolute nonviolence.«35

Als die Verhandlungen mit dem britischen Kolonialsekretär R.H. Saloway über einen Verfassungsvorschlag, den die von Nkrumah initiierte All Ghana (Gold Coast) People’s Representative Assembly ausgearbeitet hatte, ergebnislos verlaufen waren, kündigte Nkrumah einen Generalstreik an. In seinen Memoiren berichtet Nkrumah, wie Saloway ihn vor einem solchen Schritt gewarnt habe, und zitiert die rassistische Begründung desselben, in der dieser auf Unterschiede zwischen den InderInnen und den BewohnerInnen der Goldküste verwies: »Indien – das ist etwas ganz anderes. Der Inder war es gewöhnt, Not und Entbehrung zu erdulden, der Afrikaner dagegen ist längst nicht so ausdauernd. Denken Sie daran, was ich Ihnen sage, mein Lieber: innerhalb von drei Tagen wird das

32

Vgl. ebd., S.  40  f. Mit den Erbgebnissen des Coussey Committee, das Vorschläge für die Verbesserung der politischen Teilhabe der Schwarzen Bevölkerung der Goldküste erarbeitet hatte, zeigte sich Nkrumah unzufrieden, da diese nicht die sofortige Selbstverwaltung der Goldküste vorsahen. Vgl. ebd., S. 71. 34 Vgl. Mélanie Torrent, A ›New‹ Commonwealth for Britain? Negotiating Ghana’s PanAfrican and Asian Connections at the End of Empire (1951–8), in: The International History Review, 2015, New York, S. 1–41, hier: S. 5. 35 Kwame Nkrumah, zitiert nach Timothy, Nkrumah, S.  76  f. 33

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Volk Sie im Stich lassen – nein, sie werden niemals durchhalten. Ja, wenn dies Indien wäre…«36

Nkrumah hielt trotz der Warnung an dem Plan fest und rief im Januar 1949 die Bevölkerung zu einem gewaltfreien Generalstreik auf. Als es nach einigen Tagen bei einer weiteren Demonstration von Veteranen erneut zu Zusammenstößen kam und zwei Polizisten starben, ließ die britische Verwaltung Nkrumah und weitere Führungspersonen der CPP inhaftieren, dieses Mal für drei Jahre.37 Trotz der Inhaftierungen ihrer Führungsriege bereitete die CPP sich auf die für Februar 1951 geplanten Wahlen in der Goldküste vor. Die Partei trat bei den Wahlen an, obwohl sie mit der politischen Ordnung der Goldküste unzufrieden war,38 derzufolge so zentrale Politikfelder wie die Verteidigungs- und Außenpolitik auch nach den Wahlen in britischer Obhut bleiben sollten.39 Nach den Wahlen rechtfertigte Nkrumah seine Entscheidung gegen einen Boykott damit, dass man das Feld nicht den anderen Parteien habe überlassen dürfen.40 Er argumentierte, dass es taktisch mitunter sinnvoller sei, sich bestehenden strukturellen Begebenheiten kurzfristig zu fügen, wenn dies neue Optionen zu deren Überwindung schaffe. Diese Strategie hatte er von Delegierten aus seiner Zeit in Manchester adoptiert, die die nationalstaatliche Unabhängigkeit als einen notwendigen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer regionalen Integration erachteten.41 In den ersten Jahren nach seiner Rückkehr behielt Kwame Nkrumah auch den transnationalen Fokus seiner politischen Arbeit bei. Der Gründung der CPP in der Goldküste folgten Ableger in Liberia, Nigeria und der Elfenbeinküste.42 Wenngleich diese keine relevante politische Bedeutung in den jeweiligen Territorien entfalteten, ist doch deutlich Nkrumahs Anspruch 36 37 38 39 40 41

42

Vgl. Kwame Nkrumah, Schwarze Fanfare. Meine Lebensgeschichte, 1958, München, S.  116  f. Vgl. Timothy, Nkrumah, S. 54. Die CPP holte 31 von 34 Sitzen. Um weitere Unruhen zu verhindern, entließ die britische Kolonialverwaltung Nkrumah aus der Haft. Vgl. Timothy, Nkrumah, S. 81. Vgl. Torrent, Commonwealth, S. 1. Vgl. Timothy, Nkrumah, S. 83. Die Notwendigkeit dieser Schrittfolge betonte Nkrumah auch auf der ersten AAPC in Accra. Dort fasste er den Weg zu den Vereinigten Staaten von Afrika folgendermaßen zusammen: Zuerst nationale Unabhängigkeit, dann regionale Integration, zuletzt die Gründung der Vereinigten Staaten von Afrika. Vgl. Kapitel 5.1 Vgl. Timothy, Nkrumah, S. 51.

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erkennbar, eine Politik für ganz Westafrika und nicht nur für die eigene Kolonie zu gestalten. Im Sinne dieses Anliegens bereiste er im September 1948 und im März 1951 zuerst die frankophonen westafrikanischen Länder, um die bestehenden Kontakte zu vertiefen, 1952 dann auch, auf Einladung des liberianischen Präsidenten William Tubman, Liberia. Die britischen Beamten indes beobachteten Nkrumahs panafrikanische Bemühungen mit Argwohn.43 Nkrumah unternahm aber nicht nur selbst politische Reisen, sondern lud auch wiederholt antikoloniale AktivistInnen und Intellektuelle nach Accra ein, um mit ihnen transnationale politische Fragestellungen zu erörtern, beispielsweise den Nigerianer Nnamdi Azikiwe oder den westindischen Intellektuellen George Padmore, mit dem er 1951 regionale Integrationspläne besprach.44 1953 diskutierten in Kumasi auf Einladung Kwame Nkrumahs hin antikoloniale AktivistInnen die westafrikanische Integration. Zu Beginn dieser Konferenz erklärte Kwame Nkrumah, dass »[…], the purpose of this conference is to lay the foundations of greater African unity through regular conferences.«45 Die West African Nationalists’ Conference und Ghanas Unabhängigkeit

Wie bei den transnationalen Ideen war es ebenfalls Kwame Nkrumah, der die Strategie antikolonialer AkteurInnen, internationale Kongresse zu veranstalten, aus England in die Goldküste transferierte. Zum Unbehagen der britischen Kolonialverwaltung changierte Kwame Nkrumah bei solchen Anlässen wiederholt zwischen seinen Rollen als Premierminister der Goldküste und jener als transnational ausgerichtetem antikolonialen Aktivisten hin und her.46 Dieses Wechselspiel, das den Zweck hatte, die Restriktionen der jeweiligen Rollen zu unterlaufen, entwickelte sich in dieser Phase zu einem zentralen Charakteristikum seiner Politik. 43

Vgl. Torrent, Commonwealth, S. 6. Vgl. Sherwood, Pan-African Conferences. 1900–1953: What Did ›Pan-Africanism‹ Mean?, in: The Journal of Pan African Studies, Vol. 4, Nr. 10, S. 106–126, 2012, Los Angeles, hier: S. 115. 45 Vgl. TNA, FCO 141-4947-Congress of People Against Imperialism, 1953, Rede Kwame Nkrumahs auf der »West African Nationalists’ Conference«, 05. Dezember 1953. 46 »This presumably means, […], that Nkrumah has in fact fallen into his old error of assuming that he can do things in his capacity of Chairman of the C.P.P. that it would not be proper for him to do as Prime Minister of the Gold Coast.« Vgl. TNA, FCO 141/4944-Congress of People against Imperialism, 1950–3, Brief von T.B. Williamson vom Colonial Office an R.H. Saloway, Esq., C.M.G., C.I.E., O.B.E., 21. April 1953. 44

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Die von ihm ins Leben gerufenen Konferenzen läuteten zudem die Rezentrierung des Panafrikanismus ein. So tagten vom 04. bis 07. Dezember 1953 auf Einladung der CPP RepräsentantInnen westafrikanischer Kolonien in Kumasi auf der West African Nationalists’ Conference, wo VertreterInnen der Unabhängigkeitsbewegungen zusammenkommen sollten, um Pläne für eine regionale Föderation zu besprechen.47 In der Eröffnungsrede der Konferenz berief sich Kwame Nkrumah nicht auf den traditionellen Du Bois’schen Panafrikanismus, sondern auf Konzepte transnational agierender westafrikanischer Akteure wie Herbert Macaulay, Hutton Mills und Casely Hayford.48 Auch George Padmore, der als Beobachter und Vertreter Liberias an der Konferenz teilnahm, stufte in seiner Rede die Kumasi-Konferenz im Vergleich zu den vorherigen panafrikanischen Kongressen betreffs ihrer Bedeutung höher ein.49 So knüpfte die Konferenz an die frühe transnationale Vernetzung antikolonialer, westafrikanischer AktivstInnen an, leitete aber zugleich die Rezentrierung des Panafrikanismus ein. Denn im Bemühen, die afrikanischen AkteurInnen und Orte ins Zentrum der Dekolonisation zu stellen, grenzten sich die AusrichterInnen auch von den europäischen antikolonialen Gruppen ab, die zu dieser Zeit ebenfalls versuchten, eine Konferenz in Afrika durchzuführen.50 Das Ziel, die Fäden der Unabhängigkeitskämpfe selbst in der Hand zu halten, hatte dabei oberste Priorität. Die Delegationen vertraten die Goldküste, Nigeria, Sierra Leone, Gambia und Liberia, wozu noch Beobachter aus den USA kamen.51 Ursprüng47

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Vgl. Sherwood, Pan-African Conferences, S. 116. Ein Jahr später sollte eine Konferenz mit einer gesamtafrikanischen Ausrichtung stattfinden. Tatsächlich dauerte es aber bis 1958, ehe die All-African People’s Conference in Accra ausgerichtet wurde. Vgl. Kapitel 5.1. Vgl. TNA, FCO 141-4947-Congress of People Against Imperialism, 1953, Rede Kwame Nkrumahs auf der »West African Nationalists’ Conference«, 05. Dezember 1953. Vgl. TNA, FCO 141-4947-Congress of People Against Imperialism, 1953, Berichte über die West African Nationlists’ Conference. Gesendet vom Commissioner of Police (Special Branch) Accra an D.S.D. McWilliam Esq., M.B.E., Ministry of Defence and External Affairs, Accra., 10. Dezember 1953. Vgl. TNA, FCO 141/4944-Congress of People against Imperialism, 1950–3, Summary of Reports from Colonies of Proposed Pan-African Conferences, January 1952 to Date. Die Delegationen repräsentierten unterschiedliche Interessengruppen, Parteien und Gewerkschaften: die Goldküste, die Ashanti-Region, das britische Togoland, die nördlichen Gebiete der Goldküste, die Gold Coast TUC, den Nigerian Peoples Congress, den National Council of Nigeria and the Cameroons, die nigerianische

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lich sollte die Konferenz auch von Delegierten aus frankophonen Kolonien besucht werden,52 doch die britische Kolonialverwaltungen verhinderte deren Einreise.53 Vor dem Hintergrund der Debatten über regionale Integration, die die VertreterInnen der französischen Kolonien in Afrika führten, ist es möglich, dass der Ausschluss dieser Delegierten auf Absprachen zwischen Großbritannien und Frankreich zurückzuführen ist. Die Debatten über eine regionale Integration, die direkt die Grenzen ihrer Kolonialreiche betreffen würde, gingen diesen vermutlich zu weit.54 Einige prominente Delegierte konnten entgegen ihrem Wunsch ebenfalls nicht persönlich an der Konferenz teilnehmen, unter ihnen der liberianische Minister Milton Margai und der liberianische Oppositionelle Bankole Bright sowie der spätere togoische Präsident Sylvanus Olympio. Genau wie die Vertreter der antikolonialen Organisationen, die ihren Sitz in London hatten (u.a. Fenner Brockways Congress of People Against Imperialism), richteten sie aber Grußbotschaften an die Konferenz. Ca. 2000 Personen besuchten die öffentlichen Teile der Konferenz.55 In ihren Reden kritisierten die Delegierten die britische Regierung für den »Mau-Mau-Krieg«, bekannten sich zur westafrikanischen Einheit und

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55

CPP, die Federation of Nigerian Women und die Northern Elements Progressive Union. Die ghanaischen Oppositionellen Danquah, Busia und Nii Amaa-Ollenu verzichteten trotz Einladung darauf, an der Konferenz teilzunehmen. Die Gelegenheit, transnationale Kontakte zu knüpfen, ließen sie bei der AAPC fünf Jahre später nicht noch einmal verstreichen. Vgl. TNA, FCO 141-4947-Congress of People Against Imperialism, 1953, Berichte über die West African Nationlists’ Conference. Gesendet vom Commissioner of Police (Special Branch) Accra an D.S.D. McWilliam Esq., M.B.E., Ministry of Defence and External Affairs, Accra., 10. Dezember 1953. Es sollten Delegationen aus dem Senegal, der Elfenbeinküste, Togo und Guinea eingeladen werden. Vgl. TNA, FCO 141/4944-Congress of People against Imperialism, 1950–3, Entwurf eines Einladungsschreibens. Marika Sherwood beschreibt, wie britische Regelungen die Teilnahme Delegierter der französischen Kolonien verhinderten, während die offizielle Sprachregelung lautete, dass es keine Vorbehalte gegen die Konferenz gebe. Vgl. Sherwood, PanAfrican Conferences, S.  117  f. Zu den Debatten vgl. Frederick Cooper, Alternatives to Nationalism in French Africa. 1945–1960, in: Jost Düllfer und Marc Frey (Hg.), Elites and Decolonization in the Twentieth Century, 2011, Basingstoke, S. 110–137. Unter den BesucherInnen waren vermutlich viele Anhänger der CPP. Vgl. TNA, FCO 141-4947-Congress of People Against Imperialism, 1953, Berichte über die »West African Nationlists’ Conference«. Gesendet vom Commissioner of Police (Special Branch) Accra an D.S.D. McWilliam Esq., M.B.E., Ministry of Defence and External Affairs, Accra., 10. Dezember 1953.

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beschworen einen gemeinsamen Unabhängigkeitskampf. Die nigerianische Intellektuelle Nnamdi Azikiwe verwies auf internationale Zusammenschlüsse wie die NATO, die Pan-Amerikanische Union und die OSZE und verlautbarte anschließend die Losung, dass desgleichen nationale Freiheit ohne westafrikanische Einheit bedeutungslos sei. Kwame Nkrumah indes war in der Eröffnungsrede bereits einen Schritt weiter gegangen. Dort hatte er verkündet, dass die Unabhängigkeit der Goldküste nichts wert sei, solange der Rest Westafrikas kolonisiert bleibe. Das Ziel müsse es vielmehr sein, die Unabhängigkeiten in einem vereinten Westafrika zu erlangen,56 da die Länder einzeln zu schwach seien, als dass sie ihre Unabhängigkeiten würden gestalten und erhalten können. Die nicht-öffentlichen Sitzungen tagten zu den Themen »Social and Educational Problems of the Various West African Colonies«, »Political and Economical Problems of West Africa« und »General Discussion on Africa and the Colonies and Resolution«. Dabei diskutierten die Delegierten soziale und wirtschaftliche Probleme der Kolonien sowie mögliche Maßnahmen, um die Gesellschaften einander näher zu bringen. Auch bekannten sie sich darüber hinaus zur West African Union und zu föderalen Strukturen.57 Aus taktischen Erwägungen sollte Großbritannien über die Absicht, eine Union zu gründen, informiert werden, da man verdeutlichen wollte, dass die westafrikanische Integrationspläne nicht in Konkurrenz zum Commonwealth standen. Diese Taktik sollte sich in der Tat auszahlen, denn ganz im Gegensatz zur französischen Regierung und Verwaltung, die durch die transnationalen Pläne für eine westafrikanische Union die eigenen (nach-) kolonialen Ordnungskonzepte gefährdet sah, fühlte sich Großbritannien von diesen Plänen nicht angegriffen.58 56

Vgl. TNA, FCO 141-4947-Congress of People Against Imperialism, 1953, Berichte über die West African Nationlists’ Conference. Gesendet vom Commissioner of Police (Special Branch) Accra an D.S.D. McWilliam Esq., M.B.E., Ministry of Defence and External Affairs, Accra., 10. Dezember 1953. 57 Vgl. ebd. 58 Die britische Regierung und Verwaltung steckte durch die Konferenz in einer Zwickmühle. Einerseits wollten sie diese nicht verhindern, um die antikoloniale Stimmung nicht weiter anzuheizen. Andererseits mussten sie sich gegenüber ihrem europäischen Partner loyal zeigen. So wurden die Gouverneure in den westafrikanischen Kolonien dazu angehalten, möglichst viele Informationen zu sammeln, um diese an französische Kollegen weiterzuleiten. Der britische Secretary of State sei verpflichtet, seinen französischen Kollegen zu informieren. Vgl. TNA, FCO 141/4944-Congress of People against Imperialism, 1950–3, Brief von T.B.

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Während Nkrumah sich außenpolitisch profilieren und seinen transregionalen Führungsanspruch artikulieren konnte, erwarteten ihn innenpolitisch neue Herausforderungen. Unmittelbar nach der Konferenz forderten oppositionelle Gruppen seinen politischen Machtanspruch heraus. Zwar gewann die CPP 1954 bei Wahlen 72 der 104 Wahlbezirke. Doch innerhalb der Goldküste formierte sich eine stärker werdende Opposition, die sich Nkrumah und der CPP entgegenstellte. Dies geschah vornehmlich abseits der Hauptstadt Accra, in der die CPP den größten Rückhalt genoss.59 Im selben Jahr breiteten sich auch Sezessionsbewegungen in der Aschantiregion aus, die das im September gegründete National Liberation Movement vorantrieb. Da sich in der Folge ein ernster, gewaltsamer Konflikt entwickelte, stellte die britische Regierung die Bedingung, dass es Neuwahlen in der Goldküste geben müsse, ehe die Kolonie unabhängig werde. Bei den Wahlen im Frühjahr 1956 schaffte es die NLM aber nicht, die CPP zu verdrängen, die 71 der 104 Sitze im Parlament erlangte. Mit diesem Mandat im Rücken forderte Nkrumah im August 1956 die Unabhängigkeit der Goldküste.60 Am 07. März 1957 erlangte Ghana dann die formale Unabhängigkeit und etablierte sich in der Folge als ein Zentrum der afrikanischen Dekolonisation. Zusammenfassung

Für Kwame Nkrumah, der nach seiner Rückkehr aus England in der Goldküste politische Führungsaufgaben übernahm, hatte das Streben nach formaler nationaler Unabhängigkeit nicht automatisch zur Folge, dass transregionale oder transnationale Ordnungsvorstellungen ad acta zu legen seien. Im Gegenteil: Frühzeitig etablierte er in der Goldküste politische Ordnungsvorstellungen, mit denen er sich in seiner Zeit im Exil auseinandergesetzt hatte, Williamson vom Colonial Office an R.H. Saloway, Esq., C.M.G., C.I.E., O.B.E., 21. April 1953. 59 Nkrumahs politischer Machtanspruch wurde auch in anderen Kontexten herausgefordert. Bereits 1949 hatte sich im togoischen Mandatsgebiet der Togoland Congress gegründet, der einer Assoziierung mit der Goldküste kritisch gegenüberstand. 1954 gründete K.A. Busia die Ghana Congress Party, während sich im Norden die Northern People’s Party etablierte, beides Parteien, die in Opposition zur CPP standen. Weiteren Unmut zog sich die CPP von Seiten der Chiefs zu, die ab 1952 nach und nach durch neue lokale Autoritäten ersetzt wurden. 1953 lehnte die CPP den Vorschlag ab, eine Art Oberhaus einzuführen, in dem traditionelle Führer ihren Platz hätten finden können. Vgl. Roger Gocking, The History of Ghana, 2005, Westport, S. 104 und 106. 60 Vgl. ebd., S.  108  ff.

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und war bestrebt, die nationale Unabhängigkeit in einen transnationalen Rahmen einzubetten. Schließlich kopierte Nkrumah auch diverse Strategien, die er in Europa kennengelernt hatte: So richtete er beispielsweise 1953 in Kumasi einen antikolonialen Kongress aus, auf den nach der formalen Unabhängigkeit des Landes weitere folgen sollten.61

3.3 Nkrumahs Vision der Vereinigten Staaten von Afrika. »Afrikanische« Konzepte einer postkolonialen Ordnung? Im Sinne seiner Panafrikanischen Vision war es ein zentrales Anliegen Nkrumahs, eigenständige afrikanische Konzepte zu entwickeln, die die Eigenart der afrikanischen Geschichte und Kultur berücksichtigen würden und frei von kolonialistischem Erbe wären. Da Nkrumah sich bei diesem Abgrenzungsversuch allerdings in beträchtlichem Maß an den dominanten Modernisierungs- und Entwicklungsdiskursen der Zeit orientierte, will ich untersuchen, inwiefern seine Konzepte tatsächlich genuin »afrikanisch«62

61 62

Vgl. Kapitel 5. Das Kapitel kann dem umfangreichen Gesamtwerk Kwame Nkrumahs aus Kapazitätsgründen nicht gerecht werden. Einführende Sekundärliteratur vgl. Basil Davidson, Black Star. A View of the Life and Times of Kwame Nkrumah, 2007, Oxford; Peter Jones, Kwame Nkrumah and Africa, 1965, London; John Phillips, Kwame Nkrumah and the Future of Africa, 1960, London; Francis Botchway, Political Development and Social Change in Ghana. Ghana under Nkrumah, 1972, Buffalo; Kwame Botwe-Asamoah, Kwame Nkrumah’s Politico-Cultural Thought and Policies. An African-Centered Paradigm for the Second Phase of the African Revolution, 2005, New York; Charles Boateng, The Political Legacy of Kwame Nkrumah of Ghana, 2003, Lewiston; Ama Biney, The Political and Social Thought of Kwame Nkrumah, 2011, New York. Primärliteratur: Grundsätzlich kann die Primärliteratur in zwei Gruppen aufgeteilt werden: Einerseits jene politische Literatur, die Nkrumah während seiner Regierungszeit in Ghana schrieb: Kwame Nkrumah, I Speak of Freedom, 1961, London; ders., Towards Colonial Freedom, 1962, London; ders., Africa Must Unite, 1963, London; ders. Neo-Colonialism: The Last Stage of Imperialism, 1965, London; ders. The Autobiography of Kwame Nkrumah, 1959, London. Andererseits jene Literatur, die Nkrumah während seiner Zeit im Exil in Guinea schrieb und in einem von ihm selbst gegründeten Verlag herausgab: Kwame Nkrumah, Handbook of Revolutionary Warfare, 1968, London; ders., Axioms of Kwame Nkrumah, 1969, London; ders. The Big Lie, 1969, London; ders., A Call for Positive Action and Armed Struggle, 1968, London; ders., Challenge of the Congo, 1967, New York; ders., ›Civilian Rule‹ Fraud, 1968, London; ders., Class

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und nicht vielmehr eine Synthese aus Kommunismus und Kapitalismus waren. Nkrumahs Panafrikanismus

Bereits in seinen frühen politischen Büchern nimmt Kwame Nkrumah eine gesamtafrikanische Perspektive ein. So steht schon seinem 1961 erschienenen Buch I Speak of Freedom, das er inmitten der Kongokrise dem getöteten Kongolesen Patrice Lumumba widmete,63 ein Foto voran, das von einer solchen gesamtkontinentalen Perspektive zeugt. Die Aufnahme ist auf der Unabhängigkeitsfeier Ghanas entstanden und hält den ikonographischen Moment fest, in dem Nkrumah mit einer Fackel ein Feuer entflammt. Der Bildtitel »Lighting the Flame of African Freedom« würdigt die Gründung des ghanaischen Nationalstaates nicht als Endpunkt eines Prozesses oder als Startschuss zu einer nationalen Geschichte, sondern verweist stattdessen auf den Anfangspunkt einer gemeinsam zu schreibenden afrikanischen Geschichte und Zukunft, in deren Mitte Kwame Nkrumah sich selbst und Ghana sah. So hatte Nkrumah in der Tat den Anspruch, gesamtafrikanische Konzepte für eine postkoloniale Ordnung bereitzustellen. Diese sollten sich von den europäischen, US-amerikanischen und sowjetischen Konzepten abgrenzen, um die Beziehungen mit diesen Ländern und Regionen neu und gleichberechtigt gestalten zu können. Zudem dokumentierte er mit seinen Politik­linien einen innerafrikanischen Führungsanspruch, wobei er sich deutlich von den »traditionellen« afrikanischen Politik- und Wirtschaftskonzepten distanzierte. Neben dem Ausbau des eigenen Machtanspruchs war es das übergeordnete Motiv von Nkrumahs politischem Denken, die tatsächliche Eigenständigkeit des gesamten Kontinents voranzubringen. Er argumentierte, dass es notwendig sei, die formale Unabhängigkeit durch eine politische und ökonomische Emanzipation von Europa zu festigen.64 Auf der Suche nach geeigneten »Entwicklungsschritten« beobachtete er die globalen sozioökonomischen Debatten der Zeit, zuvorderst diejenige um Kommunismus und Kapitalismus. Dabei sprach Nkrumah sich zwar dagegen aus, den Struggle in Africa, 1970, London; ders., Dark Days in Ghana, 1968, London; ders., Voice from Conakry, 1968, London. 63 Vgl. Kwame Nkrumah, I Speak of Freedom, 1961, London. Kurzbiographie von Patrice Lumumba siehe S. 235. 64 Vgl. Botwe-Asamoah, Thought and Policies, S. 50.

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afrikanischen Ländern vorgefertigte Konzepte einfach überzustülpen, hinterfragte das dominante Fortschrittsdenken der Zeit aber nicht. Vielmehr wollte er die ökonomische und soziale Transformation der afrikanischen Gesellschaften nach westlichem Vorbild in Einklang mit den afrikanischen Lebenswelten gestalten. Das Anliegen, die nationale Unabhängigkeit nicht als bloß formalen Schritt zu betrachten, sondern konkret umzusetzen, teilte Nkrumah mit anderen politische Bewegungen und Denkrichtungen der Zeit. Schon 1955 hatten auf der Bandung-Konferenz die VertreterInnen der afrikanischen und asiatischen Staaten nach ihrer formalen Unabhängigkeit den Anspruch formuliert, eine eigenständige Position im globalpolitischen Gefüge einzunehmen.65 Auch hatten schon andernorts zeitgenössische BeobachterInnen neben den negativen ökonomischen und politischen Folgen des Kolonialismus dessen kulturpolitischen und psychologischen Auswirkungen kritisch diskutiert.66 Ann Laura Stoler und Frederick Cooper haben darauf hingewiesen, dass Auseinandersetzungen über politisches und ökonomisches Wissen in der Dekolonisation stets auch konkrete politische Kämpfe waren.67 Vor diesem Hintergrund sind Nkrumahs Konzepte als Ausdruck eines konkreten machtpolitischen Anspruchs zu verstehen, der sich sowohl gegen die beiden dominierenden Systeme der Zeit als auch gegen eine Verherrlichung der traditionellen afrikanischen Gesellschaftssysteme richtete.

65

Zur Bandung-Konferenz vgl. Kapitel 2.3. 1961 gründeten VertreterInnen unabhängiger Staaten mit demselben Ziel das Non-Aligned Movement. Vgl. Jürgen Dinkel, Die Bewegung Bündnisfreier Staaten. Genese, Organisation und Politik. 1927–1992, 2015, Berlin; Nataša Mišković (Hg.), The Non-Aligned Movement and the Cold War. Delhi, Bandung, Belgrad, 2014, London. 66 Zu den psychologischen Folgen des Kolonialismus vgl. Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, 1981, Frankfurt, sowie ders., Black Skin, White Masks, London, 1986. Bekanntheit erlangte auch die Négritude-Bewegung, die maßgeblich der erste senegalesische Präsident Léopold Senghor und der karibische Dichter Aimé Césaire geprägt hatten. Die Négritude-Bewegung zielte darauf ab, das afrikanische Selbstbewusstsein durch den Verweis auf eine glorreiche präkoloniale Kultur und Geschichte aufzuwerten. Einführend vgl. Francis Abiola Irele, The Négritude Moment. Explorations in Francophone African and Caribbean Literature and Thought, 2011, Trenton; Pierre Akinwande, Négritude et francophonie. Paradoxes culturels et politiques, 2011, Paris. 67 Vgl. Stoler und Cooper, Zwischen Metropole und Kolonie, S. 45.

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Nkrumahs Konzepte für eine panafrikanische Identität

African Personality, African Unity und African Socialism hießen die Konzepte, die laut Nkrumah eine unabhängige afrikanische Entwicklung ermöglichen würden. Hinter der Einführung dieser Konzepte stand Nkrumahs Überzeugung, dass im Rahmen des afrikanischen Unabhängigkeitskampfes die Entwicklung politischer Ordnungskonzepte nicht mehr nur Sache der europäischen und nordamerikanischen Metropolen sein dürfe, sondern auch in Ghana selbst vollzogen werden müsse.68 Mit seinem Konzept der African Personality reihte sich Nkrumah in eine Linie anderer antikolonialer Intellektueller ein, die gemeinsame afrikanische Grundwerte propagierten.69 Nkrumah führte die charakteristischen afrikanischen Gemeinsamkeiten auf zweierlei zurück: Zum einen auf eine ruhmreiche präkoloniale, politische, soziale und kulturelle afrikanische Tradition, die er allerdings nicht näher bestimmte, zum anderen auf die grenzübergreifende Erfahrung des Kolonialismus, der die AfrikanerInnen vom gleichberechtigten Menschsein ausgeschlossen habe.70 Aus der African Personality wiederum leitete Nkrumah in einem Zirkelschluss seinen spezifischen Handlungsauftrag ab, ebensolche Konzepte zu entwickeln. So müsse ein genuin afrikanisches Ordnungskonzept entworfen werden, das zur African Personality passe.71 Entwicklungswege nach US-amerikanischem oder sowjetischem Vorbild hingegen seien für (nach-) koloniale Gesellschaften ungeeignet. Im Licht des Arguments, dass andere vormals kolonisierte Länder ähnliche historische und gegenwärtige Rahmenbedingungen aufwiesen und sich nun mit ähnlichen Transformationsprozessen auseinandersetzen würden, erschienen Nkrumah stattdessen Süd-Süd-Kooperationen vielversprechend.72 Zur Weiterentwicklung der African Personality sollten kultur- und bildungspolitische Maßnahmen beitragen. Höhere Bildungsreinrichtungen in Ghana sollten derart afrikanisiert werden, dass sie, statt einfach die Lehr-

68 69 70 71 72

Nkrumah sicherte sich mit der Planwirtschaft eine noch größere Machtfülle. Vgl. Boateng, Nkrumah, S. 45. Unter anderem Edward Blyden, Jomo Kenyatta und Nnamdi Azikiwe. Vgl. BotweAsamoah, Thought and Policies, S. 76. Vgl. Nkrumah, Freedom, S. 125–134. Vgl. Botwe-Asamoah, Thought and Policies, S. 85. Vgl. Nkrumah, Africa Must Unite, S. 118.

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pläne westlicher Hochschulen zu übernehmen, sich zukünftig an den Spezifika der afrikanischen Kultur und Gesellschaft zu orientieren hätten.73 Kraft der African Unity hingegen sollten die einzelnen afrikanischen Länder und Regionen wirtschaftliche und politische Eigenständigkeit erlangen. In seinem Buch Africa Must Unite, das 1961 erschien und George Padmore gewidmet ist, schreibt Kwame Nkrumah, dass African Unity eine Notwendigkeit sei, die sich aus kolonialen und neokolonialen Verhältnissen ergebe.74 Die Kolonialwirtschaft nämlich sei darauf ausgerichtet, die Ressourcen im Interesse der kolonialen Metropolen einzusetzen. Gegenwärtige Bündnisse mit europäischen Ländern, wie sie in dieser Zeit in der Assoziierung überseeischer Gebiete mit der EWG bestanden, würden neokoloniale Abhängigkeiten schaffen.75 Zukünftig sollten die afrikanischen Länder, statt als bloße Rohstofflieferanten für die kolonialen Metropolen zu fungieren, die vorhandenen Ressourcen vielmehr für das eigene Fortkommen nutzen.76 Die innerafrikanische wirtschaftliche Integration müsse gefördert und fairer Handel untereinander ausgebaut werden. Nkrumah schlug vor, die hierfür notwendige Infrastruktur – Schienen, Häfen, Flughäfen – durch gemeinsame Anstrengungen zu tragen. Denn einzelne Staaten seien nicht in der Lage, die finanziellen und technischen Aufgaben zu stemmen, die vor ihnen lägen.77 Nkrumahs Vorstellungen waren aber keineswegs genuin afrikanisch. Er bediente sich vielmehr europäischer und nordamerikanischer Vorlagen und führte dabei gleichermaßen den Deutschen Zollverein, die nordamerikanischen britischen Kolonien und die UdSSR als Positivbeispiele an.78 Sie alle würden belegen, dass in Einheit Stärke und Unabhängigkeit gefunden werde. Auch waren Nkrumahs Vorstellungen nicht frei von Widersprüchen: So forderte er zwar einerseits, dass die Gegenwart und die Zukunft mit eigenen Ideen gestaltet werden müssten, da es keine Musterbeispiele mehr gebe, denen afrikanische Gesellschaften einfach folgen könnten;79 andererseits schrieb er den afrikanischen AkteurInnen zugleich die Fortschreibung 73 74 75 76 77 78 79

Vgl. Botwe-Asamoah, Thought and Policies, S.  71  ff. Vgl. Nkrumah, Africa Must Unite, S.  150  ff. Vgl. ebd., S.  159  ff. Vgl. Nkrumah, Africa Must Unite, S. 150. Vgl. ebd., S.  154  ff. Vgl. ebd., S. 155, 159, 166. Vgl. ebd., S. 166.

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des Modernisierungsdiskurses vor, wie es beispielsweise im Konzept des African Socialism zum Ausdruck kam. Hinter African Socialism verbirgt sich eine Mischung aus kommunistischen und kapitalistischen Modernisierungswegen, deren Politikziele Nkrumah wie folgt skizziert: »We want to see full employment, good housing and equal opportunity for education and cultural advancement for all the people up to the highest level possible.«80 Die Ziele sollten durch eine Planwirtschaft erreicht werden, da Ghana  – dem Kolonialismus geschuldet  – nicht über ausreichende Investitionsmittel und technisches Wissen verfügte, um industrialisiert werden zu können.81 Nkrumahs Sozialismus wies aber auch kapitalistische Elemente auf, was sich z.B. darin zeigt, dass in den konkreten planwirtschaftlichen Schritten ausländische Firmen und deren Kapital stets eingeplant waren.82 Der Einfluss George Padmores

Kwame Nkrumah entwickelte diese politischen Konzepte aber nicht alleine, sondern war in seinem Denken und Wirken stark vom aus der Karibik stammenden George Padmore geprägt. Sie hatten einige Zeit gemeinsam in England verbracht und gemeinsam am fünften Panafrikanischen Kongress in Manchester teilgenommen. In Ghana war Padmore eine der wichtigsten Stimmen in Nkrumahs Umfeld, die dessen transnationale, panafrikanische Politik unterstützten. Beide teilten die Grundidee, dass afrikanische Länder sich im Kontext des Kalten Krieges keinem der beiden Lager anzuschließen und stattdessen einen eigenen Weg einzuschlagen hätten.83 Padmore beschränkte seine politische Arbeit allerdings nicht auf Ghana, da es sein Ziel war, eine politische und soziale Revolution auf dem gesamten Kontinent zu verbreiten.84 Nachdem Padmore Nkrumah bereits während dessen Zeit in der Goldküste beratend zur Seite gestanden hatte, machte dieser ihn nach der

80

Vgl. ebd., S. 119. Vgl. Boateng, Nkrumah, S. 45. 82 Vgl. Nkrumah, Africa Must Unite, S. 121. Für diese Inkonsistenz wurde er scharf kritisiert. Vgl. Boateng, Nkrumah, S. 46. 83 Vgl. Kwadwo Afari-Gyan, Kwame Nkrumah, George Padmore and W.E.B. Du Bois, in: Research Reviews (New Series), Vol. 7, Nr. 1/2, 1991, Legon, S. 1–10, hier: S. 3. 84 Vgl. James, Padmore, S. 166. 81

3 Die Entwicklung panafrikanischer Ideen | 83

Unabhängigkeit Ghanas zu seinem Special Adviser on African Affairs.85 Padmore half Nkrumah dabei, dessen dreigliedrige Afrikapolitik und dessen machtpolitischen Anspruch nach innen und außen durchzusetzen. Neben der Beratung Nkrumahs betreffs dessen Afrikapolitik bestand seine Aufgabe vor allem darin, Kontakte zu antikolonialen afrikanischen AkteurInnen und Bewegungen zu unterhalten und diese bei ihrer politischen Arbeit zu unterstützen. Damit bewegte sich Padmore, der nur Kwame Nkrumah gegenüber rechenschaftspflichtig war, in einem politischen und rechtlichen Graubereich. Padmore war wie Nkrumah von westlich und kommunistisch dominierten Entwicklungs- und Modernisierungsdiskursen geprägt, von denen er sich zugleich abzugrenzen versuchte, und lehnte ebenfalls die traditionellen afrikanischen Ordnungskonzepte ab. Schon während seiner frühen Besuche in der Goldküste Anfang der 1950er-Jahre hatte er mögliche »Entwicklungshemmnisse« ausgemacht und gemahnt, dass sowohl die durch die KolonisatorInnen geschaffenen territorialen Grenzen wie auch die traditionellen politischen Systeme noch nach den Unabhängigkeiten in deren Sinn fortzuwirken drohten.86 Bis zu seinem Tod war Padmore maßgeblich an der Organisation und inhaltlichen Vorbereitung der internationalen Konferenzen beteiligt, die in Accra zwischen 1958 und 1960 stattfanden.87 Nkrumah und Padmore versuchten dort gemeinsam, ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Konzepte zu platzieren und damit die innerafrikanischen Debatten über die postkolonialen Ordnungen zu beeinflussen.88 Zusammenfassung

Die Formulierung gesamtafrikanischer Wirtschafts- und Politikvorstellungen dokumentierte nach innen wie außen Nkrumahs Macht- und Vertretungsanspruch. Mit seinen politischen Konzepten versuchte er, sich gleichzeitig von den dominanten kommunistischen und kapitalistischen Ordnungssystemen wie von den traditionellen afrikanischen Gesellschafts85

Er hatte diesen Posten bis zu seinem Tod im August 1959 inne. Marika Sherwood, George Padmore and Kwame Nkrumah: A Tentative Outline of Their Relationship, in: Fitzroy Baptiste und Rupert Lewis (Hg.), George Padmore. Pan-African Revolutionary, 2009, Kingston, S. 162–182, hier: S. 172. 86 Vgl. Sherwood, Padmore and Nkrumah, S. 165. 87 Vgl. Afari-Gyan, Padmore, S.  4  f. 88 Vgl. Boateng, Nkrumah, S. 47  f. Vgl. auch Kapitel 5.1.

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formen abzugrenzen. Zudem wurde deutlich, dass seine Ideen von Kontakten und vom Erfahrungshorizont seiner Exilzeit sowie von westlichen hegemonialen Diskursen geprägt waren.89 Nach der formalen Unabhängigkeit beschränkte die ghanaische Regierung sich jedoch nicht auf die Rolle einer Ideengeberin der Dekolonisation. Vielmehr gründete sie etliche Einrichtungen, die den afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen praktische Unterstützung boten.

3.4 Accra als Exil. Antikoloniale Einrichtungen und AktivistInnen im postkolonialen Accra Nach Erlangung der Unabhängigkeit begann die ghanaische Regierung ab 1958 gezielt in Accra diverse semi-offizielle Einrichtungen ins Leben zu rufen und zu finanzieren, die UnabhängigkeitskämpferInnen ausbildeten und mit der nötigen Infrastruktur für deren politische Arbeit austatteten: »It is true to say that they [die antikolonialen Akteure] found succour and support in our revolutionary stand and we did all we could to give them necessary guidance and help in practical terms.«90

Es war ein erklärtes Ziel ghanaischer Politik, ein transnationales Netzwerk antikolonialer AktivistInnen in Afrika zu etablieren und so die neuen politischen Handlungsräume zu nutzen, die sich diesbezüglich durch die formale Unabhängigkeit ergaben. In diesem Zusammenhang förderte die ghanaische Regierung den Zuzug antikolonialer AkteurInnen nach Accra. Die Regierung war daran interessiert, ein breites Bündnis für ihre panafrikanischen Pläne aufzustellen. Als Gegenleistung für ihre Unterstützung

89

Zwar hielt er sich aus dem globalen Deutungskampf um den wahren Sozialismus heraus. Dennoch war es ihm wichtig, dass African Socialism als ein wissenschaftlicher Sozialismus ernstgenommen wurde. In diesem Kontext ist auch seine Publikation Consciencism zu verstehen. Vgl. Kwame Nkrumah, Consciencism. Philosophy and Ideology for Decolonization and Development with Particular Reference to the African Revolution, 1964, London. 90 Das Zitat entstammt Tawia Adamafio. Er hatte in der Nkrumah-Regierung verschiedene Positionen inne. Vgl. Tawia Adamafio, By Nkrumah’s Side. The Labour and the Wounds, 1982, Accra, S. 103.

3 Die Entwicklung panafrikanischer Ideen | 85

erhoffte sie sich für die Zeit nach den Unabhängigkeiten die Loyalität der Begünstigten.91 So entstanden in Accra nach der Unabhängigkeit mit dem African Affairs Committee (AACom), dem Bureau of African Affairs (BAA) und dem African Affairs Centre (AAC) mehrere semi-offizielle Einrichtungen, deren Aufgabe es war, die Arbeit der afrikanischen antikolonialen AkteurInnen in Accra und in den afrikanischen Kolonien zu unterstützten. Aus vielen afrikanischen Ländern und kolonialen Metropolen reisten und zogen Personen in die ghanaische Hauptstadt, um von dort aus ihre antikoloniale Arbeit voranzutreiben. Der Kampf um die nationalen Unabhängigkeiten fand also sowohl in den Kolonien als auch im Exil statt. Accra entwickelte sich dergestalt zu einem regelrechten »Mekka« für antikoloniale AkteurInnen, wie es Jeffrey Ahlman jüngst pointiert ausgedrückt hat.92 Bis zum Putsch 1966 lebten unter anderem AktivistInnen aus Algerien, Südafrika, Nord- und Süd-Rhodesien, Tanganjika, Kamerun und Angola in der ghanaischen Hauptstadt,93 wo Parteien und Bewegungen unterschiedlicher und zum Teil rivalisierender Gruppen aus den Kolonien ihre Büros unterhielten.94 Ghana war durch seine frühe Unabhängigkeit folglich nicht nur ein Symbol der afrikanischen Dekolonisation, sondern auch ein Ort, an dem diese aktiv weiterverhandelt wurde.95 91

92

93 94 95

Die Hoffnung war, dass sich die Unterstützung nach den Unabhängigkeiten auszahlen würde, wenn manche der ehemaligen AktivistInnen von hohen politischen Ämtern aus panafrikanische Ziele in den dann unabhängigen afrikanischen Staaten verfolgen würden. Vgl. Frank Gerits, The Ideological Scramble for Africa. The US, Ghanaian, French and British Competition for Africa’s Future. 1953–1963, (unveröffentlichte Dissertation, verteidigt im November 2014 am European University Institute Florence (Department of History and Civilization)), S. 128. Vgl. Jeffrey Ahlman, Road to Ghana: Nkrumah, Southern African and the Eclipse of a Decolonizing Africa, in: Kronos, Nr. 37 (Rethinking Cold War History in Southern Africa), 2011, Bellville, S. 23–40, hier: S. 24. Vgl. ebd., S. 26. Z.B. die südafrikanischen African National Congress und Pan-African Congress. Vgl. ebd., S. 31. Unmittelbar nach dem Putsch gegen die Nkrumah-Regierung in Ghana im Februar 1966 veröffentlichte das Informationsministerium der neuen Regierung einen Band mit dem Titel »Nkrumah’s Subversion in Africa«. Die neue Regierung hatte sich dazu entschieden, mit der Afrikapolitik der Nkrumah-Regierung zu brechen und Informationen über deren Aktivitäten zu veröffentlichen. In der Publikation waren detailliert Aktionen des BAA aufgeführt. Besonders brisant waren Enthüllungen über militärische Trainings, die antikoloniale AkteurInnen durch sowjetische und chinesische kommunistische Kampfausbilder in Ghana seit 1962 erhal-

86 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Das AACom

Das African Affairs Commitee war eine Art Dachorganisation der semi-offiziellen Einrichtungen in Accra. Dabei handelte es sich um eine Ideen- und Politikschmiede, die seit 1959 regelmäßig im Regierungssitz Flagstaff House tagte, um afrikapolitische Fragestellungen zu besprechen und sich über Nöte und Wünsche antikolonialer AktivistInnen in Accra und andernorts zu beraten. Die Zusammensetzung des AACom entsprach dessen transnationaler Ausrichtung. Neben Kwame Nkrumah gehörten dem Lenkungsgremium sowohl ghanaische Regierungsvertreter als auch zivilgesellschaftliche, zum Teil nicht-ghanaische Akteure an. Zu den Mitgliedern gehörten A.K. Barden, der das BAA leitete, der Guyaner Ras T. Makonnen, der das African Affairs Centre leitete, der Guineer Abdoulaye Diallo96, der seinerzeit Generalsekretär der internationalen Organisation All-African People’s Conference war, sowie die Ghanaer Kofi Baako (Außenminister) und John Tettegah (Gewerkschaftsführer).97 Im AACom interagierten die Mitglieder unabhängig von ihren politischen Ämtern und nationalen oder kolonialen Hintergründen miteinander. Allgemeine politische Diskussionen fanden in den Sitzungen genauso ihren Platz wie der Austausch von Geheimdienstinformationen oder Diskussionen über internationale Konferenzen. Darüber hinaus gestalteten sie abwechselnd die Propagandanachrichten, die Radio Ghana täglich ausstrahlte, und ten hatten. Vgl. Ministry of Information (Hg.), Nkrumah’s Subversion in Africa. Documentary evidence of Nkrumah’s interference in the affairs of other African States, 1966, Accra. Noch immer haben semi-offizielle Einrichtungen wie das BAA in der Forschung zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Jean Ahlman und Frank Gerits haben in dieser Hinsicht jüngst wertvolle Grundlagenforschung betrieben. Leider aber haben es sowohl Ahlman wie Gerits versäumt, die historische Entwicklung des BAA systematisch darzustellen (Vgl. Jeffrey Ahlman, Managing the Pan-African Workplace: Discipline, Ideology, and the Cultural Politics of the Bureau of African Affairs, in: Ghana Studies, Nr. 15/16, 2012/2013, Madison, S. 337–371 und Frank Gerits, Scramble for Africa). Denn nach wie vor wird fast ausschließlich der militärische Teil der Arbeit des BAA betont und der erst allmähliche Wandel desselben von einer politischen zu einer militärischen Unterstützungseinrichtung übergangen. Dabei unterstützte das BAA zu Beginn gewaltfreie Wege in die Unabhängigkeit. 96 Kurzbiographie von Abdoulaye Diallo siehe S. 234. 97 Die Mitglieder des AACom können den Inhaltsprotokollen der einzelnen Sitzungen des Komitees entnommen werden. Diese befinden sich im Bestand SC/BAA/251African Affairs Committee im PRAAD.

3 Die Entwicklung panafrikanischer Ideen | 87

beschlossen gemeinsam die Ausrichtung der einzelnen panafrikanischen Einrichtungen. In einer Sitzung im Dezember 1959 legten sie z.B. fest, dass das BAA Unterabteilungen für die verschiedenen afrikanischen Regionen einrichten solle, deren Führung Personen aus diesen Regionen zu übernehmen hätten. 1959 bestimmte das AACom den Kenianer Mbiyu Koinange, der 1963 Mitglied der ersten kenianischen Regierung war, zum Repräsentanten der Eastern Section des BAA.98 Hinter solchen Maßnahmen verbarg sich oft eine Art Tauschhandel. In diesem Fall hoffte die ghanaische Regierung, sich dergestalt langfristig die Loyalität antikolonialer AktivistInnen zu sichern, von der sie dann nach den Unabhängigkeiten profitieren würde, eine Taktik, die sich aber auch schon kurzfristig auszahlte. So berichtete z.B. Koinange dem AACom über eine Reise, die ihn auf Einladung der jeweiligen Regierungen unter anderem nach Äthiopien, Liberia und Ägypten geführt hatte.99 Über das AACom erhielt die ghanaische Regierung folglich Informationen über die Entwicklungen in den anderen afrikanischen Ländern. Auch innenpolitisch half ihr die Präsenz antikolonialer AktivistInnen in der ghanaischen Hauptstadt, nahmen diese doch wiederholt bei öffentlichen Veranstaltungen der ghanaischen Regierung und der CPP teil und trugen damit dazu bei, dass Accra als ein Zentrum der Dekolonisation sichtbar war.100 Die antikolonialen AkteurInnen wiederum gingen vor allem aus dreierlei Gründen ins Exil nach Accra: Erstens fanden sie dort bessere Bedingungen für ihre politische Arbeit vor, zweitens wurden sie in ihren Ländern politisch verfolgt und drittens erhofften sie sich innen- wie außenpolitische Vorteile. In Accra nutzten sie die Freiräume und die finanzielle und strukturelle Hilfe, um die Unabhängigkeiten ihrer Länder voranzutreiben. Nicht zuletzt wussten die Parteien und Bewegungen aus den Kolonien um ihren Wert für die ghanaische Regierung und übten auf diese gelegentlich Druck aus, um mehr Unterstützung zu erhalten.101 98

Vgl. PRAAD, SC/BAA/251-African Affairs Committee, 20.10.59–17.3.60, Minutes of the 3rd Meeting of the African Affairs Committee held on Thursday, October 22th 1959 at Flagstaff House at 7 P.M. 99 Vgl. PRAAD, SC/BAA/251-African Affairs Committee, 20.10.59–17.3.60, Minutes of the 5th Meeting of the African Affairs Committee held on November 12th 1959 at Flagstaff House at 7 P.M. 100 Vgl. Ahlman, Ghana, S. 27. 101 Kwame Nkrumah kümmerte sich gelegentlich sogar selber um die Kontaktpflege mit den Unabhängigkeitsbewegungen, beispielsweise im Falle der nigerischen

88 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Das BAA

Das Bureau of African Affairs gründete die ghanaische Regierung kurz nach dem Tod George Padmores im September 1959, um dessen semi-offizielle Arbeit als Adviser on African Affairs institutionell zu verstetigen.102 In der Anfangszeit der Einrichtung widmete sich das BAA drei Kernaufgaben: Erstens unterstützte es finanziell und strukturell die Unabhängigkeitsbewegungen, die von Accra aus operierten, sofern diese sich mit den panafrikanischen Zielen der Nkrumah-Regierung identifizierten.103 Das BAA stellte den AktivistInnen Pässe aus, versorgte sie mit Bargeld, vermittelte ihnen Unterkünfte und stellte ein Bildungsangebot zusammen, das von Lese- und Schreibunterricht bis zu einer politischen Vortragsreihe reichte.104 Zweitens verbreitete das BAA Informationen über die Kolonien. Denn aufgrund limitierter technischer Möglichkeiten und der naturgemäß klandestinen Arbeit antikolonialer AkteurInnen waren Informationen aus den Kolonien ein rares Gut. Da Zeitschriften zu jener Zeit ein wichtiges Mittel waren, um Nachrichten zirkulieren zu lassen, brachte das BAA zahlreiche Publikationen heraus. Ein Beispiel ist die Voice of Africa, bei der es sich um ein ghanaisches Meinungsmedium handelte, das Öffentlichkeit für AktivistInnen aus den Kolonien generierte.105 Drittens arbeitete das BAA Kwame Nkrumah in afrikapolitischen Fragestellungen zu, indem es für ihn die Korrespondenz mit antikolonialen Bewegungen in den Kolonien unterhielt106 und Berichte SAWABA-Partei. Vgl. PRAAD, SC/BAA/370-Correspondence with the President, Brief von Kwame Nkrumah vom 29. Juni 1960 an Bakary Djibo. 102 Vgl. Frank Gerits, Scramble for Africa, S. 136. Um Padmores zu gedenken, richtete die ghanaische Regierung zudem eine Bibliothek ein. Die Regierung diskutierte alternativ auch ein Stipendien- und ein Studienprogramm. Diese Ideen setzte sie aber aus Kostengründen nicht um. Vgl. PRAAD, SC/BAA/251-African Affairs Committee, 20.10.59–17.3.60, 4th Meeting of the African Affairs Centre held at Flagstaff House on November 9th 1959 at 12 P.M. Heute beherbergt die George Padmore Research Library on African Affairs die Aktenbestände des BAA. 103 Vgl. Frank Gerits, Scramble for Africa, S. 136. 104 Vgl. Ahlman, Ghana, S. 26. 105 Vgl. PRAAD, SC/BAA/251-African Affairs Committee, 20.10.59–17.3.60, Minutes of the 10th Meeting of the African Affairs Committee held at the Flagstaff House on Thursday 14th January 1960 at 7 P.M. Die Printmedien sollten vornehmlich Einfluss auf afrikanische AktivistInnen nehmen. Vgl. Frank Gerits, Scramble for Africa, S. 140. 106 Das BAA verwaltete z.B. Briefe von Parteien aus den Kolonien an Kwame Nkrumah, in denen diese bspw. ihn über ihre Gründung und Ausrichtung unterrichteten.

3 Die Entwicklung panafrikanischer Ideen | 89

über die Veränderungsprozesse auf dem Kontinent verfasste. In diesem Kontext sprach sich die Einrichtung wiederholt für den Aufbau eines Auslandsgeheimdienstapparates aus, um Informationen aus den Kolonien zu erhalten.107 Die ghanaische Regierung versuchte selbstverständlich, diese Aspekte ihrer Afrikapolitik vor den afrikanischen und europäischen Ländern zu verbergen. Mit Erfolg: Britischen Behörden fiel es schwer, das Dickicht der verschiedenen Einrichtungen in Accra zu verstehen und deren Aufgaben auseinanderzuhalten.108 Fest steht aber, dass die Regierungen und Verwaltungen im Ausland nichtsdestotrotz die Arbeit des BAA beobachteten und Accra damit auch von außen als Zentrum der Dekolonisation wahrgenommen wurde.109 Das AAC

Eine weitere panafrikanische Einrichtung in Accra war das African Affairs Centre. Nach der All-African People’s Conference im Dezember 1958 blieben viele antikoloniale AktivistInnen aus den Kolonien vor Ort, um von hier aus ihre politische Arbeit fortzusetzen. Sie kamen in einer für die AAPC kurzfristig geschaffenen Massenunterkunft unter, die die Regierung als African Affairs Centre institutionalisierte. Die Unterkunft existierte bis zum Putsch 1966 und beherbergte zeitweise über 150 Personen. Der Guyaner Ras T. Makonnen, den Nkrumah noch aus seiner Zeit in England kannte, war eine der zentralen Figuren bei der Leitung des Zentrums.110

Vgl. PRAAD, SC/BAA/370-Correspondence with the President, Brief von A.K. Barden vom 12. August 1960 an die Union Démocratique des États Africains. 107 Beispielsweise in einem Bericht, den A.K. Barden anfertigte. Vgl. PRAAD, SC/ BAA/370-Correspondence with the President, Ghana’s Role in Emergent Africa, 25. Juli 1960. 108 Vgl. TNA, FCO 141-6735-Conferences Bureau of African Affairs, 1960–1, Auszug aus einem Brief vom 31. Mai 1961 von B.A. Flock vom United Kingdom High Commissioner an H.R.E. Brown vom Commonwealth Relations Office. 109 1961 zeigte sich die britische Kolonialverwaltung z.B. besorgt über die ghanaische Einflussnahme in Kenia durch das BAA. Vgl. TNA, FCO 141-6735-Conferences Bureau of African Affairs, 1960–1, Brief von T. Neil vom britischen Ministry of Internal Affairs in Kenia vom 18. April 1961 an P.J. Kitcatt vom Colonial Office in London. 110 Im Juni 1960 übertrug Kwame Nkrumah Makonnen schließlich die Leitung des African Affairs Centre. Dieser unterstand nun direkt dem Ministerpräsidenten. Vgl. PRAAD, SC/BAA/357-Bureau of African Affairs, 16.10.53–30.07.65, Brief von Kwame Nkrumah vom 17. Juni 1960 an Ras Makonnen.

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Zwischenzeitlich lebten im AAC zahlreiche spätere afrikanische Politiker wie der Angolaner Roberto Holden, der Kenianer Mbiyu Koinange, die späteren Präsidenten Malawis und Sambias Hastings Banda und Kenneth Kaunda, aber auch VertreterInnen des ANC oder afrikanische Studierende, die sich in Accra aufhielten.111 Das African Affairs Centre bot ihnen die Möglichkeit, sich unbeobachtet miteinander auszutauschen. Dadurch, dass Makonnen auch Mitglied im AACom war, verlief die Unterbringung, Ausbildung und Unterstützung der AktivistInnen in Accra aus einer Hand. Während sie im Zentrum Verpflegung und Versorgung fanden, konnten die AktivistInnen in den Räumen der George Padmore Research Library (politische) Bildungsangebote wahrnehmen. Darüber hinaus stellte Makonnen Kontakte zwischen CPP-VertreterInnen, ghanaischen GewerkschafterInnen und den AktivistInnen her. Makonnen selbst hielt das AAC für eine zentrale Institution, die formelle und informelle Vernetzung und einen themen- und ressortübergreifenden Austausch ermöglicht habe: »There were really two types of meetings; there were the official ones at the conference hall where the heads of states would be talking in general terms about the future of Africa; and that’s where the foreign reporters would be. Then there were the unofficial meetings at the Centre or at the chalets where you’d find the trade union element mixing with the ideological groups from various countries. They kept off the high-level generalizations about African freedom, and dealt with the practical questions of liberation.«112

Zusammenfassung

In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren waren die antikolonialen AkteurInnen aus den Kolonien ein außenpolitisches Kapital, um das Accra mit anderen afrikanischen Städten konkurrierte.113 Von der Unterstützung der AkteurInnen aus den Kolonien erhoffte sich die ghanaische Regierung, dass diese sich nach möglichen Unabhängigkeiten ihrer Herkunftsländer loyal zeigen würden. Kurzfristig sicherte sie sich durch die Beherbergung und Unterstützung der AktivistInnen Informationen aus Kolonien und anderen Ländern. Die antikolonialen AktivistInnen wiederum nutzten die Infrastruktur, um ihre politischen Ziele zu verfolgen. Folglich ist die Haupt111 Vgl.

Ras Makonnen, Pan-Africanism, S.  217  ff. ebd., S. 214. 113 Unter anderem mit Kairo. Vgl. Kapitel 4.4. 112 Vgl.

3 Die Entwicklung panafrikanischer Ideen | 91

stadt Ghanas ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel nationaler und transnationaler Elemente während der frühen Phase der Dekolonisation: Eingebettet in transnationale Kontexte, konnten die VertreterInnen der afrikanischen Kolonien umso effektiver die nationalen Unabhängigkeiten verfolgen.

3.5 Zwischenfazit Ghana ist nicht plötzlich zu einem Zentrum geworden, von dem aus die Dekolonisation vorangetrieben wurde. Die Ausrichtungen der All-African People’s Conference und der Conference for Peace and Security in Africa waren vielmehr in langwierig gewachsene politische wie strategische Überlegungen eingebettet und die zentralen Akteure der Unabhängigkeit der Goldküste und der ersten ghanaischen Regierung bewegten sich schon seit den 1940er Jahren in panafrikanischen Netzwerken. So war auch Kwame Nkrumah in seiner Zeit in England mit transnational ausgerichteten Denktraditionen sowie mit der Praxis der strategischen Verwendung von Konferenzen in Berührung gekommen. Nach seiner Rückkehr in die Goldküste implementierte er dieses Denken und Vorgehen dann vor Ort. Und auch wenn er sich um die Entwicklung genuin afrikanischer Konzepte bemühte, blieb sein politisches Denken doch geprägt von den westlichen und kommunistischen Entwicklungsparadigmen der Zeit.

4

Panarabismus, Sueskrise und Afrikapolitik – Ägyptens globalpolitische Rolle in den 1950er Jahren

In den späten 1950er Jahren entwickelte sich Ägypten zu einem globalen Zentrum, von dem aus antikoloniale AkteurInnen, eingebettet in ein afroasiatisches Solidaritätsnetzwerk, die afrikanische Dekolonisation vorantrieben. Ägypten wurde aber nicht aus dem Nichts zu einem solch zentralen Knotenpunkt im Dekolonisationsprozess. Vielmehr war diese Entwicklung wesentlich mit einigen einschneidenden historischen Ereignissen sowie mit der Politik Gamal Abdel Nassers verknüpft, der von 1952 bis 1954 Ministerpräsident Ägyptens und von 1954 bis zu seinem Tod 1970 Präsident des Landes war. Im Gegensatz zu Nkrumah war Nasser kein Intellektueller, der sich in den transnationalen Netzwerken der westlichen Metropolen bewegt hatte. Nasser war vielmehr ein Militär, den erst seine Erfahrungen während des Einsatzes im arabisch-israelischen Krieg (1947–1949) und seine Beteiligung am Militärputsch 1952 in Ägypten politisiert hatten. In seiner 1954 erschienenen politischen Schrift Philosophy of the Revolution formuliert Nasser für Ägypten einen transregionalen Machtanspruch, den er aus der geografischen Lage an der Schnittstelle dreier Kontinente ableitet: »It is not in vain that our country lies to the Southwest of Asia close to the Arab world, whose life is intermingled with ours. It is not in vain that our country lies in the Northeast of Africa, a position from which it gives upon the continent wherein rages today the most violent struggle between the white colonizers and black natives for the possession of its inexhaustible resources.«1 1

Vgl. Gamal Abdel Nasser, The Philosophy of the Revolution, 1959, Buffalo, S. 60.

94 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Dieser transregionale Führungsanspruch bildete die Hintergrundfolie für Nassers gesamte Politik in Afrika, Asien und der arabischen Welt. Unterschiedliche Ereignisse und Faktoren förderten und festigten den Status Ägyptens als eines Vorreiters der afrikanische Dekolonisation. So trug zum Beispiel der global moment der Sueskrise erheblich dazu bei, dass Ägypten weltweit als ein antikolonialer Akteur in Erscheinung trat und das internationale Prestige Nassers sowie des Landes zu begründen (Kapitel 4.1). Zugleich spielten in der Zeit von der Machtübernahme Nassers bis zur Auflösung der Vereinigten Arabischen Republik panarabische Konzepte eine bedeutende Rolle und halfen, das Land innen- wie außenpolitisch zu stabilisieren (Kapitel 4.2). Und nicht zuletzt trug auch die neue Afrikapolitik Ägyptens zu dessen Führungsrolle auf dem afrikanischen Kontinent sowie zum Aufstieg Kairos zu einem bedeutenden antikolonialen Zentrum bei (Kapitel 4.3).

4.1

Die Sueskrise als global moment

Am entscheidensten trug – zumindest in den Augen der Weltöffentlichkeit – wohl der global moment der Sueskrise dazu bei, dass Ägypten als zentraler Akteur im Dekolonisationsprozess wahrgenommen wurde und damit vielleicht tatsächlich zu einem solchen werden konnte. Unter den Begriff des global moment fassen die Globalhistoriker Sebastian Conrad und Dominic Sachsenmaier Ereignisse seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, die weltweit rezipiert wurden, aber lokal jeweils unterschiedliche Auswirkungen hatten.2 Ungeachtet der verschiedenen lokalen Rückkopplungseffekte der Sues-Krise, hatte in diesem Fall der mediale Faktor zur Folge, dass die weit2

Als ein paradigmatisches Beispiel für einen solchen Moment nennen die beiden Globalhistoriker den ersten russisch-japanischen Krieg im Jahr 1905. Dieser sei in Großbritannien, Asien und der islamischen Welt gleichermaßen rezipiert worden, habe aber auf lokaler Ebene unterschiedliche Auswirkungen gezeitigt. In Großbritannien habe es eine Debatte über nationale Effizienz gegeben, unter jungen AsiatInnen sei ein Hype ob der Existenz einer nicht-westlichen Moderne ausgebrochen und in der islamischen Welt sei der Krieg als das Ende der politischen und militärischen westlichen Hegemonie wahrgenommen worden. Vgl. Einführend Sebastian Conrad und Dominic Sachsenmaier, Introduction. Competing Visions of World Order. Global Moments and Movements. 1880s-1930s, in: dies. (Hg.), Competing Visions of World Order. Global Moments and Movements, 1880s-1930s, 2007, New York, S. 1–28.

4 Panarabismus, Sueskrise und Afrikapolitik | 95

gehend positive Wahrnehmung des ägyptischen Widerstands in der Weltöffentlichkeit letztlich die militärische Chancenlosigkeit des Landes überwiegen und die Krise in einen politischen Sieg Ägyptens verwandeln konnte, so dass durch dieses (Medien-)Ereignis Ägyptens Rolle im globalpolitischen Gefüge gefestigt wurde. Historiographisch ist die Sueskrise im Spannungsfeld von Kaltem Krieg und Dekolonisation zu verorten und hat in der bisherigen Forschung entsprechend große Aufmerksamkeit erhalten. Dementsprechend hat sie in den Standardwerken zur Dekolonisation ihren festen Platz.3 Strittig ist dabei nur, ob die Sueskrise einen Wendepunkt der Dekolonisation darstellt, der das Ende des Kolonialismus in Afrika einläutete,4 wie es die teleologischen Betrachtungen darstellen, die auf das »Afrikanische Jahr« hinarbeiten. Gegen diese These spricht, dass die Dekolonisation nicht ein plötzlich einsetzendes Ereignis war, sondern ein langwieriger Prozess, der an mehreren Orten und zu verschiedenen Zeitpunkten stattfand und verhandelt wurde.5 Darüber hinaus hat Gordon Martel nachgewiesen, dass auch die Beteiligten selbst das anders sahen und weder Großbritannien noch Frankreich ihre kolonialen Pläne nach der Sueskrise unmittelbar ad acta legten.6 Auch Arbeiten über den Kalten Krieg räumen der Sueskrise den ihr gebührenden Raum ein. An der Krise waren indirekt nämlich auch die USA 3

Eine nach wie vor gute Einführung bietet der Sammelband von Louis und Owen. Vgl. William Roger Louis and Roger Owen (Hg.), Suez 1956. The Crisis and its Consequences, 1989, Oxford. Vgl. auch Nicholas J. White, Decolonisation. The British Experience Since 1945, 2014, New York; Brendon, Decline and Fall sowie Anthony Stockwell, Suez 1956 and the Moral Disarmament of the British Empire, in: Simon Smith (Hg.), Reassessing Suez 1956. New Perspectives on the Crisis and its Aftermath, 2008, Burlington, S. 227–238. 4 1987 gab es betreffs dieser Frage eine Kontroverse in der Zeitschrift Contemporary Record. Vgl. Robert Holland, Did Suez Rasten the End of Empire?, in: Contemporary Record, Vol. 1, Nr. 3, 1987, London, S. 39 und Anthony Low, Did Suez Hasten the End of Empire?, in: Contemporary Record, Vol. 1, Nr. 2, 1987, London, S. 31. Kürzlich hat Nicholas White in kompakter Form die Argumente zusammengestellt, die für und gegen die These sprechen. Vgl. White, Decolonisation, S. 106–122. 5 Die jüngste Forschung hat darauf hingewiesen, dass die Dekolonisationsprozesse bereits nach dem Ersten Weltkrieg einsetzten. Vgl. Sönke Kunkel, Christoph Meyer (Hg.), Aufbruch ins postkoloniale Zeitalter. Globalisierung und die außereuropäische Welt in den 1920er und 1930er Jahren, Frankfurt, 2012. 6 Vgl. Gordon Martel, Decolonisation after Suez: Retreat or Rationalization?, in: Australian Journal of Politics and History, Vol. 46, Nr. 3, 2000, Oxford, S. 403–417. Vgl. Stockwell, Suez 1956, S.  232  f.

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und die UdSSR beteiligt, während die UdSSR zudem parallel den Ungarnaufstand niederschlug,7 wodurch beide Vorfälle eine globale Dimension bekamen.8 In jüngster Zeit erschienen auch Arbeiten, die mit Hilfe neuer globalhistorischer Ansätze und Fragestellungen die Sueskrise aus anderen Blickwinkeln begutachten und auch nichtstaatliche sowie nicht-europäische AkteurInnen berücksichtigen.9 Ursachen und Auslöser der Sues-Krise

Die Sueskrise nahm ihren Anfang mit der Finanzierungsfrage des AssuanStaudamms. Dieser war das zentrale Infrastrukturprojekt der neuen ägyptischen Regierung und sollte die Industrie des Landes mit Strom und die Landwirtschaft mit Wasser versorgen.10 Die dafür nötigen finanziellen Mittel wollte die Nasser-Regierung durch Kredite aufbringen und glaubte auch schon, mit den USA einen geeigneten Geldgeber gefunden zu haben. Die US-amerikanische Regierung aber zog ihr Angebot kurzfristig zurück, hatte sie doch, entsprechend der bipolaren Logik des Kalten Krieges, die Kreditvergabe an die Bedingung geknüpft, dass die ägyptische 7

Vgl. Douglas Little, The Cold War in the Middle East: Suez Crisis to Camp David Accords, in: Melvyn P. Leffler und Odd Arne Westad (Hg.), The Cambridge History of the Cold War. Volume II. Crises and Détente, 2010, Cambridge, S. 305–326; Paul Thomas Chamberlin, The Cold War in the Middle East, in: Artemy Kalinovsky und Craig Daigle (Hg.), The Routledge Handbook of the Cold War, 2014, New York, S. 163–177; Marc R. DeVore, Die militärischen Pläne Großbritanniens Frankreichs während der Sueskrise, in: Bernd Greiner, Christian Müller, Dierk Walter (Hg.), Krisen im Kalten Krieg, 2009, Bonn, S. 158–203. 8 Wie Kapitel 2.4 gezeigt hat, entwickelten zudem beide Staaten in dieser Periode ihre Afrikapolitik. 9 Der Sammelband von Winfried Heinemann und Norbert Wiggershaus versucht sich an einer überregionalen Einordnung der Sueskrise. Vgl. Winfried Heinemann und Norbert Wiggershaus (Hg.), Das internationale Krisenjahr 1956. Polen, Ungarn, Suez, 1999, München; Esther Möller untersuchte jüngst die Involvierung zivilgesellschaftlicher Organisationen in die Sueskrise am Beispiel des internationalen Roten Kreuzes und der Rothalbmond-Bewegung. Vgl. Esther Möller, The Suez Crisis of 1956 as a Moment of Transnational Humanitarian Engagement, in: European Review of History, Vol. 23, Nr. 1–2, 2016, New York, S. 136–153; Vaughn Rasberry hat jüngst die kulturelle Verarbeitung der Sueskrise durch Afro-AmerikanerInnen untersucht. Vgl. Vaughn Rasberry, Race and the Totalitarian Century. Geopolitics in the Black Literary Imagination, Cambridge, 2016, S. 107–184. 10 Zur Bedeutung großer Infrastrukturprojekte im imperialen Kontext, vgl. Dirk van Laak, Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880 bis 1960, 2004, Paderborn.

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Regierung sich ihr gegenüber loyal zeige.11 Diese sah sie aber als nicht erfüllt, da Ägypten zu jener Zeit Waffenlieferungen von kommunistischen Staaten annahm und die VR China anerkannte.12 Die ägyptische Führung wiederum weigerte sich, sich der bipolaren Logik des Kalten Krieges unterzuordnen. Damit setzte sie den Kurs fort, den die afrikanischen und asiatischen RegierungsvertreterInnen auf der Bandung-Konferenz eingeschlagen hatten.13 Nasser verstand die Rücknahme des US-amerikanischen Kreditangebots in diesem Sinne als Angriff auf die ägyptische Souveränität. Denn obzwar er innenpolitisch einen rigiden antikommunistischen Kurs fuhr, der durchaus im Sinne der USA lag, pochte er auf das staatliche Souveränitätsprinzip und wollte sich dementsprechend nicht vorschreiben lassen, mit wem er außenpolitische und wirtschaftliche Beziehungen führen dürfe.14 So reagierte Nasser auf den Rückzug der USA, indem er eine eigenständige Finanzierung auf die Beine zu stellen versuchte. Statt des erhofften Kredites sollte nun die Verstaatlichung des Sueskanals dem Land die finanziellen Mittel zuführen, die es für den Bau des Staudamms benötigte.15 Im Zuge der Feierlichkeiten in Alexandria 1956 zum Gedenken an den Militärputsch adressierte Gamal Abdel Nasser gerade 250.000 Menschen, als er im Verlauf seiner Rede der jubelnden Menge mitteilte, dass soeben der Sueskanal verstaatlicht werde.16 In seiner Ansprache hatte er nämlich ein Codewort eingebaut, das den ägyptischen Truppen signalisierte, die Aufsicht über den Sueskanal zu übernehmen, den bis dahin eine britischfranzösische Kanalgesellschaft betrieben hatte. Die Konstellation war deshalb besonders brisant, da mit Frankreich und England gerade die beiden vormaligen Kolonisatoren Ägyptens involviert waren. Die Kolonialstaaten Großbritannien und Frankreich fühlten sich durch das ägyptische Vorgehen brüskiert. So verglich beispielsweise der britische

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Vgl. Little, Middle East, S. 307. Vgl. Chamberlin, Cold War in the Middle East, S. 167. Vgl. Kapitel 2.3. Vgl. Ali E. Hillal Dessouki, Nasser and the Struggle for Independence, in: William Roger Louis and Roger Owen (Hg.), Suez 1956. The Crisis and its Consequences, 1989, Oxford, S. 31–41, hier: S. 33. Vgl. auch Kapitel 4.2 der vorliegenden Arbeit. Vgl. Brendon, Empire, S. 490. Ferdinand de Lesseps, der Name des Planers des Sueskanals, war das Codewort für die Übernahme des Sueskanals. Vgl. Piers Brendon, The Decline and Fall of the British Empire. 1781–1997, 2007, London, S. 490.

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Premierminister Anthony Eden Nassers Handeln mit der Besetzung des Rheinlands durch Deutschland 1936. Die Folgen der Appeasement-Politik vor Augen, sah er das Empire gefährdet, falls die britische Regierung Nasser gegenüber nachsichtig reagieren würde. Das Parlament teilte diese Einschätzung und stimmte Anfang August der Vorbereitung militärischer Maßnahmen zu.17 Während international unterschiedlichste Anstrengungen unternommen wurden, um die Krise friedlich zu lösen, trieben Großbritannien und Frankreich ihrerseits beharrlich die Kriegsvorbereitungen voran.18 Im Oktober 1956 stieg dann auch Israel in die Planungen der beiden Länder ein. Die ägyptische Regierung geriet allerdings nicht nur wegen der Sues­ krise in den Fokus Großbritanniens und Frankreichs. Beide Staaten wollten auch den dezidiert antikolonialen Kurs unterbinden, den die NasserRegierung fuhr. Unter anderem störten sie sich an der Unterstützung des algerischen Front National de Libération (FLN) im algerisch-französischen Kolonialkrieg und an der durch den ägyptischen Radiosender Voice of Arab in verschiedenen Sprachen auf dem afrikanischen Kontinent verbreiteten antikolonialen Propaganda.19 Militärische Auseinandersetzung und Auswirkungen der Sues-Krise

Am 29. Oktober 1956 marschierten israelische Truppen auf der Sinai-Halbinsel ein. Sie waren dem ägyptischen Militär deutlich überlegen, so dass dieses sich rasch auf die Verteidigung des Sueskanals konzentrierte. Um Durchfahrten zu unterbinden, ließ Nasser den Kanal blockieren, indem er Frachter darin versenken ließ. Wie im Vorfeld mit Israel abgesprochen ,gaben sich Großbritannien und Frankreich als Unbeteiligte und stellten

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Vgl. Brendon, Empire, S. 491. Die US-amerikanische Regierung zeigte zwar Verständnis für die Lage ihrer Verbündeten. Dennoch bemühte sie sich, Franzosen und Briten davon abzubringen, militärisch einzugreifen. Sie hoffte auf eine nicht-militärische Lösung, an deren Ende eine internationale Aufsicht über den Sueskanal stehen würde. Vgl. ebd., S. 492. Alternativ schlugen die USA vor, Nasser zu stürzen. Vgl. Adam Watson, The Aftermath of Suez: Consequences for French Decolonization, in: William Roger Louis und Roger Owen (Hg.), Suez 1956. The Crisis and its Consequences, 1989, Oxford, S. 341–346, hier: S. 345. 19 Auch die antikoloniale Politiklinie wollten die beiden Kolonialstaaten beenden. Vgl. Laron, Suez Crisis, S. 168 und 172. Vgl. auch Kapitel 4.3 der vorliegenden Arbeit. 18

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den beiden Kriegsparteien ein Ultimatum, wonach diese sich zurückziehen und den Kanal freigeben sollten.20 Die Forderungen aber wirkten seltsam unangemessen: Demnach sollten die sich verteidigenden ägyptischen Truppen noch weiter zurückweichen, die angreifenden israelischen Truppen hingegen weiter vorrücken. Sowohl im In- als auch im Ausland wurde harte Kritik an diesem Vorgehen geäußert.21 Als die ägyptische Führung das Ultimatum verstreichen ließ, griffen Frankreich und Großbritannien militärisch ein. Unabhängig vom militärisch ungünstigen Verlauf, profitierte Nasser durch die weltweite Rezeption der Krise. Denn selbst wenn afrikanische oder asiatische Regierungen Nassers Verstaatlichung des Sueskanals kritisch gegenüberstanden, konnten sie es sich aus innenpolitischen Gründen nicht leisten, dies öffentlich kundzutun, sympathisierten die Bevölkerungen in Asien und Afrika doch mit Ägypten.22 So solidarisierten sich die afrikanischen und asiatischen Länder ausnahmslos mit Kairo. Mit Indien stellte sich sogar ein Land des Commonwealth öffentlich auf die Seite Ägyptens und schwächte damit die britische Position zusätzlich.23 Die Regierungen der arabischen Staaten sprachen sich, ungeachtet der eigenen politischen Bündnisse mit westlichen Staaten, ebenfalls einstimmig für Ägypten aus;24 VertreterInnen Indiens, Indonesiens, Ceylons und Äthiopiens nahmen derweil im August 1956 an den Friedensverhandlungen in London teil, um während der Krise zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln.25 Das Verhalten der USA und der UdSSR wiederum verdeutlichte den antikolonialen AktivistInnen, dass es für die vormaligen Kolonien auch vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs möglich war, eigenständige Positionen zu beziehen. So zeugt z.B. eine persönliche Mitteilung des US-Präsidenten Dwight Eisenhower angesichts der Sues-Krise an Anthony Eden von den Vorbehalten der USA, vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der einsetzenden Dekolonisation in Afrika einzugreifen: »[…] the peoples of the Near East and of North Africa and, to some extent, all of Asia and all of Africa, would be consolidated against the West to a degree which, 20 21 22 23 24 25

Vgl. Little, Middle East, S. 309. Vgl. Brendon, Empire, S. 495. Vgl. Laron, Suez Crisis, S. 161. Vgl. White, Decolonisation, S. 114. Vgl. Dessouki, Nasser, S.  38  f. Vgl. Laron, Suez Crisis, S. 158.

100 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

I fear, could not be overcome in a generation and, perhaps, not even in a century, particularly having in mind the capacity of the Russians to make mischief.«26

Zwar hielt die US-amerikanische Führung – ungeachtet dessen, dass Frankreich und Großbritannien dieselbige mit ihrem militärischen Vorgehen brüskiert hatten, während der Sueskrise anfangs noch so gut es ging zu ihren Verbündeten. Allerdings war sie nicht dazu bereit, das militärische Vorgehen zu unterstützen und positionierte sich daher nach Beginn des Krieges öffentlich gegen die Aggressoren.27 Durch diese Vorkommnisse lernten die antikolonialen AkteurInnen, dass die USA in Kolonialfragen im Zweifelsfall bereit waren, sich von den kolonialen und imperialen Interessen ihrer europäischen Partner zu distanzieren.28 Nach dem Ende der Sues­ krise wurden die USA afrikapolitisch denn auch selbst aktiver.29 Die UdSSR ihrerseits gewann trotz ihres harten Vorgehens während des Ungarnaufstands, den sie parallel zur Sueskrise niederschlug, im Zuge derselben stark an Ansehen unter den antikolonialen AkteurInnen.30 In der Tat hatte sie sich während der Krise deutlich auf die Seite Ägyptens gestellt,

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Auszug aus einem Brief vom 02. September 1956 des US-amerikanischen Präsidenten Dwight Eisenhower an den britischen Premierminister Anthony Eden. Vgl. Message From President Eisenhower to Prime Minister Eden, in: Foreign Relations of the United States, 1955–1957, Suez Crisis, July 26–December 31, 1956, Volume XVI. Zuletzt aufgerufen am 16.06.2016 (https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1955-57v16/d163). Vgl. White, Decolonisation, S. 111. Vgl. Jeffrey James Byrne, The Cold War in Africa, in: Artemy Kalinovsky und Craig Daigle (Hg.), The Routledge Handbook of the Cold War, 2014, New York, S. 149–162, hier: S. 151. Da die US-amerikanische Regierung einen Einflussverlust im Mittleren Osten fürchtete, reagierte sie mit der Eisenhower-Doktrin. Darin kündigten sie an, dass sie zu militärischen Mitteln greifen werde, falls es sowjetische Angriffe gegen ihr loyal gegenüberstehende Regierungen gebe. Vgl. Chamberlin, Cold War in the Middle East, S. 168. Die in Kapitel 2.4 besprochene Entwicklung einer eigenen Afrikapolitik ist auch auf die Folgen der Sueskrise zurückzuführen. Die Gleichzeitigkeit des Ungarnaufstands und der Sueskrise hat das Verhalten der USA und der UdSSR in beiden Krisen maßgeblich beeinflusst. Im Rahmen dieses Kapitels ist eine adäquate Berücksichtigung des Ungarnaufstands leider nicht möglich. Einführend vgl. Charles Gati, Zur Neubewertung des ungarischen Aufstands 1956, in: Bernd Greiner, Christian Müller, Dierk Walter (Hg.), Krisen im Kalten Krieg, 2009, Bonn, S. 127–157.

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da sie daran interessiert war, Einfluss in Nordafrika zu gewinnen, und nun hoffte, das über Ägypten erreichen zu können.31 Im Zuge der Sueskrise beobachteten die afrikanischen und asiatischen Länder auch die Reaktion der Vereinten Nationen genau. Dort blockierten die beiden Vetomächte und Konfliktparteien Frankreich und Großbritannien im Sicherheitsrat zunächst alle an einer friedlichen Lösung interessierten Initiativen.32 Im November 1956 jedoch verabschiedete die Generalversammlung eine Resolution, die einen Waffenstillstand vorschlug, unterdessen sich die UdSSR an Großbritannien und Frankreich wandte und mit Nuklearschlägen drohte, falls die militärische Aktion nicht beendet würde.33 Frankreich, Großbritannien und Israel gaben dem zunehmenden Druck schließlich nach und stimmten Anfang November unverrichteter Dinge einem Waffenstillstand zu.34 Zusammenfassung

Durch die Sueskrise wurde Ägypten weltweit als bedeutender antikolonialer Akteur wahrgenommen, was zur Folge hatte, dass Nasser fortan eine Führungsposition in der Dekolonisation für sich beanspruchen konnte. Diese manifestierte sich unter anderem in der Vorreiterrolle Ägyptens als Veranstalter internationaler antikolonialer Konferenzen wie der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference, die von den OrganisatorInnen als Folgeveranstaltung der Bandung-Konferenz inszeniert wurde. Auch veränderte der Ausgang der Krise das machtpolitische Verhältnis zwischen den arabischen, asiatischen und afrikanischen Ländern auf der einen Seite und den westlichen Staaten auf der anderen Seite grundlegend. Besonders für Erstere hatte die Sueskrise eine große symbolische Bedeutung, da ihnen zwei Jahre nach dem Ende des Indochinakriegs und parallel zum Algerienkrieg durch die Geschehnisse in Ägypten noch einmal verdeutlicht wurde, dass die Kolonien für ihre Souveränität würden kämp-

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Von Ägypten aus versuchten die Sowjets in der Folge, Kontakte zu afrikanischen antikolonialen AkteurInnen zu knüpfen. Entsprechend ihrer neuen Afrikapolitik geschah dies v.a. im Kontext internationaler Konferenzen der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization. Vgl. Kapitel 6.1 und 6.2. 32 Vgl. Brendon, Empire, S. 495. 33 Vgl. White, Decolonisation, S. 111. 34 Vgl. Brendon, Empire, S.  496  f.

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fen und diese auch nach Erlangen der Unabhängigkeit würden verteidigen müssen.35 Für Gamal Abdel Nasser trug die Sueskrise – wie bereits seine Teilnahme an der Bandung-Konferenz – erheblich zum persönlichen Prestigegewinn bei. Zwar hatte er militärisch nicht gegenhalten können, doch führte sein Trotzen gegenüber den Kolonialstaaten und deren imperialen Ansprüchen den AfrikanerInnen und AsiatInnen vor Augen, dass man sich den Kolonialstaaten mit einem gewissen Erfolg widersetzen konnte.36

4.2 Der ägyptische Panarabismus als innenund außenpolitische Strategie Die Politik der Nasser-Regierung von der Machtübernahme bis zum Zusammenbruch des ägyptisch-syrischen Zusammenschlusses zur Vereinigten Arabischen Republik (1958–1961) war stark geprägt von der panarabischen Ausrichtung derselben. So half der Panarabismus der Nasser-Regierung innenpolitisch, ihre eigene Vormachtstellung zu stabilisieren, darüber hinaus aber auch dabei, eine eigenständige Außenpolitik zu entwickeln und sich dadurch von den imperialen Interessen abzugrenzen. Dass diese zentrale politische Rolle des Panarabismus kein vereinzeltes und somit zufälliges Phänomen war, legt eine Untersuchung Cemil Aydins nahe, der in ganz Asien und Afrika für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine Neigung zu transnationalen Konzepten und Solidaritätsnetzwerken identifiziert. Auch in anderen Regionen im arabischen Raum wurden zu jener Zeit intensive transnationale Debatten über kollektive Identitäten geführt, wobei gemeinsamen Feindbilder, die sich aus kolonialen und imperialen Erfahrungen speisten, eine große Bedeutung zukam.37 Früher Panarabismus und ägyptischer Militärputsch

Die panarabische Bewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts setzte sich vor allem für die Überwindung kolonialer Grenzziehungen ein. 35

Vgl. Odd Arne Westad, The Global Cold War: Third World Interventions and the Making of our Times, Cambridge, 2007, S. 105. 36 Vgl. Laron, Suez Crisis, S. 155. 37 Vgl. Cemil Aydin, Pan-Nationalism of Pan-Islamic, Pan-Asian, and Pan-African Thought, in: John Breuilly (Hg.)., The Oxford Handbook of the History of Nationalism, 2013, Oxford, S. 672–693.

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Diese Grenzen hatten gemäß der Argumentation von PanarabistInnen zur Trennung von Völkergruppen geführt, die aufgrund sprachlicher und kultureller Gemeinsamkeiten zusammengehören würden.38 Geographisch war der frühe Panarabismus vor allem auf die arabischen Regionen auf dem asiatischen Kontinent beschränkt, während er in Ägypten kaum Wirkung en zeitigte. Dies hing nicht zuletzt mit den unterschiedlichen regionalen Feindbildern zusammen: So richtete sich der Panarabismus zuvorderst gegen das Osmanische Reich, der ägyptische Nationalismus hingegen gegen die britische und französische Vorherrschaft.39 Doch obwohl nach dem Ersten Weltkrieg und der Auflösung des Osmanischen Reiches das Feindbild mit dem europäischen Kolonialismus fortan ein gemeinsames war,40 setzte eine gemeinsame panarabische Entwicklung erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Für diesen Annäherungsprozess spielte der erste israelisch-arabische Krieg (1947–49) eine zentrale Rolle, in den Ägypten neben den jüngst unabhängig gewordenen Ländern Syrien, Libanon, Jordanien und Irak direkt involviert war.41 Dieser Krieg zeitigte in Ägypten aber auch große innenpolitische Auswirkungen, insofern junge Offiziere des ägyptischen Militärs durch ihn politisiert wurden und begannen, sich zunehmend in innenpolitische Belange einzumischen.42 In Folge des Krieges und der israelischen Staatsgründung

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Konkret zu erfassen, welche Gesellschaften arabisch waren und inwiefern, erweist sich als sehr kompliziert, da das Arabische in einzelnen Ländern in Konkurrenz zu anderen Sprachen und kulturellen Parametern stehen konnte. Vgl. Sven W. Speer, Der Pan-Arabismus – eine gescheiterte staatenübergreifende Idee?, in: Rüdiger Robert, Daniela Schlicht und Shazia Saleem (Hg.), Kollektive Identitäten im Nahen und Mittleren Osten. Studien zum Verhältnis von Staat und Religion, 2010, Münster, S.  75–94, hier: S.  75  f. Vgl. Bassam Tibi, Vom Gottesstaat zum Nationalstaat. Islam und panarabischer Nationalismus, 1991, Frankfurt, S. 167  f. Zur englisch-französischen Präsenz im Nahen Osten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vgl. James Barr, A Line in the Sand. The Anglo-French struggle for the Middle East. 1914–1948, 2011, New York. Vgl. Fred Halliday, Nationalism in the Arab World since 1945, in: John Breuilly (Hg.)., The Oxford Handbook of the History of Nationalism, 2013, Oxford, S. 435– 453, hier: S.  437  ff. Vgl. James Jankowski, Nasser’s Egypt, Arab Nationalism, and the United Arab Republic, 2002, London, S. 11  f.

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formierten sie sich zu einer ernst zu nehmenden Oppositionskraft.43 So gründete sich um den jungen Militär Gamal Abdel Nasser herum, der im israelisch-arabischen Krieg im Einsatz gewesen war, eine einflussreiche Gruppe, die sich »Freie Offiziere« nannte. Sie verfolgte eine antiimperiale Agenda und warf der ägyptischen politischen Führung vor, mit imperialen Kräften verbandelt zu sein. Gut vernetzt im gesamten Militär, putschte sie sich am 23. Juli 1952 an die Macht und zwang den bis dahin amtierenden König Faruk I. zur Abdankung44 Nach dem Putsch konstituierten die »Freien Offiziere« einen »Revolutionären Führungsrat« und übernahmen unter der Leitung General Muhammad Nagibs die politische Führung. Dabei zeigten sie sich von Beginn an autoritär, denn obschon der Rat im Juni 1953 eine Republik ausrief, akkumulierte er die Macht de facto bei sich. Politische Parteien wurden verboten, Muhammad Nagib wurde erster Präsident des Landes und weitere Ministerposten gingen an Mitglieder des Führungsrats.45 Nachdem mögliche externe Konkurrenz um die politische Macht durch Parteiverbote und Inhaftierungen ausgeschaltet war, setzte sich der Machtkampf innerhalb des Führungsrats selbst fort, bis letztlich Nasser Nagib als Ministerpräsidenten beerbte.46 Nassers Politik zwischen Nationalismus und Panarabismus

Nach der Machtübernahme versuchte Gamal Abdel Nasser sogleich, seine Position durch innenpolitische Reformen zu festigen. Zu diesem Zweck sollte das Land ökonomisch und sozial entwickelt werden, wobei die Regierung Anleihen bei den panarabischen Entwicklungsmodellen machte, die in dieser Zeit in Syrien konzipiert wurden. Der dort von der Baath-Partei vertretene Panarabismus stand für dezidiert antiimperiale und arabisch-sozialistische Positionen. Er richtete sich gegen die Hegemonieansprüche Frankreichs, Großbritanniens und der USA

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Hier steht der Panarabismus als innen- und außenpolitische Strategie im Vordergrund. Israel als gemeinsames Feindbild und der Islam als zweites identitätsstiftendes Element spielen bei der weiteren Betrachtung keine Rolle. 44 Vgl. Jankowski, Nasser’s Egypt, S.  16  ff. 45 Unter ihnen war Gamal Abdel Nasser. Vgl. ebd., S. 19  f. 46 Vgl. ebd., S.  22  f.

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und trat für sozialpolitische Maßnahmen sowie Bildungs- und Kulturprogramme ein, die breiten Bevölkerungsschichten zugutekommen sollten.47 Mit dieser Politiklinie orientierte sich Nasser an den prägenden Entwicklungsdiskursen der Zeit. James Gelvin führt in seinem Aufsatz Developmentalism, Revolution, and Freedom in the Arab East aus, wie die arabischen Staaten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fast allesamt versuchten, ihre politische Macht durch »Entwicklung« und »Modernisierung« nach innen und außen zu sichern.48 Wie für Nkrumah war es auch für Nasser kein Widerspruch, sich außenpolitisch einem neutralen Lager zuzuordnen, innenpolitisch dagegen eine Politik zu etablieren, die als arabischer Sozialismus gelabelt war.49 Das zeigt sich auch im Umstand, dass sich die »Freien Offiziere« in der Anfangszeit ihrer Herrschaft an US-amerikanisch geprägten Modernisierungstheorien orientierten.50 Erst im Zuge der Sueskrise veränderte sich die ägyptische Wirtschaftspolitik und richtete sich an den panarabischen Entwicklungsmodellen aus.51 Der ägyptische Nationalismus und der transnationale Panarabismus waren in Nassers Augen zwei Ideen, die sich problemlos vertragen und sogar ergänzen konnten.52 So bediente er sich gerne panarabischer Rhetorik, um mit dem zur Schau gestellten Panarabismus dem Erhalt der nationalen Souveränität zu dienen. Dieser Logik lag der Gedanke zugrunde, dass eine verflochtene arabische Region besser vor Eingriffen Dritter – konkret: vor imperialer Einmischung  – geschützt sei, als es ein einzelner Staat je

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Vgl. Malcolm Kerr, The Arab Cold War. 1958–1967, 1967, London, S. 1  f. und Speer, Pan-Arabismus, S.  81  f. Vgl. James L. Gelvin, Developmentalism, Revolution, and Freedom in the Arab East: The Cases of Egypt, Syria, and Iraq, in: Robert H. Taylor (Hg.), The Idea of Freedom in Asia and Africa, 2002, Stanford, S. 62–97, hier: S. 65. Vgl. Rami Ginat, Nasser and the Soviets. A Reassessment, in: Elie Podeh und Onn Winckler (Hg.), Rethinking Nasserism. Revolution and Historical Memory in Modern Egypt, Gainesville, 2004, S. 230–252, hier: S. 244 und Kerr, Arab Cold War, S. 9. Vgl. Gelvin, Developmentalism, S. 79. Verstaatlichungen und Planwirtschaft sollten dabei helfen, Abhängigkeiten von westlichen Investitionen, Firmen und Krediten zu überwinden, Entwicklungsprogramme hingegen dabei, die Lebensverhältnisse der ägyptischen Bevölkerung zu verbessern. Vgl. ebd., S. 84 und 88. Zudem führte der »Revolutionäre Führungsrat« eine Landreform durch, um Besitz und Land zugunsten armer Menschen umzuverteilen. Vgl. Jankowski, Nasser’s Egypt, S. 20. Vgl. ebd., S. 27.

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sein könnte.53 Darüber hinaus verfolgte Nasser – anders als Nkrumah – aber keine konkreten wirtschaftlichen oder politischen Integrationsschritte. Gründung und Zerfall der VAR

1958 sah sich die ägyptische Führung durch die politischen Umstände im Nachbarland Syrien dennoch mehr oder weniger gezwungen, einen solchen Integrationsschritt zu vollziehen. Auslöser war der Versuch der kommunistischen Kräfte in Syrien, mit Unterstützung der UdSSR vermehrten Einfluss auf die Politik ihres Landes zu nehmen. Auf diese Bemühungen der kommunistischen Partei in Syrien hin, die Beziehungen des Landes mit der UdSSR zu vertiefen, reagierte die syrische Baath-Partei vehement und drängte die aufstrebenden und von Moskau unterstützten KommunistInnen zurück. Um dem zunehmenden Einfluss der UdSSR in Syrien entgegenzuwirken, forderte die Baath-Partei die ägyptische Regierung dazu auf, mit ihr eine politische Allianz einzugehen.54 Daraufhin schlossen sich am 22. Februar 1958 Syrien und Ägypten zur Vereinigten Arabischen Republik (VAR), die auf zwei Kontinenten angesiedelt war, zusammen.55 Die Bevölkerungen in den arabischsprachigen Ländern reagierten auf die Gründung der VAR sehr positiv, da damit die antiimperialen panarabischen Konzeptionen nicht länger nur bloße Worthülsen waren.56 Zum Missfallen ihrer BürgerInnen hielten viele der Regierungen aber an ihren engen Beziehungen zu westlichen Staaten fest.57 Auf diese Stimmung in der Bevölkerung versuchten wiederum die politischen Führungen Jordaniens und des Iraks zu reagieren, indem sie im Februar 1958 ebenfalls eine Föde-

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Vgl. ebd., S.  32  f. Vgl. Maxime Rodinson, Marxism and the Muslim World, 2015, London, S. 84. 55 Die Gründung der VAR hat die Baath-Partei teuer bezahlt. Gamal Abdel Nasser, der sich zu dem Integrationsschritt gezwungen sah, akkumulierte die Macht bei sich. Der politischen Ordnung in Ägypten folgend, setzte er durch, dass es eine Zentralregierung gab und dass alle Parteien in Syrien aufgelöst wurden. Dies galt auch für die Baath-Partei. Vgl. Kerr, Arab Cold War, S.  14  f. 56 Vgl. ebd., S. 2. 57 Die Regierung des Iraks wurde dafür kritisiert, zu enge Beziehungen zu Großbritannien zu unterhalten. Im Zentrum der Kritik stand dabei der Bagdad-Pakt, ein 1955 geschlossenes militärisches Verteidigungsbündnis zwischen Großbritannien, Irak, Iran, Pakistan und der Türkei, das sich gegen die sowjetische Einflussnahme in der Region richtete. Vgl. ebd., S. 4. 54

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ration miteinander eingingen, die durch einen Putsch im Irak aber bereits nach 5 Monaten beendet wurde.58 Nassers Panarabismus entfaltete auf der realpolitischen Ebene aber letztlich keine integrative, sondern eine spaltende Kraft,59 da Nasser arabische Gegenspieler hatte, die eigene Hegemonieansprüche verfolgten. Insbesondere die Beziehung zwischen der VAR und dem Irak blieb belastet, wobei Nassers Hegemonieanspruch zu Attentatsversuchen und Inhaftierungen sowohl in der VAR als auch im Irak führte.60 Im September 1961 zerfiel dann die VAR auf das Betreiben syrischer Militärs hin, die sich von Nasser abgewendet hatten. Innenpolitisch konnte Nasser seine Position hingegen festigen. Panarabismus und Kalter Krieg

Wie im Falle des Panafrikanismus fiel es westlichen BeobachterInnen auch im Falle des Panarabismus schwer, die eigenständigen (arabischen) Positionen jenseits der bipolaren Logik des Kalten Krieges einzuordnen. Der Westen interpretierte den Panarabismus dahingehend, dass die arabische Welt sich dem sowjetischen Lager zuordnen würde. Neben den Konzepten des arabischen Sozialismus führte sie vor allem der Umstand zu diesem Schluss, dass parallel zum Erstarken des Panarabismus auch der Einfluss der UdSSR im Nahen Osten wuchs.61 Unter Chruschtschows Führung versuchte die UdSSR in der Tat verstärkt, sich Einfluss im Nahen Osten zu sichern. Die britische und die USamerikanische Regierung registrierten dies besorgt und befürchteten ein Erstarken der UdSSR in der Region. Diese Einschätzung war jedoch von übertriebener Sorge geprägt, da die Beziehungen zwischen der UdSSR und arabischen Ländern nie so eng waren wie jene zwischen Großbritannien

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Auch andere Länder der Region waren in dieser Zeit vor politischen Unruhen nicht gefeit. Im Libanon war kurzzeitig sogar die USA und in Jordanien Großbritannien militärisch präsent. Vgl. ebd., S. 22. 59 Sven Speer spricht sich dafür aus, die Bewertung des Panarabismus nicht allein anhand des Kriteriums vorzunehmen, ob das zentrale Ziel der Integration erreicht wurde. Vielmehr müsse man auch die konkreten identitätsstiftenden Auswirkungen panarabischer Politik untersuchen. Vgl. Speer, Pan-Arabismus, S. 77. 60 Vgl. Kerr, Arab Cold War, S.  23  ff. 61 Vgl. Maxime Rodinson, Marxism and the Muslim World, S.  106  ff.

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und Jordanien, Großbritannien und dem Irak oder den USA und dem Libanon.62 So suchten die arabischen Länder zwar die Nähe zur UdSSR, bemühten sich aber gleichzeitig, deren Einfluss nicht zu groß werden zu lassen. Dies gilt besonders für Ägypten, das selbst den Anspruch verfolgte, zu einer transregionalen Großmacht zu werden, deren Wirkungsbereich sich über zwei Kontinente erstrecken würde. Die engen Beziehungen zur UdSSR führten auch deshalb nicht dazu, dass Ägypten ein sowjetischer Satellit geworden wäre,63 weil die ägyptische Regierung nicht gewillt war, sich Moskau ideologisch oder politisch unterzuordnen.64 Ägypten unterhielt zwar auch Beziehungen zur UdSSR, grenzte sich aber zugleich innen- und außenpolitisch von der Sowjetunion ab, da das Konzept eines Weltsozialismus mit den panarabischen und ägyptisch-nationalistischen Vorstellungen konfligierte. So verfolgte, inhaftierte und folterte die ägyptische Regierung die KommunistInnen im Inland ungeachtet der politischen und wirtschaftlichen Annäherung an die UdSSR. Darüber hinaus traten beide Staaten, unabhängig von der umfangreichen finanziellen und militärischen Unterstützung, die Ägypten durch die UdSSR erhielt, im Nahen Osten sogar als Konkurrenten auf.65 Nach der Gründung der VAR blieben die Beziehungen zwar spannungsreich, aber dennoch bestehen. Der kleinste gemeinsame Nenner – das Brechen westlicher Hegemonie – genügte beiden Seiten. Die UdSSR war auf das Fortbestehen der Beziehungen angewiesen, da sich ihr Interesse an Ägypten und später an der VAR nicht auf den Nahen Osten beschränkte; vielmehr sollte das Land darüber hinaus auch in Afrika als Türöffner für die sowjetischen Interessen fungieren. Denn die Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization und die von ihr ausgerichteten Konferenzen waren für 62

Vgl. Peter Sluglett, The Pan-Arab Movement and the Influence of Moscow and Cairo, in: William Roger Louis und Roger Owen (Hg.); A Revolutionary Year. The Middle East in 1958, 2002, London, S. 209–220, hier: 215. 63 Die neue ägyptische Führung, die sich nach dem Putsch zunächst mit den USA verbunden fühlte, suchte stabile Allianzen, um ihre ambitionierten innen- und außenpolitischen Ziele zu erreichen. Die bipolare Logik des Kalten Krieges war für sie kein Grund, sich dabei einschränken zu lassen. Auf der Suche nach Waffen oder nach einer Finanzierung für den geplanten Assuan-Staudamm wendete sie sich sowohl an die USA als auch an die UdSSR. Vgl. Ginat, A Reassessment, S.  234  f. 64 Vgl. Sluglett, Influence of Moscow and Cairo, S. 216 und Ginat, A Reassessment, S. 241. 65 Bis 1961 erhielt Ägypten von der UdSSR die höchsten Zuwendungen in Afrika.

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sowjetische AkteurInnen ein zentraler Zugang nach Afrika, durch den sie die Gelegenheit bekamen, Kontakte mit afrikanischen antikolonialen AktivistInnen zu knüpfen.66 Zusammenfassung

In der Zeit nach der Sueskrise verstand Nasser es, sich erfolgreich als Führungspersönlichkeit einer transregionalen arabischen Region zu inszenieren.67 Die ägyptische Regierung vertrat die panarabischen Positionen dabei vor allem aus strategischen Gründen. So half ihr das klare Bekenntnis zum Panarabismus, sich innenpolitisch zu festigen und außenpolitisch ihren Anspruch auf Anerkennung als transregionale Großmacht neben den Mächten des Kalten Krieges geltend zu machen. Nichtsdestotrotz konnte die UdSSR die antiimperialen Tendenzen, die sich gegen den Westen richteten, für sich nutzen, um über Ägypten Einfluss im Nahen Osten und daran anschließend auch in Afrika zu gewinnen.

4.3 »This struggle will affect us whether we want or not«. 68 Die neue ägyptische Afrikapolitik zwischen 1956 und 1961 Keineswegs zufällig wurde Kairo zu einem bedeutenden antikolonialen Zentrum, von dem aus afrikanische UnabhängigkeitskämpferInnen die Dekolonisation vorantrieben. Vielmehr ging dieser Entwicklung seit dem Militärputsch der »Freien Offiziere« eine gezielte neue Afrikapolitik voraus, die – neben den panarabischen Politikzielen – das zweite zentrale innenund außenpolitische Betätigungsfeld der ägyptischen Politik zwischen 1956 und 1961 darstellte. Nassers Neuausrichtung der Afrikapolitik

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das afrikapolitische Haupt­ interesse der ägyptischen Regierungen in guten Beziehungen zu den Nachbarstaaten gelegen. Aufgrund der großen ökonomischen Bedeutung des 66

Vgl. Kapitel 6. Vgl. Hanna Röbbelen, Ägypten: Phraraonismus, Pan-Arabismus und Pan-Islamismus, in: Rüdiger Robert, Daniela Schlicht und Shazia Saleem (Hg.), Kollektive Identitäten im Nahen und Mittleren Osten. Studien zum Verhältnis von Staat und Religion, 2010, Münster, S. 359–378, hier: S. 368. 68 Vgl. Nasser, Philosophy of the Revolution, S. 60. 67

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Nils für das Land richtete sich der Fokus zunächst vor allem auf den Sudan, auf Äthiopien und andere Länder, mit denen aufgrund der gemeinsamen Nil-Nutzung gute Beziehungen notwendig waren.69 Nach dem Putsch durch die »Freien Offiziere« knüpfte Präsident Nagib an diese afrikapolitische Linie an und nahm nordostafrikanische Integra­ tionspläne mit dem Sudan auf. Diese Pläne sollten nach der formalen Unabhängigkeit des Sudans greifen und die gemeinsame Nil-Nutzung erleichtern.70 Daneben bemühte sich Nagib um den Aufbau von Beziehungen zu politischen AkteurInnen in anderen afrikanischen Regionen und nahm 1954 Kontakt mit VertreterInnen Nigerias, Kenias und Ugandas auf.71 Nach seiner Machtübernahme brach Gamal Abdel Nasser mit dieser traditionellen Linie und richtete die Afrikapolitik neu aus.72 Die Gründe für diese Neujustierung waren erstens das Scheitern des Integrationsplans und zweitens geostrategische Überlegungen, die eine grundsätzlich antikoloniale Ausrichtung der Afrikapolitik zur Folge hatten. Denn in der Tat spekulierte Nasser, dass die voranschreitende Dekolonisation dazu führen würde, dass die kolonialen und imperialen Kräfte ihren Einfluss auf dem Kontinent verlieren. Hinzu kam, dass er sich nach der Sueskrise versprach, mittels einer prominenten Rolle in der afrikanischen Dekolonisation seinen erlangten innen- und außenpolitischen Status aufrechterhalten zu können.73 Seine antikoloniale Afrikapolitik gründete Nasser auf eine Studie, die er 1956 beim Supreme Committee to Supervise African Affairs in Auftrag gegeben hatte. Das Komitee sollte Vorschläge für eine Afrikapolitik ausarbeiten und schlug einen Flickenteppich verschiedener, mehr oder weniger zusammenhängender Maßnahmen vor, die sich auf den Umgang mit kolonisierten Gesellschaften bezogen. Darunter fielen die Einrichtung konsularischer Dienste in den afrikanischen Kolonien, die Gründung eines Instituts für Afrikawissenschaften, die Weitergabe technischen Wissens innerhalb eines Süd-Süd-Netzwerks, die Veranstaltung einer jährlich stattfindenden Afrika69 70

71 72 73

Vgl. Tareq Y. Ismael, The U.A.R. in Africa. Egypt’s Policy under Nasser, 1971, Evanston, S. 37. Es fanden sich weder in der politischen Elite noch in der Gesellschaft des Sudan Mehrheiten für eine ägyptisch-sudanesische Union. Vgl. Peter Mansfield, Nasser’s Egypt, 1969, Middlesex, S. 115  f. Vgl. Ismael, Africa, S. 24. Die ägyptische Regierung begann, diplomatische und kulturpolitische Beziehungen mit allen afrikanischen Staaten aufzunehmen. Vgl. ebd., S. 133  f. Vgl. ebd., S. 32.

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konferenz, der Ausbau des ägyptischen Telekommunikationsnetzwerks, die Aufbereitung ägyptischer Propaganda für die Unabhängigkeiten sowie die policy-Vorgabe »Africa for the Africans«.74 Anders als im Falle Ghanas waren die afrikapolitischen Maßnahmen der Nasser-Regierung aber nicht in einen transnationalen Plan für die nachkoloniale Zeit eingebettet. Die Maßnahmen sollten lediglich dazu dienen, die Unabhängigkeiten der Kolonien voranzutreiben, die erlangten Souveränitäten zu sichern sowie den ägyptischen Hegemonieanspruch in Afrika zu etablieren und zu behaupten.75 Maßnahmen zur Umsetzung der neuen Afrikapolitik

Um die Umsetzung dieser Afrikapolitik zu koordinieren, etablierte Nasser ein Africa Bureau, das ihm direkt unterstellt war. Von diesem aus wurde die neue Afrikapolitik der Nasser-Administration mit entsprechender Propaganda flankiert, die auf drei Säulen fußte: auf Publikationen, die sich positiv mit dem afrikanischen Kontinent auseinandersetzten, auf Filmmaterial, das die ägyptische Kultur vorstellte und auf Rundfunkbeiträgen, die die einzelnen afrikanischen Gesellschaften zielgruppengerecht adressieren sollten.76 Die Rundfunkübertragung spielte, wie im Kontext des Kalten Krieges, auch in der Dekolonisation eine zentrale Rolle.77 In Afrika waren Radiosendungen aufgrund der hohen Analphabetenrate in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren sogar besonders gut geeignet, um die breite Bevölkerung zu erreichen. Die ägyptische Regierung begann dementsprechend sehr früh damit, diese Kanäle zu bespielen. 74

Vgl. ebd., S. 34. 1956 erschien in der Zeitschrift »Egyptian Economic and Political Review« der Text An Africa Policy for Egypt. Dabei handelt es sich vermutlich um eine Zusammenfassung des Ergebnisberichts des Supreme Committee to Supervise African Affairs. Eine ins Englische übersetzte Version des Textes findet sich im Anhang in: ebd., Appendix I. 75 Die Regierung stufte die Afrikapolitik als zentrales Politikfeld ein, das alle weiteren Politikbereiche überlagere. Deshalb koordinierte und überwachte sie die Umsetzung der Afrikapolitik und die Botschaften in afrikanischen Ländern. Vgl. ebd., S. 247. 76 Bereits direkt nach dem Putsch gaben die »Freien Offiziere« eine Studie in Auftrag, die geeignete Propagandamittel mit Blick auf den afrikanischen Kontinent herausarbeiten sollte. Vgl. ebd., S. 154. 77 Einführend vgl. Ross A. Johnson, Radio Free Europe and Radio Liberty. The CIA Years and Beyond, 2010, Stanford; Alexander Badenoch, Andreas Fickers und Christian Henrich-Franke (Hg.), Airy Curtains in the European Ether. Broadcasting and the Cold War, 2013, Baden-Baden.

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So sendete der ägyptische Rundfunk ab 1954 ein tägliches Programm auf Swahili nach Ost-, Süd- und Zentralafrika. Sprachlich wurde das Repertoire dabei nach und nach erweitert, so dass bis 1961 Sendungen in Amharisch, Englisch, Französisch und Hausa, Lingala, Nyanji und Fulani folgten. Die Sendungen boten dabei unter anderem Nachrichten und Informationen über die Arbeit afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen.78 Die ägyptische Regierung investierte viel Geld in die technische Leistungskraft und das Programm. Die Entwicklung desselben erreichte 1964 ihren vorläufigen Höhepunkt, als der Rundfunk 766 Stunden pro Woche sendete und damit im globalen Radiopropaganda-Wettkampf hinter den USA den zweiten Platz einnahm.79 Ägypten richtete aber auch noch andere afrikapolitische Angebote an die Bevölkerungen der afrikanischen Staaten und Kolonien. So erleichterte die Regierung den Zugang zu ihren Schulen und Universitäten für NichtÄgypterInnen und etablierte ein umfangreiches Stipendienprogramm, das sich an afrikanische SchülerInnen und Studierende richtete. Bis Mitte der 1960er-Jahre wurde das Programm stetig ausgebaut, so dass sich 1964 über 30.000 afrikanische Studierende und SchülerInnen im Land aufhielten. Daneben etablierte die Regierung ein Netz von Schulen und Hochschulen mit insgesamt 16 Einrichtungen in anderen afrikanischen Ländern.80 Diese Bildungsangebote sollten zur Herausbildung lokaler Eliten und zur Produktion technischen Wissens beitragen und zudem ein positives Ägyptenbild in den Köpfen späterer Eliten platzieren.81 Die Kolonialverwaltungen hingegen störten sich daran, dass Menschen aus den Kolonien mittels Stipendien nach Ägypten gingen, da sie eine Radikalisierung der StipendiatInnen befürchteten.82

78 79 80 81

82

Das Programm umfasste Nachrichten, Koranlesungen und eine intensive Berichterstattung über Ägypten. Vgl. Ismael, Africa, S.  155  f. Vgl. ebd., S. 156. Vgl. ebd., S. 142. Vgl. ebd., S. 138  f. Die obige Skizze über die Auswirkungen der Studienjahre im Exil auf das Denken Kwame Nkrumahs gibt einen Hinweis auf die Wirkungsmacht einer solchen Politik (Vgl. Kapitel 3.1 und 3.2.). Auch andere Länder boten in jener Zeit AfrikanerInnen umfangreiche Stipendienprogramme an. Vgl. Tom Schachtman, Airlift to America: How Barack Obama, Sr., John F. Kennedy, Tom Mboya, and 800 East African Students Changed Their World and Ours, 2009, New York. Vgl. Mansfield, Nasser’s Egypt, S. 117.

4 Panarabismus, Sueskrise und Afrikapolitik | 113

Ägyptens Unterstützung antikolonialer AktivistInnen

Zur neuen afrikapolitischen Strategie gehörte es auch, dass man antikolonialen AkteurInnen in Kairo die nötige Infrastruktur für ihre politische Arbeit bot. Ähnlich wie in Accra das BAA, war in Kairo mit der 1957 gegründeten African Association (AA) eine nichtstaatliche Einrichtung die zentrale Anlaufstelle für die afrikanischen politischen Gruppen. Deren Bemühungen und Unterstützung ermöglichte es, dass bis 1962 insgesamt fünfzehn Gruppen antikolonialer AktivistInnen von Kairo aus ihre Arbeit verrichten konnten.83 So bot das AA diesen die Möglichkeit, zu publizieren, Radiosendungen zu gestalten, Pressekonferenzen zu geben, Stipendien zu erhalten und Kontakte zu afrikanischen und nicht-afrikanischen AkteurInnen zu knüpfen.84 Zudem erhielten die Gruppen in Kairo eine finanzielle Grundausstattung, das Angebot, Büros zu unterhalten und am wichtigsten: die Möglichkeit zu reisen.85 Für die antikolonialen AkteurInnen war der Zugriff auf diese praktischen Hilfestellungen und Infrastrukturen in Kairo eine große Stütze in ihrem Streben nach Unabhängigkeit. Viele von ihnen nahmen, wie auch in Accra, die ihnen gebotenen Möglichkeiten dankbar wahr, weil sie in ihren eigenen Ländern nicht ungehindert politisch arbeiten konnten.86 Dies galt unter anderem für die kamerunische Union des Populations du Cameroun (UPC). Nach dem Verbot der Partei sowohl im französischen als auch im britischen Kamerun setzte Félix Moumié ab 1958 von Kairo aus seine politische Arbeit fort. Dort gründete er eine Exilregierung und bekam die nötige praktische und logistische Unterstützung. Von Kairo aus konnte er sogar Reisen ins Ausland unternehmen, um sich dadurch die außenpolitische Legitimation für seinen Anspruch zu erarbeiten, der rechtmäßige Repräsentant der kamerunischen Bevölkerung zu sein.87 83

84

85 86 87

Vgl. Helmi Sharawy, Memories on African liberation (1956–1975). A Personal Experience from Egypt: Part 2, (http://www.pambazuka.org/pan-africanism/memo ries-african-liberation-1956-1975-part-2, zuletzt aufgerufen am: 19.10.2016). Vgl. Ismael, Africa, S. 134  f. Die Möglichkeit zu publizieren bot die AA bis in die späten 1960er-Jahre. So veröffentlichte unter anderem die Basutoland Congress Party 1967 eine Monografie mit Hilfe der African Association. Vgl. Summary of B.C.P. Struggle for Independence. 1952–1967, 1967, Kairo. Vgl. Mansfield, Nasser’s Egypt, S. 116. Vgl. Ismael, Africa, S. 131. Vgl. Margaret Roberts, Political Prospects for the Cameroun, in: The World Today, Vol. 16, Nr. 7, 1960, London, S. 305–313, hier: S. 308.

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1959 zog es auch kenianische AktivistInnen nach Kairo. Eine Gruppe um Oginga Odinga, später erster Vizepräsident Kenias, vertiefte in Kairo Kontakte mit anderen afrikanischen UnabhängigkeitskämpferInnen und brachten Publikationen auf den Weg, um ihrer Perspektive auf die Geschehnisse in Kenia eine größere Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen.88 Dies zeigt, wie attraktiv Kairo für viele antikoloniale AktivistInnen war, die Unterstützung für ihre politische Arbeit suchten. In Kairo bot sich den AktivistInnen darüber hinaus die Möglichkeit, mit sowjetischen und chinesischen AkteurInnen in Austausch zu kommen. Gerne nahmen sie alle Angebote wahr, die ihnen in ihrem antikolonialen Kampf opportun erschienen, so dass z.B. Félix Moumié und Oginga Odinga von Ägypten aus Reiseeinladungen in die UdSSR und in die VR China folgten.89 Der internationale Austausch beschränkte sich aber nicht nur auf kommunistische Gruppen: Die ägyptische Regierung garantierte den afrikanischen AktivistInnen auch, dass ihre Anliegen Berücksichtigung in den Foren der Vereinten Nationen erhielten.90 Die Nasser-Regierung verfolgte mit ihrem Angebot das machtpolitische Ziel, sich durch die Unterstützung potentieller zukünftiger afrikanischer Regierungsmitglieder und PolitikerInnen eine Riege loyaler und einflussreicher politischer Verbündeter heranzuziehen.91 Ägypten unterstützte daher neben Unabhängigkeitsbewegungen auch junge Staaten nach deren formaler Unabhängigkeit. Ihnen bot die ägyptische Regierung technische und finanzielle Hilfe an und befand sich damit im Wettstreit mit den westlichen und kommunistischen Staaten. So erhielt z.B. die somalische Regie88

Vgl. Oginga Odinga, Not yet Uhuru. The Autobiography of Oginga Odinga, 1967, London, S.  186  ff. 89 Vgl. Odinga, Uhuru, S. 188  f und Roberts, Cameroun, S. 308. 90 Unter anderem flossen durch ägyptische Unterstützung Anliegen somalischer und eritreischer AktivistInnen in die jeweiligen Verhandlungsgruppen der Mandate bzw. Protektorate ein. Vgl. Helmi Sharawy, Memories on African liberation (1956–1975). A Personal Experience from Egypt, (http://www.pambazuka.org/ pan-africanism/memories-african-liberation-1956-1975, zuletzt aufgerufen am: 19.10.2016). Vgl. auch Kapitel 6.3. 91 Da sie nicht abschätzen konnte, welche von diesen in der jeweiligen nachkolonialen Ordnung die Regierung stellen würde, unterstützte sie unterschiedliche Gruppen gleichermaßen, darunter auch rivalisierende Gruppen wie z.B. die südafrikanischen Parteien African National Congress und Pan Africanist Congress (PAC). In Kairo ergab sich folglich ein diverses und heterogenes Gemisch an Gruppen, die unterschiedliche politische Hintergründe und Organisationsgrade aufwiesen. Vgl. Sharawy, Part 2.

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rung Kredite sowie Guinea und Dahomey praktische Unterstützung bei der Umsetzung größerer Infrastrukturprojekte.92 Zwar erlangten die Angebote nie den Umfang derjenigen der USA oder der UdSSR, dokumentierten aber dennoch den ägyptischen Anspruch, eine Führungsrolle auf dem afrikanischen Kontinent innezuhaben. Ägyptische vs. Ghanaische Afrikapolitik

Ein Vergleich mit der ghanaischen Afrikapolitik verdeutlicht, dass es viele Gemeinsamkeiten gab. Beide Länder adressierten frühzeitig afrikanische Unabhängigkeitsbewegungen und boten ihnen strukturelle und inhaltliche Hilfe an. Beide nutzten dabei auch ähnliche Mittel: Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit, Stipendienprogramme sowie die Ausrichtung internationaler Konferenzen. Beide Länder beanspruchten überdies eine Führungsrolle in der afrikanischen Dekolonisation und in der neu entstehenden postkolonialen Ordnung. Viele der Parteien und AktivistInnen in Kairo unterhielten auch enge Kontakte nach Ghana und arbeiteten zum Teil von Accra aus. Neben den bereits genannten Félix Moumié und Oginga Odinga galt dies unter anderem auch für den Ugander John Kale, den Südafrikaner Oliver Tambo (ANC) oder Joshua Nkomo und Kenneth Kaunda.93 Außerdem nahmen viele Delegationen sowohl an Konferenzen in Accra als auch in Kairo teil. Es ist davon auszugehen, dass die AktivistInnen dadurch, dass sie viel zwischen Accra und Kairo hin und her reisten, regelmäßig Ideen zwischen diesen beiden Knotenpunkten des sich entspinnenden Netzwerks transportierten und die Szenen der beiden Städte sich dadurch gegenseitig befruchteten und immer dichter miteinander verwoben. Ein Unterschied zur ghanaischen Afrikapolitik lag aber im fehlenden transnationalen ideologischen Überbau der ägyptischen Afrikapolitik. Den panafrikanischen Zielen Nkrumahs und seiner MitstreiterInnen setzte die ägyptische Regierung kein Äquivalent entgegen, sondern lediglich eine national zentrierte Erzählung von Ägypten als kultureller Wiege Afrikas.

92 93

Vgl. Ismael, Africa, S. 158. Vgl. Sharawy, A Personal Experience from Egypt.

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Ägyptens Führungsanspruch zwischen Kolonisation und Kaltem Krieg

Den neuen afrikapolitischen Schwerpunkt der Außenpolitik begleitete die Nasser-Administration mit einer propagandistischen Afrikanisierung der eigenen Geschichte, die bis zurück in die Antike reichte. Damit einher ging eine Kritik an der angeblich durch die KolonisatorInnen durchgeführten Trennung des Kontinents in einen nördlichen und in einen subsaharischen Teil. Die von der Regierung lancierte Rhetorik, dass Ägypten der essentielle und fortschrittlichste Teil des afrikanischen Kontinents sei, richtete sich zum einen nach innen, um die eigene Bevölkerung für den außenpolitischen Fokus zu begeistern, zum anderen aber auch nach außen, um den eigenen Führungsanspruch zu untermauern.94 Zum neuen Narrativ gehörte so das Selbstverständnis, dass die ägyptische Unabhängigkeit die Vorhut der gesamten afrikanischen Dekolonisation sei. Demnach stünde Ägypten nicht nur geografisch, sondern auch in puncto Entwicklung zwischen einem rückständigen Afrika und dem fortgeschrittenen Rest der Welt. Die afrikanischen Staaten und noch kolonisierten Gesellschaften seien mithin angehalten, dem ägyptischen Vorbild zu folgen, falls sie aufschließen wollten.95 Beides zeugt von einer paternalistischen Sicht Ägyptens auf den afrikanischen Kontinent, eine Tendenz, die sich auch im unverhältnismäßigen Übergewicht der arabischen und asiatischen Delegationen gegenüber den afrikanischen auf den frühen Konferenzen der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization wiederfindet.96 Die USA und ihre europäischen Partner bewerteten die ägyptische Afrikapolitik aber allein vor dem Kontext des Kalten Krieges. Sie nahmen Nasser nicht als eigenständigen afrikapolitischen Akteur wahr, sondern sahen in ihm lediglich den verlängerten Arm Chruschtschows. Sowohl die USA als auch Großbritannien und Frankreich kritisierten Ägypten für die kritische Darstellung ihrer Länder in den ägyptischen Medien und vermuteten hinter der ägyptischen Afrikapolitik sowjetische Interessen.97 Für Nasser selbst aber zeugte die ägyptische Kritik am Westen keineswegs von einer Art Vasallentum Ägyptens gegenüber der UdSSR: Sie 94

Vgl. Ismael, Africa, S. 103  ff. und S. 110. In seinem Buch Philosophy of the Revolution argumentierte Nasser sogar, dass sich Ägypten dem Wunsch der AfrikanerInnen, von Ägypten geführt zu werden, beugen müsse. Vgl. Nasser, Philosophy of the Revolution, S. 75. 96 Von Paternalismus zeugt auch der entwicklungspolitische Schwerpunkt in den Debatten. Vgl. Kapitel 6.1. 97 Vgl. Stephens, Nasser, S. 306 und S. 318. 95

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erklärte sich vielmehr dadurch, dass die mit den USA verbundenen europäischen Kolonialstaaten durch den immer noch bestehenden Kolonialismus im Gegensatz zur UdSSR nach wie vor ökonomisch, politisch und kulturell Einfluss auf dem Kontinent hatten. Dass solche kolonialen Ansprüche nach wie vor existierten, hatte der ägyptischen Regierung die Sueskrise verdeutlicht. Nach derselben nahm die ägyptische Afrikapolitik deshalb unter Nasser eine klar antiimperialistische Ausrichtung an und richtete sich damit automatisch gegen »den Westen«. Vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Kalten Krieges argumentierten Nasser und andere Regierende afrikanischer und asiatischer Staaten überdies, dass die Neutralität der neuen unabhängigen Staaten in diesem Zusammenhang friedensstiftende Auswirkungen für die gesamte Welt haben würde. Diese Argumentation findet sich in den Resolutionen der meisten antikolonialen internationalen Konferenzen, die in Ghana und Ägypten ausgerichtet wurden. Sie hatte aber nicht nur strategische Gründe, sondern spiegelt die reale Furcht vor den Folgen eines Nuklearkrieges wider.98 Zusammenfassung

In seiner Schrift The Philosophy of the Revolution suggeriert Gamal Abdel Nasser, dass seine ägyptische Afrikapolitik durch das Schicksal determiniert sei: »Can we ignore that there is a continent of Africa in which fate has placed us and which is destined today to witness a terrible struggle on its future? This struggle will affect us whether we want or not.«99

In Wahrheit war sie aber strategisch begründet und hatte das Ziel, die ägyptische Führungsposition auf dem afrikanischen Kontinent zu sichern. Ab 1956 setzte die Nasser-Regierung zu diesem Zweck eine systematische antikoloniale Afrikapolitik um, bei der sie durch verschiedene Maßnahmen die Gesellschaften und PolitikerInnen in den Kolonien unterstützte.

98 99

Vgl. Kapitel 5.3 Vgl. Nasser, Philosophy of the Revolution, S. 60.

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4.4 Zwischenfazit Nach dem Putsch durch die »Freien Offiziere« überschlugen sich in Ägypten die Ereignisse. Innerhalb weniger Jahre folgten der Putsch, die Sueskrise, die Entwicklung einer panarabischen und afrikapolitischen Innen- und Außenpolitik und der Ausbau afro-asiatischer Netzwerke. Durch die Sueskrise rückte Ägypten in den Fokus der globalen medialen Aufmerksamkeit und Politik. Insbesonders in Asien und Afrika wirkte sich der Verlauf der Krise trotz der militärischen Unterlegenheit zum Vorteil Nassers aus. So ermöglichten die panarabische Politiklinien es der NasserRegierung, sich innenpolitisch zu stabilisieren und außenpolitisch eine eigenständige und vom Kalten Krieg unabhängige Position einzunehmen. Daneben wandte sich Ägypten auch vermehrt dem afrikanischen Kontinent zu. Um in einer nachkolonialen Weltordnung möglichst viele Verbündete zu finden, unterstützte das Land unter Nasser massiv die afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen.100 Dadurch etablierte sich Kairo neben Accra als zentraler Zufluchtsort für die VertreterInnen derselben. Aufgrund der hohen Symbolkraft der Sueskrise bot sich die ägyptische Hauptstadt fortan als Bühne für afro-asiatische Solidaritätskonferenzen sowie als Sitz für Solidaritätsorganisationen an, war doch der Widerstand Ägyptens gegenüber den beiden Kolonialstaaten ein global moment gewesen, der dem nordafrikanischen Land in der afrikanischen und asiatischen Welt einen außerordentlichen Stellenwert verlieh.

100 Lange

Zeit setzte die ägyptische Regierung dabei zuvorderst auf diplomatische und kulturdiplomatische Mittel. Angesichts der Kongokrise und der weiter voranschreitenden Radikalisierung antikolonialer AkteurInnen, passte die Regierung ihre Unterstützungsangebote dann den neuen Umständen an. Von 1961 an wurden so den antikolonialen Gruppen neben den bisherigen Hilfen auch militärische Trainings angeboten. Vgl. Sharawy, Part 2. Eine ähnliche Radikalisierung konnte man auch in Accra beobachten. Vgl. Kapitel 3.4.

5

Zwischenräume der Dekolonisation. Die All-African People’s Conferences (AAPC) und die Positive Action Conference for Peace and Security in Africa (PACPSA)

Der postkoloniale Theoretiker Homi Bhabha beschreibt in seinem 2007 an der Universität Wien gehaltenen Vortrag »Über kulturelle Hybridität« sein Konzept der »Zwischenräume«: Demnach entstünden in Transformationszeiten »Übergangs- oder Da-Zwischen-Zeitlichkeit(en)«, die sich dadurch auszeichneten, dass in ihnen keine konkrete Ordnung vorherrsche und es an politischer Stabilität und Autorität mangele, die eine lineare Entwicklung vorzeichne.1 Auch das globalpolitische Setting der Nachkriegszeit war, in einer Zeit der globalen Unordnung, ein solcher Zwischenraum. Geprägt war es von der globalen Suche nach einer stabilen Friedensordnung, dem aufkommenden Kalten Krieg und der Dekolonisation. Den durch die globalpolitische Konstellation sich auftuenden Handlungsspielraum nutzend, organisierte die Nkrumah-Regierung zwischen 1958 und 1961 diverse internationale Konferenzen, die mit den schon etablierten internationalen Foren in punkto Gestaltung einer neuen Weltordnung konkurrierten. Die All-African People’s Conferences (AAPC) sowie die Positive Action Conference for Peace and Security in Africa (PACPSA) waren Versuche der Institutionalisierung eines solchen Zwischenraums. Auf der ersten All-African People’s Conference debattierten auf Einladung Kwame Nkrumahs VertreterInnen unabhängiger afrikanischer Staaten und Kolonien gemeinsam Wege in die Unabhängigkeiten und nachkoloniale Ord1

Vgl. Homi K. Bhabha, Über kulturelle Hybridität. Tradition und Übersetzung, 2012, Wien, S. 29f.

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nungsvorstellungen. Den europäischen Vorschlägen zur Neugestaltung der europäisch-afrikanischen Beziehungen stellten die Delegierten der AAPC dort eigene Konzepte entgegen und beanspruchten damit die Deutungshoheit über die Afrika betreffenden Zukunftsentwürfe (Kapitel 5.1). Die Mitglieder der All-African People’s Conference Organisation (AAPCO) bzw. die Teilnehmer der Konferenzen bildeten aber, wie besonders auf der zweiten und dritten All-African People’s Conference sichtbar wurde, keine homogene Einheit.2 Die Hauptkonfliktlinien betrafen den Einsatz von Gewalt auf dem Weg zur Unabhängigkeit sowie die divergierenden Interessen der VertreterInnen der schon unabhängigen Gesellschaften einerseits und der noch kolonisierten andererseits. Dass diese Spannungen nicht gelöst werden konnten, verhinderte die konkrete Umsetzung radikaler transnationaler Konzepte, die im afrikanischen Zwischenraum entstanden (Kapitel 5.2). Einen erfolglosen Versuch der ghanaischen Regierung, den sich auflösenden Zwischenraum aufrecht zu erhalten, stellt die Positive Action Conference on Peace and Security in Africa im April 1960 in Accra dar. Der Umstand, dass diesmal nur die VertreterInnen bereits unabhängiger Staaten Entscheidungen treffen, diejenigen der Kolonien aber zu bloßen Ideengebern degradiert werden sollten, vertiefte nur die Gräben zwischen den Konfliktparteien (Kapitel 5.3).

5.1

Transnationale Gegenentwürfe für ein postkoloniales Afrika. Inhalte und Strategien der All-African People’s Conference 1958

In seiner Eröffnungsrede zur ersten All-African People’s Conference (5. bis 12. Dezember 1958 in Accra) kritisierte Kwame Nkrumah die europäisch und nordamerikanisch geprägten internationalen Organisationen als Einrichtungen mit imperialen Zielen:

2

Homi Bhabha hat betont, dass marginalisierte Gruppen natürlich nicht per se durch Unterdrückung oder Ausschluss zu einem homogenen Block zusammenwachsen. Vgl. Bhabha, Über kulturelle Hybridität, S. 36.

5 Zwischenräume der Dekolonisation. Die AAPC und die PACPSA | 121

»[…] Imperialists are now co-ordinating their activities by forming Military (sic!) and economic pacts such as NATO, European Common Market, Free Trade Areas, Organisation for European Economic Co-Operation, Common Organisation in Sahara for the purpose of strengthening their Imperialist activities in Africa and elsewhere […].«3

Diese Kritik dokumentiert exemplarisch die Überzeugung der antikolonialen AkteurInnen jener Zeit, sich gegen neue imperiale und koloniale Anstrengungen wehren zu müssen. In diesem Zusammenhang betonte Nkrumah die Notwendigkeit, den imperialen Bemühungen eigene afrikanische Ideen entgegenzustellen. Die von ihm initiierte AAPC sollte deshalb ein alternatives Forum im Sinne der afrikanischen Unabhängigkeiten konstituieren und antikolonialen AktivistInnen und PolitikerInnen die Möglichkeit einräumen, eigene, gesamtafrikanische Ordnungsvorstellungen zu entwickeln. Diese Entwürfe waren nicht zuletzt deshalb transnational, weil sie sich als Antwort auf europäische Räume und Ideen verstanden, die ebenfalls über das Nationale hinausgingen. Der Anspruch auf Aneignung der Deutungshoheit über die eigenen Unabhängigkeiten ging aber keineswegs mit einer afrikanischen Isolationspolitik einher. Vielmehr bot die AAPC den Delegierten reichlich Gelegenheit, sich mit asiatischen, US-amerikanischen und europäischen Delegierten auszutauschen. Planung und Vorbereitung der AAPC

Im Unterschied zum in der Forschung oft gezeichneten Bild von der AAPC als einem quasi spontanen Ereignis,4 zeigen die Quellen vielmehr, dass die 3

Vgl. PRAAD, ADM 16-12-All-African People’s Conference, News Bulletin, 8th–12th December, 1958, Vol. 1, No. 4, S. 1. 4 Auch in der jüngeren Literatur dominiert diese Sichtweise. So schreibt Meredith Terretta, dass Kwame Nkrumah der Einfall zu einer solchen Konferenz spontan während einer Sitzung der Conference of Independent African States (CIAS) gekommen sei, an der nur VertreterInnen bereits unabhängiger afrikanischer Staaten als stimmberechtigte Delegierte teilnehmen durften. Terretta stützt ihre Aussage auf eine handschriftliche Notiz, die während der CIAS entstand und in der steht, dass die Einführung einer Redezeit für AfrikanerInnen aus den Kolonien in deren Interesse wäre. Terrettas Interpretation, dass hier die Idee einer zivilgesellschaftlichen Konferenz entstand, ist nicht nachvollziehbar. Die Notiz lässt in der Zusam-

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Konferenz ein Ergebnis jahrelanger Vernetzung war. So gründete Nkrumah bereits 1953, also fünf Jahre vor der AAPC, in Accra das All-African Conference-Büro,5 das zur Aufgabe hatte, die Vernetzung der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen voranzutreiben. Doch auch andernorts bemühten sich antikoloniale AkteurInnen schon früh  – wenn auch nicht immer mit Erfolg  – um eine transnationale Vernetzung des afrikanische Kontinents. So dokumentiert beispielsweise ein Bericht des Colonial Office aus dem Jahr 1953 mehrere Bestrebungen von AfrikanerInnen, Netzwerk-Treffen zu organisieren. Dem Bericht zufolge plante der Nyasaland African Congress (NAC) ein Treffen von Ost-, Südund ZentralafrikanerInnen im April 1953. Und auch außerhalb Afrikas war man sehr bemüht, antikoloniale Konferenzen zu organisieren: So suchten diverse asiatische Gruppen, von denen viele sozialistisch ausgerichtet waren, engere Verbindungen zu den AktivistInnen in den afrikanischen Kolonien; beispielsweise reisten 1954 auf Einladung der Asian Socialist Conference hin der Kenianer Joseph Murumbi, der Nigerianer Nnamdi Azikiwe sowie Jim Markham aus der Goldküste nach Burma.6 Ihre Absicht war es, mögliche Kooperationen zwischen den afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen und den asiatischen Organisationen zu besprechen. Zudem versuchte der britische Congress of People Against Imperialism, Kontakte zu afrikanischen antikolonialen AkteurInnen aufrechtzuerhalten.7 Die Planung der AAPC konkretisierte sich dann im Oktober 1955, drei Jahre vor ihrer Ausrichtung. In einem an »All African Freedom Movements« adressierten Schreiben forderte das All-African Conference-Büro die afrikanischen UnabhängigkeitskämpferInnen zur Zusammenarbeit auf, um menstellung der Akte diesen Schluss gar nicht zu, da sie sich deutlich auf die CIAS bezieht. Die Idee einer breit aufgesetzten antikolonialen Konferenz hat es zudem bereits zuvor gegeben. Ohne diese Vorarbeit wäre die Ausrichtung einer Konferenz in der Größenordnung der AAPC binnen eines halben Jahres nicht zu bewältigen gewesen. Vgl. Meredith Terretta, Cameroonian Nationalists go Global: From Forest ›Maquis‹ to a Pan-African Accra, in: The Journal of African History, Vol. 51, Nr. 2 (1. Januar 2010), Cambridge, S. 189–212, hier: S. 202; sowie PRAAD, SC/BAA/131Conference of Independent African States, Handschriftliche Notiz am 15. April 1958. 5 Zur West African Federation Conference vgl. Kap. 3.2. 6 Vgl. TNA, FCO 141-5050-Gold Coast: Asian-African links, 1954–1957, Bericht über das Co-Ordination Committee des Anti-Colonial Bureau. 7 Dies geht aus einem Bericht des Colonial Office hervor, der geplante panafrikanische Konferenzen dokumentiert. Vgl. TNA, DO 35-7621-Afro-Asian Pan African Congress, 1953, Reports of African Political Conferences.

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gemeinsam den Kolonialismus zu überwinden. Es kündigte eine Konferenz an, die in absehbarer Zeit in Accra stattfinden werde. In diesem Zusammenhang wollte das Büro möglichst viele Informationen über die Aktivitäten der Bewegungen und die politischen Umstände in den einzelnen Kolonien sammeln, um eine adäquate Themenauswahl für eine angedachte panafrikanische Konferenz ausarbeiten zu können.8 Entgegen dieser Ankündigung aber sollte die »All African Conference« letztlich erst nach der Unabhängigkeit der Goldküste stattfinden, damit Differenzen mit der britischen Kolonialverwaltung vermieden werden konnten; diesen Kompromiss hatte Kwame Nkrumah dem Gouverneur der Goldküste Sir Arden-Clarke in einem persönlichen Gespräch zugesichert 9 und hielt sich daran. So griff die ghanaische Regierung die Idee, eine antikoloniale Konferenz für nichtstaatliche AkteurInnen auszurichten, erst während der Jubiläumsfeier zur einjährigen Unabhängigkeit Ghanas im März 1958 und während der Conference of Independent African States (CIAS) im April 1958 in Accra öffentlich wieder auf. Zu dieser Jubiläumsfeier kamen zahlreiche VertreterInnen afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen. Kwame Nkrumah und sein Adviser in African Affairs George Padmore nutzten die Gelegenheit, um erneut intensiv für ihre Idee einer gesamtafrikanischen Konferenz zu werben.10 Dabei stießen sie vor allem bei den ostafrikanischen VertreterInnen, namentlich dem Kenianer Tom Mboya11 und dem tanganjikischen Vertreter Julius Nyerere, der die Gründungskonferenz des Pan-African Freedom Movement for East and Central Africa (PAFMECA) organisiert hatte, auf großes Interesse.12 Auf der CIAS sicherte sich Nkrumah die Unterstützung für seine Pläne seitens der Regierungsvertreter bereits unabhängiger afrikanischen Staaten. Auf der Konferenz beschlossen sie, die afrikanischen Unabhängigkeits8

Vgl. TNA, CO 1035-136-Possible Pan-African Conference, 1954–1956, Einladungsschreiben vom 19. Oktober 1955. 9 Dies teilte der britische Gouverneur der Goldküste Sir Arden Clarke dem Secretary of State for the Colonies in einem Telegramm am 26. November 1955 mit. Vgl. TNA, CO 1035-136-Possible Pan-African Conference, 1954–1956. 10 Dies geht aus einem internen Bericht des britischen Colonial Office aus dem Dezember 1958 hervor. Vgl. TNA, FCO 141-461-Basutoland: anti-Colonial nationalist movement, 1955–60. 11 Kurzbiographie zu Tom Mboya siehe S. 236. 12 Vgl. David Goldsworthy, Tom Mboya, 1982, Nairobi, S. 98. Zur PAFMECA vgl. TNA, CO 822-1338-Pan-African Freedom Movement of East and Central Africa, 1957–59, Bericht der Polizei in Tanganijka über die Konferenz vom 20. Oktober 1958.

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bewegungen geschlossen zu unterstützen und ein Vorbereitungskomittee für die AAPC einzurichten. Dieses setzte sich vornehmlich aus Mitgliedern der Unabhängigkeitsbewegungen zusammen, die bei der Jubiläumsfeier zur Unabhängigkeit gewesen waren.13 Die ghanaische Regierung trug die Kosten dieser Vorbereitungskonferenz samt der Transferkosten der Delegierten.14 Einladungspolitik und TeilnehmerInnen der AAPC

Bei den Einladungen achteten die OrganisatorInnen peinlichst darauf, möglichst viele, auch rivalisierende Parteien, Gewerkschaften und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen einzuladen. Denn in der Tat strebten sie an, ein möglichst breites Bündnis aufzustellen, das nicht im Verdacht stünde, einem der politischen Blöcke des Kalten Krieges anzugehören.15 An der All-African People’s Conference nahmen so letztlich über 300 Personen von 62 unterschiedlichen Parteien, Bewegungen oder Organisationen teil; diese kamen dabei aus nicht weniger als 25 Kolonien sowie aus den bereits unabhängigen afrikanischen Ländern, aber auch aus den USA, Europa und Asien.16 Dennoch kam Kritik an der Einladungspolitik auf. Tom Mboya beispielsweise beanstandet in seinen Memoiren die Zusammensetzung des Vorbereitungsgremiums. So habe es der Konferenz und der dort gegründeten Organisation geschadet, dass nicht Repräsentanten aller bis dato unabhängigen afrikanischen Regierungen in die Planung eingebunden gewesen seien.17 Die liberianische Regierung ihrerseits zeigte sich irritiert davon, dass sie nicht auch selbst – wie doch so manche Organisation selbigen Landes – in die Vorbereitung involviert wurde.18 Auch Ahmadou Ahidjo, der 13 14

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Vgl. Willard S. Thompson, Ghana’s Foreign Policy 1957–1966, 1969, Princeton, S. 63. Unter anderem trug sie die Reisekosten Patrice Lumumbas, Ntsu Mokhelhes, Tom Mboyas und Felix Moumiés. Vgl. GPRLAA, BAA-GPRLAA 450–Bills All African Conference, 1959, Rechnungsbelege vom 29. September 1959. In der Eröffnungsrede bekräftigte Kwame Nkrumah diesen Anspruch. Vgl. PRAAD, ADM 16-10-All-African People’s Conference, Speeches by the Prime Minister of Ghana at the Opening and Closing Sessions on December 8th and 13th, 1958, S. 7. Unter ihnen waren viele spätere Minister, Ministerpräsidenten und Präsidenten afrikanischer Länder: Hastings Banda, der erste Ministerpräsident Malawis, Kenneth Kaunda, erster Präsident Sambias oder Abeid Karume, erster Präsident Sansibars. Für die Delegiertenliste vgl. PRAAD, ADM 16-12-All-African People’s Conference, News Bulletin, 8th–12th December, 1958, Vol. 1, No. 5. Vgl. Tom Mboya, Freedom and After, 1963, London, S. 217  f. Vgl. Thompson, Foreign Policy, S. 63.

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Premierminister Französisch-Kameruns, zeigte sich wenig zufrieden über die Einladungspolitik der AAPC und verweigerte seine Teilnahme für den Fall, dass die oppositionelle und im Exil arbeitende Union des Populations du Cameroun (UPC) an der Konferenz teilnehmen würde.19 Zwar wirft die Delegiertenliste der Konferenz durchaus Fragen auf und lässt auf eine exklusive Einladungspolitik schließen, doch dürfen auch die praktischen Schwierigkeiten nicht unterschlagen werden, mit denen sich die VeranstalterInnen bei der Vorbereitung konfrontiert sahen. So deuten obige Reaktionen an, wie kompliziert es war, vor dem Hintergrund der Heterogenität und partiellen Animosität der adressierten Gruppen ein breites transnationales Netz einzuladen. Auch müssen bei einer Kritik an der gezielten Einladungspolitik die limitierten Möglichkeiten der VeranstalterInnen sowie die Lückenhaftigkeit ihrer Netzwerke berücksichtigt werden.20 So schreibt Ras Makonnen, der Leiter des African Affairs Centre in Accra, in seinen Memoiren, dass die PlanerInnen in vielen Gebieten Afrikas keine Kontakte besessen hätten und deshalb bei den Einladungen auf die Zuarbeit Dritter angewiesen gewesen seien. Beispielsweise half in diesem Fall der israelische Botschafter in Ghana, Kontakte in den Kongo und nach Angola herzustellen.21 George Padmores Mitteilung auf einer Pressekonferenz im November 1958 in Accra, dass Einladungsschreiben an Parteien und Gewerkschaften aus den frankophonen Kolonien gegangen seien,22 zeugt auch von den Bemühungen der VeranstalterInnen, die durch den Kolonialismus bedingten (Sprach-)Grenzen zu durchbrechen. Und obwohl selbstverständlich nicht alle afrikanischen AktivistInnen der Einladung zur AAPC folgten, fanden sich afrikanische VertreterInnen sowohl aus franko-, anglo- wie lusophonen Ländern in Accra ein. Die afrikanischen Delegierten standen auf der Konferenz aber nicht nur untereinander im Austausch. Die OrganisatorInnen hatten vielmehr

19

Vgl. Terretta, Go Global, S. 203. Ras Makonnen, der intensiv an den Vorbereitungen beteiligt war, räumt ein, dass sie Joseph Kasavubu schlicht nicht gekannt hätten. Genauso hätten sie erst auf der Konferenz Patrice Lumumba kennengelernt. Vgl. Ras Makonnen, Pan-Africanism from within, 1973, Nairobi, S. 216. 21 Die israelische Hilfe bei der Vorbereitung der AAPC spielte auch im Verhältnis der Knotenpunkte Ghana und Ägypten eine wichtige Rolle. Zur Unterstützung vgl. ebd., S.  215  f. 22 Insgesamt seien über 500 Einladungen versandt worden. Vgl. French African P.M.s Invited to Accra Talks, in: Daily Graphic, 7. November 1958, S. 1. 20

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bewusst fraternal delegates und internationale BeobachterInnen auf die Konferenz eingeladen, um den Delegierten die Möglichkeit zu bieten, interkontinentale Kontakte zu knüpfen. So fanden sich auf der AAPC so unterschiedliche TeilnehmerInnen ein wie afro-amerikanische BürgerrechtsaktivistInnen, VertreterInnen afrikanischer Studierendenorganisationen aus Frankreich und England, afrikanische Intellektuelle, die im Ausland lebten, europäische PolitikerInnen und nicht zuletzt prominente Ehrengäste, die die Tradition antikolonialen Widerstands dokumentierten.23 Solche Vernetzungen kamen den Delegierten auf politischer wie persönlicher Ebene öfters auf kaum zu unterschätzende Weise zugute. So nutzten beispielsweise Joshua Nkomo vom südrhodesischen African National Congress und Kanyama Chiume vom Nyasaland African Congress die Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen, und sollten davon schon kurz nach der Konferenz profitieren: Als sie sich während der Massenverhaftungen von ANC-Mitgliedern im Winter 1958/59 in der Föderation Rhodesien und in Njassaland nach England bzw. in die USA absetzen konnten, wurden sie dort vom Movement for Colonial Freedom (MCF) respektive dem American Committee on Africa unterstützt. Diese Organisationen hatten beide an der AAPC als Beobachter teilgenommen und boten den afrikanischen Politikern im Exil die notwendigen Foren, damit sie ihre Agenden weiterhin vertreten konnten. Das MCF ermöglichte es 1959 zudem manchen afrikanischen Unabhängigkeitskämpfern, die die AAPC besucht hatten, auf diversen Veranstaltungen in England vor bis zu 1500 BritInnen zu sprechen. Das Besondere an diesen Auftritten war, dass auch britische ParlamentarierInnen an ihnen teilnahmen, was den Vortragenden öffentliche Legitimation verlieh und sie zu offiziellen Vertretern ihrer Gesellschaften machte. So organisierte das MCF zum Beispiel für Hastings Banda, Kenneth Kaunda, Joshua Nkomo und Garfield

23

Unter ihnen waren George Houser, ein US-amerikanischer Bürgerrechtsaktivist und Mitbegründer des Congress of Racial Equality, Alioune Diop, Herausgeber der in Paris erscheinenden Présence Africain sowie der Historiker Joseph Kizerbo als Vertreter der ebenfalls in Paris ansässigen Société africaine de culture. Zu den Ehrengästen zählten W.E.B. Du Bois und Fenner Brockway, britischer Parlamentarier und Vorsitzender des antikolonialen Movement for Colonial Freedom (MCF). Vgl. PRAAD, ADM 16-12-All-African People’s Conference, News Bulletin, 8th–12th December, 1958, Vol. 1, No. 5.

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Todd eine Vortragsreise durch England, um von diesen die Ergebnisse des »Monckton-Reports« bewerten zu lassen.24 Vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs und der Verschiebungen globaler Machtverhältnisse war es bemerkenswert, dass zudem Amtsträger aus den USA, der UdSSR, Frankreich und England auf der Konferenz präsent waren. An der ihnen zugeteilten Rolle als bloßen BeobachterInnen, die AfrikanerInnen dabei zusahen, wie diese die Unabhängigkeiten verhandelten, ließ sich das neue afrikanische (Selbst-)Verständnis ablesen, dass die Deutungshoheit über die Dekolonisation bei afrikanischen AkteurInnen liegen solle. Konfliktlinien auf der All-African People’s Conference

Auf der All-African People’s Conference wurden – wie angesichts des heterogenen Teilnehmerfelds kaum anders zu erwarten – verschiedenste Rivalitäten zwischen den Delegationen sichtbar. Diese beruhten nicht zuletzt auf den unterschiedlichen kolonialen Erfahrungen und äußerten sich in konfligierenden Positionen bei den Diskussionen über den »richtigen« Weg in die Unabhängigkeit. In seinen Memoiren beschreibt der Vorsitzende der Konferenz Tom Mboya die innerafrikanischen Differenzen, die während der AAPC auftraten. Demnach hätten sich während der Arbeiten in den Kommissionen erhebliche kulturelle Differenzen vor allem zwischen den Delegierten aus den anglophonen und denjenigen aus den frankophonen Ländern gezeigt.25 Homer Jack, der für das antikoloniale American Committee on Africa (ACOA) an der Konferenz teilnahm, identifiziert in einem Kommentar zur AAPC hingegen Spannungen zwischen einzelnen Delegationen um die Führungsrolle in den Unabhängigkeitskämpfen.26 Diese seien zuvorderst zwischen den AkteurInnen des Vorbereitungskomitees der AAPC und den VertreterInnen der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (AAPSO) aufgetreten. Um einer möglichen Einflussnahme durch externe Kräfte vorzubeugen, hatte das Vorbereitungskomitee nämlich festgelegt, dass nur afrikanische 24

Vgl. SOAS Archives (MCF), ACT 83-Tour of Britain by Central African Leaders, 1960, Veranstaltungsankündigung »Central Africa Speaks To Britain!«. 25 In diesem Zusammenhang soll die Vermittlerrolle der afrikanischen Kommissionsvorsitzenden besonders schwierig gewesen sein. Vgl. Mboya, Freedom and After, S. 220. 26 Vgl. Homer A. Jack, Ideological Conflicts, in: Africa Today, Vol. 6, Nr. 1, 1959, Indiana, S. 11–17, hier: S. 11.

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Delegationen an den Sitzungen der Kommissionen teilnehmen dürften. Mit dieser Entscheidung richtete sich das Komitee auch gegen die VertreterInnen der AAPSO, die es damit von der Arbeit in den Kommissionen ausschloss. Über Umwege versuchten diese aber dennoch Einfluss auf die Formulierung der Resolutionen zu nehmen, indem sie sich intensiv mit den Delegationen der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) und afrikanischen Studierenden, die in Ägypten lebten, austauschten. Da Letztere häufig nicht Teil der offiziellen Delegationen afrikanischer Kolonien waren, dürfte für die VertreterInnen der AAPSO vor allem der Kontakt zu Fouad Galal27 wesentlich gewesen sein. Dieser war Leiter der Gewerkschaftsdelegation der VAR und hatte den Vorsitz der Kommission I inne, die die »Resolution on Imperialism and Colonialism« ausarbeitete.28 Galal war aber gegenüber den VeranstalterInnen nicht auf Konfrontationskurs und beugte sich in zentralen Fragen den vorherrschenden Mehrheiten, so zum Beispiel in den Debatten über die Gründung einer beständigen Organisation und der Frage nach deren Sitz.29 Eine Zerreißprobe für die Konferenz war die Frage, ob die Unabhängigkeiten gewaltsam erstritten werden dürften. Frantz Fanon30, der an der AAPC für den algerischen Front de Libération Nationale teilnahm, forderte in seiner viel beachteten Rede von seinen afrikanischen MitstreiterInnen Unterstützung im algerischen Unabhängigkeitskampf. Fanons Haltung erklärte sich aus seinen Erfahrungen in Algerien, stand aber im Widerspruch zur Positive Action-Position Kwame Nkrumahs, die dieser in der Eröffnungsrede als einen Grundsatz der Konferenz proklamiert hatte. Letztlich einigten sich die Delegierten auf einen Kompromiss, der Gewalt als letztes Mittel für legitim erklärte.31 Diese Einigung sollte sich freilich als vorläufig erweisen, würde diese Fragestellung die UnabhängigkeitskämpferInnen doch noch öfter spalten.32

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Kurzbiographie zu Fouad Galal siehe S. 235. Vgl. ebd., S. 14 und 17. Vgl. ebd., S. 16. Kurzbiographie zu Frantz Fanon siehe S. 235. Eine brauchbare Untersuchung des Aspekts liefert Jeffrey S. Ahlman, The Algerian Question in Nkrumah’s Ghana, 1958–1960: Debating »Violence« and »Nonviolence« in African Decolonization, in: Africa Today 57, Nr. 2 (Dezember 2010), Indiana, S.  66–84, hier: S.  74  ff. Vgl. hierzu Kap. 5.2 und 5.3.

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Die transnationalen Zukunftsentwürfe der AAPC

»The liberation of Africa is the task of Africans« lautete die Parole, mit der Kwame Nkrumah anlässlich seiner Eröffnungsrede der Konferenz aufwartete.33 Diesen Anspruch präzisierte er in drei verschiedene Richtungen: Erstens sollte er angesichts der neokolonialen europäischen Bestrebungen gelten, zweitens angesichts der Gefahr der Einflussnahme seitens der beiden Blöcke des Kalten Kriegs sowie drittens angesichts des klassischen Panafrikanismus, den bis dato die AkteurInnen aus den USA und der Karibik dominiert hatten.34 Nkrumah betonte die Eigenständigkeit der afrikanischen AkteurInnen und verbot sich vehement Einmischungsversuche in die innerafrikanischen Angelegenheiten: »Some of us, I think, need reminding that Africa is a Continent on its own. It is not an extension of Europe or any other continent. We want, therefore, to develop our own community and an African Personality. Others may feel that they have evolved the very best way of life, but we are not bound, like slavish imitators, to accept it as our mould. If we find the methods used by others are suitable to our social environments, we shall adopt or adapt them; if we find them unsuitable, we shall reject them.«35

African Unity sollte dabei das bevorzugte Mittel sein, die Unabhängigkeiten zu erlangen. So führte Nkrumah auf der AAPC aus, dass eine enge afrikanische Verflechtung notwendig sei, um den europäischen Versuchen, den afrikanischen Kontinent in Abhängigkeit zu halten, erfolgreich entgegenzuwirken.36 Das Konzept der African Unity lässt sich also nur als ein Gegenentwurf zu den europäischen Plänen, Afrika in den europäischen Wirtschaftsraum zu integrieren, vollständig verstehen.37 33

34 35

36 37

Vgl. PRAAD, ADM 16-10-All-African People’s Conference, Speeches by the Prime Minister of Ghana at the Opening and Closing Sessions on December 8th and 13th, S. 7. Vgl. Kapitel 3.1. Vgl. PRAAD, ADM 16-10-All-African People’s Conference, Speeches by the Prime Minister of Ghana at the Opening and Closing Sessions on December 8th and 13th, S. 6. Vgl. ebd. Die Abgrenzung erfolgte aber auch gegenüber dem Versuch imperialer Einflussnahme seitens den USA und der UdSSR. Die Delegation aus der UdSSR versuchte auf der Konferenz über Umwege Einfluss auf afrikanische Delegierte auszuüben. Vgl. Jack, Conflicts, S. 13.

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Sich selbst als erfolgreichen Staatsmann inszenierend, der sein Land in die Unabhängigkeit geführt hatte, stellte Nkrumah seine drei Schritte vor, die den Weg von den Unabhängigkeiten in die Vereinigten Staaten von Afrika bahnen sollten: 1) Erlangen der Unabhängigkeiten, 2) Konsolidierung derselben, 3) gesamtafrikanische Einheit. Auf diesem Fundament sollte dann der ökonomische und soziale Wiederaufbau vorangetrieben werden.38 Den Begriff des Wiederaufbaus entlehnte Nkrumah der europäischen Wiederaufbau-Debatte nach dem Zweiten Weltkrieg.39 Damit setzte er erstens die beiden Debatten in Beziehung zueinander und attestierte zweitens dem Kolonialismus, dass dieser den afrikanischen Kontinent nicht entwickelt, sondern zerstört habe. Die afrikanische Dekolonisation sei demnach ein Aufbruch in eine neue, friedliche Zeit, der analog dem europäischen Wiederaufbau transnational koordiniert und vorangetrieben werden müsse. Fanon seinerseits deutete das damalige Interesse an innerafrikanischer Solidarität in einem Essay zur afrikanischen Einheit ähnlich. Antikoloniale Bestrebungen richteten sich demnach gegen den Kolonialismus im Allgemeinen und seien deshalb gar nicht auf ein nationales Territorium zu begrenzen.40 Für ihn ergab sich das Streben nach einer gesamtafrikanischen Einheit aus den gemeinsamen Rahmenbedingungen, unter denen sich der antikoloniale Kampf vollzog. Ein Kampf für die eigene Unabhängigkeit sei automatisch ein Kampf gegen Kolonialismus an sich; diesen hätten die antikolonialen AkteurInnen zwar jeweils innerhalb eines nationalen Rahmens geführt, aber ohne dass er sich ideell lediglich gegen einen partikularen nationalen Kolonialismus gerichtet hätte. Das Ziel, die Deutungshoheit über die Unabhängigkeiten nach Afrika zu verlagern, richtete sich aber auch ein Stück weit gegen die frühere Pan-

38

Vgl. PRAAD, ADM 16-10-All-African People’s Conference, Speeches by the Prime Minister of Ghana at the Opening and Closing Sessions on December 8th and 13th, S. 4. 39 In jüngster Zeit sind mehrere Arbeiten erschienen, die sich mit der Assoziierungspolitik der EWG auseinandersetzen. Vgl. Martin Rempe, Entwicklung im Konflikt. Die EWG und der Senegal. 1957–1975, 2012, Köln, und Urban Vahsen, Eurafrikanische Entwicklungskooperation. Die Assoziierungspolitik der EWG gegenüber dem subsaharischen Afrika in den 1960er Jahren, 2010, Stuttgart. 40 Vgl. Frantz Fanon, Das kolonisierte Ding wird Mensch: ausgewählte Schriften, 1986, Leipzig, S. 158.

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afrikanische Bewegung selbst.41 Personelle Überschneidungen wie ähnliche inhaltliche Forderungen lassen zwar durchaus den von der Literatur häufig gezogenen Schluss zu, dass die AAPC in der Tradition der panafrikanischen Kongresse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand. Allerdings unterschied sich die Konferenz von 1958 von den früheren zugleich in den zwei wesentlichen Punkten, dass sie erstens von den AfrikanerInnen selbst ausgerichtet wurde und zweitens auf dem afrikanischen Kontinent stattfand. Die AAPC zeichnete sich folglich auch durch eine Rezentrierung des Panafrikanismus in geografischer wie personeller Hinsicht aus. Der Gefahr des Neokolonialismus und der Enttäuschung über die NichtUmsetzung völkerrechtlicher Grundsätze in Afrika begegneten die antikolonialen AktivistInnen also mit afrikanischen Gegenentwürfen für die Unabhängigkeiten, deren Fernziel die Vereinigten Staaten von Afrika waren. Die entsprechenden Resolutionen aber zielten zunächst auf die Verwirklichung des vorausgehenden Schritts, der in der Integration der unabhängigen afrikanischen Staaten zu regionalen Föderationen bestand, deren Legitimität per Referendum zu sanktionieren sei. Diese Marschroute war auch eine Konzession an das vorherrschende internationale Staatengefüge nationalstaatlicher Prägung, zu dem die afrikanischen Ordnungsvorstellungen keinen grundsätzlichen Gegensatz darstellen sollten. Das transnationale Zusammenwachsen Afrikas wollten die Delegierten durch eine Erleichterung und Verbesserung der innerafrikanischen Mobilität erreichen. Deshalb sprachen sie sich dafür aus, Pässe und andere Reisedokumente abzuschaffen und allen AfrikanerInnen in allen Ländern des Kontinents Staatsbürgerrechte zuzugestehen. Neben den territorialen Grenzen sollten zudem die sprachlichen Grenzen überwunden werden, indem man gemeinsame Schullehrpläne erarbeiten sowie in den unabhängigen Ländern Französisch oder Englisch neben der entsprechenden Amtsals erste Fremdsprache einführen wollte.42 Was den Auf- und Ausbau einer gemeinsamen Verkehrsinfrastruktur betrifft, beschlossen die Delegierten der AAPC die Gründung einer West African Airline ebenso wie den Bau eines gemeinsamen Schienen- und Stra41

Nkrumah sprach sich dafür aus, der Konferenz den Zusatz »All-African« und nicht »Pan-African« zu geben, um sich von den früheren Konferenzen abzugrenzen. Dies gegen den Willen George Padmores, der eine zentrale Figur der früheren Konferenzen war. Vgl. Thompson, Foreign Policy, S. 58. 42 Vgl. Mboya, Freedom and After, S. 220.

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ßennetzes. Darüber hinaus planten sie das Etablieren gemeinsamer Forschungseinrichtungen und nicht zuletzt die Einführung einer gemeinsamen Militärorganisation, die bis hin zur Gründung einer African Legion reichen sollte. Die Beschlüsse betrafen folglich bis dato als unveräußerlich geltende, essentielle Staatsaufgaben und übertrugen sie einem transnationalen Rahmen. Diese Vorschläge verdeutlichen mithin auf eindrückliche Weise, dass die afrikanischen Delegierten ihre nachkolonialen Ordnungskonzepte keineswegs auf einen nationalen Rahmen zu beschränkten gedachten und welche herausragende Rolle der Transnationalisierung allgemeingültiger Staatsvorstellungen bei der Entwicklung afrikanischer Gegenentwürfe zukam.43 Der Süd-Süd-Transfer von Ideen

Manche der Forderungen der AAPC in Accra knüpften an Inhalte anderer internationaler antikolonialer Konferenzen an und wurden dabei von Delegierten eingebracht, die selbst an diesen teilgenommen hatten  – ein Vorgang, der die damalige innerafrikanische Vernetzung und den Süd-SüdTransfer von Konzepten verdeutlicht. Dieser Süd-Süd-Transfer von Ideen und Positionen war ein elementarer Teil des Versuchs, unabhängige Positionen im Zuge der Dekolonisation zu entwickeln.44 Unter anderem griffen die Delegierten der AAPC die Kritik der Gründungskonferenz des Pan-African Freedom Movement of East and Central Africa, die im September 1958 stattgefunden hatte, an den kolonialen Grenzziehungen auf und sprachen sich für deren Aufhebung aus. Diese hätten unnatürliche Grenzen zwischen Völkern geschaffen und falsche Entitäten suggeriert, die noch immer zur Destabilisierung ganzer Regionen beitragen

43

Margrit Pernau weist darauf hin, dass »transnational« das Transzendieren der Ordnungskategorie Nation bedeutet. Diese Analysekategorie ist an dieser Stelle hilfreich, weil sie ermöglicht, die Kooperation, die sich in der AAPC manifestiert, nicht nur in Bezug auf die Überwindung von Grenzen zu interpretieren, sondern darüber hinaus die Dimension des Nachdenkens über Ordnungsvorstellungen aufzudecken und zu betonen, die über die Kategorie »Nation« hinausgeht. Transnational bedeutet hier dann das Überwinden der Ordnungsvorstellung Nation. Vgl. Margrit Pernau, Transnationale Geschichte, 2011, Göttingen, S. 17  f. 44 Gleiches gilt auch für den Freedom Fund, der die Finanzierung afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen gewährleisten sollte.

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würden.45 Tom Mboya, Julius Nyerere und andere hatten in Mwanza die Gefahr diskutiert, die vom Tribalismus für die Unabhängigkeiten ausging und waren zu dem Schluss gekommen, dass die politischen Führer den Unity-Gedanken stärker fördern müssten.46 Entsprechend hatten sie eine Resolution verabschiedet, die den Tribalismus verurteilte, und vereinbart, die erarbeiteten Inhalte in Accra einzubringen. Ein weiteres Beispiel für den innerafrikanischen Ideentransfer war der Beschluss, das bereits bestehende Netz internationaler afrikanischer Konferenzen auszubauen, um die einzelnen afrikanischen Gesellschaften einander näherzubringen. Zu diesem Zweck sollten regelmäßige Jugend-, Frauen-, Journalisten-, und Künstler-Konferenzen ausgerichtet werden. Eine fast identische Resolution, derzufolge Sub-Konferenzen veranstaltet werden sollten, um Frauen, Jugendliche und Kulturschaffende aus den Ländern miteinander zu vernetzen, hatten bereits die Delegierten der Gründungskonferenz der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference verabschiedet.47 Nicht zuletzt war ein solches Aufgreifen von Beschlüssen des PAFMECA und der AAPSO in Accra auch eine Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit dieser Organisationen. Einforderung der Menschenrechte in der politischen Praxis

Neben dem globalen Bezugsrahmen und dem Süd-Süd-Ideentransfer spielte auch die Adoption und Adaption westlicher Ideen eine wichtige Rolle bei der Aneignung der Deutungshoheit über die Unabhängigkeiten.48 So bedienten sich die Delegierten der AAPC in ihrer Argumentation häufig 45

Siehe hierzu die Resolution zu »Frontiers, Boundaries and Federations«. Vgl. PRAAD, ADM 16-12-All-African People’s Conference, News Bulletin, 8th–12th December, 1958, Vol. 1, No. 4, S. 5. 46 Vgl. TNA, CO 822-1338-Pan-African Freedom Movement of East and Central Africa, 1957–59, Bericht vom britischen Geheimdienst in Sansibar »Conference of East African Political Leaders Held at Mwanza from 15th to 18th September, 1958«. 47 Vgl. Labib, Fakhry und Shakeeb, Iman (Hg.), Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization. Fifty Years of Solidarity. 1958–2008, 2009, Kairo, S. 76. 48 Entsprechend griffen die Delegierten auch immer wieder auf transnationale koloniale Strukturen zurück, wenn diese ihnen nützlich erschienen. So war beispielsweise die Idee einer West African Airline, die auf der AAPC besprochen wurde, keineswegs neu, unterhielt doch zwischen 1948 und 1958 die British Overseas Airways Cooperation die West African Airways Corporation, die das anglophone Westafrika miteinander verband. Vgl. Osi Akpoghomeh, The Development of Air Transportation in Nigeria, in: Journal of Transport Geography, Vol. 7, Nr. 2 (Juni 1999), Amsterdam, S. 135–146, hier: S. 136.

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einer Strategie, die darin bestand, auf den Widerspruch der völkerrechtlichen Grundsätze zur kolonialen Praxis zu verweisen.49 Zwei von vier inhaltlichen Resolutionen bezogen sich dementsprechend auf die universale Gültigkeit der Menschenrechte.50 In der »Resolution on Racialism and Discriminatory Law and Practices« kritisierten die Delegierten, dass »[…] the Universal Declaration of Human Rights is being flouted in Africa and the Africans are deprived of the rights of men […]«.51 In einer weiteren Resolution adressierten die Delegierten direkt die Vereinten Nationen und forderten sie auf, betreffs der Dekolonisation ihren universellen Werten und Normen gerecht zu werden und im Sinne der Menschen in den Kolonien zu entscheiden.52 Auch die Tatsache, dass sich drei Kommissionen während der AAPC mit universellen Rechten und den Vereinten Nationen auseinandersetzten, verdeutlicht, dass die antikolonialen AktivistInnen eine vielversprechende Strategie darin erblickten, bis dato westlich dominierte Räume zu adressieren und die konsequente Anwendung dort verhandelter Werte einzufordern. Dieses Vorgehen war keineswegs neu und ist in den vergangenen Jahren vermehrt von der Forschung aufgegriffen worden. So belegt Fabian Klose in Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt die große Bedeutung der Menschenrechte im Rahmen der antikolonialen Bewegung seit den 1940erJahren. Forderungen, dass diese Rechte auch für AfrikanerInnen zu gelten hätten, hatten zuvor bereits antikoloniale Aktivisten wie Kwame Nkrumah, Nnamdi Azikiwe, der Marokkaner Ferhat Abbas oder George Padmore gestellt.53 49

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53

Deren Verwendung im antikolonialen Kampf weist Frederick Cooper, der in seinem Aufsatz Arbeiterkämpfe in französischen Kolonien skizziert, seit den 1940er Jahren nach. Vgl. Frederick Cooper, Arbeit, Politik und das Ende des Imperiums in Französisch-Afrika, in: ders. (Hg.), Kolonialismus denken. Konzepte und Theorien in kritischer Perspektive, 2012, Frankfurt, S. 337–378. Die »Resolution on Imperialism and Colonialism« und die »Resolution on Racialism and Discrimination Laws and Practices«. Vgl. PRAAD, ADM 16-12-All-African People’s Conference, News Bulletin, 8th–12th December, 1958, Vol. 1, No. 4, S. 7. Die Unvereinbarkeit von Kolonialismus und der Charta der Vereinten Nationen kritisierten ehemalige Kolonisierte auch innerhalb der Organisation selbst. Vgl. Madeleine Herren, Internationale Organisationen seit 1865, 2009, Darmstadt, S. 105. Vgl. Fabian Klose, Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt, 2009, München, S. 36 und Akira Iriye (Hg.), The Human Rights Revolution. Reinterpreting History, 2012, Oxford.

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Auch der indische Historiker und postkoloniale Theoretiker Dipesh Chakrabarty hebt die große Bedeutung humanistischer Ideen für die antikolonialen Bewegungen hervor und beschreibt am Beispiel Frantz Fanons, wie antikoloniale Denker die Geltung universeller Ideen und Rechte für sich reklamierten. So habe sich Fanon humanistischen Werten verschrieben und gleichzeitig erfahren müssen, dass Menschen aus den Kolonien in der rassistischen Ordnung des Kolonialismus vom Mensch-Sein ausgegrenzt waren und diese Werte für sie nicht galten.54 Fanon habe sich deshalb dazu entschlossen, die universelle Gültigkeit humanistischer Ideen vom Westen einzufordern.55 Denn erst mit der Geltung universeller Werte wie der Menschenrechte für wirklich alle Menschen könne der Rassismus des Kolonialismus überwunden werden. Diese Argumentationslinie übernahmen auch die Delegierten der AAPC, ging es doch auch ihnen darum, an den universellen politischen und kulturellen Ordnungen gleichberechtigt teilhaben zu dürfen.56 Zusammenfassung

Die All-African People’s Conference war ein wichtiger Impuls für die afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen und vom Wunsch der AfrikanerInnen geprägt, die Deutungshoheit über die eigene Dekolonisation zu erlangen. So ermöglichte die AAPC es den anwesenden Delegierten aus den Kolonien, sich untereinander und mit VertreterInnen bereits unabhängiger Länder zu vernetzen und Ideen auszutauschen – eine Vernetzung, die den AkteurInnen auch innenpolitisch half. In einem Bericht dokumentiert beispielsweise der britische Polizeipräsident der basutoländischen Hauptstadt Maseru, wie Ntsu Mokhehle (Basutoland African Congress) davon profitierte, auf der AAPC gewesen und ins Steering Committee der dort gegründeten AllAfrican People’s Conference Organisation gewählt worden zu sein.57 Bei der französischen Kolonialverwaltung stieß es hingegen auf wenig Wohlwollen, dass oppositionelle Gruppen wie die kamerunische Union des Populations du Cameroun sich im Rahmen der Konferenz international Gehör verschaf54

Vgl. Dipesh Chakrabarty, Europa als Provinz. Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung, 2010, Frankfurt, S. 155. 55 Vgl. ebd., S. 158. 56 Vgl. ebd., S. 163. 57 Vgl. TNA, FCO 141-461-Basutoland: anti-Colonial nationalist movement, Bericht vom 25. Juni 1959 des Commissioner of Police in Maseru an den Secretary of State for the Colonies über »External Subversive Influences in Africa«.

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fen konnten. Moumié, der die UPC auf der Konferenz vertrat, nutzte die mediale Aufmerksamkeit und erklärte auf einer Pressekonferenz, dass die UPC die legitime Regierung Kameruns sei.58 Die auf der AAPC verhandelten panafrikanischen Entwürfe für die Unabhängigkeiten widersprachen zudem dem französischen Vorhaben einer Integration der Kolonien in eine Französische Union.59 In einem Zwischenraum, der sich durch sich verschiebende globalpolitische Kräfteverhältnisse auszeichnete, präsentierten die VertreterInnen der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen keine utopischen Konzepte. Stattdessen erarbeiteten sie alternative, gesamtafrikanische Lösungsvorschläge, die möglichst mit dem bis dato vorherrschenden globalen Ordnungsrahmen harmonieren sollten.60 Die Delegierten verfolgten dabei bewusst die Strategie, ihre Anliegen in westlich dominierte Debatten und Diskurse einzuschreiben. Darüber hinaus afrikanisierten sie transnationale koloniale Ordnungskonzepte, aber im Zuge des Süd-Süd-Transfers auch verschiedene Ideen, die an anderen antikolonialen Knotenpunkten erarbeitet worden waren. Die AAPC war aber kein isoliertes Ereignis, das wirkungslos verpuffen sollte. Vielmehr beschlossen die Delegierten die Gründung einer gleichnamigen Organisation mit Sitz in Accra und institutionalisierten damit vorübergehend diesen transnationalen Aushandlungsraum. Damit erhoben sie die ghanaische Hauptstadt zugleich zu einem Zentrum der Dekolonisation,61 von dem aus die antikolonialen AkteurInnen Gegenentwürfe zu europäischen Ordnungsvorstellungen entwickeln, innerafrikanische Kooperationen pflegen und den Zwischenraum mitgestalten konnten. Allerdings wurden auf der AAPC auch schon erste Spannungen innerhalb des antikolonialen Netzwerks deutlich.

58

Vgl. Terretta, Go Global, S. 204. Vgl. ebd, S. 203. 60 Vgl. Frederick Cooper hebt die große Dynamik dieser Zeit hervor und verweist auf die multiplen Möglichkeiten für die Unabhängigkeiten, die die afrikanischen PolitikerInnen und AktivistInnen damals sahen. Vgl. Frederick Cooper, Possibility and Constraint: African Independence in Historical Perspective, in: The Journal of African History, Vol. 49, Nr. 2 (1. Juli 2008), 2008, Cambridge, S. 167–196, hier: S. 169. 61 Vgl. PRAAD, ADM 16-12-All-African People’s Conference, News Bulletin, 8th–12th December, 1958, Vol. 1, No. 4, S. 11. Zu den weiteren Konferenzen der AAPC und zur Arbeit des Steering Committee. 59

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5.2 Erfolge und Konfliktlinien der All-African People’s Conference. Die Radikalisierung des antikolonialen Netzes auf der zweiten und dritten Konferenz Nach der ersten All-African People’s Conference wurde in Accra entsprechend des Beschlusses der Delegierten eine gleichnamige Organisation gegründet, die 1960 und 1961 in Tunis und in Kairo zwei weitere All-African People’s Conferences ausrichtete. Insbesondere auf der Konferenz in Tunis nutzten die Delegierten weiter den durch die globalpolitische Konstellation gebotenen Zwischenraum, indem sie die panafrikanischen Konzepte für eine nachkoloniale Zeit fortentwickelten. Allerdings schaffte es die Organisation nicht, sich über 1961 hinaus zu etablieren, so dass trotz bereits begonnener Planungen keine vierte Konferenz mehr stattfand. Ein Abriss der Arbeit zweier zentraler Organe der AAPC – des Ständigen Sekretariats und des Lenkungsgremiums  – mag beleuchten, welche Differenzen zwischen den Mitgliedern der Organe der dauerhaften Etablierung derselben im Weg standen. Anschließend wende ich mich den beiden Konferenzen in Tunis und in Kairo zu. Auch wenn, wie wir sehen werden, dort die Ausgestaltung eines panafrikanischen Zwischenraums weiter voranschritt, wurden auf diesen Konferenzen doch zugleich mehrere Faktoren sichtbar, die entscheidend zum Bedeutungsverlust desselben beitrugen: 1) durch die (nahenden) formalen Unabhängigkeiten verlor die AAPC einen wesentlichen Teil ihrer Akteursgruppe; 2) die AAPC konkurrierte zunehmend mit anderen internationalen Foren, da viele afrikanische PolitikerInnen zunehmend auch bilaterale Beziehungen mit nicht-afrikanischen Staaten oder einen engen Austausch mit anderen internationalen Einrichtungen unterhielten; 3)  diplomatische Räume wie die AAPC verloren an Bedeutung, je offensichtlicher die militärische Bedrohung wurde, der sich die afrikanischen Länder vonseiten Europas ausgesetzt sahen. Gründung und Organisation der AAPCO

Die Delegierten der ersten AAPC sprachen sich für eine Institutionalisierung des Netzwerks aus, um ein beständiges Forum zu etablieren, mit dessen Hilfe die Unabhängigkeiten gefördert und mögliche nachkoloniale Ordnungen debattiert werden könnten. Die Resolution on the Establishment of a Permanent Organisation legte Accra als Sitz der Organisation fest und definierte deren Aufgabenbereich. So sollte die AAPCO den Austausch zwischen den afrikanischen Ländern fördern, die African Unity voranbrin-

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gen und die antikoloniale Arbeit unterstützen.62 Diesen Aufgaben kam die AAPCO vor allem dadurch nach, dass sie zwischen den Konferenzen den Informationsaustausch zwischen den einzelnen Mitgliedsorganisationen aufrechterhielt und Debatten über die inhaltliche Ausrichtung des antikolonialen Netzes vorantrieb. Für Ersteres war das Ständige Sekretariat zuständig, für Letzteres das Steuerungsgremium. Um diese Aufgaben zu bewältigen, benötigte die AAPCO dringend Geld. Die in der Satzung der Organisation mit 10£ festgesetzten Mitgliedsbeiträge waren aber so gering, dass sie zu einer chronischen finanziellen Unterversorgung führten, von den Parteien und Gewerkschaften aus den Kolonien waren jedoch keine größeren Mitgliedsbeiträge zu erwarten. Zwar zahlten die bereits unabhängigen afrikanischen Länder deutlich höhere Beiträge und halfen wiederholt aus, Engpässe zu beheben; trotzdem konnten auch sie die finanziellen Lücken nicht schließen. So kalkulierte nämlich Abdoulaye Diallo, der spätere Generalsekretär der AAPCO, für die politische Arbeit der Organisation einen finanziellen Jahresbedarf von über 14.000£, und das exklusive der Gehaltskosten der MitarbeiterInnen des Sekretariats.63 Eine hinreichende direkte finanzielle und materielle Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegungen war damit nicht möglich. Das Ständige Sekretariat der AAPCO prägten GhanaerInnen und nichtghanaische antikoloniale AktivistInnen, die in Accra lebten. Der Ghanaer John Paintsil war zunächst kommissarischer Leiter und wurde maßgeblich unterstützt durch den in der Karibik geborenen Ras T. Makonnen, den Nkrumah aus seiner Zeit in England kannte. Auf einer Pressekonferenz im Januar 1959 erklärten die beiden gemeinsam die Arbeit des Sekretariats. Demnach war es dessen Hauptaufgabe, den verschiedenen afrikanischen Parteien und Gewerkschaften Informationen zuzuspielen, damit die Geschehnisse in den Kolonien und die lokale Arbeit der AktivistInnen auf 62

Die Ziele waren im Wortlaut: »(a) To promote understanding and unity among peoples of Africa (b) To accelerate the liberation of Africa from Imperialism and Colonialism (c) To mobilise world opinion against the denial of political rights and fundamental human rights to Africans (d) To develop the feeling of one community among the peoples of Africa with the object to the emergence of a United States of Africa«. Vgl. PRAAD, ADM 16-12-All-African People’s Conference, News Bulletin, 8th–12th December, 1958, Vol. 1, No. 4, S. 11. 63 Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958– 1959), Bericht vom 23. Oktober 1959 des High Commissioner for the United Kingdom in Accra über das Treffen des Steering Committee der AAPC im Oktober 1959 in Accra, S. 4.

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breiter Basis rezipiert werden konnten. Eine weitere Aufgabe bestand darin, internationale Organisationen und Einrichtungen im Namen der Unabhängigkeitsbewegungen zu adressieren64 und diesen so Zugang zu ebenjenen Foren zu beschaffen, von denen sie bis dahin ausgeschlossen waren. Das insgesamt vierzehnköpfige Steuerungsgremium der AAPCO bestand aus Vertretern der unabhängigen Länder und der Kolonien, die von Delegierten der ersten All-African People’s Conference gewählt worden waren. Die Mitglieder debattierten aktuelle Geschehnisse in den Kolonien und verhandelten die politische Ausrichtung der Organisation. An den Sitzungen des Gremiums nahm eine illustre Runde teil: vertreten waren der ghanaische Außenminister Kojo Botsio, Patrice Lumumba, Frantz Fanon, Félix Moumié und Kanyama Chiume aus Nyasaland. Zwischen der ersten und der zweiten All-African People’s Conference tagte das Gremium dreimal. Treffen des Gremiums und interne Konflikte

Das erste Treffen des Steuerungsgremiums war ein Notfalltreffen, das für den 15. bis 17. April 1959 in Conakry anberaumt wurde. Anlass waren die Gewaltaktionen, die in Belgisch-Kongo und in Nyasaland von Kolonialverwaltungen gegen die lokale Bevölkerung verübt wurden.65 Dass es innerhalb des Gremiums Konflikte gab, lässt sich bereits daran ablesen, dass manche Mitglieder den Einladungen wiederholt nicht folgten.66 So fehlten auf der Sitzung in Conakry die Vertreter Nigerias, Tunesiens und der VAR. Der Ägypter Fouad Galal nahm aus Loyalität gegenüber Palästina nicht teil,

64

Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958– 1959), All-African People’s Conference. Press Conference held at the Ambassador Hotel, Accra, on the 30th January 1959. 65 Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958– 1959), Secret Report All-African People’s (sic!) Conference, S. 3. 66 Teilnehmer waren: George Padmore, John Tettegah und John Paintsil (Ghana), Dr. Dosumu Johnson und Dr. Richardson (Liberia), Joshua Nkomo (Süd-Rhodesien), Félix Moumié und Anatole Kamani (Kamerun), Samuel et Foundou (Belgien), M. Bahta (Äthiopien), Ntsu Mokhele (Basutoland) und Abdoulaye Diallo (Guinea). Vgl. PA AA, MfAA (A 14360): Allafrikanische Völkerkonferenzen, Brief von Wilhelm Kirschey an das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen Republik (Betreff: Tagung des Ausschusses der Konferenz der Völker Afrikas) vom 29.04.1960.

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da David Ramin, ein Mitarbeiter der israelischen Botschaft in Ghana, als Beobachter an der Sitzung des Steuerungsgremiums teilnahm.67 Auf der zweiten (letztlich inoffiziellen) Sitzung des Steuerungsgremiums in Tunis68 wiederum fehlten die Vertreter Ghanas und Guineas.69 Dabei machten die beiden Länder ihren beträchtlichen Einfluss innerhalb der Organisation sehr deutlich, indem sie eine Woche vor der geplanten Zusammenkunft des Gremiums durch Abdoulaye Diallo gleich die gesamte Sitzung absagen ließen.70 Vom in Accra ansässigen Organisationssekretariat reiste deshalb auch niemand nach Tunis und die ghanaische Presse ignorierte das trotzdem abgehaltene Treffen des Steuerungsgremiums komplett.71 Als die dritte Sitzung des Gremiums im Oktober 1959 in Accra stattfand, um die zweite All-African People’s Conference inhaltlich vorzubereiten, fehlte wiederum Tom Mboya, dessen Verhältnis mit dem ghanaischen Präsidenten mittlerweile merklich abgekühlt war.72 67 68

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Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958– 1959), List of Delegates to Steering Committee of Pan-African Conference of Accra. Der ursprünglich geplante Austragungsort war Kairo. Aufgrund von Befürchtungen, dass die britischen Kolonialverwaltungen Delegierte aus ostafrikanischen Kolonien nicht in die VAR würden reisen lassen, fand das Treffen in Tunis statt. Die tunesische Hauptstadt stand auch schon als Austragungsort für die zweite All-African People’s Conference fest. Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples Conference Secretariat, Accra (1958–1959), Secret Report All-African People’s (sic!) Conference, S. 4. Weitere bekanntere Delegierte waren der Algerier Ahmed Boumendjel, Joshua Nkomo aus Süd-Rhodesien und der Kenianer Joseph Murumbi. Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958–1959), Telegramm Nr. 27 von Mr. Malcolm von der britischen Botschaft in Tunis an das britische Foreign Office vom 04. Juni 1959. Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958– 1959), Secret Report All-African People’s (sic!) Conference, S. 4. Dies sei auf Betreiben der ghanaischen Regierung geschehen. Diese habe auch das Material der AAPC-Organisation in die Obhut der Regierungspartei Convention People’s Party überführt Vgl. ebd., S. 5. Die ghanaische Presse zählte nur zwei Treffen des Komitees – jenes in Guinea und jenes in Ghana. Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958–1959), Brief von L.J.D. Wakely vom Office of the High Commissioner for the United Kingdom in Accra an R.B. Dorman vom Commonwealth Relations Office vom 5. Oktober 1959. Andere zentrale Figuren wie Patrice Lumumba, John Kale, Joshua Nkomo und Frantz Fanon nahmen hingegen an dem Treffen teil. Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958–1959), Bericht vom 23. Oktober 1959 des High Commissioner for the United Kingdom in Accra über das Treffen des Steering Committee der AAPC im Oktober 1959 in Accra, S. 1.

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Doch auch in den kleinen Besetzungen fiel es dem Gremium schwer, gemeinsame Positionen betreffs der weiteren Ausrichtung der Organisation zu finden. Themen, die schon auf der All-African People’s Conference strittig gewesen waren, konnten auch in Conakry nicht gelöst werden. Vor allem die Debatte über die Legitimität eines militanten Weges in die Unabhängigkeit spaltete das Gremium auf der Sitzung in Conakry in zwei Lager. Dabei standen sich eine zur Gewalt bereite Gruppe um Félix Moumié und Patrice Lumumba sowie eine Gewalt strikt ablehnende Gruppe um George Padmore gegenüber,73 eine Konfliktlinie, die somit letzten Endes zwischen den AkteurInnen aus den Kolonien und denjenigen aus den unabhängigen Staaten verlief. Diese Konfliktlinie zeigte sich auch betreffs der Personalentscheidung für das Amt des Generalsekretärs der AAPC. So wurde am Ende der Sitzung in Conakry der guineische Gewerkschafter Abdoulaye Diallo zum Generalsekretär der Organisation ernannt.74 Daran beanstandete Tom Mboya, dass Nkrumahs Vertrauter Padmore wie selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen zu können glaubte, seinen Wunschkandidaten zu berufen.75 In ihrem Kern adressierte die Kritik auch ein strukturelles Problem, nämlich dass die VertreterInnen aus den bereits unabhängigen Ländern in der AAPCO mehr Verantwortung übernehmen konnten, und damit einhergehend eine entsprechend größere Machtbefugnis beanspruchten, während AktivistInnen aus den Kolonien nicht auf vielversprechende Posten in ihren Heimatländern verzichten konnten, um in Accra präsenter zu sein.76 In die73

Wie schon in Accra, setzte sich letztlich die Gewalt ablehnende Gruppe durch. Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples Conference Secretariat, Accra (1958–1959), Bericht von W.N. Hugh-Jones von der britischen Botschaft in Conakry vom 29. April 1959, S.  2  f. 74 Vgl. PA AA, MfAA (A 14360): Allafrikanische Völkerkonferenzen, Brief von Wilhelm Kirschey an das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen Republik (Betreff: Tagung des Ausschusses der Konferenz der Völker Afrikas) vom 29.04.1960, S. 7. 75 Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958– 1959), Brief von L.J.D. Wakely vom Office of the High Commissioner for the United Kingdom in Accra an R.B. Dorman vom Commonwealth Relations Office vom 5. Oktober 1959. 76 Die AktivistInnen aus den Kolonien wollten nur ungern die vielversprechenden Positionen in ihren Heimatländern aufgeben, die sie sich unter anderem durch ihre Mitarbeit in der AAPC erarbeitet hatten. Sie hofften, nach der formalen Unabhängigkeit politische Ämter im eigenen Land einnehmen zu können. Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958–1959), Bericht

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sem Zusammenhang störten sich einige der Gremiumsmitglieder besonders an der augenfälligen ghanaischen Dominanz. Insbesondere die Kenianer, die Ghanaer, die Guineer und die Vertreter der VAR versuchten in solchen inneren Machtkämpfen, die Deutungshoheit über die inhaltliche und organisatorische Ausrichtung der AAPC zu erlangen. Dennoch bestand jenseits dieser Grabenkämpfe weiterhin ein grundlegender Konsens über die panafrikanischen Ziele. So nutzte beispielsweise Tom Mboya eine USA-Reise, bei der er auf öffentlichen Veranstaltungen für die kenianischen Interessen warb, zugleich dafür, die Lage des gesamten Kontinents zu besprechen. Dem amerikanischen Publikum, das die globalen Zusammenhänge vor allem vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs wahrnahm, wollte er so die gesamtafrikanischen Politikleitlinien für die postkoloniale Zeit vermitteln.77 Die AAPCO als Weg zum persönlichen Aufstieg

Trotz der aufkeimenden Streitigkeiten war die Teilnahme an den Sitzungen des Lenkungsgremiums für die Akteure aus den Kolonien von großem Nutzen. So nutzte Patrice Lumumba seine Teilnahme am Treffen des Steuerungsgremiums in Conakry dazu, sich mit dem dortigen Botschafter der UdSSR zu treffen. Dabei unterrichtete er Peter Gerasimov darüber, dass seine Partei die Unabhängigkeit des Kongo für den Januar 1960 einfordern werde und er davon ausgehe, selbst die Regierung bilden zu können. Er bat Gerasimov deshalb um finanzielle Unterstützung und versicherte ihm, dass er nach der Unabhängigkeit so schnell wie möglich diplomatische Beziehungen mit der UdSSR etablieren würde.78 Dieses Treffen macht deutlich, welche nicht sofort offensichtlichen, aber doch eminenten Auswirkungen die Gründung der AAPC auf die Kräfteverhältnisse in den Kolonien hatte. Denn wer nicht wie Lumumba beim Treffen in Conakry war, hatte auch keine Gelegenheit, mit externen AkteurInnen und möglichen Verbündeten ins Gespräch zu kommen. vom 23. Oktober 1959 des High Commissioner for the United Kingdom in Accra über das Treffen des Steering Committee der AAPC im Oktober 1959 in Accra, S. 2. 77 Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958– 1959), Bericht von L.C. Glass über einen Vortrag von Tom Mboya vom 10. April 1959 in der Vollversammlung der World Affairs Conference der University of Colorado vom 13. April 1959, S. 1  f. 78 Vgl. Sergey Mazov, A Distant Front in the Cold War. The USSR in West Africa and the Congo, 1956–1964, 2010, Washington, S. 83.

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Die AkteurInnen aus den Kolonien profitierten von ihrer Teilnahme an den Sitzungen der AAPCO-Gremien auch in der außenpolitischen Wahrnehmung. So erhielt beispielsweise die britische Botschaft in Tunesien im Mai 1959 Direktiven über das erwünschte Verhalten gegenüber den Mitgliedern des dort tagenden Steuerungsgremiums. Demnach sollten die BotschaftsvertreterInnen die Mitglieder des Gremiums wie offizielle Diplomaten empfangen, die offiziellen Einladungen von Regierungsvertretern auf der Konferenz annehmen sowie die anwesenden Delegierten aus den ehemaligen und aktuellen britischen Kolonien höflich behandeln.79 Besonders letztere Direktive machte einen regelrechten diplomatischen Drahtseilakt erforderlich: Denn die gezeigte Höflichkeit durfte keineswegs suggerieren, dass die Delegierten als rechtmäßige und offizielle Vertreter anerkannt wurden. Dies galt umso mehr im Hinblick auf die Begegnungen mit Joshua Nkomo und Kanyama Chiume, die Parteien vertraten, die die britische Kolonialverwaltung 1959 in der Föderation von Rhodesien und Njassaland verboten hatte. Neben dem direkten Kontakt mit der britischen Botschaft eröffnete die Teilnahme an der Sitzung des Steuerungsgremiums in Tunis den Mitgliedern aus den Kolonien überdies, sich über das AAPCONetzwerk Gehör bei denen zu verschaffen, die ihnen sonst nicht zuhörten. So konnte man den tunesischen Delegierten und Botschafter im Vereinigten Königreich, Taieb Slim, dafür gewinnen, die Anliegen des Steuerungsgremiums gegenüber der britischen Regierung zu vertreten.80 Die zweite AAPC – Kontinuitäten und Brüche

Auf der zweiten All-African People’s Conference, die vom 25. bis 31. Januar 1960 in Tunis stattfand, wurden einerseits die panafrikanischen Ordnungskonzepte der ersten AAPC fortgeschrieben, traten andererseits aber auch die Spannungen unter den TeilnehmerInnen noch deutlicher zutage. An der Konferenz nahmen 183 Delegierte aus 34 afrikanischen Ländern teil, außerdem über 50 BeobachterInnen aus elf Ländern und diverse VertreterInnen internationaler Organisationen.81 Zum Zeitpunkt der Konferenz waren 79

Vgl. TNA, DO 35-7622-Steering Committee of All-African People’s Conference, Telegramm des Foreign Office an die britische Botschaft vom 22. Mai 1959. 80 Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958– 1959), Telegramm Nr. 27 von Mr. Malcolm von der britischen Botschaft in Tunis an das britische Foreign Office vom 04. Juni 1959, S. 2. 81 Wie schon auf der ersten AAPC hatten Personen, die nicht aus afrikanischen Ländern kamen, lediglich einen Beobachterstatus und waren somit nicht stimmbe-

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lediglich die schon auf den Weg gebrachten formalen Unabhängigkeiten Kameruns, Togos, Nigerias, Somalias und Kongos zu erwarten. Die rasante Entwicklung, die der Dekolonisationsprozess 1960, rückblickend als das »Afrikanische Jahr« tituliert, nehmen würde, war für die TeilnehmerInnen der Konferenz damals in der Form nicht vorhersehbar. Da 28 Delegationen Länder vertraten, die ihre Unabhängigkeit noch nicht erlangt hatten, kam der Großteil der Delegierten aus Kolonien. Wie schon auf der ersten AAPC waren die Delegationen aus den französischsprachigen Ländern unterrepräsentiert. Lediglich vier oppositionelle Gruppen wie die kamerunische UPC nahmen an der Konferenz teil.82 Die Ausrichtung der Konferenz in einem nordafrikanischen Land hatte zur Folge, dass die unabhängigen Staaten aus dieser Region – auf der Konferenz in Accra noch relativ schwach vertreten – in Tunis mit starken Delegationen präsent waren. So bestand die gastgebende tunesische Delegation aus 16 Personen, während die marokkanische Delegation im Vergleich zur ersten Konferenz von einer Person auf 16 anwuchs und 14 VertreterInnen der VAR an der Konferenz teilnahmen. Auch Ghana war trotz Bedenken über die Ausrichtung der AAPCO mit einer hochrangig besetzten Delegation vertreten.83 Viele der prägenden Figuren der AAPC hatten sich mittlerweile zu Führungsfiguren der Unabhängigkeitsbewegungen entwickelt und fehlten, gebunden durch andere Termine, auf den weiteren Konferenzen. Der Kenianer Tom Mboya etwa, der in Accra noch Vorsitzender der Konferenz gewesen war, reiste nicht nach Tunis, da er in London an der Round Table Conference teilnahm, auf der britische und kenianische VertreterInnen die zukünftigen Beziehungen der beiden Länder und der europäischen Siedlerechtigt. Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, Second All-African People’s (sic!) Conference. List of Delegates and Observers. 82 Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, AllAfrican Peoples’ (sic!) Conference (Bericht des Foreign Office vom Februar 1960, S. 1). 83 Nkrumah fürchtete, dass panafrikanische Ziele wie die der ghanaischen Regierung in Tunesien zu kurz kommen würden (Vgl. TNA, FO 371-146481-All African People (sic!) Conference, Tunis 1960, Brief vom 26. Januar 1960 von B.A. Flack an R.C. Cox vom Commonwealth Relations Office). Daher hatte er bereits vor Beginn der Konferenz in Tunesien eine weitere panafrikanische Konferenz angekündigt, die in Accra unabhängig von der AAPC stattfinden würde. Gemeint war damit die Positive Action Conference for Peace and Security in Africa. Vgl. Kapitel 5.3.

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rInnen verhandelten.84 Patrice Lumumba hingegen reiste nicht nach Tunesien, da er in Brüssel an der belgisch-kongolesischen Round Table Conference teilnahm, die ebenfalls parallel zur zweiten AAPC stattfand.85 Doch obwohl sich die African Unity mithin seit der ersten AAPC als fast unbestrittenes Leitkonzept im Dekolonisationsprozess etabliert hatte, erblickte der tunesische Präsident Habib Bourguiba in einer solchen afrikanischen Kooperation nur eingeschränkt die Möglichkeit, tatsächliche Unabhängigkeit zu erlangen. Stattdessen sollten vielmehr die EuropäerInnen und die AfrikanerInnen gemeinsame Visionen für eine postkoloniale Zeit entwickeln.86 Dennoch passte er sich dem vorherrschenden panafrikanischen Duktus an, als er die Eröffnungsrede der Konferenz hielt. So bemühte er Floskeln wie »As we are Africans first and Tunisians second«, lobte die Arbeit des AAPC-Sekretariats und betonte, dass es in Zeiten des globalen Wandels wichtig sei, dass sich afrikanische AkteurInnen untereinander vernetzten, um handlungsfähig zu sein.87 Für eine postkoloniale Zeit sah Bourguiba eine mühsame Auseinandersetzung mit den Folgen des Kolonialismus voraus, aber auch mit neokolonialen Abhängigkeiten, in die formal unabhängige afrikanische Länder zu geraten drohten. Der Generalsekretär der AAPC Abdoulaye Diallo hingegen gab ein klares Bekenntnis der Organisation zu den panafrikanischen Zielen. Er bekräftigte den stufenweisen Aufbau der afrikanischen Einheit, wie ihn die Delegierten in Accra vorgesehen hatten. Demnach sollten zunächst alle Unabhängigkeiten erlangt, Nationalstaaten gegründet, eine gemeinsame Infrastruktur aufgebaut und dann die regionalen Integrationen vorangebracht werden.88 Als Generalsekretär der Organisation war Diallo gut über die Entwicklungen in den Kolonien informiert und versuchte, unterschiedliche regionale Entwicklungen in Beziehung zu setzen. So berichtete er über die Unterdrückung von Gewerkschaften in Niger, über die Verhaftungen von politischen 84

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Britische und US-amerikanische Medien, die über die Round Table Conference in London berichteten, betrachteten Tom Mboya als die zentrale Figur der kenianischen Delegation. Vgl. Macharia Munene, Historical Reflections on Kenya. Intellectual Adventurism, Politics & International Relations, 2012, Nairobi, S. 143. Vgl. Federal Government of Belgium (Hg.), The Belgo-Congolese Round Table Conference, 1960, Brüssel. Vgl. ebd., S.  12  ff. »It is essential that we are kept well informed to dominate the situation, to foresee the events and eventually to act upon them. For the world is always in action and Africa is only awakening.« Vgl. ebd., S. 9. Vgl. ebd., S. 27.

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Aktivisten in Kenia, im Kongo und in Nyasaland sowie über rassistische Praktiken in Angola.89 Daneben skizzierte er diverse internationale antikoloniale Konferenzen, die im vergangenen Jahr auf dem Kontinent stattgefunden hatten, und verdeutlichte damit, dass die Dekolonisation ein Prozess war, den die AktivistInnen auch transnational vorantrieben.90 Über die globalen Zusammenhänge der Dekolonisation waren sich Bourguiba und Diallo weitgehend einig. Bourguiba verstand die Konstellation des Kalten Krieges als vorteilhaft für die afrikanischen AkteurInnen, da diesen aus ihr, sofern sie verstünden, sich richtig zu positionieren, neue Handlungsoptionen erwachsen würden.91 Diallo seinerseits warnte vor neokolonialen Gefahren, die auf junge Staaten nach den Unabhängigkeiten zukämen. Zudem wiederholte er seine Kritik an den europäischen Wirtschaftsplänen, die einen eurafrikanischen Wirtschaftsraum anstrebten.92 Neu war – und das lag vermutlich am Einfluss Frantz Fanons, der zu dieser Zeit in Accra lebte und regelmäßig an den Konferenzen teilnahm –, dass Bourguiba und Diallo auch psychologische Langzeitfolgen anführten, die sich für die afrikanischen Gesellschaften aufgrund der kolonialen Erfahrungen ergeben würden.93 Diallo führte aus, wie die KolonisatorInnen sich Land angeeignet und in der Folge ganze Kulturen und Zivilisationen unterdrückt und kolonisiert hätten. Im selben Geist beschäftigte sich auch eines der auf der Konferenz eingesetzten Komitees, schon ganz im Sinne »heutiger« postkolonialer Theorien, mit dem Thema »Dekolonisation und Neokolonialismus«.94 Resolutionen der zweiten AAPC

In den Resolutionen knüpften die Delegierten an die erste AAPC an und bekannten sich formal zur African Unity und zur Gründung eines afrika89 90 91

92 93 94

Vgl. ebd., S. 20. Vgl. ebd., S.  17  f. Bourguiba verortete den afrikanischen Kontinent trotz des Kalten Kriegs nicht in einer längs der West/Ost-Achse geteilten Welt, sondern meinte mit seiner Gegenüberstellung von »wir« und »sie« den globalen Süden und den globalen Norden. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 24. Vgl. Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, 1981, Frankfurt, besonders Kapitel 5. Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, Bericht von Mr. Malcolm von der britischen Botschaft in Tunis an das Foreign Office von der und über die AAPC vom 28. Januar.

5 Zwischenräume der Dekolonisation. Die AAPC und die PACPSA | 147

nischen Gewerkschaftsbundes. Einer allgemeinen politischen Resolution folgte eine Resolution zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Der letzte Teil der Resolutionen bestand aus Berichten und Forderungen der Delegationen einzelner Kolonien – General Resolution, Economic and Social Resolution, Resolution on African Unity, Resolution on the Unity of African Trades Union Organisations – sowie aus Resolutionen zu den Situationen in Algerien, in Südafrika, in Kamerun, in der Communauté française, im Kongo, in Ruanda-Urundi, in den portugiesischen Kolonien, in Kenia, in Tanganjika, in Sansibar, in Südwest-Afrika, in Somalia sowie in den Ländern der zentralafrikanischen Föderation.95 In der Resolution on African Unity bekräftigten die Delegierten die panafrikanischen Ziele, die die erste All-African People’s Conference formuliert hatte, und entwickelten diese weiter. Konkret forderten sie den Aufbau von Stipendienprogrammen, den koordinierten Austausch technischen Wissens und eine afrikanische Kulturpolitik, die die einzelnen Gesellschaften einander näherbringen sollten. Zu den in Tunis erneut aufgegriffenen Forderungen zählten aber auch z.B. die nach einer Erleichterung der Reisefreiheit innerhalb des afrikanischen Kontinents und die nach dem Aufbau einer gemeinsamen, grenzüberschreitenden Verkehrsinfrastruktur.96 In der Resolution zu ökonomischen und sozialen Fragen kritisierten die Delegierten, dass die Entwicklungshilfe dazu benutzt werde, die afrikanischen Wirtschaften voneinander zu isolieren und kleinzuhalten, mit dem Effekt, dass manche afrikanische Volkswirtschaften bereits von westlichen Staaten abhängig seien. Die Resolutionen des ökonomischen Teils, in denen die Konzepte der ersten All-African People’s Conference bekräftigt wurden, waren als Gegenentwurf zu einer solchen Vereinnahmung gedacht. Den Schlüssel für tatsächliche Unabhängigkeit erblickten die Delegierten weiterhin im Ausbau der Süd-Süd-Kooperationen. Wichtige Impulse kamen vom Marokkaner Ben Barka und vom Ägypter Fouad Galal, die die Gründung internationaler Organisationen, Banken und Wissenschaftseinrichtungen forderten, um einen koordinierten Transfer von Wissen und Strukturen

95

Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, All-African Peoples’ (sic!) Conference. Tunis, 25th–30th January, 1960, Konferenzbroschüre, S.  12  ff. 96 Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, All-African Peoples’ (sic!) Conference. Tunis, 25th–30th January, 1960, Konferenzbroschüre, S. 37–39.

148 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

zu ermöglichen.97 Die Zollbarrieren sollten abgeschafft und ein gemeinsamer Markt etabliert werden, die Finanz- und Wirtschaftsminister sollten regelmäßig Sitzungen abhalten, in denen die Wirtschaftspolitiken aufeinander abzustimmen seien. Um finanziell und technisch weniger von Dritten abhängig zu sein, sollte eine African Investment Bank mit dem Zweck gegründet werden, unterschiedliche Entwicklungsprojekte zu fördern; zur Ausbildung von Fachpersonal ein African Institute for Research and Training. Um den Transfer von Wissen zu verbessern, sprachen sich die Delegierten zudem dafür aus, eine sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Zeitschrift herauszugeben, Agrarexperten untereinander auszutauschen sowie regionale Organisationen zu gründen, die lokales Wissen generieren sollten.98 Die Resolutionen zu den politischen Entwicklungen in den jeweiligen Kolonien, die dem Informationsaustausch zwischen den afrikanischen Territorien dienen und einen Referenzrahmen für die einzelnen Unabhängigkeitsforderungen bilden sollten, arbeitete hingegen jede Delegation selbst aus. Am Ende wurden sie dann von allen Delegationen zusammen verabschiedet. Dieses Verfahren hatte Vor- und Nachteile: Zum einen sprach das Vorgehen den Delegationen die Deutungshoheit über die politische Situation in ihren jeweiligen Ländern zu und war somit autonomiefördernd. Zum anderen aber führte die Art der Textgenese dazu, dass die Resolutionen unzusammenhängend waren und in Teilen dem panafrikanischen Grundton der AAPC widersprachen.99 Erwünscht war aber vor allem der Effekt, dass der Abgleich der eigenen Situation mit denen der anderen dazu anhielt, die eigene Dekolonisation in einem transnationalen Rahmen zu verorten. So bemerkte der kenianische Delegierte Dr. Mungai Njeroge, dass es unwahrscheinlich sei, dass die KenianerInnen die positiven Entwicklungen in den

97

Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, Bericht von Mr. Malcolm von der britischen Botschaft in Tunis an das Foreign Office von der und über die AAPC vom 27. Januar, S. 2. 98 Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, All-African Peoples’ (sic!) Conference. Tunis, 25th–30th January, 1960, Konferenzbroschüre, S. 35. 99 So war z.B. die somalische Forderung nach der Zusammenführung einzelner Gebiete zu einem großsomalischen Reich ein Ausdruck nationalistischer Bestrebungen. Zudem widersprach dieses Anheizen bestehender Grenzstreitigkeiten der friedlichen panafrikanischen Rhetorik. Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, All-African Peoples’ (sic!) Conference. Tunis, 25th–30th January, 1960, Konferenzbroschüre, S. 50.

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anderen afrikanischen Ländern schlicht registrieren würden, ohne zum Vorantreiben der eigenen Unabhängigkeit angestachelt zu werden.100 Konflikte der zweiten AAPC: Gewalt- und Gewerkschaftsfrage

Ein großer Unterschied zur ersten AAPC war, dass die Delegierten in Tunis mittlerweile mehrheitlich Gewalt als ein probates Mittel auf dem Weg in die Unabhängigkeit erachteten. Dies unterstrich Ahmed Tlili in der Abschlussrede der Konferenz: »We are not regular attendants, I was going to say, specialists in international conferences […]. We are militants, fighters, men of action whose main worry is to find the most efficient means of gaining our objectives. It is our concern to demonstrate by results that our discussions are not dead letters.«101

Vor dem Hintergrund der Zunahme kolonialer Gewalt war für Tlili der militante Kampf eine legitime Fortsetzung des politischen Strebens nach Unabhängigkeit. In der politischen Resolution gedachten die Delegierten der MärtyrerInnen, die in den Kriegen um die Unabhängigkeit gefallen waren, erinnerten an den »heldenhaften Widerstandskampf« der AlgerierInnen und beschlossen die Gründung eines Freiwilligenkorps, das den Front National de Libération in Algerien unterstützen sollte.102 Ausgehend vom Krieg in Algerien hatte die Radikalisierung und Gewaltbereitschaft innerhalb des Netzes der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen deutlich zugenommen,103 eine Entwicklung, die den Vorstellungen Kwame Nkrumahs stark widersprach. 100 »In

this time of rapid communication, it would be to turn the clock back to the 19th century to ask the people of Kenya to hold still and to keep negotiating for responsible government while their neighbours enjoy complete independence.« Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples Conference Tunis, January 1960, Kenya Delegation Press Statement, vom 29. Januar 1960, unterschrieben von Dr. Mungai Njeroge. 101 TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, AllAfrican Peoples’ (sic!) Conference. Tunis, 25th–30th January, 1960, Konferenzbroschüre, S. 53. 102 Aus der Resolution zu Algerien. Vgl. ebd., S. 43. 103 Die Delegierten kritisierten die USA wegen ihrer finanziellen Unterstützung Frankreichs sowie ihrer Waffenlieferungen und setzten ein Schreiben auf, das sie an den Präsidenten und den Kongress der Vereinigten Staaten schickten. Darin forderten sie, jegliche Aktivitäten zu stoppen, die Frankreich im Algerienkrieg zugu-

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Auch der britische Abgeordnete der Conservative Party John Udal, der die zweite All-African People’s Conference in Tunis beobachtete, bemerkte zunehmende Reibungen innerhalb des Netzwerks. In einem Bericht, den er für den Secretary of State for Commonwealth Relations Alec Douglas-Home anfertigte, konstatierte er einen schleichenden Einflussverlust Ghanas und Guineas in der AAPCO und auf der zweiten AAPC. An Bedeutung gewinnen würden hingegen unter anderem die AktivistInnen und PolitikerInnen um Tom Mboya, die sich auch offen für Kooperationen mit nicht-afrikanischen AkteurInnen zeigen würden.104 In seinem Bericht zählte John Udal auch auf, welche machtpolitischen Auseinandersetzungen auf der AAPC die mögliche Gründung eines afrikanischen Gewerkschaftsbunds bedrohten: »The divisions between the French speaking and English speaking parts of the Continent, the authoritarian nature of the trades union structure both in Ghana (influenced by the Israeli mode) and in Guinea, as contrasted with their relatively free character in other territories such as Nigeria, and the national and personal rivalries and jealousies which already exist, will make it difficult for the new Federation to amount to more than another facade.«105

Bereits vor der Konferenz hatte sich die ghanaische Regierung in der Tat für die Gründung einer All-African Trade Union Federation (AATUF) ausgesprochen, die an der Seite der westlich dominierten International Confederation of Free Trade Unions (ICFTU) und der kommunistisch geprägten World Federation of Trade Unions (WFTU) die afrikanische Gewerkschaftsarbeit eigenständig zu koordinieren habe. Den ghanaisch-guineischen Vorstellungen zufolge sollte eine Mitgliedschaft in einem solchen Bund daher eine weitere Mitgliedschaft in einem anderen internationalen Gewerkschafts-

tekämen. Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958–1959), All-African Peoples’ (sic!) Conference Meeting of the Steering Committee held at Accra, Ghana, on the 6th–9th Oct. 1959, S. 43  f. 104 Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, Bericht vom 09. Februar 1960 über die AAPC II von J.O. Udal, Vertreter der der Conservative Party auf der AAPC II, an Lord Home, Secretary of State for Commonwealth Relations, S. 5. 105 Vgl. TNA, DO 35-9272-All African Peoples (sic!) Conference Secretariat, Accra (1958–1959), Bericht vom 26. Oktober 1959 des High Commissioner for the United Kingdom in Accra an den Secretary for Commonwealth Relations über das Treffen des Steuerungsgremiums der AAPC im Oktober 1959 in Accra, S. 4.

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bund ausschließen.106 Britische Beobachter der AAPC zeigten sich wenig besorgt über die geplante Gründung eines afrikanischen Gewerkschaftsbundes; innerhalb der AAPCO aber waren die Debatten über die AATUF ein zentraler Streitpunkt. So war für die Gruppe um Tom Mboya besonders die von Nkrumah vorgeschlagene exklusive Mitgliedschaft problematisch, unterhielten Mboya und andere doch enge Beziehungen mit den bereits existierenden Gewerkschaftsbünden. Mit diesen Mitgliedschaften waren für sie persönliche Vorteile, Hilfestellungen für Unabhängigkeitsbewegungen und Unterstützung bei der Etablierung junger Nationalstaaten und deren Ökonomien verbunden, auf die sie nicht zu verzichten bereit waren.107 Da bereits vor der Konferenz absehbar war, dass Mboya nicht an ihr würde teilnehmen können, empfahl Ahmed Tlili der ICFTU, dort hochrangig vertreten zu sein, um in der Gewerkschaftsfrage selbst Einfluss ausüben zu können.108 Im Falle Tlilis, des Vorsitzenden der Union général de tunisienne du travail (UGTT), die Mitglied im ICFTU war, wird der Interessenskonflikt besonders deutlich, da er zudem der zweiten AAPC als Präsident vorsaß. Die tunesische Gewerkschaft wiederum beantwortete die Frage, auf welche Seite sie sich stellte, nach der Konferenz dadurch, dass sie ihre engen Beziehungen zum internationalen Gewerkschaftsbund aufrechterhielt und wenige Monate nach der AAPC Gastgeber einer afrikanischen Regionalkonferenz der ICFTU war.109 106 Diese

Position vertrat eine Gruppe um den ghanaischen Delegationsleiter Kojo Botsio. Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, Bericht von Angus Malcolm an den britischen Außenminister Selwyn Lloyd über die AAPC II vom 9. Februar 1960, S. 6. 107 Vgl. TNA, DO 35-9273-All African Peoples (sic!) Conference Tunis, January 1960, Bericht vom 09. Februar 1960 über die AAPC II von J.O. Udal, Vertreter der der Conservative Party auf der AAPC II, an Lord Home, Secretary of State for Commonwealth Relations, S. 5. 108 Vgl. IISH Archives, ICFTU (3876)-2nd African Peoples’ Conf. Tunis, 1960, Internes Memorandum vom 19. Januar 1960 von A. Camusel an J.H. Oldenbrook. Neben der ICFTU war auch die WFTU in Tunis präsent. 109 Auf der Konferenz, die im November 1960 in Tunis stattfand, waren viele afrikanische Gewerkschaften mit Delegationen vertreten, die auch an der ersten AAPC teilgenommen hatten, so die Union Générale des Travailleurs Algériens, die Gambia Labour Union, die Kenya Federation of Labour, die Union Maroccaine du Travail, der Nigerian Trades Union Congress und die tunesische UGTT. Vgl. SOAS Archives (MCF), AFF 54-ICFTU (1960–61), International Confederation of Free Trade ­Unions, Third African Regional Conference, Tunis, 7–11 November 1960, Provisional List of Delegates, Observers and Guests.

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Die dritte AAPC als Endpunkt der AAPCO

Die dritte All-African People’s Conference fand vom 25. März bis 31. März 1961 in Kairo statt. Sie knüpfte aber nicht nahtlos an die vorhergehenden Konferenzen an, hatten doch in der Zwischenzeit mehrere Ereignisse erhebliche Auswirkungen auf die All-African People’s Conference-Organisation gehabt. Einerseits war zwischen der zweiten und der dritten AAPC die afrikanische Dekolonisation mit schwindelerregender Geschwindigkeit vorangeschritten und hatten 17 afrikanische Länder in dieser Zeit die formale Unabhängigkeit erlangt.110 Andererseits war durch die zunehmende Gewalt in den Kolonialkriegen im Kongo, in Algerien und in Kamerun deutlich geworden, dass die formale Unabhängigkeit nicht das Ende externer Einmischung bedeutete. Besonders die Vorfälle im Kongo hatten das Land selbst, aber auch die Vereinten Nationen in eine tiefe Krise gestürzt.111 Zudem waren die afrikanischen Politiker und Mitglieder des Steuerungsgremiums der AAPCO Patrice Lumumba und Félix Moumié mit Unterstützung westlicher Geheimdienste ermordet worden. Aus all diesen Entwicklungen ergab sich, dass die AAPC als antikolonialer Aushandlungsraum zunehmend an Bedeutung verlor. Dadurch, dass mehr und mehr Länder die formale Unabhängigkeit erlangten, waren nämlich immer weniger AfrikanerInnen auf die AAPC als Forum angewiesen. Zugleich schwand auch für die noch kolonisierten Gebiete mit der Radikalisierung des antikolonialen Netzes die Bedeutung der moderaten AAPC. Diese Radikalisierung hatte sich vollzogen, da sich für manche Kolonien zunehmend abzeichnete, dass sie – anders als ihre früheren Mitstreiter – die formale Unabhängigkeit vorerst nicht erlangen würden. Aber auch den schon unabhängigen Staaten war deutlich geworden war, dass sie noch immer mit Gewalt seitens der europäischen Staaten zu rechnen hatten. An der Konferenz in Kairo nahmen, verteilt auf 54 Delegationen, 141 afrikanische AktivistInnen, GewerkschafterInnen und PolitikerInnen aus 31 110 Togo,

Madagaskar, Britisch-Somaliland, die Demokratische Republik Kongo, Italienisch-Somaliland, die Republik Dahomey, Niger, Obervolta, die Elfenbeinküste, Tschad, die Zentralafrikanische Republik, die Republik Kongo, Gabun, Senegal, Mali, Nigeria, Mauretanien. 111 Zur Kongo-Krise vgl. einführend Allana O’Malley, Ghana, India, and the Transnational Dynamics of the Congo Crisis at the United Nations. 1960–61, in: International History Review, (Special Issue: Non-Alignment, the Third Force, or Fence-Sitting: Independent Pathways in the Cold War) Vol. 37, Nr. 3, 2015, New York; Lise Namikas, Battelground Africa. Cold War in the Congo. 1960–1965, 2013, Washington.

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Ländern teil. Mittlerweile kamen nur noch 15 Delegationen aus afrikanischen Gesellschaften, die die formale Unabhängigkeit noch nicht erlangt hatten. Unter diesen Delegierten war auch Amilcar Cabral, der später eine zentrale Rolle im militanten Unabhängigkeitskampf Portugiesisch-Guineas einnehmen sollte. Bei den Delegationen aus dem Kamerun (Union des populations du Cameroun) und aus dem Kongo (Mouvement National Congolais) handelte es sich um Oppositionsgruppen,112 mit deren Einladung die AAPCO deutlich Position gegen die ihr unliebsamen »Marionettenregierungen« besagter Länder bezog. Neben den offiziellen afrikanischen Delegationen besuchten zudem etliche BeobachterInnen aus insgesamt 26 Ländern die dritte AAPC. Darunter waren VertreterInnen von Gruppen aus den USA, der UdSSR, Indien und Kuba, aber auch eine Delegation der AAPSO.113 Inhaltlich wurden auf der Konferenz deutlich aggressivere Standpunkte vertreten als auf den beiden AAPCs zuvor. In seiner Rede auf der Konferenz in Kairo konstatierte Tom Mboya: »There are other Congos perhaps to come and we should anticipate them rather than wait until there is a Congo, until Lumumba is murdered so that we may see the significance of the need of that unity.«114

Die Ereignisse der Kongo-Krise brachten in der Tat eine neue und zusätzliche Dynamik in die Debatte um den Einsatz militärischer Mittel im Unabhängigkeitskampf. Die Erfahrung, dass selbst unabhängige Länder mit der Einmischung und Gewalt vonseiten der europäischen Staaten zu rechnen hatten, führte dazu, dass die Delegierten der dritten AAPC sich nicht mehr mit gewaltfreien Wegen in die Unabhängigkeit zufriedengaben. Aufgestachelt von der Kongo-Krise, ergriffen viele der Delegierten verschärft antiwestliche Positionen, kritisierten die afrikanischen KollaborateurInnen und distanzierten sich vehement vom Gewaltverzichtsgebot, das die ghanaische Regierung in den vergangenen Jahren proklamiert hatte.115 112 Vgl. SOAS Archives (MCF), ACT 15-Third All African Peoples’ (sic!) Conference, 1961,

Third All-African People’s Conference, Cairo, March, 1961. 113 Vgl. SOAS Archives (MCF), ACT 15-Third All African Peoples’ (sic!) Conference, 1961,

List of the Obersvers. 114 Vgl. SOAS Archives (MCF), ACT 15-Third All African Peoples’ (sic!) Conference, 1961,

The Speech Delivered by Mr. Tom Mboya, S. 5. George M. Houser, At Cairo: The Third All-African Peoples’ Conference, in: Africa Today, Vol. 8, Nr. 4, 1960, Indiana, S. 11–13, hier: S. 12.

115 Vgl.

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Des Weiteren kritisierten viele Delegierte die USA und die BRD offen für die politische und ökonomische Unterstützung, die sie dem südafrikanischen Apartheidregime beziehungsweise der kongolesischen Regierung Kasavubus zukommen ließen,116 aber auch die kongolesische Regierung wegen ihrer Kollaboration mit der belgischen. Letztere nämlich verdeutlichte den afrikanischen PolitkerInnen, dass sie die Souveränität der eigenen Staaten nicht nur gegen europäische Kolonialmächte und gegen die Einmischung der USA oder der VR China würden verteidigen müssen, sondern auch gegenüber KollaborateurInnen aus den eigenen Reihen. Während der Konferenz waren große Teile Kairos mit Transparenten übersät, die diese Neuausrichtung der AAPC dokumentierten und auf denen u.a. Aufrufe zur Rache für Lumumbas Tod, zur Freilassung politischer Gefangener in den Kolonien sowie zum Sturz von Kolonialregierungen zu lesen waren. Die Sitzungsräume der Konferenz waren derweil im Gedenken an die getöteten Politiker Felix Moumié und Patrice Lumumba sowie an den verunglückten John Kale geschmückt.117 Martha Moumié, selbst politisch aktiv, nahm anstelle ihres Mannes an der dritten AAPC teil, bedankte sich für die Anteilnahme an dessen Tod und forderte die Delegierten auf, sich nicht auf das Verabschieden von Resolutionen zu beschränken, sondern »praktische« Maßnahmen zu ergreifen.118 Hinzu kam, dass die Delegierten aus den Kolonien vor dem Hintergrund konkreter Bedrohungen den praktischen Sinn der Konferenzen hinterfragten. Tom Mboya bekannte sich zwar weiterhin zur African Unity, stellte aber in seiner Rede vor dem Plenum den weiteren und nachhaltigen Erfolg antikolonialer Konferenzen in Frage. Für ihn war der Versuch, die Unabhängigkeit auf diplomatischem Terrain zu erreichen, nicht mehr ausreichend.119 Andere VertreterInnen der Kolonien machten ebenfalls deutlich, dass sie nicht länger gewillt waren, sich bezüglich der eigenen formalen Unabhängigkeit vertrösten zu lassen. Das diplomatische Terrain verlor für 116 Der

Kameruner Ekwala Rober kritisierte zudem die Einmischung der BRD in innerkamerunische Angelegenheiten. Vgl. SOAS Archives (MCF), ACT 15-Third All African Peoples’ (sic!) Conference, 1961, Report Presented by Mr. Ekwalla Robert of the C.G.K.T., S. 3. 117 Vgl. Houser, At Cairo, S. 11. 118 Vgl. IISH Archives, ICFTU (3880)-The African Peoples’ (sic!) Conference, The Proceedings of 26th March, S. 1. 119 Vgl. SOAS Archives (MCF), ACT 15-Third All African Peoples’ (sic!) Conference, 1961, The Speech Delivered by Mr. Tom Mboya, S. 4.

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sie im Vergleich mit militanten Alternativen zunehmend an Attraktivität. Nana Mahomo vom südafrikanischen Pan Africanist Congress mahnte, dass das bloße Verabschieden von Resolutionen keine Unabhängigkeit sichere. Munukayumbwa Sipalo von der nord-rhodesischen United National Independence Party bekräftigte, dass seine Delegation nicht nach Kairo gekommen sei, um Resolutionen zu verabschieden, sondern sich praktische Unterstützung auf dem Weg in die Unabhängigkeit wünsche. 120 Die Radikalisierung des Netzes machte sich auch in den Resolutionen der dritten All-African People’s Conference bemerkbar. Sie befassten sich mit der Befreiung afrikanischer Kolonien, neuen Formen des Kolonialismus, der Dekolonisation Afrikas, der Neujustierung der Unabhängigkeitsbewegungen, der kulturellen, ökonomischen und sozialen Entwicklung des Kontinents sowie der afrikanischen Einheit und Solidarität.121 In der Resolution on the Liberation of Non-Independent Peoples beispielsweise legitimierten die Delegierten der dritten AAPC dezidiert den Einsatz von Gewalt im Kampf um die Unabhängigkeit. In der Resolution on Neo-Colonialism and the UN hingegen kritisierten sie die kolonialen und postkolonialen Grenzziehungen durch die Kolonialstaaten, die ökonomischen, politischen und militärischen Abhängigkeiten, die sich trotz der formalen Unabhängigkeiten fortsetzten, sowie die afrikanischen KollaborateurInnen und »Marionettenregierungen«, die den Interessen von Kolonialstaaten dienten. Auch von den Vereinten Nationen zeigten sie sich zutiefst enttäuscht und forderten Reformen, die die neue globalpolitische Bedeutung der afrikanischen Staaten auch in der Organisation abbilden würden. Unter anderem sprachen sie sich für eine Neubesetzung des Sicherheitsrates aus. In weiteren Resolutionen forderten die Delegierten wiederum, der AAPC Frauen-, Jugend- und Arbeiter-Konferenzen folgen zu lassen, um die Vernetzung der Gesellschaften voranzutreiben und bekräftigten darüber hinaus viele der transnationa120 Vgl. SOAS Archives (MCF), ACT 15-Third All African Peoples’ (sic!) Conference, 1961,

Address Delivered by Mr. Nana Mahomo of the Pan-Africanist Congress, S. 3 und ebd. Address by the National Secretary (M. Sipalo) United National Independence Party, S. 7. 121 Resolution on the Liberation of Non-Independent Peoples, Resolution on Neo-Colonialism and the UN, Resolution on African Reorganisation and Liquidation of Colonialism, Resolutions on African Economic, Social and Democratic Development und die Resolution on African Unity and Solidarity. Hinzu kamen einzelne Resolutionen, die sich mit Situationen in einzelnen Kolonien und in Südafrika auseinandersetzten. Für alle Resolutionen, vgl. IISH Archives, ICFTU (3880)-The African People’s (sic!) Conference.

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len Vorhaben für die postkoloniale Zeit, die schon die ersten beiden AAPC verabschiedet hatten.122 George M. Houser, einer der US-amerikanischen Beobachter der Konferenz, urteilte nach der dritten All-African People’s Conference, dass der Aushandlungsraum durch die zahlreichen Unabhängigkeiten an Bedeutung verloren habe und zunehmend mit bi- und multilateralen Foren konkurriere.123 Zu diesen Letzteren, die sowohl für die PolitikerInnen aus den unabhängigen Staaten als auch für die AktivistInnen aus den Kolonien immer interessanter geworden waren,124 zählten einerseits innerafrikanische Räume wie die regelmäßig stattfindende Conference of Independent African States, andererseits interkontinentale Organisationen wie das Non-Aligned Movement (NAM), das sich im Spätsommer 1961 konstituierte, oder die Vereinten Nationen. Zusammenfassung

Nach der ersten AAPC institutionalisierte sich das transnationale antikoloniale Netzwerk zunächst in diversen Einrichtungen, allen voran in Form der AAPCO. Vom Knotenpunkt Accra und der dort ansässigen AAPCO aus wurden 1960 und 1961 zwei weitere Konferenzen organisiert, auf denen die VertreterInnen aus den Kolonien und aus den unabhängigen afrikanischen Ländern die Dekolonisation voranbrachten und nachkoloniale Ordnungskonzepte debattierten. Innerhalb des Netzwerks waren aber von Anfang an Spannungen vorhanden. Diese machten sich vornehmlich in drei Punkten bemerkbar: 1) bei den divergierenden Interessen der bereits unabhängigen Länder und denen der Kolonien, 2) bei den Auseinandersetzungen darüber, ob lediglich Süd-Süd-Kooperationen legitim seien, 3) in der Frage, ob der Einsatz von Gewalt im Unabhängigkeitskampf legitim sei. In der Summe sollten sie letztlich eine dauerhafte Etablierung des Netzwerks sowie die konkrete Umsetzung der im Zwischenraum verhandelten Ideen und Konzepte verhindern. 122 Darunter die Gründung einer afrikanischen Investitionsbank, den Ausbau gemein-

samer Infrastrukturen sowie die Instaurierung von Kulturaustauschprogrammen. Vgl. IISH Archives, ICFTU (3880)-The African People’ s (sic!) Conference. 123 Vgl. Houser, At Cairo, S. 13. 124 Weitere Konkurrenz ging von regionalen (panafrikanischen) Organisationen aus, so zum Beispiel von der Pan-African Freedom Movement for East and Central Africa (PAFMECA). Vgl. einführend Joseph Nye, Pan-Africanism and East African Integration, 1965, Cambridge.

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5.3 Nkrumahs zweiter Anlauf. Die Positive Action Conference on Peace and Security in Africa als Alternative zur Alternative Zwar hatte sich das antikoloniale, panafrikanische Netzwerk um Accra unter der Federführung der ghanaischen Regierung etabliert, doch wurde diese bald mit dessen inhaltlicher Ausrichtung unzufrieden. Deshalb versuchte Kwame Nkrumah ab Anfang 1960, das antikoloniale Netz neu auszurichten mit dem mittelfristigen Ziel, die Vereinigten Staaten von Afrika zu gründen. Immer noch sah er Ghana als den geeigneten Inkubator einer solchen Entwicklung, nicht mehr aber die All-African People’s Conference Organisation,125 da ihm die zweite Konferenz in Tunis verdeutlicht hatte, dass viele der AktivistInnen militanten Wegen in die Unabhängigkeit offen gegenüberstanden. Nkrumah hingegen wollte den ghanaischen Weg in die Unabhängigkeit, der durch zivilen Ungehorsam erzwungen worden war, zur Blaupause für die anderen Unabhängigkeiten der afrikanischen Kolonien machen. Eine entscheidende Rolle bei diesem Vorhaben war der neu begründeten Positive Action Conference on Peace and Security in Africa (PACPSA) zugedacht. Atomprotest als transnationale Plattform

Von Frankreich angekündigte Atomwaffentests in der Sahara boten Nkrumah nun die perfekte Gelegenheit, das von ihm gegenüber der Anwendung von Gewalt präferierte Widerstandsmittel des friedlichen Protests in einem transnationalen Zusammenhang zu unterstützen. Nach der Ankündigung der französischen Regierung im Sommer 1959, bald Atombombentests in der algerischen Sahara durchführen zu wollen, unterstützte die Nkrumah-Regierung deshalb finanziell und strukturell den Aufbau des Sahara Protest Team (SPT), einer von Ghana aus transnational operierenden Widerstandsgruppe. Angeführt vom britischen Geistlichen und antikolonialen Aktivisten Michael Scott, formierte sich im Dezember 1959 eine Gruppe, deren Mitglieder aus Ghana, Großbritannien, Frankreich und den USA kamen. Ihr Ziel war es, von Ghana aus zu den Testfeldern in die Sahara zu reisen, um die Atomwaffentests zu verhindern.126 125 Vgl.

TNA, DO 35-9273-All-African People’s Conference, Tunis, 1960, Brief vom 18. Januar 1960 von F.S. Miles (Office of the High Commissioner for the United Kingdom, Accra) an B.J. Greenhill (Commonwealth Relations Office). 126 Neben Ghana hatten auch Marokko und Nigeria als Startpunkt zur Debatte gestanden. Für Ghana gab letztlich die kritische Haltung gegenüber der französischen

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Um dieses Ziel zu erreichen, musste die Gruppe die Grenzen zu Obervolta und zum französischen Sudan passieren und schließlich in der Sahara dem französischen Militär aus dem Weg gehen – ein Unternehmen, bei dem sie wiederholt von französischen Polizisten festgesetzt wurden. Da sie aber nicht ins Gefängnis mussten, nutzten die AktivistInnen jeweils die Zeit vor Ort, um mit friedlichen Protestformen auf die geplanten Atombombentests aufmerksam zu machen. Sie organisierten Sit-ins, verteilten Flugblätter und informierten die lokale Bevölkerung. Zwar verfehlten sie das Kernziel, nach Algerien zu gelangen, deutlich, aber dennoch generierte ihre Aktion ein weltweites mediales Echo.127 So lösten die wiederholten Versuche des Sahara Protest Team Solidaritätsaktionen in Lagos, London, New York und Hamburg aus. Die Akti­ vistInnen starteten Mitte Januar 1960 einen vorerst letzten Versuch. Diesmal schafften sie es über 100 Kilometer ins Landesinnere Obervoltas, ehe die französische Kolonialverwaltung sie erneut aufgriff und zurückschickte. Es folgten Solidaritätsaktionen in Nigeria, im Irak, in Libyen, Tunesien und Marokko.128 Die lokalen PolitikerInnen in Obervolta teilten derweil mit, dass sie zwar mit den AktivistInnen sympathisierten, aber die bilateralen Verhandlungen mit Frankreich über die formale Unabhängigkeit nicht gefährden wollten.129 Dabei war ihr Dilemma durchaus stellvertretend für dasjenige vieler weiterer PolitikerInnen im frankophonen Afrika, die zwar aufgrund ihrer geografischen Lage am meisten betroffen waren, aber trotzdem nicht offen gegen die Pläne der französischen Regierung opponierten. Die Nkrumah-Regierung nutzte diese Lücke und gerierte sich mit der offensiven Unterstützung des SPT als Vertreterin aller afrikanischen Interessen. Die Aktionen des SPT konnten die französischen Tests aber nicht verhindern, so dass am 13. Februar 1960 eine 70 Kilotonnen schwere Bombe in der algerischen Sahara detonierte. Durch diesen unter dem Codenamen »gerboise bleue« von der De-Gaulle-Regierung durchgeführten Atombombentest stieg Frankreich neben den USA, der UdSSR und Großbritannien zur Regierung und die Bereitschaft der Nkrumah-Administration, das Protestteam finanziell zu unterstützen, den Ausschlag. Vgl. April Carter, The Sahara Protest Team, in: Herbert Blumberg und Alexander Paul Hare (Hg.), Liberation without Violence: A Third-Party Approach, London, 1977, S. 126–156, hier: S. 126  ff. 127 Vgl. Pickets Protest French A-Test, in: New York Times, 10. Dezember 1959; Protest Team Drive Towards Sahara, in: The Times, 06. Dezember 1959. 128 Vgl. ebd., S. 139  f. 129 Vgl. Carter, The Sahara Protest Team, S.  136  f.

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vierten Atommacht auf. Den afrikanischen Gesellschaften vermittelte der mitten im Algerienkrieg durchgeführte Test darüber hinaus die Botschaft, dass die französische Regierung weiterhin Anspruch auf das Territorium erhob und dabei Gesundheitsschäden bei der lokalen Bevölkerung und in den benachbarten Ländern billigend in Kauf nahm. Schon im unmittelbaren Anschluss an den zweiten Versuch des Sahara Protest Team kündigte Kwame Nkrumah am 8. Januar 1960 auf einer Veranstaltung der Convention People’s Party (CPP) die baldige Ausrichtung einer gesamtafrikanischen Konferenz an. In die Planung der Positive Action Conference for Peace and Security in Africa war das Büro der All-African People’s Conference jedoch nicht eingebunden;130 stattdessen übertrug Nkrumah sie dem Bureau of African Affairs (BAA), das er im September 1959 nach dem Tod George Padmores eingerichtet hatte und das ihm direkt unterstand.131 Als thematische Aufhänger für die PACPSA dienten Nkrumah dabei die französischen Atombombentests und das Massaker von Sharpeville.132 So hieß es im Einladungsschreiben zur Konferenz, dass das Ziel derselben die Entwicklung einer gemeinsamen Position gegen Atomwaffen und gegen das Apartheidregime sei.133 Nkrumah rückte seine panafrikanischen Absichten bewusst in den Hintergrund und versuchte so, die Bedenken derjenigen afrikanischen PolitikerInnen zu zerstreuen, die enge Beziehungen zu europäischen Staaten unterhielten und sich daher ungern in aktivistischen oder antikolonialen Kontexten zeigten. In einem Antwortschreiben an den nigerianischen Ministerpräsidenten Abubakar Balewa, der zuvor aufgrund der panafrikanischen Ausrichtung Bedenken bezüglich der Konferenz geäußert

130 Der Generalsekretär der AAPC, Abdoulaye Diallo, nahm an der PACPSA nicht teil.

Er reiste nach Conakry, um dort bei der Vorbereitung der zweiten Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference zu helfen, die wenige Tage später stattfinden sollte. Vgl. TNA, DO 35-9382-The Accra Conference for Peace and Security, 1960, Bericht von Mr. Miles aus dem Office of the High Commissioner for the United Kingdom über die Konferenz, S.  12  f. 131 Vgl. Kapitel 3.4. 132 Am 21. März 1960 erschoss die südafrikanische Polizei bei einer Demonstration gegen das Apartheidregime in Sharpeville 69 Menschen und verwundete viele weitere DemonstrantInnen, die sich der friedlichen Protestform des zivilen Ungehorsams bedient hatten. Der Vorfall löste weltweit Empörung aus. Vgl. Tom Lodge, Sharpeville: An Apartheid Massacre and its Consequences, 2011, Oxford; Saul Dubow, Apartheid. 1948–1994, 2014, New York, S. 74–98. 133 Vgl. TNA, DO 35-9382-The Accra Conference for Peace and Security, 1960, MilesReport, S. 1.

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hatte, versicherte Kwame Nkrumah, dass im Fokus der Debatten die französischen Atomtests in der Sahara stehen würden. Zugleich erläuterte und bekräftigte er aber seine Strategie, Konferenzen zu dem Zweck zu nutzen, gemeinsame Interessen zu formulieren und strategisch nach außen zu vertreten.134 Die PACPSA und der Schatten der AAPC

Vom 07. bis 10. April 1960 fand im »Community Centre« in Accra die Positive Action Conference for Peace and Security in Africa statt. An der Konferenz nahmen 162 Delegierte aus 33 afrikanischen Ländern teil, darunter sieben Minister sowie mehrere Botschafter.135 Neben den Delegierten nahmen zudem 26 BeobachterInnen aus neun außer-afrikanischen Ländern an der PACPSA teil.136 Vor dem Hintergrund der kurzen Vorbereitungszeit ist die Delegiertenliste beeindruckend und macht deutlich, über was für ein ausgedehntes Netzwerk aus afrikanischen antikolonialen AktivistInnen, PolitikerInnen und GewerkschafterInnen die Nkrumah-Regierung zu diesem Zeitpunkt verfügte. Dieses panafrikanische Netz war auch für die britische Kolonialverwaltung von solchem Interesse, dass sie versuchte, es zu infiltrieren: So forderte der Secretary of State for the Colonies Kolonialbeamte in Nigeria dazu auf, den nigerianischen Ministerpräsident Abubakar Tafawa Balewa dazu zu ermuntern, an der Konferenz teilzunehmen. Dadurch sollte Nigeria sich und Großbritannien perspektivischen Einfluss im panafrikanischen Netz sichern.137 134 In

seiner Replik räumte Nkrumah ebenfalls ein, dass zwei weitere Regierungsmitglieder Balewas Bedenken teilten, ohne diese namentlich zu erwähnen. Vgl. PRAAD, SC/BAA/68-Conference for Peace and Security, April 1960, Brief von Nkrumah an Balewa vom 02. April 1960. 135 Frantz Fanon lebte als Botschafter des algerischen Front de Libération Nationale in Accra und nahm in dieser Funktion an der PACPSA teil. Vgl. TNA, DO 35-9382The Accra Conference for Peace and Security, 1960, List of Those Who Attended the Conference. 136 Die Beobachter kamen aus Großbritannien, den USA, Frankreich, Indien, Japan, den Westindischen Inseln, der BRD, der DDR und Jugoslawien. Sie hatten wie schon auf vorherigen Konferenzen weder Stimm- noch Rederecht und durften nur an den öffentlichen Sitzungen, nicht aber an den Sitzungen der Kommissionen teilnehmen. Vgl. ebd. 137 Vgl. TNA DO 35-9382-The Accra Conference for Peace and Security, 1960, Telegramm vom 18. März 1960 des Secretary of State for the Colonies an den Governor General in Nigeria.

5 Zwischenräume der Dekolonisation. Die AAPC und die PACPSA | 161

Trotz der ghanaischen Bemühung, sich von der AAPCO zu distanzieren, glaubten viele Delegierte, auf einer All-African People’s Conference zu sein. Zu diesem Eindruck hatten die Konferenzthemen, die Zusammensetzung der Delegationen und der Veranstaltungsort verleitet. Der Inder Romesh Chandra adressierte in seiner Rede wiederholt die AAPC und gratulierte ihr zu ihren Fortschritten und zu den Resolutionen, die die Delegierten auf der Konferenz in Tunis im Januar 1960 verabschiedet hatten.138 John Bidwell-Bright, der Vorsitzende der Gambia Labour Union, wähnte sich auf einer Dringlichkeits-Konferenz der AAPC und ermutigte die Organisation im Schlusswort seiner Rede, den eingeschlagenen panafrikanischen Weg weiterzugehen.139 Da sich die von PACPSA propagierte Idee der African Unity im Frühjahr 1960 im antikolonialen Netz bereits allgemein durchgesetzt hatte, bekannten sich die Delegierten in ihren Reden denn auch auf breiter Front zur afrikanischen Integration, bekräftigten entsprechende Pläne in Resolutionen und verteilten Broschüren untereinander. Eine dieser Broschüren hatte das von Kairo aus arbeitende Kenya African Anti-Colonial Movement eigens für die Konferenz angefertigt. Die AutorInnen schlugen darin den bereits unabhängigen Ländern Schritte für eine politische Integrationspolitik vor und bezogen sich auf Ideen, die bereits auf der ersten All-African People’s Conference im Dezember 1958 zur Diskussion gestanden hatten. Die Pläne sahen die Gründung eines Rats vor, der sich aus den Regierungen der unabhängigen Länder konstituieren und sich jeweils für drei Jahre einen Präsidenten wählen sollte. Die Aufgaben des Rats würden die Ausarbeitung ökonomischer und politischer Leitlinien, die Schaffung afrikanischer Währungen, eine innerafrikanische Entwicklungshilfe, die Entwicklung einer gemeinsamen Bildungs- und Verteidigungspolitik sowie den Aufbau einer transnationalen Infrastruktur umfassen: »Why cannot the council be responsible for building rails from West Africa to East Africa. Accra to Addis Ababa, D’Salaam, and Nairobi. It should decide to build rails

138 Vgl. GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede Romesh Chandras auf der

Konferenz. GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, An Address of the President of the Gambia Labour Union, at the Emergency Conference of the All African People’s Held at Accra, Ghana on Thursday 7th April, 1960.

139 Vgl.

162 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

from Accra to Nairobi and Conakry to Tunisia so that we do not need exploiters again in Africa.«140

Der Vorschlag ignorierte aber keineswegs die vorherrschende nationalstaatliche Ordnung. Aus strategischen Gründen sprachen sich die AutorInnen gegen die Schaffung eines panafrikanischen Staates aus, solange die internationalen Organisationen und damit die internationale Politik noch von Nationalstaaten dominiert seien.141 Unter diesen Rahmenbedingungen plädierten sie für ein Konstrukt, dass die gemeinsame Ausübung staatlicher Aufgaben ermöglichte und dadurch dazu beitragen sollte, Eigenständigkeit zu erlangen und (neo)koloniale Einmischung zu unterbinden. Zwischen Positive Action und Gewalt

Der von Nkrumah gewählte Konferenztitel »Positive Action« war nicht zuletzt ein Statement, mit dem er sich, wie schon auf der ersten AAPC, deutlich in der »Gewaltfrage« zu positionieren suchte. So gedachte er, die formalen Unabhängigkeiten und einen panafrikanischen Staat mit gewaltfreien Mitteln zu erreichen und berief sich dabei auf seine eigenen Erfahrungen im ghanaischen Unabhängigkeitskampf.142 Auf der PACPSA kündigte er an, dass die Regierung 55.000$ bereitstellen würde, um in Ghana ein Trainingszentrum für die Positive Action zu gründen.143 Die Leitung des Camps sollten Bill Sutherland und Michael Randle übernehmen, die beide in die Aktionen des Sahara Protest Team involviert gewesen waren.144 Seine Ambitionen gingen so weit, dass er von Ghana aus eine transnationale Friedensbewegung starten wollte.

140 Vgl.

GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, ›Roads to United States of Africa‹. Special Issue on Positive Action and Unity, 7th–9th 1960. Released by Kenya African Anti-Colonial Movement, S. 7. 141 »As long as we need many members in the international fields like United Nations Organisation, it will be better to have each country keep her identity in the eyes of the world but the council of Africa can do all it can to organise its own body as liaison parliament of Africa.«. Vgl. ebd., S. 8. 142 Vgl. Kapitel 3.2. 143 Britische Beobachter glaubten Nkrumah nicht und gingen davon aus, dass das Trainingszentrum für andere Zwecke genutzt werden würde. Vgl. TNA, DO 35-9382-The Accra Conference for Peace and Security, 1960, Miles-Report, S. 7. 144 Vgl. Abraham Muste, Reports from Abroad (Positive Action), in: Africa Today, Vol. 7, Nr. 4, 1960, Indiana, hier: S. 4.

5 Zwischenräume der Dekolonisation. Die AAPC und die PACPSA | 163

Einige der Delegationen griffen Nkrumahs Konzept der Positive Action wohlwollend und tatkräftig auf. So berichtete der sansibarische Delegationsleiter Abdul Rahman ausführlich über gezielte Protestaktionen, die sich in seinem Land gegen die französischen Marinesoldaten richteten.145 Wie auf den ersten beiden AAPCs gab es aber auch auf der PACPSA Stimmen, die Gewalt als ein legitimes Mittel ansahen. Da Frantz Fanon, Ernest Ouandié und Holden Roberto Länder vertraten, die in reale gewaltsame Auseinandersetzungen mit Kolonialstaaten involviert waren,146 war für sie Positive Action aus nachvollziehbaren Gründen keine Option. Frantz Fanon wiederholte deshalb seinen Standpunkt, dass wirkliche Unabhängigkeit nur gewaltsam erstritten werden könne.147 Fanuel Jariretundu Kozonguizi, Präsident der South West African National Union, betonte seinerseits in seinen Ausführungen vor dem Plenum, dass Menschen im südafrikanischen Raum nichts Anderes übrigbleibe, als zur Gewalt als letztem Mittel zu greifen. Die friedliche Politik des ANC sei gescheitert und die Handlungsmöglichkeiten der Personen in den Kolonien seien nun mal anders geartet als die von solchen in den unabhängigen afrikanischen Ländern. Letztere nämlich könnten auch diplomatische Mittel nutzen, um ihre Ziele zu erreichen, während Erstere gezwungen seien, auf alle möglichen Mittel zurückzugreifen.148 Nkrumahs Werben für Positive Action stieß bei den VertreterInnen mit konkreten Kolonialkriegserfahrungen mithin auf taube Ohren. So fand sich auch niemand auf der Konferenz, der bestritt, dass der Einsatz von Gewalt in Algerien und Kamerun oder eine mögliche Radikalisierung in Südafrika und in den portugiesischen Kolonien legitim seien.149 145 »We in Zanzibar have already taken a positive action, in our own small way towards

the French. We have boycotted the French navy which paid a so-called courtesy call to our country and the French crew were denied the usual hospitality of the Zanzibar people, and were booed wherever they went. All football matches with the French navy had to be cancelled because the patriots would not have anything to do with the perpetrators of death and desease (sic!) on the soil of Africa.« Vgl. GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede des sansibarischen Delegationsleiters auf der Konferenz, S. 1. 146 Letzterer nahm an der Konferenz unter dem Pseudonym Jose Gilmore teil. 147 Vgl. Jeffrey Ahlman, The Algerian Question in Nkrumah’s Ghana, 1958–1960: Debating ›Violence‹ and ›Nonviolence‹ in African Decolonization, in: Africa Today, Vol. 57, Nr. 2, 2010, Indiana, S. 67–84, hier: S. 74  f. 148 Vgl. GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede von Jariretundu Kozonguizi auf der Konferenz. 149 Vgl. TNA, DO 35-9382-The Accra Conference for Peace and Security, 1960, MilesReport, S. 11.

164 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Dabei stellten sich teils auch Vertreter von Nationalstaaten auf die Seite der antikolonialen AktivistInnen. Der liberianische Delegationsleiter Christian Abayomi Cassell etwa verurteilte Gewalt als letztes Mittel nicht und sicherte auch in einem solchen Ernstfall praktische Unterstützung zu.150 Fouad Galal hingegen, der auf der Konferenz die Vereinigte Arabische Republik repräsentierte, sprach in seiner Rede an das Plenum beiden Ansätzen, dem gewaltfreien wie dem gewaltbereiten, ihre Berechtigung zu. Mit Blick auf Algerien führte Galal weiter aus, dass das Land das gleiche Recht habe, sich gegen die französische Besetzung zu erheben, wie Frankreich selbst es zur Zeit der deutschen Besetzung gehabt habe; und wie sich damals die europäischen Länder in den Konflikt eingemischt hätten, dürften es in diesem Fall die unabhängigen afrikanischen Länder tun.151 Fünfzehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verteilte Fouad Galal in einem Vergleich also die Rollen Nazi-Deutschland/Alliierte neu: die ursprünglichen Alliierten machte er zu Nazi-Deutschland und (ehemalige) afrikanische Kolonien zu den Alliierten. Damit legitimierte er nicht nur die gegenseitige innerafrikanische Unterstützung, sondern stilisierte sie gar zu einer humanitären Pflicht.152 Während Nkrumah kaum an sich etwas gegen die verwendete Metaphorik einzuwenden gehabt haben mochte, dürfte ihm der daran anschließende Aufruf Fouad Galals, man solle sich als Freiwilliger dem algerischen Kampf anschließen, bedeutend weniger gefallen haben, zielte sein Werben für Positive Action doch in eine ganz andere Richtung. Der Dissens über den »richtigen« Weg in die formale Unabhängigkeit spaltete das antikoloniale Netzwerk folglich auch auf der PACPSA in zwei Lager. Spannungen aufgrund der Ungleichzeitigkeit der Dekolonisation

Die OrganisatorInnen aber schienen schon im Vorfeld durchaus mit dem Dissens in der Gewaltfrage gerechnet zu haben. So beabsichtigten sie zu 150 Cassell konkretisierte jedoch nicht, wie diese aussehen könnte. Vgl. Vgl. GPRLAA,

BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede des liberianischen Delegationsleiters, S. 2. 151 Vgl. ebd. 152 Dies war nicht der einzige Nazi-Vergleich: Jariretundu Kozonguizi verwies darauf, dass das geteilte Afrika vor zwanzig Jahren in den Kampf gegen NS-Deutschland gezogen sei und sich nun desgleichen gegen Südafrika und Frankreich formieren könne. Vgl. GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede von Jariretundu Kozonguizi auf der Konferenz.

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Beginn der Konferenz, mit einem zentralen Merkmal der AAPC zu brechen, und sprachen sich dafür aus, lediglich den VertreterInnen der bereits unabhängigen afrikanischen Länder das Rede- und Stimmrecht zu gewähren. Durch eine solche Maßnahme wären die VertreterInnen aus den Kolonien – bezüglich derer abzusehen war, dass sie Gewalt mehrheitlich als ein legitimes Mittel ansehen würden – in ihrem Status beträchtlich herabgesetzt worden. Tom Mboya und die nigerianische Delegation setzten sich zu Beginn der Konferenz aber mit Erfolg dafür ein, dass die Delegierten aus den Kolonien die gleichen Rechte bekämen wie diejenigen aus den bereits unabhängigen Staaten.153 Nachdem Nkrumah dergestalt mit seinem Ansinnen gescheitert war, stufte er kurzerhand die Bedeutung der Konferenz herab und deklarierte sie zu einem Think Tank für die zweite Conference of Independent African States (CIAS), die im Juni 1960 in Addis Abeba stattfinden würde. Die in Accra gesammelten Ideen sollten demnach später auf der Konferenz in Äthiopien von technischen Kommissionen (und damit ohne eine gleichberechtigte Partizipation der VertreterInnen der Kolonien) ausgearbeitet werden.154 Unterstützung für diesen Vorschlag fand Nkrumah deshalb vor allem unter den VertreterInnen der Nationalstaaten. So regte Blatta Dawit Ogbaozy, Außenminister Äthiopiens und Leiter der äthiopischen Delegation, in seiner Rede ebenfalls an, konkrete Planungen in Kooperation mit allen unabhängigen afrikanischen Staaten auf der CIAS zu besprechen.155 Der Liberianer Abayomi Cassell schlug in dieselbe Kerbe und sah eine zentrale Aufgabe der schon unabhängigen Länder darin, die Anliegen der Menschen aus den Kolonien in den Vereinten Nationen vorzubringen. Dementsprechend schlug er eine Resolution vor, die die unabhängigen afrikanischen Länder in die Pflicht nehmen würde, diese Räume besser zu nutzen.156 Eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen den Staaten und den

153 Vgl.

TNA, DO 35-9382-The Accra Conference for Peace and Security, 1960, MilesReport, S. 8 und 10  f. 154 Konkret dachte er an innerafrikanische Kooperationen im Infrastruktur-Bereich und an Pläne für eine ökonomische Integration. Letztere sollte ein Gegengewicht zu den Plänen eines gemeinsamen europäischen Wirtschaftsmarktes bilden, der auch eine Assoziierung afrikanischer Kolonien vorsah. Vgl. GPRLAA, BAA/ GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Eröffnungsrede Kwame Nkrumahs, S. 10. 155 Vgl. GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede Blatta Dawit Ogbaozy. 156 Vgl. GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede des liberianischen Delegationsleiters, S. 4.

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Kolonien, wie sie noch auf den All-African People’s Conferences üblich gewesen war, gab es im April 1960 in Accra mithin nicht mehr. Der ghanaische Vorstoß dokumentierte und vertiefte zugleich den Graben, der schon auf der zweiten AAPC zwischen den VertreterInnen der afrikanischen Kolonien und denjenigen der bereits unabhängigen afrikanischen Staaten verlaufen war. Ghana missfiel es, dass, wie schon auf der ersten und zweiten AAPC, die Delegationen aus den Kolonien sich für militante Wege in die Unabhängigkeit aussprachen, statt das ghanaische Konzept des gewaltfreien Weges in die Unabhängigkeit zu adoptieren. Die antikolonialen AktivistInnen aus den Kolonien hingegen zeigten sich ihrerseits, wie schon auf der zweiten AAPC, enttäuscht über die langsamen Mühlen der Diplomatie und die mangelnde Unterstützung durch die bereits unabhängigen Länder. Aber Verhandlungen auf Augenhöhe hätten den AktivistInnen aus den Kolonien wohl ohnehin nicht mehr genügt. Bhoke Munanka aus Tanganjika beispielsweise zeigte sich in einem Rundumschlag erschöpft vom wiederholten Erlassen von Resolutionen, wie es bei den bisherigen AAPCs üblich gewesen war. »The Independent States have a great responsibility towards the Dependent Countries and mere resolutions will not help. We require substantial material contributions from the Independent States. We the Dependent Countries do not require resolutions on Freedom. This is understood and what is required is practical help which will help in the struggle of our freedom.«157

Munanka befürchtete also, dass auch die PACPSA lediglich Resolutionen erlassen werde, ohne dass dieselben konkrete Wirkungen entfalten würden.158 Bei den AktivistInnen aus den Kolonien machte sich zunehmend Unmut über die eigene Abhängigkeit von der Unterstützung Dritter und über das nur langsame Voranschreiten der Dekolonisation breit. Diplomatie und internationale Konferenzen gerieten in die Kritik. So merkte Mainza Chona von der nord-rhodesischen United National Independence Party an, dass Resolutionen und Ermahnungen gegenüber der französischen Regie-

157 Vgl.

GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede von Bhoke Munanka auf der Konferenz, S. 2. 158 Vgl. GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede von Jariretundu Kozonguizi auf der Konferenz.

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rung die Nukleartests in der Sahara nicht gestoppt hätten.159 Die auf der PACPSA seitens der unabhängigen Länder zugesicherten, teils durchaus konkreten Hilfestellungen konnten diesen Unmut nicht lindern.160 Diese Enttäuschung der antikolonialen AktivistInnen über das ihrer Meinung nach mangelnde Engagement der unabhängigen afrikanischen Staaten wurde in der Resolution über die Befreiung Afrikas sichtbar, die von Forderungen nach finanzieller Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegungen eingeleitet wurde. Die Delegierten kritisierten in der Resolution, dass sich die unabhängigen Länder in den Vereinten Nationen nicht zu einer Einheit formiert hätten, um die Interessen der Menschen aus den Kolonien geschlossen zu vertreten. Die von Nkrumah forcierte Ausarbeitung panafrikanischer Ziele und die Einrichtung von Positive-Action-Trainingszentren wurden demgegenüber hintangestellt.161 Vereitelung der Neuausrichtung

Die Delegationen aus den Kolonien verwarfen auch Nkrumahs Plan, die PACPSA zur Neuausrichtung des Netzwerks zu nutzen. Nkrumah hatte vorgesehen, dass die Delegierten in drei Kommissionen Resolutionen zur Positive Action sowie zu transnationalen afrikanischen Maßnahmen ausarbeiten sollten. Eine der Kommissionen hätte sich demnach mit Positive Action im Allgemeinen und der Gründung eines Trainingszentrums zu beschäftigen, das sich an den indischen Ashrams orientieren sollte. Eine zweite Kommission war vorgesehen, um über geeignete Positive-Action-Maßnahmen seitens der unabhängigen Staaten zu diskutieren sowie um die Möglichkeiten und Grenzen der Vereinten Nationen und des Internationalen Gerichtshofs zu eruieren. Außerdem war eine dritte Kommission angedacht, welche die 159 Vgl.

GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede Mainza Chonas auf der Konferenz, S. 1. 160 Die liberianische Delegation stellte den Hinterbliebenen der Opfer des Sharpeville-Massakers 25.000$ zur Verfügung (Vgl. GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede des liberianischen Delegationsleiters, S. 5). Die äthiopische Delegation ihrerseits stellte 28.000£ und 30 Stipendien für verfolgte SüdafrikanerInnen bereit (Vgl. GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede Blatta Dawit Ogbaozy, S. 5). Die sudanesische Delegation wiederum kündigte an, 5% der Studienplätze an der Universität Karthum gebührenfrei an afrikanische Studierende zu vergeben (Vgl. GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Rede Sayed Mohamed Osmans auf der Konferenz). 161 Vgl. PRAAD, ADM 16-24-Peace Conference Accra, Positive Action Conference for Peace and Security in Africa, Accra, 7th to 10th April, 1960, S. 15.

168 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Gefahren, die von neokolonialen europäischen Bestrebungen und dem Kalten Krieg ausgingen, diskutieren und entsprechende transregionale und transnationale Abwehrmaßnahmen erarbeiten würde.162 Die Delegierten sprachen sich aber mehrheitlich für eine Neusortierung der Kommissionen aus und rückten dabei die französischen Atomtests und das Apartheidsregime in den Vordergrund, was zur Folge hatte, dass keine dieser Kommissionen sich eigens mit dem Konzept der Positive Action beschäftigte. Stattdessen wurden in vier Arbeitsgruppen Resolutionen »on the French Atomic Tests in the Sahara«, »on the War in Algeria«, »on South Africa« und »on the Liberation of Africa« aufgesetzt. In der ersten Resolution verurteilten die Delegierten die französische Regierung für die Tests in der Sahara und forderten die afrikanischen Regierungen dazu auf, sich gegen die französische Atompolitik zu mobilisieren. Sie riefen zum Boykott französischer Güter, zum orchestrierten Vorgehen in den Gremien der Vereinten Nationen sowie ihre »[b]rothers and sisters in the French Community« dazu auf, sich der Kritik an den Atomtests anzuschließen.163 Aus Sorge, Gespräche über die Unabhängigkeit oder wirtschaftliche Beziehungen zu gefährden, hatten diese es bisher vermieden, die französische Regierung zu kritisieren. Fouad Galal, der sich offen für militante Wege in die Unabhängigkeit gezeigt hatte, saß der Kommission vor, die sich mit dem Konflikt in Algerien auseinandersetzte. Die von ihm verantwortete Resolution forderte erwartungsgemäß die unabhängigen afrikanischen Staaten dazu auf, die militante antikoloniale Bewegung finanziell und materiell zu unterstützen und die provisorische algerische Regierung anzuerkennen. Galal brachte auch den in der Tunis-Resolution stehenden und von ihm in Accra eingebrachten Vorschlag in der Resolution unter, die Gründung eines Freiwilligenkorps in die Wege zu leiten.164 Die Delegierten der PACPSA entschieden sich also ungeachtet des Konferenztitels dafür, Gewalt als ein legitimes Mittel auf dem Weg in die Unabhängigkeit anzuerkennen. Gleichwohl fand auch die Positive Action Platz in den Resolutionen. Unter dem Vorsitz des sudanesischen Außenministers Ali Mohammed Osman Yassin erarbeitete die dritte Kommission  – ganz in Nkrumahs Sinn  – Empfehlungen, mit denen sich 162 Vgl.

GPRLAA, BAA/GPRLAA/467-Speeches PAPSA, Conference on Positive Action for Peace and Security in Africa to be held in Accra April 7th–9th. Programme. 163 Vgl. PRAAD, ADM 16-24-Peace Conference Accra, Positive Action Conference for Peace and Security in Africa, Accra, 7th to 10th April, 1960, S. 11  f. 164 Vgl. ebd., S. 13.

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unabhängige Staaten gegen das südafrikanische Apartheidsregime wenden könnten.165 Zusammenfassung

Kwame Nkrumah verfolgte mit der Positive Action Conference for Peace and Security in Africa das Ziel, die Stoßrichtung des antikolonialen Netzwerks in seinem Sinne zu justieren. Die französischen Atombombentests und die Ereignisse in Südafrika dienten ihm als Aufhänger, eine Konferenz jenseits der All-African People’s Conference Organisation auszurichten, deren inhaltliche Entwicklung nicht nach seinen Vorstellungen verlaufen war. Die PACPSA verdeutlichte zwar einerseits, wie weit die Etablierung eines antikolonialen Netzwerks mittlerweile fortgeschritten war, da etliche Führungsfiguren der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen sowie VertreterInnen afrikanischer Regierungen es binnen kürzester Zeit einrichteten, nach Accra zu reisen, um an der Konferenz teilzunehmen.166 Andererseits aber wurde auf der PACPSA, wie schon auf der zweiten AAPC, nochmals deutlich, dass ein schier irreparabler Riss quer durch das Netz der antikolonialen Bewegungen verlief. So hatte sich neben einem Block, der gewaltfreie Wege in die Unabhängigkeit bevorzugte und transnationale Ordnungsvorstellungen verfolgte, auch ein Block antikolonialer AkteurInnen gebildet, der militante Wege in die Unabhängigkeit guthieß und nationale Ziele verfolgte. Kwame Nkrumah zog aus dieser Entwicklung Konsequenzen und unternahm auf der PACPSA nicht mehr – wie noch bei vorherigen antikolonialen Konferenzen – den Versuch, das Anliegen der Konferenz in einer Organisation fest zu institutionalisieren. Im Gegenteil: Als absehbar wurde, dass sie nicht nach ihren Wünschen verlaufen würde, stuften die ghanaischen OrganisatorInnen die Konferenz zu einem Ideengeber für die multilateralen Aushandlungsprozesse der unabhängigen Staaten herab. Dass der sich verschärfende Interessenskonflikt zwischen den antikolonialen AkteurInnen im Netzwerk als unversöhnlich empfunden wurde, bezeugt auch der Umstand, dass Ghana in den folgenden Jahren keine weitere Konferenz aus-

165 Die

Delegierten empfahlen den unabhängigen Staaten unter anderem, diplomatischen Druck auszuüben und Sanktionen und Boykotte zu verhängen. Vgl. ebd., S. 14. 166 Viele von ihnen reisten im Anschluss nach Conakry weiter, um an der zweiten AfroAsian Peoples’ Solidarity Conference teilzunehmen. Vgl. Kapitel 6.2.

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rief, die VertreterInnen aus den Kolonien und aus unabhängigen Ländern gleichermaßen adressiert hätte.

5.4 Zwischenfazit Die All-African People’s Conference und die Positive Action Conference for Peace and Security in Africa waren wichtige Zwischenräume der Dekolonisation. In Accra nämlich gewährleisteten unterschiedliche von der Regierung finanzierte Institutionen den panafrikanischen AkteurInnen die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen, gemeinsame Ideen zu entwickeln und sich selbst nach innen und außen zu präsentieren. Insbesondere die AAPC war diesbezüglich ein wichtiger Impulsgeber und Katalysator der Dekolonisation. Die antikolonialen AkteurInnen profitierten aber auch persönlich von diesem Netzwerk. So erlangten viele TeilnehmerInnen der Konferenzen und Gremienmitglieder der AAPCO große Bekanntheit wie politischen Einfluss und übernahmen nach den Unabhängigkeiten führende Ämter in ihren Herkunftsländern. Auch die ghanaische Regierung profitierte von den Konferenzen und schaffte es, diverse von ihr verfochtene panafrikanische Konzepte wie die African Unity und die Idee regionaler Integrationen als allgemeine Leitziele der afrikanischen Dekolonisation zu etablieren. Das Kapitel hat aber auch deutlich gemacht, dass die Konfliktlinien innerhalb der Dekolonisation nicht schlicht entlang der Frage der Zugehörigkeit zu Afrika oder Europa verliefen. Von Anfang an gab es auch innerhalb des antikolonialen Netzes selbst und rund um die AAPCO Spannungen, die mit fortschreitender Zeit zunahmen und eine weitere inhaltliche Annäherung und organisatorische Verstetigung verhinderten, die eine Alternative zu klassischen internationalen Organisationen bedeutet hätte. Neben inhaltlichen Differenzen in der Frage, welcher Weg in die Unabhängigkeit der »richtige« sei, waren es vor allem die durch die Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen bedingten unterschiedlichen politischen Prioritäten der Kolonien und der schon unabhängigen Länder, aber auch mitunter rein persönliche oder nationale Interessen, die zu zunehmenden Spannungen führten.

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Das afro-asiatische Solidaritätsnetz als Motor der afrikanischen Dekolonisation? Die Entwicklung einer antikolonialen Agenda in der Frühphase der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (AAPSO)1

Gestärkt durch den Ausgang der Sueskrise nahm die ägyptische Regierung für sich in Anspruch, sich an die Spitze der afro-asiatischen Bewegung zu stellen und eine zweite afro-asiatische Konferenz zu organisieren.2 Zwischen dem 26.12.1957 und dem 01.01.1958 fand deshalb in Ägypten, das zum Symbolort der Sueskrise und unter Nasser zu einem antikolonialen 1

Dieses Kapitel beruht auf Quellenmaterial, das ich in National- und in Organisationsarchiven zusammengetragen habe. Von zentraler Bedeutung sind verschiedene Quellen aus den AAPSO Archives in Kairo: die Korrespondenz des Ständigen Sekretariats der AAPSO mit Mitgliedsorganisationen, die Publikationen der Organisation, die Berichte der Konferenzen sowie Protokolle der Treffen des Rats und des Exekutivkomitees der AAPSO. Anhand ihrer lassen sich die Arbeitsweise der Organisation und ihre Debatten genau genug nachzeichnen, um ein differenzierteres Bild von den Aktivitäten der AAPSO zu erhalten. Es wird ergänzt durch Quellen, die ich in den britischen National Archives, im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes und im Archiv des Institute of International Social History in Amsterdam recherchiert habe. Darunter befinden sich Berichte britischer und deutscher Botschaften und der International Confederation of Free Trades Unions (ICFTU) – Quellen, die Lücken schließen halfen, die im Material der AAPSO Archives enthalten sind. Gleiches gilt für ägyptische, ghanaische, europäische und USamerikanische Zeitungsberichte. 2 Bei der Bandung-Konferenz von 1955 waren zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg von afrikanischen und asiatischen PolitikerInnen auf einem interkontinentalen Forum eigenständig globalpolitische Fragestellungen erörtert worden. Sowohl die Bandung-Konferenz wie die Sueskrise verstärkten den Unwillen der antikolonialen AktivistInnen und VertreterInnen der afrikanischen und asiatischen Staaten, ihr Ausgeschlossensein von den globalen Debatten über die Nachkriegsordnung schlicht zu akzeptieren. Vgl. Kapitel 2.3 und 4.1.

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Zentrum geworden war, die erste Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference (AAPSC) statt. Diese Konferenz blieb keine isolierte Veranstaltung, sondern bildete den Auftakt zu regelmäßigen Konsultationen und zur Gründung der antikolonialen Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (AAPSO) mit Sitz in Kairo. Die OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen hatten den gemeinsamen Anspruch, das globalpolitische Machtgefüge neu zu ordnen, wobei vertiefte Süd-Süd-Koopertationen dazu dienen sollten, Einmischungsversuche kolonialer und imperialer AkteurInnen abzuwehren. Bei genauerer Betrachtung manifestierte sich auf der Konferenz aber in den unterschiedlichen Interessen der VertreterInnen der formal unabhängigen Staaten einerseits und der der Kolonien andererseits auch die Heterogenität der afro-asiatischen AkteurInnen. So hatte das Übergewicht von Delegationen aus den unabhängigen arabischsprachigen und asiatischen Ländern zur Folge, dass die Etablierung neuer Staaten die Tagesordnung bestimmte und konkrete antikoloniale Forderungen im Hintergrund blieben. Die Einladung der Sowjetunion zur Konferenz führte derweil zu kurzsichtigen Interpretationen derselben seitens westlicher BeobachterInnen (Kapitel 6.1). Zwischen dem 11. und 15. April 1960 richtete die AAPSO gemeinsam mit dem guineischen Präsidenten Sékou Touré in Conakry die zweite AfroAsian Peoples’ Solidarity Conference aus. Ägypten war es im Anschluss an die Sueskrise nicht gelungen, sich zum Vorreiter eines panafriknischen Antikolonialismus aufzuschwingen. In der Zwischenzeit hatten auf dem afrikanischen Kontinent jenseits der AAPSC bereits weitere antikoloniale Konferenzen stattgefunden und Ghana sich als entscheidender Impulsgeber eines panafrikanischen Antikolonialismus etabliert. Die OrganisatorInnen der zweiten AAPSC reagierten auf diese Entwicklungen und vollzogen auf der Konferenz in Conakry einen Wechsel der thematischen Ausrichtung im Vergleich zur ersten AAPSC. So rückten nunmehr antikoloniale Fragestellungen in den Vordergrund und die Delegationen aus den afrikanischen Kolonien waren nun in der Überzahl. In der Außenwirkung hatte dies zur Folge, dass die AAPSO nicht mehr als reine kommunistische Frontorganisation eingestuft wurde. (Kapitel 6.2). Darüber hinaus unterstützte die AAPSO, für welche die Heterogenität ihrer Mitglieder eine große Herausforderung bedeutete, zwischen den Konferenzen ihre Mitglieder mit diversen praktischen Angeboten. In ihrer Frühphase konzentrierte sie sich dabei vor allem auf die AkteurInnen aus den afrikanischen Kolonien, ehe sie zum Ende des Jahres 1960 ihre Aus-

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richtung erneut und zugunsten der schon unabhängigen Länder änderte (Kapitel 6.3).

6.1

Die arabisch-asiatische Dominanz auf der ersten Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference (AAPSC) in Kairo

Zum Jahreswechsel 1957/58 wurde die Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference (AAPSC) veranstaltet, um den afrikanischen und asiatischen Interessen in den globalen Debatten über die Nachkriegsordnung und über die Dekolonisation Gehör zu verschaffen. So kamen in Kairo über 500 Delegierte aus 44 afrikanischen und asiatischen Ländern zusammen, um sich öffentlichkeitswirksam ihre gegenseitige Solidarität zu bekunden und die Möglichkeit von Süd-Süd-Kooperationen im politischen, ökonomischen und kulturellen Bereich zwischen unabhängigen Staaten auszuloten.3 Die Delegationen bestanden aus VertreterInnen von Regierungen, Oppositionsparteien, Nichtregierungsorganisationen und Unabhängigkeitsbewegungen.4 Die OrganisatorInnen und die TeilnehmerInnen der AAPSC scheuten keine Mühe, die Konferenz als eine Nachfolgeveranstaltung der BandungKonferenz von 1955 zu inszenieren. Ein entscheidender Unterschied zwischen den beiden Konferenzen lag aber darin, dass sich die Veranstaltung in Indonesien an RepräsentantInnen von Nationalstaaten gerichtet hatte, während die AAPSC auch VertreterInnen afrikanischer und asiatischer Zivilgesellschaften adressierte. Dadurch öffnete sich die Konferenz für TeilnehmerInnen aus den Kolonien. Ein weitere Neuheit der AAPSC im Vergleich zur Bandung-Konferenz war die Präsenz einer Delegation aus der UdSSR, die bis zu einem gewissen Grad das Bemühen der OrganisatorInnen konterkarierte, die Konferenz als Plattform zu präsentieren, auf der afrikanische und asiatische AkteurInnen zentrale globalpolitische Fragestellungen selbstständig verhandeln. Das gab 3

An der Konferenz nahmen zudem BeobachterInnen aus zehn weiteren Ländern teil, drei aus der Tschechoslowakei, drei aus Jugoslawien, zwei aus Spanien und jeweils einer aus Kanada, Kolumbien, Ungarn, der DDR, Italien, Frankreich und Großbritannien. Vgl. Arrivée de nombreuses délégation au congrès afro-asiatique, in: Le Progrès Égyptien, 23. Dezember 1957, S. 3. 4 Vgl. IISH Archives, ICFTU (3884), Cairo, December 1957–January 1958, The AfroAsian People’s (sic!) Solidarity Conference, S. 4.

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den BeobachterInnen aus Europa und den USA Anlass zu der missverständlichen Vermutung, dass es sich um eine kommunistische Konferenz handele. Indem sie dergestalt die Konferenzen der AAPSO auf die Anwesenheit der UdSSR reduzierten, übersahen sie aber das entscheidende Moment der afrikanischen und asiatischen agency, der es um die Unabhängigkeit Afrikas und Asiens vom globalen Norden insgesamt zu tun war. Dementsprechend erfüllte die Konferenz, wie zu zeigen sein wird, durchaus die ihr zugedachte Funktion, AktivistInnen und PolitikerInnen aus afrikanischen und asiatischen Ländern ein Forum zur Darstellung ihrer politischen Interessen vor der internationalen sowie der heimischen Öffentlichkeit zu bieten. Teilweise freilich verdeckte die bemühte Rhetorik von afro-asiatischer Solidarität und Gleichheit die unterschiedlichen Interessen der TeilnehmerInnen. Diese Konflikte blieben auch deshalb unterschwellig, weil die AkteurInnen aus den unabhängigen Ländern die Konferenz dominierten und die inhaltliche Ausrichtung der AAPSC vorgaben. Die Vorbereitung der ersten AAPSC

Die arabisch-asiatische Dominanz auf der ersten AAPSC nahm ihren Anfang bereits auf dem Vorbereitungstreffen, in das die antikolonialen AkteurInnen nicht in demselben Maße eingebunden waren wie die VertreterInnen der unabhängigen asiatischen und arabischsprachigen Länder. Auch wurde im Oktober 1957 in Kairo, als Delegierte aus 18 afrikanischen und asiatischen Ländern zusammenkamen, um organisatorische und inhaltliche Fragen zu diskutierten,5 die verschiedenen Hintergründe und Interessen der afrikanischen, asiatischen und arabischsprachigen Länder bereits mehr als deutlich. Die Unterschiedlichkeit beruhte allerdings weniger auf regionalen Aspekten, als auf den unterschiedlichen Herausforderungen, denen sich formal unabhängige und kolonisierte Länder gegenübergestellt sahen. Ägypten und Libyen waren neben Kamerun als einzige afrikanischen Länder auf dem Vorbereitungstreffen vertreten,6 ihre Delegationen aber 5

Der Ägypter Anwar El Sadat, Anup Singh aus Indien und Sunao Sonuda aus Japan stellten das Präsidium der Konferenz. Die Delegierten wählten Youssef El Sebai – ebenfalls aus Ägypten – zum Generalsekretär. Vgl. Permanent Secretariat of the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), The Bulletin. Afro-Asian Peoples’ Conference, Nr. 1, 1957, Kairo, S. 2. 6 In einem Artikel im Progrès Ègyptian schrieb ein Autor fälschlicherweise von 16 vertretenen Ländern (Vgl. Réunion du comité préparatoire de la Conférence AfroAsiatique, in: Le Progrès Égyptien, 21. Oktober 1957, S. 3). Tatsächlich nahmen aber

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eher dem arabischen Lager zuzurechnen. So vertraten sie keine Forderungen, die spezifisch den antikolonialen Interessen der afrikanischen Gesellschaften entsprochen hätten, sondern sprachen sich, im Hinblick auf die Agenda der Konferenz, für einen Fokus auf die Konflikte in den arabischsprachigen Ländern aus. Einzig die kamerunische Delegation setzte sich intensiv mit dem Thema Kolonialismus auseinander und trug dafür Sorge, dass zumindest einige Entwicklungen, die Kamerun selbst betrafen, besprochen wurden.7 Andere Themen waren schon dadurch gesetzt, dass die Delegierten im Zuge des Vorbereitungstreffens unisono die Absicht kundtaten, an die Inhalte der Bandung-Konferenz von 1955 anzuknüpfen. Zu diesen unstrittigen Themen gehörten die Kritik an Nuklearwaffentests, am Imperialismus, an militärischen Bündnissen sowie an Rassismus und Segregation, aber auch der Anspruch der VR China auf den Sitz in den Vereinten Nationen.8 Die Bandung-Konferenz war deshalb als Vorlage für die AAPSC von so großer symbolischer Bedeutung, weil sie es als erste geschafft hatte, weltweite Aufmerksamkeit für die Anliegen der afrikanischen und asiatischen PolitikerInnen zu erzeugen. Auch wollten die Delegierten mit der Konferenz den damals geäußerten Anspruch aufgreifen, dass die afrikanischen und asiatischen Länder ihren Beitrag zur Erlangung und Sicherung des Weltfriedens zu leisten vermochten.9 Dieser Anspruch lässt sich auch anlässlich der Diskussionen um die Terminfindung für die Konferenz erkennen, die integraler Bestandteil eines globalpolitischen Aushandlungsraums sein sollte. So verwarfen die Delegierten den ursprünglichen Plan, die Konferenz im November stattfinden zu lassen, um zu vermeiden, dass sie parallel zur 13. Sitzung Delegationen aus 18 Ländern an dem Vorbereitungstreffen teil: Ägypten, Jordanien, Syrien, der Libanon, die Türkei, Libyen, China, die Mongolei, Russland, Vietnam, der Irak, Burma, Kambodscha, Indien, Indonesien, Japan, Ceylon und Afghanistan. Zudem war auch ein kamerunischer Delegierter anwesend. Vermutlich war es den VeranstalterInnen schwergefallen, kurzfristig Kontakte zu politischen AkteurInnen in den Kolonien herzustellen (Vgl. hierzu auch Kapitel 5.1 und die dort ausgeführten Einladungsschwierigkeiten bei der ersten All-African People’s Conference im Jahr 1958). 7 Vgl. M. Anwar Sadate elu président de la conférence préparatoire du congrès afroasiatiques, in: Le Progrès Égyptien, 22. Oktober 1957, S. 3. 8 Vgl. La conférence préparatoire a clôturé hier ses travaux, in: Le Progrès Égyptien, 24. Oktober 1957, S. 1. 9 Im nächsten Kapitel werde ich zeigen, dass die Delegierten der zweiten Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference diesen Anspruch wiederholten. Vgl. Kapitel 6.2.

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der Generalversammlung der Vereinten Nationen stattfinden würde. Sie befürchteten, dass in dem Fall einige der Interessierten nicht an der Konferenz in Kairo teilnehmen könnten10 und legten das Datum für die Konferenz schließlich so, dass sie unmittelbar an den ersten NATO-Gipfel anschließen würde, der für die Zeit zwischen dem 16. und 19. Dezember 1957 in Paris geplant war.11 Auf diese Weise wäre den Delegierten der AAPSC die Möglichkeit gegeben, schnell auf Beschlüsse des Gipfels zu reagieren und sich öffentlichkeitswirksam in die Debatten über globalpolitische Fragestellungen einzubringen. Die AAPSC als Inszenierung afro-asiatischer Solidarität

Als Anwar El Sadat die Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference am 26. Dezember 1957 eröffnete, kündigte er an, dass die Konferenz der Versuch sei, das »Schauspiel« Bandung-Konferenz wieder aufzuführen.12 So erklärte er die AAPSC zur legitimen Nachfolgeveranstaltung der damals fast schon mythischen Konferenz, die 1955 in Indonesien stattgefunden hatte.13 Indem sie sich bei der Zusammensetzung der Delegationen weitgehend am Muster der Bandung-Konferenz orientiert hatten, machten die OrganisatorInnen ihre Intention deutlich, die dort proklamierte afro-asiatische Solidarität neu aufzunehmen. Obwohl die AAPSC »lediglich« als zivilgesellschaftliche 10

Vgl. AAPSO Archives, Correspondence India, Brief vom 08. Oktober 1957 von Anup Singh vom indischen Asian Solidarity Committee an Youssef El Sebai. 11 Vgl. Afro-Asian Talks Open in Cairo, in: Daily Graphic, 27. Dezember 1957, S. 10. 12 In ihrem viel beachteten Aufsatz Diplomacy as Theatre begreift Naoko Shimazu die Bandung-Konferenz als einen symbolischen Moment, in dem afrikanische und asiatische Staaten die internationale Bühne betreten hätten. Shimazu argumentiert, dass die Konferenz – unabhängig von ihrem konkreten Nachhall – aufgrund des Orts, an dem sie stattfand, aufgrund der in dieser Zeit besonderen Zusammensetzung der Delegationen sowie aufgrund der Rezeption durch zeitgenössische BeobachterInnen zu einem Mythos geworden sei. In ihrer Untersuchung überträgt Shimazu die Analogie des Theaterschauspiels auf die Konferenz und unterscheidet bei deren Inszenierung drei Bereiche: die Bühne (= der Ausrichtungsort), die DarstellerInnen (= die Delegierten) und das Publikum (= die Bevölkerung Bandungs). Vgl. Naoko Shimazu, Diplomacy As Theatre. Staging the Bandung Conference of 1955, in: Modern Asia Studies, Vol. 48, Nr. 1, 2014, Cambridge, S. 225–252, hier: S.  232  ff. 13 Diesen Anspruch wiederholten auch andere RednerInnen auf der Konferenz, z. B. Youssef El Sebai: »We set the resolutions of Bandung before our eyes and tried to build upon them«. Vgl. Permanent Secretariat of the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference. Cairo, December 26, 1957–January 1, 1958, Kairo, 1958, S. 53.

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Nachfolgeveranstaltung ausgegeben war, wurden die Delegierten mittels symbolischer Repräsentationstechniken in den Rang quasi offizieller VertreterInnen ihrer Länder erhoben. An der Eröffnungszeremonie der Konferenz nahmen neben den Delegierten und geladenen Gästen ägyptische Minister, Mitglieder der Nationalversammlung und des diplomatischen Corps teil. Die Eröffnungsrede hielt Anwar El Sadat, zu dieser Zeit Vorsitzender der Nationalversammlung und ab 1973 ägyptischer Präsident, wobei er das Engagement Ägyptens als Gastgeber zur Geste der Dankbarkeit für die während der Sueskrise erfahrene Solidarität erklärte.14 Youssef El Sebai, ein ägyptischer Autor, der intensiv in die Vorbereitung der Konferenz eingebunden gewesen war, verlas Grußworte Mao Zedongs und Gamal Abdel Nassers15, während die indische Politikerin Rameshwari Nehru Gleiches im Namen der geladenen Delegationen tat.16 14

Vgl. Permanent Secretariat of the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference, S.  45  f. 15 Nasser nutzte sein vorgelesenes Grußwort, um seinerseits die Bedeutung afroasiatischer Solidarität hervorzuheben. Öffentliche Solidaritätsbekundungen, wie sie während der Sueskrise zum politischen Erfolg Ägyptens geführt hatten, sollten gezielt als politisches Mittel eingesetzt werden (Vgl. The Bulletin. Afro-Asian Peoples’ Conference, S. 3 und S. 9). Bereits auf der Vorbereitungskonferenz griffen die Delegierten auf dieses Mittel zurück und sprachen eine Solidaritätsbekundung gegenüber Syrien aus, das sich zu dieser Zeit mit britischen und US-amerikanischen Einmischungen konfrontiert sah (Vgl. ebd., S. 6). Daneben adressierten die Delegierten – da sie davon ausgingen, dass eine kollektive afro-asiatische Unterstützung von Partikularinteressen den Positionen und Interessen einzelner Länder mehr Gewicht verleihen würde – auch den Generalsekretär der Vereinten Nationen mittels einer gemeinsamen Botschaft. Darin brachten sie ihre Erwartung zum Ausdruck, dass er die Situation in Syrien in den Foren der internationalen Organisation zur Diskussion stellen werde (Vgl. La conférence préparatoire a clôturé hier ses travaux, in: Le Progrès Égyptien, 24. Oktober 1957, S. 4. Der Artikel direkt darunter schlug in dieselbe Kerbe (»Les Nations Unies ésperance des peuples«)). Für wie erfolgversprechend die Delegierten ein koordiniertes Vorgehen der afroasiatischen Länder hielten, lässt sich auch an den harten Verhandlungen betreffs der Solidaritätsbekundung ablesen: Als der türkische Delegationsleiter deren Verabschiedung verhinderte und auch eine gemeinsame Überarbeitung des Entwurfs durch indische, ägyptische, chinesische, syrische und türkische Delegierte zu keinem Ergebnis führte, verabschiedeten die Delegationen die Botschaft schließlich unter Enthaltung der türkischen Delegation (Vgl. Le délégué de turc s’oppose a l’envoi d’un message à la Syrie, in: Le Progrès Égyptien, 23. Oktober 1957, S. 3). 16 Vgl. La conférence des peuples afro-asiatiques s’est ouverte dans une atmosphere de fête, in: Le Progrès Égyptien, 27. Dezember 1957, S. 1 und La conférence de la soli-

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Da die Konferenz ein translokales Solidaritätsereignis werden sollte, wurde sie durch zahlreiche Veranstaltungen in den unterschiedlichsten Ländern angekündigt und orchestriert. Unter dem Motto »Rendons-nous au Caire« wurde im Vorfeld der AAPSC eine Solidaritätswoche ausgerufen, die am 1. Dezember 1957 begann und in deren Rahmen die teilnehmenden Delegationen in ihren Heimatländern Veranstaltungen durchführten, um die kommende Konferenz zu bewerben. Das Komitee stellte geeignetes Material zur Verfügung und empfahl, kleinere Konferenzen auszurichten, Artikel in Zeitungen zu platzieren und Radiosendungen und Filmvorführungen zu nutzen.17 So fanden in Indien von mehreren tausend Menschen besuchte Kundgebungen statt, wo u.a. der syrische Botschafter und ein Vertreter des algerischen Front de Libération Nationale auftraten, während das Solidaritätskomitee im Sudan einen Festtag in Khartum organisierte.18 Aber auch parallel zur Konferenz gingen die Aktionen in Form kultureller Veranstaltungen weiter, die den jeweiligen Bevölkerungen andere afrikanische und asiatische Länder näher zu bringen und dadurch Solidarität zu erzeugen suchten. In Ceylon organisierte z.B. das Asian Solidarity Committee eine afro-asiatische Filmwoche, in Usbekistan wurde ein algerisches Theaterstück aufgeführt und in Moskau wurden ägyptische Kunstwerke in Museen ausgestellt.19 Auch in Kairo gab es ein Begleitprogramm zur Konferenz.20 Die AAPSC als Medienereignis

Auf der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference erhielten die Delegierten die Gelegenheit, sich vor einer breiten internationalen Öffentlichkeit zu

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darité afro-asiatique tiendra ce matin à 10H., sa séance inaugurale, in: Le Progrès Égyptien, 26. Dezember 1957. AAPSO Archives, Correspondence Soviet Afro-Asian Solidarity Committee, Brief (undatiert) von Youssef El Sebai an den Sekretär des sowjetischen Asian Solidarity Committee, und La Semaine de solidarité afro-asiatique a commencé hier, in: Le Progrès Égyptien, 2. Dezember 1957, S. 3. Vgl. AAPSO Archives, Cairo Conference, 26.12.1957–01.01.1958. Preparations, Resolutions, Brisk Preparations by Afro-Asian Countries of Peoples Bandung. Vgl. ebd. Daneben gab es dort auch Kurse, die den Delegierten Praktiken politischer Arbeit veranschaulichten. Zu diesem Zweck bat das Organisationskomitee die sowjetische Botschaft in Kairo, Filmmaterial zur Verfügung zu stellen, das internationale Jugendfestivals zeigte. Vgl. AAPSO Archives, Correspondence Soviet Afro-Asian Solidarity Committee, Brief vom 13. November 1957 von Youssef El Sebai an den Kulturattaché der sowjetischen Botschaft in Kairo.

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präsentieren, waren doch in Kairo über 100 JournalistInnen aus dem Inund Ausland anwesend, um über die Konferenz zu berichten.21 Wie schon die Bandung-Konferenz wurde deshalb auch ihre selbsternannte Nachfolgerin ein großes Medienereignis.22 In der Berichterstattung in den afrikanischen und asiatischen Ländern spielten die Delegationen aus den eigenen Ländern eine zentrale Rolle.23 Entsprechend nutzten die Delegierten die Teilnahme an der Konferenz auch gezielt dazu, im eigenen Land mit ihrer Agenda, aber auch persönlich sichtbarer zu werden. Schon der bloße Versuch der Teilnahme an der Konferenz konnte für die antikolonialen AktivistInnen Öffentlichkeit produzieren, die ihrem antikolonialen Kampf zugutekam. Beispielsweise sorgten Meldungen, wonach britische Kolonialverwaltungen antikoloniale AkteurInnen aus Sansibar und Kenia an ihrer Reise nach Kairo hinderten, weltweit für Aufregung.24 Bei der Berichterstattung durch europäische und US-amerikanische Medien dominierte  – wie schon 1955 in Bandung  – die Sorge vor einem angeblichen kommunistischen Sog, dem asiatische und afrikanische VertreterInnen verfallen könnten.25 Die New York Times widmete sich beispielsweise intensiv den Delegationen aus der UdSSR und der VR China und sprach die Hoffnung aus, dass pro-westliche Delegationen der Konferenz noch einen positiven Dreh geben könnten.26 Die britische Times meinte 21 Vgl. Arrivée de 54 journalistes étrangers, in: Le Progrès Égyptien, 26. Dezember 1957,

S. 4. Auch in deren Fall hatten Medien in Asien und Afrika, der UdSSR, den USA und Europa berichtet. Vgl. Jürgen Dinkel, Die Bewegung Bündnisfreier Staaten: Genese, Organisation und Politik (1927–1992), 2015, Berlin, S. 84  ff. 23 Die Malay Mail berichtete über die dreiköpfige Delegation aus Malaysia. Vgl. ›We Go on our own‹ Says Devaser. 3 Malayans to Attend Afro-Asian Meeting, in: The Malay Mail, 20. Dezember 1957. 24 In Singapur berichtete eine Zeitung über die sansibarische Delegation, die die britische Kolonialverwaltung in Kenia aufgehalten hatte (Vgl. Afro-Asia Talks: 5 Turned Back, in: Strait Times, 23. Dezember 1957). Auch die Times griff Berichte auf, wie afrikanische Delegierte durch die britische Kolonialverwaltung an ihrer Reise nach Kairo gehindert wurden (Vgl. Passports Refused for Cairo Delegates, in: The Times, 23. Dezember 1957). 25 Kweku Ampiah hat eine umfangreiche Arbeit über die Rezeption der Konferenz in den USA und Großbritannien geschrieben. Vgl. Kweku Ampiah, The political and moral imperatives of the Bandung Conference of 1955, 2007, Folkstone. 26 Vgl. Red Units Gather for Cairo Parley, in: New York Times, 22. Dezember 1957. Vgl. auch Reds Flock to Cairo For Anti-West Talk, in: New York Times, 22. Dezember 1957. 22

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gar, im Selbstanspruch der AAPSC, eine Nachfolgekonferenz von Bandung zu sein, eine bloße Maskerade zu erkennen. Stattdessen handele es sich um eine Veranstaltung, die von asiatischen Gruppen geprägt sei und eine kommunistische Agenda verfolge.27 Die afrikanischen AkteurInnen und deren Interessen hingegen fanden in dieser vollkommen vom Geist des Kalten Kriegs durchtränkten Berichterstattung keine Berücksichtigung. Nach Beginn der Konferenz milderte sich diese Obsession der westlichen Berichterstattung freilich etwas, so dass sie zumindest in Teilen auch Debatten und Ergebnisse der Konferenz selbst abbildeten.28 Im Falle Ghanas hingegen veränderte sich der Tenor der Berichterstattung im Verlauf der Konferenz sehr stark. So berichtete die ghanaische Presse lange mit einem weitgehend skeptischen Unterton über die Konferenz und vor allem über die Präsenz der Delegation aus der UdSSR.29 Diese Zurückhaltung war nicht zuletzt dadurch begründet, dass die NkrumahAdministration einen Antikolonialismus verfocht, der dezidiert für eine eigenständige, neutrale Position Afrikas im globalpolitischen Gefüge eintrat.30 Der Tonfall der Berichterstattungen änderte sich jedoch schlagartig nach der Konferenz, als klar geworden war, dass Ghana in der AAPSO eine nicht unbedeutende Rolle spielen würde. So berichtete der Daily Graphic am 4. Januar 1958 beinahe enthusiastisch, dass Ghana zu den Ländern gehöre, die Sekretäre für das geplante Ständige Sekretariat der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (AAPSO) benennen würden.31 Zwei Tage später erwog die Zeitung auf ihrer Titelseite bereits die Möglichkeit, dass das Land die nächste afro-asiatische Konferenz ausrichten könnte.32 Auch die lokale ägyptische Presse verfolgte den Verlauf der Konferenz intensiv. Sie inszenierte die Sueskrise als Auftakt der Konferenz und schrieb damit Ägypten und Nasser eine federführende Rolle im afro-asiatischen Bündnis zu. Die Berichterstattung begann bereits einige Tage vor dem Start der AAPSC, als Nasser am 22. Dezember 1957 in Port Said das einjährige 27 Vgl.

›Asian Solidarity‹ Masquerade. Communist Background to Cairo Talks, in: The Times, 24. Dezember 1957. 28 Vgl. Les Événements du Moyen-Orient. La Conférence Afro-Asiatique Réclame des Mesures Urgentes de Désarmement, in: Le Soir, 02. Januar 1958. 29 Vgl. Supporters of Afro Asian Conference Will Advance Soviet Imperialism, in: Ghana Evening News, 27. Dezember 1957, S. 1. 30 Siehe Kapitel 3. 31 Vgl. Ghana to Nominate Secretary to Cairo, in: Daily Graphic, 04. Januar 1958. 32 Vgl. Next Afro-Asian Talks in Accra?, in: Daily Graphic, 06. Januar 1958, S. 1.

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Jubiläum des Endes der militärischen Auseinandersetzung im Zuge der Sueskrise beging.33 Während der Konferenz berichtete die lokale Presse ausführlich über die Arbeit in den Kommissionen und druckte zahlreiche Fotos ab, die Nasser von Delegierten umgeben zeigten.34 Die ägyptische Berichterstattung zeichnete sich überwiegend durch einen positiven Tenor und eine panarabische Sichtweise aus, wie sie beispielsweise die Egyptian Gazette mit ihrer integrierten arabische Presseschau dokumentiert.35 TeilnehmerInnen, Kräfteverhältnisse und Interessen auf der ersten AAPSC

Während sich auf der AAPSC das Teilnehmerverhältnis zwischen den Delegationen aus den afrikanischen, asiatischen und arabischsprachigen Ländern relativ ausgeglichen gestaltete, gab es ein erhebliches Ungleichgewicht, was das Verhältnis zwischen den Delegationen aus den schon unabhängigen Staaten und den Kolonien betraf. So kamen zwar von den 46 Delegationen 14 aus Asien, 14 aus Afrika und 17 aus arabischsprachigen Ländern36  – eine Zusammensetzung, die dem Anspruch der ägyptischen Regierung entsprach, Afrika und Asien nicht nur geografisch miteinander zu verbinden und Kairo als globalpolitisches Zentrum zu etablieren. Wie schon beim Vorbereitungstreffen waren aber auch auf der Konferenz selbst die Delegationen aus den Kolonien in der Unterzahl.37 Besonders eklatant ist diesbezüglich der Unterschied zwischen den Delegationen aus den afrikanischen und asiatischen Ländern: Zwölf der 14 afrikanischen Delegationen vertraten Kolonien, wohingegen alle asiatischen Delegationen aus unabhängigen Ländern kamen. Während die geografische Verteilung also 33 Vgl.

Le Président Abdel Nasser va offrir á Port-Saïd l’emblème de sa gloire, in: Le Progrès Égyptien, 23. Dezember 1957. 34 Auf Seite 3 der Ausgabe der Egyptian Gazette vom 03. Januar wurden die Ergebnisse der Arbeiten mehrerer Komitees abgedruckt. Vgl. The Egyptian Gazette, 03. Januar 1958, S. 3. Auch Le Progrès Égyptien berichtete auf ganzen Seiten ausgiebig über die Ergebnisse und zeigte Fotos der Delegierten bei ihrer Arbeit. Vgl. Le Progrès Égyptien, 27. Dezember 1957, S. 4; 30. Dezember 1957, S. 1 oder 31. Dezember 1957, S. 1. Selbst nach der Konferenz schmückten die Titelseite der Zeitung noch Fotos von Nasser mit VertreterInnen von Delegationen der AAPSC. Vgl. The Egyptian Gazette, 05. Januar 1958, S. 1. 35 Vgl. Positive neutralism-path leading to peace, in: The Egyptian Gazette, 01. Januar 1958, S. 2. 36 Von denen kamen wiederum zehn vom asiatischen und sieben vom afrikanischen Kontinent. 37 Unter den Delegationen aus den unabhängigen Ländern fanden sich sowohl regierungsnahe als auch oppositionelle Gruppen. Palästina stellte einen Sonderfall dar.

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zunächst ein Gleichgewicht suggeriert, war dieses auf der Konferenz nur oberflächlich gegeben. Mit den verschiedenen Hintergründen der Delegationen waren auch unterschiedliche strategische Herangehensweisen und Interessen verbunden. Die japanische Delegation wollte die AAPSC nutzen, um sich Gehör in globalpolitischen Angelegenheiten zu verschaffen, die mit Antikolonialismus nicht das Geringste zu tun hatten. So versuchte sie sich in die Debatte über ein Verbot von Atomwaffentests einzuschalten38 und veröffentlichte vor ihrer Abreise nach Kairo eine 32-seitige Broschüre, in der sie die Verbannung von Nuklearwaffen forderte.39 Die Delegation war mit Kaoru Yasui, einem Völkerrechtler und bekannten Friedensaktivisten, in der Nuklearfrage prominent besetzt.40 In seiner Rede auf der Konferenz sprach Yasui, indem er vom Beispiel Hiroshima ausging, über die schwerwiegenden Folgen von Atomwaffentests im Allgemeinen und berührte damit einen Punkt, der auch andere TeilnehmerInnen beunruhigte.41 Zudem sprach er die geplanten französischen Atomwaffentests in der Sahara an.42 Das indische Solidaritätskomitee wiederum bemühte sich, Süd-SüdKooperationen zu etablieren. Eine prägende Figur war die Frauen- und Friedensaktivistin Rameshwari Nehru, die die indische Delegation auf der AAPSC in ihrer Funktion als Vorsitzende des indischen asiatischen Solidaritätskomitees anführte. Sie verfügte über eine breite Erfahrung auf inter38

Einführend vgl. Joseph Pilat und Nathan Busch (Hg.), Routledge Handbook of Nuclear Proliferation and Policy, 2015, London und Benjamin Green, Eisenhower, Science Advice, and the Nuclear Test-Ban Debate. 1945–1963, (Stanford Nuclear Age Series), 2007, Stanford. 39 Vgl. Les délégations afro-asiatiques se hâtent vers Le Caire, in: Le Progrès Égyptien, 23. Dezember 1957, S. 1. 40 Aufgrund der Erfahrungen am Ende des Zweiten Weltkriegs hatte sich in Japan eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung gegen Atom- und Wasserstoffbomben etabliert. Yasui war Vorsitzender des »Japan Council Against Atomic and Hydrogen Bombs« und erhielt 1958 den Lenin-Friedenspreis für seine politische Arbeit (Einführend zur japanischen Antiatom-Bewegung vgl. Lawrence Wittner, One World or None. A History of the World Nuclear Disarmament Movement Through 1953, 1993, Standford, S. 39–54). 41 Für die emotionale Untermalung des Berichts sollte die Anwesenheit einer japanischen Witwe sorgen, die ihren Mann bei einem US-amerikanischen Atomwaffentest auf dem Bikini-Atoll verloren hatte. Vgl.: Permanent Secretariat of the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference, S. 139. 42 Im April 1960 griff Kwame Nkrumah das Thema ebenfalls auf. Vgl. Kapitel 5.3.

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nationalem und diplomatischem Terrain, hatte sie doch 1931 kurz für den Völkerbund gearbeitet und zuvor schon internationale Friedenskonferenzen besucht.43 Das indische Komitee hatte sich bereits vor der AAPSC organisatorisch eingebracht und das in Kairo ansässige Organisationskomitee in der Planungsphase dabei unterstützt, Delegationen für die Konferenz zu gewinnen.44 So hatte es den Kontakt zu anderen asiatischen Solidaritätskomitees und potentiellen Interessenten der Konferenz hergestellt und Kontaktpersonen in Afrika angeschrieben, um bei ihnen für die Konferenz zu werben.45 Ghana wiederum war mit einer Delegation auf der AAPSC vertreten, weil dessen Regierung – genau wie Ägypten – eine zentrale Rolle in der afrikanischen Dekolonisation für sich beanspruchte. Die Regierung blickte aber skeptisch auf die Konferenz, was auch in der vergleichsweise schwachen Besetzung der Delegation seinen Niederschlag fand.46 Aus einem Schreiben John Tette­gahs, Generalsekretär des ghanaischen Gewerkschaftsbundes Ghana Trades Union Congress, an Charles Millard, seinerzeit Director of Organisation des ICFTU, geht hervor, dass sich Ghana ob seines Führungsanspruchs auf dem afrikanischen Kontinent eher zur Teilnahme verpflichtet sah, als dass es dieser begeistert nachgekommen wäre.47 43

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Nehru, Rameshwari, in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, (http://www.munzinger.de/document/00000009715), zuletzt aufgerufen: 19.7.2017. Die sozialistische Prägung des indischen Solidaritätskomitees legt den Schluss nahe, dass neben der UdSSR auch indische und weitere asiatische Länder sozialistische Vorstellungen in die AAPSC einspeisten. Dabei konnten sie auf bereits bestehende panasiatische Netzwerke zurückgreifen. Zu früheren asiatischen Konferenzen vgl. Carolien Stolte, ›The Asiatic hour‹. New Perspectives on the Asian Relations Conference. New Delhi, 1947, in: Nataša Mišković, Harald Fischer-Tiné und Nada Boškovska (Hg.), The Non-Aligned Movement and the Cold War: Delhi, Bandung, Belgrade, (Routledge Studies in the Modern History of Asia, 96), 2014, London, S. 57–75. Das Organisationskomitee hatte bis kurz vor der Konferenz noch keinen direkten Kontakt zu vielen asiatischen Delegationen, die an der Konferenz teilnehmen wollten. Vgl. AAPSO Archives, Correspondence India, Brief vom 08. Oktober 1957 von Anup Singh vom indischen Asian Solidarity Committee an Youssef El Sebai. Der CPP-Generalsekretär Bediako Poku war Leiter der fünfköpfigen – und damit relativ kleinen – Gruppe. Neben ihm reisten Amoah Awuah D.P. Duncan, A. Duncan und Mabel Dove nach Kairo. Vgl. Five for Afro-Asian Talks, in: Daily Graphic, 21. Dezember 1957, S. 1. Vgl. IISH Archives, ICFTU (3884), Cairo, December 1957-January 1958, Brief vom 13.12.1957 von John Tettegah an Charles Millard.

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Politische AktivistInnen aus afrikanischen Kolonien wiederum zeigten sich grundsätzlich sehr interessiert an der Konferenz. Für sie bot sich in Kairo eine hervorragende Gelegenheit, außenpolitisch in Erscheinung zu treten, weshalb denn auch einige Kolonialverwaltungen deren Teilnahme zu verhindern suchten; so verbot die britische den antikolonialen AktivistInnen aus Kenia, dem britischen Somalia, aus Nyasaland und aus Tanganjika die Ausreise.48 Der sansibarischen Delegation dagegen nahm die Kolonialverwaltung bei deren Zwischenstopp in Kenia die Pässe ab und zwang sie zur Rückreise. Die Kolonialverwaltungen hatte mit ihrem Vorgehen aber nur in Teilen Erfolg, stärkten sie doch damit letztlich die AktivistInnen im Exil. So nahmen in Kairo ansässige AktivistInnen aus den betroffenen Ländern an Stelle der so Verhinderten an der Konferenz teil und schlossen die Lücke. Die UdSSR und die VR China ihrerseits reisten mit großen und hochrangig besetzten Delegationen nach Kairo. Die sowjetische Delegation, die aus 15 TeilnehmerInnen bestand, wurde vom Usbeken Scharaf Raschidow, dem Vize-Präsidenten des Obersten Sowjets der UdSSR, geleitet.49 Für die UdSSR war das afro-asiatische Solidaritätsnetzwerk, das sich in Kairo entsponn, von größter Bedeutung für die Umsetzung ihrer neuen Afrikapolitik, bekam die sowjetische Delegation in Kairo doch die Gelegenheit, in Kontakt mit den VertreterInnen der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen zu kommen.50 So war das sowjetische afro-asiatische Solidaritätskomitee eine von der kommunistischen Partei finanzierte und kontrollierte Gruppe.51 Auch die chinesische Führung, die schon seit Mai 1955 diplomatische Beziehungen mit Ägypten unterhielt, suchte auf der AAPSC Kontakte mit afrikanischen und asiatischen AkteurInnen. Guo Moro, der stellvertretende Vorsitzende des chinesischen Nationalen Kongresses und der Vorsitzende des chinesischen asiatischen Solidaritätskomitees, war der Leiter der 25-köpfi-

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Manche somalische Delegierte schafften es trotzdem, nach Kairo zu reisen. Vgl. La conférence de la solidarité afro-asiatique tiendra ce matin à 10H., sa séance inaugurale, in: Le Progrès Égyptien, 26. Dezember 1957. 49 Vgl. Les délégations afro-asiatiques se hâtent vers Le Caire, in: Le Progrès Égyptien, 23. Dezember 1957, S. 1. 50 Vgl. Kapitel 4.3. 51 Vgl. Sergey Mazov, A Distant Front in the Cold War. The USSR in West Africa and the Congo. 1956–1964, 2010, Washington, S. 26.

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gen chinesischen Delegation.52 Die bereits beschriebene Sorge der westlichen BeobachterInnen vor kommunistischer Vereinnahmung übersah aber, dass es kein kommunistisches Lager auf der AAPSC gab, das orchestriert vorgegangen wäre. Im Gegenteil: Die VR China und die UdSSR standen beim Werben um Kontakte vielmehr in Konkurrenz zueinander.53 Lageberichte auf der ersten AAPSC

Auf Bitte des Vorbereitungskomitees fertigten ausgewählte Delegationen Berichte an, die als Grundlage für die Diskussionen auf der Konferenz dienen sollten. Die kamerunische Delegation war unter den Berichterstattern die einzige, die aus einer Kolonie kam.54 Wie schon beim Vorbereitungstreffen prägten damit die Anliegen von AkteurInnen aus den formal unabhängigen Länder die Debatten in Kairo, womit ein Schwerpunkt auf technische und ökonomische Themen einherging. Die größte Aufmerksamkeit erhielten die Berichte über Wirtschaftsfragen, die die Delegationen Syriens, Japans und der UdSSR angefertigt hatten. Den syrischen Bericht stellte Maarufa Al-Davalibi vor, der in der bis dahin jungen Geschichte des syrischen Staates bereits Premier-, Verteidigungs- und Wirtschaftsminister gewesen war. In seinem Bericht ging es nicht um Alternativen zu den vorherrschenden Systemen, sondern um einen möglichen Zugang zu diesen. Nachdem Al-Davalibi den heruntergewirtschafteten Zustand der Ökonomien der afrikanischen und asiatischen Länder dem Kolonialismus und dem Imperialismus angelastet hatte, widmete er sich den Problemen der Gegenwart. Afro-asiatische Solidarität war für ihn weder Selbstzweck, noch entsprang sie für ihn einem normativen Anspruch, sondern stellte schlicht die adäquate Antwort auf die gegebenen 52

Vgl. IISH Archives, ICFTU (3884), Cairo, December 1957–January 1958, Participants at the Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Congress, Cairo, December 26, 1957 to January 1, 1958, S. 2–4. 53 Vgl. Richard Lowenthal, China, in: Zbigniew Brzezinski (Hg.), Africa and the Communist World, 1964, London, S. 142–203, hier: S. 152  ff. 54 Die indische Delegation legte einen Bericht über die internationale Lage, die ägyptische Delegation einen über den Imperialismus, einen über die Situation von Frauen und Kindern und einen über Kulturaustusch vor. Vertreter der Delegationen Kameruns und Indonesiens präsentierten Berichte über den Kolonialismus, die sudanesische Delegation einen über Rassismus, die japanische Delegation einen über Atomwaffen und die Delegation der VR China ebenfalls einen über Kulturaustausch. Vgl. Permanent Secretariat of the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference, S. 7.

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historisch-politischen Strukturen dar. Militärische und politische Blockbildungen sowie die Entwicklungshilfe dienten seiner Meinung nach vor allem dazu, ökonomische Abhängigkeiten aufrechtzuerhalten:55 »Consequently, we are entitled today to consider that the phoney financial and economic aid which the imperialists offer to some of the territories of Asia and Africa does not aim at all at achieving progress and the advancement of these countries, it aims at maintaining political and economic domination over them, in new forms and methods, such as military alliances, economic pacts, and sometimes raising the standard of living. All the aid is accompanied by a great number of conditions and ties and other terms which diminish national sovereignty, paralyze the national economy and perpetuate social backwardness.«56

Al-Davalibi schien das Mittel der Süd-Süd-Kooperation am besten geeignet, um die Souveränität von Staaten angesichts fremder Einflussnahmen zu etablieren und zu erhalten. Für ihn waren die afro-asiatischen Solidaritätsnetzwerke folglich zu verstehen als ein Versuch der Erschaffung alternativer Räume, in denen gleichberechtigte Kooperationen eingegangen werden könnten. Al-Davalibi schlug einen mehrstufigen Plan vor, der sozialistische Elemente in sich barg: Verstaatlichung von Industrien, aufeinander abgestimmte Wirtschaftspläne, Stärkung der Rechte von ArbeiterInnen, Gründung von Gewerkschaften. Auch schlug er vor, tatsächliche Unabhängigkeit dadurch zu erreichen, dass notwendiges Investitionskapital solidarisch untereinander vergeben und technisches Wissen untereinander ausgetauscht würde. Auf diese Weise sollten die Industrialisierungen der afrikanischen und asiatischen Ökonomien in Gang gesetzt werden.57 Um die nötigen Maßnahmen zu koordinieren, sollten Handelsverträge geschlossen,

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Namentlich genannt wurden ausschließlich Bündnisse, in denen die USA und europäische Länder vertreten waren: Der Atlantik-Pakt, der Bagdad-Pakt, der Manila-Pakt, der Marshallplan, das Point-IV-Programm, der Colombo-Plan und die EWG. Die UdSSR wird nicht erwähnt  – eine Rücksichtnahme, die insofern irritiert, als auch VertreterInnen afrikanischer und asiatischer Länder anwesend waren, die an den kritisierten Pakten beteiligt waren. Vgl. Permanent Secretariat of the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference, S. 156. 56 Vgl. ebd., S. 154. 57 Vgl. ebd., S. 158–161.

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der afro-asiatische Markt erschlossen und eine internationale Organisation gegründet werden.58 Die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage der afrikanischen und asiatischen Gesellschaften des Japaners Tokutaro Kitamuras unterschied sich kaum von derjenigen Al-Davalibis.59 Kitamura fremdelte allerdings mit dem staatstragenden Anstrich der Konferenz und unterstrich, dass die Delegierten nicht als Regierungsmitglieder, sondern lediglich als zivilgesellschaftliche VertreterInnen in der Funktion eines beratenden Expertengremiums eingeladen worden seien, um ökonomische Handlungsmöglichkeiten auszuarbeiten.60 Den dritten Bericht zu Wirtschaftsfragen stellte Anushavan Arzumanyan aus der Delegation der UdSSR vor61 und verglich die Situation der Sowjetunion in ihrer Gründungszeit mit der Situation der asiatischen und afrikanischen Länder nach dem Ende des Kolonialismus. Auch die UdSSR sei auf sich selbst gestellt gewesen und habe ihren gegenwärtigen Status mit Hilfe planwirtschaftlicher Maßnahmen erreicht.62 Angesichts der aktuellen globalpolitischen Lage müssten die Fortschreibung der langen Beziehungen untereinander und die gemeinsame Abwehr imperialer Einmischungen im Vordergrund stehen. Die auf der AAPSC nicht vertretene USA, der er die historische Rolle des imperialen Unterdrückers attestierte,63 kritisierte Arzumanyan für ihre Entwicklungshilfepolitik und bot im Gegenzug den afrikanischen und asiatischen Staaten »bedingungslose« technische und finanzielle Hilfe an.64 Während der westliche Rivale darauf abziele, Abhängigkeiten zu schaffen und zu erhalten, sei die UdSSR genuin daran interes-

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Vgl. Permanent Secretariat of the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference, S. 162–164. Einen Unterschied gab es bezüglich der Einschätzung, ob der Aufbau von Industriewirtschaften alleine zu bewältigen sei. Kitamura glaubte nicht daran und plädierte dafür, die Vereinten Nationen enger in das Kreditwesen einzubinden. Er sah zwar die Notwendigkeit, eigene Aushandlungsräume zu schaffen, wollte diese allerdings nicht als Konkurrenz zu den westlich dominierten verstehen. Vgl. ebd., S. 170. Vgl. ebd., S. 166. Arzumanyan war zu der Zeit Direktor des »Institute of World Economy and International Relations of the Russian Academy of Sciences«. Vgl. Permanent Secretariat of the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference, S.  180  f. Vgl. ebd., S.  172  f. Vgl. ebd., S.  184  ff.

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siert, afrikanische und asiatische Länder zu unterstützen, weil man selber eine ähnliche Erfahrung gemacht habe. Der Beitrag des Kameruners Félix Moumiés seinerseits stach sprachlich und inhaltlich aus denen der anderen BerichterstatterInnen heraus. Moumié sprach konkrete Fallstricke an, mit denen sich die Menschen aus den Kolonien konfrontiert sahen, und machte Vorschläge zu deren Überwindung. Dabei betonte er, dass die antikolonialen AkteurInnen aus den Kolonien in ihrem Streben nach Unabhängigkeit auf Strukturen, Erfahrungen und Wissen bereits unabhängiger Länder angewiesen seien.65 In seinem »Report on Colonialism« schimmerte das Bemühen durch, den afrikanischen Gesellschaften eine lange Tradition und damit eine Gleichwertigkeit mit europäischen, arabischsprachigen und asiatischen Gesellschaften zu attestieren. So führte er aus: »[…] the author Tidiany has always maintained, namely, that ›the empires of Ghana and Mali were founded at a time when Europe could not propose anything comparable.‹ In fact, […], the ›European cultures of today sprang from the remarkable Negro-Egyptian culture, which underlies their existence.‹«66

Fast wirkte es so, als ob sich Moumié, als Vertreter einer afrikanischen Kolonie, der vor den arabischsprachigen und asiatischen Delegationen auftrat, erst noch durch Exzellenz für das Podium zu qualifizieren habe. Er gab sich als Gelehrter zu erkennen, der mit der abendländischen Literatur, dem westlichen Wissenschaftskanon und den kolonialpolitischen AkteurInnen genauso vertraut war wie mit den afrikanischen AktivistInnen und Intellektuellen. Er sprach über die von den Briten angezettelten catalinarischen Verschwörungen in Ostafrika, zitierte das irische Revolutionslied »The wearing of the Green« und Montesquieu, aber auch Jules Ferry, Aimé Césaire und Aliounde Diop, den Herausgeber der Présence Africaine. Darüber hinaus war er über die Geschehnisse in anderen Ländern und Kolonien Asiens und Afrikas hervorragend informiert und berichtete über den Unabhängigkeitskrieg in Kamerun genauso kenntnisreich wie über Entwicklungen in anderen afrikanischen und asiatischen Ländern.67 Möglicherweise basierte 65

Vgl. ebd., S. 93. Vgl. Permanent Secretariat of the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference, S. 89. 67 Vgl. ebd., S. 93. Unter anderem präsentierte er auch bildungspolitische Statistiken zu Indonesien. Vgl. ebd. S. 98. 66

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Moumiés Eindruck, sich qualifizieren zu müssen, auf den Erfahrungen, die er im Umgang mit der ägyptischen Regierung gemacht hatte, begegnete diese den AktivistInnen aus den Kolonien, die in Kairo lebten, doch häufig paternalistisch. Resolutionen der ersten AAPSC

Die Delegierten erarbeiteten ihre Resolutionen in fünf nach Themengebieten unterteilten Kommissionen: Organisation, Politische Beziehungen, Wirtschaftliche Beziehungen, Kulturelle Beziehungen sowie Soziale Beziehungen. Dabei orientierten sie sich an den Kommissionen der BandungKonferenz68 und verorteten die Dekolonisation im globalpolitischen Gefüge der Zeit, kritisierten imperiale Einmischungsversuche und sprachen sich für Süd-Süd-Kooperationen aus. Die Mitglieder der Delegationen, die schon auf dem Vorbereitungstreffen gewesen waren, übernahmen die Vorsitze der Kommissionen und festigten damit ihren Einfluss. So saß Rameshwari Nehru aus Indien der politischen Kommission vor, während Nazim Moussali aus Syrien die Wirtschaftskommission leitete und Taha Hussein aus Ägypten den Vorsitz der Kulturkommission übernahm.69 Die Kommission zur Abrüstung und zum Verbot von Nuklear- und Atomwaffen leitete Kaoru Yasui aus der japanischen Delegation.70 Die Resolution zu politischen Beziehungen begann mit einem Aufruf zur Beendigung der Atomwaffentests, der sich an die Regierungen der Vereinigten Staaten, der UdSSR und Großbritanniens richtete.71 Die Delegierten der Konferenz verorteten damit die Dekolonisation im Setting des Kalten Krieges und verurteilten die Gefahren eines Atomkrieges im Allgemeinen, vermieden es aber, Partei für einen der Blöcke zu beziehen. Zudem forderten die Delegierten erneut eine angemessene Repräsentation der afrikani68

Den Vorschlag, die politische Sub-Kommission »de la ségrégation« in »comité des droits de l’Homme« umzubenennen, lehnte der Kommissionsleiter Moukhtar Kotb mit dem Hinweis ab, dass Segregation bereits ein Tagesordnungspunkt der Bandung-Konferenz gewesen sei. Vgl. Réunion de la délégation égyptienne à la conférence afro-asiatique, in: Le Progrès Égyptien, 19. Dezember 1957, S. 3. 69 Vgl. Election des présidents des divers comités, in: Le Progrès Égyptien, 28. Dezember 1957, S. 1. 70 Vgl. Election des présidents des divers comités, in: Le Progrès Égyptien, 31. Dezember 1957, S. 6. 71 Dies ist eines der wenigen Beispiele für eine direkte Kritik an der UdSSR im Laufe der Konferenz. Vgl. Fakhry Labib und Iman Shakeeb (Hg.), Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization. Fifty Years of Solidarity. 1958–2008, 2008, Kairo, S. 46.

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schen und asiatischen Länder in den Vereinten Nationen und wiederholten ihre Forderungen nach der Aufnahme der Mongolei und der Rückgabe des chinesischen VN-Platzes an die VR China.72 In ihren »Resolutions on Imperialism« bestätigten die Delegierten die Prinzipien von Panch Shila und die Bandung-Prinzipien.73 In Unterpunkten, die sich spezifisch an die afrikanischen und asiatischen Gesellschaften richteten, besprachen sie die dortigen Situationen,74 um Solidarität und eine kritische Öffentlichkeit gegen imperiale Einmischungen zu erzeugen.75 In dieser Resolution äußerten die Delegierten auch wiederholt Kritik an Militärbündnissen.76 Den Situationen in Algerien und Palästina kam besondere Aufmerksamkeit zu: Während die Delegierten Solidarität mit Algerien

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Vgl. ebd., S. 49. Dem Beispiel der Bandung-Prinzipien folgend, verabschiedeten die Delegierten eine Erklärung, in der sie sich selbst zu zehn Prinzipien bekannten. »1) Respect for the fundamental rights of man and for the principles and objectives of the United Nations. 2) Respect for the Sovereignty of all peoples and for the integrity of their territories. 3) Recognition of the equality of all races and of all nations, big or small. 4) Abstention from all intervention in the affairs of our countries. 5) Respect for the rights of every nation to its individual or collective defence according to the UN charter. 6) Abstention from the use of organs of collective defence to realise the private objectives of any great power and abstention by any great power from exercising pressure on other countries. 7) Abstention from aggressive actions and threats or from the use of force against the regional security or the political independence of any country. 8) Settlement of all international disagreements by peaceful methods, such as negociation (sic!), counciliation (sic!), arbitration or other peaceful methods chosen by the interested parties according to the UN charter. 9) Development of Afro-Asian common interests and mutual co-operation. 10) Respect for justice and international obligations.« Vgl. IISH Archives, ICFTU (3884), Cairo, December 1957–January 1958, The Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Conference, S.  3  f. 74 Vgl. Homer A. Jack, Cairo. The Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference. A Critical Political Analysis, 1958, Chicago, S. 5. 75 Dies war eine wesentliche Handlungsstrategie der AAPSO. Vgl. Labib und Shakeeb, Fifty Years of Solidarity, S. 55. 76 Die Kritik richtete sich nur gegen jene Bündnisse, die westliche Länder schlossen. Den Warschauer Vertrag kritisierten sie nicht. Vgl. IISH Archives, ICFTU (3884), Cairo, December 1957–January 1958, The Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Conference, S. 3. 73

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bekundeten und die Lage vor Ort scharf verurteilten, mündete der Resolutionsteil zu Palästina in anti-israelische Verurteilungen.77 Die ökonomische Resolution hob sich insofern von den übrigen ab, als sie in einem technischen Duktus geschrieben war, zeitgenössische ökonomische Debatten zitierte und wirtschaftspolitische Handlungsmaximen für die unabhängigen afrikanischen und asiatischen Länder bot. Die Wirtschaftskommission empfahl den afro-asiatischen Ländern, eigene Entwicklungsstrategien auszuarbeiten, die ihre sozialen und ökonomischen Besonderheiten berücksichtigen würden. Wenige Monate nach der Sueskrise betonten die Delegierten in der Resolution zudem, dass Verstaatlichung ein legitimes Mittel sei, um volkswirtschaftliche Ziele zu erreichen.78 Um die ungleiche Einbindung in das Welthandelssystem und die ökonomischen Folgen von Kolonialismus überwinden zu können, gaben die VerfasserInnen die Industrialisierung afrikanischer und asiatischer Länder als Losung aus. Zudem sollte der Handel untereinander besser abgestimmt und technisches Wissen untereinander ausgetauscht werden.79 Die Kooperationsbemühungen waren auch eine Reaktion auf die Pläne der EWG für einen gemeinsamen Markt, die verdeutlichten, dass diese einen transnationalen Wirtschaftsraum anstrebte und Teile des afrikanischen Kontinents in diesen integrieren wollte. Die Delegierten der AAPSC kritisierten dieses Vorhaben und stellten ihm Süd-Süd-Kooperationen entgegen.80 Diese Vorschläge zur Kooperation stellten aber nicht die entstehenden afrikanischen Nationalstaaten in Frage, sondern sollten deren Fortbestehen garantieren und deren politischen und ökonomischen Strukturen festigen. Zum einen lag das sicherlich daran, dass Delegationen aus Ländern, die bereits unabhängig waren, die Resolutionen vorbereiteten, zum anderen aber auch an einem Mangel an Statistiken und Daten aus den Kolonien. Daher beschlossen die Mitglieder der ökonomischen Kommission auch, eine Studie in Auftrag zu geben, die sich intensiver mit den Volkswirtschaften der Kolonien auseinandersetzen sollte. Zudem kündigten sie eine 77

Die Palästinafrage behandelte eine fünfseitige Resolution, die damit fast genauso lang wie die gesamte Resolution zur ökonomischen Lage war. Vgl. Labib und Shakeeb, Fifty Years of Solidarity, S. 60–64. 78 Vgl. IISH Archives, ICFTU (3884), Cairo, December 1957-January 1958, The AfroAsian People’s (sic!) Solidarity Conference, S. 2. 79 Vgl. Labib und Shakeeb, Fifty Years of Solidarity, S. 65–71. 80 Vgl. IISH Archives, ICFTU (3884), Cairo, December 1957–January 1958, The AfroAsian People’s (sic!) Solidarity Conference, S. 2.

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Konferenz an, auf der weitere konkrete Maßnahmen besprochen werden sollten.81 Zu den zentralen Entscheidungen der Delegierten gehörte auch die Gründung der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization mit Sitz in Kairo.82 Deren zentrale Aufgabe sollte es Moumié zufolge sein, den Informationsfluss zwischen den afrikanischen und den asiatischen Ländern zu gewährleisten:83 »[…] it is essential that all the African and Asian countries, whether independent or not, should have regular information on the struggle going on and the standard of living in every corner of the two continents. I believe that it is through this kind of contacts that our activity will be made effective. This is the method used by the colonial powers«84

Zusammenfassung

Die Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference wollte an die Bandung-Konferenz anknüpfen. Delegationen aus asiatischen, afrikanischen und arabischsprachigen Ländern wendeten sich gegen den Kolonialismus und den Imperialismus und beanspruchten einen eigenständigen Platz im globalpolitischen Gefüge. Trotz der vielfältigen Themen und der eingebrachten Resolutionen gab es aber ein Ungleichgewicht zwischen den Delegationen aus den unabhängigen arabischsprachigen und den asiatischen Ländern auf der einen Seite und denjenigen aus den afrikanischen Ländern auf der anderen Seite. Das äußerte sich darin, dass Erstere maßgeblich die Agenda und Debatten der Konferenz bestimmten. Im Vordergrund der Debatten standen deshalb die Konfliktlagen im arabischen Raum und die Stabilisierung der Volkswirtschaften der jungen Staaten. Dabei bildeten internatio81

Zudem planten sie die Ausrichtung einer weiteren Konferenz, die sich dezidiert an Gewerkschaften aus afrikanischen und asiatischen Ländern richten würde. Vgl. IISH Archives, ICFTU (3884), Cairo, December 1957–January 1958, The Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Conference, S. 2. 82 Vgl. ebd., S. 1. 83 Beispielsweise durch die regelmäßige Versendung von Infobriefen, Telegrammen, Publikationen und dem Ausrufen von Solidaritätsveranstaltungen. Vgl. hierzu Kapitel 6.3. 84 Die Delegierten beschlossen die Gründung eines Ständigen Sekretariats und eines Rats. Youssef El Sebai wählten sie zum Generalsekretär. Vgl. Permanent Secretariat of the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference, S.  101  f.

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nale Organisationen wie die Vereinten Nationen, zu denen die Menschen aus den Kolonien keinen gleichberechtigten Zugang hatten, den Adressaten. Da die afrikanischen Delegationen aber mehrheitlich aus den Kolonien kamen, erhielten ihre Themen in Kairo nicht den erwarteten Raum. Wie die Bandung-Konferenz wurde folglich auch die erste AAPSC dem Label »afroasiatisch« nicht wirklich gerecht.85

6.2 Die Afrikanisierung des afro-asiatischen Solidaritätsnetzes. Die antikoloniale Agenda auf der zweiten Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference »It is not without significance that Guinea has been chosen as the venue of our second Conference.«86

Im April 1960 fand die zweite Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference (AAPSC) statt. Die Frage nach dem Veranstaltungsort derselben war umkämpft, da in der nach der ersten AAPSC gegründeten Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (AAPSO) ein Richtungsstreit entbrannt war. Dieser war bedingt durch die rapide Verschlechterung des Verhältnisses zwischen der VAR, der UdSSR und der VR China – den drei dominanten Geldgebern der Organisation, war die AAPSO doch zentral für die Außenpolitik dieser Länder. Im Ringen um die Federführung in der AAPSO konnte sich aber keine dieser drei Parteien entscheidend durchsetzen, so dass die zweite AAPSC schließlich in Conakry stattfand. Diese Wahl der Hauptstadt Guineas zum Veranstaltungsort war das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen des AAPSOGeneralsekretärs Youssef El Sebai und des guineischen Präsidenten Sékou Touré, denen mit dieser räumlichen Veränderung auch eine Verschiebung des thematischen Schwerpunkts gelang, von der die bisher marginalisierten afrikanischen antikolonialen AkteurInnen profitieren sollten. Conakry kam im Zusammenhang mit Guineas Weg in die Unabhängigkeit eine große symbolische Bedeutung zu und stellte für Sékou Touré die perfekte Möglichkeit

85 86

Vgl. hierzu Kapitel 2.3. Aus der Einleitung des offiziellen Konferenzbandes. Vgl. Permanent Secretariat of the Organization for the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), IInd Afro-Asian Peoples Solidarity Conference. Conakry – 13.–15. April, 1960, Kairo, S. 3.

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dar, sich als bedeutender Staatsmann zu inszenieren.87 In Conakry registrierten die westlichen BeobachterInnen dank der Neuausrichtung auch die zunehmende Bedeutung der afrikanischen AkteurInnen und reduzierten nun die Konferenz nicht mehr auf eine kommunistische Veranstaltung. Conakry als Symbol der Neuausrichtung

Als das Ständige Sekretariat der AAPSO einen Veranstaltungsort für die nächste Konferenz suchte, fiel die Wahl mit Guinea auf ein Land, das aufgrund seiner 1958 erlangten Unabhängigkeit dazu geeignet schien, die bisher vernachlässigten antikolonialen Themen sowie die afrikanischen AkteurInnen aufzuwerten. Zudem verhinderte die Wahl Conakrys, dass die Unstimmigkeiten zwischen der VAR, der VR China und der UdSSR die AAPSO dauerhaft lähmten. So hatten die beiden kommunistischen Länder, um die VAR zu schwächen, Diskussionen darüber entfacht, ob nicht die Konferenz im Irak stattfinden und der Sitz der AAPSO verlegt werden solle. Die Nasser-Regierung hingegen unterstützte den Afrikanisierungsprozess der Organisation, war sie doch daran interessiert, den kommunistischen Einfluss in der AAPSO zurückzudrängen.88 Im September 1959 fanden in Conakry Gespräche zwischen einer Delegation der AAPSO und Sékou Touré über die mögliche Ausrichtung der Konferenz statt. Auf guineischer Seite beteiligten sich an den Gesprächen neben dem Präsidenten etliche weitere hohe Regierungsvertreter,89 was 87

Touré hofierte die Delegierten der zweiten AAPSC, als seien sie Staatsgäste. So ließ er Flaggen der Herkunftsländer der Delegationen hissen, führte erlesene Gäste an Spalier stehenden Soldaten vorbei in die Kongresshalle und hielt selbst die Eröffnungsrede. Die Konferenzhalle war geschmückt mit antikolonialen und antiimperialen Bannern. Vgl. Permanent Secretariat of the Organization for the Afro-Asian Peoples’ Solidarity (Hg.), IInd Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference, S.  1  ff. 88 In einem Bericht über die Conakry-Konferenz, den die britische NATO-Vertretung für das Committee on Information and Cultural Relations anfertigte, stellen die Autoren die Bemühungen der VAR in den Vordergrund, eine kommunistische Beeinflussung zu verhindern. Vgl. PA AA, Bestand 12, Band 388: Kommunistische Weltbewegung und marxistisch-leninistische Ideologie. Afro-asiatische Bewegung (1959–1960), Bericht vom 30. Juni 1960 von der britischen NATO-Delegation im Committee on Information and Cultural Relations (Second Afro-Asian People’s Solidarity Conference, Conakry, Guinea, April, 1960). 89 U.a. Diallo Saiffoullaye (Generalsekretär der PDG), Ismael Touré (Bruder des Präsidenten und Minister für öffentliche Arbeiten), Keita Fodéba (Innenminister), Diop Allasane (Informationsminister) und Keita Fama (Verteidigungsminister). Vgl. Afro-Asian Secretariat Delegation Visits Guinea. Decision to Hold Second Afro-

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zeigt, dass die Touré-Administration diese potentielle Gelegenheit, sich der Welt als unabhängiges Land zu präsentieren, sehr hoch bewertete. Auch die Zusammensetzung der Delegation der AAPSO spiegelte die neue Bedeutung der antikolonialen afrikanischen Themen. So führte Youssef El Sebai die Delegation an und wurde von den antikolonialen Aktivisten John Kale aus Uganda, Osende Afana aus Kamerun und Lamine Keita aus dem Senegal begleitet. Vervollständigt wurde die Delegation vom indischen Ökonomen Harsh Dev Malviya sowie VertreterInnen der VR China, der UdSSR und der VAR.90 El Sebai lobte Guineas unkonventionellen und mutigen Schritt in die Unabhängigkeit, hatte sich das Land doch als einzige französische Kolonie in Afrika im Rahmen des Referendums über die fünfte französische Verfassung im September 1958 für die direkte Unabhängigkeit entschieden und gegen die Einbindung in die geplante Communauté française gestimmt.91 Die Gesellschaften der anderen Kolonien hatten sich gegen diesen Schritt entschieden, da Frankreich mit einem minutiös abgestimmten Weg in die formale Unabhängigkeit lockte und wirtschaftliche Kooperationen versprach, im Falle der Ablehnung hingegen mit einem radikalen Abbruch der Beziehungen drohte. An Guinea statuierte die De-Gaulle-Administration nach dem Referendum deshalb ein Exempel, indem sie LehrerInnen, ÄrztInnen und VerwaltungsmitarbeiterInnen abzog, Militär- und Verwaltungseinrichtungen zerstörte und alle finanziellen Hilfen strich.92 Mit der Wahl Guineas als Austragungsort honorierte die AAPSO dessen Mut zum steinigen Weg in die Unabhängigkeit; zugleich unterstrich sie so im Zuge

Asian Peoples’ Conference at Conakry, in: Permanent Secretariat of the Organization for the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Bulletin. Monthly Journal of the Permanent Secretariat of Afro-Asian Solidarity, Vol. II, October–November 1959, Nr. 6–7, S. 7. 90 Kamal Bahaa al-Din und Mursi Saad al-Din aus der VAR, Yeh Tung-ha und Chu Tzu-chi aus der VR China und Scharaf Raschidow aus der UdSSR. Vgl. IISH Archives, ICFTU 3887, Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Council and Local Committees. Second Afro-Asian Solidarity Conference, Conakry, February 1, 1960, 2nd Afro-Asian Solidarity Conf., Conakry, April 1960. 91 Zur Dekolonisation Guineas vgl. einführend Elizabeth Schmidt, Cold War and Decolonization in Guinea. 1946–1958, 2007, Athens und Frederick Cooper, Alternatives to Nationalism in French Africa. 1945–1960, in: Jost Düllfer und Marc Frey (Hg.), Elites and Decolonization in the Twentieth Century, 2011, Basingstoke, S. 110– 137, hier: S.  124  ff. 92 Vgl. ebd., S. 157.

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ihrer Werbung für Süd-Süd-Kooperationen, dass von Kolonialstaaten kein Wohlwollen zu erwarten und man aufeinander angewiesen sei. Die Wahl Guineas als Austragungsort der zweiten AAPSC sollte demnach ein deutliches Signal für die Dekolonisation des afrikanischen Kontinents sein.93 Sékou Touré griff dieses Ansinnen in seinem Grußwort an die AAPSO-Delegation auf und schloss sich Kwame Nkrumahs Diktum an, dass kein Land wirklich unabhängig sei, solange andere afrikanische Länder noch kolonisiert seien.94 Die Verabredung, die zweite Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference in Conakry auszurichten, beruhte folglich auf dem Einverständnis beider Seiten, die Konferenz zu einer Bühne für die Anliegen der antikolonialen afrikanischen AktivistInnen zu machen.95 Die kurze Vorbereitungszeit für die zweite AAPSC stellte die VeranstalterInnen allerdings vor Probleme. Denn in Conakry gab es keine geeignete Infrastruktur, um eine internationale Konferenz dieser Größenordnung auszurichten, so dass die Touré-Administration sich erfinderisch zeigen musste und kurzerhand eine Fabrikhalle zum Konferenzzentrum umgestaltete.96 Auch die Finanzierung der Konferenz war lange Zeit unklar. Die guineische Regierung übernahm zwar die anfallenden Kosten für die Unterbringung und Verpflegung der Delegationen, doch blieb völlig offen, wer die Reisekosten der Delegierten übernehmen würde, die die Hälfte der Gesamtkosten ausmachten. Bis kurz vor der Konferenz warb das Ständige Sekretariat deshalb um SpenderInnen, die im Gegenzug Werbeflächen auf der offiziellen Ankündigung der Konferenz erhalten sollten. In einem Schreiben an die nationalen Komitees forderte es diese zudem auf, sich an den Kosten zu beteiligen.97

93 Vgl.

94 95

96 97

Afro-Asian Secretariat Greets President Sekou Toure, in: Permanent Secretariat of the Organization for the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Bulletin, Vol. II, October–November 1959, Nr. 6–7, S. 5. Vgl. ebd., S. 6. In einer gemeinsamen Erklärung der AAPSO und der guineischen Regierung zeigten diese sich solidarisch mit den AktivistInnen in Algerien, Kamerun, Uganda, Kenia, Angola, Mosambik und Nyasaland. Vgl. Afro-Asian Secretariat Delegation Visits Guinea. Decision to Hold Second Afro-Asian Peoples’ Conference at Conakry, in: ebd., S. 7. Vgl. Fakhry Labib und Iman Shakeeb, Fifty Years of Solidarity, S. 33. Letztlich übernahm die VAR fast die Hälfte der Kosten und die VR China und die UdSSR gemeinsam ca. ein Fünftel (Vgl. The Secretariat of the Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Organization (Hg.), Preparations for the Second Afro-Asian People’s

6 Die Entwicklung einer antikolonialen Agenda in der Frühphase der AAPSO | 197

Netzwerkarbeit des Ständigen Sekretariats

Das Ständige Sekretariat trieb auch die thematische und räumliche Neuausrichtung der AAPSO in der Netzwerkarbeit mit anderen antikolonialen Organisationen voran. Bei der Vorbereitung der zweiten AAPSC spielte besonders die zweite All-African People’s Conference (AAPC), die im Januar 1960 in Tunis stattgefunden hatte, eine zentrale Rolle, konnte die AAPSO dort doch wichtige Kontakte zu afrikanischen Parteien und Gewerkschaften knüpfen.98 Auch unterstrich Youssef El Sebai in einer Stellungnahme während der AAPC, dass die Conakry-Konferenz sich bezüglich der antikolonialen Themensetzung an jener von Tunis orientieren werde: »We leave this Second All-African Peoples [sic!] Conference with the hope that we shall meet the delegates again in Conakry in April next. This Conference is an inspiration to us, and its success will – in no small way – contribute to the success of the Second Afro-Asian Solidarity Conference.«99

Die Netzwerkpflege und die Bemühungen des Sekretariats im Vorfeld der zweiten AAPSC zeigten letztlich die erhoffte Wirkung, so dass die Zahl der vertreteten Länder von 46 auf der ersten nun auf 60 anstieg.100 Während Delegationen aus asiatischen und arabischsprachigen Ländern die Konferenz in Kairo noch thematisch und personell dominiert hatten, waren in Conakry die afrikanischen Delegationen in der Überzahl, die wiederum mehrheitlich einen (anti-)kolonialen Hintergrund hatten. So rangen von (sic!) Solidarity Conference Conakry (April 11–15, 1960), in: Afro-Asian Bulletin, Vol. 2, Nr. 8/9, S. 19). Die Gesamtkosten beliefen sich auf 31644 Ägyptische Pfund (LE) (Vgl. AAPSO Archives, Karte, Liste, Verzeichnis, Katalog, Index, Aufstellung, Delegationen, Haushalt/Budget (arabischer Titel im Original), Recettes et Dépenses de la Conférence de Conakry du 1er Février 1960 au 31 Décembre 1960). 98 Vgl. Kapitel 5.2. 99 Vgl. The Secretariat of the Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Organization (Hg.), Afro-Asian Bulletin, Vol. 2, Nr. 8/9, S. 20. 100 Hinzu kamen BeobachterInnen und VertreterInnen aus der DDR, Jugoslawien und antikolonialer Organisationen und Interessengruppen. Wie bis dahin üblich, erhielten beobachtende Delegationen auch in Conakry kein Stimm- und Rederecht. Vgl. PA AA, Bestand 12, Band 388: Kommunistische Weltbewegung und marxistischleninistische Ideologie. Afro-asiatische Bewegung (1959–1960), Bericht vom 30. Juni 1960 von der britischen NATO-Delegation im Committee on Information and Cultural Relations (Second Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Conference, Conakry, Guinea, April, 1960).

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den zusammengenommen 32 afrikanischen Ländern, die in Conakry vertreten waren, zum Zeitpunkt der Konferenz noch 22 um die formale Unabhängigkeit.101 Die hohe Anzahl von antikolonialen AktivistInnen, die an Konferenzen der AAPC teilgenommen hatten und nun in Conakry waren, zeugte auch davon, dass sich in den vorangegangenen Jahren ein immer verschränkteres afrikanisches Netzwerk zu etablieren begonnen hatte, dessen Knotenpunkte Accra, Kairo und Conakry waren. Etliche dieser AktivistInnen nahmen zentrale Positionen in den nationalstaatlichen Unabhängigkeitskämpfen ein und prägten zugleich die politischen Debatten in den transnationalen Foren:102 Patrice Lumumba aus dem Kongo, Oginga Odinga aus Kenia, Joshua Nkomo aus Südrhodesien (heute Simbabwe), Kanyama Chiume aus Nyasaland (heute Malawi), Modibo Keita aus Mali oder Frantz Fanon aus Algerien. Teil dieses Netzwerks zu sein, konnte sich für die AktivistInnen selbst nach den formalen Unabhängigkeiten noch als sehr hilfreich erweisen, besonders sofern sie Teil der Opposition waren. In diesem Fall war die Konferenz eine gute Gelegenheit, trotz innenpolitischer Marginalisierung in Erscheinung zu treten und sich öffentlichkeitswirksam darzustellen. So erhielt beispielsweise Mehdi Ben Barka aus Marokko, der seit einigen Monaten im Exil lebte, da ihn in seinem Heimatland ein Hochverratsprozess erwartete, in Conakry die Unterstützung des afro-asiatischen Netzwerks und wurde zum Vorsitzenden der zentralen politischen Kommission gewählt. Durch seinen Auftritt in Conakry wurde Ben Barka auch wieder zum Thema in der marokkanischen Presse, die es bis dahin vermieden hatte, über ihn zu schreiben.103 Doch auch die kamerunische UPC, die im seit dem 01. Januar 1960 formal unabhängigen Kamerun nicht an der Regierung beteiligt war, nahm an der Konferenz in Conakry als Oppositionsgruppe teil. 101

Die Zahl der Gruppen aus asiatischen und arabischsprachigen Länder blieb in etwa gleich. Die Delegationen kamen aus 18 (AAPSC I: 14) asiatischen bzw. 16 (AAPSC I: 17) arabischsprachigen Ländern. Vgl. AAPSO Archives, Conference-List Participants. 1958–1971, List of Delegates. 102 Das zeigt auch der Umstand, dass viele der Delegierten der zweiten AAPSC wenige Tage vorher an der Positive Action Conference for Peace and Security in Africa in Accra teilgenommen hatten. Vgl. Kapitel 5.3. 103 Vgl. PA AA, Bestand 12, Band 388: Kommunistische Weltbewegung und marxistischleninistische Ideologie. Afro-asiatische Bewegung (1959–1960), Bericht vom 26. April von von der Esch von der deutschen Botschaft in Rabat (»Marokkanisches PresseEcho auf die afro-asiatische Konferenz in Konakry (sic!)«.

6 Die Entwicklung einer antikolonialen Agenda in der Frühphase der AAPSO | 199

Reaktionen auf die Afrikanisierung

Die neue Schwerpunktsetzung der AAPSC wurde von den Mitgliedsorganisationen und den vertretenen Ländern sehr unterschiedlich wahrgenommen und genutzt. So betrachtete Ghana das Wirken der AAPSO nach wie vor mit gemischten Gefühlen. Denn einerseits zeigte sich die NkrumahAdministration nach wie vor wenig begeistert ob des kommunistischen Einflusses in der AAPSO und der vergleichsweise untergeordneten Rolle, die die AfrikanerInnen dort bisher gespielt hatten. Andererseits aber unterhielt die Regierung enge Kontakte zu Sékou Touré und wollte dem Interesse Guineas, das erstmals eine internationale Konferenz ausrichtete, nicht im Weg stehen. Letztlich war Ghana mit einer schwach besetzten Delegation vertreten, die lediglich aus dem CPP-Sekretär Omankwah und zwei Hochschulprofessoren bestand.104 Auch die ägyptische Regierung blickte mit Skepsis nach Conakry und zwar unabhängig vom Ausgang des Machtkampfs mit der VR China und der UdSSR. Einerseits versuchte sie die Konferenz in Guinea dazu zu nutzen, Kontakte mit afrikanischen antikolonialen AktivistInnen zu etablieren, die in ihren Heimatländern präsent waren. Die VAR unterhielt nämlich bisher vor allem Beziehungen mit VertreterInnen afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen, die in Kairo lebten und arbeiteten.105 Diese wiederum standen zunehmend vor einem Legitimationsproblem in ihren eigenen Ländern, da sie nicht vor Ort aktiv und präsent waren.106 Andererseits verfolgte Gamal Abdel Nasser im Frühjahr 1960 eine eigenständige afroasiatische Politik unabhängig von der AAPSO, da für ihn die bilaterale Ebene zunehmend an 104 Dabei

handelte sich um den Rechtswissenschaftler A.C. Kuma und den Agrarwissenschaftler S. B. Ofori. Vgl. TNA, DO 35/9382-The Accra Conference for Peace and Security, Brief vom 08. April 1960 von R.C. Cox vom Office of the High Commissioner for the United Kingdom, Ghana, an F.S. Miles vom Commonwealth Relations Office. 105 Vgl. TNA, FO 1110/1478-Communist Front Organisations (1961), Entwurf eines Berichts vom Foreign Office über die AAPSO, S. 2. Zur Präsenz afrikanischer AktivistInnen in Kairo vgl. Kapitel 4.3. 106 Ahmad Mohammed Kheir, der mit der chinesischen Delegation nach Conakry reiste, durfte nicht als offizieller Repräsentant des Sudans teilnehmen, da ein anderer Sudanese aus dem Sudan einen Vertretungsanspruch stellte. Vgl. PA AA, Bestand 12, Band 388: Kommunistische Weltbewegung und marxistisch-leninistische Ideologie. Afro-asiatische Bewegung (1959–1960), Bericht vom 30. Juni 1960 von der britischen NATO-Delegation im Committee on Information and Cultural Relations (Second Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Conference, Conakry, Guinea, April, 1960), S. 2.

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Bedeutung gewann. So nutzte er den April, um ausgiebig Asien zu bereisen und sich dabei als Führer der afro-asiatischen Welt zu inszenieren.107 Dieses relative Desinteresse hatte zur Folge, dass die VAR in Conakry nicht mehr so dominant war wie noch auf der ersten AAPSC. Obwohl die AAPSO ihren Sitz weiterhin in Kairo hatte und mit Youssef El Sebai ein Ägypter eine zentrale Position der Organisation innehatte, hielt sich die mediale Aufmerksamkeit für die zweite AAPSC in Ägypten deshalb in Grenzen108 und wandte sich stattdessen Nassers Reisen zu.109 Ungeachtet des vorangegangenen Disputs mit der VAR, war das Interesse der VR China und der UdSSR an der AAPSO nach wie vor sehr groß. Seit 1959 waren in der UdSSR deshalb zahlreiche Organisationen gegründet worden, die darauf abzielten, engere Kontakte auf dem afrikanischen Kontinent zu knüpfen, wobei häufig die Schlagwörter AAPSO und »Afro-Asian Solidarity« fielen.110 Die VR China ihrerseits stellte in Conakry die größte Delegation, war doch für sie die AAPSO nach wie vor eine der wenigen internationalen Plattformen, die sie nutzen konnte. In Conakry grenzte sich die chinesische Delegation sowohl von den westlichen Ländern wie von der UdSSR und der VAR ab111 und riet den afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen zu einem militanten Weg in die Unabhängigkeit.112 107 Dabei

spielten Süd-Süd-Kooperationen nach wie vor eine große Rolle. Gamal Abdel Nasser hatte im Rahmen seiner Indien-Reise das Land für dessen technischen Fortschritt gelobt und als Vorbild für afrikanische und asiatische Länder bezeichnet. Vgl. Nasser Says India Is Example For Asia and Africa. President’s Keen Interest In Bhakra Dam Construction, in: The Egyptian Gazette, 03. April 1960, S. 1. 108 Im Vergleich zur ersten Konferenz, die noch in Kairo stattgefunden hatte, fielen die Meldungen in ägyptischen Zeitungen deutlich spärlicher aus. Im Fokus der Berichterstattung über die Konferenz standen (pan-)arabische Themen und die Notwendigkeit einer afro-asiatischen Vernetzung auf zwischenstaatlicher Ebene. Vgl. Conakry Meeting Supports Cause of Palestine Arabs, in: The Egyptian Gazette, 18. April 1960; Conakry ends: calls for new Bandung, in: ebd., 17.04.1960. 109 Seine Reise führte ihn nach Indien und Pakistan. Vgl. Nasser Says India is Example for Asia and Africa, in: ebd., 03.04.1960; U.A.R. and India ›Conscience of Africa and Asia’, in: ebd., 07.04.1960; Tumultuous Welcome for Nasser from Pakistan, in: ebd., 11.04.1960. 110 Unter anderem wurden 1959 das Soviet Afro-Asian Solidarity Committee, die SovietAfrican Friendship Society und das African Research Institute gegründet. Vgl. TNA, FO 1110/1478-Communist Front Organisations (1961), Entwurf eines Berichts vom Foreign Office über die AAPSO, S. 2. 111 Vgl. Lowenthal, China, S.  176  f. 112 Tatsächlich platzierte die VR China eine ähnliche Stellungnahme auch in der offiziellen Erklärung der Konferenz, in der sie den militärischen algerischen

6 Die Entwicklung einer antikolonialen Agenda in der Frühphase der AAPSO | 201

Aufgrund der Möglichkeit, sich den afrikanischen AktivistInnen zu präsentieren, war die zweite Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference auch für europäische Länder interessant. So war auch die DDR mit einer fünfköpfigen Delegation vor Ort vertreten und organisierte ein kulturelles Rahmenprogramm,113 während die BRD die Konferenz ihrerseits beobachten ließ. Auf der Suche nach völkerrechtlicher Legimitation war die DDR an ihrer diplomatischen Anerkennung interessiert und hatte deshalb im Januar 1960 eine Afrikastrategie ausgearbeitet, dank derer sie diplomatische und politische Beziehungen mit unabhängigen Ländern etablieren, antikoloniale Gruppen unterstützen und die BRD als imperialen und neokolonialen Akteur diskreditieren wollte.114 Die BRD wiederum betrachtete das Vordringen der DDR in Afrika sehr kritisch und ließ die DDR-Aktivitäten vor Ort durch Botschaftsmitarbeiter und durch inoffizielle Informanten beobachten.115 Fritz Schatten, der die Konferenz vor Ort offiziell als Journalist begleitete, fertigte für das Auswärtige Amt einen Bericht über eine Pressekonferenz der DDR-Delegation an. Das Hauptaugenmerk des Berichts lag auf dem kritischen Bild, welches die DDR-Vertreter in Conakry von der BRD zeichneten.116 Die BRD befürchtete vor allem, dass die DDR auf diese Weise den Erfolg ihrer Afrikapläne gefährden könne, die sie im Zusammenhang Unabhängigkeitskampf gesondert lobte. Vgl. PA AA, Bestand 12, Band 388: Kommunistische Weltbewegung und marxistisch-leninistische Ideologie. Afro-asiatische Bewegung (1959–1960), Bericht vom 27. April 1960 vom Generalkonsulat der BRD in Hong Kong (»Ostasiatische Ostblockstaaten auf der 2. Solidaritätskonferenz der afro-asiatischen Völker in Conacry.«). 113 Peter Florin, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Volkskammer, leitete die Delegation. 114 Vgl. Ulf Engel und Hans-Georg Schleicher, Die beiden deutschen Staaten in Afrika: Zwischen Konkurrenz und Koexistenz. 1949–1990, 1998, Hamburg, S. 96  ff. 115 Vgl. PA AA, Bestand 12, Band 388: Kommunistische Weltbewegung und marxistischleninistische Ideologie. Afro-asiatische Bewegung (1959–1960), Vorbereitungen zur 2. Konferenz der Solidarität der Länder Asiens und Afrikas im April 1960 in Guinea (25. März 1960), S. 1. Im afro-asiatischen Milieu stand die BRD aufgrund vermeintlicher Verstrickung in die französischen Atombombentests in der algerischen Sahara am Pranger. Bereits im März wies der bundesrepublikanische Gesandte in den Vereinten Nationen solche Gerüchte zurück. Vgl. French may make new A-bomb test before summer, in: The Egyptian Gazette, 04. März 1960, S. 2. 116 Vgl. PA AA, Bestand 12, Band 388: Kommunistische Weltbewegung und marxistischleninistische Ideologie. Afro-asiatische Bewegung (1959–1960), Bericht vom 15. April 1960 von der Botschaft der BRD in Conakry an das Auswärtige Amt, Afro-asiatische Solidaritätskonferenz in Conakry, hier: Teilnahme einer SBZ-Beobachterdelegation.

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mit der EWG-Mitgliedschaft und der dort beschlossenen Assoziierungspolitik verfolgte.117 In der Berichterstattung westlicher Medien zeigte die neue Schwerpunktsetzung der AAPSC Wirkung. So spielte der Kalte Krieg in den Berichten über die Konferenz zwar weiterhin eine Rolle, allerdings übersahen die JournalistInnen die antikolonialen Anliegen der afrikanischen AkteurInnen nicht mehr. Gavin Young verstand in einem Artikel für den britischen Observer die afrikanischen AktivistInnen und die VAR sogar im Gegenteil als ein Bollwerk gegen die kommunistischen Strömungen in der AAPSO, dem es zu verdanken sei, dass in Conakry der Antikolonialismus im Vordergrund gestanden habe.118 Einen differenzierten Blick auf die Konferenz warf auch die Neue Zürcher Zeitung, die in einem ganzseitigen Artikel den wachsenden Einfluss der antikolonialen afrikanischen AkteurInnen konstatierte und die häufig erfolglosen, wenn nicht sogar zurückhaltenden Einmischungsversuche der kommunistischen AkteurInnen beschrieb.119 Diese differenzierte Berichterstattung der westlichen Medien war umso überraschender, als sie nicht zum vorherrschenden politischen Diskurs in den europäischen und den US-amerikanischen Institutionen passte, der vor dem Hintergrund des Kalten Krieges fast ausschließlich sicherheitspolitisch geprägt war. So ignorierte beispielsweise der von Großbritannien dem Committee on Information and Cultural Relations der NATO vorgelegte Bericht die antikolonialistischen Inhalte der Resolutionen komplett und kritisierte lediglich, dass die sowjetische und die chinesische Delegation Einfluss beim Verfassen derselben genommen hätten. Fast hatte es den Anschein, als seien die westlichen politischen AkteurInnen aus Eigeninteresse nicht gewillt, zwischen einer behelfsmäßig adoptierten, kommunistisch geprägten anti-imperialen Rhetorik und den reellen Sorgen der antikolonialen AktivistInnen zu unterscheiden.120

117 Vgl.

Engel und Schleicher, Zwischen Konkurrenz und Koexistenz, S. 34  f. Zur Assoziierungspolitik der EWG vgl. auch Kapitel 2.2. 118 Vgl. Two Boosts for Nationalism, in: The Observer, 17.04.1960. 119 Vgl. Die zweite afrikanisch-asiatische Solidaritätskonferenz, in: Neue Zürcher Zeitung, 10. Mai 1960. 120 Besonders verwunderlich ist, dass, wenige Monate nach den französischen Atombombentests, selbst auf die Resolution zur nuklearen Abrüstung nicht eingegangen wurde. Vgl. PA AA, Bestand 12, Band 388: Kommunistische Weltbewegung und marxistisch-leninistische Ideologie. Afro-asiatische Bewegung (1959–1960), Bericht vom 30. Juni 1960 von der britischen NATO-Delegation im Committee on Informa-

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Resolutionen auf der zweiten AAPSC

Inhaltlich passten sich die OrganisatorInnen der zweiten AAPSC größtenteils der von Ghana beschworenen panafrikanischen Einheits-Rhetorik (»unity«) an.121 Mit den technischen Fragestellungen sowie den Diskussionen über die Etablierung und Festigung von Nationalstaaten und Volkswirtschaften (inklusive kommunistischer Entwicklungswege) traten dagegen zwei Themen in den Hintergrund, die in Kairo noch sehr viel Platz eingenommen hatten. Félix Moumiés auf der ersten AAPSC geäußerte Forderung, dass explizit politische und antikoloniale Themen und nicht technische Beiträge die Agenda der Konferenz bestimmen sollten, war somit in Erfüllung gegangen. Die Resolutionen der zweiten AAPSC wiesen entsprechend einen deutlichen antikolonialen und antiimperialen Impetus auf.122 So kritisierten die TeilnehmerInnen der Konferenz in der »Resolution on Imperialism and Colonialism« die imperialen Staaten dafür, mit Waffenlieferungen und technischer wie finanzieller Unterstützung militärische Auseinandersetzungen in den Kolonien anzuheizen – gemeint waren wohl die Kriege in Algerien und Kamerun. Die Delegierten forderten zudem die unabhängigen afrikanischen und asiatischen Länder dazu auf, die Unabhängigkeitsbewegungen in deren Kampf zu unterstützen. Militärische Unterstützung wurde zwar nicht explizit genannt, aber durch den Kontext der Resolution durchaus nahegelegt.123 Die Resolutionen nahmen damit die Debatten der Positive Action Conference on Peace and Security in Africa wieder auf. Wie dort schon das afrikanische, radikalisierte sich nun, mit der zunehmenden Gewaltbereitschaft der antikolonialen AkteurInnen, auf der AAPSC auch das afro-asiatische Netzwerk.124 tion and Cultural Relations (Second Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Conference, Conakry, Guinea, April, 1960). 121 Aus der Einleitung des offiziellen Konferenzbandes. Vgl. Permanent Secretariat of the Organization for the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), IInd Afro-Asian Peoples (sic!) Solidarity Conference, S. 4. 122 Wie in Kairo waren die Resolutionen in vier Bereiche unterteilt: Politik, Ökonomie, Soziales und Kulturelles. Hinzu kamen Beschlüsse über organisatorische Fragen. Vgl. ebd., S. 63–119. 123 In derselben Resolution heißt es weiter, dass Unabhängigkeitsbewegungen »moral and material support« erhalten sollten. Was unter materieller Hilfe konkret gemeint war, beschrieben die Delegierten nicht näher. Vgl. ebd., S. 63  ff. 124 Siehe die »Resolution of the Afro-Asian Conference at Conakry on the Question of Ending the Persecution of the Fighters of the Naional Liberation Movement« und die »Resolution on the Unity and Solidarity of the Afro-Asian People in the

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Die »Resolution on the Unity and Solidarity of the Afro-Asian Peoples’ in the Struggle against Colonialism and Imperilaism« knüpfte wiederum an die von der AAPC geprägte unity-Rhetorik an. Darin forderten die Delegierten alle afrikanischen und asiatischen Länder dazu auf, sich nicht auf militärische und politische Bündnisse mit westlichen Staaten einzulassen und stattdessen die Unabhängigkeiten auf afro-asiatischer Solidarität zu begründen und zu festigen.125 Damit richteten sie sich auch gegen die europäischen Neuordnungsversuche der europäisch-afrikanischen Beziehungen, wie sie in der Assoziierungspolitik der EWG zum Ausdruck kamen. Andere Resolutionen unterstützten die Unabhängigkeitsforderungen einzelner Länder, unter anderem die somalische, die ugandische und die tanganjikische.126 Ausführlich verurteilten die Delegierten auch die französische Regierung für den von ihr geführten Krieg in Algerien und sprachen der provisorischen algerischen Exilregierung ihre Solidarität aus. Auch forderten sie alle afrikanischen und asiatischen Regierungen, die dies noch nicht getan hatten, dazu auf, die algerische Exilregierung anzuerkennen. Daneben sandten sie eine Nachricht an die »Heads of Governments of the Franco-African Community«, in der sie diese aufforderten, alle afrikanischen Soldaten abzuziehen, die auf französischer Seite im Algerienkrieg kämpften.127 Nicht zuletzt fand die Solidarität mit Algerien auch in der Wahl des algerischen Delegierten Frantz Fanon zum afrikanischen Vizepräsidenten der Konferenz ihren Ausdruck. In diesen Resolutionen sprachen sich die Delegierten zwar nicht explizit für militante Wege in die Unabhängigkeit aus; dennoch machte der große Raum, den der Algerienkrieg auf der Konferenz bekam, deutlich, in welche Richtung sich das afro-asiatische Solidaritätsnetzwerk bewegte. In der ökonomischen Resolution wiederholten die Delegierten die Feststellung der ersten AAPSC, dass den politischen die ökonomischen Unabhängigkeiten folgen müssten und dass dafür Süd-Süd-Kooperationen nötig seien. Unabhängigen Ländern empfahl die Resolution, die eigene Industrialisierung schnellstmöglich voranzutreiben und planwirtschaftlich vorzuge-

Struggle Against Colonialism & Imperialism«. Vgl. Permanent Secretariat of the Organization for the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), IInd AfroAsian Peoples Solidarity Conference, S. 67–70. 125 Vgl. ebd., S. 68. 126 Vgl. ebd., S.  108  ff. 127 Vgl. ebd., S. 97–99.

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hen. Afrikanische und asiatische Staaten sollten sich gegenseitig unterstützen und technisches Wissen untereinander teilen. Von den Industrienationen forderten die Delegierten hingegen den Abbau von Handelshemmnissen und faire Rohstoffpreise.128 Sie kritisierten die Entwicklungshilfeangebote mit ihren neuen Abhängigkeiten ebenso wie die »International Bank for Reconstruction and Development« der Weltbank, die Projekte von Kolonialstaaten in Kolonien finanzieren sollte, sich aber weigere, junge unabhängige afrikanische und asiatische Staaten zu unterstützen. Im Gegensatz dazu lobten sie »friendly and anti-imperialist states«, die wirtschaftliche Beziehungen auf Augenhöhe anstrebten.129 In der Resolution wird die UdSSR an dieser Stelle zwar nicht namentlich genannt, inhaltlich schloss dieser Teil aber unmittelbar an das Hilfsangebot an, das der sowjetische Delegierte Arzumanyan auf der ersten AAPSC unterbreitet hatte. Im finalen Teil der Resolutionen veränderten die Delegierten die Organisationsstruktur der AAPSO, um dieselbe zu professionalisieren. So verabschiedeten sie Statuten, definierten die Aufgabenbereiche der einzelnen Organe – Konferenzen, Council, Permanent Secretariat und Executive Committee – und legten einen Zeitplan für deren zukünftige Treffen fest. Eine Neuheit war die Einsetzung eines auf der Konferenz gewählten Executive Committee (an das Steuerungsgremium der AAPCO erinnernd), das zukünftig über die Ausrichtung der Organisation bestimmen sollte. Dessen Zusammensetzung spiegelte derweil die zunehmende Bedeutung der afrikanischen AktivistInnen: Von den 27 Mitgliedern kamen 13 aus afrikanischen Ländern.130 Die AAPSC im globalen Setting

Wie schon auf der ersten AAPSC und auf anderen antikolonialen Konferenzen stellten die OrganisatorInnen und Delegierten die zweite Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference in einen globalpolitischen Bezugsrahmen, der die Dekolonisation in die Debatten über die globale Friedenspolitik und den 128 Vgl. Permanent Secretariat of the Organization for the Afro-Asian Peoples’ Solida-

rity Organization (Hg.), IInd Afro-Asian Peoples Solidarity Conference, S.  80  f. ebd., S. 79. 130 Vertreter der zentralen Geldgeber der Organisation – UdSSR, China und VAR – beteiligten sich ebenfalls an der Wahl. Zu den Mitgliedern des Komitees zählten mit Frantz Fanon und Patrice Lumumba auch Mitglieder des Steuerungsgremiums der AAPCO. Vgl. ebd., S. 119. 129 Vgl.

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Kalten Krieg einzubringen suchte. Diese Intention brachten die Delegierten auch in der Abschlusserklärung zum Ausdruck: »Our struggle for independence and prosperity is at the same time a struggle for world peace. We, Afro-Asian peoples, who stand out as a solid force for peace, will fight with all our might and resources against military pacts, alignments and all other efforts which seek to destroy through a nuclear holocaust, all that the genius of man has created for the well being and prosperity of peoples.«131

Schon in der Eröffnungsrede der Konferenz hatte Sékou Touré, wie die Abschlusserklärung es tut, das afro-asiatische Streben nach Unabhängigkeit mit dem globalen Streben nach Frieden in Zusammenhang gesetzt.132 Indem er das Erreichen des Weltfriedens mit dem Ende des Kolonialismus verband, zielte Touré darauf ab, Sympathien für die Unabhängigkeitsbestrebungen zu wecken und die Dekolonisation zu einem Thema von globalem Interesse zu machen.133 Wie schon auf der ersten AAPSC war es auch Teil der afro-asiatischen Strategie, die Vereinten Nationen direkt mit Dekolonisationsforderungen zu adressieren. Da der afro-asiatische Block in den Vereinten Nationen eine immer bedeutendere Rolle spielte, versprachen sich die Delegierten von diesem Vorgehen diesmal bessere Erfolgsaussichten.134 Darüber hinaus diente die Bandung-Konferenz den Delegierten erneut als Referenzpunkt: Sékou Touré, Youssef El Sebai und andere erinnerten in ihren Reden an dieselbe und instaurierten damit eine afro-asiatische Tradition, deren historische Linie von Bandung über Kairo nach Conakry verlief.135 In ihrer gemeinsamen Abschlusserklärung bestätigten die Delegierten außerdem die Bandung-Prinzipien.136 Mit der diskursiven Einbettung der Dekolonisation in globalpolitische Zusammenhänge war der Anspruch verbunden, an deren Verhandlung

131 Vgl.

Fakhry Labib und Iman Shakeeb, Fifty Years of Solidarity, S. 90. der Eröffnungsrede Sékou Tourés. Vgl. Permanent Secretariat of the Organization for the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), IInd Afro-Asian Peoples Solidarity Conference, S. 12. 133 Aus der Eröffnungsrede Sékou Tourés. Vgl. ebd., S. 18  ff. 134 In seiner Rede verwies der Generalsekretär auf die zunehmende Bedeutung des afro-asiatischen Blocks in den Vereinten Nationen. Vgl. ebd., S. 32. 135 El Sebai zitierte sogar jedes einzelne der zehn Prinzipien. Vgl. ebd., S. 34  f. 136 Vgl. Fakhry Labib und Iman Shakeeb, Fifty Years of Solidarity, S. 89. 132 Aus

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künftig auf Augenhöhe teilnehmen zu dürfen. In den Worten Youssef El Sebais: »[…] the fate of the world cannot be decided at a gathering where the Afro-Asian peoples are not adequately represented in proportion to the area they dwell upon and the population that inhabits them. We hope that this voice, rising from this platform, will be heard all over the world by all concerned.«137

El Sebais Forderung nach einer Beteiligung der afro-asiatischen Länder am Gipfeltreffen offenbarte das neue Selbstverständnis der afrikanischen und asiatischen Gesellschaften,138 sich einen eigenständigen Platz in der dominierenden bipolaren Weltordnung zu verschaffen. El Sebai erkannte die Gefahr, dass die Interessen afrikanischer und asiatischer Länder in einer lediglich in ein kapitalistisches und kommunistisches Lager eingeteilten Welt übersehen werden würden. Deshalb argumentierte er, dass die afrikanischen und asiatischen Länder trotz ihrer sozialistischen Neigung keinem der Blöcke angehören dürften.139 Sékou Touré schloss sich ihm im Namen Guineas an und bekräftigte, trotz der Anwesenheit der Delegation der UdSSR, die Neutralität seines Landes im Ost-West-Konflikt.140 Zusammenfassung

Die Konferenz in Conakry hatte einen antikolonialen Schwerpunkt und bot den AkteurInnen aus den afrikanischen Kolonien mehr Raum, als es die erste Konferenz getan hatte. So gab es auf der zweiten AAPSC ein deutliches Übergewicht der afrikanischen Delegationen, die mehrheitlich aus den Kolonien kamen. Dies führte auch dazu, dass die AAPSO von westlichen BeobachterInnen zwischenzeitlich nicht mehr zu einer kommunistischen Frontorganisation reduziert wurde. Zudem wurde in Conakry deutlich, dass die unterschiedlichen antikolonialen Netzwerke sich zunehmend miteinander verwoben. Die afrikanischen AkteurInnen konnten auf der zwei137 Aus

der Rede Youssef El Sebais. Vgl. ebd., S. 38.

138 Vgl. Afro-Asian Voice at Summit Urged, in: The Egyptian Gazette, 12. April 1960, S. 1. 139 Allerdings

kritisierte El Sebai ausschließlich Militärbasen und -bündnisse mit europäischer und US-amerikanischer Beteiligung, ohne die sowjetisch dominierten Pendants zu erwähnen. Vgl. ebd., S. 33. 140 Aus der Eröffnungsrede Sékou Tourés. Vgl. Permanent Secretariat of the Organization for the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization (Hg.), IInd Afro-Asian Peoples Solidarity Conference, S. 12.

208 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

ten AAPSC aber auch deshalb mehr Raum für sich in Anspruch nehmen, weil die AAPSO für die RegierungsvertreterInnen der unabhängigen afrikanischen und asiatischen Staaten an Attraktivität verloren hatte. Ägypten war in Conakry beispielsweise weniger dominant als noch auf der ersten Konferenz. Das lag auch daran, dass zivilgesellschaftlich geprägte Organisationen wie die AAPSO zunehmend mit bilateralen Aushandlungsräumen auf Regierungsebene konkurrierten, die sich exklusiv an Nationalstaaten richteten. Dass Letztere eine höhere Durchschlagskraft hatten und perspektivisch wichtiger sein würden, war auch den teilnehmenden Delegierten der Conakry-Konferenz bewusst, weshalb sie für die baldige Ausrichtung einer afro-asiatischen Konferenz auf Regierungsebene votierten.141

6.3 Über den Nutzen der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization für afrikanische antikoloniale AkteurInnen Organisationen, Bewegungen und Parteien, die der AAPSO in den ersten Jahren ihres Bestehens angehörten oder ihr nahestanden, hatten sehr unterschiedliche Hintergründe. Der größte Unterschied bestand darin, ob sie aus Ländern kamen, die ihre formale Unabhängigkeit bereits erlangt hatten, oder aus solchen, die um diese noch stritten. Aus diesen unterschiedlichen Profilen ihrer Mitglieder ergaben sich auch jeweils spezifische Anforderungen, die an die AAPSO gestellt wurden. Worin diese genau bestanden, will ich anhand der Arbeit des Ständigen Sekretariats, des Solidaritätsrats sowie des Exekutivkomitees der AAPSO beschreiben. Den Mitgliedern und Verbündeten der AAPSO ging es dabei vor allem um Unterstützung für ihren politischen Unabhängigkeitskampf.142 Der AAPSO selbst wiederum half die Zusammenarbeit mit antikolonialen Organisationen in ihrer Anfangsphase dabei, ihr Außenprofil zu schärfen und den Vorwurf, eine kommunistische Frontorganisation zu sein, zu entkräften.

141 Vgl.

Conakry Ends: Call For New Bandung, in: The Egyptian Gazette, 17. April 1960, S. 3. 142 Unter den Gruppen aus den unabhängigen Ländern gab es regierungsnahe und oppositionelle. Auch die Gruppen aus den Kolonien unterschieden sich in ihren Hintergründen und Möglichkeiten. In Kapitel 2.4 habe ich bereits gezeigt, dass die Hauptgeldgeber der Organisation bestimmte Vorstellungen mit ihrem finanziellen Engagement verbanden.

6 Die Entwicklung einer antikolonialen Agenda in der Frühphase der AAPSO | 209

Die Arbeit des Ständigen Sekretariats

Zu den Hauptaufgaben des Ständigen Sekretariats der AAPSO, das seinen Sitz in Kairo hatte, gehörten die Organisation internationaler Konferenzen und der Gremientreffen sowie die Herausgabe AAPSO-eigener Publikationen.143 Beides war wichtig für die Sichtbarkeit der Organisation und deren Vernetzung, aber auch für den organisierten Austausch von Wissen zwischen VertreterInnen politischer Gruppen aus afrikanischen und asiatischen Ländern.144 Um zwischen den Konferenzen den Kontakt zu und zwischen den Mitgliedsorganisationen aufrechtzuerhalten, versandte das Sekretariat der AAPSO ab Oktober 1958 regelmäßig Rundschreiben. In diesen informierte es die einzelnen Gruppen über Geschehnisse in asiatischen und afrikanischen Ländern, koordinierte transnationale Solidaritätsmaßnahmen und Protestaktionen und warb für die inhaltliche und strukturelle Unterstützung ihrer Arbeit. Diese Rundschreiben waren vor dem Hintergrund des lückenhaften Informationsflusses aus den Kolonien und in die Kolonien besonders wichtig. Anhand der Rundschreiben und der Briefwechsel, die das Ständige Sekretariat mit den Mitgliedern unterhielt, lassen sich drei Dinge identifizieren, die die antikolonialen Gruppen sich von einer Assoziation mit der AAPSO erhofften: Erstens die Erzeugung von weltweitem öffentlichem Interesse für ihre politische Arbeit, zweitens die Etablierung von Kontakten sowie drittens die Unterstützung ihrer Anliegen bei den Vereinten Nationen. Ein großes Problem, das sich für die AktivistInnen aus den Kolonien ergab, war, dass die Kolonialstaaten den Informationsfluss aus und in die Kolonien weitestgehend beherrschten. Die antikolonialen AkteurInnen waren daher sehr an Möglichkeiten interessiert, selber die Öffentlichkeiten zu adressieren, um ihre Perspektiven darzustellen, Druck auf Kolonialstaaten auszuüben und ihre Unabhängigkeit voranzutreiben. Die kamerunische Union des populations du Cameroun (UPC), die ein Büro in Kairo unterhielt, versuchte frühzeitig, die AAPSO in diesem Sinn zu nutzen. In einem Schreiben an Youssef El Sebai, den Generalsekretär der Organisation, baten Félix Moumié und Ernest Ouandé von der UPC, alle Mitgliedsorganisation der AAPSO aufzufordern, eine Kampagne zugunsten der UPC durchzuführen. In orchestrierter Pressearbeit und auf Demonstrationen sollten die Massa143 Vgl. AAPSO Archives, 2nd Ex-Con-Beirot 11/06, Internal Regulations of the Perma-

nent Secretariat. 144 Die Amtssprachen der AAPSO waren Englisch, Französisch und Arabisch. Vgl. ebd.

210 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

ker der französischen Kolonialverwaltung verurteilt145 und durch Demonstrationen zugunsten der UPC in Indien, Nepal oder Ghana der Druck auf die französische Regierung erhöht werden. Im Januar 1959 forderte die AAPSO deshalb ihre Mitglieder auf, in den jeweiligen Ländern einen Kamerun Day durchzuführen. Das Sekretariat machte detaillierte Vorschläge, wie der Solidaritätstag gestaltet werden könne, um den Organisationsaufwand für die einzelnen Organisationen gering zu halten.146 Im August 1959 forderte das Ständige Sekretariat dann alle nationalen Komitees auf, sich an die Vereinten Nationen und die französische Regierung zu wenden, um Forderungen der UPC nach Neuwahlen und Unabhängigkeit zu unterstützen.147 Zur Öffentlichkeitsarbeit, die die AAPSO den Unabhängigkeitsbewegungen anbot, gehörte auch die Möglichkeit, zu publizieren. Die Zanzibar Nationalist Party, die ebenfalls ein Büro in Kairo unterhielt, wendete sich mit der Bitte an die AAPSO, Infobroschüren über ihren politischen Kampf publizieren zu dürfen. Dabei stellte sie sich eine Auflage von 5.000 Exemplaren in Englisch, Arabisch und Swahili vor.148 Umgekehrt versuchte aber auch die AAPSO von ihren Kontakten zu profitieren. Beim Aufbau ihrer eigenen Publikationsorgane war die Organisation auf das technische und organisatorische Wissen der Mitgliedsorganisationen angewiesen. Im Herbst 1958 wandte sich deshalb Youssef El Sebai an diese, um Namen und Kontaktdaten möglicher AutorInnen zu erfahren, die in den geplanten Zeitschriften der Organisation publizieren könnten.149 145 Vgl. AAPSO Archives, Correspondence Cameroon, Brief vom 15. März 1958 von Félix

Moumié und Ernest Ouandé vom Kairoer UPC-Büro an den Generalsekretär der AAPSO. Betreff: »Application des résolutions de la Conférence du Caire«. 146 Das Sekretariat schlug Pressearbeit, Demonstrationen, Sammlungen von Hilfsgütern und das Versenden von Protestnoten an den Generalsekretär der Vereinten Nationen vor (Vgl. AAPSO Archives, Permanent Secretariat-Circular Letter. 1958– 1962, Circular Letter to National Solidarity Committees on the ›Kamerun Day‹. Circular No. 7, 22.01.1959). Den Kamerun Day hatte ursprünglich die AAPC lanciert. Die AAPSO erhoffte sich, durch Unterstützung desselben an Popularität unter den afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen zu gewinnen. 147 Vgl. AAPSO Archives, Permanent Secretariat-Circular Letter. 1958–1962, Death Sentences on Kamerun Patriots. Circular No. (20), 11.08.1959. 148 Vgl. AAPSO Archives, Correspondence Somalia and Sansibar, Brief vom 27.04.1959 von Alo Sultan Issa von der »Zanzibar Nationalist Party« an den Generalsekretär der AAPSO. 149 Das Ständige Sekretariat plante zunächst, die Publikationen lediglich auf Englisch aufzulegen. Erst der Hinweis des Senegalesen N’Dao Gorgui N’Déné vom »Comité

6 Die Entwicklung einer antikolonialen Agenda in der Frühphase der AAPSO | 211

Die Möglichkeit, internationale Kontakte zu knüpfen, war das zweite zentrale Angebot, das afrikanische antikoloniale AktivistInnen sich von der AAPSO erhofften. Der Aufbau von Kontakten beschränkte sich keineswegs auf den unter den afrikanischen Ländern, sondern umfasste auch Verbindungen zu kommunistischen Staaten. Die Kontakte der UdSSR und der VR China mit den afrikanischen AkteurInnen wurden zwischen den Konferenzen direkt über das Sekretariat abgewickelt, wo beide Länder mit eigenen Sekretären vertreten waren. So reiste beispielsweise 1960 Jariretundu Kozonguizi, ein Gründungsmitglied der südrhodesischen South-West African National Union und des AAPSO-Exekutivkomitees, auf Einladung der jeweiligen nationalen Solidaritätskomitees in die UdSSR, in die VR China und in die DDR.150 Der Plan der sowjetischen und der chinesischen Führung, über die AAPSO Kontakte zu afrikanischen PolitikerInnen herzustellen, ging also durchaus auf, auch wenn diese sich nicht so sehr für die kommunistischen Konzepte, sondern eher für die Möglichkeit interessierten, Öffentlichkeit für ihren politischen Kampf zu erzeugen.151 Außerdem interessierten sich die antikolonialen AkteurInnen für die AAPSO, weil sie sich über dieselbe – ungeachtet dessen, dass es sich um eine nichtstaatliche Organisation handelte – einen besseren Zugang zu den Vereinten Nationen erhofften. Dabei gingen sie so vor, dass sie vorab das Ständige Sekretariat über Petitionen und Forderungen informierten, die sie an Regierungen oder die Vereinten Nationen zu stellen gedachten. Daraufhin forderte das Sekretariat dann die nationalen Solidaritätskomitees aus den bereits unabhängigen Ländern dazu auf, Druck auf ihre Regierungen auszuüben, um diese Interessen einzelner afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen in den Vereinten Nationen oder in bilateralen Kontexten gemeinsam zu unterstützen.152 Auch betrieb das Sekretariat der AAPSO bei de la Paix du Sénégal« wies El Sebai darauf hin, dass die Menschen im frankophonen Afrika damit praktisch ausgeschlossen würden, da ihnen die entsprechenden Sprachkenntnisse fehlten. Vgl. AAPSO Archives, Correspondence Rua & Bur. Sao Thome & Principe. Senegal. Sierra Leone, Schreiben vom 18.10.1958 von Youssef El Sebai an N’Dao Gorgui N’Déné vom »Comité de la Paix du Sénégal«. 150 Zuvor war er auch bei den Vereinten Nationen in New York. Vgl. AAPSO Archives, Correspondence South West Africa and Namibia, Bericht vom 06.11.1960 von Jariretundu Kozonguizi für das Treffen des Exekutivkomitees der AAPSO in Beirut. 151 Vgl. Oginga Odinga, Not yet Uhuru. The autobiography of Oginga Odinga, 1967, London, S.  189  ff. 152 Auf Betreiben der AAPSO wandten sich auch Mitgliedsorganisationen aus den Kolonien mit solidarischen Botschaften an die Vereinten Nationen. Vgl. AAPSO

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den Vereinten Nationen selbst Lobbyarbeit zugunsten der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen. Als z.B. der Ugander John Kale im Dezember 1958 die Gelegenheit bekam, vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu sprechen, wandte sich Youssef El Sebai mit Unterstützungsgesuchen sowohl an den Generalsekretär der VN, an dortige afro-asiatische VertreterInnen als auch an internationale PressevertreterInnen.153 Solidaritätsrat und Exekutivkomitee

Bis zu den Strukturänderungen der AAPSO nach der Conakry-Konferenz war der Solidaritätsrat das zentrale Lenkungsorgan der Organisation. Einem jährlichen Turnus folgend tagte er im Februar 1959 in Kairo. Auf der Tagesordnung standen Analysen der Arbeit des Ständigen Sekretariats und der Mitgliedsorganisationen sowie konzeptionelle Überlegungen zur Weiterentwicklung der Organisation.154 Es gab drei Arbeitsgruppen und von den 33 Delegierten und BeobachterInnen kamen 15 aus afrikanischen Ländern.155 Zur Sitzung im Februar 1959 legte der AAPSO-Generalsekretär Youssef El Sebai dem Rat einen Bericht über die bisherige Arbeit des Ständigen Sekretariats vor. Darin identifizierte er den Aufbau von Angeboten für die unabhängigen Staaten als einen großen Schwachpunkt der Arbeit der AAPSO. Gegenüber dem Solidaritätsrat argumentierte El Sebai, dass der Erfolg der Organisation vom Erfolg der nationalen Solidaritätskomitees abhinge: Wenn diese sich an der inhaltlichen Arbeit nicht beteiligen würden, schade dies der Gesamtorganisation.156 Allerdings waren alle MaßArchives, Correspondence Somalia and Sansibar, Schreiben vom 02. September 1959 von Mohamed Ibrahim Egal, Generalsekretär der »Somali National League« an den Generalsekretär der AAPSO. 153 Vgl. AAPSO Archives, Correspondence Togo-Uganda, Telegramm vom 16.10.1958 von Youssef El Sebai an den VN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld und Telegramm vom 16.10.1958 von Youssef El Sebai an »Chairman Afro-Asian Permanent, Delegation United Nations« und Brief vom 16.10.1958 von Youssef El Sebai an den Direktor der »Press Agency«. 154 Vgl. AAPSO Archives, 1–12 Feb. 1959. Solidarity Council. Cairo, Agenda of the Meeting of the Solidarity Council. (Cairo 11–13 February 1959). 155 Diese zeigten sich besonders an organisatorischen Fragen interessiert. In der Kommission, die sich mit organisatorischen Fragen auseinandersetzte, waren neben der Inderin Rameshwari Nehru nur afrikanische Delegierte. Vgl. AAPSO Archives, 1–12 Feb. 1959. Solidarity Council. Cairo, Commission No. (I). Organization. 156 Die Öffentlichkeitsarbeit der AAPSO war abhängig von den Mitgliedsorganisationen. El Sebai beschwerte sich darüber, dass nur zwei derselben Berichte über ihre Arbeit verfasst hatten (Vgl. AAPSO Archives, 1–12 Feb. 1959. Solidarity Council.

6 Die Entwicklung einer antikolonialen Agenda in der Frühphase der AAPSO | 213

nahmen, welche die Organisation bisher ergriffen hatte, um die Arbeit der nationalen Solidaritätskomitees in den unabhängigen Ländern zu unterstützen, bis dato wirkungslos verpufft.157 Die Unterstützung von Unabhängigkeitsbewegungen hingegen stufte El Sebai als erfolgreich ein und empfahl dem Solidaritätsrat deshalb auf derselben Sitzung, sich in Zukunft auf diesen Bereich zu konzentrieren.158 Die Kommission, die die Organisationsentwicklung beriet, schloss sich dieser Einschätzung an und sprach sich dafür aus, die antikolonialen AktivistInnen bei der Gründung nationaler Komitees zu unterstützen.159 Die aktiven Komitees in den Kolonien sollten wiederum indirekt der AAPSO als Ganzes helfen, sichtbarer zu sein. Fragen der Organisationsentwicklung und der politischen Ausrichtung gingen in der Gründungsphase der AAPSO folglich Hand in Hand. Besonders das Ständige Sekretariat richtete seine inhaltliche Arbeit nach dem Kriterium aus, dass sie für die Gesamtorganisation erfolgsversprechend war. Basierend auf Resolutionen der Konferenz in Conakry richtete die AAPSO im Frühjahr 1960 ihre Organisationsstruktur neu aus. Statt des Solidaritätsrats wurde nun das neu geschaffene Exekutivkomitee zum übergeordneten Gremium der AAPSO. Dieses stimmte auf mindestens jährlich stattfindenden Sitzungen über die Politik der Organisation ab und orientierte sich dabei an dem Rahmen, den die Delegierten auf den Konferenzen ihr vorgaben. Formal war das Ständige Sekretariat, das aus dem Generalsekretär Youssef El Sebai sowie elf Sekretären bestand, fortan dem Exekutivkomitee unterstellt.

Cairo, Report of the Permanent Secretariat to Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Council, S. 19). Die mangelnde Bereitschaft, sich einzubringen, wirkte sich auch konkret auf die Arbeit des Sekretariats aus. Die Hälfte der Komitees, die Sekretäre nach Kairo schicken sollten, waren dem bis zum Februar 1959 nicht nachgekommen. Sekretäre aus Kamerun und der UdSSR waren im März 1958, der aus China im Mai, der aus Indien im Juli und der aus Ägypten im Oktober gekommen. Damit fehlten immer noch jene aus Ghana, Indonesien, dem Irak, dem Sudan und Syrien. Vgl. ebd., S. 21. 157 Um den Aufbau von Süd-Süd-Kooperationen im Wirtschaftssektor zu erleichtern, plante das Sekretariat den Aufbau einer Bibliothek, in der sie Daten über afrikanische und asiatische Volkswirtschaften zusammentragen und zugänglich machen wollte. Dies scheiterte daran, dass lediglich vier der 45 Mitgliedsorganisationen der AAPSO die angefragten Daten zur Verfügung stellten. Vgl. ebd., S. 14  f. 158 Vgl. ebd., S. 24. 159 Vgl. AAPSO Archives, 1–12 Feb. 1959. Solidarity Council. Cairo, Report & Recommendations of the General Committee which met on 11/2/1959.

214 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Obwohl dem Sekretariat eine Schlüsselrolle in der Organisation zukam, erwies sich die Rekrutierung der Sekretäre noch immer als sehr schleppend. So zeigten sich die Unabhängigkeitsbewegungen in den afrikanischen Kolonien zwar interessiert an der AAPSO und einer Mitarbeit im Sekretariat; ihnen fehlten aber, im Gegensatz zu den schon unabhängigen Ländern, Mittel und Personal, um neben den Parteien und Gewerkschaften, welche die Unabhängigkeit vorantrieben, auch noch gesonderte Komitees für die AAPSO zu etablieren.160 Im November 1960 tagte dann in Beirut erstmals das Exekutivkomitee der AAPSO. Zur Sitzung waren Delegierte aus 21 Ländern gekommen, darunter VertreterInnen aus elf afrikanischen Ländern. Die größten Delegationen stellten die nationalen Komitees des Libanon, der VAR, der VR China und der UdSSR. Mit dem Kenianer Wera Ambitho und dem Kameruner Osendé Afane waren zudem auch Delegierte der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen dabei, die im Exil in Kairo arbeiteten.161 Auf der konstituierenden Sitzung des Exekutivkomitees, die am Ende des »Afrikanischen Jahres« stattfand, widerrief El Sebai seine Empfehlung vom Februar 1959, wonach sich die AAPSO bei ihrer Arbeit auf die Unabhängigkeitsbewegungen konzentrieren solle. Anlass dafür war die Erlangung der formalen Unabhängigkeit durch nicht weniger als 15 afrikanische Staaten seit der Konferenz in Conakry. Mit der dadurch von ihm erwarteten Schwerpunktverschiebung von Dekolonisations- hin zu Friedensprozessen ging für El 160

Vgl. AAPSO Archives, 10. November 1960–12 November 1960. Beirut Documents, Report of the Permanent Secretariat Contacts, Propaganda & Plan for Work. Section B, S. 1. Ende 1960 waren erst sieben der zwölf bestellten Sekretäre in Kairo. Auf die strukturellen Schwierigkeiten der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen, nationale Komitees zu gründen, reagierte die AAPSO offiziell erst im November 1960. Sekretäre konnten von nun an auch von Parteien oder Gewerkschaften kommen und mussten nicht mehr zwingend von nationalen Solidaritätskomitees entsandt werden. Vgl. AAPSO Archives, 10. November 1960–12 November 1960. Beirut Documents, Report of the Permanent Secretariat Contacts, Propaganda & Plan for Work. Section B, S. 2. 161 Weitere (prominente) afrikanische Vertreter waren die Ghanaer John Tettegah, Vorsitzender des ghanaischen Trade Union Congress, und A.K. Barden, Direktor des Bureau of African Affairs, der marokkanische Oppositionspolitiker Ben Barka und der Liberianer Tiwo Oluwah Dosumo Johnson, der den liberianischen Präsidenten in seiner Afrikapolitik beriet. Vgl. AAPSO Archives, 10. November 1960–12 November 1960. Beirut Documents, Members of the Executive Committee Electedbby (sic!) the IInd Afro-Asian Conference (Conakry). (List of Members attended the Executive Committee Meeting).

6 Die Entwicklung einer antikolonialen Agenda in der Frühphase der AAPSO | 215

Sebai nämlich auch ein Wechsel von einem Primat der nichtstaatlichen zu einem der zwischenstaatlichen Ebene einher,162 ganz unabhängig davon, dass die meisten mit der AAPSO assoziierten, antikolonialen Gruppen noch immer Kolonien angehörten.163 Deshalb schlug El Sebai eine Art zweiter Bandung-Konferenz vor, auf der die afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Staaten sich in die globalen Friedensbemühungen einschalten könnten, die durch den sich zuspitzenden Kalten Krieg zunehmend nötig geworden seien.164 Die VertreterInnen der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen kamen freilich zu einer anderen Einschätzung als El Sebai. Dieser Umstand verdankte sich vor allem dem Fehlen ihres Ratskollegen Patrice Lumumba, der seine Teilnahme aufgrund der sich zuspitzenden Kongokrise hatte absagen müssen. In den Augen der afrikanischen AktivistInnen demonstrierte die Kongokrise, dass es zur tatsächlicher Unabhängigkeit noch ein weiter Weg und dass selbst formale Unabhängigkeit noch keine Garantie für Selbstbestimmung war. Deshalb wiederholten sie bereits früher gestellte Forderungen nach Formen der Unterstützung, die über bloße politische Hilfestellungen hinausgehen würden. Die UPC, die in Kamerun in einen Kolonialkrieg verwickelt war, hatte bereits 1959 moniert, dass Pressekonferenzen auf Dauer nicht genügen würden.165 John Kale wiederum, ein ugandisches Mitglied des Exekutivkomitees, hatte in einem Bericht, den er im Sommer 1960 für das Exekutivkomitee verfasst hatte, diese Kritik nochmals aufgegriffen. Nun argumentierte er, dass die afrikanischen Bewegungen an einem Punkt angelangt seien, an

162 Diese

Entwicklung vollzog sich analog zu jener bei der AAPC. Vgl. Kapitel 5.3. Kale trug in einem Bericht für das Exekutivkomitee der AAPSO assoziierte Gruppen aus dem ost-, zentral- und südafrikanischen Raum zusammen. Diese kamen aus Äthiopien, Somalias, Kenia, Sansibar, Tanganjika, Nyasaland, Nordund Südrhodesien, Südafrika, Südwestafrika, Basutoland und Uganda. Vgl. AAPSO Archives, 10. November 1960–12 November 1960. Beirut Documents, Political Report on the East, Central and South African Member Sector of Afro-Asian Solidarity Movement, Cairo, August 6, 1960. John K. Kale, Uganda Secretary, African Section, Permanent Secretariat, Afro-Asian Peoples’ Solidarity. 164 Vgl. AAPSO Archives, 10. November 1960–12 November 1960. Beirut Documents, Report of the Permanent Secretariat on its Activity Since the Conakry Conference. Presented to the Executive Committee Meeting. Section A, S. 2. 165 Vgl. AAPSO Archives, Correspondence Cameroon, Intervention of the Delegation of the Kamerun to the Council of Afro-Asian Peoples Solidarity (11.–14. February 1959). 163 John

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dem sie nicht mehr nur eine ideelle, sondern vor allem materielle Unterstützung bräuchten.166 Er warnte seine Kollegen im Exekutivkomitee, dass die AAPSO für antikoloniale AktivistInnen nur interessant bleiben würde, sollte sie diese direkt unterstützen.167 Wie auf den späten Konferenzen der AAPC entfaltete sich also auch innerhalb der AAPSO eine zunehmende Bereitschaft zur Militanz, welche die Bedeutung der Diplomatie für die antikolonialen AkteurInnen in Frage stellte. Die AAPSO als kommunistische Frontorganisation?

Während im inneren der AAPSO starke Kräfte am Werk waren, die ein antikoloniales Profil einforderten, wurde der Organisation von externen BeobachterInnen eine ganz andere Ausrichtung attestiert. Aufgrund des Engagements der UdSSR und der VR China haftete der AAPSO nämlich der Ruf an, eine kommunistische Frontorganisation zu sein. Tatsächlich war die AAPSO in ihren Anfangsjahren neben der VAR auch von der VR China und der UdSSR finanziell abhängig. Die Finanzierung der AAPSO sollte über Beitragszahlungen der nationalen Komitees und über Zuwendungen Dritter erfolgen, Einnahmen, die sich in den Haushaltsjahren 1958/59 und 1959/1960 auf ca. 35.000 und ca. 33.000 Ägyptische Pfund (LE) beliefen. Dem standen aber Ausgaben in Höhe von ca. 41.000LE und ca. 46.000LE gegenüber, womit die Organisation also in den besagten Haushaltsjahren ein Defizit erwirtschaftete.168 Das lag daran, dass die meisten nationalen Komitees den Zahlungsaufforderungen nicht nachkamen. Die afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen hatten keine Geldmittel, die sie der 166 Konkret

forderte er die Einrichtung eines Solidaritätsfonds, wie ihn die Delegierten der ersten Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conference in einer Resolution angekündigt hatten. Vgl. AAPSO Archives, 10. November 1960–12 November 1960. Beirut Documents, Political Report on the East, Central and South African Member Sector of Afro-Asian Solidarity Movement, Cairo, August 6, 1960. John K. Kale, Uganda Secretary, African Section, Permanent Secretariat, Afro-Asian Peoples’ Solidarity. 167 Bereits im März 1959 hatte das Ständige Sekretariat die Mitgliedsorganisationen aufgefordert, Mittel für einen Afro-Asian Solidarity Fund bereitzustellen. Vgl. AAPSO Archives, Permanent Secretariat-Circular Letter. 1958–1962, Afro-Asian Solidarity Fund. Circular No. 9. 168 Das fehlende Geld erschwerte die praktische Arbeit der Organisation. Es fehlten die Mittel, um Reisen in die Mitgliedsländer zu unternehmen, um zwischen den Konferenzen Präsenz zu zeigen, um Kontakte zu den nationalen Komitees herzustellen oder um die afrikanischen AktivistInnen finanziell zu unterstützen. Vgl. AAPSO Archives, 1–12 Feb. 1959. Solidarity Council. Cairo, Report of the Permanent Secretariat to Afro-Asian People’s (sic!) Solidarity Council, S. 22.

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Organisation hätten geben können. Im Gegenteil: Sie waren für den Aufbau antikolonialer Organisationen selbst auf Mittel angewiesen, die ihnen Einrichtungen wie die AAPSO zukommen ließen.169 Die Regierungen der VAR, der UdSSR und der VR China aber scheuten sich nicht, der AAPSO umfangreiche Mittel zur Verfügung zu stellen und zeichneten sich so für fast die gesamten Einnahmen der Organisation verantwortlich.170 Denn wie oben beschrieben, waren sie aus außenpolitischen Gründen stark an der AAPSO interessiert und hofften, über diese Kontakte zu den antikolonialen afrikanischen Gruppen herzustellen. Die Einordnung der AAPSO als kommunistische Frontorganisation brachte für die Organisation aber praktische Probleme mit sich. So kritisierte Youssef El Sebai, für den die finanzielle Abhängigkeit von kommunistischen Staaten und die antikoloniale Ausrichtung des Ständigen Sekretariats nicht im Widerspruch standen, dass eine der Hauptaufgaben des Sekretariats darin bestünde, diesen Vorwurf zu widerlegen.171 Der Kenianer Wera Ambitho, Leiter des KANU-Büros in Kairo, bedauerte hingegen, dass den AfrikanerInnen durch eine Reduzierung der AAPSO auf eine kommunistische Frontorganisation die agency abgesprochen würde. Beim Treffen des Exekutivkomitees im November 1960 fragte Ambitho seinerseits verwundert, ob denn die AfrikanerInnen derart labil und unfähig erscheinen würden, dass man glaube, sie vor dem Kontakt mit KommunistInnen schützen zu müssen, damit sie nicht selber zu welchen würden. Schließlich traue man doch auch Personen aus westlichen Ländern zu, in sozialistische Länder zu reisen, ohne als KommunistInnen zurückzukehren.172 Ambitho

169 Im

Jahr 1959 ist eine Zahlung über 1.000LE an »Mr. Nkome« für Propagandazwecke notiert. Ein solch offensichtlicher Vermerk in einer Bilanz ist untypisch. Die Zahlung ging vermutlich an Joshua Nkomo, südrhodesisches Mitglied des Exekutivkomitees. Vgl. AAPSO Archives, 2nd Ex-Con-Beirot 11/06, Expenses from 1/2/1959 To 31/1/60. 170 Vgl. AAPSO Archives, 10. November 1960–12 November 1960. Beirut Documents, Revenues and Expenses from 1/2/58 To 31/1/59 und Sheet of Incomes and Expenditure from February 1st, 1959 to January 31st, 1960 und Releve (sic!) of Incomes. From February 1st 1960 to End of January 1961. 171 Vgl. AAPSO Archives, 10. November 1960–12 November 1960. Beirut Documents, Report of the Permanent Secretariat Contacts, Propaganda & Plan for Work. Section B. 172 Vgl. AAPSO Archives, 10. November 1960–12 November 1960. Beirut Documents, Speech by Wera Ambitho on Behalf of Mr. Oginga Odinga K.A.N.U. Representative on the Executive Committee.

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kritisierte damit die westlichen BeobachterInnen, die aufgrund ihrer eigenen Obsession mit dem Kalten Krieg übersahen, dass es der AAPSO und den antikolonialen AktivistInnen nicht um den Ost-West-Konflikt, sondern einfach um Allianzen für die schnellstmögliche Erlangung der formalen Unabhängigkeiten ging. Das Verhältnis der AAPSO zur AAPCO

Durch die Strategie, den Schwerpunkt der Arbeit auf die Unterstützung afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen zu setzen, hatte sich die AAPSO bis 1960 als afro-asiatische antikoloniale Organisation etabliert und dazu beigetragen, dass das antikoloniale Zentrum nun in Asien und Afrika und nicht mehr in Europa lag. Die europäischen antikolonialen Organisationen reagierten auf diese Verschiebung der Machtverhältnisse, indem sie versuchten, Kontakte zur AAPCO und zur AAPSO herzustellen. Barbara Haq, Sekretärin des in London ansässigen Movement for Colonial Freedom, richtete so im Namen dieses Bündnisses britischer antikolonialer Organisationen ein Schreiben mit einem Aufnahmegesuch an die AAPSO. Wie die AAPCO bot aber auch die AAPSO europäischen Organisationen nur eine assoziierte Mitgliedschaft an.173 An anderen antikolonialen Einrichtungen und Veranstaltungen zeigte sich die AAPSO hingegen sehr interessiert. Über ihre Mitglieder versuchte sie deshalb Informationen über antikoloniale Konferenzen und Organisationen zu bekommen und Einfluss auf diese zu nehmen. Besonders interessierte die AAPSO sich für die All-African People’s Conference Organisation, da dieser nicht der Ruf anhaftete, eine kommunistische Frontorganisation zu sein. Die AAPSO hoffte deshalb, durch eine engere Kooperation mit der AAPCO stärker als antikoloniale Organisation wahrgenommen zu werden174 und über die in Ghana ansässige Organisation neue und intensivere Kontakte zu anderen afrikanischen antikolonialen AktivistInnen herstellen zu können. Entsprechend unterrichtete die AAPSO in ihren Rundschreiben die eigenen Mitglieder über die Vorbereitung der ersten AAPC in Accra 1958 und forderte diese zur Teilnahme auf, und sei es nur als beobachtende Delega-

173 Vgl. AAPSO Archives, 2nd Ex-Con-Beirot 11/06, 09.08.1960 Brief von El Sebai an B.

Haq (Solidarity Committee of Afro-Asian Organization (London)). AAPSO Archives, 1–12 Feb. 1959. Solidarity Council. Cairo, Report & Recommendations of the General Committee which met on 11/2/1959.

174 Vgl.

6 Die Entwicklung einer antikolonialen Agenda in der Frühphase der AAPSO | 219

tion.175 Der ugandischen Delegation, welche die AAPC besuchte, finanzierte sie sogar die gesamten Reisekosten,176 gab es doch innerhalb der AAPSO einflussreiche Stimmen, die der ghanaischen Regierung und der AAPC die Führungsposition in der Koordinierung der afrikanischen Dekolonisation zusprachen. Auf dem Treffen des Solidaritätsrats im Februar 1959 lobte die Inderin Rameshwari Nehru sogar explizit die Nkrumah-Administration und deren postkoloniale Ordnungskonzepte für ein vereintes Afrika.177 Auch die afrikanischen Sekretäre der AAPSO sprachen sich für enge Kooperationen zwischen den beiden Organisationen aus und erhofften sich davon Synergieeffekte für die antikolonialen Anliegen. Zusammenfassung

Die Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization war in ihrer Anfangszeit mehr als eine kommunistische Frontorganisation. Sie bot antikolonialen AkteurInnen aus Kolonien Infrastruktur für deren politische Arbeit. Über die AAPSO konnten Unabhängigkeitsbewegungen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit betreiben sowie in Kontakt mit anderen Organisationen und Parteien treten. Bis zum Ende des Jahres 1960 legte die AAPSO den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Unterstützung afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen. Entgegen anderslautender Vorwürfe profilierte und etablierte sich die AAPSO in ihren Anfangsjahren als antikoloniale Organisation.

6.4 Zwischenfazit Die ersten beiden Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conferences und die Frühphase der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Organization spielten eine wichtige Rolle in der afrikanischen Dekolonisation, was dazu beitrug, dass Kairo sich in dieser Zeit als ein antikoloniales Zentrum etablieren konnte. 175 Vgl.

AAPSO Archives, Permanent Secretariat-Circular Letter. 1958–1962, Circular Letter to All Afro-Asian Solidarity Committees, Ref. No. CN/4, 15.11.1958. 176 In der Jahresbilanz 1958 ist die Accra-Konferenz separat mit knapp 7.000LE aufgeführt. Leider ist nicht detailliert aufgelistet, wofür das Geld verwendet wurde. Vgl. AAPSO Archives, 10. November 1960–12 November 1960. Beirut Documents, Expenses From 1/2/1958 To 31/1/1959. 177 Vgl. AAPSO Archives, 1–12 Feb. 1959. Solidarity Council. Cairo, Speech by Mrs. Rameshwari Nehru at the Meeting of the Afro-Asian Peoples’ Solidarity Council, S.  3  f.

220 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Ungeachtet ihrer inhaltlichen Ausrichtung bot die Konferenz den Delegierten aus den Kolonien die Möglichkeit, sich zu vernetzen und vor einer internationalen Öffentlichkeit zu präsentieren. Auf der ersten Konferenz bestand aber auch ein Ungleichgewicht zwischen den Delegationen aus den afrikanischen Kolonien auf der einen Seite und den Delegationen aus arabischsprachigen und asiatischen Ländern auf der anderen. Wie die Bandung-Konferenz 1955, die der AAPSC als Vorbild diente, tat sich auch die AAPSC in Ägypten schwer damit, dem Label »afro-asiatisch« gerecht zu werden. Dies änderte sich auf der Konferenz in Conakry, mit der auch eine Änderung des thematischen Schwerpunkts einherging. Auf den Umstand, dass der afrikanische Antikolonialismus mittlerweile  – nicht zuletzt dank der AAPC, die im Dezember 1958 in Accra stattgefunden hatte – global sichtbar geworden war, reagierte die AAPSO mit einer Afrikanisierung und griff verstärkt die von der AAPC zwischen 1958 und 1960 etablierten antikolonialen Themen auf. Mit dieser Neuausrichtung verfolgte das Ständige Sekretariat der AAPSO auch eigene Interessen. Denn beim Versuch, die AAPSO aufzubauen und zu etablieren, war das Sekretariat auf ein breites Netz von aktiven Mitgliedern angewiesen. Die Unabhängigkeitsbewegungen erschienen ihr in dieser Hinsicht vielversprechender als die Gruppen aus bereits unabhängigen Ländern, deren Engagement sich in Grenzen hielt. Der Fokus auf afrikanische AktivistInnen half der AAPSO zudem dabei, gegen den Vorwurf anzukämpfen, eine kommunistische Frontorganisation zu sein. Zum Ende des »Afrikanischen Jahres« hin sprach sich das Sekretariat der AAPSO aber für eine erneute Neuausrichtung aus, da ihr nun aufgrund der zunehmenden formalen Unabhängigkeiten die politische Arbeit auf der zwischenstaatlichen Ebene die höchste Priorität zu haben schien. Die politischen AktivistInnen aus den Kolonien hingegen verloren – wie schon auf den AAPCs und auf der PACPSA – vor dem Hintergrund der Kolonialkriege in Algerien, im Kongo und in Kamerun zunehmend den Glauben an friedliche Wege in die Unabhängigkeit.178

178 Vgl.

Kapitel 5.2 und 5.3.

7

Schlussbemerkungen

Ich habe dargelegt, wie im Vorfeld der afrikanischen Unabhängigkeiten der 1960er Jahre politische Zentren auf dem afrikanischen Kontinent entstanden, von denen aus afrikanische AkteurInnen die bis dahin geltende internationale Ordnung in Frage stellten. Die Verschiebungen im internationalen System waren folglich nicht einfach das Ergebnis einer von den westlich dominierten internationalen Organen abgesegneten, nationalstaatlich zentrierten Dekolonisation, sondern gingen ihr voraus und erzwangen sie. Zu hinterfragen und zu nuancieren ist demnach das etablierte Narrativ, wonach die afrikanische Dekolonisation das Ergebnis linearer nationaler Entwicklungen gewesen sei, bei denen die formalen Unabhängigkeiten vornehmlich in voneinander isolierten lokalen Kontexten vorangetrieben worden seien. Die Aufdeckung und Darstellung transnationaler antikolonialer Netzwerke revidiert zudem die These, dass die Kolonialverwaltungen die entscheidenden AkteurInnen und EntscheiderInnen der Unabhängigkeiten gewesen seien. Damit rezentriert diese Untersuchung die Geschichte der afrikanischen Unabhängigkeiten, deren Hauptschauplätze in der internationalen Geschichtsschreibung bisher in New York, Paris und London angesiedelt wurden, und verlegt sie wieder teilweise nach Afrika. Zugleich dezentriert sie die Geschichte der afrikanischen Unabhängigkeiten aber auch, indem sie aufgezeigt hat, wie die Dekolonisation von verschiedenen Zentren aus transnational vorangetrieben wurde. Der globalgeschichtliche Ansatz der Arbeit hat es erlaubt, einen globalen Zwischenraum offenzulegen, in dem die Strukturen der bis dato dominierenden Ordnungen grundlegend in Frage gestellt wurden. Die Entscheidung, diesen Zwischenraum – wie von Chakrabarty gefordert – nicht von der Warte Europas aus, sondern aus afrikanischer Perspektive zu untersuchen, ermöglichte es mir, die Forderung nach der Neuausrichtung

222 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

des internationalen Systems im Kontext der Dekolonisation aus der Sicht zuvor als subaltern betrachteter AkteurInnen zu untersuchen und dabei wesentliche, aber bisher vernachlässigten Aspekte der Dekolonisation zu beleuchten. Vor allem eröffnete die Untersuchung dadurch den Zugang zu bisher weitgehend übersehenen Netzwerken und Orten. Zudem ist so deutlich geworden, dass die Verlagerung der Kräfteverhältnisse im internationalen System nicht erst nach der formalen Dekolonisation einsetzte, sondern bereits davor. Diese Erkenntnis stellt Periodisierungen in Frage, die den Ablauf der Dekolonisation ausschließlich anhand der formalen Unabhängigkeiten und der damit verbundenen Aufnahme in die internationale Staatengemeinschaft erfassen und bestimmen wollen. Die Erkenntnisse dieser Arbeit sind dem Umstand zu verdanken, dass ich der Aufforderung Chakrabartys nachgekommen bin, Geschichte nicht von der Warte Europas aus zu erzählen. Dieser Perspektivenwechsel ermöglichte es mir, die Forderung nach der Neuausrichtung des internationalen Systems im Kontext der Dekolonisation aus der Sicht zuvor als subaltern betrachteter AkteurInnen zu untersuchen und dabei wesentliche, aber bisher vernachlässigten Aspekte der Dekolonisation zu beleuchten, die die traditionelle Erzählung derselben in Frage stellen. Folgende Ergebnisse bleiben festzuhalten: 1) Afrikanische PolitikerInnen verfolgten in den 1950er Jahren mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln das Ziel, die afrikanischen Unabhängigkeiten voranzutreiben, um ihren Ländern einen eigenständigen Platz im globalpolitischen Gefüge zu sichern. Das bis dato etablierte internationale System hatte – in Einklang mit der kolonialen Ordnung – auch nach dem Zweiten Weltkrieg das globale Ungleichgewicht zuungunsten Afrikas fortgeschrieben, ein Umstand, der sich deutlich anlässlich der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen und der Eurafrika-Debatten im Kontext der europäischen Integration zeigte. Dass sie dergestalt von den Verhandlungen über das Schicksal ihrer Herkunftsregionen ausgeschlossen waren, widerstrebte dem Ansinnen und dem Anspruch der PolitikerInnen aus den Kolonien, ihre eigene Zukunft international mitzugestalten. Den untersuchten afrikanischen Akteursgruppen war gemein, dass sie diesen Ausschluss aus internationalen Aushandlungsräumen nicht länger hinnahmen, auch wenn sie sich aus durchaus unterschiedlichen Gründen zur antikolonialen Zusammenarbeit untereinander entschlossen.

7 Schlussbemerkungen | 223

Die antikolonialen AkteurInnen aus den Kolonien wollten in erster Linie die formalen Unabhängigkeiten erlangen, wozu sie Zugang zur internationalen Politikebene via Accra und Kairo benötigten, denn nur so konnten sie auf der internationalen Bühne und damit innen- wie außenpolitisch in Erscheinung treten. Die bereits unabhängigen Regierungen Ghanas und Ägyptens hingegen handelten aus machtpolitischen Interessen und suchten Verbündete, um in einer politisch und wirtschaftlich zunehmend enger verflochtenen Welt gemeinsame Interessen geschlossen vertreten und um ihre jungen Staaten im globalen Machtgefüge besser positionieren zu können. In seiner Rede anlässlich der formalen Unabhängigkeit Ghanas verwies Kwame Nkrumah dementsprechend darauf, dass diese bedeutungslos sei, solange ihr nicht weitere folgen würden.1 Die Förderung der formalen Unabhängigkeiten anderer afrikanischer Länder war für ihn gleichbedeutend mit der Absicherung der eigenen Unabhängigkeit. Gamal Abdel Nasser dagegen versuchte, seine im Verlauf der Sueskrise erworbene globalpolitische Machtposition durch die antikolonialen und antiimperialen Netzwerke weiter zu festigen. 2) Die AkteurInnen verließen sich keineswegs auf das Wohlwollen der kolonialen Mächte und bestehenden Organisationen, sondern trieben die Veränderung des internationalen Systems durch die Bildung von antikolonialen Netzwerken sowie dem Versuch, diese zu institutionalisieren und so neue politische Zentren zu etablieren, selber voran. Sie reagierten gezielt auf den Ausschluss ihrer Länder aus den internationalen Aushandlungsräumen, indem sie alternative, konkurrierende internationale Räume schufen, deren Struktur und inhaltliche Ausgestaltung sie selbst definierten.

1



Vgl. Kwame Botwe-Asamoah, Kwame Nkrumah’s Politico-Cultural Thought and Policies. An African-Centered Paradigm for the Second Phase of the African Revolution, (African Studies. History, Politics, Economics, and Culture), 2005, New York, S. 131. Nkrumah hatte diese Aussage bereits auf der West African Nationalists’ Conference 1953 in Kumasi gemacht und wiederholte sie auf der ersten All-African People’s Conference 1958 in Accra. Vgl. TNA, FCO 141-4947-Congress of People Against Imperialism, 1953, Berichte über die »West African Nationlists’ Conference«. Gesendet vom Commissioner of Police (Special Branch) Accra an D.S.D. McWilliam Esq., M.B.E., Ministry of Defence and External Affairs, Accra., 10. Dezember 1953; sowie PRAAD, ADM 16-10-All-African People’s Conference –Speeches by the Prime Minister of Ghana at the Opening and Closing Sessions on Decemeber 8th and 13th, 1958, S. 2.

224 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

Das Entstehen der Netzwerke in Accra und Kairo war mithin keine zufällige Angelegenheit, sondern wurde erheblich durch die machtpolitischen Interessen der Regierungschefs der entsprechenden Länder begünstigt. Die von Ghana und Ägypten beherbergten antikolonialen AkteurInnen aus den Kolonien stellten nämlich ein wertvolles Kapital dar: innenpolitisch, insofern sich die Regierungschefs durch die Präsenz der AktivistInnen als afrikanische Führer gerieren konnten; außenpolitisch, insofern diese ihnen Zugang zu Informationen über Vorgänge in anderen Ländern verschafften. Die PolitikerInnen aus den Kolonien wiederum profitierten von der praktischen Unterstützung, die ihnen die semi-offiziellen Einrichtungen in Accra und Kairo bei ihrer politischen Arbeit boten. Bei der Ausrichtung der All-African People’s Conferences (AAPC) und der Afro-Asian Peoples’ Solidarity Conferences (AAPSC) orientierten sich die OrganisatorInnen strategisch einerseits an den panafrikanischen Kongressen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in europäischen und nordamerikanischen Metropolen ausgerichtet worden waren, sowie andererseits an der afro-asiatischen Bandung-Konferenz. Dies zeigt, dass die grenzüberschreitende Vernetzung schon lange vor den formalen Unabhängigkeiten in den 1950er und 60er Jahren begonnen hatte. Die Konferenzen in Ghana und Ägypten gingen aber einen entscheidenden Schritt weiter, indem sie die Machtverhältnisse der traditionellen internationalen Räume umkehrten: Nun waren es die AfrikanerInnen, die entschieden, wer auf den internationalen Konferenzen über Rede- und Stimmrecht und wer nur über einen Beobachterstatus verfügte, und konnten entsprechend dafür sorgen, dass die afrikanischen Stimmen gehört und die EuropäerInnen auf die Zuschauerränge verbannt wurden. Auf den AAPCs und den AAPSCs waren es also die afrikanischen AkteurInnen, die die postkoloniale Zukunft verhandelten, während die Delegationen aus westlichen Staaten lediglich einen Beobachterstatus erhielten oder gar nicht erst eingeladen wurden. Ein Novum der AAPCs und der AAPSCs war auch, dass sie die Struktur internationaler Konferenzen dahingehend veränderten, dass die VertreterInnen aus den Kolonien und der unabhängigen Staaten auf Augenhöhe multilaterale Verhandlungen führten. Damit relativierten sie die im internationalen politischen System üblichen formalen Zuschreibungen wie die über Nationalstaatlichkeit und wählten KonferenzteilnehmerInnen nach politischen und nicht nach formal völkerrechtlichen Kriterien aus. Diese bewusst eingesetzte systemische Abweichung innerhalb des Zwischenraums wurde von der bisherigen Forschung übersehen.

7 Schlussbemerkungen | 225

Auf den AAPCs und den AAPSCs wurde die Rollenverteilung innerhalb des internationalen Systems aber nicht nur punktuell in Frage gestellt. Die OrganisatorInnen und Delegierten derselben bemühten sich vielmehr um eine Institutionalisierung der entstehenden Netzwerke, indem sie entsprechende antikoloniale Organisationen gründeten. Auf diese Weise verankerten sie die Netzwerke lokal an ausgesuchten Knotenpunkten und beförderten die Entwicklung Accras und Kairos zu neuen globalpolitischen Zentren, die in Konkurrenz zu anderen Aushandlungsräumen in europäischen und nordamerikanischen Metropolen traten. Die globalpolitische Bedeutung der neuen Zentren leitete sich auch vom hochgradig transnationalen Vertretungs- und Gestaltungsanspruch der Netzwerke ab: Dieser ging weit über die bekannten regionalen oder imperialen Zusammenhänge hinaus und umfasste im einen Fall den gesamtafrikanischen und im anderen Fall einen afro-asiatischen Raum. Sowohl die AAPC(O) als auch die AAPSO leiteten in ihrer Gründungsphase ergebnisoffene Prozesse ein, die einen wichtigen Beitrag zur Neuausrichtung des internationalen Systems leisteten. Wenngleich die sich dort bildenden Netze nicht dauerhaft institutionell verstetigt werden konnten, hatte sich ausgehend von Ghana erfolgreich die Idee einer afrikanischen postkolonialen Ordnung mit einer dezidiert transnationalen Ausrichtung etabliert. An beiden Orten deutete sich an, dass Süd-Süd-Beziehungen zukünftig im globalpolitischen Setting einen eigenständigen und wichtigen Platz einnehmen würden. Dies fand auch Ausdruck in den Gründungen des Non-Aligned Movement (NAM) 1961 und der Organisation of African Unity (OAU) 1963. Vor dem Hintergrund der Ergebnisoffenheit der untersuchten Konferenzen und Organisationen hätte sich eine teleologische Erzählweise, die die Geschichte der AAPCs und der AAPSCs von vornherein auf die Gründung der NAM und OAU hin erzählt hätte, als wäre diese Entwicklung unausweichlich gewesen, jedoch als irreführend erwiesen. Stattdessen widmete sich die Analyse einem noch weitgehend unbestimmten Zwischenraum, der im Kontext umfassender globalpolitischer Veränderungen im Untersuchungszeitraum entstand und in dem intensiv transnationale Ordnungskonzepte diskutiert wurden, die über den bekannten Rahmen nationaler und internationaler Ordnungen hinausgingen. Zwar mag die Gründung der NAM und der OAU nicht das dezidierte Ziel der untersuchten Netzwerke gewesen sein, dennoch wäre ein an diese Arbeit anknüpfendes Forschungsdesiderat, die Entstehungsgeschichte der OAU und der NAM vor dem Hin-

226 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

tergrund bereits existierender nicht-staatlicher Süd-Süd-Netzwerke, zu analysieren. Dadurch, dass durch den Fokus der Arbeit bisher weitgehend übergangene antikoloniale Zentren in den Blick gekommen sind, eröffnet sie zudem weitere Forschungsmöglichkeiten: So sind Studien denkbar, die das polyzentrische Bild der Dekolonisation um weitere Orte erweitern, ist dieses durch die Studie zu Accra und Kairo doch mitnichten vollständig abgedeckt. Des Weiteren bieten sich Arbeiten an, die die Folgen der strategischen transregionalen Vernetzungen afrikanischer PolitikerInnen im Vorfeld der formalen Unabhängigkeiten untersuchen2 oder umgekehrt die Herkunftsorte der KonferenzteilnehmerInnen in ihren jeweiligen sozialen und politischen Kontexten erforschen würden. Dadurch ließen sich die spezifischen Kontexte, Fragen und Denktraditionen unterschiedlicher afrikanischer Regionen in die Konstituierung des antikolonialen Netzwerks und der panafrikanischen Ideen einbinden. Zum anderen wäre es wahrscheinlich ein fruchtbarer Ansatz, aus einer translokalen Perspektive die Auswirkungen der internationalen Konferenzen und Organisationen auf den politischen Werdegang einzelner TeilnehmerInnen sowie auf die Unabhängigkeitskämpfe einzelner Kolonien zu untersuchen. Durch solche Untersuchungen könnte die gängige These, dass Unabhängigkeitsbewegungen jeweils voneinander isoliert aufgetreten und fortgeschritten wären, weiter differenziert und (partiell) widerlegt werden. 3) Schon vor der formalen Dekolonisation entwickelten afrikanische (und asiatische) PolitikerInnen anspruchsvolle und detaillierte Konzepte für die postkoloniale Zeit, die jene erst in Schwung brachten. Dabei adaptierten, transformierten und verkehrten sie vorhandene Konzepte, um auf westliche und nördliche Ordnungsvorstellungen mit eigenen Gegenentwürfen zu antworten. In beiden Netzwerken votierten die Delegierten für enge Süd-SüdBeziehungen und Kooperationen, die sie als Gegenmodell zur europäischen Entwicklungshilfe konzipierten, warfen sie dieser doch vor, ökonomische Abhängigkeiten zu schaffen und die afrikanischen Unabhängigkeiten zu unterlaufen. Um ein Gegengewicht zu den europäischen Assoziierungsplänen im internationalen System zu schaffen und so die Machtverhältnisse zu 2

Es bieten sich beispielsweise Untersuchungen des Rassemblement Démocratique Africain und des Pan-African Freedom Movement of East and Central Africa an.

7 Schlussbemerkungen | 227

verlagern, sollten auf Solidarität fußende Kooperationen zwischen Ländern des globalen Südens etabliert werden. Vor diesem Hintergrund sprachen sich die Delegierten der AAPCs und AAPSCs unisono für Stipendienprogramme, den koordinierten Austausch technischen Wissens, die Einrichtung von Investitionsbanken sowie den Aufbau wissenschaftlicher Institute und Publikationen aus. Betreffs der Ideen des AAPCO- und derjenigen des AAPSO-Netzwerks gab es aber auch grundlegende Unterschiede, wobei der zentrale darin lag, dass von Ghana aus eine afrikanische Integration propagiert wurde, im afroasiatischen Solidaritätsnetz der AAPSO aber die realpolitische Umsetzung panafrikanischer Konzepte kein übergeordnetes Ziel darstellte. Denn die Verbreitung des Panafrikanismus war in der Tat maßgeblich an die Person Nkrumahs geknüpft. Entsprechend bestand er in einer Synthese westlicher Modernisierungskonzepte und panafrikanischer Konzepte, die mit dessen Prägung im Exil in den 1940er Jahren zusammenhing. Auf den AAPCs wurden diese Konzepte Nkrumahs dann um transnationale Konzepte anderer antikolonialer Konferenzen sowie um Adaptionen und Afrikanisierungen westlicher Ideen erweitert. Das alles führte dazu, dass sich, ausgehend von den AAPCs, die panafrikanischen Ideen in den antikolonialen afrikanischen Debatten auf breiter Basis durchsetzten. Die dort entwickelten Integrationspläne, die transnationalen Kooperationen im Bildungs- und Infrastrukturbereich, die Koordinierung innen- und außenpolitischer Leitlinien und das Abschaffen von Grenzen und Pässen verstanden sich explizit als Gegenmodell zu den europäischen Eurafrika-Plänen, zu den aufgezwungenen engen Beziehungen mit Kolonialstaaten und zur westlich koordinierten Etablierung voneinander isolierter Nationalstaaten. 4) Innerhalb der afrikanischen Netzwerke gab es von Beginn an Spannungen, die auf deren heterogene Zusammensetzung zurückzuführen waren und auf lange Sicht fast unausweichlich zur Desintegration derselben führen mussten. Die Unstimmigkeiten, die im Laufe der Zeit zunahmen, betrafen vornehmlich zwei Konfliktfelder: So verlief eine erste Konfliktlinie zwischen den VertreterInnen aus den bereits unabhängigen Ländern und den PolitikerInnen aus den Kolonien, eine zweite hingegen spaltete die TeilnehmerInnen betreffs der Frage, ob die Unabhängigkeiten am besten friedlich oder militant zu erreichen seien. Die Delegationen aus den bereits formal unabhängigen Ländern und diejenigen aus den Kolonien verfolgten sowohl auf den Konferenzen der AAPCO

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als auch auf denjenigen der AAPSO unterschiedliche Ziele, die sich aus den jeweiligen politischen Herausforderungen ergaben, mit denen sie sich konfrontiert sahen. Erstere interessierten sich zuvorderst dafür, ihre schon erlangten Souveränitäten zu festigen, wogegen Letztere noch dabei waren, diese zu erstreiten.3 Während die Delegationen aus den bereits unabhängigen Ländern politische und ökonomische Verflechtungspotentiale diskutierten, forderten die AkteurInnen aus den Kolonien vielmehr praktische Unterstützung bei der Erlangung der Unabhängigkeiten. Die AAPSO versuchte zwischen der ersten und der zweiten AAPSC, diesem Konflikt entgegenzuwirken, indem sich das Sekretariat dafür aussprach, die Organisation zugunsten der Unabhängigkeitsbewegungen auszurichten. Aufgrund der zunehmenden formalen Unabhängigkeiten vollzog der Generalsekretär der Organisation El Sebai 1960 aber eine Kehrtwende und sprach sich dafür aus, dass sich die AAPSO nun auf die Interessen von Organisationen aus den bereits unabhängigen Ländern konzentrieren solle. Was die zweite Konfliktlinie im Netzwerk der AAPCO betrifft, bei der es um den »richtigen« Weg in die Unabhängigkeit ging, forderte Kwame Nkrumah mit seinem Konzept der Positive Action die alleinige Deutungshoheit ein. Der gewaltfreie ghanaische Weg in die Unabhängigkeit sollte seiner Meinung nach die alternativlose Blaupause für die anderen Länder darstellen, während die PolitikerInnen aus den Kolonien, in denen Kolonialkriege herrschten, sich offen für militante Wege aussprachen. Als sich der Konflikt vor dem Hintergrund der voranschreitenden Unabhängigkeiten sowie der Kongo-Krise, dem Krieg in Kamerun und demjenigen in Algerien zuspitzte, beschleunigte sich die Auflösung der AAPCO. Ein gemeinsames Feindbild genügte folglich nicht, um eine dauerhafte integrative Wirkung zu entfalten. Dennoch wäre es falsch von einem »Scheitern« der (institutionalisierten) Netzwerke zu sprechen, verbuchten 3

Der Tübinger Philosoph Ernst Bloch führt in seinem 1956 erschienen Essay »Differenzierungen im Begriff Fortschritt« einen Ansatz aus, der das Phänomen der Ungleichzeitigkeit für die Historiographie erfasst. Er gemahnt, in historischen Betrachtungen die Ungleichzeitigkeit globaler Prozesse wahrzunehmen und zu beschreiben. Diese ergebe sich aus den verschiedenen Zielen, die (historische) AkteurInnen verfolgen. Blochs Konzeption der Ungleichzeitigkeit betont im Unterschied zu rein chronologischen Betrachtungen die inhaltsbestimmte Heterogenität zeitlichen Geschehens. Vgl. Ernst Bloch, Differenzierungen im Begriff Fortschritt, in: Tübinger Einleitung in die Philosophie, 1996, Frankfurt S. 118–146. Einführend vgl. Beat Dietschy, Gebrochene Gegenwart. Ernst Bloch, Ungleichzeitigkeit und das Geschichtsbild der Moderne, 1988, Frankfurt.

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die Konferenzen der AAPCO und der AAPSO doch erhebliche Erfolge: Dank ihrer haben sich die afrikanischen AkteurInnen untereinander strategisch vernetzen und die AkteurInnen aus den Kolonien die erhoffte Sichtbarkeit auf der internationalen Ebene erlangen können. Auch gelang es ihnen, den eigenständigen postkolonialen Ordnungskonzepten, die in ihrem Rahmen entwickelt wurden, international Gehör zu verschaffen. Aus historiographischer Sicht wäre es wünschenswert, wenn weitere Untersuchungen folgen, die vergessene Orte und AkteurInnen in die Geschichtsschreibung (zurück)holen. Eine polyzentrisch ausgerichtete Globalgeschichte eignet sich besonders dafür, die üblicherweise tradierten Zentren der Weltgeschichte und die sie stärkenden linearen Erzählungen zumindest zu ergänzen.

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Kurzbiographien

Abdoulaye Diallo (*1917; †?)

Der Guineer Abdoualye Diallo war ein international vernetzter Gewerkschaftsfunktionär, der die AAPCO in seiner Funktion als deren Generalsekretär prägte und sich in einem transregionalen frankophonen Westafrika bewegte. Diallo besuchte in Dakar (Senegal) die William Ponty Schule, die als Ausbildungsanstalt für die französische Kolonialverwaltung diente und in der sich ausgewählte Teile der lokalen Bevölkerung für niedrige Tätigkeiten in der Verwaltung qualifizieren konnten. Für Diallo folgte eine Ausbildung beim Postamt der senegalesischen Hauptstadt sowie eine erste Anstellung im Postamt in Bamako (frz. Sudan, später Mali). Politisiert wurde Diallo in transregionalen und internationalen Gewerkschaften, in denen er sich frühzeitig engagierte. Ab Oktober 1945 war er Sekretär der Post Telegram and Telephone Trade Union in frz. Sudan und unterhielt bereits enge Kontakte zur transregional operierenden Confédération du Travail. Es folgten Ämter beim frz. sudanesichen Trade Union Congress, dem Trade Union Committee of French West African and Togoland und ab 1949 die Vizepräsidentschaft bei der World Federation of Trade Union (WFTU). 1957 kehrte Diallo der WFTU den Rücken zu, um sich der von Sékou Touré gegründeten Union générale des travailleurs d’Afrique noire anzuschließen. Nachdem sich sein Herkunftsland im Referendum von 1958 als einziges afrikanisches Land für die sofortige Unabhängigkeit von Frankreich entschieden hatte, verlagerte er seine politische Arbeit dorthin. Nach der Gründung der Ghana-Guinea-Union war Diallo ständiger Vertreter Guineas in Accra und übernahm ab 1959 als gut vernetzter Gewerkschafter den Posten des Generalsekretärs der AAPCO sowie bei der zweiten AAPC in

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Tunis den Vorsitz der Konferenz. Bis in die 1980er hinein arbeitete Diallo in verschiedenen Positionen für die guineische Regierung.

Frantz Fanon (*1925; †1961)

Frantz Fanon war Psychiater und ein bedeutender antikolonialer Intellektueller, Publizist und Aktivist. Er plädierte im Kontext der afrikanischen Dekolonisation für einen militanten Weg in die Unabhängigkeit und vertrat auf den Konferenzen und in den Organisationen in Ghana und Ägypten den algerischen Front de Libération Nationale. Fanon kam in der französischen Kolonie Martinique in einer Schwarzen, mittelständischen Familie zur Welt. Den dortigen Besuch eines Gymnasiums unterbrach er, um ab 1943 im Zweiten Weltkrieg im Dienst der Freien Französischen Streitkräfte zu kämpfen. Nach dem Krieg kehrte er nach Martinique zurück, schloss die Schule ab und ging dann für ein Studium der Medizin und Psychiatrie nach Frankreich zurück. Ab 1953 arbeitete er in leitender Funktion als Psychiater in einem Krankenhaus in Algerien. Im dort 1954 einsetzenden Unabhängigkeitskrieg engagierte er sich auf Seiten der antikolonialen Bewegung. Er legte seine psychiatrische Arbeit nieder, unterstützte die FLN und publizierte antikoloniale und antirassistische Schriften. Darin sprach er sich u.a. für rasche Unabhängigkeiten, transnationale afrikanische Ordnungskonzepte für die postkoloniale Zeit sowie für den militanten Weg in die Unabhängigkeit aus. Postkolonialen Eliten stand er kritisch gegenüber. Als Vertreter des FLN nahm Frantz Fanon an der ersten und zweiten AAPC und an der zweiten AAPSC teil und war Mitglied des Steuerungsgremiums der AAPCO sowie ab 1960 ständiger Vertreter der algerischen Übergangsregierung in Accra. Dort warb er u.a. für Unterstützung im algerischen Unabhängigkeitskrieg. Fanon starb 1961 an Leukämie.

Mohamed Fouad Galal (*1908; †?)

Fouad Galal war ein ägyptischer Politiker. Er vertrat Ägypten und die VAR auf den antikolonialen Konferenzen, die von Ghana aus geplant wurden, und trug maßgeblich zur innerafrikanischen Vernetzung bei. Galal wurde in Kairo geboren und besuchte dort zunächst eine pädagogische Hochschule, ehe er ein Studium der Psychologie aufnahm.

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Unmittelbar nach dem Militärputsch in Ägypten bekleidete er ab 1952 verschiedene Verwaltungs- und Ministerämter (u.a. Minister für Soziales). 1957 wurde er in die Nationalversammlung der VAR gewählt und dort zum Vizepräsidenten des Parlaments ernannt. An der ersten und zweiten AAPC nahm Galal als Leiter der Delegation der VAR teil. Er war Mitglied des Steuerungsgremiums der AAPCO und besuchte zudem 1960 in Accra die PACPSA.

Patrice Émery Lumumba (*1925; †1961)

Der Kongolese Patrice Lumumba war Teil des AAPC- und des AAPSC-Netzwerks. Er vertrat panafrikanische Positionen und nutzte die Arbeit in den Steuerungsgremien der AAPCO und der AAPSO, um sich innerafrikanisch und globalpolitisch zu vernetzen. Lumumba besuchte katholische und protestantische Missionsschulen im Kongo und nahm danach erste Tätigkeiten in der Kolonialverwaltung auf. Er begann rasch, sich politisch zu organisieren und wurde erst Sekretär und später Präsident einer Vereinigung kongolesischer Verwaltungsmitarbeiter. Daneben betätigte er sich als Redakteur und veröffentlichte antikoloniale Schriften. Ermutigt durch das französische Referendum 1958, im Zuge dessen französische Kolonien in Afrika über ihre unmittelbare Unabhängigkeit abstimmen konnten, wandte sich Lumumba mit konkreten Unabhängigkeitsforderungen an die belgische Regierung. Im selben Jahr gründete er mit Mitstreitern die Partei Movement National Congolais (MNC), welche die formale Unabhängigkeit Kongos forderte. Seine politische Arbeit führte zu seiner Verhaftung, nachdem er für Unruhen verantwortlich gemacht worden war, die im Kongo stattgefunden hatten. Nach seiner Freilassung nahm er im Januar 1960 an der belgisch-kongolesischen Round Table Conference teil, auf der die Unabhängigkeit des Kongos für den Juni 1960 verabredet wurde. Bei den ersten freien Wahlen gewann die MNC die meisten Sitze und Lumumba wurde der erste Premierminister des Landes. In der Folge brachen jedoch Unruhen aus, die von westlichen Staaten befeuert wurden. Belgische Truppen besetzten Teile des Landes, die Region Katanga erklärte ihre Sezession und die UNO schaffte es nicht, die kongolesische Regierung zu schützen. Im Januar 1961 wurde Patrice Lumumba mit Wissen und im Beisein westlicher Geheimdiensten verschleppt und ermordet.

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Ras T. Makonnen (*1900; †1983)

Makonnen war ein in Europa und Afrika breit vernetzter karibischer Aktivist, der sich bereits in den 1930er und 40er Jahren in England in antikolonialen Netzwerken bewegte. Ab 1957 lebte er in Ghana und leitete in Accra das African Affairs Centre, welches AktivistInnen aus afrikanischen Kolonien die nötige Infrastruktur für ihre politische Arbeit im Exil bot. Makonnen, dessen Geburtsname George Thomas Nathaniel Griffith lautet, kam in der Kolonie Britisch-Guayana zur Welt. Nach dem Besuch einer höheren Schule emigrierte er zu Studienzwecken in die USA. Einem Studium der Mineralogie in Texas folgte ab 1932 eines der Landwirtschaft, das er in Dänemark fortsetzte. In seiner Studienzeit begann Griffith, sich für die Belange Schwarzer Menschen zu engagieren und in Austausch mit Menschen aus afrikanischen Ländern und Kolonien (u.a. Nnamdi Azikiwe) zu treten. In den USA, wo er auch mit ÄthiopierInnen in Kontakt kam, änderte er seinen Namen in einen äthiopischen. Nach seiner Zeit in Dänemark ging Makonnen nach England, wo er Teil eines Netzwerks afrikanischer und karibischer antikolonialer AkteurInnen wurde, zu dem u.a. George Padmore und Jomo Kenyatta gehörten. Dort arbeitete er u.a. für das International African Service Bureau, das Organisationen Schwarzer Menschen weltweit vernetzen wollte. Auch begann er, antikoloniale Schriften und Zeitschriften zu veröffentlichen und sich gegen den italienisch-äthiopischen Krieg zu engagieren. 1945 war er maßgeblich an der Organisation des Fünften Panafrikanischen Kongresses in Manchester beteiligt, auf dem er Kwame Nkrumah kennenlernte. Nach seinem Umzug nach Accra etabliert Makonnen für Nkrumah das African Affairs Centre und bildete antikoloniale afrikanische AktivistInnen aus, die in Ghana im Exil lebten. Nach dem Putsch in Ghana 1965 wurde er inhaftiert und lebte nach seiner Freilassung bis zu seinem Tod 1983 in Kenia.

Thomas Joseph Odhiambo (Tom) Mboya (*1930; †1969)

Der Kenianer Tom Mboya war eine der prägenden Figuren der panafrikanischen Netzwerke. Gleichzeitig war er in internationalen Gewerkschaften aktiv. Bereits frühzeitig nutzte er die internationalen Kontakte, die sich ihm boten, um die kenianische Unabhängigkeit voranzutreiben. Mboya, der katholische Missionsschulen besucht und eine Ausbildung als Sanitätsinspektor durchlaufen hatte, war in den frühen 1950er Jahren

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in Nairobi politisch aktiv geworden. Während des Mau-Mau-Kriegs mit den politischen Säuberungsaktionen der britischen Kolonialverwaltung verlagerte Mboya sein Engagement in die Gewerkschaftsarbeit. Diese gestattete es ihm, in einer repressiven Zeit, in der politische Parteien verboten waren, dennoch politisch zu arbeiten und internationale Kontakte zu knüpfen. Als Generalsekretär der Kenya Local Government Union und der Kenya Federation of Labour war es ihm möglich, Reisen ins Ausland zu unternehmen, während Mitstreiter wie Jomo Kenyatta im Gefängnis saßen. Seine Reisen führten ihn u.a. nach Belgien, England, Indien und auf Einladung des American Committee on Africa in die USA. 1956 nahm er mittels eines Gewerkschaftsstipendiums ein Studium der Betriebswirtschaftslehre am Ruskin College in Oxford auf. Nach seiner Rückkehr von England nach Kenia, zog er 1957 in die verfassungsgebende Versammlung ein, wo er die Gruppe der afrikanischen Abgeordneten organisierte. 1960 war er Leiter der kenianischen Delegation bei der Lancaster House Conference in London, auf welcher der Fahrplan für die formale Unabhängigkeit Kenias verabredet wurde. Die All-African People’s Conference ermöglichte es Mboya wiederum, sein innerafrikanisches Netzwerk auszubauen. Die erste Konferenz in Accra wählte ihn zu ihrem Vorsitzenden, zudem war er Mitglied des Steuerungsgremiums der gleichnamigen Organisation. Auf seinen Auslandsreisen warb er nun nicht mehr nur für die kenianische Unabhängigkeit, sondern auch für postkoloniale panafrikanische Ordnungskonzepte. Nach der formalen Unabhängigkeit Kenias 1963 bekleidete Tom Mboya bis zu seinem Tod verschiedene Ministerposten (u.a. Justiz und Wirtschaft). 1969 fiel er einem Attentat zum Opfer.

Gamal Abdel Nasser (*1918; †1970)

Nasser war ein ägyptischer Militär und Politiker. In der Frühphase seiner Präsidentschaft erlangte er durch die Sueskrise weltweiten Ruhm. Er propagierte panarabische Ideen, engagierte sich in afro-asiatischen Süd-SüdNetzwerken und unterstützte afrikanische Unabhängigkeitsbewegungen. Gamal Abdel Nasser wurde 1918 in der britischen Kolonie Ägypten geboren. Er ging in Kairo zur Schule und setzte sich früh mit panarabischer und antiimperialer Literatur auseinander. 1935 wurde er bei seiner Teilnahme an einer Demonstration angeschossen, die sich gegen die britische Einmischung in innerägyptische Angelegenheiten richtete. Ab 1937 besuchte er

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eine Militärschule und trat in den Militärdienst ein (1947/48 Einsatz im Palästinakrieg). In seiner Zeit beim Militär organisierte sich Nasser mit anderen Soldaten, die der ägyptischen Monarchie kritisch gegenüberstanden und war 1952 eine treibende Kraft beim Militärputsch in Ägypten, nach welchem König Faruk abdanken musste. In der anschließenden Nagib-Administration übernahm Nasser einen Ministerposten und nach Nagibs Absetzung dann zunächst das Amt des Ministerpräsidenten. Nach einer Verfassungsänderung wurde er zum Präsidenten ernannt, ein Amt, das er bis zu seinem Tod innehatte. In seiner Schrift Philosophy of the Revolution verortete Nasser Ägypten globalpolitisch in einem panarabischen und afro-asiatischen Setting. 1955 nahm er an der Bandung-Konferenz teil. Zu weltweiter Bekanntheit verhalf Nasser die Sueskrise 1956, in der Ägypten zwar militärisch unterlag, aber einen politischen und moralischen Sieg erringen konnte. In seiner frühen Regierungszeit unterstützte das Land afrikanische UnabhängigkeitskämpferInnen und beherbergte diverse antikoloniale Konferenzen, Einrichtungen und Organisationen. Sowohl an der Gründung der Organisation of African Unity als auch an der des Non-Aligned Movement war Nasser beteiligt.

Francis Nwia Kofie Kwame Nkrumah (*1909; †1972)

Kwame Nkrumah war ein zentraler panafrikanischer Aktivist und Politiker. Als Ministerpräsident Ghanas ließ er antikoloniale Konferenzen ausrichten und stellte afrikanischen PolitikerInnen eine Infrastruktur für ihre politische Arbeit im Exil zur Verfügung. Dabei unterstützten ihn etliche Weggefährten, die er während seines Studienaufenthalts in England kennengelernt hatte. Nkrumah wurde in der britischen Kolonie Goldküste geboren und besuchte in seiner Jugend katholische Missionsschulen. Er ließ sich zum Lehrer ausbilden und unterrichtete an verschiedenen Schulen in der Goldküste. 1935 zog es ihn zu Studienzwecken in die USA, wo er an der Lincoln University in Washington in Wirtschaftswissenschaften und Soziologie sowie an der University of Pennsylvania in Philosophie und Pädagogik graduierte. Anschließend zog er, mit dem Ziel, sich promovieren zu lassen, nach England.

8 Kurzbiographien | 237

Sowohl in den USA als auch in England engagierte er sich in (pan-)afrikanischen Organisationen. In London machte er die Bekanntschaft George Padmores und Ras T. Makonnens, mit denen er 1945 wesentlich an der Organisation des Panafrikanischen Kongresses in Manchester beteiligt war. 1947 zog er zurück in die Goldküste und übernahm dort (partei-)politische Ämter. 1952 wurde Kwame Nkrumah Ministerpräsident der Goldküste und nach der formalen Unabhängigkeit der Kolonie 1957 Ministerpräsident Ghanas. Er warb für die kontinentale Einheit und die Implementierung eines afrikanischen Sozialismus. Ab den 1950er Jahren ließ er in der Goldküste bzw. Ghana diverse panafrikanische, antikoloniale Konferenzen ausrichten, sowohl auf zivilgesellschaftlicher als auch auf zwischenstaatlicher Ebene. Während seiner Regierungszeit beherbergte das Land UnabhängigkeitskämpferInnen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern, damit diese aus dem Exil heraus ihrer politischen Arbeit nachgehen konnten. Auch an der Gründung der Organisation of African Unity 1963 war er beteiligt. Nach 1961 überlebte er mehrere Attentatsversuche, während sein innenpolitischer Kurs zunehmend rigider wurde. 1964 ließ er sogar alle Oppositionsparteien verbieten. 1966 kam es dann zu einem Militärputsch als Nkrumah sich auf einer Auslandsreise befand. Nkrumah lebte fortan im guineischen Exil, wo er von Sékou Touré zu seinem Co-Präsidenten ernannt wurde. 1972 verstarb er an Krebs.

George Padmore (*1902; †1959)

George Padmore war ein weltweit vernetzter panafrikanischer Ideengeber, Politiker und Publizist sowie einer der zentralen Berater Kwame Nkrumahs, dessen panafrikanische Ideen und postkoloniale Ordnungsvorstellungen er maßgeblich prägte. Padmore sprach sich für panafrikanische postkoloniale Ordnungen, für afro-asiatische Solidaritätsnetze sowie für eigenständige Entwicklungswege afrikanischer Staaten aus. Padmore, dessen Geburtsname Malcolm Ivan Nurse lautet, kam 1902 in Trinidad auf die Welt. Er ging dort zur Schule und begann eine Ausbildung zum Apotheker, ehe es ihn 1924 in die USA zog, zunächst für ein Studium der Medizin an der Fisk University in Tennessee und ab 1926 für ein Studium der Rechtswissenschaften an der Howard University in Washington.

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In dieser Zeit war Padmore publizistisch und politisch tätig, schrieb für Zeitungen in Trinidad und in den USA und trat der Communist Party USA (CPUSA) bei, da diese antiimperiale Ziele verfolgte und die Gleichheit aller Menschen postulierte. 1929 nahm er am zweiten Kongress der Liga gegen Imperialismus teil und unterstützte einen Arbeitskreis der International Trade Union Committee of Negro Workers (ITUCNW) mit dem Ziel, eine Konferenz Schwarzer Arbeiter aus den Kolonien und den USA zu organisieren. Anschließend übernahm er den Vorsitz der ITUCNW sowie die Herausgeberschaft von deren Zeitschrift Negro Worker. 1934 verließ er die Komintern, nachdem Stalin einen Pakt mit Frankreich geschlossen hatte, und siedelte nach London über. In England stand er in engem Austausch mit Schwarzen und afrikanischen UnabhängigkeitsaktivistInnen (z.B. C.L.R. James, Ras T. Makonnen, Jomo Kenyatta), mit denen er antikoloniale Kampagnenarbeit betrieb, Organisationen gründete, publizierte und Konferenzen organisierte (z.B. die Subject Peoples’ Conferences und den Fünften Pan-Afrikanischen Kongress). In England lernte er auch Kwame Nkrumah kennen, den er nach 1951 wiederholt in der Goldküste besuchte. Nach der formalen Unabhängigkeit Ghanas nahm Padmore die Anstellung als Nkrumahs Special Adviser on African Affairs an und hatte bei der Vorbereitung der ersten AAPC sowie im Steuerungsgremium der AAPCO maßgeblichen Einfluss. George Padmore verstarb 1959 krankheitsbedingt.

9

Quellen- und Literaturverzeichnis

9.1

Ungedruckte Quellen

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SC/BAA/ ADM 16/

Kwame Nkrumah Private Papers African Affairs Papers

George Padmore Research Library on African Affairs (GRPLAA), Accra, Ghana

BAA/GPRLAA/ Conferences AAPSO Archives, Kairo, Ägypten

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CO 1035 CO 822 DO 35

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240 | Globale Neuordnung durch antikoloniale Konferenzen

FCO 141

FO 371 FO 1110

Foreign and Commonwealth Office and predecessors: Records of Former Colonial Administrations: Migrated Archives. 1835–2012. Foreign Office: Political Departments: General Correspondence. 1906–1966. Foreign Office and Foreign and Commonwealth Office: Information Research Department: General Correspondence. 1948–1967

Archives and Special Collections of the School of Oriental and African Studies (SOAS Archives (MCF)), London, Großbritannien:

Movement for Colonial Freedom Archive (1954–1975) ACT Activities AFF Affiliates Archives of the International Institute of Social History (IISH Archives), Amsterdam, Niederlande

ICFTU 3875-3880

3884-3887

Correspondence concerning the All African People’s Conference. With reports, texts of statements and speeches, clippings and other related documents. 1958–1961. Correspondence concerning the Afro-Asian People’s Solidarity Conference. With related documents. 1957–1960.

Auswärtiges Amt Politisches Archiv (PA AA), Berlin, Deutschland:

B – Bestand 12 Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland – Ostabteilung MfAA – A 14360 Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR – Allafrikanische Völkerkonferenzen

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Danksagung Dieses Buch ist die leicht geänderte Fassung meiner Dissertationsschrift, die ich im Juli 2017 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg unter dem Titel »Antikoloniale Konferenzen und die Entstehung einer neuen globalen Ordnung. Ghana und Ägypten als Zentren der afrikanischen Dekolonisation« eingereicht und im Oktober desselben Jahres verteidigt habe. Der Heinrich-Böll-Stiftung möchte ich für die materielle und ideelle Förderung während des Promotionsstudiums danken. Die vorliegende Publikation gibt es, weil ein großer Kreis von Personen mir während ihrer Erstellung mit Rat zur Seite stand. Einige haben sie von Beginn an bis zum Schluss begleitet, andere standen mir zur Seite, wenn es nötig war. Ihnen allen gilt mein tiefer Dank. Im Folgenden möchte ich einige von ihnen hervorheben. Madeleine Herren, der Betreuerin meines Promotionsprojekts, möchte ich zuvorderst danken. Sie hat mir vermittelt, »historische Wahrheiten« und etablierte Narrative zu hinterfragen und damit mein Denken weit über den geschichtswissenschaftlichen Kontext hinaus nachhaltig geprägt. Danken möchte ich ihr auch für ihre Unterstützung und ihre Hinweise im Zuge der nicht immer einfachen Archivrecherchen. Des Weiteren gilt mein Dank Manfred Berg, dem Zweitgutachter der Promotion, sowohl für seine Unterstützung während der Promotionszeit als auch für seine Hinweise für die vorliegende Publikation. Ich habe das große Glück gehabt, das Forschungsfeld und den Untersuchungsgegenstand der Arbeit in verschiedenen kollaborativen Kontexten erörtern zu können. Besonders hervorheben möchte ich den Austausch mit den Mitgliedern des globalgeschichtlichen Forschungskolloquiums an der Universität Heidelberg (später an der Universität Basel) sowie den Mitgliedern des von Carolien Stolte und Su Lin Lewis initiierten Forschungsnetzwerks »Afro-Asian Networks. Transitions in the Global South«. Sie alle – und viele andere – boten mir die Möglichkeit, die vorliegende Arbeit im Zuge von Workshops, Vorträgen, gemeinsamen Archivreisen und Fachgesprächen zu diskutieren, weiterzuentwickeln und in neuen historiographischen Kontexten zu verorten. Mein besonderer Dank gilt Caroline Authaler und Jan Diebold, die mich seit den Studienjahren persönlich, politisch und wissenschaftlich eng begleiten. Sie haben die Entwicklung dieser Arbeit von Beginn an eng verfolgt und waren mir immer wertvolle GesprächspartnerInnen für die Diskussion einzelner Abschnitte sowie der Gesamtkonzep-

tion. Leonard Keidel danke ich für seine fruchtbaren Anregungen sowie Satz und Lektorat der vorliegenden Buchpublikation. Eine polyzentrisch ausgerichtete globalgeschichtliche Forschung, die den globalen Süden in den Blick nimmt, ist mit Reisen und herausfordernden Archivsituationen verbunden. Sowohl in Accra als auch in Kairo hatte ich das große Glück, von WissenschaftlerInnen, ArchivarInnen, Museumsund OrganisationsmitarbeiterInnen dabei unterstützt zu werden, Archivalien aufzuspüren. Deren Expertise sowie die Bereitschaft, diese mit mir zu teilen, haben die Arbeit in den Archiven erst ermöglicht. Zuletzt möchte ich mich bei meinem persönlichen Umfeld bedanken, dass mich während der Promotion unterstützt hat. Im Besonderen danke ich meinen Eltern, denen dieses Buch gewidmet ist, für Ihr fortwährendes Vertrauen und ihre vorbehaltlose Unterstützung. Beides war die Voraussetzung für diese Arbeit. 

Berlin, im Februar 2019

Geschichtswissenschaft Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.)

Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 2015, 494 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-2366-6 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2366-0

Reinhard Bernbeck

Materielle Spuren des nationalsozialistischen Terrors Zu einer Archäologie der Zeitgeschichte 2017, 520 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3967-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3967-8

Debora Gerstenberger, Joël Glasman (Hg.)

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Geschichtswissenschaft Alban Frei, Hannes Mangold (Hg.)

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Manfred E.A. Schmutzer

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Pascal Eitler, Jens Elberfeld (Hg.)

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