Gift in der Nahrung: Zur Genese der Verbraucherpolitik Mitte des 20. Jahrhunderts 3515109889, 9783515109888

Am 6. November 1958 verabschiedete der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit eine Novelle des noch aus dem Jahr 1927 st

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German Pages 248 [250] Year 2015

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Table of contents :
INHALT
1. VORBEMERKUNGEN
Gift
Verbraucherpolitik
Wissen
2. SCHLEICHENDE GIFTE
Das Nahrungsmittelparlament. Produzenten, Händler, Verbraucher und die Lebensmittelpolizei
Lebensnotwendige Substanzen. Der Nährstoffkörper und die Reform der Ernährung
Fremdstoffe. Zur Semantik lebenswidriger Stoffe
Krebsnoxen. Der Fall Buttergelb und die Chemisierung der Umwelt
Irreversible Giftwirkungen Das Dosis-Zeit-Wirkungs-Gesetz.
3. VERBRAUCHERPOLITIK
Modulationen des Wissens und des Nichtwissens. Die Kommissionen für Farb-, Konservierungs- und Fremdstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Interessentenhaufen. Ministerialbeamte, Lobbyisten und Puristen
Eurotox und JECFA. Die gescheiterte Globalisierung einer Fremdstoffpolitik der Risikovermeidung
Toxische Gesamtsituationen und Toxische Gesamtangstmacherei. Apokalyptische Visionen einer vergifteten Umwelt
Vitalstoffe gegen Zivilisationskrankheiten. Das Entstehen einer außerparlamentarischen Opposition der Biopolitik
Verbrauchererwartungen. Inkompetente Beurteiler, rationale Konsumenten und politische Akteure
4. NACHTRAG: ENDOGENE UND EXOGENE ANGST IN DEN 1970ER JAHREN
ARCHIVE UND QUELLEN
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Gift in der Nahrung: Zur Genese der Verbraucherpolitik Mitte des 20. Jahrhunderts
 3515109889, 9783515109888

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heiko stoff

Gift in der Nahrung Zur Genese der Verbraucherpolitik Mitte des 20. Jahrhunderts Wissenschaftsgeschichte Franz Steiner Verlag

Heiko Stoff Gift in der Nahrung

Heiko Stoff

Gift in der Nahrung Zur Genese der Verbraucherpolitik Mitte des 20. Jahrhunderts

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015 Druck: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10988-8 (Print) ISBN 978-3-515-10991-8 (E-Book)

INHALT 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Gift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Verbraucherpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Schleichende Gifte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Nahrungsmittelparlament . Produzenten, Händler, Verbraucher und die Lebensmittelpolizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebensnotwendige Substanzen . Der Nährstoffkörper und die Reform der Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdstoffe . Zur Semantik lebenswidriger Stoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krebsnoxen . Der Fall Buttergelb und die Chemisierung der Umwelt . . . . . . . . . . . Irreversible Giftwirkungen . Das Dosis-Zeit-Wirkungs-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Verbraucherpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Modulationen des Wissens und des Nichtwissens . Die Kommissionen für Farb-, Konservierungs- und Fremdstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft . . . 85 Interessentenhaufen . Ministerialbeamte, Lobbyisten und Puristen . . . . . . . . . . . . . 103 Eurotox und JECFA . Die gescheiterte Globalisierung einer Fremdstoffpolitik der Risikovermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Toxische Gesamtsituationen und Toxische Gesamtangstmacherei . Apokalyptische Visionen einer vergifteten Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Vitalstoffe gegen Zivilisationskrankheiten . Das Entstehen einer außerparlamentarischen Opposition der Biopolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Verbrauchererwartungen . Inkompetente Beurteiler, rationale Konsumenten und politische Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Nachtrag: Endogene und exogene Angst in den 1970er Jahren. . . . . . . . . 203 Archive und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

1. VORBEMERKUNGEN „Die Sicherung der Ernährung und somit das Problem, welchen Beitrag die Chemie dazu leisten kann, gehören heute wie schon in vergangenen Zeiten zu den wichtigtsen Grundfragen der menschlichen Existenz.“1

Am 6. November 1958 verabschiedete der Deutsche Bundestag in dritter Lesung, ohne Aussprache und mit großer Mehrheit eine Novelle des noch aus dem Jahr 1927 stammenden Deutschen Lebensmittelgesetzes. Als am 19. Dezember auch der Bundesrat zustimmte, trat das Gesetz am 21. Dezember 1958 in Kraft. Damit fand eine öffentliche Debatte ihren vorläufigen Abschluss, die seit den frühen 1930er Jahren geführt wurde, durch die Leitphrase „Gift in der Nahrung“ geprägt war und zur Umgestaltung des politischen Machtgefüges in der Bundesrepublik Deutschland beitrug, indem sie Verbraucherpolitik nicht nur zu einem Kernproblem des neuen Staates machte, sondern auch an puristisch-lebensreformerische Diskurse anschloss. Es ging dabei um mehr als eine längst überfällige Anpassung der Gesetzgebung an die Bedingungen der industriellen Lebensmittelproduktion. Zur Mitte des 20. Jahrhunderts etablierte sich in der Bundesrepublik ein Gefüge der Verbraucherpolitik, das durch teils bekannte, teils neue soziale Akteure geprägt war, durch Lobbyisten, Reformer, Puristen, Experten, eifrige Ministerialbeamte, organisierte Konsumenten und die Aktivistinnen der Frauen- und Hausfrauenorganisationen. Diese ignorierte Genealogie der Verbraucherpolitik allein ist interessant genug, um einmal ausführlich aufgeschrieben zu werden. Sie handelt von der Angst vorm Buttergelb, von hitzigen Bundestagsdebatten, von einer überraschenden Intervention der weiblichen Parlamentsabgeordneten, von Wissenschaftlern, die Politik machen, von Lebensreformern und Zivilisationskritikern, von neuen Krebstheorien und toxikologischen Gesetzen, schließlich von Fremd- und Vitalstoffen. In der Debatte über ein neues Lebensmittelgesetz reagierte aber vor allem auch eine konsumistische Sozialordnung mit einer immanenten Zivilisationskritik. Die Warnung vor dem Gift in der Nahrung versammelte die Angst vor der Chemisierung und Technisierung des Lebens.2 Seit den 1930er Jahren verfestigten sich nachhaltig Diskurse über das Natürliche und das Künstliche, über Reinheit und Kontamination, über Volksgesundheit und Ökonomie, über das Allgemeinwohl und Partikularinteressen, über Risikovermeidung und Risikokalkulation. Die Regulierung der industriellen Lebensmittelproduktion war nicht nur ein 1 2

Souci, Die chemische Sicherung, S. 106. Zur Zivilisationskritik: Kury, Der überforderte Mensch, S. 25–34; Fritzen, Gesünder leben, S. 304–307; Rosenberg, Pathologies; Spöttel, Die ungeliebte „Zivilisation“; Besslich, Wege; und Rohkrämer, Eine andere Moderne. Zum Antiurbanismus: Zimmermann/Reulecke, Die Stadt und Bergmann, Agrarromantik. Zur Kulturkritik: Konersmann, Kulturkritik; Bollenbeck, Eine Geschichte; und Roelcke, Krankheit.

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Vorbemerkungen

notwendiger Schritt zur Kontrolle von toxischen und karzinogenen Stoffen, sondern mehr noch ein Streit über puristische Körperkonzepte und eine präventionistische Gesundheitspolitik. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts fungieren von der chemischen Industrie hergestellte Konservierungsmittel und Farbstoffe als Bedingung der weltwirtschaftlichen Zirkulation von industriell produzierten, standardisierten und warenförmigen Nahrungsmitteln. Ein Gefüge von Lebensmittelpolizei und Lebensmittelchemie, staatlicher Kontrolle, Expertenwissen und juristischen Festlegungen regulierte die Verwendung dieser synthetischen Agentien.3 Paul Rabinow stellt diese Verwandlung landwirtschaftlicher Produkte in eine heterogene Ware mit spezifischen Merkmalen – ein Produkt von Herstellungstechniken, Zusatzstoffen und Werbestrategien – in seiner Anthropologie der Vernunft auf wenigen Seiten pointiert dar: Moderne Nahrungsmittel wurden zwischen 1870 und 1914 entwickelt; während des Ersten Weltkriegs gewöhnten sich die Konsumenten an die veränderten natürlichen Produkte und neuartigen Esswaren; in den Zwischenkriegsjahren etablierte sich ein kultureller Widerstand gegen künstlich hergestellte oder verarbeitete Nahrungsmittel durch eine Reihe von Lebensreformgruppen. Diese Entwicklung, so Rabinow, sei dann im nationalsozialistischen Deutschland als eine parallele „Rückkehr zu natürlichen Nahrungsmitteln“ und „Erforschung der Auswirkungen von Umweltgiften“ kulminiert. Rabinow sieht hier den Beginn einer neuen Geschichte der Ernährung als zentraler Bestand einer im 20. Jahrhundert etablierten „Biosozialität“, einer aufeinander ausgerichteten Neuverfassung von „Natur“ und „Kultur“. Als man begonnen habe, die Natur den Normen der Industrie und der Konsumenten entsprechend gezielt zu modifizieren, fasst er seine These anschaulich zusammen, sei es ebenso möglich geworden, die Natur neu zu beschreiben und zu erzeugen, um anderen biopolitischen Vorgaben wie dem Nährwert zu entsprechen. Die Qualität von Nahrungsmitteln werde einerseits danach beurteilt, wie sehr sie den natürlichen Produkten in Frische und Aussehen nahe kämen (oder so etwas wie „Natürlichkeit“ überhaupt erst herstellen, H. S.), aber ebenso im Hinblick auf den Gesundheitswert ihrer Bestandteile.4 Während also Ende des 19. Jahrhunderts ein Diskurs natürlicher oder naturbelassener Nahrungsmittel etabliert wurde, der diese durch ihren Gehalt an Nährstoffen definierte, stellte die Lebensmittelindustrie zugleich Produkte her, die durch Lebensmittelveredelung, durch die Neuzusammensetzung von natürlichen, aber auch synthetischen Stoffen zu naturartigen Produkten optimiert wurden. Die lebensreformerische Kritik an dieser Entwicklung basierte auf naturistischen Glaubenssätzen und einer grundsätzlichen Ablehnung des Künstlichen. Diese Überzeugung erwies sich als sehr anschlussfähig für zivi-

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Zur Regulierung von Lebensmittelzusatzstoffen: Sharma/McKone/Markow, A Global Perspective; White, Chemistry; und Packard, Processed Foods. Zur Geschichte der Regulierung von Lebensmittelzusatzstoffen: Stoff/Schwerin, Einleitung; Boudia/Jas, Toxicants; Smith/ Phillips, Food Policy; Zachmann, Einleitung; und Reinhardt, Regulierungswissen. Zur Regulierung toxischer Substanzen: Cranor, Regulating. Rabinow, Anthropologie, S. 145–152.

Vorbemerkungen

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lisationskritische, antimoderne und antimodernistische, aber durchaus auch völkische und antisemitische Ideologien. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Ernährungsphysiologie durch eine reformorientierte und auf die Optimierung körperlicher Funktionen abzielende „Neue Ernährungslehre“ revolutioniert, die lebensnotwendige Substanzen, Wirkstoffe, zu denen vor allem die Vitamine zählten, zum Garanten eines gesunden und leistungsstarken Menschen erklärte und damit Ernährungstechniken der gesunden Lebensführung einführte. Zeitgleich wurden synthetische Lebensmittelzusatzstoffe als „Fremdstoffe“ definiert, die just das optimale Funktionieren des Körpers gefährdeten, ja, diesen sogar als Gifte durchfluteten.5 Sowohl der wissenschaftliche als auch der öffentliche Fokus richteten sich in den 1940er Jahren auf die Identität der Fremdstoffe als krebserregende (karzinogene) Substanzen, als Krebsnoxen. Der Naturkörper, so lautete ein hegemonialer medialer, wissenschaftlicher und lebensreformerischer Diskurs Mitte des 20. Jahrhunderts, muss vor den chemischen und technischen Kontaminatoren geschützt werden. Krebs wurde als Fanal des technischen Zeitalters gedeutet; Mediziner und Philosophen sahen in der Besinnung auf naturistische und geistige Werte den einzig möglichen Umgang mit der „Grundproblematik unseres Zeitalters“ (Jaspers), der fatalen Verbindung von Technik und Organisation. In den Nachkriegsjahren setzte sich eine Politik der inneren Reinigung und der Sinndeutung der jüngsten Geschichte als technisches Gestell und zivilisatorische Irrwege durch. Zivilisations- und Technikkritik diffundierten dabei in die entstehende Verbraucher- und Umweltbewegung. Vergangenheitspolitik, Zivilisationskritik und Krebsangst wurden eins.6 Zu mathematischen Gewissheiten abstrahierte pharmakologische Tierversuche offenbarten Ende der 1940er Jahre, das bestimmte synthetische Farbstoffe sich im Körper summierten und mit berechenbarer Wahrscheinlichkeit nach einer gewissen Latenzzeit zum Ausbruch von Tumoren führen würden. Da es aber kaum möglich war, zwischen Ursache und Wirkung einen direkten Zusammenhang herzustellen, ergab sich das Problem, politische und juristische Entscheidungen auf der Basis eines wissenschaftlichen Nichtwissenkönnens treffen zu müssen. In radikaler Positionierung standen sich dabei eine Politik der absoluten Risikovermeidung durch Präventionsmaßnahmen, zu denen vor allem die Zulassung ausschließlich lebensmittelchemisch geprüfter Stoffe gehörte, und die Forderung nach einem kalkulierten Risiko, wie es von den Interessenverbänden der Wirtschaft vorgebracht wurde, gegenüber. Es ist von großer Bedeutung, dass eine innovative neue Gifttheorie, Hermann Druckreys und Karl Küpfmüllers Summationsthese zu Dosis und Wirkung bei krebserzeugenden Stoffen, den zivilisationskritischen Diskurs wissenschaftlich validierte und mit der Annahme, dass sich bestimmte Substanzen irreversibel in den Körperzellen anlagerten und unweigerlich zu Tumoren führten, einzig eine konsequente Risikover5 6

Für einen Überblick über Lebensmittelzusatzstoffe: Kuhnert/Lück, Lexikon und Schwarz, Zusatzstoffe. Uekötter, Umweltbewegung. Wie Karl Jaspers es düster ausdrückte, wurden im technischen Zeitalter die realen Dinge in der Welt deutlicher, während sich die Wirklichkeit verdunkelte. Jaspers, Der Arzt, S. 1043. De Rosa, Karl Jaspers, S. 63.

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Vorbemerkungen

meidung für rational erklärte.7 Es war hingegen das Grenzwertkonzept des „Acceptable Daily Intake“, das zwanzig Jahre später im Rahmen der World Health Organization, in der zuvor Druckrey selbst für eine Politik der Risikovermeidung geworben hatte, eine flexible Politik der Risikokalkulation zum Standard machte, welche die wirtschaftspolitische Schlussfolgerung bestärkte, dass die Interessen der Lebensmittelwirtschaft gesundheitspolitischen Erwägungen gleich-, ja eigentlich vorrangig seien.8 Eine auf unterschiedliche Weise von Wissenschaftlern, puristischen Lebensreformern sowie Hausfrauenorganisationen vertretene Überzeugung der „Volksgesundheit“ musste also gegenüber den partikularen Interessen der Industrie verteidigt werden. Im allgemeinen Sinne aber waren es die Verbraucherinnen und Verbraucher, die vom Gift in der Nahrung betroffen waren, die geschützt werden sollten und die sich selbst schützen mussten. Während in den 1950er und 60er Jahren über die Selbstorganisation einer Verbraucherbewegung vor allem im marktwirtschaftlichen Sinne diskutiert wurde, das Ziel eine transparente und ungehinderte Wettbewerbsordnung darstellte, wurde der puristische Diskurs zur Sprache der Verbraucherpolitik. Die Verbraucher wurden dabei bis weit in die 1950er Jahre durch die gut organisierten Frauen- und Hausfrauenverbände repräsentiert, die einerseits für Techniken des richtigen, rationalen und moralischen Konsums einstanden, zum anderen die Reinheit des Familienkörpers verteidigten. Diese erst setzten dann auch im Bundestag, vertreten durch alle weiblichen Bundestagsabgeordneten, gegen die Indifferenz der männlichen Parlamentarier und gegen die Einflüsterungen der Lobbyverbände eine Novelle des Lebensmittelgesetzes durch, die auf dem Prinzip beruhte, das alle Zusatzstoffe verboten seien, wenn sie nicht wissenschaftlich für unbedenklich erklärt würden. Gift Verdorbene und verunreinigte Nahrung ist ein Menschheitsproblem, vor allem Fleischverzehr war immer eine heikle Angelegenheit.9 Als die Mikroben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Agenten der Fäulnis und Verderbnis identifiziert wurden, wurde es zugleich möglich, durch pasteurisierende Herstellungspraktiken sowie durch den Einsatz antimikrobiell wirksamer chemischer Konservierungsmittel Nahrungsmittel länger frisch zu halten, eine gewisse Sicherheit bei der Ernährung zu gewährleisten.10 In der angloamerikanischen Forschung haben sich die nur sperrig zu übersetzenden Begriffe „food scare“ für die mit der Nahrungsaufnahme verbundenen Ängste und „food safety“ für die Gesetze, welche die Herstellung und den Vertrieb von Nahrungsmitteln reglementieren, eingebür-

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Druckrey/Küpfmüller, Quantitative Analye. Stoff, Summationsgifte und Wunderlich, Zur Entstehungsgeschichte. Pestre, Regimes. Cantor/Bonah/Dörries, Meat und Ferrières, Sacred Cow. Latour, Les Microbes.

Vorbemerkungen

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gert.11 Angst und Sicherheit sind neben Genuss und Gesundheit notwendige Grundbegriffe einer Ernährungsgeschichte. Auch die Produktion von Lebensmitteln mit betrügerischer Absicht, die Verfälschung der Esswaren, stellt ein immer wiederkehrendes Motiv seit der Antike dar. Die Skandalisierung dieser betrügerischen Praxis meinte in der Moderne mangelnde hygienische Herstellungs- und Lagerungsbedingungen, einen fahrlässigen und sorglosen Umgang mit verderblicher Ware, aber vor allem auch die bewusste Täuschung der Käuferinnen und Käufer.12 Die Geschichte der Lebensmittelskandale verweist auf unterschiedliche Ängste, eine reaktive Panik durch Todesfälle, aber auch eine tiefsitzende Sorge, die offen war für Misstrauen und Ressentiments den Herstellern und Händlern gegenüber, die als unmittelbare Aneigner und Umwandler von Naturprodukten auf besondere Weise die kapitalistische Ökonomie repräsentierten. Seit Frederick Accum zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Schreckensruf ausstieß, es sei Gift im Topfe, waren es vor allem chemisch zugesetzte Stoffe, denen diese Befürchtungen galten. Mit einem emphatischen Lebensbegriff, seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts angeschlossen an naturistische und zivilisationskritische Diskurse, wurde die Verwendung von Chemikalien in Lebensmitteln zum Pars pro toto einer grundsätzlichen Gefährdung des menschlichen Naturzustandes. Konservierungsmittel brachten zwar länger haltbare Lebensmittel hervor, zugleich wurde aber auch in zahlreichen Fachartikeln, Schriften und Zeitungsberichten vor einer gefährlichen Kontamination des menschlichen Körpers durch synthetische Stoffe gewarnt. Die gesetzliche Regulierung der Verwendung von Konservierungsmitteln und Farbstoffen wurde Ende des 19. Jahrhunderts in allen transatlantischen Staaten diskutiert und zumeist auch eingeführt. Seitdem von der chemischen Industrie synthetische Substanzen produziert wurden, zu deren Toxizität erst noch geforscht werden musste, bestand auch die Gefahr, dass diese, wenn sie nutzbringend verwendet wurden oder fahrlässig in Lebensmittel gerieten, fatale Folgen zeitigten. Tödliche Ereignisse und panische Erzählungen, lebensmittelchemisches Wissen und Verschwörungstheorien ließen sich im 20. Jahrhundert kaum voneinander trennen.13 Toxikologen wie Wilhelm Neumann bemerkten in den 1950er Jahren, dass das „eindrucksvolle und beunruhigende Wort ‚Gift‘“ im modernen Leben eine neue Bedeutung erhalten habe. So gebe es in der Öffentlichkeit eine übertriebene Furcht vor Giften, da altbekannte und neuhergestellte Substanzen eine immer vielseitigere Verwendung fänden. 11 12 13

Beispielhaft: Raude/Fischler, Food Risks; Dowler/Finer, The Wellfare of Food; und Dowler, Food. Für einen Überblick: Griffiths/Wallace, Consuming Passions. Während ich dies tippe, läuft im Hintergrund der unwiderstehliche Man Next Door-Riddim von Dr. Alimantados „Poison Flour“. Der von Horace Andy gesungene Refrain lautet: „every hour on the hour you hear dem people dem a buy poison flour every hour on the hour“ und spielt auf jenen Lebensmittelskandal an, bei dem 1976 in Jamaica eine große Anzahl von Menschen durch kontaminiertes Mehl ums Leben kam. Dieses war wohl auf fahrlässige Weise neben Pestiziden (Parathion) gelagert worden. Dr. Alimantado sorgte sich, dass die Rastafaris als Sündenböcke herhalten müssten. Zu den toxikologischen Hintergünden: Diggory/Landrigan/Latimer et al, Fatal Parathion Poisoning.

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Vorbemerkungen

Das Schlagwort „Gift“ sorge, wenn auf sensationelle Weise über Substanzen, „die unter Umständen toxische Effekte zeigen können“, berichtet werde, für Erschrecken und provoziere erregten Protest. Dabei, beruhigte Neumann, begleiteten Gifte das tägliche Leben seit den ältesten Zeiten. Es seien die quantitativen Verhältnisse, die erst für eine Gesundheitsgefährdung sorgten.14 Der Pharmakologe und Mediziner Peter Marquardt stellte 1973 bereits rückblickend fest, dass sich in der Laienpresse Artikel gehäuft hätten, die vom „Gift in der Nahrung“ sprächen. Er fügte als Erklärung eine Erzählung an, die seit den 1930er Jahren unermüdlich wiederholt wurde: Mit Industrialisierung und Technisierung hätten sich Ende des 19. Jahrhunderts die Lebensverhältnisse dramatisch verändert. Vor allem seien Ballungsräume entstanden, was zu einer Veränderung der Verteilung von Nahrungsmitteln geführt habe. Eine Vorratshaltung sei notwendig geworden, zudem hätten sich auch neue Lebensgewohnheiten etabliert. Körperliche Arbeit sei zu großen Teilen durch Büroarbeit ersetzt worden. Damit habe sich dann auch die Ernährung von grober fettreicher Nahrung zu leicht verdaulicher, eiweißreicher, fett- und kohlenhydratarmer Kost verändert. Durch die Berufstätigkeit der Frauen sei zudem ein Markt an halb- oder ganzfertigen industriellen Lebensmittelprodukten eingeführt worden.15 In diesem Szenario kamen dann die Farb- und Konservierungsstoffe zum Einsatz. Die Stoffe, über die um 1950 gestritten wurde und die für die Novelle des Lebensmittelgesetzes von besonderer Bedeutung waren (Buttergelb, Diphenyl, Hexamethylentetramin), hatten aber keineswegs für Todesfälle gesorgt, ja es gab nicht einmal klinische Studien zu irgendwelchen Schädigungen beim Menschen. Was man über sie wusste basierte auf Tierversuchen und Analogieschlüssen, die aus der chemischen Struktur abgeleitet wurden. Es handelte sich bei ihnen um „schleichende Gifte“, weil die „quantitativen Verhältnisse“ nicht mehr allein entscheidend waren. Der kontinuierliche Konsum dieser Substanzen führte danach zu einem theoretisch beschreibbaren, aber praktisch ungewissen Zeitpunkt zu kanzerogenen, mutagenen oder teratogenen Effekten. Lebensmittelzusatzstoffe waren Bedeutungsträger, über die ein zivilisationskritischer Diskurs pharmakologisch-toxikologischem Wissen angepasst und zu einer alarmistischen Aussage der chronischen Vergiftung der Gesellschaft durch ihre eigenen Konsumgüter (Schwerin) gemacht wurde.16 Mit Roland Barthes lässt sich dies auch so ausdrücken, dass „reine Materie“ und „gesellschaftlicher Gebrauch“ sich nicht trennen lassen, das Wirkliche geht in den Stand einer Aussage über, die als eine Botschaft mit sehr konkreten Handlungsanweisungen funktioniert.17 Dimethylaminoazobenzol, genannt Buttergelb, sagte Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem aus, dass der Prozess der regellosen Chemisierung und Technisierung der Gesellschaft gestoppt werden müsse, da sonst alle Menschen an Krebs sterben würden. Das Narrativ, um die Gefährdung des Menschen durch die technisierte und chemisierte Zivilisation auszudrücken, war das der Vergiftung. Der Ausdruck „Gift in der Nahrung“ wurde 14 15 16 17

Neumann, Gegenwartsprobleme, S. 12–13. Marquardt, Einleitung, S. 9. Schwerin, Vom Gift, S. 233. Auch: Engell/Siegert/Vogl, Editorial, S. 5. Barthes, Mythen, S. 86.

Vorbemerkungen

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1931 durch ein populärwissenschaftliches Buch des Publizisten und Volksschullehrers Curt Lenzner eingeführt und ist bis heute bei tatsächlichen oder prognostizierten Lebensmittelskandalen unmittelbar aufrufbar.18 Die Verbindung von Nahrung und Gift verweist dabei nicht auf „Lebensmittelvergiftung“, die weiterhin den Konsum verdorbener Nahrung und bakterieller Toxine bezeichnet, sondern auf synthetische Stoffe mit potentiell toxischer, vor allem aber möglicherweise kanzerogener Wirkung. Das Gift in der Nahrung stand also als Teil für das Ganze der modernen, zivilisierten, technischen und konsumistischen Welt. Das Narrativ funktionierte als Kritik am wirtschaftsliberalen Kapitalismus, am politischen System der Interessengruppen und des Lobbyismus, an der Globalisierung der Märkte und am sorglosen Individualismus; es verlangte nach Kontroll- und Reinheitspraktiken, einem starken Staat und rationalen Verbrauchern, schließlich nach einer lokal ausgerichteten Ökonomie. Der Schweizer Historiker Jakob Tanner spricht in Bezug auf die moderne Ernährungsweise vom semantischen Antagonismus zwischen den sich relational und komplementär verhaltenden „Genuss“ und „Gift“ und plädiert deshalb für eine symmetrisch ausgerichtete Ernährungsforschung: so wie Genuss naturwissenschaftlich untersucht werden könne, müsse auch Gift und Giftigkeit zum Objekt kulturwissenschaftlichen und historischen Nachdenkens werden.19 Für die mythische Funktion des Giftnarrativs, die Metasprache der Zivilisationskritik, ist es kennzeichnend, dass im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts der Genuss selbst zum Gift wurde, die als nervös titulierte Bevölkerung der Großstädte vor den Genussgiften Kaffee, Tee, Rauschgetränke und Tabak gewarnt und aufgeklärt werden musste. Den Alkohol verdammte der Rassenhygieniker Alfred Ploetz 1904 rundweg als „Rassengift“.20 Der Lebensmittelchemiker Hans Paul Kaufmann fasste 1956 die „Kritik an Lebensmitteln“ so zusammen, dass es von jeher Gegner bestimmter Nahrungs- und Genussmittel gegeben habe. Diese hätten ihre Ansicht mit oft erstaunlichem Fanatismus vertreten. Neu seien aber die in der Presse dargestellten Übertreibungen und Verallgemeinerungen, wie sie sich in bestimmten Schlagworten fänden: „Vergiftete Lebensmittel“, „Du ißt den Tod“, „Gift in der Nahrung“ oder „Gift in unseren Töpfen“. Im Interesse der Verbraucher, die nicht genügend sachkundig seien, um Wahrheit und Dichtung auf diesem Gebiet zu unterscheiden und „die nur allzu leicht einer Angstpsychose zum Opfer fallen könnten“, sei eine sachliche Klarstellung unerlässlich.21 Tatsächlich bestand aber ein direkter Zusammenhang zwischen der Kritik an Nahrungs- und Genussmitteln und der Angst vor Giften. Kaufmann selbst sprach auch problemlos in einem Zusammenhang von „Reformern und Puristen“, von Verkündern einer Ernährungsreform und Mahnern vor der Kontamination der Lebensmittel. Eine historische Semantik des Giftbegriffs wird im Folgenden eine prominente Rolle einnehmen. Jedoch werde ich mich mit einer subtilen Verschiebung dabei auf den Begriff „Fremdstoffe“ fokussieren, der in diesem Diskurs die 18 19 20 21

Lenzner, Gift. Tanner, Die Ambivalenz, S. 177. Ploetz, Bedeutung, S. 252. Kaufmann, Neuzeitliche Ernährungsfragen, S. 887.

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Vorbemerkungen

Giftsemantik konzentrierte und zusammen mit seinem Gegenwort, den „Vitalstoffen“, funktionierte. Die Regulierung von potentiell gesundheitsschädlichen Stoffen, eine auf Vorsorge orientierte Volksgesundheitspolitik und die Mobilisierung von Verbrauchererwartungen fanden in lebensreformerischen und zivilisationskritischen Positionen zusammen. Casper Tropp brachte den ganzen Diskurs 1958, interessanterweise in einem Fachblatt der Versicherungswissenschaften, auf den Punkt: „Die Volksgesundheit durch Zivilisationsgifte in höchster Gefahr“. Zwei Jahre zuvor hatte aber bereits der Pharmakologe Fritz Eichholtz von einer „Front zum Schutze der Volksgesundheit“ berichtet, deren Aufgabe es war, eben diese Bedrohung abzuwehren.22 Es wird in der Toxikologie der Nahrungsmittel grundsätzlich zwischen natürlichen Toxinen in Lebensmitteln, durch fahrlässige Herstellung, Lagerung und Zubereitung entstandenen Giften und giftigen Lebensmittelzusatzstoffen unterschieden.23 Gerade das Giftnarrativ ist dabei nicht ernst genommen, Jakob Tanners Forderung nach einer Kulturgeschichte des Gifts noch nicht eingelöst worden. Wo Gift ist, ist zumeist auch Vergiftung, oft genug ein Täter und eine Täterin, der oder die vergiftet. Wer vom Gift redet, spricht auch von Verbrechen.24 „Gift in der Nahrung“ erschien entsprechend als ein Vergehen am ahnungslosen, von Wirtschaftslobbyisten geopferten, vom Gesetzgeber im Stich gelassenen und nicht ausreichend informierten Verbraucher. Bis in die 1920er Jahre standen dabei Nahrungsmittelfälschungen im Mittelpunkt, verwies das Gift auf jenen Betrug, mit dem geldgierige Produzenten das Gemeinwohl verrieten. Während in allen transatlantischen Gesellschaften die Verwendung von synthetischen Zusatzstoffen in der Nahrung kritisiert, problematisiert und gesetzlich reguliert wurde, war der Gebrauch des Giftnarrativs im deutschsprachigen Raum besonders ausgeprägt. Der englische Ausdruck „food poisoning“ war und ist auf mikrobakterielle Ursachen fokussiert und an echte Vergiftungserscheinungen durch Bakterien, Botulismus oder Salmonellen gebunden. Zivilisationskritische Konnotationen waren in Großbritannien eher die Ausnahme, während sie im deutschsprachigen Raum die Regel darstellten. In den Vereinigten Staaten wiederum gelang es zwar James J. Delaney 1958 eine strenge Klausel zum Verbot von möglicherweise karzinogenen Stoffen legislativ durchzusetzen, gleichwohl war diese puristische Politik nicht an lebensreformerische und naturheilkundliche Überzeugungen angeschlossen und benötigte auch keine Giftrhetorik.25 Die Bedeutung des Giftnarrativs im deutschsprachigen Raum zeigte sich insbesondere im Entstehen neuer Giftarten im Laufe des 20. Jahrhunderts, den Genussgiften, Zivilisationsgiften, Umweltgiften, Summationsgiften und Krebsnoxen. In Reaktion mit der seit 22 23

24 25

Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. 17 und Tropp, Die Volksgesundheit. Zur „Volksgesundheit“: Hüntelmann, Hygiene, S. 398–402. Friedrich/Müller-Jahncke, Gifte; Amberger-Lahrmann/Schmähl, Gifte; und Artelt, Studien. Zur Geschichte der Lebensmitteltoxikologie: Netter, Geschichtliches. Zur Lebensmitteltoxikologie selbst: Lindner, Toxikologie; Fülgraff/Dunkelberg, Lebensmittel-Toxikologie; und Macholz/Lewerenz, Lebensmitteltoxikologie. Wahrig, Gift. Hardy, Food, S. 294.

Vorbemerkungen

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Mitte der 1930er gängigen Bezeichnung „Fremdstoffe“ wurde ein Wortfeld geprägt, das die Kritik am konsumistischen Genuss und an der liberal-individualistischen Zivilisation in Agentien bündelte, welche die „Volksgesundheit“ dramatisch zu schwächen schienen. Wenn die Lebensmittel vergiftet waren, dann wurde die Ernährung selbst zu einer „Schreckenskammer“, wie der Stern 1955 titelte.26 Die Warnung vor dem Gift in der Nahrung ist nicht verständlich ohne eine Auseinandersetzung mit der Zivilisations- und Technikkritik seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Es ging selten um Gegengifte, die Therapie einer bereits als vergiftet diagnostizierten Gegenwart, sondern zukunftsgewandt um eine fundamentale Giftprävention, um eine innere Stärkung und äußere Abwehr, um den Aufbau einer auf Reinheitsgeboten basierenden Gesellschaft, in der schleichende Gifte nicht vorkommen. Die Akteure des Abwehrkampfes gegen sogenannte Zivilisationsgifte und Krebsnoxen waren dabei höchst unterschiedlicher Art: politsche Wissenschaftler, netzwerkende Staatsbeamte, puristische Lebensreformer, philantropische Hausfrauen und moralische Journalisten. Eine Geschichte der Fremdstoffe zur Mitte des 20. Jahrhunderts müsste notwendigerweise neben den Wissenschaftlern wie Adolf Butenandt, Hermann Druckrey und S. Walter Souci, den Politikerinnen wie Käte Strobel und Hedwig Jochmus, den Regierungsbeamten wie Werner Gabel und Edmund Forschbach sowie den Industrievertretern wie Ulrich Haberland und Bernhard Wurzschmitt auch die radikalen Mahner Curt Lenzner und Erwin Liek, die zivilisationskritischen Mediziner und Pharmakologen wie Karl-Heinrich Bauer und Fritz Eichholtz, die Ernährungsreformer und ganzheitlichen Schwärmer wie Albert von Haller, Werner Kollath, Karl Kötschau und Hans-Adalbert Schweigart sowie die Biopolitiker wie Günther Schwab und Bodo Manstein als entscheidende Akteure der Jahre 1930 bis 1970 berücksichtigen.27 Aber schon seit den 1870er Jahren wurde diese Schlacht gegen die Vergiftung im Namen der Verbraucher geführt, einer kollektiven Identität der Uninformierten, die erst expertisch belehrt und aufgeklärt, vom Verbraucher an sich zum Konsumenten für sich werden musste. Die Subjektivierung der Verbraucher war geprägt von lebensreformerischen und zivilisationskritischen Diskursen, die Naturferne mit Krankheit assoziierten und eine „gefährdete Menschheit“ (Haller) durch falsche Ernährung behaupteten, dabei beharrlich zwischen guten und schlechten Stoffen, Heilmitteln und Giften, Vital- und Fremdstoffen unterschieden.28

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Diehl, Chemie, S. 8. In Johannes Friedrich Diehls ansonsten akkuratem Überblick Chemie in Lebensmitteln finden neben Max Bircher-Benner nur Fritz Eichholtz und Werner Kollath Erwähnung. Diehl, Chemie, S. 6–7, 157–160. Haller, Gefährdete Menschheit. Artelt, Studien und Lenzner, Gift, S. X. Kury, Zivilisationskrankheiten und Jütte, Geschichte.

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Verbraucherpolitik Verbraucherpolitik ist Wirtschaftspolitik. Die Bundesrepublik Deutschland wurde nach 1945 als „radikal ökonomischer Staat“ (Foucault), als Leistungs-, Wettbewerbs- und Konsumgesellschaft errichtet. Die Realität eines politischen Systems von Interessengruppen stand dazu in einem kaum lösbaren Widerspruch.29 Das Funktionieren des möglichst freien und unbeschränkten Marktes sollte ein juridischer Interventionismus gewährleisten. Neue Gesetze projektierten eine idealisierte Markt- und Wettbewerbsgesellschaft, in der für Monopole und Lobbyismus eigentlich kein Platz sein sollte.30 Für die in den 1950er Jahren verfasste Theorie der Verbraucherbewegung spielten lebensreformerische und zivilisationskritische Gedanken zunächst keine Rolle. Die praktische Ausrichtung der Verbraucherpolitik vollzog sich jedoch maßgeblich am Streit um Fremdstoffe in der Nahrung. Verbraucherschutz war dabei der Erhaltung der Volksgesundheit assoziiert und von den wirtschaftlichen Einzelinteressen dissoziiert. In direkter Konfrontation entstanden so rechtskonstitutive Diskurse der Risikovermeidung oder der Risikokalkulation.31 Die historische Situation, in der sich die „Normierung der Nahrung“ (Hierholzer) mit Verbraucherpolitik verband, ist vornehmlich von der Ernährungsgeschichte bearbeitet worden.32 Jedoch muss diese Geschichte ebenso als Wirtschaftsgeschichte, in Bezug auf die komplizierte Lebensmittelgesetzgebung zudem als Rechtsgeschichte erzählt werden. Sie ist aber vor allem auch von großer Bedeutung für jene Konsumgeschichte, welche die verknüpften ökonomischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts am ehesten erfassen kann.33 Eine Geschichte des „Verbrauchers“ selbst wurde erst in jüngster Zeit 29 30 31 32

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Foucault, Die Geburt, S. 126. Foucault, Die Geburt, S. 235. Przyrembel, Lebensmittelrecht; Lange, Das deutsche Lebensmittelrecht; und Baltes, Der Aufbau. Zachmann, Einleitung; Bauer/Bischof/Haufe/Beck/Scholze-Irrlitz, Essen; Hierholzer, Nahrung; Briesen, Das gesunde Leben; Rossfeld, Ernährung; Spiekermann, Ordnungsträume; Teuteberg, Die Revolution; Thoms, Anstaltskost; König, Geschichte, S. 136–181; Spiekermann, Historischer Wandel; Spiekermann, Pfade; Ellerbrock, Geschichte; Barlösius, Soziologie; und Teuteberg/Wiegelmann, Der Wandel. Zur internationale Debatte: Bruegel/Marilyn Nicoud/Barlösius, Le choix des aliments und Kamminga/Cunningham, The Science. Zu Großbritannien: Smith, Nutrition. Für einen Überblick über die ausufernde englischsprachige Debatte: Trentmann, The Oxford Handbook; Stearns, Consumerism; Glickman, Consumer Society; und Strasser/McGovern/ Judt, Getting. Zur amerikanischen Nachkriegsgeschichte als Beginn des Massenkonsums: Cohen, The Consumers’ Republic. Für Deutschland: Torp, Konsum; Schrage, Die Verfügbarkeit; Haupt/Torp, Die Konsumgesellschaft; Prinz, Der lange Weg; König, Geschichte; Wildt, Am Beginn; und Schildt, Moderne Zeiten. Für einen gesamteuropäischen Überblick: Haustein, Vom Mangel; Haupt, Konsum; und Siegrist/Kaelble/Kocka, Europäische Konsumgeschichte. Zur geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Konsum: Agnew, Coming up sowie die instruktiven Aufsätze von Möhring, Neue Bücher; Trentmann, Beyond Consumerism; Sedlmaier, Consumerism; Strasser, The Alien Past; und Confino/ Koshar, Regimes. Zur Historisierung der amerikanischen Konsumgeschichte: Restad, The

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monografisch verfasst, wobei sich der geschichtswissenschaftliche Fokus auf die Etablierung des kritischen, des aktiven und des staatsbürgerlichen Verbrauchers richtete.34 Das wirtschaftsliberale Konzept des Verbraucherschutzes geht davon aus, dass sich der Verbraucher im Marktprozess gegenüber dem Produzenten in einer unterlegenen Situation befinde, die vor allem durch Informationsasymmetrien begründet sei.35 Wissen, Aufklärung und Information wurden zu Grundthemen der Verbraucherschutzbewegung, die dann in den 1950er und 60er Jahren unermüdlich wiederholt wurden. Verbraucherbewegungen forderten diese Rechte ein, Verbraucher sollten sie beim Kauf realisieren, Staat und Justiz sollten sie garantieren, Industrie und Handel sie freiwillig berücksichtigen – dies ist in etwa die im öffentlichen Diskurs anerkannte Verbraucherpolitik Mitte des 20. Jahrhunderts.36 Es sei daran erinnert, dass selbst der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) im September 1967 die Forderung nach der „Abschaffung der Konsumpropaganda“ damit verband, dass an deren Stelle „Ersatz durch sachgerechte Verbraucherinformation“ treten solle.37 Verbraucherpolitik entstand Mitte des 20. Jahrhunderts in einem Gefüge von Dingen, Interessen, Akteuren und Diskursen. Die Politisierung des Konsums vollzog sich im 20. Jahrhundert vor allem als Aktivierung der Konsumenten. Während der Verbraucher – der doch eine Verbraucherin, die Hausfrau, war – erst noch belehrt, erzogen und informiert werden, zu einer eigenständigen Vertretung finden musste, wurde der Konsum selbst ambivalent beurteilt. Dem produktiven Konsum als Motor der Marktwirtschaft und Garant der neuen Demokratie stand eine Konsumkritik gegenüber, welche die gesellschaftliche Entwicklung der Individualisierung, Domestizierung, Rationalisierung und Differenzierung ablehnte. Der Antinomie von liberaler Wirtschafts- sowie puristischer Biopolitik kam in der Konsumdebatte, deren konstitutive Gegensatzpaare soziale Marktwirtschaft und

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Third Sex. Der Begriff des Konsums war dabei notwendigerweise polymorph; den atemlosen Definitionen der Konsumforschung folgten ebenso unermüdlich Neuinterpretationen der Geschichtswissenschaft. Jarausch/Geyer, Shattered Past, S. 271. Trentmann, Knowing Consumers, S. 1, 2–5, 14–18; Glickman, Consumer Activism; Kuhlmann, Verbraucherpolitik; und Gartner/Riesman, Der aktive Konsument. Zum Begriff des „citizen consumer“: Cohen, A Consumers’ Republic, S. 18–61; De Grazia, Introduction; und Cohen, The New Deal State. Außerdem: Gabriel/Lang, The Unmanageable Consumer. Kleinschmidt, Verbraucherschutz, S. 10. Zum Konzept des Verbraucherschutzes: Janning, Die Spätgeburt, S. 127–158. Verbraucherschutz war vor allem ein rechts- und wirtschaftswissenschaftliches Thema. Dazu u. v. a.: Hippel, Verbraucherschutz; Lohmann, Verbraucherschutz; und Simitis, Verbraucherschutz. Zur verspäteten Geschichte des Verbraucherschutzes: Kleinschmidt, Verbraucherschutz. Dazu aber auch das Heft des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen zum Thema „Unterschätzte Verbrauchermacht. Potenziale und Perspektiven der neuen Verbraucherbewegung“ vom Dezember 2005. Für einen europäischen Vergleich: Henning, Verbraucherschutz und Trumbull, National Varieties. Zum Verbraucherschutz in Großbritannien: Hilton, Consumer Protection. Kleinschmidt, Verbraucherschutz, S. 11 und Schöppe, Consumer Protection. Fichter/Lönnendonker, Kleine Geschichte, S. 117–118.

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Volksgesundheit sowie Ordnung und Mehrdeutigkeit lauteten, eine zentrale Funktion zu.38 Es ist naheliegend, von einer verbraucher- und umweltpolitischen Epochenschwelle in den 1950er Jahren zu sprechen. Hans Blumenberg hat ja Ende der 1950er Jahre nicht von ungefähr hervorgehoben, dass sich auch das geschichtswissenschaftliche Interesse mehr auf die „Zonen des Übergangs, des Abbaus und der Neubildung“ verlagert habe. Es existierte also zeitgenössisch durchaus eine Selbstwahrnehmung, dass etwa Altes langsam verschwindet und etwas Neues entsteht.39 Je intensiver man sich aber mit der Geschichte der Verbraucherpolitik auseinandersetzt, desto mehr zeigt sich, dass die Begriffe Schwelle oder Übergang die Periode zwischen 1950 und 1970 nur ungenügend treffen. Beschreiben lässt sich keine sukzessive Ablösung einer überkommenen Denkweise durch eine eher kritische und selbstreferentielle neue, sondern die durch wirksame Aussagen zusammengehaltene Koexistenz unterschiedlicher Zeitformen und Diskurse. Von linearen fortschrittsorientierten Denkweisen distanzierte Konzepte multitemporaler Zeitstrukturen, wie sie mit unterschiedlichen Akzenten Reinhart Koselleck und Michel Serres entwickelt haben, können den Gleichlauf von lebensreformerischen, zivilisationskritischen und konsumpolitischen Diskursen aus dem späten 19. Jahrhundert, ernährungsreformerischen Überzeugungen von der Jahrhundertwende, Farbstoffen aus den 1870er Jahren, Wirkstoffen aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, einem neuen Krebsdiskurs und neuester chemischer Verfahren, einer erst entstehenden Konsumgesellschaft und einer neuen Demokratie begrifflich und methodisch besser auffangen. Während Koselleck sich dabei zur Herausarbeitung von geschichtlichen Zeitkategorien auf die Irreversibilität von Ereignissen, die natürliche Chronologie, verlässt, um die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zu konstatieren, stellt Serres gleich klassische Zeitvorstellungen in Frage. Geschichte solle sich nicht mit der linearen Zeit befassen, sondern in selbst wieder eher topologischer Metaphorik mit polychronischen Anwesenheiten und überraschenden Nachbarschaften unterschiedlicher Akteure, Diskurse, Narrative und Wissensresiduen auseinandersetzen. Die Geschichte der Lebensmittelzusatzstoffe zur Mitte des 20. Jahrhunderts umfasst „eine Vielzahl unterschiedlicher Zeitmaße, Disziplinen, Ideen von Wissenschaft, eine Mannigfaltigkeit von Gruppen, Institutionen, Kapitalien, Menschen“ (Serres). Multitemporalität selbst ist aber historisch situiert, ereignet sich zu einer bestimmten Zeit, innerhalb von, wie Rabinow es ausdrückt, kontingenten, heterogenen und temporären Ensembles von wissenschaftlichen Praktiken, sozialen Akteuren, materi38

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Letzteres betont Wirsching, Konsum, S. 185. Lenz, Konsum (2011), S. 197; Hecken, Das Versagen; Lenz, Konsum (2007); und König, Die Erziehung. Zur Bedeutung des Reinheits- und Reinigungsnarrativs: Ghanbari/Hahn, Vorwort und Burschel/Marx, Einleitung. Peter Burschel und Christoph Marx zeigen unter Bezug auf Mary Douglas sehr schön, dass sich auch noch ein Osama bin Laden auf jenen Diskurs verlassen konnte, der Unreinheit, Unordnung, Mehrdeutigkeit und moderne Zivilisation ablehnend in eins setzt. Zu diesem Komplex auch Rätz, Die Religion. Blumenberg, Epochenschwelle, S. 94. Pfister, Das 1950er Syndrom. Als kritischer Kommentar: Kupper, Die „1970er Diagnose“.

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ellen Strukturen, administrativen Routinen, Wertesystemen und Selbsttechnologien. In der Auseinandersetzung über Fremdstoffe und Verbraucherschutz waren zwischen 1930 und 1970 Vergangenes, Neues und Zukünftiges vereint. Auf historisch spezifische Weise verwandelte sich dabei Utopisches in Dystopisches, Zukunftsträume in apokalyptische Visionen. Um diese Geschichte genealogisch zu erzählen, um eine Genese der Verbraucherpolitik herauszuarbeiten, braucht es eine historische Semantik des Giftnarrativs, eine politische Geschichte der Interessengruppen, eine Wissenschafts- und Pharmaziegeschichte prekärer Stoffe und eine Medizingeschichte der Krebsforschung, ohne in die jeweiligen disziplinären Beschränkungen und Genügsamkeiten zurückzufallen. Die unterschiedlichen Auffassungen der Verbraucherpolitik konstituierten sich zwischen 1930 und 1970 durch dieses schwankende Gefüge und sind durch die Analyse eines der Aspekte nicht verstehbar. Die Welt besteht aus Gemenge und Verwicklungen, wie Bruno Latour einflussreich konstatiert hat: chemische Agentien, Butter, „Gift“, Südfruchtimporte, Lebensreformer, Konsumentenmoral, der Deutsche Bundestag, die World Health Organization, ordoliberale Überzeugungen und Hausfrauenorganisationen sind Mitte des 20. Jahrhunderts eng miteinander verbunden. Eine Genealogie der Verbraucherpolitik arbeitet sich notwendigerweise an Epistemen und Wissensformen (Lebensmittelchemie, Toxikologie, Onkologie, Ökonomie), an Machtbeziehungen (Interessengruppen, Lebensmittelrecht) und an Subjektivierungsweisen (Verbraucher) ab. Sie kann nicht linear geschrieben und auf bestimmte Ursachen zurückgeführt werden, die selbst Teil ihrer Konstituierung sind (Narrative und Diskurse der Zivilisierung und Technisierung z. B.).40 Gleichwohl lassen sich der alarmistische Notstand des Gifts in der Nahrung und die Ausrichtung der Verbraucherpolitik auch als Bewegung vom Produktivismus zum Konsumismus, als Verbreitung eines konsumistischen Diskurses, wenn nicht gar einer konsumistischen Ideologie erklären, die mit einer sozioökonomischen Umgestaltung der Gesellschaft verwoben ist.41 Insofern wäre es in Bezug auf die Genealogie der Verbraucherpolitik falsch, auf die Analyse von Brüchen, Schwellen und Diskontinuitäten zu verzichten und es muss ebenso die Serialität und Ansammlung von konsumistischen Diskursen, Narrativen, Praktiken und Dingen untersucht werden. Dies zeigt sich besonders markant anhand der in den 1950er Jahren verallgemeinerten Gewissheit, dass beim Konsum eben nicht der Erwerb und Verzehr von Gütern entscheidend sei, sondern die Bedürfnisbefriedigung, das befriedigende Erlebnis.42 40

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Serres, Aufklärungen, S. 92; Rabinow, Anthropologie, S. 63, 115; Serres, Vorwort, S. 18– 19; Latour, Wir sind nie, S. 9–13; Haraway, Situiertes Wissen; und Koselleck, Vergangene Zukunft, S. 132–133. Auch: Malich, Zeitpfeile. Zur Begrifflichkeit der „prekären Stoffe“: Schwerin, Prekäre Stoffe, S. 7; Wahrig, Historical Research; und Wahrig/Stoff/Schwerin/ Balz, Precarious Matters. Bauman, Leben; Hellmann, Das konsumistische Syndrom; Illouz, Consuming; Birken, Consuming Desire; und Campbell, The Romantic Ethic. Die Konsumgesellschaften seien seit dem späten 20. Jahrhundert, so Matthew Hilton, durch die Ersetzung der bloßen Verfügbarkeit („access“) durch die Auswahl („choice“) gekennzeichnet: Hilton, The Death. Grundsätzlich: Foucault, Archäologie, S. 10–20, 33–47. Braunschweig, Der Konsument, S. 13–14, 21. Ich habe einen großen Teil meiner intellektu-

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Vorbemerkungen

Das Gift in der Nahrung war immer auch ein zivilisationskritisches Menetekel. Das Giftnarrativ wirkte antiliberal und antikonsumistisch und kontaminierte doch zugleich auch die verbraucherpolitische Praxis. Die Angst vor der Vergiftung des Verbrauchers durch den Konsum falscher Dinge war eine biologische Politik der entstehenden Konsumgesellschaft, ein Abwehrdiskurs gegen die konsumistische Ordnung und Lebensweise. Das Narrativ des Gifts in der Nahrung und die Genese einer Verbraucherpolitik erwuchsen beiderseits aus dem Entstehen einer auf Konsum ausgerichteten Wirtschaftsordnung sowie der Etablierung eines konsumistischen Diskurses. Konsum war stets eine umstrittene Praxis, während die Produktion auch in ethischer Hinsicht alles Positive auf ihrer Seite hatte. Der Wirtschaftswissenschaftler Hans Moser erinnerte zu Beginn der 1960er Jahre daran, dass die protestantische Ethik ja auch nur der Produktion und nicht dem Konsum sittlichen Wert zugestand.43 Gegen Ende des Jahrhunderts der Arbeit begannen sich auch die Verbraucher zusammenzuschließen. Die ersten Konsumentenorganisationen verstanden sich dabei als Regulatoren der marktwirtschaftlichen Ordnung, sie korrigierten die Anarchie des liberalen Kapitalismus. Verbraucherpolitik stand für die Gesamtheit der Bevölkerung, war immer die Verteidigung des Allgemeinwohls gegen widerstrebende Partialinteressen. Verbraucherinteressen, und dies machte sie anschlussfähig für Konzepte wie Volksgemeinschaft und Volksgesundheit, standen über Individual- und Gruppeninteressen.44 Verbraucherorganisationen sollten das Marktsystem, dem sie überhaupt erst ihre Identität verdankten, gegen Monopole und Wettbewerbsbegrenzungen sichern, dienten aber auch zum Selbstschutz vor Betrug und gesundheitlicher Gefährdung. Verbraucherpolitik war genuin ökonomisch bedeutet, ja mit Marktwirtschaftspolitik gleichgesetzt, erhielt aber mit dem Verbraucherschutz einen Inhalt, der sich auf die Abwehr von Fremdstoffen und Umweltgiften ausrichtete. Hier war der Schutz der Verbraucher zugleich Pflege der Volksgesundheit, ein Präventionsschutz vor zivilisatorischen Vergiftungen.45 Die Organisation der Verbraucher war dabei schon im späten 19. Jahrhundert eine vor allem durch Frauen- und Hausfrauenorganisationen etablierte moralpolitische Aktivität, sei es, dass mit dem Konsum auch Einfluss auf die Produktionsbedingungen genommen, sei es aber auch, dass der Kauf falscher, schlechter und kontaminierter Waren unterbunden werden sollte. Die Verbrauchererwartung, die sich durch den Augenschein blenden ließ, musste erzogen werden. Da sich aber die Hersteller der Waren darauf verstanden, ihre betrügerischen Tätigkeiten unsichtbar zu machen, mussten den Verbrauchern wissenschaftliche Experten und

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ellen Ressourcen dafür verwendet zu zeigen, wie die Durchsetzung eines konsumistischen Diskurses sich bis in die intimsten Bereiche der Sexualität und bis in die Körperzellen verbreitet hat. Die Wissensproduktion selbst war im 20. Jahrhundert konsumistisch orientiert. Stoff, Wirkstoffe und Stoff, Ewige Jugend. Zitiert nach Braunschweig, Der Konsument, S. 22. Schumacher, Wesensmerkmale, S. 242 und Hamann/Schnier, Der Schutz, S. 3. Zur Verbraucherpolitik als Marktwirtschaftspolitik: Schumacher, Wesensmerkmale, S. 242 und Mitropoulos, Verbraucherpolitik.

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politische Legislatoren zur Seite stehen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts war ein neuer politischer Akteur im Werden, ohne jemals verwirklicht zu werden, der informierte und rationale Konsument, der Homo oeconomicus. Der Verbraucher fungierte Mitte des 20. Jahrhunderts als Motor des gesellschaftlichen Reichtums und Repräsentant des öffentlichen Interesses, er war kein Akteur des Tauschprozesses wie in der klassischen Ökonomie, sondern idealerweise rationales und informiertes Wirtschaftssubjekt.46 Als moralische Instanz stand die selbstorganisierte Verbraucherbewegung, wie sie von den Hausfrauenorganisationen repräsentiert wurde und wie sie in der Bundesrepublik in den 1950er Jahren in der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände Gestalt annahm, oberhalb der partikularen, zumal egoistischen Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland. Das offensichtliche Problem war dabei, dass jene Kräfte, die das Problem rational lösen sollten, die Experten der Wissenschaft und die Fachleute der Politik, von der Lobbyarbeit der Interessenverbände der Wirtschaft bearbeitet wurden. Es waren hingegen der medial verbreitete puristische Diskurs und die geschickte Arbeit der weiblichen Abgeordneten des Bundestags, die dafür sorgten, dass in den 1950er Jahren im Namen der Verbraucher ein lebensmittelrechtliches Verbotsprinzip durchgesetzt wurde. Wissen Die Geschichte der Regulierung von Lebensmittelzusatzstoffen Mitte des 20. Jahrhunderts ist geprägt durch Expertenentscheidungen, wissenschaftliche Gutachten, politischen Maßnahmen und Regulierungstechniken.47 Es ging um Stoffuntersuchungen und -kategorien, um Verordnungen und Gesetze. Wissenschaftler, die den Umgang mit Zusatzstoffen wissenschaftlich lösen wollten, waren dabei immer schon in politische Diskurse und Interessen verwoben; Politiker, die das Problem politisch lösen wollten, waren abhängig von wissenschaftlichen Expertenentscheidungen und in unterschiedliche Lobbyaktivitäten verstrickt. In Ausschüssen und Kommissionen wurden die jeweiligen Interessen moduliert. Während die Wissenschaftler der Überzeugung waren, dass sie qua ihres privilegierten Zugangs zur Natur alleine über die Zulassung von bestimmten Stoffen entscheiden konnten, wussten die Medien, dass sich hinter verschlossenen Türen gewisse Lobbygruppen doch durchsetzen würden. Demokratie, so mussten die Bundesbürger lernen, ist ein „unentwirrbares Gewebe“ (Latour). Es gibt keine rein politischen, rein wirtschaftlichen und auch keine rein wissenschaftlichen Lösungen.48 Der Streit um die Novelle des Lebensmittelgesetzes ist dann eigentlich einfach erzählt. Der Schaden durch Konservierungsmittel und Farbstoffe konnte zumeist nicht bewiesen werden, aber dies galt ebenso auch für das Gegenteil, die Ungefährlichkeit einer Substanz. Die Geschichte der Lebensmittelzusatzstoffe 46 47 48

Foucault, Die Geburt, S. 314 und Trentmann, Knowing Consumers, S. 1. Reinhardt, Regulierungswissen. Latour, Die Hoffnung, S. 101–111.

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gehört in das Feld des Nichtwissens, wie es der Spiegel 1958 in einem ausführlichen Interview mit dem Lebensmittelchemiker S. Walter Souci launig zusammenfasste: „Wir müssen sagen, Herr Professor, je länger man Ihnen zuhört, desto stärker hat man das Gefühl: Nichts Genaues weiß man nicht! Erstens kennt man nicht alle Stoffe in den Lebensmitteln, zweitens weiß man nicht, was im Körper mit den ganzen Stoffen passiert, drittens sind die analytischen Methoden noch nicht erarbeitet.“49 Sicherlich rekurrierte der Spiegeljournalist hier zunächst auf ein wissenschaftliches Noch-Nicht-Wissen; aber zugleich existieren zwei weitere bedeutsame Aussagen: die eine verweist auf die weitgehende Unerkennbarkeit oder Irrationalität der anorganischen Natur, wie Arnold Gehlen es ausdrückte; die andere auf die höchst problematische Herstellung von Kausalitäten in der Krebsforschung.50 Die Entscheidung über krebserregende Substanzen war wissenschaftlich allein nicht zu gestalten. Niklas Luhmann formulierte dies 1992 so markant, dass Peter Wehling diesen Merksatz zur Grundlage seines Konzeptes des „wissenschaftlichen Nichtwissens“ machen konnte. Die ökologische Kommunikation verdanke ihre Intensität dem Nichtwissen: „Die Alarmierrhetorik auf der einen Seite und die Resistenz im Hinblick auf Notwendigkeiten gründen sich beide auf ein vermeintliches Wissen. Aber der forsche, oft verständnislose Stil der Kontroversen verrät, daß dies Wissen auf ungesicherten Annahmen beruht“.51 Dabei kommt dem Nichtwissen eine doppelte Eigenschaft zu, die durch die Verben „wollen“ und „können“ hergestellt wird. Die einen wollen nicht wissen, ob bestimmte Stoffe folgenschwere Risiken hervorbringen können. Andere wollen dies unbedingt leisten, können es aber nicht mit letzter Gewissheit wissenschaftlich bestätigen. Wollte man jegliches Risiko ausschließen, dann dürften auch solche Stoffe nicht zugelassen werden, für deren Gefährlichkeit nur vage Vermutungen beständen, lautete die puristische Kernaussage der Debatte der 1950er Jahre. Musste man also durch strengste Präventionsmaßnahmen eine Nulltoleranzpolitik der Riskovermeidung juristisch durchsetzen oder gehörte zu einer Gesellschaft, die ihren Reichtum technisch-wissenschaftlichen Innovationen verdankte, auch ein gewisses Maß an Risikokalkulation? Dass in dem skandalisierten Bereich der Ernährung wieder Vertrauen hergestellt werden musste, entsprach den Interessen der Wissenschaft, des Staates und der Lebensmittelindustrie selbst. Es gehört aber zur Genealogie der Verbraucherpolitik, dass von Seiten der organisierten Verbraucherbewegung, der Medien sowie der Reformer und Puristen diesen Bestrebungen eher ein dauerhaftes Misstrauen entgegengebracht wurde. Die Ordnung von Wissen/Nichtwissen und Vertrauen/Misstrauen wurde zu einem bedeutsamen Fixpunkt eines notwendigerweise scheiternden Risikomanagements.52 Wenn die Verbraucher gelben Senf erwarteten, musste dieser dann nicht auch von der Lebensmittelindustrie geliefert werden? Die Hauptaussage des 1958 zum 49 50 51 52

Anonym, Gift, S. 49. Gehlen, Die Seele, S. 10–11. Luhmann, Beobachtungen, S. 154. Auch: Cranor, Regualting, S. 25–28. S. 35; Böschen/ Wehling, Wissenschaft; und Böschen, Risikogenese (2002). Tanner, Die Ambivalenz, S. 175. Zachmann/Østby, Food und Houghton/van Kleef/Rowe/ Frewer, Consumer Perceptions.

Vorbemerkungen

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Gesetz gemachten Verbotsprinzips lautete, dass die überflüssige Verwendung von Fremdstoffen zu unterbleiben habe, auch wenn es sich bei diesen um geprüft duldbare Stoffe handelte. Die binäre Ordnung des Lebensmittelrechts unterschied explizit zwischen duldbaren und nicht duldbaren sowie natürlichen und künstlichen Stoffen, implizit aber auch zwischen benötigten und nicht benötigten Zusatzmitteln sowie toxischen und karzinogenen Substanzen. Seit den 1940er Jahren schien es evident, dass es krebserregende Stoffe in Lebensmitteln gibt, deren zerstörerische Effekte sich erst nach einer Latenzzeit offenbarten. Zwischen Exposition und Tumorbildung bestand ein so langer Zeitraum, dass letztere nicht mehr auf erstere zurückgeführt werden konnte. Die Kontrolle dieser Substanzen, ein Risikomanagement lebensmittelchemischer Substanzen durch Tierversuche und Grenzwertbestimmungen, wurde zu einem wichtigen Bestandteil regulatorischer Praktiken.53 Die Unbestimmtheit der Karzinogenität verdächtiger Stoffe prägte die Risikopolitik Mitte des 20. Jahrhunderts. Dass die Wissenschaft zumeist nichts Genaues wusste, eröffnete Verhandlungsräume zwischen Risikovermeidung (es gibt Verdachtsmomente) und Risikokalkulation (es gibt keine Beweise). Risiko ist vor allem durch Ulrich Becks Risikogesellschaft und Anthony Giddens’ Risk Culture seit den 1980er Jahren zu einer zentralen analytischen Kategorie geworden, um eine kaum kontrollierbare technisch-wissenschaftliche Rationalität in postindustriellen Gesellschaften zu bezeichnen.54 Im Anschluss an Michel Foucault haben hingegen François Ewald, Nikolas Rose, Dean Mitchell und Thomas Lemke mit unterschiedlicher Gewichtung einen diskurstheoretischen Zugang zum Risikobegriff entwickelt: Nichts sei an sich Risiko, aber alles könne zum Risiko werden (Ewald), weshalb auch von einer „Produktion von Risiko“ (Lemke) gesprochen werden müsse. Dies verlange eine Analyse der verschiedenen Arten der Risikokalkulation und jener Wissensformen, die Risiken erst denkbar machten (Mitchell). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei die biopolitische Befassung mit der Minimierung gesundheitlicher Risiken wesentlich für die Gesundheits- und Wohlfahrtspolitik sowie staatliche und unternehmerische Expertenentscheidungen geworden (Rose).55 Damit richtet sich das analytische Interesse auf die Produktivität des Risikodiskurses und die damit einhergehende Etablierung von Präventionstechniken. Becks These der Modernisierungsrisiken und einer Gefährdung der Natur, der Gesundheit und der Ernährung, der etwa durch eine gesunde Lebensführung und vollwertige Ernährung begegnet werden könne, wandelten sich von einer analytischen Kategorie in ein Symptom der risikopolitischen Prägung nachmoderner Gesellschaften.56 Die Genese des Risikodiskurses war im deutschsprachigen Raum unmittelbar mit der Problematisierung der industriellen Lebensmittelproduktion verbunden. 53 54 55 56

Reinhardt, Regulierungswissen. Giddens, Modernity und Beck, Risikogesellschaft. Lupton, Sociology. Folgendes habe ich auch ausgeführt in Stoff, Zur Kritik. Rose, The Politics, S. 70–73; Lemke, Neoliberalismus, S. 38; Mitchell, Risk, S. 131; und Ewald, Der Vorsorgestaat, S. 207–222. Für einen historischen Überblick: Schlich/Tröhler, The Risks. Beck, Risikogesellschaft, S. 48, 291.

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Im Zeitraum 1930 bis 1970 entwickelte sich eine Konfiguration, die durch die Entscheidung zwischen Risikovermeidung und Risikokalkulation, zwischen einer präventionsmedizinischen Austreibung prekärer Stoffe aus der Gesellschaft oder der Anpassung der Gesellschaft an deren kontrollierte Produktion, Distribution und Konsumtion geprägt war. Risikopolitik war bis weit in die 1960er Jahre maßgeblich stofforientiert sowie an das Narrativ der „Vergiftung“ gebunden. Experten und Laien, Industrielle und Politiker, Verwaltungsbeamte und Verbandsvertreter, Lobbyisten und Lebensreformer, Produzenten und Verbraucher, pharmazeutische Chemiker und Journalisten waren gleichermaßen an der Mobilisierung des Wissens und des Nichtwissens über das „Gift in der Nahrung“ beteiligt.57 Das Nichtwissenkönnen prägte seit den späten 1940er Jahren eine Chemopolitik der Lebensmittelzusatzstoffe. Es war bereits vor der Durchsetzung eines Verbotsprinzips rechtlich möglich, Substanzen zu verbieten, wenn eine, so 1958 der Lebensmittelrechtler Walter Zipfel, unwiderlegbare Vermutung bestand, „daß der Genuß eines auf verbotene Weise oder mit verbotenen Zusatz hergestellten Lebensmittels die menschliche Gesundheit zu schädigen geeignet ist“. Denn ebensowenig wie die konkrete Gesundheitsschädlichkeit von Zusatzstoffen eindeutig beweisbar sei, stehe auch ihre völlig gesundheitliche Unbedenklichkeit fest.58 Erich Coduro erinnerte 1979 daran, dass einer Diskussion über ,,Gift in der Nahrung“ das urärztliche Wissen von Paracelsus vorangestellt werden müsse, dass jedes Ding Gift sei und dass allein die Dosis mache, dass ein Ding kein Gift sei. Die moderne Analytik ermögliche es aber, Stoffe in Konzentrationen nachzuweisen, die noch vor einem Jahrzehnt unmessbar gewesen seien. So würden immer mehr chemische Stoffe und Verbindungen mit gesundheitsschädlicher Wirkung in Lebensmitteln entdeckt. Über die Langzeitwirkung solcher Schadstoffkonzentrationen im menschlichen Organismus und die Möglichkeit der Summierung oder Potenzierung bestimmter Wirkungen lägen aber erst wenige Erkenntnisse vor.59 Immer bessere Techniken und Nachweisverfahren, immer mehr Wissen produzierte also im Laufe des 20. Jahrhunderts zugleich auch immer mehr Nichtwissen. Die Entscheidungen über Risiken wurden auch deshalb schwieriger, weil immer mehr Risiken auf wissenschaftlich-regulatorischer Ebene hergestellt wurden. Die französischen Wissenschaftshistorikerinnen Soraya Boudia und Nathalie Jas machen in ihrer Analyse der Risikogesellschaft deutlich, dass es notwendig ist, zunächst diese produktiven Regulationssysteme zu untersuchen. Eine Wissenschafts- und Technikgeschichte der Risikopolitik muss sich mit einem lokalen, aber globalisierbaren dynamischen Gefüge von Narrativen, politischen und ökonomischen Interessen, juristischen Fixierungen, wissenschaftlichen Klassifizierungen, behördlichen Kontrollinstanzen, wissenschaftspolitischen Organisationen sowie institutionalisierten und standardisierten stofflichen Dinge auseinandersetzen. Die Politik der Risikovermeidung ist dabei seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit Präventionspraktiken vergesellschaftet. Diese Verbindung vollzog sich maßgeblich 57 58 59

Böschen/Reller/Soentgen, Stoffgeschichten; Böschen, Risikogenese (2002); und Böschen, Risikogenese (2000). Zipfel, Lebensmittelrecht, S. 203–204. Hervorhebung von mir. Coduro, Lebensmittel-Kontamination, S. 601.

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anhand der Problematisierung von Fremdstoffen in Nahrungsmitteln.60 Für Philipp Sarasin hat Prävention individuelle, kommunale, staatliche und risikopolitische Dimensionen. Martin Lengwiler und Jeanette Madarász wiederum unterscheiden zwischen staatlicher, privatwirtschaftlicher, zivilgesellschaftlicher und individueller Prävention. Gesundheitsprävention – ein durchaus irreführender Begriff, da es ja eigentlich um Krankheitsprävention geht – sei danach von Verwaltungsbehörden, Unternehmen, Vereinen und Einzelpersonen gestaltet worden.61 Gesundheits- und Sozialpolitik verweisen spätestens seit Ende der 1920er auf eine interventionistische Praxis, in deren Mittelpunkt die Identifizierung, Kontrolle oder das Verbot prekärer Stoffe steht. Ein Risikomanagement lebensmittelchemischer Substanzen durch Tierversuche und Grenzwertbestimmungen wurde zu einem wichtigen Bestandteil regulatorischer Praktiken, die nach einer wissenschaftlich-industriell-staatlichen Kooperation verlangten und dabei anwendbare Kriterien sowie Institutionen für wissenschaftlich oft nicht entscheidbare Problematisierungen etablierten.62 In Deutschland erwies sich dabei die Lebensreformbewegung mit ihrer Rhetorik des durch natürliche Nährstoffe zu optimierenden und vor künstlichen Fremdstoffen zu schützenden Körpers als eminent einflussreich. Es ließe sich in Bezug auf den deutschsprachigen Raum auch von einer epistemischen Kultur sprechen, die Zivilisationskritik zum Ausgangspunkt von Risikopolitik machte. Als Vorsorge war Prävention ein Generalthema der Lebensreform und Naturheilkunde, das während des Nationalsozialismus auch zum Kernbestand der Neuen Deutschen Heilkunde zählte. Im „präventiven Verbraucherschutz“ (Hippel) wurde Mitte des 20. Jahrhunderts unermüdlich eine puristische Verbotspolitik mit optimierenden Techniken der gesunden Lebensführung verbunden.63 Schleichende Gifte und Verbraucherpolitik gingen eine enge Beziehung ein, eine Liaison dangereuse, der unterschiedliche Risikopolitiken korrespondierten: ein öffentlicher Diskurs der Risikovermeidung und eine wirtschaftspolitische Praxis der Risikokalkulation.

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Zur Präventionsgeschichte: Thießen, Gesundheit; Sarasin, Die Geschichte; Lengwiler/Madarász, Transformationen; und Stöckel/Walter, Prävention. Zur Verbindung von Präventionstechniken und toxischen Stoffen in Lebensmitteln: Boudia/Jas, Introduction, 4, S. 31– 319 und Sumner/Eifert, Risks. Auch: Uekötter, Umweltbewegung. Zum Konnex von Risiko und Prävention: Castel, Von der Gefährlichkeit. Sarasin, Die Geschichte und Lengwiler/Madarász, Präventionsgeschichte, S. 15–16. Zur Soziologie der Prävention: Bröckling, Dispositive und Bröckling, Vorbeugen. Jas, Adapting. Hippel, Präventiver Verbraucherschutz.

2. SCHLEICHENDE GIFTE „There is death in the pot.“1

Spätestens als der deutsche Chemiker Friedrich Accum, der in London lebend seinen Vornamen zu Frederick anglisiert hatte, im Jahr 1820 seine Schrift A Treatise on Adulterations of Food, and Culinary Poisons veröffentlichte, wurde die betrügerische und gesundheitsgefährdende Verfälschung von Nahrungsmitteln zu einem öffentlichen Thema. Accum sprach von einem „System der Verfälschung der verschiedenen Lebensbedürfnisse“ („system of counterfeiting and adulterating“) durch die Verwendung von oftmals „giftigen Substanzen“ („poisonous ingredients“), an dem der „heftige und unersättliche Durst nach Gewinn“ („the eager and insatiable thirst for gain“) Schuld sei. Im Handel würden unechte Artikel gefunden, die so geschickt nachgemacht seien, dass selbst die erfahrensten Kenner getäuscht würden. Deshalb sah es Accum als sein Ziel an, die Unvorsichtigen vor dem Gebrauch von Waren, die mit der Gesundheit nachteiligen Substanzen kontaminiert seien, zu warnen. Die Einleitung endete mit dem markerschütternden Bibelzitat „Es ist der Tod in dem Topfe“.2 Zu den Stoffen, die das Leben der Verbraucher gefährdeten, zählte Accum bleihaltiges Wasser, mit Brandy vermischten Wein oder mit Alaun durchsetztes Brot. Verfälscht wurden aber nahezu sämtliche Lebensmittel vom Käse über Pfeffer bis zum Olivenöl. Die Auflistung der Gifte war in Accums Schrift allerdings nicht wirklich überwältigend, er nannte Kokkelskörner, Kirschlorbeer, Kupfer, Blausäure, Blei und Grünspan. Der Akzent des Buches lag auf der Aufdeckung der betrügerischen Absichten, die 400 Seiten starke Schrift funktionierte als praktisch anwendbares Ratgeberbuch. Accum gab konkrete Hinweise, wie sich die Verfälschung der Nahrung nachweisen ließ. Zugleich verlangte er aber auch nach einer strengen Gesetzgebung, denn „derjenige, der einem Mitbürger auf der Landstraße einige Schillinge raubt, wird zum Tode verurtheilt, während der, welcher einer ganzen Gemeinde ein schleichendes Gift austheilt, ungestraft entgeht.“3 Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde in den meisten transatlantischen Staaten Nahrungsmittelgesetze erlassen, welche die schleichende Vergiftung „einer ganzen Gemeinde“ unter Strafe stellten. Mehr noch wurde mit der Problematisierung der Ernährung ein Dispositiv, bestehend aus Giftdiskursen, Lebensmittelchemie und Lebensmittelpolizei, aus reglementierenden Gesetzen und Verordnungen, wissenschaftlichen Ordnungssystemen und Forschungsme1 2 3

Accum, Treatise, S. vi. Accum, Von der Verfälschung, S. XX–XXIII und Accum, Treatise, S. iii–vi. Accums Kampfschrift gegen die Lebensmittelverfälschung, die ihm in London einigen Ärger einbrachte, erschien 1822 auch auf Deutsch. Zu Accum: Diehl, Chemie, S. 2–3. Accum, Von der Verfälschung, S. 9.

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thoden, technischen Verfahren und Geräten, Untersuchungsämtern sowie moralischen und philantropischen Lehrsätzen und Aussagen, begründet.4 Acccum hatte aber auch neue Akteure eingeführt: geschickt betrügerische Händler, getäuschte Kenner, unvorsichtige Käufer, lethargische Gesetzgeber und aufklärende Chemiker. Manche Rollen waren doppelt besetzt, andere an sich schon ambivalent, jedenfalls entsprach dieses Ensemble nicht der vertrauten Besetzung von Produzenten, Händlern und Konsumenten. Beziehungen zwischen den Handelnden stellten sich durch die Zirkulation der Dinge her, die überhaupt erst in dieser Konstellation Gestalt annahmen: giftige Substanzen und unechte Artikel. Deren staatliche Reglementierung und Kontrolle auf der Basis wissenschaftlichen Wissens wurde zum Leitthema der Verbraucherpolitik des 20. Jahrhunderts. Es war die schillernde Bezeichnung Gift, welche diese Aufführung erst dynamisierte und anschlussfähig machte für moralische und politische Debatten. Accums Giftbegriff bezog sich auf schon lange bekannte chemische Stoffe, distanzierte deren Eigenschaft der schleichenden Wirksamkeit aber von den bekannten Ursachen akuter Lebensmittelvergiftungen. Im Vordergrund standen zunächst weniger die Stoffe selbst, als deren verfälschende Verwendung. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde vor allem davon gesprochen, dass es bei der chemischen Manipulation von Nahrungsmitteln um Betrug gehe. Der Nahrungsmittelchemiker Adolf Beythien schrieb noch 1911, dass der Zusatz giftiger Stoffe in der Regel nur aus Unkenntnis oder Fahrlässigkeit geschehe, entscheidend sei die Bekämpfung der Verfälschung und Nachmachung.5 Seit den 1910er Jahren waren es die Stoffe selbst, deren vitale Qualitäten als Nähr- oder Wirkstoffe oder deren kontaminierende Eigenschaften als Fremdstoffe, die vor allem auch im öffentlichen Diskurs intensiv verfolgt wurden. Dem korrespondierte in den 1920er Jahren im deutschsprachigen Raum die sukzessive Ablösung der Bezeichnungen Nahrungsund Genussmittel durch den umfangreicheren Begriff der Lebensmittel.6 Diese umfassten dem Sprachgebrauch nach alle Mittel zur Erhaltung des menschlichen Lebens. Idealerweise setzten sie sich aus lebensnotwendigen Nährstoffen zusammen. Aber die utopische Aktivierung vitaler Naturstoffe zur Optimierung menschlicher Leistungsfähigkeit war bereits mit der Verwendung synthetischer Stoffe vergesellschaftet, denen im Gegenteil lebenswidrige Eigenschaften zuzukommen schienen. Die seit den 1930er Jahren vielbeschworene Vergiftung der Lebensmittel durch Fremdstoffe gehörte zum Diskursfeld der Invasions- und Kontaminationsängste, der Schwächung eines Lebens, das durch bewehrte Ganzheit ausgezeichnet war. Schleichende Gifte, die doch ob ihrer geringfügigen Dosis auch als unterschwellig wirksam definiert werden konnten, wurden in diesem Gefüge krebserregend, töteten auf lange Zeit, besetzten als Agentien der Chemisierung der Umwelt den ahnungslosen Verbraucher und setzten lebenszerstörende Prozesse in Gang. 4 5 6

Foucault, Das Spiel, S. 392. Beythien, Nahrungsmittelchemie, S. 18. French/Philipps, Cheated, S. 36. Michael French und Jim Phillips zitieren mit dieser Aussage einen 1874 veröffentlichten Bericht des britischen Select Committee on Adulteration of Food Act. Fincke, Beitrag und Beythien/Pannwitz, Unliebsame Folgen, S. 310. Spiekermann, Warenwelten, S. 99, Fn. 6. Zur Kulturgeschichte der Genussmittel: Hengartner/Merki, Genußmittel.

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Das Nahrungsmittelparlament. Produzenten, Händler, Verbraucher und die Lebensmittelpolizei „Was tut der Staat, um seine Bürger vor den gesundheitlichen Gefahren der ‚Chemie in unserer Nahrung‘ zu schützen?“7

Nahrungs- und Genussmittel wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer industriell gefertigten, standardisierten und normierten sowie über immer längere Strecken transportierten Ware; sie reüssierten als bedeutsamer Bestand industrieller Produktions- und Distributionsstrukturen und als Teil einer dynamisierten und globalisierten Konsumkultur.8 Die Industrialisierung und Technisierung der Nahrungsmittelproduktion, vergesellschaftet mit Wohlstandswachstum, führte, so der Technikhistoriker Wolfgang König, zu einer größeren Reichhaltigkeit, Vielfalt und Verbilligung des Konsums. Die Normierung der Nahrungsmittel, schließt der Konsumhistoriker Uwe Spiekermann an, erfolgte jedoch über die stoffliche Struktur selbst, über ein „Stoffparadigma“, dass einen gemeinsamen Nenner schuf, „der Menschen ihrer sozialen Rolle entkleidete, sie als gleichartige Lebewesen mit gleichartigen Bedürfnissen betrachtete“. Bei der gleichzeitigen Konstituierung eines modernen Nahrungsmittelmarktes und des rationalen Konsumenten waren Industrialisierung und Verwissenschaftlichung unmittelbar verbunden.9 Der Wert der Nahrung ist seitdem an quantifizierbaren Stoffbestandteilen messbar, die zur Gesundheit und Leistungssteigerung des Körpers beitragen. Zugleich werden den industriell hergestellten Nahrungsmittelprodukten aber auch Stoffe zugesetzt, denen eine ganz andere Funktion zukommen soll, die einerseits Nahrungs- und Genussmittel transportfähig und länger haltbar, andererseits aber auch Waren attraktiver machen sollen.10 Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde eine verbreitete Verwendung von Surrogaten, Farbstoffen und Konservierungsmitteln in den Nahrungsmittelgewerben konstatiert: Benzoesäure, Bisulfite, Borsäure und Borate, Fluoride, Formaldehyd, Kaliumchlorat, Salicylsäure oder Wasserstoffsuperoxyd. Surrogate schädigten den Konsumenten in aller Regel nur in wirtschaftlicher Hinsicht, aber bei einer großen Anzahl der Farbmittel und antiseptischen Stoffe wurden auch gesundheitliche Gefährdungen befürchtet. Dem gleichzeigen Entstehen einer Ernährungsindustrie und einer Nahrungsmittelchemie, die den eigentlichen Wert der Nahrungsmittel auf die Qualität und Quantität unsichtbarer Naturbestandteile bezog, korrespondierte die Klage über chemische Verfälschungen von Nahrungsmitteln. Industrielle Nahrungsmittelherstellung und Nahrungsmittelkontrolle – ausgedrückt im zeitgleichen Erscheinen von Joseph Königs Lehrbuch zur Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel und 7 8

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Hamann, Schutz, S. 7. Zachmann, Einleitung; Spiekermann, Redefining food; Technoseum, Unser täglich Brot; König, Konsumkultur, S. 119–124; Hierholzer, Nahrung; Hierholzer, Searching; Spiekermann, Warenwelten; Teuteberg, Durchbruch; und Teuteberg, Die Verfälschung. Zur Materialität und Technik der Zirkulation auch Vahrenkamp, Die logistische Revolution. Spiekermann, Warenwelten, S. 101, 103 und König, Geschichte, S. 137. Abel, Zum Kampfe. Lück, Geschichte.

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dem Erlass eines Nahrungsmittelgesetzes im Jahr 1879 – richteten von da an Theorie und Praxis der Ernährung in Deutschland neu aus.11 Nach dem Reichsgesetz vom 14. Mai 1879 war es verboten, gesundheitsschädliche Nahrungsmittel herzustellen und zu vertreiben, Nahrungsmittel unter dem Vorsatz der Täuschung nachzumachen oder zu verfälschen und schließlich verdorbene, nachgemachte oder verfälschte Nahrungsmittel zu verkaufen. Das 1876 gegründete Reichsgesundheitsamt war damit betraut, dieses Gesetz umzusetzen und den Verbraucher vor lebensgefährlichem Betrug und skandalöser Nahrungsmittelfälschung zu schützen. 1901 übernahm ein Ausschuss für das Ernährungswesen, dem auch ein Vertreter des Nahrungsmittelgewerbes angehörte, im neu eingerichteten Reichsgesundheitsrat des Reichsgesundheitsamtes diese Aufgabe. Durch Sachverständige unterwiesene Gerichte entschieden schließlich darüber, unter welchen Umständen ein Nahrungsmittel als gesundheitsschädlich, verdorben, nachgemacht oder verfälscht anzusehen sei. Das Nahrungsmittelgesetz sollte eine hinreichende Sicherheit für die Gesundheit der Bewohner gewährleisten; die Nahrungsmittelchemie wurde in diesem Zusammenhang explizit als objektive und unabhängige Instanz zur Nahrungsmittelkontrolle etabliert.12 In den 1870er Jahren entstanden, wie es zeitgenössisch hieß, „Volkswohlfahrtseinrichtungen in sanitärer und gewerblicher Hinsicht“, ein starker Staat garantierte die Durchsetzung von Gesetzen „wohlfahrts-polizeilicher Art“.13 Seit den 1880er Jahren wurden neben einzelnen Behörden und Vereinen zunehmend auch staatliche und städtische Untersuchungsämter sowie landwirtschaftliche Institute, aber in großer Zahl auch Privatlaboratorien eingerichtet. Entsprechend vermehrten sich in diesem Zeitraum auch die Untersuchungen und Kontrollen. Die Probeentnahmen wurden durch Chemiker ebenso wie durch dafür speziell ausgebildete Polizisten durchgeführt.14 Es soll nicht der Anschein erweckt werden, als handle es sich bei der Entwicklung einer Nahrungsmittelkontrolle seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts um einen weiteren deutschen Sonderweg. Diese ist seit den 1870er Jahren eine transnationale Angelegenheit. Schon das Nahrungsmittelgesetz von 1879 basierte trotz vielfacher Umarbeitungen auf dem englischen „Sale of Food and Drugs Act“ von 1875. Das Reichsgesetz wurde wiederum zum Vorbild für Gesetzgebungen in Österreich (1896) und Frankreich (1905). Diese modernisierten, der rasanten Entwicklung der Nahrungsmittelindustrie angepassten Bestimmungen wirkten dann im frühen 20. Jahrhundert auf die deutsche Rechtssprechung zurück. In der Schweiz wurde 1905 ein allerdings erst 1909 verabschiedetes Bundesgesetz 11 12

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Hasterlik, Wege. Hierholzer, Nahrung, S. 79–162; Grüne, Anfänge; Ellerbrock, Geschichte; Ellerbrock, Lebensmittelqualität; und Schmauderer, Die Beziehungen. Zum Reichsgesetz: Holthöfer/Juckenack, Lebensmittelgesetz; Beythien, 25 Jahre; Behre, Zur Entwicklung; Beythien, Die Nahrungsmittelchemie, S. 15, 17; Schick, Das Reichsgesetz; Kaiserliches Gesundheitsamt, Entwürfe, S. III; Abel, Über die Bedürfnisse, S. 613; und Zinn, Reichsgesetz. Hierholzer, Nahrung, S. 328–329 und Grüne, Anfänge, S. 323–326. Zur Rolle des Reichsgesundheitsamts bei der Ausarbeitung des Nahrungsmittelgesetzes: Hüntelmann, Hygiene, S. 201–207. Behre, Zur Entwicklung, S. 1229. Behre, Zur Entwicklung, S. 1230–1233.

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erlassen, das dem vom Schweizerischen Gesundheitsamt beratenen Bundesrat weitgehende Befugnisse gab. Ein vom Verein analytischer Chemiker ausgearbeitetes Lebensmittelbuch erhielt dabei Gesetzeskraft. In Großbritannien wurde der „Sale of Food and Drugs Act“ im Interessenkonflikt zwischen Chemikern und Lebensmittelproduzenten weiter nachgebessert, zudem durch das 1899 eingerichtete Committee on Food Preservatives und dem 1906 erschienenen instruktiven Report on Preservatives des Food Inspectors Arthur MacFadden zunehmend auf Konservierungsmittel ausgerichtet. Der im gleichen Jahr in den USA erlassene „Food and Drugs Act“ mit seinen „Standards of Purity for Food Products“ wurde in Europa als beispielhaft angesehen.15 Konservierungsmittel und Farbstoffe waren in allen Industriestaaten in den Fokus öffentlicher Sorge, legislativer Maßnahmen sowie staatlicher und wissenschaftlicher Kontrollinstanzen geraten. In der Öffentlichkeit wurde dies auch als ein Ringen zwischen den trickreich Eigeninteressen durchsetzenden Nahrungsmittelherstellern und den einsamen, aber unbestechlichen Kämpfern der Nahrungsmittelchemie dargestellt. Der Münsteraner Chemiker Joseph König, zentrale Figur der Nahrungsmittelchemie und der Institutionalisierung einer Nahrungsmittelkontrolle im Deutschen Kaiserreich, pointierte 1906, dass es den Nahrungsmittelfabrikanten vielfach wie den Kleidermachern gehe, erst schafften sie die Moden, nachher sagen sie, das sei gebräuchlich, das Publikum verlange es so. Als man die Anilinfarbstoffe, den Stärkesirup und die Salicylsäure noch gar nicht gekannt habe, so König, da sei es in der Nahrungsmittelindustrie auch recht gut ohne diese Hilfsmittel gegangen. Als man dann aber erkannt habe, dass sich unter ihrer Anwendung Nahrungs- und Genussmittel auf viel billigere Weise herstellen ließen, sei man zu ihrer Verwendung übergegangen. Weil die mit diesen künstlichen Mitteln hergestellten Waren häufig sogar ein besseres Aussehen und eine anscheinend gehaltreichere Beschaffenheit als reine Naturerzeugnisse gezeigt hätten, habe man beifällige Abnahme der Waren in der Bevölkerung gefunden und behaupte jetzt, das müsse so sein.16 Königs Polemik gab den Ton an für eine im 20. Jahrhundert ausdauernd geführte Auseinandersetzung zwischen Lebensmittelproduzenten und kontrollierenden Lebensmittelchemikern. Aber bei dieser Auseinandersetzung war immer auch schon eine dritte Figur anwesend, der ahnungslose, betrogene, mitunter falschen Bedürfnissen folgende, also dringend aufzuklärende Verbraucher. Für König war bewiesen, dass eine Nahrungsmittelgesetzgebung eben nicht im Interesse der Industrie geschrieben werden dürfe, sie sei ausschließlich zum Schutz der Verbraucher und Verzehrer der Lebensmittel da. Weite 15

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Behre, Zur Entwicklung, S. S. 1229; Kuttenkeuler, Die Entwicklung, S. 510; Kaiserliches Gesundheitsamt, Entwürfe, S. VI–VII; und König, Über die Bedürfnisse. Bruegel/Stanziani, Pour une histoire und Burnett/Oddy, The Origins. Zu Großbritannien: Wilson, Waste; French/Philipps, Sophisticates; Trentmann, Bread; French/Philipps, Cheated, S. 96–123; und Hardy, Food. Zur Schweiz: Häsler, Das erste Lebensmittelgesetz. Zu den USA: Law, The Origins und Young, Pure Food. Zu Frankreich: Guillem-Llobat, The Search und Stanziani, Histoire. Zu Spanien: Guillem-Llobat, Losing. König, Hindernisse, S. 7. Zu König: Grüne, Anfänge, S. 77–136. Zur Salicylsäure: Sperling, Kampf, S. 103–105.

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Schichten der Bevölkerung zeigten sich jedoch gleichgültig gegen das, was sie essen und trinken, klagte König, sie beurteilten Speise und Trank nur nach äußerem Ansehen, nach Geruch und Geschmack und kümmerten sich nicht um die Wesensbeschaffenheit. Zugleich arbeite der geld- und machthabende Teil der Bevölkerung einer jeden geregelten Lebensmittekontrolle als ihren Interessen zuwiderlaufend entgegen.17 Die strikte Grenzziehung zwischen den objektiven Vertretern der Wissenschaft und den profitorientierten Unternehmern war um 1900 nicht wirklich angemessen. König selbst verwies auf die Verhandlungen der Nahrungsmittelchemiker mit Vertretern der Nahrungsmittelindustrie. Derjenige Teil der Nahrungsmittelindustrie, der bestrebt sei, die besten und reinsten Waren zu liefern, schränkte König ein, habe sich dabei über die Vereinbarungen der Nahrungsmittelchemiker noch stets gefreut.18 Die Farbenindustrie bringe nach Erlass des Gesetzes „absolut giftfreie Pflanzen- und Teerfarbstoffe in den Verkehr“, bestätigte mit Adolf Beythien eine weitere Koryphäe der Nahrungsmittelchemie. Die Jahresberichte der Untersuchungsämter verzeichneten infolgedessen nur ganz ausnahmsweise die Auffindung gesundheitsschädlicher Nahrungsmittel. Dies hinderte Beythien nicht daran, einige Seiten später diese idyllische Sichtweise durchaus wieder zu revidieren und die direkt feindselige Haltung von Handel und Industrie zu beklagen. Er tat dies vor allem, um einen Gegensatz zwischen der dem Allgemeinwohl dienenden Tätigkeit der Nahrungsmittelchemiker und den Partikularinteressen der Nahrungsmittelindustrie aufzubauen. So sei das Nahrungsmittelgesetz auch das Ergebnis der „ideale(n) Stimmung nach dem großen französischen Kriege“ gewesen, die überhaupt erst die Maßnahmen zur Hebung der Volksgesundheit hervorgebracht habe. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ständen aber immer aufdringlicher egoistische Gesichtspunkte im Vordergund.19 Die Hersteller und Vertreiber von Nahrungsmitteln, deren Kapital durchaus das Vertrauen der Käuferinnen und Käufer in ihre verderblichen Waren war, reagierten mit eigenen Expertisen und Veröffentlichungen auf diese Anschuldigungen. Während in Großbritannien bereits seit den 1850er Jahren eine Art Gegenmacht der Nahrungsmittelindustrie aufgebaut wurde, versuchte im Deutschen Kaiserreich das ansonsten kaum kohärente Nahrungsmittelgewerbe aus Kleinhandel, Fabrikanten und Großhandel, das unvermeidliche Nahrungsmittelgesetz den eigenen Interessen anzupassen.20 Der Bund Deutscher Nahrungsmittelfabrikanten und -händler initiierte zwei Jahre vor Königs Polemik die Herausgabe eines Deutschen Nahrungsmittelbuches, um endlich Klarheit darüber zu gewinnen, welche Zusatzstoffe bei der Herstellung und beim Vertrieb von Nahrungssmitteln verwendet werden dürften, was also überhaupt als eine „handelsübliche, unverfälschte und nicht gesundheitsschädliche Ware“ gelten könne.21 Zu 17 18 19 20 21

König, Hindernisse, S. 5–6. König, Hindernisse, S. 7. Beythien, Die Nahrungsmittelchemie, S. 15–16, 22. Beythien, Die Neuregelung, S. 575. Hierholzer, Selbstregulierung. Zur Situation in Großbritannien: Lang, Food, S. 34–35. Gerlach, Deutsches Nahrungsmittelbuch. Grüne, Anfänge, S. 188–189.

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diesem Zeitpunkt existierten bereits zwischen 1894 und 1902 erarbeitete „Reichsvereinbarungen zur einheitlichen Untersuchung und Beurteilung von Nahrungsund Genußmitteln“, die allerdings in Kooperation von Nahrungsmittelchemikern und dem Kaiserlichen Gesundheitsamt ohne die Beteiligung der Nahrungsmittelindustrie entstanden waren. Was es brauchte, so hieß es aus den Kreisen der Nahrungsmittelfabrikanten, war eine brauchbare Norm für Industrie und Handel. Das ein Jahr später publizierte Nahrungsmittelbuch fand jedoch keineswegs die Zustimmung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. So koexistierten zwei abweichende Auffassungen über erlaubte und verbotene Nahrungsmittel, über die letztlich erst im Einzelfall vor Gericht entschieden wurde. Erst auf einer im März 1911 im Kaiserlichen Gesundheitsamt abgehaltenen Beratung des Ausschusses für das Ernährungswesen, dem Vertreter des Deutschen Landwirtschaftsrates, des Deutschen Handelstages, des Bundes der Industriellen, des Bundes Deutscher Nahrungsmittelfabrikanten und -händler, des Verbandes Deutscher Großhändler der Nahrungsmittel und verwandten Branchen sowie der Zentralvereinigung deutscher Vereine für Handel und Gewerbe beiwohnten, wurde dann geregelt, dass mit der bereits eingeübten anpassungsfähigen und beweglichen Form von Verordnungen und Sondergesetzen das Nahrungsmittelgesetz umzusetzen sei.22 Zu den maßgeblichen Sondergesetzen zählten zu diesem Zeitpunkt ein Zinkund Bleigesetz (25. Juni 1887), ein Margarinegesetz (15. Juni 1897), ein Fleischbeschaugesetz (3. Juni 1900), ein Weingesetz (24. Mai 1901) und ein Süßstoffgesetz (7. Juli 1902). Im sogenannten Farbengesetz vom 5. Juli 1887 wurden jene gesundheitsschädlichen Farben verboten, die zur Verwendung in Nahrungsmitteln, aber auch zu deren Verpackung genutzt worden waren und die etwa Antimon, Arsen, Baryum, Blei, Cadmium, Chrom, Kupfer, Quecksilber, Uran, Zink, Zinn, Gummigutti, Korallin und Pikrinsäure enthielten.23 Aus der Sicht der Nahrungsmittelchemie ging es den Vertretern des Nahrungsmittelgewerbes einzig darum, ihre Interessen durchzusetzen, jedenfalls nicht um wohlfahrtliche oder volksgesundheitliche Belange.24 Auf Drängen der Industrie- und Handelsvertreter wurde die Integration aller Beteiligten und Betroffenen zu einem maßgeblichen und stets umkämpften Projekt der Institutionalisierung der Nahrungsmittelkontrolle. So forderten die Handelskammern zu Beginn der 1910er Jahre ihre Mitarbeit beim Kaiserlichen Gesundheitsamt ein und verlangten ebenso vergeblich nach der Gründung eines Nahrungsmittelbeirates, in dem wirtschaftliche Interessen viel stärker berücksichtigt werden sollten.25 Problematisch war dabei, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits eine gewaltige Zahl an Betrieben unterschiedlicher Größe im Sektor der Nahrungsmittelindustrie agierte. Letzlich seien so viele Zweige des Nahrungsmittelgewerbes vorhanden und betroffen, so

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Kaiserliches Gesundheitsamt, Entwürfe, S. III–VI. Hierholzer, Nahrung, S. 328–336. Holthöfer/Juckenack, Lebensmittelgesetz, S. 57. Grüne, Anfänge, S. 328–330. Zur Verwendung von Arsen: Whorton, Arsenic Century. König, Hindernisse, S. 6–7. Beythien, Die Neuregelung, S. 577–578. Hierholzer, Nahrung, S. 334–335.

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Beythien, dass ein „Nahrungsmittelparlament“ einberufen werden müsste, dass aber, so schloss er fatalistisch an, nur im „Theater der 5000“ Platz hätte.26 Mit dem Nahrungsmittelgesetz und den nachfolgenden Verordnungen und Sondergesetzen etablierten sich staatliche und lokale Regulierungsinstanzen, ein über ganz Deutschland verbreitetes Netz von Untersuchungsämtern. Die Lebensmittelüberwachung war dabei eine Angelegenheit der Polizeibehörden, es entstand eine Polizei der Lebensmittelüberwachung. Dieser Behörde standen chemische, tierärztliche und ärztliche Sachverständige zur Seite.27 Experten wie Adolf Beythien, Adolf Juckenack und Joseph König publizierten unermüdlich zur Nahrungsmittelkontrolle und in den Zeitungen häuften sich die Meldungen über Nahrungsmittelbetrug. Nahrungsmittelchemiker wurden zu Repräsentanten sowohl einer amtlichen Nahrungsmittelkontrolle als auch einer eigenständigen Fachdisziplin, als deren „streng wissenschaftlich-rational urteilende Experten“ (Hierholzer) sie sich präsentierten. Der Kampf gegen Nahrungsmittelfälschung war auch Standespolitik.28 Dabei lag das Monopol der Nahrungsmittelkontrolle zu Beginn des 20. Jahrhunderts keineswegs selbstverständlich bei den Nahrungsmittelchemikern, die sich radikal von Laien abgrenzen mussten. 1906 berichtete König davon, dass Tierärzte, aber auch Privatchemiker und Zöllner sich anmaßten, Lebensmittelkontrollen durchzuführen, obwohl die Reichsregierung bereits eine Prüfung für Nahrungsmittelchemiker eingeführt hatte, die auf einem Studium in analytischer Chemie beruhte.29 Bei allen durch den Zeitaufwand und die unvollkommene mikrochemische Analyse bedingten Problemen der Untersuchungsämter, nahm die Nahrungsmittelkontrolle zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen gewichtigen Einfluss auf den Lebensmittelverkehr.30 Bis in die 1950er Jahre wurde die Institutionalisierung einer Lebensmittelaufsicht – eine optimierte sowie durch Sondergesetze und Verordnungen flexibilisierte Gesetzgebung, eine geregelte amtliche Beaufsichtigung, die Schaffung von öffentlichen Untersuchungsanstalten, die Produktion neuen Wissens und die Konstituierung einer Lebensmittelpolizei – unablässig durch Nahrungsmittelchemiker und zunehmend auch durch Juristen diskutiert. Dies zeigte sich insbesondere an der Zusammenarbeit des Juristen Hugo Holthöfer mit dem Nahrungsmittelchemiker Adolf Juckenack bei der Kommentierung der Lebensmittelgesetze.31 Eine zentrale Rolle bei der Kontrolle von Nahrungsmitteln übernahm in den 1890er Jahren die Vereinigung bayerischer Vertreter für angewandte Chemie, deren innovative Untersuchungsmethoden und intensive Wissensverbreitung auf das gesamte Kaiserreich zurückwirkten.32 Im Juni 1914 versammelte Franz Bumm in seiner Funktion als Präsident des Reichsgesundheitsamtes eine illustre Runde 26 27 28 29 30 31 32

Beythien, Die Neuregelung, S. 582. Hierholzer, Nahrung, S. 332–333. Hamann/Schnier, Der Schutz, S. 7. Beythien, Die Nahrungsmittelchemie, S. 15–16. Hierholzer, Nahrung, S. 167–168. König, Hindernisse, S. 5, 8. Grüne, Anfänge, S. 137–179. Lenzner, Gift, S. VI und Juckenack, Die Verdrängung, S. 85. Holthöfer/Juckenack, Lebensmittelgesetz. Behre, Zur Entwicklung, S. 1229 und Treue, Nahrungsmittelkontrolle, S. 743. Hierholzer, Nahrung, S. 59–69, 191–197.

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von Chemikern, Hygienikern, Pharmakologen und Industriellen, zu denen auch Emil Fischer, Max Rubner, Max von Gruber und Carl Duisberg gehörten, um vor allem die Zulassung von Konservierungsmitteln neu zu verhandeln.33 Zwar bremste der Erste Weltkrieg, der ansonsten die Herstellung von Nahrungsmitteln durchaus anregte, die Nahrungsmittelkontrolle, sorgte jedoch nicht für eine Neuausrichtung der Regulationspraktiken selbst. Erst in der Weimarer Republik mehrten sich wieder kritische Stimmen, die das Nahrungsmittelgesetz als nicht mehr zeitgemäß ansahen. Mit dem „Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen“ vom 5. Juli 1927, das als „Lebensmittelgesetz“ firmierte, wurde unter anderem der § 5 des alten Nahrungsmittelgesetzes geändert, der noch vage vom möglichen Erlass von Verordnungen zum „Schutze der Gesundheit“ sprach. Dem Reichsinnenministerium wurden deutlich mehr Befugnisse beim Erlass von Verordnungen und Vorschriften gegeben. Ein § 6 verlangte, dass dabei der Reichsgesundheitsrat und Sachverständige aus den Kreisen der Erzeuger, der Händler, der Verbraucher und der Fachwissenschaft angehört werden müssten.34 Im Nationalsozialismus war mit einem Rundschreiben des Reichsinnenministeriums vom 21. April 1934 das Lebensmittelgesetz von 1927 grundsätzlich bestätigt worden. Das „Gesetz zur Änderung des Lebensmittelgesetzes“ vom 11. Dezember 1935, das dann am 17. Januar 1936 im Reichsgesetzblatt als neues Lebensmittelgesetz veröffentlicht wurde, strich allerdings die Einflussnahme des Reichsgesundheitsrats wieder zu Gunsten des Ernährungsministeriums. In der amtlichen Begründung dieses Änderungsgesetzes wurde der Aspekt der Verhütung von „Schädigungen der Volksgesundheit und Unlauterkeit im Handel und Verkehr“ hervorgehoben. Zudem hieß es, dass den heutigen Grundsätzen der Staatspraxis eher dadurch entsprochen werde, „daß jeweils ein kleiner, von Fall zu Fall auszuwählender Kreis von Sachkennern unter angemessener Beteiligung der betroffenen Wirtschaftskreise und ihrer berufsständigen Vertretungen einberufen wird“. Von Verbrauchern war also bereits keine Rede mehr, wohl aber von der Zusammenarbeit wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Experten.35 Die „Verordnung zur Änderung des Lebensmittelgesetzes“ vom 14. März 1943 war dann die letzte, bereits unter der Ägide des Vierjahresplans und des Oberkommandos der Wehrmacht erlassene Gesetzesanpassung, die vor allem als Strafverschärfung namentlich bei „grobem Eigennutz“ fungierte. Diese bis 1958 gültige, durch spezielle Gesetze erweiterte Rechtssprechung basierte auf einer genauen Abgrenzung des Begriffs der Lebensmittel (etwa von Heil- und Arzneimitteln), bei gleichzeitiger Einbeziehung jener Stoffe, die zur Herstellung, Konservierung oder Färbung der Ess- oder Trinkwaren verwendet wurden. Damit aber war es auch möglich, diese Stoffe nicht nur in Bezug auf Nachmachung, Schönung und Verfälschung zu ahnden, sondern auch ob einer nachgewiesenen Gesundheitsschädlichkeit zu verbieten. Dieser Aspekt erlangte in der Entwicklung des Lebensmittelgesetzes immer größere Bedeutung.36 33 34 35 36

Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. 12–13. Holthöfer/Juckenack, Lebensmittelgesetz, S. 18–24. Holthöfer/Juckenack, Lebensmittelgesetz, S. 27–29. Spezielle Gesetze umfassten noch in der Weimarere Republik das Milchgesetz und das

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Während also ein grundsätzlicher Interessenkonflikt zwischen den kontrollierenden Wissenschaftlern und den Lebensmittelproduzenten behauptet wurde, wurde von Rechts wegen deren Zusammenarbeit als „Sachkenner“ eingefordert. Das Nahrungsmittelgesetz, erinnerte sich Beythien, diente dem „Schutz der Konsumenten“, aber in den Gesetzestexten kamen diese zunächst nur für den kurzen Zeitraum von 1927 bis 1936 auch als aktiv Beteiligte vor.37 Während das Volk, will man den öffentlichen Debatten und den Gesetzeserläuterungen glauben, vergiftet wurde, waren die Verbraucher zunächst vor allem Betrogene. Wirksame Lebensmittelkontrolle diente dem Schutz der Ahnungslosen oder hieß, wie es Juckenack 1911 verkündete, den Fälschern den Krieg zu erklären.38 Juckenack setzte bei der Bezeichnung „Verbraucher“ noch das Synonym „Staatsbürger“ in Klammern. Aber mit der sukzessiven Ersetzung des Betrugsthemas durch den Schutz der Volksgesundheit verschmolzen auch die Kollektividentitäten „Verbraucher“ und „Volk“. Die Fürsorge für eine brauchbare Ernährung sei eine Frage der Volksgesundheit, betonte Beythien, und bilde also einen Teil der öffentlichen Gesundheitspflege, „weil der einzelne Mensch heutzutage nicht mehr in der Lage ist, sich selbst bei zahlreichen Nahrungsmitteln ein Urteil über ihren Wert zu verschaffen“. Als Grund galt, dass Nahrungsmittel nicht mehr im Haushalt hergestellt, sondern von der Nahrungsmittelindustrie produziert würden. Nach zeitgenössischen Berechnungen zählten im Jahr 1907 bereits über dreihunderttausend Betriebe mit über 1.2 Millionen Beschäftigten zur Industrie der Nahrungsund Genussmittel.39 Daraus folgte aber, dass dem Konsumenten mehr und mehr die Möglichkeit entzogen werde, sich gegen Schädigungen beim Einkauf von Nahrungsmitteln zu schützen. Viele Erzeugnisse der Großindustrie sähen nur scheinbar so aus wie die ihm von der Herstellung im Haushalte bekannten Nahrungsmittel. Manche der so verlockend gelb erscheinenden „Eiernudeln“ seien gar keine Eier, sondern enthielten künstlichen Teerfarbstoff. „Himbeermarmelade“ bestehe aus künstlich rot gefärbtem Stärkesirup und Apfelmus mit eingerührten Himbeerkernen. Wein sei ein Gemisch von Spiritus, Weinsäure, Essenz und Farbe. Oft seien diese Fälschungen nicht beweisbar, weil, so Beythien, „die Falsifikate und Kunstprodukte meist mit Aufbietung höchsten, einer besseren Sache würdigen Scharfsinns zusammengemischt worden sind und nur mit den Hilfsmitteln moderner Wissenschaft, nämlich der Nahrungsmittelchemie, erkannt werden können“.40 Juckenack forderte, dass die neueren Konservierungsmittel wie Borax, Borsäure, Formaldehyd, Salicylsäure und Benzoësäure deshalb

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Weingesetz (1930), während des Nationalsozialismus das Nitritgesetz (1934) und das Fleischbeschaugesetz (1940). Hamann/Schnier, Der Schutz, S. 8; Anonym, Zur Frage, S. 99; Zipfel, Lebensmittelrecht, S. 199–216; Holthöfer/Juckenack, Lebensmittelgesetz, S. 37; Fincke, Über allgemeinen Inhalt; Kuttenkeuler, Die Entwicklung, S. 511; Juckenack, Die Verdrängung, S. 85; und König, Über die Bedürfnisse, S. 634, 636. Beythien, Die Neuregelung, S. 575. Juckenack, Die Verdrängung, S. 87, 90. Beythien, Die Nahrungsmittelchemie, S. 14. Beythien, Die Nahrungsmittelchemie, S. 15.

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verboten oder zumindest deklariert werden müssten, da Verbraucher die Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen sinnlich nicht mehr erfahren könnten.41 Nach diesem Szenario standen sich unaufgeklärte sowie verführbare Verbraucher einerseits und einzig am Profit interessierte Produzenten gegenüber. Was die Lebensmittelkontrolle entsprechend zu leisten habe, schlussfolgerte König, sei die Aufklärung der Verbraucher.42 Unsere Jugend, welche heute in den Steinmauern der Großstadt heranwachse, prononcierte im gleichen Sinne der Münchener Chemiker Alfred Hasterlik, habe von dem Wesen und Entstehen der Dinge, die sie täglich gebrauche, die sie esse und trinke, keine Ahnung. Damit war auch eine anhaltend geführte, wenn man so will bis heute gängige Klage vorformuliert: die Jugend wisse nicht, ob Makkaroni ein Erzeugnis menschlicher Tätigkeit oder die Frucht der Tropen seien und ob Kühe im Liegen oder im Stehen gemolken würden. Die Aufgaben der Nahrungsmittelchemie seien also Aufklärung des Konsumenten, Hebung des Reinlichkeitssinns und Belehrung des Produzenten.43 Königs wegweisende Forderung lautete schließlich, dass zwar von den Herstellern der Nahrungs- und Genussmittel nichts Unmögliches verlangt und unschädliche Ersatzmittel auch nicht verboten werden dürften, zum Schutze der Käufer und Verbraucher aber klare Verhältnisse geschaffen werden müssten. Zusätze müssten als solche gekennzeichnet werden und jeder Verbraucher müsse wissen, was er vor sich habe. Für alle solche Waren, die durch Mischung verschiedener Bestandteile hergestellt und als allgemeine Volksnahrungsmittel verbreitet würden, müsste zudem ein fester Gehalt an wertbestimmenden Nährstoffen garantiert werden. Fortschritte in der Nahrungsmittelherstellung dürften nicht unterbunden werden, aber es müsse immer oberster Grundsatz bleiben, dass der Käufer über das wahre Wesen einer Ware nicht hinweggetäuscht werde, sondern durch genaue Benennungen und Aufschriften erfahre, was er vor sich habe und erwerbe.44 Die Aufgabe der Nahrungsmittelchemiker bestehe darin, das Interesse und Verständnis der Behörden wie der Bevölkerung für die Nahrungsmittelkontrolle zu fördern. Bei der allgemeinen Gleichgültigkeit der Menschen gegen das, was sie essen und trinken, wenn es ihnen nur schmecke, komme den Nahrungsmittelchemikern die Rolle von Vorkämpfern zu.45 In den 1870er Jahren entstanden mit den sogenannten Vereinen gegen Verfälschung der Nahrungsmittel durchaus bürgerliche Selbsthilfeorganisationen, welche die Aufklärung der Massen durch Apotheker, Ärzte und Chemiker sowie die eigenständige Untersuchung von Nahrungsmitteln in Laboratorien mit einer Kritik an „gewissenlosen Fabrikanten und Händlern“ verbanden. Die Vereine beteiligten sich auch an der öffentlichen Debatte zum Nahrungsmittelgesetz, vertraten dabei aber keineswegs einen radikalen Kurs.46 Die Verbraucher, mit denen implizit Hausfrauen gemeint waren, erschienen im letzten Drittel des 19. Jahr41 42 43 44 45 46

Juckenack, E. H. Jenkins. König, Hindernisse, S. 7. Hasterlik, Wege, S. 74–76. König, Hindernisse, S. 8 und König, Über die Bedürfnisse, S. 634. König, Hindernisse, S. 9. Hierholzer, Nahrung, S. 289–302. Siehe insbesondere auch das dort auf S. 291 abgebildete

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hunderts, obwohl sie ja unverfälschte Waren erwarteten, immer auch als nachlässig, unmündig, indifferent, zudem unberechenbar, wenn sie den ersten Bedürfnissen nachgaben, die Ernährungslehren missachteten und auch noch die buntesten und intensivst riechenden Nahrungsmittel erstanden. Mit dem Nahrungsmittelgesetz schienen die größten Missstände behoben, aber die der Vorbeugung dienende Aufklärung der Verbraucher vor allem in Form von Ratgeberliteratur blieb ein Ziel, für dass sich wissenschaftliche Experten und Lebensreformer zuständig fühlten. Um 1900 entstand zwar noch nicht die Figur des kritischen Konsumenten, wohl aber existierte die der ahnungslosen Käuferin.47 Damit aber überhaupt bestimmt werden konnte, was rationales Kaufverhalten sei, mussten die Waren selbst eindeutig definiert werden. Die Arbeit der Nahrungsmittelchemiker bestand in der Erstellung von Bestimmungen, wie bestimmte Lebensmittel eigentlich beschaffen sein sollten. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in einem Prozess wegen Margarineverfälschung die These aufgestellt, dass es eine normale Beschaffenheit der Margarine überhaupt nicht gebe. Gleichwohl, so Beythien, würde die Freie Vereinigung Deutscher Nahrungsmittelchemiker unermüdlich neue Definition erarbeiten. Selbst für die Wurst, dieses, so Beythien, „rätselhafteste Erzeugnis der Nahrungsmittelindustrie“, sei es gelungen, Begriffsbestimmungen aufzustellen.48 Begriffsbestimmungen, bezogen auf die Lebensmittel selbst, aber auch auf deren kategorialer Einordnung, blieben im 20. Jahrhundert ein zentrales Problem des Lebensmittelrechts und der Lebensmittelwissenschaft. Die Definitionen von Konservierungsmitteln, Farbstoffen und der später neu eingeführten Kategorie technische Hilfsstoffe entschieden über Zulassungen und Nichtzulassungen.49 Der pharmazeutische Chemiker Heinrich Fincke war 1930 optimistisch, dass bald eine Geschichte der Chemie geschrieben werde, die der Chemie der Ernährung und der Lebensmittel sowie der chemischen Technologie der Lebensmittel und deren „Verfälschungsnachweis“ den ihnen gebührenden Platz einräumen würde. Aber Fincke sollte enttäuscht werden. Eine solche Geschichte der Lebensmittelchemie ist immer noch Desiderat und wurde bisher nur in Ansätzen verfasst.50 Vor allem aber müsste dabei auch gezeigt werden, wie sich die Lebensmittelchemie gegenüber Verbrauchern, Produzenten und Händlern positionierte. Dieses relativ stabil scheinende Ensemble erhielt aber schon Ende des 19. Jahrhunderts eine spezifische Ausrichtung, in dem das eher schwache Bild der Giftstoffe in der Nahrung durch lebensnotwendige Substanzen, sogenannte Wirkstoffe, überhaupt erst konturiert wurde. Mit der entstehenden Bewegung für eine Ernährungsreform erhielt auch der Verbraucher einen sehr spezifischen

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Titelbild der ersten Ausgabe der Zeitschrift des Allgemeinen deutschen Vereins gegen Verfälschung der Lebensmittel aus dem Jahr 1877. Beythien, Die Nahrungsmittelchemie, S. 18–19. Hierholzer, Nahrung, S. 271–288. Beythien, Die Nahrungsmittelchemie, S. 19. Hierholzer, Nahrung, S. 325–328. König, Über die Bedürfnisse, S. 622. Zur Lebensmittelwissenschaft: Schmauderer, Die Anfänge und Hanssen/Wendt, Geschichte. Fincke, Die Bedeutung. Mit den Ausnahmen Andersen/Spelsberg, Das blaue Wunder und Grüne, Anfänge. Mit anderer Gewichtung natürlich auch Hierholzer, Nahrung.

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Inhalt. Er stand nun nicht mehr passiv den aktiven Experten und Interessenvertretern gegenüber, sondern wurde selbst zum Experten einer gesunden Ernährungsweise. Lebensnotwendige Substanzen. Der Nährstoffkörper und die Reform der Ernährung „Das Schlechte abtöten, das Gute verschonen.“51

Es war Rudolf Virchow, der 1868 in einem Vortrag die Bedeutung der Ernährungsfrage für das moderne Staaten- und Gesellschaftsleben hervorhob. Was jedoch immer noch fehle, sei ein allgemeines Verständnis über den Wert und die Bedeutung der einzelnen Nahrungsbestandteile. Aus dem genossenen Dinge werde im Körper etwas Nutzbares, erklärte Virchow. Auf welche Weise dies aber geschah und welche Stoffe des Dinges sich in körperlich Nutzbares umwandelten, musste ein neuer Zweig der Chemie erst noch erarbeiten.52 Nun war zu diesem Zeitpunkt die chemische Erforschung der Nahrungsbestandteile in vollem Gange. Antoine de Lavoisier hatte genossene Dinge in chemische Stoffe zerlegt; François Magendie mit tierexperimenteller Methodik zwischen stickstoffhaltigen und -freien Nährstoffen unterschieden. Der Niederländer Jacob Moleschott führte das Kostmaß als berechenbaren kleinsten Wert der Nahrung ein; Justus von Liebig differenzierte zwischen energiegebenden Fetten und Kohlenhydraten sowie Körper- und Muskelmasse aufbauenden Eiweißen. Ernährung war seit dem späten 18. Jahrhundert ein chemischer Prozess der Aufnahme, Umwandlung und Ausscheidung von stofflichen Bestandteilen.53 Die Münchener physiologische Schule um Max von Pettenkofer, Carl Voit und dann auch Max Rubner schloss hier seit den 1860er Jahren an, reformierte aber mit neuer experimenteller Methodik und Technik die Liebigschen Thesen. Pettenkofer und Voit analysierten und quantifizierten die einzelnen Nährstoffe – Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate – und deren Mindestbedarf, um auf dieser Basis eine genügende und richtige Kost zu bestimmen. Die Norm des Voitschen Kostmaß, das eine bestimmte Menge von Fetten, Kohlenhydraten und einen hohen Anteil an tierischen Proteinen vorschrieb, bezeichnete seit den 1870er Jahren die ideale Zusammenstellung der Nahrungsbestandteile. Ausreichender Fleischkonsum erschien dabei als die angemessene, einen leistungsfähigen Körper garantierende Ernährungsweise.54 Der lebensmittelchemischen Identifizierung und Klassifizierung der Stoffe entspra51

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Eberhard Knapp, „‚Das Schlechte abtöten, das Gute verschonen.’ Experimente für die Zukunft in der Bundesforschungsanstalt für Lebensmittelfrischhaltung in Karlsruhe“ (Mannheimer Morgen, 25.10.1960), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, vom Dezember 1960 bis August 1961. Virchow, Ueber Nahrungs- und Genußmittel, S. 5–6, 8–9. Spiekermann, Pfade und Carpenter, Protein. Schormüller, Lehrbuch, S. 1–10. Spiekermann, Redefining Food, S. 14–16; Hierholzer, Nahrung, S. 38–43; Spiekermann, Ordnungsträume, S. 106. Zur Münchener Schule: Holmes, The Formation. Zum Kostmaß: Thoms, Anstaltkost, S. 346–348.

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chen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ernährungsphysiologische Fütterungsversuche und Bilanzierungsmethoden. Zu diesen zählten maßgeblich Voits und Pettenkofers Untersuchungen über den Stoffverbrauch, die Kontrolle der Umsetzungen, die Berechnung der eingenommenen und ausgeschiedenen Bestandteile: Welche Elemente treten in den Körper ein, in welchen Stoffen waren diese Elemente enthalten und sind Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate dabei zerstört worden?55 Als Kalorienlehre setzte diese Ernährungsphysiologie Muskelarbeit, Leistung und Energie, einen „Kraft- und Stoffwechsel im menschlichen Körper“, in einen Zusammenhang.56 Mit dem Konzept der Kalorien, das im Ersten Weltkrieg zu einer „Alltagsvokabel“ (Teuteberg) wurde, konnten Nahrungsmittel kategorisiert und Ernährungspraktiken rationalisiert, also optimal angepasst werden. Bei Rubner kam der Ernährung dann schlichtweg die zentrale Rolle für die Gesundheit, Fitness und Lebensdauer des Menschen zu.57 Der bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts etablierte Begriff ,,Nährwert“ wiederum wurde um 1900 sowohl von Wissenschaftlern als auch von Verbrauchern benutzt, auch, so der Lebensmittelchemiker Heinrich Fincke, um Nahrungsmittel vergleichbar zu machen. Wissenschaftlich bezeichne der Nährwert die Gesamtheit derjenigen Bestandteile, die für die Ernährung des Menschen von Wichtigkeit seien. Für den Verkäufer bezeichne er den Wert seiner Ware, für den Verbraucher den Wert eines Nahrungsmittels.58 Auch in diesem Gebiet kam Joseph König eine Pionierrolle zu. Seine erstmals 1878 erschienene Schrift zur Chemischen Zusammensetzung der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel fasste als Überwindung der veralteten Moleschottschen Physiologie der Nahrungsmittel die neuesten Forschungsergebnisse zusammen. König klagte in der Einleitung zur Erstauflage, dass die Ernährung des Menschen in der Physiologie kaum beachtet werde. Mit seiner ausführlichen und gut sortierten Schrift versuchte er einen Überblick über dieses vielseitige und komplizierte Thema zu geben, ohne sich dabei aber großen aufklärerischen Illusionen hinzugeben: Der größte Teil der Menschheit würde sich ohnehin gegenüber derartiger Forschung indolent verhalten, denn dieser ernähre sich nicht nach wissenschaftlichen Grundsätzen, sondern nach Geschmack.59 König schloss an Rubner an und kanonisierte die Konzepte Nährwert, Kalorienwert und Nährwertbedarf, die nebst den Begriffen Kostmaß, Ernährungswert und Genusswert bis in die 1910er Jahre die nahrungsmittelchemische und ernährungsphysiologische Debatte anleiteten.60 Berechnungen zur Verdaulichkeit der Nahrungs- und Genussmittel sowie zum jeweiligen Bedarf an Nährstoffen und deren Funktion im Organismus 55 56 57 58 59 60

Kuttenkeuler, Die Entwicklung und Pettenkofer, Voit, Untersuchungen. Merta, Wege, S. 190–208. Atwater, Neue Versuche und Frey, Der Satz. Thoms, Anstaltskost, S. 346–347. Rubner, Nahrungsmittel und Müller/Sonntag/Hebebrand, Ernährungslehre. Novero, Class; Treitel, Max Rubner; Treitel/Atkins/Lummel/Oddy, Food Science; und Teuteberg, Die tägliche Kost, S. 350. Fincke, Über die Begriffsbestimmung, S. 65–66, 69. Scrinis, Nutritionism; Orland, The Invention; und Orland, Nutrients. König, Chemische Zusammensetzung, S. v. Church, The History und Teuteberg, Durchbruch. König, Nährwerttafel und König, Die hauptsächlichsten Ergebnisse.

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wurden um 1900 ausdauernd ermittelt, der intermediäre Stoffwechsel dabei immer auch als Stoffwechselbilanz verstanden. Minimal- und Maximalgehalt an Nährstoffen sowie deren mögliche Veränderungen im Herstellungsprozess standen im Mittelpunkt des chemischen und physiologischen Interesses.61 In der vierten Auflage seiner Schrift zur Chemischen Zusammensetzung der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel aus dem Jahr 1903 konnte König dann schon zufrieden von der Existenz einer Chemie der Nahrungs- und Genussmittel sprechen. Das Wissen über die Physiologie der Ernährung war dabei nicht nur eine Anleitung zur richtigen Ernährung, sondern untrennbar mit dem Problem der Verfälschung der Nahrungs- und Genussmittel vergesellschaftet.62 Die Forschung, Produktion und Kontrolle verbindende, auf dem Dogma des Kostmaßes beruhende und fleischhaltige Nahrung privilegierende Ernährungsphysiologie geriet in den 1910er Jahren jedoch in den kritischen Fokus einer lebensreformerisch ausgerichteten und vitaminreiche vegetabilische Kost propagierenden neuen Ernährungslehre. Die quantitative Logik der Stoffwechselbilanz, der kalorischen Messungen, des Primats der proteinhaltigen Fleischnahrung passte nicht zu neuesten, die Physiologie und Reform der Ernährung verbindenden Körpermodellen, die ein regulierbares inneres Milieu in Beziehung zum Nähr-, aber auch Gifstoffe liefernden äußeren Milieu setzten. Jenseits der Ernährungskonjunkturen von fleischlicher und pflanzlicher Ernährung war der Streit über das Kostmaß auch eine Frage von Lebensstilen, ein Generationenkonflikt und Folge veränderter Arbeitsverhältnisse. Um 1900 grenzten sich immer selbstbewusstere Angestellte und Akademiker, die fast schon sprichwörtlichen Volksschullehrer, von den Fleisch verzehrenden Proletariern und Bürgern ab. Während bei aller Kritik an Verfälschungen die älteren Ernährungsphysiologen die Nahrungsmittelindustrie keineswegs kategorisch abgelehnt hatten, standen die Befürworter vegetabilischer Kost dieser grundsätzlich abweisend gegenüber.63 Seit den 1880ern verschärften anerkannte Kapazitäten wie der Physiologe Gustav von Bunge, dem auch in der Abstinenzbewegung eine führende Rolle zukam, die Kritik an der Kostnorm. Die Historikerin Sabine Merta spricht von einem magisch anziehenden Dreieck von Naturheilbewegung, Vegetarismus und Lebensreform, das Ende des 19. Jahrhunderts Naturismus, eine neohippokratische Diätetik sowie die Kritik der Schulmedizin verband und an Projekte der Verbesserung des Individuums und des Kollektivs anschloss.64 Die Naturheilbewegung hatte im 19. Jahrhundert Rousseausche Gedanken in diätetische Therapien der reduzierten Roh- und Schonkost und abstinente Prinzipien des Alkohol- und Fleischverzichts überführt und dabei auch, etwa durch

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König, Chemische Zusammensetzung, S. v–vi. König, Chemische Zusammensetzung, S. viii. Zur Lebensmittelverfälschung im 19. Jahrhundert: Burnett, Plenty, S. 86–103; Tanner, Die Ambivalenz, S. 191–192; Teuteberg, Die Verfälschung; und Atkins, Sophistication. Teuteberg, Die tägliche Kost, S. 351–353. Hueppe, Der moderne Vegetarianismus. Merta, Wege, S. 25–81 und Huerkamp, Medizinische Lebensreform.

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Vincenz Prießnitz, auf Vergiftung und Reinigung rekurriert.65 Naturheilkundliche Praktiken wie Wasserkur, Diätetik und Gymnastik gingen in eine Lebensreform über, die seit den 1890er Jahren durch Optimierungs- und Reinigungstechniken den nervösen Großstadtmenschen durch einen gereinigten und gestärkten „Neuen Menschen“ zu ersetzen versuchte. Die Lebensreformbewegung, schreibt Florentine Fritzen in ihrem Standardwerk zum Thema, ist eine „Erscheinung der modernen Industrie-, Wissens- und Konsumgesellschaft“. Sie bündelte die Kritik an den konsumistischen, individualistischen und technischen Veränderungen der Jahrhundertwende und war doch zugleich immer auch schon Teil dieser eigentlichen Revolution der Moderne.66 Das Programm der Lebensreform reichte von Naturheilkunde, ganzheitlicher Medizin, Tierrecht, Vegetarismus, gesunder Ernährung, Kleidungsreform, Sexualreform, Körper- und Nacktkultur und Abstinenz bis zur Gründung von Gartenstädten und Siedlungen.67 Lebensreformerische Gedanken, namentlich die Kritik an der Abkehr von der eigentlichen Natur des Menschen, gab es auch in den anderen transatlantischen Gesellschaften, aber in Deutschland, schreibt der Historiker Thomas Rohkrämer, war die Lebensreform systematisch, philosophisch und sozialwissenschaftlich ausgerichtet und stark mit völkischem Denken verbunden. In Großbritannien existierten mit John Ruskin oder Edward Carpenter sicherlich sehr einflussreiche Vertreter lebensreformerischer Überzeugungen, ein von charismatischen Intellektuellen unabhängiger, dabei auch soziale Grenzen überschreitender lebensreformerischer Diskurs setzte sich aber nur im deutschsprachigen Raum durch. Wie Rohkrämer zusammenfasst, war die britische Lebensreform in all ihren Schattierungen traditionalistisch und brav, „während die Kulturkritik in Deutschland die gesamte moderne Entwicklung kritisch infrage stellte“.68 Ein lebensreformerischer Diskurs rekonstruierte und verband die immer mythischen „Hebewörter“ (Hacking) Natur, Gesundheit und Reinheit, um daraus unmittelbar Handlungsanweisungen abzuleiten, war aber keineswegs antiwissenschaftlich, nicht einmal notwendigerweise antirational eingestellt. Im Gegenteil dienten neueste wissenschaftliche Forschungen selektiv der Validierung lebensreformerischer Überzeugungen. Abgelehnt wurde das kausale Denken, dem eine monistische und holistische Denkweise entgegengestellt wurde. Der lebensreformerische Mensch traf Vorsorgemaßnahmen und wendete optimierende, regulierende sowie reinigende Techniken an, um einen leistungsfähigen, sich dem Verfall widersetzenden Körper zu erarbeiten. Lebensreform und Lebenswissenschaften 65

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Fritzen, Gesünder leben, S. 62–64; Heyll, Wasser; Sarasin, Reizbare Maschinen, S. 95–172; Krabbe, Naturheilbewegung; Bühring, Naturheilkunde; Regin, Selbsthilfe; Rothschuh, Zum Standort; und Rothschuh, Naturheilbewegung. Zum Naturbegriff in ernährungsreformerischen Diskursen: Lepiller, Chasser le naturel. Fritzen, Gesünder leben, S. 33. Zur Lebensreformbewegung außerdem: Sharma, Wilhelmine Nature; Cluet/Repussard, Lebensreform; Kerbs/Reulecke, Handbuch; Buchholz/Latocha/ Peckmann/Wolbert, Lebensreform; Barlösius, Naturgemäße Lebensführung; und Krabbe, Gesellschaftsveränderung. Kerbs/Reulecke, Handbuch und Krabbe, Gesellschaftsveränderung. Rohkrämer, Lebensreformbewegung, S. 333–334.

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standen dabei durchaus in einem engen Austauschverhältnis.69 Zur langen Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert konstituierte sich ein Gefüge eng verbundener reformerischer und wissenschaftlicher Praktiken und Wissensdiskurse: Lebensreform, Eugenik und Präventivmedizin, ein utopischer Biologismus.70 Dass der Mensch in der modernen Zivilisation durch Industrialisierung und Urbanisierung von der Natur entfremdet sei, lautete eine lebensreformerische Kreise weit überschreitende These. Die unausweichliche Folge seien sogenannte Zivilisationskrankheiten sowie Nervosität, Degeneration und Alkoholismus. Gesundheit war dann die Versöhnung von Kultur und Natur, erreicht durch vorbeugenden und vorsorgenden Schutz vor den verderbenden Einflüssen der Industrie- und Konsumgesellschaft. Hier entstanden neue Lebensweisen (Ernährung, Kleidung, Körperkultur) und neue Lebensorte (Siedlungen, Gartenstädte, Nacktkulturstätten), radikale Einstellungen (zahlreiche Praktiken des Verzichts) und eine lange Liste abzulehnender Übel: Genussmittel, Fleischnahrung, die Reize der Großstädte, alle Arten der Vermischung genauso wie eine falsche Sexualethik, Prüderie ebenso wie Ausschweifungen.71 In der entschiedenen Ablehnung enstanden zugleich auch ein neuer Markt der guten Waren in den Reformhäusern, der Ratgeberliteratur sowie schließlich ein neuer Lebensstil, der durchaus auch an moderne und bohemistische Lebensformen anschlussfähig war, wie das Beispiel Monte Verità zeigt.72 Lebensreformer problematisierten auf radikale Weise den Übergang von einer produktivistischen zu einer konsumistischen Gesellschaft und waren doch zugleich auch deren Produkt. Sie waren wohl noch keine Neuen Menschen, aber zumindest neue Konsumenten. Um 1900 mischten sich auch Sozialreformer in die ernährungsphysiologische Debatte ein, um besorgt festzustellen, dass sich die Ernährungsgewohnheiten in den Industriestaaten zum Schlechten geändert hätten. Aber erleichtert wurde zugleich festgestellt, dass eine reformerische Avantgarde bereits damit befasst sei, diese degenerative Tendenz zum Guten zu wenden.73 Gesunde Ernährung wurde zu einem Leitmotiv des frühen 20. Jahrhunderts, das notwendigerweise auf anerkanntem Wissen über gute und schlechte Ernährungsweisen beruhte, aber auch die Kontaminierung der Nahrung mit schädlichen Stoffen verhindern musste, optimierende und puristische Praktiken vereinte. Es war die einfache, möglichst naturbelassene Kost, die zum Ideal jener wurde, die bereit waren, an einem neuen, gesunden und leistungsfähigen Körper zu arbeiten.74 Neue Ernährungstechniken (Vegetarismus, Fletcherismus oder Mazdazman) und neue Stoffe (Vitamine 69 70 71 72 73 74

Fritzen, Gesünder leben, S. 311–315 und Stoff, Ewige Jugend, S. 337–375. Ian Hacking bezeichnet mit Hebewörtern Begriffe, die durch einen „semantischen Aufstieg“ entstanden sind. Hacking, Was heißt „soziale Konstruktion“?, S. 41–43. Weindling, Health, S. 24–25. Hengartner/Merki, Genußmittel. Florentine Fritzen spricht gleich von einer „Generation Reformhaus“. Fritzen, Gesünder leben, S. 139–161. Grotjahn, Über Wandlungen. Rubner, Über moderne Ernährungsreformen und Caspari, Physiologische Studien. Briesen, Das gesunde Leben, S. 91–118; Fritzen, Gesünder leben, S. 193–217, Merta, Wege, 25–217, Barlösius, Soziologie, S. 220–227, 239–242; und Baumgartner, Ernährungsreform.

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und Spurenelemente) versprachen die Gesundung des aus eigener Schuld der Degeneration zuneigenden, des unmündigen und unaufgeklärten Menschen.75 Rein bleiben und sich reinigen, Gifte meiden und die Selbstvergiftung bekämpfen, lauteten die reformerischen Ratschläge. Ein Mensch, der seine Nahrung so lange kaue, bis diese flüssig geworden sei, verkündete der amerikanische Diätreformer Horace Fletcher, würde seinen Körper entgiften und schließlich wieder zu höchsten Leistungen fähig sein. Zwischen innerer Reinheit und gesteigerter Leistungsfähigkeit bestand nicht nur ein ethischer, sondern auch ein beherrschbarer physiologischer Zusammenhang.76 Der Publizist Carl Christian Bry fürchtete hingegen den tyrannischen, grenzenlosen und reduktionistischen Charakter der Abstinenz: Alle Lebensreform enthalte die Aufforderung zu einer feineren und gröberen Art von geistigem Selbstmord. Was Bry besonders fürchtete, war die Maßlosigkeit der Abstinenz. Auf den Antialkoholismus folge der Vegetarismus, darauf „weniger Nahrung durch gutes Kauen“, schließlich Mazdazman, „Enthaltsamkeit von Nahrung und Trinken durch richtige Atemtechnik und Eurythmie”.77 Mit ähnlichen Worten hatte in den 1890er Jahren schon der französische Pharmakologe Alfred Jaquet vor dem Entstehen eines Normalmenschen gewarnt, „der wie eine Uhr gerichtet lebt und nur rationelle physiologische Nahrung zu ganz bestimmten Zeiten zu sich nimmt, der jeden Exzess sorgfältig vermeidet, der in geistiger Beziehung auch immer möglichst normal, jedes seiner Worte auf die Goldwaage legt“.78 In den 1910er Jahren wurde die Ernährungsphysiologie lebensreformerisch orientiert und die Lebensreform ernährungsphysiologisch beglaubigt. Bis vor kurzer Zeit habe sich die Ernährungslehre hauptsächlich mit der Frage beschäftigt, wieviel Energie, Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate ein Kostmaß enthalten müsse, welche Bedeutung jeder dieser Ernährungsfaktoren für den Organismus habe und welche Umsetzungen sie erlitten, sang Bouwe Sjollema einen Abgesang auf die alte Ernährungslehre, die eben nicht alle wesentlichen Stoffe erfasst hatte.79 Die durchaus unterschiedlich argumentierenden Elmer McCollum und Nina Simmonds, Max Bircher-Benner sowie Mikkel Hindhede vertraten maßgeblich eine „Neue Ernährungslehre“, die auf bedeutsame Weise eine neue imperative Körperpolitik und Selbsttechniken der gesunden Ernährung etablierte.80 Der dänische Arzt Mikkel Hindhede führte Ernährungsversuche bei Tier und Mensch durch, die das Eiweißdogma in Frage stellten und das Loblied von Kartoffel und Brot sangen, ein Zurück zur pflanzlichen, letztlich ländlichen Ernährungsweise. Er propagierte grob gemahlenes Vollkornbrot, damit es wirklich naturgemäß, also 75 76 77 78 79 80

Thoms; Vegetarianism und Merta, Wege, S. 101, 148–153. Barnett, Fletcherism; Heyll, Wasser, S. 99–100; und Armstrong, Modernism, S. 43–74. Bry, Verkappte Religionen, S. 127–128. Krabbe, Gesellschaftsveränderung, S. 73–77. Zitiert nach Tanner, Die Abstinenz, S. 184. Sjollema, Ergebnisse, S. 208. Bircher-Benner, Eine neue Ernährungslehre; MacCollum/Simmonds, Neue Ernährungslehre; Hindhede/Landmann, Die neue Ernährungslehre; Von Noorden/Harko/Salomon, Handbuch; Hindhede, Eine Reform; Bircher-Benner, Grundzüge. Briesen, Das gesunde Leben, S. 141–163; Melzer, Vollwerternährung, S. 101–142; Merta, Wege, S. 119–128; und Spiekermann, Historischer Wandel.

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unbehandelt sei, die vollen Körner und damit den vollen Wert beibehalte. Dass Hindhedes Diät einer laktovegetabilischen Kost während des Ersten Weltkriegs in Dänemark eine Hungersnot zu verhindern half, gab der Neuen Ernährungslehre trotz aller Widerstände durch die ernährungsphysiologischen Koryphäen, welche die Voit-Rubnersche Ernährungslehre verteidigten, auch ernährungspolitischen Rückhalt. Hindhede sah die wohlschmeckende fleischhaltige Kost vor allem der Stadtbevölkerung als ein Zeichen fehlgehender Zivilisation, als Wohlstandseffekt, der notwendigerweise zur Überernährung, Verfettung, Schwächung und Degeneration führe. Seine Diät war dabei mit abstinenten Techniken, dem Verzicht auf Alkohol und Koffein, einem disziplinierten Lebenswandel, Nacktkultur und Abhärtungsmethoden, verbunden.81 Dies entsprach jener Selbstdisziplinierung, die auch der Schweizer Arzt Maximilian Bircher-Benner verkündete. Abstinenz war die notwendige Arbeit am bedrohten Körper; pflanzliche Rohkosternährung wiederum die einzig Rettung verheißende Heilmethode. Bircher war beeinflusst vom Schweizer Psychiater Auguste Forel, der als Eugeniker, Sexualreformer, Abstinenzler und auch als Ameisenforscher großen Anteil an der Ausgestaltung des lebensreformerischen Konsumismus um 1900 hatte.82 Bircher-Benners energetische Theorie ersetzte das Eiweißdogma durch die Lehre vom Nahrungspotential: Nicht der Stoffwechsel sei entscheidend, sondern die Energiewirkungen, die Energieerhaltung, die Bildung chemischer Energie, die Sonnenenergie, die sich in pflanzliche Stoffe und daraufhin in tierische Energie umwandle. So schuf er keine grundlegende Verwerfung der Ernährungslehre des 19. Jahrhunderts, wohl aber eine Umdeutung und Anpassung mit einer Fokussierung auf vegetabilisches Eiweiß und zunehmend auf gewisse chemische Elementarstoffe, Mineralien, Spurenelemente und natürlich Vitamine. Seine praktische Leistung war jene in den frühen 1920er Jahren entwickelte Krankendiät, der wir bis heute das Bichermüsli und das Vollkornbrot zu verdanken haben.83 Ernährung wurde zu einer Selbstdisziplin, zu einem Modus sowohl der optimierenden als auch der moralischen Arbeit am Selbst.84 In der Ernährungsphysiologie blieben Proteine, Fette und Kohlenhydrate wichtig, aber es waren die Vitamine, die als moderne Agentien einer wahren Gesundung des Menschen renommierten. Experimente mit der Entnahme von bestimmten Organen und Organteilen, die spezifische Mangelerscheinungen zur Folge hatten, verwiesen seit den 1890er Jahren auf die Existenz unsichtbarer Stoffe, die für bestimmte vitale körpereigene Leistungen zuständig seien. Diese zunächst fiktiven Substanzen wurden als Hormone bezeichnet und bis in die 1930er Jahre in einem Prozess der Institutionalisierung, Standardisierung, Regulierung und Aktivierung zu eigenständigen Stoffen, die das Funktionieren des 81 82 83 84

Zu Hindhede: Overgaard, Mikkel Hindhede; Melzer, Vollwerternährung, S. 104–113; und Merta, Wege, S. 153–162. Tanner, Abstinenz, S. 183 und Wirz, Die Moral. Heyll, Wasser, S. 196–200; Melzer, Vollwerternährung, S. 113–139; und Merta, Wege, S. 153–162. Albert Wirz hat dies am Beispiel von Bircher und John Harvey Kellog gezeigt. Wirz, Die Moral.

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Körpers als chemisches Regulationssystem auf neue Weise erklärten, manipulierund optimierbar machten. Mit den Hormonen waren nicht nur Mangelkrankheiten und Fehlfunktionen verständlich, sondern wurde zugleich die Neugestaltung und Verbesserung des menschlichen Körpers möglich.85 Die frühe Vitaminforschung war durch das Experimentalsystem der Herstellung und Aufhebung von Mangelsituationen geprägt. Eine Vitamintheorie entstand als entwicklungsphysiologisches Konzept kompetenter Stoffe zur Behandlung von Mangelerscheinungen. Beriberi, Pellagra, Rachitis und Skorbut, Krankheiten, die vor allem den Kolonialmächten zu schaffen machten, konnten mit bestimmten Nahrungsbestandteilen in Reis, Lebertran oder Südfrüchten geheilt werden. Ernährungsexperimente zeigten aber noch differenzierter, dass eine Nahrung, die alle bekannten Nährstoffe enthielt – gereinigte Fette, Kohlenhydrate, Proteine, Mineralien, Ballaststoffe und Wasser –, nicht ausreiche, spezifische Mangelzustände zu beheben. Die Versuche verwiesen auf die Existenz von hypothetischen, für das Funktionieren des Organismus notwendigen Stoffen.86 Der nicht ganz korrekte, aber einprägsame, in alle Sprachen gut zu übersetzende Name „Vitamine“ wurde 1912 von dem polnischen Biochemiker Casimir Funk vorgeschlagen und stand fürderhin synekdotisch für gesunde Ernährung, den Vorrang vegetabilischer Kost und das Gebot individueller Vorsorge.87 Seit den 1920er Jahren wurden die Stoffgruppen der Hormone und Vitamine zusammen mit den Enzymen im deutschsprachigen Raum mit dem neuen Begriff „Wirkstoffe“ bezeichnet. Dieser verwies bis in die 1950er Jahre nicht auf die chemische Identität der Stoffe, sondern auf eine wechselseitige Abhängigkeit von Mangel und Leistung. Ein Mangel, sichtbar durch körperliche Deformationen sowie durch bekannte und neue Krankheitseinheiten, bewies die Leistungsfähigkeit biologisch wirksamer Stoffe, welche diesen Zustand wieder aufhoben und damit auch weitreichende Leistungssteigerungen des Körpersystems versprachen. Wirkstoffe, das waren unsichtbare, nicht filtrierbare, für das Funktionieren des Organismus jedoch unerlässliche Agentien. Sie steuerten auf spezifische Weise chemische Prozesse und garantierten die Integrität des Körpers durch die Regulierung des Stoffwechsels und der Funktionen von Geweben und Zellen.88 Die Neue Ernährungslehre und die Neue Physiologie konstituierten ein ebenso neues komplexes Körperkonzept biochemischer Reaktionsmechanismen bei denen leistungsstarken Stoffen besondere Bedeutung zukam. Der regulierbare Wirkstoffkörper des frühen 20. Jahrhunderts war ein anderer als der tendenziell degenerierende Nervenkörper des 19. Jahrhunderts. Die alte Physiologie hatte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ausgedient und wurde durch eine neue Physiologie der chemischen Regulation verdrängt.89 Hormone und Vitamine waren dabei sowohl Naturstoffe, Produkte der Natur85 86 87 88 89

Stoff, Wirkstoffe, S. 7–24. Stoff, Wirkstoffe, S. 253–279. Werner, Vitamine, S.142 und Akeroyd, Research Programmes. Zur Geschichte der Vitamine: Smith, The Emergence; Kamminga, Vitamins; Kamminga, Axes; Carpenter, Beriberi; Werner, Vitamine; Apple, Vitamania; und Carpenter, The History. Schwerin/Stoff/Wahrig, Biologics und Stoff, Wirkstoffe, S. 17–19. Sengoopta, The Most Secret Quintessence, S. 1–2.

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stoffchemie, als auch Industrieprodukte, synthetisch produziert von den führenden chemischen Unternehmen. Vitamine waren Hauptbeweis der Neuen Ernährungslehre, Sinnbild gesunder Lebensführung, Agentien eines komplexen Regulationsmodells des Körpers und zugleich immer auch eine Ware der pharmazeutischen Industrie.90 Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende und bis heute andauernde große Projekt der Optimierung des Körpers ist ohne diese Wirkstoffe kaum denkbar. Umstritten war aber, ob dies durch naturistische Techniken oder durch die pharmazeutischen Erzeugnisse erreicht werden sollte. In den 1920er Jahren wurde bereits abschätzig von einem „Vitaminrummel“ und einer „Vitamania“ gesprochen. Ein Vorwurf der sich vor allem gegen die rasante Vermarktung des Vitamin C richtete.91 Diese leistungsfähigen Wirkstoffe, Garanten eines gut funktionierenden Organismus, regulierend und regulierbar, verwiesen durch ihren Mangel immer auch schon auf ihren prekären Status innerhalb einer industrialisierten und urbanisierten Umwelt. Eine der neuen Gewissheiten lautete, dass eine natürliche Ernährung im reformerischen Sinne gar keine Vitaminmangelerscheinungen kenne. Diese verwiesen eben auf den grundsätzlichen Naturmangel der Zivilisation im Allgemeinen und der industriellen Nahrungsmittelproduktion im Besonderen. Mit der Verschiebung der Masse der Bevölkerung vom Land zur Stadt, erzählte der Vitaminexperte und Ernährungswissenschaftler Carl Arthur Scheunert die Niedergangsgeschichte der Ernährung unter den Bedingungen des „überzivilisierten“ Lebens, sei eine Umstellung der Kost einhergegangen. Ballastarme, leicht verdauliche und leicht zubereitbare Nahrungsmittel, die sich bequem essen ließen und durch besondere Schmackhaftigkeit auszeichneten, seien immer mehr in den Vordergrund gerückt. Die Kost sei nunmehr fett- und fleischreich geworden, enthalte vorwiegend weißes Brot und Mehl. Ballastreiche Nahrungsmittel wie Schwarzbrot und Gemüse seien hingegen zurückgegangen. Dies, so Scheunert, führe automatisch zu einer Vitaminverarmung, zu welcher die industrielle Verarbeitung und veränderte Zubereitungsweise noch beitrage.92 Es war deshalb im Interesse jedes Einzelnen, aber auch eines modernen Staates, der eine leistungsstarke Bevölkerung benötigte, für eine gesunde und vitaminreiche Kost zu sorgen. Seit den 1920er Jahren korrespondierte eine staatliche Vitaminpropaganda einer individuellen Selbstvitaminisierung.93 Nicht nur seltsame Rohköstler, langhaarige Lebensreformer und Kohlrabiapostel traten für die Neue Ernährungslehre ein. Diese fügte sich in ein neues Körperkonzept von Vitalität, Sportlichkeit und Jugendlichkeit, von Rationalität, Flexibilität, Konsumfreude und Leistungsfähigkeit, das die Weimarer Moderne und einen gewissen modernen urbanen Lebenswandel insgesamt auszeichnete. Die Neue Ernährungslehre wurde auch von staatlichen Institutionen wie dem Reichsgesundheitsamt aufgenommen und hatte Einfluss auf das Lebensmittelge90 91 92 93

Hierzu vor allem Bächi, Vitamin C; Gaudillière; Hormones und Ratmoko; Damit. Bächi, Vitamin C; Thoms, Vitaminfragen; Fritzen, Gesünder leben, S. 201–204; und Apple, Vitamania. Scheunert, Erzeugung, S. 119. Melzer, Vollwerternährung, S. 106–142, 237–238.

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setz von 1927. Vitaminforschung wurde zu einem bedeutsamen Bereich bio- und naturstoffchemischer, pharmakologischer sowie ernährungswissenschaftlicher Forschungen, denen im Nationalsozialismus dann kriegswichtige Priorität zukam.94 Erfolg, Glück und Leistung waren seit den 1920er Jahren an eine gesunde und bewusste Ernährungsweise gebunden. Die Ernährungswissenschaft näherte sich zugleich an die Arbeitswissenschaft und Leistungsmedizin an. Die Vitaminisierung der Bevölkerung war spätestens seit den 1930er Jahren ein Kernthema gesundheitspolitischer Maßnahmen.95 Gleichwohl schien eine rationale Ernährungsweise auf vielfache Weise gefährdet: Dazu zählten vor allem das unvernünftige Verhalten der Konsumenten, das rücksichtslose Profitinteresse der Industrie und die vermehrte Produktion und Verwendung synthetischer Substanzen, welche die Effekte der Vitamine in Frage stellten. Das Projekt der Volksgesundheit war durch die Vergiftung des Volkes bedroht. Fremdstoffe. Zur Semantik lebenswidriger Stoffe „Menschenanhäufung – Welthandel – Nahrungsmittelindustrie – Technik sind die sich bedingenden Glieder einer Kette, an deren Ende die Lebensmittelware steht, die durch ihren Mangel an lebensnotwendigen und durch ihren Gehalt an lebenswidrigen Stoffen dem Verbraucher schließlich zu Gift wird.“96

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Nahrungsmitteln im großen Maßstab synthetische Konservierungsmittel und Farbstoffe zugesetzt. Bei der Konservierung von Nahrungsmitteln handelt es sich um eine Praxis, die als Gefrieren, Trocknen oder Salzen sicherlich so alt wie die Menschheit ist. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam jedoch zu diesen traditionellen Verfahren die Verwendung von antiseptischen, antiputriden und fungiziden Mitteln hinzu. Der Sinn des Einsatzes von Konservierungsmitteln ist es, unerwünschtes Mikrobenwachstum, Schimmel und Fäulnis zu verhindern. Dabei erschien bereits Mitte des 19. Jahrhunderts der Einsatz einer großen Anzahl an Stoffen zur Konservierung von Nahrungsmitteln als höchst problematisch. Ferdinand Artmann nannte hier Kreosot, schweflige Säure, unterschweligsaure Alkalien, Kohlenoxydgas, Stickgas, Gewürze und Eisen. Eine große Anzahl an antiseptischen Mitteln sei jedoch schlichtweg giftig und könne überhaupt nicht in Nahrungsmitteln verwendet werden: Kupfer, Arsen, Zink-, Quecksilber- und Barytsalze, Alkaloide, Pikrinsäure oder Chloroform. Über die toxischen Eigenschaften von chemischen Konservierungsmitteln wie Benzoesäure, Borsäure, Sulfit, Salicylsäure und Ameisensäure war auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wenig bekannt.97 Während das 94 95 96 97

Stoff, Wirkstoffe, S. 253–277 und Stoff, Vitaminisierung. Plesser/Thamer, Arbeit. Lenzner, Gift, S. 2. Artmann, Die Lehre, S. 551. Frank Sperling geht in seiner Dissertation zur chemischen Konservierung im Nationalsozialismus ausführlich auf die Entwicklung, Anwendung und erst nachfolgende toxikologische Prüfung von Konservierungsmitteln ein. Sperling, Der Kampf, S. 102–112.

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Konservieren der Nahrungsmittel als grundsätzlich sinnvoll, hygienisch und deshalb relativ unproblematisch galt, war die Verwendung von Farbstoffen bereits im 19. Jahrhundert umstritten, da diese zugleich mit Verfälschung assoziiert wurde. Das Farbengesetz von 1887 listete dabei als zu verbietende Substanzen Antimon, Arsen, Baryum, Blei, Cadmium, Chrom, Kupfer, Quecksilber, Uran, Zink, Zinn, Gummi-Gutti, Korallin und Pikrinsäure auf. Die Farbenindustrie – in Deutschland vor allem AGFA, BASF, Bayer und Hoechst – war zudem damit befasst, Teerfarbstoffe, die vor allem zur Färbung von Textilien eingesetzt wurden, auch bei der Nahrungsmittelherstellung zur Verwendung zu bringen.98 Zeitgleich wurden die chemischen Untersuchungen zu den Farbstoffen, die Entwicklung von Nachweisverfahren und Prüfungen im Sinne des Farbengesetzes intensiviert, etablierten sich spezialisierte Chemische Laboratorien, erarbeitete die Kommission Deutscher Nahrungsmittelchemiker entsprechende Beschlüsse und veröffentlichten die Untersuchungsämter zahllose Berichte zur Verwendung von Farbstoffen in Nahrungsmitteln.99 In den 1880er Jahren kamen immer mehr Farbstoffe und Konservierungsmittel auf den Markt, fanden in der Nahrungsmittelindustrie mehr oder weniger sinnvolle Verwendung und wurden wissenschaftlich erforscht und identifiziert, gesetzlich erfasst sowie durch neu eingerichtete Institutionen reguliert. Aus ernährungsreformerischer Perspektive erschienen die Konservierungsmittel und Farbstoffe jedoch als technisch-industrielle Kontaminatoren der natürlichen Nahrung, als gefährliche Fremdstoffe. Gleichermaßen blieb der Status der Fremdstoffe auch im 20. Jahrhundert ungewiss. Der Pharmakologe Fritz Eichholtz erinnerte daran, dass von der Liste als ungiftig deklarierter Lebensmittelfarbstoffe, die Eugen Rost vom Reichsgesundheitsamt 1933 aufgestellt hatte, im Jahr 1956 kein einziger mehr den Mininmalanforderungen genüge könne.100 Mit dem Begriff „Fremdstoffe“ wurde das Verhältnis von innerem und äußerem Milieu neu verfasst. Ein notwendigerweise zu schützendes inneres Milieu, Ort der Optimierung des chemisch regulierbaren Menschen, funktionsfähig durch die vitalen Wirkstoffe, das neue Sehnsuchtsland manipulatorischer Praktiken, wurde kontinuierlich durch die Stoffe des zivilisationstechnisch ruinierten äußeren Milieus gefährdet. Das Problem der transatlantischen Gesellschaften sei der Mangel an lebensnotwendigen und das Zuviel an lebensfeindlichen Stoffen. Bereits König differenzierte in diesem Sinne zwischen einer „Natur- und einer Kunstware“.101 Während Naturstoffe die lebensnotwendigen Funktionen im Körper gestalteten, drohte den Lebensprozessen durch künstliche Stoffe größte Gefahr. Den endogenen Giften der Fehlernährung korrespondierten exogene Gifte als Produkte der kapitalistisch-anarchischen Lebensmittelindustrie. Der substanziellen Aktivierung durch Wirkstoffe stand Hemmung, Lähmung und Vergiftung entgegen. Die katalytische Wirkung, so Alwin Mittasch, sei durch Fremdstoffe 98

Redlich, Die volkswirtschaftliche Bedeutung und Weyl, Theerfarben. Hippel, Auf dem Weg, S. 46–116; Vaupel, Von Naturfarbstoffen; Reinhardt/Travis, Heinrich Caro; und Travis, The Rainbow Makers. Zur Geschichte der Lebensmittelfarbstoffe: Spelsberg, Im Fieber. 99 Grünhut/Polenske/Ortmann/Hefelmann/Filsinger/Buss, Untersuchung. 100 Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. 10. 101 Mittasch, Überkatalytische Verursachung, S. 9 und König, Hindernisse, S. 7.

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beeinträchtigt.102 Der in den 1930er Jahren zunehmend Verwendung findende Begriff „Fremdstoffe“, dem im Französischen „substances étrangères“ und das englische „foreign matter“ entsprachen, war das Vehikel, um diese zivilisationskritische Erfassung von Konservierungsmitteln und Farbstoffen durchzusetzen. Der Volksschullehrer und Publizist Curt Lenzner unterschied im Vorwort seiner 1931 erstmals erschienenen und ein Jahr später bereits neu aufgelegten Kampfschrift Gift in der Nahrung fundamental zwischen „lebensnotwendige(n) Substanzen“ und „giftige(n) Fremdstoffen“.103 Letztlich spiegelte diese Unterscheidung auch seine eigenen Publikationen wider. Denn 1929 hatte Lenzner im Verlag Lebenskunst-Heilkunst bereits eine ernährungsreformerische Schrift mit dem Titel Vitamine als Kraft- und Lebensspender veröffentlicht.104 Auch Lenzner erzählte jene Geschichte, die zum zentralen Dogma der Ernährungsreform geworden war: Mit der Industrialisierung habe es eine Bevölkerungsbewegung vom flachen Land in den „Abgrund der Menschheit“, die Groß- und Riesenstädte, gegeben, zitierte er den französischen Rechtskonservativen und Agrarromantiker Jules Méline, der 1906 einflussreich eine wirtschaftspolitische Rückkehr zur Scholle gefordert hatte. Die Erzeugnisse des eigenen Landes hätten bei weitem nicht ausgereicht, um den großstädtischen Hunger zu stillen. Es sei also notwendig geworden, zur Versorgung der Großstädte die gesamte Weltproduktion heranzuziehen. Lenzner skizzierte ein Szenario, bei dem sich die urbanen Zentren den Rest der Welt Untertan machten. Alle Völker der Erde würden in den Dienst des verwöhnten Großstadtbewohners gestellt. Aus allen Richtungen rollten auf Welthandelswegen Lebens- und Genussmitteltransporte in die Besiedlungszentren: „Der Handelsgegenstand, der vom Erzeuger bis zum Verbraucher ein vielverschlungenes Welthandelsnetz kreuz und quer durchlaufen, in Hafenplätzen, in Speichern, Silos, Schiffen lagern muß und durch viele Menschen Hände geht, sind Lebensmittel, die eine solche Behandlung nicht ohne Schaden aushalten.“105 Die langen und langwierigen Transportwege hätte es nötig gemacht, tierische und pflanzliche Handelsware umzugestalten und vor Zersetzung zu bewahren. So seien die physikalischen und chemischen Konservierungsmethoden entstanden, vor allem die Überführung der Lebensmittel mittels chemischer Präparierung in einen gewissen Dauerzustand. Die Lebensmittelmärkte der Großstädte würden ausschließlich mit konservierten Lebensmitteln beliefert. Lenzner malte schließlich jene Dystopie aus, welche die Kritik der Lebensmittelindustrie bis heute anleitet, und wie sie einzigartig erfrischend in Louis de Funès’ L'Aile ou la Cuisse aus dem Jahr 1976 dargestellt wurde: Das letzte Ziel der Chemie sei die Synthese der Nahrung aus chemisch reinen Elementen, die Herstellung von reinen Kunstpro102 Liek, Krebsverbreitung, S. 160. 103 Lenzner, Gift, S. IX. Über Lenzner ist wenig bekannt. Er trat 1932 der NSDAP bei und machte kurzfristig Karriere als Schulleiter und Gaureferent für Jugendschriften und Literatur. Finanzielle Unregelmäßigkeiten beendeten 1937 diese Laufbahn. Lenzner publizierte aber weiter zum „Niedergang der Rasse am Genuss“, zu Genussgiften und zu giftigen Fremdstoffen. Sperling, Kampf, S. 127–128. 104 Lenzner, Vitamine. 105 Lenzner, Gift, S. 1 und Méline, Le retour.

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dukten als Ende der natürlichen Ernährung.106 Auch der Danziger Chirurg Erwin Liek sprach polemisch davon, dass das Ziel „unserer Chemiker“ ja die Ausschaltung der natürlichen Fabriken sei: „(G)lückliche Zukunft – Ernährung des Menschen durch Pillen und Tabletten aus großen Zentrallaboratorien.“ Möge der Chemiker sich nach Herzenslust seine Luftschlösser bauen, „wir Ärzte, biologisch geschult, vertraut mit den Notwendigkeiten gesunden und kranken Lebens, müssen anders denken und anders handeln“.107 Damit wurde nicht nur ein Gegensatz zwischen den biologisch denkenden Ärzten und den Chemikern als Konstrukteuren des Artifiziellen hergestellt, sondern auch eine Grundsatzkritik formuliert, welche die Entwicklung vom Natürlichen zum Künstlichen, die Entfremdung von der Natur, als Hauptübel der modernen Gesellschaften verstand. Die Zivilisation habe den Menschen immer mehr von den Naturabhängigkeiten gelöst und ihn in eine künstliche Umwelt, unter künstliche Bedingungen gestellt. Die Bevölkerungsmassen der Städte seien den gestaltenden Einflüssen der Scholle entzogen und entwurzelt. Mit Fremdstoffen durchsetzte Kunstkost sei frei von Lebensenergien und stehe in einem Zusammenhang mit sinnloser Arbeit, nervenzerrüttenden Sinnesreizen und entnervenden Genüsse. Die Folge sei eine von Geschlecht zu Geschlecht sich verstärkende Neigung zur Entartung.108 Lenzner wollte dezidiert den Beweis erbringen, dass durch die Verwandlung von Siedlungen in Großstädte, die Umgestaltung der Lebensmittelversorgung in den globalen Großhandel sowie die Industrialisierung und Technisierung der Nahrungsmittelherstellung insgesamt die Ernährung des Kulturmenschen immer künstlichere Formen annehme. Als Handelsgegenstand seien Lebensmittel mit giftigen Fremdstoffen durchsetzt, mit Chemikalien umgemodelt, mit bleichenden und färbenden Stoffen geschönt.109 Chemikalien definierte Lenzner dabei als grundsätzlich schädliche Fremdstoffe im Körper, als „Zellgifte“. Die sogenannten Kulturkrankheiten Zuckerharnruhr, Adernverkalkung oder Krebs, so Lenzner, beruhten in ausgesprochenem Maße auf plasmatischen Schädigungen, „die hervorgerufen sein können durch Mangel an lebensnotwendigen oder durch Überschwemmung mit lebensfeindlichen Stoffen“.110 Durch die suggestive Verwendung des Begriffs „Fremdstoffe“ etablierte Lenzner dabei ein Bedrohungsszenario, einen Notstand der drohenden Vergiftung, dem nur mit sofortigen radikalen Maßnahmen, einer Lebensreform, einer Neugestaltung der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, begegnet werden konnte. Fremdstoffe waren danach ja keine isolierten Phänomene, sondern traten immer als bedrohliche Masse, als Flut auf, sie überwältigten in ihrer schieren Menge den wehrlosen Körper des ahnungslosen Verbrauchers. Im deutschsprachigen Raum entwickelten sich die Fremdstoffe mythisch, sie vereinten die gesamte zivilisationskritische, lebensreformerische, aber auch völkische Debatte. Chemische Fremdstoffe, so lautete eine Forschungsthese des beginnenden 20. Jahrhunderts, beschleunigen oder stö106 107 108 109 110

Lenzner, Gift, S. IX, 1–2. Liek, Krebsverbreitung, S. 198–199. Lenzner, Gift, S. 196. Lenzner, Gift, S. IX, 196–197. Lenzner, Gift, S. XI, 193.

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ren Reaktionen in der Zelle, oftmals wirken sie dabei vergiftend. Im Zusammenhang mit dem lebensreformerischen Diskurs rückten die Begriffe der Fremd- und der Giftstoffe in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts immer enger zusammen. Der Begriff „Fremdstoff “ war zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits als ein unproblematischer und nicht erklärungsbedürftiger Terminus technicus so unterschiedlicher Fachrichtungen wie der organischen und physikalischen Chemie, der Metallkunde und der Physik eingeführt. Im semantischen Austausch fand er jedoch um 1900 vielfachen Gebrauch, um Demarkationen zu konstituieren, die eine gewisse kulturelle Einheit oder Identität, eine Sprache, eine Kultur, ein Volk, durch das Eindringen fremder Elemente gefährdet sah. In einem 1907 veröffentlichten Band seiner Weltgeschichte verkündete der Historiker Hans Ferdinand Helmolt, dass im Sturm und Drang die Deutschen den Fremdstoff der Aufklärung ausgeschieden hätten, „und nun erlebten sie etwas Eigenstes, Innerstes“.111 Und in einem Bericht über die politische Lage in Japan sprach im Jahr 1915 ein Autor der Neuen Rundschau davon, dass „eindringende Fremdstoffe“ dort eine „innere Gärung“ auslösten.112 Stoffe werden also dann zu kontaminierenden Fremdstoffen, wenn sie Grenzen überwinden, wenn sie in einen organischen, anorganischen, physikalischen oder völkischen Körper gelangen, in den sie erklärtermaßen nicht gehören, und dort unvorhersehbare Reaktionen auslösen, Verbindungen herstellen und andere unterbrechen. Es machte Sinn, wenn Theodor Lessing 1919 in seiner Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen folgende semantische Reihe aufmachte: „Nothstand, Fremdstoff, Wunde, Hemmung“.113 Es findet sich dabei in der deutschsprachigen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts keine Schilderung, die Fremdstoffe als etwas Nützliches oder Sinnvolles darstellt; der Begriff funktionierte grundsätzlich negativ, zugleich als Mangel und kontaminierende Gefahr. Ihre Anwesenheit verschlechtert Metalle, vergiftet Körper und gefährdet Völker. Selten war die Annahme, dass sich ein Körper an Fremdstoffe oder gar an Gifte gewöhnen könne.114 Im metaphorischen Wechselspiel erhielt der Begriff des Fremdstoffs seine wissenschaftliche Evidenz und politische Brisanz. Die „Ausmerzung des jüdischen Fremdstoffs“ forderte 1897 entsprechend die antisemitische Deutsch-Soziale Partei.115 Der populäre Antisemitismus im letzten Drittel des 19. Jahrhundert, so Rolf Peter Sieferle, sei eine Form gewesen, in der sich die Aversion gegen die sich durchsetzende technische Zivilisation äußerte. Heinrich von Treitschke rationalisierte diesen Antisemitismus bereits 1879 als „brutale und gehässige, aber natürliche Reaktion des germanischen Volksgefühls gegen ein fremdes Element“.116 „Eindringende Fremdstoffe“, so for111 Helmolt, Weltgeschichte, S. 145. 112 Schrameier, Japan, S. 603–604. 113 So lautet Lessings § 78: „Alles Bewusstsein ist Nothstand, Fremdstoff, Wunde, Hemmung. Andrerseits aber Beseitigung und Ausheilung von Nothstand, Fremdstoff, Wunde, Hemmung“. Lessing, Geschichte, S. 250. 114 Santesson, Nachtrag. 115 Anonym, Schleswig, S. 11. 116 Sieferle, Fortschrittsfeinde, S. 153. Treitschke zitiert nach Sieferle.

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mulierte dies wiederum 1906 der die überwiegende Zeit seines akademischen Lebens in Deutschland lehrende Schweizer Physiologe Emil Abderhalden, müssten „so rasch als möglich unschädlich“ gemacht werden.117 Das sich daraus ergebende Kampfszenario von Eigen- und Fremdstoffen im Körper wurde um 1900 maßgeblich durch Bakteriologie und Immunologie dargestellt.118 Lebensmittelzusatzstoffe aber können vom Körper nicht bekämpft und neutralisiert werden. Mit den chemischen Fremdstoffen entstand ein neues, lebensreformerisch geprägtes Konzept, das den idealerweise reinen Körper durch die subversiven Agentien einer zunehmend kontaminierten Umwelt bedroht sah.119 Die Debatte über Fremdstoffe war durch die wechselseitige Implikation von Reinheit und Kontamination und die „Angst vor der Vergiftung des Gesellschaftskörpers“ geprägt.120 Wenn seit Mitte der 1930er Jahre Fremdstoffe als giftige Agentien von Urbanität, Technik und Zivilisation verstanden wurden, erschließt sich auch, dass dieser Diskurs zugleich das Entstehen einer Markt- und Konsumgesellschaft insgesamt meinte. Die Frauenrechtlerin und SPD-Politikerin Henriette Fürth sprach von einer „allgemeinen Lebensvergiftung“ durch falschen Konsum, Schundware und -literatur, durch Scheinkultur und Massensuggestion, die „am Mark unserer Jugend frißt und die höchsten physischen und psychischen Güter unseres Volkes gefährdet“.121 Gefährliche Grenzüberschreitungen, dies war eine markante Sorge des frühen 20. Jahrhunderts, vollzogen sich beim menschlichen Körper durch Strahlen, durch die Atmung, über den Geschlechtsverkehr, aber auf besonders prekäre Weise durch die Ernährung.122 In den neuen Konzepten eines chemisch regulierten und regulierbaren Körpers kam nunmehr guten und schlechten Agentien, Wirk- und Fremdstoffen, für die Verfassung des Menschen eine entscheidene Rolle zu. Lenzner formulierte Anfang der 1930er als erster mit einer gewissen Systematik diese invasorische, kontaminierende und vergiftende Funktion der Fremdstoffe in der homöostatischen Ordnung, im inneren Milieu eines durch gesunde Ernährung, durch Kohlenhydrate, Proteine, Fette, Vitamine und Mineralstoffe optimierbaren Körpers. Die Verbindung von Fremdstoff und Gift verstärkte dabei gleichermaßen die Diskurse der „Vergiftung der deutschen Volksseele“ und des Gifts in der Nahrung.123 Lenzner, der von einer „Nahrungsentwertung durch Zivilisationseinflüsse“ und der „fortschreitende(n) Entwertung unserer Nahrung, die einer Vergiftung gleichkommt,“ sprach, lieferte in einem als Besinnung überschriebenen Kapitel seines Buches Gift in der Nahrung eine entsprechend dramatische Darstellung der alltäglichen Vergiftung: „Eine Sintflut chemischer Substanzen und natürlicher Gifte ergießt sich tagtäglich mit der ohnehin durch Herstellungsverfahren ausgepowerten Nahrung in den verbrauchenden Körper, ohne dass es dem Verbraucher im allgemeinen bewußt ist, ohne daß von berufener Seite 117 118 119 120 121 122 123

Abderhalden, Lehrbuch, S. 730. Sarasin/Berger/Hänseler/Spörri, Bakteriologie. Nash, Purity. Sarasin, Anthrax, S. 158. Fürth, Die soziale Bedeutung, S. 34. Fischler, Food. Heyll, Wasser, S. 225.

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mit wünschenswerter Deutlichkeit darauf aufmerksam gemacht wird, ohne daß die fachliche Praxis die Nahrungsmittelvergiftung und -entwertung bisher im großen und ganzen als solche erkannt hat.“124

Seit den 1930er Jahren war es weniger die illegitime oder betrügerische Manipulation von Lebensmitteln, sondern es waren Farbstoffe sowie Bleich- und Konservierungsmittel, die nicht nur aufgrund ihrer chemischen Konstitution und biologischen Funktion oder ihrer Überdosierung, sondern qua ihres Status als Kunstprodukte als Gefahr für den Verbraucher manifestiert wurden. Lenzner sprach von einer „gleichsam unbeabsichtigte(n) Entwertung unserer Nahrungsmittel”, die von der bekannten Nahrungsmittelfälschung, „die bewußt und mit der Absicht geschieht, sich auf Kosten des Allgemeinwohles zu bereichern”, zu unterscheiden sei.125 Der Kampf gegen die Fremdstoffe war konstitutiver Teil der Ernährungs- und Lebensreform. Kritisiert wurden nicht Verfehlungen, wie sie die Ordnungsämter ebensogut dingfest machen konnten, sondern das System insgesamt, die kapitalistische Wirtschaftsweise, die Globalisierung und der Zivilisationsprozess. Liek und Lenzner schilderten in ermüdender Ausführlichkeit die Entwertung der Nahrung, dessen Denaturierung, den Leidensweg des Getreides, die Verkünstelung der Speisen und die Bespülung der Verdauungsorgane mit giftigen Stoffen.126 Die Denaturierung der Nahrung wurde zum Leitmotiv der lebensreformerischen Kritik. Besonders prägnant hatte dies in den 1920er Jahren der amerikanische Ernährungsreformer Alfred W. McCann ausformuliert, der über mediale Verstärker, in Radiosendungen, Zeitschriftenartikeln und Bestsellern, unermüdlich die rhetorische Frage wiederholte, ob Ernährung der Gesundheit dienen oder Krankheiten hervorbringen solle. McCann sah das Verderben weniger in Fremdstoffen, denn im Säuregehalt. Die vom Lebensreformer August von Borosini besorgte deutsche Übersetzung seines Buches The Science of Eating verband mit dem schreckenerregenden Titel Kultursiechtum und Säuretod, seit einer Neuauflage im Jahr 1927 zudem versehen mit dem Untertitel Vollernährung als Schicksalsfrage für die weiße Rasse, die gleichen Ängste: eine Säurevergiftung, so auch Ragnar Berg und Max Bircher-Benner, bedrohe die zivilisierte Menschheit und könne nur durch eine basische Ernährung gestoppt werden.127 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts enstand eine neue Lebensweise, die an strikte Selbsttechniken der richtigen Ernährung und Lebensführung gebunden war. Erwin Liek, vehementer Gegner des, so polemisierte er, die „Weichlichen und Faulen” bevorzugenden Gesundheitssystems der Weimarer Republik und Vordenker einer „ganzheitlichen Medizin“, freute sich über „Kleinsiedlungen, Schrebergärten, Wochenende, Wanderfahrten auf Straßen, Bergen, Flüssen und Seen, Luft-, Sonnen-, Seebäder, Ski- und Eislauf usw.“, setzte Hoffnungen in einen von Übertreibungen befreiten Sport und glaubte, ein „junges Geschlecht“ heranwachsen zu sehen, das andere Ideale als Jazz und Zigarettenrauchen kenne. Unverkennbar sei der Drang nach gesunder, natürlicher Ernährung: „Die Lehren von Lahmann, Hind124 125 126 127

Lenzner, Gift, S. V, IX., 191. Lenzner, Gift, S. IX. Liek, Der Kampf, S. 30–31. McCann, Kultursiechtum.

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hede, Bircher-Benner, Ragnar Berg und anderer Vorkämpfer fangen an zu wirken.“128 Wenn aus den Reihen der Lebenswissenschaften und Medizin hierzu kritische Stimmen laut wurden, dann richteten sich diese nicht gegen die neue Weltanschauung der richtigen Ernährung, sondern nur gegen unwissenschaftliche Übertreibungen.129 Liek war es aber auch, der die semantische Verschmelzung von Fremdstoff und Gift auf nachhaltige Weise als ein Krebskonzept verfasste. Mit der Neuen Ernährungslehre wurde falsche Ernährung zunehmend auch mit der Krebsentstehung in Verbindung gebracht, während richtige Ernährung entsprechend als krebsverhütend bewertet wurde. Der in England lebende deutsche Homöopath James Ellis Barker (eigentlich Julius Otto Elzbacher) erklärte 1924 im medizinischen Fachblatt The Lancet wie Krebs entsteht und wie ihm durch richtige Ernährungsweisen vorgebeugt werden könne. Auch der lebensreformerisch eingestellte Bielefelder Lebensmittelchemiker Fritz Bodinus publizierte 1928 ein Buch mit dem barocken Titel Krankheit als Verbrechen im Lichte der neuen Forschungsergebnisse der Ernährungslehre mit besonderer Berücksichtigung der Krebserkrankung. Ernährung wurde zu Ursache und Lösung des Krebsproblems.130 Im Jahr 1932, als die zweite Auflage von Lenzners Gift in der Nahrung erschien, behauptete Liek in seiner Schrift Krebsverbreitung, Krebsbekämpfung, Krebsverhütung, dass je einfacher und natürlicher die Lebensweise, desto seltener auch Krebs sei. Der moderne Wechsel von den naturgegebenen Lebensmitteln zu den konservierten und chemisch bearbeiteten Lebensmitteln, so Liek, bedeute auch eine Änderung der Konstitution im Sinne einer Krebsbereitschaft. Die „Verschmutzung“ der Lebensmittel sei schuld an der Zunahme von Krebserkrankungen. Rettung könne nur in der Rückkehr zur naturgemäßen Ernährung bestehen.131 Für Liek war Krebs vor allem ein Stoffwechselproblem als Folge einer falschen Ernährungsweise, der Überernährung, Verstopfung, Selbstvergiftung, der intestinalen Autointoxikation. Es könne kein Zufall sein, dass diese Krankheiten bei Naturvölkern sehr selten oder gar nicht anzutreffen seien. Etwas in der Lebensweise der zivilisierten Menschen müsse für den Krebs verantwortlich zu machen sein.132 Die Industrialisierung der Lebensmittel komme einer schädlichen Bearbeitung von Lebensmitteln gleich, bei der wertvolle Stoffe wie Vitamine, Mineralien, Geschmacksstoffe verloren gingen. Die Nahrungsmittel würden denaturiert und verschlechtert. Was praktisch bleibe, sei der Verzicht auf „entbehrliche und schädliche Begleiterscheinung der Zivilisation“, die Verhütung anstatt der Behandlung.133 Die Bücher von Lenzner und Liek wurden in einem Zusammenhang rezipiert. Beide Autoren konnten in Neuauflagen aufeinander verweisen und sich 128 Liek, Krebsverbreitung, S. 237. 129 Glatzel, Nahrung, S. 163–179, 211–222. 130 Bodinus, Krankheit; Barker/Borosini/Buttersack/Lane, Krebs; und Barker, Cancer. Cantor, Introduction. 131 Liek, Krebsverbreitung, S. 179 und Liek, Der Arzt, S. 66, 184. Zu Liek: Proctor, Blitzkrieg, S. 33–39; Wiesing, Die Persönlichkeit; und Kater, Die Medizin. 132 Liek, Krebsverbreitung, S. 156–157, 159, 161, 174–175. Proctor, Blitzkrieg, S. 141–143. 133 Liek, Krebsverbreitung, S. 194–195, 198, 209, 228. Laukötter, Anarchie.

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wechselseitig im Kampf gegen den Notstand der Vergiftung verstärken. Sie kritisierten, wie Lenzner, jene Wissenschaftler, die „Zerstreuungsversuche“ begingen, also den Ernst der Lage in Zweifel zogen. Zugleich bezweifelten sie den Gegensatz von Naturheilkunde und Wissenschaft, mit dem die Kritik an der Verwendung von Farbstoffen und Konservierungsmitteln diskreditiert wurde.134 In den 1920er Jahren waren zentrale Aspekte der Naturheil- und Lebensreformbewegung in die Gesellschaft und in die Medizin diffundiert. Während der Publizist Lenzner, der allerdings seine hauptberufliche Tätigkeit als Volksschullehrer verheimlichte, in der Tat als unwissenschaftlich galt, gehörte Liek, der stets im emphatischen Sinne als Arzt argumentierte, durchaus zum medizinischen Establishment. Zwar war Liek nach Erscheinen des Krebsbuches von Seiten der Universitätsmedizin, etwa durch den Pathologen Bernhard Fischer-Wasels sowie den für die Industrie tätigen Lebensmittelchemiker Heinrich Fincke, der auch Lenzners Buch strikt ablehnte, massiver Kritik ausgesetzt, er konnte aber im 1934 erschienenen Folgeband Der Kampf gegen den Krebs darauf verweisen, dass er nur das geschrieben habe, was andere Krebsforscher mittlerweile auch verkündeten: Dem Krebs müsse durch eine bestimmte Ernährung vorgebeugt werden, Krebsforschung sei die Angelegenheit des inneren Arztes und der Ernährungsphysiologie und die größte Gefahr für den Menschen liege in der Industrialisierung der Ernährung.135 Wie Frank Sperling in seinem Buch zur chemischen Lebensmittelkonservierung im Nationalsozialismus zusammenfasst, etablierte sich mit den Schriften von Lenzner und Liek ein ernährungsbezogener öffentlicher Risikodiskurs, der es für die risikopolitischen Akteure, die Lebenmittelchemiker, Staatsbeamten und Juristen, problematisch machte, „Entscheidungen weiterhin innerhalb einer geschlossenen Gestaltungsöffentlichkeit zu treffen“.136 Während des Nationalsozialismus stand diese lebensreformerische Position, die in weiten Teilen mit der nationalsozialistischen Ideologie kongruent war, einer Pragmatik der auf den Krieg abzielenden Ernährungspolitik gegenüber. Diskurse der Reinheit und Natürlichkeit, der Ernährung durch die eigene Scholle und der Kritik einer industriellen Globalisierung, der Verkünstelung und Technisierung der Welt passten nicht zu den konzertierten Bemühungen von Wissenschaft, Industrie und Staat, diesen Krieg, im dramatischen Gegensatz zum Ersten Weltkrieg, auch an der Heimatfront zu führen. Vor allem über die Lebensmittelkonservierung wurde zwischen den lebensreformerisch und ganzheitlich geprägten „Vertretern der sogenannten reinen Nahrung“ und den Propagandisten eines „idealen Konservierungsmittels” intensiv gestritten. Während der pharmazeutische Chemiker Theodor Sabalitschka schlicht konstatierte, Konservierung sei notwendig, um „zersetzende und gesundheitsschädliche Mikroben“ zu bekämpfen, und damit Konservierungsmittel gegenüber einer naturbelassenen Nahrung als kleineres Übel darstellte – eine Überzeugung, die er in den folgenden Jahren vehement verteidigte –, unterschied sein Gegenspieler Werner Kollath, seit 1935 134 Lenzner, Gift, S. 197 und Liek, Krebsverbreitung, S. 242–243. Zu Lenzners und Lieks Schriften: Sperling, Kampf, S. 115–130. 135 Liek, Der Kampf, S. 9–17, 67–151. Sperling, Der Kampf, S. 120–121. 136 Sperling, Kampf, S. 125.

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Direktor des Hygienischen Instituts der Universität Rostock, zwischen nicht veränderten, mechanisch veränderten, fermentativ veränderten naturnahen Lebensmitteln und erhitzten, konservierten und präparierten, deshalb naturfernen und toten Nahrungsmitteln.137 Diese Rangfolge war zwar auch 1942 im Sinne des nationalsozialistischen Denkens akzeptabel, aber unter den Kriegsgeboten der Sicherung der Versorgungslage zugleich höchst problematisch.138 Der „Kampf dem Verderb“, der seit 1936 rationales Verhalten in Bezug auf Nahrungsmittel anerziehen sollte, war ohne die Konservierung von Lebensmitteln nicht durchführbar.139 Hermann Serger, Braunschweiger Experte für Konserventechnik, führte in einem unfangreichen Artikel zur Dosenkonservierung aus dem Jahr 1931 schließlich auf eindrucksvolle Weise aus, welche Bedeutung der Konservenindustrie und den damit verbundenen Industrien, Gewerben sowie der Landwirtschaft, namentlich in den USA, bereits zu Beginn der 1930er Jahre zukam. Dies hatte vor allem auch eine außerordentliche Mechanisierung und Technisierung, die industrielle Produktion von Dosen, Emballagen, Nahrungsmittelfarben und chemischen Konservierungsmitten, zur Folge.140 Alle organischen Stoffe führen bereits den Keim des Verderbens in sich, erzählte Serger eine ganz andere Geschichte als die Ernährungsreformer. Umwandlungsprozesse zeigten sich in Veränderungen der Farbe, des Geruchs, des Geschmacks, des Aromas und der Konsistenz, um dann in Schimmelbildung, Gärung, Kahmbildung, Fäulnis oder Verwesung überzugehen.141 Die Lebensmittelindustrie war durchaus auch auf die Herstellung möglichst lange haltbarer, aber dennoch nährstoffhaltiger Waren bedacht. Zusätze und Konservierungen wurden seit den 1920er Jahren intensiv und kontrovers debattiert. Die Ernährungsreformer hingegen, nahm Sabalitschka gegen diese Stellung, sorgten dafür, dass der Konsument keine reine und bekömmliche, sondern eine verdorbene und gesundheitsschädliche Nahrung erhalte.142 Der kriegswichtigen Konservierung stand die Ideologie des von kontaminierenden Fremdstoffen rein zu haltenden Volkskörpers entgegen. Schlechte Ernährung erschien als eine Zivilisationskrankheit, für welche vor allem eine Industrie verantwortlich sei, die das Künstliche und Verfälschte, das Denaturierte in die Nahrung einbringe. Es brauchte eine konzertierte Machtpolitik, um in diesem Bereich die Herrschaft der einflussreichen Lebensmittelindustrie zu brechen. Liek hatte schon 1934 mit gewissem Stolz auf die „Feindschaft der Lebensmittel-Industriellen“ ihm gegenüber verwiesen. Von den Nationalsozialisten wurde erwartet, dass sie im Namen der Natur und des Reinen Fremdstoffe verbieten würden.143 Angesichts des Ausnahmezustands der kriegswichtigen Optimierung und 137 Kollath, Die Ordnung, S. 8–9, 11, 14 und Sabalitschka, Das „ideale“ chemische Konservierungsmittel, S. 202–203. Sperling, Kampf. Zu Kollath: Melzer, Vollwerternährung, S. 207– 259 und Spiekermann, Der Naturwissenschaftler. 138 Kollath, Natürliche Nahrung, S. 8–9, 11, 14. 139 Sperling, Kampf, S. 114. 140 Serger/Clarck, Konserven, S. 256–257. Zur Geschichte der Konservenindustrie im 19. Jahrhunderts: Spiekermann, Zeitensprünge und Ellerbrock, Geschichte, S. 360–376. 141 Serger/Clarck, Konserven, S. 258. 142 Sabalitschka, „Das „ideale“ chemische Konservierungsmittel, S. 202–203. 143 Liek, Der Kampf, S. 21–52.

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Intensivierung einer autark organisierten Ernährung der Volksgemeinschaft im Nationalsozialismus war die Verwendung von Konservierungsmitteln jedoch obligatorisch. Das lebensreformerische und völkische Gebot der natürlichen Ernährung widersprach den genuinen Interessen des den Krieg vorbereitenden und dann führenden nationalsozialistischen Staates nach halt-, lager- und transportierbaren Lebensmitteln.144 Ein Widerstreit zwischen naturalisierenden Reinheitskonzepten und der Lebensmitteltechnik durchzog die wissenschaftliche Debatte der frühen 1940er Jahre. Zentral war jedenfalls eine grundsätzliche Auseinandersetzung über natürliche und künstliche Stoffe. Noch 1942 wurde auf Tagungen und in Fachzeitschriften auch die Verwendung synthetischer Vitamine zum Anlass fundamentaler Auseinandersetzungen über die nationalsozialistische Ernährungspolitik genommen. Der Mediziner Wilhelm Alter sprach den synthetischen Vitaminen schlichtweg biologische Eigenschaften ab und unterschied zwischen „natürlichen Vitaminen“ und „künstlichen Vitaminoiden“.145 Der prominenteste Gegner künstlich hergestellter Vitamine war Kollath, der in den 1940er Jahren zum Hauptvertreter einer Lehre der „natürlichen Nahrung“ reüssierte. Er postulierte, dass die einwandfreie klinische Erfahrung bestehe, dass man mit wirklich hochwertiger pflanzlicher Frischkost ganz andere und tief greifende Heilwirkungen erreichen könne, als mit der Summe der rein dargestellten Vitamine. Das chemische Establishment musste mitten im Krieg einigen Aufwand an Widerrufen und Netzwerkarbeit aufbringen, um diesen Angriff abzuwehren.146 Der Begriff „Fremdstoff “ war also vor allem durch Lenzner in die Debatte über die richtige Ernährung eingeführt worden, in der Gesetzessprache fixiert wurde er aber erst in den 1950er Jahren. Im novellierten Lebensmittelgesetz von 1958 wurden im ergänzten § 4a „fremde Stoffe“ durch das definiert, was sie nicht sind: Sie haben keinen Gehalt an verdaulichen Kohlenhydraten, verdaulichen Fetten, verdaulichem Eiweiß oder keinen natürlichen Gehalt an Vitaminen, Provitaminen, Geruchs- oder Geschmacksstoffen. Fremdstoffe sind schlichtweg künstlich und ohne Nährwert.147 Diese Definition hatte bis zum Lebensmittelund Bedarfsgegenständegesetz vom 15. August 1974, als „Fremdstoffe“ durch „Zusatzstoffe“ ausgetauscht wurde, Gültigkeit. Allerdings ging dies nicht ohne Diskussionen vonstatten. Im Bericht des Ausschusses für Gesundheitsfragen des Bundestags hieß es, dass der Ausdruck „fremde Stoffe“ nicht völlig befriedige. Es habe aber kein besserer Vorschlag gemacht werden können. Auch die Vertreter der Lebensmittelindustrie sahen in der Bezeichnung „Fremdstoffe“ eine Abwertung ihrer Produkte. Es war also evident, dass der Begriff herabsetzend funktionierte und es wurde zu einem heiß diskutierten Problem, wie etwa die immer zugleich natürlichen und künstlichen Vitamine von diesem Makel distanziert werden

144 Stoff, Vitaminisierung. 145 Alter, Vitamine. Dazu auch Stoff, Wirkstoffe, S. 148–152 und Bächi, Vitamin C, S. 102–125, 172–187. 146 Kollath, Natürliche Nahrung, S. 7, 10–14. Stoff, Wirkstoffe, S. 147–148 und Stoff, Vitaminisierung, S. 79. 147 Hamann, Schutz, S. 65.

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konnten.148 Der Lebensmittelchemiker Volker Hamann fasste die Situation der 1950er Jahre so zusammen, dass sich anlässlich der steigenden Krebsrate Befürchtungen gehäuft hätten, „die artfremden Zusatzstoffe unserer Nahrung könnten für diese Entwicklung mit verantwortlich gemacht werden“.149 In der DDR stellte der Ostberliner Lebensmittelchemiker Kurt Täufel, der in engem Kontakt zu seinen bundesdeutschen Kollegen stand, die er ja aus der Zeit des Nationalsozialismus gut kannte, 1957 die unveräußerliche Forderung auf, „unsere Nahrung von artfremden Substanzen nach Möglichkeit freizuhalten“.150 Im juristisch neutraler formulierten DDR-Lebensmittelgesetz vom 30. November 1962 wurden Fremdstoffe dann aber in Zusatzstoffe, den Zusatzstoffen gleichgestellte Stoffe und Kontaminanten differenziert.151 Auch für die Entwicklung des Lebensmittelschutzes fand Erwin Thymian zu Beginn der 1970er Jahre aus der Perspektive der Lebensmittelgesetzgebung in der DDR einen weniger dramatischen Ausdruck: „Fragen der Verfälschung und Irreführung sind mehr in den Hintergrund gerückt, und die Verhütung von Krankheiten und Gesundheitsschäden der Bevölkerung – der Gesundheitsschutz – ist zum primären Grundsatz erhoben worden.“152 Für das Staatsgebiet der DDR, wo es ja nichts zu klagen gab, bestand selbstverständlich kein Bedarf an einem zivilisationskritischen Diskurs. In Frankreich bezog sich der Vergiftungsdiskurs in der Nachkriegszeit vor allem auf die amerikanischen Lebensmittelprodukte. Es waren gerade die wachsamen Kommunisten, die davor warnten, dass eine „cocacolonisation“ die französische Kultur vergifte.153 In der Bundesrepublik wurde hingegen in den 1950er Jahren Vergiftung mit der Krebsentstehung in Verbindung gebracht, rückten die Farbstoffe in den Mittelpunkt einer Debatte über krebserregende Fremdstoffe.154 Als Schuldige wurde die Zivilisation und die moderne Lebensweise identifiziert, als einziges Gegenmittel erschien eine vorbeugende Lebens- und Ernährungsreform. Die Schriften und Debatten über „Gift in der Nahrung“, wie sie zu Beginn der 1930er Jahre intensiviert und im Nationalsozialismus fortgesetzt worden waren, wurden Ende der 1940er Jahre verwissenschaftlicht, toxikologisch, mathematisch und molekular. Dabei entstand eine neue Methodik und eine neue Theorie der Krebsentstehung, die auf folgenreiche Weise auf Fremdstoffe, namentlich polyzkylische Kohlenwasserstoffe, ausgerichtet war.

148 Jochmus, „Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens (14. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelgesetzes – Drucksache 2923 -“, 18. Juni 1957, Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, 1953, zu Drucksache 3613, S. 3–4 (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/02/036/0203613zu.pdf). 149 Hamann/Schnier, Der Schutz, S. 9–10. 150 Täufel, Artfremde Substanzen, S. 27. 151 Macholz, Lebensmittelrecht, S. 582–583. 152 Thymian, Der Verkehr, S. 576. 153 Kuisel, Coca-Cola, S. 96, 101. 154 Sperling, Kampf, S. 112–114.

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Krebsnoxen. Der Fall Buttergelb und die Chemisierung der Umwelt „Nun, unser Zeitalter der Chemisierung und Technisierung unserer Umwelt einschließlich unserer Nahrung kennt auch Krebsnoxen für jedermann, also für alle, für Millionen, Tag für Tag und unfreiwillig für lange, lange Jahre.“155

In den 1920er Jahren zirkulierten zahlreichen Theorien zur Krebsentstehung: Virchows Reiztheorie, die Cohnheim-Ribbertsche Theorie der Krebsentwicklung aus versprengten embryonalen Keimen, Theilhabers Thesen zum Wegfall wachstumshemmender Stoffe im Bindegewebe, Rous’ Virusätiologie, das Problem einer genetischen Krebsdisposition und dann vor allem Warburgs Hypothese zum veränderten Stoffwechsel der Krebszelle. Auf einschneidende Weise neu waren jedoch Forschungen, die seit den 1910er Jahren organisch-chemische Stoffe bestimmter Struktur als krebsauslösend definierten. Es waren bestimmte chemische Verbindungen, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffverbindungen, die als krebserregende Agentien, als „cancerogene Stoffe“ identifiziert wurden.156 Krebs – der Oberbegriff für alle bösartigen Geschwülste, für Karzinome, Sarkome und Tumoren – wurde durch Mediziner wie Karl Freudenberg, Erwin Liek, später vor allem auch Karl-Heinrich Bauer nicht nur mit falscher Ernährung, sondern mit der Zivilisation insgesamt assoziiert. In den 1920er Jahren wurde intensiv über die Statistik einer tatsächlichen oder nur scheinbaren Zunahme des Krebses gestritten.157 Liek konstatierte, dass „trotz aller statistischen Klügeleien“ von Jahr zu Jahr mehr Menschen an Krebs sterben würden. Dieser Krebsnotstand in den zivilisierten Staaten verlangte dringend nach einer „Krebsbekämpfung“. Krebs war um 1930 als das zentrale medizinische Problem fixiert, ein Krebsdispositiv etabliert, die Forschung zunehmend auf Krebsprävention fokussiert. Liek selbst untermauerte die These einer Zunahme an Krebserkrankungen in zivilisierten Gesellschaften mit einer neuen Theorie der Krebsentstehung, die sich als einflussreich erweisen sollte. Krebs sei kein örtliches, sondern ein konstitutionelles Leiden, es gebe eine „Krankheitsbereitschaft“, die zeitlebens verborgen bleiben könne, sich aber aus irgendeinem Anlass offenbare. Krebs sei bedingt durch das Zusammenwirken einer Disposition mit einer auslösenden örtlichen Ursache.158 Krebs erschien damit als vererbbare Grundbedingung, die durch spezifische schädigende Einwirkungen aktiviert werden konnte. Als Krebs auslösende Schädigungen verstand Liek sogenannte Gewebsgifte wie Alkohol, Nikotin, Syphilis, Röntgen- und Radiumstrahlen sowie stark wirkende Chemikalien.159 Insbesondere die „denaturierte, chemisch misshandelte, sagen wir ruhig, verschmutzte Nahrung“ sei die Ursache chronischer Entzündungen, die als Vorläufer des Krebses fungier-

155 156 157 158 159

Bauer, Über Chemie, S. 26 (Hervorhebungen von Bauer). Butenandt, Neuere Beiträge. Liek, Krebsverbreitung, S. 30–47. Liek, Krebsverbreitung, S. 134, 147. Liek, Krebsverbreitung, S. 142. Proctor, Blitzkrieg, S. 37.

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ten.160 Gift, Zivilisation und Krebs waren also zusammengefügt und richtiger Ernährung, natürlicher Lebenshaltung und Gesundheit entgegengestellt. Liek fasste die Debatte schließlich in der Frage zusammen, „ob nicht in unserer ganzen Zivilisation Schäden vorliegen, die das Entstehen eines Krebses begünstigen“. Je zivilisierter, je wohlhabender ein Land sei, je eiweißreicher die Ernährung, desto mehr Krebs gebe es auch. Liek konstruierte dabei eine Linie vom relativ gesunden unzivilisierten Land bis zur an Krebs erkrankten Stadt. Krebs gebe es natürlich auch bei den Naturvölkern, aber er sei dort viel seltener. Diese lebensreformerischen Thesen wurden auch von anerkannten Krebsforschern wie dem Mediziner und späteren Nobelpreisträger Gerhard Domagk explizit geteilt.161 In den 1950er Jahren war der Konnex von Krebs und Ernährung in der Medizin bereits fest institutionalisiert. Der Deutsche Krebskongress 1954 in Hamburg widmete sich fast ausschließlich diesem Themenkomplex.162 Liek gab mit seiner Schrift die Richtung vor, die seit den 1930er Jahren im deutschsprachigen Raum eingeschlagen wurde: Die Krebsbekämpfung musste sich gegen äußere, fremde und künstliche Stoffe richten. Sie war antizivilisatorisch und antiurbanistisch, eher präventionistisch denn therapeutisch, zudem nicht sozialmedizinisch, aber ausdrücklich biomedizinisch und Teil einer radikalen Politik der Umwertung der Werte. Wie der Historiker Robert N. Proctor schreibt, erhielt im Nationalsozialismus die Krebsforschung im Allgemeinen und die Identifizierung krebserregender Fremdstoffe im Besonderen ihre exzeptionelle Bedeutung als präventive Rassenhygiene, bei der das genetische Erbe vor der Gefährdung durch Giftstoffe gerettet werden musste. In der Intensität der Erforschung und Bekämpfung kanzerogener Lebensmittelzusatzstoffe, so Proctor, unterschied sich der Nationalsozialismus zu Beginn der 1940er Jahre von den anderen Staaten. Keine andere Krankheitseinheit vereinte Rassenhygiene, biochemische Spitzenforschung und paranoide Körperkonzepte auf so durchschlagende Weise. Gleichwohl muss festgehalten werden, dass eine präventionistische Auseinandersetzung mit der Krebsentstehung transnational diskutiert wurde.163 Die krebsauslösende Wirkung bestimmter chemischer Stoffe wurde bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert. Als der Frankfurter Chirurg Ludwig Rehn 1895 das häufige Auftreten des Blasenkrebses bei Arbeitern in einer Fuchsin produzierenden Farbenfabrik auf die Wirkung von sogenannten chemischen Noxen zurückführte, hatte sich der zwanzig Jahre zuvor von Richard von Volkmann vorgebrachte Verdacht erhärtet, dass Teer krebserregend sein könnte. Rehn belastete dabei die Dämpfe des zur Synthese von Fuchsin benötigten Anilins, ein Grundstoff der deutschen chemischen Industrie, für die Tumorbildung verantwortlich zu sein. Es dauerte allerdings noch zwei Jahrzehnte bis sich die These des Anilinkrebses, gestärkt vor allem durch eine ausführliche Studie bei Anilinarbei160 Liek, Krebsverbreitung, S. 223. 161 Liek, Krebsverbreitung, S. 160, 162–174. Domagk, Weitere experimentelle Untersuchungen, S. 295. 162 Gabel/Fedde-Woywode, „Bericht über den 1. Tag des Deutschen Krebskongresses am 3.5.1954“, in: BA Koblenz, B 142/1570, 1 von 2. 163 Moser, Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 9 und Proctor, Blitzkrieg, S. 191.

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tern in der Baseler Industrie, durchsetzen sollte.164 Diese klinischen Studien sagten allerdings noch nichts über die Substanz aus, die beim aufwändigen Prozess der Herstellung von Anilinfarbstoffen kanzerogen wirksam sei. Chemisch-toxikologische Untersuchungen verschoben dabei den Fokus zunehmend vom reinen Anilin auf Anilinderivate. Diese Stoffe ähnlicher Struktur bildeten die Basis für die deutsche Farbstoffindustrie. Anilin, so erklärte rückblickend der Mediziner und Krebsexperte Karl-Heinrich Bauer, ergebe bei der Umsetzung mit salpetriger Säure eine Diazoverbindung. Aus dieser –N=N–-Verbindung entständen mit Aminen oder Phenolen durch Kuppelung zweier Ringsysteme die berühmten Hunderte und Aberhunderte von Azofarbstoffen, die vor allem in der Textilindustrie, aber auch sonst in der Technik die größte Verbreitung gefunden hätten.165 Der erste Azofarbstoff, der ob seiner Kanzerogenität experimentell durch den Pathologen Bernhard Fischer-Wasels getestet wurde, war 1906 das Scharlachrot (Aminoazotoluol).166 Während diese Studie zunächst kaum beachtet und erst nachträglich in den Kanon der chemischen Karzinogenese eingefügt wurde, etablierten die Experimente von Katsusaburo Yamagiwa und Koichi Ichikawa 1915 eine bedeutsame neue Forschungshypothese der Krebsentstehung. Die beiden japanischen Pathologen bepinselten Kaninchenohren mit Teer und lösten damit Krebs aus. Sie erklärten, dass die kontinuierlich wiederholte chronische Reizung mit einer chemischen Substanz zu Veränderungen im Epithel der Schilddrüse führen könnte, die als Vorstufen des Krebses anzusehen seien. Werde diese Reizung fortgeführt, dann könnten Karzinome die Folge sein.167 Bestätigt wurde diese These 1932 durch eine Arbeitsgruppe um Ernest L. Kennaway und James W. Cook am Londoner Chester Beatty Institute for Cancer Research, die das aus Steinkohlenteer isolierte und synthetisierte 3,4-Benzpyren für die kanzerogenen Effekte verantwortlich machte. Bauer bezeichnete später das Benzpyren als „wahre Schicksalssubstanz aller industrialisierten Völker“. Im Benzpyren, proklamierte wiederum der Biochemiker Adolf Butenandt, liege der Prototyp der wichtigsten kanzerogenen Verbindungsklasse, der (polyzyklischen) Kohlenwasserstoffe, vor. Als besonders eindrucksvoll erschien ihm, dass die fatale Wirkung nur sehr geringe Substanzmengen benötige. Die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe entsprachen in ihrer Effektivität den ja in geringsten Mengen höchst wirksamen Hormonen und Vitaminen. Nur erwies sich ihre Leistung im Organismus eben als destruktiv und nicht als konstruktiv.168 Damit aber hatte die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts diskutierte Annahme der Krebsentstehung durch chemische Agentien eine experimentelle Bestätigung gefunden: 164 Weyl, Die Theerfarben. Reinecke, Zur Geschichte; Schaad, Chemische Stoffe; Hien, Zur Geschichte; Thomann, Ludwig Rehn; Hien, Chemische Industrie; und Andersen, Roth, S.175–177. 165 Bauer, Über Chemie, S. 21–22, 26. Zur Herstellung der Azofarben: Schramm, Farbe, S. 224– 231. 166 Butenandt, Neuere Beiträge, S. 347 und Fischer-Wasels, Die experimentelle Erzeugung. Wunderlich, Zur Selbstreproduktion, S. 271 und Schmähl, Krebserzeugende Stoffe, S. 183–188. 167 Yamagiwa/Ichikawa, Experimental Study, S. 174–175. 168 Bauer, Zum Tumorproblem, S. 254 und Butenandt, Neuere Beiträge, S. 347–348.

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„Der Krebs ist jetzt eine Krankheit, die experimentell, willkürlich durch verschiedene Mittel hervorgerufen werden kann, wie Radium, X-Strahlen, ultraviolettes Licht, Steinkohlenteer (…).“169 Eine weitere entscheidende Aussage dieser Forschungsarbeiten lautete, dass schon verhältnismäßig geringfügige Änderungen in der Konstitution dieser Verbindungen einen sehr erheblichen Einfluss auf ihre Aktivität ausübten. Die krebserregende Fähigkeit sei eine konstitutive Eigenschaft, so Cook, „die von einer bestimmten Molekular-Struktur abhängig und nicht eine allgemeine Eigenschaft aller Verbindungen dieser Gruppe ist“.170 Es ist demnach die höchst spezifische chemische Konstitution, die für die kanzerogenen Leistungen einer Substanz verantwortlich ist. Der Pharmakologe Hermann Druckrey sollte in den 1940er Jahren die Entstehung kanzerogener Substanzen durch Veränderungen am Grundmolekül – die Substitution von Methylgruppen oder das Anfügen von Benzolringen – ausführlich darstellen und durchspielen.171 Ich habe an anderem Ort gezeigt, dass sich die wissenschaftliche Debatte über mutmaßlich krebserregende Teerstoffe zunächst wieder von den Farbstoffen fortbewegte, da durch den Verdacht, der sich auf die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe richtete, auch sogenannte Naturstoffe, namentlich Steroide und insbesondere Östrogene, betroffen waren.172 Im Zuge dieser Forschungen wurde auch über eine erbliche oder erworbene Krebsdisposition diskutiert. Die These der Vererbung einer spezifischen Krebsdisposition erlaubte es den Arbeiter und nicht die Arbeitsbedingungen für den Anilinkrebs verantwortlich zu machen. Im Nationalsozialismus verband sich diese Annahme einer genetischen Prädisposition aber ebenso mit rassenhygienischen Spekulationen.173 Im 20. Jahrhundert wurde die Krebsentstehung im Wechsel- und Zusammenspiel genetischer Prädispositionen und stofflicher Verursachungen mit weitreichenden gesundheitspolitischen Folgerungen diskutiert. Dabei obsiegte um 1950 zumindest kurzfristig eine „Pharmakologie krebserregender Substanzen“ über das Dogma der Vererbung. Druckrey leitete einen entsprechenden Aufsatz mit den Worten ein, dass die Entstehung von Krebs durch erbliche Faktoren allein nicht erklärt werden könne. Auch wenn die Realisierung des Krebses von der erblichen Disposition abhängen könne, seien es „Umwelteinflüsse“ und „äußere Faktoren“, die Krebs verursachten. Die praktische Lösung des Krebsproblems bestand danach in der Krebsprophylaxe, in der „Ausschaltung krebserzeugender Reize aus der Umwelt des Menschen“.174 In den 1930er Jahren sorgten neue Forschungen auch hier für intensiv geführte Auseinandersetzungen, die zudem das Problem von Dosis und Wirkung in einem neuen Licht erscheinen ließen. Dabei trat eine 169 Cook, Chemische Beiträge, S. 38. 170 Cook, Chemische Beiträge, S. 42 und Schürch/Winterstein, Über die krebserregende Wirkung, S. 80. 171 Druckrey, Die Pharmakologie, S. 72–73. 172 Butenandt, Neuere Beiträge, S. 348 und Cook, Chemische Beiträge, S. 38, 45, 46–49. Stoff, Wirkstoffe, S. 298–309 und Stoff, Oestrogens. Siehe zu diesem Komplex auch: Gaudillière Hormones at Risk; Gaudillière, Biochemie; und Gaudillière, Hormones. 173 Snelders, The Plot, S. 44–49; Hien, Chemische Industrie; und Andersen, Roth, S. 177–178. 174 Druckrey, Die Pharmakologie, S. 70.

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Substanz in Erscheinung, die in den folgenden dreißig Jahren den Streit um Fremdstoffe bündeln sollte. Tomizo Yoshida zeigte zu Beginn der 1930er Jahre experimentell, dass Ratten, die mit Scharlachrot (o-Aminoazotoluol), dem seit 1879 von der Farbenfabrik Kalle hergestellten Biebricher Scharlach, gefüttert wurden, nicht nur Blasenkrebs, sondern auch Lebertumor mit Metastasierung entwickelten. Aus o-Aminoazotoluol konnte wiederum ein neuer Farbstoff, p-Dimethylaminoazobenzol, gewonnen werden, der, da er zur Färbung von Margarine und Butter verwendet wurde, als Buttergelb bekannt war.175 1937 testete Riojun Kinosita bei Ratten sowohl Scharlachrot als auch Buttergelb, indem er diese Azofarbstoffe jeweils über eine Zeitspanne von dreihundert Tagen oral verabreichte. Buttergelb habe sich dabei als eine höchst krebserregende Substanz erwiesen. Jene Tiere, die auf Grund der Giftigkeit von Buttergelb überhaupt die ersten 50 Tage überlebten, entwickelten nach spätestens 150 Tagen ohne Ausnahme Leberkrebs.176 Eine Arbeitsgruppe am Pharmakologischen Institut der Universität Berlin, die neben Druckrey aus Norbert Brock und Herwig Hamperl bestand, bestätigte 1940 grundsätzlich diese Experimente und widerlegte dabei en passant auch die Annahme, dass Kinositas Ergebnisse durch die genetische Disposition seiner japanischen Ratten bedingt seien.177 Druckrey befasste sich in der Folge intensiv mit Buttergelb. Das Außergewöhnliche an Kinositas Arbeit war ja, dass dieser erstmals zeigte, dass von außen kommende Substanzen in inneren Organen Geschwulste verursachen konnten. Deshalb interessierte sich Druckrey vor allem dafür, wie der Farbstoff im Körper reagiert und wie die wasserlösliche Substanz des Buttergelbs sich im Körper verteilt. Von großem Forschungsinteresse war insbesondere die Frage, wo die Stoffe im Organismus abgebaut werden.178 1943 konnten dann Richard Kuhn und Helmut Beinert bereits resümieren, dass es sich bei Buttergelb um den bekanntesten Vertreter unter den krebserregenden Azofarbstoffen handle.179 Robert Proctor erzählt in seiner Geschichte der Krebsforschung im Nationalsozialismus, dass im Juni 1939 der Internationale Kongress für Krebsforschung die Empfehlung abgegeben habe, krebserregende Farbstoffe in Lebensmitteln zu verbieten. Hans Reiter, Präsident des Reichsgesundheitsamtes, habe deshalb im Herbst 1939 in Kooperation mit Krebsexperten wie Druckrey die Vorbereitung eines neuen Farbengesetzes geplant. Als Gerüchte über die Kanzerogenität des Buttergelbs an die Öffentlichkeit gelangt seien, habe Reiter, vor allem auch auf zunehmendem Druck der Gaufrauenschaft, größtenteils erfolgreich die Lebensmittelfarbstoff produzierende, vertreibende und verwende Industrie dazu gedrängt, die Verwendung von Teerfarbstoffen einzuschränken und in Bezug auf Buttergelb aufzugeben. Für die Industrie habe sich dabei das ungewohnte Bild ergeben, dass die staatlichen Behörden nicht unbedingt als natürliche Verbündete angesehen werden konnten. Die Reihen der Fremdstoffbekämpfer hätten bis tief 175 176 177 178 179

Bauer, Über Chemie, S. 26–28. Kinosita, Studies, S. 287, 291–292. Brock/Druckrey/Hamperl, Die Erzeugung. Proctor, Blitzkrieg, S. 191–192. Kuhn/Beinert, Fermentgift, S. 904.

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in die Ministerien gereicht.180 Reiter wandte sich bereits im September 1939 direkt an die IG Farben, um ein Verzicht der Herstellung von Buttergelb zu erreichen. Er versuchte in der Folge zudem die Azofarbstoffe produzierenden und verwendenden Industrien, etwa die Fachgruppe für Nährmittelindustrie, im direkten Gespräch zumindest zur Reduzierung der Verwendung von Farbstoffen zu bewegen. In den Jahren 1940 und 1941 regte Reiter weitere Forschungen zu Farbstoffen an, die etwa Druckrey in Berlin und Robert Bierich in Hamburg durchführten, und zeigte sich überhaupt äußerst umtriebig, eine konzertierte Aktion zu starten, die den Gebrauch von synthetischen Farbstoffen bei der Lebensmittelproduktion schlichtweg überflüssig machen sollte. Ein Verbot von synthetischen Lebensmittelfarben war im Laufe des Krieges nicht mehr realisierbar, ohnehin wurde versucht, dass Thema verschwiegen zu behandeln, gleichwohl meldeteten sich auch im Jahr 1944 Kritiker wie der Arzt Johannes Kretz „gegen die missbräuchliche Verwendung krebsgefährlicher Teerfarbstoffe“ öffentlich zu Wort.181 Verschwand der prekäre Stoff Buttergelb auch aus den Brotaufstrichen, so fand er einen neuen Ort in der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte. Es war Butenandt, der mit einigen bedachtsam eingeführten Bemerkungen einen Skandal initiierte. Auf der 55. Tagung der Deutschen Gesellschaft für innere Medizin im Mai 1949 hielt er eine Rede, an die sich der Spiegel noch vier Jahre darauf als ein einschneidendes Ereignis erinnerte: „Neun Monate nach der Währungsreform, als die Butterrationierung gerade aufgehoben ist, werden die Trizonenbürger durch Pressemeldungen aus Wiesbaden vom Frühstück hochgeschreckt. Was Deutschlands führender Biochemiker, Nobelpreisträger Adolf Butenandt, auf dem Wiesbadener Internistenkongreß vorträgt, ist eine Sensation ersten Ranges: er rechnet den verblüfften Ärzten vor, daß sie bisher mit jedem Pfund Butter 80 Milligramm eines äußerst krebsfördernden Stoffes verzehrt haben. Die Wissenschaft kennt diesen Stoff unter der zungenbrecherischen Bezeichnung Dimethylaminoazobenzol, die Öffentlichkeit kennt ihn unter dem Namen ‚Buttergelb‘. Es ist ein Farbstoff, der der Butter beigegeben wird, um sie für die Augen schön gelb zu färben.“182

Butenandts Fachvortrag, der mit der gesundheitspolitischen Forderung verbunden war, die Verwendung des Farbstoffs in Lebensmitteln zu verbieten, sorgte für erhebliches öffentliches Aufsehen. Dabei hatte er zunächst nur den Forschungsstand rekapituliert und sich selbstverständlich auch von der sensationellen Inanspruchnahme seines strikt wissenschaftlichen Vortrags distanziert. Butenandt habe einen vollendeten Überblick über den Chemismus der Krebsentstehung gegeben, jubelte der Kongressbeobachter Fritz Hartmann. Die am längsten bekannte Gruppe der Krebs erzeugenden chemischen Substanzen sei die der aromatischen Kohlenwasserstoffe. Die einfachsten Vertreter dieser Gruppe – Phenanthren, Benanthren, Anthracen – hätten nur eine latent kanzerogene Wirkung, die durch Substitution etwa von Methylgruppen oder wie beim Benzpyren und Cho180 Proctor, Blitzkrieg, S. 192–196. 181 Präsident des Reichsgesundheitsamtes an die I. G. Farbenindustrie (20.9.1939), in: MPG-Archiv, Berlin, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 395 und Kretz, Gegen die missbräuchliche Verwendung. Proctor, Blitzkrieg, S. 193–196. 182 Anonym, Krebs, S. 26.

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lanthren durch Anlagerung weiterer aromatischer Ringe manifest werde. Während der eng mit der Schering AG, einem der Hauptproduzenten von Sexualhormonen, verbundene Butenandt zunächst darum bemüht war, die Östrogene vom Krebsverdacht, der durch die strukturelle Nähe der Steroidhormone zum krebserregenden Methylcholanthren aufgekommen war, zu entlasten, betonte er, dass sich mit Buttergelb gute quantitative Studien über die Dosis-Zeitabhängigkeit der Krebserzeugung durch Azofarbstoffe durchführen ließen. Da auch der mit kleinster Dosis gesetzte Effekt irreversibel sei, bestehe die Gefahr der Summierung. Eine Verwendung des Buttergelbs in Nahrungsmitteln sei daher nicht zu verantworten.183 Butenandt führte damit nicht nur eine brandneue Krebstheorie, die der irreversiblen Summation, in die medizinische Debatte ein, sondern intendierte natürlich auch, dass Buttergelb immer noch Verwendung finde. Seine Ausführungen blieben nicht unwidersprochen. So erinnerte Bernhard Wurzschmitt von der BASF daran, dass Buttergelb von der Industrie gar nicht mehr hergestellt werde. Die sensationellen Aufmachungen der Tagespresse rannten also nur offene Türen ein. Dimethylaminoazobenzol sei auf Veranlassung des früheren deutschen Reichsgesundheitsamtes schon seit Ende 1939 nicht mehr zur Lebensmittelfärbung geliefert worden.184 Leider sei die Maßnahme des Reichsgesundheitsamtes nicht offiziell bekanntgemacht worden, da man damals die Bevölkerung nicht habe beunruhigen wollen. Wurzschmitt vergaß nicht im Namen der Farbenindustrie darauf hinzuweisen, dass es auch eine große Anzahl an Azofarbstoffen gebe, die gesundheitlich unbedenklich seien.185 Auch der Lebensmittelchemiker S. Walter Souci, der als Mitglied des Arbeitskreises Landwirtschaftliche Gewerbeforschung in die nationalsozialistische Ernährungspolitik eingebunden gewesen war, berichtete im November 1952, dass nach dem September 1939 die deutschen Herstellerfirmen kein Buttergelb mehr produziert hätten. Ab November 1944 habe Butter nur noch während des Winters und zwar nur noch mit Karotin gefärbt werden dürfen. Synthetische Farbstoffe seien für diesen Zweck ausgeschieden worden. Eine „Anordnung für ein generelles Färbeverbot mit chemischen Farbstoffen für Milch- und Molkereierzeugnisse sowie Margarine“ wurde allerdings erst am 20. Mai 1949 im direkten Anschluss an Butenandts Rede erlassen. Das Färben von Butter mit synthetischen Farbstoffen wurde dann offiziell durch die Butterverordnung vom 2. Juni 1951 verboten. Die Industrie, war sich Souci aber sicher, habe ohnehin ganz bestimmt keine Azofarbstoffe mehr verwendet.186 Auch Die Zeit erinnerte 1954 noch einmal an den Tag als in Wiesbaden die Buttergelbbombe geplatzt war, betonte jedoch, dass zu diesem Zeitpunkt die gefährliche Substanz bereits seit zehn Jahren vom Markt verschwunden gewesen sei. Die Angst vor der Vergiftung sei also in diesem Fall nicht berechtigt gewesen, da die verantwortungsbewusste Farbenindustrie Buttergelb bereits Ende 1939 aus dem 183 184 185 186

Hartmann, 55. Tagung, S. 247–248. Stoff, Summationsgifte und Stoff, Oestrogens. So in einem Kommentar zu einem Vortrag Druckreys. Druckrey, Versuche, S. 58–59. Wurzschmitt, Lebensmittelfärbung, S. 152. S. W. Souci, „Sind gefärbte Lebensmittel gesundheitsschädlich?“ (Manuskript, 29.11.1952), in: BA Koblenz, B 116/420 und Anonym, Anordnung.

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Verkehr gezogen habe.187 Allerdings blieb trotz dieser Freisprüche nebulös, was sich in den Jahren 1939 bis 1949 wirklich ereignet hatte und ob die informelle Absprache über den Verzicht auf Buttergelb nicht nur vorübergehender Art gewesen war. Der Argumentation Wurzschmitts widersprach ein 1948 auch in Holthöfers und Juckenacks Kommentar zum Lebensmittelgesetz abgedruckter Rundbrief der Hauptvereinigung der deutschen Milch- und Fettwirtschaft zum Färben der Butter vom 15. Dezember 1942, in dem es hieß, dass gegen die Verwendung von Teerfarbstoffen für Lebensmittel seitens der Gesundheitsführung und im Interesse der Gesunderhaltung des Volkes gewisse Bedenken beständen. Es könne aber „aus bekannten Gründen“ nicht auf das Färben verzichtet werden; stattdessen solle die Butter mittels der Azofarbstoffe einen etwas schwächeren Farbton erhalten. Erst für die Zukunft war vage die Verwendung von Karotin geplant.188 In den frühen 1950er Jahren kamen immer wieder Gerüchte auf, dass krebserregende Azofarben immer noch zum Färben der Butter verwendet würden.189 Auch Kollath repetierte noch 1955 in einem Vortrag zum Thema Ernährung und Krebs, dass Buttergelb erst nach Kriegsende verboten worden sei, was den Ernährungsphysiologen Hans-Dietrich Cremer sehr aufregte. Derartige Behauptungen seien in hohem Grade geeignet, Verwirrung in die Bevölkerung zu bringen und das Vertrauen in die verantwortlichen Stellen von Staat und Wissenschaft zu untergraben.190 Die Aushandlungen der Wissenschaftler, Gesundheitspolitiker und Industriellen im Nationalsozialismus wurden jedenfalls im Frühjahr 1949 zu einem öffentlichen Thema; aus einem undemokratischen Verfahren hinter verschlossen Türen wurde ein öffentliches Ereignis. Wie Butenandt selbst frohlockte, sei nach dem Internistenkongress in Wiesbaden die Diskussion über das „LebensmittelFarbstoff-Problem“ wieder in Fluss gekommen.191 Die Hauptursache für den Krebs – „die Krankheit der Epoche“, so ein Spiegelaufmacher – wurde nunmehr in zellverändernden Krebsnoxen gesucht, zu denen vor allem künstliche Farbstoffe zählten.192 Der Begriff der Krebsnoxe, den Karl-Heinrich Bauer unter Rekurs auf Ludwig Rehn zuspitzte und der jede strahlende oder einer chemischen Reaktion entstammende Energie meinte, „die in der Lage ist, eine gesunde Zelle zur Krebszelle werden zu lassen“, sollte um 1950 Zivilisationskritik, Krebsforschung, Pharmakologie und Toxikologie verbinden.193 Bauer galt schon in der Weimarer Republik als renommierter Krebsforscher, der mit seinen Thesen zur Krebskonstitution und einer Mutationstheorie der Geschwulstbildung auf sich aufmerksam gemacht hatte. In den 1930er Jahren erklärte er jedoch den Einfluss äußerer Faktoren bei der Krebsentstehung für bedeutender als die genetische Disposition. Er 187 Anonym, Werden wir vergiftet? 188 Holthöfer/Juckenack, Lebensmittelgesetz, S. 102–103. 189 Souci, Sind gefärbte Lebensmittel gesundheitsschädlich? und Druckrey/Küpfmüller, Quantitative Analyse, S. 254. 190 Cremer, Ernährung, S. 35. 191 Deutscher Forschungsrat, Fachkommission zur Bearbeitung des Lebensmittel-Farbstoff-Problemes, „Endgültiges Protokoll der Sitzung am Freitag, den 28. Oktober 1949 um 9.15 Uhr in Stuttgart, Villa Reitzenstein“, in: in: MPG-Archiv, Berlin, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 393, S. 3. 192 Anonym, Krebs, S. 26–27. 193 Lau/Baier, Über Versuche.

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intervenierte deshalb auch 1943 zum Verbot der Azofarbstoffe beim Reichsinnenminister.194 In einem 1950 veröffentlichten Artikel über Chemie und Krebs konstatierte Bauer die beunruhigende Tatsache, dass sich unter den 600.000 Kohlenstoffverbindungen, von denen die große Mehrzahl im Laboratorium künstlich und synthetisch erzeugt worden sei, eine ganze Reihe von Substanzen befänden, die sich als potentiell krebsbringend erwiesen hätten.195 Die Zunahme des Krebses in allen Ländern westlicher Zivilisation seit den 1870er Jahren, resümierte Bauer das zivilisationskritische Narrativ der 1930er Jahre, sei nicht auf eine Verschlechterung der Erbmasse rückführbar. Der menschliche Krebs verdanke seine Entstehung hingegen in der Hauptsache körpereigenen inneren und körperfremden äußeren Krebsnoxen. Die Zunahme des Krebses in den letzten siebzig Jahren habe ihre Ursache nicht nur in der Verlängerung der Lebensdauer des Menschen westlicher Zivilisation, sondern vor allem auch in der Zunahme der Krebsnoxen „in unserem Zeitalter der fortschreitenden Chemisierung und Technisierung unserer Umwelt.“ Die Conditio sine qua non sei immer ein exogenes Agens, rief er emphatisch aus, dem Fatum der Vererbung müsse in der Lehre vom Krebs ein Ende gemacht werden. Damit aber, und dies machte Bauer deutlich, waren auch politische Maßnahmen ergreifbar. Krebs war kein Schicksal, sondern vermeidbar: „Das neu gestellte Problem ist die Verhütung drohenden Krebses durch Vermeidung seiner auslösenden Noxen .“196 Bauers Urteil fügte sich in jene Technikkritik, wie sie zeitgleich Friedrich Georg Jünger als bürokratische Organisation, Raubbau, Verwüstung, Verseuchung, Verschleiß sowie Zweckmäßigkeits- und Wirtschaftsdenken zugespitzt hatte.197 Die statistischen Streitereien der 1930er Jahre hatten sich zu dem Axiom verhärtet, dass die lange Lebensdauer nicht die Ursache der zunehmenden Krebsentstehung sei, diese jedoch offenbare. Bauer, lobte Druckrey, komme der Verdienst zu, einen grundlegenden Wandel in der Auffassung des Krebses herbeigeführt zu haben, indem er darauf hingewiesen habe, dass der menschliche Krebs von seltenen Ausnahme abgesehen nicht auf erbliche Komponenten bezogen werden könne, sondern vielmehr auf postnatal einwirkende äußere oder endogen entstehende Noxen zurückgeführt werden müsse.198 In seinem Vortrag hatte sich Bauer direkt an das entsetzte Publikum gewandt, um auf ein grundlegendes Manko aufmerksam zu machen. Lebensmittelchemiker seien überhaupt nicht dazu ausgebildet, krebserregende Stoffe zu identifizieren: „Mit Recht werden Sie fragen: ja, sind denn die vielen anderen Azo-Farbstoffe überhaupt nicht untersucht? Sicherlich sind sie das, aber Nahrungsmittelchemiker sind keine Krebsforscher. Sicher sind jene Stoffe im akuten Versuch allesamt pharmakologisch, toxikologisch usw. untersucht, auf ihre krebserregende Wirkung durch notwendigerweise langdau-

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Proctor, Blitzkrieg, S. 79, 195. Zu Bauer: Doerr, Karl Heinrich Bauer. Bauer, Über Chemie, S. 23–24. Bauer, Über Chemie, S. 33–34 (Hervorhebung von Bauer). Jünger, Die Perfektion, S. 26–35, 85–88, 120–122. Beyler, Hostile Environmental Intellectuals und König, Geschichte, S. 159–160. 198 Druckrey, Versuche, S. 45.

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ernde Versuche sind es jedoch die wenigsten .“199 Was es also brauchte war neues Wissen, eine neue Wissenschaft, neue wissenschaftliche Methoden und Experimentalsysteme, um alle Stoffklassen auf ihre Kanzerogenität zu untersuchen.200 Bauer erschuf eine neue Krebstheorie mit präventiven Handlungsanweisungen. Der Spiegel wiederum identifizierte sehr präzise den zivilisationskritischen Hintergrund von Bauers Kreuzzug. Dieser verbinde die „kühne Ansicht mit dem noch kühneren Schluß“, nach welchem es sich bei Ruß, Teer, Pech, Anilin, Azofarbstoffen ebenso wie Röntgen- oder Radiumstrahlen immer um Noxen handle, die „naturfremd“ seien und für die der moderne Mensch keinerlei Anpassungsreaktionen entwickelt habe. Der Krebs des Menschen sei dabei wesentlich mit Technik und Zivilisation verbunden. Wenn Bauers Ansichten stimmten, dann müsste der moderne Mensch also „aus seiner selbstgeschaffenen naturfernen, technisierten, chemisierten Umwelt fliehen, seine ‚moderne‘ Genussmittel-Ernährung aufgeben und alle Entdeckungen und Errungenschaften der letzten zweihundert Jahre verschrotten. Den Krebs radikal bekämpfen, hieße dann: den modernen Menschen und seine Welt ändern“.201 Bauer war mit all seinen Widersprüchen ein recht typischer Vertreter der in den 1890er Jahren im deutschsprachigen Raum geborenen, zivilisationskritisch orientierten Schulmediziner. Er publizierte 1926 zur Rassenhygiene, distanzierte sich aber von Rassenfanatikern. Dennoch arbeitete er 1934 am nationalsozialistischen Sterilisationsgesetz mit, ohne aber jemals Parteimitglied gewesen zu sein und öffentlich nationalsozialistische und antisemitische Positionen eingenommen zu haben. Nach 1945 wurde Bauer ähnlich wie Butenandt zu einem bedeutsamen wissenschaftspolitischen Akteur. Er reüssierte als erster Nachkriegsrektor der Universität Heidelberg und renommierte in den 1960er Jahren als einer der Gründer sowie als Leiter des Deutschen Krebszentrums. In seinen zahlreichen politischen Reden nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft beschwor er die Wiederherstellung von Moral und Sitte, verband dies jedoch durchaus mit einer grundlegenden Kritik am „doktrinären Charakter des deutschen Geistes“.202 Mediziner, Pharmakologen und Biochemiker wie Bauer, Druckrey und Butenandt näherten bei aller Distanzierung von radikal puristischen Manifestationen wissenschaftliche Forschung und medizinische Praxis dem ernährungsreformerischen Diskurs an.203 Wie es 1954 in einem Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit mit dem Titel „Werden wir vergiftet?“ unter Bezug auf Kollath und Bauer lautete, deckten sich nun die Anschauungen der Krebsforscher mit denen der Ernährungsphysiologen. Nur ein „Vogel-Strauß-Gehirn“ könne diese Anklage ignorieren.204 199 200 201 202

Bauer, Über Chemie, S. 37 (Hervorhebung von Bauer). Bauer, Über Chemie, S. 37–39. Anonym, Krebs, S. 27 und Bauer, Über Chemie, S. 34. Zitiert nach Wolgast, Karl Heinrich Bauer, S. 114. Zu Bauer auch: Moser, Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 94–97 und Proctor, Blitzkrieg, S. 74–80. 203 Zur Technikkritik in der Nachkriegszeit: Schüler, Erfindergeist, S. 139–178; Schildt, Moderne Zeiten, S. 324–350; und Stölken-Fitschen, Atombombe. 204 Anonym, Werden wir vergiftet?

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Irreversible Giftwirkungen Das Dosis-Zeit-Wirkungs-Gesetz. „Die Erzeugung von Krebs durch bestimmte Gifte wurde nun ein pharmakologisches Problem.“205

Teerkrebs, Buttergelb, Krebsnoxen – die Gefährdung des Menschen in einer chemisierten und technisierten Umwelt, wie sie Bauer so eindrucksvoll dargestellt hatte, fand ihren formalisierten Ausdruck in einer Theorie der Giftwirkung als ein neues Dosis-Zeit-Wirkungs-Gesetz, das Hermann Druckrey Ende der 1940er Jahre entwickelt hatte. Der 1904 geborene Druckrey, der sich 1924 der Brigade Ehrhardt angeschlossen hatte und 1931 der SA beigetreten war, verdankte es dem Einfluss des geschickten Netzwerkers Butenandt, selbst Profiteur der nationalsozialistischen Herrschaft, dass er nach 1945 überhaupt noch am Wissenschaftsbetrieb teilnehmen durfte.206 Druckrey war sicherlich auch durch seine nationalsozialistische Gesinnung diskreditiert, ebenso schwer wog aber wohl, dass er sich 1942 am Pharmakologischen Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität mit dem Institutsdirektor Wolfgang Heubner überworfen hatte. Er verließ das Institut, um als Stabsarzt eines SS-Polizeibataillons an die Front zu gehen. Seit Juni 1944 baute Druckrey dann im Auftrag des Reichsarztes-SS und Polizei Ernst Robert Grawitz ein Pharmakologisches Institut der Polizei in Wien auf, das direkt mit SS-Institutionen verbunden war. Nach Kriegsende versorgte Butenandt Druckrey unermüdlich mit Gutachten, adelte ihn als „führenden Forscher(n) im Gebiet der allgemeinen Pharmakologie, insbesondere der experimentellen Krebsforschung“ und sorgte dafür, dass jene Theorie, die Druckrey noch während seiner Zeit im Internierungslager Hammelburg zusammen mit dem Elektrophysiker Karl Küpfmüller erarbeitet hatte, zu einem zentralen Dogma der chemischen Krebsforschung wurde. Druckrey gelang zwar keine eindrucksvolle universitäre Karriere mehr – er leitete die Tierforschungslaboratorien der Chirurgischen Universitätsklinik in Freiburg, wurde 1962 zum Wissenschaftlichen Rat ernannt und war seit 1963 Leiter der Forschergruppe Präventivmedizin am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie –, dafür renommierte er jedoch als international bekannter und einflussreicher Experte für toxische und cancerogene Stoffe in Lebensmitteln.207 Die erstaunliche Zusammenarbeit Druckreys mit Küpfmüller führte zu einer neuen onkologischen Theorie, nach der die Krebswirkung einer Substanz wie Buttergelb von der summierten Gesamtmenge abhänge und nicht von der Größe der Einzeldosen. Entscheidend für die cancerogene Wirkung sei nicht bloß die 205 Druckrey, Entstehung, S. 29. 206 Zu Butenandt und dessen Rolle im Nationalsozialismus: Schieder/Trunk, Adolf Butenandt. Zu Butenandts Nachkriegskarriere: Stoff, Adolf Butenandt. 207 Moser, Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 268; Wunderlich, Mit Papier; Wunderlich, Zur Entstehungsgeschichte, S. 375–378, 388; und Hubenstorf, Medizinische Fakultät, S. 262. Butenandts Einschätzung stammt aus Butenandt an Richard Linsmayer (3.7.1947), in: MPGArchiv, Abt. III, Rep. 84/2, Nr. 1359.

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Giftkonzentration, sondern das Zusammenwirken von Konzentration und Zeitdauer. Neben Konzentrations- und Kumulationsgiften existierten demnach auch sogenannte irreversible Summationsgifte.208 Die Krebsentstehung sei ein chronischer pharmakologischer Prozess, der mathematischen Gesetzmäßigkeiten folge.209 Druckrey interessierte zunächst die Frage, ob kleine Dosen einer als kanzerogen angesehenen Substanz als unterschwellig und damit auch bei dauernder Zufuhr als unwirksam angesehen werden könnten. Anhand seiner experimentellen Arbeiten mit siebenhundert Ratten konnte er diese anerkannte Annahme eindeutig verneinen: Zwischen der Höhe der täglichen Gabe von Buttergelb und der notwendigen Behandlungsdauer bis zum Auftreten von Krebs bestehe eine sehr einfache Beziehung in Form einer umgekehrten Proportionalität. Bei einer Tagesdosis von 3 Milligramm habe die Latenzzeit 350 Tage betragen, bei der zehnfach höheren Dosis von 30 Milligramm hingegen nur den zehnten Teil, also etwa 34 Tage. Das Produkt aus der Tagesdosis und der Anzahl der Behandlungstage, die Gesamtdosis, ergab in einem Dosierungsbereich von 3 bis 30 Milligramm stets etwa den gleichen Wert von 1000 Milligramm Buttergelb: „Die Geschwülste treten also in dem Zeitpunkt auf, in dem die Gesamtdosis diesen kritischen Wert überschreitet, ohne Rücksicht darauf, auf welchen Zeitraum sie verteilt wird.“210 Die Versuche hätten also ergeben, so Druckrey, dass es bei der Krebsbildung keine unterschwelligen Dosen gebe. Stattdessen existierten Giftwirkungen, die über die ganze Lebensdauer irreversibel und daher voll summationsfähig fortbeständen und beim Erreichen einer bestimmten Menge kanzerogen wirkten. Die ständige Aufnahme kleinster Dosen habe sich dabei gefährlicher erwiesen als die gelegentliche Einwirkung größerer Dosen: „Die cancerogene Wirkung des ‚Buttergelbs‘ bleibt also auch bei kleinsten Einzeldosen vom Beginn des Versuchs an auf Lebenszeit irreversibel bestehen und summiert sich mit der Wirkung späterer Gaben ungeschmälert, bis nach Überschreiten der kritischen Gesamtdosis sich die Geschwülste entwickeln.“211 Damit erschienen just die kontinuierlich auf den Menschen einwirkenden Fremdstoffe in kleinsten Dosen als besonders gefährlich.212 „Die Effekte auch der kleinsten Einzeldosen“, so lautete der entscheidende Satz der Studie aus dem Jahr 1948, „bleiben bei diesem Farbstoff (d. i. Buttergelb, H. S.) über die ganze Lebenszeit der Ratten voll summationsfähig bestehen.“ Druckrey und Küpfmüller resümierten im Anschluss eine doppelte 208 Druckrey/Küpfmüller, Dosis, S. 514, 604–610, 643 und Druckrey/Küpfmüller, Quantitative Analyse. Wunderlich, Zur Enstehungsgeschichte; Wunderlich, Zur Selbstreproduktion; und Wunderlich, Mit Papier. Zur Rolle der Summationsthese in der Arbeitsmedizin: Bächi, Zur Krise, S. 10–11. Zum Dosis-Wirkungs-Konzept: Calabrese, Dose-Response. 209 H. Druckrey, „Begründung für die Schaffung eines speziellen Institutes für die pharmakologische Lebensmittelforschung“ (ohne Datum), in: MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 429. Wunderlich, Zur Entstehungsgeschichte, S. 371. 210 Druckrey, Versuche, S. 46–47 und Druckrey/Küpfmüller, Quantitative Analyse, S. 258–259. 211 Druckrey/Küpfmüller, Quantitative Analyse, S. 259 und H. Druckrey, „Begründung für die Schaffung eines speziellen Institutes für die pharmakologische Lebensmittelforschung“ (ohne Datum), in: MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 429. 212 Druckrey, Versuche, S. 47–48.

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Leistung ihrer Forschungsarbeit. So hätten sie bewiesen, dass die krebserzeugende Wirkung physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten unterliege und zugleich über den Farbstoff Buttergelb entschieden, dass dieser bei dauernder Zufuhr auch in kleinsten Dosen schädlich und deshalb als Lebensmittelfarbstoff abzulehnen sei. Der Reform des pharmakologisch-toxikologischen Kanons entsprach eine gesundheitspolitische Forderung: Deshalb erscheine es notwendig, „in der Umwelt des Menschen nach krebserregenden Stoffen zu suchen und vor allem solche auszuschalten, mit denen er täglich in Berührung kommt, und zwar auch dann, wenn die aufgenommene Menge klein ist“.213 Druckrey und Küpfmüller untermauerten ihre These mit einer eindrucksvollen mathematischen Methodik. Es sei in der Pharmakologie eine ganze Reihe von Stoffen bekannt, referierten sie die sogenannte Habersche Regel, deren Wirkung durch das Produkt aus der konstanten Konzentration C des Giftes und der Behandlungszeit t bestimmt würden. Das Konzept der Ct-Gifte hatten der Chemiker und Nobelpreisträger Fritz Haber und Ferdinand Flury in Bezug auf den Einsatz von Giftgas im Ersten Weltkrieg, an dem Haber maßgeblich beteiligt war, entwickelt. Die Wirkung oder auch Rezeptorenbesetzung dieser Ct-Gifte sei irreversibel, so dass es zu einer Summation der Effekte komme.214 Wenn Giftstoffe unwiderruflich spezifische Rezeptoren eines Organismus besetzen, dann entsprach dies der Treffertheorie für die Auslösung von Mutationen durch Strahlen. Der Typ der Summationswirkung fand sich nach Druckrey entsprechend in zwei sehr wichtigen biologischen Vorgängen: der Auslösung von Mutationen durch Strahlen und bei der Auslösung von Krebs durch para-Dimethylaminoazobenzol.215 Während für die Strahlenwirkung zunehmend auf die Möglichkeit der Reparation hingewiesen wurde, galt dies nicht für die chemischen Summationsgifte. Strahlen, so lässt sich dies auch interpretieren, wurden noch gebraucht, synthetische Farbstoffe konnten einfach verboten werden.216 Da zudem die Teilung der Zellen keinen Einfluss auf die Höhe der zur Krebserzeugung notwendigen Gesamtdosis habe, die Teilwirkungen der einzelnen Tagesdosen sich also ungeschmälert auf die Tochterzellen vererbten, sei der Angriffspunkt der kanzerogenen Substanz an solchen Zellbestandteilen zu suchen, die an der Duplikation bei der Zellteilung teilnähmen und zur Selbstreproduktion befähigt seien. Kanzerogene Substanzen, lautete Druckreys radikale Botschaft, seien „‚Erbänderungsstoffe‘ mit irreversibler Wirkung“. Mit dieser später gentoxisch genannten Behauptung wurde die These von der genetischen Disposition auf ganz neue Weise erklärt. Entsprechend sollte die toxikologische Prüfung an wenigstens einer Tierart auf die zweite Generation ausgedehnt werden, um etwaige keimschädigende Wirkungen ausschließen zu können.217 S. Walter Souci und Hans Lück vermute213 Druckrey/Küpfmüller, Quantitative Analyse, S. 254, 259. 214 Druckrey/Küpfmüller, Quantitative Analyse, S. 259. Zu Habers und Flurys Arbeiten: Witschi, Some Notes. 215 Druckrey/Küpfmüller, Dosis, S. 607–608. Schwerin, Vom Gift. 216 Druckrey/Küpfmüller, Dosis, S. 608–610. Zur Bedeutung der Treffertheorie für eine Risikopolitik prekärer Stoffe: Schwerin, Der gefährdete Organismus. 217 Druckrey, Die toxikologische Beurteilung, S. 379; Druckrey, Versuche, S. 47; und Druckrey/

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ten unter Bezug auf Nikolai Timoféeff-Ressowskys Treffertheorie, dass die regelmäßige Aufnahme einer kleinen Konzentration, sogar eines einzigen Moleküls, über lange Zeit denselben Effekt hervorrufen könne, wie eine einmalige Gabe in entsprechend höherer Konzentration. Die Wirkung sei dieselbe, so lange das Produkt aus Konzentration und Einwirkungszeit konstant sei. Gelte die Treffertheorie, so gebe es keinen Schwellenwert und keine Minimalkonzentration für ein mutationsauslösendes Gift. „Es erhebt sich die Frage“, so Souci und Lück, „ob wir durch Genuß mutagener Stoffe in unserer Nahrung unsere Nachkommenschaft ernsthaft gefährden können“.218 In Druckreys Summationsthese waren die Topoi der Krebsdebatte der 1930er und 40er Jahre – Zivilisation, Langlebigkeit, chemische Stoffe, Gift und Vererbung – auf elegante Weise zusammengeführt und in ein hoch ambitioniertes mathematisch-toxikologisches Modell überführt. Die Thesen der Latenz, der Summation und der Irreversibilität waren dabei keine Neuerfindung Druckreys, der sich auf eine seit bald dreißig Jahren laufende Debatte stützen konnte (ohne diese allerdings in seinen Schriften zu zitieren). Auch Liek hatte eine Latenz bei gestörter Regeneration, die Röntgen-, Anilin-, Paraffin- und Lungenkrebs zur Folge haben könne, hervorgehoben. Es vergingen Jahre und Jahrzehnte, bevor auf dem immer wieder gereizten Gebiet ein Krebs sich entwickle.219 Der Schweizer Dermatologe Bruno Bloch hatte zur „Wiederholung kleiner Dosen über lange Zeit“ gearbeitet; Fischer-Wasels wiederum hatte konstatiert, dass der lokale Regenerationsvorgang erst dann zur Geschwulstbildung entgleise, „wenn z. B. durch eine ganz lange dauernde und leichte Gifteinwirkung auf den Gesamtkörper, die Allgemeindisposition gegeben, die sensible Periode erreicht ist“.220 Lenzner hatte dies auf anschauliche Weise so formuliert, dass sich die Vergiftungsgefahr erst durch die Häufung der Anwendung solcher Stoffe in der Nahrungsmittelbereitung steigere. Viele Reize wirkten mehr als wenige.221 Adolf Juckenack hatte schließlich einflussreich von schleichenden Giften gesprochen, was Liek zu der Aussage veranlasste, dass die Erkenntnis, dass kleine, an sich völlig harmlose Dosen differenter Stoffe bei längerem Gebrauch höchst schädliche Folgen haben könnten, allmählich auch den Nahrungsmittelchemikern bekannt sein sollte.222 Gerade die Homöopathie hatte in den 1930er Jahren eine wichtige Rolle zur Differenzierung dieser These der schleichenden Vergiftung mit unsichtbaren Stoffen gespielt. Zu Beginn der 1930er Jahre galt der Lehrsatz, dass kleine Zusätze chemischer Stoffe zu den Nahrungsmitteln ihren giftigen Charakter verlören und womöglich sogar günstig auf den Körper einwirkten, als ein Haupteinspruch gegen Lieks und Lenzners Thesen vom Gift in der Nahrung.223 Es war die sogenannte Arndt-Schulzsche Regel, ein Grundgesetz der Homöopathie, nach der

218 219 220 221 222 223

Küpfmüller, Quantitative Analyse, S. 260. Wunderlich, Zur Selbstreproduktion. Souci/Lück, Lebensmittel-Zusatzstoffe, S. 201, 203, 205, 209–210. Liek, Krebsverbreitung, S. 152. Liek, Krebsverbreitung, S. 155. Lenzner, Gift, S. VII. Liek, Krebsverbreitung, S. 202. Lenzner, Gift, S. XII, 191–192 und Liek, Krebsverbreitung, S. 203.

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kleinste Mengen von Reizstoffen erregend, größere lähmend und stärkste tödlich wirkten, die bis in die 1940er Jahre hinein der Ausbildung einer Summationsthese widersprochen hatte. Aber diesem homöopathischen Grundsatz komme nicht der Status eines Naturgesetzes zu, hatte Lenzner diesen Einwand vom Tisch gewischt, hingegen sei jedes noch so winzige Chemikal, das in die Nahrung gelange, im Organismus des Verbrauchers wirksam. Anders als homöopathische Mittel überschütteten die Nahrungsmittelgifte den Körper und richteten durch die Dauer und die zunehmende Häufung des Reizes nur Zerstörungen an.224 Von großer Bedeutung für die Krebsbehandlung war das mit der Summationsthese konstituierte Problem, überhaupt einen Kausalzusammenhang zwischen äußeren Reizen und Krebs herzustellen. Denn die wirksame Menge der kanzerogenen Agentien sei sehr klein und zwischen der Zeit ihrer Einwirkung und der Krebsmanifestation könne ein „stummes Intervall“ von jahrzehntelanger Dauer liegen.225 Für die Forschungspraxis und -politik bedeutete dies, dass ein erheblicher Aufwand der Überprüfung initiiert werden musste. Denn wenn Wirkungen auch kleinster Dosen der kanzerogenen Substanz auf die Zelle vollkommen irreversibel wären und sich über die ganze Lebenszeit summierten, dann verlangte dies nach einer lang dauernden Überprüfung aller Teerfarbstoffe, wenn nicht sämtlicher Lebensmittelzusatzstoffe. Dann aber, so Druckreys optimistische Aussage, könnten durchaus krebserregende von harmlosen Stoffen geschieden werden. Erste Tierversuche hätten so auch gezeigt, dass nicht alle Anilinderivate karzinogen seien. Deshalb sollten nur solche Substanzen als Lebensmittelzusätze zugelassen werden, die sich bei chronischen Versuchen als sicher harmlos erwiesen hätten. Die experimentelle Klarstellung, schränkte Druckrey jedoch ein, könne in jedem Einzelfall Jahre dauern.226 Aus der Summationsthese ergaben sich drei gravierende Folgerungen: Bei krebserregenden Substanzen können keine Grenzwerte festgelegt werden; jede Substanz muss eingehend, ausdauernd und mehrfach, zudem bei verschiedenen Tieren geprüft werden; Krebsprävention ist erfolgreicher als Krebstherapie. Letztlich, und dies sollte sich als ein weiteres Dogma der 1950er Jahre etablieren, ließ sich im Bezug auf die chemische Kanzerogenität nicht zwischen harmlosen und gefährlichen Substanzen unterscheiden, weil das auf Tierversuchen beruhende Experimentalsystem keine absolut sicheren Daten liefern konnte. Schon die Entwicklung von einfachen und schnellen, qualitativen und quantitativen, papierchromatographischen oder spektrographischen Nachweisverfahren für Lebensmittelzusatzstoffe musste ja erst noch etabliert werden.227 Farbstoffe und Konservierungsmittel als krebserregend zu enttarnen sollte sich als äußerst schwierig, wenn nicht gar als unmöglich erweisen. Es sei sehr leicht nachzuweisen, was eine bestimmte Substanz nicht tue, stellte der Heidelberg Pharmakologe Fritz Eichholtz fest, es sei hingegen überaus schwer festzustellen, was sie tue und welche 224 Lenzner, Gift, S. 191–193. Zur Arndt-Schultzschen Regel: Helmstädter, Is there a tonic in the toxin? 225 Druckrey, Versuche, S. 45. 226 Druckrey, Versuche, S. 48–49. 227 Souci, Mitteilungen, S. 66–67.

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Folgen für die Gesundheit des Menschen daraus zu ziehen seien. Noch schwieriger sei es, vor die Gerichte zu gehen und die Giftigkeit der Substanz nachzuweisen. Dies liege vor allem daran, dass keine wissenschaftliche Methode bekannt sei, um im Tierexperiment alle Giftwirkungen einer chemischen Substanz aufzudecken. Es gebe also einen „unbekannten Teil der Toxikologie der Lebensmittelzusätze“.228 Auf der Dritten Konferenz des Ständigen Europäischen Forschungskomitees für den Schutz der Bevölkerung vor chronisch-toxischen Umweltschädigungen 1957 in Ascona wurde explizit die Methodik der biologischen Untersuchung von Lebensmittelzusätzen thematisiert. Fremdstoffe sollen als Lebensmittelzusätze nur dann zugelassen werden, wenn sie in chronischen Tierversuchen bei langdauernder Gabe an mindestens zwei Arten von Säugetieren keine toxischen Wirkungen zeigten.229 Der Freiburger Pharmakologe und Mediziner Peter Marquardt, ein Schüler Druckreys, summierte in einem Anfang 1959 gehaltenen Vortrag die großen Probleme und den gewaltigen Aufwand zur Identifizierung eines gefährlichen Stoffes. Nahrungsmittel, die ja anders als Arzneimittel während eines ganzen Lebens eingenommen würden, verlangten nach anderen Untersuchungsmethoden. Die notwendigen Langzeitversuche mit den kurzlebigen Nagetieren erlauben nicht notwendigerweise Rückschlüsse auf den Menschen, Prüfungen an zwei Tierarten seien unerlässlich, es bestehe das Problem synergistischer Wirkungen und schließlich bleibe doch eine Restgefahr.230 Die Feststellung, dass eine Substanz „zweifellos unschädlich“ sei, schrieb Druckrey, könne aus der Prüfung an Versuchstieren leider auch bei sorgfältiger Durchführung nicht einmal von erfahrenen Toxikologen getroffen werden. Es ließ sich lediglich die „Annehmbarkeit“ von Lebensmittelzusätzen feststellen. Eine Sicherheit aber gebe es nicht. Da immer ein Rest von Unsicherheit bestehen bleibe, müssten Lebensmittelzusätze auf das Maß eingeschränkt werden, „das den ‚wirklichen Bedürfnissen im Interesse des Verbrauchers‘ entspricht“.231 Karl Kötschau, während des Nationalsozialismus Hauptvertreter der Neuen Deutschen Heilkunde, extrahierte daraus messerscharf die Konsequenz, dass der Nachweis der Schädigung auf exakt naturwissenschaftlichem Wege leider gar nicht möglich sei, „da es sich hierbei nicht um ein quantitatives, sondern um ein qualitativ-ganzheitliches Problem handelt“.232 Eine der Lehren, die aus der Summationsthese folgten, lautete, dass Substanzen mit reversiblen Wirkungen toxikologisch anders beurteilt werden müssten als solche, die irreversible, also karzinogene Wirkungen hätten. Bei Substanzen mit reversibler Konzentrationswirkung ließen sich Schwellendosen angeben, so dass Konzentrationen, die mit einer genügenden Sicherheitsgrenze unter diesen lägen, als harmlos angesehen werden könnten. Bei Substanzen mit irreversibler Summationsgiftwirkung gebe es dagegen keine unschädliche Schwellendosis. Deshalb müssten auch sehr kleine Dosen dieser Substanzen als gefährlich angesehen wer228 229 230 231 232

Eichholtz, Chemikalien, S. 374–376. Souci, Dritte Konferenz, S. 62. Marquardt, Die Lebensmittel-Erwartungen. Druckrey, Die toxikologische Beurteilung, S. 375–376. Kötschau, Definition, S. 62.

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den, wenn sie dauernd und sogar ein ganzes Leben lang aufgenommen würden. Diese Möglichkeit bestehe besonders bei Zusätzen zu Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs. Das Diktum der Summationsgiftwirkung provozierte eine neue Art der Stoffeinteilung, nach der es nur noch unbedenkliche und nicht unbedenkliche Stoffe gebe: „Als unbedenklich für die menschliche Gesundheit können nach dem heutigen Stand der Erkenntnis nur solche Zusätze für Lebensmittel angesehen werden, die in chronischen Tierversuchen bei lang dauernder Gabe und nach Beobachtung über die ganze Lebenszeit auch in hoher Konzentration, mindestens aber mit einer genügenden Sicherheitsgrenze gegenüber der maximal möglichen Konzentration in der Nahrung keine toxischen Wirkungen haben, die die Größe der mittleren Lebenserwartung an genügend definierten Tierstämmen nicht herabsetzen und auch in maximaler Dosierung bei dafür nachweislich empfänglichen Tieren keine carcinogenen oder keimschädigenden Wirkungen haben. Die Ausdehnung der Prüfung auf 3 Generationen ist erwünscht.“

Eine Substanz, die unter diesen Bedingungen bei irgendeiner Tierart in irgendeiner Form maligne Tumoren erzeuge, könne nicht als unbedenklich für die menschliche Gesundheit angesehen werden. Für die Stoffe mit reversibler Wirkung galt hingegen, dass eine über die Konzentration der Substanz in der Nahrung ermittelte Sicherheitsgrenze notwendig sei . Die von den Versuchstieren ohne toxische Schädigung vertragene Konzentration sollte dabei wenigstens hundertfach größer sein, als sie in der menschlichen Nahrung enthalten sein könne.233 Für Druckrey stellten die irreversiblen und daher extrem chronischen Giftwirkungen die wirklich ernst zu nehmende Gefahr dar. Druckrey hatte mit der Differenzierung von reversibler und irreversibler Wirkung zugleich eine neue Risikopolitik formuliert. Gemeinhin wurde im Anschluss an Paracelsus’ berühmtes Diktum, dass die Dosis das Gift mache, davon ausgegangen, dass geringe Mengen von Farbstoffen, die in Lebensmitteln verwendet werden, prinzipiell als toxikologisch „unterschwellig“ und daher bedeutungslos angesehen werden könnten. Dieser Lehrsatz, so Druckrey, habe durch die Existenz irreversibler Giftwirkungen, die über die ganze Lebenszeit fortbestehen und sogar auf die Tochterzellen übertragen werden können, eine entscheidende Einschränkung erhalten.234 Ob es Grenzdosen einer chemischen Karzinogenese und Mutagenese gebe blieb im 20. Jahrhundert ein andauernder toxikologischer Streit. Druckreys Summationsthese jedenfalls etablierte sich als ein molekulares Modell, das für kanzerogene Stoffe die Existenz von Grenzdosen grundlegend in Frage stellte.235 Damit aber war zugleich der Streit um Risikovermeidung und Risikokalkulation in die Debatte über Fremdstoffe aufgenommen. Die Druckrey-Küpfmüller-Gleichung war in den 1950er Jahren bei den bundesdeutschen gesundheitspolitischen und lebensmittelrechtlichen Verfahren, namentlich der Novelle des Lebensmittelgesetzes, der entscheidende Referenzpunkt. Druckrey selbst trug seine Position am 6. Februar 1957 auf einer Sitzung des Gesundheitsausschusses des Bundestags persönlich vor. Die SPD-Abgeordnete Käte Strobel verwendete im Bundestag die 233 Hamperl, Ergebnisse. 234 Druckrey, Die toxikologische Beurteilung, S. 379. 235 Henschler, New Approaches.

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Ausführungen Druckreys, den sie als „einen der maßgebendsten deutschen Wissenschaftler“ adelte, als Hauptargument für eine scharf gefasste Gesetzesnovelle mit Deklarationspflicht. Druckrey hatte vor dem Gesundheitsausschuss ausgesagt, dass es Giftwirkungen gebe, die auch dann aufträten, wenn kleinste Mengen über lange Zeit, womöglich ein ganzes Leben lang, aufgenommen würden. Es sei schicksalhaft, dass ein solcher Zusatz von Jugend auf von Millionen von Menschen in dieser Weise aufgenommen werde. Gerade diese Erkenntnis, ergänzte Strobel, habe zu einer völligen Änderung der Einstellung zu den Lebensmittelzusätzen geführt.236 Die Summationsthese hat sich als eine bis heute gültige wissenschaftliche Tatsache verfestigt, auch wenn es schon in den 1950er Jahren aus berufenem Mund Kritik gab. Der Biochemiker und spätere Nobelpreisträger Feodor Lynen bemerkte, dass Druckreys quantitative Arbeiten über die Genese des Buttergelbhepatoms bei Ratten nicht gesichert seien, was ihm gleich einen geharnischten Brief seines Kollegen Butenandt einhandelte.237 Ministerialrat Wilhelm Hagen vom Bundesinnenministerium intervenierte im Mai 1954 anlässlich des Krebskongresses in Hamburg direkt bei Druckrey und schrieb diesem, dass die Öffentlichkeit vielleicht glaube, das Krebsproblem sei gelöst, wenn alle kanzerogenen Stoffe aus der Nahrung ausgeschaltet seien. Dieser Eindruck aber dürfe nicht entstehen: „Bei den Krebsen, mit denen wir zu tun haben, handelt es sich doch zu 99 % nicht um Nahrungskrebse. Selbst die einwandfrei chemisch erzeugten Krebse sind ja nicht auf die Aufnahme des Reizstoffes mit der Nahrung zurückzuführen.“ Druckrey sprach sich in seiner Antwort zwar für eine sachliche Darstellung der Problematik aus, beharrte aber darauf, dass exogenen Noxen beim Krebs eine entscheidende Rolle zukomme und betonte zudem, dass die Öffentlichkeit ein Recht auf Information habe.238Auch Hans-Dietrich Cremer deutete Druckreys Versuche eher distanziert. Er wolle die Bedeutung eines eventuellen Zusammenhanges zwischen Ernährung und Tumoren keineswegs bagatellisieren. Aber es müsse doch betont werden, dass im Augenblick kein Anhaltspunkt bestehe, dass die wesentliche Krebsursache in unserer Nahrung zu suchen sei. Das verbreitete Motto ,,Krebs durch denaturierte Nahrung“ sei eben vor allem eine gefühlsmäßige und schlagwortartige Betrachtungsweise, die sich aber auf den Kampf gegen hypothetische Krebsgifte beschränke. Auf Grund des statistischen Materials scheine es doch recht fragwürdig, ob man von einer vermehrten Krebsgefahr durch denaturierte Nahrung sprechen könne. Die durch Buttergelb erzeugten Tumoren seien nur eine unter vielen möglichen Tumorarten. Cremer wandte sich keineswegs grundsätzlich gegen die Summationsthese, wohl aber gegen die zivilisationskritische Hypostasierung der Forschungen, wie sie Ernährungsreformer wie Kollath betrieben.239 Souci wiederum warnte davor, Druckreys richtige Erkenntnisse zu verallgemeinern. Vor allem aber könne der Konsument, 236 Beitrag Strobel, in: Deutscher Bundestag, 6. Sitzung, Bonn, 12. Dezember 1957“, S. 179 (http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/03/03006.pdf). 237 Butenandt an Lynen (21.4.1956), in: MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 31b, Nr. 46. 238 Hagen an Druckrey (12.5.1954) und Druckrey an Hagen (15.5.1954), in: BA Koblenz, B 142/1570, 2 von 2. Zu Hagen: Lindner, Gesundheitspolitik, S. 44–45. 239 Cremer, Ernährung, S. 34, 35.

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wenn denn die Dosis sehr klein sei, den Ausbruch der Krankheit gar nicht mehr erleben, da die notwendige Gesamtdosis zum Ausbruck des Krebses über der normalen Lebensspanne des Menschen liege. Das wäre ein Risiko, das man eingehen könnte, bemerkte dazu gewohnt entspannt ein Journalist des Spiegel.240 Um 1960 wurde jedoch die in ihren risikopolitischen Folgerungen so radikale Summationsthese in der Praxis durch das Grenzwertkonzept des deutlich flexibleren Acceptable Daily Intake (ADI) abgelöst.241 Auch die Unterscheidung zwischen reversiblen und irreversiblen Stoffen war dabei jenseits toxikologischer Fachdiskurse längst in Vergessenheit geraten. Allerdings dominiert die Angst vor kanzerogenen Stoffen in Lebensmitteln seitdem die öffentliche Debatte, während das auf reversible Wirkungen ausgerichtete Konzept des ADI die globalisierte Risikopolitik anleitet.

240 Anonym, Gift, S. 39. 241 Reinhardt, Regulierungswissen, S. 353–359.

3. VERBRAUCHERPOLITIK „Die Gesellschaft, einem ständig andauernden dynamischen Entwicklungsprozeß unterworfen, wird getragen von pluralen Kräften mit ihren unterschiedlichen Interessenlagen, Herrschaftsvorstellungen und Machtverhältnissen“.1

Am 4. Februar 1954 reichte die SPD beim Bundestag eine sogenannte Kleine Anfrage 30 betreffs eines Lebensmittelgesetzes ein: Das Lebensmittelgesetz von 1936 sei völlig veraltet. Für den Schutz der Bevölkerung vor ernsten gesundheitlichen Schädigungen bestehe keine ausreichende Grundlage mehr. Wann lege die Bundesregierung ein neues Lebensmittelgesetz vor?2 Innenminister Gerhard Schröder antwortete acht Tage später, dass das Innenministerium Vorarbeiten für eine Reform bereits vor Monaten aufgenommen habe und nach dem derzeitigen Stand der Arbeiten damit gerechnet werden könne, dass ein Entwurf einer Novelle zum Lebensmittelgesetz den gesetzgebenden Körperschaften innerhalb Jahresfrist zugehen werde.3 Bei einer Debatte über Schulmilchspeisung am 16. Juni 1955 meldete sich die SPD-Politikerin Käte Strobel zu Wort, um anzumerken, dass das Jahr mittlerweile um, aber noch kein Gesetzesentwurf präsentiert worden sei. Sie wisse, dass es sich um einen großen und schwierigen Komplex handle, aber die Sache werde doch immer dringlicher. Wissenschaftler und Ärzte mahnten in der Presse. Jede Woche würden in irgendeiner Illustrierten Publikationen erscheinen, die den Hausfrauen sehr viel Sorge machen müssten, wenn alles, was da drinstehe, hundertprozentig ernst genommen werden würde. Die Gesetzgebung müsse unbedingt dem heutigen Stand der Erfordernisse so rasch wie möglich angepasst werden.4 Am 24. Februar 1956 brachten die Bundestagsabgeordneten Hedwig Jochmus (CDU), Käte Strobel (SPD) und Marie-Elisabeth Lüders (FDP) zusammen mit 43 weiteren Bundestagsvertreterinnen einen Antrag zur Änderung des Lebensmittelgesetzes im Bundestag vor. Danach sollten auf den für den Verbraucherschutz wichtigen Gebieten sofort neue Verordnungen für die Bleichung, Färbung, Konservierung und sonstige Be- und Verarbeitung von Lebensmitteln erlassen sowie für die redliche Bezeichnung und Kennzeichnung der Zusammensetzung von bearbeiteten Lebensmitteln gesorgt werden. Es sei insgesamt eine Bereinigung im 1 2 3 4

Gebauer, Vorwort, ohne Seitenangabe. „Kleine Anfrage 30 der Fraktion der SPD betr. Lebensmittelgesetzgebung“ (4.2.1954), Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, 1953, Drucksache 233 (dipbt.bundestag.de/doc/ btd/02/002/0200233.pdf) „Betr.: Lebensmittelgesetzgebung. Bezug: Kleine Anfrage 30 der Fraktion der SPD – Drucksache 233 -“ (12.2.1954), Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, 1953, Drucksache 268 (dipbt.bundestag.de/doc/btd/02/002/0200268.pdf) Beitrag Strobel, 2. Deutscher Bundestag, 88. Sitzung, Bonn, 16. Juni 1955, S. 4950 (dipbt. bundestag.de/doc/btp/02/02088.pdf).

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Lebensmittelrecht vorzunehmen. Der Bundestag stimmte am 8. Juni 1956 dem Antrag zu und forderte die Bundesregierung auf, bis zum 30. Juni 1956 eine Neufassung des Lebensmittelgesetzes vorzulegen.5 Am 28. November 1956 überreichte Bundeskanzler Adenauer dem Bundestag den erarbeiteten Änderungsentwurf. Der Bundesrat hatte bereits am 19. Oktober 1956 beschlossen, gegen den Vorschlag keine grundsätzlichen Einwändungen zu haben, jedoch den Entwurf mit zahllosen Anmerkungen und Vorschlägen versehen. Das Gesetz wurde am 7. Dezember 1956 dem Ausschuss für Fragen des Gesundheitswesens überwiesen. Dieser richtete einen Unterausschuss ein, in dem die Fraktionen, Vertreter des Hauptausschusses, Vertreter aus den Ausschüssen für Wirtschaftspolitik, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, für Angelegenheiten der inneren Verwaltung und für Rechtswesen und Verfassungsrecht zusammenkamen. Dieser Unterausschuss „Lebensmittelrecht“ habe nach der gemeinsamen Anhörung von Sachverständigen aus Kreisen der Wirtschaft, des Handels, der Verbraucher und vor allem der Wissenschaft in der Zeit vom 18. Februar bis zum 6. Mai 1957 den Gesetzentwurf in 17 Sitzungen in zwei Lesungen beraten, berichtete Hedwig Jochmus, wobei von ihm noch einmal Sachverständige gehört und für bestimmte Fragen weitere Vertreter der Ausschüsse für Außenhandelsfragen und für Rechtswesen und Verfassungsrecht herangezogen worden seien. Der Gesundheitsausschuss habe das Beratungsergebnis des Unterausschusses am 20. Mai 1957 entgegengenommen und am 27. Mai 1957 das Gesetz verabschiedet. Jochmus zeigte sich ein wenig enttäuscht, dass während dieses Prozesses aus einer Gesetzesneufassung eine Gesetzesnovelle geworden sei, betonte aber zugleich, dass die wesentliche Neuerung ein generelles Fremdstoffverbot sei. In Zukunft werde danach alles verboten sein, was nicht ausdrücklich in der Abgrenzungsverordnung nach § 4b aufgeführt oder in Verordnungen nach § 5a zugelassen sei. Über einzelne Punkte des Gesetzes wurde zu diesem Zeitpunkt aber weiter heftig gestritten, im Bundestag am 8. Juni 1957 noch einmal intensiv diskutiert, die Arbeit an der Novelle jedoch über den 30. Juni hinaus verschleppt, so dass zunächst, sehr zum Ärger der Aktivistinnen, die Sommerpause weitere Schritte verhinderte.6 Gleichwohl lag die Gesetzesnovelle am 18. Juni fertig dem Bundestag vor, wurde aber, als dieser Anfang Juli wieder tagte, zur Empörung von Käte Strobel 5

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„Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Jochmus, Frau Strobel, Frau Dr. Dr. h. c. Lüders und Genossen betr. Lebensmittelrecht“ (24.2.1956), Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode 1953, Drucksache 2127 (dipbt.bundestag.de/doc/btd/02/021/0202127.pdf). Die kontroverse interne Kabinettsdebatte lässt sich nachlesen in „2. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelgesetzes“, Kabinettsprotokolle, 146. Kabinettssitzung, 8. August 1956 (http:// www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/k0/k/k1956k/kap1_2/kap2_43/para3_3.html). Bericht Jochmus in „Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens (14. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelgesetzes – Drucksache 2923 -“, 18. Juni 1957, Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, 1953, zu Drucksache 3613, S. 1 (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/02/036/0203613zu.pdf); Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelgesetzes, 28.11.1956, Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode 1953, Drucksache 2923 (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/02/029/0202923. pdf); und 2. Deutscher Bundestag, 149. Sitzung, Bonn, 8. Juni 1956, S. 7900–7909 (http:// dip21.bundestag.de/dip21/btp/02/02149.pdf).

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durch Hammelsprung nicht auf die Tagesordnung gesetzt und somit auf die dritte Wahlperiode verschoben.7 Nach diesem Eklat reichte die Fraktion der SPD am 28. November 1957 beim Bundestag einen eigenen, auf den bisherigen Arbeiten des Ausschusses beruhenden Entwurf ein. Die Bundesregierung selbst verabschiedete am 19. Februar 1958 ebenfalls eine Neufassung und folgte am 3. April 1958 mit einem Vorschlag zur Änderung und Ergänzung des Lebensmittelgesetzes. Diese Entwürfe wurden in Sitzungen des Bundestages am 12. Dezember 1957 und am 16. April 1958 beraten und erneut an den zuständigen Ausschuss für Gesundheitswesen sowie an den Rechtsausschuss weitergeleitet. Für den Ausschuss war der Regierungsentwurf maßgeblich, der dann auch, fasste die Berichterstatterin Viktoria Steinbiß von der CDU zusammen, in der Zeit vom 17. April 1958 bis zum 2. Oktober 1958 in 13 Sitzungen und in zwei Lesungen unter Hinzuziehung von Sachverständigen behandelt worden sei. Am 23. Juni 1958 kam es so zur Anhörung der Kommissionen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, bei der vor allem auch Druckrey seine Überzeugungen darlegte. Auch der Rechtsausschuss habe den Entwurf in zwei Sitzungen am 14. Mai und am 20. Juni 1958 beraten und seine Stellungnahmen abgegeben. Umstrittene Punkte waren eine Kennzeichnungspflicht für Inhaltsstoffe als Muss- oder Kann-Bestimmung, die Strahlenbehandlung von Lebensmitteln, die Definition eines „Nichtfremdstoffs“ und die Bewertung von östrogenhaltigen natürlichen Futtermitteln. Zudem wurde mit dem Namen „technische Hilfsstoffe“ eine weitere Stoffgruppe mit Sonderstatus definitorisch eingeführt. In der Bundestagsdebatte am 29. Oktober 1958 kam es dann zu sehr hitzigen Auseinandersetzungen, die im Vorwurf seitens der SPD gipfelten, Teile der CDU/CSU, insbesondere der CSU-Abgeordnete Franz Xaver Unertl, der von „Angstmacherei und Verächtlichmachung von einzelnen Berufsständen“ sprach, wollten mit „psychologischer Kriegsführung“ die Gesetzesnovelle doch noch verhindern. Zwar verabschiedete der Bundestag mit großer Mehrheit am 6. November 1958 das Gesetz, der Bundesrat verlangte jedoch am 28. November 1958 wegen immer noch nicht geklärter, eher kleinerer Streitfragen die Einberufung des Vermittlungsausschusses. Nach der endgültigen Zustimmung des Bundesrats am 19. Dezember 1958 wurde die Gesetzesnovelle endgültig am 21. Dezember 1958 erlassen.8 7 8

Beitrag Strobel, 2. Deutscher Bundestag, 224. Sitzung, Bonn, 5. Juli 1957, S. 13309, 13314 (http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/02/02224.pdf). Der Präsident des Bundesrates an den Vorsitzenden des Vermittlungsdausschusses, 28.11.1958, Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, Drucksache 691 (http://dip21.bundestag. de/dip21/btd/03/006/0300691.pdf); Bundesrat, 200. Sitzung des Bundesrates, 19. Dezember 1958 (http://www.bundesrat.de/SharedDocs/downloads/DE/plenarprotokolle/1958/ Plenarprotokoll-200.pdf;jsessionid=D8A6C26E7183EC3738308A5DEF050C2F.2_ cid382?__blob=publicationFile&v=2); Deutscher Bundestag, 47. Sitzung, Bonn, 29. Oktober 1958 Oktober, S. 2628–2629, 2639–2673, insbesondere S. 2652, 2663 (dip21.bundestag. de/dip21/btp/03/03047.pdf); Bericht Steinbiß, „Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen (11. Ausschuß) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Lebensmittelgesetzes – Drucksache 316 -“, 8.10.1958, Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, Drucksache 553, S. 1–2 (dip21.bundestag. de/dip21/btd/03/005/0300553.pdf); „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung

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Das Gesetz bestand aus 22 Paragrafen, in denen Lebensmittel und Bedarfsgegenstände definiert wurden (§ 1 und 2) und deren verbotene Verwendung bestimmt wurde (§ 3 und 4). Die größten Änderungen betrafen die § 4 und 5. Der § 4a führte eine Definition fremder Stoffe ein, während zudem Antibiotika, östrogene und thyreostatische Stoffe (§ 4b) sowie ionisierende und ultraviolette Strahlenbehandlungen von Lebensmitteln (§ 4c) eigens erfasst wurden. In § 4b wurde zudem erstmals der Begriff „technische Hilfsstoffe“ verwendet, um jene Stoffe zu bestimmen „die bei der Gewinnung, Herstellung oder Verarbeitung von Lebensmitteln verwendet werden, jedoch nicht zum Verzehr geeignet sind“. Der § 5 umfasste das Recht des Innenministers in Absprache mit dem Ernährungsministerium spezifische Verordnungen zu erlassen. Hier beschrieb der neue und umfassende § 5a, auf welche Weise das Innenministerium fremde Stoffe zulassen könne, wie die Höchstmengen fremder Stoffe und technischer Hilfsstoffe festgesetzt werden, welche Farbstoffe, aber auch Pflanzenschutz-, Schädlingsbekämpfungs-, Vorratsschutz- und Konservierungsmittel zugelassen werden. Darunter fiel aber auch das noch genauer zu regelnde Gebot, den Gehalt der Lebensmittel an zugelassenen Stoffen kenntlich zu machen sowie die Möglichkeit von dieser Verpflichtung zu befreien, „wenn die Verwendung der fremden Stoffe der allgemeinen Verkehrsauffassung entspricht.“9 Man müsste Mediziner, Nahrungsmittelchemiker und Jurist gleichzeitig sein, um dieses Gesetz in allen Teilen bearbeiten zu können, seufzte der CSU-Politiker Stefan Dittrich, als die Debatte über die Novelle des Lebensmittelgesetzes im Oktober 1958 endgültig festgefahren zu sein schien.10 Bei allem zumeist lobbyistisch begründeten Streit um Gesetzesformulierungen hatte sich im Laufe der 1950er Jahre ein nur durch skandalöse Zwischenrufe zu irritierender, parteiübergreifender Konsens herausgebildet, dass fremde Stoffe grundsätzlich verboten werden müssten, wenn deren Unbedenklichkeit wissenschaftlich nicht erwiesen werden konnte. Umstrittener war schon die Frage, ob die geduldeten Fremdstoffe auch auf den Waren kenntlich gemacht werden müssten.11 Auch wenn, so Souci, „bestimmte Kreise der LebensmittelIndustrie“, dafür gesorgt hätten, dass aus einer Muss-Bestimmung bezüglich der Kennzeichnung von Zusatzstoffen eine Kann-Bestimmung geworden sei, wurde die schwer errungene Verabschiedung des erneuerten Gesetzes allgemein gefeiert.12 Die Hauptsache an dem neuen Gesetz sei, betonte Souci in einem SpiegelInterview, dass man nunmehr von vornherein alle Zusatzstoffe verbiete und nur Ausnahmen zulasse. An die Stelle des nachträglichen Verbots trat die begründete

9 10 11 12

des Lebensmittelgesetzes“, 3.4.1958, Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, Drucksache 316 (dipbt.bundestag.de/doc/btd/03/003/0300316.pdf); und „Antrag der Fraktion der SPD. Der Bundestag wolle beschließen: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Lebensmittelgesetzes“, 3.4.1958, Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, Drucksache 29 (dipbt. bundestag.de/doc/btd/03/000/0300029.pdf). Hamann, Schutz, S. 64–75 und Krusen, Das neue Lebensmittelrecht. Beitrag Dittrich, Deutscher Bundestag, 47. Sitzung, Bonn, 29. Oktober 1958 Oktober, S. 2647 (dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03047.pdf). Hamann, Die zugelassenen Fremdstoffe, S. 1295. Anonym, Gift, S. 37. Grube, Die Entwicklung.

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Zulassung der Fremdstoffe.13 Das Gesetz funktionierte also nach dem Verbotsprinzip, was nach anfänglicher Gereiztheit der Lebensmittelindustrie bald als politisch unumstritten galt, und unterschied sich damit fundamental von der vorherigen Gesetzgebung. Rudi Franck, Erster Direktor beim Bundesgesundheitsamt, jubelte, dass die in Fachzeitschriften und in der Tagespresse vorhergesagten Schwierigkeiten nicht eingetreten seien und die „Fremdstoff-Deklaration“ zu einer echten Qualitätsverbesserung geführt habe.14 Und auch die Presse, in diesem Fall die Frankfurter Rundschau, rühmte, dass das deutsche Lebensmittelgesetz zwar nicht vollendet sei, aber gewiss nicht ganz zu Unrecht als eines der modernsten und schärfsten Gesetze auf diesem Gebiet zumindest für Europa gelte.15 Das Lebensmittelgesetz wurde gemeinhin als notwendige Reaktion auf eine ungeregelte Entwicklung bei der Lebensmittelherstellung verstanden. Volker Hamann von der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie in München präsentierte eine andere Story, wenn er die Geschichte der Gesetzesnovelle mit Druckreys Arbeiten zur irreversiblen Krebswirkung und Butenandts Intervention zum Buttergelb beginnen ließ. Dies erst habe die Deutsche Forschungsgemeinschaft dazu angeregt, sich mit der Bedenklichkeit und Unbedenklichkeit der bei der Lebensmittelherstellung verwendeten fremden Stoffe zu befassen. Es sei dann eine „Pressekampagne“ gewesen, welche die Politik zum Handeln gebracht habe.16 Die Novelle des Lebensmittelgesetzes war das Ergebnis eines lang andauernden komplizierten Aushandlungsprozesses. Sie war geprägt durch den ernährungsreformerischen Diskurs und die mediale Mobilisierung, durch Druckreys alarmierende Summationsthese, durch die unermüdliche Organisations- und Definitionsarbeit der Farbstoffkommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie durch die Netzwerke der Frauen- und Hausfrauenorganisationen. Eine Kooperation bestimmter Abteilungen des Bundesinnenministeriums mit weiblichen Abgeordneten des Bundestags initiierte die Aushandlung des Gesetzestextes durch Vertreter der Politik, der Wirtschaft, der Justiz und der Wissenschaft. Die stets angesprochenen und aufgerufenen Verbraucher waren dabei allerdings nicht präsent. Eine unübersichtliche Anzahl an wissenschaftlichen Institutionen, Interessengruppen und politischen Entscheidern verhandle den „Schutz des Verbrauchers durch die Lebensmittelüberwachung“, berichtete Hamann. Aber er vergaß nicht anzufügen, dass die Verbraucher selbst doch eigentlich auch zur Gesetzesverhandlung herangezogen werden müssten.17 Das Verfahren zur Aussarbeitung des Gesetzestextes wurde vom Unterausschuss „Lebensmittelrecht“ des Bundestagsausschusses für Gesundheitswesen durchgeführt. Federführend war aber insgesamt das Bundesinnenministerium. Dieses stand in ständiger Auseinandersetzung mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft 13 14 15 16 17

Anonym, Gift, S. 36. Franck, Auswirkungen. Tolkmitt, Zur Entwicklung. Hans-J. Wasserburger, „Absolut ungiftige Stoffe gibt es überhaupt nicht. Der 7. Internationale Konvent für Vitalstoffe, Ernährung und Zivilisationskrankheiten“ (Frankfurter Rundschau, 29.9.1961), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60329, Presse, 1961–1970. Hamann, Im Einvernehmen mit. Hamann/Schnier, Der Schutz und Hamann, Im Einvernehmen.

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und Forsten, dem Bundeswirtschaftsministerium, dem Auswärtigen Amt, den Länderministerien, dem Bundestag und dem die unterschiedlichen Länderinteressen vertretenden Bundesrat. Da in diesem Fall Politiker juristische, medizinische und lebensmittelchemische Probleme zu bewältigen hatten, wurden Sachverständige zur Beratung herangezogen. Dazu gehörten das Bundesgesundheitsamt, der Bundesgesundheitsrat, der Ausschuss „Lebensmittelchemie“ der Arbeitsgemeinschaft der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister der Länder, die wissenschaftlichen Ausschüsse des Bundesernährungsministeriums, Hochschulund Forschungsinstitute sowie die Lobbyverbände des Lebensmittelhandels, namentlich der Ausschuss „Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde“ in der Vereinigung der deutschen Ernährungsindustrie. Hamann nannte noch zahlreiche Experten aus Hochschul- und Forschungsinstituten, namentlich Paul Friedrich Pelshenke von der Bundesanstalt für Getreideverarbeitung, Heinrich Kraut vom Max-Planck-Institut für Ernährungsphysiologie, Werner Schuphan von der Bundesanstalt für Qualitätsforschung pflanzlicher Erzeugnisse, Rudolf Plank von der Bundesanstalt für Lebensmittelfrischhaltung, S. Walter Souci von der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie sowie Hans Paul Kaufmann vom Deutschen Institut für Fettforschung. Involviert war zudem selbstverständlich auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Die zentrale und autoritäre Rolle kam aber den Kommissionen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu.18 Der Kampf um die Gesetzesnovelle war also keine direkte Auseinandersetzung zwischen Industrie- und Verbraucherinteressen. In der medialen Darstellung standen sich hingegen die tendenziell egoistischen, durch Lobbyverbände verteidigten Partikularinteressen der Ernährungswirtschaft und eine dem Gemeinwohl dienende gesundheitspolitische und volksgesundheitliche Position gegenüber. Erstere basierte auf zudem nicht immer notwendigen ökonomischen Berechnungen, letztere war moralisch im Recht, da sie für die Unversehrtheit der Verbraucher eintrat. Die Richtigkeit der Annahmen über die Schäden, die fremde Stoffe im menschlichen Organismus anrichten können, wurde durch wissenschaftliche Experten begründet. Juristen mussten dann die Überzeugung, dass künstliche Stoffe ohne Nährwert gefährlich sein könnten, in anwendbare und widerspruchsfreie Paragrafen übersetzen. Die Politiker hingegen hatten die schwere Aufgabe, auf der Basis des Primats des Verbraucherschutzes wirtschaftliche Interessen zu berücksichtigen. Die sogenannte Verbraucherwartung basierte dabei aber nicht nur auf dem Recht auf unverfälschte Waren und gesundheitliche Unversehrtheit, sondern war an ernährungsreformerische und zivilisationskritische Diskurse angeschlossen. Verbraucherschutz und Volksgesundheit fungierten als sich zugleich ergänzende, selten kontrastierende, sich zumeist überschneidende Begriffe. Ein seit den 1920er Jahren vertrauter Gegensatz von Wirtschaftsinteressen und Volksgesundheit war dieser Debatte inhärent und wurde von den radikalen Vertretern der Lebensreform und des zivilisationskritischen Purismus medienwirksam mobilisiert. 18

Referentenentwürfe zum Lebensmittelgesetz (in: BA Koblenz, B 142/1532). Hamann, Im Einvernehmen mit. Zimmerman, International Aspects. Zu den Bundesanstalten: Thoms, Ressortforschung.

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Die Verhandlungen über das Lebensmittelgesetz waren durch die Doktrin einer grundsätzlichen Risikovermeidung geprägt. Verdachtsmomente reichten aus, dass eine Substanz nicht als duldbarer Stoff akzeptiert wurde. In den seit 1959 folgenden Verordnungen wurde dieser Grundsatz jedoch durch die in jedem Einzelfall intensive Lobbyarbeit der betroffenen Interessenverbände und Unternehmen ausgehöhlt. Zeitgleich wurde durch die Institution der World Health Organization die Risikovermeidung durch flexibilisierte Risikokalkulationen ersetzt, Druckreys Summationsthese durch flexible Grenzwertkonzepte verdrängt. Jedoch lässt sich ein radikaler Gegensatz zwischen Industrieinteressen und Lebensreform zumindest für die 1940er und 50er Jahre nicht wirklich konstatieren. In allerdings unterschiedlicher Färbung wurde das Lob der Ganzheitlichkeit und Natürlichkeit sowie die Kritik an Atomismus und Künstlichkeit von Ernährungsreformern wie Werner Kollath, Zivilisationskritikern wie Hans-Adalbert Schweigart, Medizinern wie Karl-Heinrich Bauer, Pharmakologen wie Fritz Eichholtz und chemischen Unternehmern wie Ulrich Haberland durchaus geteilt. Die Regierungs- und Verwaltungsstellen selbst waren wiederum in den 1950er Jahren ob ihrer risikopolitischen Positionen zerstritten. Das Innenministerium, dies gilt insbesondere für das von Werner Gabel geleitete Referat für Allgemeine Lebensmittelchemie und -hygiene, war grundsätzlich der strengen Position der von Butenandt und Druckrey geleiteten Farbstoffkommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft zugeneigt. Der CDU-Innenminister Gerhard Schröder hingegen erschien offen für allerlei Einflüsterungen durch die Lobbyarbeit der Ernährungsindustrie. Dennoch galt das Innenministerium in den 1950er Jahren im Vergleich zu den Wirtschafts- und Ernährungsministerien als relativ verlässliche Vertretung von Verbraucherinteressen und rief im April 1956 auf einer Tagung des Deutschen Frauenrings auch zur Hilfe durch den Verbraucher auf.19 Verbraucherpolitik wurde zwischen den Polen der Volksgesundheit und der Interessenpolitik verhandelt. Das Recht auf gesunde Ernährung, Mitte des 20. Jahrhunderts immer auch eine reformerisch-puristische Aussage, und das Recht auf Markttransparenz, ein ordoliberaler Grundsatz, bildeten durchaus widersprüchlich das Repertoire der Verbrauchererwartungen. Während eine Politik kalkulierter Risiken im Sinne einer Marktwirtschaft und Wettbewerbsordnung war, leitete Risikovermeidung eine Politik der Gesundheitsprävention an. Fritz Eichholtz brachte dies in aller Schlichtheit auf den Punkt: Es gebe diejenigen, „die möglichst freie Hand haben wollen und diejenigen, die Sicherheit verlangen“.20

19 20

Anonym, Schutz. Akten zur Lobbyarbeit der Interessenvertretungen der Wirtschaft und des Gewerbes finden sich in BA Koblenz, B 142/1529 und 1530. Eichholtz, Chemikalien, S. 378.

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Modulationen des Wissens und des Nichtwissens. Die Kommissionen für Farb-, Konservierungs- und Fremdstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Nein, mein Herr, nicht ‚zurück zur Natur’, nicht zurück zum Neandertaler, aber zurück zur Vernunft und vorwärts zu einem Gesetz über Lebensmittelfarben!“21

Während die Debatte über das Lebensmittelgesetz auf ihrem Höhepunkt war, erklärte der Münchener Lebensmittelchemiker S. Walter Souci dem Spiegel und damit der Öffentlichkeit, dass es etwa tausend Stoffe gebe, die Lebensmittel zugesetzt werden könnten. Die Anzahl der tatsächlich angewendete Konservierungsmittel und Farbstoffe dürfte aber viel geringer sein. Souci berief sich auf Schätzungen des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, der von hundertzehn Stoffen ausging.22 Souci war auskunftspflichtig, weil diese über hundert Stoffe (andere Quellen nannten weitaus höhere Zahlen) seit Ende der 1940er Jahre verdächtigt wurden, auch Krebs auszulösen. Lebensmittelzusatzstoffe waren danach nicht einfach nur gesundheitsschädlich, sondern Agentien fürchterlicher Wucherungen, verantwortlich für die, so waren sich alle Statistiken einig, Haupttodesursache des zivilisierten Menschen. Der Freiburger Chirurg Eduard Rehn, Sohn von Ludwig Rehn, verfasste auf dem ersten nach Kriegsende durchgeführten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1949 in Frankfurt am Main, auf dem Karl-Heinrich Bauer und Hermann Druckrey Benzol- und Anilinderviate mit der Entstehung von Krebs in einen Zusammenhang brachten, im Namen der Volksgesundheit eine Resolution, die weitreichende gesundheitspolitische Konsequenzen, konkret vor allem die Erstellung von Verbots- und Zulassungslisten für künstliche Farbstoffe und die Vorbereitung eines zu erlassenden Lebensmittelfarbengesetzes, verlangte. Die Färbung von Lebens- und Genussmitteln müsse auf der Verpackung deklariert werden, für Lebensmittelfarbenfabriken und Verarbeitungsbetriebe solle eine Genehmigungspflicht bestehen. Schließlich seien für verbotene Färbungen, Verfälschungen und irreführende Angaben im Hinblick auf die allgemeine Volksgesundheit hohe Strafen zu verhängen.23 Rehn konnte sich bei seinen Ausführungen auf eine Beschlussvorlage stützen, die Bauer der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie vorgelegt hatte und die in sechs Punkten ein neues Lebensmittelfarbengesetz forderte. Bauer hatte zudem auf die Unterstützung des neu gegründeten Deutschen Forschungsrats verwiesen, der die Berufung einer Kommission zum Farbstoffproblem bereits beschlossen habe.24 Der Ruf nach einer Novelle des Lebensmittelgesetzes kam also aus den Reihen der Mediziner, Ernährungsexperten und Naturwissenschaftler. Während dies nicht wirklich verwundern kann – schließlich beanspruchten die Wissenschaftler ja für sich die Vernunft und damit auch das Gemeinwohl zu vertreten –, muss es 21 22 23 24

Bauer, Über Chemie, S. 36–37. Anonym, Gift, S. 36. Der Beitrag Rehns findet sich in Druckrey, Versuche, S. 56. Bauer, Über Chemie, S. 39.

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mehr überraschen, dass sich dieser Kampagne auch Vertreter der chemischen Industrie anschlossen. Bauer leitete 1950 seinen Vortrag Über Chemie und Krebs explizit mit der Bemerkung ein, dass auch die Farbenfabriken selbst die bisherigen Gesetze nicht mehr für ausreichend hielten. Seine Ausführungen seien also keineswegs gegen die Industrie gerichtet.25 Während des Nationalsozialismus hatte sich in vielen Bereichen eine intensive Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern, Industrievertretern und Staatsbehörden eingespielt. Die Akteure kannten sich und es bestand grundsätzlich kein Gegensatz, im Gegenteil eine koproduktive Beziehung zwischen den „rationalen“ Wissenschaftlern und den „profitorientierten“ Repräsentanten der Industrie.26 Tatsächlich fanden sich auch in den Reihen der Kämpfer für ein strenges Lebensmittelgesetz exponierte Industrievertreter wie Ulrich Haberland seit 1951 Vorstandsvorsitzender der Bayer AG, Bernhard Wurzschmitt, Leiter des Untersuchungslaboratoriums der BASF in Ludwigshafen, und August Wingler von der Farbstoffherstellung der Bayer AG. Wurzschmitt und Wingler waren Experten für Azofarbstoffe, Haberland, ein erfolgreicher Industriemanager, ehemaliges Vorstandsmitglied der IG Farben und entscheidende Figur beim Wiederaufbau der Bayer AG, in den Jahren 1954 und 1955 zudem Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker.27 Natürlich war es vorrangig im Interesse dieser Vertreter der Farbenindustrie, deren Position in der beginnenden Auseinandersetzung über Lebensmittelfarbstoffe grundsätzlich zu stärken. In ihrer Argumentationsweise standen aber alle drei den Auffassungen von Bauer, Butenandt und Druckrey nahe. In der an Bauers Vortrag anschließenden Diskussion führte Wurzschmitt aus, dass man aus Presseveröffentlichungen der letzten Zeit den Eindruck gewinnen könne, als ob die Industrie der synthetischen Farbstoffe ein wirtschaftliches Interesse an der Färbung von Nahrungsmitteln gehabt hätte oder noch habe. Gut vorbereitet verlas Wurzschmitt zur Widerlegung dieser Auffassung ein kurzes Schreiben, das die IG Farben am 16. November 1942 an den Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes gerichtet hatte. Darin hieß es, dass die Färbung der verschiedenartigsten Lebensmittel seit Ausbruch des Krieges übernormal zugenommen habe. Eine solche Entwicklung dürfe aber nicht im Sinne der obersten deutschen Gesundheitsbehörden liegen. Die künstlichen organischen Farbstoffe würden oft in einem unnötigen und vielfach sogar abstoßenden Übermaß verwendet. Leider sei durch den Krieg die weitere klare Entwicklung der Rechtslage auf dem Gebiet der Lebensmittelfärbung unterbrochen worden, hieß es weiter, die Farbenhersteller hätten aber an der Beseitigung dieser Missstände das größte Interesse und würden daher das baldige Zustandekommen des neuen Deutschen Farbengesetzes für notwendig erachten. Als konkrete Forderungen führte die IG Farben dann die namentliche Nennung einer bestimmten, nicht allzu großen Anzahl von Farbstoffindividuen, die Festlegung einer erlaubten Maximaldosis von Farbstoff sowie eine Beschränkung der Zulässigkeit der Färbung auf festgelegte Lebensmittelgruppen, für die auf eine Färbung nicht verzichtet werden könne, auf. Wurzschmitt wollte mit diesem Dokument zum Ausdruck 25 26 27

Bauer, Über Chemie, S. 39. Maier, Gemeinschaftsforschung. Anonym, Zur Frage, S. 109. Kleedehn, Die Rückkehr.

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bringen, dass die deutsche Farbenindustrie der Resolution der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie im Grunde schon zuvorgekommen sei und selbstverständlich aktiv an der Lösung der damit verbundenen Aufgaben mitarbeiten werde.28 Die Argumentation war dabei nicht reformerisch oder puristisch, aber immer pragmatisch. Deshalb stellte Wurzschmitt auch fest, dass die künstliche Färbung von Lebensmitteln von der Lebensmittelindustrie nicht entbehrt werden könne, da diese günstige und ansprechende Lebensmittel von ausreichender Güte produzieren müsse. So müssten also Margarine, Marmeladen, Liköre, Puddingpulver, Suppenpulver, Süß- und Backwaren, Fischpasten, Honig, Eispulver und Limonaden auch weiterhin künstlich nachgefärbt werden, um den verlorengegangenen natürlichen Farbton wiederzugewinnen. Wurzschmitt betonte dabei, dass eine über das Wiederherstellen des ursprünglichen Zustandes hinausgehende Färbung vom Lebensmittelgesetz verboten werden müsse. Seine Position unterschied sich deutlich von derjenigen der Lobbyverbände des Lebensmittelhandels, die in den 1950er Jahren vehement gegen eine Novelle des Lebensmittelgesetzes agitierten und antichambrierten. Wurzschmitt führte hingen aus, dass die Auswahl unter den Tausenden von synthetischen Farbstoffen nicht dem einzelnen Farbenfabrikanten oder Lebensrnittelindustriellen überlassen werden dürfe, da diese als beteiligte Handelskreise dazu gar nicht objektiv in der Lage seien. Zuständig seien hingegen die pharmakologischen Experten, welche die Daten lieferten, auf deren Grundlage der Gesetzgeber dann entscheide. An dieser Stelle sprach er sich dann auch explizit für ein Gesetz aus, dass die erlaubten und nicht die verbotenen Farbstoffe aufliste und dazu zwinge, dass die Zusatzstoffe in den Lebensmitteln offen und ehrlich deklariert würden. Erst dann sei die künstliche Färbung kein Problem mehr und auch dem Laien in ihrer Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit verständlich.29 Worum es Wurzschmitt also ging, war Vertrauen in die Farben- und Lebensmittelindutrie beim Verbraucher zurückzugewinnen und die Verbrauchererwartung, die Bedürfnisse nach roter Erdbeermarmelade und gelbem Senf, auf kontrollierte Weise zu erfüllen.30 Wurzschmitt zeichnete das ideale Bild einer Farbenindustrie, die genuin an der Lösung des Problems interessiert sei. Natürlich gab er damit den Schwarzen Peter für die Verwendung von synthetischen Farben en passant auch an die Lebensmittelindustrie weiter. Auch Druckrey lobte 1953 ausdrücklich die Farbenindustrie. Die Einstellung der deutschen Industrie und ihre Bereitschaft zur Mitarbeit verdiene besondere Anerkennung.31 Aber es waren nicht nur die Azofarbstoffe, die um 1950 diskutiert wurden. Schon 1951 folgte ein von Wissenschaftlern und Vertretern der chemischen Industrie ausgehandelter Gesetzentwurf für eine neue Konservierungsmittelverordnung. Richtungweisend war dabei ein im Jahre 1932 veröffentlichter Entwurf einer Verordnung über Konservierungsmittel, der allerdings niemals Gesetzeskraft erlangt 28 29 30 31

Wiedergegeben in der Diskussion zu Druckrey, Versuche, S. 58–59. Wurzschmitt, Lebensmittelfärbung, S. 148, 154–155. Anonym, Gift, S. 41. „Niederschrift über die 2. Sitzung der ‚Kommission für die Prüfung der chemischen Lebensmittelkonservierung‘ am 24./25. Juli 1953 in Stuttgart“, S. 1–24, hier S. 1, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II.

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hatte. Die neue Verordnung sollte vor allem auf einem Entwurf des Reichsgesundheitsamtes aus dem Jahr 1935, den 1949 ausgearbeiteten Vorschlägen der Fachabteilung Chemische Konservierungsmittel der Arbeitgemeinschaft Chemische Industrie sowie den im Jahr 1950 in der Chemiker-Zeitung publizierten Vorschlägen von Wurzschmitt beruhen. 1949 hatte die deutsche Wirtschaftskommission für die sowjetische Besatzungszone eine Anordnung erlassen, die wiederum für die Länder der Bundesrepublik geändert und ergänzt werden sollte. In einer Sitzung des „Ausschuß Lebensmittelchemie“ der Arbeitsgemeinschaft der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister im Oktober 1949 wurden die Lebensmittelchemiker S. Walter Souci und Alois F. Lindner mit dieser Aufgabe betraut. In der Folge distanzierte sich der Ausschuss immer mehr von der „Sowjetzonen-Anordnung“ und bezog sich im März 1950 schließlich auf ein von der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie in München ausgearbeitetes Konzept, das im Oktober 1950 mit den Vorschlägen von Wurzschmitt synchronisiert wurde. Im Januar 1951 verfasste dann ein Unterausschuss „Konservierungsmittel“ bei Bayer in Krefeld-Uerdingen einen Entwurf, die sogenannten Uerdinger Beschlüsse, der allgemeine Bestimmungen über Zulässigkeit, Anwendung, Kennzeichnung und Meldepflicht ausformulierte, die dann dem Innenministerium vorgelegt werden konnten. Die Zulassung von Konservierungsmitteln selbst war davon noch nicht betroffen und sollte schließlich durch eine geplante Kommission für Konservierungsmittel des Deutschen Forschungsrats erarbeitet werden.32 Es bestand also bereits eine rege Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Industrievertretern, ehe diese im Rahmen von Kommissionen der Deutschen Forschungsgemeinschaft institutionalisiert wurde. Am 27. November 1948 traf sich in Bad Nauheim eine illustre Runde deutscher Wissenschaftler zu einem konspirativen Treffen, das auf Beratungen mit dem Wissenschaftlichen Beirat der Britischen Zone zur Bildung eines Deutschen Forschungsrates, bestehend aus den drei Akademien der Wissenschaften und der Max-Planck-Gesellschaft, zurückgegangen war.33 Der Deutsche Forschungsrat wurde dabei als eine selbständige Körperschaft konzipiert, deren Aufgabe nicht nur in der Forschungsförderung, sondern in der Beratung der Regierungsstellen des Bundes und der Länder, aber auch der Wirtschaft und der Industrie bestehen sollte. Im Januar 1949 hatte sich Konrad Adenauer, zu dieser Zeit ja noch designierter Kanzler der Bundesrepublik, „sehr unbestimmt“ über diese Institution gezeigt, um dann aber im Frühjahr nach einem Gespräch mit dem federführenden Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg zu signalisieren, dass er sich eine ausgearbeitete Denkschrift wünsche. Er präferierte dabei ein mit Exekutivgewalt versehenes kleines Verwaltungsamt beim Bund, dem als beratende Instanz der von Wissenschaftlern selbst-

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Souci, Zur Frage (I. Mitteilung), S. 37–39. Dazu gehörten unter anderen Alfred Benninghoff, Adolf Butenandt, Karl Freudenberg, Werner Heisenberg, Emil Lehnartz, Friedrich Oehlkers, Erich Regener, Hermann Rein und Jonathan Zenneck. „Protokoll der Sitzung in Bad Nauheim am 27.11.48“, S. 1–7, in: MPGArchiv, III. Abt. , Rep. 84/1, Nr. 338. Diese Geschichte habe ich erstmals ausgeführt in Stoff, Adolf Butenandt.

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verwaltete Forschungsrat angeschlossen werden sollte.34 Auf der zweiten Bad Nauheimer Tagung am 28. Januar 1949 wurde Heisenberg dann zum Präsidenten dieser neuen Institution der Politikberatung gewählt.35 Der Deutsche Forschungsrat war das allerdings kurzlebige Projekt einer koordinierten zentralistischen Wissenschaftpolitik, bei dem ausgewählte Wissenschaftler qua ihres Expertenwissens und ihrer Vernunft als Ratgeber fungieren sollten. Wissenschaftler wurden zu Politikern.36 Die Argumentationslinie einer im Spätsommer 1949 für Bundeskanzler Adenauer verfassten Denkschrift verknüpfte das Primat rationaler Wissenschaftlichkeit mit dem Szenario einer modernen Gesellschaft, in der Industrie, Wirtschaft und Wissenschaft unentwirrbar miteinander verknüpft sind.37 Butenandt präzisierte dies auf der ersten Sitzung des Deutschen Forschungsrats im März 1949 so, dass dessen Mitglieder persönlich für sich in Anspruch nehmen könnten, die Forschung in ganz reinem, allgemeinem Sinne zu vertreten. Wenn der Forschungsrat aber internationale Reputation erhalten habe, werde man keine Bedenken mehr haben, „eine grössere Zahl Herren der angewandten Forschung in den DFR aufzunehmen“. Der Forschungsrat sollte also die industriell-politischwissenschaftlichen Übersetzungsarbeiten kontrollieren und war doch auch zugleich, Heisenberg drückte es unmissverständlich aus, eben jene politisch einflussreiche Instanz, die für die wissenschaftliche Rationalität steht: „Die Vernunft hat nun im DFR Gestalt gewonnen“. Es sei die Hauptaufgabe des Forschungsrates, unter der Führung der Wissenschaftler, die Grenzen zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung, „ich möchte beinahe sagen, zu verwischen“.38 Heisenberg verfolgte dabei die Vision „kleine(r) Elitegremien auf höchster Ebene“. Problemlösungen waren den ausselektierten Spitzen aus Politik, Wirtschaft und vor allem Wissenschaft vorbehalten.39 In einem Reinigungsakt wurden dabei Wissenschaft, Rationalität und Unabhängigkeit einerseits sowie Politik, Irrationalität und Interessengebundenheit voneinander geschieden. Der Wissenschaft kam 34

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„Protokoll der zweiten Sitzung des Deutschen Forschungsrates am Samstag, den 16. Juli 1949 in Bad Nauheim um 10.00 Uhr im Kerckhoff-Institut“, S. 1–11, hier S. 7–8, in: MPG-Archiv, III. Abt. , Rep. 84/1, Nr. 338. Zu Adenauers ersten unbestimmten Äußerungen: „Sitzung zur Vorbereitung des Deutschen Forschungsrates am 28. Januar 1949, im William KerckhoffInstitut in Bad Nauheim“, S. 1–4, hier S.1, in: MPG-Archiv, III. Abt. , Rep. 84/1, Nr. 338. „Protokoll der ersten Sitzung des Deutschen Forschungsrates am Freitag, den 13. Mai 1949 um 9.00 Uhr in Stuttgart, Villa Reitzenstein“, „Gründung des Deutschen Forschungsrates“ und „Sitzung zur Vorbereitung des Deutschen Forschungsrates am 28. Januar 1949, im William Kerckhoff-Institut in Bad Nauheim“, in: MPG-Archiv, III. Abt. , Rep. 84/1, Nr. 338. Carson/Gubser, Science Advising, S. 147 und Cassidy, Controlling, 231–236. „Denkschrift des Deutschen Forschungsrates über die Betreuung der wissenschaftlichen Forschung im Rahmen der Deutschen Bundesregierung. Endgültiger Text“, in: MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 338. Stoff, Adolf Butenandt. Protokoll der auf Einladung des Koordinierungsbüros der Länder am Mittwoch, den 9. März 1949 um 10.00 Uhr in Stuttgart, Villa Reitzenstein stattgefundenen Vortragsveranstaltung, mit Vortrag des Präsidenten des Deutschen Forschungsrates, Professor Dr. Werner Heisenberg, Göttingen, über den „Deutschen Forschungsrat“, in: MPG-Archiv, III. Abt. , Rep. 84/1, Nr. 338. Carson, Heisenberg, S. 215.

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nicht nur ein privilegierter Zugang zur Natur zu, sondern auch die unangreifbare Methodik und Lebenshaltung der Objektivität. Gleichzeitig bestand die wissenschaftliche Arbeit immer auch in der Organisierung von Netzwerken, im Arrangement von Interessen und Verbündeten.40 Das Medium der gleichzeitigen Reinigung und Assoziierung, der Modulation von Interessen, waren die Kommissionen der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Auf der ersten Sitzung des Forschungsrates am 13. Mai 1949 wurde die Gründung von vier Fachkommissionen angeregt. Neben der medizinischen Kommission unter Hermann Rein sollten dies eine von Walter Eucken geleitete wirtschaftswissenschaftliche Kommission, eine landwirtschaftliche Kommission unter Friedrich Oehlkers und schließlich eine „Kommission zur Bearbeitung des Problems der krebsfördernden Wirkung von Farbstoffen in Lebensmitteln“ unter dem Vorsitz von Adolf Butenandt sein. Dieser hatte selbst vorgeschlagen, für das Problem der Lebensmittelfarbstoffe im Rahmen des Forschungsrates ein Sachverständigengremium einzurichten. Heisenberg beauftragte daraufhin Emil Lehnartz, Paul Martini, Alfred Benninghoff und eben Butenandt mit der Gründung einer entsprechenden Kommission. Diese sollte die wissenschaftlichen Grundlagen des Problems eruieren, eine beratende Funktion gegenüber den Gesundheitsbehörden der Länder einnehmen und einen Gesetzestext vorschlagen. Butenandt, der rasch das alleinige Kommando über die Komission übernahm, stellte generell fest, dass grundsätzlich nur Naturfarbstoffe verwendet werden sollten und künstliche Farbstoffe nur dann, wenn sie als unschädlich gelten. Das entsprechend zu verfassende Gesetz, hieß es noch etwas unentschlossen, müsste eine Liste der verbotenen und erlaubten Farbstoffe enthalten. Die Kommission sollte, so wurde auf der zweiten Sitzung des Forschungsrates am 16. Juli 1949 beschlossen, aus Vertretern der experimentellen Forschung, gemeint waren Butenandt und Druckrey, der Kliniker und Ärzte, der Gesundheitsbehörden sowie jeweils einem Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister der Länder, der Farbstoff erzeugenden Industrie, der Lebensmittelfarben verkaufenden Industrie und der Farbstoff verarbeitenden Industrie bestehen. Eine erste Sitzung der Kommission fand schließlich am 28. Oktober 1949 in der Villa Reitzenstein in Stuttgart statt.41 Während die großen Pläne der expertischen Politikberatung nie realisiert wurden, waren die Kommissionen die genuine Leistung des Deutschen Forschungsrats, die auch dessen rasches Ende überstehen sollten. Bereits zwei Monate vor der offiziellen Gründung des Forschungsrates, war in Köln von den westdeutschen Hochschulen und wissenschaftlichen Akademien die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft etabliert worden.42 Die Gegensätze zwischen dem zen40 41

42

Latour, Die Hoffnung, S. 112–113. Dazu: Daston/Gallison, Objektivität. Butenandt an Eickemeyer (15.10.1949) und Heisenberg an Butenandt (26.8.1949), in: MPGArchiv, III,84/1,338. Sowie das „Protokoll der zweiten Sitzung des Deutschen Forschungsrates am Samstag, den 16. Juli 1949 in Bad Nauheim um 10.00 Uhr im Kerckhoff-Institut“ und „Protokoll der ersten Sitzung des Deutschen Forschungsrates am Freitag, den 13. Mai 1949 um 9.00 Uhr in Stuttgart, Villa Reitzenstein“, in: MPG-Archiv, III, Rep. 84/1, Nr. 338. Zur Gründung der Notgemeinschaft: „Abschrift Land Württember-Hohenzollern. Kultmi-

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tralistischen Forschungsrat, dessen Aufgabe es sein sollte, Interessen zu assoziieren, und der dezentralistischen Notgemeinschaft, welche die Autonomie der Wissenschaften propagierte, erwiesen sich rasch als so gravierend, dass eine Koexistenz der beiden Institutionen nicht denkbar war.43 Vor allem hatte die Notgemeinschaft ein auf die wissenschaftliche Selbstverwaltung ausgerichtetes Selbstverständnis entwickelt, das jede Art der mit dem Nationalsozialismus assoziierten Steuerung ablehnte. Zur Klärung dieser kritischen Situation beschlossen am 30. März 1950 Vertreter beider Seiten, eine Arbeitsgemeinschaft unter dem Namen Deutsche Forschungsgemeinschaft zu bilden. Nach langwierigen Verhandlungen wurde am 17. Januar 1951 der endgültige Zusammenschluss vorbereitet, der dann am 2. August 1951 vollzogen wurde. Es ist ausführlich dargestellt worden, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft fast ausschließlich Anteile der Notgemeinschaft übernahm und Heisenbergs Projekt einer zentralistischen Körperschaft bereits im Sommer 1951 erledigt war.44 Es waren exakt die vom Forschungsrat eingerichteten Kommissionen zur Regulierung von Lebensmittelzusatzstoffen, die dann in der Deutschen Forschungsgemeinschaft fortgeführt und ausgebaut wurden. In diesen Senatskommissionen war der Anspruch der expertischen Politikberatung aufgehoben. Durch die tragende Rolle, die Butenandt und Druckrey dabei in der Farbstoffkommission spielten, nahmen die Summationsgifte bei der Konzeptualisierung des neuen Lebensmittelgesetzes eine zentrale Rolle ein, war das Problem der Lebensmittelfarbstoffe zu einem der Krebsentstehung geworden. Krebsforschung sollte sogar als „Dach-Kommission“ fungieren, der alle weiteren Kommissionen, die sich mit Lebensmittelzusatzstoffen befassten, als Arbeitsgruppen untergeordnet werden sollten.45 Dieser Aspekt der Problematisierung potentiell krebserregender Stoffe erschien so evident, dass in der Wochenzeitung Die Zeit rückblickend die Gründungen des Deutschen Forschungsrats und der Deutschen Forschungsgemeinschaft selbst direkt auf Butenandts Buttergelbrede zurückgeführt wurden: „Der bedeutendste Erfolg der Butenandtschen Warnung lag in der Konstituierung des ‚Deutschen Forschungsrates‘ (heute ‚Deutsche Forschungsgemeinschaft‘), der die hervorragendsten deutschen Mediziner, Physiologen und Chemiker zu einem Gremium vereinte, das den ganzen Fragenkomplex zu klären bemüht ist.“46 Wurzschmitt entwarf 1954 sogar das Konzept einer auf das Verbot krebserzeugen-

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nisterium H 151 TH 121 an die Universität Tübingen. Betr. Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ (20.1.1949), in: MPG-Archiv, III. Abt. , Rep. 84/1, Nr. 336. „Erste Sitzung des Deutschen Forschungsrates am 13. Mai 1949 in Stuttgart, Villa Reitzenstein, Richard Wagner-Strasse 15. Tagesordnung“ und Heisenberg an Butenandt (29.4.1949), in: MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 338. Butenandt an Hörlein (28.11.1951), in: MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 549. Carson/ Gubser, Science Advising, S. 148, 169–174. Zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft neuestens: Walker/Orth/Herbert/vom Bruch, The German Research Foundation. Deutscher Forschungsrat, „Protokoll der 4.ten Arbeitssitzung der Kommission zur Untersuchung cancerogener Wirkungen von Farbstoffen (Lebensmittelfarben) am Samstag, den 2. Dezember 1950 in Stuttgart, Villa Reitzenstein um 9 Uhr“, in: MPG-Archiv, Berlin, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 394, S. 7–8. Anonym, Werden wir vergiftet?

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der Chemikalien ausgerichten Kommission für Krebsforschung der DFG. Alle mittlerweile etablierten Kommissionen zu Lebensmittelzusatzstoffen, aber auch zum Trinkwasser und zum Berufskrebs sollten diesem Hauptgremium untergeordnet werden.47 Wenn es dazu auch nie kommen sollte, stellte Kanzerogenität doch unzweifelhaft den Referenzpunkt für die Kommissionen mit lebensmittelhygienischer Zielsetzung der 1950er Jahre dar.48 Die zunächst von Butenandt und seit 1953 von Druckrey geleitete Farbstoffkommission war der Nukleus all jener Kommissionen, die sich in der Folge mit Lebensmittelzusatzstoffen befassten. Mitglieder waren zunächst neben Bauer, Butenandt, Druckrey, Souci, Wingler und Wurzschmitt der Frankfurter Lebensmittelchemiker Willibald Diemair, August Goeb von der Stuttgarter Firma Siegle & Co., E. Becker vom Zentrallaboratorium der Margarine-Verkaufs-Union in Hamburg, der Tübinger Dermatologe Heinrich Gottron, der Bonner Pharmakologe Eberhard Gross sowie der jeweilige Vorsitzende des Ausschusses ,,Lebensmittelchemie“ der Arbeitsgemeinschaft der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister. Zusammengenommen also drei Chemiker, ein Pharmakologe, zwei Mediziner, drei Vertreter der Farben- und einer der Lebensmittelindustrie sowie ein Repräsentant der Bundesregierung.49 Im Rahmen der Farbstoffkommission fand ein intensiver Austausch zwischen Wissenschaftlern, Industrie-, Handels- und Regierungsvertretern statt. Die Aktivitäten der Farbstoffkommission standen in der ersten Hälfte der 1950er Jahre aber auch stellvertretend für die Politik der Deutschen Forschungsgemeinschaft insgesamt. Ihre Aufgabe war nach Druckrey eine doppelte, sie erarbeite die Forschungsgrundlagen und stelle ihre Arbeitsergebnisse dem Gesetzgeber sowie der erzeugenden und verarbeitenden Industrie zur Verfügung. Nur die Stoffe sollten als unbedenklich bezeichnet werden, die geprüft worden seien, verfasste Druckrey das nunmehr kategorische Verbotsprinzip. Für alle nicht in einer Positivliste aufgenommenen Produkte habe der Hersteller den Nachweis der Unbedenklichkeit zu liefern.50 Der erste Schritt der zunächst von Butenandt, seit 1952 von Druckrey geleiteten Farbstoffkommission war die Ausarbeitung einer Resolution und der Erlass einer Positivliste. In einem ersten Beschluss der Kommission aus dem Jahr 1950 hieß es knapp, dass Grundlebensmittel grundsätzlich nicht künstlich gefärbt werden dürften. Soweit aus besonderen Gründen eine Färbung gestattet werden solle, bedürfe es dazu einer ausdrücklichen Genehmigung im Gesetz. Für die Färbung von Lebensmitteln dürften nur solche Farbstoffe zugelassen werden, deren Unbedenklichkeit erwiesen sei und die auch bei dauernder Aufnahme keinerlei gesund47

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Wurzschmitt, „Entwurf einer Resolution. Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Kommission für Krebsforschung“ (26.4.1954), in: BA Koblenz, B 142/1570, 2 von 2. Diese Idee stand in Konkurrenz zum erstmals 1951 versammelten „Hinterzartener Kreis für Krebsforschung“. Moser, Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 250–262 und Mauerberger, Erste Initiativen. Souci, Mitteilungen, S. 65. Anonym, Zur Frage, S. 98. „Niederschrift über die 2. Sitzung der ‚Kommission für die Prüfung der chemischen Lebensmittelkonservierung‘ am 24./25. Juli 1953 in Stuttgart“, S. 1–24, hier S. 1, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II.

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heitsschädigende Wirkung hätten.51 Eine erste Positivliste wurde schließlich von Butenandt und Druckrey in Zusammenarbeit mit Richard Kuhn erstellt. Diese umfasste insgesamt 26 Farbstoffe, von denen 18 als unbedenklich eingestuft wurden. Vier Farbstoffe konnten bis auf weiteres verwendet werden, sollten aber vorm Erlass einer Verordnung noch nachgeprüft werden. Weitere vier Naturfarbstoffe wurden als unverfänglich angesehen.52 Dieses Verzeichnis wurde sofort einer kritischen Prüfung durch die unterschiedlichen Interessengruppen unterzogen. Am 2. Februar 1950 trafen sich auf Anregung der Arbeitsgemeinschaft der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und der Farbstoffkommission selbst im Sitzungssaal der Hamburger Gesundheitsbehörde Vertreter aller Industrien, die mit Lebensmittelzusatzstoffen zu tun hatten. Auf dieser „Tagung der an der Neuordnung des Farbengesetzes interessierten Industriegruppen“ wurde betont, dass es zur Beruhigung der Bevölkerung erforderlich sei, auf dem Farbengebiete zu einer Regelung zu kommen. Zu den Teilnehmern gehörten Vertreter von Sunlicht, Essig-Kühne, Dragoco und der Margarine-Verkaufs-Union, der Fachverbände der Essenzindustrie, der Obst- und Gemüseverwertungsindustrie und der Fischindustrie sowie von Höchst, Bayer, und BASF. Der von der Kommission vorgeschlagenen Positivliste wurde einstimmig zugestimmt, da sie auch die wirtschaftlichen Erfordernisse erfülle.53 Druckrey lobte daraufhin ausdrücklich, dass Gegensätze zwischen Industrie, Forschungsgemeinschaft und Gesetzgeber in Deutschland nicht aufgetreten seien. Die Industrie halte sich an die Ergebnisse der DFG-Kommission schon bevor der Gesetzgeber seine Schlüsse daraus ziehe.54 Auch Volker Hamann rühmte die deutsche Farben- und Ernährungsindustrie, welche die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft abgelehnten Farbstoffe aus den Betrieben ausgemerzt hätten. Dies beweise, „daß bei gutem Willen aller Beteiligten auch wirksame Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit des Verbrauchers getroffen werden können, die nicht immer nur von der höchsten Obrigkeit ausgehen müssen“.55 Tatsächlich sollte die so rasch und problemlos erstellte Positivliste sich einflussreich auf die gesundheitspolitischen Maßnahmen in den 1950er Jahren auswirken. Auch die Farbenverordnung des DDR-Ministeriums für Gesundheitswesen, das schon 1951 eine neue ,,Verordnung über Lebensmittelfarben“ mit beschränkter Zulassung von Farbstoffen erlassen hatte, übernahm 1958 die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft genehmigten Lebensmittelfarben.56 51 52 53

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Anonym, Resolution, S. 32. Anonym, Zur Frage, S. 101–107. Egger, Sitzungsbericht. Gesundheitsbehörde Hamburg an die Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (17.2.1950) und „Kurzbericht über die Tagung der an der Neuordnung des Farbengesetzes interessierten Industriegruppen am 2. Februar im Sitzungssaale der Gesundheitsbehörde der Hansestadt Hamburg“, in: BA Koblenz, B 116/419. „Niederschrift über die 2. Sitzung der ‚Kommission für die Prüfung der chemischen Lebensmittelkonservierung‘ am 24./25. Juli 1953 in Stuttgart“, S. 1–24, hier S. 1, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II. Hamann/Schnür, Der Schutz, S. 10. Auszugsweise Abschrift von Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Ministerium für Gesundheitswesen an DFG (29.5.1958), in: MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 430.

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Während also die Regulierung der Lebensmittelzusatzstoffe bei den Farbstoffen vorbildlich abzulaufen schien, mussten andere prekäre Substanzen erst noch auf entsprechende Weise erfasst werden. Auf der vierten Arbeitssitzung der Farbstoffkommission im September 1952 wurde deshalb eine Ausdifferenzierung der Kommission empfohlen.57 Noch im selben Jahr wurden eine Kommission zur Untersuchung des Bleichens von Lebensmitteln (1952–1963) unter dem Vorsitz von Konrad Lang und eine Kommission für die Prüfung der chemischen Lebensmittelkonservierung, sofort umbenannt in Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung (1952–1966), unter S. Walter Souci von der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie in München gegründet. 1961 kam eine erneut von Lang gesteuerte Kommission zur Prüfung fremder Stoffe bei Lebensmitteln, die sogenannte Fremdstoffkommission, hinzu (1961–1981).58 Die Kommission für Ernährungsforschung unter der Leitung von Franz Klose, deren konstituierende Sitzung im Februar 1958 stattfand, setzte sich dann aus Wissenschaftlern der medizinischen, veterinärmedizinischen, landwirtschaftlichen, nahrungsmittelchemischen und nahrungsmitteltechnologischen Disziplinen zusammen.59 Mit der seit den 1910er Jahren deutlich zunehmenden Anzahl an Konservierungsmitteln hatte sich in den 1920er und 30er Jahren das Reichsgesundheitsamt befasst. Über die Verwendung von konservierenden Stoffen wurde in den 1930er und 40er Jahren zwischen lebensreformerisch orientierten Vertretetern der Neuen Ernährungslehre und den mit der Kriegsernährung befassten Wissenschaftlern intensiv gestritten.60 Während die Verwendung von Farbstoffen in Lebensmitteln sowohl für die Farben- als auch für die Lebensmittelindustrie durchaus lässlich war, konnten die Lebensmittelindustrie und der Lebensmittelhandel kaum auf Konservierungsstoffe verzichten. Nach der so einschneidenden Debatte über Buttergelb sollten in der Folge fast ausschließlich Konservierungsmittel wie Hexamethylentetramin und Diphenyl für öffentliche Empörung sorgen. Während bei den Farbstoffen die Industrievertreter eine Politik der Selbstregulierung vertraten, agierten namentlich die Lebensmittelhändler sehr streitbar, um einer Einschränkung der Verwendung von Konservierungsmitteln vorzubeugen. Die Aufgabe der Konservierungsmittelkommission erstreckte sich auf die Prüfung von Konservierungsstoffen sowie von physikalischen und biologischen Verfahren zur Haltbarmachung von Lebensmitteln. Als Konservierungsmittel sollten solche Stoffe angesehen werden, die dazu bestimmt seien oder dazu dienten, „nachteilige Veränderungen von Lebensmitteln zu verzögern oder zu verhindern, sofern sie selbst Bestandteile der Lebensmittel werden“. Sie sollten nur dann verwendet werden, 57

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Deutscher Forschungsrat, „Protokoll der 4.ten Arbeitssitzung der Kommission zur Untersuchung cancerogener Wirkungen von Farbstoffen (Lebensmittelfarben) am Samstag, den 2. Dezember 1950 in Stuttgart, Villa Reitzenstein um 9 Uhr“, in: MPG-Archiv, Berlin, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 394, S. 6–27. Pauli, Bewertung. F. Klose, „Die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Dienst der Ernährungsforschung“ (Manuskript), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60290, Pflanzenschutzmittel-Kommission, Bd. 1, 1958–59. Sperling, Kampf.

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wenn eine ausreichende Haltbarkeit nicht durch erhöhte Sorgfalt bei Gewinnung, Herstellung, Verpackung und Lagerung der Lebensmittel erzielt werden könne, ihre Verwendung im Interesse der Volksernährung als unerlässlich anerkannt und ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit nachgewiesen sei.61 1958 bestanden in der Kommission dann bereits diverse Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Spezialthemen wie etwa Antibiotika, Antioxydantien, Emulgatoren, Sorbinsäure und Ameisensäure, Hexamethylentetramin, Benzoesäure, Nitrat, Nitrit, schweflige Säure sowie die Konservierung durch Strahlenbehandlung.62 1964 wurde die Kommission grundlegend umgestaltet und in verkleinertem Umfang neu konstituiert. Alle bisherigen Arbeitsgruppen wurden aufgelöst. Stattdessen sollten bei Bedarf neue Arbeitsgruppen mit beschränkter Aufgabenstellung eingerichtet werden.63 Die Konservierungsmittelkommission war in noch größerem Umfang als die Farbstoffkommission ein Gremium der Modulation industrieller, politischer und wissenschaftlicher Interessen. Zu den Kommissionssitzungen waren Vertreter aller Fächer, die Berührung mit der chemischen Konservierung hatten, eingeladen. So ergab sich bei der ersten Kommissionsitzung im September 1952 in Stuttgart unter dem Vorsitz von Souci ein unübersichtliches Gemenge an Interessenvertretern aus den Sparten Obst, Fisch, Fette und Tabak der Lebensmittelindustrie, der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für gärungslose Früchteverwertung, der industriellen Fischverarbeitung und dem Tabakforschungsinstitut Forchheim. Hinzu kamen die Pharmakologen Eichholtz und Gross, der Molekularbiologe Konrad Bernhauer als Vertreter des Biochemischen Laboratoriums der Aschaffenburger Zellstoffwerke, die Mediziner Gottron, Horst Habs (ein ehemaliges SSMitglied) und Peter Marquardt, der Ernährungsreformer Wilhelm Heupke sowie der Lebensmitteltechnologe Johann Kuprianoff von der Bundesforschungsanstalt für Lebensmittelfrischhaltung in Karlsruhe. Die pharmazeutische und farbenherstellende Industrie wurde durch Wurzschmitt und Otto Pauli (Bayer AG) repräsentiert. Paul Uhlenhuth vertrat das Staatliche Forschungslaboratorium in Freiburg, der Hamburger Lebensmittelchemiker Hans Werner nahm als amtierender Vorsitzender des Ausschusses „Lebensmittel“ der Arbeitsgemeinschaft der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister teil. Für die Geschäftsstelle der Deutschen Forschungsgemeinschaft war Alexander Hocker anwesend. Entschuldigt fehlten Becker von der Margarine-Verkaufs-Union und Diemair vom Universitätsinstitut für Lebensmittelchemie in Frankfurt am Main.64 Während die Farbstoffkommission bis Mitte der 1950er Jahre die Politik der Deutschen Forschungsgemeinschaft insgesamt vertrat, spielten sich um 1960 die wichtigen Debatten im 61 62 63 64

Mergenthaler, Auszug. Souci, Mitteilung III, S. 56. Zu den Antibiotika: Thoms, Between. Souci, Bericht und Souci, Die Tätigkeit, S. 122. Anonym, Zur Frage. Souci an die Vereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (22.8.1953) und „Niederschrift über die 1. Sitzung der ‚Kommission für die Prüfung der chemischen Lebensmittelkonservierung‘ am 27. September 1952 in Stuttgart“, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission zur Prüfung von Lebensmittelkonservierung, Band I und Deutsche Forschungsgemeinschaft, „1. Mitteilung der Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung (ohne Datum), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II. Zu Habs: Klee, Personenlexikon, S. 215.

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Rahmen der Konservierungsmittelkommission ab. Souci erwies sich dabei als weitaus moderater als Druckrey, zudem war der Einfluss des Lebensmittelgewerbes deutlich stärker als in der Farbstoffkommission. Am 14. Juli 1966 wurde die Kommission eingestellt und deren Aufgaben an die personell nahezu identische Fremdstoffkommission übertragen.65 Gleiches hatte bereits 1963 für die Kommision zur Untersuchung des Bleichens gegolten.66 Vorsitzender dieser Kommission war Konrad Lang, ein Schüler Heinrich Wielands, der 1933 an der Berliner militärärztlichen Akademie ein von ihm seit 1936 geführtes physiologisch-chemisches Institut aufgebaut hatte. Lang nahm von 1937 bis 1945 beratende Funktion beim Heeressanitätsinspekteur ein und wurde 1944 als Professor für physiologische Chemie an die Universität Posen berufen. Seit 1947 leitete er das Institut für Physiologische Chemie an der neugegründeten Universität in Mainz.67 Das Problem des Bleichens war schon Ende der 1920er Jahre aufgeworfen worden, als der Bedarf an rein weißem Mehl, Zucker und Gebäck deutlich anstieg. 1929 wurde in Deutschland nach zeitgenössischen Berichten ein Drittel der gesamten Mehlerzeugung chemisch gebleicht. Während in Deutschland noch Mitte der 1920er Jahre von der Unschädlichkeit der verwendeten Chemikalien wie Benzoylsuperoxyd, Chlorgas und Stickstofftrichlorid ausgegangen wurde, war das Bleichen in Frankreich und in der Schweiz zu Beginn der 1930er Jahre verboten.68 Nachdem Richard Kuhn 1935 auf der Jahresversammlung der Deutschen Chemiker in Königsberg verkündet hatte, dass durch das Bleichen des Mehles eine Schädigung dessen Vitamingehalts zu befürchten sei, drängten sowohl der Reichsinnungsverband des Müllerhandwerks als auch der des Bäckerhandwerks auf eine Klärung dieses Verdachts. Carl Arthur Scheunert, der als Fachmann für den Vitamingehalt des Brotes galt und später als größter Vitaminexperte im Nationalsozialismus renommieren sollte, wurde in der Folge vom Reichsgesundheitsamt und der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit der Aufklärung dieses Problems beauftragt.69 Da die Gesetze über chemisch behandelte Getreidemehlerzeugnisse auf lebensmittelgesetzliche Bekanntmachungen und Verordnungen aus den Jahren 1936 und 1943 zurückgingen, bestand in den 1950er Jahren auch hier großer Bedarf nach Expertisen und legislativer Klärung.70 Auf einer Sitzung der Bleichkommission am 10. Januar 1961 wurde die Gründung einer Senatskommission, die sich mit Fragen technischer Hilfsstoffe befassen sollte, angeregt.71 Am 30. September 1961 wurde dann, diesen Vorschlag auf65 66 67 68 69 70 71

„Die Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung wurde vom Senat in seiner letzten Sitzung am 14. Juli 1966 aufgelöst“, in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Heft 16, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, 1.1.1966. Hess an Verteiler (20.5.1963), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Untersuchung des Bleichens von Lebensmitteln, Juli 1957. Literatur zu Lang: Bäßler, Laudatio und Ammon, Konrad Lang. Kunze, Das Bleichen. Präsident des Reichsgesundheitsamtes an DFG (11.3.1936), in: BA Koblenz, R 73/14278. „Verordnung über chemisch behandelte Getreidemehlerzeugnisse, Teigmassen, Teigwaren und Backwaren aller Art“ (Entwurf, 1956), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Untersuchung des Bleichens von Lebensmitteln, vom Nov. 1954 bis Juni 1957. „Auszug über die Sitzung der Kommission zur Untersuchung des Bleichen von Lebensmit-

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greifend, die Kommission zur Prüfung fremder Stoffe bei Lebensmitteln (Fremdstoffkommission) eingerichtet. Als Vorsitzender der physiologisch-toxikologisch ausgerichteten Kommission fungierte ebenfalls Lang.72 Als deren Aufgabengebiet war zunächst die Befassung mit technologisch bedeutsamen Stoffen festgelegt, die bei der Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln benutzt werden. Dieser Bereich wurde aber dann mit der Aufnahme der Konservierungsmittelund Bleichkommissionen erheblich erweitert.73 Eingerichtet wurden Ausschüsse, die sich mit Reinigungsmitteln, Emulgatoren, Behandlungsverfahren für importierte Zitrusfrüchte und „Begasungsmitteln“ befassten. Ein zentrales Thema stellte seit 1964 die Anwendung von Strahlen zur Konservierung von Lebensmitteln dar.74 Letztlich beschäftigte sich die Fremdstoffkommission, wie es sich an den bürokratisch wohlgeordneten Aktenordnern erkennen lässt, mit allen Lebensmittelzusatzstoffen von A bis Z. Die über diesen Bereich hinaus gehenden Probleme der Ernährung wurden von der Kommission für Ernährungsforschung, die am 10. Februar 1958 ihre konstituierende Sitzung hatte, unter dem Gesamtvorsitz des Kieler Hygienikers Franz Klose bearbeitet. Diese medizinisch dominierte Kommission bestand zunächst aus den drei Arbeitsgruppen „Erzeugung der Nahrung“ (Walter Lenkeit, Göttingen), „Medizinische Fragen“ (Heinrich Kraut, Dortmund) sowie „Lebensmittelchemie und -technologie“ (Josef Schormüller, Berlin). Kommissionsmitglieder waren vor allem renommierte Ernährungsexperten wie etwa Johannes Brüggemann, Hans Glatzel, Joachim Kühnau, Karl Oberdisse, Werner Schuphan, und Kurt Wachholder, aber auch der Biochemiker und Nobelpreisträger Feodor Lynen war involviert.75 Die Arbeitsweisen der Kommissionen waren dabei recht ähnlich: Ausschüsse befassten sich mit bestimmten Stoffen, Positivlisten wurden erstellt, Gesetze wur-

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teln am 10. Januar 1961 in Bad Godesberg“, Souci an Schiel (12.4.1961), „Auszug aus dem Protokoll über die 38. Sitzung des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft am 20. April 1961 in Bad Godesberg“, Vermerk Schiel zur Unterredung mit Kuprianoff (26.5.1961) und Vermerk Schiel zur Unterredung mit Druckrey (26.5.1961) in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60324, Fremdstoff-Kommission, Bd. 1, 1961–1964. Souci, Kommission zur Prüfung. „Niederschrift über die Sitzung der Kommission zur Prüfung fremder Stoffe bei Lebensmitteln (Fremdstoffkommission) der Deutschen Forschungsgemeinschaft am 30. September 1961 in Mainz“ und Hess an Verteiler (ab 14.8.1961), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60324, Fremdstoff-Kommission, Bd. 1, 1961–1964. Zur physiologisch-toxikologischen Ausrichtung siehe Hans Weiss (Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde) an Lang (26.9.1961), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60324, FremdstoffKommission, Bd. 1, 1961–1964. Souci, Mitteilung I, S. 58. „Beschlüsse der konstituierenden Sitzung der Fremdstoffkommission am 30. September 1961 in Mainz“ und „Niederschrift über die Sitzung der Kommission zur Prüfung fremder Stoffe bei Lebensmittteln (Fremdstoffkommission) der Deutschen Forschungsgemeinschaft am 30. September 1961 in Mainz“, in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60324, Fremdstoff-Kommission, Bd. 1, 1961–1964. DFG-Archiv, Bonn, AN 60323–05, Arb. Gr. „Lebensmittelkonservierung durch ionisierende Strahlen (Strahlenkonservierung),“ 1964–1968, Bd. 1. Schwerin, Strahlen und Zachmann, Atoms. Souci, Kommission für Ernährungsforschung (1964) und Souci, Kommission für Ernährungsforschung (1958). Stoff, Wirkstoffe, S. 277–278.

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den vorbereitet und diskutiert, ein internationaler Abgleich mit den anderen EWG-Staaten und den USA gesucht. Gesamtziel aller Kommissionen war zunächst die wissenschaftliche Vorbereitung und Ausarbeitung eines neuen Lebensmittelgesetzes sowie später der daraus folgenden Verordnungen. In Arbeitsgruppen wurde die wissenschaftliche Befassung mit einem bestimmten Themenbereich auch unter Einbeziehung der Industrievertreter intensiviert.76 Aus wissenschaftlichen, juristischen und politischen Gründen war es unbedingt notwendig, Stoffe, die Lebensmitteln zugegeben werden, neu zu klassifizieren. Dies wurde zu einer der Hautaufgaben der Kommissionen. Die taxonomische Einordnung einer Substanz als Zusatzstoff, Konservierungsmittel, Fremdstoff oder technischer Hilfsstoff hatte auch Auswirkungen auf dessen Klassifikation als unbedenklich, duldbar oder nicht duldbar. Besonders prägnant zeigte sich dies bei der Einführung der neuen Kategorie „technischer Hilfsstoff “ und deren Abgrenzung zu Fremdstoffen. Souci hatte 1961 eine Liste der technischen Hilfsstoffe verfasst, die sofort kritisiert wurde: Einige der Stoffe seien keine fremden Stoffe im Sinne der Lebensmittelgesetzgebung; einige seien Zusatzstoffe, andere nicht.77 Der Lebensmittelchemiker Josef Baltes erfand eine völlige Neufassung der Taxonomie der Fremdstoffe, die vier Gruppen unterschied: 1. solche, die durch ihre übliche Verwendung im Haushalt oder Gewerbe nicht als fremdartig empfunden würden; 2. solche, die sich bei der Zubereitung selbst veränderten; 3. solche, bei deren Zusatz sich das Lebensmittel verändert; und schließlich 4. solche, die im Falle ihres Zusatzes sich selbst und auch das Lebensmittel veränderten.78 Die Deutsche Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie wiederum definierte technische Hilfsstoffe als solche fremden Stoffe, ohne deren Verwendung die Gewinnung, Herstellung oder Verarbeitung bestimmter Lebensmittel nicht möglich sei, die jedoch als solche nicht oder nur in geringen Mengen im Lebensmittel verblieben.79 Druckrey erweiterte dass Feld, in dem als technische Hilfsstoffe alle Zusatzstoffe zu bezeichnen seien, die nicht färbende, konservierende oder bleichende Effekte hätten.80 Auch Hans Weiss vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde mischte sich in diese Debatte ein: „Ob ein Stoff ein technischer Hilfsstoff im Sinne von § 4a Nr. 3 LMG ist, hängt nicht von der Art des Stoffes, sondern von der Zweckbestimmung bei seinem Einsatz ab.“ Ganz besonders problema76 77

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Souci an Bansi (25.3.1954), in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II. „Niederschrift über die Sitzung der Kommission zur Prüfung fremder Stoffe bei Lebensmitteln (Fremdstoffkommission) der Deutschen Forschungsgemeinschaft am 30. September 1961 in Mainz“, in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60324, Fremdstoff-Kommission, Bd. 1, 1961–1964. „Niederschrift über die Sitzung der Kommission zur Prüfung fremder Stoffe bei Lebensmitteln (Fremdstoffkommission) der Deutschen Forschungsgemeinschaft am 30. September 1961 in Mainz“, in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60324, Fremdstoff-Kommission, Bd. 1, 1961–1964. S. W. Souci, „Technische Hilfsstoffe“ (ohne Datum), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60324, Fremdstoff-Kommission, Bd. 1, 1961–1964. Vermerk Schiel zur Unterredung mit Druckrey (26.5.1961) in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60324, Fremdstoff-Kommission, Bd. 1, 1961–1964.

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tisch, so Weiss, sei die Differenzierung zwischen technischem Hilfsstoff und Fremdstoff. Dies sei eine Rechtsfrage, die durch technologische Gutachten geklärt werden müsse. Neben die Wissenschaftler müssten also Juristen und Technologen treten. Die Kommissionsmitglieder wiesen diese Einmischung entschieden zurück. Wie bisher solle allein wissenschaftlich und ohne Rücksicht auf die politische oder wirtschaftliche Problematik der Dinge entschieden werden.81 Die Kommissionen waren durch die Vorsitzenden und die mit ihnen assoziierten Wissenschaftler dominiert; entsprechend des Konzeptes des Deutschen Forschungsrats wurden sie nicht durch Repräsentanten bestimmter Disziplinen, Einrichtungen oder Institute getragen, sondern waren von Persönlichkeiten geprägt.82 So setzten sich die Kommissionen aus einer Peergroup von nahezu ausschließlich männlichen Fachleuten zusammen, die zum Großteil bereits im Nationalsozialismus im jeweiligen Interessengebiet organisatorisch tätig gewesen waren. In den Auflistungen der Kommissionen finden sich entsprechend immer wieder die gleichen Namen und es darf durchaus von Netzwerken der Regulierung von Lebensmittelzusatzstoffen gesprochen werden. Bereits im Dezember 1962 waren die Kommissionen zudem so bedenklich überaltert, dass über die „Kooptierung jüngerer Herren“ nachgedacht werden musste.83 Die ob dieser Seilschaften einflusslosen Fachgesellschaften wie die Deutsche Pharmakologische Gesellschaft, die Deutsche Physiologische Gesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und die Fachgesellschaft für Lebensmittelchemie forderten 1957 eine deutlich aktivere Rolle bei der Auswahl von Kommissionsmitgliedern ein. Der Pharmakologe Peter Holtz, der sich vor allem über Druckreys strenge Position geärgert hatte, verlangte sogar in Vertretung der Fachgesellschaften die Auflösung und anschließende Neuzusammensetzung der Kommissionen. Schließlich, deutete Holtz unmissverständlich an, befänden sich nur dort wirklich autorisierte Fachvertreter. Butenandt und Druckrey reagierten mit einigem Befremden auf diesen, so Druckrey, „bemerkenswerten Brief von Peter Holtz“, den sie jedoch schließlich mit Erfolg schlichtweg ignorierten.84 Auch wenn in den Kommissionen wissenschaftliche Persönlichkeiten wie Druckrey, Souci, Lang und Klose tonangebend waren, fungierten diese maßgeblich als Institutionen der Modulation industrieller und staatlicher Interessen. An der Fachkommission Konservierung von Lebensmitteln sollten sich beispielsweise alle beteiligen, die auf irgendeine Art und Weise mit der Konservierung zu 81 82

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Weiss an Lang (26.9.1961) und Schiel an Weiss (14.12.1961), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60324, Fremdstoff-Kommission, Bd. 1, 1961–1964. „Protokoll der zweiten Sitzung des Deutschen Forschungsrates am Samstag, den 16. Juli 1949 in Bad Nauheim um 10.00 Uhr im Kerckhoff-Institut“ und Helmut Eickemeyer, „Zur Gründung des Deutschen Forschungsrates (DFR). Forschung und Leben. Referat, gelegentlich des Hochschulabends der Technischen Hochschule Stuttgart am 6. April 1949“, in: MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 338. „Niederschrift über die 12. Sitzung der ‚Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung‘ am 23. November 1962 in München“, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, 12. Sitzung am 23. Nov. 1962. Druckrey an Butenandt (15.1.1958) und Abschrift Holtz an Souci/Kraut/Lang/Werner/ Lehnartz (8.11.1957), in: MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 429.

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tun hatten: von der Lebensmittelchemie über die innere Medizin, Pharmakologie und industrielle Obst-, Fett- und Fischverarbeitung bis zur Lebensmittelüberwachung. Die Hauptaufgabe der Senatskommissionen war die fundierte Erstellung von Empfehlungen zur Zulassung von Lebensmittelzusatzstoffen für die Bundesbehörden. Diese holten zwar gleichzeitig auch Gutachten bei den ihnen unterstellten wissenschaftlichen Instituten, etwa den Forschungsanstalten des Ernährungsministeriums und dem Bundesgesundheitsamt ein, den Kommissionen kam jedoch bei der Ausarbeitung des Lebensmittelgesetzes eine entscheidende Rolle zu.85 In den keineswegs homogenen und oftmals zerstrittenen Kommissionen kam es dabei durchaus zu Grenzkonflikten zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik, da sich die Wissenschaftler, Experten in Fragen der Chemie, Pharmakologie, Toxikologie und Medizin, in scheinbar fachfremde gesetzgebende und warenproduzierende Belange einmischten. Die von den Wissenschaftlern proklamierten Ansprüche der Objektivität kollidierten mit spezifischen industriellen und staatlichen Interessen, die im Rahmen der Kommissionen, in denen von Beginn an Wirtschaftsvertretern eine gewichtige Rolle zukam, keineswegs vernachlässigt werden konnten.86 Bei der Aufteilung der Stoffe in duldbare und nicht duldbare Substanzen waren die Kommissionen in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre schlichtweg überfordert. Souci sprach 1957 von einem „Wettlauf zwischen der Industrie, die neue Zusatzstoffe für Lebensmittel entwickelt, und dem Lebensmittelexperten, der ihre Einwirkung auf die menschliche Gesundheit festzustellen hat“.87 Er proklamierte im Namen der Konservierungsmittelkommission Reinheitsanforderungen, die gewähren sollten, „daß die in der Praxis verwendeten Konservierungsstoffe frei von zusätzlichen Effekten sind“. Die Mehraufnahme an toxischen Elementen sollte weit unterhalb der pharmakologisch erforderlichen Sicherheitsgrenze liegen und die Industrie veranlasst werden, „bei der Herstellung der Konservierungsmittel so sauber wie überhaupt möglich zu arbeiten“. Souci war also durchaus bereit, über Sicherheitsgrenzen und Grenzwerte nachzudenken und appellierte ansonsten an den guten Willen der Lebensmittelwirtschaft.88 Die Kommissionen waren Aushandlungsorte und Modulationseinrichtungen für risikopolitische Fragestellungen und Entscheidungen. In der Farbstoffkommission war die Summationsthese maßgeblich, Fremdstoffe wurden als karzinogene Substanzen definiert und eine Präventionspolitik der Risikovermeidung propagiert. In den übrigen Kommissionen spielten hingegen risikokalkulatorische Verhandlungen eine immer größere Rolle. Butenandt und Druckrey galten als Garanten dafür, dass in Bezug auf Fremdstoffe eine strenge Verbotslinie durchgesetzt werde, wie sich etwa 1956 der Industrie- und Handelstag sorgte.89 Jedoch traten beide etwa seit Mitte der 1950er 85 86 87 88 89

Souci, Die Unschädlichkeit. Stoff, Hexa-Sabbat, S. 60–63. Jasanoff, Contested Boundaries, S. 203. Souci/Schneider, I. Symposium, S. 397. Souci, Mitteilung IV, S. 418. Teichmann, Reform, S. 228 und Auszug aus der Lebensmittel-Zeitung Nr. 38 v. 21.9.1956, S. 8, „Generelles Verbot für Fremdstoffe? Industrie- und Handelstag rät zur Mäßigung bei der Lebensmittelrechts-Novelle“, in: BA Koblenz, B 142/1529, 1 von 2.

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Jahre immer seltener öffentlich für ein streng gefasstes Lebensmittelgesetz ein. Butenandt war mit dem Umzug des Max-Planck-Instituts für Biochemie nach München befasst und seit 1960 als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft eingespannt, während Druckrey zunehmend im Rahmen der World Health Organization tätig war. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, zur Hochzeit des Kampfes um die Novelle des Lebensmittelgesetzes, stand deshalb zunehmend die Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung in der Öffentlichkeit für die Politik der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein, was sich vor allem im November 1958 an einem ausführlichen Interview mit Souci im Spiegel manifestierte.90 Während in der Farbstoffkommission paternalistisch-expertisch entschieden wurde, entfalteten sich im Streit um Konservierungsmittel wie Hexamethylentetramin und Diphenyl Aktivitäten unterschiedlicher Interessengruppen, aber auch einer aktiven Verbraucherbewegung. Im Rahmen der Fremdstoffkommission kamen schließlich auch Akteure wie Hans Peter Mollenhauer vom Bundesministerium für Gesundheitswesen zu Wort, der feststellte, dass man auch ein „kalkuliertes Risiko“ eingehen müsse.91 Eine unbeeinflussbar kritische Haltung war auch für Kommissionsvorsitzende im engen Kontakt mit den Industrievertretern nicht immer die Regel, wie drei Episoden mit Konrad Lang zeigen mögen. Dieser changierte zwischen einer gewissen Nähe zur Ernährungsindustrie und seiner Funktion als objektiver Kommissionsvorsitzender. Auf dem Internationalen Brotkongress 1955 in Hamburg wurde Heinrich Lübke, zu dieser Zeit Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, verbal angegriffen, weil er die strengen Beschlüsse der Senatskommission zur Untersuchung des Bleichens von Lebensmitteln unterstützte. Stürmischen Beifall erhielt allerdings ausgerechnet Lang selbst, der höchst überraschend Behauptungen über die Schädlichkeit der Aufbereitungsmittel als maßlos übertrieben darstellte. Erst nach einer Unterredung mit der Gesundheitsbehörde distanzierte sich Lang dann wieder von seiner Distanzierung.92 1958 forschte Hermann Fink mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Verlust des Nährwerts von aus Magermilch gewonnenem Trockenpulver. Butenandt unterstützte ausdrücklich Finks Antrag, da die damit verbundene ernährungsphysiologische Frage von großem wirtschaftlichem und gesundheitspolitischem Interesse sei. Er verteidigte sie vor allem gegen den Einspruch anderer Arbeitskreise und „die verständliche Abwehrstellung der milchverarbeitenden Industrie“.93 Dieses Veto wurde aber erneut von Lang vorgetragen. 1959, anlässlich seines bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft beantragten Forschungs90 91 92 93

Anonym, Gift. „Niederschrift über die 2. Sitzung der ‚Kommission für die Prüfung der chemischen Lebensmittelkonservierung‘ am 24./25. Juli 1953 in Stuttgart“, S. 1–24, hier S. 9, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II. H. P. Mollenhauer, „Die Bedeutung von Verzehrserhebungen für die Beurteilung von Zusatzstoffen“ (Manuskript), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60323, Arbeitsgruppe Festlegungen von Mengenbegrenzungen. Dr. Ho/K., „Vermerk Unterhaltung mit Ministerialrat Gabel“ (3.6.1957), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Untersuchung des Bleichens von Lebensmitteln, Juli 1957. Butenandt an DFG (31.3.1958), in: MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 372.

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vorhabens zum Zusammenhang von Trockenvollmilch und alimentärer Lebernekrose, bat Fink darum, Lang als Gutachter wegen Befangenheit abzulehnen. Dieser hatte in den Naturwissenschaften einen, so empfand es Fink, polemischen Angriff gegen seine Forschungen geführt, hierüber in der von ihm selbst herausgegeben Zeitschrift Berichte über die gesamte Physiologie noch einmal referiert, ohne Finks Replik in den Naturwissenschaften zu erwähnen.94 Lang war 1961 auch Teilnehmehmer einer von der Lobbyorganisation Arbeitsgemeinschaft für Ernährungsfragen veranstalteten Diskussionsrunde zum Wert der nicht zugelassenen Polyphosphate für die Fleischindustrie. Wie der Spiegel es spitzüngig ausdrückte, verbreiteten sich die drei eingeladenen Professoren, zu denen Lang gehörte, zur Befriedigung der „streng objektiven Wurstmacher“ über die Harmlosigkeit von Phosphaten.95 Das Misstrauen gegenüber den Universitätsprofessoren schien durchaus gerechtfertigt. Wissenschaftliche Gutachten, spitzte Eichholtz zu, fungierten häufig als „Bagatellisierungsversuche“.96 Die Nähe von Vertretern der Industrie, der Wissenschaft und des Staates, eine industriell-staatlich-wissenschaftliche Interessenkongruenz, ließ in den Medien und den Kreisen radikaler Ernährungsreformer den Verdacht aufkommen, dass hier keineswegs im Namen des Verbrauchers gesprochen werde. Der Rechtssoziologe Erich Fechner, zugleich ein engagierter Verfechter der Reinhaltung der Nahrung von Chemikalien, stellte sich auf die Seite der die Allgemeinheit vertretenden „Warnern vor den Schattenseiten der modernen Industriegesellschaft“ und kritisierte scharf den fatalen Einfluss wirtschaftlicher Interessen auf die wissenschaftliche Meinungsbildung.97 Das Ziel einer strengen Gesetzgebung, wie es die Farbstoffkommission intendiert hatte, wurde nicht erreicht. Die Kommissionen der Deutschen Forschungsgemeinschaft entwickelten sich nach 1958 zu Institutionen des Lobbyismus. Auch Druckrey zeigte sich im Nachhinein enttäuscht über die Wirkung der Farbstoffkommission. Die Hoffnung, dass ihre Empfehlungen für die toxikologische Prüfung und Beurteilung der Lebensmittelzusätze auch vom Lebensmittelgesetz, wenigstens aber von den Verordnungen übernommen werde, habe sich nicht erfüllt, schrieb er an Mollenhauer. Damit sei für die interessierten Industrien die Notwendigkeit, weitere Prüfungen durchzuführen, entfallen. Tatsächlich sei seitdem auf diesem Gebiet in der Bundesrepublik praktisch nichts mehr geschehen. Die führende Stellung der Deutschen Forschungsgemeinschaft sei verloren gegangen. Die konkrete Prüfung von Zusatzstoffen sei stattdessen von der US-amerikanischen Food and Drug Administration und der British Industrial Biological Research Association durchgeführt worden.98 Druckrey ging hier sicherlich etwas zu streng ins Gericht mit den Leistungen der Farbstoffkommission, die immerhin das Verbotsprinzip und Positivlisten durchgesetzt hatte. Und wie noch zu zeigen sein wird, spielte die Farbstoffkommission bei der Internationalisierung des auf der Summationsthese 94 95 96 97 98

Fink an DFG (6.7.1959), in: MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 84/1, Nr. 372. Anonym, Brühwurst, S. 30–31. Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. 141–144, 156–158. Fechner, Wirtschaftliche Interessen. Druckrey an Mollenhauer (13.6.1967), in: BA Koblenz, B 189/1144.

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beruhenden Verbotsprinzips bis Ende der 1950er Jahre eine bedeutende, bis zur World Health Organization reichende Rolle. Die Kommissionen waren nach § 5d des novellierten Lebensmittelgesetzes als „Sachkenner(n) aus der Wissenschaft“ Ende der 1950er Jahre bei der Ausarbeitung der spezifischen Verordnungen – der Allgemeinen Fremdstoffverordnung, der Konservierungsstoffverordnung und der Farbstoffverordnung – direkt beteiligt, zugleich wurden jedoch jene gesetzlichen Positionen, die auf die Farbstoffkommission zurückgingen, durch Ausnahmeregelungen gleich wieder gelockert.99 Auch Hamann würdigte die wichtigen Vorarbeiten der Farbstoffkommission für den Erlass einer neuen Farbstoffverordnung, die am 19. Dezember 1959 verabschiedet wurde. Indem er anfügte, dass entgegen der Meinung gewisser Puristen auf eine Färbung im Lebensmittelverkehr nicht verzichtet werden könne, wie dies auch aus den Verordnungen hervorgehe, machte er aber zugleich auch deutlich, dass sich die Politik von der Risikovermeidung hin zur Risikokalkulation verschoben hatte.100 Der Kampf um Verordnungen war nicht minder heftig als der um das Lebensmittelgesetz, aber es fehlten für eine strenge Position mittlerweile die anerkannten wissenschaftlichen Verfechter. Den Interessen der Ernährungsindustrie standen nicht länger engagierte Wissenschaftler, sondern eine informelle Allianz von Medienvertretern und Verbraucherschützern, eine Medienöffentlichkeit, gegenüber.101 Interessentenhaufen. Ministerialbeamte, Lobbyisten und Puristen „Der verständliche Wunsch, Lebensmittel völlig von Fremdstoffen freizuhalten, kollidiert immer wieder mit der Notwendigkeit gewisse Zusätze, z. B. zum Zwecke der Konservierung, zu dulden.“102

An der Kabinettssitzung vom 8. August 1956, welche die Novelle des Lebensmittelgesetzes zum Thema hatte, beteiligen sich ausnahmsweise fast alle Minister mit Diskussionbeiträgen. So wurde interessiert nachgefragt, was eigentlich Fremdstoffe seien. Gehöre der Definition nach nicht auch Kochsalz dazu, warf der als Chemiker ausgebildete Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen Siegfried Balke von der CSU ein. Das Bundesernährungsministerium war gegen eine radikale Lösung bei Exportnahrungsmitteln; das Bundeswirtschaftsministerium fragte besorgt nach, ob die Interessen der Nahrungsmittelindustrie auch voll gewährt bleiben sollten, was Karl Theodor Bleek, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, bejahte. Ludger Westrick, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, befürchtete eine Umkehrung der Beweislast für den Lebensmittelfabrikan99 Anonym, Gesetze. Diehl, Chemie, S. 7. 100 Hamann, Die zugelassenen Fremdstoffe, 1962, S. 1292. Zur seit 1948 andauernde Diskussion über die „Verordnung über die Färbung von Lebensmitteln“: BA Koblenz, B 142/1572, 1573, 1574. 101 Hodenberg, Konsens. 102 Bornmann/Loeser, Toxikologische Studie, S. 69.

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ten. Das Gesetz dürfe nicht die Handhabe bieten, die Beschickung des Marktes einzuengen. Balke war ebenfalls der Meinung, dass das Prinzip des allgemeinen Verbots noch einmal diskutiert werden sollte. Es komme hier auch weitgehend auf den jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse an. Bleek wollte aber von dem Grundsatz des Verbots nicht abgehen. Wirtschaftliche und preispolitische Erwägungen könnten nach Fassung des Grundsatzbeschlusses immer noch berücksichtigt werden, insbesondere bei der Vorbereitung der einzelnen Rechtsverordnungen. Die Bundesregierung müsse bald zu einem Entschluß kommen, um in dieser Frage die Initiative nicht an den Bundestag zu verlieren. Der Vizekanzler Franz Blücher schlug vor, bei den folgenden Ressortberatungen von der Arbeitshypothese des Verbotsprinzips auszugehen. Er wies auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der beteiligten Ressorts hin, sowie darauf, dass die Presse über die Grundsatzberatung des Kabinetts unterrichtet werden müsste. Ernährungsminister Heinrich Lübke erinnerte an die guten Erfahrungen, die man mit ähnlichen Bestimmungen in der Schweiz gemacht habe. Es habe sich dort gezeigt, dass die Industrie in der Lage sei, sich den neuen gesetzlichen Vorschriften schnell anzupassen. Das Kabinett stimmte dem Gesetzentwurf zu. Dessen Ausgestaltung sollte im Einzelnen zwischen den Bundesministern des Innern, für Wirtschaft, für Ernährung und für Atomfragen noch besprochen werden.103 Die Bundesregierung war erste Adressatin, wenn es um Interventionen von Interessengruppen ging. Im Innenministerium unterschied man seit 1952 gemäß einer internen Weisung bei den Interessenten zwischen Vertretern beteiligter Berufs- oder weltanschaulicher Gruppen sowie den von Beschlüssen, Zielstrebigkeiten und Abmachungen unabhängigen Sachverständigen.104 Lobbyarbeit war namentlich an Bundeskanzler Adenauer und Innenminister Schröder gerichtet, die allerdings durch ihre jeweiligen Referenten beraten und vertreten wurden. Eine Hauptfigur der Vorbereitung und Durchführung der Novelle des Lebensmittelgesetzes war Ministerialrat Werner Gabel vom Referat für Allgemeine Lebensmittelchemie (IV B 8) im Bundesinnenministerium, der, in engem Kontakt zur Farbstoffkommission stehend, als entschiedener Kämpfer für ein strenges Lebensmittelgesetz galt und durchaus Einfluss auf Innenminister Schröder hatte. Gabel war ständig damit befasst, Verbündete zu suchen, aber auch jene im Zaun zu halten, die durch Übertreibungen die gute Sache gefährdeten. Es war auch Gabel, der in geheimer Kooperation mit den Frauen des Bundestages überhaupt erst die Gesetzesnovelle veranlasste. Das von Gabel angetriebene Innenministerium stand dabei im dauerhaften Streit mit dem Auswärtigen Amt, dem Wirtschafts- und vor allem dem Ernährungsministerium. Gabel regte sich vor allem über Walther Fachmann vom Ernährungsministerium auf, den er als Bremser bei der Neufassung des Lebensmittelgesetzes ansah.105 Das Wirtschaftsministerium wurde auf 103 Kabinettssitzung am 8. August 1956, 2. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelgesetzes, in: http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/k0/k/k1956k/kap1_2/kap2_43/ para3_3.html 104 Auszug aus einer Weisung des Herrn Abteilungsleiters IV vom 21.10.1952 über Sachverständige und Berufsgruppenvertreter, BA Koblenz, B 142/1525, 1 von 2. 105 Vermerk Referat IV B 8 (9.10.1957), in: BA Koblenz, B 142/1529, 2 von 2.

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Betreiben Gabels sogar von bestimmten Besprechungen ausgeschlossen. Ludwig Erhard beauftragte Ministerialdirektor Roland Risse entsprechend, eine scharfe Note an Schröder zu senden. Er bitte unverzüglich über Verhandlungen unterrichtet zu werden, damit er nicht gezwungen sei, seine Bedenken erst im Kabinett oder den Ausschüssen des Bundesrates vorbringen zu müssen.106 Zwischen den Ministerien existierten also grundsätzliche Interessenskonflikte, aber auch innerhalb des Innenministeriums, namentlich zwischen Gabels Referat und dem Referat IV 6 für Rechtsfragen des Gesundheitswesens, kam es zu ständigen Reibereien. Bei der Vorbereitung des Lebensmittelgesetzes gab es in der Tat eine Art Kampf der Ressorts, der durch ständig zirkulierende Papiere etwa zur Mehlbleichverordnung ausgefochten wurde.107 Klipp und klar, aber vergeblich betonte Oberstaatsanwalt Karl-Heinz Nüse, dass die Anliegen des Lebensmittelgesetzes – er nannte Schutz vor Gesundheitsschädigung und vor Übervorteilung – Aufgaben des Bundesinnenministers seien, dem der Bundesernährungsminister zur Seite stehe: „Der Bundeswirtschaftsminister hat hiermit nichts zu tun, es sei denn, daß er einseitige Wirtschaftsbelange vertreten will.“108 Die Hauptaufgaben Gabels waren es, Schröder auf Linie zu halten und dafür zu sorgen, dass dieser nicht von anderen Einflüsterern abgelenkt wird, die Lobbyarbeit der Industrie zu schwächen und weitere Verzögerungen der Gesetzesverabschiedung zu verhindern. Schröder selbst stilisierte sich dabei durchaus als entschlossener Vorkämpfer einer strengen Gesetzgebung. In einem an Adenauer adressierten Briefentwurf verkündete er forsch, dass er den Chemikaliengebrauch in Lebensmitteln auf das Äußerste einschränken wolle.109 Allerdings wurde diese Vorlage durch die streitenden Referenten noch mehrfach bearbeitet. Schröder machte zwar seine grundsätzliche Übereinstimmung mit der von der Farbstoffkommission vertretenen Position und deren „durchgreifenden Reformpunkten“ einer „strengster Kritik unterworfene(n) Zulassung“ deutlich, jedoch enthielt der radikal gekürzte und am 12. Juli 1955 an Adenauer verschickte Brief auch einen ganz neuen Absatz, in dem es hieß, dass aber auch nachgeprüft werden müsse, „wieweit es notwendig und vertretbar ist, die naturgemäß recht zahlreichen Forderungen der Wirtschaft in dem Entwurf zu berücksichtigen“. Deshalb werde die Verabschiedung einer grundlegenden Neufassung des Lebensmittelgesetzes noch einige Zeit in Anspruch nehmen.110 Schröder war mittels der von Lobbyisten bearbeiteten Referenten offensichtlich umgestimmt worden. Dies entsprach natürlich keineswegs den Interessen Gabels, der sich in diesem Punkt nicht gegen seine Kollegen durchsetzen konnte. Dabei war Gabel noch im Juni 1955 sicher gewesen, dass Schröder seine Position übernommen habe und auf seiner Seite stehe. Denn wenn Schröder sich auf die Position der Deutschen Forschungsgemein106 Bundesminister für Wirtschaft, i. A. Risse an Bundesminister des Innern (27.7.1956), in: BA Koblenz, B 142/1526, 1 von 2. 107 Zum Streit um die Mehlbleichverordnung: Referat IV B 8 an Referent IV B 6 (8.10.1957), in: BA Koblenz, B 142/1575. 108 Nüse, Verbraucherschutz, S. 244. 109 Schroeder an Adenauer (Entwurf Juli 1955), in: BA Koblenz, B 142/1532. 110 Schroeder an Adenauer (12.7.1955), in: BA Koblenz, B 142/1532.

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schaft und der Max-Planck-Gesellschaft bezog, dann folgte er auch automatisch Gabels Vorlagen: „Damit hat der Chef des Hauses, dem ausreichendes Material von IV 8 vorgelegen hat, die Marschrichtung als die seinige anerkannt, die von IV 8 vertreten wird.“111 Aber ein Jahr später galt der Entwurf des Lebensmittelgesetzes schon als „Ergebnis des Ausgleichs der verschiedenen Ressortinteressen“.112 Vor dem Bundestag zeigte sich Schröder im Juni 1956 dann wieder öffentlich als entschlossener Vorkämpfer für die Gesetzesnovelle, allein die Länder schienen sich über den Bundesrat einer schnellen Verabschiedung zu widersetzen.113 Lobbyaktivitäten widersprachen nach Gabels Ansicht schlicht dem Grundgesetz, dessen Artikel 38, Absatz 1, Satz 2 doch besagt, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages als Vertreter des ganzen Volkes an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen seien und also keineswegs die Interessen der Industrie zu vertreten hätten. Es sei knapp zwei Jahre her, erinnerte Gabel, dass der CDU-Abgeordnete August Dresbach den Hilferuf „Interessentenhaufen umzingeln das Parlament“ ausgestoßen habe.114 „Interessentenhaufen“ war ein Ausdruck, den Hermann Dietrich, in der Weimarer Republik Finanzminister unter Brüning, um 1930 geprägt hatte. Die Nationalsozialisten hatten ihn verwendet, um das Bild einer gegenüber kapitalistischen Interessen wehrlosen Demokratie zu zeichnen. Es war aber vor allem auch ein Ökonom wie Alexander Rüstow, der mit diesem Begriff eine Kritik am politischen System der Weimarer Republik formuliert hatte: Ein starker Staat mische sich gerade nicht in alle möglichen Lebensbereiche ein, denn dort würde er von den „gierigen Interessenten auseinandergerissen“, sondern stehe gewissermaßen über den einzelnen Interessen.115 Zugleich sah eine eher linksstehende Kritik einen Hauptmakel der Bundesrepublik in der strukturellen Stärke von „Interessenten, die demokratisch nicht legitimierbare partikulare Zielsetzungen vertreten“ und diese gegenüber und in den Parteien durchsetzten. Das bundesdeutsche Parteiensystem sollte der Idee nach doch das Gemeinwohl vertreten und schien in Wirklichkeit durch Lobbyisten bestimmt.116 Politische Institutionen und ökonomische Interessen standen sich scheinbar so nahe, dass sich dem Gemeinwohl dienende Grundsätze wie die Volksgesundheit nicht verwirklichen ließen. „Vertreter der Vernunft“ mussten ob der Einflussnahme von Industrie und Handel, aber auch der störenden Interventionen puristischer Lebensreformer resignieren. Druckrey erinnerte den verzagenden Gabel daran, dass ihnen nur die Heldenrolle der einsamen Kämpfer blieb: „Wir können nichts anderes tun, als 111 Besprechung der beteiligten Referate am 12.7.1955 über den IV8-Entwurf zur Neufassung des Lebensmittelgesetzes vom Mai 1955 (15.7.1955), in: BA Koblenz, B 142/1534, 1 von 3. 112 Abteilungsleiter IV an Schroeder (6.12.1956), in: BA Koblenz, B142/1533, 1 von 2. 113 Beitrag Schröder, 2. Deutscher Bundestag, 149. Sitzung, Bonn, 8. Juni 1956, S. 7901. (http:// dip21.bundestag.de/dip21/btp/02/02149.pdf). 114 Gabel an Hedwig Jochmus und Käte Strobel (21.6.1957), in: BA Koblenz, B 142/1529, 2 von 2. Der Artikel war am 30. Oktober 1954 in der Süddeutschen Zeitung erschienen. 115 Rüstow, Interessenpolitik, S. 171. Maier-Rigaud/Maier-Rigaud, Rüstows Konzept, S. 81 und Ptak, Grundlagen, S. 34–35. 116 Abendroth, Zur Funktion, S. 644, 646.

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unbeirrt von allen Extremen nüchtern und sachlich weiter zu arbeiten.“117 Innenminister Schröder versuchte gegenüber der Öffentlichkeit Verbraucherschutz und eine wirtschaftsfreundliche Politik zu integrieren und bemühte eine Rhetorik, die sich extremer Positionen entsagte: In der Verfechtung der Verbraucherforderung auf Reinheit der Lebensmittel sei leider in manchen Veröffentlichung über das Ziel hinausgeschossen worden. Es seien Übertreibungen und unberechtigte Anschuldigungen vertreten worden, die eine unangebrachte Angst und Nervosität hervorgerufen und begründete Kritik aus den Kreisen der Wirtschaft provoziert hätten. Umgekehrt bedauere er aber auch gewisse pseudowissenschaftliche und irreführende Äußerungen aus Wirtschaftskreisen, die das ernste Problem zu verharmlosen versuchten und die wirtschafts- oder handelspolitische Rücksichten dem Verbraucherschutz überordneten.118 Tatsächlich verzögerte sich die Gesetzesnovelle, da vor allem im Jahr 1957 an einzelnen Artikeln wie dem § 4a, wie Gabel es ausdrückte, „Formulierungsbasteleiversuche“ vorgenommen wurden.119 Als die Verabschiedung der Gesetzesnovelle sich weiter in die Länge zog, witterte Gabel nicht ganz zu Unrecht ein Komplott der Lobbyisten: „Starke industrielle Hintermänner versuchen das Gesetz über CDU und DP, evtl. auch FDP, noch im letzten Augenblick zu Fall zu bringen, möglichst zwar, ohne die Regierungskoalition mit dem Odium der Verbraucherfeindlichkeit zu belasten (…). Die SPD will das Gesetz wohl nicht durchkreuzen, würde aber auch den Eventualgewinn von Schlagzeilen für den Wahlkampf um die Hausfrau und den Kleinverbraucher jedenfalls begrüßen.“ Ablehnungstendenzen, so Gabel, tarnten sich hinter „scheinbar puristisch übersteigerten Forderungen“.120 Die Zurückstellung des Gesetzes, schrieb dann auch der FDP-Politiker Wolfgang Stammberger in aller Deutlichkeit, sei ein „Sieg der Lobbyisten“.121 Die bundesdeutsche Gesellschaft war als ein politisches System von Verbänden und Interessengruppen konstituiert.122 Die Einflussnahme von Wirtschaftsgruppen und Branchen auf parteipolitische Entscheidungen wurde dabei um 1960 Jahre intensiv diskutiert; Interessenpolitik und Lobbyismus wurden als ein zentrales Problem der jungen Demokratie verstanden.123 Eine Kritik am als undemokratisch identifizierten Lobbyismus, bei dem in Bonn gesellschaftspolitisch relevante Entscheidungen zwischen Politikern und Wirtschaftsvertretern hinter verschlossenen Türen ausgehandelt würden, wurde von jenen vertreten, die einen nicht selektiv, sondern demokratisch partizipatorischen Staat wünschten. Lobbyismus, ein Begriff der Mitte der 1950er Jahre aus dem Englischen übernommen wurde, schien in den Parteien und in der Regierungsverwaltung selbst angekom117 118 119 120

Druckrey an Gabel (27.9.1955), in: BA Koblenz, B 142/1573, 3 von 3. Schroeder, „Zur Pressekonferenz am 7.12.1956“, in: BA Koblenz, B 142/1533, 1 von 2. Referat IV B 8, „Artikel 4a“ (23.5.1957), in: BA Koblenz B 142/1533, 2 von 2. Gabel, betr. Gesetz zur Änderung des Lebensmittelgesetzes (29.6.1957), in: BA Koblenz, B 142/1533, 2 von 2. 121 Stammberger, Ein Sieg. 122 Weber, Die Interessengruppen; Politische Akademie Eichholz, Verbände; Wittkämper, Grundgesetz; und Gehlen, Die Gesellschaftsordnung. Sebaldt/Straßner, Verbände und Triesch/Ockenfels, Interessenverbände. 123 So etwa Hondrich, Die Ideologien; Röpke, Jenseits; und Bethusy-Huc, Demokratie.

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men zu sein. Schon im Jahr 1952 gab es angeblich 270 lobbyistisch arbeitende Büros in Bonn. Theodor Eschenburg sprach von einer Herrschaft der Verbände. Eine „anonyme Macht“ beherrschte die neue Republik.124 In der Debatte über die Fremdstoffe erhielten diese Vorstellungen eine spezifische Bedeutung, da die „anonyme Macht“ zugleich das Volk zu vergiften drohte. Die Eliten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Staat handelten ja nicht Problemlösungen aus, welche auch dem ungehinderten Wettbewerb gedient hätten, sondern einzelne Branchen und Unternehmen versuchten, sich Sonderkonditionen zu erarbeiten. Dabei war die Öffentlichkeit bereits alarmiert, Hausfrauenorganisationen, lebensreformerische Gruppierungen und die Medien mobilisiert, ohne zunächst an der Entscheidungsfindung beteiligt zu sein. Anstatt die Anzahl der Entscheider zu reduzieren, wie es ein elitistisches Verständnis nahelegte, mussten einer demokratischen Entscheidungsfindung gemäß noch mehr Betroffene gehört und integriert werden. Es leuchte ein, dass ein Mitglied des Bundestages unter diesen Umständen nur dann zu einem unabhängigen Urteil kommen könne, resümierte die Wirtschaftswissenschaftlerin Christa von Braunschweig, wenn es die Möglichkeit habe, die Ansichten aller Beteiligten zu hören. Zwar gebe es zahl- und einflussreiche Produzentenverbände, aber keine echten Verbraucherverbände: „Wir müssen also feststellen, daß der Bundestagsabgeordnete, der, ehe er sich eine Meinung bildet, die Ansichten der Betroffenen hören will, in erster Linie die Meinung von Produzenten, nicht die der Konsumenten erfahren wird.“125 Auch Hausfrauenorganisationen, besorgte Bürger und Bürgerinnen, Journalisten, engagierte Wissenschaftler sowie Lebensreformer und Naturheilkundler versuchten Politiker zu beeinflussen, empörten sich über die Interessenpolitik der Ernährungsindustrie und störten das System der Interessengruppen so gut es ging. Wenn man so will agierten sie selbst lobbyistisch. Die Interessenvertretungen von Industrie und Handel konnten jedoch, oftmals auf der Basis langjähriger persönlicher Kontakte, neben der Einflussnahme durch bestellte wissenschaftliche Gutachten und Werbemaßnahmen immer auch direkt intervenieren. In der medial verbreiteten, also öffentlichen Meinung galt jedoch der Standpunkt der Industrie wenig. Selten waren in den 1950er Jahren Stimmen, welche die Industrie- und Handelsinteressen über die „Volksgesundheit“ stellten. Lebensreformerische Forderungen, wie sie vor allem die sogenannte Vitalstoffgesellschaft verbreitete, wurden etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zustimmend als Kampf für das Allgemeinwohl und die Volksgesundheit wiedergegeben, während die Lobbyarbeit des Lebensmittel produzierenden und vertreibenden Gewerbes als Durchsetzung von Einzelinteressen gebrandmarkt wurde. Arnold Gehlen hatte Recht, wenn er konstatierte, dass es den Unternehmen nicht gelungen sei, sich der öffentlichen Meinung einzuprägen.126 Sicherlich stimmte aber auch, was Werner Karstens 1964 in seiner Dissertation zu den Verbraucherverbänden 124 Eschenburg, Herrschaft. Braunschweig, Der Konsument, S. 54–56. 1958 wurde noch im Jahr des Originalerscheinens Samuel Edward Finers Auseinandersetzungen mit dem britischen Lobbyismus ins Deutsche übersetzt: Finer, Die anonyme Macht. 125 Braunschweig, Der Konsument, S. 52, 54. 126 Gehlen, Gesellschaftsordnung.

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schrieb, dass nämlich die Öffentlichkeitsarbeit der Wirtschaftsverbände einen viel größeren Umfang hatte als die der Konsumentenverbände. Aber das bedeutete nicht, dass sie damit auch den öffentlichen Diskurs zumindest in Bezug auf die Verwendung von Fremdstoffen formten. Christa von Braunschweig machte ein Jahr später in ihrer Studie zu den Verbraucherverbänden den Konsumentenvertretern mit einem beliebten Bild aus dem Tierreich Mut: „Es soll an die Amsel erinnert werden, die die viel stärkere Katze vertreibt – allein durch ohrenbetäubendes Geschrei.“ Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung war für die Hausfrauen- und Verbraucherverbände jedenfalls der erfolgsversprechendere Weg als die direkte Auseinandersetzung mit den Interessengruppen aus Wirtschaft und Handel. Die Durchsetzung von Verbraucherinteressen war eher ein diskursiver Akt denn die Folge von Lobbyarbeit oder jenen Modulationen, wie sie in den Kommissionen der Deutschen Forschungsgemeinschaft stattfanden.127 Die öffentliche Debatte wurde durch sich widersprechende Diskurse bestimmt, die allgemeine Werte wie Volksgesundheit, Wirtschaftskraft oder Selbstbestimmungsrecht mobilisierten. Dabei waren Einzel- und Allgemeininteresse nicht immer klar unterschieden. Wie der Politologe Klaus von Beyme in den 1970er Jahren feststellte, habe es in der Geschichte der Bundesrepublik schon immer eine ideologische Dramaturgie von Verbandskampagnen gegeben, „die damit arbeitete, daß (…) die eigenen Interessen als das Gesamtinteresse und das gegnerische als das egoistische Partialinteresse dargestellt wurden“.128 Die zehn Jahre andauernde öffentliche Debatte über das Lebensmittelgesetz begann 1949 mit der medialen Skandalisierung des Buttergelbs. Als die Zeitungen und Zeitschriften im Herbst 1949 plötzlich mit alarmistischen Schlagzeilen vor einer Vergiftung durch Lebensmittelfarbstoffe warnten, fühlte sich eine große Anzahl der Bürger der Bundesrepublik herausgefordert, bei ihrer neuen Staatsführung zu intervenieren. Einzelne wandten sich direkt an den Bundespräsidenten Theodor Heuss als der, wie der Ingenieur Walter Hinnendahl aus Nürnberg schrieb, „einzigen neutralen Stelle in dieser Frage“. Hinnendahl hatte im November 1949 in der Zeitschrift Echo der Woche die Fortsetzung einer von Michael Morava verfassten Artikelserie „Männer besiegen den Tod“ gelesen. Unter der Überschrift „Todbringendes Buttergelb“ habe der Autor Ausführungen gemacht, so der geschockte Hinnendahl, „die derart ungeheuerlich sind, dass durch sie deutsche Regierungen, Fachminister, Industrielle und Gewerbeaufsichtsbehörden in einer Masse belastet erscheinen, das m. E. ausreichen dürfte, – wenn man die Masstäbe diverser internationaler Prozesse anlegt – um sie wegen fahrlässiger Tötung an Millionen Menschen und damit wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit unter Anklage zu stellen.“ Hinnendahl verlangte dringend Maßnahmen, damit seine Familie dem sicheren Krebstod entkommen könne. Ansonsten würde er Strafantrag bei der Bundesstaatsanwaltschaft stellen.129 127 Braunschweig, Der Konsument, S. 83–84 und Karstens, Wirkung, S. 141. 128 Beyme, Politische Entwicklungstendenzen, S. 216. 129 Walter Hinnendahl an Theodor Heuss (1.1.1950), Paula Greeven an Theodor Heuss (30.11.1949) und Eberhard von Campenhausen an Theodor Heuss (22.1.1950), in: BA Koblenz, B 116/419.

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Seit Butenandts Rede im Frühjahr 1949 war das krebserregende Buttergelb ein omnipräsentes Thema in den Medien. In der Wochenzeitschrift Quick berichtete Bettina Ewerbeck 1952 martialisch von einer „Kesselschlacht um den Krebs“. Der Artikel schlug solche Wellen, dass Souci sich genötigt sah, eine Stellungnahme an die Zeitschrift zu schicken, um die Behauptung, Azofarbstoffe würden immer noch zur Butterfärbung verwendet, zurückzuweisen.130 Auch der Verband der Deutschen Milchwirtschaft protestierte und verlangte nach dem vollständigen Abdruck von Soucis Richtigstellung, die nur auszugsweise in Quick publiziert worden war. Tatsächlich hatte Ewerbeck darauf hingewiesen, dass in der Bundesrepublik kein Buttergelb mehr zum Färben verwendet werde, die Bildunterschriften suggerierten aber doch eine allgemeine Beimischung von Azofarbstoffen zur Butter. Die Redaktion der Quick antwortete vielsagend, dass „Bonn“ daran interessiert sei, dass eine Stellungnahme nicht von einer Interessengruppe wie dem Milchverband, sondern von einem unabhängigen wissenschaftlichen Gremium verfasst werde.131 Gleichwohl breitete sich der Verdacht, Buttergelb würde in der Bundesrepublik immer noch zum Färben verwendet, in den folgenden Jahren weiter aus. Die Bonner Rundschau etwa berichtete im November 1952 davon, dass Mitglieder der Hausfrauenvereinigung des Katholischen Deutschen Frauenbundes sich in ihrer „Fragestunde für die Hausfrau“ höchst besorgt gezeigt hätten: „Warum muss die Butter gelb und dadurch gesundheitsschädlich sein?“132 Die Schlagzeilen sorgten dafür, dass verängstigte Bürgerinnen und Bürger im Spätherbst 1952 die zuständigen Ministerien mit Briefen überschwemmten. So unterbreitete eine Frau Anneliese Conrad aus Schöppenstedt an das Ernährungsministerium die Bitte, „wenn ihre Machtbefugnisse es zulassen, ab sofort das Färben der Lebensmittel zu verbieten. Begründung: Der Karzenom (Krebs) hat so beängstigend zugenommen, dass es ein Gebot der Stunde ist, der Ursache dieser deutschen Volkskrankheit nachzuforschen“.133 Es war die Engführung von Fremdstoffen, Krebs und Vergiftung, die dabei im Laufe der 1950er Jahre den Diskurs über Lebensmittelzusatzstoffe als Notstand zuspitzte. Der Spiegel erhob 1953 den Krebs zur Krankheit des Jahrhunderts und bezog sich dabei vor allem auf Karl-Heinrich Bauers Zivilisationskritik. Die Wochenzeitung Die Zeit fragte 1954 mit einer angstmachenden Schlagzeile, ob wir alle vergiftet würden. Kronzeuge für die dramatische Zunahme an Zivilisationskrankheiten war in diesem Artikel der als „einer unserer bedeutendsten Ernährungsphysiologen“ eingeführte Werner Kollath. Das größte Problem bei der Krebsentstehung, darin waren sich die Journalisten einig, war das der falschen Ernährung.134 Auch Quick setzte das 130 Souci an Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (30.11.1952) und S. W. Souci, „Sind gefärbte Lebensmittel gesundheitsschädlich?“ (Manuskript, 29.11.1952), in: BA Koblenz, B 116/420. 131 Verband der Deutschen Milchwirtschaft an Quick (2.12.1952), Verband der Deutschen Milchwirtschaft an Quick (17.11.1952) und Quick an den Verband der Deutschen Milchwirtschaft (15.11.1952), in: BA Koblenz, B 116/420. 132 Anonym, Kleine Stadtrundschau. Verband der Deutschen Milchwirtschaft an die Bonner Rundschau (15.11.1952), in: BA Koblenz, B 116/420. 133 Anneliese Conrad an Ernährungsministerium (2.12.1952), in: BA Koblenz, B 116/420. 134 Anonym, Werden wir vergiftet? Und Anonym, Krebs.

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Thema fort und steigerte die Überschrift 1956 in einen Appell zu sofortigen Maßnahmen: „In jedem Bissen lauert Gift… Alarmstufe 1: Unsere Nahrung ist voll mit Chemikalien und – unbekannten Gefahren.“135 Jene Experten, die das Problem gerne unter sich lösen wollten, waren von der andauernden Berichterstattung jedoch wenig begeistert. Als Schulemann von Wurzschmitts Idee einer Kommission für Krebsforschung hörte, störte es ihn mächtig, dass damit an die Öffentlichkeit getreten werden solle. Es müsse unbedingt unterblieben werden, „in völlig überflüssiger Weise ‚die Öffentlichkeit‘ einzuschalten, sie zu beunruhigen und die laufenden Arbeiten damit zu stören“. Aktivisten für ein strenges Lebensmittelgesetz wie Ministerialrat Gabel widersprachen jedoch dieser Politik machtvoller Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. Die Öffentlichkeit könne die „mitunter etwas schwerfälligen sachkundigen Stellen bei Behörden und Legislativen“ aufrütteln und zur Vorsicht gegenüber der zunehmenden „Chemisierung unserer Nahrung“ mahnen.136 Auch in der Farbstoffkommission selbst wurde darüber diskutiert, ob eigentlich die Öffentlichkeit informiert werden solle. Druckrey hielt dies für unvermeidlich, denn, „in den letzten Jahren liess sich immer mehr beweisen, dass Krebs auf substanzielle Ursachen zurückzuführen und daher vermeidbar ist“. Zum gleichen Anlass sorgte sich auch Wingler von der Bayer AG über Unruhe in der Bevölkerung, denn mit der Öffentlichkeit können man nicht so offen reden wie mit Behörden und der Industrie. Druckrey erklärte dann, dass die Öffentlichkeit mit dem „strengen Wortlaut“ einer „DFG-Resolution“ informiert werden solle, aber nicht über Presse und Rundfunk.137 Die elitistisch-expertischen Verhandlungen rechtfertigten sich immer auch dadurch, dass zugleich die Irrationalitäten der Öffentlichkeit und der Masse zurückgewiesen würden.138 Buttergelb war nur der Anfang einer Serie von Lebensmittelskandalen, welche die 1950er Jahre durchzog und 1958, im Jahr als die Novelle des Lebensmittelgesetzes verabschiedet wurde, im Weinfälscherprozess von Wiesbaden, der Verfälschung von Butter und Margarine und vor allem im Stuttgarter Nitritskandal kulminierte. Die Chronisten der Verbraucherbewegung sahen vor allem in letzterem Ereignis den Grund für eine Beschleunigung der politischen Entscheidungsfindung.139 „Gift in der Wurst“, meldete die Zeit und der Spiegel titelte „Maria hilf in der Wurst“. Schwäbische Hausfrauen hatten Alarm geschlagen, als bekannt wurde, dass Stuttgarter Fleischer bei der Wurstproduktion zum Rotfärben Natriumnitrit in großzügigen Mengen verwendeten. Nach dem zu diesem Zeitpunkt immer noch gültigem Nitritgesetz von 1934 war die Verwendung von Na135 Anonym, In jedem Bissen. 136 Schulemann an Bundesinnenministerium, Bundesernährungsministerium, Bundesarbeitsministerium (28.4.1954) und Gabel an Schulemann (7.5.1954), in: BA Koblenz, B 142/1570, 2 von 2. 137 Protokoll der 9. Arbeitssitzung der Kommission zur Untersuchung cancerogener Wirkungen von Lebensmittelfaren am 30.4.1954 in Bad Godesberg, Hotel Dreesen, in: DFG-Archiv, Bonn, 6019 (721,9 Heft 7). 138 Latour, Die Hoffnung, S. 266–269. 139 Braunschweig, Der Konsument, S. 82 und Bethusy-Huc, Demokratie, S. 131–132.

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triumnitrit in geringen Mengen als Zusatz zum Pökelsalz durchaus gestattet. Es war aber auch bekannt, dass es sich beim Natriumsalz der salpetrigen Säure in höheren Dosen um ein „starkes Gift“ handelte. Die Stuttgarter Metzger hatten eine erhebliche kriminelle Energie entwickelt, um ihren Waren auf kostengünstige Weise eine attraktive Färbung zu geben und waren nur durch die Aufmerksamkeit der Hausfrau Ursula Hespeler enttarnt worden.140 Auch in der beliebten Fernsehserie „Nehmen Sie das Urteil an?“ von Herrmann Mostar wurde der Nitritskandal thematisiert. Zur Empörung zahlloser, sofort zum Stift greifender Leserbriefschreiber deutete Mostar dabei an, dass eine gewisse Schuld auch jene Verbraucher treffe, die nicht kritisch und rational einkauften.141 In einem von Volker Hamann verfassten Heftchen vom Januar 1959, dass die Verbraucher mit dem neuen Lebensmittelgesetz vertraut machen sollte, wurde dieses Szenario noch einmal anschaulich dargestellt. „Gift in der Nahrung!“ und der „Tod im Kochtopf?“ hätten die Schlagzeilen der Tagespresse und der illustrierten Blätter gelautet. Es habe erst dieser Alarmrufe bedurft, um endlich die Volksvertretung zu veranlassen, sich für eine Neuordnung des deutschen Lebensmittelgesetzes einzusetzen: „Der bisher ahnungslose Verbraucher, die sorgende Hausfrau, standen und stehen diesem Geschehen ratlos gegenüber. Überängstliche Naturen getrauen sich kaum noch eine Gemüsekonserve, ein Glas Marmelade oder eine Dose Fischmariande zu kaufen, da in jeder dieser Zubereitungen qualvolles Siechtum, wenn nicht gar der Tod lauern soll.“142 In dieser heißen Phase erreichte im Frühjahr 1958 die Zuständigen die nächste Welle an Postkarten und Briefen. Marie Seeger, Hausfrau aus Augsburg, wandte sich mit besonders dringlichen Worten an den werten Gesundheitsausschuss in Bonn: „Möchte Sie mit meiner Familie bitten die Lebensmittel ungefärbt und ungeschönt an den Verbraucher zu bringen. Es ist ja schließlich eine Gewissenlosigkeit ohne gleichen der Bevölkerung laufend wenn auch in geringer Dosis doch vergiftete Lebensmittel anzubieten. Die Lebensmittel sollen also in Zukunft gekennzeichnet sein ob echt oder unecht. Wer also gefärbte Ware will soll sie meinetwegen ruhig haben. Meine Familie und ich wollen Sie nicht. Hochachtungsvoll Frau Marie Seeger Hausfrau.“143 Heinrich Holtermann wandte sich direkt an den Innenminister: „Beachten Sie aber doch bitte, dass es hier um Leben u. Tod geht, dass es sich ja praktisch gar nicht mehr um eine belanglose Verfälschung irgendeines Gegenstandes handelt, sondern um einen auf weite Sicht heimtückisch vorbereiteten Mordanschlag handelt, der zumindest mit der Zerrüttung der Gesundheit, wenn nicht sogar mit dem Tode endet.“144 Mit der Beantwortung der Briefe war Gabel betraut, der daran erinnerte, dass es für konkrete Verdachtsmomente doch den Rechtsweg gebe und Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften bitte ge-

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Anonym, Maria. Anonym, Nehmen Sie das Urteil an? Hamann, Schutz, S. 7. Marie Seeger an den Gesundheitsausschuß in Bonn (24.4.1958), BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2. 144 Heinrich Holtermann an Schröder (20.4.1958) in: BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2.

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meldet werden sollten.145 Der Schüler Lothar Maier aus Stuttgart verwies gleich auf die Versäumnisse der Staatsmacht, welche die Novelle des Lebensmittelgesetzes weiter verschleppe: „Diesen Brief schreibe ich aus tiefster Empörung gegen das Verhalten der Bundesregierung in Sachen chemische Behandlung von Lebensmitteln.“146 Erich Fechner, Mitglied der Vitalstoffgesellschaft, verlangte kategorisch vom Bundeskanzler, gegen die angestrebte „Verwässerung des Lebensmittelgesetzes“ anzugehen.147 Umso größer war dann aber die Zustimmung, wenn Politiker einmal eine kritische Position übernahmen. So lobte ein gewisser Hans Richter Innenminister Schröder, weil dieser bei der Feierstunde zum Weltgesundheitstag für lebensreformerische Bestrebungen eingetreten sei.148 Auch nach der Novelle des Lebensmittelgesetzes ebbten die Zusendungen nur langsam ab. Eine Waldkirschner Hausfrau nahm die Verordnungen zum Anlass, eine Werbepostkarte, welche die Kessler-Zwillinge beim Nähen auf einer Gritzner-ZauberAutomatic zeigte, mit einer kategorischen Aussage zu versehen: „Wir wollen keine Fremdstoffe und Farben in unserer Nahrung, denn wir wollen gesund bleiben.“149 Die Giftmetaphorik brachte dabei auch antisemitische Vorstellungen zum Vorschein. Im März 1958 erreichte Schröder ein anonymer Brief, der sich auf eine Rundfunkansprache des Innenministers bezog, bei der dieser zum Nitritskandal Stellung bezogen, aber auch die Notwendigkeit von Konservierungsmitteln gerechtfertigt hatte: „Wir verstehen es voll u. ganz, das wir in einem übervölkertem Industrie-Staat leben, welcher nicht in der Lage ist, seine Einwohner mit den Lebensmitteln die im eigenem Lande erzeugt werden, zu ernähren. Aber wir können es nicht verstehn, warum man uns gerade noch die wenig vorhandenen Lebensmittel mit Chemischen Giftstoffen vergiftet und verfälscht?“ Schließlich hatte der Nürnberger Briefeschreiber auch einen Schuldigen an der Vergiftung des Volkes gefunden, den er mit stetig nachlassender Rechtschreibung und zunehmender Rage umzingelte: „Wenn man sich die ganze Wirtschaftliche als auch Politische Lage betrachtet, so siht es so aus, als wenn wir von einer verstekten Jüdischen Diktatur Regierung regiert würden! welche sich zum Zihl gesetzt hat, den sogenannten Morgenthau Plan in Wirklichkeit umzusetzen. Als Beweiß bringe ich zum beispiel die großen Wiedergutmachungsleistungen an den zu Nacizeiten noch nicht bestandenen jüd. Staat Israel und an andere Juden in verschiedenen andern Ländern wohnen.“150 Es waren gerade auch die Koryphäen der Lebenswissenschaften, Nobelpreisträger wie Adolf Butenandt, Gerhard Domagk, Richard Kuhn und Otto Warburg, aber auch höchst anerkannte Wissenschaftspolitiker wie DFG-Präsident Ludwig Raiser und Ulrich Haberland, Vorstandsvorsitzender der Bayer AG, die im Juni 145 Gael an Holtermann (5.5.1958), in: BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2. 146 Lothar Maier an das Innenministerium (2.9.1958), in: BA Koblenz, B 142/1530, 2 von 2. 147 Erich Fechner an den Herrn Bundeskanzler (ohne Datum) in: BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2. 148 Hans Richter an Schroeder (3.9.1957), in: BA Koblenz, B 142/1530, 2 von 2. 149 Luzie unleserlich an Schroeder (4.11.1959, Stempel), in: BA Koblenz, B 142/1530, 2 von 2. Noch mehr Briefe finden sich in B 142/1524, 2 von 2. 150 Anonym an Schroeder (6.3.1958) , in: BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2.

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1955 gegenüber Adenauer ihre Position vertraten: „Hochverehrter Herr Bundeskanzler! (…) Um eine Gesundheitsschädigung der Bevölkerung zu verhindern, halten wir es für erforderlich, dass Lebensmittel keinerlei Zusätze erhalten, deren Unschädlichkeit für die Gesundheit nicht erwiesen worden ist. Wir bitten Sie, sich dafür einzusetzen, dass eine Lebensmittelgesetzgebung, die diesem Grundsatz Rechnung trägt, beschleunigt durchgeführt wird.“151 Ein Vermerk von Gabel fügte dazu an, dass insbesondere Warburg und Haberland einen scharfen Vorstoß für ein strenges Lebensmittelgesetz beabsichtigt hätten. Raiser und Butenandt hätten dann eine „angemessene Stilisierung des Briefes“ durchgesetzt.152 Dass Warburg und Haberland, lektoriert von Raiser und Butenandt, für ein strenges Gesetz kooperierten, lässt sich vor allem aus der eingespielten Nähe zwischen Wissenschaft und pharmazeutischer Industrie, aber mehr noch durch die geteilte zivilisationskritische Überzeugung und die Fokussierung auf Krebs erklären. Adenauer selbst wollte „seiten vollkommen unparteiischer Sachverständiger“, am Besten von Nobelpreisträgern, damit konnten nur Butenandt, Kuhn und Warburg, an den Adenauer seinen Brief gerichtet hatte, gemeint sein, ein Gutachten „über die Färbung von Nahrungsmitteln und insbesondere von Mehl“ erhalten.153 Insbesondere Warburg fand gegenüber Druckrey deutliche Worte: „Jeder Biochemiker, der diese Dinge ohne Widerspruch mit ansieht, muss ein schlechtes Gewissen haben. Es ist eine schwere Schädigung der Gesundheit des Volkes, es ist kriminell, was hier vor sich geht und es (ist) unsre Pflicht, es zu stoppen. Hände weg von den Lebensmitteln, zu deren Konservierung heute ganz andere Mittel zur Verfügung stehen.“154 Wissenschaftlichen Autoritäten antichambrierten also im Zusammenspiel mit der Farbstoffkommission bei der Bundesregierung, denen gegenüber sie sich ja ohnehin, erinnert sei an den Deutschen Forschungsrat, als gleichberechtigte Beratungsinstanzen verstanden. Der Lobbyarbeit der Interessengruppen aus Industrie und Handel standen die expertische Autorität einer Gruppe von Wissenschaftlern und eine aufgeschreckte Öffentlichkeit gegenüber. Die pharmazeutische Industrie trat schon aus Eigeninteresse für eine Regulierung der Fremdstoffe ein. Aber auch wenn mit Haberland ein führender Vertreter der Farbenindustrie eine rigoros ablehnende Position vertrat und Wurzschmitt und Wingler sich für ein strenges Lebensmittelgesetz einsetzten, bedeutete dies nicht, dass bei profitablen Produkten nicht auch ein anderer Weg eingeschlagen wurde. Zu Beginn der 1960er Jahre war die Bayer AG damit befasst, ein Konservierungsmittel gegen alle Bedenken und Widerstände auf dem Markt zu platzieren. Dabei handelte es sich um ein Pyrokohlensäurediäthylester (PKD), das unter dem Produktnamen Baycovin zur Entkeimung von sauren Getränken diente. Baycovin war auch deshalb für die Getränkeindustrie wichtig, weil es mit dem Entkeimungsmittel viel einfacher war, die neue Abfülltechnik des Tetra-Pak-Sys-

151 Warburg an Adenauer (14.6.1955) und Hocker, DFG an Gabel (20.6.1955), in: BA Koblenz, B 142/1532. 152 Vermerk IV 8 zu Hocker, DFG an Gabel (20.6.1955), in: BA Koblenz, B 142/1532. 153 Adenauer an Warburg (6.5.1955) , in: BA Koblenz, B 142/1532. 154 Warburg an Druckrey (31.1.1954), in: BA Koblenz, B 142/1570, 2 von 2.

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tems einzuführen.155 Nachdem es die Gärungserreger abgetötet hatte, zerfiel Pyrokohlensaurediäthylester im Getränk in kurzer Zeit nahezu vollständig in die Spaltprodukte Äthylalkohol und Kohlensäure. Die für Bayer forschenden Pharmakologen Gerhard Bornmann und Arnold Loeser definierten Pyrokohlensaurediäthylester als eine konservierende Substanz, die zu gewissermaßen körpereigenen und gesundheitlich unbedenklichen Verbindungen abgebaut werden könne.156 Das Prekäre am Pyrokohlensaurediäthylester war allerdings, dass die Zerfallsprodukte auch gewisse, schwer zu erfassende Umsetzungsprodukte hervorbrachten.157 Bayer wollte Baycovin, das schon in Schweden, Griechenland, Israel, Brasilien und den USA als Zusatzstoff zugelassen war, auch in der Bundesrepublik einführen und ließ es nach Rücksprache mit „namhaften Fachjuristen“ als „technischen Hilfsstoff “ kennzeichnen.158 Im Mai 1963 stellte das Bayerwerk in Uerdingen dann einen Antrag auf Zulassung von Baycovin in alkoholfreien Getränken und im Wein. In der Sitzung der Arbeitsgruppe „Medizinische Fragen“ der Konservierungsmittelkommission standen sich einerseits Diemair und Druckrey als Skeptiker und andererseits Pauli von der Bayer AG als Befürworter gegenüber. Das erste vorläufige Verhandlungsergebnis lautete, dass Versuche mit radioaktiv markiertem Pyrokohlensaurediäthylester gezeigt hätten, dass die Mengen an Umsetzungsprodukten gering seien. Verdächtige Transacylierungen und Alkylierungen würden durch Pyrokohlensaurediäthylester nicht eintreten. Bei den Reaktionsprodukten handle es sich um besonders leicht zerfallende und reaktionsfähige Substanzen. Untersuchungen über die Unschädlichkeit der Reaktionsprodukte, vor allem Diäthylcarbonat, gebe es jedoch noch nicht. Deshalb sei eine unbeschränkte Zulassung des Baycovin, so schlussfolgerte die Kommission, nicht zu empfehlen, 200 Milligramm pro Liter seien jedoch annehmbar.159 Ein Teilsieg für die Bayer AG, die sich eigentlich 400 Milligramm pro Liter versprochen hatte, aber vor allem von den skeptischen Diemair und Druckrey zurückgepfiffen wurde. Weitere von der Kommission beauftragte Untersuchungen, die sinnigerweise am Institut für Toxikologie von Bayer in Wuppertal-Elberfeld durchgeführt wurden, ergaben, dass im Rahmen der angegebenen Dosierung mit einer toxischen Schädigung nicht zu rechnen sei.160 Die Kommission kam also 1965 zu 155 Pauli/Geilenkirchen an van Heijningen, Adviescommissie Warenwet (24.2.1965), in: DFGArchiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, ca. Juli 1964 bis 31. Dez. 1965. 156 Bornmann/Loeser, Toxikologische Studie, S. 69. 157 Hecht, Zur Toxikologie, S. 296–297. 158 „Niederschrift über die 12. Sitzung der ‚Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung‘ am 23. November 1962 in München“, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung. 12. Sitzung am 23. Nov. 1962, S. 33–35. Auch Martienssen, Pyrokohlensäurediäthylester. 159 „Niederschrift über die Sitzung der Arbeitsgruppe ‚Medizinische Fragen‘ der Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung am 13. Mai 1963 in Bad Godesberg“, in: DFGArchiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung. Sitzung der Arbeitsgruppe „Medizinische Fragen“, 13. Mai 1963. 160 Institut für Toxikologie Farbenfabriken Bayer AG Wupertal-Elberfeld, „Bericht über die akute Toxizität verschiedener Reaktionsprodukte, die bei Behandlung mit Baycovin entste-

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dem Ergebnis, dass keine Bedenken gegen die Verwendung von Pyrokohlensaurediäthylester für die Entkeimung von Getränken erhoben werden könnten.161 Diemair intervenierte, dass seine Bedenken ob der technischen Anwendung und der Überwachung von Baycovin von der Kommission nicht behandelt worden seien und sollte mit seiner Skepsis langfristig Recht behalten. 1973 musste Baycovin wieder vom Markt genommen werden, als bekannt wurde, dass Ethylalkohol mit Stickstoffverbindungen im Lebensmittel zum krebserregenden Urethan reagiert.162 Wenn man so will, dann fand die Lobbyarbeit nicht in den Vorzimmern der Ministerien, sondern in den Laboratorien und Kommissionen statt. Die Konservierungsmittelkommission ließ sich von Forschungen überzeugen, die bei der Bayer AG selbst durchgeführt wurden. Vor allem Otto Pauli, Vertreter der Bayer AG und wichtiges Kommissionsmitglied, kam dabei, so noch 1967 bezüglich einer kritischen Studie von DiPaolo und Elis, eine zentrale Rolle bei der Interpretation von Gutachten und Forschungen zu.163 Während die Bayer AG also auf der Ebene der Kommissionen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und mit Hilfe von toxikologischen Studien die eigenen Interessen durchsetzte, war die Ernährungswirtschaft schon seit 1901 als Interessenverband, dem Bund Deutscher Nahrungsmittelfabrikanten und -händler, besser bekannt als ,,Nünberger Bund“, organisiert. Am 10. März 1955 wurde als eine Art Nachfolgeorganisation der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde gegründet, der alle Fachorganisationen der Lebensmittelindustrie, des Lebensmittelhandwerks und des Lebensmittelhandels sowie Einzelunternehmen vereinte. Der Bund griff dann auch sofort ein, um eine strenge Novelle des Lebensmittelgesetzes zu verhindern. Auf dem Industrie- und Handelstag im Jahr 1957, also auf dem Höhepunkt der Debatte über die Novelle des Lebensmittelgesetzes, sprach man sich deutlich gegen den geplanten Übergang vom Missbrauchszum Verbotsprinzip aus. Die Umkehrung der Beweislast würde sich für die Wirtschaft fortschrittshemmend und kostensteigernd auswirken, „weil der Nachweis der Unschädlichkeit eines Stoffes über die eigenen wissenschaftlichen Prüfungen hinaus erst in langwierigen behördlichen Verfahren zu erbringen sein wird“. Man sprach von „perfektionistischen Übersteigerungen“, beklagte eine dann sicherlich unübersichtlich umfangreiche „Freiliste“ und sorgte sich um die Auswirkungen auf den Außenhandel. Vorgeschlagen wurde entsprechend ein Festhalten am Missbrauchsprinzip. Sollte der Bundestag sich diesem Wunsch jedoch widersetzen, was zu diesem Zeitpunkt bereits zu erwarten war, verlangte man wenigstens ein Mitspracherecht.164 Auch auf einer gemeinsamen Sitzung des Fachausschusses für

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hen können“ (13.1.1964) und Institut für Toxikologie Farbenfabriken Bayer AG WupertalElberfeld, „Bericht über die toxikologische Untersuchung des Umsetzungsproduktes von Vitamin C mit Baycovin“ (18.12.1964), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, 13. Sitzung am 19. Feb. 1965 in München. Souci, Bericht. Diemair an Souci (26.5.1965), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, ca. Juli 1964 bis 31. Dez. 1965. Hagen, Die Umweltgifte, S. 86. Dies ist festgehalten in DFG Archiv, Bonn, AN 60320 (721,32), Generalakte Fremdstoffkommission, Band 3. Deutscher Industrie- und Handelstag an Mitglieder des Unterausschusses „Lebensmittel-

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landwirtschaftliche Erzeugung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und des Ausschusses für Ernährung und Nahrungsmittelkunde der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft wurde geschlossen gegen Reformen votiert. Die Berichterstatterin Ilse Krall vom Deutschen Frauenring „hatte den bestürzenden Eindruck, dass jedenfalls von diesem Kreis aus nicht allzu viel geschehen würde, um eine schnelle Verabschiedung des neuen Lebensmittelgesetzes zu fördern“.165 Aber auch die Vertreter der Arbeitnehmerinteressen waren keineswegs an einer radikalen Gesetzesnovelle interessiert. Ulrich Teichmann sah 1956 in der Gewerkschaftszeitung WWI Mitteilungen die bisherige Lebensmittelgesetzgebung als grundsätzlich reformbedürftig an, weil sie von „wirtschaftspolitischem Beiwerk“ durchwuchert sei. Bisherige Gesetze und Verordnung seien zwar durch den Schutz des Konsumenten motiviert, stellten aber in Wirklichkeit wirtschaftspolitische Eingriffe zugunsten bestimmter Produzenten- oder Händlergruppen dar, „und zwar nicht zum Schutze gegen unlauteren Wettbewerb, sondern zum Schutze gegen Wettbewerb schlechthin“. Es gehe jedoch nicht an, die Verwendung von Chemikalien grundsätzlich zu verbieten oder zu erschweren. Zwar wünsche eine große Zahl von Verbrauchern anscheinend „naturreine“ Nahrung, aber diese Forderung sei weitgehend utopisch: Die große und immer weiter zunehmende Bevölkerungsdichte erfordere hohe Produktionsleistungen der Landwirtschaft, die nur unter Verwendung von Hilfsstoffen zu erzielen sei. Eine Behandlung mit Chemikalien erweise sich zudem umso mehr erforderlich, je größer die Transportwege von der Erzeugungsstätte bis zum Verbraucher würden.166 Verbraucherpolitik war aus dieser gewerkschaftlichen Position also die Ermöglichung des freien Wettbewerbs, ein marktwirtschaftliches Credo, und nicht gebunden an den lebensreformerischen Diskurs. Ein zentraler Begriff für die Gegner der Gesetzesnovelle, war das, mit Hugo Holthöfer, Oberlandesgerichtspräsident im Ruhestand, unfreundliche Schlagwort vom Perfektionismus.167 Der Bundesrat, berichtete Innenminister Schröder im Juni 1956 dem Bundestag, habe die Vorschläge zur Novelle des Lebensmittelgesetzes grundsätzlich als „eine allzu starke Neigung zu angeblich perfektionistischen Regelungen“ abgelehnt. Indigniert fügte er an, dass er schon einmal in diesem Hohen Hause ausgeführt habe, dass es relativ billig sei, witzige Anmerkungen zu Dingen zu machen, die perfektionistisch aussähen, die aber in der Tat nur der Übersichtlichkeit und dem Schutz des Verbrauchers dienten, indem sie kontrollierbare Maßstäbe gäben.168 Auch Gabel schimpfte, dass, wenn sich sonst

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recht“ des Bundestags-Ausschusses für Gesundheitswesen (29.1.1957), in: BA Koblenz, B 142/1533, 1 von 2. Ilse Krall, „Bericht über die gemeinsame Sitzung des ‚Fachausschusses f. landwirtschaftliche Erzeugung‘ der ‚Deutschen Gesellschaft für Ernährung‘ und des ‚Ausschusses für Ernährung und Nahrungsmittelkunde‘ der DLG am 14.1.58 in Wiesbaden“, in: BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2. Landwirtschaftliche Lobbyisten spielen hier keine unmittelbare Rolle, prägten aber insgesamt die Konsumpolitik seit dem späten 19. Jahrhundert. Christoph Nonn, Vom Konsumentenprotest. Teichmann, Reform. Holthöfer, Zur zeitgemäßen Fortgestaltung. Beitrag Schröder, 2. Deutscher Bundestag, 149. Sitzung, Bonn, 8. Juni 1956, S. 7901. (http:// dip21.bundestag.de/dip21/btp/02/02149.pdf).

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keine Gründe mehr herbeiziehen ließen, um gegen den Gesetzentwurf und seine Tendenz zu reden, gewöhnlich der allgemeine Vorwurf, das Gesetz sei „überreglementierender Perfektionismus“, aufkomme: „Das modern gewordene Schlagwort ‚Perfektionismus‘ pflegt u. a. auch dann laut zu werden, wenn jemand fürchtet, die wohlbedachte und gründliche Ausfeilung eines Gesetz- oder VerordnungsEntwurfs könnte seine persönlichen Vorteile zugunsten des Gemeinwohls schmälern und ihm zu wenig Chancen übrig lassen.“169 Tatsächlich baute die unermüdliche Bundesarbeitsgemeinschaft der Fruchtimportmärkte Berlin-HansestädteMünchen ihre Lobbyarbeit bei Innenminister Schröder vor allem darauf auf, dass „eine derart schnelle Verbotsgesetzgebung eine an Perfektionismus grenzende Gesetzgebungsarbeit zur Folge“ habe. Schließlich müssten alle ehemals geduldeten und nun auf Grund des § 5a verbotenen Stoffe erst wieder in aufwändigen Verfahren zugelassen werden.170 Hier geriet Gabel, der auf eine rasche Verabschiedung des Gesetzes drängte, aber einmal auch in Konflikt mit Vertreterinnen der Hausfrauenunion, die sich eben tatsächlich ein „perfektes Gesetz“ wünschten.171 Während Buttergelb für die Kontinuität einer Debatte über Gifte und Fremdstoffe von den 1930er bis in die 1950er Jahre stand, war es das Konservierungsmittel Diphenyl, dem beim Kampf der Lobbygruppen in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre richtungsweisende Bedeutung zukam. Am 5. Oktober 1955 schrieb Clemens von Brentano, seit 1951 bundesdeutscher Botschafter in Italien, an die Food and Agricultural Organization (FAO) der Vereinten Nationen, dass Zitrusfrüchte in die Bundesrepublik eingeführt würden, die mit Farbstoffen oder zur Konservierung chemisch bearbeitet seien. Die deutschen Gesundheitsbehörden arbeiteten jedoch an einer Verordnung, die eine Kennzeichnung dieser Stoffe verlange und deren Färbung und Konservierung verbiete. Brentanos Schreiben sorgte sofort für Aufmerksamkeit und wurde an Robert A. Chapman von der World Health Organization (WHO) weitergeleitet, der sich wiederum gegenüber Wallace R. Aykroyd von der Food and Agricultural Organization sehr besorgt zeigte: „(…), the decree proposed by the Federal Republic is quite sweeping and without any preservative treatment there may be a significant increase in the spoilage of citrus fruits imports into that country.“172 Das Auswärtige Amt hatte große Bedenken und befürchtete zukünftige Schwierigkeiten bei der Einfuhr von Südfrüchten. Staatssekretär Bleek wies diesen Einwand jedoch postwendend zurück und betonte die gesundheitsschädlichen Schäden durch chemisch konservierte Schalen.173 Südfrüchte waren in den 1950er Jahren eine besonders beliebte Importware, Zeichen des Wohlstands und der Gesundheit, modern und vitaminreich. 169 Gabel, Manuskript ohne Überschrift (23.7.1957), , in: BA Koblenz, B 142/1524, 2 von 2 170 Bundesarbeitsgemeinschaft der Fruchtimportmärkte Berlin-Hansestädte-München an Schröder (8.10.1956), in: BA Koblenz, B 142/1533, 2 von 2. 171 Vox, Ein Recht. 172 Von Brentano an FAO (5.10.1955) und Chapman an Aykroyd (14.10.1955), in: WHOArchiv F6/288/1. 173 Protokolle, 146. Kabinettssitzung am 8. August 1956, 2. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelgesetzes (www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/k0/k/k1956k/kap1_2/ kap2_43/para3_3.html).

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Eine mögliche Einschränkung des Warenangebots oder der Qualität der Früchte hätte immer auch eine symbolische Wirkung gehabt.174 Peter Marquardt erinnerte daran, dass es durch die weite und schnelle Verbreitung der Nahrungsmittel möglich sei, auch im Winter Zitrusfrüchte zu essen. Die Gefahr des Skorbuts sei zwar dadurch gebannt, dafür würden aber nun bedenkliche Mittel zur Konservierung von Apfelsinen Verwendung finden: „Fraglos sollten Apfelsinen billig sein und müssen deshalb gegen Verderb geschützt werden. Man braucht das aber nicht so weit zu treiben, daß man fragwürdige Mittel, wie z. B. den Thioharnstoff, der Schilddrüsenstörungen und Lebererkrankungen auslöst, verwendet, denn schließlich gehört zum Nahrungsmittelgeschäft ein gewisses Verderbsrisiko, und wer es nicht eingehen will, sollte sich anderen Geschäftszweigen zuwenden.“175 Das Chemieunternehmen Degussa hatte am 31. Mai 1954 einen Antrag auf Prüfung der Unbedenklichkeit von Thioharnstoff als Konservierungsstoff für Zitrusfrüchte gestellt. In Spanien, so berichtete der Experte Hartmann von der Firma Jacob in Bad Kreuznach, würden Zitrusfrüchte nach dem Diphenyl- sowie dem Deka-Begasungsverfahren behandelt. Hartmann fuhr fort, dass diese Arten der Konservierung in Japan und den USA schon vor zehn Jahren aufgekommen seien. In Italien und Südafrika werde anders konserviert, in Zypern gar nicht. Hartmann verteidigte Thioharnstoff als notwendig gegen den Verderb und, so zeigten amerikanische Versuche, unbedenklichstes Mittel von tausend geprüften. Allerdings musste er zugeben, dass in den USA, in England und Frankreich die Einfuhr von mit Thioharnstoff behandelten Früchten verboten sei. Konrad Lang nahm in einer Sitzung der Konservierungsmittelkommission der DFG Hartmanns Ausführung zum Anlass, Bedenken gegen Thioharnstoff zurückzuweisen. Eichholtz hingegen erinnerte an die Richtlinie, dass ein Stoff, wenn er irgendwelche toxischen Wirkungen im Tierversuch zeige, abzulehnen sei. Die Kommission verschob erst einmal eine Entscheidung über die Unbedenklichkeit, lehnte aber eine Konservierung von Zitrusfrüchten grundsätzlich ab. Da ein Verfahren zudem vorsah, Diphenyl in das Einwickelpapier von Orangen zuzugegeben, schloss die Kommission, dass es in diesem Fall nur zugelassen werden dürfe, wenn feststehe, dass nichts davon in die Frucht eindringe.176 Der Zentralverband des Deutschen Früchte- Import und -Großhandels nahm zunächst eine überraschend moderate Position ein. Es sei von einer Unschädlichkeit des Diphenyl auszugehen, wegen dessen geruchlichen und geschmacklichen Folgen sollte es jedoch nicht als Frischhaltemittel für Zitrusfrüchte verwendet werden. Ein Verbot von Diphenyl würde aber bis zur Entwicklung eines geeigneten Mittels für längere Transporte zu untragbaren Schäden führen und könnte sogar die Einstellung von Lieferungen aus Ländern wie Israel, Südafrika und den USA nach sich ziehen. Der Zentralverband erbat ausreichende Auslauffrist, To-

174 Liniger-Goumaz, L’orange. König, Geschichte, S. 151–154. 175 Marquardt, Die Lebensmittel-Erwartungen, S. 128. 176 „Niederschrift über die 3. Sitzung der ‚Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung‘ am 18. und 19. Juni 1954 in Stuttgart“, in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band III, hier S. 54–63.

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leranzgrenzen und eine internationale Regelung.177 Aber die deutschen Fruchtimporteure konnten auch anders. Als ein Verbot des Diphenyl im Raum stand, machte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fruchtimportmärkte Berlin-Hansestädte-München sofort mobil und verbreite eine wirkungsvoll gedruckte Kampagne mit dem Merksatz, es dürfe kein generelles Verbotsgesetz geben, sonst drohten wirtschafliche Schäden im Außenhandel. Dem schloss sich ein Stakkato an teils polemischen, teils juristischen Forderungen an: „Soll jeglicher Fortschritt der Technik gebremst werden?“, „Diese Probleme müssen durch internationale Absprachen geregelt werden!“, „Perfektionismus § 5a!“, „Und alles nur wegen eines vagen Verdachts!“, „Toleranzgrenzen auch für Vorratsschutzmittel beim Südfruchtimport!“, „Amerika hat solche Toleranzgrenzen festgesetzt!“, „Das Gesetz muß sich der Wirtschaft anpassen können!“.178 Der Ruf der Fruchtimporteure nach Toleranzgrenzen und regulativen Anpassungen, zu denen auch eine milde Gesetzgebung, sprich Ordnungswidrigkeiten, gehören sollten, stand im Kontrast zu jener gesundheitspolitischen Doktrin, die politische und ökonomische Gründe zur Verwendung von Fremdstoffen nicht anerkannte. Gabel schrieb so auch an Souci, dass die chemische Denaturierung der Zitrusfrüchte erhebliche Sorgen mache. Verständlicherweise seien auch die deutschen Fruchthändler und die deutschen Fruchtimporteure bedrückt, „es ist aber nicht eben sehr erquicklich, daß u. a. der Verband der Hanseatischen Fruchtimporteure in einem Schreiben in dieser Angelegenheit entschieden etwas über Ziel und nützliche Form hinausschießt“.179 Zu einer anderen Gelegenheit äußerte Gabel deutlich sein Missfallen gegenüber den Exportländern und den Fruchtimporteuren: „Ich vermag nicht einzusehen, weshalb die Südfrucht-Exportländer, denen das Missfallen ihrer Kunden mit den chemisch denaturierten Südfrüchten schon seit geraumer Zeit bekannt ist, sich innerhalb der vorgesehenen Auslauffristen nicht auf andere, minder anstößige Verfahren sollten umstellen können. Schließlich haben wir in unserer Jugendzeit, als dieses unangenehme Diphenyl noch nicht erfunden war, doch auch schon naturreine Apfelsinen reichlich und preiswert bekommen und mit bestem Appetit verzehrt.“180 Auch im Rahmen der DFG-Kommission für Pflanzenschutzmittel wurde über die Verwendung von Diphenyl und Flavorseal bei Zitrusfrüchten diskutiert. Interessanterweise wurden dabei auch die „Allgemeingut gewordenen Erkenntnisse der modernen Ernährungslehre, insbesondere vom Wert der Vitamine“ von Seiten der Fruchtimporteure als Argument für eine möglichst gleichmäßige Belieferung des deutschen Marktes mit frischen Zitrusfrüchten während des ganzen 177 Ditges, Zentralverband des Deutschen Früchte- Import und -Großhandels an Bundesinnenministerium, Bundesministerium für Ernährung, Bundeswirtschaftsministerium, in: BA Kolenz, B 142/1533, 1 von 2. 178 Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fruchtimportmärkte Berlin-HansestädteMünchen zum Entwurf eines Gesetzs zur Änderung des Lebensmittelgesetzes (ohne Datum, ca. Oktober 1956), in: BA Koblenz, B 142/1527, 2 von 2. 179 Gabel an Souci (9.12.1955), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, vom Juni 1955 bis Dez. 1956 180 Referat IV 8, Anlage zum Bundesrats-Sprechzettel für Gesetzentwurf zur Änderung des Lebensmittelgesetzes, in: BA Koblenz, B 142/1527, 1 von 2.

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Jahres herangezogen. Die Neue Ernährungslehre diente in diesem Fall als Argument für die Verwendung von Fremdstoffen. Dabei ergab sich natürlich das Problem der Lieferungszeiten, die sich ja nicht nur auf den Mittelmeerraum, sondern auch auf subtropische Produktionsstätten erstreckten. Schon die Reisedauer von Israel nach Deutschland betrug zehn bis vierzehn Tage. Kalifornische Apfelsinen benötigten etwa vier Wochen. Während dieses langen Transportweges, ließ der Verband Hanseatischer Fruchtimporteure verlauten, bedürfe die besonders anfällige Zitrusfrucht eines Schutzes gegen Schimmelbefall. Bei der geschützten Frucht betrage der Verderbsatz ein bis zwei Prozent, bei ungeschützter Partion bis zu fünfundzwanzig Prozent. Der Vorratsschutz auf Zitrusfrüchten, so fassten die Fruchtimporteure zusammen, sei „technisch unvermeidbar“, entspreche einem anerkannten Bedürfnis und liege im Interesse der Konsumenten, die sonst auf vitaminreiche Früchte während großer Teile des Jahres verzichten müssten. Diesen Ausführungen schloss sich das Ernähungsministerium an. Sicher gäbe es Nachteile bei der Diphenylbehandlung, wie vor allem der unangenehme Geruch und die Unverzehrbarkeit der Schale, es sei aber auch noch nicht die Gesundheitsschädlichkeit des Präparates nachgewiesen worden. Für die geregelte Vitaminversorgung der Bevölkerung sei jedoch der ganzjährige Import von Zitrusfrüchten unbedingt notwendig.181 Dieser Forderung nach Risikokalkulation (der Nutzen der Vitamine wiegt mehr als ungenießbare Fruchtschalen) standen jedoch Meldungen über erhebliche Gefahren entgegen. So meldete 1955 der Hamburger Anzeiger, dass elf Schauerleute sich im Hamburger Hafen beim Entladen von Apfelsinen vergiftet hätten, als die Lüftung ausgeschaltet worden sei. Ein Vermerk von Ministerialrat Gabel fügt dazu an, dass es sich zweifellos um Diphenyl gehandelt habe, „das nach meinen eigenen Beobachtungen auch die Luft in der großen Apfelsinenhalle des Hamburger Freihafens atemberaubend verpestet“.182 Trotz aller Interventionen richtete sich die Stimmung in der Konservierungsmittelkommission zunehmend gegen die Verwendung von Thioharnstoff, schlicht weil frische Lebensmittel nicht konserviert werden dürften.183 Allerdings schleppte sich eine Nichtzulassung von Diphenyl lange hin. Werner Schuphan von der Bundesanstalt für Qualitätsforschung pflanzlicher Erzeugnisse zeigte sich 1965 mit der bundesdeutschen Regelung höchst zufrieden: behandelte Waren mussten deklariert und zusätzlich mit dem Hinweis „Schale nicht zum Verzehr geeignet“ versehen werden. Unbehandelte Früchte erhielten von den Händlern hingegen die Auszeichnung „naturrein“. Das bedeutete aber nicht, dass die Behandlung mit Diphenyl wünschenswert war. Neben möglichen gesundheitsschädlichen Fol181 Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten an DFG (21.8.1959) und Verband Hanseatischer Fruchtimporteure an Bundesinnenministerium (Gesundheitsabteilung) sowie DFG (2.7.1958), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60290a, Pflanzenschutzmittelkommission, Bd. 1. 182 „Abschrift ‚Hamburger Anzeiger‘ – 16 Juli 1955“, in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, vom Juni 1955 bis Dez. 1956 183 „Niederschrift über die 5. Sitzung der ‚Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung‘ am 27. Juli 1956 in München“, S. 1–38, hier S. 8, in: DFG-Archiv, AN 6032/1, Zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung vom Juni 1955 bis Dezember 1956.

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gen war es vor allem der Geruch, der die Qualität der Südfrüchte minderte: „Eine Obstschale im Zimmer mit diphenylbehandelten Früchten ist eine Zumutung für jeden mit normalem Geruchssinn ausgestatteten Verbraucher“.184 Das Verbotsprinzip war in der konkreten Auseinandersetzung offenbar längst außer Kraft gesetzt. Eurotox und JECFA. Die gescheiterte Globalisierung einer Fremdstoffpolitik der Risikovermeidung „Apart from the health aspect, the subject of food additives is one which affects international trade.“185

Ein Argument, das sowohl Gegner als auch Befürworter der strengen gesetztlichen Reglementierung von Fremdstoffen für sich in Anspruch nahmen, lautete, dass nationale lebensmittelrechtliche Lösungen kaum ausreichen konnten: Lebensmittel zirkulierten global, dies hatte ja vor allem der Fall Diphenyl gezeigt, und sie deklarierten ihre Fremdstoffe ja keineswegs an der Zollgrenze. Musste dann nicht ein strenges Lebensmittelgesetz Wettbewerbsnachteile für die bundesdeutsche Lebensmittelwirtschaft bedeuten? In den 1950er Jahren vollzog sich aber ohnehin eine Internationalisierung der Handelsbeziehungen, eine Überwindung von Zollschranken in Handelsräumen wie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, gleichzeitig verbunden mit einer teilweise synchronisierten Globalisierung der Handels-, Sozial- und Gesundheitspolitik auf der Basis von Rechtsangleichungen. Die internationale Debatte über die jeweiligen Gesetzgebungen wurde aufmerksam verfolgt.186 Auch jene zwischen puristisch-reformerischen und wirtschaftsliberalen Aussagen angeordneten Diskurse, die den verbraucherpolitischen Umgang mit chemischen Stoffen prägten, waren zwar national unterschiedlich, kursierten aber in den transatlantischen Gesellschaften, waren mobilisierbar und rationalisierbar. Einer Liberalisierung des Welthandels mit Lebensmitteln korrespondierte eine notwendige Qualitätskontrolle der gehandelten Güter. Letztes Ziel müsse sein, fasste S. Walter Souci im November 1952 zusammen, dass zwischen den verschiedenen Staaten eine Vereinheitlichung und Angleichung der Lebensmittelgesetzgebung erfolge, um sowohl den freien Warenverkehr zu ermöglichen als auch den Verbraucher vor Gesundheitsschäden zu schützen. Souci fügte weiter an, dass die ersten Zeichen einer solchen internationalen Verständigung schon erkennbar seien. Denn wissenschaftliche Stellen des Auslandes nähmen „schon heute an den Arbeiten der Lebensmittelfarben-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft regen Anteil“.187 Mit diesen Worten war bereits zu Beginn 184 185 186 187

Schuphan, Die Behandlung, S. 325–326. WHO, Joint WHO/FAO Conference, S. 6 Krusen, Einheitlich. S. W. Souci, „Sind gefärbte Lebensmittel gesundheitsschädlich?“ (Manuskript, 29.11.1952),

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der 1950er Jahre festgelegt, dass es die in der Farbstoffkommission aktiven Wissenschaftler seien, denen bei der Regulierung von Lebensmittelzusatzstoffen in Europa die führende Rolle zukomme. Butenandt und Druckrey, die maßgeblichen Akteure der bundesdeutschen Debatte, betonten jedoch einen anderen Beweggrund für ihre internationalen Aktivitäten als eine internationale Gesetzesangleichung, nämlich die Engführung von Krebs- und Fremdstoffpolitik, die Europäisierung einer „Pharmakologie krebserregender Substanzen“. Im Jahr 1958 erlangte die puristische Auffassung, welche die Summationsthese, das Konzept der Fremdstoffe und eine neue Theorie der Krebsentstehung in eine Nulltoleranzpolitik übersetzte, mit der Novelle des Lebensmittelgesetzes und der „Delaney Clause“ des US-amerikanischen „Federal Food, Drug, and Cosmetics Act“ einen kurzfristigen Sieg über eine Politik der Risikokalkulation. In der bundesdeutschen und amerikanischen Rechtspraxis, aber auch auf der Ebene der World Health Organization setzte sich jedoch in den 1960er Jahren eine deutlich flexiblere, wirtschaftsfreundlichere, auf regulierbare Grenz- und Toleranzwerte ausgerichtete Risikopolitik weltweit durch. Zu Beginn der 1950er Jahre wurde in den transatlantischen Staaten der Umgang mit Lebensmittelzusatzstoffen generell als Verbraucherschutz verstanden. In Großbritannien war „the adequate protection of the consumer“ das Ziel legislativer Maßnahmen. Nachdem die weitere Ausarbeitung und Verwirklichung eines „Food and Drugs Act“ aus dem Jahr 1938 durch den Krieg verzögert worden war, erließ das Ministry of Food 1943 weitergehende „Defence Regulations“ für den Verkauf von Lebensmitteln. Verfolgt wurden danach falsche oder irreführende Angaben nicht nur zur Natur, zum Wesen oder zur Qualität der Lebensmittel, sondern insbesondere auch zu deren Nährwert. Allerdings beklagte Charles A. Adams, Mitglied der Food Standards and Labelling Division des Ministry of Food, dass anders als in den USA das Problem der „food standards“ noch nicht ganz gelöst sei.188 Wenn es aber für die deutschen Wissenschaftler Vorbilder gab, dann wurde in den 1950er Jahren vor allem auf die Gesetzesentwicklung in den Vereinigten Staaten verwiesen. Die Tätigkeiten der Food and Drug Administration wurden so etwa in der Zeitschrift für Lebensmitteluntersuchung und -forschung aufmerksam verfolgt. Eine weitreichende Gesetzgebung zur Kontrolle und Regulierung von Lebens- und Genussmitteln war in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt und 1906 im „Pure Food and Drug Act“ (nach dem federführenden Chemiker Harvey Washington Wiley auch „Wiley Act“ genannt) verwirklich worden. Dieses Gesetz war, so Ilyse D. Barkan, weniger ein Triumph des Verbraucherschutzes, denn die Folge eines „muckraking journalism“ – erinnert sei an Upton Sinclairs ebenfalls 1906 erschienenes The Jungle – und einer geplanten Industriepolitik, die ihre Eigeninteressen, vor allem im Bereich der Fleischindustrie, durch selbstregulative Maßnahmen zu schützen versuchte.189 Durchgesetzt wurde das Gein: BA Koblenz, B 116/420. 188 Adams, Recent Advances, S. 367–368. 189 Barkan, Industry, S. 18. Außerdem: Law, The Origins; Wood, The strategic Use; Young, Pure Food. Zu Wiley: Coppin/High,The Politics.

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setz seit 1927 durch eine eigens etablierte Food, Drug, and Insecticide Administration, die 1930 in Food and Drug Administration (FDA) umbenannt wurde und die Regulierung des amerikanischen Lebensmittelmarktes bis heute prägt.190 So lief auch die Überarbeitung des Gesetzes im Jahr 1938, der „Federal Food, Drug, and Cosmetics Act“, vor allem darauf hinaus, der Food and Drug Administration noch mehr Kompetenzen zu geben. Im September 1958 unterzeichnete Dwight D. Eisenhower eine vom Kongress beschlossene Gesetzesänderung, nach der nur gesundheitlich unbedenkliche Lebensmittelzusatzstoffe verwendet werden dürften, das „1958 Food Additives Amendment“. Grenzwerte („tolerance limits“) hatte die Food and Drug Administration bereits 1954 eingeführt, vier Jahre später wurden diese zur zentralen Technik der Interessenmodulation im Bereich der Lebensmittelherstellung. Das Gesetz war höchst widersprüchlich, weil zum einen die Verwendung von chemischen Stoffen in Lebensmitteln für Konsumenten erstmals als nicht grundsätzlich gefährlich, sondern als qua Regulierungsmaßnahmen, die vor allem auf die Dauer der Exposition abzielten, im Allgemeinen sicher bezeichnet wurde, andererseits aber auch eine spezifische Klausel auf höchst rigide, dabei Druckreys Unterscheidung von Kummulations- und Summationsgiften rekapituliernde Weise alle potentiell krebserregenden Zusatzstoffe verbot. Eine einschneidende Rolle spielte dabei der Kongressabgeordnete James J. Delaney, der 1950 für das National Research Council ein Food Protection Committee eingerichtet hatte, bei dem Experten und Politiker über Chemikalien, Präparate, Pestizide, Insektizide, synthetische Stoffe und schließlich vor allem auch Karzinogene und deren prekäre Rolle bei der Ernährung diskutierten. Der Delaney Committee Report, schreibt Peter Barton Butt, verzichtete zwar auf eine Rhetorik der Vergiftung, sprach stattdessen aber von unbekannten und ungewissen Risiken. Mit der neu eingeführten Formel „generally recognized as safe“ wurden in einem Zusatzartikel zum amerikanischen Lebensmittelgesetz zunächst die bereits seit langem etablierten Zusatzstoffe legalisiert. Alle neu eingeführten chemischen Stoffe, die in Lebensmitteln Verwendung finden sollten, mussten hingegen strengen Prüfungen nach der sogenannten Delaney Clause unterzogen werden. Deren radikale Formel lautete, dass die Food and Drug Administration „shall not approve for use in food any chemical additive found to induce cancer in man, or, after tests, found to induce cancer in animals“. Delaney hatte die immer umstrittene Klausel mit Hilfe einer mobilisierten Öffentlichkeit und organisierten Verbraucherbewegung geschickt durchgesetzt. Die Delaney Clause reüssierte gerade aufgrund ihrer Kürze als radikalste Formulierung einer Politik der Risikovermeidung auf der Grundlage des Nichtswissenkönnens im Bereich der Krebsforschung.191 Bereits ein Jahr nach der Gesetzesänderung zeigte sich mit der „cranberry scare“, dass die Bestimmung durchaus auch Unsicherheit und Verunsicherung produzierte. Die Food and Drug Administration entdeckte 1959 in bereits 1957 eingefrorenen Beeren Rückstände eines möglicherweise krebserregenden Herbizids (Amitrol), weshalb gemäß der Delaney Clause alle Früchte vernichtet wurden und die gesamte Cranberryindus190 Hickmann, The Food and Drug Administration. 191 Hutt, Regulation, S. 200. Auch Gaudillière, DES, S. 69–70.

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trie gewaltige Verluste machte. Vor allem hatte Gesundheitsminister Arthur S. Flemming davon abgeraten, überhaupt Cranberries zu konsumieren, obwohl eigentlich nur die 1957er Ernte aus Oregon und Washington betroffen war, und damit Anfang November 1959 eine Art kollektiven Schock ausgelöst. Zwar wurde noch rechtzeitig vor Thanksgiving die neue Ernte wieder freigegeben, aber das Thema dominierte im Herbst 1959 die öffentliche Debatte. Ein bedeutsamer Streitpunkt war dabei vor allem die geringfügige Menge an Rückständen, die einen so gewaltigen Einfluss auf Industrie, Handel und die Erwartungen der Konsumenten hatte.192 Nachdem die Delaney Clause 1960 durch Änderungsgesetze über Lebensmittelzusatzstoffe ergänzt worden war, wurde sie 1962 auf Druck der Landwirtschaftslobby im „Food and Drug Act“ so relativiert, dass sie faktisch außer Kraft gesetzt war, wenn im Tierkörper keine Rückstände mehr gefunden werden konnten. Es begann ein jahrzehntelanger Streit über die Gesetzesklausel und ihre Implikationen einer absoluten Risikovermeidung durch eine Nulltoleranzpolitik, insbesondere bei der Verbotsdebatte über das synthetische Hormon Diethylstilböstrol (DES). Nach ständigen Relativierungen wurde die Delaney Clause 1996 aus dem amerikanischen Lebensmittelgesetz gestrichen.193 Bei den bundesdeutschen Anhängern einer strengen Novelle des Lebensmittelgesetzes kam besonders gut an, dass Delaney sich auf das Urteil von Sachverständigen der Lebensmittelchemie und Medizin verlies und vor allem, dass er den Krebsaspekt in den Vordergrund stellte. Dabei stützte sich Delaney bei den „Color Additive Amendments“ von 1960 ausdrücklich auch auf die Summationsthese von Druckrey und Küpfmüller. Für krebserregende Substanzen, dies wurde durch die sich gegenseitig stützenden Druckrey und Delaney in Wissenschaft und Rechtssprechung implantiert, gelten andere Regeln als für toxische Stoffe. Paracelsus war hier außer Kraft gesetzt. Nur eine präventionistische Nulltoleranzstrategie, eine Politik der absoluten Risikovermeidung, konnte danach dem Problem des Nichtwissenkönnens gerecht werden.194 Fritz Eichholtz lobte neben Delaney vor allem auch den Juristen Charles Wesley Dunn, Präsident des Food Law Institute der juristischen Fakultät der New York University, als „Anwalt der Konsumenten“.195 Für den Heidelberger Pharmakologen erschien die US-amerikanische Entwicklung aber auch deshalb als vorbildlich, berichtete er anlässlich seiner Reise in die Vereinigten Staaten im Jahr 1953, zu der er auf Einladung von Butenandt und Druckrey auf einer Sitzung der Farbstoffkommission vortrug, weil dort gegenüber einem unbedeutenden Teil der Nahrungsmittelindustrie zwar Zwang ausgeübt werden müsse, der große ernsthafte Teil aber rückhaltlos hinter dem Wunsch des Repräsentantenhauses stehe, 192 Wildavsky/Levenson, Were the Early Scares. 193 Lachmann, Überblick und Jochmus, Lebensmittelzusatzstoffe. Zur amerikanischen Gesetzgebung: Northcutt/Parisi, Major Food Laws; Sumner/Eifert, Risks, S. 39; Marcus, Cancer; Merrill, Food Safety Regulation; und Merrill, FDA's Implementation. 194 Weisburger, Does the Delaney Clause; Kessler, Implementing the Anticancer Clauses, S. 822; und Weisburger/Weisburger, Food Additives. 195 F. Eichholtz, „Bericht über die Anwendbarkeit chemischer Konservierungsmittel in den USA“, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II.

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den Konsumenten zu schützen. Die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Food and Drug Administration verlaufe dank Dunn reibungslos.196 Man habe den Eindruck, dass die USA sich in den letzten Jahren mit der Sicherung humanitärer Belange in ihrem Lande beschäftigen konnten, während wir selber andere Dinge trieben, bemerkte Eichholtz spitz. Dadurch seien sie etwa auf dem Gebiete der Konservierungsmittel zu einem Vorbild geworden.197 Besonders interessant erschien das amerikanische Verfahren zur Errichtung von Food Standards, also zur Klärung der Frage, welche chemisch-physikalischen Eigenschaften ein Nahrungsmittel eigentlich haben dürfe. Bringe in den Vereinigten Staaten ein Produzent eine Ware in den Handel, die dem in Hearings festgelegten Food Standard nicht entspreche, berichtete Eichholtz weiter, so werde er juristisch verfolgt.198 Es ist allerdings bemerkenswert, wie tiefgreifend Butenandt und Druckrey in den 1950er Jahren die Organisation der transatlantischen Regulierung der Lebensmittelzusatzstoffe prägten. Enge Kontakte bestanden um 1950 bereits zur seit 1933 existenten Union Internationale contre le Cancer (U. I. C. C.). Butenandt leitete 1950 in Paris auf der zweiten Nachkriegstagung der Union eine Sektion zum Thema „Les constituants morphologiques et biochimiques des cellules cancéreuses“; Druckrey hielt dort einen deutschsprachigen Vortrag über die „Chemische Konstitution und Wirkung östrogener und cancerogener Substanzen“. Eine „coopération internationale pour la protection contre les agents cancérigènes“ wurde hier erstmals von Butenandt und Druckrey, der explizit von „Krebs-Prophylaxe“ sprach, befürwortet. Druckrey veröffentlichte dann auch 1953 einen „Vorschlag zu einer internationalen Zusammenarbeit für den Schutz der Bevölkerung von cancerogenen Agentien“, der die Arbeit des Deutschen Forschungsrats mit dem Programm der Union in Verbindung setzte. Der 6. internationale Krebskongress 1954 in Sao Paulo, in dessen Mittelpunkt Pläne für eine Positivliste standen, wurde bereits maßgeblich von der Farbstoffkommission vorbereitet.199 Neben der U. I. C. C. existierten in den 1950er Jahren zahlreiche weitere internationale Organisationen, die sich mit dem Komplex Krebs, Krebsprävention und Lebensmittelzusatzstoffe befassten, die International Union of Nutrition and Sciences, die Ligue pour la Prévention du Cancer, die Vitalstoffgesell196 F. Eichholtz, „Bericht über die Anwendbarkeit chemischer Konservierungsmittel in den USA“, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II. Druckrey an Hocker (22.1.1954), in: DFG-Archiv, Bonn, 6019 (721,9, Heft 7). Thoms, Learning. 197 „Niederschrift über die 2. Sitzung der ‚Kommission für die Prüfung der chemischen Lebensmittelkonservierung‘ am 24./25. Juli 1953 in Stuttgart“, S. 1–24, hier S. 1, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II. 198 F. Eichholtz, „Bericht über die Anwendbarkeit chemischer Konservierungsmittel in den USA“, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II. 199 Union Internationale Contre Le Cancer, Vingtieme Congrès, S. 257; Druckrey, Vorschlag; „Niederschrift über die 2. Sitzung der ‚Kommission für die Prüfung der chemischen Lebensmittelkonservierung‘ am 24./25. Juli 1953 in Stuttgart“, S. 1–24, hier S. 2, in: DFGArchiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II; sowie Hocker an Bundesminister des Innern (5.8.1953), in: DFG-Archiv, Bonn, 6019 (Lebensmittelfarbstoff.). Moser, Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 246 und Pinell, Naissance. Wichtige Hinweise zum Pariser Kongress verdanke ich Gabriele Moser.

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schaft und die gut vernetzte Commission Internationale des Industries Agricoles (C. I. I. A.). Ausdauernd wurden Tagungen veranstaltet, Gesetzesvorschläge unterbreitet, eine internationale Zusammenarbeit eingefordert. Initial für die Institutionalisierung einer europaweiten Krebs- und Fremdstoffpolitik war aber schließlich eine von der DFG selbst am 1. Mai 1954 veranstaltete Konferenz in BonnBad Godesberg, die zur Etablierung einer eigenen Organisation namens EUROTOX führte. Diese unter dem Vorsitz Butenandts stattfindende „Tagung westeuropäischer Wissenschaftler zur Prophylaxe des Krebses“ wurde intern auch als „Sitzung der Lebensmittelfarbstoffkommission mit ausländischen Gästen“ oder als „Ausländertagung zum Farbstoff-Problem“ bezeichnet. Dem „Ausländer-Treffen“, das in enger Kooperation mit DFG-Präsident Ludwig Raiser vorbereitet wurde, kam eine wichtige Rolle bei der Reintegration deutscher Wissenschaftler in die europäische Wissenschaftsgemeinschaft zu.200 Die Summationsthese galt als obligatorischer Referenzpunkt für die legislativen und politischen Forderungen nach einer präventionistischen Nulltoleranzpolitik. Druckrey sollte bereits am Vormittag des Eröffnungstages ein kurzes Referat über die „Dosis-Wirkungsbeziehungen bei krebserzeugenden Substanzen als Grundlage für die Prophylaxe“ halten.201 Diese zentrale Rolle von Druckrey, der auch noch die gesamte Tagung leiten sollte, besorgte jedoch Raiser, der dafür plädierte, dass stattdessen Butenandt den Vorsitz übernehmen sollte. An Butenandt gewandt schrieb Raiser, dass er ebenso wie dieser den Eifer, die Arbeitskraft und die wissenschaftliche Qualifikation von Herrn Druckrey zu schätzen wisse, „aber er hat doch menschlich und in seinem wissenschaftlichen Ansehen nicht diejenige Autorität, die notwendig ist, um eine solche Sitzung erfolgreich durchzuführen“. Als er Gerüchte über die Validität von Druckreys Thesen andeutete, antwortete Butenandt scharf und sprach sybillinisch von einem gegen Druckrey gerichteten „neuen Versuch der Brunnenvergiftung von deutscher Seite“.202 Gleichwohl übernahm Butenandt den Vorsitz, während die hervorgehobene Bedeutung der Summationsthese unangetastet blieb. Als deutsche Tagungsteilnehmer waren neben Butenandt und Druckrey zunächst der Wissenschaftler Hamperl, die Industrievertreter Wingler und Wurzschmitt und für die Ministerien Gabel und Fachmann gemeldet. Hinzu kamen dann aber noch elf weitere Teilnehmer aus Wissenschaft, Industrie und Ministerien. Die internationalen Teilnehmer stammten aus Australien, Belgien, England, Frankreich, Norwegen, Spanien, Schweden, Schweiz und den Niederlanden.203 Warburg schickte, da er aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Tagung teilnehmen konnte, ein Telegramm und wünschte ausdrücklich einen erfolgreichen Tagungs200 Butenandt an Druckrey (25.11.1953) und Hocker an Bundesminister des Innern (5.8.1953), in: DFG-Archiv, Bonn, 6019. 201 Druckrey an Hocker (30.11.1953) , in: DFG-Archiv, Bonn, 6019. 202 Raiser an Butenandt (17.12.1953) und Butenandt an Raiser (22.12.1953), in: DFG-Archiv, Bonn, 6019. 203 Hermann Druckrey, „Entwurf. Liste der deutschen Teilnehmer an der Sitzung für ausländische Gäste der Farbstoff-Kommission am 1. Mai 1954 in Godesberg“ und Hermann Druckrey, „Ergebnisse einer Tagung westeuropäischer Wissenschaftler zur Verhütung des Krebses bei der deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Bad Godesberg am 1. Mai 1954), in: DFG-Archiv, Bonn, 6019. Hamperl Ergebnisse, S. 616.

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verlauf: „Da Krebszellen aus Koerperzellen durch chronische Schaedigungen entstehen so sollten alle chemischen Zusaetze zu Nahrungsmitteln (Farbstoffe oder andere Stoffe) verboten werden.“204 Warburg bezeichnete die Krebsprophylaxe „als eine unabdingbare Forderung, da nach seiner Meinung die Krebshäufigkeit durch ihre systematische Anwendung bis auf 1/5 reduziert werden kann.“205 Die Tagung blieb nicht ergebnislos. Zum Abschluss wurden als „Godesberger Beschlüsse“ kanonisierte lebensmittelrechtliche und gesundheitspolitische Leitlinien formuliert. Diese besagten, dass Lebensmittel grundsätzlich keine nahrungsfremden Zusätze erhalten und nicht künstlich gefärbt werden dürften, sofern der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich anders bestimme. Eine Zulassung nahrungsfremder Zusätze solle nur dann erlaubt sein, wenn die Zusätze nachweislich unschädlich für die menschliche Gesundheit seien, für ihre Anwendung ein wirkliches Bedürfnis bestehe, der Verbraucher über den wahren Wert des Lebensmittels nicht getäuscht werde und die zugesetzte Menge so gering wie möglich sei.206 Als unbedenklich sollten solche Zusätze gelten, „die bei lang dauernder Gabe und nach Beobachtung über die ganze Lebenszeit in höchstmöglicher Konzentration, mindestens aber mit einer genügenden Sicherheitsgrenze keine toxischen, vor allem keine carcinogenen oder keimschädigenden Wirkungen haben und die die Größe der mittleren Lebenserwartung nicht herabsetzen“.207 Diese Godesberger Beschlüsse auf Grundlage der Summationsthese sollten, nach dem Willen Butenandts und Druckreys, zu einem europäischen Kodex ausgearbeitet werden. Der Bonner Tagung folgten weitere Kongresse in Wageningen (1956) und Ascona (1957). Die Tagung in Ascona wurde vom Eidgenössischen Gesundheitsamt in Bern organisiert, war auf Gesamteuropa bezogen und umfasste alle Arten toxischer Umweltschädigungen. Aus der Bundesrepublik nahmen Druckrey, Souci und der Pharmakologe Gerhard Hecht vom Bayerwerk in Wuppertal teil. Dort wurde dann auch ein neunköpfiges, explizit Industrievertreter ausschließendes Komitee gewählt, bei dem jeweils ein Wissenschaftler ein Land repräsentierte und das nicht nur zukünftige Konferenzen organisieren, sondern durchaus den Status einer Politik beratenden Organisation „zum Schutz der Volksgesundheit“ erhalten sollte. Die Bundesrepublik wurde dabei von Druckrey vertreten.208 Seit 1957 firmierte diese lose Zusammenkunft als „Ständiges Forschungskomitee für den Schutz der Bevölkerung vor chronisch-toxischen Umweltschädigungen“. Rückwirkend markieren die Tagungen die Existenz der dann 1960 offiziell etablierten Organisation EUROTOX.209 Das EUROTOX-Komitee veranstaltete in der Folge auf unterschiedliche Themenkomplexe konzentrierte Konferenzen zu Luftverunreinigungen (1960 in Royaumont), Kosmetika (1961 in London), chro204 205 206 207

Telegramm Warburg an Raiser (29.4.1954) , in: DFG-Archiv, Bonn, 6019. Druckrey an Hocker (14.4.1954), , in: DFG-Archiv, Bonn, 6019. Souci, Mitteilungen, S. 68 und Hamperl, Ergebnisse. Hermann Druckrey, „Ergebnisse einer Tagung westeuropäischer Wissenschaftler zur Verhütung des Krebses bei der deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Bad Godesberg am 1. Mai 1954), in: DFG-Archiv, Bonn, 6019. 208 Souci, Mitteilungen, S. 65. 209 Truhaut, Sur l’évaluation (1962), S. 42.

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nischen Giftwirkungen von Naturprodukten (1964 in Brüssel) sowie neuen karzinogenen Substanzen (1967 in Freiburg). Neben Druckrey waren Otto Högl vom Eidgenössischen Gesundheitsamt in Bern, der niederländische Ernährungswissenschaftler Maurice Dols und der französische Toxikologe René Truhaut vom Institute de Cancer in Paris die entscheidenden Figuren der Organisation. Truhaut, zunächst ein Anhänger der Summationsthese, sollte dann in den 1960er Jahren eine bedeutsame Rolle bei der Flexibilisierung der Risikopolitik von Zusatzstoffen zukommen.210 Seit Mitte der 1950er Jahre veranstalteten auch die anderen internationalen Organisationen, namentlich U. I. C. C. und C. I. I. A., Konferenzen, die sich explizit mit dem Thema der Lebensmittelzusatzstoffe befassten. Im Juli 1955 organisierte die C. I. I. A. in Wien in Zusammenarbeit mit dem Bureau International Permanent de Chimie Analytique ein Symposium über aktuelle Probleme der Lebensmittelveredelung, an dem sich Wissenschaftler aus dreizehn Ländern sowie von der World Health Organization und der Food and Agriculture Organization beteiligten. Wie Souci berichtete, wurde auf der Tagung zwar die psychologische und wirtschaftliche Notwendigkeit der Veredelung von Lebensmitteln anerkannt, jedoch ebenso betont, dass „mit dem Einbringen von ‚Zusätzen‘ in unsere Lebensmittel diesen Komponenten beigefügt werden, deren Einfluß auf die menschliche Gesundheit gerade deshalb, weil er häufig nicht in kurzer Zeit erkennbar und damit in seiner Wirkung für die Zukunft nicht beurteilbar ist, mit aller Schärfe und Kritik beachtet werden muß“. Deshalb sei eine „übersteigerte Skepsis“ durchaus angebracht, um schädliche Wirkungen als Möglichkeiten einzukalkulieren. Schließlich wurde auf dem Symposium eine Resolution erlassen, die eine einheitliche internationale Definition der zulässigen Zusatzstoffe zum Schutz der Volksgesundheit einforderte. Auf der Basis der Godesberger Beschlüsse, der Grundsätze des Subkomitees zur Kontrolle der Lebensmittel beim Brüsseler Pakt, der mittlerweile als Westeuropäische Union firmierte, sowie der auf dem Wiener Symposium erhaltenen Resultate sollte dann bis zum Vorliegen neuerer Forschungsergebnisse eine vom Lebensmittelchemiker Karl Gustav Bergner aufgestellte Farbstoffliste allgemein maßgebend sein.211 Dem Wiener Symposium folgten weitere Tagungen in Amsterdam (1956), Como (1957) und Paris (1958), die aber unter dem treffenderen Namen „Symposium über chemische Fremdstoffe in Lebensmitteln“ firmierten und jeweils einem Spezialthema gewidmet waren. Was diese Treffen der C. I. I. A. auszeichnete war ihre sogar den eisernen Vorhang überwindende Internationalität. Auch wenn die Tagungen von westeuropäischen Wissenschaftlern dominiert wurden, nahmen bereits in Wien auch Vertreter aus Syrien und den USA teil. In Amsterdam kamen Wissenschaftler aus Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und der Türkei hinzu. Präsident des Symposions in Como war Claudio Antoniani, der zugleich als Vizepräsident der le-

210 René Truhaut, Essai d’etablissement d’une doctrine generale des alimentations d’emploi des colorants pour matieres alimentaires (Manuskript ohne Datum), in: DFG-Archiv, Bonn, 6019. Truhaut, Les dangers. 211 Souci/Schneider, I. Symposium.

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bensreformerisch-zivilisationskritischen Vitalstoffgesellschaft firmierte.212 Im August 1956 fand wiederum in Rom unter großer internationaler Beteiligung ein Symposium der U. I. C. C. statt, das sich unter dem Vorsitz von Truhaut ausdrücklich der möglichen Krebsgefährdung durch chemische Zusatzstoffe widmete. Referenzpunkt waren auch dort die Godesberger Beschlüsse. Diesem Symposium schloss sich 1960 eine weitere Tagung in Tokio an.213 1963 sprach Souci bereits abschätzig von „üblich gewordenen Monstre-Kongressen“. Deshalb habe 1961 ein kleines internationales Rundgespräch über lebensmittelchemische Fragen, veranstaltet von der Société des Experts-Chimistes de France, in Bordeaux stattgefunden. Ein Jahr später folgte eine entsprechende Tagung im kleinen Kreise deutscher, französischer, niederländischer, österreichischer und Schweizer Lebensmittelchemiker in Wiesbaden und Eltville am Rhein.214 Mit diesen eher intimen Treffen war dann zu Beginn der 1960er Jahre die große Zeit der Etablierung einer europaweiten Lebensmittelregulierung zunächst vorbei. Tatsächlich waren aber zentrale Forderungen der Kongresse in die Legislative übergegangen. Die Protagonisten dieser Organisationen und Kongresse waren zumeist auch mit der World Health Organization (WHO) und der Food and Agriculture Organization (FAO) verbunden. Nach Kriegsende setzte im Rahmen der Vereinten Nationen eine intensive Befassung mit Ernährungsthemen ein. Als wäre dieses Thema nur durch den Krieg als ein virulentes Problem aufgehoben worden. Die im März 1947 von der UNO eingerichtete Economic Commission for Europe begann im Herbst 1949 mit Arbeiten zur Erstellung von Qualitätsstandards bestimmter Lebensmittelgruppen.215 Ein Jahr später eröffneten die bereits 1945 von den Vereinten Nationen eingerichtete FAO und die drei Jahre später gegründete WHO ihre Zusammenarbeit mit Expertentreffen zur Ernährung in einem Joint FAO/WHO Committee on Nutrition. Im September 1955 veranlasste dieses Komitee schließlich in Genf eine Konferenz für Zusatzstoffe, bei der eine Organisation installiert wurde, die sich hauptsächlich mit den toxikologischen Aspekten der Verwendung von Zusatzstoffen beschäftigen sollte, das Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives (JECFA).216 Bei dieser gemeinsamen Tagung waren nur vier Organisationen vertreten: C. I. I. A., U. I. C. C., das Permanent International Committee on Canned Food und die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Zwölf Länder sendeten Vertreter. Für die Bundesrepublik waren dies Werner und Druckrey. Letzterer repräsentierte wiederum zusammen mit Peter Marquardt die Deutsche Forschungsgemeinschaft.217 Diese konnten dabei auf politischen Rückhalt 212 Souci, II. Symposium ; Souci, III. Symposium ; und Souci, IV. Symposium. Für einen Überblick: Organisation mondiale de la santé, Conférence mixte. 213 Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), „Kommissionen für Lebensmittelzusätze“ (23.11. und 13.12.1956), in: DFG-Archiv, Bonn, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, vom Dez. 1956 bis März 1957. Mergenthaler, Tagung; und Mergenthaler, Zweites Symposium. 214 Souci, Internationales Rundgespräch, S. 127. 215 Marchisio/Di Blasé, The Food and Agriculture Organization, S. 70. 216 WHO, Joint WHO/FAO Conference. Jas, Adapting und Marchisio/Di Blasé, The Food and Agricultural Organization. 217 WHO, Joint WHO/FAO Conference.

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bauen. Es bestehe auch ein großes Interesse, die Grundsätze der Deutschen Forschungsgemeinschaft bei WHO und FAO „zu allgemeiner Anerkennung“ zu bringen, schrieb Bundesinnenminister Schröder an Adenauer, „und dadurch die Reibungsflächen in den internationalen Handelsbeziehungen zu vermindern“. Schuld an der unkontrollierten Durchsetzung der Nahrung mit Fremdstoffen, suggerierte Schröder, hätten die Nachbarstaaten. So beklagte er, „dass wir als Gegenwert für unsre wertvollen Ausfuhrgüter zunehmend Lebensmittel vom Ausland bekommen, die zum Nachteil des deutschen Verbrauchers und der deutschen redlichen Wirtschaft erheblich an gesundheitlicher Unbedenklichkeit, an redlicher Beschaffenheit und ehrlicher Kennzeichnung zu wünschen übrig lassen“.218 Es ist schon bemerkenswert, wie hier zehn Jahre nach Kriegsende suggeriert wird, dass das redliche und ehrliche Deutschland vom Ausland bedroht werde. Butenandt und Druckrey hatten sich aber zu diesem Zeitpunkt längst auf den Weg gemacht, der Weltgemeinschaft deutsche Standards beizubringen. Wie Hans Peter Mollenhauer sich 1967 erinnerte, habe die Deutsche Forschungsgemeinschaft durch ihre Tätigkeit auf dem Gebiet der toxikologischen Überprüfung von Lebensmittelzusatzstoffen in nicht geringem Maße das Interesse internationaler Organisationen wie der WHO und der FAO an diesem Arbeitsgebiet geweckt.219 In der Vorbereitung der Genfer Konferenz kursierte ein Arbeitspapier zur Genealogie von JECFA. Bei der sechsten Weltgesundheitsversammlung im Mai 1953 traten die Delegationen Dänemarks, Norwegens und Schwedens offene Türen ein, in dem sie darauf hinwiesen, dass der gesteigerte Gebrauch verschiedener chemischer Substanzen in der Lebensmittelindustrie im letzten Jahrzehnt ein Problem des öffentlichen Gesundheitswesen hervorgebracht habe, das wissenschaftlich untersucht werden müsse. In den USA gebe es wohl 700, in Schweden 500 verschiedene Lebensmittelzusatzstoffe. Was fehle sei eine Koordinierung und Standardisierung der Forschungsaktivitäten. Die Versammlung forderte daraufhin den Vorstand dazu auf, dieses Thema auf der dreizehnten Sitzung im Januar 1954 zu behandeln. Eine vom Vorstand erlassene Resolution reduzierte den Inhalt auf vorsätzlich in Lebensmitteln verwendete chemische Zusatzstoffe, mit denen sich WHO und FAO gemeinsam befassen sollten. Das Joint FAO/WHO Expert Committee on Nutrition brachte den Hauptwiderspruch zwischen wirtschaftlichen Interessen und gesundheitspolitischen Maximen mit dem Grundsatz auf den Punkt, dass einerseits nicht durch Restriktionen zukünftige Entwicklungen etwa bei der Konservierung behindert werden dürften, dass aber ebenso die unkontrollierte Gabe von gesundheitsgefährdenden Zusatzstoffen verhindert werden müsse. Eine Konferenz sollte sich an die Arbeit machen, diesen gordischen Knoten zu zerschlagen. In dem Arbeitspapier wurde weiter hervorgehoben, dass Organisationen wie der Brüsseler Pakt, die International Union of Pure and and Applied Chemistry, das Comité international permanent de la Conserve (C. I. P. C.) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft bereits zu dem Thema ar218 Schroeder an Adenauer (Entwurf Juli 1955), in: BA Koblenz, B 142/1532. 219 Mollenhauer, „Vorläufiger Bericht an den Deutschen Bundestag über die nach dem Lebensmittelrecht zugelassenen Farbstoffe im Hinblick auf mögliche Gesundheitsstörungen“ (6.6.1967) , in: BA Koblenz, B 189/1144.

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beiteten. Die gemeinsame Aufgabe von WHO und FAO sollte es dann auch sein, diese verschiedenen Anstrengungen zu bündeln. Ein zweites Arbeitspapier, datiert auf den 5. August 1955, hob dann bereits das „Bad Godesberg meeting“ als eine bedeutsame Grundlage für die zu treffenden Maßnahmen hervor, die aber mit den Schlussfolgerungen von Delaneys Food Protection Committee abgeglichen werden müssten. Als Experten für karzinogene Effekte bestimmter Farbstoffe wurden Truhaut, Druckrey und Geoffrey Malcolm Badger genannt. Während Druckrey und Truhaut zunächst auf einer Wellenlänge waren, nahm der australische Chemiker Badger, der in London beim Krebsforscher James W. Cook seine Ausbildung erhalten hatte, eine konträre Position ein und warnte vor einer Überdramatisierung des Themas. Seien krebserregende Azofarbstoffe erst ausgeschaltet, dann bestände auch kein Anlass zur Sorge mehr. Auch der amerikanische Biochemiker Bernard L. Oser, der schon zu Beginn der 1950er Jahre lebensreformerische Positionen in der Krebsforschung kritisiert hatte, resümierte, dass ein bestimmter Grad an Risiko immer bestehen würde. Alles was geleistet werden könne, sei dieses Risiko zu minimieren. Risiken müssten gegen ernährungspolitische und ökonomische Vorteile nicht nur für Landwirte oder Verarbeiter, sondern für die Gesellschaft insgesamt abgewogen werden.220 Das Problem der möglichen Krebsentstehung durch synthetische Lebensmittelzusatzstoffe rückte zusehends in den Mittelpunkt. Wallace Ruddell Aykroyd, Direktor der Ernährungsabteilung bei der FAO, schrieb 1958 an seinen Kollegen Robert Cruickshank Burgess von der WHO, dass das Problem der Karzinogenität von größter Wichtigkeit sei. Bis es gelöst sei, könnten auch keine abschließenden Entscheidungen beider Organisationen getroffen werden.221 Ebenso wichtig war aber die Suche nach berechenbaren und anwendbaren Grenzwerten. In den Vereinigten Staaten wurde schon lange vor dem Food, Drug, and Cosmetic Act über „the concept of establishing tolerances for harmless amounts of toxic materials in foods“ diskutiert. Delaneys radikales Verdikt zu kanzerogenen Stoffen blieb eher eine Ausnahme und ein Störfaktor, zentral war eine realisierbare Unterscheidung zwischen tolerierbaren und nicht-tolerierbaren Stoffmengen, wie sie dann auch für JECFA maßgeblich werden sollte.222 Die Hauptaufgabe von JECFA bestand in der Ausarbeitung von Normen für Lebensmittelzusatzstoffe durch internationale Sachverständige.223 Zur zunächst achtköpfigen, aber bald und ständig erweiterten Expertengruppe gehörten auch wieder Dols, Druckrey und Truhaut. Druckrey blieb noch bis Mitte der 1970er Jahre Mitglied.224 Eine erste Sitzung des Expertenkomitees fand im Dezember 1956 in Rom statt. Der amerikanische Biochemiker William J. Darby fungierte

220 WHO, Conference on Food Additives/1–19, 1955, in: WHO Library. 221 A. G. van Veen an I. Nir-Grosfeld (23.4.1959) und Aykroyd an Burgess (5.11.1958), in: WHO-Archiv, F6/372/2. 222 Sandstead/Bing/Blanck/Oser/Procter/Slocum, Statement, S. 643. 223 WHO, General Principles, S. 4. Jas, Adapting. 224 Memorandum, Expert Advisory Panel on Food Additives (19.2.1973), in: WHO-Archiv, F6/136/3.

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als Vorsitzender.225 Grundsätzlich beschäftigte sich der Ausschuss mit der Festlegung allgemeiner Grundsätze bei der Anwendung von Lebensmittelzusatzstoffen. Im Rahmen der WHO mussten dabei die unterschiedlichen sozioökonomischen und klimatischen Bedingungen berücksichtigt werden. Als Zulassungskriterien für Lebensmittelzusatzstoffe galten der Erhalt der Lebensmittelqualität, die intensivere Verwertung von Nahrungsmitteln, die Herstellung attraktiverer Lebensmittel sowie die Erleichterung der Lebensmittelverarbeitung.226 Eugen Mergenthaler von der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie in München, welcher an der Tagung teilnahm, fasste erneut das bekannte widersprüchliche Credo zusammen, dass Zusatzstoffe zwar für die Herstellung gleichmäßig zusammengesetzter Lebensmittel von gleich bleibender Qualität auf einer wirtschaftlich breiten Basis unerlässlich seien, dabei jedoch die gesundheitliche Unbedenklichkeit gewährleistet sein müsste. Ebenso dürfte der Verbraucher hinsichtlich der tatsächlichen Qualität nicht getäuscht werden. Auf Zusatzstoffe sollte verzichtet werden, wenn diese dem ernährungsphysiologischen Wert schadeten und wenn durch verbesserte und wirtschaftlich tragbare Herstellungsund Verarbeitungsverfahren auf ihre Verwendung verzichtet werden könne. Neu zugelassene Stoffe sollten sich entsprechend als gesundheitlich, wirtschaftlich und technisch vorteilhaft erweisen. Zusatzstoffe für Grundnahrungsmittel sollten zudem einer besonders genauen Prüfung unterzogen werden. Vor allem bedurften die Stoffe einer genauen qualitativen und quantitativen Kontrolle. Zulässige Höchstmengen, eine Mindestkonzentration und eine ausreichende Sicherheitsspanne zur Vermeidung gesundheitlicher Nachteile beim Menschen müssten erfasst werden. JECFA fixierte also den Grundsatz, dass die absolute Ungefährlichkeit eines Stoffes bewiesen werden müsse. Auf dieser Grundlage erst sollten dann alle erlaubten Stoffe in Positivlisten aufgeführt werden. Zudem müsse der Verbraucher durch Kennzeichnung auf dem Etikett über die Anwesenheit eines Zusatzstoffes in der Nahrung unterrichtet werden. Zur Durchsetzung dieser Gebote sollten ausgebildete Lebensmittelkontrolleure, zweckmäßig ausgestattete Untersuchungslaboratorien und geeignete analytische Untersuchungsverfahren etabliert werden.227 Bis 1962 wurden von dieser Expertengruppe sechs Berichte etwa zur Durchführung von Tierversuchen, zur Feststellung der Toxizität von Lebensmittelzusatzstoffen und zur Toxizität von antimikrobiellen Stoffen und Antioxidantien veröffentlicht. Die Programmatik des JECFA entsprach also grundsätzlich den Godesberger Beschlüssen, verwandelte sich aber im Laufe der 1960er Jahre in eine Politik der Anpassung an wirtschaftliche und politische Bedingungen.228 1962 wurde eine zunächst von Staat und Industrie finanzierte Codex Alimentarius Commission eingerichtet, um die national verschiedenen Standardisierungen so zu vereinheitlichen, dass die transnationale Distribution von Lebensmit-

225 226 227 228

Ramsingh, The History, S. 79. WHO, General Principles, S. 5–9. Mergenthaler, Tagung, S. 184–185. FAO/WHO, Evaluation.

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teln gesichert war.229Als Vorbild diente der zwischen 1911 und 1917 publizierte Codex Alimentarius Austriacus und das von der C. I. I. A. auf ihrer Amsterdamer Tagung 1956 als Grundlage zur Aufstellung einheitlicher Bewertungsnormen für Lebensmittel eingeforderte Europäische Lebensmittelbuch (Codex Alimentarius Europaeensis). Dieses wurde seit der Pariser Tagung im Jahr 1958 für den Europarat erarbeitet. Der Österreicher Hans Frenzel fungierte dabei als erster Präsident des Europäischen Rates des Codex Alimentarius, 1962 gefolgt vom Berner Lebensmittelchemiker Otto Högl.230 Die in Rom, Ascona und Wageningen auf der Basis der Godesberger Beschlüsse eingeforderte Vereinheitlichung der Lebensmittelgesetzgebung sollte zunächst nur für die Mitgliederländer der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gelten. Von der EWG selbst wurde dann auch zu Beginn der 1960er Jahre eine Arbeitsgruppe „Lebensmittelrechtsangleichung“ eingerichtet.231 Dabei waren die Grundprinzipien des Verbraucherschutzes zu dieser Zeit in ganz Europa ähnlich. In den Details der Umsetzung bestanden jedoch große Unterschiede. Högl referierte, dass England und Österreich nur Richtlinien und Empfehlungen vergaben, in der Bundesrepublik, in der Schweiz und in Frankreich jedoch eine „Normierung der Anforderung“ bestand. Diese beruhte auf Positivlisten, wie sie die Schweiz schon 1926 eingeführt hatte, die in der Bundesrepublik aber erst mit der Novelle des Lebensmittelgesetzes obligatorisch geworden waren. Zudem existierten unterschiedliche Definitionen, was denn überhaupt Lebensmittelzusätze seien.232 Mit dem internationalen Codex Alimentarius von JECFA wurde dieses europäische Projekt allerdings überflüssig und 1964 im Namen der Weltwirtschaft zu einer europäischen Sektion reduziert.233 Druckrey rekapitulierte 1963, dass seine Forschungen zur Summationsthese zu einer Revision der toxikologischen Beurteilung vor allem bei Lebensmittelzusätzen geführt hätten. Damit hatte er grundsätzlich Recht, gleichwohl sollte sich die daraus abzuleitende Folgerung einer Politik der präventiven Risikovermeidung trotz Verbotsprinzips faktisch nicht durchsetzen.234 Im ersten JECFA-Bericht wurde festgestellt, dass es nicht möglich sei, absolute Gewissheit über die Unbedenklichkeit der Verwendung eines bestimmten Zusatzstoffes für alle Menschen zu gewähren. Die Interaktionen der Stoffe seien ebenso zu bedenken, wie die besondere Anfälligkeit bestimmter organisch vorgeschädigter oder physiologisch empfindlicher Menschen. Eine permanente Überprüfung der Substanzen sei unerlässlich. Auf der Tagung in Rom, die als Vorlage für den JECFA-Bericht diente, hieß es bereits, dass die Stoffe einer genauen qualitativen und quantitativen Kon229 Ramsingh, The Emergence; Ramsingh, The History; Millstone/Zwanenberg, The Evolution; und Hlavacek, Codex. 230 Hamann, Kochbuchverordnungen; Souci, II. Symposium; Souci, III. Symposium; und Souci, IV. Symposium. 231 Krusen, Das neue Lebensmittelrecht sowie „Beschlüsse des Kreises westeuropäischer Experten für Lebensmittelzusätze (Wageningen, 1956)“ und „Zweites Symposium über Fremdstoffe in Lebensmitteln. Amsterdam, 9.–12. Juli 1956“, in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, vom Juni 1955 bis Dez. 1956. 232 Souci, Internationales Rundgespräch, S. 127–128. 233 Diese Geschichte wird ausführlich erzählt von Ramsingh, The History. 234 Druckrey, Die toxikologische Beurteilung, S. 379.

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trolle bedürften. Ebenso wurden zulässige Höchstmengen und eine ausreichende Sicherheitsspanne gefordert. Das aber war mit Druckreys Summationsthese nur bedingt zu vereinbaren. Zwar wurde auch in den Godesberger Beschlüssen von Sicherheitsgrenzen gesprochen, diese mussten aber bei Tierversuchen extrem hoch sein und ließen sich für karzinogene Substanzen praktisch nicht ermitteln. Letztlich gelang es Druckrey nicht, seine Lehrmeinung im Rahmen von JECFA zu institutionalisieren, wenn er auch dazu beitrug, Tierversuche, intensive toxikologische Untersuchungen und Positivlisten (permitted lists) obligatorisch zu machen.235 Über die Relation von Dosis, Zeit und Wirkung wird seit den 1950er Jahren beständig diskutiert. Da sich exakte Daten schlicht nicht herstellen lassen, ist dabei der Verdacht einer interessengeleiteten oder ideologischen Interpretation nie von der Hand zu weisen. Zwischen Bagatellisierung und Dramatisierung wird mit Grenzwertkonzepten und toxikologischen Studien entschieden.236 Die Summationsthese, die immer auch Unsicherheit und Nichtwissen produzierte, wurde mit dem Codex Alimentarius im Laufe der 1960er Jahre zusehends in den Hintergrund gedrängt und machte einer viel geschmeidigeren Anpassung an die Marktund Handelserfordernisse Platz, für die mit dem Acceptable Daily Intake eine passende Technik der Flexibilisierung von Sicherheitsspannen und Grenzwerten gefunden wurde. Eine bedeutsame Rolle beim Übergang von der Summationsthese zum Acceptable Daily Intake spielte Truhaut, der für sich beanspruchte, Mitte der 1950er Jahre Erfinder dieses Grenzwertkonzeptes gewesen zu sein und es bei JECFA eingeführt zu haben.237 „Der ADI-Wert“, lautete Mollenhauers verständliche Definition, „gibt die Menge eines Stoffes an, die der Mensch täglich während seiner gesamten Lebenszeit ohne Schaden zu sich nehmen kann, ausgedrückt in Milligramm des Stoffes je Kilogramm Körpergewicht.“ Mit dem ADIWert wurde zwischen bedingt („conditional“) sowie bedingungslos („unconditional“) anwendbaren Stoffen und damit zwischen Zonen größter sowie geringerer Sicherheit unterschieden. Problematisch war die Extrapolierung der Ergebnisse von Tierversuchen auf den Menschen. Auch die Möglichkeit synergetischer Effekte der Zusatzstoffe beim Menschen machte es schwierig, gewisse Aussagen über die Wirkung von Lebensmittelzusatzstoffen zu treffen. Fraglich war auch die lineare Funktion zwischen Körpergewicht und verträglicher Menge an Zusatzstoffen, die größere Empfindlichkeit bestimmter Personengruppen und das mathematische Problem der Ermittlung von Durchschnittswerten.238 Seit Beginn der 1960er Jahre basieren Grenzwerte von Fremdstoffen in Nahrungsmitteln auf dem von FAO/WHO-Expertengruppen festgelegten ADI-Wert. Während Bauer, Butenandt und Druckrey versucht hatten, die Summationsthese und das Krebsparadigma zum Ausgangspunkt einer Fremdstoffpolitik zu machen, wurden diese in 235 Mergenthaler, Tagung, S. 184–185 und WHO, General Principles, S. 11–18. 236 Vogel, From, S. 668–669. Gaudillière, DES, S. 73–74. 237 Truhaut, The Concept, S. 15 und René Truhaut, „25 Years of JECFA Achievements (1956– 1981)” (http://whqlibdoc.who.int/hq/1981/ICS_FA_81_JECFA_Achievements.pdf). 238 H. P. Mollenhauer, „Die Bedeutung von Verzehrserhebungen für die Beurteilung von Zusatzstoffen“ (Manuskript), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60323, Arbeitsgruppe Festlegungen von Mengenbegrenzungen.

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den 1960er Jahren wieder zur Ausnahme normalisiert. Der ADI-Wert erwies sich als ein von wissenschaftlichen, industriellen und staatlichen Experten aushandelbares Instrument zur Modulation gesundheitspolitischer Anforderungen und spezifischer Wirtschaftsinteressen. Der ADI-Wert erwies sich als entscheidendes Instrument, um eine Politik der Risikovermeidung durch eine der Risikokalkulation zu ersetzen.239 Nachdem für über zehn Jahre von der spezifischen Situation des Buttergelbs, wie sie Druckrey und Küpfmüller in ihren Arbeiten Ende der 1940er Jahre herausgearbeitet hatten, auf Lebensmittelzusatzstoffe insgesamt rückgeschlossen wurde, begannen die beteiligten Experten Ende der 1950er Jahre damit, den Azofarbstoffen wieder einen Sonderstatus zuzuweisen. Souci führte 1960 einen Diskussionsvorschlag zur Wirkungsanalyse der Konservierungsstoffe ein, der mit einer Demarkation zwischen Farb- und Konservierungsstoffen begann. Im Gegensatz zu den Lebensmittelfarbstoffen, für die in den meisten lebensmittelrechtlichen Vorschriften keine Höchstgrenzen vorgeschrieben seien, existierten solche für Konservierungsstoffe. Von diesen Stoffen sollten aber nicht mehr verwendet werden, als unbedingt nötig sei, um die erstrebte Wirkung zu erzielen, wenn diese Menge als toxikologisch unbedenklich erachtet werden könne. Farbstoffe wurden nach der Gesamtdauer der Exposition berechnet, Konservierungsstoffe hingegen nach der täglichen Dosis. Deshalb waren sie auch berechenbar und in bestimmten Grenzen tolerierbar.240 Damit aber kulminierte auch der Grundwiderspruch zwischen Risikovermeidung und Risikokalkulation, wie ihn Elmer L. Severinghaus von der American Public Health Association zusammenfasste: Die Unmöglichkeit, Karzinogenität beim Menschen durch Tierversuche nachzuweisen, kontrastiere mit dem statistischen Konzept eines kleinsten Risikos („minimal hazard“).241 Während die gentoxische Summationsthese immer auf Risikovermeidung verwies, etablierte sich der Acceptable Daily Intake als Technik des kalkulierten Risikos. Dies zeigte sich Ende der 1960er Jahre anschaulich in der Debatte über den künstlichen Süßstoff Zyklamat.242 Künstliche Süßstoffe wurden in den 1960er Jahren zunehmend in Softdrinks und für Speiseeis verwendet, versprachen aber auch Genuss ohne Gewichtszunahme. Der Markt war heiß umkämpft und die synthetischen Süßmittel begannen den Zucker zu verdrängen. Am 10. Juni 1968 meldete jedoch der Spiegel einmal mehr eine Besorgnis erregende Nachricht. Erneut hatte eine Studie gezeigt, dass Zyklamat zu Leberschäden und zu Störungen der Blutgerinnung führen könne. Seit 1965 verwiesen mehrere Forschungsberichte auf im Tierversuch nachgewiesene embryonale Entwicklungsstörungen. Das österreichische ParacelsusInstitut entdeckte bei Experimenten mit Meerschweinchen Leberschädigungen.243 Das Bundesgesundheitsamt sah allerdings aktuell keine Notwendigkeit, Zykla239 Reinhardt, Regulierungswissen, S. 353–359; Galli/Marinovich/Lotti, Is the Acceptable Daily Intake; und Pestre, Regimes. 240 Souci/Raible, Zur Wirkungsanalyse, S. 376. 241 Severinghaus, Problems. 242 Merki, Zucker. 243 Anonym, Freundliche Würfel.

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mate zu verbieten oder ihre Verwendung einzuschränken. Ein Vergleich mit Contergan, wie er in verschiedenen Pressemeldungen vorgenommen worden sei, erklärte Rosemarie Neussel vom Gesundheitsministerium, sei nach Auskunft des Bundesgesundheitsamtes völlig abwegig: „Cyclamate seien in manchen Ländern schon jahrelang, in der Bundesrepublik ebenfalls schon seit 1963 zugelassen und würden in mehr oder weniger großen Mengen verwendet. Teratogene Schädigungen seien in dieser Zeit nicht beobachtet worden. Nach dem ADI-Wert des FAO/ WHO Experten Komitee müsse ein Mensch von 70 Kilogramm Gewicht schon 50 Süßwürfel am Tag verzehren, um irgendwie gefährdet zu sein.“244 Tierexperimente hätten keine Missbildungen, sondern nur Entwicklungsstörungen gezeigt, berichtete auch Rudi Franck vom Bundesgesundheitsamt. Seine eigenen Untersuchungen hätten ergeben, dass teratogene Wirkungen nicht zu erwarten seien, dass aber das Vorkommen des toxischen Metaboliten Cyclohexylamin bei einer gewissen, aber noch nicht näher bestimmbaren Gruppe noch kritisch erforscht werden müsse. Zyklamat sollte deshalb auf diätetische Zwecke bei Diabetikern beschränkt werden.245 Grundsätzlich waren sich die vom Bundesgesundheitsministerium zusammengetrommelten Sachverständigen einig, dass keine prinzipiellen Bedenken gegen Zyklamate beständen.246 Als die Toxikologin Jacqueline Verrett von der Food and Drug Administration 1969 dann in groß angelegten Versuchen Zyklamat in Hühnerembryos spritzte, und, wie sie es im US-Fernsehen bekannt gab, bei jedem sechsten Embryo Missbildungen feststellte, wurde im Oktober 1969 in den USA durch den Gesundheitsminister Robert H. Finch unter Verweis auf die Delaney Clause die Verwendung synthetischer Süßstoffe untersagt. Dem folgten Verbote in Großbritannien, Schweden und Belgien. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb Rainer Flöhl am 27. Oktober 1969 über „Das ‚kalkulierte Risiko‘ mit Zyklamat“. Der Süßstoff könne bei Tieren offensichtlich Krebs auslösen, lautete sein Fazit, aber bei Diabetikern sei ein „kalkuliertes Risiko“ notwendig. Damit ergab sich die zunächst unlösbare Problematik, dass nach dem Forschungsstand nicht zu entscheiden war, ob die Schädigung von Hühnerembryonen nicht doch auch auf mögliche Chromosomendefekte bei Menschen verwies: „Ist das damit verbundene Risiko dann wirklich kalkulierbar?“247 Dietrich Schmähl vom Heidelberger Krebsforschungszentrum warnte vor ungehemmtem Verbrauch der Zyklamatsüßstoffe: „Schon der Verdacht auf eine krebsauslösende Wirkung lasse es nicht länger vertretbar erscheinen, daß sich Gesunde ihre tägliche Kost mit Zyklamat versüßen, nur um dem modischen Trend zu schlankem Wuchs Tribut zu zollen.“248 Auch das bundesdeutsche Gesundheitsministerium 244 Neussel, Referat II B 4, Betr. Süßstoffe (21.6.1968), in: BA Koblenz, B 189/1175, 1 von 3. 245 Rudi Franck, Betr. Regelung des Verkehrs mit Süßstoff; hier: Zulassung von Cyclamat (10.10.1968), in: BA Koblenz, B 189/1175, 1 von 3. 246 II B 3, Ergenisprotokoll des Sachverständigengesprächs über Cyclamate im Bundesministerium für Gesundheitswesen am 10. Dezember 1968, in: BA Koblenz, B 189/1175, 1 von 3. 247 Rainer Flöhl „Das ‚kalkulierte Risiko‘ mit Zyklamat. Weitere Versuche mit dem kalorienfeien Süßstoff sind nötig / Symposion der Deutschen Gesellschaft für Ernährung“ (Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 27. Oktober 1969), in: BA Koblenz, B 189/1175, 1 von 3. Turner, The Delaney Anticancer Clause. 248 Anonym, Bedenkliche Süße.

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sah sich genötigt, eine Presseerklärung herauszugeben, nach welcher der Vertrieb von Zyklamat in Reinsubstanz oder in Mischungen nur über Apotheken gestattet sein solle. Zyklamat sollte nur bei diätetischen Lebensmitteln verwendet werden und für das Produkt sollte nicht geworben werden. In Zusammenarbeit mit der Arzneimittelkommission der Ärzteschaft war auch angestrebt, dass es nicht mehr zur Geschmackskorrigenz in Arzneimitteln Anwendung finde.249 Im November 1969 wurde das Thema dann auch im Bundestag diskutiert. Dabei verwies Käte Strobel, mittlerweile Gesundheitsministerin, auf ein Symposion der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, das ergeben habe, dass keine Gefahr für die Bevölkerung bestehe. Auch das amerikanische Gesundheitsministerium betone, dass keinerlei Beweis für eine krebserregende Wirkung vorliege. Vor allem sei in den Experimenten, die für öffentliches Aufsehen gesorgt hätten, eine außerordentlich hohe Dosierung verwendet worden.250 Grundsätzlich wurde Zyklamat in der Debatte der 1960er und 70er Jahre – anders als Buttergelb in den 1940er und 50er Jahren – als ein Grenzwertproblem erfasst. FAO und WHO hatten einen ADI-Wert von 50 mg pro Kilogramm festgelegt, bei dem, so hieß es, keine gesundheitlichen Schädigungen zu befürchten seien.251 Aber weder konnte der ADI-Wert beruhigen und Vertrauen herstellen, noch die Problematik irgendwie lösen. Zugleich verwies das Nichtwissen beiderseits auf die Möglichkeit interessengeleiteter Intervention. Die Süßstoffindustrie – Assugrin, Natreen und Ilgonetten – war jedenfalls mobilisiert und bemühte sich nach Kräften, die Verdächtigungen gerade ob der nicht wirklich stichhaltigen Ergebnisse auf Basis von Tierversuchen in Frage zu stellen. Zugleich kam der Verdacht auf, die Forschungsergebnisse seien durch ganz andere Interessen lanciert worden. Nepomuk Zöllner von der Medizinischen Poliklinik der Universität München vermutete im Dezember 1969 eine „gesteuerte Maßnahme“ der Zuckerindustrie: „Die Vermutung liegt nahe, dass eine Hysterie erzeugt werden soll, um die Voraussetzungen für eine Gesetzgebung zugunsten der EWG-Zuckerrübenbauern zu schaffen.“ Zöllner problematisierte auch die Schlussfolgerungen der Gutachten und rekurrierte dabei eben auf das Kernproblem des wissenschaftlichen Nichtwissens: „In dem Bericht wird also, obwohl ungünstige Wirkungen nicht gezeigt werden konnten, auf Grund theoretischer Argumente, für die ebenfalls experimentelle Grundlagen fehlen, eine Schlussfolgerung gezogen und eine Empfehlung ausgesprochen. Einer wissenschaftlichen Diskussion ist damit die Grundlage entzogen, denn die Naturwissenschaft und die Medizin kann nur über Befunde und über experimentell ausreichend gestützte Theorien reden.“252 Für 249 Bundesministerium für Gesundheitswesen, Mitteilung für die Presse (22.10.1969), in: BA Koblenz, B 189/1175, 2 von 3. 250 Deutscher Bundestag – 6. Wahlperiode – 9. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 6. November 1969, S. 288–289. Antworten erarbeiten von Referent Neussel (II B 4), in: BA Koblenz, B 189/1175, 1 von 3. 251 H. Hofmann, Experimentelle Untersuchungen zur Wirkung der Cyclamate, in: BA Koblenz, B 189/1175, 1 von 3. 252 Zöllner an Manger-Koenig, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (19.12.1968), in: BA Koblenz, B 189/1175, 1 von 3.

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ihn war damit klar, dass Zyklamat mangels Gegenbeweisen zugelassen werden müsste, was der mittlerweile fast schon vergessenen Intention der Gesetzesnovelle von 1958 widersprach. Gerhard Jungmann schrieb 1970 im Fachblatt Der Diabetiker, dass Tierversuche nicht beweiskräftig seien. Deshalb habe das amerikanische Gesundheitsministerium das Verbot auch aufgehoben und nur noch Beschränkungen erlassen, während in der Bundesrepublik auf Drängen der Gesundheitsministerin die zyklamatherstellende Industrie sich selbst beschränke. Der Verkauf sei jedoch im Dezember 1969 wieder in Apotheken ebenso wie in Drogerien, Reformhäusern und durch den gesamten Einzelhandel freigegeben worden. Der „Zyklamat-Alarm“ sei also im Wesentlichen ein blinder Alarm gewesen. Jungmann hatte den Verdacht, dass der amerikanische Verbraucherschützer Ralph Nader zusammen mit Senator Warren G. Magnuson aus dem Bundesstaat Washington, wo es zahlreiche große Zuckerfabriken gab, in den USA die Pressekampagne angezettelt habe. Auch der österreichische Artikel aus der Paracelsus-Klinik sei im Auftrag und mit Hilfe der westdeutschen Zuckerwirtschaft verfasst worden.253 Damit war aber keineswegs, wie Jungmann triumphierte, der Streit über Zyklamat beendet. Im März 1970 unterstrich die Food and Drug Administration noch einmal die Entscheidung vom Oktober 1969; die Verwendung von Zyklamaten in Lebensmitteln ist in den Vereinigten Staaten seit September 1970 verboten. Für diätetische Lebensmittel gilt eine strenge Kennzeichnungspflicht.254 Während sich also in den USA noch einmal Delaneys Gebot der Risikovermeidung durchsetzte, wurden in Europa Höchstmengen festgelegt, war also eine Politik der Risikokalkulation maßgeblich.255 Seit 1975 ist der von JECFA erstellte ADI-Wert verbindlich. Der Codex Alimentarius, so der Wissenschaftshistoriker Dominique Pestre, wurde zudem von der World Trade Organization (WTO) zur wissenschaftlichen Referenz für das internationale Wirtschaftsrecht gemacht. Er sollte minimale Sicherheitsnormen für Nahrungsmittel bereitstellen, wobei es zunächst den einzelnen Regierungen und anderen Organisationen überlassen war, striktere Gesetze zu fordern und einzuführen. Pestre spricht entsprechend von einer Instrumentalisierung des Codex durch die World Trade Organization. Alle Staaten mussten den ADI akzeptieren, sollten sie nicht gegen die Regularien des Marktes verstoßen. Eine nationale Gesetzesverschärfung war dementsprechend unfairer Wettbewerb. Globalisierte Marktregeln bestimmten lokale Gesundheitsvorschriften.256 Grenzwerte, auch der Wissenschaftshistoriker Carsten Reinhardt weist darauf hin, sind Steuerungsinstrumente, sie funktionieren als Regulierungswissen, „das Staat, Wirtschaft und Wissenschaft verbindet“ und ermöglichen dabei Handlungsfähigkeit sowie eine gewisse Scheinsicherheit.257 Für Naturheilkundler und Lebensreformer beruhten 253 Jungmann, Zyklamat-Alarm. 254 Neussel, Betr. Cyclamat; hier: Angebliche Verschärfung des Verbots in den USA (31.8.1970), in: BA Koblenz, B 189/1175, 1 von 3. 255 Pressemeldungen über das Verbot von Zyklamat in den USA finden sich in: BA Koblenz, B 189/1175, 1 von 3. 256 Pestre, Regimes, S. 257. Auch Ramsingh, The History, S. 95–99. 257 Reinhardt, Regulierungswissen, S. 351, 359.

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Grenzwertkonzepte hingegen auf dem eigentlich überholten linear-kausalen Denken und widersprachen einer ganzheitlichen Denkweise. Eine quantitative Definition des Zivilisationsschadens sei nie zustande gekommen, argumentierte mit Karl Kötschau ein Haupttheoretiker des puristischen Diskurses. Man lasse es dabei, Maximaldosen für Gifte festzulegen, und glaube auch, mit den Industriegiften und all jenen zahlreichen physikalisch-chemischen Einwirkungen einschließlich der Chemotherapeutika quantitativ fertig zu werden, ohne zu berücksichtigen, dass der Mensch in seiner eigengesetzlichen Reaktion durchaus qualitativ verfahre. Es sei aber, wie dies auch die Homöopathie lehre, unmöglich, quantitative Grenzdosen festzulegen: „Es geht also nicht an, die Möglichkeit der Schädigung bestreiten zu wollen, wenn irgendwelche Grenzdosen nicht erreicht sind. Ebendies gibt es, worauf Druckrey eindrucksvoll hinweist, Einwirkungen, die nicht verloren gehen, sondern sich auch in kleinsten Teilbeträgen summieren, wozu bestimmte Strahlen, z. B. die atomaren und auch gewisse carcinogene Stoffe gehören. Sie sind in jedem Falle und bei jeder Dosis Schadensfaktoren.“258 Grenzwerte sind politische Werte und wissenschaftlich im Rahmen von neu installierten Institutionen in aller Regel schwer zu fixieren. Sie sind spezifisch aushandelbaren Interessen anpassbar. Zudem gelten sie maßgeblich für toxische Stoffe. Die Frage, ob bei Karzinogenen überhaupt Grenzwerte ermittelt werden können, ist auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch ungelöst.259 Toxische Gesamtsituationen und Toxische Gesamtangstmacherei. Apokalyptische Visionen einer vergifteten Umwelt „Den verwegenen Schritten gewisser Kreise der heutigen Lebensmitteltechnik muß mit kraftvollen, nachhaltigen Argumenten entgegengetreten werden, die sich herleiten aus der elementaren Gewißheit ewiger Naturkräfte.“260

Das Summationskonzept der Fremdstoffe verlor um 1960 deutlich an politischer Relevanz und wurde durch das flexible Toleranzprinzip des Acceptable Daily Intake ersetzt. Es blieb aber aufgehoben im Narrativ einer Totalität der zivilisatorischen Vergiftungen. Zu Beginn der 1950er Jahre häuften sich Publikationen, die eine Vergiftung der Lebensmittel thematisierten. Die Chemikerin Elisabeth Tornow, selbst Autorin des 1952 erschienenen Nachweis von Gift und Unkraut im Getreide und Mehl, gab eine Neuauflage von Lenzners Gift in der Nahrung heraus. Götz Ohly übersetzte 1953 Lewis Herbers The Problem of Chemicals in Food unter dem Titel Lebensgefährliche Lebensmittel ins Deutsche. Wolfgang von Haller, Gründer der Gesellschaft Boden und Gesundheit e. V., warnte 1956 in Vergiftung durch Schutzmittel vor gesundheitlichen Gefahren im Pflanzen-, Vorrats- und Materialschutz sowie in der Hygiene, konstatierte also eine allumfassende chemische Be-

258 Kötschau, Definition, S. 61–62. 259 Neumann, Risk Assessment. 260 Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. III.

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drohung.261 All diese ernährungsreformerischen und naturheilkundlichen Schriften beantworten aber keineswegs die Frage, was denn eigentlich Gift sei und ob bei Lebensmittelzusatzstoffen der Begriff Gift angemessen sei. Bedeutungsvoll ist aber, dass Gift nicht als seltene Ausnahme, sondern als die Regel in der technisierten und chemisierten Zivilisation erschien. Das 20. Jahrhundert durchzog im deutschsprachigen Raum ein immer wieder medial mobilisierbarer Giftdiskurs, wie er besonders eindringlich in der „Erntedankfest” betitelten Folge der TV-Serie Ein Herz und eine Seele vom 1. Oktober 1973 dargestellt wurde. Heinz Schubert in seiner Paraderolle als „Ekel“ Alfred Tetzlaff lebt dabei den humorlosen Schrebergärtner und Naturapostel in sich aus, der seiner Familie predigt, dass alle Lebensmittel vergiftet seien, nur eigene Hühner wären giftfrei. Das Giftnarrativ treibt er dabei ins Absurde, indem er mit gewisser Begeisterung fantasiert, bei der Vergiftung der Lebensmittel handle es sich um ein Komplott der „Sozis“, die ein degeneriertes Volk brauchten. Explizite Kritik an dieser Verwendung des Giftbegriffs war selten. Der Oberstaatsanwalt Karl-Heinz Nüse, der die Novelle des Lebensmittelgesetzes prinzipiell begrüßte, verwies darauf, dass im Großen und Ganzen die Rechtspflege aber auch so in der Lage sei, den Verbraucher wirksam zu schützen: „Von der Möglichkeit etwa gar einer Vergiftung der Bevölkerung nach geltendem Recht kann nicht ernstlich die Rede sein.“ Was es alleine brauche, so Nüse, seien ausreichende personelle und sachliche Mittel für die Lebensmittelüberwachung, um den Verbraucherschutz auch praktisch durchführen zu können.262 Fritz Eichholtz, Direktor des Pharmakologischen Instituts der Universität Heidelberg, prägte Mitte der 1950er Jahre den Begriff „toxische Gesamtsituation“, um das „Heer der chemischen Zusatzstoffe“ zu bezeichnen, denen einzeln, kombiniert oder synergistisch toxische Wirkungen zukämen. Im deutschsprachigen Raum war Eichholtz’ Wortschöpfung bis weit in die 1960er Jahre allgemein bekannt und wurde in der Presse sowie im Fernsehen verbreitet. Das Schlagwort von der toxischen Gesamtsituation sollte sich als äußerst wirksam erweisen, um die Kritik an Lebensmittelzusätzen zu bündeln.263 In seiner 1956 erschienenen aufrüttelnden Kampfschrift Die toxische Gesamtsituation auf dem Gebiet der menschlichen Ernährung, die in großen Teilen allerdings einen wissenschaftlichen Stil bewahrte, beklagte Eichholtz, dass Verbesserungen der Ernährungssituation und technischer Fortschritt mit „Einbuße an Sicherheit und Stabilität der menschlichen Existenz“ erkauft worden seien. Chemische Stoffe seien sicherlich nicht an sich schädlich, gleichwohl fänden sich unter den chemischen Stoffen, mit denen Lebensmittel behandelt würden, „einige mit heimtückischer Wirkung, wahre Erzbösewichte“. Das Problem sei längst der wissenschaftlichen Kontrolle entglitten. Vor allem auf dem Gebiet der „möglichen Mischungen von Dutzenden und Hunderten chemischer Stoffe in unseren Lebensmitteln“ stießen die Forschungsmöglichkeiten an ihre Grenzen. Es handle sich dabei, so Eichholtz, um eine Wissenschaft, die noch gar nicht existiere.264 Eichholtz sprach von der „Ubiquität 261 262 263 264

Haller, Vergiftung und Herber/Ohly, Lebensgefährliche Lebensmittel. Nüse, Verbraucherschutz, S. 243. Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. III. Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. IV.

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gefährlicher Gifte“, relativierte in seiner Schrift Vom Streit der Gelehrten aber, dass er niemals von planmäßiger Vergiftung gesprochen habe.265 Die „toxische Gesamtsituation“ meinte eine Potenzierung der Wirkung durch ein zweites Gift, durch Fermentgifte, Katalyse und Co-Karzinogene, aber auch fehlende Stoffe. Es ist die „Gesamtheit der Gifte“, die von der Wissenschaft nicht erfasst und nicht kontrolliert werden kann.266 Das bedeutete auch, dass kleinste Mengen an Giften nicht toleriert werden konnten. Die übliche Entschuldigung beim Zusatz chemischer Substanzen zu Lebensmitteln bestehe ja darin, bemerkte Eichholtz, dass die Mengen solcher Stoffe fast immer äußerst gering seien. Entscheidend sei jedoch die unüberschaubare Gesamtmenge an schädlichen Substanzen. Das Opfer all dieser Argumente sei der Konsument, der in seiner Nahrung nicht eine, sondern viele Substanzen zu sich nehme: „Die Summe nämlich dieser kleinen Quantitäten wird zu einer Einheit, die betrachtet werden muß als eine schwere Drohung für die Gesundheit des Konsumenten.“267 Eichholtz, der während des Nationalsozialismus Pharmakologie und Ernährung verbunden sowie den „biologischen Gedanken in der naturwissenschaftlichen Medizin“ vertreten hatte, wandte sich also auch gegen eine isolierte Betrachtungsweise körperlicher Vorgänge.268 Seit Claude Bernard bestehe der Gedanke, dass auf das Verständnis des Ganzen verzichtet werden könne und es genüge, Teilfunktionen zu beherrschen, um Fortschritte zu erzielen. Zudem gelte in der Wissenschaft die Lehre, dass alle Erscheinungen, die mit chemisch-physikalischen Mitteln nicht zu erfassen seien, als rational unhaltbar zu gelten hätten. Diese geistigen Grundlagen seien die Grundlage der modernen Medizin, sie führten aber andererseits, formulierte Eichholtz ein weiteres Diktum der Krise der Medizin, geradlinig zur heutigen toxischen Gesamtsituation.269 Auch Druckrey hatte auf die potenzierte und kombinierte Wirkung von Stoffen, auf „überadditive Kombinationswirkungen“, hingewiesen und damit die Grundlage eines synergistischen Denkens in Bezug auf Fremdstoffe geliefert.270 Eichholtz positionierte sich in den 1950er Jahren entschieden gegen das geltende Lebensmittelgesetz, das es erlaube, „den Lebensmitteln beliebig viele chemische Substanzen zuzusetzen und dieses zu verschweigen“. Eine solche Gesetzgebung bestreite dem Konsumenten das Recht, zu wissen, was er für sich und seine Familie kaufe; sie diene mehr dem Schutz der Chemikalien in den Lebensmitteln als dem Schutz des Konsumenten.271 Genau hier begann aber auch die Verantwortung der Medizin, denn dem Arzt obliege es, „Sorge zu tragen, daß potentielle Gifte vom Menschen ferngehalten werden. Dies gilt besonders für alle Gifte mit irreversibler Wirkung, auch in kleinster Dosis“.272 Zum Grundprinzip der Lehre von der toxi265 266 267 268 269 270 271 272

Eichholtz, Vom Streit, S. 5 und Eichholtz, Chemikalien, S. 377. Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. 89–94. Eichholtz, Chemikalien, S. 380. Eichholtz, Der biologische Gedanke. Eichholtz, Die Verantwortung, S. 90–91. Druckrey/Küpfmüller, Dosis, S. 623–626. Eichholtz, Chemikalien, S. 373. Eichholtz, Vom Streit, S. 78–79, 83.

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schen Gesamtsituation, fasste Eichholtz noch einmal 1967 zusammen, gehöre Druckreys Regel, dass viele kleinste Dosen, als Gesamtmenge berechnet, sogar stärker kanzerogen wirken könnten als eine einzige große Dosis.273 Eichholtz’ Schriften waren scharf formuliert, das Buch zur toxischen Gesamtsituation deklarierte er offensiv als ein „Dokument der Abwehr“ und richtete es explizit gegen „fragwürdige oder gar bedrohliche Leistungen des Menschengeistes auf dem Gebiet der Ernährung“.274 Zugleich fügten sich seine professoral autorisierten Einlassungen auch in den seit den 1930er Jahren hegemonialen präventionistischzivilisationskritischen Diskurs. Vorbeugen sei besser als heilen, lautete sein Grundsatz, der Gesetzgeber müsse auf dem großen Gebiet der Zivilisationskrankheiten entsprechend agieren. Zudem müsse die deutsche Konsumentenschaft über Volksgesundheit und sich von Jahr zu Jahr verschlimmernde Zivilisationskrankheiten aufgeklärt werden, um wiederum entsprechend auf die kommende Gesetzgebung einzuwirken.275 Eichholtz war dabei durchaus gewillt, alle Gutwilligen auch aus der Lebensmittelindustrie zu integrieren. Die größten Hoffnungen setzte er neben der Selbstvertretung der Konsumierenden aber auf die „Vorkämpfer einer besseren Ernährung“. Jedoch hätten sich diese Männer in Gegensatz zu den Interessen von Staat und Industrie begeben und würden nunmehr als Puristen verhöhnt.276 Eichholtz selbst schwankte zwischen pragmatischen Positionen der Risikokalkulation und radikalen Aussagen der Risikovorbeugung. So schränkte er zwar ein, dass auch bei gewissenhafter Untersuchung ein Restrisiko bleibe und dass dieses gegen den möglicherweise dadurch für den Konsumenten entstehenden Vorteil abgewogen werden müsse, um im nächsten Satz anzuschließen, dass es verständlich sei, wenn man unter solchen Umständen für ein völliges Verbot der künstlichen Färbung von Lebensmitteln eintrete.277 Eichholtz orientierte sich ähnlich wie Butenandt und Druckrey an der internationalen Entwicklung. Er bewunderte die belgische Ligue pour la prevention du cancer unter René Reding, bezog sich aber vor allem auf die strenge amerikanische Risikopolitik unter Delaney.278 Im Dezember 1953 fasste Eichholtz im Rahmen einer Sitzung der Konservierungsmittelkommission Eindrücke einer USA-Reise zusammen, aus denen er zugleich eine biologische Niedergangsgeschichte des Menschen in einer vergifteten Umwelt ableitete. Es sei Allgemeingut der Wissenschaft, dass zwischen Individuum und Umgebung Wechselbeziehungen beständen. Wenn Veränderungen in der Umwelt aufträten, welche die Anpassungsfähigkeit der Individuen überstiegen, so sei das Individuum oder die ganze Art zum Aussterben verurteilt. Die Frage, auf die Eichholtz seine Ausführungen zuspitzte, lautete, wie biologisch anpassungsfähig der Mensch eigentlich sei und ob eine Grenze in den Großstädten bereits überschritten sei: „Ist es möglich, dass wir mit jeder neuen chemischen Substanz, die wir in die Lebensmittel einführen, 273 274 275 276 277 278

Eichholtz, Geschichtliches, S. 162. Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. III. Eichholtz, Vom Streit, S. 6, 84, 86. Eichholtz, Vom Streit, S. 91. Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. 11. Eichholtz, Vom Streit, S. 84–87 und Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. 15–17.

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den Grenzen der Anpassungsfähigkeit näher kommen?“ Eichholtz sah eine durchgreifende Lösungsmöglichkeit für dieses Problem weniger in der Regulierungsarbeit etwa der Farbstoffkommission, als in einer letztlich autarken Lebensund Produktionsweise. Auch Lenzner hatte schon zu Beginn der 1930er Jahre für eine Siedlungsreform plädiert. Der Einzelne müsse sich gegen eine „Überflutung mit Chemikalien“ so schützen, „dass er im eigenen Garten, in der eigenen Wirtschaft unverfälschte Nahrungsmittel erzeugt, selbst sein Brot bäckt u. a.“, pointierte Eichholtz diese Position. Dies aber schien ihm nach seinen Erfahrungen in den USA nicht möglich, mit solchen Ideen würde man dort zur Gruppe der Moralisten gezählt werden. Für Deutschland und Europa bestand die Rettung aber im eigenen Garten, der weitgehend freimache von den gesundheitlichen Bedrohungen der Umwelt.279 In der Bundesrepublik galt Eichholtz selbst in den 1950er Jahren in der Tat weniger als ein Moralist denn als ein „Purist“. Nicht alle Fachkollegen waren mit seiner forschen Art des Eintretens für eine Nulltoleranzpolitik einverstanden.280 Es war namentlich Werner Schulemann, Direktor des Pharmakologischen Instituts der Universität Bonn, der Eichholtz’ entschiedene Position bekämpfte. Nach Schulemann, der schon der Konservierungsmittelkommission mangelnde experimentelle Untersuchungen und vorschnelle Urteile vorwarf, ergebe sich die Bezeichnung eines Stoffes als Nährstoff, Arzneistoff oder Giftstoff aus seinem jeweiligen Verwendungszweck und seiner Dosierung und nicht aus seinen chemischen, physikalischen und biologischen Eigenschaften. Vor allem aber könne beim Kampf gegen Viren, Bakterien oder Pilze nicht auf chemische Stoffe verzichtet werden. Die Konservierung diene vor allem der Erhaltung der Nährstoffe, dem Schutz vor Zersetzungsprodukten sowie dem Erhalt des Geschmacks und des Aussehens. Daraus ergab sich für Schulemann der politische Schluss, dass Produktionssteigerung und Ertragserhaltung mit dem Schutz der Konsumenten und Arbeiter vereinbart werden müsse. Schulemann polemisierte einerseits gegen jene „Schädlinge“ aus dem Kreis der Unternehmer, die Zusatzstoffe verschweigen wollten, andererseits gegen jene „Puristen“, „die die Anwendung von Schädlingsbekämpfungs-, Vorratshaltungs- und Konservierungsmitteln sowie Zusatzstoffen jeder Art einschließlich Farbstoffe einfach gesetzlich verbieten (wollen)“. Diese mehr oder weniger weltfremden, aber selbstlosen Propheten, erregte sich Schulemann, wählten oft seltsame Wege, um ihr Ziel zu erreichen, sie bedienten sich dabei auch einer eigenen Sprache und operierten oft mit der Aufstellung unbewiesener Behauptungen oder starker Übertreibungen. Im direkten Bezug auf Eichholtz’ Buch zur toxischen Gesamtsituation, dem dieser den Untertitel „Um279 F. Eichholtz, „Bericht über die Anwendbarkeit chemischer Konservierungsmittel in den USA“ (ohne Datum), in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II. Zum Lob der Schrebergärten: Eichholtz, Vom Streit, S. 86. 280 Heckmann, Vermerk (25.11.1963), in: BA Koblenz, B 227/050527. Christoph Wolff, „Für und wider Prof. Eichholtz’ umstrittene Thesen. Schädliche Stoffe in unserer Nahrung? Chemische Zusätze sind nicht immer gefährlich – Aber selbst Salz kann zu Gift werden“ (Die Welt, 17.7.1956), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, vom Juni 1955 bis Dez. 1956.

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risse einer unbekannten Wissenschaft“ gegeben hatte, bemerkte Schulemann spitzfindig (und mutwillig missverstehend), dass die Toxikologie eben nicht unbekannt sei, sondern von der DFG und der Biologischen Bundesanstalt in Braunschweig betrieben werde, ja schon vom Reichsgesundheitsamt unter Eugen Rost eingeführt worden sei. Für Schulemann selbst war die streng kontrollierte Konservierung von Lebensmitteln aufgrund des Bevölkerungszuwachses und des Mehrbedarfs an Lebensmitteln unumgänglich.281 Im September 1957 war Schulemann auch auf der Tagung der reformerisch-puristischen Vitalstoffgesellschaft in Stuttgart anwesend. In der Diskussion zur Sektion „Fremdstoffe der Nahrung“, bei der Eichholtz „zur Bagatellisierung des Nahrungs-Fremdstoff-Problems“ gesprochen hatte, meldete er sich zu Wort. In der Formulierung von Eichholtz’ Artikel sah er eine subjektive Unterstellung, denn auch er hoffe, dass bald ein neues Lebensmittelgesetz in Kraft trete, an dem er experimentell mitzuarbeiten gedenke, um die erforderlichen Unterlagen zu schaffen. Schulemann argumentierte auf dem Standpunkt der reinen, politikfreien Wissenschaft, die alleine durch Fakten zur Problemlösung beitragen könne. Davon fühlte sich aber wiederum Eichholtz angegriffen und in seinem Status als Professor der Pharmakologie abgewertet: In der Diskussion sei keine seiner vorgebrachten Argumente widerlegt, noch sei darauf eingegangen und überhaupt sei zum Thema nichts vorgebracht worden.282 Der Würzburger Toxikologe Wilhelm Neumann kanzelte seinen Kollegen Eichholtz in einem Artikel über „Gegenwartsprobleme der Toxikologie“ vor allem deshalb ab, weil dieser für seine maßlos übertriebenen Behauptungen überhaupt keine nachprüfbaren Unterlagen angefügt habe. Zudem gebe es keine wissenschaftlichen Beweise für eine Potenzierung von Effekten und auch von einer Addition toxischer Wirkungen könne nicht gesprochen werden.283 Und auch Souci distanzierte sich von Eichholtz’ strengem Standpunkt. Das Leben, so formulierte er einen Allgemeinplatz der Risikodebatte, sei an sich mit Gefahrenmomenten verbunden. Gewiss habe Eichholtz recht, wenn er darauf hinweise, dass wir über viele Zusammenhänge nicht oder nur unzureichend unterrichtet seien, berichtete er dem Spiegel, gerade deshalb sei es ja das Ziel, die Möglichkeiten einer Schädigung auf ein tragbares Minimum zu reduzieren, indem die Liste der zuzulassenden Stoffe möglichst klein gehalten werde. Die Gegner von Professor Eichholtz hätten aber auch Recht, „denn eine garantierte Ausschaltung jedweder Schädigungsmöglichkeit, möge sie noch so fernliegen, würde völlig ins Uferlose führen und mit unserer gegebenen und gewünschten Lebensweise kaum mehr vereinbar sein“. Man müsse den Mittelweg zwischen den Extremen einschlagen, schlug Souci eine Bresche für die unkorrumpierbaren und politikfernen wissenschaftli281 W. Schulemann, „Zusatzstoffe zu Lebensmitteln“ (Die Ernährungswirtschaft, Sonderdruck aus Heft 6/1956), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, vom Juni 1955 bis Dez. 1956. Zur Kritik an der Konservierungsmittelkommission: Vermerk, Schiel (29.4.1957), Souci an Schiel (29.4.1957), Schiel an Schulemann (10.5.1957) in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, vom Dez. 1956 bis März 1957. 282 Schweigart, Fremdstoffe (1957), S. 46. 283 Neumann, Gegenwartsprobleme, S. 24–30.

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chen Experten.284 In diesem Sinne forderte auch Druckrey, dass sich die Kommissionen nur von wissenschaftlichen Erkenntnissen leiten lassen dürften, „unbeirrt vom Streit der Meinungen, und unbeeinflußt von Extremisten beider Richtungen, die entweder jede Färbung von Lebensmitteln verbieten wollten oder die die möglichen Gefahren zu bagatellisieren versuchten“. Druckrey bezog sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine entstandene Frontstellung, machte jedoch klar, dass im Zweifel zugunsten des Gesundheitsschutzes und für den Verbraucher entschieden werden müsste. Diese vorsichtige Einstellung, so positionierte er sich, diene nicht nur dem Wohle der Allgemeinheit, sondern schütze auch die Industrie vor Risiken und gebe ihr zuverlässige Grundlagen.285 Es ging in diesem Streit immer auch um das Nichtwissen und die sich daraus ergebende Risikopolitik, die puristische Risikovermeidung oder die expertische Risikokalkulation. Wenn zum Problem der Lebensmittelzusatzstoffe kaum eindeutiges Wissen erarbeitet werden konnte, dann wurde über die Zulassung prekärer Stoffe auch nicht durch Wissen entschieden. Erich Fechner, nicht nur Mitglied der Vitalstoffgesellschaft, sondern auch Rechtssoziologe, schrieb dazu, dass es bei der naturwissenschaftlichen Betrachtung um Sachfeststellung gehe, die rechtliche Betrachtung dagegen unmittelbar den Menschen betreffe. Es handle sich also um völlig verschiedene Zwecke, die entsprechend unterschiedliche Betrachtungsweisen forderten. An die Stelle des exakten Nachweises naturwissenschaftlicher Kausalität trete im Bereich des Rechtsschutzes die Wahrscheinlichkeit. Die Vermischung beider Sphären beruhe auf unklarem Denken oder bewusster Irreführung und sei „ein Stück moderner Barbarei“. Fechner sagte dies ausdrücklich in Verteidigung von Eichholtz und als Anklage gegen eine „Verharmlosungspropaganda“, die stets auch mit dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit hantierte. Fechner spielte dabei durchaus darauf an, dass wirtschaftliche Interessen die wissenschaftliche Meinungsbildung prägten und damit zugleich die Volksgesundheit schädigten.286 Aber sogar noch 1963 polemisierte der Mediziner Karl Oberdisse auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gegen Schlagworte wie „toxische Gesamtsituation“ oder „Pflanzenfett ist gesünder als Tierfett“, die zeigten, dass in der Ernährungswissenschaft noch zu viel Spekulation und zu wenig exaktes Wissen vorhanden sei.287 Das Schlagwort von der toxischen Gesamtsituation war bis weit in die 1960er Jahre wirksam und blieb, wenn es auch wissenschaftlich keine Verwendung fand, ein bedeutsamer Referenzpunkt für die Verbraucher- und entstehende Umweltbewegung.288 Am 20. August 1965 strahlte das Erste Programm des Deutschen Fernsehens einen Beitrag des für Gesundheitsthemen zuständigen Fernsehjournalisten Horst Kleinheisterkamp mit dem Titel „Vergiften wir uns selbst?“ aus, bei der Eichholtz als Experte auftrat. Angekündigt war der Film als Schilderung des Tagesablaufs einer Familie, welche die Gefahren aufzeige, denen diese durch Zivilisationsgifte ausgesetzt sei. Themen des Films waren 284 285 286 287 288

Anonym, Gift, S. 46. Druckrey, Die toxikologische Beurteilung, S. 380. Fechner, Aktuelle gesundheitliche Fragen, S. 173. Zudem: Fechner, Wirtschaftliche Interessen. Heckmann, Vermerk (25.11.1963), in: BA Koblenz, B 227/050527. Fritzen, Gesünder leben, S. 259–260.

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die Gefahren im Wasser, auf der Straße, in der Nahrung, Zigaretten, Alkohol, Medikamente, radioaktive Strahlen, schließlich die kummulative Gesamtwirkung dieser Gifte. In der Welt erschien sogleich eine herbe Kritik unter dem Aufmacher „Toxische Gesamtangstmacherei“. Dieses Wortspiel hatte der Wissenschaftsjournalist Friedrich Deich ersonnen, der Eichholtz’ Konzept summierter Giftwirkungen, jedenfalls so wie es im Fernsehen dargestellt worden sei, schlicht für falsch hielt. Das Grundproblem, so führte er in einem Artikel zu „Gesundheitserziehung und Presse“ aus, sei dabei die Uneinigkeit der Ärzteschaft selbst, die eine wahre gesundheitliche Aufklärung behindere. Deich war dann selbst gewisser Kritik ausgesetzt, die ihn der „Verniedlichung oder Bagatellisierung des Giftproblems der Umwelt“ zichtigte. Man habe ihm vorgeworfen von der Industrie bestochen zu sein, um die Giftwirkung der Schädlingsbekämpfungsmittel zu verharmlosen. Deich sah es wiederum als Verhamlosung an, der additiven Wirkung von Giften mehr Bedeutung zuzuweisen als einem einzelnen Gift wie Nikotin oder DDT.289 Was von der toxischen Gesamtsituation blieb war die Vorstellung, dass es eine allgemeine Vergiftung der Umwelt gebe. Unter dem Schlagwort „Umweltgifte“ konnte der Homöopath Christian Hagen 1974 zufrieden resümieren, dass diejenigen, „die vor Jahren noch von einer ‚Toxischen Gesamt-Angstmacherei‘ redeten und schrieben“, verstummt seien und hätten erkennen müssen, „daß wir mitten in der Toxischen Gesamtsituation stehen“. Die chemische Giftflut, die über uns hereingebrochen sei, habe Ausmaße angenommen, die das Schlimmste befürchten lasse. Mehrere Millionen chemischer Verbindungen existierten, „zu denen jährlich 250.000 dazukommen, von denen mindestens wieder 200 bis 400 in die Umwelt gelangen“. Vor allem müsse man auch von einem „Gift-Komplex“ sprechen, „da die Vielzahl der Schadstoffe zu Additionen, Summationen und Überschneidung der Wirkung führt, die zu überblicken immer schwieriger werden“.290 Im Laufe der 1960er Jahre war allerdings Eichholtz’ Publikation durch Rachel Carsons 1962 erschienenes Silent Spring in den Schatten gestellt worden. Carsons sicherlich besser geschriebenes, auf DDT fokussiertes und den gesamten englischen Sprachraum beeindruckendes Werk prägte im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts die Debatte über Umweltgifte. Anders als Eichholtz gelang es ihr durch die eindringliche Darstellung einer postapokalyptischen Welt ein „Umweltbewusstsein“ zu mobilisieren. Vor allem die ersten Seiten ihrer Schrift erinnern mit der beklemmenden Schilderung einer Welt ohne Lebewesen, einer zum Schweigen gebrachten Natur, an zeitgenössische Horror- und Science Fiction-Literatur, an die Darstellung der Auslöschung alles Lebendigen. Während dort aber Strahlen und Viren die Zombifizierung oder Vampirisierung des Menschen hervorrufen, geschieht die Vernichtung des Menschen bei ihr durch synthetische Stoffe, welche die Menschen selbst geschaffen haben und an deren fatale Wirkungen sie sich nicht mehr anpassen können. Günther Anders hatte 1956 noch eine „Apokalypse-Blindheit“ konstatiert, aber Carson öffnete den Lesenden die Augen. Das 289 Fechner, Aktuelle gesundheitliche Fragen, S. 174–175 und Deich, Gesundheitserziehung, S. 220. 290 Hagen, Die Umweltgifte, S. 84.

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Ende war trotz des fröhlichen Futurismus der 1960er Jahre nah.291 Der reformerisch-puristische Mediziner Bodo Manstein sah Carsons Vision bereits kurz nach Erscheinen des Buches vollkommen bestätigt und sprach von einer „Durchseuchung der biologischen Systeme bis herauf zum Menschen“. Ende der 1950er Jahre verwandelte sich der zivilisationskritische Diskurs in apokalyptische Visionen, aus regulativen Problemen wurden Untergangsszenarien.292 Silent Spring wird entsprechend als Wendepunkt in der Umweltdebatte markiert. Das Entstehen einer Umwelt- oder Ökotoxikologie lässt sich aber sicherlich nicht nur auf Carsons Buch zurückführen, genausowenig wie eine zunehmende Umweltbelastung ein Umweltbewusstsein hervorbrachte. Eine andere Linie führt zu René Truhaut, der um 1970 den Begriff „ecotoxicologie“ einführte, und sich damit auch auf eine Schule bezog, in der Eichholtz und Druckrey von großer Bedeutung waren. Einen großen Forschungsüberblick zum Thema widmete Truhaut dann auch seinem Freund Dr. Hermann Druckrey, „who achieved so much in the cause of prevention“, zu seinem siebzigsten Geburtstag. Als „ecotoxicology“ definierte Truhaut dabei einen Zweig der Toxikologie, der sich mit toxischen Effekten beschäftige, die durch natürliche Stoffe oder künstliche Schadstoffe an Tieren und Pflanzen, welche die Biospähre konstituieren, ausgelöst würden.293 Wenn man so will, dann waren die USA in dieser Beziehung, also im Entstehen eines puristisch-reformerischen Diskurses, aber auch bei der Konzeptualisierung der Umweltvergiftung, gegenüber dem deutschsprachigen Raum verspätet. Es sollte aber auch deutlich geworden sein, dass Carsons Buch eher den Endpunkt einer langen transatlantischen Debatte darstellt. Und es sei auch angemerkt, dass es Eichholtz war, der schon 1956 ausführlich zu Rückständen von Insektiziden in Lebensmitteln im Allgemeinen und von DDT im Besonderen publiziert hatte.294 In den Vereinigten Staaten setzte sich aber auch der Giftdiskurs erst in den späten 1960er Jahren durch, wie sich sehr anschaulich an Publikationen wie William Frank Longgoods The Poisons in Your Food aus dem Jahr 1969 und dem von der Ralph Nader Study Group 1970 herausgegebenen The Chemical Feast nachvollziehen lässt. Auf höchst prägnante Weise verpflanzte der ökologische Diskurs der 1970er Jahre dann auch das äußere Milieu ins innere Milieu, wie dies Gene Marine und Judith Van Allen in ihrem Buch Food Pollution als „the violation of our inner ecology“ darstellten.295 Seit den 1970er Jahren ist der Giftdiskurs in den transatlantischen Gesellschaften von zentraler Bedeutung für die mediale Darstellung des Problems der Schadstoffe in den Lebensmitteln. Entsprechend häuften sich auch Artikel, die versuchten einen Schlussstrich unter den Alarmismus der Vergiftung zu ziehen. 291 Carson, Silent Spring und Anders, Die Antiquiertheit, S. 235. Zu Silent Spring: Waddell, And No Birds. Man vergleiche die Anfangsseiten von Carsons Silent Spring mit denen in Richard Mathesons postapokalyptischem Vampirroman I am Legend aus dem Jahr 1954 (Matheson, I am Legend). Zur Zukunftsforschung in den 1960er Jahren: Schmidt-Gernig, Das Jahrzehnt. 292 Manstein, Im Würgegriff, S. 47. 293 Truhaut, Ecotoxicology, S. 3–4. Moriarty Ecotoxicology. 294 Eichholtz, Die toxische Gesamtsituation, S. 131–136. 295 Marine/Van Allen, Food pollution; Turner, The Chemicial Feast; und Longgood, The Poisons. Jundt, Greening, S. 131–134.

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Der Ernährungsphysiologe Johannes Friedrich Diehl verwies 1992 in einem Artikel zum aktuellen Stand der toxischen Gesamtsituation noch einmal darauf, dass es keine Belege für Eichholtz’ Behauptung gebe, Lebensmittelzusatzstoffe seien ein wichtiger Faktor in der Krebsentstehung. Umweltkontaminanten in der Nahrung, so Diehl weiter, stellten kein erhebliches Krebsrisiko dar. Mit den Warnungen vor dem Gift in der Nahrung ging ja auch die optimistische Prognose einher, dass bei einem radikalen Verzicht auf anthropogene Umweltchemikalien die Krebsgefahr gebannt werden könne. Diese Vorhersage, die in den USA Delaney und Carson geteilt hätten, sei schlichtweg nicht eingetreten.296 Diehl schrieb seinen Artikel auch als Kritik an der zeitgenössischen Ernährungsforschung, die, so pointierte er, die Thesen eines Kollath und eines Eichholtz unproblematisch weiterverkünde. Im Ernährungsdiskurs blieb die Erzählung, eine „naturnahe Vollwertkost“ würde im Gegensatz zum „Gift in der Nahrung“ und der „toxischen Gesamtsituation“ die „Volksgesundheit“ garantieren, weiter aktiv.297 Vitalstoffe gegen Zivilisationskrankheiten. Das Entstehen einer außerparlamentarischen Opposition der Biopolitik „Jene hinterhältigen schleichenden chronischen Giftwirkungen aber, die erst nach 10, 20, 30 Jahren Zufuhr kleinster Dosen auftreten, sind am schwersten faßbar und öffnen den trügerischen Versicherungen gewissenloser Händler Tür und Tor“.298

Nach Kriegsende rekonstituierte sich die Reformbewegung der Natur- und Volksheilkunde in zahlreichen kleineren und größeren Vereinen. Natur- und Reinheitskonzepte nicht anders als Zivilisations- und Kontaminationsängste überstanden den 8. Mai 1945 ohne diskursiven Schaden.299 Die unterschiedlichen, zumeist um eine umtriebige Person aufgebauten Gruppierungen hatten allesamt die Stärkung der „Volksgesundheit“ und die Prävention von „Zivilisationskrankheiten“ zum Ziel.300 Der Kollektivbegriff „Volksgesundheit“, der die gesundheitspolitischen Debatte der Nachkriegszeit anleitete, stellte das Ganze über das Einzelne und gehörte damit ins diskursive Feld der Eugenik, der Vorsorgemedizin und einer biologischen Medizin. Der Schutz des Ganzen war individuellen Interessen vorrangig; ein konservativer Kollektivismus stand in Konkurrenz zum liberalen Indvidualismus. Der Kieler Sozialhygieniker Franz Klose, seit 1958 Vorsitzender der Kommission für Ernährungsforschung, resümierte 1962 in einem Vortrag die volksgesundheitliche Politik des bundesdeutschen Staates, beklagte Individualismus, Konsumismus und Wohlfahrtspolitik und votierte stattdessen für Staatsinteresse, Produktivität und Vorsorgemaßnahmen. Eine mangelhafte Pflege und 296 297 298 299 300

Diehl, Die toxische Gesamtsituation, S. 234–239. Diehl, Die toxische Gesamtsituation, S. 235 und Ohnesorge, Gift. Manstein, im Würgegriff, S. 52–53 Karrasch, Volksheilkundliche Laienverbände und Engels, Naturpolitik, S. 46–92. Fritzen, Gesünder leben, S. 253.

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Unachtsamkeit für Gesundheit und Leistungsfähigkeit gefährde eben nicht nur das persönliche Wohlbefinden und die Lebenserwartung des Einzelmenschen, sondern auch die Wirtschaft, den wirtschaftlichen Wohlstand und den Staat.301 Selbstverpflichtung zu Gesundheit und Leistung – das sollen die Grundfesten der Bundesrepublik sein. Für Klose entsprachen Aufstieg und Niedergang von Staaten der Gesundheit ihrer Bevölkerung sowie den damit vergesellschafteten wirtschaftlichen, kulturellen und ethischen Leistungen. Aus dieser Geschichtsphilosophie ergab sich zwanglos die praktische Folgerung, dass eine zukünftige Staatsführung sich der „verantwortungsbewußten Pflege aller gesundheitlich wertvollen Anlagen des Volkes“ und der „möglichst weitgehenden Ausschaltung aller gesundheitlichen Schädigungen“ widmen müsse. Denn nur so könnte die Leistungsfähigkeit des einzelnen und des ganzen Volkes nicht geschwächt, sondern erhalten und gesteigert werden.302 Dass der Einzelkörper dabei wiederum ganzheitlich verstanden wurde, als körperseelische Einheit, war ein immer auch als Kritik an der Schulmedizin konnotiertes Erbe des monistisch-lebensreformerischen und antimechanistischen Denkens.303 Die Forderung nach Volksgesundheit war in den 1920er Jahren völkisch, bürgerlich und sozialistisch verwendet worden; als Abwehr von Fremdstoffen und Giften war sie dabei immer auch antisemitisch konnotiert.304 Während des Nationalsozialismus reüssierte Volksgesundheit als Referenz der vor allem von Karl Kötschau vertretenen Neuen Deutschen Heilkunde und der Ernährungsreform eines Werner Kollath. Der im Hauptamt für Volksgesundheit der NSDAP tätige Franz Wirz erzählte jenes vertraute Narrativ, dass einen Niedergang der Ernährungsgewohnheiten des Volkes durch die Verstädterung konstatierte. Die Entfremdung von der Natur und Verkünstelung der Nährstoffe zeitigten danach schreckliche Folgen. An die Stelle der Kohlenhydrate seien die Eiweiße getreten, das Brot sei überhaupt kein Naturprodukt mehr und entwertet, das Mehl chemisch und mechanisch misshandelt. Wirz sang das Loblied auf die natürliche, reine und einfach zu gestaltende Nahrung, die komplex, integral und nährstoffreich sei. Biologisches und nationalsozialistisches Denken waren hier ausdrücklich eins, denn erst die nationalsozialistische Ernährungspolitik würde dem Biologischen und dem Ganzheitsbegriff zu ihrem Recht verhelfen. Als Nationalsozialist wollte Wirz keineswegs einem reformerischen Purismus das Wort reden und verteidigte durchaus einen gemäßigten Genuss. Der völkische Hauptsatz lautete jedoch, dass nicht jeder so leben dürfe, wie es ihm gerade passe, sondern jeder habe sich bei seinem Handeln stets zu fragen, ob er damit seinem Volke nütze oder schade: „Mit Härte muß an dem Aufbau auf dem Gebiete der Volksernäh-

301 Klose, Gesundheit, S. 11. Stoff, Franz Klose. 302 Klose, Gesundheit, S. 12. 303 Harrington, Die Suche; Hau, The Holistic Gaze; und Timmermann, Constitutional Medicine. Zur Bedeutung des Konzepts der Ganzheitlichkeit für die Reformbewegungen: Fritzen, Gesünder leben, S. 283–296. 304 Rensmann, Antisemitismus.

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rung gearbeitet werden und allen Widersachern der Grundsatz eingehämmert werden: Gemeinnutz geht vor Eigennutz.“305 In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren es vor allem die Waerlandbewegung, die Deutsche Volksgesundheitsbewegung und der Schutzdienst für Volksgesundheit, die versuchten, auch öffentlich Einfluss zu gewinnen. Die Reformhausbewegung wandte sich bei aller missionarischen Rhetorik eher an die ohnehin schon konvertierten.306 Aber einzig die Vitalstoffgesellschaft sollte in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre tatsächlich große öffentliche Resonanz erhalten. Die eine lakto-vegetabilische Kost propagierende Waerlandbewegung war in den 1940er Jahren von dem eigentlich als Paul Henrik Fager geborenen Are Waerland in Schweden gegründet worden. Dort konnte Waerland, der seit den 1910er Jahren lebensreformerisch und prohibitionistisch publizierte und 1934 mit seiner auf englisch erschienen Schrift In the Cauldron of Disease für Aufsehen gesorgt hatte, auf eine große Anhängerschaft zählen. Aber auch in der Bundesrepublik fand die Waerlandkost eine bis heute treue Gefolgschaft.307 Als ernährungsreformerische Institution mischte sich die Deutsche Waerland Bewegung auch in die Debatte um das Lebensmittelgesetz ein. Die Bremer Sektion verlangte 1958 in einem an die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag gerichteten Schreiben, „über alles wirtschaftliche Profitstreben interessierter Wirtschaftsgruppen den Schutz der Volksgesundheit zu stellen“.308 Auch die Deutsche Volksgesundheits-Bewegung e. V. aus Hilchenbach im Sauerland um den Vegetarier sowie Alkohol- und Tierversuchsgegner Hermann Forschepiepe wandte sich direkt an das Innenministerium, um sich für ein forsches Lebensmittelgesetz stark zu machen. Forschepiepe war auch der Autor einer Schrift mit dem Titel Unsere einzige Chance… gesünder leben!, in der er als volksgesundheitliches Credo den Schutz vor Fremdstoffen und die Anwendung ernährungsreformerischer Grundsätze verkündete.309 Schließlich richtete sich auch Ricardo Sloman, Sproß einer Hamburger Kaufmannsdynastie, Anhänger der Vollkornernährung sowie Autor von antisemitischen und rassenhygienischen Schriften mit Titeln wie Biologischer Hochverrat (1943) oder Selbstmord der weißen Kulturvölker (1958), mit seinem Verband Gemeinnütziger Schutzdienst für Volksgesundheit an Gleichgesinnte, um die industrialisierte Lebensmit305 Wirz, Nationalsozialistische Forderungen. Stoff, Wirkstoffe, S. 256. 306 Zur Reformhausbewegung: Fritzen, Gesünder leben, S. 212–218. 307 Merta, S. 133–134; Fritzen, Gesünder leben, S. 165, 170; und Fritzen, Spinat-Milch, S. 364– 365. Vor allem der Gießener Ernährungswissenschaftler Claus Leitzmann erwies sich als ein unermüdlicher Fürsprecher der Waerland-Kost: Leitzmann/Keller/Hahn, Alternative Ernährungsformen, S. 94–99. 308 Deutsche Waerland-Bewegung e. V. Gruppe Bremen an das Bundesministerium des Innern (27.5.1958) in: BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2. 309 Hermann Forschepiepe an Gabel (3.12.1957) und Hermann Forschepiepe an Bundesminister des Innern (20.6.1958), in: BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2. Zur verschiedene Verbände der Naturheilkunde integrierenden „Deutschen Volksgesundheits-Bewegung“: Fritzen, Gesünder leben, S. 116. Zu Forschepiepe, der später als Impfgegner avancierte, weshalb die Volksgesundheitsbewegung dann auch in „Schutzverband für Impfgeschädigte“ umbenannt wurde: Fritzen, Gesünder leben, S. 147–148 und Kraus, Das Deutsche Jugendherbergswerk, S. 356–357.

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telproduktion insgesamt zu kritisieren und gegen die „Zivilisations-Degeneration der heutigen Jugend“ zu wettern: „Was nützt das deutsche Wunder in der Wirtschaft, wenn die Gesundheit der kommenden Generationen gleichzeitig fortlaufend geschädigt wird.“310 Sloman verteilte sein Pamphlet im Oktober 1956 als „Material für den Vital-Kongress in Hannover“. Gemeint war damit der zweite Konvent der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoffforschung, welcher die verschiedenen ernährungsreformerischen und zivilisationskritischen Positionen bündelte, öffentlich vertrat und in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre einflussreich verbreitete. Im Gegensatz zu den übrigen volksgesundheitlichen Gruppierungen propagierte diese Gesellschaft zudem nachhaltig die Existenz einer Stoffgruppe namens „Vitalstoffe“, die den verderblichen Fremdstoffen entgegengestellt wurde. Die Geschichte der Vitalstoffgesellschaft ist untrennbar mit dem Chemiker Hans Adalbert Schweigart verbunden, der, anders als Forschepiepe und Sloman, Teil eines ernährungsreformerischen Netzwerkes war, das im Rahmen der nationalsozialistischen Ernährungspolitik geknüpft worden war. Der am 27.7.1900 in Biberberg/Pfaffenhofen geborene Schweigart wurde 1935 zum Direktor des Instituts für Milchwirtschaft an der Universität Berlin ernannt. Zwei Jahre später habilitierte er sich dort zum „Ernährungshaushalt des deutschen Volkes“, um anschließend als Direktor des Instituts für Vorratspflege und Landwirtschaftliche Gewerbeforschung der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität zu reüssieren. In dieser Funktion war Schweigart, der 1931 in die NSDAP eingetreten und Mitglied der SA war, direkt in die nationalsozialistische Kriegsernährungspolitik eingebunden und mit der Erstellung von Ernährungsplänen für die Wehrmacht sowie Konzepten der Marktregelung befasst, die er explizit als „Zurückführung von der liberalistischen Auffassung“ und als weltanschaulich fundamentierte, auf dem „Bauerntum als Neugestalter des Volkes“ basierende Sicherung der Nahrungsmittelfreiheit verstand. 1942 wurde Schweigart dann zum außerordentlichen Professor für Vorratspflege an der Universität Berlin berufen. Auch nach Kriegsende blieb er ernährungspolitischer Sachverständiger und verfasste 1946 den ersten bizonalen Ernährungsplan. In seiner Funktion als wissenschaftlicher Berater des Direktors der Niedersächsischen Landwirtschaftskammer kam Schweigart in Kontakt mit dem südafrikanischen Apartheidsregime und arbeitete dort in der Folge als Ernährungsexperte für die Burenregierung. 1951 gründete er schließlich in Pretoria das Institute for Research on Trace Elements and Vital Substances. Drei Jahre später nahm Schweigart einen Lehrauftrag an der Fakultät für Gartenbau und Landeskultur der Technischen Hochschule Hannover an, ohne jedoch jemals weiter universitär eingebunden zu sein.311 310 R. Sloman, Betr. das anliegende Exposé „Material für den Vital-Kongress in Hannover im Oktober 1956. Vorschläge für die Bekämpfung der Zivilisations-Degeneration der heutigen Jugend“ (am Erntedankfest 1956), in: BA Koblenz, B 142/1517. Sloman setzte sich schon 1941 für die Verbreitung des Vollkorngedankens in der NSDAP ein. Zu Slomans antisemitischen Traktaten: Melzer, Vollwerternährung, S. 196, 198, 330. 311 Schweigart, Über die nationalsozialistische Marktregelung, S. 87–88. Als Apologie: Heupke, Universitätsprofessor. Biografische Daten zu Schweigart finden sich bei Briesen, Das gesunde

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In der Bundesrepublik widmete sich Schweigart ausschließlich der Institutionalisierung seiner Vitalstofflehre. Am 11. Dezember 1954 kam es so zur Gründung der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung, deren Präsident er selbstverständlich war. Schweigart hatte eine Reihe Vertrauter um sich geschart, die in der Vitalstoffgesellschaft als Vizepräsidenten oder in einem Wissenschaftlichen Rat fungierten und mit denen er zumeist schon während des Nationalsozialismus kooperiert hatte. Dazu zählten zunächst vor allem die Ernährungsforscher Wilhelm Heupke, Wilhelm Halden und Herbert Warning. Alle drei waren Mitglieder der NSDAP gewesen, Warning bereits seit 1931, der Österreicher Halden sofort nach dem „Anschluss“, Heupke war zudem Mitglied in der SA. Der Chemiker Halden, zu Beginn der 1920er Jahre Privatassistent bei Richard Willstätter, erhielt 1942 in Graz eine Professur für medizinische Chemie, galt als Vitaminexperte sowie Propagandist einer gesunden Leistungskost. Er war Anhänger der Vollwertlehre, renommierte vor allem als ernährungswissenschaftlicher Verdauungsexperte und veröffentlichte 1936 das Standardwerk Diätetik, die Ernährung des Gesunden und Kranken. Warning, erst 1909 geboren und der jüngste unter den Gründungsmitgliedern der Vitalstoffgesellschaft, führte Mitte der 1930er Jahre Forschungen zum Gesundheitszustand des Deutschen Jungvolks und der Hitlerjugend durch. Bei allen drei handelte es sich also zudem auch um gut ausgebildete und akademisch integrierte Chemiker oder Mediziner. Es dauerte bis in die 1950er Jahre ehe die drei Wissenschaftler wieder in Erscheinung traten. Heupke, der ja auch als Mitglied der Konservierungsmittelkommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft fungierte, war 1951 Mitbegründer der Interessengemeinschaft für Ernährung und maßgeblich an der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung beteiligt, als deren erster Vorsitzender er in den Jahren 1953 und 1954 dann auch amtierte. In seiner Position als Arbeitsmediziner in Frankfurt am Main kritisierte Warning auf vertraute Weise die Stadt als „chronifiziertes Siechtum“ und deutete die technisierte Umwelt als Ursache der „Managerkrankheit des kleinen Mannes“.312 Zu diesen deutschsprachigen und während des Nationalsozialismus sozialisierten Ernährungsreformern gesellten sich als internationale Repräsentanten Johan M. Latsky aus Pretoria, Stefan Klein aus Brüssel und Claudio Antoniani aus Mailand. Einigender Bezugspunkt war die Vollwertlehre, Vorbilder waren entsprechend Bircher-Benner und Kollath, die beide hagiografisch verklärt wurden. Heupke hatte schon 1939 in dessen Todesjahr eine Bircher-Benner-Biografie geschrieben, in der er die ganzheitliche, auf die gesamte Lebensführung ausgerichtete Position kanonisierte. Warning verfasste 1963 dann geschlagene sieben Jahre vor dessen

Leben, S. 201–202 und vor allem Melzer, Vollwerternährung, S. 303–305. In der bundesdeutschen Reformbewegung wurde Südafrika entsprechend als ein „Musterbeispiel der Ernährungsfürsorge“ für die selbstverständlich getrennten Weißen und Schwarzen dargestellt. John, Süd-Afrika. 312 Kury, Der überforderte Mensch, S. 122–124, 150; Fritzen, Gesünder leben, S. 152, Fn. 693; Melzer, Vollwerternährung, S. 270–271, 284–293, 407–408; Thoms, Learning; und Scheiblechner, Politisch, S. 68–70

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Tod eine wissenschaftliche Biografie Kollaths.313 DieVitalstoffgesellschaft vergab 1957 eine Bircher-Benner-Medaille in Gold am weiß-roten Band, deren erster Träger just Kollath selbst war. Bircher-Benners Sohn Ralph, der das Erbe seines Vaters verteidigte und dessen Lehre ungebrochen weiterverbreitete, nahm aktiv an den Tagungen der Vitalstoffgesellschaft teil. Neben Halden, Heupke und Warning waren weitere durchaus prominente Akteure aus dem ernährungsreformerischen Spektrum des Nationalsozialismus in der Vitalstoffgesellschaft involviert. Während Schweigart sich vor allem auf die Ausformulierung seiner Vitalstofflehre konzentrierte, war es der Naturheilkundler und Präventionsmediziner Karl Kötschau, der als Theoretiker der Vitalstoffgesellschaft gelten kann. Kötschau, der 1935 zum Leiter der kurzlebigen Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde gewählt worden war und eine Verbindungsfigur zwischen Naturheilkunde und Nationalsozialismus dargestellt hatte, war zuständig für das volksgesundheitliche Weltbild der Gesellschaft.314 In der Pharmazeutischen Zeitung war Kötschau 1937 noch als bester Fachmann für das Gebiet der biologischen Medizin apostrophiert worden. Er habe durch seine Arbeiten über „Vorsorge statt Fürsorge“ dem biologisch-medizinischen Denken eine völlig neue Richtung zugunsten der Erbgesundheit und der Leistungssteigerung gegeben. Zumindest letzteres sollte einer der Hauptpunkte in Kötschaus biologischer Medizin bis weit in die 1950er Jahre hinein bleiben. Die Neue Deutsche Heilkunde war mit Kriegsbeginn institutionell marginalisiert worden, blieb inhaltlich aber auch für die nationalsozialistische Ernährungspolitik weiterhin prägend. Ihre Programmpunkte wurden von Kötschau im Rahmen der Vitalstoffgesellschaft auch nach 1945 weiter verbreitet.315 In der Vitalstoffgesellschaft tauchte aber auch ein gewisser Paul Gerhardt Seeger wieder auf, dessen Krebstheorie Adolf Hitlers persönliche Unterstützung gefunden hatte. Seeger, seit 1956 Oberarzt an der Forschungsstelle für Krebsforschung der Berliner Charité, bezog sich fortwährend auf seine eigenen Arbeiten aus den 1930er Jahren, um daraus erneut ein Konzept der „Abwehr von Krebszellen“ durch „Abwehrzellen“ zu konstruieren, die wiederum durch eine „naturgegebene vollwertige Nahrung“ gestärkt werden könnten.316 Ebenso engagierte sich mit Sigwald Bommer, zu Beginn der 1930er Jahre Mitarbeiter Ferdinand Sauerbruchs, überzeugter Nationalsozialist und seit 1941 Leiter des Berliner Instituts für Ernährungslehre, ein führender Vitaminforscher in der Vitalstoffgesellschaft, gehörte dem wissenschaftlichen Beirat an und hielt Vorträge zur Rolle der Ernährung bei der Prophylaxe von Zivilisationskrankheiten. Seit 1959 nahm er sogar den Posten eines Vizepräsidenten ein.317 Und um diese nicht wirklich 313 Warning, Werner Kollath und Heupke, M. Bircher-Benner. 314 Heyll, Wasser, S. 233–237; 265–269; Fritzen, Gesünder leben, S. 104–105; Harrington, Die Suche, S. 332–336; Sievert, Naturheilkunde, S. 192–202; und Haug, Die Reichsarbeitsgemeinschaft, S. 85–99. Bei Heyll finden sich auch genauere Angaben zu Kötschaus Laufbahn während des Nationalsozialismus. 315 Anonym, Prof. Kötschau; Kötschau, Zum Aufbau; und Kötschau, Vorsorge. 316 Seeger, Die Krebsentstehung und Seeger, Zur Ursache. Stoff, Wirkstoffe, S. 299–300; Melzer, Vollwerternährung, S. 305–307; und Proctor, Blitzkrieg, S. 365, Fn. 53. 317 Bommer, Ernährung und Bommer, Einige Zusammenhänge.

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sympathische Reihe zu vollenden, publizierte auch Ernst Günther Schenck, der im KZ Mauthausen Menschenversuche zur vegetabilischen Kost durchgeführt hatte, in Vitalstoffe Zivilisationskrankheiten, dem Publikationsorgan der Gesellschaft.318 Die Vitalstoffgesellschaft war ein Refugium für jene ehemaligen Protagonisten der nationalsozialistischen Ernährungspolitik, die eine effektive Leistungsmedizin mit den Lehren der Ernährungsreform, einem holistischen Weltbild sowie dem Schutz des Volkskörpers vor Fremdstoffen verbanden. Die Vitalstoffgesellschaft lehnte eine liberale Wirtschaftsordnung ebenso ab, wie sie entschieden zivilisations-, technik-, allerdings nicht wissenschaftskritisch ausgerichtet war. Schweigart hatte während des Nationalsozialismus eine „pflichtgebundene Wirtschaft“ von der „liberalistischen Auffassung“ distanziert, „die den Staat, das Volksganze als Zweckverband wirtschaftlicher Unternehmungen, wirtschaftlicher Sonderinteressen“ ansehe. Die Einzelwirtschaft habe sich der Gesamtwirtschaft zu unterstellen, nichts dürfe den Interessen der Gesamtwirtschaft entgegenstehen. Gerade die Durchführung der Lebensmittelkontrolle sei durch das Fehlen einer auf Grundsätzen aufgebauten Warenverteilung außerordentlich erschwert worden. Nach Schweigart war daran vor allem der Händler schuld, der, so Schweigart, im Allgemeinen über der deutschen Erzeugung triumphiert habe. Im Verein mit dem Fabrikanten habe er zum eigenen Vorteil gesetzliche Regelungen boykottiert, immer schlechtere Waren angeboten, falsche Dinge vorgegaukelt und den Verbraucher in die Irre geführt. Mit der nationalsozialistischen Marktordnung sei dieser Zustand jedoch beseitigt worden.319 Die Agenda der Vitalstoffgesellschaft schloss nahtlos an die reformerischen und zivilisationskritischen Positionen an, wie sie Bircher-Benner und Kollath positiv sowie Liek und Lenzner negativ ausformuliert hatten. Genuin neu war, dass Schweigart mit dem Konzept der „Vitalstoffe“ ein Prinzip erfunden hatte, das das Lebendige repräsentieren und die Verbesserung des Menschen realisieren sollte.320 Es ging der Vitalstoffgesellschaft also einerseits darum, wie Schweigart resümierte, zu beweisen, „daß das Lebendige, das Vitale der Organismen bedroht ist“ und andererseits um eine neue Lehre und eine neue Praxis lebensnotwendiger, aber auch lebensspendender Stoffe.321 Das Konzept der Vitalstoffe, wie es Schweigart Mitte der 1950er Jahre ausformulierte, war eine Reaktion auf die älteren Vorstellungen über die Wirkstoffe, die Fortschreibung eines ernährungsreformerisch besetzen und utopisch gedachten Wirkstoffkonzeptes. Im Mittelpunkt der Vitalstofflehre stehe das Wirkstoffprinzip, so vermerkte Schweigart kategorisch, der Akzent liege auf der „vollkommene(n) qualitative(n) Versorgung des Organismus mit Wirkstoffen (Vitalstoffen)“.322 Der Begriff der Vitalstoffe musste den der Wirkstoffe ersetzen, weil letzterer durch die Einbeziehung synthetischer Hormone und Vitamine selbst prekär geworden war und in den 1950er Jahren seine 318 319 320 321 322

Elsner, Heilkräuter und Melzer, Vollwerternährung, S. 199–204. Schweigart, Über die nationalsozialistische Marktregelung, S. 88, 90. Stoff, Wirkstoffe, S. 286–287. Schweigart, Fremdstoffe (1956), S. 134. Schweigart, Klassische Ernährungslehre (1959), S. 2. Zum Wirkstoffkonzept: Stoff, Wirkstoffe.

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Bedeutung ohnehin auf alle Stoffe mit biologischer Wirkung ausweitete.323 Schweigart hatte für die postulierten Vitalstoffe eine Definition gefunden, die eng an die der Wirkstoffe angelehnt war. Bei Vitalstoffen handle es sich um jene Substanzen, die in den Organismen als Biokatalysatoren wirksam seien: „Vitalstoffe sind reaktionstragende und reaktionsauslösende biokatalytische Systeme der Zellen und Gewebe und ihre Bausteine sowie Wasser und Sauerstoff, ferner die Kohlensäure bei Pflanzen.“324 Heupke schloss hier an, pointierte aber die Rolle der Vitalstoffe bei der Ernährung, wenn er betonte, dass unter Vitalstoffen die große Zahl von Stoffen verstanden werde, „die oft nur in sehr kleiner Menge in der Nahrung vorhanden sind, jedoch lebenswichtige, ganz spezifische Funktionen haben. (…). Diese Substanzen führen wir dem Körper nicht als Medikament, sondern mit der Nahrung zu“.325 Anlässlich der Stuttgarter Tagung 1957 veröffentlichte der Wissenschaftliche Rat der Vitalstoffgesellschaft schließlich eine offizielle Auflistung der Vitalstoffe: Enzyme, Co-Enzyme, Vitamine, Hormone, exogen-essentielle Amino- und Fettsäuren, Haupt- und Spurenelemente sowie Duft- und Geschmacksstoffe.326 Auf die Kritik von Heinrich Kraut und Ernst Kofrányi, dass der Terminus technicus „Vitalstoffe“ verwirrend sei, reagierte Schweigart, indem er auf die ausufernde Namensliste von Aktivatoren bis Vitazymen verwies, für die dann im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Kollektivbezeichnung „Wirkstoffe“ gefunden wurde, auf die sich der Begriff „Vitalstoffe“ ja bezog.327 Vitalstoffe sollten das ernährungsreformerische Versprechen der Vitamine fortsetzen, zugleich reüssierten sie in den 1950er Jahren als fundamentaler Bestandteil der Vollwerternährung. Auch Schweigart distanzierte sich und seine Vitalstoffe dabei pflichtgemäß von der klassischen Ernährungslehre à la Rubner, vom „kalorische(n) Denken“.328 Die Vitalstoffe fungierten als körpereigene oder dem Körper notwendigerweise zuzuführende natürlichen Substanzen, denen eine grundsätzlich lebenserhaltende, gesundheitsfördernde und vitalisierende Leistung zugesprochen wurde und die dabei strikt von kontaminierenden Fremdstoffen und synthetischen Substanzen abgegrenzt wurden.329 Es war diese Unterscheidung, die dem ansonsten diffusen Konzept Attraktivität gab, denn sie hielt für die dynamisierte Situation der modernen Lebensweise klare und vertraute Handlungsanweisungen bereit: Diätetische Ernährungsgebote im Sinne der neuen Ernährungslehre und das Verbot von gefährlichen und künstlichen Fremdstoffen. Die Ernährung selbst, in der modernen Gesellschaft eine „tagtäglich vielfältig erfolgende Zivilisationsschädigung“, war der kritische Punkt, wo das durch Vitalstoffe im Gang gehaltene komplexe innere Regulationssystem durch Fremdstoffe 323 324 325 326

Orland, Nutrients und Stoff, Wirkstoffe, S. 280–287. Schweigart, Klassische Ernährungslehre (1957), S. 84. Heupke, Störungen, S. 136. Schweigart, Beschlüsse, S. 121 und Präsidium der Internationalen Gesellschaft für Nahrungsund Vitalstoff-Forschung, Zur Einführung. Melzer, Vollwerternährung, S. 311. 327 Schweigart, Klassische Ernährungslehre (1959), S. 5. 328 Schweigart, Klassische Ernährungslehre (1959), S. 2. Melzer, Vollwerternährung, S. 13. 329 Hans Adalbert Schweigart, „Wie sollen wir uns ernähren?“ (ohne Datum), in: , in: BA Koblenz, B 142/1576.

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gefährdet wurde.330 Die Vitalstoffgesellschaft schloss an eine seit dem späten 19. Jahrhundert geführte Debatte über Zivilisationsschäden an, die niemals wirklich unterbrochen war, aber nach Kriegsende neue Dynamik erhielt. Kötschau, dem es um eine Definition des Begriffes „Zivilisationsschäden“ ging, nannte Heinz Zeiss und Karl Pintschovius mit ihrer 1940 erschienenen Schrift Zivilisationsschäden am Menschen sowie Werner Kollath als Referenzen, während Curt Lenzner sowie Lewis Herber und Götz Ohly mit ihren Arbeiten zum Gift in der Nahrung nichts Neues erbracht hätten. Die Zivilisation, so Kötschau, habe eine unlebendige Umwelt von Beton, Eisen und Stein geschaffen. Die Verdrängung der Natur, so bequem sie sei, riskiere aber die Gesundheit des Menschen. Da Gesundheit und Natur zusammen die eigentliche Umwelt bildeten, sei an einem Zusammenhang zwischen zivilisatorischer Naturausschaltung und dem Auftreten chronischer Krankheiten für einen ganzheitlichen Denker kein Zweifel möglich. Zivilisationsschäden entständen also durch das Fehlen einer natürlichen Umwelt. Auch das Präsidium der Vitalstoffgesellschaft drückte deutlich aus, dass ihr Aufgaben- und Forschungsziel in der Bekämpfung der Zivilisationskrankheiten bestehe.331 Kollath erklärte in einem Beitrag für die Zeitschrift Vitalstoffe, dass es nicht um die Rückkehr zu einem ursprünglichen, vorgesellschaftlichen Naturzustand gehe. Selbstverständlich verändere der Mensch die Natur, aber er dürfe dies nur so weit treiben, „daß Arten und Individuen gesund und erbtüchtig bleiben“. Der Mensch habe auch seine Nahrung immer schon umgeformt, es seien dabei jedoch vorhandene, also natürliche Anlagen vom Menschen entwickelt worden. Die Gefahr der Gegenwart bestehe hingegen darin, dass die enorme Entwicklung der Technik mit allen ihren Folgen, vor allem aber die „überbewertete Physik und Chemie“, die Schöpfungen der vergangenen Geschlechter gefährdeten. Kollath erinnerte an dieser Stelle nicht von ungefähr an Hans Sedlmayrs Verlust der Mitte.332 Gegen Ende der 1950er Jahre versammelten sich im Rahmen der Vitalstoffgesellschaft alle Ängste und Sorgen zu einer „Zivilisationsdystrophie“ als einer Vereinigung aller Niedergangstheorien in der Ganzheitsforschung.333 Vitalstoffprophylaxe richtete sich gegen das von Kollath so getaufte Prinzip der Mesotrophie, eine Mangelernährung durch den Konsum „denaturierter“ Lebensmittel.334 Mit ausgesprochener Höflichkeit würdigte Joachim Kühnau, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, als Redner auf der Tagung der Vitalstoffgesellschaft 1958 in Essen Kollaths Forschungen zur Rattenmesotrophie, um dessen Übertragung auf den Menschen dann mit deutlichen Worten zu verwerfen: Es gebe schlicht keine zivilisationsbedingte Mesotrophie.335 Der moderne, zivilisierte Mensch erschien als ein Mangelwesen, das wirkungsmächtige Bild der Ganzheitlichkeit war, nicht anders als in der zeitgenössischen Philo330 Kötschau , Definition, S. 62. 331 Kötschau, Definition, S. 61 und Präsidium der Internationalen Gesellschaft für Nahrungsund Vitalstoff-Forschung, Zur Einführung, S. 1. Hans Haferkamp, Zivilisationsschäden. 332 Kollath, Der Begriff, S. 129–130. 333 Klußmann, Zivilisationsdystrophie. 334 Kollath, Über neue Versuche. Merta, Wege, S. 128–134. 335 Kühnau, Diskussionsbeiträge.

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sophie, auf die Utopie einer Vollständigkeit bezogen: „Wenn Guardini den abendländischen Menschen als den unvollständigen und Berdjajew als den unharmonischen Menschen bezeichnen, dann ist der Weg der Ganzheitswissenschaft jener, der uns zum vollständigen, harmonischen Menschen, zum Vollmenschen zurückführen kann.“336 Politischen Lagern ließen sich diese Vorstellungen nicht immer eindeutig zuordnen. Sie sind besser über ihre zivilisationskritischen und holistischen Inhalte beschreibbar. Der Begriff „Zivilisationskrankheit“ fand schon im 19. Jahrhundert sporadisch Verwendung, wurde aber um 1900 im Zusammenhang mit dem in den transatlantischen Gesellschaften eingeführten Krankheitsbild der Neurasthenie, die George Miller Beard auch als „disease of civilisation“ bezeichnete, begrifflich abgegrenzt. Urbanisierung und Industrialisierung, Elektrisierung und Beschleunigung, Genuss- und Reizgifte drohten den modernen Menschen zu überreizen. Mediziner und Lebensreformer waren gleichermaßen angetreten, diesem bedrohlichen Verfall durch optimierende und abstinente Techniken entgegenzuwirken. Steigenden Gebrauch fand der Begriff „Zivilisationskrankheit“ aber erst in den 1940er Jahren als Oberbegriff für all behaupteten Schäden, mit denen die nationalsozialistische Medizin insgesamt aufräumen sollte, bevor er in den 1950er Jahren dann zur medizinischen Letztbegründung in zahllosen naturheilkundlichen Abhandlungen, aber auch in der Universitätsmedizin, etwa der Psychosomatik Arthur Jores’, wurde. Die „Zivilisationsschäden am Menschen“, Kehrseite der Entwicklung moderner, westlicher Gesellschaften, waren Kritik und Handlungsaufforderung zugleich, ein Notstand, der nach medizinischen, politischen und kulturellen Techniken der Reinigung und Stärkung verlangte.337 Als typische Zivilisationskrankheiten galten in den 1950er Jahren Krebs, Arteriosklerose, Gefäßkrankheiten, Fettsucht und Karies. Zurückgeführt wurden sie vor allem auf mangelhafte Ernährung, auf den Konsum wertloser Nahrungsmittel. Albert von Haller, der in seiner 1956 in erster Auflage erschienenen Schrift Gefährdete Menschheit vor der Degeneration der westlichen Welt durch Zivilisation und falsche Ernährung warnte und dafür Karies als Hauptbeispiel wählte, mischte sich zugleich unermüdlich in die Debatte über die, so intendierte er, armen, aber gesunden Entwicklungsländer ein, denen er das gleiche Schicksal ersparen wollte.338 Die Diagnose „Zivilisationskrankheit“ wurde dabei durchaus von angesehenen Medizinern geteilt. Der Ernährungsphysiologe Hans-Dietrich Cremer betonte, dass das Gebiet Ernährung und ,,Zivilisationskrankheiten“ nicht eine Domäne von Schwärmern oder einseitigen Ernährungsfanatikern zu sein brauche. Auch die Ernährungswissenschaft sei unter Anwen-

336 Kötschau, Zur Ganzheitswissenschaft, S. 58. 337 Kury, Der überforderte Mensch, S. 152–154; Roelcke, Zivilisationskrankheit; Roelcke, Gesund; Roelcke, Krankheit, S. 11–22; Roelcke, Zivilisationsschäden; und Haffter, Die Entstehung. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auch die neuere Medizingeschichte mit der Thematisierung von Zivilisationskrankheiten einsetzte: Sigerist, Krankheit. Zur gut erforschten Neurasthenie: Eckart, Die wachsende Nervosität und Radkau, Das Zeitalter. 338 Haller, Die Letzten und Haller, Gefährdete Menschheit.

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dung exakter naturwissenschaftlicher Methoden in der Lage, wertvolle Beiträge zu diesem Gebiet zu liefern.339 Auf den Tagungen der Vitalstoffgesellschaft wurde sehr genau ausformuliert, was an der modernen Gesellschaft abgelehnt wurde, zugleich wurden aber mit der Vitalstofflehre Praktiken der gesunden Lebensführung vorgeschlagen. Schweigart war unermüdlich darum bemüht, neben den alten Kampfgenossen aus der nationalsozialistischen Ernährungspolitik auch anerkannte Wissenschaftler für seine Sache zu gewinnen und trotz der unübersehbaren Dominanz der deutschen Ernährungsreformer auch Mitglieder aus dem übrigen Europa, u. a. aus der Tschechoslowakei, Finnland, Frankreich oder Großbritannien, zu rekrutieren. Besonders wichtig für den Ruf der Gesellschaft war der Kontakt zu renommierten Veteranen der Neuen Ernährungslehre wie Carl Arthur Scheunert und Barend Coenraad Petrus Jansen, einem Pionier der Vitaminforschung. Aber es gelang Schweigart 1956 auch Albert Schweitzer als Ehrenpräsidenten zu gewinnen. Als dessen Nachfolger wurde 1965 dann mit Linus Pauling ein gefeierter Nobelpreisträger ernannt. Zu Beginn der 1960er Jahre schrieb selbst René Truhaut, der doch maßgeblich die Ausrichtung der Fremdstoffpolitik von WHO und FAO prägte, für die Zeitschrift der Vitalstoffgesellschaft.340 Parallel zur Gründung der Vitalstoffgesellschaft etablierte Schweigart in Hannover ein Institut für Biochemie der Vitalstoffe und Ernährung, dem 1957 eine Versuchsstation ausgerechnet im Kräutergarten des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau zugeordnet wurde, die bis 1966 genutzt wurde.341 Seit 1956 erschien unter der Herausgeberschaft von Schweigart die Zeitschrift Vitalstoffe, die 1961, als das Themengebiet der Vitalstoffgesellschaft über den Bereich der Ernährung hinaus ausgebaut werden sollte, in Vitalstoffe Zivilisationskrankheiten umbenannt wurde. Das bis 1961 vierteljährlich und dann zweimonatlich erscheinende Publikationsorgan der Vitalstoffgesellschaft verbreitete vor allem Beiträge, die auf den sogenannten Konventen der Vitalstoffgesellschaft gehalten wurden. Diese gut besuchten, international ausgerichteten, aber von deutschen Teilnehmenden dominierten Tagungen fanden große mediale Aufmerksamkeit. Auf der Gründungsveranstaltung im September 1955 in Freudenstadt wurden die sogenannten Freudenstädter Beschlüsse verabschiedet, die auf jeder der folgenden Konvente durch Fortsetzungsbeschlüsse ergänzt wurden. Die Vitalstoffgesellschaft sei danach gegen die Anwendung radioaktiver Stoffe und Verfütterung antibiotischer Stoffe in der Landwirtschaft, gegen Bleich- und Konservierungsmittel und gegen Farbstoffe, aber für sauberes Trinkwasser und die Lüftung des Arbeitsplatzes. Zentrale Aufgabengebiete seien die Rolle der Ernährungsfaktoren beim Krebsproblem und allgemein die gesunde Ernährung. Es müsse eine Ernährung angestrebt werden, mit der eine „Vitalstoff-Prophylaxe“ zur Verhütung von Gebisszerfall, Krebs, Herzschäden, Verdauungs- und Halbkrankheiten, wie überhaupt der Zivilisationskrankheiten möglich sei.342 Im Oktober 1956 fand in Hannover dann die 339 340 341 342

Cremer, Ernährung, S. 30, 40. Kury, Zivilisationskrankheiten, S. 200–207. Truhaut, Sur l’évaluation (1962) und Truhaut, Sur l’évaluation (1961). Anonym, Das Institut. Melzer, Vollwerternährung, S. 307. Anonym, Die Freudenstädter Beschlüsse.

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zweite, bereits deutlich größere, von 840 Teilnehmenden besuchte Tagung statt. Ein zu diesem Anlass verfasstes Manifest verband prinzipiell die Bekämpfung und Eindämmung der Zivilisationskrankheiten mit einer ganzheitlichen Betrachtungsweise.343 Mit Stolz vermeldete das Präsidium, dass der Konvent zu einem weltweiten Ereignis geworden sei, „mit einem Widerhall in der Öffentlichkeit, wie er ganz selten wissenschaftlichen Tagungen zuteil wird“.344 Der nächste Konvent, der 1957 in Stuttgart unter dem Motto „Ernährung, Umweltbedingungen und das Krankheitsbild unserer Zeit“ stattfand und, so zumindest Schweigart, 1220 Teilnehmende aus 38 Nationen versammelte, erhielt dann auch lokalpolitische Weihen durch die Teilnahme des Oberbürgermeisters Arnulf Klett.345 Für die Tagung ein Jahr später in Essen hatte Schweigart zum Themenkomplex „Schutz vor Zivilisationskrankheiten durch unschädliche Nahrung und gesunde Umwelt“ bereits etliche prominente Redner wie Eichholtz, Jansen, Kollath und Ralph Bircher sowie Theodor Bersin, Friedrich Holtz, Peter Marquardt und Hans Marquardt mobilisiert.346 Es folgten weitere Jahrestagungen mit jeweils bis zu 2000 Teilnehmenden. Bei der Konferenz 1960 in Baden Baden und Straßburg lautete das Generalthema pointiert „Die Zivilisationskrankheiten und die toxische Gesamtsituation als ihre wesentliche Ursache“. Seit dem Konvent des Jahres 1961 in Aachen, Lüttich und Maastrich – das Motto hieß „Prophylaxe gegen Zivilisationskrankheiten“ – wurde dann explizit darauf hingewiesen, dass es sich bei der Vitalstoffgesellschaft nicht ausschließlich um eine Gesellschaft für Ernährungsforschung handle, sondern dass diese neun wichtige Arbeitsgebiete bearbeite, zu denen neben der Reform der Ernährung, den Vitalstoffen und den Zivilisationskrankheiten auch der Biozyklus, Wasser, Luft und Umwelt, Makrobiotik und Lebensgestaltung, Atom und Strahlenschutz sowie allgemein die Toxische Gesamtsituation gehörten. Schweigart umschrieb das negative und positive Aufgabengebiet der Vitalstoffgesellschaft als „Bekämpfung der heutigen, die Organismen, den Menschen in erster Linie, bedrohenden toxischen Gesamtsituation“ und als „Herbeiführung einer im Atomzeitalter vertretbaren Makrobiotik“.347 343 Anonym, Manifest. 344 Präsidium der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung, Zur Einführung. 345 Anonym, Beschlüsse; Anonym, Internationaler Vitalstoff- und Ernährungskonvent; und Schweigart, Beschlüsse, S. 119. 346 Internationale Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung e. V., „4. Internationaler Vitalstoff- und Ernährungs-Konvent vom 8.–12. Oktober in Essen, Städtischer Saalbau. Schutz vor Zivilisationskrankheiten durch unschädliche Nahrung und gesunde Umwelt. Konventfolge“, , in: BA Koblenz, B 136/5303. 347 Anonym, Konvent und Schweigart, Konvent, S. 141. Internationale Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung e. V., „6. Internationaler Vitalkstoff- und Ernährungs-Konvent vom 5.–9. Oktober in Baden Baden und Straßburg. Zivilisationskrankheiten und die toxische Gesamtsituation als ihre wesentliche Grundlage. Konventfolge“, in: BA Koblenz, B 142/1517, 1 von 3. Melzer, Vollwerternährung, S. 373. Die Tagungen fanden statt in Konstanz und Zürich (1959), Baden Baden und Straßburg (1960), Aachen, Lüttich und Maastrich (1961), Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck (1962), Lindau (1963), Trier und Luxemburg (1964), Bad Reichenhall und Salzburg (1965), Prag und Bayreuth (1966), Trier und Luxemburg (1967), Travemünde (1968) und Hannover (1969).

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Wenn Kollaths Vollwertkost die Praxis der Rekonstituierung des reinen Körpers durch Ernährungsmaßnahmen war, dann fungierte Eichholtz’ Begriff der toxischen Gesamtsituation als alarmistische Fokussierung auf Umweltgifte. Eichholtz wurde vor allem in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre in den Zeitschriftenbeiträgen immer wieder referiert und erhielt 1957 auch die erste Ehrenmitgliedschaft. Der Begriff der toxischen Gesamtsituation war ja im deutschsprachigen Raum Ende der 1950er Jahre allgemein bekannt und konnte von der Vitalstoffgesellschaft als Beweismittel verwendet werden. Auf ihrem fünften Konvent 1959 in Konstanz und Zürich wandte sich der Wissenschaftliche Rat der Vitalstoffgesellschaft an die Regierungen der Länder, die UNO, die WHO, die FAO, die UNESCO, die Internationale Atomkommission sowie den Europäischen Wirtschaftsrat, „sich eingehend mit der ‚Toxischen Gesamtsituation‘ (…) zu befassen“.348 Schweigart verwendete den Begriff allerdings mit subtilen Umschreibungen: Danach träfen sich im Raum Kumulationsgifte, akute Gifte in kleinen Mengen, Summationsgifte und Sekundärgifte, die allesamt als „Zellblockadesubstanzen“ fungierten. Der Verbraucher sei einer toxischen Gesamtsituation ausgesetzt, „wie der ahnungslose Fisch in einem durch tausend chemisch-toxische Stoffe verseuchten Fluß, in dem er zu Krankheit und Tod verurteilt ist“.349 Die toxische Gesamtsituation sei dabei das Ergebnis der unnatürlichen Entwicklung der Lebensgewohnheiten, „die bedingt ist durch die Zusammenballung der Bewohner dieser Erde in großen Staatsgebilden und Arbeitszentren und der damit notwendig gewordenen Industrialisierung und Schaffung von Zivilisationsgütern“.350 Gegenüber der gerade ein paar Monate zuvor zur Gesundheitsministerin ernannten Elisabeth Schwarzhaupt beschrieb Schweigart im März 1962 ein düsteres Szenario einer toxischen Gesamtsituation durch Insektizide, Antibiotika, Konservierungsmittel, Schönungsmittel, Farbstoffe, Nervengifte wie Schlafmittel und Tranquilizer, Kosmetika mit kanzerogenen Farbstoffen und kanzerogenen Paraffinerzeugnissen, Industriestäube, Rauch und Abgase, Auto- und Dieselmotorenabgase, atomare Partikelchen und Strahlen, das auch noch durch eine Abwehrfront von Industriellen, Wissenschaftlern und Ministerialbeamten geschützt werde.351 Heupke wiederum sprach von etwa tausend synthetischen Zusatzstoffen. Mit der Zusammenballung riesiger Menschenmassen in Großstädten steige der Anteil der industriell bearbeiteten Lebensmittel. Die Schlussfolgerungen ließen keinerlei Alternative zu einer sofortigen Änderung der Lebensweise: „Viele der zugesetzten Substanzen sind sehr giftig, tausende von Menschen sind dadurch erkrankt und getötet worden, wie ich beweisen werde. Soll das so weitergehen?“352 Die Zivilisationsordnung sei nicht auf die Gesundheit der Lebewesen zugeschnitten, sondern auf ihre Vernichtung, da in ihr eher wirtschaftliche Gesichtspunkte als gesundheitliche entschieden, fällte Kötschau ein vernichtendes Urteil über die Entwick348 Präsidium der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung e. V., Fortsetzungsbeschlüsse, S. 204. 349 Schweigart, Fremdstoffe (1956), S. 128. 350 Schweigart, Gestörte Ernährung, S. 143. 351 Schweigart an Schwarzhaupt (13.3.1962), in: BA Koblenz, B 142/1517, 2 von 3. 352 Heupke,Störungen, S. 136–137.

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lung der modernen Industriestaaten. Die Wirtschaftsqualität der Nahrung rangiere weit vor der Gesundheitsqualität, Quantitätsdenken vor Qualitätsdenken. Die Beurteilung von Gesundheit und Zivilisationsschäden werde vom Wirtschaftsdenken erdrückt. Es sei schlicht vernünftiger, alle synthetischen Stoffe zu verbieten und eine gesunde Ernährung zu fördern als ein völlig unzulängliches Verbot einzelner, oft erst nach Jahrzehnten mehr oder weniger zufällig erkannter Zivilisationsschadensfaktoren wissenschaftlich und juristisch durchzusetzen.353 Die Vitalstofflehre verlangte nicht nur nach politschem Umdenken und radikalen juristischen Konsequenzen, sondern als Reformpraxis nach Selbsttechniken der richtigen Ernährung. In einem Interview, das Schweigart dem Süddeutschen Rundfunk unter der Fragestellung „Wie soll man sich ernähren?“ gab, referierte er eine lange Liste der guten Ernährung – Qualitätsmilch, Milcherzeugnisse, Vollkornbrot und Vollkornerzeugnisse, Butter, gewisse Ölfrüchte und Ölsaaten, Frischobst und Frischgemüse –, eine von Fremdstoffen freie, aber viele Vitalstoffe enthaltende Vollkost. Im Jargon der Vitalstoffbewegung bedeutete dies auch die Sicherung und Wiederherstellung der naturgemäßen Lebensordnung, die harmonische Vitalstoffversorgung der Zellen und die Abwehr des Angriffs von Zellgiften. Das ideale Mittel hierfür bestand in der Vollwertkost nach Kollath.354 Schweigart hatte in seinen Schriften hochkomplexe Grafiken körperlicher Regulationssysteme integriert. Es ging ihm um eine „übergeordnete komplexe Vorstellung“, denn das „linear-analytische Denken“ reichte nicht aus, sowohl körperliche Prozesse als auch die toxische Gesamtsituation darzustellen. Die Stoffe dürften, so Schweigart, nicht nur als Einzelfaktoren betrachtet werden. Der Stoffwechsel der Organismen sei nicht die Summe zahlreicher Einzelprozesse, sondern „ein in sich geschlossenes, in den einzelnen Phasen aufeinander abgestimmtes Ganzheitssystem“.355 Worum es Schweigart ging, war eine dynamische Vitalstofflehre, ein Begriff der alles Wissen umfassen sollte, das in Distanz zur klassischen Ernährungslehre stand, eine auf den neuesten Stand gebrachte Ernährungslehre. Schweigart verband dabei die Vitalstofflehre mit der Ernährungsdynamik, was er mit gewissen Hauptsätzen des vitalen Energieumsatzes mehr verschleierte als erhellte.356 Die dynamische Vitalstofflehre reagierte nicht nur mit jenen komplexen Kaskaden und Ketten, wie sie die Biochemie in den 1950er Jahren darstellte, sondern war ja zugleich und grundlegend eine Ganzheitslehre. Im Konzept der Vitalstoffe kamen Biochemie und Holismus zusammen. Das „Ganzheitsprinzip im Vitalen“ entsprach auch grafisch dem „hormonalen Ganzheitssystem“ und der „Vorbereitung der Endoxydation“. Schweigart war durchaus ein Meister des Pastiche.357 353 Kötschau, Definition, S. 61, 63. 354 Hans Adalbert Schweigart, „Wie sollen wir uns ernähren?“ (ohne Datum), in: , in: BA Koblenz, B 142/1576. Kollath, Zivilisationsbedingte Krankheiten. Melzer, Vollwerternährung, S. 208–209 und Fritzen, Spinat-Milch. 355 Schweigart, Konvent, S. 141. 356 Schweigart, Klassische Ernährungslehre (1957), S. 84–85. 357 Schweigart, Klassische Ernährungslehre (1959). Sehr anschaulich in Schweigart, Biologie, S. 116, 127, 162.

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Neben den Vitaminen waren es die mit dem biochemischen Enzymsystem und den Enzymreaktionen verbunden gedachten sogenannten Spurenelemente, die in Schweigarts Vitalstoffsystematik eine Hauptrolle erhielten. Für Schweigart war es entsprechend von großer Bedeutung, dass er mit dem französischen Biochemiker Gabriel Bertrand den Doyen der Spurenelementeforschung für die Vitalstoffgesellschaft gewinnen konnte.358 Schweigarts Versuch, die Vitalstofflehre in die allerneueste Forschung zu integrieren, blieb tatsächlich nicht ganz folgenlos. Für den Mitte der 1950er Jahre bereits greisen Chemiker und Chemiehistoriker Georg Lockemann war die Vitalstofflehre schlichtweg Biochemie und ein weiterer Beitrag zur Molekularisierung des Wissens.359 Insbesondere Halden publizierte wiederum in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre unermüdlich zur „Vitalstoffganzheit“ als dem fundamentalen Prinzip der Ernährung, dem notwendigen Zusammenwirken von Nähr- und Wirkstoffen im menschlichen Organismus.360 Jede Ernährungslehre müsste danach die „Ganzheit harmonisch zusammengestellter Kostformen“ und die „funktionelle(n) Einheiten“ berücksichtigen. Dieser ganzheitliche Ansatz, Halden vergaß nicht dies zu erwähnen, verband wiederum die moderne Ernährungslehre mit der zur Jahrhundertwende etablierten Reformbewegung. Halden beanspruchte höchstpersönlich im Jahr 1939 der Schöpfer des biologischen Grundgesetzes der weitestgehenden Sicherung alles Lebendigen durch Schaffung natürlicher Harmonien gewesen zu sein. Er zog dabei eine direkte Linie von seinen Forschungsarbeiten zu Hans Selyes General Adaptation Syndrom, der Erklärung von sogenannten Stresssymptomen als eine „dynamische Anpassung“ des Körpers an die Umwelt.361 Vor allem das Stresskonzept schien komplexe Vorstellungen mit dem zivilisatorischen Bedrohungsszenario zu vereinigen und wurde in Vitalstoffe Zivilisationskrankheiten aufmerksam verfolgt. 1966 schrieb dort auch Frederic Vester, zentrale Figur der Stresspopularisierung in der Bundesrepublik, einen Artikel zur Kybernetik.362 Indem Schweigart die Funktion der Vitalstoffe mit „Reaktionsablauf, Reaktionsmechanismus und Wirkung von vitalen Systemen aller Organismen“ in Beziehung setzte und ihre nie isolierbare Rolle im vitalen System, im „Energieumlauf“, betonte, fungierten die Fremdstoffe als „Zellblockadestoffe“, die den geregelten Ablauf des Körpersystems boykottieren.363 In diesem Denksystem funktionierte die Vorstellung, dass es sich beim Gift um „ein dysfunktionales Agens in einem physiologischen Interdependenzgefüge“ handle.364 Dass es die Zivilisierung und Industrialisierung der Lebensweisen sei, die zu einer schleichenden Vergiftung des Einzel- und Kollektivkörpers führe und dass dem nur mit der Befreiung der durch Fremdstoffe blockierten Vitalstoffe begegnet werden könne, war eine These, die ein starker Referenzpunkt der ernährungs358 359 360 361 362

Schweigart, Der Energieumlauf. Lockemann, Die Biochemie. Halden, Die Vitalstoffganzheit, S. 39. Halden, Die Vitalstoffganzheit, S. 39–41. Vester, Neuere kybernetische Aspekte. Jackson, The Age of Stress und Kury, Der überforderte Mensch. 363 Schweigart, Klassiche Ernährungslehre (1957), S. 126. 364 Tanner, Die Ambivalenz, S. 178.

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politischen Debatte blieb. Der in der Vitalstoffgesellschaft aufgehobene und weiterentwickelte reformerisch-puristische Diskurs spielte eine einflussreiche Rolle für die enstehende Umweltschutzbewegung, vor allem weil dabei der Umweltbegriff mit dem der biologischen Politik verbunden wurde. Die Vitalstoffgesellschaft funktionierte als eine Institution der semantischen Verstärkung und Zuspitzung, bot aber auch bedeutsamen Protagonisten der entstehenden Umweltschutzbewegung eine gewisse Heimat.365 Der Begriff „Naturschutz“ tauchte im Jahr 1961 erstmals als Thema der Vitalstoffgesellschaft auf. Drei Jahre später kam es zur Gründung der internationalen Stufe des bereits 1960 etablierten Weltbundes zum Schutz des Lebens, bei dem Schweigart als Präsident fungierte. Dieser Weltbund mit Sitz in Luxemburg ging zurück auf den österreichischen Schriftsteller Günther Schwab, der seit den 1930er Jahren völkische Abhandlungen und Heimatromane publizierte, nach dem Krieg eine Zeitschrift mit dem Titel Glücklicher leben herausgab und 1958 mit dem Untergangsszenario Tanz mit dem Teufel eine für die zukünftige Natur- und Umweltschutzbewegung höchst einflussreiche Schrift veröffentlichte. Im Laufe der 1960er Jahre verband sich die Vitalstoffgesellschaft institutionell und diskursiv mit der Programmatik des Lebensschutzes, ein Begriff, der nunmehr die Vitalstoffpolitik in Bezug auf die toxische Gesamtsituation als biologische Politik zusammenfasste und ewige sittliche Werte sowie eine natürliche Lebensordnung behauptete. Die Vitalstoffgesellschaft und der Weltbund tagten gleichzeitig. Schwab sprach euphorisch vom „Aufstand des Lebendigen“.366 Auf der zehnten Tagung der Vitalstoffgesellschaft wurde eigens eine Lex protectionis vitae erlassen, ein „Gesetz zum Schutz des Lebens“, das vor allem Maßnahmen zur Wiedergesundung und Gesunderhaltung der Umweltverhältnisse sowie zur Sicherung einer ausreichenden und vollwertigen Ernährung propagierte.367 Am Beispiel des Internisten Max Otto Bruker hat Jörg Melzer in seinem Standardwerk zur Geschichte der Vollwerternährung ausführlich gezeigt, wie diese Positionen die vertrauten politischen Ordnungen überschritten. Bruker, geboren 1909, war nationalistisch gesinnter Burschenschaftler; seine medizinische Laufbahn machte der stark von Erwin Liek beeinflusste Bruker während des Nationalsozialismus. Nach dem Krieg arbeitete er in der Missionsanstalt Eben-Ezer in Lemgo, widmete sich aber bereits gänzlich der naturheilkundlichen Linie: Ganzheitsbehandlung, Diätetik, Nahrungskunde und Volksgesundheit. Bruker trat 1964 dem von Johann Georg Schnitzer gegründeten Arbeitskreis Gesundheitskunde bei, der, komplementär zur Vitalstoffgesellschaft, medizinisches Wissen zur Vollwerternährung und Verhütung von Zivilisationskrankheiten erarbeiten sollte. Auch Bruker und Schnitzer verbanden diese Programmatik mit den biopo365 Zur Geschichte der Umweltbewegung: Engels, Naturpolitik; Uekötter, Umweltgeschichte; Brüggemeier/Engels, Natur- und Umweltschutz; Hünemörder, Die Frühgeschichte; Radkau/ Uekötter, Naturschutz; Uekötter, Naturschutz; Uekötter, Umweltbewegung; Geden, Rechte Ökologie; Dominick, The environmental movement; und Stöss, Vom Nationalismus. 366 Schwab, Aufstand. Schwab war auch ein entschiedener Gegner der Nutzung der Atomkraft: Kupper, Atomenergie, S. 111–113. Zu Schwab auch: Beyler, Hostile Environmental Intellectuals, S. 401. 367 Anonym, Fortsetzungsbeschlüsse.

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litischen Themen Lebens-, Menschen- und Naturschutz. Bruker war entsprechend Mitvorsitzender und zu Beginn der 1970er Jahre auch Präsident des Weltbundes zum Schutz des Lebens. Dieser stand just während Brukers Präsidentschaft in direkter Verbindung zur Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung des Hamburger Rechtsanwalts Jürgen Rieger, einer Schaltzentrale neonazistischer Gruppierungen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. In dieser Gesellschaft kam wiederum Rassenhygiene zwanglos mit der Forderung nach einer Rohkostnahrung, die frei von Fremdstoffen sei, zusammen. Der Komplex Umwelt- und Lebensschutz machte politische Richtungen durchlässig. Bruker konnte widerspruchsfrei ebenso Mitte der 1960er Jahre Mitglied der rechtsradikalen Freien Sozialen Unionsein wie auch in den späten 1970er Jahren der Grünen Liste Rheinland Pfalz angehören.368 Die naturheilkundliche und lebensreformerische Übezeugung verband Reinigungs- und Optimierungskonzepte und die strikte Demarkierung von Natürlichkeit und Künstlichkeit mit puristischen Körpertechniken. Daraus konnten sich spezifische Ernährungsweisen, radikale Subkulturen, aber auch hegemoniale Gebote einer gesunden Lebensführung und verbindliche Präventionspraktiken herausbilden. Das Narrativ der fatalen Abkehr von einer naturgegebenen Ordnung durch Industrialisierung, Technisierung und Urbanisierung war anschlussfähig für esoterische, nazistische und ökofundamentalistische, jedenfalls antiliberale Positionen. Dies betraf vor allem die Kritik der Vermischung und das Lob der Naturordnung als behauptete Grundgesetze der menschlichen Existenz. Verinnerlicht wurden diese Positionen von der Generation der um 1900 geborenen, wobei lebensreformerische, zivilisationskritische und präventionistische Diskurse radikal in der Neuen Deutschen Heilkunde und einer biologischen Politik zusammengefasst wurden. Akteure wie Bruker, Kötschau, Kollath, Heupke oder Schweigart institutionalisierten diese Glaubenssätze in der Nachkriegszeit, aber einzelne Aspekte dieses Denksystems wurden von etwa gleichaltrigen Wissenschaftlern wie Bauer und Eichholtz durchaus geteilt. Ziele wie Gesundheit, Reinerhaltung und die „Ehrfurcht vor den ewigen Gesetzen der lebenden Natur“, wie Eichholtz es ausdrückte, fanden zudem ein zumeist zustimmendes mediales Echo. Die Vergiftung der Natur und die Schädigung der Volksgesundheit durch Zivilisation und Technik war ein bedeutsamer Diskurs, dem in der öffentlichen Debatte eine gewisse unzweifelhafte Evidenz zukam.369 Mitte der 1960er Jahre wurde das Wortfeld Zivilisationskrankheiten, toxische Gesamtsituation, Fremd- und Vitalstoffe sowie Lebensschutz durch einen Begriff erweitert, der zu diesem Zeitpunkt bereits vielfach bedeutet war: Biopolitik. Eine Biologisierung der Politik wurde um 1900 ausformuliert, wenn auch noch nicht mit dem einprägsamen Namen der „Biopolitik“ versehen. Begriffsprägend war der schwedische Geologe Rudolf Kjéllen, der 1920 den Ausdruck „Biopolitik“ systematisch verwendete. Kjéllen, ein von deutschen Zoologen und Geologen wie Karl Ritter und Friedrich Ratzel beeinflusster konservativer schwedischer Po368 Dies alles ausführlich bei Melzer, Vollwerternährung, S. 355–392. 369 Eichholtz, Chemikalien. Melzer, Vollwerternährung, S. 310.

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litiker, entwarf ein organizistisches Staatskonzept, beschrieb den Staat als Lebensform und renommierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts als einer der einflussreichsten Akteure einer biologischen Politik. Biopolitik war bei Kjéllen dabei dem Oberbegriff Geopolitik untergeordnet.370 Biopolitik reüssierte als klaustrophobischer Notstandsdiskurs über Degeneration und den Niedergang des Volkes, die demografische Krise, in einem als zu urbanistisch, mithin als zu eng verstandenen Raum. Die militärische, ernährungspolitische und rassenhygienische Lebensraumtheorie der Nationalsozialisten war ausdrücklich Geo- und Biopolitik. 1933 erschien eine Sonderausgabe der Zeitschrift für Geopolitik mit einem Beitrag von Louis von Kohl, betitelt „Biopolitik und Geopolitik als Grundlagen einer Naturwissenschaft vom Staate“. Biopolitik umfasse danach die gesamten Bedingungen eines Volkes, sowie die Fakten und Folgen, die sich aus der Beobachtung der Generationenfolge, der Zu- und Abnahme des Volkskörpers, der Entwicklung der gesellschaftlichen Schichtung und der Empfänglichkeit für Krankheiten ergeben.371 Ein weiteres Merkmal der nationalsozialistischen Biopolitik war, dass sie nicht nur eine Ideologie, eine Kultur oder einen Diskurs darstellte, sondern dass sie in Regierungsweisen überführt wurde. Der Historiker Axel Hüntelmann bezeichnet entsprechend das Gesundheitsamt unter Hans Reiter, der im Übrigen auch zum Thema publizierte, als „institutionalisierte Biopolitik“.372 Im Nachkriegsdeutschland wurde Biopolitik unzweifelhaft mit der nationalsozialistischen Rassenlehre identifiziert.373 Bei einer Wiedereinführung des Konzeptes der Biopolitik musste in den 1960er Jahren der Begriff deshalb notwendigerweise neu definiert werden. Es war der Gynäkologe Bodo Manstein, späterer Mitbegründer und erster Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der 1965 im Rahmen der Vitalstoffgesellschaft den Begriff „Biopolitik“ inaugurierte. Manstein, der bereits 1930 der NSDAP beigetreten war, zu Beginn der 1950er Jahre ein zur Verhütungspraxis taugliches sexualwissenschaftliches Ratgeberbüchlein veröffentlicht hatte sowie in der Friedens- und Antiatomkraftbewegung aktiv war, verstand unter „Biopolitik“ die Anwendung der auf dem Forschungsgebiet der Ökologie gesammelten Erkenntnisse und Erfahrungen im Bereich menschlichen Gemeinschaftslebens, eine Sozialpolitik freiwilliger Begrenzung des menschlichen Expansionsdranges zur Erhaltung des eigenen Lebensraums. Zentral war für ihn das „uralte(s) Menschheitsproblem“ eines Widerspruchs zwischen der Hilfe für den Einzelmenschen und der Gesundherhaltung des Ganzen. Dies sei, so versuchte er sich notdürftig von rassenhygienischen Schlussfolgerungen zu distanzieren, bisher oft mit grausamen und unzureichenden Mitteln vorübergehend gelöst worden. In seinem 1961 erschienenen Opus magnum mit dem Titel Im Würgegriff des Fortschritts bezog er sich einleitend auch auf Peter Marquardt, Druckrey und Eichholtz, um die umfassende Vergiftung der Lebensmittel darzustellen. Die in Bezug auf die grundsätzlich beschränkten Möglichkeiten der Lebensmittelüberwachung einzig sinnvolle Politik sei es, 370 371 372 373

Holdar, The Ideal State, S. 310–311 und Lemke, Biopolitik, S. 19–26. Kohl, Biopolitik. Hüntelmann, Hygiene, S. 294–301. Lange, Der Terminus, S. 434–435.

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stets vom stärksten Schutz der Volksgesundheit auszugehen. Eine Risikokalkulation konnte danach nur die zynischen und egoistischen Interessen der Wirtschaft befriedigen. Der technische Fortschritt brachte Fremdstoffe, Chemikalien, Abgase sowie Strahlen und gefährdete damit das biologische Leben. Biopolitik war nach Mansteins Interpretation Lebensschutz; dass dieses Projekt dringlich war, dass ohne Gegenwehr die Menschheit in ihr Endstadium eintreten würde, machte er in seiner Schrift überdeutlich klar.374 Auf dem Konvent 1970 in Trier kam es zur Gründung der Internationalen wissenschaftlichen Akademie für Lebensschutz, Umwelt und Biopolitik, der Schweigart zusammen mit dem brasilianischen Arzt Josué de Castro und Victor Jans aus Frankreich vorstand.375 Schweigart war im Vergleich zu Manstein etwas vorsichtiger in Bezug auf die Aneignung des Biopolitikbegriffs, da dieser zu seinem Kummer gerade dabei war, die Bezeichnung „Vitalstoffe“ aus der Gesellschaft zu verdrängen. So definierte er allgemein, dass die Biopolitik sich mit der Verantwortung der Gesellschaft, der Soziotechnik, der Zukunftsorientierung und der Prognostik befasse. Die zukünftige Biopolitik widme sich der Sicherung der Ernährung, der „Meisterung des unheimlichen Bevölkerungszuwachses“, der Reduzierung des Rohstoffraubbaues, der Eindämmung der toxischen Gesamtsituation, der „Rückführung des entgleisten Lebensrhythmus“, der Bekämpfung der Zivilisationsschäden und -krankheiten sowie der Sauerstoffversorgung und dem Energiehaushalt.376 Politik, so lässt sich die Position dieser ökologischen Biopolitik zusammenfassen, muss sich der durch einen emphatischen Lebensbegriff erhobenen Biologie unterordnen. Was dann wiederum biologische Gesetzmäßigkeiten seien, bestimmten die biopolitischen und lebensschützenden Aktivisten selbst.377 Die sehr konkrete Praxis des Verbots von Fremdstoffen und Förderung von Vitalstoffen wich seit 1960 einem Konzept der Gefährung des Lebens an sich durch eine komplexe toxische Gesamtsituation. Lebensschutz sei dabei immer auch Ganzheitsschutz, Schutz der biologischen Ganzheit Natur, an deren Spitze der Mensch stehe. Die Aufgabe des Lebensschutzes könne nur der gesunde Mensch erfüllen.378 Die Vitalstoffgesellschaft agierte seit den späten 1960er Jahren als selbsternannte Schutzgemeinschaft im neu entstehenden Feld Natur, Leben und Umwelt. Seit September 1968 erhielt sie dann auch den Zusatz „Leben – Gesundheit – Ernährung – Umwelt“.379 Auf der Tagung 1969 in Hannover traf sich erstmals ein häretisches Komitee, das eine Neubenennung in „Gesellschaft für Umweltforschung“ forderte, was natürlich auf den strengen Widerstand Schweigarts stieß, der aber nicht verhindern konnte, dass 1970 der Begriff „Vitalstoffe“ nicht mehr für die Konvente verwendet wurde und auch das Publikations374 Manstein, Im Würgegriff, S. 54–61. Manstein, Die zivilisatorische Fehlentwicklung, S. 225. Zu Manstein: Milder, Between Grassroots Activism; Dominick, The Roots; und Taipale, German Physicians. 375 Anonym, Konvent 1970. 376 Schweigart, Biopolitik und Schweigart, Valet. 377 Lemke, Biopolitik, S. 35–38. 378 Anonym, Weltbund. 379 Anonym, Namenserweiterung.

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organ der Gesellschaft mit dem ersten Heft 1971 in protectio vitae . Umweltforschung umbenannt wurde.380 Schweigart ärgert, dass Umwelt mittlerweile ein billiges Wort geworden sei, „auf der Straße, in den Parlamenten und auf den Regierungsplattformen und nicht minder in der Wissenschaft“. Die Begriffe „Vitalstoffe“, „Zivilisationskrankheiten“ und „toxische Gesamtsituation“ hingegen verwiesen auf das Ganzheitsprinzip und blieben in Scheunerts Wahrnehmung von unkorrumpierbarer Qualität.381 Im Laufe der 1960er Jahre wurden die Vitalstoffe wissenschaftlich in Frage gestellt und zugleich entpolitisiert ehe sie sich dann in den 1990er Jahren in eine gut verkäufliche Ware des Gesundheitsmarktes verwandelten. Eine kurze Debatte im Bundestag im Mai 1965 gibt diese Entwertung sehr gut wieder. Der CDUAbgeordnete Dietrich Rollmann zitierte aus der Resolution der Internationalen Tagung für Kariesbekämpfung in Bern, dass die primäre Ursache der Zahnkaries in der denaturierten vitalstoffarmen Zivilisationskost liege. Karl Moersch von der FDP stellte eine suggestive Zusatzfrage an den mit der Antwort betrauten Walter Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheitswesen und späterer Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, ob es sich bei dem Begriff des Vitalstoffes wohl weder um Vitamine noch um Vitalität handle. Bargatzky antwortete schlicht, der Begriff sei ihm nicht geläufig, was Heiterkeit bei der FDP auslöste. Er vermutete aber, dass es sich wohl um vitaminreiche Kost handle. Der gut informierte Moersch fuhr fort, dass es den Begriff in der Wissenschaft nicht gebe. Es bestehe der Verdacht, dass also dieses Zitat keine wissenschaftliche Grundlage habe. Natürlich intervenierte die Vitalstoffgesellschaft sofort und Schweigart beschwerte sich persönlich beim ahnungslosen Staatssekretär.382 Unter den Wissenschaftlern war es vor allem der renommierte Biochemiker Peter Karlson, ein Schüler Butenandts, der 1964 mit einer Rezension von Schweigarts Biologie der Vitalstoffe gegen die Vitalstoffgesellschaft Position bezog. Die unter Pseudonym verfasste Anwort Schweigarts ließ nicht lange auf sich warten: Karlsons Ablehnung des Vitalstoffbegriffs sowie des ganzheitlichen und als vitalistisch verstandenen Ansatzes sei eine überzogene Kritik an der Ernährungslehre selbst und berufe sich auf längst überholtes Wissen. Ein kausal-mechanistisch denkender Wissenschaftler versuche eine der Ganzheitsauffassung gewidmete Darstellung zu beurteilen und betreibe dabei Rufmord.383 Die Vitalstoffgesellschaft bewegte sich im Zwielicht ernährungsreformerischer Netzwerke und nationalsozialistischer Seilschaften, stand dabei aber, im Unterschied zur Farbstoffkommission, in Fundamentalopposition zur Lebensmittelindustrie. Sie war bei den meisten Wissenschaftlern nicht anerkannt, bei Politikern, wenn diese nicht mit Schreiben von Schweigart versorgt wurden, eher unbekannt, durch die mediale Aufmerksamkeit, die vor allem die Konvente genossen, in der 380 Schweigart, Quo Vadis, S. 222. 381 Schweigart, 17 Jahre, S. 194. 382 Deutscher Bundestag – 4. Wahlperiode – 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1965, S. 9088–9089 (http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/04/04181.pdf) und Schweigart an Bargatzky (20.7.1965) , in: BA Koblenz, B 142/1517, 2 von 3. 383 Sha, Stellungnahme, S. 130, 132.

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Öffentlichkeit aber durchaus wohlbekannt. Auf dieser Basis mischte sie sich auch in die Debatte um die Novelle des Lebensmittelgesetzes ein. Götz Ohly positionierte 1958 auf dem Stuttgarter Konvent die Vitalstoffgesellschaft gegen die Interessenverbände der Lebensmittelwirtschaft, wenn er feststellte, dass der augenblickliche Stand der gesetzgeberischen Maßnahmen notwendigerweise einer Kritik unterzogen werden müsse: „Wir haben die Pflicht, zu verhindern, daß die Gesundheit des Mensch durch die einseitige Verfolgung wirtschaftlicher Interessen im Rahmen der Arbeiten an der neuen deutschen Lebensmittelgesetzgebung auf das Spiel gesetzt wird.“384 Auf der Tagung in Hannover wurde ein die Freudenstädter Beschlüsse ergänzender zwölfter Beschluss „Zum Problem der Fremdund Giftstoffe der Nahrung“ verfasst, der sich allerdings prinzipiell nicht von den Forderungen der DFG-Kommissionen unterschied und sich explizit auf JECFA bezog.385 Mit einem gewissen Hang zur Unbescheidenheit sah Schweigart die eigenen Aktivitäten als Grundlage der Gesetzesnovelle von 1958, mit der er grundsätzlich zufrieden war. Die bundesdeutsche Regionalgruppe habe mit Entschiedenheit die in dem neuen Gesetz verankerten Grundforderungen vertreten, die vom Wissenschaftlichen Rat der Vitalstoffgesellschaft im September 1956 festgesetzt und den Frauen des Bundestages dargelegt worden seien.386 Die Vitalstoffgesellschaft sprach sich allerdings grundsätzlich gegen alle Lebensmittelzusatzstoffe, gegen Konservierungsmittel, Farbstoffe, Antibiotika, Bestrahlungen, ebenso wie gegen die Verwendung nahezu sämtlicher Chemikalien und für eine vollwertige Ernährung nach den Grundsätzen Kollaths aus. Anders als die Farbstoffkommission wollte die Vitalstoffgesellschaft keine synthetischen Farbstoffe zulassen, sondern nur Chlorophyll, Carotin, Lactoflavin, Cochenille und Anthocyanin. Synthetische Stoffe wurden prinzipiell abgelehnt.387 Dies markiert auch den fundamentalen Unterschied zwischen dem lebensreformerischen Standpunkt, der nur „Naturstoffe“ akzeptierte, und der von Biochemikern und Pharmakologen formulierten Kritik. Druckrey relativierte nämlich zum gleichen Zeitpunkt, dass mehrere Länder wie Belgien, Frankreich, Griechenland und Großbritannien ursprünglich den extremen Standpunkt vertreten hätte, dass alle synthetischen Lebensmittelfarben für die Lebensmittelfärbung zu verbieten seien. Nach deutscher Ansicht – und damit bezog er sich auf die Farbstoffkommission – sei es aber gleichgültig, ob eine schädliche Substanz natürlich oder synthetisch entstan-

384 Ohly, Zur Lebensmittelgesetzgebung, S. 47. 385 Dieser bestand aus sieben Forderungen: gesetzliche Anmeldepflicht für alle Fremdstoffe; Verbot aller Zusätze und Fremdstoffe, für die der Beweis der Unbedenklichkeit durch FAO und WHO nicht erbracht worden ist; überzeugender Nachweis der technischen Notwendigkeit der Anwendung zweckgebundener Fremdstoffe; Deklarationszwang für alle chemischen Zusatzstoffe; Kennzeichnung von Lebensmitteln, die mit Nahrungs- und Vitalstoffkonzentraten angereichert sind; Zulassung eines Hinweises auf Fremdstoff-Freiheit und Vitalstoffwerte der Lebensmittel; sowie allgemein die stärkste Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Präsidium der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung, Fortsetzung, S. 116. 386 Has., Verabschiedung, S. 196. 387 Schweigart, Fremdstoffe (1956), S. 127, 133.

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den sei. Es käme wesentlich auf die Bedenklichkeit an.388 Für die biologische Wirkung sei die Herkunft eines Stoffes belanglos, und bekanntlich erzeuge die Natur neben harmlosen, auch hoch toxische sowie kanzerogene Substanzen.389 Hans Glatzel verkündete unermüdlich, dass Stoffe die im menschlichen Organismus toxisch wirken könnten, auch als Bestandteile natürlicher Nahrungsmittel vorkämen. „Gift in der Nahrung! Toxische Gesamtsituation der Ernährung!“, mit diesem Ausruf begann Glatzel seinen Artikel über Fermenthemmer, um dann aber gleich einzuschränken, dass man keineswegs vor dem Gift in der Nahrung sicher sei, nur weil Pestizide, Konservierungsmittel und Farbstoffe verbannt worden seien.390 Dass die natürliche Herkunft eines Farbstoffs noch keine Gewähr für seine Harmlosigkeit biete, weil gerade die stärksten Gifte Naturprodukte seien, war sicherlich ein bedeutsames Argument für die Industrievertreter und zur Entlastung der als künstlich gebrandmarkten synthetischen Farbstoffe.391 Die Klärung der Begriffe spielt bei der Betrachtung dieses Themas in der Tat eine sehr große Rolle. Bernard L. Oser stellte kategorisch fest, dass jedes Nahrungsmittel eine mehr oder weniger heterogene Mischung von Chemikalien sei. Einige dieser Chemikalien seien im Laboratorium synthetisch hergestellt worden, darunter besonders die Vitamine, die praktisch zur Erhöhung des Nährwertes der Lebensmittel Verwendung fänden. Nichtsdestoweniger verbinde sich mit dem Wort „Nahrungsmittel“ die Vorstellung von etwas Gesundem und Zuträglichem, während das Wort „Chemikalie“ etwas Schlechtes oder Giftiges anzudeuten scheine.392 Ende der 1950er vollzog sich eine sukzessive Desavouierung der Vitalstoffgesellschaft durch Universitätswissenschaftler und Ministerialbeamte. Schon in der Auseinandersetzung um die Novelle des Lebensmittelgesetzes waren die Demarkationen schärfer gezogen worden. Was vor allem die Universitätswissenschaftler an der Vitalstoffgesellschaft ablehnten, war ihre „aggressive Propaganda“, ihr Purismus und ihre, so wurde es kolportiert, wissenschaftsfeindlichen Anwandlungen.393 Neben Cremer, der sich unermüdlich von der Vitalstoffgesellschaft distanzierte, wandte sich vor allem auch Kurt Täufel gegen die „voreingenommene(r), sektiererische(r), weltanschaulich festgelegte(r) Seite“, die Beunruhigung in unkritische Bevölkerungskreise trage: „Man muß heute bei auch strengst kritischer, ,puristischer‘ Einstellung die Folgerung ziehen, daß eine Ablehnung in Bausch und Bogen für jede neue Be- und Verarbeitung von Lebensmitteln – weil etwa ,unnatürlich‘– unwissenschaftlich und unter dem Zwang der derzeitigen Lebensbedingungen unmöglich ist.“394 Zur Gründungsphase der Gesellschaft war für Politiker, Journalisten und Wissenschaftler noch nicht einschätzbar, auf welche 388 „Niederschrift über die 2. Sitzung der ‚Kommission für die Prüfung der chemischen Lebensmittelkonservierung‘ am 24./25. Juli 1953 in Stuttgart“, S. 1–24, hier S. 3, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission Konservierung von Lebensmitteln, Band II. 389 Anonym, Zur Frage, S. 112. 390 Glatzel, Fermenthemmer. 391 Hamperl, Ergebnisse. 392 Bernard L. Oser, „Bestimmung von Chemikalien in Lebensmitteln“ (Übersetzung durch Übersetzungszentrale Farbenfabriken Bayer 6.9.1951), in: BA Koblenz, B 142/1570, 1 von 2. 393 Kazmeier, Verhandlungsberichte. 394 Täufel, Artfremde Substanzen, S. 24.

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Weise die Gesellschaft sich entwickeln würde. Die Partizipation anerkannter Ernährungswissenschaftler unterschied sie zudem von den immer schon mit großer Skepsis betrachteten lebensreformerischen Gruppierungen. Es ließe sich auch von einer vorsichtig distanzierten Neugierde und einer gewissen Sympathie für das ernährungsreformerische Projekt sprechen. So nahm etwa Ministerialrat Gabel 1956 persönlich am zweiten Konvent in Hannover teil. Dem Zahnarzt und Vitalstoffanhänger Friedrich Seelig teilte er freundlich mit, dass sie grundsätzliche Überlegungen teilten. Gabel korrespondierte zu diesem Zeitpunkt auch auf durchaus interessierte Weise mit Schweigart selbst.395 Er sollte seine Meinung gegenüber Schweigart jedoch im Sommer 1957 ändern, als er diesem einen beträchtlichen Hang zur Repräsentation mit großen Mitgliedernamen und zur „Publizity“ (!) vorwarf. Die Haltung der Gesellschaft selbst gehe über eine besonnene Zielsetzung hinaus. Schweigarts vorgebrachtes Ansinnen auf finanzielle Unterstützung lehnte Gabel entsprechend entschieden ab.396 Auch etablierte Wissenschaftler wie Wilhelm Neumann, Vorstandmitglied der Deutschen Pharmakologischen Gesellschaft, besuchten die Konvente, um sich ein Bild über die Vitalstoffgesellschaft zu machen, allerdings auch um Kritik an der universitären Pharmakologie und Toxikologie abzuwehren.397 Schweigart bemühte sich intensiv darum, die Gesellschaft an die Farbstoffkommission, die Commission Internationale des Industries Agricoles und JECFA anzuschließen. Ein Bindeglied dazu war der italienische Chemiker Claudio Antoniani. Der britische Ernährungswissenschaftler Wallace R. Aykroyd, der schon in den 1930er Jahren im Völkerbund als Experte tätig war und in den späten 1940er Jahren die Verbindung zwischen FAO und WHO hergestellt hatte, wurde sogar zum Ehrenmitglied der Vitalstoffgesellschaft ernannt.398 Schweigart selbst wusste sehr wohl, dass eine Reduzierung auf naturheilkundliche und zivilisationskritische Netzwerke die Vitalstoffgesellschaft schwächen würde und suchte von Beginn an Anschluss an das wissenschaftliche Establishment und auch an die Bonner Machtzentren. Aus Reihen der DFG-Kommissionen schlug ihm dabei rasch scharfe Ablehnung entgegen. Konrad Lang und Alois Franz Lindner distanzierten sich vehement von Schweigart. Sie bezweifelten vor allem, dass dieser bei Ernährungsfragen der Wehrmacht, dem unbestrittenen Qualitätsmerkmal in den 1950er Jahren, tatsächlich wie behauptet eine wichtige Rolle gespielt habe.399 Gabel schloss sich dieser Meinung an und stellte in Frage, ob Schweigart wirklich eine überzeugende Laufbahn vorlegen könne. Er sei zwielichtig und übertreibe seine Rolle bei der Wehrmachtsernähung und in Südafrika. Die Gesellschaft führe zwar einen sehr anerkennswerten Kampf um eine bessere Reinhaltung der Lebensmittel insbesondere von Fremdstoffen, sie tue das aber häufig mit so laienhaften und oft fehlerhaften Argumenten, dass sie unnötige 395 Gabel an Seelig (6.12.1956), in: BA Koblenz, B 142/1529, 2 von 2 und Gabel an Schweigart (2.10.1956), in: BA Koblenz, B 142/1517, 1 von 3. 396 Vermerk Gabel (12.8.1957), in: BA Koblenz, B 142/1517, 3 von 3. 397 Neumann nahm 1957 am Stuttgarter Konvent teil. Kalb, Wilhelm Neumann, S. 79–80. 398 Halden, Die Vitalstoffganzheit. 399 Lang an Deuticke (19.11.1956) und Lindner an Gabel (10.12.1956), in: BA Koblenz, B 142/1517, 3 von 3.

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Angriffsflächen biete und die gute Sache in billigen Verruf bringe, anstatt ihr zu nützen.400 1957 schrieb Schweigart einen Brief an Innenminister Schröder mit der Bitte, die Vitalstoffgesellschaft gegenüber dem Bundespräsidenten zu unterstützen. Der mit einer Antwort betraute Gabel behauptete, eine Antwort auf den Brief schlichtweg vergessen zu haben, machte aber deutlich, was er nunmehr von Schweigart hielt und dass er einen etwaiigen Einfluss der Vitalstoffgesellschaft auf die Gesetzesnovelle für kontraproduktiv hielt. Schweigart sei als einseitig und nachdrücklich fordernder Purist bekannt. Es empfehle sich überhaupt nicht, sich mit ihm in eine Diskussion einzulassen, fasste Gabel zusammen und fügte hintersinnig an, dass dies besonders deshalb nicht ratsam sei, „weil der Gesetzesentwurf unter dem Druck nicht zuletzt des Bundeswirtschaftsministeriums und der Wirtschaftskreise gegenüber der ersten Regierungsvorlage und dem Initiativantrag des Bundestages eine so starke Aufweichung zum Schaden des Verbraucherschutzes erfahren hat, dass er gegenüber den weitgehenden Ansprüchen von Prof. Schweigart schon gar nicht mehr zu vertreten wäre“.401 Gabel, der ja selbst durchaus für ein scharf gefasstes Gesetz eingetreten war, ging es zu diesem Zeitpunkt überhaupt nur noch darum, die Gesetzesvorlage endlich so abzuschließen, dass Grundpositionen wie das Verbotsprinzip gesichert blieben, auch wenn die Novelle durch die erfolgreiche Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie nicht mehr den anfänglichen Erwartungen entsprach. Weitere puristische Forderungen konnten da nur hinderlich sein. Schweigart ließ sich aber durch das Schweigen seitens des Innenministeriums nicht entmutigen und wandte sich direkt an den Katholiken Adenauer, dem er die Internationalität und Überparteilichkeit der Gesellschaft zusammen mit einem Glaubensbekenntnis anpries. Die Gesellschaft habe Mitglieder in 44 Ländern, sei frei von irgendwelchen rassischen, politischen und religiösen Bindungen, erkenne aber als oberstes Prinzip ein „ordnendes Prinzip“ in der Natur an, nach dem der Schöpfungsplan ablaufe.402 Das Bundeskanzleramt verstand Schweigarts Schreiben entgegen dessen Intention allerdings nicht so, dass Adenauer aufgefordert sei, auf dem Essener Konvent eine Begrüßungsansprache zu halten. Als Gabel als Kenner der Szene um eine Stellungnahme gebeten wurde, fällte er ein harsches Urteil: „Der Präsident, Prof. Schweigart, sei ein ausgesprochener Vielschwätzer mit großem Organisationstalent. Es sei diesem auch gelungen, Albert Schweitzer als Ehrenpräsident zu gewinnen, wobei es sich aber um eine Überrumpelung gehandelt habe. Die Gesellschaft verfolge an sich anerkennenswerte Ziele, sei jedoch sehr extrem, beinahe sektiererisch in ihren Forderungen.“403 Auch Schweigarts Eingabe beim Bundestag für einen Bundeszuschuss von DM 60.000,-, den die SPD-Abgeordnete Irma Keilhack, spätere Leiterin der Hamburger Verbraucherschutzzentrale, gegenüber den Landwirt-

400 Vermerk Gabel (6.12.1957), in: BA Koblenz, B 142/1517, 3 von 3. 401 Schweigart an Schroeder (25.10.1957) und Vermerk Gabel, in: BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2. 402 Schweigart an Adenauer (30.9.1958), in: BA Koblenz, B 136/5303. 403 Vermerk (8.10.1958) und im Auftrag Kriele an Schweigart (9.10.1958), in: BA Koblenz, B 136/5303.

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schafts- und Innenministerien vertrat, wurde geschlossen abgelehnt.404 Schweigart konnte dies natürlich nur so verstehen, dass die eigene Lobbyarbeit nicht mit dem Einfluss der Lebensmittelindustrie konkurrieren konnte. Im Dezember 1959 beschwerte er sich bei Schröder, dass die Vitalstoffgesellschaft von maßgeblichen Vertretern seines Ministeriums im Gegensatz zu den Gegnern der durchgesetzten Gesetzesnovelle übergangen worden sei, als es darum gegangen sei, die neuen Rechtverordnungen zu beraten. So seien dann Spurenelemente verboten, aber viele Fremdstoffe, so die Insektizide, erlaubt worden. Das, drohte er Schröder, werde eine öffentliche Auseinandersetzung nach sich ziehen.405 Schließlich verfasste Gabel im Januar 1960 einen ausführlichen und abschließenden Vermerk über Schweigart. Dieser habe sich im Laufe der Jahre in ein fragwürdiges Licht gebracht. Eine Verbindung zwischen dem Bundesinnenministerium und der Gesellschaft würde dem Ansehen des Ministeriums schaden. Etwas boshaft unterstellte er Schweigart, dass dieser sich zwar als puristischer Gegner der Lebensmittelindustrie ausgebe, aber Kontakte mit der in Paris ansässigen Commission Internationale des Industrie Agricoles pflege. Über diese Organisation habe er auch an der Sitzung des Europäischen Rates für einen Codex Alimentarius im April 1958 in Wien teilgenommen. Trotz des zur Schau getragenen „Purismus“ trete er für den künstlichen Zusatz von sogenannten Spurenelementen ein. Gabel riet Schröder schließlich dringend, nicht einer Einladung der Vitalstoffgesellschaft zu folgen. Edmund Forschbach, Ministerialdirigent der Abteilung Lebensmittelwesen des Bundesinnenministeriums, ging noch einen Schritt weiter und riet Schröder davon ab, überhaupt Schweigart zu antworten.406 Im Juli 1960 lief Schweigart dann persönlich beim Bundesinnenministerium auf, wurde aber nicht empfangen. Die Vorgänge sollten nunmehr zu den Akten gelegt werden, schien Gabel bei diesem Anlass vernehmlich zu seufzen.407 Im April 1962 trug der tatsächlich im Innenministerium angelegte Aktenordner bereits den Titel „Sondervorgang Schweigart – Ges. f. Vitalforschung“. Aber die Ablehnung der Ministerien und Kommissionen bedeutete keineswegs, dass die Tagungen der Vitalstoffgesellschaft bis in die 1960er Jahre nicht in der Öffentlichkeit höchst interessiert verfolgt wurden, es bis auf die Titelseiten der führenden Tageszeitungen schafften und durchaus auch Kampagnen auslösten.408 Als Heupke auf dem Konvent in Essen berichtete, dass Möhrensamen mit 404 Vermerk Gabel (13.3.1958), in: BA Koblenz, B 142/1517, 3 von 3. II B 3, Bundesminister der Finanzen, Betr.: Eingabe der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und VitalstoffForschung e. V. vom 12. Juni 1958 an den Präsidenten des Deutschen Bundestags auf Gewährung eines Bundeszuschusses (?.2.1960), in: BA Koblenz, B 142/1517, 1 von 3. 405 Schweigart an Schroeder (29.12,1959), in: BA Koblenz, B 142/1517, 1 von 3. 406 Gabel, Betr. Prof. Schweigart, Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung e. V. (22.1.1960), Forschbach an Abteilungsleiter IV (30.9.1959) und Marquart an Hess (17.9.1959), in: BA Koblenz, B 142/1517, 1 von 3. 407 IV B 8/1, Vorgänge Schweigart (18.7.1960) , in: BA Koblenz, B 142/1517, 1 von 3. 408 Dr. D., „Warnung vor Zivilisationsgefahren. Erkenntnisse auf der Stuttgarter Tagung“ (Stuttgarter Zeitung, 23. September 1957), Gottfried Büttner, „Unser täglich Brot. Zum dritten Internationalen Vitalstoff- und Ernährungskonvent“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. September 1957), Horst Klein, „Alle schädlichen Stoffe verbannen… Wenn es um die Er-

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einem Pflanzenschutzmittel behandelt werde, das bei Fliegen eine tödliche Wirkung habe, sorgte das für einen öffenlichen Eklat. Der Möhrensaft, den Ärzte in gutem Glauben den Säuglingen gäben, so pointierte Heupke, töte Fliegen. Eine besorgte Düsseldorferin schrieb sofort an den Bundesinnenminister und beklagte sich über diese „Ungeheuerlichkeit“. Sofort müsse „im Namen von ungenannten Millionen von Müttern, in staatsbürgerlicher Gesinnung“ etwas Durchgreifendes über alle bürokratischen Barrieren hinweg geschehen.409 Auch als im Spätsommer 1960 bekannt wurde, dass es in den Niederlanden zum Ausbruch der sogenannten Margarinekrankheit gekommen sei, waren es die Darstellungen aus dem Kreis der Vitalstoffgesellschaft, welche die öffentliche Debatte prägten. Das Auftreten von Herpes nach Margarinegenuss wurde mit dem Emulgator ME 18 in Verbindung gebracht. Heupke deutete dies als Beweis für die ungenügend kontrollierte Verwendung von Fremdstoffen: 100.000 Menschen, so Heupke, seien von der „Bläschenkrankheit“ befallen worden. Spätere Untersuchungen zeigten dann, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verzehr einer bestimmten Margarine und Herpes kaum wahrscheinlich war. Der koinzidierende Margarineverbrauch sei mit einer Korrelation verwechselt worden, so der Amsterdamer Dermatologe R. D. G. Simons, wobei ein Kausalzusammenhang angenommen worden sei.410 Auch Schweigarts Bonmot des „Selbstmord mit Messer und Gabel“ sollte die Debatte über Lebensmittelzusatzstoffe – 28.500 Googleeinträge sprechen eine deutliche Sprache – bis heute prägen.411 Die Vitalstoffgesellschaft spielte bis in die frühen 1960er Jahre im deutschsprachigen Raum eine einflussreiche Rolle im alarmistischen Sinne. Sie lieferte einen Notstandsdiskurs und verbreitete Narrative, welche die Debatte über die richtige Ernährung und die industrielle Lebensmittelproduktion nachhaltig ausrichteten. Da sie von Politik, Wissenschaft und Industrie jedoch nicht akzeptiert wurde, blieb ihr institutioneller Einfluss gering. Kein Mitglied der Gesellschaft konnte den Ruf des Puristen und Außenseiters wirklich loswerden. Das sei ein Kreis, dem er nicht angehöre, verkündte Souci indigniert, als er in einem Spiegelgespräch mit den Aussagen des Vitalstoffkonventes konfrontiert wurde.412 Auch wenn Schweigart an einer anderen Legende strickte, wurde die Novelle des Lebensmittelgesetzes maßgeblich durch Druckreys Summationslehre, die Organisationsarbeit der Farbstoffkommission und die Allianz der Ministerialbürokratie des Innenministeriums mit den weiblichen Abgeordneten des Bundestags geprägt. Die Vitalstoffgesellschaft lieferte aber Narrative und Diskurse, die von

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nährung geht: Ergebnisse des internationalen Vitalstoff-Konvents“ (Die Welt, 24. September 1957) und Anonym, „Vergiften wir uns mit der Nahrung? Warnung des Internationalen Vitalstoff- und Ernährungskonvents in Stuttgart“ (Frankfurter Rundschau, 24. September.1957), in: BA Koblenz, B 227/050481. Unleserlich an Innenminister (15.10.1958), in: BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2. Simons, Die sogenannte Margarinekrankheit und Hans-J. Wasserburger, „Absolut ungiftige Stoffe gibt es überhaupt nicht. Der 7. Internationale Konvent für Vitalstoffe, Ernährung und Zivilisationskrankheiten“ (Frankfurter Rundschau, 29.9.1961), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 60329, Presse, 1961–1970. Unleserlich an Innenminister (15.10.1958), in: BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2. Anonym, Gift, S. 47.

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der sich im Laufe der 1950er Jahre konstituierenden organisierten Verbraucherbewegung aufgegriffen wurden und dafür sorgten, dass volksgesundheitlichen Aspekten eine größere Bedeutung zukam als ökonomischen Erwägungen, dass der Schutz vor Kontaminationen mit Fremdstoffen mehr wog als günstige Preise und ein farbenfrohes Angebot. Die Vitalstoffgesellschaft repräsentierte puristische Ideen, während die Verbraucherbewegung den Konsumenten als rationalen ökonomischen Akteur vertrat. Ende der 1950er Jahre entwickelte sich die Rationalität des Verbraucherschutzes aber selbst puristisch und volksgesundheitlich. Zwar gab es zwischen der Vitalstoffgesellschaft und der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände keine persönlichen Überschneidungen, aber für die Forderung nach einem puristischen Verbraucherschutz brauchte es nach der Debatte über das Lebensmittelgesetz und im Schatten der toxischen Gesamtsituation keine weiteren Argumente mehr. Verbrauchererwartungen. Inkompetente Beurteiler, rationale Konsumenten und politische Akteure „Abg. Dr. Dresbach: „Was kann man eigentlich nach ihren Aussagen noch mit Appetit essen, Frau Kollegin? – Heiterkeit.“413

„Verbrauchererwartung“, das ist die Generalnorm jeder Beurteilung von Lebensmitteln, so der Lebensmittelchemiker Volker Hamann, oder, wie es der Jurist Walter Zipfel ausdrückte, der Angelpunkt des Lebensmittelrechts.414 Während Geschmacksfragen variieren und damit der konsumistischen Begehrensstruktur und der Bedürfnisbefriedigung zugehörig sind, umfasst die Verbrauchererwartung auch den Erhalt eines angemessenen Produktes. Die Verbrauchererwartung meinte in den 1950er Jahren aber immer auch die Differenzierung falscher und richtiger Bedürfnisse und war an die fiktive Existenz des rationalen Verbrauchers, des Homo oeconomicus der neoklassischen Wirtschaftsvorstellungen, geknüpft. Zum berechtigten Wunsch nach günstigen, gut aussehenden und wohlschmeckenden Lebensmitteln kam die Forderung, dass Lebensmittel auch gesund, zumindest aber nicht gesundheitsschädlich sein müssten.415 In der Verzahnung wissenschaftlicher Forschung, wirtschaftlicher Produktivität, politischer Entscheidungen, öffentlicher Diskurse und juristischer Regulierungen wurde in den 1950er Jahren die Debatte über die gesunde Ernährung auf den Konsumenten ausgerichtet. Damit waren wiederum zwei Hauptprobleme aufgenommen, die so schon seit Ende des 19. Jahrhunderts existierten: Wie konnte der Verbraucher zu einem rational denkenden und agierenden Akteur mit vernünftigen Erwartungen werden? Und wie konnte zwischen unterschiedlichen Interessengruppen vermittelt 413 Beitrag Strobel, 2. Deutscher Bundestag, 149. Sitzung, Bonn, 8. Juni 1956, S. 7904 (http:// dip21.bundestag.de/dip21/btp/02/02149.pdf). 414 Zipfel, Lebensmittelrecht, S. 202; Hamann, Im Einvernehmen mit…, S. 7; und Hamann, Die Verbrauchererwartung. Auch: Roeder, Kritische Betrachtungen. 415 Kuhlmann, Verbraucherpolitik, S. 59–94.

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werden? Der fundamentale Gegensatz zwischen den Profiterwartungen von Industrie und Handel einerseits und dem Dogma der Volksgesundheit andererseits stand in einem schwer aufzuhebenden Widerspruch, wie ihn schon Erwin Liek 1934 in einem etwas merkwürdigen Bild ausformuliert hatte: Die Nahrungsmittelindustrie wolle möglichst viel Geld verdienen, ohne mit der Lebensmittelgesetzgebung in Widerspruch zu kommen. Das sei das gute Recht des Kaufmanns. Recht des Verbrauchers sei es aber, „sich gegen eine entwertete oder chemisch mißhandelte Nahrung zu wehren“.416 Das Recht des Verbrauchers war an dessen Status als zu schützender Staatsbürger geknüpft. Der Regierung kam eine Verantwortung zu, die wissenschaftlich begründet, politisch umgesetzt und juristisch fixiert werden musste. Da aber die Interessen von Politik und Wirtschaft eng verbunden waren, wurde schon seit Ende des 19. Jahrhunderts eingefordert, dass die Verbraucher zu sich selbst als rationale Konsumenten finden müssten. Damit es aber dazu komme, müssten sie erst erzogen und aufgeklärt werden, um dann ihr Recht auf umfangreiche Informationen über die Waren selbst zu erkämpfen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts trat in den wirtschaftswissenschaftlichen Texten die Figur des Konsumenten der des Produzenten gegenüber. Dieser Konstellation war eine dritte Figur, die des Händlers, zugeordnet. Produktion, Distribution und Konsumption sind danach die Prozesse der Warenzirkulation, wobei letztere jenen Endpunkt markiert, an dem die Dinge der Zirkulation entzogen werden. Das Verhältnis vom Konsumenten zum Produzenten und zum Händler war notwendigerweise spannungsreich und gründete auf unterschiedlichen Interessen, wenn es auch idealerweise komplementär funktionierte: „Der Handel ist seinem Wesen nach eine Art und Weise, wie die Produktion wohlfeiler gemacht wird“, schrieb John Stuart Mill Mitte des 19. Jahrhunderts, „und in allen solchen Fällen ist es der Konsument, der den hauptsächlichen Nutzen davon hat“.417 In der liberalen Wirtschaftsauffassung sollten Produzenten, Händler und Konsumenten letztlich gemeinsamen Profit haben. Eine besonders prekäre Position kam dabei allerdings den Händlern zu, die der französische Sozialutopist und Fourierist Hippolyte Renaud schon 1842 in seiner Schrift Solidarité scharf kritisierte. Obgleich der Handel seiner Natur nach bloß ein Bindeglied zwischen Produktion und Konsumption sei, habe er doch den ersten Rang usurpiert und halte Produktion und Konsumption sklavisch nieder. Der Produzent sei von ihm abhängig, der Arbeiter erhalte durch ihn einen möglichst geringen Lohn und der Konsument werde von ihm schonungslos ausgebeutet.418 Mill ging es grundsätzlich darum, eine Sozialund Wirtschaftsordnung zu skizzieren, bei der die Interessen von Produzenten, Händlern und Konsumenten in einem wiederum produktiven Gleichgewicht gehalten sind. Laissez-faire müsse die Regel sein, verkündete Mill. Aber zu den bedeutenden Hindernissen dieses utopischen Gebots gehörte es, dass der Konsument immer auch ein „inkompetenter Beurtheiler des Artikels“ sein konnte.419

416 417 418 419

Liek, Der Kampf, S. 23. Mill, Grundsätze, S. 33. Renaud, Solidarität, S. 78–79. Mill, Grundsätze, S. 430–434.

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In der Marxschen Lehre ist die individuelle Konsumption von Lebensmitteln gegenüber der produktiven Konsumption, der kapitalistischen Aneignung der Arbeitskraft zur Produktion von Waren, von zweitrangiger Bedeutung. Die individuelle Konsumption des Arbeiters sei für ihn selbst unproduktiv, denn sie reproduziere nur das bedürftige Individuum: „(S)ie ist produktiv für den Kapitalisten und den Staat, denn sie ist Produktion der den fremden Reichtum produzierenden Kraft.“ Konsum erscheint dabei also ausschließlich als Reproduktion des ausbeutbaren Arbeiterkörpers durch die Verwandlung von Lebensmitteln in „Muskel, Nerven, Knochen, Hirn usw.“420 Das Marxsche Konsumkonzept ist durch die Bestimmung der individuellen Konsumption als Moment der Produktion einerseits beschränkt, dem liberalen Konzept unterlegen, wenn es die Genealogie der Konsumgesellschaft beschreiben soll, andererseits verweist es auf das Staats- und Wirtschaftsinteresse am Stoffwechsel, die Herstellung leistungsfähiger Körper durch jenen vernünftigen Konsum, der Muskelmasse, Nervenstärke, stabile Knochen und rationale Hirnstrukturen aufbaut und diese nicht durch Alkohol, Syphilis, Rachitis und Schundliteratur zerstört. Verbraucher- und Gesundheitspolitik sind hier unmittelbar verbunden. Umstritten bleibt, ob dies als ein fortschrittliches, reformerisches Programm der Herstellung eines Neuen Menschen angesehen werden kann oder, im Marxschen Sinne, eine noch perfidere Zurichtung des Menschen bedeutet: Wenn der Konsum gesunder Lebensmittel auch die Interessen des Individuums zu befriedigen scheint, dient er doch nur der umso intensiveren Ausbeutung der Arbeitskraft. Das große Projekt der Aufklärung und Erziehung des inkompetenten Verbrauchers, das in diesem Sinne Teil der Sozialpolitik des späten 19. Jahrhundert ist, lässt sich marxistisch und wirtschaftsliberal erklären. Im Marxismus kann der Konsument nur dann zu sich kommen, wenn er die Gesetze der Warenzirkulation insgesamt versteht und sich die Produktionsmittel aneignet; im Liberalismus muss er sich als Akteur der Wirtschaftsprozesse erkennen und zum Gleichgewicht des tendenziell optimal funktionierenden Marktes beitragen. Da Sozialismus und gerechter Markt gleichermaßen Fiktionen sind, müssen beide Neuerschaffungen des Konsumenten ihrer Realisierung harren.421 Einen für die Konstituierung des Konsumenten bedeutsamen Impuls erhielt die Debatte durch die neoklassische Ökonomie um 1900, mit der Konzepte des Nutzens, der Bedürfnisbefriedigung und des individuellen Konsums in den Mittelpunkt wirtschaftswissenschaftlichen Denkens und damit auch staatswirtschaftlicher Praxis rückten. Ihre Evidenz erhielt die damit verbundene Annahme, dass dem Konsum Vorrang vor der Produktion zukomme, das Begehren der Erzeugung von Gütern vorangestellt sei, durch die in der Geschichtsschreibung mittlerweile ausführlich dargestellte zeitgleiche Herstellung und Verbreitung von Konsumgütern in den transatlantischen Gesellschaften, dem Enstehen einer Konsumgesellschaft auch auf der Basis steigender Reallöhne. Konsum, so pointiert dies der Technikhistoriker Wolfgang König, ist die „Lebensform der Moderne“.422 Entgegen der klassischen Ansicht von der Arbeit als der schöpferischen Bedin420 Marx, Das Kapital, S. 520. 421 Torp, Konsum, S. 151–152. 422 König, Geschichte, S. 7.

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gung des Wohlstands, dem von Locke bis Marx proklamierten Primat der Produktion, verkündeten die sogenannten Marginalisten, dass jede ökonomische Tätigkeit nur dann produktiv sei, wenn sie die subjektiven Bedürfnisse der Konsumierenden befriedigen könne. Aus der Sicht der Konsumierenden gibt es nur die Befriedigung oder Nichtbefriedigung ihrer Wünsche. Die Gesellschaft besteht danach aus souveränen, wünschenden, konkurrierenden und idiosynkratischen Subjekten.423 Wie der Wirtschaftswissenschaftler Ralf Ptak die neoklassische Glaubenslehre anschaulich zusammenfasst, sei der perfekte Zustand einer Marktwirtschaft das Konstrukt einer vollständigen oder auch vollkommenen Konkurrenz, „in der vielen Nachfragern viele Anbieter gegenüberstehen, die dabei über optimale Informationen und damit Markttransparenz verfügen, sodass ein gleichgewichtiges, effizientes Marktergebnis zustande kommt“.424 Verbraucherpolitik wurde im 20. Jahrhundert immer auch neoklassisch verstanden. Dies gilt insbesondere für die bundesdeutsche Nachkriegszeit, die wirtschaftspolitisch durch einen ordoliberalen Diskurs geprägt war, dem der Verbraucherschutz als bedeutendes Moment einer wohlfunktionierenden Markt- und Wettbewerbsordnung zugeordnet war.425 Cornel Josef Bock fasste dies zeitgenössisch so zusammen, dass durch die Nutzenlehre der österreichischen Schule um Carl Menger vergessenes Gedankengut über die Bedeutung des Verbrauchs allmählich wieder in Sicht gekommen sei. Die moderne Wettbewerbslehre habe die Bedeutung des „letzten Käufers“ deutlich erkannt. Aber erst mit der neoliberalen Schule um Walter Eucken und Leonhard Miksch sei die „Macht“ des Verbrauchers wieder in Erscheinung getreten.426 Foucault sah in einer vollkommenen ökonomischen Erfassung des Menschen, die Alexander Rüstow als „Vitalpolitik“ bezeichnet hatte, und der Neuformierung der Gesellschaft nach dem Modell des Unternehmens den Endzweck der ordoliberalen Regierungsweise. Man müsse den Konsum als eine Unternehmensaktivität betrachten, durch die das Individuum auf der Grundlage des verfügbaren Kapitals seine eigene Befriedigung produziere.427 Jedoch lässt sich Verbraucherpolitik eben nicht auf wirtschaftswissenschaftliche Theorien reduzieren. Das Gefüge von Produzenten, Händlern und Konsumenten wird immer auch durch Ministerialbürokratie, Juristen, wissenschaftliche Experten und eine mobilisierte Öffentlichkeit erweitert und modifiziert. Und auch der Konsument selbst ist mehr als ein bloßer ökonomischer Akteur. So ist der Begriff viel schillernder und umfangreicher als der des Käufers, der, in einer direkten Beziehung zum Verkäufer stehend, 423 Birken, Consuming Desire, S. 25–26, 31–35. Auch: Tanner, Konsumtheorien. Aber auch kritisch zur Differenzierung in vor- und nachmarginalistische Zeiten: Winch, The Problematic Status. 424 Ptak, Grundlagen, S. 28–29. 425 Gasteiger, Der Konsument, S. 60. 426 Bock, Der Verbraucher, S. 26. 427 Foucault, Die Geburt, S. 210–211, 246, 315, 333–334. Foucault bezieht sich dabei auf die Anfang der 1970er Jahre vom neoliberalen Vordenker Gary Becker entwickelte Konsumtheorie, die sich so allerdings auch schon in den Texten der Verbraucherforschung finden lässt. Hesse, Der Mensch und Bröckling, Das unternehmerische Selbst.

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auf die Praxis des Warentausches, auf Leistung und Gegenleistung reduzierbar, ökonomisch abstrahierbar und zudem kollektivpsychologisch bestimmbar ist.428 Um 1900 wurde eine Definition des Konsumenten dringlich, ohne das allerdings bis heute darüber große Einigkeit herrscht. Der Konsument ist immer im Werden begriffen, orts- und zeitgebunden, offen für Diskurse, ein ahnungsloses Objekt fremder Interessen und unsichtbarer Strukturen, aber ebenso politisches Subjekt, organisierter Kämpfer für seine Rechte, subversiver Gegner jener Ordnung, die ihn doch eigentlich erst konstituiert. Die Bezeichnung „Produzent“ macht Sinn, weil es ein Spezifikum bestimmter ökonomischer Akteure meint. Konsumieren ist jedoch zunächst eine Praxis aller Menschen, wenn nicht eine anthropologische Konstante. Produzenten sind immer auch Konsumenten, Konsumierende aber nicht notwendigerweise Produzenten.429 Claudius Torp hat überzeugend gezeigt, dass zu Beginn der Weimarer Republik der Konsument als politischer Akteur aufgerufen wurde. Sogar ein eminenter Klassenkampftheoretiker wie Karl Kautsky habe betont, dass eine revolutionäre Klasse auch „das allgemeine gesellschaftliche Interesse, das Konsumenteninteresse“ vertreten müsse.430 Wenn alle Menschen begehren und verbrauchen, was unterscheidet dann den Konsumenten von der Allgemeinheit? Handelt es sich um einen analytischen Begriff, der nur im Rahmen bestimmter Theorien Sinn macht, oder kommt dem Konsumenten eine Realität, ein Bewusstsein, eine Identität zu? Der Konsument, dies wäre eine vorsichtige Annäherung, wird über Zuschreibungen und Selbstdefinitionen bestimmt. Danach ist er zunächst ein ökonomischer Akteur, in seiner Inkompetenz schutzbedürftig und notwendigerweise zu erziehen und aufzuklären, als Homo oeconomicus zugleich zur Realisierung rationalen Verhaltens verpflichtet. Der Nationalökonom Oswald von Nell-Breuning drückte dies 1928, sozusagen die Krise der Marktwirtschaft formulierend, deutlich aus: In der modernen Wirtschaft entspreche einer aufs äußerste rationalisierten Produktion ein völlig irrationaler Konsum.431 In enger Verwandtschaft mit dieser erst noch zu aktualisierenden ökonomischen Identität, wird der Konsument zu einer juristischen Abstraktion, generiert Gesetze und wird durch Gesetze konstituiert. Die Politik ist aufgefordert, Industrie und Handel dazu zu bewegen, den Konsumenten großtmögliche Informiertheit zu gewähren, damit dieser als aufgeklärtes Subjekt vernünftige Kaufentscheidungen treffen kann. Als moralisches Subjekt bestimmt sein Verhalten – und das ist ausschließlich der Konsum – die Bedingungen der Produktion und die Qualität der Produkte. Im gesundheitspolitischen Sinne ist der Konsument stets durch mangelhafte und schädliche Produkte bedroht, was wiederum veränderte Gesetzgebungen und Lebenspraktiken hervorbringt. In diesem Sinne soll sich der Verbraucher als zentrale Gestalt puristischer Diskurse verwirklichen und die Reinheit leben sowie die Kontamination vermeiden. Aus dem Protagonisten der Wettbewerbs- und Marktwirtschaft, dem Konsumenten an sich, muss schließlich der Verbraucher für sich, ein bewusster, sich 428 429 430 431

Oppenheimer, Käufer. König, Konsumkultur, S. 303. Zitiert nach Torp, Konsum, S. 151. Zitiert nach Bock, Der Verbraucher, S. 28.

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organisierender und die eigenen Rechte vertretender politischer Akteur werden. Der Verbraucher, manifestierte dies Bock, müsse durch gemeinschaftliche Selbsthilfe vom Objekt zum Subjekt in der Wirtschaft aufsteigen.432 Gleichwohl ist der schutzbedürftige Verbraucher immer auch mehr als ein ökonomischer Akteur und rückt Mitte des 20. Jahrhunderts zugleich in das Zentrum einer körperpolitischen Debatte. Dabei erweist sich das generische Maskulinum durchaus als falsch. Denn mit Konsumenten waren in aller Regel Konsumentinnen gemeint.433 Wenn Konsum zuallererst als eine ökonomische Kategorie verstanden wird, dann ist es über ihn möglich, so die Wirtschaftswissenschaftlerin Frieda Wunderlich, dass „andere Wertsphären Einfluß auf die Wirtschaft gewinnen können“.434 Der Ökonomisierung der Staatsbürger korrespondierte die Moralisierung des Konsums. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden Konsumvereine, zuerst in England, dann auch auf dem Kontinent, die der Selbstorganisierung der Verbraucher und der Kritik am Verkauf verfälschter Waren, namentlich von Nahrungsmitteln, dienten. Um 1900 wurden im Kaiserreich zahlose Konsumgenossenschaften gegründet, die sich explizit als Schutzverbände gegen Warenfälschung und insbesondere Nahrungsmittelverfälschung verstanden. In der Weimarer Republik kam den Konsumvereinen eine explizit politische Rolle zu.435 Zeitgleich wurden zunächst in den Vereinigten Staaten, dann auch in einzelnen europäischen Staaten Käuferligen gegründet, denen zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchaus politischer Einfluss zukam. In den USA waren diese philantropischen, von Frauen angeführten Vereinigungen vor allem an der Verbesserung der sozialen Bedingungen der Produzierenden interessiert: gerechte Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und ein angemessener Arbeitsplatz.436 Die in den 1890er entstandenen lokalen Käuferligen wie die Consumers’ League of the City of New York schlossen sich 1899 zur von Jane Addams und Josephine Lowell gegründeten National Consumers’ League zusammen. Nach diesem Vorbild entstanden 1902 die französischen Ligues sociales d'acheteurs und 1906 die Schweizer Soziale Käuferliga. Ein Jahr später kam es dann auch in Deutschland zur Gründung des Käuferbundes Deutschland. Diese erste Institutionalisierung des Verbraucherschutzes kulminierte in einem internationalen Kongress 1908 in Genf. Die Käuferligen gaben Kaufempfehlungen ab, erstellten Weißlisten guter Produkte und regten zum richtigen Konsum an.437 Die Praxis des Konsumierens verpflichtete 432 433 434 435

Bock, Der Verbraucher, S. 42. König, Der gute schlechte Geschmack. Wunderlich, Produktivität, S. 256. Torp, S. 99–164; Hierholzer, Nahrung, S. 302–319 und Prinz, Brot. Die Geschichte der Moralisierung der Märkte beginnt also, anders als gewöhnlich angenommen, schon Ende des 19. Jahrhunderts (Stehr, Die Moralisierung). 436 Kelley, Aims, S. 300. 437 König, Konsumkultur, S. 304–307, 325–334. Zu den französischen Ligues sociales d’acheteurs: König, Konsumkultur, S. 308–311, Chessel, Consumers Leagues und Chessel, Aux origines. Zur Schweizer Sozialen Käuferliga: König, Konsumkultur, S. 311–316. Zur gut erforschten amerikanischen Consumers’ League u. v. a.: Glickman, Buying Power, S. 155–188 und Storrs, Civilizing Capitalism. Zur Situation in Großbritannien: Vincent, The Moral Expertise. Siehe auch allgemein: Homann/Ott, Konsumentenmoral; Trumbull, Consumer Capitalism; Hil-

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dazu, die Bedingungen unter denen die Waren hergestellt werden, zu verbessern. Florence Kelley, die erste Generalsekretärin der Consumers’ League und unermüdliche Kämpferin gegen die Arbeitsbedingungen in den Sweatshops, leitete ihren Artikel zu den Zwecken und Prinzipien der Consumers’ League mit den Worten ein, dass deren Grundprinzipien teils ökonomisch, teils moralisch seien. Es sei das Ziel, Kaufentscheidungen zu moralisieren, „to gather and make available information which may enable all to decide in the light of knowledge, and to appeal to the conscience, so that the decision when made shall be a righteous one“.438 Der moralische Konsum war zwar auf die Produktionsbedingungen ausgerichtet, verlangte aber vor allem nach Aufklärung und Wissen, nach Informationen, und intendierte damit immer auch eine Disziplinierung bei der Kaufentscheidung, rationales Verhalten, ökonomisches Einkaufen und dies vor allem auch in Bezug auf Nahrungsmittel.439 Gudrun M. König spricht davon, dass sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts „eine organisierte bürgerliche Bewegung der Konsumenten“ bildete, die mit Aufklärungsarbeit am Projekt des mündigen Verbrauchers arbeitete. Die Wende zum 20. Jahrhundert zeitigte eine Moralisierung des Konsums.440 Mit dieser moralischen Ökonomie des Konsums offenbarte sich aber auch das Entstehen einer neuen Gesellschaft. In scharfem Kontrast zu jenem Diskurs, der die Zivilisation als Ursache einer Degeneration definierte, wurden in diesem Zusammenhang um 1900 Zivilisiertheit und Konsum zum Maß einer fortschrittlichen Gesellschaft. Florence Kelley, die als Sozialreformerin, vielleicht sogar als Sozialistin bezeichnet werden kann, drückte dies 1899 in aller Deutlichkeit aus: „(I)n a civilized community every person is a consumer.“441 Die amerikanische Consumers’ League war aber zudem eng mit der Abstinenz- und Temperenzbewegung verbunden. Eine Purismuspolitik spielte spätestens seit 1904 gegenüber der Sozialpolitik einer Florence Kelley eine immer größere Rolle. Im Anschluss an die National Women’s Christian Temperance Union und die General Federation of Women’s Clubs wurde die Consumers’ League gegen industrielle und politische Widerstände zum höchst einflussreichen Akteur beim Erlass des Pure Food and Drug Act im Jahr 1906.442 Der Abstinenzler Wilhelm Bode bezog sich 1901 in seiner Schrift Macht der Konsumenten auf die Intentionen der Consumers’ League und forderte dazu auf, deren moralische Politik in Deutschland zu übernehmen. Die mit Jane Addams korrespondierende Ökonomin, Frauenrechtlerin und Sozialpolitikerin Alice Salomon griff Bodes Motto auf, wandelte es aber zugunsten der Hauptverantwortlichen für den Konsum in die „Macht der Käuferinnen“ und eine „angewandte Konsumentenmoral“ um. Konsum wurde weiblich konnotiert, die Verbraucherin zu einer politischen Ak-

438 439 440 441 442

ton, Social Activism; Trentmann, Before Fair Trade; Kroen, A Political History und Glickman, A Living Wage. Kelley, Aims, S. 289–290. Zu Florence Kelley: Timming, Florence Kelley und Sklar, Florence Kelley. Bruegel, Un distant miroir und Hierholzer, Nahrung, S. 275. König, Konsumkultur, S. 303 und Kroen, A Political History. Kelley, Aims, S. 289. Haydu, Frame Brokerage und Goodwin, Pure Food, S. 152–170.

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teurin, Verbraucherpolitik ein Ergebnis frauenrechtlerischer Bestrebungen. Die Kritik an den Arbeits- und Lebensbedingungen im Kapitalismus und der Kampf für Frauenrechte bildeten eine Einheit.443 Der Deutsche Käuferbund entstand in Abgrenzung zu den genossenschaftlichen Konsumvereinen und, auf Anregung von Matthias Erzberger, führender Politiker der Zentrumspartei, als überkonfessioneller, aber religiös und sozialmoralisch orientierter Zusammenschluss von philantropischen Vereinigungen sowie Frauen-, Sozial- und Gewerkschaftsvereinen. Mit der Selbstbezeichnung als Bund reihte er sich wiederum in die lebensreformerische Bewegung ein. Angeregt durch Maud Nathan, der Vizepräsidentin der National Consumers’ League, die 1902 auf dem von Alice Salomon mitorganisierten Kongress der International Councils for Women in Berlin einen Vortrag über die „Liga der Konsumenten“ hielt, kam dabei den Frauenvereinen eine zentrale Funktion zu. Der Käuferbund Deutschland propagierte explizit soziale Reformen durch Konsumverhalten, enthielt sich aber ebenso ausdrücklich parteipolitischer oder klassenkämpferischer Stellungnahmen.444 Verbraucherpolitik war zunächst Sozial- und Wohlfahrtspolitik. Während Ernährungsfragen im Rahmen des Käuferbundes verhandelt wurden, mischte sich dieser in den zeitgleichen Streit um die Nahrungsmittelverfälschung eher weniger ein als die Konsumgenossenschaften. Die Figur des Konsumenten, so oft sie auch aufgerufen wurde, blieb in dieser sehr konkreten Auseinandersetzung der Nahrungsmittelkontrolle eher abstrakt.445 Erst auf der internationalen Konferenz der Konsumentenligen 1913 in Antwerpen, bei der auch eine engere Zusammenarbeit der Ligen mit den gewerkschaflichen Konsumvereinen eingefordert wurde, kam es dann auch zu einer Thematisierung der Lebensmittelverfälschung.446 Das internationale Projekt der Kultivierung der Konsumenten und der Moralisierung des Konsums wurde jedoch während des Ersten Weltkriegs durch kriegsökonomische Anforderungen gebremst. Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung, genannt seien Gertrud Bäumer und Alice Salomon, kam im Nationalen Frauendienst eine entscheidende Rolle auch beim Unterrichten einer rationalen Haushaltsführung zu. Hausfrauen- und Frauenverbände führten in der Weimarer Republik diese Praxis fort und waren an der Rationalisierung und Standardisierung von Waren aktiv beteiligt, dies betraf praktischerweise Kücheneinrichtungen, eine „Warenkunde“, sogar Warentests und Produktempfehlungen mit Gütesiegel des Reichsverbands Deutscher Hausfrauenvereine. Aber mit Haushaltskursen und -ratgebern sowie Kochbüchern sollte die Konsumentin auch gesunde Ernährungsweisen und die Fähigkeit, Nahrungsmittel mit allen Sinnen zu überprüfen, einüben. In diesem Zeitraum entstand die Konsumentin als verantwortungsbewusste 443 Schüler, Frauenbewegung, Schröder, Arbeiten und Wolfe, Women. Zur Verbraucherpolitik im Kaiserreich: Nonn, Verbraucherprotest. Zur Rolle von Frauenorganisationen beim auf die Ernährung bezogenen Verbraucherschutz um 1900: Hilton, The Female Consumer; McIntosh/Zey, Women; und Pugh, Women. 444 Koch, Konsumentenmoral und Salomon, Konsumentenmoral. König, Konsumkultur, S. 312, 329. Zum Käuferbund Deutschland: König, Konsumkultur, S. 317–325. 445 Hierholzer, Nahrung, S. 269–270. 446 König, Konsumkultur, S. 325.

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und vorausschauende, aber zugleich auch gesundheitspolitische Staatsinteressen vertretende Hüterin des Haushalts. Ernährung wurde zeitgleich zu einer soziokulturellen Praxis, die wissenschaftlich erarbeitet und qua Ratgeberliteratur und Hauswirtschaftslehre eingeübt werden musste.447 Die Organisation des Käuferbundes Deutschland spielte in den 1920er Jahren hingegen keine Rolle mehr. Es blieb aber eine reichhaltige Ratgeberliteratur und ein Diskurs des richtigen Konsums, der im deutschsprachigen Raum weniger sozialpolitisch, denn lebensreformerisch ausformuliert wurde.448 Das Vergiftungsnarrativ der 1930er Jahre, wie es Lenzner und Liek verbreiteten, schloss hier an und privilegierte die Hausfrau als Vorkämpferin für gesunde Ernährung und Abwehrkämpferin gegen Fremdstoffe. So schickte der Reichsverband Deutscher Hausfrauenvereine seit 1929 auch Vertreterinnen zu Sitzungen des Vereins Deutscher Nahrungsmittelchemiker, damit diese sich dort in die Debatte über Lebensmittelzusatzstoffe einmischten.449 Die Rolle der Frauen- und Hausfrauenverbände während des Nationalsozialismus ist gut erforscht. Diese gingen im Deutschen Frauenwerk auf, das neben der NSFrauenschaft und dem Frauenamt der Deutschen Arbeitsfront zunächst die Hausfrauenorganisationen gemäß der nationalsozialistischen Ideologie bündelte. Beim Frauenwerk setzte die Abteilung „Volkswirtschaft-Hauswirtschaft“ die Aufklärungs- und Erziehungsarbeit im Kontext des Vierjahresplans und des Programms der Nahrungssicherheit mit den Programmpunkten hauswirtschaftliche Rationalisierung, Propaganda der guten deutschen Küche, Lob der Vollkornernährung und „Kampf dem Verderb“ fort.450 Hausfrauen wurden zu Organisatorinnen des Mangels, Künstlerinnen der Rationalisierung und Hüterinnen der körperlichen Reinheit und Leistungsfähigkeit. Die erfolgreiche Intervention beim Buttergelb beweist, dass der verbraucherpolitische Einfluss des Frauenwerks in dieser Beziehung keineswegs unterschätzt werden darf. Die Identifikation der Konsumenten mit Hausfrauen war auch in der Nachkriegszeit durchaus üblich. Dies ging so weit, dass 1947 in den drei Westzonen behördlicherseits sogenannte Frauenausschüsse eingerichtet wurden, die sich mit dem prekären Hauswirtschaften und der Ernährung zu befassen hatten. Aus diesen erwuchsen etwa vierteljährlich tagende Verbraucherausschüsse, die mit der Gründung der Bundesrepublik den Bundesernährungs- und Bundeswirtschaftsministerien zugeordnet wurden. Im Laufe der 1950er Jahre erweiterte sich der Aufgabenbereich dieser Ausschüsse von der Ernährungs- und Haushaltsberatung zu allgemeinen Verbraucherproblemen. Neben den Hausfrauen- und Frauenverbänden gehörten ihnen auch Vertretungen der Wohlfahrtspflege und Konsumgenossenschaften an. Seit 1953 bestand die Hauptaufgabe der Ausschüsse in der 447 Margis, Haushalt. Reagin, Comparing und Davis, Food Scarcity. Zum Komplex der im Staatsinteresse verantwortungsbewussten Konsumentin auch: Ellmeier, S/he. Zur Ernährung: Rose, Gesundes Essen und Hierholzer, Nahrung, S. 276–283. Zur Bildung der modernen amerikanischen Hausfrau durch Ernährungspraktiken: Veit, Modern Food, S. 77–100. 448 Trentmann, Knowing Consumers, S. 9 und König, Konsumkultur, S. 325–334, 336–337, 340–341. 449 Anonym, Sechsundzwanzigste Hauptversammlung. 450 Reagin, Comparing, S. 254–260.

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Beratung des Ernährungsministers Heinrich Lübke. Sie hatten die offizielle Funktion zwischen Konsumenten und Regierung zu vermitteln. Christian Kleinschmidt zeigt sehr anschaulich, wie im Rahmen der Ausschüsse ein Diskurs des vernünftigen Haushaltens, auch angesichts nicht immer haushaltsfreundlicher Preisentwicklungen, eingeübt wurde, dem das wahre Konsumverhalten, gemessen an den Klagen seitens der Ausschüsse, allerdings wohl widersprach. Vom Ideal des Homo oeconomicus schien man in den 1950er Jahre jedenfalls weit entfernt. Als die Verbraucherausschüsse 1957 beanspruchten, auch in die „Auseinandersetzungen der Sozialpartner über Lohn- und Preisfragen“ einzugreifen, wies Ludwig Erhard dies jedoch zurück, während Adenauer von der „zweckmäßigen“ Idee durchaus angetan war. Die Verbraucherausschüsse, wenn sie auch kaum wirtschaftspolitische Spuren hinterließen, waren der Ausgangspunkt einer staatlichen Verbraucherpolitik, einer „Mitbestimmung der Konsumenten“ (Kleinschmidt), die Alfred Müller-Armack, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Erfinder einer „wirtschaftlichen Regierungskunst“ (Foucault), als bedeutsamen Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft verstand.451 Die Geschichte dieser Institution von Frauen- und Verbraucherausschüssen gibt dabei auch in nuce die Geschichte der seit den späten 1950er Jahren zunehmend vermännlichten Verbraucherbewegung wieder. Gleichwohl kann zunächst festgehalten werden, dass Frauenorganisationen in den transatlantischen Gesellschaften in den 1950er Jahren verbraucherpolitisch führend waren und eine politische Ethik des Konsums definierten.452 Die Wirtschaftswissenschaftlerin Christa von Braunschweig musste noch im Jahr 1965 darauf hinweisen, dass nicht nur die Hausfrauen Verbraucher seien, auch wenn achtzig Prozent aller Ausgaben durch ihre Hände gingen.453 Im Laufe der 1960er Jahre wurde Verbraucherpolitik zunehmend maskulinisiert und die Hausfrauen in der wirtschaftswissenschaftlichen Debatte marginalisiert. Mit der Konstituierung der Bundesrepublik als Wirtschaftsstaat und unter dem Einfluss der ordoliberalen Ökonomen auf das Projekt der Sozialen Marktwirtschaft rückte auch der Konsument in den Mittelpunkt des Interesses. Es lässt sich auch von einer „Verbraucherdemokratie Bundesrepublik“ (Westermann) sprechen.454 Wenn jeder Mensch ein Verbraucher ist, dann lebten in der Bundesrepublik um 1960 54 Millionen Konsumenten. Was jedoch fehlte, war eine Identitätsbildung des Verbrauchers. So gab es zwar den Konsumenten an-sich, wie er in der Forschungsliteratur der 1950er Jahre unermüdlich dargestellt wurde, dieser musste aber erst noch zum Konsumenten für-sich, zum selbstbewussten und organisierten Vertreter seiner Eigeninteressen werden. Es brauchte also ein „Verbraucherbewusstsein“. Die Organisierbarkeit der Verbraucher wurde dabei bis in die 1960er

451 Braunschweig, Der Konsument, S. 133–138; Karstens, Wirkung, S. 122–125; und Hamann, Im Einvernehmen mit, S. 7. Betr. Verbraucher-Ausschuss (6.11.1957), Erhard an Globke (21.12.1957), Janz an Erhard (13.2.1958), in: BA Koblenz, B 136/7530. Kleinschmidt, Konsumgesellschaft, S. 18–21 und Foucault, Die Geburt, S. 151. 452 Dies ist zumindest für Frankreich gut erforscht: Pulju, Women und Pulju, Consumers. 453 Braunschweig, Der Konsument, S. 17. 454 Westermann, Die Oberflächlichkeit, S. 10–13 und Westermann, Plastik, S. 9–15.

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Jahre durchaus kontrovers diskutiert.455 Die Bundesrepublik, nicht anders als die meisten anderen westlichen Nachkriegsgesellschaften, war konsumorientiert. Linke und rechte Kultur- und Zivilisationskritik wetterte nach Kriegsende gegen die falschen Werte, das falsche Glück und das falsche Bewusstsein der Konsumgesellschaft, gegen die Verführungskraft der Konsumwaren einerseits sowie den entindividualisierenden und atomisierenden Massenkonsum andererseits. Dabei ergab sich der spannungsreiche Gegensatz, dass die Bundesrepublik zwar auf Konsum gründete, dieser, anders als der letztlich mit dem Konsum verbundenene Wettbewerb auf der Basis von Arbeit und Leistung, von den Eliten eher kritisch betrachtet wurde. Foucault sah diese Position bereits um 1900 bei Werner Sombart ausgedrückt und sich zu einem Allgemeinplatz entwickeln, von dem Foucault annahm, dass er den Studierenden, die im Februar 1979 seiner Vorlesung lauschten, wohl bekannt sei: „Eine Kritik der Massengesellschaft, der Gesellschaft des eindimensionalen Menschen, einer autoritären Gesellschaft, Konsumgesellschaft, Gesellschaft (des Spektakels) usw.“ Foucault war es dabei wichtig, darauf hinzuweisen, dass dieser links erscheinende Diskurs keineswegs neu war und auch von konservativen und völkischen Intellektuellen geteilt wurde.456 Der Österreichische Publizist Karl Bednarik sprach 1957 begriffssicher von der „Konsumfront“, an der sich nunmehr die entscheidenden Kämpfe der Menschheit abspielten, enthielt sich dabei aber allzu kultur- und zivilisationskritischer Schlussfolgerungen.457 Der verbraucherpolitische Diskurs war ordoliberal motiviert, marktorientiert, für eine idealerweise ungestörte Wettbewerbsordnung, aber gegen Laissez-faire, gegen Kartelle, gegen einen zu großen Einfluss der Interessengruppen. Die „Peitsche des Wettbewerbs“ und der „Richterspruch des Konsumenten“ waren der ordoliberalen Theorie nach die Bedingungen einer funktionierenden Wirtschaftsform.458 Die Verbraucherbewegung durfte deshalb auch selbst keine partikulare Interessengruppe sein, sondern musste die Interessen der Allgemeinheit, der gesamten Bevölkerung und des freien Marktes vertreten. Dies war wiederum ein durchaus als demokratisch und antinazistisch verstandenes Projekt, das in erneuernder Umkehrung liberaler Prinzipien den Staat unter die Aufsicht eines durch den Wettbewerb bestimmten Marktes stellte. Politik bedeutete dann wiederum die Realisierung eines möglichst absoluten Wettbewerbs. Foucault interpretierte dies in seiner Vorlesung zum deutschen Neoliberalismus als „Marktwirtschaft ohne Laissez-faire“: „Der Neoliberalismus stellt sich also nicht unter das Zeichen des Laissez-faire, sondern im Gegenteil unter das Zeichen einer Wachsamkeit, einer Aktivität, einer permanenten Intervention.“459 In den 1950er und 60er Jahren erschienen eine große Anzahl an Schriften, die auf die politische Identitätsbildung des Konsumenten, dessen Selbstorganisierung als politischer Akteur, abzielten und eine Verbraucherforschung – keine Ver455 Braunschweig, Der Konsument, S. 64–65. 456 Foucault, Die Geburt, S. 163–164. Wildt, Wohlstand für alle und Wildt, Am Beginn. 457 Bednarik, An der Konsumfront. Hecken, Gegenkultur, S. 69–70 und Schildt, Ein Jahrzehnt, S. 28–29. 458 Bock, Verbraucherpolitik, S. 51. 459 Foucault, Die Geburt, S. 168, 170–173.

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brauchsforschung, wie sie Wilhelm Vershofen schon in den 1940er Jahren eingeführt hatte – zu konstituieren wünschten. Dazu zählen vor allem der von Cornel Josef Bock und Carl Gustav Specht 1958 zusammengestellte Band Verbraucherpolitik, Werner Karstens 1964 veröffentlichte Dissertationsschrift Wirkung und Wirkungsmöglichkeiten der Verbraucherverbände in Deutschland sowie Christa von Braunschweigs 1965 erschienenes Der Konsument und seine Vertretung. In allen diesen Abhandlungen wurden Möglichkeiten, Gefahren und Schwächen einer Selbstvertretung der Verbraucher durchgespielt. Specht formulierte in der Einleitung zur Verbraucherpolitik, dass es bei dieser neuen Verbraucherforschung um die Untersuchung der Verhaltensweisen der Einzelverbraucher und von Verbrauchergruppen sowie die Analyse der Stellung der Verbraucher innerhalb der Wirtschaft gehe. Für Specht war die Verbraucherforschung damit ein Teilbereich der Anthropologie.460 Dies war allerdings eine Zuordnung, der sich die meisten anderen Verbraucherforscher, die wirtschaftswissenschaftlich und soziologisch orientiert waren, nicht anschließen konnten. Entscheidend war, dass der Verbraucher gegen die Produzenteninteressen im Nachteil zu sein schien. Bock sprach von einer „Positionsschwäche des Verbrauchers“, entsprechend war die „Organisationsfähigkeit des Verbrauchers“ eine schiere politische Notwendigkeit.461 Werner Karstens definierte Verbraucherverbände als „Vertretung eines allgemeinen Interesses“, um dann sehr ausführlich und praktisch auf deren Wirkung und Wirkungsmöglichkeiten zur Verbesserung der realen Marktsituation sowie zur Intensivierung dieses Wirkens einzugehen. Die Ausgangsbasis der Tätigkeit der Verbraucherverbände beruhte aber grundsätzlich auf der „Unvollkommenheit des Konsumgütermarktes“, der geringen Markt- und Qualitätstransparenz sowie dem unvollkommenen Wettbewerb.462 Auch für Christa von Braunschweig, deren Studie über Verbraucherverbände sicherlich das umfassendste Werk zum Thema darstellt, war Verbraucherpolitik generell Marktwirtschaftspolitik, der Verbraucher als ein Akteur der Marktwirtschaft abhängig von der „Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs“. Einem Verbraucherverband komme die Aufgaben der Aktivierung der Verbraucher, der Verbesserung der Markttransparenz, der Förderung des Wettbewerbs und erst im Falle des Versagens des Wettbewerbs auch des Verbraucherschutzes zu. Mit den Mitte der 1960er Jahre existierenden Organisationsformen zeigte sie sich dabei durchaus unzufrieden.463 Die grundsätzlichen Ziele einer Verbraucherbewegung lauteten Markttransparenz und die Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen. Es herrschte Mitte des 20. Jahrhunderts Einigkeit, dass den Verbrauchern Schutz zustehe und dass Verbrauchererwartungen erfüllt werden müssten. Es war eine Aufgabe des Staates, als, wie es der Schweizer Ökonom Emil Küng 1941 ausdrückte, „Sachverwalter des Gesamtwohles“ und „Offizialverteidiger der nicht zusammengeschlossenen und vertretenen Konsumenten“, hierfür Sorge zu tragen.464 Allerdings standen die Interessen der Allgemeinheit der Konsumenten 460 461 462 463 464

Specht, Aufgaben, S. 22–23. Auch Egner, Grunsätze. Bock, Der Verbraucher, S. 29–31, 35–40. Karstens, Wirkung, S. 34–62. Braunschweig, Der Konsument, S. 25, 87. Zitiert nach Braunschweig, Der Konsument, S. 52–53.

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zumeist in Konflikt mit denen bestimmter Interessengruppen. Während Produzenten notwendigerweise als partikulare Interessenvertreter agierten, standen Konsumenten für das Allgemeininteresse, für das Gesamtwohl. Interessenvertreter waren namentlich jene der Wirtschaft, des Handels, der Gewerkschaften, aber auch des Staates selbst. In der produktiven Gesellschaft, geprägt durch den Gegensatz von Kapital und Arbeit, konnten die konsumistischen Erwartungen und Forderungen der Verbraucher auch immer als Störungen verstanden werden. Es war die Aufgabe der sich konstituierenden Verbraucherbewegung, die korrektive Funktionalität von Verbraucherpolitik im Rahmen der Marktwirtschaft hervorzuheben. Verbraucherpolitik kam damit auch die Aufgabe zu, das Gesamtwohl des Volkes und das Gleichgewicht des Marktes gegen partikulare Interessen und anarchische Handlungen zu verteidigen. Die marktwirtschaftliche Ordnung der Bundesrepublik funktioniere desto besser, stellte von Braunschweig fest, je rationaler der Verbraucher sich verhalte.465 Hier ergaben sich nun zwei grundsätzliche Probleme. Erstens war aufgrund von Gewohnheiten, Irrationalitäten, der suggestiven Kraft der Werbung sowie Informationsmangel rationales Verhalten nicht immer gegeben, sondern musste erst ermöglicht und angelernt werden, wie dies vor allem Anthony Downs 1957 in An Economic Theory of Democracy zeigte und zu einem allgemeinen Prinzip ausbaute.466 Der Typus des aufgeklärten und vernünftig agierenden, sich strategisch verhaltenden Verbrauchers – der Homo oeconomicus, mit dem eigentlich eine Femina oeconomica gemeint war – musste auch Mitte des 20. Jahrhunderts erst noch eingeübt werden und ist bis heute ein utopisches Abstraktum geblieben.467 Christa von Braunschweig stellte 1965 schlicht fest, dass ein Verbraucherverband seine Mitglieder nicht zu Homines oeconomici erziehen könne.468 Zweitens konnte der Verbraucher aber auch nur auf einem transparenten Markt rational agieren. Es mussten ihm alle notwendigen Informationen zur Verfügung stehen. Als erstes Kriterium rationalen Konsums galt dabei die Inaugenscheinnahme der Ware. Genau bei diesem Punkt aber, von Braunschweig verwies explizit darauf, kam den Lebensmittelzusatzstoffen eine besonders negative Rolle zu: „Dem Fleisch wurde bis vor kurzer Zeit durch Zugabe von Nitrit rote Farbe verliehen, und Stoffe verdanken ihre Festigkeit häufig chemischen Mitteln, die sich aber schon nach der ersten Wäsche verflüchtigen. Ganz versagen muss das Prüfen der Ware durch Augenschein von Lebensmittelkonserven.“469 Geschickte Verpackungen und bewusste Täuschungen hinderten die Verbraucher daran, die Ware etwa in den neu entstandenen Selbstbedienungsläden sinnlich zu prüfen. In Bezug auf Lebensmittel bedeutete dies notwendigerweise, dass auf den Verpackungen zumindest Informationen über Haltbarkeit und Inhaltsstoffe deklariert sein müssten.470 Im Spiegel wurde daraus eine pointierte praktische Schlussfolgerung abgeleitet: „Die Forderung muß sein, erzieht den Verbraucher 465 466 467 468 469 470

Braunschweig, Der Konsument, S. 25. Downs, An Economic Theory. Bala/Müller, Tote und Gasteiger, Der Konsument, S. 58–59. Braunschweig, der Konsument, S. 93. Braunschweig, Der Konsument, S. 30. Zur Geschichte der Selbstbedienungsläden: Langer, Revolution.

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um, dann kann er auf die Färbung völlig verzichten, denn die natürlichen Farben der Nahrung reichen schon aus!“471 Die Institutionalisierung der Verbraucherbewegung in der Bundesepublik Deutschland begann bereits kurz nach Kriegsende. 1949 wurde durch Eugen Gerstenmaier, Anton Wopperer und Gerhard Weisser – zwei Kirchenvertreter und ein Sozialpolitiker – in Köln ein Ständiger Ausschuss für Selbsthilfe eingerichtet. In dessen Unterausschuss „Konsumentenberatung“ trafen sich Vetreterinnen und Vertreter der Wohlfahrtsverbände, der Konsumgenossenschaften, des Deutschen Hausfrauen-Bundes, des Frauenrings und der Vertriebenenverbände. Dem Sozialdemokraten Weisser, so interpretiert Kleinschmidt, schwebte durchaus eine gesellschaftliche Gegenmacht gegen die Staats- und Wirtschaftsinteressen vor. Am 30. April 1953 wurde daraus hervorgehend die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände mit Sitz in Bonn gegründet. Deren Zweck war es, Verbrauchern eine den Interessenvertretungen der Produzenten und Händler gleichberechtigte Organisation entgegenzustellen, Selbsthilfe und Verbraucherinteressen zu verbinden sowie Verbrauchervertretung und Verbraucherberatung zu institutionalisieren. Gründungsmitglieder waren der Deutsche Hausfrauen-Bund, die Frauengilde Deutscher Konsumgenossenschaften, der Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, das Institut für Selbsthilfe, die Verbrauchervereinigung Stuttgart, der Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften sowie der Geschäftsführer des Hilfswerks der Evangelischen Kirche. Zu diesen sieben Organisationen kamen im Laufe der Jahre weitere Mitgliedsverbände hinzu, darunter auch der Deutsche Frauenring und die Deutsche Volksgesundheitsbewegung. Allein die Vielfalt der beteiligten Organisationen zeigt, dass die Arbeitsgemeinschaft niemals wirklich schlagkräftig und einstimmig agieren konnte. Als erster Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft fungierte Gustav Dahrendorf, Geschäftsführer war Cornel Josef Bock. Zur Arbeitsgemeinschaft gehörten schließlich 38 Mitgliedervereinigungen, zu denen die Gewerkschaften aufgrund lohnpolitischer Differenzen allerdings nicht zählten. Die Arbeitsgemeinschaft war keine Basisbewegung und hierarchisch organisiert, im Kampf um Verbraucherrechte eher moderat. Gleichwohl fungierte sie seit Ende der 1950er Jahre als die Institution, welche die Gesamtheit der Verbraucherschaft in der Öffentlichkeit sowie gegenüber dem Staat und Wirtschaftsverbänden repräsentierte.472 Im April 1954 veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft in Bonn-Bad Godesberg eine erste Tagung, bei der über Marktwirtschaft und den idealen Verbraucher, über Markttransparenz und eine konsumorientierte Wettbewerbsordnung debattiert wurde. Grundsätzlich, so waren sich alle Redner einig, sollte die Wirtschaftsordnung auf Markt, Wettbewerb und die Befriedigung der Konsumentenwünsche ausgerichtet sein. Die schlichten Ziele lauteten: zufriedene Konsumenten, stetig verbilligte Produk471 Anonym, Gift, S. 42. 472 Zur Geschichte der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände: Gasteiger, Der Verbraucher, S. 58–67; Janning, Gemeinwohlorientierung, S. 139–142; Kleinschmidt, Konsumgesellschaft, S. 21–22; Trumbull, Consumer Capitalism, S. 55–59; Braunschweig, Der Konsument, S. 144–155; und Becker, Verbraucherzusammenschlüsse. Zur Rolle der Konsumgenossenschaften: Schröter, Der Verlust.

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tionskosten, marktgerechtes Verhalten aller, verbraucherorientierter Wettbewerb ohne Beschränkungen und ständiger Leistungsvergleich.473 Die Funktion der Arbeitsgemeinschaft bestand in Verbraucherziehung und Verbraucherpolitik, Verbraucheraufklärung und Verbraucherinformation, was sich dann auch in den Publikationsorganen der Arbeitsgemeinschaft, der kämpferischen Verbraucherpolitischen Korrespondenz und der aufklärerischen Verbraucher-Rundschau widerspiegelte.474 Im Oktober 1953 publizierte die Arbeitsgemeinschaft maßgeblich von Bock verfasste „Rechte der Verbraucher“. Zu den dort formulierten Grundrechten gehörten die freie Konsumwahl, die freie Wahl der Bezugsquelle, Versorgungssicherheit, vollständiger Wettbewerb und das Mitwirkungsrecht der Verbraucher. Als Schutzrechte erschienen der Schutz gegen physische Schädigung und Übervorteilung sowie die Verhinderung von Kartellen. Als Förderungsrechte galten Selbsthilfe, Marktorientierung und Verbraucherpolitik. Grundsätzlich ging es auch um die „Aktivierung des Verbraucherbewußtseins“ durch Beratung, Aufklärung und Unterrichtung. Um richtiges Einkaufen zu lernen, brauchte es Wissen, eine Orientierung zwischen Informationsmangel und -überfluss, kritisches Bewusstsein, Mündigkeit, Handlungskapazität und eine Identitätsbildung als Verbraucher mit eigenen Rechten.475 Auch die Arbeitsgemeinschaft verstand sich als Pressure Group und nahm, nicht anders als die Farbstoffkommission und die Vitalstoffgesellschaft, rasch Kontakt zur Bundesregierung auf. So wurde das erste Heft der Verbraucherpolitischen Korrespondenz gleich an Bundeskanzler Adenauer gesendet. Dabei verdeutlichte die Arbeitsgemeinschaft noch einmal schriftlich ihre Position einer dem Gesamtwohl verpflichteten Marktwirtschaft, der Beseitigung von Wettbewerbshindernissen und Marktverzerrungen, der Durchsetzung des Kartellgesetzes, des Ausgleichs der Handelsbilanz, der Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft, die allerdings nicht auf Kosten der Verbraucher gehen durften, und einer koordinierten Konjunkturpolitik. Die Novelle des Lebensmittelgesetzes wurde als ein gesonderter Punkt aufgeführt.476 In nahezu allen Darstellungen der Verbraucherpolitik wurde das Lebensmittelrecht prominent und programmatisch erwähnt, stand aber doch gegenüber marktpolitischen Fragen im Hintergrund. Bei Bock heißt es schlicht: „Stärkere Verankerung des Verbotsprinzips für Fremdstoffe, sorgfältigere Kontrolle von Importwaren, Erfüllung der Deklarationspflicht und schärfere Überwachung durch die Lebensmitteluntersuchungsämter sind dringend geboten.“477 Im von Bock mitherausgegebenen Band Verbraucherpolitik aus dem Jahr 1958 verfasste Walter Zipfel einen definitorisch sehr genauen Überblicksarti473 Gasteiger, Der Konsument, S. 60–62. 474 Karstens, Wirkung, S. 63–115. Gasteiger, Der Konsument, S. 63 und Kleinschmidt, Konsumgesellschaft, S. 22. 475 Gasteiger, Der Konsument, S. 63–65; Kleinschmidt, Konsumgesellschaft, S. 16; und Kuhlmann, Verbraucherpolitik, S. 42–50. Schließlich wurde 1957 ja auch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen erlassen (Berghahn, Unternehmer). 476 Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e. V. an Adenauer (16.10.1957), in: BA Koblenz, B 136/7530. Braunschweig, Der Konsument, S. 62–63. Zur agrarpolitischen Rolle der Arbeitsgemeinschaft: Hendriks, The Politics, S. 42–43. 477 Bock, Verbraucherpolitik, S. 61–62.

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kel zum Thema „Lebensmittelrecht zum Schutz des Verbrauchers“, ohne daraus aber eine über die Aussage, dass das Lebensmittelrecht ein Recht zum Schutz des Verbrauchers sei, hinausgehende kämpferische Position abzuleiten.478 Auch reformerisch-puristische Ansichten kamen in der Arbeitsgemeinschaft nicht vor. Die Deutsche Volksgesundheitsbewegung brachte zwar ihre 300.000 Mitglieder in die Arbeitsgemeinschaft mit ein, konnte aber ihre biopolitischen und lebensreformerischen Positionen nie zur Agenda der Arbeitsgemeinschaft machen.479 Wenn sie auch in der Debatte um das Lebensmittelgesetz eher zurückhaltend agierte, kam der Arbeitsgemeinschaft um 1960 eine bedeutsame Rolle beim öffentlich ausgetragenen Streit um Lebensmittelzusatzstoffe zu. Während die beiden Publikationsorgane kaum Verbreitung fanden, intervenierte die Arbeitsgemeinschaft durch direkte Konsumentenaufklärung sowie auf indirekte Weise durch eine intensive Pressearbeit. Hauptziele der Verbraucheraufklärung waren die Vermittlung volkswirtschaftlichen Wissens und die Information der Konsumenten durch Warentests und Marktübersichten. Dies geschah durch Publikationen, Einkaufswegweiser, Vorträge und Diskussionsveranstaltungen. Bedeutungsvoller war aber die Einflussnahme der Arbeitsgemeinschaft auf Presse, Rundfunk und Fernsehen durch Stellungnahmen und Kooperationen.480 Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung – die Fabrikation des Willens, wie Werner Karstens Joseph Schumpeter zitierte – war von zentraler Bedeutung für die Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft. Dabei erwies sie sich auch als erfolgreicher denn bei der Auseinandersetzung mit den Staatsbehörden und Wirtschaftsverbänden. Die Verbraucherpolitische Korrespondenz fungierte so vor allem auch als Informationsmedium für Journalisten. Der Jahresbericht 1960 vermeldete, dass zu allen wichtigen Beiträgen in der Verbraucherpolitischen Korrespondenz eine intensive Berichterstattung in den Medien erreicht wurde. Durch Mitwirkung und Beratung der Arbeitsgemeinschaft fanden 62 Rundfunksendungen und 24 Fernsehsendungen statt.481 Im durch umweltpolitische Probleme geprägten Rückblick aus den 1970er Jahren erschien die Position der Arbeitsgemeinschaft vor allem auf Themen zur Lebensmittelgefährdung und die lebensmittelrechtliche Diskussion fokussiert.482 Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft existierte ein Ausschuss für Lebensmittelrecht, der um 1960, ausdrücklich in engem Kontakt mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, durch Stellungnahmen in die Debatte über die Fremdstoff- und Konservierungsverordnungen kritisch eingriff und entsprechend auch als bedeutender Akteur wahrgenommen wurde.483 In Fragen des Lebensmittelrechts agierten allerdings die Hausfrauen- und Frauenorganisationen im eigenen Namen. Eine der wenigen Frauen, die als Verbindung zwischen ordoliberaler Marktpolitik, Verbraucherschutz und Ernährungspolitik angesehen werden kann, war die FDP-Politikerin Ruth Tangemann, die als Mitglied des Deutschen Frauenrings für rationelles Haushalten ein478 479 480 481 482 483

Zipfel, Lebensmittelrecht, S. 216. Braunschweig, Der Konsument, S. 148. Karstens, Wirkung, S. 63–70, 99–103. Karstens, Wirkung, S. 137–141. Helten, Umweltgefährdung, S. 356. Anonym, Appell und Anonym, Gegen. Karstens, Wirkung, S. 135.

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trat, die nationalökonomische und demokratisierende Bedeutung des Konsums prononcierte und sich in Lebensmittelfragen engagierte. Zu Beginn der 1970er Jahre war sie auch im Namen der Arbeitsgemeinschaft Herausgeberin eines kleinen Handbuchs zum Verbraucherschutz im Lebensmittelrecht.484 Während der Einfluss von Verbraucherverbänden sich in der Bundesrepublik nur langsam entwickelte und in Bezug auf Fremdstoffe in den 1950er Jahren durch die Aktivitäten der DFG-Kommissionen und der Vitalstoffgesellschaft in den Schatten gestellt war, wurde Verbraucherpolitik in den Vereinigten Staaten zu einer wichtigen Agenda der Nachkriegspolitik. Mit Kenneth Galbraith’ 1958 publiziertem The Affluent Society, Vance Packards The Waste Makers aus dem Jahr 1960 sowie Ralph Naders unermüdlichem Aktivismus etablierte sich Verbraucherpolitik in den Vereinigten Staaten auch nach der Progressive Era und ohne die Frauenorganisationen als konsumkritisch ausgerichtete moralische Sozialpolitik. Galbraith etwa betonte zwar einerseits den neoklassischen Glaubenssatz des Primats des Konsums, plädierte andererseits aber eindringlich für eine richtige, gesellschaftlich sinnvolle, auf die wahren Bedürfnisse der Menschen ausgerichtete, durch steuerpolitische Eingriffe regulierte Produktivität. Galbraith’ Schrift wurde rasch ins Deutsche übersetzt und hinterließ auch hier als Kritik des Überflusses ihre Wirkung. Der Consumers’ Club und die Consumers’ Union vertraten zudem als Mitgliederverbände die Verbraucherinteressen, wobei sie sich auf Warentests konzentrierten. Als politisch einflussreicher erwies sich die National Association of Consumers. Die amerikanische Verbraucherbewegung hatte schließlich aber auch Einfluss auf die Regierung unter John F. Kennedy, der 1962 mit seiner „Special Message on Protecting the Consumer Interest“ vor den Kongress trat.485 Für die Bundesrepublik lässt sich hingegen eine Aufspaltung in eine marktwirtschaftliche Verbraucherbewegung in Form der Arbeitsgemeinschaft einerseits und in puristische Organisationen wie die Vitalstoffgesellschaft andererseits konstatieren. Der Verbraucherschutz in der Bundesrepublik wurde zunehmend verstaatlicht, als Stiftung Warentest oder mit den Verbraucherzentralen der Bundesländer auf Aufklärung und Information orientiert, aber auch zu einem bedeutsamen Thema der Informationssendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.486 Allerdings verbreitete sich in den 1950er Jahren ein zivilisationskritischer Diskurs, der verbraucherpolitische Entscheidungen prägte und das Thema des Verbraucherschutzes reformerisch-puristisch ausrichtete. Als Ende Oktober 1958 die Verabschiedung des Lebensmittelgesetzes mal wieder durch spitzfindige und deutlich interessengeleitete Einwände zu Hormonen im Tierfutter verzögert zu werden drohte, meldete sich der SPD-Abgeordnete Siegfried Bärsch mit Pathos zu Wort, was ihm viel Beifall zumindest seiner Partei einbrachte: „Wir sind uns doch wohl alle darüber einig, daß der Mensch in unserer Zeit vor allem einer großen Gefahr ausgesetzt ist, nämlich der Gefahr, daß die Zivilisation seine Lebensbedingungen in immer stärkerem Maße in einen Gegensatz zu seinen natürlichen An484 Tangemann, Verbraucher-Schutz. Zu Tangemann: Carter, How German, S. 162–164. 485 Karstens, Wirkung, S. 167–173. Restad, The Third Sex; Kleinschmidt, Konsumgesellschaft, S. 22–23; Cohen, A Consumers’ Republic; und Chessel, From America. 486 Braunschweig, Der Konsument, S. 147. Kleinschmidt, Konsumgesellschaft, S. 23–25.

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lagen bringt. (…). Aber dieser Tatbestand, daß wir uns auf verschiedenen Gebieten unseres Lebens mit einer mehr oder weniger künstlichen Umwelt abfinden müssen, zwingt uns, überall dort dagegen anzukämpfen wo kein ausreichender Grund vorhanden ist, der Natur in den Arm zu fallen.“487 Die organisierte Verbraucherbewegung war in der Bundesrepublik wirtschaftspolitisch dezidiert ordoliberal: ein starker Staat sollte die Bedingungen einer liberalen Wirtschaftsordnung gewährleisten und alle Hemmnisse einer Markt- und Wettbewerbsordnung wie Preisabsprachen, Monopole und Trusts verhindern. Der verbraucherpolitische Diskurs, wie er in der Vitalstoffgesellschaft ausformuliert und in die Verbraucher- und Umweltbewegung getragen wurde, war hingegen dezidiert antiliberal, wenn man Antiliberalismus, mit Stephen Holmes, als Zivilisationskritik an Materialismus, Atomismus, Massengesellschaft und Urbanisierung, als Verteidigung der Religionen oder quasireligiösen Denkens, schließlich als Kritik an der individualistischen Konsumgesellschaft, am Szientismus und am Fortschrittsglauben zusammenfasst. Auch die ordoliberale Doktrin selbst forderte eine machtvolle und vor allem elitäre Ordnung von Staat und Wirtschaft ein, einen „autoritären Liberalismus“ (Heller). Wenn also die Verbraucherbewegung Markt, Konkurrenz und Verbrauch verteidigte, dann waren dem grundsätzlich auch autoritäre Momente und die implizite Ablehnung der Massenkultur inhärent. Philip Manow verweist auf die Nähe der Ordoliberalen – er nennt Eucken und Rüstow – zur konservativen Revolution in den 1930er Jahren. Die Wirtschaftsordnung sollte eine auch durch den Markt konstituierte, am Gemeinwohl orientierte Ordnung leistungstüchtiger Wettbewerber hervorbringen. Zugleich haben aber die Schriften etwa von Alfred Müller-Armack und Wilhelm Röpke den gleichen zivilisationskritischen Klang wie die der Vitalstoffgesellschaft: Entartung, Atomismus und Vermassung.488 Verbraucherpolitik war also einerseits marktkonform und staatsorientiert, andererseits zivilisationskritisch und puristisch. Die Verbraucherbewegung selbst war durchlässig, sowohl für liberale als auch für antiliberale Positionen. Die Debatte über das Lebensmittelgesetz selbst wurde im Namen der Verbraucher geführt, aber bis 1950 gab es mit der gewichtigen Ausnahme der Hausfrauenverbände noch gar keine Verbrauchervertretung. Diese, so Hamann, entstand erst mit der Gründung der Verbraucherausschüsse.489 Aber noch im August 1957 forderte Walter Fachmann, Referent des Ernährungsministeriums, in der Zeitschrift Verbraucherdienst des Bundesausschusses für volkswirtschaftliche Aufklärung endlich die Beteiligung der Verbraucher ein. Die Verbraucherausschüsse spielten tatsächlich bei der Aushandlung der Gesetzesnovelle keine bedeutende Rolle. Im Lebensmittelgesetz sollte ein die Verbraucherschaft repräsentierendes Gremium verankert sein, forderte Fachmann, dass vor dem Erlass von Verordnungen angehört werden sollte. So könnten „berechtigte Verbraucherwünsche 487 Beitrag Bärsch, Deutscher Bundestag, 47. Sitzung, Bonn, 29. Oktober 1958 Oktober, S. 2644 (dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03047.pdf). 488 Holmes, The Anatomy, S. 5 und Heller, Autoritärer Liberalismus. Hecken, Das Versagen, S. 59–67 und Manow, Ordoliberalismus, S. 180–183. 489 Hamann, Im Einvernehmen, S. 7.

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rechtzeitig der Ernährungsindustrie, dem Ernährungsgewerbe und dem Lebensmittelhandel zur Kenntnis gebracht“ werden.490 Ein Jahr später, das Lebensmittelgesetz war immer noch nicht erlassen, publizierte Fachmann erneut im Verbraucherdienst und forderte angesichts der problematischen Lebensmittelkontrolle die Verbraucher auf, „durch den Kauf von Erzeugnissen zuverlässiger Hersteller und Händler“, also durch den politischen Akt des „kritischen Einkauf(s)“, zu agieren.491 Tatsächlich wurde dann im § 5d des novellierten Lebensmittelgesetz aufgeführt, dass vor dem Erlass von Verordnungen neben den „Sachkennern aus der Wissenschaft“ und der „beteiligten Wirtschaft“ auch die „Verbraucherschaft“ angehört werden solle. Im Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Lebensmittelgesetzes legte der Artikel 7 fest, dass beim Innenministerium eine Kommission zur Schaffung eines Lebensmittelbuches eingerichtet werden sollte. Dieser 1961 eingerichteten Kommission gehörte dann endlich auch ein Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände an.492 Der entscheidende Schritt zur Novellierung des Lebensmittelgesetzes ging nicht von den Verbraucherausschüssen oder der Arbeitsgemeinschaft, sondern von organisierten Vertreterinnen der politischen Parteien aus, die allerdings gewichtige Unterstützung durch die Hausfrauenverbände erhalten hatten. Hedwig Jochmus und Käte Strobel, charismatische Vertreterinnen von CDU und SPD, vereinbarten im Sommer 1955 ein Treffen mit Ministerialrat Werner Gabel, bei dem dieser über die Neuordnung des Lebensmittelgesetzes vortragen sollte. Diese erste Verabredung musste allerdings ausfallen, da Jochmus und andere weibliche Bundestagsabgeordnete zu einem Gartenfest im Schloss Brühl eingeladen waren. Ein halbes Jahr später, am 11. Januar 1956, kam es dann tatsächlich zu einem Treffen Gabels mit den weiblichen Abgeordneten. Gabel war nur mäßig beeindruckt und mokierte sich über deren mangelndes Fachwissen, interessierte sich aber sehr dafür, ob die Frauen eine politische Inititative ergreifen würden.493 Tatsächlich sorgte die klandestine Besprechung dafür, dass Jochmus, Strobel und Marie-Elisabeth Lüders von der FDP parteiübergreifend für die Gesetzesnovelle zu mobilisieren begannen. Sie taten dies explizit qua der Autorität einer weiblichen Moral und der Expertise der Hausfrau für Fragen der Ernährung und des Konsums. Schon am 24. Februar 1956 stellten Jochmus, Strobel und Lüders zusammen mit weiteren 43 weiblichen Abgeordneten des Bundestags den Antrag, dass der Bundestag beschließen solle, die Bundesregierung zu ersuchen, bis zum 31. Mai 1956 den Entwurf einer Neufassung für das Lebensmittelgesetz vorzulegen, neue entsprechende Verordnungen zu erlassen und eine Bereinigung im Lebensmittelrecht vorzunehmen.494 Am 8. Juni desselben Jahres sprach Jochmus im 490 491 492 493

Fachmann, Mit dem Lebensmittelrecht. Fachmann, Lebensmittelkontrolle, S. 3. Hamann, Schutz, S. 70, 78. Karstens, Wirkung, S. 128. Jochmus an Gabel (24.6.1955), Jochmus an Gabel (7.7.1955), Jochmus an Gabel (19.12.1955), BA Koblenz, B 142/1525, 1 von 2. Referat IV 8, Betr. Besprechung mit weiblichen Abgeordneten am 11.1.1956 über die Reform des Lebensmittelrechtes (13.1.1956), in: BA Koblenz, B 142/1528, 1 von 3. 494 Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Jochmus, Frau Strobel, Frau Dr. h.c. Lüders und Genos-

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Bundestag davon, dass die „Einheitsfront der weiblichen Abgeordneten“ in der Öffentlichkeit große Resonanz gefunden habe, um später anzuschließen, dass Das Grüne Blatt einen Artikel mit der netten Überschrift „46 Frauen bringen Minister auf den Trab“ versehen habe: „Seien Sie sicher, daß wir mit unserer weiblichen Beharrlichkeit nicht locker lassen werden.“495 Dem positiven Echo der Medien stand die scharfe Kritik durch den Lebensmittelhandel entgegen. Der Begriff der „Einheitsfront der Hausfrauen“ – mit denen die weiblichen Bundestagsabgeordneten implizit gleichgesetzt wurden – machte schnell die Runde und wurde, wie etwa durch Hinrich Stindt, einem Bremerhavener Holzhändler und Obmann des Verbandes der Deutschen Kistenindustrie, abwertend verwendet.496 Gleichwohl waren die Hausfrauen und ihre Repräsentantinnen im Bundestag damit schlagartig zu anerkannten Akteurinnen im Streit um das Lebensmittelgesetz geworden. Bereits im November 1956 fand in Frankfurt ein erster Kongress der Zentrale für Volksgesundheitspflege unter Teilnahme von Fachleuten, Parlamentariern und Hausfrauen statt, auf dem auch explizit die Zunahme des Krebses als Folge der Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen thematisiert und kontrovers darüber gestritten wurde, ob Krebs eine Zivilisationskrankheit sei.497 Jochmus, Strobel und Lüders waren keine ausgesprochenen Vertreterinnen puristischer, zivilisationskritischer und lebensreformerischer Positionen, von der Vitalstoffgesellschaft hielten sie sich fern, aber der Konnex Fremdstoffe-Krebs-Zivilisationskrankheiten war die tragfähigste Stütze ihrer Kampagne, die Summationsthese auch für sie die Letztbegründung der legislativen Maßnahmen. Jochmus begründete im Juni 1955 ihre Forderung nach einer Novelle des Lebensmittelgesetzes damit, dass „wir weg wollen von all diesen Zusätzen, daß wir naturreine und unverfälschte Nahrungsmittel haben wollen“. Sicherlich habe eine sensationelle Presse eine allzu große Beunruhigung über Schädigungen durch chemische Zusätze in die Bevölkerung hineingetragen; aber wo auch nur der Verdacht einer Schädigung auftreten könne, müsse eingegriffen werden. Sie selbst sei Chemikerin und trete dafür ein, „daß die wertvollen Stoffe in unseren Nahrungsmitteln und speziell in unserem Getreide in einer unverfälschten und naturreinen Form an den Verbraucher herankommen“. Bei der Aussprache zur Gesetzesnovelle am 8. Juni 1956 ging sie noch einen Schritt weiter: Der Verbraucher habe dank der wachsenden ernährungsphysiologischen Aufklärung über eine gesunde Ernährung und im Hinblick auf die zunehmenden Zivilisationskrankheiten heute den Wunsch nach einer möglichst naturreinen Nahrung.498 Jochmus, die für die IG Farben und BASF gearbeitet hatte, warnte zugleich aber auch stets vor übertriebenen Mediendarstellungen und hütete sich vom „Gift in der Nahrung“ zu spresen (24.2.1956), in: BA Koblenz, B 142/1528, 1 von 3. Marquart, Das Ja zur Politik, S. 25–37. 495 Beitrag Jochmus, 2. Deutscher Bundestag, 149. Sitzung, Bonn, 8. Juni 1956, S. 7901–7902. (http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/02/02149.pdf). 496 Stindt an Bundesinnenminister Schröder (9.6.1956), in: BA Koblenz, B 142/1529, 2 von 2. 497 Eb, Fragen. 498 Beitrag Jochmus, 2. Deutscher Bundestag, 149. Sitzung, Bonn, 8. Juni 1956, S. 7902 (http:// dip21.bundestag.de/dip21/btp/02/02149.pdf) und Beitrag Jochmus, 2. Deutscher Bundestag, 88. Sitzung, Bonn, 16. Juni 1955, S. 4953 (dipbt.bundestag.de/doc/btp/02/02088.pdf).

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chen. Eine andere Bundestagsabgeordnete, Margot Kalinke von der rechtsgerichteten Deutschen Partei, ging da schon weiter, wenn sie auf dem Höhepunkt der hitzigen Bundestagsdebatte im Oktober 1958 Werner Kollaths Zivilisationsbedingte Krankheiten und Todesursachen als Beweismittel für ein strenges Gesetz aufführte. Ihre Ausführungen zu den Zivilisationsschäden, die in einem Aufruf zur „Pflicht zur Gesundheit“ und zur „Gesundheit unseres Volkes“ gipfelten, gingen allerdings in allgemeiner Unruhe des Plenarsaals unter. Der „Schutz des Verbrauchers“, machte Kalinke noch deutlich, sei Gesundheitsschutz, der nicht den Interessen von Spezialindustrien geopfert werden dürfe.499 Vor allem Jochmus und Strobel sollten durch ihr Engagement schnell in die heiklen Kämpfe der Interessengruppen hineingezogen werden und wurden zum Feindbild der Lobbyisten des Lebensmittelhandels. Jochmus hatte in ihrer Rede vor dem Bundestag ausdrücklich das bei Südfrüchten verwendete Konservierungsmittel Diphenyl erwähnt, das nur den Importeuren Vorteil bringe, dem Verbraucher aber nur Nachteile. Es solle Schluss sein mit der „Diphenyl-‚Wirtschaft‘“, rief sie aus, diese Mottenkugeln zu essen, sei wirklich keine Freude.500 Die organisierten Fruchtimporteure reagierten sofort und beschwerten sich persönlich bei Jochmus. Eine Gesundheitsgefährdung durch Diphenyl sei überhaupt nicht bewiesen. Die CDU-Politikerin stellte aber in ihrem Antwortschreiben mit gewisser fundamentaler Verve fest, dass es gar nicht mehr von Bedeutung sei, ob das Konservierungsmittel gesundheitsschädlich sei, wenn Schalen nicht verzehrt werden könnten, der Geschmack leide und das Obst nicht mehr rieche. Entgegenkommend schränkte sie jedoch ein, dass ihr wohl bewusst sei, dass von einem novellierten Lebensmittelgesetz vor allem die ausländischen Exporteure profitieren würden. Der Zentralverband des Deutschen Früchtegroßhandels antwortete mit scharfen Worten, dass Jochmus im Begriff sei, die deutschen Außenhandelsbeziehungen zu beeinträchtigen.501 Die Verteidigungsstrategie der Fruchtimporteure bestand darin, sich selbst als quasi interessenfrei und nur die Bedürfnisse der Konsumenten befriedigend darzustellen. Es war just das Konzept der Verbraucherwartung, schrieb deshalb Ruth Tangemann, das den Hausfrauen den Schwarzen Peter zuwies. Denn, wenn die Konsumentin frische, gut aussehende und vitaminreiche Früchte erwarte, dann bleibe angeblich den Transporteuren nichts anderes übrig, als diese mit Konservierungsmitteln zu behandeln: „Bei den mit Diphenyl gespritzten Citrusfrüchten und den mit Arsen konservierten Importäpfeln sind die Hausfrauen schuld, neuerdings, weil sie Ware guten Aussehens lieber kauften als fleckiges und schrumpeliges Obst. Auch die giftgrün gefärbten Konservenbohnen, die gefärbten Obstkonserven, Teigwaren und Puddingpulver werden neuerdings zu Lasten der Hausfrauen verbucht. (…) Ein Schwarzer Peter nach dem anderen für den Verbraucher!

499 Beitrag Kalinke, Deutscher Bundestag, 47. Sitzung, Bonn, 29. Oktober 1958 Oktober, S. 2658–2661 (dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03047.pdf). 500 Beitrag Jochmus, 2. Deutscher Bundestag, 149. Sitzung, Bonn, 8. Juni 1956, S. 7902 (http:// dip21.bundestag.de/dip21/btp/02/02149.pdf). 501 Jochmus an Zentralverband des Deutschen Früchtegroßhandels e. V. (28.6.1956) und Zentralverband des Deutschen Früchtegroßhandels an Jochmus (16.7.1956), in: BA Koblenz, B 142/1528, 3 von 3. 7902

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Verbraucherpolitik Zuletzt sterben wir noch alle an Selbstvergiftung, freiwillig, nachdem wir die armen Lebensmittelfabrikanten, -bearbeiter, -importeure, und -händler gezwungen haben, uns den Schierlingsbecher in Form tausender von gefärbten, gebleichten, geschönten und konservierten Lebens-Mitteln, besser Anti-Lebens-Mitteln zu verabreichen.“502

Eine Polemik gegen Hausfrauen, die Tangemann mit gleicher Münze heimzahlte, war am 31. Januar 1958 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel „Sind gespritzte Zitronen giftig“ erschienen. Tangemann betonte bei diesem Anlass, dass es eine Allianz von Frauenverbänden, Ärzten und der Verbraucherschaft sei, die seit Jahren einen erbitterten Kampf gegen die Verseuchung der Nahrung durch Chemikalien ausfechte: „Es gibt keine Hausfrau im Bundesgebiet, die nicht im Interesse der Gesundheit ihrer Familie die schnellste Verabschiedung des neuen Lebensmittelgesetzes als eine der dringlichsten Aufgaben des Dritten Bundestages ansähe.“503 Es waren die aufgeklärten und unkorrumpierbaren Hausfrauen, durch Lobbyisten nicht zu bestechende Hüterinnen der Familie, Frontkämpferinnen gegen die organisierte Vergiftung des Körpers, die sich, anders als die von Tangemann aufgerufenen durchaus unzuverlässigen Ärzte, entschieden für die Reinhaltung der Lebensmittel stark machten. Fritz Eichholtz war entsprechend begeistert und beendete die Einleitung seiner Kampfschrift Vom Streit der Gelehrten mit den Worten: „Frauen! Haltet zu den Frauen im Bundestag!“504 Während er aber noch euphorisch den „erdverbundenen“ Frauen des Bundestags dankte, welche die „Revolution der Konsumenten“ eingeleitet hätten, forderte er bereits für die Zukunft vor allem mehr Macht der Forschung. Die Dichotomie männlicher Produktion und weiblichen Konsums, die seit dem späten 19. Jahrhundert gängig war – erinnert sei auch an Georges Sorel, der in den 1910er Jahren eine schroffe Differenzierung zwischen einer männlich-heroischen Produzentenund einer weiblich-unheroischen Konsumentenmoral erfunden hatte –, diffundierte in den 1960er Jahren als ein wiederum tendenziell männlich geprägter Expertendiskurs und ein zunehmend entwerteter, als weiblich konnotierter Moralismus.505 Auch Cornel Josef Bock betrachtete in dem von ihm mitherausgegebenen Band Verbraucherpolitik die „Macht der Hausfrauen“ eher distanziert. Wenn zeitgenössisch die Überzeugung herrschte, dass zum „Ernst des Lebens“ Kapital und Arbeit gehörten, der Verbrauch aber Sache der Hausfrau sei, dann musste letzterer auch als nachrangig angesehen und zur Aufwertung einer Verbraucherpolitik notwendigerweise auch der Konsum vermännlicht werden.506 Zur Ehrenrettung Bocks sei aber darauf hingewiesen, dass er Fritz Ottels Streitschrift Organisierung der Verbraucher? auch deshalb ablehnte, weil diese die Hausfrauen „am liebsten an den Kochtopf zurückkommandieren möchte“.507 Die männlichen Abgeordneten des Bundestags nutzten hingegen diese Einheitsfront, bei der Frauen im Bundestag entschieden das Wort ergriffen, für aller502 503 504 505 506 507

Tangemann, Verbraucher, S. 6. Tangemann, Aufgeklärte Hausfrauen, S. 12. Eichholtz, Vom Streit, S. 7. Eichholtz, Streit, S. 6–7, 34–35. Zu Sorel: König, Konsumkultur, S. 304–306, 344–349. Bock, Der Verbraucher, S. 29. Bock, Der Verbraucher, S. 35.

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lei Heiterkeit. In seiner Funktion als Vizepräsident des Bundestages ergötzte sich der SPD-Politiker Carlo Schmid am „neuen Stil der Galanterie in diesem Hause“. Innenminister Schröder versuchte Schmid an Charme noch zu übertrumpfen, betonte dann allerdings lieber sein vollkommenes Übereinstimmen mit den Forderungen der weiblichen Abgeordneten.508 Allerdings konnten sich die Politikerinnen kaum sicher sein, dass der von allerlei Lobbyisten vereinnahmte Schröder wirklich auf ihrer Linie bleiben würde. Starke Unterstützung erhielten sie vor allem durch die Hausfrauenverbände, die in der Folge mit der geballten Macht eines gut funktionierenden Netzwerkes den Innenminister bis zum tatsächlichen Erlass der Gesetzesnovelle mit schriftlichen Aufforderungen, endlich Maßnahmen für ein strenges Lebensmittelrecht zu ergreifen, eindeckten. Im Bundesarchiv befinden sich mehrere Aktenordner mit Briefen, die von unterschiedlichen Frauen- und Hausfrauenverbänden und ihren lokalen Vertretungen aus nahezu sämtlichen Städten vor allem in den Jahren 1957 und 1958 an das Innenministerium verschickt wurden. Dazu gehörten, um nur einen kurzen Eindruck zu geben, der Frauenring Lörrach, die Arbeitsgemeinschaft der Pforzheimer Frauenverbände, die Gemeinschaft der Frauenverbände Fulda, die Bayerische Hausfrauenvereinigung, der Informationsdienst für Frauenfragen e. V., die Frauengilde im Zentralverband Deutscher Konsumgenossenschaften, der Deutsche Hausfrauen-Bund, der Deutsche Katholische Frauenbund (Zweigverein Heidelberg), der Deutsche Berufsverband der Sozialarbeiterinnen, der Frauenring RheinlandPfalz, die Arbeitsgemeinschaft Göttinger Frauenvereine, die Arbeitsgemeinschaft Ulmer Frauenorganisationen, die Lehrerinnenvereinigung Baden-Württemberg, die Arbeitsgemeinschaft der Frauenverbände Schwäbisch-Hall, die Arbeitsgemeinschaft der Frauen, der Hausfrauen-Verein Bad Hersfeld, der Deutsche Akademikerinnenbund, der Göppinger Frauenbund, der Berliner Frauenbund 1945 e. V., der Zentralverband der katholischen Frauen- und Müttergemeinschaften Deutschlands, der Deutsche Frauenring e. V., der Hausfrauen-Bund Köln e. V., die Arbeitsgemeinschaft Hessischer Frauen und der Deutsche Verband Berufstätiger Frauen.509 Diese unvollständige Liste der organisierten Frauen- und Hausfrauenvereinigungen wird noch imposanter, wenn in Betracht gezogen wird, dass Nora Melle im Informationsdienst für Frauenfragen e. V. achtzig Frauenverbände und Frauengruppen vereinte, die sich an alle relevanten politischen Vertreter wandten, um die sofortige Verabschiedung des Lebensmittelgesetzes einzufordern.510 Die Biografie der Aktivistin Fini Pfannes, Mitinitiatorin des 1949 gegründeten Deutschen Hausfrauen-Bundes, zeigt sehr anschaulich, wie umtriebig die Organisatio508 2. Deutscher Bundestag, 149. Sitzung, Bonn, 8. Juni 1956, S. 7900–7901. (http://dip21. bundestag.de/dip21/btp/02/02149.pdf). 509 BA Koblenz, B 142/1530, BA Koblenz, B 142/1534, BA Koblenz, B 142/1524. 510 Nora Melle, Informationsdienst für Frauenfragen e. V. an Fraktionen des Bundestages, Ausschuss für Gesundheitswesen, Rechtsausschuss des Bundestages, weibliche Abgeordnete des Bundestages, Bundesrat, Bundesministerium des Innern, Bundes-Frauenausschüsse der Parteien (14.6.1958), in: BA Koblenz, B 142/1530, 2 von 2. Zum Informationsdienst: Icken, Der Deutsche Frauenrat, S. 118–155. Böttger, Mut; Schüller/Wolff, Fini Pfannes, S. 99–207; und Gerhard, Frauenverbände.

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nen waren, um die Rechte der Hausfrauen einzufordern. So war der HausfrauenBund in 32 verschiedenen Gremien präsent, darunter dem Verbraucherausschuss beim Ernährungsministerium, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände und natürlich dem Informationsdienst für Frauenfragen.511 Am 13. September 1957 vermeldete die Süddeutsche Zeitung unter der Titelzeile „Die Hausfrau wünscht vom Bundestag…“, dass die Berufsorganisation der Hausfrauen in München unter dem Vorsitz von Erika Merten vom neuen Bundestag erwarte, dass er die in Angriff genommene Reform des Lebensmittelgesetzes zu Ende bringe.512Auch der Deutsche Frauenring, geleitet von Bertha Midelhauve und Elsbeth Weichmann, erließ im Oktober 1958 eine Resolution, dass es endlich zur Verabschiedung des Gesetzes kommen müsse.513 Nach der Gesetzesnovelle im Dezember 1958 ließ diese Kampagne nicht nach und wurde nunmehr auf die jeweiligen Verordnungen sowie die Frage der Kennzeichnungspflicht ausgerichtet. Denn der politische Erfolg schien ob der folgenden Verwässerung des Gesetzes nur von kurzer Dauer.514 Schon kurz nach Erlass des Lebensmittelgesetzes wurden durch die jeweiligen Verordnungen Versuche seitens interessierter Kreise unternommen, nicht zugelassene Stoffe doch wieder in Umlauf zu bringen. Der Spiegel versuchte in der Folge in mehreren Artikeln die Lobbymachenschaften der Lebensmittelindustrie aufzudecken. Schon im Herbst 1959 habe Innenminister Schröder medienwirksam im WDR-Fernsehen die armen Krabbenfischer bedauert, die keine Borsäure mehr zum Konservieren und Färben benutzen könnten und deshalb vor dem Ruin ständen. Zugleich habe Schröder dabei versucht, der Öffentlichkeit einen Rattenschwanz von Ausnahmen aufzureden, den seine Referenten in die Verordnungsentwürfe eingeschmuggelt hätten. Er müsse diese Vorschläge deshalb verteidigen, so stand es im Spiegel, „weil die Verordnungen bereits nach dem Bekanntwerden erster Einzelheiten als eine Art Siegesdokument der Bonner Wirtschafts-Lobbyisten gewertet wurden“. Das hatte sogleich Proteste der bundesdeutschen Hausfrauenverbände und der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände zur Folge. Die eigentliche Aufklärungsarbeit leistete aber Ruth Tangemann vom Deutschen Frauenring, die dann auch vom Spiegel ausführlich zitiert wurde. Sie wies auch darauf hin, dass die im novellierten Lebensmittelgesetz vorgesehene Kennzeichnungspflicht bereits durch eine große Anzahl an spitzfindigen Ausnahmen aufgehoben worden sei.515 1961 berichtete der Spiegel dann sehr detailliert davon, wie im Rahmen des Verbraucherausschusses beim Bundesernährungsministerium Ruth Tangemann den Ministerialdirigent Forschbach stark unter Druck gesetzt 511 Schüller/Wolff, Fini Pfannes, S. 145. 512 Eis, „Die Hausfrau wünscht vom Bundestag…“ (Süddeutsche Zeitung, 13.9.1957), in: BA Koblenz, B 142/1529, 2von 2. 513 Deutscher Frauenring e. V., an Bundesminister für Ernährung, Fraktionsvorsitzende,weibliche Bundestagsabgeordnete, Vorsitzendes des Ausschusses für Gesundheitswesen (22.10.1958), in: BA Koblenz, B 142/1530, 1 von 2. 514 Maria Gründer und Emmy Riedl, Frauengilde im Zentralverband Deutscher Konsumgenossenschaften an Bundesministerium des Innern (20.8.1959), in: BA Koblenz, B 142/1530, 2 von 2. Strobel an Schroeder (8.7.1959), in: BA Koblenz, B 142/1530, 2 von 2. 515 Anonym, Salpeter.

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und diesen verdächtigt habe, das Lebensmittelgesetz auf dem Verordnungswege auszuhöhlen. Forschbach hatte nämlich für den darauffolgenden Tag ein Treffen mit der Arbeitsgemeinschaft für Ernährungsfragen der Fleischwarenindustrie vereinbart, um über den nicht zugelassenen Brühwurstzusatz Polyphosphat zu diskutieren. Forschbach hatte schon zwei Jahre zuvor versucht, eine Wiederzulassung zu erwirken, war damit aber am Bundesrat gescheitert. Wie immer sehr gut informiert, wusste der Spiegel, dass Vertreter der chemischen Fabrik Joh. A. Benckiser aus Ludwigshafen bereits bei Forschbach antichambriert hatten, da ihr phosphathaltiges Produkt „Brätfibrisol“ nicht in die Liste geduldeter Fremdstoffe aufgenommen worden war. Die Fleischindustrie selbst hatte mit dem Ziel, eine Zulassung für Polyphosphate zu erwirken, auf das Innen- aber auch das Ernährungsministerium, den Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde sowie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung eingewirkt.516 Die Arbeitsgemeinschaft hingegen griff zum ersten Mal beim Streit um die Verordnungen und hier insbesondere bei den scharfen Auseinandersetzungen um das Fischkonservierungsmittel Hexamethylentetramin (Hexamin oder auch Hexa) so ein, dass sie in der Presse als legitime Vertreterin der Verbraucherinteressen angesehen wurde. Hexamin war verdächtig, weil es im sauren Milieu des Lebensmittels und im sauren Medium des Magensaftes Formaldehyd abspaltet, dessen mutagene Wirkung bei niederen Organismen bekannt war.517 S. Walter Souci und Hans Lück fassten zusammen, dass vor allem bei Formaldehyd und bei verschiedenen ungesättigten Aldehyden eine Möglichkeit der Erbschädigung bestehe. Formaldehyd selbst war als Konservierungsmittel bei Fischeis, Heringsluke, Milch, Eiern, zur Behandlung von Käserinden gegen Schimmelbefall und zur Konservierung künstlicher Wursthüllen angewendet oder vorgeschlagen worden. Zudem war es im Tabakrauch und bei der Räucherung enthalten. Wegen seiner eiweißhärtenden und mutagenen Wirkung, so Souci und Lück, sei er als Zusatzstoff für Lebensmittel von der Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung abgelehnt worden. Der mutagene Effekt des Formaldehyds war zudem durch amerikanische Forschungen bestätigt worden. Entsprechend hatte die Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung Hexamin zumindest aus der vorläufigen Liste der Konservierungsstoffe gegen mikrobiell bedingten Verderb herausgenommen.518 Der Beirat der deutschen Fischwirtschaft hatte hingegen Günther Malorny vom Pharmakologischen Institut der Universität Hamburg 1960 mit der Prüfung von Hexamin beauftragt, der dazu einen eigenständigen Arbeitskreis gründete. Eine toxische Wirkung auf die Enzymaktivierung in den Geweben und Organen konnte er nicht feststellen. Es sei mit einer Hemmung der Fermentaktivität nicht zu rechnen.519

516 517 518 519

Anonym, Brühwurst. Anonym, Gegen. Hierzu auch: Stoff, Hexa-Sabbat. Lück/Souci, Lebensmittel-Zusatzstoffe, S. 239. G. Malorny, „Das Hexaminproblem vom Standpunkt des Mediziners und Toxikologen“, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, vom Okt. 1963 bis Juni 1964, S. 44–46

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Nach der Konservierungsstoffverordnung vom 19. Dezember 1959 war Hexamin nur bis zum 31. Dezember 1961 zur Konservierung von Fischerzeugnissen zugelassen. Jedoch wurde diese Regelung trotz öffentlichen Drucks und der Expertisen der Konservierungsmittelkommission überraschenderweise vom Gesundheitsministerium bis zum 31. Dezember 1963 verlängert. Die Fischindustrie hatte der Regierung mit politischem Druck und Lobbyarbeit überzeugend vermittelt, dass es zu Hexamin keine Alternative gebe und dass das minimale Gesundheitsrisiko das kleinere Übel im Vergleich zu verdorbenem Fisch und nicht mehr konkurrenzfähigen Unternehmen sei. Die Einführung neuer Verfahren der Konservierung, so Walter Ludorff vom Institut für Fischverarbeitung der Hamburger Bundesforschungsanstalt für Fischerei, verlange vor allem verbesserte Hygienemaßnahmen, zu denen die fischverarbeitende Industrie nicht in kurzer Zeit in der Lage sei.520 Mit Elisabeth Schwarzhaupt war 1961 erstmals eine Frau zur Bundesministerin berufen worden, die dann auch noch das neu eingerichtete Gesundheitsministerium betreute. Namentlich der Spiegel setzte ihr anlässlich der Hexamindebatte mächtig zu. Der „Inthronisierungsjubel westdeutscher Frauenverbände“ drohe ob ihrer Nachgiebigkeit gegenüber den Lobbyisten der Fischindustrie zu ersticken. Während die „Gesundheitshüterin Schwarzhaupt“ verdächtige Stoffe auf die Verbraucher losgelassen habe, so der Spiegel, sei es die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände gewesen, die am 6. November 1961 Einspruch erhoben und nunmehr die Rolle des entscheidenden politischen Akteurs für die Reinerhaltung der Nahrungsmittel übernommen habe.521 Tatsächlich hatte es sich die Arbeitsgemeinschaft 1960 zum Ziel gemacht, stärker auf die öffentliche Meinungsbildung Einfluss zu gewinnen und den Kontakt zu Presse, Rundfunk und Fernsehen zu intensivieren. Neben Interviews waren es vor allem Pressekonferenzen und Presseerklärungen, bei denen die Arbeitsgemeinschaft die Position der Verbraucherbewegung deutlich machte. In den Heften der Verbraucherpolitischen Korrespondenz bezog die Arbeitsgemeinschaft gegen die Verwendung von „Hexa“ Position, veröffentlichte dabei auch die Stellungnahmen, die an Innenminister Schröder geschickt worden waren.522 Schwarzhaupt musste sich gegenüber den Verbraucherverbänden, die von ihr eine strengere Position erwarteten, ausdrücklich verteidigen: Bei Hexamin bestehe einfach kein Hinweis für eine Gesundheitsschädigung, eine keimschädigende Wirkung beim Menschen sei nicht erwiesen, hingegen bestehe Bedarf nach Hexamin, das im Ausland zumeist erlaubt sei.523 In den folgenden Jahren nahm Schwarzhaupt zwar „im Namen des Verbraucherschutz“ einen entschlosseneren Standpunkt ein, konnte aber nicht verhindern, dass der Bundesrat, gedrängt durch die Küstenländer, am 7. Februar 1964 eine erneute Verlängerung der Verwendung von Hexamin als Konservierungsmittel durchwinkte. Die Fisch-Lobby habe 122 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen gegen die standhafte Bundesministerin mobilisiert, wusste der Spiegel, die dann die Bundesregierung aufgefordert hätten, sie möge dem für Rechtsverord520 521 522 523

Anonym, Hexa-Sabbat; Anonym, Nach dem Jubel; und Anonym, Schonzeit. Anonym, Nach dem Jubel. Karstens, Wirkung, S. 135, 140–141. Anonym, Hexamethylentetramin.

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nungen zuständigen Bundesrat eine Verlängerung der Hexagenehmigung bis Ende 1965 vorschlagen. Der Spiegel bemerkte süffisant, dass Schwarzhaupt sich wie eine Nixe in den Netzen der norddeutschen Fisch-Lobby verfangen habe.524 Tatsächlich hatte vor allem Karl E. Heitmann, Vorsitzender des Fachverbandes der Fischindustrie, unermüdlich für die Verwendung von Hexamin mobilisiert. Zentral war dabei, dass auch er die Leitthese, was nicht als unbedenklich nachgewiesen sei, sei bedenklich, anzweifelte.525 Souci deutete hingegen in der Süddeutschen Zeitung die verlängerte, aber beschränkte Zulassung von Hexamin als Konservierungsmittel in der Fischindustrie als salomonische Urteil, das den Streit zwischen Fischindustrie und Verbraucherschutz zum vorläufigen Abschluss gebracht habe. Diese Pattsituation war das geradezu paradigmatische Ergebnis des Nichtwissens durch differierende Studien. Die Fischindustrie hatte vorgebracht, dass Hexamin sowohl als Konservierungsmittel, aber unter der Bezeichnung „Urotropin“ auch als Therapeutikum schon seit Jahrzehnten ohne Anhaltpunkte für schädigende Wirkungen angewendet werde. Dabei galt eigentlich für die Behörden und Wissenschaftler das Verdikt, dass Lebensmittelzusatzstoffe nur dann zur Verwendung freigegeben werden können, wenn deren Unbedenklichkeit erwiesen sei. Eine Aufnahme in die Positivliste war nur nach Abschluss der Tierversuche möglich. Ob dann wiederum ein absolut zuverlässiges Urteil vorliegt, war wissenschaftlich höchst fragwürdig. Zudem stellte sich die Frage, ob eine Substanz, die bei langjähriger Verabreichung keine Schäden gezeigt habe, harmlos sein müsse. Es gebe Stoffe, die nicht akut-toxisch seien, aber bei langdauernder Verabreichung selbst in kleinsten Mengen chronisch-toxisch wirkten, mobilisierte Souci die Summationsthese. Bei krebserzeugenden Stoffen bestehe eine Latenzzeit von mehr als fünfzehn Jahren. Wie sollte dann, fragte Souci, der Zusammenhang zwischen dem toxischen Stoff und der dadurch bedingten Krankheit gezogen werden? Wenn sich auch eine Schädigung im Tierversuch gar nicht nachweisen ließ, lautete das von der Industrie weiterhin angezweifelte Axiom, beweise dies keineswegs die Unschädlichkeit eines Stoffes. Souci schloss seinen Artikel mit der Hoffnung, dass die Fischindustrie zukünftig ohnehin auf chemische Konservierungsmittel verzichten könne. Das Vorbild der Fischwirtschaft der UdSSR zeige, dass ein Teil der Verarbeitung des gefangenen Fisches schon durch Filetterieren und Einsäuern auf hoher See erfolgen könne.526 Letzterem schloss sich der doch eigentlich von der Fischindustrie als Gutachter bestellte Malorny an, wenn er ausführte, dass durch sorgfältige Behandlung der Rohware beim Fischen und Anlanden, durch die Einführung einer zuverlässigen Tiefkühlkette sowie durch die Verbesserung der Hygiene bei der Fischverarbeitung ganz auf Hexamin verzichtet werden könne.527 Malorny war auch einer von drei Gutachtern, die zur Klärung einer Hexaminzulassung vom 524 Anonym, Hexa-Sabbat. 525 Leserbrief Karl E. Heitmann, „Rollmops plus Hexamin“ (Süddeutsche Zeitung, 6.2.1964), in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, ca. Juli 1964 bis 31. Dez. 1965. 526 Souci, Die Unschädlichkeit. 527 G. Malorny, „Das Hexaminproblem vom Standpunkt des Mediziners und Toxikologen“, in: DFG-Archiv, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, vom Okt.

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Gesundheitsausschuss des Bundestags angehörten wurden. Während Peter Marquardt sich gegen die Verwendung von Hexamin aussprach, hielten Malorny und Kewitz dieses gerade wegen der unklaren Forschungslage für duldbar.528 Für Werner Gabel war durch die Gutachtertätigkeit von Lebensmittelchemikern für die Fischindustrie letztlich die Basis einer Zusammenarbeit in Frage gestellt. Ludorff, der auch als Sachverständiger vom Fachverband der Fischindustrie angeheuert worden war, habe einen Artikel veröffentlicht, „der geradezu bestimmt zu sein scheint, um den fremdstoff-freundlichen Kreisen der Fischindustrie den Nacken gegen die Bundesregierung und gegen den Gesetzgeber zu steifen“. Wie solle da in Zukunft noch an die Loyalität von Ludorff geglaubt werden?529 Über die Verwendung des Hexamins begann jedoch ob des „salomonischen Urteils“ eine öffentliche Debatte, welche die Gesundheitsministerin zunehmend in Bedrängnis brachte. Mitte Februar 1964 protestierte die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände eindringlich, dass der Bundesrat sich mit der Zulassung des Hexamins bis Ende des Jahres über die Empfehlungen des Bundestags und der DFG sowie über EWG-Richtlinien hinweggesetzt habe.530 Eine weitere Verlängerung der Zulassung von Hexamin über das Jahr 1964 hinaus war politisch nicht mehr durchsetzbar und so wurde das Thema schlichtweg nicht auf die Tagesordnung des Bundesrats gesetzt. Im September 1965 revidierte das Verwaltungsgericht Oldenburg die Zulassung von Hexamin aus dem Jahr 1959. Auch die befristete Zulassung von Hexa wurde aufgehoben.531 Mit dem „Hexa-Sabbat“ war in der ersten Hälfte der 1960er Jahre der Streit um Fremdstoffe auf eine Auseinandersetzung zwischen den Lobbygruppen der Industrie und den Interessenvertretern der Verbraucher reduziert. Die eher schwach wirkenden Behörden und Ministerien wurden zum Spielball der jeweiligen Mobilisierungen. Während die Industrie- und Handelslobby dabei ihre Nähe zur Politik ausnutzte, arbeitete die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände vor allem über die Medien und den öffentlichen Diskurs. Wissenschaftliche Expertisen wurden von beiden Seiten angefordert und verwendet, die Lebensmittelchemiker produzierten Unmengen an Wissen und Nichtwissen, was einerseits Problematisierungen von prekären Stoffen konstituierte, aber beiderseits nicht wirklich zur Entscheidungsfindung beitrug. Es waren nicht wissenschaftliche Ergebnisse, die den Umgang mit bestimmten Zusatzstoffen regulierten, sondern öffentlich-medialer Druck, wie ihn die Verbraucherverbände seit den 1960er Jahren einsetzten, und politische Entscheidungsfindungen durch Interessenmodulationen in den Expertengruppen von JECFA, den Kommissionen der DFG sowie in den Sitzungssälen und Vorzimmern der Ministerien.

528 529 530 531

1963 bis Juni 1964, S. 1. Die Tiefkühlkette erreichte Anfang der 1960er Jahre allerdings nur etwa dreißig Prozent der Letztverbrauchenden. Hamann, Die zugelassenen Fremdstoffe, S. 1293. Anonym, Hexa-Sabbat. Gabel an Fachmann (17.7.1957), in: BA Koblenz, B 142/1533, 2 von 2. „Verbraucher gegen ‚Hexamin‘“ (Oberhessische Presse, 15.2.1964) in: DFG-Archiv, Bonn, AN 6032, Kommission zur Prüfung der Lebensmittelkonservierung, ca. Juli 1964 bis 31. Dez. 1965. „‚Hexa‘ darf nicht verwendet werden“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.9.1965), in: DFGArchiv, Bonn, AN 60329, Presse, 1961–1970.

4. NACHTRAG: ENDOGENE UND EXOGENE ANGST IN DEN 1970ER JAHREN „Gift in der Nahrung! Der Warnruf ist noch nicht überflüssig geworden.“1

Verbraucher- und Umweltpolitik sind, wenn auch nicht deckungsgleich, so doch eng verwandte Gebiete, organisatorisch verschieden, aber diskursiv fast gleichartig.2 Spätestens seit Becks Risikogesellschaft war die Mitte des 20. Jahrhunderts konstituierte Politik der Risikovermeidung zu einer diskursiv stabilisierten Überzeugung geworden. Dies bedeutete aber keineswegs, dass dies auch in Gesetze, Verordnungen und politische Maßnahmen umgesetzt wurde. Die vernünftige Risikovermeidung schien nur allzuoft der unvernünftigen und egoistischen Risikokalkulation unterlegen. Was nicht heißt, dass nicht auch die Überspanntheiten radikalökologischer Aktivisten als unvernünftig dargestellt und den vernünftigen Verhandlungen wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Experten gegenübergestellt werden konnten. Der Streit um den Verbraucherschutz war stets auch eine Wiederaufführung des Kampfes zwischen Experten und Laien, nur dass sich die Laien immer auch auf Experten bezogen und die Experten mühsam die Laien aus der Politik überzeugen mussten. Das 1958 durchgesetzte Verbotsprinzip wurde zwar im Laufe der 1960er Jahre durch spezifische Verordnungen ausgehebelt, eine Rückkehr zum Missbrauchsprinzip war in Einzelentscheidungen durchaus üblich, aber die Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung vom Januar 1972 und das dann im August 1974 verabschiedete neue Lebensmittelgesetz funktionierten explizit im Sinne des Verbraucherschutzes. Aus dieser Perspektive schien die Allianz aus Wissenschaftlern, Hausfrauenorganisationen und Ministerialbeamten durchaus Erfolg gehabt zu haben. Jutta Grüne verwies aber in ihrer zeitnah geschriebenen Geschichte zu den Anfängen staatlicher Lebensmittelüberwachung darauf, dass Verbraucherschutz formelhaft mit der Aussage verbunden war, dass zugleich auch keine „unnötige Behinderung der wirtschaftlichen Entwicklung“ eintreten dürfe. Das Vetorecht staatlich-ökonomischer Interessen war für jene zahlreichen Fälle, die durch Nichtwissen charakterisiert waren, fest installiert. Wenn sich ein Bruch für das Jahr 1974 konstatieren lässt, dann war dieser viel eher im § 2 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz versteckt und bestand in der Ablösung der Bezeichnung „Fremdstoffe“ durch den der „Zusatzstoffe“. So war zwar die gesamte Debatte der 1950er und 60er Jahre im Gesetz aufgehoben, aber das sichtbarste Zeichen des Giftnarrativs und einer reformerisch-puristischen Ausrichtung,

1 2

Glatzel, Fermenthemmer, S. 2. Helten, Umweltgefährdung.

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das sich zudem auf sehr viele ältere Vorstellungen einer kontaminierenden Gefährdung der Volksgesundheit stützte, war zum Verschwinden gebracht.3 Grundsätzlich war der radikale Widerstand gegen Risikokalkulationen aus dem inneren Bereich der Entscheidungsfindung verdrängt worden und auf Pressemeldungen, Fernsehberichte, aufrüttelnde Sachbücher sowie auf Kampagnen der entstehenden Ökologiebewegung verschoben worden. Johannes Friedrich Diehl atmete noch viele Jahre später erleichtert auf, dass die Experten wieder unter sich waren, und erinnerte an die finstere Zeit, als das Denken noch stark durch die Hypothesen von Eichholtz, Carson und Delaney geprägt gewesen sei und jeder Antrag auf Zulassung eines Zusatzstoffes dem Wunsch, ihn möglichst abzulehnen, begegnet sei: „Je kürzer die Positivliste war, desto besser sah sie aus. In dieser Hinsicht ist in der Toxikologie ein Wandel festzustellen.“4 Von den Akteuren, die in den 1950er Jahren für ein strenges Lebensmittelgesetz eingestanden hatten, meldete sich in den 1970er Jahren schon aus Altersgründen kaum noch jemand zu Wort. Nur Werner Gabel äußerte sich in einem von ihm mitherausgegebenen Band mit dem Titel Gift auf dem Tisch? noch einmal in aller Deutlichkeit: Das Lebensmittelrecht sei das Schutzrecht des Verbrauchers und der Verbraucherschutz müsse stets allen wirtschaftspolitischen Erwägungen und Rücksichten übergeordnet bleiben.5 Der öffentliche Diskurs war in den 1970er Jahren durch die Meldungen des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums geprägt und durch Vorstellungen eines „Schadstoff-Menschen“ beeindruckt, wie sie etwa der Homöopath Christian Hagen beharrlich mit dem Diktum einer toxikologisch kaum zu erfassenden „Vielzahl der möglichen Wirkungen auf den Organismus“ verband. Krebs sei nach Aussage gewisser Krebsforscher zu neunzig Prozent exogen bedingt, fuhr er fort, um daraus zu schließen, dass es auf „die möglichst frühzeitige Erkennung und Bekämpfung dieser exogenen Noxen“ ankomme, „auch wenn man dabei mehr und mehr Sisyphus-Arbeit leisten sollte“.6 Der Sozialmediziner Hans Schäfer stellte in seiner 1975 erschienenen Schrift Folgen der Zivilisation die eigentlich falsche Gretchenfrage „Therapie oder Untergang“. Denn zu therapieren gab es schon nichts mehr; in den 1970er Jahren bestand unter psychosomatisch, sozialmedizinisch und ökologisch orientierten Medizinern und Wissenschaftlern bereits Einigkeit, dass nur Prävention, die staatlich erzwungene und individuell praktizierte Abkehr von der Chemisierung der Umwelt, hier noch helfen könne.7 Genug Mediziner rekapitulierten eine apokalyptische Erzählung, die von Umweltverschmutzung, Naturverstümmelung und ökologischen Zusammenbrüchen berichtete: „Giftstoffe erreichen uns über Haut, Lunge, Magendarmkanal in gefahrdrohenden Konzentrationen, die bei Smogsituationen z. B. tödlich werden können. Lärm steigert sich zum Unerträglichen. Schutthalden wachsen weiter, nicht bloß durch nichtsnutzige, sondern auch durch eigentlich wieder verwend3 4 5 6 7

Grüne, Anfänge, S. 17–18. Auch: Trumbull, Consumer Capitalism, S. 94. Diehl, Chemie, S. 238. Gabel, Gesundheitsschutz, S. 145. Hagen, Die Umweltgifte, S. 85, 88. Hoppe, Mitbericht, S. 218–219. Zu Schäfer: Kury, Der überforderte Mensch, S. 225–230.

Nachtrag: Endogene und exogene Angst in den 1970er Jahren

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bare Abfälle. Endogene und exogene Angst erfüllt die Szene.“8 Allerdings kam zu diesem Zeitpunkt der nie falsifizierten Summationsthese innerhalb der ökologischen Debatte keine Rolle mehr zu. Anstatt über Summationsgifte wurde über unterschwellige Dosen und Konzentrationsgifte diskutiert. Glatzel wischte 1973 die in weiten Kreisen verbreitete These, jeder Stoff, der sich in irgendeiner Dosis als giftig für Tier oder Mensch erwiesen habe, müsse grundsätzlich verbannt oder verboten werden, mit Paracelsus vom Tisch.9 Und Truhaut selbst hatte schließlich dafür gesorgt, dass das Aushandeln von Grenzwerten durch elitäre Kommissionen in der Praxis das Verbot von Zusatzstoffen in aller Regel ersetzte.10 Verbraucherpolitik war an diesem Diskurs orientiert, der Schutz der Verbraucher seit den 1970er Jahren eine allerdings in den alltäglichen Entscheidungen relativierbare oberste Doktrin des bundesdeutschen Staates. Deklarationen („Frei von Zusatzstoffen!“) und alternative Produktionsbedingungen veränderten dabei sukzessive den Lebensmittelmarkt: Reinheit und Natürlichkeit wurden zu Kaufangeboten, die allerdings erst zur Jahrtausendwende auch konkurrenzfähig wurden. Mit den Grünen gelangte dann auch 1983 eine Interessenvertretung der Verbraucher in den Bundestag, die viele Positionen der 1950er und 60er Jahre bewahrte. In ihrer maßgeblichen und die Debatte über Lebensmittelzusatzstoffe in den 1980er Jahren in 70 Punkten idealtypisch zusammenfassenden großen Anfrage „Chemiepolitik: Umwelt und Krebs“ kamen aber die Namen Druckrey und Eichholtz und auch die Konzepte „Summationsthese“ und „toxische Gesamtsituation“ nicht mehr vor. Die Problematisierung war durchgesetzt, aber sie hatte ihre Geschichte abgestreift.11 Dabei behielt das alte Programm der Erziehung der Verbraucher performative Kraft. Eine endlose Serie an Belehrungen, Vorschriften und Ratschlägen, kurz: Informationen, wird seit Mitte des 20. Jahrhunderts medial verbreitet, die Identität des kritischen Konsumenten zu einem Hauptcharakteristikum und Leitbild transatlantischer Staaten insgesamt. Die „Verbraucherwünsche“, hatte Souci 1952 verlangt, müssten durch allmähliche Umgewöhnung und sachliche Aufklärung des Verbrauchers gelenkt werden. Auch 22 Jahre später, anlässlich des Gesetzes zur Gesamtreform des Lebensmittelrechts, galten Soucis Worte noch und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung startete einen Wettbewerb zwischen Werbeunternehmen für eine Kampagne zur „Aufklärung der Verbraucher über die Reform des Lebensmittelgesetzes“.12 Wie verändert sich ein Gefüge? Es verliert an Eigenschaften und Akteuren, gewinnt aber zugleich auch neue hinzu. Aus dem Diskurs über die Gesundheitsrisiken durch die Verwendung von Farbstoffen, Konservierungsmitteln und tech8 9 10 11 12

Bock, Der Arzt, S. 827. Glatzel, Natürliche Giftstoffe, S. 18. Callabrese, A Fundamental Concept; Bächi, Zur Krise, S. 10–11; und Tennekes, The Significance. Große Anfrage der Fraktion Die Grünen (7.3.1986), in: Deutscher Bundestag, 10. Wahlperiode, Drucksache 10/5158 (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/10/051/1005158.pdf). Bergmann, Industriell. S. W. Souci, „Sind gefärbte Lebensmittel gesundheitsschädlich?“ (Manuskript, 29.11.1952), in: BA Koblenz, B 116/420. Der Aufruf zur Werbekampagne befindet sich in BA Koblenz, B 310/39.

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Nachtrag: Endogene und exogene Angst in den 1970er Jahren

nischen Hilfsstoffen sind die Begriffe Fremdstoffe und Volksgesundheit sukzessive verschwunden und durch Zusatzstoffe und Gesundheitsvorsorge ersetzt worden. Dass das Volk vom Fremden vergiftet werde, die paranoide Überzeugung der Moderne, gehört nicht länger zu den anerkannten Aussagen in der Bundesrepublik. Gleichwohl existieren Kontaminationsängste, die seit den 1970er Jahren seltener vom „Gift in der Nahrung“ als von der „Chemie in der Nahrung“ sprechen; den Ausdruck „toxische Gesamtsituation“ verwendet seit den 1980er Jahren niemand mehr, aber die Ubiquität von Giftstoffen gilt als Tatsache, die Diskurse, Institutionen sowie politische und juristische Maßnahmen mobilisiert. Und auch die Druckrey-Küpfmüller-Gleichung, die doch die Debatte in der Bundesrepublik, aber auch im Rahmen der World Health Organization anleitete, ist nur noch Spezialisten bekannt und wird bei den notorischen Lebensmittelskandalen nicht beweiskräftig aufgerufen. Stattdessen haben Grenzwertkonzepte einen unverrückbaren Platz in der Risikopolitik prekärer Stoffe eingenommen. Verschwunden ist natürlich auch jene Generation der um 1900 Geborenen, welche die Allianz zwischen Wissenschaft und Industrie in den 1950er Jahren prägte. Ohne Bauer, Butenandt, Druckrey und Eichholtz ging seit den späten 1960er Jahren die Aktivität zur Durchsetzung einer Präventionspolitik der Risikovermeidung auf die Gruppierung der Verbraucher- und Umweltbewegung über. In den Reihen der Experten fehlten nunmehr charismatische Figuren, um auf der Basis des Nichtwissens eine Alternative zu Risikokalkulationen durchzusetzen. Die Europäisierung des Lebensmittelrechts und die Institutionalisierung der Lebensmittelüberwachung verfestigte jedoch die Problematisierung, organisierte Anordnungen und versprach Sicherheit. Das Motto des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Risiken zu managen und Verbraucher zu schützen, bringt dabei noch einmal die historische widersprüchliche Synthese auf den Punkt.13 Die biopolitische Ausrichtung der Vitalstoffgesellschaft als Hauptvertreterin einer außerhalb der expertischen Netzwerke stehenden radikal puristischen Gruppierung diffundierte zwar in den 1970er Jahren in die Antiatomkraftbewegung und spielte bei der Gründung der Grünen eine gewisse Rolle, konnte sich aber nicht gegen konkurrierende politische Kräfte durchsetzen und blieb, was sie immer schon war: sektiererisch. Die Anschlüsse von Vergiftungssorgen an Lebensschutz und Biopolitik existieren sicherlich noch in eher obskuren, im Internet aber leicht zu findenden Organisationen und Foren, sie sind aber nur ein radikaler Teil einer ansonsten hegemonialen und seit den1990er Jahren durchaus marktgerechten Überzeugung, dass die Nahrung rein und chemisch möglichst unbearbeitet zu sein habe. Interessanterweise hat sich dabei aber auch der Begriff „Biopolitik“ noch einmal gewandelt und verweist im Namen der Gesundheit und der Natur just auf die lebensmittel- und gentechnische Veränderung von Lebensmitteln. Unter Verbraucherpolitik ist seit den 1950er Jahren zugleich der konstitutive Grundsatz des Verbraucherschutzes und die Politik des Risikomanagements zu verstehen, die gleichzeitige Befriedigung von Verbrauchererwartungen und Öko13

http://www.bvl.bund.de/DE/Home/homepage_node.html.

Nachtrag: Endogene und exogene Angst in den 1970er Jahren

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nomisierung der Gesellschaft, das endlose Spiel von Vermeidung und Kalkulation, an dem seit über hundert Jahren die unterschiedlichsten Akteure beteiligt sind.

ARCHIVE UND QUELLEN Archive Archiv der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin Archiv der World Health Organization, Genf Bundesarchiv, Koblenz

Literatur Abderhalden, Emil, Lehrbuch der physiologischen Chemie in dreissig Vorlesungen. Berlin, Wien: Urban & Schwarzenberg, 1906 Abel, Rudolf, „Zum Kampfe gegen die Konservirung von Nahrungsmitteln durch Antiseptika“, in: Hygienische Rundschau 11 (1901), S. 265–281 Abel, Rudolf, „Über die Bedürfnisse der Nahrungsmittelgesetzgebung”, in: Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- und Genußmittel 14 (1907), S. 613–621 Abendroth, Wolfgang, „Zur Funktion der Gewerkschaften in der westdeutschen Demokratie“, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 3 (1952), S. 641–648 Accum, Frederick, A Treatise on Adulterations of Food, and Culinary Poisons. London: Longman, 1820 Accum, Friedrich, Von der Verfälschung der Nahrungsmittel und von den Küchengiften. Leipzig: Hartmann, 1822 Adams, C. A., „Recent Advances in Food Legislation for the Protection of the Consumer“, in: British Journal of Nutrition 5 (1951), S. 367–373 Agnew, Jean-Christophe, „Coming up for Air: Consumer Culture in Historical Perspective“, in John Brewer/Roy Porter (Hg.), Consumption and the World of Goods. London: Routledge, 1993, S. 19–39 Akeroyd, F. M., „Research Programmes and Empirical Results“, in: British Journal for the Philosophy of Science 39 (1988), S. 51–88 Alter, Wilhelm, „Vitamine und Vitaminoide“, in: Münchener Medizinische Wochenschrift (1941), S. 779 Amberger-Lahrmann M./Schmähl, D. (Hg.), Gifte. Geschichte der Toxikologie. Wiesbaden: Fourier, 1993 Ammon, R., „Konrad Lang zum 65. Geburtstag“, in: Zeitschrift für Lebensmitteluntersuchung und -forschung 123 (1962), S. 217–218, Anders, Günther, Die Antiquiertheit des Menschen. Band I: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München: Beck, 1956 Andersen, Arne, „‚Roth, blau und grün angestrichene, Schrecken erregende Gestalten‘. Farbstoffindustrie und arbeitsbedingte Erkrankungen“, in: Arne Andersen/Gerd Spelsberg (Hg.), Das blaue Wunder. Zur Geschichte der synthetischen Farben. Köln: Volksblatt, 1990, S. 162–192 Anonym, „Schleswig“, in: Deutsch-Soziale Blätter 12 (1897), S. 11 Anonym, „Sechsundzwanzigste Hauptversammlung des Vereins Deutscher Nahrungsmittelchemiker“, in: Zeitschrift für Untersuchung der Lebensmittel 58 (1929), S. 1–12 Anonym, „Prof. Kötschau“, in: Pharmazeutische Zeitung 82 (1937), S. 386 Anonym, „Anordnung über das Färben von Milch- und Molkenerzeugnissen sowie Margarine mit chemischen Farbstoffen“, in: Amtsblatt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 18 (24. Mai 1949), S. 111

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Archive und Quellen

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REGISTER Abderhalden, Emil 52 Accum, Frederick 11, 26–27 Adams, Charles A. 123 Adenauer, Konrad 79, 89, 104, 105, 114, 131, 172, 184, 189 Addams, Jane 180, 181 Alimantado, Dr. 11 (Fn. 12) Alter, Wilhelm 57 Anders, Günther 147 Andy, Horace 11 (Fn. 12) Antoniani, Claudio 129, 153, 171 Artmann, Ferdinand 47 Aykroyd, Wallace R. 118, 132, 171 Badger, Geoffrey Malcom 132 Bäumer, Gertrud 182 Balke, Siegfried 103, 104 Baltes, Josef 98 Bargatzky, Walter 168 Barkan, Ilyse D. 123 Barker, James Ellis 54 Barthes, Roland 12 Bauer, Karl-Heinrich 15, 59, 61, 66–69, 84–86, 92, 110, 135, 165, 206 Beard, George Miller 158 Beck, Ulrich 23, 203 Becker, E. 92, 95 Becker, Gary 178 (Fn. 427) Bednarik, Karl 185 Beinert, Helmut 63 Benninghoff, Alfred 90 Berdjajew, Nikolai 158 Berg, Ragnar 53, 54 Bergner, Karl Gustav 129 Bernard, Claude 142 Bernhauer, Konrad 95 Bersin, Theodor 160 Bertrand, Gabriel 163 Beyme, Klaus von 109 Beythien, Adolf 27, 31, 32–33, 35, 37 Bierich, Robert 64 Bircher, Ralph 154, 160 Bircher-Benner, Max 15 (Fn. 27), 43–44, 44 (Fn. 84), 53–54, 153–154, 155 Bleek, Karl Theodor, 103, 104, 118

Bloch, Bruno 72 Blücher, Franz 104 Blumenberg, Hans 18 Bock, Cornel Josef 178, 180, 186, 188, 189, 196 Bode, Wilhelm 181 Bodinus, Fritz 54 Bommer, Sigwald 154 Bornmann, Gerhard 115 Borosini, August von 53 Boudia, Soraya 24 Braunschweig, Christa von 108, 109, 184, 186, 187 Brentano, Clemens von 118 Brock, Norbert 63 Brüggemann, Johannes 97 Brüning, Heinrich 106 Bruker, Max Otto 164, 165 Bry, Carl Christian 43 Bürsch, Siegfried 191–192 Bumm, Franz 33 Bunge, Gustav von 40 Burgess, Robert Cruickshank 132 Butenandt, Adolf 15, 61, 64–66, 68, 69, 76, 82, 86, 88 (Fn. 33), 89–93, 99, 101, 110, 113–114, 123, 125, 127–128, 131, 135, 143, 168, 206 Butt, Peter Barton 124 Carpenter, Edward 41 Carson, Rachel 147–148, 148 (Fn. 291), 149, 204 Castro, Josué de 167 Chapman, Robert A. 118 Coduro, Erich 24 Conrad, Anneliese 110 Cook, James W. 61–62 Cremer, Hans-Dietrich 66, 76, 158, 170 Dahrendorf, Gustav 188 Darby, William J. 132 De Funès, Louis 49 Deich, Friedrich 147 Delaney, James J. 14, 123, 124–125, 132, 137, 139, 143, 149, 204 Diehl, Johannes Friedrich 15 (Fn. 27), 149, 204

Register Diemair, Willibald 92, 95, 115, 116 Dietrich, Hermann 106 DiPaolo, J.A. 116 Dittrich, Stefan 81 Dols, Maurice 129, 132 Domagk, Gerhard 60, 113 Downs, Anthony 187 Dresbach, August 106, 175 Druckrey, Hermann 9, 10, 15, 62–64, 67–76, 80, 82, 84–87, 90–93, 96, 98–102, 106, 111, 115, 123–125, 127–132, 134–136, 140, 142, 143, 146, 148, 166, 169, 174, 205, 206 Duisberg, Carl 34 Dunn, Charles Wesley 125, 126 Eichholtz, Fritz 14, 15, 15 (Fn. 27), 48, 73, 74, 84, 95, 102, 119, 125, 126, 141–149, 160, 161, 165, 166, 196, 204, 205, 206 Eisenhower, Dwight D. 124 Elis, J. 116 Erhard, Ludwig 105 Erzberger, Matthias 182 Eschenburg, Theodor 108 Eucken, Walter 90, 178, 192 Ewald, François 23 Ewerbeck, Bettina 110 Fachmann, Walther 104, 127, 192–193 Fechner, Erich 102, 113, 146 Finch, Robert H. 137 Fincke, Heinrich 37, 39, 55 Fink, Hermann 101, 102 Fischer, Emil 34 Fischer-Wasels, Bernhard 55, 61, 72 Flemming, Arthur S. 125 Fletcher, Horace, 43 Flöhl, Rainer 137 Flury, Ferdinand 71 Forel, Auguste 44 Forschbach, Edmund 15, 173, 198–199 Forschepiepe, Hermann 151–152 Foucault, Michel 16, 23, 178, 178 (Fn. 427), 184, 185 Franck, Rudi 82, 137 French, Michael 27 (Fn. 5) Frenzel, Hans 134 Freudenberg, Karl 59, 88 (Fn. 33) Fritzen, Florentine 41 Fürth, Henriette 52 Funk, Casimir 45 Gabel, Werner 15, 84, 104–107, 111–112, 114,

245

117–118, 120, 121, 127, 171–173, 193, 202, 204 Galbraith, Kenneth 191 Gehlen, Arnold 22, 108 Gerstenmaier, Eugen 188 Giddens, Anthony 23 Glatzel, Hans 97, 170, 205 Goeb, August 92 Gottron, Heinrich 92, 95 Grawitz, Ernst Robert 69 Gross, Eberhard 92, 95 Gruber, Max von 34 Grüne, Jutta 203 Guardini, Romano 158 Haber, Fritz 71 Haberland, Ulrich 15, 84, 86, 113, 114 Habs, Horst 95 Hacker, Alexander 95 Hacking, Ian 41, 42 (Fn. 6) Hagen, Christian 147, 204 Hagen, Wilhelm 76 Halden, Wilhelm 153–154, 163 Haller, Albert von 15, 158 Haller, Wolfgang von 140 Hamann, Volker 58, 82, 83, 93, 103, 112, 175, 189–190 Hamperl, Herwig 63, 127 Hartmann 119 Hartmann, Fritz 64 Hasterlik, Alfred 36 Hecht, gerhard 128 Heisenberg, Werner 88–89, 88 (Fn. 33), 90, 91 Heitmann, Karl E. 201 Heller, Hermann 192 Helmolt, Hans Ferdinand 51 Herber, Lewis 140, 157 Hespeler, Ursula 112 Heubner, Wolfgang 69 Heupke, Wilhelm 95, 153–154, 156, 161, 165, 173–174 Heuss, Theodor 109 Hierholzer, Vera 16, 33 Hilton, Matthew 19 (Fn. 41) Hindhede, Mikkel 43–44, 54 Hinnendahl, Walter 109 Hippel, Eike von 25 Hitler, Adolf 154 Högl, Otto 129, 134 Holmes, Stephen 192 Holtermann, Heinrich 112 Holthöfer, Hugo 33, 66, 117 Holtz, Friedrich 160

246

Register

Holtz, Peter 99 Hüntelmann, Axel 166 Ichikawa, Koichi 61 Jaquet, Alfred 43 Jans, Victor 167 Jansen, Barend Coenraad Petrus 159, 160 Jas, Nathalie 24 Jaspers, Karl 9 Jochmus, Hedwig 15, 78, 79–80, 193–194, 195 Jores, Arthur 158 Juckenack, Adolf 33, 35, 66, 72 Jünger, Friedrich Georg 67 Jungmann, Gerhard 139 Kalinke, Margot 195 Karlson, Peter 168 Karstens, Werner 108–109, 186, 190 Kaufmann, Hans Paul 13, 83 Kautsky, Karl 179 Keilhack, Irma 172–173 Kelley, Florence 181 Kellog, John Harvey 44 (Fn. 84) Kennaway, Ernest L. 61 Kennedy, John F. 191 Kewitz, H. 202 Kinosita, Riojun 63 Kjéllen, Rudolf 165–166 Klein, Stefan 153 Kleinheisterkamp, Horst 146 Kleinschmidt, Christian 184, 188 Klett, Arnulf 160 Klose, Franz 94, 97, 99, 149, 150 König, Gudrun M. 181 König, Joseph 28, 30–31, 33, 36, 39–40, 48 König, Wolfgang 28, 177 Kötschau, Karl 15, 74, 140, 150, 154, 157, 161– 162, 165 Kofrányi, Ernst 156 Kohl, Louis von 166 Kollath, Werner 15, 15 (Fn. 27), 55–56, 57, 66, 68, 76, 84, 110, 149, 150, 153–154, 155, 157, 160, 161, 162, 165, 169, 195 Koselleck, Reinhart 18 Krall, Ilse 117 Kraut, Heinrich 83, 97 Kretz, Johannes 64 Kühnau, Joachim 97, 157 Küng, Emil 186 Küpfmüller, Karl 9, 69–71, 125, 136, 206 Kuhn, Richard 63, 93, 96, 113–114 Kuprianoff, Johann 95

Lahmann, Heinrich 53 Lang, Konrad 94, 96, 97, 99, 101, 102, 119, 171 Latour, Bruno 19, 21 Latsky, Johan M. 153 Lavoisier, Antoine de 38 Lehnartz, Emil 88 (Fn. 33), 90 Leitzmann, Claus 151 (Fn. 307) Lemke, Thomas 23 Lengwiler, Martin 25 Lenkeit, Walter 97 Lenzner, Curt 13, 15, 49–50, 49 (Fn. 103), 52–53, 54, 55, 57, 72, 73, 140, 143, 155, 157, 183 Lessing, Theodor 51 Liebig, Justus von 38 Liek, Erwin 15, 50, 53–54, 55, 56, 59–60, 72, 155, 164, 176, 183 Lindner, Alois F. 88, 171 Locke, John 178 Lockemann, Georg 163 Loeser, Arnold 115 Longgood, William Frank 148 Lowell, Josephine 180 Ludorff, Walter 200, 202 Lübke, Heinrich 101, 104, 184 Lück, Hans 71, 72, 199 Lüders, Marie-Elisabeth 78, 193–194 Luhmann, Niklas 22 Lynen, Feodor 76, 97 MacFadden, Arthur 30 Madarász, Jeanette 25 Magendie, François 38 Magnuson, Warren G. 139 Maier, Lothar 113 Malorny, Günther 199, 201–202 Manow, Philip 192 Manstein, Bodo 15, 148, 166, 167 Marine, Gene 148 Marquardt, Hans 160 Marquardt, Peter 12, 74, 95, 119, 130, 160, 166, 202 Martini, Paul 90 Marx, Karl 177, 178 Matheson, Richard 148 (Fn. 291) McCann, Alfred W. 53 McCollum, Elmer 43 Méline, Jules 49 Melle, Nora 197 Melzer, Jörg 164 Menger, Carl 178 Mergenthaler, Eugen 133 Merta, Sabine 40

Register Merten, Erika 198 Middelhauve, Bertha 198 Miksch, Leonhard 178 Mill, John Stuart 176 Mitchell, Dean 23 Mittasch, Alwin 48–49 Moersch, Karl 168 Moleschott, Jacob 38, 39 Mollenhauer, Hans Peter 101, 102, 131, 135 Morava, Michael 109 Moser, Gabriele 126 (Fn. 199) Moser, Hans 20 Mostar, Hermann 112 Müller-Armack, Alfred 184, 192 Nader, Ralph 139, 148, 191 Nathan, Maud 182 Nell-Breuning, Oswald von 179 Neumann, Wilhelm 11–12, 145, 171 Neussel, Rosemarie 137 Nüse, Karl-Heinz 105, 141 Oberdisse, Karl 97, 146 Oehlkers, Friedrich 88 (Fn. 33), 90 Ohly, Götz 140, 157, 169 Oser, Bernard L. 132, 170 Ottel, Fritz 196 Packard, Vance 191 Paracelsus 24, 75 Pauli, Otto 95, 115, 116 Pauling, Linus 159 Pelshenke, Paul Friedrich 83 Pestre, Dominique 139 Pettenkofer, Max von 38, 39 Pfannes, Fini 197–198 Phillips, Jim 27 (Fn. 5) Pintschovius, Karl 157 Plank, Rudolf 83 Ploetz, Alfred 13 Prießnitz, Vincenz 40–41 Proctor, Robert N. 60, 63–64 Ptak, Ralf 178 Rabinow, Paul 8, 18 Raiser, Ludwig 113, 114, 127 Ratzel, Friedrich 165 Reding, René 143 Regener, Erich 88 (Fn. 33) Rehn, Eduard 85 Rehn, Ludwig 60, 66, 85 Rein, Hermann 88 (Fn. 33), 90 Reinhardt, Carsten 139

247

Reiter, Hans 63–64, 166 Renaud, Hippolyte 176 Richter, Hans 113 Rieger, Jürgen 165 Risse, Roland 105 Ritter, Karl 165 Röpke, Wilhelm 192 Rohkrämer, Thomas 41 Rollmann, Dietrich 168 Rose, Nikolas 23 Rost, Eugen 48, 145 Rousseau, Jean-Jacques 40 Rubner, Max 34, 38, 39, 44, 156 Rüstow, Alexander 106, 178, 192 Ruskin, John 41 Sabalitschka, Theodor 55, 56 Salomon, Alice 181, 182 Sarasin, Philipp 25 Sauerbruch, Ferdinand 154 Schäfer, Hans 204 Schenck, Ernst Günther 155 Scheunert, Carl Arthur 46, 96, 159 Schmähl, Dietrich 137 Schmid, Carlo 197 Schnitzer, Johann Georg 164 Schormüller, Josef 97 Schröder, Gerhard 78, 84, 104–107, 113, 117, 118, 131, 173, 184, 197, 198, 200 Schubert, Heinz 141 Schulemann, Werner 111, 144, 145 Schumpeter, Joseph 190 Schuphan, Werner 83, 97, 121 Schwab, Günther 15, 164 Schwarzhaupt, Elisabeth 161, 200–201 Schweigart, Hans-Adalbert 15, 84, 152–156, 159, 160–165, 167–169, 171–174 Schweitzer, Albert 159, 172 Schwerin, Alexander von 12 Sedlmayr, Hans 157 Seeger, Marie 112 Seeger, Paul Gerhard 154 Seelig, Friedrich 171 Selye, Hans 163 Serger, Hermann 56 Serres, Michel 18 Severinghaus, Elmer L. 136 Sieferle, Rolf Peter 51 Simmonds, Nina 43 Simons, R.D.G. 174 Sinclair, Upton 123 Sjollema, Bouwe 43 Sloman, Ricardo 151–152

248

Register

Sombart, Werner 185 Sorel, Georges 196 Souci, S. Walter 15, 22, 65, 71, 72, 76–77, 81– 82, 83, 85, 88, 92, 94–96, 98–101, 110, 120, 122, 128–130, 136, 145, 174, 199, 201, 205 Specht, Carl Gustav 186 Sperling, Frank 47 (Fn. 97), 55 Spiekermann, Uwe 28 Stammberger, Wolfgang 107 Steinbiß, Viktoria 80 Stindt, Hinrich 194 Strobel, Käte 15, 75–76, 78, 138, 193–194, 195 Täufel, Kurt 58, 170 Tangemann, Ruth, 190–191, 195–196, 198– 199 Tanner, Jakob 13, 14 Teichmann, Ulrich 117 Teuteberg, Hans Jürgen 39 Thymian, Ernst 58 Timoféeff-Ressowsky, Nikolai 72 Tornow, Elisabeth 140 Torp, Claudius 179 Treitschke, Heinrich von 51 Tropp, Casper 14 Truhaut, René 129, 130, 132, 135, 148, 159, 205 Uhlenhuth, Paul 95 Unertl, Franz Xaver 80 Van Allen, Judith 148 Verrett, Jacqueline 137

Vershofen, Wilhelm 186 Vester, Frederic 163 Virchow, Rudolf 38 Voit, Carl 38, 39, 44 Volkmann, Richard von 60 Wachholder, Kurt 97 Waerland, Are 151 Warburg, Otto 113, 114, 127–128 Warning, Herbert 153–154 Wehling, Peter 22 Weichmann, Elsbeth 198 Weiss, Hans 98–99 Weisser, Gerhard 188 Werner, Hans 95, 130 Westermann, Andrea 184 Westrick, Ludger 103 Wieland, Heinrich 96 Wiley, Harvey Washington 123 Willstätter, Richard 153 Wingler, August 86, 92, 111, 114, 127 Wirz, Franz 150–151 Wopperer, Anton 188 Wunderlich, Frieda 180 Wurzschmitt, Bernhard 15, 65, 66, 86–88, 91– 92, 95, 111, 114, 127 Yamagiwa, Katsusaburo 61 Yoshida, Tomizo 63 Zeiss, Heinz 157 Zenneck, Jonathan 88 (Fn. 33) Zipfel, Walter 24, 175, 189–190 Zöllner, Nepomuk 138

Am 6. November 1958 verabschiedete der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit eine Novelle des noch aus dem Jahr 1927 stammenden Deutschen Lebensmittelgesetzes. Damit fand eine seit den 1930er Jahren andauernde Debatte ihren vorläufigen Abschluss, die durch das Schlagwort „Gift in der Nahrung“ geprägt war und mit der Verbraucherbewegung einen neuen politischen Akteur in das politische System der Bundesrepublik einführte. Es ging dabei um mehr als eine längst überfällige Anpassung der Gesetzgebung an die Bedingungen der industriellen Lebensmittelproduktion. Zur Mitte des

ISBN 978-3-515-10988-8

9 7 8 3 5 1 5 1 09888

20. Jahrhunderts wurde eine hochgradig politische Auseinandersetzung über die Chemisierung und Technisierung der modernen Welt geführt, die Risikopolitik und Präventionstechniken verband. In stetem Bezug auf den zivilisationskritischen Diskurs zur Vergiftung etablierte sich in der Bundesrepublik ein Gefüge der Verbraucherpolitik, das durch teils bekannte, teils neue soziale Akteure geprägt war, durch Lobbyisten, Reformer, Puristen, Experten, eifrige Ministerialbeamte, organisierte Konsumenten und die Aktivistinnen der Frauen- und Hausfrauenorganisationen.

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