Das schwierige Erbe von Sefarad: Juden und Mauren in der spanischen Literatur: Von der Romantik bis zur Mitte des 20 Jahrhunderts 9783964565020

Das Buch behandelt den literarischen Umgang spanischer Intellektueller mit einem Kapitel der nationalen Geschichte, dem

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German Pages 834 Year 2002

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Table of contents :
Inhalt
I. Über Antisemitismus, erfundene Traditionen und kollektives Gedächtnis: Einführende Überlegungen
II. Ein sagenhafter Ort der Begegnung: Juden, Mauren und Christen im Mittelalter
III. Unter der Herrschaft von Thron und Altar: Die Verdrängung der trikulturellen Geschichte
IV. Die sephardische Diaspora: Geographisch-kulturelle Skizze
V. Die Wiederkehr des Verdrängten: Religion, Nation und Juden im 19. Jahrhundert
VI. Geschichte als Fiktion: Die Wiederentdeckung von Mauren und Juden in der Literatur der Romantik
VII. Geschichte als Wissenschaft: Juden und Mauren in historischen Standardwerken
VIII. Geschichte als Politik: Literatur und Kulturhistoriographie im Umkreis von Revolution (1868) und Restauration
IX. Geschichte als Mythos: Juden und Mauren im Werk der 98er Generation
X. Das Thema eskaliert zur nationalen Frage': Literarische und publizistische Stimmen des Philosephardismus
XI. Das Thema boomt noch immer: Von der II. Republik zum Zweiten Weltkrieg
XII. Der Mythos verblaßt: Einige Söhne und Enkel der 98er
XIII. Die Sicht der Anderen: Sepharden (und aschkenasische Juden) über Spanien
XIV. Geschichte als intellektueller Zweikampf: Die trikulturelle Vergangenheit und Gegenwart im Werk von Americo Castro und Claudio Sánchez Albornoz
XV. Die „geraubte Geschichte": Ausblicke in die Gegenwart
Literatur
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Das schwierige Erbe von Sefarad: Juden und Mauren in der spanischen Literatur: Von der Romantik bis zur Mitte des 20 Jahrhunderts
 9783964565020

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Norbert Rehrmann

Das schwierige Erbe von Sefarad

Norbert Rehrmann

Das schwierige Erbe von Sefarad: Juden und Mauren in der spanischen Literatur Von der Romantik bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main • 2002

Die Volkswagen Stiftung unterstützte das Projekt und dessen Drucklegung

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Das schwierige Erbe von Sefarad: Juden und Mauren in der spanischen Literatur. Von der Romantik bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts / Norbert Rehrmann. Frankfurt am Main : Vervuert, 2002 ISBN 3-89354-035-0

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 2002 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Michael Ackermann, unter Verwendung eines Fotos der Synagoge Santa Maria la Bianca Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigen Papier Printed in Germany

Inhalt

I. II. III.

Über Antisemitismus, erfundene Traditionen und kollektives Gedächtnis: Einführende Überlegungen

9

Ein sagenhafter Ort der Begegnung: Juden, Mauren und Christen im Mittelalter

43

Unter der Herrschaft von Thron und Altar: Die Verdrängung der trikulturellen Geschichte

85

1. „Das Reich des Konformismus": Spanien und die Inquisition von 1492 bis ins 19. Jahrhundert

85

2. Die Morisken und ihre Vertreibung

89

3. „Maurophilie" und Antisemitismus: Mauren und Juden in der spanischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts

IV. V.

94

Die sephardische Diaspora: Geographisch-kulturelle Skizze

105

Die Wiederkehr des Verdrängten: Religion, Nation und Juden im 19. Jahrhundert

121

1. Die Religionskonflikte im 19. Jahrhundert

121

2. Die Erfindung Spaniens: Facetten des nationalen Diskurses

125

3. Die ,Rückkehr' der Juden: Erste Kontakte

131

4. Die ,Rückkehr' der Juden und ihr Presseecho

141

VI. Geschichte als Fiktion: Die Wiederentdeckung von Mauren und Juden in der Literatur der Romantik

149

1. „Das Unglück der arabischen Eroberung" und des „katholischen Despotismus": Francisco Martinez de la Rosa

154

2. Inquisitionskritik, Judenklischees und „konfuse Maurophilie": Angel de Saavedra (Duque de Rivas)

165

3. „Afrikanische Seelen" und jüdische Geldversessenheit: Juan Eugenio Hartzenbusch

172

4. Plädoyer für Toleranz - aber ohne Juden und Mauren: José de Espronceda

178

6

Inhalt

5. Die Juden als charakterstarke Opfer der Christen: Antonio García Gutiérrez

195

6. „Noble Mauren" versus jüdische Giftmischer und Christusmörder: José Zorrilla

204

7. Intellektueller Souffleur des Karlismus mit philosemitischem Intermezzo: Francisco Navarro Villoslada

221

8. Jüdische Schreckensgestalten und Hommage an die trikulturelle Geschichte: Gustavo Adolfo Bécquer

231

9. Romantik-Miszellen: Fernán Caballero, Ramón López Soler, Mariano José de Larra, Enrique Gil y Carrasco

240

VII. Geschichte als Wissenschaft: Juden und Mauren in historischen Standardwerken

255

1. „Die Tyrannei der Christen [und] der Fanatismus des Judentums": Das Pionierwerk von José Amador de los Ríos

258

2. Die „bestialischen Richter der Inquisition": Adolfo de Castro y Rossin

270

3. Lob der Intoleranz mit kulturellen Ausnahmen: Die zwei Herzen des Marcelino Menéndez Pelayo

276

4. „Ein doppeltes Schloß an das Grab des Cid": Joaquín Costas „ethnische Tiefenschichten" der spanischen Geschichte

289

5. „Die tolerante Convivencia von Christen, Mauren und Juden": Rafael Altamira

299

6. „Spanien als Bindeglied zwischen Christentum und Islam": Ramón Menéndez Pidal

310

VIII. Geschichte als Politik: Literatur und Kulturhistoriographie im Umkreis von Revolution (1868) und Restauration 323 1. Die Quadratur des Kreises: Juan Valera

326

2. „Pathologischer Antisemitismus" und Maurophilie: Pedro Antonio de Alarcón

343

3. „Gegen die gesamte Sippe der Ungläubigen": José Maria de Pereda

363

4. „Ich möchte meine synthetische Persönlichkeit rekonstruieren": 5

Der Außenseiter Benito Pérez Galdós

369

..Komm mir nicht mit Judenstreichen": Emilia Pardo Bazán

381

7

Inhalt

IX.

6. Fanatismuskritik mit antisemitischen Zwischentönen: Leopoldo Alas (Clarín)

391

Geschichte als Mythos: Juden und Mauren im Werk der 98er Generation

403

1. „Erdgeist", „christliches Griechenland" und „arabisches Blut": Angel Ganivets historische und kulturelle Vielfachloyalitäten 2. Moderater Philosemitismus und judenresistente „roca viva" der Geschichte: Miguel de Unamuno 3. Antisemistischer Traditionalismus mit revolutionärem Dekor: Ramón María del Valle-Inclán 4. Antisemitismus als Rache an der Geschichte: Pío Baroja 5. Katholisch-maurische Essenzen und (Fast-)Absenz der Juden: José Martínez Ruiz (Azorín) 6. „Gegen Mauren und Juden": Ramiro de Maeztu 7. ,Linker' casticismo, christlich motivierte Judenaversionen und verhaltene Maurophilie: Antonio Machado X.

412 431 440 456 467 479

Das Thema eskaliert zur ,nationalen Frage': Literarische und publizistische Stimmen des Philosephardismus 491 1. „The story found a champion": Der „Sephardenapostel" Angel Pulido 2. Philosephardismus als ideologische Gemengelage: Die Zeitschrift Revista Crítica 3. Antisemitische Hetze und zwiespältige Sepharden-Sympathien: Vicente Blasco Ibáñez 4. „Die Reconquista als Samen der spanischen Herrscherrasse": Concha Espina 5. Die Sepharden als Unterabteilung der Hispanidad-, Ernesto Giménez Caballero und La Gaceta Literaria

XI.

406

Das Thema boomt noch immer: Von der II. Republik zum Zweiten Weltkrieg 1. „Spanien hat aufgehört, katholisch zu sein": Die II. Republik und die Sepharden 2. „Krieg gegen das Judentum": Der Spanische Bürgerkrieg und die Juden

506 520 530 559 569

597 597 608

Inhalt

8

3. Der Estado Nuevo, die iberische Fluchtroute und die Geburtsstunde des institutionellen Philosephardismus: Die Zeit des Zweiten Weltkriegs

615

XII. Der Mythos verblaßt: Einige Söhne und Enkel der 98er 1.

Judenklischees, moderate Maurophilie und

625

Reconquista-Kvhik:

José Ortega y Gasset

627

2. Mythenzerstörer und Mythenproduzent: Salvador de Madariaga

640

3. „Wieviel Erfindung von Geschichte!": Jorge Guilléns Hommage an Mauren und Juden

650

4. Zwischen romantischer Schwärmerei und Respekt vor den Anderen: Mauren, Juden und Christen im Werk von Federico García Lorca

655

5. „Mein geliebter Meister Américo Castro": Dámaso Alonso

661

6. Späte Versöhnung mit Juden und Mauren: Rafael Alberti

665

XIII. Die Sicht der Anderen: Sepharden über Spanien

673

1. „Die Erinnerung des großen Verbrechens": Max Nordau

688

2. Außensicht von innen: Abraham Shalom Yahuda

699

3. Die Binnenperspektive: Das Werk von Rafael Cansinos Asséns..707

XIV. Geschichte als intellektueller Zweikampf: Die trikulturelle Vergangenheit und Gegenwart im Werk von Américo Castro und Claudio Sánchez Albornoz

735

1. Die trikulturelle Geschichte und „tausend Jahre Hispanidad": Américo Castro

738

2. Die juden- und maurenfreie „contextura vital de España": Claudio Sánchez Albornoz

754

XV. Die „geraubte Geschichte": Ausblicke in die Gegenwart.. .769 Literatur

797

I. Über Antisemitismus, erfundene Traditionen und kollektives Gedächtnis: Einführende Überlegungen

„Welche Erniedrigung für unsere bedrängte Nation! Welche übertriebene Verachtung! Das gemeine Volk der Christen hat uns von jeher als den Auswurf der Natur, als Geschwüre der menschlichen Gesellschaft angesehen. Allein, von gelehrten Leuten erwartete ich jederzeit eine billigere Beurteilung; von diesen vermutete ich die uneingeschränkte Billigkeit, deren Mangel uns insgeheim vorgeworfen zu werden pflegt. Wie sehr habe ich mich geirrt". Moses Mendelssohn (Heid/Schoeps 1994: 62) „Die Sache der Juden wäre halb gewonnen, wenn ihre Freunde zu ihrer Verteidigung auch nur etwas von der Leidenschaft und Ausdauer hätten, die ihre Feinde zu ihrem Verderben aufbringen." Jean-Paul Sartre (1994:91) „Hinweise etwa auf die großen Leistungen von Juden in der Vergangenheit, so wahr sie auch sein mögen, nützen kaum viel, sondern schmecken nach Propaganda." Theodor W. Adorno (1977: 570)

Wie geht ein Land, wie gehen seine Intellektuellen mit einem Kapitel der nationalen Geschichte um, das in Europa einzigartig ist und das auch die europäische Kultur - und nicht nur sie! - nachhaltig beeinflußt hat? Gemeint ist die sogenannte Convivencia, jenes trikulturelle Spanien, in dem vom frühen 8. bis zum späten 15. Jahrhundert Mauren, Juden und Christen zusammen lebten Zusammenleben, das sich, trotz (auch wegen) seines dramatischen

ein

Endes,

keineswegs auf die vergilbten Seiten der „antiquarischen Historie" (Nietzsche 1989: 25) reduzieren läßt: „Die gelebte euro-arabische Verflechtung und der religiöse

Pluralismus

dieser

vormodernen

Zeit",

schreibt

Claus

Leggewie

( 1 9 9 3 : 9 2 ) , einer der wenigen deutschen Intellektuellen, die, jenseits der einschlägigen Fachdisziplinen, die historische

Bedeutung des trikulturellen Landes

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Über Antisemitismus

hervorgehoben haben, „halten Lehren auch für unsere Zeitumstände und Zukunftsprobleme bereit." Wie damals, als Mauren, Juden und Christen einen Modus vivendi suchten und über Jahrhunderte hinweg fanden, ist auch unsere Zeit - von Immigration, Exil und Vertreibung geprägt - und damit von freiwilliger oder erzwungener Koexistenz unterschiedlichster Kulturen. Und diese Form der Convivencia hat, wie rassistisch motivierte Morde, Anschläge auf Synagogen und fremdenfeindliche Parolen fast täglich unter Beweis stellen, wenig mit ihrem historischen Vorläufer gemeinsam. Inzwischen gibt es sogar einflußreiche Stimmen, die das „Kulturkampf-Szenario" (Meyer 1997: 18) von Provinz und Metropole in Weltmaßstäbe übertragen: Huntingtons „Kampf der Kulturen" stellt Marx gewissermaßen wieder auf den Kopf - „Rasse", nicht „Klasse" markiert angeblich den Frontverlauf der Zukunft. Obwohl solche Visionen ihren machtpolitischen Inspirationsborn, dem sie entspringen, nur notdürftig verbrämen, ist die ethnische Komponente sozialer und politischer Konflikte natürlich kein bloßes Hirngespinst: Multikulturelle Gesellschaften, sind auch und stets Konfliktgesellschaften. Dazu gehörte, wer wollte es bestreiten, auch das mittelalterliche Spanien. Deshalb sollte man sich davor hüten, das ,Land der drei Kulturen' „zum neoromantischen Glanzbildchen des heutigen Multikulturalismus aufzupolieren" (Leggewie 1993: 94), denn dessen Geschichte war „so rosig" nicht. Dennoch ist vor fünfhundert Jahren eine wesentliche Erfahrung europäischer Vielfalt zu Ende gegangen - Leggewie nennt sie, durchaus programmatisch, „das Alhambra-Modell". Würde dieses plastische Label auch in Spanien akzeptiert? War es nicht just die trikulturelle, vor allem die maurische Geschichte des Landes, die namhafte Intellektuelle der europäischen Aufklärung dazu ermunterte, hinter den Pyrenäen „Afrika" zu lokalisieren - eine arrogant-eurozentristische Kulturgeographie, die von vielen Spaniern, die sich als ,reine Europäer' fühlten, reflexartig zurückgewiesen wurde (Hinterhäuser 1979)? Glaubt man einigen neueren Studien, dann gehört dieser kulturelle Dauerreflex längst der Geschichte an, unter Einschluß des jüdischen Kapitels. Inzwischen könne Spanien, schreibt Angel Alcalá (1995: 11), der Herausgeber eines umfangreichen Sammelbandes über Geschichte und Gegenwart der spanischen Juden, sogar als „Modell" für den Umgang mit seinen multikulturellen, namentlich den jüdischen Traditionen gelten. Auch José Luis Abellán, einer der bekanntesten Kultur- und Literaturhistoriker des Landes, hält dieses Kapitel der Geschichte für aufgearbeitet: Niemand, der sich auch nur minimal mit dem Thema beschäftigt habe, schreibt er (1995: 395), bestreite „die Bedeutung der jüdischen Präsenz in Spanien während der natio-

Über Antisemitismus

11

nalen Formationsepoche." Die „völlige Normalisierung" im Verhältnis zur jüdischen Geschichte und Gegenwart, schreibt ein weiterer Kenner der Thematik (Lisbona 1993: 13), sei spätestens 1992 erreicht worden, als sich ein breit angelegter Veranstaltungsreigen unter offiziellem Auspizium mit der jüdischen und maurischen Vergangenheit beschäftigte. König Juan Carlos' Besuch einer Madrider Synagoge, ein singuläres Ereignis in der Geschichte der spanischen Monarchie, sei dafür besonders illustrativ. Hat Spanien also, wie Adorno (1977: 555 ff.) seinerzeit für das nachfaschistische Deutschland forderte, seine Geschichte mutatis mutandis „aufgearbeitet"? Obwohl sich nicht bestreiten läßt - auch die vorliegende Untersuchung ist dafür ein Beleg - , daß Juden und Mauren im Gebäude der „Hispanität", aus dem sie jahrhundertelang ausgeschlossen waren, längst ein Wohnrecht haben, ist ihr Status, wie nicht minder namhafte Kritiker meinen, noch immer reichlich ungeklärt. Sind sie, um im Bilde zu bleiben, womöglich doch nur Untermieter Bewohner des kulturellen Souterrains, die von den Bewohnern der oberen Stockwerke nicht sonderlich geschätzt, allenfalls geduldet werden? Genauso sieht es der katalanische Philosoph Eduardo Subirats (1993: 149), für den Gedächtnisveranstaltungen wie die von 1992 lediglich einen „Imagewandel" markieren, unter dessen glattpolierter Oberfläche noch immer ein „sozialer und kultureller Rassismus gegen ,moros' und j u d í o s ' " durchschimmere. Die traditionelle Historiographie, in der von „Reconquistas" und „heiligen Kriegen" die Rede sei, habe, wenn auch mit deutlich abnehmender Tendenz, bis heute überlebt - die unkritische Rezeption konservativer Historiker vom Schlage Menéndez Pidais und Sánchez Albornoz', die auch im vorliegenden Buch zur Sprache kommen, sei dafür ein Beleg. Genauso sieht es auch Juan Goytisolo, der international wohl bekannteste Anwalt der trikulturellen Traditionen seines Landes. Goytisolo, der die maurisch-jüdische Geschichte, die er im übrigen für höchst lebendig hält, auch als Romancier immer wieder bearbeitet hat (Tietz 1985: 5 ff.), spricht mit Blick auf dieses Geschichtskapitel (Alcalay 1999: XIV) sogar von einem „Memorizid": Die dominanten Stimmen der akademischen Zirkel weigerten sich noch immer, die maurischen und jüdischen Einflüsse, unter anderem in der Literatur, als nationale Traditionen anzuerkennen. Literarische Spitzenwerke, in denen sich „die bewundernswerte Einzigartigkeit der spanischen Literatur im europäischen Kontext" (1997: 10) besonders deutlich manifestiere, beispielsweise im Libro de buen amor oder in der Celestina, würden von den Urenkeln der nationalkatholischen Kulturhistoriker der Jahrhundertwende nach wie vor negiert. Den Hauptgrund für diesen Befund sieht Goytisolo in der Existenz

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Über Antisemitismus

akademischer Interpretationskartelle, die ihre kulturhistorischen Basisdogmen von Generation zu Generation weitervererbten, „so wie man Eigentum und Besitztitel vererbt". Dabei beruhe die Akzeptanz dieses Erbes weniger auf Trägheitsgesetzen: Den Erben gehe es darum, historische „Tabus" zu schützen, vor allem die „römisch-westgotische Okzidentalität" Spaniens, die sie durch Mauren und Juden bzw. durch Morisken und Konvertiten gefährdet sähen. Zahlreiche Indizien, auch aus jüngster Zeit,1 scheinen die Ansicht Goytisolos zu bestätigen; andere hingegen, auch sie sind in Zahl und Qualität gewichtig, deuten jedoch darauf hin, daß die historischen „Tabus" an vielen Stellen brökkeln. Die Erosion des hispanischen Urgesteins, mit den Worten des hier gleichfalls untersuchten Dichterphilosophen Miguel de Unamuno der „lebendige Fels" des iberischen Kultursubstrats, ist im übrigen bereits älteren Datums: Wie die vorliegende Untersuchung erkennen läßt, setzte sie bereits in der Romantik ein und beschleunigte sich in den folgenden Jahrzehnten rapide. Dabei springt unter anderem eine Tendenz ins Auge, die sich, so neuere Stimmen, ebenfalls bis in die Gegenwart fortgesetzt hat: Die spanischen Wissenschaftler, schreibt der argentinische Schriftsteller Juan Gelman (1992: 86), übrigens selber sephardischer Abstammung, hätten den maurischen Einfluß zumeist eher akzeptiert als den jüdischen, „ganz so, als ob ein bestimmter Grad an Antisemitismus, an Antijudaismus, die angebliche Objektivität [ihrer] Untersuchungen färbte."

Gelmans Antisemitismusverdacht, so darf man getrost vermuten, würde von der großen Mehrheit der spanischen Autoren, die sich mit dem Thema beschäftigen oder mit seinen Hauptfacetten zumindest einigermaßen vertraut sind, wohl empört zurückgewiesen. War Spanien nicht das einzige Land Europas, wie unlängst ein spanischer Autor (González 1991:97) schrieb, in dem sich namhafte Politiker und Intellektuelle der Jahrhundertwende in extenso mit der jüdischen Geschichte und Gegenwart auseinandersetzten? Während in zahlreichen Ländern diesseits der Pyrenäen, so dieser Autor, die antisemitische Hetze traurige Rekorde schlug, debattierte man in Spanien über die „Rückkehr der Juden" - eine jahrzehntelange Debatte, die, zumindest in politisch-intellektuellen Kreisen, zu einem nationalen Thema allerersten Ranges eskalierte. Im übrigen, und das sollte gerade hierzulande nicht übersehen werden, ist die Tatsache, wie Aleida Assmann (1999: 96) in diesem Zusammenhang schreibt, daß Nationen Vgl. das Schlußkapitel der vorliegenden Untersuchung.

Über Antisemitismus

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ihre eigene Schuld erinnern, „weltgeschichtlich eine neue [...] Entwicklung", eine, die ihren Status nascendi bisher kaum verlassen hat. Das von Renan (Alter 1994: 45) geforderte Junktim, nämlich ein „Erbe von Ruhm und von Reue", ist außerdem ein schweres Unterfangen: Wer erinnert sich schon gerne an die dunklen Kapitel seiner Geschichte? Außerdem könnten sich diejenigen, die der zitierten Ansicht Gelmans widersprächen, sogar auf namhafte Forscher aus dem Ausland berufen: „Der Antisemitismus", schreibt George L. Mosse in seiner Geschichte des Rassismus in Europa (1990: 227), „hatte in Spanien keinerlei Bedeutung." Obwohl der pauschale Freispruch so nicht stimmt, hat Mosse jedoch in einem, allerdings sehr gewichtigen Punkt recht: In Spanien ist es den Antisemiten nie gelungen, ihre Ressentiments politisch zu organisieren und die Gesellschaft so zu infizieren, wie das ihren deutschen, französischen oder russischen Gesinnungsfreunden gelang. Die relative Immunisierung der Spanier gegen die antisemitische Pest, die andernorts grassierte, führt Mosse vor allem auf eine Ursache zurück: „Überall", schreibt er, „bestimmte die Vergangenheit, mit welchem Erfolg der Rassismus die Nation zu durchdringen vermochte." Wenn damit auch diejenige Vergangenheit gemeint ist, die, wie im spanischen Fall, bereits jahrhundertelang zurückliegt, dann trifft diese Erklärung in der Tat einen wichtigen Punkt jedweder Antisemitismusforschung: die nationalhistorischen Besonderheiten. Was wie eine Binsenweisheit klingt, ist freilich, sogar aus besonders berufenem Munde, lange vernachlässigt worden. So schrieben Max Horkheimer und Theodor W. Adorno (Claussen 1987: 85), daß das wissenschaftliche Bewußtsein sich nicht damit bescheiden dürfe, das Rätsel der antisemitischen Irrationalität auf eine selber irrationale Formel zu bringen: Das Rätsel verlange nach einer Auflösung, „und die ist in der Sphäre nationaler Besonderheiten unmöglich." Neuere Antisemitismusstudien heben dagegen genau diese Besonderheiten hervor. Seine massenmörderische Dynamik, schreibt Detlev Claussen (ebd.: 39), gewinne der Antisemitismus zwar als Moment der europäischen Geschichte, er sei jedoch „nicht immer ein und derselbe". Deshalb müsse sich die kritische Analyse bemühen, die historisch-gesellschaftliche Differenzierung in einer Struktur aufzuspüren, die identisch scheine und es doch nicht sei: „Es erleichtert die Analyse ungemein", folgert Claussen (ebd.: 63), „wenn man von der Gewissheit nationaler Identität ausgeht." Versteht man darunter eine Reihe historisch entstandener Besonderheiten, dann dürfte vor allem die trikulturelle Geschichte Spaniens entscheidend dazu beigetragen haben, daß sich dort im 19. und frühen 20. Jahrhundert, dem zeitlichen Rahmen der vorliegenden Untersuchung, ein, so

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Über Antisemitismus

Alcalá (1995: 8), „besonderer Antisemitismustyp" herausgebildet hat, dessen keineswegs einheitliche - Komponenten anhand der hier untersuchten Autorengruppen dargestellt werden. Eine der wichtigsten Komponenten, die bei der Untersuchung ins Auge springen, hat dabei mit dem zu tun, was das Eingangszitat von Adorno zur Sprache bringt: Eine spezifisch spanische Variante des Philosemitismus, die sich im wesentlichen durch „die großen Leistungen von Juden in der Vergangenheit" zu legitimieren glaubt - dem jüdischen Zenit der Convivencia-Epoche. Die auch in Deutschland nicht unbekannten „Lobreden auf die Juden" (Adorno 1977: 570), etwa auf die Blüte jüdischer Kreativität in der Weimarer Republik, waren in Spanien freilich ganz besonders zwiespältig: Nirgendwo sonst unterschied man so deutlich zwischen den guten Sepharden und den bösen Aschkenasen wie dort: Eine Art Aschenputtelsyndrom des Antisemitismus, das ironischerweise auch bei zahlreichen Sepharden auf fruchtbaren Boden fiel. Ihre „spanische Gesinnung", schreibt Elias Canetti (1984: 12), der wohl berühmteste Sepharde des 20. Jahrhunderts, ließ sie mit „naiver Überheblichkeit" auf andere Juden herabblicken; „ein Wort, das immer mit Verachtung geladen war, lautete ,Todesco', es bedeutete einen deutschen oder aschkenasischen Juden." Es kann als sicher gelten, daß sich der spanische Philosephardismus, die dortige Hauptvariante des Philosemitismus, durch das Selbstbild vieler Sepharden bestätigt sah - eine ideologische Dublette, die sich von den sonstigen Spielarten des Philosemitismus (Claussen 1987: 79) markant unterscheidet.

Die zahlreichen, hier und da geradezu spektakulären Besonderheiten, die der spanische Antisemitismus (und Philosemitismus) aufweist, sollten indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich etliche seiner Komponenten zugleich aus jenen trüben Quellen speisen, die auch diesseits der Pyrenäen entsprangen. Ja, einige Autoren sind sogar der Ansicht, daß Spanien dabei eine unrühmliche Vorreiterrolle zufalle: Die spätmittelalterlichen Statuten zur „Reinheit des Blutes" bezeichnet Léon Poliakov (Claussen 1987: 56) als „das erste Beispiel in der Geschichte für einen organisierten Rassismus". Auch Mosse (1990: 27) hält die Conversos, die zur Zielscheibe dieser Statuten wurden, für „die ersten Opfer rassischer Verfolgung in Europa", meint aber, daß die spanische Politik für die übrigen Länder „kein Präzedenzfall" war. Obwohl bislang keine auch nur halbwegs umfassende Geschichte des spanischen Antisemitismus im europäischen Vergleich vorliegt, darf man vermuten, daß die spanische Variante, trotz aller Idiosynkrasien, mehr aus Europa beein-

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Über Antisemitismus

flußt wurde als umgekehrt. Denn unbeschadet aller Versuche namhafter Autoren, die auch hier zur Sprache kommen, ihr Land vom Makel des Antisemitismus reinzuwaschen, und das gelegentlich in absoluten Dimensionen, waren doch stets nahezu sämtliche seiner Spielarten präsent - auch offen rassistische, die besonders häufig geleugnet wurden. Für die moderne Forschung ist der Zusammenhang zwischen Rassismus und Antisemitismus denn auch von Anfang an ein Faktum. Mosse (1990: 269 f.) beschreibt Rassismus als „Sammelbecken-Ideologie", deren äußere Grenzen schwer faßbar und so schlüpfrig seien wie die Ideologie als Ganzes. Rassismus, meint auch Memmi (1994: 93 f.), beschränke sich nicht auf die Biologie; es handele sich stets um eine „Anklage mit variabler Geometrie". Dazu gehöre, mutatis mutandis, auch der Antisemitismus. Der sei, so Memmi (ebd.: 82), lediglich ein „spezifischer Rassismus", einer, der sich gegen die Juden richte. Auch das ideologische Mischungsverhältnis des Antisemitismus war stets, das zeigt bereits ein oberflächlicher Blick auf die gängigen Judenstereotypen, ein Spiegelbild jener „variablen Geometrie", die den Rassismus insgesamt ausgezeichnet hat. Hier ist zwar nicht der Ort, den chamäleonhaften Charakter des Antisemitismus in extenso unter die theoretische Lupe zu halten. Um seine spanische Färbung besser zu erkennen, ist es jedoch ratsam, seine allgemeinen Verleumdungspotentiale zu skizzieren und, das ist nicht weniger von Belang, die Ursachen seiner Langzeitwirkungen zu beleuchten. Zumindest der moderne Antisemitismus, schreibt Victor Karady in seiner Untersuchung über Juden in der europäischen

Moderne

(1999:207), sei im

wesentlichen eine Sache der Nichtjuden: Seine wichtigsten

Folgewirkungen

wären wahrscheinlich in jedem Fall aufgetreten, unabhängig von der Natur der Beziehung zwischen Juden und Nichtjuden. Genau darauf, nämlich auf die Idee, die man sich vom Juden mache, ist der Satz Sartres (1994: 12) gemünzt: „existierte der Jude nicht, der Antisemit würde ihn erfinden." Für Spanien, wo im 19. Jahrhundert, als die Juden- bzw. Sephardenthematik zu einem prominenten Thema auf der politischen Agenda wurde, gilt diese Einsicht ganz besonders: Es gab so gut wie keine Juden. Dennoch war die Idee, die sich viele Spanier von den Juden machten, nachgerade omnipräsent. Di eses Phänomen, Antisemitismus ohne Juden, meinten Horkheimer und Adorno (1971: 180), als sie schrieben: Es habe sich tatsächlich gezeigt, „daß der Antisemitismus in judenreinen Gegenden nicht weniger Chancen hat als selbst in Hollywood. Anstelle von Erfahrung tritt das Klischee, anstelle der in jener tätigen Phantasie fleißige Rezeption." Hier erweist sich Memmis „variable Geographie" des Rassismus als eher invariable Legendentopographie, die sich aus einem unerschöpf-

Über Antisemitismus

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liehen Reservoir antisemitischer Judenstereotypen speist. In einer Mischung aus mündlicher Überlieferung und „Verstofflichung" (Rohrbacher/Schmidt 1991: 307) dieser Traditionen, also ihrer Aktualisierung durch schriftliche und sonstige Medien, entstehen dann Strukturen von langer Dauer. Und die, das haben Rohrbacher und Schmidt (ebd.: 23) in ihrer Kulturgeschichte und antisemitischer

antijüdischer

Mythen

Vorurteile anschaulich dargestellt, „bedürfen zu ihrer end-

losen Fortschreibung neben der diachronen, der sich durch die Geschichte ziehenden Achse offenbar auch immer wieder einer synchronen, gleichzeitigen medialen Vermittlung."

Bevor ich auf diese Vermittlungsinstanzen zurückkomme, seien einige der gängigsten Judenklischees (und ihre Erfinder) in Erinnerung gerufen, die, obgleich überwiegend grobe Zerrbilder der Wirklichkeit, ihre Wirkung nur selten verfehlten und auch in Spanien stets in Umlauf waren. Dabei verwundert es nicht, daß gerade dort, im „katholischen Musterland Europas" (Hinterhäuser 1979: 209), die religiösen Ressentiments von Anfang an eine zentrale Rolle spielten. Der historische Nährboden des Judenhasses liegt zwar in der Antike, vor allem in Ägypten (Netanyahu 1999: 3 f f ) ; es war jedoch erst das Christentum, so Karady (1999: 205 f.), das die Juden „dauerhaft mit dem Mal eines negativen Andersseins gezeichnet" hat - „das ist die Quelle aller Vorurteile, Verdächtigungen, Anklagen und Vorwürfe, mit denen die antijüdische Gewalt gerechtfertigt wurde." Bereits im 4. Jahrhundert stellten die christlichen Wortführer die Juden als „Monster" (Parkes 1961: 158) dar, nicht als menschliche Wesen, sondern als „theologische Abstraktion einer übermenschlichen Bosheit und Arglist." Deshalb muß der moderne Antisemitismus vor allem auf seine alten christlichen Grundlagen bezogen werden. Zu denen gehört, gleichsam als religiöser Gründungsmythos, der perennierende Vorwurf des Gottesmordes, der sich spätestens mit dem Johannesevangelium (Netanyahu 1999: 19) gegen die Juden schlechthin richtete. Führt man sich vor Augen, daß die perfide Daueranklage, etwa in der Karfreitagsliturgie des „Oremus et pro perfidis Judaeis", erst durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) ad acta gelegt wurde (Rohrbacher/Schmidt 1991:221), dann kann man nicht umhin, Arnold Zweig (1991:238) rundum zuzustimmen: „Im neuen Testament liegen die Wurzeln, die den antijüdischen Differenzaffekt immer neu keimen lassen." Als ideologische Ableger der Gottesmörderlegende keimten zugleich solche Beschuldigungen auf, deren perfider Charakter kaum minder verheerende Folgen

Über Antisemitismus

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zeigte. Neben dem Hostienfrevel war es vor allem die Ritualmordbeschuldigung, die vielen Generationen christlicher Hetzer den Vorwand für Verfolgung und Pogrome lieferte. Diese Verleumdung stammt zwar, wie der Antisemitismus als solcher, bereits aus der Antike (Rohrbacher/Schmidt 1991: 274), ihre akkusatorische Niedertracht gelangte jedoch erst in der christlichen Ära zur vollen Entfaltung. Dabei sei die Anspielung auf den von den Juden verschuldeten Kreuzestod Jesu, schreiben Rohrbacher/Schmidt (ebd.: 275), unübersehbar: Es handele sich nicht um einen beliebigen, von einem verwerflichen Religionsgesetz vorgeschriebenen Mord, wie man ihn auch einem anderen Gegner hätte anlasten können, „sondern um eine ganz unverwechselbar j ü d i s c h e ' Tat, die die Schuld der Juden an dem nach christlichem Verständnis schrecklichsten aller denkbaren Verbrechen, dem Gottesmord, erneut bestätigt und durch die dieses Verbrechen ihrer Väter von den jüdischen Zeitgenossen abermals begangen wird." Auch dieses Klischee, so abgenutzt es ist, gehört noch immer nicht zum alten ideologischen Eisen. Selbst im späten zwanzigsten Jahrhundert lassen sich noch zahlreiche Zeugnisse finden (ebd.: 360), die eine ungebrochene, wenn auch deutlich abnehmende Kontinuität dieser Schreckenslegende illustrieren - auch in Spanien, wo ihre geschickte Inszenierung, von höchsten Kirchenkreisen dramatisiert, das Schlußkapitel der spanischen Juden einläutete: In La Guardia, dem historischen Schauplatz des makaberen Schauprozesses, .wissen' die Bewohner noch heute (Kenig 1994: 172), an welcher Stelle ihres Dorfes das ,Ritualverbrechen' stattgefunden hat... Ein zweites Judenklischee, an das hier erinnert werden soll, erwies sich, vor allem seit der Aufklärung, als genauso verhängnisvoll wie seine religiös konturierte Variante: Die Juden als ewige Wucherer, Geldsäcke und skrupellose Blutsauger der Christen, deren Goldene Internationale die heimlichen Drahtzieher der Weltwirtschaft vereinte. Auch dieses Klischee, das einen Großteil seiner groben Rasterung religiösen Traditionen verdankt, unter anderem dem christlichen Zinsverbot, hatte mit der Wirklichkeit nicht allzu viel zu tun; es spiegelte eher „die Habgier der Christen" (Rohrbacher/Schmidt 1991: 52) und die ökonomische Apartheid wider, die vielen Juden gar keine andere Wahl ließ, als in sogenannten Geldberufen ihr Auskommen zu suchen. Ein Privileg Friedrichs II., es datiert von 1470 (Adler 1987: 24 f.), ist diesbezüglich recht illustrativ: „Wo der Christ 10 Schock nimmt, soll der Jude 20 im Jahr nehmen dürfen, weil, wenn er so wenig nehmen würde wie der Christ, er nicht leben könnte, da er zuerst Uns gegenüber seinen Pflichten nachkommen muß, zweitens dem Herrn, dessen Schutz er sich empfohlen hat, zahlen muß, drittens selbst die

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Interessen zu berichtigen hat, viertens selten ein Amt, dessen Dienst er nötig hat, ihn umsonst entläßt, und er endlich selbst etwas haben muß, um davon mit Weib und Kindern leben zu können." Obwohl dieses Privileg, das so oder ähnlich auch auf andere europäische Länder übertragbar ist, die armselige Lage der Durchschnittsjuden ziemlich realistisch widerspiegelt, erwies sich die Fiktion des reichen, geldgierigen Juden doch allemal als wirkungsmächtiger. Denn „daß der größte Teil des jüdischen Volkes, kleinster Mittelstand, in schwerer Armut lebt", schrieb Arnold Zweig (1991: 128), „erfährt erst der, der staunend die Stätten jüdischer Massensiedlungen durchstreift." Solche Erkundungen der Wirklichkeit wurden indessen, so darf man vermuten, nicht allzu häufig unternommen. Es waren vor allem die jüdischen Bewohner dieser Stätten selber, die sich über die ökonomische Apartheid beklagten und ihre Abschaffung forderten: „Sie wissen", schrieb Ende des 18. Jahrhunderts auch ein sephardischer Jude 2 in einem offenen Brief (Heid/Schoeps 1994: 45), „daß die von meiner Nation in Spanien und Portugal gar keinen Aufenthalt finden; daß sie in Deutschland größtentheils der Erlaubnis beraubt sind, Häuser und Aecker zu kaufen, und alle Arten der Profession zu treiben; daß sie selbst die Handlung, welche das eintzige Hülfs-Mittel ihres Unterhalts bleibt, nicht anders als gegen Erlegung besonderer Imposten fuhren können [...]." So war es nachgerade zwingend, daß sich die Juden der Diaspora bereits sehr früh in zwei Bereichen spezialisierten. Erstens (Karady 1999: 19) in ökonomischen Mittlerpositionen, etwa im Handel, in der Einziehung der staatlichen, fürstlichen und herrschaftlichen Einnahmen und in Finanzgeschäften; zweitens in „intellektuellen Dienstleistungen" wie der Medizin und der Diplomatie. Diese beruflichen Orientierungen vollzogen sich zwar meistens unter Druck, weil andere ökonomische Bereiche verschlossen und auch Land- und Immobilienbesitz nur selten gestattet waren; sie ermöglichten jedoch zugleich eine gewisse ökonomische Unabhängigkeit und erleichterten die soziale Mobilität - Faktoren, die sich aufgrund des latenten Antisemitismus nur allzu häufig als überlebensnotwendig erwiesen. Eine Minderheit,

zu ihr gehörten

reiche Finanziers und Hofjuden, schaffte auf diese Weise einen sozialen Aufstieg, der hier und da, nicht zuletzt in Spanien, auch von politischem Einfluß begleitet war. Doch genau das, der relativ hohe Anteil von Juden in ökonomischen Mittlerpositionen und die exponierte Stellung einer kleinen jüdischen Elite, bestätigten 2

Die Herausgeber halten es indes für möglich, daß sich hinter diesem Brief, der wohl ersten in Deutschland veröffentlichten Schrift, die sich für die Emanzipation der Juden einsetzte, ein christlicher Autor im Umkreis von Lessing verbergen könnte.

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Über Antisemitismus

die gängigen Vorurteile gegen die Juden - ein Circulus vitiosus, den man nur schwer durchbrechen konnte. Dieser Zirkelschluß war in der Tat, wie Sartre (1994:43 f.) bemerkte, eine „kuriose ökonomische Erscheinung": Die mittelalterliche Kirche tolerierte die Juden, weil sie eine ökonomische Funktion allerersten Ranges erfüllten, und verfluchte sie deswegen. So sei es auch nicht übertrieben zu sagen, „daß die Christen den Juden erst erschaffen haben, indem sie seine Assimilation jäh unterbrachen und ihm eine Funktion aufzwangen, in der er sich seitdem hervorgetan hat." Als gravierend kam hinzu, daß die groben Judenstereotypen die vorhandenen Zwischentöne in aller Regel verwischten: Das Verdikt des reichen, geldversessenen Juden trennte nur selten zwischen Individuen und Kollektiven, „eine bis ins Intellektuelle fortgeführte Praxis von Geiselnahme", wie Detlev Claussen (1987: 121) pointiert. Obwohl nicht übersehen werden darf, besonders mit Blick auf Spanien, daß es auch stets ein jüdisch-christliches Miteinander gab, das von Achtung, Verständnis, ja sogar von Sympathie geprägt war (Beuys 1996: 19), fielen die europäischen Juden dem ideologischen Gift des Antisemitismus doch immer wieder zum Opfer. Von diesem Gift blieben auch jene nicht verschont, die angetreten waren, die finsteren Zeiten des klerikalen Obskurantismus durch die Sonne der Vernunft zu erhellen. Daß die eigentlichen Wurzeln des Rassismus, und damit des modernen Antisemitismus, im 18. Jahrhundert liegen, „dürfte viele Leser", schreibt L. George Mosse (1990: 8), „erstaunen und konsternieren. Schließlich soll doch die Aufklärung den alten Aberglauben beseitigt haben, wonach die Menschen ihr Leben nicht selbst bestimmen." Tatsächlich ist sich die moderne Antisemitismusforschung darüber einig, daß der alte Haß auf die Juden im Zeitalter des Lichts' lediglich seinen Aggregatzustand änderte. Er „säkularisierte sich", so Victor Karady (1999: 203), „und suchte sich durch andere (nichtreligiöse) Argumente zu rechtfertigen." Wenngleich dieser Wandel nicht absolut verlief, sich nur das ideologische Mischungsverhältnis veränderte, hatte diese Säkularisierung doch weitreichende - und gefährliche - Konsequenzen: Erst die Fusion des eher religiös gefärbten Antijudaismus mit den Naturwissenschaften und den moralischen und ästhetischen Idealen der Antike, machte das Gebräu des modernen Antisemitismus zu einem besonders effektiven ideologischen Gift. Auch hier mag überraschen, daß diejenigen Zweige der Naturwissenschaften, die die Unterschiede zwischen den ,Rassen' nun auch wissenschaftlich exakt ,bewiesen', etwa die Phrenologie (Schädeldeutung) und die Physiognomik (Gesichtsdeutung), sich aus einigen Quellen speisten, die nicht gerade durch ihre Wissenschaftlichkeit

glänzten:

Der

Wert

des

Menschen,

schreibt

Mosse

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Über Antisemitismus

(1990: 29), sei letztlich von seiner Ähnlichkeit mit den klassischen Schönheitsidealen und den klassischen Proportionen bestimmt worden. Dieses „ständige Überwechseln von der Wissenschaft zur Ästhetik" hält er für „eine der Haupteigenschaften des modernen Rassismus." Die .typische Judennase', die zu einem der wichtigsten Kennzeichen des jüdischen Stereotyps werden sollte, steht damit (ebd.: 53) in direkter Verbindung: Als Maßstab galt „die Symmetrie der griechischen Nase". Eine Unterabteilung dieser Disziplin, auch sie speiste sich aus den trüben Quellen des prämodernen Antisemitismus, bestand in der engen Verknüpfung von Rassismus und Sexualität, nach Ansicht namhafter Autoren (Goytisolo 1982: 25 f.) mit besonders verheerenden Folgen in Spanien. Das Klischee des triebhaften Außenseiters war „fester Bestandteil des Rassismus" (Mosse 1990: 11), in seiner üppigen Ikonographie wurden vor allem Schwarze und Juden mit dem Stigma sexueller Inkontinenz, maßloser Begierde und Perversion versehen ein später Ableger jener Judensau-Motive (Rohrbacher/Schmidt 1991: 161), für die das Schwein Sinnbild von gula und luxuria war. Ein moralisch und ästhetisch , schöner Jude' galt deshalb als contradictio in adiecto, die Phantasie der christlich-prüden Judenhasser wurde allenfalls durch die ,schöne Jüdin' angeregt - nur auf den ersten Blick ein Kompliment: Die Vorstellung von der schönen Jüdin, schrieb Sartre (1994: 33), ,,ström[t] so etwas wie einen Geruch von Vergewaltigung und Massaker aus." Es war indes der alte Nexus zwischen Juden und Geld, der in der Folge der Aufklärung zu dem ideologischen Unterfutter des Antisemitismus avancierte. Paradoxerweise wurde die Karriere dieses Klischees durch die Emanzipation der mitteleuropäischen Juden rasant beschleunigt: Nunmehr wurden sie nicht mehr in erster Linie deshalb verfolgt, pointiert Claussen (1987: 45), „weil sie es verdienen, sondern weil sie verdienten." Die soziale Wirklichkeit, obwohl von Land zu Land recht unterschiedlich, schien das Basiscredo des Antisemitismus rundum zu bestätigen. So stieß man in den neuen Berufen (Karady 1999: 114), die der Dynamik der Moderne entsprachen, proportional gesehen, häufiger auf Juden als auf Nichtjuden. Beispielsweise in Budapest, Warschau und Wien, wo um 1900 mehr als die Hälfte aller Ärzte Juden waren; 1936 belief sich ihr Anteil an der Wiener Ärzteschaft sogar auf 75 % bei einem Bevölkerungsanteil von 8 % (ebd.: 135). Ähnliche Tendenzen lassen sich in anderen Berufen beobachten: Ende des 19. Jahrhunderts waren 62 % aller Wiener Rechtsanwälte Juden (ebd.: 137); und Anfang des 20. Jahrhunderts lag ihr Anteil an den Journalisten, Privatgelehrten und Schriftstellern in Deutschland (ebd.: 139) achtmal höher als

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Über Antisemitismus

ihr Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung - spektakuläre Zahlen, zumindest auf den ersten Blick, die durch die jüdische Präsenz im Finanzsektor einiger europäischer Länder noch übertroffen wurden. Obwohl der Anteil von Juden im gesamten Handel, Verkehr und Kreditwesen Westeuropas nur einige Prozent betrug (in Deutschland lag er 1907 bei 6 % und fiel bis 1925 auf 3 %), waren die Positionen von Juden in der Hochfinanz Ostmitteleuropas unübersehbar. In Ungarn, zum Beispiel (ebd.: 130), wird ihr Anteil unter den Bankdirektoren um 1900 auf 85 % geschätzt. Deshalb hat Karady vermutlich recht, wenn er (ebd.: 61) resümiert: Die antisemitische Vorstellung einer Jüdischen Gefahr" durch eine wachsende wirtschaftliche Übermacht „geht nur teilweise auf ideologische Phantasmen zurück". Das heißt indes mitnichten, daß das antisemitische Standardklischee, die Juden wären, und das seit ewigen Zeiten, nur am Mammon interessiert, der Wirklichkeit entspräche, und zwar aus mehreren Gründen. Der Hauptgrund war und ist noch immer, obwohl das in unseren kapitalismusfrommen Zeiten gerne übersehen wird, das ökonomische Getriebe der Moderne: ,,[D]iese Gesellschaft", schrieben Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung

(1971: 155),

„in der nicht bloß mehr die Politik ein Geschäft ist, sondern das Geschäft die ganze Politik - sie entrüstet sich über das zurückgebliebene Händlergebaren des Juden und bestimmt ihn als den Materialisten, den Schacherer, der dem Feuergeist derer weichen soll, die das Geschäft zum Absoluten erhoben haben." Also nicht die Krankheit - eines ihrer Symptome, und nicht einmal das prominenteste, lokalisieren die Antisemiten als Keimherd des Übels. Obwohl vom „Zugang zum Ursprung des Mehrwerts" (ebd.: 156) weithin ausgeschlossen, werden die Juden für das ganze System in Haft genommen: „Darum schreit man: haltet den Dieb! und zeigt auf den Juden. Er ist in der Tat der Sündenbock, nicht bloß für einzelne Manöver und Machinationen, sondern in dem umfassenden Sinn, daß ihm das ökonomische Unrecht der ganzen Klasse aufgebürdet wird." Wohl in keinem anderen

Land

erwies

sich

diese

Sündenbockpropaganda

wirksamer

und

durchsichtiger als in Hitler-Deutschland: Die Millionen, so die berühmte Collage Heartfields, die hinter Hitler standen, flössen und vermehrten sich im selben Rhythmus, wie „das jüdische Finanzkapital" zur Hauptzielscheibe der Nazihetze wurde. Dabei wußten viele von denen, die Hitler die ökonomische und politische Stange hielten, vermutlich nur zu gut, daß der jüdische Popanz, den die Nazis kreierten, dort, wo er mit der Wirklichkeit übereinzustimmen schien, just die Folge jener Erschaffung

des Juden war, an der ihre antisemitischen Ahnen be-

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Über Antisemitismus

teiligt gewesen waren: Die Letzten, jahrhundertelang von .normalen' ökonomischen Tätigkeiten ausgeschlossen, wurden nun, nach dem Wegfall vieler - bei weitem nicht aller! - Zugangsbeschränkungen, die Ersten, wenn auch nur in bestimmten Berufen. Das System des Ausschlusses, das sich als schwere Einschränkung der sozioökonomischen Mobilität der Juden erwiesen hatte, schreibt Karady (1999: 116 f.), kehrte sich nun, bei der Auflösung des Feudalismus um. Weil Juden ihr Kapital im allgemeinen nicht durch Kauf von Land, Gebäuden und Manufakturen fest anlegen konnten, waren sie gezwungen, es zu horten. Als sich nun die kapitalistischen Märkte für sie öffneten, „waren die auf diese Weise angesammelten Vermögen im Hinblick auf die Geldberufe von Vorteil." Das erkläre unter anderem die Tatsache, daß sich die Juden dort, wo sich der Feudalismus länger hielt, also in Mittel- und Osteuropa (auch in Spanien), häufig eine gewisse Hegemonie im Bankwesen und im Großhandel sichern konnten. Die soziale Schichtung der europäischen Juden, ihr Charakter als „protobürgerliche Klasse", verschaffte ihnen auch in weniger exponierten Bereichen bedeutende Vorteile. Da es keine Entsprechung zum Adel oder zum institutionalisierten und hierarchisch gegliederten Klerus bei ihnen gab, auch nicht zur Klasse der abhängigen Bauern (ebd.: 60 f.), „besteht die breite Masse der aktiven jüdischen Bevölkerung aus kleinen Unabhängigen' aller Art - Händlern, Handwerkern, Halbpächtern, Pächtern, Schankwirten, Schnapsbrennern, Vermittlern von Pfandgeschäften und Pfandleihem". Hinzu kommt, daß der „religiöse Intellektualismus" (ebd.: 20) und die lange Tradition in Führungs-, Ratgeber- und Dienstleistungspositionen ein intellektuelles Kapital darstellten, über das weder die feudalen Eliten - sie waren oft bis ins 18. Jahrhundert hinein ungebildet noch die Masse der bäuerlichen und städtischen Bevölkerung verfügten. Im übrigen standen Bildung und Wissenschaft in der jüdischen Diaspora seit jeher hoch im Kurs, statt Kriegern und Politikern bildeten Geistliche und andere Gelehrte die jüdische Führungsschicht (ebd.: 24): „Die Einheit der jüdischen Diaspora ist zuallererst die der Gebildeten." Deshalb ist es kein Zufall, daß die Mehrheit der Juden alphabetisiert war: Das Studium des Talmud setzte vertiefte Kenntnisse des Hebräischen und Aramäischen voraus. Das Ideal der Alphabetisierung sei zwar, meint Karady (ebd.: 23), niemals vollständig erreicht worden, „doch sind keine Zivilisationen bekannt, in denen es vor dem 18. Jahrhundert Ausdruck gefunden hätte." Darüber hinaus waren viele Juden, zumindest die Männer, zwei- und dreisprachig - ein kultureller Bonus, über den die christliche Durchschnittsbevölkerung nicht verfügte. Hinzu kommt eine ganze Palette kompensatorischer Mechanismen, hauptsächlich entstanden durch den Druck zur Assimi-

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lation. Am Beispiel von Stefan Zweig, einem der erfolgreichsten Autoren im deutschen Sprachbereich, hat Hannah Arendt (1976: 84 f.) daraufhingewiesen, daß die gesellschaftliche Situation, auch die soziale Stellung der assimilierten Juden, trotz allen Erfolges „ungesichert und doppeldeutig" war. Wenn sie ihre „Salonfähigkeit" nicht mit außerordentlichen Mitteln erzwangen, dann blieben sie auch weiterhin Parias: „Der Ruhm, der Erfolg, war ein Mittel gesellschaftlich heimatloser Menschen, sich eine Heimat, sich eine Umgebung zu schaffen. [...] Die internationale Gesellschaft der Erfolgreichen war die einzige, in der Juden gleichberechtigt waren." Die jüdische Erfolgsgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist also erklärbar.

Weit davon entfernt, die antisemitischen Legenden von der natür-

lichen Liebe der Juden zum Geld zu bestätigen, ist sie, grosso modo betrachtet, das Produkt ihres jahrhundertelangen Ausschlusses. Dieser, nur auf den ersten Blick paradoxe Befund ist essentieller Natur: Wird er ignoriert, was wohl noch immer gang und gäbe ist, dann wird die Wahrheit leicht zur Lüge. Die unausbleibliche Folge besteht in anthropologischen Konstantenlehren und ontologischen Mythen, die sich zwar noch stets vor der Geschichte blamierten, die antisemitischen Standardklischees aber immer wieder aufs neue reproduzierten. Das schließt Kritik am Verhalten einzelner Juden, auch einzelner Gruppen, keineswegs aus. Vor allem an den „angepaßten Juden", die, so Horkheimer und Adorno (1971: 152), „die peinlichen Erinnerungsmerkmale" der Beherrschung durch andere „vorbehaltlos zum neuzeitlichen Bürgertum" führte - ein zwar durchaus verständlicher, aber darum nicht minder problematischer Weg, wie die beiden Autoren der Dialektik der Auflclärung mit Blick auf Nazi-Deutschland schrieben: „Die Harmonie der Gesellschaft, zu der die liberalen Juden sich bekannten, mußten sie zuletzt als die der Volksgemeinschaft an sich selbst erfahren. Sie meinten, der Antisemitismus erst entstelle die Ordnung, die doch in Wahrheit ohne Entstellung der Menschen nicht leben kann." Ein Nebenprodukt dieses Irrtums, die gelegentlich allzu große Nähe jüdischer Eliten zur politischen Macht, ist zwar historisch ebenfalls verständlich, aber dennoch häufig irritierend: Die Trauerbekundungen, die einige Führer der jüdischen Gemeinschaft aus Anlaß des Todes von Francisco Franco abgegeben haben sollen (Lisboa 1993: 281), gehören wohl dazu. Die zitierte Kritik, so nötig sie ist, sollte jedoch nie den historischen Kontext vergessen: Die ahistorische Kritik an den „reichen Juden", wie sie, aus welchen Gründen auch immer, selbst von jüdischen Autoren (Finkelstein Bärendienst.

2000:32)

geübt

wird,

leistete

der

Aufklärung

eher

einen

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Über Antisemitismus

Die enge Verbindung von Juden und Geld, die vor allem der moderne Antisemitismus als Generalverdikt gegen die Juden konstruierte, weist zahlreiche Gemeinsamkeiten mit einem dritten Judenklischee auf, an das hier erinnert werden soll: Das üppige und besonders niederträchtige Arsenal an Verschwörungstheorien. Die Phantasmagorien ominöser Konspiratorenzirkel, die, im Extremfall, die Weltherrschaft anstrebten, sind seit dem Mittelalter (Rohrbacher/ Schmidt 1991:202 ff.) eine Konstante christlicher Welterklärung, nicht allein mit Blick auf die Juden: Ketzer und Bettler, Magier und Hexen, seit der Reformation auch die Anhänger anderer Konfessionen, wurden häufig verdächtigt, zu einem weltumspannenden Verschwörungsnetz zu gehören. Die antijüdische Stoßrichtung solcher Mythen wurde erstmals von dem heidnischen Poeten Philostratos (Stein 1996: 35) ins Feld gefuhrt; er formulierte 200 nach Christus, die Juden hätten sich „nicht nur gegen die Römer, sondern gegen die gesamte Menschheit erhoben." Es war vor allem im späten Mittelalter, als man den Juden die Mitgliedschaft in konspirativen Vereinigungen andichtete: Die Greuelgeschichten jüdischer Brunnenvergifter, etwa während der Pestjahre Mitte des 14. Jahrhunderts, haben Jahrhunderte überdauert. Nicht selten, und das ist gerade für Spanien von Bedeutung, galten die Juden überdies als Teil eines islamischen Verschwörungskartells (Rohrbacher/Schmidt 1991:242): Von Reisenden ins maurisch dominierte Spanien und von den Kreuzfahrerheeren, die 1099 Jerusalem eroberten (und im Blut ertränkten), wurden sie als willfährige Parteigänger der .moslemischen Gefahr' eingestuft - ein untrüglicher Beweis, so die Legenden, daß die Ungläubigen untereinander in enger Verbindung standen, um sich gegen die Christen zu verschwören. Vor allem in Spanien war die enge Allianz der Verschwörer augenscheinlich ein Faktum: Hatten die Juden, als die Araber- und Berberheere 711 die Meerenge überquerten, die neuen Herrscher nicht als Befreier begrüßt? Später, nach ihrer Vertreibung aus Spanien, galt den Verschwörungstheoretikern des christlichen Abendlandes die wohlwollende Aufnahme der jüdischen Emigranten im Osmanischen Reich als Beweis ihrer Phantastereien: „In der Türckey", heißt es in einem antisemitischen Pamphlet von 1573 (ebd.: 243) über die „Hurenkinder", „lassen sie einen Juden sein ehr und gewalt" - auch und gerade mit verschwörerischen Absichten. Ihre eigentliche Konjunktur erlebten die antisemitischen Verschwörungsfiktionen gleichwohl erst an der Schwelle zur Moderne. Im ideologischen Kielwasser von Geheimgesellschaften und Freimaurerlogen, die, seien sie real oder erfunden, unter dem Banner der Aufklärung und als Drahtzieher der Französischen Revolution die Herrschaft über die christliche Welt anstrebten - in die-

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sem Kontext betreten auch die jüdischen Weltverschwörer wieder die Bühne. Mit den Protokollen

der Weisen von Zion, 1905 von der russischen Geheim-

polizei publiziert, wurden sie zu Hauptdarstellern einer so dreisten wie perfiden Konspirationsszenerie, die trotz oder wegen ihres fiktionalen Charakters ihre Wirkung tat: „Diese unheilvolle Schmähschrift", schreibt Karady (1999: 103), „bildet bis in unsere Tage einen grundlegenden Text des militanten Antisemitismus". Der besonders monströse Charakter der „Pogrombibel" (Stein 1996: 38), deren verheerende Wirkung, was Spanien betrifft, übrigens noch der Erforschung harrt, 3 erschließt sich, so Stein (ebd.: 35), unter anderem im Vergleich: „Kein noch so bigotter Ausländerfeind würde die irrwitzige These vertreten, daß sich fast alle Massenmedien der Welt in ausländischer Hand befinden (dabei ist das nichts als die reine Wahrheit)." Das groteske Legendengeflecht, das seine Fäden fast Uber den ganzen Erdball zog (in den USA ließ Henry Ford die Hetzparolen in Millionenauflage nachdrucken), wurden zwar schnell als tolldreiste Fälschung erkannt, auch von denen, die die Juden durchaus für ruchlose Verschwörer hielten - seiner Wirkung tat das jedoch keinen Abbruch: Schließlich lebt der Antisemitismus, schreibt Detlev Claussen (1987: 53), „vom Ausfall reflexiven Denkens." Als böse Ironie der - hispanoarabischen - Geschichte läßt sich dabei die Tatsache verbuchen, daß der Ausfall reflexiven Denkens, hier mit Blick auf die Flut antisemitischer Verschwörungstheorien, besonders häufig in arabischen Ländern zu beobachten war: Nirgendwo sonst auf der Welt haben die Protokolle so viele Neuauflagen erlebt (Stein 1996:40) wie unter den moslemischen ,Nachfahren' von Al-Andalus. Überhaupt müsse man lange suchen, um eine europäische Literatur des Antisemitismus zu finden, die „so böswillig" sei wie die arabische des 20. Jahrhunderts. Averroes, der berühmte Philosoph aus Cordoba, zu dessen Schülern auch der nicht minder berühmte Maimönides zählte, würde sich im Grabe umdrehen ...

Die Geschichte der antisemitischen Klischees illustriert, daß dieses Wissen nur partiell, häufig überhaupt nicht, auf persönlichen Erfahrungen basiert: Die „Legendentopographie" (Jan Assmann 1997: 34), aus der es sich speist, ist nur selten in der historischen Wirklichkeit verankert. Der „Antisemitismus ohne Juden", von dem bereits die Rede war und der besonders im Spanien des 19. und

3

In der vorliegenden Untersuchung findet die Hetzschrift nur am Rande, etwa im Werk von Pio Baroja, Erwähnung.

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Über Antisemitismus

20. Jahrhunderts sein Unwesen trieb, ist dafür ein Indiz. Im übrigen würde dieses Wissen, wenn es sich denn tatsächlich auch aus persönlichen Erfahrungen speiste, nach einigen Generationen wieder in Vergessenheit geraten. Die moderne Gedächtnisforschung (Assmann/Frevert 1999: 35 ff.) schlägt deshalb vor, den kompakten Gedächtnisbegriff aufzurastern: in das Gedächtnis des Individuums und das des Kollektivs bzw. das der Kultur. Das individuelle oder das „kommunikative" Gedächtnis - „kommunikativ", weil sich das Individuum im Austausch mit anderen befindet - verschiebe sein Erfahrungsprofil mit jedem Generationswechsel, also etwa nach vierzig Jahren. Werden seine „Erinnerungsfiguren" (Jan Assmann 1988: 12) nicht erneuert, dann verschiebt sich das Erinnerungsprofi 1 einer Gesellschaft peu ä peu; nach 80 bis 100 Jahren, wenn der persönliche Austausch einer „Erfahrungs-, Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft" (Aleida Assmann 1999: 37) vorüber ist, sei auch die Kapazität dieses Gedächtnisses erschöpft. Dieses „Kurzzeitgedächtnis der Gesellschaft", das stets ein Generationengedächtnis sei, werde nun im allgemeinen von einem „kollektiven" bzw. „kulturellen Gedächtnis" (ebd.: 49 f.) sekundiert - und stabilisiert. Während sich das kollektive Gedächtnis, eine Art Unterabteilung des kulturellen, durch radikale inhaltliche Engführung, hohe symbolische Intensität und starke psychische Affektivität auszeichne - etwa durch historische Gedenkveranstaltungen, Jahrestage oder Bildsymbole

stütze sich das kulturelle Gedächtnis vor allem auf

Medien und Institutionen: Erst sie machten es zu einem sozialen Langzeitgedächtnis. 4 Obwohl sich das kulturelle Gedächtnis, in dem so etwas wie die Basisdaten einer Gesellschaft gespeichert sind, nach Ansicht von Aleida Assmann (ebd.: 50) niemals rigoros vereinheitlichen

und

damit

umstandslos

politisch instrumentalisieren lasse (grundsätzlich stünden eine Vielzahl von Deutungen offen), bringe es doch einen common sense zum Ausdruck, sei dieser erzwungen oder konsensual. In der vormodernen Gesellschaft Europas waren die medialen, auch die institutionellen Möglichkeiten, das kulturelle Gedächtnis aufzuladen oder zu stabilisieren, natürlich erheblich geringer: Die judenfeindlichen Elemente, die es unter anderem transportierte, beschränkten sich im wesentlichen auf religiöse und literarische Instanzen, deren Wirkungsradius begrenzt blieb. Eine Zäsur, besonders mit Blick auf die Rolle der Geschichte, markiert erst das 19. Jahrhundert: Nun galt (Jan Assmann 1997: 71), mehr als jemals zuvor: „Herrschaft

4

Daher sei die Rede vom „kollektiven Gedächtnis", betont Jan Assmann (1997: 36), „nicht metaphorisch zu verstehen."

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braucht Herkunft." Denn während die dynastische Herrschaft sich gleichsam natürlich legitimierte, mußte sich das Bürgertum sein historisches Hinterland erst schaffen, es brauchte, mit den Worten Eric Hobsbawms (1983: 1), „a suitable historic past". Die enorme Bedeutung, die der Historiographie im allgemeinen und der - kanonisierten - Literaturgeschichte im besonderen zuwuchsen, ist dafür ein Indiz. Die Mischung aus „semi-fiction" und vollständiger „Fälschung" (ebd.: 7) ergab dann, obgleich von Land zu Land recht unterschiedlich, jene historische Kontinuität, die Hobsbawm (ebd.: 8) als „invention of tradition" bezeichnet. Diese Annahme, daß ein Großteil dessen, was der moderne Nationalismus als seine historische Genealogie reklamiert, auf Erfindungen basiert, ist übrigens, genau betrachtet, schon älteren Datums: Bereits Nietzsche (1989: 42) wies in seinem Essay Vom Nutzen und Nachteil

der Historie für das Leben

darauf hin, daß die Nationen nur allzu leicht der Versuchung erlägen, „sich gleichsam a posteriori

eine Vergangenheit zu geben, aus der man stammen

möchte, im Gegensatz zu der, aus der man stammt". Der nationale Erfindungsreichtum erstreckt sich selbst auf den Begriff der „Nation". Just am Beispiel Spaniens hat Eric Hobsbawm (1991:23 ff.) nachgewiesen, daß die spanische Nation im modernen Sinne, gemessen an der Geschichte dieses Terminus, erst neueren Datums ist. Vorher war von gemeinsamen Traditionen, gar von einer gemeinsamen ethnischen Abstammung, noch keine Rede. Auch mehr oder weniger synonyme Begriffe, wie „patria" oder „tierra" (ebd.: 24), besaßen noch nicht jenen patriotisch-emotionalen Gehalt, der ihnen später beigefügt wurde. In seiner modernen Legierung (gemeinsame Abstammung, Sprache und Traditionen) wird „Nation" in Spanien erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts offiziell verwendet. 5 Der Begriff und das, was er beschreibt, besitzen also kein besonderes Altersprädikat! Dennoch schössen die „Kontinuitätsfiktionen" (Jan Assmann 1997: 88), die der moderne Nationalismus kreierte, üppig ins Kraut. Hier ist zwar nicht der Ort, ihre Geschichte nachzuzeichnen; da sie für das Selbst- und Fremdbild der Nationen, und damit auch für den Umgang mit der historischen und zeitgenössischen Judenthematik, von großer Bedeutung waren, seien jedoch wenigstens einige, besonders markante Beispiele des modernen „nation-building" zitiert, deren Fundamente allesamt nicht sonderlich tief liegen. So hatte die Französische Revolution, schreibt Hobsbawm (ebd.: 28), nur wenig mit dem

Ich komme an mehreren Stellen der vorliegenden Untersuchung auf die .Erfindung Spaniens' zurück.

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Über Antisemitismus

späteren Nationalitätsgefuhl zu tun. Selbst das Französische, das nur wenige beherrschten, war kein sprachliches Band zur nationalen Vereinigung. Noch weniger war es das in Italien: Im Moment seiner politisch-territorialen Entstehung sprachen nur 2-3 % seiner Bewohner modernes Italienisch (ebd.: 47), die große Mehrheit benutzte andere Idiome, die untereinander meistens völlig unverständlich waren. Der berühmte Satz Mazzinis (ebd.: 53) war deshalb keine Übertreibung: „Wir haben Italien erschaffen, nun müssen wir die Italiener erschaffen." Hier und da weist der Sprachnationalismus,6 trotz seines semiartifiziellen oder erfundenen Charakters, aber auch unfreiwillig progressive Züge auf. So waren namhafte deutsche Autoren (ebd.: 30 f.), die in der Sprache das nationale Element erblickten, sogar bereit, die aschkenasischen Juden als Deutsche zu akzeptieren - schließlich sei das Jiddische, argumentierten sie, ein germanischer Dialekt. Ebenso wenig wie die Sprache eignete sich, genau betrachtet, die Religion als Stabilisationsfaktor für das dünne Fundament der europäischen Nationen. Selbst in Spanien, im .katholischsten Land Europas', war das Christentum per definitionem ein universales Credo, also eher darauf gerichtet (ebd.: 77), ethnische, sprachliche oder sonstige Differenzen zu nivellieren. Auch „das entscheidendste Kriterium des Protonationalismus" (ebd.: 81), nämlich die Vorstellung, einer dauerhaften politischen Gemeinschaft anzugehören, erweist sich, bei näherer Betrachtung, als Schimäre. Die Zahl der „historischen Nationen", schreibt Hobsbawm (ebd.: 81 f.), sei überaus dünn gesät. Doch selbst solche Nationen, die diesen Titel mit einer gewissen Plausibilität für sich in Anspruch nähmen, etwa die Russen Großrußlands, die Engländer oder Kastilier, seien das Opfer eines „retrospektiven Nationalismus". Die weiter oben skizzierte Begriffsgeschichte der „spanischen Nation" unterstreicht diese Sicht der Dinge. Es war vor allem die - deutsche - Romantik, die sich als intellektueller Lieferant des Nationalismus erwies: „Der Judenhaß", registrierte bereits Heine (Claussen 1987: 112), wenn auch etwas verkürzt, „beginnt erst mit der romantischen Schule (Freude am Mittelalter, Katholizismus, Adel, gesteigert durch die Teutomanen - Rühs -)." Ihre Idee von „einem Nationalcharakter", der sich, so Johann Gottfried Herder (Alter 1994: 189), „[jahrtausendelang erhält" und in Fichtes „Urvolk" (ebd.: 131) auch und besonders deutsche Züge trägt, traf auf Er ist in Spanien besonders relevant: Die erste ,nationale' Grammatik datiert bereits von 1492, also aus jenem ,Schicksalsjahr', als Mauren und Juden vertrieben bzw. zwangskonvertiert wurden und Kolumbus die Neue Welt entdeckte.

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offene Ohren - europaweit. Deshalb ist es sicher kein Zufall, daß sich der Begriff „Nationalismus" erstmals bei Herder nachweisen läßt (ebd.: 19), ist er doch Ausdruck eines „romantischen Universums" (Mosse 1990: 33), das mit Mythen, Legenden und Symbolen nachgerade überfrachtet ist. Vor allem diese Version der historischen Welterklärung hatte Eric Hobsbawm (1991: 186) im Visier, als er schrieb: „der Nationalismus als solcher ist den echten Bräuchen und Sitten der Vergangenheit feindlich gesonnen oder er erhebt sich auf ihren Ruinen". Es sei hier nur am Rande vermerkt, daß sich im ideologischen Arsenal des Nationalismus, besser: der Nationalismen, auch solche Komponenten finden, die mit besonderer Vorliebe den Juden angelastet wurden. Das „erwählte Volk", wenn es sich denn als solches jemals verstanden hat, könnte sich mit Fug und Recht darauf berufen, daß es sich in guter Gesellschaft befindet: Kein Geringerer als Cecil Rhodes, der spätere Premierminister der Kapkolonie, schrieb 1877 (Alter 1994: 142) über „die erste Rasse in der Welt", daß Gott sich „die englischsprechende Rasse offensichtlich zu seinem auserwählten Werkzeug geformt hat". Nur ein Jahr zuvor hatte Dostojewski (ebd.: 140) einen ähnlichen Ruhmestitel für seine Kompatrioten reklamiert, die Träger „der echten Wahrheit, des echten Ebenbildes Christi". Eine eher säkularisierte „Erwähltheitsvariante", die deutlich weniger vom Feuer der Revolution als vom Enthusiasmus der Grande Nation beflügelt ist, hatte 1829 der französische Historiker und Politiker Guillaume Guizoz (ebd.: 134) beigesteuert: „Man soll niemandem schmeicheln, auch nicht dem eigenen Land; dennoch glaube ich, daß man ohne Schmeichelei sagen kann, daß Frankreich der Mittelpunkt [...] der europäischen Zivilisation ist." Die deutschen Blüten dieses Genres, weit über Fichtes „Urvolk"-Visionen hinaus, können als bekannt vorausgesetzt werden. Ob diese Gattungen und ihre wechselnden Sujets tatsächlich von „bewußt und überlegt" vorgehenden „ideologischen Ingenieuren" (Hobsbawm 1991: 101) ersonnen wurden, sei dahingestellt. Denn schließlich ist der moderne Nationalismus, wie Alter (1994: 30) zu Recht bemerkt, „eine überaus begrenzte und im Grunde anspruchslose Ideologie", deren intellektuelle Dürre tatsächlich Bände spricht. Dennoch war und ist diese Ideologie wirksam, vermutlich gerade wegen ihres karg-primitiven Charakters. Das gilt vor allem für die Geschichtskomponenten, die wohl wichtigsten Ingredienzen dieses ideologischen Sammelsuriums: Das Altersprädikat einer Nation, die gemeinsame Abstammung derer, die sie bilden oder bilden sollen, rangiert als Leitfiktion im Prozeß der Erfindung der Traditionen. Dabei kann als sicher gelten, daß die Produzenten der nationalen Legenden zumeist nach der Devise verfuhren, die Renan (Hobsbawm 1991: 56),

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wohl der Nationalismustheoretiker des 19. Jahrhunderts, so formulierte: „Die eigene Geschichte falsch zu interpretieren, ist Teil einer Nation." Der portugiesische Romancier José Saramago (1997: 52) hat dieses Interpretationsverfahren, übrigens auch im Zusammenhang mit der trikulturellen Geschichte seines Landes, als Kette von Zufällen, als Summe von Gedankenlosigkeiten beschrieben: „so werden geschichtliche Irrtümer weitergereicht, Fulano zitiert Beltrano, was der von Cicrano hörte, und mit drei Autoritäten dieses Kalibers eben wird Geschichte gemacht". In Wirklichkeit dürfte die nationale Grundsteinlegung, dürfte deren historisches Fundament einem wohldurchdachten Plan entsprechen. Denn ,,[e]rinnert wird Vergangenheit nur in dem Maße", lenkt Jan Assmann (1997: 297) den Blick auf die Bedürfnisse der nationalen Konstrukteure, „wie sie gebraucht wird". Die jüdische Geschichte, wenn man sie denn kannte, wurde im allgemeinen nicht gebraucht. Deshalb gilt auch der Umkehrschluß (ebd.: 37) des obigen Satzes: „Nicht nur Erinnern, sondern auch Vergessen ist [...] ein soziales Phänomen." Die Erfindung von Traditionen ist folglich nicht nur fiktiv - sie ist auch in hohem Maße selektiv. Die Gründe für diesen Befund sind zweifellos vielschichtig. Einer der wichtigsten, zumindest mit Blick auf die jüdische Verfolgungsgeschichte, dürfte mit dem zusammenhängen, was Aleida Assmann (1999:44) am Beispiel der deutschen Nachkriegsgeschichte mit dem Begriff „Tätergedächtnis" beschreibt: Es geht um die Abwehr von Schuld und Scham. Diese Abwehr braucht, um wirksam zu bleiben, offenkundig nicht nur die Entlastung der antisemitischen Ideologie - „Die Juden sind selber schuld!" - , sie neigt auch zum Vergessen und Verdrängen: Die wenig erbaulichen Kapitel der nationalen Geschichte werden ausgeblendet oder, wenn die Dimension geschichtlicher Verbrechen allzu monströs ausfällt, wie im deutschen Fall, selektiv zurechtgestutzt, etwa nach der Devise, die Adorno (1977: 556) so beschrieb: „Wenn der Bürger schon zugibt, daß der Antisemit im Unrecht ist, so will er wenigstens, daß auch das Opfer schuldig sei." Die Tilgung der Erinnerung, folgerte Adorno (ebd.: 558), sei dabei eher eine Leistung des allzu wachen Bewußtseins als dessen Schwäche gegenüber der Übermacht unbewußter Prozesse: „Im Vergessen des kaum Vergangenen klingt die Wut mit, daß man, was alle wissen, sich selbst ausreden muß, ehe man es dem anderen ausreden kann." Gilt diese Erklärung auch für historische Ereignisse, die, wie die Verfolgung und Vertreibung der spanischen Juden (und Mauren), bereits mehrere Jahrhunderte zurücklagen, als die historisch fundierte „Erfindung Spaniens" (Inman Fox) ihren Zenit erlebte? Die Frage dürfte, wenn überhaupt, nur schwer zu beantworten sein. Indizien einer kollektiven

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Langzeitabwehr historischer Schuldgefühle ließen sich möglicherweise in jener spanisch-europäischen Dauerkontroverse (Hinterhäuser 1979) finden, in der sich ganze Generationen spanischer Intellektueller unter anderem gegen den europäischen Fanatismusverdacht zur Wehr setzten. Als sicher kann indessen gelten - die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sind dafür illustrativ - , daß das „Opfergedächtnis" (Aleida Assmann 1999: 44), hier die jüdisch-sephardische Erinnerung an 1492, durchweg als unangenehm empfunden wurde, auch von jenen, die sich als philosephardisch empfanden. Die Opposition „Tätergedächtnis" - „Opfergedächtnis" scheint demnach auch (ebd.: 114), wenngleich nur in abgeschwächter Form, für das Verhältnis von Spaniern und Sepharden zu gelten: „Während die Opfer an ihren Erinnerungen leiden, weil sie ihnen immer wieder die quälendsten Erlebnisse vor Augen führen, leiden die Täter am Druck, sich erinnern zu müssen." Ein weiterer Grund, sicher der wichtigste, der die politisch-intellektuellen Baumeister des nationalhistorischen Gebäudes dazu bewog, die Juden und ihre Geschichte ante portas zu lassen, hat mit dem Bedürfnis des Nationalismus zu tun, sich eine „nützliche" Vergangenheit zu schaffen - zu erfinden. In wessen Interesse, fragt Memmi (1994: 66), ist diese „invention intéressée"? Eine eindeutige Antwort dürfte auch hier nicht möglich sein. Mosse (1990: 10) meint, daß die Ideologie des Rassismus, die sich mit dem aufkeimenden Nationalismus auf vielfältige Weise verband, fast nie auf tatsächlich verfügbare Vorbilder zurückgreife, sondern stets bestrebt sei, eine mythologische nationale Vergangenheit in eine hypothetische zu verwandeln, „um die von der Moderne entwurzelten und verängstigten Menschen mit einem Trost locken zu können". Das klingt plausibel und erklärt wohl noch immer einen Teil des „mörderischen Identitäts-Wahns" (Meyer 1997: 11), der auch heutzutage noch gelegentlich grassiert. Das eingangs zitierte „Kulturkampf'-Szenario, hinter dem sich nicht nur kulturelle Phänomene verbergen, steht damit im Zusammenhang. Die Ausblendung bestimmter Elemente der Vergangenheit zugunsten einer mehr oder weniger erfundenen Geschichtsgenealogie weist in die gleiche Richtung: Auch sie dient, wie Adorno (1977: 558) bemerkte, höchst „realitätsgerechten" Zwekken. Neben ihrer Funktion als politisches Ablenkungsmanöver zählt dazu vor allem ihre Bedeutung für den Erhalt des machtpolitischen Status quo einer Gesellschaft: Die historisch-kulturelle Eliminierung von Minderheiten hält potentielle Konkurrenten - ökonomischer und religiöser Art - in Schach. Letztere dürften im 19. Jahrhundert, der Sternstunde des modernen Nationalismus, speziell von der Kirche zahlreicher Staaten Europas als solche empfunden worden

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sein. In katholisch geprägten Ländern wie in Spanien, wo der Klerus, trotz aller Säkularisierungstendenzen, noch immer ein zentraler Machtfaktor war, traf „die Rückkehr der Juden" (González) folglich auf mächtige Gegner. Daß sie auch deshalb nicht sonderlich willkommen waren, geht aus der vorliegenden Untersuchung hervor.

Vor allem diese beiden Gründe, eine eher subkutane Abwehr bestimmter Kapitel der Vergangenheit und ihre realitätsgerechte Erfindung, bilden den Rahmen, innerhalb dessen sich die „institutionalisierte Mnemotechnik" (Jan Assmann 1997: 52) des frühen Nationalismus in Gang setzte. Denn für das kulturelle Gedächtnis, betont Assmann immer wieder, zählt nicht faktische, sondern nur erinnerte Geschichte. Vor allem der Literatur fiel damit eine prominente Rolle zu. Ihre Fiktionen, sei es in Form historischer Romane oder Theaterstücke (die Themen der nationalen bzw. pseudonationalen Geschichte bearbeiten) oder in Gestalt einer kanonisierten Nationalliteratur, schufen nationale „Images", die die moderne Imagologie (Grew 1986: 38) zu Recht als konstitutiven Teil der „mächtigen nationalen Bewegung des 19. Jahrhunderts" erkannt hat. Als prominenter Zweig der bürgerlichen Hochkultur, etwa durch die Theater und die höheren Bildungseinrichtungen auch vom Staat kräftig unterstützt, gewann die Literatur eine identitätsstiftende, „nationaldidaktische" Wirkung, die sie so nie besessen hatte. Gerade für sie, das fiktionale Genre par excellence, gilt deshalb der Satz (Szegedy-Maszák 1986: 52): „Der Nationalcharakter war eine Fiktion, aber sein Einfluß war real." Es war unter anderem der nationale Literaturkanon, der die historischen Eckdaten des kulturellen Selbstbildes setzte: „Der kanonische Text", schreibt Jan Assmann (1997: 94), „hat die Hochverbindlichkeit eines Vertrages". Im Unterschied zu lebendigen „Traditionsströmen" sei der kanonische Text nicht fortschreibbar; darauf beruhe seine entscheidende Wirkung - nämlich (ebd.: 121) auf der „Ausgrenzung von Alternativen". Dabei versteht es sich nahezu von selbst, daß die „Autoimagebildung" (Dyserinck 1988:37), die der literarische Kanon mitbefordert, zugleich die „Heteroimagebildung" beeinflußt. Damit meint die moderne Imagologie zwar in erster Linie das Verhältnis zum extranationalen Fremden, also die gegenseitige Perzeption der verschiedenen Nationen; die Dialektik „von Selbstverständnis als indirektem Fremdverständnis" (Bleicher 1980: 15) läßt sich mutatis mutandis jedoch auch auf das eigene Fremde übertragen. Mit den Worten Grews (1986: 42): „how communities establish what is alien and excluded". Obwohl es stimmt, wie derselbe Autor (ebd.: 41) betont,

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daß nationale Identität, um wirksam und vital zu sein, in der populären und formalen Kultur verankert sein muß, hat die Hochkultur, haben ihre literarischen Elemente, doch stets als Leitkultur fungiert, auch dort, gerade in Spanien (Rehrmann 1994), wo sich beide mehr oder weniger stark miteinander vermischten. Im übrigen lassen sich Hoch- und Massenkultur häufig nur schwer auseinanderhalten: Sind die in die Hunderte gehenden historischen Romane, die in populären Zeitschriften erschienen sind - vgl. insbesondere das Romantik-Kapitel der vorliegenden Untersuchung - , Massenliteratur? Sind die überaus erfolgreichen Theaterstücke des auch hier untersuchten José Zorrilla, der als der „populärste" spanische Dramatiker des 19. Jahrhunderts gilt, Werke der Hochkultur? Wie auch immer man diese Fragen beantwortet: Der Beitrag der Literatur zur Formation eines nationalkulturellen Selbst- und Fremdbildes läßt sich gar nicht überschätzen. Damit dürfte zugleich die Relevanz der vorliegenden Untersuchungsthematik umrissen sein: Durch die kritische Analyse der hier ausgewählten Literatur können mit den Worten Dyserincks (1988: 28) „nicht nur die allenthalben in Literatur und Literaturkritik verbreiteten Vorstellungen von ,Nationalcharakteren' und dergleichen ins Wanken gebracht" und die europäischen „Nationalkonzepte selbst grundsätzlich in Frage" gestellt werden. Die hier präsentierte Untersuchung beleuchtet zugleich den Umgang spanischer Autoren mit einem Kapitel ihrer Vergangenheit (und Gegenwart), das weit über die spanischen Grenzen hinaus von Bedeutung war und ist.

Die am Anfang gestellte Frage, wie ein Land und seine Intellektuellen mit einem einzigartigen Geschichtskapitel umgehen - sie ist auch und gerade mit Blick auf Deutschland von Belang. Nicht allein deshalb, weil die „Aufarbeitung der Vergangenheit", wie Adorno und Horkheimer sie sich wünschten, kaum als abgeschlossen gelten kann. Auch nicht allein deshalb, weil „die deutsch-jüdische Symbiose" (Seligmann 2000: 9) bereits vor Auschwitz „im großen Maßstab gescheitert" war - trotz allen Lobs der „großen kulturellen Leistungen" der deutschen Juden im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Und auch nicht allein deshalb, weil das jüdische Alltagsleben im neu- oder wiedervereinigten Deutschland noch immer oder wieder so (Heid/Schoeps 1994: 22) aussieht: „Synagogen, Gemeindehäuser und Kindergärten gleichen Hochsicherheitstrakten der Zuchthäuser in der Zeit der Terroristenprozesse. Kameras, Personenschleusen und gründliche Sicherheitschecks gehören zur Routine. Die Anomalität ist Normalität." Die eingangs gestellte Frage ist nicht zuletzt deshalb hierzulande von Belang, weil

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die sephardische Kultur, weil die in mehrfacher Hinsicht lehrreiche Geschichte der spanischen Juden auch die Identität der deutschen Juden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts tiefgreifend geprägt hat. Die gebildeten Juden in Deutschland, schreibt Ismar Schorsch (1989: 66) ohne Übertreibung, „verehrten die Sepharden wie Wilhelm von Humboldt die Griechen". Ihr Hauptmotiv, es ähnelt, wenn auch nur vordergründig, den nationalstaatlichen Bedürfnissen nach einer brauchbaren Vergangenheit, hing mit den Erfordernissen der Emanzipation zusammen: Die Orientierung der aschkenasischen Juden am sephardischen ,Erbe', die sich auf nahezu sämtliche Bereiche ihrer Kultur bezog, erlaubte es ihnen, so Schorsch (ebd.: 47), „ihre Identität auf eine jüdische Weise neu zu definieren". Das sephardische Vorbild, die kulturellen Spitzenleistungen der spanischen Juden, nicht zuletzt die enge Symbiose von Glauben und Vernunft, wie sie etwa im philosophischen Werk von Maimonides angelegt ist - dieses Vorbild bot ihnen in der Tat eine „suitable past". Zur erfolgreichen Bewältigung dieser Umwegakkulturation brauchten sie nicht nur auf historische Quellen zurückgreifen: Die Existenz einflußreicher Sephardengemeinden, vor allem in Hamburg (Studemund-Halévy 1994), bot ihnen auch die Möglichkeit persönlicher Kontakte. Zu den deutschen Sepharden zählten so prominente Persönlichkeiten wie Henriette Herz (Heid/Schoeps 1994:92), deren Berliner Salon „zum Mittelpunkt des kulturellen Lebens in Berlin" wurde. Unter den regelmäßigen Gästen befanden sich Friedrich Schleiermacher, Friedrich von Schlegel, Alexander und Wilhelm von Humboldt... Einen besonders ausgeprägten Niederschlag fand die aschkenasische Orientierung am sephardischen Erbe auf den Seiten der Literatur und der Geschichtsschreibung: Die deutsch-jüdischen Autoren, schreibt Michael Brenner (1996: 17), betrachteten die „glorreiche jüdische Vergangenheit" Spaniens als ein „paradigmatisches Modell jüdischer Integration und Akkulturation". Ludwig Philippson, der Herausgeber der einflußreichen Allgemeinen Zeitung des Judentums, formulierte (ebd.) diesen Modellcharakter so: „Der Jude war nicht nur der [...] Bewohner des deutschen und slavischen Ghettos; er war auch der noble Andalusier, [...] er nahm aktiven Anteil an der Weltgeschichte." Es war im übrigen auch Ludwig Philippson, der sich aktiv in die spanische Debatte über die „Rückkehr der Juden" einmischte: Seine aufsehenerregende Petition an die spanische Regierung kommt deshalb auch auf den Seiten der vorliegenden Untersuchung zur Sprache. Obwohl sich die Motivpalette augenscheinlich nicht in der „glorreichen Vergangenheit", die sie ohne Zweifel war, erschöpfte - auch der Lehrcharakter der trikulturellen Convivencia und zugleich der ihres Endes trafen in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts auf großes Interesse - , war es

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doch wohl vor allem der kulturelle Zenit der spanischen Juden, der ihre deutschen Glaubensbrüder faszinierte. In Heinrich Heines früher Hommage an das „große Goldzeitalter" (Rehrmann 1999: 1) des spanischen Judentums kommt diese Faszination genauso zum Ausdruck wie in Lion Feuchtwangers spätem Roman Die Jüdin von Toledo (Rehrmann 1996) - Beispiele einer mehr als hundert Jahre dauernden deutschjüdischen ,Spanienverehrung', deren vielfacettige Geschichte noch zu schreiben bleibt. 7 Auch dabei geht es, wie eingangs angedeutet, nicht darum, die „Sammelwut" der „antiquarischen Historie" (Nietzsche 1981: 39) zu befriedigen. Das fachwissenschaftliche Interesse, hier vor allem der Hispanistik, hat es mit einem Thema zu tun, auf dem sich der historische „Staub der Quisquilien", der Nietzsche (ebd.) so störte, kaum abgesetzt hat. Die Vergangenheit, um die es hier geht, ist vielmehr höchst lebendig. Nicht allein in Spanien, wo - darauf komme ich am Schluß der Untersuchung zurück - die trikulturelle Vergangenheit des Landes noch immer zu heftigen Auseinandersetzungen führt. Auch und gerade in Israel ist die Bedeutung der sephardischen Kultur und Geschichte ein Thema, das die Gemüter erregt. Wenngleich die „sephardische Revolution", von der neuerdings in der Presse {El Pais, 4.1.2000) die Rede ist, nur zum Teil die Nachfahren der spanischen Juden umfaßt, wird auch über sie, wird über die Bedeutung der mittelalterlichen Convivencia leidenschaftlich debattiert. Eines der bekanntesten Bücher der letzten Jahre, das für eine Rückbesinnung auf die trikulturelle Epoche in Spanien plädiert, stammt aus der Feder von Ammiel Alcalay, einem nordamerikanischen Sepharden, der einen seiner Buchbeiträge mit dem programmatischen Titel (1999: 173) versah: „,Ay, de mi aljama': Palestinians and Israelis Meet, in Spain!" Für diesen Autor (seinen jüdischen Vornamen und seinen hispanoarabischen Nachnamen betrachtet er genauso als Programm) ist das mittelalterliche Land der drei Kulturen ein zentraler Bezugspunkt zur Lösung gegenwärtiger Probleme: „grow backward" (ebd.: 46) lautet deshalb sein Hauptpostulat. 8 In Spanien, dessen Umgang mit der trikulturellen Vergangenheit hier im Mittelpunkt steht, ist man diesem Postulat seit dem frühen 19. Jahrhundert, als 7

8

Der Autor der vorliegenden Untersuchung hat bereits damit begonnen, dieses zentrale Kapitel der jüdischen Identitätsbildung im Rahmen eines Forschungsprojektes zu bearbeiten. Auch in der internationalen Forschung zur Judenthematik erlebt das Interesse an „Sefarad" augenscheinlich eine neue Hausse: „Postmodern or Neo-Medieval Times?" lautet etwa die Überschrift eines Aufsatzes von Ivan G. Marcus (1992: 479), die sich unter anderem (ebd.: 480) auf das mittelalterliche Spanien bezieht.

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die Romantiker das trikulturelle „Zauberland" (Hinterhäuser 1979: 108) wieder entdeckten, sicher ein gutes Stück näher gekommen. Aus der nationalkatholischen „Zwangsjacke", von der Juan Goytisolo im Vorwort zur Alcalays Buch (1999: XXIII) spricht, ist das Land, sind seine Intellektuellen sicher längst hinausgewachsen. Daß sie hier und da noch immer drückt, sollte gerade aus deutscher Sicht nicht allzu sehr verwundern. Die Hauptetappen dieser Entwicklung, vor allem ihren Niederschlag auf den Seiten der Literatur, versucht die hier präsentierte Untersuchung nachzuzeichnen.

Es versteht sich wohl von selbst, daß der untersuchte Textkorpus, trotz des nicht eben geringen Seitenumfangs, den ich den Lesern dieses Buches zumute, keineswegs ,flächendeckend' ist. Zahlreiche Autoren/innen, auch einige prominente, blieben, vor allem aus Mangel an Zeit und Raum, außen vor. Deren teilweise voluminöses Œuvre bleibt zukünftigen Untersuchungen vorbehalten. Wie so oft bei .großformatigen' Forschungsprojekten ist man im übrigen gezwungen, seine anfanglich ins Auge gefaßte Forschungsperspektive thematisch auszuweiten. So mußte ich die ursprüngliche Absicht, mich nur auf den zeitlichen und personellen Umkreis der eigentlichen Wiederentdeckung der Sepharden zu konzentrieren - die sogenannte Sephardenkampagne des liberalen Senators Angel Pulido zu Beginn des 20. Jahrhunderts - , schnell fallen lassen. Denn hinter Pulido lag ein weites Feld der Literatur und Geschichtsschreibung, gewissermaßen das kulturelle Hinterland seiner Kampagne, das zum Verständnis dessen, was sich unter anderem mit seinem Namen verbindet, unabdingbar schien. Deshalb beginnt die Untersuchung bereits im frühen 19. Jahrhundert, als die .nationalen Gründungsväter' der Romantik ihr historisches Spanien erfanden, in dem auch und immer mehr Repräsentanten der beiden historischen Minderheiten auftauchten - Juden und Mauren. Damit war eine zweite Weichenstellung verbunden, die so nicht geplant war: Die enge Verbindung beider Aspekte, der Juden- und Maurenthematik, verlangte auch eine angemessene Berücksichtigung letzterer; angesichts der historischen Einheit der Thematik eigentlich nur logisch. Um so mehr erforderte die thematische Ausweitung eine Selektion der Autoren: Zur Sprache kommen hauptsächlich, aber nicht nur, prominente Namen der Literaturgeschichte (überwiegend nach gängigen ,Generationen' geordnet) oder solche, die im Rahmen der Sephardenkampagne einen prominenten Platz einnahmen - ergänzt durch eine Auswahl namhafter (Kultur-)Historiker und Zeitschriften, die gleichsam das historiographische und zeitgeschichtliche Unter-

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futter lieferten, von dem, in zahlreichen Fällen explizit belegbar, letzten Endes auch die Autoren der fiktionalen Genres profitierten oder doch zumindest profitieren konnten. Die Prominenz der meisten Autoren/innen, die hier zu Wort kommen, war im übrigen einer der Gründe, die mich zur Wahl des Darstellungsmodus motivierten. Einiges hätte dafür gesprochen, eine synoptische Struktur zu wählen: Gewisse Redundanzen, insbesondere bei der Analyse der thematischen Hauptkategorien, die, häufig relativ ähnlich, bei zahlreichen Autoren auftauchen, hätten auf diese Weise reduziert werden können. Dennoch habe ich mich für eine individuelle Werkanalyse entschieden - vor allem aus zwei Gründen: Erst der Blick auf die historischen und politischen Prämissen eines Autors ermöglicht eine differenzierte Bewertung der hier untersuchten Thematik. Die häufig grotesken Fehlinterpretationen, die in der bisherigen Sekundärliteratur ins Auge springen, haben unter anderem mit dem selektiven Blick vieler Forscher zu tun. Nicht selten entscheiden ein paar läppische Äußerungen darüber, ob jemand als Antioder Philosemit in die Annalen eingeht. Das sollte hier vermieden werden - auch deshalb, weil das Renommee der meisten Autoren besondere Sorgfalt verlangt. Mich hat jedenfalls überrascht, daß das ,Image' zahlreicher Schriftsteller, so wie ich es aus der Literaturgeschichte oder aus der partiellen Lektüre ihrer Werke kannte, nur schwer mit dem zusammenpaßt, was sie über Juden und Mauren dachten und schrieben. Im Rahmen einer individuellen Werkanalyse lassen sich solche Widersprüche ungleich besser konturieren als in einer Synopse. Die Absicht, ein kontextbezogenes Gesamtbild der einzelnen Autoren zu zeichnen, bedarf jedoch einer Einschränkung: Ich habe nicht alle - potentiell - themenrelevanten Texte untersucht, mich aber bemüht, zumindest eine repräsentative Auswahl

zu

treffen.

Angesichts

der

riesigen

Literaturmenge,

die

es

durchzuarbeiten galt, habe ich sicher auch den einen oder anderen Text übersehen - auf das jeweilige Gesamturteil dürften diese Lücken, so hoffe ich, jedoch keinen nennenswerten Einfluß haben. Sekundiert werden die Hauptkapitel der Analyse durch Verbindungskapitel, die, ebenfalls zeitlich gegliedert, das thematische Umfeld beleuchten, vor allem die politischen und kulturpolitischen Aktivitäten des Philosephardismus. Dabei liegt es auf der Hand, daß sich Vieles von dem, was dort beschrieben wird, nur mittelbar, wenn überhaupt, auf den Seiten der Literatur niederschlägt. Die chronologische Gliederung der Verbindungskapitel, die sich im übrigen mit den ,Generationen-Kapiteln' zeitlich nur sehr eingeschränkt deckt, will keinen Ursache-Wirkungs-Nexus suggerieren: Sie ist vor allem um Übersichtlichkeit be-

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müht. Während sich die Verbindungskapitel hauptsächlich auf die vorhandene Forschungsliteratur stützen, an etlichen Stellen angereichert durch eigenes Quellenstudium, betritt der Hauptteil der Untersuchung im wesentlichen thematisches Neuland: Außer vereinzelten Aufsätzen, sie werden an den entsprechenden Stellen zitiert, ist bislang keine Untersuchung erschienen, die thematisch einen größeren Zeitraum abdeckt, zumindest mit Blick auf Literatur und Geschichtsbeschreibung. Während sich die umfangreichen Studien von Julio Caro Baroja: Los judíos

en la España moderna y contemporánea

(1978), Caesar

Aronsfeld: The ghosts of 1492. Jewish Aspects of the Struggle for Freedom in Spain 1848-1976

Religious

(1979), Haim Avni: Spain, the Jews and Franco

(1982), Antonio Marquina/Gloria Inés Ospina: España y los judíos en el siglo XX: La acción exterior (1987), Isidro González: El retorno de los judíos (1991) und José Antonio Lisbona: Retorno a Sefarad. La política de España hacia sus judíos en el siglo XX (1993) mit unterschiedlichsten - besonders politischen Aspekten der Sepharden- bzw. Judenthematik im Spanien des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigen, 9 sind die Studien zur Literatur, auch zur Geschichtsschreibung, außerordentlich dünn gesät und beschränken sich, wie bereits Monika Veegh (1989: 11) konstatierte, jeweils nur auf Teilaspekte der hier untersuchten Epoche. Die gründliche und kritische Untersuchung von Monika Veegh: Der Jude im spanischen

Roman des 19. Jahrhunderts

(1989) ist denn

auch die einzige Gesamtuntersuchung zum allgemeinen Judenbild in der spanischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Die historische und zeitgenössische Sephardenthematik, die hier im Mittelpunkt steht, spielt in ihrer Untersuchung allerdings keine Rolle. Nur ein paar Schlaglichter auf die Thematik, trotz seines generalisierenden Titels, wirft darüber hinaus das Buch von Rafael Cansinos Assens: Los Judíos en la Literatura Española (1937). Noch dünner ist die bibliographische Decke bei Anita Benaim Lasry: El judío

como héroe de novela

(1980). Für die vorliegende Untersuchung wenig ergiebig, weil hauptsächlich auf neuere Autoren konzentriert, ist zudem die Studie von Arie Viscente: Lo judío en el teatro español contemporáneo

(1991). Vor diesem Hintergrund ist es sicher

nicht verwunderlich, daß die jüdisch-sephardische Thematik in der spanischen Literatur auch in den meisten Untersuchungen fehlt, die eine gesamteuropäische oder universale Perspektive besitzen. So glänzt Spanien, trotz seiner singulären

Demnächst ist darüber hinaus eine Untersuchung von Bernd Rother über Spanien und den Holocaust zu erwarten, die leider nicht mehr berücksichtigt werden konnte.

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Geschichte, etwa in dem Sammelband von Herbert H. Strauss und Christhard Hoffmann: Juden und Judentum in der Literatur (1985) durch Abwesenheit. Wesentlich besser, das sei jedoch nur am Rande vermerkt, ist der Forschungsstand mit Blick auf die andere religiös-kulturelle Minderheit, die hier, wenn auch eher marginal, zur Sprache kommt: Mauren und Morisken. Einer neueren Untersuchung von María Lluisa Candau Chacón: Los moriscos en el espejo del tiempo. Problemas históricos e historiográficos

(1997) ist zu ent-

nehmen, daß die Forschungsarbeiten auf diesem Terrain das Interesse an der Juden- und Sephardenthematik um ein Mehrfaches übersteigen. Das mag Zufall sein, könnte aber auch mit der zitierten Ansicht von Juan Gelman zusammenhängen, derzufolge die spanischen Intellektuellen stets eher bereit gewesen seien, den maurischen statt den jüdischen Einfluß auf ihre Kultur zu akzeptieren. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, daß spanischerseits keine Untersuchungen vorliegen, die einen wichtigen Nebenarm des spanisch-jüdischen Verhältnisses beleuchten: Die Rolle der lateinamerikanischen Sepharden bzw. der ,sephardisierten' Aschkenasen als ,Brückenkopf' der peninsularen Kulturpolitik in den Ländern Lateinamerikas. Hatte und hat Spanien kein Interesse an seinen ,kulturellen Botschaftern', als die sich etliche Sepharden (Hassán 1970: 176), vor allem in der starken Gemeinde Argentiniens, auch selber verstanden? Und nicht nur sie: Die offenkundig weitverzweigte ,Sephardisierung' aschkenasischer Intellektueller und ihre Verehrung des trikulturellen und zeitgenössischen (!) Spaniens, zu denen namhafte Vertreter der jüdischen Literatur Lateinamerikas gehören (Rehrmann 1999), auch das große und anhaltende Interesse nichtjüdischer Intellektueller Lateinamerikas an der mittelalterlichen Convivencia 10 - dieses thematische Terrain, dem im übrigen auch für die Identitätsproblematik der lateinamerikanischen Juden selber große Bedeutung zukommt (Senkman 1983), ist wissenschaftlich nahezu völlig unbestellt.

10

Dieses Interesse reicht von einigen intellektuellen ,Gründungsvätern' der lateinamerikanischen Nationen des 19. Jahrhunderts, etwa Faustino Sarmiento, über bekannte Autoren des frühen 20. Jahrhunderts, unter ihnen Arturo Capdevila und José Luis Borges, bis zu modernen Gegenwartsautoren, beispielsweise dem Argentinier Marcos Aguinis. Auch zu dieser Thematik bereite ich ein Forschungsprojekt vor. Zwei von mir organisierte internationale Tagungen (Kassel und Leipzig 2001), die sich unter anderem mit diesen Themenaspekten beschäftigten, haben mich darin bestärkt, zumindest einen Teil der großen Forschungsdesiderate zu schließen.

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Aus Zeit- und Platzgründen habe ich auch weitgehend darauf verzichtet, einen Aspekt der Lateinamerika-Dimension des Themas zu bearbeiten, der mich, wenn auch aus einer anderen Perspektive, seit Jahren beschäftigt: Das spanische Exil in Lateinamerika (Rehrmann 1996), dessen breitgefächerte Autorenpalette für eine Untersuchung des Juden- und Sephardenbildes geradezu prädestiniert ist - aus mehreren Gründen. Zum einen handelt es sich zumeist um namhafte Autoren, die dem anderen,

eher liberal-sozialistischen Spanien angehören: Un-

terscheidet sich ihre Sicht der historischen und zeitgenössischen Sephardenthematik, wie etwa Eduardo Subirats (1993: 154) behauptet, tatsächlich substantiell von den peninsularen Varianten? Zum anderen ist diese Frage deshalb von besonderem Interesse, weil offensichtlich zahlreiche Exilintellektuelle auch enge Kontakte zu jüdischen Intellektuellen in ihren Exilländern - etwa in Mexiko und Argentinien - unterhielten und - anders als in Spanien - erstmals persönlich

die

Möglichkeit hatten, jüdisches Leben kennenzulernen. Haben sich durch diese Kontakte, wie etwa die kulturpolitischen Strategen einer sephardisch orientierten Hispanidad-Politik

in Madrid befürchteten

(Marquina/Ospina 1987:286), die

kulturpolitischen Einflußmöglichkeiten der frankistischen Diplomatie verringert? Jedenfalls scheint genau das einer der Gründe gewesen zu sein, die den philosephardischen Enthusiasmus der

frankistischen

Kulturpolitik in Latein-

amerika zeitweise bremsten: Die ,unheilige Allianz' regimekritischer Spanier und, wie man meinte, linker Juden war einflußreichen Kreisen auf der Halbinsel überaus suspekt. Entsprechende Initiativen, den sephardischen ,Joker' in das ideologische Amalgam der Hispanidad

zu integrieren, hat es mit Blick auf

Lateinamerika jedoch immer wieder (ebd.: 298 f.) gegeben. Fast die gesamte ,Lateinamerika-Connection' bleibt hier, wie gesagt, jedoch ausgeblendet. Sie ist, neben einigen besonders prominenten ,Enkeln und Söhnen' der 98er-Generation, die am Ende der untersuchten Palette spanischer Autoren stehen, vor allem durch Claudio Sánchez Albornoz vertreten, der sich, aus seinem argentinischen Exil, in den vierziger und fünfziger Jahren mit Américo Castro einen vielbeachteten ,Historikerstreit' lieferte - gewissermaßen der Höhepunkt der untersuchten Thematik, der hier nicht fehlen sollte. Nicht fehlen, wenn auch nur als erster, bescheidener Beitrag, sollte auch die „Sicht der Anderen", das Spanienbild der Sepharden. Über kaum einen Themenaspekt ist soviel spekuliert worden: Was bedeutet „Spanien" in der kollektiven Erinnerung der Sepharden? Ist die sephardische ,Spanienliebe', vor allem von den spanischen Philosepharden immer wieder behauptet, so etwas wie ein historischer Ablaßzettel, der den Großinquisitor Torquemada durch den berühmten

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Philosophen Maimónides neutralisiert? Vieles deutet daraufhin, daß das historische Gedächtnis" der Sepharden vis-ä-vis dem mittelalterlichen Spanien vielmehr sehr komplex, auch widersprüchlich ist: „Die Loyalitäten der Spaniolen", wie Elias Canetti (1984: 11) schrieb, waren auch mit Blick auf die peninsulare Geschichte „einigermaßen kompliziert". Hier klafft indessen noch eine besonders große Forschungslücke. Die spanische Sephardenforscherin Paloma DíazMas (1993: 279) hat einige der wichtigsten aufgelistet: Das historische und zeitgenössische Spanienbild in der sephardischen Literatur und Publizistik, die sephardischen Reaktionen auf die Kampagne Angel Pulidos, Spanien und die Sepharden im Umkreis des Holocaust, das Verhältnis der Sepharden zum demokratischen Spanien ... Noch viele offene Fragen, vor allem mit Blick auf die hier untersuchte Thematik, säumen schließlich jenen Zeitraum, der hier mit „Ausblicke in die Gegenwart" überschrieben ist. Wir sind zwar durch die weiter oben zitierten Globalstudien zum 20. Jahrhundert ziemlich gut über die politische

Dimension der

Sephardenthematik während des Frankismus informiert, teilweise auch über die Zeit nach 1975; auf kulturellem, insbesondere auf literarischem und historiographischem Terrain klaffen indessen noch große Lücken. Etwa mit Blick auf das starke und nachhaltige Echo, das der über Jahrzehnte geführte Historikerstreit zwischen Américo Castro und Claudio Sánchez Albornoz auf der Halbinsel hatte (Dressendörfer 1989: 125 ff.), speziell unter den neueren Historikern des Landes, unter Einschluß der Schulbuchforschung (Valls 1998). Noch weniger wissen wir über das Sepharden- bzw. Judenbild in der neueren Literatur. Dabei existiert gerade in diesem Bereich, wie aus der von Uriel Macías Kapón veröffentlichten Guía española

de bibliografía

judaica

(1992) hervorgeht, ein

großer Textkorpus, in dem diese Thematik im Mittelpunkt steht; ganz zu schweigen von dem literarischen output, in dem Juden (und Mauren) eher en passant in Erscheinung treten, nicht zuletzt in der Flut historischer Romane, die in den vergangenen Jahren erschienen sind. Auch hier tut sich der Hispanistik noch ein weites Forschungsfeld auf. Es sollte, nicht zuletzt wegen der internationalen Dimension der Sephardenthematik, auch hierzulande

bearbeitet

Hier sei nur am Rande daran erinnert, daß das historische Gedächtnis der Juden seit jeher besonders ausgeprägt ist: Israel, schreibt Jan Assmann (1997: 30), „hat sich als Volk unter dem Imperativ ,Bewahre und Gedenke!' konstituiert und kontinuiert." In der Not des Babylonischen Exils hätten die Juden die Fundamente einer „kulturellen Mnemotechnik" gelegt (ebd.: 227), „die in der Menschheitsgeschichte beispiellos dasteht."

42

Über Antisemitismus

werden - die vorliegende Studie versteht sich als einer der ersten, bescheidenen Beiträge.

Sie verdankt ihre Entstehung der großzügigen Förderung durch die Volkswagenstiftung im Rahmen des Schwerpunktes „Das Fremde und das Eigene - Probleme und Möglichkeiten interkulturellen Verstehens." Allen Verantwortlichen der Stiftung, die die Untersuchung auch durch eine außerordentlich kompetente, stets hilfsbereite und erfreulich unbürokratische Arbeitsweise erleichterten, gilt mein besonderer Dank. In freundschaftlicher Dankbarkeit bin ich, und das nicht zum ersten Mal, auch Martin Franzbach verpflichtet, der, wenn auch eher formal, für das Projekt mitverantwortlich zeichnete - ein Vertrauensvorschuß, den das vorliegende Buch, für dessen Inhalt ich selbstverständlich allein verantwortlich bin, hoffentlich bestätigt. Namentlich danken möchte ich auch meinem Bremer Kollegen Rüdiger Schäfer, der das Projekt, zusammen mit Andreas Koechert, in der „Wissenschaftlichen Einheit Iberoamerika" plazierte und mir damit optimale Arbeitsbedingungen verschaffte. Zu den obligaten Dankadressen zählen nicht zuletzt etliche Kolleginnen und Kollegen aus dem Kreis der nationalen und internationalen Sephardenforschung, die mich durch Gutachten, bibliographische Hinweise und Anregungen unterstützt haben. Zu ihnen zählen unter anderem Paloma Diaz-Mas, Jaacov Ben-Chanan, Bernd Rother und Michael StudemundHalevy. Mein Dank gilt auch den Mitarbeiter/innen der Madrider National

Biblioteca

und der Kasseler Universitätsbibliothek, die mich mit dem nötigen

Input, unter anderem mit den häufig meterweise eintreffenden Fernleihbeständen anderer Bibliotheken versorgten. Mein persönlichster Dank gilt, auch das wie immer, meiner Frau Athena und meiner Tochter Stephanie - vor allem für die Geduld, die sie dem schreibtischversessenen genbrachten.

Ehemann und Vater entge-

II. Ein sagenhafter Ort der Begegnung: Juden, Mauren und Christen im Mittelalter1 Seit wann gibt es Juden auf der Iberischen Halbinsel? In der Geschichte von Christen und Juden besaß die Beantwortung dieser Frage stets einen prominenten Stellenwert: Schließlich ging es dabei vor allem darum (Tedeschi 1992: 13), ob die peninsularen Juden etwas mit dem Tode Christus' zu tun gehabt hatten oder nicht. Waren sie bereits, wie eine Legende erzählt (Kenig 1995: 43), nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem auf die Halbinsel gekommen, also 586 vor Christus, dann liefe die so häufig erhobene Christusmörder-Beschuldigung völlig ins Leere. Sicher ist indessen nur, wie aus Grabsteinen hervorgeht (Tietz 1997: 5), daß im ersten vorchristlichen Jahrhundert Juden in „Sepharad", dem äußersten Westen Europas, gelebt haben - und das durchaus gleichberechtigt mit ihren hispanoromanischen Nachbarn, etwa in Städten wie Tarragona, Tortosa und Merida. Assimiliert haben sie sich zwar nicht, sie unterhielten aber enge Kontakte zur restlichen Bevölkerung (Tedeschi 1992: 23) und vermischten sich auch häufig mit ihr: Von Segregation, gar von Ghettoisierung konnte damals noch keine Rede sein. Die Ausgrenzung begann erst im 4. Jahrhundert, wuchs mit dem politischen und religiösen Aufstieg der Christen in Rom und eskalierte zu einem „scharfen antisemitischen Eifer" (Tietz 1997: 6), nachdem die Westgoten, die politischen Erben Roms, zum Katholizismus übergetreten waren. Die erste Lex Romana Visigothorum von 506 schloß die Juden von öffentlichen Ämtern aus, verbot Mischehen, untersagte den Bau neuer Synagogen und entzog ihnen das Recht, christliche Sklaven für sich arbeiten zu lassen (Kenig 1995: 48) - eine breite Palette antisemitischer Maßnahmen, die darauf schließen läßt, daß die Juden ein durchaus integraler Bestandteil der Gesellschaft gewesen waren. Damit war es nun vorbei: Fortan galten sie als Bedrohung für die Einheit von Regnum und Ecclesia und wurden gnadenlos verfolgt, vor allem von den Kirchenvätern. Auf zahlreichen Konzilien erhielt Isodoros De fide catholica contra Judaeos die Weihen des Klerus, wurde zur religiösen und gesellschaftlichen Aus der folgenden Skizze des mittelalterlichen Spaniens, die sich im wesentlichen auf die neuere und neueste Forschungsliteratur stützt, darf natürlich nicht der Schluß gezogen werden, daß den hier untersuchten Autoren dieses Wissen bereits zur Verfugung gestanden hätte - allerdings auch kein historiographischer Freispruch: Die „egyptische Finsternis", die bereits der junge Heinrich Heine (Rehrmann 1999: 201) mit Blick auf die spanische Geschichtsschreibung über die trikulturelle Epoche beklagte, ist Teil des problematischen Umgangs mit diesem Geschichtskapitel. Jenseits der spanischen Grenzen war der historische Kenntnisstand stets erheblich höher.

Ein sagenhafter Ort der Begegnung

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Praxis. Die Jüdische Pest" sollte ausgerottet, die Anhänger dieses „Irrglaubens" zur Konversion gezwungen werden: „Im Jahre 694", so beschreibt Barbara Beuys (1996: 129) den Höhepunkt der westgotischen Repressionsspirale gegen die jüdischen Bewohner der Halbinsel, „hatte das 17. Konzil von Toledo für jeden Juden im Land, der seinem Glauben nicht abschwor, nur noch ein Los ,ewige Sklaverei'." Deshalb ist es verständlich, daß die Juden, aber nicht nur sie,2 die islamischen Invasionstruppen, die 711 die Meerenge von Gibraltar überquerten, als Befreier empfanden: Ihr Los war unerträglich geworden. Die Verratsthese, derzufolge es Juden gewesen seien, die den Invasoren Einlaß in die christlichen Städte gewährt hätten, gehört jedoch ins Reich der antisemitischen Legenden. Nicht nur deshalb, weil sich die Tore der Städte, wie Kenig (1995: 52) ironisch bemerkt, nicht so einfach öffnen ließen und ihre jüdischen Bewohner vermutlich nicht sehr zahlreich gewesen sein dürften. Sondern vor allem deshalb, weil das Westgotenreich, so Watt (1986: 17 f.), politisch am Ende war. Seiner Ansicht nach wirkten vor allem drei Faktoren zusammen: Die Brüche und Rivalitäten innerhalb der herrschenden Klassen; der politische und soziale Sprengstoff, der sich in den ausgebeuteten Schichten des Reiches angesammelt und selbst das Heer erreicht hatte; schließlich die brutale Verfolgung der Juden. Dennoch waren es die Juden, die von späteren Historikergenerationen als Verräter abgestempelt wurden - eine legendäre Interpretation der Geschichte, die genauso fiktiv anmutet wie die berühmt-berüchtigte Legende, die in der Maureninvasion die strafende Hand Gottes am Werke sah: Die Tochter des Grafen Don Julian, so die „bis in die jüngste Zeit als Realität verstandene Legende" (Hottinger 1995: 45), sei am Hofe von Toledo geschändet worden; um sich zu rächen, habe ihr Vater die Araber auf die Halbinsel gerufen ... Die islamische Eroberung glich einem Blitzsieg. In nur wenigen Jahren hatten die aus Afrika kommenden Truppen den größten Teil der Halbinsel unter ihre Kontrolle gebracht. Die Grenze, ein breites Niemandsland, das eine Linie von Coimbra über Toledo und Guadalajara bildete, sollte sich jahrhundertelang als ziemlich stabil erweisen - von gelegentlichen Einfällen der christlichen Truppen aus dem Norden abgesehen. In gewisser Weise war die Eroberung der Halbinsel „total". Denn auch die nördlichen Gebiete, das spätere Königreich León, erkannten die Souveränität der Maurenherrscher förmlich an. Unter ande-

2

Auch „große Teile der christlichen Bevölkerung" (Netanyahu 1999: 342), geführt von weltlichen und kirchlichen Würdenträgern, unterstützten die islamischen Invasoren.

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Ein sagenhafter Ort der Begegnung

rem deshalb, so Watt (ebd.: 186 f.), stehe auch die Kontinuitätsthese auf wackligen Füßen: Zwischen den katholischen Westgoten des Nordens und dem Spanien der Katholischen Könige habe es kaum Verbindungen gegeben. Noch gewagter sei die These, daß im nördlichen Asturien von Anfang an ein christlichnationaler Reconquista-Impetus tonangebend gewesen sei: Bis zum 11. Jahrhundert habe es bewußte Ambitionen dieser Art nicht gegeben. De facto blieb die Eroberung jedoch unvollständig - kein Maure habe sich in dem rauhen Klima des Nordens niederlassen wollen: „Man hat gesagt", schreibt Watt (ebd.: 50), „daß sich die Araber nur dort wohl fühlen, wo die Olivenbäume blühen." Erst Mitte des 9. Jahrhunderts gelang es dem Königreich von Asturien, bis zum Duero vorzustoßen und León zur Hauptstadt auszurufen. Bedurfte es noch eines weiteren Beweises, daß die Verratsthese, die Existenz einer Fünften Kolonne von Juden, auf tönernen Füßen stand? Die schnelle Eroberung, die unter der westgotischen Bevölkerung kaum auf Widerstand traf, kann als solcher angesehen werden. Die Invasoren, die zunächst nur 7 000 Soldaten zählten, bestanden aus Berbern und Arabern. Ihr Führer Táriq, selber Berber, erhielt wenige Jahre später Unterstützung durch eine rein arabische Truppe von rund

10 000 Mann

(Lombardt 1992: 90), von denen keiner nach Afrika zurückkehrte. Während die Araber, deutlich in der Minderheit, die Städte bevölkerten und ihre baldige Blüte bewirkten, ließen sich die berberischen Truppen, ehemalige Bergbewohner Nordafrikas, vor allem in den Gebirgsgegenden nieder, im 8. Jahrhundert gefolgt von bedeutenden Kontingenten berberischer Immigranten, die vom Reichtum des eroberten Landes angezogen wurden. Daneben gab es auch Ägypter und Syrer (Tietz 1997: 7) „und wer sonst immer zum Dar al-isläm gehörte". Da die Berber die Mehrheit der neuen Bevölkerung bildeten, ist es korrekter (Watt 1986: 15), von einer muslimischen statt von einer arabischen Expansion zu sprechen. Die ethnische Heterogenität von Invasoren und Einwanderern, die zu Spannungen und gewalttätigen Konflikten fuhren sollte - etwa zur Berber-Revolte von 741 - , war jedoch nur die eine Seite des multikulturellen Emirats. Da die neuen Herrscher eine überlegene Kultur repräsentierten - auf die „Toleranz"Thematik gehe ich weiter unten ein - , hatten sie Proselytenmacherei nicht nötig: Ein „großer Teil" (ebd.: 39) der mehr oder weniger christianisierten Westgotenbevölkerung konvertierte zum Islam. Die sogenannten „muladies" (arabisch: muwalla-dun,

etwa „geborene Moslems"), die von spanischen Autoren zumeist

als „Renegaten" abgekanzelt wurden, hatten darüber hinaus christliche Nachbarn, die ihre Religion bewahrten und als „mozárabes" (arabisch: mustá

ribun

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etwa „Arabisierte") die religiös-kulturelle Vielfalt weiter bereicherten. Trotz ihres Christentums, daran besteht kein Zweifel, waren auch sie transkulturalisiert - wenn nicht akkulturalisiert. Das gilt ebenfalls für die wachsende Zahl von Sklaven aus Nord- und Mitteleuropa (Tietz 1997: 7), die dem Ethnien- und Kulturenamalgam auch eine gesamteuropäische Note gaben. Schließlich bildeten die Juden kräftige Farbtupfer in diesem ethnischen Kaleidoskop, wenn auch nur, numerisch gesehen, als winzige Minderheit: Rund 1 % der gesamten Bevölkerung (Beuys 1996: 149), die sich damals auf geschätzte viereinhalb Millionen Menschen belief, war jüdischen Glaubens und blieb es in ihrer übergroßen Mehrheit auch. Die moslemischen Invasoren übertrugen den Juden wichtige administrative und sicherheitspolitische Aufgaben in den neu eroberten Städten (Baer 1961:1/23) - schließlich gehörten sie zur alteingesessenen Bevölkerung und kannten sich gut aus in Sefarad. Für spätere Generationen christlicher Autoren, ab dem 12. Jahrhundert, war das jedoch ein weiterer Beweis (Netanyahu 1999: 50), daß die Juden mit den Invasoren kollaboriert hätten. Ihr beispielloser Aufstieg in Al-Andalus, 3 der sie als Mittler zwischen Mauren und Christen geradezu prädestinierte, zog zahlreiche Glaubensbrüder aus anderen Ländern an (Kenig 1995: 54 f.) und machte sie auch in religiösen Angelegenheiten ,autark'. Waren sie in den dunklen Jahrhunderten der westgotischen Repression von der Interpretationshoheit der babylonischen Akademien abhängig gewesen, erreichten sie unter der Herrschaft des Halbmondes ihre rabbinische Autonomie und avancierten gar ihrerseits zu gefragten Interpreten von Tora und Talmud. Der Kontrast zu der Knechtschaft vor 711 konnte größer kaum sein: Trotz aller Einschränkungen, denen die Juden im Kalifat von Córdoba, das sich als solches 929 vom islamischen Osten trennte, auch in Zukunft unterworfen waren, mußten sie die maurische Herrschaft als wahres „Gottesgeschenk" (Beuys 1996: 132) empfinden. Doch war es das wirklich? War Al-Andalus, das maurische Herrschaftsgebiet, tatsächlich jene „erstaunliche Welt der Toleranz" (López-Baralt 1989: 34), in der „die menschlichen und kulturellen Kontakte normal und dauerhaft waren" - trotz Unruhen und sporadischer Verfolgungen? War Sefarad, was die Juden betraf, wirklich „das sicherste Land" (Johnson 1987:217) Westeuropas? Diese Frage ist in der Literatur heftig umstritten. Einigkeit besteht eigentlich nur in einem Punkt, nämlich darin, daß die Iberische Halbinsel der einzige Ort in

3

Dieses Wort, so Hottinger (1995: 27), geht vermutlich auf den Namen der Vandalen zurück, die im Arabischen „al-Andalish" genannt wurden.

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Europa war (Tedeschi 1992: 9), wo sich „die drei großen Religionen, die jüdische, islamische und christliche", über Jahrhunderte hinweg begegnet sind - eine Begegnung („encuentro y desencuentro"), die eine „enorme Bedeutung" hatte, weit über die Grenzen des Kalifats hinaus. Auch die augenscheinliche Tatsache, daß es während der ersten drei Jahrhunderte der Omayyadenherrschaft kaum Verfolgungen und keine Zwangsbekehrungen gab, wird von den meisten Autoren (Lombardt 1992: 21) nicht bestritten: Die Sieger regelten ihr Verhältnis zu den Besiegten in aller Regel ziemlich pragmatisch. Die einzige Forderung, die sie stellten, war fiskalischer Art: „Ein Kapitulationsvertrag, der mit den religiösen Autoritäten ausgehandelt wurde, garantierte in aller Form die Freiheit des Kultus und den Weiterbestand der Wirtschaft, im Austausch gegen die Erhebung der Steuern durch die Notabein der verschiedenen religiösen Gemeinschaften." Was die Motive dieses Pragmatismus betrifft, gehen die Interpretationen jedoch weit auseinander. Nach Ansicht von Baer (1961: 1/38) konnte die jüdische Kultur in Al-Andalus nur deshalb gedeihen, weil die islamischen Herrscher in religiösen und moralischen Fragen „nachlässig und lasch" gewesen seien - nicht aus „Toleranz" oder Respekt vor „individueller Freiheit". Noch weitaus entschiedener verwirft Pérez (1993: 136) die These einer multireligiösen Toleranz. Wenn die Mauren, später auch die Christen, den Eindruck erweckt hätten, tolerant zu sein, dann nur deshalb, weil ihnen nichts anderes übrig geblieben sei. Tolerieren bedeute, das zuzulassen, was man nicht verbieten könne. Die islamischen Eroberer hätten Juden und Christen lediglich deshalb geduldet, weil sie sie nicht hätten konvertieren oder eliminieren können: Sie seien ökonomisch notwendig gewesen. Im übrigen (ebd.: 18) sei es unzutreffend, von einem „Land der drei Kulturen" zu sprechen. Denn im mittelalterlichen Spanien habe es, streng genommen, nur zwei Kulturen gegeben: Zuerst die maurische, der sich die Christen und Juden angepaßt hätten, später die christliche, in die sich dann vor allem die Juden integriert hätten. Maimónides, der bekannteste Repräsentant der jüdischen Kultur von Al-Andalus, sei insofern ein Vertreter der arabischen Kultur gewesen. Dagegen ist Watt (1986: 13) der Überzeugung, daß die Mauren nicht allein aus pragmatischen Überlegungen tolerant gewesen seien, sondern auch aus religiösen Motiven: Als „Völker des Buches" hätten Juden und Christen Respekt verdient. Ähnlich argumentierten Netanyahu (1999: 5) und Kamen (1999: 11): Ersterer konstatiert eine „wohlwollende Haltung" der neuen Herrscher gegenüber der jüdischen Minderheit, die sich unter anderem aus der Tatsache ergebe, daß sich die Juden, zumindest während der ersten zweihundert Jahre, kaum über die Behandlung der Mauren beklagt hätten; letzterer spricht sogar von einem

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Ein sagenhafter Ort der Begegnung

„außerordentlichen Grad an gegenseitigem Respekt". Daß die maurische Toleranz nicht allein, wenn auch wohl in erheblichem Maße, politischer und ökonomischer Opportunität geschuldet war -

dafür spricht, was die spätere

Geschichte betrifft, unter anderem das folgende Indiz: Erst als die christlichen Reconquista-Heere die Maurenherrschaft ernstlich bedrohten, zeigte der Islam, so Leggewie (1993: 111), „seine grausame Seite". Die Verfolgung religiöser Minderheiten sei also „mehr eine Reaktion" auf den Vormarsch der Christen gewesen als ein Element der religiösen Doktrin. Ein Teil der kontroversen Interpretationen dürfte terminologische Ursachen haben. So kann als selbstverständlich gelten, daß der mittelalterliche ToleranzBegriff nicht im heutigen Sinne zu verstehen ist. Unsere Vorstellung von Toleranz, schreibt Hottinger (1995: 487) zu Recht, geht auf die Aufklärung zurück, gründet sich, etwa in Lessings Ringparabel, auf die Überzeugung, daß die Religionen, trotz aller dogmatischen Unterschiede, verwandte Überzeugungen artikulieren, die sich nicht grundsätzlich widersprechen, schon gar nicht im Sinne exklusiver Wahrheiten. Diese Art der Toleranz gab es unter dem Zepter des Kalifen nicht, von intellektuellen Minderheiten, professionellen Skeptikern, vielleicht abgesehen. Ansonsten fand die religiöse Osmose wohl kaum statt, jedenfalls nicht als intendiertes Ziel. Die drei Religionen blieben auf Distanz, beäugten sich mißtrauisch und gaben „ihre jeweiligen Wahrheitsmonopole" (Tedeschi 1992: 109) nicht auf: „Keine Toleranz auf religiösem Terrain", so Tedeschi (ebd.: 113), „wenn es eine Assimilation gab, dann beschränkte sie sich [...] auf rein kulturelle Aspekte." Das meint auch Pérez (1993: 36), der vorschlägt, nicht von Toleranz, sondern nur von „Kohabitation" zu sprechen. Und die habe den engen Zirkel einer „bloß literarischen Zerstreuung" nie überschritten, habe das „soziale Leben" nie erreicht. Die Reduzierung der Convivencia auf eine bloß

intellektuell-kulturelle

Sphäre, auf eine Art trireligiöser Elitekultur, mutet indessen reichlich übertrieben an. Eine solche Reduzierung verkennt, daß sich in dem

mittelalterlichen

„Schmelztiegel" (Vilar 1985:23) nicht nur Dichter und Philosophen vermischten, und das häufig „bis zu einem Punkt", wie selbst Tedeschi (1992: 30) schreibt, „daß es schwer ist, die jeweiligen Ursprünge auseinanderzuhalten." Angesichts des „bunten Völkergemischs" (Heymann 1988: 25) war es vielmehr unvermeidlich, daß die Koexistenz verschiedener Religionen und Kulturen auch das Alltagsleben erreichte. Laut Watt (1986: 132) manifestierte sich dieser „mestizaje auf der Ebene des Volkes" etwa in Form von Festen, die trotz unterschiedlicher Kalender nicht selten gemeinsam organisiert wurden. Was für die

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Ein sagenhafter Ort der Begegnung

unteren Schichten des Volkes galt, war auch in der Aristokratie kein Sakrileg (ebd.: 45): Maurische Adelsfamilien hatten christliche Verwandte, und christliche Aristokraten heirateten maurische Edeldamen. Leggewie (1993: 106) bezeichnet darüber hinaus die Konversionen zwischen den drei Religionen als einen besonders wichtigen Indikator für deren Durchlässigkeit - in alle drei Richtungen: „Sie waren möglich und an der Tagesordnung, besonders von jüdischer und christlicher Seite in Richtung Islam." Obwohl der Koran den Übertritt als Renegatenakt betrachte, der im Extremfall mit dem Tode zu bestrafen sei, habe es auch solche Konversionen, den Übertritt von Mauren zum jüdischen oder christlichen Glauben, „offenbar dauernd" gegeben. Die islamischen Renegaten dürften jedoch deutlich in der Minderheit gewesen sein. Was gab es aus maurischer Sicht schon für Gründe, von tief religiösen Überzeugungen abgesehen, Jude oder Christ zu werden? Dagegen lagen die Konversionsmotive bei Juden und Christen auf der Hand: Sie sparten hohe Steuern und waren nicht länger legalen Beschränkungen unterworfen. Das Hauptmotiv, zumindest der Christen, schreibt Leggewie (ebd.: 107) zu Recht, entsprang indes der Bewunderung für die islamische Kultur, die den arianisch-christlichen Traditionen haushoch überlegen war. Weit davon entfernt, die Convivencia als „Idylle" (ebd.: 104) zu verklären, schlägt dieser Autor (ebd.: 101) deshalb vor, das trikulturelle Zusammenleben in Al-Andalus als einen ,,wechselhafte[n] Prozeß von kultureller Fusion, Konversion und Konflikt" zu begreifen, als komplexen Akkulturationsvorgang, der sich nicht auf „ein bloßes Nebeneinander" beschränkte. 4 In gewisser Weise läßt sich auch der schließliche Zusammenbruch von AlAndalus, sein Zerfall in Dutzende kleine

to/a-Reiche,

noch als Indiz für die

Existenz einer jahrhundertelangen Toleranz verstehen. Denn von den innerislamischen Dekadenzfaktoren abgesehen, war der religiöse Fanatismus, der in den folgenden Jahrhunderten auch die Mauren erfaßte, hauptsächlich eine christliche ,Erfindung'. Erstens durch den Druck, den die Reconquista auf die maurischen Herrschaftsgebiete ausübte und der nach innen weitergegeben wurde. Der Fundamentalismus der nordafrikanischen Dynastien, die man um Hilfe rief, tat dann ein Übriges, war aber, wie weiter oben angedeutet wurde, in erster Linie eine Reaktion auf den christlichen Fundamentalismus. Zweitens, und dieser Aspekt ist noch aufschlußreicher, war der Gedanke eines gerechten Krieges gegen den Islam, so Leggewie (ebd.: 111), „am stärksten in den nörd4

Carlos Carrete (1992: 83) weist übrigens zu Recht darauf hin, daß die Convivencia zwischen Juden und Mauren, später auch in den christlich dominierten Landesteilen, nur relativ wenig untersucht worden ist.

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liehen Gebieten ausgeprägt, in denen die kulturelle Fusion die geringsten Spuren hinterlassen hatte". Das heißt im Umkehrschluß: Dort, wo die Convivencia mehr oder weniger Alltag war, auf maurisch dominiertem Terrain oder in den stark flottierenden

Grenzgebieten, fand die , Kreuzzugs'-Propaganda ein deutlich

geringeres Echo. Und dieser Befund verweist - drittens - auf einen Faktor, der die Fanatismusspirale, der die Convivencia schließlich zum Opfer fiel, erst richtig in Bewegung setzte: Die europäische Kreuzzugspropaganda. Die ideologische und militärische Mobilmachung gegen den Islam wurde schließlich auch nach Spanien importiert (Leggewie ebd.: 110), vor allem Uber den Jacobsweg und durch die Mönche von Cluny, die persönlich wahrscheinlich nie einen Mauren zu Gesicht bekommen hatten. Als besonders wirkungsmächtig erwies sich der Santiago-Kult: Als die Mauren 997 unter Führung von Almanzor in Santiago de Compostela einzogen, plünderten und zerstörten sie zwar die Kirche, ließen aber das Heiligengrab unberührt. Was auch immer die Gründe dafür gewesen sein mochten: Für die christlichen Legendenschreiber galt es als ausgemacht, daß Santiago, ein angeblicher Zwillingsbruder von Jesus (Watt 1986:45), die Mauren wieder vertrieben habe - der „Santiago-Mythos" war geboren. Die Christen kämpften mit göttlichem Beistand, flankiert von einem ununterbrochenen Pilgerstrom, der von Frankreich aus die Pyrenäen überquerte. Daß auch der Reconquista-Begriff ursprünglich aus Frankreich stammt (Leggewie 1993: 109), kann als weiteres Indiz dafür gewertet werden, daß die Convivencia nicht in erster Linie an ihren inneren Widersprüchen zerbrach. Ihr erstes Kapitel, in dem die Mauren den Ton angaben, war jedoch mit dem siegreichen Vormarsch der christlichen Heere beendet, zumindest politisch. Kulturell erlebte das zerfallene Kalifat sogar einen erneuten Zenit. Wurde die Frage der Toleranz stets kontrovers diskutiert, herrscht mit Blick auf die kulturelle Blüte von Al-Andalus überwiegend Einigkeit, sogar unter Einschluß namhafter spanischer Autoren: Der kulturelle Zenit, den die Mauren im äußersten Westen Europas bewirkten, blieb diesseits der Pyrenäen ohne Beispiel. Während die islamischen Herrscher von Bagdad griechische und persische Philosophie studierten und sie übersetzen ließen, war ihr westlicher Zeitgenosse Karl der Große (Carlos Magno) gerade dabei

(Lópéz-Baralt

1989: 19 ff.), die Buchstaben seines Namens zu lernen ... Für das maurische Herrschaftsgebiet von Al-Andalus fallen die Vergleiche nicht ungünstiger aus: Córdoba, die Hauptstadt des Emirats und späteren Kalifats, verfugte über asphaltierte und beleuchtete Straßen, während es siebenhundert Jahre später in London noch keine öffentlichen Straßenlaternen gab und - noch später - die

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Pariser Bevölkerung nach Regenfällen bis zu den Knöcheln im Schlamm versank. Und während unter den Gelehrten von Oxford Bäder als pagane Tradition verschrien waren, genossen die Cordobeser Philosophen und Dichter die Vorzüge einer öffentlichen Badekultur. Die Vergleiche ließen sich fortsetzen keiner fiele für die okzidentale Kultur sonderlich günstig aus. Dabei war auch die Kultur - Philosophie, Dichtung, Architektur, Musik etc. stets „eine Welt der Synthese" (Lombardt 1992: 108). Dafür zeugt besonders die Kunst, die persische, mesopotamische, byzantinische und sogar westgotische Ursprünge in sich vereinigt hat. Zwar sind auch die hellenistische und römische Kultur eine solche Welt der Synthese gewesen - ihr islamisches Pendant, vor allem in Al-Andalus, übertrifft sie allerdings in einer Hinsicht: durch ihre Dimensionen. Das „größte Phänomen" ist für Lombardt (ebd.: 149) dabei die Entfaltung und Blüte Córdobas, der alten Hauptstadt des römischen Baetica Corduba - , die zu Beginn der Maurenherrschaft nicht viel geboten habe. Die rasante Entwicklung der Stadt mutet tatsächlich märchenhaft an: Im 10. Jahrhundert soll Córdoba ungefähr 300 000 Einwohner (ebd.: 150 ff.) gezählt haben, Groß-Cördoba sogar eine halbe Million. Vergleiche mit europäischen Städten diesseits der Pyrenäen ergäben ein lamentables Bild. Paris, bei weitem die damals größte Stadt des Abendlandes, erreichte erst im 14. Jahrhundert 20 00030 000 Einwohner. Die neue Kulturmetropole Andalusiens, die allen „Luxus dieser Welt im Angebot" hatte (Beuys 1996: 134), galt als „Bagdad des Westens" und machte diesem Namen alle Ehre. Die Moschee der Stadt, die noch heute Touristenströme aus aller Welt fasziniert, konnte nach zahlreichen Erweiterungen bis zu 50 000 Menschen (Kenig 1995: 53) in ihren Mauern fassen. Die Omayyadenherrscher, die sich Anfang des 10. Jahrhunderts außerhalb Córdobas, nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, sogar eine Art Verwaltungszentrum errichteten - Medina Azara, von dessen Pracht heute nur noch ein paar Ruinen zeugen - , umgaben sich mit berühmten Gelehrten, Dichtern und Wissenschaftlern aus dem ganzen Orient, zu denen auch Juden gehörten. Der bekannteste jüdische „Stern" (Beuys 1976: 134 f.) am Hofe des Kalifen hieß Chasdai Ibn Schaprut, war zunächst der Leibarzt des Omayyadenherrschers, später ernannte ihn Abd ar-Rahman III. auch zum Oberaufseher für Zoll und Außenhandel, zum Verhandlungsführer für ausländische Gesandtschaften und verlieh ihm den Titel „Nasi" (Fürst). Als gelehriger Schüler der muslimischen Kultur war er von einem maurischen Edelmann kaum zu unterscheiden. Wie die maurischen Herrscher, deren Vertrauen er genoß, umgab sich auch Ibn Schaprut mit einem ganzen Troß (Kenig 1995: 87) jüdischer Dichter, Philosophen und

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Wissenschaftler und machte Córdoba auf diese Weise zum „ersten intellektuellen Zentrum des Goldenen Zeitalters des andalusischen Judentums". Der „phantastische Urbane Aufschwung" (Lombardt 1992: 92) war nicht auf Córdoba beschränkt. Das kulturelle Leben in Granada war kaum weniger beeindruckend. Der intellektuelle Output (Tedeschi 1992: 62), den Grammatikspezialisten, Lexikographen, Korangelehrte, Dichter, Übersetzer, Mathematiker, Philosophen, Geographen und Botaniker in Gang setzten, läßt sich nur in Superlativen bilanzieren. Das gilt vor allem für die Architektur: „Granada", schreibt Leggewie (1993: 96), „war ohne Übertreibung eine der schönsten Städte der Welt, ein Zufluchtsort für die Moriscos (Araber, die aus dem christlichen Norden geflohen waren), eine Diaspora für die Christen und Residenz einer jüdischen Minderheit." Einer ihrer bekanntesten Exponenten war Samuel haNagid, Dichter und Staatsmann, der rund dreißig Jahre, bis 1013, die Innen- und Außenpolitik Granadas entscheidend mitbestimmte - ein „Dorn im Auge der orthodoxen Moslems" (Baer 1961:1/32 f.). Das architektonische Kronjuwel der Stadt ist bis heute die Alhambra, die möglicherweise (Beuys 1996: 222 f.) ursprünglich für Josef ibn Nagrela, den jüdischen Berater des Maurenkönigs, gebaut wurde. Eindeutige Beweise dafür fehlen zwar bis heute; es gibt allerdings Indizien, die eine solche Annahme plausibel machen. Etwa Gedichte von Salomon Ibn Gabirol, eines der „Dreigestirne" (Heine) der jüdischen Dichter und Philosophen von Al-Andalus und Mitglied des Freundeskreises des jüdischen Beraters des Maurenkönigs, in denen sich anzudeuten scheint, daß das prächtige Bauwerk für seinen jüdischen Freund und Königsberater bestimmt war. Der Verdacht liegt nahe, daß ihm und vielen seiner Glaubensbrüder das kostbare Geschenk des Maurenherrschers zum Verhängnis wurde. Der mächtige Königsberater und das Oberhaupt aller spanischen Juden wurde 1066 im Palast erschlagen. Anschließend fielen rund dreitausend Juden einem Pogrom zum Opfer, dem ersten im muslimischen Spanien - ein Indiz (Baer 1961: 1/31) dafür, daß das Schicksal der jüdischen Gemeinden eng an Aufstieg und Fall einzelner Persönlichkeiten geknüpft war. Die Gründe des Massakers (Neid, latente Spannungen zwischen den religiösen Gruppen, ein indirekter Anschlag auf den König, dem Spottgedichte Verrat am Islam vorgeworfen hatten) liegen im Dunkeln, es scheint indes das einzige seiner Art gewesen zu sein: „Die Schockwellen", so Barbara Beuys (1996: 223), „verebben schnell. Für die Juden im muslimischen Spanien geht das Leben weiter, und es ist weiterhin kein schlechtes." Längst hatte sich der intellektuelle Schwerpunkt des Judentums nach Spanien verlagert. Spätestens mit der Ankunft von Rabbi Mose ben Henoch aus Bari

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hatten die angesehenen Tora- und Talmudgelehrten ein unbestrittenes geistiges Oberhaupt. Er wurde vom Nasi zum obersten Rabbi von Córdoba und Leiter der Talmudakademien ernannt (ebd.: 138) - die Eigenständigkeit der peninsularen Juden war damit perfekt. Als Rabbi Mose ben Henoch um 970 starb, wurde sein Tod von allen spanischen Juden betrauert. Intellektuelle Exponenten wie er trugen dazu bei, daß Al-Andalus zu einem kulturellen Magneten für Europa wurde: Diejenigen, die sich in Naturwissenschaften, Medizin, Landwirtschaft, Philosophie und Dichtung auf den neuesten Stand bringen wollten, mußten nach Spanien fahren. Das Abendland ging in die Schule des Orients (Lombardt 1992: 95) - „mit Spanien als Vermittler". Das gilt in mehrfacher Hinsicht für die Literatur, in der sich sowohl die bereits betonte Überlegenheit der islamischen Kultur als auch eine komplexe Convivencia mit all ihren Licht- und Schattenseiten exemplarisch widerspiegelt. Sie ist zugleich ein wichtiges Indiz für den Einfluß, den Al-Andalus auf das christliche Spanien und ganz Europa hatte. Denn als die muslimischen Eroberer die Meerenge im Süden der Halbinsel überquerten, brachten sie eine exzellente Dichtung mit. Im Unterschied zu den Westgoten waren die arabischen Dichter keine ungeschickten Anfänger - sie besaßen bereits (Watt 1986: 79) „einen Schatz wohlklingender Oden". In der Lyrik (Tietz 1997: 13) entwickelten die Dichter von Al-Andalus zunächst die klassische Qasiden-Tradition (arabisch Qasida) zu einem „Diwan" fort: „Die nicht-strophisch gebildete Qaside mit nur einem Metrum und Reim kannte vor allem zwei Themenbereiche: eine höfische Panegyrik mit dem Lob des Herrschers und Mäzens sowie eine Liebeslyrik [...] mit einer Auffassung von der Liebe als einer veredelnden Kraft". Besonders hier, in der Liebeslyrik, manifestiert sich eine Vorstellung (und wohl auch Praxis!) von Erotik, die der leibfeindlichen Moral des Christentums (Rehrmann 1996) diametral entgegenstand. Hottinger (1995: 171 f.) hat einige Verse maurischer Liebesgedichte ins Deutsche übersetzt: „Mein lieber Freund, eile dich / komm, nimm mich, / küss mir den Mund, / drück mir die Brüste, / bring Armband zu Fußring! / Mein Ehemann hat anderes zu tun." Von dieser freimütigen Sinnlichkeit waren die jüdischen Traditionen, und das seit biblischen Zeiten (Westheimer/Mark 1995), nicht allzu weit entfernt. Deshalb ist es kein Wunder, daß jüdische Dichter von Al-Andalus erotische Gedichte schrieben, die ihrem maurischen Pendant sehr ähnlich waren: „Streichele einen schönen Frauenbusen in der Nacht", lautet eine Hommage (Scheindlin 1997: 62) an die körperliche Liebe aus der Feder eines jüdischen Dichters, „und küsse die Lippen einer schönen Frau im Morgenlicht [...] Das ist Lebensgenuß, nimm dir deinen Teil." Erotische Ge-

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dichte wurden in der Synagoge rezitiert, die alten Themen des Gesangs

der

Gesänge auf diese Weise aktualisiert und den neuen Verhältnissen angepaßt. Während die islamische Liebeslyrik von AI-Andalus jedoch meistens „außerhalb des religiösen Terrains" (ebd.: 66) entstand und rezipiert wurde, hatte die poetische Sinnenfreude jüdischer Dichter eine wesentlich stärkere soziale Funktion: Sie war Teil der kulturellen und religiösen Kohärenz der Gemeinschaft. Thematisch und ästhetisch überwogen indessen (ebd.: 65) die Analogien: „Die Juden kannten die erotische Poesie der Araber und komponierten eine hebräische Version erotischer Dichtung, die der arabischen glich." Von der Qasiden-Tradition abgesehen, entstanden in Al-Andalus auch zwei gänzlich neue Gedichtformen (Tietz 1997: 13), die im arabischen und hebräischen Sprachraum eine rasche Verbreitung fanden: das muwassah und das zagal. Im Unterschied zur Qaside besitzen diese Dichtungen eine strophische Gliederung und enthalten mehrere Reime im gleichen Gedicht. Das muwassah zeigt außerdem eine sprachliche Besonderheit: Während der Hauptteil in klassischem Arabisch geschrieben ist, „ist das Reimpaar der Schlußstrophe in einer Vulgärsprache verfaßt, sei es in gesprochenem Arabisch, sei es in dem gesprochenen .Spanisch' der Mozaraber. Diese abschließenden Verse werden als jarcha (,Gürtel') bezeichnet." Einer der interessantesten Aspekte der jarcha, über ihre ästhetische 5 und thematische Bedeutung hinaus, besteht in ihrer Interkulturalität: Denn vieles spricht dafür, daß es sich um eine volkstümliche Überlieferung der romanischen Bevölkerung von Al-Andalus handelt - somit um ein literarisches Indiz für die Convivencia. Das arabische Element diente dabei als Ferment und Basisstruktur (Watt 1986: 177) für bereits vorhandene ,Zutaten': „Die Fusion dieser ethnischen und kulturellen Elemente gab der Literatur von Al-Andalus ihre charakteristischen Züge und begünstigte ihre Dauerhaftigkeit." Und noch ein Aspekt verdient es, in diesem Zusammenhang hervorgehoben zu werden: Während die jarcha einen literarischen Akkulturationsprozeß in die eine Richtung illustriert, nämlich von spanischen' zu ,arabischen' Formen, hat es sehr wahrscheinlich auch Akkulturationsprozesse in die andere Richtung gegeben, nämlich von der maurischen Dichtung nach Europa. Gemeint ist vor allem die provenzalische Troubadourlyrik, die, träfe diese Annahme zu, nicht nur nicht die älteste volkssprachliche Lyrik Europas wäre, sondern sogar von den älteren Formen aus Al-Andalus beeinflußt wäre - eine „skandalöse" These, wie selbst Watt (1986: 135) sieht in dieser literarischen Fusion ein Unikat: Spanien sei das einzige muslimische Land gewesen, wo der Geist des einfachen Volkes eine Bresche in die Mauer des Klassizismus geschlagen habe.

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der spanische Literaturhistoriker Menéndez Pidal ironisch kommentierte. 6 Die vermeintliche Skandalträchtigkeit dieser These hat damit zu tun, daß es im 19. und noch im 20. Jahrhundert europäische Gelehrte gab (Hottinger 1995: 194), die einen „abendländischen Geist" postulierten, der sich angeblich vom „morgenländischen" radikal unterscheide. Kulturelle Brücken zwischen den beiden Kulturräumen, sei es in der Troubadourlyrik oder gar, so eine weitere Annahme, in literarischen Werken der Hochkultur, etwa in Dantes Divina Commedia, hielt man deshalb in diesen Kreisen für eine absurde Provokation. Dabei hatte bereits Herder die Vermutung geäußert, daß sich die höfische Dichtung Europas auch aus maurischen Quellen gespeist haben könnte - eine These, die in jüngster Zeit verstärkt an Plausibilität (Tietz 1997: 21) gewonnen hat. Zumindest indirekt waren auch die jüdischen Dichter von Al-Andalus an der literarischen Blüte, die ihren geographischen Ursprungsort so weit überschreiten sollte, stets beteiligt - nicht allein in der bereits erwähnten Liebeslyrik: „Die titanische Anstrengung der spanischen Juden" (López-Baralt 1989:27), die biblische Sprache der erlesenen Poesie der Araber anzupassen, habe die hispanohebräische Zeit zur brillantesten Epoche in der jüdischen Geschichte gemacht, „von den frühen Zeiten bis zur Gründung des modernen Staates Israel 1948". Begünstigt durch das soziale und kulturelle Klima des Kalifats, partizipierten die jüdischen Dichter und Gelehrten intensiv an der dominanten Kultur. Das Ergebnis (Salvatierra 1997: 139) bestand in einer „überraschenden Integration" sekulärer und religiöser Elemente, wie sie die jüdische Kultur bis dato nicht gekannt hatte. In Gestalt des jüdischen Hofdichters, einer zweifellos elitären, für das Judentum

von

Al-Andalus

damit nicht repräsentativen

Erscheinung,

begannen sich (ebd.: 143) drei grundlegende Charakteristika jüdischer Dichter herauszukristallisieren: Ihre Beziehung zum arabischen Hof, ihre Funktion in der eigenen Gemeinschaft und ihre Bedeutung als Intellektuelle beziehungsweise als Protegés von Intellektuellen. Es liegt auf der Hand, daß diese Dreiecksbeziehung der jüdischen Kulturelite zwar die künstlerische und intellektuelle Kreativität enorm beflügelte, aber gleichzeitig zu Spannungen und Loyalitätskonflikten führen mußte. Die freizügige Liebeslyrik, die vom Leben ihrer Autoren am Hofe des Cordobeser Kalifen vermutlich nicht allzu weit entfernt war, dürfte unter den einfacheren Besuchern der Synagogen nicht nur Beifall hervorgerufen haben. Nach Ansicht von Baer (1961: 1/37) befand sich die säkulare Kultur zwar weitgehend in Harmonie mit den religiösen Traditionen; die Kluft zwischen der

Vgl. das Kapitel über Menendez Pidal in der vorliegenden Untersuchung.

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verfeinerten Kultur der jüdischen „Aristokratie" und dem „naiven Glauben der Massen" sei jedoch groß gewesen und habe wahrscheinlich auch zu offenen Auseinandersetzungen (ebd.: 65) gefuhrt. Das gilt wohl auch für die panegyrischen Verse, mit denen jüdische

Dichter islamische Herrscher hofierten. Ein

Großteil der jüdischen Dichtung von Al-Andalus ist zwar verloren gegangen (Scheindlin 1997: 58), aus dem vorhandenen Korpus gehen die Spannungen, aber auch die Chancen, zwischen zwei Gruppen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen zu leben, jedenfalls deutlich hervor. Damit ist die Dichtung, hier die jüdische, auch eine Art Gradmesser des Convivencia-Klimas in Al-Andalus, wenn auch wohl nur für den oberen Teil der Gesellschaftspyramide. Die religiös und kulturell bedingten Spannungen und Ressentiments, die sich in den Werken jüdischer Dichter artikulieren, ist für einige Autoren (Tedeschi 1992: 24) ein untrügliches Indiz für die Annahme, daß die Koexistenz von Mauren und Juden nie auf voller Gleichheit, sondern nur auf einer mehr oder weniger fragilen „Toleranz" basierte. Die damit verbundene Warnung, das religiöse und politische Zusammenleben nicht zu idealisieren, gilt vor allem für die Zeit der maurischen Minireiche, die auf den Zerfall des Kalifats folgten: „Al-Andalus", schreibt Hottinger (1995: 136), „brach wie ein reifer Granatapfel a u f und zerfiel zu Beginn des 11. Jahrhunderts in rund dreißig Kleinkönigreiche, die im Spanischen als reinos de taifa in die Annalen eingegangen sind. Das ursprünglich von den Muslimen Andalusiens gebrauchte Wort „Täifa" bedeutet laut Hottinger (ebd.: 149) „Gruppierung", „Klüngel", „rassistische Gemeinschaft", „Sekte" und weise damit einen negativen Anstrich auf. Andere Autoren (Watt 1986: 126) bezeichneten die Taifareiche dagegen als „italienische Republiken mit Turban" und stellten damit das erneute Aufblühen der Kultur in den Vordergrund. In der Tat erlebten Kunst, Dichtung und Wissenschaft einen erneuten Zenit: Jeder

to/a-Herrscher

war bemüht, den Glanz des

alten Cordobeser Kalifats zu imitieren, wenn auch nur im Rahmen relativ begrenzter Möglichkeiten. Außerdem wurde das Ausmaß künstlerischer Originalität, das im Kalifat von Cördoba herangewachsen war, nicht wieder erreicht. Eine Totalrenaissance der alten Glanzepoche war auch deshalb nicht mehr möglich, weil sich das politische Klima auf der Halbinsel inzwischen verändert hatte zugunsten der Christen und jener wachsenden Zahl islamischer Theologen, die unter anderem dem militärischen Druck aus dem Norden mit religiöser Strenge im Inneren begegneten. Diese wenig toleranten Religionswächter waren es vor allem, die die Taifamonarchen bewegten (Kenig 1995: 57), die Almoraviden nach Spanien zu rufen - nordafrikanische Berbertruppen, die 1080 die Meerenge

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von Gibraltar überquerten. Ihre Präsenz war nicht nur eine Bedrohung für die christlichen ,Rückeroberer', die einige empfindliche Niederlagen einstecken mußten; bevor sie sich wieder nach Nordafrika zurückzogen, hatten sie auch das .liberale' Klima in den Taifareichen verändert: Im Unterschied zu ihren Glaubensbrüdern auf der Halbinsel waren sie nicht nur glaubensstrenger, sie verfügten auch nicht über die .zersetzenden' Convivencia-Erfahrungen von AlAndalus. Ihnen folgten im Jahre 1146 die Almohaden, vermutlich noch intransigentere Bewohner des Atlasgebirges, die bis zum Ende des Jahrhunderts blieben. Das Ausmaß ihrer religiösen Militanz ist jedoch umstritten. Nach Ansicht von Kenig (1995: 57) praktizierten sie ihren Glauben mit „extremer Strenge", gerieten in Konflikt mit den Taifaherrschern, denen sie Laschheit im Glauben und Kollaboration mit den christlichen Königreichen vorwarfen, und verfolgten die religiösen Minderheiten gnadenlos: „Sie zerstörten Synagogen und Kirchen, verfolgten die Juden, zwangen sie zur Konversion oder in die Verbannung, und die mozárabes zogen in den Norden." Eine drastische Zunahme der „religiösen Kontrolle" und damit das Ende „einer Convivencia[,] bis dato ohne Konflikte", konstatieren auch andere Autoren (Viguera Molins 1997: 45 ff.): Der jahrhundertelange Status der Juden von Al-Andalus als „protegidos" oder „tributarios" (dimmí) sei von den Almohaden de facto aufgekündigt worden. Demgegenüber stellt die jüngste Forschung (Hottinger 1995: 227) in Frage, daß es unter den Almohaden wirklich eine intensive Judenverfolgungen gegeben hat. Daß die Almohaden den Juden im Prinzip feindlich gesonnen waren und ihre Entfernung aus Al-Andalus wünschten, kann jedoch als sicher gelten. Für die zuletzt zitierte Annahme, eine in praxi eher moderate Judenfeindschaft der Almohaden, spricht die augenscheinliche Tatsache, daß sich auch die Taifareiche für die jüdische Elite, die bereits im Kalifat die politische und kulturelle Karriereleiter emporgestiegen war, in einen kulturellen Kolophon verwandelten: Die Juden, in der arabischen Kultur seit über drei Jahrhunderten zu Hause, waren begehrte Strategen (Beuys 1996: 214) auf dem Wege zu Ruhm und effizienter Verwaltung, florierender Wirtschaft und militärischen Erfolgen: „Was sich im Gedächtnis festgesetzt hat als das ,goldene Zeitalter' der Juden im muslimischen Spanien, betrifft dieses elfte Jahrhundert." Licht und Schatten lagen in diesem Jahrhundert, in dem jüdische Koryphäen vom Schlage eines Moses ibn Ezra, Jehuda Halevi, Ibn Gabirol oder Maimónides ihre Werke schrieben, freilich dicht beieinander. In Biographie und Werk des Dichters Moses ibn Ezra kommt das allmähliche Ende der Convivencia-Toleranz zum Ausdruck: 1090 mußte die Familie ibn Ezras aus Furcht vor dem harten

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Regiment der Almoraviden (Baer 1961:1/60 ff.) ihre Heimatstadt Granada verlassen. Der berühmte Autor erotischer Verse und religiöser Dichtung ging ins christliche Toledo. Wurzeln schlug er dort nicht: Voller wehmütiger Erinnerungen an sein „glorreiches Granada", zog es ihn im nördlichen Spanien von Ort zu Ort, bevor er, ziemlich verbittert, 1135 starb. In dem rauher gewordenen Klima der maurischen Minireiche dürfte denn auch die ultima ratio dafür liegen, daß die namhaftesten Repräsentanten der jüdischen Kulturelite ein deutlich stärkeres .Heimweh' nach Israel empfanden als ihre Vorfahren im Kalifat von Córdoba. Ein solches Gefühl schmerzhafter Zerrissenheit zwischen der alten und neuen Heimat spiegelt das dichterische Werk des 1075 im spanischen Tudela geborenen Jehuda Halevi wider. Als Wanderer zwischen den Welten, vom maurischen Granada über das bereits christliche Toledo wieder zurück ins muslimische Córdoba, deutet auch seine Biographie in diese Richtung. In seinen Gedichten (Beuys 1996: 227) hat er das Gefühl der Zerrissenheit nicht weniger deutlich artikuliert: „Mein Herz im Osten, und ich / selber am westlichen Rand. / Wie schmeckte Trank mir und Speis! / Wie? Daran Gefallen je ich fand? / Weh, wie vollend ich Gelübd? / wie meine Weihung? / da noch / Zion in römischer Haft, / ich in arabischem Band". Der „Poet des süßen Lebens" (Beuys), der die Annehmlichkeiten der Taifahöfe persönlich kennengelernt und genossen hatte, konnte seiner „Sehnsucht nach Jerusalem" schließlich nicht widerstehen: Er verließ Sefarad mit Kurs auf das Heilige Land. Ob er jemals dort ankam, ist allerdings nicht sicher. Sein Werk, das er in Spanien zurückließ, spiegelt (Baer 1961:1/69 f.) die politischen Ereignisse seiner Zeit: Jehuda Halevi „wurde der Chronist einer entscheidenden Epoche der Geschichte - ein Prophet für seine Zeitgenossen und für kommende Generationen." Auch Salomo Ibn Gabirol, eine kaum weniger berühmte Lichtgestalt der jüdischen Kultur von Al-Andalus, war der biblischen Heimat seiner Vorfahren eng verbunden: „Vergäße ich dein, Jeruschalain", dichtete er (Beuys 1996: 219), „versagte meine Rechte / es klebte meine Zunge mir am Gaumen". Der Dichter aus dem muslimischen Granada, dessen Verse in die jüdischen Gebetsbücher in aller Welt Eingang fanden, blieb jedoch in Sefarad, obwohl auch seine Gedichte (Baer 1961:1/38) voller Klagen sind über die politischen Zustände der Zeit: Unterdrückung, Tyrannei, Exil... Seinen religiösen und kulturellen Wurzeln stets treu, wurde er durch das geistige Umfeld seiner Granadiner Heimat aber vermutlich stärker geprägt als Jehuda Halevy. Er gilt (Beuys 1996: 219) als einer der bedeutendsten Intellektuellen unter den spanischen Juden jener Zeit, die von

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denselben Ideen erfaßt wurden, die das europäische Mittelalter umgetrieben hat: „Glaube und Vernunft, Theologie und Philosophie zu versöhnen." Genau darum ging es auch dem jüdischen Philosophen, Arzt und Gesetzeslehrer Maimónides. Er stellte die „geradezu ungeheuere These a u f (Niewöhner 1988: 14), daß „die Gesetze, entsprechend der Verschiedenheit der Orte und Ereignisse und entsprechend den offenbaren Verhältnissen von jetzt an zu jeder Zeit einer Ergänzung oder Einschränkung bedürfen werden." Die Grundgedanken des jüdischen Denkers, gleichsam ein toleranztheoretischer Ansatz, resultierten aus dem Wissen (ebd.: 34) „um die Vorläufigkeit aller Gesetze, um ihren eigentlichen, geheimen Sinn. Die Aufklärung hierüber führt zu Toleranz." Leider waren die Zeiten, in denen der Toleranztheoretiker Maimónides seine philosophischen Lehrsätze schrieb, nicht mehr so tolerant wie früher. Deshalb mußte der berühmte Philosoph Córdoba verlassen und gelangte über Fes schließlich nach Kairo, wo er als Philosoph und Leibarzt des dortigen Herrschers Saladin erneut zu Ehren und Ruhm gelangte. Sein Tod rief bei Juden und Muslimen (Strassburger 1991: 30) tiefe Trauer hervor. Das Anliegen von Maimónides, Glauben und Vernunft miteinander zu versöhnen, stieß übrigens nicht nur in seiner Geburtsstadt Córdoba, in der die glaubensorthodoxen Almohaden bereits den Ton angaben, auf Mißtrauen und Feindschaft. Auch die jüdische Rezeptionsgeschichte seiner aufklärerischen Philosophie ist kein Ruhmesblatt im Geschichtsbuch der intellektuellen Traditionen der Post-Maimonides-Ära. Sie muß eher als Ausdruck der schweren Krisen verstanden werden, denen sich das Judentum dies- und jenseits der Pyrenäen in den folgenden Jahrhunderten ausgesetzt sah. Wie explosiv das philosophische Gemisch offensichtlich war, das Maimónides hinterlassen hatte, illustriert die folgende Episode aus dem frühen 13. Jahrhundert (Beuys 1996: 294): In Montpellier baten die jüdischen Gegner von Maimónides die dortigen Dominikaner um Hilfe im Kampf gegen die „Irrlehren" des jüdischen Ketzers ... Ein ähnliches Schicksal war dem islamischen Lehrer von Maimónides beschieden: Ibn Rushd alias Averroes, so die latinisierte Form. Der Cordobeser Übersetzer und Kommentator der antiken Philosophie, besonders von Aristoteles, unterschied (Leggewie 1993: 114) zwischen zwei Denkweisen: Einer, die auf Vernunftschlüssen beruht, und einer, die auf göttlichen Gesetzen basiert. Sein kühnes Unterfangen, Vernunft und Offenbarung, islamisches Gesetzesdenken und hellenistische Philosophie zusammenzudenken, endete ähnlich wie die Laufbahn seines berühmten jüdischen Schülers: Im Alter von 70 Jahren wurde Averroes von orthodoxen Glaubenseiferern in die Verbannung getrieben

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und ein Teil seiner Bücher öffentlich verbrannt. Ein deutliches Beispiel, so Leggewie (ebd.: 113), für den Anteil der islamischen Kultur an ihrer Selbstzerstörung. Die intellektuelle Ausstrahlung des maurischen Meisterphilosophen läßt sich dennoch kaum überschätzen: „Kein Geringerer als Thomas von Aquin", schreibt Hottinger (1995: 242), „hat ihn an die 250mal zitiert, und zwar oft an entscheidenden Stellen seiner ,Summa theologica'." In der maurischen Literatur jener „Zwischenzeit" (Hottinger) nach dem Zerfall des Kalifats und dem siegreichen Vormarsch der Reconquista sind die interreligiösen und interkulturellen Spannungen, die kühnen Freidenkern ä la Averroes das Leben immer schwerer machten, deutlich abzulesen, besonders mit Blick auf die jüdische Minderheit in den Taifareichen. Die antijüdische Polemik maurischer Intellektueller, unter ihnen so bekannte Namen wie Ibn Hazm, der Autor von Das Halsband

der Taube, scheint zwar nur vordergründig (Brann

1997: 99) religiöser Natur gewesen zu sein - am Ergebnis änderten die Attacken freilich nichts: Vor dem Hintergrund interner Machtkämpfe und äußerem Druck empfanden islamische Intellektuelle den sozialen Aufstieg von Juden, in geringerem Maße auch von den Christen, augenscheinlich als Bedrohung, zumindest als unliebsame Konkurrenz. So ist nach Ansicht von Brann (ebd.: 90 ff.) etwa die berühmt-berüchtigte Schrift Die Widerlegung von Ibn Hazm zu bewerten - ein politisch-religöser „Frontalangriff' gegen die Juden, namentlich gegen Samuel ha-Nagid, der sich bereits bekannter antijüdischer Stereotypen bedient. Für Ibn Hazm sind die Juden eine „verachtenswerte Sekte", die ihr „großer Reichtum" und ihr „exzessives Streben nach Gold und Silber" zum Übermut verleitet hätten: Sie verspotteten und verachteten die religiösen und politischen Führer des Islams. Dabei unterhielt der Autor dieses Pamphlets selber enge und fruchtbare Kontakte zu jüdischen Intellektuellen. Auch sein bekanntestes Werk, Das Halsband der Taube. Über die Liebe und die Liebenden (1995), eines der berühmtesten Zeugnisse der narrativen Literatur des spanischen Islams, kann eigentlich als Ausdruck einer , liberalen' Gesinnung verstanden werden, die typisch war für die Dichter und Denker von Al-Andalus. Ibn Hazms „Feier der erotischen Liebe" mündet zwar, wie Manfred Tietz (1997: 14) zu Recht bemerkt, in eine Warnung vor Leidenschaft und Sünden. Ein vergleichender Blick auf thematisch verwandte Werke diesseits der Pyrenäen macht indes deutlich, daß dem Halsband der Taube „die moraltheologische Bitterkeit, die letztliche Verdammung der Liebe und die misogyne Kehrtwende fehlen". Noch in dem herausragendsten Werk des 14. Jahrhunderts, dem Libro de buen amor, das aus der Feder des christlichen Erzpriesters von Hita (Juan Ruiz) stammt, zeigen sich

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„deutliche Parallelen" (ebd.: 16) zu Ibn Hazms Buch: „Dies gilt ebenso für die Verbindung von Erotik und Religion wie für die im spanischen Kontext neuartige Verbindung von narrativem Text und lyrischen Gedichten." Als letztes, gleichwohl herausragendes Beispiel der literarischen Convivencia sei hier der anonym überlieferte Cantar de Mio Cid erwähnt, ein christliches Heldenepos, das irgendwann zwischen

1140 und

1300

niedergeschrieben

wurde - eine genaue Datierung ist bis dato nicht gelungen. Dieses spanische ,Nationalepos' schlechthin, dessen Protagonist - auch sein Titel „Cid" („Herr") ist arabischer Provenienz - von einem Gutteil der spanischen Kultur- und Literaturgeschichte zum Kronzeugen nationalen' Unabhängigkeitsstrebens umgedeutet wurde, eignet sich kaum als literarischer Beweis gegen die ConvivenciaThese. Wie die neuere Forschung (Bender 1980) nachgewiesen hat, läßt sich dem Helden des Cantar keine religiös motivierte Kreuzzugsgesinnung unterstellen, auch nicht seinem historischen Pendant: Beide kämpften für durchaus irdische Ziele, unter anderem auf maurischer Seite gegen die Christen, beide pflegten Freundschaften mit Mauren und waren (Tietz 1997: 26) „auch frei von Antisemitismus". Wenn es noch eines weiteren Beweises dafür bedürfte, daß die kulturelle Convivencia in Al-Andalus trotz aller Schattenseiten dauerhaft und fruchtbar war, vor allem für die Christen, dann mag ein Blick auf die Sprache genügen: Das heutige Spanisch besitzt ein Erbe von mehreren Tausend arabischen Wörtern, die auf nahezu alle Lebensbereiche (Tedeschi 1992: 59) verteilt sind - Toponymie, Landwirtschaft, Botanik, Fischfang, Seefahrt, Alltag ... Auch dem spanischsten' Wort par excellence ,,olé" wird eine arabische Genealogie (Leggewie 1993: 115) zugeschrieben. Selbst der Name der spanischen Hauptstadt (Hottinger 1995: 432) soll auf das arabische Marit zurückzugehen! Die als Zwischenzeit bezeichnete Epoche der Taifareiche, die sich ziemlich genau auf das 11. Jahrhundert erstreckte, war, wie zuvor das Kalifat von Córdoba, ein europäischer „Anachronismus" (Bennassar 1984: 127): Trotz aller Zerfallserscheinungen und der deutlichen Zunahme religiöser Intoleranz lebten in den Minireichen von Al-Andalus noch immer drei Konfessionen nebeneinander, gelegentlich auch noch miteinander - und das zu einer Zeit, als diesseits der Pyrenäen die religiöse Intoleranz bereits viel weiter fortgeschritten war. Daß sich der spanische Islam dennoch bis 1492 behaupten konnte, erklärte sich unter anderem

durch das militärische und politische

Gleichgewicht

zwischen Mauren und Christen, das erst durch den Sieg letzterer in der Schlacht von Navas de Tolosa (1212) definitiv beendet wurde. Danach errang die Reconquista der christlichen Königreiche Sieg auf Sieg (Vilar 1985:25 f.): Die

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portugiesischen Heere eroberten den Süden des Landes, die kastilischen Truppen besetzen Córdoba (1236), Valencia (1238) und Sevilla (1248) - Toledo, der künftige Kristallisationspunkt einer nunmehr christlich dominierten Convivencia, war bereits 1085 dem christlichen Herrschaftsgebiet einverleibt worden. Als die Reconquista um 1270 ins Stocken geriet, beschränkte sich die maurische Domäne nur noch auf Granada und einige Restgebiete in der Region Huelva. Das Königreich Granada, auch durch die Berge und die Nähe zu Afrika relativ gut vor den Christen geschützt, erlebte erst im 14. Jahrhundert (Watt 1986: 164) seinen kulturellen Höhepunkt: Die schönsten Teile der Alhambra wurden zwischen 1344 und 1396 gebaut. Gleichzeitig verschärfte sich der Konflikt an der religiösen Front: Aus den bisherigen Kämpfen um territoriale Macht und Tributzahlungen wurde nun (Tietz 1997: 11) „ein Glaubenskrieg". Der rege wirtschaftliche und kulturelle Austausch, der bis dato das Verhältnis zwischen Mauren und Christen bestimmt hatte, nahm durch die Erfolge der Reconquista zwar ab, nicht aber die kulturelle ,Infizierung' der christlichen Eroberer durch den Islam. Denn just durch die Reconquista kamen die christlichen Heere mit der Kultur von Al-Andalus in Kontakt: „Der Fanatismus und die räuberischen Instinkte der Barone des Nordens", bilanziert Lombardt (1992: 95) diesen militärischen Akkulturationsprozeß', „zerstören zunächst einen Teil der glänzenden Zivilisation Andalusiens. Dann lernen die neuen Okkupanten langsam diese Kultur kennen. Handwerker und Künstler setzen ihre Arbeit fort. Sie behalten ihre Techniken unter der Herrschaft der .Ungläubigen' bei (Mudejaren - Kunst). Die islamischen Einflüsse werden stärker und machen sich nun im ganzen Abendland bemerkbar. Die Juderias und Morerías, die Stadtviertel, in denen die Juden und Mauren wohnen, bleiben lebendig." Denn was vorher galt, daß nämlich zwischen den maurischen und christlichen Herrschaftsgebieten kein „eiserner Vorhang" (Watt 1986: 188) existierte, galt auch jetzt. Vor allem die mudéjar-Kunst ist ein unbestreitbares Zeugnis der Symbiose (Watt: 179) beider Gesellschaften: Die christlichen Königreiche des Nordens, wiewohl sie die Mauren militärisch fast vollständig besiegt hatten, „eigneten sich einen großen Teil der materiellen und intellektuellen Kultur von Al-Andalus an." Die kulturelle ,Maurophilie' der christlichen Eroberer ging gar so weit (Hottinger 1995: 109), daß sie die hochgeschätzten maurischen Prachttextilien, die sie auf ihren Kriegszügen erbeuteten, dazu benutzten, ihre Reliquien in sie einzuhüllen. Etliche kastilische Könige und Königinnen sollen in solchen Prachtgewändem, die oft noch arabische Inschriften trugen, sogar begraben worden sein. Vor diesem Hintergrund klingt die These von Watt (1986: 60) durchaus

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plausibel: Trotz aller territorialen und religiösen Ambitionen, die der Reconquista Antrieb gaben, spreche vieles dafür, daß sie letzten Endes aus den Spannungen einer „primitiven Wirtschaftsweise" und einer „fortgeschrittenen urban-merkantilen Ökonomie" resultierten. Versteht man diese Spannungen, christlicherseits, unter anderem als Antrieb für kulturelle Beutezüge, dann kann dieser Beitrag zur Modernisierung' des Nordens kaum überschätzt werden: Zumindest ein Teil der christlichen Eliten, unter ihnen sogar religiöse Würdenträger, war jedenfalls klug genug, die maurischen - und jüdischen! - Kulturleistungen zu Nutz und Frommen des christlichen Herrschaftsgebietes zu übernehmen und zu verbreiten. Toledo, die bereits Ende des 11. Jahrhunderts eroberte Stadt am Tajo, wurde dabei zu einer Art trikulturellem Schaufenster: Die .Produkte', die dort ausgestellt wurden, waren das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit von Christen, Juden und Mauren, und ihr Kundenkreis sollte sich auf ganz Europa erstrecken mit nachhaltiger Wirkung auf dessen kulturelle Entwicklung. Gemeint sind die sogenannten „Übersetzerschulen" von Toledo, die über einen Zeitraum von rund anderthalb Jahrhunderten die intellektuellen Schätze von Al-Andalus hoben und sie, durch Übersetzungen ins Lateinische, später ins Kastilische, der gesamten Christenheit zugänglich machten. Die große Zeit der Toledaner Übersetzerschulen, frei flottierende Kollektive, in denen die Juden eine Hauptrolle spielten, läßt sich in zwei Hauptepochen (Hottinger 1995: 412) einteilen: In jene des Erzbischofs (!) Don Raymundo (1130-1187) und in die von König Alfons des Weisen (1252-1284). In der ersten Epoche, unter dem Auspizium des Kirchenmannes, wurde vor allem das philosophische Schrifttum der Mauren von AlAndalus ins Lateinische übertragen. In der zweiten Phase - dazwischen ebbte die Übertragungstätigkeit aufgrund fehlender Mäzene deutlich ab - , nun unter dem Zepter des .weisen' Königs, wurden hauptsächlich wissenschaftliche Texte übersetzt: Astronomie, Astrologie, Mathematik, Medizin und andere Naturwissenschaften, vor allem ins Kastilische. Diese Übersetzungen waren nicht nur eine Art Quantensprung für die christlichen Wissenschaften, sie legten zugleich den Grundstein für das moderne Spanisch: „Was die Lutherbibel gegen zweieinhalb Jahrhunderte später für die deutsche Schriftsprache bewirken sollte", lautet eine sicher nicht übertriebene Bilanz (Hottinger: 416), „hat der alfonsinische Corpus für die spanische getan." Was die beiden Epochen miteinander verbindet, ist vor allem der herausragende Beitrag der jüdischen Übersetzer. Da es, anders als im Kalifat von Córdoba, kaum noch arabisch gebildete Christen (die mozárabes) gab, wurden

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die Juden zu den „eigentlichen Schlüsselfiguren" (Tietz 1997: 21), zu den Kulturvermittlern zwischen Orient und Okzident. Zusammen mit einer großen Zahl von Mauren, unter ihnen noch einige herausragende Gelehrte (Watt 1986: 166), lebten sie nach der christlichen Eroberung der Stadt auch weiterhin in ihren Mauern, überwiegend toleriert in ihrem religiösen Credo und als Kulturschaffende' hoch geschätzt. Die Wirkung des „immensen Kulturprojektes" (Márquez Villanueva 1997: 16), gerade auch diesseits der Pyrenäen, wird in der Literatur in Superlativen beschrieben - mit vollem Recht. Nach Ansicht von Renan (Tedeschi

1992:98) markierten die Toledaner Übersetzungen

eine

Epochenzäsur in der europäischen Wissenschaft und Philosophie: Die Wissensbestände, die über die spanische Brücke nach Europa gelangten, waren so bedeutsam (Tietz 1997: 21), daß ohne sie die Renaissance des 12. und 13. Jahrhunderts „unvorstellbar ist". Auch fiir die Juden selber war die Toledaner Blütezeit ein zentrales Kapitel ihrer peninsularen Geschichte: „Als das zwölfte Jahrhundert zu Ende geht", schreibt Barbara Beuys (1996: 281), „lebt in Toledo, der Hauptstadt Kastiliens, die größte und reichste jüdische Gemeinde Europas und damit der ganzen bekannten Welt". Die Schätzungen, was ihre numerische Stärke betrifft, gehen indes recht weit auseinander. Beuys spricht von 12 000 Menschen, die gegen Ende des 12. Jahrhunderts in der judería

der Stadt gelebt haben sollen. Baer

(1961:1/51) beziffert die jüdische Bevölkerung zu Beginn des 13. Jahrhunderts dagegen nur auf 350 Familien. Sáenz-Badillos (1997: 199) spricht mit Blick auf das späte 11. Jahrhundert von etwa 4 000 Juden in Toledo - ein Zehntel der Bevölkerung. Aus den literarischen Zeugnissen, die jüdische Autoren der Toledaner Zenitepoche hinterlassen haben, geht hervor (ebd.: 199), daß Mauren, Mozáraber, Christen und Juden in einem „offenen Klima von Pluralismus und Verständnis" zusammengelebt haben, unter Beibehaltung ihrer kulturellen, sprachlichen und religiösen Traditionen. Von einer „.convivencia' ideal" kann indessen keine Rede sein: „Die kulturelle und ideologische Fusion", das machen die literarischen Zeugnisse klar (ebd.: 212), „ist nicht frei von Spannungen." Ein Teil dieser Spannungen ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Mehrheit der Toledaner Juden auch weiterhin eine „große Bewunderung" (ebd.: 204) für die arabische Kultur empfand. In den erotischen Gedichten jüdischer Autoren kommt diese Bewunderung exemplarisch zum Ausdruck. In einigen Gedichten (ebd.: 208) fallen die kulturellen Präferenzen im Bereich der Erotik sehr deutlich und drastisch aus: „In der Liebe zu einer Frau gibt es weder Sünde noch Schuld, / nichts Schlechtes liegt darin, daß ein Mann

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eine Jungfrau liebt. / Eine weisere Sache ist es, für arabische

65 Frauen

Leidenschaft zu empfinden, / auch wenn diese weder hübsch noch perfekt sind, / und sich nach Möglichkeit von den Christinnen fernzuhalten / so sehr sie auch wie die Sonne strahlen mögen. [...] Deswegen gleicht der, der mit einer Christin schläft, demjenigen / der sich mit einem Tier niederlegt." Es liegt auf der Hand, daß die erotischen Präferenzen dieses jüdischen Autors mit den Keuschheitsidealen der christlichen Moral scharf kollidierten, wobei die Geringschätzung christlicher Frauen noch das geringste ,Übel' gewesen sein mochte. Die erotische Vorliebe für maurische - und jüdische! - Frauen wurde zwar, wie aus entsprechenden Untersuchungen (Dillard 1993:243) hervorgeht, von einem beträchtlichen Teil der christlichen Aristokratie geteilt, mußte von den wenig sinnenfrohen Moralaposteln des dominanten Katholizismus aber als Sakrileg empfunden werden. Doch auch unter den Juden der Stadt trafen sinnenfrohe Botschaften der zitierten Art längst nicht mehr auf ungeteilte Zustimmung, besonders unter den aschkenasischen Neuankömmlingen, die von der kulturellen Blüte Toledos und der relativ konflikt- und verfolgungsfreien Atmosphäre angezogen wurden. So mokierte sich etwa der aus Deutschland angereiste Gelehrte Ascher ben Jechiel, der 1305 sogar zum Rabbi der großen Synagoge avancierte (Beuys 1996:314), über „die lässige Handhabung der Ehegesetze" unter seinen spanischen Glaubensbrüdern. Dem neuen Rabbiner aus Aschkenas gelang es zwar, zwischen den beiden Welten des europäischen Judentums eine Brücke zu bauen; auf vielen Gebieten, weit über das der Erotik hinaus, blieben sich spanische und aschkenasische Juden jedoch auch in Zukunft fremd - noch über Jahrhunderte hinweg. Die Bresche, die beide Welten trennte, schob sich indessen auch mehr und mehr zwischen die alteingesessenen Bewohner von Sefarad, vor allem in Toledo, dem intellektuellen Zentrum des peninsularen Judentums. So stand das kulturelle Leben der Toledaner Gemeinde zu Beginn des 13. Jahrhunderts ganz im Zeichen einer Kontroverse über Maimönides (Säenz-Badillos 1997:213 f f ) , in deren Verlauf die antirationalistischen Gegner des Cordobeser Philosophen allmählich die Oberhand gewannen. Der eigentliche Ausgangspunkt dieser Kontroverse lag zwar in Südfrankreich, wo der Talmudist Selomoh ben Abraham und seine Gefolgsleute versuchten, einen Bannfluch gegen all jene Juden auszusprechen, die die Werke von Maimönides lasen. Die südfranzösischen Gegner von Maimönides, zugleich Wortführer der Kabbalisten, fanden jedoch schnell ein lebhaftes Echo auf der anderen Seite der Pyrenäen - ein deutliches Indiz für die krisenhafte Situation, in der die Toledaner Juden bereits lebten. Im Vergleich

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Ein sagenhafter Ort der Begegnung

zum liberalen' Klima vergangener Zeiten sahen sich viele nun genötigt, ihre Identität als religiöse Minderheit in Abgrenzung zur herrschenden Religion zu definieren - und zu schützen. Das vielleicht sichtbarste Zeichen dieser Krise läßt sich am Werk von Alfons dem Weisen ablesen. Der König schützte zwar „seine Juden", von deren kulturellen und ökonomischen Fähigkeiten er - wie sie selber auch - profitierte. So heißt es etwa (Kenig 1995:31) explizit in seinen Siete Partidas:

„da die

Synagoge ein Ort ist, an dem der Name Gottes gelobt wird, verbieten wir den Christen, sie zu schänden oder zu plündern [...]. Wir verbieten, die Juden in ihrem Studium und bei ihrem Gebet [...] zu behindern oder zu stören." Der König richtete sogar Lehrstühle für Hebräisch in Toledo und Sevilla ein (ebd.: 66) und plante die Einrichtung einer wissenschaftlichen Institution in Murcia, einer madrasa, in der Christen, Juden und Mauren gemeinsam arbeiten sollten. Gleichzeitig spiegelt sich jedoch in seiner Gesetzgebung, den Siete Partidas, bereits das ambivalente Verhältnis zwischen den religiösen Gruppen wider, vor allem zwischen Christen und Juden. So werden deren sexuelle Kontakte fortan mit der Todesstrafe bedroht (Tedeschi 1992: 86) - drakonische Sanktionen, die zwar darauf schließen lassen, daß diese Art der Convivencia keine Seltenheit war, die der künftigen Gettoisierung aber bereits Vorschub leisteten. Die gleichen Ambivalenzen sind aus dem königlichen Verbot (Mackay 1992:44) abzulesen, die Juden nicht mit Gewalt zu konvertieren. Nur durch Überzeugung und durch ein „gutes Beispiel" sollten sie zur Taufe bewogen werden. An der Legitimität dieser ,sanften' Bekehrung hatte der König indes keinen Zweifel: Die einzig wahre Religion war für ihn das Christentum. Ein nicht minder ambivalentes Judenbild enthalten auch andere Schriften des ,Königs der drei Religionen'. In den Cantigas (ebd.: 42) finden sich zahlreiche Hinweise auf Juden, die sich in ihrem angeblichen Haß auf die Christen mit dem Teufel verbinden oder als raffgierige Geizhälse, Verräter, Zauberer und Kindermörder ihr Unwesen treiben. Obwohl der königliche Autor damit selber bekannte Juden-Stereotypen

reproduzierte,

wollte er sie gewiß nicht als

ideologische Munition für den antisemitischen Mob verstanden wissen: Es seien, betonte er, stets „einzelne" Juden gewesen, nicht die Juden an sich, die zu Verrätern und Mördern geworden seien. Und die, etwa die Hostienschänder, habe es auch unter Christen stets gegeben. Im übrigen, so eine seiner Hauptbotschaften, könnten selbst jüdische Übeltäter erlöst werden - durch Konversion zum Christentum. Im Vergleich zu späteren Jahren enthalten die Schriften Alfons des Weisen folglich (Mackay: 43) ein „weniger feindliches Judenbild".

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Sein religiöser „Optimismus" basiert auf der Annahme, daß die Juden, auf friedlichem Wege überzeugt, ihren „Irrtum" einsehen würden. Mit anderen Worten: die Juden sind potentielle Christen. In der Tat nahm der Druck auf die jüdische Minderheit Toledos nach der relativ toleranten Ära von Alfons X. weiter zu. Die Vermutung, daß der Name der Stadt möglicherweise aus dem Hebräischen („Tultelah") stammt, sollte sich als böses Omen erweisen: Tultelah bedeutet Drangsal, Trübsal und Leiden - eine Zukunft, die nicht nur die Toledaner Juden erwartete. Dabei spielten sie weder numerisch noch ökonomisch eine herausragende Rolle in den spätmittelalterlichen Reichen der Halbinsel. Die Zahlenangaben gehen wiederum recht weit auseinander. Pérez (1993:22) schätzt, daß Ende des 14. Jahrhunderts rund 250 000 Juden in Kastilien lebten, eine Zahl, die Domínguez Ortiz (1992: 41) für zu hoch hält. Er nimmt an, daß sich die jüdische Bevölkerung vor den Pogromen von 1391 auf kaum mehr als 180 000 Personen belief. Mackay (1992: 33) legt sich demgegenüber auf keine genaue Zahl fest, glaubt aber, daß der jüdische Anteil an der kastilischen Bevölkerung im 13. Jahrhundert deutlich unter 2 % lag - somit eine fast verschwindende Minderheit. Hatte diese Minderheit, von ihrer exponierten Rolle als Kulturvermittler abgesehen, trotzdem die ökonomische und politische Macht, die ihr hartnäckig nachgesagt wurde? Die Vorstellung, von zeitgenössischen Propagandisten und ihren ideologischen Epigonen gleichsam zum Gesetz erhoben, die jüdische Gemeinschaft wäre „unermeßlich reich" gewesen und hätte die Fäden des Landes hinter den Kulissen in ihren Händen gehalten, hält Pérez (1993: 83) fiir eine Behauptung, die durch die Dokumente in nationalen oder regionalen Archiven keineswegs gestützt werde. Deshalb gingen auch die mehr oder weniger wohlwollenden Thesen, die die Juden als Motor der Ökonomie und damit von Kapitalismus und Fortschritt beschrieben, etwa aus der Feder von Sombart, Américo Castro und Claudio Sánchez Albornoz - „wenigstens in dieser Frage stimmen sie ü b e r e i n " - , an der Wirklichkeit vorbei. Von einer kleinen Minderheit reicher und auch politisch einflußreicher Juden abgesehen, habe das Leben der Juden in den spanischen Königreichen, schreibt Vincent (1992:35), 1492 wie 1250 dem ihrer christlichen Nachbarn geglichen. Deshalb habe die jüdische

Bevölkerung,

wenigstens bis zum 13. Jahrhundert (Pérez 1993: 24), hauptsächlich aus kleinen Bauern und Viehzüchtern bestanden. In Katalonien und Kastilien, schreibt Baer (1961: 1/43), „war Land die Basis der jüdischen Ökonomie" - Land, so der Autor, das ihre Besitzer selber bearbeiteten. Eine beträchtliche Zahl von Juden, die kleine Landparzellen bewirtschaftete, lasse sich (Kenig: 141) im selben

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Zeitraum auch fiir Navarra und Aragonien nachweisen. Die reichen jüdischen Verwalter, Kaufleute und Finanziers, die es dort auch gegeben habe, seien eine Minderheit gewesen. Das gleiche gelte für jüdische Weinbauern, die in ganz Spanien so „überaus zahlreich" gewesen seien (Gutwirth 1992: 67), daß sie sogar in der jüdischen Literatur ihre Spuren hinterlassen hätten. Daß diese Sicht der Dinge wohl der Realität entspricht, läßt sich im übrigen aus den Gesetzen ablesen (Pérez 1993:25), die den Juden gegen Ende des 13. Jahrhunderts verboten, Land- und Viehbesitz zu vererben und sie gleichzeitig zwangen, ihr entsprechendes Eigentum innerhalb eines Jahres zu verkaufen - ein deutliches Indiz dafür, daß sie tatsächlich Land und Vieh besessen hatten. Und die übergroße Mehrheit der städtischen Juden (Mackay 1992: 34) seien Schneider, Schuster, Grobschmiede, Apotheker, Fleischer, Färber, Silberschmiede, Ärzte, Besitzer kleiner Läden und Juweliere gewesen. Jüdische Frauen hätten als Wäscherinnen, Hebammen, Weberinnen und Spinnerinnen gearbeitet. Einige Juden - Geldverleiher, Finanziers oder Steuereintreiber - seien relativ reich und einflußreich gewesen, „viele andere waren bescheiden und arm." Erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts (Baer 1961:1/84 f.) seien immer mehr Juden in Geldberufe hineingedrängt

worden -

als direkte Folge beruflicher Restriktionen und

antisemitischer Verfolgung. Doch auch die Zahl subalterner jüdischer Steuereintreiber - eine Tätigkeit, die sie in den Augen des Volkes und ihrer erklärten Gegner suspekt, wenn nicht verhaßt machte - war „stets" (Kamen 1999: 18) ausgesprochen klein, vor allem dann, wenn man sie mit den Christen vergleicht, die in diesem Sektor tätig waren: So belief sich etwa Mitte des 15. Jahrhunderts der Anteil jüdischer Steuereintreiber auf 15 % (insgesamt 72 Personen). Eine zentrale oder charakteristische Beschäftigung sei daraus jedoch nie erwachsen. Auch dann nicht, als sich die Zentren des jüdischen Lebens im 14. und 15. Jahrhundert vom Land in die Städte verlagerten. Der Dauertopos des jüdischen Wucherers, so Baer (1966: 11/249), habe in dieser Zeit eine besondere Konjunktur erlebt, „obwohl es weniger jüdische Geldverleiher gab als früher, aber mehr christliche Geldverleiher als jemals zuvor." Eine differenzierte Sicht auf die soziale Zusammensetzung der spanischen Juden, eine, die den ideologischen Schleier lüftet, mit dem Generationen antisemitischer Propagandisten den Blick auf die Wirklichkeit verstellten, kommt deshalb zu dem Schluß: Der antisemitische Hauptvorwurf des „reichen, mächtigen Juden" hält der Wirklichkeit nicht stand. Das hat die Erfinder solcher Legenden freilich nie daran gehindert, sie dennoch in Umlauf zu setzen. Dem dominanten politischen Block erschien es opportun, die religiösen Spannungen

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mit solchen Legenden anzuheizen - und das trotz der Tatsache, daß die Herrschenden, mit den Königen an der Spitze, die Dienste von Juden stets und gern in Anspruch nahmen. Es waren vor allem die Monarchen, die sich in finanziellen Dingen versierte und liquide Juden zunutze machten. Hier, wie später bei den Conversos, die den Monarchen in finanziellen Angelegenheiten dienten, boten exponierte Juden, hauptsächlich die Schatzmeister

(tesoreros)

unter ihnen, ihren Gegnern jedoch breite Angriffsflächen: Es waren vor allem diese tesoreros (Netanyahu 1999: 63), die das Steuersystem an seiner Spitze kontrollierten. Obgleich sie, wie jeder wußte, ihre Aufgabe nur im Einklang mit den jeweiligen Monarchen ausübten, sahen sich vor allem die Städte, stets auf ihre relative Unabhängigkeit bedacht, doch einem jüdischen Funktionär gegenüber, ,der sie aussaugte'. Die daraus entstehenden Folgen, so Netanyahu, „kann man sich leicht vorstellen". Nicht zuletzt deshalb, weil der Einfluß exponierter Juden in der Finanzverwaltung der spanischen Königreiche im europäischen Vergleich besonders groß (ebd.: 58) und mit zahlreichen Sonderrechten und finanziellen Vergünstigungen verbunden war - ein günstiger Nährboden für judenfeindliche Attacken, denen nicht allein die Hofjuden 7 ausgesetzt waren: Selbst Alfons der Weise soll alle Juden ins Gefängnis geworfen haben (Hottinger 1992: 283), die sich an einem Sabbat des Jahres 1281 in den Synagogen Toledos befunden hatten. Sie seien erst wieder freigelassen worden, nachdem die gesamte jüdische Bevölkerung Kastiliens ein gewaltiges Lösegeld entrichtet hatte. Das soll sich auf das Doppelte der Summe belaufen haben, welche die Juden sowieso schon alljährlich als Sondersteuer an die Kastilische Krone zahlen mußten. Während sich auch die Nachfolger Alfons des Weisen gern der Dienste von Juden versicherten und sie ausdrücklich animierten, sich in den von den Mauren eroberten Städten niederzulassen (Kenig 1995: 65), nahmen gleichzeitig die antisemitischen Maßnahmen und Gesetze zu. Das erste explizit antisemitische Gesetz datiert bereits aus dem Jahre 1228 (Beuys 1996: 285): In Zukunft sollten alle Juden Aragoniens von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen bleiben. Rund anderthalb Jahrzehnte später wurden die Andersgläubigen dieses Königreiches, neben den Mauren vor allem die Juden,

7

Netanyahu (ebd.: 94 f.) hat deshalb sicherlich Recht, wenn er betont, daß es nicht nur, wohl nicht einmal in erster Linie, persönliche Vorteile waren, die Juden bewogen, solche Posten auszuüben. Neben dem verständlichen Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung, nach „Gleichheit" in der politischen Sphäre, bot die Stellung des Hofjuden auch die Möglichkeit, die jüdische Gemeinde gegen Angriffe zu schützen: „Eine Pflicht, der sie sich nicht entziehen konnten."

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per Gesetz gezwungen, die Predigten christlicher Einpeitscher anzuhören. In der Hauptstadt von Aragonien, in Zaragoza, war es auch, wo 1250 die erste Ritualmordbeschuldigung (Mackay 1992: 44) gegen spanische Juden erhoben wurde - der Beginn einer langen Kette infamer Horrorgeschichten, deren bekannteste Version, die blutrünstige Moritat des „Niño de la Guardia", das Schlußkapitel der spanischen Juden markieren sollte. Nur ein gutes Jahrzehnt später (1263) bildeten die „Disputationen von Barcelona", religiöse Streitgespräche 8 zwischen Christen und Juden, den Auftakt und Test einer großangelegten Missionskampagne: Im durchsichtigen Gewände einer vermeintlichen Streitkultur der besseren Argumente gab die christliche Seite Themen und Thesen vor, auf die ein Rabbiner antworten durfte. Obwohl die jüdische Seite, wie später in Tortosa, eine durchaus gute Figur dabei machte, waren die „Disputationen" alles andere als herrschaftsfreie Diskurse: Sie bildeten die intellektuelle Front, an der die gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden betrieben wurde. An dieser Front verdingten sich ab dem 13. Jahrhundert auch christliche Dichter, die sich, wie Gonzalo de Becero, der erste namentlich bekannte spanischsprachige Autor (Tietz 1997: 32 ff.), in den Dienst der ,geistigen Reconquista' stellten. Die religiöse Ausgrenzung, die Becero betrieb, richtete sich gegen Mauren und Juden gleichermaßen und benutzte dabei gröbste Stereotypen: „In dem Milagro ,Los judíos de Toledo' scheut er sich sogar nicht, den Juden einen Ritualmord an einem Kind zu unterstellen und in wohlgesetzten Versen die tödliche Rache der Christen zu rechtfertigen." Selbst vor höfischen Kreisen machte die antisemitische Agitation nicht Halt: In den 30er Jahren des 14. Jahrhunderts beschuldigte der Maestre des Orden de Alcántara den jüdischen Berater des Königs, die öffentlichen Brunnen Sevillas mit Pestbakterien verseucht zu haben (Kenig 1995: 69 f.) - eine infame Beschuldigung, die einige Jahre später, als tatsächlich eine Pestepidemie ausbrach, zu blutigen Attacken auf die Juderia

der Stadt führte. Die antijüdischen Ressentiments, die sich in den

niederen Schichten des Volkes in diesem Jahrhundert rasch auszubreiten begannen, sind deshalb weniger die Folge eines diffusen „Volkshasses" und religiösen „Aberglaubens" - der (Pérez 1993: 44 ff.) „immer latent in den Volksklassen vorhanden" ist - , sondern hauptsächlich das Ergebnis einer systematischen Agitation.

Die ,geistigen Patentrechte' an diesen Religionsforen besaßen übrigens die Franzosen: Es war in Paris (Johnson 1987: 217), wo 1240 die ersten öffentlichen Debatten stattgefunden hatten - als direkte Folge des Talmud-Verbots durch Papst Gregor IX.

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Gegen Ende dieses Jahrhunderts, im Juni 1391, verwandelten sich die Hetzpredigten der christlichen Scharfmacher schließlich in materielle Gewalt. In diesem Sommer begann, zunächst in Sevilla, „eine Orgie aus Mord, Plünderung und fanatischem Glaubenseifer", schreibt Barbara Beuys (1996: 404), „die das einmalige Miteinander von spanischen Juden und Christen im Mark traf." Allein in Sevilla sollen viertausend Juden dem aufgehetzten Mob zum Opfer gefallen sein. In Barcelona (Kenig 1995: 74) sei ein Drittel der Juden ermordet, ein weiteres Drittel zur Taufe gezwungen worden. In den anderen Gemeinden der Halbinsel, die von der Mordwelle kurz danach erfaßt wurden, sei die Zahl der Ermordeten jeweils in die Hunderte gegangen. Der Blutorgie folgten mehrere Diskriminierungsmaßnahmen: Die Juden wurden gezwungen, ,Judenkleidung' zu tragen, und jüdischen Ärzten wurde verboten, Christen zu behandeln. Nach Ansicht Netanyahus (1999: 113) markiert das Jahr 1391 ein singuläres Datum in der jüdischen Geschichte des europäischen Mittelalters: Obwohl die antijüdischen Ausschreitungen andernorts, etwa im Rheinland, eine höhere Blutbilanz aufgewiesen hätten, sei die Zahl der erzwungenen Konversionen nirgendwo so hoch gewesen wie in Spanien. Innerhalb weniger Jahre habe die jüdische Gemeinschaft Spaniens, „die größte der Welt", fast ein Drittel ihrer Mitglieder verloren - „die größte Katastrophe, die die europäischen Juden bis zu diesem Zeitpunkt erlebt hatten." (Ebd.) Aber auch mit Blick auf die spanische Geschichte markierten die Pogrome von 1391 eine tiefe Zäsur: „Für die Juden", schreibt Manfred Tietz (1997: 42), „ging so eine 200jährige Blütezeit, die sie im christlichen Spanien erlebt hatten, gewalttätig zu Ende." Gleichzeitig markiert das Jahr der großen Pogrome den Beginn eines neuen Problems, das mit der schließlichen Vertreibung der Juden in direktem Zusammenhang steht: Das Converso-Problem. Ein Problem stellten die Conversos, die nach 1391 zum Christentum konvertierten, gleich in mehrfacher Hinsicht dar - auch für die historische Forschung. So ist umstritten, wie viele Conversos es eigentlich gab. Nach Ansicht von Domínguez Ortiz (1992: 243 f.) ist die Zahl, die von älteren Historikern auf 300 000-700 000 geschätzt wurde, völlig übertrieben. Er hält etwa 200 000 für realistisch. Sollte diese Zahl zutreffen, dann hätte ihr Anteil an der damaligen Gesamtbevölkerung (Tedeschi 1993: 66) unter 5 % gelegen - zwar eine Minderheit, aber eine, die sich auf die städtischen Zentren konzentrierte und sich augenscheinlich durch eine hohe soziale Mobilität auszeichnete. Netanyahu (1999: 866) schätzt sogar, daß die Conversos in zahlreichen Städten ein Drittel der Bevölkerung stellten - ein sozialer und politischer Faktor mit erheblichem Gewicht. Es waren zudem die

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sozialen Eliten der jüdischen Gemeinschaften (Tedeschi 1993: 67), die konvertierten, nicht selten die Rabbiner selber. Als Christen, schreibt Heymann (1988: 27), „hatten sie nun ganz andere Möglichkeiten, waren in ihrem Tun und Lassen unbeschränkt. Sie wurden reich." Was sich in diesem Buch eines jüdischen Autors wie eine Selbstbezichtigung liest, war in Wirklichkeit jedoch wesentlich komplizierter. Den Conversos standen zwar zunächst all jene Türen offen, die ihnen als Juden versperrt gewesen waren. So hatten sie nun (Kenig 1995: 113) Zugang zu Verwaltungsämtern und Universitätsposten und fanden sogar Einlaß in die militärische und kirchliche Hierarchie. Eines der bekanntesten Beispiele für den Aufstieg in der Kirchenhierarchie ist Solomon Halevi (Baer 1966: II/139 ff.), der nach seiner Konversion, nun unter dem Namen Paulus de Sancta Maria, Bischof von Burgos wurde und sich sogar für antisemitische Gesetze stark machte. Eine reiche Minderheit heiratete darüber hinaus in den alten Adel - ihr sozialer Aufstieg war in der Tat (Kenig 1995: 113) „schwindelerregend und führte zu Neid und Ressentiments". Es waren unter anderem jene Berufe, in denen sich die Conversos profilierten (Netanyahu 1999: 879), die früher häufig von Juden ausgeübt worden waren, etwa als königliche Steuereintreiber. Auf diese Weise gerieten nun sie in die Schußlinie des lokalen Adels (ebd.: 866 f.), der sie als verlängerten Arm des Königs attackierte, obwohl sie im Vergleich zur altchristlichen Bürokratie nur „eine kleine Minderheit" (ebd.: 879) bildeten. Der Haß der Altchristen, den die Neuchristen fortan auf sich zogen, läßt sich jedoch nicht auf ihre Rolle als soziale Konkurrenten beschränken. Schon allein deshalb nicht, wie auch Heymann (1988: 35) selber schreibt, weil sie sich mit ihren potentiellen Konkurrenten via Heirat stark vermischten: „die Edelleute nahmen gern die Töchter reicher Marranen 9 zur Frau. Schon in der zweiten marranischen Generation waren Marranen und Adel derart miteinander versippt, daß kein spanischer Grande und keiner vom niederen Adel mehr ohne marranische Verwandte war." Damit wird die Antwort auf die Frage, wer eigentlich ein Converso war, noch komplizierter. Da sich Neu- und Altchristen - die beiden Begriffe wurden schon bald zu ideologischen Kampfvokabeln - stark miteinander vermischten, vor allem in der Aristokratie, sei es nur folgerichtig, meint Die etymologischen Ursprünge dieses Begriffs, der sich - statt Converso - in den Volksschichten verbreitete, ist ungeklärt. Der Terminus, der im Spanischen auch „Schwein" bedeutet, könnte (Kenig 1995: 113) entweder auf den kirchlichen Ausdruck „anatema maranata" oder die arabische Bezeichnung für „Heuchler" (mura 'in) zurückgehen.

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Domínguez Ortiz (1992: 40), auch Karl V., Philipp II. „und die ganze Reihe der spanischen Könige" als Conversos zu betrachten ... Das damit verbundene Definitionsproblem, wer nämlich als Converso zu gelten hat, verkompliziert sich somit erheblich. Nicht weniger kompliziert ist die religiöse Dimension: Waren die Conversos, wie ihnen von altchristlicher Seite in wachsendem Maße vorgeworfen wurde, tatsächlich unsichere Kantonisten Bedeutung des marrano-Begriffs

religiöse Heuchler, wie die arabische

suggeriert? Mußten die religiösen Überzeu-

gungen, zumindest in der ersten converso-Generation,

nicht notgedrungen

schwach sein? Schließlich stand die Massenkonversion ganz im Zeichen der Pogrome von 1391. Auch bei der Beantwortung dieser Frage, die unter anderem für die Einrichtung der Inquisition von zentraler Bedeutung war, gehen die Ansichten auseinander. Auf jeden Fall verkennen diejenigen, die den Conversos mangelnde Festigkeit im Glauben vorwarfen - es waren vor allem spanische Autoren, die damit die Verfolgung zu legitimieren versuchten - , daß es für die Conversos, selbst für die tief überzeugten Christen unter ihnen, außerordentlich schwer, wenn nicht unmöglich war, mit dem neuen Glauben zugleich die alten Gewohnheiten abzulegen. Dazu zählte die gesamte Palette der Alltagskultur: Speisepräferenzen, Hygienetraditionen, Kleidungsformen ... Konnte ein konvertierter Jude von heute auf morgen seinen Speiseplan ändern, um sich nicht verdächtig zu machen? Noch in der Literatur des Goldenen Zeitalters fingen die Autoren, wie sie meinten, mit Speck Mäuse: Der berühmte Satiriker Francisco de Quevedo (Rehrmann 1994: 73) hielt alle für heimliche Juden, die Speck und Schweinefleisch verschmähten! Verdächtig machten sich Conversos auch, wenn sie die Beziehungen zu nichtkonvertierten Familienangehörigen und Verwandten nicht abbrachen. Da viele Conversos und ihre jüdischen Verwandten auch weiterhin in enger Nähe zusammen wohnten, war ihr Kontakt ein ständiger Quell von Verdächtigungen. So wurde die mangelnde Unterscheidung zwischen religiösen und soziokulturellen Aspekten (Pérez 1993: 93) vielen Conversos zum Verhängnis, noch Jahrzehnte nach der Konversion ihrer Vorfahren. Wie viele Conversos, die ihren neuen Glauben ernst genommen hatten, erst durch den omnipräsenten Verdacht der „Heuchelei" wieder zu heimlichen Juden gemacht wurden, ist zwar ungewiß, ihre Zahl dürfte jedoch beträchtlich gewesen sein. Im übrigen war kaum zu erwarten, daß der Zwangscharakter der Konversion die religiösen Überzeugungen festigen würde, auch wenn diese durch einen steilen sozialen Aufstieg zunächst prämiert wurde. Die Mehrheit der Conversos, meint Tedeschi (1995: 112), praktizierte deshalb im Geheimen weiterhin den Glauben

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ihrer Vorfahren. Baer (1979: 11/424 f.) geht gar so weit, Conversos und Juden als „ein Volk" zu bezeichnen, das durch Religion, Schicksal und messianische Hoffnung vereint gewesen sei. Unterstützt wurden sie dabei durch Interpretationen jüdischer Gelehrter (Beuys 1996:410), die in den Conversos grundsätzlich zur Taufe „Gezwungene" (hebräisch: Anussim) sahen. Diese hätten zwar schwer gesündigt, bei ihrer Rückkehr zum alten Glauben aber keinerlei Strafe zu erwarten. Die Hoffnung, die heimlich „Judaisierenden" würden ihren alten Glaubensbrüdern de facto die Treue halten, sei indessen, schreibt Barbara Beuys, enttäuscht worden: „Am Ende stand die bittere Erkenntnis, daß die Zwangsgetauften sich als Gruppe vom Judentum ab- und dem Christentum zugewandt hatten." Genauso sieht es Netanyahu: Die „große Mehrheit", ist er (1999: 890) überzeugt, bestand aus treuen Christen, die keine Absicht hatten, ihren Glauben aufzugeben und auch nicht heimlich ,judaisierten". Sollte diese Sicht der Dinge stimmen, 10 dann liefe der religiöse Generalverdacht gegen die Conversos weitgehend ins Leere. Dennoch hat es sehr wahrscheinlich auch stets eine starke Gruppe (Domínguez Ortiz 1992: 17) von Neuchristen gegeben, vor allem in den gebildeten Oberschichten, deren ,skeptische' Haltung jedweder Religion gegenüber tiefere Ursachen hatte: Sie standen in der Tradition von Averroes und Maimónides, die im christlichen Toledo eine Renaissance erlebt hatte. Der Fall eines converso (Pérez 1993: 94), der in seinem Testament verfugte, zu Füßen mit einem Kreuz, auf der Brust mit dem Koran und über seinem Kopf mit der Tora beerdigt zu werden, ist dafür illustrativ." Alle diese Faktoren trugen dazu bei, das Image der Conversos in ein Stigma zu verwandeln, das ihren sozialen Aufstieg bremste und ihre gesellschaftliche Integration blockierte. Die blutige Verfolgung, die ihre jüdischen Vorfahren Ende des 14. Jahrhunderts zur Konversion gezwungen hatte, bedrohte nun sie: 10

A l s Indiz fuhrt B e u y s (ebd.) unter anderem die Responsen des Oberrabbiners von A l g i e r an: In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts seien die C o n v e r s o s dort nicht mehr als „Zwangsgetaufte", sondern als „Abtrünnige" aufgeführt worden.

"

Für einen Autor w i e Yitzhak Baer, dessen Studie zu den Standardwerken über die Juden im christlichen Spanien zählt, ist diese Haltung j e d o c h ein verwerflicher Akt „der leichteste Weg", w i e er ( 1 9 7 9 : 11/144) schreibt. Seine Kritik an dem „zersetzenden" Einfluß des A v e r r o i s m u s ist allgegenwärtig: „Im fünfzehnten Jahrhundert w i e in früheren Zeiten", schreibt er (ebd.: 2 5 8 ) beispielsweise, ..existierte der religiöse A v e r r o i s m u s als historische Kraft und unterminierte die Grundlagen der nationalen und religiösen Einheit der Juden." Seine Anhänger hätten „nur Lippenbekenntnisse" z u m Judentum geäußert. Selbst diejenigen Juden, die nach den Pogromen von 1391 konvertiert waren, bezichtigt er (ebd.: 131) der „Apostasie", die er der Glaubenstreue „der einfachen Männer und Frauen" als negatives Beispiel gegenüberstellt.

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„Die ,Conversos'", schreibt Hottinger (1995: 338), „wurden zu den ,neuen Juden' der Spanier." Hier zeigte sich eine Feindschaft der Christen, der die Juden auch durch die Taufe nicht entgehen konnten. Darin sieht Schulin (1981: 95 f.) eine gewisse Parallele zur jüdischen Emanzipation in Deutschland: Der Antisemitismus habe sich erst nach der rechtlichen Gleichstellung besonders stark entwickelt. Ähnlich in Spanien, wo sich besonders nach der Beseitigung der religiösen und damit rechtlichen Schranken der soziale Haß offenbarte, unter anderem als „Vertreibungswunsch gegen die nicht mehr so deutlich greifbare Minderheit". Mitte des 15. Jahrhunderts trug die Hetze gegen die Conversos erstmals blutige Früchte mit Langzeitwirkung: Im Sommer 1449 kam es in Toledo zu blutigen Tumulten und Angriffen auf Conversos. Auslöser war eine Sondersteuer (für die Kriegführung des katholischen Königs gegen Aragonien), für die man einen Konvertiten verantwortlich machte. So wie die Juden siebenhundert Jahre zuvor (sie) die Stadt an die Mauren verkauft hätten, behaupteten die antisemistischen Hetzer (ebd.: 95), verkauften sie sie nun an den König! Der Stadtrat nahm die Revolte zum Anlaß, die Conversos in Zukunft von allen öffentlichen Ämtern auszuschließen. Damit erlebte „das erste Statut zur Reinheit des Blutes" (Pérez 1993: 70) seine Geburtsstunde. Die geistigen Patentrechte an dem Statut lagen jedoch in Salamanca (Domíguez Ortiz 1992: 138 f.) und datierten bereits von 1414. So stipulierten die Aufnahmebestimmungen des dortigen Colegio de San Bartolomé, daß die Kollegiaten eine Genealogie „ex puro sanguine" nachweisen mußten. Rund drei Jahrzehnte später ging diese Saat in Toledo auf: Künftig blieben den Conversos die Tore von Heer, Verwaltung, Kanzleien etc. versperrt. Schon bald fand der Stadtrat von Toledo emsige Nachahmer, vor allem in Andalusien und im Baskenland (Lynch 1992: 144), wo der Antagonismus zwischen Altchristen und Conversos zu erbitterten Konflikten geführt hatte, besonders im Handel und in den Gilden: Das Statut zur Reinheit des Blutes war eine „Mischung aus religiösem Fanatismus, Rassevorurteilen, sozialen Ambitionen und politischen Monopolansprüchen". Vermischt mit dem ritterlichen Ideal des Reconquista-Erbes (Bennassar (1984: 133), sollten die ideologischen Ingredienzien des Statuts im altchristlichen Stolz- und Ehrbegriff einen besonders sichtbaren Ausdruck finden. Trotz der Vielfalt von Motiven und Ambitionen, die in dem Statut zum Ausdruck kamen, besaß es eine eindeutige Substanz: Blut. Damit liegt bereits diesem spätmittelalterlichen Rassegesetz eine Vorstellung zu Grunde, der in der Neuzeit eine mörderische Karriere vorbehalten war: Blut als Bestimmungsfaktor für individuelle und kollektive Eigenschaften, selbst über mehrere Generationen hinweg.

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Über die gesellschaftliche Bedeutung des Toledaner Statuts herrscht in der neueren Forschungsliteratur allerdings keine Einigkeit. Für Benzion Netanyahu (1999: 346) verkörpert es eine „neue ideologische Strömung", die tonangebend werden sollte: „In kurzer Zeit und für mehrere Jahrhunderte wird die Haltung Spaniens gegenüber den Conversos in Buchstaben und Geist von dem Toledaner Statut beeinflußt - sogar bestimmt." Mit anderen Worten: Das rassistische Element avanciert zum Leitmotiv im ideologischen Krieg der Altchristen gegen die Conversos. Nicht ihr Glaube, so fest er auch sein mochte, sei entscheidend gewesen, sondern ihre „rassische" Herkunft: „Die conversos'1, bilanziert Netanyahu (ebd.: 902), „werden als Nachfahren der jüdischen Nation identifiziert". Dieser These, die - träfe sie zu - unter anderem mit Blick auf 1492 weitreichende Folgen hätte, hat etwa Henry Kamen (1999: 228) widersprochen: Ein rassistisch motivierter Antisemitismus habe sich auf wenige Institutionen und Regionen beschränkt - von einem „Triumpf des Rassismus" könne deshalb keine Rede sein. Selbst in der Inquisition, der Netanyahu eine dezidiert rassistische Stoßrichtung attestiert, sei das Toledaner Statut umstritten gewesen: Ein namhafter Inquisitor habe es öffentlich (ebd.: 241) als „politischen und moralischen Skandal" bezeichnet. Wie hoch man die rassistischen Elemente im ideologischen Krieg der Altchristen gegen die Neuchristen auch immer veranschlagt: Der steile gesellschaftliche Aufstieg der Conversos war definitiv zu Ende. Obwohl es sicher vielen gelang, ihre Herkunft mit Hilfe gefälschter Dokumente zu verschleiern die Genealogie (Schulin 1981: 101) wurde zu einer sozialen Waffe - , erlitten die meisten eine soziale Deklassierung, die hart und unwiderruflich war. Doch damit nicht genug: Mit der Etablierung der Inquisition mußten sie auch um ihr Leben furchten. Allein in Sevilla, dem Geburtsort der Inquisition, starben zwischen 1481 und 1488 (Baer 1966: 11/327) rund 750 Männer und Frauen auf dem Scheiterhaufen, und mehr als 5 000 Conversos kamen mit sonstigen Strafen davon. Das Diktum Voltaires (Rehrmann 1993: 357), demzufolge die Päpste die Inquisition zwar eingerichtet, die spanischen Inquisitoren aber die Barbarei hinzugefügt hätten, sollte sich besonders in jenem Terrorjahrzehnt als richtig erweisen. Als die katholische ,Religionspolizei' 1479 ihre Tätigkeit begann, hatten religiöse Motive, der Kampf gegen das tatsächliche oder vermeintliche „Judaisieren" der Conversos im Geheimen, den Ausschlag gegeben, zumindest explizit. Das politische Kalkül der Könige, mit Hilfe des Glaubenstribunals ihre politische Autorität in den Regionen zu sichern (Bennassar 1984: 321), stand zwar im Hintergrund Pate, war aber sicher nicht das entscheidende Motiv: In den

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„blutigen Jahren" (Kamen 1992: 80), die sich zunächst bis zum Ausweisungsedikt von 1492 erstreckten, gerieten hauptsächlich die Conversos ins Fadenkreuz des Heiligen Offiziums. Die Juden, deren Credo offiziell auch weiterhin geduldet wurde, hatten die Inquisition dagegen noch nicht zu furchten. Immerhin wurden sie 1483 auf Betreiben der Inquisition aus Andalusien vertrieben. Auch die geistige Mittäterschaft, die ihnen von namhaften Autoren angedichtet wurde, etwa von Américo Castro und Claudio Sánchez Albornoz - auch in dieser Frage zogen die Dauerkontrahenten einträchtig an einem Strang - , hält Netanyahu (1995: 111 f.) für eine absurde Unterstellung: Auch die Idee eines „Glaubenstribunals" sei erstmals 1449 von den Toledaner Converso-Feinden lanciert worden - allesamt Altchristen. Wie war es in der Zwischenzeit denjenigen ergangen, die dem Schlachtruf „Tod oder Taufe" von 1391 widerstanden hatten? Nur zwanzig Jahre später gerieten die Juden erneut ins Fadenkreuz christlicher Fanatiker. Zwischen 1411 und 1416 fiel der Dominikanermönch Vicente Ferrer mit einem Trupp religiöser Schergen „wie eine Furie" (Beuys 1996: 406) über die verbliebenen jüdischen Gemeinden Spaniens her. Die barfüßigen Glaubenskrieger, die sich bis zum Umfallen geißelten, drangen in die Synagogen ein oder zwangen die Juden des jeweiligen Ortes, sich zu einer nächtlichen Predigt bei Fackelschein auf dem Marktplatz einzufinden. Die Dauerbedrohung zeitigte Früchte: zahlreiche Gemeinden konvertierten en bloc. Der Terror der Mönche war begleitet von einer eher subtilen Konversionsstrategie. In einer Neuauflage der „Disputationen" früherer Jahre, diesmal in der aragonesischen Stadt Tortosa, wurden 1413 namhafte Rabbiner zu theologischen Streitgesprächen zitiert, in deren Folge „eine große Zahl" (Gutwirth 1992: 55) aragonesischer Juden konvertierte. Im Verlauf dieses „intellektuellen Dramas" (Kenig 1995: 38), das im Unterschied zu den Disputationen von Barcelona bereits ganz im Zeichen einer aggressiven Bekehrungspolitik stand, räumten einige Rabbiner sogar die Möglichkeit ein (Tedeschi 1992: 105), daß der Messias bereits gekommen sei - ein intellektueller Triumph, der die fanatischen Mönche im Gefolge von Ferrer in ihrem Bekehrungseifer um so mehr bestätigte. Nach Ansicht von Hottinger (1995: 333) fiel die antijüdische Hetze besonders in Kastilien auf fruchtbaren Boden, also in jenem Land, dem eigentlichen Zentrum Spaniens, in dem der Wunsch der kleinen Leute, als hidalgos zu leben, besonders stark gewesen sei: Der Neid auf jene, die es durch ihr handwerkliches oder wirtschaftliches Geschick verstanden, reich zu werden oder doch einen kleinen Wohlstand zu erlangen, „war im Lande eines ,Lazarillo de Tormes' (geschrieben vor 1539), der einst einem Ritter

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diente, welcher zwar nichts zu essen hatte, aber nach der Essenszeit auf die Straße ging, um sich öffentlich in den Zähnen zu stochern, verständlicherweise besonders leicht anzufachen." Für viele Angehörige der unteren sozialen Schichten, unter Einschluß des kleinen, oft bitterarmen Adels, war die „Rassentheorie" (Netanyahu 1999: 896 f.) darüber hinaus Balsam für ihr Ego: Wenn sie den Conversos, die, wie sie glaubten, ihren schnellen Zuwachs an Macht und Reichtum nur konspirativen Machinationen verdankten, nirgendwo überlegen waren - wenigstens ihr ,sauberer Stammbaum' machte sie zu Edelspaniern. Dennoch gab es auch im 15. Jahrhundert noch zahlreiche Spuren einer christlich-jüdischen Convivencia im Alltag, die von den Hetzparolen augenscheinlich unberührt geblieben waren. In manchen spanischen Städten (Beuys 1996: 418) baten die Christen ihre jüdischen Mitbewohner, die Torarollen aus dem heiligen Schrein in der Synagoge zu entnehmen und damit eine Prozession über die Felder zu machen - um gemeinsam Regen zu erbitten! Gutwirth (1992: 59 f.) ist sogar der Meinung, daß das 15. Jahrhundert zu jenen Zeiten gehört, in der der geistige Einfluß oder Kontakt zwischen Juden und Christen am sichtbarsten gewesen sei. So lasse sich in der Dichtung christlicher Autoren dieses Jahrhunderts der höchste Anteil hebräischer Wörter und Bezüge auf die jüdische Alltagskultur nachweisen. Gleichzeitig seien jüdische Autoren, etwa die Schriften von Maimónides, auch weiterhin von christlichen Lesern rezipiert worden: „Auf jeden Fall", schreibt Baer (1966:11/253), „hatte die religiöse und kulturelle Toleranz in Spanien sogar nach den Ereignissen von 1391 [...] nicht aufgehört zu existieren." Dem Klerus, vor allem den Funktionären der Inquisition, waren solche Manifestationen einer späten Convivencia natürlich ein Dorn im Auge, auch dann, wenn es sich um Conversos handelte oder um solche, die nach den rassistischen Kriterien des „Reinheitsstatuts" als solche eingestuft wurden. Deshalb gleicht sich das Schicksal von Juden und Conversos in dem blutigen Jahrzehnt vor dem Ausweisungsedikt einander immer mehr an: 1480 dekretieren die Katholischen Könige (Pérez 1993: 97), daß „ihre Juden"12 fortan in einem bestimmten Stadtteil wohnen müssen, umgeben von Mauern, die sie nachts nicht mehr verlassen dürfen: die Geburtsstunde der spanischen Ghettos. Das Hauptmotiv des Dekrets bestand freilich nicht darin, die Juden vor Pogromen zu 12

Noch 1490 bekräftigte das katholische Herrscherpaar (ebd.: 76) ihren Status als „Schutzjuden". Wären Isabella und Ferdinand 1491 gestorben, spekuliert Pérez (ebd.: 77), dann wären sie womöglich als Judenfreunde in die Geschichte eingegangen.

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Ein sagenhafter Ort der B e g e g n u n g

schützen, sondern den Kontakt zwischen ihnen und den Conversos zu unterbinden. Daß die Monarchen j e d o c h auch Anlaß hatten, um die Sicherheit ihrer j ü d i s c h e n Untertanen zu fürchten, illustrieren zwei Ereignisse j e n e r Jahre, die das antisemitische Klima drastisch anheizten und Wasser auf die Mühlen j e n e r waren, die eine definitive Lösung des ,Judenproblems' propagierten. Das erste Ereignis, die E r m o r d u n g des dominikanischen Inquisitors Pedro de Arbúes 1485 in Zaragoza, betraf die Conversos: Die Mörder (Kenig 1995: 149) kamen aus ihren Reihen - ein g e f u n d e n e s propagandistisches Fressen f ü r die katholische Orthodoxie. Das zweite Ereignis, das noch größere Wellen schlug, erlangte 1490 unter d e m N a m e n des angeblichen O p f e r s eines jüdischen Ritualmordes berüchtigte Berühmtheit: „Das Heilige Kind von La Guardia". M e h r als ein Dutzend Juden und Conversos w u r d e beschuldigt (ebd.: 150), ein christliches

Kind

bestialisch getötet und sein Blut mit einer geraubten Hostie vermischt zu haben. O b w o h l die Beschuldigungen, wie immer, frei erfunden waren, 1 3 w u r d e ein Schauprozeß inszeniert, nach dessen Ende, im N o v e m b e r 1491, die 16 A n g e klagten auf dem Scheiterhaufen landeten. Großinquisitor T o m á s de T o r q u e m a d a , unter dessen persönlicher Regie der infame Schauprozeß organisiert wurde, hatte damit sein Ziel - fast - erreicht: die definitive Lösung des Judenproblems. Vor der Lösung dieses Problems mußten die christlichen Herrscher des Landes allerdings noch ein anderes, kaum geringeres Problem

lösen:

den

militärischen Sieg über die letzte Maurenbastion Granada. A n f a n g Januar 1492 war es soweit. Die Stadt, die „achthundert Jahre lang entheiligt worden war", wie ein zeitgenössischer Autor (Vincent 1992: 18) schrieb, ergab sich den christlichen Heerscharen. Daß die Kapitulation, der eine mehrjährige Belagerung vorausgegangen

war, ohne Blutvergießen

erfolgte, war den

weitreichenden

Zusicherungen ( K a m e n 1999: 207) zu verdanken, die der letzte Maurenherrscher Boabdil

erhalten

hatte:

Religionsausübung,

Sicherheit

der

Personen

und

Güter,

freie V e r f ü g u n g über die islamischen

Freiheit

Kultstätten,

der eine

gemischte, islamisch-christliche Rechtsprechung, auf W u n s c h freie Ausreise nach N o r d a f r i k a ... Insgesamt somit außerordentlich großmütige Kapitulationsbedingungen, die, wie Kamen (ebd.) völlig zu Recht bemerkt, noch die mittelalterlichen Convivencia-Traditionen widerspiegelten. Sie waren allerdings kaum das Papier wert, auf dem sie standen: Nach dem A b z u g der Katholischen Könige begann bereits die Verfolgung. Der katholische Fundamentalismus, der gerade 13

N a c h Ansicht von Baer ( 1 9 7 9 : 1 1 / 4 0 3 ) wurden die Anhänger durch die antisemitische Literatur früherer Jahrhunderte inspiriert, insbesondere durch A l f o n s de Espinas

FortaÜtium Fi de i.

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diese letzte Phase der Reconquista als „Kreuzzug" (Vincent 1992: 23) interpretierte, empfand es augenscheinlich als Zumutung, den militärisch-ideologischen Hauptfeind der vergangenen achthundert Jahre zu schonen. Dabei konnten die Fanatiker gewiß sein, daß auch der europäische Zeitgeist' auf ihrer Seite stand. So war die Einnahme Granadas für Machiavelli (ebd.: 26 f.) die europäische „Gründungsepisode" schlechthin, Ferdinand avancierte „zum ersten Herrscher der Christenheit". Mußten die Juden, die den Feldzug im übrigen mit finanziert hatten, nun damit rechnen, daß sich die uneingeschränkte Macht des Herrschers gegen sie wenden würde? Das Dekret vom 31. März 1492, das sie vor die Wahl stellte, zu konvertieren oder das Land binnen weniger Monate zu verlassen, traf die große Mehrheit, unter ihnen die engsten Berater des Königspaares, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Hatten sie zu sehr auf die Monarchen vertraut, die gerade eben noch den besiegten Mauren Religionsfreiheit zugesichert hatten und deren Heirat von einflußreichen Juden (Baer 1966:11/305) mitarrangiert worden war? Schließlich kamen auch die Mitarbeiter der Krone aus allen Kreisen: „Die jungen Herrscher", schreibt Vincent (1992: 99), „sahen nicht auf die Vergangenheit, auf bewegte Lebensläufe, auf die Zugehörigkeit zu alten gegnerischen Seilschaften. Tanto Monta\" Dieser Devise waren auch die meisten ihrer Vorfahren gefolgt, doch die Zeiten hatten sich geändert: „Aus dem religiösen Konversionseifer", schreibt Leggewie (1993: 100), „war ein rassisches Aussonderungsprogramm geworden - auch das war ein Übergang vom Mittelalter in die Moderne." Die Hauptdrahtzieher des Edikts kamen zwar aus der Inquisition (Baer 1966: 11/433 f.), aber erst die Unterschrift des Königspaares setzte es in Kraft. Von welchen Überlegungen ließen sich Ferdinand und Isabella dabei leiten? Über kaum ein Thema ist in der Literatur soviel spekuliert worden wie über die Motive für diese Unterschrift. Dabei reproduziert ein Teil der Erklärungsversuche, gewollt oder ungewollt jene Ansichten über die soziale und politische Rolle der spanischen Juden in den zurückliegenden Jahrhunderten, die, wie weiter oben deutlich wurde, der Realität widersprechen. So vertrat Henry Kamen, einer der angesehensten Inquisitionsforscher, in früheren Jahren (Perez 1993: 120) die These, daß das Edikt von 1492 grosso modo das Schlußkapitel einer Art Klassenkampf gewesen sei: die Hauptinitiatoren der Judenvertreibung hätten dem Adel angehört, der sich durch die Eliminierung eines entstehenden Bürgertums, primär in Gestalt der Juden, als feudale Klasse behaupten wollte. Die Gleichung Juden = Bürgertum entbehrt jedoch, so die neuere Forschung (ebd.: 120), jeglicher Grundlage. Die ökonomischen Aspekte des Edikts, schreibt

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auch Kamen14 in späteren Untersuchungen (1992: 86 ff.), seien wahrscheinlich die am meisten mißverstandenen gewesen. So seien der „enorme Reichtum" der Juden und das „riesige Kapital", das sie angeblich in die Industrie investiert hätten, in den einschlägigen Dokumenten nie gefunden worden. Selbst die sogenannten „reichen Juden", wie etwa der Königsberater Seneor, seien in Wirklichkeit nur „Manager" fremden Geldes gewesen. Deshalb sei es falsch, die spanischen Juden des 15. Jahrhunderts als „kapitalistische Klasse" oder als eine Art „Mittelschicht" zu definieren: „Die Bedeutung der Juden in der spanischen Wirtschaft ist [...] übertrieben worden." Diese Sicht der Dinge wird inzwischen von den meisten Autoren geteilt. So sei die jüngste Forschung zu dem Schluß gekommen, schreibt Schulin (1981:98), daß weder das Klasseninteresse des Adels oder des Bürgertums noch der häufig zitierte Volkshaß eine wesentliche Rolle gespielt hätten. Vielmehr sei das in der Präambel des Edikts genannte Motiv als das ausschlaggebende anzusehen: Die Juden hätten die Conversos dazu verleitet, rückfällig zu werden - und das trotz der Tatsache, daß sich der größte Teil des Dokuments (Gutwirth 1992: 71) auf die Enteignung jüdischen Kapitals und Besitzes bezog. Die primär religiösen Motive, die die Monarchen zur Unterschrift unter das von der Inquisition inspirierte und formulierte Dokument bewogen, dürften nach Ansicht von Kamen (1992: 79) jedoch nicht als Versuch verstanden werden, lediglich die religiöse Einheit des Landes zu erzwingen. Schließlich hätten dieselben Könige nur wenige Monate zuvor den Mauren von Granada expressis verbis das Recht auf freie Religionsausübung zugesichert. Das Hauptziel des Edikts seien deshalb eigentlich die Conversos gewesen: Die Unterbindung des heimlichen ,Judaisierens' durch das .schlechte Vorbild' der Juden. Dafür spricht auch die augenscheinliche Tatsache (Kenig 1995: 151), daß die Hauptintention des Edikts die Konversion der jüdischen Minderheit zum Ziel hatte, die Könige deshalb über die geringe Zahl der Konversionsbereiten, die sie in den folgenden Monaten registrierten, „überrascht" waren - negativ überrascht. Die Mehrheit der Juden dachte nicht daran, ihren Glauben aufzugeben, und begann gleich nach dem Inkrafttreten des Edikts damit, ihre Emigration vorzubereiten. Gleichzeitig zogen Mönche und Mitglieder des Klerus in zahlreichen Städten von Haus zu Haus (Beinart 1992: 114), um die Bewohner der Juderias doch noch zur Konversion und damit zum Bleiben zu animieren. Deshalb hat 14

In der völlig überarbeiteten Neuauflage dieses einflußreichen Buches, das er mit 27 Jahren beendet hatte, schreibt er (1999: 7), daß es „einige der Tugenden und sämtliche Defekte der Arbeit eines jungen Historikers" enthalte.

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Kamen (1992: 82) möglicherweise Recht, wenn er die Vertreibung als „Irrtum" interpretiert - als Irrtum des Edikts, das auf Konversion, nicht auf Expulsion gerichtet war. 15 Es liegt auf der Hand, daß die Rassismuskomponente, die, wie bereits mehrfach zitiert, in der Untersuchung von Netanyahu im Mittelpunkt steht, dieser Sicht der Dinge widerspricht - fundamental widerspricht. So steht denn auch fur den israelischen Inquisitionsforscher (1999: 985 ff.) ausdrücklich fest, daß die Hauptdrahtzieher des Edikts - Torquemada und die Inquisition nur die folgende Alternative im Auge hatten: „Vernichtung oder Vertreibung". Da die rassistische Doktrin - wenn sie tatsächlich so dominant war, wie Netanyahu überzeugt ist - keinen nennenswerten Unterschied zwischen Juden und Conversos machte, klingt diese Alternative plausibel. Dagegen spricht, daß sie sich in praxi so nicht stellte: Ein erheblicher Teil der spanischen Juden konvertierte - konnte konvertieren. Demnach behielte Kamen (1999: 32) doch das letzte Wort - ihm zufolge war die Vertreibung nicht rassistisch motiviert. Der Streit der ,Titanen' der modernen Inquistionsforschung, der auch und gerade in Spanien ein starkes Echo findet,16 dürfte auch in Zukunft weitergehen. Einigkeit besteht zumindest darin, schreibt Baer (1966:11/437),

daß

die

Vertreibung der Juden aus Spanien ein politisches Phänomen war, das im ausgehenden Mittelalter ohne Beispiel ist. Wenn in früheren Jahren, etwa in Deutschland und Frankreich, die Juden vertrieben wurden, dann seien diese „Operationen" entweder nur partiell oder nicht auf einen Schlag durchgeführt worden. Die einzige Parallele sei die Vertreibung der Juden aus England gewesen, die sich ebenfalls auf das gesamte Territorium erstreckt habe, die Zahl der Vertriebenen sei allerdings erheblich geringer gewesen. Wieviele Juden verließen die Halbinsel? Einige Autoren (Beinart 1992: 114) sprechen von rund 200 000, die meisten überquerten die Grenze nach Portugal. Andere Autoren (Pérez 1993: 114) reduzieren ihre Zahl auf 50 000, unter Berücksichtigung einer schwer zu beziffernden Gruppe von Rückkehrern, die sich auf der Basis eines Dekrets vom November 1492 (ein weiteres Indiz fur die Konversionsabsicht des Edikts!) entschlossen, ihren alten Glauben aufzugeben und in ihre Heimatorte zurückzukehren. Die Schätzungen schwanken (Beinart 1995: 192) zwischen einigen Hundert, hauptsächlich mittelloser Flüchtlinge, die hofften, auf diese Weise ihren alten Besitz wiederzuerlangen, und der Hälfte 15

Dafür spreche (ebd.: 84) auch die fehlende Logistik: Im Unterschied zur Vertreibung der Morisken, ein gutes Jahrhundert später, sei man auf einen Massenexodus überhaupt nicht vorbereitet gewesen.

16

Vgl. das Einführungskapitel der vorliegenden Untersuchung.

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(Tedeschi 1992: 44) derjenigen, die das Land 1492 verlassen hatten. Zusammen mit den schätzungsweise 50 000 Juden (Schulin 1981: 99), die bereits nach der Veröffentlichung des Edikts konvertiert waren, bildeten sie nun jene Gruppe neuer und alter Conversos, die schon bald erneut ins Fadenkreuz der Inquisition geriet. Zumindest offiziell war damit eine achthundertjährige Tradition jüdischer Gelehrsamkeit

und Kultur, die sich im Austausch

mit islamischer

und

christlicher Majorität gewandelt und fruchtbar behauptet hatte (Barbara Beuys 1996:485), brutal an ihr Ende gekommen: „Es war eine Katastrophe für das Judentum, die von den Vertriebenen als dritte Zerstörung des Jerusalemer Tempels empfunden wurde."

III. Unter der Herrschaft von Thron und Altar: Die Verdrängung der trikulturellen Geschichte 1. „Das Reich des Konformismus": Spanien und die Inquisition von 1492 bis ins 19. Jahrhundert „Spanien", schreibt Lynch (1992: 140), „spezialisierte sich auf Vertreibungen." Der ,Ouvertüre' von 1492 folgte 1609 die Vertreibung der Morisken, 1767 mußten die Jesuiten das spanische ,Mutterland' und die überseeischen Kolonien verlassen. Welche Folgen hatte die Vertreibungspolitik, zunächst mit Blick auf die Juden, für die ökonomische, politische und kulturelle Entwicklung des Landes? Die Eroberung Granadas und die Vertreibung der Juden trafen zwar in der christlichen Welt auf Beifall. Im ottomanischen Reich, in dem viele der Vertriebenen Zuflucht und eine neue Heimat fanden, löste das Edikt indessen ungläubiges Staunen aus: „Sie nennen Ferdinand einen weisen König", soll Sultan Bajazet II. zum Großrabbiner von Konstantinopel, Moses Capsali, gesagt haben (Vincent 1992: 123), „ihn, der seine Staaten ärmer macht und meine bereichert!" Das häufig zitierte Diktum trifft zweifellos zu, wenn damit der ökonomische und kulturelle Aufschwung gemeint ist, den die spanischen Juden an ihren neuen Heimatorten mit bewirkten. In Spanien war die Sache jedoch komplizierter: Zwischen der schon bald einsetzenden Dekadenz des Landes und der Judenvertreibung bestand, so der Tenor der neueren Forschung (Domínguez Ortiz 1992: 173), keine monokausale Beziehung. Weder in der Landwirtschaft noch in anderen Bereichen der Ökonomie habe sich der jüdische Aderlaß entscheidend bemerkbar gemacht. Da die Juden nicht über die wirtschaftliche Macht verfügt hatten, die ihnen häufig zugeschrieben wurde, verwundert dieser Befund natürlich nicht. Deshalb ist sich die Forschung inzwischen weitgehend einig, daß die Folgen der Vertreibung vor allem indirekter Natur waren - damit jedoch nicht weniger gravierend: Spanien verwandelte sich unter der Allgegenwart der Inquisition, schreibt Bennassar (1984: 339), „in ein Reich des Konformismus". Die extrem theologielastige Entwicklung der spanischen Gesellschaft, die für die nächsten dreihundert Jahre prägend werden sollte, ist zwar nicht die einzige Erklärung für die spanische Abkehr vom „Projekt der Moderne" (Tietz 1997: 44), gehört aber wohl doch zu den wichtigsten Faktoren eines ökonomischen und wissenschaftlich-intellektuellen Niedergangs, der in Europa ohne Beispiel blieb. Obwohl die Inquisition, der oberste und sichtbarste Repräsentant der katholischen ,Theokratie', nur einen Bruchteil der Bevölkerung physisch bedrohte

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und/oder eliminierte, war sie dennoch, so Bennassar (1984: 67), omnipräsent: „Man mußte mit ihr rechnen, darin bestand vielleicht ihr eigentlicher Triumpf." Die erste Verfolgungswelle dezimierte die Conversos (Lynch 1992: 143), die tatsächlich oder angeblich im Geheimen Judaisierten'. Die große Mehrheit von ihnen, so wird geschätzt (Domínguez Ortiz 1992: 56), geriet als vermeintliche Kryptojuden jedoch zu Unrecht in die Fangarme der Inquisition. Nur eine Minderheit versuchte auch weiterhin (Beinart 1992: 121), den jüdischen Geboten zu folgen und sogar regelmäßig Bücher zur religiösen Unterweisung nach Spanien einzuschmuggeln. Dagegen ist Kamen (1999: 67) der Ansicht, daß das eigentliche Converso-Problem erst 1492 begann: Während die vorausgegangenen Converso-Generationen überwiegend aus überzeugten Christen bestanden hätten, „fühlten sich die neuen Conversos als Juden und sehnten sich nach ihrer alten Kultur". Später, in einer Phase etablierter „Routine", gerieten immer mehr Altchristen in das Räderwerk der weitverzweigten Repressionsmaschinerie: Häretiker', echte oder vermeintliche Protestanten, Morisken, Mystiker, Bigamisten, sexuelle Abweichler ... Als die Cortes de Cádiz das Tribunal Anfang des 19. Jahrhunderts erstmals für abgeschafft erklärten, hatten die Parlamentarier zwar eine stetig fallende, insgesamt aber doch erschreckende Opferbilanz (Bennassar 1984: 17) vor Augen: 31 912 Menschen, die auf dem Scheiterhaufen gelandet waren, 17 659, die, weil man ihrer nicht habhaft werden konnte, in efigie verbrannt wurden, und 291 450, die schwere Strafen über sich ergehen lassen mußten - Kerker, Galeere, Auspeitschen, hohe Geldstrafen, Verbannung ... Insgesamt 341 021 Menschen, die im Laufe von drei Jahrhunderten direkt mit der Inquisition in Berührung kamen. Ihr Nimbus als Furcht und Schrecken einflößende ,Religionspolizei' war zwar berechtigt, wurzelte aber vor allem in dem blutrünstigen Terrorregime der ersten Jahrzehnte: Die Autodafés, schreibt Bennassar (ebd.: 248), „waren ein pädagogisches Instrument" -

mit Langzeitwirkung. Die Folter, eine auch

diesseits der Pyrenäen nicht unbekannte Form der ,Wahrheitsfindung', diente dabei zwar als .pädagogisches Begleitinstrument', gehörte aber nicht (ebd.: 103) zum Standardrepertoire des Schreckenstribunals. Es war vor allem die Atmosphäre permanenter Denunziationsgefahr, durch die strikte Anonymität der Denunzianten noch gesteigert, die sich wie Mehltau über das „Reich des Konformismus" legte und den kritischen Geist lähmte, liquidierte oder zu Camouflageformen trieb, die an Selbstverleugnung grenzten. Zum repressiven Begleitinstrumentarium zählte nicht zuletzt das „Statut zur Reinheit des Blutes", das nach der erneuten Zwangskonversion von 1492 noch an Bedeutung gewann. An

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den Universitäten, vor allem an der berühmten Universität von Salamanca, wurde es, zum Mißfallen der Inquisition, zwar nicht immer buchstabengetreu angewendet (Domínguez Ortiz 1992: 161), der religiöse Verfolgungseifer machte aber vor den Toren der Alma mater mitnichten halt. Das spektakulärste Opfer des 16. Jahrhunderts war der Augustiner und Hebraist Fray Luis de León, entfernter Nachfahre einer konvertierten Familie, der unter anderem deshalb fünf Jahre im Kerker verbrachte (ebd.: 207), weil er den Gesang der Gesänge ins Spanische übertragen hatte. Ein besonderes Augenmerk, das illustriert dieser Fall, richtete die Inquisition auf die Zensur .gefährlicher' Bücher, vor allem aus dem Ausland. Da sie die einzige Institution des Landes war, deren Einfluß sich auf sämtliche Regionen erstreckte - auch hier ging das Kalkül der Könige a u f - , erwies sie sich für das Amt des nationalen Zensors als besonders prädestiniert. Auf der Strecke blieb dabei nicht nur ein immenser Korpus bibliophiler Kostbarkeiten, unter Einschluß hispanoarabischer und hispanohebräischer Provenienz. Das Buch an sich, schreibt Bennassar (1984: 260), geriet unter den Generalverdacht der Häresie: „Zweihundert Jahre lang hat man den Spaniern immer wieder gesagt, daß es ein gefährliches Produkt sei, Dynamit, das nur mit großer Vorsicht zu handhaben sei, vor allem ausländische Bücher. Es ist möglich, daß sie sich überzeugen ließen." Dem hat neuerdings der bereits mehrfach zitierte Inquisitionsforscher Henry Kamen diametral widersprochen nicht immer überzeugend, wie ich finde. Er (1999: 294) bezeichnet die meisten Beschuldigungen gegen die Inquisition als „Propaganda" der europäischen Spaniengegner - als Teil der Schwarzen Legende, die die Inquisition weitgehend „erfunden" habe. So besitze etwa das weitverbreitete Bild eines eisernen Vorhangs, mit dessen Hilfe die Inquisition das Land vor ausländischen Einflüssen, vor allem intellektueller Art, abgeschottet habe, „keinerlei Bezug zur Realität". Die große Mehrheit der spanischen Autoren habe ihre Bücher, seien es religiös-philosophische oder literarische Gattungen, ohne schwerwiegende Beschränkungen publizieren können - einen Großteil davon sogar im Ausland: „Damit besaßen sie, ironischerweise, eine Freiheit", so Kamen (ebd.: 107), „der sich keine andere Nation Europas erfreute." Genauso unsinnig sei es, die Inquisition als Bremser oder gar Blockierer des technisch-naturwissenschaftlichen Fortschritts zu denunzieren - hätten sich die Spanier „möglicherweise" (ebd.: 133 f.) doch nur weniger zu den modernen Wissenschaften hingezogen gefühlt. Auf jeden Fall gebe es keine Indizien dafür, daß die Inquisition, etwa mit dem Instrument der Zensur, das Denken in nennenswertem Umfang kontrollierte. Ich komme auf diese - gewagte - These am Beispiel der Literatur noch einmal

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zurück. Hier sei lediglich daraufhingewiesen (Domínguez Ortiz 1992: 262), daß die Inquisition ihr Amt als Zensurinstanz nicht ganz allein ausübte. Als Mitte des 16. Jahrhunderts die protestantische Gefahr anwuchs, erhielt sie Schützenhilfe durch die Krone: Ab 1559 war es Spaniern untersagt, an ausländischen Universitäten zu studieren oder dort selber Vorlesungen zu halten - mit Ausnahme relativ verläßlicher' Orte wie Bologna, Rom, Neapel und Coimbra. Der religiöse Furor, ein ideologischer Cordon sanitaire, der Spanien vor ausländischen Keimen schützen sollte, erwies sich in praxi jedoch nicht immer als besonders kohärent. Als Portugal 1580 der spanischen Krone einverleibt wurde, suchten zahlreiche Marranen aus Furcht vor der portugiesischen Inquisition Zuflucht im Nachbarland. Dort waren sie, mit dem stillschweigenden Plazet des Religionstribunals (ebd.: 137), sogar durchaus erwünschte Gäste, mit deren Hilfe man sich die Linderung der immer drückender werdenden Wirtschaftsprobleme versprach. Ähnliche Ambitionen veranlaßten den ersten Minister des Königs, Herzog Olivares, wenige Jahrzehnte später, marranische Finanziers aus dem annektierten Nachbarland zu importieren. Ohne deren Hilfe, schätzt Lynch (1992: 150), hätten sich die wirtschaftlichen Probleme zur Katastrophe ausgewachsen. Noch im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts war das Verhalten der spanischen Monarchie gegenüber den Juden und Marranen alles andere als kohärent: Während auf der Madrider Plaza Mayor das letzte „ehrenhafte" Autodafé stattfand, nämlich in Gegenwart des Königs, spielte man mit dem Gedanken (Domínguez Ortiz 1992: 99 f.), die Nachfahren der 1492 vertriebenen Juden zur Rückkehr zu bewegen. So verwundert es vielleicht nicht allzu sehr, daß der spanische König den in Holland lebenden Sepharden Manuel de Belmonte für seine dortigen Verdienste als eine Art Generalvertreter in Wirtschaftsfragen mit einem Baron-Titel honorierte! Wer darin das baldige Ende des institutionalisierten Fanatismus sah, täuschte sich indes gewaltig: „Das Jahrhundert der Aufklärung", schreibt Lynch (1992: 152), „begann schlecht für die Conversos." Bereits Ende des Jahrhunderts hatte eine erneute Verfolgungswelle eingesetzt, die erst in den 30er Jahren des „Jahrhunderts des Lichts" wieder abebben sollte. Die Verwüstung, die sie hinterließ, war immer noch erschreckend. Weit über tausend Autodafés (ebd.: 152), hauptsächlich wegen „Judaisierens"; in geringerem Umfang füllten Muslime, Protestanten, Blasphemisten, Zauberer und Bigamisten die Opferstatistik. Mit Beginn der Ägide des liberalen Modernisierungskönigs' Karl III. (1759-1788) flaute die Verfolgungswelle deutlich ab. Nach der Französischen Revolution setzte sie zwar erneut ein, diesmal vor allem in Valencia; ihr organisatorisches

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.Epizentrum', die Inquisition, hatte seine zerstörerische Kraft indessen sukzessive verloren. Bereits 1715 waren ihre Kompetenzen eingeschränkt, 1768 die Register mit ,neuchristlichen' Namen (Kenig 1995: 118) eliminiert worden. Als die Cortes de Cádiz das Tribunal 1813 offiziell liquidierten, war nur ein Torso übriggeblieben. Ihr definitives Ende erlebte die tragende Säule des spanischen ,Gottesstaates', nach einem wechselvollen Hin und Her, aber erst 1834. Ihre repressive Schwester, das „Institut zur Reinheit des Blutes", überlebte noch bis 1865. Geblieben war indes „der antijüdische Mythos" (Domínguez Ortiz 1992: 104), der „in breiten Schichten des Volkes" und in einem „Gutteil" der Intellektuellen tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Wohl hauptsächlich tradiert durch den Klerus und die antisemitischen Stereotypen des religiösen Schrifttums und der Literatur, waren die Juden im kollektiven Gedächtnis der Inbegriff un-, ja antispanischer Traditionen: Jude sein, so Kamen (1999: 291), bedeutete nicht katholisch sein und nicht katholisch sein war gleichbedeutend mit Jude sein „Juden und Freimaurer", „Juden und Protestanten" und „Juden und Ausländer" verschwammen in diesen Denkschablonen zu einem Popanz: „Für die Antisemiten der neuen Generation von Spaniern waren die Juden der schwarze Fleck in der Geschichte ihres Landes." Keine sonderlich günstige Atmosphäre für die ,Rückkehr der Juden'.

2. Die Morisken und ihre Vertreibung Warum haben sich Isabella und Ferdinand, nachdem sie Granada erobert hatten, nicht auf dem Hügel von Santa Fé, mit den Worten von Vincent (1992: 30) eine Art „Anti-Granada", niedergelassen? Immerhin hätten sie von dort einen der militärisch-politischen Höhepunkte ihrer Regentschaft symbolträchtig vor Augen gehabt. Sie taten es nicht, meint Vincent, weil ihre Bewunderung und ihr Respekt für die faszinierende Maurenmetropole mit einem tiefen Unbehagen vermischt war: „Die gesamte Stadt [...] war ihnen zutiefst fremd." Für die maurischen Bewohner Granadas war das ein böses Omen: Kaum waren die Könige abgezogen, wurden die ersten Risse im Gebäude der Verträge sichtbar die Tage der Toleranz waren gezählt. Dennoch sollte es noch über hundert Jahre dauern, bis die Geschichte des spanischen Islams definitiv zu Ende ging. Warum wurden Mauren und Juden nicht zusammen vertrieben? Die .Galgenfrist', die man ersteren einräumte, hatte vermutlich damit zu tun (Pérez 1993: 133), daß sie eine gut kontrollierbare, vom christlichen Adel leicht auszubeutende Minderheit

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darstellten, die im Unterschied zu den jüdischen Conversos keine relevanten Positionen in der Hierarchie von Staat und Kirche besetzten: Sie waren nützlich und -

vorläufig -

nicht gefährlich. Das erklärt wohl auch (Domínguez

Ortiz/Vincent 1993: 132), daß die Ressentiments gegen die Mauren niemals jene Dimensionen erreichten, die den Juden entgegen geschlagen waren. Die ultima ratio ihrer schließlichen Vertreibung - anders als bei den Juden war sie kein „Irrtum" - muß dennoch in den wachsenden Ressentiments und Repressionsmaßnahmen verortet werden, deren Opfer sie wurden. Zunächst auf einer

eher

symbolischen

Ebene,

etwa

in

Gestalt

der

protzig-häßlichen

Steinmasse, die Karl V. in unmittelbarer Nachbarschaft zur Alhambra auftürmen ließ. Oder in Form jener ,,schlimmste[n] Verchristlichung" (Hottinger 1995: 120), mit der die einzigartige Moschee von Córdoba verschandelt wurde. Der Bau einer gotischen Kirche im Zentrum der Moschee, der rund 1500 m2 der faszinierenden Säulenhalle zerstörte, soll Karl V. zwar später leid getan haben, rückgängig zu machen war er freilich nicht. Vielleicht hat der architektonische Gewaltakt aber dazu beigetragen, daß das maurische Bauwerk wenigstens als Torso erhalten geblieben ist.1 Die Menschen, die dort einst gebetet hatten, erwartete ein schlimmeres Schicksal, das sich in drei Hauptphasen (Domínguez Ortiz/Vincent 1993: 17) zusammenfassen läßt: Anfang des 16. Jahrhunderts wurden sie zwangskonvertiert, Ende der 60er Jahre trieb die christliche Repressionsspirale die Granadiner Morisken, 2 wie die konvertierten Moslems fortan hießen, in einen verzweifelten Aufstand, zwischen 1609 und 1614 wurden sie en masse vertrieben. Dabei hatte es zu Beginn des Jahrhunderts noch so ausgesehen, als würden sich die Sieger mit einer religiösen Konversion begnügen. Nach ihrem Abschluß, Mitte der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts, gab es auf spanischem Boden, zumindest offiziell, keine islamische Minderheit mehr. Es sollte indes nicht lange dauern, bis sich der Konversionseifer der Sieger auf nahezu sämtliche Aspekte der maurischen Kultur ausweitete. Innerhalb einer Dialektik von „Assimilation-Repression" (ebd.: 99 ff.) entstand ein umfangreicher Korpus von Verboten, der maurische Bücher, öffentliche Bäder, Namen, Geburts-, Heirats- und Beerdigungsriten etc. 1

2

Als die Moschee 1882 zu einem nationalen Monument erklärt wurde, befand sie sich, wie die Alhambra, dennoch in einem beklagenswerten Zustand. Nach Meinung von Caro Baroja (ebd.: 89) galt als Moriske, wer einen moslemischen Vater hatte. Dagegen vertreten Domínguez Ortiz/Vincent (1993: 89) die Ansicht, daß die Kriterien genauso vage waren wie bei den jüdischen Konvertiten: Auch eine weit zurückliegende Maurengenealogie, selbst aus verwandtschaftlichen Nebenzweigen, reichte aus, um als Moriske abgestempelt zu werden.

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umfaßte. Kurz, die Repressionspalette zielte auf eine religiöse und kulturelle Totalassimilation: Sämtliche Spuren der maurischen Geschichte sollten getilgt werden. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Akkulturation nur dann erfolgreich sein konnte, wenn sie mit brutaler Gewalt durchgesetzt wurde. Deshalb spielte die Inquisition von Anfang an eine wichtige Rolle. In Valencia und Granada wurden die Morisken im letzten Viertel des Jahrhunderts zur Hauptzielscheibe des Religionstribunals. Zwar ließen sich auch immer wieder Stimmen vernehmen, unter ihnen so prominente wie die des Erzbischofs von Granada, Hernando de Talavera (Kamen 1999: 213), die zur Mäßigung aufriefen - das längst angelaufene Räderwerk der Unterdrückung konnten sie indes nicht stoppen. So verwundert es nicht, wenn die klerikale Repressionsmaschine im Bewußtsein der verfolgten Minderheit zum Hauptsymbol der Unterdrückung wurde und ihre Autoren sie als den Ort beschrieben (Domínguez Ortiz/Vincent 1993: 103), „wo der Teufel wohnt". Der Aufstand, der 1568, am Vorabend des christlichen Weihnachtsfestes, im Alpujarra-Gebirge ausbrach, war ein schierer Akt der Verzweiflung und als solcher von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Führer der Rebellion, Hernando de Córdoba alias Aben Humeya und Farax Aben Farax, unter den Morisken des Granadiner Albaicin keine militärische Unterstützung fanden: Im Unterschied zu den Morisken in den ländlichen Gebieten der Alpuj arras, deren ökonomische Lage verzweifelt, deren kulturelle Kohäsionskräfte aber noch relativ stark waren (ebd.: 47), hatte der Akkulturationsprozeß in den städtischen Gebieten bereits tiefe Spuren hinterlassen. Die blutige Niederschlagung des Aufstandes, begleitet von brutalen Exzessen der christlichen Truppen unter Führung von Juan de Austria, dem Bruder von König Philipp II., war deshalb nur eine Frage der Zeit die militärische Überlegenheit der Christen erwies sich als erdrückend. Nach der endgültigen Niederlage, Ende 1570, wurde die nun definitiv besiegte Minderheit gewaltsam umgesiedelt. Verteilt auf Sevilla, Albacete, Córdoba, Toledo etc., sollten zukünftige Rebellionen kategorisch ausgeschlossen werden. Die physischen, ökonomischen und kulturellen Folgen der Deportation erwiesen sich für die geschlagene Minderheit als katastrophal. Ihr Widerstandspotential, bereits vor dem Aufstand aussichtslos schwach, war nun fast völlig gebrochen. Die Ansicht Kamens (1999: 217), daß die christliche Unterdrückungspolitik den „Separatismus" der Morisken zwar gefördert, aber nicht erzeugt habe, klingt deshalb wenig überzeugend - gerade die brutale Niederschlagung ihres Aufstandes, „der grausamste Krieg, den es in diesem Jahr-

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hundert in Europa gab" (ebd.: 216), mußte sie in der Überzeugung bestärken, daß ihre Tage im einstigen Al-Andalus gezählt waren. So blieben sie auch weiterhin ein Quell staatspolitischer Befürchtungen: Mehr denn j e figurierten sie im Bewußtsein der altchristlichen Herrscherklasse als Fünfte Kolonne einer realen oder imaginären „türkischen Gefahr". Eine solche Gefahr, schreiben Domínguez Ortiz/Vincent (ebd.: 61), sei zwar nicht völlig auszuschließen gewesen, aber maßlos übertrieben worden - als ideologischer Faktor jedoch äußerst wirksam gewesen. Als Erklärung der Vertreibung reichten diese Befürchtungen jedoch nicht aus. So hätten die Morisken auch weiterhin einflußreiche Verteidiger gehabt. Vor allem unter den adligen Großgrundbesitzern (ebd.: 146 ff.), die sie als leicht auszubeutende Vasallen geschätzt hätten. Von Ausnahmen abgesehen, habe auch der Klerus keine entscheidende Rolle g e s p i e l t - der kirchlichen Hierarchie, unter Einschluß der Inquisition, sei durchaus bewußt gewesen (ebd.: 160 f.), daß sie durch eine Vertreibung mehr verlieren als gewinnen würde. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß die Inquisition von Valencia, als gegen Ende des Jahrhunderts erstmals Vertreibungsgerüchte die Runde machten, starke Bedenken äußerte (Candau Chacón 1997: 108), die sie unter anderem damit begründete: „Letzten Endes sind sie Spanier wie wir." Selbst der Papst sprach sich gegen eine Vertreibung aus. Dennoch war es ihre angebliche „Nichtassimilierbarkeit" (Domínguez Ortiz/Vincent 1993: 163), die schließlich den Ausschlag gab. Da sich Philipp III., der inzwischen das Zepter übernommen hatte, diese Interpretation zu eigen machte, falle ihm die Hauptverantwortung zu: „Die Vertreibung war also keine Folge der internen Dynamik unserer Geschichte", bilanzieren Domínguez Ortiz/Vincent (ebd.: 164) das Schlußkapitel der zwangskonvertierten Mauren auf spanischem Boden, „es war eine Entscheidung, deren Verantwortung auf Philipp III. und die ihn umgebenden Personen zurückfällt". Damit war „der Ring der Intoleranz" (Vincent 1992: 115) definitiv geschlossen: Rund 300 000 Menschen mußten das Land, das ihnen trotz der gnadenlosen Verfolgung überwiegend zur Heimat geworden war, endgültig verlassen. Zusammen Morisken, die seit

mit der schleichenden

Emigration von Mauren

und

1485 ihr Geburtsland verlassen hatten, belief sich die

Gesamtzahl der Vertriebenen schätzungsweise auf 500 000 Personen. Damit stellte die zweite Massenvertreibung, zumindest unter demographischen Gesichtspunkten, einen noch gravierenderen

Aderlaß dar. Die

ökonomischen

Folgen für Spanien, wiewohl schwer zu beziffern, machten sich regional jedoch recht unterschiedlich bemerkbar. Betroffen waren vor allem Valencia, Aragón

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und Kastilien/Extremadura, wo nach der Zwangsumsiedlung die meisten Morisken gelebt hatten. Die Region um Valencia verlor ein Drittel ihrer Bevölkerung; die Forscher streiten sich lediglich darüber (Domínguez Ortiz/Vincent 1993: 214), ob die ökonomischen Folgen für diese Region „nur als gravierend oder als katastrophal" zu bewerten seien. Obwohl es problematisch sei, für den Beginn des 17. Jahrhunderts bereits von einer „spanischen Ökonomie" zu sprechen (ebd.: 203), hätte sich der gewaltige Bevölkerungsabfluß für das gesamte Land negativ bemerkbar gemacht - nicht zuletzt deshalb, weil es unter den Vertriebenen kaum unproduktive Bevölkerungsgruppen (hidalgos, Mönche, Soldaten, Bettler etc.) gegeben habe. Zusammen mit den 400 000 bis 500 000 Emigranten, die sich im 16. und 17. Jahrhundert nach Amerika einschifften (Vincent 1992: 138), verlor Spanien rund eine Million Menschen. Für ein Land von sechs bis sieben Millionen Einwohnern war das ein gewaltiger Aderlaß: „Die dreifache Diaspora gehört zu den Faktoren, die den spanischen Niedergang im siebzehnten Jahrhundert erklären." Auf jeden Fall war das letzte Kapitel des spanischen Islam damit geschrieben. Nur wenige kehrten heimlich zurück - Cervantes' Ricote 3 ist insofern eine Ausnahme! Die meisten fanden in der Gegend von Tunis (Domínguez Ortiz/V incent 1993: 240) eine neue Heimat; eine relativ kompakte Gruppe siedelte sich in Marokko an, etliche gelangten über Frankreich nach Italien (ebd.: 228 ff.), wo rund 3 000 von ihnen in der Toscana zu neuen Nachbarn der bereits dort lebenden Sepharden wurden. Glaubt man dem einen oder

anderen

Zeitzeugen (ebd.: 242 ff.), dann teilten zahlreiche Morisken auch die vielzitierte Spaniennostalgie, besaßen gegenüber ihren alteingesessenen

moslemischen

Glaubensbrüdern ein „Überlegenheitsgefühl", pflegten eine strikte Endogamie und bewahrten sogar die Schlüssel ihrer spanischen Häuser auf. Da die Forschungslücken mit Blick auf die Diaspora der Morisken noch weitaus größer sind als in bezug auf die Sepharden, sind solche Behauptungen freilich nur mit großen Vorbehalten zu lesen.

3

Vgl. das folgende Kapitel.

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3. „Maurophilie" und Antisemitismus: Mauren und Juden in der spanischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts „Die Morisken", schreiben Domínguez Ortiz/Vincent (1993: 9), „sind eine verachtete Minderheit gewesen, aber keine vergessene." Selbst in den Momenten des höchsten Triumphalismus hätten sie einen „ehrenhaften Platz" in der zeitgenössischen Historiographie eingenommen. Damit könne der Kontrast zur „Zwillingsminderheit" der jüdischen Conversos kaum größer sein: „Während letztere völlig vergessen wurden, weil man dachte, daß 1492 ein Kapitel unserer Geschichte geschlossen habe, nämlich das der Präsenz von Menschen mit jüdischer Religion, hörten unsere Chronisten nicht auf, sich - bis zu ihrer völligen Vertreibung - mit dem Schicksal der Morisken zu beschäftigen." Wo auch immer die Gründe dafür lagen: 4 Die Dichotomie in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts - vereinfacht gesagt: die von den guten Mauren und bösen Juden - hat offensichtlich bereits hier ihre Wurzeln. Ganz so schwarz-weiß, wie Domínguez Ortiz und Vincent behaupten, waren die literarischen Reaktionen 5 auf den neuen Status quo nach der Eroberung Granadas und der Vertreibung bzw. Zwangstaufe der Juden allerdings nicht. Ungeteilten Beifall fand das Edikt von 1492 augenscheinlich nur in bestimmten Kreisen des Auslandes. So beglückwünschte etwa die Universität von Paris (Kenig 1995: 153) die Katholischen Könige zu ihrer Entscheidung, die Juden zu vertreiben. Papst Alexander VI. verlieh dem Herrscherpaar aus diesem Grunde das ehrenvolle Adjektiv „katholisch", da sie alle Juden, „die in großer Zahl in diesen Reichen lebten", vertrieben hätten - „trotz des großen Schadens und trotz der Meinung (.opinión') ihrer Untertanen". Offensichtlich war der Papst, immerhin ein Spanier, darüber unterrichtet, daß nicht alle „katholischen Spanier und Ausländer", wie ein zeitgenössischer Autor (Gutwirth 1995: 196) zu wissen vermeinte, „große Freude" über die Vertreibung der Juden empfanden. Nach Ansicht von Gutwirth (ebd.: 206) gab es durchaus Stimmen, selbst im Umkreis

Domínguez Ortiz/Vincent (ebd.) argumentieren allerdings viel zu vordergründig, wenn sie das „Vergessen" der jüdischen bzw. Converso-Vergangenheit allein mit „dem unterschiedlichen Verhalten beider Minderheiten innerhalb der spanischen Realität" begründen: Während die Nachfahren der Juden versucht hätten, in der Gesellschaft unterzutauchen und sich mit der Mehrheit zu vermischen, seien die Morisken ihrer Religion und Kultur treu geblieben und hätten sich der Integration widersetzt. Im übrigen wurden auch die Juden, wie neuere Untersuchungen zeigen, nicht völlig „vergessen". Die folgende Skizze beschränkt sich nicht auf fiktive Texte.

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der Katholischen Könige, die zumindest Mitleid mit den Vertriebenen bekundeten und gelegentlich sogar ihre kulturellen Leistungen lobten. Wie aus den Archiven der Inquisition hervorgeht (ebd.:

197), hat es auch

zahlreiche

Reaktionen aus dem Volk gegeben, die dem Mainstream der Claqueure widersprachen. Viele dürften es indessen nicht gewesen sein 6 - nicht zuletzt wegen der Omnipräsenz von Repression und Zensur. Tonangebend waren deshalb sicher solche Stimmen, die, wie der Autor eines Ritterromans (ebd.: 207), den Katholischen Königen dankten, daß sie „das Reich von dieser schmutzigen Lepra säuberten". Deutlich weniger diffamierend, häufig sogar von - ambivalenter - „Maurophilie" geprägt, fiel dagegen das Bild von Mauren und Morisken aus. Die Existenz einer ,„maurophilen' Literatur" im Spanien der Inquisition, schreibt López-Baralt (1989: 149), „stellte eines der wichtigsten literarischen Rätsel der peninsularen Literatur dar". Nach Ansicht dieser Autorin, die zahlreiche Texte jener Epoche untersucht hat, handelt es sich um „eine verdeckte Dissidenten^ literato" (ebd.: 150), deren „,geheime' Intentionen" (ebd.: 169) unter anderem darin bestanden hätten, „der religiösen Toleranz und der sozialen Rehabilitierung der Morisken" das Wort zu reden. Obgleich sich der „dissidente" Charakter dieser Literatur aufgrund der herrschenden Verhältnisse nur verschlüsselt äußert, sich häufig erst auf schwierigen interpretativen Umwegen erschließt, handelt es sich bei der literarischen „Maurophilie" der spanischen Zenitepoche doch um eine historische Tatsache, die als solche inzwischen auch weitgehend anerkannt ist: „Diskurse wie die des Abencerraje,

sowie von Ginés Pérez de Hita, Don

Diego Hurtado de Mendoza, Miguel de Luna, Mateo Alemán und Cervantes", schreibt Márquez Villanueva (Carrasco 1996: 30), „fuhren neue Dimensionen und eine unbekannte Tiefe in das gesamte Bild ein und zeigen jenes Spanien, das man als monolithisch empfand, als ein Mosaik phantastischer Optionen". Die literarische Maurophilie - einzigartig in Europa, wie Márquez Villanueva betont - erlebte zwar im 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt, ihre Wurzeln liegen jedoch bereits in der Zeit der Reconquista. Als „romancero fronterizo" ist diese orale Literatur (Redondo 1996: 52) „eine der deutlichen literarischen Manifestationen" der mittelalterlichen Convivencia, vor allem in jenem „Grenzgebiet"

Obwohl es inzwischen zahlreiche Einzelstudien über das Juden- und Mauren- bzw. Converso- und Moriskenbild in der spanischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts gibt, liegt doch noch keine - „so unglaublich es auch scheint" (Carrasco 1996: 17) Gesamtuntersuchung vor. Das gleiche gilt für die europäischen Reaktionen auf die Eroberung Granadas und das Vertreibungsedikt.

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(„zona fronteriza"), in dem Mauren und Christen aufeinander trafen. Dieses Gebiet, schreibt Redondo (ebd.: 51), „war das Symbol der Begegnung mit dem Anderen, nicht nur unter dem Aspekt der Opposition zum Anderen [...], sondern auch unter dem Aspekt der Betrachtung des Anderen, seiner Akzeptenz zumindest bis zu einem bestimmten Punkt". Keineswegs frei von groben Stereotypen und Interessen des ,eigenen Lagers', spiegelt der Romancero fronterizo doch Neugier und partielle Sympathie für die maurische Kultur wider, besonders für die von Granada: Es entsteht so etwas (ebd.: 56) wie „ein Dialog zwischen Moslems und Christen". Von Dauer war dieser „Dialog" indessen nicht. In dem Maße, wie sich das historische Blatt der Reconquista zugunsten der Christen wendete, trat die Convivencia-Thematik in den Hintergrund. Im Mittelpunkt der RomanceroVerse standen nun (ebd.: 62 f.), besonders am Vorabend der Eroberung Granadas, die .Heldentaten' christlicher Ritter gegen die .morisma' - trotz der Tatsache, daß eine gewisse Wertschätzung des ,moro', vor allem als mutiger Gegner und Vertreter einer exotischen Kultur, auch weiterhin bestand. Nach der Einnahme der letzten Maurenbastion schwoll der kriegerische ReconquistaDuktus des Romancero sogar noch weiter an. Als ideologische Begleitmusik der spanischen Militärmanöver in Nordafrika - die Eroberung Orans 1511, die Expedition nach Algier 1541 und die Schlacht von Lepanto 1571 - geriet auch der ,moro' außerhalb der spanischen Grenze verstärkt ins Visier. Im Unterschied zur literarischen Maurophilie auf der Halbinsel, in der sich trotz aller Verklärung unter anderem die Anerkennung einer ehemals überlegenen Kultur artikuliert, deren Bewunderung nach dem Ende der Reconquista um so leichter fiel, als man es mit einer de facto besiegten Minderheit zu tun hatte - im Unterschied dazu nehmen die zahlreichen Chroniken der zitierten Feldzüge in Nordafrika eine andere Perspektive ein: Die von Eorberern, also eine, so Bunes Ibarra (1989: X), die „ihren Feind definiert" und damit bereits damals zu einer Art „präkolonialen Ideologie" wurde. Dabei ließen sich gegenüber den Moslems, zumindest in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, zwei Blickwinkel (ebd.: 67 f.) klar unterscheiden: Einerseits der Blick auf die Osmanen, der, noch ohne eigene - direkte - Interessen, überwiegend „kulturalistisch" und noch ganz von distanzierter Betrachtung und Neugier geprägt gewesen sei. Ganz anders die Sicht auf die Bewohner des Makreb: Als direkte Gegner der spanischen Kolonial-Truppen, oder bereits von ihnen unterworfen, dominiere hier der .koloniale Blick': Die nordafrikanischen Chroniken, so Bunes Ibarra (ebd.: 102), seien überwiegend eine Reminiszenz der frühen Reconquista-

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Klischees, die, nun unter anderen Verhältnissen, für die expansiven Ziele der spanischen Krone reaktiviert worden seien: „Die Konsequenz dieses gesamten Prozesses besteht, grosso modo gesehen, in der Verachtung der Araber. All der Haß und Groll, den die iberischen Nationen gegen die Moslems angesammelt hatten, ergießt sich in die Beschreibungen der Bewohner dieser Gebiete." Spätestens 1571, mit der Schlacht von Lepanto, geraten auch die spanischen Morisken, die „Fünfte Kolonne" der Türken, verstärkt ins Visier der politischen Propagandaschriften. Es sind jedoch just jene Jahre, in denen auch die „maurofilia literaria" ihren eigentlichen Höhepunkt (Redondo 1996: 64) erreichte. Die Liebesgeschichte, die in El Abencerraje

erzählt wird, erlebte zwischen 1561 und 1565, nur wenige

Jahre vor dem Moriskenaufstand, einen „großen Erfolg." Nach Ansicht von Redondo (ebd.: 65 f.) zielte die „novelita" - jenseits ihrer ästhetischen Ambitionen 7 - vermutlich darauf ab, „die Anerkennung der Alterität zu verteidigen, d. h. die Toleranz und Koexistenz der beiden Gemeinschaften". Die Vermutung, daß es sich bei dem Abencerraje

und anderen Manifestationen der literarischen

Maurophilie, dem dieser Text hauptsächlich Pate stand, um Dissidentenliteratur gehandelt hat, wird auch durch historiographische Schriften erhärtet, die durchaus denselben Geist atmen und expressis verbis als Kritik an dem brutalen Vorgehen gegen die Morisken zu verstehen sind. Zu diesen Schriften gehört Hurtado de Mendozas Guerra de Granada: Sie ist voller Anklagen (Candau Chacón 1997: 25) gegen „die Unterdrückung" und „die Versklavung" durch christliche „Tyrannen", die die Minderheit „ohne Hoffnung" gelassen hätten. Klare Worte, die den Moriskenaufstand von 1568 als Akt verständlicher Verzweiflung interpretieren. Eine ähnliche Handschrift trägt Ginés Pérez de Hitas Schrift Las guerras civiles de Granada von 1597 (1619 publiziert). Voller Mitleid und Sympathien für die malträtierte Minderheit, verurteilt er (ebd.: 27) den „Bürgerkrieg" von „Christen gegen Christen" und die beabsichtigte Vertreibung der Morisken „aus ihrem Vaterland". In der Tat beeindruckende Stimmen, die trotz ihres assimilatorischen Zungenschlages - die Bekehrung zum Christentum, freilich auf friedlichem Wege, stellten auch sie nicht in Frage eine humanistische Gesinnung verraten. Dieselbe Gesinnung, die zuvor bereits namhafte Kritiker der kolonialen Gewaltherrschaft in der Neuen Welt, allen voran Las Casas, auf den Plan gerufen hatten. Am realen Schicksal der Min7

Redondo (ebd.: 66 f.) hält es für möglich, daß der Abencerraje auch als „künstlerisches Spiel" verstanden werden könne, in dem die Moriskenthematik hauptsächlich als „exotische Fassade" in Erscheinung trete.

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derheit änderten diese Stimmen jedoch nichts. Sie wurden übertönt vom Kriegsgeschrei der Soldaten und ihren publizistischen Souffleuren, die, wie Luis de Mármol y Carvajals Kampfprosa über die Niederschlagung der Rebellion von 1568 (ebd.: 26), den „gerechten Krieg" gegen die „Konspirateure der Türken", uneingeschränkt verteidigten. Kritische Stimmen, die zumindest die negativen Folgen der Moriskenvertreibung fur Spanien bilanzierten, ließen sich jedoch auch weiterhin vernehmen. Bereits wenige Jahre nach der Vertreibung schrieb zum Beispiel (Candau Chacón 1997: 51) ein Autor: „Die Hauptursache der Entvölkerung Spaniens sind die zahlreichen und massiven Vertreibungen von Mauren und Juden gewesen Feinde unseres heiligen katholischen Glaubens; die Zahl der ersten belief sich auf drei Millionen, die der zweiten auf zwei Millionen." Trotz des - wegen der Zensur sicher unumgänglichen - Hinweises auf die „Feinde" der Religion und der numerischen Überschätzung der vertriebenen Minderheiten ist die Kritik unüberhörbar. Nach dem Tode Philipps III. wurden solche Stimmen noch deutlicher (Domínguez Ortiz/Vincent 1993: 10); unter dem Zepter seiner Nachfolger äußerten sich Historiker, Politiker und Ökonomen häufig völlig unverblümt über die negativen Folgen einer Vertreibungspolitik, die sie als zentrale Faktoren der spanischen Dekadenz interpretierten: „Zu Beginn der Aufklärungsepoche wird diese Kritik noch offener und härter und läutet damit die liberale Historiographie des 19. Jahrhunderts ein." Im Vergleich zu Mauren und Morisken fiel die publizistische Präsenz der Juden kaum ins Gewicht. Der weiter oben zitierte Autor, der die Vertreibung von Mauren und Juden als Ursachen des ökonomischen Niedergangs diagnostizierte, stellt insofern eine Ausnahme dar. Dennoch kehrten auch sie, zum Teil lange bevor die bekanntesten Federn des Goldenen Zeitalters ihrer antisemitischen Verve freien Lauf ließen, wieder in die öffentliche Meinung' zurück. In den meisten Städten Nordafrikas und des Osmanischen Reiches trafen spanische Soldaten, Reisende und cautivos auf jüdische Gemeinden - viele ihrer Bewohner waren Vertriebene von 1492. Das Bild, das diese Chroniken, Reisebeschreibungen und persönlichen Berichte von den dortigen Juden zeichnen, ist durchweg negativ (Bunes Ibarra 1989: 132 ff.), häufig eine getreue Reproduktion der spätmittelalterlichen Polemik gegen die „Christusmörder" und die „Kollaborateure" der Moslems. In den Beschreibungen der cautivos (ihr bekanntester Repräsentant war Cervantes) figurieren die nordafrikanischen Juden, was ihre negativen Seiten betrifft - und nur sie finden Erwähnung - , noch vor den Moslems, hauptsächlich aus religiösen Gründen: Die Juden, so der Tenor jener

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Texte, die Bunes Ibarra (ebd.: 136) untersucht hat, halten besonders hartnäckig an ihrem „falschen Glauben" fest und „hassen" die Christen. Innerhalb Spaniens, hier im literarischen Output namhafter Autoren, bietet sich dagegen ein komplexeres Bild. Zunächst deshalb, weil einige der bekanntesten Vertreter der fiktiven Literatur selber eine Converso-Genealogie besaßen: „In ihren Reihen", schreibt López-Baralt (1989: 31), „finden wir die Spitzen der spanischen Literatur: Diego de San Pedro, Juan de Mena, Fernando de Rojas, Juan Luis Vives, Fray Luis de León, die Brüder Valdés, Mateo Alemán, Santa Teresa de Jesús, Jorge de Montemayor, Hernando del Pulgar, Bartolomé de las Casas, Baltasar Gracián." Obwohl der Converso-Begriff nicht unproblematisch ist, da er, wie Domínguez Ortiz (1992: 226) warnt, stets die Gefahr enthält, die Kategorien der Blutreinheit de facto zu übernehmen - trotz dieser Gefahr vertritt die neuere Forschung (Carrasco 1996: 35 f.) die Ansicht, daß sich in der Converso-Literatur eine bestimmte „Haltung zum Leben" artikuliere, deren Wurzeln in der spezifischen Existenz ihrer Autoren zu suchen sei. Und diese Haltung, höchst komplex und verschlüsselt, manifestiert sich nach Meinung Carrascos (ebd.: 36) vor allem in der Literatur: Ihr Beitrag sei deshalb von „so grundlegender Bedeutung [...], daß wir fast der Meinung sind, daß ohne sie die Daten der Archive nicht wirklich zu verstehen sind". Zu dieser Literatur gehört etwa Fernando de Rojas Celestina, deren „düsterer und verzweifelter Ton" (Domínguez Ortiz 1992: 227) das Gefühl widerspiegelt, „das menschliche Dasein sei von einem unerbittlichen Schicksal bestimmt - eine Vorstellung, die den averroistischen Tendenzen, die in Teilen des spanischen Judentums im XV. Jahrhundert dominierten, sehr ähnlich ist". Auch die nicht gerade altchristlichen Vorstellungen erotisch-sexueller Liebe deuten darauf hin, daß der Autor der berühmten Tragikomödie nicht nur von christlichen Traditionen beeinflußt war. Zu dieser Literatur gehört ferner die novela picaresca. In der „Antithese picaro Edelmann" sieht Carrasco (1996: 28 f.) eine kamouflierte Form des Protests gegen die sozialen Barrieren der Blutreinheit: „Der Edelmann ist per definitionem rassisch rein; der picaro kann nicht wirklich seine Antithese sein, wenn er nicht - mehr oder weniger - von jener Unreinheit gekennzeichnet ist, die ihn für immer von den Privilegien der Edelleute ausschließen mußte. Das heißt, daß der Aufschwung der picaresca unter Philipp III. niemals voll verstanden werden kann, wenn man das mittelalterliche Erbe des trireligiösen Spaniens vergißt." Insofern kann die Kritik eines Lazarillo de Tormes an der als ungerecht und heuchlerisch empfundenen Gesellschaft durchaus als Kritik an einer rassistischen Kastengesellschaft verstanden werden, die ihn, den von einer untilgbaren ,Ur-

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sünde' gezeichneten Protagonisten, zum Outsider stempelt. Zu dieser Literatur gehört schließlich auch das Œuvre einer Autorin, auf dessen Seiten sich weniger das jüdische als das maurische Erbe des trikulturellen Landes in Erinnerung bringt: In den Moradas del castillo interior (deutsch zumeist: Die innere Burg) der Heiligen Teresa sieht die Forschung (López-Baralt 1989: 81) deutliche Indizien fur islamische Filiationen, die sich indessen erst auf schwierigen interpretativen Umwegen erschließen. Das gleiche gelte (ebd.: 72) fiir das Werk von San Juan de la Cruz: Zentrale Symbole seines Werkes seien moslemischen Ursprungs. Freilich lassen sich nicht im Werk aller Autoren, denen eine ConversoAbstammung zugeschrieben wird, Reminiszenzen des trikulturellen Spaniens finden. So kann das Œuvre von Balthasar Gracián sicher nicht zu dem gerechnet werden, was Américo Castro (Carrasco 1996: 31) als „literatura ,intercastiza'" bezeichnete: Der berühmte Autor des Criticón und einer ebenso berühmten Eloge auf El Político don Fernando el Católico fand für „das heilige Tribunal der Inquisition" genauso lobende Worte (Gutwirth 1995: 209 ff.) wie fur die Vertreibung der Juden, die er (Rehrmann 1994: 72) als „stinkendes Gift" diffamierte. Kaum weniger glimpflich kamen die Mauren davon: Gracián (Rehrmann 1994a: 13) titulierte sie lakonisch als „la bárbara morisma". Damit stand der brillante Humanist in der Tradition jenes Mainstream der Zenitepoche, der die beiden Minderheiten, vor allem Juden und Conversos, gewissermaßen literarisch liquidierte: „Es ist unmöglich", schreibt Herrero (1966: 605), „im XVII. Jahrhundert einen einzigen Autor zu finden, der gegen die Verbannung der Juden war." Wiewohl diese Bilanz mit Vorsicht zu bewerten ist - nicht zuletzt deshalb, weil es keine systematischen Gesamtuntersuchungen gibt - , gilt sie doch für die Mehrheit der bekanntesten Autoren. Lope de Vegas Hommage (Rehrmann 1994: 73) an die Katholische Königin, in der er sie dafür lobt, daß sie das Land „vom Mauren und vom grausamen Hebräer" befreit habe, artikuliert ein Basiscredo, das der berühmte Theaterautor an zahlreichen Stellen seines Werkes wiederholt hat. Obwohl sich sein literarischer Bannstrahl auch auf die Mauren erstreckte, die er (ebd.: 72) unter anderem als „Räuber" abkanzelte, galt sein Groll hauptsächlich den Juden - in seinem historischen Stück über Las paces de los reyes, y la Judía de Toledo (Rehrmann 1996: 18 ff.) ebenso wie in zahlreichen anderen Stücken (Glaser 1954: 57), in denen die verhaßte Minderheit nur am Rande in Erscheinung tritt. Das judenfeindliche Credo López de Vegas wurde von den antisemitischen Tiraden Francisco de Quevedos noch übertroffen. Der begnadete Satiriker und

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familiar del Santo Oficio „bellte wütend" (Carrasco 1996: 35) gegen alle, die er für Juden oder Conversos hielt. Sind es hier (Glaser 1954: 48) vermeintliche Converso-Namen, die Quevedo in denunziatorischer Absicht mit Spott übergießt, sind es dort (ebd.: 50 f.) .typische' Judenphysiognomien, vor allem der omnipräsente Topos der ,Judennase', die zur Zielscheibe rassistischer Ausfälle werden. Opfer seiner Angriffe wurden nicht nur fiktive Gestalten - auch Quevedos zeitgenössischer ,Kollege' Luis de Góngora bekam seine Aversionen gegen die Juden zu spüren: In seinem berühmten Nasensonett (Franzbach 1999: 45 f.) versuchte er diesen wegen seiner „nariz hebrea" aus dem Kreis der Altchristen auszugrenzen. Die mit Abstand übelsten Attacken gegen die Juden enthält indessen seine erst kürzlich veröffentlichte Hetzschrift Execración contra los judíos (1996), in der er seine Visionen einer internationalen jüdischen Verschwörung unter anderem mit Tiervergleichen - Juden als Ratten und Nattern arrondiert und damit einen frühen Beitrag zur Entstehung moderner rassistischer Theorien leistet. Eine eher moderate Judenfeindschaft enthält das Werk des berühmten Don Juan-Autors: Tirso de Molina kolportierte zum Beispiel (Glaser 1954: 45) die gängigen Stereotypen jüdischer Ärzte, die, aus Rache für die Leiden, die ihnen die Christen zugefügt haben, deren Kinder umbringen - ein zäher Topos des volkstümlichen Antisemitismus, den noch der spanische Aufklärer Benito Jerónimo Feijóo als Aberglauben kritisierte. Weniger rassistisch, mehr religiös motiviert, artikulierte sich die Judenfeindschaft Pedro Calderón de la Barcas. Als Anhänger des Conde-Duque de Olivares, gegen den Quevedo wegen seiner judenfreundlichen' Politik heftig opponierte, hielt er sich mit judenfeindlichen Äußerungen zunächst zurück. Erst nach dessen Fall mehrten sich Calderóns Angriffe (Franzbach 1999: 48) auf die Juden. In der Überbetonung des Ehrbegriffs, die mit der Verteidigung der Blutreinheit eng zusammenhängt, ist ein impliziter Antisemitismus in seinem weltlichen Theater stets vorhanden; in seinen geistlichen Festspielen hat er dagegen die theologische Kontroverse thematisiert. Eine gewisse Sympathie hat Calderón (Rehrmann 1994: 13) dagegen für die Morisken empfunden, deren Unterdrückung ihm allzu brutal erschien. Mit dieser Ansicht stand er nicht allein: Auch der wohl bekannteste Autor des Goldenen Zeitalters, Miguel de Cervantes Saavedra, hat die Unterdrückung und Vertreibung der Morisken kritisiert - und das mit Abstand wohl am schärften von allen Zenitautoren. Außer der .Tatsache', daß der fiktive Übersetzer des „arabischen Manuskripts", d. h. des Quijote, ein Moriske ist, sei hier lediglich

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auf die Episode des Ricote im zweiten Teil des Quijote verwiesen (Rehrmann 1994: 74 f.), in der Cervantes die Begegnung Sancho Panzas mit seinem ehemaligen Dorfhachbarn Ricote schildert. Diesen hatte das Ausweisungsedikt nach Deutschland verschlagen; in der zitierten Episode kehrt er in sein ehemaliges Heimatdorf zurück, um seinen dort vergrabenen „Schatz" außer Landes zu schaffen. Alle Begebenheiten, die nun folgen, lassen nur einen Schluß zu: Cervantes lag mit dem antimaurischen Zeitgeist deutlich über Kreuz, einige Passagen grenzen gar an ,Hochverrat'. 8 Deshalb wunderte sich noch Salvador de Madariaga (ebd.: 76) völlig zu Recht darüber, daß bestimmte Passagen der Ricote-Episode die Zensur der Inquisition passieren konnten. 9 Weniger eindeutig, um nicht zu sagen zweideutig, fällt dagegen das Bild der Juden aus, das Cervantes an mehreren Stellen seines Œuvres zeichnet: Nirgendwo finden sich Judenporträts, die mit den eindeutig positiven Zügen zahlreicher Morisken vergleichbar wären. Nirgendwo hat sich Cervantes so entschieden gegen die Vertreibung der Juden geäußert, wie er das im Falle der Morisken tat. War Cervantes, wie Américo Castro (ebd.: 87) schrieb, sogar ein „Antisemit"? Sanchos Bekenntnis (ebd.: 71), er sei ein „Todfeind [...] der Juden", scheint dieses Urteil ebenso zu untermauern wie die Charakterisierung jüdischer Randfiguren (ebd.: 87) als „gierige Juden" oder Angehörige J e n e r schädlichen Sekte", die sich in anderen Teilen seines Werkes finden. Ein Gutteil der Schwierigkeiten, Cervantes' Haltung zu Juden und Conversos eindeutig zu bestimmen, resultiert aus dem Umstand, daß diese Passagen seines Werkes besonders vieldeutig ausfallen - aufgrund der herrschenden Verhältnisse wohl vieldeutig ausfallen mußten. Der Hinweis von Löpez-Baralt (1989: 37), die spanische Literatur des Goldenen Zeitalters sei, was die Thematisierung der

Am Beispiel von Cervantes gerät die Interpretation von Kamen, dessen Buch sich insgesamt als etwas bilderstürmerisch geriert, übrigens zur unfreiwilligen Satire: Da der bekannte Inquisitionsforscher bestreitet (1999: 133), daß es - unter dem Druck des Heiligen Offiziums - überhaupt eine nennenswerte Selbstzensur und, damit zusammenhängend, eine verschlüsselte Schreibweise gegeben habe, hat er auch die entsprechenden Passagen des Quijote augenscheinlich beim Wort genommen. Sein Ergebnis (ebd.: 220): Auch Cervantes gehörte zu den Claqueuren der Moriskenvertreibung. Nach Ansicht von Americo Castro (ebd.: 74) sei das positive Moriskenbild von Cervantes, das auch an anderen Stellen seines Werkes erkennbar ist, jedoch nur die eine Seite der Medaille; die andere bestehe in klaren „Animositäten" gegen die nordafrikanischen Moslems, unter denen Cervantes fünf Jahre als Gefangener zubrachte. Bei einer genauen Lektüre der einschlägigen Texte (ebd.: 74 ff.) ergibt sich jedoch keine so schroffe Zweiteilung des cervantinischen Moslembildes.

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religiös-kulturellen Minderheiten betrifft, im europäischen Kontext besonders schwer zu verstehen - dieses Urteil gilt in allererster Linie für Cervantes Judenbild: Das offensichtlich bewußte Verwirrspiel, das er auf diesem Terrain inszenierte, mag zwar, wie Martin Franzbach (1999: 49) schreibt, „mit seinem genialen Geschick der Selbstzensur" zusammenhängen; die Alternative hätte aber wohl nur darin bestehen können, in den dominanten Chor des Antisemitismus einzustimmen oder sich überhaupt nicht zu diesem Thema - neben dem Protestantismus mit Abstand dem gefährlichsten - zu äußern. So spricht einiges dafür, daß die explizit judenfeindlichen Äußerungen und Charakterisierungen, etwa im Quijote oder in kleineren Werken wie Los baños de Argel und La gran sultana, nicht so gemeint sind: Sie sind, wie im Falle Sancho Panzas, wohl eher als Vorurteile des ungebildeten Volkes (López-Baralt 1989: 38) zu verstehen, oder, wie in den oben zitierten Werken, als die Meinung von Personen (Kanellos 1975: 49 ff.), die erkennbar negativ konnotiert sind. Für diese Sicht der Dinge spricht darüber hinaus die Tatsache, die in der Cervantes-Forschung kaum umstritten ist, daß der bekannteste Autor der Zenitepoche dem religiösen Terrorregime generell

kritisch gegenüberstand. Etwa in dem entremés

„Los

alcaldes de Daganzo" (López-Baralt 1989: 39), in dem Cervantes, durchaus mit Bitterkeit, die Verunglimpfung intellektueller Fähigkeiten wie das Lesen verspottet - jüdische' Fähigkeiten par excellence! Wie auch immer man die Interpretationsakzente setzt: Unter den namhaftesten Autoren des Siglo de Oro war Cervantes immerhin der einzige, dessen Werk in dieser Frage zumindest zweideutig ausfällt. Alle anderen waren dagegen eindeutig

judenfeindlich. So sollte es, wie aus den spärlichen und höchst

lückenhaften Untersuchungen hervorgeht, die nächsten Jahrhunderte bleiben. Wenn die Juden überhaupt auf den Seiten der fiktiven Literatur auftauchten, dann wohl durchweg affirmativ - im Sinne der herrschenden Orthodoxie. Nicht besonders ermutigend ist deshalb auch das Werk des ,Frühaufklärers' Benito Jerónimo Feijóo, dessen Geburtsjahr (1676) noch in die Endphase des Goldenen Zeitalters fällt. Der „spanische Voltaire" versuchte zwar, die gröbsten Judenstereotypen zum alten Eisen zu werfen, etwa den „Aberglauben", jüdische Ärzte würden ihre Patienten umbringen; mit der Geschichte, die unter anderem diesen Aberglauben in die Welt gesetzt hatte, brach Feijóo allerdings nicht. Die Reconquista besang auch er (1989: 92) als „welthistorisch" einmalige Heldentat.

IV. Die sephardische Diaspora: Geographisch-kulturelle Skizze

Viele der spanischen Juden oder jüdischen Spanier, die die Halbinsel 1492 verließen - von Sepharden spricht man in der Literatur meistens erst ab der zweiten oder dritten Generation

wählten den kurzen Weg über die Meerenge

nach Nordafrika. Ihre Zahl, sie wird auf etwa 40 000 geschätzt (Diaz-Mas 1992: 72), vergrößerte sich nur wenig später, als auch die portugiesischen bzw. die zunächst nach Portugal geflüchteten Juden von der dortigen Inquisition vertrieben wurden. Die nordafrikanische Fluchtroute war ihnen nicht unbekannt: Bereits im 9. Jahrhundert waren viele ihrer Vorfahren wegen der politischen Unruhen im Kalifat an die afrikanische Nordküste geflohen, gefolgt von einer zweiten Fluchtwelle nach den Pogromen von 1391. Es waren jedoch vor allem die Neuankömmlinge von 1492, die dem späteren Marokko in Wirtschaft, Politik und Kultur nachhaltige Entwicklungsimpulse gaben, die bis weit ins 18. Jahrhundert andauerten. Allein in Fez sollen sich 20 000 Flüchtlinge niedergelassen haben (Benbassa/Rodrigue 2000: Till) - mit offenen Armen von den islamischen Herrschern empfangen, die sie als nützliche Bindeglieder im Mittelmeerhandel betrachteten. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts, primär als Folge politischer Konflikte im Inneren und kolonialer Interessen, sank der Stern der marokkanischen Sepharden: Als die spanischen Truppen unter Führung von O'Donell 1859 Tetuan einnahmen, trafen sie auf eine sephardische Gemeinde, die am Rande des Elends lebte und - durch die politische Verfolgung der zurückliegenden Jahrhunderte eingeschüchtert - die Spanier offenkundig als Befreier empfand. Ein Teil der marokkanischen Sepharden war bereits Anfang des 18. Jahrhunderts auf den südlichen Zipfel der Halbinsel zurückgekehrt: In Gibraltar, seit 1704 unter englischer Kontrolle, gründeten sie eine Gemeinde und bauten 1760 die Synagoge El Hayim („Baum des Lebens"). Die bis heute existierende Sephardengemeinde von Gibraltar war lange Zeit „ein integraler Bestandteil" (Diaz-Mas 1992: 75) der marokkanischen Diaspora. Auch eine zweite Fluchtroute, die 1492 Tausende - genaue Zahlen gehen aus der Literatur nicht hervor 1 - wählten, war den Vertriebenen nicht unbekannt: das Osmanische Reich. Bereits im frühen 15. Jahrhundert, als die gewalttätigen Konversionskampagnen Angst und Schrecken verbreiteten, hatte diese Emigration begonnen. Es war auch hier vor allem „der ökonomische Faktor" (Barnai Einige Autoren (Stoffers 1999: 146) schätzen ihre Zahl auf 70 000-90 000.

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Die sephardische Diaspora

1992: 103), der den Vertriebenen von 1492 die Tore öffnete. Der häufig zitierte Satz vom Sultan Bayazit, mit dem er (Diaz-Mas 1992: 58) die Vertreibungspolitik seines spanischen .Kollegen' kommentiert haben soll, ist dadurch nicht weniger richtig: „Wie soll ich einen Mann als intelligent betrachten, der sein Reich ärmer macht und meines reicher?" Im Osmanischen Reich trafen die aus Spanien und Portugal vertriebenen Juden im übrigen auf andere jüdische Gemeinden, die dort schon lange lebten. Etwa in Istanbul, wo es eine starke romaniotische Judengemeinde gab, deren Verhältnis zu den Neuankömmlingen aus Spanien keineswegs einträchtig werden sollte: „In Istanbul", schreibt Barnai (1992: 95), „trafen sich zwei Gesellschaften und zwei Kulturen, die romaniotische und die sephardische, und lebten bei dauernden Zusammenstößen Seite an Seite." Dennoch waren es die Romanioten, die sich schließlich ,sephardisierten' (Benbassa/Rodrigue 2000: XIX) - die überlegene Kultur der Neuankömmlinge führte zur „Rekonstruktion eines verpflanzten Sefaracf'. Der Einflußbereich des Osmanischen Reiches, der sich fast auf den gesamten südöstlichen Mittelmeerraum erstreckte, ermöglichte den jüdischen Flüchtlingen aus Spanien und Portugal einen ebenso großen Ansiedlungsradius, vor allem auf dem Balkan. Die größte und berühmteste Sephardengemeinde etablierte sich indessen in Saloniki. Auch dort hatte es eine starke Gruppe von Romanioten gegeben, die allerdings von den islamischen Herrschern nach Istanbul umgesiedelt wurde. Zurück blieb lediglich eine kleine Aschkenasengemeinde, die seit dem späten Mittelalter dort lebte. Abgrenzung und Konflikt, die in der Hauptstadt des Reiches das jüdische Leben prägten, hielten sich deshalb in engen Grenzen: Der sephardische Einfluß war von Anfang an dominant und führte zu einer raschen Akkulturation der aschkenasischen Minderheit. Die dominante Präsenz der Sepharden dürfte sich, kulturell und ökonomisch, auch auf die übrige Bevölkerung ausgewirkt haben: Bereits 1529 (ebd.: 9) standen den 1229 muslimischen und den 989 griechischen Familien 2 645 sephardische Familien gegenüber. Anfang des 17. Jahrhunderts war ihre Zahl bereits auf knapp 3 000 angewachsen - 68 % der Stadtbevölkerung. Die mit Abstand „beste Aufnahme" (Diaz-Mas 1992: 58), die den jüdischen Flüchtlingen im Osmanischen Reich zuteil wurde, manifestierte sich unter anderem durch ihren Rechtsstatus (Barnai 1992: 96) als „Geschützte" („Ahl aldimma"), den ihnen, zusammen mit den Christen, das islamische Regime einräumte - durchaus vergleichbar mit dem Leben der Juden in Al-Andalus: Als offiziell Geschützte hatten sie nicht nur das Recht, ihre Religion frei auszuüben, sie konnten auch (Diaz-Mas 1992: 58) ihre kulturelle Identität bewahren und

Die sephardische Diaspora

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verfugten über eine interne Rechtsprechung. Im Gegenzug mußten sie ihren „Beschützern" allerdings zahlreiche Steuern entrichten. Die Ansicht von Barnai (1992: 96) klingt deshalb plausibel: „Generell läßt sich sagen, daß die Beziehung zwischen den Osmanen und den nicht muslimischen Untertanen ziemlich tolerant war." 2 Die sephardische Erfolgsgeschichte im Osmanischen Reich bestätigt diese Sicht der Dinge. Das 16. Jahrhundert, das .„Goldene Zeitalter'" (Stoffers 1999: 147) der sephardischen Juden, verzeichnete allein in Konstantinopel mehr als vierzig Synagogen (Díaz-Mas 1992: 59), viele von ihnen trugen die Namen spanischer und portugiesischer Städte und Regionen: „Kastilien", „Aragón", „Córdoba", „Toledo", „Lissabon" ... Ein ähnliches Bild bot die Sephardenmetropole Saloniki, eine bis zum Holocaust fast vollständig jüdisch-sephardische Stadt, in der es, nach Stadtteilen geordnet, rund dreißig Synagogen gab - auch sie mit spanischen und portugiesischen Namen. Zahlreiche Sepharden erreichten, bereits im 16. Jahrhundert, hohe Posten in Wirtschaft und Verwaltung (Barnai 1992: 97), einige wurden sogar Minister am Hofe der Osmanenherrscher. Die zitierte Prognose von Sultan Bayazit wurde damit Wirklichkeit: Obwohl die große Mehrheit der Sepharden als Kleinhändler, Handwerker und Ladenbesitzer ihr Auskommen fand (Benbassa/Rodrigue 2000: 37), gelang es einer schmalen Elite, im internationalen Finanzgeschäft, in der Textilindustrie und in den oberen Rängen des osmanischen Steuersystems Fuß zu fassen - über Jahrhunderte hinweg. Rivalitäten mit anderen Bevölkerungsgruppen, vor allem mit Armeniern und Griechen (ebd.: 43), konnten deshalb nicht ausbleiben. Ihrem sozialen Aufstieg tat das indessen keinen Abbruch, nicht zuletzt auf kulturellem Terrain: Es waren Sepharden (Díaz-Mas 1992: 62), die den Buchdruck im Osmanischen Reich einführten. Ihr Monopol über die beweglichen Lettern, das sie bis 1727 besaßen, bewirkte eine verlegerische Blüte, deren Zentren in Konstantinopel, Smirna und Saloniki, später in Sarajewo und Wien lagen. Gedruckt, geschrieben und gesprochen wurde in Judenspanisch, vor allem in Saloniki. Die sephardische Stadt an der östlichen Mittelmeerküste wirkte auch sprachlich wie ein geographischer Außenposten des einstigen Sefarad. Noch im 18. Jahrhundert, als der ökonomische Niedergang des multikulturellen Imperiums auch die Sepharden erfaßte, erlebte die sephardische Literatur (ebd.: 67) einen späten Zenit. Obwohl gerade hier, im reichhaltigen Spektrum von Literatur und Publizistik, noch In Saloniki erreichten die Sepharden aufgrund ihrer dominanten Präsenz sogar einige Zusatzprivilegien (ebd.: 158), die anderen Minderheiten des Reiches nicht gewährt wurden.

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riesige Forschungslücken klaffen (Romero 1992) - vor allem mit Blick auf das sephardische Spanienbild - , hat sich zumindest ein zentraler Aspekt der mittelalterlichen Convivencia-Epoche auch im ,Sefarad am Bosborus' erhalten: Der häufig mißtrauisch beäugte Versuch (Benbassa/Rodrigue 2000: 53), zwischen Glauben und Vernunft eine Brücke zu schlagen - bereits lange vor dem Beginn der Aufklärung diesseits der osmanischen Grenzen. Die Periode „der Stagnation und des Verfalls" (Stoffers 1999: 147), die im 19. Jahrhundert unübersehbar wurde, machte jedoch auch vor Sprache, Literatur und Kultur der Sepharden nicht Halt - nicht zuletzt vor ihrem kulturellen Selbstverständnis. Die .spanischen Traditionen', vor allem in der Sprache manifest, wichen allmählich der Moderne. Sie kam in Gestalt der Alliance Israélite Universelle und sprach Französisch. Binnen weniger Jahre schuf die Alliance,

1860 in Paris gegründet, ein dichtmaschiges Netz französischspra-

chiger Schulen, das wie ein Magnet auf die sephardische Jugend des Osmanischen Reiches wirkte: „Die jüdischen Intellektuellen", bilanziert Diaz-Mas (1992: 70) den rasanten Erfolg dieser Modernisierungsoffensive, „kamen seitdem aus den Aulas der Alliance, was zu tiefgreifenden kulturellen Veränderungen in der sephardischen Welt führte". Nicht zuletzt sprachlich: Das Judenspanisch, das über Jahrhunderte hinweg die Sprache der Sepharden gewesen war, wurde mehr und mehr zum Relikt einer Vergangenheit, die keine Zukunft mehr verhieß. 3 Im Vergleich zu den Sephardenzentren in Nordafrika und im Osmanischen Reich weist die sephardische Diaspora in den Ländern Westeuropas markante Besonderheiten (Kaplan 1992: 49 f.) auf. Sie begann sich erst im 16. und 17. Jahrhundert zu bilden, erreichte ihren ökonomischen und kulturellen Höhepunkt zu Beginn des 18. Jahrhunderts und - der vielleicht wichtigste Aspekt - setzte sich fast durchweg nicht aus der ersten oder zweiten Flüchtlingsgeneration zusammen, sondern aus Conversos. Es handelte sich somit in erster Linie um „Neuchristen", die zumeist mehrere Generationen auf der Halbinsel gelebt hatten, bevor sie, aus Furcht vor der Inquisition, nach Westeuropa emigrierten: „Es waren diese Emigranten", schreibt Kaplan (ebd.), „die trotz ihrer geringen Kenntnisse des Judentums vom XVI. bis zum XVIII. Jahrhundert die großen Sephardenzentren gründeten - in Venedig, Amsterdam, Livorno, Hamburg, London, Bayonne, Bordeaux, Curaçao, New York, Surinam etc." Diese Beson-

3

Hier sei nur am Rande daran erinnert, daß sich auch im osmanisch beherrschten Palästina einige Sephardengemeinden (ebd.: 63) gebildet hatten.

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Die sephardische Diaspora

derheit, die ,Rückkehr' zum Judentum mehrere Generationen nach der Zwangstaufe von

1492 (oder gar noch

früher!),

bezeichneten

Benbassa/Rodrigue

(2000: XIII) zu Recht als „große Ironie der Geschichte". Die genauen Verläufe dieses jahrhundertelangen Sickerstroms sind zwar unbekannt; ein kleiner Teil der Converso-Emigranten nahm aber wohl den direkten Weg, zu Wasser oder zu Lande, ins Nachbarland Frankreich. Dort, wo ihre aschkenasischen Vorfahren 1394 vertrieben worden waren, erhielten die spanischen Ex- oder Kryptojuden 1550 von Heinrich II. die offizielle Erlaubnis (Kaplan 1992: 52), sich unter königlichem Schutz - den sogenannten Patentes

- auf

französischem

Lettres

Territorium niederzulassen. Die Sephardenge-

meinden in Bayonne, Bordeaux, Labastide-Clairence, Peyrehorade etc. datieren aus dieser Zeit. Die komplizierte und an Konflikten mit den nichtsephardischen Juden, die ihnen allmählich folgten, reiche Koexistenz sollte auch in Frankreich das Bild bestimmen. Zwischen Sepharden und Aschkenasen brachen tiefe Gräben auf: „Die Vorstellung einer vereinten jüdischen Nation", schreibt Idel (1992: 125), „ist ein Mythos." Das weitverbreitete Selbstbild der Sepharden als jüdische Aristokratie und ihre, im Vergleich zu den Aschkenasen, exponierte Stellung in Wirtschaft, Politik und Kultur hat vermutlich entscheidend dazu beigetragen, daß später, in der Folge der Revolution von 1789, zuerst die kleine Gruppe der portugiesischen' Juden (Rother 1997: 201) Südwestfrankreichs die vollen Bürgerrechte erhielt. Die große Gruppe der Aschkenasen, vor allem im Elsaß, mußte dagegen länger warten - und größere Widerstände überwinden. Ein weiterer Rinnsal des Converso-Stromes aus Spanien führte nach Italien, wo möglicherweise (Kaplan 1992: 55 f.) bereits einige Flüchtlinge von 1492 Zuflucht gefunden hatten, etwa in Rom und Ferrara. Zu diesen Pionieren des sephardischen Judentums in Italien gesellten sich im 16. Jahrhundert auch relativ starke Einwanderergruppen aus dem Osmanischen Reich - viele von ihnen Sepharden. In Städten wie Ancona, Ferrara und Florenz, vor allem aber in Venedig, wurden sie rasch zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor: Ein enges Netz kommerzieller und

finanzieller

Aktivitäten erstreckte sich über das gesamte

Mittelmeer und wurde bis nach Amsterdam, London, Hamburg und Südamerika weitergeknüpft. Die versierten Geschäftsleute und potenten Finanziers, mit besonderen

Privilegien

ausgestattet,

wurden

zu

gefragten

Partnern

der

Aristokratie - selbst die Päpste nahmen ihre Dienste in Anspruch. Die damit verbundene Protektorenrolle des Vatikans, der die sephardischen und anderen Juden sogar expressis verbis aufforderte, sich in Italien niederzulassen, bezeichnen Benbassa/Rodrigue (2000: XIII) wohl zutreffend als „großes Paradox

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Die sephardische Diaspora

der jüdischen Geschichte". Die „Dreierkombination" (Beuys 1996: 487), „die bald in Westeuropa für Eingeweihte selbstverständlich war: Portugiesen gleich Kaufmann gleich Jude" - sie galt auch für die Sepharden der italienischen Stadtstaaten. 4 Ein ähnliches Bild bot sich im Norden Europas: Vor allem in den Niederlanden, London und Hamburg. In der Hansestadt erhielt 1595 ein Dutzend .portugiesischer' Familien die Erlaubnis, sich in der prosperierenden Stadt an der Elbe niederzulassen - die Keimzelle der künftigen Sephardengemeinde. Gegen den Widerstand lokaler Kaufleute (Kaplan 1992: 60), die die Konkurrenzfähigkeit der Neuankömmlinge sicher realistisch einschätzten, begann die Gemeinde rasch zu prosperieren: „ihr Einfluß auf das wirtschaftliche, geistige, religiöse, politische und kulturelle Leben der Hansestadt und Norddeutschlands", schreibt Studemund-Halövy (1994: 1, 36), „war größer als ihre geringe Zahl vermuten ließ". Die „bemerkenswerte Tatsache", daß den portugiesischen' Juden von Altona bereits 1719 die „Bürgerrechtsfähigkeit" zuerkannt wurde, dürfte damit im Zusammenhang stehen. Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts lebten mehr als 700 Sepharden in der Stadt (Kaplan 1992: 61). Ob es allein oder überwiegend ihnen zu verdanken war, daß sich Hamburg in die prosperierendste deutsche Stadt verwandelte, wie Lacalle (1961: 112) meint, darf indes bezweifelt werden. Nicht zuletzt deshalb, weil die finanzkräftigsten Mitglieder

der

,Portugiesengemeinde' die Stadt Ende des 17. Jahrhunderts wieder verließen, vor allem in Richtung Amsterdam. Einer der Gründe, vielleicht der wichtigste, dürfte in „der judenfeindlichen Umwelt" (Beuys 1996: 513) gelegen haben. Zahlreiche Indizien deuten zwar darauf hin, daß es einen „dichten Austausch mit der Mehrheitskultur" gegeben hat. Vor allem die lutherische Geistlichkeit der Hanseatenmetropole stachelte jedoch die christliche Bevölkerung gegen die ungeliebten Mitbürger auf. So verwundert es nicht, daß „der alte Glanz" (Kaplan 1992: 62) der Hamburger Sephardengemeinde bereits Anfang des 18. Jahrhunderts deutlich zu schwinden begann.

4

Der jüdisch-aschkenasische Historiker Heymann (1988: 124) empfand auch diese „Jagd nach dem Gold" als zutiefst problematisch: „Daß die Marranen allzeit ein Stand waren, daß sie in den Niederlanden allzeit völlige wirtschaftliche Freiheit genossen, daß sie Kaufleute waren und blieben, daß sie kaufmännisch dachten - das hat nach einem Jahrhundert wirtschaftlicher Glorie zu Folgen geführt, die sich als verhängnisvoll erweisen sollten. Sie waren so sehr, so völlig und ausschließlich auf den Handel, auf die wirtschaftliche Karriere, auf die Jagd nach Geld eingestellt, daß die inneren geistigen Kämpfe, welche das übrige Judentum in den folgenden Jahrzehnten aufwühlten, unmerklich an ihnen vorbeigingen."

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Ein Teil der Hamburger Gemeinde, sicher kein sehr großer, versuchte sein Glück in London. Bereits 1655 hatte der Amsterdamer Sephardenrabbiner Menasseh ben Israel einen Brief an Cromwell geschrieben (Kaplan 1996: 62 f.), um die Wiederansiedlung der 1290 vertriebenen Juden zu erreichen - sephardischer Juden. Denn nur aus ihnen, schrieb er dem englischen Revolutionsfuhrer, ließe sich „Nutzen" ziehen. Im übrigen seien sie „treue Untertanen", von besonderem „Adel" und einer einzigartigen „Reinheit des Blutes". Die Intervention hatte Erfolg: Bereits 1680 lebten mehr als 400 Sepharden (Kaplan 1992: 76) in der Stadt an der Themse - trotz deutlicher Widerstände politischer Kreise. Inoffiziell hatten bereits früher ein paar Dutzend Sephardenfamilien in London gelebt. Als Katholiken getarnt, mußten sie sich 1656, während des Krieges gegen Spanien, jedoch als Juden zu erkennen geben, um den Vorwurf zu entkräften, für die spanische Krone zu spionieren. Auch nach der Restauration der Monarchie blieben ihre Rechte unangetastet. Karl II. verlieh der Londoner Sephardengemeinde sogar die offizielle Anerkennung - im Unterschied zu den dortigen Aschkenasen, die „eine marginale Existenz" fristeten und vom guten Willen der privilegierten Glaubensbrüder abhängig waren, vor allem ökonomisch. Dennoch blieb London für die sephardische Diaspora ein Ort der zweiten Wahl. Im nordeuropäischen Dreieck: Amsterdam, Hamburg und London wurde die niederländische Metropole (Kaplan 1996: 16) zum „fuhrenden Faktor der sephardischen Welt des Westens". Die erste Sephardengemeinde datiert von 1602. Auch sie bestand aus Neuchristen, Abkömmlingen spanischer und portugiesischer Juden, die sich über hundert Jahre zuvor dem Zwang zur Taufe gebeugt hatten - in der Tat ein „Wunder", wie Barbara Beuys (1996: 500) schreibt: „Aufgewachsen in katholischen Familien und einer Gesellschaft, die tief vom Katholizismus geprägt war; oft bestens ausgebildet in den westlichen Wissenschaften der Universitäten und bis in die letzte Faser ihres Unterbewußtseins von christlichen Denk- und Glaubensvorstellungen erfüllt, schufen sie in einem fremden Land inmitten einer christlichen Umwelt für sich das Judentum neu, buchstäblich aus dem Nichts." Obwohl es in erster Linie ökonomische Motive waren, die die christlichen Stadtherren bewogen, die sephardischen Juden in ihren Mauern aufzunehmen, waren sie kaum religiösen Beschränkungen unterworfen - im Gegenteil: „In keiner anderen Stadt der Welt", schreibt Kaplan (1996: 16), „genossen die Juden in jener Epoche eine so große Toleranz, die sogar in vielen Fällen größer war als gegenüber der katholischen Minderheit oder protestantischen

Dissidenten-

gruppen." Auch ökonomisch und kulturell erlebte die Amsterdamer Gemeinde,

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die bereits 1675 mehr als 2 500 Mitglieder zählte, einen beispiellosen Aufstieg. Die soziale Elite der Sepharden, eine breite Pyramide aus Kaufleuten, die in ganz Europa, im Nordosten Brasiliens und in der Karibik agierte, unterschied sich in nichts vom großbürgerlichen Lebensstil der protestantischen Patrizierklasse. Mehr sogar: Die Eliten der Amsterdamer Sepharden, schreibt Barbara Beuys (1996: 499), „hatten keine Hemmungen zu demonstrieren, daß sie nicht nüchterne Calvinisten, sondern Kinder des spanischen Barocks waren." Der ökonomischen Hausse folgte die kulturelle auf dem Fuß: Im 17. Jahrhundert lief Amsterdam den sephardischen Druckereien und Bibliotheken in Ferrara und Venedig den Rang ab. In den zahlreichen Druckereien der Stadt wurden unzählige bibliophile Kostbarkeiten in hebräischer, spanischer, portugiesischer und in jiddischer Sprache hergestellt - mit nachhaltigen Wirkungen auf das europäische Judentum: Der kulturelle Output der Amsterdamer Sepharden gilt (Kaplan 1992: 90) als zentraler Impuls zur Modernisierung der europäischen Juden. Einer der Gründe für diese Wirkung, vielleicht der wichtigste, dürfte in der „klaren Tendenz zur Säkularisierung" (Kaplan 1996: 19) zu suchen sein. Als Erben von Maimonides war ihnen diese Tendenz gewissermaßen in die Wiege gelegt. Dennoch handelte es sich bei dieser Tendenz nicht um eine simple Fortsetzung des spanischen Mittelalters: In Amsterdam stellte sich die alte Frage nach der Dialektik von Glauben und Vernunft auf eine neue, vielfach komplexere Weise. So nimmt es nicht Wunder, daß „die Neudefinition ihrer eigenen jüdischen Identität" (ebd.: 27) von Aporien begleitet war, die ihre spanischen Vorfahren viel weniger oder gar nicht gequält hatten. Neben der bereits erwähnten Tatsache, daß sie ihr Judentum quasi ex nihilo schufen, gehörte dazu die Erfahrung (Beuys 1996: 502), daß der neue Glaube entscheidend von praktischen Handlungen abhing. Als Conversos hatten sie dagegen aus Spanien und Portugal die Erfahrung mitgebracht, daß es nicht auf Äußerlichkeiten - die christlichen Rituale - ankam: Wichtig war allein die innere Überzeugung. Hinzu kam, daß „die typische Sephardenfamilie von Amsterdam" (Kaplan 1996: 28 f.) just zu jenen, deren erzwungener Doppelexistenz sie entronnen waren, auch weiterhin enge Kontakte unterhielt. Vor allem zu den Conversos auf der Iberischen Halbinsel und in den überseeischen Kolonien, aber auch in jenen Ländern Europas, in denen der dominante Katholizismus ein freies Bekenntnis zum Judentum unmöglich machte. Vor diesem Hintergrund nahmen die „gravierenden Identitätsprobleme" (ebd.) der Amsterdamer Sepharden verständlicherweise zu - trotz des toleranten Klimas in der Stadt. Ein Ausweg, sicher der

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dominante (ebd.: 30), bestand in der zitierten Säkularisierungstendenz. Sie erleichterte es offenbar, auch jene als Mitglieder der „Nación" oder „Na?äo" anzuerkennen, die gezwungen waren, als Kryptojuden zu leben. Es scheint jedoch auch Fälle gegeben zu haben (Lacalle 1966: 121 f.), bei denen sich die Identitätsprobleme in einer „nolstalgia del catolicismo" manifestierten. Diese Juden sahen, nun ohne den Zwang früherer Zeiten, ihr Heil in einer abermaligen Rückkehr zum Katholizismus. Gerade das zuletzt zitierte Beispiel, bei dem es sich um Intellektuelle handelte, scheint zu illustrieren, daß sich die Identitätsaporien, wie Idel (1992: 123) meint, mitnichten auf die unteren, weniger gebildeten Schichten beschränkten. Die sephardischen Intellektuellen waren zwar in der Tat leichter in der Lage, „die Dinge in einem größeren historischen Zusammenhang" zu sehen. Das schützte sie indessen nicht davor, in „Nostalgie zu versinken" oder „die Vergangenheit zu idealisieren". Und noch weniger waren sie davor gefeit, sich durch eine „naive Überheblichkeit" (Canetti 1984: 12) von den aschkenasischen Juden abzugrenzen - häufig äußerst scharf und mit einer Attitüde aristokratischer Verachtung für ihre ,plebejischen' Glaubensbrüder. Nirgendwo sonst trat diese Attitüde so deutlich in Erscheinung wie in Amsterdam. Der Stolz auf ihre spanische Abstammung war der Dreh- und Angelpunkt ihrer Identität: Sie „hatten die dunkle Erinnerung an Glorie und Größe [...] im Gedächtnis behalten", schreibt Heymann (1988: 13), „sie klammerten sich daran und ließen nicht davon los". Viele Sepharden führten ein „Alias" in ihrem Namen: Dem jüdischen Namen war ein spanischer oder portugiesischer beigefugt. Darin sieht Kaplan (1996: 25) zu Recht „die innere Dualität in der Existenz der Exkryptojuden, die auch weiterhin in zwei Welten lebten und an zwei unterschiedlichen

Kulturen partizipierten". Obwohl die sephardische

Elite

untereinander zumeist Portugiesisch sprach (Beuys 1996: 505), suchte sie in spanischer Literatur und spanischem Theater ästhetische Erbauung und intellektuelle Orientierung. Von den Rabbinern mit Argusaugen betrachtet, lud man Schauspielgruppen aus Spanien ein und ergötzte sich an den Zenitautoren des Siglo de Oro. Die enge Verbundenheit mit der spanischen Kultur, als deren Träger sie sich fühlten, erstreckte sich sogar auf Gebiete, die historisch hochgradig vermint waren: Auf politisch-religiöse Schriften. In den

privaten

Bibliotheken der Amsterdamer Sephardenelite nahm die „politische Literatur" (Kaplan 1996: 56 ff.) aus Spanien einen prominenten Platz ein. In der Bibliothek von Spinoza standen die Werke von Diego Saavedra Fajardo, Antonio Pérez, Quevedo, Gracián und anderen Koryphäen des imperialen Spaniens, die nicht

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Die sephardische Diaspora

gerade durch ihre judenfreundliche Haltung aufgefallen waren. Ein deutliches Indiz, so Kaplan, daß „das zeitgenössische politische Denken in Spanien einen zentralen Platz in ihrer Weltsicht eingenommen hatte" - trotz der genauso häufig spürbaren „Feindschaft gegen das Land der Inquisition". Wie der weiter oben zitierte Brief eines sephardischen Rabbiners an Cromwell illustriert, erstreckte sich die Affinität zum politischen Denken in Spanien unter anderem auf die Kategorie der Blutreinheit - eine Kategorie, der die Vorfahren des Rabbiners selber zum Opfer gefallen waren. Kaplan (1996: 61 f.) hat sogar Apologien der Katholischen Könige gefunden, die auch die Vertreibung aus staatspolitischer Raison legitimieren! Obwohl diese Art der Hispanophilie mit der bitteren und harten Kritik an der Vertreibung vieler anderer Autoren deutlich kontrastiert, war sie für die Akteure des spanischen Philosephardismus natürlich argumentatives Weihwasser allerhöchster Qualität: Warum sollte man den Katholischen Königen den Prozeß machen, wenn die Opfer sie längst freigesprochen hatten? Lange bevor sich diese Frage stellte, hatten das spezifische Verhältnis der Sepharden zu Spanien und das darin wurzelnde Überlegenheitsgefühl bereits direkte und schmerzhafte Folgen für die nichtspanischen Juden Amsterdams. Die ersten Aschkenasen waren gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges in die Stadt gekommen. Von einer langen Flucht erschöpft, von Verfolgung und Pogromen häufig traumatisiert und völlig verarmt, verbanden sie mit der prosperierenden Sephardengemeinde die höchsten Hoffnungen - sie wurden ziemlich enttäuscht. Die zu dieser Zeit bereits mehr als tausend Mitglieder zählende Sephardengemeinde verwehrte den Neuankömmlingen aus Deutschland und Osteuropa die Teilnahme am Gemeindeleben (ebd.: 80) der Nation. Akzeptiert wurden sie nur zum Gebet und auch das nur dann, wenn der verantwortliche maamad damit einverstanden war. Die nach Ansicht von Kaplan „arrogante" und häufig von „Verachtung" geprägte Einstellung gegenüber den Aschkenasen, deren Zahl sich bereits wenige Jahrzehnte später der der Sepharden angeglichen hatte, schlug sich in einer ganzen Palette diskriminierender Maßnahmen (ebd.: 86) nieder: Sie durften ihre Toten nicht auf dem sephardischen Friedhof begraben, den Verkauf von koscherem Fleisch monopolisierten die Sepharden, die Beschneidung aschkenasischer Juden in der sephardischen Synagoge wurde untersagt ... Ein Teil dieser Diskriminierungsmaßnahmen kann, zumindest aus heutiger Sicht, sogar als rassistisch bezeichnet werden. So lehnten die Führer der Sephardengemeinde die Konversion eines maurischstämmigen Spaniers zum Judentum mit der Begründung (ebd.: 67) ab, der Mann sei „minderwertiger" Herkunft. Daß es sich dabei um keinen Einzelfall handelte, illustriert ein Dekret von 1644

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(ebd.: 73), demzufolge es schwarzen Juden untersagt war, die Tora in der Synagoge zu lesen, denn das schädige „die Reputation". Viele Amsterdamer Sepharden waren offenbar der Ansicht von Isaac Cardoso, der 1679 (ebd.: 64) in seinem Buch Las Excelencias de los Hebreos geschrieben hatte, daß die Juden er meinte sicher die Sepharden - „die nobelsten Menschen der Erde" seien; „adelig von Geblüt" und „uralter Abstammung von drei bis vier Tausend Jahren". 5 Deshalb war Menasseh ben Israel, der sich in seinem Brief an Cromwell auf die spanische Kategorie der Blutreinheit berufen hatte, auch der Gedanke zuwider, die amerikanischen Indianer könnten von einem der zehn verlorenen Stämme Israels abstammen - gingen ihnen doch alle Eigenschaften der jüdischen Excelencias

ab: Sie hätten einen „häßlichen Körper" und seien

intellektuell unterbemittelt (rudo de entendimiento). Deshalb nimmt es kaum Wunder, wenn zu Beginn des 18. Jahrhunderts genealogische Beweise erbracht werden mußten (ebd.: 100), bevor ein Bewerber in die exklusive Sephardengemeinde aufgenommen wurde. Ebensowenig verwundert es, wenn Mischehen von Mitgliedern der Nation mit aschkenasischen Juden oder anderen ethnischen Gruppen nichtspanischer Herkunft (ebd.: 31) als Mesalliance betrachtet und nach Möglichkeit verhindert wurden. Heymann (1988: 127) sieht in der, wie er formuliert, Jahrhundertelangen Inzucht" einen der Gründe für den wirtschaftlichen Niedergang der Sepharden, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts unübersehbar einsetzte. Denn im Unterschied zu ihnen hätten sich die „eifrigeren Aschkenasen" nicht auf den unsicheren Finanz- und Handelssektor beschränkt. Ein Jahrhundert zuvor hatten sich die stolzen und prosperierenden Mitglieder der Nation einen solchen Niedergang wohl kaum vorgestellt: Noch 1674 (Beuys 1996: 506) hatte das Pro-Kopf-Vermögen der Aschkenasen 3,48 Gulden, das der Sepharden 1448,72 Gulden betragen ... Während die Sephardenzentren in Nordeuropa, vor allem in Amsterdam und um das Mittelmeer herum, im 19. Jahrhundert ihren Zenit längst überschritten hatten, begannen sich jenseits des Ozeans, in Nord- und Südamerika, allmählich neue Sephardengemeinden zu formieren. Dabei handelte es sich hauptsächlich 5

Noch neuere spanische Autoren (Lacalle 1961: 108) gefielen sich in der Rolle von Claqueuren der sephardischen Edelrasse: Sie unterscheide sich u. a. durch „ihre besondere Anatomie" von den anderen Juden. Demgegenüber schreibt Heymann (1988: 91), wohl mehr im Einklang mit der Wirklichkeit: „Albrecht Dürer war auf seiner niederländischen Reise Gast [der] Marranen, sie haben ihn manches Goldstück verdienen lassen, so daß wir heute wissen, wie diese Neuchristen aussahen: ganz und gar nicht jüdisch. Just wie die anderen, die Nürnberger und Augsburger Patrizier, die Dürer sonst zu malen pflegte."

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um eine „sekundäre Emigration" (Díaz-Mas 1992: 90) - um Sepharden aus Nordafrika und dem Osmanischen Reich, die in Amerika eine neue Heimat suchten. Nach Nordamerika emigrierten vor allem Sepharden aus der späteren Türkei und den Balkanländern. Auf der Flucht vor den wachsenden Krisen in Wirtschaft und Politik wanderten bis 1925 mindestens 25 000 Sepharden (ebd.: 86) in das ,Land der unbegrenzten Möglichkeiten' ein. Die meisten ließen sich in New York nieder. Die Namen ihrer Synagogen - „Toledo", „Aragón" etc. - erinnerten noch über vier Jahrhunderte nach der Vertreibung an ihre spanischen Traditionen. 6 Während diese Traditionen im Norden ein Novum darstellten, trafen die sephardischen Emigranten, die es nach Lateinamerika verschlug, bereits auf Relikte einer sephardischen Kultur. Denn von Anfang an hatte es in den spanischen und portugiesischen Kolonialgebieten ,Neuchristen' gegeben - trotz des offiziellen Einreiseverbots fur solche Spanier, deren .Reinheit des Blutes' zweifelhaft erschien. Die Geschichte dieser Minderheit, reich an Verfolgung und schaurigen Autodafés, ist deshalb eher eine klandestine, fast (Avni 1992: 32) nur durch die Dokumente der Inquisition zu rekonstruieren, die 1569 per königlichem Dekret ihre blutige Tätigkeit in der Neuen Welt aufnahm. Schon bald fielen die ersten judaizantes

dem Glaubenstribunal zum Opfer. Einen der maka-

bersten Höhepunkte (ebd.: 35 f.) der Verfolgung vermeintlicher oder tatsächlicher Kryptojuden markierte das Autodafé von 1639 in Lima: Von den 67 Angeklagten wurden sieben öffentlich verbrannt. Etwas ,besser' erging es den Opfern des religiösen Terrors im portugiesischen Einflußgebiet (ebd.: 32), wo es nie eigene Tribunale gab. Dort übten aus Lissabon angereiste Religionswächter oder der örtliche Klerus das Amt einer ,portatilen Inquisition' aus; die eigentlichen Prozesse fanden in Portugal statt. Einen Lichtblick in der dunklen Verfolgungsgeschichte, die die Alte mit der Neuen Welt von Anfang an vereinte, stellte indes Pernambuco dar - jene nordöstliche Provinz Brasiliens, die 1630 von den Holländern erobert wurde. Sie gilt (Kaplan 1992: 77) als die erste - offizielle - jüdische Niederlassung auf dem amerikanischen Kontinent. Die neuen Herren, die zu Hause eine prosperierende Sephardengemeinde kennengelernt hatten, boten jüdischen Siedlern, Sepharden aus Amsterdam und ,Neuchristen' aus der portugiesischen Kolonie, günstigste Bedingungen: Die berühmte Patente Onrossa gewährte den Juden von Pernam-

Vgl. zur Geschichte der nordamerikanischen Sepharden, die hier nicht weiter nachgezeichnet wird, Avni (1992).

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buco dieselben Rechte wie den Christen. Deshalb überrascht es nicht, wenn der Anteil der jüdisch-sephardischen Bevölkerung der Kolonie rapide wuchs und bereits 1645 rund die Hälfte der Gesamteinwohner ausmachte. Das ökonomische Netz, das die geschäftstüchtigen Bewohner dieser ,Oase der Freiheit' knüpften, erstreckte sich - welche Paradoxie! - bis nach Neu-Spanien: In der Karibik und vor der venezolanischen Küste, schreibt Kaplan (ebd.: 79), „konnte man im 17. und 18. Jahrhundert Schiffe mit hebräischen Namen wie Beraha

Vesalom,

Mazal Tov etc. sehen, die von der Identität ihrer Eigentümer Zeugnis ablegten." Das liberale Interregnum in Pernambuco war jedoch 1654 wieder zu Ende und damit auch, von der kleinen Sephardengemeinde auf der Insel Curaçao abgesehen, die Existenz jüdisch-sephardischer Gemeinden. Fortan war von Juden, oder solchen, die die kolonialen Herrscher dafür hielten, wieder vor allem als Opfer religiöser Verfolgung die Rede. Zu ihnen gehörte etwa Juan de Loyola y Hora, ein Verwandter des berühmten Ordensgründers (Avni 1992: 37), den die Inquisition 1745 als Kryptojuden exekutierte. Oder Miguel Hidalgo Castilla, ,Vater' der mexikanischen Unabhängigkeit, den die Inquisition Anfang des 19. Jahrhunderts des heimlichen Judaisierens beschuldigte. Die Unabhängigkeit von Spanien brachte den meisten neuen Republiken zwar die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit -

in der

Praxis

(ebd.: 111) gerieten die Juden, die sich offen als solche bekannten, jedoch auch weiterhin ins Visier religiöser und rassistischer Intoleranz. Auch für die politischen Protagonisten der siegreichen Unabhängigkeitsbewegung besaß das ,Judenproblem' kein besonderes Interesse, obwohl etwa General José de San Martin 1795 in Berlin Moses Mendelssohn kennengelernt hatte (ebd.: 97 f.) und der Befreier

Südamerikas, Simón Bolívar, 1812 Zuflucht im Hause eines

bekannten Juden von Curaçao gefunden hatte und freundschaftliche Beziehungen zu fuhrenden Mitgliedern der dortigen Sephardengemeinde unterhielt. Die Sepharden aus Curaçao waren auch die Pioniere der ersten jüdischen Gemeinden im postkolonialen Lateinamerika. Einer ihrer Führer war der erste Jude (ebd.: 99), dem 1829, von Simón Bolívar höchstpersönlich, das Bürgerrecht in Gran Colombia verliehen wurde. Es waren jedoch erst die Einwanderungswellen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die ein intensives jüdisches Leben in Lateinamerika entstehen ließen. Obwohl es hauptsächlich aschkenasische Juden aus Osteuropa waren, die, häufig auf der Flucht vor blutigen Pogromen, in die neuen Republiken emigrierten, vor allem nach Argentinien - dort belief sich die jüdische Bevölkerung am Vorabend des Ersten Weltkrieges auf rund 115 000 (ebd.: 168) - ,

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wuchs auch der Anteil der Sepharden. Die meisten kamen aus Marokko (Leibovici 1992: 241 ff.), wo sich ihre Lebensbedingungen nach dem Abzug der spanischen Kolonialtruppen wieder drastisch verschlechtert hatten. Hauptziel war Brasilien; von dort zogen viele weiter, hauptsächlich nach Peru, Venezuela und Argentinien. In Buenos Aires gründeten sie 1891 die Congregación

Israelita

Latina, die bis heute als die Gemeinde der „marokkanischen Juden" bekannt ist. Besonders dort, in der argentinischen Hauptstadt, entwickelte sich ein vitales und breitgefächertes sephardisches Kulturleben (Díaz-Mas 1992: 89) mit zahlreichen Verlagen, Zeitschriften und Zeitungen, von denen einige noch heute existieren. Die sephardische Präsenz in den Ländern des spanischsprachigen Lateinamerikas führte im übrigen, das sei hier nur nebenbei erwähnt, zu einer paradox anmutenden ,Umwegakkulturation' der aschkenasischen Mehrheit, die sich, zumindest einige fuhrende Intellektuelle (Rehrmann 1999), unter anderem auf das spanisch-sephardische .Kulturerbe' beriefen, um sich in den spanischen Exkolonien politisch und kulturell zu legitimieren - eine .sekundäre Sephardisierung', die zuvor bereits in Deutschland begonnen hatte (Schorsch 1989) und nun in Lateinamerika ihre Fortsetzung fand. Wie das Œuvre einzelner aschkenasischer Autoren illustriert (Rehrmann 2000), gab es eine solche Sephardisierung auch in Brasilien - nach Argentinien dasjenige Land Lateinamerikas, in dem die meisten Juden leben. 7 Und noch eine Paradoxie bewirkte die aschkenasische Masseneinwanderung: Sie sorgte dafür (Lacalle 1961: 109), daß künftig mehr Aschkenasen Spanisch sprachen als die über die restliche Welt verteilten Sepharden. Nach dem ökonomischen Niedergang der Sepharden hatten ihnen die Aschkenasen damit auch sprachlich den Rang abgelaufen. Vielleicht ist das einer der Gründe, daß sie sich, wie aus der bisherigen Forschungsliteratur hervorgeht, um so mehr an ihre spanische Herkunft klammerten - genauer: an das daraus abgeleitete Überlegenheitsgefuhl. Denn während ihr Verhältnis zu den politischen

7

Die Geschichte der brasilianischen Juden bzw. Conversos weist im übrigen eine ganze Reihe von - positiven - Besonderheiten auf. So wurden in der portugiesischen Kolonie bereits 1773 die berüchtigten Register über die „Blutreinheit" vernichtet (Avni 1992: 46) - eine spektakuläre Maßnahme, die in den spanischen Kolonien unterblieb. Zu den herausragenden Besonderheiten gehört auch die Tatsache (Laikin Elkin 1996: 84), daß Dom Pedro II., der zweite Kaiser von Brasilien ( 1 8 4 1 - 1 8 8 9 ) , ein bekannter Philosemit war, der sogar hebräische Studien betrieb. Seine judenfreundliche Haltung, die ihm kein Geringerer als Graf Gobineau, der französische Gesandte, zum Vorwurf machte, wirkte sich natürlich stimulierend auf die Einwanderung von Juden aus.

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Entwicklungen in Spanien ambivalent bis kritisch blieb, 8 hielten viele Sepharden an dem idealisierten Selbstbild, das vor allem die Amsterdamer Nation geprägt hatte, auch weiterhin fest. Bestärkt wurden sie darin mittlerweile auch von Rassetheoretikern ä la Houston Stewart Chamberlain (Rother 1997: 201), die auch die spanischen und portugiesischen Juden zum „Rasseadel" zählten. Chamberlain, einer der Wortführer des wissenschaftlich drapierten Rassismus (Mosse 1990), fand auch unter Sepharden etliche Nachahmer, deren rasseanthropologische Studien (Rother 1997: 203) seine abstrusen Thesen .bestätigten'. Noch in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts verlangte die „Association Culturelle Sepharadite de Paris" (ebd.: 209) von der Vichy-Regierung, die sephardischen Juden Frankreichs von allen Maßnahmen gegen die Juden auszunehmen, da sie, so die Zusammenfassung der Deutschen Botschaft, „rassemäßig nicht zu ihnen gehörten". Eine Extremsituation, gewiß, über die zu urteilen, vor allem aus deutscher Sicht, Nichtjuden kaum zusteht. Ohne den „ideengeschichtlichen Hintergrund" (ebd.: 203), nämlich das häufig auf groteske Weise idealisierte Selbstbild vieler Sepharden, ist diese Situation aber wohl nicht zu verstehen: Der Stolz auf „das iberische Erbe", schreibt Kaplan (1992: 84), „übte einen fundamentalen Einfluß auf ihre Mentalität, ihre künstlerische Sensibilität, ihre geistigen Werte und auf ihre intellektuellen Konzepte aus." Dabei ist es, wenn auch mit abnehmender Tendenz, bis in die Gegenwart geblieben.

Vgl. das Kapitel über das sephardische Spanienbild.

V. Die Wiederkehr des Verdrängten: Religion, Nation und Juden im 19. Jahrhundert 1. Die Religionskonflikte im 19. Jahrhundert Die religiöse Frage, schreibt Caro Baroja (1978: Bd. 3, 179), habe wie keine andere seit dem Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon die Spanier getrennt. Die Diskussionen in der Verfassungsgebenden Versammlung von 1812 über die Inquisition seien der Ausgangspunkt für die seitherige Aufteilung der Spanier in zwei große politische Gruppen gewesen. Zumindest in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die „cuestión religiosa" (Campomar Fornieles 1984: 7) in der Tat der Dreh- und Angelpunkt der politischen Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen - und das in einem Maße, das man im übrigen Europa wohl vergeblich sucht. Es waren vor allem die Ideen der Französischen Revolution, die jenseits der Pyrenäen zunächst zu einem ideologischen roll back führten und Bewegungen wie den Partido Apostólico

oder den Angel

Exter-

minador dazu animierten (Dendle 1968: 11), sogar die physische Unterdrückung religiöser Dissidenten zu fordern. Spanien, so das ideologische Basiscredo dieser Fanatiker, sei im Kern eine Katholische Nation; Inquisition und Absolute Monarchie deren oberste Garanten und Quintessenz des einzig wahren Patriotismus. In der spanischen Geschichte sahen diese erzkatholischen Traditionalisten, so Dendle, „a glorious crusade against Moor and Protestant; to abandon this ideal, even in the changed circumstances of the nineteenth Century, would imply the denial of the cause for which so many sacrifices had been made in the past." Der Kampf zwischen den reaktionären Varianten des Katholizismus und den eher liberalen Formen, der das gesamte Jahrhundert bestimmen sollte, schuf eine Atmosphäre, so derselbe Autor (ebd.: 7), „which can only be described as that of a religious war. [...] The religious quarrel is characterised by hatred, lack of comprehension of the opposing viewpoint, and, in many cases, a desire to exterminate the enemy." Dennoch standen die Zeichen auf Veränderung. Die Liaison von Kirche und Staat wurde als Reaktion auf die Französische Revolution zwar wieder enger, der Staat des 18. und frühen 19. Jahrhunderts brauchte die Religion, so Tuñón de Lara (1968: 58), jedoch immer weniger als ideologische Stütze. Als den Ideen der Revolution Anfang des Jahrhunderts auch deren materielle Nachhut folgte und in Gestalt der napoleonischen Truppen den absolutistischen Staat beseitigte, schien die Stunde der Liberalen, vor allem in Gestalt der Cortes de

Cádiz,

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Die Wiederkehr des Verdrängten

gekommen zu sein: „Sin embargo", lenkt Tuñón de Lara (ebd.: 70) den Blick auf eine Art Grundkonsens zwischen Liberalen und Konservativen in religiösen Fragen, „lo más extraordinario de todo es que la transformación que los diputados de Cádiz iniciaban en España se realizaba dentro del espíritu cristiano e incluso de la más estricta ortodoxia católica." Die Inquisition wurde zwar für abgeschafft erklärt, an der katholischen Einheit aber nicht gerüttelt: Der Katholizismus römisch-apostolischer Prägung galt auch weiterhin (Hughey 1955: 17) als die „einzig wahre Religion", sie allein sollte der Staat durch „weise und gerechte Gesetze" schützen, die Ausübung anderer Religionen blieb explizit verboten. Eine der liberalsten Verfassungen ihrer Zeit überhaupt proklamierte zwar Pressefreiheit und andere Freiheiten, so Hughey (ebd.: 17), „but, strängely enough, it did not guarantee freedom of religión". 1 Es liegt auf der Hand, daß der religiöse Geist, der von Cádiz ausging, auch für das Judenproblem weitreichende Konsequenzen hatte. Und das um so mehr, als auch der reale Einfluß des Klerus 2 im politischen Wechselspiel der folgenden Jahrzehnte nicht zu unterschätzen war. So gab es noch immer, erwähnt Tufión de Lara (1968: 71) eine symbolisch-vielsagende

Marginalie, den „Voto de

Santiago", eine Tributleistung, die die galizischen Bauern an die Kathedrale von Santiago zu zahlen hatten - „por la intervención .milagrosa' del Apóstol en la llamada Reconquista". Und bevor die Inquisition 1834 endgültig abgeschafft wurde, bot sie der Welt mit der letzten Exekution wegen eines „delito de herejía" (ebd.: 81 f.) ein grausiges Schlußschauspiel: Das Opfer war ein Dorfschullehrer aus der Nähe von Valencia, der beschuldigt wurde, seine Schüler nicht ordnungsgemäß im christlichen Glauben unterrichtet zu haben. Die Begründung für die Todesstrafe basierte auf den Siete Partidas von Alfons dem Weisen (!); bei der Wahl der Exekutionsform erwiesen sich die Richter indessen zeitgemäßer: „Toda la , magnanimidad' de los jueces consistió en permutar la hoguera por la horca". Die schwere Hypothek, die der Katholizismus für die Modernisierung und Säkularisierung des Landes darstellte - zumindest wurde er von den meisten Liberalen als solche empfunden - , äußerte sich auch in der Tatsache (Tuñón de Lara 1968: 78), daß sich die Liberalen, die in den darauffolgenden Jahrzehnten 1

2

Deshalb geht die Ansicht der Sephardenforscherin Bei Bravo (1992: 253) an einem gewichtigen Teil der Wirklichkeit vorbei: „Los Cortes de Cádiz marcan el conocimiento de lo que se denomina el Estado Moderno Español, en el que se sintetizaron todas [...] las ideas liberales de la influencia francesa." Dieser war, so Tuñón de Lara (1968: 75 f f ) , allerdings kein monolithischer Block: Neben dem hohen und dem niederen, weithin ungebildeten Klerus habe es eine aufgeklärte, liberale Minderheit gegeben, die allmählich „entscheidend" geworden sei.

Die Wiederkehr des Verdrängten

123

von Zeit zu Zeit regierten, ihre Aufmerksamkeit mehr der klerikalen als der sozialen Frage widmeten. Außerdem beschränkte sich der Antiklerikalismus zunächst nur auf die dünne Schicht des liberalen Bürgertums und gleichgesinnter Intellektueller. Erst Mitte der 30er Jahre erreichte er auch breitere Schichten des Volkes, vor allem in den Städten. Die Gründe sind zwar vielschichtig, das Ergebnis, so Tuflón de Lara (ebd.: 85), fiel jedoch eindeutig aus und war irreversibel: „Sean cuales fueren las causas, el hecho es que los incendios de conventos y matanzas de frailes que tuvieron lugar en Madrid y Barcelona en 1834 y 1835 respectivamente, representaban más que simples motines." Die folgende „desamortización", d. h. die Schließung von Konventen, Kongregationen und Klöstern und die öffentliche Versteigerung kirchlicher Ländereien, die von der liberalen Regierung unter Mendizábal 3 initiiert wurde, gab, so derselbe Autor (ebd.: 86), „la señal de una ruptura total". In diesem Bruch, der sich bis zum Bürgerkrieg auch immer wieder in blutigen Gewaltausbrüchen manifestierte, liegt möglicher- und paradoxerweise eine wichtige Erklärung für den relativ schwachen Antisemitismus in der spanischen Gesellschaft: Während sich die sozialen Ausbrüche in anderen Ländern häufig Juden als Zielscheibe suchten, richtete sich in Spanien der Haß vor allem gegen die Kirche - und das, so Caro Baroja (1978: Bd. 3, 188), mit ideologischen Versatzstücken aus dem Arsenal des europäischen Antisemitismus. So habe die aufgeregte Menge, die Mitte der 80er Jahre in Madrid mehrere Mönche lynchte und umbrachte, in der Überzeugung gehandelt, die Opfer hätten die Brunnen vergiftet und damit die damals in der Stadt grassierende Choleraepidemie ausgelöst. In früheren Jahrhunderten, so Baroja, seien es dagegen die Juden gewesen, denen man solche Missetaten vorgeworfen habe ... Am Monopolcharakter des Katholizismus als offizieller, einzig erlaubter und schützenswerter

Staatsreligion änderte sich in den folgenden

Jahrzehnten

dennoch nichts. Die Verfassungen von 1812, 1822, 1834 und 1854 drückten der exklusiven Liaison von Staat und Klerus auch weiterhin ihr Siegel auf, und religiöse Manifestationen, die nicht dem katholischen Dogma entsprachen, wurden verfolgt. So kam es noch in den 60er Jahren in mehreren Großstädten zu einer Welle von Verhaftungen protestantischer Abweichler (Hughey 1955: 31), die als Gefahr für die katholische Einheit empfunden wurden. 3

Von ihm ist die Anekdote (Hughey 1955: 27 f.) überliefert, daß er dem berühmten protestantischen Bibelverkäufer George Borrow gesagt haben soll: „that what Spain needed from England was guns and money to carry on the war against the Carlists, and not Bibles".

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Die Wiederkehr des Verdrängten

Eine echte Zäsur, zumindest im politischen ,Überbau' des Landes, markierte erst die Septemberrevolution von 1868, die Geburtsstunde der Ersten Republik. Die im Juni des folgenden Jahres verabschiedete Verfassung garantierte in ihrem Artikel 21 zwar auch weiterhin den staatlichen Schutz der katholischen Religion (Tuñón de Lara 1968: 92), sie garantierte aber zugleich die vollständige religiöse Freiheit von „extranjeros residentes en España" und von „españoles que profesaren otra religión" - ein im ehemaligen Land von Torquemada nachgerade spektakuläres Novum. Vorausgegangen waren der Abstimmung über die neue Verfassung ausgedehnte und höchst kontroverse Debatten, die eine unversöhnliche Gegner-, j a Feindschaft von Liberalen und Konservativen widerspiegelten. Emilio Castelar, Präsident der Ersten Republik, prangerte (Aronsfeld 1979: 12) die „religiöse Intoleranz" an, die im 14. und 15. Jahrhundert mit der Verfolgung der Juden begonnen habe. Dennoch waren er und seine Mitstreiter alles andere als religiöse Ikonoklasten. Castelar erkannte den „Wert" (Hughey 1955: 44 f.) des Katholizismus durchaus an und ging sogar so weit, die Protestanten als „ewige Feinde meines Landes, meiner Rasse und meiner Geschichte" zu bezeichnen. Seine Attacken richteten sich somit nicht gegen den Katholizismus als solchen, sondern nur gegen den „Mißbrauch" der klerikalen Macht, den er durch eine Trennung von Kirche und Staat bekämpfen wollte. Ähnlich argumentierte Francisco Pi y Margall (ebd.: 43), ein weiterer Führer der Republikaner. Für ihn war die Trennung von Kirche und Staat eine Grundvoraussetzung für Gedanken- und Meinungsfreiheit in allen gesellschaftlichen Bereichen, vor allem in Wissenschaft und Politik. Das sahen die Gegner der Reform, obwohl keineswegs homogen, natürlich anders. Einer ihrer fuhrenden Redner im Parlament, der Erzbischof von Santiago, polemisierte (ebd.: 40) besonders scharf gegen die Zulassung „häretischer" Religionen und wies den Vorwurf zurück, die Inquisition habe jemals physische Gewalt angewendet: Es seien lediglich „geistige Strafen" verhängt worden, die physische Bestrafung der „Häretiker" sei ausschließlich Sache des Staates gewesen. Obwohl diese Debatten zweifellos von „kapitaler Bedeutung" (Tuñón de Lara 1968: 91) waren und die Verabschiedung der neuen Verfassung „eine neue Epoche" (Hughey 1955: 50) markierte, waren die realen Verhältnisse nach wie vor intakt. Die Verfassung blieb reines Papier, das von der Mitte der 70er Jahre beginnenden Restauration auch formal ad acta gelegt wurde: „Malos vientos corrían", schreibt Tuñón de Lara (1968: 94), „para que las instituciones religiosas aceptasen esa libertad." Die borbonische Restauration bedeutete auch die Restauration der kirchlichen Privilegien und der religiösen Dominanz im gesell-

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schaftlichen Leben - bis hinein in die Universitäten: Es blieb strengstens verboten (ebd.: 99), „[que] se enseñe nada contrario al dogma católico ni a la sana moral". Dennoch war klar, daß eine völlige Rückkehr zum Status quo ante nicht mehr möglich war. Die Auseinandersetzungen um Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche hatten Spuren hinterlassen, nicht allein in der politischen Öffentlichkeit. So hieß es (ebd.: 100) in der Verfassung von 1876, die den Katholizismus wieder zur Staatsreligion erhob, mit einem Anflug von .Toleranz': „Nadie será molestado en el territorio español por sus opiniones religiosas ni por el ejercicio de su respectivo culto, salvo el respeto debido a la moral cristiana. No se permitirán, sin embargo, otras creremonias ni manifestaciones públicas [Hervorhebung von mir, N.R.] que las de la religión del Estado." Immerhin ein Hoffnungsschimmer für die ,Häretiker' von einst, unter ihnen die Juden. In den folgenden Jahrzehnten, das zeigen u. a. die Auseinandersetzungen über die Judenfrage, nahmen zumindest die Debatten über das Verhältnis von Staat und Religion(en) an kritischer Schärfe zu. Politisch-institutionell blieben jedoch die staatlich-klerikalen Grundstrukturen bis zum Beginn der Zweiten Republik (1931) weitgehend unangetastet. Die häufig wechselnden iwrao-Kabinette von Liberalen und Konservativen, deren politische Unterschiede in zahlreichen Grundsatzfragen vage blieben, trieben zwar die kapitalistische Modernisierung des Landes voran, an der fast uneingeschränkten Dominanz des Katholizismus als Staatsreligion änderte sich indessen nur wenig, nicht zuletzt in den öffentlichen Schulen: Katholischer Religionsunterricht, so die Verfassung von 1876 (Pozo Andrés/Braster 1999: 92), war Pflicht. Erst 1913 ermöglichte ein königliches Dekret den Kindern von nichtkatholischen Eltern, sich vom Religionsunterricht befreien zu lassen. Der Einfluß der Kirche sorgte allerdings dafiir (ebd.: 93), daß dem Dekret kaum praktische Bedeutung zukam. Die letzten Versuche einer liberalen Regierung, das Dekret auch praktisch umzusetzen, scheiterten an der Diktatur Primo de Riveras (1923). Erst 1931, zu Beginn der Zweiten Republik, konnte Manuel Azaña, ihr erster Präsident, die - illusionäre Parole ausgeben: Spanien habe aufgehört, ein katholisches Land zu sein.

2. Die Erfindung Spaniens: Facetten des nationalen Diskurses Stellten die religiösen Strukturen des Landes, die besonders enge Verbindung von Kirche und Staat, die wahrscheinlich wichtigste Determinante bei der Auseinandersetzung um die Judenfrage dar, kam vor allem im letzten Drittel des

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19. Jahrhunderts ein weiterer Faktor hinzu: Die ,Erfindung' der spanischen Nation. Dieser Prozeß nationaler Identitäts-Bildung, der auch anderswo in vollem Gange war, besaß jedoch in Spanien eine betont religiöse Färbung, selbst noch als liberaler Reflex auf die national-katholischen Varianten des SpanienDiskurses. Reconquista, Inquisition und das imperiale Spanien im Zeichen der Gegenreformation bildeten die thematischen Hauptstichworte, an denen sich dieser Diskurs über Jahrzehnte hinweg abarbeitete. Wie bereits in der Einleitung der vorliegenden Untersuchung deutlich wurde, sagen bestimmte Facetten dieses Diskurses, besonders die historischen unter ihnen, stets viel darüber aus, wie homogen oder heterogen man die ethnische Dichte der Nation interpretierte. Nimmt man, was Spanien betrifft, das Diccionario de la Real Academia Española als Gradmesser für den Prozeß der .Nationalisierung', dann taucht der Terminus „nación" erstmals in der Ausgabe von 1884 in seiner modernen Version auf: „Antes de 1884", schreibt Hobsbawm (1998: 23), der sich auch eingehend mit dem spanischen Beispiel beschäftigte, „la palabra nación significaba sencillamente, la colección de los habitantes en alguna provincia, país o reino' y también .extranjero'". Ab 1884 firmiere unter diesem Begriff dagegen erstmals „[un] estado o cuerpo político que reconoce un centro común supremo de gobierno" sowie „[un] territorio que comprende, y aun sus individuos, tomados colectivamente, como conjunto" - somit eine politische Gemeinschaft, die von einer Regierung geführt und repräsentiert wurde. Es handelt sich also, mit anderen Worten, eher um eine Staats-Definition, weniger um eine ethnische Bestimmung der spanischen Nation. Die definitorische Enge, ja Exklusivität, die in späteren Formulierungen dominiert, ist hier, rund ein Jahrzehnt nach Beginn der Restauration, noch nicht tonangebend: Auch Juden paßten - eigentlich - in dieses Nationalstaatskonzept. Bevor diese Definition der Academia den spanischen Staatsbürger kreierte und damit auf eine politische Entwicklung reagierte, die den europäischen Zeitgeist widerspiegelte, haben sich die späteren Hohepriester der Hispanidad über die Existenz einer spanischen Nation im modernen Sinne augenscheinlich nicht den Kopf zerbrochen. Sämtliche Derivate, vor allem „patria" oder „tierra", besaßen in früheren Jahren mitnichten, schreibt Hobsbawn (ebd.: 24) über die Diccionario-Editionen seit dem frühen 18. Jahrhundert, „la nota emotiva del patriotismo moderno, que define patria como ,nuestra propia nación, con la suma total de cosas materiales e inmateriales, pasado, presente y futuro que gozan de la lealtad amorosa de los patriotas'". Damit liegt die politische Brisanz dieses Befundes auf der Hand: Die perennierenden Dauerspanier, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihre

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Geburt aus der ideologischen Retorte erlebten, sind eine Fiktion des späten 19. Jahrhunderts. Doch just sie, die ,Erfindung' Spaniens, sollte in zukünftigen Ausgaben des Diccionario

tonangebend werden: „la versión definitiva de ,1a

nación' no se encuentra hasta 1925, momento en que se describe como ,conjunto de personas de un mismo origen étnico y que generalmente hablan un mismo idioma y tienen una tradición común'". Es sei hier nur am Rande erwähnt, daß die ethnisch-nationalistischen Homogenisierungsbestrebungen nicht nur von Madrid ausgingen. Obwohl man sich in Kastilien, einem der ältesten europäischen Reiche, das Etikett einer StaatsNation anheften konnte, ohne damit völlig groteske zu wirken, waren es auch und gerade die .historischen Regionen' des Landes, die sich in dieser Zeit (ebd.: 116 f.) einen nationalen Anstrich gaben. Während sich der Katalanismus hauptsächlich sprachlich-kulturell zu erfinden begann - vor 1880 hatte sich der dortige Regionalismus kaum für seine sprachlichen Identitätszeichen interessiert - , waren im Baskenland ethnische Komponenten von Anfang an bestimmend: Sabino Arana, der Gründer des Partido Nacionalista

Vasco (PNV), erfand, und

das im Wortsinne, nicht nur die Standardsymbole des baskischen Nationalismus, unter Einschluß des regionalen Namens („Euskadi"); dort wähnten sich die ideologischen Erfinder der ,patria

chica'

zugleich als Repräsentanten eines

partikularen ethnischen Erbes, das auch biologische Elemente besaß: „los vascos", bilanziert Hobsbawn (ebd.: 129) die historische Leitidee des baskischen Regionalismus, „eran superiores a otros pueblos debido a su pureza

racial,

demostrada por la singularidad de la lengua, que reflejaba la negativa a mezclarse con otros pueblos, sobre todo con árabes y judíos". Obwohl das ideologische Mischungsverhältnis der nationalen Bewegungen von Land zu Land und von Region zu Region differierte und die nationalen Symbole, auch in Spanien, vielfältig waren (Pozo Andrés/Braster 1999), spielten historische Elemente von Anfang an eine herausragende Rolle bei der Erfindung der .spanischen Identität': „El hecho es", schreibt Inman Fox (1997: 13) in seiner vielbeachteten Studie La invención

de España,

„que la evolución de la

historiografía nacionalista durante la segunda mitad del siglo XIX engendró, de una manera u otra, la concepción de una cultura nacional". Dabei habe gerade die Literatur eine zentrale Rolle gespielt. Sie sei, so Fox, unverzichtbar gewesen, um den „espíritu nacional" zu ergründen: „la historia literaria no era sino parte de un proyecto historiográfico sobre la civilización', con la tendencia a indagar en los orígenes hispanos para encontrar soluciones a los problemas nacionales el conocido ,problema de España'."

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Zu den wichtigsten Institutionen, die sich mit diesem Problem in extenso und durchaus weichenstellend beschäftigten, zählt das 1835 gegründete Ateneo de Madrid. Nicht zufällig fällt die Geburtsstunde dieses Debattenzentrums, das sich von Anfang an als „patriotisch und literarisch" (ebd.: 28) verstand, in die Phase eines liberalen Interregnums: Seine Ziele bewegten sich im Rahmen eines liberalen Staatsverständnisses, das Bildung und Aufklärung auf seine Fahnen schrieb, wenn auch vom hohen Katheder einer gebildeten Führungselite aus. Mit der Gründung der Institución Libre de Enseñanza gesellte sich dem Ateneo 1876 eine weitere intellektuelle Plattform hinzu, die dem national-liberalen Diskurs kaum minder starke Impulse gab. Die krausistischen Professoren, denen die Restaurations-Verfassung ihre Posten in der Universität genommen, aber die Erlaubnis zur Gründung eines eigenen Instituts eingeräumt hatte, dominierten fortan auch die Debatten im Ateneo:

„A partir de entonces", schreibt Fox

(ebd.: 31), „los actos inaugurales se politizaban a menudo; y en la última década del siglo - durante la crisis nacional española - el Ateneo se convirtió en un centro importante para la creación de la opinión pública". Es sind vor allem und immer wieder historische Debatten und Vorlesungsreihen, die den Grundstock nationaler Identität legen sollten. Daran beteiligt ist auch das Boletín de la Institución Libre de Enseñanza, in dem herausragende Intellektuelle eine Vision der spanischen Geschichte offerieren, die sich zwar von konservativen Varianten unterscheidet, aber deswegen nicht weniger fiktiv ist. Es sei nachgerade erstaunlich, schreibt Fox (ebd.: 58), wie eng die Beziehung zwischen Geschichte, Identität und Politik bei Autoren wie Rafael Altamira oder Joaquín Costa geknüpft worden sei. Die Berufung auf die Geschichte zur Lösung zeitgenössischer Probleme sei allgegenwärtig: „la promesa de la Edad Media española progresista y la creación del Estado-Nación por los Reyes Católicos y la política económica arruinadora del reinado autocràtico e intolerante de los Habsburgo; una Castilla y un castellano míticos y la resucitación del Cid y del político ideal de Gracián como modelos para el liderato. Es decir que hasta los programas para la modernización del país se planteaban a veces en términos de la identidad nacional inventada." Ein liberaler Historiker vom Range Altamiras, der zusammen mit Costa 4 und anderen Intellektuellen auch zu den Exponenten des Regeneracionismo

zählte, war fest davon überzeugt, daß Spanien als Nation,

nicht allein als Staat, eine klar definierbare Einheit bilde. Diese Einheit, von lokalen Unterschieden abgesehen, bestehe (ebd.: 63) aus „notas comunes de

Vgl. die Kapitel über Altamira und Costa in der vorliegenden Untersuchung.

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intereses, de ideas, de aficiones, de aptitudes y defectos [...] que hacen del español un tipo característico en la psicología del mundo, y de España una entidad real y sustantiva". Und immer wieder der Kampf um die Geschichte, um ihre hegemoniale Interpretation zu Nutz und Frommen gegenwartspolitischer Interessen. Selbst die Koryphäen der Siglo de Oo-Literatur wurden zu unfreiwilligen Kriegern auf dem Schlachtfeld der Nation. So waren vor allem die Liberalen bestrebt (Pozo Andrés/Braster 1999: 84), Cervantes in ein nationales Symbol zu verwandeln und den Quijote als Ausdruck des spanischen Nationalcharakters zu verklären. 5 Bei soviel national-literarischer Verve konnten die Konservativen natürlich nicht zurückstehen. Da Cervantes verständlicherweise eher den Liberalen ,gehörte', kaprizierten sie sich um so stärker auf eine andere Ikone der literarischen Zenitepoche: „Calderón es nuestro", titelte (Campomar Fornieles 1984: 151) dementsprechend ein konservatives Blatt aus Anlaß des Centenario

1881: „Sí,

¡Calderón es nuestro!", heißt es im Text, „porque [...] la fé de España, la fé intolerante e intransigente, la fé de la Inquisición y de los Santos de nuestra tierra, palpita vigorosa y ferviente en cada verso de Calderón, y con ella [...] el odio a la herejía y a todas sus afinidades, odio nacional y de raza que los católicos de hoy hemos de considerar como nuestro más precioso abolengo". Das ständige Bemühen der spanischen Intellektuellen, seien sie liberaler oder konservativer Façon, an den Zeigern der Geschichtsuhr die gegenwärtige Zeit abzulesen, sollte auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts 6 nicht erlahmen. Im Gegenteil, infolge der Krise von 1898 erhielt dieses Bemühen zusätzliche institutionelle Impulse. Vor allem in Gestalt der Junta para Estudios

e Investigaciones

Científicas

Ampliación

de

(Fox 1997: 97 ff.), die 1907 unter der

liberalen Regierung von José Canalejas ins Leben gerufen wurde. Die Verbindung der Junta zu den führenden Köpfen der Institución Libre de Enseñanza war von Anfang an eng, etwa durch ihre Geschichtslastigkeit. So ist es wohl kein Zufall, daß es sich bei dem ersten Forschungszentrum, das im Rahmen der Jwnia-Strukturen eingerichtet wurde, um das Centro

de Estudios

Históricos

handelte: „se buscaba en el Centro", schreibt Fox (ebd.: 99), „explícitamente un entendimiento del pasado español, del patrimonio de la cultura propia formada

In den 20er Jahren wurde der Quijote sogar zur staatlich verordneten Pflichtlektüre (ebd.: 84) in den öffentlichen Schulen des Landes. Selbst die Zeit, die die Schüler diesem Buch widmen sollten, wurde vorgeschrieben: 15 Minuten pro Tag! Aus Gründen der thematischen Kohärenz seien einige Aspekte der weiteren Entwicklung schon hier erwähnt.

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por la lengua, la literatura, el arte y la historia. El afán nacionalista y la búsqueda de la ,identidad' de España están presentes. Se sigue viendo en la historia el vehículo pedagógico para educar al pueblo en la .regeneración' de España." Das Centro besaß verschiedene Abteilungen, in denen Intellektuelle vom Schlage Menéndez Pidais, Américo Castros und Alfonso Reyes' historische Studien, vor allem auf dem Gebiet der Literatur, in Angriff nahmen, die wichtige Bausteine für das nationale Gebäude darstellen sollten. Auf konservativer Seite, die nicht minder an der historischen Erfindung Spaniens beteiligt war, sei hier lediglich die ,Ein-Mann-Institution' von Menéndez Pelayo erwähnt. Mit seinem voluminösen Gesamtwerk, das mehrere Dutzend Bände umfaßt, dürfte er nicht allzu weit hinter dem publizistischen Output der liberalen Institutionen zurückgeblieben sein: „Siguiendo la idea, propaganda en España, por casualidad, principalmente por los institucionistas", faßt Fox (ebd.: 188) das ideologische Standardinventar des berühmt-berüchtigten Autors der Historia de los heterodoxos españoles zusammen, 7 „de que hay tal cosa como un genio nacional - un Volksgeist - que subsiste a lo largo de la historia, Menéndez y Pelayo elogia a la casa de Austria por haber entendido y defendido la ortodoxia de la teología española, que él asocia con la Contrareforma y la Inquisición". Damit bewegte sich der stockkonservative Vielschreiber durchaus in ideologischer Nähe zum ultrakonservativen Integrismus im Umkreis der Zeitschrift El Siglo Futuro.

Auch dort begriff man die Geschichte als Herzstück der

nationalen Identität: „Es un concepto de la historia", schreibt Campomar Fórmeles (1984: 59), „basado en la pureza de fe y de raza: la Reconquista, la unidad religiosa de los Reyes Católicos, la Inquisición y Felipe II, Lepanto eran glorias. Sobre todo el Santo Oficio, porque extirpó del suelo español al hereje y de esas purgas salió incólume la auténtica identidad española." Man mag es als Ironie der Geschichte empfinden, daß selbst Menéndez Pelayo ins Visier dieser Zeitschrift geriet. Auslöser der Attacken war der 1882 erschienene dritte Band der Historia de los Heterodoxos,

den das Blatt als Abweichung von der ortho-

doxen Linie empfand: „Con razón le dolió a Menéndez Pelayo", schreibt Fornieles mit leichtem Sarkasmus, „el cambio repentino de opinión y el mal intencionado ataque del Siglo Futuro

[...]. Ofrecía también un lamentable

espectáculo para el catolicismo ver como el censor más popular y ortodoxo arrinconaba entre los herejes dudosos ¡al autor de la Historia de los

Heterodoxos!"

Dessen ambivalente, aber nicht gerade orthodoxe Ansichten über die Rolle von 7

Auch Menöndez Pelayo wurde ein eigenes Kapitel gewidmet. Vgl. Kap. VIII.

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Juden und Mauren in der spanischen Geschichte dürften das spektakuläre Schisma weiter vertieft haben. Im Rahmen der hier untersuchten Thematik stellt sich nun die Frage, welchen Stellenwert die trikulturelle Geschichte bei der historischen Erfindung Spaniens besaß -

vor allem explizit. Denn implizit, etwa bei der Bewertung der

Inquisition, haben sich einige Konturen bereits abgezeichnet. Auch hier spielt die Geschichte, so González (1991: 63), eine wichtige Rolle: „En definitiva, las distintas posturas en torno al problema judío tienen hondas raíces en la historia del país y emergen una vez que un factor desencadenante las hace aflorar."

3. Die ,Rückkehr' der Juden: Erste Kontakte „Desde la expulsión hasta el siglo XIX", schreibt die Sephardenforscherin DíazMas (1993: 187), „España prácticamente ignoró la existencia de los sefardíes en el exilio." Da es auch im Lande selber so gut wie keine Juden gab, kann man hinzufügen: Die Judenfrage überhaupt war in Spanien kein Thema - von eher marginalen Ereignissen abgesehen. So gestattete eine königliche Order von 1786 denjenigen Juden den Eintritt nach Spanien (Aronsfeld 1979: 2), die zuvor eine Erlaubnis des Königs erhalten hatten. Praktische Konsequenzen sind jedoch nicht bekannt. Immerhin berief sich der Minister für Industrie und Handel 1797 auf eben diese Order und schlug Carlos IV. vor, „die hebräische Nation in Spanien zu akzeptieren". Wie rund hundert Jahre später Pulido, versprach er sich von dieser Maßnahme „einen Ausgleich der Staatsfinanzen" - und das in einem Umfang, „den keine andere Maßnahme erreichen könnte". Dabei ging es ihm vor allem um „einige herausragende" Sepharden in Holland und in anderen Städten Nordeuropas, die „die Vorteile und Annehmlichkeiten, deren sie sich einst in Spanien erfreuten", niemals vergessen hätten: „What he had in mind", kommentiert Aronsfeld (ebd.) das kühne Unterfangen mit Ironie, „was a royal decree as radical as that of 1492." In der Praxis blieben diese Pläne ,zur Rückkehr der Juden' zwar nur eine Episode, allerdings eine recht vielsagende. Denn bereits Ende des 18. Jahrhunderts kündigte sich damit an, wenn auch in aller Zwiespältigkeit, was im folgenden Jahrhundert, so González (1991: 13), zu einem spanischen Unikat werden sollte: „Durante el siglo XIX España es el único país europeo que se plantea la aceptación o rechazo de los judíos como problema nacional, como ruptura o continuación de la medida tomada en 1492;

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en el resto de los países es sólo un problema humanitario y de política contemporánea." 8 Aus dieser spanischen Besonderheit, die zweifellos von zentraler Bedeutung ist, darf allerdings nicht der Schluß gezogen werden, daß diejenigen, die für eine ,Rückkehr' der Juden nach Spanien optierten, rundum philosemitisch eingestellt gewesen seien. Denn trotz aller Unterschiede in der Beurteilung der Judenfrage habe etwa im Unterbewußtsein der Abgeordneten der Cortes von Cádiz, schreibt Kamen (1992: 314) über die einschlägigen Redebeiträge, die alte Judenfeindschaft „unverändert und uneindämmbar" fortgelebt - bei Liberalen und Konservativen. Vor allem für letztere seien die Juden, so Veegh (1989: 25), auch weiterhin das „Urbild ihres Feindes" gewesen: „Der Jude, nunmehr nur noch ein Mythos, wurde im Verstand gewisser Leute mit allem identifiziert, was den durch die Inquisition vertretenen alten Anschauungen zuwiderlief. Jude sein hieß: nicht Katholik sein. Also hieß nicht Katholik sein: jüdisch sein." Obwohl sich der Generalverdacht un- bzw. antikatholischer Umtriebe, wie im vorigen Kapitel deutlich wurde, auch gegen die Anhänger anderer Religionsgemeinschaften richtete, vor allem gegen die Protestanten, waren es doch in erster Linie Juden oder solche, die man dafür hielt, die diesem Verdacht ausgesetzt waren. Zu ihnen gehörte etwa der liberale Politiker und Initiator der

desamortización

Mendizábal, der von Gegnern, so Caro Baroja (1978: Bd. V, 182), als Jude bzw. als Neuchrist diffamiert worden sei: „Se le acusó de arbitrista, de ignorante, de poco político, de falta de habilidad, etc. En suma, es una figura judía típica: nervioso, arrogante, seguro de sí, precipitado si se quiere ... [...]. A Mendizábal, aún los caricaturistas de su época le solían caracterizar mediante una inmensa cola o rabo." 9 Das Beispiel des liberalen Politikers Mendizábal illustriert darüber hinaus, daß auch die pejorativen Konnotationen des Converso- bzw. NeuchristBegriffes längst noch nicht erschöpft waren. Beide Begriffe, Jude und Converso, waren (Veegh 1989: 14) vielfach deckungsgleich - trotz der Tatsache, daß die Konversion bereits mehrere hundert Jahre zurücklag und die Conversos seit

9

Die gleiche Ansicht vertritt Jeanette M. Baron im Vorwort zu der grundlegenden Studie von Aronsfeld (1979: 1): „It is a remarkable episode in the long struggle for Jewish Emancipation. Unlike most other countries, Spain was debating not only the merits of what rights were to be extended to the Jews, but the very question of readmitting them to the country and establishing Jewish communities enjoying complete religious freedom." Die Formulierung nährt den Verdacht, daß auch ein moderner Historiker wie Caro Baroja diese „typischen" Eigenschaften kolportiert...

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1834, zusammen mit der Abschaffung der Inquisition, mit den ,Altchristen' rechtlich nahezu gleichgestellt waren. Werfen die Anfeindungen von Mendizábal und anderen, weniger prominenten ,Neuchristen' ein bezeichnendes Licht auf die Binnenhypotheken beim Umgang mit der Judenfrage, so erhält die Kontroverse 1854 auch zum ersten Mal eine internationale Dimension, in der,echte Juden' außerhalb Spaniens eine Rolle spielen. In diesem Jahr richtet der Magdeburger Rabbiner und Herausgeber der Allgemeinen Zeitung des Judenthums, Ludwig Philippson, eine Petition an die liberale Regierung in Madrid, in der er die Aufhebung des Vertreibungsedikts von 1492 und uneingeschränkte Religionsfreiheit in Spanien fordert. Dabei berief sich der deutsche Rabbiner (Aronsfeld 1979: 5 ff.) u. a. auf die einige Jahre zuvor erschienene Studie von Amador de los Ríos und hielt den spanischen Adressaten seiner Petition vor, daß die Vertreibung der Juden ein „tödlicher Schlag" für die Wirtschaft des Landes gewesen sei. Neben ökonomischen Motiven, die für eine , Rückkehr' der Juden sprächen, hielt er mangelnde Religionsfreiheit für unvereinbar mit dem Stand der Zivilisation und stellte den Nachfahren von Torquemada einen moralischen , Schulderlaß' für die historischen Schandtaten in Aussicht.10 Die Reaktionen auf die Petition von Ludwig Philippson - eigentlich ein ,unerhörter' Vorgang: ein Ausländer, obendrein ein Jude, mischt sich in die spanische Innenpolitik ein! - illustrieren die Zwiespältigkeit, mit der die Judenfrage Mitte des Jahrhunderts in der politischen Öffentlichkeit behandelt wurde. Sie bestätigen aber auch die zitierte Ansicht von González, daß sich nämlich in Spanien überhaupt eine kontroverse Debatte über dieses Thema, unter Einschluß der nationalen Geschichte, entwickelt hat. So traf die Petition auf den Seiten der liberalen Regierungszeitung Novedades (ebd.: 6) auf offene Ohren, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen: „In terms of economics the readmission of the Jews would assure us of substantial benefits." Ein anderes liberales Blatt, das zwar keine grundsätzlichen Einwände gegen die Petition vortrug, gab jedoch zu bedenken, daß die Juden Ansprüche auf ihr früheres Eigentum erheben könnten! Dagegen ging der Autor einer anderen Stellungnahme gar so weit, die Juden um Verzeihung zu bitten: „We confess before you, O Lord", zitiert Aronsfeld (ebd.: 6) diesen bemerkenswerten Text, „the great sin of our nation committed against the descendants of the ancient people of Israel, whom our fathers treated so cruelly and at length drove out of

10

Eine ausfuhrliche Darstellung der Intervention des deutschen Rabbiners findet sich in Kap. XIII. der vorliegenden Untersuchung.

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the country of their birth without making any distinction. Pardon, O Lord, this cruelty because we repent it. And when you who are the God of Abraham lead back his sons into Spain, let us not forget that you say to them ,1 will bless them that bless you and curse than that curse you'." Auch wenn der unbekannte Autor wohl eine Ausnahme darstellte: In anderen Ländern dürften solche Äußerungen in jenen Jahren kaum zu finden sein. Auch in Spanien blieb die Initiative des deutschen Rabbiners, was ihre materielle Ausbeute betraf, eine Episode. Als kurze Zeit später die Konservativen wieder die Regierung stellten, fanden seine Hoffnungen ein jähes Ende: Die Realisierung seiner Forderungen, teilte man Ludwig Philippson mit, würde einen Bürgerkrieg heraufbeschwören ... Obwohl die Petition des deutschen Juden, eines Aschkenasen, auch bereits Debatten über die Juden in der nationalen Geschichte ausgelöst hatte, fand die eigentliche Wiederentdeckung der Sepharden erst ein paar Jahre später statt: Während des Kolonialkrieges in Nordafrika 1859/60. Dort, insbesondere in Tetuân, trafen die spanischen Invasoren, die freilich „historische Rechte" (Bachoud 1988: 39) fur sich in Anspruch nahmen, auf eine zahlenmäßig nicht unbedeutsame Gemeinde von Sepharden, direkten Nachkommen der 1492 vertriebenen Juden. Von den rund 35 000 Einwohnern der Stadt (Bei Bravo 1992: 220) waren immerhin 7 500 Sepharden. Die große Mehrheit lebte in prekären ökonomischen Verhältnissen, fühlte sich von der islamischen Umwelt diskriminiert und verfolgt und begrüßte die spanischen Invasoren offenkundig als Befreier - so auch die internationale jüdische Publizistik: „God be thanked", schrieb etwa der Jewish Chronicle (Aronsfeld 1979: 7), „the sufferings of Jews at Tetuân are at an end. The Spaniards are in possession of it, and there is not the slightest doubt that the Jews will be most efficiently protected by the human conquerors." Eine denkwürdige Ironie der Geschichte: Die Vertreiber von einst werden von den Vertriebenen als Befreier besungen. In der Tat gab es Bestrebungen (ebd.: 7) der spanischen Besatzer, die Juden Tetuâns gegen die „Grausamkeit" und „Ungerechtigkeit" der islamischen Behörden zu schützen. Eine dieser Direktiven wurde vom Jewish Chronicle als „one of the most remarkable documents in modern Jewish history" gelobt. Auch internationale Organisationen wie der Morocco Relief Found oder die Alliance Israélite Universelle und jüdische Persönlichkeiten, unter ihnen die Barone Rothschild und Montefiore (Bei Bravo 1992: 219 f.), halfen den dortigen Juden. In Spanien sorgte vor allem die Tatsache für öffentliche Aufmerksamkeit, daß die Tetuaner Juden , Spanisch' sprachen und häufig eine sentimental gefärbte , Spanienliebe' bekundeten, die in den berühmten Schlüsseln für die in Spanien zurückgelassenen Häuser ihren

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sichtbarsten Ausdruck fand. So zumindest sah man es in der spanischen Öffentlichkeit (González 1911: 12), die vor allem von Pedro Antonio de Alarcón, dem bekanntesten Kriegsberichterstatter jener Jahre, mit einschlägigen Berichten gefuttert wurde." Von den „emotionalen Elementen" (González) abgesehen, spielte die Entdeckung der Sepharden Tetuáns allerdings noch keine besondere Rolle für die Madrider Außenpolitik, auch nicht kulturell. Nach Ansicht von González (ebd.: 12) lagen die Gründe auf der Hand: „España [prestó] poca atención a los sefarditas marroquíes, por ser muy pocos y muy pobres". Das offensichtlich triste Panorama, das die dortige Sephardengemeinde bot, sollte sich nach dem baldigen Abzug der spanischen Truppen sogar noch weiter verschlechtern: Ein „erheblicher Teil" (Bei Bravo 1992: 221) der jüdischen Bevölkerung kehrte deshalb der Stadt zwischen 1863 und 1912 definitiv den Rücken, die meisten Emigranten wählten Lateinamerika als neue Heimat. Das Interesse der spanischen Politik an den nordafrikanischen Sepharden sollte in den kommenden Jahrzehnten zwar steigen; vorerst dienten die ersten Kontakte in Tetuán jedoch nur als schwache Initialzündung (ebd.: 13) des künftigen Philosephardismus: „se había tomado conciencia política y diplomática de la existencia de estos sefarditas, aunque la política exterior española no dio ninguna respuesta especial". Es sei hier nur am Rande erwähnt, daß auch die zweite historische Hypothek, das Verhältnis zu den ,Mauren', durch den Kolonialkrieg von 1859/60 in eine neue - alte! - Phase trat. Löste die Begegnung mit ,dem Anderen', was die Sepharden betraf, eher sentimentale und humanitäre Reaktionen aus, Reaktionen, die spanischerseits offensichtlich kaum Gefühle historischer Feindschaft oder Schuld mobilisierten, so führte die nach Jahrhunderten erste Begegnung mit den „moros" zu einer drastischen Reaktivierung historischer Feindbilder - Maurenstereotypen, die, wie ihr jüdisches Pendant, im .kollektiven Unbewußten' stets abrufbereit waren: „Se trata siempre del mismo adversario", schreibt Andrée Bachoud (1988: 131) über „la imagen del moro" 12 in Spanien, zumindest in militärischen Kreisen, „al que se considera todavía enemigo hereditario". Die "

12

Vgl. das Kapitel über Alarcón. Hier sei lediglich bemerkt, daß die rassistischen und antisemitischen Berichte Alarcóns und anderer Autoren nur sehr bedingt als „interessante Dokumente" bezeichnet werden können (Diaz-Mas 1993: 188 f.), die Aufschluß darüber gäben, „de como vivían los judíos sefardíes de Marruecos a mediados del pasado siglo". Die Untersuchung von Bachoud bezieht sich zwar auf das frühe 20. Jahrhundert; das dominante ,Mauren'-Bild, das ihre Analyse präsentiert, dürfte Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch kaum anders ausgesehen haben.

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Untersuchung der französischen Hispanistin fördert dementsprechend nicht allein das übliche Arsenal rassistischer Schmähungen zutage, die als ideologisches Unterfutter die Kampfmoral beflügeln sollten; sie zeigt vor allem das erschreckende Ausmaß reaktivierter Geschichtsbilder - ein ideologisches Surplus, das seine Wirkung nicht verfehlte: „España ha sido una nación gloriosa. Hay que tratar de resucitar su historia", faßt Bachoud (ebd.: 131 ff.) die propagandistische Renaissance der mittelalterlichen Kriegerromantik zusammen, „de donde nace cierto número de argumentos de tipo histórico. La guerra de Marruecos se convierte en orden imperiosa dada a los militares por la tradición, una deuda espiritual con los prestigiosos antepasados de España, un legado sacrosanto de los Reyes Católicos." Der Rekurs auf die Geschichte, vor allem auf den ,heldenhaften Befreiungskampf' gegen den Islam während der Reconquista - er sollte in den kommenden Jahrzehnten noch weiter anschwellen, ebenso die strategische Bedeutung der marokkanischen Juden für die kolonialen Interessen Spaniens: Die historisch bedingte Interdependenz der Mauren- und Judenthematik erwies damit, wenn auch unter neuen Bedingungen, abermals ihre Bedeutung. Wie es scheint, spielte der Islam aber ,nur' im Rahmen der kolonialen Ambitionen in Nordafrika eine Rolle; bei den innenpolitischen Dauerkontroversen über Religionsfreiheit stieß der historische Erbfeind offenkundig nicht auf Interesse. Ganz anders die Judenbzw. Sephardenthematik: In den Auseinandersetzungen nach der Revolution von 1868 spielte diese Thematik zwar keine Haupt-, aber doch eine wichtige Nebenrolle. Die kurze Zeitspanne der Ersten Republik kann deshalb als weitere Etappe auf dem Weg der allmählichen Wiederentdeckung der Sepharden betrachtet werden. So war es kein Geringerer als ihr Präsident Emilio Castelar, der in einer seiner berühmten Parlamentsreden des Jahres 1869 (Castelar 1964: 78) die „religiöse Intoleranz" anprangerte, die im 14. und 15. Jahrhundert mit blutigen Judenpogromen begonnen habe. Durch die Vertreibung der Juden sei dem Land im übrigen, so Castelar, ein unschätzbarer intellektueller Verlust entstanden: Jüdische Koryphäen hätten den Ruhm des Landes vergrößert, wenn man sie nicht vertrieben hätte. So hielt er (ebd.: 77) den konservativen Verteidigern der Vertreibungspolitik entgegen: „Nos decía el señor Monterola que los judíos no se llevaran nada de España, absolutamente nada; que los judíos lo más que sabían hacer eran barbuchas. ¿Que los judíos no brillaban en ciencias, no brillaban en artes? ¿Que los judíos no nos han quitado nada? Yo, al vuelo voy a citar unos cuantos nombres europeos de hombres que brillaban en el mundo y que hubieran brillado en España sin la expulsión de los judíos." Dennoch waren auch die

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Judenbilder Castelars, unter Einschluß der spanischen Geschichte, keineswegs frei von sattsam bekannten Klischees. Die teilte er, wenn auch in wesentlich moderaterer Form, mit Menéndez Pelayo, seinem intellektuellen Hauptgegenspieler der folgenden Jahrzehnte: „Curiosamente", schreiben Marqina/Ospina (1987: 27) über diese Eintracht in Zwietracht, „los dos invocan en la cuestión judía el tema religioso unido a la tradición española." Trotz aller Gemeinsamkeiten, die Liberale und Konservative in der Judenfrage - häufig ungewollt fortan miteinander verbinden, liegen die Unterschiede dennoch auf der Hand: Während Castelar und seine politischen Freunde eine entsprechende 7e;7revisión der Geschichte propagierten und in der Verfolgung und Vertreibung der Juden ein Sinnbild der katholischen Intoleranz sahen, dominierte bei den meisten Konservativen13 ein platter Antisemitismus. Zwei Beispiele sollen hier genügen, die Unterschiede zu illustrieren. So schrieb der liberale Revolutionsgeneral Serrano (Hughey 1955: 34 ff.) während der Ersten Republik einer Gruppe von Sepharden, daß das Vertreibungsedikt von 1492 mit der Proklamation der Religionsfreiheit „obsolet" geworden sei. Juden könnten nun jederzeit nach Spanien kommen und wie jede andere Religionsgruppe ihren Glauben frei und ungehindert praktizieren. In dieser de facto-Einladung dürften die Neo-Katholiken und andere konservative Verteidiger religiöser Intransigenz wohl eine Art von nationalem Hochverrat gesehen haben. Galt doch für sie, etwa für das integristische Kampfblatt El Siglo Futuro (Veegh 1989: 31 f.), als ausgemacht, daß eine .Rückkehr' der Juden nur einem Ziel diene: „convertir a España - que cuando fue grande y poderosa les [die Juden, N.R.] arrojó de su seno, como el organismo humano, cuando es robusto, elimina todo germen morboso, que penetra en él - en esclavo de su poder, objeto de su codicia y víctima de su venganza". Bevor die Auseinandersetzungen über die Judenfrage, vor allem in der Presse des späten 19. Jahrhunderts, etwas näher beleuchtet werden - schließlich bildet diese Kontroverse das ideologische Milieu, in dem sich ein beträchtlicher Teil der hier untersuchten Autor/innen bewegte - , seien zwei weitere Ereignisse skizziert, die der Sephardenkampagne von Angel Pulido vorausgingen und sie erheblich mitbeeinflußt haben: Die Judenpogrome in Osteuropa, vor allem in Rußland, und die Dreyfus-Affäre. Die Welle antisemitischer Ausschreitungen, die ab 1881 hauptsächlich die russischen Juden überspülte, führte dazu, daß 13

Zur Rolle von Menéndez Pelayo, der nicht ganz in dieses Gegensatzschema von Liberalen und Konservativen paßt, vgl. das entsprechende Kapitel in der vorliegenden Untersuchung.

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spanische Diplomaten in Osteuropa, dem Osmanischen Reich und Rußland zahlreiche Berichte über die Gewalttaten nach Madrid schickten (González 1991: 13) und besonders darauf hinwiesen, daß viele der verfolgten Gemeinden aus Sepharden bestünden, die noch immer Spanisch sprächen. Im Unterschied zu der Entdeckung der nordafrikanischen Sepharden zwanzig Jahre zuvor stieß die Existenz ihrer osteuropäischen Glaubensbrüder nun auf ein fast spektakuläres Interesse. Die Gründe, so González (ebd.: 14 f.), lagen auf der Hand: Die Zahl der osteuropäischen Sepharden belief sich auf mehrere Hunderttausend, ihre Gemeinschaften waren gut organisiert und augenscheinlich wesentlich reicher als ihre ,armen Verwandten' in Marokko. Dieses Panorama schien vielversprechend: Zu den „humanitären Beweggründen", die das spanische Außenministerium und dessen diplomatische Dependancen bewogen, sich für die verfolgten Juden zu engagieren, kamen schon bald, so González, „exzessive ökonomische Illusionen": „esperando un lanzamiento comercial español en el Mediterráneo, apoyándose precisamente en estas comunidades gracias a los sefarditas que volvieran a España y siguieran manteniendo relaciones con sus compatriotas. Esperando también que trajeran capitales e iniciativas al suelo español, en la línea de los Pereira y Rothschild, y se naturalizaran." Hinzu kam, daß die humanitäre Hilfe für die verfolgten Juden ein probates Mittel war, den hauptsächlich liberalen - Regierungen der Restauration ein modernes, europäisches Image zu verschaffen. Die Haupttriebfedern, die rund zwanzig Jahre später die Sephardenkampagne von Angel Pulido in Gang setzen sollten, waren damit bereits im Ansatz vorhanden. Und noch ein Aspekt, der den Philosephardismus stets prägen sollte, springt bereits in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ins Auge: „Pese a todas estas circunstancias", schränkt González (ebd.: 15) den Umfang des staatlichen Engagements deutlich ein, „la relación con los sefarditas fue siempre una relación más personal que institucional, desde los generales en Africa a los diplomáticos en Europa oriental o el doctor Pulido a comienzos del siglo XX." Zu denen, die sich in der Folge der russischen Pogrome von 1881 besonders engagierten, gehörte in erster Linie der Conde de Rascón, spanischer Repräsentant in Konstantinopel. Auf seinen Bericht über die Situation der russischen Juden antwortete (Marquina/Ospina 1987: 20) der damalige Ministro de Estado, Marqués de la Vega de Armijo: „AI recibir el despacho [...] el Rey me encarga diga a V. E. que tanto su Majestad como el Gobierno recibirán a los hebreos procedentes de Rusia, abriéndoles las puertas de la que fue su antigua patria." Trotz aller pro domo-Ambitionen, die damit verbunden waren: sicher ein außergewöhnliches Dokument im damaligen Europa!

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Deshalb haben die beiden - äußerst kritischen - Sephardenforscher Marquina/ Ospina (ebd.) sicher recht, wenn sie schreiben: „Con este comunicado, el Gobierno tomó una postura decidida para afrontar el problema, sin eludirlo, y, por esta razón, se puede decir, que es la primera vez que de forma tan clara y explícita se tomaron medidas hacia las comunidades judías de Oriente." Die praktischen Folgen dieses Engagements, das nicht gerade uneigennützigen Motiven entsprang, waren indessen recht bescheiden. Da die Madrider Regierung es ablehnte, irgendwelche Kosten zu übernehmen, bat Rascón

ausländische

Schiffahrtsgesellschaften um Gratispassagen. Das Ergebnis (González 1991: 95): Im Sommer 1881 reisen 51 Juden via Marseille und Barcelona nach Spanien ein. Auch die sonstigen, überaus hochgesteckten Ambitionen des Grafen, 14 etwa ein Netz spanischer Schulen für die osteuropäischen Sepharden aufzubauen, erwiesen sich als quijoteske Träumereien: In Madrid schien man zwar von den geradezu sagenhaften Gewinnaussichten der von Rascón vorgeschlagenen Maßnahmenpalette überzeugt zu sein - investieren wollte man indessen nicht! Die ,Präkampagne' Rascóns und seiner Sympathisanten führte jedoch immerhin zu einer kulturpolitischen Sensibilisierung, von der später auch Pulido profitierte: „Esta línea de penetración cultural", so Marquina/Ospina (1987: 21), „será una constante a partir de ahora en todas las campañas que se defienden en pro de las relaciones hispano-sefardíes". Den kulturpolitischen Initiativen, die von anderen europäischen Ländern bereits zu einer wichtigen Säule nationaler Außenpolitik gemacht worden waren, schien sich in der Tat ein weites und fruchtbares Feld zu bieten. So soll sich die Zahl der spanischsprechenden Sepharden gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts in Saloniki auf 80 000 , in Belgrad auf 24 000, in Bukarest auf 30 000, in Kairo auf 10 000, in Alexandrien auf 6 000 und in Bulgarien auf 60 000 (ebd.: 45) belaufen haben - allesamt potentielle Kulturbotschafter Spaniens, so die weitverbreitete Hoffnung. Solche Hoffnungen richteten sich besonders auf Saloniki, das Jerusalem des Balkans', wie viele die Stadt nannten (Bei Bravo 1992: 164), in der fast die Hälfte der Bevölkerung aus Sepharden bestand - ökonomisch prosperierend, gut organisiert und kulturell lebendig. Doch nirgendwo, 14

So hatte er (Marquina/Ospina 1987: 21) seinem Enthusiasmus freien Lauf gelassen, als er schrieb: „si se fijaran los hebreos en las principales ciudades de la Península y especialmente en el litoral de Cataluña, Valencia y Andalucía, poniéndose en comunicación con los trescientos tantos mil, de origen español, que hablan perfectamente nuestra lengua, que viven de su trabajo en Turquía y en las costas del mar Negro, se podrían establecer líneas de vapores desde Sevilla hasta Odesa, al modo de lo que hacen ingleses y franceses."

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weder auf dem Balkan noch im Gebiet der späteren Türkei, war Spanien kulturpolitisch präsent. Es gab keine spanischen Schulen, keine Kulturinstitutionen, nicht einmal Bibliotheken - kulturelle Einrichtungen, die den sprachlichen Standortvorteil wenigstens zu einer kulturellen Umwegrentabilität hätten ausbauen können. Hinzu kam, daß internationale jüdische Bewegungen wie der wachsende Zionismus und die Alliance Israélite Universelle dem spanischen Philosephardismus harte Konkurrenz machten und vor allem dazu beitrugen, daß das Judenspanische im Vergleich zum Französischen oder Englischen an Einfluß verlor. Innerhalb dieses aus spanischer Sicht nachgerade desolaten Panoramas gründeten liberale Intellektuelle und Politiker, die der Regierung und der Institución Libre de Enseñanza nahestanden, 1886 das Centro de Inmigración Israelita. Das Centro sollte, so das Gründungsmanifest (González 1991: 118), die Einwanderung von Juden, vor allem von Sepharden, nach Spanien fördern. Die geplante Aktivitätenpalette, mit der man dieses Ziel erreichen wollte, nahm sich vielversprechend aus: Regelmäßige Publikation von Informationen über die sephardische Diaspora, Informationen über Spanien unter den Sepharden, Zusammenarbeit mit jüdischen Organisationen in Europa, Entwicklung von Kriterien zur Auswahl „geeigneter" Einwanderer und zur finanziellen Unterstützung ihrer sozialen Integration in die spanische Gesellschaft. Als Honorarpräsident des Centro wählten die Mitglieder einen englischen Sepharden, geschäftsfuhrender Präsident wurde der liberale Journalist Isidoro López Lapuya, der der Institución Libre de Enseñanza nahestand. Die hochgesteckten Ziele dieser Vereinigung, immerhin der ersten ihrer Art, wurden freilich nicht erreicht. Weder fand sich die gewünschte Zahl „geeigneter" Juden, die nach Spanien einwandern wollte, noch traf das Centro auf ein nennenswertes öffentliches Echo unter den fuhrenden Intellektuellen des Landes. Es sollte Angel Pulido vorbehalten bleiben, dem Thema nationale Bedeutung zu verschaffen. Bevor die Stunde des spanischen Sephardenapostels schlug, sorgte schließlich die Dreyfus-Affäre dafür, daß die Judenfrage zu einem prominenten Thema der innenpolitischen Auseinandersetzung avancierte: „In Spanien", schreibt Bernd Rother (1995: 87), „wurde der Dreyfus-Prozeß von der Presse mit kaum geringerem Engagement als in Frankreich verfolgt." Besonders die Wiederaufnahme des Verfahrens 1899 habe die Berichterstattung auf den Titelseiten der Zeitungen bis in die Provinz hinein beherrscht.15 In gewisser Weise vorbereitet 15

Rother weist zu Recht darauf hin (ebd.: 90), daß die spanischen Reaktionen auf die Dreyfus-Affäre bislang noch nicht systematisch untersucht worden sind.

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wurde die Kontroverse um Dreyfus durch Drumonts antisemitische Kampfschrift La France Juive, die 1889 in spanischer Übersetzung erschienen war. Dennoch schlug sich die Presse, so González (1991: 169), mehrheitlich auf die Seite von Dreyfus und Zola. Die größten Blätter des Landes, unter ihnen El País, El Imperial,

El Liberal und El Correro ergriffen für Dreyfus Partei und zogen

Parallelen zur religiösen Intransigenz reaktionärer Katholikenkreise. Letztere, das war kaum anders zu erwarten (Rother 1995: 88), zweifelten keinen Augenblick an der Schuld des jüdischen Offiziers. Für sie verkörperte Dreyfus all die Gefahren - Rationalismus, Liberalismus, Freimaurertum und Sozialismus - , vor denen sie beständig warnten. Die Ausweisung der Juden, bzw. das Verbot ihrer Einreise, betrachteten sie deshalb als die einzige Lösung. Spanien, so eines der reaktionären Blätter (González 1991: 173), habe der Welt 1492 gezeigt, wie man mit den Juden umgehen müsse. Insofern hat González (ebd.: 176) recht, wenn er schreibt: „El proceso Dreyfus fue, pues, un acontecimiento más del antisemitismo europeo cuya difusión en España confirmó las posiciones ya establecidas." Jenseits dieser etablierten Positionen von Liberalen und Konservativen zeigte die Affäre freilich auch die politischen Blößen, zumindest die Naivität der spanischen Sozialisten: Für ihren Führer, Pablo Iglesias, ging das Engagement seiner französischen Schwesterpartei für Dreyfus 16 entschieden zu weit. Dem Proletariat, so sein Standpunkt (Rother 1995: 89), könne es gleichgültig sein, wenn ein Offizier ungerecht behandelt werde - schließlich würden die spanischen Arbeiter tagtäglich Opfer der Klassenjustiz. 17

4. Die ,Rückkehr' der Juden und ihr Presseecho Es waren vor allem die philosephardischen Aktivitäten des Grafen Rascón, die in der spanischen Presse zu einer massiven Kontroverse führten. 18 Diese Kontro-

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Anfänglich war der französische Sozialistenchef Jaurès freilich selber nicht sehr interessiert gewesen: Die Dreyfus-Affäre, so seine Parole (Karady 1999: 219), die er später widerrief, sei „ein Bürgerkrieg der Bourgeoisie". Damit spielte Iglesias vor allem auf die brutale Verfolgung von Anarchisten an, die in jenen Jahren von einer enthemmten Justiz mit Kerkerstrafen und Todesurteilen überzogen wurden - eine Verfolgung, die jeder Rechtsstaatlichkeit spottete. Die folgenden Ausfuhrungen, die sich hauptsächlich auf die Untersuchung von González (1991) stützen, beschränken sich im wesentlichen auf die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts. Für die folgenden Jahrzehnte liegen noch keine systematischen Untersuchungen über die Judenthematik in der Presse vor.

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verse bezog sich (Bei Bravo 1992: 261), thematisch gesehen, hauptsächlich auf drei Bereiche: den Antisemitismus in Europa, vor allem in den Ländern Osteuropas; die Absicht der liberalen Regierung von Sagasta, einen Teil der osteuropäischen Sepharden zu .repatriieren'; und auf die Rolle der Juden in der spanischen Geschichte, besonders auf die Vertreibung von 1492. Nach Ansicht von González (1991: 129) lassen sich, grosso modo gesehen, auch drei politische Hauptströmungen ausmachen, die sich an dieser Kontroverse beteiligten. Die erste, liberaler Façon, sei quantitativ am wichtigsten gewesen und habe sich, trotz aller Unterschiede in Einzelfragen, im Kern als projüdisch erwiesen. Die liberalen Blätter hätten den europäischen Antisemitismus verurteilt, die ,Repatriierungs'-Offensive der Regierung unterstützt und ebenfalls für eine Revision der Geschichte plädiert. Die zweite, eine konservative Strömung, habe zwar auch den europäischen Antisemitismus verurteilt, sich aber den Einwanderungsplänen der Liberalen vehement widersetzt, mit Ausnahme „reicher Juden". Schließlich hätten die Presseorgane der katholischen Integristen und des monarchistischen Absolutismus eine dritte Strömung gebildet. Auf den Seiten dieser Blätter, so González, manifestierte sich ein „eingefleischter" Antisemitismus, die .Rückkehr' der Juden wurde bedingungslos bekämpft und die judenfeindliche Geschichte als spanische Essenz verteidigt. Die erste, mehr oder weniger liberale Strömung sieht González etwa in der Tageszeitung El Liberal verkörpert. In einem Artikel von 1887 (ebd.: 79) identifiziert sich das Blatt augenscheinlich ohne Wenn und Aber mit der jüdischen Geschichte des Landes - unter Berufung auf eine Art .positiven Rassismus': „Si se observan fisonomías es necesario remontarse al recuerdo de aquellos semblantes que la pintura religiosa perpetúa, porque si la memoria se fija en realidades, ¡cuántas caras españolas entre los judíos de Tetuán! ¡Cuántas caras judías entre los españoles! Si hoy renaciera lo de cristianos viejos y nuevos, la antropología, con más certeza que un inquisidor, diría a muchos cristianos fervorosos y hasta fanáticos sois judíos". Darüber hinaus hätten die Sepharden ihren „españolismo" nie aufgegeben, was sich vor allem in der Sprache manifestiere: „El lenguaje es un pedazo de patria y parece que quien lo habla lo posee." Um so leichter fällt es dem Autor, die .Rückkehr' der Juden voll und ganz zu akzeptieren - die Vorteile lägen im übrigen auf der Hand: „En esta época de actividad colonizadora, de impulsos positivos y de esfuerzos mercantiles, ¿convendría aprovechar el españolismo judío para asociarlo a nuestros intereses comerciales?, es decir, ¿convendría nacionalizar a los judíos por el comercio? Sé que es conveniente, no sé si posible." In die gleiche argumentative

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Kerbe schlug die liberale Zeitung El Imparcial: „aun cuando España no dedujera ventaja alguna de la vuelta de los judíos", lautete auch hier (ebd.: 133) die pro domo-Strategie, die obendrein ein politisches Surplus besitze, „siempre serviría para demostración de un adelanto en nuestras costumbres políticas y de precedente en la historia de nuestra tolerancia religiosa, donde hasta ahora rara vez hemos encontrado grandes motivos de regocijo." Für diesen Autor ist die Judenfrage nicht nur eine Nagelprobe für die Überwindung der historischen Intoleranz, er erinnert zugleich an den großen Einfluß der spanischen Juden auf die nationale Literatur sowie auf die Entwicklung und „den Glanz der Wissenschaften". Aus dieser Einstellung zu den spanischen Juden in Geschichte und Gegenwart ergebe sich zwangsläufig, so González, die Verurteilung des zeitgenössischen Antisemitismus, etwa auf den Seiten der liberalen Tageszeitung El Globo (ebd.: 133), die u.a. schrieb: „Los judíos son víctimas de bárbaros atropellos y de inauditas violencias. Allánanse sus moradas y se confiscan sus bienes, no se respetan sus personas. [...] ¿Alguien les prestará socorro? Hasta el presente tan sólo ayudas aisladas." Demgegenüber unterschieden sich die eher19 konservativen Blätter durch einen gewissen „Eklektizismus" (González), der in La Etapa beispielhaft zum Ausdruck komme. Dort polemisierte man (ebd.: 139) gegen die geplante Einwanderung sephardischer Juden etwa unter Berufung auf „die 300 000 christlichen Spanier" in Lateinamerika, „[que] tienden sus brazos escuálidos pidiendo regresar a la patria querida". Während man diese im Stich lasse, sei gleichzeitig daran gedacht - und das ist ein weiteres Argument gegen den Philosephardismus liberaler Couleur - , in Osteuropa Schulen für die dortigen Sepharden zu finanzieren, „cuando no tenemos las indispensables en la Península". Insgesamt fordert das Blatt, „esa fiebre judaica" in liberalen Kreisen zu bekämpfen und dabei auch die Revision der nationalen Geschichte nicht zu übertreiben - jene „cólera contra la obra de aquellos felices Reyes Católicos a quien tanto debe la civilización y unidad de la patria." Im Unterschied zur integristischen Presse, die der judenfeindlichen Politik der Katholischen Könige vorbehaltlos applaudierte, versuchte sich die konservative Presse in einer Art historischer Grad Wanderung: Der spätmittelalterliche Antijudaismus sei zwar bedauerlich, unter den gegebenen Verhältnissen (ebd.: 138) aber „algo natural", keinesfalls ungerecht und damit auch nicht wiedergutmachungsbedürftig ge19

In einigen Punkten, das wird etwa am Beispiel des konservativen Regierungschefs und Kritikers Cánovas del Castillo deutlich, ist die ideologische Trennschärfe zwischen beiden Gruppen nur gering.

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wesen. Hatten einige liberale Blätter in der historischen Wiedergutmachung („reparación") einen notwendigen Teil der Einwanderungsofferte an die sephardischen Juden gesehen, wollte man in der konservativen Presse davon nichts wissen. Dort, etwa in La Epoca (ebd.: 140), zeigte man sich zwar willens, Juden ins Land zu lassen, aber gleichsam handverlesen: „Vengan no obstante los que tengan que venir, vengan para ser buenos ciudadanos, trayendo su actividad y su industria y procurando formar parte del pueblo que los acoge. [...] Vengan a ejercitar libremente su acción e inteligencia y trabajo, sus hábitos de economía y de sobriedad, imitando en sus empresas y otras de su misma raza, lengua y religión, altamente considerados en todas las naciones". Der ewige Vorwurf gegen die reichen Juden - hier nun hat er sich zu einem Kompliment gemausert: „Tal prestigio e importancia adquieren estos banqueros judíos", faßt González (ebd.: 141) einen Großteil der konservativen Stimmungslage zusammen, „que se llegan a publicar artículos laudatorios de algunos de ellos en 1881: sobre los Rothschild y los Bauer, posiblemente para salir al paso de que se considerara a todos los judíos por el mismo rasero." Damit waren die Grenzen zwischen Konservativen und Liberalen, zumindest in zeithistorischen Fragen, keineswegs unüberwindlich. Aber auch in historischen Fragen, die, wie die zitierten Debatten über den Stellenwert der Geschichte für die nationale Identität illustrieren, einen prominenten Platz einnahmen - auch in diesen Fragen überlappten sich die Positionen. In der Person des konservativen Regierungschefs und Historikers Cánovas del Castillo lasse sich dieser Teilkonsens, so González (ebd.: 161 f.), exemplarisch demonstrieren. Seine Ansichten, etwa über den Zusammenhang von religiöser Intoleranz und Dekadenz, seien sogar von der liberalen Presse begrüßt und argumentativ gegen die Konservativen verwendet worden: „Solo la exageración del principio religioso y esta filosofía ergotizante tan bien anudada a ella", hatte Cánovas zum Beispiel geschrieben, „trajeron males capaces de transformar cualquier grandeza de la monarquía: primero, la emigración de muchos miles de moros y judíos y luteranos, expulsados o perseguidos por el Santo Oficio; luego la ruina, el envilecimiento y la destrucción de tantas familias como vinieron por los autos de fe, además de la parálisis de las ciencias y su muerte lenta pero completa." Die zitierte Gratwanderung in der konservativen Presse, nämlich die historische Intoleranz als Hauptursache der Dekadenz zwar zu bedauern, aber als unveränderbar darzustellen, unternimmt freilich auch Cánovas, wenn er schreibt: „No podía ser de otra suerte. Una nación que peleó ochocientos años contra hombres que profesaban distinta creencia, que llevaba la cruz en todas sus

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banderas y miraba a la religión hermanada con todas sus glorias, cuyo grito de guerra era religioso." Auch in zeitgenössischen Fragen war er ein typisch konservativer Realist: Kulturelle Beziehungen zu den sephardischen Juden ja, aber keine Repatriierung' en masse: „Cánovas, tanto por su posición política como por su concepción histórica", bilanziert González (ebd.: 162), „representa perfectamente el soporte ideológico sobre el que en gran parte se apoyaba el conservadurismo político español." Die ideologische Demarkationslinie gegenüber der Judenfrage verlief deshalb wohl hauptsächlich zwischen Konservativen und Liberalen auf der einen und den katholischen Integristen auf der anderen Seite. Hatten Liberale und Konservative ihre intellektuellen Vordenker - die Institución Libre de Enseñanza im liberalen, Historiker und Politiker wie Cánovas del Castillo im konservativen Lager - , dann besaßen auch die reaktionären Katholiken und Karlisten des integristischen Lagers ihre intellektuellen Souffleure. Es war vor allem Pelegrín Casabó y Pagés, der mit seinem Buch España judía den Versuch unternahm, die antisemitischen Versatzstücke der Ultrakonservativen ideologisch zu verdichten. Dieser reaktionäre Epigone von Edouard Drumonds La France juive, ein Buch, das auch in Spanien große Verbreitung fand, erwies sich nicht nur als bedingungsloser Claqueur der judenfeindlichen Politik in der spanischen Geschichte; aus seiner Feder (1892: 103) stammen auch besonders aggressive Hetzparolen gegen die zeitgenössischen Juden, etwa gegen die chuetas auf Mallorca: „Es conocido en nuestra España el origen de las familias no obstante la abolición de las informaciones sobre la limpieza de sangre, especialmente por los convecinos de las localidades, máxime en la isla de Mallorca, donde los chuetas son perfecta y distintamente conocidos y hasta odiados porque siempre hacen chuetadas." Besonders wütende Attacken richtete Casabó y Pagés gegen konservative Philosepharden vom Schlage Menéndez Pidais, den er (ebd.: 107 f.) als „pensionado por los judíos" diffamierte, als eine Art Fünfter Kolonne der jüdischen Bankiers Bauer und Rothschild. Überall wähnte er düstere Machenschaften jüdischer Verschwörerkreise am Werke, unter den Kapitalisten ebenso wie unter deren Gegnern: „El judío ha planteado la cuestión socialista que roe las entrañas de las naciones europeas", schrieb er (ebd.: 77) im Jargon des Stürmer, „y la sangre judía será la tinta con la que habrá de escribirse la solución." Auf den Seiten der integristischen Presse fanden die dumpfen Tiraden dieses Drumond-Epigonen ein getreues Echo. Dabei hob sich das ultrareaktionäre Blatt El Siglo Futuro unter der Leitung von Cándido Nocedal besonders hervor, und zwar auf allen thematischen Ebenen. Über den europäischen, speziell den

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russischen Antisemitismus war in dem Hetzblatt (González 1991: 142 f.) zu lesen: „Conocida es la exasperación del pueblo ruso, el odio que profesa a cuanto lleve el nombre de judío, explicándose el estado de los espíritus, esa actitud de los ánimos, y el papel funesto que desempeñaban los judíos en medio de aquella población". Mit gleicher Verve polemisierte das Blatt (ebd.: 143) gegen die ,Rückkehr' der Juden nach Spanien: „¿Por qué tanto empeño en traer a los judíos perseguidos en todas las partes? Antes de pensar en traer a los judíos de Rusia podría pensarse en los españoles de Argel, que tantas desventuras

están

padeciendo en tierra extraña por serles imposible venir a España." Mit ähnlichen Argumenten, das wurde weiter oben deutlich, wetterten auch

konservative

Blätter gegen die Einwanderungspläne der liberalen /«rno-Kabinette. Selbst am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums schien die

ideologische

Osmose damit gut zu funktionieren. Auch die unverhohlene Freude über die geringe Erfolgsbilanz des liberalen Philosephardismus dürfte in konservativen Kreisen geteilt worden sein: „ni a tres tirones quieren venir [...] y confirman [así] los hechos, y ¿tendrán idea cabal y justa del régimen liberal bajo el cual los mismos españoles no podemos vivir? En eso les alabamos el gusto." Es waren jedoch historische Fragen, in denen die integristischen Attacken, so González (ebd.: 143), ihren „Höhepunkt" erreichten: Eine Revision der Geschichte, selbst in der moderaten Form, wie sie von einigen konservativen Autoren betrieben wurde, schienen Nocedal und seine politischen Freunde als nationalen Hochverrat zu empfinden. Zu dieser besonders neuralgischen Frage war in El Siglo Futuro (ebd.) zu lesen: Niemand könne tolerieren, daß die Juden behaupteten, sie seien schlecht behandelt worden. Wenn sich die Katholischen Könige in dieser Angelegenheit überhaupt versündigt hätten, dann nur durch ein Übermaß an Zurückhaltung und Toleranz gegenüber diesen ewigen Störern der öffentlichen Ordnung, den ewigen Feinden des guten christlichen Namens des Landes: „¿Y qué paciencia habrá que baste para censurar actos de tanta justicia como la expulsión de los judíos y moriscos llevados a cabo con tanta mesura, prudencia y rectitud a los que violentan y bárbaramente han cometido el sacrilego crimen de dejar matar impunemente y desterrar a los ministros de Dios, es decir, no sin culpa sino todo lo contrario, por su virtud y santidad?" In diesem politischen Meinungsklima gegenüber der Judenfrage, das sich bis zur Jahrhundertwende vermutlich nicht wesentlich geändert hat, bewegten sich zahlreiche Autoren, die Gegenstand der Untersuchung sind. Die Dreiteilung der politischen Öffentlichkeit, die González mit Blick auf die Presse konstatiert, vor allem ein deutliches Übergewicht liberaler, philosephardischer Stimmen, gilt

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jedoch nicht, zumindest nicht so deutlich, für die namhaftesten Schriftsteller des Landes: Unter ihnen ist ein wesentlich höherer Prozentsatz antisemitisch eingestellt. Das mag Zufall sein, hat aber wohl vor allem mit den unterschiedlichen Analyseformen zu tun: González interessiert sich hauptsächlich für die drei zitierten Themenbereiche - europäischer Antisemitismus, sephardische Einwanderung nach Spanien und Revision der Geschichte - , ohne dabei sonderlich ins Detail zu gehen. Das ist legitim, engt aber die Wahrnehmung erheblich ein: Nicht jeder, der sich für die Einwanderung der Sepharden ausspricht, ist ein Freund der Juden. So kommt der implizite Antisemitismus bei González viel zu kurz - doch gerade der ist oft entscheidend. Das gilt auch für die meisten Untersuchungen zur Literatur: Die Tatsache, daß sich der eine oder andere Schriftsteller gelegentlich freundlich über die Sepharden äußerte, sagt häufig nur wenig über seine generelle Haltung zur Judenfrage aus.

VI. Geschichte als Fiktion: Die Wiederentdeckung von Mauren und Juden in der Literatur der Romantik Die literarische Gattung, in der die Juden wieder in die spanische Literatur zurückkehrten, schreibt Monika Veegh (1989: 35), „ist der historische Roman der Romantik". 1 Wie die hier untersuchten Autoren erkennen lassen, spielte der historische Roman zwar eine Schlüsselrolle bei der Wiederentdeckung; beteiligt waren indessen auch andere Gattungen - vom historischen Drama über Legenden bis zu Gedichtzyklen. Der gemeinsame Hauptnenner, von liberalen und konservativen Romantikern gleichermaßen, bestand dabei im Interesse an der Geschichte, in dem Bemühen (González 1991: 23), „las raíces de los pueblos" freizulegen: „Surgió, así, la preocupación por lo particular y específico de cada pueblo como soporte de los nacionalismos". 2 Die wesentlichen Impulse zur Beschäftigung mit der nationalen Vergangenheit kamen indes aus dem Ausland: „Spain and everything Spanish", schreibt Lovett (1990: 4), „became one of the ingredients that went into European Romanticism." Ausländische Autoren, unter ihnen Lord Byron, Victor Hugo, die Brüder Schlegel und Grimm, Chateaubriand, Washington Irving und Alexandre Dumas wurden zu Vorbildern, deren in der Regel: naiver - Enthusiasmus für das ,romantische Spanien' allmählich auch spanische Autoren anstecken sollte: „It was often a distorted vision", so Lovett (ebd.), „yet the interest was there and in some cases this interest even played a role in the gestation of Spanish literary Romanticism." Von einzelnen, wenn auch wichtigen Ausnahmen abgesehen, spielten die mittelalterlichen Juden zunächst jedoch noch keine Rolle. Erste Impulse, auch Juden in die literarische Welt der historischen Romane aufzunehmen, dürften von Sir Walter Scott ausgegangen sein, der mit seinem 1819 erschienenen Ivanhoe einen „Modellroman" (Veegh 1989: 45 f.) schuf, der sich „in Windeseile in ganz Europa" durchsetzte. Mehrere Romane Scotts enthalten Judenporträts, die - obgleich auf England bezogen - immerhin Mitleid für die verachtete Minderheit erkennen lassen: „Scott [...] verurteilt die Judenverfolgung Die Meinung von Anita Benaim Lasry (1980: 17), derzufolge die Juden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wieder in der Literatur auftauchten, und zwar im Werk von Galdós, ist deshalb völlig unzutreffend. Nach Ansicht von González (ebd.: 33) hatte die Romantik auch auf die jüdische Literatur der Zeit einen ähnlichen Einfluß: „En sus poemas se contaba el heroísmo y la libertad de Israel; hay siempre en toda la literatura de esta época una alusión constante al pasado glorioso de Israel. Este movimiento literario creó una profunda concienciación nacional en el espíritu de los principales escritores judíos."

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ebenso wie das Wucherwesen, das aber seiner Darstellung zufolge erst durch die Unterdrückung habe entstehen können."3 Ansonsten stand, vor allem mit Blick auf Spanien, die Maurenthematik im Zentrum des Interesses: „era tarea reservada, sin duda al romanticismo", schreibt Fernández Almagro (1995: 45), „descubridor y colonizador de las más extrañas tierras: las de Oriente, en primer término; un convencional Oriente, no señalado por la rosa de los vientos, extendido hasta el extremo occidental de Europa; hasta España, hasta Granada." Für die meisten spanischen Autoren, auch für den eben zitierten, stellte die Maurophilie der europäischen (und nordamerikanischen) Romantik freilich ein Dilemma dar: Für sie handelte es sich um ein Kapitel der nationalen Geschichte und Gegenwart - und zwar um eines, an das man sich kaum noch erinnerte, und wenn doch, dann fast durchweg mit höchst gemischten Gefühlen! Der „triste estado de decadencia", der Alhambra, den Washington Irving (1991: 69) beklagte,4 mag diese Aporien illustrieren. Insofern ist der Hinweis von Irvings spanischem Erstübersetzer (ebd.: 13) alles andere als selbstverständlich: „Si los Cuentos de la Alhambra han alcanzado tan buena acogida entre los ingleses y franceses con mayor razón puede esperarse que la logren entre nosotros." Zu diesem Dilemma - der europäischen Maurophilie - zählte nicht zuletzt der Umstand, über den sich noch Fernández Almagro (1995: 55) ärgerte, daß damit nämlich auch häufig eine kritische Haltung zu den katholischen Siegern über das maurische Spanien verbunden war: „la hostilidad contra el cesarismo de la Casa de Austria. Los románticos no perdonaron a Carlos V. que, para erigir su palacio, demoliese edificaciones árabes". 5 Doch trotz der europäischen „Präferenz für das arabische Spanien" und „die Verachtung" (ebd.: 58) der christlichen Traditionen, fand das Maurensujet allmählich Eingang in die spanische Romantik -

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Die erste vollständige Übersetzung von Scotts Romanen ins Spanische datiert von 1825; die Hauptrezeptionsphase erstreckt sich freilich erst auf die Zeit von 1831 bis 1841. Ob und wie Scotts Judenbilder spanische Autoren beeinflußten, ist zwar unbekannt. Deren Ambivalenzen (ebd.: 46) dürften ihre Rezeption zumindest erleichtert haben: „Die Hakennase und der lange Bart gehören zu den unabdingbaren Attributen des Juden, der aber auch als ,handsome' beschrieben wird. Vergleichbares wäre in den Porträts spanischer Juden undenkbar. Allerdings zeigt Scott wenig kritische Distanz, wenn er den ,Nationalcharakter' der Hebräer pauschal als ,mean and unamiable' bezeichnet, obwohl er dafür die Verfolgung verantwortlich macht." In die gleiche Richtung zielt die Äußerung Heines (1994: Bd. 5, 12): „Wie tief bist du gesunken! O Granada!" Der Autor (ebd.: 57) zitiert etwa Gutiers Kritik an der „pesada masa" dieses Gebäudes: „'Sea por celos, sea por avaricia, los españoles, al reconquistar a Granada, han hecho poco por ella".

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wenn auch mit einiger Verzögerung (Lovett 1990: 97): „[The] full-fleged Romanticism carne to Spain only after 1833". Es waren indes nicht nur literarische Impulse, die der Mauren- und Judenthematik ein Comeback bescherten. Genauso wichtig, wenn nicht wichtiger, waren die politischen Zeitumstände, etwa die Invasion der napoleonischen Truppen: „La reyerta había resucitado en el pueblo español", schreibt Romero López (1995: 518) am Beispiel des „Orientalismus" von José Zorrilla, „un espíritu heroico y patriótico, opuesto a la ilustración afrancesada, que [...] fomentó el culto popular hacia las leyendas históricas." Und noch ein zeitpolitisches Motiv dürfte dem Orientalismus der Romantik Auftrieb gegeben haben: Die expansionistischen Interessen des Landes. Nach dem kolonialen rien ne va plus von Ayachucho (1824) war ein zentraler Pfeiler nationaler Glorie zusammengebrochen. Lag es da nicht nahe, in den mittelalterlichen Heldentaten ideologischen Trost zu suchen? Die Geschichte als Balsam für zeitgenössische Blessuren - diese .Strategie' lag um so näher, als sie zugleich einer kolonialpolitischen Neuorientierung dienlich war: Der Expansionspolitik in Nordafrika. Der enge Zusammenhang zwischen dem Kolonialismus in Marokko, historisches Feindesland par excellence, und der Hausse akademischer Beschäftigung mit dem nordafrikanischen Islam (Morales Lezcano 1990: 171 f.), ist unübersehbar und gilt augenscheinlich auch für die Literatur der Romantik, zumindest für ihre späte Phase: „Los artistas contribuyeron a crear esta vanage oria nacional", schreibt Romero López (1995: 518) mit Blick auf die kolonialistischen Ambitionen in Nordafrika, „sustituyendo la historia por la leyenda, y colmaron la conciencia del pueblo con viejas glorias". Dabei spielt es im Rahmen der hier untersuchten Thematik nur eine untergeordnete Rolle, ob die Dichotomie „verdad histórica/verdad poética", wie Tobar (1994: 311) schreibt, zugunsten Letzterer ausfiel. Von geringerer Bedeutung ist hier ebenfalls die von Ferreras (1976: 99) vorgeschlagene Einteilung der historischen Romane nach Subgattungen und zeitlichen Phasen. Ihm zufolge bildete die „novela histórica de origen romántico" Anfang der 20er Jahre den Auftakt, gefolgt von und teilweise zeitgleich mit der „novela histórica de aventuras" und der „novela de aventuras históricas", die etwa ab 1860 zur dominanten Form des historischen Romans geworden sei. 6 Auch das politische Credo der Autoren schlug, was die historischen Minderheiten angeht, weniger zu Buche als auf anderen Themenfeldern: „it is difficult", schreibt Lovett (1990: 103 f.) zu Recht, 6

Vgl. zu den einzelnen Definitionen dieser Subgattungen (ebd.: 100 f f ) .

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„to see two clearly distinguishable groups of writers". Klar sei lediglich, daß sich die Weltsicht der Romantiker von der barocken Periode „with his totalitarian emphasis on loyalty to Throne and Altar" unterschieden habe. Die Auswirkungen auf ihr Mauren- und Judenbild, das zeigen die hier untersuchten Werke, hielten sich indes in engen Grenzen. Der von Monika Veegh (1989: 41) konstatierte „Zusammenhang zwischen der pro- und antikatholischen Haltung der Romantiker und der Qualität ihrer Judendarstellungen" läßt sich deshalb nur mit deutlichen Kautelen bestätigen. Ihr zufolge (ebd.: 70) äußert sich dieser Zusammenhang unter anderem darin, daß die liberalen Autoren bemüht seien, die traditionelle Angst vor den dämonischen Kräften der Juden abzubauen, ihre konservativen Kollegen dagegen die antisemitischen Erwartungshaltungen bewußt bedienten. Zunächst fällt lediglich auf, daß „el tema medieval español y el tema musulmán español" (Ferreras 1976: 139) in sämtlichen Gattungen, die sich mit historischen Themen beschäftigen, einen zentralen Platz einnehmen. Dabei stand der Einfluß der europäischen Romantik zwar Pate; an der Mauren- und im wachsenden Maße auch an der Judenthematik führte indes kaum ein Weg vorbei: „la Historia española de la Edad Media", 7 schreibt Ferreras (ebd.) zu Recht, „obligaba hasta cierto punto el cultivo del tema musulmán". Wie auch immer man die inhaltliche Seite dieser Werke bewertet: Ihr Einfluß auf das Bild, das spanische Leser von den historischen Minderheiten (noch) besaßen, dürfte durch sie entscheidend geprägt worden sein. So sind zwischen 1830 und 1870 nachweislich mindestens 425 historische Romane erschienen (ebd.: 208) - eine Zahl, die vermutlich noch wesentlich höher war und zu der, glaubt Ferreras, noch mehr als 400 historische Fortsetzungsromane in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften addiert werden müßten: „Si, siempre quedándonos cortos, calculamos a mil ejemplares por título, obtendremos 400 000 volúmenes; cifra terriblemente inferior a la realidad, pues ninguna novela por entregas se ,tiró' a 1 000 ejemplares, sino a 10 000 y más." Wenn diese Zahlen stimmen, dann dominierte der historische Roman zwischen 1830 und 1870 nicht nur den spanischen Literaturmarkt, er prägte auch, und das wohl sehr nachhaltig, das Bild der Vergangenheit: „Sin duda, como demostró Lukacs", resümiert Ferreras (ebd.: 180), „las masas - léase el nuevo lectorado - alcanzan por esa época una cierta conciencia

7

„Edad Media", schreibt Tobar (1994: 383), „es denominación que no se incorpora al Diccionario académico hasta la edición de 1843".

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histórica; conquistan, hasta cierto punto, una memoria histórica de su propio pasado; logran, si se quiere, una mayor conciencia nacional".8 Die Folgen für das Bild der beiden historischen Minderheiten, die diese Flut geschichtlicher Darstellungen prägten, sind deshalb kaum zu überschätzen: „,A partir de 1825 y por todo lo que resta del siglo'", lautet die Bilanz von Zellers (1938: 10 f.), „este género de literatura adquiere inmensa importancia y extraordinaria popularidad. Numerosos autores lo cultivan y añaden al catálogo de la literatura varios centenares de obras que miles de lectores leen con avidez."9 Eine der Dichotomien, die im Werk der meisten Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts zutage tritt, hat ihre Hauptwurzeln in der Romantik: Während die Mauren, grosso modo gesehen, trotz aller Klischees eher positiv beschrieben werden, wird der Jude, schreibt Monika Veegh (1989: 50) über das generelle Judenbild in der Literatur des 19. Jahrhunderts, „zum notorischen Bösewicht, Verräter, Ausbeuter gestempelt". Während die Mauren, bereits von der europäischen Romantik idealisiert, sogar häufig zu einem „arquetipo de caballerosidad" (Díaz Plaja 1959: 143) aufgewertet werden, „wird die Figur des Juden im spanischen Roman", bilanziert Monika Veegh (1989: 51) die Ergebnisse ihrer allgemeinen Analyse - unter weitgehender Vernachlässigung der historischen und sephardischen Dimension - , „fast durchweg negativ konnotiert". Diese Bilanz gilt, wie die folgende Analyse der namhaftesten Autoren der Romantik10 zeigt, auch für die allermeisten Bearbeitungen des spanischen Mittelalters: Die mehr oder weniger Guten sind hier fast nur die Mauren." Die Entdeckung des 8

9

10

"

Die historische Thematik, schreibt Ferreras (ebd.: 210 ff.), nehme nach der Revolution von 1868 zwar ab; bis zum Ende des Jahrhunderts seien jedoch mindestens 200 weitere historische Romane erschienen. Unbekannt ist jedoch, wie viele davon das spanische Mittelalter und damit eventuell die Mauren- und Judenthemaik bearbeiten. Nach Ansicht dieses Autors (ebd.: 153) schlug der historische Roman im übrigen nie in „den besten Klassen" der Gesellschaft Wurzeln; seine Hauptrezipienten rekrutierten sich statt dessen aus den wenig gebildeten und besitzenden Schichten. Neben einigen Seitenblicken auf einschlägige Werke weniger bekannter Romantiker folge ich, was die „namhaftesten" Autoren unter ihnen betrifft, im wesentlichen der Darstellung von Navaz Ruiz (1990: 148 ff.). Angesichts der unübersehbaren Fülle von Autoren, die sich mit dem spanischen Mittelalter und damit potentiell mit der trikulturellen Geschichte beschäftigen, war eine Reduzierung des Untersuchungskorpus nachgerade zwingend. Auf diesem Terrain bleibt also noch viel zu tun - auch mit Blick auf das Werk der hier untersuchten Autoren: Aus Zeit- und Platzgründen habe ich nicht das jeweilige Gesamtwerk in toto untersucht, sondern nur besonders themenrelevante Texte. Hinweise auf Juden und Mauren könnten sich jedoch auch in solchen Werken .verstecken', in denen man sie nicht vermutet. Laut Vincent (1992: 178f.) gilt diese Dichotomie in gewisser Weise auch für die Malerei des 19. Jahrhunderts: Während maurische Themen, etwa der Krieg von Gra-

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guten - spanischen - Juden, kulturhistorisch geadelt, blieb späteren Generationen vorbehalten.

1. „Das Unglück der arabischen Eroberung" und des „katholischen Despotismus": Francisco Martínez de la Rosa In einem seiner späten Bücher, einem Bosquejo

histórico

de la política

de

España desde los tiempos de los Reyes Católicos hasta nuestros días, hat Francisco Martínez de Rosa (1787-1862) seine Ansichten über die spanische Geschichte, die er zuvor in historischen Dramen mehr oder weniger fiktiv präsentiert hatte, auch in Form .empirischer Faktenhistoriographie' zu Papier gebracht. Dort heißt es (1857: 4) über die „besonderen Bedingungen", unter denen sich Spanien historisch entwickelt habe: Die „Hauptbedingung" habe darin bestanden, „por descracia, haber sido invadida y conquistada por los Arabes". Inhalt und Form (Sprache) der dickleibigen „historischen Skizze" lassen in der Tat kaum einen Zweifel daran, daß ihr Autor die maurische Präsenz auf der Halbinsel - und nur von ihr ist in seinem gesamten Œuvre die Rede, die Juden kommen, selbst in dem hier skizzierten Geschichtsbuch, mit keinem Wort vor - als nationales' Unglück empfand. Da ist zum einen (ebd.: 4) die übliche Vorstellung einer achthundertjährigen Dauer-Reconquista - ,,[e]sta lucha porfiada, continua, que apenas consentía algún breve respiro" - , die ein fortwährender Freiheitskampf gewesen sei: „El vivo recuerdo que conservaban los Españoles de la dominación sarracénica", legitimiert er damit sogar den spanischen Kolonialismus in Nordafrika nach 1492, „de que apenas respiraban libres; el poder que aun conservaban las Regencias Berberiscas [...] hacía necesario, urgente, quebrantar una fuerza enemiga, siempre dispuesta en nuestro daño." Zu den Erinnerungen zählte indes auch, daß der heldenhafte Freiheitskampf, eine Mischung aus „religiösem Gefühl" und „Vaterlandsliebe", von innerchristlichen Rivalitäten geschwächt wurde - „hasta tal punto", scheint Martínez de la Rosa (ebd.: 4) damit auch den Cid zu tadeln, „que no pocas veces se ve con rubor y lástima esgrimir contra ellos mismos las armas fracticidas, y aun aliarse con los infieles, en vez de unirse bajo la enseña de la Cruz para rescatar á la patria." Das verbale Repertoire des Autors läßt keinen Zweifel zu: Die Mauren waren der

nada, häufig vertreten seien, finde sich die Vertreibung der Juden nur auf zwei Gemälden.

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Erbfeind seines Landes. Der „Kreuzzug Spaniens"12 gegen „die Ungläubigen", der mit der „glücklichen Rückeroberung" Granadas sein siegreiches Ende fand, war gleichbedeutend „y quizá superior en hazañas, al famoso sitio de Troya". Der Sieg in Granada verhieß zugleich „Größe" und „Ruhm". Denn: „una vez afianzada su independencia con la total expulsión de los infieles [hier könnten auch die Juden gemeint sein, N.R.], formaba la nación un solo cuerpo, robusto, llena de vida, aparejado y dispuesto á las más difíciles empresas." Obwohl Martínez de la Rosa, wie die meisten seiner Zeitgenossen, den Sieg über die Mauren als nationales Heldenepos feiert, mischen sich in das übliche Reconquista-Oratorium, dem liberalen Credo gehorchend, zugleich moderate, ja kritische Töne, die auch in seinen literarischen Bearbeitungen des Themas immer wieder zu vernehmen sind. So äußert er zwar Verständnis für die politischen Zeitumstände, etwa während der Regentschaft von Karl V. (ebd.: 20), tadelt aber dennoch „el despotismo y la intolerancia" in politischen und vor allem religiösen Angelegenheiten. Halten sich hier Verständnis und Kritik noch eher unentschieden die Waage, gewinnt der kritische Impetus mit Blick auf Phillip II. deutlich die Oberhand. Ihn hält er (ebd.: 34 f.) für den Hauptverantwortlichen von „Dekadenz und Ruin" seines Landes: „Recorriendo la historia de Felipe II, á cada paso se echa de ver que su afición á un poder sin límites y su celo religioso, intolerante y perseguidor [...] fueron la causa principal de todas sus faltas". Ihm lastet er in concreto vor allem an, für die repressive Moriskenpolitik verantwortlich gewesen zu sein. Urteil und Vorurteil, mit denen Martínez de la Rosa dieses Kapitel beschreibt, liegen jedoch eng beieinander. Es sei für „die Spanische Nation" zwar schwierig gewesen, die Morisken zu integrieren, denn es habe sich um „una población extraña, enemiga, sometida á la fuerza, vengativa por carácter y por resentimiento, irreconciliable por espíritu de religión, distinta en leyes, en costumbres, en usos, hasta en habla y en traje" gehandelt. Dann folgt allerdings ein „Aber" _ „pero estudiando la historia de aquellos tiempos, aun en las obras de los escritores de Castilla, salta desde luego á la vista que no se siguió la senda que aconsejaba una sana política, que se violaron pactos y promesas, y que en tiempo de Felipe II. llegó á tal punto la opresión y violencia, que era casi inevitable en levantamiento." Unterdrückung und schließliche Vertreibung der Morisken, deutet er darüber hinaus an (ebd.: 36), trugen 12

In Espíritu del Siglo (1835: X) hat Martínez de la Rosa auch die europäischen Kreuzzüge als „fenómeno extraordinario" gefeiert: „una empresa que acalorase la imaginación de pueblos supersticiosos, que se aviniese con sus hábitos guerreros, que los ofreciese peligros, aventuras, campo a la ambición [...] en una palabra: las Cruzadas."

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auch zur ökonomischen Dekadenz der folgenden Jahrhunderte bei: „Quedaron desiertos centenares de pueblos industriosos". Solche Ansichten, die - freilich stets widersprüchliche - Kritik an religiöser Intoleranz und politischem Despotismus, finden sich, wie gesagt, auch in seinen dramatischen Arbeiten zum Thema. Am Anfang seines Interesses für die Maurenthematik stand jedoch nur die Absicht, mit Hilfe dieses historischen Stoffes ein „nationales Theater" zu schaffen, eines mit ,Lokalkolorit', das den Zuschauern .vertraut' ist: „Seguro estoy de que, con solo oir los cuatro primeros versos de esta tragedia", schrieb er im Vorwort zu der 1829 fertiggestellten Tragödie Morayma (1829: 4 f.), „ya saben los espectadores la mitad de lo que hay que decirles para enterarles del argumento". Gemeint ist eine Art kollektives Gedächtnis der Zuschauer, die von Kindesbeinen an mit Geschichten über die Mauren vertraut gewesen seien und sich nun freuten, wenn sie auf der Bühne einen ,Wiedersehenseffekt' erlebten. Genau darin liege im übrigen einer der Gründe, die den Erfolg von Shakespeare erklärten. Er habe ganz bewußt Fragmente aus der Geschichte seines Landes, gemeinsame Legenden und Volkstraditionen in seine Stücke integriert: „y este es uno de los mejores medios que pudieran emplearse [...] para que llegasen á poseer los Españoles un teatro trágico nacional". So einleuchtend diese Überlegungen auch sind: Der historische Stoff, mit dessen Hilfe Martínez de la Rosa dem spanischen Theater neue Impulse geben wollte, hat mit der Geschichte freilich wenig zu tun. Das Bild, das er in Morayma

von den Mauren präsentiert, ist ein pures Zerrbild, insofern den

Legenden und Volkstraditionen, auf die er sich bezog, nur allzu verwandt. Denn außer exotisch anmutenden Bühnenbildern - „un salón magnífico de arquitectura arábiga" in der Alhambra - hat der Autor nur Rivalitäten zwischen den Mauren (im Mittelpunkt steht der letzte Alhambra-Herrscher Boabdil), Intrigen und blutige Schreckensszenen zu bieten. Die maurische Kultur, ihr Verhältnis zu den Christen - all das interessiert ihn keinen Deut: Die Szene beherrscht ein maurisch drapiertes Konstümtheater, das mit der „beglaubigten Geschichte" (Feuchtwanger) nicht viel zu tun hat. Nur ein Jahr später publizierte Martínez de la Rosa sein nächstes historisches Drama. Diesmal, so der Titel, steht Aben Humeya o La rebelión de los moriscos im Mittelpunkt der Handlung. Das Prosadrama, das erste romantische Drama der spanischen Literatur (Franzbach 1993: 218), wurde 1830 in Paris uraufgeführt, wo sich der Autor im Exil befand. Ursprünglich auf Französisch geschrieben, orientierte sich Martínez de la Rosa an D. Hurtado de Mendozas Geschichtswerk

Geschichte als Fiktion La guerra

de Granada,

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integrierte indessen in den historischen Stoff „una

tragedia", eine frei erfundene Intrige, die er wiederum, wie es in einem von ihm selbst verfaßten Vorwort heißt (1972: 130), aus gattungsästhetischen Gründen für unverzichtbar hielt: „pues estoy íntimamente convencido [...] de que nunca el drama histórico tendrá buen éxito en el teatro, sino cuando consiga satifacer, al propio tiempo, al entendimiento y al corazón". Der solchermaßen intendierte Erfolg war dem Stück offenkundig beschieden (ebd.: 119 ff.); die blutigen Intrigen, denen der eigentlich positiv konnotierte Titelheld schließlich zum Opfer fällt, werfen allerdings düstere Schatten auf die moralische Legitimation des Moriskenaufstandes. Zweifel an den rein formalen Motiven der frei erfundenen „tragedia"-Elemente sind deshalb angebracht. Nahrung erhalten solche Zweifel bereits durch das Vorwort des Autors. In augenscheinlicher Parteinahme für die unterdrückte Minderheit weist Martínez de la Rosa (ebd.: 131 f.) zunächst darauf hin, daß den Besiegten nach der Einnahme von Granada von den Katholischen Königen „la capitulación más ventajosa" gewährt worden sei: „podían pasar libremente a Africa, permanecer en España, conservando sus costumbres, sus usos, el ejercicio de su religión." Doch schon bald, noch zu Lebzeiten des Herrscherpaares, habe die Unterdrückungspolitik begonnen, die während der Regentschaft von Felipe II. ihren Höhepunkt erreicht habe: „se resolvió borrar hasta las huellas del pueblo vencido; con cuyo propósito se publicaron varios bandos, prohibiendo a las mujeres el vestido que usaban, muy parecido al de las moras; prohibiendo a los niños hablar el árabe, celebrar sus fiestas, cerrar las puertas de sus casas en ciertos días de la semana." Der von den christlichen Siegern - in eklatanter Verletzung der Kapitulationsbedingungen - in Gang gesetzte Repressionsapparat ließ den Morisken, suggeriert der Autor offensichtlich, schließlich gar keine andere Wahl als den bewaffneten Widerstand: „Entonces fué cuando estalló la rebelión, por largo tiempo preparada, y que puso en peligro a la monarquía española, que se hallaba en la cumbre del poderío." Hier schlägt die Argumentation nun sichtbar um: Das Mitgefühl mit der lange unterdrückten Minderheit verwandelt sich abrupt in ein realpolitisches Fait accompli. Die Nachfahren der Granadiner Mauren, so begründet der Autor seinen Gesinnungswandel, lebten „en crecido número en muchas provincias", seien „industriosos, ricos, de gran valor" gewesen und „contaban con el auxilio de los Estados Berberiscos y hasta con el del emperador de Constantinopla". Obendrein suggeriert er eine schicksalhafte Unausweichlichkeit des bewaffneten Zusammenpralls - „anunciado largo tiempo antes por sus [der Morisken, N.R.] predicciones y augurios."

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In dieses Bild paßt außerdem, daß der Autor in der Diktion des traditionellen Reconquista-Jargons von „el odio de los pueblos" spricht, „alimentado por espacio de ocho siglos de guerra a muerte", ein perennierender, unausrottbarer Haß, „[que] mostróse más envenenado que nunca". Die Denomination der christlichen Soldateska, die den Aufstand blutig niederschlug, als „la flor del ejército [que] acudió de todas partes para ahogar el fuego de la rebelión antes que cundiese el incendio por todo el reino" - diese Wortwahl des Autors ist schließlich nicht minder geeignet, seine uneingeschränkte Sympathie für die unterdrückte Minderheit in Zweifel zu ziehen. 13 Ein ähnliches Argumentationsschema wie der Prolog enthält das Prosadrama selber. Der erste Akt ist voller - augenscheinlich berechtigter - Klagen der moriskischen Personenpalette über die christliche Repressionspolitik, etwa aus dem Munde (ebd.: 148) des alten, im Prinzip auf Ausgleich bedachten Muley Carime, des Schwiegervaters des Titelhelden: „Quieren borrar con el hierro hasta el rostro de nuestro origen; nos prohiben el uso de nuestra habla materna, los cantares de nuestra niñez, hasta los velos que cubren el pudor de nuestras esposas e hijas". Auf die Verbote folgen Übergriffe und Provokationen kastilischer Soldaten, zu deren Opfern auch Fatima, die Tochter Aben Humeyas gehört (ebd.: 146): „vimos a los soldados abalanzarse y arrancarnos los velos que nos cubrían el rostro". Die ultima ratio der christlichen Herrscher, so Aben Humeya (ebd.: 155), besteht darin, die historische „Schmach" (Goytisolo) zu tilgen: „¿No vienen ellos a marcarnos con el hierro de esclavos? Pues reconozcan en nosotros sus antiguos señores". Dennoch zeigt sich der Moriskenherrscher noch eine Zeitlang zögerlich - zu groß erscheinen ihm die Risiken eines bewaffneten Aufstandes gegen die erdrückende Übermacht der christlichen Gegner. Als schließlich doch am Ende des ersten Aktes von allen der Schlachtruf „¡A las armas!" (ebd.: 172) skandiert wird, scheint die Rebellion moralisch gerechtfertigt zu sein. Uneingeschränkte Sympathie für die Rebellen dürften die Zuschauer bis zu diesem Zeitpunkt dennoch nicht empfunden haben. Denn zum einen entpuppen sich zahlreiche Protagonisten des Aufstandes als intransigente Islamisten, deren religiöse Kampfvokabeln, etwa (ebd.: 170) „¡Dios lo manda; morid o creed!" oder „¡No hay más Dios sino el Dios de Ismael!", eine grundsätzliche Feind13

Bestätigt werden solche Zweifel auch durch das rassistische Vokabular des Autors. So bescheinigt er (ebd.: 135) den Morisken der Alpujarras zwar „muy adelantados en civilización" zu sein, attestiert ihnen aber „todavía cierto aspecto selvático" und vermeint „bajo el aspecto del europeo [...] la sangre del africano" auszumachen.

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schaft zum Christentum nahelegen sollen. Obendrein geht es den Aufständischen nicht nur um die legitime Verteidigung ihrer Minderheitenrechte. Der Aufstand, so Aben Humeya (ebd.: 164), soll zugleich als Fanal verstanden werden, „para apresurar la llegada de los socorros de Africa, y alzar a un millón de nuestros hermanos en todo el ámbito del reino". Das eigentliche Ziel, so der „sacerdote de los moros" (ebd.: 165), ist die Wiederherstellung des politischen Status quo ante: „No basta que rompáis vuestras cadenas; es preciso que levantéis otra vez el trono de Alhamar". So verwundert es nicht, wenn der zweite Akt vor allem die Schreckensseiten der Rebellion, die brutalen und blutrünstigen Angriffe auf überwiegend wehrlose Christen, in Szene setzt. Etwa den Angriff auf eine Kirche, in der sich neben einer Gruppe von Soldaten auch zahlreiche Frauen und Kinder befinden; oder der Versuch eines Morisken (ebd.: 180), den Jungen einer verzweifelten Witwe zu erschlagen, weil er „hijo de un castellano" sei. Die schauerliche Bluttat kann von dem auf die Vermeidung brutaler Gewalt bedachten Muley Carime im letzten Moment verhindert werden. Als dieser sogar mit einem christlichen Gesandten über einen Waffenstillstand verhandelt, wird er zur Zielscheibe intriganter Heißsporne. Diese handeln jedoch primär aus persönlichen Motiven, nämlich aus Rachegefiihlen und Machtambitionen, und schaffen es schließlich, eine interne Rebellion gegen Aben Humeya und seinen Schwiegervater anzuzetteln, in deren Verlauf beide Protagonisten zu Tode kommen. Bevor der altersweise Muley Carime, sicher das Alter ego des Autors, durch einen erzwungenen Selbstmord stirbt, rechtfertigt er (ebd.: 217) nochmals seine Grundüberzeugung: „¡Muy lejos estaba yo de querer a nuestros opresores [...], los aborrecía con toda mi alma, tanto como tú, aun más todavía ... Me han hecho más tiempo infeliz [...]; pero era padre, Aben Humeya, era padre, y veía en riesgo a mi hijos [...]. ¡Desventurado! ¡Por tu esposa y por tu hija templaba, cuando tú me acusabas de flaqueza!" Der zeitweise von seinen fanatisierten Glaubensgenossen geblendete und von seinen intriganten Gegenspielern über die Absichten seines Schwiegervaters getäuschte Rebellenführer hat jedoch keine Zeit mehr, das dem Sterbenden gegebene Versprechen zu erfüllen, nämlich wie Boabdil mit seiner Familie nach Afrika zu gehen. Nachdem seine Widersacher auch ihn getötet haben, endet das Drama mit einem knappen Dialog (ebd.: 230) der beiden Rädelsführer der Intrige gegen Aben Humeya, dessen Schlußsatz als nüchterner Abgesang der lauteren Kampfmotive des ersten Aktes verstanden werden soll: „¡Aben Abó! ... Mira: ¿Ves este reguero de sangre? Ese es el camino del trono."

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Die Maurenthematik ließ den Autor auch in den folgenden Jahren nicht los. Schon kurze Zeit später - 1834 - erschien Hernán Pérez del Pulgar, el de las hazañas, eine Art Biographie - mit Unmengen von Fußnoten - des berühmten Soldaten (1451-1531), der während der Belagerung von Granada einen tollkühnen Husarenstreich absolvierte: Er soll an der Moschee der Stadt, die noch von den Mauren beherrscht wurde, eine Tafel mit der Inschrift „Ave Maria" angebracht haben! Der religiöse und patriotische Eifer des Helden sprach auch seinem Biographen augenscheinlich aus der Seele. Er attestierte ihm (1943: 46), stets bereit gewesen zu sein, „su sangre en defensa de la religión y de la patria" zu vergießen. Im Unterschied zu dem Prosadrama von 1830, in dem noch ein gewisses Mitgefühl mit den Aufständischen zu spüren war, ist dementsprechend hier fast durchgängig von einem Feind die Rede, der keinerlei Gnade verdient: „la turba de infieles" (ebd.: 62), „turba de moros" (ebd.: 65), „gente fiera" (ebd.: 125) etc. Die rassistischen Katerakte, die Martínez de la Rosa über den Feind „[de] la dura servidumbre de ocho siglos" (ebd.: 120) ergießt, zeichnen, wie später vor allem Pedro de Alarcón, nachgerade Bestien in Menschengestalt: „Aullidos, que no voces", vermeint der Biograph des Helden noch Jahrhunderte später zu vernehmen (ebd.: 124), „parecían los gritos de los moros, sedientos de la sangre cristiana". In der Tat vermittelt der Autor den Eindruck, daß er die Gefühle seines Helden, „la ira, el odio amontonado en ocho siglos" (ebd.: 79), in persona nachempfindet: An der .Rückeroberung' Granadas aus den „garras de los infieles" (ebd.: 80), die von einem „Tyrannen" mit „perfidem Gesicht" (ebd.: 110) angefühlt werden - gemeint ist Boabdil - , scheint er mental beteiligt zu sein! Nur einmal erweist er (ebd.: 115 f.) auch dem Feind eine gewisse Reverenz, wenn er „einigen Mauren" attestiert: „No rehuían éstos [...]; arguijábalos a la par la honra, la venganza, el despecho; peleaban a las mismas puertas de su patria, por su religión, por su hogar, por sus esposas, por sus hijos; y antes que presenciar su cautiverio y muerte, o llevar a regiones extrañas el torcedor de tantas penas, anteponían mil veces expirar en la tierra donda habían nacido." Lange währt dieser Anflug von Sympathie für den ewigen Feind freilich nicht. Als sein Held zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach Nordafrika aufbricht, „[para] llevar el pendón de la cruz a aquellas bárbaras regiones", scheint auch Martínez de la Rosa (ebd.: 132 f.) mit dem Herzen dabei zu sein - „en un tiempo en que a todos los guerreros de Castilla les latía el corazón con el anhelo y ansia de ir a vengar en Africa la larga servidumbre de su patria". Als rund zweieinhalb Jahrzehnte später erneut spanische Truppen in Nordafrika einmarschierten, bedurfte es deshalb nicht erst der psychologischen Kriegsführung eines Pedro de Alarcón:

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Autoren wie Martínez de la Rosa hatten das ideologische Feld, dessen Samen in dem Kriegstagebuch

Alarcóns zur vollen Blüte reifte, bereits bestellt.

Sein ,maurisches Hauptwerk', Doña Isabel de Solis, reina de Granada, ein dickleibiger historischer Roman über eine christliche Edeldame, die Königin des maurischen Granada wird, erscheint jedoch erst 1837. Der Hauptunterschied zu den vorangegangenen Bearbeitungen besteht, von Umfang und Genre abgesehen, in einer ,Transkulturationsperspektive': Eine Christin wird zur Maurin, sogar zur Mauren-Königin und damit, so der erste Eindruck, zu einer Art Kronzeugin der Convivencia. Wie aus dem Vorwort (1963: 1286) hervorgeht, scheint sich der Autor gleichzeitig von der prononciert negativen Sicht auf die Maurenkultur früherer Jahre zu verabschieden. Denn nun lobt er gleich zu Beginn, etwa am Beispiel der maurischen Baudenkmäler, „[los] testimonios vivos de su grandeza" und übt verhaltene Kritik an den dominanten Maurenbildern - die er selber reproduziert hatte

in denen die trikulturellen Leistungen „dieses Volkes" kaum

sichtbar würden. Statt dessen komme es darauf an, gerade diese Leistungen anzuerkennen, nämlich „lo mucho que debe Europa, en punto a civilización y cultura, a un pueblo celebrado meramente como emprendedor y belicoso, si es que no llega la ingratitud hasta el extremo de apellidarle bárbaro." Eine deutliche Kurskorrektur, so hat es den Anschein. 14 Doch dieser Schein trügt, zumindest überwiegend. Das deutet sich bereits am Anfang des Romans an. Die junge Isabel, die spätere Maurenkönigin, wird just an ihrem Hochzeitstag das Opfer eines blutigen Maurenüberfalls. Während sich die adlige Hochzeitsgesellschaft an einer folkloristisch inszenierten „fiesta de moros y cristianos" delektiert, betreten echte Mauren aus dem nahegelegenen Granada die Szene (ebd.: 1300) und veranstalten ein regelrechtes Massaker: „no valían la edad, el sexo, las súplicas, el llanto [...] creció el furor de los infieles a la vista del lugar santo, y penetraron en él, a manera de lobos en redil descuidado." Wahrlich kein vielversprechender Auftakt für ein trikulturelles Idyll,

14

Auch hier betont Martínez de la Rosa erneut (ebd.: 1286) den .nationalen' Charakter dieser Art von Literatur. Im Unterschied zu ausländischen Autoren, unter ihnen Walter Scott und Chateaubriand, die nur vage und phantasiegeleitete Maurengeschichten geschrieben hätten, seien die spanischen Autoren in der Lage, „en el propio terreno y sobre los objetos mismos" ein viel authentischeres Bild jener Epoche zu zeichnen - nicht zuletzt er selber: „Nacido yo en Granada y teniendo allí tantos recuerdos de mi infancia y de mi adolescencia, se ofrecía un nuevo estímulo para recorrer aquellos sitios apacibles y registrar curiosos monumentos, no fiándome de lo que acerca de ellos refieren antiguos escritores y procurando comprobar con mis propios ojos si estaban o no conformes con la verdad sus asertos."

162

Geschichte als Fiktion

das der Romantitel zu suggerieren scheint! Dies um so mehr, als die „Mörder" und „Ungläubigen", wie sie nun nach bekannter Lesart wieder heißen, auch den Bräutigam der Protagonistin leblos zurücklassen und sie selber in das maurische Königreich verschleppen. Als Drahtzieher des blutigen Überfalls figuriert obendrein eine maurische Sklavin der Titelheldin. Sie wollte auf diese Weise, so der begründete

Verdacht

der

Überlebenden,

ihren

„Haß

auf

die

Kastilier"

(ebd.: 1301) ventilieren und aus ihrer Gefangenschaft fliehen. Beides gelingt ihr, die Christen sehen sich in ihrem berechtigten „Mißtrauen gegen die Ungläubigen" einmal mehr bestätigt. Im folgenden Kapitel, einer historischen Skizze des politischen Status quo der maurisch-christlichen

Beziehungen,

überträgt der Autor das extrem negative Bild, das er von den „maurischen Mördern" und ihrer Helfershelferin gezeichnet hat, auch auf den Maurenherrscher Albo Hacén, der zur Zeit in Granada regiert. Er sucht nur eine passende Gelegenheit, wähnt sich der Erzähler (ebd.: 1302) sicher, um den Frieden zwischen beiden Reichen zu brechen. Sollte es zum Krieg kommen, was aufgrund „des Hasses, der sich im Laufe von acht Jahrhunderten zwischen den beiden Nationen aufgebaut hat", mehr als wahrscheinlich sei, dann lasse der „religiöse Fanatismus" der Mauren einen harten Kampf erwarten. Bevor es soweit kommt - der Roman endet mit der Eroberung Granadas - , beschreibt der Autor die bikulturelle Karriere seiner Titelheldin, 15 die auch durchaus positive Erfahrungen einschließt: „le explicaron [...] del mejor modo que pudieron", heißt es etwa (ebd.: 1308) über den .hygienischen Transkulturationsprozeß' der künftigen Maurenkönigin, „que las costumbres de bañarse con suma frecuencia [...] no nacía meramente de una práctica religiosa, sino de lo conveniente que era la limpieza a la salud". Als die junge Kastilierin nach einiger Zeit schließlich in die Hauptstadt des Maurenreiches kommt, stellt sie beeindruckt fest, daß sich die kulturellen Errungenschaften ihrer Entführer keineswegs auf die Körperkultur beschränken: „tal era la riqueza de aquella ciudad, cabeza del estado, emporio de las artes", schreibt der Erzähler (ebd.: 1344), „que muy pocas ciudades, si es que alguna en el mundo, podían competir con ella en ostentación y grandeza." Granada firmiert geradezu als

15

Die folgende Darstellung beschränkt sich im wesentlichen auf die fiktive Handlung des Romans, die immer wieder von - eigentlich kaum weniger fiktiven - „historischen Erläuterungen" unterbrochen wird, die die mediokre Erzählung zu einer regelrechten Lektüretortur machen. Obendrein hielt es der Autor für nötig, über dreihundert Fußnoten (!) anzufügen, die sich auf rund siebzig Seiten belaufen!

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kultureller Leitstern jener Epoche, „que servía tal vez de modelo a los mismos cristianos, a pesar del odio alimentado en ocho siglos de continua pelea". Jenseits enthusiastischer Huldigungen der zitierten Art lauern indessen nahezu überall die sattsam bekannten Klischees, vor allem erotischer Machart. Denn kaum bekommt der Maurenherrscher Isabel zu Gesicht, entflammt bereits seine Leidenschaft - nicht Liebe. Denn, wie könnte es anders sein (ebd.: 1316), „la ciega pasión del monarca", seine sexuelle Inkontinenz, ist eines der markantesten Erkennungszeichen des Mauren schlechthin. Doch die blinde Leidenschaft des maurischen Wollüstlings stößt wundersamerweise kaum auf Widerstand. Von Anfang an begegnet Isabel ihrem stürmischen Verehrer mit Zuneigung, die überraschend schnell an Intensität gewinnt: „el amor mismo", weiß der Autor (ebd: 1331) schon bald zu berichten, „empezaba a brotar en su alma". Damit nicht genug: Beflügelt von der neuen Liebe, die sogar Aussicht auf die Krone bietet, beschleunigt sich ihr ,Transkulturaüonsprozeßnimmt eine geradezu atemberaubende Schnelligkeit an. Ihre Vergangenheit, die blutigen Ereignisse ihrer Hochzeit ebenso wie ihre christliche Kultur, scheint für immer vergessen: „ella misma se había acostumbrado a hablar en lengua de los infieles", lautet die Bilanz nach nur wenigen Monaten (ebd.: 1332), „se engalanaba con sus vestiduras, gustaba de sus baños, repetía sus cantares, inmitaba por donaire sus gestos, su ademán, hasta el acento de su voz; por manera que era difícil, no sabiendo su patria ni su nombre, distinguirla de las moras que habitaban en el palacio." Es bleibt natürlich ein Problem - das Problem: ihre Religion. Ist sie tatsächlich bereit, dürfte sich der tiefreligiöse Durchschnittsleser des frühen 19. Jahrhunderts gefragt haben, die Quintessenz ihres Daseins aufzugeben, um den Maurenkönig zu heiraten? Wäre das, auch aus der Sicht liberaler Romantiker, nicht geradezu ein Sakrileg? Der Autor löst dieses Problem (ebd.: 1331) auf verblüffend einfache Weise: Isabels religiöse Erziehung, die aufgrund des frühen Todes ihrer Mutter de facto in den Händen ihrer maurischen Sklavin lag, war ausgesprochen lax: „los preceptos y las augustas verdades del cristianismo apenas habían echado raíces en el corazón de Isabel [...]. Cosa extraña, increíble, y, sin embargo, sobradamente cierta". Einer Konversion steht damit kein fester Glauben entgegen. Die restlichen Zweifel, die an Isabels Gewissen nagen, räumt ihre „treue Sklavin", die sie auch weiterhin bleibt, mit dem Hinweis aus, daß sie als Königin den zahlreichen christlichen Gefangenen in Granada helfen könne: „De esta manera, por un encadenamiento de sucesos peregrinos extraños casi maravillosos", so der Erzähler (ebd.: 1338) am Ende des ersten Teils seines

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Romans, „se asentó como reina en el trono musulmán de Granada una doncella cristiana, cautiva en la flor de sus años". Das Schicksal scheint es gut mit ihr zu meinen. Vom Volk verehrt, erweist sie sich als kluge und gerechte Herrscherin und geliebte Gattin, die ihrem Mann sogar mehrere Kinder schenkt. Doch leider sind die Zeiten für eine Märchenkarriere wenig günstig. Die innermaurischen Rivalitäten, die der Autor mit monotoner Akribie beschreibt, vor allem aber der militärische Druck der Christen, lassen dunkle Wolken über der idyllischen Märchenwelt aufziehen - Wolken, die für den Autor (ebd.: 1364) freilich den frischen Wind der bevorstehenden Freiheit seines „Vaterlandes" ankündigen: „cargadas con el arnés nuestros mayores, y la espada siempre en la mano, ni una sola noche durmieron con descanso, durante el transcurso de ocho siglos ..." Von nun ab figurieren die Mauren, die der Autor zuvor in höchsten Tönen gelobt hatte, wieder als „enemigos", „infieles" und „raza africana", die der „göttlichen Vorhersehung" (ebd.: 1372) nicht widerstehen können. Das dramatische Crescendo schwillt nun an allen Fronten gleichzeitig an. Zu den inneren Machtrivalitäten und der äußeren Bedrohung gesellt sich obendrein ein ganz persönliches Drama der Protagonistin: Ihr totgeglaubter Bräutigam lebt, er sucht sie heimlich auf und will sie zur gemeinsamen Flucht ins christliche Spanien bewegen. Sie lehnt, trotz aller Gefühls- und Gewissensstürme, seine Bitte jedoch ab - aus Liebe zu dem Maurenkönig: „Así aman las mujeres", kommentiert der Erzähler (ebd.: 1395), „cuando una vez aman de veras." Selbst als ihr königlicher Gatte den innermaurischen Rivalitäten zum Opfer fällt, bleibt ihm seine Witwe treu. Sie scheint, komme was da wolle, ihre Tage als Maurin beenden zu wollen. Ihr literarischer Schöpfer hatte jedoch andere Pläne: Sie kehrt zwar nicht zu ihrem christlichen Bräutigam zurück, wohl aber zur christlichen Religion! Die religiösen Überzeugungen der „secta mahometana" (ebd.: 1452) waren dem Autor augenscheinlich doch nicht ganz geheuer, trotz seiner Bewunderung für die maurische Kultur und trotz der Tatsache, daß seine Protagonistin in Glaubensfragen eigentlich nicht besonders gefestigt war. Doch am Ende sind es mehrere Faktoren (ebd.: 1466), die sie zur Rekonversion animieren: „como durante el tiempo que había permanecido Zoraya [ihr maurischer Name, N.R.] en tierra de moros, no había presenciado sino trastornos y desdichas [...] naturalmente resaltaba el contraste que le ofrecía este cuadro con lo que recordaba de la casa paterna y lo que había oído cantar del reino de Castilla y de sus monarcas: honradez, lealtad, costumbres severas, y pundunor acendrado." Davon kann sie sich schon bald höchstpersönlich überzeugen. Am Tag des christlichen Sieges,

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„día grato juntamente a la tierra y al cielo", an dem „die harte Sklaverei von achthundert Jahren" (ebd.: 1513) endet, wird sie dem katholischen Herrscherpaar vorgestellt. In ihrer Gegenwart kehrt sie (ebd.: 1517) in den Schoß der Kirche zurück: „Oía embebida Zoraya las palabras del venerable prelado, y más de una vez hincóse de rodillas ante él, besándole la mano." Das patriotisch-religiöse Happyend, das Martínez de la Rosa mit Inbrunst inszeniert, nimmt sich jedoch erfreulicherweise nicht ganz so harmonieversessen aus, wie die obige Szene suggeriert. Er hält den neuen Herrschern der Stadt immerhin vor (ebd.: 1519 f.), die Kapitulationsbedingungen mißachtet zu haben - ein Wortbruch, in dem sich die zukünftige Geschichte des Landes, so der liberale Kritiker, bereits deutlich ankündigt: „por descracia [...] la impaciencia natural de los vencedores [...] el celo religioso, embravecido con los obstáculos y cada día más intolerante y perseguidor, fueron poco a poco añadiendo leña a la hoguera, en términos que, a una leve centella, era fácil que prendiese voracísimo incendio." An der Gesamtbilanz seines ,Maurenoeuvres' ändert diese Einsicht freilich nur wenig. Trotz aller Kritik an der katholischen Intransigenz und der Bewunderung für bestimmte Aspekte der maurischen Kultur, zeichnet Martínez de la Rosa ein Zerrbild dieser Minderheit, nicht selten mit rassistischen Vokabeln. Ihr schließlicher Untergang war unvermeidlich, als göttliche Vorsehung und Befreiung von einem jahrhundertelangen Joch sogar begrüßenswert. Das „nationale Unglück" der Maureninvasion, von der er in dem eingangs zitiertem Spätwerk sprach, war damit zu Ende - defintiv. Denn der „carácter particular de cada nación", den er (1835: 16) in seinem Espíritu del Siglo definierte - Geographie, Klima, Regierungsform, Institutionen, Sitten und Gebräuche sowie Religion - , weist, was Spanien betrifft, keine maurischen Relikte mehr auf. Von den Juden ganz zu schweigen.

2. Inquisitionskritik, Judenklischees und „konfuse Maurophilie": Angel de Saavedra (Duque de Rivas) Im Werk Angel de Saavedras, bekannter als Duque de Rivas (1791-1865), wird vor allem zweierlei deutlich: Ein liberales Credo in allgemeinen politischen Fragen - er verbrachte mehr als zehn Jahre im Exil - schließt traditionalistische Sichtweisen, vor allem mit Blick auf die Juden, keineswegs aus; und die in späteren Jahren häufig anzutreffende Dichotomie zwischen guten Mauren und

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bösen Juden ist, was das 19. Jahrhundert betrifft, hauptsächlich von den Autoren der Romantik inauguriert worden; das Werk des Duque ist dafür illustrativ. In seinem Gesamtoeuvre nehmen, auf Lyrik und Dramatik verteilt, historische Bezüge insgesamt sehr breiten Raum ein. Sein allgemeines Geschichtsbild, auch darin ist er seinen eher konservativen Zeitgenossen durchaus verwandt, trägt den üblichen Trauerflor: „Qué resta a nuestra patria sin ventura / de su antiguo esplendor?", heißt es symptomatisch in Lanuza (1975: 13), „Sólo recuerdos / de grandezas pasadas, y una sombra / de sus instituciones y derechos." Zu den positiven Erinnerungen an bessere Zeiten zählt natürlich die

Entdeckung

Amerikas, selbst deren umstrittenster Repräsentant: „Este Hernando, este mancebo / era Hernán Cortés", singt er in einer der Romances históricos (1987: 247) dessen Loblied, „su nombre, / gloria la mayor de España, / asombro y pasmo del orbe". Zu den negativen Erinnerungen rechnete er (1975: 144) dagegen die Inquisition, Sinnbild des antiliberalen Spaniens, das ihn ins Exil getrieben hat: „ese inicuo / bárbaro tribunal, apoyo horrendo / del despotismo y la opresión [...] ese / tribunal espantoso, que a pretexto / de defender la religión augusta, / (como si no tuviera en nuestros pechos / un alcázar fortísimo, que basta / a mantener intactos sus preceptos), / difunde el fanatismo y la ignorancia / y a España agobia con pesados hierros." Aus dieser Kritik an den fanatischen, institutionellen Auswüchsen des spanischen Katholizismus, nicht am katholischen Credo als solchem, darf indes nicht der Schluß gezogen werden, der Autor hätte sich post festum mit den einstigen Hauptopfern des „barbarischen Tribunals" - den religiösen Minderheiten, seien sie konvertiert oder nicht - solidarisiert. Der Duque de Rivas empfand zwar stets, wie Ruiz Lagos, der Herausgeber seiner ,trikulturellen' Tragödie Aliatar schreibt (1989: 56), eine „confusa maurofilia"; ein retrospektives Plädoyer für religiöse und kulturelle Toleranz läßt sich daraus jedoch nicht ableiten. Noch weniger mit Blick auf die Juden. In den folgenden Zeilen der Romances

histó-

ricos (1987: 135) kommen die deutlich abgestuften Präferenzen für Christen, Juden und Mauren exemplarisch zum Ausdruck: „A la linda Doña Aldonza, / a la cual del monasterio / de santa Clara ha sacado, / y a la que idolatra ciego. // Fue un rato a hablar enseguida / con Leví, su tesorero, / en quien tiene su privanza, / aunque es un infame hebreo 16 ; // y muy tarde retiróse / sin más acompañamiento / que un moro, su favorita". 16

Sämtliche, insgesamt nur sehr wenige Judengestalten in seinen Texten sind stereotypisiert, so auch die (1987: 176) von Kolumbus: „Despejada era su frente, / penetrante era su vista, / su nariz algo aguileña".

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Die religiös-kulturellen Hierarchien, hier in nur wenigen Zeilen gebündelt, nehmen in Aliatar, seinem ,trikulturellen Manifest' par excellence, noch deutlicher Gestalt an. Den Auftakt des historischen Dramas, das vermutlich17 Ende des 15. Jahrhundert spielt, bilden die beiden Juden Caleb und Ismán, Sklaven am Hofe des Maurenherrschers Aliatar. Beide, obgleich sie eine relativ privilegierte Stellung haben, fühlen sich (ebd.: 84) als Sklaven „de estos feroces / altivos musulmanes" - dies um so mehr, als sie auf ihre noble Herkunft ausgesprochen stolz sind: „ni tú ni yo, Caleb, nunca olvidamos / que de aquellos varones descendemos / que de Canaan el suelo conquistaron; / de Benjamín la esclarecida sangre / por tus venas circula, y circulando / en mí la de Judá, late en mi pecho / y me recuerda siempre ..." Einer von ihnen, der soeben zitierte Ismán, empfindet seine Situation am Hofe des Maurenherrschers auch deshalb als unerträglich, weil er in ihm einen Nebenbuhler sieht: Beide konkurrieren um die Liebe von Elvira, die Aliatar während einer seiner Raubzüge auf christlichem Territorium entfuhrt hat. Ismáns Liebesgeständnis, eine kühne Umkehr klassischer Liebesaffären zwischen christlichen Männern und jüdischen Frauen, verblüfft sogar (ebd.: 87) seinen Glaubensgenossen: „¿Quién? .. ¿Tú?" Er selber hält seine Gefühle jedoch für völlig normal: ,,¿Y acaso de amar me juzgas incapaz? ... ¿O piensas / que es mi pecho, Caleb, de duro mármol? / Por doña Elvira en amorosa llama / arde mi corazón." Doch das beschreibt seine Gefühle, wie der Autor im Verlauf des tragischen Geschehens als eine der zentralen Botschaften zeigt, nur auf den ersten Blick. Zunächst bereits deshalb, weil die umworbene Christin nichts von ihm wissen will: Sie liebt einen anderen, den jungen Christen Garcia. Den hat Ismán auf Bitten Elviras - sie hat ihn als ihren Bruder ausgegeben - heimlich über ihren Aufenthaltsort informiert. Elvira, für den Autor die christliche Tugend in Person, hält das Liebeswerben Ismáns aber auch deshalb für ausgesprochen frevelhaft, weil er Jude ist. Die Empörung, mit der sie auf entsprechende Insinuationen ihrer Zofe reagiert (ebd.: 95), dürfte der durchschnittliche Zuschauer des Stücks rundweg geteilt haben: „Laura, en pechos tan viles y tan bajos / nunca cupo el amor. 17

Der Herausgeber (1989: 85 f.) zitiert in diesem Zusammenhang eine Untersuchung von Maria Soledad Carrasco Urgoiti, in der es heißt: „en el momento en que tratamos de identificar circunstancias históricas, hallamos contradicciones muy importantes entre los pocos datos concretos que el autor da. Se dice [im Stück, N.R.] que el rey don Sancho está en Sevilla, donde tiene su corte, lo cual refiere necesariamente al reinado de Sancho IV (1284-1295), pero la plaza que se reconquista al final de la tragedia es Aljama - es decir, Alhama que no fue tomada hasta dos siglos más tarde ..."

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Ismán tan sólo / su libertad pretende y ser premiado / con oro, y nada más." Sollte er herausfinden, daß ihr vermeintlicher Bruder, „el noble Garcia", in Wirklichkeit ihr Geliebter ist, dann müsse man obendrein seine Rache furchten. Diese Befürchtung erweist sich schon bald als begründet. Elviras Geliebter, der mit einer Gruppe bewaffneter Helfer bereits in einem nahegelegenen Wald auf einen günstigen Moment wartet, um sie zu befreien, verschafft sich heimlich Zugang zu der Maurenfestung und bespricht mit seiner Geliebten den Befreiungsplan. Ismáns Vertrauter Caleb hört dem Gespräch der beiden von einem Versteck aus zu; anschließend klärt er ihn über die wahre Identität des jungen Christen auf. Ismán (ebd.: 120 f.) sinnt augenblicklich auf Rache: „Ni libertad ni recompensa quiero. / Vengarme sólo de tan torpe engaño. / Venganza y sangre es sólo mi deseo." Was hier wie eine spontane Reaktion auf seine verletzten Liebesambitionen klingt, ist ein paar Seiten vorher, als er die wahre Identität Garcías noch nicht kennt, jedoch bereits erheblich relativiert worden. Dort hat er (ebd.: 117), der eingefleischte Materialist, auch andere Beziehungsvarianten ins Kalkül gezogen: „Esta hermosa cautiva, que me ha visto / ser de su libertad el instrumento, / ¿podrá negarse a mi amorosa llama, / si no de amante, de obligada al menos?" ,Liebe', sogar erzwungene, als Prämie für geleistete Dienste - eine nachgerade obszöne Verhöhnung romantischer Liebe! Doch auch der zweite Prätendent, der Titelheld Aliatar selber, repräsentiert eine Vorstellung von Liebe, die durch und durch bedrohlich ist. Einerseits als blinde Passion (ebd.: 99), eine Mischung aus Hochmut und Triebhaftigkeit, die der christlichen Tugendfestung zwar hart zusetzt, den ersehnten Erfolg aber nicht erreicht: „¡Qué orgullo! ¡Qué altivez! Pero ¡oh cuán bello / es su semblante de rubor bañado! / ¡Infelice de mí, que en viva llama / de amorosa pasión mi pecho abraso!" Im Unterschied zu Ismán, dessen Liebes werben einen überwiegenden Anteil kalkulatorischer Elemente besitzt, verkörpert Aliatar ,nur' wilde, ungestüme Leidenschaften, die sich, da das Objekt seiner Begierde standhaft bleibt, ebenfalls (ebd.: 125) in nackte Gewalt verwandeln: „Oye y tiembla, infeliz: o bien mañana, / antes que el sol esconda sus reflejos, / accedes a mi amor, o entre cadenas, / para sufrir eterno cautiverio, / de una horrenda prisión en las tinieblas / pasarás de tu vida el triste resto." Garcías Meinung (ebd.: 109) von den Mauren, „fieros y orgullosos" - in den violenten Passionen Aliatars findet sie ihre Bestätigung! Demgegenüber ist die Liebe von Elvira und Garcia eine Standarte christlicher Tugenden und sublimierter Triebkontrolle. Während Ismán und Aliatar nur irdischen Antrieben gehorchen, weiß sich das christliche Liebespaar (ebd: 112 f.)

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mit den himmlischen Mächten im Bunde: „Dios, que nunca abandona la inocencia. [...] ¡Santo Cielo, que siempre sobre el justo / benigno protector constante velas!" Außerdem wissen sie ihre Leidenschaften zu beherrschen: Als Elvira ihrem Geliebten zu bedenken gibt, die Gunst der Stunde zu nutzen und am Ende seines heimlichen Besuchs in der Maurenfestung bereits zusammen zu fliehen, behält dieser (ebd.: 114) einen kühlen Kopf: „¿No es más seguro que las cortas horas / que ya del claro día sólo restan / esperes, dueño amado? ... ¿No conoces / el éxito seguro de la empresa / que tengo meditada?" Daß es schließlich anders kommt, ist jedoch nicht die Schuld Garcías. Denn inzwischen hat Ismán, seinen Racheplänen treu geblieben, die geplante Befreiungsaktion der Christen an Aliatar verraten. Und Elvira sieht sich (ebd.: 146) in ihrer Meinung über den Juden - die Juden! - auf tragische Weise bestätigt: „Este hebreo feroz ..., ese perverso ... / Mas yo soy la culpada ... / ¿Quién debía / de un alma vil, de un corazón infame, / esperar más que negra alevosía?" Am Ende siegen zwar die Christen, aber alle Protagonisten sterben. Garcia fällt im Kampf, auch Ismán wird von den Christen getötet, und Elvira wird von Aliatar erstochen, bevor dieser sich selber tötet. Das ,trikulturelle Manifest' des Duque, in den drei präsentierten Liebeskonzepten bereits unübersehbar hierarchisiert, findet im dramatischen Finale des Stücks seinen deutlichsten Ausdruck: Als Allegorie auf die Maureninvasion zu Beginn des achten Jahrhunderts, bei der die Juden, so ein prominenter Zweig der spanischen Historiographie, eine Schlüsselrolle spielten. So sah es auch der Herausgeber (ebd.: 51 f.) der vorliegenden Ausgabe: „Consciente o inconscientemente, Angel de Saavedra [...] desarrolla, una vez más, la teoría del ,pecado original' de España y sobre él se resuelve, - por supuesto tristemente - , la médula argumentai de su tragedia." Nicht ganz so negativ wie in Aliatar ist das Maurenbild des Duque in seinem sonstigen Œuvre - als maurophil, selbst im klischeehaften Sinne der Romantik, kann es jedoch nicht verstanden werden. Es oszilliert, und das in allen Texten, in denen Mauren in Erscheinung treten, zwischen einer hohen Wertschätzung der maurischen Kultur von Al-Andalus und den Porträts grausamer, blutrünstiger Schufte, die obendrein einem Irrglauben anhängen und deshalb völlig zu Recht von den Katholischen Königen aus Granada und später von Felipe III. aus den Alpujarras vertrieben wurden. Den Zenit der maurischen Kultur besingt Angel de Saavedra (1987: 188) etwa am Beispiel seiner Geburtsstadt Córdoba: „Y que renacen los días / de gloria, poder y fama, en que Atenas de Occidente, en que Roma musulmana, // O

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ilustró al mundo con ciencias, / o rindió al mundo con armas, / como de sabios emporio, / como de guerreros patria." Die eigentliche Vollendung der Geschichte, trotz aller Wertschätzung der Maurenepoche, sieht er aber in der christlichen Ära: „Los dos católicos reyes / que son Atlantes de España, / los que un imperio fundaron / que ningún imperio iguala". Halten sich die negativen Maurenklischees hier, in den späten Romances históricos, in engen Grenzen, so präsentiert sich dem Leser von El moro expósito, einem seiner bekanntesten Werke, ein ausgesprochen zwiespältiges Bild, das sich am Ende zu einem eindeutigen Lobgesang auf die christliche Religion und Kultur verdichtet. Dabei hätte sich der ,bikulturelle' Protagonist des Romanzenzyklus sehr gut als literarische Sonde geeignet, um die verschiedenen kulturellen Welten auszuleuchten: Mudarra, „el moro expósito", ist der Sohn Zahiras, der Schwester des berühmten Maurenherrschers Almanzor, und eines christlichen Edelmannes, des „señor de Lara". Im maurischen Córdoba aufgewachsen, hat er die kulturelle Blüte der Stadt, „[la] alta gloria en los risueños días" (1967: 26), persönlich erlebt und genossen. Zusammen mit einem großen Respekt vor den kriegerischen Fähigkeiten der Mauren, ist das Lob ihrer Kultur denn auch allgegenwärtig. Selbst die interkulturellen Kontakte, eine Art grenzüberschreitender Convivencia, vermerkt der Erzähler (ebd.: 102) anerkennend: „¡Oh, qué hospitalidad, franca y sencilla, / fíeles, infieles, moros, castellanos, / y nobles y plebeyos encontraban en el soberbio alcázar de Gonzalo!" Doch just letzterer, der Vater von Mudarra, macht die Bekanntschaft mit jenen „Ungläubigen", die, wie Aliatar, extrem grausam und blutrünstig sind. In der Figur von Giafar, dem Stellvertreter Almanzors, hat der Duque eine regelrechte Monstergestalt kreiert, die es, was für ein Zufall, auf christlicher Seite natürlich nicht gibt: Er läßt den sieben Söhnen des Señor de Lara die Köpfe abschneiden (ebd.: 62) und sie dem Vater, der eine lange Kerkerhaft verbüßt, überbringen aus purem Haß gegen die Christen. Die Gerechtigkeit läßt jedoch nicht lange auf sich warten: Mudarra, der Giafars Tochter liebt, tötet den Unhold (in Notwehr) und flüchtet danach ins christliche Spanien. Obgleich der junge Edelmann eigentlich ein Maure ist, der von der Existenz seines christlichen Vaters erst als Erwachsener erfährt, fühlt er sich in seiner neuen, seiner eigentlichen Heimat, uneingeschränkt wohl; er vermißt nur seine maurische Geliebte. Als auch die nach mehreren Hundert Seiten weitschweifiger Romanzenverse zu ihm kommt, ist das persönliche und kulturell-religiöse Happyend (ebd.: 431) perfekt: „Mudarra, sobre el traje castellano, / que le sienta mejor que el traje moro, / de neófito la blanca veste lleva [...] A Kerima, la túnica de

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lino, / puesta con negligencia y abandono, / la virginal corona de azucenas / y rosas blancas de su frente en torno". Der grobschlächtige Symbolismus dieser Zeilen spricht Bände: Kerima, das Produkt einer überlegenen Kultur, die auch der Autor in höchsten Tönen lobt, scheint nur darauf gewartet zu haben, .Spanierin' zu werden, denn die kastilischen Kleider standen ihr besser ... Dennoch hat Angel de Saavedra darauf verzichtet, die Romanze als irdisches Akkulturationsidyll enden zu lassen. Die Zweifel an der Beständigkeit einer Liebesbeziehung, die mit Blut befleckt war - immerhin hat Mudarra den Vater Kerimas getötet sind offenkundig so groß gewesen, daß er (ebd.: 434) die zweitbeste Lösung wählte: „La voz oigo, / del Cielo, que estos lazos me prohibe ...", ändert sie kurz vor dem Altar ihren Heiratsentschluß, „Yo me consagro a Dios [...] Cristo es mi esposo." Gute Mauren sind nur solche, lautet die unüberhörbare Botschaft des Duque, die bereit sind, ihren Irrglauben aufzugeben. Der gleiche missionarische Eifer, der vermuten läßt, daß das obige Finale doch das denkbar beste ist, begegnet dem Leser auf den Seiten von La morisca de Alajuár, einer dramatischen Bearbeitung des Moriskenaufstandes von 1609. Die Sympathien des Autors sind auch hier sehr ungleich verteilt. Maria, die titelgebende Protagonistin und vermeintliche Tochter des Moriskenanfuhrers, ist eine glühende Christin, die für die religiös-kulturelle „Halsstarrigkeit" der Minderheit, der sie selber angehört, wenig Verständnis zeigt: ,,á mí también me aqueja", bekennt sie (1841: 7) ihrer Vertrauten, „ver á la raza africana, / ya española, y que debía / con noble y leal bizarría / ser española y cristiana, / cerrar con obstinación / los ojos á la verdad, y buscarse, ó ceguedad, / continua persecución." Hier, in der nur oberflächlichen Konversion zum Christentum, liegen also die Ursachen von Verfolgung und schließlicher Vertreibung, nicht in der gnadenlosen Unterdrückung seitens der Christen, die selbst zeitgenössische Autoren als ultima ratio des Moriskenaufstandes bezeichnet hatten. Der Autor kommt zwar auch darauf zu sprechen, aber nur aus dem Munde (ebd.: 35) des Moriskenanfuhrers selber - einem höchst befangenen Zeitzeugen: „Que hoy la morisca nación / va á vengar tanta opresión / en que el cristiano la ha puesto." Die geringe Glaubwürdigkeit dieses Gewährsmannes zeigt sich (ebd.: 47) schon bald: „siempre he vivido mahometano / el gran profeta [...]. Mit diesen Worten auf den Lippen erliegt er seinen Verletzungen, die er sich im Kampf mit den „cristianos alevosos" zugezogen hat. Eine zwar harte, aber durchaus gerechte Strafe, so darf man den Autor wohl verstehen. Im Vergleich zu der religiösen Verzückung Kerimas, deren Konversion zum Christentum mehr als unvermittelt bleibt, hat Angel de Saavedra in der Figur der

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Morisca de Alajuár immerhin eine plausiblere Erklärung für deren Glaubenseifer präsentiert: Am Ende des Melodrams stellt sich heraus, daß sie die Tochter eines Christen ist und auch in diesem Glauben heimlich erzogen worden ist. Das Stück endet (ebd.: 105) mit der Lobpreisung des einzigen Gottes, den der Autor akzeptierte: „A la inocencia / siempre ampara la clemencia / del Dios santo omnipotente." Die „konfuse Maurophilie", von der am Anfang die Rede war, findet sich mehr als bestätigt. Es sind vor allem religiöse Gründe, die den liberalen Inquisitionskritiker und Verehrer der maurischen Kultur in seinen Sympathien für die Minderheit in engen Grenzen halten. Das gilt auch für die Juden, die in seinem Œuvre, quantitativ gesehen, nur eine Nebenrolle spielen. Die religiöse und kulturelle Toleranz, der er (1987: 242) in den folgenden Zeilen das Wort zu reden scheint, sucht man in seinem Werk jedenfalls vergeblich: „Del grande español imperio / hombre de todas provincias, / y de todas las naciones / que la Europa sabia habita, // Moros, moriscos y griegos, egipcios, israelitas, / negros, blancos, viejos, mozos, / hablando lenguas distintas."

3. „Afrikanische Seelen" und jüdische Geldversessenheit: Juan Eugenio Hartzenbusch Der vor allem durch sein melodramatisches Pendant zum Romeo- und Julia-Stoff Los amantes de Teruel bekannt gewordene Juan Eugenio Hartzenbusch (18061880) war weder ein Freund der Mauren noch der Juden: In seinem umfangreichen Textkorpus treten die beiden historischen Minderheiten zwar häufig in Erscheinung, aber fast durchweg reichlich stereotypisiert. In dem berühmten Melodram Los amantes de Teruel „obra romäntica en el fondo y en la forma", so der Herausgeber (1971: 23), spielen die Vertreter der kulturellen Minderheiten, hier ausschließlich der Mauren, zwar nur eine Nebenrolle. Ihre ausgesprochen negative Charakterisierung, vor allem in der Person der maurischen femme fatal Zulima, springt jedoch ins Auge und ist für das fatale Ende der melodramatischen Handlung durchaus von zentraler Bedeutung. Der erste Akt ist im maurisch beherrschten Valencia des Jahre 1217 angesiedelt: Der christliche Protagonist des Stücks, der junge Don Diego, lebt als Gefangener in der Stadt und sieht die Frist, die ihm zur Heirat mit seiner

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geliebten Doña Isabel noch verbleibt,18 allmählich verstreichen. Zu seiner Verzweiflung, nämlich aufgrund der Gefangenschaft nicht rechtzeitig in der Heimatstadt Teruel - wo bereits die Vorbereitungen zur Heirat seiner Geliebten mit einem Rivalen getroffen werden - zurück zu sein, gesellt sich die Sorge um das hartnäckige Liebeswerben der Sultanin. Diese, obwohl mit dem Herrscher der Stadt verheiratet, ist unsterblich in den jungen Christen verliebt: „aquel pecho activo", wähnt sie (ebd.: 53) sich zunächst sicher, „no es capaz de rendirse a un amor ordinario, un amor de cristiana: sólo un amor de Africa, ardiente como el sol, que hace carbón el cutis, pudiera inflamarle." Obwohl sie ihn, um in seiner Nähe zu sein, sogar unter Gefahren im Harem (!) des Sultans versteckt hält, bleibt der Umworbene standhaft - sein Herz schlägt einzig und allein für Doña Isabel. Zutiefst in ihrem Stolz als Frau getroffen, sinnt sie nun auf Rache. Nachdem Don Diego doch aus der Gefangenschaft entlassen wurde - obendrein vom Sultan mit Reichtümern überhäuft, weil er ihm das Leben gerettet hatte - , eilt sie selbst nach Teruel, um die Heirat mit Doña Isabel zu vereiteln. Unter falscher Identität sucht sie zunächst ihre christliche Rivalin auf, um deren Gefühle für Don Diego zu testen. Sie erzählt ihr von den Liebesambitionen der Sultanin, d. h. von ihren eigenen, und provoziert damit (ebd.: 100) blankes Entsetzen bei ihrer Zuhörerin: „¡Qué decís! ¡Una mora se prendó de él! ¡Una mujer casada! ¡Qué infamia! Gente sin fe ni ley." Die Erleichterung, die sie über die Nachricht (ebd.: 101) der maurischen Intrigantin empfindet, nämlich daß das Liebeswerben der Sultanin erfolglos war, ist vor allem kultureller Natur: „¡Un caballero cristiano rendirse a las seducciones de una enemiga de su Dios! No era creíble." Man darf vermuten, daß die treue, charakterstarke Frau, das Ideal romantischer Liebe, damit auch das kulturelle Credo ihres literarischen Schöpfers formuliert. Als die Maurin ihr schließlich erzählt, Don Diego wäre vom Sultan getötet worden, fällt sie in Ohnmacht. Der erste Teil des Racheplanes ist damit verwirklicht: „Sabe amar esta cristiana. Yo sé más", so der maurische Racheengel (ebd.: 102), „sé vengarme." Obgleich das dramatische Finale, das den beiden Liebenden vorbehalten ist, auch durch andere Ereignisse verursacht wird, fällt der blindwütigen Rachsucht der Maurin doch eine Schlüsselrolle dabei zu: „Tu no sabes", enthüllt sie (ebd.: 132) Don Diego das ganze Ausmaß ihres maliziösen Ränkespiels, „cuán a 18

Nur wenn es dem mittellosen jungen Mann gelingen sollte, so die Bedingungen der Brauteltern, innerhalb von sechs Jahren reich zu werden, darf er Isabel heiraten.

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tiempo selló, siempre certero, / un brazo el labio de tu mensajero [der seine baldige - allemal rechtzeitige! - Ankunft ankündigen sollte, N.R.]. / Yo vi, yo hablé a Isabel, y de tu muerte / la noticia le di, y a los bandidos / avisé que tu viaje detuvieran. / Yo, celebradas de Isabel las bodas, / te las vengo a anunciar." Man kann also in der Tat von einer „función de coordinador" sprechen, die, so der Herausgeber der vorliegenden Ausgabe (ebd.: 22), „está en manos de Zulima, a quien mueven intereses particulares en conflicto con el de los enamorados, entonces surge el drama". Derselbe Autor hat deshalb auch uneingeschränkt recht, wenn er (ebd.: 25) konstatiert, „[que] Zulima tiene un alma primitiva en la que impulsos y pasiones no dejan lugar al raciocinio ni a principios morales; frente al amor casto de Isabel el suyo es violento y ,africano'". Diese Eigenschaften der maurischen Figur nehmen geradezu monsterhafte Züge an, wenn sie (ebd.: 130) bekennt, daß ihr Rache die höchsten Lustgefühle bereiten: „(Canta dentro.) Ni ciencia ni caudales, / ni el mando ni el amor, / placeres dan cabales: hay un placer mayor. // Postrar a un enemigo, / su dicha deshacer, / ser de su mal testigo, / ¡éste sí que es placer!" Daß sie noch vor dem Tod der beiden christlichen Geliebten im Auftrag ihres Mannes von einem maurischen Gesandten umgebracht wird (ebd.: 137), ist daher nur gerecht und dürfte, wie der Herausgeber vermutet (ebd.: 25), von den Zuschauern herbeigewünscht worden sein. An der „visión convencional", die, so derselbe Autor (ebd.: 24), Hartzenbusch und seine Zeitgenossen von der islamischen Welt hatten, ändert schließlich auch die Tatsache wenig, daß diese „Vision" wenigstens an einer Stelle (ebd.: 123) des Stückes eine positive Note besitzt: Es war immerhin ein „médico árabe", der dem totkranken Vater von Doña Isabel dereinst das Leben gerettet hat. Dieser Aspekt scheint anzudeuten, daß sich das Maurenbild von Hartzenbusch nicht ausschließlich auf negative Elemente beschränkte. So finden sich in anderen Stücken des Autors in der Tat einige Hinweise, die die Klischees eines gewalttätigen, blinden Leidenschaften gehorchenden

Islam relativieren.

In

Alfonso el Casto (1841: 36) - das im Jahre 792 angesiedelte Stück thematisiert die unglückliche Liebe zwischen Doña Jimena und dem Conde de Saldaña bescheinigt Hartzenbusch dem spanischen Islam immerhin eine deutliche kulturelle Überlegenheit: „Yo la advertencia os estimo", entgegnet der Architekt des Titelhelden auf die Feststellung, das Haus des Monarchen sei ein echter Palast, „pero con todo, si vos / hubiérais como yo visto / los alcázares de Córdoba / y de Sevilla, imagino, / que os repugnaría dar / igual nombre á los prodigios / del arte, y á unas paredes / hechas de barro y ladrillo." Diesem Urteil pflichtet sogar der

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König bei: „Tiene sobrada razón: / Oviedo está en sus principios." Die Mauren als kulturelle Lehrmeister der Christen - ihre Überlegenheit erkennen auch andere Personen (ebd.: 38 f.) des Stücks an. Jenseits der kulturellen Wertschätzung der Mauren dominiert freilich auch hier die allseits bekannte Kreuzzugsprosa. Der Protagonist des Stücks befindet sich, wie könnte es anders sein (ebd.: 17), „en lucha fiera con la raza mora", und ist, zusammen mit Galiziern, Kantabriern, Asturianern und Basken, nur von „einer Idee" beseelt: „[arrancar] de manos del árabe [...] / la herencia rica de la estirpe goda." Da der Autor die Flamme der christlich-religiösen Reconquista bereits im 8. Jahrhundert brennen sieht, verwundert es nicht, wenn sie in La jura en Santa Gadea (1880: 9) auch dem Cid auf seinem Wege zum Triumpf leuchtet: „Contra el moro furibundo / necesita España brazos, / y estos humildes ribazos / para mí valen un mundo." Etwas mehr im Einklang mit der historischen Wirklichkeit ist dieses Reconquista-Drama immerhin dort, wo es interkulturelle Kontakte des mittelalterlichen Helden einräumt, wenn auch, hier (ebd.: 20) aus dem Munde Jimenas, mit einem Anflug von Selbstkritik: „¡Es posible! ¡Mío el Cid! / Ese título de honor, / que al Rey moro le debiste, / que en Zaragoza venciste, / y significa Señor". Der Pose des Entsetzens, mit der die Heldengattin die maurische Herkunft des Ehrentitels zur Kenntnis nehmen muß, entspricht freilich auch die Einsicht (ebd.: 24), daß sich die historische Bringschuld der christlichen Heerscharen - leider! - nicht allein auf den Namen beschränkt: „¡Oh vergüenza!", ruft hier einer von ihnen aus, „cuando fuimos á Toledo / pidiendo amparo y defensa / á un Rey moro, un enemigo / de nuestra fe verdadera." Obwohl der Autor die historische Gemengelage immerhin erwähnt: Für den Helden und für den „nacional pundonor" (ebd.: 28) stellen sie doch einige unschöne Kratzer dar. Genauso zweideutig fällt Hartzenbuschs Judenbild aus. Es ist zwar weitgehend frei von grobschlächtigen Klischees, enthält aber die üblichen Versatzstücke aus dem Arsenal traditioneller Judenporträts. In Alfonso el Casto ist es der reiche Hofjude Neftalí, der, obwohl er seinem Herrn treu ergeben ist, ausschließlich als versierter Geldbeschaffer in Erscheinung tritt: „Señor, el Dios de Abraham", stellt er (1841: 40) sich als ebensolcher vor, „se ha dignado hacerme rico: / cincuenta años há que soy / mercader; cuanto he adquirido, / es vuestro". So ist es nur logisch, daß sich seine wenigen Auftritte (ebd.: 37/ 75) exklusiv auf diese Rolle beschränken. Doch auch die Treue des reichen Hofjuden Neftalí zu seinem König kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Hartzenbusch die soziale Rolle, die er ihm

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zuschreibt, im Grunde verachtet: Für ihn stellt sie eine quasi anthropologische Konstante dar, die bereits seit biblischen Zeiten existiert. So ist es kein Zufall, daß er mit El mal apóstol y el buen ladrón ein historisches Paradebeispiel der jüdischen ,Geldversessenheit' auf die Bühne brachte: die Judas-Legende. Gleich zu Beginn (1861: 9) werden die Haupttriebkräfte des bösen Titelhelden aus dem Munde des guten Räubers, der am Ende zur einzig wahren Religion konvertiert, dem Publikum enthüllt: „Envidioso / Y avaro al par, una sed / Insaciable de riquezas / Te devoraba." Mehr als einmal insinuiert der Autor (ebd.: 40), daß diese Eigenschaften, wiewohl bei Judas besonders ausgeprägt, unter den Juden generell verbreitet sind. Sie können sich jedoch retten: „Yo he sido siempre avariento"; lautet das Mea culpa eines frisch Konvertierten, „Ya sólo codicio paz, / La paz del reposo eterno. / Partir quisiera mis bienes / Con los pobres, por consejo / De Cristo Jesus." Es sind jedoch nicht allein die Mammonobsessionen, die den bösen Apostel vom rechten Weg abbringen. Es ist auch sein ständiger Zweifel, seine - typisch jüdische! - Unfähigkeit (ebd.: 14), Vernunft durch Glauben zu besiegen: „Yo los milagros he visto / De Jesus; quiero creer, / Y no acabo: mi razón / Se rebela contra él." Während immer mehr Juden (ebd.: 90) Jesus als „hijo de Dios, Dios humanado" anerkennen und dadurch ihren Seelenfrieden finden, wird Judas (ebd.: 53) von rationalistischen Anwandlungen und seiner Geldgier innerlich zerfressen: „Mi enemigo es mi duda ponzoñosa: / Por ella Satanás vive conmigo [...] Busco la persuasión en la conciencia, / Y á tientas vago por caverna oscura." Dabei stand die Tür zur ewigen Erlösung, lautet die Heilsbotschaft des Dramatikers, unübersehbar weit offen. Einige, wie Betsabé, die Geliebte des guten Räubers (ebd.: 75 f.), gingen hindurch - und wurden erlöst: „Yo aplico la cruz al hombro / Con humildad y sin voces." Selbst die, etwa ihr Freund, die im Kreuz - noch - ein „recuerdo enemigo" sehen, werden schließlich eines Besseren belehrt. Bei einigen, hier (ebd.: 117 f.) bei einem namenlosen , j u d í o " , kommt diese Einsicht allerdings recht spät - aber nicht zu spät: „Nosotros, con furia loca, / Sobre nosotros echamos / La sangre de Dios preciosa." Dem pflichtet eine unbestimmte Zahl von , j u d í o s " bei: „Era Dios!" Das Stück endet mit der Regieanweisung: „Abajo, un grupo de demonios atraviesa la escena conduciendo á Judas con la soga al cuello." Der „Theaterzensor" (ebd.: 119) konnte deshalb beruhigt vermerken: „Habiendo examinado este drama, no hallo inconveniente alguno en que su representación sea autorizada." Ein gleichlautendes Plazet dürfte dieser Zensor auch den sonstigen Stücken Hartzenbuschs erteilt haben, in denen jüdische Figuren in Erscheinung treten. Etwa in Los polvos

de la madre Celestina,

einer im 17. Jahrhundert angesie-

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delten Comedia de Magia. In diesem Stück erlebt die inzwischen über zweihundert Jahre alte Titelheldin von Fernando Rojas ihre literarische Renaissance. Obwohl die Handlung, eine Liebesgeschichte - bzw. zwei: dieses Mal ist Celestina selber mit von der Partie - , mit zahlreichen Hindernissen, als Posse angelegt ist, gerät die Titelheldin, vor allem ihre lockeren, nicht eben katholischen Moralvorstellungen, doch ins Visier des christlichen Zeitgeistes. So ist es sicher kein Zufall, daß ihren durchtriebenen Machinationen, vor allem ihrem magischen Liebespulver, kein Erfolg beschieden ist. An einer Stelle (1840: 76), hier ist allerdings nicht Celestina gemeint, äußert eine der positiv gestalteten Figuren zudem ganz explizit ihre Abscheu gegen einen „hombre suez, alma hebrea". Während der zitierte Theaterzensor solche Analogien sicher gutgeheißen hat, dürfte er beim Lesen jener Passagen, in denen von der Inquisition die Rede ist, allerdings die Stirn gerunzelt haben. Denn hier (ebd.: 18), in der - ebenfalls possenhaften - Figur des Inquisitors Cigarrón, artikuliert der Autor, auch mit Blick auf die Juden, sogar ein Quentchen ,Häresie': „¿Dudar?", präsentiert sich Cigarrón selber, „un familiar de la inquisición cree a puño cerrado cuanto mal le digan del prójimo. Que me dijeran ahora mismo de voacedes que el uno era judío y el otro herege; daría entera fe al acusador". Die ironische Selbstdarstellung des Inquisitionsvertreters, der sich in der Liebesgroteske zudem mehrfach blamiert, ist kein Einzelfall. Auf der Suche nach dem unbotmäßigen Liebespaar des Stücks bekennen seine Kumpanen (ebd.: 22), daß sie bisher kaum über ihr Heimatdorf hinausgekommen sind. Auch der Inquisitor nicht - er bewegte sich nur „desde la inquisición hasta el quemadero". Eine erfrischend unbotmäßige Karikatur, zu der es auch noch im frühen 19. Jahrhundert eines gewissen Mutes bedurfte. Noch weitaus drastischer fällt die Kritik an der institutionalisierten Verfolgung von Juden, Konvertiten und sonstigen Ketzern in dem Drama Doña

Mentía

aus. Auch in diesem Stück, es spielt im frühen 17. Jahrhundert, besteht die Handlung aus einem amourösen Verwirrspiel, dessen Dramatik unter anderem durch religiöse Konflikte ausgelöst wird: Der von der Titelheldin und ihrer vermeintlichen Schwester, die sich schließlich als ihre Tochter entpuppt, gleichzeitig geliebte Don Gonzalo, der von einem langen Aufenthalt in Mexiko zurückkommt, erweist sich als Sympathisant herätischer Ideen - „Tengo una Biblia en romance [...]/ y un retrato de Lutero" (1848: 41) - und als kühner Kritiker (ebd.: 42) der Inquisition: „La inquisición es la afrenta / del claro nombre español. [...] Queriendo á la fé servir [...] banquetes de carne humana / da por culto al Criador." Im Unterschied zu der possenhaften Ironie des vorigen Stücks,

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deren kritischer Anflug unwidersprochen bleibt, erntet dieser erklärte Feind der Inquisition jedoch heftigen Widerspruch - von der positiv gestalteten Titelheldin selber: „Cierra ese labio blasfemo, / porque oyéndote desmayo". Obwohl die beißende Anklage gegen die Inquisition - „En España es heregía / tener sentido común" (ebd.: 47) - , die in jenen Jahren von vielen Liberalen erhoben wurde, immerhin Erwähnung findet, artikuliert sie doch nicht den Common sense des Stücks. Das wird vor allem durch dessen Ausgang klar, der durch ein böses Fatum überschattet wird: Don Gonzalo ist nicht nur der Ehemann der Titelheldin und der Vater von deren vermeintlicher Schwester, er ist sogar der Vater der Titelheldin. Schlimmer kann der Fluch Gottes, so darf man diese Botschaft wohl deuten, kaum ausfallen. Nicht zuletzt deshalb, weil dieser Fluch nicht allein den protestantischen Herätiker trifft - er trifft auch die rechtgläubige Titelheldin, deren Credo (ebd.: 15) alle jene Facetten umfaßt, die bei der Geburt der Inquisition Pate gestanden hatten: „¿Como no recordaste", wirft sie ihrer leichtgläubigen .Schwester' vor, „que enemigos / de Dios, á cuyo fé con loca furia / traidora guerra entre tinieblas hacen, / órganos del infierno y sus hechuras, [...] / en tanto que sardónicos apodos / escitaba el color, la catadura / de cetrinos sectarios de Mahoma, / sucios hebreos y arrugadas brujas". Das kulturhistorisch-religiöse Credo Hartzenbuschs ist damit gut umrissen: Trotz seiner moderaten Inquisitionskritik und einer ebenso moderaten Wertschätzung für die kulturelle Dimension des spanischen Islams war er weder Mauren noch Juden wohl gesonnen. Wie das Werk der meisten anderen Romantiker, trug auch seines dazu bei, daß die beiden Minderheiten, wie sich die Äußerung einer jüdischen Nebenfigur des obigen Stücks paraphrasieren läßt, ihre „segunda espulsión" erlebten - wenn auch nur literarisch.

4. Plädoyer für Toleranz - aber ohne Juden und Mauren: José de Espronceda Nicht viel besser als bei Hartzenbusch erging es den beiden historischen Minderheiten im Werk von José de Espronceda (1808-1842). Dabei könnte ein vordergründiger Blick auf sein Werk den Eindruck erwecken, daß sein liberales Credo auch einen toleranten Umgang mit Juden und Mauren einschlösse. So heißt es (1992: 298), durchaus programmatisch, in einer seiner Oden: „Tal vez el triunfo venturoso cantas / de tolerancia, digno, / y tu acento de paz hunde las aras / del negro fanatismo". Doch dieser Eindruck täuscht: Espronceda zeichnet ein

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Bild von beiden historischen Minderheiten, das auf ausgesprochen groben Stereotypen beruht. Wie es scheint, sind es vor allem drei Faktoren, die diese Klischees hervorbrachten. Erstens seine christlichen Überzeugungen, die trotz aller Abneigung gegen Intoleranz und Fanatismus und trotz aller Zweifel stets tief verwurzelt waren: ,.Las creencias que abandonas, /' Los templos, las religiones / Que pasaron, y que luego / Por mentira reconoces", sinniert der Dichter (1981: 19) beispielsweise, „¿Son quizá menos mentira / Que las que ahora te forjes? / ¿No serán tal vez verdades / Los que tú juzgas errores?" An anderer Stelle (ebd.: 141) schreibt er gar mit indikativer Gewißheit: „No hay religión más santa / Que la de Cristo". Wenig Spielraum für die zitierte „Toleranz"! Zweitens seine Interpretation der Geschichte, in der sich Religion und glorreiches Heldentum zu einer durchaus traditionalistischen Sichtweise verengen, besonders augenfällig in dem Gedichtfragment (1978: 4) ,31 Pelayo": „De los pasados siglos la memoria / Trae á mi alma inspiración divina, / Que las tinieblas de la antigua historia / Con sus fulgentes rayos ilumina". Hier, in den hymnischen Evokationen des „Vaterlandes", das dem „Laster" zum Opfer fiel, präsentiert auch Espronceda (ebd.: 15) die verstaubte Legende der ReconquistaAdepten: „Rompe el alarbe y fiero desbarata / Cuanto encuentra, y los campos rudo asuela; / Al labrador sus mieses arrebata; / Pavoroso terror las gentes hiela; / La virgen triste al vencedor acata, / Y hondo suspiro de su pecho vuela / Al trono de Rodrigo descuidado, / Que en infame placer yace embriagado." Die Legende von der nationalen Ursünde, bereits hier gespickt mit Invektiven gegen den brutalen Eindringling, „el alarbe rudo" (!) und „la morisma fiera" (ebd.: 16 f.) diese Legende wird an anderer Stelle, etwa in seiner Hommage , A la Patria" (ebd.: 108 ff.), durch patriotische Gesänge auf die nationale Heldengallerie komplettiert: „¡Oh mi patria querida! / ¿Dónde fueron tus héroes esforzados, / Tu espada no vencida?" Die enthusiastischen Lobeshymnen (ebd.: 167) auf „heroicos caudillos / Que en nobles combates / Vieran otros siglos" - gemeint ist auch hier die Reconquista - , sind zwar zeitpolitisch motiviert; als liberale Kritik an den wenig erbaulichen Zuständen seines Landes darum aber nicht weniger traditionalistisch: Die Ideale Esproncedas, seine Vorstellungen von einem blühenden Vaterland, liegen zu einem Gutteil in der Geschichte. Dafür spricht - drittens - auch seine omnipräsente Kritik an den modernen Zeiten, die er in zahlreichen Gedichten (1981: 23) als „La avaricia del hombre", als „alimento infernal de la avaricia" (ebd.: 41) oder als „ansia brutal [del] oro" ziemlich einseitig kritisiert - weniger mit sozialkritischer Verve als mit nostal-

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gischer Wehmut Uber die verblaßten Ideale einer angeblich besseren Vergangenheit. Esproncedas Verzweiflung über die „brutale Sehnsucht nach dem Gold" (ebd.: 189) läßt sich zwar meistens nicht mit antisemitischen Ressentiments assoziieren; ausschließen kann man sie indessen nicht, wenn etwa im Zusammenhang mit der soeben zitierten Mammonkritik von einem „hombre [...] de feroz semblante, / De repugnante y rústico ademán" die Rede ist (ebd.: 188). Ein solcher Verdacht liegt um so näher, als in Sancho Saldana, einem seiner bekanntesten Romane, eine Judengestalt auftaucht, die diesem Steckbrief ziemlich ähnlich sieht. In Sancho Saldaña, der neben Larras El doncel de don Enrique el Doliente zu den wichtigsten historischen Romanen der spanischen Romantik gerechnet wird, nimmt die Juden- und Maurenthematik einen zentralen Platz ein, allerdings in höchst ambivalenter Art und Weise, die auch den meisten sonstigen Werken dieser Gattung eigen ist: Die beiden kulturellen Gruppen, die hier nahezu ausschließlich durch eine „schöne Maurin" (die sich im zweiten Band des Romans als Jüdin entpuppt) und einen reichen Hofjuden vertreten sind, werden zwar auch als Opfer der christlichen Protagonisten dargestellt; es überwiegen indessen reichlich stereotypisierte Negativcharakterisierungen, wie sie auch bei Larra anzutreffen sind. Den erzählerischen Mittelpunkt bilden die politisch-militärischen Machtkämpfe und dynastischen Intrigen in Kastilien nach dem von König Alfonso X. hinterlassenen Machtvakuum. Dramatisch akzentuiert wird die Handlung durch zwei äußerst fatale Liebesgeschichten, in denen sich zugleich die ,interkulturelle' Thematik konzentriert: Sancho Saldaña, skrupelloser Parteigänger des Königs von Kastilien, möchte Doña Leonor, die Schwester seines verfeindeten Jugendfreundes Don Iscar, heiraten, nachdem er gerade eine Liebesbeziehung zu der von seinem verstorbenen Vater gefangen genommenen schönen Maurin Zoraida beendet hat. Nachdem alle Versuche gescheitert sind, die junge Edeldame und ihren Bruder auf friedlichem Wege zu einer Heirat zu bewegen, läßt er die Frau von einer Räuberbande entführen. Bereits in den Händen ihrer Entführer, wird Dofla Leonor, bevor sie Sancho Saldaña übergeben werden kann, von einer geheimnisvollen Frau aus der Gewalt der Räuber befreit. Elvira, die mysteriöse Befreierin, die als Eremitin in einer Höhle lebt, ist keine Geringere als die Schwester Sancho Saldanas. Wegen der skrupellosen Machenschaften ihres Bruders, vor allem aber wegen dessen skandalöser und unmoralischer Beziehung zu der Maurin Zoraida, möchte sie auf diese Weise für sich und ihren Bruder Buße tun. Don Iscar, Leonors Bruder, ist seinerseits davon überzeugt, daß

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Sancho Saldana seine Schwester entführt und wahrscheinlich bereits entehrt hat. Nach einem Duell, zu dem ersterer seinen verfeindeten Widersacher herausgefordert hat und aus dem beide schwerverletzt hervorgehen, fällt Dofla Leonor zusammen mit Elvira den Räubern erneut in die Hände und wird in die Burg Sancho Saldanas gebracht. Während sich die beiden schwer malträtierten Duellgegner in ihren jeweiligen Burgen von ihren Verletzungen erholen, spitzen sich die politischen Machtkämpfe der beiden verfeindeten Parteien auch militärisch zu: Sancho Saldafia beherbergt in seiner Burg den König und dessen Truppen; gleichzeitig versammelt Don Iscar seine Heerscharen, die, obwohl numerisch weit unterlegen, auch auf die Unterstützung der schlagkräftigen Räuberbande setzen können, die inzwischen das Lager gewechselt hat. Zusätzliche moralische Unterstützung erhält Don Iscar durch den König von Aragon: Ein Emissär, der reiche Hofjude Abraham, teilt ihm mit, daß er wegen seiner ritterlichen und moralischen Meriten zum Anfuhrer der Heerscharen gegen den kastilischen König bestimmt wurde. Durch eine List fällt jedoch auch Don Iscar in die Hände seines skrupellosen Gegenspielers; und auch aus der nun folgenden Schlacht geht dieser als Sieger hervor. Am Ende, das von Espronceda im Zeitrafferverfahren erzählt wird, gelingt es Don Iscar, nach Aragon zu fliehen; seine Schwester, die sich trotz aller Drohungen geweigert hat, den Titelhelden des Romans zu heiraten, hält dem seelischen Martyrium nicht länger stand und stirbt. Soweit die von den christlichen Protagonisten dominierte Basishandlung. 19 Unterhalb des thematischen Hauptgeschehens - das hier nur grob skizziert wurde - spielen die maurisch-jüdischen

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Romanfiguren 20 indessen wichtige Rol-

Antón Andrés schreibt (1983: 13 f.) in seinen Eingangsbemerkungen zu der vorliegenden Edition: „Los héroes o protagonistas son, por regla general, personajes inventados; los personajes históricos juegan un papel poco decisivo en el desarrollo de la trama, pues la función que se les asigna viene a ser idéntica a la que se presta al „color local": han de convencer al lector de que se trata de una fiel reconstrucción de épocas pasadas." Dementsprechend sei nur der kastilische König, Sohn von Alfonso X, eine historisch authentische Figur. Als spanischer Hauptepigone von Walter Scott sei Espronceda, so Antón Andrés (ebd.: 20), u. a. in bezug auf Abraham und Zoraida seinem schottischen Vorbild gefolgt: „En efecto, se hallan en ella multitud de rasgos típicos del novelista escocés: resúmenes históricos de la época en que transcurre la acción, abundancia de descripciones, acción interrumpida por digresiones, diálogos largos y, a menudo, afectados, personajes inventados que asumen papel de protagonistas, color local, sentido de lo misterioso, rasgos de humor en contraste con el tono serio de la obra - lo que produce un efecto grotesco personajes cuya caracterización se logra por la repetición de muletillas, reniegos o juramentos, epígrafes en verso al comienzo de cada capítulo, etc. También algunos personajes recuerdan a otros de Scott: Hernando

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len; im Falle der Maurin (Jüdin) Zoraida läßt sich sogar von einer Schlüsselrolle sprechen: Die Trennung beider Adelsfamilien, die von Sancho Saldaña und Don Iscar, war zwar, so der Erzähler (1983/1: 111), ursprünglich politisch motiviert; verfestigt und nachhaltig vergiftet wurden die politischen Kontroversen indessen erst durch die Existenz Zoraidas, die Sancho Saldañas Vater einst mitgebracht und in seiner Burg als Gefangene einquartiert hatte - mit fatalen Folgen für den Sohn: „Olvidó, pues, a Leonor, olvidó todo, y en menoscabo suyo se entregó a su nueva pasión con tan desenfrenada locura que no hubo crímenes que no cometiesen sus arrebatos, de cualquier género que puedan imaginarse, ciego con los hechizos de aquella mujer, que no parecía complacida sino teniéndolo siempre al borde del precipicio." Als eigentliche raison d'etre der skrupellosen Machenschaften und Verbrechen des Titelhelden figuriert also die maurische femme fatale. 21 Sie, die erotische Hexe, hat den Protagonisten in ihren Bann gezogen: „la fiereza de su altiva y pronunciada fisonomía", „la sangre africana", „sus pasiones impetuosas y vehementes" - mit solchen und ähnlichen Vokabeln evoziert Espronceda (ebd.: 113) geradezu ein erotisches, überdies rassistisch definiertes Monster. Die schier grenzenlosen, verhängnisvollen Konsequenzen werden ein ums andere Mal wiederholt (ebd.: 112 f.): „La pasión que había tenido a Zoraida, había agotado en su corazón las fuentes del sentimiento. Y sólo le había quedado fuerza para sufrir y memoria para hacer eterno el gusano que le roía. [...] Tal era la mujer que había transformado el genio, el rostro y el corazón de Saldaña". Es gelingt ihm (ebd.: 111) jedoch, „cargado de penosos remordimientos", sich aus dem bösen Bann zu befreien: „Llegó, en fin, a hartarse de la ponzoña que en copa de oro le presentaba la máscara del deleite y a odiar al fatal objeto de sus amores con tanto más aborrecimiento y más furia cuanto la había amado con más delirio. [...] Entonces fue cuando, siguiendo el impulso natural al hombre de buscar su felicidad, recordó a su olvidada Leonor".

de Iscar se parece a Wilfred (Ivanhoe); el propio Saldaña acusa reminiscencias de Brian de Bois Guilbert (id.), el judío Abraham y Zoraida, su hija, encuentran su precedente en Isaac de York y Rebeca, padre e hija también (id.). La cuadrilla de bandidos del Velludo recuerda, a su vez, a la tropa de alegres compinches reunida en torno de Robin Hood, aún cuando sus caracteres y acciones sean muy distinos." Ais weitere historische Quellen gibt er (ebd.: 22) an: „Influyen también la Crónica del rey don Alfonso X y, sobre todo, la exposición que de los reinados del Rey Sabio y de su hijo, Sancho IV, hace Mariana en su Historia general de España." 21

Der von Antón Andrés lakonisch konstruierte Gegensatz zwischen Historikern und Autoren historischer Romane ist deshalb eine völlig unakzeptable Verharmlosung der Erzählstrategie Esproncedas: „AI historiador le corresponde narrar y exponer los hechos; al novelista pintar y analizar las pasiones."

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Doch von nun an ist er gezwungen, an zwei erotischen Fronten gleichzeitig zu kämpfen: Leonor kann er nur mit Gewalt bekommen, und Zoraida (ebd.: 170) sinnt auf Rache: „Era, en fin, Zoraida delirante, Zoraida celosa, enamorada, cruel, vengativa, lleno su corazón de furia, de celos, guiada por una sola intención. Su fin era averiguar dónde estaba Leonor, morir o asesinarla." Denn im Unterschied zu Saldaña, dessen erotische Passionen von einst in Haß und Verachtung umgeschlagen sind, ist die Liebe Zoraidas nicht erkaltet (ebd.: 172 f.): „ardía con la memoria de sus besos, y aún se estremecía de placer". In diesem Zustand deliranter Gefühle läßt der Autor (ebd.: 173 f.) sogar eine Brise Mitgefühl für seine Romanfigur erkennen: „blasfemaba de su dios y de su profeta y de la horrible fatalidad que la había traído a amar a un engañoso cristiano, a preferir la esclavitud a la libertad, un país extranjero a su patria, y maldecía el brazo de hierro que la tenía allí sujeta en aquel odioso castillo. Y entonces pensaba en los bizarros árabes de Granada, en las damas que, rodeadas allí de su familia y mimadas y obsequiadas por sus animosos galanes, disfrutaban de su amor sin zozobra, sin remordimientos y halagadas de las esperanzas más lisonjeras." Wenngleich der Titelheld und mit ihm unverkennbar sein Autor auch weiterhin keinen Zweifel daran lassen, daß es sich bei Zoraida im Grunde um eine „füria vomitada por el infierno" (ebd.: 226) handelt, kann man ihr trotz allem eine gewisse Charakterstärke nicht absprechen. Als nämlich Jimeno, ein junger Page in den Diensten von Sancho Saldaña, versucht, sich die Exgeliebte seines Herren mit Versprechungen und Drohungen zur heimlichen Maitresse zu machen, stößt er auf entschiedene Ablehnung. Selbst als der skrupellose Möchtegernliebhaber ihr damit droht, sie als Hexe bei der Inquisition zu denunzieren, bleibt sie standhaft. Wiederum empfindet der Leser ein gewisses Mitgefühl, wenn die junge Frau (ebd.: 277) in tiefer Verzweiflung ausruft: „Qué he hecho yo, Dios poderoso? ¿Qué he hecho yo - exclamó la mora - para que me castigues con tanta crueldad?" An der ganz überwiegend negativen Konnotierung der maurischen Phantasiegestalt ändern solche Sätze freilich nur wenig: Zoraida ist und bleibt die Verkörperung des Bösen, die Hauptursache für das verhängnisvolle Schicksal des Titelhelden, dessen ritterliche Meriten, die der Erzähler mehrmals betont, erst durch die „fiereza africana" seiner Geliebten zugrunde gingen. Daß dieser am Ende des ersten Teils dem mörderischen Plan seines paje zustimmt (ebd.: 290), sie nämlich an die Inquisition auszuliefern, ist insofern konsequent: „líbrame de ella y haz lo que quieras." Mit ähnlichen Ambivalenzen, auch hier mit einem deutlichen Übergewicht bekannter Stereotypen, beschreibt Espronceda die jüdische Hauptfigur des Ro-

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mans, die gleich zu Beginn des zweiten Teils in Erscheinung tritt, als die beiden christlichen Protagonisten noch immer unter ihren Duellverletzungen leiden. Der reiche Jude Abraham, politischer Emissär der Könige von Frankreich und Aragón, ist zugleich Arzt und wird als solcher den verletzten Gegenspieler von Salcho Saldaña erfolgreich behandeln. Für den Erzähler ist der Beruf Abrahams zunächst Anlaß, über den Zustand der Medizin im spätmittelalterlichen Spanien zu sinnieren (ebd./II: 9 f.): „Estaba entonces la ciencia de la medicina [...] en la infancia; pero particularmente entre los cristianos se hallaba tan abandonada, que apenas se encontraba un médico para un remedio." Nachdem der Autor den lamentablen Zustand der Medizin im christlichen Spanien detaillierter beschrieben hat, konstatiert er durchaus anerkennend: „Sólo en aquellos tiempos puede decirse que cultivaban la tal ciencia [...] con algún fruto los ¡Ilustrados árabes y los judios, que así en esto como en todo lo que toca a ciencias y artes, en particular los primeros, nos han dejado profundas huellas de su asombrosa sabiduría. Los Avicenas, los Averroes, sirven aún de regla a nuestros más presumidos galenos, y justamente en el siglo de don Alfonso el Sabio fue cuando los judíos, favorecidos de este monarca, que protegía el talento donde quiera que se encontraba, comentaron la Biblia, escribieron de medicina, de astrología, etc., y se les dieron bien muchos y muy curiosos inventos." 22 Dann folgt aber schon bald eine gewichtige Einschränkung des obigen Lobs, die eine Mischung aus .neutraler' Beschreibung und antisemitischer Wertung darstellt. In jener Zeit hätte es nämlich auch zahlreiche Christen gegeben, die lieber gestorben wären, als ihr Leben den „hechizos y cabalísticas palabras" eines jüdischen Arztes zu verdanken. Denn, so der Erzähler (ebd.: 11), „se creía que usaba aquella maldita raza" ebensolche Methoden, „puesto que no eran los hijos de Israel tan poco filantrópicos que no prodigasen sus remedios a todo el mundo." Zu dieser „maldita raza" jüdischer Ärzte zählt der Autor auch Abraham, der, zusammen mit drei weiteren jüdischen Begleitern, zunächst in die Hände der zitierten Räuberbande fällt. Auch äußerlich sofort als Jude erkennbar - „cara larga, nariz aguileña, ojos negros, pero sin brillo, y la barba cana y poblada" 22

Im Unterschied zur Historia general de España von Mariana, einer seiner historischen Quellen, zeichne Espronceda, so Antón Andrés (ebd.: 22), deshalb ein positives Bild des weisen Königs, weil er dessen intellektuelle Statur bewundere - also nicht wegen dessen ,Philosemitismus': „Se debe, no cabe duda, a la ideología liberal del poeta su juicio positivo sobre ese rey intelectual, a quien Mariana desprestigió por creerlo excesivamente engreído y muy poco sumiso a la concepción cosmoteológica que él profesaba."

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(ebd.: 13) - , lösen Abraham und seine Begleiter einen Schwall antisemitischer Beschimpfungen aus (ebd.: 12): „Son cuatro hebreos, enemigos de toda bolsa cristiana, cuatro sanguijuelas hidrópicas de la sangre del justo". Vom Wucherer bis zum Christusmörder sind den Räubern sämtliche Standardklischees (ebd.: 13) geläufig: „Raza descreída [...], tú eras de los que ataron a una columna a nuestro redentor". Ihr Zorn auf die „perros judíos" geht soweit, daß sie Abraham und seine Begleiter an Ort und Stelle verbrennen wollen - allerdings nach vorheriger Zwangskonversion. Alle Versuche Abrahams, der erneut als „quizá uno de los hombres más sabios de su siglo" (ebd.: 26) bezeichnet wird , die Räuber von ihren Mordabsichten abzubringen, scheinen vergeblich zu sein. Weder die Aussicht auf ein veritables Lösegeld - „Yo soy rico, muy rico" (ebd.: 27) - noch der Appell an christliche Werte - „Sí, soy judío [...] pero vosotros sois cristianos, y hay un máxima en el Evangelio que dice: parce inimicis tuis" (ebd.: 24 f.) können die Räuber von ihrem Tun abhalten. Als der Scheiterhaufen bereits brennt und Abraham schon übel malträtiert ist, läßt der Autor wiederum ein gewisses Mitgefühl erkennen, wenn er (ebd.: 29) schreibt: „El pobre Abraham gritaba, lloraba y se arrancaba mechones enteros de sus barbas, sin que nada les conmoviese." In letzter Minute gelingt es ihm schließlich doch noch, den Anstifter des grausamen Spiels dazu zu bewegen, ein exorbitantes Lösegeld zu akzeptieren. Während beide über die konkreten Modalitäten der Geldübergabe verhandeln, betritt der bislang abwesende Räuberhauptmann Velludo die Szene und macht dem schauerlichen Spuk ein Ende. Er (ebd.: 32) weist seine Leute mit harschen Worten zurecht - „infamia [...] es hacer una criba del cuerpo de un hombre que no nos ha hecho mal ni tiene manos para defenderse" - und fordert die vier Juden auf, ihres Weges zu ziehen. Sicher läßt sich das Verhalten des Räuberhauptmannes, der trotz seines .Berufes' im gesamten Roman als tapferes und durchaus von gewissen moralischen Prinzipien geleitetes Rauhbein figuriert, als edle Tat verstehen, da er die vier Juden „de aquella horda de caribes" befreit. Im Verlauf des folgenden Geschehens dient diese ,noble' Gesinnung des Räuberhauptmannes aber vor allem als moralische Rechtfertigung der auch bei ihm vorhandenen antisemitischen Ressentiments. Denn als Abraham seinem Lebensretter ein stattliches Geschenk machen will, entgegnet er (ebd.: 34) ihm „con aspereza": „A mí - repuso el Velludo, mirándole con desprecio - me basta mi espada para vivir holgadamente, y no tengo que andar con brujerías, trampas y engaños para llenar más arcas como tú y tu raza; cuanto más que, la verdad sea dicha, no soy amigo de despojar al rendido." Die Botschaft könnte klarer kaum sein: Das Ehrgefühl verbietet

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selbst einem Räuber, von einem Juden Geldgeschenke anzunehmen.23 Trotz aller Bildung und der hohen politischen Stellung des reichen Hofjuden ist seine moralische Inferiorität somit eine ausgemachte Sache. Er ist zudem ein Fremd e r - nicht allein aus religiösen und sozialen, auch aus kulturellen Gründen, nämlich einer, der (ebd.: 34) „un idioma desconocido" spricht, so die Insinuation Esproncedas auf Abrahams hebräische .Muttersprache'. Im weiteren Verlauf der Handlung bestätigt sich das zwiespältige Eingangsporträt Abrahams, das zwischen der Bewunderung seiner Gelehrsamkeit und der Verachtung seiner rassisch bedingten Charakterlosigkeit hin- und herpendelt hier und da versehen mit einigen Mitleidsbekundungen, wenn die Grausamkeiten von christlicher Seite allzu maßlos werden. Bereits in der nächsten Episode, die unmittelbar auf die eben geschilderte Szene folgt, tritt diese Zwiespältigkeit erneut zutage. Als Abraham dem jungen Don Iscar, der sich infolge der ausgezeichneten medizinischen Fähigkeiten des jüdischen Arztes bereits wieder auf dem Wege der Genesung befindet, ein Schriftstück des Königs von Aragon aushändigt, bekennt dieser, daß er nicht lesen könne. Darauf reagiert Abraham (ebd.: 41) durchaus selbstbewußt: „vosotros, los caballeros cristianos, desdeñáis cultivar la parte más noble y en que más semejanza tiene el hombre con la divinidad, y os ejercitáis en juegos de fuerza y en los demás oficios en que más relaciones tiene con los animales." Die Antwort des inkriminierten Edelmannes, der, außer einem gelegentlich zu heißblütigen Temperament und einem extremen Ehrgefühl, recht positiv konnotiert ist, relativiert den Wert der Gelehrsamkeit Abrahams jedoch erheblich: „Palabras son esas - respondió el caballero mirándole - que si no las hubiese dicho mi médico y mi aliado le había de haber costado a otro cualquiera una hinchazón de pescuezo; pero las has dicho tú y te perdono, además, por lo poco entendidos que sois los judíos en lo que nosotros llamamos honra." Selbst wenn24 Mut und Ehre auch im Wertekanon Esproncedas 23

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Antón Andrés (ebd.: 35 ff.) weist zu Recht daraufhin, daß sich das liberale Credo des Autors im vorliegenden Roman vor allem durch die starke Präsenz des pueblo artikuliert, allerdings durch eine deutliche Unterscheidung zwischen „pueblo" und „populacho". Während die Mitglieder der Räuberbande zu letzterem gehören, verkörpert ihr Hauptmann „el pueblo [...] magnífico en su lucha contra el poder opresor": „No es un bandido más, sino alguien que se distingue de ellos; es el jefe indiscutible, que sabe guiarlos con mano dura. A la vez, empero, el que gana, por su nobleza, valentía y desprendimiento, la voluntad de cuantos con él tratan. Es, ciertamente, un bandido generoso." So hat Antón Andrés (ebd.: 31) zwar recht, wenn er Esproncedas Hauptanliegen so formuliert: „Así pues, Sancho Saldaña no interesa únicamente por ser una novela histórica. Cabría decir que es éste el aspecto menos interesante, aún cuando no faltan

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nicht so hoch im Kurs stehen wie Gelehrsamkeit, so müssen diese mehrfach wiederholten Elogen auf die intellektuellen Meriten der jüdischen Figur - hier (ebd.: 42) aus dem Munde des allwissenden Erzählers - doch mit großen Vorbehalten gelesen werden: „Era nuestro judío uno de aquellos hombres a quien, si hubiera vivido en nuestro tiempo, hubiéramos honrado con el título pomposo de grande hombre, y que no habría dejado de dar que hacer últimamente y de medírselas con el veterano Talleirand (o por otro nombre el embrollo personificado), a haber tenido la dicha de vivir en este siglo y la sobre todas digna de envidia de ser miembro de la conferencia de Londres." Doch auch die intellektuellen Fähigkeiten des Juden, hier sein taktisches Geschick bei der Planung der politisch-militärischen Schritte gegen die royalistischen Gegner, werden stark relativiert. So willigt Don Iscar nach einem cholerischen Ausbruch zwar ein, Abraham freie Hand zu lassen - „Tu eres más apto que yo para mandar" (ebd.: 43) - ; da der geschickt eingefädelte Plan am Ende aber scheitert, erscheint er jedoch auch auf diesem Terrain als Verlierer: „En todos tiempos la astucia ha ganado más batallas que el valor" - diese Devise Abrahams (ebd.: 50), der die Parteigänger Don Iscars von Anfang an mit „desprecio" begegnen, wird also schließlich gründlich konterkariert. Könnte man, mit einigem Wohlwollen, aus den bisherigen Charakterisierungen des Juden noch die Absicht des Erzählers herausinterpretieren, lediglich den historischen Zeitgeist zu rekonstruieren, so gibt sich Abraham jedoch auch durch konkrete Handlungen als dubioser Charakter zu erkennen. Um sich Eingang in die Burg von Sancho Saldafia zu verschaffen, verkleidet er sich zusammen mit einem seiner jüdischen Begleiter als christlicher Ordensmann. Unterwegs begegnen sie nun zufällig Elvira, der stark religiösen, von mystischen Anwandlungen durchdrungenen Schwester Sancho Saldañas. Tief verstört von der Gnadenlosigkeit ihres Bruders, der Eleonor noch immer gefangenhält und Don Iscar dem Henker übergeben will, sieht sie in der Begegnung mit den beiden vermeint-

en ella los requisitos e ingredientes característicos de ese género. Es el hombre - el amante y el político - y la época - liberalismo frente a tradicionalismo, lo nuevo frente a lo arcaico - lo que en ella encuentra adecuada expresión. Lo cual puede resultar en gran manera seductor para el lector de nuestros días." Richtig ist deshalb auch die Charakterisierung (ebd.: 41) von Don Iscar als „un monomaniaco, esclavo de ese prurito de honor" - als Gegensatz zum eher verstandesgeleiteten Neuen, Esproncedas liberalem Credo. Eine radikale Kritik des honor-Bcgnfñ läßt sich aus dem Handlungsgeschehen aber nicht herauslesen. Nicht zuletzt deshalb, weil der Romancier seine liberale Antithese' u. a. in dem überwiegend negativ konnotierten Juden personifiziert.

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liehen Ordensleuten einen Fingerzeig Gottes und bittet sie um religiösen Beistand. Der jüdische Gelehrte, nun (ebd.: 106) zum „mentiroso judío" mutiert, wittert sofort die Gunst der Stunde: Die religiöse Verblendung der jungen Frau nutzend, fordert er sie auf, ihren Bruder als Werkzeug Gottes zu ermorden. Selbst sein Begleiter, „espantado con el lenguaje de su amo" (ebd.: 107), ist sprachlos über die Anstiftung zum Brudermord. Obwohl sich auch die junge Frau über den Mordplan entsetzt zeigt, den .Vertreter Gottes' zwischen Weinkrämpfen und Ohnmachtsanfällen anfleht, von dem teuflischen Plan abzulassen, erweist sich Abraham (ebd.: 108) als gnadenlos: „Mujer, anímate y cúmplase la voluntad de Dios. No mires tu miseria, sino el poder del que te ha escogido para que resplandezca la espada de su justicia en la tierra." Am Ende (ebd.: 109 f.) zeigt die religiös-psychologische Gehirnwäsche die gewünschte Wirkung: „los ayunos, las maceraciones y cilicios habían ya debilitado bastante su juicio y hacía tiempo que imaginaba que veía visiones de ángeles y de diablos. Las últimas palabras del judío la acabaron de volver loca. ¡Oh!, si, en el castillo de mi hermano está - ¡prosiguió diciendo, sin que Abraham, que la miraba atónito, tuviese valor para interrumpirla allí correrá su sangre por mi mano. ¡Oh!, ¡sangre!, ¡sangre! - añadía con un gesto de horror, mirando fijamente su mano derecha". Im Unterschied zu zahlreichen anderen Autoren, deren jüdische Figuren gleichsam von Natur aus böse und rachsüchtig sind, macht Espronceda das gnadenlose Verhalten Abrahams den Christen gegenüber, nämlich die Schwester seines Protagonisten als Brudermörderin zu instrumentalisieren, wenigstens teilweise verständlich. Denn kurz bevor die beiden Juden auf Elvira treffen, erfährt der Leser (ebd.: 103 f.) - im Zusammenhang mit der „süßen Stimme" der Eremitin, die sie von fern singen hören daß er eine Tochter hatte, die, so ist er Uberzeugt, das Opfer christlicher Mordbrenner geworden ist: „Ciertamente que no he oído voz más dulce, y la hermosa Esther, mi hija querida, que me mataron sin duda estos perros cristianos cuando era niña, no tenía voz más pura. ¿Te acuerdas, Benjamín, de mi hija?" Die Schilderungen, mit denen er die traumatischen Ereignisse evoziert, zeigen einen tief verletzten Vater, dessen Kummer über den Verlust seiner einzigen Tochter nie nachgelassen hat: „Tú eras aún muy niño - repuso el viejo, con muestras de mucha pena - , tú te reías de ver arder el castillo y volvías la cara para mirar las llamas que lo consumían, mientras nosotros huíamos delante de la espada de los nazarenos. ¡Oh, mi hija Esther! ¡Hija mía! ¡Mi querida hija! Yo te busqué, por medio de las espadas enemigas, al través de las llamas; yo le pedía a todo el mundo, al cielo, a la tierra, y nadie

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respondía a mis voces. ¡Ah! Tú no viste la desesperación de tu padre: ¡hija mía! La flor de tu hermosura había sido ya deshojada por el huracán. / Al decir esto inclinó el buen viejo la barba sobre el pecho y derramó algunas lágrimas. Benjamín dio un suspiro, y ambos guardaron silencio por largo rato." Sein Haß auf die Christen hat also hier seinen Anfang genommen: „Desde entonces aborrezco el nombre de cristiano y me valgo de cuantas mañas puedo para exterminar una raza maldita de asesinos. ¡Benjamín! ¡Benjamín! Tú no sabes cuántas veces se me saltan las lágrimas al mirarte, pensando que te veo aún jugar con mi hija. ¡Ahora tendría tu edad!" Das Verhalten des „implacable judío" (ebd.: 130) gegenüber der jungen Eremitin wird durch seine schrecklichen Erlebnisse zwar keineswegs legitimiert, 25 es läßt sich aber nicht, zumindest nicht allein, so die Insinuation des Autors, als Ausdruck des jüdischen Bösen schlechthin interpretieren. Ein gewisses Mitgefühl des Erzählers für seine jüdische Zentralfigur behält auch auf den folgenden Seiten die Oberhand. Der herzzerreißende Schmerz über den vermeintlichen Tod seiner Tochter verwandelt sich nun in unbeschreibliche Freude, als er sie, unverhofft und unter dramatischen Umständen, wiedertrifft. Es handelt sich - für den Leser völlig überraschend - um Zoraida, die er (ebd.: 148 ff.), bereits auf dem Schafott, vom Henker, den Vertretern der Inquisition und einer großen Menschenmenge umgeben, als seine Tochter wiedererkennt und die er nun, unter Einsatz seines Lebens, zu retten versucht: „¡Es mi hija! ¡Es mi hija! - Y me la van a matar! - ¡Hola! - gritó el obispo

¡Alguaciles! ¡Que

echen de ahí ese impertinente! / Pero aún no había acabado de decirlo cuando, sin respeto a los centinelas y atrepellando por medio de todo como un rayo, se arrojó en medio de la sala un hombre al parecer frenético y, antes que ninguno se opusiese a su intento, abrazó estrechamente a Zoraida, que no menos atónita que cuantos estaban presentes, ni aún tuvo fuerza para separarlo de si." Die melodramatische Szene läßt selbst die gaffende Menge, die sich bisher an dem makabren Autodafé delektiert hat, nicht ungerührt: „Lloraban los espectadores; algunos alabarderos que se acercaron a separarle de Zoraida apenas 25

Das geht u. a. aus der Häufung negativer Attribute (ebd.: 132) hervor - „el atrevido judío", „el sagaz hebreo" - mit dem der Erzähler das Verhalten Abrahams inkrimiert. Er wiederholt auch die physischen Charakterisierungen: „la acaballada nariz, que distingue los de su raza, y sus apagados ojos". Der lakonische Hinweis (ebd.: 41) des Herausgebers der vorliegenden Edition auf „el sentimiento rencoroso del judío Abraham [...] rencor que se descarga empleando como instrumento a la trastornada Elvira", greift deshalb viel zu kurz. In seiner umfangreichen Einleitung findet sich im übrigen kein kritisches Wort über Esproncedas Antisemitismus.

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podían contener sus lágrimas, ni cumplían tampoco con su deber; hasta Jimeno mismo, a despecho de su mal alma y refinada maldad, sintió oprimírsele el corazón, y aún se arrepintió de lo que había hecho; sólo aquellos eclesiásticos, viejos ya", beschreibt der Erzähler sogar die Kirchenvertreter mit einem kritischen Zungenschlag, „y en cuyas almas de hielo jamás había penetrado la ternura del amor paterno, cuyo deber había sido sofocar las pasiones de la juventud, y que nada veían ya en su vejez sino a si mismos, se mantenían impasibles y pretendían arrojar de allí aquel hombre enojoso, que había faltado al miramiento debido a tan respetable tribunal con la osadía, nunca vista, de haber atropellado el foro." 26 Das Mitgefühl der Menge schlägt jedoch rasch wieder - auch das wird vom Erzähler durchaus kritisch vermerkt 27 - in blutrünstige Erwartungen um, denen die kirchlichen Autoritäten sofort zu entsprechen trachten. Erst in letzter Minute wird Zoraida/Esther vor dem Schwert des Henkers gerettet. Der Retter ist ein als Ritter verkleidetes Mitglied der Räuberbande, der Jimeno, auf dessen Beschuldigungen die Inquisitoren ihr Todesurteil stützen, nun im Duell tötet. Der Ausgang des Zweikampfes gilt als Gottesurteil, und Abraham kann seine begnadigte Tochter in die Arme schließen. Die Freude hält indes nicht lange an: Der „pobre judío" (ebd.: 166), als der er wieder figuriert, fürchtet nun, während der beschriebenen Ereignisse als Anhänger von Don Iscar und damit als Feind des Königs erkannt worden zu sein. Er sucht deshalb Zuflucht bei einem Bekannten „en el barrio de los judíos", der ebenfalls (ebd.: 168), die .typischen' Merkmale eines Juden besitzt: „un anciano, cuya nariz larga y demás facciones habrían hecho conocer al menos inteligente fisonomista que era uno de los descendientes de las doce tribus." ,Typisch' jüdisch sind auch dessen sonstige Eigenschaften. Da er es war, der den jungen 26

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Dennoch dürfen diese kirchenkritischen Äußerungen, zumindest was die Juden- und Maurenthematik betrifft, nicht überschätzt werden. Sie spiegeln, wie Antón Andrés (ebd.: 30) zutreffend bemerkt, wohl vor allem zeitgenössische politische Überzeugungen des Autors wider: „Como es lógico aparecen, a su vez, las ideas más características del liberal que él siempre fue, referidas, sobre todo, a sus juicios sobre el clero: número excesivo de iglesias y conventos, inutilidad y falsedad de algunas ceremonias religiosas, jerarquías de la Iglesia presentadas como figuras ridiculas e ignorantes, crueldad de algunos eclesiásticos, etc." Dies wohl um so mehr, als der Roman während der politisch motivierten Verbannung Esproncedas (1833/ 34) in der Nähe von Segovia entstanden ist. „El horror que el leal pueblo de Valladolid tenía a la magia y a los que por influjo del diablo la ejercían, venció por último la sensación que el encuentro de un padre con su hija en situación tan triste había producido al principio. Con todo, y para decir verdad, muchos hubo que, sin poder resistir más, se salieron del tribunal llenos de lástima y pesadumbre."

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Räuber mit einem stattlichen Pferd und einer kostspieligen Ritterrüstung ausgestattet hat, erinnert er Abraham (ebd.: 169), trotz der völlig unpassenden, gefährlichen Situation, in der sich alle Beteiligten befinden, unmißverständlich an seine Schulden: „la fianza que me has dado te compromete a pagarme en caso que él no cumpla devolviéndome lo que por tu intercesión le presté. Pero ya sabes", so der spöttische Wink mit dem Zaunpfahl, „que no estamos para gastos, y". Der Verdacht Abrahams, während des Autodafés erkannt worden zu sein, war begründet: Die Häscher des Königs haben das Haus bereits umstellt. Das Schlimmste befürchtend, erweist er (ebd.: 172) sich in dieser Situation doch als mutiger und selbstloser Mann, indem er nämlich dem jungen Räuber Usdróbal, der das Leben seiner Tochter gerettet hat, nicht in Gefahr bringen möchte: „Sigúeme - le dijo Usdróbal, desenvainando la espada - , que juro a Dios que he de abrirte camino.- Eso no lo permitré, yo - replicó el judío - , que no quiero pierdas por mí tu vida: retírate. - De ninguna manera; o he de morir, o te he de salvar - repuso el valoroso cristiano - ; no se dirá que abandono, yo nunca en el riesgo a mi compañero. - Generoso amigo mío, guarda tu vida y cuida de mi desgraciada hija, si no, yo te juro que me entregue yo mismo a mis enemigos. En esto el ruido de los pasos y el crujir de las armas se oía cada vez más cerca." Schließlich erklärt er sich bereit, durch einen geheimen Gang zu fliehen, wird aber doch entdeckt, gefangengenommen und später dem König vorgeführt. In der Zwischenzeit versucht seine Tochter, die trotz ihrer jüdischen Herkunft auch weiterhin als Maurin charakterisiert wird, ihren lange gehegten Racheplan28 zu verwirklichen. Sie verschafft sich Zugang zur Burg ihres Exgeliebten, der sich gerade im Zimmer von Leonor aufhält, um sie erneut - vergeblich - zu einer Heirat zu bewegen. Das Zerrbild der orientalischen femme fatale steigert sich nun (ebd.: 184) zum Konterfei eines Raubtieres: „Miróla Saldaña aterrado y ella, viéndose descubierta, ni huyó, ni bajó los ojos siquiera, antes por el contrario enclavólos en él con más ahínco que nunca, y sólo detuvo el paso dudosa a cuál de los dos, a él o a Leonor, elegiría por su víctima. Hubiérase creído al ver a Leonor y a Saldaña, suspensos y estúpidos a su vista, que los ojos de aquella tigre tenían virtud para convertir en piedra cuanto miraban, como la Gorgona de la fábula." Bevor sie sich entscheiden kann, wen von beiden sie töten will, wird 28

Wenngleich der Herausgeber der vorliegenden Edition auch hier recht hat, wenn er (ebd.: 41) den Rache-Topos als gattungstypisches Element einstuft - „al igual que en otras obras románticas" - , so fällt doch auf, daß es vor allem die jüdisch-maurischen Romanfiguren sind, denen Espronceda diese negativen Merkmale zuschreibt.

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sie ihrerseits von Sancho Saldaña schwer verletzt und tot geglaubt aus der Burg gebracht - „al campo, donde, como no era cristiana, quedó para festín de las carnívoras aves sin enterrar." Ein ähnliches Schicksal, so vermutet der Leser, erwartet auch ihren Vater, der - als Drahtzieher der Rebellen - dem König vorgeführt wird. Die Begegnung nimmt indessen einen unerwarteten Verlauf. Zunächst (ebd.: 187) erweist sich der König als erheblich weniger feindlich gesonnen als die Umstände vermuten ließen: „Miróle, [...] el rey con ojos escudriñadores, habiéndole devuelto su saludo con cierta consideración que siempre tuvo el hijo de don Alfonso a los sabios, como uno de los príncipes más entendidos de su tiempo." Dem entspricht auf Seiten Abrahams, der nun wieder als „el infeliz judío" figuriert, ein recht forsches, selbstbewußtes Auftreten, das einerseits einem gewissen Fatalismus geschuldet ist - er hat seine Tochter wiedergefunden und gleich wieder verloren - , andererseits aber vor allem den Versuch darstellt, den König über die Gründe seiner Anwesenheit in Kastilien zu täuschen und auf diese Weise sein Leben zu retten. Der König durchschaut jedoch das Täuschungsmanöver, sagt Abraham auf den Kopf zu, daß er ihn für einen politischen Ränkeschmied in den Diensten seiner aragonesischen und französischen Gegenspieler hält, möchte (ebd.: 189) ihn aber bewegen, die Seiten zu wechseln: „Yo respeto tu sabiduría y no te culpo de haber servido a tu rey, por lo que, si juras servirme a mí con la misma lealtad [...] no tendrás que arrepentirte del cambio." Ohne lange zu zögern, nimmt Abraham das verlockende Angebot an und ist bereit, nun zum willligen Werkzeug des kastilischen Königs zu werden: „¿Quiero, pues, que halles un medio de deshacerme de mis sobrinos los infantes de la Cerda. No que yo desee que se les dé un veneno, no te imagines tal cosa, pero sí que si pudiera ser que me los entregaran ..., en fin, si pudiera lograrse que no me inquietaran más ..." Die Charakter- und Treulosigkeit des Juden, der ohne jegliche Drohung die Seiten wechselt, ist damit offenkundig. Die Aufforderung des Königs, nun ihm seine ,Treue' zu schwören, unterstreicht diese Eigenschaften ebenso wie die folgende Szene (ebd.: 191), in der von „Vertrauen" und „Ehre" die Rede ist persönliche und soziale Wertkategorien, die der Jude Abraham soeben gründlich konterkariert hat: „Hizo entre tanto Abraham las más vivas diligencias por averiguar el paradero de su hija, cuya última desgracia ignoraba, hasta que desesperado, y sin haber tampoco adquirido noticias de Usdróbal, llegó el día señalado para su vuelta a Aragón, y en que se puso en camino colmado de honores y confianzas y acompañado de una numerosa escolta para su honra y seguridad."

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Der melodramatische Höhepunkt des Romans, der zugleich sein Ende ist, bleibt indessen Zoraida vorbehalten. Gleichsam vom Tode wiederauferstanden, gewährt ihr der Erzähler einen letzten Auftritt. Als „genio del mal (que tal parecía aquella fatasma), soltó una carcajada infernal" (ebd.: 254), die alle Anwesenden, unter ihnen Sancho Saldafia und Leonor, in Schrecken versetzt: „Sí, yo soy Zoraida; ya me he vengado de tí." Nach ihrem Abtritt - „volvió a hundirse en la tumba" - ist der Titelheld in Ohnmacht gefallen und Leonor, die Nebenbuhlerin der blindwütig-rachsüchtigen Maurin, ist tot: „La infeliz tenía un puñal clavado hasta el puño en el corazón." Das weitere Schicksal der Maurin/ Jüdin, die soviel Unheil über Sancho Saldaña und Kastilien gebracht hat - ja, als die Hauptursache der kriegerischen Zwietracht zweier Adelsgeschlechter gilt, bleibt im Unklaren (ebd.: 256): „Tal vez se reuniría con su padre y se iría con él a Aragón. Quién sabe." Klar und eindeutig ist indessen das weitere Schicksal des Titelhelden, das wohl als die Moral des historischen Romans verstanden werden kann (ebd.: 255 f.): „Saldaña hizo donación de todas sus riquezas a un monasterio y acabó sus días vestido de estameña y llorando sus pasadas culpas." Das Panoptikum des Schreckens fand eine Fortsetzung, diesmal jedoch ohne Juden: In Blanca de Borbón, einer szenischen Bearbeitung der spätmittelalterlichen Rivalitäten zwischen Don Pedro dem Grausamen und seinem intriganten Bruder Enrique de Trastamara, hat Espronceda zwei maurische Monstergestalten kreiert, deren blutrünstiger Charakter und blinder Haß auf die Christen wahrscheinlich unübertroffen blieben. Die beiden Figuren, Mutter („la maga") und Sohn (Abenfarax), erscheinen zwar zunächst nur als die Instrumente im Kampf Don Pedros gegen seinen Bruder, entwickeln jedoch im Verlauf der Handlung eigene Mordenergien, die das Geschehen zu einem tödlichen Ende treiben selbst zum Leidwesen ihres Auftraggebers. Dieser hat seine Frau, die er eigentlich liebt, in Ketten gelegt, weil er mit einer Konkubine zusammenlebt und weil er seine Frau beschuldigt, mit seinem illegitimen Halbbruder Enrique ein Verhältnis zu haben. Enrique, der Bianca de Borbón tatsächlich - unerwidert - liebt, versucht sie aus dem Kerker zu befreien. Mit Hilfe von Abenfarax, seinem maurischen Sklaven, will Don Pedro diesen Plan vereiteln, seinen Bruder gefangennehmen und töten. Er läßt Abenfarax zu sich rufen und ist über dessen mörderische Willfährigkeit erstaunt: ,,¿Y qué te anima tanto a perseguirlo?", fragt er ihn (1954: 269) und erhält zur Antwort: „La sed de sangre, y alcanzar tu premio." Der gedungene Mörder - „sonriendo ferozmente" - , der für ein üppiges Handgeld bereit ist, die Bluttat auszuführen, bespricht sich dennoch mit seiner Mutter, die, wie sich herausstellt, noch bos-

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hafter und blutrünstiger ist als ihr Sohn. Sie möchte den Mordplan so arrangieren, daß Pedro seinen Bruder Enrique eigenhändig tötet - ein Plan, der ihr eine teuflische Freude bereitet: „Un fractricidio horrible; en el infierno / Festejarán al recibir a Enrique." Während ihr Sohn den Mordauftrag übernommen hat, weil er dafür bezahlt wird und weil er einen nachgerade perversen Charakter besitzt — so lacht er stets „con alegría brutal" (ebd.: 274) —, ist sie (ebd.: 274), die dämonische Zauberin, von Rachegefühlen gegen die Christen erfüllt: „¡Jamás sentí tan puro regocijo! / Ni aunque volviera al fortunado tiempo / Cuando, en mi patria venturosa y joven, / Libre viví de los cristianos hierros, / Tanto gozo y placer sentir pudiera! Es imposible, no; los amos nuestros / Entre sí se encarnizan. ¡Ah!, tu sangre, / Al fin mi pecho beberá sediento." Mehr als einmal wiederholt sie (ebd.: 279) ihren abgrundtiefen Haß auf die „¡Réprobos cristianos!", die ihr maurisches „Vaterland" erobert und sie zur Sklavin gemacht haben. Mit Hilfe der Konkubine, die selber Königin werden will, erweitert sie den Mordplan auch auf die eingekerkerte Königsgattin - ein Komplott, das sogar Enrique erschreckt, als er davon erfährt. Dagegen zeigt sich (ebd.: 280) ihr Sohn voll freudiger Erwartung: „¿Hay, madre, ya que asesinar a alguno?" So kommt, was kommen mußte: Enrique, der sich der maurischen Teufelsgestalt - „Una bruja / Y un hijo de luzbel fueron mis padres" (ebd.: 291) - im Kampf gegen seinen Bruder nur bedienen wollte, wird die Geister, die er rief, nicht mehr los. Statt Enrique tötet Abenfarax in seinem zügellosen Blutrausch Blanca de Borbón. Am Ende stirbt zwar auch er, sogar durch Enriques Schwert; das Verhängnis - die Mauren! - hat indessen seinen Lauf genommen. Das Zerrbild, das Espronceda in diesem Melodrama von den Mauren zeichnet, entspricht, das ließen die Eingangszitate über die Reconquista bereits erkennen, ohne Zweifel seinen tiefsten Überzeugungen. Denn durchweg, in einer Vielzahl von Gedichten, ist von dieser historischen Minderheit nur negativ die Rede. Etwa (1978: 24 f.) als „bárbaro africano" und „morisma enfierecida", als „infiel" (ebd.: 130) oder „árabes altivos" (ebd.: 133) - ewige Feinde der Christen, deren heldenhafter Kampf nicht allein durch „ansia de gloria en el hispano" (ebd.: 25) motiviert ist, sondern auch (1981: 142) göttlichen Segen für sich beanspruchen kann: „Guerra a los cueros, / Porque matando moros / Se gana el cielo." Dieser Satz artikuliert zwar das Credo eines Kirchenmannes; die sonstigen Maurenklischees lassen indessen nur einen Schluß zu: Dieses Credo sprach auch Espronceda aus der Seele. Die üblichen Ausnahmen, die schönen, wollüstigen Maurinnen, vervollständigen dabei das Panoptikum extrem stereotypisierter Seriengestalten. Auch sie

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sind, wie ihre männlichen Gegenstücke, mit fast obsessiver Frequenz allgegenwärtig. Hier, in dem Ensayo Epico über Pelayo (1978: 6), ist es „La dulce, bella, celestial Florinda", die den imaginären Betrachter zum schwülen Voyeuristen macht: „Allí con ojos lánguidos respira / Dulce placer beldad voluptuosa". Dort, in der „Beschreibimg eines Harems" (ebd.: 40 ff.), ist es eine „mora peregrina [que] voluptuosa se reclina". Kaum ein anderer Autor der Romantik hat das ,erotische Paradies' der Mauren, „el Oriente [que] ofrece gustosos placeres" (ebd.: 160), mit stärkerer Emphase besungen - und verklärt. Freilich nur die Frauen in diesem Paradies seiner erhitzten Projektionen. Die Männer, seien es Mauren oder Juden, bedachte er dagegen mit gröbsten Negativklischees. Insofern war Espronceda konsequent: Die häufig anzutreffende Dichotomie, gute Mauren, böse Juden - für sein Werk gilt sie nicht.

5. Die Juden als charakterstarke Opfer der Christen: Antonio García Gutiérrez Unter den bekannteren Namen der spanischen Romantik bildet Antonio Garcia Gutiérrez29 (1813-1884) eine überraschende Ausnahme: Er ist nahezu der einzige Autor, in dessen Theaterstücken die Juden fast durchweg als Opfer christlicher Willkür in Erscheinung treten. In zwei Dramen, Samuel und El tesorero del Rey, in denen jeweils eine jüdische Figur die Protagonistenrolle spielt, handelt es sich obendrein um ausgesprochen charakterstarke Persönlichkeiten, deren nobles Verhalten zur Identifikation geradezu einlädt. Am deutlichsten kommt die positive Einstellung des Autors zu den Juden, die sich durch29

Obwohl ihn Ricardo Navas Ruiz (1990: 282 ff.) zu den führenden Autoren der Romantik rechnet, dürfte sein Werk nicht sonderlich bekannt sein. Der in Chiclana, in der Nähe von Cádiz geborene Dramatiker, Lyriker und Prosaautor unterhielt in den dreißiger Jahren, nach seinem Umzug in die Hauptstadt, regen Kontakt zu den Koryphäen der Romantik, unter anderem zu Larra, Zorrilla und Espronceda. Ein erster literarischer Erfolg war dem zeitweiligen Redakteur der Revista Española und mehrjährigen Soldaten erst 1836, nach Interventionen von Espronceda beschieden. Seine eigentliche Karriere begann indessen erst 1850, nachdem er von einem mehrjährigen Aufenthalt in Kuba und Mexiko zurückgekehrt war. Danach, so Navas Ruiz (ebd.: 283), „todo fueron honores". Dazu gehörten mehrere diplomatische Positionen, die Mitgliedschaft in der Real Academia und der Direktorenposten des Museo Arqueológico Nacional. Sein Tod, 1884 in Madrid, habe „una manifestación de duelo nacional" bewirkt. Den - bescheidenen - Nachruhm verdankt García Gutiérrez nicht zuletzt seinen literarischen Meriten, die einen Großteil seines Werkes auch heute noch lesenswert machen - über seine relativ philosemitische Außenseiterrolle hinaus.

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aus als Philosemitismus deuten läßt, in dem Prosa- und Vers-Drama Samuel von 1839 zum Ausdruck. Der Vierakter ist zeitlich im bereits christlich dominierten Sevilla des Jahres 1278 angesiedelt. Im Mittelpunkt stehen zwei jüdische Protagonisten: Der titelgebende Samuel, ein schon ergrauter Geldverleiher, und seine noch sehr junge, hübsche Frau Ester. Der ,typische' Beruf des Titelhelden und der offenkundig extrem große Altersunterschied zu Ester (er könnte ihr Großvater sein), deuten zunächst auf ebenso typische Negativmerkmale Samuels hin. Der möglicherweise bewußt gewählte Schematismus erweist sich jedoch schnell als offenkundig erkenntnisfördernde Täuschung: Der vermeintlich raffgierige 30 und wegen seines hohen Alters fast pervers anmutende Ehemann einer noch jugendlichen Frau entpuppt sich als moralisch höchst integeres Opfer des christlichen Judenhasses, den der Autor in seiner Person nachdrücklich verurteilt. Den Ausgangspunkt der dramatischen Handlung bildet das erotische Interesse des christlichen Edelmannes Don Enrique an Samuels Frau Ester. Obendrein möchte er sich von „ese perro hebreo", wie er ihn seinem Freund Alfonso gegenüber bezeichnet (1866: 129), eine große Geldsumme leihen. Nachdem er das Geld bekommen hat („Una respetable ganancia [...] tentaría al judío más sagaz"), das er nicht zurückzuzahlen gedenkt, macht er (ebd.: 132) sich über dessen vermeintliche Naivität lustig: „¡Judío / De Barrabás! pues ¡es fácil / De engañar! - Tiene á sus doblas / Un amor tan entrañable!" Ebenso leicht, so gibt er sich überzeugt, läßt sich der Ehemann Samuel betrügen: „Pienso robarla esta noche." Doch dieser hat bereits Verdacht geschöpft, zu auffällig sind die Annäherungsversuche des jungen Christen. Von ihrem Ehemann zur Rede gestellt (ebd.: 136), zeichnet Ester ein ebenso ehrliches wie nüchternes Bild ihrer Beziehung: „Desposadas sin amaros, / Que no es el respeto amor, / Bien pronto dentro del alma / Amor mi dicha turbó. [...] Fiel á mi deber y á Dios, / Combatí dentro del pecho / Mi deseo abrasador." Samuel, der offensichtlich eine rein väterlich-platonische Beziehung zu seiner jungen Frau unterhält, 31 zeigt ein gewisses Verständnis für ihre augenscheinlich erotischen Wünsche (ebd.: 139),

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Die entsprechenden Charakterisierungen, etwa (1866: 131): „¡Perverso usurero!", stammen jedoch nur aus dem M u n d e des negativ konnotierten Don Enrique, des christlichen Gegenspielers von Samuel. So äußert er (ebd.: 129) auch gegenüber seinem Freund Isaac: „Ese es mi mal [...] una niña, que es imposible que pueda amarme."

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die er jedoch nicht befriedigen kann oder will: „Desdichada, / No es tuya la culpa, no; / Pero es fuerza partir luego / De esta ciudad". Bereits einige Seiten vorher (ebd.: 130 f.) wurde der Leser darüber informiert, daß Samuel noch nicht lange in Sevilla wohnt, die letzten drei Jahrzehnte vielmehr im maurisch regierten Granada verbracht hat, wohin er auch wieder zurückzukehren gedenkt: „En Granada gozábamos también de más tranquilidad." Die Gründe für seine Anwesenheit in Sevilla, einer Stadt, die ihm keinesfalls unbekannt ist, bilden gleich in mehrfacher Hinsicht die Achse des dramatischen Geschehens: „¡Sevilla! este pueblo es de mal agüero para mí: aquí murieron en flor mis ilusiones, mis esperanzas más hermosas." Gemeint ist der Tod seiner früheren Frau und seines Sohnes, die beide Opfer antijüdischer Pogrome wurden: „Cuando en Sevilla / Triunfó la impiedad cristiana, / Rotos los altivos muros / Yá la merced de sus armas, / Perdí á mi esposa, y también / Al hijo de mis entraños." Vor seiner Flucht aus Sevilla ins maurische Granada hatte er in seinem Haus, in dem inzwischen der christliche Edelmann Don Enrique mit seinem moribunden Vater lebt, einen großen Teil seines Vermögens versteckt, das er nun wieder in seinen Besitz zu bringen hofft. Der Hauptgrund für die späte Rückkehr in die Stadt der Mörder seiner Frau und seines Sohnes ist jedoch ein anderer: „Tú creías sin duda", bekennt er (ebd.: 130 f.) gegenüber seinem Freund Isaac, „que solo mi ambición por las riquezas me había traído á Sevilla." Vielmehr möchte er den Mörder seiner Familie ermitteln, „indagar el nombre del que tan villanamente asesinó aquellos dos prendas de mi alma." Dementsprechend und damit überaus untypisch für die eher passive Opferrolle der Juden, besteht die Hauptabsicht für seine Anwesenheit in Sevilla darin, Rache an den Mördern seiner Familie zu nehmen. Die schon bald Gestalt annehmenden Entführungspläne Don Enriques lassen ihm jedoch keine Zeit, seine Recherchen fortzusetzen. Mit Hilfe von Rebeca, der jüdischen Zofe Esters, verschafft sich der rigorose Edelmann Zugang zu dem Hause Samuels. Lediglich hier, in einem knappen Dialog zwischen den beiden Personen (ebd.: 135), scheint ein antijüdisches Klischee des Autors auf: „Don Enrique: Toma en pago de tu silencio. (Echándole sobre el bastidor una bolsa:) Rebeca: ¡Oro! ¡Oro! ... Callar." Die Entführung bringt den alten Ehemann, der seine junge Frau innig liebt, zunächst an den Rand der Verzweiflung („Y con ella mi vida se llevaron", ebd.: 140). Zusammen mit seinem Freund Isaac macht er sich jedoch schon bald auf die Suche nach der Entführten. Dabei stellt er fest (ebd.: 140), daß der Entführer just in jenem Hause wohnt, das ihm früher selbst gehörte: „Esta era mi casa en

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otro tiempo." Daß der heutige Besitzer, der Vater des Entführers, der Mörder seiner Familie ist, weiß er indes noch nicht. Aus Furcht vor der Verfolgung Samuels hat Don Enrique die junge Jüdin bereits auf ein ländliches Anwesen außerhalb Sevillas verschleppt, wo er seine erotisch-sexuellen Ambitionen ungestört realisieren kann - wie sich herausstellt, mit einer gewissen Zustimmung seines Entführungsopfers. Ester bekennt nicht nur (ebd.: 142), daß sie ihren Entführer liebt („Don Enrique: ¿Tú me amas? Ester: ¡Oh! sí, pero acabad."); sie scheint sogar bereit zu sein (ebd.: 143), Don Enrique unter Aufgabe ihres jüdischen Credos zu heiraten: „Don Enrique: [...] Si tú fueras cristiana, podrías ser mi esposa. / Ester: ¡Abjurar de la fe de mis padres! eso es horrible." Interessanterweise versucht nun der altchristliche Liebhaber, ihre Bedenken mit religionsrelativistischen Argumenten zu zerstreuen - eine ,averroistische Standpunktlosigkeit', die christlicherseits bekanntlich vor allem jüdischen und konvertierten Intellektuellen vorgeworfen wurde: „Don Enrique: Y ¿qué otro medio nos queda? Además, en todas partes hay un Dios [...] todas las religiones tienen un mismo Dios [...] cristiana le adorarás, como le has adorado hebrea. / Ester: Yo sé que hago mal, pero es preciso; ¿no es verdad?" Die Heiratspläne des christlichen Edelmannes, sofern sie denn ehrlich sind, werden jedoch von Samuel zunichte gemacht: Er findet das Liebesversteck und stellt den Entführer zur Rede. Dieser zeigt sich angesichts des bewaffneten Ehemannes sofort bereit, ihm seine Frau zurückzugeben („Tu esposa te volveré", ebd.: 144). Als sich Samuel aber entschlossen zeigt, die Entführung seiner Frau zu rächen, bietet er ihm als Entschädigung eine wertvolle Perlenkette an. Samuel ist über das angebotene Schmuckstück bestürzt - allerdings weniger wegen der schamlosen Geste als solcher: Es gehörte nämlich seiner ermordeten Frau. Mit Hilfe einer List gelingt es Don Enrique nun, Samuel zu entwaffnen und ihn in seine Gewalt zu bringen. Sich in Sicherheit wiegend, verrät er (ebd.: 145) ihm sogar die Herkunft des Schmuckstücks und damit die Person des Mörders: „No soy el que piensas, no; / Tu credulidad burlé [...] / Mi padre, ese es tu enemigo." Samuel ist also in doppelter Hinsicht das Opfer Don Enriques geworden: Dessen Vater ist der Mörder seiner Familie, der Sohn der Entführer seiner Frau. Wie aus einem bösen Traum erwacht, bereut nun auch Ester (ebd.: 146 f.) die halb erzwungene, halb freiwillige Beziehung zu ihrem Entführer: „¡Infame! ¡burlando estás / De mi aflicción! por mi vida / Que no juzgué, tan perdida / El alma tuya jamás." Diesem fällt die Trennung von seiner Geliebten, die er inzwischen als pures Abenteuer begreift, um so leichter, als sein mittlerweile verstorbener Vater

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die stattliche Erbschaft testamentarisch an die Bedingung knüpfte, daß er sich mit einer reichen Christin verheiratet: „ya era tiempo / De olvidar delirios tales." Im Vergleich zu dem skrupellosen Entführer, dem das Schicksal seines Opfers völlig egal ist, erweist sich Samuel, dem es inzwischen gelungen ist, mit Ester zusammenzutreffen - noch im Hause Don Enriques trotz aller Verletzungen als großmütiger Mensch (ebd.: 149 f.), der für den Fehltritt seiner jungen Frau ein gewisses Verständnis aufbringt: „Porque en mi triste lecho y á mi lado / Te juzgabas quizá sola y viuda." Er zeigt sich entschlossen, Ester zu verzeihen und erneut mit ihr zusammenzuleben. Dabei verzichtet er selbstredend auf eine ,calderonianische Lösung'. Denn auf ihre verzweifelte Frage: „Mas vuestro honor", antwortet er entschieden: „¿Qué importa? de esos hombres / Que no saben amar, que no comprenden / Cuánto vale esta dicha, ¿qué me importa / Que el dedo de esos hombres me señale? / ¡Oh! ¿no me quedas tú? Vivir contigo, / Contigo ser feliz, ¿cúanto más vale?" Insofern ist auch das blutige Ende des Stücks weniger als Ehrendrama zu verstehen, sondern als legitime Rache des jüdischen Protagonisten an dem Mörder seiner Familie. Don Enrique ist zwar nur dessen Sohn, aber genauso schlecht wie der verstorbene Vater (ebd.: 151): „Ese es el hijo, / El hijo vil del asesino infame." In einem ehrlichen Zweikampf findet Don Enrique seinen verdienten Tod - nicht ohne das mehrfache Opfer der christlichen Gewalt erneut als „perro judio" (ebd.: 152) zu beschimpfen. Die Botschaft dieses, auch ästhetisch gelungenen Dramas läßt folglich keinen Zweifel zu: Die mittelalterlichen Juden waren Opfer christlicher Willkür und Gewalt. Die Täter, deren Motive aus religiöser Anmaßung und Habgier bestehen, stammen nicht, wie so oft, aus fanatisierten Plebejerkreisen, sondern aus der Aristokratie. Der natürliche' Antisemitismus des Volkes als quasi logische Konsequenz der reichen Juden wird damit relativiert. Zugleich betritt ein - satisfaktionsfahiger! - Jude die Bühne, der sich trotz aller Opfer und Schmähungen als nobler Charakter erweist und der zudem außerordentlich mutig ist: Einen christlichen Edelmann zu töten - das dürfte sowohl vom Zeitgeist des 13. als auch des 19. Jahrhunderts als Sakrileg empfunden worden sein. Eine im Grunde genauso judenfreundliche Handschrift läßt El tesorero del Rey von 1850 erkennen. Die zentrale Figur dieses historischen Dramas, das im Sevilla des Jahres 1360 spielt, ist der Jude Samuel Levi, Schatzmeister des Königs Don Pedro, der, ganz ähnlich wie Samuel, Opfer christlicher Intrigen und Willkür wird und dennoch menschliche Größe beweist, nicht zuletzt eine unverbrüchliche Treue zum König.

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Den dramatischen Auftakt des Geschehens bildet die Beziehung zwischen Lia, Samuels Tochter, und dem jungen Don Alfonso, Sohn des obersten Zahlmeisters und Arztes des Königs, Maese Pablo de Perosa. Diese - eheliche! - Beziehung ist dem Vater Lias ebenso unbekannt wie die Tatsache, daß sie derentwegen zum Christentum konvertiert ist - ein Doppelleben, das ihr schwere Gewissensnöte bereitet (1866: 290): „¿no engaño la fe / De un padre que me idolatra?" Die Liebe zu dem christlichen Edelmann Don Alfonso, der nach einer längeren Abwesenheit zu Beginn des Dramas zurückkehrt, ist indessen stärker (ebd.: 294): „¡Alfonso! Desde aquel día / En que sentí la violencia / De este amor, que es mi alegría. / Tu religión es la mía". Wie der Autor im Gespräch der beiden Eheleute anzudeuten scheint, hält er (ebd.: 295)eine solche Verbindung trotz der Konversion Lias fiir exzeptionell und höchst risikoreich: „Alfonso [...]. Si ya Dios desde su altura / Consagró nuestra ternura [...] Lia: ¡La condenarán los hombres!" Überraschenderweise ist es jedoch nicht die judenfeindliche Umgebung, ,,[la] maldad [...] de esta árabe ciudad" 32 (ebd.: 299), die die Beziehung einer schweren Belastung aussetzt, sondern die politischen Verstrickungen Alfonsos, in die er seine Frau indirekt hineinziehen möchte. Er versucht Lia dazu zu überreden, aus der von ihrem Vater verwalteten Schatzkammer ein bestimmtes, erst kürzlich in den Besitz des Königs gelangtes Schmuckstück zu entwenden, in dem sich ein Pergament befindet, das ihn auf gefahrliche Weise kompromittieren könnte: Zusammen mit zahlreichen Adeligen hat er ein Komplott gegen den König geplant. Geriete das Pergament in die Hände des Königs, wären er und seine Mitverschwörer enttarnt. Lia befurchtet indessen ein schweres Risiko für ihren Vater: Sollte der König den Verlust des wertvollen Schmuckstückes bemerken, würde er Samuel des Diebstahl verdächtigen und zur Rechenschaft ziehen. Aus Liebe zu ihrem Vater weigert sie sich deshalb (ebd.: 300), Alfonsos Komplizin zu werden: „¡Lo primero / Es mi padre!" Alfonso gelingt es dennoch, sich ohne Wissen und Hilfe Lias in den Besitz des Schmuckstückes zu bringen. Als der König kurz darauf den Verlust bemerkt, verdächtigt er natürlich seinen Schatzmeister des Diebstahls und läßt ihn in den Kerker werfen. Dieser ist zwar sicher, den Dieb zu kennen, verrät ihn aber nicht (ebd.: 308), weil er inzwischen von seiner Tochter erfahren hat, daß sie Alfonso liebt: „Se ha obstinado en ocultar / El hombre de quien robó / La joya." Selbst 32

Wie Samuel an einer Stelle (ebd.: 293) bemerkt, stammt er selbst aus Nordafrika: „¡Fez! ¡la tierra de mis padres!/ ¡Buen país". Warum er die Stadt verlassen hat, wird nicht gesagt.

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unter der Folter bricht er sein Schweigen nicht - ein Verhalten, das bei Alfonso und seinem Vater, der inzwischen von dem Komplott seines Sohnes erfahren hat, Bewunderung auslöst: „Con un valor ejemplar / Tantos dolores sufrió." Es sind jedoch weniger die physischen Leiden durch die Folter, die Samuel die größten Schmerzen bereiten, sondern die .Apostasie' seiner Tochter, vor allem deren vermeintlicher Verrat (ebd.: 318): „Por un halago mundano / Entregó su fe á un cristiano; / Y por Satanás tentada / A un verdugo, despiadada / Entregó á su padre anciano." Nachdem der König seinen, wie er glaubt, untreuen Schatzmeister sogar zum Tode verurteilt hat, versucht der verzweifelte Alfonso das Leben seines Schwiegervaters mit Hilfe eines tollkühnen Planes zu retten: Er besticht den Kerkermeister, damit ihm dieser anstelle des tödlichen Giftes, das ihm auf Befehl des Königs verabreicht werden soll, ein starkes Schlafmittel gibt. Anschließend möchte er dem vermeintlich Toten zur Flucht verhelfen. Der geldgierige Kerkermeister verrät den Plan indessen an den Maese, Alfonsos Vater, um auch von diesem eine stattliche Belohnung zu kassieren. Anschließend verabreicht er Samuel den Inhalt der Giftflasche, ganz so, wie es der König befohlen hat. Da inzwischen auch Alfonso und Lia starke Zweifel an der Zuverlässigkeit des Kerkermeisters hegen und die körperlichen Symptome Samuels zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß geben, sind schließlich alle Beteiligten von dessen baldigem Tod überzeugt. Nach einigen dramatischen Verwicklungen kommt es indes zum Happyend: Von der Unzuverlässigkeit des habgierigen Kerkermeisters überzeugt, hatte Alfonsos Vater den Inhalt der Giftflasche abermals vertauscht, so daß Samuel tatsächlich nur ein starkes Schlafmittel verabreicht wurde. Der Flucht (ebd.: 325) steht somit nichts mehr im Wege: „Ligera nave / Antes que el sol en el Oriente luzca, / Sus velas tenderá, y al africano / Suelo, que amais, nos llevará segura." Am Ende ist das jüdische Opfer von Alfonsos politischen Machenschaften sogar bereit, diesem zu verzeihen: „¡No, Alfonso!", zerstreut er dessen Befürchtungen (ebd.), „el mal que me has hecho, / En cambio del bien perdono." Nach einem bewegenden Abschied von Alfonsos Vater, dem der vergleichsweise glimpfliche Ausgang des dramatischen Geschehens letzten Endes zu verdanken ist, verlassen Samuel, Lia und Alfonso das Land. Eine ähnliche Rolle, nämlich die eines Opfers christlicher Ränkeschmiede und Skrupellosigkeit, spielt die jüdische Figur in Juan Dándolo, einer dramatischen Bearbeitung von 1839, die zwei Autoren hat: Antonio García Gutiérrez und José Zorrilla (!). Im Rahmen der hier inszenierten Handlung, im Venedig

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des 15. Jahrhunderts, spielt die jüdische Figur, der Geldverleiher Isaac Benjamin, allerdings nur eine Nebenrolle - aber eine, die trotz, vielleicht sogar wegen bestimmter Klischees eindeutig ist: Der Jude als Opfer. Der christliche Edelmann Jacobo möchte seine finanziellen Nöte mit Hilfe des „buen Isaac Benjamín, / Un prestamista usurero" (1866: 100) lindern. Denn er ist der Meinung: „las manos de un judío, / „Aunque profanan, no manchan." Die Reaktion seines Freundes, den er um Vermittlung bittet, besteht in blankem Entsetzen: „Es tan miserable y vil / La condición de esos perros, / Que no darán un cequí / Por la palabra y la firma / De un hidalgo tan gentil". Die antisemitischen Tiraden laufen jedoch, wie sich bald zeigt, ins Leere - auf doppelte Weise. Zum einen erweist sich der angebliche Wucherer als ehrlicher Makler: Die Schmuckstücke, die ihm Don Jacobo als Pfand anbietet, hält er für so wertvoll, daß er ihm einen doppelt so hohen Betrag dafür geben will, als dieser verlangt. Das verblüfft sogar seinen Freund: „Un hebreo no es de cierto", revidiert dieser nun seine krassen Vorurteile (ebd.: 101), „un enemigo feroz". Geläutert ist er jedoch nicht. Als Don Jacobo ihm später mitteilt, daß er Schwierigkeiten sehe, die Pfandsumme zurückzuzahlen, macht er ihm (ebd.: 109) einen eindeutigen Vorschlag: „¡Oh! ¡si hay plaga, / De acreedores en Venecia! / En no pudiendo cobrar, / El que primero se atreve, / Ó el deudor mata al que debe, / Ó el otro al que ha de pagar." Diesen Vorschlag weist Jacobo zwar entrüstet zurück, er ist jedoch indirekt dafür verantwortlich, daß Isaac Benjamín tatsächlich umgebracht wird. Er stirbt durch die Hand des christlichen Titelhelden Juan Dándolo, der ihn verdächtigt, die von Jacobo erhaltenen Schmuckstücke gestohlen zu haben. In Wirklichkeit hat sie Jacobo selber gestohlen, und zwar der Schwester des Protagonisten, mit der er heimlich ein Verhältnis hat. So nimmt das Verhängnis seinen Lauf: „Una noche bien fatal", lautet die späte Reue des Diebes, „le hirió el hierro impío. / Llevaba el triste judío [...] Una prenda de mi amor". Am Ende stirbt zwar auch er - das einzig unschuldige Opfer dieses Dramas ist gleichwohl der „gute Jude". 3 3 Um so überraschender ist es, daß García Gutiérrez' positives Bild der mittelalterlichen Juden, wie es in seinem dramatischen Werk zutage tritt, in seine

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Es sei hier nur am Rande vermerkt, daß dessen „niederträchtige Profession", so der negativ konnotierte Antisemit in obigem Drama, aus der Sicht des Autors keineswegs so niederträchtig war - im Gegenteil: In Simón Bocanegra, das Drama spielt im Genua des 14. Jahrhunderts, firmiert auch ein Nichtjude als „prestamista y usurero" (ebd.: 192) - mit durchweg noblen Eigenschaften: „El primer ciudadano / De Génova [...] Es el más rico y honrado."

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Erzählung Cuento in Gedichtform gründlich konterkariert wird. In diesem Cuento über das maurische Sevilla taucht ein Hofjude auf - „el médico Abraham" (1947: 336 ff.) - , dessen Eigenschaften aus einem Vademekum des Antisemitismus stammen könnten. Als Arzt und Hofjude des Maurenherrschers besitzt er nicht nur großen Einfluß, er ist auch unermeßlich reich; seine „fama de avaricia" wird mehr als einmal ausgemalt: „Abraham sólo guarda / como su mejor tesoro, / arcones llenos de oro, / donde mirándose está." Doch damit nicht genug: Er erweist sich auch als skrupelloser Verräter. Er erschleicht sich das Vertrauen der Frau des Maurenherrschers, einer früheren Christin, die ihr ehemaliger Liebhaber aus dem christlichen Spanien befreien möchte. Der „taimado judío" erweist sich jedoch als Mann, der das Vertrauen der jungen Frau schändlich mißbraucht - auch das ihres christlichen Liebhabers, der zu spät merkt, daß Abraham ihm eine Falle gestellt hat: „Volvióse el conde al hebreo, / y vio en su maligno rostro / torva sonrisa pintada / de negro placer diabólico." Hier ist die Botschaft völlig klar: Wer einem Juden vertraut... Ambivalent ist dagegen das Maurenbild, das García Gutiérrez in zahlreichen Gedichten zeichnet: Es enthält die übliche Mischung aus exotischer Bewunderung und religiöser Aversion. Etwa in Liebesangelegenheiten, wie in dem obigen Cuento, in dem eine Christin der brutalen Wollust eines „Afrikaners" zum Opfer fällt (ebd.: 277): ,,¡Y ahora, a la verdad despierta, / sometido a tu desgracia, / vas a ser de ese africano / brutalmente profanada!" Sind keine Christinnen im Spiel, dann läßt der Autor (ebd.: 305) seinen erotischen Phantasien über „las noches magníficas de Oriente" dagegen freien Lauf: „¡Cuánta nueva ilusión, cuántos placeres / sintió el mancebo súbito brotar / al encanto fatal de sus mujeres". Auch als militärische Gegner machen die Mauren, zumindest ihre bekanntesten Führer, häufig eine gute Figur: „el bravo moro Almansor, / cuyos hechos portentosos / excitan admiración." Deutlich weniger Sympathien empfindet García Gutiérrez dagegen für den religiösen Kontrahenten. Hier wird aus dem „noble moro" (ebd.: 277) des Schlachtfeldes unversehens (ebd.: 306) „el mohametano" - „dictador terrible del Corán!" Hier und da sind die religiösen Aversionen auch mit rassistischen Untertönen34 vermischt. Etwa dort (ebd.: 379), wo von „el tigre del Africa indomado" die Rede ist oder (ebd.: 195) von „Hijos del Africa [que] son, / de esas regiones que abortan / en tanta suma enemigos, / a las playas españolas."

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Auch die Zigeuner preßt der Autor (1972: 34) in die gängigen Klischees, etwa „una de estas vagamundas, una gitana con ribetes de bruja".

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Hier, was die Mauren betrifft, ist der Autor also ganz das Produkt seiner Zeit. Eine Ausnahme, von dem zitierten Cuento abgesehen, markiert jedoch sein Judenbild: Zusammen mit Galdós gehört García Gutiérrez zu der winzigen Minderheit spanischer Autoren des 19. Jahrhunderts, die den Juden gerecht werden: als Opfer christlicher Willkür.

6. „Noble Mauren" versus jüdische Giftmischer und Christusmörder: José Zorrilla Im Vergleich mit den jüdischen Ausnahmegestalten im Werk von Garcia Gutiérrez bildet die breite Palette jüdischer Figuren, die José Zorrilla (18171893), „beliebtester Dichter seiner Zeit in Spanien und in Lateinamerika" (Franzbach 1993: 222), seinen Lesern offerierte, einen Kontrast, der schärfer kaum sein könnte: Die diabolischen Dunkelmänner, die als feige Intriganten, skrupellose Giftmischer und Christusmörder kaum noch menschliche Züge besitzen, haben den zeitgenössischen Ruhm des Lyrikers, Erzählers und Dramatikers indessen nicht geschmälert. Der Spitzenposition, die er im antisemitischen Ranking der Romantik ohne Zweifel eingenommen hat, entspricht im übrigen die ambivalente Maurophilie, deren quantitative Dimension wahrscheinlich genauso unübertroffen blieb. Die maurische Geschichte, oder das, was er darunter verstand, hat Zorrilla bis ins hohe Alter in ihren Bann gezogen. Daß er just auf der Alhambra 1889 von seinen Freunden zum „nationalen Dichter" gekrönt wurde, ist deshalb kein Zufall: Die Ehrung galt einem Manne, für den der Granadiner Maurenpalast ein nationales Symbol darstellte - freilich eines, in dem, trotz allen Enthusiasmus für die Erbauer des Prachtgebäudes, vor allem der christliche Glorienschein in vollem Glänze erstrahlte. Denn Zorrilla war ein glühender Katholik und Traditionalist, der, obwohl er lange in Frankreich lebte, in religiösen Fragen keinen Spaß verstand. Das „Jahrhundert der Aufklärung und der Zivilisation", schrieb er (1943: I, 997) selbst in jungen Jahren, „irrt sich gründlich", wenn es Gott, und der war für Zorrilla natürlich gleichbedeutend mit katholischer Orthodoxie, den ihm gebührenden Platz verwehre und sich scheue, aus welchen Gründen auch immer, den Angriffen auf den einzig wahren Glauben Paroli zu bieten: „Ningún pueblo del mundo, ninguna secta religiosa tolerada, tiene empacho en la pràtica manifiesta de las devociones de su creencia; sólo los católicos en estos últimos años parece que nos proponemos dar a entender que tenemos por pobreza de espíritu las demostraciones exteriores de la fe que profesamos". Nein, lautet die

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frohe Botschaft Zorrillas an die Adresse aller Verzagten, Kleinmütigen und Zweifler, der Katholizismus ist noch immer das, was er stets gewesen ist: Das Gute schlechthin. Das Schlechte ist damit, schon per definitionem, die nichtkatholische Glaubenspalette - Juden, Mauren, Protestanten. Die religiöse Unnachgiebigkeit, ja der christliche Fanatismus, der das gesamte Œuvre Zorrillas wie ein spätes Echo der autos sacrementales von Pedro Calderón de la Barca ideologisch imprägniert, kann denn auch als Haupterklärung dafür gelten, daß er die beiden historischen Minderheiten, die hier im Mittelpunkt stehen, als ewige Feinde begriff - auch die Mauren, deren kulturelle und erotische Meriten ihm gleichwohl gefielen. Deshalb ist es nur logisch, wenn er (ebd.: 1280) auch die oberste Repräsentantin des nationalkatholischen Heldenepos auf ihrem Podest beläßt: „Isabel, en cuya alma generosa / puso Dios cuanto bien lo humano encierra, / pura, modesta, noble y piadosa, / fué la reina más grande de la tierra. / [...] Cada memoria suya es una hazaña: / del cristiano fué prez, terror del moro: / Dios, en fin, a su aliento soberano / abrió no más el mundo americano." Die feste Burg aus Religion und nationalen' Traditionen, in der sich Zorrilla sein Leben lang verschanzte, blieb, zumindest deren religiöse Fundamente, auch von seiner Begeisterung für die nichtreligiösen Facetten des spanischen Islams völlig unberührt. Da ist zum einen der übliche Lobgesang auf die kulturellen Errungenschaften der Mauren, hier (ebd.: 163) am Beispiel von Granada: „Una ciudad riquísima, opulenta, / el orgullo y la prez del mediodía, / con regia pompa y majestad se asienta / en medio de la feraz Andalucía." Besonders in „Granada. Poema Oriental" (ebd.: 1199 ff.) hat er die mittelalterliche Maurenherrlichkeit in Hunderten von Versen besungen und, wie üblich, reichlich idealisierend verklärt: „venid en torno a mí, generaciones / ateridas del Norte", ruft er (ebd.: 1202) offensichtlich jenen zu, denen Montesquieus Afrika-Verdikt den Blick auf die historischen Realitäten verstellte, „venid el rastro que dejó en Granada / la ilustración de nuestra estirpe mora". Statt sich wegen dieser „Herkunft" noch immer zu schämen, sollten sich die heutigen Nachfahren der „nobles africanos" (ebd.: 1223), auch Zorrilla empfindet sich als solcher, mit Stolz daran erinnern, welche Prachtkultur in Andalusien einst zu Hause war. Im Unterschied zu den monotonen Maurenfiktionen, die das Gros der Romantiker nicht müde wurde zu kreieren, setzte Zorrilla wenigstens auch einige realistische Akzente. In „Granada mía! Lamento muzárabe" kritisierte der inzwischen ergraute Liebhaber der maurischen Kultur (1943: II, 274) den tristen Zustand der Alhambra, der seit den Tagen Washington Irvings nicht besser geworden war: „De ruinas por tus calles doquier se van montones; / desierta está Bib-rambla, desierto el Zacatín, / desier-

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tos de la Alhambra los patios y salones, / de Lindaraja y Aixa desierto el camarín. / ¿Qué pasa? Alhambra, déjame mirar por tus balcones / y registrar los ámbitos de tu región-jardín. / ¿Qué tiendas son aquellas y toscos barracones? / ¿Qué gente la que en ello acampa en tu confín?" Das enorme Prestige, das der „Nationaldichter" unter seinen Zeitgenossen besaß, hat sicher erheblich dazu beigetragen, diesen tristen Zustand zu beenden und die Existenz der Alhambra zu sichern. Zorrillas Begeisterung für die maurische Kultur hat sich freilich nie auf solche Manifestationen beschränkt. Da ist zum anderen seine genauso begeisterte Schwärmerei für die ,erotische Convivencia' von Mauren, vor allem: Maurinnen und Christen, die in einem grotesken Gegensatz zu seinen christlichen Liebesidealen steht, deren mönchische Prüderie, etwa in seiner Don Juan-Version (Rehrmann: 1996), noch die letzten Reste erotischer Lust zu Grabe trägt. Um so ungezügelter ergeht sich der Autor christlich-ätherischer Liebesvisionen in jenen erotischen Phantasien, in denen er (1943:1, 1336) ein maurisches Sinnenparadies zusammenfabuliert: „¡Qué hermosas son las noches de Granada! / ¡Cuánto placer la atmósfera respira!" Wer kann den Verführungen eines solchen Paradieses, in dem „[la] imagen bella, voluptuosa y pura de las hurís" (ebd.: 1212) die Männer verzückt, tatsächlich widerstehen? Einmal in seinen Bann gezogen, erweisen sich auch die Träger des einzig wahren Glaubens (ebd.: 246 f.) als allzu menschlich: „Larga y pesada es la noche / para quien tanto aguardó, / que el alba por el oriente / viene a ahuyentar su pasión. // Muy larga pasa el mancebo [cristiano, N.R.] / que en Córdoba penetró / de los ojos de una mora / enredado en la prisión." Hier, von den Pfeilen des maurischen Amors berauscht, kann der Dichter (ebd.: 37) nicht umhin, sogar christlichen Frauen zu empfehlen, dem islamischen Sinnenparadies einen Besuch abzustatten: „¡Oh qué hermosa nazarena / para un harén oriental, / suelta la negra melena / sobre el cuello de cristal, // el lecho de terciopelo, / entre una nube de aroma, / y envuelta en el blanco velo / de las hijas de Mahoma! // Ven a Córdoba, cristiana, Sultana serás allí". Vom christlichen Keuschheitskerker zum maurischen Harem - selbst modernen Autoren, die noch rund hundert Jahre später den andalusischen Frauen just unter Verweis auf solche Karrieren ihre maurophilen Neigungen auszutreiben suchten,35 standen bei der Lektüre dieser Zeilen vermutlich die Haare zu Berge ... Ein Gefühl verletzter Ehre, als christliche Spanier und als Männer, dürfte diese Autoren auch beschlichen haben, wenn sie das Liebeswerben eines Mauren um eine 35

Vgl. das Kapitel über Claudio Sánchez Albornoz.

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christliche Edeldame (ebd.: 447), von dieser durchaus erwidert, gelesen haben: „Escucha, hermosa cristiana, / mis amores [•••] ¡Ah!, ¡importa que al Profeta / en adoración secreta / yo bendiga, / y adores tú al Nazareno, / si en blanda coyunda amiga / un solo amor nos uniera!" Das bikulturelle und bireligiöse Liebesidyll wird zwar vom Bruder der Angebeteten, einem glaubensstrengen Sittenwächter, schließlich verhindert; zudem stammt der Vorschlag, die religiösen Abgründe mit Hilfe der Liebe zu überbrücken, aus dem Munde des Mauren - dennoch besitzt dieses „orientalische Gedicht" den Beigeschmack des Sakrilegs: Ohne die Intervention des ehrbewußten und glaubensfesten Bruders wäre die Schwester den Liebesschwüren des Ungläubigen womöglich erlegen ... Neben Kultur und Erotik erweist Zorrilla den Mauren auch als militärische Gegner und, wenn die Waffen schweigen, als Freunden der christlichen Aristokratie seinen Respekt. In seiner dickleibigen Leyenda del Cid geht er (1943: II, 65) zwar mit dem Zeitgeist jener Epoche konform: „Costumbres de aquella era / caballeresca y feroz, / en que degollando moros se glorificaba a Dios". Diese „Gewohnheit" schließt freundschaftliche Beziehungen zwischen den Kontrahenten, selbst auf allerhöchster Ebene (ebd.: 142), aber keineswegs aus: „En Toledo Aly Maimún / con don Alfonso tenía / amistad y cortesía". Der innige Kontakt zwischen beiden Kulturen, auf dem Schlachtfeld und in der Etappe, brachte es mit sich, so Zorrilla (ebd.: 257), daß die kulturellen Grenzen, auch in der Person des legendären Helden, selber in Fluß gerieten: „Con los árabes veinte años / en trato o lid le dejó, / tuviéronle los árabes / miedo y consideración. / Alejado de los suyos, / con los árabes trabó / relaciones que templaron / su cristiana exaltación: / y puesto entre las dos razas, / lo bueno en él se fundió / del espíritu de una / y otra civilización". Namhaften Kulturhistorikern des 20. Jahrhunderts vom Schlag eines Sánchez Albornoz dürften solche Passagen die Zornesröte ins Gesicht getrieben haben: das Symbol der nationalen Geschichte ein kulturelles Zwitterwesen! Lange bevor Américo Castro derart kühne Behauptungen wissenschaftlich untermauerte, erteilte bereits der romantische „Nationaldichter" seinen Lesern des 19. Jahrhunderts literarische Leküonen in Convivencia-Geschichte: „Voy la gloria a cantar de dos naciones", heißt es in der Einleitung zu seinem berühmten „Poema Oriental" über Granada (1943: I, 1211), „por religión e instintos enemigos, / que, fieles a la par a sus pendones, / prodigaron al par sangre y fatigas, / rojas brotar haciendo sus legiones / con la sangre común aguas y espigas". Die religiöse Grenze, der eigentliche Trennungsgraben zwischen Mauren und Christen, hat Zorrilla jedoch nie überschritten - auch dort nicht, wo er, wie am

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Beispiel des Cid, die „Fusion der beiden Rassen", emphatisch beschwor. Wenn es um religiöse und damit auch stets um nationale Fragen ging, dann tischte er seinen Lesern sämtliche Legenden auf, die das unerschöpfliche ReconquistaReservoir enthielt. Demnach begann das nationale Unglück schon (1943: II, 1119) im Jahre 711, „en el turbio Guadalete", und besaß die Gestalt einer Frau: „¡Maldito quien fué concordia / con los árabes a hacer, / y maldita la mujer / ocasión de la discordia!" Es endete, rund achthundert Jahre später, natürlich mit Hilfe des Himmels, der die Ursünde von einst durch die islamische Invasion so grausam bestraft hatte: „Era, en fin, que la mano / del Dios que humilla y levanta", inszeniert Zorrilla (ebd.: 39) die Eroberung Granadas als Zeichen göttlicher Versöhnung, „comenzaba la fe santa / a levantar del cristiano." Vergessen sind hier die „wollüstigen" Haremsdamen und die „noblen" Maurenritter, an denen sich die Phantasie Zorrillas auf Hunderten von Seiten entzündet hatte. Nun werden sie wieder zu dem (ebd.: 118), was sie im Grunde immer waren: „la morisma bárbara." Denn jetzt ist die Sünde von einst endlich getilgt, ist der Blick wieder frei auf den ewigen Feind, den Isabella, „la reina más grande de la tierra", endlich bezwungen hat. Was liegt da näher, als jenen Triebkräften ihren Tribut zu zollen (ebd.: 40), die diesen Sieg ermöglichten: „Bendita, pues, la ignorancia / de aquel nuestro fanatismo, / que dió a nuestro patriotismo / tanta fe, tanta constancia". Ein Widerspruch zum harmonischen Miteinander, das Zorrilla auf so vielen Seiten beschrieben hat? Sicher, schien er seinen Lesern zu insinuieren, aber hier ging es um Wichtigeres, auch für die katholische Welt diesseits der Pyrenäen: „y bendito nuestro atraso, / que hizo culta y floreciente / a Europa, a la árabe gente / cerrando de Europa el paso." Ein Versatzstück der konservativen ,Dekadenztheorie' des 19. und 20. Jahrhunderts, das als ideologisches Chamäleon der Hispanidad noch Franco gute Propagandadienste leistete (das christliche Spanien als „Wellenbrecher" des Islam) - Zorrilla war es nicht unbekannt: Spanien blutete aus, um anderen, auch seinen Söhnen und Töchtern in der Neuen Welt, Leben zu geben ... Zorrillas Fama als Verehrer der maurischen Kultur, die durch die üppige Fülle „orientalischer" Gedichte und maurischer Gestalten in seinem MittelalterCEuvre zu einem zentralen Markenzeichen seines dichterischen Schaffens wurde, erhält durch die religiöse Militanz, mit der er den „noblen Mauren" begegnete, folglich ziemlich häßliche Flecken. Die werden dann besonders sichtbar, wenn die Maurenthematik nicht, wie in den meisten Gedichten und Legenden, nur punktuell oder eher marginal zur Sprache kommt, sondern dort, wie in „Alhamar. El nazarita, Rey de Granada", wo sie den erzählerischen Mittelpunkt

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bildet: Ein wirklich guter Maure ist nur der, so der penetrante Missionseifer des Autors dieser „Leyenda oriental", der zum wahren Glauben findet. Der eigentliche Protagonist dieser spätromantischen Maurenlegende ist deshalb nicht der Granadiner Maurenherrscher, sondern die unwiderstehliche Kraft Gottes - des Christengottes, versteht sich. Die pathetische Konversionsgeschichte darf ebenfalls als allegorische Rechtfertigung der christlichen Reconquista gelesen werden, lediglich abgemildert, und dabei wohl dem Zeitgeist gehorchend, durch eine romantisierte Eloge auf die „arabische" Kultur. Die folgenden Verse des Vorspanns (1853: XIX) können deshalb als Leitmotiv gelten: ,,Hé aquí por qué cuando hoy mi voz levanto, / Cristiano y Español, con Fé y sin miedo / canto mi religión, mi patria canto." Am Beginn des - im Wortsinne - „divino cuento" (ebd.: 12) skizziert der Autor in groben Zügen die Jugend des zukünftigen Herrschers der Alhambra, der sich seinen Weg durch die politischen Wirren der

to/a-Streitigkeiten

von Al-

Andalús bahnt (ebd.: 17): „Luchas civiles de la gente mora / le llamaron urgentes á la guerra / y lidió con honor desde la aurora / hasta que en sombra se sumió la tierra. / Llevó al fin su bandera vencedora / de el verde valle á la nevada sierra, / y de un día de abril en la alborada / aclamado por rey entró en Granada." Die Stadt, die der neue Herrscher übernimmt, besitzt zwar schon einige Reize des zukünftigen „Eden [de] los africanos" (ebd.: 22), aber noch nicht den Glanz der kommenden Jahrhunderte (ebd.: 18): „Bella ciudad de situación risueña / de bizarros Arabes poblada, / era ciudad no grande, no opulenta, / más ya por su valor tenida en cuenta." In den kühnen Zukunftsvisionen Al-Hamars (ebd.: 28 f.) nehmen die Konturen der Stadt jedoch bereits Gestalt an: „Ansiaba el rey grandeza venidera, / gloria, poder, celebridad futura; / ansiaba que su corte la primera / fuese en valor, en lustre y en cultura: / ansiaba darla fama duradera / con prodigios de rica arquitectura; / y vió al par escaso su tesoro / para hacer realidad sus sueños de oro [...] Pensaba en las mil torres de los muros / que á su noble ciudad dieran confines, / fuerza real y límites seguros: / pensaba en la estension de sus jardines, / asilos del deleite; y en los puros / baños; y en los ocultos camarines / del voluptuoso Harém de las mugeres santuario del amor y los placeres." Bereits im Vorspann (ebd.: XXII) hatte der Autor einen fiktiven Freund zu einer literarischen Reise durch „die Gärten der maurischen Sinnlichkeit" eingeladen: „Fátima la Zegri, perla de amores", „Zora, la voluptuosa malagueña", „Lindaraja, la ardiente Zahareña" - die okzidentalen Männerphantasien, in denen der Autor hier genüßlich schwelgt, sind gar Anlaß für einen erotischen Kultur-

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vergleich, der an Goethes West-östlichen Divan erinnert (ebd.: XXI): „No encontrarás los númenes de Grecia / invocados en él: Génios distintos / asisten á mis héroes en su recia / caballeresca lid. Bajo sus plintos / los templos de la Cruz no dan ya paso / á Venus ni á Pluton: ni en los recintos / de la Alhambra jamás trotó el Pegaso; / que el rayo vivo de la Fé Cristiana / cegó á las Musas y quemó el Parnaso." Auch in späteren Elogen (ebd.: 20) auf „las bellas moras granadinas" oder „el barrio del deleite" klingt so etwas wie Wehmut über das vergangene erotische Paradies an, das längst durch ein Kreuz versperrt ist: Ein interessanter Kontrast zu dem nun folgenden „divino cuento"! Denn der weitere Verlauf der Legende steht nicht im Zeichen üppiger Maurinnen, sondern unter der göttlichen Kraft eines Engels, der Al-Hamar ein verlockendes Angebot macht (ebd.: 48): „Tú luchas por la gloria / de tu falaz creencia, / y espléndida existencia / preparas á tu grey: / y yo que sé tu historia, / tu origen y tu sino, / arreglo tu destino, / por misteriosa ley." Das Angebot der himmlischen Gestalt hat freilich seinen Preis (ebd.: 50): „Encumbra este hemisferio / con el poder de oriente. / Yo en el haré á otra / gente plantar su pabellón. / Yo te daré un imperio, / más tú para pagarme / tendrás al fin que darme / tu fé y tu corazón." Von seinen kühnen Zukunftsträumen geblendet, scheint der junge Maurenherrscher die Offerte nicht genau geprüft zu haben - trotz deutlicher Indizien („tu falaz creencia"), die auf eine ,Mogelpackung' hinzudeuten schienen. Nachdem der himmlische Sendbote wieder verschwunden ist, ist auch der Pakt besiegelt (ebd.: 58): „Señor, dijo, yo admito / un dón tan opulento, / y á dón tan infinito / corresponder sabré. / ¡de Alá sea en lor!" Wie sich nun bald zeigt, hat die himmlische Erscheinung nicht zuviel versprochen. Das „arabische Eden" nimmt Gestalt an (ebd.: 61): „¡Granada! Ciudad bendita / reclinada sobre flores, / quien no ha visto tus primores / ni vió luz, ni gozó bien. / Quien ha orado en tu mezquita / y habitado tus palacios, / visitado há los espacios / encantados del Eden." Die enthusiastische Lobpreisung der raschen Metamorphose der Stadt von einem eher unbedeutenden Ort zum neuen kulturellen Leitstern von Al-Andalus erstreckt sich über mehrere Seiten und kulminiert (ebd.: 68) in den Begeisterungsgesängen 36 über das neue Wahrzeichen

36

Im Appendix (ebd.: 178 f.) läßt der Autor übrigens erkennen, daß seine zeitgenössische Leserschaft die Hommage an die maurische Architektur möglicherweise mit Verwunderung gelesen hat, nicht zuletzt deshalb, weil der damalige Zustand der Alhambra, wie er später selber schreiben sollte, höchst bedauerlich war. Deshalb sein

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der Stadt: „¡Régia Alhambra! ¡Aureo pebete / perfumero de Sultanas! / Tus arábigas ventanas / son las puertas de la luz. / El Oriente se somete / á tus piés como un cautivo, / y hace bien de estar altivo / de tenerte el Andaluz." Eher nebenbei läßt Zorrilla sogar durchblicken (ebd.: 77), daß auch die christlichen Nachbarn häufige Gäste des Maurenherrschers waren: „Sus más fieros enemigos / los Amires Castellanos, / le visitan cortesanos / y le piden protección: / y él los trata como á amigos, / con sus nobles los iguala, / los festeja y los regala / sin doblez de corazón." Doch trotz des sagenhaften Zenits von Wohlstand, Kunst und Lebensfreude, an der auch die Christen als Convivencia-Partner einen gewissen Anteil nehmen, liegt über der Stadt, so deutet der Autor (ebd.: 80) nunmehr an, ein leichter Schatten: „Y así mora el Nazarita / sus alcázares dorados, / misteriosamente alzados / del placer para mansión. / Más ¿quién sabe si él habita / su morada encantadora, / y el pesar oculto mora / en su régio corazón?" Die hier nur angedeutete Kehrseite der maurischen Pracht tritt auf den folgenden Seiten immer stärker in den Vordergrund: Die steile Karriere der Stadt, und mit ihr die von AlHamar, hat ihren Höhepunkt überschritten. Denn (ebd.: 88): „Riqueza dió á los Moros, / con la riqueza dióles / poder, victoria, fama .../ más dió á sus corazones / con ella más deseos / y orgullo y vicio dobles: / y al fin ¿qué es lo que logra? / doblar sus ambiciones." Das Ende der mondänen Maurenherrlichkeit kündigt sich an, vom Autor in einer Art historischem Zeitrafferverfahren - „sin fastidiar al lector con detalles históricos que le interesarían poco", wie er im Anhang (ebd.: 178) schreibt bereits nahe an 1492 herangerückt (ebd.: 90): „Tal vez un rey Cristiano / sagaz y fuerte entonces / desde Castilla viendo / los Arabes discordes / la hoguera de sus iras / certeramente sople, / y al frente de Granada / presente sus legiones." Das eigentliche Ende der Maurenherrschaft auf der Halbinsel erlebt ihr legendärer Protagonist jedoch erst im Himmel: Auf einem magischen Pferd, das an eine Erzählung von Washington Irving erinnert, gelangt er in die göttlichen Sphären - der Pakt mit dem Engel fordert seinen letzten Tribut (ebd.: 140): „Es otra Alhambra, empero / más que la Granadina / hermosa; una divina / Alhambra celestial. / Alcázar hechicero, / labrado con vivientes / materias transparentes, / de gérmen inmortal." Dort, in der „himmlischen Alhambra", trifft er nun seinen Vertragspartner von einst, der (ebd.: 148) ihm sein wundersames Schicksal

Wunsch an die Leser, „[que] no tengan por fantásticas mis descripciones: el esceso de poesía que hay en ellas no está en mi pluma, sino en el país de que escribo".

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erklärt: „Yo inoculé en tu alma / el gérmen de la duda / para turbar la calma / de tu creencia vil: / para que espuela fuera / con cuya lenta ayuda / á la verdad se abriera / tu corazón gentil." Darin besteht denn auch die Moral der Geschichte: Die islamischen Frevler, die glaubten, ein irdisches Paradies errichten zu können, werden von Gott, dem Christengott, eines Besseren belehrt. Der antiislamische Bekehrungseifer, den der Autor seinem himmlischen Gewährsmann in den Mund legt, verdient es, ausführlicher zitiert zu werden (151 f.): „Hoy mismo en apariencia / perecerá á las manos / de incógnita dolencia / tu cuerpo terrenal: / mas junto á mi existencia / tendrás, hasta que ufanos / habiten los cristianos / tu alcázar oriental. // Yo les haré á Granada / cercar como un enjambre: / con ellos vendrá el hambre, / la muerte y el baldón: / y talarán tus tierras, / y en sanguinarias guerras / tu raza aniquilada / será sin compasión. // Tú lo verás. Estrella / fatal para tu gente / tú verterás sobre ella / roja, siniestra luz. / Y lidiarás conmigo / en pró de el enemigo, / sobre el pendón de oriente / hasta clavar la Cruz. // Ahogado el Islamismo / y desbandada y rota / tu raza, gota á gota / su sangre en tí caerá. / Su sangre es tu bautismo, / y este de afán y duelos / misterio, de los cielos / las puertas te abrirá." Das martialische Schlußverdikt des Islam, in dem die mata

moros-Parolen

des Mittelalters mit unverminderter Heftigkeit nachzuklingen scheinen, verfehlt seine Wirkung nicht. Der stolze, übermütige Maurenherrscher, einstiger Repräsentant der „creencia vil", rettet seine Seele (ebd.: 158): „Entonces el Rey Arabe / sintióse aéreo, leve, / cual luz que el aire mueve, / cual nube que vá en él. / Solo era ya un espíritu, / una vision ligera, / un alma compañera / del Angel Azäel." Wie auch immer man die pathetische Missionspredigerei Zorrillas bewertet: Er hielt die Mauren, wenn auch nur vereinzelt, immerhin für willig und würdig, den einzig wahren Glauben anzunehmen. Den zahlreichen Juden, die sein Œuvre bevölkern, war diese Gunst dagegen nicht vergönnt. Sie, das Böse schlechthin, fürchten, und das sogar ganz wörtlich, das Kreuz wie der Teufel das Weihwasser und sind unter anderem deshalb dazu verurteilt, als Ewige Juden umherzuirren, oder, wenn ihre frevelhaften Umtriebe allzu maßlos werden, durch die irdischen Helfer Gottes die gerechte Strafe zu finden. Obwohl Zorrillas Haß auf die Juden obsessiv und unerbittlich war, spielen sie, rein numerisch gesehen, fast nur Nebenrollen, hauptsächlich in den moros y cristiano-Legenden

über die Zeit der

Reconquista. Der Kontrast zu den „noblen Mauren" tritt dort besonders klar hervor. Etwa in Gestalt eines J u d í o vil" (1943: II, 195), der dem Cid eine große Summe leiht, ohne die, genau besehen, dessen Heldentaten aus Geldmangel eine jähes Ende gefunden hätten. Solche Überlegungen stellte Zorrilla natürlich nicht

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an - reiche Juden, und ausschließlich solche bevölkern seine Maurenlegenden, waren ihm zutiefst zuwider; auch solche Christen, „avaros como judíos" (ebd.: 122), die sich wie die Vertreter der „niederträchtigen Rasse" verhielten. So blieb, ein halbes Jahrtausend später, der „großen, würdigen, legitimen, mutigen" Königin Isabella (1943: I, 1204 f.) gar nichts anderes übrig, als das verhaßte Wuchergesindel aus dem Lande zu vertreiben: „Vióse libre el erial [...] de judíos / el mercado, la plebe de usureros". Den Rest besorgte die Religionspolizei: „Acotó la licencia y el cinismo / de las viejas costumbres relajados / la Inquisición severa: el judaismo / sepultó su avaricia en las moradas / de sus oscuras lonjas". Mit soviel verbalem Unrat hat Zorrilla die Mauren nie beschmutzt, auch dort nicht, wie in seinem Versdrama Sancho García, wo Juden und Mauren als furchterregende Dunkelmänner ihr Unwesen treiben. „He tenido presentes", zitiert der Herausgeber (1917: V) der vorliegenden Edition das ,ästhetische Programm' Zorrillas aus dem Jahre 1838, „dos cosas: la patria en que nací, y la religión en que vivo". Für das vier Jahre später veröffentlichte Drama Sancho García, das im Burgos des 11. Jahrhunderts angesiedelt ist, kann dieses Programm noch immer als Leitmotiv verstanden werden: In der titelgebenden Gestalt des jungen Grafen Sancho García verkörpern sich die beiden Hauptfacetten des national-religiösen Credos des Autors in einer Weise, die ihn mit den Worten des Herausgebers (ebd.: VIII f.) zu einer „inmensa hoguera de poesía nacional" werden ließen. Und das trotz (oder wegen?) der Tatsache, wie derselbe Autor (ebd.: XIV) zustimmend schreibt, daß „las composiciones históricas de este poeta" - was ihre Authentizität betrifft stets zu wünschen übrig ließen, ihre Quellenbasis 37 „casi nula" und ihre Historizität „un mito" seien. Dennoch, so sein hymnisches Resümee, „fué el poeta del pueblo [...] y ningún otro existió en España, fuera de Lope, cuyos versos hayan sido más universalmente sentidos. ¿Por qué?" Der Hauptgrund dürfte der Tatsache geschuldet sein, daß Zorrilla in der Tat einen Mythos kreierte: den von den abgrundtief bösen Mauren und Juden, deren Kabalen indes an der Festigkeit von Charakter und Glauben des christlichen Edelmannes (mit Hilfe seines treu ergebenen Dieners) scheitern. Die rassistischen Klischees, deren sich Zorrilla dabei bedient, sind im Kontext des 19. Jahr37

Für das vorliegende Theaterstück habe sich Zorrilla lediglich der Historia von Mariana („su eterno texto") bedient (ebd.: XXIII f.). Darüber hinaus schreibt er (ebd.: XIX): „Una fiel reconstrucción del pasado hubiera exigido procedimientos incompatibles con su manera de ser, y quizá resultase, para él y para cualquier otro, imposible."

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hunderts zwar keine Seltenheit; eher eine - ziemlich perfide - Ausnahme stellt dagegen das Unterfangen dar, die historischen (und wohl auch zeitgenössischen) Mauren- bzw. Juden-Sympathisanten moralisch gleich mit zu liquidieren. Diese hat Zorrilla in der Mutter des Titelhelden, der verwitweten Condesa, in einer zentralen Gestalt personifiziert: Obwohl ihr Ehemann von den Moslems getötet wurde, begegnet sie den mato woros-Ambitionen ihres jugendlichen Sohnes jedoch äußerst reserviert: „¿Tanto os acosa vuestro mal, señora?", hält ihr deshalb die Zofe Estrella vor (ebd.: 5), „No va don Sancho la morisaca chusma / do quier venciendo, y la vertida sangre / lava de vuestro esposo con la suya." Die Antwort der Condesa (ebd.: 6) klingt wie ein friedenspolitisches Manifest: „Calla, Estrella, / que tu ignorante lealtad te ofusca. [...] ¿No ves que, sólo en pelear pensando, / de sus pueblos el bien descuida en suma, / la paz, que es sólo su fortuna cierta? / Y si sus campos él de sangre inunda, / ¿qué pan, Estrella comerán mañana / los que sus campos a talar le ayudan? / Paz el moro le ofrece; por qué ahora / él la desecha con fiereza estupida?" Doch bereits hier, kurz nach dem durchaus vernünftig klingenden Sermon der Gräfin, deutet der Autor aus dem Munde der jungen Zofe an, daß der leidenschaftliche Appell für Frieden und Convivencia womöglich nicht nur lauteren Motiven entspringt: Die Witwe empfängt heimlich den in Burgos weilenden Mauren Hissem-Alamar, der mit ihrem kämpferischen Sohn - vergeblich - einen Friedensschluß aushandeln möchte. Auf den geäußerten Verdacht der naiven Zofe, die heimlichen Treffen seien Schäferstündchen, reagiert die derart Verdächtigte (ebd.: 8) entrüstet: „¡Ea, ya basta! ¿De García Hernández / la viuda altiva, por la llama inmunda / se abrasara de un moro? Tal vileza / cabe no más en la simpleza tuya." Der Grund für die heimlichen Zusammenkünfte, beruhigt sie die Zofe, sei vielmehr ihr tiefer Wunsch nach Frieden - nur darüber spreche sie mit dem moslemischen Unterhändler. Ihr siegestrunkener Sohn, der nun unter dem Jubel des Volkes („¡Viva / el vencedor del moro!", ebd.: 10) die Bühne betritt, weiß zwar nichts von den heimlichen Treffen, kennt aber die versöhnliche Haltung seiner Mutter, die ihn (ebd.: 14) aufs äußerste empört: „Madre / ya lo sabéis; la tierra tinta / aún con la sangre de mi padre humea." Es sind indes nicht nur persönliche Rachegefuhle, die den christlichen Edelmann in die Schlacht gegen die Mauren treiben. Die Rede ist vor allem von „gloria" und „virtudes" - hehre Motive, die von fast allen geschätzt werden (ebd.: 15): „¡Sólo a mi madre mi placer no alcanza, / y mi gloria sus lágrimas afean!" Sein heiliger Zorn gegen die Ungläubigen, gegen „la canalla impía", „[las] tostadas pieles" oder „esos perros", erstreckt sich auch auf

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die Juden (ebd.: 22): „[con desdén] ¡Derviches y judíos / Callad, madre, callad; yo los desprecio." Die Mutter, wie ein Felsen der Vernunft in der wilden Brandung religiöser Passionen und blinder Kriegsbegeisterung, weicht indessen keinen Deut zurück: „Y yo no, los atiendo, los escucho, y aprendo de ellos." Die Vermutung des Lesers, das folgende dramatische Crescendo würde dementsprechend nur durch den Konflikt zwischen Vernunft und Fanatismus angetrieben, wird nun vom Autor Schritt für Schritt erschüttert. Zuerst erfahren wir, daß der anfängliche Verdacht der Zofe doch nicht völlig unbegründet war: Die Condesa liebt den Mauren. Und als dieser davon überzeugt ist, daß seinen Friedensambitionen - die aus der Sicht des christlichen Protagonisten nur taktischen Überlegungen geschuldet sind - kein Erfolg beschieden ist, macht sie sich sogar zum willigen Werkzeug ihres Liebhabers (ebd.: 56): „Pues bien, moro, / habla: ¿qué quieres de mi amor? responde; / cuanto quieras haré, porque te adoro." Die Antwort von Hissem-Alamar läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Abre un sepulcro." Bestimmt ist das Grab für ihren Sohn, den sie, so der teuflische Plan des Mauren, noch am nächsten Tag vergiften soll. An dieser Stelle bringt der Autor nun zwei jüdische Figuren ins Spiel, denen er gewissermaßen die Rolle seelischer Giftmischer zuweist: Der in astrologischen Dingen versierte Rabi Simuel und sein Gehilfe Elias sollen die Condesa, die ob der Ungeheuerlichkeit des Mordplanes noch von Gewissensbissen geplagt wird, mit Hilfe eines von Hissem bestellten Horoskops von der Notwendigkeit und schicksalhaften Unausweichlichkeit der geplanten Ermordung überzeugen (ebd.: 61): „Mañana pues, al despuntar del alba, / baja a la gruta en que Simuel habita: / [...] y el fatal porvenir que nadie evita, / a tus ojos pondrá el israelita." Die Gräfin, von den Fähigkeiten in Sachen „negros conjuros" des Juden völlig überzeugt, ist bereit, sich den Ergebnissen des inszenierten Mummenschanzes zu beugen. Die Charakterisierung der beiden jüdischen Figuren folgt dabei ganz dem Schnittmuster plumpster Judenklischees, wie sie von den Horden fanatisierter Bettelmönche des Mittelalters propagiert worden sind. Etwa das folgende „Bühnenbild" (ebd.: 58), das den Arbeitsplatz eines dämonischen Chiromanten suggeriert: „Subterráneo que sirve de habitación y laboratorio al rabino Simuel Benjamín. En medio un altarcillo o pira destinada a sacrificios y ceremonias paganas. Un velador triangular con pafio negro, sobre el cual hay pergaminos e instrumentos de matemáticas y astronomía. Momias egipcias, cuadrúpedos y volátiles disecados. Un esqueleto humano. Vasos sepulcrales antiguos. Un relosí de arena. Entrada en el fondo. Secreta a la derecha; idem a la izquierda. Elias aparece."

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In einem kurz darauf folgenden Selbstgespräch (ebd.: 86 f.) gibt er dem Publikum zudem seine dunklen Motive preis: „mis esperanzas [...] de ambición y de riqueza", die ihm, so hofft er, „el altar de la ciencia" erfüllen werden. So nimmt es nicht wunder, wenn der titelgebende Held, der dem Intriganten mit Hilfe seines treu ergebenen Dieners inzwischen auf die Schliche gekommen ist, in ,präunamunianischer' Pose die Wissenschaft als jüdisch-maurisches Teufelswerk verflucht (ebd.: 94): „¡Ciencia! ¿a perros tan villanos / abrirá Dios sus tesoros? / Dará a judíos y a moros / lo que niega a los cristianos? / No, imposible: en la traición / son sabios, Sancho, no más; / la ciencia de Satanás / abriga su corazón." Die moralische Demontage von Sancho Garcías jüdisch-maurischen Gegenspielern ist damit indes noch lange nicht beendet. Ließ sich ihr Treiben, wenn auch nur partiell, bisher damit rechtfertigen, daß sie nur ihrer Vertreibung zuvorkommen wollten, enthüllt der Autor nun ihre wahren Absichten: Die beiden Minderheiten, allen voran die Mauren, streben die politische Herrschaft an: „¿Y será Burgos ...?", fragt Simuel seinen maurischen Auftraggeber (ebd.: 105), der ihm unverblümt antwortet: „Mi reino, / donde los tuyos tendrán / templos y tierra segura, / y comercio y libertad. / (Sabedor de mi secreto", fügt er freilich von diesem ungehört hinzu, „muy pronto te enterrarán.)" Was für ein skrupelloser Schuft, scheint der Autor zu suggerieren, ist doch der maurische Ränkeschmied! Dazu paßt auch, daß er es selber war, wie wenig später deutlich wird (ebd.: 124), der den Vater des Titelhelden getötet hat, noch dazu auf Betreiben seiner eigenen Frau! Nun erpreßt er sie obendrein mit Hilfe eines Briefes, der sie als Auftraggeberin des Mordes belastet. Letzte Bedenken, nun auch ihren Sohn zu vergiften, kann er damit zerstreuen. Auch das Gift steht bereits zur Verfügung - es stammt (ebd.: 127), wie könnte es anders sein, von dem jüdischen Chiromanten Simuel! Doch zum Schluß kommt alles ganz anders: Das Gute, der junge Conde Sancho García, kann mit Hilfe seines treuen Dieners die Mächte der Finsternis besiegen. In die Enge getrieben, ist es schließlich der Maure selber, der (immerhin mit einer gewissen Würde38) den Giftbecher leert und damit sein verdientes

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Dies ist denn auch die einzige Stelle (ebd.: 179 f.), an der die Motive von Hissem eine gewisse Plausibilität erkennen lassen: „Mi padre, mis hermanos, mis amigos / cayeron al furor de tu cuchilla / en buena lid, cual nobles enemigos, / de cara a los pendones de Castilla. / Cuanto adoré me lo arrancó tu guerra, / padre, amor, amistad [...] y otra esperanza / no quedándome ya sobre la tierra, / abrasóme la sed de la venganza."

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Schicksal findet - und mit ihm, so darf man vermuten, „la gente mora, / raza salvaje", wie der christliche Held am Ende (ebd.: 165) sein Anfangscredo bekräftigt. Nun allerdings in der Rolle eines Mannes, dessen Groll auf Mauren und Juden vollauf verständlich und legitim anmutet, unter Einschluß seiner kriegerischen Philosophie: Während seine Mutter ihn zu animieren versucht, den bereitgestellten Giftbecher zu leeren, macht sie (ebd.: 164) ihm erneut diese Gesinnung zum Vorwurf („Siempre es la guerra tu primer deseo"); ihre vermeintliche Friedensliebe, die am Anfang noch als sympathisch-vernünftiges Credo erschien, wird nun auch dem letzten Leser als scheinheiliger Prätext verruchter Machinationen vor Augen gefuhrt. Die Ungeheuerlichkeit des versuchten Verbrechens, „que una noble castellana / quiso al hijo matar de ella nacido", wird vom Protagonisten (ebd.: 192 f.) zum Schluß zwar auch mit einer allgemeinen „fragilidad [...] de nuestra raza humana" erklärt. Deren übelste Vertreter, daran läßt das Stück nicht den geringsten Zweifel, sind aber die bösen Mauren und Juden, gegen die er (ebd.: 197) nun mit um so größerer Inbrunst ins Feld zieht: „¡Mi lanza y mi caballo! / Mi fortuna a arrostrar con entera / y a morir con honor pronto me hallo ..." Die Kollektion antisemitischer Klischees, die Zorrilla in seinem Œuvre angesammelt hat, ist damit noch lange nicht vollständig. Zu den reichen, geldversessenen Wucherern, die in seiner Sammlung dominieren, und den skrupellosen Mordwerkzeugen in Sancho Garcia, gesellt sich in El zapatero y el rey der typische Konspirateur, noch dazu ein ziemlich feiges Exemplar. In diesem 1840 uraufgefuhrten Theaterstück, das eine weitgehend erfundene politische Konspiration aus dem 14. Jahrhundert zum Gegenstand hat - Don Enrique gegen Don Pedro - , stellt der „poeta nacional", wie er sich auch selber gern sah (Picoche 1980: 47), sowohl seine reaktionär-absolutistische Gesinnung als auch sein antisemitisches Credo unter Beweis.39 In dem aus zwei Teilen und insgesamt acht Akten bestehenden Stück ist für die vorliegende Untersuchung vor allem der letzte von Interesse. Das ausgedehnte und verworrene Intrigengeflecht, die größtenteils fiktive Personenpalette und die allgemein historischen Bezüge -

39

Nach Ansicht von Picoche (ebd.: 45), dem Herausgeber der hier verwendeten Edition, verfolgt die Bearbeitung des historischen Stoffs vor allem zeitgenössische Ambitionen, nämlich einen zutiefst anachronistischen Lobgesang auf den Absolutismus von Fernando VII., der bereits sieben Jahre vor der Uraufführung des Stücks gestorben war. Gleichzeitig diene es der fremdenfeindlichen, vor allem antifranzösischen Propaganda (ebd.: 47): „¿Por qué es despreciable Don Enrique? Por rebelarse contra su rey, es cierto, pero más que todo por solicitar la ayuda del extranjero."

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ebenfalls eine M i s c h u n g aus Realität und Fiktion - können dagegen weitgehend vernachlässigt werden. In diesem Stück k o m m t der Antisemitismus Zorrillas ausschließlich in der Person von Samuel z u m Ausdruck, d e m Schatzmeister Don Pedros. Er ist einer der Drahtzieher der Konspiration gegen seinen König, und wie seine anfängliche Z u r ü c k h a l t u n g ' demonstrieren soll, obendrein ein feiger Charakter. 4 0 A u f die Frage von Don Juan, einem der Konspirateure, was er denn befürchte, antwortet er (1980: 113) ängstlich: „ N a d a en resumen: / mas soy viejo, odio el rencor, / y para matar cristianos, / Don Juan, no conspiro yo." Die Aussicht auf einen saftigen G e w i n n stimmt den zunächst wankelmütigen Juden j e d o c h schon bald um. Mit Hilfe der Granadiner M a u r e n - auch sie k o m m e n in d e m Stück ziemlich schlecht weg 4 1 - h o f f t er (ebd.: 135), seinen Intrigenplan z u m Erfolg zu fuhren: „En el m o r o al fin trendré / quien m e ayude en un azar, / (y un escondido lugar / donde el tesoro pondré.)" So viel Charakterlosigkeit ist selbst den ansonsten in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlichen Mitkonspirateuren zuwider: „ A m b i ciosos miserables", dehnt e t w a Don Juan sein Verdikt auf alle Juden aus (ebd.: 135), „cuyas m a n o s insaciables / van siempre del oro en pos." 4 2 V o r diesem Hintergrund n i m m t es schließlich nicht wunder, daß Samuel, n a c h d e m D o n Pedro von der Konspiration erfahren hat, der einzige aus d e m Kreis der Beteiligten ist, den der König mit d e m T o d e bestraft (ebd.: 205): „Samuel, hallaste al león [den Henker, N.R.] / y es fuerza echarle una presa." 4 3 Die eigentlichen Hauptdrahtzieher des Komplotts müssen dagegen nur den königlichen Zorn über sich ergehen lassen: „Vosotros, canalla vil, / turba cobarde é ingrata, / que conspiráis de reata / en m u c h e d u m b r e servil, / id, por necios os perdono". Reich und geldgierig, skrupellos und intrigant - in Zorrillas antisemitischem Panoptikum fehlt noch ein Exponat, das seine S a m m l u n g wohl

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Der Herausgeber der vorliegenden Edition weist daraufhin (ebd.: 112), daß der historische Samuel Levi ein mutiger Mann gewesen sei und seinem Herrn stets treu gedient habe, also nie in eine Konspiration gegen Don Pedro verwickelt gewesen sei! Auch hier ist es sicher kein Zufall, daß Zorrilla die historische Wahrheit fiktionalisiert: „Mohamed de Granada", schreibt der Herausgeber (ebd.: 38), „no conspiró nunca contra don Pedro y fue su aliado más fiel." Gleiches gilt nach Ansicht desselben Autors (ebd.: 144) für den authentischen Samuel Levi: „no hizo nunca semejantes pactos con los moros." Die kulturelle Ausgrenzung des Hofjuden aus der .nationalen' Gemeinschaft erfolgt obendrein durch das Bühnenbild: So spielt der dritte Akt (ebd.: 138) im „Gabinete oriental [!] en casa de Samuel Levi". Zu dieser Szene schreibt der Herausgeber zu Recht (ebd.): „Zorrilla halaga el antisemitismo de muchos espectadores."

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macht: die Christusmörderlegende. Seine reaktionäre Gesinnung, die sich hauptsächlich aus erzkatholischen Überzeugungen speiste, ließ eine solche Legende geradezu erwarten. Er hat sein Publikum denn auch nicht damit verschont. Eine eher moderate Version enthält seine dramatische Bearbeitung des Maria-Stoffes. Dort (1943: I, 1006) hält er der „raza hebrea" lediglich vor, Gottes Sohn verkannt zu haben: „¡Mísero pueblo de Judá! - delante / de ti tuviste a tu rey: le vistes / ir entre palmas a Belén triunfante, / y ¡oh multitud imbécil! tú, ignorante, / al rey libertador no conocistes. // ¡Mísero pueblo de Judá! En tus ojos / tu avaricia febril puso una venda". Trotz aller Schmähvokabeln, mit denen er die „Blindheit" der Juden hier diffamiert, fallt die Attacke aber noch zurückhaltend aus: Auf den Gottesmörder-Vorwurf hat der Anwalt des christlichen „Befreiungskönigs"

noch verzichtet. Das holte er mit seinem Pilatusstück, „drama

religioso-fantástico", indessen nach. Hier nun stehen die Juden wegen des schlimmsten Verbrechens vor seinem literarischen Gericht - und werden in der Tat auf „phantastische" Weise schuldig gesprochen. Oberster Repräsentant der Jerusalemer Juden ist Isaac, ein langjähriger Freund des römischen Statthalters, der von diesem die Eliminierung Jesus' fordert und dabei keinen Zweifel läßt (1943: II 1651), für wen er spricht: „y ten presente / que la teocracia judía / te hable por la boca mía." Gleichzeitig fordert er von Pilatus die Hand Fidelas, einer jungen schönen Frau, die im Hause des Römers lebt. Beides lehnt der Statthalter zunächst entschieden ab - er hält die „Verbrechen", die der Jude Jesus zur Last legt, für völlig übertrieben: „Esa es cuestión de doctrina / nada más, no es un delito. [...] ¡Hipócritas fariseos! / Su crimen es que os conoce." Über die Gründe, die einer Heirat mit Fidela im Wege stehen, schweigt er (ebd.: 1648) sich vielsagend aus: „Es un secreto de familia." Die Entschiedenheit, mit der Pilatus die beiden Forderungen Isaacs zurückweist, stacheln dessen Begehrlichkeiten jedoch noch mehr an und lassen zugleich seinen Haß auf Christus und dessen Gefolgsleute anwachsen. Denn auch Fidela, die zusammen mit Pilatus' Frau den Predigten des „Aufrührers" mit dem Plazet des Statthalters beigewohnt hat, gehört inzwischen zu den überzeugten Christen - der entscheidende Grund, weshalb auch sie das Liebeswerben Isaacs zurückweist. Als auch der ökonomische Köder - „Tengo un inmenso tesoro" (ebd.: 1654) - nicht verfängt, droht er (ebd.: 1655) auch ihr: „Te he dicho que soy / en Judea omnipotente: / o amor ... u odio ... prevente; mi poder vas a ver hoy." Tatsächlich macht der abgewiesene Liebhaber, dessen Liebesfrustrationen seinen Haß auf Jesus erst richtig beflügeln, seine Drohung umgehend wahr: Mit Hilfe gefälschter Beschuldigungen erwirkt er einen Haftbefehl, den er Pilatus zur

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Unterschrift vorlegt. Der zeigt sich zwar (ebd.: 1656) wütend und empört - „¡Ah, víbora! Esa [la alta traición] me urdiste?" - , gibt aber schließlich aus Angst vor einem Aufstand der Jerusalemer Juden den Isaac anzuzetteln droht, klein bei. Schon kurz darauf ist die Kreuzigung beschlossene Sache, Isaac, „con feroz sonrisa" (ebd.: 1657), fühlt sich als Sieger, Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld: „Me hicisteis condenarle, y va al suplicio / sin culpa ante la ley de los romanos, / criminal solamente en vuestro juicio: / los responsables sois de sacrificio / tan cruel; yo limpias de él tengo las manos." Tatsächlich erscheint der römische Statthalter als moralisch integerer Hüter von Recht und Gesetz, der lediglich aus Gründen einer übergeordneten Staatsraison der Erpressung des Juden nachgibt. Von ohnmächtiger Wut erfüllt (ebd.: 1660), macht er diesem unter vier Augen wenigstens moralisch den Prozeß: „¿Qué te ha hecho a ti Jesucristo? / Por qué arrastrar su doctrina / a tal extremo, no pudo / el coraje tan sañudo / del odio que te domina. / Porque ¡por los santos dioses / de Roma! Tu religión / sólo es de odio y rebelión escuela." Und als ob es noch eines Beweises bedurft hätte, daß sich der Haß des Juden, „que a su maldita raza representa" (ebd.: 1661), aus besonders niederträchtigen Motiven nährt, gibt dieser auch selber zu, daß es vor allem seine Liebesfrustrationen sind, die ihn zu seinen „monströsen" Taten bewegen: „Has dejado / a Fidelia ir sus homilías / a oir, y de las familias / la paz y unión han minado / sus doctrinas; y los seres / más débiles seduciendo / con ellas, se ha ido atrayendo / los niños y las mujeres. / Todos le aman." So wird der teuflische Plan, von dem obersten Führer der „rasa vil" (ebd.: 1661) ausgeheckt, in die Tat umgesetzt - die Bestrafung des ruchlosen Intriganten folgt indessen auf dem Fuße. Jesus persönlich prophezeit ihm (ebd.: 1667) auf dem Wege zur Kreuzigung das ewige Schicksal der Juden: „Yo al fin descansaré; mas tú sin tregua / marcharás ni descanso, y sin que patria, / ni bandera, ni hogar, ni aun sombra tengas." Die Prophezeiung, von Pilatus zu Recht als „Fluch" interpretiert, geht fast augenblicklich in Erfüllung: In der Todesstunde des „Gottessohnes" bebt die Erde, Blitz und Donner versetzen die Menge in Angst und Schrecken, und Isaac erkennt plötzlich die ganze Tragweite seines Verbrechens: „Ya no hay más dioses que El, y a la hora de esta, / ya no hay Dios para mi, ni lo hay tampoco / para ti: le hemos muerto: nos gotea / su sangre de las manos." t a t s ä c h l i c h ' , so die Regieanweisung, sind seine Hände voller Blut... Das „phantastische" Drama, wie Zorrilla im Untertitel schrieb, ist damit indes noch nicht zu Ende. In einem Nachspiel, es ist in Tarragona angesiedelt, wo Pilatus in der Verbannung lebt, treffen sich die Protagonisten des blutigen

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Geschehens einige Jahre später wieder - unter genau so „phantastischen" Umständen. Isaac, einem Dämon gleich, steigt aus den Fluten des Mittelmeers und versetzt seine Zuhörer, unter ihnen auch Fidela, mit einem satanischen Sermon (ebd.: 1676 f.) in Angst und Schrecken: „Yo soy, Isaac ... y estremeceos. / Yo soy la encarnación, la alegoría / viva y corpórea soy de los hebreos [...] desesperado voy, no arrepentido [...] tengo de Dios la vida por castigo [...] símbolo yo de la nación judía, / tú de la torpe ceguedad pagana [...] he cumplido / y prefiero inspirarte en mi venganza / la desesperación, no la esperanza." Das Hauptmotiv seines plötzlichen Erscheinens ist jedoch noch immer persönlicher Natur er ist nun wild entschlossen, Fidela mitzunehmen, auch mit Gewalt. Nun sieht sich Pilatus gezwungen, das „Familiengeheimnis" zu lüften: Fidela ist seine Halbschwester, die seine Mutter mit einem jüdischen Sklaven, Isaacs Vater, einst zeugte. Die familiären Bande, die den Heiden Pilatus und den Juden Isaac einen, sind, man ahnt es bereits, zutiefst symbolisch gemeint: Beide, Römer und Jude, sind Gottesmörder. Der Beweis, den die Regieanweisung präsentiert (ebd.: 1678), läßt Isaac frohlocken: „¡Aún buscas subterfugios vanos! / Tú le mataste: mírate las manos (Pilatos se las mira: están rojas)." Von der Last seines Gewissens erdrückt und von Isaac angestachelt, stürzt er sich vom Fenster seines Hauses aus ins Meer. Isaac, wie könnte es anders sein, betrachtet den Selbstmord seines Halbbruders „con la expresión de alegría satánica". Als er sich vergewissern will, ob sein Kontrahent auch wirklich ertrunken ist, versperrt ihm Fidela den Weg, die Szenerie (ebd.: 1679) gleicht einem Frankensteinfilm: „extiende los brazos [...] su sombra traza una cruz en la pared. Isaac retrocede espantado. ¡La cruz!" Überzeugt, daß das langjährige Objekt seiner Begierde tatsächlich seine Schwester ist, appelliert er nun an deren schwesterliche Gefühle. Doch die bleibt unerbittlich: „¡Tú de nadie eres ya hermano! [...] ¡Marcha, maldito! / ¡El mundo por la cruz será cristiano!" Mit diesem Fluch, der allen Juden gilt, endet das antisemitische Hetzstück. Der Untertitel, „drama religioso fantástico", hat nicht zuviel versprochen ...

7. Intellektueller Souffleur des Karlismus mit philosemitischem Intermezzo: Francisco Navarro Villoslada

Die dämonisierten Judengestalten, die Zorrilla kreierte, dürften Francisco Navarro Villoslada (1818-1895) vermutlich erschreckt haben - zumindest in den Anfangsjahren seiner literarischen Karriere. Der heutzutage kaum noch bekannte

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Journalist, Politiker und Romancier, der von liberalen Ideen in jugendlichen Jahren zu einem glühenden Ideologen des Karlismus konvertierte, ist hier vor allem aus einem Grund von Interesse: Aus seiner Feder stammt einer der wenigen historischen Romane, der sich mit Fug und Recht als philosemitisch bezeichnen läßt. Die klare Parteinahme für die mittelalterlichen Juden, die fast den gesamten Roman durchzieht, stellt freilich nur ein kurzes Intermezzo dar, wohl eine Art liberaler Jugendsünde, die durch die ausgesprochen reaktionären und rassistischen Ideen, die schon bald auf dieses Intermezzo folgten, mehr als wettgemacht wird. Danach ging es dem orthodoxen Katholiken und Troubadour des baskischen Rassenadels, der trotz seiner Tendenz zur Weitschweifigkeit stilistische Meriten besaß, vor allem darum, „el fondo del carácter nacional" (1992: I, 387) auszuloten. Und auf dessen Grunde, das illustrieren seine kulturhistorischen Essays und Romane, hatten Juden und Mauren nichts zu suchen. Der nationale Urgrund Spaniens, daran ließ Navarro Villoslada nicht die Spur eines Zweifels, war das Christentum, natürlich nur in seiner katholischen Version. Denn auch den Protestantismus stufte er (1992: III, 435) als „falsche Religion" ein, oder, wenn ein besonders militanter Glaubenseifer ihm die Feder führte (ebd.: 457), als „la herejía de las herejías". Ganz anders dagegen das katholische Glaubensoriginal, jene „gota de purísimo bálsamo" (ebd.: 399 f.), das sich „ohne Gewalt und Drohungen" über die Erde verbreitet hätte: „Jesucristo encontró el mundo huérfano de virtudes y creencias, y revolcado en el torpe regazo de la sensualidad". Der Siegeszug des Christentums als einzig wahrer Religion konnte im übrigen, versichert der literarische Prediger (ebd.: 436), gar nicht anders als friedlich verlaufen: „Todo cristiano conoce el Ser, la Verdad y el Bien, y aunque los conozca por la revelación, cuyas verdades no son siempre evidentes, comprende la evidencia de los motivos de la fe, y por consiguiente, su fe es racional y tiene fundamento filosófico." Grund genug, einem Dauervorwurf der europäischen Spanienkritik, der inzwischen auch im eigenen Lande auf offene Ohren treffe, den argumentativen Wind aus den Segeln zu nehmen. Weit davon entfernt, durch die Schuld der Inquisition zu einem Land von Obskuranten und Fanatikern geworden zu sein, sei Spanien, und das nicht trotz, sondern wegen der Inquisition zu einem europäischen Musterland geworden: „el pueblo español", lautet das Ergebnis seiner religionsgeschichtlichen Generalinventur (ebd.: 441), „es más adulto en su vida intelectual que el pueblo francés, inglés, alemán e italiano." Daß dem so war, dafür reiche bereits ein Blick auf die „portentosos conocimientos en teología" (ebd.: 436), über die das spanische Volk in den an-

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geblich finsteren Zeiten der Inquisition stets verfügt habe - Kenntnisse, die „las principales verdades filosóficas" selbstverständlich mit eingeschlossen hätten. Am sichtbarsten nehme der segensreiche Einfluß der völlig zu Unrecht verleumdeten Religionswächter in der Sprache Gestalt an. In der „glorreichen Epoche" (ebd.: 443) von Carlos V., Felipe II. und Felipe III. sei die Entwicklung der spanischen Sprache von der „katholischen Institution" nicht nur nicht behindert worden - erst die Zensoren des Heiligen Offiziums, so die besonders denkwürdige Apologetik Navarro Villosladas (ebd.: 444 f.), habe zu jener „precisión y gallardía del idioma" geführt, die das Spanische zu einem sprachlichen Edelwerkzeug gemacht hätten: „Libros, en efecto, que se sometían a la censura eclesiástica, no podían [sie] pasar sin corrección y expurgo, si el censor veía en ellos algo que ofendiese a la moral y a las costumbres. [...] ¿No se está aquí viendo la influencia directa, positiva e inmediata del Santo Oficio en el pulimento y perfección del habla castellana?" Und was für die Sprache gelte, gelte nicht minder für den Inhalt (ebd.: 448), den sie zum Ausdruck brachte: „debido en gran parte al Santo Oficio, hemos descubierto los tesoros intelectuales de nuestro pueblo". War von einem solchen Autor, der die Verfolgungsmaschinerie des „falschen Glaubens" mit der Aureole des kulturellen Fortschritts schmückte, tatsächlich ein judenfreundlicher Roman zu erwarten? Und doch hat er mit Doña Blanca de Navarra. Crónica del siglo XV 1848 einen ebensolchen publiziert. Den thematischen Mittelpunkt des voluminösen (knapp siebenhundert eng bedruckte Seiten!), aber durchaus anregend geschriebenen historischen Romans bilden zwar die Machtintrigen einer skrupellosen Adelsclique in Navarra in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts; der Protagonist ist gleichwohl ein durchweg positiv charakterisierter Jude. Dieser entpuppt sich zwar im Verlauf der Erzählung als Sohn eines christlichen Edelmannes; der positiven Einstellung des Autors zu den meisten jüdischen Personen des Romans tut diese Tatsache indes keinen Abbruch: Von einer Ausnahme abgesehen, erweist sich Navarro Villoslada hier überwiegend als Philosemit. Der - stellenweise reichlich melodramatische - Handlungsrahmen besteht im ersten Teil aus der romantischen Liebesbeziehung (bzw. ihrem Scheitern) zwischen dem jungen Juden Jimeno und Doña Blanca, Anwärterin auf den Thron des Königreiches, die aber von ihrer intriganten, machtbesessenen Schwester Leonor, die selber Königin werden möchte, entführt und schließlich vergiftet wird. Bis es dazu kommt, schildert der Autor die überaus zahlreichen Peripetien des Protagonisten bei seinem Bemühen, die Geliebte zu finden und zu retten. Im zweiten Teil, inzwischen sind 15 Jahre vergangen, kehrt Jimeno, von Rache-

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gedanken gegen die mittlerweile zur Königin gekrönte Doña Leonor beseelt, von einem langen Auslandsaufenthalt nach Navarra zurück. Nach zahlreichen dramatischen Begebenheiten siegt schließlich das Gute, das, so die zentrale Botschaft des Romans, durch göttliche - christliche - Vorsehung eintritt. Neben einem recht gelungenen Einblick in die Kabalen des navarresischen Adels und in die gesellschaftlichen Veränderungen am Vorabend des Absolutismus, 44 bricht der Erzähler vor allem eine Lanze für die jüdische Bevölkerung Navarras, speziell in der Person des jungen Jimeno, aber auch in Gestalt einiger Nebenfiguren, deren Charakterisierung fast als projüdisches Plädoyer avant la lettre verstanden werden muß. Die scheinbar unproblematische Convivencia von Juden und Christen im Geburtsdorf des Protagonisten findet zunächst als eher beiläufige Selbstverständlichkeit Erwähnung (1904: 6): „Contaba en aquella época la muy noble villa de Mendavia cosa de ochenta y dos vecinos cristianos y algunos judíos". Die religiösen Grenzen, scheint der Erzähler (ebd.: 11) mit leichter Ironie anzudeuten, sind indes nicht sonderlich starr: Als eine unbekannte Schöne, die sich später als Doña Blanca erweist, in dem Dorf vor ihrer tyrannischen Schwester Zuflucht sucht, konvertiert Jimeno aus Liebe zu ihr kurzerhand zum Christentum. Der „humilde judío" (ebd.: 21), „hijo del judío Samuel" (ebd.: 28), der ein „dulce y hermoso rostro" (ebd.: 45) besitzt, hat zudem eine Tante - Raquel

die der Erzähler (ebd.: 57) mit besonderem Mitge-

fühl und großer Sympathie beschreibt: „En su vida errante ha sufrido insultos, privaciones y martirios". Von ihrer Umwelt als „hechicera" diffamiert, ist sie jedoch in Wirklichkeit, so Doña Blanca, die von ihr aufgezogen wurde, eine echte Wohltäterin: „no podéis figuraros - cuánta bondad, cuanta ternura descubrí en el fondo de su alma, que, amantada con la hiél de la descracia, todavía se conservaba pura, fresca y respirando generosidad y dulcedumbre". Neben dem ,Halbjuden' Jimeno ist „mi buena madre Raquel, que así debo llamarla" (ebd.: 206), so Doña Blanca, eine der prononciert positiven Juden-Gestalten des Romans. Ein inniges Verhältnis zu der jüdischen Familie, in der er als verschmähter Bastard eines Edelmannes aufgewachsen ist und im jüdischen Glauben erzogen wurde, behält auch Jimeno bei, selbst nachdem er von seiner noblen Herkunft erfahren hat. Besonders augenfällig, wenn auch reichlich melodramatisch, kommt diese noble Haltung in der Beziehung zu seinem jüdischen Adoptivvater 44

Z. B. (ebd.: 412): „el siglo que va tragándose los feudos, los pequeños Estados, para fundir con ellos esas grandes Monarquías, ese mundo nuevo que ha de salir del caos de la edad pasada".

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zum Ausdruck, der, nach einem kurzen Intermezzo in Teil eins, erst wieder im zweiten Teil in Erscheinung tritt, und zwar auf eine Weise, die zunächst den schlimmsten Judenklischees zu entsprechen scheint (ebd.: 290): „Aquel agote era un anciano venerable, de blanca barba y cabellera, negros y hundidos ojos, nariz larga y corva, mejillas pálidas y prominentes, tipo de una raza, si no tan abyecta como la de los agotes, perseguida también y bárbaramente sacrificada, sobre todo por los vecinos de Estella, que de un siglo atrás tenían la fama de ser sus más implacables enemigos. En una palabra: tenía aquel desdichado la doble mancha de judío y de leproso." Eskaliert diese Krankheit, etwa bei Pardo Bazán, zum Non plus ultra eines unauslöschlichen Kainsmals der Jüdischen Rasse", dient sie dem Autor von Doña Blanca de Navarra (ebd.: 549) als pathetische Affirmation der Zuneigung des eigentlich christlich-adligen Sohnes zu seinem jüdischen Adoptivvater: „-¿Sabéis quién soy? - El hijo del Rey de Nápoles - Pues yo os digo, Samuel, que no tengo otro padre que vos." Im übrigen entmystifiziert der Autor (ebd.: 284) die vermeintlich göttliche Herkunft der Krankheit. Er erwähnt zwar die absurde Vorstellung eines „visible castigo de Dios por pecados propios ó de linaje", säkularisiert ihre Ursachen aber gewissermaßen, wenn er sie auf Personen reduziert, „cuyos ascendientes habían sido atacados de la lepra, ó de aquellos que sin transmisión hereditaria la adquirían por contagio, por miseria y uso de alimentos malsanos, harto común en épocas de hambres periódicas, de guerras interminables." Der Nachdruck, mit der Navarro Villoslada die christlich-jüdischen Beziehungen als zutiefst humanes und vorbildliches Miteinander exemplifiziert, kommt auch in dem folgenden Dialogfragment (ebd.: 175 f.) zwischen Jimeno und Doña Blanca zum Ausdruck, als beide noch nichts von der königlichen Abstammung des Protagonisten wissen: „¡Señora! dadme permiso para salvaros. ¡Oh! sí: tú eres mi único amigo, y debo acogerme á tus brazos. - Pero advertid que son mis brazos los del hijo de un judío. - Son los brazos de Jimeno." Als dezidierte Philosemitin erweist sich schließlich auch Inés, eine weitere positive Zentralgestalt im Umkreis des Protagonisten, die (ebd.: 451) gegenüber Jimenos Adoptivvater bekennt: „No sabéis, le dijo Inés, cuántos favores debo yo á vuestros hermanos los judíos, á cuyas principales aljamas me dejó recomendada una hebrea, que ha sido para mí segunda madre: tendidos vosotros como una red de oro sobre la faz de la tierra, he podido conseguir con vuestro auxilio que nunca echase de menos mi brazo una persona á quien yo debía proteger, donde quiera que se hallase."

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Als eingefleischte Judenhasser figurieren demgegenüber die negativ konnotierten Romanpersonen, vor allem die machtbesessene Königin und skrupellose Giftmischerin, die Jimeno als „hijo de un miserable judío" (ebd.: 198) oder (ebd.: 659) als „descendiente de tan inmunda raza" beschimpft. Neben sonstigen Intriganten der navarresischen Adelskaste, die (ebd.: 627) von „esos perros judíos" sprechen, ist es interessanterweise (wegen des christlichen Credos des Autors) ein ziemlich ungebildeter und grober fraile, der wiederholt (ebd.: 376), und stets mit ironischen Kommentaren des Allwissenden Erzählers oder positiver Romanfiguren versehen, die „Gefahren" der Convivencia beschwört, zu denen er auch die Mauren zählt: „Señores, yo no puedo mirar la guerra sino como un azote de Dios por nuestros propios pecados, y he considerado que, apartando de nosotros los pecadores, que son los agotes, los moros45 y los judíos". Die Kritik an den bornierten Judenhetzern durchzieht im übrigen den gesamten Roman. Etwa die Bemerkung der alten Jüdin Raquel (ebd.: 210), „[que] todos los de nuestra raza suelen ser injustamente tratados por los cristianos"; oder der Hinweis (ebd.: 293), „que no hay tempestad más terrible, ni más desatada y desastrosa fiera que un pueblo irritado [...] que había dado el ejemplo de asaltar una noche el magnífico barrio de los judíos para degollar á sus moradores". In dem insgesamt außerordentlich judenfreundlichen Panorama des Romans, kommt zwar die Convivencia-Thematik in ihrer kulturellen Komplexität kaum zur Sprache, dafür um so mehr ein christlich motiviertes Toleranzgebot - dieses Panorama wird indes durch mindestens zwei Aspekte getrübt. Einerseits durch das wiederholt präsentierte Klischee der „reichen Juden", das zwar in Gestalt von Jimenos Adoptiveltern ad absurdum gefuhrt wird, aber dennoch als allgemeine Behauptung durch die Romanseiten geistert. Beispielsweise das bereits zitierte „red de oro", das die Juden über die Erde gespannt hätten, oder (ebd.: 296) „los inmensos tesoros que dedicaban éstos [die Juden, N.R.] al comercio". Zu dieser Kategorie stereotypisierter Eigenschaften gehört auch die -

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In der schon fast „klassischen" Dichotomie, wenn auch hier umgekehrt, treten diese durchweg negativ in Erscheinung. Etwa (ebd.: 99) als „descreídas turbas de los moros de Granada", so der allwissende Erzähler; oder als Ansporn zukünftiger Heldentaten des jüdisch-christlichen Protagonisten (ebd.: 691 f.): „en Granada, á donde me parto, seré un soldado cristiano, que morirá muy presto peleando contra los enemigos de nuestra Santa Religión."

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wohlmeinende - Entgegnung (ebd.: 377) auf die Ansichten des zitierten fraile: „¿Y si expulsamos á los judíos, quién nos prestará dinero en adelante?" In Gestalt des Hofjuden Jehu, Leibarzt der dämonischen Königin Leonor, hat der Autor gegen Ende des Romans dieses Klischee auch in einem besonders finsteren Abdruck personifiziert. Luzifer selbst, scheint Navarro Villoslada zu suggerieren, verbirgt sich (ebd.: 563) hinter der Fratze mit der unverzichtbaren „nariz aguileña": „pasiones [...] vulgares", „avaricia" und skrupellose Giftmischerei, immerhin ,nur' auf Betreiben der Königin, rufen bei Jimeno (ebd.: 606) ein „estremecimiento" hervor. So ist es kein Wunder, wenn diese jüdische Schreckensgestalt zu guter Letzt .standesgemäß' zu Tode kommt, nämlich inmitten ihrer zusammengeschacherten Reichtümer. Zur .Verteidigung' dieses Juden läßt sich wenigstens anftihren, daß er lediglich als Instrument der nicht minder verruchten Königin fungiert und seine Raffgier einen .politischen' Hintergrund besitzt: „¡Nuestros hermanos sufren tan crueles persecuciones!", legt ihm der Autor (ebd.: 607) in den Mund, „¡se ven tan oprimidos y vejados!" So entsteht auf den letzten hundert Seiten des Romans der Eindruck, daß der Autor Angst vor seiner eigenen Courage bekam. Jedenfalls zieht er hier sämtliche Register der antijüdischen Schmähliteratur, wie sie Quevedo sicherlich gefallen hätten. Hätte Navarro Villoslada auf diese .nachgeschobene' Dämonengestalt verzichtet, wäre er als einer der wenigen spanischen Autoren in die Literaturgeschichte eingegangen, die einen judenfreundlichen Roman geschrieben haben. So gilt der folgende Satz aus dem Roman (ebd.: 166) nur eingeschränkt für diesen selbst: „la exactitud histórica nos obliga á confesar que en la ocasión presente tanta verdad dijeron los hijos de Reyes, como el hijo de un judío." Von solchen Ansichten, die im Umkreis der Romantik geradezu spektakulär anmuten, ist der Autor jedoch schon bald entschieden abgerückt. Ob dabei seine Konversion zum politischen Karlismus den Ausschlag gab oder ob der erzkatholische Traditionalismus seiner Familie ihn eingeholt hat, ist zwar nicht mit Sicherheit zu sagen. Auf jeden Fall haben die Juden, die er in seinem historischen Roman Anaya y los vascos en el siglo VIII von 1879 präsentiert, nichts mehr mit den überwiegend positiv gezeichneten Gestalten von Doña Blanca de Navarra zu tun. Das ist wenigstens insoweit kohärent, als sich Navarro Villoslada nun vor allem für die ,rassische Reinheit' seiner Heimatregion interessiert, nämlich (1992: VI, 9) für jene „aborígenes del Pirineo occidental donde anidan todavía con su primitivo idioma y costumbres, como el ruiseñor en el soto con sus trinos y amor a la soledad, [que] no han sido nunca [...] verdaderamente con-

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quistados." Seine Titelheldin, die zu Beginn der islamischen Invasion unter Führung von „Tarif', des „bárbaro africano de la secta de Mahoma" (ebd.: 88), die Szene betritt, ist dafür Programm - auf doppelte Weise. Zum einen (ebd.: 116) verkörpert sie das Rasseideal des Karlistenautors: „Si la sangre goda de Amaya estaba mezclada con la éuscara; era por ambos costados tan ilustre, que los más soberbios linajudos se verían forzados a respetarla." Zum anderen (ebd.: 13) ist sie es, in der sich die religiöse Zukunft der edlen Rassenlegierung trefflich manifestiert: „¡[...] Amaya [...] en lenguaje cristiano se llama Providencia!" Und diese Vorsehung hält, man ahnt es bereits, eine christliche Zukunft bereit. Die wird zwar durch die internen Machtrivalitäten zwischen Westgoten und Basken, die den erzählerischen Mittelpunkt des knapp tausendseitigen (!) Romans bilden, und durch die gerade begonnene Invasion des Islam auf eine harte Probe gestellt. Gegen Ende (ebd.: 914) bricht sich die providentielle Zukunft indessen Bahn: „¡Dios lo quiere, Dios lo quiere [...] ha comenzado la reconquista, y no cesará hasta que España vuelva a ser enteramente cristiana." Bevor sich in Covadonga ein Silberstreif am nationalkatholischen Horizont abzuzeichnen beginnt, müssen die baskisch-westgotischen Heerscharen im Umkreis der Titelheldin jedoch zur Einheit finden und die inneren Feinde neutralisieren - die Juden. Sie leben, weiß der Autor (ebd.: 507) zu berichten, schon lange auf der Iberischen Halbinsel. Bereits unmittelbar nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels, also vor der Kreuzigung Christis, seien sie nach Spanien gekommen, anfänglich durchaus zum Nutzen aller: „abandonando su vida errante, hicieronse casi necesarios a los conquistadores [romanos], dedicándose al comercio, las artes y la industria, para los cuales tenían ingenio y dotes especiales." Das frühe Idyll habe indes nur kurze Zeit gewährt. Denn schon bald, schreibt der Erzähler, „creció su audacia con su fecundidad, en todos tiempos prodigiosa; y preponderante con el número, la acitividad y el dinero". Von den Christen toleriert, hätten sie sich jedoch als undankbare Geschöpfe erwiesen und, die reichsten unter ihnen, sogar christliche Sklaven beschäftigt - „con la dureza que es de presumir en su pertinaz aborrecimiento al nombre de Cristo crucificado". Von solchem Gesindel, suggeriert der Erzähler immer wieder aufs Neue, ist deshalb nichts Gutes zu erwarten. Und so sehen es auch seine Romanhelden: „Gente enemiga de vascos y godos", empört sich einer (ebd.: 252) von ihnen, „gente que trata de vender a España". Sicher mehr als ein Dutzend Mal wiederholt Navarro Villoslada das Klischee der jüdischen Verräter, einer Fünften Kolonne im Dienste des Islams, die den Invasoren die nationalen Tore geöffnet

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hätten: „Hijos de Israel", stellt sie einer der späteren Covadonga-Helden zur Rede (ebd.: 515), „vengo a pediros cuenta de vuestras iniquidades. ¿Por qué habéis hecho pacto con los árabes? ¿Por qué os habéis entregado en cuerpo y alma a los mohametanos?" Was zuvor nur aus Verdacht und Indizien bestand, wird hier, beim Verhör eines der jüdischen Drahtziehers, nun zur Gewißheit. Der Angeklagte, ein Rabbiner aus Pamplona, ist geständig: „Nuestros padres nos lo enseñaron, contestó, temblando ya, el rabino presidente. En los primeros años del reinado de Egica hicimos alianza con los moros, de acuerdo con nuestros hermanos los hebreos del Africa, para entregarlos el reino." Wer wollte jetzt noch bezweifeln, daß es tatsächlich die Juden waren, die Spanien „den ausländischen Feinden des Vaterlandes" (ebd.: 517) ausgeliefert haben? Oder ist der literarische Chefankläger doch bereit, den verhaßten Konspirateuren mildernde Umstände zuzubilligen, weil sie nämlich als vaterlandslose Gesellen die Schwere ihrer Tat gar nicht ermessen konnten? Die Inkriminierten reagieren denn auch auf den Vorwurf des nationalen Hochverrats unisono: „¡Nuestra patria es Jerusalén!" Von ihnen war, so die perfide Insinuation, folglich nichts anderes zu erwarten: Als Ausländer fiel es ihnen noch leichter, ihr Intrigengeflecht zu Nutz und Frommen der eigenen Geld- und Machtgier zu spinnen. Daß sie nur von niederen Motiven angetrieben wurden, wußte der Leser im übrigen schon viele Seiten vorher: „Recorrí las inmundas calles de la judería", so waren sie von einem Mitstreiter Pelayos (ebd.: 91) auch sozial bereits eindeutig charakterisiert worden, „y registré sus casas aún más sódidas; pero repletas de telas preciosas, de alhajas". Wenn sie nicht gerade konspirieren und dabei (ebd.: 414) als J u d í o impenitente", „fautor de la rebelión" und „funesto y misterioso personaje" ihr Unwesen treiben, dann bevölkern sie (ebd.: 88) als „mercaderes judíos [...] con géneros riquísimos" oder (ebd.: 318) als „mero depositario del dinero y alhajas" die pralle Seitenfülle des Romans. Was für ein Unterschied zu den Judenbildern in Doña Blanca de Navarra! Augenscheinlich hat die Konversion zum Karlismus Navarro Villoslada auch zu einem unerbittlichen Verleumder jener „humildes judíos" gemacht, die er in jungen Jahren noch als unschuldige Opfer von „Beleidigungen, Entbehrungen und Martern" in Schutz genommen hatte. Inzwischen

figurieren

sie nur noch als Verräter, Konspirateure und reiche

Geldsäcke, die, auch dieses Klischee durfte wohl nicht fehlen, obendrein die politische Macht anstreben. Nach Ansicht eines baskischen Freiheitskämpfers (ebd.: 372), die unwidersprochen bleibt, haben sie dieses Ziel hier und da sogar bereits erreicht: „¿Y quién manda allí? ¿Quién es el jefe de los godos?", so die

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Frage, die nur eine Antwort zuläßt: „No lo sé, y ni a vos ni a mí nos importa saberlo. Los godos obedecen: quien manda son los judíos." Lediglich die jüdischen Ärzte finden in den Augen des Erzählers (ebd.: 481) eine gewisse Gnade: „Tenían [...] en su miedo y bajeza, más dignidad que los mercaderes de su raza." Doch auch deren „Würde", an sich schon ziemlich „erbärmlich", ist eher, insinuiert der Erzähler, eine Form von Dreistigkeit: „Sabían perfectamente que los cristianos los respetaban y que la ley los protegía." Da stimmt es immerhin tröstlich, daß die spanischen Juden wenigstens eine gute Eigenschaft besitzen, die sie vom Rest ihrer Glaubensbrüder unterscheidet: Sie gehören nicht zu den Christusmördern. Diese frohe Botschaft erfahrt der Leser (ebd.: 374) sogar aus dem Munde eines eingefleischten Judenhassers: „los hebreos de Pamplona, con esa constancia, tan propia de su raza, insisten y replican que los judíos españoles no son como los demás; que sus padres protestaron en toda regla y a tiempo y sazón, contra la muerte de Jesús, y de ello me han dado irrecusables pruebas ... con las cuales ... vamos, a mí me convencieron". Zu den Beweisen rechnet der westgotische Verteidiger der spanischen Juden, der sogar etwas Hebräisch spricht, vor allem historische Indizien, die für eine vorchristliche Existenz jüdischer Gemeinden sprechen: „Son pues, en la provincia ibérica casi, casi los primeros moradores, después de vosotros y los celtas." Möglicherweise, deutet derselbe ,Freund der Juden' an, seien sie sogar die Gründer von Toledo, wo sie unter dem Zepter von Kaiser Augustus prächtige Synagogen besessen hätten. Vor dem Hintergrund der groben Judenklischees, die der Erzähler ansonsten reproduziert, muten die obigen Zeilen geradezu spektakulär an. Erschien Navarro Villoslada der Kontrast zu den überwiegend sympathischen Judengestalten in Doña Blanca de Navarro doch allzu schroff? Dennoch ist der Freispruch der spanischen Juden vom Vorwurf des Christusmordes nicht mit der Anerkennung der jüdischen Religion verbunden: „¿Sabéis", heißt es denn auch am Ende (ebd.: 375) der zitierten Verteidigungsrede, „que los tales judíos de la aljama toledana parecen unos buenos cristianos, a quienes sólo les falta la fe y el agua del bautismo para serlo de veras?" Wer wollte das bezweifeln? Schließlich war der Autor (ebd.: 283) der festen Überzeugung: „la fe cristiana [...] está sobre todos los pueblos, razas, leyes y cosas". Und dieses Credo, daran ließ Navarro Villoslada niemals einen Zweifel, selbst in jüngeren Jahren nicht, relegierte auch den Islam auf die hinteren Ränge seiner Glaubenshierarchie - nämlich in gewohnter Diktion als „Ungläubige", wie er (ebd.: 914) das Heldenepos des baskisch-westgotischen Freiheitskampfes

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ausklingen läßt: „En el fondo de Covadonga ven los astures a la Madre de Dios, a quien invocan, y los infieles caen aterrados y heridos". Als Romantiker konnte Navarro Villoslada jedoch offenkundig nicht umhin, den kulturellen Spuren des Islams seine Reverenz zu erweisen. Der üblichen Alhambra-Schwärmerei, den monotonen Gesängen auf „la bella Granada, la metrópoli de los moros" (1992: III, 420), hat er jedoch einen weiteren Akzent hinzugefügt: Zusammen mit Zorrilla gehört er zu den wenigen spanischen Autoren, die der Klage der ausländischen Romantiker über den Verfall der maurischen Prachtbauten offene Ohren schenkten. So folgt der obigen Eloge auf die Schönheit Granadas der melancholische Hinweis, daß die neuen Bewohner der Alhambra, zwielichtiges Gesindel, das schon Washington Irving beklagte, den Zerfallsprozeß des Maurenpalastes sinnfällig personifizierten: „Con que leyenda maravillosa tienen relación aquellos lugares? ¿Nos lo dirá el contrabandista que en la sombra de la noche abreva sus muías en el fresco manatial, impaciente ya por llegar a la venta solitaria? ¡Ah! El goza de las purísimas aguas, de la apacible sombra del enmarañado bosque; pero ni aún ha pensado en preguntar el nombre de los que vivieron en esta ciudad encantadora. Conserva una confusa memoria de la tradición; pero mira con indiferencia desmoronarse insensiblemente la Alhambra". Ein kleiner Lichtblick, immerhin. Im Unterschied zur Mehrheit der Romantiker, denen die maurischen Spuren allenfalls dazu dienten, ihren literarischen Phantasmagorien mit Hilfe echter Ruinen eine historische Aura zu verpassen, engagierte sich Navarro Villoslada auch für deren Erhalt. Die jüdischen Baudenkmäler waren ihm indes, sofern er sie kannte, augenscheinlich nicht erhaltenswert. Ein weiteres Indiz dafür, daß seine liberale Sturm- und Drangperiode, in der er Doña Blanca de Navarra geschrieben hatte, eine Episode war.

8. Jüdische Schreckensgestalten und Hommage an die trikulturelle Geschichte: Gustavo Adolfo Bécquer Durchaus vergleichbare Ambivalenzen durchziehen das Werk Gustavo Adolfo Bécquers (1836-1870), eines noch immer vielgelesenen Autors: Es mag u. a. am Einfluß Heines liegen, daß er zu jenen spätromantischen Schriftstellern gehört, in deren Werk die kulturhistorischen Leistungen von Mauren und Juden emphatisch gewürdigt werden. Jedenfalls erscheint seine mauren- und judenfreundliche Historia de los Templos de España (sie beschränkt sich auf Toledo) just in jenem Jahr (1857), als der spanische Botschaftssekretär in Berlin, E. F. Sanz, seine

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Heine-Übersetzung (Franzbach 1993: 216 f.) publiziert, durch die er mit dem Werk des deutschen Juden, einem Verehrer des trikulturellen Spaniens, erstmals in Berührung kommt. Wie auch immer die Einflußlinien verlaufen: Zumindest hier, in seinen jungen Jahren, würdigt der einflußreiche Autor postromantischer Geschichte und Legenden die kulturelle Bedeutung der beiden Minderheiten fast ohne Wenn und Aber: Benito Pérez Galdós', der Jahre später ein ähnliches Buch über die Geschichte Toledos verfaßte, dürfte es, sofern er es kannte, mit Sicherheit gefallen haben. Auch in den postromantischen Prosalegenden Bécquers finden sich zahlreiche Hinweise auf die trikulturelle Epoche, vor allem auf die Mauren und auf Toledo. Etwa in „Tres Fechas" (1996: 179), wo er eine Art „geología histórica" (ebd.: 183) Toledos skizziert, die, speziell am Beispiel historischer Gebäude, ein gewisses Interesse an den multikulturellen Spuren der Stadt verrät: „EI palacio de un magnate convertido en corral de vecindad: la casa de un alfaquí habitada por un canónigo; una sinagoga judía transformada en oratorio cristiano; un convento levantado sobre las ruinas de una mezquita árabe, de la que aún queda en pie la torre; mil extraños y pintorescos contrastes, y mil y mil curiosas muestras de distintas razas, civilizaciones y épocas compendiadas, por decirlo así, en cien varas de terreno." In „El Cristo de la calavera" (ebd.: 196) bilden die christlichen Feldzüge gegen die Mauren den Rahmen einer romantischen Kulisse: „El rey de Castilla marchaba a la guerra de moros, y para combatir con los enemigos de la religión". Während die meisten der über die einzelnen Texte verstreuten Hinweise kein schlüssiges Bild des Autors gegenüber dieser Epoche ergeben - sie schwanken zwischen neutraler Registrierung trikultureller Traditionen und ambivalenten Formulierungen obiger Art 46 - , hat Bécquer seine legendäre Sicht dieser Zeit vor allem in zwei Texten hinterlassen: In „La cueva de la mora" und „La rosa de pasión". In der zuerst zitierten Legende erzählt Bécquer eine pathetisch überhöhte Konversionsgeschichte, die als allegorische Rechtfertigung der spätmittelalterlichen Maurenbekehrung zu lesen ist. Den Auftakt der Erzählung (ebd.: 236) bilden „los restos abandonados de un castillo árabe, célebre en los fastos gloriosos grandes de la Reconquista por haber sido teatro de memorables hazañas, así por parte de los que lo defendieron como de los que valerosamente

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Auch in „La promesa" (ebd.: 244) ist recht ambivalent von Sevilla ais „el poder de los infieles" die Rede.

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clavaron sobre sus almenas el estandarte de la Cruz." Der ausgewogenen Einleitung zum Trotz zeigt sich schon bald, daß die Sympathien des Autors recht ungleich verteilt sind. Bei der Belagerung des Maurenschlosses, so erzählt er, wird ein berühmter christlicher Edelmann - „tan digno de renombre por su piedad como por su valentía" (ebd.: 238) - verletzt und fällt in die Gewalt der „Araber". Die schöne Tochter des maurischen Schloßherrn rettet ihn indes, indem sie ihn in einer Höhle unterhalb des Gebäudes versteckt - der Beginn, wie es scheint, einer bikulturellen Romanze: „Durante su cautiverio logró ver la hija del alcaide moro, de cuya hermosura tenía noticias por la fama antes de conocerla; pero cuando la hubo conocido", so die Hommage an die Reize der schönen Maurin (ebd.: 239), „la encontró tan superior a la idea que de ella se había formado, que no pudo resistir a la seducción de sus encantos y se enamoró perdidamente de un objeto para él imposible." Wie sich am Schluß herausstellt, ist der Hinweis auf „un objeto para él imposible" nicht in erster Linie seiner Gefangenschaft geschuldet, schließlich gab es Lösegelder und eine weitverbreitete Praxis der convivencia erótica. Die unüberbrückbaren Hindernisse, so der triefende Katholizismus des Autors, sind vielmehr religiöser Natur. Dementsprechend ist auch das Happyend: Als die schöne Maurin die Höhle verläßt, um ihrem Schützling an einem nahegelegenen Fluß etwas Wasser zu holen, wird sie irrtümlich vom Pfeil einer maurischen Patrouille getroffen und schwer verletzt. Sie schafft es jedoch noch, in die Höhle zurückzukehren und dem christlichen Edelmann das Wasser zu bringen: „Este, al verla cubierta de sangre y próxima a morir, recuperó su razón y", so das legendäre Finale (ebd.: 241 f.), „conociendo la enormidad del pecado que tan duramente expiaban, volvió los ojos al cielo, tomó el agua que su amante le ofrecía y, sin acercárcela a los labios, preguntó a la mora: - ¿Quieres ser cristiana? ¿Quieres morir en mi religión y, si me salvo, salvarte conmigo?" Man kann dem Autor immerhin zugute halten, daß die Antwort auf die kühne Missionsofferte nicht ganz den Wünschen des christlichen Edelmannes entsprochen haben dürfte: Die moribunde Schönheit war bereits in Ohnmacht gefallen und nur noch imstande, „un movimiento imperceptible can la cabeza" zu machen, bevor sie, vom „Taufwasser" benetzt, ihren letzten Atemzug tat. Am nächsten Tag wird das Liebespaar gefunden, „los cadáveres del caballero y su amada, que aún vienen por las noches a vagar por estos contornos". Läßt ihre Unruhe vielleicht den Schluß zu, daß das Taufwasser seine Wirkung verfehlte und damit „la enormidad del pecado" einer christlich-maurischen Liaison den Lebenden als ewiges Fanal gelten möge? Wie dem auch sei: Der penetrante Katholizismus des pathetischen Trauerspiels verrät mehr über den Bewußt-

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seinszustand des Autors und seiner Zeit, als daß er der historischen Epoche gerecht würde, in der das Liebesdrama handelt. Eine ähnliche Missionsgeschichte, nun allerdings mit einer jüdischen Protagonistin, offeriert Bécquer in „La rosa de pasión", einer im spätmittelalterlichen Toledo angesiedelten „historia de la infeliz Sara". Sie ist die hübsche Tochter eines jüdischen Händlers, den der Erzähler mit nachgerade abstoßenden, monsterhaften Zügen ausgestattet hat. Zunächst seine äußere Erscheinung, vor allem „su nariz enorme y corva, como el pico de un aguilucho" (ebd.: 295). Sie wird komplettiert durch „el mugriento bonetillo que cubría su cabeza calva y amarillenta". Hinter einer Maske aus „aduladoras sonrisas" und „mansedumbre" versteckt sich der Ewige Jude: „Era este judio rencoroso y vengativo como todos los de su raza, pero más que ninguno engañador e hipócrita." Alle, die Vater und Tochter miteinander vergleichen, kommen zu dem Schluß (ebd.: 296): „¡Parece mentira que tan ruin tronco haya dado de sí tan hermoso vástago!" Für das blutige Finale der Geschichte ist überdies von zentraler Bedeutung, daß der Vater der schönen Sara ein fanatischer Anhänger seiner Religion ist (ebd.: 295): „Aborrecedor implacable de los cristianos y de cuanto a ellos pudiera pertenecer". Als er erfährt, daß seine Tochter eine heimliche Beziehung zu einem „perro cristiano" unterhält und dadurch die „Gefahr" besteht, daß sie zum Christentum konvertiert, sinnt er auf grausame Rache: Der christliche Prätendent seiner Tochter soll während eines mitternächtlichen „Opferrituals" getötet werden. Die finsteren Machinationen des blutrünstigen Rächers bleiben Sara (ebd.: 301) indes nicht verborgen: „Una idea espantosa cruzó por su mente; recordó que a los de su raza los habían acusado más de una vez de misteriosos crímenes; recordó vagamente", so die Anspielung auf eine besonders makabre Erfindung des europäischen Antijudaismus, „la aterradora historia del Niño Crucificado, que ella hasta entonces había creído una grosera calumnia, inventada por el vulgo para apostrofar y zaherir a los hebreos." Knapp drei Jahrhunderte nach der schaurigen Episode des „Santo Niño de la Guardia" mutet der Legendenerzähler Bécquer seiner Leserschaft die folgenden (ebd.) Sätze zu: „Pero ya no le cabía duda alguna: allí, delante de sus ojos, estaban aquellos horribles instrumentos de martirio, y los feroces verdugos sólo aguardaban la víctima." Entsetzt über die grausige Gewißheit, daß ihr Vater zusammen mit jüdischen Helfershelfern einen Ritualmord plant, warnt sie ihren Geliebten und begibt sich zum Ort des diabolischen Geschehens. Dem überraschten und haßerfüllten Vater, der sie mit dem väterlichen Bannfluch belegt - „tú no eres mi hija" (ebd.: 302) - ,

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gibt sie sich bereits als Christin zu erkennen: „No; ya no lo soy: he encontrado otro padre, un padre a quien vosotros enclavastéis en una afrentosa cruz, y que murió en ella por redimirnos, abriéndonos por la eternidad las puertas del cielo. No; ya no soy vuestra hija porque soy cristiana y", fugt sie sogar hinzu, „me avergüenzo de mi origen." Außer sich vor Wut, befiehlt der fanatische Christenhasser seinen Glaubensgenossen, statt des christlichen Geliebten seiner Tochter nun diese selbst zu töten. Als „Rosa de Pasión", als einzigartige Blume, „en la cual se veían figurados todos los atributos del martirio del Salvador" (ebd.: 303), erinnert sie die Nachwelt am selben Ort an das scheußliche Verbrechen der Toledaner Juden; Benito Jerónimo Feijóo, der in seinem aufklärerischen Teatro crítico universal rund hundert Jahre vor Bécquer seine Landsleute von abergläubischen Exzessen der obigen Art befreien wollte, hätte sich bei der Lektüre dieser Legende vermutlich im Grabe herumgedreht...

Im Unterschied zu den Prosalegenden mit maurisch-jüdischer Thematik, die vom Geist eines triefenden Konversionseifers im Zeichen des Christenkreuzes und von groben Judenklischees geprägt sind, trägt der kulturhistorische Essay über Toledo eine andere Handschrift: Bereits 1857 erstmals publiziert und ursprünglich47 als Auftakt einer Reihe über die „Historia de los Templos de España" konzipiert, läßt der Autor dieses Buches zumindest partiell erkennen, daß sich sein kulturhistorischer Horizont nicht in einem engstirnigen Katholizismus erschöpft. In seinen kunst- und kulturgeschichtlichen Betrachtungen am Beispiel der Basílica de Santa Leocadia zeigt sich Bécquer zwar auch als Panegyriker „[de] la fe de nuestro pueblo" und ,,[d]el genio de la raza", wie der Herausgeber (ebd.: 8) formuliert. Dennoch erweist er der kulturellen Bedeutung der beiden Minderheiten ausdrücklich seine Reverenz - und das in einem Umfang, der über das bloße Registrieren multikultureller Spuren, wie sie in dem folgenden Zitat (ebd.: 17) aufscheinen, weit hinausgeht: „Erigido sobre el sepulcro de una mártir [die erwähnte Basilika, N.R.], durante los primeros siglos de la era cristiana, las diversas razas que han dominado nuestra Península, han escrito al pasar un pensamiento sobre su frente". Am Anfang (ebd.: 32) der ausgedehnten Tour d'Horizon begegnet dem Leser freilich noch ein ausgesprochen orthodoxer Autor: „Hoy tolerada, mañana perseguida, pero siempre incólume, siempre pura, la religión se transmite de unos en 47

Es blieb indessen bei dem vorliegenden - ersten - Band.

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otros durante la dominación sarracena, y prosigue su marcha triunfadora a través de las velaciones y la esclavitud. / Durante este período, temerosos los cristianos de que la profanación toque con su mano atrevida los venerables restos de la mártir que guardan, huyen con las sagradas reliquias a las desnudas rocas en que Pelayo arrojó el grito de guerra que levantó a Asturias e hizo temblar al árabe." „Vejaciones", „esclavitud" - der Blick auf „el árabe", das illustrieren diese Zeilen, verrät wenig Sympathie. Von ähnlichem Kaliber ist die Denomination der neuen Herrscher der Halbinsel: „la hordas sarracenas" (ebd.: 69), „los sectarios de Mahoma" (ebd.: 72), „los infieles" (ebd.) ... Eine zutiefst traditionalistische Optik verrät auch der allgemeine Blick auf die Geschichte, hier (ebd.: 102) das mit Emphase beschriebene Ende des muslimischen Granada: „este gigante poema de ocho siglos llamado la reconquista [...] que debiera mostrar a la absorta Europa el más osado genio de su época, y al antiguo", suggeriert er zugleich ein historisches Junktim mit einer weiteren Peripetie, die ein halbes Jahr später begann, „al antiguo, un nuevo mundo arrancado por la fe a las desiertas llanuras del océano". Auf diesen Kotau vor dem Sanktuarium glorreicher Geschichte folgt nun jedoch eine Darstellung der maurischen Kultur, vor allem der Architektur, die das Gros linientreuer Historiker mit Erstaunen, wenn nicht mit Empörung gelesen haben dürfte: „En efecto; nada más original y caprichoso que los infinitos detalles de esas incomprensibles creaciones del arte muslímico, toledana, maravillosas más que por la grandeza y magnitud de su conjunto, por la gallardía y novedad, de las partes que los componen y enriquecen". Der Enthusiasmus, mit dem der Betrachter der Basilika den künstlerischen Genius der „Araber" besingt, ist schier grenzenlos (ebd.: 128): „La arquitectura árabe parece la hija del sueño de un creyente, dormido después de una batalla a la sombra de una palmera." Weder Rom noch Byzanz hätten eine so originelle Baukunst hervorgebracht, deren Ultima ratio, so die erstaunliche Ansicht (ebd.: 129) des religiösen Maurenpamphletisten, im islamischen Credo liege: „porque como dejamos dicho, sólo una nueva religión puede crear una nueva sociedad, y sólo en esta hay poder de imaginación suficiente a concebir un nuevo arte". In der Alhambra und dem Alcázar von Sevilla sei „el genio oriental", richtet Bécquer (ebd.: 133) seinen Blick auch nach Al-Andalús, mit „todo el lujo de su imaginación inagotable" bis in die Gegenwart zu bewundern. Der Autor beläßt es jedoch nicht bei seiner, letzten Endes vergleichsweise unverfänglichen Lobpreisung der maurischen Architektur: „nada más interesante", schaut er (ebd.: 119 f.) nun auch hinter die gesellschaftlichen Kulissen

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der maurischen Baukunst, „que la narración de sus orígenes, páginas fecundas en datos históricos relativos, ora a la condición social y a los trastornos políticos de los siglos que por medio de ellas manifestaron sus pensamientos". Was folgt, ist quasi ein maurophiles Bekenntnis, mit dem vermutlich weder Américo Castro noch Juan Goytisolo Schwierigkeiten (gehabt) hätten; es verdient, in voller Länge zitiert zu werden (ebd.: 125): „Acostumbrados a vencer, los árabes no tardaron mucho en posesionarse de casi todo el reino. Como a sus conquistas no cabe algún género de duda que presidía un gran pensamiento; el exterminio no siguió de cerca a sus victorias, las ventajosas condiciones con que aceptaron la rendición de un gran número de ciudades, los privilegios en el goce de los cuales dejaron a los cristianos, prueban claramente que antes trataban de consolidar que destruir, y que al emprender sus aventuradas expediciones no les impulsaba sólo una sed de combates sin fruto y de triunfos efímeros. La historia de los grandes conquistadores de todas las épocas, ofrece muy raros ejemplos de estas elevadas máximas de sabiduría, puestas en acción por los árabes en la larga carrera de sus victorias." Der Autor dieser Zeilen, der nicht nur den maurischen Kulturleistungen seine Anerkennung zollt, sondern zugleich die relativ friedliche, tolerante Gesinnung der Omayyaden-Herrscher herausstreicht, war sich über den unerhörten Charakter seiner Aussage selber völlig im klaren. In einer Art „tira y afloja"Argumentation" versucht er (ebd.: 119), dem möglichen Ärger seiner Leserschaft den Wind aus den Segeln zu nehmen: „Y no se crea que al hacer justicia a los sectarios de Mahoma y al pintar con vivos colores el engrandecimiento y la civilización de la sociedad que constituyeron, puede en materia alguna menoscabarse la gloria y el brillante renombre de nuestra Iglesia, su eterna y franca enemiga, no; porque tanto más poderoso es el vencido tantos más laureles conquista el vencedor, y tanto más grandes y temibles fueron los adoradores de la media luna, tanto más palpable y divina aparece a nuestros ojos la protección del cielo, escudo fortísimo de la cruz que al cabo se hizo un santuario de sus mezquitas y tremélo viento sobre la corona de almenas de sus baluartes." Ob die Schmeichelstrategie zusammen mit der Konzedierung der „eterna y franca enemiga" ihr Ziel erreicht hat? Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Romantik-Importe, die in der Folge von Washington Irving auch die Halbinsel erreichten, kann die Frage vermutlich bejaht werden - wenn auch mit Kautelen, die Bécquer selber (ebd.: 120) formuliert: „Desgraciadamente, como ya antes que nosotros han dicho algunos literatos al ocuparse de este asunto, nuestros mayores han mirado hasta ahora con desdén cuanto produjo ese pueblo con-

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quistador, a cuya imaginación poderosa tanto deben la poesía, las artes y las ciencias." Als Beispiel einer peninsularen Historiographie, die die maurische Vergangenheit stets zu einem schwarzen Kapitel der nationalen Geschichte umgedeutet hat, zitiert er (ebd.) Marianas Historia general de España, „[que] se deja llevar de los preocupaciones y las antipatías de su época, hasta el punto de apellidar canalla a un pueblo cuyo esplendor, cultura y heroísmo nadie pudo apreciar en lo que valían". Diese, trotz der religiösen Ambivalenzen höchst bemerkenswerte Geschichtsinventur bezieht sogar den gesamteuropäischen Kontext mit ein (ebd.: 121): „el delirio de regeneración clásica que así en el terreno de los ideas como en el de las cosas trajo el Renacimiento, completó por decirlo así, la obra de las preocupaciones, y fué sin duda alguna causa de la obscuridad en que yacía este estudio hasta fines del último siglo." Der Schlußfolgerung, die er aus diesem Stand der Dinge zieht, ist der Autor selber gerecht geworden: „Muy diferente es el prisma bajo el cual nosotros debemos examinar estas cuestiones". Gilt diese, fast spektakuläre Bilanz - nicht zuletzt dann, wenn man sie mit den Prosalegenden vergleicht - auch für die Juden? Bécquers Betrachtungen zur jüdischen Geschichte auf der Halbinsel, „del pueblo hebreo", wie er (ebd.: 59) formuliert, beginnen mit der Lage unter den Westgoten, „que en verdad no podía ser más miserable". Gemeint ist die rigide Diskriminierungs- und Verfolgungspraxis, die der Autor (ebd.: 60) auf ihren „Reichtum", „su oro", zurückführt, „causa primordial de sus persecuciones". Mit einem ähnlichen Klischee beschreibt er (ebd.: 70) die Rolle der Juden im Jahre 711: „los judíos que permanecieron en la población franquearon las puertas a los sitiadores". Wie es scheint, stützt sich Bécquers Version der frühmittelalterlichen Geschichte vor allem auf das Werk von José Amador de los Ríos, das er (ebd.: 120) lobend erwähnt. Darüber hinaus zitiert er (ebd.: 151 ff.) christliche Inschriften der Toledaner Basilika, in denen von „la maldad del judío", der Furcht der Christen vor den Juden und den Heldentaten des Cid die Rede ist - ohne die leiseste Kritik an den katholischen Autoren dieser Inschriften. Eine gewisse Zäsur markiert dagegen ein Kapitel des Buches, das der alten Synagoge Santa Maria La Bianca gewidmet ist. Hier nun spricht Bécquer (ebd.: 155) erstmals von einem „vivo recuerdo de la opulencia y esplendidez de la raza hebrea, al culto de cuya religión estuvo primitivamente destinada." Zwar ist auch hier (ebd.: 157) - gemeint ist wiederum das Ende der Westgotenzeit - von „una raza esencialmente mercantil" die Rede, „que veía en la posesión del oro el único

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lenitivo a los sinsabores de una vida de vejaciones y desprecios." Nach dem raschen Siegeszug des Islams registriert er jedoch den Beginn einer steilen kulturellen Aufwärtsentwicklung, „un período de grandeza, que fué progresivamente aumentando casi hasta la época de la expulsión." Wenngleich er die schöpferischen Impulse vor allem bei den Moslems verortet - „el pueblo judío fué el que más se aprovechó de los elementos civilizadores derramados por los árabes" (ebd.: 157)

schreibt er den Juden doch auch spezifische Kulturleistungen zu

(ebd.: 158): „Casi en esta misma época un acontecimiento de gran importancia vino a ejercer una saludable influencia en el ya próspero destino del pueblo hebreo. Las renombradas Academias rabínicas, existentes en Persia, fueron trasladadas a Córdoba, capital a la sazón de la España árabe, y este hecho, de escaso interés al principio para los hebreos que habitaban en la corte de los godos, vino con el tiempo a constituir uno de los más grandes elementos de su grandeza." Im Verlauf der Reconquista wird schließlich Toledo zum Brennpunkt der jüdischen Kultur: „Conquistada Sevilla, las Academias rabínicas tornaron a transladarse, siendo esta vez Toledo el punto designado, y de esta manera aumentóse la población judía de la última capital con un gran número de hombres científicos, que acrecentó la influencia de que ya gozaba por su número, su saber y sus riquezas." Am Ende seiner Tour d'horizon durch die mittelalterliche Geschichte läßt Bécquer sogar ein gewisses Mitgefühl mit dem weiteren Schicksal der Juden erkennen, wenn er (ebd.: 159) von „tan duras pruebas" spricht, die auf „esta raza [...] en lo porvenir" warteten. Mehr aber nicht. Zu einer Kritik an der Vertreibungspolitik der Katholischen Könige, denen er (ebd.: 112 f.) mehrfach seine Huldigung ausspricht, läßt er sich nicht verleiten: „Ocupado ya el Trono de Castilla por los Reyes Católicos D. Fernando y Doña Isabel, tuvo lugar la expulsión de los judíos de España, abandonándola en número de 800 000 [sie], medida que a tan distintos pareceres y acaloradas controversias ha dado lugar entre los historiadores, y de la que nosotros no nos ocuparemos por no ser de la mayor importancia para el asunto de nuestra obra." Wie auch immer man die historischen Kautelen Bécquers bewertet: Seine Beschreibung der trikulturellen Vergangenheit Toledos gehört mit zu den ersten Büchern des 19. Jahrhunderts, die dieses Kapitel der spanischen Geschichte thematisieren. Im Kontrast zu den antisemitischen Judenporträts der Prosalegenden markiert es zugleich ein frühes Beispiel für jene Dichotomie zwischen Juden im allgemeinen und Sepharden im besonderen, die in der Zukunft tonangebend werden sollte.

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9. Romantik-Miszellen: Fernán Caballero, Ramón López Soler, Mariano José de Larra, Enrique Gil y Carrasco Die Prädominanz stereotypisierter Juden- und Maurenbilder, in einigen Fällen besonders grob gerastert, die in den Werken der bekanntesten Romantiker ins Auge springt, ist auch in jenen Romanen unübersehbar, die, aus unterschiedlichen Gründen, mehr oder weniger bedeutsam sind. Zwei Romane von Fernán Caballero alias Cecilia Böhl de Faber wurden u. a. deshalb in die Untersuchung aufgenommen, weil es sich um eine deutschstämmige Autorin handelt: Ihr Bild der beiden Minderheiten deckt sich indessen mit dem spanischen Mainstream. Der historische Roman von Ramón López Soler sollte nicht fehlen, weil er gemeinhin als der spanische Auftakt dieses Genres gilt. Dagegen ist die Präsenz eines Romans von Mariano José de Larra dem berühmten Namen seines Autors geschuldet: Mehr hat der im jugendlichen Alter gestorbene Schriftsteller und Journalist zum Thema nicht geschrieben. Im Vergleich zu Larra ist Enrique Gil y Carrasco, der den Schlußpunkt des Romantik-Kapitels setzt, ziemlich unbekannt. Sein hier vorgestellter Roman, immer wieder in neuen Editionen erschienen, gilt jedoch auch als wichtiges Exemplar seiner Gattung: Von Humboldt, zu dem sein Autor als „Maestro de español del príncipe Carlos" in Berlin engen Kontakt unterhielt, hoch gelobt, wurde der historische Roman vom preußischen König mit der Großen Goldmedaille ausgezeichnet.

In dem klischeehaften costumbrismo-Koman

La Gaviota,

den die deutsch-

stämmige Wahlspanierin Cecilia Böhl de Faber (1796-1877) mit dem Pseudonym Fernán Caballero 1849 publizierte, kommt die Juden- und Maurenthematik nur am Rande zur Sprache. Neben einem triefenden españolismo, der vor allem den ausländischen Lesern zeigen sollte, so die nationalisierte Autorin (1987: 23), „lo que somos los españoles", gehört der Roman, wie selbst die ansonsten recht hagiografische Herausgeberin schreibt (ebd.: 25), zum Œuvre der „literatura de propaganda católica", wenn auch ohne den aggressiv-dumpfen Duktus des Nationalkatholizismus ihrer konservativen Zeitgenossen. Im Mittelpunkt der äußerst handlungsarmen Erzählung steht der junge deutsche Arzt Stein, der in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts nach Spanien reist, um sich als Arzt bei den Karlisten (!) zu verdingen. Nach seiner Teilnahme am Karlistenkrieg und bereits wieder auf dem Rückweg nach Cádiz, bleibt er jedoch, krank und abgemagert, einige Jahre in einem andalusischen Dorf und verliebt

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sich in die Tochter eines Seemannes. Die Bewohner des Dorfes, rauh, ungebildet und abergläubisch, halten den Fremden zunächst für einen Juden (ebd.: 61 f.): „¡Virgen Santa! ¿Si será judío?" Der schwerwiegende' Verdacht der Dorfbewohner wird jedoch, zumindest was dessen phantastische Dimension betrifft, deutlich ins Lächerliche gezogen: „ - Será hebreo como sus libros - respondió fray Gabriel - . Quizá será judío, como usted ha dicho, tía María. - ¡Dios no asista! - exclamó la anciana - . Pero no. Si fuera judío, ¿no le habríamos visto el rabo cuando le desnudamos? - Tía María - repuso el lego - , el padre prior decía que eso del rabo de los judíos es una patraña, una tontería, y que los judíos no tienen tal cosa." Obwohl der Verdacht der Alten damit nicht völlig beseitigt ist, findet sie sich immerhin bereit, ihn abzuschwächen': „No será judío prosiguió la anciana - , pero será un moro o un turco que habrá naufragado en estas costas." Wie dem auch sei: Am Ende, so die Versöhnungsgeste der Autorin mit der vox populi, behält die christliche Nächstenliebe die Oberhand: „Socorrámosle aunque sea judío o moro" (ebd.: 74). Die Einstellung dürfte dem christlichen Credo der Autorin ziemlich getreu entsprechen - ein Credo, das die gröbsten Auswüchse der antijüdischen .Folklore' zwar mit paternalistischer Geste zurechtstutzt, das aber nicht mit Toleranz verwechselt werden darf. Denn im Besitz der richtigen Religion, fordert die Wahlspanierin ihre Zeitgenossen auf (ebd.: 75), traditionsbewußt zu bleiben: „Conservad, españoles, y respetad los débiles vestigios que quedan de cosas tan santas como inestimables."48 Zu den Spuren, die Caballero mit einer gewissen Wertschätzung bedenkt, zählen schließlich auch die maurischen Traditionsreste, deren romantische Aura allenthalben durchscheint. Etwa (ebd.: 195) in der andalusischen Festtradition: „estas grandiosas fiestas nacionales y populares, en que se combinan los restos de la brillante y ligera estrategia morisca, con la feroz intrepidez de la raza goda". Oder (ebd.: 246) in der durchaus ernstgemeinten Akzeptanz des berühmtberüchtigten Afrika-Verdikts: „¡Qué bien opinan los franceses, cuando dicen que, pasados los Pirineos, empieza el Africa!" Der romantische Orientalismus, dem sich Fernán Caballero verpflichtet fühlte (ebd.: 23), ist jedoch kaum mehr als dekoratives Beiwerk, das den von ihr mit obsessiver Verve gepredigten „peculiaridades epañolas" (ebd.: 22) nur ein paar Exótica beimischt. Ansonsten darf man sie, was die kulturhistorische Dimension des folgenden Satzes betrifft

48

Es versteht sich daher von selbst, wie eine Anspielung im Roman illustriert (ebd.: 55), daß Fernán Caballero keine Freundin der desamortización von Mendizábal war.

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(ebd.: 176), durchaus beim Wort nehmen: „En lo demás, español como Pelayo, bizarro como el Cid." Dagegen ist die Behauptung eines zeitgenössischen Kritikers (ebd.: 340), der mediokre Roman, den Valera (ebd.: 30) zu Recht als „cargante" bezeichnete, lasse die literarischen Meriten eines „Walter Scott español" erkennen, pure Fiktion.

Die typische Konfliktkonstellation zwischen dem sinkenden Stern traditioneller Machtstrukturen und der wachsenden Bedeutung der kapitalistischen Geldwirtschaft, wie sie exemplarisch in vielen Romanen von Galdós enthalten ist, steht auch im Zentrum von Lágrimas,

einem weiteren costumbrismo-Roman

von

Fernán Caballero. Im Unterschied zu Galdós schlägt sich Caballero indes reichlich drapiert mit pathetischer Wehmut über das verlorene Arkadien „ritterlicher" Werte - auf die Seite der Tradition. Ihr modernes Gegenstück ist verkörpert in dem ebenso skrupellosen wie vulgären Parvenü „Don Roque", der imund explizit als Repräsentant jüdischer Eigenschaften figuriert: Der „indiano" Don Roque, der in Kuba zu Reichtum gekommen ist, erweist sich, seinem Namen gemäß, als brutaler und raffgieriger „avaro" (1929: 33), der den Tod seiner Frau und Tochter gleichgültig in Kauf nimmt und zu keiner menschlichen Regung fähig ist: „Don Roque soltó una carcajada", so eines (ebd.: 117) der zahlreichen Monsterporträts, „con toda la impertinencia y sonido agrio metálico de los millones". Die abstoßende Spekulantengestalt im allgemeinen verdichtet sich im Laufe des Romans (ebd.: 114) immer mehr zu den besonderen Konturen „de Judas". Im Unterschied zu den „guten Millionären", so die Dichotomie der Autorin (ebd.: 111), die „por medios honoríficos" zu ihrem Geld gekommen seien, verkörpert der „Rothschild"-Typus, zu dem Judas alias Don Roque zählt, das Böse schlechthin. In der Person einer verarmten Marquesa - für den Autor die zentrale Repräsentantin vergangener Werte und Würde - findet die steile Karriere der Vampirgestalt freilich ihre Grenze. Auf den Rat eines Freundes (ebd.: 105), sich mit Hilfe eines „capitalista" oder „comerciante" aus ihren ökonomischen Aporien zu befreien, entgegnet sie entschieden: „Hato de judíos [...] no me pongo en manos de esos fariseos." Don Roque versucht zwar weiterhin, sich den Besitz der Marquesa anzueignen und schlägt ihr gar eine Heirat vor. Ihre schroffe Ablehnung (ebd.: 271) macht ihm freilich klar, daß „Ehre" nicht mit Geld zu kaufen ist - selbst um den Preis des Ruins: „Hágase, don Domingo", lautet denn auch das Vermächtnis der Marquesa (ebd.: 291), „un código de honor que aprendan nuestros hijos, y en el que sea ignominiosa la deuda y se califique

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al usurero de infame vampiro". Und der hat, so die unzweideutige Botschaft des Romans, eine jüdische Grimasse ... Solche Zerrbilder findet man in Los bandos de Castilla: El caballero del Cisne dagegen nicht. Im Klappentext zur Neuauflage von 1975 heißt es über den erstmals 1830 erschienen historischen Roman des wenig bekannte Ramón López Soler (1806-1836): „Suele decirse que con Los bandos de Castilla o El caballero del cisne se inaugura en España la novela histórica romántica. Así es, en efecto". Für die hier relevante Thematik ist der ästhetisch ziemlich belanglose Roman, der die aragonesisch-kastilischen Rivalitäten am Vorabend der Vereinigung der beiden Reiche thematisiert, freilich nahezu bedeutungslos: Die religiös-kulturellen Minderheiten, vor allem die Mauren, treten fast ausschließlich als kulissenhafte Figuren in Erscheinung. In der historischen Alltagsrealität, scheint der Autor damit anzudeuten, spielten die beiden Bevölkerungsgruppen fast keine Rolle - und das trotz der Tatsache, daß gerade in Aragonien die Mauren bzw. Morisken und Juden bzw. Konvertiten während der erzählten Zeit eine besonders wichtige Rolle spielten. Selbst aus den zahlreichen Anspielungen, hier zunächst auf die Mauren, ergibt sich kein eindeutiges Bild des Autors. So figurieren diese u. a. als „las huestes granadinas" (1975: 15), „los infieles del Oriente" (ebd.: 27) als „los perros de Granada" (ebd.: 31) oder gar als „azote del género humano" (ebd.: 77). Eine eher positive Sicht verraten dagegen zwei knappe Bemerkungen über „los árabes intrépidos" (ebd.: 27) und „los perfumes de la feliz Arabia" (ebd.: 76). Der Autor deutet zudem an (ebd.: 16), wenn auch eher en passant, daß zwischen beiden gegnerischen Lagern auch eine Art - kriegerischer - Convivencia existierte: „hasta los aguerridos árabes de la Península", heißt es über die Teilnehmer an einem königlichen Turnier in Kastilien, „se propusieren acudir a un espectáculo célebre por la belleza de la hija de Castromerín y la nombradía de los campeones que se disponían a disputársela". Diese im Grunde doch sehr bemerkenswerte Teilnahme „maurischer Ritter" am Turnier eines kastilischen Königs - schließlich hätten sie im Falle eines Sieges einen berechtigten Anspruch auf die Hand der königlichen Tochter gehabt - bleibt indes nur Kulisse, bunter erzählerischer Zierat, dessen kulturelle Dimension nicht einmal in Ansätzen ausgeleuchtet wird. Immerhin läßt der Erzähler erkennen, daß er, außer in offener Feldschlacht,49 Pogrome an den Minderheiten mißbilligt - unter Einschluß der Juden: „Por in49

So brüstet sich ein Freund der Titelgestalt (ebd.: 242): „Los muchos moros que ha degollado mi acero favorecerán mi causa en el cielo, y si entre ellos se mezcla tal cual acreedor cristiano, también cayó no pocas veces algún usurero judío."

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dicación de Ramiro", so eine gute Tat des Titelhelden (ebd.: 261), „y a ruegos del gitanillo Merlin, accedió en conducir sano y salvo al judío Ben-Samuel hasta el territorio de Francia, con el objeto de evitar al grave astrólogo todo pernicioso encuentro." Schließlich wird López Soler den historischen Realitäten wenigstens insoweit gerecht, als er die jüdischen Eigenschaften', etwa (ebd.: 70) „la desenfrenada codicia de don Alvaro de Luna", auch christlichen Edelleuten anlastet und - dem Autor des Cid sehr ähnlich - „nuestros más encarnizados enemigos" (ebd.: 26) nicht unter Mauren und Juden verortet, sondern unter den kastilischen Rivalen des aragonesischen Helden.

Die vergleichsweise freundliche Darstellung der Juden, die López Solers Roman enthält, wäre Mariano José de Larra (1809-1837), dem berühmten Autor von El doncel de Don Enrique el Doliente, wahrscheinlich schon zu weit gegangen trotz der Tatsache, daß ihn die historische Authentizität dessen, was er dort beschrieb, kaum interessierte. Lukács hätte diesen Roman, den Larra bereits mit 24 Jahren (1834) schrieb, vermutlich als historisch drapierten Kostümroman bezeichnet, da er nur sehr eingeschränkt zu jener Gattung gehört, die seit Walter Scott als historischer Roman firmiert. Denn die historischen Geschehnisse - eine politische Intrige und eine romantisch-dramatische Liebesgeschichte am Hofe Enrique III. zu Beginn des 15. Jahrhunderts - , die der junge Romancier mit stilistischer Verve erzählt, sind überwiegend erfunden, die Geschichte als solche bleibt durchweg kulissenhaftes Dekor,

ist vor allem Prätext für Larras

romantische Botschaft. 50 Insofern ist eine Bemerkung am Anfang des Romans (1984: 57) fast wörtlich zu verstehen: „Con respecto a la veracidad de nuestro relato, debemos confesar que no hay crónica ni leyenda antigua de donde lo hayamos trabajosamente desenterrado; así que, el lector perdiera su tiempo si tratase de irle a buscar comprobantes en ningún libro antiguo ni moderno: respondemos, sin embargo, de que si no hubiese sucedido, pudo suceder cuanto vamos a contar". Doch auch der letzte Satz stimmt nur sehr eingeschränkt: Im

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Die unverkennbare Absicht, ,,,medievalizar' sus relatos", wie Luis Varela (ebd.: 14) formuliert, um die romantische Aura des Romans zu erhöhen, korrespondiert augenscheinlich mit nur geringen historischen Kenntnissen des Autors, wie Menéndez y Pelayo (ebd.: 21 f.) vermutete: „Apenas conocía la Edad Media más que por las novelas de Walter Scott y por algunos romances y retazos de crónicas que leyó superficialmente antes de ponerse a su tarea".

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Unterschied zu den .authentischen Fiktionen' anderer Autoren, etwa Feuchtwangers Roman Die Jüdin von Toledo (Rehrmann 1996), ist ziemlich unwahrscheinlich, daß die kastilische Aristokratie des 14. und 15. Jahrhunderts Larras extrem judenfeindliche Haltung, wie sie hier zum Ausdruck kommt, geteilt hätte. Obwohl diese und andere Aspekte, die hier im Mittelpunkt stehen, im Romangeschehen nur marginale Bedeutung besitzen, nimmt Larras Bild vom „Land der drei Kulturen" in seiner Spätphase doch in Umrissen Gestalt an. Dabei ist zunächst weniger wichtig, ob dieses Bild, wie Menéndez y Pelayo vermutete, mangelndem Wissen geschuldet ist oder eher gängige Stereotypen reproduziert.51 Wirkungslos blieb dieses Bild, das der renommierte Romantiker hier präsentiert, bei seiner zeitgenössischen Leserschaft ganz sicher nicht. Ähnlich wie Scott52 stellt Larra dem Roman ein historisches OrientierungsKapitel voran, das jedoch mehr verspricht, als es hält. Er fordert seine Leser auf (ebd.: 49), „trasladarse con nosotros a épocas distantes y a siglos remotos, para vivir, digámoslo así, en otro orden de sociedad en nada semejante a este que en el siglo XIX marca la adelantada civilización de la culta Europa". Daß Europa einen beträchtlichen Teil seiner modernen Kultur just aus diesen „épocas distantes" bezogen hat, vor allem maurisch-jüdischer Provenienz, schreibt Larra indes nicht. Dafür spricht er (ebd.: 50) von einer „incomprensible mezcla de religión y de pasiones, de vicios y virtudes, de saber y de ignorancia", Aspekte, die „el carácter distintivo de nuestro siglos medios" ausmachten. Obgleich diese Aspekte im Roman sehr ungleich zur Sprache kommen und sehr ungerecht auf die Repräsentanten der drei Kulturen verteilt werden, nimmt sich der Panoramablick noch recht unparteiisch aus: „En vano la religión se esforzaba en dulcificar las costumbres de los hijos de los godos, exaltados por la prolongada guerra con los sarracenos. Es verdad que ganaba terreno, pero con lentitud; entre tanto se criaba el caballero para hacer la guerra y matar. Verdad es que", relativiert der Erzähler immerhin die Motivpalette, die zahlreiche Reconquista-Interpreten post festum auf religiös-kulturelle Beweggründe reduzierten, „los primeros enemigos

52

Wobei in Kenntnis der zeitgenössischen Historiographie eine Differenzierung zwischen wissenschaftlicher Forschung und gängigen Stereotypen ohnehin ein schwieriges Unterfangen darstellen würde. Trotz einiger Ähnlichkeiten mit dem englischen Romancier hat Luis Varela (ebd.: 31) sicher recht, wenn er davor warnt, diese überzubewerten: „Larra [...] no reconoce su grandeza; Scott era para Larra uno de los escritores extranjeros de moda, sin más, y un rival en popularidad de Fenimore Cooper".

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contra quien debía dirigirse eran los moros; pero muchas veces lo eran también los cristianos".53 Im Laufe des Romangeschehens sind es freilich in erster Linie nichtchristliche Figuren, die Larra - im besten Fall - schablonenhaft, im Falle des bereits zitierten Juden Abenzarsal gar als Verkörperung des Bösen schlechthin porträtiert. Alles, sein Aussehen, Denken und Handeln, reproduziert die plumpsten Judenklischees: „Su estatura", beschreibt der Autor (ebd.: 179) zunächst seine äußere Erscheinung, „era pequeña, su tez pálida y macilenta; brillaban sus ojos en su oscuro semblante como dos carbunclos en medio de las tinieblas de la noche, y era la expresión de toda su persona malignidad y avaricia". Zu der stattlichen Kollektion negativster Eigenschaften, die Larra dem jüdischen Protagonisten und den Juden im allgemeinen aus dem Munde unterschiedlichster Romanfiguren andichtet, gehören u. a.: „viejo miserable", „espíritu de las tinieblas" (ebd.: 180), „su desmedida avaricia" (ebd.: 226), „intrigante viejo" (ebd.: 232), „genio del mal" (ebd.: 241) und „perros judíos" (ebd.: 383). Dieses monsterhafte Wesen ruft sogar bei dem christlichen Edelmann Enrique Villena (ebd.: 314), der sich selbst als skrupelloser Intrigant erweist und dessen Machinationen Abenzarsal als williges Instrument unterstützt, Entsetzen hervor: „¡Qué horror, Abenzarsal, que horror! ¿Habéis tomado a vuestro cargo endurecer mi alma y hacer de mi un picaro tan redomado como vos? ¿No tembláis el crimen? - ¿Qué es el crimen? ¿Lo que han querido llamar tal los hombres? Soy uno de ellos; tengo derecho a no adoptar sus definiciones. - ¿Me diréis que el quitar la vida a otro ser ...? - ¿Qué es quitar la vida, Don Enrique?" Während letzterer mehrfach davor zurückschreckt, seine Machtambitionen (er möchte maestre eines Ritterordens werden) durch Bluttaten zu realisieren, sind dem Juden alle Mittel recht, wenn sie seinen intriganten Machenschaften dienlich sind. Besonders augenfällig illustriert der Erzähler sein antijüdisches Credo indessen nicht anhand der verbrecherischen Inklinationen Abenzarsals, sondern an dessen „unromantischer" Vorstellung von Liebe. Don Enriques Gegenspieler, der junge Ritter Macias - die titelgebende Zentralfigur und Alter ego des

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Für Larra war das Mittelalter insgesamt, hauptsächlich das spanische, Ausdruck von Fanatismus und Ignoranz:„La España estaba más lejana del foco de las ideas nuevas", schrieb er (Veegh 1989:40), „porque recién salida de la larga dominación musulmana, veía todavía en el catolicismo el paladium que la había salvado. Siete siglos además de guerras y rencores religiosos debían haberla hecho más fanática". Kein Wort über die andere Seite des spanischen Mittelalters ...

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Autors - ist in eine verheiratete Frau verliebt, der er in eklatanter Verletzung bestehender Ehrgesetze den Hof macht und sich (sowie die Frau) in erhebliche Gefahr begibt. Abenzarsals Versuch, die romantischen Passionen von Don Enriques Widersacher mit Hilfe des Ehemannes der Umworbenen zu einer tödlichen Falle zu machen, stößt auf die entschiedene Ablehnung des christlichen Intriganten, der soweit nicht gehen möchte, nicht zuletzt deshalb, weil er die Vorstellungen von romantischer Liebe teilt. Die Entgegnung Abenzarsals (ebd.: 244 f.), wiewohl mit Überzeugung vorgetragen, bildet den extremen Gegenpol des romantischen Credos, das Larra bekanntlich bis zur letzten Konsequenz teilte: ,,¿Y bien? ¿Serán los primeros que hayan muerto víctimas de su necedad? ¿Soy yo, por ventura, quien les ha persuadido de que vale tanto una hermosura pasajera como la vida del hombre? Si no han aprendido a conocer a la mujer, ¿será nuestra la culpa de su muerte? ¡Insensatos! Las que consienten en morir por un ser pérfido no merecen que dé nadie dos pasos para salvarles la vida." Die empörte Antwort Don Enriques ist unverkennbar die des Autors selber: „¡Sofisma, Abenzarsal, bárbaro sofisma!" Auch das melodramatische Ende des Romans mündet in eine erneute Anklage (ebd.: 412) des „pérfido judío": Während die christlichen Zentralgestalten, selbst der ziemlich skrupellose Intrigant Don Enrique Villena, die jeweiligen Konsequenzen ihres Handelns in Kauf nehmen - Tod, Verbannung und soziale Ächtung - , gelingt es dem eigentlichen Drahtzieher der Intrigen, seine Haut zu retten. In dieser Verkörperung des Bösen schlechthin, lediglich eine „misantrópica sabiduría del judío" am Werke zu sehen, wie der Herausgeber (ebd.: 34) schreibt - übrigens ohne die leiseste Kritik an Larras judenfeindlichen Stereotypen - , kommt deshalb einer euphemistischen Verharmlosung gleich. Eine andere Einstellung läßt dagegen die Maurenthematik erkennen. Sie ist zwar nicht, wie im Falle des königlichen Hofjuden Abenzarsal, durch eine exponierte Romanfigur präsent; sie ist auch keineswegs frei von stereotypen Allgemeinplätzen, die zumeist nur als Erzähldekor fungieren; die zahlreichen Textstellen, die sich auf maurische Themenaspekte beziehen, lassen aber doch in Umrissen ein kulturelles Bild entstehen - ein Bild, das im Unterschied zu den finsteren Judenporträts eher in Pastellfarben gemalt ist. Neben zahlreichen, aber beiläufigen Bemerkungen, etwa (ebd.: 59) über den Hauptschauplatz des Geschehens - „Madrid, el antiguo castillo moro"

über (ebd.: 72) „aromas deli-

ciosos del oriente [...] que habían introducido los árabes entre nosotros" oder (ebd.: 275) über „la guitarra morisca" als direkte Anspielung auf den Arcipreste de Hita - neben Bemerkungen solcher Art deutet Larra seine maurenfreund-

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liehen Tendenzen in der Gegenüberstellung der beiden männlichen Protagonisten Don Enrique und Marías an. Ersterer ist nicht nur ein machtbessener Intrigant und, wie sein williges Werkzeug Abenzarsal, mit unheilvollen alchimistischen Versuchen beschäftigt; auch sein Aussehen suggeriert (ebd.: 108) den ,Semijuden': „Su nariz afilada y su boca muy pequeña le daban todo el aire de un hombre sagaz, penetrante, vivo, falso y aun temible." Im Vergleich zu ihm (ebd.: 108 f.), besitzt der titelgebende doncel Macías, Larras Inkarnation romantischer Wertvorstellungen par excellence, eine wohlproportionierte Physiognomie - „su nariz bien delineada" - , die mit den inneren Eigenschaften korrespondiert: „su talento, su natural arrogancia y la elevación de sus pensamientos." Larra faßt die positiven Merkmale seiner romantischen Idealgestalt im direkten Kontrast zu deren Widerpart so zusammen: „El interlocutor que enfrente tenía [Villena, N.R.] era un mancebo que en caso de duda hubiera podido atestiguar con su propia persona la larga dominación de los árabes en Castilla." Zahlreiche weitere Anspielungen auf die Maurenthematik weisen demgegenüber einen leicht ironischen Duktus auf. Etwa der Tod eines bedeutenden Calatrava-Ritters, der dem König in der Person von Abenzarsal (ebd.: 189) mit folgenden Worten mitgeteilt wird: „Una columna de la cristianidad española yace derribada, el rayo contra el moro de Granada se extinguió." Läßt sich hier der ironische Unterton auch als Respektlosigkeit des Juden gegenüber dem christlichen Wertekanon lesen, richtet sich die Komik der folgenden Szene (ebd.: 196 f.) vor allem an die maurische Adresse. Der Besuch eines Botschafters des „sublime Mohamet Alcagi" am Hofe Enrique III. verweist zwar auf bestehende Kontakte zwischen den Kriegsparteien, ridikülisiert indessen das jeweilige Wissen vom Anderen, hier der Moslems von den Christen: „El Rey, mi amo, noticioso de la grandeza de tu reino, acepta la amistad y buena correspondencia que con tus embajadores le enviaste a ofrecer. El Profeta te sea en ayuda, te dé sus salutaciones. En muestra de buena amistad", lautet die ironische Freundschaftsgeste, „envíate el Rey mi señor el presente de joyas y las dos hermosas damas que te traje para tu harem". Die Komik dieser erotischen Offerte scheint, zumindest partiell, mit Larras Vorstellungen von romantischer Liebe zu korrespondieren, die, wie im Leben und Werk anderer Romantiker, in Liebesdingen durchaus an bestehenden Tabus rüttelten. Dementsprechend dürfte das folgende Bekenntnis (ebd.: 324) von Elvira, die trotz ihres Eherings von Larras Alter ego Macías heftig umworben wird, von vielen zeitgenössischen Lesern als Sakrileg empfunden worden sein: „Le amo, le amo con furor, y el infeliz lo sabe. [...] Sus ruegos pudieran vencerme". Die Vermutung liegt nahe, daß es vor allem

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die hispanoarabische Sinnlichkeit war, die den Erzähler dazu bewogen hat, einige, wenn auch reichlich stereotypisierte Versatzstücke aus Tausend und einer Nacht in den Roman zu integrieren. So ist es vermutlich kein Zufall, daß sich der einzige längere Passus mit genuin maurischer Thematik auf ein legendäres ,Liebesschloß' bezieht, das noch aus der Maurenherrschaft stammt und auch für das dramatische Crescendo des Romangeschehens von zentraler Bedeutung ist: In dem verwunschenen Gemäuer hält der intrigante Don Enrique seine Ehefrau gefangen, dort findet Macias den Tod und seine - unerreichbare - Geliebte verfallt dort dem Wahnsinn. Die Legende erzählt, berichtet der Autor (ebd.: 332 ff.), daß der Bauherr des Schlosses in seinen Mauern „sus brutales deseos" befriedigt habe, „pues todas las tradiciones convenían en que éste había sido el flaco del moro encantador y descomunal." Schuld an der sexuellen Inkontinenz sei jedoch eigentlich eine Frau gewesen: „El moro había amado en sus lucidos abriles a una mora llamada Zelindaja, hija de un reyezuelo de Andalucía; la cual había correspondido primero a su pasión, pero le había dejado después, sin verdadero motivo, por otro y otros moros sucesivamente, con la natural facilidad y ligereza de su sexo leal y encantador." Erst aus Rache für die Promiskuität seiner Geliebten sei der Schloßherr fortan zum Unhold geworden: Alle Frauen, die das Schloß betraten und es seien viele gewesen - , hätten sich unrettbar in den Mauren verliebt, der sie jedoch nach kurzer Zeit in die dunklen Verliesen einsperrte und ihrem Schicksal überließ. Das gleiche Schicksal habe schließlich auch Zelindaja selbst ereilt. Mit Hilfe magischer Kräfte sei sie dem Mauren erneut verfallen. Bevor auch sie in den Kerkern verschwand, habe der Schloßherr auf ihre Liebesschwüre geantwortet: ,,¡Ay, mora mía, es tarde!" Seitdem laste ein Fluch auf dem Schloß: „Excusado es, pues, decir que no tendría el castillo muchos aficionados, porque era común opinión que él que llegaba a poner el pie en él, hallándose enamorado, ya nunca había de oír más consuelo ni esperanza amorosa que aquel fatal es tarde, que a la fundación y suerte del castillo presidía." Noch viele Jahrzehnte später, so läßt sich das dramatische Ende des jungen Doncel und dessen Geliebter deuten, hatte der Fluch noch nichts von seiner zerstörerischen Kraft verloren.54 Mehr noch: Wie der Erzähler berichtet, hatten die bösen Zauberkräfte des moro die Mauern des verwunschenen Schlosses sogar überschritten: „Era igualmente aborrecido el moro y maldecido su nombre 54

Diese Lesart deutet der Autor (ebd: 422), freilich mit ironischem Augenzwinkern, selber an: „No faltó en la comarca quien creyó que sólo podía ser la mora encantada la que parecía triunfar, con bárbaro regocijo [...] el fatídico: ,¡Es tarde! "'

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y su memoria en la comarca, porque no había amante desairado que no creyese deberle aquel singular favor a la influencia que ejercía todavía en muchas leguas a la redonda aun después de su muerte. No había padre que no creyese deberle la palidez de su hija, esposo que no imaginase obra suya el despego de su esposa, y zagal enamorado que no le pidiese más de una vez, en sus secretas oraciones, la revocación de la terrible suerte que había dejado en herencia al país en que había vivido." Die kollektive Pathologie, die Juan Goytisolo als Folge der verdrängten Sinnlichkeit der hispanoarabischen Epoche diagnostizierte - hier scheint sie ihren späten literarischen Niederschlag zu finden. Was den Erzähler betrifft, so trügt dieser Schein indessen. Denn mit wohlwollend-ironischer

Pose des

väterlichen Aufklärers, die an Feijoo gemahnt, gibt er seinen Lesern zu bedenken: „Nosotros, sin embargo, habremos de abogar por el moro, en primer lugar porque no creemos que tenga en el día influencia alguna el tal mago sobre nuestras mujeres, y, sin embargo, ni dejan de estar pálidas las incautas jovencillas, ni dejan de dar su amor a todos los diablos los enamorados zagales, ni se ha acabado el despego entre los esposos, ni deja de suceder con la Zenlindajas de que se compone el bello sexo, lo que con los hilos de las sábanas de angeo de la venta de Puerto Lápice, de los cuales decía Cide Hamete, que si se quisieran contar no se perdería uno solo de la cuenta." Scheint bei der Formulierung dieser Sätze der aufklärerische Impetus des zitierten Benediktiners Pate gestanden zu haben, der seine Landsleute ein Jahrhundert zuvor aus dem Bann von Hexen, Geistern und sonstigem Aberglauben befreien wollte, so hat bei der Abfassung des folgenden Passus offensichtlich der mehrfach im Roman zitierte Arcipreste de Hita dem Autor die Hand gefuhrt: „Si no tenia efectivamente otro delito el moro que engañar a sus amantes, enamorar primero para despreciar después, y variar de amor como de camisa, mal haya si encontramos por qué reconvernirle, en unos tiempos, sobre todo, en que cualquier mujer no necesitaba ser muy mora, ni muy hechicera por cierto, para hacer otro tanto cada y cuando le ocurre, que suele ocurrirles siempre. Somos demasiado defensores y amigos del bello sexo para hacer por ello inculpación alguna al inocente moro." Das Resümee der jüdisch maurischen Thematik dieses auf einem spätmittelalterlichen Schauplatz angesiedelten Romans fällt also recht zwiespältig aus: Weit davon entfernt, sich mit der komplexen Thematik der trikulturellen Convivencia auch nur halbwegs differenziert auseinanderzusetzen, liefert sie Larra lediglich das leblose Rohmaterial für ein historisches Bühnenbild, vor dem sich ein zeitgenössisches Drama abspielt. Die einzelnen Rollen sind überdies sehr

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ungleich besetzt: Der Hofjude des Königs als abgrundtief böses Wesen der Finsternis, die Mauren dagegen als eine Art kulturhistorischer Edelrost, in seiner erotischen Dimension Quevedos „polvo enamorado" vielleicht verwandt, der, zu historischem Puderzucker verarbeitet, noch dazu taugt, den reichlich groben Historiengemälden den Anschein von Authentizität zu geben.

Die groben Klischees, die Larra reproduzierte, mögen dem Autor von El señor de Bembibre, zumindest mit Blick auf die Juden, als Vorlage gedient haben. Im Mittelpunkt des historischen Romans, den Enrique Gil y Carrasco (1815-1846) zwei Jahre vor seinem Tod (1844) publizierte, steht der unaufhaltsame Niedergang des Orden de los Templarios zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Obgleich die Handlung, in die der Autor eine melodramatische Liebesgeschichte eingewoben hat, der Geschichte des Ordens im Grundmuster folgt, verstand er den historischen Stoff auch und gerade als gegenwartspolitische Allegorie: Vor dem Hintergrund der „desamortización", so der Herausgeber (1986: 29) der vorliegenden Edition, „es evidente que veía en el ideal caballeresco un medio de regeneración del alma española". Wie man die zeitgenössischen Ambitionen des Romans auch immer interpretiert: Die allenthalben spürbare Bewunderung für den Kreuzfahrergeist des Ordens trägt eine deutlich anachronistisch-reaktionäre Handschrift, die durch die Stigmatisierung von Mauren und Juden - die hier im Mittelpunkt steht - deutlich akzentuiert wird. Die historischen Grundprämissen des Autors, vor deren Hintergrund er seine knapp vierhundertseitige Eloge auf die Kreuzfahrermentalität in Szene setzt, bestehen aus ziemlich kruden Reconquista-Bildern, aus, so wörtlich (ebd.: 263), „tantas glorias, honores y triunfos, cuando aquellos brazos invencibles tenían aún en la Península enemigos en quien continuar la gloriosa cruzada española de siete siglos." Der Lobgesang auf die Helden des Ordens, „aquella milicia religiosa" (ebd.: 243), ist dementsprechend temperiert und völlig frei von kritischen Zwischentönen: „Los Templarios", so eine der zahlreichen Passagen (ebd.: 92 f.), die den Leser historisch situieren sollen, „con efecto eran el símbolo vivo y eterno de aquella generosa idea que convertía hacia el sepulcro de Cristo los ojos y el corazón de toda la cristiandad. En su guerra con los infieles, nunca daban ni admitían tregua". Leider änderten sich die Zeiten allmählich, so das schmerzhafte Lamento des Autors (ebd.), zunächst diesseits der Pyrenäen: „apagado ya el fuego de las cruzadas a cuyo calor habían crecido y prosperado, su estrella comenzó a amortiguarse". Bald darauf auch jenseits der Pyrenäen (ebd.: 96):

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„Aunque entre los Templarios españoles, la continua guerra con los Sarracenos conservaba costumbres más puras y acendradas, y daba a su existencia un noble y glorioso objeto de que estaban privados en Francia, también es cierto, que los vicios consiguientes a la constitución de la Orden no dejaban de notarse en nuestra patria." Dennoch verkörpern die meisten Protagonisten des Romans, vor allem die Vertreter des Ordens, noch all jene ,Tugenden', die ihn ursprünglich groß und mächtig werden ließen. Ihr persönliches Scheitern, ein letztes, heldenhaftes Aufbegehren gegen den schlechten Lauf der Zeiten, symbolisiert auch das definitive Ende ihrer Ideen - ein rundum trauriges Ende, so die elegischen Worte (ebd.: 326 f.) eines der Protagonisten: „no residiré más en esta Europa ruin y cobarde que así abandona el sepulcro del Salvador, y sólo guerrea contra los que han dado su vida y su sangre por él". Eine der Kardinaltugenden des Ordens, seine eigentliche raison d'etre, bestand in der Verbreitung des Christentums, an deren wenig christlichen Formen Gil y Carrasco nicht den geringsten Anstoß nimmt. Dementsprechend firmieren (ebd.: 328) die Mitglieder des Ordens als „aquellos guerreros indomables y jurados enemigos de los infieles", die, was .Spanien' betrifft, in der „campaña contra los moros de Andalucía" (ebd.: 72) Ruhm und Ehre erwarben. Nirgendwo werden diese ideologischen Standardbegriffe der Hispanidad kritisch hinterfragt, nirgendwo wird ihr religiöser Fundamentalismus - „la cruz famosa, terror de los infieles" (ebd.: 86) - relativiert. Durchweg ist von „Ungläubigen" die Rede, hier und da (ebd.: 147) sogar von „los perros de Mahoma" - immerhin aus dem Munde eines der Hauptprotagonisten, von dessen ritterlichen Eigenschaften sich der Autor die Regeneration seines Landes erhoffte. Der ,Ungläubigkeit' der „mohammedanischen Hunde" entspricht offensichtlich ihr ,kulturloser Zustand': Denn während andere Autoren jener Zeit, häufig genauso intransigent in religiösen Fragen, den .Arabern' immerhin mehr oder weniger große Kulturleistungen bescheinigen, erschöpfen sich diese bei Gil y Carrasco lediglich in rassigen Araberhengsten mit maurisch-arabischen Namen: „Almanzor: nombre del célebre caudillo moro. Se ha escogido tal nombre", so die lakonische Fußnote des Herausgebers (ebd.: 71), „para evocar la raza de caballo." Im Unterschied zur amorphen Masse der islamischen „Ungläubigen", die nie als Menschen in Erscheinung treten,55 hat der Erzähler wenigstens die Juden in einer konkreten Figur personifiziert. Dessen Beschreibung (ebd.: 180 f.) fällt

55

Lediglich als Sklaven des Ordens, als „esclavo moro" (ebd.: 71), ohne menschlichkulturelle Eigenschaften.

Geschichte als Fiktion

253

indessen eindeutig aus: „un personaje de ruin aspecto, con ropa talar obscura y una especie de turbante o tocador blanco en la cabeza". Gemeint ist der físico und Rabbiner Ben Simuel, „hombre muy versado en los secretos de las ciencias naturales y a quien el vulgo ponía por lo tanto sus ribetes de nigromante y hechicero. Su raza y creencia le hacían odioso, y su exterior tampoco era a propósito, para granjearse el cariño de nadie." Diese Judengestalt, so abstoßend seine „Rasse", Religion und physische Erscheinung ihn auch machen - im Roman gehört er eher zu den Guten, zumindest als deren willfähriges Instrument: Der „ciencia de Ben Simuel", dem „astuto judío" (ebd.: 187), verdankt es der Ordensprotagonist Don Alvaro immerhin, daß er aus der Gefangenschaft seiner Feinde fliehen kann. Insofern, aber nur insofern, hat der Herausgeber recht, wenn er (ebd.: 181) die Rolle des Juden mit den Worten kommentiert: „E. Gil no lo muestra como charlatán o intrigante. Es un buen médico y honrado servidor." Über die kruden Antisemitismusklischees, die der Romancier ansonsten präsentiert, schweigt sich dieser Autor allerdings aus. Deshalb ist seine Laudatio (ebd.: 54) auf den Autor des Romans, zumindest was dessen trikulturelle Dimension betrifft, nur mit äußerster Vorsicht zu lesen: „Quiere ser un guía para su país, presentar en sus obras un ejemplo político liberal y generoso, pero opuesto igualmente al carlismo y a los excesos revolucionarios."

VII. Geschichte als Wissenschaft: Juden und Mauren in historischen Standardwerken Das Gemisch aus Mythen, Legenden und Fakten, aus dem die Autoren der Romantik ihre literarische Sicht der nationalen Geschichte konstruierten, stimmt in einigen Aspekten durchaus mit dem überein, was die Historiker des 19. Jahrhunderts als wissenschaftliche Version präsentierten: Die historische „Erfindung Spaniens", wie in dem gleichnamigen Kapitel bereits skizziert wurde, war häufig nicht weniger fiktional als das Œuvre ihrer Schriftstellerkollegen. Insofern ist es kein Zufall, daß Literatur und Historiographie stets gemeinsam die Erfindung der nationalen Geschichte betrieben: Es war vor allem „die romantische Sensibilität gegenüber der Geschichte" (Moreno Alonso 1979: 34), in der die ersten Historikergenerationen ihre raison d'etre sahen - unter Einschluß der romantischen Vorliebe fur das Mittelalter. Dennoch fiel der Geschichtsschreibung, und das erklärt ihren besonderen Aufstieg im 19. Jahrhundert, eine besondere Rolle zu, die die Literatur so nicht erfüllen konnte. Die „neue Nationalgeschichte", schreibt Inman Fox (1997: 24 f.), steht mit dem Übergang von monarchischen zu bürgerlichen Strukturen in enger Verbindung: Die „dynastische Legitimität" wird, wenn auch nur allmählich, durch eine „legitimidad populär" ersetzt - „darin besteht eine der großen politischen Veränderungen der modernen Zeit". Eines der Hauptcharakteristika des neuen historiographischen Genres, das auch bei den im folgenden untersuchten Autoren ins Auge springt, ist ihre Tendenz zur „historia général", zu Gesamtdarstellungen, die - wenn auch, wie im Falle von Amador de los Rios und Adolfo de Castro, auf einen Aspekt der Geschichte konzentriert - bereits in ihrer globalen Untersuchungsperspektive nationale Kontinuitäten suggerieren. Und die standen, wie der zitierte Legitimationsfaktor bereits erkennen läßt, in der Tat im Mittelpunkt der neuen Disziplin, trotz aller Unterschiede in der Interpretation geschichtlicher Ereignisse und deren Protagonisten - Unterschiede, die vor allem das politische Credo des Autors widerspiegeln. Doch auch hier, in der Bewertung ,neuralgischer' Kapitel der Geschichte, gibt es zahlreiche Gemeinsamkeiten, die häufig eine Art „nationalen Grundkonsens" (Pike 1971: 5) markieren. Dazu zählen, was die hier untersuchte Thematik betrifft (Jover 1984: 4 ff.), vor allem die Reconquista als „nationale Formationsepoche" und das „Einigungswerk" der Katholischen Könige. Strittig ist dagegen die Bewertung der Inquisition und - damit im Zusammenhang - der beiden Minderheiten, allerdings nur bis zu einem bestimmten Grad. Selbst liberale Historiker, etwa aus dem Umkreis des Krausismus, versuchten sich nur allzu

256

Geschichte als Wissenschaft

häufig in der bekannten Quadratur des Kreises: Der Zurückweisung der Inquisition als Symbol von religiöser Intoleranz und ökonomischer Dekadenz, schreibt Fox (1997: 40), stehe „zur selben Zeit" die Tendenz gegenüber, Philipp II. als „echten spanischen Monarchen" auf den Schild zu heben. Diese Tendenzen nämlich, auch solche Kapitel der peninsularen Geschichte dem nationalen Wertekanon zuzuschlagen, die liberalen Positionen eigentlich widersprechen etwa die liberale „Dekadenz"- Kritik (ebd.: 41) - , lassen sich selbst in dem 1910 gegründeten Centro de Estudios Históricos

ausmachen, dessen liberaler Geist

unübersehbar ist: Die „nationalistischen Bestrebungen", schreibt Teresa R. de Lecea (1988: 12), waren „von Anfang an" vorhanden. Zu den Gemeinsamkeiten rechnet Fox (1997: 53) darüber hinaus die Neigung, „ausländische Einflüsse" zu „hispanisieren" - auch dafür finden sich im folgenden Kapitel deutliche Belege, speziell mit Blick auf die , aus ländischen' Einflüsse von Juden und Mauren. Der auffalligste Aspekt, zumindest mit Blick auf die hier untersuchte Thematik, besteht indessen in der zentralen Bedeutung, die die Historiker dem spanischen Mittelalter beigemessen haben: „Se ha insistido en que - como fuente de inspiración", bilanziert Mitre Fernández (1999: 84) diesen Aspekt, „la Edad Media fue al siglo XIX lo que Antigüedad al Renacimiento. El historicismo romántico, ya tradicionalista, ya revolucionario, vio en el Medievo un espejo en el que mirarse. Por un lado, porque se trataba de la época de los héroes y los santos. Por otro, porque en aquellos tiempos se habían esbozado los conceptos de patria y nación". Die Zahl der einschlägigen Publikationen, so läßt sich dem Beitrag von Mitre Fernández entnehmen, ging vermutlich in die Hunderte ... Die sechs Autoren, deren Werke hier vorgestellt werden, geben lediglich einen ersten Einblick in das weite Feld der spanischen Geschichtsschreibung, das unter der hier relevanten Fragestellung noch nicht untersucht wurde. 1 Obwohl repräsentative Aussagen damit nicht möglich sind, handelt es sich doch um Autoren, die, aus unterschiedlichen Gründen, damals besonders einflußreich 1

Zur Zeit ist Nitai Shinan von der Hebrew University of Jerusalem damit beschäftigt, das Juden- und Sephardenbild der spanischen Historiker des 19. Jahrhunderts zu untersuchen. Wie es scheint, stellt die Geschichte der spanischen Historiographie noch insgesamt ein ziemlich großes Desiderat dar. Ein wichtiges Referenzwerk stellt in diesem Zusammenhang, auch mit Blick auf die Mauren- und Judenthematik, der kürzlich (1999) von José Andrés-Gallego herausgegebene Sammelband Historia de la historiografía española dar. Neben dem bereits zitierten Beitrag von Emilio Mitre Fernández über La historiografía sobre la Edad Media enthält das Buch auch wertvolle bibliographische Hinweise auf die Geschichtsschreibung der letzten Jahrzehnte, die sicher auch zur Erforschung des neueren Mauren- und Judenbildes in Spanien äußerst nützlich sind.

Geschichte als Wissenschaft

257

waren (und zum Teil noch sind): In ihren Büchern läßt sich gleichsam der Pegelstand des historischen Wissens ablesen, ohne damit, wie in der Einleitung bereits betont, einen direkten Ursache-Wirkungs-Nexus auf die Literatur zu suggerieren. Wie an verschiedenen Stellen der Untersuchung deutlich wird, lassen sich jedoch zahlreiche Rezeptionslinien verfolgen, die auf eine erhebliche Wirkung dieser historiographischen „Standardwerke" (Veegh) verweisen. Das gilt in ganz besonderem Maße für das Pionierwerk von José Amador de los Ríos, das, obwohl erst ein Jahr nach Adolfo de Castro y Rossis Historia de los judíos en España erschienen, die interessierte Öffentlichkeit mit Informationen über die Geschichte der spanischen Juden versorgte, die bis dato so nicht existiert hatten. Zusammen mit Adolfo de Castro legte Amador de los Ríos damit eine Art Grundstein der nationalen Forschung, auf dem andere Autoren weiter aufbauten - unter Einschluß einiger historischer Weichenstellungen, die bereits bei den genannten Autoren in die falsche

Richtung wiesen, trotz aller Meriten, die ihre Bücher

besitzen. Zu denen, die von dem Pionierwerk profitierten, zählt insbesondere Marcelino Menéndez Pelayo, der auch andere Werke von Amador de los Ríos, etwa seine Historia de la literatura española, für seine Arbeiten stets herangezogen hat (Navas Ruiz 1990: 353). Obwohl sich das riesige Œuvre des konservativreaktionären Historikers des 19. Jahrhunderts nur eher en passant mit der trikulturellen Geschichte beschäftigt, hat der polemische Vielschreiber doch wie kein anderer historische Leitplanken errichtet. Sie erwiesen sich nicht nur als ziemlich langlebig; sie boten, zumindest partiell, auch solchen Intellektuellen historische Orientierungen, die seinem politischen Credo im Grunde sehr fern standen. Unter den ideologischen Abnehmern Menéndez Pelayos (Varela 1999: 71 ff.) befanden sich so unterschiedliche Charaktere wie Ramiro de Maeztu, Rechtsaußen der 98er Generation, und Diego Abad de Santillán, der Cheftheoretiker der anarchistischen FAI. Zu den Denkwürdigkeiten dieses Autors, dessen nationalkatholische Verve kaum zu überbieten war, gehört allerdings auch ein Aspekt, der hier wohl zum ersten Mal zusammenfassend untersucht worden ist: Seine gründlichen Kenntnisse und seine weitgehende Akzeptanz der jüdisch-maurischen Geschichte. An dem Santandiner Universalgelehrten, dessen Œuvre die Kulturgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts so nachhaltig prägte, fuhrt somit kaum ein Weg vorbei. Das gilt auch für die beiden „wichtigen Figuren des

regeneracio-

nismo" (Fox 1997: 59), Joaquín Costa und Rafael Altamira, in deren Werk, so Fox, „die Verbindung zwischen Historiographie, Politik und nationaler Identität

G e s c h i c h t e als Wissenschaft

258

eine herausragende Rolle spielt". Die Schriften des k o n s e r v a t i v e n

Liberalen'

Costa und des l i b e r a l e n Liberalen' Altamira wurden, neben ihrem enormen Wirkungsradius, hier vor allem deshalb untersucht, weil sie das ,andere Spanien' symbolisieren - j e n e s Spanien, das sich, w e n n auch mit höchst unterschiedlichen historisch-politischen Rezepten, aus seinen nationalkatholischen Traditionen zu befreien suchte. H a l b w e g s geglückt ist dieser Versuch nur in den Büchern von Altamira. Die historisch-politische Optik von Costa, dem „spanischen Fichte", ist d a g e g e n durch und durch mythologisch

- trotz einer gewissen Sympathie f ü r

die beiden historischen Minderheiten. Den A b s c h l u ß dieses ersten approach

an die breite Palette von Historikern,

die im 19. Jahrhundert geboren wurden, bildet R a m ó n M e n é n d e z Pidal, „sin duda el gran patriarca de la crítica literaria y de la historia" (Mitre Fernández 1999: 88), dessen u m f a n g r e i c h e s Werk und außerordentlich langes Leben ( 1 8 6 9 1968) historiographische Markierungspunkte setzte, die, auf ihre Weise, so schulbildend wirkten wie die seines Lehrers Marcelino M e n é n d e z Pelayo.

1. „Die Tyranei der Christen | u n d ] der Fanatismus des Judentums": Das Pionierwerk von José A m a d o r de los Ríos Spätestens seit 1848, als A m a d o r de los Ríos' 2 ( 1 8 1 8 - 1 8 7 8 ) voluminöse G e s a m t darstellung über Los judíos

de España.

Estudios

históricos,

políticos

y

literarios

erschienen war, ging die nationale Wissensvakanz im Verhältnis zur peninsularen Judengeschichte prinzipiell zu Ende: Von nun ab gab es eine u m f a s s e n d e Darstellung der wichtigsten Stationen der jüdischen Präsenz auf der Halbinsel und ihrer kulturellen Leistungen, unter Einschluß der sephardischen Diaspora von 1492 bis ins 19. Jahrhundert. Die Rezeptionskarriere dieses Buches ist zwar 2

A b 1847 war der in Sevilla geborene Autor Professor in Madrid. N e b e n der bereits erwähnten Literaturgeschichte hat A m a d o r de los Ríos kunsthistorische Schriften verfaßt und war regelmäßiger Mitarbeiter der Revista de España, für die er kulturhistorische Artikel, vor allem über das spanische Mittelalter, schrieb. Seine Gedichts a m m l u n g Poesías von 1839 ist zu Recht in Vergessenheit geraten - seine Meriten, die er z w e i f e l l o s besaß, lagen auf dem Gebiet der Kultur- und Literaturgeschichte. N i c h t zuletzt deshalb habe ich darauf verzichtet, seine mehrbändige Historia social, política y religiosa des los judíos des España y Portugal ( 1 8 7 5 - 1 8 7 6 ) in die Unters u c h u n g aufzunehmen. D i e s e s Werk ist nicht nur „un tanto prolija y grandilocuente", w i e Mitre Fernández ( 1 9 9 9 : 9 5 ) zu Recht schreibt; e s enthält auch keine grundsätzlich neuen S i c h t w e i s e n des Autors: Sein kulturhistorisches .Vermächtnis' ist und bleibt sein hier untersuchtes Pionierwerk.

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noch weitgehend im Dunkeln; es scheint jedoch eine Art Zäsur markiert zu haben: Monika Veegh (1990: 33) zählt es „bis heute zu den Standardwerken auf diesem Gebiet". Für Marcelino Menéndez Pelayo (1895: 357) handelt es sich um „la obra tan erudita y meretoria". Und Salvador de Madriaga (1964: 4) lobt es als Exempel für „impartiality and [...] sympathetic understanding." Daß es damit auch von Autoren gelobt wurde, deren Geschichtsverständnis mehr oder weniger stark nationalistisch getrübt ist, wundert dabei weniger als die Tatsache, daß zu den Lobrednern auch eine so kritische Autorin wie Monika Veegh gehört: Dieses Buch als „Standardwerk" zu bezeichnen, das „bis heute" seinen Wert behalten hätte, ist, gelinde gesagt, ziemlich gewagt. Denn bereits damals, zum Zeitpunkt seines Erscheinens, mußte die ideologische Gradwanderung, die der Autor unternimmt, nämlich die historische Schuld an der peninsularen Judenverfolgung salomonisch

auf Opfer und Täter zu verteilen, kri-

tischen Lesern höchst suspekt erscheinen - nur so erklärt sich augenscheinlich das zitierte Lob eines Menéndez Pelayo. Die ideologischen Ambivalenzen Amador de los Ríos', vor allem sein christlich motivierter Antijudaismus, der auch moderne Judenklischees kolportiert, erstrecken sich auf sämtliche Stationen der jüdischen Geschichte, beginnend mit dem nationalen Gründungsmythos, der Reconquista: Von den „sectarios de Mahoma" in die Berge von Asturien zurückgedrängt, so der Auftakt der nationalen Geschichte (1848: 22 f.), dessen Form und Inhalt Menéndez Pelayo sicher besonders gefallen hat, „los pocos cristianos que no habían querido doblar el cuello al yugo sarraceno, y exaltados allí por los recuerdos patrióticos y por los sentimientos religiosos, echábanse los cimientos á la nueva monarquía". Und deren Ideale - Patriotismus und Religion - bestimmten schon bald den zukünftigen Lauf der Geschichte: „la grande obra de la reconquista echaba más profundas raíces [...] El entusiasmo religioso de aquellos valerosos campeones de la patria, de aquellos restauradores de la libertad, crecía al par que su heroísmo se exaltaba en medio de los combates." Kein Klischee wird ausgelassen, kein Superlativ wird als zu monströs empfunden, wenn es darum geht, die selbstlosen Helden der Reconquista, die als „la guerra de ocho siglos" (ebd.: 178) firmiert, zu besingen. Dabei hätte der in der nationalen Literaturgeschichte durchaus bewanderte Autor nur den Cid lesen müssen, um die ins Überirdische entrückten Motive seiner national-religiösen Heroen auf der Erde zu belassen. 3

3

Dementsprechend firmiert (ebd.: 30) auch die Schlacht von Navas de Tolosa als historische Zäsur, die „la libertad de Espafia" bewirkte.

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Eine andere Legeride aus der Zeit der frühen Reconquista sucht man dagegen erfreulicherweise vergeblich: Die peninsularen Juden werden nicht des nationalen Hochverrats beschuldigt. Amador de los Ríos ist zwar kein Freund der islamischen Invasoren, 4 hält die Juden aber nicht für deren Fünfte Kolonne. Im Gegenteil: Nachdem, so der Autor (ebd.: 23), „el primer ímpetu de la venganza" vorüber war, sei es den Minderheiten, Juden und Mauren, in den von Christen dominierten Gebieten im großen und ganzen recht gut ergangen: „Los judíos que tal vez con mayor justicia, habían sido objeto de su odio [!], comenzaron á ser admitidos en las ciudades conquistadas, en donde permanecieron también los musulmanes con el nombre de mudejares, aunque no abandonaron los errores del falso profeta." In dem sich allmählich ausdehnenden Herrschaftsgebiet der Christen, für das sich der Autor fast ausschließlich interessiert, weist er (ebd.: 24) den Juden, gleichsam im Sinne einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung, sogar eine Schlüsselrolle zu: „Los goces de la guerra y del campo no fueron al cabo suficientes para satisfacer las necesidades de la vida: los elementos de cultura que estaban en manos de los judíos, llegaron á ser indispensables á los cristianos". Die argumentativen Widersprüche, in die sich der Autor allenthalben verzettelt, springen jedoch bereits hier, in der Beurteilung der gesellschaftlichen Bedeutung der Juden, deutlich ins Auge. Einerseits schreibt er (ebd.: 39), daß sich „der Reichtum", den das „hebräische Volk" besaß, „unmittelbar zum Nutzen des christlichen Volkes" ausgewirkt habe. Andererseits hält er (ebd.: 109 f.) „die Privilegien und Freiheiten, die die Juden kraft ihres Goldes" erworben hätten, für ein zentrales und völlig verständliches Motiv ihrer Verfolgung: „No puede, pues, estar más patente el odio que aquella raza malhadada inspiraba á todos los pueblos y á todas las clases y gerarquías entre los cristianos." Die gleichen Widersprüche treten zutage, wenn Amador de los Ríos auf die eher religiös 4

In seinem kunsthistorischen Essay Toledo Pintoresca, der einige Jahre zuvor erschienen war, schreibt er (1976: 2) über die maurische Invasion unter dem Banner „de un falso profeta" in der zeitüblichen Reconquista-Diktion: „Y aquel pueblo [...] aprestó sus falanges para la pelea é inundó á España de hombres y caballos [...] imponiéndo su pesado yugo". Auch sonst fehlt kein Klischee: Erst viele Jahrhunderte später, „[después] de una encarnizada lucha de siete siglos", so seine Sicht (ebd.: 10), hätten „los estandartes de la Cruz" (ebd.: 3) die Mauren wieder aus dem „Vaterland" vertrieben. Für die religiöse Convivencia, die die Mauren ermöglichten - „cuya tolerancia en materia de religión nadie osará poner en duda" (ebd.: 235) - , empfand er indessen durchaus Sympathie, auch für ihre kulturellen Leistungen: Die „aversión sistemática", die dem kulturellen Erbe des Islam auf der Halbinsel noch immer entgegenschlage, kritisierte er (ebd.: 216) als „profunda ignorancia."

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motivierten Konflikte zu sprechen kommt. Hier beschuldigt er (ebd.: 28) die Christen, etwa in Toledo: „ofendían á los hebreos impunemente, se apellidaron y reunieron para ejecutar en ellos su safta, dando por único pretexto el odio de la religión que aquellos profesaban". Obwohl er seine Kritik am christlichen Fanatismus noch häufig wiederholt, und das in einer Diktion, deren polemische Schärfe zeitgenössischen Lesern konservativer Façon Zornesröte ins Gesicht getrieben haben dürfte, hat er den Juden doch stets eine entscheidende Mitschuld zugesprochen. Typisch ist der folgende Satz (ebd.: 126), der sie in einem Graubereich zwischen Opfern und Tätern ansiedelt: „El fanatismo religioso [der Juden, N.R.] que les hacía sufrir tantas penalidades y les prestaba aliento en medio de sus fatigas y congojas, no pudo dejar de exaltarse, al reconcentrarse en sí mismos aquellos desgraciados; llevándoles al crimen y haciéndoles que se ensangrentaran contra víctimas inocentes, ya que les faltaba el valor para luchar frente á frente con los poderosos." Was von dem zitierten Lob der „Unparteilichkeit" und des „sympathiegeleiteten Verständnisses" Madariagas in Wirklichkeit zu halten ist, zeigen besonders jene Passagen des Buches, in denen sich sein Autor mit den „Verbrechen" der Juden beschäftigt - eine der Hauptursachen, insinuiert er (ebd.: 128), ihrer schließlichen Vertreibung: „impulsados por un torpe sentimiento de venganza y de fanatismo apresuraban su perdición, cometiendo errores y crueldades que ofendían la humanidad y daban una cabal idea de su total envilecimiento". Die üblichen Anschuldigungen, Hostienfrevel und ritueller Kindermord, bezeichnet der Autor zwar nur als Vermutungen, „más o menos verosímiles, hasta que". Und nun folgt der ,Beweis' auf dem Fuße: „hasta que un hecho cruel y digno solamente de almas desposeídas de elevados sentimientos, vino, según se cuenta [!], á esclarecer las sospechas, dando la señal terrible, que hacía algún tiempo era esperada por los enemigos del judaismo". Gemeint ist der berühmt-berüchtigte ,FalI' des „Niflo de la Guardia", dessen trübe zeithistorische Quellen Amador de los Ríos nun ausfuhrlich und anschaulich5 zitiert und (ebd.: 129) in der ihm eigenen Art und Weise kommentiert: „Este es el hecho: verdad ó pretexto [!], se divulgó en breve, apareciendo á los ojos de la muchedumbre, como un espantoso crimen." Wahrheit oder Prätext - der argumentative Zickzackkurs, den der Autor eingeschlagen hat, leistet denen, fur deren historische Rehabilitierung er sich angeb-

„crucificando los judíos á un niflo y sacándole el corazón por el costado, cuando aleri' taba todavía" (ebd.: 148).

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lieh engagiert, einen Bärendienst nach dem anderen. So wunderte sich der unbedarfte zeitgenössische Leser vermutlich nicht darüber, daß „la aversión natural y justa [...] con que los castellanos veían á los descendientes de Judá" (ebd.: 62), sich auch in Pogromen Luft verschaffte. Dementsprechend zwiespältig, ganz nach dem bekannten Sowohl-als-auch-Strickmuster,

fallen denn auch die

Beschreibungen der Judenmassaker im späten 14. Jahrhundert aus. Kein Zweifel: Amador de los Ríos (ebd.: 77) empfand sie als abstoßend, als Attentat „contra las buenas máximas sociales", als „una grave ofensa á la humanidad, al evangelio y á las leyes del reino". Auch Anstifter und Täter weiß der Autor (ebd.: 62), wenngleich etwas seitenverkehrt,

auseinanderzuhalten: „de la plaza pública [pasó] el

òdio á la cátedra santa de la predicación". Die barbarische Mordbrennerei hatte indessen, insinuiert er (ebd.: 84) ziemlich unverblümt, auch ihre guten Seiten: die Konversion zum wahren Glauben. Über einen der schlimmsten Protagonisten der blutigen Zwangsbekehrungen, San Vincente Ferrer, schreibt er, „recorriendo multitud de poblaciones, con la fé en el corazón, con la persuasión en los labios [...] alcanzó en un solo día la conversión de más de cuatro mil judíos toledanos". Der argumentative Pendelschlag zwischen empörter Verurteilung und kaum verhüllter Akzeptanz der Judenverfolgung wirkt, zumindest aus heutiger Sicht, geradezu grotesk. Hat Amador de los Ríos diese .Argumentationsstrategie' bewußt gewählt, um den antisemitischen Zeitgeist ein Stück zu unterlaufen? Oder war er tatsächlich so unentschieden, und damit um eine ,differenzierte' Sicht bemüht? Vieles spricht dafür, daß es vor allem sein katholisches Credo war, das ihn, trotz aller ehrlich anmutender Empörung über die antijüdische Gewaltspirale, auf Distanz zu der verfolgten Minderheit hielt. So entspricht etwa der obigen Freude über die Konversionsbilanz von religiös motivierten Judenketzern á la Ferrer die Behauptung (ebd.: 86), die spätmittelalterlichen Religionsdisputationen von Juden und Christen wären „con la mayor imparcialidad y parsimonia" durchgeführt worden, ganz so, als hätte es sich bei diesen Veranstaltungen um „herrschaftsfreie Diskurse" im Sinne von Jürgen Habermas gehandelt! Dabei ging es den christlichen Organisatoren von damals und - wie die folgenden Zeilen illustrieren - auch dem Autor des 19. Jahrhunderts vor allem um eins: „un empeño tan decidido en que abrazasen la fé de Cristo sus compatriotas, pues al abrazarla, lavaban la mancha que había caído sobre aquella raza, y expiaban el pecado de la incredulidad que los traía errantes, sin patria, sin hogar y sin templo". In diesem Lichte betrachtet, relativieren sich auch die Elogen, die der Autor auf die kulturellen Leistungen der spanischen Juden anstimmte - sein Hauptanliegen - doch erheblich. Sie befinden sich zwar weitgehend im Einklang mit der

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historischen Wirklichkeit, gelten aber fast ausschließlich der universellen Dimension jüdischer Gelehrsamkeit: „los hebreos, emulando hasta cierto punto la sed de gloria y el amor á las ciencias que abrigaba el pueblo de Mahoma", lautet eine der vielen Lobreden (ebd.: 30), die zugleich den Mauren gilt, „contribuían por su parte á inocularle en el cristianismo". Obwohl sich Amador de los Ríos für die religiöse Dimension der jüdischen Gelehrsamkeit kaum interessiert schließlich handelt es sich um einen ,Irrglauben' - , ist er jedoch über den universellen Stellenwert der jüdischen Koryphäen gut unterrichtet: „en la medicina", heißt es (ebd.: 248) zum Beispiel über das maurisch dominierte Córdoba, „llegaron á rivalizar y aun oscurecer á los griegos, como afirman los escritores hebreos, cuando comparan á Maimonides con el famoso Hipócrates". Neben zahlreichen anderen Beispielen würdigt er (ebd.: 250) vor allem die intellektuelle Leistung von Maimonides, „aquella brillante lumbrera de la inteligencia humana", der sich auf vielen Wissensgebieten dauerhaften Ruhm erworben habe. Als eine Art früher Regenerationist sah er in dem kulturellen und wissenschaftlichen Zenit, den vor allem die Juden im christlichen Spanien bewirkten, eine historische Alternative, die jedoch (leider?) nicht zum Zuge kam. Besonders augenfällig (ebd.: 266) kamen die kulturellen Spitzenleistungen der Juden im christlichen Toledo zur Geltung, „[donde] el pueblo cristiano sin ciencias, sin literatura y sin una lengua enteramente formada, pudo asimilarse, por decirlo así, los esfuerzos de una raza con la cual no le unían estrechos vínculos, de una raza á quien cada momento amenazaba con el incendio ó la muerte". Inmitten der kulturellen Finsternis, in der das christliche Spanien „casi absolutamente" (ebd.: 268) kulturell vor sich hin vegetierte, habe es jedoch eine Lichtgestalt gegeben: Alfons den Weisen. Dessen Lob fällt, durchaus zu Recht, nachgerade enthusiastisch aus. Unter seinem Zepter, so der Autor (ebd.: 272), „se realizaba uno de los más extraordinarios fenómenos que ofrece la historia de la civilización de los pueblos". Einen Teil der - literarischen - Früchte, die während der Regentschaft des weisen Königs heranreifte, zitiert sein Bewunderer (ebd.: 259 ff.) sogar auf Hebräisch und fugt eine spanische Übersetzung hinzu. Lange Fußnoten und bibliographische Verweise sollen seine zeitgenössischen Leser davon überzeugen, daß die kulturelle Hausse jener Zeit keine bloße Behauptung ist: „Muchos fueron los rabinos que bajo la protección de tan esclarecido príncipe acudieron á levantar aquel suntuoso templo de la prosperidad y del saber: y grandes volúmenes pudiéranos [sie] escribir, á proponernos examinar todos sus producciones." Hier, in der kulturell-literarischen Bilanz der spanischen Juden und ihrer christlichen Förderer, liegt denn auch die eigentlich positive Pionierleistung

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Amador de los Ríos': Er konfrontierte seine lesenden Zeitgenossen mit der für viele sicher unliebsamen Tatsache, daß die Juden einen prominenten Platz in der Kulturgeschichte ihres Landes eingenommen hatten, und das sogar mit Duldung und Förderung eines christlichen Monarchen. Die immer wieder von neuem formulierte Hommage an den ,König der drei Kulturen' (ebd.: 282 f.) ist deshalb kein Zufall: „Nunca se había visto movimiento intelectual más fecundo en la corte castellana [...]. Cada vez que se medita más profundamente sobre los grandes servicios hechos por el rey sabio á la civilización española, se encuentra nuevos motivos de gratitud." Die üblichen Ambivalenzen tauchen indes auch in den Kultur-Kapiteln auf. So ist Amador de los Ríos bemüht, und hier durchaus im Einklang mit der historischen Wirklichkeit, die Toleranz-Motive des Königs nicht als religiöse Laxheit darzustellen: Alfons der Weise schützte die Juden, streicht er (ebd.: 38) mehr als einmal heraus, „porque en ellos protegía los adelantos del saber humano, dando al par un grande impulso á la civilización española". Der Autor der Siete partidas sei also kein blauäugiger Toleranzapostel gewesen, der sein eigenes Credo nicht sonderlich ernst genommen hätte - er habe vielmehr das christliche Allgemeinwohl im Auge gehabt. Und das, suggeriert er (ebd.: 35), konnte auch gar nicht anders sein: Denn die Juden interpretierten die Toleranz des Königs häufig falsch, überschritten ständig ihre Grenzen und steigerten „su fanatismo hasta el punto de predicar públicamente las doctrinas del judaismo, intentando hacer prosélitos entre la muchedumbre". Dem Autor erscheint keine Behauptung zu abwegig, um die Mitschuld, ja die Hauptschuld der Juden am schließlichen Scheitern der Alfonsinischen Convivencia und am jüdisch-christlichen Zusammenleben überhaupt zu suggerieren. Die bereits zitierte „natürliche und gerechte Aversion der Christen gegen die Nachfahren von Judas", konstatiert er (ebd.: 62) nun bereits erheblich weniger salomonisch, „se había cambiado ya en una especie de fanatismo, cuyo fuego solo podía contenerse con la ruina del objeto que lo encendía." Eine große Portion Mitschuld lastet Amador de los Ríos (ebd.: 121) darüber hinaus den Conversos an. Deren „odio contra el judaismo" und deren „Intoleranz", angeblich größer als die der Christen, seien „quizá causa de que se renovasen las persecuciones, al canonizarlas con su egemplo" gewesen. Dieser „cambio fundamental en la opinión de los cristianos" (ebd.: 130), der, so die Sicht des Autors, eindeutig auf das Konto der Juden bzw. Conversos ging, setzte nun eine Spirale in Gang, die nicht mehr aufzuhalten war. Die übliche Doppelbewertung der historischen Ereignisse treibt auch hier (ebd.: 134) dieselben

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Blüten: „En esto es preciso confesar que obraba imperiosamente el fanatismo [cristiano, N.R.]; pero tampoco debe perderse de vista que había algo de santo y patriótico". In dem Maße, wie sich der Autor dem Schlüsseldatum 1492 nähert, wächst zugleich seine eigene patriotische Gesinnung. Während er in dem anschwellenden Fanatismus der christlichen Seite hauptsächlich „la más apremiante necesidad del Estado" (ebd.: 145) verkörpert sieht, verdichten sich ebenfalls die Schuldzuweisungen an die Adresse der Juden: Hier ist nun von „la plaga de los recogedores y cobradores judíos" die Rede (ebd.: 147), die den Haß des Volkes auf sich gezogen hätten; von Wucher und Spekulation, „que hacían los judíos constantemente" (ebd.: 153); und von dem daraus erwachsenen Reichtum - „sus tesoros se derramaron por todas partes" (ebd.: 153); „enriqueciéndose más y más multitud de hebreos" (ebd.: 155) - , wodurch das Zusammenleben mit „dem christlichen Volk" noch unerträglicher geworden sei. Im übrigen habe der religiöse Fanatismus „de ambos pueblos" (ebd.: 147) solche Dimensionen erreicht, daß dringendster Handlungsbedarf bestanden habe: „así lo comprendieron los Reyes Católicos", heißt es (ebd.: 148) lakonisch, „y el tribunal de la Inquisición fue creado". Ganz so einfach macht es sich Amador de los Ríos freilich nicht. Auf Dutzenden von Seiten diskutiert er die Rolle der Inquisition und die Motive, die die Katholischen Könige bewogen hätten, das Ausweisungsedikt zu unterschreiben. Dabei geizt er zunächst nicht mit Kritik; die Begriffe, mit denen er Inquisition und Vertreibung apostrophiert, lassen an Schärfe nichts zu wünschen übrig: „el tribunal tan funestamente famoso" (ebd.: 159), „tribunal más odioso que ha tenido España" (ebd.: 164 f.), „aquel terrible decreto" (ebd.: 156) - verbale Attacken, die eine unversöhnliche Gegnerschaft suggerieren. Doch so wollte der Autor seine Kritik keinesfalls verstanden wissen. Er äußert zwar die Vermutung (ebd.: 167), daß selbst die Katholischen Könige schon bald über das Treiben ihrer „hija desnaturalizada" entsetzt gewesen seien; aus Gründen der Staatsräson sei es jedoch unmöglich gewesen, zum Status quo ante zurückzukehren. Denn, so (ebd.: 171) das retrospektive Fait accompli: „La inquisición en medio de sus horrores, aseguró la unidad religiosa de la península ibérica, coadyuvando eficazmente á constituir la monarquía que había de levantarse grande y poderosa bajo el cetro de don Carlos de Austria, para aspirar al imperio de Europa." Und darauf, nämlich auf den imperialen Glorienschein des Landes, mochte Amador de los Ríos keinen Schatten werfen. Deshalb bescheinigt er dem Tribunal, trotz seines „theokratischen Charakters", summa summarum einen „razonable éxito", der neben der Sicherung der politischen und religiösen Einheit

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auch darin bestanden habe, Spanien vor „den schrecklichen Religionskriegen" gerettet zu haben. Bedauerlich findet er (ebd.: 173) nur, daß das Tribunal nach getaner Arbeit nicht wieder aufgelöst wurde: „La inquisición sobrevivió, no obstante, á la necesidad que la había creado; y desde aquellos momentos [der genaue Zeitpunkt bleibt offen, N.R.] comenzó á ser perjudicial á los intereses del estado, ofreciéndose como un terrible embarazo á la marcha filosófica del espíritu humano y gravitando sobre el corazón de los españoles como una horrible pesadilla." Die argumentativen Pirouetten des Autors muten auch dann, wenn man sie im zeitgenössischen Kontext beläßt, mehr als widersprüchlich an: Die bösen Geister, eine Zeitlang durchaus nützlich, stellt er bedauernd fest, sei man leider nicht mehr losgeworden. Darin und nur darin sieht er das eigentliche Übel der Inquisition. Im übrigen bilanziert er die ökonomischen und kulturellen Folgen der Judenverfolgung und ihrer Zwangskonversion als nicht besonders gravierend. Handel und Industrie, schreibt er (ebd.: 189, erlitten zwar durch „die Abwanderung der jüdischen Reichtümer" zunächst „un golpe mortal"; die Verluste seien jedoch, zumindest teilweise, wieder wettgemacht worden: „viniendo á reemplazar á los judíos otra raza de usureros [!] que han sido apellidados por muchos años con el nombre de ginoveses". Ähnlich falle die kulturelle Bilanz aus. Der religiöse Fanatismus habe zwar beispielsweise der Literatur seinen Stempel aufgedrückt (ebd.: 520) und „[el] Santo-Oficio [...] dejaba caer su mano de plomo sobre las frentes de los más esclarecidos varones." Das sei jedoch nur die eine Seite der Medaille: Aufgrund des „estado de abyección en que habían empezado á caer los judíos" (ebd.: 191) und aufgrund der Einflüsse der Renaissance, besonders aus Italien, die auch das intellektuelle Leben Spaniens beflügelt hätten, „no fué la expulsión de los judíos tan dañosa á las ciencias y á las letras, como generalmente se supone". Spätestens an dieser Stelle dürften sich viele zeitgenössische Leser des Buches gefragt haben, welche historischen Lehren der Autor eigentlich vermitteln will. Da die Geschichte im Grunde so verlaufen ist, wie sie verlaufen sollte oder mußte, und sich auch die ökonomisch-kulturelle Haben-Seite des jüdischen Exodus in Grenzen hielt: Worin besteht dann die Moral dieser Geschichte? Daß er eine solche im Auge hatte, illustriert der folgende Satz: „Nosotros admitimos la teoría", schrieb er (ebd.: 18), „de que sin el estudio de lo pasado no hay, propiamente hablando, ciencia de gobierno". Dennoch dürfte es den Vertretern der „Regierungskunst" genauso schwergefallen sein wie den durchschnittlichen Lesern, aus dem Pro- und Contra-Wirrwarr dieser Geschichte

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der spanischen Juden bestimmte Lehren für die Gegenwart zu ziehen. Das gilt auch für jene Teile des Buches, die sich mit der sephardischen Diaspora beschäftigen. Mehr als ein halbes Jahrhundert vor Angel Pulido teilte Amador de los Ríos (ebd.: 467) seinen Lesern mit, „que por un inesplicable arcano de la Providencia [!], se derramaban los judíos por el mundo para pregonar el poder de España [!] y llevar á todos los pueblos las costumbres, la literatura y el idioma que habían de inmortalizar después tan sublimes ingenios como Calderón y Cervantes". Sieht man von der gewagten Behauptung ab, die Juden hätten sich als Herolde der spanischen Macht betätigt, dann besteht das, wenn auch ambivalente Verdienst Amador de los Ríos doch immerhin darin, als einer der ersten, wenn nicht als erster spanischer Autor überhaupt, auf die Existenz der internationalen Sephardengemeinden aufmerksam gemacht zu haben. Hier war er sich (ebd.: 214) seiner Pionierrolle selber sehr bewußt, als er (ebd.: 214) schrieb, „[que] este fenómico [...] no ha sido considerado hasta ahora por nadie". Amador de los Ríos, nicht Angel Pulido war deshalb der eigentliche Entdecker der Sepharden! Im Unterschied zu seinen späteren Epigonen beließ er es jedoch bei seinem akademischen Beitrag, der, was diesen Themenaspekt betrifft, im übrigen deutlich nüchterner ausfallt als die Pro-domo-Illusionen Pulidos. Ganz allgemein zeigt sich Amador de los Ríos recht gut über die kulturellen Leistungen der Sepharden informiert. Er kennt (ebd.: 472) ihren Beitrag zur Verbreitung des Buchdrucks und lobt (ebd.: 473 f.), besonders am Beispiel von Amsterdam, ihr kulturelles und ökonomisches Geschick - nicht ohne Fingerzeig auf den Verlust, den Spanien durch die Vertreibung erlitten habe: „Los judíos que no hallaban próspera fortuna en otras ciudades, corrían á Amsterdam, para mejorarla; los que en mitad de los mares veían desaparecer, á impulso de las olas, sus costosas riquezas, en Amsterdam buscaban puesto de salvación y refugio; los que en la península ibérica se veían perseguidos por la saña de los inquisidores, volaban últimamente á Amsterdam, donde encontraban seguro éxito y amplia libertad para profesar la religión de sus mayores." Nüchterner als das Wunschdenken Pulidos ist das Sephardenpanorama Amador de los Ríos' vor allem deshalb, weil der Topos der sephardischen Spanienliebe, der im 20. Jahrhundert eine steile publizistische Karriere erleben sollte, nur sehr verhalten in Erscheinung tritt. Es wäre nur natürlich, schreibt er (ebd.: 477) zum Beispiel, daß die spanischen Juden, die in ihren neuen Heimatländern prosperierten, Spanien vergessen hätten: „Pero no fué así: la incansable suspicacia de los inquisidores les enviaba sin cesar nuevos prófugos, que les llevaban con el recuerdo de sus grandezas

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pasadas, abundante materia para renovar sus lamentos, tanto por las persecuciones de que eran objeto los que en secreto judaizaban [!], como por la amargura que inundaba sus corazones, al escuchar la descripción de las resueñas comarcas, de que habían sido desposeídos sus padres." Statt Spanienliebe, die sich als Paspartout-Begriff auf alles Spanische bezieht, Bitterkeit und Erinnerung an die eigene Blütezeit: Eine genaue Lektüre dieses Buches hätte Pulido womöglich vor einigen Enttäuschungen bewahrt. Denn bereits im 18. Jahrhundert, schreibt Amador de los Ríos (ebd.: 480), sei der Wunsch der Sepharden, in ihre „geliebte Heimat" zurückzukehren, „vollständig" erloschen gewesen: „Los judíos de la presente época, más dedicados á las operaciones mercantiles que á los estudios científicos, solo aspiran por medio del comercio, á conquistar en los países donde habitan, una representación política, perjudicial en alto grado á su propia existencia, como pueblo". Eine ziemlich nüchtern-realistische Beschreibung des sephardischen Verhältnisses zu Spanien - von den sattsam bekannten Stereotypen, die wie immer eher en passant auftauchen, einmal abgesehen. Da sich, wie der Autor (ebd.: 642) mehrmals wiederholt, „el sentimiento patriótico" der Sepharden gegenüber ihrem einstigen Heimatland verflüchtigt habe, kam er verständlicherweise gar nicht auf die Idee, in den Nachfahren der Vertreibungsopfer einen nationalen Rettungsanker zu sehen. Eine zentrale raison d'etre des Philosephardismus späterer Jahrzehnte, die Goldene Internationale zu Nutz und Frommen einer nationalen Regeneration zu instrumentalisieren, mußte Amador de los Ríos auch deshalb als abwegig erscheinen, weil er (ebd.: 643) die Nachfahren von Maimonides inzwischen für kulturelle Parias hielt: versunken in einem „estado de abyección y de envilecimiento", der von der einstigen Glorie „de la raza hebráica española" nichts mehr übriggelassen habe. Eine genauso negative Bilanz zieht er schließlich mit Blick auf die Sprache, das wichtigste Unterpfand des späteren Philosephardismus. Im 17. und 18. Jahrhundert habe es zwar noch einen spürbaren Einfluß des Judenspanischen gegeben (ebd.: 479), doch dieser Einfluß gehöre längst der Vergangenheit an: „En el siglo XIX puede asegurarse", schreibt er (ebd.: 645), „que apenas se encontrará en las naciones europeas un judío que cultive con pureza el idioma castellano y que tenga las más ligeras nociones de nuestra literatura." Am Ende seiner ausgedehnten Odyssee durch die Geschichte der spanischen Juden, die mehr als 650 Seiten (!) umfaßt, kommt Amador de los Ríos auch auf die Judenthematik im allgemeinen zu sprechen. Und das, was er dort zum Besten gibt, dürfte noch weniger geeignet sein, das Buch mit dem Gütesiegel wissenschaftlicher „Unparteilichkeit" zu versehen. Könne das „hebräische Volk", leitet

Geschichte als Wissenschaft er (ebd.: 650 ff.) seine Schlußbetrachtungen mit einer sachlichen

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tatsächlich eine respektable und selbständige „Nation" in den jeweiligen Ländern bilden, die den Juden entsprechende Rechte eingeräumt hätten? So etwas auch nur zu denken, lautet die Antwort, sei nachgerade „verrückt": „Ya lo hemos dicho, por boca del rey don Alonso [sie] el Sabio: mientras mayores sean los intereses que liguen á la raza hebrea con las naciones en que habita; mientras mayores sean los lazos de gratitud que la unan á los demás pueblos; más se aleja del fin á que aspira, más se confirma el castigo del gran crimen consumado en el Gólgota, sin que le sea posible lavar la sangre que echó sobre sí y sobre sus hijos." Deshalb, weil es sich um ein Volk von Gottesmördern handele, liege die Lösung der Judenfrage nicht in den Händen der Menschen: „Es sí la consumación de las profecías, el cumplimiento de la palabra de Dios; y en vano pugnará el pueblo deicida por sustraerse á aquel inmutable decreto." Sein Schicksal bestehe darin, durch die Welt zu kriechen, von der Gnade der anderen Nationen zu leben, und, wie im Mittelalter, die Früchte seiner wissenschaftlichen und kommerziellen Tätigkeiten für einige Privilegien und Rechte einzutauschen: „Esta es la suerte que apesar de todos los esfuerzos, de todos los triunfos alcanzados por los israelitas, está reservada á tal pueblo". Was hat den Autor dieser Zeilen, in denen zahlreiche Standardklischees des christlichen Judenhasses eine grobgerasterte Neuauflage erlebten,

dennoch

bewogen, ein Buch zu schreiben, dessen Bedeutung für das spanische Judenbzw. Sephardenbild - die eingangs zitierten Stimmen weisen darauf hin - kaum zu unterschätzen ist? Da er, wie später Pulido, keine direkten ökonomischen und/oder kulturpolitischen Ambitionen damit verfolgte; und auch die innenpolitische Zielrichtung, vor allem die Kritik an der Inquisition, von der ersten bis zur letzten Seite widersprüchlich ist - deshalb bleibt als Hauptmotiv nur das, was auch eingefleischte Katholiken späterer Generationen, allen voran Menéndez y Pelayo, zu Sephardenfreunden machte: Das Bestreben nämlich, die reichlich dunkle Gegenwart mit dem kulturellen Glanz des Goldenen Zeitalters der spanischen Juden zu erhellen. Nicht umsonst bezeichnete Amador de los Riós (ebd.: 654) sein Buch als „historia literaria", obgleich sein Interesse an der jüdischen Geschichte die literarische Dimension des Themas weit überschreitet. Er selber (ebd.) faßte seine Schreibmotive in die Worte: „tiempo era de que desechando añejas preocupaciones, se hiciera justicia á tantos y tan esclarecidos ingenios, como produjo en España la raza hebrea. A este propósito hemos encaminado, pues, todos nuestros esfuerzos." Das ist ihm, was die Dimension betrifft, immerhin gelungen.

kulturelle

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2. Die „bestialischen Richter der Inquisition": Adolfo de Castro y Rossin Die Historia de los judíos en España von Adolfo de Castro 6 (1823-1898), die ein Jahr vor der Juden-Geschichte von Amador de los Ríos erschien, ist vor allem eine Abrechnung mit der Inquisition, deren polemisch-aggressive Schärfe vermutlich ihresgleichen sucht. Ihr historischer Informationsgehalt fällt dagegen recht bescheiden aus. Die Bedeutung des Buches besteht vor allem darin, daß es dazu beigetragen hat, das Judenthema überhaupt wieder zu einem solchen zu machen und zahlreiche antijüdische Mythen und Legenden der zurückliegenden Jahrhunderte zu decouvrieren. Insofern gebührt eigentlich Adolfo de Castro und nicht Amador de los Ríos das Verdienst, das Thema aus seinem jahrhundertelangen Ostrazismus befreit zu haben. Das Hauptanliegen seines Werkes resümiert er selber (1847: 7) so: „En ella mostaré cuan fuera de toda razón han caminado aquellos escritores que, corrompiendo la verdad, tuvieron i aun tienen a los antiguos judíos españoles por hombres tan solo dados a la usura i a esconder en las entrañas de la tierra el fruto de sus trabajos, comercios i grangerias; puesto que á ellos debe España grandes adelantamientos en la medicina, en la filosofía, en las matemáticas i en la náutica. Los reyes, los consultaban en las mas arduas materias de estado, i acometían, con el favor de sus consejos i dinero, las más dificultosas, las mayores i las más arriesgadas empresas." 7 Wie sensibel der damalige Zeitgeist auf das Thema reagieren würde, war dem Autor offenkundig mehr als deutlich: „Escribo esta historia", lautet seine Rechtfertigung (ebd.: 8), „sin pasión, ni artificio, como de cosas que nada me tocan. Ni soi judío, ni vengo de judaizantes. Solo es mi propósito sustentar la verdad". Denn die Informationen über die Geschichte der spanischen Juden, die bis dato existierten, heißt es gleich zu Beginn (ebd.: 9), „están inficionadas de muchos i grandes errores". Hart ins Gericht geht Castro (ebd.: 122) deshalb vor allem mit der nationalen Historikerzunft: „en todos tiempos siempre ha andado corrompida la verdad por los historiadores, unas veces siendo guiados de la mayor ignorancia, i otras de la adulación o del miedo". Auch das ,große Ver-

7

Von dem weithin unbekannten, in Cádiz geborenen Autor liegen außerdem vor: Historia de los protestantes españoles y de su persecución por Felipe II, Examen de las causas de la decadencia de España, Historia del conde-duque de Olivares und El Buscapié. Letzteres gab der Autor als Kopie eines bis dato unveröffentlichten Manuskriptes von Cervantes aus und provozierte damit eine große Auseinandersetzung, an der sich zahlreiche Schriftsteller der Zeit beteiligten. Die Schreibweise des Autors weist eine Reihe ortographischer Abweichungen auf, die ich im folgenden nicht weiter kennzeichne.

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schweigen' des Themas in all seinen Facetten, Heines „ägyptische Finsternis", vergißt der Autor (ebd.: 209) nicht zu erwähnen. Recht apodiktisch mutet es deshalb an, wenn es Castro zu Beginn seines Buches zunächst darum geht, eine angeblich jüdische Legende als „patraña" zu entlarven, nämlich die Behauptung, die jüdische Präsenz auf der Halbinsel, vor allem in Toledo, datiere bereits aus vorchristlichen Zeiten. Eine solche These, die immerhin der ,Christus-Mörder'-Beschuldigung den Wind aus den Segeln nähme, hält er (ebd.: 10 ff.) jedoch für eine reine Erfindung. Erst nach der Zerstörung des Tempels, also 70 nach Christus, sei die Halbinsel zur „nueva patria" (ebd.: 147) der Juden geworden. Von dieser bis heute umstrittenen Frage abgesehen, betont Castro (ebd.: 30) indessen zu Recht die brutale Verfolgungspolitik im späten Westgotenreich: „Veíanse los judíos [...] tratados [...] que si fueran esclavos; i no solo como esclavos, sino peor que los más dañinos i feroces animales." Auffallend ist hier das .dialektische' Argumentationsmuster, wenn er (ebd.: 32) einerseits mit scheinbar indikativer Gewißheit schreibt, die derart unterdrückten Juden hätten sich mit Hilfe ihrer nordafrikanischen Glaubensbrüder vom Joch der Westgoten befreien wollen und die lange kolportierte Verratsthese damit augenscheinlich stützt: „Para sacudir del cuello el intolerable yugo que los oprimía, urdieron los judíos una conspiración con propósito de dar muerte al rei Ejíca i á todos los magnates i prelados que no les eran afectos, i de alzarse con el señorío de las tierras españolas: empresa que iban á poner en ejecución con ayuda de sus hermanos los que estaban avecindados en las ciudades africanas." Nur zwei Seiten weiter (ebd.: 34) bezeichnet er diese Sicht der Dinge indes als „patraña", denn: „Cosa fuera de duda es que los judíos españoles durante el largo reinado de Witiza fueron mantenidos en el más intolerable cautiverio, i que no adelantaron el menor paso en el propósito de terminar la rigorosísima opresión i la vileza en que habían sido puestos por otros monarcas." Die ultima ratio der islamischen Invasion sieht er (ebd.: 37) statt dessen in den internen christlichfeudalen Rankünen: „Lo indudable es que los hijos de Witiza, i otros nobles ofendidos de la usurpación del trono godo hecha por Rodrigo, de la crueldad de su gobierno i de su mal vivir, pasaron á Africa, con propósito de solicitar vivamente de Muza la entrada de tropas árabes en España." Erst nach diesem Fait accompli hätten sich auch die Juden auf die Seite der Invasoren geschlagen. Ihr Verhalten, wiederholt Castro an mehreren Stellen (ebd.: 42 f.), sei also völlig verständlich: „Los judíos españoles vieron cercano el instante de quebrantar sus cadenas; i así comenzaron a cobrar aliento, de la

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misma suerte que aquellos que caminan llevando sobre sus hombros un grave peso. Luego que rinden la carga que los fatigaba, ni piensan en los trabajos pasados, ni en el descanso presente, i solo reciben contento con el placer de que ya respiran con toda libertad sus corazones." Vergegenwärtigt man sich, daß solche Darstellungen der Geschichte zum damaligen Zeitpunkt wohl ein absolutes Novum markierten, dann war sicher auch die folgende (ebd.: 36) Widerlegung der Rodrigo-Legende mehr als eine Selbstverständlichkeit. Diese und andere Verschwörungslegenden, schreibt Castro, „no son más que novelerías; pues no tienen otro fundamento que las hablillas i consejas del vulgo, i los cantarcillos populares i romances, inventados por moros i cristianos con el fin de entretener la ociosidad." Die folgenden Jahrhunderte, sowohl die maurisch geprägte Zenitepoche der peninsularen Kultur als auch die christliche Blütezeit Toledos, werden nur in groben Zügen dargestellt. Fast nichts berichtet der Autor über die trikulturelle Alltagskultur oder die literarisch-philosophischen Zeugnisse des Mittelalters. Die wenigen Hinweise auf die maurische Epoche sprechen u. a. von einer „entera libertad" der Juden (ebd.: 50), während etwa zur selben Zeit „el odio en los reyes, obispos i magnates" (ebd.: 54) in den christlichen Gebieten der Halbinsel den Juden das Leben schwer gemacht habe. Die legendäre Liebesgeschichte zwischen Alfons VIII. und der schönen Jüdin Raquel beschreibt der Autor (ebd.: 52) als „fábula idecente" und als „novelerías inventadas por el vulgo", die dennoch „el escándalo de España" gewesen seien. Während er Alfons X. kritisiert, weil dieser die Legende in seine Crónica General aufgenommen hatte, nimmt er ihn im Zusammenhang mit einer anderen Legende dagegen - partiell in Schutz. Gemeint ist die antisemitische Propaganda, die die Juden zu Hostienschändern und Kindermördern stilisierte: „Ni el mismo monarca", heißt es (ebd.: 56) über „las patrañas que entonces corrían en las lenguas de la supersticiosa i novelera plebe", „estaba cierto en que los que observaban el rito mosàico cometían tales desmanes". Denn daß es sich um Lügengeschichten handelte - daran läßt der Autor (ebd.: 57) keinen Zweifel: „Estas crucificaciones hechas por los judíos en las personas de niños inocentes, fueron tan solo fábulas inventadas por las viejezuelas ignorantes". Wie etwa die Legenden Béquers illustrieren, waren es auch intellektuelle Köpfe von Rang, die solche „Fabeln" noch Jahrzehnte nach Castros Historia kolportierten. Deshalb kritisiert er (ebd.: 58 f.), wie wohl sehr moderat, den ,weisen' König völlig zu Recht, wenn er ihm vorwirft, sich nicht deutlich genug von der antisemitischen Propaganda distanziert zu haben. Seine Kritik gilt auch (ebd.: 59)

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bestimmten politischen Maßnahmen des Königs: „Además de las citadas leyes hechas por don Alfonso contra los judíos i puestas entre las encerradas en las Siete Partidas, ordenó en las del Fuero Real que los hijos de cristianos no fuesen lactados por mujeres judías, ni los hijos de judíos por mujeres cristianas." Klare Worte findet Castro (ebd.: 79) auch für die bald einsetzenden Zwangskonversionen und die antisemitische Propaganda des Klerus, die an den oben zitierten „fábulas inventadas" wesentlichen Anteil hatten: „El andar tan sobre si el pueblo en daño de los malaventurados judíos nació de las predicaciones que hacía el arcediano de Ecíja en Sevilla don Fernando Martínez, en las cuales hablaba de las usuras que para mal de los cristianos llevaban en sus préstamos i ventas al fiado; i por último se servía de tan vivos colores al pintar las maldades de los observantes del rito mosáico, que muchos de la plebe, siempre novelera, viendo en la destrucción de éstos un acto de piedad i un servicio hecho al Dios crucificado, los mataban en las calles sin temor i vergüenza, i con entera libertad." Mit ebenso scharfen Worten geißelt Castro (ebd.: 83) die Pogrome von 1391: „Cuatro mil judíos rindieron las vidas á los filos de las espadas de esta bárbara gente, indigna de llevar el nombre de cristiana." Deshalb dürfe man sich nicht wundern, so der Tenor seiner Bewertung der auf die Pogrome folgenden Konversionen, wenn das christliche Credo der Neugetauften keine tiefen Wurzeln besaß: „como todo fué obra de la fuerza i del miedo, no corrió mucho tiempo sin que ellos prevaricasen, cosa mui conforme á la razón, porque no creo yo que ninguno puede amar la verdad, si para que sea conocida de el, apelan sus contrarios a las armas, al terror, á la sangre i al fuego." Ähnlich wie Las Casas die amerikanischen Indios taufen wollte - nur nicht mit Gewalt - , so argumentiert allerdings auch Castro aus einer dezidiert christlichen Perspektive: Was ihn allein zu stören scheint, ist die gewalttätige Art und Weise der Konversion, nicht die Konversion an sich. Diese Einstellung kommt etwa dadurch zum Ausdruck, daß er im Zusammenhang mit dem jüdischen Credo wiederholt (ebd.: 54/87/96) von „su caduca lei" bzw. von „sus cerradas opiniones" spricht, vor allem mit Blick auf die berühmt-berüchtigten „Streitgespräche" von Tortosa (ebd.: 93 ff.), deren unübersehbare Gewaltatmosphäre verklärt wird. Ebenso ambivalent sind die wiederholten Hinweise (ebd.: 104) auf die „reichen Juden", denen fortan „el acrecentamiento de sus riquezas" zum Schaden des gesamten Landes erschwert worden sei. Eine ähnlich ambivalente Handschrift trägt auch die Auseinandersetzung des Autors (ebd.: 109) mit der Juden- und Converso-Politik der Katholischen

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Könige. Einerseits hält er Juden und Conversos vor, den christlichen Glauben abgelehnt bzw. nicht ernstgenommen zu haben: „aquellas gentes que para su mal andaban descarriadas lejos de la luz de la verdad". Andererseits reduziert er die königlichen Motive auf reine Habsucht: „I esto era, más que devoción, codicia de apoderarse de los muchos i grandes bienes que solían tener los más principales judíos". Auf Dutzenden von Seiten wiederholt Castro nun diese These; was sich ändert (ebd.: 123), ist lediglich seine akkusatorische Vehemenz: „¡Oh mesquinos mortales qué flaco es nuestro entendimiento i cuán fácil para el engaño! Lo que fué obra de la codicia i contra la misma piedad cristiana, anda pregonando por vuestras lenguas como servicio hecho á Diós!" Zur primären Zielscheibe wird vor allem König Fernando „y su insaciable codicia" (ebd.: 145), während Isabella kaum attackiert wird. Habsucht allein, so präsentiert Castro immer wieder aufs neue seine These, hätte das Denken des Königs bestimmt (ebd.: 152): „Fernando V jamás pensó en la unidad religiosa de la monarquía española." Und immer wieder rechtfertigt der Autor (ebd.: 124) seine posthume ,Majestätsbeleidigung' gegenüber seinen Zeitgenossen: „Yo estoi persuadido que con este modo de discurrir acerca del rei Fernando V i de los inquisidores, atraigo sobre mi el odio de muchas personas que me acusarán neciamente de mal español, tan solo porque no dejo llevar mi pluma en pos de los errores que hasta abora han manchado la historia de nuestra patria. Pero pregunto á los que me tachen de mal español porque hablo mal de malos españoles, ¿los míseros judíos que por sus desdichas desde el año 70 de la era cristiana estaban avecindados en estas tierras, no eran españoles también como nosotros?" Meldet sich bereits in diesen verbalen Attacken auf den Säulenheiligen des traditionalistisch gesonnenen Spaniens der typisch liberale Intellektuelle des 19. Jahrhunderts zu Wort, so kommt diese Haltung, für die das Judenthema vor allem ein probater Prätext zur politischen Zeitkritik darstellte, am Beispiel der Inquisition noch stärker zum Tragen. Für dieses oberste Symbol der „España Negra" hält der Autor eine wahre Batterie von Verbalgeschützen bereit: „bárbara tribunal" (ebd.: 111), „los más que bestiales jueces de la Inquisición" (ebd.: 116), „ladrones en poblado" (ebd.: 120), „lobos y [...] bestias feroces y carniceras que andaban por el mundo encubiertos con las apariencias de hombres" (ebd.: 132), „los mayores monstruos de crueldad que para deshonra de España i oprobio del género humano fueron inquisidores generales" (ebd.: 156). Eine Mischung aus christlich motivierter Kritik an der Brutalität der Vertreibung - nicht an der physisch gewaltfreien Konversionspolitik - und öko-

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nomischem Nützlichkeitsdenken kommt darüber hinaus in jenen Betrachtungen zum Ausdruck, die dem Charakter und den Folgen des Edikts von 1492 gewidmet sind: „los Reyes Católicos", so zunächst die Interpretation der Vertreibung (ebd.: 154), „en vez de hacer un verdadero servicio á la nación española, le hicieron multitud de daños que aun hoi esperimentamos". Anschließend bilanziert der Autor (ebd.: 165 f.) die kulturellen und ökonomischen Folgen des Exodus, die im wesentlichen dem ABC liberaler Dekadenzkritik entsprechen: „Pero si este daño recibieron las letras en España por la intolerancia religiosa de los Reyes Catolicos, i por su injusto proceder contra los judíos, no padeció menos el comercio, i detrás de el todo el reino, con su espulsión i con la venida de los genoveses i otros estranjeros á establecer sus casas para tratar i contratar: las cuales por lo común eran dependientes de las que estaban en las más principales ciudades mercantiles de Italia i otras partes: de donde vinieron á resultar gravísimos daños." Befindet sich Castro mit seiner Ansicht über Ursachen, Verlauf und Folgen der Juden-Vertreibung ziemlich genau auf der liberalen Argumentationslinie des 19. Jahrhunderts, so steht er doch quer zur romantischen Maurophilie zahlreicher Zeitgenossen. Zunächst hat es freilich den Anschein, als schlösse er sich der Meinung Machiavellis an, den er (ebd.: 106) im Zusammenhang mit der Eroberung Granadas u. a. mit dem Satz zitiert: „Para intentar luego empresas todavía mayores, se cubrió mañosamente con la capa de religión, i por un efecto de piedad bárbara i cruel lanzó á los moros de sus estados; rasgo de política verdaderamente deplorable i sin ejemplo." Mit der maurischen Geschichte der Halbinsel beschäftigt er sich praktisch jedoch nicht. Dennoch lassen die wenigen Anspielungen auf die islamische Kultur und Religion deutliche Aversionen erkennen: „Este modo de predicar el Evangelio", lautet etwa eine vergleichende Kritik an den katholischen Konversionsmethoden mit Blick auf die Juden, „es indigno de hombres que se llaman cristianos; porque á él se opuso Jesucristo. Llevar la religión á los entendimientos de los mortales en la punta de la espada quede para Mahoma, i para los que prediquen falsedades." An anderer Stelle (ebd.: 147) figurieren die Moslems als „aquella bárbara canalla en todo igual, menos en religión, á los bestiales jueces del Santo Oficio." Eine gewisse Sympathie und Anerkennung der maurischen Toleranz ist lediglich dort erkennbar, wo er (ebd.: 173) den Katholischen Königen vorhält, ihr Wort gebrochen zu haben: „Si de Mahoma se dice por vituperio aunque falsamente que predicaba su doctrina con el Corán en una mano i la espada en la otra, ¿qué no podrían decir contra los cristianos unos

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hombres que se veían oprimidos con castigos, i llevados violentamente a otra religión? Los Reyes Católicos con su modo de proceder contra los judíos i los moros, no hicieron más que obrar fallando á la razón i á la justicia". Mit dem weiteren Schicksal der verfolgten und vertriebenen Minderheiten beschäftigt sich der Autor so gut wie nicht. Nur einmal, hier mit Blick auf das sephardische Exil, resümiert er (ebd.: 147 f.) das jüdisch-spanische Verhältnis bis in die Gegenwart - mit sämtlichen Topoi, wie sie Pulido ein halbes Jahrhundert später wiederholen sollte: „Los judíos compararon la espulsión de los reinos de España á las calamidades que sufrieron cuando Sion fué destruida i sus habitadores puestos en dispersión por el mundo en los tiempos de Tito i Vespasiano. Iguales, si no mayores, fueron las desdichas que se ejercitaron en afligirlos cuando salieron de estos reinos, á los cuales miraban con el mismo amor que a Palestina, puesto que la tenían desde la destrucción de Jerusalen por nueva patria, i de esto ha nacido la afición que aun hoi conservan a las cosas de España, teniendo á suma honra ser descendientes de los que moraban en ella en los tiempos de la espulsión ordenada por los Reyes Católicos, hablando con la posible pureza en lengua castellana, i no olvidando a la Inquisición, á quien pintan como una fiera cruelísima i devoradora." Im Unterschied zu Pulido fand Castro jedoch immerhin deutlich härtere Worte gegen die Initiatoren der Verfolgungs- und Vertreibungspolitik. Gemeinsam ist beiden jedoch der instrumentelle Charakter der Judenthematik. Während der liberale Senator in der sephardischen Diaspora einen probaten Verbündeten zur Erreichung - illusionärer - ökonomischer und kolonialer Ziele sah, waren die Juden für Castro vor allem ein argumentativer Baustein der liberalen Klerus- und Inquisitionskritik, wie auch der Schlußsatz (ebd.: 224) seines Buches unverkennbar deutlich macht: „El tribunal de la Fe, á pesar de sus hogueras i latrocinios, no fué bastante á destruir el judaismo en España. Mientras hubo Inquisición hubo judíos. Desde que este tribunal fué abolido ningún español deja la fé de Cristo por la religión de Moisés."

3. Lob der Intoleranz mit kulturellen Ausnahmen: Die zwei Herzen des Marcelino Menéndez Pelayo Über den zuletzt zitierten Satz von Adolfo de Castro dürfte sich Marcelino Menéndez Pelayo (1856-1912) sicher gefreut haben, auch über die Wertschät-

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zung, die dieser Autor der kulturellen Bedeutung der spanischen Juden entgegenbrachte. Dagegen hat er dessen Kritik an der Inquisition, wenn er sie denn gelesen hat, wohl als Teufelswerk verurteilt. Eine psychoanalytisch fundierte Lektüre des riesigen Werkes von Menéndez Pelayo käme deshalb möglicherweise zu dem Befund, daß es sich hier um einen klassischen Fall von Schizophrenie handele. Denn kaum irgendwo sonst, von einigen faschistischen Autoren abgesehen, liegen katholischer Fundamentalismus und kultureller

Philosephar-

dismus so dicht beieinander wie im Œuvre des Santandiner Gelehrten. Läse man nur jene Stellen in seinem monumentalen Gesamtwerk, die der kulturellen Dimension der spanischen Juden - und der Mauren - gewidmet sind, dann wäre der Eindruck perfekt: Hier ist einer der belesensten Intellektuellen des Landes bemüht, das jüdisch-maurische Erbe als ebensolches anzutreten und dem sentimentalen Philosephardismus seiner Zeitgenossen die akademischen Weihen zu erteilen - auf der Basis gründlicher Kentnisse der Literatur- und Kulturgeschichten seines Landes. Doch das ist nur die eine Seite des bekannten Poligraphen, dessen Anteil an der historischen ,Erfindung Spaniens' kaum zu überschätzen ist. Die andere Seite besteht in traditionalistischen Grundüberzeugungen, die ihm bereits zu Lebzeiten zu einem intellektuellen Anwalt, ja Scharfrichter des katholischen Fundamentalismus werden ließen. Nach seinem Tode avancierte der Hasser jedweder Häresie zum ideologischen Kronzeugen des Frankismus (Varela 1999: 21). Diese Karriere war nicht unverdient: Die zentralen Etappen der politischen Geschichte der Halbinsel, so wie Menéndez Pelayo sie interpretierte, paßten fast - fugenlos in das ideologische Amalgam der Hispanidad, das der frühe Frankismus zusammenmischte. Was Juden und Mauren betrifft, so harmoniert das historische Bild, das er zeichnete, jedoch nur zum Teil mit den reaktionärsten Varianten der Hispanidad, vom Anfang der trikulturellen Geschichte einmal abgesehen. Denn am Anfang (1947: I, 198) stand auch bei Menéndez Pelayo ,,[la] conspiración de los judíos; su unión y ayuda con los árabes para facilitarles la conquista". Einen im Vergleich zur ideologisch verfärbten Reconquista-Geschichtsschreibung leichten Dissenz signalisiert aber bereits der Hinweis auf „la persecución de que los judíos fueron objeto en España en el reino de Sisebato". In antisemitischen Kreisen, in denen die historische Genealogie der peninsularen Juden wegen der ,Reinheit der iberischen Rasse' und der Christusmörder-These gern nach dem Beginn unserer Zeitrechnung datiert wird, dürfte auch der folgende Satz (ebd.: 197) Unbehagen ausgelöst haben: „Hay motivos fundados para suponer que los primeros judíos vinieron a España mezclados con los fenicios;

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pero el gran golpe de ellos llegó, sin embargo, en el siglo primero de la Era cristiana." Ein ähnliches Unbehagen dürfte die integristischen Leser auch bei der Lektüre jener Teile beschlichen haben, die der Reconquista gewidmet sind - enthalten sie doch Formulierungen, die fast an eine Convivencia denken lassen. Etwa der lakonische Hinweis in der Historia de los heterodoxos

españoles

(1947: II, 9), der Bibel der Traditionalisten: „En Córdoba y Toledo imperan los muslimes, aunque disfruta de relativa libertad el pueblo vencido." Nur ein paar Zeilen weiter dürfte sich das Unbehagen sogar in Zorn verwandelt haben. Denn dort rüttelt der Autor, genaugenommen, an den patriotischen Grundfesten der Reconquista, wenn er bezweifelt, „si idea de reconquista hubo en el primer siglo". Menéndez Pelayo als verkappter Anhänger der trikulturellen Convivencia? Eine solche Lektüre, obwohl nicht ausgeschlossen, war sicher nicht beabsichtigt. Schließlich bezeichnete er die Maurenherrschaft, nur eine Seite zuvor (ebd.: 8), als „dominación, tiránica de hecho, aunque en la forma bastante ordenada". Eine idealisierende Darstellung „[de] esta celebrada moderación y tolerancia" sei deshalb völlig fehl am Platze. Denn den Invasoren sei, aus Gründen der Machterhaltung, zunächst gar nichts anderes übrig geblieben, als sich der politischen Loyalität dér Unterworfenen durch relative Milde zu versichern. Als die Macht des Kalifats gefestigt war, sei es mit dieser Milde denn auch schnell zu Ende gewesen: „empezaron [...] actos de hostilidad [...] y a la postre una persecución abierta y tenaz, que no acaba sino con el exterminio o destierro de una parte de esta raza y la libertad y salvación de otra por los

reconquistadores".

Hier ist sie wieder in Ordnung, die traditionalistische Welt der Reconquista - mit allen ideologischen Accessoires, die sie gemeinhin schmücken, unter anderem „el más vivo espíritu nacional", wie es an anderer Stelle (1944: 85) heißt. Dort (ebd.: 86) ist denn auch uneingeschränkt von „el instinto sagrado de la reconquista" die Rede, wenn auch mit Minuskeln. Was ist Überzeugung, was rhetorische Befriedungsformel für seine integristischen Leser? Denn denen fielen die widersprüchlichen Interpretationen der nationalen Formationsepoche Spaniens durchaus auf. Die Folgen für Menéndez Pelayo bestanden in Mißtrauen, ja im Verdacht des ideologischen Abweichlertums. Genährt wurden die Attacken, die etwa das integristische Blatt El Siglo Futuro gegen den Autor der Heterodoxos lancierte, 8 sicher in erster Linie durch die philologischen Arbeiten, in denen - siehe weiter unten - der Autor noch Vgl. Kap. V der vorliegenden Untersuchung.

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wesentlich näher an die verhaßten Convivencia-Thesen liberaler Façon heranrückt. Als nicht gerade linientreu mußten diese Kreise aber auch einige Äußerungen empfinden, die sich auf die politische Geschichte der Reconquista bezogen, etwa (OC 1944: XXII, 270) die folgende: „El nombre de Hispania parece empleado en su sentido recto y genérico, comprendiendo lo mismo los reinos moros que los cristianos". Das gilt nicht minder für die Charakterisierung des historischen Cid (ebd.: 262 ff.), dessen „alianzas con infieles [...] aun contra príncipes cristianos" der Autor freimütig erwähnt, sogar die Beschuldigung, der Nationalheld habe sich auf unlautere Weise Geld der Kirche angeeignet: „nada tiene de inverosímil". Der Historiker, so seine Begründung dieses .Sakrilegs', müsse das Verhalten des Cid im historischen Kontext bewerten, auch wenn es der „Kanonisierung des Helden", die unter Felipe II. eingesetzt habe, abträglich sei. Die folgende Formulierung (ebd.: 264) läßt indes vermuten, daß sich der Autor der Tatsache wohl bewußt war, damit viele seiner Leser überfordert zu haben: „¿quién ha de negar el gran servicio que el Cid prestó al cristianismo y a la civilización de Occidente", gibt er sich nun ideologisch und stilistisch wieder konzilliant, „conteniendo casi solo el formidable empuje de las fanáticas hordas almorávides [...] nube de langostas que abortaron los arenales de la Libia para abrasar hasta el último retoño de la brillante cultura arábigo - andaluza". Von den rassistischen Ausfallen einmal abgesehen: Die hispanoarabische Kultur, die Menéndez Pelayo tief verehrte, hätten, so seine Lesart der Geschichte, allein die „Horden" der fanatischen Moslems zerstört, die auf die Omayyaden folgten; der Anteil der christlichen Glaubenseiferer bleibt dagegen unerwähnt. Das ist sicher kein Zufall, denn der historische Kunstgriff erlaubt es dem Autor, die eigentliche Zenitepoche, verkörpert durch die katholischen Könige, so darzustellen, daß das Weltbild traditionalistisch gesonnener Leser intakt bleibt: „Hoy, con la misma verdad que en tiempo del buen Cura de los Palacios", lautet (1944: XIX, 7) die Hymne auf „die glorreichen Monarchen", „repite la voz unánime de la historia, y afirma el sentir común de nuestro pueblo, que en tiempo de los Reyes Católicos ,fué en España la mayor empinación, triunfo e honra e prosperidad que nunca España tuvo.'" Dabei besingt der Bewunderer von Ferdinand und Isabella nicht allein „el peso de nuestra espada", der Spanien eine Neue Welt bescherte; er feiert (ebd.: 13) zugleich „la cruenta de puración de la raza mediante el formidable instrumento del Santo Oficio y el edicto de 1492". Beide Maßnahmen seien Ausdruck desselben politischen Denkens, „cuya unidad y grandeza son visible para todo el que, libre de las pasiones actuales, contemple desinteresadamente el espectáculo de la historia". Eine glühendere Hommage an

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das Schreckenstribunal ist vermutlich nie intoniert worden. Im vierten Band der Historia de los heterodoxos

españoles (1947: XXXVIII, 404 ff.) stilisiert er die

„Einheitsidee" und den „Widerstand gegen die Häresie" sogar zum Grundferment der Nation: „Bien puede decirse que todo español era teólogo entonces. [...] ¿Cuándo ha sido España tan española y tan grande como entonces." Hier findet sich keine Spur des Bedauerns darüber, daß Juden und Mauren, in früheren Zeiten konstitutiver Bestandteil der Hispania,

ihr nicht mehr angehören. Reli-

giöse Toleranz, während der Blüte von Al Andalús und selbst noch während der Regentschaft von Alfons dem Weisen, eine anerkannte Voraussetzung des kulturellen Zenits, wird nun (ebd.: 410) zum Inbegriff geistiger Laxheit, ja psychischer Krankheit: „Ley forzosa del entendimiento humano en estado de salud", heißt jetzt die Devise, „es la intolerancia." Nur so, mit apodiktischer Gewalt, komme die Wahrheit zu ihrem Recht. Dagegen sei die sogenannte Toleranz nur eine leichte Tugend, eher eine Krankheit in Zeiten, in denen Skepsis und Unglauben herrschten. Wer aber einräume, daß Häresie ein besonders schweres Verbrechen sei, der müsse auch die Inquisition akzeptieren. Nichts anderes hätten die Katholischen Könige und die übrigen Anwälte der einzig wahren Religion getan: „éstos combaten por una idea, a la vez que con las armas del razonamiento y de la lógica [!], con la espada y con la hoguera." Solche Sätze, eine getreue Nachschrift mittelalterlicher Kreuzzugsprosa, dürften den Lesern der katholischen Orthodoxie aus der Seele gesprochen haben. Sie boten wahrlich keinen Anlaß, an der ideologischen Loyalität des Autors zu zweifeln. Wer aber immer noch nicht begriffen haben sollte, daß nationale Einheit und Inquisition das Ende der beiden Minderheiten bedeuten mußte, den belehrte der Autor der Heterodoxos

(1948: VI., 146) auch ganz explizit: Die

Assimilation der Morisken sei „unmöglich" gewesen. Nie hätten sie ihren „alten Aberglauben" aufgegeben, nie wären sie wirklich Christen und damit echte Spanier geworden - „la expulsión era inevitable". Darin komme im übrigen ein Grundgesetz menschlichen Zusammenlebens zur Geltung: „La raza inferior sucumbe siempre y acaba por triunfar el principio de nacionalidad más fuerte y vigoroso." Das gleiche gelte für die Juden: Die Vertreibung, schreibt er lakonisch (Martínez Tótola 1996: 180), „no era buena ni mala: era la única que podía tomarse". Es war jedoch nicht nur die Staatsräson, die harte, aber unvermeidliche Maßnahmen verlangte - die Juden, schreibt Menéndez Pelayo (1944: XXX, 79), hätten den berechtigten Haß des Volkes auf sich gezogen und damit ihre Vertreibung erheblich beschleunigt. Gemeint ist hier die berühmt-berüchtigte Ritual-

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mordintrige, die als Fall des „Niño de la Guardia" Furore machte und unter anderem Lope de Vega zu einem gleichnamigen Theaterstück animierte. Für den Interpreten dieses antisemitischen Stücks handelt es sich jedoch mitnichten um eine Fiktion; unter Berufung auf zeithistorische .Quellen' deutet er (ebd.: 72) das Schauermärchen als eine „schreckliche historische Tatsache" - „uno de los crímenes más bárbaros que ha podido engendrar el fanatismo sectario". Um seinen eigenen Fiktionen den Anstrich historischer Authentizität zu geben, läßt er zunächst auf mehreren Seiten ,die Fakten' sprechen. Eine Gruppe von Juden und Conversos sei im September 1490 von der Inquisition unter anderem beschuldigt worden, am Karfreitag desselben Jahres einen Christenjungen gekreuzigt zu haben, „quasi de la misma forma", so die historischen Zitate (ebd.: 73), „e con aquella enemiga e crueldad que los judíos sus antepasados crucificaron a nuestro Redentor Jhesu Christo". Im Stile effekthascherischer Moritatensänger evoziert Menéndez Pelayo mit Hilfe seiner historischen Gewährsleute eine blutige Szenerie (ebd.: 75 f.), die ihre Wirkung sicher nicht verfehlte: „,E que Johan Franco suso dicho, estando así el dicho niño en los dichos palos puesto, le fincó un cuchillo por el costado al dicho niño; e que era cochillo de un palmo destos bohemios. E el dicho Lope Franco le azotó, e el dicho Johan de Ocaña le puso las ancagas, e García Franco suso dicho le sacó el corazón por debaxo de la tornilla, e le echó en el dicho corazón un poco del sal.'" Nirgendwo läßt Menéndez Pelayo den geringsten Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Schilderungen erkennen, seine eigenen Zwischenkommentare bezeichnen das Schreckensgemälde statt dessen mit indikativer Gewißheit als „aquel sacrilego asesinato". Denn, so sein Schlußresümee (ebd.: 78), an dem „caracter rigurosamente histórico de este bárbaro suceso" könne kein Zweifel bestehen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Juden „unzählige Male" ähnlicher Verbrechen bezichtigt worden seien. Hier, und nur hier, hielt der Autor aber den Hinweis für geboten, daß „viele" dieser Beschuldigungen erfunden oder aufgebauscht worden seien „por el odio de los cristianos, que de casos particulares infirieron una costumbre general." Nach den seitenlangen Schilderungen blutrünstiger Schreckensszenen wirkt diese Einschränkung jedoch eher wie ein laues Lippenbekenntnis, das den gruseligen Schauer des durchschnittlichen Lesers sicher kaum tangierte. Und selbst diese Einschränkung hielt der Autor, wie es scheint, noch für zu gewagt, wenn er gleich darauf zu bedenken gibt: „Pero del crimen de La Guardia no puede humanamente dudarse; está judicialmente comprobado hasta en sus ápices [...]. Fué, pues, un acto, aislado si se quiere [!], pero innegable, de abominación diabólica y supersticiosa: una especie de conjuro y hechizo con que aquellos

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desalmados pretendían conseguir (según declara uno de ellos) que ,todos los cristianos rabiasen y que se acabase su ley.'" Hätte der Autor dieser Zeilen mit gleicher Liebe zum Detail die tatsächlichen Scheußlichkeiten der Inquisition beschrieben, dann wäre die Glaubwürdigkeit der zitierten Ritualmordlegende vielleicht etwas größer ausgefallen. Doch eine solche Idee kam Menéndez Pelayo natürlich nicht in den Sinn: Als probates Instrument zur Schaffung und zum Erhalt der national-katholischen Einheit war die Inquisition, waren ihre brutalen Folter- und Mordmethoden ja völlig unverzichtbar. So ist es kein Wunder, daß ihr wortgewaltiger Verteidiger auch gegen jene wetterte, die das Tribunal im 19. Jahrhundert zur zentralen Zielscheibe ihrer Politik machten. Ins Visier von Menéndez Pelayo gerieten dabei vor allem die liberalen Vertreter der Cortes de Cádiz. Einen ihrer Wortführer beschimpfte er (1948: XL, 74) als „especie de demagogo populachero, estrafalario y violento", dessen politische Ideen „frisaban con el más furibundo y desgreñado republicanismo". Ihm und seinen politischen Freunden warf er (ebd.: 65) vor, in letzter Instanz nicht gegen die Inquisition zu kämpfen, „sino contra la unidad religiosa". Doch auch die Attacken gegen die Inquisition als solche (ebd.: 67) seien völlig absurd gewesen: „Que padecieron en la Inquisición algunos inocentes [!], ¿y en que tribunal del mundo no ha acaecido lo propio? ¿Hemos de confundir la bondad de una institución [!] con los abusos inherentes a la humana

flaqueza?

[...] Que la Inquisición favorece el despotismo: ¡ojalá renaciese la edad de aquellos déspotas que llamamos Reyes Católicos!" Der Generalangriff auf den Geist von Cádiz und den von 1868 liest sich tatsächlich wie ein Libell aus den Zeiten der katholischen Zenitepoche. Sein argumentativer Modergeruch ist nachgerade penetrant, die politisch-religiösen Scheuklappen des literarisch hochgebildeten Autors sorgen für eine quichoteske Weltfremdheit, die Bände spricht. Die Inquisition habe die intellektuelle und wissenschaftliche Entwicklung des Landes gehemmt? Nichts abwegiger (ebd.: 67) als das: „¿cuándo florecieron más las artes y las letras que en el siglo inmediato a su establecimiento?" Die Inquisition habe gefoltert? Ja - aber: ,,¿e ignoran los señores de la Comisión que hace un siglo que la Inquisición, antes que ningún otro tribunal, ha abolido el uso del tormento?" Die quasi konspirativen Verfahrensweisen des Tribunals, die auf anonymer Denunziation basierten, ließen den Opfern kaum Verteidigungsmöglichkeiten? Selbstverständlich: „las altas razones de prudencia que autorizaron el sigilo y la supresión de los nombres de los testigos [eran imprecindibles] para ponerlos a cubierto de las animosidades y feroces venganzas personales de los conversos judaizantes". Das Tribunal sei eine religiöse Zwangsinstitution gewe-

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sen? Natürlich: „Gracias a él hemos disfrutado por tres siglos de paz religiosa." Kein Argument der Gegenseite hält der argumentativen ,Logik' Menéndez Pelayos stand. Die „antiguas y solemnes tradiciones del Santo Oficio" finden in ihm ihren wohl wortgewaltigsten Advokaten. Genauso entschieden wie die Elogen auf die Inquisition fällt das Plädoyer aus, das Menéndez Pelayo für die kulturellen Traditionen von Mauren und Juden hält - quer durch die verschiedensten Schriften und Lebensstationen: „Yo nada prejuzgo, señores", heißt es zum Beispiel programmatisch in seinen Untersuchungen über La ciencia española (1958: LIX, 370), „pero para mí la solución está clara. ¿Habrá algún historiador de las ciencias especulativas que se atreva a borrar de su historia [...] el panteísmo intelectualista de Averroes; el panteísmo emanatista de Avicebrón; la conciliación mosaico-peripatética de Maimónides [...]?" Nein, in kulturellen Fragen hat Menéndez Pelayo keinerlei Berührungsängste: Das philosophische und literarische Kapital, das Mauren und Juden hinterlassen haben, weiß er wohl zu schätzen. Dieses Kapital, so seine Sicht, ist nicht nur ein historisches Guthaben allerersten Ranges, es eignet sich zudem noch immer zur gewinnträchtigen Spekulation an jenen Börsen, an denen die Kurswerte nationalen Prestiges gehandelt werden. Und welcher Konkurrent, von der griechischen Klassik einmal abgesehen, könnte es dabei mit Spanien aufnehmen? Da ist zum einen die maurische Erfolgsbilanz, die, was die Philosophie betrifft, von Averroes (1941: VI, 203) verkörpert wird, dem „segundo Aristóteles de los musulmanes." In mehreren Texten verteidigt Menéndez Pelayo die intellektuelle Bedeutung des Cordobeser Philosophen (1947: XXXVI, 157), der den „singulären Charakter" der spanischen Kultur im frühen Mittelalter am besten repräsentiere - „[cuando] bajo el cetro de los Omeyas de Córdova se había desarrollado una cultura no inferior a la de Bagdad". Die Wertschätzung des maurischen Philosophen geht gar soweit, daß er in bestimmten Punkten seines Denkens (1947: XXXVIII, 193) noch vor seinem griechischen Pendant rangiert: Im Unterschied zu Aristoteles habe Averroes etwa ein fortschrittlicheres Frauenbild gehabt, das dadurch zum Ausdruck komme, daß er die Frauen für fähig gehalten habe, Kriege zu fuhren und Philosophie zu studieren. Kein Zweifel: Menéndez Pelayo weiß wovon er spricht, hat das Werk des zu Recht gelobten Philosophen offenkundig selbst studiert und kennt deshalb auch seine ,Schwächen'. Und die, wie könnte es anders sein, sind religiöser Natur. So verortet der Santandiner Gelehrte (1947: XXXVI, 162) einen der „kapitalen Irrtümer" von Averroes in „der Negation der Unsterblichkeit der Seele", auch aus moslemischer Sicht ein Sakrileg, das der katholische Traditionalist kritisiert. Ihm

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mißfällt ganz allgemein die religiöse Laxheit des maurischen Denkers und dessen Gesinnungsgenossen: „A decir verdad, Averroes, como casi todos los filósofos de su raza, había sido muy mal creyente, que profesaba absoluta indiferencia, aunque no odio, respecto del islamismo." Weil ihm, der in religiösen Fragen keinen Spaß verstand, Laschheit im Glauben generell ein Greuel war, selbst wenn es sich, wie weiter oben zitiert, um reinen „Aberglauben" handelte, entschied er sich im Zweifelsfall für die religiöse Strenge der moslemischen Orthodoxie! Denn die sei, trotz der Fassade religiösen Respekts, die Averroes aufrechterhalten habe, sehr wachsam gewesen: „esta hipocresía no engañó a los teólogos muslimes. Ya en tiempos de los almorávides fueron quemados y destruidos muchos libros." Tut man dem Autor unrecht, wenn man aus diesen Zeilen eine gewisse Schadenfreude herausliest? Verläßt Menéndez Pelayo dagegen das verminte Gelände religiöser Betrachtungen, dann tut sich vor seinen Augen sogleich wieder der Glanz einer kulturellen Landschaft auf, die im mittelalterlichen Spanien begann und sich von dort auf ganz Europa erstreckte: „en la filosofía y en las ciencias", weitet er (1941: VI, 215 f.) nun das Lob für Averroes auf die maurische Kultur als Ganze aus, „¿quién podrá negar la eficacia y prestigio del elemento oriental, á menos de cerrar voluntariamente los ojos á la luz de la historia?" Die intellektuellen Schätze der hispanorarabischen Denker hätten dem Okzident einen enormen Schub versetzt. Im Vergleich zu „diesen Monumenten positiver und experimenteller Wissenschaft" nähmen sich die lateinischen Traditionen, zumindest bis zum 12. Jahrhundert, armselig und unbedeutend aus. Der Bewunderer der maurischen Kultur geht gar soweit, den christlichen Ignoranten, gemeint sind seine Zeitgenossen [!], ausdrücklich die Leviten zu lesen. Der folgende Passus (ebd.: 217), mit dem er seine Betrachtungen über den „semitischen Einfluß auf die spanische Literatur" 9 beendet, dürfte vielen traditionalistischen Lesern den Lektüregenuß gründlich verdorben haben: „El celo intemperante es siempre mal consejero. Dios hace salir el sol de la ciencia y del arte sobre moros, judíos, gentiles ó cristianos, creyentes ó incrédulos, según place á sus inexcrutables designios; y no es indicio de piedad, sino de orgullo farisaico, pretender para los cristianos por el mero título de tales la posesión exclusiva de aquellos dones del 9

An anderer Stelle, vor allem in seinen Studien zum Romancero (1944: XXIII, 105 ff.), hat Menéndez Pelayo diesen Einfluß auch ganz konkret als solchen anerkannt und beschrieben. Etwa in Form einer „exquisita belleza de este fragmento moruno, descarriado en el romancero castellano, [que] no ha podido ocultarse a ningún espritu poético".

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orden natural que no son incompatibles con el error teológico [...]. Nunca he podido comprender á los extraños apologistas que, con negar toda clase de ciencia é ingenio á los adversarios de la fe, creen haber obtenido sobre ellos la más cumplida victoria." Hätte der Autor dieser Zeilen im 17. oder 18. Jahrhundert gelebt, dann hätte er vermutlich Bekanntschaft mit jener Institution gemacht, die er wie kein anderer verteidigte ... Doch dank seiner liberalen Kontrahenten, die er in religiösen und politischen Fragen gnadenlos bekämpfte, brauchte er diese Befürchtung nicht zu haben. Im Gegenteil: Seine nicht minder harsche Kritik (ebd.: 196) an dem desolaten Zustand der einschlägigen Forschungslandschaft in Spanien - „el hado infeliz que pesa en España sobre los trabajos de erudición" - , dürfte ihm sogar den einen oder anderen Bundesgenossen im liberalen Lager beschert haben. So fehle etwa noch immer eine grundlegende Geschichte der hispanoarabischen Kultur; ebenso eine allgemeine Geschichte der Mauren in Spanien. Und das nur deshalb (ebd.: 199), weil unter spanischen Gelehrten noch immer die Tendenz bestehe, den Arabern jedwede Kultur abzusprechen - „considerándolos como unos bárbaros feroces". Tröstlich stimme es immerhin (ebd.: 200 f.), daß wenigstens das zweite Element des „semitischen Einflusses" wesentlich besser untersucht sei: „Por el contrario, la historia literaria de los judíos españoles puede decirse que está completamente explorada y conocida hasta en sus detalles". Wenngleich dieser Befund auch ziemlich übertrieben klingt, so ist doch zunächst eines unbestreitbar: Menéndez Pelayo hat durchaus kräftig daran mitgewirkt, daß auch die kulturellen Traditionen der spanischen Juden jene Aufmerksamkeit erhielten, die sie verdienten. Genau genommen, fällt seine Wertschätzung für die jüdischen Kulturleistungen sogar noch höher aus als fiir deren maurisches Pendant: Obgleich sie bei den Mauren in die Schule gingen, so seine Sicht, seien sie doch (1947: XXXVIII, 194), im Ganzen gesehen, noch bessere Philosophen und Dichter gewesen als ihre Lehrmeister. In dem berühmtesten jüdischen ,Schüler' des Cordobeser Mauren-Philosophen Averroes sieht er (ebd.: 197) die alles überragende Lichtgestalt der jüdischen Denker von Sefarad: „No hemos dudado en la elección de la figura de Maimónides como el representante más legítimo de la cultura de su raza en este período de la Edad Media española; sólo le faltó ser poeta para haber escrito de todo." Wie im Falle von Averroes, so spart Menéndez Pelayo auch hier nicht mit Superlativen: Maimónides rangiert in seinen Schriften (ebd.: 200 ff.) als „el segundo Moisés" und als „el mayor filósofo de la sinagoga hasta Espinosa". Die Auseinandersetzung mit dem jüdischen Meisterphilosophen des späten Al-Andalus fallt selbst dort relativ sachlich

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aus, wo religiöse Bedenken einen furiosen Angriff erwarten ließen: „El propósito de Maimónides", konstatiert er (ebd.: 204) eher lakonisch, „fué conciliar la razón con la fe, la tradición con el libre examen." Dennoch konnte er (1947: XXXVI, 170 f.) nicht völlig widerstehen, Maimónides vorzuwerfen, dem Panteismus, ja sogar dem Ateismus die Türen geöffnet zu haben - und das habe verständlicherweise auch vielen Juden mißfallen: „Maimónides era demasiado racionalista para que contentase a los judíos. Pero la autoridad grande de que gozaba, y aun hoy goza [...] como talmudista y comentador de la Misnáh, hizo que los pareceres se dividiesen." Eine geradezu konzilliante Haltung, die auffällig mit den wütenden Attacken auf die liberalen Katholiken des 19. Jahrhunderts kontrastiert. Auch für andere jüdische Geistesgrößen, „las glorias de la filosofía judaicahispana" (ebd.: 165), hält Menéndez Pelayo vergleichbare Lobesworte parat. Etwa (ebd.: 169) für „la hermosa figura del castellano Jehudá-Leví [...], uno de los grandes poetas de la Península ibérica, superior al mismo Ben-Gabirol, y comparado por Enrique Heine 10 con el Padre Homero." Die Nationalisierung des jüdischen Dichters, wenn auch nur in kursiver Form, dürfte in der katholischen Orthodoxie als Hochverrat empfunden worden sein. Auch die folgende E i n schränkung' (ebd.: 170) stimmte die Anhänger des ideologischen Bunkers wahrscheinlich nicht versöhnlicher: „Jehudá-Leví no era un espíritu aventurero ni salió nunca de los límites de la creencia mosaica." Der Zorn seiner

poliíschen

Freunde, mit denen er in anderen historischen und zeitgenössischen Fragen eine ideologische Phalanx bildete, dürfte sich nicht zuletzt an der Tatsache entzündet haben, daß Menéndez Pelayo seine Wertschätzung für die kulturellen Leistungen besonders herausragender Juden auf die gesamte jüdische Kultur übertrug. Es handelte sich also nicht nur um vielleicht noch akzeptierbare Ausnahmen: Der Kenner der mittelalterlichen Zenitepoche machte seine verblüfften Leser mit dem für sie schwer verdaulichen Faktum bekannt, daß es sich um einen Regelzustand handelte. Und das in einer Sprache, die den strikt nationalen Epopöen vorbehalten war: „muy pronto se ve á los judíos", schreibt er (1941: VI, 203 f.) beispielsweise, „con gloria en el campo de la metafísica y el de la ciencia experimental; movimiento que en los siglos XI y XII [produce] la edad de oro de su historia ibérica". Sämtliche Exponenten der jüdischen Schriftsteller und 10

Auch der deutsch-jüdische Dichter besitzt einen Ehrenplatz im Œuvre Menéndez Pelayos: „No es hipérbole decir", heißt es (1942: X, 415) in einem kurzen Essay über Heine, „que en muchas traducciones [...] vibra todavía el son del divino beso de amor que (según el mismo Heine) santificaba las canciones de nuestro Judáh Leví de Toledo."

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Philosophen dieser Zeit, fährt er fort, seien zwei- oder dreisprachig gewesen. Fast alle hätten arabisch gesprochen und geschrieben und zwei N a m e n geführt, einen arabischen und einen jüdischen: „Durante cierto tiempo, y salvas las diferencias religiosas que siempre dan peculiar tono y sabor á los libros de los judíos, puede afirmarse que ambas literaturas se confunden, y que llegaron á noticia de los cristianos como si fuesen una sola." Harter Tobak für die Steinzeitgenealogen der Hispanidad,

die, wie Unamuno, die kulturhistorischen Abla-

gerungen auf dem iberischen Urgestein allenfalls für oberflächlich hielten! Doch damit nicht genug: Am Beispiel des spätmittelalterlichen

Toledo

müssen sie sich belehren lassen, daß die „roca viva" Unamunos ein durch und durch poröses Gebilde ist, in das die jüdischen Einflüsse tief eingedrungen sind. Nach der „Eroberung" Toledos, und Menéndez Pelayo (ebd.: 207 ff.) spricht hier nicht von Reconquista, sei dieser Einfluß unübersehbar geworden: „Y aquí como en todas partes, aparecen como medianeros los judíos, á quienes su peculiar estado social ponía á un tiempo en contacto con las dos razas que se disputaban el dominio de la Península, y los constituía en intérpretes naturales de latín y arábigo." Der kulturelle Schmelztiegel Toledo, „el cruzamiento del saber oriental con el de Occidente", wie sein Bewunderer mehr als einmal hervorhebt, war „entscheidend fiir die Kultur der Moderne". Beginnend mit Erzbischof Raimundo, avancierte die Stadt am Tajo unter dem Zepter von Alfons X. zur „metrópoli de las ciencias", zu einem „gran taller de la industria de los traductores", zu einem wahren „emporio del comercio científico de Oriente". Die Begeisterung Menéndez Pelayos fiir Alfons den Weisen, „[el] nuevo Salomón cristiano", und die intellektuelle Blüte, die der König tolerierte

und selbst mit schuf, nimmt

hymnische Züge an und macht ihn gar zu einem Wortführer des

tri-kulturellen

Miteinanders: „El comercio intelectual proseguía siendo recíproco, á despecho de incendios y saqueos de aljamas, devastaciones y matanzas, y á despecho de la preocupación sectaria moderna, que inventa abismos donde no los hubo." Auch wenn es nur eine kulturelle Convivencia ist, der Menéndez Pelayo hier das Wort redet: Für die orthodoxen hardliner

dürfte das Maß damit voll gewesen sein -

übervoll."

Menéndez Pelayo beließ es im übrigen nicht bei einem einmaligen Lob des ,weisen' Königs. Auch in seiner Historia de los heterodoxos españoles ist dieser „glorreichen Zeit" eine Laudatio (1947: XXXVIII, 210 ff.) gewidmet - allerdings mehr im Stile einer traditionalistischen Reconquista-Diktion: „Navas de Tolosa", lautet etwa eine Kostprobe (ebd.: 213) der martialischen Siegerprosa, „día grandioso [...] del porvenir de la reconquista".

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Geschichte als Wissenschaft Bei der Lektüre solcher Textpassagen, in denen Menéndez Pelayo den jüdi-

schen und maurischen Kulturtraditionen seine Referenz erweist, vergißt man leicht, daß sie aus der Feder eines Autors stammen, der zu den intellektuellen Hohepriestern des Nationalkatholizismus gehörte. Die fast schizophren anmutende Pendelbewegung zwischen diesen beiden Polen kristallisiert sich in seinen Betrachtungen zur Celestina besonders deutlich heraus. Mehr als einmal lobt er (1941: VII, 237) das Werk des converso-Autors

als „obra clásica y admirable",

als „obra, a nuestro entender, de las más geniales y extraordinarias que puede presentar la literatura de ningún pueblo, y obra quizá que, entre las producidas en nuestro suelo, merece el segundo lugar después del Ingenioso

Hidalgo".

Jammerschade nur, insinuiert er (1943: XV, 386 ff.) indessen, daß das geniale Werk einige Makel aufweist. Gemeint ist vor allem die erotische Dimension der Tragikomödie, die so gar nicht mit den altchristlichen Keuschheitsidealen harmoniert: „la Celestina", warnt er (ebd.: 389) deshalb, „con su fin moral y todo, no es libro para andar en manos de doncellas". Man wisse zwar nicht, ob „este trastorno de ideas", „la pintura de tal libertinaje", auf dem religiösen und moralischen Skeptizismus zurückzufuhren sei, der unter den konvertierten Juden geherrscht habe; ein solcher Zusammenhang (ebd.: 386) sei indes wahrscheinlich: „Viven [die conversos, N.R.] dentro de una sociedad cristiana, practican la devoción exterior, pero hablan y proceden como gentiles, sin noción del pecado ni del remordimiento." Deshalb noch einmal (ebd.: 391): „De la excelencia de la Celestina como obra de arte y tipo y modelo de prosa castellana, toda alabanza parece pequeña. El moralista no puede menos de hacer muchas salvedades". 12 Die kulturhistorischen und rassistischen Puristen unter seinen Lesern, die jedwede Verwandtschaft mit den spanischen Juden, wie ephemer sie auch sein mochte, als Zumutung empfanden - sie dürfte diese Aschenputteltaktik, nämlich die Trennung zwischen guter Ästhetik und schlechter Thematik, dennoch kaum besänftigt haben. In ihren Augen hatte sich Menéndez Pelayo nicht nur der kulturhistorischen Häresie schuldig gemacht, als er der literarischen und intellektuellen Convivencia seinen Tribut zollte. Sie dürften ihm kaum minder verübelt haben, daß er den trikulturellen Einfluß schließlich auch auf die Zeit nach 1492 ausdehnte, und zwar auf doppelte Weise: Einerseits (1961, VI, 214) durch die literarisch-kulturellen Bande, die die Sepharden „in Holland und anderswo im 12

Getröstet haben dürfte den moralinsauren Sittenwächter im übrigen, daß andere Werke dieses Themengenres, etwa La Lozana Andaluza, noch .unmoralischer' waren. Letzteres, so sein Urteil (1941: VII, 255), enthalte „las más obscenas y brutales composiciones que de aquel siglo subsisten".

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16., 17. und noch im 18. Jahrhundert" mit der Halbinsel verbanden. Machte sich in der Celestina, dem literarischen Schwanengesang auf die jüdischen Traditionen, der „semitische" Einfluß auf die spanische Literatur unübersehbar bemerkbar, trat nach 1492, so die Lesart von Menéndez Pelayo, der spanische Einfluß auf die ,semitische' Literatur außerhalb Spaniens in den Vordergrund: „Esta reacción ó influencia contraria de la lengua y literatura española sobre los pueblos semíticos, que conduce sucesivamente á escribir en castellano á mudéjares, moriscos y judíos, creando tres pequeñas literaturas, mixtas de oriental é ibérico, merece por si sola un atento estudio". Während dieser Einfluß die antisemitischen Gemüter kaum beschwichtigt haben dürfte, hat sie das, was Menéndez Pelayo als De-facto-Erbe der jüdischen Präsenz auf der Halbinsel registriert, in ihrem Mißtrauen sicher bestätigt. Nämlich „la enumeración de los elementos árabes y hebreos que han entrado en nuestro léxico y en nuestra gramática." Eine Binsenweisheit zwar, aber eine mit Brisanz: Obwohl die erste umfassende Geschichte der spanischen Juden bereits Jahrzehnte zuvor erschienen war, empfanden die reaktionären Gesinnungsfreunde von Menéndez Pelayo das trikulturelle Erbe, wenn sie es nolens volens überhaupt als solches interpretierten, noch immer als die Büchse der Pandora, die man besser fest verschlossen hielt. Daß es einer von ihnen wagte, an diesem Tabu zu rütteln, noch dazu unter Berufung auf einen Liberalen, nämlich auf Amador de los Ríos, könnte sogar ihren Verdacht genährt haben, daß es der Autor der Heterodoxos auch mit seinem glühenden Bekenntnis zur Inquisition vielleicht doch nicht so ernst gemeint hat. Denn trotz der Aversionen, die Amador de los Rios gegen die Inquisition empfand, lobt ihr Verteidiger (ebd.: 195) dessen Standardwerk doch uneingeschränkt als „obra [...] erudita y meretoria." Dieses Urteil gilt, was die jüdische und maurische KulturGeschichte betrifft, auch für Menéndez Pelayo.

4. „Ein doppeltes Schloß an das Grab des Cid": Joaquín Costas „ethnische Tiefenschichten" der spanischen Geschichte Die Aufgeschlossenheit, die Marcelino Menéndez Pelayo den kulturellen Leistungen von Juden und Mauren entgegenbrachte - im Werk des wohl bekanntesten Kritikers der nationalen Dekadenz, Joaquín Costa (1846-1911), fällt diese Sympathie erheblich moderater und zwiespältiger aus. Er gehört zu den schillerndsten Leitsternen am intellektuellen Firmament des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts: Der „spanische Fichte", wie seine Anhänger den brillanten

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Stilisten und einflußreichsten Theoretiker des „Regeneracionismo" verehrten, war einer der glühendsten Patrioten seiner Zeit, dessen essayistisches Output mehr als zwanzig pralle Bände füllt und deren thematisches Spektrum genauso groß ausfällt. Als wortgewaltiger und kenntnisreicher Reformer des sklerotischen Agrar- und Rechtssystems brillierte er ebenso wie als politischer Publizist, Literaturkritiker und Kenner der nationalen Geschichte. Seine geschliffene, bilderreiche Sprache und sein rhetorisches Talent verschafften ihm sogar das Charisma eines Volkstribuns, dessen Tod 1911 nicht nur in seiner aragonesischen Heimat zu emotionalen Trauerbekundungen en masse Anlaß gab: Als „gloria nacional", schreibt Varela (1999: 122 f.), versammelte noch der tote „maestro de los maestros" nahezu die gesamte politische Klasse seines Landes hinter seinen Doktrinen: „Esta contradictoria unanimidad continuó por largos aflos. El general Primo de Rivera inauguró un monumento en Gaus [sein Heimatort in der Provinz Huesca, N.R.], en septiembre de 1929, llamándolo ,gran patriota y vidente', declarando que su programa nacional era del gobierno que presidía. [...] Claro está que la izquierda lo reclamó como suyo, lo mismo que había hecho con Ganivet en 1924." Das ideologische Sortiment, das Costa anzubieten hatte, war - trotz aller Veränderungen, die sich über die Jahrzehnte hinweg konstatieren lassen - in der Tat reichhaltig und von einer im Kern dauerhaften Beschaffenheit, die unterschiedlichsten Abnehmern attraktiv erschien, auch und gerade unter jenem Blickwinkel, der hier von Interesse ist. Vor allem seine schonungslose Diagnose des „problema España", die späteren Therapeuten', unter anderem der 98er Generation, als Bezugspunkt diente, sprach vielen aus dem Herzen: „Somos un perpetuo nacimiento y una perpetua declinación", schrieb er (1992: 77) mit metaphorischer Plastizität, „sólo tenemos orto y ocaso, no tenemos zenit, pasamos de un salto desde el nacimiento a la muerte, sin hacer alto en la vida, apenas saltamos de la cuna, convertimos sus cuatro talbas en las cuatros tablas de un ataúd." Die anschauliche Beschreibung, obgleich auf die spanische Geschichte in toto gemünzt, gilt in erster Linie dem tristen Status quo in Landwirtschaft und Industrie, den der Diagnostiker (1982: 207) der nationalen Malaise geradezu als hoffnungslos empfand: „Por causas todavía no bien quilatadas, la evolución del organismo nacional español se paralizó tan por completo, que se diría un sueño cataléptico". Noch immer, kaum anders als in den zurückliegenden Jahren (ebd.: 49), habe die Nation ohne Gesetze, ohne Garantien, ohne Gerichte gelebt, demselben „inorganischen Feudalismus" unterworfen, der sie von Europa trenne „por toda la distancia de una edad histórica." Im Vergleich zu „Europa", Costas

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Vergleichsmaßstab schlechthin, sei Spanien (ebd.: 219) so etwas wie „la China de occidente". Wer, der nicht zu den Günstlingen der korrupten iurno-Kabinette und den Nutznießern des feudalen Großgrundbesitzes gehörte, mochte dieser Diagnose widersprechen? Seriöse Liberale, die Costas Ansichten im Grundsatz teilten, dürften sich allerdings gefragt haben, ob die Medizin, die er dem „nationalen Organismus" verabreichen wollte, nicht allzu bitter schmeckte. Denn Costas Remedium, daran ließ er selber keinen Zweifel (ebd.: 105), war „una verdadera política quirúrgica",

und derjenige, dem es oblag, das Mittel anzuwenden, „un

cirujano de hierro" - die Sympathien, die er unter Diktatoren vom Schlage Primo de Riveras genoß, waren deshalb nur allzu verständlich. Verständlich war auch, daß er nicht nur in Europa nach Vorbildern suchte, die seinen Idealen einer „chirurgischen Politik" entsprachen. Fündig wurde er (ebd.: 105 f.) vor allem in der nationalen Geschichte. Denn schon einmal habe es einen Zustand politischer Unordnung gegeben, „que hizo saltar de su casa a Isabel de Castilla y no volver a ella hasta que hubo sacado del caos del feudalismo una nación moderna, la primera y más grande de Europa". Costas Verehrung der Katholischen Königin, zusammen mit dem Cid die nationalen Lichtgestalten der Vergangenheit, ist nicht allein der Tatsache geschuldet, daß sich ihre Meriten mit jenen deckten, die sein „eiserner Chirurg" besitzen sollte. Für den stahlharten „Regenerationisten" war die nationale Geschichte, das Präfix „Re" deutet es an, jenes Gelände, das, neu vermessen und kultiviert, die üppigsten Erträge versprach. Deshalb ist es nicht übertrieben, wenn Varela (1999: 127) über den Historismus des Aragonesen schreibt: „El ideal cosista está siempre a la espalda. Hasta las medidas novedosas tienen que acreditarse como tradicionales. [...] Es la introspección' o ,exploración' del alma nacional, constante e idéntica, la que proporcionará la brújula para el porvenir. El objetivo es .reconstruir la personalidad histórica de la nación.'" Kein leichtes Unterfangen, vor allem deshalb, weil die „historische Persönlichkeit" Spaniens, wie ihr Biograph immer wieder konstatierte, ein höchst flüchtiges und kränkelndes Gebilde war: „El cielo de nuestra historia", lautet denn auch eines seiner Standardlamentos (1980: 184), „es un cielo de estrellas fugaces que fulguran con luz vivísima durante un segundo y que al punto se extinguen para siempre". Trotz dieser skeptischen, ja pessimistischen Interpretation der spanischen Geschichte unternahm Costa immer wieder den Versuch, einem Goldsucher gleich, den historischen Strom des Landes durch sein Sieb zu leiten - in der Hoffnung, wenigstens einige Edelpartikel herauszufiltern.

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Zu den wenigen Pretiosen des nationalen Zeitenstroms, die, wenn auch roh und ungeschliffen, in Costas Filter hängen blieben, gehörte, neben der Katholischen Königin, vor allem der Cid. Der mittelalterliche ,Maurentöter', in dem Costa so etwas wie die nationale Eintracht und Harmonie schlechthin verkörpert sah, avancierte zur Zentralkategorie seines „mito regeneracionista" (Valera 1999: 138), den er in mehreren Schriften wortgewaltig propagierte. In seinem Programa político del Cid Campeador, das er 1885 veröffentlichte, stilisierte er (1961: 256 f.) den Protagonisten der Eroberung von Valencia zur nationalen Panazee aller Gegenwartsprobleme: „Si fuera lícito aplicar a las cosas antiguas nombres nuevos, diría que la figura del Cid representa todo un programa político, y que su vida es una lucha incesante por llevar ese programa a la realidad: Lucha religiosa, contra el Papado; lucha nacional, contra el Imperio; lucha territorial, contra los sarracenos; lucha política, contra los reyes." Was die hier im Mittelpunkt stehende Frage betrifft, nämlich Costas Interpretation von Convivencia und Reconquista, folgt nur wenige Zeilen weiter ein Hinweis, der die augenscheinliche Zustimmung zum „Kampf gegen die Sarazenen" akzentuiert: Mit Blick auf Afrika bedeutet dieses Programm „el rescate [!] del territorio; respecto del Islam, la tolerancia, considerando a sus creyentes como elemento integrante de la nacionalidad". Die Janusköpfigkeit, die Costas Haltung zum Islam aufweist, ist damit bereits evident: der Cid als Symbol religiöser Toleranz und militärischer Expansion letztere inzwischen weniger als nationaler Befreiungskampf, 1 3 den das historische Vorbild angeblich ausgefochten hatte, sondern, dem Zeitgeist gehorchend, als koloniale Mission: „Por esto os digo, señores", gab er (ebd.: 255) in den 80er Jahren die Devise aus, „no ya por impulso de vanagloria, no ya por sugestiones de patriotismo, por altos deberes de humanidad estamos obligados a fomentar el crecimiento y expansión de la raza española." Der eiserne Chirurg sollte nicht nur das Krebsgeschwür aus dem nationalen Organismus entfernen - auch die Bewohner des natürlichen Hinterlandes', die der Cid dereinst vertrieben hatte, sollten dieser Operation unterzogen werden! Der ganz gewöhnliche Kolonialismus, der sich in diesen Zeilen artikuliert, wird durch ein Gebot der „Toleranz", für das der Held des Mittelalters als Gewährsmann steht, zwar etwas abgefedert - Kolonialismus bleibt das Ganze jedoch allemal. Als Initiator eines „Congreso de Geografía Colonial", der in jenen Jahren stattfand, ließ er (ebd.: 254) daran selber keinen Zweifel. Ein Ziel 13

Doch auch der schwingt in dem „rescate"-Begriff mit!

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der spanischen Außenpolitik müsse darin bestehen, „adquirir vastas extensiones de territorio en el continente africano que ensancharan el imperio del Cid y de Don Quijote en lo futuro." Die politische Instrumentalisierung des Cid für die kolonialen Interessen in der Gegenwart: Schließt sie auch ein positives Verhältnis Costas zum historischen Cid der Convivencia ein oder interessierte ihn nur der Maurentöter? Da er, was den Islam betrifft, den Cid vor allem als Standarte des nationalen Befreiungskampfes verklärte, wundert es nicht, wenn er jene Epoche, in der dieser die historische Bühne betrat, vor allem aus der bekannten Reconquista-Perspektive betrachtete. Zum Beispiel (1980: 111) als „la escuela Covadonga espiritual que expulse de nuestro suelo el Africa". Oder (1992: 73) ais „epopeya inmortal de la Reconquista" - eine Heldentat, die ganz Europa vor dem Islam bewahrt habe: „Dos veces, en los siglos VIII y XVI", ruft er (1980: 120) jenen zu, an die Spanien mit Hilfe des „eisernen Chirurgen" Anschluß finden soll, „ha salvado España la civilización europea de la cicuta [!] del Alcorán. Cuando la historia elaboraba sus progresos en las tinieblas de la Edad Media y en los albores del Renacimiento, esta nación hidalga, tan noble por su sangre como por sus desgracias, era su único centinela y amparo." Wie die große Mehrheit seiner Zeitgenossen, war auch Costa zutiefst davon überzeugt, daß die Reconquista ein Befreiungskampf war, durch und durch legitim und ohne Alternative - die eigentliche „Wiege" (ebd.: 133) oder „Formationsepoche" der spanischen Nation. Dagegen schlug er durchaus moderate Töne an, wenn es um religiöse und - in geringerem Maße - um kulturelle Fragen ging. So schließt seine Hommage an „la unidad orgánica de la nación" (1961: 69), die der Cid verkörpert habe, dessen „Toleranz" gegenüber dem Islam stets mit ein: „uno de los principios políticos que componen el programa del Campeador es la tolerancia religiosa, considerando a los mudéjares como elemento integrante de la nacionalidad española". Die Zugehörigkeit zur spanischen „Nationalität", die er den „mudéjares" 14 post festum einräumt, harmoniert zwar nur schwer mit den ansonsten offerierten Interpretationen, denen zufolge die nationalen Keime erst auf den blutdurchtränkten Schlachtfeldern der Reconquista zur vollen Blüte reiften an der religiösen Toleranz des Cid hält er jedoch fest und verteidigt sie entschieden. So entgegnete er (ebd.: 70) einem französischen Herausgeber des Mio Cid, der dem Helden des Epos einen in Spanien typischen Fanatismus in reli-

14

Da Costa zwischen „mudéjares", „moros" und „musulmanes" in der Regel nicht unterscheidet, ist hier sehr wahrscheinlich der spanische Islam in toto gemeint.

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giösen Dingen attestiert hatte: „Sólo un personaje hoy en el poema que revela, con mayor o menor intensidad esos sentimientos, a saber: el obispo don Jerónimo; pero cabalmente ese personaje es francés; los demás, los paladines, genuinamente españoles, se mueven impulsados por el honor, por la necesidad, por el espíritu aventurero, por el provecho o por la Patria, nunca por odio que les inspire la religión de los musulmanes." Der Cid ais „el terror de la morisma" (ebd.: 48) - ja, aber nie als eifernder Ritter des Kreuzes, der, wie spätere Generationen, nach der Devise „Taufe oder Vertreibung" verfuhr: Costas personifizierter „mito regeneracionista" ist, wenn auch nur zur Hälfte, ein Symbol der Convivencia. Als ebensolches Zwitterwesen, nämlich als personifiziertes Sinnbild von Zuckerbrot und Peitsche, sollte der Cid auch die nordafrikanischen Nachfahren der mittelalterlichen „morisma" davon überzeugen, daß ihnen unter spanischer Kuratel eine bessere Zukunft beschieden wäre. Nur so, von der harten, aber gerechten Hand des neuen „cirujano de hierro" gefuhrt, könnten sie hoffen, ihren Zustand als „razas bárbaras, petrificadas o decadentes" (1982: 216) zu überwinden. Es bedurfte erst des „Desasters" von 1898, um Costa davon zu überzeugen, daß die Zukunft seines Landes nicht in der Vergangenheit lag. Die kühnen Geschichtsvisionen, das machte ihm der Verlust der letzten Kolonien schmerzhaft deutlich, waren wie eine Seifenblase zerplatzt. Schlimmer noch: Sie hatten sogar dazu beigetragen, die Augen vor der Realität zu verschließen: „Los nombres pomposos de Numancia, Sagunto, Otumba, Lepanto y Pavia", schrieb er (1980: 123) nun mit einer Brise Selbstkritik, „no compensan la servidumbre y el hambre con que nos han afligido los gobernantes y con que se disponen a seguir afligiéndonos sus mesnaderos y discípulos." Die einst als glorreich gepriesene Geschichte, so schien es, hatte ausgedient. Die neue Devise (ebd.: 111) lautete: „Deshinchémonos esos grandes nombres [...] con que se envenena a nuestra juventud en las escuelas, y pasémosles una esponja." Der historischen Generalinventur fiel auch sein historisches Lieblingssymbol früherer Jahre zum Opfer: „Doble llave al sepulcro del Cid", lautet die berühmte Parole (1961: 254) zur Säkularisierung des historischen Himmels, „para que no vuelva a cabalgar." Es gleicht einer Satire: Der Erbauer des nationalen Denkmals höchstpersönlich stößt es von seinem Sockel. Doch ganz so radikal, wie die Parole klingt, war sie nicht gemeint. Nur wenige Jahre später, der erste Schrecken über das Desaster war bereits vorüber, nahm der berühmte Ritter seinen Podestplatz wieder ein, allerdings in neuem Putz: „En 1898", erklärte Costa (ebd.: 255) dessen Wiederauferstehung, „España había fracasado como estado guerrero, y yo echaba doble

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llave al sepulcro del Cid [...] pero es porque antes me había asomado a él para conversar con el Cid repúblico, no con el Cid guerrero". Was auch immer das heißt: „El programa de Mio Cid", so Costas Wiederbelebungsversuch der historischen Legende, „no ha pasado todavía al panteón de las historias nuertas, y España debe estudiarlo seriamente". Zur toten Geschichte zählte Costa dagegen das trikulturelle Umfeld, in dem sich der Cid bewegt hatte. Die maurische Kultur, von der sein bevorzugtes Regenerationssymbol selber so durchtränkt war, hat seinen späten Bewunderer kaum interessiert - trotz der Tatsache, daß er in der historischen Genese seines Landes den Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart sah: „El estudio de los elementos que componían la civilización embrionaria, pero original, de los pueblos occidentales", schrieb er (1982: 52) in einer Art vergleichender Kulturtheorie, „es de un interés inmenso, porque de igual manera que las regiones del planeta no sustentan por igual todas las producciones vegetales y animales, sino que entre todas contribuyen a formar la gran flora y la gran fauna terrestres, las razas y pueblos que habitan cada una de estas regiones no realizan en igual grado todos los fines humanos, sino que diversamente condicionados por circunstancias étnicas y topográficas, o por circunstancias exteriores, o simplemente por su origen, consagran preferente atención al desarrollo de uno de los fines". Was diese Kulturtheorie, positiv gelesen, für das maurische Spanien bedeutet, hat Costa freilich nur sehr spärlich expliziert. Zum „cielo de nuestra historia" zählte er zwar auch die „Araber", aber nur selten und dann lediglich unter ferner liefen: „en el siglo XIII", lautet einer der vereinzelten Hinweise (1980: 184), „enseñaba [España] a Europa la Astronomía de Ptolomeo y de los árabes, y eregía los primeros observatorios e imponía el meridiano de Toledo como meridiano universal". Ein besonderes Interesse an der maurischen Kultur, gar Enthusiasmus, verraten diese lakonisch-dürren Zeilen nicht: „Bajo los auspicios del rey D. Alfonso el Sabio", heißt es genauso lapidar in einem anderen Essay (1969: 152), „se connaturalizaron en Castilla los tratados políticos del Oriente." Was für ein Unterschied, gerade auch stilistisch, zu jenen Texten, in denen er die tatsächlichen oder vermeintlichen Meriten des Cid abfeiert! Die begeisterte Maurophilie der Romantik, von der sich noch etliche seiner Zeitgenossen beseelt fühlten, war Costa augenscheinlich nicht geheuer. Nur so erklärt sich wohl der Umstand, daß „Afrika", in Geschichte und Gegenwart, zum Synonym für alles Schlechte wird. Hier kritisiert er (1961: 289) „nuestro fatalismo musulmán y nuestra desidia mahometana", dort spottet er (1982: 79) über die marokkanische „barbarie [que] es orgánica" - eine „Barbarei", die als Dauer-

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bedrohung auch (ebd.: 118) Spanien gefährde: „el Africa [...] nos ha invadido otra vez espiritualmente". Keine Kultur- und Geographiemetaphorik, die Sympathie für die Mauren verriete! Hier und da artikuliert sich Costas Maurenmetaphorik sogar offen rassistisch. Unter der Überschrift „Pueblo africano" gibt er (1980: 123) jener „minoría de enfermos", die Spanien regiere, zu bedenken: „Los gobernantes parecen haberse olvidado que somos blancos y que confinamos con Europa." Man kann dem Autor dieser Zeilen allerdings zugute halten, daß er bei der Verwendung rassistischer Kategorien nicht besonders kleinlich war: Auch die Spanier selber bedachte Costa mit solchen Verdikten, weit über das „afrikanische Erbe" hinaus. So schrieb er 1905 (1961: 313 ff.) über den noch immer tristen Zustand des „Quijote de las naciones": „España como categoría internacional ha fracasado."

Die griffige Sentenz steht am Ende einer ausgedehnten Erörterung

der Dekadenzursachen, zu der ihn die Lektüre ausländischer Autoren animiert hatte. Deren Ansicht, daß nämlich der spanische Niedergang ab dem sechzehnten Jahrhundert durch „die religiöse Intoleranz, die Autodafés und die Kerker der Inquisition" verursacht wurde - diese Ansicht verwirft er zwar nicht in toto, meint aber, in letzter Instanz eine andere Ursache am Werke zu sehen: „Yo me inclino a pensar que la causa de nuestra inferioridad y de nuestra decadencia es étnica y tiene su raíz en los más hondos estratos de la cortesa del cerebro." Für diese durchaus ernstgemeinte Theorie beruft sich Costa auf namhafte Gewährsmänner der „Antroposociologia", die den „homo europaeus"

in verschiedene

Kategorien eingeteilt hätten, von denen der „homo mediterraneus"

erwiesener-

maßen der „minderwertigste" sei. Daß es sich tatsächlich so verhalte, daß nämlich der „subsuelo étnico" Spaniens in intellektueller Hinsicht ziemlich unfruchtbar sei, „tiene un fundamento natural en las circunvoluciones cerebrales". Denn nur so lasse sich die Frage beantworten: „Pero ¿por qué el fanatismo religioso produjo aquellos perniciosos efectos en España y no los produjo en Alemania y Francia, donde no castigó menos ni fué menos absorbente su imperio?" In lichteren Momenten setzte Costa die Akzente freilich anders. Da war es weniger die Biologie, sondern mehr die Geschichte, die ihm als Erklärung der spanischen Dekadenz diente - eine Geschichte, die er (1980: 19) ziemlich konkret beim Namen nannte: „fue preciso que Dios enviase a Torquemada para obscurecer con su letal aliento el espectáculo de aquel árbol inmenso, cuyas raíces abrasaban los mares como una red infinita". Die Attacke auf den Großinquisitor datiert von 1869, also aus einer Zeit, als Costa noch eher von einer

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„creencia católica ortodoxa" (Varela 1999: 127) beseelt war, die sich erst in reiferen Jahren zu einem Credo entwickelte, „que se desea filosófico y tolerante." Vermutlich waren es just die politischen Ereignisse von 1868, die ihn zu einer allmählichen Revision seiner orthodoxen Überzeugungen veranlaßten. Die folgenden Zeilen (1980: 151), nur ein Jahr später geschrieben, atmen jedenfalls bereits den Geist der liberalen Religionskritik: „Los que, pasada la edad Media, no dieron al pueblo otra educación que la religiosa, lo embrutecieron, porque la fe ciega no es fe". Bevor er, wie weiter oben zitiert, mit dem pseudowissenschaftlichen Mummenschanz einer biologisch fundierten Dekadenztheorie kokettierte - sicher aus Enttäuschung über die spärlichen Resultate der propagierten Regenerationsstrategie - , lag hier der Dreh- und Angelpunkt dieser Theorie: Spanien, wiederholte er (1992: 76) ein ums andere Mal, wurde das Opfer ,,[d]el absolutismo y la teocracia, condenados a empañar con su aliento y matar con su sombra cuanto tocan, aun aquello que se proponen fomentar". Ins Fadenkreuz seiner historischen Kritik geriet vor allem die Inquisition (ebd.: 111 f.), in deren unterirdischen Kerkern die Wissenschaften zu Grabe getragen worden seien. Und mit ihnen die Zukunft Spaniens, die, wäre sie nicht in „die Klauen des Monstrums"15 geraten, anders ausgesehen hätte: „España hubiera sido la Inglaterra de nuestro siglo con sus virtudes y sus vicios: tan caro nos costó el imperio, que sólo para reducir la Europa a la desesperación, y atraernos su rencor y su menosprecio". Wie viele seiner liberalen Mitstreiter, die in den „Klauen" des Heiligen Offiziums und in den tönernen Füßen des Imperiums die historischen Hauptursachen des spanischen Niedergangs lokalisierten, verfuhr freilich auch Costa nach der Devise: „Wasch mich, aber mach mich nicht naß!" Denn die obersten Repräsentanten dieses Spaniens, die sowohl der Inquisition als auch dem Imperium zum Durchbruch verholfen hatten, blieben von seiner Kritik verschont. Mehr noch: Zusammen mit dem Cid sind es die Katholischen Könige (1982: 207), die die nationale Zenitepoche der Neuzeit verkörpern - „aquella grandiosa epopeya política que [...] realizaron sobre la materia viva de un pueblo, labrando casi de improviso la primera nación de su tiempo". Bedauerlicherweise, schreibt Costa aber schon in der folgenden Zeile, hielt die Erfolgskurve des eisernen Chirurgenpaares aus den oben genannten Gründen jedoch nicht lange an: „agotó su ciclo en poco más de 50 años". Costas beständige Lobpreisung (1961: 111)

15

Auch die Inquisitionskritik Voltaires, der diesen Begriff verwendete, wird von Costa (1961: 229) zustimmend zitiert.

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des „glorioso imperio de don Fernando y de doña Isabel" enthält

freilich

keinerlei Kritik an jener Politik des Herrscherpaares, die den katholischen Einheitsstaat unter dem Zepter von Absolutismus und Theokratie de facto erst ins Leben rief: Nämlich an der Vertreibung und Zwangskonversion der beiden religiösen Minderheiten. War Costa, dem die religiöse Toleranz des Cid so lobenswert erschien und der (1992: 127) die Reformer des 18. Jahrhunderts unter anderem deshalb verehrte, weil sie allen Ausländern, „de cualquier creencia o religión que fuese", die Tore geöffnet hatten - war ihm das Schicksal von Mauren und Juden egal? Oder waren auch sie Teil jener Situation von „Chaos und Anarchie", die die Katholischen Könige so erfolgreich bekämpften? Das Desinteresse, das Costa hier erkennen läßt, verwundert vor allem deshalb, weil er die religiöse Intoleranz, der hauptsächlich Juden und Conversos zum Opfer fielen, als Hauptursache der Dekadenz gegeißelt hat. Es verwundert um so mehr, als er nicht nur den Cid, sondern auch einen jüdischen Propheten (!) zum Sinnbild seiner Regenerationsstrategien machte. Unter dem Titel „El programa de resurrección política del profeta Ezequiel" (1982: 250 ff.) macht Costa seine katholischen Leser mit jenem Exponenten der babylonischen Juden bekannt, „quien mantenía viva entre los desterrados la memoria de la patria, alentando en ellos la esperanza de una próxima restauración". In der „grandiosa visión del egregio patriota y propagandista de Israel" sah sein christlicher Bewunderer das Paradebeispiel eines erfolgreichen „Regenerationsprogramms",

das Spanien als Vorbild

dienen

könne: „Libertad, cultura, bienestar: tales son, como ustedes ven, las tres cosas que Ezequiel consideraba precisas para hacer de los israelitas vencidos y vueltos a la barbarie, una nación grande como había sido en tiempo de David y de Salomón; y tales asimismo las que nosotros pedimos para hacer de los españoles." Doch derselbe Autor, für den die biblische Legende ein Beweis für den ungebrochenen Regenerationswillen des jüdischen Volkes war, einen Willen, den es nachzuahmen gelte - derselbe Autor (1969: 156 f.) behauptet mit einem Gefühl rassischer Superiorität: „Nosotros, descendientes de los arios, la raza de la filosofía y de la epopeya; nosotros, el pueblo de Séneca y el Cid, del Romancero y de los Fueros municipales, no podíamos aprender cosa alguna de los moralistas de la India". Damit meinte Costa einen intellektuellen „Geist", der am Hofe Alfons X. vorgeherrscht habe - importiert durch maurische und jüdische Gelehrte. Weit davon entfernt, in der trikulturellen Atmosphäre am Hofe des ,weisen' Königs einen positiven Faktor für die intellektuelle Entwicklung Spaniens zu sehen, bilanziert er (ebd.: 157) die Blütezeit der Toledaner Über-

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setzerschulen als ausgesprochen schädlich: „Así fue: gracias al influjo poderoso que ejercieron mundéjares y judíos en la Corte de Castilla a partir de la conquista de Toledo [...] Arraigó aquí profundamente aquel género embrionario y elementalísimo de ciencia, esterilizando para tres siglos el ingenio español." Die Sterilisierung der spanischen Wissenschaften durch eine indisch-maurisch-jüdische Überfremdung: Eine wirklich denkwürdige Begründung aus dem Munde eines Autors, der in späteren Jahren die unterentwickelten Gehirnfunktionen des „homo mediterraneus"

für die intellektuelle Misere seines Landes verantwort-

lich machte! Hier fühlte er sich dagegen noch ganz als Nachfahre der „arischen" Edelrasse, deren „philosophisches Wesen" unter dem Einfluß von Mauren und Juden auf Irrwege geraten war. Daß Costa den „genio semita" nicht für geeignet hielt, der gewaltigen Herausforderung einer Regeneration Spaniens gerecht zu werden - daran ließ er keinen Zweifel: „El genio semita", meinte er (1980: 143) zu wissen, „siente más que razona, cree, pero no piensa, apto para el lirismo, pero poco discutidor, ha creado grandes religiones del espíritu, pero no los grandes sistemas filosóficos, hijos de la duda y de la controversia, ni las grandes tragedias y epopeyas que cantan a explosión de las inquietudes interiores de la razón, los problemas de la vida y las grandes batallas de la humanidad." Costa, das illustrieren diese Zeilen, war kein Antisemit im gewöhnlichen Sinne: Kein Wort von jüdischen Verrätern, Hostienfrevlern oder gewissenlosen Wucherern. Für ihn repräsentierten sie lediglich eine Kultur, die mit den spanischen , Essenzen' unvereinbar war. Das erklärt wohl sein Schweigen über die Vertreibung von 1492: Für das Regenerationsprojekt der „eisernen Chirurgen" auf dem spanischen Thron waren sie nicht zu gebrauchen. Das erklärt wohl auch die Tatsache, daß er von philosephardischen Anwandlungen frei gewesen ist. So wünschte er sich (ebd.: 136) zwar „la regeneración de España [con] los capitales extranjeros" - auf die Hilfe der Sepharden setzte er dabei jedoch nicht.

5. „Die tolerante Convivencia von Christen, Mauren und Juden": Rafael Altamira Das geringe Interesse, das Costa an den spanischen Juden in Geschichte und Gegenwart hegte, dürfte Rafael Altamira (1866-1951), einem der bekanntesten Historiker aus der liberalen „Fabrik des Centro de Estudios Históricos" (Varela 1999: 97), nicht gefallen haben - trotz der Wertschätzung, die er Werk und

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Wirken des aragonesischen Regenerationisten stets entgegenbrachte. Das Motto, unter das er seine jahrzehntelange Arbeit stellte, formulierte er (ebd.: 98) im Schicksalsjahr 1898 programmatisch mit den Worten: „Restaurar el crédito de nuestra historia." Das ist ihm, wenngleich unter den Prämissen einer inzwischen längst überholten Theorie der Nation, wenigstens zum Teil gelungen, vor allem mit Blick auf die trikulturelle Geschichte und Gegenwart Spaniens, die er, und das bereits lange vor seinem „Centro"-Kollegen Américo Castro, mit bemerkenswerter Klarheit zum historischen Fundus zählte. Das lädierte Ansehen der spanischen Geschichte nach innen und nach außen wiederherzustellen - das ist ihm wohl vor allem auch deshalb überwiegend gelungen, weil er sein liberales Credo, unter anderem die politische Erbschaft des Centro de Estudios

Históricos,

im Unterschied zu den meisten seiner Mitstreiter nie aufgegeben hat: Seinen liberal-demokratischen Überzeugungen blieb er auch im mexikanischen Exil, in das ihn der Ausgang des Bürgerkrieges 1939 verschlagen hatte, augenscheinlich treu. Eine paternalistisch-aristokratische Attitüde, in der sich so viele OrtegaEpigonen unter den Exilintellektuellen gefielen, läßt sich aus seinen Schriften jedenfalls nicht herauslesen; auch kein granithartes Ursubstrat eines Ewigen Spanien, an dem die historischen Einflüsse verschiedenster Kulturen, wie sein Zeitgenosse Unamuno meinte, fast spurlos vorbeigegangen wären: „Ningún pueblo de aquellos cuya vida secular conocemos y estimamos digna de ser recordada", schrieb er (1950: 21) noch gegen Ende seines Lebens, „puede vanagloriarse - si es que hay vanagloria en ello - de haber creado él solo su historia, ni de representar un tipo antropológico o étnico sin mezcla alguna." Treu geblieben ist Altamira allerdings auch den Jugendideen eines „wirklichen Patriotismus", einer „Seele der Nation", die, trotz aller Differenzierungen, zu denen er sich stets veranlaßt sah, einen ziemlich idealistischen Kern besitzen. So ist es kein Zufall, daß der junge Geschichtsprofessor nach , jenem schrecklichen Sommer von 1898" (1902: 17) bei einem deutschen Gesinnungsgenossen intellektuellen Beistand suchte: Er übersetzte Fichtes Reden an die

deutsche

Nation. Damit habe er nicht nur beabsichtigt, bekannte er später (ebd.), der „selbstmörderischen Idee" eines militärischen Rachefeldzuges oder einer Renaissance des Imperialismus das Wort zu reden: „Lo que yo soñaba era nuestra regeneración interior, la corrección de nuestras faltas, el esfuerzo vigoroso que había de sacarnos de la honda decadencia nacional". Mystisch-reaktionäre Ideen eines prähistorischen „Urvolkes", die Fichte propagiert hatte, waren Altamira tatsächlich ziemlich fremd. Dennoch hantierte er in seiner vier Jahre nach dem Desaster erschienenen Untersuchung über die Psicología del pueblo español mit

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Kategorien, deren Vaterschaft leicht zu erraten ist - vor allem diffuse Begriffe wie „el alma del pueblo" (ebd.: 40) oder „el gran genio nacional" (ebd.: 46), die, wie auch der Titel des Buches suggeriert, individualpsychologische Kategorien umstandslos auf die Nation übertragen. Als völlig unproblematisch empfand er die Gleichsetzung von Personen und Nationen zwar nicht, im Grunde hielt er (ebd.: 57) sie aber für schlüssig - „aunque seguramente, no en aquellos términos absolutos é inmutables". Genau so diffus sind jene Begriffe - „cualidades esenciales", „fondo común" (ebd: 52) - die, wenn auch mit einigen Fragezeichen versehen, ein historisches Kontinuum (ebd.: 60) behaupten: „notas constantes que, en medio de la variedad enorme de los distintos tiempos vividos hasta hoy, presenta nuestro pueblo". Solche „notas constantes", meinte Altamira (ed.: 25), seien überall zu finden, im „Slavismus, im Germanismus, der lateinischen und angelsächsischen Fraternität etc." Immer handele es sich jedoch um historisch entstandene Phänomene; Einflüsse „del tipo antropológico propiamente dicho" (ebd.: 29) hielt er dagegen für „muy discutibles". Als genauso problematisch empfand er (ebd.: 27) nationale Stereotypen - gußeiserne Klischees, die „el fenómeno nacional" zumeist auf eine Eigenschaft reduzierten, vor allem auf die Sprache, die „Rasse" (Altamira selber versah diesen Terminus mit Anführungszeichen) oder politischgeographische Gegebenheiten. In Wirklichkeit gebe es aber nicht eine, sondern viele Spielarten des nationalen Phänomens (ebd.: 26): „Por fortuna, hoy empieza á reconocerse que en la realidad se dan naciones de muchos y variados tipos, en los cuales sólo existen algunos de aquellos elementos, ó uno solo, o aparecen negados otros que se creyeron fundamentales, y, sin embargo, forman nación." Altamiras relativ undogmatische, stets abwägende Auseinandersetzung mit dem Thema der Nation, die bereits damals auf einem soliden Sockel internationaler Fachliteratur stand, bildet den geistigen Rahmen fiir seine genauso undogmatische Interpretation der spanischen Geschichte - unter Einschluß von Juden und Mauren. So gesehen atmet zwar seine ständige Aufforderung (ebd.: 46), das „nationale Bewußtsein", ja die „Liebe" zur Nation zu fordern, noch ganz den idealistischen Geist des deutschen Philosophen, dessen Reden ihn zur Sondierung der Psychologie des spanischen Volkes inspirierten. Im Unterschied zu Fichte ist Altamiras Interpretation der nationalen Geschichte aber überwiegend frei von Mythen und exklusiven Verengungen. Denn (ebd.: 50) schließlich war er davon überzeugt: „nadie sabe jamás a ciencia cierta si en la obtención del estado presente hay más elementos indígenas que ajenos".

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Geschichte als Wissenschaft Die luzide Skepsis, mit der Altamira die Phantasiegebäude der Völker-

genealogen im allgemeinen betrachtete, machte auch vor der nationalen Zunft dieser Spezies nicht Halt, und das in einer durchaus essentiellen Frage: „No se sabe, en realidad", schrieb er (1946: 52) Anfang der 30er Jahre über den nicht sonderlich festen Mutterboden der spanischen Geschichte, „cuando y por dónde entraron los iberos en España, ni su procedencia segura. La opinión más compartida hoy, es la de que procedían, mediatamente, quizá de la Mesopotamia; e, inmediatamente, del Norte de Africa." Die Historiker-Paläontologen, die in den Iberern das historische Saatgut ihres Volkes sahen, mögen erschrocken den Kopf geschüttelt haben: Selbst das nationale Wurzelwerk par excellence ist möglicherweise ein Importprodukt - noch dazu auf afrikanischem Boden gediehen! Harter Tobak für all jene, die bereits mit der ,zweiten Invasion' aus Afrika ihre Probleme hatten, nicht zuletzt deshalb, weil Altamira auch diese in einer Weise beschreibt, die den Reconquista-Ideologen gegen den Strich gegangen sein muß. So war er, im schroffen Kontrast zu Historikern vom Schlage eines Claudio Sánchez Albornoz, der Auffassung (1950: 23), daß die Invasoren des frühen 8. Jahrhunderts, wie zuvor bereits die Römer, ein deutlich höheres Kulturniveau erreicht hätten als diejenigen, die sie unterwarfen. Das Verhältnis von „Superiorität" und „Inferiorität" sei in diesem Falle völlig evident gewesen: „En general puede decirse", weist Altamira (ebd.: 28) damit das bis dato tonangebende Gros der Historiker in die Schranken, „que la antigua tesis, demasiado hispanista [...] ha sido eliminada en gran parte por las investigaciones desapasionadas que conceden al pensamiento y a la vida de los musulmanes, una gran penetración en la cultura medieval española". Am Beispiel von Córdoba, „una de las más admiradas y visitadas [ciudades] por musulmanes y cristianos" (1946: 145), erteilte er seinen „hispanistisch" gesonnenen Zeitgenossen eine gut fundierte Lektion in maurischer Kultur, die den damaligen Forschungsstand - Anfang der 30er Jahre - nicht ignoriert. Auf ihrem Zenit, schreibt er (ebd.: 162), habe es in der Maurenmetropole mehr als 200 000 Häuser, 600 Moscheen und 900 öffentliche Badehäuser gegeben. Die Straßen seien gepflastert, die Häuser mit Wasserleitungen ausgestattet gewesen überzeugende Beispiele für sein Resümee: „[Córdoba] fué entonces una de las ciudades más pobladas y ricas del mundo." Dem materiellen Reichtum habe der kulturelle (ebd.: 157 f.) vollauf entsprochen: Die Bibliothek des Cordobeser Kalifen hätten mehr als 600 000 Bände gefüllt - bibliographische Schätze, die von „Bücheragenten" aus der ganzen Welt zusammengetragen worden seien. Ihr Nutzen hätte sich nicht allein auf die Aristokratie beschränkt: In ganz Andalusien

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habe es rund 50 öffentliche Bibliotheken gegeben, die Zahl der Analphabeten sei dementsprechend gering gewesen. Die kulturelle Hausse des Kalifats, in den Schriften des klassischen Altertums verankert, habe sich im übrigen nicht auf Übermittlungs- und Verbreitungsaktivitäten beschränkt. Die Maurenherrscher, schreibt Altamira, „supieron producir un nacimiento científico y literario original y poderoso. Así se convirtieron en el pueblo más culto de Europa, en el doble sentido de ser, como va dicho, los conservadores de la ciencia antigua e importadores de la oriental asiática, y de aportar ideas y descubrimientos nuevos." Mit dieser Sicht der Dinge bewegte sich Rafael Altamira bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auf einem historischen Kenntnisstand, den andere Historiker der trikulturellen Epoche, unter ihnen auch Américo Castro, erst Jahrzehnte später erreichen sollten. Die „holde Ignoranz", die Heine beklagt hatte, sollte sich als ziemlich hartnäckig erweisen. Um so wichtiger waren historische Darstellungen wie die von Altamira, die sich nicht in verzückter Maurenschwärmerei ergingen, sondern sachlich, auf einer soliden Datenbasis, eine kulturelle Zenitepoche rekonstruierten, die auch die materielle Kultur, etwa (ebd.: 160 ff.) die genauso fortschrittliche Landwirtschaft von Al-Andalus, die Bewässerungssysteme, die bahnbrechenden Errungenschaften in Technik und Naturwissenschaften etc. zu würdigen wußten. Der alles überragende kulturelle Einfluß der Mauren machte sich auch, schreibt Altamira (ebd.: 164), auf den christlich dominierten Territorien bemerkbar, unter anderem in Gestalt der mudejares, die nach der sukzessiven Reconquista der maurischen Gebiete unter christlicher Herrschaft lebten: „[Estas] poblaciones mahometanas [...] eran respetadas por los reyes cristianos en punto a su libertad, religión y leyes especiales. Estos musulmanes [...] representaron en la España cristiana el mismo principio de tolerante convivencia que los mozárabes habían representado en el Califato." In diesem Prinzip der Toleranz, das Altamira in mehreren Schriften untersuchte, sah er völlig zu Recht den eigentlichen Nährboden der kulturellen Blüte von Al-Andalus und, in späteren Zeiten, von Toledo und anderen Städten der christlich dominierten Convivencia. Obgleich die sozialen Beziehungen zwischen „beiden Rassen", wie er (1950:118 f.), ebenfalls zu Recht, relativierend schreibt, nie in völliger Eintracht verliefen, sei die „amplitud de la tolerancia" dennoch ein historisches Faktum gewesen, das auch durch gelegentliche Konflikte, „[por] algunos episodios contrarios", nicht negiert werden könne. Wohl deshalb, weil für viele seiner Zeitgenossen die Vorstellung eines friedlichen Miteinanders von Mauren und Christen einer Provokation gleich kam, ging Altamira (1946: 165 f.) ins Detail: „En los períodos de

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paz, cristianos y musulmanes comunicaban entre sí, y muchas veces se prestaban mutua ayuda." Die engen Beziehungen zwischen beiden Bevölkerungsgruppen, „esta cordialidad de relaciones", seien von der Aristokratie und dem einfachen Volk unterhalten worden - auch ganz intimer Art: „Los matrimonios mixtos eran frecuentes. Como es natural, sólo se han conservado noticias de los de personas notables; pero es verosímil que abundasen también entre las otras." Als ob er die zeitgenössischen Wächter der altchristlichen Blutreinheit damit nicht genug beleidigt hätte, fügt er noch hinzu: „Lo curioso de estas uniones es que, a pesar de que la mujer cristiana no está obligada, según la ley alcoránica, a cambiar de religión para casarse con un musulmán, algunas de aquellas lo hacían". Die Beispiele, mit deren Hilfe Altamira seine Convivencia-These illustriert, lassen kaum einen Bereich des sozialen, kulturellen und religiösen Lebens aus. Sein Resümee (1950: 118), „la gran cantidad de españoles [...] aceptó la dominación musulmana", ist deshalb wohl begründet. „Lo mismo puede decirse", schreibt er (1946: 166) mit Blick auf die zweite Minderheit, „con referencia a los judíos". Auch sie, lautet jedoch die Einschränkung, hätten nie in einer völlig konfliktlosen Convivencia-Atmosphäre gelebt, weder im islamischen noch im christlichen Herrschaftsgebiet. Ihre Wertschätzung, besonders unter den Christen, „pendía principalmente de su cultura y sus condiciones de trabajo, sin obstáculo de las controversias religiosas que la predicación católica suscitaba a menudo". Die Argumentationsrichtung Altamiras, der letzte Teil des Zitats deutet es an, ist jedoch die gleiche wie mit Blick auf die Mauren: Bevor der christliche Konversionseifer beherrschend wurde, waren auch die spanischen Juden ein substantieller Teil der Convivencia - und der spanischen Kultur in toto: „Hállese donde se halla la causa de este hecho", schrieb er (1950: 92) über sämtliche Einflüsse, unter expliziter Nennung der jüdischen, die zu ihrer Genese beitrugen, „nada le quita pertenecer a nuestra historia peninsular, de caracterizarla a distinción de las de otras dependencias políticas de los mismos pueblos que nos invadieron, y de haberlas asimilado el intelecto español". Dabei rechnete er die peninsularen Juden, genau genommen, zum historischen ,Ursubstrat' des Landes. Sie firmieren zwar (ebd.: 30) unter den „intervenciones no políticas que aportaron otros grupos de población extranjera", allerdings mit einer ganz besonderen Bedeutung: „La más antigua de todas fué la judía, que ya en la época visigoda se acusó con fuerza." Mit dem Sieg des Islams, fügt er hinzu, wuchs die Bedeutung der jüdischen Kultur sprunghaft und nachhaltig an: In der Philosophie, im Rechtssystem und in zahlreichen Facetten

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des Alltagslebens. Aufgrund der durchweg positiven Bewertung der jüdischen Kultur, die der Wertschätzung der kulturellen Bedeutung des Islams um nichts nachsteht, ist es nur logisch, wenn Altamira (1946: 235 ff.) auch den intellektuellen Zenit Toledos gebührend herausstreicht - von Erzbischof Rodrigo bis zu Alfons X. Es waren, schreibt er (ebd.: 238), „hauptsächlich Juden", deren Übersetzungen den Ruhm der Stadt begründeten: „Así, y a través de la masa de estas traducciones producidas en aquella ciudad e iniciadas por reyes y prelados españoles, se esparció por Europa la influencia de la ciencia oriental, la propia o la derivada de los griegos, en materia de Astronomía, Medicina, Alquimia, Matemáticas, Física, Lógica, Moral, Política y otras." Altamiras Bilanz der trikulturellen Epoche, sei es ihre künstlerisch-intellektuelle oder politisch-soziale Dimension, fällt damit ausgesprochen positiv aus. Die immer wieder betonte „fusión étnica y cultural que se produjo" (1950: 42), habe der gesamten historischen Entwicklung ihren Stempel aufgedrückt, der Schlüssel zum Verständnis der spanischen Geschichte liege dort: „Si el supuesto es exacto, sería la razón de que el largo período de la Reconquista represente uno de los momentos más importantes de nuestra historia y que haya influido en todo lo posterior [...]. De este modo, los tiempos medievales construyeran sustancialmente el alma española". Und diese „Seele" war, trotz des ideologisch eingefärbten Vokabulars, zutiefst tolerant; sie bestand aus „sentimientos e ideas de los españoles", schrieb er (1946: 179) über die Eroberung Toledos (1085), die „Ausländer", wie der französische Erzbischof Don Bernardo, „nicht verstanden". Ihnen sei „la convivencia tolerante que aquellos seguían con los mudéjares y los judíos" unbegreiflich gewesen: „Fuese por esto o por las ideas más rígidas que caracterizaron a los monjes de Cluny, el arzobispo, sin respetar la concesión hecha por el rey, y de acuerdo con la reina, hizo que un escuadrón de soldados se apoderase por sorpresa de la mezquita mayor y la convirtió en iglesia cristiana." Die ersten Keime der künftig rapide wachsenden Intoleranz waren indessen bereits damals aufgegangen. Wie interpretierte Altamira das allmähliche Ende der trikulturellen Epoche, die er, und das rundweg positiv, als „Motor" (1950: 42) der spanischen Geschichte betrachtete? War sie in seinen Augen ein historischer Imperativ, bedauerlich zwar, aber im Sinne der Staatsräson letzten Endes unvermeidbar? Wie so oft bei spanischen Historikern jener Zeit, unter Einschluß der liberalen, geriet auch Altamira in die Versuchung, zumindest einen Teil jener Geschichte, die seine konservativen Kollegen als glorreiches Aushängeschild empfanden, in den nationalen Konsens einzubringen. So erweist auch er (1946: 130) sich gelegentlich als - moderater - Parteigänger historischer Legenden,

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wenn er etwa in Peläyo, Covadonga und im Königreich von Asturien jenen Willen „der Spanier" verkörpert sieht, „el territorio patrio" in einem zähen, achthundertjährigen Kampf „zurückzugewinnen". Die folgende Frage: „Cuál es el origen de nuestra intolerancia?" (1950: 249) - sie ist damit, genau genommen, bereits zu einem Gutteil beantwortet: Der .patriotische Befreiungskampf, „llamándola Reconquista" (1946: 130), ließ trotz der Convivencia im Grunde keine stabile Eintracht der drei Kulturen zu. In dieser Frage, durchaus eine Nagelprobe in Sachen nationaler Mythenproduktion, war Altamira folglich nicht sonderlich revolutionär. Das zeigt sich auch anhand einiger Äußerungen über den generellen Stellenwert der Reconquista, einen Terminus, den er zwar mit gewissen Kautelen verwendete - „die sogenannte Reconquista"

dessen ideo-

logisches Substrat - „ein zäher, achthundertjähriger K a m p f ' - er indessen akzeptierte. Die damit verbundenen Widersprüche in seiner eigenen Argumentation hat er entweder nicht bemerkt oder in Kauf genommen - Widersprüche, die gelegentlich auf ein und derselben Seite in Erscheinung treten. So lobt er (1950: 278) etwa die kulturelle Brückenkopffunktion des trikulturellen Landes, das mit Hilfe von Mauren und Juden die griechische Klassik assimiliert und nach Europa weitergegeben habe, um dann im folgenden Satz zu schreiben: „Contribuyó [España, N.R.] notablemente a salvar Europa del peligro musulmán y del turco, merced a la Reconquista española que los quebrantó". Spanien als Retter des Abendlandes - hier ist diese Legende im Werk eines Autors zu lesen, für den die maurische Präsenz auf der Halbinsel eigentlich ein historischer Segen war ... Trotz seiner partiellen Verwandtschaft mit der traditionalistischen Historikerzunft hob Altamira den christlichen Anteil am gewaltsamen Ende der Convivencia stets hervor und zwar als Hauptfaktor der wachsenden Intoleranz, nämlich (ebd.: 58) als „la intransigencia religiosa con su secuela de la sangrienta represión de las herejías". Altamira scheute sich im übrigen nicht, die Hauptakteure der christlichen Repression, hier (ebd.: 119) mit Blick auf die Juden zu Beginn des 14. Jahrhunderts, beim Namen zu nennen: „los asaltos sangrientos de las juderías en varias ciudades, [fueron] fruto de las predicaciones exaltadas de algunos eclesiásticos". Mehr als einmal läßt er (1946: 308) erkennen, daß ihm zumindest der religiöse Fanatismus der antijüdischen Exzesse des 14. und 15. Jahrhunderts zuwider war: „Surgieron entonces la intolerancia agresiva y la persecución violenta de las masas populares, movidas por prejuicios de orden vulgar y por las predicaciones de algunos clérigos católicos." Verständnis bringt er (ebd.: 309) auch den Conversos entgegen, wenn er von „la natural duda que va unida al hecho de conversiones forzadas" spricht. Mit vergleichbarer Schärfe

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attackierte er (ebd.: 293 f.) die christliche Mauren- und Moriskenpolitik: Die großzügigen Kapitulationsbedingungen für die Granadiner Mauren seien durch einen „exceso de celo por parte del cardenal Cisneros" gebrochen, „la prometida tolerancia religiosa" verraten worden. Auch der Moriskenaufstand des späten 16. Jahrhunderts gehe auf das Konto dieser Politik: „El resultado hubiera sido prever, por algún perspicas observador", schrieb er (1950a: 182) in klarer Parteinahme für die drangsalierte Minderheit, „las reacciones que, desde que existen sociedades humanas organizadas políticamente, producen en las muchedumbres la falta de cumplimiento de las promesas y la persecución sistemática [...]. Estalló, pues la sublevación de Abén Humeya". Den Siegera, so Altamira (1946: 294), waren solche Einsichten jedoch fremd: „La victoria de las tropas cristianas acentuó la intolerancia". Klare Worte, die zumindest den violenten Charakter der Juden- und Maurenverfolgung kritisieren. Grundsätzlich in Frage stellte Altamira diese Politik allerdings nicht. Eher schien ihm a posteriori eine weniger brutale, auf Überzeugung basierende Konversionspolitik ratsam gewesen zu sein - die Konversion als solche hielt er im Sinne des „Ideals der religiösen Einheit" (ebd.: 308), wie es den Katholischen Königen vorgeschwebt habe, dagegen für unvermeidbar: „Los Reyes Católicos", schrieb er mit Blick auf das Dekret von 1492, „tenían lógicamente [!] que llegar a la conclusión [...] de expulsar a los judíos". Dadurch seien nicht nur „die Gefahren" gebannt worden, die die wachsenden „Animositäten des Volkes" gegen die Juden mit sich gebracht hätten, dadurch sei Spanien á la longue außerdem das Schicksal Europas erspart geblieben: Die religiöse Zwangshomogenisierung, gab sich Altamira (1950: 120) überzeugt, „libró rápidamente al territorio español del peligro de las largas guerras religiosas durante tres siglos". Die sattsam bekannte Position einer historisch unvermeidbaren Staatsräson, die der Autor hier vertritt, dürfte denn auch der Hauptgrund dafür sein, daß er Monarchie und Klerus (unter Einschluß der Inquisition) als oberste Garanten der religiösen Einheit von seiner Kritik der Intoleranz weitgehend ausnimmt. In seinem Manual de historia de España (1946: 285 ff.) wird die Rolle dieser beiden Institutionen jedenfalls ausgesprochen .sachlich' abgehandelt, die beißende Kritik an der Gegenreform, wie sie von vielen Liberalen des 19. Jahrhunderts formuliert wurde, sucht man in Altamiras Büchern vergeblich. Aus der geschilderten Perspektive, die er in dieser Frage eingenommen hat, durchaus logisch - denn: „Con esto", schrieb er (1950: 120), „quedó resuelta la heterogeneidad étnica y religiosa de la población española." Und damit auch allmählich das, was der liberale Erkunder der Psicología del pueblo español (1902: 51) nie müde wurde zu betonen:

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„existe entre nosotros la conciencia y el sentimiento de nuestra unidad, no ya como Estado, sino como nación". Die historisch fundierte Erfindung Spaniens blieb in der Tat stets ein Hauptanliegen des liberalen Historikers. Die in immer neuen Varianten vorgetragene These (ebd.: 13), Spanien, „nuestro pueblo", sei seit den Zeiten der Katholischen Könige „una persona claramente definida" - diese These wurde auch von Altamira, wie von so vielen anderen, dabei zumeist im Tone einer trotzigen Rechtfertigung vorgetragen, vor allem mit Blick auf das Ausland. Mit der üblichen Vehemenz nahm er „nuestros enemigos en el exterior" aufs Korn, für die just jene Umstände des neuzeitlichen nationbuilding Anstoß erregten, die auch Altamira fast durchweg sehr kritisch beschrieb. In seiner Psicología

del

pueblo

español spricht er (ebd.: 12) jedoch ziemlich einseitig von „la leyenda desfavorable de nuestra historia y de nuestro cáracter" - einer „Legende", die die Feinde Spaniens unter anderem wegen der religiösen Intransigenz der katholischen Gründergenerationen der spanischen Nation in die Welt gesetzt hätten. Noch in späteren Schriften, etwa in einem Ensayo sobre Felipe II Hombre de Estado, nahm Altamira (1950a: 9) die obersten Repräsentanten der katholischen Monarchie gegen „zahlreiche spanische und ausländische Historiker" ausdrücklich in Schutz. Dort plädiert er zwar im Duktus historischer Relativität dafür, die Politik des Monarchen nicht an modernen, sondern an den damals herrschenden Wertmaßstäben zu messen. Stil und Inhalt des Essays verraten jedoch eine unverkennbare Sympathie für „das Unternehmen" Philipps II. (ebd.: 73), nämlich „die Welt zu katholisieren": „Por ello", versteigt er sich (ebd.: 137) sogar zu einem gewagten Vergleich, „se nos aparece hoy como un verdadero Quijote de realidad anterior al momento en que el mundo iba a conocer la genial creación de Cervantes. Felipe fué Quijote en los dos sentidos: el de sentir la fuerza de un ideal cuyo triunfo era necesario para reinaran en el mundo la justicia y el orden, y el de ignorar la existencia de escollos invencibles en que había de estrellarse aquel caballeroso designio." Dabei versteht es sich fast von selbst, daß Altamira auch das „amerikanische Unternehmen", das während der Ägide des „quijotesken Königs" seinen Zenit erlebte, als glorreiche Epopöe empfand. Der historische „Grundkonsens", auf den sich liberale und konservative Historiker, zumindest in einigen Schlüsselthemen der nationalen Geschichte, stets verpflichteten, zeigt sich im Werk von Altamira auch anhand der Wertschätzung, die er Autoren wie Claudio Sánchez Albornoz - „buen patriota" (1956: 106) oder Marcelino Menéndez Pelayo und Joaquín Costa (1946: 512) entgegenbrachte: Was in erster Linie zählte, war deren „patriotische Gesinnung". Ein

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gewisser Dissenz, vor allem zu Costa, läßt sich dagegen bei einem Thema erkennen, dessen mittelalterliche Wurzeln Altamira (ebd.: 504) immerhin mit etwas Ironie kommentierte: „el episodio de 1859 (la ,guerra de Africa', como vulgarmente se llamó), avivador artificial y romántico del sentimiento que caracterizó algunos momentos de la reconquista peninsular". Er verharmlost den spanischen Kolonialismus in Nordafrika zwar, wenn er ihn lediglich als ideologischen Spätableger der Reconquista interpretiert. Seine Bewertung (ebd.: 505) der Kolonialmanöver des frühen 20. Jahrhunderts als „guerra [...] cada vez más sangrienta y más penosa para el sentimiento general español" macht jedoch klar: Altamira war durchaus kein Parteigänger einer Neuauflage der Reconquista. Genauso wenig war ihm indessen an der maurischen Kultur gelegen - er hielt sie wohl für ein definitiv abgeschlossenes Kapitel der Geschichte. Dagegen zeigte er großes Interesse an den Sepharden. Bereits in seinen historischen Betrachtungen über 1492 hatte er (ebd.: 309) bemerkt, daß die Vertreibung der Juden „quebrantos de consideración en la vida económica nacional" verursacht habe. Doch wie immer, schien der Autor bereits im folgenden Satz zu suggerieren, sind die Wege des Herren unergründlich - manchmal verwandelt sich das Böse in etwas Gutes: „De esos expulsados derivan los actuales judíos sefarditas del Este de Europa y del Norte de Africa, quienes conservan el antiguo idioma castellano y el amor a la tierra ibérica de sus antepasados." Genau genommen spricht Altamira nicht einmal von etwas Bösem, wenn er nämlich die Vertreibung lediglich unter materiellen Aspekten - der ökonomische Schaden für Spanien - behandelt. Das Schicksal der Vertriebenen ist ihm dagegen keine Zeile wert. Noch deutlicher nehmen die Pro-domo-Ambitionen Altamiras in einem Artikel (1956: 132 ff.) aus dem Jahre 1920 Gestalt an. Ganz im Geiste Angel Pulidos, den er im übrigen lobend erwähnt, betrachtete er „Las bases internacionales de España", so der Titel, als historisches Pfund, mit dem sich trefflich wuchern lasse: „Ninguna otra nación del mundo, ni aún Inglaterra misma", lautet sein Plädoyer für eine „política sefardí", „cuenta con una fuerza igual repartida por todos los ámbitos de la tierra. El mismo desacierto económico y jurídico que realizamos en 1492 ha venido á producir (devolviéndonos bien por mal [!]) una siembra fecunda de elementos hispanizantes, en cuyos espíritus hay un sentimiento de añoranza por la patria vieja y un romántico culto y sostenimiento por el idioma que hablaron en tierra española." Während Pulido, sein philosephardischer Gewährsmann, es immerhin für geboten hielt, auf die nicht eben hispanophilen Gefühle vieler Sepharden hinzuweisen, ist bei Altamira nur von nationalem Nutzen die Rede: „La importancia numérica, económica, social é

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intelectual muchas veces de esos elementos [!], es enorme [...]. ¡Cuánto podríamos conseguir de ella si la atendiésemos como es debido, en vez de crearle dificultades, á veces casi con ribetes de persecución!" So lobenswert es ist, daß Altamira die antisemitischen Strömungen seiner Zeit, die sich häufig auch gegen die Sepharden richteten, deutlich kritisiert - insgesamt war sein Verhältnis zu den Juden (und Mauren) dennoch recht zwiespältig. Die trikulturelle Geschichte fand in ihm zwar einen kenntnisreichen und entschiedenen Anwalt; in der „spanischen Psychologie", die mit den Katholischen Königen ins nationale Erwachsenenalter eingetreten war, zählte indessen nur der christliche Faktor. Die maurisch-jüdische Kultur hatte offensichtlich keinerlei Spuren hinterlassen - von den zeitgenössischen Sepharden, die ihn ausschließlich als ökonomischer Brückenkopf interessierten, einmal abgesehen. Eine eher enttäuschende Bilanz für einen liberalen Historiker, der gegen Ende seines Lebens (1950: 247), bereits im lateinamerikanischen Exil, das Jahr 1939 als „Rückkehr zur historischen Intoleranz" beschrieb: „España ha tomado nuevamente la posición que la caracterizó durante un poco más de cuatro siglos".

6. „Spanien als Bindeglied zwischen Christentum und Islam": Ramón Menéndez Pidal In seinem 1956 erschienenen Buch, es trägt den programmatischen Titel España, eslabón entre la cristiandad y el islam, erinnert Ramón Menéndez Pidal (1869— 1968), bekanntester Schüler von Menéndez Pelayo, an den maurischen Einfluß auf die provenzalische Dichtung (1956: 17) und fugt hinzu: „Esta afirmación es piedra de escándalo para muchos." Mehr als einmal beklagt er (ebd.: 33) in diesem Buch, das den islamischen Einfluß auf die spanische und europäische Kultur, vor allem auf die Literatur, an zahlreichen Beispielen illustriert, „el prejuicio antiislámico que como una pesadilla perturba tantos juicios históricos". Er selber, so scheint es, ist dagegen frei von solchen Vorurteilen. Nur wenige Jahre nach der Publikation von Américo Castros berühmten Buch España en su historia. Cristianos, moros y judíos, das dies- und jenseits des Atlantiks eine langjährige Polemik losgetreten hatte, bezieht Menéndez Pidal (ebd.: 36) in seine Hommage an den Islam, hier am Beispiel des christlichen Toledo, auch die jüdische Minderheit mit ein: „Toledo se distinguía [...] por ser la ciudad donde entonces convivían tres densos grupos de población: cristianos, moros y judíos, y sabido es cómo los judíos eran muy necesarios mediadores entre los otros dos

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grupos". War der Streit um die historische Genese des Landes, um seine trikulturelle Vergangenheit, damit in eine neue Phase getreten? Schließlich war Menéndez Pidal, von 1925-1939 Direktor der Real Academia, nicht irgendein Autor, der sich an der Polemik beteiligte. Als Herausgeber der monumentalen Historia de España, die ab 1947 erschien, war er, innerhalb Spaniens, so etwas wie eine Berufungsinstanz in historischen Fragen. Deshalb ist es begreiflich, daß seine Sympathien für die trikulturelle Geschichte - politisch - begrenzt waren. In einem ausgedehnten Vorwort zum ersten Band dieser Geschichte ist denn auch relativierend zu lesen (1947: XLVI): „Los españoles de una y otra ideología suelen recordar esa época de los Reyes Católicos con profunda añoranza, como época incomparable, única en nuestra historia, edad de áurea felicidad que la nación gozó por no se sabe qué inescrutable sino." Das hochtönende Lob auf eine Epoche, in der das trikulturelle Spanien sein definitives Ende fand - handelt es sich dabei nur um ein Zugeständnis an den Zeitgeist, um eine moderate Versöhnungsgeste an die „España peregrina", die, wie bekannt (Rehrmann 1996), in einigen historischen Grundsatzfragen mit dem frankistischen Spanien keineswegs völlig über Kreuz lag? Ein Blick auf das einschlägige Gesamtwerk von Menéndez Pidal macht deutlich: Auch er, wie so viele Autoren vor ihm, versuchte sich an der Quadratur des Kreises, nämlich den Glorienschein der katholischen Monarchie mit dem Glanz der maurischen Kultur historisch zu harmonisieren, wenn auch mit einigen, nicht unwichtigen Neuerungen. Die Lernfähigkeit, die sich über die Jahrzehnte hinweg an seinem Werk ablesen läßt, ist dennoch frappierend. So steht am Anfang seiner akademischen Karriere eine Sicht des mittelalterlichen Spaniens, die betont orthodoxe Ideen verrät. 1903 veröffentlichte und kommentierte der junge Menéndez Pidal La Leyenda del Abad Don Juan de Montemayor aus dem späten Mittelalter - eine Legende, die noch ganz in den dominanten Reconquista-Visionen verwurzelt ist. Inhalt und Stil der einführenden Studie lassen nur einen Schluß zu: Der Herausgeber begriff den Kampf zwischen Christen und Mauren als nationales Heldenepos; von den kulturellen Früchten der Convivencia, die er in späteren Schriften so akribisch wie enthusiastisch beschrieb, ist hier noch nichts zu spüren. Die Legende erzählt das Leben eines Findelkindes, „una criatura abandonada, nacida en horrendo pecado de dos hermanos", so der Kommentator (ebd.: X), das Produkt einer Art Ursünde, die verhängnisvolle Konsequenzen hat und allegorische Lesarten geradezu provoziert. Der Titelheld der Legende, der Abad Juan de Montemayor, nimmt das Findelkind aus christlicher Nächstenliebe auf, bietet ihm eine liebevolle und gute Erziehung, kann das Verhängnis, so Menén-

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dez Pidal (ebd.: XI), aber dennoch nicht abwenden: „a pesar de todo, el hijo de tan astroso pecado, como toda criatura revierte á su natura, se dejó poseer del demonio de la traición." Der junge Mann schlägt sich auf die Seite der Mauren, konvertiert zum Islam - „prometiéndo hacer siempre mal á los cristianos" - , beteiligt sich, unter der Führung von Almansor, an der Zerstörung von Santiago de Compostela - „quemando las reliquias" - und belagert schließlich sogar Montemayor, den Heimatort seines selbstlosen .Vaters'. Die Belagerten, die mit einem baldigen Sieg der Maurentruppe rechnen, töten sämtliche Alten, Frauen und Kinder, „para que no", so der Kommentator (ebd.: XIV), „sean siervos de Mahoma". Doch plötzlich erwacht ihr Kampfesmut: Die Belagerer, unter ihnen der „Verräter", fallen ihren Schwertern doch zum Opfer - „no hubo monge que no matase diez moros." Soviel mata moros-Verve

belohnt schließlich sogar der

Himmel: Die eigenhändig getöteten Christen erleben ihre Wiederauferstehung „Tal es la gesta del Abad don Juan." Man darf vermuten, daß die meisten zeitgenössischen Leser die Legende als Allegorie auf die Reconquista verstanden haben, schließlich begriffen viele Spanier, wie Menéndez Pidal in den fünfziger Jahren selber schrieb, die maurische Vergangenheit noch immer als Alptraum. Einen relativierenden Kommentar des Herausgebers, der die legendäre Moritat mit der historischen Wirklichkeit vergliche, sucht man indes vergebens. Statt dessen ist von „un heroe y un santo nacional" die Rede (ebd.: LXII), den das kollektive Gedächtnis, dank der überlieferten Legende, bis in die Gegenwart lebendig halte. Den Herausgeber schien das nicht zu stören - im Gegenteil: Für den emsigen Sammler mittelalterlicher Romanzen verkörperte die Legende den durchaus nicht fiktiven Geist des Ewigen Spanien. In der Tat war Menéndez Pidal von der Vorstellung eines solchen Spaniens, Unamunos Idee eines hispanischen Urgesteins eng verwandt, Zeit seines Lebens beseelt. In der mehrbändigen Untersuchung über La España del Cid, 1929 erschienen, datiert er (1969: 1/64 ff.) „la creación del sentimiento nacional hispánico" bereits auf die Iberer zurück. Die Idee, schreibt er dort, daß Kastilien den geistigen Mutterboden Spaniens abgegeben habe, sei nicht völlig von der Hand zu weisen; später seien zwar auch die Römer zu den nationalen Baumeistern hinzugekommen, das Fundament habe jedoch längst existiert: „El concepto de Hispania no fué una creación arbitraria de los romanos; antes, los iberos habían iberizado a diversos otros pueblos de la Península, formando cierta unidad cultural o nacional hispánica." Das Westgotenreich sei dann der erste politische Ausdruck des nationalen Geistes gewesen. Diese Vision einer quasi ewigen

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Nation, die dem Präfix des Reconquista-Begriffs seine eigentliche Legitimation verleiht, hat der Herausgeber der Historia de España mehr als zwanzig Jahre später noch deutlicher wiederholt. In seinem obsessiven Bemühen, „los caracteres hispánicos perdurables" (1975: I/L) nachzuweisen, verwirft er entschieden die Vorstellung, Spanien sei das Produkt einer vielgestaltigen, ehtnisch-geographischen Realität. Ganz im Gegenteil, behauptet er, Spanien verdanke seine Existenz einer „condición psicológica uniforme" mit tiefen historischen Wurzeln: „depende de la conformidad del carácter apartadizo ibérico". Mit Blick auf die Reconquista, mit der sich Menéndez Pidal intensiv beschäftigt hat, besitzt seine absurde Vorstellung von einem iberischen Dauersubstrat gleichwohl eine historische Logik: „Así la invasión musulmana, en vez de conseguir que los pequeños territorios cristianos del Norte, sintiéndose extraños a la España sólidamente islamizada, olividasen el viejo concepto", schreibt er über den achthundertjährigen „Freiheitskampf (ebd.: LVIII), „lo que consiguió fué robustecerlo, entroncando firmemente ese concepto con un ideal religioso a la vez que con un propósito nacional del suelo patrio, concepción política que por lo mismo que era de ejecución dificilísima y lenta, fué hondamente formativa a través de los siglos." Der argumentative Kunstgriff in die historische Zauberkiste gestattete es dem Erfinder nationaler Daueretymologien fortan nicht allein, das „solide islamisierte Spanien" mit den iberischen Wurzeln zu harmonisieren; dieser Kunstgriff erlaubt es ihm auch, einen pejorativen Langzeitvorwurf - Afrika beginne in den Pyrenäen - gelassen zu parieren. Denn das eigentliche Afrika, mit dem sich Menéndez Pidal im Unterschied zur maurischen Vergangenheit vorbehaltlos identifizierte (ebd.: LXXIV), war Teil des Römischen Reiches: „Esta Africa, parte tan noble de la latinidad occidental, es la que vive muy a la par de España, no en oposición, sino en profunda intimidad con toda la cultura de Europa cristiana. Africanismo entonces equivale a europeísmo de más tarde, tendencia a salir del aislamiento cultural." Doch darauf mußte Spanien, nach der Lesart von Menéndez Pidal (1969: 1/59), noch lange warten: „Sobre las ruinas del Imperio romano, que fué agresión de Europa contra Asia, se dilata un flamante Imperio damasceno, agresión de Asia contra Europa." Vor allem gegen , Spanien'. Für die historische Optik des Autors ist es hier weniger wichtig, daß er die Invasion des Islams als „asiatische Aggression" bezeichnet. Wichtiger, ja zentral für seine Beurteilung der Maurenherrschaft auf der Iberischen Halbinsel ist das wiederholte Insistieren auf dem „europäischen Geist" des Landes - trotz aller Islamisierung, die er nicht bestreitet, aber doch entscheidend relativiert: „Es

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inexacta la creencia", schrieb er bereits 1929 (ebd.: 89), „de que España toda estaba muy arabizada; no lo estaba siquiera el Andalus." Letzteres ergebe sich vor allem aus der Tatsache, behauptet er, daß auch im maurisch beherrschten Süden eine christliche Bevölkerung gelebt habe, die sogenannten „mozárabes", die der Religion und den Gesetzen aus der Zeit der Westgoten treu geblieben seien. Ein Teil dieser Bevölkerung, die gebildeten Schichten, sei zwar, vor allem sprachlich, „arabisiert" worden, aber eben nur kulturell, nicht religiös. Das ungebildete Volk sei auch kulturell weitgehend unberührt geblieben: „En suma", schreibt er (ebd.: 91), „la población del Andalus, en el siglo XI, era una masa extremadamente heterogénea, todavía en parte cristiana, y en parte musulmana a medias." Nach dem Zerfall des Kalifats in zahlreiche Kleinfiirstentümer sei diese Heterogenität (ebd.: 87) in eine neue Qualität umgeschlagen: „el nacionalismo español afirmaba las características andaluzas en los reinos de taifas". In der von ihm herausgegebenen Historia de España geht Menéndez Pidal (1975: I/LXXV) noch einen Schritt weiter. Dort attestiert er dem „Spanien des Südens" zwar eine kulturelle Ausrichtung an der „afro-asiatischen" Welt, spricht aber gleichzeitig von einem „islamismo muy hispanizado en costumbres, en arte, en ideología". Das hispanische Dauersubstrat, wie diese Formulierung offenkundig suggerieren soll, hätte die Invasoren akkulturalisiert, gleichsam wie Griechenland die Römer - eine der kühnsten Thesen des Romanzen-Spezialisten! Dementsprechend attestiert er im Rahmen seiner Cid-Untersuchungen (1969: II, 629) den maurischen Bewohnern des Kalifats von Córdoba sogar, „in ihrer großen Mehrheit" Angehörige von „españoles de raza" gewesen zu sein. Die Gründe für diesen verblüffenden Befund lesen sich so: „aun los descendientes de padre oriental o africano solían tener por madre una esclava gallega, catalana o vasca." Ein mestizaje zwar, aber - Gott sei Dank - nur ein erzwungener! Eine permanente Unterstützung erfuhr diese Hispanisierung des Südens, die sich á la longue als entscheidend erwiesen habe, sodann durch die Reconquista aus dem Norden. Obwohl es sich bei diesem Terminus, schrieb er 1929 (1969: 1/64 f f ) , um einen „abgegriffenen Topos" handele, dürfe man ihn doch keineswegs entwerten und als „moderne Abstraktion" einfach ad acta legen. Nur Ignoranten könnten dem spanischen Mittelalter „un concepto nacional y una idea precisa de la misión reconquistadora" absprechen - immerhin Ziele, für die der Cid ein Leben lang gekämpft habe. Im zweiten Band seiner Cid-Hagiographie wurde der Autor jedoch selber von Zweifeln an der Plausibilität dieser Behauptung beschlichen. Denn dort (1969: II 641) zeigt er sich, wenigstens mit Blick auf die Reconquista-Dauer, etwas konzilianter: „La verdadera lucha de

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España contra las invasiones musulmanas duró, pues, cinco siglos, de los cuales sólo dos son de reconquista propiamente tal". Der nationale und religiöse Impetus der Reconquistadores blieb davon freilich unberührt. In späteren Schriften (1956: 51 f.) erhielt der „abgegriffene Topos" im übrigen auch wieder seine alte Zeitdimension: „no hay otro pueblo, entre los muchos del imperio romano aplastados por el coloso musulmán, que se empeñase durante ocho siglos en recuperar íntegro su territorio nacional". Diese historische Dimension, eine im Grunde unilaterale Interpretation der historischen Genese Spaniens, ist, ich wiederhole es, ñir Menéndez Pidais Ansichten zur trikulturellen Epoche von herausragender Bedeutung: Sie relegieren den kulturellen Beitrag von Mauren und Juden, trotz aller Wertschätzung, auf die hinteren Plätze der nationalen Werteskala. In dieses Bild paßt denn auch die Tatsache, daß in den zahlreichen Schriften, die der Mauren- und in weitaus geringerem Maße der Judenthematik gewidmet sind, nahezu ausschließlich von der Zeit nach dem Zerfall des Kalifats die Rede ist, vor allem von dem „Nationalhelden", dem Cid, und vom christlichen Toledo Alfons' X. Die kulturelle Blütezeit von Al-Andalus, vor allem vom 9. bis zum 11. Jahrhundert, wird zwar erwähnt, auch durchaus lobend, aber doch nur sehr knapp und summarisch abgehandelt. Die islamische Kultur, schreibt er rückblickend auf das frühe 8. Jahrhundert in La España del Cid (1969: I, 58), „se destaca entonces como la principal guiadora de la humanidad". Im Kontakt mit der antiken Kultur, vor allem mit Griechen und Persern, hätten sich (ebd.: 60) die späteren Invasoren, einem Schwämme gleich, mit deren Kultur vollgesogen: „se dejaron penetrar hasta la médula por ellas". Über deren eigene Leistungen schweigt sich der Autor zwar aus, attestiert (ebd.: 59) dem Islam jedoch eine grundsätzliche Toleranz in religiösen Angelegenheiten: „Mahoma prescribe la tolerancia para todos, no ya sólo para los .pueblos del Libro' o de la Biblia, judíos y cristianos, cuyo Dios y cuyos profetas él venera igualmente, sino para los idólatras. [...] Y regido por preceptos de respeto hacia los vencidos, el imperio musulmán se extendió en ochenta años sobre los pueblos del Libro en Asia, Africa y España". Sehr viel mehr erfahrt der Leser seines Œuvres über die ersten dreihundert Jahre der Maurenherrschaft, „los trescientos años más difíciles [de] la débil España cristiana" (1975: XLIX), jedoch nicht. Statt dessen betont Menéndez Pidal immer wieder, wie eine stattliche Reihe christlicher ,Rückeroberer' aus dem Norden, unter ihnen Pelayo, dem „muy superior poderío islámico" die Stirn geboten habe - stets erfüllt von den hehrsten Ambitionen: „la

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conciencia colectiva de un sentimiento del deber para con la cristianidad universal". Der oberste Repräsentant dieses Bewußtseins ist natürlich der Eroberer von Valencia, dem Menéndez Pidal über tausend Seiten widmete: „El Cid", schrieb er 1929 (1969: II, 593), „es un héroe épico de naturaleza singular." Kein anderes Land, nicht einmal Griechenland, verftige in seinen Annalen über einen Helden seines Kalibers - die perfekte Inkarnation einer „edad heroica", die von einer noblen „concepción nacional" beflügelt worden sei. Man irrte sich indessen sehr, wenn man aus dieser Heldenverehrung den Schluß ziehen würde, diese wäre nur die Ouvertüre für ein vulgäres mata /noros-Porträt, an denen es der spanischen Kulturgeschichte nie gemangelt hat. Nein, für Menéndez Pidal handelte es sich um eine durchaus komplexe Gestalt, in der auch die maurische Kultur Spuren hinterlassen hat: „un hombre como el Cid", schrieb er (ebd.: 571 f.) anerkennend, „que pasó diecisiete años de su vida entre musulmanes, si no hubiera tomado de ellos más que exterioridades, como las del lujo de riquezas conquistadas, hubiera dado triste prueba de insensibilidad". Eine solche Annahme sei auch deshalb völlig abwegig, weil die maurische Kultur der christlichen „en saber y en arte" weit überlegen, eine starke Beeinflussung deshalb unvermeidbar gewesen sei. Genauso abwegig sei es, dem Cid post festum vorzuhalten, einen großen Teil seines Lebens unter den Mauren verbracht und ihnen sogar geholfen zu haben, gegen die Christen Krieg zu führen: „Tal censura", heißt es (ebd.: I, 31) entschieden, „es una verdadera tontería." Denn ein solches Söldnerdasein habe damals nichts Anrüchiges gehabt - im Gegenteil: „El medio ordinario que para ,ganar el pan' tenía todo caballero español expatriado", normalisiert er (ebd.: 279) das Verhalten seines Helden, „era establecerse en alguna corte musulmana." Selbst entthronte Königshäupter, wie García de Galicia oder Alfonso de León (ebd.: 281), seien den Maurenherrschern zu Diensten gewesen. Im übrigen (ebd.: 31) habe das grenz- und kulturüberschreitende Söldnertum sogar ,im nationalen' Interesse gelegen: „era, además de un medio de vida, un desgaste y debilitación del enemigo y una extensión de la influencia cristiana". Von der zuletzt zitierten Behauptung abgesehen: Die Charakterisierung des Nationalhelden ist also weit davon entfernt, die Legende einer kulturellen Quarantäne der Christen gegenüber den Mauren fortzuschreiben. Erstere konnten der weit überlegenen Kultur ihrer „Feinde" nur wenig entgegensetzen und kämpften, wenn sie sich dazu gezwungen sahen, auch ohne Skrupel in ihren Reihen - trotz aller Verklärungsversuche, die auch Menéndez Pidal unternimmt, eine ziemlich realistische Interpretation, die von zahlreichen Zeitgenossen, wie er selber

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schrieb, in der Tat als historisches Sakrileg empfunden werden mußte. Sicher nicht zuletzt deshalb, weil er dem Cid obendrein eine große Toleranz im Umgang mit den besiegten Mauren - hier (ebd.: 524) in Valencia - attestierte: „el Cid quiere que los moros de la ciudad y los cristianos establecidos por los árabes convivan, sin despojo alguno, en un régimen de vasallaje, dentro de la escrupulosa justicia que él practicaba". Mehr noch: Für seinen modernen Bewunderer verkörpert der Cid, jenseits seiner nationalen Sendung, die er nie in Frage stellt, nicht nur einen „estrecho sentido nacional" (ebd.: 608) - für ihn ist der Eroberer Valencias zugleich ein Aushängeschild jenes weltoffenen Spaniens, das er sich selber wünschte, das ein engstirniger casticismo aber stets auf eine harte Probe stellte: „El héroe más español puede dar algo que pensar a aquellos dirigentes que con cerriles doctrinas de casticismo xenófobo hostilizan las provechosas influencias extranjeras por considerarlas depresivas para los ,hijos de Pelayo y del Cid', cuya personalidad, creen, exige que antes se esfuercen en no ser influidos que en hacerse capaces de influir a su vez." Die zeitpolitisch gemeinte Schelte, so lobenswert sie auch ist, bedient sich indessen recht zweifelhafter Zeugen. Denn der Einfluß von außen, den der Cid in Valencia ermöglicht habe, bezieht sich auf die französischen Mönche von Cluny - bekanntlich alles andere als Repräsentanten religiöser Toleranz! 16 Doch genau diese Toleranz, wird Menéndez Pidal nicht müde zu betonen, habe auch weiterhin das religiös-kulturelle Klima bestimmt, trotz des Reconquista-Gedankens, der ultima ratio im Umgang der Christen mit den Mauren. Nach dem Tode des Cid habe diese Toleranz in der Person christlicher Könige Gestalt angenommen, von denen sich mehr als einer als „emperador de las tres religiones" (ebd.: 634) bezeichnet habe. Im deutlichen Kontrast zu den Kreuzfahrern diesseits der Pyrenäen sei es ihnen darum gegangen, „una reconquista de convivencia" durchzuführen: „Se guerrea a los moros por el daño de ellos recibido", lautet eine Formulierung (ebd.: 634), die keinerlei Mission, auch keine nationale, erkennen läßt, „no por combatir su secta". Die Konsequenzen für die von Menéndez Pidal stets hochgehaltene Europaflagge, die unverbrüchliche Zugehörigkeit Spaniens zur „Okzidentalität", sind dabei doppelter Natur. Zum

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An anderer Stelle (ebd.: 307), im Zusammenhang mit der Eroberung Toledos, hat er den religiösen Fanatismus der Clunenser im übrigen selber attackiert: „los franceses de la corte, ajenos a la tolerancia con los moros, llevaban muy a mal el pacto según el cual la mezquita mayor de Toledo conservaba su suntuoso edificio". Ein Fanatismus, so Menéndez Pidal, der im grassen Gegensatz zur Toleranz des Königs gestanden habe.

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einen bezeichnet er die religiöse Toleranz als untrügliches Indiz für die „europäische Normalität" des mittelalterlichen Landes. Die häufig zu hörende Behauptung, „la religiosidad española medieval fué anormalmente exacerbada por efecto de la lucha antiislámica", sei damit widerlegt: Statt blutrünstiger mata /woros-Krieger, die den spanischen Katholizismus zu einer, der Tendenz nach, fortschrittsfeindlichen Kampfdoktrin gemacht hätten, gleichsam von „Winden aus Afrika" (ebd.: 634) gegerbt, hätten die christlichen Rückeroberer ihre mentale Zugehörigkeit zum Westen nicht nur nie aufgegeben - „se sentía[n] más firme en su occidentalidad". Zum anderen, und dieser Aspekt ist Menéndez Pidal (ebd.: 633) nicht weniger wichtig, wurde Spanien, vor allem das christliche Toledo, zu einem - zu dem Brückenkopf zwischen Orient und Okzident, ohne den letzterer nicht das geworden wäre, was er bis heute sei: „Toledo fué así meridiano cultural para el occidente [...]. Y el rey Sabio, trabajando activamente entre sus clérigos, faquíes y rabinos, cierra el período fecundo de estas cortes impregnadas en la mayor de las culturas medievales, por el mismo tiempo que Rogerio Bacon proclamaba la necesidad urgente de estudiar la ciencia árabe, en cuya comparación nada valía la de los latinos (,Latini nihil quod valet habent nisi ab aliis linguis'." Wer wollte, angesichts solcher Ahnherren, noch die „Okzidentalität" Spaniens bezweifeln? Durch die kulturelle Blüte am Hofe Alfons X., nämlich den literarisch-intellektuellen Output „der lateinischen, arabischen und hebräischen Autoren", gehöre Spanien sogar zur europäischen Vorhut. Oder, mit den Worten (ebd.: I, 63) Menéndez Pidais: „España, invadida por el islam, no hacía un papel extraño a la Edad Media de ese extremo europeo, sino, en cierto sentido, un papel eminente como país de superposición de las dos grandes culturas que luchaban sobre el Mediterráneo." Wenn Menéndez Pidal jene Zenitepoche beschreibt, dann scheint seine Begeisterung, vor allem für Alfons den Weisen, geradezu grenzenlos zu sein. Hier folgt ein Superlativ dem anderen, und hauptsächlich hier (1956: 38) ist auch häufig von den Juden die Rede: „En Toledo, pues, en su riqueza de libros árabes, en la convivencia de hombres sabios en la lengua árabe y en la hebrea, descubrían los cristianos todo un nuevo mundo intelectual, que cambiaba por completo los rumbos de la ciencia latina." Mehr als einmal betont er (ebd.: 36) das enge Zusammenwirken der drei Bevölkerungsgruppen, von denen besonders die Juden - „la mediación hebrea" - einen unschätzbaren Beitrag zur kulturellen Blüte der Stadt geleistet hätten. Das Ergebnis dieser einzigartigen Convivencia, „una nueva orientación del espíritu" (ebd.: 41), sei ganz Europa zugute gekommen (ebd.: 60) - via Spanien: „España se muestra una vez más, en tiempo de

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Alfonso el Sabio, como eslabón entre el Oriente y Occidente, en la más grande ocasión que la historia literaria de los siglos puede ofrecer". Der omnipresente Einfluß von Juden und Mauren habe sich indessen nicht auf die Toledaner Zenitepoche beschränkt. Er lasse sich, so der versierte Romanzenforscher, im gesamten Spektrum der spätmittelalterlichen Literatur nachweisen. Etwa in der Romanzen-Dichtung, die - „Esta afirmación es piedra de escándalo para muchos" (ebd.: 17) - sogar die provenzalische Troubadourlyrik beeinflußt habe. Probleme hat der christliche Sittenwächter in diesem Zusammenhang lediglich mit „alguna aventura escabrosa y obscena" - Elemente der maurischen Erotik, deren relative Freizügigkeit den Romanzenliebhaber störte. Davon abgesehen, hatte der unermüdliche Sammler oraler Literatur dagegen keine Probleme, sogar „unglaubliche" (1942: 139) Zeugnisse einer religiöskulturellen Convivencia zu präsentieren. So hätten die kastilischen Bischöfe im 14. Jahrhundert in aller Schärfe „die Gewohnheit" kritisiert, maurische oder jüdische Volkssänger in die Kirchen einzuladen, eine Gewohnheit, die außerhalb der Kirchen, vor allem an den Höfen christlicher Edelleute, gang und gäbe gewesen sei. Ganz zu schweigen vom einfachen Volk: Im Libro de buen amor des Arcipreste de Hita seien die Spuren von Mauren und Juden (ebd.: 140 f.) als getreues Echo der Volkskultur mehr als evident. Wichtige literarische Zeugnisse, die die kulturelle Osmose zwischen den Kulturen illustrierten, sieht Menéndez Pidal schließlich auch in der Romanzendichtung der späten Reconquista. Als den Mauren nur noch Granada geblieben war, habe sich die Haltung der Christen gegenüber ihrem jahrhundertelangen „Feind" deutlich gemildert (1956: 26 f.), sei sogar in „Maurophilie" umgeschlagen: „cesó el afán de la reconquista [...] y los castellanos, lejos de sentir repulsión hacia los pocos musulmanes refugiados en su último reducto de Granada, se sintieron atraídos hacia aquella exótica civilización, aquel lujo oriental en el vestuario, aquella espléndida ornamentación de los edificios, aquella extraña manera de vida, aquel modo de cabalgar, de amarse y de combatir; aquella esmerada agricultura en la vega granadina." Selbst noch in jenen Romanzen, die während der Belagerung der letzten Maurenbastion gesungen wurden, finde die Convivencia ein spätes Echo: „esos romances no cantan el entusiasmo de los cristianos por la conquista de tan importante plaza militar, sino el dolor de los moros por la pérdida sufrida." Teilte der Romanzensammler dieses Mitgefühl seiner christlichen Vorfahren? Empfand er das Granadiner Schlußkapitel der maurischen Präsenz auf der Halbinsel, dem nur wenige Monate später das jüdische Finale folgte, als Verlust für die künftige Geschichte des Landes? Die rein äußerlichen Elemente der christ-

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liehen „Maurophilie", die seine obige Aufzählung enthält, verdichten sich eher zu der Gewißheit: Menéndez Pidal war davon überzeugt, daß es so kommen mußte - so kommen sollte. Schließlich waren die Vorfahren der Katholischen Könige, die nun als Sieger in Granada einmarschierten, seiner Lesart zufolge „acht Jahrhunderte" damit beschäftigt gewesen (ebd.: 52), das „nationale Territorium vollständig wieder herzustellen"; ihrer europäischen Bestimmung seien sie erst damit voll gerecht geworden: „La España nueva, recobrando sus tierras arabizadas, pudo entregar a la latinidad occidental, que tan necesitada estaba de ello, los tesoros importados de la ciencia árabe oriental y los tesoros propios del Andalus islamizado." Deshalb sei Spanien, schrieb er im Vorwort zur Historia de España (1975: LXXIV), der okzidentalen Kultur mitnichten unterlegen gewesen, „sino todo lo contrario". Auch für Spanien selber, heißt es dort (ebd.: LXXIX f.), sei das gewaltsame Ende von Mauren und Juden der eigentliche Beginn der „Moderae" gewesen: „El Estado español se basará en la unidad de la fe católica y mayor propagación de ésta. Y este propósito, por su grandeza y alcance, prevalece sobre todos los demás, si con alguno tropieza. Así la tan amplia tolerancia medieval, practicando por grandes reyes conquistadores y santos, acaba ahora con la expulsión de los judíos y con el violento bautismo de moriscos granadinos en masa, a lo cual se añade el nuevo tipo de Inquisición que se ha establecido." Die Wortwahl - „gewaltsame Taufe" - deutet an, wenigstens mit Blick auf die Mauren, daß ihm zwar nicht die Maßnahmen als solche, wohl aber die Art und Weise, wie sie durchgesetzt wurden, Unbehagen bereitete. Das Ergebnis besteht in einem argumentativen Schlingerkurs, wie er seit der liberalen Religionskritik des 19. Jahrhunderts üblich war. Die „Intoleranz", bescheinigt er (ebd.: LXXX f.) den Katholischen Königen und Philipp II., sei nötig gewesen, um „die Nation in ihrem europäischen Geiste" zu einigen - „pero las precauciones llegaron a ser desproporcionadas". Sie hätten vor allem, argumentiert er (ebd.: LXXVIII f.), viel zu lange gedauert und seien deshalb im höchsten Maße kontraproduktiv gewesen: „el celo intolerante se prolongó en media España, destrozando en inacabable antagonismo interno la cohesión que antes había logrado". Dabei habe es stets Versuche gegeben, die Früchte der katholischen Einigung mit dem europäischen Geist auf einen Nenner zu bringen. Etwa in den „Reformbestrebungen" von Jovellanos, die mit „einer tiefen Liebe zum Vaterland" und Respekt „vor dem gesamten historischen Leben des Landes" in Einklang gestanden hätten. Wenn sich solche Stimmen mehr Gehör verschafft hätten, dann, so Menéndez Pidais moderate Kritik an der „España aislacionista", wären dem Lande große Probleme erspart geblieben, wahrscheinlich sogar der

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Bürgerkrieg. Denn Rechte und Linke, die sich in den 30er Jahren unversöhnlich gegenübergestanden hätten, seien letztlich das Opfer einer Geschichte gewesen (ebd.: XCIX), die auf radikaler Ausgrenzung von Dissidenten basiere. Um so mehr komme es nun darauf an, schrieb er 1947 (ebd.: C), „[los] dos órganos funcionales" als Einheit zu sehen: „Una España tradicional inquebrantable en su catolicismo, pero que por evitar el mayor mal de las reacciones convulsas y abominando la violencia, no sólo se abstiene, en el ejercicio del poder, de toda presión exclusivista contra los disidentes, sino que comparte con ellos en convivencia fraterna y leal todo el cuidado de los intereses terrenos, tanto ideales como materiales". So nobel dieser Aufruf zu einer neuen Convivencia auch ist: Er provoziert indes die Frage, ob er nicht ähnlich gemeint war wie seine Kritik an der historischen Intoleranz. Denn das Ende der Convivencia, der von 1492, hatte er als notwendige Zäsur bedingungslos begrüßt. Kritisiert hatte er nur deren „maßlose" Härte und „überlange" Dauer. Gab es, aus seiner Sicht, Parallelen?

VIII. Geschichte als Politik: Literatur und Kulturhistoriographie im Umkreis von Revolution (1868) und Restauration Einer der markantesten Unterschiede, der die Autoren/innen der sogenannten „ 1 8 6 8 e r Generation" 1 von ihren romantischen und spätromantischen Vorgängern mit Blick auf das hier untersuchte T h e m a trennt, ist ihr .Abschied von der G e s c h i c h t e ' . Wie exotisch, stereotypisiert und damit in großem U m f a n g ahistorisch Juden und M a u r e n in den allermeisten D r a m e n und R o m a n e n der Romantik auch immer dargestellt wurden: Die trikulturelle Welt des spanischen Mittelalters war omnipräsent. G a n z anders in den R o m a n e n j e n e r Autorengruppe, für die die Revolution von 1868, „La Gloriosa", und, vielleicht noch mehr, die anschließende Restaurationsperiode, den generationsspezifischen Kontext darstellte: „Keine Ausnahmegestalten

[...] treten mehr a u f , bringt N e u s c h ä f e r

(1997: 272) diesen Unterschied auf den Begriff, „keine Heroen aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit, sondern Durchschnittsfiguren, die f ü r die Verhältnisse hier und heute repräsentativ sind." 2 Obwohl diese A u s s a g e nur grosso m o d o gilt - so finden sich, etwa im Œuvre von Juan Valera und P e d r o de Alarcón, auch deutliche Reminiszenzen der romantischen Maurophilie - , trifft sie doch den Kern des thematischen Interesses der 68er. Und das lag, wie in Kapitel V. skizziert wurde, unter anderem im Bereich der Religion: „From the time of the Revolution of 1868 to the First World W a r " , schreibt Dendel (1968: 2), „the religious question was considered by many Spanish intellectuals to be the f u n d a m e n t a l problem facing Spain." Dabei ging es natürlich nicht nur, häufig nicht einmal überwiegend, um religiöse Dispute im strengen Sinne des Wortes. Die Kontroversen um den Stellenwert von Kirche und Religion, an der sich die im folgenden untersuchten Autoren in vorderster Linie beteiligten, gingen in Wirklichkeit weit über die Arena eines reinen Glaubenskrieges hinaus, auch und gerade in der Literatur: „Fue Clarín, 1

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a g u d o crítico de su tiempo",

Robin (1989: 89) weist daraufhin, daß der Generations-Epitaph zwar erst viel später entstand, daß aber bereits Clarín „une relation de cause à effet entre la Révolution de 68 et la révolution littéraire" hergestellt habe. Blanco Aguinaga u. a. (1978: 11,137) halten es dennoch für ratsam, den Generationsbegriff zu vermeiden: „quizá sería más apropiado hablar de una generación de la Restauración, si se tiene en cuenta que las obras representativas de este realismo comiensan a aparecer precisamente en 1875." Deshalb ist es unsinnig, in den maurisch-jüdischen Romangestalten, etwa in Pérez Galdós Misericordia, einen Protest „contra la mentalidad positivista" (Litvak 1990: 104) zu sehen. Es geht hier nicht, am allerwenigsten im Werk von Galdós, um eine „revuelta contra las barreras de la razón" oder um „formas de estética de lo extraño, lo fantástico, lo maravilloso".

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schreiben Blanco Aguinaga u. a. (1978: II, 136 f.) deshalb zu Recht, „quien señaló que en la novela de la época hay dos bandos en que luchan el pasado y el presente, la libertad y la tradición." Es war zwar die Revolution von 1868, und damit zunächst primär eine Auseinandersetzung über religiöse Streitfragen, die, wie ebenfalls Clarín (Robin 1989: 90) bereits in früheren Jahren geschrieben hatte, das vereinigende Band der Schriftstellergeneration bildete; im Grunde ging es jedoch um wesentlich mehr: „El escritor se ve obligado a una toma de posición", so Blanco Aguinaga u. a. (1978: II, 137), „frente a los profundos conflictos económicos, sociales y políticos de la centuria". Deshalb ist es kein Zufall, daß die hier untersuchte Thematik nur noch selten in fernen historischen Zeiten, sondern vor allem im zeitpolitischen Kontext angesiedelt ist: Die , Wiederentdeckung' der Mauren, etwa im Werk von Alarcón, während des Kolonialkrieges in Nordafrika; die Juden als Nagelprobe für religiöse Toleranz, vor allem im Frühwerk von Pérez Galdós; oder als Repräsentanten einer verhaßten Geldwirtschaft, wie sie Pereda karikiert. Dabei schlagen die politischen Grundoptionen der Autoren auch in ihrem Verhältnis zu Mauren und Juden zwar durchaus zu Buche; die Gleichung liberal = philosemitisch bzw. maurophil geht jedoch, ähnlich wie im Œuvre der Romantiker, so einfach nicht auf: Obwohl die gröbsten Judenklischees - die Mauren spielen im Vergleich zu früheren Jahrzehnten nur noch eine untergeordnete Rolle - auf das Konto der konservativ bis offen reaktionär gesonnenen Autoren (Alarcón, Pereda, Pardo Bazán) gehen, sind aber auch die mehr oder weniger liberalen Autoren wie Valera und Clarín keineswegs frei von antisemitischen Anwandlungen. Eine, die Ausnahme ist dagegen das Werk von Benito Pérez Galdós, dem mit Abstand wichtigsten Romancier im letzten Drittel des Jahrhunderts. Sein positives Bild von Juden und Mauren ist geradezu spektakulär und sollte es auch bleiben: Kein anderer Autor hat sich so vorbehaltlos mit der trikulturellen Geschichte und Gegenwart identifiziert wie er, der seit Cervantes wichtigste Autor der spanischen Literatur. Ursprünglich ein kritischer Liberaler (Tuñón de Lara 1981: 29), hat sich Galdós unter dem politischen Aplomb der Restauration mehr und mehr radikalisiert auch das eine Ausnahme im Spektrum seiner Generationskollegen: „Zwischen 1870 und 1912 war die Biographie von Benito Pérez Galdós", schreibt Gumbrecht (1990: 746), „ein Prozeß politischer und künstlerischer Desillusionierung gewesen." Das im Vergleich zur Romantik viel stärker auf politische Zeitfragen gerichtete Engagement der 68er darf jedoch nicht mit Geschichtslosigkeit verwechselt werden. Ihr .Abschied von der Geschichte' ist vor allem eine Genre-

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frage: Historische Dramen und Romane, eine Säule der Romantik, machen nun Romanen und Erzählungen Platz, in denen die erzählte Geschichte stärker mit der Erzählzeit im Einklang steht. Die Geschichte wird dadurch nicht eskamotiert, sie wird zu einem politischen Problem der Gegenwart und damit eigentlich erst recht Geschichte. Im übrigen nimmt auch die traditionelle Spanienthematik, seit Quevedo ein zentraler Topos in der Literatur (Schmidt 1975), im Werk dieser Autorengruppe einen prominenten Platz ein - unbeschadet der späteren Kritik bestimmter Autoren der ,Nachfolgegeneration' (Varela 1999: 152), sie hätten die nationale Geschichte sträflich vernachlässigt: „Lange bevor die Generation von 98 zu schreiben begann", lenkt Neuschäfer (1997: 273) deshalb den Blick auf einen Aspekt, der in den meisten Literaturgeschichten unterbelichtet bleibt,3 „stellte sich in Spanien die Frage nach der nationalen Identität. Woher kommen die spanischen Probleme? [...] Ist [...] die Weitergeltung der .Ewigen Werte' oder die Emanzipation von ihnen zu wünschen? Je nach politischem Temperament der Autoren wird die nationale Frage im Sinne des Liberalismus oder des Traditionalismus, oft auch in regenerationistischer Absicht beantwortet". Was den letzten Satz des Zitats betrifft, ist jedoch Vorsicht geboten: Konservative und Liberale setzten, wie in Kapitel V. dargestellt wurde, bei der Beurteilung der nationalen Geschichte zwar unterschiedliche Akzente, etwa in der Kontroverse um die Inquisition; historische ,Schnittmengen', in denen Konservative und Liberale übereinstimmten, waren jedoch ebenso an der Tagesordnung, vor allen Dingen mit Blick auf Juden und Mauren. Uneingeschränkt recht hat Neuschäfer (ebd.: 274) indessen, wenn er die generelle Bedeutung der Literatur jener Jahrzehnte herausstreicht: „Wenn man bedenkt, daß das tatsächliche politische Dieses Manko gilt auch und gerade für die hier untersuchte Thematik. Es ist nachgerade verblüffend, daß in einschlägigen Literatur- und Kulturgeschichten, die sich mit bestimmten Romanen der 68er beschäftigen, kein Wort über deren Antisemitismus zu lesen ist. So heißt es etwa in der von Rüssel (1962: II, 261) herausgegebenen Introducción a la cultura hispánica über ein antisemitisches Machwerk von Pereda lapidar: „De tal palo tal astilla (1880), por ejemplo, es una refutación de las proposiciones de Galdós contra el fanatismo religioso expuestas en Gloria." Genauso lapidar, obwohl zu den Protagonisten jüdische Klischeegestalten gehören, kommentiert die von Jean Canavaggio edierte Historia de la Literatura Española (1995: V, 169) diesen Roman: „Por su parte, De tal palo tal astilla (1880) expone el drama de dos jóvenes unidos por el amor pero separados por la religión." Auch Blanco Aguinaga u. a. (1978: II, 141) übergehen den schroffen Antisemitismus des Romans mit Schweigen. Der Leser dieser Historia social de la literatura española erfährt ebenso (ebd.: 150) wenig, daß es sich bei Una Cristiana von Pardo Bazán um ein antisemitisches Machwerk ähnlichen Kalibers handelt. Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

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Leben der Restaurationszeit sich auf fiktive Scheinauseinandersetzungen beschränkte, wird der Roman so zu einer Art von Ersatzparlament, in dem wichtige Streitfragen überhaupt erst in allem Ernst ausgetragen wurden."

1. Die Quadratur des Kreises: Juan Valera Im umfangreichen und ästhetisch anregenden Œuvre Juan Valeras (1824-1905) - Diplomat, Académico, Romancier, Literaturkritiker, Übersetzer und Lyriker nimmt die Juden-/Sepharden- und Maurenthematik (vor allem letztere) einen besonders prominenten Platz ein: Valera hat sich jahrzehntelang zu unterschiedlichsten Facetten dieser Thematik geäußert - allerdings auf sehr widersprüchliche Art und Weise. Diese Widersprüchlichkeit, die, wie häufig unter seinen Zeitgenossen, der Quadratur des Kreises ähnelt, ist vor allem, das sei bereits vorweggenommen, zwei Ursachen geschuldet: seinem „españolismo", der trotz aller Weitläufigkeit bisweilen obsessive Züge trägt; und seinem katholischen Credo, das auf ebenso widersprüchliche Weise mit seinen liberalen Überzeugungen koexistierte. Eine Hauptfacette in Valeras Idearium des peninsularen Mittelalters besteht in der Wertschätzung des kulturellen Erbes von Al-Andalus, wie er sie 1903, gegen Ende seines Lebens, aus Anlaß einer Rede in Córdoba, zum Ausdruck brachte: „De aquí que en el suelo de España, aunque sea siglos antes de que fuese España una nación sola", relativiert er (1942: 2072) gleichzeitig den vernebelnden Spanien-Begriff der nationalkatholischen Orthodoxie, „nos enorgullecemos de los héroes y de los sabios que España tuvo y los consideramos como cosa nuestra; como nuestro abolengo honroso, aunque debiesen su origen a diversas castas, tuviesen opuestas creencias y hablasen distintos idiomas." Zu den mittelalterlichen Koryphäen jener Zeit, deren Erbe er uneingeschränkt akzeptiert, gehören u. a. Averroes, Maimónides, Ibn Gabirol „y otros sabios geniales, israelitas y muslimes". Am Anfang von Valeras Interesse für das Mittelalter stand augenscheinlich der Einfluß der Romantik. In einem Essay von 1854 - „Del romanticismo en España y de Espronceda" - ist dieses Interesse zwar bereits spürbar, aber auch eine verständliche Skepsis gegenüber der Mittelalter-Schwärmerei der romantischen Wortführer: „El romanticismo [...] había aparecido en Alemania durante las guerras contra Napoleon, no sólo como secta literaria sino como doctrina filosófica y patriótica, que sacaba la Edad Media de su sepulcro y que armaba a

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sus guerreros católicos contra el pagano emperador de Francia. Nosotros", differenziert Valera (ebd.: 11) die spanische Situation, „no teníamos necesidad de evocar espectros para luchar contra Napoleón". Im Laufe der Zeit indessen, „cuando la furia del romanticismo se pasaba triunfante por toda la península" (ebd.: 14), hätten sich auch in Spanien einige „ingeniös" - der Duque de Rivas, Zorrilla und Espronceda - herausgebildet, in deren Werken u. a. „[las] pasadas glorias" in Erscheinung träten, etwa (ebd.: 15) „las guerras, desafíos, fiestas y empresas amorosas de moros y cristianos". Trotz seiner Wertschätzung für das zitierte Romantiker-Trio betrachtet Valera die .literarische Mediävistik' der Romantiker, etwa die von Zorrilla, auch in den folgenden Jahren mit deutlicher Skepsis. In einem Aufsatz über „La Historia de la Literatura española en la Edad Media" 4 von 1860 hält er (ebd.: 149) Zorrilla u. a. vor, „un pasado ideal" zusammenzuphantasieren, „que no ha existido nunca, y en el cual predomina cierto espíritu de catolicismo de la Edad Media, algo calderoniano, unido a un orientalismo que proviene en parte de los versos de Victor Hugo y de nuestros romances moriscos, y en parte de la afición que se ha despertado recientemente, con el estudio de la historia de las naciones mahometanas". Doch deren Kunst und Literatur werde, so der junge Valera, mehr Wert beigemessen, „del que en realidad tuvieron en nuestra civilización y cultura." Das „nuestra" bezieht der Autor auch und gerade auf Spanien und pointiert (ebd.: 152): „La civilización no nació en la Edad Media; lo que hizo fué divulgarse, injertarse en los nuevos idiomas, recordar lo olvidado y enriquecerse con algunos extraños elementos." Im Unterschied zu den intellektuellen Wortführern des 18. Jahrhunderts, „que negaban todo valor a las producciones literarias de la Edad Media" (ebd.: 149), ist Valera davon überzeugt, das rechte Augenmaß zu besitzen: „acaso merezcan más nuestra atención como reflejo de las costumbres y creencias de una edad poco abundante en documentos que las pinten y las describan". Diese doppelte Skepsis, gegenüber den Romantikern und deren idealisierten Mittelaltervisionen, verliert im Laufe der Jahre jedoch an Gewicht. In einem ausgedehnten Essay über „El concepto que hoy se forma de España" von 1868 bezeichnet Valera (1928: 89 f.) u.a. Washington Irving, Prescott und die Gebrüder Schlegel als „los más aptos para estimar las prendas y el valor de otros pueblos" - unter Einschluß Spaniens: „nos han hecho justicia y han ilustrado con 4

Eigentlich handelt es sich um eine ausgedehnte Rezension von Fernando Wolfs Studien zur Geschichte der spanischen und portugiesischen National-Literatur, Berlin

1859.

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amor la historia de la España cristiana [...] y [...] de la civilización y del saber de los españoles mahometanos y judíos". Selbst einem berühmt-berüchtigten Satz, der vor der Romantik alles andere als ein Kompliment gewesen war, erteilt der Autor (ebd.: 91) nun seinen Segen: „El apotegma de que Africa empieza en los Pirineos corre muy válido por toda Europa." Es ist also vor allem das maurische Erbe von Al-Andalus, das Valera interessiert - es wäre ihm sicher nie in den Sinn gekommen, die Afrika-Sentenz auf die Juden auszudehnen. So nimmt es nicht wunder, daß er Schacks Dichtung und Kunst der Araber in Spanien und Sizilien übersetzt (1942: 2112) und dessen kritische Kommentare über den Zerfall der maurischen Baudenkmäler, etwa der Alhambra, zustimmend zitiert (ebd.: 2113) hat: „,Como se divisa sobre las olas la única torre de una ciudad que en el mar se ha sumergido, así descuella la Alhambra en medio de la avenida furiosa que ha anegado y hundido los otros monumentos. Sus muros, no obstante, caen piedra a piedra a los golpes de la destrucción'." Jahrzehnte nach Washington Irvings ähnlich lautender Kritik sei die Alhambra, berichtet Valera, zwar endlich zum „monumento nacional" erklärt worden; der Zerfallsprozeß der maurischen Kulturmonumente habe indessen verheerende Ausmaße erreicht: „Ni vestigios quedan de los suntuosos edificios con que la brillante dinastía de los Beni-Abbad hermoseó a Sevilla. ¿Dónde están en Córdoba los alcázares del califa? [...] Todo se ha desvanecido, se ha disipado como un sueño." In zwei umfangreichen Texten, einer ausgedehnten Besprechung von Menéndez Pelayos Historia de los Heterodoxos

Españoles und einem Essay über die

Historia de la Civilización Ibérica hat sich Valera genauer dazu geäußert, was er von diesem Kapitel der Geschichte hielt. Dabei überrascht, was die Rezension von Menéndez Pelayos berühmt-berüchtigtem Buch betrifft, daß er (ebd.: 549 ff.) nicht nur „la gran discrepancia entre el señor Menéndez y yo" in historischen Grundsatzfragen herausstreicht. Er wirft dem jungen intellektuellen Senkrechtstarter, mit dem er über dreißig Jahre eine rege und

freundschaftliche

Korrespondenz unterhielt, 5 sogar offen vor, in seiner Argumentation „falso", „erróneo" und „sofístico" zu sein, vor allem mit Blick auf Juden und Mauren: „El señor Menéndez, movido de santo furor, no sólo condena lo pasado, sino también lo presente y lo futuro, como no sea ortodoxo." Valeras Kritik an den historischen Hauptprämissen seines geschätzten Brieffreundes kommt einer ideologischen Grundreinigung des verstaubten Reconquista-Denkgebäudes gleich, 5

Vgl. Artigas Ferrando und Saínz Rodríguez (Hrsg.) (1946).

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die kaum einen Stein auf dem anderen läßt. Erstens das angeblich katholische Fundament der Reconquista: „el fervor católico, intransigente, nacional y exclusivo, apenas se mostró en la Península Ibérica sino en el siglo XV [...] Lo que es antes, bien se puede afirmar que España fué uno de los países menos católicos de toda la Europa civilizada." Zweitens die diversen Verschwörungstheorien, die die schnellen militärischen Erfolge der Invasoren erklären sollen: „No se concibe que un país de unos cuantos millones de almas se entregue a diez o doce mil extranjeros, si no está muy descontento del yugo que sobre él pesa". Die ebenso schnellen Erfolge auf politischem und kulturellem Terrain illustriert Valera auf eine Weise, die Sánchez Albornoz noch hundert Jahre später Zorn- und Schamesröte ins Gesicht getrieben haben dürften: „Princesas, reinas, y, por consiguiente, mujeres católicas de todas clases pasan luego, sin resistencia y hasta con gusto, al harén de los capitanes, emires y soldados árabes y africanos". Drittens zerstört der Autor die Legende eines fast tausendjährigen Dauerkampfes und damit einen ideologischen Grundbaustein der Hispanidad: „Cierto es que luchaban más a menudo cristianos contra muslimes, pero tampoco dejaban de luchar con frecuencia unos cristianos contra otros. Y cierto es asimismo que, a pesar de la diversidad de creencias y de pertenecer unos a un Estado y otros a otro, había entre los españoles un lazo de nacionalidad más estrecho a veces que en otros países de Europa, donde todos eran católicos." Viertens eine Interpretation der diversen , Schuld'-Anteile am Scheitern der Convivencia, die den Fanatismus vor allem bei den Christen lokalisiert, wenn auch primär als Importprodukt: „Desde que acabó el califato de Córdova, todos aquellos reyezuelos moros son tolerantes en punto a religión, cuando no son indiferentes. Los príncipes cristianos se señalan también por su tolerancia, cuando no por su indiferencia. El fanatismo y la intolerancia religiosa tienen que venir de país extranjero: entre los muslimes, por medio de sucesivas invasiones africanas, de bárbaros fanáticos; entre los cristianos, por medio de franceses, que acuden como cruzadas, y a quienes nuestros (mismos) compatriotas católicos tienen que reprimir y expulsar con frecuencia, por harto feroces, contra israelitas y muslimes." Obgleich die Schuldzuweisung an die Adresse der französischen Mönche etwas einseitig ausfällt, da auch der katholisch-peninsulare Reconquista-Geist die Fanatismusspirale in Bewegung hielt, stimmt doch die Richtung von Valeras Argumentation. Völlig korrekt ist darüber hinaus - fünftens - die explizite Wertschätzung, die er der jüdisch-maurischen Kultur entgegenbringt, unter deutlicher Hintansetzung der späteren katholischen Einheitskultur: „el pensamiento español ha dado más clara muestra de sí y ha importado más en la historia universal del

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pensamiente humano, cuando no era católico, que cuando lo era." In den bekanntesten Koryphäen dieser Epoche, etwa in Averroes und Maimónides, sieht er deren Glanz verkörpert (ebd.: 552): „Todavía Raimundo Lulio", dehnt er seine Wertschätzung der maurisch-jüdischen Kulturtraditionen bis ins 14. Jahrhundert aus, „en medio de sus extraftezas y delirios, ha ejercido más influjo en las naciones y ha logrado más fama que casi todos nuestros teólogos y filósofos de los siglos XVI y XVII." Harter historischer Tobak in einer Zeit, in der das Interpretationsmonopol der katholischen Orthodoxie nur leichte Fissuren aufwies ... Das Resümee seiner Besprechung des bekannten

Heterodoxos-Autors

fallt deshalb, was diese Aspekte betrifft, kaum weniger schlüssig aus (ebd.: 558): „Entendidas así las cosas, la Historia de los heterodoxos españoles tiene altísima importancia: es la historia de gran parte del pensamiento español; no es la historia de unas cuantas criaturas estrafalarias, raras, monstruosas y fenomenales, que cogen algo fabricado en país extranjero y lo introducen en España, a pesar de la prohibición y a modo de contrabandistas." Im zweiten Teil dieser ausgedehnten Besprechung - dazwischen liegen reichlich apologetische Betrachtungen über die Inquisition, auf die ich weiter unten zurückkomme - ,nuanciert' Valera indessen einige der Aussagen des ersten Teils: Die Quadratur des Kreises beginnt Konturen anzunehmen. Zunächst (ebd.: 560) am Beispiel des nationalen Gründungsmythos: „Nuestra nacionalidad nace en Asturias. El héroe que la personifica al nacer lleva nombre enteramente latino: se llama Pelayo." Dann (ebd.: 561) am Beispiel von Verlauf und Charakter der Reconquista, die, wie später in Amerika, die „Überlegenheit" der westlichen Kultur illustriere, trotz oder wegen der katholischen Intoleranz: „No por esto hemos de negar nuestra admiración a aquellos hombres enérgicos que buscaban el martirio y que arrostraban los mayores tormentos y la muerte, insultando la religión de los vencedores. Esta violenta energía sirvió, no sólo para conservar entre los mozárabes la religión de Cristo, sino también para demostrar la vitalidad persistente de la raza hispanoromana y la superioridad de su cultura sobre la cultura semítico-oriental." Auch den Mönchen von Cluny, die er zuvor noch als Fanatismus-Importeure gegeißelt hatte, gewinnt er nun (ebd.: 563) eine eher positive Note ab: „Después de la conquista de Toledo, entraron en la cultura cristiana española dos elementos ricos y opuestos que la hicieron fecunda, poniéndola más en contacto con el resto de Europa: la cultura que trajeron de Francia los cruzados, y el clero y sus monjes que de allá vinieron, y la ciencia y las doctrinas de judíos y de mahometamos, más en relación desde entonces con los reconquistadores." Bereits hier zeigt Valera ein recht sprung-

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haftes Temperament, das sich nicht nur in ein und demselben Text selber widerspricht, sondern allmählich beginnt, regelrechte Kapriolen zu schlagen. Die ideologische Neuorientierung gegenüber dem ,Land der drei Kulturen' läßt sich, wenn auch als Zickzack-Kurs, bereits in einem Vortrag über „Las Cantigas del Rey Sabio" ablesen, den Valera 1872 in der Real Academia hielt, aber erst 1878 veröffentlichte. Hier (1947: 1121 f.) ist zwar auch, durchaus anerkennend, davon die Rede, daß „nuestra gran misión, durante aquellos siglos (del VIII al XIII), fué traer a la civilización moderna europea el elemento oriental con más brío, eficacia e íntimo enlace que las Cruzadas". Gleichzeitig hebt der Autor, und das mit einem gewissen Bedauern, die dadurch bedingte ,Isolierung' Spaniens hervor: „Pero la invasión de los árabes y su dominio nos apartaron, como pueblos cristianos, de la corriente civilizadora europea. En cierto modo puede afirmarse que la civilización cristiana de España hasta el siglo XIII fué a remolque de la civilización cristiana de las otras naciones de Europa." Was sich zunächst nur wie eine eher neutrale Konstatierung historischer Fakten liest, entpuppt sich ein paar Zeilen weiter jedoch als eine Art kulturhistorisches Empfehlungsschreiben an die Adresse des christlichen Europas: „porque no sólo los árabes, sino también los judíos, refinaron y acrisolaron su civilización entre nuestros naturales, mezclándose con ellos y produciendo, en este suelo fecundo, sabios, filósofos y poetas". Die daraus entstandene „civilización superior oriental" wäre also in Wirklichkeit, so lautet die waghalsige ,Akkulturationstheorie' Valeras, letztlich ein Produkt des „genio español cristiano [que] renació depurado y exento de toda mezcla de ensueños y de mitos." Wie viele seiner Zeitgenossen, verfällt damit auch Valera der Versuchung, ein kulturhistorisches Kunstprodukt aus dem unerschöpflichen Reservoir der nationalen Mythenmasse zu formen. In dem späteren Essay über „Historia de la Civilización Ibérica", er datiert von 1887, belehrt der Autor (1942: 1868 f.) seine Leser über den historischen Mutterboden' dieser Renaissance: „el período visigótico [...] porque en él preparó el pueblo español, por medio de su clero, en los Concilios toledanos y en aula regia, con sus Consejos, todo el espíritu católico, latino, clásico antiguo que había de informar el genio de España cuando España saliese del seno del islamismo, triunfante al empezar el siglo VIII." Und im weiteren Verlauf der Reconquista, lautet nun die Gegenthese (ebd.: 1869 f.) zu seinen früheren Positionen, hätte sich dieser „genio" weiter gefestigt: „Durante seis o siete siglos luchó luego en España la religión de la Cruz contra la religión del Islam. De esta lucha ardorosa, como sale de la fragua el bien templado acero, salió ya definid-

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vamente el genio español y la nacionalidad española". Ein paar Seiten weiter (ebd.: 1873) kehrt Valera jedoch überraschenderweise wieder zu seinen früheren Convivencia-Thesen zurück: „Prolijo sería citar casos que prueban las buenas relaciones que hubo en España entre musulmanes y cristianos durante la Edad Media." Beziehungen, die auch für die Juden gegolten hätten: „Dicen que hubo casos en que dentro del mismo edificio había sinagoga, iglesia católica y mezquita." Selbst Montesquieus Afrika-Diktum wird erneut (ebd.: 1864) akzeptiert trotz des christlich-lateinischen Erbes: „Convengo en que esto no prueba que los españoles no sean africanos de origen: que el Africa no empiece en los Pirineos". Eine spektakuläre Kehrtwendung, die freilich in Teilen bereits in dem zurückliegenden Zickzackkurs angelegt war, vollzieht Valera rund zehn Jahre später - eine Kehrtwendung, die augenscheinlich in direktem Zusammenhang mit der prekären Situation des Fin-de-siecle-Spanien steht: Unter dem Titel „Sobre Dos Tremendas Acusaciones contra España Del Angloamericano Draper" setzt sich ein durch die „acérrimos enemigos de España" in Rage versetzter Autor mit dem „célebre catedrático de la Universidad de Nueva York Juan Guillermo Draper" auseinander (1947: 988 ff.): „las dos culpas más enormes son las de haber destruido por completo, o casi por completo, dos civilizaciones: La oriental y la occidental". Was den ersten Vorwurf betrifft, mit dem sich Valera im folgenden hauptsächlich beschäftigt, so nimmt er ihn zunächst zum Anlaß, eine bereits bekannte These zu wiederholen: Der kulturelle Glanz von Al-Andalus, „esta aparente superioridad" der islamischen Kulturimporte, wäre im wesentlichen den Christen geschuldet. Mit den Worten des Autors: „se debieron en todas partes, y más que en niguna en España, a la civilización de los vencidos, a veces respetada, por lo cual merecen los vencedores elogio; a veces, viva y retoñando y reverdeciendo siempre, sin que pudieran los vencedores arrancarla de cuajo, a pesar de los esfuerzos que hicieron, y al final, sometiéndose a ella." Doch damit nicht genug: Ein Gefühl wütenden Gekränktseins wegen der „maßlosen Anschuldigungen" des Amerikaners verfuhrt ihn nun sogar dazu, die islamische Kultur in ihren Grundfesten zu attackieren: „Los árabes mismos no poseían, al extenderse por el mundo y al apoderarse de España, una civilización superior y propia. Tuvieron, sí, el mérito de no destruir la civilización de los países que ocuparon". Dann macht sich der Autor daran, die einzelnen Bausteine der „angeblich" überlegenen Kulturmonumente des peninsularen Islams zu schleifen, zuerst in der Architektur: „Acaso como arquitectos es como los árabes son o han sido más originales. Pero ¿quién negará que su arquitectura tiene escasa majestad y solidez, y que se

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distingue y es digna de elogio, más que por nada, por las menudencias y prolijidades del ornato?" Besonders sichtbar, so die eigenwilligen Lektionen in christlich-islamischer Kunstgeschichte, sei die christliche Überlegenheit an dem berühmtesten Gebäude Córdobas abzulesen: „aunque se pongan las manos en la cabeza los que me lean, que me parece más hermoso, más digno, más artístico el templo cristiano que se levanta ahora en medio de la mezquita". Dem Verdikt über die Architektur folgt das über die Literatur: „En artes y letras es mayor desatino sostener que los moros importaran nada en nuestro país, ni influyesen [...] en el desenvolvimiento intelectual de los españoles." Schließlich hätten sie keine „poesía dramática" hervorgebracht: „Algo de poesía épica o narrativa puede decirse que tuvieron". Aber nichts, was man, auch nicht im entferntesten, mit dem Poema del Cid oder den Legenden eines Gonzalo de Berceo vergleichen könnte. Übertrieben werde auch der arabische Einfluß auf andere Meisterweke der spätmittelalterlichen Literatur, etwa auf den Arcipreste de Hita: „Lo que sostengo es que, en todo caso, fué cortísimo el influjo e insignificante la imitación." Nennenswerte literarische Impulse seien allenfalls von diesseits der Pyrenäen gekommen: „Y si algo de fuera, si algo extraño vino a ayudar o a fermentar el reverdecimiento de esta literatura, vino de Francia y de Italia a no de la morería." Auch die Wissenschaften, der dritte, wohl wichtigste Baustein der arabischen Kultur, sei eigentlich, belehrt Valera seine Zeitgenossen, auf Sand gebaut. Zwar komme es ihm nicht zu, den Wert der arabischen Wissenschaften zu taxieren, er sehe sich indes genötigt, „tres importantes afirmaciones" zu machen: „Es la primera la de que España, cuando la conquista muslímica, tenía su ciencia propia [...]. Es la segunda, que los árabes y los moros no eran sabios cuando vinieron a España, ni trajeron sabios consigo [...]. Y es la tercera que, lejos de destruir los cristianos españoles la ciencia mucha o poca de los españoles muslimes, la protegieron, la fomentaron, se aprovecharon de ella y la difundieron por toda Europa." An diesen Behauptungen, von denen nur die letzte - in Teilen - stimmt, hätte wohl noch Sánchez Albornoz, so darf man vermuten, seine Freude gehabt: Sie stellen die historischen Realitäten, denen die früheren Texte Valeras durchaus gerecht wurden, schlichtweg auf den Kopf. Auch in bezug auf die Juden setzt Valera nun andere Akzente. Galten sie ihm früher, was ihre kulturellen Leistungen betrifft, allenfalls als gleichberechtigt, setzt er sie jetzt auf Platz eins: „Otro pueblo [...] hubo en España durante toda la Edad Media, el cual, por su larga permanencia entre nosotros (tal vez, en parte, desde antes de la venida de los romanos) [...] que valió, importó e influjo más que los muslimes en la civilización del mundo, floreciendo y mostrando tal

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actividad en España por su saber, que bien podemos jactarnos de ello como de una gloria". Es folgt die übliche Liste jüdischer Koryphäen des Mittelalters - ein Kapitel der peninsularen Kulturgeschichte, das, so suggeriert der Autor, nur durch die religiöse Intransigenz des Islams ein gewaltsames Ende fand: „Los rabinos ilustres, los filósofos y los doctores musulmanes, arrojados de Andalucía por el fanatismo de los almohades, tuvieron franca acogida y lograron protección generosa en las cortes de los reyes de Aragón y Castilla." Über das weitere Schicksal der Juden im christlichen Machtbereich schweigt sich Valera hier indessen aus. 6 An anderer Stelle, das Zitat datiert von 1870 (Veegh 1990:56), hat er indessen deutlich gemacht, was er von den Juden im allgemeinen - jenseits ihrer kulturellen Leistungen hielt: „No creo que el odio profundo que tuvimos en la Edad Media a los judíos proviniese sólo de que eran el pueblo deicida, sino de que eran ricos. Las frecuentes matanzas de judíos que hubo en España acaso no hubieran llegado a realizarse si los judíos hubieran tenido la prudencia de quedarse pobres." Zwei Gründe sind es vor allem, die Valeras Schweigen und einen Gutteil des beschriebenen Zickzackkurses zu erklären scheinen: sein christlich-katholisches Credo, das weiter unten, speziell im Zusammenhang von 1868 zur Sprache kommt, und - ganz besonders - seine nationalen Empfindlichkeiten im Umkreis der europäischen Spanienkritik und der Säkularisierungstendenzen in Spanien: „Entiéndase además que yo, que soy muy admirador de la cosas del día, muy lleno del espíritu del siglo, poco piadoso y creyente, etc., etc.", heißt es etwa in einem Brief an Menéndez Pelayo (1946: 87), „no puedo convenir en mil tonterías que hoy se proclaman ex cathedra, los cuales me atacan los nervios y contra las cuales soy capaz también de ponerme a defender la Inquisición." Wäre Spanien nicht vom imperialen Olymp in die Niederungen einer europäischen

Rand-

Statt sich weiter mit der „llamada civilización oriental" zu beschäftigen, die Spanien, s o der nordamerikanische Kritiker, zerstört habe, setzt sich Valera nun mit dem z w e i t e n V o r w u r f des Nordamerikaners auseinander: Mit den indianischen Kulturen der N e u e n Welt, ..que, según Draper, también h e m o s destruido". Hier nun liegt der Autor g a n z auf der Linie des damaligen Zeitgeistes, wenn er schreibt: ..Imposible parece que se diga de buena fe tamaño disparate. ¿Qué diantre de civilización había en A m é r i c a antes de su descubrimiento? Por casi todas partes era c o m p l e t o el salvajismo [...] los hombres se comían unos a otros." Und so. w i e sich die eher .kulturlosen' Araber erst durch den Einfluß der lateinisch-christlichen Kultur auf der Halbinsel .veredelten', so müßten, mutatis mutandis, auch die amerikanischen . W i l d e n ' den Spaniern eigentlich dankbar sein: ..yo creo y tengo por seguro que se puede demostrar que en muchas de las tierras descubiertas y ocupadas por los españoles en América, los indios, en v e z de perder, ganaron en ser conquistados".

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existenz abgestürzt, dann, so seine Überzeugung (ebd.), wäre auch die Inquisition kein Problem gewesen - im Gegenteil: „si la fortuna hubiera hecho que España fuese una nación más poderosa que Inglaterra, la Inquisición pasaría una gran cosa allá para su tiempo. Otras barbaridades históricas se aplauden históricamente." Ganz so einfach macht es sich Valera jedoch nicht: Recht weit davon entfernt, das gefiirchtete Kuttentribunal als „gran cosa" zu feiern, sieht er dessen „barbarische" Rolle durchaus. Etwa in einer Academia-Rede

über „Del Influjo de

la Inquisición y del Fanatismo Religioso en la Decadencia de la Literatura Española" aus dem Jahre 1876, also aus einer Zeit, in der das Echo der kirchenkritischen Parlamentsreden noch kaum verhallt war: „Yo creo también", sagt er (1947: 1131) klipp und klar, „que el fanatismo ahogó y marchitó antes de tiempo en España la lozanía y el florecimiento de una gran cultura propia y castiza." Diese Ansicht hat Valera mehrfach wiederholt, etwa in der zitierten Rezension von Menéndez Pelayos Heterodoxos

(1942: 553 f.): „Prevaleciendo

en España la más ruda intolerancia religiosa, toda elevada especulación caía abatida por el terror; todo pensamiento trascendental moría de miedo al nacer." Selbst das häufig angeführte Argument, die Literatur der Zenitepoche hätte sich trotz oder gar wegen der „tiranía mental" entfalten können, läßt der Autor (ebd.: 556 ff.) nicht gelten: „Tal argumento nada tiene de serio si atentamente se examina. Hasta la fiebre más maligna acelera la circulación y parece como que duplica la vida antes de producir la muerte." Er negiert zwar nicht „la grandeza de nuestra bella literatura de entonces", fügt jedoch hinzu: „Pero toda esta literatura está viciada por el fanatismo religioso, que acabó por secarla y matarla." Das nicht zu sehen oder sehen zu wollen, kreidet er expressis verbis auch dem Heterodoxos-Autor

an: „Trata de probar el señor Menéndez que el

genio español es eminentemente católico, y que fuera del catolicismo apenas se ha mostrado; y, sin embargo, más bien es lo contrario lo que prueba: que más que nunca se ha mostrado el genio español al salir fuera del catolicismo, no ya porque el catolicismo se le oponga, sino porque se le ha opuesto la intolerancia delirante, ejercida en su nombre. El mismo libro del señor Menéndez valdría mil veces más, sería admiración de los sabios de Europa, si la intolerancia no le afeara." Klare Worte, die, für sich allein genommen, geradezu ikonoklastisch klingen. Dennoch sind sie nur ein Teil der Wahrheit - so wie Valera sie interpretierte. Der andere, weitaus größere Teil seiner Äußerungen zu diesem Thema besteht dagegen aus durchsichtiger Apologetik. Erstens in Form einer internationalen Rela-

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tivierung der Inquisitions-Greuel: „En efecto", gibt er Menéndez Pelayo in diesem Punkt recht, „toda la sangre que derramó, todas las lágrimas que obligó a verter, toda la carne humana que tostó y todas las víctimas que hizo, durante dos siglos, no equivalen al número de personas que perecen violentamente en el mismo período histórico y durante pocos años, en cualquiera de la guerras religiosas de Alemania, Francia o Inglaterra". 7 Diese Behauptung ist in nahezu sämtlichen Texten zum Thema und in verschiedenen Variationen gleichsam omnipräsent, etwa in seiner Historia de la Civilización Ibérica (ebd.: 1874) als quasi historischer Automatismus: „todo esto sobrevino, porque no podía menos de sobrevenir. Cualquiera otra nación de Europa que desde fines del siglo XV hubiera tenido la gloria y la fortuna de hacer el papel que hizo España, no le hubiera hecho quemando y expulsando menos judíos, moros y herejes, y atormentando menos indios." Sein verletzter Patriotismus verfuhrt ihn sogar zu der folgenden Behauptung (ebd.: 555), die seinen sonstigen Ansichten, nicht zuletzt seiner durchaus harten Charakterisierung des Heiligen Offiziums, widerspricht: „La Inquisición, pues, fué un medio de acción muy propio de aquellos tiempos, fué popularísimo en España, y si algo nos choca, no es su fiereza, sino su blanda mansedumbre [!]." Daß es sich dabei nicht um einen einmaligen .Ausrutscher' handelt, illustriert das folgende Beispiel (1947: 1138): „La Inquisición de España casi era benigna y filantrópica comparada con lo que en aquella edad durísima hacían tribunales y gobiernos y pueblos en otras regiones." Valera geht- zweitens - sogar noch einen Schritt weiter, wenn er (ebd.) die historischen Greueltaten nicht nur als - möglicherweise - bedauerliches Fait accompli zu den Akten legt, sondern als notwendiges Ferment der spanischen Ruhmestaten lobt: „Para hacer tantas cosas, para dar cima a tamaños trabajos, era menester cierto fanatismo, y le tuvimos. Fué menester que nos creyésemos como un nuevo pueblo de Dios, y tal vez nos creímos ese pueblo. Fueron inevitables las sombras al lado de los resplandores". Zu diesen Peripetien, schreibt er an anderer Stelle (ebd.: 554), zählt vor allem die politische „Einheit" des Landes, „por los cetros unidos de un rey y de una reina, inteligentes y activos, quienes se 7

Allerdings geht er hier nicht mit der Ansicht konform, dadurch wären Spanien die negativen Folgen der Religionskriege erspart worden: „pero allí, por la lucha de fanatismos opuestos, nace la libertad y mueren los fanatismos, mientras que, entre nosotros, con poca lucha, y por consiguiente, con menos horrores y crueldades, pero con una compresión larga, constante y sistemática se agosta y esteriliza." An anderer Stelle (1947: 1139) ist allerdings auch er der Meinung, „que aquel terrible tribunal contribuyó a que gozásemos de una paz relativa, mientras otras naciones ardían en guerras espantosas que, como en Alemania, duraban treinta años".

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apoyan en el pueblo, así para acabar con el único Estado mahometano que aún quedaba". Und dazu zählt auch das spanische Weltreich, die Krönung der spanischen „Mission": „merced a los inquisidores, era nuestra misión providencial, a cuyo cumplimiento iban unidas la grandeza y la gloria, y cuyo término había de ser tal vez la creación de un imperio más extenso, floreciente, poderoso y capaz de duración que todos aquellos que habían existido antes." Als notwendiges Übel erwies sich die Inquisition, argumentiert Valera (ebd.), aber nicht nur für Spanien von Nutzen, sondern für die gesamte katholische Welt: Die historischen Umstände „[impusieron] a España durante más de dos siglos el grande, aunque peligroso papel de ser adalid de la religión católica en la ocasión de más empeño y dificultad, cuando la Reforma, el paganismo resucitado y las impiedades filosóficas se levantaron a combatirla al mismo tiempo". Drittens führt er (ebd.: 554 f.) die lange und effektive Existenz der Inquisition auf deren „Popularität" zurück: „tenemos que convenir con el señor Menéndez y Pelayo en que aquel tribunal fué en España popularísimo." Deshalb könne man keineswegs, schreibt er (1947: 1142) in seinen Betrachtungen über den Einfluß der Inquisition, nur „los inquisidores feroces" und „los reyes tiranos" für die Fanatismus-Spirale verantwortlich machen, sondern den „entusiasmo de toda la nación": „Pues con más gusto trabajaron los madrileños en levantar el tablado, animándose con devotas exhortaciones; con mejor voluntad acudieron la corte y ochenta y cinco grandes de España, y con más deleite presenció todo el pueblo el auto de fe de 1680, en que fueron condenadas ciento veinte personas, y de ellas veintiunas quemadas vivas." Damit zusammenhängend zitiert er (1942: 554 f.) die ,rauhen Sitten' der Zeit: „Entonces no eran los hombres tan mirados y escrupulosos como ahora en la elección de medios para lograr un fin. [...] Había ya refinamiento y elegancia, pero aún no había dulzura en las costumbres." Aus der Sicht der damaligen Zeit seien deshalb auch harte Maßnahmen natürlich auf Zustimmung gestoßen - Maßnahmen, die in den Texten von Valera nur als Randnotiz auftauchen: „luego la expulsión es justa y conveniente y debemos echar a los moriscos y a los judíos; si castigamos al adúltero, con más razón debemos castigar al apóstata, que adultera contra Dios". Nur einmal, das sei nicht verschwiegen, scheinen Valera (ebd.: 564 f.) einige Skrupel über die n a türliche Popularität' der Inquisition gekommen zu sein, als er nämlich schrieb: „Claro está que la Inquisición fué muy popular, pero eso prueba sólo el nivel moral bajísimo y perverso de aquellos entre quienes lo era." Doch auch dieses Eingeständnis wird nur wenige Zeilen weiter auf typische Weise relativiert: „pero más justamente se añadiría que la Inquisición fué un progreso si la

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comparamos con la antropofagia y con los sacrificios humanos de muchos pueblos salvajes". 8 Wie zart muß die nationale Seelenschicht Valeras, so fragt man sich bei solchen Vergleichen, wohl besaitet gewesen sein? Hat der gebildete, weltläufige Diplomat solche Sätze tatsächlich mit Überzeugung geschrieben?

Augen-

scheinlich nicht - der bunte Reigen seiner Verteidigungskette läßt eher auf eine permanente Gereiztheit 9 schließen, der kein Argument zu abwegig schien: „Lo de la Inquisición", schrieb er (1947: 998) denn auch selber über diese spanische Reaktionspalette auf die Kritik von außen, „es una constante que nos están dando los extranjeros desde hace mucho tiempo, y que nos tiene ya tan aburridos, que casi justifica que algunos españoles se pongan fuera de sí y, en apariencia, se vuelven locos, aunque sean sujetos de mucha madurez y juicio." Zu denen gehörte wohl auch der Autor dieser Zeilen. So verwundert es nicht, daß er die eigentliche ultima ratio des religiösen Fanatismus bei dessen Opfern ausfindig macht: Die „Tyrannei" der Habsburger und die „Grausamkeiten" der Inquisition seien nicht die Ursache der spanischen Dekadenz gewesen, behauptet Valera (1947: 1139), sondern „meros síntomas de una enfermedad espantosa que devoraba el cuerpo social entero". Und dieser Krankheitsherd läßt sich präzise lokalisieren: „Nos llenamos de desdén y de fanatismo a lo judaico." Diese Theorie über die Ursprünge der Inquisition, die erst mit Sánchez Albornoz und Américo Castro ihren Zenit erreichen sollte und die die beiden Widersacher zumindest partiell in Eintracht vereinte, blieb bereits damals nicht ohne Wirkung: „En lo que toca a la Inquisición, yo creo, como usted", schrieb Menéndez Pelayo etwa zur selben Zeit an Valera (1946: 408), „que no fué causa, sino efecto. Yo creo, además, que, históricamente considerada, tiene un lado antipático y repugnante, y otro lado, hasta cierto punto, simpático. El lado antipático y odioso es el fanatismo de sangre y de raza, que probablemente debimos a los judíos, y que luego se volvió contra ellos de un modo horrible." Mit seinem langjährigen Briefpartner teilte Valera (1942: 555) auch eine weitere Grundüberzeugung: „Si no se torció del todo el carácter español volviéndose falso, embustero e hipócrita", lautet seine Hommage an die perennierenden Essenzen

9

Der rassistische Eurozentrismus Valeras richtete sich übrigens auch gegen „los negros y otras razas inferiores" (1942: 1504). Deshalb hat Pérez Gutierrez (1975: 82) völlig recht, wenn er schreibt: „Valera compatió con otros muchos españoles de su época, por ejemplo con Menéndes Pelayo, un exacerbado complejo de inferioridad nacional, manifestó en forma de nacionalismo cultural."

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des spanischen Nationalcharakters, der die jahrhundertelangen Attacken des Fanatismus trotz aller Blessuren überstanden habe, „se debió a la invencible bondad y excelencia del gran ser de nuestra raza". Und deren wichtigste Ingredienz, das illustrieren Valeras Positionen zur „Religionsfreiheit", ist der Katholizismus. Fast zwanzig Jahre nach Beginn der Revolution von 1868, die eine erbitterte Kontroverse um Religionsfreiheit und damit um die Trennung von Staat und Kirche losgetreten hatte, schrieb Valera an Menéndez Pelayo (1946: 409): „Yo quiero probar que Espafia después de Grecia y de Italia, ha sido y es la nación más europea, más clásica y más católica y romana en todos los sentidos, a pesar de los judíos y de los moros." Und daran sollte sich, ginge es nach ihm, auch in Zukunft wenig ändern - trotz partieller Sympathien für diejenigen Literaten, die Azañas berühmtes Diktum von 1931, wonach Spanien aufgehört habe, katholisch zu sein, bereits ein halbes Jahrhundert vorher in die Tat umsetzen wollten. In einem Aufsatz über „La revolución y la libertad religiosa en España" von 1869 hat sich Valera in extenso mit den gegenwartspolitischen Implikationen seiner diversen Geschichtsbetrachtungen beschäftigt: „Acabamos de presenciar uno de los acontecimientos más importantes", weist er (1928: 118) gleich zu Beginn und völlig zu Recht auf die historische Tragweite des kommentierten Ereignisses hin, „que registra nuestra historia hace siglos. Las Cortes Constituyentes, elegidas por el sufragio universal en nombre del pueblo de Torquemada, de Loyola, de Domingo de Guzmán y de Felipe II, han proclamado la libertad religiosa." Vordergründig betrachtet, scheint auch Valera auf der Seite der revolutionären Verfassungsgeber zu stehen, wenn er (ebd.: 120 f.) das soeben proklamierte, aber freilich nie in die Praxis umgesetzte Recht auf Religionsfreiheit

als „el más precioso, el más primordial, el más fundamental de los

derechos

individuales" bezeichnet.

Er macht zugleich darauf aufmerksam

(ebd.: 144 f.), daß die bis dato dominanten Verhältnisse „las doctrinas contrarias al catolicismo" nicht daran gehindert hätten, in Spanien auf offene Ohren zu stoßen: „No puede negársenos que la falta de libertad religiosa, que ha habido hasta ahora, no ha servido de preservativo ni de remedio a este mal." Valera geht es jedoch, und der Hinweis auf „este mal" ist dafür illustrativ, nicht um Religionsfreiheit, zumindest nicht um eine verfassungsmäßig verbriefte. Die eigentliche Zielrichtung des Aufsatzes, das sei bereits vorweggenommen, ist eine ganz andere: Auf über hundert Seiten versucht er zu beweisen, daß die intendierte Religionsfreiheit in einem Land wie Spanien eine contradictio in adjecto sei (ebd.: 180): „no es conveniente en parte alguna la separación de la Iglesia y del

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Estado, y que en España, en una nación tan católica como España, es absurda esta separación; no hay nada que la motive; trae mil inconvenientes y no trae niguna ventaja." Der erste Grund ergebe sich gleichsam logisch aus der Annahme, daß Spanien noch immer das katholischste Land Europas sei: „Yo no dudo que la inmensa mayoría, la casi totalidad de los españoles es católica; yo creo firmemente que niguno", lautet (ebd.: 121) die daraus resultierende Schlußfolgerung, hier an die Adresse der Gegner der Religionsfreiheit, „merced a esta libertad de conciencia, va a renegar de la religión de sus padres para transformarse en budista mahometano o judío". An anderer Stelle (ebd.: 150) verweist er die Befürchtung, die Spanier könnten die Religionsfreiheit als Einladung zu Massenkonversionen verstehen, noch drastischer ins Reich der Phantasie: „Menos verosímil es aún que un español decente se haga hoy judío o mahometano. Sólo a algún escapado del presidio se le puede ocurrir tamaña locura." Dagegen versucht er augenscheinlich, beide Positionen - die historische Kritik der Intoleranz und die natürliche Neigung' zum Katholizismus - miteinander in Einklang zu bringen: „dicha libertad no vendrá a destruir la unidad religiosa, sino cambiarla de violenta y forzosa que ha sido hasta el día en espontánea y libremente aceptada". Da er dem freien Spiel der Kräfte aber offenkundig mißtraut - „nadie tiene derecho al error" - , hält er (ebd.: 122) die proklamierte Religionsfreiheit dennoch für falsch: „no queremos abrir la puerta para que la falsedad y la mentira vengan a obscurecerla". Besitzt das erste Argument gegen Religionsfreiheit - der ,katholische Nationalcharakter' der Spanier - eher eine pragmatische Note, beansprucht das zweite (ebd.: 185) nicht weniger als die Anerkennung eines absoluten Axioms: „no podremos negar que nuestra religión es la mejor". Auch um die Begründung einer solchen Aussage ist der Autor (ebd.: 122) nicht verlegen: „[estamos] en posesión de la verdad". Und denjenigen, die dieses Argument nicht überzeugt, gibt er (ebd.: 185) zu bedenken: „ha sido causa de nuestra civilización, porque nuestra civilización es superior a las otras". Der kühne Zivilisationsvergleich Valeras bezieht sich zwar hauptsächlich auf Asien, Afrika und das indigene Amerika, kulturelle Welten, denen gegenüber „los europeos muy por encima" anzusiedeln seien. An der Antwort auf die folgende Frage (ebd.) läßt sich jedoch, so vermeint Valera zu wissen, nicht zweifeln: „¿Hubiéramos progresado más siendo budistas, o judíos, o mahometanos [...]?" Ein drittes Argument, das sich aus dem redundanten, mit besonders zahlreichen Wiederholungen gespickten Aufsatz herausfiltern läßt, ist histori-

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scher Natur und auch in den bereits zitierten Texten omnipräsent: Die Intoleranz früherer Zeiten sei eine quasi natürliche Folge rauherer Sitten gewesen - und die habe es nicht nur in Spanien gegeben (ebd.: 157 f.): „Toda religión ha sido siempre intolerante con los demás, y mientras más rudo ha sido el pueblo que la profesaba, o más bárbara la época, mayor ha solido ser también la intolerancia." Deshalb sei auch jene Institution, die in den Augen der Radikalliberalen die Hauptverantwortliche der historischen Intoleranz war, die falsche Zielscheibe fiir ihre Attacken: „Repetimos [...] que esencialmente no es culpable la Iglesia de esta intolerancia." Und noch weniger (ebd.: 161) das katholische Credo als solches: „Nos parece haber probado que no era la intolerancia la esencia de nuestra religión, sino que nacía de ignorancia, de rudeza o de una crueldad hoy incompatible con la cultura." Und daraus gehe überdies hervor: „no hay motivo para asegurar, si bien se examina, que nuestra intolerancia ha sido superior a la de otros pueblos". Sieht man von den ethnozentristischen Prämissen und der fadenscheinigen Apologetik des Katholizismus einmal ab, dann nimmt sich Valeras Argumentationsduktus trotzdem noch relativ sachlich aus. Einen politisch-sarkastischen Ton nehmen seine Betrachtungen indessen in denjenigen Passagen an, wo von den Juden die Rede ist. Sie treten vor allem dort in Erscheinung, wo er über die möglichen oder eingebildeten praktischen Konsequenzen der proklamierten Religionsfreiheit spekuliert. So unterstellt er (ebd.: 165) den Befürwortern der Religionsfreiheit vor allem eine „razón práctica", nämlich „atraer a España extranjeros". Und in dieser Frage versteht er augenscheinlich keinen Spaß: „Este pensamiento de atraer a España extranjeros por modo de la libertad de cultos, tiene, sin duda, algo de cómico, y se presta a las burlas, sobre todo cuando se trata de que vengan los judíos para que concurran a nuestra prosperidad y a nuestra riqueza." Hier nun, in großer zeitlicher Distanz zu der jüdischen „Glorie" des Mittelalters, verschafft er sich Luft - der Antisemitismus Valeras, 10 dürftig drapiert mit den billigsten Klischees: „Si de lo que necesitamos es de gente laboriosa, dada a los trabajos mecánicos o industriales, los judíos son quienes menos falta nos hacen. Son inteligentes y poco trabajadores, menos trabajadores que nosotros, menos aptos para cualquier faena material; acaparan y atraen a sí la riqueza, pero no la crean. Son grandes músicos, poetas, filósofos y banqueros, 10

Auch in den Briefen an Menéndez Pelayo hat Valera seinen Antisemitismus ventiliert. So spricht er etwa (1946: 380) von Leuten, „que son tan ricos como archijudíos" Resentiments, die sein Briefpartner wahrscheinlich teilt, wenn er sich (ebd.: 496) in ähnlicher Diktion über „el judío ese" ausläßt.

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pero no fabricantes y agricultores." Wenn es darum geht, diese „Ausländer" von den spanischen Grenzen fernzuhalten, dann läßt Valera alle Nuancen beiseite Nuancen, die vor allem seine historischen Betrachtungen enthalten, und geriert sich (ebd.: 174) als glühender Anhänger des Katholizismus, der Quintessenz der Hispanidad: „el alma de España, como nación y como Estado, ha siglos que es católica. Nuestros más grandes empresas se han llevado a cabo en nombre y en pro del catolicismo. [...] Y, a la verdad, no comprendemos para qué se ha de desechar todo esto, se ha de renegar de todo esto; no vislumbramos la razón ni el motivo." Dennoch fällt sein Verdacht u. a. auf die Juden: „¿Será para que no se escandalicen, ni se disgusten, unos cuantos protestantes y unos cuantos judíos, y acudan a España a hacernos ricos y felices?" Wenn Valera „las excelencias del Catolicismo" (1946: 448) durch Juden und Protestanten in Gefahr wähnt, verliert er, wie es scheint, auch das Interesse an sinnlichen Freuden, die, wie er (ebd.: 72) in einem Brief aus der spanischen Provinz an Menéndez Pelayo insinuiert, ihre Heimstatt offensichtlich nicht unbedingt in Spanien haben: „Aquí no hay Hipatias, ni Lydias, ni judías elegantes con quien tratar. No hay más que cristianas católicas, feas por lo común y poco asadas." Jenseits privater Bekenntnisse von Mann zu Mann schlägt Valera indessen andere Töne an, die, wenn auch unfreiwillig, einige humoristische Elemente in den Aufsatz (1928: 199 f.) über Religionsfreiheit integrieren: „Otra acusación contra el catolicismo ha sido la de que, por su desprecio y aborrecimiento al cuerpo, ha hecho sucios a los hombres". Diese Behauptung sei jedoch falsch, da nicht der Katholizismus als solcher unhygienisch gewesen sei, sondern „todos los hombres en edades más rudas". Er beschließt seine Betrachtungen zu diesem Thema mit den Bemerkungen: „Si la carne es un enemigo del alma, no se entiende por la carne el cuerpo, sino los instintos depravados y los bestiales apetitos que pueden nacer en él, y que nacen más fácilmente y con más brio en cuerpos poco lavados que en cuerpos limpios. ¿Quien va a buscar la castidad y la pureza en los cerdos?" Von solchen unfreiwillig humoresquen Einlagen abgesehen, die freilich ein zentrales Thema der trikulturellen Erótica Hispánica und deren Gegenwartsbedeutung berühren, geht es Valera in seinem Aufsatz über Religionsfreiheit im Kern um eine Versöhnung diametraler Positionen: „Los que buscamos y queremos la reconciliación, los que somos liberales y católicos a la vez", formulierte er (ebd.: 197) diese Absicht auch ganz wörtlich, „debemos probar que ni es de la esencia del liberalismo el ser impío, ni de la esencia del catolicismo el repugnar

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la civilización y el progreso." 11 Und die - zeitgenössischen - Juden, so wünschte sich Valera, sollten in einer derart versöhnten Nation auch weiterhin ante portas bleiben. Dem folgenden Satz eines Briefes an Menéndez Pelayo aus dem Jahre 1894 (1946: 505) ist deshalb nichts hinzuzufügen: „Añado que yo soy tan reaccionario como usted o más".

2. „Pathologischer Antisemitismus" und Maurophilie: Pedro Antonio de Alarcón Valeras ,Generationskollege' Pedro Antonio de Alarcón (1833-1891) hätte der zitierten Selbsteinschätzung sicher mit Freuden zugestimmt: Im ,ranking der Reaktionäre' könnte er im Vergleich zu Valera sogar einen vorderen Platz beanspruchen - vor allem mit Blick auf das hier untersuchte Thema. Dabei gab sich der talentierte Stilist in frühen Texten zunächst durchaus tolerant. „Ver a Toledo", schrieb er während seines ersten Besuchs der „vetusta ciudad imperial" (1954: 1186 f f ) , „es leer a un mismo tiempo la historia de España". Damals, im Jahre 1858, schien diese Geschichte aus der Sicht des jungen Reisenden noch eine Geschichte im Plural zu sein, eine, in deren Architektur „todos los invasores de España" ihre Spuren hinterlassen hätten - Spuren, die darauf schließen ließen, daß alle „Invasoren" dazu beigetragen hatten, „sie zu bereichern". Neben Römern und Arabern rechnete er damals auch die Juden zu denjenigen, die zum Glanz der Stadt beigetragen hätten - vielleicht sogar als deren Gründer: „Su fundación, perdida en la noche de la fábula, como todo lo épico, es para unos obra de Hércules, para otros se remonta a la fuente de los días auténticos; al pueblo judío." Von dem „pathologischen Antisemitismus" (Macías Kapón 1994: 348), der sich nur knapp zwei Jahre später, während seiner Teilnahme am Kolonialkrieg in Nordafrika, in schrillen Tönen artikulierte, ist hier noch nichts zu spüren. Hier ist nur von „las perlas y los diamantes acumulados por los ju1

'

Es versteht sich daher fast von selbst, daß er in dieser Frage nicht gut auf Freidenker wie Pérez Galdós zu sprechen war. Letzteren lobt er (1946: 32) zwar im allgemein e n - und ohne ihn bislang (1878) gelesen zu haben - als „fecundo y celebrado novelista"; ,präzisiert' aber (ebd.: 59) schon ein Jahr später: „Estoy conforme con todo lo que usted dice de Pérez Galdós, aunque soy menos indulgente que usted con los novelistas que se proponen demostrar tesis y entubiar la limpieza del arte con propósitos segundos y de propaganda, y más si son tan aviesos y malnacidos como los de Galdós, hombre de indisputable talento, pero echado e perder por la clerofobia progresista de bas étage."

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dios" die Rede, die das Toledaner „museo de maravillas" einst in seinen Mauern geborgen habe - durchaus zum Nutzen der Stadt. Ihre mittelalterlichen Könige, „los grandes Alfonsos, amparo de los errantes judíos", die den jüdischen Beitrag zur kulturellen Blüte Toledos gern akzeptiert hätten, blieben von jeglicher Kritik verschont. Bei dieser Sicht der Geschichte sollte es jedoch, wie angedeutet, nicht lange bleiben. Die Judenporträts, die der Autor des marokkanischen

Kriegstagebuches

rund zwei Jahre später veröffentlichte, sind abgefeimte Klischees, die, was die Generation von 1868 angeht, nur noch von Emilia Pardo Bazán übertroffen wurden. Im Unterschied zu dieser springt Alarcóns Maurophilie allerdings wesentlich stärker ins Auge - eine Maurophilie, die sich häufig im direkten Kontrast zu seinen antisemitischen Judenbildern artikuliert und sorgsam zwischen den idealisierten Mauren der Vergangenheit und den rassistisch verunglimpften Feinden der Gegenwart unterscheidet. Kurz bevor sich Alarcóns kolonialer Blick rassistisch verzerrte, stellte er in der kurzen Erzählung 12 Una conversación en la Alhambra unter Beweis, daß er sich als Erbe der Romantik fühlte. In dieser conversación13 schildert ein fiktiver Icherzähler (1974: 971) die Begegnung mit einem „gallardo personaje [...] de notable estatura [y de] traza y dibujo de oriental, o sea semítica". Ort der Begegnung ist Granada, „la gran ciudad morisca" (ebd.: 970), während der CorpusChristi-Feierlichkeiten, „con que se celebra y conmemora en aquella ciudad, no solo el Misterio de la Eucaristía, sino también la expulsión de los moros por don Fernando y doña Isabel". 14 Wie die positive Charakterisierung des Unbekannten und der „gran ciudad morisca" 15 bereits andeuten, scheint der Erzähler zumindest dem zweiten Motiv der Feierlichkeiten, der Vertreibung der Mauren, kritisch gegenüberzustehen. In der Tat ist er bestrebt, ein positives Bild des islamischen Einflusses in Spanien zu zeichnen, wie der folgende Dialog (ebd.: 973) der beiden Konversationspartner suggeriert: „ - ¿Por qué derriban esto? / Inspirábale tal 12

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14

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Immerhin war Alarcón, wie er schreibt (ebd.: 834 f.), auch mit einem Fotoapparat ausgerüstet, den er wegen technischer Schwierigkeiten und ungeeigneten Wetters aber kaum einsetzen konnte. Der Herausgeber der Novelas Completas bezeichnet den vorliegenden Text, der in der Ichform erzählt wird, interessanterweise als „artículo" (1974: 970) und weist darauf hin, daß dieser lediglich „algunos meses antes de declarar España la guerra a Marruecos" geschrieben worden sei, also von 1859 datiere. Interessant ist auch diese Formulierung: Das zitierte Königspaar stand zwar an der Spitze der Eroberer von Granada; die offizielle Ausweisung erfolgte indes erst 1609 während der Regentschaft von Ferdinand III. An anderer Stelle (ebd.: 972) figuriert die Stadt gar als „la Jerusalén de Occidente".

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pregunta la circunstancia de haber unos andamios en torno del templete y hallarse por tierra algunos fragmentos de su techumbre. / - No lo derriban ... - le constesté

sino que lo reconstruyen. / - ¡Lo reconstruyen! ¡Conque los españo-

les amáis la Alhambra! - exclamó asombrado el raro personaje. / - ¡La amamos sobre toda ponderación! - le respondí." Wie das folgende Lamento des Unbekannten, der sich schließlich als „último zegrí" zu erkennen gibt, anzudeuten scheint, beschränkt sich die angebliche Wertschätzung des islamischen Erbes in Spanien aber tatsächlich nur auf die Alhambra. Denn ihre Erbauer, beklagt sich deren nobler Nachfahre (ebd.: 974 f.), würden noch immer als afrikanische Fremdlinge betrachtet: „ - ,Si; yo soy africano; yo soy Aben-Abdul, ¡el último de los zegríes! - continuó aquel ser novelesco. / ,Digo mal: yo soy tan español como tú; yo soy un granadino desterrado; yo soy de raza proscrita'". Die Klage, die sich rasch zur Anklage steigert, richtet sich nicht nur gegen die falsche Unterscheidung von „Spaniern" und „Afrikanern", sondern auch (ebd.: 975) gegen die Vertreibung und ihre Folgen: „'Sois africanos - les dijisteis (¡cuando llevan España!) - , y los echasteis de esta tierra; los arrojasteis al mar. [...] De aquí es que siete siglos de vivir en nosotros, los hijos de aquellos príncipes desheredados, volvamos mal por mal, pillaje por pillaje, hierro por hierro, infamia por infamia." Die christliche Vertreibungspolitik und das Vergessen, dem die maurisch dominierte Epoche anheimgefallen sei, empfindet der Kritiker um so erstaunlicher, als es seine Vorfahren gewesen seien, die die Halbinsel zivilisiert hätten: ,„Nosotros, al pasar por España'", nimmt er (ebd.: 975) gewissermaßen die Mauren-Hommage Américo Castros vorweg, „,1a mejoramos, la civilizamos, la sacamos de la barbarie. Médicos, poetas, botánicos, arquitectos, filósofos, industriales, agricultores, todo lo fuimos en vuestro país. El arte y la ciencia pueden estarnos agradecidos: la humanidad nos debe un voto de gracias." Der Abkömmling des letzten maurischen Adelsgeschlechts der Halbinsel beendet (ebd.: 976) seine mehrseitige Evokation der historischen Ereignisse mit einer geradezu fulminanten Attacke auf den Status quo: „,Ahora bien: cristianos,

filántropos,

pro-

pagandistas, negrófilos, ¿qué habéis hecho por mis padres y mis hermanos?" Am Ende (ebd.: 976) dieser conversación

zeigt sich der fiktive Gesprächs-

partner des Mauren zwar keineswegs gekränkt - „Yo le estreché la mano con verdadera ternura" - , scheint aber immerhin anzudeuten (ebd.: 978), daß die beschriebene Sicht der Dinge in Spanien alles andere als selbstverständlich ist: „¿Había yo soñado? Estaba despierto? / ¿Para qué decíroslo? ¿Hay, por acaso, tanta diferencia entre el sueño y la realidad?" Das nur wenige Monate später

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geschriebene Diario de un testigo de la guerra stellte unter Beweis, daß dieser Unterschied tatsächlich groß war - unüberbrückbar groß. Im Rahmen des hier untersuchten Textkorpus nimmt dieses Tagebuch

aus

mehreren Gründen eine exponierte Stellung ein. Erstens durch seine enthusiastisch-schrille Kriegsrhetorik, deren aggressive Daueremphase den Kolonialfeldzug zu einem romantisch-poetischen Ereignis mystifiziert. Zweitens, und eng mit dem ersten Punkt verbunden, ergeht sich Alarcón in einer extrem chauvinistischen Spanienpropaganda, die den Krieg gegen „den moro" zu einer Frage der nationalen

Ehre stilisiert. Dabei veranschaulicht das Tagebuch par

excellence

die häufig konstatierten Aporien spanischer Autoren, nämlich den kolonialistischen Blick auf den Anderen mit den romantischen Reminiszenzen des guten Mauren in Einklang zu bringen. Drittens liefert der Autor ein Paradebeispiel für die ebenso häufig konstatierte Dichotomie - relativ - guter Mauren und böser Juden. Viertens hat das Tagebuch offensichtlich eine besonders steile Rezeptionskarriere erlebt, die seinen chauvinistisch-rassistischen Inhalt ausgesprochen gefährlich machten: „este Diario es hasta hoy la única circunstanciada y completa de la Guerra de Africa", schrieb Alarcón (1954: 833) selber 20 Jahre nach seinem Erscheinen dazu in wohl realistischer Selbsteinschätzung, „y que en todo tiempo tendrán que consultarlo y seguirlo los verdaderos historiadores". Noch in diesem Vorwort von 1880 läßt der Autor (ebd.: 28) seiner Kriegsbegeisterung freien Lauf: Eine „explosión de júbilo y entusiasmo" habe der schriftstellernde Kriegsfreiwillige empfunden, „cuando declaró al fin España la guerra al ensorbecido Imperio de Marruecos". Im Diario

selbst figuriert das

Kolonialmanöver als „teatro de la guerra", das „el miedo a la paz" (sie) endlich beendet und die sehnlichsten Wünsche der Spanier befriedigt habe: „¿Cuándo vengaremos la sangre derramada? ¿Cuándo ayudaremos a nuestros nobles compatriotas? ¿Cuándo moriremos o triunfaremos como ellos? ¡Hoy, hoy es el suspirado día!" Kein Opfer für das geliebte Vaterland, „el adorado suelo de España" (ebd.: 839), ist dem Kanonentroubadour zu groß: „Si nuestra vida es precisa para alcanzar la victoria, el sacrificio está ya aceptado. - Nada importa un hombre más o menos, con tal que viva y triunfe la patria de todos. - ¡Morir!" Aus Mangel an geeigneten Schlachtengemälden bemüht sich der Verfasser des Diario um bildhafte Plastizität: „Muchos de los nuestros vienen heridos; muchísimos han caido muertos ... ¡Pero de los que vuelven" (ebd.: 962), schreibt er nach einigen Wochen, „ni uno solo ha dejado de verter sangre africana! Todas las espadas están rojas de sangre". Nur ein paar Zeilen weiter gerinnt ihm das Blut zur poetischen Botschaft: „¡Ah! ciertamente: ¡la guerra tiene su poesía peculiar: una

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poesía que sobrepuja en ciertos momentos a todas las inspiraciones del arte y de la naturaleza." Das Ende dieser „romántica campaña" (ebd.: 1051) ist nicht nur von einem militärischen Sieg gekrönt - „¡Victoria! ¡Victoria! ¡Dios ha combatido con nosotros! [...] ¡Regocijaos, Españoles!", (ebd.: 974) - , auch an der heimischen Propagandafront sollen die verbalen Geschosse des Schriftstellers in Uniform zielgenau einschlagen (ebd.: 1075): „procuraré, en fin, inflamar más y más, si esto hubiera sido posible, el entusiasmo del pueblo [...] Hoy creo [...] que nuestra misión en Africa está cumplida". Die Konquistadoreruiation, so der hymnische Schlußakkord (ebd.: 1077) der mehrhundertseitigen Kriegshommage, hat wieder zu sich selbst gefunden: „¡Oh! ¡España ha vuelto a ser España! ¡La raza de Hernán Cortés y de Gravina reaparece sobre la escena!" So weit die allgemeinen

Beispiele der donnernden Kampfprosa. Ähnliche

Beispiele einer violenten Kriegsrhetorik finden sich zwar auch anderswo - in der Version von Ernst Jüngers Stahlgewitter sind sie auch dem deutschen Leser nicht unbekannt. Im Unterschied zum bellizistischen Credo nichtspanischer Autoren ist die enthusiastische Kanonenpropaganda Alarcóns jedoch besonders stark in nationale Traditionen eingebettet. Wie der Hinweis auf Cortés bereits erkennen läßt, zunächst in die Tradition des spätmittelalterlichen Konquistadorengeistes: „no fué mero deseo de cumplir una peregrinación romántica lo que me llevó a soñar de nuevo con la cercana Morería", heißt es programmatisch gleich zu Beginn (ebd.: 832), „fué el convencimiento de que en Africa estaba el camino de aquella verdadera grandeza nacional que los españoles perdimos por resultas del descubriemento de América y del casamiento de la Hija de los Reyes Católicos con un Príncipe de la casa de Austria". Dementsprechend bilden die Bezüge auf die glorreichen Ereignisse der nationalen Geschichte eine Konstante in dem voluminösen Textkorpus des Diario: „Esto recuerda en cierto modo", lautet eines der vielen Beispiele (ebd.: 891), „la batalla ganada á los Moros por el cadáver del Cid, montado sobre su huérfano Babieca." Die mittelalterliche Legendengestalt ist dem Autor personifizierter Beweis für eine seiner tiefsten Überzeugungen (ebd.: 927): „El espíritu de conquista es innato en los expañoles". Der Krieg gegen den Moro, hier die Einnahme Tetuans, darf deshalb als ein Geschenk Gottes verstanden werden - um der Welt zu zeigen, daß der heroische Geist des Cid eine Renaissance erlebt: „¡Feliz la generación que asiste a esta vuelta de nuestras antiguas glorias! El día de hoy, para sumarse o hallar consonancia, busco otros días análogos en apartados tiempos, y a su vivo fulgor se divisan", so die Evokation der historischen Heldengalerie (ebd.: 991), „los muros de Nápoles, de Orán, de Bruselas, de Pavia, de San Quitín, de Méjico, de Roma,

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de Breda y de otras mil y mil ciudades tomadas por nuestros ilustres antepasados." Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht nur darum, dem Glorienschein vergangener Zeiten neuen Glanz zu verleihen - im Krieg gegen den Moro, schärft der Autor (ebd.: 1033 f.) seinen Lesern mehrfach ein, geht es um mehr: „Nosotros hemos venido a Africa a cobrar una antigua deuda de honra; a hacer comprender a los Marroquíes que no se insulta impunemente el nombre español; a demostrar al mundo que aun sabemos morir por nuestro decoro". Die Evokation der Geschichte, die historische „Schmach" der maurischen Invasion und ihre rund achthundertjährige Präsenz auf der Halbinsel, ist denn auch allgegenwärtig (ebd.: 1001): „Mi imaginación se transportó de nuevo a los antiguos tiempos, y, con virtiéndome de actor en espectador, creía encontrarme [...] en Granada, cuando la tomaron los Reyes Católicos". Die historischen Obsessionen Alarcóns und sein triefender Ethnozentrismus bieten auch Beispiele einer unfreiwilligen

Selbstparodie, wie sie in dem folgenden Vergleich (ebd.: 1006)

anklingt: „El arte, pues, los oficios, las costumbres, todo lo que se refiere a la vida de los Moros, sigue en aquel statu quo que constituye la esencia de su civilización. ¡Nada ha variado! ¡Nada ha progresado! ¡Nada ha cambiado, ni en la materia ni en la forma! Visitar hoy a Tetuan equivale a ver a Córdoba en el siglo XIII." Vergegenwärtigt man sich, daß Córdoba noch 1236, als die Stadt von Ferdinand III. erobert wurde, einen erheblichen Teil ihrer Urbanen und kulturellen Leuchtkraft der Zenitepoche besaß, dann müßten sich die Bewohner Tetuans, deren Stadt Alarcón beschreibt, über diesen Vergleich sicher gefreut haben. Und noch mehr über das folgende (ebd.: 1004) Kompliment: „Tetuan [...] un nido de Moros; una resurrección de la antigua Granada." Wie groß die Schmach, die „antigua deuda de honra", trotz des militärischen Sieges von 1492 in den Augen des Diario-Autors

noch immer war, illustriert zu-

nächst die Batterie von Schmähvokabeln, die dem militärischen Feind gewidmet ist. In diesen Begriffen kommt zwar zugleich ein rassistischer Ethnozentrismus zu Wort, wie er auch anderswo, zum Beispiel in der Beschreibung der .inferioren' Kulturen Lateinamerikas, gang und gäbe war; ihr historischer Resonanzboden - die projektionsgeladenen Schlachtfelder der Reconquista - ist im Kontext der omnipräsenten Geschichtsrhetorik freilich unübersehbar. Der Feind figuriert u. a. als „la fiera" (ebd.: 846) mit monsterhaften Zügen: „¡La fiera rugía allá, en el vecino monte, encolerizado al mirarnos remover la cama en que por tanto tiempo calentó a sus cachorros." Die propagandistische Vertierung des Feindes ist kein verbaler Ausrutscher. Seine systematische Entmenschlichung

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macht ihn zum Schlachtvieh, seine unkontrollierbare Wildheit erhöht die moralische Abschußprämie. Hier (ebd.: 914) ist es ein noch junger „hijo de lobos", der, seinen blutrünstigen Instinkten gehorchend, „derramaba su sangre sin reparar en ello". Dort (ebd.: 962) ist es „una jauría de Marroquíes", denen sich die guten Jäger gegenübersehen (ebd.: 868) - „los nobles soldados del Evangelio, los mantenedores de la civilización, los heroicos hijos de la inmortal Iberia". Eine andere Gruppe von Kampfvokabeln nimmt den religiösen Feind ins Visier: „Los sectarios de Mahoma" (ebd.: 867), „los enfieles" (ebd.: 878), „las huestes africanas" (ebd.: 888) und immer wieder (ebd.: 1013) „las hordas moras", deren historische Suggestivkraft semantischen Artefakten gleicht. Mögen die diffamatorischen Hetzvokabeln noch als logische Folge des Propagandakrieges in der Etappe eingestuft werden, so lassen die Betrachtungen des ,Ethnologen' Alarcón nur den Schluß zu, daß seine Charakterisierungen des Feindes auch in Friedenszeiten kaum anders ausgefallen wären: „fierra feroz, que se me presenta tapada por cerradas malezas como una bestia velluda; tierra maldita", richtet er seinen kulturgeographische Bannstrahl, der an Hegel gemahnt, auf ganz Afrika (ebd.: 841), „que llega a hundir su faz aun por debajo del nivel de los moros, mientras alza por otro lado sus gigantescas cimas a las regiones congeladas de la atmósfera; tierra deforme, donde la raza humana se afea y embrutece". So wie Ramón Sender (Rehrmann 1996: 259 ff.) ein knappes Jahrhundert später die fiktiven Bewohner des amazonischen Urwaldes zu einer monströsen Mensch-Natur-Kulisse zusammenfabuliert, so präsentiert auch Alarcón (1954: 854) die realen Bewohner Nordafrikas als ein unentwirrbares Mensch-Natur-Amalgam: „Cada mata, cada piedra vomitaba uno de aquellos seres fantásticos; los bosques se cuajaban de ellos; descolgábanse de las cordilleras cual copos de lana; surgían como niebla del fondo de los valles". Der Schriftsteller in Uniform läßt sich durch die phantastischen Gestalten indes nicht erschrecken, möchte (ebd.: 983) ihrer rätselhaften Existenz sogar auf den Grund gehen: „Yo quiero ver la población, las costumbres, los trajes, los ritos, las fisonomías de los Moros. Quiero hablarles; ser amigo de ellos [sie]; penetrar el fondo de su alma; sorprender el misterio de su extraña vida." Die Bilanz des Laienethnologen, der sich seinen Studienobjekten ohne (sie) kulturelle Scheuklappen nähert - „Yo vengo aquí como la generalidad de mis compatriotas, libre de prejuicios" (ebd.: 910) - , besteht aus einem grotesk-bizarren Mosaik rassistischer, ethnozentristischer Klischees, deren grobe Raster nur dort gewisse Schattierungen aufweisen, wo dem Autor romantische Reminiszenzen die Hand beim Schreiben führten.

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Geschichte als Politik Zur allgemeinen Bilanz zählt vor allem eine Art kultureller Abulie, eine

entwicklungslose Dauerstagnation: „Y es que en estos pueblos islamitas", lautet das kühne Pars-pro-toto-Verdikt (ebd.: 1005), „tan indiferentes al Progreso, tan enemigos de toda variación, nada cambia de forma, nada se altera ni modifica." Das Gefühl, ein historisches Standbild zu betrachten, überkommt Alarcón (ebd.: 990) ganz besonders beim Anblick von Tetuan, einer von der Geschichte vergessenen Stadt: „descubrir repentinamente una ciudad subterránea, ignorada por los geógrafos y arqueólogos, y habitada por gentes incomunicadas siglos y siglos con el resto de los humanos." Der Autor beeilt sich indes hinzuzufügen, daß es sich dabei nicht um eine Zufallslaune der Geschichte handelt: „¡Ya estoy otra vez en el mundo!", so seine - gedämpfte - Freude (ebd.: 991) über das Ende eines mehrwöchigen Lagerlebens, „Pero ¡en qué mundo! ¡En un mundo no civilizado! ¡En el mundo islamita!" Unterhalb ethnozentristischer Generalverdikte der zitierten Art wird der projektive Blick des Beobachters von einem buntscheckigen Gemisch aus literarischem und legendenhaftem Vorwissen geleitet. Zu ersterem zählen die omnipräsenten Bezüge auf die romantische Maurenliteratur, die hier und da mit Allusionen auf entsprechende Themenaspekte in der Literatur des Siglo de Oro vermischt werden. Zum literarischen Zitatenschatz gehört etwa Chateaubriand (ebd.: 922): „Mas ¿qué dudo? ¿Visteis a Granada desde las alturas de Fajalanza? ¿Leísteis, a lo menos, El último Abencerraje

y la descripción que hace allí

Chateaubriand de la Damasco de Occidente? ¡Pues Tetuan es Granadal"

An

anderer Stelle (ebd.: 1047) ruft ihm die „sombrío y pavoroso"-Gestalt eines „mulato pálido" den bekannten Romantiker in Erinnerung: „Lord Byron, en sus más tenebrosos poemas, no imaginó figura tan romántica ni tan espantosa." Nirgendwo wird die Optik der literarischen Gewährsmänner hinterfragt, nahezu durchweg (ebd.: 1025) wird die Fiktion zur Realität: „Las mismas o muy semejantes palabras había yo leido en el Gonzalo de Córdoba de Florián, en Matilde o Las Cruzadas, en Chateaubriand, en Lord Byron, en Calderón, en Zorrilla ... ¡Oh! ¡Cuántos dramas y novelas, cuántos poemas y romances he visto realizados, animados, vivos, desde que pisé esta tierra de Africa!" So darf man den poetisch gestimmten Autor durchaus beim Wort nehmen, wenn er (ebd.: 997) bekennt: „¡La ciudad [Tetuan, N.R.] que yo miraba no era aquella que se extendía bajo mis pies, sino la ciudad de mis recuerdos, la de mi soñadora fantasía, la de mis amores de poeta!" Den spanischen Autoren der Romantik, die meisten waren noch am Leben, dürfte diese Huldigung gefallen haben: Hier waren ihre Fiktionen zur Realität geworden.

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Obgleich die meisten Bezüge auf die Literatur kein ausgesprochen maurophiles, idealisiertes Credo erkennen lassen, hier und da 16 sogar im Geiste bekannter mata moros-Apostel

geschrieben sind, weisen die literarischen Projek-

tionen doch zugleich - leicht - idealisierte Maurenbilder auf. Das gilt auch für ein weiteres, mit der Literatur verwandtes Element des Vorwissens, nämlich die recht vagen, legendenhaften Geschichtsbezüge, mit denen das Diario (ebd.: 832) im übrigen beginnt: „Nacido al pie de la Sierra Nevada, desde cuyas cimas se alcanza ver la tierra donde la morisma duerme su muerte histórica; hijo de una ciudad que conserva clarísimos vestigios de la dominación musulmana [...]; amamantado con las tradiciones y crónicas de aquella raza que, como las aguas del Diluvio, anegó a España [sie] y la abandó luego, pero dejando en montes y llanuras señales indelebles del cataclismo". Artikuliert Alarcón in der finsteren Naturmetaphorik obiger Zeilen eher eine negative Erinnerung, wenn auch immerhin eine, die die historischen Spuren nicht einfach eskamotiert, so findet er an anderer Stelle (ebd.: 996), die zufällig ein Friedhof ist, auch positive Worte für den historischen Feind: „Por lugar tan sagrado subíamos nosotros, indiferentes y sacrilegos, saltando de tumba en tumba, escalonándolas materialmente, y haciendo sonar sobre sus losas el regatón de nuestras espadas. A este rumor de armas extranjeras, de aceros cristianos, debieron de estremecerse en su eterno lecho las pasadas generaciones tetuaníes, los nobles Moros que nacieron en Granada y vinieron a morir en esta tierra". Der temporäre Enthusiasmus, den der Autor bei seinen Evokationen der poetisch-legendären

Geschichte der mittel-

alterlichen Mauren empfindet, gilt ausnahmsweise auch den lebenden Nachfahren; allerdings nur dann, wenn sie, wie den Sepharden häufig nachgesagt wird, „Spanienliebe" erkennen lassen: „Y tú no me negarás - repliqué yo - que los Moros nos aborrecéis porque recordáis que estuvisteis siete siglos en España, de la cual os eréis injustamente desposeídos." Die Antwort (ebd.: 895) scheint den Autor mit Genugtuung zu erfüllen: „¡Oh! ¡Granata! - dijo Omar de la manera que lo escribo - . ¡Granata! ... De allí venimos nosotros." Einmal ( v e r fuhren die „mil recuerdos de escenas semejantes, consagradas por la Historia o por la Poesía" (ebd.: 998) den christlichen Hardliner sogar zu einem historischen Bekenntnis, das in der spanischen Literatur des 19. Jahrhunderts nicht häufig anzutreffen ist: Den - wenn auch recht vagen und einseitigen - Hinweis auf die mittelalterliche Convivencia. Den Anlaß (ebd.: 1035) bildet eine religiöse Zere-

16

Etwa einem martialischen Zitat (ebd.: 974) von Herrera bei der Einnahme Tetuans: „pagará de africana sangre el censo."

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monie in der Moschee von Tetuan, die von spanischen Soldaten gegen neugierige Störer der eigenen Truppe geschützt worden sei: „Esta tolerancia de un caudillo español victorioso no puede menos de recordarme otros tiempos y otros héroes, y las atrocidades cometidas en nombre de Dios contra Judíos, contra Moriscos y contra Hugonotes". Ganz sicher, daß damit auch die spanische Geschichte gemeint ist, kann der aufmerksame Leser des Diario freilich nicht sein. Denn die religiöse Intransigenz, die einige seiner Anti-moro-Schlachtrufe aufweisen, verrät nur eine sehr geringe historische Sensibilität: „¡Adelante, por Cristo y Santiago!", feuert er (ebd.: 912) seine Mitkombattanten unter Berufung auf das orthodoxeste Aushängeschild des christlichen Fanatismus des Mittelalters bei der nächsten Gelegenheit an. Bei einer anderen (ebd.: 974), der siegreichen Einnahme Tetuans, zeigt er sich genausowenig wählerisch: „¡Echad las campanas a vuelo! [...] despertad de su sueño eterno a los once Alfonsos, a los Sanchos y Fernandos, a Isabel la Católica y a Cisneros, al Cid y a don Juan de Austria". Daß zumindest einige der zitierten „Alfonsos" gegen ihre bedingungslose Aufnahme in den mata moros-C\ub Bedenken angemeldet hätten, mag man dabei der dichterischen Freiheit des Autors (ebd.: 834) zugute schreiben: „¡Lo que yo experimenté al ver pendiente de mi costado la espada de Toledo, no es para dicho así como quiera! Los poetas de corazón que lean estas líneas podrán adivinarlo fácilmente." „Hasta aquí el poeta." - So lassen sich die Indizien einer spärlich romantisierten Version der Geschichte mit des Autors eigenen Worten (ebd.: 842) paraphrasieren. Denn die Beschreibungen der zeitgenössischen Bewohner, vor allem der Bewohnerinnen der eroberten Stadt Tetuan, haben nichts mehr mit den „noblen moros" zu tun, deren Spuren der gemäßigt romantisch gestimmte Betrachter hier und da zu sehen meinte. Frei vom historischen Nebel, verwandelt sich „la esfinge sarracena" (ebd.: 910) zwar nicht in die „Bestie" des militärischen (mittelalterlichen) Feindes, aber doch in einen kulturellen Underdog, dessen negative Merkmale nur noch von den Juden der Stadt übertroffen werden. Neben der allgemeinen, weiter oben illustrierten Geringschätzung der islamisch-arabischen Kultur in toto fällt auf, daß auch die meisten Detailbeschreibungen kaum über die bekannten ethnozentrischen Topoi hinausgehen: „Aparte de los mismos Moros, de sus trajes y fisonomía, de su aspecto exterior y manera de combatir", so lautet einer dieser häufigen Generalverdikte (ebd.: 910), „nada hemos encontrado que nos sorprenda y maraville, sino montes desiertos y algún que otro Morabito arruinado. Los hogares, los muebles, las costumbres, los niños, las mujeres, las tierras cultivadas, la religión, la industria, la mayor o

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menor civilización de estas gentes, su vida, en fin, es aún para nosotros un secreto." 17 Der ob der Wirklichkeit enttäuschte Leser romantischer Legenden zeigt sich selbst dort gründlich desillusioniert, wo er genauer hingesehen hat: Auch „las esfinges sarracenas", jene geheimnisvollen Schönheiten aus Tausend und einer Nacht, existieren nur als evozierte (ebd.: 1027) Legenden: „Aún no hemos pasado de los patios de esta masión moruna, y ya pensamos en mujeres. ¿Cómo no, si la arquitectura árabe es hija del amor; si esta manera de disponer y adornar las casas ha sido inspirada por el deseo; si este aire está todavía impregnado de los perfumes del harén". Der Blick auf die Wirklichkeit bietet dagegen fast nur zeitlose Tristesse: „Luego percibo una mujer, medio vestida con chilaba blanca y turbante del mismo color [...]. ¡Oh, desencanto ! ¡La Odalisca es negra! ¡No podía darse", so der unverblümte Rassismus des Harembesuchers (ebd.: 1028), „mayor descracia". Der Einzelbeobachtung folgt auch hier die Verallgemeinerung auf dem Fuße: „¡Al fin, al fin entreveo el misterio de la vida agarena! Esta es la mujer de Oriente; éste, el innoble cuadro de la familia musulmana. Una joven prisionera y ociosa [...] silencio, soledad, perfumes, sueño, placeres y tristezas confundidos; suspiros, cantos y sollozos que nadie oye ni compadece". Wenig später (ebd.: 1031) trifft er auf „tres Moras, o, por mejor decir, tres fantasmas": „Llevaban la cara tapada con una especie de toca, rasgada horizontalmente a la altura de los ojos. Vestían de blanco, y se parecían a aquellos penitentes que aún salen en nuestras procesiones de Semana Santa." Wäre der Hinweis auf die Bußfertigkeit der spanischen Frauen kritisch gemeint, dann könnte man dem Lamento über die eingesperrten und verschleierten Frauen Tetuans in einigen Punkten sicher beipflichten, obwohl ein Blick hinter

den

Schleier sicher ein differenziertes Bild ergeben hätte. Der folgende (ebd.: 939) Vergleich macht es indes zur ungewollten Satire: „Las pobres moras ... ¡Quizás habían oído hablar de que, a la opuesta orilla del Metiterráneo, la mujer era más libre, más querida y respetada, y soñaban con escapar de la tiranía de sus actuales esquivos dueños!" Nur einmal bekommt er - „a respetable distancia" 17

Den einzigen, zumindest halbwegs positiven Eindruck, den der Kolonialschriftstell e r - wie übrigens rund sechzig Jahre später sein Landsmann und Genrekollege Giménez Caballero - mit nach Hause nimmt, ist ein Besuch bei einem reichen, gebildeten und kosmopolitischen Araber und dessen beiden Söhnen. Positiv fällt dieser Eindruck aber nicht allein wegen der noblen, weitläufigen Erscheinung der Gastgeber aus (ebd.: 1042): „han viajado por toda Europa y por Oriente; conocen a fondo las grandes cuestiones políticas que hoy conmueven el mundo, y confiesan que el Islamismo es ya un cadáver".

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eine hübsche Araberin zu Gesicht, eine Art Glücksfall, wie er (ebd.: 1066) bekennt: „Es el caso que yo me cuento entre los pocos, entre los poquísimos españoles que han visto en Tetuan una Mora bonita". Daß es sich dabei, was die Gründe betrifft, nicht um einen Mangel an Gelegenheiten handelt, sondern um einen Zustand sui generis, illustriert das folgende Zitat (ebd.: 1067), das derselben Schönen gilt: „De todo esto se desprende que yo echo dulces a mi vecina como pudiera echar pan a los patos. De lejos me parece un animal gracioso. De cerca me parecería un animal agradable. En niguna circunstancia podría parecerme una mujer." Mit einer ähnlichen Mischung aus rassistischer Superioritätsattitüde und projektiven Sexualphantasien, einem ideologischen Amalgam, das bei den Arabern beiderlei Geschlechts immer wieder (ebd.: 910) „indolentes posturas" und „voluptuosas danzas" registriert, richtet sich der Blick Alarcóns auch auf die jüdischen Frauen Tetuans. Während die Juden der Stadt - ein weiteres Kardinalthema des Diario - von dem verbohrten Katholiken insgesamt noch negativer dargestellt werden als die islamischen Bewohner, begegnet er den Jüdinnen auch als Mann. „Tal era Lía. Si me he complacido demasiado en su descripción", heißt es am Ende einer Hommage an die Reize einer schönen Jüdin (ebd.: 1012), „tened en cuenta mi empecatada edad y que llevaba ya mucho tiempo de no ver más que feroces guerreros, cadáveres y heridos, enfermos y moribundos. ¡Mi alma estaba, pues, sedienta de emociones dulces". Doch auch dieser Lobgesang auf die Reize einer Tetuaner Jüdin (ebd.: 1011), „sus ojos, en fin, voluptuosísimos, llenos de recuerdos y de promesas de placer", stellt eine Ausnahme dar. Von schwachen Momenten wie dem obigen abgesehen, weiß sich der katholische Autor sehr wohl zu beherrschen, oder hält es zumindest für opportun, seiner Leserschaft das ,wahre' Bild der Jüdinnen zu vermitteln, eines, das mit seinen sonstigen Ansichten über „la vileza" der Juden korrespondiert: „Las hembras llamaban, sobre todo, nuestra atención [...] y chocábanos que [...] hasta las mujeres hechas y derechas, estuviesen casi desnudas, especialmente de la cintura para arriba [...] Según he sabido luego", so die Erklärung, „tamaña desvergüenza es vicio inveterado de las Hebreas [...]. Por de pronto, la raza judía resultaba como yo me la había figurado ... ¡tal como me la habían descrito historiadores y poetas!" Dabei sei die erste Begegnung - möglicherweise die erste Begegnung von Spaniern und Sepharden in Marokko überhaupt - durchaus idyllisch gewesen: „¡Entrad pronto! ¡Entrad pronto!", berichtet der Autor (ebd.: 996) über die Reaktionen der Tetuaner Juden auf die Ankunft der spanischen Truppen, „¡Los Moros están penetrando por la otra puerta! ¡Vienen a matarnos! [...]. ¡Viva la Reina de

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España!" Die Überraschung, die die Spanier über die wortreiche Hispanophilie der Tetuaner Juden offenkundig empfanden, wird noch größer, nachdem sie (ebd.: 999) die Stadt betreten haben: „Más adelante empezaron a aparecérsenos flacas y pálidas mujeres o endebles y afeminados mancebos, vestidos con raros trajes de vivísimos colores. Eran Judíos apostados en los huecos de las puertas y en las esquinas de las calles para saludarnos al paso ... - ¡Bien venidos! ¡Viva la Reina de España! ¡Vivan los señores! - gritaban en castellano aquellas gentes; pero con un acento especial, enteramente distinto del de todas nuestras provincias." Ein gewisses Vorwissen besitzt der Autor indes auch hier (ebd.: 1000): „AI principio creí que aquellas palabras españolas las habían aprendido ayer para lisonjearnos; pero luego recordé que el castellano es el idioma habitual de todos [sie] los Judíos establecidos en Africa, Italia, y Alemania y otros países." Im Unterschied zur patriotischen Blindheit späterer Autoren, die sich durch die verbalen Spanienelogen zahlreicher Sepharden und deren Sprache geschmeichelt fühlten, registriert Alarcón (ebd.: 1000) in den Gesichtern der vermeintlichen Spanienenthusiasten „[una] falsa y aduladora sonrisa", eine Interpretation, die einerseits zwar den Projektionen des antisemitischen Blicks, andererseits aber auch den berechtigten Zweifeln der Sepharden an den lauteren Absichten und Einstellungen der kolonialen Soldateska geschuldet sein dürfte: „De qualquier modo", so der antisemitische Panzer, den ein Anflug von patriotischer Sentimentalität unerschüttert läßt (ebd.: 1000), „la alegría que siempre causa ver la lengua patria en suelo extranjero, se eclipsaba hoy al reparar en la vileza de las personas extrañas que así se producían". Der projektive Charakter von Alarcóns Judenporträts, sein ideologisch präformierter Blick, der, wie er mehrfach selbst bekennt, stets nur das sieht, was er sehen will, nimmt auch deshalb besonders groteske Züge an, weil das erklärtermaßen friedliche und freundliche Verhalten der Tetuaner Juden eigentlich kaum Anlaß zum Klagen gibt: „Por la Judería se puede andar a todas horas sin peligro alguno [...]. Los Hebreos", weiß er (ebd.: 1010) zu berichten, „son buena gente que no se mete con nadie." Der Jude bleibt dennoch der Ewige Jude, gibt er bereits ein paar Zeilen weiter zu erkennen (ebd.), und der, wie könnte es anders sein, ist ein reicher Jude: „sus arcas están llenas de dinero, [de] alhajas y [de] trajes suntuosos". Auch das Gottesmörderverdikt - „el descendiente de los que crucificaron a Jesús" (ebd.: 1063) - gehört zu seinem diffamatorischen Inventar. So nimmt es (fast) nicht Wunder, wenn auch Alarcón (ebd.: 1000), trotz seiner rassistischen Ausfälle gegen die Araber - die häufig konstatierte Dichotomie expressis verbis betätigt: „Yo los [die Juden, N.R.] comparé con el anciano Moro

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que más atrás habíamos encontrado, y conocí en seguida la profunda diferencia que hay entre raza y raza [...]. ¡Cuánta dignidad en el Agareno! ¡Qué miserable abyección en el Israelita!" Der kulturelle und religiöse Referenzpunkt liegt jedoch woanders, weshalb der Autor seine rassistische

Kulturkomparatistik

schließlich auf das Christentum ausweitet. Die eroberte Stadt, in der nun drei Religionen aufeinandertreffen (ebd.: 1008) - „una solemne entrevista de los tres Pueblos bíblicos" - , wird zu einer Art religiös-kulturellem Laboratorium, „cual si se hubiesen citado a través de los tiempos para darse cuenta de la eficacia de sus principios y de la dignidad que cada uno ha alcanzado sobre la tierra." Das Experiment fällt eindeutig aus, zunächst (ebd.: 1007) der jüdisch-sephardische Proband: „El decrépito Hebraísmo arrastra una vida nula, parásita, miserable". Im Vergleich zu „aquel monstruo parricida", gebührt dem „musulmán" noch ein gewisses Mitgefühl: „en la rabia de su impotencia, en su misantrópico aburrimiento vuelve su ira y su desprecio contra el Judío, más abyecto aún que él, más inútil y menguado". An den Ursachen für diesen Befund läßt der Autor nicht das Jota eines Zweifels. Sein religionskomparatistisches Finale verdient es, in voller Länge zitiert zu werden: „¡Oh, sí! El espectáculo que ofrecen Mahometanos y Hebreos es la prueba más evidente que pudiera alegarse de las excelencias de nuestra Religión, de los grandes bienes que ha reportado a la Humanidad, de la obra de Redención que cumple hace diez y nueve siglos. La dignidad humana, ya se considere en el individuo, ya en la sociedad, sólo puede alcanzarse bajo los auspicios del Evangelio. Por desconocer sus doctrinas, vive el Moro sometido a la tiranía de la fuerza bruta, entregado al capricho de poderes arbitrarios, sin noción de sus derechos, en el solitario abandono de un individualismo salvaje. Por haber cerrado sus ojos a la misma Luz, vive el Judío, proscrito y desheredado, sin Patria ni bandera, en grupos accidentales que nunca constituirán un pueblo, en aquella perpetua menor edad que relegan nuestras leyes al decrépito incapacitado, al criminal infame, al pródigo y al demente." Glaubt man den Worten Alarcóns (ebd.: 1033), dann fielen die rassistischen und antisemitischen Tiraden seines Diario in Spanien auf außerordentlich fruchtbaren Boden: „Los regocijos, las fiestas, las aclamaciones populares, las colgaduras, los himnos, las iluminaciones [...]. ¡Todo lo vió mi imaginación! ¡Todo lo agradeció mi alma! La Patria entera ha respondido a nuestros gritos de triunfo". Wenngleich die Wirklichkeit der Imagination des Autors auch nicht in toto entsprochen haben dürfte, so wohl doch in großen Teilen. Dafür spricht u.a., daß die verkaufte Erstauflage des Diario, nach Alarcóns (1974: 1178) eigenen Angaben, sage und schreibe 50 000 Exemplare betragen habe. Dafür

Geschichte als Politik

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spricht auch die folgende Angabe (ebd.): „La segunda prueba material que tuve del éxito del Diario de un Testigo, fue que, el día que salí de Tetuan para España, me vi obligado a quemar más de veinte mil cartas de personas para mi desconocidas, quienes me habían escrito desde todos los ámbitos de la Nación, hablándome de la guerra y de mi obra en términos tan semejantes, que sus cariñosas epístolas parecían copias de un solo original, redactado por el amor patrio." Stellt man in Rechnung, daß ein kritischer Außenseiter des literarisch-intellektuellen Milieus der folgenden Jahrzehnte, der frühe Pérez Galdos,' 8 zentrale Prämissen des kolonialistisch-ethnozentrischen Credos des Diario-Autors

teilte (Rehrmann

1997), dann ist man um so mehr geneigt, den Angaben über die steile Rezeptionskarriere des Elaborats Glauben zu schenken - unter Einschluß der folgenden Schlußbilanz (ebd.: 1049): „¡Ah! ¡Qué pocos poetas de nuestros tiempos habrán encontrado realidades tan maravillosas! ¡Qué pocos habrán gozado tan a sus anchas de lo fantástico, de lo extraordinario, de lo romancesco! ¡Afortunado yo mil veces! Pero ¡cuánto, cuánto hubieran ganado nuestras Letras si Zorrilla o Fernández y González hubieran venido a Africa con sus liras de oro, en vez de venir yo, que sólo poseo una mal cortada pluma!" Trotz dieser allzu bescheidenen Pose - Alarcón war durchaus ein versierter Stilist - , ließ ihn das Thema auch in den folgenden Jahrzehnten nicht los, im Gegenteil: „todas aquellas aventuras, emociones, complacencias y fantasías, que relaté [...] en el Diario", schrieb er rund dreizehn Jahre später in einem ausgedehnten Reisebericht über La Alpujarra

(1954: 1497), „lejos de calmar mi

ardiente anhelo de conocer la tierra alpujarreña, hicieron más activo y apremiante." Obwohl er auf dieser Reise, wie es im Vorwort heißt (ebd.), ,,[l]as tradiciones y noticias de los moros y judíos [Hervorhebung von mir, N.R.] de 1860 acerca de la estancia de sus mayores en nuestro suelo" thematisieren wollte 19 , beschäftigt er sich doch fast durchweg nur mit der Geschichte von Mauren und Morisken; die fallt aber, wie seine Maurophilie früherer Jahre bereits vermuten läßt, recht kritisch aus - unter Einschluß einiger ebenfalls recht kritischer Seitenblicke auf die Geschichte der religiösen Intoleranz, der, wie er andeutet, auch die Juden zum Opfer fielen.

18

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Schwierigkeiten dürfte Galdós indes mit den antisemitischen Ausfällen des Autors gehabt haben. Der späte Galdós, der sich für Aita Tettauen und Carlos VI en la Rápita zwar des Diario bediente, erweist sich dagegen auch als geschichtsbewußter Maurenund Araberfreund. So gibt er an, zur Vorbereitung der Reise u. a. die Geschichte der spanischen Juden von Amador de los Ríos gelesen zu haben.

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Geschichte als Politik Den Auftakt (ebd.: 1495) bildet freilich auch hier eine betont konservative

Interpretation der historischen Hauptkoordinaten: „Allí", schreibt er mit Blick auf sein Reiseziel, „acabó verdaderamente el gigantesco poema de nuevo siglos que empezó con la traición de don Julián y que juzgó terminado ISABEL LA CATÓLICA

con la toma de Granada". Dann folgt allerdings, quasi Schritt für

Schritt, eine immer deutlichere Parteinahme für Mauren und Morisken - und gegen die Politik religiöser Intransigenz, die Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zu ihrer definitiven Vertreibung führte. Alarcóns Parteinahme (ebd.: 1508) gilt bereits den aus Granada vertriebenen Mauren und dem Gewaltregime „estas injustificadas violaciones del tratado de 1492, perpetradas en vida de los mismos Reyes"

das ihm folgte. Die Inquisition klagt er an, mehr als eine

Million Manuskripte öffentlich verbrannt und die „hidalguía y lealtad de los Moros" (ebd.: 1509) mit Füßen getreten zu haben: „Todavía eran hombres [...] Pronto los convertimos en fieras." Keinen Zweifel läßt Alarcón (ebd.: 1510) daran, daß die wachsenden Spannungen zwischen Christen und Morisken die unausweichliche Folge einer gnadenlosen Unterdrückungspolitik gewesen seien: „llega el reinado de FELIPE II., y los Moriscos [...] principian a ser oprimidos de una manera insoportable." Klare Worte, die durch seitenlange Schilderungen der Unterdrückungsspirale anschaulich werden. Alarcón versteht es, geschickt zwischen Landschaftsbeschreibungen, geschichtlichen Reminiszenzen und historischen Einschüben zu changieren. Dem Leser wird dabei durchaus bewußt, auf welchem geschichtsdurchtränkten Boden der Autor wanderte - und auf welchem blutdurchtränkten: „Los Cristianos diéronse a robar, matar y violar en los pueblos moriscos no alzados en armas", beschreibt er (ebd.: 1610) gegen Ende seiner Route auch das blutige Ende der Morisken, als die kriegerischen Auseinandersetzungen bereits ihren Höhepunkt erreicht hatten. Er berichtet zwar auch, und das ganz in der Diktion des Kriegstagebuchs,

von der „Grausamkeit" ein-

zelner Moriskenführer (ebd.: 1574) - „nada omitían aquellos monstruos" deren Schreckensregiment ihren generellen Charakter offenbare: „En cuanto al móvil de tamañas iniquidades, no era otro que el fanatismo musulmán, vivo aún y ardiente en aquellas almas". Daß die Christen dennoch die Hauptschuld an der vergifteten Atmosphäre trugen - von dieser Grundüberzeugung rückt Alarcón jedoch nicht ab. Das Ende seiner Reise durch Landschaft und Geschichte markiert eine furiose Abrechnung (ebd.: 1663 ff.) mit den Kräften der Intoleranz, die eine einmalige Chance vertan hätten: „todos los tesoros del Evangelio hubieran brillado a los ojos de los infieles, en lugar de las hogueras y de las armas". Toleranz, Liebe und Überzeugung hätten die Morisken allemal dazu gebracht, zu

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echten Christen zu werden, der „Himmel" und die „Erde" hätten davon profitiert. Im übrigen seien diese „Brüder", die zwar im „Irrtum" gelebt hätten, längst Spanier gewesen, „compatriotas nuestros". Warum man sie dennoch nicht auf friedlichem Weg zu überzeugen versuchte? Alarcón scheut sich nicht, die historischen Hauptverantwortlichen beim Namen zu nennen: „la intolerancia, la violencia, la crueldad de nuestros Reyes austríacos y el mal encaminado celo de nuestros Sacerdotes, el fanatismo y la sed de mando de la Inquisición". Hier, so scheint es, hat sich der Autor des Diario, der seinen rassistischen Bannstrahl gegen die zeitgenössischen Moros auch als Rache für ihre lange Präsenz in Spanien verstand, zu einer Art Las Casas der Mauren gewandelt - sogar der Juden: Hätten die Mächtigen nicht für „Verfolgungen", „Vertreibungen", „Folter" und „Scheiterhaufen" optiert, hätten sie sich statt dessen von einem „espíritu humanitario" leiten lassen, dann, so zeigt sich Alarcón überzeugt, „hubiéramos impedido que la misma puerta por donde salieron de España primero los Judíos y luego los Musulmanes, diese entrada en ella a este horrible descreimiento religioso, que va trocando a los pueblos en manadas de bestias feroces! [...] ¡Jesús no arrojó del templo las tablas de la ley, sino a los mercaderes!" Kein Zweifel, hier ergreift der „pathologische Antisemit" auch Partei - nicht für die Juden, aber dennoch gegen ihre brutale Vertreibung. Trotz seines Antisemitismus, den er auch in den folgenden Jahren nicht aufgeben sollte, eine bemerkenswerte Tatsache. Sie steht im übrigen nicht allein: Bereits lange vor der fulminanten Schlußanklage gegen Thron und Altar schien er (ebd.: 1544) sogar die ökonomische Bedeutung der spanischen Juden anzuerkennen. So seien es etwa „Moros y Judíos" gewesen, die den Christen der Alpujarras die Kunst der Seidenspinnerei gezeigt hätten. Leider sei davon kaum noch etwas übrig geblieben: „¡Ah! ¡Volviera a ser Granada", evoziert Alarcón deshalb bessere Zeiten, „,1a Damasco de occidente'". Mit dieser Hommage an die maurische Blütezeit von Al-Andalus, so begrüßenswert sie auch ist, meinte Alarcón aber wohl nur deren kulturelle Dimension; dem religiösen Pluralismus von Christen, Mauren und - vor allen Dingen Juden wollte er ganz gewiß nicht das Wort reden. Das zeigt sein Roman El niño de la Bola, mit dem er 1880 auf alle drei Religonen zurückkam. Im Mittelpunkt dieses „drama romántico de chaqueta y rigurosamente histórico, aunque no político" (1974: 395), wie er seine „amigos lectores" in den Roman einfuhrt, steht der junge Manuel Venegas. Dessen Vater, so der Erzähler (ebd.: 404), „fue un caballero muy principal, aunque muy raro, descendiente, según dicen, de príncipes moros". Ort des im frühen 19. Jahrhundert angesiedelten Geschehens ist

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eine kleine andalusische Provinzstadt, „donde hay todavía muchos moros vestidos de cristianos" (ebd.: 395). Den zahlreichen Hinweisen 20 auf die historischen Filiationen der „morisca ciudad" (ebd.: 448) und ihrer „población de moros bautizados" (ebd.: 478) entspricht die durchweg wohlwollende Charakterisierung des jungen Protagonisten als „semiandaluz" oder „semiexótico", dessen „estilo oriental" sich u. a. durch „la viril hermosura del semblante" (ebd.: 398) auszeichne und bestes Geblüt erkennen lasse (ebd.: 513): „la sangre real mahometana de que procedía". Die noble Herkunft und Erscheinung der maurischstämmigen Hauptfigur 21 bilden einen scharfen Kontrast zu einer weiteren Zentralgestalt, Don Elias, „el más rico y feroz usurero de la ciudad" (ebd.: 405), dessen abgrundtiefe Niedertracht dem jungen Maurensproß schließlich zum Verhängnis wird. Das melodramatische Geschehen ist schnell zusammengefaßt. Manuels Vater, der sein gesamtes Vermögen „en su patriotismo" (ebd.: 405) investierte, d. h. eine privat finanzierte Truppe gegen Napoleon anführte, muß sich nach seiner Rückkehr bei Don Elias hoch verschulden. Als der skrupellose Wucherer, bei dem auch andere Bewohner der Stadt verschuldet sind, das Opfer einer Brandstiftung wird - „el pueblo entero lo veía con mucho gusto" (ebd.: 408) und sämtliche Schuldbriefe zu verbrennen drohen, verdächtigt dieser, der inzwischen auch explizit als J u d í o " (ebd.: 410) apostrophiert wird, u. a. Manuels Vater, den Brand gelegt zu haben. Um sich von dem ehrenrührigen Verdacht zu befreien, rettet dieser die Dokumente aus dem brennenden Haus und stirbt unmittelbar darauf an den schweren Brandverletzungen, die er sich dabei zuzieht. Nun zeigt der „vil judío" (ebd.: 447) erst das ganze Ausmaß seines niederträchtigen Charakters: Mit Hilfe der geretteten Schuldbriefe bringt er sich in den Besitz des herrschaftlichen Hauses von Manuels Vater und macht den jungen Vollwaisen (die Mutter war bereits gestorben), der sich noch im Knabenalter befindet, damit auch obdachlos. Als Krönung seines schändlichen Verhaltens zieht der „prestamista" zusammen mit Frau und Tochter sogar selbst in das Haus ein. Manuel wird von einem Priester in Obhut genommen und damit besonders intensiv im christlichen Glauben erzogen (durch seine augenscheinlich tiefe Verehrung christlicher Symbolik wird er in der Kleinstadt als niño de la bola ge20

21

Sie reichen von „aquellos semiafricanos" (ebd.: 489) bis zu „ciudad moruna" (ebd.: 532). Manuel Venegas ist gleichwohl getauft und wie sein Vater ein glühender Patriot: „descendiente de españoles no bautizados, empuñó seguidamente las armas contra el francés", wird er (ebd.: 405) charakterisiert.

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schätzt). In der Folgezeit verliebt er sich nun in Soledad, die etwa gleichaltrige hübsche Tochter des Juden und zeigt sich fest entschlossen, sie später einmal zu heiraten. Seine starken Gefühle für Soledad werden zwar von dieser erwidert; ihr Vater setzt indessen alles daran, eine solche Heirat zu verhindern. Als der inzwischen herangewachsene Jüngling dennoch eine Heirat erzwingen möchte, wird sein Antrag von Soledads Vater u. a. damit zurückgewiesen, Manuel schulde ihm, als einzigem Nachfahren seines verstorbenen Vaters, noch immer eine immense Summe. Daraufhin verläßt der junge Mann die Kleinstadt, um im Ausland sein Glück zu machen. Nach seiner Rückkehr, so kündigt er an, werde er „seine Schulden" begleichen und Soledad zur Frau nehmen - auch gegen den Willen ihres Vaters. Als er nach mehreren Jahren als reicher Mann zurückkehrt, muß er verzweifelt konstatieren, daß der inzwischen verstorbene Caifas, wie er auch genannt wird, seine Tochter mit einem anderen Mann verheiratet hat (sie hat zudem bereits ein Kind). Er kann nur mit Mühe davon abgehalten werden, seinen „Nebenbuhler" zu töten. Überzeugt davon, daß seine Jugendliebe ihm immer noch zugeneigt sei, bringt er sie schließlich in einer melodramatischen Schlußszene um und wird dann von ihrem Mann durch einen Messerstich ins Herz selber getötet... Am Ende dieses äußerst konstruiert 22 wirkenden Melodrams stellt sich vor allem die Frage, warum Alarcón ausgerechnet einen maurischstämmigen Protagonisten gewählt hat. Da dessen kulturelle Mischidentität nirgends als solche problematisiert wird, liegt die Vermutung nahe, daß die „semiexotische" Erscheinung des Nachfahren maurischer Prinzen lediglich dazu dient, eine Brise historischen Weihrauchs zu versprühen, die die romantische Aura erhöhen soll. Beschreibungen wie die folgende (ebd.: 490) weisen in diese Richtung: „Los moros son siempre vanidosos y artistas, y acuden a las batallas con sus mejores ropas y todo el posible boato, viendo tal vez una fiesta en el peligro." Szenische Aufzüge, die den Helden demgemäß präsentieren, offeriert der Autor denn auch in großer Zahl. Ein weiteres Motiv scheint eher weltanschaulicher Natur zu sein: Da es dem eingefleischten Katholiken Alarcón trotz aller Toleranzbekenntnisse (1974: 1183) auch in diesem Roman darum geht, den Katholizismus als einzige „religión positiva" (ebd.: 1184) darzustellen, lag es offensichtlich nahe, auf einen diesbezüglich 22

„unsicheren Kantonisten" zurückzugreifen. Ein

dramatischer

Wie der Autor (1974: 1193) in einer Nachbetrachtung zur Rezeption des Romans bemerkt, basiere er auf wahren Begebenheiten, „que presencié en Andalucía cuando niño ..."

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Disput zwischen Manuel und seinem Ziehvater, dem durchweg positiv konnotierten Priester, der seinen einstigen Schützling davon abhalten möchte, eine Bluttat zu begehen, kann daher als Schlüsselszene verstanden werden: „Yo no soy judío, moro ni cristiano", entgegnet (ebd.: 514 f.) letzterer auf die religiösen Ermahnungen der cura und verweist auf seine Erfahrungen, „que he visto en pueblos de diferentes religiones" und auf philosophische Einsichten, „que he leido en obras". Die quasi rationalistische Einstellung zu religiösen Fragen, wie sie in liberalen Kreisen, etwa bei Galdós, in jenen Jahren en vogue war, artikuliert jedoch mitnichten das Credo des Autors. Das dürfte vielmehr in der Antwort der cura (ebd.: 514) zum Ausdruck kommen: „¡Jesús! ¡Jesús! - gritó el cura con indecible espanto." Das dramatische Crescendo, durch die blinde Leidenschaft des Morisken zum Äußersten getrieben, erweist sich stärker als alle väterlichen Gefühle und christlichen Sermone der cura, jedoch ohne letztere damit zu falsifizieren: Schließlich ist Manuel kein echter Christ. Das gilt, mutatis mutantis, auch für Soledad, die zwar trotz ihres abstoßenden Vaters von der Vox populi als „perla judía" (ebd.: 438) empfunden wird und einen makellosen christlichen - Charakter zu besitzen scheint, am Ende aber ihr ,wahres Gesicht' nicht verstecken kann: In einem geheimen Brief an Manuel, der böswilligen Intriganten in die Hände fällt, beklagt die Ehefrau und Mutter sich darüber, daß Manuel sie nie heimlich besucht hat - eine „tamaño lujuria" (ebd.: 539), wie der Kommentar der zitierten Intriganten lautet und den sich der Erzähler in der Schlußszene (ebd.: 548) offenkundig zu eigen macht: „Detúvose al fin Soledad [...] y levantó hacia Manuel unos ojos hechiceros, voluptuosos y malignos, en que se leía la carta que le había escrito al amanecer". Die stereotypen Karikaturen lasziv-maliziöser Jüdinnen, wie sie von alters her die (spanische) Literatur bevölkern, scheinen auch dem Autor obiger Zeilen die Hand geführt zu haben. Die offenkundige Botschaft des Romans, die sich auch als historischer Fingerzeig auf die Zeit der Convivencia deuten läßt, soll deshalb wohl lauten: Aufgrund ihrer kulturellen Mitgift war das jüdisch-maurische Liebespaar nicht imstande, die, wie der Autor sich an anderer Stelle (NC 1974: 1185) ausdrückte, „excelencias y ventajas de la Religión [...] española" zu begreifen. Die Strafe folgte auf dem Fuß ... Nein, Alarcón ist seinen antisemitischen Überzeugungen bis an sein Lebensende treu geblieben. Eine Ausnahme, die möglicherweise dem liberalen Klima geschuldet war, das nach der Revolution von 1868 herrschte, bildet lediglich sein Reisebuch über La Alpujarra, in dem er die religiöse Intoleranz, auch die gegen die Juden, deutlich kritisiert - dieses Buch bleibt letztlich jedoch eine

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Episode. Trotz seiner romantisierten Maurenbilder, zu denen jedoch, dem kolonialen Blick gehorchend, auch offen rassistische Zerrbilder gehören, hat Alarcón seine Sympathien für die beiden Minderheiten, grosso modo betrachtet, sehr ungleich verteilt: Er ist einer der ersten und bekanntesten Autoren, in deren Werk die Dichotomie zwischen bösen Juden und guten Mauren deutlich konturiert ist.

3. „Gegen die gesamte Sippe der Ungläubigen: " José María de Pereda Das kulturhistorische ,Aschenputtelsyndrom', das Alarcóns Juden- und Maurentexte durchzieht, spielt im Werk seines gleichaltrigen Generationskollegen José María de Pereda (1833-1906) dagegen keine Rolle: Ihn interessierten, auch das nur am Rande, lediglich die Juden, hier allerdings mit Alarcón aufs Engste verwandt - schließlich teilten beide eine Reihe von politischen Grundüberzeugungen, die ihnen in Valeras Gemeinschaft der Reaktionäre' eine unbestrittene Spitzenposition gesichert hätten. In Peñas arriba, einem seiner späten Romane, bringt der überaus mediokre, aber dennoch sehr erfolgreiche Vielschreiber José María de Pereda sein eigenes politisch-religiöses Credo ziemlich genau auf den Begriff: „es el hombre", wird eine der Romanfiguren charakterisiert (1995: 322), „que usted adivinó en su pesadilla de anoche, gastándose la vida y el patrimonio en lidiar valerosamente, sin punto de sosiego, contra todo linaje de infieles. Con tales condiciones de carácter, este hombre hubiera sido en los siglos medios caballero andante o cruzado; pero le tocó nacer en estos tiempos descoloridos y prosaicos". Kein Zweifel: Hätte Pereda, den kein Geringerer als Benito Pérez Galdós (Pereda 1992: 59) in einem Anflug von inkommensurabler Schmeichelei als „maestro del arte de la novela" bezeichnete, im Mittelalter gelebt, dann hätte er vermutlich zu jenen Claqueuren gehört, die den antisemitischen Mob mit „Hep, Hep"-Gegröhle angestachelt haben. Als Autor des späten 19. Jahrhunderts blieb es ihm dagegen nur vergönnt, seinen anachronistisch-reaktionären Groll gegen die „Ungläubigen" und das waren, neben den Juden, alle, die seinen dumpf-traditionalistischen Vorstellungen von Katholizismus nicht teilten - mit seichten Prosabergen Luft zu verschaffen. Für den unerschütterlichen Traditionalisten, für den Thron und Altar die beiden Fixpunkte seiner intellektuell äußerst kargen Überzeugungen bildeten, war das 19. Jahrhundert der Tiefpunkt einer historischen Entwicklung (1989: 189), der tiefer kaum sein konnte: „Ya no hay privilegios, ya no hay distancias, ya no hay razas". Obwohl die Vertreter jener „Rasse", die hier im Mittelpunkt

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stehen, in seinem voluminösen Gesamtwerk eigentlich nur eine Randerscheinung bilden - richtig ventiliert hat Pereda seinen violenten Antisemitismus lediglich in einem Roman - und historische Betrachtungen kaum eine Rolle spielen, nähren bereits seine reaktionären Grundüberzeugungen den Verdacht: Die Juden verkörperten für ihn religiöse Feinde und Repräsentanten der modernen Zeiten, die er (ebd.: 39 f.) aus tiefem Herzen haßte: „grandes apostates [...] arrastrados a la apostasía por el demonio de la soberbia, o de la codicia, o de la concupiscencia". Allesamt Vertreter jener „glacial filosofía del XVIII", die sich durch eine Art Ursünde schuldig gemacht haben: „ya no cabe el cisma, por la sencilla razón de que el que se separa de la verdad católica no es para proclamar otra creencia, sino para dudar de todas; y dudar de todas equivale a carecer de entusiasmo, que es hijo de la fe". Menéndez Pelayo, dem publizistischen „Hammer der Häretiker", dürften diese Sätze aus der Seele gesprochen haben, nicht zuletzt deshalb, weil sie offenkundig auch für den Erhalt jener Institution plädierten, die letzterem stets am Herzen lag: der Inquisition. Darauf weist zumindest der folgende Satz Peredas (ebd.: 40) hin, in dem er „el consabido odio a las viejas

institucio-

nes y creencias" gleichermaßen attackiert. Kein Wunder, daß er für die Revolution von 1868, wie er in Pedro Sánchez (1968: II, 242) bekundet, keinerlei Sympathien empfand. Seine Solidarität galt, das wurde er nicht müde zu betonen, exklusiv dem Klerus: „El señor cura", lautet eine der vielen Grußadressen (ebd.: 245) an die Vertreter des einzig wahren Glaubens, die seine Romane bevölkern, „es joven y celoso de su deber. Hablamos poco, casi nada, de lo de tejas abajo, y mucho de lo de tejas arriba. Nos entendemos bien en este delicado particular, y yo me alegro de ello." Dagegen witterte er hinter den Revolutionären von 1868 die lange Hand des internationalen Judentums. In einem Artikel von 1869 (Veegh 1989: 110) diffamierte er den damaligen Finanzminister Figuerola mit den Worten: „Porque en todas partes hay almas ruinas que pagan un favor con un agravio y el señor Figuerola, no obstante su ciencia, su experiencia de oposicionista veterano y su intachable liberalismo, ha caído entre las uñas, no de una sola de aquellas almas ingratas, sino de varias, especie de cuadrilla hebrea perteneciente, sin duda, al bando de judíos a quienes, según reciente declaración de su excelencia, se ha visto precisado, en sus últimas sesiones financieras, a arrojar del templo." Katholischer Fundamentalismus und Tradition - ein offenes Bekenntnis zu jenem Land, auf dessen Erde die beiden Pfeiler seiner geistigen Trutzburg ruhten, darf deshalb nicht fehlen: „Sentí entonces dentro de mí, en lo más hondo y obscuro", bekennt Pedro Sánchez (ebd.: 242), und meint damit das große Vater-

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land und die patria chica seiner kantabrischen Heimat, „la santa voz de la patria que me llamaba á su maternal regazo". In diesem Vaterland hatten die historischen Minderheiten natürlich keinen Platz - trotz der Behauptung, „La Intolerancia", so der Titel eines kleinen Essays (1989: 373), komme in seinem Werk nicht vor: „Bien saben los que a usted y a mí nos conocen", schreibt er an einen Gleichgesinnten, „que de este pecado no tenemos, gracias a Dios, que arrepentirnos." Denn der Santandiner Heimatromancier war, was seine Judenporträts betrifft, natürlich der Ansicht, daß sie schlicht und einfach der Realität entsprächen. Pereda verstand sein ebenso plumpes wie infames Machwerk De tal palo, tal astilla - der einzige Roman, in dem Juden eine handlungsrelevante Rolle spiel e n - als literarische Antwort auf Benito Pérez Galdos' Gloria23

Dement-

sprechend zeichnete er eine Art negatives Abziehbild von Galdós toleranter und judenfreundlicher Sichtweise, in dem gröbste Judenklischees und katholischer Traditionalismus den Ton angeben. Im Mittelpunkt der spärlichen Handlung steht die junge Agueda, die, nachdem ihre Mutter gestorben ist, zusammen mit ihrer jüngeren Schwester testamentarisch unter der Vormundschaft von Sotero, dem skrupellosen Verwalter ihrer Besitzungen und eines entfernt lebenden Onkels steht. Während Sotero mit allen Mitteln versucht, seine Stellung als Vormund dazu auszunutzen, sich zu bereichern, macht Fernando, der Sohn des reichen Arztes Peñarrubia, der jungen Frau den Hof. Doch dessen Aussichten, wiewohl seine Gefühle nicht unerwidert bleiben, stehen schlecht: Er ist kein Katholik. Agueda, ihrerseits eine glühende Christin, könnte ihn selbst dann nicht heiraten, wenn sie ihre religiösen Bedenken überwände. Denn ihre Mutter hat testamentarisch ebenfalls verfugt, daß sie nur einen Katholiken heiraten darf. Daraufhin sucht Fernando, der Agueda innig liebt, aber keinerlei religiöse Gefühle besitzt, den Rat des Dorfgeistlichen.

23

In einem Brief an Menéndez Pelayo (1953: 221) schreibt er über den Román seines Freundes:"El amigo Galdós cayó al fin del lado a que se inclinaba. Su última (y por cierto preciosa) novela titulada Gloria, le mete de patitas en el lodazal de la novela volteriana. Así se lo he dicho a él, que me lo niega en redondo, asegurándome que lejos de eso, se propone arraigar las creencias religiosas, tan al aire en la católica España; pero advierte tú que los personajes de Gloria son un obispo casi bobo, un cura bárbaro y desalentado; Un neo hipócrita, un señor que cree sin razón ni convencimiento y una joven que duda del infierno y del purgatorio. Esto del lado del catolicismo. Del otro, un judío en quien se reúnen todas las posibles perfecciones físicas y morales. Dime si por este camino durante el cual se crucifica cincuenta veces la dichosa hipocresía católica, se puede llegar a arraigar en el lector la verdadera creencia."

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Er ist also ehrlich bemüht, seinen Agnostizismus einer Prüfung zu unterziehen, um seiner Liebe zu Agueda womöglich doch noch eine Perspektive zu geben. Die Dorfbewohner, allesamt fromme Christen, sehen darin jedoch nur finstere Machenschaften. Fernando, so argwöhnen sie, braucht lediglich einen religiösen Freibrief, um sich in den Besitz von Aguedas stattlichem Erbe zu bringen. Verzweifelt über die Aussichtslosigkeit seiner Bestrebungen, bringt er sich um. Als schließlich der Onkel, der zweite Vormund von Agueda, das Geschehen betritt und damit die unlauteren Bereicherungsambitionen Soteros zunichte macht, stirbt auch letzterer. Das Happyend zeigt Agueda und ihren glaubensstarken Onkel, die in dem tragischen Geschehen einen Fingerzeig Gottes sehen, und den unglücklichen Vater Fernandos, der sich am Tode seines Sohnes schuldig fühlt, weil er ihn nicht zum rechten Glauben erzogen hat... Eine Auseinandersetzung mit der ,falschen' Religion, also dem Judentum, bietet Pereda seinen Lesern dennoch nicht. Im Unterschied zu Galdos' Roman, in dem die Glaubensdifferenzen der Protagonisten zu leidenschafltichen Religionsdisputen und dramatischen Aporien Anlaß geben, zeichnet Pereda schematisierte Schwarzweiß-Figuren, deren grobrastrige Einordnung in gut und böse von Anfang an feststeht. Zu den Bösen gehört natürlich der „ilustre doctor Peñarrubia", der (1991: 388), zunächst nur indirekt, als typischer Jude vorgestellt wird: „tenía el cutis moreno, la mirada sagaz y penetrante". Obwohl der Arzt, der zu der todkranken Mutter von Agueda gerufen wurde, erst in der zweiten Hälfte des Romans expressis verbis (ebd.: 544) als „el judío, el herejote" enthüllt

wird,

deutet doch von Anfang an alles darauf hin, daß es sich um einen ebensolchen handelt: „Todos los Peñarrubia, según la tradición perojulefla", stellt ihn der allwissende Erzähler unter der Kapitelüberschrift „La raza" seinen Lesern auch ,detaillierter' vor (ebd.: 407 f.), „parecían fundidos en un mismo troquel. Todos eran misteriosos, huraños, poco afectos a la tierra nativa, y señaladamente irreligiosos. Esta cualidad era la que podía llamarse, como ninguna de las otras, el sello de la raza." Obendrein ist er „médico de ricos" (ebd.: 412 f.) und stets darauf bedacht, sich zusätzliche Einkünfte zu verschaffen. Denn, so der Erzähler, „las rentas de todo ello no alcanzaban a sostener el lujo de que se rodeó el vanidoso Peñarrubia". 24 Doch damit nicht genug: Pereda (ebd.: 416) stilisiert ihn sogar zu einer Art Antichristen, der mit dämonischen Mächten im Bunde steht: „como todos los de su casta, nunca iba a misa, ni quería tratos con ningún

24

Der Topos des reichen Schacherjuden taucht als „el usurero judio" auch in Peredas

Roman Pedro Sánchez (1958:1/89) auf.

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cristiano, y además se veían por las vidrieras de sus balcones, en ciertas noches, luces muy raras, algunas de las cuales se escapaban en un rayo verdoso, largo, largo, largo, que llegaba hasta el campanario, a cuyo resplandor salían bufando todas las lechuzas de la iglesia, como si el diablo las llamara a capítulo". Kein Wunder, daß ihn die vox populi des Ortes schlicht „Pateta" nennt, was, wie der Autor in einer Fußnote anmerkt, soviel heißt wie „el prototipo de lo feo y de lo maléfico; peor que el mismo demonio". Kein Wunder auch, daß sein Sohn, Opfer einer antireligiösen, nach rein rationalistischen Prinzipien ausgerichteten Erziehung, von ähnlicher Gesinnung ist. Doch der, und das unterscheidet ihn positiv von seinem Vater, empfindet diese Erziehung, wie er (ebd.: 533) dem Dorfgeistlichen bekennt, inzwischen als Belastung, ja als großes persönliches Defizit: „¡Quiero decir que jamás arrullaron mis sueños de nifio los tiernos cánticos de la fe cristiana, ni mis labios balbucieron una oración, ni los ángeles se cernieron sobre mi cuna." Das Schicksal Fernandos, suggeriert Pereda, ist jedoch besonders schlimm: Als Opfer eines „kalten Rationalismus" glaubt er nicht etwa das Falsche, er glaubt, wie er (ebd.: 536 f.) der cura offenbart, überhaupt nicht: „¡Es que no creo en nada!" Die Reaktion des „santo anciano" ist dementsprechend von Entsetzen geprägt: „¡Virgen Maria ... que desventura! [...] Hace cincuenta años que ejerzo la cura de almas: en todo ese tiempo no he oído de labios humanos confesión tan espantosa". Die ideologische Stoßrichtung Peredas ist somit eine doppelte: Indem er die Juden zur Zielscheibe seiner ultrareligiösen Attacken macht, möchte er auch und wohl vor allem jene Zeitgenossen treffen, deren rationalistisches Weltbild eine Gefahr für den katholischen Traditionalismus darstellt. Was für ein Vorbild an christlicher Glaubenstreue ist demgegenüber Agueda! Ihre Erziehung, schwärmt der Erzähler (ebd.: 441), „se fundó sobre los cimientos de la ley de Dios, sin salvedades acomodaticias ni comentarios sutiles". Ais lebende Antithese „[de] la malicia heterodoxa" quittiert sie den Vorschlag Fernandos (ebd.: 499 f.), die religiösen Unterschiede nicht so ernst zu nehmen „Déjame como soy, y sé tú como eras" - , mit blankem Entsetzen: „¡Cielo santo! Yo me imagino una familia que jamás invoca el nombre de Dios. ¡Qué cárcel! ... ¡que lobreguez!" Der Entschluß Fernandos, durch die Liebe zu Agueda ausgelöst, aber auch von Wahrheitssuche motiviert, steht deshalb fest: „Estoy resuelto", teilt er (ebd.: 511) seinem skeptischen Vater mit, „a estudiar hasta el fondo de esta cuestión pavorosa; quiero descomponerla fibra a fibra y saborearla gota a gota, sin odios ni prevenciones de escuela." Eine solche Auseinandersetzung, auch wenn man ihr Ergebnis bereits ahnt, findet indessen nicht statt. Sie

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hätte den bleischweren Vorurteilen Peredas gegen alles Nichtkatholische ebenso widersprochen wie dem orthodoxen Glaubensbunker seiner religiösen Weltsicht. Sie hätte, so darf man vermuten, seinen intellektuellen Horizont auch weit überschritten: Wie für die cura des Romans, „un pobre cura de aldea" (ebd.: 534), waren Glaubensfragen für Pereda keine Sache des Verstandes, schon gar nicht eine Angelegenheit kritischer Zweifel. Deshalb überrascht es nicht, daß sich der Erzähler deutlich auf die Seite derer stellt, die dem Zweifler Fernando, trotz aller ernstgemeinten Aporien, feindlich gesonnen sind und ihn, nachdem sich die Möglichkeit seiner Konversion herumgesprochen hat, als „perro judío " (ebd.: 599) beschimpfen. In der Person eines durchweg positiv charakterisierten Dorfbewohners, den Fernando nach den Gründen der verbalen Aggression befragt, macht Pereda (ebd.: 600) deutlich, daß er Volkes Stimme versteht: „Ya sabe usté, señor Don Fernando, que en este pueblo todos somos, gracias a Dios, cristianos a macha-martillo. [...] Siendo aquí todos cristianos, claro es que las gentes se han de amañar mal con los herejes". Daß sich Fernando, der Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen gewiß, daraufhin das Leben nimmt, läßt immerhin Charakter erkennen - obwohl Selbstmord, so die einhellige Meinung der frommen Dorfgemeinde (ebd.: 612), „el mayor de los crímenes" darstellt. Doch eine solche Interpretation, die in Fernando eine Art tragischen Helden sieht, lag Pereda augenscheinlich fern. Statt Mitgefühl für seinen Helden zu empfinden, ruft er (ebd.: 628 f.) dem Toten, aus dem Munde des „bueno de don Plácido", sogar noch seine Haßtiraden nach: „Bien considerado este suceso, era de esperarse más tarde o más temprano ... y, francamente, preferible es que haya ocurrido ahora ... Digo que era de esperar, porque donde no hay temor de Dios, no caben obras más cuerdas; y bien sabes tú", versucht er - mit Erfolg - seine Nichte zu überzeugen, „como anda la religión en esta casta. [...] Y esto tenía que suceder por la fuerza misma de las cosas: de tal palo, tal astilla." Und er fügt hinzu: „muerto el perro, se acabó la rabia ...". Die Schuld am Tode des jungen Mannes, sofern sie personalisierbar ist, trifft deshalb einzig und allein den Vater, der (ebd.: 633) sie denn auch übernimmt: „su verdugo fui". Trotz der sardonischen Karikaturen, die Pereda in diesem Elaborat zum besten gibt, hat ihn Pérez Galdos überschwenglich gelobt - das obige Machwerk war bereits erschienen: „Pereda es, como escritor, el hombre más revolucionario que hay entre nosotros", hatte er (Pereda 1992: 61) geschrieben, „el más antitradicionalista, el emancipador literario por exelencia." Selbst wenn dieses Urteil nur literarisch gemeint sein sollte: Aus dem Munde des einzigen spanischen

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Autors von Rang, in dessen Werk die Juden fast durchweg positiv gezeichnet sind, klingt das zitierte Lob doch wie ein schlechter Scherz - auch unter ästhetischen Gesichtspunkten.

4.

„Ich möchte meine synthetische Persönlichkeit rekonstruieren": Der Außenseiter Benito Pérez Galdós

Der Unterschied zum „maestro del arte de la novela", wie Benito Pérez Galdós (1843-1920) seinen Santandiner Generationskollegen unverständlicherweise gelobt hatte, könnte größer kaum sein - nicht zuletzt thematisch: „El primer autor español", schreibt Benaim Lasry (1980: 12), „que trae al judío como protagonista de una novela es Benito Pérez Galdós". Die Aussage trifft zwar so nicht zu, da sich zuvor bereits viele andere Autoren mit der jüdischen Thematik, insbesondere mit den Sepharden, beschäftigt hatten; Pérez Galdós war und blieb lange Zeit indes der erste spanische Autor von Rang, der ein prononciert positives Bild der 1492 vertriebenen oder zwangskonvertierten Minderheit zeichnete und damit, so Cansino Assens (1937: 63), ein „gesto de reparación" formulierte, „que debe tener la misma importancia histórica que el otro gesto vejatorio e inhumano de los Reyes Católicos". Wenngleich auch dieser Vergleich übertrieben anmutet, so läßt sich mit Monika Veegh (1990: 185) doch immerhin bilanzieren, daß vor allem „dank der aufklärerischen Wirkung von Pérez Galdós eine ernsthafte Diskussion über die Beurteilung der spanischen Vergangenheit, der Judenvertreibung und des rassistischen Reinheitskults" einsetzte. Die - allgemein gesehen - positive Darstellung der Juden in den einschlägigen Romanen hat die Galdós-Forschung überzeugend dargelegt (Veegh 1991, Schyfter 1978, Cansino Assens 1937):25 Im politischen Kontext des späten 19. Jahrhunderts bildete die Judenthematik aus liberaler Sicht vor allem einen Prüfstein für religiöse Toleranz. Und diese Forderung, schreibt Veegh (1990: 87) zu Recht, „bildet auch das Grundthema von Galdós' zweitem Thesenroman Gloria". Weniger bekannt und zugleich umstritten ist dagegen die Frage, wie der Romancier 26 die trikulturelle Vergangenheit des Landes beurteilte, an der die 25

26

Ich beschränke mich deshalb im wesentlichen auf die Darstellung der sephardischen bzw. trikulturellen Thematik. Die einschlägigen essayistisch-journalistischen Texte sind indessen noch weitgehend unbekannt, wie etwa Schyfter (1978: 10) bemerkt: „Galdös journalistic career has not been thoroughly examined or even adequately edited." Das gilt besonders für die

370

Geschichte als Politik

Sepharden einen wesentlichen Anteil hatten. 27 Obwohl diese erst in den späteren Romanen (eher symbolisch) in Erscheinung tritt, ist sie im status nascendi bereits in Gloria von 1877 präsent. Es ist die junge Protagonistin selbst (1984: 27), die ihrem Vater zu bedenken gibt: „Que en su sentir los reyes de España habrían hecho mal en arrojar del país a judíos y a moriscos". Dem Zeitgeist, der den Roman überwiegend als Affront begriff (Veegh 1990: 87), entspricht demgegenüber die von „paroxismo" und „asombro" gekennzeichnete Reaktion (1984: 28) des Vaters: „Eso es saber más de la cuenta. ¿Qué entiendes tú de eso? Vete a tocar el piano." Im weiteren Verlauf des Romangeschehens, das im tragischen Scheitern der Liebesbeziehung zwischen dem sephardischen Juden Morton und der katholischen Gloria kulminiert, kommt der Erzähler wiederholt auf die trikulturelle Epoche zurück: Die Vorfahren von Mortons Hamburger Sephardenfamilie stammen aus dem mittelalterlichen Córdoba, von wo sie, wie der eindeutig positiv konnotierte „caballero hamburgués" bemerkt (ebd.: 232), „por una ley inicua" vertrieben wurden. Die folgende Interpretation (ebd.: 207) von Don Juan de Lantigua, Glorias durch und durch katholischem Vater, spiegelt deshalb nur die offizielle Lesart der Geschichte wider, eine, in der das bis 1865 bestehende limpieza de sangre-Statut gleichsam fortbesteht: „Gozaba España desde edades remotas el inestimable beneficio de poseer la única fe verdadera, sin mezcla de otra creencia alguna ni de sectas bastardas." Im Kontext des Fin-desiécle-Spanien konnte Galdós indes mitnichten sicher sein, so darf man vermuten, daß die obige Aussage als bewußte Verballhornung der gängigen Reconquista-Legenden verstanden würde. Allerdings beschränkt sich der Autor von Gloria darauf, lediglich das Vertreibungsedikt als Symbol der historischen Intoleranz zu kritisieren; die positiven Seiten der Convivencia bleiben dagegen unerwähnt. Nur einmal, am Ende des Romans (ebd.: 522), scheint er in Gestalt von Gloria und Mortons Sohn auch - neben der Überwindung „de los antagonismos religiosos por del amor" - darauf hinzudeuten: „tú, que en una sola persona llevas sangre de enemigas razas, y eres el símbolo en que se han fundido dos conciencias, harás sin duda algo grande".

27

Kampagne von Pulido, an der sich Galdös beteiligt hat und die ihn zu späteren Romanen (ebd.: 112) inspirierte. Von der Galdös-Forschung nahezu völlig übersehen wurde darüber hinaus der umfangreiche Essay Toledo: Su historia y su leyenda, der weiter unten ausführlich zitiert wird. Darauf weist etwa Chamberlin (1963-64: 85) hin: „but apparently no investigation has yet been made concerning the creation of Galdös Sephardic characters." Daran hat sich, mit Ausnahme weniger Arbeiten, bis heute nur wenig geändert.

Geschichte als Politik

371

Der praktisch inexistenten Fokussierung der Thematik auf die Zeit der Convivencia entspricht die Tatsache, daß Morton zwar als Sepharde in Erscheinung tritt, aber kaum Eigenschaften besitzt, die ihn als einen „Juden besonderer Art" ausweisen, wie etwa Canetti (1984: 11) die „Loyalitäten der Spaniolen" beschreibt. Im Gegenteil: „atribuye a su Daniel Morton rasgos convenidos", schreibt Cansino Assens (1937: 80), „que cuadrarían más bien a un judío polaco, pobre y recluido en su ghetto, que no a un judío de Altona, con casa en Hamburgo y en Londres, que se ha criado en un ambiente de alta banca, ya que su padre Moisés Morton presta dinero a los mismos reyes". Diese Tatsache verwundert um so mehr, als Galdós vermutlich etwa zur selben Zeit seinen kulturhistorischen Essay über Toledo verfaßte, in dem er zu erkennen gibt, daß er den kulturellen background

der Sepharden durchaus kannte. So läßt sich mit Cansino

Assens (ebd.: 81) nur vermuten: „Galdós no quiso comprometerse con una descripción más completa." Ähnliche Ambivalenzen treten in dem Spanienbild zutage, das der Autor Morton und dessen Mutter Esther zuschreibt: „Als Nachkommen spanischer Juden", schreibt Veegh (1990: 92), „werden beide gewissermaßen für Spanien reklamiert." In der Tat: Die insgesamt ebenfalls sehr positive Beschreibung dieser Nachfahrin einer berühmten Amsterdamer Sephardenfamilie weist ausgesprochen hispanophile Züge auf (1984: 448), die Pulidos Spanientreue-Topos gewissermaßen antizipieren: „Era Esther Spinoza española de sangre, si no de nacimiento; española por la gravedad, por la vehemencia contenida, por la fidelidad de los deberes, por la luz y la expresión melancólica de sus ojos negros, su esbelta figura y su gracioso andar." Die Rationalisierung' Esthers basiert überdies auf deren Sprache, dem judeoespañol,

„lengua, aunque adulterada por

la falta de renovación [...] que aun después de cuatro siglos lanza desde el fondo de la tierra su gemido." Über die Gründe, die Galdós veranlaßten, die Sepharden in der Person von Esther nahezu uneingeschränkt für Spanien zu reklamieren, läßt sich lediglich spekulieren. Plausibel erscheint etwa die Annahme, daß „el amor al suelo antiguo" (ebd.: 449) eine taktische Behauptung darstellt, um den Antisemitismus mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Denkbar ist aber auch, daß sich Galdós von den hispanophilen Bekundungen einzelner Sepharden oder von deren Spanientreue-Topos in den Texten zeitgenössischer Autoren blenden ließ. 28 Schließlich könnte auch ein undifferenziertes Hispanidad-Denken 28

des

Etwa Pedro Antonio de Alarcóns Diario de un testigo de la guerra de Africa, das Galdós, trotz des Antisemitismus des Autors, später für Aita Tettauen wendete (Leibovici 1991: 10).

partiell ver-

372

Geschichte als Politik

Autors d a f ü r mitverantwortlich sein, wie vor allem seine ,espaftolistisch' gefärbten Elogen (1923: III, 290) auf „la fraternidad hispanoamericana" nahelegen - eine vermeintliche Fraternität, die er möglicherweise auf die Sepharden übertrug. 2 9 W a s die in der Person von Esther exemplifizierte Hispanophilie betrifft, so schränkt der Romancier (1984: 449) immerhin ein: „En los j u d í o s ricos n o se conservó tanto esa costumbre. Los Spinoza amaban, sí, aquella triste memoria de la perdida patria madrastra; pero Esther la aborrecía de todo corazón, exeptuando tan solo la lengua, que cultivó con esmero y enseñó a todos sus hijos." Diese, wie die zitierten Forschungsergebnisse erkennen lassen, sicher realistische Einschätzung des Spanienbildes zahlreicher Sepharden, wird j e d o c h im vorliegenden Falle durch die Tatsache getrübt, daß sie in direkter V e r b i n d u n g zu Esthers angeblichem „ f a n a t i s m o " (ebd.) steht: Schließlich ist sie es, die eine Ehe zwischen ihrem Sohn und Gloria in letzter Minute verhindert - unter ausdrücklicher B e r u f u n g auf die Leidensgeschichte ihrer Familie. D e m trotz aller Z w e i f e l konversionsbereiten Sohn hält sie „con la inspiración de la ira" entgegen (ebd.: 454): „No, no te conozco; no eres tú mi hijo. Un hijo mío moriría cien veces antes que arrodillarse delante de un sacerdote cristiano, y español por añadidura [...]! T ú sabes cuánto, cuánto aborrezco a este país! El país que a mis abuelos inspiraba un recuerdo melancólico, c o m o de patria perdida, a mí me ha inspirado siempre aversión, horror. ¡Y en el abjuras y nos abandonas! [...] ¡Inicua traición!" Spricht hier eine „ D o ñ a Perfecta del j u d a i s m o " , wie Cansinos Assens (1937: 78) formulierte? 3 0 O d e r k o m m t in Esther „more a fanatic devotion to an solidarity with the Jewish people than an genuine expression of religión" zum Ausdruck, wie Schyfter (1978: 20) schreibt? Daß eher die zweite Lesart die richtige ist, darauf hat Galdós selbst expressis verbis hingewiesen, etwa aus d e m M u n d e von Morton (1994: 338), der eine Konversion zunächst deshalb ausgeschlossen hatte, „porque los injurios que h e m o s recibido, la expulsión de España, el injusto odio del cristianismo, nos aferran más a nuestro dogma, fórmula de la

29

30

Als Indiz dafür kann gelten, daß Galdós (1923: 39 f.) noch 1887 unverblümt von „nuestras posesiones africanas" spricht, die Spanien nicht etwa aus kolonialistischem Interesse verteidigte, sondern aus „übergeordneten" Erwägungen: „Sus [die spanischen, N.R.] aspiraciones se limitan al sostenimiento del orden de cosas existente allí, a que se establezca una regularidad política y a que los intereses europeos estén debidamente garantizados, única manera de que Marruecos empiece a disfrutar de los beneficios de la civilización [sie]". In Aita Tettauen wird der spanische Kolonialismus indessen als ebensolcher kritisiert (vgl. Rehrmann 1997) Benaim Lasry (1980: 15/18) sieht in ihr gar „el fanatismo judío" an sich verkörpert und attestiert ihr einen „carácter despótico".

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patria entre nosotros". Der Fanatismus-Vorwurf an die Adresse von Esther wird dadurch zwar nicht völlig aufgehoben - insofern geht es Galdós auch um die generelle Toleranzthematik

aber doch beträchtlich relativiert: Wenn die kon-

krete Geschichte ausgeklammert wird, so lautet zumindest eine Teilbotschaft von Gloria, bleibt das Toleranzgebot eine abstrakte, realitätsfremde Forderung. 1897, zwanzig Jahre nach der Publikation von Gloria, schreibt Schyfter (1978: 78), „Galdós again presents an authentic Jew, but in Misericordia the perspective is radically different frorn that of the earlier work." Die Autorin hat zwar recht, wenn sie damit den Blick auf die Tatsache lenkt, daß Almudena, einer der beiden Protagonisten des Romans, im Unterschied zu Morton und Esther ein sozialer Underdog ist, keinerlei akademische Bildung besitzt und sich zusammen mit seiner christlichen Freundin Benina als Bettler durchs Leben schlägt. Zweifelhaft ist indessen der Hinweis auf „an authentic Jew", den die Autorin (ebd.: 93) mehrfach wiederholt: „Almundena is a typical North African Jew, unsophisticated, deeply religious, and highly superstious." Denn die vermeintliche Eindeutigkeit der religiös-kulturellen Identität Almudenas verwandelt sich bereits während einer vordergründigen Lektüre in eine verwirrende Vieldeutigkeit: „no diré más sino que es árabe", stellt ihn der Erzähler (1994: 25) zunächst vor, „del Sur, tres días de jornada más allá de Marrakesh". Auch seine Gewohnheit (ebd.: 35), „de pasar largas horas sentado en el suelo con las piernas dobladas a la morisca" scheint ihn als Moslem auszuweisen. Bald tauchen indes Indizien (ebd.: 43) auf, vor allem seine kaum klassifizierbare Sprache, die eine unzweideutige Identitätsbestimmung schwierig, wenn nicht unmöglich machen: „atento sólo a sus rezos", heißt es nun (ebd.: 43), „en lengua que no sabemos si era arábiga o hebrea". Die Frage seiner darob ebenfalls verwirrten compañera (ebd.: 86): „¿Tú que religión tienes?" - sie wird auch im weiteren Verlauf des Romans nie eindeutig beantwortet, und zwar aus wohlüberlegten Gründen, wie es scheint. Almudena entpuppt sich zwar als Sepharde, rezitiert (ebd.: 193) „oraciones hebraicas en castellano del siglo XV" und fordert Benina auf (ebd.: 261): „Mafiana, dir nosotros Hierusalam". Bei näherer Betrachtung scheint der getaufte Christ indessen eher ein symbolischer Vertreter aller drei Religionen zu sein, insbesondere der maurischen und jüdischen. Die „ambiguos rasgos de entre moro y judío" (Cansinos Assens 1937: 101) hat vor allem Chamberlin einer detaillierten Analyse unterzogen, die ihn (1963: 492) zu der Annahme gelangen ließ, daß Almudena „a personification of the three great religions which have existed on Spanish soil" darstelle. In Chamberlins Indizienkette erscheint die Bedeutung, die Galdós der Madrider Kirche beimißt, vor deren Portal der Bettler seinen Stammplatz hat, besonders interessant: „Most notably, it

374

Geschichte als Politik

was the principal Moslem mosque of the city at the time of the Reconquest. If not the actual brick and mortar descendant of an earlier Jewish synagogue (as some claim), it was, of course, a spiritual descendant of Judaism. On November 9, 1085, Alfonso VI and his clergy purified the edifice, consecrating it to the , Virgen de la Almudena'", der Madrider Schutzheiligen. Die Ironie von Galdós besteht darin, so Chamberlin (ebd.: 491 f.), daß diese Kirche - „the traditional and official spiritual center of the city"

von den damaligen Hauptstadtbewohnern als „completly

Madrilenian" betrachtet, in Wirklichkeit ein Spiegel der wechselhaften Kulturgeschichte sei und „a parallel in the personal history of Caldos character Almudena" aufweise. Zusammen mit weiteren Indizien kommt Chamberlin 31 (ebd.: 493) zu der Annahme: „it seems clear, just as Galdós wished to create a composite religious Semite [...] he also desired to indicate that Almudena is associated with moments of religious experience, that cover a vast expanse of time". Genau darauf scheint auch die folgende Bemerkung des Erzählers (1994: 193) abzuzielen, die als einzige einen halbwegs konkreten Geschichtsbezug enthält: „el observador atento bien puede entrever [...] un caso de atavismo o de retroacción instintiva hacia la antigüedad, buscando la semejanza geográfica con las soledades pedregosas en que se inició la vida de la raza [...] ¿Es esto un desatino? Quizás no." In den beiden Romanen Aita Tettauen und Carlos

VI en la rápita, die beide

1905 erschienen sind und thematisch eine Einheit bilden - beide behandeln den spanischen Marokkofeldzug von 1859/60

hat Galdós auf beeindruckende

Weise unter Beweis gestellt, daß es sich dabei um kein „desatino" handelt: Nirgendwo sonst, mit Ausnahme des im folgenden zitierten Toledo-Essays, finden sich so deutliche Bezüge auf die trikulturelle Vergangenheit des Landes. Die Erlebnisse des jungen spanischen Protagonisten Juan Santiuste sind mit den Worten Schyfters (1978: 108) „a symbolic descent into the spanish past." Dabei spielen die dortigen Sepharden zwar eine wichtige Rolle; völlig unzutreffend ist indessen die Behauptung der Autorin, Galdós lasse hier „once more the predominantly aggressive orientation [...] to the Moor" erkennen. Die Absurdität dieser Behauptung wird bereits durch die zahlreichen Epitheta deutlich, mit denen der Autor von Aita Tettauen

(1979: 13) letztere charakteri-

siert: „¿Qué es el moro más que un español mahometano? ¿Y cuántos españoles vemos que son moros con disfraz de cristianos?" Diese Sicht der Moslems führte den Romancier (ebd.: 14) gar zu der etwas verwegenen Ansicht: „esta guerra que

V g l . auch einen weiteren - quellenkritischen - Aufsatz von Chamberlin ( 1 9 7 8 ) über

Misericordia.

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ahora emprendemos es un poquito guerra civil"; oder er spricht (ebd.: 65) von „esa Berbería bautizada que llamamos España". Diese „pasión africana", die bereits in Misericordia (1994: 162) angeklungen war, geht freilich weder auf kolonialistische Ambitionen zurück noch ist sie exklusiv auf die Moslems beschränkt. Sie ist vielmehr ein zentrales Element der multikulturellen Perspektive des Autors, die am Beispiel des zeitgenössischen Lebens in Tetuan (= Aita Tettauen) auf vielfältige Weise die mittelalterliche Convivencia rekonstruiert, 32 die den spanischen Protagonisten, der seine Reise mit den üblichen negativen Vorurteilen angetreten hatte, zutiefst beeindruckt (ebd.: 131 f.): „el Islam y el Israel practican su fe sin estobarse el uno al otro. Esta paz entre las religiones le sorprendía y le encantaba". Aus der Fülle der Indizien seien lediglich einige besonders markante erwähnt. Etwa das Judeoespañol der Tetuaner Sepharden, das die Hauptfigur Juan Santiuste mit Überraschung registriert - „el lenguaje que hablaban a español le sonó" (1994: 117) - und das der Erzähler an zahlreichen Stellen präsentiert; 33 ferner der mehrmalige Wechsel der Erzählperspektive, durch den das Geschehen aus christlicher, moslemischer und jüdischer Sicht erzählt wird (ebd.: 119 ff. und 185 ff.). Darüber hinaus die zahlreichen interkulturellen Alltagskontakte, etwa durch die Liaison des Protagonisten mit der hübschen Sephardin Yohar 34 (Perle) - Kontakte, die zwar keine konfliktfreie Harmonie suggerieren, aber doch die zentrale Botschaft des Autors (ebd.: 206) auf den Begriff bringen: „Entre todos me cuidaréis la casa, que ha venido a ser refugio maternal de moros, cristianos y judíos". Am deutlichsten nimmt die multikulturelle Perspektive indessen in der Figur von El Nasiry Gestalt an: Der gebürtige Spanier, der freiwillig (sie) zum Islam konvertierte, lebt seit vielen Jahren in Tetuan und ist auch ein Freund der 32

33

34

Dabei stützte sich Galdós nicht nur auf die bereits zitierten Quellen; er kannte auch The Arabian Nights Entertainment und Rodrigo Sorianos Buch Moros y Cristianos. Notas de Viaje (1893-1894) (Chamberlin 1978: 109), er kannte den Koran (Ricard 1935: 476) und unternahm 1904 selbst eine kurze Reise nach Marokko. Lambert (1973: 33 ff.) weist im übrigen daraufhin, daß Galdós gegen Ende des Jahrhunderts eine Beziehung zu einer Frau unterhalten habe, die zum Judentum konvertierte - eine Beziehung, der er insbesondere für das Zustandekommen von Aita Tettauen und Carlos IV en la rápita Bedeutung beimißt. Zuweilen allerdings, wie Chamberlin (1963/64: 88) schreibt, zeitigte Galdós „no happy results with all the Hebrew words he employed". Chamberlin (1963/64) weist zudem darauf hin, daß auch die Namen der Personenpalette häufig historische Bezüge aufweisen: „For example, the name, .Jakob de al Ha-Levy Senor' is capable of calling to mind such famous men as the poet-philosopher Yehuda ha-Levi (1080-1140) and Abraham Seneor, the tax collector of Los Reyes Católicos at the time of the Jewish expulsión."

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Geschichte als Politik

dortigen Juden. Dieser „espaftol musulmanizado [...] que supo cambiar de religión, de patria y de costumbre con flexibilidad inaudita" (ebd.: 188), dürfte von vielen damaligen Lesern als Provokation empfunden worden sein. Nicht zuletzt deshalb, weil es sich um einen außerordentlich gebildeten Konvertiten handelt (ebd.: 203): „El había estudiado más de cien bachilleres de Salamanca para llegar a la cabal asimilación del islamismo por el lado religioso, por el civil y moral". El Nasiry ist es auch (ebd.: 203 f.), der Santiuste davor warnt, Yohar, seine jüdische Freundin, zum Gegenstand eines verbohrten christlichen Proselitentums zu machen: „Bien, hijo: lo que no me parece acertado es tu pretensión de que Yohar abrace el cristianismo." Was in Gloria noch undenkbar schien, in

Misericordia

sich bereits andeutete, wird hier (ebd.: 206) zum handlungsrelevanten Plädoyer für interkulturelle Toleranz avant la lettre: „Calló el Nasiry, quedando un ratito en meditación, Juan, metido también en sí, no echaba en saco roto la lección". Problematisch mutet indes an, daß Galdós auch in diesem Roman (wie bereits in Gloria) den Topos der sephardischen Spanientreue in extenso präsentiert: „ya no tenían los hebreos rabia contro españoles", behauptet er (ebd.: 141) zum Beispiel unter Berufung auf die Tatsache, daß die Tetuaner Juden die spanischen Truppen mit „el grito de ¡Viva la reina de España!" begrüßt hätten (ebd.: 183); die rührseligsten Klischees angeblicher Spanientreue der Sepharden, wie sie vor allem Pulido zur selben Zeit kolportierte, überträgt er (ebd.: 143) gar auf die Nachfahren der vertriebenen Mauren: „en su casa conservaba las llaves de la que en Granada ocuparon sus antecesores, hasta que Isabel y Fernando (¡a quienes Allah dé su merecido!) les arrojaron con Boabdil a las playas africanas". Von dieser etwas schönfärberischen Sicht abgesehen, behält Galdós die multikulturelle Perspektive auch in dem Fortsetzungsroman Carlos VI en la rápita bei. Es verwundert daher nicht, wenn derselbe Protagonist gleich zu Beginn (1925: 5 f.) mit dem „remoquete de Confusio (con ese)" apostrophiert wird und das folgende Bekenntnis (ebd.) einem kulturellen Manifest gleichkommt: „Quiero reconstruir mi ser sintético, y fundir en él la nueva conciencia [...] en ésta mi africana vida tan atropellada y exuberante. [...] Adviértase que la síntesis religiosa es para mí uso particular y exclusivo goce, sin nigún purito de apostolado ni cosa que lo valga." Der Hinweis auf „[el] exclusivo goce" ist dabei auch ganz wörtlich zu verstehen: In diesem Roman 35 geht es Galdós in erster Linie darum, seinen multikulturellen Ansatz am Beispiel der Geschlechterbeziehungen zu

35

D. h. in der ersten Hälfte; im zweiten Teil spielt die trikulturelle Thematik keine R o l l e mehr.

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illustrieren, vor allem an deren kulturbedingten Unterschieden: „Entre la moral mahometana y la mía española", heißt es etwa paradigmatisch (ebd.: 102), „no había concordia ni avenencia. Con sólo pasar de una raza á otra, el mal se trocaba en bien y el pecado en virtud." Gemeint ist hier die , Vielweiberei' von El Nasiry, der mit drei Frauen zusammenlebt und seinen Interimsgast Juan Santiuste mit den Worten (ebd.: 82) belehrt: „Cada país tiene sus dogmas, y yo, al acomodarme á la vida mora, he abrazado esta religión de las costumbres, y antes me dejaré morir que faltar á ella o consentir las faltas de los demás en mi propia casa." Die interkulturelle Lektion, verbunden mit der ausdrücklichen Warnung, „los hábitos morunos" zu respektieren, weckt in dem erfahrungshungrigen Don Juan indessen verbotene Wünsche, die der Autor (ebd.: 91) mit leichter Ironie beschreibt: „Por la noche, después de cenar con El Nasiry [...] me acosté mecido por mi imaginación en vagorosas ilusiones, y soñé que en mí se reproducía la historia del Cautivo contada por Cervantes en el Quijote." Die erotischen Phantasien des Protagonisten sind an dieser Stelle des Romans wohl vor allem deshalb besonders ausgeprägt, weil seine Liaison mit der schönen Jüdin Yohar auf Betreiben ihres Vaters bereits in die Brüche gegangen ist - zugunsten eines Landsmannes

von Juan (ebd.: 31): „Ya estaba tratado, de

días luengos atrás, casarla con un sephardim 36 de Constantinopla, que tiene casa en Gibraltar". Die mißglückte Liebesbeziehung bietet dem Romancier (ebd.: 7) reichlich Gelegenheit, auch die christlich-jüdischen Unterschiede auf diesem Terrain zur Sprache zu bringen: „En el tratado del amor de mujer manifiestan las tres hermanas [religiosas, N.R.] .... (que así las llamo por no encontrar nombre adecuado con que designar su indudable parentesco) ... manifiestan, digo, divergencias mayores que en otros delicados puntos." Trotz obiger Ironie, mit der Galdós den Miniaturharem des Wahlmoslems bedachte, läßt er doch keinen Zweifel daran, daß er die Liebesvorstellungen der jüdischen und moslemischen „hermanas" präferiert. Ganz allgemein besonders deshalb, weil auch die körperlich-sinnliche Liebe bei ihnen einen festen Platz einnimmt, eine natürliche Form der Liebe, die er im Christentum vermißt (ebd.: 118): „Te diré que no sólo creo compatible el sacerdocio con el cariño de mujer, sino que lo creo necesario, indispensable." 37 Im vorliegenden Fall, den der verlassene Liebhaber zu einem

36

37

Dieser Singular in Pluralform ist ein Beispiel für die von Chamberlin konstatierten Fehler. Es ist sicher kein Zufall, daß Galdös, in dessen Gesamtceuvre erotische Komponenten keinen sonderlich prominenten Platz einnehmen - Ricard (1959: 13) spricht denn auch im Zusammenhang mit Misericordia von „l'exceptionelle pudeur de l'ecri-

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Geschichte als Politik

Casus belli im Stile Calderóns zu inszenieren trachtet, geht es dem Autor (ebd.: 34) vor allem um eine Persiflage des altchristlichen Ehrbegriffs: „Como español y como cristiano, no podía evadir el precepto de honor que á una venganza donosa y pública me obligaba, y habría dejado en mal lugar á mi nacionalidad y á mi fe (aunque esto parezca mentira), si al cumplimiento de tan sagrado compromiso no me apretase

sin perder horas ni minutos."

Die

Reaktionen seines jüdischen Umfeldes (ebd.) lesen sich als kulturkontrastiver Vergleich: „Cuando este propósito manifesté á las judías que me rodeaban, advertí en ellas más sorpresa que terror. N o comprendían mi acción vengadora ni los sentimientos en que tenía su origen." Es fallt den Beteiligten schließlich nicht schwer, den jungen Spanier davon zu überzeugen, „[que] en esta tierra [...] poco tienen que hacer los Quijotes y Cides" (ebd.: 40) und ihn - u. a. mittels eines „remedión de plata y oro" (ebd.: 39) - zur Heimreise nach Spanien zu bewegen. Sein Abschied von Tetuan (ebd.: 42) darf als erneutes Bekenntnis zur historischen und zeitgenössischen Convivencia verstanden werden: „Adiós, tierra de maldición y de bendición, más, al fin, de lo segundo que de lo primero [...] Hermosa eres, Tetuán, por el misterio de tus calles, la poesía de tus contornos, por la serena confianza de las tres religiones que en tu regazo duermen". In den zitierten Romanen besitzt die übergroße Mehrheit jener Passagen, die sich als Hinweise auf die mittelalterliche Convivencia deuten lassen, einen symbolisch-allegorischen Charakter. Aus ihnen läßt sich zwar entnehmen, daß Galdós die Vertreibung von Mauren und Juden außergewöhnlich - fast möchte man sagen: singular - kritisch bewertet und das trikulturelle Zusammenleben positiv beurteilt; ein präzises Geschichtsbild geht aus den Romanen aber nicht hervor. Im Unterschied zur romantischen Literatur hat Galdós zwar keinen historischen Roman zu dieser Thematik verfaßt, aber einen gut hundertfiinfzigseitigen Essay

über

die

Kunst-

und

Kulturgeschichte

Toledos,

der ein

ziemlich

detailliertes Wissen über diese Epoche verrät. In der Tat stützt diese „obra de juventud", wie der Herausgeber seiner Obras Inéditas

(1924: 11) den Essay zeitlich vage situiert, die hier präsentierte Inter-

vain"-, sein ,erotisches Manifest' im jüdisch-moslemischen Kontext ansiedelt: Schließlich war die Verunglimpfung der convivencia-Traditionen stets aufs engste mit einem „antierotischen Angriff' (Goytisolo) verbunden. Bereits in Aita Tettauen finden sich zahlreiche kritische Anspielungen auf die christliche Sexualmoral: „estimo como mal", bekennt Santiuste beispielsweise (1979: 105), „el celibato de los sacerdotes, peor me parece el de los ejércitos en campaña". Statt dessen wünscht er sich (ebd.: 111) „un bonito cargamento de mujeres".

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pretation, wenn auch mit einigen Einschränkungen: „Toledo es una historia de España completa", heißt es (ebd.: 44) gleich zu Beginn. Die noch immer als „Ciudad Imperial" apostrophierte Stadt erlebte u. a. „los mejores tiempos de la dominación Sarracena, recibiendo el depósito de cultura que los árabes y los judíos dejaron en la Península". Im Zentrum der Darstellung, die sich auf die hier relevante Epoche bezieht, steht allerdings die arabische Kultur. Und sie fällt ein weiteres Indiz gegen die zitierte Auffassung, Galdós stelle die Moslems eher negativ dar - überwiegend positiv aus (ebd.: 78): „Los árabes mostraron allí los primeros indicios de su originalidad". Besonders in der Architektur attestiert er (ebd.: 107 f.) den moslemischen Herrschern der Stadt einen „mayor grado de cultura, una perfección más pura de las formas absolutas, más corrección y más ingenio que las obras del Norte". Galdós spricht zwar nirgendwo explizit von moslemischer Toleranz gegenüber Juden und Christen; die Begriffe, mit denen er die Moslems charakterisiert - „Tarik con sus huestes invasoras" (ebd.: 54), „el yugo de los invasores" (ebd.: 68) - , spiegeln sogar eher die ambivalente Terminologie von Amador de los Ríos u. a. wider,38 und der Beginn der Toleranz scheint sich nach der Lesart von Galdós erst auf die christliche Ägide zurückdatieren zu lassen. Bereits Alfonso VI. habe eine „sincera amistad al monarca musulmán" gepflegt: „La amistad del rey toledano", fügt er hinzu (ebd.: 83), „y del que después conquista la ciudad, es cosa cierta." Wenngleich sich die politischen Verhältnisse nach der christlichen Eroberung der Stadt (1085) auch änderten, so Galdós (ebd.: 94), „en las costumbres, la transformación no es muy grande, porque los dos pueblos siguen hermanados por algún tiempo". Auch die arabische Kunst, schreibt er, „sigue después de 1085 su natural desarrollo". Oberster Garant der Convivencia unter christlicher Dominanz sei der König gewesen, dessen „natural bondad y el conocimiento de las cosas de la vida le indujeron a ser tolerante con los vencidos ..." Nach Ansicht von Galdós (ebd.: 96) - und hier befindet er sich im Einklang mit der neueren historischen Forschung - waren es zunächst primär „Ausländer", die die relative Eintracht der drei Kulturen allmählich in Zwietracht verwandelten; während der Regentschaft von Alfonso VI. vor allem dessen französische Frau Doña Constanza und der „arzobispo recién nombrado, don Bernardo, monje cluniense que había venido de Francia a España". In den ideologischen Importprodukten der vom Kreuzzugsgedanken inspirierten Reconquête, von der der Terminus Reconquista ur38

Das gilt übrigens auch für einige Aspekte der /teco/jg^/sta-Geschichte. Hier sieht Galdós (ebd.: 8 9 f.) „ejércitos de héroes" am Werke, von denen „un joven, a quien llaman el Cid", besonders herausragende „empresas fabulosas" unternommen habe.

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sprünglich abstammt, sieht Galdós (ebd.: 101) folglich die wichtigsten Keime der wachsenden Intoleranz: „el primer acto de intolerancia religiosa, que tanto nos echan en cara los extranjeros, y a veces con razón, fué cometido por dos franceses, por una reina devota y un fraile terco". Nahezu unerwähnt bleibt dagegen erstaunlicherweise die Ägide von Alfonso X., während der die kulturelle Blüte der Stadt ihren Zenit erlebte. Recht unvermittelt springt der Autor (ebd.: 126) ins 14. Jahrhundert, „siglo fatal para Toledo, que vió asesinados gran número de sus hijos". Gemeint sind hier auch die Juden (ebd.: 127): „Ya sabemos qué punto de la ciudad habitaban los judíos. Allí existen las ruinas más tristes que posee Toledo." Das Ende der Convivencia war damit vorprogrammiert. Der Autor des umfangreichen Essays widmet ihrem definitiven Ende jedoch nur einen lapidaren Satz (ebd.: 144), in dem das Vertreibungsedikt nicht einmal erwähnt wird: „Llega, por ultimo, un año memorable en la historia de España, el año 1492, en que los Reyes Católicos toman Granada y descubre Cristóbal Colón el Nuevo Mundo." Schonungslos offen fällt dagegen die Beschreibung aus, mit der Galdós gegen Ende (ebd.: 199) des Essays das weitere Schicksal der Stadt verfolgt: „El siglo XVII, que marca una atroz decadencia, así en política como en artes, crea en Toledo, como en toda España, una multitud de bárbaros e insustanciales conventos, fundados por un fanatismo craso y una devoción poco ilustrada." Lediglich in einigen Werken der Literatur, so scheint der Autor anzudeuten, lebt ein Teil des trikulturellen Erbes fort. Vor allem in J a Madre Celestina, incomparable bruja y [...] conocedora de la sociedad de su tiempo" (ebd.: 47), und in Cervantes „ingeniosa invención de la compra del manuscrito arábigo". Im Kontext des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts nehmen die historische Convivencia- und die zeitgenössische Sephardenthematik im Œuvre von Galdós damit einen singulären Platz ein: Neben dem allgemeinen Philosemitismus des Autors (Veegh 1990: 62) lassen die hier untersuchten Texte auch ein ausgesprochen positives Verhältnis zu den Sepharden erkennen. Galdós übernimmt zwar einige der damals im Umlauf befindlichen Topoi (etwa die angebliche Spanientreue der Sepharden), erweist sich aber dessen ungeachtet als dezidierter ,Multikulturalist', der im Unterschied zu den anderen Intellektuellen seiner Zeit, wie insbesondere sein Toledo-Essay illustriert, den ,Umweg' über die Geschichte nicht scheut. Im Gegenteil: Galdós zeichnet zwar keine kulturhistorische Idylle, übernimmt auch einige gängige Stereotypen aus dem Arsenal der nationalen Kulturhistoriographie; er hält die Epoche von 711 bis 1492 j e d o c h - wegen und nicht trotz ihrer trikulturellen Dimension - für ein zentrales

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Kapitel der peninsularen Geschichte, dessen kritische Lektüre zur Beantwortung zeitgenösssicher Fragen unumgänglich sei. Bevor sich in späteren Jahren allmählich eine kulturhistorische Währungsreform' durchzusetzen begann, die auch die Literatur tangierte (Vicente 1991: 71 ff.), war Galdós einer der wenigen, wenn nicht der einzige prominente Autor der Jahrhundertwende, der das Vermächtnis der trikulturellen Convivencia lebendig hielt. Die Möglichkeitsform des folgenden Resümees von Ricard (1959: 25), der zu den wenigen GaldósForschern gehört, die sich für den historischen Bezug der Sepharden-Thematik interessierten, darf man daher - hier am Beispiel von Misericordia

- getrost als

Gewissheit verstehen: „Peut-être aussi le grand romancier a-t-il voulu évoquer les temps lointains de l'histoire espagnole où ces trois religions coexistaient sur le sol de la patrie comme elles coexistent dans la personne d'Almudena, Juif, Musulman et baptisé."

5. „Komm mir nicht mit Judenstreichen": Emilia Pardo Bazán Die historische Koexistenz von Juden, Mauren und Christen, die Pérez Galdós als Segen empfand - für Emilia Pardo Bazán (1851-1921) war sie ein Fluch. Einer der Gründe, ein durchaus zentraler, der sie zeitlebens in diesem Glauben bestärkte, hat seine Wurzeln in ihren Rasse-Visionen: „En las unidades nacionales no veo hombres", lautet das Credo eines der Protagonisten ihres Romans Insolación (1970: 46), „veo una raza que se determina históricamente en esta o en aquella dirección". Im Werk der bekanntesten Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts drückt dieses Credo ihre wohl tiefste Überzeugung aus: In einer Mischung aus religiösen und rassischen Ideen (Dendle 1970: 17) bildet es zugleich das Grundferment eines Antisemitismus, der kein gutes Haar an den Juden läßt, weder an den Sepharden noch an den Aschkenasen. Insofern stellt ihr Judenbild eher eine Ausnahme dar: Eine gewisse Sympathie empfand Pardo Bazán lediglich für die Mauren. In ihren „Reflexiones científicas contra el darwinismo" (1973: III/565 ff.) kommen die beiden Hauptwurzeln ihres violenten Antisemitismus, Rasse und Religion, exemplarisch zum Ausdruck: „Las razas", zeigt sie sich überzeugt, „conservan su tipo [...] con leves modificaciones, que suelen no ser ventajosas." Dem statischen Begriff von ahistorischen Dauerrassen entspricht ihre Überzeugung, daß es „razas superiores" und „razas inferiores" gebe. Letztere, unter

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anderem „los salvajes", zeichnen sich ihrer Ansicht nach dadurch aus, daß sie ohne Skrupel stehlen, Verbrechen begehen, keine Scham besitzen und völlig ohne Glauben sind. Erstere, vor allem in Gestalt der „indoeuropäischen Rasse", seien allen anderen überlegen: „No es sorprendente el caso", schreibt sie (Dendle 1970: 22), „para los que creemos en la superioridad absoluta de la raza indoeuropea, noble y preclara, capaz de las más altas y profundas concepciones a que puede arribar la humanidad." Dieser Rassenadel zeige sich besonders bei den Griechen (1973: III/566), nämlich durch ihre „evidente primacía corporal". In den Augen von Pardo Bazán besaß jedoch auch die griechische Edelrasse einen Makel, der durch ihren physischen und psychischen Adel keinesfalls wettgemacht wurde: Die Griechen waren Heiden, ihnen fehlte „la luz del Evangelio y la religión de Jesucristo". Aus diesem, und nur aus diesem Grunde bezeichnete sie den Darwinismus als „novela": „nunca alcanzará a explicar la Creación sino como la explican el Génesis y la filosofía cristiana: por la acción libre y voluntaria de Dios." Obwohl Pardo Bazán dem „souveränen Baumeister", auf den letztlich alles zurückzufuhren sei, eine Schlüsselrolle zuweist, war sie dennoch nicht der Ansicht, daß ein rassischer Makel völlig überwindbar sei, etwa durch Konversion zum christlichen Glauben. Rassische Eigenschaften, wiewohl historisch geformt, seien vererbbar, würden gleichsam zu Instinkten: „Son antipatías de raza", schreibt sie beispielsweise (Dendle 1970: 24), „que considero ocioso y hasta perjudical combatir". An anderer Stelle (ebd.: 24) sind es zeitlose Atavismen, die sich immer wieder Geltung verschaffen: „el temperamento de la raza que bullía bajo la superficio helada y serena de la educación". Ob ihr „virulenter Antisemitismus", wie Dendle (ebd.: 30) schreibt, daher nur als „religiöses Vorurteil" einzustufen ist, das durch „den Unsinn wissenschaftlicher' Rassentheorien" lediglich verstärkt wurde - diese Frage ist deshalb sicher nicht eindeutig zu beantworten. Denn rassische, besser: rassistische Kategorien haben Pardo Bazán genauso häufig die Feder gefuhrt wie religiöse, nicht selten, wie in der folgenden Sentenz (1982: 91), mit einem deutlichen Übergewicht ersterer: „A despecho de la influencia eficaz del Cristianismo, es tal la fuerza de las impresiones que mueven a propugnar lo feo y lo infecto, a asociar la deformidad moral y la física, que aún hoy el nombre vulgar que recibían los leprosos (ladres, malades en Francia, gafos en Castilla) es un epíteto insultante". In ihrem antisemitischen ,Hauptwerk', das weiter unten behandelt wird, hat Pardo Bazán die Anfälligkeit für diese Krankheit ausdrücklich den Juden zugeschrieben; die Fortsetzung des obigen Zitats ist deshalb nicht nur deskriptiv gemeint: „en España se les [die

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Leprakranken, N.R.] acusó de haberse confabulado con los moros granadinos y con los hebreos para tramar la pérdida de los cristianos". 39 Ähnlich wie später Pió Baroja räumt sie (1895: 94 f.) zwar einen „semitischen" Einfluß auf die „nationale Psychologie" ein; wie dieser ist sie allerdings der Meinung: „el alma semítica es la que menos nos lisonja". Diese Seele, fährt sie fort, sei besonders stark in Andalusien ausgeprägt; deshalb sei diese südliche Region des Landes die am wenigstens repräsentative. Aus diesem Grunde protestiere sie (ebd.: 96) dagegen, daß Spanien mit diesen „wahllos zusammengerafften" Elementen identifiziert werde - Elemente, „gegen die wir achthundert Jahre gekämpft haben". Es sind vor allem 40 die mittelalterlichen Juden, über die die Autorin ihren Haß ergießt, auch über die in der Literatur. So findet sie (1994: 172) zwar relativ lobende Worte für das Libro de buen amor, warnt die Leser dieses Buches aber: „Eran moras y judías muchas de estas contaderas amigas del arcipreste, [...] que daba beleño y ponzoña para trastornar el corazón y los sentidos." Dabei verliert sie kein einziges Wort über das Goldene Zeitalter der spanischen Juden, das einige ihrer politischen Freunde, etwa Marcelino Menéndez Pelayo, in höchsten Tönen lobten. Letzterer hatte zwar für ihr Buch über San Francisco de Asis ein Vorwort geschrieben; das Bild der mittelalterlichen Juden, das sie dort zeichnet, dürfte diesem jedoch etwas

einseitig

erschienen sein: „Por todas partes en la Edad Media", schreibt Pardo Bazán (1982: 41) in der historischen Einführung zu diesem Buch, „viven los judíos arrinconados, como arañas, en los tenebrosos ángulos de la sociedad; desde ahí tejen su teleraña de préstamo y usura, para cazar a las moscas inadvertidas". Kein Klischee erscheint ihr zu abgefeimt, keine Beschuldigung zu niederträchtig, um die „tan detestada raza" post festum zu verfluchen: „no les basta arruinar al cristiano, quieren inauditas represalias: ya no piden oro; reclaman, como el Silok [sie] de Shakespeare, carne humana: en la historia de los siglos medios abundan procesos horribles, niños cristianos robados por los hebreos para sacrificarlos con espantosos refinamientos de martirio: son tantos y tan unánimes los testimo-

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In Umkehrung der historischen Tatsachen - die altchristliche ,Angst vor dem Wasser' behauptet sie (ebd.: 29) sogar: „A los israelitas, y en general a los pueblos de raza semítica, les conviene el baño como el pan, y no se bañarían casi nunca, porque eran sucios entonces ... La lepra y la sarna, terribles azotes de los pueblos errantes." Ihr dumpfer Antisemitismus machte sich freilich auch in Gegenwartsfragen Luft. So hielt sie (Jareño López 1981: 51) die Dreyfus-Affäre für einen „Kampf der Rassen". Mit der jüdischen Rasse', einer „raza deicida", sei kein Zusammenleben möglich: „no puede impunemente subsistir una nación dentro de otra nación resistiéndose a toda amalgama. Resulte lo que resulte del examen de la causa de Dreyfus".

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nios, que apenas cabe dudar de la aterradora actualidad del hecho". Die „Rache des Volkes", „con hecatombes de judíos", habe deshalb nicht ausbleiben können. In einigen Erzählungen hat Parado Bazán die jüdischen Schreckensgestalten jener Zeit ,anschaulich' nachempfunden - etwa in „El buen judio". Die Botschaft dieser Erzählung, die im zeitlichen Umfeld von 1492 angesiedelt ist, könnte perfider kaum sein: Wenn es denn schon einmal einen „guten Juden" gibt, dann ist das erstens geradezu spektakulär und zweitens nicht von langer Dauer - die normalen, also bösen Juden sorgen schon dafür, daß die Ausnahme eine ebensolche bleibt. Letztere sind in der Erzählung durch die beiden Brüder Zabulón und Isaac vertreten, zwei Goldschmiede, die dem allgemeinen Judenbild (1973: 171) vollauf entsprechen: „Los hebreos son industriosos y negociantes, como nadie ignora, tienen ei arte de insinuarse doquier existe una dobla que ganar." Im Falle der beiden Brüder handelt es sich jedoch nicht nur um ,typisch' geschäftstüchtige Juden - Zabulón und Isaac stehen sogar in engen geschäftlichen Beziehungen zur kriminellen Unterwelt. Ersterer, er ist Goldschmied, figuriert (ebd.: 172) als „maldito israelita, [que] con sus barbas de chivo roñoso y su cara hipócrita, era encubridor de salteadores, y la plata robada en toda la comarca y mucho más allá conflulía a su tienda para transformarse y volver a venderse sin peligro." Dessen Bruder „algo menos caduco", besorgt den .Rohstoff und verdingt sich als Hehler. Das Geschäft läuft offensichtlich so gut, daß sich die räuberischen Geschäftsleute entschließen, einen Lehrling einzustellen, auch er ein Jude - aber (fast) das Gegenteil seiner Arbeitgeber, physisch wie moralisch: „llevando en el rostro el sello de la raza judía [...] el rostro del aprendiz era perfecto." Perfekt ist sein Gesicht vor allem deshalb, weil es dem Antlitz von Jesus Christus ähnelt. Auch sonst erinnert alles an den Begründer jener Religion, die die Erzählerin für die einzig wahre hält: Der junge Lehrling, er heißt Yesúa, kümmert sich um die Kranken und Hilfsbedürftigen des Ortes und ist darauf bedacht, niemanden zu betrügen: „En todo formaba su conducta ei contraste más vivo con la de sus amos." Die merken allerdings schon bald, daß ihr Lehrling ziemlich aus der Art geschlagen ist und ihre dubiosen Geschäfte gefährdet. So geschieht das Unvermeidliche: Yesúa wird ermordet - vermutlich von seinen Lehrherrn und mit Billigung der „Mächtigen" des Ortes, die von den Hehlereien der beiden Juden profitieren. Am Ende (ebd:173) müssen sie das Land zwar verlassen, aber immerhin „con el riñon bien cubierto de oro" - ihrem eigentlichen Lebenselexier. Der allegorische Wink mit dem Zaunpfahl, vor allem die perfide Christusmörderpropaganda dieses Textes, tritt in „Corpus", einer anderen Kurzerzählung,

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noch penetranter in Erscheinung. Auch hier (1947: 1439) ist es ein jüdisches Bruderpaar, ein Goldschmied und ein Rabbiner, das im „schmutzigen und düsteren" Ghetto einer unbekannten Stadt sein Unwesen treibt - geleitet von einem abgrundtiefen „odio a los cristianos" und einem „perpetuo afán de inferirles algún ultraje, de herirlos en lo que más aman y veneran." Dazu gehören unter anderem ihre Kinder, weshalb der Goldschmied seinem Bruder vorschlägt, ein Christenkind in ihr Geschäft zu locken, es zu töten und sein Blut dem nächsten Osterbrot beizumischen. Die Juden als Vampire der Christenkinder der perversen Phantasie der Autorin, die von den plattesten Klischees des Antisemitismus bevölkert wird, ist das noch nicht genug. Deshalb schlägt der Rabbiner seinem Bruder vor, nicht nur ein beliebiges Christenkind zu töten, sondern das Christuskind. Gesagt, getan, beschafft er sieben Hostien, um sie zu schänden: „¡Ese es su Dios, su Mesías! - exclamó el talmudista con infinito desdén [...] ¿Qué te parece, hermano? ¿Cómo le burlaremos mejor? ?Se lo echaremos a la marrana? ¿Lo revolveremos con la basura de estercolero?" Der pathologische Christenhasser entscheidet sich schließlich dafür (ebd.: 1440), seinen primären Impulsen nachzugeben: „de pronto, arrojando al suelo las Formas, las patea y danza sobre eilas con frenesí, para reducirlas a partículas impalpables, que se confundan e incorporen a la inmundicia del suelo". Doch dann geschieht das heilige Wunder: Obwohl der Gottesschänder die Hostien immer wieder mit seinen Füßen traktiert, „sudoroso y con la vista extraviada", bleiben sie intakt. Der Bruder des Rabbiners erkennt darin einen Fingerzeig Gottes und konvertiert zum Christentum. Sollte es sich bei letzterem um einen spanischen Juden des späten Mittelalters gehandelt haben, dann dürfte ihm die Konversion nicht allzuviel genutz haben: Denn das Statut zur Reinheit des Blutes, hatte Pardo Bazán (1973: III, 549) an anderer Stelle geschrieben, mit dem ihre Großväter sich zu schützen suchten, und das heutzutage lächerlich gemacht werde, sei von der Wissenschaft als richtig erkannt worden. Genauso richtig, zeigte sie (1994: 174) sich überzeugt, war die schließliche Vertreibung der Juden. In dieser Frage widerspricht sie ausdrücklich dem ansonsten hochgelobten Menéndez Pidal: „No significa esto que con todas las conclusiones de Menéndez Pidal estuviese yo conforme [...]. Necesitaría llenar muchas cuartillas antes de aquilatar si la expulsión de los judíos fue, como dice Menéndez, un error de los Reyes Católicos. [...] No fue el capricho, y mucho menos el fanatismo (¡fanático don Fernando de Arágon!), lo que dictó la conducta de los regios esposos. Una serie de concausas y de necesidades de alta política se la impuso. Y repito que, si nos fijamos en lo que sucede por ahí,

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habremos de reconocer que vieron muy claro los reyes." Die zuletzt zitierte Anspielung - „lo que sucede por ahí" - ist möglicherweise als Seitenhieb auf den Philosephardismus zu verstehen, der zu dem Zeitpunkt, als Pardo Bazán diese Zeilen schrieb, bereits ein nationales' Thema war - ein Thema, das ihr zutiefst zuwider war: „Nosotros somos quizá la nación donde los israelitas encuentran actualmente mayor tolerancia absoluta; no se conoce aquí intransigencias sociales del género de las que en Alemania son tenacísimas; invencibles; nosotros no soñábamos en matanzas y movimientos antisemíticos, como los que ensangrientan ahora mismo las calles de ciudades muy populosas, en estados muy europeos." Die Juden, unter Einschluß der Sepharden, mag sie dennoch nicht. Deshalb noch einmal ihre (1910: IV/224) Warnung: „Que no me hagas judiadas." Und deshalb ihr uneingeschränktes Lob (1973: III/1397) für ihren Generationskollegen Pedro Antonio de Alarcón, der in einem seiner Romane einen ähnlichen „odio al usurero" beschrieben hatte wie sie. In zwei Romanen, Una cristiana und La prueba, hat Pardo Bazán unter Beweis gestellt, daß ihr Haß auf die Juden, hier die zeitgenössischen, genauso groß gewesen ist. In beiden Romanen, die eigentlich eine thematische und personelle Einheit bilden, 41 dominiert ein nachgerade obsessiver Antisemitismus. Die drei Zentralgestalten der mit bescheidenen ästhetischen Mitteln erzählten Geschichte sind der junge Student Salustio, sein Onkel mütterlicherseits Don Felipe, ein ebenso reicher wie abstoßender Jude und cacique, von dem ersterer finanziell abhängig ist, sowie dessen junge Frau Doña Carmen, in die Salustio verliebt ist und aus dessen Perspektive die Romane erzählt werden. Obgleich die zentrale Thematik in Doña Carmen verkörpert wird, in deren Person die gesellschaftlichen Zwänge, das seelische Martyrium, aber auch die - christlich motivierte - Stärke einer zeitgenössischen spanischen Ehefrau zur Sprache kommen, bildet der allgegenwärtige Antisemitismus der Gräfin doch das eigentlich dramatische Ferment: Obwohl die wesentlich jüngere Frau Don Felipe nur aus einer Art seelischer Notlage heraus heiratet, ihn wegen seiner Jüdischen Eigenschaften" sogar verabscheut, hält sie doch an der christlich inspirierten Rolle einer treuen und opferbereiten Gattin fest - bis zum bitteren Ende, das in einem geradezu deliranten Judenklischee kulminiert.

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So heißt es am Ende von Una Cristiana (1910: 192) auch ganz explizit: „La segunda parte de esta obra se titula: La Prueba."

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Die sich allmählich steigernden Judenobsessionen der Autorin nehmen ihren Anfang, als sich der junge Icherzähler (1910b: 29 f.) über seine eigene jüdische Abstammung mütterlicherseits bewußt wird: ,,,Mamá ¿es cierto que somos de casta de judíos tu y yo? "' Die Antwort der Mutter fällt eindeutig aus: „Ella, echando lumbres por las pupilas, alzó la mano y me atizó un soplamocos, exclamando: ,i Negro de tí como vuelvas a decir eso! Te estampo contra la pared.'" Weder er noch seine Mutter besitzen indes physiognomische oder charakterliche Eigenschaften, wie sie den Juden zugeschrieben werden: Bei beiden, so eine - betont negative - Bemerkung über die trikulturelle Convivencia (ebd.: 31), „el estigma de la Edad Media se ha borrado ..." Dagegen besitzt sein Onkel sämtliche „rasgos de la raza hebraica" (ebd.: 32): „en lienzos de Rubens, en aquellos judiazos fuertes, sanguíneos, de corva nariz, de labios glotones y sensuales, de mirada suspicaz y dura, de perfil de ave de rapiña. Algunos, exagerados por el craso pincel del insigne artista flamenco, eran caricaturas de mi tío, pero caricaturas muy fieles." Der ,typischen' Physiognomie entspricht das nicht minder ,typische' Bild des reichen, geldgierigen und geizigen Juden (ebd.: 47 f.): „la avaricia asomaba su pico de lechuza". Im Unterschied zu seinem historischen Pendant, suggeriert die Autorin, ist Don Felipe so etwas wie ein modernes Abziehbild: „Mi tío era un avariento frustado; la sagacidad y los apetitos de bienestar y goce que ha desarrollado la sociedad moderna contrarrestaban su inclinación, porque actualmente el avaro a la antigua se pondría en ridículo; no podría alterar. Pero bajo el hombre de nuestra época, que sabe adquirir para gozar", so ein weiterer Hinweis auf das Mittelalter, das en passant gleichfalls in düstersten Farben auftaucht, 42 „yo veía al hebreo de la Edad Media, de ávidos y ganchudos dedos, ahorrador hasta la demencia." Die einzelnen Stufen des rassistischen Crescendos fügen sich im weiteren Verlauf der Erzählung zu einem nicht minder deliranten Bild eines Judenmonsters. Die Mutter des Icherzählers hat er um ihr Erbe betrogen (ebd.: 41); die Folgen in Form der zitierten Abhängigkeit bekommt nun auch

Salustio

schmerzhaft zu spüren. Doña Carmen heiratet er vor allem wegen der Aussicht auf eine veritable Erbschaft (ebd.: 74) 43 . Auch die durchweg positiv konnotierte

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Auch in La Prueba, der Fortsetzung von Una Cristiana, finden sich vereinzelte Hinweise auf diesen Zeitraum, etwa (1910: 142) die Verurteilung der ,„aristöcratas' que mezclaban su sangre con una sangre tan impura [der jüdischen, N.R.]". Sie willigt nur aus „Protest" gegen ihren Vater in die Heirat ein, der als verwitweter „viejo verde" eine geheime Liebschaft zu einer jungen Hausangestellten unterhält, eine Beziehung, die sie aus religiösen Gründen nicht akzeptieren kann.

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Ehefrau empfindet anfänglich eine tiefe Abneigung gegen J a cara de Felipe": „Es de judío", äußert sie (ebd.: 120) gegenüber ihrem Beichtvater, „esa cara [...] me ha costado bastante trabajo acostumbrarme a ella." Gegen Ende des ersten Teils mutiert die bislang eher physiognomisch und charakterlich motivierte Abneigung des Icherzählers zu einer Art genetischer „repulsión" (ebd.: 178): „No era odio lo que sentíamos hacia él su mujer y yo. El odio puede convertirse en amistad, hasta en amor; como nace de causas positivas, otras causas positivas lo anulan; pero la repugnación misteriosa [sie], la sublevación de las profundidades de nuestro ser, esa no acaba, ni se extirpa, ni se transforma: ... obra en nosotros como la naturaleza, intuitivamente, en virtud de leyes cuya esencia será para nosotros, por los siglos de los siglos, indescifrable arcano." So nimmt es schließlich nicht wunder, wenn die „Natur", deren abstoßende und unheilvolle Facetten die Juden verkörpern, ihren Tribut verlangt: Am Ende des zweiten Teils stirbt der Ewige Jude an einer der ekelerregendsten Krankheiten der Menschheitsgeschichte, der Lepra: „es una enfermedad de otros tiempos", lautet auch hier eine Anspielung (ebd.: 146) auf die jüdische Vergangenheit des Landes, „de allá de la Edad Media". Im erzählerischen Gesamtzusammenhang scheint die zitierte Eskalation des jüdischen Horrorporträts, das in ein Finale von Schrecken und Ekel mündet, eine doppelte Botschaft zu enthalten. Zum einen handelt es sich, so der pathologisch anmutende Rassismus der Autorin, um eine „enfermedad [que] es heredetaria; salta una generación, y se presenta cuando menos la esperamos. Hay en nosotros", verdammt sich der Icherzähler (ebd.: 158) sogar selber, „sangre israelita". Mithin ist auch er, der scheinbar frei ist von jeglichem Makel, ein potentielles Opfer der jüdischen „Erbkrankheit" - und mit ihm alle Juden, seien sie nun gut oder böse. Das einzige Palliativ der verfluchten Rasse, scheint die Gräfin als weitere Botschaft zu suggerieren, besteht folglich in christlicher Nächstenliebe: in einer Art heroisch-selbstloser Sterbehilfe (hier seitens der Ehefrau), die gerade in der Überwindung von Abneigung und Ekel die Überlegenheit des christlichen Credos postuliert... .Tolerant' gerierte sich Pardo Bazán, wie zahlreiche andere Autoren jener Zeit, dagegen mit den Mauren, die in Form einer extrem idealisierten historischen Kontrastharmonie als Kulturerbe akzeptiert werden. So figuriert der positiv charakterisierte christliche Beichtvater der Cristiana (1910: 69 f.), der eine Zeitlang in Afrika lebte, wiederholt als „medio moro", dessen Wertschätzung der arabischen Kultur gar so weit geht, daß er sakrosankte Kultur- und Religions-

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schranken überspringt: „tengo moros tan amigos, que alguno me enseñó su harem [...]. Lo advierto", rühmt er seine interkulturellen Kontakte vor dem Icherzähler (ebd.: 70), „que entre ellos es una prueba de estimación grandísima." Zwar hält er sie für „infieles", „[cuya] alma está envuelta en las tinieblas del error" (ebd.: 71), bekennt (ebd.: 94) aber dennoch, „que él se había encontrado siempre mejor en Marruecos que en España; mejor entre moros que entre cristianos, de estos de por acá". Zu den zahlreichen „moros simpáticos" (ebd.: 99), die der christliche Maurenfreund kennengelernt hat, gehört schließlich auch ein Nachfahre der einstigen Alhambra-Bewohner, der (ebd.: 100) seinerseits bemerkt: „Allá en Marruecos se les respeta, y contribuyen a infundirnos cariño a esta tierra española que consideramos nuestra segunda patria". Der junge Icherzähler, und mit ihm offenkundig auch die Autorin, akzeptiert diese Art von „Patriotismus" gern (ebd.: 133): „con la sangre árabe que llevamos en las venas". Damit findet das kulturhistorische Aschenputtel-Märchen der Gräfin wenigstens partiell ein gutes Ende: Die Guten, Mauren und Morisken, bieten ein probates Exerzierfeld für altruistische Missionare und sentimentale Geschichtsnostalgiker (die wenig erbaulichen Kolonialmanöver bleiben freilich unerwähnt); die Bösen, selbst wenn sie inzwischen vom jüdischen Stigma geläutert scheinen, werden vom christlichen Volkskörper allmählich ausgeschieden ... So trifft unfreiwillig zu, was die Autorin (1910a: 61) über die literarische Sondierung der Convivencia-Spuren schrieb: „mi historia es rica en detalles internos, pero exteriormente monótona y vulgar". Dabei bildet die krankhaft wirkende Aversion gegen die Juden, die Pardo Bazán vor allem in den beiden zitierten Romanen erkennen läßt, eine Konstante in ihrem gesamten Werk, unbeschadet der Tatsache (Hilton 1954/55: 3), daß sie einige Elemente ihres intransigenten Neokatholizismus in späteren Lebensjahren relativierte. Gewisse Fluktuationen weist lediglich das Bild der Mauren auf, das sie in zahlreichen Texten gezeichnet hat. Im Unterschied zu den Juden war ihr Verhältnis zu den Mauren, wie der weiter oben vorgestellte „Maurenfreund" bereits erkennen läßt, jedoch fast durchweg von Sympathie geprägt, hier und da sogar von regelrechtem Enthusiasmus! Deshalb geht die Sicht von Hilton (1951: 332), Pardo Bazán hätte einen „tiefen Haß" gegen „die Araber" empfunden, überwiegend an der Wirklichkeit vorbei. Nur in einigen, besonders „vehementen Stimmungslagen" (Hilton 1954/55: 7) sprach sie von den Arabern als „einer Pest". Auch in ihrem Roman Insolación (1970: 46) bezeichnet die Allwissende Erzählerin Spanien als ein Land „tan salvaje como el Africa central; que todos tenemos sangre africana". Auch in El

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niño de Guzmán (Dendle 1970: 21) fällt der Hinweis auf die „afrikanische" Geschichte Spaniens nicht sonderlich schmeichelhaft aus: „Este tipo", schreibt sie dort über die spanische „Erotomanie", „en la península ibérica, es representativo de la raza. La pasionalidad africana y el epicureismo latino se juntan para engendrarlo." Besonders parteiisch zeigt sich die Autorin immer dann, wenn es gilt, die Ruhmestaten des mittelalterlichen Katholizismus herauszustreichen. So schreibt sie (1982: 118) im Einklang mit den gängigen Reconquista-Legenden: „En España [...] todas las clases sociales cumplían el suyo, y unánimes marchaban a un fin político, social, religioso especialmente. Querían ser libres, ser unos bajo los pliegues del estandarte de la Cruz, vencer al invasor, expulsar a Mahoma. El ansia de independencia robustecía la fe; Cristo iba ante el denodado reconquistador, y los héroes de la espada abrían los brazos a los héroes de la penitencia." Diesen mehr oder weniger pejorativen Darstellungen stehen indessen mehrheitlich solche Maurenbilder gegenüber, in denen der spanische Islam positive Züge trägt - an einigen Stellen sogar untermalt mit einer Pose des Bedauerns, daß sein Einfluß nur noch Geschichte sei: „La mezcla del gusto gótico y del árabe", schrieb sie (Hilton 1954/55: 8) über die maurische Architektur von Zaragoza, „en la torre hermosísima, parecía emblema de lo que hubiera debido ser España si hubiésemos sabido amalgamar y fundar con la nuestra las razas conquistadas, en vez de arrojarlas de nosotros como el mar arroja el cuerpo muerto." Das gleiche Bild zeichnet sie (1973: III/1403 ff.) in einer Besprechung von Pedro Antonio de Alarcóns Diario und La Alpujarra: Die starke „impresión africana", die Alarcóns Bücher besäßen, „me parece admirable y contagiosa". Dessen „secreta simpatía [...] por la raza mora" hält sie, und das durchaus zustimmend, für ein nationales Phänomen: „un sentimiento especial, que forma parte ya de nuestra tradición psíquica: la simpatía hacia el moro." In der spanischen Geschichte habe es zwei Arten von Feinden gegeben, fahrt sie fort, einen, dem man Haß entgegengebracht habe, und einen, den man „ohne Haß" bekämpft habe; die Mauren gehörten zu der zweiten Art: „La costa de Africa la sentimos como prolongación de nuestra tierra natal, la Península ibérica; esto no lo escribo en son de chanza, lo digo en serio: afinidades del alma, recreos de imaginación, misteriosos lazos étnicos probablemente, nos atraen hacia ,el infiel'". Nur in einem Punkt zügelt Pardo Bazán ihre Maurophilie: Auf dem Gebiet der Religion. Hier, wo die katholischen Essenzen ihrer Ideenwelt tangiert werden, mag sie ihrem katholischen Schriftstellerkollegen Alarcón nicht folgen: „Todo, excepto lo que quiere el autor que sea: ,un alegato en favor de la tolerancia religiosa'".

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Hier zog sie (Hilton 1954/55: 6) lieber mit einem anderen Autor an einem Strang, dessen „investigaciones luminosas" sie uneingeschränkt teilte: Marcelino Menéndez Pelayo. Wie dieser, war sie mit Blick auf die nationale Institution der Ansicht: „La inquisición, evitando a España sangrientas guerras religiosas y espectáculos como el de las hugonotas enterradas vivas en Francia, fué un bien para nuestro país, y lejos de comprimir y estancar la cultura, coincidió con la mayor florescencia de las letras y las artes hispanas." Auch in ihren liberalsten und „europäischsten" Phasen, schreibt Hilton (ebd.: 7), blieb sie eine entschiedene Verteidigerin der Inquisition. Insofern war sie ideologisch kohärenter als Menéndez Pelayo, der seine Elogen auf die Inquisition mit einem kulturhistorischen Philosephardismus notdürftig in Einklang brachte: Ihren lebenslangen Haß auf die Juden konnte Pardo Bazán ungeteilt ausleben.

6. Fanatismuskritik mit antisemitischen Zwischentönen: Leopoldo Alas (Clarín) Vordergründig betrachtet, besteht zwischen der Fama einer zwar weitläufigen und frauenrechtlich engagierten, aber dennoch nationalkatholisch-rassistisch bornierten Autorin wie Pardo Bazán und der liberalen Reputation von Leopoldo Alas (Clarín) (1852-1901) nicht der geringste Zusammenhang, vor allem mit Blick auf die trikulturelle Geschichte. In seinen Betrachtungen über El patio andaluz (1887: 255) schreibt Leopoldo Alas, daß dieser „poetische Ort" sämtliche Dichter, die ihn je besuchten, zum Träumen veranlaßt habe - Dichter, so fugt er hinzu, „de todos los climas, de todas las razas". Artikuliert sich in diesen Worten ein Bekenntnis zum trikulturellen Spanien, das, wie bei seinem Generationskollegen Benito Pérez Galdós, eine Hommage an die jüdisch-maurischen Traditionen enthält? Tatsächlich hat Clarín (1972: 109) Gloria, den ersten , Judenroman' von Galdós, als „la mejor de las novelas contemporáneas" gelobt gegen die Bedenken und Anfeindungen, die auch von eher moderat-konservativen Kritikern formuliert wurden. In die gleiche Richtung zielt seine entschiedene Verteidigung von Dreyfus (1980: 137 ff.), die er unter dem kämpferischen Titel „Contra el antisemitismo" veröffentlichte. Es war jedoch vor allem sein Hauptwerk La Regenta, das den Romancier und Autor vieler Erzählungen den Ruf einbrachte, ein entschiedener Gegner religiöser Intoleranz zu sein: Seine beißende Kritik an einem versteinerten Katholizismus, an den „máquinas de

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hacer religión" (1982: 483), ist in der Tat von einem ähnlichen Kaliber wie die Attacken von Galdós in Gloria oder Doña Perfecta. Dennoch war Clarín mitnichten ein Antikatholik, weder im allgemeinen, was seine religiösen Grundüberzeugungen betrifft, noch im besonderen, mit Blick auf die Geschichte des spanischen Katholizismus. Im Gegenteil: „Clarín no sólo tenía una firme convicción religiosa", schreibt Pérez-Gutiérrez (1975: 280), „sino que podemos asegurar que, además de pasarse media vida pensando en Dios, como escribía en una ocasión a su admirado Menéndez Pelayo, era un hombre piadoso, un hombre que sabía por experiencia lo que era la plegaria." Was der zitierte Autor als Kompliment versteht, weist indessen zahlreiche Probleme auf, die Clarins zwiespältige Haltung zur Judenthematik sicher zu einem Gutteil erklären. Seine „Bewunderung" für Menéndez Pelayo, den intellektuellen Hohepriester einer intransigenten katholischen Orthodoxie, steht damit augenscheinlich in Zusammenhang - eine Bewunderung, die im übrigen auf Gegenseitigkeit beruhte: „Yo he sido siempre muy poco liberal", schreibt der Inquisitionsverteidiger (Menéndez Pelayo 1943: 28) dem Autor der Regenta, „pero se me ensancha el alma cuando veo a en liberal como usted coincidir conmigo en lo esencial". 44 Das Wesentliche, das war natürlich der Katholizismus. Dessen Rolle in Geschichte und Gegenwart beurteilten Menéndez Pelayo und Clarín zwar in Teilen durchaus unterschiedlich; die Berührungspunkte zwischen dem konservativen „Hammer der Häretiker" und dem liberalen Fanatismusgegner sind dennoch überraschend. Obwohl sich Clarín, im Unterschied zu Menéndez Pelayo, 45 zu kulturhistorischen Fragen, vor allem zur Bedeutung von Juden und Mauren in der spanischen Geschichte, kaum explizit geäußert hat, dürfte seine zwiespältige Haltung zur Judenfrage mit dem nationalkatholischen Grundkonsens, der ihn mit Menéndez Pelayo in wichtigen Punkten eint, in enger Verbindung stehen. Unproblematisch, auch aus heutiger Sicht, ist zunächst sein religiöses Basiscredo, wie es etwa eine Romanfigur in La Regenta (1982: 630) formuliert: „la religión es un homenaje interior del hombre a Dios". Ein solches Credo, im 44

Dementsprechend sah sich der Herausgeber des zitierten Buches im September 1938 — „III Año Triunfal" - veranlaßt, die partielle Wahlverwandtschaft beider Autoren herauszustreichen: „Y es que .Clarín', como lo demuestran sus obras, en lo esencial de las cuestiones de moral y de cultura, que son las básicas, las fundamentales de la verdadera civilización Cristiana, coincidía plenamente con quien debemos considerar y honrar como la figura más gloriosa y representativa de la nueva España: con D. Marcelino Menéndez y Pelayo."

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Vgl. das Kapitel über Menéndez Pelayo.

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schroffen Kontrast zu den zitierten „Religionsmaschinen", die den Roman bevölkern, 46 ist nicht auf Katholiken beschränkt, läßt prinzipiell auch anderen Religionen ihren Platz, selbst wenn diese den intimen Bereich persönlicher Überzeugungen verlassen und auf dem Markt der Religionen miteinander konkurrieren: „El catolicismo, cuando no es sinònimo de reacción, de imposición doctrinal y política, de intransigencia y ceguera en la polémica", schreibt Clarín (Menéndez Pelayo 1943: 190 f.), „es una de tantas hipótesis sociales, religosas, políticas, filosóficas

y artísticas que luchan legítimamente en la vida espiritual de los

pueblos civilizados de veras." Kein Wort von ewigen und einzigen Wahrheiten, kein Generalverdacht auf Häresie gegen abweichende Lehren: Menéndez Pelayo dürfte dieses Plädoyer für den friedlichen Wettbewerb der Religionen sicher Unbehagen bereitet haben. Dennoch gibt es hier einen ersten Berührungspunkt zwischen beiden, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Der kämpferische Katholizismus, 47 den Clarín verficht, wendet sich gegen die angeblichen Bestrebungen liberaler Kreise, die katholischen Traditionen aus dem gesellschaftlichen Leben auszuschließen, sie gleichsam zu ignorieren. Dagegen hält Clarín (ebd.: 181) die Säkularisierung des Bildungswesens zwar für „ein Palliativ", sofern „la santa unidad del alma humana" respektiert werde; auch die Trennung von Staat und Kirche schließt er (ebd.: 319) als mögliche Option nicht aus, solange damit keine gewalttätigen Zusammenstöße verbunden sind. 48 Er polemisiert jedoch (ebd.: 184) gegen eine „Toleranz der Neutralität", die er für eine „absurde Verstümmelung des Geistes" hält: „es una pretensión grotesca que, como se saliera con la suya, convertiría a los españoles en una clase de africanos bastante temibles". Sicher kommt in diesen Worten auch die berechtigte Warnung vor einem extremen Pendelschlag ins Gegenteil zum Ausdruck - „Malos, sí, muy malos son los extremos" (ebd.: 184) - , die sich angesichts der kirchenfeindlichen Obsessionen führender Liberaler (man denke etwa an Azafia, den sein antiklerikaler Furor für die soziale Frage ziemlich blind machte) als durchaus prophetisch erwies. Doch so verständlich diese Warnung auch ist, die

46

47

48

Dendle (1968: 42) weist übrigens zu Recht daraufhin, daß die einzige Romanfigur, die ein solches Credo besitzt, der Atheist (!) Don Pompeyo Guimarán ist. Dazu schreibt er (ebd.: 185): „para aprender, han de chocarse los aceros". Der folgende Satz mildert die martialische Metapher allerdings wieder ab: „Una sociedad es tolerante cuando todas las creencias hablan y se las oye en calma; no cuando hay esta calma porque callan todas." Im Grunde neigt er (ebd.) jedoch zu einer Integration': „Es mejor injertar [...] en la España católica la España liberal [porque] no consiste en falsificar la libertad, ni en corromper a los católicos por el soborno del presupuesto repartido."

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moderate Haltung Clarins in religiösen Fragen speist sich aus unterschiedlichen Quellen. Wie die Affinitäten zu Menéndez Pelayo vermuten lassen, auch aus eher trüben Quellen. Etwa aus der folgenden, deren nationalkatholische Färbung der Autor der Heterodoxos

als ideologisches Labsal empfanden haben dürfte:

„Mi historia natural y mi historia nacional", schrieb er (ebd.: 187) mit Aplomb, „me atan con cadenas de realidad, dulces cadenas, al amor del catolicismo [...] como obra humana y como obra española." Hier spricht kein neutraler Analytiker der Geschichte, der die historische Bedeutung des Katholizismus, seine .sozialisierende' Kraft, nüchtern konstatierte und lediglich davor warnte, seine Bedeutung aus dem kollektiven Bewußtsein einfach zu eskamotieren. Hier spricht einer, der sich als stolzer Erbe der religiösen Traditionen seines Landes fühlt! Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn er (ebd.: 186) diejenigen, die er bezichtigt, dieses Erbe, „la memoria de un padre", mit Füßen zu treten, auffordert: „Aprendamos de los chinos, no la inmovilidad, sino el respeto a los ascendientes. Si yo por el pensamiento libre soy hermano de todos los liberales del mundo, soy hermano de todos los católicos por mi españolismo." Hier, in seinem „Spanischtum", das mit dem Katholizismus eine enge Synthese eingeht, dürfte denn auch die Haupttriebfeder seiner Wahlverwandtschaft mit militanten Katholiken ä la Menéndez Pelayo liegen. Denn dieser „españolismo" ist, was seine religiöse Dimension betrifft, durch und durch blind für die historischen Schattenseiten, die „las grandezas de la España que fué" (ebd.: 182) hervorgebracht haben: „Todo el pasado", heißt seine (ebd.: 187) schönfarberische Devise, „bien vale una misa". Kein Wort der Kritik, kein Hinweis auf die Grausamkeiten, die im Namen der „dulces cadenas de amor al catolicismo" begangen wurden. Statt dessen ein ums andere Mal polemische Attacken gegen diejenigen seiner liberalen „Brüder", die in der Geschichte des spanischen Katholizismus nicht nur die „Emanzipation des Menschen" (ebd.: 174) zu sehen vermeinten: „Los que son capaces de convertirse, a fuerza de abstracciones fabricadas con odio, en enemigos verdaderos de los fieles de la Iglesia, vienen a ser creyentes al revés, como los poetas blasfemos, pues miran en la tradición religiosa, católica, no una obra puramente humana, que revela infinitos sacrificios, mares de amor y de inteligencia, y de energía, sino la otra de un poder sobrenatural aborrecido, de un demiurgo contrario a la propia idea y a las propias pasiones." Genau genommen, fällt Clarins kritiklose Verteidigung des Katholizismus als „el fondo de la raza" (ebd.: 197) damit noch traditionalistischer aus als die von Menéndez Pelayo. Denn während dieser die Greueltaten im Zeichen des Kreuzes immerhin erwähnt, gelegentlich sogar - als unvermeidbar - bedauert und nicht

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zuletzt die jüdisch-maurischen Kulturtraditionen als gemeinames spanisches Erbe akzeptiert, übergeht jener diesen Teil der Geschichte mit Schweigen. Der einzige Hinweis, der darauf schließen läßt, daß die Geschichte des spanischen Katholizismus nicht nur „una obra puramente humana" war, lautet (ebd.: 184) lapidar: „esta España, que vertió tanta sangre, propia y ajena, por la Religión". Ansonsten dominiert (ebd.: 188) eine Version der Vergangenheit, die, auch was ihre Diktion betrifft, durchaus aus einem Reconquista-Vademekum stammen könnte: „Y más ve y más oye el que oye misa bien; ve la sangre de las generaciones cristianas; y el español ve más: ve la historia de doce siglos, toda llena de abuelos, que juntaron en uno el amor de Cristo y el amor de España, y mezclaron los himnos de sus plegarias con los himnos de sus victorias." Noch lauter bläst Clarín (1984: 206) die historische Triumpffanfare in der Erzählung „León Benarides": ,JLos leoneses fueron leones en la guerra de la Reconquista." Tut man dem Autor der Regenta, einem der bedeutendsten Romanciers des 19. Jahrhunderts, vielleicht doch unrecht, wenn man ihn in eine Reihe mit den obskuren Reconquista-Ideologen stellt? Schließlich hat sich Clarín, mit den liberalen Facetten seines religiösen Credos durchaus verwandt, auch kritisch über den Umgang mit der peninsularen Geschichte geäußert. Etwa im Zusammenhang mit den Vorbereitungen des V. Centenario von 1892: „la historia de España", schrieb er (1973: 237), „amén de no estar clara, va ligada siempre a la historia, a la redomontade,

a la oda hinchada." Hier, mit Blick auf den patrio-

tischen Taumel der Entdeckungsfeierlichkeiten, empfindet auch Clarín, daß der nationale Kamm zu stark geschwollen ist: „La crítica, la poesía, la historia, la política patrióticas, castizas, han sido en España un perpetuo

boulangerismo.

Hasta para ensalzar seguidillas manchegas nos subimos a la parra nacional y sacamos el pendón de las Navas." Doch das ist nur die eine Seite in seinen Äußerungen zur Geschichte. Aus ihnen eine rundum antitraditionalistische Einstellung herauszubuchstabieren, „el rechazo por parte de Clarín de la visión tradicionalista de la historia de España", wie das Lisorgues (1981: 54) tut, geht jedoch an der Wirklichkeit ziemlich weit vorbei. In seinem „Diálogo Edificante" zwischen einer „Kathedrale" und einer protestantischen 49 „Kapelle" hat Clarín (Menéndez Pelayo 1943: 163 ff.) unter 49

Die unterschiedlichen Dimensionen beider zum Protestantismus nahelegt (Menéndez verstehen: „La religión no consiste en algo rior a las disidencias protestantes, porque obras."

Bauwerke darf man, wie Claríns Haltung Pelayo 1943: 203), durchaus symbolisch vago; por eso la religión católica es supela religión católica pide fe y además las

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Beweis gestellt, daß er, was die ,spanische Formationsepoche' par excellence betrifft, mit den konservativen Reconquista-Apologeten zumindest gelegentlich an einem Strang gezogen hat: „Los fanáticos modernos", belehrt das große Katholizismusmonument ihr kleineres architektonisches Pendant, „no conciben que se construya una catedral en Covadonya [sie], a expensas de toda la nación, como obra patriótica, como grandioso monumento que conmemora la primer [sie] hazaña de la reconquista, el primer milagro del valor español en su lucha de tantos siglos contra los sectarios de Mahoma." Der „Dialog" weist zwar ironische Zwischentöne auf - „Hablas como un libro", kommentiert etwa die „Kapelle" den patriotischen Redefluß ihrer großen Schwester aus Stein als Parodie auf die geschwollene Reconquista-Rhetorik verstünde man ihn jedoch gründlich falsch. Der leicht ironische Kontrapunkt, vermutlich die Stimme der ,traditionsfeindlichen' Liberalen, erhöht eher die Wirkung der nationalistischen Gesamtkomposition als durchaus zeitpolitisches Lehrstück: „Covadonga, quiéralo o no el racionalista negativo, tiene que representar dos grandes cosas: un gran patriotismo, el español, y una gran fe, la fe católica de los españoles, que por su fe y su patria lucharon en Covadonga. Una catedral es el mejor monumento en estos riscos, altares de la patria." Man mag aus diesen Sätzen die Absicht herauslesen, den „absurdo anarquismo que quiere hacer tablarasa de la tradición" in seine historischen Schranken zu verweisen, wie das Lissorgues (1981: 54) mit diesen Zitaten von Clarín getan hat. Plausibler ist es allemal, den Autor des „Dialogs" beim Wort (Menéndez Pelayo 1943: 169) zu nehmen: „¡La fe de León, de Burgos, de Sevilla, de Granada, se salvó en Covadonga!" Eine solche Lesart, die Clarins überwiegend orthodoxe Vision der nationalen' Geschichte als ebensolche begreift, kann sich im übrigen auf - wenn auch nur der Form nach! nichtfiktive Äußerungen des Autors stützen. In einem seiner Paliques schwärmt er (1973: 99) nicht nur von Kolumbus als „insigne navegante" und von der Entdeckung Amerikas als „un gran canto épico" - rhetorisch aufgeladene Vokabeln, die er, wie zitiert, eigentlich nicht ausstehen konnte - ; dort spricht er auch ganz allgemein von „las intuiciones más puras y altas del amor patrio histórico, del genio misterioso de nuestra tierra". Gemeint ist hier sein Madrider Lehrer Emilio Castelar, „y en determinada esfera de la actividad Menéndez y Pelayo" - zwei herausragende Vertreter eines ,positiven' Geschichtspatriotismus, die ihn mit Enthusiasmus erfüllen: „cifran gran parte de su genio en la clara visión y en el amor intenso de esa patria histórica, en la compenetración original y espontánea del espíritu, según se realizó en los siglos más gloriosos". Noch einmal: Der mutige Kritiker einer frömmelnden Heuchelei, der in La Regenta (1982: 220)

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„aquel presidio de castidad" des „traurigen" Katholizismus in der Tradition von Calderón aufs Korn nimmt - derselbe Autor besingt die „glorreiche" Geschichte seines Landes, ohne deren Kehrseite auch nur zu erwähnen. In seiner Version dieser „heroischen Geschichte" (1973: 100), die sich an der historischen Erfindung Spaniens nach Kräften beteiligte, würden die Opfer nur störend wirken: „Los poetas, los verdaderos, han comprendido que la poesía heroica del día escriben y entienden los grandes maestros modernos." Zu den „modernen Meistern" der spanischen Geschichtsschreibung, wir wissen es bereits, zählte Clarín vor allem Menéndez Pelayo. Da er sich über dessen Bild vom mittelalterlichen ,Land der drei Kulturen' nirgendwo geäußert hat, liegt die Vermutung nahe, daß es ihn nicht sonderlich interessierte. Wahrscheinlich hat es ihm auch nicht gefallen. Zusammen mit seinen traditionalistischen Ansichten über den katholischen „fondo de la raza" und die historische „Heldendichtung" liegt deshalb die Schlußfolgerung nahe: Zumindest implizit war Clarín ein .historischer Antisemit'. Auch für die Mauren schien Clarín keine besonderen Sympathien zu empfinden. Sie harmonierten offenkundig nur schwer mit den orthodoxen Vorstellungen einer heldenhaften Reconquista. Im Unterschied zu den mittelalterlichen Juden finden sie hier und da aber immerhin Erwähnung. In den eingangs zitierten Betrachtungen über „el patio andaluz" (1887: 255 ff.) scheinen sie sogar, und das durchaus positiv, einen Teil „de todas las razas" zu bilden, die in Andalusien ihre Spuren hinterlassen hätten. Was folgt, sind jedoch nur die Allgemeinplätze einer abgestandenen Maurenromantik: „La otra Andalucía, la misteriosa, la inolvidable, la que se adivina cuando se sabe soñar, la que [...] habla al alma [...] en los juegos de la luz en la mezquita de Córdoba á las diez de la mañana". Ins Schwärmen gerät Clarín beim Anblick der maurischen Kulturdenkmäler, die er während einer Reise Mitte der 80er Jahre besuchte, jedoch nicht. Er macht sich, hier am Beispiel der Alhambra, über die Begeisterung der Besucher sogar lustig und konstatiert lakonisch: „En cuanto á la Alhambra [...] si la mayor parte de los viajeros y de los indígenas quisieran ser francos [...] dirían que no les parece tan gran maravilla como se asegura; entre otras razones, porque se está cayendo". Die anderen Gründe, die nicht genannten, liegen vermutlich zu einem Großteil in Clarins Vision der Geschichte. In einer Rezension von Castelars El suspiro del moro firmiert (1986: 1263) die dort geschilderte Einnahme Granadas als „una evocación del momento más glorioso, el culminante de nuestra historia del pueblo cristiano". Die spanische Geschichte, „este aspecto singular e interesante de nuestra Reconquista", hat damit ihren Zenit erreicht. Weit davon entfernt, für

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den „Seufzer des Mauren" post festum Mitleid zu empfinden, äußert er seine Genugtuung darüber, daß der Fall Granadas „las relaciones con los pueblos enemigos" zu einem guten Ende gefuhrt habe. Man tut Clarín deshalb nicht unrecht, wenn man die folgenden Sätze aus einer seiner Erzählungen (1983: 399), sie gelten zwei asturischen Frauen, die stolz darauf sind, „[que] romanos y moros [...] nunca pasaron por allí", auch auf ihn selber bezieht: „en definitiva, romanos y moros vienen a representar para ambas, como en símbolo, todo lo extraño, todo lo lejano, todo lo enemigo". 50 Im Vergleich zu den Mauren fällt Clarins Haltung zu den Juden im allgemeinen - die spanischen Juden oder die Sepharden sucht man, wie gesagt, vergebens - betont zwiespältig aus. In seinem umfangreichen Erzählwerk treten sie, von einer Ausnahme abgesehen, nur beiläufig in Erscheinung, aber stets negativ konnotiert. Hier, in der Erzählung ,,,Flirtation' legítima" (1983: 159), ist von „las judiadas" die Rede, dort, in dem Roman Su único hijo (1990: 425), empfindet sich einer der Protagonisten als „el único judío",

weil er seine Nichte

mit größeren Geldsummen versorgt. In der Erzählung „El doctor Pértinax" (1986: 940 ff.) beschimpft eine „vieja impertinente y beata" den sterbenden Titelhelden als „¡Perro judío!", weil dieser ohne die heiligen Sakramente des Christentums die Himmelspforte betritt: „¡Si no fuera por la manda, ya iría yo aguantando el olor de azufre que sale de tu cuerpo maldito!" Gerade hier, in dieser Erzählung voller Sarkasmus und esperpento-Typen,

wäre es zwar gewagt,

die judenfeindlichen Äußerungen umstandslos mit der Meinung des Autors gleichzusetzen; die - ich wiederhole es - durchweg negative Charakterisierung der Judengestalten kann jedoch kaum als Indiz für eine philosemitische Einstellung mißverstanden werden. Dies um so mehr, als Clarín in der Erzählung von „Doña Berta" (1983: 420 ff.) eine Judengestalt kreiert hat, die offen antisemitische Züge trägt. Dabei handelt es sich um ,,[e]l señor Pumariega [!], don Casto, notario retirado de la profesión y usurero en activo servicio, ratón del Campo, esponja del concejo, gran coleccionista de fincas de pan llevar y toda clase de bienes raíces". Dieser Wucherer, der Erzähler bezeichnet ihn auch explizit als J u d í o " , erweist sich als skrupelloser Raffer, der die ökonomische

50

Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieses Urteil auch die zeitgenössischen ,Mohren' mit einbezieht. Die folgende Sentenz aus der soeben zitierten Erzählung (ebd.: 393) besitzt zwar eine leicht ironische Patina, kann im Kontext der traditionalistischen Gedankenwelt Clarins aber durchaus avant la lettre verstanden werden: „doña Berta [...] confunde un poco con la gloriosa guerra de Africa, y especialmente con la toma de Tetuán [...] las respectivas dominaciones de agarenos y romanos".

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Notlage der Titelheldin gnadenlos ausnutzt. Denn Doña Berta, eine alleinstehende Witwe, sieht sich gezwungen, eine Hypothek aufzunehmen, um ihren Sohn zu unterstützen. Sie weiß zwar, daß Don Casto sie betrügt, hat aber keine andere Wahl, als das Geld bei dem verhaßten „prestamista" zu borgen. Auch der kennt ihre Notlage und ist von Anfang an darauf aus, sich - wie immer - auf Kosten seiner Gläubigerin zu bereichern: „don Casto [...] odiaba los personalismos, y no veía en la parte contraria jamás un ser vivo, un semejante, sino una letra, elemento de una fórmula que había que eliminar. Doña Berta, que a fuerza de administrar muchos años sus intereses había adquirido cierta experiencia y alguna malicia, se veía como una mosca metida en la red de la araña [...] comprendió que de aquella aventura salía Pumariega dueño de los dominios de Rondaliego, pero en eso precisamente consistía el sacrificio; a eso iba ella, a que la craucificara aquel sayón." Diese Sätze lassen keinen Zweifel zu: Der jüdische „Henker" trägt monsterhafte Züge, menschliche Gefühle sind ihm fremd, nur Raffgier bestimmt seine Persönlichkeit: „AI fijar números don Casto, doña Berta sintió que el corazón le saltaba de alegría". Dabei ist er bereits „tan rico", könnte sich Großmut, wenigstens im Falle dieser hilflosen Witwe, also leisten. Doch davon keine Spur. Als der Wechsel fällig wird und Doña Berta - wie kalkuliert - nicht bezahlen kann, muß sie ihre Finca verlassen. Zynischerweise begleitet der neue Eigentümer sein Opfer sogar zur Bahnstation: „Pero, doña Berta, ¡que vamos a perder el tren! - gritó allá abajo Pumariega; y a ella le sonó como si diese: ,Que va usted a perder la horca'." Der Autor beendet diesen Teil seiner antisemitischen Schauergeschichte mit einer erneuten Anspielung auf die ChristusKreuzigung, deren symbolische Bedeutung dem katholischen Durchschnittsleser kaum entgangen sein dürfte: „En el patio estaban ya don Casto y el espolique; el verdugo y su ayudante, y también el burro en que doña Berta había de montar para ir al palo."5' Die Karikatur eines raffgierigen Juden, die Clarín in dieser Erzählung präsentiert, nicht zuletzt die maliziösen Anspielungen auf die Christusmörder-Legende - diese antisemitischen Tiefschläge des Erzählers schender, als der politische

sind um so überra-

Publizist Clarín mehr als einmal gegen antisemitische

Propaganda polemisierte, und das mit Vehemenz. Zunächst Ende der 70er Jahre, wohl als Antwort auf die konservativen und semiliberalen Scharfmacher, die in der von eher radikalen Liberalen geforderten Religionsfreiheit und in der 51

Zu Clarins Entlastung' sei immerhin daraufhingewiesen, daß er in seiner Erzählung „Protesto" (1966: 53 ff.) auch einen Wucherer porträtiert hat, der nicht als Jude zu erkennen ist.

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,Rückkehr der Juden' den Untergang Spaniens menetekelten: „No comprendo el odio", hielt er (1980: 139) den antisemitischen Schreiern entgegen, „que en estos días improvisan mis simpáticos, aún los más liberales, contra Jerusalem. La llaman ingrata, maldita, prostituta ..., señores, ¡vaya una neutralidad!" Es war ihm vor allem ein Rätsel, daß selbst liberale Stimmen in diesem Chor zu vernehmen waren: „¿Qué hizo el pueblo de Jerusalem digno de condenación? Nada absolutamente." Aus diesen Worten, so begrüßenswert sie sind, spricht jedoch keine Sympathie für die Juden, aber immerhin die Forderung nach einem friedlichen Wettstreit der Religionen, der - und das ist sein Hauptanliegen - Glaubens- und Meinungsfreiheit voraussetzt: „Por todo lo cual digo que no hay que gritar tanto ¡Jerusalem, Jerusalem! Esas son jeremiadas; si VV. quieren darles una lección a los judíos, proclamen la libertad de cultos. Mientras tanto no chillen, porque todos los días estamos expuestos a que el Gobierno haga alguna judiada."

Einen - unlauteren - Hintergedanken hat Clarín allerdings, wenn er

eine sachliche Auseinandersetzung mit den Juden fordert: Er wünscht sich die gleiche Sachlichkeit bei der Beurteilung der spanischen Geschichte. Die folgende Warnung, dabei nicht übers Ziel hinauszuschießen, ist zugleich eine der spärlichen Äußerungen Clarins zur Geschichte der katholischen Intoleranz, die eine Spur nationaler Selbstkritik enthält: „Ahora supongan VV. que han pasado una porción de siglos; que la humanidad se entera de que se ha hecho aquí una barbaridad, ¿les parecería a VV. bien que todos nos execraran en masa sin distinción entre responsables e irresponsables?" Wie gesagt: Im Vergleich zu den nationalkatholischen Hymnen, die weiter oben zitiert wurden, immerhin ein Lichtblick. Offen bleibt freilich die Frage, wer oder was die historische Verantwortung für die Barbarei tatsächlich trug ... Hatte dieser Artikel aus dem Jahre 1878 innenpolitische Adressaten, so nahm ein Artikel (ebd.: 137 ff.), der genau zwanzig Jahre später erschien, vor allem den französischen Antisemitismus im Zusammenhang mit der Dreyfus-Affare aufs Korn: „Abajo los judíos. ¡Oh gritos anacrónicos! ¡Y en Francia se grita así, y gritan eso los estudiantes. Da tristeza." Für den spanischen Verteidiger von Dreyfus und Zola ist der Antisemitismus eine „positivistische Pedanterie", „convertida en crueldad sangrienta de la plebe". Diesen „Antisemitismus der dummen Kerle" (Bebel), scheint der Autor anzudeuten, sei bereits sprachlich eine Absurdität: „Anti-semitismo. Quitemos el anti y el ismo: semit... semita ... de Sem. ¿Y quién es Sem? Un inocente. El hijo mayor de Noé. Hay que remontarse al capítulo X del Génesis para encontrar el origen de estas cosas. ¿Habrá algo más ridículo?" Die antisemitische Hausse im Nachbarland, fährt Clarín fort, sei auch

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deshalb anachronistisch, weil das Christentum, „die gute Philosophie", andere Formen des „Aberglaubens" - ist damit das Judentum gemeint? - längst widerlegt habe, sich nun aber die Wissenschaft anheischig mache, diesen „kollektiven Fanatismus" und diese „Herdenmoral" neu zu beleben: ,júntanse reaccionarios y deterministas para propagar tales doctrinas, y [...] funda[n] toda una sociología en la lex de razas". Zu den pseudowissenschaftlichen Hetzern zählt Clarín insbesondere Edouard Drumont, der in seinem Machwerk La France Juive den französischen Antisemitismus Mitte der 80er Jahre publizistisch mit angeheizt hatte: „¡Qué gárrula crueldad! Un Nerón plebeyo. ¡Y con qué entusiasmo le recomiendan los reaccionarios! ¡Qué bien escribe! ... - dicen Y es un grafómano al servicio de un fanatismo." Klare Worte, die an kämpferischem Elan nichts zu wünschen übrig lassen. Läse man nur diese Zeilen von Clarín, dann ergäbe sich der Eindruck: Hier handelt es sich um einen besonders entschiedenen Gegner antisemitischer Vorurteile und Propaganda, der seinem Generationskollegen Pérez Galdós um nichts nachsteht. Doch selbst hier - von den antisemitischen Stereotypen in anderen Texten abgesehen - stößt man, wenn auch eher nebenbei, auf einige Judenklischees, die mit den weiter oben zitierten Ressentiments verwandt sind. Die harmloseste Variante ist dabei die Trennung zwischen „guten" und „bösen" Juden: „Hoy se me diga que porque no estoy en el secreto de las maldades judaicas abomino de esa persecución colectiva. Ni aunque se me demostrare que mil judíos tramaban nuestra ruina, no admitiría el grito de ,¡Abajo los judíos!' Porque pensaría en los judíos que pueden ser inocentes." Weniger harmlos ist dagegen die Gleichung Jude = „el capitalismo [...] agudo". Eine solche Gleichung, so Clarín zunächst betont neutral, werde zwar immer wieder aufgestellt, auch von Juden selber, sie diene indessen einer Mystifizierung, die auch die nichtjüdischen Bourgeois für sich reklamierten. Während letztere sich gegenüber den Sozialisten darauf beriefen, daß die Existenz von Besitzenden und Besitzlosen ein Naturgesetz sei, könne der „semitische Bourgeois" argumentieren: „son leyes naturales, aptitudes de raza, las que hacen que yo sea imán del oro, y me vaya convirtiendo en su acreedor universal". Was sich wie ein taktisches Eingehen auf die antisemitischen , Argumente' liest, um sie auf diese Weise um so wirkungsvoller ad absurdum zu fuhren, entpuppt sich freilich als Verständnis - als Verständnis für diejenigen, für die die Gleichung Jude = Kapitalist eine historische Wahrheit beschreibt. Denn auch Clarín ist dieser Meinung, die sich mit seinen literarischen Äußerungen deckt: „me parece que, en resumidas cuentas, el pecado de los judíos es ése, ir haciéndose demasiado ricos". Sicher nicht

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alle Juden, wie er eingeschränkt hatte, aber doch so viele, daß auch er den bestimmten Artikel für angebracht hält ... Dem .aufgeklärten Antisemitismus', der sich in diesen Worten artikuliert, ist insofern nur darum zu tun, die „anachronistischen" Elemente im ideologischen Repertoire der französischen Dreyfus-Gegner zu denunzieren: „¿No podría suceder", nimmt er diese Elemente aufs Korn, „que ¡todavía! ayudase a inflamar el odio al judío la preocupación religiosa? Sí, la reacción acaso, combate todavía a los hebreos por deicidas."

Doch

selbst hier sind Fragen angebracht, die den kritischen Impetus des Autors trüben: Feiert in der symbolisch aufgeladenen Kreuzigungsmetapher, die der Autor von „Doña

Berta" mehrmals präsentiert, nicht genau jene

Gottesmördermystik

traurige Urständ, die er in seinem Dreyfus-Artikel als anachronistisch attackiert? Die häufige Wiederholung dieses Adjektivs - „esos anacrónicos odios, esas acusaciones irracionales a una nacionalidad entera" - bekräftigt den Verdacht, daß es Clarín, entgegen der Artikelüberschrift, nicht um den Kampf „gegen

den

Antisemitismus" geht, sondern vor allem um dessen verstaubte und irrationale Varianten, nebst einer Verteidigung „eines Teils" der Juden. Das Zerrbild des reichen, raffgierigen Kapitalisten-Juden gehört augenscheinlich nicht dazu. Ein Teil des antisemitischen Standardrepertoires teilt der Kritiker des religiösen Fanatismus 52 folglich mit seinen Kontrahenten.

52

Daß Clarins Plädoyer fiir religiöse Toleranz nichts mit Sympathien für die Juden zu tun hat, zeigen im übrigen einige Rezensionen der zeitgenössischen Literatur. So lobt er (1972: 108ff.) zwar Pérez Galdos' ,Judenroman' Gloria als „la mejor de nuestras novelas contemporáneas", schreibt aber über den jüdisch-sephardischen Protagonisten des Romans: „Morton ya no es, como el ingeniero de Doña Perfecta, indiferente en religión, libre pensador secularizado, es tan sectario como Gloria y aunque tiene la tolerancia exterior de las formas, es intolerante como un rabí en el fondo de sus crencias." Dieses Urteil, das nur partiell zutrifft - schließlich läßt Galdós auch ein historisch begründetes Verständnis für den .Fanatismus' von Morton und seiner Mutter anklingen - , schließt zwar mit einem Bekenntnis „del amor universal a los hombres de buena voluntad de todas las razas y de todas las religiones", kann aber kaum als judenfreundlich gedeutet werden. Das gleiche gilt für eine Besprechung (1973: 85 ff.) von zwei Romanen der Gräfin Pardo Bazán, die besonders - im Wortsinne - abstoßende Judengestalten enthalten. Clarín kritisiert zwar den „patriotismo religioso" der Gräfin als „repugnante", geht auf den triefenden Antisemitismus der beiden Romane aber mit keinem Wort ein. Die Leser erfahren lediglich: „El argumento ético de La cristiana y La prueba es en el fondo el mismo. Tití se casa con el judío de su tío sin amor". Betont neutral konstatiert Clarín (ebd.: 164) schließlich auch den Antisemitismus von Tolstoi, hier in Herr und Knecht: Das christliche Credo des Autors „[está] despojado de elementos hebraicos [...] que cree extraños al espíritu de Jesús." Diese Ansicht hat er wohl geteilt.

IX. Geschichte als Mythos: Juden und Mauren im Werk der 98er Generation Mit der „Generation von 1898", lautet eine prägnante Formulierung von Werner Krauss (1972: 40), „fand sich die spanische Intelligenz zu einer Partei der Verzweiflung zusammen". Verzweiflung herrschte, und das durchaus im Wortsinne (Rehrmann 1996: 83 ff.), zunächst über das koloniale Desaster von 1898, in dessen Folge das weiland riesige Weltreich, in dem die Sonne bekanntlich niemals unterging, auf die nicht sonderlich üppigen Proportionen des , Mutterlandes' zurechtgestutzt wurde. Obwohl das eigentliche rien ne va plus des spanischen Weltreiches bereits lange zurücklag, wurde man sich über den nun drastisch verkleinerten Radius des Sonnenverlaufs erst durch den Verlust der kolonialen Restbestände - Kuba, Puerto Rico und die Philippinen - so richtig bewußt: „el sol de España", beschreibt Tuñón de Lara (1981: 152) die erheblich schattigeren Realitäten, die auch die nationalen Gemüter arg verdüsterte, „sale cada mañana por las costas levantinas y se pone cada tarde por los encinares medio ralos de Extremadura y las rías gallegas; ni más ni menos". Keine Kleinigkeit für ein Land, das sein nationales Selbstwertgefuhl jahrhundertelang aus der - trügerischen - Tatsache bezogen hatte, der kulturelle Meridian der Neuen Welt zu sein. Deshalb steuern Blanco Aguinaga u. a. (1978: II, 204) etwas an der historischen Realität vorbei, wenn sie das Datum des Generationsemblems als „lo que menos importe" eher beiseite schieben. Denn ohne den „golpetazo sentimental" (Tuñón de Lara) des kolonialen Desasters wäre die schmerzhafte Diagnose über den nationalen Status quo - Unamunos „me duele España" - vermutlich deutlich moderater ausgefallen. Die herausragende Rolle, die die 98er 1 fortan im nationalen Diskurs spielen sollten - Fox (1997: 112 f.) bezeichnet ihre Mitglieder als „el primer grupo de intelectuales en asumir una conciencia clara de su papel rector en la vanguardia política y social" - , beschränkte sich freilich nicht darauf, die politische Halbmastbeflaggung nach den Ereignissen von 1898 mit einem intellektuellen Trauerflor zu verzieren. Die Intellektuellen

dieser Generation, die sich im Kielwasser

der Dreyfusaffäre auch erstmals als solche empfanden, schienen sich durchaus als Söhne des späten Pérez Galdos zu entpuppen: Ihre Kritik an der Gesellschaft trägt prononciert radikale Züge, die sich, im Unterschied zu den 68ern, nicht

Zur nie endenden Auseinandersetzung über die Plausibilität des Generationsbegriffs vgl. etwa Serrano (1989: 93 ff.).

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Geschichte als Mythos

mehr mit liberalen Reformen zufrieden gibt: „lo característico de la ,gente nueva' española entre el 90 y el 1900", schreiben Blanco Aguinaga u. a. (1978: II, 203) über den politischen Frühling der Jahrhundertwende, „es no separar la literatura de la lucha contra la sociedad burguesa, a la que llaman por su nombre: capitalismo". Ein Kapitalismus freilich, dessen B o u r g e o i s i e ' ihr embryonales Stadium noch kaum verlassen hatte. Spanien war noch immer ein Land, dessen quasifeudale Strukturen nur wenig bürgerliche Farbtupfer aufwiesen, und die hauptsächlich an den Rändern (Baskenland, Katalonien). Für die 98er, in jungen Jahren mehrheitlich sozialistisch-anarchistisch eingestellt, hatte das fehlende bürgerliche Hinterland weitreichende Konsequenzen: Wohl nirgendwo sonst in Westeuropa war die Metapher von den freischwebenden Intellektuellen berechtigter als in Spanien. Das erklärt zu einem Gutteil, daß der politische Frühling bei den meisten Mitgliedern der Generation nicht lange anhielt. Generell lasse sich sagen, schreibt Martin Franzbach (1988: 67), daß die spätere Abkehr der Schriftsteller dieser Generation vom Sozialismus „die damalige politische Ohnmacht der Intellektuellen widerspiegelt. Sie führte in verschiedene Richtungen. Bei Valle-Inclán zu subjektivem Ästhetizismus [...], bei Azorin zur Flucht in die Landschaft, bei Unamuno zum Trost in der Religion und bei Maeztu unter dem Einfluß Nietzsches zum faschistischen Führerkult." Der deutsche Philosoph des „Übermenschen" hat auch Pio Baroja nachhaltig geprägt: Das politische Idearium des Basken, eine konfuse Melange aus massenfeindlichem Einzelgängertum, rassistischen Ideen und antiklerikalem Nihilismus, ist zwar eklektischer als das faschistische Credo von Maeztu; an der „Brücke zum Faschismus" (ebd.: 115) hat freilich auch er auf seine Weise

mitgebaut.

Lediglich Antonio Machados politischer Lebensweg verlief ohne paradoxe Zickzackbewegungen und mündete in einen christlichen Sozialismus, der sich 1936 auch in praxi bewährte. Die mehr oder weniger schroffe „Konversion von links nach rechts" (Neuschäfer 1997: 312), die fast alle Generationsmitglieder vollzogen haben, war von einer obsessiv anmutenden Beschäftigung mit „Spanien als Problem" begleitet, vor allem unter historischem Blickwinkel: „La generación del 98", pointiert Varela (1999: 159), „peca por ser una generación historicista." Wie keine andere Autorengruppe vor ihr zeichneten sich die 98er „por una idea peculiar de España" (ebd.: 145) aus, die, vor allem ihre historischen Anteile, zur „formación de la ,conciencia nacional'" (ebd.: 148) entscheidend beigetragen hat. Und dieses Bewußtsein, dabei waren sich die meisten 98er durchaus einig, führte über den ,Umweg der Geschichte' - der .nationalen' Geschichte. Angel Ganivet

Geschichte als Mythos

405

(1981: 124), der eigentliche Gründungsvater der Generation, hatte die Devise in seinem Idearium Español vorgegeben: ,JVoli foras ire: in interiore

Hispaniae

habitat veritas." Obwohl sein Vermächtnis nur selten ganz wörtlich genommen wurde, vor allem in den revolutionären Jugendjahren, als eher die „Europäisierung Spaniens", wie Unamuno propagierte, auf der Tagesordnung stand, gewann es doch mehr und mehr an Gewicht. Dabei entpuppte sich „das Innere Spaniens" in erster Linie als Kastilien, sein geographisches und, wie die Mehrheit der 98er glaubte, sein historisch-nationales Zentrum: „La tierra patria", so das dominante Credo (Varela 1999: 153), „es la tierra de Castilla, prototipo de la nación, hacedora de España. Exaltación de Castilla en su historia, en su paisaje, su arte y su literatura. La constitución, en suma, de un mito castellanista de hondo arraigo en el nacionalismo español." Hochgradig paradox mutet dieser Mythos nicht nur deshalb an, weil seine literarischen Erschaffer durchweg keine Kastilier waren - alle waren in peripheren Regionen geboren - , paradox ist dieser Mythos vor allem deshalb, weil er die Geschichte, neben der Landschaft seine zentrale Ingredienz, im Grunde suspendiert. An ihre Stelle tritt, besonders ausgeprägt im Werk Miguel de Unamunos, eine „historia mineral", wie Varela (ebd.: 159) treffend formuliert, die Landschaft und Geschichte zu einem „intrahistorischen" Amalgam vermengt, von dem sich Ganivets „Erdgeist" ernährt, bevor er sich in luftige Höhen erhebt... Ein Mythos, gewiß, aber einer mit großer und langanhaltender Wirkung: Die „entscheidende Rolle", die Fox (1997: 111) der 98er Generation „en la construcción y perpetuación de una identidad nacional" zuschreibt, ist in der Tat unübersehbar. Sie zeigt sich nicht nur anhand des .historischen Stafettenlaufes", den vor allem die 98er in Gang gesetzt haben und der von ihren Hagiographen wie Pedro Lain Entralgo 2 noch Jahrzehnte später schwungvoll fortgesetzt wurde. Sie zeigt sich auch, und das bis in die Gegenwart, anhand des literarischen Kanons, in den die 98er eingeflossen sind und dessen Fundamente sie, vor allem Azorin, gelegt haben: Die kanonbildende Wirkung der Clásicos Castellanos, die In seinem bekannten Buch aus den 50er Jahren, in dem er bereits im Titel - España como problema - seine historischen Filiationen erkennen läßt, schreibt er (1957: 491), noch immer überwiegend zustimmend, über das Geographie- und Geschichtsamalgam der 98er Generation: „La ,naturaleza' es el momento determinante de la ,historia' La historia estaría regida por la necesidad, por un ananke secularizado y accesible. Esa naturaleza previa a la historia y orientadora de su curso hallase integrada, por dos elementos: la naturaleza del marco geográfico en que el hombre vive (el ,medio', según la consabida expresión técnica) y la naturaleza biológica del hombre mismo (el temperamento' nativo, la ,raza' o constitución racial)."

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Geschichte als Mythos

Azorin veröffentlichte, sei noch immer, so Fox (1997: 137), in großen Teilen ungebrochen. Besorgniserregend ist daran vor allem die Tatsache, daß das Geschichtsbild der Generation, über seinen mythischen Charakter hinaus, eine Reihe historischer Facetten aufweist, die, was das hier im Mittelpunkt stehende Thema betrifft, keinerlei historische Radikalinventur erkennen lassen. Es spricht einiges dafür, daß darin, wie Gumbrecht (1990: 815) schreibt, „die logische Unvereinbarkeit zwischen dem Programm radikaler nationaler Selbstkritik und dem Wunsch, eine neue nationale Glorie in der Dimension der intrahistoria zu entdecken", zum Ausdruck kommt. Gemeint ist hier vor allem Angel Ganivet, der ideelle Begründer der 98er Generation, dem Gumbrecht (ebd.: 814 f.), wenn auch etwas vage, eine „Pluralität der Sinnhorizonte" attestiert, vor allem mit Blick auf die trikulturelle Geschichte. Diese Pluralität, meint er aus einer Äußerung Ganivets über Don Quijote und die Reconquista herauslesen zu können, „konnte aber auch Ausgangspunkt für eine neue (und zukunftsträchtige) Richtung des historischen Rückblicks werden, mit der an die Stelle des Mythos von der Verteidigung der Christenheit als nationaler Mission Spaniens ein Bild von der kulturellen Pluralität im spanischen Mittelalter trat." Eine solche „Pluralität der Sinnhorizonte" läßt sich bei keinem der im folgenden untersuchten Autoren, auch nicht bei Ganivet, herausbuchstabieren.

1. „Erdgeist", „christliches Griechenland" und „arabisches Blut": Angel Ganivets historische und kulturelle Vielfachloyalitäten Kaum ein anderer Autor hat die Bedeutung der maurischen Geschichte für den spanischen ,Nationalcharakter' so deutlich hervorgehoben wie Angel Ganivet (1865-1898): „los que con desprecio y encono sistemático descartan de nuestra evolución espiritual la influencia arábica", schrieb er in seinem

Idearium

Español (1981: 146), „cometen un crimen psicológico y se incapacitan para comprender el carácter español". Während er die Juden nur am Rande erwähnt, 3 3

Die einzige, halbwegs substantielle Äußerung über die Juden, die sich in seinem Werk findet, ist zweischneidig: „Los europeos dicen que dominan por sus ideas; pero esto es falso. La idea en que se ampara la fuerza de Europa es el cristianismo, una idea de paz y de amor, que por esto no pudo nacer entre nosotros. Nació en el pueblo judaico, que fué siempre enemigo de combatir y se pasó la vida huyendo de sus enemigos o subyugado por ellos; porque en los momentos de peligro, en vez de aparecer en el seno de este pueblo grandes generales, organizadores de la victoria, aparecían profetas que se ponían de parte del enemigo, considerándolo como a un enviado de Dios.

Geschichte als Mythos

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sind die Mauren - Ganivet nennt sie durchweg „Araber" - allgegenwärtig, in seinen historischen Betrachtungen ebenso wie in jenen Schriften, die sich auf die Gegenwart beziehen: „La vida social de Granada", schreibt er zum Beispiel in der Hommage an seine Heimatstadt Granada, la bella (1996: 96), „es todavía muy moruna." Eine unproblematische Akzeptanz der maurischen Geschichte und Gegenwart läßt sich aus diesen Äußerungen jedoch nicht ableiten. Ganz im Gegenteil: Im „christlichen Griechenland", wie Ganivet (1981: 74) sich sein Heimatland wünschte, in dessen innerstem Wesen überdies ein „Erdgeist" wirkte, der als eine Art Schutzheiliger der Geschichte die Spanier davor bewahrte, ihre Substanz zu verlieren - in diesem historisch-geographischen ,Geisterhaus' bewohnten auch die Mauren nur die Gästezimmer, von den Juden ganz zu schweigen. Insofern ist sein berühmter Satz: „Noll foras ire; in interiore Hispaniae habitat vertías" (ebd.: 124) auch als historische Rückversicherung gemeint: Spanier und Mauren waren nie identisch. Dennoch schien Ganivet zumindest die historische Vielfalt als solche, auch die spanische, ohne vorgefaßte Konzepte anzuerkennen: „en la Historia", beschrieb er (ebd.: 76) die Genese von Nationen generell als heterogenen Prozeß, „no es posible colocar unos hechos delante de los otros como las figuras u objetos en un cuadro: todo está fundido en la personalidad nacional, y en ella debe de aquilatarse la importancia relativa que los sucesos históricos tuvieron". Es folgt eine Aufzählung jener Etappen, die er für die Geschichte der Halbinsel für bedeutsam hielt: Die hispanoiberische, die hispanowestgotische, die hispanoarabische, die hispanoeuropäische und die hispanokoloniale. Daß alle Etappenadjektive dasselbe Präfix besitzen, ist natürlich kein Zufall: Das Spanische, so seine Überzeugung, war immer schon vorhanden. Die wechselnde Fremdherrschaft hat es nur in seiner Entfaltung behindert: „no hemos tenido un período español puro, en el cual nuestro espíritu, constituido ya, diese sus frutos en su propio territorio".

El precepto evangélico de no resistir al mal es constitutivo del espíritu judaico." Zweischneidig ist diese Äußerung vor allem deshalb, weil Ganivet ein Bewunderer des kastilischen „espíritu guerrero" war, eines christlichen Militarismus, dem die Juden als religiöse Fahnenflüchtlinge erschienen sein dürften. Auch sein christlicher Fundamentalismus und seine Abneigung gegen die „usureros" (ebd.: 171) als Synonym für Geldwirtschaft schlechthin, lassen darauf schließen, daß er keine Sympathien für die Juden, auch nicht für die spanischen Juden, empfunden hat. Da sonst keine nennenswerten Äußerungen existieren, beschränke ich mich im folgenden auf sein Maurenbild.

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Geschichte als Mythos Welches sind die Ingredienzen dessen, was Ganivet „nuestro espíritu" nennt?

Eines der - positiven - Grundfermente sieht er (ebd.: 141) im Christentum. Das könne gar nicht anders sein, denn „el cristianismo cayó desde muy alto, desde el cielo, y por esta razón sus ondulaciones fueron tan amplias y tan duraderas". Das spanische Christentum, obgleich besonders „originell", sei dennoch nicht der eigentliche Kern, „el núcleo irreductible". Letzteren verortete er (ebd.: 31 f.) in einem „espíritu territorial", den er für „permanent" und „invariabel" hielt: „La religión, con ser algo muy hondo, no es lo más hondo que hay en una nación: la religión cambia, mientras que el espíritu territorial subsiste, porque los cambios geológicos vienen tan de tarde en tarde, que a veces nacen y mueren varias civilizaciones sin que el suelo ofrezca un cambio perceptible." Das Besondere des spanischen Erdgeistes bestehe nun darin, daß er eine Mischung aus peninsularen und insularen Elementen darstelle: „Como una isla colocada en la conjunción de dos continentes [...] somos una ,casa con dos puertas'". Eine Tür verbinde Spanien mit Afrika, die andere mit Europa, folglich ein Haus, das schlecht zu schützen sei: „nuestra historia es una serie inacabable de invasiones y de expulsiones, una guerra permanente de independencia". Just darin, in der permanenten Auseinandersetzung mit den Eindringlingen, bestehe denn auch die konkrete Eigenheit des spanischen Erdgeistes: „España es por esencia, porque así lo exige el espíritu de su territorio, un pueblo guerrero". Alles andere (ebd.: 64) gehöre zur europäischen Grundausstattung: „Todas las naciones europeas, así como las civilizadas por la influencia de Europa, están constituidas sobre estos tres sillares: la religión cristiana, el arte griego y la ley romana." Obwohl Spanien und seine überseeische .Verlängerung' selbstverständlich Varianten einer „raza superior" (ebd.: 26) darstellen - im Unterschied zu den „razas inferiores", etwa Afrika

hält Ganivet die Fundamente seines

Landes doch für ganz besonders solide. Denn während etwa in den Adern der Griechen von heute nur noch wenig hellenisches Blut fließe, seien die Spanier frei von diesem Makel: „los españoles de hoy descendemos sin mezclas extrañas de los españoles antiguos". Damit präsentiert auch Ganivet ein Exemplar jenes überhistorischen Steinzeitspaniers, der bei Unamuno in Gestalt einer „roca viva" als historisches Urgestein die Zeiten überdauerte. Was in der Metaphorik des einen als feste Masse erscheint, treibt bei dem anderen als ätherisches Fluidum sein Unwesen -

auch auf Kosten der Mauren, deren Bedeutung für den

„spanischen Charakter", wie das Eingangszitat illustriert, Ganivet sehr hoch einschätzte.

Geschichte als Mythos

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Eine vordergründige Lektüre jener Textpassagen, die der maurischen Geschichte auf der Halbinsel gewidmet sind, macht glauben, Ganivet wäre ein uneingeschränkter Sympathisant der „Araber" gewesen. In seinem Briefwechsel mit Unamuno schreibt er (ebd.: 160) entschieden: „usted profesa antipatía a los árabes, y yo les tengo mucho afecto, sin poderlo remediar". Er sei, hält er dem Salmantiner Professor entgegen, „en la ciudad más cruzada de España" geboren, habe in seinem Blut sämtliche Einflüsse der Granadiner Kulturenvermischung und erkläre sich deshalb auch mit allen „Scheußlichkeiten" und selbst „Verbrechen" solidarisch, die die Eindringlinge auf „unserem Territorium" begangen hätten: „Si usted suprime a los romanos y a los árabes, no queda de mi quizá más que las piernas: me mata usted sin querer, amigo Unamuno." Ganz so dramatisch wäre die Verstümmelung vermutlich doch nicht ausgefallen: Außer den Beinen hätte Ganivet auch noch seinen Kopf behalten. Denn der war, und das relativiert seine Maurophilie beträchtlich, von maurischen Kultureinflüssen gänzlich unberührt geblieben: „Los árabes", so seine Überzeugung (ebd.: 146), „no nos dieron ideas; su influjo no fué intelectual, fué psicológico."4 Damit rettet Ganivet nicht nur das griechische Kulturmonopol, einer der drei zitierten Grundpfeiler Europas; er (ebd.: 205) rettet zugleich das Christentum, eine weitere Säule des Abendlandes und des spanischen Erdgeistes. Denn letzterer, wiewohl er aus grauen Vorzeiten stammt, hat erst im achthundertjährigen Dauerkrieg mit den Arabern, wie Ganivet (ebd.: 18) behauptet, seine religiöse Bestimmung gefunden: „Los españoles, al celebrar sus hazañas, lo hacían con espíritu cristiano, pues que con él y por él combatían". Bei dieser Sicht der Dinge, die die Reconquista als exklusiv religiöses Unternehmen verklärt, verwundert es nicht, wenn auch (ebd.: 43) der Cid, „un rey ambulante", bereits als „la figura nacional" par excellence die historische Bühne betritt. Er und seine Gefolgsleute kämpften nicht für irdische Ziele, ausgenommen Spanien, auch sie kämpften unter einem - dem! - himmlischen Oberkommando: „Cuando los que combaten buscan un apoyo en la religión, no se contentan con invocar el auxilio divino, sino que transforman a Santiago en guerrero". Gold und Macht, lange Zeit die einzigen Triebfedern, läßt Ganivet (ebd.: 205) nicht gelten: „La fe

4

An anderer Stelle (1962: 11/1004) hat er den „arabischen" Einfluß (in der Gegenwart) auf zwei physiognomische Aspekte reduziert: „La sangre árabe que queda aún en Granada no influye, creo yo, mucho más adentro que lo que está a la vista, los ojos y, sobre todo, los labios." Der Liebhaber reiner Rassen, dem (1961:1/676) etwa „la raza pura finlandesa" gefiel, dürfte das maurische Erbe in der Physiognomie eher mit gemischten Gefühlen registriert haben.

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activa, militante, conquistadora, fué nuestro móvil". Wo der eine Topos, die religiös-nationale Bestimmung, sein Unwesen treibt, kann der andere nicht fehlen: Die Christen gönnten den Mauren keine Verschnaufpause, noch kannten sie eine friedliche Convivencia, denn die Reconquista, so Ganivet (ebd.: 18), war eine „furia acumulada durante ocho siglos de combate." Die „excesiva duración del poder árabe en España" (ebd.: 38) erklärt er nur mit dem mangelnden Willen zur Einheit: „se trabaja por el triunfo del cristianismo, pero no se descuida otro punto importante: conservar la independencia de los diferentes pedazos de territorio y los privilegios ferales." Was hier als Widerspruch erscheint - Ganivets Hommage an die Reconquista als national-religiöse Langzeitgeburt Spaniens und seine Maurophilie - , erweist sich, genauer betrachtet, als durchaus kohärent. Denn einerseits hat er den maurischen Einfluß, wie weiter oben zitiert wurde, auf „psychologische" Faktoren minimiert; andererseits stehen diese Faktoren mit dem behaupteten Dauerkrieg in engster Verbindung, da Ganivet den arabischen Einfluß mitnichten bestreitet, im Gegenteil: „El espíritu de los árabes", räumt er immerhin ein (ebd.), „llegaba entonces a su apogeo, y era natural que influyese sobre el de los españoles". Doch dieser Einfluß, so seine Erklärung, war just eine Folge des andauernden kriegerischen Tête-à-tête: „la guerra misma [...] suele ser el medio más eficaz que tienen los pueblos para ejercer sus recíprocas influencias". Der arabische Einfluß habe dem Christentum im übrigen nichts von seinem Zauber genommen, „antes dándole más brillante entonación". Aus der Nähe betrachtet, erweist sich Ganivet folglich als beinharter Traditionalist. Die gängigen Reconquista-Mythen, ideologisches Grundinventar konservativ-reaktionärer Spanieninterpretationen, bilden auch in dem vordergründig maurenfreundlichen Idearium

Español den argumentativen Grundakkord. Da

stimmt es immerhin tröstlich, wenn er (ebd.: 17) zumindest eine historische Standardlegende, der zufolge die Mauren ihren Blitzkrieg im 8. Jahrhundert verräterischen Aktivitäten zu danken hätten, offensichtlich keinen Glauben schenkte: „la dominación visigótica no fué destruida por los africanos", nimmt er damit sowohl Rodrigo als auch die Juden indirekt in Schutz, „porque estos no pudieron destruir lo que no existía ya". Ganivets Aversionen gegen die „Araber", die unter einem dünnen Firnis romantisch gefärbter Maurophilie allenthalben durchscheinen, geben auch in seinen eher zeitgenössischen Betrachtungen fast überall den Ton an. Sie weisen zudem eine ausgesprochen rassistische und kolonialistische Note auf, die in den Passagen zur Geschichte nur verhalten in Erscheinung tritt. Dazu gehört

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(ebd.: 75) zunächst das Generalverdikt: „el mahometismo lleva en sí un germen de violencia que hoy parece extinguido y mañana reaparece". Dem Islam, „siempre terrible, por muy hundido que se halle" (ebd.: 112), stellt Ganivet das Gute gegenüber: „El cristianismo, por su esencia, está incapacitado para acudir a los procedimientos brutales". Das Christentum müsse sich zwar gelegentlich mit harter Hand verteidigen, aber nur zur Sicherung seiner „pacífica propagación". Dazu rechnete der Autor des noliforäs

;>e-Mottos selbstredend auch Aktivi-

täten jenseits der spanischen Grenzen, insbesondere in „nuestros posesiones tradicionales" (ebd.: 121) in Nordafrika. Mit Blick auf Marokko, ja auf ganz Afrika gelte es, „das Testament" von Isabella der Katholischen endlich zu erfüllen: „El porvenir de España está en Africa". Und das gleich aus mehreren Gründen. Der erste (ebd.: 122) ist historischer Natur: „la política africana era muy natural después de terminada la reconquista, y si a ella hubiéramos consagrado todas las fuerzas nacionales, hubiéramos fundado un poder político indestructible [...] porque nacía lógicamente de nuestra historia medieval". Der zweite Grund, und hier (ebd.: 121) gehen kolonialistische Interessen und Rassismus bereits Hand in Hand, hat mit den natürlichen Bedingungen' Afrikas zu tun: „Las razas africanas no son comparables a las americanas e asiáticas: están en un grado bastante inferior de evolución y no pueden resistir la cultura europea". Und daß die Afrikaner diese, die europäische Kultur dringend benötigen, hält Ganivet (ebd.: 108) - der dritte Grund - für selbstverständlich: „¿Puede darse nada más bello que civilizar salvajes, que conquistar nuevos pueblos a nuestra religión, a nuestras leyes y a nuestro idioma?" Zurückhaltung auf diesem Gebiet überlasse die Wilden nur ihrem Schicksal und schädige obendrein die „vitalen Interessen" des Landes. Und die erstreckten sich (ebd.: 174 ff.), wenn schon, denn schon, auf „toda Africa". Kolonialistischer Größenwahn? Keineswegs, denn Spanien besitze einen politischen Joker, „un escudero", den andere Länder nicht hätten, „y ese escudero será el árabe". Mit Hilfe der Araber könnten die afrikanischen Rassen zivilisiert werden, „sin violentar su idiosincrasia". Den arabischen Schildknappen für ein solches Titanenprojekt einzusetzen - dazu sei aber nur Spanien imstande, nicht die Europäer, „porque éstos no saben entenderse con ellos; nosotros sí sabríamos". Das krude Kolonialismus- und Rassismusgemisch, das Ganivet, zusammen mit den traditionalistischen Interpretationen des Mittelalters, in seinem Idearium Español präsentiert, läßt sich damit nur schwerlich als Sympathie für die maurische Kultur begreifen. Insofern hätte auch die „escuela africana", die er zusammen mit „unseren besten Orientalisten" in Granada gern gegründet hätte

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(ebd.: 195), seinen eigentlichen Zielen gedient, nämlich „formarse un plantel de conquistadores de nuevo cufio". Alles andere, vor allem die omnipräsenten Äußerungen über „nuestro abolengo arábigo" (1996: 103), ist, in diesem Lichte betrachtet, kaum mehr als kultureller Flitterkram, der die nationalkatholischen Essenzen romantisch dekoriert. Etwa die Granadiner „devoción al agua" (ebd.: 103), der Mystizismus als „sensualidad refrenada" (ebd.: 105) aus Tausend und einer Nacht oder die häufigen Elogen (ebd.: 151) auf die Alhambra: „De la Alhambra pudiera decirse que está en toda Europa y fuera de Europa." Daß Granada la bella, seine Hommage an die Mauren-Stadt, inzwischen von der Diputación der Fundación

Provincial

de Granada

und

Caja de Granada als tourismusfördernde Städtereklame heraus-

gegeben wird, ist insofern nur konsequent. Genauso konsequent wie die Bemerkung des Autors, die am Anfang (ebd.: 61) dieses Buches steht: „mi intención no es cantar bellezas reales, sino bellezas ideales, imaginarias". Das ist ihm gelungen.

2. Moderater Philoseniitismus und judenresistente „roca viva" der Geschichte: Miguel de Unamuno Im Vergleich zu Ganivet weisen die kulturhistorischen Präferenzen im Œuvre von Miguel de Unamuno (1864-1936) ein anderes, aber keineswegs grundsätzlich anderes Mischungsverhältnis auf. Auf den ersten Blick scheint der Salmantiner Dichterphilosoph zu jener radikalen Minderheit von spanischen Intellektuellen zu gehören, die, von den Mauren abgesehen, ein rundum philosemitisches Credo besitzen - ohne die üblichen Dichotomien zwischen Aschkenasen und Sepharden. So nimmt er etwa in einem Artikel aus den 50er Jahren (1984: 85) die „triste mania" des „anti-semitismo" mit aller gebotenen Schärfe aufs Korn, wenn er sie als „concepción fantasmagórica y pueril" (ebd.: 86) bezeichnet und hinzufügt: „Vertedero, ya secular, de las demencias de pueblos que creían en brujas, hechiceros, poseídos y endemoniados y aquelarres y sacrificios de niños cristianos y envenenamientos de manantiales." Klare Worte, die durch keinerlei Schuldzuweisungen an die Opfer dieses „Wahnsinns", wie sie etwa Pío Baroja vornimmt, relativiert werden und die auf die Verfolgung aller Juden gemünzt sind. Vor diesem Hintergrund ist man geneigt, auch in seiner Begeisterung fur die Sepharden, vor allem flir deren Sprache, nicht nur sentimentale Rhetorik zu sehen: „Lengua española, ladinizada, / con que te lloro, Sión, / y a tí, España, la

Geschichte als Mythos posada, nido de consolación;

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// te apechugaré sin miedo, / dulce lengua sefardí, /

la que manaba en Toledo / cuna de Jeuda Leví. [...] Para mis resecos labios / eres leche e hidromiel, / que en tí mamaron los labios / de nuestro nuevo Israel." Der erste Blick täuscht indessen, wenn auch nur in Teilen, doch die sind durchaus von Gewicht. Zunächst suggeriert Unamuno, daß es sich bei den antisemitischen Manien in erster Linie, wenn nicht sogar fast exklusiv, um eine „manía centro-europea" (ebd.: 85) handelte, die in Spanien allenfalls als ideologisches Importprodukt ihr Unwesen triebe. Etwa in Gestalt eines rechtsextremen Parlamentsabgeordneten aus dem integristischen Lager, der gegen die Einrichtung einer Synagoge in Madrid antisemitische Propaganda entfesselt habe. Oder in Form einer Kampagne, „contra cierto diputado, llegando a pedir su expulsión, no ya del Parlamento, sino de España, por suponérsele, acaso con razón - ¿y qué? - , de raza judaica. ¡Sólo nos faltaba", deklariert Unanumo (ebd.: 86) die zitierten Fälle als spanienuntypische

Ausnahmeerscheinungen,

„esta mala versión de una triste manía versánica centro-europea, como es el antisemitismo!" Die Begründung für diese Sicht der Dinge, die er, zusammen mit weiteren Ambivalenzen in der Behandlung der zeitgenössischen Judenthematik, auch anderswo wiederholt hat, sind nicht weniger aufschlußreich für seine Haltung zur Judenfrage, beziehen sie sich doch auf die historische Bedeutung der peninsularen Juden: „Cierto es que aquí, en España, ha habido entre el vulgo docto una idea, que creemos muy exagerada, de la influencia hebraica en nuestra patria." 5 Damit scheint Unamuno nicht nur zu insinuieren: ohne Juden, ohne jüdischen Einfluß gab und gibt es in Spanien keinen - nennenswerten - Antisemitismus; er bestreitet vor allem, trotz der zitierten Eloge auf „Jeuda Leví", den jüdischen Einfluß als solchen: „Estamos, en efecto, convencidos de que el fondo del pueblo español es, racialmente, uno de los más homogéneos, el de su primitiva población celtibérica romanizada, y de que los diversos invasores e inmigrantes, numéricamente muy pocos, se confundieron pronto con él." In dieser eigenwilligen Interpretation der Geschichte, der sogenannten

„intra-

historia", die er über Jahrzehnte hinweg beibehalten hat, ist für Juden - und 5

Namentlich verbucht Unamuno (ebd.) solche „Übertreibungen" vor allem auf das Konto exponierter Philosepharden wie Blasco Ibáñez: „Cuando Blasco Ibáñez estaba en Paris, en 1925, en sus entrevistas con judíos sefarditas, aumentaba a su modo - ¡y qué modo! - la acción y proporción de la judería en España y se jactaba de llevar sangre judía, cultivando la leyenda - la de El tizón de la nobleza - de los judaizantes y cristianos nuevos como antaño se les llamaba. Pero este comentador que os dice siempre le ha parecido eso hijo de una trastocada perspectiva histórica."

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„Araber" - kaum Platz, allenfalls als dünner Firnis auf der Oberfläche der Geschichte. Darunter liegt das historische Urgestein, das iberische Substrat, zu dem die Juden kaum etwas beigesteuert haben. Da stimmt es immerhin tröstlich, daß der Tiefenhistoriker wenigstens eine weitere kulturelle Minderheit mit langer Verfolgungsgeschichte nationalisiert: „Sospechamos", schreibt er am Ende seines Artikels über „Gitanadas y Judiadas" (ebd.: 87), „que acaso haya en España más sangre gitana que visigótica, morisca o judaica [...] Tal vez Carmen y la Gitanilla cuentan más que Maimónides." Im Unterschied zu vielen seiner Zeitgenossen, die vom Glanz des Goldenen Zeitalters der spanischen Juden profitieren wollten, widersteht Unamuno dieser Versuchung: Cervantes' sympathisches Zigeunermädchen, das freilich eine Edeldame ist, war wichtiger für den iberischen Urgrund als der berühmte Philosoph aus Códorba! Den Bezugsrahmen für diese Visionen stellen Unamunos Ideen zur Geschichte dar. In einem Vierzeiler von 1934 (1988: 720) fragt Unamuno: „¿Qué es la historia?" Die Antwort fällt ziemlich nüchtern aus: „Es una noria; / sube y baja el arcabuz; / ir de la pena a la gloria! / ir de la cruz a la luz!" Das knappe Gedicht läßt zwar verschiedene Deutungen zu; meint aber wohl nicht die reale Geschichte, sondern die Aufs und Abs ihrer Interpretation. Und die hat Unamuno Zeit seines Lebens ausgesprochen negativ beurteilt: „La historia es una gran mentira", heißt es dreißig Jahre früher (1991: 172), „porque en ella se oye a los cien que meten ruido y no a los millones que callan." Damit ist nicht gesagt, daß der Skeptiker in Sachen Geschichtsschreibung dieses Metier in Bausch und Bogen verdammte. Auch er ist von dem Nutzen der Historie durchaus überzeugt: „Para llegar, lo mismo un pueblo que un hombre, a conocerse", schreibt er in seinem frühen Buch En tomo al casticismo (1983: 39), „tiene que estudiar de un modo o de otro su historia." Und (ebd.: 40): „El conocimiento desinteresado de su historia da a un pueblo valor, conocimiento de si mismo, para desporarse de los detritos de desasimilación que embarazan su vida." Trotz dieses relativ modernen Verständnisses von Geschichte, deren Bedeutung für das

nationbuilding

Unamuno keineswegs leugnet, greift er, um seine Vision der Geschichte zu benennen, auf Kategorien zurück, die Mosse (1996: 61) auf die knappe Formel brachte: „Geschichte wird zum nationalen Mythos." Nichts anderes ist Unamunos Idee einer „intrahistoria", einer Art historischen Granits der Nationen, auf dem sich „los detritos" der Jahrhunderte zwar abgelagert haben, aber eben nur die Oberfläche bilden, die „su roca viva", „lo duradero", „lo vivo de lo eterno" (1983: 39 f.), so gut wie nicht tangierten. Dieser Idee einer quasi geschichtsresistenten „intrahistoria", die den „carácter

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popular íntimo" (ebd.: 39) eines Volkes ausmachte, hat Unamuno mit nebulösen Naturmetaphern immer wieder Gestalt zu geben versucht: „Las olas de la historia, con su rumor y su espuma que reverbera al sol", schreibt er in En torno al casticismo (ebd.: 27), ,.ruedan sobre un mar continuo, hondo, inmensamente más hondo que la capa que ondula sobre un mar silencioso y a cuyo último fondo nunca llega el sol." Der Mythos des Meeres als Sinnbild der Geschichte findet sich, etwa zur gleichen Zeit, ebenfalls in Unamunos Briefwechsel mit Ganivet (Ganivet 1981: 179): „Hay en los abismos del Océano inmensas vegetaciones de minúsculas madréporas, que labran en silencio la red enorme de sus viviendas. Sobre estas vegetaciones se asientan islas que surgen del mar. [...] Lo que ocurre en la isla afecta muy poco a su basamento madrepórico." Es fällt schwer, zumindest aus heutiger Sicht, diese obskuren Sinnbilder der Geschichte mit dem gebotenen Ernst zu betrachten. Nicht zuletzt deshalb, weil der Autor dieser raunenden Meeresmetaphorik dort, wo er .konkret' wird, wo er nämlich zu bestimmen sucht, wie die spanische „intrahistoria" beschaffen ist, ironischerweise auf die „Erdgeisttheorie" seines Granadiner Briefpartners zurückgreift und statt des Meeres die „vasta meseta" Kastiliens (ebd.: 186) zur „subhistorischen Basis" verklärt ... In einem späteren Artikel, er datiert von 1923 - dem Beginn der Diktatur, deren prominentester Kritiker und bekanntestes Opfer Unamuno werden sollte - , ist dagegen und eher ausnahmsweise auch von Politik die Rede: „Y la historia, la verdadera historia", heißt nun (1923: 8) die Devise, „es la historia política, la de la forja de las nacionalidades. Lo demás es arqueología." Bei dieser Akzentverschiebung der historischen Gewichte vom Mythos zur Politik beruft sich Unamuno auf einen deutschen Gewährsmann: „El tiempo se llena espiritualmente con historia, la historia es ante todo política y la política por excelencia es, decía Treitschke, la guerra." In diesen Sätzen mag ein gewisser Meinungswandel Unamunos gegenüber der Geschichte zum Ausdruck kommen. Man könfite aber auch, polemisch zugespitzt, vermuten, daß sich in ihnen nur der Mythos mit anderen Mitteln artikuliert. Daß diese Vermutung nicht völlig von der Hand zu weisen ist, illustriert Unamunos Interpretation eines Geschichtskapitels, das hier von zentralem Interesse ist: die sogenannte Reconquista. Seine allgemeinen Ideen zur Geschichte hat Unamuno nie als bloß abstrakte Überlegungen zu einer Theorie der Geschichte verstanden. Eine Universalgeschichte, wie man eine solche auch immer definieren mag, war seine Sache nicht: „La mentira más grande en historia", verwahrte sich der Gräzist (1987: 207) denn auch gegen globale Perspektiven, „es la llamada historia universal." Ihm ging es vor allem, wenn nicht ausschließlich, um die spanische

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Geschichte. Die Idee einer „intrahistoria", so wie er sie formulierte, besitzt zwar auch eine allgemeine Dimension, ist aber fast ausschließlich auf Spanien gemünzt: Auf „nuestra alma ibérica", wie er (1991: 115) nicht müde wurde zu betonen. Dabei erweckt er gelegentlich den Anschein, als würde er wenigstens hier, diesseits der verhaßten Universalgeschichte, sämtliche historischen Einflüsse und Traditionen in seine Betrachtungen mit einbeziehen, etwa in einem Aufsatz von 1906 über „la crisis del patriotismo": „Hacer tradición es hacer patria", heißt es dort (1968: 28), ganz im Sinne des „nationbuilding", wie es Inman Fox als „invención de Espafla" beschrieben hat. Dagegen suggeriert Unamuno, daß er dabei ohne historische Scheuklappen vorzugehen gedenkt: „Y a constituir la tradición común española tienen que confluir las tradiciones todas de los pueblos todos que integran la patria." Dieser Anschein, es ginge ihm um eine historische Gesamtinventur, täuscht jedoch. Denn nur ein paar Seiten zuvor heißt es bereits warnend: „Cuando un tradicionalista os hable de tradición, preguntadle: ,¿Cuál? ¿Qué tradición? ' Porque hay la de la Setembrina, y la de las Cortes de Cádiz, y la de Carlos III, y la de la casa de Borbón, y la de las Austrias, la de los Felipe II y Carlos I, y la de los Reyes Católicos, y la de la Reconquista, y la visigótica, y la romana, y, si me apuran mucho, hasta la prehistórica. Nada más engañosa", so sein Fazit, „que la tradición." Ist es ein Zufall, daß in dieser Auflistung, so erfreulich traditionskritisch sie sich auch gibt, Mauren und Juden nicht erscheinen? Andere frühgeschichtliche Einflüsse, u. a. der römische, werden zwar erwähnt, aber - an anderer Stelle (1991: 115) - mit einer lakonischen Bemerkung ad acta gelegt: „La cultura latina, esa gran mentira", heißt es, „la llevamos a cuestas, no nos la hemos asimilado". Warum die jahrhundertelange Zugehörigkeit der Halbinsel zum Weströmischen Reich an keiner Stelle tiefere Spuren in „nuestra alma ibérica" zurückgelassen hat, das erklärt Unamuno zwar nicht; dafür findet sich in einer anderen Bemerkung zur spanischen Geschichte immerhin eine .Tradition', die in der oben zitierten Auflistung fehlt: „En Historia de España", heißt es in einem Brief von 1918 (1991: 64 f.), „se les enseña todo aquello de iberos, celtas, celtíberos - ¡menudo lío! - , fenicios, cartagineses, griegos, romanos, godos - ¡¡¡con la lista de sus Reyes!!!

árabes, etc. y debajo

de eso no se pone nada, absolutamente nada." Hier werden die „Araber", wie Unamuno sie nennt, immerhin erwähnt. Bilden sie aber, zusammen mit den Juden, die hier vermutlich unter „etc." firmieren, auch ein integrales Element der Geschichte? Innerhalb des schmalen Korridors, der nach der Lesart des Intrahistorikers Geschichte und Gegenwart miteinander verbindet, bleiben natürlich auch sie ante

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portas, sind, wie Rom, nicht nur eine „große Lüge", sondern auch noch äußerst unsympathisch: „De los árabes no quiero decir nada", kommentiert er (Ganivet 1981: 157) die Maurophilie seines Granadiner Briefpartners Ganivet, „les profeso una profunda antipatía, apenas creo en eso que llaman civilización arábiga y considero su paso por España como la mayor calamidad que hemos padecido." Auch hier kein erläuterndes Wort, kein Hinweis auf achthundert Jahre maurische Kultur a u f , iberischem' Boden, nur plumpe Ressentiments, die eine fixe Idee der Geschichte erkennen lassen: „Creo que en esa Granada", so ein Vergleich, der einen sprachlos macht (ebd.: 183), „el establecimiento de la industria de la remolacha ha tenido más alcance e importancia que su conquista por los Reyes Católicos." In einem Gedicht von 1930 möchte er, so ist den Zeilen zu entnehmen (1991: 275), auch die architektonischen Zeugnisse der maurischen Kultur am liebsten schleifen: „Con el cante jondo, Gitano, / tienes que arrasar la Alhambra, / no le hacen falta a la Zambra / palacios hechos de mano." Daß Unamuno ausgerechnet die Zigeuner auffordert, den Resten der maurischen Traditionen den Garaus zu machen, ist dabei nicht ohne Ironie. Schließlich zählen gerade sie zu den Repräsentanten einer Region, für die der Liebhaber des kastilischen casticismo

eine ebenso ausgeprägte Aversion empfand wie für die

Mauren: „No puedo tragar a esa gente entre la que usted vive", schrieb er (ebd.: 101) 1901 einem in Andalusien lebenden Briefpartner, „me parecen huecos, inconsistentes, maffiosos, realmente tontos. El andaluz es en España una especie inferior, por mucho talento que tenga es memo por dentro." Er schreibt es zwar nicht explizit - ein Zusammenhang zwischen seinen Aversionen gegen die Mauren und ihre ,Nachfahren' ist indes nicht auszuschließen. 6 Andererseits bleibt sich der Liebhaber des widersprüchlichen Denkens dabei wenigstens in Teilen treu: Auch die Aversionen gegen die maurische Geschichte finden ihre ultima ratio in der Idee der „intrahistoria". Die Chroniken erzählten zwar viel von Invasionen und „cruze de raza", belehrt er (ebd.: 178 ff.) Ganivet, aber „todos estos elementos advenedizos", u. a. „los árabes", wären lediglich „débiles capas de aluvión sobre densa roca viva", wären also keineswegs „en lo Unamunos Antipathien gegen die Mauren mögen auch der Grund dafür sein, daß er den Roman La gloria de Don Ramiro des Argentiniers Enrique Larreta in mehreren Briefen an den Autor in höchsten Tönen lobt: „Interrumpo la lectura de su libro [...] para decirle: muy bien!, muy bien!, admirable! Hace muchísimo tiempo que no leía nada tan jugoso, tan evocador sobre nuestra vieja España, sobre nuestra alma." Und das trotz - oder wegen? - der Tatsache, daß der in Spanien erschienene historische Erfolgsroman eine Reihe rassistischer Klischees enthält, die Mauren und Juden gleichermaßen gelten.

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íntimo de la raza" vorgedrungen. Sein Fazit (ebd.: 180), das auch die Juden miteinschließen dürfte 7 : „Todo esto sirve para indicar nada más una idea de que el fondo de la población española ha permanecido mucho más puro de lo que se cree". Dennoch mißt Unamuno der trikulturellen Epoche, die er freilich nicht so bezeichnet, eine zentrale Bedeutung bei. In den Jahrhunderten der „Reconquista", so seine orthodoxe Terminologie, verläßt das Land das Stadium seiner „pubertad nacional" (1983: 46) und tritt, unter kastilischer Führung, ins Erwachsenenalter ein. „Esta vieja Castilla formó el núcleo de la nacionalidad española", schreibt er (ebd.: 45), „y le dió atmósfera: ella llevó a cabo la expulsión de los moros [...] clavó la cruz castellana en Granada [...] y se siguió todo lo que el lector conoce." In diesem „proceso de españolización de España", der, so Unamuno, seine raison d'etre im Kampf gegen „la morisma" hatte, sieht der junge Autor (ebd.: 44 f.) eine „necesidad mayor" am Werke, nämlich „la de constituir una unidad de la península española, una unidad frente a las otras grandes unidades que iban formándose". Im Unterschied zu anderen Reconquista-Interpreten, etwa zu Menéndez Pelayo, die im Kampf gegen die Mauren den heiligen Zorn Gottes - „martillo de herejes" - am Werke sahen, argumentiert der junge Salmantiner Professor eher machtpolitisch, obwohl auch er, wie Menéndez Pelayo, keinerlei Sympathie für die „morisma" empfindet und keine Probleme darin sieht, den ideologisch aufgeladenen Reconquista-Begriff zu verwenden. Dennoch findet sich bereits hier, wenn auch in einer Fußnote versteckt, eine implizite Differenzierung dieses Begriffs, die zumindest dessen religiös-kulturelle Intransigenz relativiert: „Durante la Reconquista", so der nicht unbedeutende Hinweis (ebd.: 94), „no había empeño alguno en convertir a los moros, con los que se entendían no mal los cristianos." Eine bemerkenswerte Feststellung, die fast nach Convivencia klingt und sich dabei - zu Recht - auf den Cid beruft. Der folgende Vergleich, den Unamuno anstellt, ist noch deutlicher und klingt fast wie ein retrospektives Plädoyer für Toleranz: „Donde resalta la diferencia es en la toma de Zaragoza por Carlomagno, y la de Valencia por el Cid. Toma el emperador Zaragoza, y entran sus soldados en mezquitas mahumeries y sinagogas, destruyendo ídolos - ¡ídolos en mezquitas y sinagogas! - , porque Carlos cree en Dios y quiere hacer su servicio [...] llevan a los paganos al bautisterio, y al que se niega a hacer la voluntad de Carlos lo cuelgan, matan o queman. [...] ¡Cuán otro

7

Im Unterschied zu den „Arabern" spricht Unamuno interessanterweise in diesem Zusammenhang kaum explizit von den spanischen Juden.

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el cuadro de la toma de Valencia!" Am Ende dieses Vergleichs, der den religiösen Fanatismus des Ausländers und den eher säkulären, lediglich auf Gold und Kriegsruhm bedachten Nationalhelden gegenüberstellt, fühlt sich Unamuno allerdings verpflichtet, sein ,Plädoyer für religiöse Toleranz' etwas abzuschwächen: „Cierto es que los franceses no conocían a los moros como los castellanos." Wie man diese Äußerungen auch immer deuten mag: Als Theoretiker der nationalen Staatsräson erteilt Unamuno den militärischen und politischen Strategen der Reconquista seine historische Absolution. In dem Text, zu dem die zitierte Fußnote gehört, weist er darauf abermals hin - und spricht zum erstenmal auch von den Juden: „Para demarcar, por vía de remoción, la unidad nacional se expulsó a judíos y moriscos y se cerró la puerta a luteranos por ,sediciosos', pertubadores de la república." Deuten die Anführungszeichen darauf hin, daß er die dominante Version der Vertreibungsmotive nicht teilt? Zumindest mit Blick auf die Juden, für die er - im Unterschied zu den Mauren - offenkundig nie eine „profunda antipatía" empfunden hat, scheint er leichte Zweifel an der offiziellen Begründung für ihre Vertreibung zu hegen. Sie lassen sich auch aus einem Artikel über „Lisboa y Toledo" (1985: 300 ff.) herauslesen, in dem er zwar eine durchaus orthodoxe Reconquista-Interpretation präsentiert - „Toledo nos habla de la reconquista. Común a España y a Portugal, de aquella larga lucha, de siglos, con que los cristianos de la Península Ibérica, de nuestra Iberia, arrojaron a los musulmanes de ella y restablecieron [!] la unidad de la civilización ibéric a " - , aber gleichzeitig, und das erkennbar positiv, an die trikulturellen, vor allem an die jüdischen Traditionen der Stadt erinnert: „me acordé de Toledo [...] de tiempos de los famosos Concilios, arábiga y morisca luego, y más que esto judaica - los de Judá Levi de Toledo, el gran poeta del Israel hispánico". Und am Ende dieser Betrachtungen formuliert er in deutlich neutraler Diktion, die lediglich konstatiert, aber nicht wertet: „Mas tarde tanto el Reino de España como el de Portugal se creyeron obligados, para aseguar su unidad racial, a expulsar a los judíos de uno y de otro reino. Mas de esto no me toca decir más aquí." Leider hat sich Unamuno auch andernorts nicht ausführlicher mit dem Thema beschäftigt. Er hat indes deutlich gemacht, daß er mit einigen Facetten der nationalen Historiographie, die nach der Vertreibung jahrhundertelang tonangebend waren, Probleme hatte - und die waren durchaus nicht gering. Das erste Problem, das er als ebensolches empfand, hat mit der nationalen Einheit zu tun, für deren Zustandekommen die Vertreibung der beiden Minderheiten, so seine Sicht der Dinge, eine Grundvoraussetzung war. Dabei hatte

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er, zumindest in seinen frühen Schriften, der Religion, d. h. dem Katholizismus, auch eine positive Bedeutung beigemessen, trotz der hauptsächlich machtpolitischen Interpretation der Reconquista: „Que las castizas guerras de nuestra edad de oro", heißt es in En torno al casticismo (1983: 94), „fueron de religión [...]. Esta era el lazo social, y la unidad religiosa, forma suprema de la social." In seinen Briefen an Ganivet (Ganivet 1981: 192) findet sich jedoch bereits eine wichtige Einschränkung, die fortan zu seinem religionsphilosophischen Basiscredo zählt: „Sé que a muchos parecerá lo que voy a decir una atrocidad, casi una herejía, pero creo y afirmo que esa fusión que se establece entre el patriotismo y la religión daría a uno y a otra. Lo que más acaso ha estorbado el desarrollo del espíritu cristiano en España es que en los siglos de la Reconquista se hizo de la cruz un pendón de batallar y hasta un arma de combate, haciendo de la milicia una especie de sacerdocio." Diese nicht zuletzt zeitpolitisch gemeinten Äußerungen, die auf die Hausse des Jacobinismo seudorreligioso que llaman integrismo" (ebd.: 191) gemünzt waren, verweisen zugleich auf ein grundsätzliches Verständnis vom Christentum, das, so Unamuno(ebd.: 190), während der Reconquista verlorenging: „el cristianismo es en su esencia, un ideal anarquista, en que la única fuerza unificadora sea el amor." Hauptsächlich hier, im violenten Charakter religiöser Intransigenz der christlichen ,Kreuzritter', scheinen Unamunos Zweifel an der moralischen

Legitimität

der Judenvertreibung zu wurzeln. Sie beziehen sich rund zehn Jahre später in seinem Essay „Más sobre la crisis del patriotismo" (1968: 14) sogar auf die Einheit als solche. Am Beispiel der „tremendos versos de Hernando de Acuña, el poeta de Carlos I", der geschrieben hatte: „Una grey, y un pastor solo en el suelo, / un monarca, un imperio y una espada" - anhand dieser Verse relativiert er nun seine von staatspolitischer Räson diktierte Sicht früherer Jahre: „Fué, en el fondo, el ideal de la unidad huera, de la unidad sin contenido, apenas, de la unidad por la unidad misma. No se buscaba la integración de las diferencias, la armonía que surge de sus choques mutuos, el acorde de las discordancias. Pueblo poco músico, no entendía de tales complejidades." Offen bleibt, ob die Kritik an der nicht gewollten „integración de las diferencias" sich auch auf Juden und Mauren bezieht oder nur auf die im gegenreformatorischen Spanien besonders enge und unheilvolle Liaison von Thron und Altar. Weniger offen bleibt dagegen, ob Unamuno das Rad der Geschichte, hätte er es gekonnt, gern zurückgedreht hätte, um „el acorde de las discordancias" eine Chance zu geben. So schreibt er (ebd.: 15) zwar einerseits: „Se buscaba la unidad pura; la unidad con la menor heterogeneidad y diferenciación de partes; la simplicidad, en una

Geschichte als Mythos palabra." Andererseits läßt er sich von dem historischen Reizen der

421 Hispanidad

verfuhren, wenn er (ebd.) in der zitierten „simplicidad" just jenes Ferment der spanischen Geschichte zu sehen meint, „que hace duraderas a sus grandes obras maestras de arte y de literatura". Und nicht nur in Kunst und Literatur: „Ministros de esa energía pura, ciega, desnuda, fueron los Pizarro, los Alba, los condes de España, los Narváez, todos los duros conquistadores o gobernantes a cuya férrea voluntad no acompañaba una inteligencia rica en contenido,

flexible,

compleja, sutil." Damit bringt Unamuno ein weiteres Element ins Spiel, das seine eher nüchterne Interpretation der Reconquista als staatspolitisches Fait accompli deutlich übersteigt: Ohne Reconquista, so die einfache historische Gleichung, keine Conquista und damit keine historischen Ruhmestaten, die er auf keinen Fall missen möchte. Diese Interpretation der Geschichte, die auch bei Unamuno einer Quadratur des Kreises gleicht - er selbst hat sie wohl eher als „procedimiento rítmico de contradicciones" verstanden

nimmt auch in seiner Haltung zur Inquisition

Gestalt an, wenngleich eher implizit. So komme in dem zitierten Gedicht von Hernando de Acuña eine „Energie" zum Tragen, „[que] produjo el tribunal del Santo Oficio, instrumento de unificación." Dessen Rolle bewertet er im Kern durchaus korrekt, wenn er (ebd.: 16 ff.) schreibt: „la Inquisición fué instrumento más bien político que religioso. La conservación de la pureza de la fe católica no era sino un pretexto para conservar la unidad nacional, que se creía comprometida por la herejía." Dennoch hält er den Ungeist, aus dem die totalitäre Religonspolizei ihre Legitimation bezog, für eine „funestísima doctrina", die der weiteren Entwicklung des Landes schweren Schaden zufugte: „Con ella han padecido tanto los intereses de la patria como los intereses del cristianismo español. Desde que se elevó a principio poco menos que incontrovertible eso de que el catolicismo sea consustancial a la tradición patria española, empezaron a decaer en España el cristianismo y la patria, y fué ésta bajando de tumba en tumba." Daraus leitet er (1991: 1 1 7 ) - f ü r die Gegenwart! - die Forderung ab, den Einfluß der Kirche zurückzudrängen: „Ahora [1902, N.R.] estoy preocupado más que nunca por los problemas religiosos (filosofía e historia de las religiones) y convencido a la vez de que España necesita que la cristianicen descatolizándola." So richtig und couragiert diese Sätze auch sind: Auch hier versucht Unamuno sich gleichsam zu waschen, ohne dabei naß zu werden. Der militante Katholizismus, so seine Sicht der Dinge, hat zwar verheerende Konsequenzen gehabt, und hat sie noch immer; er war indessen auch der Baumeister der nationalen Einheit und geistige Triebkraft vergangener „grandeza". Mögliche andere Optio-

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nen der Geschichte, so utopisch sie auch gewesen sein mögen, zieht er dabei gar nicht in Betracht. Ja, sie interessieren ihn nicht einmal, weil sie die „glorreiche Vergangenheit", vor allem die Eroberung Amerikas, vermutlich nicht ermöglicht hätten. So macht er (1975: 66) rund zehn Jahre später (1912) selbst mit dem spiritus rector der mata moros-Propaganda

seinen partiellen Frieden: „.¡San-

tiago, y cierra España!' fue nuestra divisa medioeval española; pero al cerrar Santiago a España abría y rompía sus barreras interiores, fundía a sus pueblos todos en la lucha común contra la morisma." Partiell ist der historische Schulterschluß mit der mittelalterlichen Standarte der katholischen Glaubenskrieger aber nur deshalb, weil diese inzwischen von einer - nicht mehr zeitgemäßen Aureole des Aberglaubens eingehüllt ist: „Porque un hombre moderno, de espíritu crítico, no puede admitir, por católico que sea, que el cuerpo de Santiago el Mayor esté en Compostela. ¿Qué cuerpo es, pues, el que allí se venera y cómo y por qué se inició ese culto?" Ein explizites Lob erhalten (1968: 117) schließlich auch die eigentlichen Baumeister der politischen Einheit, unter deren Zepter Granada erobert und die Juden vertrieben wurden: „Se ha dicho que con los Reyes Católicos y la unidad nacional se torció acaso el curso de nuestra historia." Ohne dieser Frage weiter nachzugehen, hält er es für ausgemacht, daß auf der historischen Haben-Seite des Herrscherpaares die „Entdeckung" Amerikas und die Öffnung nach Europa zu verbuchen seien: „Y entró en España la poderosa corriente del Renacimiento, y nos fué borrando el alma medioeval." Daß just in dieser Zeit, die Unamuno eher als finsteres Mittelalter abtut, auch „die erste Aufklärung begann", wie Herder (Hinterhäuser 1979: 105) schrieb, interessiert ihn dagegen nicht besonders. Von einigen anerkennenden Worten über die jüdische Blütezeit abgesehen, hat er deren Spuren nirgendwo ernsthaft verfolgt. So wundert es nicht, daß er in „La Eterna Reconquista", einem Artikel aus dem Jahre 1934 (1934: 5), die Epoche von 711 bis 1492 zwar als düsteres Kapitel der peninsularen Geschichte beschreibt, in biblischer Diktion aber zugleich auch enthistorisierend verklärt: „Y la otra, la Reconquista mayúscula, ¿qué es lo que fué sino la lucha de unos pastores, ganaderos, contra otros y por la trashumancia y aun después de que algunos se asentaron como labradores en ciudades? Caín y Abel siempre, enmellizados como la muerte y el amor, como el hombre y la envidia." 8 Deshalb darf man, ohne allzuviel Polemik, wohl ver8

Genau diese verklärende Optik war es wohl, die seinem Hagiographen Pedro Lain Entralgo (1957: 466) gefallen hat: „En la segunda mitad de su vida será menos negativa su valoración del pasado de España que en su mocedad tan crudamente

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muten, daß der folgende Wunsch Unamunos (1892: 2), wäre er in Erfüllung gegangen, seine ambivalente und widersprüchliche Interpretation der Geschichte nicht wesentlich verändert hätte: „¡Cuantas veces he pensado si fuera posible estudiar la historia al revés, empezando de hoy para caminar hacia el ayer, inviniendo el orden del tiempo." So widersprüchlich wie Unamunos Ansichten zur Geschichte sind seine Äußerungen zu den imperialistischen Militäraktionen des frühen 20. Jahrhunderts, die trotz aller zeitpolitischen Implikationen, auch, wie er mehr als einmal konstatiert, einen deutlichen Bezug zur maurischen Geschichte aufweisen. Seine Haltung zu dem Dauerkonflikt läßt zwar eine deutliche Entwicklung zum Besseren erkennen, seine negative Einstellung zu „Afrika", wie sie am Beispiel des Mittelalters deutlich wurde, bleibt davon freilich unberührt. Letztere dürfte sicher dafür mitverantwortlich sein, daß er (1991: 263) zunächst sogar zu den Bellizisten gehörte: „Uno de los encantos de este verano", schreibt er 1909, „es no oír hablar de esos dichosos Juegos Florales, que se me han indigestado. Abrigo la esperanza de que la guerra de Africa dará al traste con ellos." Bereits ein paar Wochen später stellt er (ebd.: 263 f.) offensichtlich befriedigt fest: „Yo soy de la minoría, es decir, que me parece muy bien la guerra y convencientísima para España en todos los sentidos, y sobre todo en el espiritual. Espero que esto acabe por levantarnos algo el abatido espíritu." Diese Einschätzung sollte er indes einige Jahre später revidieren. Sein Meinungswandel im Verhältnis zu den kolonialistischen Ambitionen der verschiedenen iwno-Kabinette beruht aber augenscheinlich nicht auf einer grundsätzlichen Kritik am Kolonialismus; er ist eher den mangelnden Erfolgsaussichten und der Tatsache geschuldet, daß sich „el abatido espíritu" des Landes auf diese Weise nicht heben ließ: „Se ve lo de Marruecos como un negocio, y en cuanto negocio", schreibt er (1919: 1) nun ernüchtert, „parece que es, en efecto, improductivo, si es que no malo." Unamuno bezweifelt nicht nur, daß die Militärmanöver „ventajas mercantiles" einbringen, er hinterfragt auch die offizielle Legitimationspropaganda: „Y en todo caso, ¿qué obra civilizadora puede hacer en Marruecos la [España, N.R.] que no ha subido civilizarse ni nacionalizarse a si misma? [...] Supongamos que se hable de escuelas. ¿Escuelas españolas en Marruecos? ¿Para qué, si no hay escuelas españolas en España? ¿Enseñar a los moros español, cuando no se sabe ni se quiere enseñar en español a los hijos de

rechaza." Der zweite Teil des Satzes übertreibt die kritische Perspektive Unamunos dagegen maßlos.

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los contribuyentes de España." Daraus läßt sich wohl der Umkehrschluß ableiten: Wenn es um die eigenen Angelegenheiten besser stünde, dann hätte Unamuno auch nichts gegen ein „zivilisatorisches Werk" unter den „moros" einzuwenden, vorausgesetzt, es würden friedliche Mittel angewendet: „Una vez más tenemos que repetir a los que nos acusan de estrechez de espíritu que no creemos que se deba imponer nada; que a ningún pueblo se le debe imponer gobierno alguno contra su general volundad". So wichtig dieser Wandel vom Falken zur Taube auch ist: Unamuno stellt den kulturellen Kolonialismus, als „historische Mission" drapiert, keineswegs grundsätzlich in Frage. Die Verhältnisse lassen eine solche „misión histórica que le toque a España" nur leider nicht zu. Die Artikel der folgenden Jahre, die dem Thema gewidmet sind, tragen eine ähnliche Handschrift: „¿Acción civil?", fragt er (1922: 1) rund drei Jahre später und gibt die Antwort: „Desde luego cabe una acción civil, o si se quiere civilizadora, no ya en Marruecos, sino en cualquier otro país independiente de España. Y en España misma." Im vorliegenden Fall sei es jedoch geboten - „lo exigen los más altos intereses nacionales" - , den Rückzug anzutreten. Wenn das wider alle Vernunft aber nicht geschehe, dann, so vermutet Unamuno sicher nicht zu Unrecht, suchten die Verantwortlichen „el presunto desquite de lo de 1898". Hatte er nicht etwas Ähnliches im Sinn, so fragt man sich, als er zehn Jahre zuvor mit Hilfe des Krieges „el abatido espíritu" wieder aufrichten wollte? Überraschend ist auch die folgende Bemerkung: „No, eso no era aun obra de civilización;" schreibt er in einem weiteren Artikel (1921: 1) zum Thema, „no era sino el desquite de la conquista de España por los musulmanes." Dieser richtigen Einschätzung folgt die nicht minder richtige Forderung: „Hay que acabar con el instinto de los conquistadores. [...] Las conquistas patrimoniales se acabaron ya; su imperio acabó en 1898." Überraschend ist Unamunos vollauf berechtigte und mehrfach wiederholte Attacke gegen „el bárbaro atavismo de las cruzadas contra el infiel marroquí" (1923: 1) vor allem deshalb, weil er am ideologischen Überbau der Anti-MoroPropaganda selber mitgewirkt hat. Nicht nur in Form seiner „tiefen Antipathie" gegen die Mauren und der ambivalenten Reconquista-Interpretationen. Dazu beigetragen haben auch seine Ansichten über einen generellen „despotismo oriental" (1983: 88) - Ansichten, die im Falle „Afrikas", zumindest Schwarzafrikas, sogar rassistische Züge annehmen, wenn er (ebd.: 121) über „circunvoluciones en el cerebro humano" fabuliert, die größer seien als die von Tieren, „y mayores en el del blanco que en el de razas inferiores." Diese Schädeltheorie, insinuiert

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Unamuno, lasse sich besonders deutlich im Vergleich Europas mit Afrika illustrieren, denn „bien puede decirse que [...] el europeo [tiene] más periférico

el

cerebro que el negro de Africa". 9 Widersprüchlich wie immer, hat er (1968: 21) die Marokkaner von diesem Verdikt nicht nur ausgenommen, er stellt sie sogar über einige europäische ,Kulturvölker': „Creo que el pueblo marroquí es, en más de un respecto, superior al pueblo inglés o al noruego." Er sagt indessen nicht, worin diese „Superiorität" besteht, scheint aber zu insinuieren, daß die Marokkaner „para la alta vida de la cultura espiritual" wohl ungeeignet sind, aber dafür womöglich andere Qualitäten besitzen: „La superioridad o la inferioridad", lautet seine Lektion (ebd.: 20) in Popularethnologie, „no son nunca [...] genéricas o totales, sino específicas o parciales, y sucede que el pueblo A es inferior al pueblo B en un respecto y le es superior en otros." Sicher ist diese Philosophie des gesunden Menschenverstandes nicht völlig falsch - man fragt sich nur: Auf welchen Informationen fußt eigentlich Unamunos Meinung über die Marokkaner, die er mal friedlich zivilisieren möchte, mal den Engländern überlegen wähnt, aber außer einer „tiefen Antipathie" nirgendwo erkennen läßt, daß er ihre Kultur kennt, geschweige denn schätzt? So bleibt der Verdacht, daß positive Äußerungen, wie die zitierte, eher der Laune eines Augenblicks geschuldet sind oder, wie die folgende Bemerkung (1968: 130) illustriert, dazu dienen, ein Ressentiment durch ein anderes zu neutralisieren: „¡Latinos! ¿Latinos? ¿Y por qué, si somos berberiscos, no hemos de sentirnos y proclamarnos tales, y cuando de cantar nuestras penas y nuestros consuelos se trate, cantarlos conforme a la estética berberisca?" Vor diesem Hintergrund, der eine mehr als zwiespältige Haltung zu Mauren und Marokkanern in Geschichte und Gegenwart enthält, klingt es fast wie Ironie, wenn er (1991: 213) ausgerechnet Ernesto Giménez Caballero, „su amigo", der sich im letzten Feldzug gegen die marokkanischen „enemigos tradicionales" (Giménez Caballero 1983: 7) hervortat, davon zu überzeugen versucht, „la infame cruzada del R i f endlich zu beenden ... Zwiespältig sind auch die Ansichten Unamunos über Juden im allgemeinen. Nicht nur deshalb, weil er ihnen, wie zitiert, lediglich eine äußerst marginale

9

An anderer Stelle (ebd.: 13) hatte er dagegen selber vor rassistischen Fehlinterpretationen gewarnt: „Y si tenemos en cuenta que lo castizo se estima como cualidad excelente y ventajosa, veremos cómo en el vocablo mismo viene enquistado el prejuicio antiguo, fuente de miles de errores y daños, de creer que las razas llamadas puras y tenidas por tales son superiores".

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Bedeutung für die peninsulare Geschichte beimißt; seine zwiespältige Haltung ist durchaus grundsätzlicher Natur und erstreckt sich über sein gesamtes Werk. So schreibt er (Ganivet 1981: 193) in seinem frühen Briefwechsel mit Angel Ganivet: „Mucho me sugiere cuanto usted apunta acerca de los judíos, de esta raza perseguida, que por no formar nación subsiste mejor como pueblo; de esta raza de que salieron los profetas y de donde salió el redentor, a quien dieron muerte sus compatriotas, alegando que era su conducta antipatriótica, como puede verse en el versillo 48 del capítulo XI del Evangelio, según San Juan." Das klingt, wenngleich recht moderat, nach christlichem Antijudaismus, nach Christus-Mörderpropaganda, der er in einem Gedicht aus den späten 20er Jahren (1988: 307) freilich selber widersprochen hat: „¡Qué judiada te hicieron, Jesús, los romanos! / espurriaron tu sangre a los necios judíos, / se lavaron las manos, / que así son, Señor, los pretorianos / litúrgicos e impíos. ¡Religión de la patria!" Seine Ressentiments gegen das kulturhistorische Konzept der Latinität wird damit gleichsam religionsgeschichtlich angereichert. Doch auch die Juden, „los necios judíos", kommen bei dieser Judiada" (!) nicht sonderlich gut weg. Den Widerspruch zwischen den beiden Äußerungen hat er zwar nicht aufgelöst; den christlichen Antijudaismus, den beispielsweise Antonio Machado verfocht, hat er allerdings ebensowenig weiterverfolgt. Im Gegenteil: „La más noble labor del protestantismo", schreibt er (1991: 187) sogar Anfang des 20. Jahrhunderts, „ha sido limpiar al cristianismo de su liga pagana, de sus elementos helénicos, y tratar de restaurarlo en su primitiva sencillez judaica." 10 Hier macht sich Unamuno, wie man sieht, zumindest aus der Sicht der integristas, gleich eines doppelten Sakrilegs schuldig: Sein christliches Credo beruft sich auf die beiden historischen Hauptfeinde des Katholizismus! Dennoch bleibt seine Haltung zum Judentum, unter Einschluß religiöser Aspekte, vage und ambivalent. Hier ein Artikel über „La soledad de Moisés" (1922), der sich lediglich in allegorischer Melancholie über „la soledad del caudillo, la soledad del conductor del pueblo" erschöpft. Dort (1988: 96) eine Eloge auf „Heine de mis mocedades / donde aprendí mi alemán, / judío de toda patria, / hijo de Humanidad". Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Judentum und der Geschichte des Antisemitismus sucht man indes vergebens, und das trotz der Tatsache, daß das Thema auch in Spanien jahrzehntelang viru-

10

Ausgesprochen drastisch rechnet er (ebd.: 188) übrigens mit den „elementos helénicos" ab: „Aquellos cochinos griegos, embusteros y charlatanes, no tenían más ingenio. Eran unos estetas, unos repugnantes estetas."

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lent war und der Vielschreiber U n a m u n o im übrigen kaum ein T h e m a ausgelassen hat. Aber selbst dort, wo er offen für die Juden Partei ergreift, wie in der D r e y f u s A f f ä r e oder im Falle spanischer Antisemitismusvarianten, schlagen die A m b i v a lenzen deutlich zu Buche. E t w a in einem Brief an Cansinos Assens, einen der W o r t f ü h r e r des peninsularen Philosephardismus: „Descontado que una larga y enconada persecución, de origen, no solo religioso y debido a fanatismo, sí, pero también", formuliert er (Cansinos Assens 1919: 115 f.) sibyllinisch, „a otras causas haya podido degradar y envilecer a una parte de ese pueblo de pastores errantes, hechos luego mercaderes, nunca me he explicado la ferocidad del antisemitismo - genuino producto germánico, hasta en Rusia y Francia - que es en gran parte odio a la inteligencia y a la internacionalidad". In diesen Äußerungen gehen explizite Kritik des Antisemitismus und impliziter Antisemitismus gleich mehrfach Hand in Hand: Die „otras causas" des Antisemitismus werden ebensowenig expliziert wie die Behauptung, ein Teil dieses „Volkes" hätte sich „erniedrigt und herabgewürdigt". Der lakonische Hinweis auf die „mercaderes" soll aber wohl insinuieren: Sie waren selber nicht unschuldig an ihrer V e r f o l g u n g " gerade für Spanien eine ziemlich haltlose Behauptung. Vergleichbare Ambivalenzen weist der folgende Satz auf: „hay que prevenir que llegue a asomar en España por influjo troglodítico, la menor veleidad antisemita". Die darin enthaltene Behauptung, die angeblich nur geringen S y m p t o m e eines spanischen Antisemitismus gingen vor allem, wenn nicht ausschließlich, auf das Konto entsprechender Importe, hat er in dem eingangs zitierten Artikel (1984: 86), in dem er eine ähnliche Behauptung aufstellte, im übrigen selber relativiert: „Hace ya cuarenta años que en Salamanca por lo menos", erinnert er sich dort u. a. an eine antisemitische Schmutzkampagne, der er als j u n g e r Professor entgegentrat, „un grupo de tradicionalistas e integristas enhechizados por las fantasías de Eduardo Drumont y de Leo Taxil dieron en denunciar el peligro j u d a i c o en España, sin que p o d a m o s olvidar la broma que a tal caso les gastó este mismo comentador que os hable".

Die gerechte Verteilung der Schuld ergebe sich im übrigen, suggeriert Unamuno an anderer Stelle (1922), durch den Charakter jeder Religion: „En un pueblo hay, por ejemplo, católicos y protestantes y judíos y mahometanos [...] y todos ellos se dividen políticamente en dos bandos. Y estos dos bandos son: el uno, el de los que creen que debe haber completa libertad de cultos y de propaganda y de controversia, v el otro, el de los que sostienen que se debe imponer una doctrina".

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Geschichte als Mythos Unamunos zwiespältige Haltung zur Judenthematik, seine Kritik des Antise-

mitismus, dem er aber in Teilen selber verfiel, macht sich selbst dort bemerkbar, wo er eine völlig untadelige Position zu beziehen scheint: In seinen zahlreichen Artikeln zur Dreyfus-Affäre. So schreibt er (1976: 157) beispielsweise 1918 im Rückblick auf die Affäre geradezu enthusiastisch: „La grandeur, la plu haute noblesse de ceux qui se rangèrent côté de Dreyfus, fut de soutenir que, fût-ce pour la salut du pays tout entier, on ne pouvait sacrifier celui qu'ils croyaient innocent". In seiner Begeisterung für die französischen Dreyfusianer springt Unamuno sogar über den Schatten seiner „galofobia", „mi aversión a todo lo francés" (1991: 116): „Agitarse todo un país por la injusticia cometida con un ciudadano, como fue lo del affaire Dreyfus", so seine Hommage an das eigentlich nicht geliebte Nachbarland (ebd.: 198), „se queda para pueblos que saben rechazar las injustas agresiones del déspota extranjero lo mismo que defenderse del despotismo interno." So engagiert diese Zeilen auch sind: Nirgendwo, weder hier noch in anderen Texten, spricht Unamuno von dem Juden Dreyfus! Insofern ist der obige Hinweis auf den „Bürger" Dreyfus kein Zufall, die berühmte Affare ist für Unamuno ausschließlich

eine allgemeine Auseinandersetzung, in

der um politische Grundprinzipien gefochten wird: „Tribunal político también fue el tribunal militar que en Francia condenó a Dreyfus y pretendió abrigar la injusticia del fallo bajo el despótico principio del secreto, invocando ampliamente la salud de la patria. Pero allí, en Francia", kommt er (ebd.: 198) zum Kern seiner Argumentation, „había una conciencia civil, esta es, moral, y se alzó contra el despotismo por encima de las monsergas del honor profesional. Y en aquella nobilísima y fecunda discordia civil se templó el patriotismo

francés."

Die Gegner von Dreyfus und seinen politischen Freunden, lautet die Botschaft Unamunos, waren nur schlechte Patrioten, „curanderos del patriotismo a sueldo" (Jareño Lopez 1981: 123), die von einem „espíritu de clase" (ebd.: 54), aber nicht von „el amor a la justicia, y menos a la verdad" geleitet wurden. Daß sie zu einem Großteil auch Antisemiten waren, darüber verliert Unamuno indes kein einziges Wort. Die Affäre ist und bleibt für ihn, so wichtig die obigen Aspekte auch sind, ein allgemeiner Konflikt zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen Gewaltherrschaft und Demokratie, der nur als solcher auch fur Spanien von Bedeutung ist (ebd.: 125): „Mientras no se discuta a la Patria, el patriotismo no será más que superstición. Nada más terrible que la fe del carbonero, aplicada al orden civil. Y la obediencia podrá hacer verdugos, pero no puede hacer jueces." Mögen die kritischen Bemerkungen zum Patriotismus eher eine Minderheitenmeinung im Spektrum der spanischen Intellektuellen vor dem Bürgerkrieg

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artikulieren - mit Blick auf die Sepharden vertrat Unamuno dagegen philosephardische Allgemeinplätze, allerdings ohne die üblichen Regenerationsillusionen und die dazugehörige pro domo-Mentalität. Einem 1925 in dem New Yorker Jewish Daily Bulletin erschienen Beitrag, den Aronsfeld (1979:24) zitiert, ist sogar zu entnehmen, daß er die , Rückkehr der Juden' als Problem empfand - als ökonomisches Problem: „The return of the Jews to Spain is neither a religious nor a political problem, but solely an economic problem. I cannot imagine what the Jews could do in my impoverished country. If there is in any Spanish circles a resentment against the Jews - although I do not believe there is - it is entirely atributable to a fear of the Jews as competitors in the economic field." Wie auch immer man diese Zeilen bewertet: Die Regeneration seines Landes, von der zahlreiche Philosepharden schwärmten, erwartete Unamuno mitnichten von den „Spaniern ohne Vaterland". Zu den Allgemeinplätzen zählt vor allem der naive Glaube an eine sephardische Spanientreue: „la sinagoga / en que la grey se reunía, // que hoy añora la verdura / de España, la que regara / con su lloro - de él no avara - / el zaguán de Extremadura". Dabei überrascht es nicht, daß die sentimentalen Verse (1988: 274) Uber „el chueta del mar, Egeo", so ein weiteres Gedicht über die Sepharden Salonikis, mit keinem Wort über die Ursachen und Folgen der Vertreibung sprechen, dafür einmal mehr den Spanientreuetopos präsentieren: „y hoy en Salónica llora / lengua español [sic] su destierro / donde los rabinos meldan / con dejos de romancero". Obwohl in den Gedichten über die Sepharden häufig von Trauer und Schmerz die Rede ist „Jeuda Levi! de su llanto / guardan tus capillas ecos" (ebd.: 276)

gilt Una-

munos Interesse ausschließlich den Banden, die sie mit Spanien verbinden, vor allem den sprachlichen Banden: „AI presente leo libros escritos en

ladino",

schreibt er 1904 (1991: 96), kurz nach Beginn der Sephardenkampagne, „que es el castellano que hablan los judíos - españoles - unos 500 000 - esparcidos por Oriente (Rumania, Bulgaria, Servia, Austria, Turquía, Grecia, etc.), y lo escriben con caracteres rabínicos. ¡Qué riqueza de idioma!" 12 Im Unterschied zu den Wortführern des Philosephardismus, die in den sprachlichen Affinitäten zum 12

In seinem Buch En torno al casticismo (1983:25) hat Unamuno übrigens auch die hebräische Sprache gelobt, wenn auch auf eine etwas ambivalente Art und Weise. Eine Reihe von „atroces barbarismos", heißt es dort, sei stets in die spanische Sprache eingedrungen - eine „Invasion", der sie jedoch einen Großteil ihres Fortschritts verdanke. Denn im Unterschied zum „salvajismo", der Sprache des Urwaldes, seien die „barbarismos" eine Bereicherung. Insofern darf man auch den folgenden Satz als Kompliment verstehen: „son barbarismos los galicismos y los germanismos actuales, y ¿no lo eran acaso los hebraísmos de fray Luis de León [...]?"

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Kastilischen und in den patriotischen Treuebekenntnissen einzelner Sepharden ungeahnte Möglichkeiten sahen, die Goldene Internationale für nationale Zwecke einzuspannen - im Unterschied zu ihnen vertritt Unamuno eine Art linguistischer Part pour Part-Position: Er begeistert sich nur für den sprachlichen Reichtum als solchen. Dabei ist zwar auch, wie die Fortsetzung des obigen Zitats erkennen läßt, eine gehörige Portion Nationalstolz im Spiel, aber zugleich ein sprachlicher Pluralismus, der den antiquierten Sprachpolizisten im Umkreis der Academia sicher nicht gefallen hat: „Y no es sólo porque conservan voces aquí perdidas [...], sino por la libertad con que sujetándose a la analogía y a los principios que rigen la fábrica del castellano forman nuevos y muy ajustados derivados." b Nur ein Jahr später äußerte sich Unamuno erneut über die Sprache der Sepharden - diesmal sogar in dem Buch Pulidos, 14 nämlich Españoles

sin

Patria y La Raza Sefardí. Dort, in einem Brief, den er an „mi buen Pulido" (Pulido 1905: 104 f.) richtete, spricht er fast ausschließlich von „nuestros hermanos de lengua", die, über den Balkan verstreut, noch immer das alte Spanisch sprächen, „la lengua de la España juvenil". Die Sprache, betont er mehr als einmal, sei das Bindeglied zwischen Spanien und den Sepharden. Ihr, „la sangre del espíritu", mißt er eine entscheidende Bedeutung zu - „mucho más que á la raza". Doch auch hier sucht man jedweden Hinweis auf kulturpolitische Ambitionen, gar auf ökonomische Beziehungen, wie sie dem Adressaten seines Briefes vorschwebten, vergeblich. 15 Insgesamt gesehen war das Interesse Unamunos an der zeitgenössischen Sephardenthematik allerdings nicht besonders stark. Die geringe Zahl der Äußerungen, über verschiedene Gedichte, Artikel und Briefe verstreut, läßt keine Begeisterung für die Sepharden erkennen. Zu groß waren, so scheint es, seine Vorbehalte gegen die Juden in der spanischen Geschichte und in der europäischen Gegenwart, als daß er ihnen eine positive Bedeutung hätten beimessen können - und wollen. Wohl gibt es bei ihm nicht die übliche Dichotomie zwischen Antisemitismus und Philosephardismus. Damit ist sich der ,Denker in Widersprüchen' wenigstens bei diesem Thema treu geblieben.

13

14

15

Eine ähnliche Haltung vertrat U n a m u n o übrigens mit Blick auf die castellanoVarianten in Lateinamerika (Rehrmann 1996: 106). In seiner Bibliothek im Salmantiner Museo Unamuno finden sich im übrigen mehrere Bücher Pulidos. Immerhin weist er in einer beiläufigen Bemerkung d a r a u f h i n , daß Spanien, das einstige „Vaterland" der Sepharden, diese „tan injusta y cruel" behandelt habe.

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з. Antisemitischer Traditionalismus mit revolutionärem Dekor: Ramón María del Valle-Inclán Die geringe Sympathie, die Unamuno, der eider statesman der 98er Generation, für die trikulturelle Geschichte seines Landes empfand, hat sein nur zwei Jahre jüngerer Kollege Ramón María del Valle-Inclán (1866-1936) im Grunde geteilt - trotz der Tatsache, daß er hier und da politische Ideen vertrat, die dem liberalen Salmantiner Dichter-Philosophen sicher nicht gefielen. So wird ValleInclán häufig als derjenige Autor der 98er Generation beschrieben (Aguinaga и. a. 1978: 225), der zusammen mit Antonio Machado den ideologischen Horizont seiner Generationskollegen „überwunden" habe. Seine ästhetischen Innovationen und seine zuweilen ätzende Zeitkritik machten ihn zu einem progressiven Aushängeschild des anderen Spaniens, das dem „Spanien der Blechmusik und der Schellentrommel" die Stirn geboten habe. In der Tat vermittelt eine Partiallektüre seines umfangreichen und schöpferischen Werkes geradezu den Eindruck eines nationalen Ikonoklasten: „España", lautet einer seiner berühmten esperpento-Sätze

in Luces de Bohemia (1985: 166), „es una deformación grotesca de

la civilización europea." Wer daraus allerdings den Schluß zöge, der bekannte Modernismus-Autor wäre ein auch nur halbwegs kohärenter Kritiker all jener Facetten der spanischen Geschichte und Gegenwart gewesen, die zu den „grotesken Deformationen" geführt haben, der irrt sich gewaltig: In wichtigen historischen und politischen Fragen, die mit dem hier untersuchten Thema aufs engste zusammenhängen, war der literarisch-ästhetische Erneuerer ein beinharter Traditionalist, hier und da sogar erschreckend reaktionär. Die wohlmeinende Charakterisierung eines Interviewers (1995: 211), der ihn als „último católico y el primer bolchekivista español" bezeichnete, verharmlost die extremen Widersprüche seines Denkens deshalb genauso wie die moderate Beschreibung von Aguinaga u. a. (1978: 225): „Entre los escritores del 98 tal vez sea Ramón María del Valle-Inclán [...] el más difícil de clasificar." Zu den politisch-historischen Merkwürdigkeiten des esperpento-Autors,

der

sich selber (1995: 136) als „el más patriota de todos mis contemporáneos" empfand, zählt etwa seine militante Parteinahme für den Karlismus. Dabei war sein literarisches Engagement für diese Bewegung, die trotz ihrer sozialen und regionalen Bedeutung zutiefst reaktionär war, keineswegs nur, ja nicht einmal überwiegend, „ästhetisch" oder „sentimental" motiviert: Der historische Traditionalismus, den der Karlismus verkörperte, entsprach ziemlich getreu dem Geschichtsbild Valle-Incláns. Deshalb hat Leda Schiavo (1984: 38 f.) recht, wenn

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sie schreibt: „Pero no podemos dudar de que fuera un carlista convencido, ya que lo afirma en su obra, en sus declaraciones y en sus actuaciones políticas." Zu den Merkwürdigkeiten, die aus seinen letzten Lebensjahren stammen, zählen ferner die Lobhudeleien, mit denen er den obersten Faschisten Italiens bedachte: „La obra de Mussolini", meinte Valle-Inclán (Dougherty 1983: 251 ff.) nach einem längeren Italien-Aufenthalt zu wissen, „tiende principalmente a inculcar en su pueblo un ideal, un concepto de sacrificio". Und damit sei das italienische Volk „ohne Zweifel zufrieden". Zu den markantesten Merkwürdigkeiten, die hier von besonderem Interesse sind, zählen schließlich Valle-Incläns Ansichten zur spanischen Geschichte, die seine Parteinahme für den Karlismus zu einem Gutteil erklären. Den triefenden Traditionalismus seines Geschichtsbildes als „eigenwillig" zu bezeichnen, wie das Martin Bernhofer (1992: 123) tat, mag gerade noch angehen; seine Lobgesänge (1995: 70) auf die „tradiciones gloriosas" des Landes als „visión progresista de la Historia de España" darzustellen, wie Aguinaga u. a. (1978: 226) zu sehen vermeinten, kommt dagegen einer unfreiwilligen Satire ziemlich nahe. Erst in seinen letzten Lebensjahren hat Valle-Inclán den Enthusiasmus für die „glorreiche Geschichte" seines Landes etwas gemäßigt. Progressiv verdienen diese Ansichten, was einige ihrer Grundannahmen betrifft, aber dennoch nicht genannt zu werden. „Quien sabe del pasado, sabe del porvenir." Dieses Motto aus La lámpara maravillosa

(1974: 30) hat Valle-Inclán stets ernst genommen. Geschichtliche

Betrachtungen, wenn auch meist zur neueren Geschichte, nehmen in seinen Theaterstücken, Essays und Vorträgen breiten Raum ein. Ihren traditionalistischen Höhepunkt erreichten diese Betrachtungen über den historischen „espíritu de la raza" in einigen Vorträgen und Interviews vor dem Ersten Weltkrieg: „¿Que por qué adoro yo el tradicionalismo?", äußerte er sich (1995: 70 f.) damals, „ya verá usted mi idea. Yo entiendo que tradicionalismo

significa

el restituir a España sus tradiciones gloriosas, y en este sentido soy tradicionalista entusiasta, porque restituyéndole a mi patria grandezas y heroicidades, volverá a ser la España que debió ser siempre." Was er darunter verstand, hat er (ebd.: 75 ff.) in einem Vortrag im Círculo Tradicionalista de Barcelona im Jahre 1911 ziemlich konkret beim Namen genannt. Etwa seine Eloge „al sentimiento heroico, al sentimiento caballeresco" des Mittelalters, das die Eloge auf die christliche Mission selbstredend miteinschließt: „Santiago del caballo blanco, que pasa sobre las huestes de los infieles, segando sus cabezas. Antes de crear un héreo como el Cid, preferimos transformar la leyenda del Apóstol para que fuese

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nuestro héroe." Daraus entstand, so die Lesart Valle-Incláns, ein christliches Gefühl, das alle Spanier vereinte: „Toda España es, en la Edad Media, una gran hermandad." Kein Wort über diejenigen, die von dieser ,Bruderschaft' ausgeschlossen blieben und ihnen später zum Opfer fielen: Die Juden tauchen in diesem Historiengemälde überhaupt nicht auf, die Mauren nur als Ungläubige, deren Köpfe rollten, und das völlig zu Recht. Denn daraus entstand „nuestra acción vital, la acción de la raza", das historische Ferment künftiger Ruhmestaten: „Hay un momento, del siglo XV al siglo XVIII, en el que todos los españoles se convierten en fundadores. [...] Y el que no funda un reino, como Cortés, Pizarro y Valdivia, funda una Asociación, una casa de piedad; quien construye un puente y quien hace un camino." Wiederum kein Wort über diejenigen, die aus diesem Gründerparadies vertrieben wurden. Dafür eine Dankadresse an die katholische Monarchie, unter deren Zepter „las buenas obras" besonders gut prosperierten, denn „en ella se perpetúa una acción eterna." ValleInclán beendet seine bukolische Vision der spanischen Geschichte durchaus kohärent: „España fue donde quiera a la imposición de su credo, a la imposición de una ley, nunca a conquistar tierras [...] sino a la conquista sacrosanta de las almas." Der Berichterstatter des Correo Catalán vermerkt an dieser Stelle aus dem Publikum: „,Muy bien'." 16 Daß es sich bei dieser Geschichtsapologetik nicht um eine Laune des Augenblicks handelte, illustrieren die folgenden Äußerungen (ebd.: 127) aus dem Jahre 1913, ein fast wortgetreues Echo obiger Zeilen: „España fue grande mientras fundó. Es preciso ser fundador sobre todas las cosas. Se funden conventos; se funden órdenes religiosas; se funden mayorazgos, que es la aspiración de perpetuar una familia, una estirpe". Die gleiche Begeisterung für die Gründungsväter der katholischen Monarchie und deren Ideale tönt dem Leser aus den Seiten der Karlisten-Romane (1979: 19) entgegen, eine Begeisterung, die der Autor seiner literarischen Helden ohne Einschränkung teilt: „España ha sido fuerte cuando impuso una moral militar más alta que la compasión de las mujeres y de los niños. En aquel tiempo tuvimos capitanes y santos y verdugos, que es todo cuanto necesita una raza para dominar el mundo." Der Hinweis auf die Henker läßt erkennen, daß er deren Handwerk, unter dem vor allem die religiös-kulturellen Minderheiten zu leiden hatten, nicht im mindesten als Problem empfand. Im Gegenteil, in einem anderen Roman (1979a: 84) der Trilogie 16

Denselben Vortrag hatte Valie-Inclán bereits ein Jahr zuvor in Chile gehalten; auch dort (ebd.: 53) seien die Reaktionen ähnlich gewesen: „verdaderas tempestades de aplauso".

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fühlt sich einer der Kombattanten, der dem Autor offenkundig aus der Seele spricht, in eben jener Tradition der Scheiterhaufen ausgesprochen wohl: „Aventureros en su tierra, tenían la alegre fiereza de los soldados antiguos, y el amor de la sangre y de la hoguera. ¡La hermosa tradición española!" Etwas moderatere Töne schlägt Valle-Inclán dagegen in La lámpara

mara-

villosa, seiner 1917 publizierten ,Ästhetik' an, in der historische Betrachtungen (1974: 29) freilich nicht fehlen: „Con los ojos vueltos al pasado, yo lograba romper el enigma del Tiempo." Hier nun konstatiert er (ebd.: 46 f.), wenn auch mit einem unverkennbaren Anflug von Wehmut, daß das Goldene Zeitalter, „en donde ardía y alumbraba el alma de la raza", unwiederruflich vergangen sei, nicht allein in der Literatur: „Desde entonces, sin recibir el más leve impulso vital, sigue nutriéndose [die Seele der Rasse, N.R.] de viejas controversias y de jactancias soldadescas. [...] Ya no somos una raza de conquistadores y de teólogos, y en el romance alienta siempre esa ficción." Doch Freude mag er darüber nicht empfinden: „Ha desaparecido aquella fuerza hispana donde latían como tres corazones la fortuna en la guerra, la fe católica y el ansia de aventureros". Dennoch taucht hier (ebd.: 48) zum ersten Mal ein dünner Hoffnungsschimmer auf, der das ,Ende der Geschichte' auch als Chance begreift: „Desterremos para siempre aquel modo castizo, comentario de un gesto desaparecido con las conquistas y las guerras. Amemos la tradición, pero en su esencia, y procurando descifrarla como un enigma que guarda el secreto del Porvenir." Was aber ist die „Essenz" der Tradition, an der Valle-lnclán auch weiterhin festhalten möchte? Die Antwort fällt reichlich zwiespältig aus. Denn die multikulturellen Essenzen spielten auch in den letzten beiden Lebensjahrzehnten des Autors keine Rolle. Das hartnäckige Festhalten an den „Essenzen" der katholischen Monarchie läßt eher die Vermutung zu, daß auch der späte Valle-Inclán keinerlei Interesse an der historischen und zeitgenössischen Bedeutung der beiden Minderheiten hatte. Wohl auch deshalb war er mitnichten ein Feind der Katholischen Könige, wie ein Interviewer (Dougherty 1983: 91) zu sehen vermeinte: „Los Reyes Católicos, y por lógica política, viendo sus estados [sie] mal avenidos y ajenados del concepto hispánico", schrieb er (Hormigón 1989: 441) dagegen noch 1922 als Historiker eines affirmativen Fait accompli an die Adresse „der Liberalen", „acertaron a juntarlos en la unidad ardiente y religiosa del Credo Apostólico Romano. Fallido el nexo histórico, crearon el nexo confesional y la Santa Inquisición. Sus hogueras fueron las fraguas del alma ... Con la expulsión de los moriscos y la decadencia de las brujas comenzaron también a decaer los rojos resplandores del Alma Hispana, y un aire helado los

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apagó en las Cortes de Cádiz." 17 Selbst wenn die Kritik am ,traditionslosen' Liberalismus in Teilen verständlich ist - „¡Liberales orates, hay que inventar un nuevo vínculo de unidad hispánica! Hay que inventarlo, y vosotros no podéis!"-, so ist das Bild der Geschichte, das er hier skizziert, doch nicht eben zukunftsorientiert: Die neu zu erfindende Einheit, die er als „obra de profetas" deklariert, hat mehr mit der Vergangenheit zu tun als mit der Zukunft. Deshalb darf man das Motto eines der Protagonisten in La corte de los milagros - der Roman (1976: 175) über die Revolution von 1868 datiert von 1927 - getrost als das historische Basiscredo des Autors verstehen: „¡Con todos sus defectos, la patria es la patria, y tenemos el deber de amarla!" Das gilt, trotz des Anflugs von Sarkasmus, auch für die folgenden Zeilen (ebd.: 285) des Romans: „¡Aquella turba revolucionaria proclamaba la destrucción del orden social y político! Afortunadamente el noble pueblo español no se dejaba engañar por falaces aventureros, sedientos de sangre y ganosos de botín. España, fiel a su tradición católica y monárquica, era un solo corazón para amar a su Reina." Erst in seinen letzten Lebensjahren geraten die historischen Fundamente seines traditionalistischen Denkgebäudes etwas ins Wanken. So antwortete er 1931 (Dougherty 1983: 224) auf die Frage, welche Lösung er für das „religiöse Problem" vorschlage: „La natural, la que tenía que ser. ¡Si aquí todo era farsa! La religión incluso. Ficción era lo de la Monarquía consustancial; ficción el Ejército, al que también se le decía consustancial, y ficción el llamado problema religioso. [...] Ha pasado el tiempo de las herejías como ha pasado el tiempo de los santos." Mit kritischen Akzenten versieht er in den 30er Jahren nun auch die Inquisition, die er zuvor mehr oder weniger explizit als „Schmiede der Rasse" mitverteidigt hatte. Jetzt spricht er (1995: 272) dagegen von „un fanatismo fiero, reminiscencia de la Inquisición", ein Fanatismus, der aber erst im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Problem geworden sei: „También el clero está mal acostumbrado", bemerkt er (ebd.: 606) in einem Interview des Jahres 1934, „en otros pueblos vive recluido en su iglesia, pero aquí interviene en todo. Y esto es lo grave. Porque lo malo del clero no es que sea clero, sino que el clericalismo se ha convertido en arma política." Noch härter, wenn auch keineswegs frei von fragwürdigen Ansichten, fallt seine Kritik an den politischen Zuständen des Jahres 1935 aus. In demselben Interview, in dem er (ebd.: 252 f.) Mussolini lobt, 17

Erst 1936, also kurz vor seinem Tode, klingt mit Blick auf das nationale Herrscherpaar par excellence eine leichte Skepsis an: „En aquellos afios, el poder estaba por los suelos. [...] con los Reyes Católicos se torcieron nuestros destinos. Los Reyes representaban un Poder fuerte en un país de sensibilidad relajada."

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attackiert er „los cuatro brazos tradicionales: el brazo noble, el brazo militar, el brazo eclesiástico y el brazo popular". Zuerst, so seine grobe Skizze der Geschichte, habe Spanien unter der Diktatur des Adels gelitten, auch die Katholischen Könige, die diese Diktatur beendet hätten. Allerdings nur um den Preis einer neuen Diktatur, nämlich der Herrschaft von Kirche und Inquisition: „Y la teocracia funda la unidad nacional en la unidad católica." Im 19. Jahrhundert, so Valle-Inclán, folgte dann die Diktatur des Militärs und im 20. Jahrhundert „sufrimos la dictaduras socialista". Unabhängig von der Frage, wie man das historische Vierphasenschema bewertet: Es läßt, trotz seiner kritischen Pose, auch erkennen, wie schwer es seinem Autor gefallen sein muß, jahrzehntelange Grundüberzeugungen in Frage zu stellen. So überrascht es nicht, wenn er die Repräsentanten der drei historischen Diktaturen trotz ihres „farcenhaften" Charakters gegenüber der „flüchtigen Klasse" der Arbeiter in einem Punkt in Schutz nimmt: „Claro que es una clase en fuga, porque carece del sentido y del afán de la permanencia. Un noble no aspira a dejar de serlo, un capellán aspira a obispo, éste a cardenal y después a Papa, el soldado sueña en llegar a general y el obrero aspira a ser patrono. Es decir, que mientras los otros tres brazos no quieren dejar su clase, la popular sí. Por eso es una clase llena de resentimientos y tiene una categoría menor." Kannten Aguinaga u. a. diese Ansichten Valle-Incláns, als sie seine „visión progresista de la Historia de España" lobten? Denn der Verdacht liegt nahe, daß der Autor so vieler Spanien-Grotesken den .historischen Sonderweg' seines Landes hauptsächlich deshalb als Problem empfand, weil dieser sich inzwischen definitiv als Sackgasse erwiesen hatte. Er selbst wäre wohl gern, hätte er nur gekonnt, noch ein Stück weiter auf diesem Weg gegangen, schließlich war auch er von jenem „afán de la permanencia" beseelt, der die spanische Geschichte einst zu „glorreichen" Höhen emporgetragen hatte. Dafür spricht nicht zuletzt jenes Lob, es datiert von 1935 (1989: 390), das er „Don" Marcelino Menéndez y Pelayo aussprach: „Su prosa", schrieb er ohne jede Einschränkung über den Obertraditionalisten der spanischen Historiographie, sei „apasionada y docta". Während dieser den kulturellen Leistungen der spanischen Juden jedoch immerhin eine gewisse, wenn auch recht zwiespältige Anerkennung zollte, tauchen sie bei Valle-Inclán kaum auf; und wenn doch, dann, wie die Juden im allgemeinen, als grob deformierte Klischeegestalten. Ein zentrales Motiv für Valle-Incláns omnipräsente Antipathien gegen die Juden, seien es Sepharden oder Aschkenasen, dürfte in seinen Geschichtsvisionen liegen: Die jahrzehntelangen Hommagen an die glorreichen Ingredienzen

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der katholischen Monarchie vertragen sich eben nur schlecht mit einer trikulturellen Sichtweise, die Soll und Haben der Convivencia sachlich bilanziert. Was dabei die Juden betrifft, so weist Valle-Incláns Werk starke Ähnlichkeiten mit dem Œuvre Azoríns auf: Ihre historische Bedeutung wird eher mit Schweigen übergangen. Werden sie dennoch erwähnt, dann durchweg

negativ: „La

ciudad castellana, evocadora como una crónica", schreibt er in La

lámpara

maravillosa (1974: 96) über Toledo, „sabe de reyes y reinas, de abades y condes, de frailes inquisidores y de judíos mercaderes." Daß die eher beiläufige Bemerkung über die Existenz jüdischer Kaufleute eine versteckte Aversion enthält, das hat Valle-Inclán durch überaus häufige Schmähreden gegen geldgierige und reiche Juden unter Beweis gestellt. Dementsprechend werden sie in dem Karlistenroman Los cruzados de la causa (1979: 8 f.) ausschließlich in ihrer vermeintlichen Beziehung zum Geld erwähnt: „¿Y no habrá algún judío que nos preste? Sin oro no hay fusiles". Erfreulicherweise bleibt es den karlistischen Anhängern „[de] las antiguas virtudes cristianas" erspart, auf solche Ressourcen zurückgreifen zu müssen, die ihr vermeintlicher Ahnherr, der Cid, noch akzeptierte. Denn ihnen ist es allemal lieber, mit diesem „Gesindel" kurzen Prozeß zu machen: „¿Donde están las horcas a lo largo de los caminos", ruft einer der Kombattanten (ebd.: 77) aus, „y colgados [...] de los cordones de sus bolsas los indianos, los avaros, los judíos, toda esa ralea". In La corte de los

milagros

(1976: 21) ist es „la judaica pasión por los bienes terrenales", die Unglück über die Menschen bringt. Des Autors Groll (ebd.: 142) auf die ,,cochino[s] usurero[s]" - er ist meistens gleichbedeutend mit seinen antijüdischen Obsessionen: „¡Talmente son judíos!", wiederholt er in Romance de lobos (1977: 130) sein Credo, „¡Como tales judíos obran, cerrando su puerta a los pobres y echándolos al camino! ¡Las migajas de su mesa se las dan a los canes!" Das omnipräsente Klischee des jüdischen Geizhalses und Raffers hängt darüber hinaus, so darf man vermuten, mit seinem eigenwilligen Antikapitalismus zusammen: Als „katholischer Bolschewist" galten ihm gerade die Juden als Repräsentanten des verhaßten Mammonkultes. Als gläubiger, wenn auch ebenso eigenwilliger 18 Katholik besitzt seine Abneigung gegen die Juden aber zugleich christliche Motive. In Flor de santidad (1984: 59) attackiert er sie deshalb als „los verdugos de Jerusalén", die, so seine Heiligen-Protagonistin (ebd.: 65), 18

Die einzige positive Äußerung, die ich gefunden habe, ist in dem kurzen Gedicht „Rosa del consuelo" (1987: 414) aus dem Jahre 1919 enthalten. Dort heißt es u. a.: „En la tristeza divina herencia, / corazón triste buen corazón. / Sólo dolores labran conciencia, / ¡dolor es ciencia de Salomón!"

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ihren blutrünstigen Charakter bis in die Gegenwart bewahrt haben: „Tocarán solas las campanas ese amanecer y resucitará aquel santo peregrino que los judíos mataron a la vera de la fuente." Ganz anders dagegen das Christentum: Während Jehova „la presión material, el patriacalismo, ideal de Alemania" repräsentiere - erläutert er hier (Dougherty 1983: 80 f.) den Unterschied am Beispiel des Ersten Weltkrieges - , „Cristo Jesús es el símbolo incorrupto de la posesión espiritual [...]. En esta guerra Alemania, símbolo del materialismo de Jehová, será vencida en su fuerza." 19 Als völlig makellos empfand Valle-Inclán das Christentum, vor allem dessen spanische Variante, indessen nicht. Die „furia teológica [que] había quemado hugonotes y judaizantes" - diese Furie fuhrt er (Schiavo 1984: 59) allerdings zu einem Gutteil, wenn nicht ausschließlich, auf einen „traamatismo semítico" zurück, der, so heißt es in Martes de carnaval (1986: 75), eine „forma popular judaica" sei. Der ebenso bei anderen Autoren, etwa bei Américo Castro, anzutreffenden Neigung, den Juden die Autorenschaft am christlichen Fanatismus anzudichten, konnte auch Valle-Inclán nicht widerstehen. Dieser Neigung, die Juden für alle möglichen Übel und Mißstände verantwortlich zu machen, gab der Autor auch in weltlichen Dingen häufig nach. Etwa am Beispiel einer karikaturesken „dama de servicio" am Hofe von Isabel II., über die er in La corte de los milagras (1976: 36) seinen Spott ergießt: „La vejacona, confusamente se sabía de un gran linaje, sangre bastarda de reyes aragoneses y judíos castellanos." Bei solchen Gelegenheiten greift der Autor auch auf .typische' Judenphysiognomien zurück, um seine Abneigung gegen bestimmte Personen besonders bildhaft zu gestalten. Hier (ebd.: 49) ist es ein unsympathischer „buho semítico", dort (ebd.: 94) ein Politiker, „[que] tenía la mirada semita y de azulinos blancos, que parecía afilarse sobre la línea corva de la nariz". Raffer, Geizhälse, Christusmörder, Hakennasen - damit ist das antisemitische Panoptikum, das Valle-Inclán in seinem Œuvre versammelt, ziemlich komplett. Dabei hat er selber vermutlich nie einen Juden zu Gesicht bekommen. Denn inzwischen, heißt es in Cara de plata (1976: 29), könne man Alt- und Neuchristen nicht mehr voneinander unterscheiden. „Hoy no queda por esta tierra

19

Obwohl er, wie Pérez Fernández (1976: 147) schreibt, seine religiösen Einstellungen nie definitiv artikulierte, soll er (ebd.: 145) kurz vor seinem Tode geäußert haben: „¡Yo creo que siempre he estado a bien con Jesucristo?"

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otro judío que el inglés de los Evangelios." 20 Erging es Mauren und Morisken, so bleibt schließlich zu fragen, in Valle-Incláns Werk besser als den Juden? Im Unterschied zu den Juden, deren historische und zeitgenössische Bedeutung für Spanien im Werk des esperpento-Autors

gegen Null tendiert, sind

Mauren und Morisken erheblich stärker vertreten, quantitativ und qualitativ: „En España", quantifizierte er (1995: 591) die historischen Einflüsse in den 30er Jahren, „todo es romano o tiene esencia de espíritu romano. Hay, sí, influencias germánicas y árabes. También se nota una influencia enciclopédica. Y también la influencia del liberalismo inglés." Damit mißt er dem „arabischem" Einfluß zwar keine Spitzenstellung in der kulturhistorischen Hierarchie seines Landes zu, aber doch einen respektablen mittleren Platz. Im engeren Bereich von Kunst und Architektur legt dieser Einfluß sogar noch ein paar Punkte zu. Hier attestiert er (ebd.: 513) dem „genio español" eine „trina influencia: cristiana, arábiga y caldea." Deshalb fällt es ihm (1987: 125) wohl auch nicht schwer, den „tan simpático carácter" von „poblaciones morunas como Toledo y Córdoba" vorurteilsfrei zu registrieren, von einem „oriental sueño de amor" zu schwärmen (ebd.: 260) oder (ebd.: 259) „¡Rosas evocadoras de Harén!" zu besingen; selbst in Don Juan sieht er (1995: 259) „la nostalgia del moro sin harén" als Haupttriebfeder am Werke. Von einer auch nur halbwegs seriösen Beschäftigung mit dem maurischen Erbe war Valle-Inclán indessen weit entfernt. Doch auch als Projektionsfläche für romantische Stimmungen taugten die Mauren nur bedingt. Ähnlich wie die Juden, waren auch sie, so seine eigenwillige Religionsexegese (1995: 227 f.), mitverantwortlich für die negativen Seiten des spanischen Katholizismus: „en el espíritu español hay dos elementos antagónicos: el alma latina, que se ha incorporado al cristianismo, y el espíritu semiafricano, la impureza, la mancha, el fermento corruptor". Semiafrikanisch sei der spanische Katholizismus deshalb, weil er über Kartago auf die Halbinsel gelangt sei; aber erst zu Beginn des 8. Jahrhunderts sei diese Saat so richtig aufgegangen: „Con la invasión del moro", lautet der Schnellkurs (ebd.: 642) in peninsularer Religionsgeschichte, „se perpetúa y exalta ese catolicismo africano. Contra él combate entonces un catolicismo de tipo europeo: el que genera Santiago y que lucha con el de Sevilla y Toledo, que es africano." Diese emstgemeinte Version der Geschichte, die Valle-Inclán in den 30er Jahren in einem Interview zum besten gab, fand auch 20

Ironischerweise war Blanco White, der hier wohl gemeint ist, selber nicht frei von antisemitischen Aversionen. Vgl. etwa (1930: 793 ff.) seine Ansichten über „The Jews in Lisbon".

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Eingang in seine fiktiven Texte, gelegentlich, wie in La corte de los milagros (1976: 49), offen rassistisch: „Era un viejo craso y cetrino con ojos duros de fanático africano: Ceceaba". Meinte er damit auch die Mauren? Die folgende Äußerung (1989: 334), sie stammt von 1919, relativiert seine gelegentliche Sympathie für den „arabischen" Einfluß jedenfalls beträchtlich: „Nuestro Mediterráneo no es el Mediterráneo Oriental, no es el que tiene la ciencia griega, es el Mediterráneo africano, el triste Medirerráneo semita, el triste Mediterráneo engañoso." Vielleicht lag es auch an seiner tiefen Antipathie gegen „die Semiten", daß er von den Sozialisten, wie weiter oben zitiert, nichts Gutes erwartete. Denn wenn es in Spanien zu einer Revolution kommen sollte, meinte er (1995: 604) 1934, dann sei diese möglicherweise „de tipo portugués o africano, que son los pueblos que ofrecen más semejanza con el nuestro". Das war sicher nicht als Kompliment gemeint, wie die zitierten Äußerungen Uber „Afrika" vermuten lassen. Denn jenseits der Meerenge, das illustriert auch seine Haltung (1989: 441) zur spanischen „empresa africana", sah er vor allem Zivilisationsbedarf. Er prophezeite den kolonialen Manövern in Nordafrika zwar keinen großen Erfolg, weil es an Geld und geeigneten Truppen fehle (Dougherty 1983: 143); er war aber dennoch von der zivilisatorischen Mission seines Landes überzeugt: „¿Qué fe civilizadora es la vuestra?", fragte er 1922 (1989: 441) an die Adresse der „liberales orates" und forderte sie zu quichotesken Taten auf: „Pensad en un destino irreal, y sea la colonización para dar a ese futuro africano nuestra lengua." Man darf indes vermuten, daß er in einer solchen Mission nur die - realpolitisch bedingte zweitbeste Perspektive sah. Als beste wäre ihm wahrscheinlich eine Erwachsenenversion seiner Kinderspiele (1995: 293) erschienen: „El Cid me entusiasmaba. Solía coger el sable de mi abuelo, que había sido capitán de granaderos. Y empuñándolo me iba, como el Cid, campo adelante. No encontraba moros, claro está, y saciaba mi exaltación bélica metiéndome en los melonares y descargando furiosos mandobles sobre las sandías y los melones, mientras declamaba romances a grandes voces."

4. Antisemitismus als Rache an der Geschichte: Pío Baroja An den martialischen Kinderspielen Valle-Incláns hätte sich Pío Baroja (18721956) sicher mit großem Enthusiasmus beteiligt - gegen Mauren und Juden. Er hätte, was die historischen Motive betrifft, seine Akzente freilich anders gesetzt

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als der esperpento-Autor:

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„Todos los pasados, y en particular el español, que es

el que más me preocupa", lautet eine Äußerung Barojas (Alfaro 1962: 138), die auch für seine Sicht der trikulturellen Geschichte der Halbinsel von Bedeutung ist, „no me parecen espléndidos, sino negros, sombríos, poco humanos. De esta antipatía por el pasado, complicada con mi falta de sentido idiomàtico - por ser vasco y no haber hablado mis ascendientes ni yo el castellano - , procede la repugnancia que me inspiran las galas retóricas, que me parecen adornos de cementerio, cosas rancias que huelen a muerto." Die besonders starken Aversionen, die Baroja gegen die spanische Geschichte - die er zeitlich nicht konkretisiert - empfand, dürften u. a. in einem kausalen Zusammenhang mit seinem violenten Antisemitismus stehen: „el judío siempre ha preocupado a Baroja [...]. El judío", schreibt Ebanks (1974: 111 f.), „aparece como personaje siempre amenazador y repulsivo. [...] Tal vez su odio y su desdén por esta ,raza' se incrementa más en él por los males que imputa a España y que son, según su criterio, una consecuencia de la influencia semítica y mora; más de la primera que de la segunda, por la vigencia del catolicismo, que es un producto netamente judaico. [...] Para Baroja es una maldición saber que él es, indirectamente, un producto de esa influencia". Obwohl sich Barojas kruder Antisemitismus, 21 den er selber, wie weiter unten gezeigt wird, ganz ,unrassistisch' als „Antijudaismus" etikettierte, auch aus anderen trüben Quellen speist, scheint seine Aversion gegen die maurischjüdische Vergangenheit des Landes doch eine Schlüsselrolle zu spielen. Entsprechende Äußerungen sind denn auch über zahlreiche fiktionale und essayistische Texte verteilt. In Ei árbol de la ciencia (1986: 220) sinniert sein Protagonist, der junge Arzt Andrés Hurtado, über die Erfindung der Bordelle, die er umstandslos den „Semiten" zuschreibt: „Todo eso es lo que queda del moro y el judío en el español; el considerar a la mujer como una presa, la tendencia al engaño, a la mentira [...]. Es la consecuencia de la impostura semítica; tenemos sangre semita. De ese fermento malsano, complicado con nuestra pobreza, nuestra ignorancia y nuestra vanidad, vienen todos los males." In der im frühen Mittelalter angesiedelten Leyenda de Jaun de Alzate ist es (1978: 1 105) „la religión naturista de los vascos", die der Christianisierung vergeblich - zu widerstehen sucht; und diese Christianisierung, so suggeriert der Autor an zahlreichen Stellen, ist nichts anderes als ,Judaisierung': „Yo com-

D e s s e n kruder Charakter macht sich nicht zuletzt sprachlich bemerkbar: Invektive w i e „la baja canalla semitica" ( 1 9 8 2 : 3 3 3 ) sind beileibe keine Ausnahme.

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prendo que a los vascos no les agrada el cristianismo, que no es más que el alud judío con un barniz latino." Auch sonst besitzen die geistigen Drahtzieher des Christentums bereits sämtliche Eigenschaften des Ewigen Juden: „¡No puedo comprender", spricht der Autor (ebd.: 1145) durch den Mund seines baskischen Helden unverkennbar selber, „que ese pueblo judío, tan despreciable, tan vil, sea el pueblo elegido por Dios! Es una gente rencorosa, de una falta de lealtad completa, a quien todos los pueblos del mundo han despreciado." Zu den quasi natürlichen Eigenschaften dieses „Volkes" zählen bereits im Mittelalter, hier (ebd.: 1116) in Gestalt von „Zacarías Pimienta, el judío de Tudela", die übliche Geldgier und der Reichtum der Juden: „Yo soy dueño de una casa de banca en Tudela que me da pingües rentas. He comprado muchas fincas de la ciudad, y presto a los ricos y a los pobres con un modesto beneficio de ciento cincuenta por ciento al mes." Kein Wunder, daß der ehrliche Baske das Angebot des Juden ausschlägt, seine Tochter für eine stattliche Vermittlungsgebühr von diesem verheiraten zu lassen. Dessen Klage über die schroffe Zurückweisung- „No podéis comprendernos a los israelitas. Sois de raza inferior a la nuestra" - beantwortet Jaun sarkastisch: „Muy bajos debemos de ser si somos inferiores a vosotros." Sein Widerstand gegen die allenthalben fortschreitende Christianisierung und damit Judaisierung des Baskenlandes erweist sich am Ende (ebd.: 1161 f.) der Legende, als auch der alte Gott der Basken seinen Rückzug antritt, freilich als Quijoterie: „Ahora los hombres me abandonan. El culto semítico de Jehová penetra por todas partes, y tengo que retirarme." Die „profetas judíos de pelo negro y rizado como figuras de escaparate de peluquería" haben den Sieg, für Baroja einen zutiefst traurigen Sieg, definitiv davongetragen - zum Schaden für ganz Spanien. 22 Denn nach der Lesart Barojas, die er in seiner Essaysammlung

Comunistas,

judíos y demás ralea23 präsentiert (1938: 75), waren es die „von den Römern nach Spanien geschickten" Juden, die das Land an die islamischen Invasoren verraten hätten: „siguiendo su táctica de doblez favorecieron la entrada de los árabes afines de raza con los que tuvieron también grandes prerrogativas". Seine insgesamt sehr spärlichen Äußerungen über die peninsularen Juden des Mittel-

22

Barojas Antiklerikalismus und seine kritische Haltung zum Katholizismus ( 1 9 8 2 : 2 2 2 f.) insgesamt dürften nicht zuletzt auf seinen Antisemitismus zurückgehen.

23

Jacques de Bruyne ( 1 9 6 7 : 2 0 4 ) schreibt über den Titel dieser Sammlung: „Erst 17 Jahre nach Erscheinen des B u c h e s erklärt Barroja. daß er keinerlei Verantwortung für die Wahl des Titels trage: da er im g e g e b e n e n Augenblick in Paris g e w e s e n sei. habe der Herausgeber an seiner Stelle die Entscheidung getroffen."

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alters suggerieren also, und das von Anfang an, ein gespanntes Verhältnis zur christlichen Bevölkerungsmehrheit. Dennoch räumt er ein (ebd.: 77), daß die peninsularen Juden, unter Einschluß der Mauren, in den folgenden Jahrhunderten kulturelle Ruhmestaten vorzuweisen haben: „Los judíos españoles influidos por las escuelas de los árabes, se distinguen y brillan en el Califato de Córdoba y siguen distinguiéndose después". Barojas Bewunderung der mittelalterlichen Juden hält sich jedoch in Grenzen. Obwohl er, wie weiter unten dargestellt wird, zwischen Sepharden und Aschkenasen große Unterschiede registriert - zugunsten ersterer - , die bis in die Gegenwart reichen, ist er beileibe kein Anhänger positiv gemeinter Convivencia-Thesen. Sein lakonischer Hinweis (ebd.: 77): „muchos de estos judíos penetraron en la aristocracia" - dieser Hinweis muß im Lichte der zitierten historischen Erbsünde, die er aus dieser Symbiose konstruierte, eher als Menetekel verstanden werden. Das schließliche Ende der jüdischen Präsenz auf der Halbinsel war insofern nur folgerichtig: „Siguieron después [nach der islamischen Blütezeit von Al-Andalus, N.R.] iguales o parecidas ventajas en los nuevos Estados Cristianos y al último fueron expulsados por considerarlos el pueblo como explotadores." In diesen dürren, ideologisch verzerrten Betrachtungen über die mittelalterlichen Juden erschöpfen sich denn auch bereits die Äußerungen Barojas über ein Kapitel der .nationalen' Geschichte, das, mit seinen zitierten Eingangsworten, schwärzer und düsterer kaum sein könnte - von einigen Lichtstrahlen jüdischer Gelehrsamkeit abgesehen. Kaum besser ergeht es den mittelalterlichen Mauren. Der folgende Ausruf eines Basken in der Leyenda de Jaun de Alzate (1978: 1123) dürfte Barojas kulturhistorische Doppelaversion auf den Punkt bringen: „¡Que vulgaridades! ¡Qué tonterías! ¡No comprendo cómo los vascos se pueden entusiasmar con esos mitos orientales de judíos y de africanos!" Aus dem weiter oben zitierten Satz läßt sich zwar eine gewisse Wertschätzung der maurischen Kulturleistungen herauslesen. In der mittelalterlichen Leyenda

erscheint einer ihrer brillantesten Vertreter

indessen als „Averroes, este maledictus Averroes", der noch „schlimmer" sei als Lucrecio. 24 Ein „Türke", „el honrado Solimán", wird (ebd.: 1117) als typisch islamischer Lüstling abgestempelt: „dame tu hija; yo me casaré con ella y la llevaré al harén". Ansonsten beläßt es Baroja bei vereinzelten Äußerungen zur 24

In Las horas solitarias (1982: 26) heißt es dagegen, halb anerkennend, über den Philosophen: „La única sugestión simpática que me produce la civilización árabe es la figura de Averroes, y aunque no haya dato ninguno para creerlo yo me figuro que Averroes no era un moro. Su familia vivía hacía tiempo en España; es probable que estuviera mezclada con elementos ibéricos o góticos."

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maurischen Geschichte, die neben Desinteresse vor allem sattsam bekannte Topoi enthalten, etwa (1976: 953) den verstaubten Reconquista-Mythos: „En Espafla, la entrada de los moros empuja a los cristianos españoles, mezcla de celtíberos, vascos, romanos y germanos romanizados, a las montañas del Norte, y de allí empieza la Reconquista". Im Unterschied zu vielen anderen Reconquista-Interpreten sind die vereinzelten Äußerungen Barojas jedoch nicht emphatisch, sie werden eher beiläufig gemacht und scheinen hauptsächlich seine „Antipathie" gegen die Geschichte zu unterstreichen: „AI cruzar Las Navas de Tolosa [...] se me ocurre", schreibt er (1978: 1202) etwa über das ,Waterloo' der mittelalterlichen Mauren, „que sería curioso confrontar con el terreno las relaciones históricas sobre la batalla de ese nombre. Leída, siempre me ha parecido una batalla de teatro entre moros y cristianos; visto el terreno de cerca, se comprende de su realidad y su desarrollo." Worin deren Realität und Entwicklung besteht, sagt Baroja zwar nicht. Man darf indes vermuten, daß sich in dieser Anspielung eine gewisse Erleichterung über die christliche Rückeroberung' der Halbinsel artikuliert - trotz aller Vorbehalte gegen den Katholizismus. Die geringe Wertschätzung Barojas für die maurische Geschichte kommt darüber hinaus in der Tatsache zum Ausdruck, daß er diese in seinem Roman La feria

de los discretos,

der immerhin in Córdoba angesiedelt ist, fast nicht

erwähnt. In einer Kapitelüberschrift (1988: 656) ist zwar emphatisch von „¡Oh pueblo oriental, ciudad romántica" die Rede; diese Vergangenheit wird jedoch nirgendwo konkretisiert. 25 Barojas Protagonist schafft es sogar (ebd.: 657), die „Kathedrale" zu besuchen, ohne ein einziges Wort über die Moschee zu verlieren, von der dieses postmaurische Steinsymbol der katholischen Rückeroberung' unübersehbar eingerahmt ist!26 In Las horas solitarias

hat Baroja

(1982: 25 f.) dafür auch eine explizite Erklärung geliefert: „La Mezquita, que a todos asombra, es lo que a mí menos me gusta. Recuerdo que Gautier, en su

25

26

N u r einmal (ebd.: 742), als der Erzähler die zeitgenössische Dekadenz der Stadt beklagt, findet sich eine vage Anspielung auf die „Araber": „No comparando a la Córdoba de hoy con la del tiempo de los árabes, sino comparándola con la del siglo dieciocho, se ve una diferencia enorme." Als sich ein alter Mann anbietet, ihm die Moschee zu zeigen, lehnt er diese Offerte sogar ausdrücklich ab. Ansonsten taucht das imposante Bauwerk nur einige Male beiläufig, eher als düsteres Symbol einer Vergangenheit auf (ebd.: 674), die den Protagonisten, und mit ihm seinen Erschaffer, eigentlich kaum interessiert: „Callejeando, distraído, Quintín se acercó a la Mezquita; sus muros se alzaban sombríos y negros como los de una fortaleza".

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Viaje por España, habla con entusiasmo de ella, y en cambio dice algo con desdén de la torre de la catedral, que a mí se me figura muy hermosa." Der deutlichen Geringschätzung der maurischen Geschichte entspricht im übrigen die abwertende, ja verächtliche Meinung über den Islam im allgemeinen: „Una persona que lee el Corán, de Mahoma", lautet sein Diktum (1978: 813), „no encuentra más que fantasías aburridas, fórmulas higiénicas sin importancia. Y, sin embargo, ¡Qué influencia ha tenido! Aun ahora crece el mahometismo en el mundo. [...] En cambio, Kant, ¿cuántos adeptos tendrá? ¿Llegarán a treinta en todo el orbe? Puede que no lleguen." Barojas Koraninterpretation, vor allem sein Hinweis auf die dortigen „fórmulas higiénicas", stehen möglicherweise mit seinen Aversionen gegen die mittelalterliche convivencia erótica in Zusammenhang - Aversionen, die er auf deren jüdischen Anteil explizit (ebd.: 1081) übertrug: „La Celestina está también muy bien; pero a mí no me gusta, sale a flote la sensualidad judaica."

Obwohl sich Baroja, quantitativ gesehen, nur spärlich mit der historischen Dimension des peninsularen mestizaje beschäftigt hat, mißt er ihm dennoch, wie gezeigt wurde, eine prononciert negative Bedeutung für die Genese Spaniens zu. Seine Geschichtsvisionen stehen dabei in einem komplexen Wechselverhältnis zu seinen generellen Ansichten über die Rassenthematik, die ihn zeitlebens stark beschäftigt hat: „A mí me interesa mucho la raza", heißt es gleichsam programmatisch in seinen Memorias (1978: 519), „tanto en un hombre como en un animal." Bevor sein Bild von den zeitgenössischen Juden im allgemeinen und den Sepharden im besonderen unter die Lupe genommen wird, soll ein Blick auf seine ,Rassentheorie' die Prämissen seines Antisemitismus beleuchten. Bemerkenswert ist zunächst, daß von einer Rassenf/zeon'e eigentlich nicht gesprochen werden kann. Baroja steht den Theorien, wie sie vor allem im 19. Jahrhundert ihr akademisches Unwesen trieben, betont skeptisch gegenüber, läßt aber erkennen, daß er deren Hauptströmungen kennt. In seinem Aufsatz von 1938 über „La raza y la cultura" zitiert er (1980: 940) die wichtigsten Klassifikationskriterien der Rassen, die bis dato kursierten - Hautfarbe, Haar- und Kopfform - , hält sie aber nicht für stichhaltig: „Estas divisiones han tenido un momento en que se han considerado definitivas; pero, pasado algún tiempo, no han resistido a la crítica y se han desmoronado." Die generelle Skepsis gegenüber rassischen Klassifikationen durchzieht sämtliche Schriften zum Thema. In den Memorias von 1944 schlägt er (1978: 975 f.) vor, statt von Rassen eher

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von „pueblos con una cierta comunidad de origen y algunos caracteres físicos y psicológicos" zu sprechen, die die Angehörigen dieser Gruppen „por herencia" erworben hätten. Im übrigen, und das liegt vollständig auf der Linie seiner negativen Convivencia-Interpretation, besäßen auch die zitierten Merkmale nur eine relative Bedeutung. Denn: „Los pueblos europeos están mezclados, es evidente." Den kulturellen Bedingungen in den jeweiligen Ländern weist er dabei eine Schlüsselrolle zu: „La cultura es un elemento de fusión y de nivelación de los elementos heterogéneos de las distintas razas de un país." Dennoch war Baroja kein Anhänger des konstatierten mestizaje, sei er rassisch oder eher kulturell bedingt. Ganz im Gegenteil: „Todo colabora y favorece", schrieb er (ebd.: 997 f.) in zivilisationspessimistischer Manier, „la era de la [...] unidad, la mezcla de razas, el socialismo, el internacionalismo de los deportes, la moda, la radio y el cine." Als Ergebnis dieser angeblichen Entwicklung befürchtete er eine uniformierte Einheitskultur, der alle individuellen und kollektiven Besonderheiten zum Opfer fallen würden: „Hasta las caras se van unificando, y parece que ya empieza a no tener nadie carácter nacional, ni regional, ni personal. [...] Se ve que estamos en un momento de baja, de parada de la civilización." Wie es scheint, war Baroja mit dieser Sicht der Dinge auf Positionen eingeschwenkt, die er in seinem Aufsatz über „La lucha de razas" noch vehement kritisiert hatte. In diesem Text setzt er sich kritisch mit Spenglers Untergang des Abendlandes

auseinander und wirft dem Autor dieses Buches, das gerade in Es-

pasa Calpe aufSpanisch erschienen war, in polemischer Diktion vor (1976: 942): „el autor alemán se muestra ya completamente imperialista, superhitleriano". Die Art und Weise, wie Baroja die rassistischen Thesen des deutschen Autors attackiert, erwecken fast den Eindruck, hier schriebe ein spanischer Franz Fanon ein antiimperialistisches Manifest. Er (ebd.: 944) teilt zwar die Ansicht Spenglers, daß sich die weißen Rassen Europas „evidentemente" in einer unbequemen Situation befänden, „porque no tienen campo donde extenderse por su aumento de población"; er hält aber die These des Deutschen, die nichtweißen Rassen wären besonders aggressiv und damit für die Weißen gefährlich, für völlig falsch: „La verdad es", dreht er (ebd.: 945) diese These sogar um, „que los agresivos hemos sido nosotros; nosotros somos los que hemos matado, hemos degollado, hemos achicharrado, hemos vendido negros, hemos hecho horrores." Diese unselige Tradition, so Baroja, wolle Spengler sogar fortsetzen. Sein Buch sei somit nicht mehr als der Versuch, der westlichen Kultur einen intellektuellen Freibrief für einen zukünftigen „Völkermord" an „negros", „indios" und „amar-

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rillos" auszustellen, „sobre todo en honor de la santa Germania". Dieser „geistige Rassismus" in der Tradition Darwins sei folglich nichts anderes als „sargentismo, [...] culto del sable" und Spengler selber ein Faschist, „pero un fascista del pasado" oder, so die polemisch-wortschöpferische Verve Barojas (ebd.: 945), „un nietzscheano a caballo, de sable y de cuartel". Das antirassistische Plädoyer des Basken, so heftig es auch vorgetragen wird, entspringt indes nicht nur lauteren Motiven. Selbst wenn man unterstellt, daß sein ,Rassenpluralismus', den er Spenglers Konzepten entgegenhält - „Cada raza puede tener su orgullo" (ebd.: 945) - , ernstgemeint ist, so weiß er sich mit Spengler jedoch darin einig: „No queremos negros, ni amarrillos, ni mestizos, ni siquiera judíos." Da letztere, wie zitiert, nicht aggressiver seien als die Weißen, eher im Gegenteil, sei vermutlich nichts von ihnen zu befürchten: „Que cada cual esté contento en su casa. Con esto no se pierde nada." Sollte sich die Gefahr, die Spengler menetekelt, dennoch als real erweisen, dann, so Baroja, lasse sich das Problem auf eine weniger martialische Weise lösen als die von Spengler intendierte: „Yo creo que, a base de maltusianismo y de eugenesia, se podría llegar en Europa a cierta purificación zoológica de las razas, que traería a la larga una purificación espiritual y un mayor tono de energía y de vida. [...] Un invento químico vale hoy [...] más que diez batallones." Eugenik statt Soldaten - Barojas Dissens mit Spengler reduziert sich folglich, außer einer Brise Paternalismus, auf die Präferenz effektiverer Methoden zur Bekämpfung rassischer Gefahren. Von deren Drohpotential ist er jedoch, wenn auch in geringerem Grade, so überzeugt wie sein deutscher Kontrahent. Spenglers Nationalität und die Bedeutung, die Baroja ihr mit Blick auf dessen Untergangsszenario beimaß, dürften seinen heftigen Tonfall im übrigen stark beflügelt haben: Er witterte, sicher nicht zu Unrecht, hinter der Rassentheorie Spenglers einen germanischen Vormundschaftsanspruch, der ihm als Baske, Spanier und ganz allgemein als ,,homo mediterraneus"

zutiefst suspekt erschei-

nen mußte. In seinem Aufsatz „Arios y semitas" warnt Baroja (1976: 946 ff.) denn auch vehement vor „la campaña racista y la lucha entre arios y semitas", einer Kampagne, die neuerdings in einigen europäischen Ländern, „sobre todo en Alemania", erneut an Bedeutung gewinne. Er hält diese Klassifizierung zwar grundsätzlich für abwegig, weil „linguistische" Unterschiede damit fälschlicherweise zu einer „separación étnica y ética" umgedeutet würden, einer Trennung, die den Erkenntnissen von Anthropologen und Ethnologen widerspräche. Das Hauptmotiv für die Zurückweisung dieser Klassifizierung liegt freilich in dem Umstand, daß er sich selber falsch klassifiziert fühlt und das gleich mehrfach:

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„Ya no era bastante el rechazar de la comunidad ariana a los semitas, árabes y judíos", so der Groll des betroffenen', „sino que rechazaron también de ella al homo alpinus y al homo mediterraneus. El verdadero ario era el germano y el escandinavo". Diese exklusiven Klassifizierungstraditionen, die er u. a. auf Gobineau und Chamberlain zurückführt, weist er also nicht deshalb zurück, weil sie Juden und Araber ausschließen - erstere gehören auch aus seiner Sicht zu den europäischen „forasteros y extraños" - , sondern deshalb, weil sie u. a. seinen eigenen Kulturkreis diskriminieren: „Así, resultaba que más de las tres partes de Europa no eran europeos. Habían salido estos detritos de alguna fábrica sospechosa de los suburbios sin su Made in Germania [sie] correspondiente." Und ganz besonders stört ihn, daß die Basken in diesem rassischen ranking offensichtlich nur die Rolle eines kulturellen Underdog zugewiesen bekommen: „A Chamberlain, los viejos pueblos autóctonos de Europa, como los vascos, no le merecían simpatía y los juzgaba [...] como tipos oscuros, cavernarios, enemigos natos del arianismo y del espíritu luminoso europeo de la Reforma." Hier, nicht so sehr im Antisemitismus als solchem, scheint denn auch die ultima ratio für Barojas Aversionen gegen Hitler zu liegen: „Los políticos alemanes racistas no han tenido más remedio que prescindir de las clasificaciones complicadas de los aficionados a la etnografía, y han vuelto al antiguo mito del arianismo. Así, Hitler ha hablado de los arios como sinónimo de europeos." Insofern geht das Lob von Giménez Caballero im Vorwort zu Barojas Diatribe Comunistas,

judíos

y demás ralea (1938: 7), der Baske wäre der „entronizador del sagrado racismo en España, del facismo alemán", an der Realität vorbei. Die aufklärerische, antirassistische Pose, in der sich Baroja gefiel, ist also eher Ausdruck eines persönlichen und kulturellen Gekränktseins, weil Basken und Spanier ganz allgemein nicht zum kulturellen Adel der arischen Selektokratie gezählt wurden. Das dürfte auch der entscheidende Grund dafür sein, daß sich sein Rassebegriff, zumindest vordergründig, entschieden antibiologisch gibt: „Es muy complicado el cerebro humano", erteilt er (1976: 1018) in „El ario y su cráneo" den Schädeltheoretikern eine Absage, „para que su función dependa de que la caja craneana donde está alojado sea más redonda o más oval". Da keine verläßlichen physisch-biologischen Rassemerkmale existierten, schreibt er in „Las razas nobles" (ebd.: 953), gebe es weder eine arische Rasse noch arisches Blut: „Sangre aria valdría tanto como decir sangre católica, sangre científica, sangre erudita. Mañana dirán, si el esperanto se propagara, sangre esperantista." Entscheidend seien vielmehr historisch-kulturelle Faktoren.„La nobleza de una raza o de una familia podía proceder de su importancia y de su superioridad

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intelectual y ética, demostrada en la Historia." 27 Und zu dieser Art rassischem Adel rechnete er auch die Juden - freilich nur die des Altertums: „Los turcos y los rusos han despreciado a los griegos y a los judíos, y no cabe duda que griegos y judíos fueron en la antigüedad mucho más importantes que ellos." Das Bild der zeitgenössischen Juden, ja der Juden überhaupt, fällt dagegen äußerst düster aus. Die relativ differenzierte Behandlung des Rassenthemas verkommt, wenn Baroja von den Juden spricht, zu plattesten Klischees. In dem nur wenige Seiten umfassenden Elaborat „Los judíos" (1976: 735 ff.) hat er die gängigsten Judenklischees resümiert und sich die meisten zu eigen gemacht. Als erstes schlägt er eine begriffliche Präzisierung vor: „Decir antisemitismo no es exacto ni preciso: lo lógico sería decir antijudaismo." Den Grund dafür nennt er zwar nicht; er dürfte indes mit seinem Rassebegriff zusammenhängen, den er gleich darauf auch hier wiederholt: „No hay raza semítica: hay lenguas semíticas, y estas lenguas las hablan diversidad de razas." Was dann folgt, sind jedoch quasi rassische Dauermerkmale, die sich, wie er selber insinuiert, offenkundig nicht verändern: „El hijo de un judío sigue siendo judío." Die Aufzählung „de los caracteres más salientes" beginnt mit dem Klischee der vaterlandslosen Gesellen: „No tienen patria, y la mayoría no quieren tenerla. Su única patria antigua fue el ghetto." Es folgt der Topos des geldgierigen Juden, der seine Bereicherungsambitionen immer und überall mit der gleichen Verve verfolgt: „Lo mismo ha hecho en los países cristianos que en los mohametanos: lo mismo le han odiado en unos que en otros." Darin bestehe noch immer, sei es in Frankreich, Deutschland oder Rußland, seine Hauptbeschäftigung: „El obrero europeo encontrará al judío en la casa de préstamos y en la prendería, en la oficina de la Banca y en el bazar, nunca con un instrumento de trabajo en la mano." Darüber hinaus sei der Jude ein Mensch „de pocos escrúpulos", ein Ausländer, der überall dort, wo er lebe, nur den Interessen seiner Gemeinschaft diene - „sólo fiel a su religión y a su comunidad teocrática" - , und, last but not least, intellektuell besonders ambitioniert: „[Para] llegar a ser algo y mandar: arrivismo, dominación y talento práctico. En este sigue pareciéndose al jesuíta. Para llegar, todos los procedimientos son buenos: la cuestión es tener éxito." Schließlich sei der Jude per definitionem „antieuropäisch" und ein typischer Repräsentant „universalistischer Tendenzen", die sich von Rothschild über Lasalle 27

Diese Ansicht hat Baroja an zahlreichen Stellen seines CEeuvres wiederholt, etwa in „La raza y la cultura" (1980: 941): „La raza debe de tener algo que ver con el carácter de la cultura y con el idioma; pero, por ahora, esta relación científica no se ha encontrado."

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und Freud bis zu Marx erstreckten. Am deutlichsten, so beschließt er (ebd.: 745) sein niederträchtiges Sammelsurium antisemitischer Standardklischees, machten sich die typisch jüdischen Eigenschaften in Deutschland bemerkbar: „En Alemania viven en el mismo establo el mastondonte germánico y la mona judía. No es raro que de cuando en cuando riñan y se tiren los trastos a la cabeza." In der einen oder anderen Form taucht diese Palette plattester Stereotypen in nahezu sämtlichen Texten Barojas, die mit dem Thema im weitesten Sinne zu tun haben, immer wieder auf. In „Los judíos", einem gleichnamigen Abschnitt seiner Memorias, hat er am Beispiel von Freud noch ein weiteres Merkmal des jüdischen Charakters hinzugefugt: eine exzessive Sinnlichkeit. Diese gehe zwar auf das Alte Testament zurück, werde aber besonders von Freud auf die Spitze getrieben: „En su teoría erótica, Freud no hace más que exagerar la nota vulgar", schreibt er (1978: 1310) im Vergleich mit dessen ökonomischem ,Pendant', „como Karl Marx exageró la suya. El uno dice: ,Todo es erotismo'. El otro asegura: ,Todo es economía'." Nur ein paar Seiten weiter (ebd.: 1312 f.) preßt er auch Kafka in sein antisemitisches Schema: „Kafka debía de ser un judío enfermo, tuberculoso, exaltado: un visionario."28 In dem kurzen, Kafka und den Juden im allgemeinen gewidmeten Abschnitt seiner Memorias macht Baroja allerdings auch eine wichtige Konzession, die er auf ähnliche Weise nur noch einmal wiederholt hat: „Europa tiene la culpa, en parte, de haber producido el judío exaltado; le ha perseguido y ha hecho de él un tipo intransigente." Auch der dort wiederholte Topos: „La sinagoga sirve para todo: para la salvación y para hacer nuevos negocios; es la Bolsa de la historia del judío" wird, wenngleich im Gesamtspektrum seiner Judenaversionen eher nebenbei, in seinen Betrachtungen über „Las desigualdades étnicas" (1976: 997), zumindest einmal relativiert: „Es, por ejemplo, muy lógico que entre los judíos haya habido grandes banqueros, porque durante mucho tiempo no han podido ser militares, agricultores, industriales, sino sólo negociantes". Auch wenn diese Aussage gerade für das mittelalterliche Spanien nicht zutrifft, so artikuliert sie doch ein gewisses Verständnis für die erzwungene Außenseiterrolle der europäischen Juden, das hier nicht verschwiegen werden soll. Ebensowenig wie seine halbwegs kritischen Bemerkungen zu den niederträchtig-plumpen Protokollen 28

An anderer Stelle (1976: 959) wendet sich sein krankhafter Antisemitismus auch gegen Heine: „El que tiene alguna intención [nota] en un hombre como Heine, a pesar de sus bromas antijudías, [...] al judío". Oder: „Esa constante alusión al judaismo y a los judíos, como si éstos fueran algo esencial de la vida de todos los pueblos", schreibt er (1982: 41) über Heines Reisebilder, „me llega a fastidiar".

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der Weisen von Zion: „Yo he leído el libro", kommentiert er (1976: 948) diese berühmt-berüchtigte Hetzschrift, die auch in Spanien verbreitet wurde, „pero me parece completamente falso." Probleme hat Baroja allerdings weniger, wenn überhaupt, mit den monströsen Inhalten der Protokolle, sondern vor allem mit der behaupteten jüdischen Autorenschaft des Textes: „los tiene por tontos, pues creen que van a descubrir ante el mundo entero sus planes y sus proyectos más secretos y más tenebrosos, suponiendo que los tengan". Für so dumm hält Baroja die Juden, denen er stets eine besonders ausgeprägte Intelligenz und ein sicheres Gespür für Macht und Einfluß konstatierte, also nicht. Er traut ihnen aber die finsteren Verschwörungsambitionen, die in den Protokollen wurden, durchaus zu: „Que el que escribió Los protocolos

zusammenfabuliert de los sabios de

Zión", schreibt er anerkennend, „conocía a los judíos, sabía lo que pensaban, es evidente: pero que ese libro lo hayan escrito ellos, es una candidez." So gerät Barojas ,Verteidigung' der Juden zu einer erneuten Anklage des „espíritu judío": „y Europa tiene sus motivos para defenderse de él". Die für alle Beteiligten beste Lösung des ,Problems' wäre, da er die nazifaschistische ,Endlösung' ablehnt, wenn die Juden aus Europa verschwänden und nach Palästina, „su país de origen", auswanderten: „Un pueblo como el hebreo, formado por más de veinte millones de hombres y que cuenta con grandes riquezas y tiene una Banca la más importante del mundo, podía pagarse el lujo de tener un país propio y no vivir siempre parasitariamente." Barojas .Engagement' für den Zionismus dürfte dabei auch seiner steten Sorge als Spanier gegolten haben, dem die .Rückkehr' der Juden, wie sie im Umkreis von Pulido diskutiert wurde, vermutlich schlaflose Nächte bereitete: „Yo conocí en Londres hace treinte años [...] a varios judíos", verlieh er (1976: 737) dieser Sorge konkrete Gestalt, „y me preguntaron en serio si ya podrían entrar los israelitas en España [...] a dirigir la política." 29 Die .Rückkehr' der Juden nach Spanien - Baroja sah darin wohl eine Art Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Denn schließlich war das Land durch das mittelalterliche Zusammenleben ja bereits durch und durch ,verjudet': „Las grandes familias españolas", beschreibt er (1976: 954) dieses für ihn verhängnisvolle historische Fait accompli, „están [...] infiltradas de judaismo. Esto no tiene nada de raro. Toda la gente que sabe trepar, al último se relaciona y se entrelaza." An den Hypotheken dieses unheilvollen Erbes laboriere das Land

29

In seinem Roman La ciudad de la niebla - siehe weiter unten - taucht diese Sorge ebenfalls fast wortgetreu auf.

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nicht nur in Form vielfältiger Übel noch immer herum, wie er in El arbol de la ciencia suggeriert; der jüdische Einfluß sei sogar in der heutigen Geschichte noch abzulesen: „en España, por ejemplo", schreibt er in den Memorias (1978: 975), „puede darse un tipo que sea completamente un ibero, un árabe, un judío". Im Unterschied zu vielen seiner Zeitgenossen, die sich aus verschiedenen Gründen für die jüdische ,Aristokratie' der Sepharden begeisterten, bewegt sich der Philosephardismus Barojas jedoch in ziemlich engen Grenzen. Dennoch hält er es bereits in seinem Essay über „Los judíos" (1976: 736) für ausgemacht, „[que] entre sefardíes y askenasin hay tanta o más diferencia que entre latinos y germanos". In der bereits zitierten Essaysammlung Comunistas, judíos y demás ralea hat er (1938: 75) die Unterschiede ,präzisiert': „El askenazin alemán o polaco es rudo, grosero, de mal aspecto, muchas veces harapiento y repulsivo." Eine der Ursachen wähnt er (ebd.: 76) in der angeblichen Tatsache, daß sich unter den deutschen und polnischen Juden nicht „la menor pureza étnica" ausmachen lasse. In dem dortigen „caos étnico, un conjunto de razas parias", habe die Vermischung ihre schlimmsten Resultate gezeitigt: „Se han mezclado en los nuevos países como se mezcla la gente pobre y errante". Der aschkenasische Jude, bereits an sich ein rassischer Paria, sei durch diese Vermischung noch abstoßender geworden - eine Entwicklung, so darf man die weiter oben zitierte Behauptung über perennierende jüdische Eigenschaften interpretieren, findet also nur zum Schlechten statt. Das miserable Erscheinungsbild der Aschkenasen, ihr „triste aspecto", sei schließlich, so vermutet Baroja, einer der Gründe ihrer Leidensgeschichte: „Quizá éste haya sido uno de los motivos del antisemitismo violento que se ha desarrollado en Alemania, Polonia y sobre todo en Rumania." Die Charakterisierung der Aschkenasen als jüdische underdogs sei um so plausibler, suggeriert Baroja, als sie auch der Ansicht der ,Edeljuden' entspreche: „El sefardita siente poca simpatía por él [den Aschkenasen, N.R.], casi le repugna." Daß er die Sepharden als Edeljuden empfindet, daran läßt er keinen Zweifel. Außer ihrem mittelalterlichen Glorienschein, auf den am Anfang bereits hingewiesen wurde, stützt sich Barojas (Teil-)Hommage an die jüdische ,Aristokratie' gleich auf mehrere positive Eigenschaften: „Los sefarditas se distinguen de los otros por su belleza y por su prestancia, por su espíritu abierto y por ser más dotados para las artes que los demás." Mit ihnen hält er (ebd.: 80) sogar einen neuen spanisch-sephardischen Brückenschlag für denkbar: „¿Será posible que los sefarditas puedan llegar a incorporarse a España y a colaborar con ella? Parece que sí."

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Trotz dieser ,Rückkehrofferte', die er früher als Kapitulation, ja als freiwillige Auslieferung an das Machtkartell der jüdischen Internationale empfunden haben dürfte, 30 waren Baroja auch die Sepharden nicht ganz geheuer -handelte es sich doch auch bei ihnen (ebd.: 75) letzten Endes um Juden: ,31 sefardita es un pueblo", relativiert er seine obige Hommage, „un poco infantil, contemplativo, ergotista, de una movilidad excesiva, lleno de distinción, amable, felino, un poco ávido y rapaz." Das Lob der Sepharden erscheint somit eher als eine Laune des Augenblicks denn als feste Überzeugung. Dafür spricht nicht nur die oben zitierte Relativierung, die dem Lobgesang auf dem Fuße folgt. Dafür spricht auch, daß die Sepharden in Barojas Romanen fast durchweg die Eigenschaften von Aschkenasen besitzen. In La ciudad de la niebla, gemeint ist London, offeriert Baroja eine besonders scheußliche jüdisch-sephardische Figurenpalette, vor allem (1974: 203 f.) in Gestalt von Santos Toledano, „comerciante de cuadros", und, wie dessen Freund Jonas Perihas, 31 „de origen también español". Wie üblich beginnt die Beschreibung mit den .typischen' physischen Merkmalen: „Tenía este judío la nariz corva, los labios gruesos, el pelo ensortijado, el tipo oriental. Era un hombre blando, grasiento y repulsivo." Der Frau von Toledano, „una vieja de mirada negra e inquieta", bleibt mit (ebd.) „esta harpía semita" 32 indes die übelste Schmähvokabel vorbehalten. Den jüdischen Grundeigenschaften, reich und häßlich, fügt der Autor im Verlauf des Romans eine Reihe weiterer Eigenschaften hinzu, die so monströs wie grotesk anmuten: Die junge spanische Protagonistin des Romans, die zusammen mit ihrem Vater Spanien aus politischen Gründen verlassen hat und sich in London u. a. in spanischen Exilkreisen bewegt, erfährt (ebd.: 216 f.) von einer Freundin: „Que Toledano y su mujer son confidentes de la policía, y que probablemente estaremos ya las dos inscritas como terroristas de peligro." Die beiden Frauen sind zwar selber politisch nicht aktiv, kennen aber einen spanischen Anarchisten, der in Bombenattentate verwickelt ist, deren eigentlicher Drahtzieher kein Geringerer als der Sepharde ist: „Porque resulta que Toledano y su mujer, al mismo tiempo que confidentes de la policía, son agentes anarquistas que saben las señas y la manera de comunicarse de todos los

30 31

32

Vgl. dazu den weiter unten behandelten Roman La ciudad de la niebla. Der wird charakterisiert (ebd.: 176) als „ese seboso y repugnante judío [...] que ha conseguido hundiendo las uñas en los bosillos de los desdichados". Bruyne (1967: 203) hat eine ganze Reihe verleumderischer Schmähvokabeln zusammengetragen, mit denen Baroja die Juden seiner Romane bezeichnet: „canalla, granuja, morralla, animal, sucia caterra".

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revolucionarios del mundo." Die Juden als ewige Verschwörer, sei es als Kapitalisten, Anarchisten oder beides zusammen - hier stellt Baroja einmal mehr unter Beweis, daß der unselige Geist der Protokolle der Weisen von Zion auch durch die Seiten seiner Romane spukt. Und obwohl die Juden/Sepharden in diesem Roman nur eine Nebenrolle spielen, gilt ihnen doch buchstäblich das letzte Wort: Als die junge Protagonistin am Ende London verläßt, um über Paris nach Spanien zurückzukehren, trifft sie in der französischen Hauptstadt erneut auf Toledano, der seine Londoner Komplizen inzwischen tatsächlich verraten hat. Der Ausruf der jungen Spanierin (ebd.: 275) dürfte Barojas tiefste Überzeugung artikulieren: „¡Qué canallas!" Die morbide Phantasie des Autors, die, was die Erfindung monströser jüdisch-sephardischer Schreckensgestalten betrifft, schier grenzenlos anmutet, wird in diesem frühen Roman allerdings an einer Stelle von realistischen

Ein-

schätzungen gebremst: Die Frau von Toledano, „esta harpía semita", empfindet trotz ihrer spanischen Abstammung keine Sympathien für das Land ihrer Vorfahren. Im Gegenteil, „conservaba, a juzgar por sus palabras", so der Erzähler (ebd.: 204 f.), „un gran rencor por España; había leído, o había llegado hasta ella por tradición, la historia de las persecuciones y tropelías cometidas por los españoles contra los judíos, y tenía a España como la enemiga nata de Israel, el pueblo elegido por Dios". Baroja erweckt sogar den Eindruck, hier aus dem Munde seiner Protagonistin, daß er für die antispanischen Gefühle der Sephardin Verständnis hätte, doch dieser Eindruck wird rasch relativiert: „aun comprendiendo que su odio estaba justificado, le parecía muy antipática". Ein gewisses Maß an Realismus beweist der Erzähler schließlich auch im Zusammenhang mit der ,Rückkehr'-Problematik. Auf die Frage (ebd.: 205) eines jungen Juden, „también de aire corvino", und offenkundig auch Sepharde, „si los españoles aceptarían ya a los judíos, si les permitirían dirigir la política [!], si había verdadero fanatismo en España", auf diese Frage fällt die Antwort wenigstens eindeutig uneindeutig aus: „Maria contestó un poco caprichosamente a estas cuestiones contradiciéndose a cada paso, y viéndole Natalia marcada con tanta pregunta, vino a sacarla del apuro". Eine nationales mea culpa darf man aus diesen Sätzen aber sicher nicht herauslesen, eher schon das Gegenteil: Da von den J u d í o s repulsivos" und „harpías semíticas" nichts Gutes zu erwarten wäre, ist es vielleicht gar nicht so schlecht, mag sich der Erzähler gedacht haben, wenn der Antisemitismus im Lande eine ,Rückkehr' der Juden verhindert... Ebenso schillernde Sepharden-Figuren begegnen dem Leser in El mundo es ansí. Ernesto Klein, ein junger, in Genf lebender sephardischer Jude, scheint alle

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Geschichte als Mythos Eigenschaften zu besitzen, die einen (1986: 126) seine spanische

,guten Juden'

ausmachen, vor

allem

Herkunft: „El padre de Klein era un viejo j u d í o

venido de Francfort, de barba blanca y venerable aspecto. Según decía, procedía, por su madre, de una antigua familia española de Toledo." Auch der Sohn macht der noblen Herkunft alle Ehre: „Ernesto Klein f u e u n o de los mejores a l u m n o s de la Facultad de Filosofía. A los ventitres años, ya doctor, entró a dar clase en un colegio y c o m e n z ó a escribir artículos en periódicos y revistas, lo mismo en francés que en alemán, pues dominaba los dos idiomas a la perfección." Doch dann beginnt der Erzähler, das - vordergründig - positive Erscheinungsbild beider Sepharden Schritt für Schritt zu demontieren: Hinter der vielversprechenden Fassade, lautet die durchsichtige Botschaft, verbirgt sich auch hier der Ewige Jude. So beutet der Vater, er ist Eigentümer eines Verlages und einer Druckerei, seinen eigenen Sohn, der eine Zeitlang bei ihm arbeitet, schamlos aus. Doch der ist auch nicht besser, auch er ist darauf aus, „medios de encumbramiento" (ebd.: 17) zu suchen, und dabei, so der Erzähler (ebd.: 128), ist er nicht besonders wählerisch: „ C o m o buen judío, no le gustaba entregarse a disquisiciones metafísicas basadas en lo futuro, sino que quería que todo le reportara alguna utilidad." Somit fallen die Sympathien, die Baroja für die Sepharden empfindet, trotz seiner , R ü c k k e h r o f f e r t e ' , insgesamt bescheiden aus. Er kokettiert zwar mit dem kulturellen Vermächtnis der jüdischen ,Noblesse', schätzt ihre v e r h ä n g n i s v o l l e ' Bedeutung für die Genesis der spanischen Übel und Laster j e d o c h deutlich höher ein: „AI reflexionar, quizá, sobre los males de su patria, rebuscando los antecedentes históricos y antropológicos", schreibt Ebanks (1974: 114 f.), „descubrió en los ,hijos de J e h o v á ' los causantes de los sufrimientos y los defectos de España, según él Y queriendo vengarse, emplea la denuncia literaria y el vituperio virulento, para él justificados." Obwohl die m o d e r a t e Kritik dieses Autors übersieht, daß sich Barojas virulenter Antisemitismus noch aus weiteren Quellen speist, scheint die jüdische Geschichte der Halbinsel in der Tat ein zentrales Motiv für Barojas groben Antisemitismus zu sein. Seine Aversion gegen die Geschichte überhaupt, wie sie am A n f a n g zitiert wurde, dürfte hier die Haupterklärung finden. Insofern ist das folgende D i k t u m aus seinem R o m a n La de los discretos

feria

(1988: 742) vor allem eine Absage an die j ü d i s c h e Geschichte

des Landes: „¡Ojalá [...] se pudiera borrar la Historia, y con la Historia todos los recuerdos que entristecen y marchitan la vida de los hombres y d e las multitudes. U n a generación debía aceptar de la que la precedió lo q u e es útil, la ciencia únicamente [...] Lo demás, olvidarlo." D e n k b a r ist allerdings auch, wie Jacques

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de Bruyne (1967: 205) am Ende seiner Untersuchung schreibt, daß diese Gründe „eher gesucht als reell sind". Denn tatsächlich, so der Autor, sei Baroja „nicht nur gegen die Juden. Er ist gegen alles: gegen den Sozialismus, den Kommunismus und die Demokratie, gegen die Religion und ihre Diener, gegen die Freimaurer, die Pädagogen und Lehrer, gegen die Frauen". Seine Schlußfolgerung klingt deshalb recht plausibel: „Der Antisemitismus Pío Barojas scheint vielmehr eine nicht zu rechtfertigende Ablehnung unter vielen anderen zu sein. Dies bestärkt die Überlegung Jean-Paul Sartres: ,Der Antisemitismus ist etwas anderes als ein Gedanke. Er ist in erster Linie eine Leidenschaft.'"

5. Katholisch-maurische Essenzen und (Fast-)Absenz der Juden: José Martínez Ruiz (Azorín) Von den antisemitischen Leidenschaften, die Baroja umgetrieben haben, war José Maria Ruiz alias Azorín (1873-1967) augenscheinlich frei, wenn auch eher in Gestalt eines vielsagenden Schweigens. Dabei war er, auch das unterscheidet ihn von Baroja, kein Verächter der Geschichte. Von Azorín (1982: 863) stammt der Satz: „La generación de 1898 es una generación historicista." Kaum ein anderer Autor der Generation hat dieser Charakterisierung, sei es in allgemeinen Betrachtungen zur Geschichte oder zur Literatur, so entsprochen wie Azorín. Und kaum ein anderer Autor hatte dabei so intensiv oder besser: obsessiv die spanische Geschichte und Gegenwart im Blick wie er: „No creo", schrieb er 1940 (ebd.: 876), „que tenga yo ni un sólo libro, en los cuarenta volúmenes, ajeno a España." Das Bild, das Azorín auf Tausenden von Seiten von Spanien entwirft, ist freilich nicht weniger verzerrt als das seiner sonstigen Generationskollegen: Die katholischen Essenzen, die er trotz aller kirchenkritischen Akzente verteidigt, lassen eigentlich wenig Raum für andere, konkurrierende Einflüsse. Eine Ausnahme bilden lediglich die Mauren, in deren gewaltsamer Vertreibung - die Juden bleiben so gut wie unerwähnt - er ein zentrales, negatives Ereignis der spanischen Geschichte sah. Zumindest in diesem Punkt, in der entschiedenen Verurteilung der Vertreibungspolitik, unterscheidet sich sein Geschichtsbild von dem seiner Generation; der Rest besteht aus Nuancen und einigen kritischen Zwischentönen, die das traditionalistische Grundmuster jedoch nicht wirklich in Frage stellen. Zu den eher kritischen Zwischentönen gehören zunächst seine Ansichten zur Geschichte als solcher, die zumindest partiell frei sind von invariablen Ewigkeitsformeln: „La Historia", schrieb er 1940 (ebd.: 779), „es una materia fluida."

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Vorsicht sei geboten, die historischen Tatsachen über den Leisten historischer Modelle zu schlagen. Dazu seien die Tatsachen meistens viel zu komplex: „Un hecho son cuatro, seis, ocho, veinte hechos. Según la mente y la sensibilidad que lo enjuicie." Ähnlich die Warnung, die er (ebd.: 749) rund zehn Jahre früher ausgegeben hatte: „Historia: lo que no se puede improvisar; lo que no se puede comprar". Man kann sie freilich erfinden. Und daran, an der „Erfindung Spanies" (Fox), hat auch Azorin kräftig mitgewirkt - unter souveräner Mißachtung der Kautelen, die er für den Umgang mit der Geschichte als „materia fluida" selber forderte. Etwa in der folgenden Passage (ebd.: 607), in der, wenn auch verbrämt, sehr wohl ein Modell der Geschichte durchscheint: „No pueden ser comprendidas las épocas pasadas sin ese poco de sincera simpatía. Otras épocas - lejanas de nosotros - no pueden ser estudiadas con arreglo a las ideas, a los sentimientos, a los anhelos del presente. Un pueblo no puede ser condenado por haber seguido ruta distinta de otras naciones." Hier ist kein Historiker am Werke, dem es lediglich um eine nüchterne Bestandsaufnahme nationaler Unterschiede ginge. Azorins Blick auf die spanische Geschichte ist in der Tat (ebd.: 85) von Sympathie geleitet: „Esa es la vieja España [...], legendaria, heroica". In seinen Betrachtungen über „Los pueblos" (ebd.: 314) hat er diese Sympathien in Gestalt eines hidalgo und dessen Schwert konkretisiert': „[el hidalgo] coge la espada. Y ya, a punto de ceñirse el talabarte, la tiene un momento en sus manos, mirándola con amor, contemplándola como se contempla a un ser amado. Esta espada es toda España; esta espada es toda el alma de la raza; esta espada nos enseña la entereza, el valor, la dignidad, el desdén por lo pequeño, la audacia, el sufrimiento silencioso, altanero." Der Autor dieser Zeilen, daran läßt er keinen Zweifel, identifiziert sich mit der „Seele" dieser „Rasse", Inbegriff einer heroischen Geschichte, die sich zwar von der „Route" anderer Nationen unterscheide, aber deswegen mitnichten minderwertiger sei. Im Gegenteil: Am Beispiel der „famosa decadencia", die er (ebd.: 601 f.) rundweg bestreitet - „No ha existido tal decadencia" - , hält er den Dekadenztheoretikern mit Blick auf die „veinte naciones nuevas, de raza española" in Übersee entgegen: „España, con el descubrimiento y colonización de América, creaba una sucursal, que había de ser más grande que la casa matriz. No se puede decir que un Banco está en quiebra porque traslada sus fondos de una casa a otra casa. No teníamos, en ningún momento, que aprender nada de Europa. No necesitábamos para nada a Europa. Europa éramos nosotros y no los demás pueblos". Sicher hätten nicht alle Autoren der Generation den apodiktischen Duktus dieser Sätze geteilt. Die heroische Perspektive, nicht nur mit Blick auf Amerika,

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haben

indes fast alle eingenommen.

Deshalb geht die Ansicht

Azorins

(ebd.: 865), die Generationsautoren hätten sich in wichtigen historischen Fragen voneinander unterschieden, genauso an der Wirklichkeit vorbei wie der historische Ikonoklasmus, den er der Generation, und dabei schließt er sich selbst mit ein, im Rückblick von vier Jahrzehnten andichtet: „Hoy se siente a España", schrieb er 1940 (ebd.: 876), „con más ortodoxia". Das ist zwar, was den frankistischen Vergangenheitskult betrifft, nicht völlig falsch. Von dem „conocimiento minucioso de España", vor allem einer genauen Kenntnis der „historia patria", dem Dreh- und Angelpunkt eines „seriösen, würdigen, soliden und dauerhaften" Patriotismus, war freilich auch Azorin ziemlich weit entfernt. Dieses Urteil gilt auch, wenngleich mit einigen Einschränkungen, für die religiöse Dimension der Geschichte, so wie Azorin sie interpretierte. Wiederum aus einer Distanz von vier Jahrzehnten erinnert er sich (ebd.: 904) an einen Besuch Toledos, den er im Jahre 1900 unternahm: „Nos encontrábamos dentro de la Historia de España. Dentro llenamente de la propia España. La nacionalidad la ha creado en España la Iglesia." Auch hier geht es nicht, der Stil läßt es erahnen, um die nüchterne Beschreibung historischer Tatsachen. So wie das Schwert des hidalgo die - gute - „Seele" Spaniens symbolisiert, so fühlt sich der Besucher von Toledo im religiösen Ambiente der Stadt zu Hause: „Nos atraían los monumentos religiosos. En ellos se encarna la nacionalidad española." Bei soviel Sympathie für die katholischen Traditionen des geschichtsträchtigen

Ortes

verwundert es natürlich nicht, wenn von den religiösen Monumenten, die Juden und Mauren hinterlassen haben, mit keinem Wort die Rede ist. Auch in einem anderen Text (ebd.: 129 f f ) , der einen Besuch Toledos schildert, sucht man diese Traditionen vergebens. In diesem Text, er stammt von 1902 und wurde 1913 erstmals publiziert, gibt sich Azorin aber deutlich weniger affirmativ. Er stellt zwar fest, daß der „alte katholische Geist" in Kastilien, besonders in Toledo, noch immer stark zu spüren sei; er stellt diesen Geist aber in Opposition zu der „symphatischen Tradition" früherer Jahrhunderte. Denn heute, bemerkt er verbittert und polemisch, „,[e]l catolicismo en España es pleito perdido: entre obispos cursis y clérigos patanes acabarán por matarlo en pocos años'". In Antonio Azorin, einem Roman aus dem Jahre 1909, wird er noch deutlicher. Dort (ebd.: 239) macht er weniger die „clases superiores" und den Klerus für die religiöse Dekadenz verantwortlich, dort hält er die „sympathische Tradition" selber für ein Problem, für das Problem: „Así nacen y se van perpetuando de un catolicismo hosco, agresivo, intolerante, generaciones y generaciones de españoles." Daß diese Kritik des Katholizismus, wiewohl sie vor allem auf die

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noch immer grotesken Wucherungen religiöser Strukturen im 19. und frühen 20. Jahrhunderts zielt, auch auf die Gründerzeit der klerikalen Machtentfaltung gemünzt ist, das zeigen andere Äußerungen Azorins, etwa (ebd.: 581) in Una hora de España: „El siglo XVI es el siglo en que con caracteres más dramáticos se ofrecen el eterno conflicto entre la razón y la fe. En España, la Edad Media lucha - como en todas los demás países - con el espíritu del Renacimiento; pero si en otras partes triunfa, en España permanece vigorosa la Edad Media." Hier hat sich die „sympathische Tradition", daran läßt der Autor offenkundig keinen Zweifel, in einen historischen Bremsklotz verwandelt, der eine moderne Entwicklung des Landes blockierte, vor allem in Gestalt des Heiligen Offiziums: „Los tribunales de la Inquisición están repartidos por toda España." Obwohl im nächsten Kapitel, „El viejo inquisidor", das Porträt eines Inquisitors folgt, das den institutionalisierten Schrecken des Tribunals reichlich verharmlost, hat Azorin (1975:1/339) den Terrorcharakter der Inquisition auch sehr plastisch dargestellt: „La leña santa crepita; las víctimas, entre el humazo, aúllan amarradas al poste; el terror cunde por toda España. En las negras mazmorras se trituran y desgarran las carnes, se distienden los músculos, se dislocan los miembros; crujen los huesos; chirrían las carruchas; borbolla el agua hirviente; retumban los martillazos; carlean de fatiga los verdugos ... No bastan los tormentos conocidos; impórtanse del extranjero los últimos adelantos." Der Autor dieser Zeilen scheint die Qualen, die die Opfer der religiösen Folterknechte erleiden mußten, in Körper und Geist nachzuempfinden. Seine Beschreibungen des terroristischen Klimas, das die religiösen Fanatiker schufen, könnten aus der Feder französischer Aufklärer stammen, die das Schreckensszenario der Inquisition nicht weniger bildhaft beschrieben: „El expurgo comienza [...] en 1481, los unitarios de la Fe bajan a la hermosa ciudad andaluza [Sevilla, N.R.]. El espanto se apodera de sus moradores; la Naturaleza misma se estremece". Kein sonderlich idyllisches Bild, das Azorin hier von dem Gründungsinfemo des katholischen Gottesstaates entwirft. Hin- und hergerissen zwischen einem liberalen Credo - „porque somos liberales sinceros", kategorisierte er sich 1909 (1982: 239) selber - und nationalkatholischen Loyalitäten, entscheidet sich der Kritiker der Inquisition im Zweifel aber doch für die Nation, unter Einschluß ihrer katholischen Substanz: „La religión, única e intangible", entwirft er in Una hora des España (ebd.: 585) ein durchweg idealisiertes Bild seiner „patria moral", „unía antiguamente todos los corazones. El creyente llevaba en su fe un vale de hermandad para todos los creyentes." Und von dort ist es dann nur ein kleiner Schritt bis in die Gegenwart

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(ebd.: 595): „El cristianismo está en consonancia con lo más íntimo y profundo de España." Auch für die Folgen dieser „Konsonanz", etwa (ebd.: 596) die intellektuelle Isolation des Landes, übernimmt Azorin bereitwillig die historische Haftung: „Absurdo es incriminar a España su infecundidad científica; su camino era otro." Daß dieser Weg für Juden und Mauren versperrt war, hat Azorin, wie es scheint, trotz seiner Maurophilie nicht sonderlich gestört. Unbeschadet seiner grundsätzlichen Verteidigung des „anderen Weges", den die spanische Geschichte eingeschlagen habe, erweist sich Azorin zugleich als Verteidiger der maurischen Vergangenheit und Gegenwart, und das in einem Maße, das man bei den anderen Autoren der Generation nicht findet: „,Yo no he comprendido nunca'", zitiert er (1961: III/1217 f.) etwa Castelar, „,por qué nos incomodamos tanto cuando nos dicen los extranjeros que comienza el Africa en los Pirineos.'" Das fand auch Azorin, der wie Castelar von „esta esencia africana de España" sprach, der man sich nicht schämen müsse. Seine Sympathien für die Mauren, ja für den ganzen „Orient" durchziehen sein gesamtes Werk. Häufig (1962: VI/547) im Tone eines schwärmerischen Lobgesanges: „¡El secreto oriental! ¡El gran secreto! ¡Pobre Occidente! ¡Que se nos va a morir! ¡Que se nos muere! Pasen, pasen, señores. Y vean, vean el Oriente regenerador, salvador, fortalecedor". Nahezu alles in Spanien gerät ihm (1982: 1165) zum Sinnbild einer kulturellen Osmose: „Los gazpachos representan la alianza, en breves y exquisitos términos, entre Oriente y Occidente." Und wie Ganivet, dessen nicht minder enthusiastische Maurophilie dem Autor offenkundig Pate stand, sieht er die Zukunft Spaniens jenseits von Gibraltar: „Africa, en la lejanía", schreibt er 1929 in El libro de Levante (1982: 751), „la España transfrentana, nuestra España del otro lado del Estrecho, la España transfrentana que ha de ser grande y próspera, continuación de la peninsular. El porvenir de España, que está en Africa". Mit seinem Granadiner Gewährsmann, der das maurische Granada la bella genauso wortreich besang, teilte Azorin, wie es scheint, aber nicht nur den romantischen Orientalismus und die lyrisch drapierten Kolonialismusillusionen; er teilte offenkundig auch Ganivets Ansicht, daß sich der maurische Einfluß auf „psychologische" Faktoren beschränke. Denn nirgendwo spricht er konkret von den intellektuellen, kulturellen Leistungen des spanischen Islams. Die „Araber", wie auch er sie bezeichnet, kommen nur als vage Reminiszenzen („Este olor es Oriente", schreibt er über Valencia, ebd.: 834), als „fatalismo árabe" (ebd.: 731) oder in Form der üblichen Alhambra-Schwärmerei (ebd.: 403) vor; und gelegentlich äußert sich die Wahlverwandtschaft, die Azorin mit Ganivet auf diesem

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Terrain verband, sogar ganz wörtlich: „Ese caso demuestra precisamente - y no niega - " , schreibt der Valencia-Besucher über den „arabismo" der Stadt und ihrer Bewohner (ebd.: 784), „la afinidad espiritual, el parentesco psicológico entre valencianos y árabes." Dennoch weist das Maurenbild Azoríns im Vergleich zu Ganivet markante Unterschiede auf. Denn während letzterer, und mit ihm wohl das Gros der spanischen Autoren, in der Reconquista und in einer kriegerischen Dauerfeindschaft mit den Mauren den positiven Gründungsakt Spaniens zu sehen vermeinten, schlägt Azorin moderatere Töne an, die fast nach Convivencia klingen: „¿Cómo el escritor habría representar", fragt er in seinem Essay De la raza (1954: IX/1386 f.), „el arquetipo de la raza, del ambiente, de la Historia y de la colectividad?" Statt eines „Erdgeistes", den Ganivet seit grauen Vorzeiten über der Halbinsel schweben sah, betrachtet Azorin eher die Menschen. Man müsse den Blick, so seine Sicht der Dinge, auf all jene Menschengruppen richten, die sich von Anfang an auf „unserem Boden" vermischt hätten, also auf Phönizier, Cartagener, Römer, Goten und Araber: „AI hablar de los árabes", entwirft er nun eine Art Convivencia-Szenario, das der herrschenden Auffassung, wie er selber andeutet, wohl noch immer widersprach, „nos figuraríamos, al pronto, pensando en la España bipartista, ver a los dos partes embistiéndose sañudamente, a lo largo de siete siglos; repararíamos, con más atención, en las gentes que iban de un lado a otro, en los que llamamos enaciados, que, parlando una lengua y otra, el castellano y el árabe, comercian con unos y con otros." Das ist zwar die einzige Stelle in seinem Werk, wo er das Zusammenleben der beiden Kulturen expressis verbis so beschreibt, sie relativiert die gängigen Reconquista-Klischees dennoch im Kern: Azorin schien ehrlich bemüht, „todos los elementos, todos los accidentes, todas las circunstancias" zu berücksichtigen, „que habríamos ido recogiendo en nuestro divagar ideológico por España". Als Kenner, Kommentator und Herausgeber der Clásicos Castellanos

hat

Azorin natürlich auch das Maurenbild in der Literatur interessiert, vor allem im Werk von Cervantes. Sein Urteil, hier (ebd.: 384 f.) am Beispiel von Ricote, der bekannten Maurenfigur im Don Quijote, bestätigt die moderne Cervantes-Forschung, wenn er von „simpatía con que retrata a Ricote" spricht und mit der Suggestivfrage endet: „¿No es un indicio de que su pensamiento está en otra parte y no en la aprobación del decreto extirpatorio?" Azorin hat wiederholt unter Beweis gestellt, daß Cervantes' Haltung zur Vertreibung der Morisken zugleich seine eigene war - auch das unterscheidet ihn von seinen Generations-Kollegen, die sich überhaupt nicht oder sogar zu-

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stimmend, wenigstens als machtpolitisches Fait accompli, dazu geäußert haben. Es sind vor allem zwei Aspekte, die Azorin betont: Der grausame Charakter der Vertreibung und deren ökonomische Folgen. In „Los moriscos" (1975: 1/ 1036 ff.) stellt er sich deutlich auf die Seite der Vertreibungsopfer: „Era entonces verano; abrasaba el sol en los llanos y quiebras de la campiña aragonesa. Hacíanles pagar caramente el agua a los moriscos; si deseaban recostarse a la sombra para descansar, también habían de soltar la pecunia. No había piedad para los pobres desterrados." Statt sie wie Mitbürger zu behandeln, schreibt er (ebd.: 1041 f.) an anderer Stelle über den Haß, den die Christen seit 1492 gegen die Morisken geschürt hätten, habe man sie diskriminiert und unterdrückt. Den Schaden, lenkt er (ebd.: 1037) nun den Blick auf die ökonomischen Folgen des gewaltsamen Exodus, hätten auch die christlichen Spanier zu spüren bekommen: „Pues todos estos moriscos, todos estos laboradores de la tierra y de las industrias urbanas van a desaparecer de España." In seinen Betrachtungen über „La decadencia de España" (ebd.: 1041 ff.), die er, wie weiter oben angedeutet wurde, eigentlich bestritt, hält er es folglich für möglich, daß die Vertreibung der Morisken zu dieser beigetragen habe. Man darf deshalb vermuten, daß sich der Autor von Antonio Azorin (1986: 54) in der fiktiven Romangestalt selbst zu Wort gemeldet hat: „Yo atacaba valientemente la medida de la expulsión, demonstrando hasta la evidencia que fue injusta y cruel, aparte de antieconómica y antisocial." Damit sind freilich nur die Morisken gemeint: Hat ihn das ähnliche Schicksal der Juden völlig kalt gelassen? „En España", lautet eine suggestive Definition Azorins (1961: IV/41), „el vocablo mandar ha sido siempre sinónimo de prohibir. nuestra política secular puede resumirse en las prohibiciones y en las expulsiones. Hemos expulsado a los moriscos y a los judíos". Dennoch schien ihn das Schicksal der Juden kaum zu interessieren. Denn sehr viel mehr, als das obige Zitat enthält, hat Azorin zu diesem Thema nicht geschrieben, jedenfalls nicht in dem umfangreichen Korpus seiner historischen Betrachtungen. Das obige Zitat läßt zwar die Vermutung zu, daß er auch die Vertreibung der Juden mißbilligte, genaueren Aufschluß über seine generelle Haltung gibt er dem Leser jedoch nicht. Deshalb läßt sich die Frage, ob das ,große Schweigen' Azorins auf einem antisemitischen Credo basiert, nur schwer beantworten. Die wenigen expliziten Äußerungen sind betont neutral gehalten und verraten, wie in dem folgenden Satz (1975: 1/339) über eine der angeblichen Folgen der Sevillaner Inquisition, eher ein Denken in Stereotypen: „Las cárceles se pueblan; el comercio y la industria, sostenidos por los judíos, perecen. El Tribunal ha in-

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augurado sus tareas." Die sonstigen Äußerungen sagen noch weniger über seine Haltung zu den Juden aus. In dem Roman La voluntad (1982: 140 f.) taucht in einem Nebensatz ein Toledaner Jude auf, „que practica el cerrado arte de la crisopeya, metido allá en el fondo de una casucha toledana". Immerhin, so läßt sich diese lapidare Äußerung interpretieren, waren nicht alle Toledaner Juden reich ... In „España" (ebd.: 393) gehört auch eine junge „Raquel" zu jenen „lindas toledanitas", die dem Autor, er beschreibt das Jahr 1520, zu gefallen schienen. Und in einem zweiseitigen Text über Spinoza (1975:1/247) kommt der jüdische Hintergrund des „pensador holandés" nur mit dem folgenden Hinweis zur Sprache: „Nifto aun, separase de la Sinagoga. Y la ruptura es un escándalo tremendo. Esperaban tanto de él sus compañeros de religión". Im Vergleich zu den Äußerungen der zitierten Art, die eine deutliche Indifferenz verraten, hat der Literaturkritiker Azorin die jüdische Dimension der spanischen Literatur mit Sympathie vermerkt - allerdings ohne die jüdischen Einflüsse jemals als solche zu bezeichnen. Etwa ein Kapitel von „España" (1982: 395 f.), das Francisco Delicado gewidmet ist, und sein bekanntes Buch als „páginas soberbias, únicas en nuestra literatura" uneingeschränkt lobt, unter Einschluß ihres Autors: „Todos quieren a Delicado; todos le buscan. El buen cura ya no tiene más ilusiones que esta vida sedante, sosegada, del bello pueblo andaluz." Die jüdische Abstammung des Autors bleibt dagegen genauso unerwähnt wie die jüdische Dimension von La lozana andaluza.

Oder zielt der

folgende Satz, in dem von altchristlicher Speise die Rede ist, augenzwinkemd auf die Converso-Identität Delicados: „él se acuerda, lleno de íntima ternura, de unos ,grañones con tocino que comió en Jaén'". Genauso verfahrt Azorin mit Blick auf ein anderes Meisterwerk der spanischen Literatur, die Celestina. Als „uno de los libros capitales de nuestras letras" (ebd.: 1181), räumt er der Tragikomödie aus der Feder eines Converso-Autors nicht nur den ihr gebührenden Platz im nationalen Kanon ein, er nimmt sie auch gegen die „einseitigen" Anwürfe Menéndez y Pelayos, der sie wegen ihrer nicht eben altchristlichen Moral als „abismo de perversidad" verunglimpft hatte, entschieden in Schutz. Aber wiederum kein Wort über die jüdische Abstammung des Autors und seine literarischen Figuren, in denen sich das Lebensgefuhl der zwangskonvertierten Juden, auch ihre Vorstellung von erotischer Liebe, unübersehbar verkörpert. Dabei empfand Azorin für die hispanoarabische Sinnlichkeit, deren Schwanengesang die Celestina markiert, durchaus Sympathien. Etwa am Beispiel eines Vergleichs zwischen der Celestina und dem Libro del buen amor. Hier schlägt sich Azorin (1982: 133) nicht nur auf die Seite des Arcipreste de

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Hita, weil dessen Erotik-Version aufgrund der historischen Umstände sinnenfroher sei; er macht auch keinen Hehl daraus, was er von der erótica

hispánica

hält, die in den folgenden Jahrhunderten tonangebend wurde: „este espíritu jovial y fuerte, placentero y fecundo, se ha perdido ... Estos pueblos tétricos y católicos no pueden producir más que hombres que hacen cada hora del día la misma cosa, y mujeres vestidas de negro y que no se lavan. [...] ¡Esto es estúpido! La austeridad castellana y católica agobia a esta pobre raza paralítica." An der expliziten

Absenz von Juden und Conversos ändern die impliziten

Anspielungen auf diesen Traditionsstrang der spanischen Kultur- und Literaturgeschichte freilich nichts. Trotzdem verwundert es, daß das Schweigen auch dort so gut wie ungebrochen ist, wo die jüdische Thematik eigentlich

im Mittelpunkt

steht: in seinem Roman Maria Foután aus dem Jahre 1943. Im Mittelpunkt dieses Romans steht die junge ,Jüdin' Edit, die aber expressis verbis nie als solche in Erscheinung tritt: Das Wort „Jude" taucht in der gesamten Erzählung nicht ein einziges Mal auf. Dennoch kann der Roman als eine Art Allegorie auf die spanisch-sephardische ,Wiederversöhnung' gelesen werden, deren Verlauf und schließliches Happyend freilich mehr über den zwiespältigen Denkhorizont des Autors aussagen, als daß diese Art der Wiederversöhnung der Wirklichkeit entspräche. Edit, die spätere María Fontán, wird in einem kleinen Ort (Escalona) in der Nähe von Toledo geboren, in einem „unbestimmten Jahr" (1971: 10), vermutlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Geburtsort der Protagonistin veranlaßt den Autor, seiner Erzählung einige Daten über die Geschichte der Provinz voranzustellen, zugleich das erste und einzige Mal, daß er explizit auf die jüdische Thematik zu sprechen kommt. Die historischen Wurzeln Escalonas und der berühmten Provinzhauptstadt, weiß er (ebd.: 10) zu berichten, gingen auf jene Zeiten zurück, „[cuando] los hebreos, conducidos por las flotas de Nabucodònosor, entraron en España y fundaron, muy tierra adentro, Toledoth o Toledo, Escalón o Escalona". Die These, daß Juden die Stadt am Tajo gegründet hätten, hält er, unter Berufung auf einen zeitgenössischen Historiker, dennoch für zweifelhaft. Denn der habe diese These nur deshalb in sein Buch aufgenommen, „para desmentirla rotundamente". Ohne sich weiter mit dieser Frage zu beschäftigen, stellt er im nächsten Kapitel die Familie seiner Protagonistin vor, deren Mitglieder allesamt alttestamentarische Namen tragen: Jeremías, Moisés, Isaac, Edit, Ismael. Im Unterschied zu den gängigen Judenstereotypen geht der Vater Edits - Isaac - einer ehrenwerten Beschäftigung nach. Er ist Gerber und ausgesprochen stolz auf

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seine manuelle Arbeit: „Y si fulgían sus ojos", charakterisiert ihn Azorín (ebd.: 16), „era por la ufanía de haber trabajado a conciencia las pieles que había transformado en badanas, tafiletes y cordobanes finísimos." Als arbeits- und genügsam wird auch dessen Bruder Ismael beschrieben, der in der Gerberei Isaacs arbeitet. Nirgendwo findet sich eine negative Anspielung, nirgendwo ein Stereotyp, das den typischen' Juden markierte. Der Autor kreiert, im Gegenteil, ein Großfamilienidyll, das von Ester, der Mutter Edits, gewissermaßen gekrönt (ebd.: 20) wird: „Ester era alta y fina; cuando caminaba, sus movimientos eran ágiles y elegantes. Había en Ester una indecible distinción nativa." Und so, insinuiert Azorín, ist auch die Tochter. Ein Stereotyp mag man allenfalls darin sehen, daß es sich um eine reiche, sehr reiche Familie handelt, deren Erbe die junge Protagonistin antreten wird. Dieses Erbe setzt sich zusammen aus „la fortuna [...] considerable" (ebd.: 31) ihres Vaters - er stirbt nahezu zeitgleich mit der Mutter - und, wenngleich erst einige Jahre später, aus dem „caudal [...] inmenso" ihres Onkels Ismael, in dessen Obhut sie nach dem Tode der Eltern zunächst bleibt. Ismael, der sein Vermögen in Amerika erworben hat, ist es auch, der die junge Frau schon bald nach Frankreich schickt, um „die Welt kennenzulernen". Er stattet sie für ihre mehrjährige Reise, die sie auch nach England führen soll, nicht nur ökonomisch großzügig aus, er verlangt von ihr (ebd.: 31 f.) auch einen Namenswechsel: „Cuando escribas desde Paris

firmarás

Marie

Fontan. Cuando escribas desde Londres firmarás Mary Fontan. Y cuando vuelvas a Madrid, al cabo de dos años, ya no serás Edit Maqueda, sino María Fontán." Den Grund der Namensmetamorphose erfahrt der Leser nicht. Handelt es sich um eine Anspielung auf die Namensänderungen der Conversos und vertriebenen Juden in früheren Jahrhunderten, die sich damit vor Verfolgungen schützen wollten? Jedenfalls scheint Edit deren Sinn sofort zu begreifen - sie stellt keine Fragen und firmiert fortan als María Fontán. In Paris sucht sie Kontakt zur Literaturboheme der Stadt, lernt schnell Französisch und fühlt sich alsbald im kulturellen Milieu der Metropole zu Hause. Nach dem Tod ihres Onkels erbt sie dessen großes Vermögen, dazu gehört auch ein seltener, überaus kostbarer Diamant, und zieht, nachdem sie ihre eher bescheidene Unterkunft im Quartier Latin verlassen hat, in ein Luxushotel der Stadt um. Niemand weiß genau, wer sie ist; der geheimnisvolle Schleier, der ihre Identität umgibt, bietet Anlaß für Spekulationen: „No sé quién es;", sinniert etwa der Portier (ebd: 55) des Hotels, „pero, en fin de cuentas, no me importa nada. Dicen, ya lo sé, que es española". Allseits beliebt, sie verteilt großzügige Geschenke und Trinkgelder, fällt sie freilich durch eine gewisse Traurigkeit

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(ebd.: 63) auf, „la tristeza milenaria de María Fontán", die bereits ihre Mutter charakterisiert hat. Eine Anspielung auf die jüdische Leidensgeschichte? Nach einiger Zeit, vermutlich nach mehreren Jahren, faßt sie den Entschluß, nach Spanien zurückzukehren - eine schwierige Rückkehr, wie der Erzähler aus ihrem Munde (ebd.: 119 f.) mehrfach versichert: „Sali de España cuando era una muchacha. Ahora soy otra persona." Einem Freund, der in ihr noch dieselbe Spanierin sieht, die sie immer gewesen sei, entgegnet sie vor ihrer Abreise: „La misma de siempre, sí; pero con algunos años más, bastantes años. Y con una complicación espiritual que antes no tenía." Auch ihre Rückkehr, nach Madrid, nicht in ihren Heimatort, legt eine allegorische Lesart nahe: Die ,Rückkehr' der Juden nach Spanien. Hin- und hergerissen zwischen „mi amor a España" und „mi predilección por el espíritu europeo", befürchtet sie vor allem, daß sich ihr früheres Heimatland verändert haben könnte: „Tengo miedo a ir a España. Me tengo miedo a mí misma. No recobrar las sensaciones antiguas, las sensaciones de niña, sería para mí un espanto." In der Tat fühlt sie sich nach ihrer Rückkehr desorientiert, obwohl sie im besten Hotel der Stadt absteigt und ihr der „strahlend blaue" Himmel Madrids mehr behagt als das „zarte Grau" von Paris. Vor allem hat sie (ebd.: 140) davor Angst, ihren Heimatort in der Provinz Toledo zu besuchen: „Siente entonces María como una opresión angustiosa. Este pasado de sus progenitores que revive, junto con el pasado de su propia niñez, la aterra." Als sie sich schließlich doch in einem Taxi dem Ort nähert, wird ihre Angst so groß, daß sie wieder umkehrt. Zuvor gibt sie dem Dorfgeistlichen, den sie auf der Zufahrtsstraße trifft und der sie nicht erkennt, eine große Summe für die Armen - und für die Kirche des Ortes! Der offensichtlich bedeutungsschwere Symbolismus dieser Reise, vor allem des üppigen Geldgeschenkes, bleibt im Dunkeln: Warum hat die Protagonistin, sie heißt auch weiterhin María Fontán, so große Angst vor einer Konfrontation mit ihrer eigenen Geschichte und der ihrer Familie? Weil diese - die jüdische Geschichte definitiv vorbei ist? Warum macht sie ausgerechnet dem Vertreter der Kirche ein stattliches Geldgeschenk? Weil sie sich von irgend etwas freikaufen möchte, vielleicht von der Geschichte ihres eigenen Irrglaubens'? Es bleibt zwar offen, welchen Glauben sie hat, der allegorische Fingerzeig, mit dem der Autor die ästhetisch schwer verdauliche Erzählung beendet, scheint jedenfalls in genau diese Richtung zu weisen: Am Ende verliebt sie sich in einen armen, aber talentierten Maler, der, man mag es kaum glauben, Roberto Cisneros heißt. Der symbolgeladene Schwulst endet mit der Heirat der - ehemaligen? -

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Jüdin Edit alias María Fontán und des vermutlichen Nachfahren des einstigen Großinquisitors! In der Tat eine Novela Rosa, wie es im Untertitel dieser Erzählung heißt...

6. „Gegen Mauren und Juden": Ramiro de Maeztu Deutlich heftiger und aggressiver fällt das Juden- und Maurenverdikt von Ramiro de Maeztu (1874-1936) aus - vom politischen Radikalismus in jungen Jahren, den er mit Azórin teilte, einmal abgesehen. Wesentlich drastischer als Azorins „Wandlung [...] vom engagierten Anarchisten zum fast unpolitischen Landschaftsporträtisten" (Franzbach 1988: 74) fallt auch Maeztus politische Kehrtwendung aus: Kein anderer Autor der 98er Generation hat einen so schroffen ideologischen Seitenwechsel vollzogen wie Ramiro de Maeztu. Die Bandbreite seines Idearium, über Tausende von Artikeln verstreut, reicht von sozialistischen Anwandlungen über liberales Gedankengut bis zu einem reaktionären, nationalkatholischen Credo, das die „nationale Erhebung" von 1936 mit einem Gutteil ihrer ideologischen Grundausstattung versorgte, deren Wirkung den Bürgerkrieg noch lange überdauerte. So wetterte der junge polígrafo etwa gegen „el cáncer eclesiástico" (1977: 81) und schrieb Elogen auf den Sozialistenfuhrer Pablo Iglesias (ebd.: 270 f f ) . Noch in den 20er Jahren, als der radikale Sturm und Drang sich längst verflüchtigt hatte, plädierte er für eine Art ökonomischen regeneracionismo,

der - und das ist im Rahmen des hier behandelten Themas

von besonderer Bedeutung - sogar die beiden kulturellen Minderheiten von einst mit einzuschließen scheint.

In seiner Essaysammlung über „El sentido re-

verencial del dinero" beklagt er (1974: 761) zum Beispiel „una larga tradición de horror a la economía como si fuera un pecado de judíos y moriscos". Doch dieser Eindruck täuscht. Denn bereits in jungen Jahren, etwa in seinem Buch Hacia otra España (1967: 254), hatte Maeztu einen „canto al oro" intoniert, allerdings ohne Anleihen bei Mauren und Juden im allgemeinen, auch nicht, wie zu vermuten wäre, bei den Sepharden im besonderen. Denn im Unterschied zu seiner ideologischen Verwandtschaft, beispielsweise zu Ernesto Giménez Caballero, hat Maeztu augenscheinlich nie philosephardische Anwandlungen verspürt. So nimmt es auch nicht wunder, daß Juden und Mauren nicht zu den „climas de la Hispanidad" gehören, die, wie er (1941: 35) immer wieder behauptete, „son los de todo ei mundo. Y esta falta de características geográficas y etnográficas, no deja de ser uno de las más decisivos caracteres de la Hispanidad." Ganz im

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Gegenteil: Gegen beide, vor allem gegen die Juden, richtet sich in der späten Defensa de la Hispanidad sein ganzer Groll in Geschichte und Gegenwart. Die furiosen Attacken gegen Mauren und Juden, die in früheren Jahren fehlten bzw. wesentlich moderater ausgefallen waren und, was die Mauren betrifft, sogar eine leichte, romantische Sympathie verraten - diese Attacken sind im übrigen von einem grundlegenden Wandel seines Geschichtsverständnisses begleitet, der sein Bild von den beiden Minderheiten offenkundig stark beeinflußt hat. In seinem Artikel „Historia y Comercio" aus dem Jahre 1903 (1977: 207 ff.) hat sich Maeztu mehr als deutlich von der Geschichte im allgemeinen, verstanden als untrügliches Zukunftsorakel, und von der spanischen Geschichte im besonderen losgesagt: „La Historia nos separa y el presente nos une." Was für Spanien gelte, wo jahrhundertelang „los tristes coleccionadores de naderías muertas" am Werke gewesen seien, gelte wohl, so der junge Ikonokiast, für alle Arten des modernen nationbuilding:

„Hay algo [...] que hace dudar de la eficie-

ncia de la historia en la obra de hacer patria." Die Abnabelung von der Geschichte, zumindest von ihrer spanischen Variante, klingt logisch, steht sie doch wie kaum eine andere für jene „muertas naderías", gegen die der

regenera-

cionista so vehement zu Felde zieht: „¡Qué paraíso para las cortesanas, los obispos, los decadentes, los marquecitos, los toreros y los aristocratizados hijos de fabricantes!" Maeztus Attacken nehmen jedoch nicht nur die strukturellen und politischen Folgen der nationalen Geschichte aufs Korn. Sie zielen zugleich auf deren Hagiographen, in erster Linie auf Menéndez y Pelayo, „ese triste coleccionador de muertas naderías". Die polemische Abrechnung mit dem Ewigen Spanien und dessen bekanntesten Interpreten ist bei den anderen Autoren der Generation, so darf man vermuten, kaum schärfer ausgefallen. Jenseits der berechtigten Polemik bleibt Maeztus Kritik der Geschichte dennoch reichlich vage und ist zumeist auf die Folgen für die Gegenwart beschränkt: Statt einer konkreten Analyse der Geschichte, die beschreibt und erklärt, fast ihre Eskamotage. Ist das, paradoxerweise, einer der Gründe dafür, daß sich der historische Phönix in späteren Jahren um so triumphaler aus der Asche von 1898 erhebt? Noch 1913, in einem Artikel über „El alma de 1898" (1962: 79 f f ) , scheint die Glut unter dieser Asche längst verloschen zu sein: „Nosotros heredamos en 1898", fugt er sogar noch eine kritische Note hinzu, „este ambiente espiritual de orgullo hispánico". Dieser, wie man inzwischen wisse: unbegründete Stolz, „este viejo pecado de la raza", habe sich trotz aller Kritik auch aus den trüben Quellen des zitierten „coleccionador de muertas naderías" gespeist: „Menéndez y Pelayo

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nos había asegurado que en España lo había habido todo - ciencia, filosofía, letras y artes - en su máximo grado y que bastaba ascender a las fuentes para hacerlo manar nuevamente." Genau das bezweifelt Maeztu noch immer. Im Unterschied zu früher, drapiert sich die Kritik nun mit einer Aureole von Reife, klingt nach durchdachter Korrektur verbalradikaler Oberflächenkritik. Doch selbst wenn es so gemeint war: Zehn Jahre später, in einem Artikel über „Los del 98" (ebd.: 68 ff.), ist von der harschen Kritik des „orgullo hispánico" keine Rede mehr. Nun geht es Maeztu bereits darum, seine historische Linientreue und die seiner Generation zu verteidigen: „¿Repulsa a la tradición?", fragt er jetzt mit einem triumphalistischen Zungenschlag, der fortan charakteristisch ist: „Hace veinte años que vengo diciendo que el pueblo que descubrió y conquistó América y contuvo y expulsó finalmente a los moros de tierras europeas, con lo que hizo posible, mientras se sacrificaba y desangraba en Las Navas, el maravilloso siglo XIII, padre de la cultura de Occidente, no necesita de otros títulos para ser una de las grandes naciones del mundo." Der totgeglaubte Phönix einer glorreichen, heldenhaften Vergangenheit - hier ist er wieder auferstanden. Und mit ihm (fast) eine ganze Generation, die ihm einst das Totenlied gesungen hatte: „¿Por qué se ha de condenar a toda una generación", betreibt er nun auch deren historische Rehabilitation, „por los pecados de uno de sus hombres?" Gemeint ist kein Geringerer als Azorin, die angebliche Ausnahme von der ansonsten traditionstreuen Generation: „La crítica de Azorin no me ha gustado nunca como su arte." Obwohl diese Kritik dem Kritisierten eigentlich ein Lob ausspricht, so ist sie indessen, zumindest mit Blick auf das hier behandelte Thema, genauso übertriebenen wie die etwaige Annahme, Maeztus zitierte Eloge auf das 13. Jahrhundert als „padre de la cultura de Occidente" schlösse die daran maßgeblich beteiligten Juden mit ein. Die .Rückkehr zur Tradition', die Maeztu nun bis zu seinem Tode propagiert, verfolgt andere Ziele: „Desde comienzos del siglo XVIII", heißt nun (ebd.: 102 f.) die Devise, „[el pueblo español] había dejado de ser fiel a sí mismo y a su misión histórica." Deshalb noch einmal das mea culpa im Namen der ganzen Generation: „Pero ello no sabíamos en 1898." Vorbei sind die Zeiten, als er in Hacia otra España die Parole ausgegeben hatte, sich mehr um die Ökonomie zu kümmern, „und nicht um die Tradition". Die Abkehr von den Jugendsünden „volvimos la espalda a nuestra tradición" - erfordert deshalb Reue: „¡Diós me [...] perdone!" Die Bitte um göttliche Vergebung ist mehr als eine bloße Floskel, schließlich spielen Gott und seine irdischen Stellvertreter eine entscheidende Rolle im

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Gebäude der Hispanidad,

das Maeztu nun in einer Unzahl von Artikeln errichtet.

Denn der eigentliche Grund des nationalen Niedergangs, schreibt er (ebd.: 236) 1934 in der Zeitschrift Acción Española, seiner neuen politischen Heimat, „fué ei haber dejado de ser, en hechos y en verdad, una Monarquía católica". In seiner Defensa

de la Hispanidad

aus demselben Jahr wiederholt er (1941: 36) diese

Sicht der Dinge mit monotoner Redundanz: „las dos fuentes históricas de la comunidad de los pueblos hispánicos [son]: la religión católica y el régimen de la Monarquía católica española". Zu den Grundelementen des historischen roll back, die Maeztu präsentiert, gehört deshalb nicht nur die bedingungslose Rehabilitierung „[de] la memoria de Felipe II y con ella el buen nombre de España" (ebd.: 244); dazu gehört selbstredend auch und vor allem die Rehabilitierung der Inquisition. Denn, so der Autor 1935 (1962: 306): „la verdad es que jamás la Inquisición española acabó con la vida de un español ilustre por su saber. Sus victimas no cuentan a un sólo Tomás Moro. Decir lo contrario, meramente sugerirlo, es alistarse en la antipatria". Wenn die Wurzeln der Hispanidad

im 16. und

17. Jahrhundert liegen, dann ist es nur logisch, wenn auch die Geschichte als solche einen Ehrenplatz einnimmt (1941: 201): „la Historia es el faro de la Humanidad". Denn, so eine der schier unzähligen Varianten (1941: 38) dieser These: „La Historia está llamada a transformar nuestros panoramas espirituales y nunca ha carecido de buenos cultivadores en nuestros países." Gemeint ist vor allem Menéndez y Pelayo. Begleitet ist der Rekurs auf die beiden Triumpfsäulen der Hispanidad,

Religion und Monarchie, deshalb von

einer ebenso bedingungslosen Rehabilitierung jenes „triste coleccionador de muertas naderías", der das Spanien der Inquisition mit Stolz als „martillo de herejes" bezeichnet hatte. Über den Autor der Heterodoxos

españoles

heißt es

(1962: 120) nun: „Fué el hombre que devolvió a los españoles intelectuales el respeto de España." In der Defensa de la Hispanidad

figuriert er (1941: 161)

sogar als „nuestro libertador", dessen Vermächtnis seit mehr als zwanzig Jahren allenthalben Früchte trage: Sein Tod im Jahre 1912, wähnt sich Maeztu (ebd.: 283) völlig sicher, „coincidía con el comienzo de su victoria definitiva". Ganz uneingeschränkt tritt er dessen Erbe allerdings nicht an: Während der polígrafo aus Santander trotz seiner reaktionären Elogen auf den Katholizismus mit dem Philosephardismus kokettierte, hat sein Epigone dieser Versuchung widerstanden. Die Gründe für den generellen Antisemitismus Maeztus, der die Sepharden stets mit eingeschlossen hat, sind vielschichtig. Obwohl sie auch mit der jüdischen Geschichte der Halbinsel zu tun haben, die weiter unten zur Sprache

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kommt, liefert diese aber nicht, wie etwa bei Pío Baroja, die Haupterklärung für die tiefsitzenden Aversionen, die Maeztu den Juden entgegenbringt. Ein Grund, sicher nicht der unwichtigste, dürfte in seinem Katholizismus zu suchen sein. Denn trotz der harten Kritik des spanischen Klerus als „cáncer eclesiástico" sei das Fundament seines Credos, wie er 1934 (1962: 221) schrieb, doch nie erschüttert worden: „he defendido", heißt es rückblickend, „las ideas y sentimientos cristianos en todos los períodos de mi vida". Dieses „fundamento inconmovible de mi pensamiento religioso" (ebd.: 224) gelte letzten Endes auch, behauptete er im selben Jahr (ebd.: 74), für die Institution: „Anticlerical no lo fui nunca." Obwohl man diese Behauptung durchaus bezweifeln kann, da die Äußerungen aus jungen Jahren eine andere Sprache sprechen, erklären sie seinen Antisemitismus mindestens teilweise: Denn wenn der Katholizismus, wie er mit voller Zustimmung schrieb (1974: 667), für die Spanier „una segunda naturaleza" bildet, dann bleibt für andere Religionen naturgemäß kein Platz. Dieses Ausschließungsverhältnis gälte natürlich auch für andere Autoren, die, wie der von Maeztu hoch geschätzte Menéndez y Pelayo, trotz ihres kaum weniger militanten Katholizismus eine strategische Koexistenz mit den sephardischen Juden pflegten. Eine weitere Erklärung für Maeztus Antisemitismus bietet daher seine ,Geldtheorie'. Das Fundament dafür legte er bereits in seiner frühen Schrift Hacia otra España, in der er - den sozialistischen Koketterien zum Trotz - ein Hohelied auf das Geld intonierte: „Cuando sobre la espada del militar, sobre la cruz del religioso y sobre la balanza del juez, ha triunfado el dinero", schrieb er (1967: 253 f.) damals, „es porque entraña una fuerza superior, una grandeza más intensa que ninguno de estos artefactos. ¡Torpe quien no la vea! Cantemos al oro; el oro vil transformará la amarillenta y seca faz de nuestro suelo en juvenil semblante: ¡el oro vil irá haciendo la otra España!" Da der Autor dieses Hymnus auch der Ansicht ist, daß die Juden auf besonders gutem Fuße mit dem Gelde stünden - was liegt da näher als die Vermutung, daß er auch ihnen einen Platz in seinem Chor einräumt? Diese Vermutung erwiese sich jedoch als falsch. Denn innerhalb der Maeztuschen Geldtheorie sind auch die Juden die eigentlich Bösen. Die Guten sind vor allem Nordamerikaner und Engländer. Deren „Superiorität", die Maeztu für eine ausgemachte Sache hält, stehe mit ihrem Verhältnis zum Geld in direktem Zusammenhang: „Mientras los otros pueblos no han visto en el dinero más que su lado útil", so seine monetäre Zweikulturentheorie (1974: 694 ff.), „los ingleses encontraron, y los norteamericanos impusieron, la manera de poderlo creer bueno". Der Mensch, der glaube, daß das Geld gut sei, so lautet dafür die Begründung, würde sich nicht so leicht mit der

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Armut zufrieden geben wie derjenige, der das Geld lediglich als etwas Nützliches betrachte. Der interessantere Fall ist fiir Maeztu jedoch der Reiche - der potentiell Gütige: „Si es rico, el hombre que cree en la bondad del dinero no lo gastará en placeres, si se lo dejará escapar de entre las manos, sino que lo empleará en obras de servicio social, como escuelas, hospitales, bibliotecas, etc., o lo aumentará indefinidamente dedicándolo a empresas reproductivas, que es lo que explica el crecimiento de los Estados Unidos." Der Glaube an die Güte des Geldes beinhalte im übrigen dessen Gegenstück, nämlich daß die Güte auch die Macht einschließe oder dessen Zeichen, das Geld: „Y sé muy bien", versucht er dem Leser Mut zu machen, sich in dem argumentativen Irrgarten seiner Geldtheorie nicht zu verlieren, „que se trata de una idea de comprensión difícil". Auf jeden Fall, so faßt er seine abstrusen Ideen zusammen, gebe es ohne Geld, das heißt ohne Macht, auch keine wirkliche Güte, sondern nur guten Willen oder gute Absichten. Deshalb sei es nicht damit getan, die instrumentelle Notwendigkeit des Geldes anzuerkennen: „Con ello no hemos adelantado gran cosa, porque degradamos el mismo valor que reconocemos, y al degradarlo se nos escapa de entre los dedos. Para llegar a ser los dueños del dinero hay que dedicarle nuestros mejores hombres y lo mejor de nuestro espíritu, lo que no conseguiremos si no lo dignificamos hasta considerarlo como uno de los valores finales, y no meramente instrumentales." Wie unschwer zu erkennen ist, liegt dem unübersichtlichen Argumentationsgestrüpp dieses theoretischen Irrgartens letzten Endes doch eine klare Idee zugrunde, nämlich die einer Gesellschaft mit festen Hierarchien, deren klassenbestimmte Distanzen durch ,Güte' überbrückt und damit gesichert werden sollen. Zu den „mejores hombres", denen er diese politisch entscheidende Aufgabe gesellschaftlicher Schrankenwärter übertragen möchte, gehören deshalb die Bankiers und eine „escuela superior de banca" - wie es scheint, sogar unter Einschluß von Juden: „pero si no se encuentra un Pierpont Morgan o un Mendelssohn para su dirección", gibt er (ebd.: 739) sich augenscheinlich konzessionsbereit, „valiera más que nos cuidásemos nosotros mismos de elegir con todo cuidado las personas que van a manejar nuestros dineros". Doch diese ,Konzessionsbereitschaft', hier am Beispiel von Mendelssohn, ist offenkundig nicht ernst gemeint, da sie seiner Geldtheorie diametral widerspricht. Denn der „carácter materialista del judío", schreibt er (ebd.: 676) an anderer Stelle, „hizo que prevaleciera durante largo tiempo un concepto de la riqueza que yo he llamado el cínico o canalla, porque no piensa en el dinero en términos de poder, sino en capacidades de placer". Ob dieses „typisch kanaillenhafte" Konzept der

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Juden im Umgang mit Geld noch immer gilt - diese Frage läßt Maeztu zwar unbeantwortet. Keinen Zweifel läßt er (ebd.: 1097) jedoch daran, daß die Juden noch immer eine große Gefahr darstellen, sogar mehr als je zuvor: „La misma diáspora [...] ahora pone en sus manos la banca y el comercio internacionales". In diesem Gefahrenszenario einer jüdischen Weltverschwörung ist Spanien womöglich einer der nächsten Dominosteine: „No me sorprenderá", läßt er seinen Visionen freien Lauf (ebd.: 779), „que sea cierto lo que se dice de altos personajes al servicio de la banca judía que actualmente parece tener declarada la guerra a la peseta." Vor diesem allgemeinen (Verschwörungs-)Hintergrund erscheinen auch die wenigen Äußerungen Maeztus, die von weniger plumpen Stereotypen geprägt sind und hier und da sogar eine gewisse Sympathie für die Juden suggerieren, in einem anderen Licht. Etwa in einem Artikel über „La nueva Israel" (1947: 123 ff.), in dem sein Autor die Hoffnungen der zionistischen Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg zu teilen scheint: „Palestina será para los judíos. Israel volverá a existir. La Judea resucitará como nación, y sus hijos, al cabo de cerca de 2 000 años de destierro, tendrán ocasión de volver a asentarse en su suelo de origen". Doch selbst dort, wo sich Maeztu als vermeintlicher Freund eines zukünftigen Israel geriert, reproduziert er gängige Judenklischees, hier vor allem das verstaubte Trugbild des vaterlandslosen Gesellen, dessen höchst zweifelhafte Loyalitäten es allemal ratsam erscheinen ließen, ihn schnellstens loszuwerden. Denn die Juden, behauptet er, wären mit den sonstigen Bürgern der Länder, in denen sie leben, nicht zu vergleichen, auch nicht mit den sonstigen Ausländern. Denn letztere seien klar als solche zu erkennen; und wenn sie sich einbürgerten, dann verpflichteten sie sich, die Bürgerpflichten zu erfüllen, was sie wohl um so leichter täten, als sie mit dem Land, dessen Nationalität sie annähmen, auch sympathisierten. Nicht so die Juden: „Los judíos, en cambio, son ciudadanos en cuanto a la ley, pero extranjeros - la mayoría de ellos - en cuanto al espíritu." Die zionistische Bewegung, „los mejores israelitas", werde dieses Problem, „esta doble nacionalidad", wahrscheinlich lösen, zum Nutzen beider, der Juden und der Nichtjuden. Zu den wenigen Äußerungen, die sich, wenn auch mit starken Kautelen, als Verteidigungsrede für einen Juden verstehen lassen, zählen darüber hinaus einige Artikel zur Dreyfus-Affare: „Si en torno de Dreyfus nos apiñamos los intelectuales del mundo entero", hatte er (1977: 129 ff.) in jungen Jahren geschrieben, „si el pleito de ese hebreo ha suscitado un ansia omnipotente de luz y de verdad, es tan sólo porque contra él se esgrime la vieja alianza, absurdo de absurdos,

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contradicción de contradicciones; la vieja alianza de la Espada y la Cruz: la Cruz de la Espada, la Espada de la Cruz." Gegen diese unheilige Allianz war damals auch Maeztu publizistisch zu Felde gezogen: Es gebe zwei Frankreich, eines, das die Welt kenne und das durch Zola, Anatole France und Mirabeau verkörpert werde, „y otro anónima, de militares derrotados, jesuítas enriquecidos, agitadores iliteratos, mujeres de vientre estéril, campesinos rapaces y obreros borrachos". Doch die Äußerungen, so kämpferisch sie sich auch gerieren, sollten sich schon bald als pseudoradikales Strohfeuer eines erhitzten Jugendgemütes erweisen, von dem sich der Autor, zusammen mit seinen sonstigen Jugendsünden, in reiferen Jahren lossagte: „Allá en 1898 padecía yo un ataque de progresismo excacerbado por las desgracias de mi patria", lautet das mea culpa (1962: 65), „que me hizo decir cosas de las que luego tuve que arrepentirme." Deshalb überrascht es nicht, daß Maeztu keine Verteidigungsreden mehr schrieb, als in den 30er Jahren die deutschen Juden zur Zielscheibe antisemitischer Umtriebe wurden. Er behauptet zwar (1962: 310), „la obra de Hitler" niemals gelobt zu haben, ohne dabei aber den Rassismus seiner Regierung zu verurteilen. Doch auch den, fügt er hinzu, habe er niemals ernst genommen, „porque no le creo esencial al nacionalsocialismo! Como que no me parece sino un pretexto para destruir la influencia espiritual de los judíos, que creo más dañina para Alemania que su inmenso poder económico!" In seinen Äußerungen über die spanischen Juden hat Maeztu das Klischee des reichen Juden bis zum Exzeß reproduziert. Am dichtesten sind diese Äußerungen in seinem Essay über La Celestina aus dem Jahre 1926. Im Unterschied zu seinen Kampfparolen „Contra moros y judíos", die er in der Defensa de la Hispanidad ausgibt, sind diese Äußerungen noch vergleichsweise moderat, etwa mit Blick (1981: 117 f.) auf die Liebesvorstellungen des Buches: „Los amantes de La Celestina no son cristianos, en cuanto que no se juzgan a si mismos en el tribunal de la conciencia." Der jüdische, besser: Converso-Anteil an diesem Konzept ist für Maeztu zunächst jedoch kein Grund, das Buch als „el genio de mal" zu verteufeln, wie Menéndez y Pelayo (ebd.: 127) das in der Tat recht unchristliche Liebesverhältnis von Calisto und Melibea bezeichnet hatte. Er nimmt die Titelhelden gegen die Angriffe des Santandiner Moralapostels sogar in Schutz, wenn er (ebd.: 135) in der Kupplerin - „un ministro del placer" - eigentlich nur die conditio humana am Werke sieht: „por labios de la heroína de Rojas está hablando la naturaleza misma, de la que Celestina no es sino uno de los aspectos, el más universalmente difundido". Die Verteidigung des literarischen Meisterwerkes, das auch Maeztu als eben

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solches empfindet, schließt auch dessen Autor, „que fué un judío converso" (ebd.: 140), mit ein, wenn er (ebd.: 141) ihn als eine Art Opfer der Zeitumstände beschreibt: „Rojas se propuso con su Tragicomedia [...] descargarse el pecho, pero cuidándose de evitar al mismo tiempo que se llegase a comprenderle". Der Autor dieser Zeilen spricht (ebd.: 143) sogar von „el fanatismo religioso de la reina Isabel", die das Ausweisungsedikt unterschrieben und die spanischen Juden dadurch erst in jene „Kalamität" gestürzt habe, die sich in der Celestina Luft verschaffe: „,Yo abandoné el regazo de Israel'", versetzt sich Maeztu (ebd.: 141) in dessen Aporien, „,porque me fué imposible seguir creyendo que la providencia nos destine una misión aleccionadora y redentora de los demás pueblos. Tampoco creo que la riqueza sea el resultado de la observación estricta de la ley, ni que la pasión del amor sea tan criminal como me habían enseñado'." Am Ende dieser Überlegungen steht freilich die Frage: „Pero ¿es eso realmente lo que nos dice La Celestina?" Der rhetorische Charakter dieser Frage wird sehr schnell offenbar, wenn Maeztu den Anschein eines differenzierten Argumentationsduktus nunmehr vermeidet und das literarische Werk nebst seinem Autor im .historischen Kontext' diskutiert. Und letzterer wird, was die Juden betrifft, nach Meinung Maeztus (ebd.: 142 ff.) vor allem durch Geld bestimmt: „Los judíos españoles", behauptet er, „son los más ricos y también los que dedican más tiempo al estudio de la ley." Dabei gehe das eine aus dem anderen gleichsam natürlich hervor: „El rabinismo no es tan sólo glorificación de la riqueza", bringt er das religionsmaterialistische Junktim auf eine knappe Formel, „sino también escuela excelente para aprender a adquirirla". Denn im Judentum gebe es „una asociación tan íntima entre la devoción, el saber y la riqueza, como no se encuentra en ninguna otra religión". Ihre privilegierte Stellung in der spätmittelalterlichen Gesellschaft, die sich aus dieser Symbiose von Reichtum und Gelehrsamkeit ergebe, habe die Juden deshalb zu einer Gefahr gemacht: „En el siglo XV habían estado tan ocupados los cristianos en combatirse mutuamente, que los judíos habían recuperado parcialmente su poderío e influencia. Las Cortes de Castilla no menudeaban ya sus quejas contra la usura de los israelitas." Da sie sich obendrein als „una aristocracia entre todos los judíos del mundo" und als „el pueblo elegido" betrachtet hätten, wäre es nur logisch gewesen, suggeriert Maeztu, daß die Königin das Ausweisungsedikt unterschrieben habe: „En esta atmósfera espiritual se crió don Fernando de Rojas, autor de La Celestina." Hier liegt denn auch der eigentliche Kern der scheinbar differenzierten und mit zahlreichen Lobesreden auf den literarischen Wert des Buches gespickten

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Argumentationskette - ein Kern, der letzten Endes durch und durch antisemitisch ist: „Rojas ha venerado toda la vida", überträgt er (ebd.: 150) dieses Credo nunmehr auch ganz explizit auf das Buch und seinen Autor, „la riqueza, como premio que concede la Providencia a los que bien le sirven. Celestina es rica y se sigue enriqueciendo cada día, pero sus bienes son la paga del diablo." Und diese Lebensphilosophie, die jüdische „indulgencia para la codicia", meint Maeztu (ebd.: 145) zu wissen, sei auch die Grundbotschaft des Buches: „el amor y la codicia, que mueven los personajes de La Celestina". Das vermeintliche Mitgefühl (ebd.: 137) Maeztus für den „espíritu torturado por el problema religioso", das er am Anfang formuliert, erscheint nun in einem anderen Licht: Der „skeptische Geist" dieses „bitteren und profunden Werkes" sei zwar verständlich und vielleicht auch zu bedauern, aber letztlich doch nur Ausdruck einer historischen Notwendigkeit, die in „antagónicos principios morales" (ebd.: 145) der beiden Religionen wurzele. In diesem historischen rien ne va plus, das zwar hart, aber doch gerecht gewesen sei, liege denn auch das Hauptmotiv für die Weltschmerzstimmung des Buches - ein durchaus bewußter und deshalb so bitterer Abgesang auf die privilegierte Stellung der spanischen Juden und ihre gescheiterte Lebensphilosophie: „El hecho es", lautet Maeztus (ebd.: 151) Resümee, „que el tipo de la Celestina envuelve en sí mismo el desmoronamiento del ideal rabínico." Das Sündenregister der spanischen Juden, so wie Maeztu es konstruiert, ist mit ihrer gerechten' Vertreibung indes noch nicht erschöpft. Er empfindet es nicht nur als „sonderbar" (ebd.: 143), daß die Mehrheit von ihnen außer Landes ging, statt die Konversionsofferte zu akzeptieren; er hält denen, die blieben, ohne einen Anflug von Verständnis außerdem vor, keine überzeugten Christen gewesen zu sein: „[Se] quedaron los muchos miles que adoptaron el cristianismo en público, pero siguieron practicando sus ritos en secreto y manteniendo su fe, en la expectativa de tiempos mejores". Damit erwiesen sie sich nicht nur als äußerst unsichere Kantonisten in religiösen Fragen, sondern zugleich als Fünfte Kolonne an der Glaubensfront (ebd.: 154): „a veces he sentido la tentación de [...] suponer que la incredulidad de buena parte del pueblo español se debe a la acción corrosiva de las masas de judíos y moriscos que, bautizados a la fuerza, perdieron su religión originaria, sin adquirir tampoco la cristiana, con lo que se convirtieron en [...] eficaces misioneros de la incredulidad." Die Convivencia ais Keimzelle einer religiösen Infektion, der vor allem die Christen zum Opfer fielen - diese Theorie, die später vor allem Américo Castro vertrat, ist hier bereits vorweggenommen.

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Was sich, in dem Essay über La Celestina, noch relativ moderat geriert, eskaliert in der Defensa de la Hispanidad

zur uneingeschränkten Verteidigung der ka-

tholischen Monarchie und ihrer fanatischen Glaubenskrieger. Halbwegs differenzierte Zwischentöne, wie der zitierte Hinweis auf „el fanatismo religioso de la reina Isabel" oder auf die Tatsache, daß die meisten Juden „a la fuerza" getauft wurden, sucht man hier vergebens. Das zumindest in Teilen bedauerliche, wenn auch unvermeidliche Fait accompli der Geschichte im Celestina-Essay jetzt (1941: 210) zum gefeierten Gründungsakt der Hispanidad.

avanciert

„El carácter es-

pañol se ha formado en lucha multisecular contra los moros y contra los judíos." Weit davon entfernt, die Geschichte nur zu beschreiben,

bringt dieser Satz das

Basiscredo seines Autors auf den Punkt: Der spanische Katholizismus als Werkzeug Gottes im Kampf gegen Irrglauben und Häresie. Und zu diesem Kampf, suggeriert Maeztu, gab es, was Juden und Conversos betraf, nicht die geringste Alternative. Denn (ebd.: 212) „un judío sigue siendo judío cuand abjura de su fe. Por ello precisamente nos [sie] obligaron a establecer la Inquisición." Gleiches gelte für die Kontrolle der „limpieza de sangre" (ebd.: 91), die nichts mit „orgullo de raza" zu tun gehabt, sondern nur dem Wunsch entsprochen habe, „de asegurar en lo posible la fidelidad del servicio mediante la pureza de la fe, en vista del gran número de conversos insinceros que había." Deren Umtriebe, die er in dem Celestina-Essay

nur als Gefahr empfand, stilisiert er (ebd.: 198) nun zum potentiellen

Staatskomplott: „Había en 1492 unos 200 000 judíos practicantes y unos tres millones de judíos conversos [...], algunos sinceros, la mayoría no, dirigidos por hombres poderosos que acariciaban el pensamiento de alzarse con España por Israel, y muy capaces, por sus talentos y sus medios de acción, de llevarlo a la práctica". Da gab es keine Wahl, so der Autor dieser Geschichtsfiktionen, zumal sich „das Volk" gegen die Juden erhoben hätte, „contra su usura y su soberbia". Kein Wort von den fanatischen Bettelmönchen, deren Hetzparolen ,das Volk' aufstachelten. Kein Wort von christlichem Antijudaismus, aus dessen ideologischen Arsenal diese Propagandisten des Judenhasses ihre Legitimation bezogen. Dafür um so mehr platteste Antisemitismusklischees: „los judíos [...] son el pueblo más exclusivista de la tierra", heißt es (ebd.: 212) zum Beispiel. Denn die Hauptsorge der jüdischen Religion bestehe darin, „la pureza de la raza" zu erhalten. Daß sie eine ebensolche seien, hält Maeztu für ausgemacht: „Son una raza." Sie seien sogar „la raza más pura del mundo", weil sie sorgsam darauf achteten, sich nicht mit anderen Rassen zu vermischen und das „desde los tiempos de Esdras". Im Unterschied zu vielen anderen Antisemiten seiner Zeit und seiner Generation ist Maeztus Bild der spanischen Juden - ich wiederhole es - somit zu-

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mindest konsequent: Die Dichotomie zwischen Sepharden und Aschkenasen sucht man ebenso vergebens wie die zwischen den Repräsentanten einer glorreichen Kultur und einer religiösen Irrlehre. Für Maeztu (ebd.: 169) handelt es sich bei beiden um Vertreter von „razas extrañas", die mit den „esencias de nuestra civilización" unvereinbar sind. Dazu rechnet er auch, wie die Kapitelüberschrift „Contra moros y judíos" (ebd.: 209) illustriert, Mauren und Morisken. Das war indes nicht immer so. In früheren Jahren, bevor Maeztu (1981: 154) „la acción corrosiva de las masas de judíos y moriscos" gleichermaßen ins Visier nahm und sich in rassistischen Tiraden erging, hatte er (1947: 57) beim Betreten der Alhambra sogar „la máxima emoción" empfunden. In romantischer Manier, die an Washington Irvings enthusiastische Maurophilie erinnert, hatte er sein Mitgefühl ob der vertriebenen Alhambra-Bewohner artikuliert und sich, wie es scheint, sogar eine prophetische Inschrift im „Patio de los Arrayanes" - .„Entonces volverá a la Alhambra el estandarte de la Media Luna [...]"' - zu eigen gemacht. Anfang des Jahrhunderts, zwanzig Jahre vor den obigen Hochgefühlen im Angesicht des maurischen Prachtbaus in Granada, hatte er (1977: 258) bereits, wenn auch eher nebenbei, die Schüler der Institución Libre de

Enseñanza

dafür gelobt, daß sie die ersten gewesen seien, „en enmendar el error de nuestros antepasados al destruir las casas de baños fundadas por los árabes". Neben vereinzelten Elogen auf die maurische Kultur, noch ganz im Sinne der romantischen Verklärung, hat sich Maeztu aber auch differenzierter mit dem Maurenthema beschäftigt, allerdings, wie so häufig, von politischen Gegenwartsinteressen geleitet. Unter der Überschrift „Ignorancia y silencio" hält er (1947: 75 ff.), vermutlich in den 20er Jahren, seinen Landsleuten vor: „No sabíamos nada de los moros, y ésta es la razón de lo mucho que nos cuestan." Nach über dreihundert Jahren, moniert Maeztu, wüßten die, die es zuallererst wissen müßten, nämlich die Militärs, fast nichts über das, was „en el misterioso campo moro" vor sich gehe: „cuando comenzaron las operaciones en Marruecos, no sabíamos apenas nada de los moros." Maeztu ist davon überzeugt, daß bessere Informationen, zusammen mit sozialen Maßnahmen, das spanische „Protektorat" weitaus besser sichern als „abandonismo, de una parte, guerra de desquite o de conquista, de la otra". Es sind jedoch nicht nur militärstrategische Interessen, die Maeztu im Auge hatte: Das Wissen über die Mauren, so seine Hauptüberlegung, diente vor allem der nationalen Seelenkunde: „me parece imposible que lleguemos a conocernos a nosotros mismos en tanto que desconozcamos a los moros." Eine genauere Be-

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Stimmung der „elementos de nuestra psicología, preferencias y costumbres que de ellos adquirimos", sei um so dringlicher, als sich nur so „nuestros defectos" korrigieren ließen. Zu diesen Defekten, und es sind ausschließlich ebensolche, die Maeztu erwähnt, rechnet er vor allem „el carácter militante" des spanischen Katholizismus. Und der habe vermutlich eine doppelte Wurzel: Zum einen „una guerra de ocho siglos" gegen die Mauren, zum anderen den „carácter tan marcadamente militante" des Islams, der sich auf die Christen übertragen habe. Deshalb, so die wiederholte Mahnung, „había que difundir lo bastante el conocimiento de lo que fué la dominación árabe en España". Doch genau daran, nämlich an historischen und zeitgenössischen Studien zum Thema, hapere es in Spanien noch immer: „no hemos tenido suerte con nuestros arabistas." Diese Scharte wetzte Maeztu nun selber aus - auf die ihm eigene Weise. Etwa im Rahmen seiner Geldtheorie: „En el Rif es frecuente", intoniert er (1974: 762) bereits Mitte der 20er Jahre einen seiner rassistischen Ausfälle, „machacar la boca con una piedra a un prisionero para arrancarle un diente de oro. En la Arabia se puede calcular que una cuarta parte de la población se dedica al saqueo. Es mera ignorancia suponer que los orientales son más pobres que los occidentales porque son menos codiciosos. Son más codiciosos. Su codicia carece de escrúpulos. Y por eso son pobres." Acht Jahre später, in der Defensa de la Hispanidad,

liefert Maeztu (1941: 198) dafür auch eine histo-

rische Begründung': „Los árabes, a pesar de sus grandes poetas y místicos, fueron unos salvajes que nunca tuvieron más civilización que la de los pueblos dominados por ellos: sirios, egipicos, persas y españoles [sie]. Su crueldad fué siempre tan notoria como la relajación de sus costumbres. Y en el siglo XV, cuando los echamos de Granada, nos eran tan extraños e incompatibles con nuestros sentimientos europeos como ocho siglos antes, al entrar en España."

7. ,Linker' casticismo, christlich motivierte Judenaversionen und verhaltene Maurophilie: Antonio Machado Ramiro de Maeztu - Antonio Machado (1875-1939): Die politischen Gegensätze könnten größer kaum sein. Der eine intellektueller Paladin des Faschismus, der andere couragierter Streiter für die Republik, deren gewaltsames Ende mit seinem eigenen Tod zusammenfallt. Sind die Unterschiede auf dem Gebiet, das hier im Mittelpunkt steht, genauso groß? „A pesar de la admiración que rodea a la figura de Antonio Machado, su obra - especialmente la prosa", schreibt

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Aurora de Albornoz (1976: 7) im Vorwort seiner vierbändigen Prosaanthologie, „es poco y mal conocida en nuestro país". Heute, zweieinhalb Jahrzehnte später, ist diese Bilanz zwar sicher nicht mehr gültig. Der traditionalistische Zungenschlag, den das gesamte Werk des antifrankistischen Schriftstellers par excellence durchzieht, und sein offener Antisemitismus dürften allerdings noch immer viele zeitgenössische Leser überraschen. Seine Zwei-Spanien-Theorie der berühmten Verse: „Espafiolito que vienes / al mundo te guarde Dios. / Una de las dos Espaftas / ha de helarte el corazón", diese Theorie wird dadurch zwar nicht völlig falsch, bedarf aber doch, was ihre historischen Prämissen betrifft, einer kritischen Relativierung: Machado spricht zwar nirgendwo expressis verbis von der jüdischen Dimension der spanischen Geschichte; sein traditionalistisches Geschichtsbild und sein christlich, in Teilen ,erotisch' motivierter Antijudaismus lassen jedoch die begründete Vermutung zu, daß er ihr nichts Gutes abgewinnen mochte. Etwas anders ist sein Verhältnis zu den Mauren: Während die jüdische „Schlacke", wie er meinte, das Christentum infizierte, kann er sich mit den maurischen ,Fremden', dem - zumindest unter religiösen Aspekten -

,ganz

Anderen', eher identifizieren, wenn auch reichlich romantisch verklärt. Zu den beiden Haupttriebfedern seiner Aversionen gegen die Juden - sein Geschichtsund Religionsverständnis, darf man vermutlich auch eine gehörige Portion gekränkter nationaler Eitelkeit rechnen, der das folgende Credo (1976: 117) geschuldet ist: „nadie más amante que yo ni más convencido de las virtudes de nuestra raza", schrieb er in Juan de Mairena, warnte aber zugleich: „Entre ellas debemos contar la de ser muy severos para juzgarnos a nosotros mismo, y bastante indulgentes para juzgar a nuestros vecinos. Hay que ser español, en efecto, para decir las cosas que se dicen contra España." Dieser Devise einer kritischen Selbstbetrachtung hat Machado, was sein historisches Spanienbild betrifft, leider nur sehr unzureichend entsprochen. In Las Adelfas, einem Theaterstück von 1928, das er zusammen mit seinem Bruder Manuel geschrieben hat, klingt an, daß Machado Religion und Geschichte als Einheit sah (1978: 603), und das durchaus affirmativ: „Creo, afirmo. La España temerosa de Dios fue grande en tierra y mar, respetada y temida." Plädierte Machado damit tatsächlich für eine nationalkatholische Interpretation der spanischen Geschichte? Seine Äußerungen zur Vergangenheit, unter Einschluß der eben zitierten, sind zumindest reichlich widersprüchlich und lassen, nicht zuletzt durch ihre Terminologie, den Verdacht aufkommen, daß er einige Pfeiler der reaktionären Hispanidad Poemas

durchaus akzeptierte. Zum Beispiel in den

Varios (1978: 181) über „Epica Española" (mit dem Untertitel: „Los

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Conquistadores"): „Y el poema es su nombre. Todavía / decir Cortés, Pizarro y Alvarado / contiene más grandeza y más poesía / de cuanta en este mundo se ha rimado." Die historischen Ruhmestaten in Übersee, die Machado ohne Einschränkung

jede

als ebensolche empfindet, haben ihre Wurzeln in Kastilien, dem

geographisch-kulturellen Herzstück der Hispanidad, das der Dichter in Campos de Castilla (ebd.: 752) immer wieder besingt: „¡Castilla varonil, adusta tierra; / Castilla del desdén contra la suerte, / Castilla del dolor y de la guerra, / tierra inmortal, Castilla de la muerte!" Es sind vor allem die kriegerischen ,Meriten' Kastiliens („Castilla, que hizo España"), die Machado heraushebt - unverkennbar affirmativ: „Soria, mística y guerrera" (ebd.: 771); „La hermosa tierra de España, / adusta, fina y guerrera" (ebd.: 779); „Castilla, mística y guerrera" (ebd.: 807). Und selbst dort (ebd.: 828 f.), wo er, wie in „El Mañana Efímero", von dem „anderen Spanien" spricht, „la España del cincel y de la maza", sieht er dieses Spanien der Zukunft tief in der Vergangenheit verwurzelt, nämlich „[en el] pasado macizo de la raza." Diese Vergangenheit, „las viejas espadas de tiempos gloriosos" (ebd.: 1010), ist zwar längst passé, „guarda el gusano escondido" (ebd.: 678), das ändert aber nichts an ihrem historischen Glanz: „¡Es el ayer; cuan bello era!" Der triumphalistische Ton dieser Gedichte, der mit der pompösen Vergangenheitsrhetorik konservativer Spanien-Ideologen durchaus vergleichbar ist, verwundert bei einem Autor, der sich durchaus in politischen Zeitfragen „a la altura de los circunstancias" befand. Daß die zitierten Hymnen auf die als glorreich empfundene Nationalgeschichte mehr waren als bloße Dekorationsvokabeln, zeigt die Tatsache, daß Machado die Kehrseite der vermeintlichen Glanzepoche, etwa den totalitären Gottesstaat, mit keinem Wort erwähnt. Statt dessen erteilt er der spanischen Geschichte auch ganz explizit eine Generalabsolution. Es könne sein, schreibt er (1976:1/118), daß diejenigen, die glaubten, Spanien sei „como casi todas las naciones de Europa, una entidad esencialmente batallona", sogar „gute Patrioten" seien, selbst wenn sie obendrein die Ansicht verträten, daß der „Nationalstolz" mehr oder weniger künstlich erzeugt worden sei: „Pero pensar así", erteilt er all jenen, die so denken, eine entschiedene Absage, „es profundamente antiespañol. España no ha peleado nunca por orgullo nacional ni por orgullo de raza, sino por orgullo humano o por amor de Dios, que viene a ser lo mismo." Kein Wort über die Scheiterhaufen der Inquisition, deren Flammen aus „Liebe zu Gott" entzündet wurden! Statt dessen verharmlost er (1978: 1/105 f.) den Terror des Grünen Kreuzes, wenn er ihn - ernstgemeint? mit der „weiblichen Mentalität" Spaniens in Verbindung bringt: „La Inquisición

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pudo muy bien ser cosa de señoras y las guerras civiles un levantamiento del campo azuzado por las señoras." Der absurde Charakter dieser ,Mentalitätsgeschichte', deren Träger die spanischen Frauen seien - „puesto que nadie protesta de la afirmación de las señoras"

wirkt auch dadurch nicht weniger de-

plaziert, daß ihr Autor bekennt: „Comprendo que esto es una interpretación caprichosa de la historia". Sicher, Machado hat sich auch kritischer zur spanischen Geschichte geäußert. Den Elogen auf „la totalidad de nuestra gloriosa España" (1978: 1103) stehen besonnene Äußerungen gegenüber, die ,,[e]se culto a los muertos", hier (ebd.: 117) ist von Felipe II. die Rede, hart kritisieren: „me repugna". Ein kritischer Umgang mit der Geschichte, schreibt er (ebd.: 1098) in Juan de Mairena, erfordere sogar „un poco de rebeldía contra el pasado". Noch schärfer hatte er 1908 (1976: 86 f.) „[el] culto supersticioso del pasado" attackiert: „Sabemos que la patria no es una finca heredada de nuestros abuelos [...]. Sabemos que no es patria el suelo que se pisa, sino el suelo que se labra". Doch auch diese nüchternen „patria"-Definitionen, so richtig sie sind, enthalten keine kritische Revision der Geschichte. Wie sollten sie auch? Schließlich empfand der Autor obiger Zeilen, zehn Jahre nach dem Desaster, immer noch Trauer über „una nube negra que se nos vela el épico sol de otros días". Was dem Warner vor einem abergläubischen Vergangenheitskult die Feder führte, ist also nur die realistische Einsicht, daß die Vergangenheit unwiederbringlich vorbei ist. Nichts anderes meint sein Hinweis (1978: 1012) an die Adresse der Traditionalisten, die man daran erinnern müsse: „Que si la Historia es, como el tiempo, irreversible, no hay manera de restaurar lo pasado." Doch selbst diese Einsicht dürfte Machado schwergefallen sein, schließlich hatte er (ebd.: 908) die Hoffnung auf eine Wiederkehr der glorreichen Geschichte zumindest zeitweise selber gehegt: „Bueno es recordar / las palabras viejas / que han de volver a sonar." War damit auch der spanische Katholizismus gemeint, der, wie das obige Zitat glauben machen soll, stets „por el amor de Dios" geleitet gewesen wäre? In einem der berühmtesten Verse aus Campos de Castilla (1978: 745 f.) klingt ein kritisch-nachdenklicher Ton an: „Castilla miserable, ayer dominadora, / envuelta en su andrajos, desprecia cuanto ignora. / ¿Espera, duerme o sueña? ¿La sangre derramada / recuerda, cuando tuvo la fiebre de la espada? / Todo se mueve, fluye, discurre, corre o gira; / cambian la mar y el monte y el ojo que los mira. / ¿Pasó? Sobre sus campos aun el fantasma yerra / de un pueblo que ponía a Dios sobre la guerra." Man darf zwar bezweifeln, wie die letzten Zeilen suggerieren, daß Gott höher stand als der Krieg, schließlich wurde letzterer häufig

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im Namen Gottes geführt. Dennoch zeigen diese Verse die Schwierigkeiten, die Machado mit J a fiebre de la espada" in Gottes Namen hatte. Relativieren sie auch die Behauptung, das spanische Volk hätte „nur aus Liebe zu Gott" gekämpft? Eine klare Antwort fällt schwer. Denn eindeutig kirchenkritisch hat sich Machado nur in bezug auf die Gegenwart geäußert, etwa in einem Brief an Unamuno von 1913 (1976: 106 f.), in dem er sich über „el lazo de hierro de la Iglesia católica" beklagt, „que nos afixia". Im Gegensatz zu den reaktionären Adepten des Katholizismus, die, wie etwa Ramiro de Maeztu, in Menéndez Pelayo einen intellektuellen Leuchtturm der katholischen Essenzen Spaniens bejubelten, geht Machado zu dem Ideologen des „martillo de herejes" auf Distanz: „Pronto tendremos otro pozo de ciencia", schreibt er an Unamuno (ebd.: 107) „donde acudan a llenar sus cubos los defensores de la España católica. Con la muerte de Menéndez Pelayo se quedaron en seco." Über die „amantes de sagradas tradiciones" goß er auch in Campos de Castilla (1978: 828) seinen Spott aus: „florecerán las barbas apostólicas, / y otras calvas en otras calaveras / brillarán, venerables y católicas." Kein Zweifel: Machado empfand die klerikalen Hypotheken seines Landes als erdrückend und anachronistisch, zumindest mit Blick auf die Gegenwart. Daraus zieht er in seinem Brief an Unamuno den Schluß: „La cuestión central es la religión y ésa es la que tenemos que plantear de una vez." Damit meint er allerdings nicht nur die drückende Last der klerikalen Strukturen - sein Hauptinteresse gilt den religiösen Gefühlen des Volkes. Denn: „Esta Iglesia espiritualmente huera, pero de organización formidable, sólo puede ceder al embate de un impulso relamente religioso. El clericalismo español sólo puede indignar seriamente al que tenga un fondo cristiano." Und über den - den christlichen Urgrund Spaniens - macht sich Machado weitaus weniger Sorgen als um die anachronistischen Strukturen seiner institutionellen Formen. Denn dieser Urgrund, so seine Überzeugung, sei im Kern gesund. Das illustriere zum Beispiel (1978: 292) die Semana

Santa in Sevilla:

„¿Cómo es Sevilla en Semana Santa? Alguien ha querido ver un sentido pagano en el fervor de Sevilla por sus imágenes santas." Doch diese Interpretation sei völlig falsch: „Los paganos desconocieron el amor tal como lo hemos entendido y sentido, hasta en sus deliquios y delirios, los cristianos. El amor es cristiano, y Sevilla toda en estos días es amor." Auch hier kein Wort über die Konsequenzen der christlichen Delirien für jene, die nicht an den Gottessohn glaubten. Dafür enthusiastische Lobgesänge (1976: 163) auf „el clima fraterno que trajo el Cristo al mundo" und auf „¡El amor como milagro de Cristo!" Sicher, auch hier, was

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Jesus Christus betrifft, hat Machado prosaischere Porträts verfaßt, die (1978: 818) einen Unterschied machen zwischen „Jesús de la agonía, / [...] la fe de mis mayores!" und dem Christusbild, dem er den Vorzug gab: „¡Oh, no eres tú mi cantar! / ¡No puedo cantar, ni quiero, / a ese Jesús de madero, / sino al que anduvo en el mar!" Dennoch ist seine Interpretation des Christentums überaus einseitig und angesichts der Greuel, die in seinem Namen begangen wurden, nachgerade bukolisch, und das auch im Falle seiner spanischen Variante, wie seine Ansichten (ebd.: 1217 f.) über die religiösen Dramen des Goldenen Zeitalters zeigen. Dieses Genre, „religioso a la española, católico a marcha martillo", sei wahrscheinlich „la creación más representativa de nuestro teatro nacional". Auf diese Anmerkung, die man als Beschreibung einer historischen Tatsache verstehen könnte, folgt die Frage, warum dieses Genre, „tan profundamente español", keine Nachahmer mehr finde und auch nicht mehr auf die Bühne gebracht werde: „¿Será porque hemos perdido, o vamos perdiendo, nuestra españolidad? ¿Será porque, aun conservándola, no gustamos de verla reflejada en escena? Esto equivaldría a haber perdido nuestro teatro." Der suggestive Ton der Frage läßt bereits erahnen, wie ihre Antwort ausfallt: Zumindest im Falle von Tirso de Molinas El condenado por desconfiado sei unbestreitbar, daß dieses Stück „[el] sentimiento religioso, vivo en el alma de su pueblo", auf eine quasi zeitlose Weise artikuliere. Denn dieses „drama religioso a la española no puede haber perdido actualidad. No se extingue ni cambia de orientación en cuatro siglos el sentir religioso de un pueblo." Diese Sicht der Dinge, sie datiert von 1924, läßt wohl keinen Zweifel zu: Das klerikale Klima, das der Autor in der Gegenwart als erstickend empfindet - in der Vergangenheit entsprach es der Seele des Volkes! Deshalb darf man mit einigem Recht die Vermutung wagen, daß die religiöse Toleranz, für die Machado (1976: 194) in den folgenden Sentenzen wirbt, nicht sonderlich ernstzunehmen ist: „Las religiones históricas habla Mairena a sus alumnos - , que se dicen reveladas, nada tendrían que temer de nuestra Escuela de Sabiduría; porque nosotros no combatiríamos ninguna creencia, sino que nos limitaríamos a buscar las nuestras. Nosotros sólo combatimos, y no siempre de un modo directo, las creencias falsas, es decir, las incredulidades que se disfrazan de creencias." Und dazu zählte er augenscheinlich auch das jüdische Credo. 33 33

Über den Protestantismus hat sich Machado (1976: 143) dagegen eher positiv geäußert: „'Yo creo que nuestros místicos españoles del siglo XVI preludiaron una verdadera reforma española indígena y propia, que fue ahogada en germen luego por la Inquisición.'" Diese Ansicht Unamunos kommentiert Machado ais „muy atinado".

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Vor dem skizzierten Hintergrund von Machados apologetischer Vision der Geschichte und seines dogmatischen Christentums, zwei zentrale Facetten seines Denkens, die sich, wie einige Zitate über die historische Einheit von Religion und Glorie illustrieren, häufig ergänzen, vor diesem Hintergrund ist es nicht allzu verwunderlich, daß sich Machado auch explizit judenfeindlich gerierte. Dabei spricht er, wie angedeutet, nie über die Sepharden: Sein Groll gilt den Juden schlechthin. Seine Hauptaversion gegen die Juden ist religiös motiviert: Blind gegenüber der göttlichen Herkunft von Jesus Christus, wurden sie nicht nur zu Opfern ihrer Ignoranz, sondern auch zu Gottesmördern. Die Art und Weise, nicht zuletzt die Terminologie, mit der Machado das jüdische dem christlichen Credo gegenüberstellt, ist nachgerade erschreckend: „El Cristo, en efecto, se rebela contra la ley del Dios de Israel", verkündet er (1978: 1054) durch den Mund seines apokryphen Juan de Mairena, „que es el dios de un pueblo cuya misión es perdurar en el tiempo. Este dios es la virtud genésica divinizada, su ley sólo ordena engendrar y conservar la prole. En nombre de este dios de proletarios fue crucificado Jesús, un hijo de nadie, en el sentido judaico". Gegen ihn, den Sohn Gottes, erheben sich nun „con ira proletaria los hijos de Israel contra el Hijo de Dios, el hermano del Hombre." Der ganze Umfang der Botschaft von Jesus Christus werde jedoch erst dann offenbar, so Machado, „si eliminamos de los Evangelios cuanto en ellos se contiene de escoria mosaica". Sprachlos macht nicht nur die über jeden Zweifel erhabene Wahrheitsdogmatik dieser Zeilen, sprachlos macht auch das Ausmaß der Verachtung, die ihr Autor den Juden entgegenbringt. In Juan de Mairena, pósthumo

hat er (1976: 149) den religiösen

Bannstrahl gegen die Juden in gleicher Manier auf das Alte Testament ausgeweitet: „Otro 34 de los grandes enemigos del Cristo y, por ende, de una filosofía cristiana sería, para nosotros, la biblia, ese cajón de sastre de la sabiduría semítica. Para ver la esencia cristiana en toda su pureza y originalidad", empfiehlt er wortgetreu dieselbe Remedur, „los mismos Evangelios reputamos fuente de error, si antes no se les limpia de toda la escoria mosaica que contienen." Der Glaubenseifer Machados, der das Christentum zur absoluten Wahrheit stilisiert, ist auch die eigentliche Raison d'etre des vehementen Antimarxismus, der seine Schriften durchzieht - auch der scheint letztlich, wie die folgenden Zeilen (1978: 1018) illustrieren, antisemitisch motiviert zu sein: „.Carlos Marx, señores - ya lo decía mi maestro - , fue un judío alemán que interpretó a Hegel 34

Zuerst war von Aristoteles die Rede, N.R.

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de una manera judaica, con su dialéctica materialista y su visión usuraria del futuro. ¡Justicia para el innumerable rebaño de los hombres; el mundo para apacentarlo! Con Marx, señores, la Europa, apenas cristianizada, retrocede al Viejo Testamento'." Wie es scheint, stört den christlich motivierten Machado das irdische Glücksversprechen des Marxismus, vor allem dessen materielle Dimension, die er umstandslos als jüdisch denunziert. Daß es sich bei dieser eigenwilligen Gleichsetzung von Marxismus und Judentum um keine Laune des Augenblicks handelte, zeigt ein anderer ,Lehrsatz' (ebd.: 1177) Juan de Mairenas: „El marxismo, señores, es una interpretación judaica de la Historia. El marxismo, sin embargo, ahorcará a los banqueros y perseguirá a los judíos. ¿Para despistar?" Die groben Klischees, mit denen Machado die Juden abstempelt, sind - die Beispiele sind dafür illustrativ - nicht nur christlich motivierter Antijudaismus: Das Zerrbild des Wucherers, mit dem er den Marxismus karikiert, gehört zum ideologischen Einmaleins des modernen Antisemitismus. Die typischen Klischeegestalten abstoßender Wucherjuden findet man denn auch in einigen Theaterstücken, die er zusammen mit seinem Bruder Manuel geschrieben hat. In Las Adelfas von 1928 (ebd.: 433) verkörpert der jüdische Bankier Daniel, der darauf versessen ist, das Landhaus einer in Geldnöte geratenen Gräfin zu kaufen, das Jüdische schlechthin, nämlich „la raza de Israel / con todos sus herederos, sus profetas y usureros". Um in den Besitz der begehrten Immobilie zu gelangen, geht er (ebd.: 445) mit ,typisch' jüdischer Raffinesse vor: „De momento / él ha enviado por delante / a su hija Raquel, sabiendo / que es persona grata. No / es nada tonto el banquero." Von ähnlicher Machart sind die Juden in La prima Fernanda. Die gleichnamige Protagonistin des Stücks ist der positive Gegenpol (ebd.: 554) der Juden: „Careces del sentido / reverencial del dinero, prima Fernanda." Mit dieser Charakterisierung ist die Angesprochene völlig einverstanden, weiß sie doch, daß sie sonst wie eine Jüdin wäre: „Esta razón hizo al pueblo / elegido tan fecundo / en profetas y usureros: / primero, ver el futuro; / después, comprarlo." Die thematischen Facetten des plumpen Antisemitismus von Machado sind damit indessen noch lange nicht erschöpft. Aus dem Munde Juan de Mairenas (ebd.: 1177) macht Machado die Ermordeten sogar zu Mördern: „En el fondo, también es judaica la persecución a los judíos. Y no realmente porque ella supone la previa existencia del pueblo deicida, sino porque, además y sobre todo, ¿hay nada más judaico que la ilusión de pertenecer a un rebaño privilegiado' para perdurar en el tiempo? ,¡Aquí no hay más pueblo elegido que el nuestro!' Así habla el espíritu mosaico a través de los siglos."

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Die ideologische Bandbreite von Machados Antisemitismus - „escoria mosaica", „usureros", „pueblo deicida", „pueblo elegido" - weist darüber hinaus eine Facette auf, die zwar auch anderswo zu finden ist, in seinem Œuvre aber besonders überrascht: ein erotisch-sexuell motivierter Groll auf die Juden. Überraschend ist dieses Antisemitismuselement deshalb, weil Machado innerhalb der Erótica

Hispánica

eigentlich eine positive Ausnahme darstellt. 35 Die

Beschreibung seiner apokryphen Figur Abel Martin (ebd.: 947) darf in diesem Sinne als Selbstporträt gelesen werden: „Que fue Abel Martín hombre en extremo erótico lo sabemos por testimonio de cuantos le conocieron, y algo también por su propia lírica, donde abundan expresiones, más o menos hiperbólicas, de un apasionado culto a la mujer." In der Tat lassen die zahlreichen Anspielungen auf die erotischen Reize von Frauen die Annahme zu, daß der Dichter den jahrhundertelang verteufelten Eros rehabilitieren möchte. Nicht sonderlich sympathisch sind ihm (1977: 311) deshalb auch jene

Formen

erotischer .Sublimation', in denen die hispanoarabische Sinnlichkeit ihre Zuflucht suchte: „Abel Martín tiene muy escasa simpatía por el sentido erótico de nuestros místicos, a quienes llama frailecillos ignorantes."

y monjucas

tan inquietos

como

Diese Annahme trifft jedoch nur sehr eingeschränkt zu. Im Ver-

gleich mit dem jüdischen Eros, oder dem, was Machado dafür hält, gibt er zu erkennen, daß er Keuschheit wesentlich höher einstuft. Der Vergleich (ebd.: 1221) mit dem jüdischen Eros fällt deshalb für diesen, man ahnt es bereits, nicht sehr vorteilhaft aus: „Este pueblo apenas conoce otro valor que el genésico. Para el hebreo, la castidad es sólo virtud en cuanto encauza el impulso genésico y asegura la prole. El hebreo repugna la mujer estéril y exalta al patriarca, al semental humano. [...] El amor no rebasa apenas las fronteras de la animalidad". Die pauschale Kritik des jüdischen Eros ist insofern .kohärent', als auch sie auf christlichen Motiven fußt, die mit einer platonischen Brise versehen sind: „El imperativo de la castidad aparece en el Evangelio con una significación completamente distinta. Castidad es ya superación, no aniquilamiento del sentido biológico del amor. Tregua de la sexualidad prolífica que haga posible la honda revelación del amor fraterno y la comunión cordial y el reconocimiento de un padre común, supremo garantizador de la hermandad humana." Selbst hier, bei einem Thema, das Machado auch persönlich sehr tangiert hat, behalten religiöser Eifer und Antisemitismus stets die Oberhand: Das Alte Testament, schreibt er 35

Vgl. etwa die Untersuchung von Segundo Serrano Poncela (1954: 150), in der die „fisinomia poderosamente sensual" des Œuvre von Machado überzeugend nachgezeichnet wird.

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(ebd.), offenkundig unter Einschluß des ,Gesangs der Gesänge', „no es todavía un libro íntegramente humano y mucho menos divino". Dem pauschalen Verriß alttestamentarischer Liebesvorstellungen entspricht das beredte Schweigen, mit dem er die pathologische Verachtung fleischlicher Genüsse übergeht, wie sie besonders für die spanische Variante des Christentums typisch war. Statt dessen lobt er (ebd.) einmal mehr den eigentlichen Kern christlicher Liebe, den Gegenpol „animalischer" Sexualität: „se llama fraternidad humana, y fue la gran revelación de Cristo". Um nicht mißverstanden zu werden: Es geht mir nicht um eine billige Polemik gegen Machados christliches Credo, selbst da, wo es naiv und unkritisch ist. Mehr als problematisch ist jedoch, daß er sein eigenes Credo als absolute Wahrheit begreift und andere Glaubensvorstellungen, in aller Regel die jüdischen, als falsch und minderwertig denunziert, häufig in einem verächtlichen Ton. Das gilt auch fur das hier diskutierte Thema der Erotik, etwa am Beispiel der russischen Literatur, die Machado in mehreren Texten besungen hat: „Las pasiones desenfrenadas son frecuentes en las novelas rusas. [...] Pero yo os desafio", schreibt er (ebd.: 1224) mit einem Anflug von christlicher Prüderie, „a que me citéis una sola página rusa en que el amor carnal no esté superado por el amor integramente humano, en que la mujer sea exaltada únicamente como medio de placer." Die Gründe für die Überwindung der fleischlichen Liebe in der russischen Literatur verortet Machado im „fondo religioso" des Landes. Seine Eloge (ebd.: 1018) auf „la Santa Rusia, cuyas raíces espirituales son esencialmente evangélicas", ist deshalb doppelt motiviert: Durch die bereits zitierte Ablehnung des J ü d i s c h e n Marxismus" und des „bíblico semental humano", das den christlichen Vorstellungen von Liebe zutiefst widerspricht: „Rusia no ha de escucharle." Spanien wohl genauso wenig - schließlich rechnete er (1978: 1222) auch sein Heimatland zu jenen „pueblos de cultura integral", die das Erbe „de la civilización helenocristiana" angetreten hätten. Und dazu hätten die Juden, wie Machado offenkundig suggeriert, nichts beigetragen. Etwas besser, obgleich reichlich klischiert, schneiden die Mauren in Machados Werk ab: „Mas busca en tu espejo al otro", schreibt er (ebd.: 896) in einem seiner Gedichte, „al otro que va contigo." Die Juden sind damit, wie wir wissen, nicht gemeint. Lassen sich die Verse wenigsten als Allegorie auf Mauren und Morisken verstehen? Zumindest quantitativ ist die maurische Geschichte der Halbinsel im Œuvre Machados allgegenwärtig, gelegentlich nur als beiläufige Anspielung und ohne besondere Wertung (ebd.: 706): „¿Sevilla? ... ¿Granada? ... La noche de luna. / Agosta la calle, revuelta y moruna". Oder (ebd.: 756): „que

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pones tu nota arisca, / como un castellano ceño, / en Córdoba la morisca". Häufiger sind dagegen Hinweise auf .Tausend und eine Nacht', die, wie Machados christliche Liebesvorstellungen bereits vermuten lassen, weniger neutral ausfallen (ebd.: 125): „Del placer, que irrita, / y el amor, que ciega, / escuchad la canción, que recoge / la noche morena. // La noche sultana, / la noche andaluza, / que estremece la tierra y la carne / de aroma y lujuria". Scheint der Dichter dieser Verse - sie datieren von 1912 - noch zwischen romantischer Bewunderung und ängstlicher Irritation hin- und hergerissen, überwiegen schon bald solche Beschreibungen, in denen der maurische Eros trotz aller Faszination etwas Bedrohliches, Menetekelhaftes besitzt, etwa in einem Gedicht (ebd.: 196) über Granada und die Alhambra: „Melancolía ... ¡No! Desesperanza, / reproche de lujuria indefinible ... / Y, a pesar de canciones, en tu espejo // está, Maestro, toda la añoranza / granadí, toda la verdad terrible". Ähnlich die Verse (ebd.: 708), die die maurische Atmosphäre andalusischer Gärten evozieren: Die „aromas de un moro jardín andaluz" werden durch „el aroma letal del harén" zur bedrohlichen Kulisse. Auch die sonstigen Anspielungen auf die maurische Vergangenheit (z. T. auch auf die Gegenwart) sind ambivalent. Einerseits besingt Machado (ebd.: 109) im Reconquista-Jargon die Ruhmestaten von Carlos V., „quien ha domado / el negro potro del desierto moro". Andererseits identifiziert er sich (ebd.: 257) vorbehaltlos mit dem „elemento mudéjar [que] es el único exclusivo nuestro en el arte europeo." Oder: „La fantasía andaluza" (ebd.: 1211) - sie sei, wegen ihrer maurischen Wurzeln, einzigartig auf der Welt. An die intellektuellen Traditionen von

Al-Andalus,

hier an ihren bekanntesten

Repräsentanten,

möchte

er

(ebd.: 1124) allerdings nicht anknüpfen: „Acaso en Averroes encontremos algo más nuestro que aprovechar y que pudiera servirnos para irritar a los neotomistas, que no acaban - ni es fácil - de enterrar al Cristo en Aristóteles. Un neoaverroísmo a estas alturas, con intención polémica, pudiera ser empresa tentadora para un coleccionista de excomuniones. Yo no os lo aconsejo tampoco. Nuestro punto de arranque [...] está en el folklore metafísico de nuestra tierra, especialmente el de la región castellana y andaluza." Meint Machado mit „folklore metafísico" nicht dasselbe wie Unamuno mit seiner „roca viva" einer perennierenden „intrahistoria"? Wenn dem so ist, und vieles spricht dafür, dann drückt sich in der Hommage (ebd.: 916) an den „gigante ibérico Miguel de Unamuno" zumindest in historischen Fragen eine Wahlverwandtschaft aus: Schließlich waren auch dem Salmantiner Dichterphilosophen die Mauren äußerst unsympathisch. Ganz so entschieden war Machado zwar nicht. Er fragte

490

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(1977: 388) sogar: „Hombre occidental, / tu miedo al Oriente, ¿es miedo / a dormir o a despertar?" Spanien war damit aber offensichtlich nicht gemeint. 36 Nachgerade erschreckend sind schließlich einige Äußerungen des

jungen

Machado über die zeitgenössischen ,Mauren' Nordafrikas. Ähnlich wie der frühe Galdós (Rehrmann 1997), schrieb er 1893 (1989: II, 1129): „Pero cuándo les vamos a dar ese puntapié a los moritos de África, que no hacen otra cosa que molestarnos continuamente, sin vergüenza ni miramientos de ninguna clase?" In diesem Artikel erweist sich Machado als glühender Bellizist, der „aquel territorio nuestro" (ebd.: 1130) in Nordafrika gegen die islamischen Störenfriede verteidigt: „La dureza se impone para con los moros", meint er (ebd.: 1130) zu wissen, „porque no entienden otro lenguaje que el del garrote." Und für diejenigen, namentlich den Sultan, die auch die Sprache der Garrotte nicht verstehen, empfiehlt er einen besonders kurzen Prozeß: „Pues ¡canasta! ¿hay más que atrapar al insolente y colgarlo de una viga para escarmiento de picaros?" In diesem Artikel erweist sich der wütende Bellizist auch als Rassist. Die „moros" firmieren u. a. als „aquellos bárbaros", „los energúmenos de África" und als „aquellas bestias". Besonders übel ist das folgende (ebd.: 1131) ,Wortspiel': „Si en vez de tratarse de moriscos se tratase de mariscos, yo le aseguro a usted que iría a destrozarlos con ensañamiento." Die verbalen Ausfalle gegen den , Erbfeind' - „recuerdos a la afrenta que nos han inferido los moros" (ebd.: 1133) - gingen offenkundig noch eine Weile weiter und eskalierten sogar noch ein Stück. In einem der folgenden Artikel über „aquellas bestias del R i f (ebd.: 1145) kann sich Machado (ebd.: 1147) eine besonders definitive Lösung des Marokko-Problems vorstellen: „El barco cargado de dinamita que estalló en Santander, hubiera sido un medio de exterminar a los riffefios de África". Auch wenn sich hier die politischen Passionen eines Achtzehnjährigen artikulieren: Im Kontext der oben skizzierten Ideenwelt, in der sich Machado bewegte, hinterlassen diese Texte doch einen schalen Nachgeschmack. Ist es deshalb verwunderlich, daß er (ebd.:1814f.) für Ramiro de Maeztus Defensa de la Hispanidad ausgesprochen lobende Worte fand?

36

Eine gewisse Sympathie empfand Machado (1976: 1/115) wenigstens für eine andere kulturelle Minderheit, die Opfer von Diskriminierung und Verfolgung war - die spanischen Zigeuner: „Ellos han nacido en tierra andaluza. Andalucía, que ha sabido ser tantas cosas, asimilar tantos elementos exóticos, y donde tantos injertos raciales han prendido y dado su flor y su fruto [!], no ha de avergonzarse de haber sido alguna vez un poco gitana."

X. Das Thema eskaliert zur nationalen Frage': Literarische und publizistische Stimmen des Philosephardismus Ist es ein Zufall, daß die Diskussionen über die Sepharden, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Gemüter von Politikern und Intellektuellen erregt hatten, nur einen geringen Niederschlag im Œuvre der 98er fanden? Auch im Spätwerk dieser im vorigen Kapitel untersuchten Autorengruppe hinterließen die direkten Implikationen der Sephardenkampagne nur geringe Spuren, bei einigen, wie bei Antonio Machado, spielten sie überhaupt keine Rolle. Wie auch immer man dieses relative Schweigen zur zeitpolitischen Dimension des Themas erklären mag: Für das „problema España", das die 98er mit nachgerade obsessiver Verve thematisierten, war die .Rückkehr der Juden' allenfalls von sekundärer Bedeutung. Eine Teilerklärung für diesen Befund dürfte in der Tatsache zu suchen sein, daß die gesellschaftliche Präsenz der spanischen Juden während der Formationsphase der Generation noch immer gegen Null tendierte. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, als Angel Pulido den eigentlichen Startschuß für die Sephardenkampagne gab, lebte in Spanien, das muß man sich stets vergegenwärtigen, nur eine winzige, gesellschaftlich ziemlich unbedeutende Gruppe von Juden. In ihrer Mehrheit aschkenasischer Herkunft, handelte es sich um eine überwiegend arrivierte Minderheit, um Judíos de lujo", wie Caro Baroja (1961: 91) in der ihm eigenen Ambivalenz schreibt, die sich gut in die höheren Ränge der Gesellschaft integriert hätten. Noch in den 20er Jahren soll die Zahl der in Spanien lebenden Juden, optimistisch geschätzt (Aronsfeld 1979: 35), 2000 Personen betragen haben, hauptsächlich verteilt auf Madrid und Barcelona. Der Philosephardismus des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts war somit in ganz besonderem Maße ein ,virtuelles' Phänomen, das zum Teil von außen importiert, im wesentlichen aber durch die Debatten über Religionsfreiheit und nationale Identität historisch reaktiviert wurde. Der relativ starke Widerhall, den diese Debatten in der Presse fanden, ließ zwar, wie weiter oben skizziert wurde, ein breites Meinungsspektrum erkennen; über ihre gesellschaftliche Wirkung läßt sich allerdings nur spekulieren. Dennoch meint Lisbona (1993: 20) zu wissen, daß sich die öffentliche Meinung des Landes seit Beginn der Restauration nachhaltig verändert habe - zum Positiven: „en general, se había iniciado un proceso de conversión hacia posiciones de clara simpatía respecto a la cuestión judía, en especial hacia los sefardíes". Weniger optimistisch ist demgegenüber González (1991: 183). Er verweist nicht nur auf antisemitische Stimmungslagen in „einigen Sektoren" der

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Das Thema eskaliert

Gesellschaft, die den zeitweiligen Regierungschef Antonio Maura im Parlament als Jude beschimpften („que se calle el chueta"), nur weil er aus Mallorca stammte. Er hält es auch für wahrscheinlich, daß die schweigende Mehrheit des Landes nach wie vor judenfeindlich war: „La denominación de judío seguía siendo tan vejatoria como siempre y el término judío servía no sólo para marcar diferencias entre ideologías políticas [...] sino también como determinante de su condición de extranjero y enemigo de las esencias patrias". Auch diese Ansicht ist zwar nicht verifizierbar, sie klingt aber, nicht zuletzt im Lichte der hier untersuchten Autoren, doch plausibler als die optimistische Bilanz Lisbonas. Ganz offensichtlich ließ sich Lisbona, wie auch die meisten anderen Autoren, die sich zum Thema geäußert haben, von den eher oberflächlichen Reaktionen auf die Kampagne Pulidos, „el verdadero paladín del filosefardismo" (Lisbona 1993: 21), täuschen. Als sicher kann indessen gelten, daß die Kampagne des liberalen Senators „den letzten Akt" (González 1991: 175) einer langen Kette der Wiederentdeckung markiert, der aus mindestens zwei Gründen besonders wichtig war: Wegen der im Vergleich zu früheren Phasen ungleich größeren Wirkung auf die spanische Öffentlichkeit und auf die sephardischen Gemeinschaften, zuerst hauptsächlich in Südosteuropa, später auch in Nordafrika. Pulidos Kampagne, die in zahlreichen, wenn auch nicht in allen Punkten mit den Ambitionen des Grafen Rascón identisch ist, findet sofort ein starkes, überwiegend zustimmendes Echo in der liberalen Presse. So heißt es im El Liberal, einer Zeitung mit bereits langer philosephardischer Tradition, in einem Artikel des Jahres 1904 (ebd.: 182): „Pues esta infeliz España, madre fecundísima de naciones llamadas a expandir destinos [...] tiene desparramados por casi todos los pueblos de Europa, por Asia y Africa mucho más de medio millón de familias israelitas que defienden su idioma patrio, ya bastante adulterado, contra las numerosas causas que tienden a extirparlo." Im Unterschied zu früheren Jahren, als sich die Kontroversen vor allem um die Einwanderungsfrage drehten, spielte dieses Thema zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine große Rolle mehr. Die nun überwiegend kulturpolitische Ausrichtung der Kampagne, unter Einschluß einer erhofften Umwegrentabilität für spätere ökonomische Beziehungen, erklärt sicher zu einem Gutteil die Tatsache, daß auch konservative Blätter, etwa La Española y Americana

Ilustración

(ebd.: 184), in den Chor der Philosepharden einstimm-

ten. 1 Es war jedoch augenscheinlich die liberale Presse, die sich zum tonangeDie Reaktionen der Konservativen und vor allem der integristischen Presse auf die Kampagne Pulidos hat González indessen nicht untersucht; die der liberalen Presse nur partiell. Hier klaffen deshalb noch große Forschungslücken.

Das Thema eskaliert

493

benden Fürsprecher der kulturpolitisch ausgerichteten Kampagne machte. So konnte man immerhin auf der ersten Seite einer anderen Nummer von El Liberal unter der Überschrift „Los israelitas españoles, y el idioma

castellano"

(ebd.: 184) lesen: „Expone el Dr. Pulido en su obra [Españoles sin patria y la raza sefardí, N.R.] todo un problema de extraordinaria importancia nacional, y exita al Gobierno, a la Academia de la Lengua y a la Cámara de Comercio y a la Asociación de escritores y artistas para que acometan una tarea patriótica de aquistar un pueblo español diseminado por el mundo y favorecer así el engrandecimiento de los intereses lingüísticos, literarios y mercantiles." Bei den zitierten Institutionen, unter Einschluß der Regierung, traf Pulido denn auch auf offene Ohren, wenn auch nur in Form vager Rhetorik: „Entiendo que es conveniente", äußerte sich der Ministro de Estado (ebd.: 179), „y que por mi parte haré cuanto pueda [...] para que dentro de los recursos exiguos que otorga siempre el Ministerio de Estado podamos conseguir que se establezcan escuelas que mantengan vivo el principio de la hermosa lengua castellana." Mit eher symbolischen Büchersendungen an die Adresse sephardischer Schulen zeigte auch die Academia de la Lengua (ebd.: 185) ihren guten Willen. Desgleichen die Schriftstellervereinigung, die unter dem Vorsitz ihres Präsidenten, des Nobelpreisträgers José Echegaray, öffentlich ihre Unterstützung erklärte und Bücher zur Verfügung stellte. „Moralische Unterstützung" (ebd.: 179) fand die Kampagne schließlich auch bei den Repräsentanten der Handelskammer - Taten folgten indes keine. Deshalb hat Paloma Díaz-Mas (1993: 197) uneingeschränkt recht, wenn sie, bereits mit Blick auf die ersten Jahre der Kampagne, von einem „extraño intento romántico" spricht, einem Unterfangen, das von „apasionadas declaraciones de amor [auch sephardischerseits, N.R.], de exaltadas proclamas patrióticas y de fantásticos proyectos de hermanamiento cultural y político" bestimmt war. Uneingeschränkt recht hat die spanische Sephardenforscherin aber auch, wenn sie schreibt: „Pero qué duda cabe de que, pese a ser anacrónica ya en el momento en que se suscitó, constituyó un auténtico revulsivo para la sociedad de la época y que aún hoy se mantienen vivas muchas de las ideas (o tópicos) que se expresaron en ella. Por primera vez en España estuvo el tema sefardí en el candelera." Es ist jedoch nicht nur die „romantische" Aura, die die Kampagne stets umgab - sicher stand die Romantik nicht umsonst bei der literarischen Wiederentdeckung des Themas Pate! - und die ihren ambivalenten Charakter illustriert. Aufschlußreich ist auch, wie Lisbona (1993: 24) schreibt, „la nula atención que se presta a las comunidades israelitas ya instaladas en España, las cuales, aunque pequeñas, son las más próximas y necesitadas de la sensibiliza-

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Das Thema eskaliert

ción de las autoridades y la población del país." Die bereits oft konstatierten Prodomo-Ambitionen des spanischen Philosephardismus: auch in der sträflichen Vernachlässigung der ,eigenen' Juden sind sie unübersehbar. Das sollte sich auch in den folgenden Jahren nicht ändern. Die Aktivitäten des Philosephardismus nahmen zwar zu, auch die Zahl bekannter und weniger bekannter Schriftsteller und Intellektueller, die sich als publizistisch-literarische Sprachrohre betätigten; besonders philantropisch waren die meisten Aktivisten jedoch nicht. In diesem zentralen Punkt ihres Philosephardismus blieben sie ihrem Spiritus rector, der bei den meisten Unterstützern der folgenden zwei bis drei Jahrzehnte persönlich oder geistig Pate stand, im Grundsatz treu. So auch die Revista Crítica, die 1908 von der Schriftstellerin Carmen Burgos gegründet wurde und in der eine eigene „Sephardensektion" dem Thema erneut Publizität verschaffte. 2 Die Zeitschrift stellte zwar schon bald ihr Erscheinen wieder ein; ein Produkt dieser und anderer „corrientes de simpatía", wie González (1991: 194) allzu schönfärberisch schreibt, bestand indessen in der 1910 gegründeten und von der Zeitschrift, vor allem von ihrem Mitarbeiter Rafael Cansinos-Asséns initiierten Alianza Hispanohebrea.

Zu den bekanntesten Mitgliedern gehörten

unter anderem der damalige Präsident der Regierung Canalejas sowie die Schriftsteller Pérez Galdós und Blasco Ibáñez. Wie sich zeigen sollte (ebd.: 194), bestand ein wichtiges Betätigungsfeld der Alianza in Nordafrika. So ist es kein Zufall, daß sich Canalejas noch im selben Jahr mit führenden Vertretern der Sephardengemeinde Tetuáns traf. Drei Jahre später wurde in Madrid per Regierungsdekret die Junta de Enseñanza de Marruecos ins Leben gerufen. Eines der Jwnta-Mitglieder, ein Professor der Universidad Central, bereiste daraufhin einige marokkanische Städte mit sephardischen Gemeinden und schrieb in seinem Bericht: „Respecto a la enseñanza judía se procurará aumentar la intervención de personal español en las escuelas de la enseñanza israelita, sobre todo en Tetuán [...]. Convendría influir", heißt es dort (ebd.: 195), „en la medida que las circunstancias lo aconsejan, para que se persuadan los hebreos de la conveniencia que Ies reportaría el españolizar la enseñanza." Gemeint waren natürlich die Vorteile, die Spanien daraus zu ziehen gedachte ... Bedingt durch die kolonialen Interessen des Landes in Nordafrika, hatten die ,armen Verwandten' der südosteuropäischen ,Sephardenaristokratie', die im 19. Jahrhundert im Mittelpunkt gestanden hatten, nun an Bedeutung gewonnen. Auf die politisch-kulturelle Mittlerrolle der nordafrikanischen Sepharden, von 2

Vgl. das Kapitel über die Zeitschrift.

Das Thema eskaliert

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denen zumindest einige in späteren Jahren auch Franco zu Diensten sein sollten, hatte bereits der Congreso Africanista des Jahres 1908 hingewiesen: „Precisa contrarrestar", so ein exponierter Kongreßteilnehmer (Díaz-Mas 1993: 195), „la influencia de las escuelas francesas que con tanto empeño sostiene la ,Alliance Universelle', y para ello el Gobierno español debería crear grupos escolares [...] donde quiera que se estime necesario. Así se lograría acrecentar nuestra influencia, atrayendo a los moros y hebreos, que hoy se desvían en virtud de las enseñanzas que reciben en las escuelas extranjeras." Bevor sich die kolonialen Ambitionen in Nordafrika - stets drapiert als zivilisatorisches und humanitäres Engagement - mit Hilfe der dortigen Sepharden weiter konkretisierten und institutionalisierten, schien sich die philosephardische Kampagne auch innenpolitisch auszuzahlen, selbst im Verhältnis zu der winzigen Minderheit jüdischer Spanier. So wurde mit Gustavo Bauer, Sohn des jüdischen Bankiers Ignacio Bauer, 1910 der erste Jude (Aronsfeld 1979: 26) ins Madrider Parlament gewählt. Der Jewish Chronical (ebd.) sah in diesem „triumph of the Ewige Jude" eine Art „Rache der Zeit" und sprach von „reconciliation even in the land of the terrible inquisition". Etwa zur selben Zeit wurde der aus Rußland stammende Jude Samuel Schwarz, Direktor eines bedeutenden Bergbaukonzerns, in die Madrider Akademie der Wissenschaften gewählt - zwei Ereignisse, die auf eine wachsende Normalisierung im Verhältnis von Juden und Katholiken hinzudeuten schienen. Das Ereignis, das der interessierten Weltöffentlichkeit vor Augen fuhren sollte, daß der Geist von Torquemada nicht länger spukte, kündigte sich jedoch erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg an. Damals (ebd.: 26) drückte der liberale Premierminister Graf von Romanones sein Gefühl „innigster Verbundenheit" mit der großen Zahl „unserer Brüder" aus, in deren Venen „dasselbe Blut fließt wie in unseren und die in einem Zeitalter des Fanatismus" vertrieben wurden. Vor diesem Hintergrund habe sich die Regierung dazu entschlossen, an der Madrider Universität eine Professur für hebräische Sprache und Literatur einzurichten. Zwei Jahre später wurde die Stelle, per königlichem Dekret, mit dem Orientalisten und Sepharden Abraham Shalom Yahuda besetzt.3 Während des Ersten Weltkrieges gab sich die Madrider Regierung auch außenpolitisch einen juden-, zumindest sephardenfreundlichen Anstrich: Spanien intervenierte in Palästina (ebd.: 26), um die drohende Deportation von rund 45 000 Juden, überwiegend aus der Türkei stammende Sepharden, zu verhindern - mit Erfolg, wie sich zeigen sollte. Und 3

Vgl. das Kapitel über Yahuda.

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noch ein Ereignis, zweifellos von herausragender symbolischer Qualität, fällt in die Zeit des Ersten Weltkrieges: Die offizielle Eröffnung einer Synagoge, der ersten auf spanischem Boden (ebd.: 30) nach über 425 Jahren. Doch war nicht alles eitel Sonnenschein: In konservativ-klerikalen Kreisen betrachtete man das Tête-à-tête von Juden und Liberalen mehr denn je mit Argusaugen. Diejenigen, die die neueröffnete Madrider Synagoge fortan betraten, unter ihnen der in jenen Jahren in Spanien lebende Zionist und Sepharde Max Nordau, 4 brauchten deshalb durchaus Mut, so Aronsfeld (ebd.: 36), „for the general atmosphère, despite the [...] concern with the Sephardim, was not free from antisemitic currents". Die Hauptquelle des Antisemitismus verortet Aronsfeld nach wie vor im katholischen Klerus. Der direkte politische Einfluß der Kirche war zwar weiter geschrumpft - trotz der restaurativen Verfassung von 1876; ihr Einfluß als „ideologisches Instrument" der herrschenden Oligarchie, schreibt Tufión de Lara (1968: 110), sei jedoch auch weiterhin groß gewesen. Im Unterschied zum eher 5 religiös motivierten Antijudaismus früherer Zeiten wird dieser nun mehr und mehr mit ideologischen Elementen aufgemischt, die auch diesseits der Pyrenäen an Bedeutung gewannen. Ein besonders niederträchtiges Produkt aus der ideologischen Giftküche des modernen Antisemitismus stellt ein Elaborat von 1917 dar: Arte de conocer a nuestros judíos, das aus der Feder des Katalanen César Peiró Menéndez stammt. Das Machwerk beginnt (1917: 8 f.) mit der historischen Standardbehauptung, die in Spanien lebenden Katholiken jüdischer Herkunft - gemeint sind die Nachfolger der Zwangskonvertiten von 1492! - seien lediglich „españoles fingidamente católicos". Die Vorfahren dieser „raza de malvados" hätten das Ausweisungsdekret der Katholischen Könige geschickt umgangen, „convirtiéndose falsamente al catolicismo, como el gusano en la fruta". Inzwischen sei Spanien „offiziell und ökonomisch" die am meisten „verjudete" Nation der Welt: „Ellos no solo crucifican inocentes", spannt er (ebd.: 13) damit den Bogen von der Religion zur Ökonomie, „sino naciones enteras." Die Juden seien nicht nur dabei, Katalonien und ganz Spanien in ihren ökonomischen Würgegriff zu nehmen, J a encumbrada raza lebra" (ebd.: 17) sei auch für den historischen Niedergang des Landes verantwortlich gewesen: „nos deshizo aquel imperio nuestro donde no se ponía el sol." Dagegen, nämlich gegen „la llaga que corroe a España, la gangrena que la pudre, el cáncer que la 4 5

Vgl. das Kapitel über Nordau. Die Einschränkung ist deshalb wichtig, weil sich der religiöse Antijudaismus auch stets anderer Topoi bediente: Schon in der Literatur des Goldenen Zeitalters finden sich Judenklischees, die den religiösen Rahmen weit überschreiten.

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mata", gelte es nun entschieden vorzugehen: „¿Remedio? El antisemitismo resuelto." Auf den folgenden Seiten stellt der Autor dieses besonders vulgären und damit sicher auch besonders einflußreichen - Manifests des spanischen Antisemitismus sodann unter Beweis, daß er die Vokabeln aus dem Bereich der Pathologie wohl mit Bedacht gewählt hat. Dem Vorwurf des unsicheren, betrügerischen Kantonisten in religiösen Fragen und den ökonomischen Verschwörungstheorien folgt der Rassismus auf dem Fuße: „El primer hecho que puede llamarle la atención, lector", leitet er (ebd.: 22) damit den dritten und längsten Teil seiner Hetzschrift ein, „es que todo el que ostenta el perfil acentuado o feo se coloca siempre vis a vis, talvez para que no le delate su silueta de ave rapaz en tantos casos, la alarmante fealdad de su nariz." Die ,typischen Judennasen', die, wie der Literaturkenner weiß (ebd.: 32), bereits Quevedo in einem „unsterblichen Sonett" gewürdigt hat, zählen dabei noch zu den harmlosesten Schmähungen: „Cara patibularia", „rostro de cabra", „perfiles de tórtola" - das verbale Arsenal der rassistischen Schmutzprosa dieses Autors ist schier unerschöpflich. Die häufig formulierte Behauptung, die Judenfeindschaft in Spanien wäre religiös, nicht rassistisch motiviert, wird damit zumindest auf den Seiten dieses Buches relativiert. Nicht zuletzt durch seinen graphischen Anhang: ,Typische' Judenphysiognomien, die den verbalen Unrat auf mehreren Seiten (ebd.: 33 ff.) mit visuellen Steckbriefen versehen. Nicht zufällig attackiert dieser Autor (ebd.: 10) im übrigen die philosephardischen Ambitionen jener Jahre in Marokko. Denn die Bestrebungen der Vorkriegszeit, die dortigen Sepharden für die kolonialen Interessen einzuspannen, hatten keineswegs nachgelassen. Ganz im Gegenteil: Neben Pulido selber, 6 war es vor allem der Journalist und Schriftsteller Manuel Ortega, der mit seinem 1919 veröffentlichten Buch Los Hebreos en Marruecos die dortigen Sepharden publizisitisch ins Rampenlicht rückte. Da, wie Lisbona (1993: 23) schreibt, der marokkanische Handel zu dieser Zeit zu 70 Prozent in jüdischen Händen gelegen habe, erschien die philosephardische Orientierung nach Nordafrika damit auch ökonomisch besonders vielversprechend zu sein. 7 Um so näher lag es für Ortega (1994: 270), in der bisherigen Vernachlässigung dieses .spanischen Brückenkopfes' eines der „grandes problemas nacionales" zu sehen und sich (ebd.: 276) zu fragen: „Perdimos Argelia para siempre. ¿Perderemos también la influencia

6 7

Vgl. das Kapitel über Pulido. Selbst noch dieser Autor bedauert (ebd.), daß Spanien „seine Interessen" damals nicht entsprechend wahrgenommen habe.

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sobre los sefarditas de Marruecos, sangre de nuestra sangre?" 8 Besonders optimistisch schien Ortega mit Blick auf „esta cuestión de patriotismo" jedoch nicht zu sein. Wohl deshalb enthält das Buch eine Fülle von Warnungen (ebd.: 271), die Gunst der Stunde nicht zu verpassen - „sesteando, mientras trabajan Francia, Inglaterra y Alemania". Als getreuer Epigone seines philosephardischen Vordenkers, dem er sogar mit einer Biographie die Ehre erwies, schwebte Ortega eine Art Doppelstrategie vor: Zuerst eine kulturelle „Penetration", dann die ökonomische Nachhut. Besonders in der Sprache, die die dortigen Sepharden „wie einen Schatz" (ebd.: 215) bewahrt hätten, sah er die Pfunde, mit denen Spanien im Gegensatz zu seinen Hauptkonkurrenten - noch - wuchern könne. Doch nicht nur den sprachlichen Joker könne Spanien ins Spiel bringen: „Los sefardíes del Mogreb aman a España", gab er (ebd.: 221 f.) sich bei diesem Topos noch enthusiastischer als Pulido, „con un amor puro que no está contaminado con la ruindad de ningún mezquino interés". Und diese Liebe, zitiert er einen sephardischen Gewährsmann, sei nachgerade allumfassend: „Somos españoles por vocación, por temperamento y por simpatías; en nuestras venas circula sangre española; pensamos en español y sentimos de igual modo; [...] España es nuestra patria [...] y es natural que sintamos por ella cariño y veneración." Wenn es Spanien gelänge, all diese Vorteile tatsächlich zu nutzen, dann stünden dem Land rosige Zeiten bevor: „Es preciso", fordert Ortega (ebd.: 320) deshalb, „que los comerciantes españoles vayan a Marruecos; que se pongan en relación estrecha con el hebreo, tan conocedor del país y de las costumbres y usos de sus habitantes". Denn, so sein Credo (ebd.: 321), das er mit den meisten Philosepharden teilte: „Las conquistas modernas se hacen estableciendo relaciones mercantiles que aseguren la dominación de nuevos mercados para la industria nacional." 9

Solche Hymnen auf die Blutsverwandtschaft' zwischen Spaniern und Sepharden dürften dem zuvor zitierten Autor Céser Peiró Menéndez die Zornesröte ins Gesicht getrieben haben: Hatte der (1917: 18) doch über Jüdisches Blut" geschrieben, daß es selbst von den Stechmücken gemieden würde. Es sei hier nur am Rand erwähnt, daß Ortega den ökonomischen Einfluß der Juden, wie üblich, maßlos überschätzt, wenn er (ebd.: 298) beispielsweise schreibt: „Los hebreos fueron riquísimos, fabulosamente ricos; [...] llegaron a escalar la gobernación de los Estados." Immerhin hält er (ebd.: 297) die Geschäftstüchtigkeit der Juden nicht für eine anthropologische Grundeigenschaft: „Moisés hizo del pueblo israelita una nación de agricultores y de soldados. La persecución cambió el carácter de la raza y la impulsó hacia el comercio." Im übrigen (ebd.: 309) seien die Juden geradezu ideale Geschäftspartner: „En materia de lealtad y honradez en las transacciones, pueden servir de modelo."

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In der Praxis waren die kühnen Träume Ortegas wie immer kaum das Papier wert, auf dem sie standen. Seine publizistische Initiative trug jedoch dazu bei, eine neue philosephardische Institution ins Leben zu rufen: die 1920 gegründete Casa Universal de los Sefarditas, deren erster Sekretär Ortega selber wurde. In der Casa Universal,

einer Art ideeller Gesamtinstitution, sollten (González

1991: 199) von nun ab alle philosephardischen Fäden zusammenlaufen: Förderung ökonomischer Beziehungen mit der sephardischen Diaspora, Kontaktpflege zur internationalen jüdische Presse, Lösung politischer und juristischer Probleme, Führung eines Zensus der sephardischen Gemeinschaften und Verbreitung der spanischen Sprache und Literatur. Zum Präsidenten der Casa, der neben einer langen Liste von Intellektuellen auch politische Führerpersönlichkeiten wie Antonio Maura, Graf Romanones und Alejandro Lerroux angehörten, wurde der aus Marokko stammende sephardische Schriftsteller José Farache gewählt; das Amt des Ehrenpräsidenten bekleidete der inzwischen ergraute Angel Pulido. Zum internationalen Repräsentanten der Institution wurde der jüdische Bankier Ignacio Bauer ernannt, der die Casa Universal auch 1920 in Brüssel vertrat, als die Liga der Nationen über das Palästinamandat entschied - eine Entscheidung, so Aronsfeld (1979: 31), die in erheblichem Maße durch das spanische Votum zustande kam. In jüdischen Kreisen sah man darin ein weiteres Indiz für die Absicht Spaniens, „to repay in part that long-outstanding debt which it ows to the Jews". Die wirklichen Motive, das dürfte auch den jüdischen Autoren einer hochtönenden Versöhnungsrhetorik klar gewesen sein, waren freilich noch immer sehr prosaisch. In der 1921 im Ministerio de Estado eingerichteten Oficina de Relaciones

Culturales kamen diese Motive klar zum Ausdruck. Hauptadressat

der Oficina (Bel Bravo 1992: 267 f.), einer Art kulturpolitischer Generalvertretung des Panhispanismus, waren die Länder Lateinamerikas, spanische Emigrantengruppen in verschiedensten Ländern der Welt und expressis verbis die sephardischen Gemeinden, besonders auf dem Balkan. Die programmatischen Leitlinien ließen dabei, was die Sepharden betraf, wenig Raum für philanthropische Interpretationen: „aprovechar las facilidades que proporcionaba esta comunidad sefardí en ciertos países, para penetrar cultural y económicamente, pero sin que España se comprometiese con ellos, como sería el caso si de ciudadanos españoles se tratase". Das hieß vor allem: Die Sepharden sollten das bleiben, was sie waren, nämlich Staatsbürger der jeweiligen Länder, in denen sie lebten - und wo sie auch weiter leben sollten. An einer Einbürgerung, gar an einer massenhaften, war man überhaupt nicht interessiert. Doch auch die hoch-

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gesteckten kulturpolitischen Ziele der Oficina de Relaciones Culturales blieben, wie üblich, rhetorische Absichtserklärungen. Das einzige praktische Ergebnis bestand in einer Casa de España, die 1923 in der Türkei gegründet wurde. Die Casa firmierte zwar offiziell als spanisches Kulturinstitut, wurde aber von einer Gruppe finanzkräftiger Sepharden (!) getragen: „Poco más", schreibt Bei Bravo (ebd.), „en el orden cultural." Als rhetorisch-publizistische Größe belebte die Sephardenthematik jedoch auch weiterhin die innenpolitischen Diskussionen. Dafür sorgten nicht nur Angel Pulido und sein Troß philosephardischer Freunde und Institutionen. Auch der Diktatur Primo de Rivera, der die pseudo-demokratische Farce der Restauration 1923 mit königlichen Weihen beendet hatte, erwies sich als Philosepharde avant la lettre. Das spektakulärste Ereignis, das in seine Amtszeit fällt, ist das sogenannte Dekret von 1924, das ,allen' Sepharden die spanische Staatsbürgerschaft offerierte, und das, obwohl die Sepharden als solche in dem königlichen Dekret überhaupt nicht in Erscheinung treten. Den Hintergrund dieser Initiative, die in der internationalen, vor allem in der jüdisch-sephardischen Öffentlichkeit großes Aufsehen erregte, bildete der sogenannte Vertrag von Lausanne aus dem Jahre 1923, der eine Reihe von Bestimmungen für nichtig erklärte, die bestimmten Einwohnern der Türkei extraterritoriale Rechte und den Schutz einer ausländischen Macht eingeräumt hatten. In der Folgezeit waren davon auch andere Länder des Balkans und des Nahen Ostens betroffen, die aus den Ruinen des Osmanischen Reiches hervorgegangen waren: „por consiguiente", so Marquina/Ospina (1987: 46), „los protegidos españoles allí residentes se encontraron con una nueva situación jurídica, que en muchos casos resultaba anómala con respecto a terceros países. Con la idea de corregir esa anomalía jurídica, la dictadura de Primo de Rivera promulgó [...] un Real Decreto-Ley, por el que se concedía la nacionalidad española a los sefardíes." Der eigentliche Beweggrund, so die beiden Autoren, sei jedoch ein politischer gewesen: Man habe schlicht die Gunst der Stunde genutzt, um den spanischen Einfluß in diesen Ländern mit Hilfe der Sepharden zu vergrößern. Die praktischen Resultate dieses Dekrets, das bis Ende 1930 in Kraft blieb, lassen sich kaum quantifizieren, dürften aber recht bescheiden ausgefallen sein - aus verschiedenen Gründen. Zum einen (ebd.: 47) wegen jahrelang fehlender oder unklarer Ausführungsbestimmungen, wodurch potentielle Interessenten mit großen bürokratischen Problemen zu kämpfen hatten. Zum anderen wegen innenpolitischer Rücksichtnahmen, vor allem in der großen sephardischen Gemeinde Salonikis, die nun zu Griechenland gehörte schließlich war die Gefahr groß, von den glühenden Patrioten des Landes als

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unsichere Kantonisten, gar als Fünfte Kolonne eines fremden Staates attackiert zu werden. Eine kaum minder große Rolle dürften schließlich auch schlichte Indifferenz und Zweifel an den judenfreundlichen Motiven des Dekrets gespielt haben. Im übrigen war Spanien unter ökonomischen Gesichtspunkten kein besonders attraktives Einwanderungsland, auch nicht als mögliche Zukunftsoption, die ein spanischer Paß immerhin offenhielt; ganz zu schweigen von den historischen Vorbehalten gegen ,das Land von Torquemada'. Um so größer fiel das publizistische Echo 10 aus. Für den sephardischen Schriftsteller José María Estrugo (Aronsfeld 1979: 33) war das Dekret ein „epochales Ereignis", das einem Schlußstrich unter ein düsteres Kapitel der jüdischen Geschichte gleichkomme: „The crimes and atrocities of the Dark Ages belong to history and should be forgotten. Spain was not alone to err. Many other nations have sinned likewise. But it is a great consolation nowadays to note that in the midst of hatred and persecution of the Jew [...] the land of the old Quemaderos and autoda-fés throws her doors wide open and wishes to make a place in the sun for the sons of the expelled." An dem grotesken Mißverhältnis zwischen dem enormen rhetorischen Aufwand, unter Einschluß prominenter Sepharden, und den mehr als bescheidenen Ergebnissen in praxi, änderte sich während der Diktatur von Primo de Rivera freilich

nichts. Dafür schössen um so mehr programmatische Manifeste ins

Kraut, die in den Sepharden eine Art internationaler Wunderwaffe sahen: La expansión cultural de España, von José Antonio de Sangróniz Mitte der 20er Jahre publiziert, gehört zu den bekanntesten Versuchen jener Jahre, das Thema in den Schlagzeilen zu halten. Daß es dort blieb, dafür sorgte 1929 u. a. kein Geringerer als der Herausgeber der Gaceta Literaria"

und - einige Jahre später - publi-

zistische Paladin der Falange, Ernesto Giménez Caballero. Der offizielle Emissär der Junta de Relaciones 10

"

Culturales

bereiste mehrere Balkanländer, um in den

Die Reaktionen, die die gesamte Sephardenkampagne, vor allem in Saloniki, der größten und wichtigsten Gemeinde Südosteuropas, ausgelöst hat, sind noch weitgehend unerforscht. Neben den üblichen, hochtönenden Ambitionen, die sich im Falle von Sangróniz (1926:70) zwischen „el prestigio de nuestra nación" und „ventajas de índole económica" die Waage halten, besitzt sein sephardischer ,Aktionsplan' auch eine unfreiwillig komische Note - er setzt, was die Sephardenpolitik auf dem Balkan betrifft, vor allem auf die aktive Mitwirkung der spanischen Franziskaner: „¿Por qué razón nuestros religiosos no habían de realizar [esta] labor patriótica [...]?" Nur ein paar Seiten weiter warnt er (ebd.:79) jedoch nachdrücklich davor, in den künftigen Sephardenschulen religiöse Themen zu behandeln ...Vgl. das Kapitel über La Gaceta

Literaria.

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dortigen Sephardengemeinden Informationen aus erster Hand zu sammeln, die der kulturellen Expansion Spaniens dienen sollten. Der Bericht, den er nach seiner mehrmonatigen Reise verfaßte (Marquina/Ospina 1987: 49 f f ) , fiel ziemlich nüchtern aus. In Belgrad, Sarajewo und Zagreb, den ersten Stationen seiner Balkantour, sei er zwar auf Interesse gestoßen; den dortigen Sephardeninstitutionen fehle es jedoch am Nötigsten, vor allem an Büchern und Publikationen aus Spanien. In Athen und Saloniki, den nächsten Stationen, gebe es zwar, so sein Bericht, eine ganze Reihe gut funktionierender Institutionen und spanischsprachiger Zeitungen; allerdings sei der kulturelle Einfluß anderer Länder, vor allem Frankreichs und Italiens, sehr stark und die spanischen Kommunikationsmöglichkeiten gleich Null - kein einziges spanisches Schiff laufe die griechischen Küsten an. Noch düsterer malte er das Panorama in der Türkei: Neben der fehlenden Infrastruktur, d. h. spanischen Schulen, Bibliotheken etc., stoße man dort auf ein besonders ausgeprägtes politisches Mißtrauen der Regierung von Mustafa Kemal, dem an einer raschen Assimilation der ethnischen Minderheiten gelegen sei: „La conclusión que sacó", so Marquina/Ospina (ebd.: 51), „fue muy desalentadora. España había llegado tarde y tropezaba con la política de asimilación gubernamental emprendida por el Gobierno turco, no siendo de menor importancia el antisemitismo del representante español y su inercia en asuntos culturales." Nicht wesentlich ermutigender stellte sich dem Reisenden in Sachen Sepharden die Situation in Bulgarien und Rumänien dar, den letzten Stationen seiner ausgedehnten Tour. Trotz dieser überaus nüchternen Bilanz - und darin unterscheidet sich der Bericht von der realitätsfernen Rhetorik sonstiger Texte - , schlug Giménez Caballero nach seiner Rückkehr einen ehrgeizigen „plan de actuación" vor, der allerdings, wie üblich, kaum Früchte trug. Als er zwei Jahre später erneut zu einer Sephardenmission in die Balkanländer aufbrach (ebd.: 53), war die „provincia espiritual de más de un millón de almas", die er für Spanien gewinnen wollte, noch immer eine bloße Traumprovinz für philosephardische Projektionen: Die kulturpolitische Offensive, wie sie ihm vorgeschwebt hatte, war in der Realität nie angekommen. Hatte sie wenigstens Einfluß auf das innenpolitische Klima? Die Vermutung liegt nahe, schließlich hatten die philosephardischen Publikationen, unter ihnen die Gaceta Literaria, durchaus ein gesellschaftspolitisches Echo gehabt. Dazu zählte, wenn auch eher indirekt, die kulturelle und politische Wertschätzung, der sich der jüdisch-aschkenasische Bankier Ignacio Bauer y Landauer in der Madrider Gesellschaft, vor allem unter Intellektuellen und Schriftstellern, erfreute.

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Der gebürtige Franzose mit einem spanischen Paß, finnischer Generalkonsul in Spanien, Präsident des Madrider Colegio de Doctores, korrespondierendes Mitglied der Academia de la Historia, Cortes-Abgeordneter, Gründungspräsident der Comunidad Israelita de Madrid und persönlicher Freund des Königs - der Inhaber so vieler Spitzenpositionen nannte darüber hinaus die Compañía Iberoamericana de Publicaciones

sein Eigen, die ihm direkten Zugang zur literari-

schen und künstlerischen Elite des Landes verschaffte. In den Salons seines palastähnlichen Hauses gaben sich Juan Valera, Menéndez Pelayo, Pérez de Ayala, Valle Inclán und D'Ors (Lisbona 1993: 29) ein Stelldichein. Ende 1929 feierten ihn die bekanntesten Namen des spanischen Literaturbetriebs für seine verlegerische Arbeit. Zu den dreihundert geladenen Gästen der festlichen Hommage in einem Madrider Nobelhotel gehörten Antonio Machado, Gómez de la Serna, Pedro Salinas, Giménez Caballero, Concha Espina, Jiménez de Asúa und weitere Exponenten der spanischen Literatur 12 und Politik. Als Eigentümer einflußreicher Medien, die den Philosephardismus propagierten, vor allem El Heraldo de Marruecos und die Revista de la Raza, zählte der aschkenasische Jude auch zu den bekanntesten Köpfen der Sephardenkampagne. Dabei griff er häufig selbst zur Feder. Eines seiner bekanntesten Bücher, Maimónides.

Un

sabio de la Edad Media (1935), ist eine durchaus gelungene Hommage an den Cordobeser Philosophen, die er aus Anlaß des achthundertjährigen Geburtstages seines jüdischen Vorfahren verfaßte. Das Buch ist aber nicht nur deshalb von Interesse, weil es Biographie, Werk und Wirkungsgeschichte des berühmten Denkers auf der Basis eines breiten Sekundärliteratursockels anschaulich darstellt; es ist auch von Interesse, weil sich der aschkenasische Autor als geistigkultureller Nachfahre des spanischen Juden empfindet - eine „sefardización secundaria", 1 3 in die er (ebd.: 8 f.) sogar die namhaftesten nichtjüdischen Intellektuellen Spaniens mit einbezieht: Die jüdisch-christliche Symbiose, wähnt er sich sicher, „dauert bis in unsere Tage - gerade bei Autoren, die, wie Unamuno

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Die plakative Aufzählung literarischer Größen, die an diesen oder ähnlichen philosephardischen Aktivitäten teilgenommen haben, erweckt - ich wiederhole es - den häufig falschen Eindruck, bei den zitierten Autoren handelte es sich um uneingeschränkte Philosemiten. An dieser Legende hat beispielsweise auch Aronsfeld (1979: 36) mitgestrickt, wenn er schreibt: „More reputable writers took up the cause of the Jews - Carmen de Burgos, Gabriel Alomar, Rafael Altamira, Francos Rodriguez - though not all in the unequivocally ardent terms of Rafael Cansinos-Assens." Auch die ,Sephardisierung' der überwiegend aschkenasischen ,Rückkehrer' nach Spanien stellt, vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, ein Forschungsdesiderat dar.

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und Ganivet, eine durch und durch spanische Personalität 14 besitzen". Von Interesse ist dieses Buch schließlich auch deshalb, weil es die maurischen Einflüsse auf das Denken von Maimónides betont, und zwar durchweg positiv - so positiv, daß man, zieht man eine Reihe weiterer Schriften Ignacio Bauers mit heran, auch von einer „sekundären Maurophilie" sprechen könnte. Deshalb ist es kein Zufall, daß sich der prominente Aschkenase in mehreren Publikationen (1934: 41) auch mit J e n e r herrlichen Kultur" beschäftigte, „die von dem aschkenasischen Cordoba aus ganz Europa erreichte" und die zu einer „glorreichen Periode unserer nationalen Geschichte" gehört. Jenseits feierlicher Bankette, philosephardischer Grußadressen und publizistischer Hommagen an Sefarad und Al-Andalus, die eine harmonische Eintracht von Juden und Christen suggerierten, brachte sich der ordinäre Antisemitismus freilich immer wieder in Erinnerung. Zu dessen Vertretern gehörten, wenn auch mit teilweise gewichtigen Einschränkungen, nicht nur einige der zitierten Teilnehmer des Festes zu Ehren von Ignacio Bauer. Zu ihnen gehörten auch solche Zeitgenossen, denen der - ökonomische - Philosephardismus gleichsam per Amt am Herzen hätte liegen sollen. Sehr aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang ein

Brief

(Marquina/Ospina

1987:

61)

des

Präsidenten

der

Madrider

Handelskammer an das Außenministerium von 1930. Darin äußert der Absender seine Befürchtung, daß eine Gruppe russischer Sepharden nach Spanien einreisen wolle. Um den Adressaten davon zu überzeugen, daß eine solche Einwanderung für Spanien äußerst schädlich sei, verweist er auf ,historische Beispiele': „Llegaba a insinuar que habían sido los judíos los que provocaron la guerra de Estados Unidos contra España en 1898, ya que el Maine, estaba tripulado por judíos preparados a dar su vida por los Estados Unidos y dar libertad a la Colonia española de Cuba." Daß sich ausgerechnet der Präsident der Madrider Handelskammer einer antisemitischen, zugleich antisephardischen Klaviatur bedient, wirft schließlich ein bezeichnendes Licht auf jene Aktivitäten, mit denen sich die Diktatur Primo de Riveras mit Blick auf die Sepharden verabschiedete. Gemeint ist ein prononciert ökonomisch ausgerichteter Philosephardismus, der vor allem mit dem Namen José María Doussinague, dem Handelsattaché Spaniens für Europa, verbunden ist. Doussinague, der 1930 die Sephardengemeinden auf dem Balkan bereist hatte, plädierte in seinem Bericht (1930: 3) ganz entschieden dafür, die

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Übrigens identifizierte sich Ignacio Bauer auch mit den spanischen .Heldentaten' in Geschichte und Gegenwart, etwa mit „nuestra campana militar" 1859/60 in Marokko.

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Sephardenfrage nicht länger in dem nebulösen Gebiet rhetorischer Manifeste und kulturell-sentimentaler Betrachtungen zu belassen, sondern statt dessen strikt ökonomische Erwägungen anzustellen. Ihm ging es etwa um die Gründung von Handelskammern in den Balkanländern und um die Lösung finanzieller und kredittechnischer Probleme. Dabei, und nur dabei, setzte er auf die Unterstützung der Sepharden - „un arma de penetración comercial en los Balcanes". Gleichzeitig rechnete Doussinague (ebd.: 8) mit einigen Standardbehauptungen des Philosephardismus herkömmlicher Provinienz ab: „Contra lo que se ha venido diciendo generalmente, el sefardita no se siente unido a España por vínculos morales de ninguna clase, ni siquiera puede afirmarse con todo rigor que exista entre nosotros y ellos una comunidad de idioma propiamente dicha. [...] Es muy aventurado afirmar que constituyan una rama desgajada del tronco hispano, y tampoco puede decirse sin exageración que sean ellos un grupo de connacionales nuestros injustamente perseguidos por motivos religiosos." So realistisch dieses Darstellung auch immer sein mag: Im Unterschied zu den ,Kulturalisten' ermangelt es dem „ökonomischen Sephardismus" Doussinagues jedoch eines ,Köders'. Warum, so dürften sich seine Kritiker gefragt haben, sollten die Sepharden als ökonomische Mittler Spaniens agieren, wenn sie eigentlich nichts mehr mit dem Land ihrer Vorfahren verbindet? Vielleicht glaubte er, daß es ausreiche, die Sepharden als jüdische Edelrasse zu loben - eine typische Haltung der spanischen Sephardenfreunde, die in dem philosephardisch drapierten Antisemitismus der folgenden Zeilen (ebd.: 3) anklingt: „El clásico avaro, dominado totalmente por la codicia, explotador del cristiano, sin escrúpulos de ninguna clase a la hora de atraer hacia sí el dinero de los demás, se encuentra abundantemente en Polonia. En cambio no puede menos de sorprender el que cuantos en los Balkanes tienen trato continuo con el sefardí, coincidan en manifestar que tanto en el comercio como en la vida privada posee éste un grupo denso de sentimientos nobles y de virtudes opuestas a la idea que generalmente se tiene del hebreo." Es liegt auf der Hand, daß dieser „sefardismo económico", wie er in die Annalen Eingang fand, nicht nur auf Widerstand in der Madrider Handelskammer traf; er bedeutete auch einen Affront gegen die kulturpolitische Strategie der Junta de Relaciones Culturales, die erst zu Beginn der Diktatur das Licht der Welt erblickt hatte. Wenngleich auch diese Initiative praktisch im Sande verlief, so illustriert sie doch immerhin einen ,ParadigmenwechseP: „Se pasaba así", so Bel Bravo (1992: 274), „de la etapa donde prevaleció la admiración romántica de los intelectuales hacia aquellas comunidades en las que se promovió el conoci-

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miento de eso pueblo y una relación cultural de España con él, a otra etapa en donde el utilitarismo será el denominador común en la política llevada a cabo por el gobierno de Madrid." Pulido, der 1932 starb, dürfte diese ideologische Verengung seines Lebenswerks sicher nicht gefallen haben. Auf den folgenden Seiten werden seine Ansichten und Aktivitäten genauer unter die Lupe genommen - zusammen mit einigen publizistischen und literarischen Stimmen des Philosephardismus, die Pulidos Kampagne auf die eine oder andere Weise sekundierten. Aus der beeindruckend üppigen Fülle von Zeitschriften und Autoren, die zum Kreis des Philosephardismus gerechnet werden, kommen in der folgenden Detailanalyse nur einige, jedoch besonders bekannte Stimmen zu Wort - Stimmen, die dem, was unter dem plakativen Begriff „Philosephardismus" firmiert, besonders deutlich und nachhaltig ihren Stempel aufgedrückt haben. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die auf den zurückliegenden Seiten skizziert wurden, nehmen in der Nahaufnahme besonders klare Konturen an. Dabei überrascht vielleicht weniger, daß sich die namhaftesten Philosepharden aus höchst unterschiedlichen politischen Lagern rekrutierten. Überraschender ist das Ausmaß antisemitischer, in Teilen auch antisephardischer Ressentiments, die dem Leser auf den Seiten einiger Autoren entgegenschlagen. Ihrem Nimbus als exponierte Philosepharden hat das, so scheint es, jedoch nicht geschadet.

1. „The story found a Champion": Der „Sephardenapostel" Angel Pulido Die Wiederentdeckung der Sepharden, wiewohl nicht das Werk eines einzelnen Mannes, wird vor allem mit seinem Namen assoziiert: Angel Pulido Fernández (1852-1932), Mitglied der Spanischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Generaldirektor des Gesundheitswesens, liberaler Senator (ab 1910 auf Lebenszeit) und unbestrittener Spiritus rector der Sephardenkampagne, der er rund dreißig Jahre seines Lebens widmete. Wer war dieser ruhe- und rastlose Mann, der wie kein anderer, so Bernd Rother (1995: 51), Spaniens Bild von den Sepharden prägte? Und vor allem: Was waren seine Motive und welches Bild hatte er von den Sepharden? Verblüffend ist zunächst, daß der Mediziner und Politiker auch auf anderen Gebieten ein intensives, nicht zuletzt publizistisches Engagement entwickelte: Der von seinem Sohn Angel Pulido Martín (1994: 223 ff.) veröffentlichten Biographie, einem ziemlich schönrednerischen Machwerk, ist zu entnehmen, daß

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er über hundert Bücher publiziert hat. Sie reichen von Reisebeschreibungen über medizinische Studien bis zu biographischen und politischen Schriften (u. a. El cáncer comunista von 1921), von seinen Büchern über die Sepharden einmal abgesehen. Hinzu kommen ca. 2 000 (!) Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, deren thematische Spannweite genauso groß ausfällt. Obwohl Pulido bereits im späten 19. Jahrhundert in politischen und wissenschaftlichen Insiderkreisen kein Unbekannter war - so korrespondierte er etwa mit Menéndez Pelayo (Menéndez Pelayo 1953: 98 ff.) - , wurde er erst ab 1903, dem Beginn seiner Sephardenkampagne, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Pulidos Engagement für die Sepharden, das er (1992: 10) zeitlebens als „una obra verdaderamente patriótica" verstand, beschränkte sich indessen nicht allein auf publizistische Aktivitäten. Als Hauptinitiator der Kampagne war er überdies maßgeblich daran beteiligt, daß 1909 in Spanien wieder Synagogen eröffnet werden durften; 1910 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der „Unión Hispano-Hebrea"; er wirkte an der Einrichtung eines Hebräischen Lehrstuhls mit, den Abraham Schalom Yahuda 1915 übernahm; 1920 kam es auf Initiative Pulidos zur Gründung der „Casa Universal de los Sefardíes", die die Beziehungen zu den internationalen Sephardengemeinden verbessern sollte; hinzu kommen politische Initiativen, in den 20er Jahren vor allem mit Blick auf die Sepharden in Marokko, Impulse zur Gründung sephardischer Publikationen und Bildungseinrichtungen, Anregungen zur Verbesserung institutioneller Kontakte zwischen Spanien und den Sepharden, internationale Vortragsreisen ... Insgesamt ein imposantes Engagement für „die Spanier ohne Vaterland", die er im übrigen eher zufällig entdeckt hatte. Die Umstände der Entdeckung, vor allem ihre zeitliche Verzögerung', lassen schon ein zentrales Motiv erahnen, das als Haupttriebfeder für Pulidos Philosephardismus gelten kann: Die patriotische Sorge um den lamentablen Zustand seines Vaterlandes. So datiert seine eigentliche Entdeckung der Sepharden bereits von 1883: Damals hatte er, wie er (1992: 10 ff.) in seinem ersten Buch Los israelitas españoles y el idioma castellano von 1904 berichtet, während einer Schiffsfahrt auf der Donau erstmals die Bekanntschaft von Sepharden gemacht. Überrascht hatte ihn, neben der Sprache, besonders „un extraño sentimiento de españolismo" seiner neuen Bekannten. Nennenswerte Folgen hatte diese Begegnung jedoch nicht. Es sollte noch genau zwanzig Jahre dauern, bis eine erneute Begegnung mit den Nachkommen der Vertreibungsopfer von 1492, wiederum auf einem Donaudampfer, zur Initialzündung der Sephardenkampagne wurde. Diesmal machte er die Bekanntschaft von Enrique Bejarano, dem Direktor einer

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sephardischen Schule in Bukarest - und diese Bekanntschaft hatte Folgen: „formé entonces el propósito", schreibt er (ebd.: 14) schon kurz darauf, „de anudar lazos de amistad con el ilustre varón [...] y acometer una propaganda en favor de relaciones que juzgo convenientes". 15 Dazwischen lag, und das dürfte die angedeutete .Verzögerung' erklären, das koloniale Desaster

von 1898: Wie viele seiner intellektuellen Zeitgenossen, so

litt auch Pulido an dem dekadenten Zustand seines Landes, der durch den Verlust der letzten Kolonien ein nationales Dauerlamento provozierte. Und die Sepharden, wähnte er sich sicher, könnten entscheidend dazu beitragen, diesen Zustand zu überwinden. So ist es wohl kein Zufall, daß er sein 1905 erschienenes Hauptwerk, Españoles sin Patria y La raza sefardí, das den Untertitel Intereses

Nacio-

nales trägt, mit einem Vorwort (1905: VIII) versieht, dem es an glühendem Patriotismus nicht mangelt: „Por eso á tí, Salamanca querida, dedico esta obra forjada al fuego de mis ansias regeneradoras por la patria santa". So glühend seine patriotische Begeisterung, so schonungslos ist die Beschreibung (ebd.: 550) seines Landes: „España sufre hoy la mayor de sus desgracias históricas; y la desgracia en los pueblos, como en los individuos, tiene pocos amigos buenos." Der zweite Teil des Satzes ist auf all jene, hauptsächlich außerhalb Spaniens gemünzt, für die der beklagenswerte Zustand des Landes ein Beweis dafür ist, daß „frailes fanáticos, holgazanes, mendigos, rufianes, bravos y ladrones" Spanien in den Ruin gestürzt haben. Doch denen, „estos extranjeros, desconocedores de nuestro país", hält er (ebd.: 585) entgegen: „pero no hay por qué olvidar lo pasado en absoluto, así para dolemos y aprender con nuestros errores, como para enorgullecemos y reanimarnos con nuestras grandezas". Es ist wichtig, diesen, primär historischen Patriotismus Pulidos im Auge zu behalten. Denn hier liegt das Hauptmotiv für sein jahrzehntelanges Engagement. Hier, in seiner ziemlich traditionalistischen Verehrung nationaler „grandezas", liegt auch die Haupterklärung für das Bild, das er von der jüdischen Geschichte seines Landes zeichnet, unter Einschluß eines Topos, der, so Bernd Rother (1995: 51), hauptsächlich seine Handschrift trägt: dem „von der besonderen Liebe der Sephardim zu Spanien".

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Sein Sohn Angel Pulido Martín, der in dieser Zeit in Wien studierte, hatte ihn, wie er (1945: 209) schreibt, bereits vor der Reise über seine eigenen Sephardenbekanntschaften informiert, allerdings ohne sonderlichen Erfolg: „Relatos que mi padre había escuchado, si es que los había escuchado, con escepticismo rayano en incredulidad. ¡Este chico!"

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Kein anderer Topos wird so oft bemüht wie dieser: „Me interesó y hasta me conmovió", beschreibt Pulido (1992: 14) seine Gefühle, als er 1903 die Bekanntschaft Enrique Bejaranos machte, „aquel puro y legendario amor á la patria de sus remotísimos abuelos". Wie es scheint, artikulierte er damit durchaus eine Sichtweise der Sepharden, die im vorliegenden Falle auch die von Bejarano war: „Hoy nos proporciona la ventura", zitiert er (ebd.: 13) dessen ,Liebeserklärung', „de ir en este barco y conocer á estos señores, que son de España, de nuestra querida madre patria". Obwohl Pulido in Españoles

sin Patria auch solche

Sepharden zu Wort kommen läßt, die von der „Madre Patria" wenig oder gar nichts wissen wollten, hat er selber an diesem Topos jedoch fast durchweg festgehalten: „el sentimiento de veneración histórica, de recuerdo vivo y emocionante, de simpatía franca y comunicativa con que oíamos expresarse á los judíos que se llamaban españoles", dieses Gefühl figuriert auch dort als „uno de las motivos que más nos impresionaron, y por ello más contribuyó á esta empresa de reconciliación entre España y sus desterrados hijos". Selbst wenn er insgeheim nicht oder nur teilweise daran geglaubt haben sollte - der zitierte Hinweis auf die beabsichtigte „Wiederversöhnung" deutet u. a. darauf hin - , so war der Topos der sephardischen Spanienliebe doch allemal geeignet, den Kritikern und Zweiflern etwas Wind aus den Segeln zu nehmen: Welcher national gesonnene Spanier, und das waren wohl die meisten, blieb völlig ungerührt, wenn sein Land derart verehrt wurde? Den Adressaten dieser Verehrung fiel es im übrigen um so leichter, sich geschmeichelt zu fühlen, als es sich bei den Sepharden, so das Credo Pulidos, um Landsleute handelte, zwar „desnaturalizados topográficamente" (1992: 34), aber eben doch um Spanier. Zu ihren Gunsten sprach ferner, daß sie besondere Juden waren: „los israelitas españoles siguen siendo todavía, dentro de su raza", präsentiert er (ebd.: 86) auch den Topos der sephardischen Aristokratie, „como los favorecidos por una selección étnica y social que siempre hubo de reconocérceles". Die moralisch-intellektuelle Superiorität der sephardischen Edeljuden, ihr „Adel" und ihre „Distinktion", mache sich auch (1923: 68) physisch bemerkbar: „la beauté typique du peuple judío-espagnol, très semblable à la caractéristique espagnole". Wohl nicht zuletzt deshalb bilden die „magnifiques sentiments hispanophiles, religieusement conservés à travers les siècles", wie es in einem von Max Nordau (!) übersetzten Vortragstext aus den früheren 20er Jahren heißt (ebd.: 44), eine Konstante in Pulidos argumentativem Repertoire. Noch Anfang der 30er Jahre wiederholte er in der Gaceta Literaria

(1980: 66), dem philosephardischen

Flaggschiff von Ernesto Giménez Caballero, die Behauptung: „En todas las

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cartas [...] expresan [die sephardischen Absender, N.R.] siempre dos sentimientos fundamentales: una veneración religiosa por la antigua patria; y un ardiente deseo de exaltación de la España actual". Trotz der Versöhnungs- und Liebesrhetorik, die seine gesamten Schriften durchzieht, hat Pulido seine eigentlichen Hauptambitionen nie versteckt, und die waren durchaus eigennützig. Nur in seinem ersten Buch ziert er sich noch, die „nationalen Interessen" deutlich als solche zu benennen. So weist er (1992: 18) den Verdacht, die Kampagne diene materiellen Zielen und nationalen Egoismen, als „burda especulación" zurück und fugt hinzu: „¡Buena raza la hebrea para tamañas empresas! No se trata de eso, ni á tan menguada granjeria hay que rebajar la atención y el propósito, pues tiene la materia otros más dignos y fraternales aspectos". Nur gegen Ende des Buches stellt er (ebd.: 99), immer noch zaghaft, die Suggestivfrage, ob es nicht auch um Beziehungen gehen müsse, „que nos sean de alguna utilidad?" In Españoles sin Patria gibt er diese Zurückhaltung jedoch bereits auf. Nun zeigt er sich (1905: 211) überzeugt, daß die „inveterada patología de nuestro espíritu nacional" mit Hilfe der Sepharden kuriert werden könne. Durch „la aportación de caracteres como los de esos judíos españoles" ließen sich einerseits „nuestra alma, vida y riqueza nacional interna" nachhaltig verändern. Davon würde andererseits auch „nuestra dilatación nacional externa" überwunden, und zwar durch „el afecto y lenguaje de unos expatriados, que han hecho de los pueblos todos de Europa, Asia, Africa y América su residencia, constituyendo así un sistema nervioso sin igual, que permitiría circular el alma y las corrientes nerviosas del pueblo español por el mundo todo." Trotz des vagen Vokabulars, mit dem er seine Doppelstrategie formuliert, wird klar: Die Sepharden sind für Pulido eine Trumpfkarte zur nationalen Regeneration. In späteren Jahren hat er den instrumenteilen Charakter, den er den hispanosephardischen Beziehungen stets beimaß, noch unverblümter formuliert und auf dezidiert politische Interessen seines Landes ausgeweitet, besonders auf die kolonialen Ambitionen in Nordafrika: „la colonisation de Maroc", rief er (1923: 100) seinen Pariser Zuhörern zu, „doit être considérée comme une oeuvre national absolument et même impérativment nécessaire dans laquelle les Séphardites ont déjà conquis une position et un droit sacré à figurer comme les auxiliaires les plus influents et les plus puissants de l'Espagne". Als glühender Patriot, dem die historischen „grandezas" des imperialen Spaniens zeitlebens eine Herzensangelegenheit waren, mußten ihm die Sepharden darüber hinaus geradezu zwangsläufig als probates Instrument erscheinen, um just dort verlorenes Terrain wett-

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zumachen, wo die historischen Ruhmestaten zwei Jahrzehnte zuvor ein so klägliches Ende gefunden hatten: in den überseeischen Exkolonien. Denn auch dort, „dans les républiques hispanoamericaine", zeigte er (ebd.: 96) sich überzeugt, gebe es prosperierende Sephardengemeinden: „par conséquence, on peut faire une œuvre de propaganda très productive pour nos échanges nationaux." Die kühnen Träume Pulidos, Spanien mit Hilfe der Sepharden an Haupt und Gliedern zu sanieren, mag man als quijoteske Wunschgebilde belächeln

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tatsächlich ging keiner von ihnen in Erfüllung. Sie illustrieren indessen, um was es ihm und vielen seiner Anhänger, trotz aller Versöhnungsrhetorik und trotz aller mageren Ergebnisse, die die Kampagne praktisch erbrachte, im Grunde stets gegangen ist. Vielleicht lag es gerade an dieser nüchternen Bilanz seines jahrzehntelangen Engagements, daß seine Träume so zählebig und wirklichkeitsresistent waren. Jedenfalls ließ er noch ein Jahr vor seinem Tode (1931: 66) nicht den geringsten Zweifel an der sephardischen Trumpfkarte erkennen - Spanien müsse sie nur endlich ausreizen: „Hoy repito con mayor energía mi afirmación de siempre. El pueblo sefardí es la única base mundial de la existencia de España. Mientras todos los sefardíes no tomen parte en nuestra vida cultural y hasta nacional, no se curará España de sus ¡numerables sufrimientos". Wie hat sich Pulido diese Teilnahme konkret vorgestellt? Im Unterschied zu dem vagen Topos der sephardischen Spanienliebe, dem Pulido wahrscheinlich selbst mißtraute, gebe es darüber hinaus, schrieb er in Españoles sin Patria (1905: 46), „algo que es de mayor importancia y transcedencia, porque arranca de más hondo, liga con mayor adhesión y forma y modela el espíritu mayor que otro agente educador alguno: nos referimos al lenguaje. Este pueblo habla el castellano." Auf die herausragende Bedeutung der Sprache hatte bereits der Titel seines ersten Sepharden-Buches Los israelitas españoles y el idioma castellano unübersehbar hingewiesen. Anders als die unsichere und nicht sonderlich operationalisierbare Spanienverbundenheit der Sepharden, erschien die Sprache, auch wenn sie veraltet und „korrumpiert" war, als handfeste Größe, die ungeahnte Möglichkeiten versprach. Welches andere Land besaß einen so kostbaren Schatz, der nur darauf wartete, gehoben zu werden? Mit seiner Option für eine internationale Sprachpolitik befand sich Pulido, wie er selber wußte, im übrigen durchaus auf der Höhe der Zeit. Man müsse sich auf seinen Reisen nur etwas umsehen, schrieb er (1992: 27), um festzustellen, welchen hohen Stellenwert die Sprache „in der internationalen Konkurrenz" bereits besitze: „¿Cómo pasar inadvertida esa lucha que mantienen razas superiores y Estados poderosos como Inglaterra, Alemania y Francia, para

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infundir en el seno de los demás países, con su verbo, su propia esencia, valiéndose de periódicos, cursos escolares y otros medios de expresarse, realizados en el propio idioma?" Um so unverständlicher sei es, daß „esta infeliz España" den sprachlichen Joker, den die internationalen Sephardengemeinden darstellten, nicht endlich ins Spiel bringe. Deren Spanisch, „su idioma patrio", sei zwar „bastante adulterado", dieser Makel lasse sich jedoch leicht beseitigen. Etwa mit Hilfe der Real Academia de la Lengua Española, die er (ebd.: 106) bereits gebeten habe, sephardische Korrespondenten zu ernennen, deren Aufgabe u. a. darin bestehen solle, das Judenspanisch zu „korrigieren" und die Identifizierung mit dem modernen Kastilisch zu erhöhen. Zur Mitarbeit, auf ihrem jeweiligen Terrain, ermunterte er (1905: 610) darüber hinaus die Real Academia

de la

Historia, die Presse, die Vereinigungen von Schriftstellern und Künstlern, die Handelskammern und die Unión Ibero-Americana.

Initiativen auf diesem Gebiet

seien um so dringlicher, mahnte er (ebd.: 20), als das Judenspanisch vielerorts bereits vom Aussterben bedroht sei: eine Folge der internationalen Sprach- und Kulturpolitik der „großen Imperien" wie Deutschland, England und Frankreich, „[que] luchan con grandes esfuerzos por adquirir cultivadores y aumentar el número de los que le utilizan en sus necesidades, ya científicas, ya literarias, ya comerciales". Daß es ihm, dem erklärten Regenerationisten, dabei nicht zuletzt um die „kommerziellen Bedürfnisse" ging, hat er (1905: 605) mit emphatischen Worten deutlich gemacht: In Spanien habe man zwar stets die Schönheit der Sprache besungen, ihre grammatische Perfektion bewundert und die unvergleichliche Musik ihrer Harmonien und Kadenzen verfeinert, „pero nunca hemos podido comprender que mereciera ser considerado como una fuerza apropiada para conquistas de carácter mercantil." Übertroffen wurde Pulidos emphatisches Plädoyer für die Liaison von Sprache und Kommerz nur, was die generelle Bedeutung des Spanischen betrifft, von einigen Sepharden. Deren pathetische Liebeserklärungen an die spanische Sprache, häufig noch inbrünstiger vorgetragen als die vermeintliche Liebe zum Lande, dürfte Pulidos illusorischen Glauben an die Potentiale des linguistischen Brückenschlags sicher gefestigt haben. Ein besonders beredtes Beispiel dieser Gattung, es stammt aus der Feder von Enrique Bejarano, findet sich bereits in Pulidos erstem Buch (1992: 17): „A tí, lengua santa, / á ti te adoro, / más que á toda plata, / más que á todo oro. / Tú sos la más linda / de todo lenguaje; / á tí dan las ciencias / todo el ventaje. / Con ti nos hablamos / al Dios de la altura, / patrón del Universo / y de la Natura. / Si mi pueblo santo / él fué captivado, / con tí, mi querida, / él fué consolado."

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Die herausragende Bedeutung, die Pulido der Sprach- und Kulturpolitik beigemessen hat, läßt bereits erahnen, was er nicht wollte: Eine massive R ü c k kehr' der Sepharden in die angeblich so geliebte Madre Patria. Trotz der zitierten Absichten, durch „la aportación de caracteres como los de esos judíos españoles" zur Förderung der „riqueza nacional interna" beizutragen, hat er (1905: 180) damit keiner Masseneinwanderung das Wort geredet: „Quién, que no tenga el más absoluto desconocimiento de la vida de los pueblos, y de la que se realiza en España, podría aconsejar la inmigración de numerosas colonias hambrientas, que buscasen aquí facilidades de existencia negadas á su laboriosidad donde ahora residen? Esto es descabellado [...]. No, no deseamos nada de esto". Es komme vielmehr darauf an, die sephardischen Gemeinden, etwa im Osmanischen Reich und in Nordafrika, als strategische Brückenköpfe zu nutzen und auszubauen. Das, und nur das, sei „conveniente en alto grado á España y conveniente asimismo á Israel". Der instrumentelle Charakter, der den Philosephardismus Pulidos prägte, tritt hier, in seinen illusorischen Ambitionen, „la importancia social que hoy tienen [...] esos [...] hijos de España" (1992: 83) für nationale Zwecke einzuspannen, besonders unverblümt zutage. Statt einer „Wiederversöhnung", die als verbaler Zierrat immer wieder in seinen Äußerungen auftaucht, ging es ihm um nationale Interessen: „Se calcula", heißt es etwa (ebd.: 97) über das Osmanische Reich, „que pasan de mil los funcionarios hebreos españoles que desempeñan cargos distinguidos en Turquía: generales, coroneles, capitanes; médicos, cirujanos y farmacéuticos; miembros del Consejo Superior; publicistas y periodistas renombrados." Alles potentielle Agenten der Pro-domo-Strategie, suggeriert er seinen Lesern! Obendrein, und hier schimmert ein bekanntes Judenklischee durch, säßen die dortigen Sepharden an den Hebeln der ökonomischen Macht: „En el comercio otomano, los judíos españoles figuran en primera línea, y algunos son millionarios." Und denen, scheint er anzudeuten, stünden die Tore seines Landes durchaus offen: „,Si España hubiera gestionado y estimulado la repatriación de estos judíos, yo sé de unos pocos que consigo hubieran llevado más de mil millones de francos. No se trata de admitir gente pobre y buscona, sino gente rica y emprendedora'." Zur Ironie der Geschichte gehört, daß dieser Wink mit dem ökonomischen Zaunpfahl, den Pulido (ebd.: 97) als ebensolchen an seine Leser weitergab, von einem Sepharden stammt... Während der nicht sonderlich selbstlose Philosepharde auch in den folgenden Jahrzehnten bemüht war, hauptsächlich betuchte und einflußreiche Juden für seine Sache zu erwärmen - dazu zählen auch seine Kontakte zu Baron Roth-

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schild (1923: 27) - , ließ sich die als „raza trabajadora" (1992: 100) umschmeichelte Diaspora der Sepharden kaum bewegen, dem selbsternannten Apostel zu folgen. Eine der Ursachen war ihre Befürchtung, daß das Land von Torquemada den Fanatismus von einst noch nicht völlig überwunden habe. Und dieser Befürchtung lag zumeist eine Sicht der Geschichte zugrunde, die nicht damit rechnen konnte, in Spanien auf breite Zustimmung zu stoßen. Welches Bild von der jüdischen Geschichte Spaniens hatte demgegenüber Pulido? „Pero ¿á qué incomodarse ahora por lo que sucedió hace tantísimos años?" Am liebsten hätte Pulido diese Frage (1992: 67) völlig übergangen, und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen barg eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte die Gefahr in sich, daß das sorgsam gepflegte Klischee der sephardischen Spanienliebe häßliche Kratzer bekam. Zum anderen war eine solche Auseinandersetzung geeignet, Teile der spanischen Öffentlichkeit, die ein traditionalistisches Geschichtsbild hatten, aber für prosephardische Ideen offen waren, zu verärgern. Wohl deshalb, und weil er in historischen Kernfragen selber patriotisch dachte, wählte er einen historischen Schlingerkurs: Er vermied es, die Grundpfeiler des nationalen Geschichtsgebäudes frontal zu rammen, gab sich aber, der liberalen Religionskritik der Zeit verpflichtet, hier und da dennoch einen kritischen Anstrich. In Españoles sin Patria (1905: 192 f.) liest sich dieser historische Zickzackkurs, der es allen recht machen wollte, so: „No sentimos indignación ninguna contra los Reyes Católicos, ni siquiera contra Torquemada, por el edicto abominable del 31 de Marzo de 1492; y no descenderá de nuestro discurso á la pluma el más leve calificativo, por un acuerdo que tanto daño causó física y moralmente á nuestro país." Aus der Sicht Pulidos passen die disparaten Teile dieses Argumentationspuzzles durchaus zusammen - wenn man sie nämlich aus historischer Perspektive betrachtet: „Por esto no es justo censurar con indignación monstruosidades que no existen, ni fierezas y perversidades de ánimo que no hay; porque todo se hace dentro de cierta estricta moral, con el sano propósito de cumplir lo mejor posible la función esencial que se desempeña, y sirviendo á la mayor gloria de aquel alto ministerio, ó sacrosanto culto en que se comulga." Damit tut Pulido keinem der historischen Akteure weh: Alle haben nur in bester, zeithistorisch völlig verständlicher Absicht gehandelt, auch wenn das Ergebnis, daran läßt er wenigstens keinen Zweifel, objektiv schädlich und verwerflich war. Die zu Beginn dieses Abschnitts zitierte (Suggestiv-)Frage, warum man sich noch wegen etwas beunruhigen solle, was schon so lange zurückliege, ist damit, wollte er wohl sagen, auch sachlich beantwortet. Dennoch hielt es Pulido für nötig, seine Interpretation der Geschichte als Fait accompli mit

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konkreten ,Tatsachen' zu erläutern, und dabei (ebd.: 199 f.) bilden Ursachen und Wirkungen, Fakten und Fiktionen ein argumentatives Knäuel, das mehr über den Rechtfertigungsdruck des Laienhistorikers aussagt, als daß es die historischen Ereignisse beschriebe, die zum Edikt von 1492 führten: Religiöse Auseinandersetzungen, Wirren der Reconquista, die „erschreckenden Invasionen" der Reformation, die herrschende Kriminalität auf dem Lande, die „Ketzerei" in den Städten, der Glaube als Bindeglied der nationalen Einheit und „las luchas seculares mantenidas entre cristianos, moros y judíos, con aquellos períodos de calma y cordialidad, durante los cuales convivían y se ayudaban todos en sus respectivas empresas; y la superioridad intelectual, financiera, mercantil y social que mostró siempre el pueblo de Israel". Auch seine Verteidigungsrede enthält, wie man sieht, eine kaum versteckte Anklage: Die allenthalben existierende „Überlegenheit" der spanischen Juden, insinuiert er, war eine Gefahr ... Immerhin erfuhr der Leser dieser Zeilen, daß es auch eine Zeit des friedlichen Zusammenlebens der drei Religionen gegeben hat; woran sie scheiterte, erfährt er freilich nicht. Dagegen wird er über die kulturellen Leistungen der peninsularen Juden unterrichtet (1905: 234): „probaron su inteligencia privilegiada iluminando los horizontes de la civilización arábiga entre los árabes, y los de la española entre los cristianos". Auch wenn er hier „die Araber" zu kulturellen Schülern der Juden deklassiert, 16 seine Wertschätzung des Goldenen Zeitalters der spanischen Juden ist evident: „contribuyeron mucho", schrieb er (ebd.: 236 f.), „al lustre y engrandecimiento del imperio de los Benú-Omeyya, y más singularmente de la ciudad de Córdoba. [...] Otro tanto hicieron de su parte los asentados en las nacientes monarquías cristianas, cuando al frente de éstas hubo soberanos tolerantes y de alto sentido político". Hier zeigt sich Pulido gut informiert, obwohl der historische Glorienschein, von dessen Glanz zahlreiche seiner Zeitgenossen profitieren wollten, für seinen Philosephardismus nur eine untergeordnete Rolle spielte.

16

Wie verschiedene Äußerungen zeigen, war Pulido (1905.17) kein Freund des Islams weder auf der Halbinsel noch anderswo: „la religión del Crucificado es de paz, de caridad y de esperanza; no de guerra, de sevicia y desesperación. En esto se diferenciaron esencialmente el cristianismo y el islamismo. Mahoma no predicó, sino que impuso con sus ejércitos. Jesucristo jamás impuso, sino que persuadió con su palabra. - Mahoma enarboló el estandarte del guerrero y paseó sus huestes asoladoras por los pueblos, blandiendo las tajantes cimitarras tintas en sangre." Den Herrschern des Osmanischen Reiches, die einen erheblichen Teil der spanischen Juden aufgenommen hatten, attestiert er (1992: 92) indessen eine „noble tolerancia".

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Das einseitige Bild, das die Mehrheit der zeitgenössischen Autoren von den jüdischen Koryphäen des Mittelalters zeichnete, präsentiert freilich auch Pulido. Ihn interessieren nur die universalen Leistungen - das genuin Jüdische bleibt unerwähnt. Mit einer Ausnahme: den jüdischen Frauen, vor allem des Alten Testaments. Ihnen, die gerade auch in Spanien zu einem sinnlichen Gegenbild der

christlichen

Keuschheitsobsessionen

wurden,

gilt

seine

besondere

Wertschätzung. Es ist jedoch gerade dieses Gegenbild, das Pulido (ebd.: 247 f.) ins Visier nimmt: Für ihn symbolisieren „las hebras" eben nicht jenes Reich der Sinne, „donde reinan el confort y la opulencia, se hace del impudor, el adulterio y la infedilidad, como un sport histérico". Dieses Bild der jüdischen Frauen hält Pulido fur ein unmoralisches Zerrbild, „un fenómeno raro", das mit der Wirklichkeit nichts zu tun habe - und das Gott sei Dank! Die jüdischen Frauen, vor allem ihre biblischen Urgestalten, seien vielmehr uneinnehmbare Moral- und Tugendfestungen gewesen, die dem christlichen Idealbild, so seine Sicht, völlig entsprachen: „La pureza de Sara, siempre inmaculada á través de muchos peligros; la blonda belleza y evangélica hospitalidad de Rebeca; las virtudes sencillas de Raquel; la santidad y el vivísimo amor filial de Ruth; el heroísmo fiero de Judith; las piadosas inspiraciones de Esther; la castidad de Susana ..., todas esas virtudes [...] no fueron sino una especie de campo y ambiente histórico, donde había de florecer en su día la más ideal y arrobadora imagen que ha concebido por siempre el pensamiento humano: la de madre de Dios". Die historischen Ahnherren Pulidos, die sich im späten Mittelalter anschickten, die christliche Moral zur einzig herrschenden zu machen, hätten diesem Bild der jüdischen Frauen sicher widersprochen: Die Vertreibung der Juden war schließlich auch die Austreibung der maurisch-jüdischen Sinnlichkeit. Gegen diese Art der Austreibung hätte der christliche Tugend- und Moralapostel vermutlich keine Einwände erhoben. Die sonstigen Folgen der Vertreibung hielt er (1905: 529 f.) indessen, wenn auch mit gewichtigen Einschränkungen, für schädlich: „se hizo una amputación cruenta en el organismo nacional, y todas las amputaciones suponen una pérdida. Ganarían mucho, muchísimo, sin duda, los entonces supremos intereses políticos y religiosos de la nación [...]; pero los demás: los intelectuales, los industriales, los agrícolas, los mercantiles y los financieros, todos los grandes intereses de que hoy cuida la economía política, y constituyen nervios, sangre y músculos de los pueblos modernos, esos con seguridad quedaron lamentablemente maltratados." Knapp zwei Jahrzehnte später bilanzierte er (1923: 85) die materiellen Schäden sogar als das nationale Desaster schlechthin: „nous perdîmes notre commerce, notre industrie et notre agriculture".

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Die übliche Mentalität nationaler Buchhalter, die Soll und Haben der ökonomischen Folgen der Vertreibung bilanzieren - und dabei übertreiben - , bestimmt auch das Denken Pulidos. Gelegentlich

schien er (1992: 103) sich in-

dessen auch für die Hauptopfer dieser Politik zu interessieren, wenn auch nur als Randbemerkung, die zum eigentlichen Thema überleitet: „Ellos quedaron con el dolor de su luctuoso destierro, y nosotros con la memoria de nuestra absoluta intransigencia; y así hemos llegado hasta el día de hoy". Was war von der „figura siniestra de Torquemada" (1992: 105) nach Ansicht Pulidos zu Beginn des 20. Jahrhunderts übriggeblieben? Wurde die sephardische ,Spanienliebe' von seinen Zeitgenossen in Spanien erwidert? Torquemada ist tot und mit ihm der Geist von 1492 - das ist die Botschaft, die Pulido (1923: 45) seinen sephardischen Zuhörern nach Paris mitgebracht hat: „Et j'ai essayé de dissiper cette erreur pour substituer à un si triste souvenir avec la conaissance de l'existence réelle d'une patrie civilisée, glorieuse, noble et hospitalière, aù toutes les libertés les plus fécondes ont été garranties par les lois, aù chacun est respecté, dans ses idées et dans ses habitudes". Und deshalb habe auch Spanien mittlerweile das Recht, „d'occuper avec honneur et en légitime propriété, la place que nous méritons dans le concert des peuples avancés." Das hätten die Zuhörer genauso gesehen: „Cháleureux

applaudissements."

In früheren Jahren, zu Beginn der Kampagne, war die Positivbilanz dagegen noch nicht so eindeutig ausgefallen. Damals hatte er (1992: 84) noch eingeräumt: „todavía hay quienes por su fanatismo, por su ignorancia ó por su rutinario discurso, cuando hablan del pueblo semita [...] no piensan más que en la raza deicida y en un tropel de mercaderes de harrapados, sucios, codiciosos y capaces de todos las infamias y crímenes por atesorar algunos centenes de oro." Doch solche Leute, die Ewiggestrigen, bildeten nur noch eine kleine Minderheit; und auch die sei zum Aussterben verurteilt: „la lucha, más que por intolerancias que afectan á lo íntimo de la conciencia", schrieb er (1905: 215) ein Jahr später, „se mantiene ya por el predominio y el monopolio de los negocios, altos cargos y representaciones de la vida pública." 17 Deshalb sei es nur noch eine Frage der Zeit (ebd.: 14), bis die alten Judenklischees, „tantos ridículos y perjudiciales errores", völlig verschwunden seien, ersetzt durch „nociones exactas y utiles sobre Israel".

17

Ein Indiz für das Ende des alten Fanatismus sah Pulido (1905: 17) übrigens auch in den Romanen von Pérez Galdós. Als Beispiel zitierte er allerdings nur El Abuelo, nicht die .Sephardenromane' des Schriftstellers.

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Das Thema eskaliert Was lag näher, als daraus den Schluß zu ziehen, daß damit auch die letzten

Barrieren zwischen Spanien und den Sepharden beseitigt wären? Eine solche Schlußfolgerung erschien um so logischer, als auch von exponierten Sepharden, etwa von Max Nordau, die von Pulido (1905: 191) zitierte Aufforderung erging: „'España debe abrir en este asunto cuenta nueva, como se dice en lenguaje comercial." Wohl auch deshalb konnte Pulido (1992: 65) fast guten Gewissens behaupten: „Que no guardan los israelitas de su antigua madre España tan odiables recuerdos, ni abrigan contra ella tales inferiores sentimientos, que hubieran de rechazar sistemática y apasionadamente cualquier dirección, auxilio y buen oficio que se sirviera dispensarles." Da er jedoch selber wußte, daß dieses idyllische Bild nicht der Wirklichkeit entsprach - die spanienkritischen Zuschriften, die er in Españoles sin Patria veröffentlichte, sind in diesem Sinne illustrativ - , plädierte er (1905: 143) dafür, den kritischen Sephardenstimmen mit Verständnis zu begegnen: „En principio respetamos estos desvíos del enojo; y creemos que la mejor manera de reconquistar los corazones [...] es hacer lo contrario de lo que se hizo para agraviarlos. Cuando menos, esto es lo que procuraremos hacer nosotros." Es mag an der riesigen Menge von Büchern und Artikeln gelegen haben, die Pulido im Laufe seines Lebens schrieb, daß er sich gelegentlich selber widersprochen hat und das keineswegs nur auf thematischen Nebenschauplätzen. Jedenfalls beklagte er (1905: 13) zu Beginn seiner Kampagne noch „un mutuo y lamentable desconocimiento", vor allem auf Seiten der vaterlandslosen

Spanier:

„Los sefardim tienen un concepto equivocado de España. [...] la noción que tienen de nuestros costumbres y Gobiernos es la desdichadísima que llevaron del país de Torquemada." Noch deutlicher widersprechen die folgenden Zeilen (ebd.: 183) der Dauerbehauptung einer ungetrübten Spanienliebe, die gerade auch dem neuen, ,entfanatisierten' Spanien gelte: „Queda, pues, descontado que muchísimos, la mayoría, la inmensa parte de los sefardim, permanecen indiferentes y hasta si se quiere rencoraso á España, al país de Torquemada, como algunos se dan el gusto de escribir". An welche der beiden Versionen hat Pulido selber geglaubt? Wie es scheint, hat er mal dieser, mal jener Version den Vorzug gegeben, völlig überzeugt war er vermutlich von keiner. Fest steht nur, daß er gegen Ende seines Lebens über die praktischen Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Kampagne ziemlich enttäuscht war. In Españoles sin Patria (1905: 547) hatte er sich noch als „nuevo D. Quijote" gesehen, den die Titanenaufgabe, die er vor sich sah, nicht erschreckte: „Este Quijote que inicia la aventura de reconciliar España con sus hijos expulsados

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hace siglos, transpuso dos años ha ya la cumbre de los cincuenta, y dejando atrás los rientes panoramas y entusiasmos de la juventud, va descendiendo á través de recuerdos y desencantos de la experiencia." Solche Erfahrungen sollte er indes noch häufig machen. Bereits in den frühen 20er Jahren räumte er (1923: 37) ein: , j e nietais complétment retiré des soucis d'une campagne trop stérile et pleine d'amertumes, dans laquelle j'avais lutté seul et pur laquelle j'avais fait des articles, des livres, des discours, de voyages onéreux, des dépenses importantes et subi des persécutions". Gerade letztere, antisemitische Anfeindungen und Rufmordkampagnen, die seine patriotische Gesinnung in Zweifel zogen, säumten bereits den Beginn seines Engagements für die Sepharden. Aus Salamanca, deren Universität er als Senator vertrat, kamen die gehässigsten Attacken: „El Dr. Pulido", schrieb sein dortiger Kollege Joaquín Girón y Arcas in dem Machwerk La cuestión judaica

en la España actual y en la Universidad

de

Salamanca

(1906: 36), „es el campeón judaizante, acaso más pasional que reflexivo, de una gente cosmolita [sie] que [quiere] empobrecer y tiranizar a las razas indígenas con las armas traidoras de un capitalismo sin entrañas y las pérfidas arterias de un industrialismo y mercantilismo de la peor ley." Solche Hetztiraden, nach Ansicht Pulidos nur eine zum Aussterben verurteilte Minderheitenmeinung, mußten ihn hart treffen: Stellten sie doch genau das in Frage, was er als hehrste Beweggründe sah - seine patriotische Gesinnung. Als besonders verletzend dürfte er darüber hinaus die Bezeichnung „campeón judaizante" empfunden haben, eine Unterstellung, mit der ihn auch andere Gegner zu diskreditieren suchten (Pulido Martín 1945: 211 f.) und die noch sein Sohn (ebd.) als haltlos zurückwies: „hemos vivido siempre en la creencia de que ni de cerca ni de lejos tenemos relaciones sanguíneas con la raza israelita". Es waren jedoch weniger die Angriffe auf seine persönliche und politische Integrität, die Pulido desillusionierten und ihn zum Rückzug aus dem hyperaktiven Engagement der frühen Jahre bewogen. Mehr als alles andere hat ihn verbittert, daß das politische und ökonomische Echo auf seine Kampagne, das er so sehnlich erwartet hatte, überwiegend ausgeblieben ist. In dem bereits zitierten Interview von 1931 (1980: 66) bilanziert er enttäuscht: „En España se han perdido estas campañas en una glacial indiferencia. Nosotros abandonamos nuestra riqueza étnica que une a nuestros hijos y nuestros hermanos a los sefardíes. [...] Esta causa grandiosa está sin jefe porque nuestra nación carece de verdaderos hombres de Estado." Ernüchtert hat ihn wohl auch, daß das erwartete Echo selbst unter den Sepharden ausgeblieben ist, von den hochtönenden Bekundungen einer peren-

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nierenden Spanienliebe abgesehen. Hätte er diese genauer gelesen, dann wäre ihm womöglich ein Teil der Enttäuschung erspart geblieben. So hatte selbst Enrique Berajano, dessen Bekanntschaft zur Initialzündung der Kampagne wurde, bereits in frühen Jahren, und von Pulido (1992: 55) selber zitiert, den Topos der sephardischen Spanienliebe deutlich relativiert: ,„[...] no por amor de España, absolutamente no; sino por amor de nosotros mismos, por amor de nuestra existencia y por amor del judaismo debemos sostener la lengua español [sie] que nuestros padres hablaban". Die sephardische Spanienverehrung, und das wollte Pulido augenscheinlich nicht wahrhaben, galt also hauptsächlich jener Zeit, in der die Vorfahren der zeitgenössischen Sepharden zum kulturellen Zenit des Landes entscheidend beigetragen hatten: Die Spanienliebe entpuppte sich hauptsächlich als

autoreferentiell.

War Pulido also „a little naive", wie Aronsfeld (1979: 22) schreibt? Dieser Autor (ebd.: 24) ist nicht nur der Ansicht, daß Pulidos Kampagne „keine nennenswerten praktischen Wirkungen" hatte, er stellt auch die immateriellen Ergebnisse in Frage: „It is even doubtful whether his ,enthusiasm produced a State of mind in Spain which sympathized with [his] ideal'". Der selbsternannte Sephardenapostel sah das indessen anders. Er (1923: 49) verstand sich, trotz aller Anfeindungen und kargen Ergebnisse, als „un Symbole de l'Espagne glorieuse", wie er seinen Pariser Zuhörern versicherte. Und so sahen es auch viele seiner Epigonen, unter ihnen sein Sohn Angel Pulido Martín, der (1945: 207) das Erbe seines Vaters als „cristiana y patriótica labor" verteidigte und sich dabei (ebd.: 214) in bester Gesellschaft wähnte: „El mundo hebreo no tiene hoy [1945, N.R.] más que dos poderes a quienes debe gratitud, gratitud que pasará a la historia. La Santa Sede y el Gobierno español de Franco."

2. Philosephardismus als ideologische Gemengelage: Die Zeitschrift Revista Crítica Der liberale Senator Angel Pulido hätte mit dem politischen Credo seiner frankistischen Epigonen vermutlich Probleme gehabt. Wesentlich näher standen ihm solche Sympathisanten seiner Kampagne, die, wie seine früheren Unterstützer auf den Seiten der Revista Crística, politische Ansichten vertraten, die seinen eigenen in etwa entsprachen: „Revista

Crítica",

schreibt die Herausgeberin

Carmen Burgos in der ersten Nummer (1909: 2) der kurzlebigen Zeitschrift nicht ohne Stolz, „es el primer periódico de España que abrió una sección para el

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pueblo israelita." In der Tat ist die Zeitschrift das erste Medium, das regelmäßig eine Rubrik („Letras Sefarditas") mit jüdischen Themen enthält, die, wie der Sektionstitel erkennen läßt, freilich überwiegend sephardischen Aspekten gewidmet sind. Obwohl die meisten Beiträge die üblichen Ambivalenzen aufweisen, kommen doch auch einige kritische Autoren zu Wort; bei der Mehrheit von ihnen handelt es sich übrigens, wie u. a. die Namen nahelegen, um sephardische Juden. Im Vergleich zu ihnen ist das philosephardische Credo der Herausgeberin eher ein Spiegel der ideologischen Motivpalette Angel Pulidos, dessen Kampagne in zahlreichen Artikeln denn auch lobend erwähnt wird. Dabei ist es sicher kein Zufall, daß die Leitidee der Zeitschrift deutlich eskapistische Züge trägt: „Y el alma, romántica y ansiosa", schreibt Carmen Burgos programmatisch in einer ihrer Crónicas (ebd.: 201), „buscando algo que entorno suyo no encuentra, refugióse en el sagrado del arte como supremo consuelo á la amargura." Die bittere Realität - das ist für die Autorin die bleierne Schwere des politischen Lebens, die alle Hoffnungen auf „la aurora de la regeneración" zunichte gemacht habe: „el pueblo duerme con tranquila paz egoísta y desaliento de desengaño". Einen Hoffnungsschimmer sieht sie indessen außer in der Kunst und dem jugendlichen Enthusiasmus „[de] nuestros hermanos de allende el Alántico" auch ihnen ist eine regelmäßige Sektion gewidmet - in den Sepharden. Sie geht zwar nicht soweit wie Pulido, der in den „españoles sin patria" die Retter seines Landes sah, sieht aber in der „propagación de nuestro idioma" und in der Schaffung von „relaciones sociales" durchaus Möglichkeiten, „que engrandecen á nuestra patria". Auch die sonstigen Motive, die sie in ihrer Crónica nennt, sind nicht völlig frei von nationalen Interessen. Die Sephardenkampagne figuriert zwar als „obra de justicia, [que] lava la herida abierta en su seno [de España, N.R.] en épocas de fanatismo é intolerancia". Sie soll aber zugleich der nationalen Imagepflege dienen: „borrar de los anales de nuestra gloriosa historia [...] pasadas tristezas". Der Wunsch der Autorin, die „Scham" der Vergangenheit zu beseitigen, der auch von anderen Autoren der Zeitschrift als eine Art Leitmotiv gehegt wird, ist insofern nicht uneigennützig. Im übrigen enthält ihre Verklärung der Sephardenkampagne als „obra de amor [...] al pueblo sefardita, al noble pueblo judío, que injustamente [fué] perseguido [...]", auch den üblichen Topos der sephardischen Spanienliebe: „supo [el pueblo sefardita, N.R.] guardarnos afecto de hermano y enseñar las leyes á sus hijos en el viejo romance de Castilla". Bleibt die Frage, ob die Herausgeberin wenigsten recht hat, wenn sie ihre Zeitschrift als „tribuna abierta" bezeichnet, in der auch Positionen zu Wort

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kämen, die ihren redaktionellen Leitlinien widersprächen. Auch hier fallt die Bilanz, genau betrachtet, ziemlich mager aus.

Im Gesamtrepertoire der Sephardenartikel ist es denn auch nur ein Autor, der der weitverbreiteten, auch von Carmen Burgos suggerierten Behauptung widerspricht, Spanien wäre längst kein judenfeindliches Land mehr. Unter dem programmatischen Titel „¡Siempre el prejuicio!" kommt Isaac S. Elmaleh aus Gibraltar in der Nummer sechs der Zeitschrift (1909: 131 ff.) zu einem anderen Ergebnis: „¿Usted cree", zitiert er zunächst die rhetorische Frage eines „cierto amigo mío", „usted cree que si los hebreos llegasen algún día á vivir bajo la protección de la nación española, hallarían, en efecto, tanto amor, tanta simpatía como de la noble y desinteresada campaña emprendida por ciertas personalidades puede desprenderse?" Ist die Herrschaft der religiösen Intransigenz, „el poderío espantoso de la Santa Inquisición", fragt er weiter, tatsächlich zu Ende? Oder ist es denkbar, daß die ,noble Kampagne' nichts weiter ist, als „uno de esos fantásticos y quiméricos sueños que luego la realidad se encarga a desvanecer"? Die Antwort des Autors, wiewohl durch mehrfaches Lob an die Adresse der „selbstlosen" Sephardenfreunde mit Höflichkeiten versehen, fällt ungewöhnlich eindeutig aus. Die Mehrheit der Spanier, so sein Fazit, betrachteten den Juden noch immer „como hijo de una bastarda concepción [...] que le designe y le haga aparecer repugnante y odioso". Wenn es sich bei denen, fährt er fort, nur um ungebildete Leute handelte, dann wäre die nach wie vor existierende Judenfeindschaft weniger dramatisch. Die Hauptgefahren des Antisemitismus seien jedoch weniger in der dumpfen Ignoranz und den lächerlichen Vorurteilen des ungebildeten Volkes zu suchen, sondern in bestimmten „personalidades que en literatura y artes han conquistado un nombre famoso, quienes, al zaherir al judío, parecen experimentar esa indigna complacencia con que el Tenorio despechado escarnece públicamente la honra de la mujer que no le quiso que le desprecia." Harter Tobak für all jene, die, wie etwa Unamuno, Antisemitismus fast nur außerhalb Spaniens verorteten! Der Autor der Revista Critica nennt zwar keine Namen; läßt aber keinen Zweifel daran, daß antisemitische Propaganda, vor allem in der Literatur, keinen Einzelfall darstellt: „En novelas y artículos se ha presentado al hebreo, con frecuencia lamentable, no como él es, en realidad, sino como al novelista mejor - o peor - le ha parecido". Solange „ese odio oculto" und die allenthalben spürbaren „prejuicios contra el hebreo" nicht verschwunden seien, könne folglich nicht, lauten die Schlußfolgerungen des Autors, ernsthaft

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an eine , Rückkehr' der Juden nach Spanien gedacht werden. Die „esfuerzos nobilísimos" der spanischen Philosepharden seien deshalb nur ein Anfang: „sólo sirven, a lo sumo, para preparar á futuras generaciones, que acaso reconozcan y condonen la infame injusticia con que el hebreo era tratado, desarraigando así de sus corazones ese odio salvaje que sus ascendientes tanto se complacían en exteriorizar y difundir." Die harte, aber zutreffende Kritik des obigen Autors stellt, wie gesagt, nur eine Ausnahme im Reigen der sonstigen Artikel dar, die sich mit diesem Themenaspekt beschäftigen. Da die anderen Autoren das genaue Gegenteil behaupten, darf man ihn getrost als kritisches Alibi der Zeitschrift verstehen. Der Abdruck dieses Artikels dürfte der Redaktion auch deshalb leichtgefallen sein, so ist zu vermuten, weil er eine kritische Auseinandersetzung mit den ambivalenten Motiven des Philosephardismus unterläßt. Wie dem auch sei: Der Tenor aller sonstigen Beiträge versucht den Lesern und wohl auch sich selber - glauben zu machen, daß der Antisemitismus in Spanien der Vergangenheit angehörte. Etwa ein Artikel in der Nummer zwei (1908: 141 ff.) der Zeitschrift, der, ähnlich wie der obige Beitrag, die Sorge eines „distinguido sefardita residente en fnglaterra" zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen nimmt. Eine „Rückkehr" der Juden nach Spanien, so die Ansicht dieses Gewährsmannes, sei solange nicht möglich, „mientras [...] no se laborase en pro de la desaparición de los tan absurdos como deningrantes prejuicios que sólo conciben al judío como un ser despreciable y raro, funesta leyenda que se ha ido transmitiendo de generación en generación". Dieser Ansicht scheint auch der Autor des Artikels zunächst durchaus zuzustimmen, wenn er von „los más horrendos crímenes" und „ese odio fanático é injusto" spricht, denen die Juden und ihre Nachfahren „lange Zeit" ausgesetzt waren. Unter diesen Umständen wäre die Rückkehr nach Spanien, gibt er seinem Gewährsmann scheinbar recht, in der Tat „un temerario y suicida desacierto" gewesen. Doch dieses Kapitel der spanischen Intoleranz, „la nefanda obra creada por el bárbaro fanatismo", gehöre inzwischen der Vergangenheit an: „el judío ha dejado de ser", kommt er nun zum eigentlichen Punkt seiner durchsichtigen Argumentation, „lo que durante años y aun siglos era para millones de personas que le consideraban, en su fanático encono, indigno de todo respeto y de toda cortesía". Daß der Jude mittlerweile auch in Spanien als „un ser racional, digno y generoso, susceptible de cuanto pueda serlo la más perfecta criatura del género humano" angesehen würde, ginge vor allem auf das Konto des ,Sephardenapostels': „Esto, y mucho más, ha logrado el sabio Dr. Pulido con su meritísima campaña en pro

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de nuestra raza." Der Lobgesang auf „este eximio hombre de ciencia", der ausschließlich von hehren moralischen und humanitären Motiven geleitet wäre, schließt auch „algunos distinguidos escritores" und „esta simpática Revista" mit ein - und deren Herausgeberin: „la egregia y admirada escritora Colombine en la que, á más de un alma esencialmente artista y sensible, resplandece un espíritu recto, lleno de nobleza y de justicia." Man darf getrost vermuten, daß das bukolische Gemälde einer ungetrübten jüdisch-katholischen Eintracht der Herausgeberin und ihren Mitarbeitern wesentlich sympathischer anmutete als das realistischere Bild des zuvor zitierten Autors. Dafür spricht nicht nur die bereits vorgestellte Sichtweise von Carmen Burgos selber. Dafür spricht auch eine Apologie von Rafael Cansinos Asséns, einem exponierten Philosepharden und Mitarbeiter der Zeitschrift. In einem Artikel der Nummer sieben (1909: 254 ff.) attackiert er internationale Stimmen, etwa den Daily Telegraph, die der behaupteten Eintracht von Christen und Juden widersprechen. Das englische Blatt hatte bezweifelt, daß der Fanatismus vergangener Jahrhunderte tatsächlich überwunden sei und deshalb vor einer Rückkehr der Juden nach Spanien gewarnt: „Pero ¿es esta una objeción seria?", hält Cansinos Asséns diesen berechtigten Zweifeln entgegen. Denn, so seine Sicht der Dinge: „El fanatismo nuestro es un fanatismo religioso, arcaico y sentimental y por esto mismo está destinado á desaparecer con la cultura. Por esta misma razón no es peligroso." Obgleich die Formulierung erkennen läßt, daß der Fanatismus früherer Zeiten offensichtlich noch nicht völlig passé ist, gibt der Autor unter Berufung auf den angeblich nur religiösen Charakter des Antijudaismus doch Entwarnung. Dies um so mehr, weil „andere Fanatismen", die sich auf soziale und ökonomische Theorien gründeten, viel gefährlicher seien, aber die hätten mit Spanien nichts zu tun: „Este fanatismo pseudo científico es el que ha engendrado el antisemitismo en el resto de Europa." In gleicher Manier weist er entsprechende Zweifel des Israelitischen Familienblattes aus Frankfurt zurück. Dem Autor dieses Blattes hält er nicht nur vor, an der „esencia del asunto" vorbeigeschrieben zu haben. Der offenkundig polemische Ton des Artikels ist für Cansinos Asséns sogar ein Zeichen seiner Verbundenheit mit Spanien: „muy español, muy siglo XVII, nos complace como el más delicioso anacronismo. Sí." Und diese Verbundenheit, wie bereits Carmen Burgos zu wissen meinte, hält er auch für eine ausgemachte Sache: „desde Turquía, desde Inglaterra ó desde las hermanas ciudades de Germania miren los israelitas sin rencor á nuestra madre España". Teilen auch die anderen Autoren der Zeitschrift, vor allem die jüdisch-sephardischen unter ihnen, diese Grundannahme des spanischen Philosephardismus?

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Vordergründig betrachtet, scheinen auch die jüdisch-sephardischen Autoren der Zeitschrift eine innige Verbundenheit mit Spanien zu empfinden: „la generalidad de los israelitas", schreibt ein marokkanischer Sepharde (Nr. 2, 1908: 141 ff.), „se distinguen por su afición á España". Alles Spanische sei ihnen so vertraut, behauptet er, „que hasta se dicen, con cierto orgullo, españoles". Vor allem in der Sprache, „[en] los ecos sonoros del dulce habla de Cervantes", komme diese Verbundenheit zum Ausdruck: „en español piensan, en español expresan sus intimidades, en español hablan á Dios y en español hacen muchos de sus rezos en la Sinagoga." Und das könne auch gar nicht anders sein, teilt er seinen Lesern mit, denn „proceden de España y llevan en sus venas sangre española". Auf Sympathie bei seinen Lesern dürfte dieser Autor aber nicht nur wegen seines Spanienenthusiasmus gestoßen sein; er verschonte sie auch mit lästiger Kritik an der Vergangenheit. Nur ein ziemlich neutral gehaltener Halbsatz schneidet das ungeliebte Thema an: „de España fueron expulsados aquellos varones que con su laboriosidad é inteligencia enriquecieron el país que habitaron." Andere Autoren, wie der bereits zitierte Isaac S. Elmaleh, hatten dagegen mit kräftigeren Vokabeln an einem Geschichtskapitel gerührt, das zahlreiche Philosepharden, unter ihnen auch Angel Pulido, lieber schnell überblätterten. Die Erinnerung an „generaciones anteriores [...] arrastradas por una corriente de atraso y salvajismo inquisitorial" dürften sie trotz der Tatsache als störend empfunden haben, daß derselbe Autor dieses Geschichtskapitel für völlig abgeschlossen erklärt und ihm als „errores de siglos pretéritos" einen Teil seines Schreckens nimmt. Daß sich die jüdischen Autoren der Zeitschrift mit ihren Anspielungen auf den katholischen Fanatismus und die Verfolgung der Juden trotz aller Relativierung noch auf vermintem Gelände befanden, läßt die Terminologie erkennen, deren sich die nichtjüdischen Autoren bedienen. Der Devise seiner Herausgeberin - „borrar pasadas tristezas" - wird etwa Cansinos Asséns gleich mehrfach gerecht. Für den illustren Philosepharden 18 geht es um eine „cordial reconciliación de sefarditas y españoles [...] por encima de los enojosos recuerdos de la Historia". Statt einer unangenehmen Beschäftigung mit der Vergangenheit, „el estéril rencor", wünscht sich Cansinos Assens „el fructuoso olvido". Für eine Art fruchtbares Erinnern plädieren die Autoren der Zeitschrift dagegen mit Blick auf

18

Cansinos Assens wird selbst eine - freilich unbewiesene - sephardische Abstammung nachgesagt. Vgl. Kap. XIII.3.

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jene Elemente der Vergangenheit, die im üblichen Sprachgebrauch als „glorreich" bezeichnet werden.

Im politischen und kulturellen Grau der Jahre, die auf das Desaster von 1898 folgten, waren ein paar kulturhistorische Farbtupfer natürlich sehr willkommen. Da selbst eingefleischte Katholiken wie Menéndez y Pelayo auf den sephardischen Joker setzten, um die koloniale Finsternis durch ein paar Sonnenstrahlen aus der Blütezeit von Córdoba und Toledo aufzuhellen, fiel es auch den Autoren der Revista Crítica nicht schwer, den fast vergessenen Schatz des Mittelalters wieder auszugraben: „Era judío; venía de Salónica", heißt es etwa in einem Artikel von Leocadio Martín Ruiz (Nr. 2, 1908: 74 f.), „sus ascendientes tuvieron gloria en nuestra patria, gozaron de la delicia de la Alhambra mágica y en el Silencio de la Aljama cordobesa [...] quiso añorar las satisfacciones de sus antepasados, recorriendo los sitios del triunfo". Die in aller Regel pathetische, im Kern aber völlig berechtigte Evozierung der jüdischen Zenitepoche von AlAndalus läßt im übrigen erkennen, daß es sich dabei in erster Linie um eine Jüdische Konnexion" (Angel) 19 handelt. Wenn der jüdische Autor Isaac S. Elmaleh (Nr. 2, 1908: 145 f.) von „la noble y querida Patria de nuestros antepasados" spricht, dann meint er folglich nicht ein abstraktes Spanien. Im Unterschied zu vielen Philosepharden, die aus solchen Formulierungen eine generelle Spanienliebe herausdeklinieren - ,,[el] noble pueblo judío [...] supo guardarwos afecto", wie die Herausgeberin zu sehen vermeinte - , bezieht sich der zitierte Autor hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, auf die jüdischen

Errungen-

schaften jener Epoche: „Y como el israelita, á pesar de todas las persecuciones y desprecios pasados, no ha olvidado ni puede olvidar que en España han visto la luz primera sus más famosos sabios y sus talmudistas más eminentes, piensa que, acaso en no muy lejanos días, será factible y convenciente su vuelta á la hermosa tierra de sus antepasados". Leider spricht er nicht, wie auch sonst niemand, von der phasenweise recht toleranten Convivencia von Juden, Mauren und Christen im mittelalterlichen Spanien. Der politische Sprengstoff, den die Erinnerung an weniger finstere Zeiten des Katholizismus vermutlich noch immer in sich barg, war der Redaktion wahrscheinlich zu riskant. Dagegen fiel es ihr wenigstens leichter, an die „grandes hombres del judaismo" zu erinnern, die trotz der kulturhistorischen 19

Vgl. dazu Kap. XIII.

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Rendite, die sie versprachen, noch immer wenig bekannt waren: „muy poco se ha ocupado", beklagt sich deshalb José Farache (Nr. 6, 1909: 137 ff.) in einem kurzen Porträt des bekanntesten jüdischen Philosophen des Mittelalters, „de nuestro gran Maimónides". Diese Koryphäe des Cordobeser Judentums schuf, teilt er seinen Lesern mit, „obras admirables en todo género", und das nicht zuletzt „en honor de la literatura española, bastante abandonada en materia sefardita". Der jüdische Philosoph der Cordobeser Blütezeit, wiewohl ihr bekanntester Repräsentant, sei jedoch nicht der einzige gewesen, den es wiederzuentdecken gelte. Die ganze jüdische Kultur des Mittelalters, „la inmensa riqueza que los judíos españoles legaron á este país en todos los ramos del saber humano", gehöre dazu. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß die späte Hommage an die jüdische Kultur des Mittelalters eine kulturhistorische Umwegrentabilität bezweckt, die der nationalen Imagepflege dienen soll: An der universalen Bedeutung, die Maimónides und seine Toledaner Nachfahren besitzen, ändern die nationalen Prodomo-Ambitionen der Philosepharden nur wenig. Im Gegenteil: Sie trugen mit dazu bei, dieses brillante Kapitel der Weltkultur wieder etwas bekannter zu machen. Den Philosepharden im Umkreis der Revista Crítica ging es jedoch nicht nur um die Rehabilitierung der ,glorreichen' Vergangenheit. Wie ihr Spiritus rector, Angel Pulido, verfolgten auch sie materielle Ziele. Jenseits oder besser: diesseits obiger Ambitionen lassen die verschiedenen Beiträge der Zeitschrift eine ganze Reihe von recht widersprüchlichen Motiven erkennen, die, wenngleich in einem anderen Mischungsverhältnis, auch anderswo anzutreffen sind. Zu den eher praktischen Zielen, die die Zeitschrift verfolgte, gehört vor allem die Gründung der Alianza Hispano-Israelita. Bereits in der zweiten Nummer (1908: 148 f.) konnte Rafael Cansinos Assens verkünden, daß die entsprechenden Vorbereitungen abgeschlossen seien und daß die Gründungsidee den „primeros días de la campaña iniciada por don Angel Pulido" entsprächen. Zu den Unterstützern zählten „nombres tan fuertes" wie Angel Pulido, José Canalejas, Juan Ruiz Jiménez, Vicente Blasco Ibañez und Benito Pérez Galdós, denen es um eine „obra de patriotismo, de concordia, de fraternidad" gehe: „Sólo se pide amor á España, fe en el porvenir y un poco de heorica locura." Demgegenüber ist im ebendort veröffentlichten Text der „Convocatoria" auch von praktischen Zielen die Rede: „De cultura: A cuyo objeto propio corresponde cuanto pueda caer dentro del campo de la enseñanza escolar y académica y de la producción científica, literaria y artística de los pueblos sefardita y español. / Sociológica: En la cual entra el cumplimiento de los fines concernientes á la política, la moral, el derecho y, dicho

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de una vez, á cuanto es materia de las llamadas ciencias sociales; y / Económica: Correspondiendo á este grupo de fines particulares todo cuanto tienda de un modo singular y concreto á establecer y fomentar cualesquiera géneros de relaciones económicas entre los dos citados pueblos." Was sich hier, wenn auch reichlich vage, wie eine durchdachte Strategie liest, nimmt sich in den sonstigen Artikeln freilich viel bescheidener - und konfuser aus. Am klarsten scheint dabei noch die Devise der Herausgeberin (Nr. 5, 1909: 2) befolgt worden zu sein, nämlich „die Propagierung der Sprache" in den Mittelpunkt zu stellen. Sie spricht zwar auch von „relaciones sociales que engrandecen á nuestra patria"; letztere sind jedoch nachgeordnet, gleichsam die logische Folge einer geschickten Kulturpolitik. In dieser Richtung argumentiert etwa der marokkanische Sepharde Pinhas Asayag. In seinem Beitrag über „Los israelitas marroquíes y el castellano" (Nr. 2, 1908: 143 f.) bezeichnet er die Sprache als „factor principal", die Spanien ungeahnte Möglichkeiten böte wenn sich das Land dessen bewußt wäre: „España, que no parece ocuparse ni preocuparse casi nunca de fermentar sus intereses [!] en Marruecos y de extender su influencia en un país donde tiene señalado un porvenir seguro, cuenta con elementos naturales de una tan valía, que, atentiéndolos con inteligencia y celo y explotándolos con habilidad y constancia puedan dar mayores resultados". Sollte sich Spanien, das seinen dortigen Interessen bislang nicht „die gebotene Aufmerksamkeit" geschenkt habe, jedoch eines Besseren besinnen und „la alta misión" in diesem Teil der Welt akzeptieren, dann stünden ihm „el elemento hebreo" zur Seite. Ganz umsonst mag dieser gelehrige Epigone von Angel Ganivet, der Nordafrika zum natürlichen Einflußgebiet seines Landes erklärte, seine Dienste aber nicht anbieten: Er wünscht sich spanische Schulen, „porque no hay escuelas ni maestros", die sich der Pflege und Verbreitung der spanischen Sprache widmen sollen. Diese Aufgabe sei um so dringlicher, warnt er seine spanischen Leser, als die kulturpolitische Konkurrenz bereits auf dem Vormarsch sei, vor allem England und Frankreich, „celosas de su grandeza en Marruecos". Die Unterstützung durch Spanien sei folglich nur recht und billig: ,,¡Y pensar que todo se reduce á un pequeño sacrificio en comparación con los beneficios considerables que habrían de recogerse!" Die angeblich „noble y desinteresada campaña", wie selbst der ansonsten sehr kritische Autor Isaac S. Elmaleh (Nr. 6, 1909: 134) zu sehen vermeinte, wird also auch von handfesten Interessen geleitet - von beiden Seiten, wie man sieht. Das wäre kaum der Rede wert, wenn andere Autoren, hauptsächlich Rafael Cansinos Asséns (Nr. 7, 1909: 254 ff.), dieses offene, wenngleich ziemlich illu-

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sorische Geben und Nehmen nicht mit einem rhetorischen Schleier verklärten: Die von der Revista Crítica unternommene Kampagne, schreibt er in offenkundiger Anlehnung an die übliche Hispanidad-Diktion,

ziele ausschließlich „a una

cordial reconciliación de sefarditas y españoles [y] á una espiritual convergencia de ambos pueblos". Besonders energisch weist er deshalb die häufig kursierenden Pläne zurück, Spanien wolle die internationalen Sephardengemeinden zurückholen: „Pensar que se puede hoy traer á España á los judíos en colectividad, como si fuesen un cargamento de aromáticas frutas del Oriente, es simplemente absurdo. Los judíos son algo más que eso y esta idea de una repatriación en masa acusaría una mentalidad tan despótica como la de un antiguo inquisidor." Zumindest die Mitarbeiter der Revista Crítica beabsichtigten nichts dergleichen. Sie seien, wiederholt er seine rein .humanitären' Absichten, weder „por razones sentimentales, ni por motivos prácticos" geleitet: „ese millón de sefarditas dieseminados por Europa, constituyen una constante irradiación de nuestra mentalidad, una colonia espiritual inapreciable, y por este lado nuestros objetantes pueden estar tranquilos. Nosotros sólo aspiramos á realizar una obra de aproximación [...], a verter entre españoles é israelitas un óleo conciliador." Erst am Ende des Artikels läßt Cansinos Assens erkennen, wenn auch eher .unbewußt', daß das humanitäre Werk der Versöhnung möglicherweise doch einen materiellen Nutzen besitzt: Die „sangrienta oposición", die der Kampagne außerhalb Spaniens, etwa auf den Seiten des Daily Telegraph, entgegenschlage, sei letzten Endes auf ein „enormes ökonomisches Problem" zurückzufuhren. Denn, so meint er zu wissen, „las naciones extranjeras no pueden considerar sin algo de inquietud la posibilidad de que España se atraiga á sus laboriosas colonias israelitas y es natural que traten de vestir con hábitos inquisitoriales el pulido fantasma de nuestro fanatismo. Así habla la sabiduría."

Das baldige Ende der Zeitschrift, das nicht einmal ein Jahr auf sich warten ließ, dürfte mit den kuriosen Argumentationspirouetten, wie sie zuletzt Cansinos Asséns als „Weisheit" zum Besten gab, in ursächlichem Zusammenhang stehen. Verglichen mit dem bunten Reigen von rhetorischen Floskeln und Widersprüchen, nehmen sich andere philosephardische Wortführer, etwa Angel Pulido oder Ernesto Giménez Caballeros Gaceta Literaria, erheblich kohärenter aus, trotz aller Ambivalenzen und Illusionen, die auch ihnen eigen sind. Insofern kann die Zeitschrift kaum als „tribuna abierta" bezeichnet werden - eher als ein Unternehmen „de heroica locura", wie Cansinos Assens die Kampagne be-

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zeichnete. Von ähnlicher Machart sind auch die sonstigen Beiträge, die in der Rubrik „Letras Sefarditas" abgedruckt wurden. Dazu gehören schwülstig-nichtssagende „Evocaciones" von Talmudlegenden (Nr. 1, 1908: 72 ff.); pseudoliterarische „Psalmen"-Dichtungen (Nr. 5, 1909: 49 f.), deren dunkler Sinn kaum ein Leser verstanden haben dürfte; wenig aussagekräftige Namensgallerien von jüdischen Gelehrten (ebd.: 51 f.), die über den „Origen del Talmud" Aufschluß geben sollen; oder fast inhaltslose „Ecos de Turquía" (ebd.: 53 ff.), die den „¡Desdichados otomanos!" gewidmet sind. Wenigstens hier, was die eher spärlichen Hinweise auf islamische Länder betrifft, ist denn auch so etwas wie , Kohärenz' zu erkennen. Ähnlich wie bei Pulido, der für die islamisch-maurische Kultur keine Sympathien hatte, sind die entsprechenden Anspielungen durchweg negativ: Marokko gilt als „centro del fanatismo musulmán" (Nr. 2, 1908: 144); und die Bewohner des Landes firmieren (Nr. 6, 1909: 133) als „estos marroquíes que [son] cobardes siempre y adoradores de la fuerza". Positive Hinweise, etwa auf die maurische Kultur von Al-Andalus, sucht man dagegen vergeblich. Das rasche Ende „[de] esta simpática revista, que con tanto acierto dirige la egregia y admirada escritora Colombine", ist deshalb - ohne allzuviel Polemik - nicht besonders bedauerlich.

3. Antisemistische Hetze und zwiespältige Sepharden-Sympathien: Vicente Blasco Ibänez Als Gründungsmitglied der von Carmen Burgos' Zeitschrift initiierten Alianza Hispano-Israelita

gehört auch der Bestseller-Autor Vicente Blasco Ibänez

(1867-1928) zu den frühen Aktivisten der Sepharden-Kampagne. Auch als Schriftsteller und Journalist hat er dem Thema in zahlreichen Artikeln und Romanen einen prominenten, allerdings äußerst zwiespältigen Platz eingeräumt; in mehreren Romanen spielen Juden/Sepharden sogar eine Protagonistenrolle. Trotz der Zwiespältigkeit, mit der er die Juden im allgemeinen und die Sepharden im besonderen in seinen Romanen und sonstigen Texten dargestellt hat - eine Zwiespältigkeit, die selbst gröbste Antisemitismusklischees enthält - , besitzt er den Nimbus eines großen Judenfreundes: „Vicente Blasco Ibäfiez Our friend", so lautet etwa 20 die Überschrift eines Porträts, das ihm die Zeit20

Außer eher unbekannten Autoren (Perez de la Dehesa 1963) gehört auch Julio Caro Baroja (1961: III/208) zu den Lobrednern von Blasco Ibänez, der ihm eine durchweg judenfreundliche Einstellung andichtet.

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schrift The American Hebrew (1920: 296 f.) widmete. Als „one of the foremost figures of the literary world", so der jüdische Autor Joseph Nathan Kane, habe sein „plea of justice" besonderes Gewicht: „He recognizes and sees the good points of Judaism [...] in unbiased lights." Wie übertrieben die Hommage an den „Judenfreund" ist, das illustrieren bereits einige Äußerungen, mit denen Blasco Ibänez in diesem Artikel zitiert wird. Etwa seine Ansichten zur Hypothek der Geschichte, die er, ebenso wie Pulido, keineswegs als solche empfand: „it must be remembered and taken into consideration that the inquisition and expulsion [der Juden, N.R.] did not take place yesterday or today but hundreds of years ago, and the present condition of Spain with regard to the expulsion has little or no bearing on the Jews." Daraus folgert er umstandslos, und der Autor des American Hebrew scheint ihm zu glauben, daß es im zeitgenössischen Spanien keinen Antisemitismus gäbe: „There is no animosity! There is no Jewish question! Spain is not Russia [...]. I might even say there are no Jews in Spain, consequently there is no Jewish problem. The traditional odium for the Jews does not exist. Do not make mountains out of molehills." Im übrigen, so seine Sicht der Geschichte, hätten die Vertreibung der Juden und die Verfolgung der Conversos auch für Spanien keine negativen Folgen gehabt. Denn sein Land wäre nicht das Opfer einer sogenannten Dekadenz gewesen, Spanien habe vielmehr an einer besonderen Art von „Anämie" gelitten, und der müsse man sich keineswegs schämen: „This was to be expected of a nation that for ages had been giving her best blood and talent in the development of a new world." Auch Blasco Ibänez, so scheint der Autor des American Hebrew zu suggerieren, ist ein später Nachfahre dieser glorreichen Nation von einst, genauso selbstlos und gerechtigkeitsliebend wie die Gründer der Neuen Welt: „He is the modern Columbus of Spain and the Abraham Lincoln of his times lending his strength to the week every instance." Mag man die bombastischen Vergleiche nur belächeln - von grober Unkenntnis zeugt dagegen die folgende Behauptung, die eigentliche Quintessenz des Schriftstellerporträts: „Mr. Blasco Ibäfiez has great esteem for the Jews always showing them in a favorable light, not holding them up to ridicule or as a preposterous race of money lenders, but in an appreciative and affective manner. He is one of the authors, especially one from the Peninsular, who has ever tried to present the Jews in a favorable light!" 21 Wie Den zweifelhaften Beweis für das judenfreundliche Credo von Blasco Ibäfiez trat die Zeitschrift drei Monate später selber an: In den April-Ausgaben (1920) druckte sie mehrere Kapitel aus dem Roman Los muertos mandan, einem Roman (siehe weiter unten), aus dem sich nur schwerlich ein judenfreundliches Bild herausfiltern läßt.

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„favorable" das allgemeine Bild der Juden tatsächlich ist, das Blasco Ibáñez in seinem Œuvre präsentiert, zeigen zunächst ein Bestseller-Roman von 1898 und journalistische Einlassungen aus jenen Jahren. Das judenfeindliche Credo nimmt in La barraca aus dem Jahre 1898 besonders grobe Züge an. Im Unterschied zu anderen Judenporträts zeichnet Blasco Ibáñez in diesem Roman die geradezu abstoßende Karikatur eines skrupellosen Schacherers, während die zahlreichen Anspielungen auf maurische Traditionslinien eine gewisse Sympathie des Autors durchscheinen lassen, allerdings ohne daß diese Facetten handlungsrelevant wären oder, wie im Falle der Judenthematik, personifiziert würden. Im Mittelpunkt der ziemlich seichten, stark schematisierten Erzählung steht ein verarmtes Dorf in der Nähe von Valencia, deren Bewohner von Großgrundbesitzern ausgebeutet und von korrupten Politikern betrogen werden. Das drükkende soziale Elend, das der Autor mit einer gewissen Empörung beschreibt, bildet den Nährboden für Sozialrevolutionäre Ideen: „haciendo surgir de su rudo pensamiento", heißt es etwa (1919: 48) über Barret, den Bewohner der titelgebenden barraca, „vagas y confusas ideas de justicia. ¿Por qué no eran suyos los campos?" Während sich die Hinweise auf die Ursachen der allgemeinen Misere des Ortes genauso vage und konfus ausnehmen, personifiziert der Erzähler die Hintergründe der miserablen Situation des barraca-Bewohners

und seiner Familie ausschließlich

in Gestalt des ,judío don Salvador". Er und nur er ist fur das Elend und den schließlichen Tod eines der Protagonisten verantwortlich: „No podía haber encontrado Barret peor amo. Gozaba en toda la huerta", lautet die erste Charakterisierung Don Salvadors (ebd.: 43), „una fama detestable, pues rara era la partida de ella donde no tuviese tierras. [...] Los perros ladraban al verle de lejos, como si se aproximase la muerte". Zu der Palette ständig wiederholter Charakteristika, die der Autor der jüdischen Figur zuschreibt, gehören u. a. „tenacidad de avaro" und „pegajosidad del usurero" (ebd.: 43), „instintos de opresión y de rapiña" (ebd.: 44), „repugnante avaro", „insaciable ogro" (ebd.: 46), „insufrible tacaño" (ebd.: 47) und „perro" (ebd.: 55); seine beiden Söhne figurieren zunächst (ebd.: 283) als „conejos miedosos", verwandeln sich aber (ebd.) flugs in „lobos intratables". Daß deren Vater, eine Bestie in Menschengestalt, schließlich sein verdientes Schicksal findet, ist daher, deutet der Autor unmißverständlich an, beinahe selbstverständlich: Nachdem der Würgegriff des Wucherers unerträglich geworden ist, bringt Barret ihn um. Die Dorfbewohner, obwohl zunächst im Ungewissen über die Identität des Täters, stellen sich ohne Ausnahme hinter ihn: „Todos adivinaron la mano del tío Barret,

y nadie habló. Las barracas hubiesen abierto para él sus últimos

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escondrijos; las mujeres le habrían ocultado bajo sus faldas." Obwohl der Mörder schließlich doch gefaßt und verurteilt wird, verbuchen die Dorfbewohner den Tod des Juden als Erfolg ihres sozialen Kampfes: Aus Angst vor der Wut des pueblo gelingt es den Söhnen Don Salvadors, „unos bichos tan avaros como su padre" (ebd.: 69), ein Jahrzehnt lang nicht, für die barraca und das dazugehörige Land einen neuen Pächter zu finden. Blasco Ibáftez läßt keinen Zweifel daran (ebd.: 75), daß der allmählich verfallende Besitz quasi ein sozialrevolutionäres Symbol darstellt: „Los desolados campos eran el talismán que mantenía íntimamente unidos á los huertanos, en continuo tacto de codos: un monumento que proclamaba su poder sobre los dueños". Die demagogische Verengung der ländlichen Herrschaftsstrukturen auf deren vermeintlich jüdische Anteile macht geradezu sprachlos. Nicht zuletzt deshalb, weil sie fast ausschließlich einer ideologischen Fiktion des Autors geschuldet ist, schließlich gab es um 1900 kaum Juden in Spanien, vermutlich noch weniger in der beschriebenen Position eines Großgrundbesitzers. Im übrigen hielt sich Blasco Ibáñez, wie er im Vorwort erkennen läßt (ebd.: 7 ff.), einiges auf sein „antikolonialistisches Credo" zugute: Die erste Fassung des Textes entstand 1895, als er sich wegen seiner Teilnahme an einer Demonstration gegen den Kolonialkrieg verstecken mußte; die wesentlich erweiterte und gedruckte Fassung schrieb er unmittelbar nach einem auf die Flucht folgenden Gefängnisaufenthalt. Ein gesellschaftskritisches Bewußtsein in einem Bereich schützt nicht, das illustriert auch dieser Roman, vor plump reaktionären Ansichten in anderen Bereichen. Sprachlos macht der krude Antisemitismus des Erfolgsautors 22 schließlich noch aus einem weiteren Grund, der in direkter Relation zu den maurischen Erzählfragmenten steht: Nach der Ermordung des Wucherers, so die halluzinatorische Naturmetaphorik (ebd.: 73 f.), „[el] paisaje respiraba paz y honrada bestialidad; era una Arcadia moruna". Die Mauren als historische Kronzeugen für soziale Gerechtigkeit und Judenhaß - eine denkwürdige Erzähl variante! Fast könnte man meinen, die Bewohner des pueblo wären direkte Nachfahren des Cid, und dieser hätte nicht gegen die Mauren, sondern gegen die Juden sein Schwert erhoben. Obwohl die Allusion auf ein „maurisches Arkadien" nur schwer nachvollziehbar ist, befindet sie sich doch immerhin in Einklang mit der hohen Meinung, die der Autor von den Mauren offensichtlich hatte. Entspre22

Das untersuchte Machwerk verzeichnet in der vorliegenden Auflage bereits 103 000 Exemplare (sie!), die, wie der Autor im Vorwort schreibt, u. a. auf der „Rückwirkung" basiert, die von der französischen Übersetzung ausging.

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chende Hinweise sind denn auch Legion. So kennzeichnet die Dorfbewohner insgesamt „la gravedad propia de una gente que lleva en sus venas sangre moruna" (ebd.: 16); Barret, der Judenmörder, fühlt (ebd.: 53) „en su interior la ciega bravura del mercader moro"; die gesamte Region scheint vor maurischen Traditionen nachgerade zu strotzen: „esa pasión africana del valenciano" (ebd.: 127), „los morunos sones de la jota valenciana" (ebd.: 260), „ese cariño de moro que el labrador valenciano siente por su escopeta" (ebd.: 294); der schönste Platz im Dorfe, „la fuente de la Reina", berichtet der Erzähler (ebd.: 155), „era el orgullo de toda aquella parte de la huerta [porque] era ,cosa antigua y de mucho mérito' [...]: obra de los moros"; und dieser Ort, scheint der Autor zu insinuieren (ebd.: 156), entspricht besonders deutlich dem „maurischen Arkadien": „Este desfile [vor dem Brunnen, N.R.] daba á la huerta valenciana algo de sabor bíblico. Recordaba la poesía árabe cantando á la mujer junto á la fuente con el cántaro á sus pies, uniendo en un solo cuadro las dos pasiones más vehementes del oriental: la belleza y el agua." 23 Die bemerkenswerte Dichotomie, hier die bösen Juden, dort die guten Mauren, ändert sich im Prinzip auch auf den folgenden 250 Seiten nicht, die sich der Autor bemüßigt fühlte, der Geschichte von Barret noch hinzuzufügen. Dessen Nachfolger - Batiste - , der die barraca nach zehn Jahren von den Söhnen des ermordeten Juden pachtet, ereilt das gleiche Schicksal. Nun sind es zwar, zumindest aus der Sicht des zweiten ¿íwrczca-Protagonisten, wundersamerweise einzelne Dorfbewohner (ebd: 164), „[que] eran peores que judíos", weil sie die Anwesenheit von Batiste als Provokation betrachten, obwohl gerade dieser paradoxerweise (ebd.: 246) alle noblen Eigenschaften einer „postura de oriental" aufweist. Am Ende (ebd.: 294) scheitert indes auch er, trotz „ese cariño de moro que el labrador valenciano siente": Der Haß, der die pweWo-Bewohner gegen das Judensymbol mobilisiert, erweist sich als stärker. Besteht darin die Botschaft der konfusen Geschichte, die ihr Autor als Roman ausgab? Wenn er außer dem Prätext, seine antisemitischen Obsessionen zu ventilieren und ein bukolisches Maurenidyll zu skizzieren, überhaupt eine Botschaft im Sinn hatte, dann wohl diese: das jüdische 23

Verhängnis. Dazu paßt, daß am

Eine romantische Maurenschwärmerei bildete bereits in den 1887 publizierten Cuentos Medievales (1996) den thematischen Grundakkord. Die „buenos muslines" (ebd.: 59), die er dort kreiert, sind ahistorische Phantasiegestalten, die entweder gut sind oder abgrundtief böse und grausam - Eigenschaften, die „todo el fervor de su fanatismo oriental" (ebd.: 40) offenbarten. Die rassistische Perspektive, aus der er häufig die Juden beschreibt, nimmt er auch mit Blick auf die Mauren ein, wenngleich seltener und weniger drastisch.

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Ende alles so ist wie am Anfang: „todos, con resignación oriental" (ebd.: 327 f.), erweist sich die ,Maurophilie' von Blasco Ibáftez gewissermaßen als kulturhistorische und politische Allzweckwaffe, „aguardaron [...] con la pasividad del fatalismo el curso de fuego, que iba devorando [...] sus antiguas ilusiones de paz y trabajo". Das in La barraca präsentierte Judenbild - die implizierte Gleichsetzung von Juden und Ausbeutern und die gerechte Gegenwehr des pueblo - war beileibe kein Zufall: Es entsprach ziemlich getreu dem antisemitischen Credo des Autors, das er in jenen Jahren auch ganz explizit geäußert hat, vor allem in den Editoriais der von ihm 1894 in Valencia gegründeten Tageszeitung El pueblo. In dem republikanischen Blatt konnte man 1896 (Smith 1973: 283) die folgenden Sätze aus seiner Feder lesen: „Los judíos son hoy los reyes del mundo. Vense alejados para siempre de la mística Sión, cuya pérdida lloran en la sinagoga con quejumbrosos cánticos, pero no muestran realmente el menor deseo de volver allá. ¿Para qué? Si Jerusalén pasara otra vez al dominio de las doce tribus, si se constituyera una nacionalidad judía, la vida sería imposible, pues acostumbrados todos a la explotación sin piedad, al negocio sin entrañas, se robarían mutuamente y acabarían por no poder vivir juntos." Das Schreckensszenario einer Weltherrschaft skrupelloser jüdischer Ausbeuter, lange vor den Protokollen

der Weisen von

Zion entworfen, gilt, so die Vermutung des republikanischen Schriftstellers, auch für Spanien: „Los descendientes de los parias de la Edad Media son [...] los que con la fuerza abrumadora de un capital inmenso esclavizan y absorben la industria; los que hacen imposible la emancipación y dignificación del trabajo; los que con una breve orden causan pánicos artificiales en la Bolsa, arrebatando como ladrones los ahorros amasados con sudor que constituyen las pequeñas fortunas; los que aquí en España tienen a sueldo a Cánovas y Sagasta como criados obedientes [...] los que recordando que a sus abuelos los aporreaba el pueblo y Torquemada los enviaba a la hoguera, aprovechan nuestras desdichas para robarnos y anulamos lentamente." Gegen wen richteten sich diese Hetztiraden? Da es in Spanien zu dieser Zeit kaum Juden gab und noch weniger solche, die sich offen als Juden zu erkennen gaben, liegt die Annahme nahe, daß ihr Autor den latenten Antisemitismus seiner Leser schüren wollte. Denn der war, seinen Behauptungen aus späteren Jahren zum Trotz, keineswegs Geschichte, er selbst ist dafür ein Beleg. Blasco Ibáñez' Judenhetze auf den Seiten einer republikanischen Tageszeitung diente jedoch nicht nur dem Ziel, antisemitische Gefühle innenpolitisch zu instrumentalisieren. Denn was in Spanien nur ein Popanz war, war diesseits der Pyrenäen bereits bittere Realität; und auch die hatte er im Auge,

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als er schrieb: „el que un pueblo sea admirable por su rapacidad y su avaricia, no obliga a que el resto del mundo permanezca inactivo dejándose saquear". Die individuelle Lösung des Problems, für die sich die Ausbeutungsopfer in La barraca

entscheiden, legitimiert er damit auch als kollektive Strategie - als

unverblümte Rechtfertigung von Pogromen: „[El] movimiento de acometividad", schreibt er mit Blick auf Deutschland, wo „el pueblo" die Juden auszulöschen trachtete, „puede traducirse como instinto de defensa propia". Blasco Ibáñez - ein „Freund" der Juden? Nur ein besonders bösartiger Sarkast wäre imstande, die verbale Niedertracht dieser Passagen als judenfreundlich zu verstehen. Dem eingangs zitierten Autor des American Hebrew waren sie, so darf man vermuten, schlichtweg nicht bekannt; ebensowenig wie der BestsellerRoman La barraca. Er und andere Autoren, die dem Erfolgsschriftsteller philosemitische Überzeugungen zuschrieben, ließen sich augenscheinlich blenden: vor allem durch Blasco Ibáñez' Engagement in der Dreyfus-Affare und in der Sephardenkampagne. Die Dreyfus-Affäre, schreibt Smith (ebd.: 283), hatte „a notable softening of Blasco Ibáflez' anti-Jewish sentiments" zur Folge. Dieser Stimmungswandel schlug sich auch publizistisch nieder: „Y vamos por fin a la diferencia más importante", schrieb er 1898 in El Pueblo (ebd.: 284), „Dreyfus es judío. [...] La reacción pagó escritores indecentes como Drumont para que resucitasen el odio de razas, la venganza contra el deicidio, señalando a la execración pública a los judíos, como si estos no hubieran nacido en Francia y fuesen tan franceses como los católicos." Auch wenn diese Attacke gegen die Verleumder von Dreyfus altbekannte Klischees („deicidio") enthält: Sie ist dennoch eine klare Verteidigungsrede für das jüdische Opfer einer reaktionären Verschwörung. Und als solche hat sie sicher dazu beigetragen, ihrem Autor ein judenfreundliches Image zu verschaffen, oder doch zumindest eines, das mit religiöser Toleranz in Einklang steht. Dafür spricht auch, daß Blasco Ibáñez in Valencia Tausende von Unterschriften für Dreyfus sammeln ließ, die er Emile Zola schickte. Nach Ansicht von Smith (ebd.) liegt in der großen Wertschätzung, die Blasco Ibáñez für den französischen Autor von „J'accuse" empfand, zugleich der Schlüssel zum Verständnis des temporären

und keineswegs vorurteilsfreien „softening" seines

Antisemitismus. Neben einer ästhetischen Wahlverwandtschaft mit dem Pariser Naturalisten waren es vor allem allgemeine politische Überzeugungen, die Blasco Ibáñez' Sympathien für „El heroísmo de Zola" beflügelten: „It was the moral and political force represented by the couragous Frenchman in championing social justice that most attracted Blasco." Demnach waren es also

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sekundäre Motive, die sein Engagement für Dreyfus letztlich erklären. Seine Ansichten über die Juden ,als solche', das illustrieren spätere Romane und sonstige Schriften, blieben davon eher unberührt. Was sich dagegen in Zukunft ändern sollte, war Blasco Ibáñez' Haltung gegenüber den spanischen ,Edeljuden\ auf die er wenige Jahre später, während einer Reise nach Gibraltar, treffen sollte. Doch auch für sie, „¡Los hebreos españoles!", wie er (1978: IV, 1098) enthusiastisch schrieb, hält sich seine Begeisterung in - antisemitischen - Grenzen: alte Klischees neu gerastert. „Para una gran parte de los españoles", heißt es zu Beginn (1978: 1096) seiner Impressionen über die Juden Gibraltars, „no existe otro judío que el que todos hemos visto aparecer en óperas y melodramas. El hijo de Israel es para nosotros un viejo temblón, de larga barba, sucia hopalanda, gorro puntiagudo y blusón de cuero lleno de oro, que solo sabe discurrir y preparar maldades contra el cristiano y vive esclavo de su inextinguible avaricia. Sus hijas son siempre hermosas, pero él es el prototipo de la fealdad y de la miseria." Ein knappes und präzises Resümee gängiger Judenklischees, das Blasco Ibáñez hier präsentiert. In Spanien, setzt er seine kritischen Betrachtungen fort (ebd.: 1097), seien diese Klischees vor allem eine Spätfolge von Haßgefuhlen „incubados en aquellos siglos de feroz religiosidad y persecuciones bárbaras, cuando no se perdía un niño cristiano sin que se acusara a los judíos de haberlo martirizado para devorarle las entrañas, ni se saqueaba una iglesia sin hacer responsables a los hebreos, suponiendo que en sus francachelas nocturnas se permitían los mayores sacrilegios con las hostias robadas." Und noch immer, akzentuiert er seine einleitende Kurzgeschichte des Antisemitismus, sei „Jude" eine Beleidigung, besitze „geizig" jüdische Konnotationen und bezeichne „judiada" niederträchtige Aktivitäten, die der Durchschnittsspanier als besonders abstoßend empfinde. Daraus lasse sich nur eine Schlußfolgerung ziehen: „Y es que no tan fácilmente se extinguen los prejuicios moldeados durante varios siglos de odio feroz e intransigencia fanática que todavía llevamos enquistados en nuestro pensamiento." Verglichen mit seinen Ausfällen auf den Seiten von El Pueblo, die nur wenige Jahre zurücklagen, sind diese Einsichten geradezu verblüffend: Ist die hellsichtige Kriük des Antisemitismus ein unbewußtes mea culpa, Ausdruck eines schlechten Gewissens, weil er selber haargenau jene Judenklischees reproduziert hatte, die er hier in der didaktischen Pose des Aufklärers attackiert? Oder sind damit nur die Sepharden gemeint, die übliche Ausnahme von der Regel? Selbstkritische Äußerungen sucht man jedenfalls vergebens. Dafür schlägt das antisemitische Pendel früherer Jahre nun in sein Gegenteil aus: „los

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hebreos", schreibt er (ebd.: 1097) über die jüdische Gemeinde von Gibraltar und meint damit augenscheinlich nicht nur sie, „son hombres moderaos, que han trabajado y trabajan por la civilización tanto o más que muchas naciones. Constituyen un gran pueblo; el pueblo tal vez más admirado y fuerte de la tierra." Einen beträchtlichen Teil seines Schwungs, wenn nicht seine Hauptkraft, bezog der extreme Ausschlag des Pendels aus der Tatsache, daß Blasco Ibáñez in Gibraltar die Bekanntschaft von Sepharden machte, und die hatten es ihm (ebd.: 1098) besonders angetan: „Dentro de la gran familia judía los más notables por su inteligencia fueron siempre los de origen español." Die Gründe verortet er in einer Art von Ganivetschem Erdgeist: Obwohl trocken und düster, besitze die Spanische Erde eine übernatürliche, geheimnisvolle Kraft, die sich auf alle fremden Völker übertrage, die auf ihr leben. Die Araber, in Afrika und Asien fanatische Krieger und Barbaren, seien dafür besonders illustrativ, denn nur die spanischen Araber hätten die mittelalterliche Welt mit ihrer Wissenschaft erleuchtet. Und dieser ,Erdgeist' 24 habe auch bei den Juden gewirkt: „Cuando los hebreos esparcidos por el mundo no eran más que mercaderes y prestamistas de los barones feudales, enterrando su oro para desviar la atención del populacho siempre dispuesto a asaltar las juderías, las sinagogas hispánicas producían un Maimónides 25 [...] y recogían los tesoros de la filosofía griega próximos a perderse para transmitirlos a la sociedad presente, que gracias a los judíos conoce algo de la cultura helénica." Und geschichtsbewußt fugt er hinzu: „Para apreciar lo estúpida e inoportuna que fue su expulsión, basta hablar con los descendientes de los que fueron compatriotas nuestros, con los judíos de Gibraltar". „The author would probably have denied", schreibt Smith (1973: 292) über das jüdische Gesamtbild in Blasco Ibáfiez' Werk, „any accusation of anti-semitism on his past". Gilt diese Einschätzung bereits fur jene Teile seines Œuvres, in denen sich antisemitische Obsessionen in besonders schrillen Tönen Luft verschaffen, dann gilt sie wohl erst recht für diejenigen Textpassagen, die den Sepharden gewidmet sind: Die antisemitischen Prämissen, von denen sich der Autor, wohl ohne klare Absicht, leiten ließ, haben hier zumeist einen philosemitischen Anstrich. Darunter, das zeigen die soeben zitierten Äußerungen über die ökonomischen Tätigkeiten der mittelalterlichen Juden, kommen indes die

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In späteren Schriften säkularisiert er den Erdgeist allerdings beträchtlich: Nun sind es die historischen Bedingungen, vor allem die Maurenherrschaft, die die kulturelle Blüte bewirkten. Selbst Schopenhauer hält er (ebd.: 1097) für einen ,judio de origen espaflol".

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alten Klischees zum Vorschein; auch in den Beschreibungen der zeitgenössischen Sepharden Gibraltars. Neu ist allerdings, daß er die ,typischen' Eigenschaften der Juden, früher das Böse schlechthin, nun (ebd.: 1101) als durchweg gut beschreibt: „Hoy el mosaismo es la más tranquila de las religiones. Aún hablan los judíos del Mesías, en la Sinagoga, por la fuerza tradicional de la costumbre, pero nadie lo espera. ¿Para qué? Hace tiempo que el Mesías llegó. No ha venido en carne y hueso, sino en espíritu: es el trabajo, la constancia y el dinero, las tres cualidades de los hebreos modernos; e Israel, triunfante, domina al mundo sin aparato y sin soberbia, ocultamente y con mansedumbre, más no por esto es menos cierto su poder. Los grandes banqueros judíos son prestamistas y amigos de los primeros reyes de la tierra, que adulan con títulos de barones y marqueses y con grandes condecoraciones a los descendientes de los que mataron al hijo de Dios." Ein süßeres Gift ist den Sepharden vermutlich von keinem anderen Autor jener Jahre verabreicht worden! In dieser Hommage an „esta aristocracia del dinero", einer .progressiven' Version der Protokolle der Weisen von Zion, sind alle Klischees von einst (reiche Juden, jüdische Weltherrschaft, Christusmörder) versammelt, nur eben neu gerastert. Auch die .typischen' Judenphysiognomien, „la nariz grande y aguileña de los semitas" (ebd.: 1102), sind hier vertreten, im Unterschied zu früher sind diese .Merkmale der Rasse' aber nun zum Gegenstand von „Verehrung" und zum Ausdruck von „Güte" geworden, zumindest in der Person des „patriarca de los hebreos de Gibraltar", dem der Autor einen Besuch abstattet. Und ganz so, als hätte er die zitierte Einleitung zu seinen Reiseimpressionen inzwischen vergessen, besingt er (ebd.: 1103 f.) schließlich auch die Schönheit der jüdischen Frauen der Enklave: „La mujer judía es inconfundible. [...] Hay en el nácar de sus ojos algo templón e incierto que turba con la vaguedad del misterio: se nota en su mirada, siempre amable y acariciadora, algo indescifrable que hace pensar en diferencias irreductibles de raza [...] Sobre todo hay en su sonrisa [...] algo de felino, de ferozmente gracioso, que las hace temibles e irresistibles al mismo tiempo." Vielleicht lag es daran, daß bis zum Erscheinen der Novelle Luna

Benamor,

die durch den Aufenthalt in Gibraltar inspiriert wurde, noch einige Jahre vergehen sollten und die Erinnerungen an die schönen Jüdinnen bereits verblaßt waren: Jedenfalls gibt es dort nur eine schöne Jüdin, die Protagonistin, die anderen entsprechen ziemlich getreu jenem Bild, das Blasco Ibáñez von ihnen hatte, wenn er keinen philosephardischen Enthusiasmus verspürte ... Die Episode, die Blasco Ibáñez in dieser Novelle erzählt, weist einige Ähnlichkeiten zu

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Concha Espinas Roman El cáliz rojo auf und darf, ebenso wie dieser, als direktes Echo auf Pulidos Sephardenkampagne verstanden werden. Während in dem Roman von Concha Espina eine - unmögliche - Liaison zwischen einer Spanierin und einem griechischen Sepharden erzählt wird, treffen hier ein junger spanischer Konsul und eine Sephardin zusammen. Ort der vermutlich zeitgenössischen Handlung ist Gibraltar. 26 Der spanische Konsul, eigentlich auf dem Wege nach Australien, zögert seine Abreise, nachdem er die junge, schöne Sephardin gesehen hat, immer weiter hinaus, versucht sie für sich zu gewinnen, scheitert aber schließlich an unuberwindbaren

religiös-kulturellen Barrieren, die

als allegorischer Abgesang auf Pulidos reencuentro-Pathos

zu verstehen sind. Im

Unterschied zu Espina ist es hier jedoch die Sephardin, die dem heftigen Liebeswerben des Spaniers trotz einer gewissen Zuneigung letztlich widersteht. Anders als in früheren Romanen, in denen ein teilweise äußerst grober Antisemitismus die Oberhand behält - gepaart mit einer ebenso grob-schematischen Maurophilie - , geriert sich Blasco Ibáñez in Luna Benamor

auf den ersten Blick als Multi-

kulturalist: „Gibraltar fué para él", so der anfängliche Eindruck des Protagonisten Aguirre (1919: 8), aus dessen Sicht die Episode erzählt wird, „la primera aparición de un mundo lejano, incoherente y exótico, mezcla de idiomas y de razas, en cuya busca iba." Bereits nach ein paar Tagen nimmt das ExotischUnüberschaubare klare Konturen an. Vor seinen erstaunten Augen (und Ohren) entfaltet sich (ebd.: 20) eine Art multikultureller Convivencia, die, mit Ausnahme der Protestanten, die mittelalterliche Halbinsel zu evozieren scheint: „Los hebreos encendían las lámparas de sus sinagogas y cantaban á la gloria de Jehová; los católicos rezaban el rosario en la catedral; del templo protestante, edificado al estilo morisco cual si fuese una mezquita, salían, como susurro celeste, las voces de las vírgenes acompañadas por el órgano; los musulmanes se reunían en la casa de su cónsul para ganguear interminable y monótona salutación á Alá." Ein Hinweis, nur wenige Zeilen weiter (ebd.: 21), deutet indessen bereits an, daß das vermeintliche Miteinander allenfalls ein Nebeneinander ist: „La religión llenaba la existencia de aquellas gentes, hasta el punto de suprimir la nacionalidad. Aguirre sabía que en Gibraltar no era español: era un católico." 27 26

27

Vgl. das folgende Kapitel. Die Exterritorialität' (bei Espina ist Deutschland Ort der Handlung) dürfte auch hier kein Zufall sein. Überraschenderweise scheint sich die romantisierende Maurophilie früherer Romane nunmehr am Beispiel zeitgenössischer „moros" in Aversion verwandelt zu haben. Darauf deuten zumindest einige Formulierungen (ebd.: 54 f.) hin, die sich auf die Kindheit der sephardischen Protagonistin in Rabat beziehen: „Los moros odiaban al judío. [...] El marroquí incendiaba las casas de los judíos, robaba sus tesoros, caía

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Von einem gewissen Mitgefühl, an einigen Stellen fast von Sympathie, sind darüber hinaus die Beschreibungen der Juden geprägt: „Los judíos de Gibraltar estaban de fiesta", so (ebd.: 26) der durchaus angenehme erste Eindruck des spanischen Beobachters. Das freudige Treiben auf den Straßen der judería wird nur durch den Anblick der „más fanáticos y apagados á los usos antiguos" etwas gestört. Und eher en passant gibt der Erzähler zu erkennen, daß offensichtlich nicht alle Juden Gibraltars reich sind: „Los que vivían recluidos en un tugurio por su sórdida pobreza, eran invitados á comer en los sombrajos de los más felices, con la fraternidad de una raza", folgt eine geschichtsbewußte Sympathiebekundung, „estrechamente solidaria por el odio y la persecución de los enemigos." Im weiteren Verlauf der Erzählung, besonders am Beispiel der sephardischen Protagonistin, wiederholt und akzentuiert Blasco Ibáñez diese Sicht der jüdischen Leidensgeschichte. Bei der Beschreibung der konkreten Personen, mit denen der junge Spanier nun in Kontakt kommt, wird allerdings recht schnell deutlich, was von den allgemeinen Bekundungen obiger Art zu halten ist. So sind Vater und Bruder der jungen Frau, derentwegen der Konsul seinen Aufenthalt in Gibraltar stets aufs neue ausdehnt, ,natürlich' „banqueros cambistas" (ebd.: 27). Der Vater ist zudem „tan mugriento" (ebd.), der Bruder besitzt „velludas y contadoras manos" (ebd.: 36). Ein ums andere Mal, wenn der junge Spanier den beiden begegnet, registriert er deren Liebe zum Geld: „el alegre tintineo del oro" (ebd.: 36), „esta danza del dinero" (ebd.: 37), „la misma solidaridad comercial" (ebd.: 37), „Zabulón [der Bruder von Luna Benamor, N.R.] le acogía con un gruñido y continuaba contando dinero" (ebd.: 84). Reichtum und Einfluß der Familie, insinuiert der Erzähler immer wieder von neuem (ebd.: 44), scheinen unermeßlich: „Estamos en todas partes, decía guiñando un ojo maliciosamente. Ahora nos extendemos a América." In diesem Panorama darf ein Hinweis (ebd.: 43) auf den jüdischen Herrn des Geldes natürlich nicht fehlen: „Luego, el áspero israelita hablaba con entusiasmo del ,hombre más grande del mundo', el barón de Rotschild, señor de reyes y gobiernos". So nimmt es nicht wunder, wenn in dieser Negativgestalt avant la lettre auch das jüdische Credo von der gleichen (ebd.: 35) Machart ist: „un alma fanática, de una fe dura como la del antiguo populacho de Jerusalén, siempre pronto á apedrear! Crucificar á los nuevos profetas". Im Vergleich zu dieser Judas-Figur läßt die Charakterisierung des

como bestia furiosa sobre las hembras blancas infieles, decapitándolas con infernal sadismo luego de horribles ultrajes."

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Vaters, „el patriarca Samuel Aboab", immerhin Mitgefühl erkennen (ebd.: 34): „Sus ojos soltaban lágrimas y lágrimas, hasta cuando permanecía silencioso, como si fueran fuentes por donde se escapaba el dolor de todo un pueblo perseguido y maldito al través de siglos y siglos." Von ähnlichen Ambivalenzen, die zwischen Mitgefühl für die jüdische Leidensgeschichte und sattsam bekannten Judenklischees schwanken, ist auch die im Mittelpunkt der Novelle stehende Liebesepisode geprägt. Sie beginnt (ebd.: 28) mit Aguirres Ansichten über „la belleza hebrea", die, mit Blick auf die drei Töchter Aboabs, die er zuerst zu Gesicht bekommt, eindeutig negativ ausfallen: Die Schönheit der jüdischen Frauen, zeigt er sich überzeugt, „sería una de tantas mentiras admitidas por la costumbre y consagradas por el tiempo que se aceptan sin previo examen". So umfaßt die Liste physischer Defekte der drei Frauen u. a. (ebd.: 28 f.) „narices [...] pesadas", „adiposidades desbordantes", „rudas cejas", „carnosidades del cuello" etc. Dagegen versetzt den Betrachter eine vierte Frau, die er von seinem Hotelfenster aus sieht, in regelrechte Verzückung, und er (ebd.: 30) wähnt sich deshalb sicher: „Decididamente, no era judía." Doch auch die baldige Gewißheit, daß es sich bei der unbekannten Schönen ebenfalls um eine Jüdin handelt, schreckt den Spanier ebensowenig ab wie die Nachricht, daß sie bereits einen Verlobten hat, wenn auch in Amerika. Zusätzliche Nahrung scheinen die erotischen Phantasien des Protagonisten durch die Tatsache zu bekommen, daß den künftigen Ehemann von Luna Benamor eine stattliche Mitgift erwartet (ebd.: 32): ,„Más de cien mil duros'. Todos conocían la dote." Trotz großer Schwierigkeiten schafft es Aguirre, mit der jungen Frau in Kontakt zu kommen. Und bereits nach wenigen heimlichen Treffen scheint ein Happyend bevorzustehen: „Conforme: seremos novios. A ver, cónsul", scheint sie (ebd.: 60) auf sein Liebeswerben einzugehen, „dígame usted cosas lindas, de las que dicen ustedes en España cuando llegan á la reja." Die Anspielung auf Spanien hat quasi programmatischen Charakter. Bereits Luna Benamors Vater hatte sich zuvor in langen, wehmütigen Erinnerungen an die Heimat seiner Vorfahren ergangen (ebd.: 38 f.): ,,¡A, España! ¡Tierra bonita, tierra fina, tierra de señores [...]! Mis antiguos fueron de allá". 28 Dementsprechend scheint auch die 28

Gerade der sich über mehrere Seiten erstreckende Topos der sephardischen Spanienliebe des banquero cambista, seine mehrfach wiederholte „súplica al Señor por la suerte de la hermosa España" (ebd.: 40), verleiht dieser jüdischen Klischeefigur aus der Sicht des Autors eine gewisse Sympathie. Sicher nicht zufällig ist sein besonders raffgieriger Sohn auch deshalb so unsympathisch, weil er die Spanienliebe des Vaters nicht teilt (ebd.: 40): „Pedro, acúerdese de lo que nos hicieron; de cómo nos arrojaron [...] de lo que nos robaron; de nuestros hermanos que fueron quemados vivos."

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schnell erwachte Liebe seiner Tochter für Aguirre hauptsächlich eine Spanienprojektion zu sein, wie sie (ebd.: 71) auch selber andeutet: „Yo creo que te he esperado siempre. Ahora me convenzo de que te conocía mucho antes de haberte visto. Cuando te encontré por primera vez [...] sentí que algo grave y decisivo pasaba sobre mi vida. Cuando supe quién eras, fui tu esclava y aguardé con ansiedad tu primera palabra." Die sonderbare Melange aus Geschichte, Kultur und Erotik, die mehr den fixen Ideen des Autors geschuldet sein dürfte, als daß sie der Realität entspräche, motiviert auch Aguirre (ebd.: 79) zu ähnlichen Liebesbekundungen: „Te quiero, dijo con la inconcruencia del que pasa sin transición de largas reflexiones á la palabra; te quiero, porque eres de mi raza y no lo eres; porque hablas mi idioma, y sin embargo tu sangre no es mi sangre. Tienes la gracia y la belleza de la española, pero hay en ti algo más, algo exótico, que me habla de lejanos países, de cosas poéticas, de perfumes desconocidos que me parece oler cada vez que me aproximo á ti ..." Die enge Verbindung von Exotik und Erotik, wie sie etwa Octavio Paz (1994: 71) an einem ähnlichen Beispiel betont, hat im vorliegenden Fall freilich eine deutliche Schlagseite: Da die Exotik offensichtlich erheblich überwiegt, erscheint es nur natürlich, daß die Beziehung sich schließlich als das entpuppt, was sie von Anfang an war: als Illusion. Ein innerer Monolog des spanischen Protagonisten (ebd.: 92 f.) faßt das in die Worte: „Era imposible seguir amándose. Todo lo pasado debía recordarlo como un hermoso sueño: tal vez el mejor de su vida [...] pero había llegado el momento de despertar." Die allmähliche Desillusionierung Aguirres liest sich indessen recht ambivalent und korrespondiert mit der eingangs zitierten Zwiespältigkeit des Autors gegenüber den Sepharden/Juden. Die zentrale Frage - sie wird von Luna Benamor gestellt - , wer von beiden im Falle einer Heirat konvertieren solle, beantwortet der Spanier (ebd.: 66) eindeutig: „¡Hombre! ¿Hacerme yo judío? ..." Da auch die Sephardin ihrem Credo treu bleiben möchte, argumentiert Aguirre (ebd.: 96) .universalistisch': „Olvida eso; todos somos iguales ante la vida; no hay más que una verdad: el amor." Ihre Antwort (ebd.: 96 f.), eine Schlüsselpassage der Novelle, die sich wie ein philosemitisches Manifest liest, klärt den naiven Universalisten darüber auf, daß man nicht einfach aus dem Judentum aussteigen kann, selbst wenn man will - und sie will nicht: „No - dijo duramente Luna, con una expresión que Aguirre no había conocido nunca en ella, como si fuese otra mujer - . No; tú tienes una tierra, tú tienes una patria, tú puedes reirte de razas y creencias, colocando por encima de ellas el amor. A nosotros, nazcamos donde nazcamos, por más que las leyes nos igualen á los otros, nos llaman siempre judíos, y judíos hemos de ser forzosa-

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mente. Nuestra tierra, nuestra patria, nuestra bandera única, es la religión de nuestros abuelos. ¿Y me pides que la abandone y me separe de los míos? ... Locura!" Der Eindruck, das nachdrückliche Insistieren der Sephardin auf der jüdischen Leidensgeschichte als ultima ratio ihrer Glaubenstreue 29 sei zugleich ein entschiedenes Plädoyer des Autors für Verständnis und Toleranz, täuscht indessen, zumindest partiell. Denn weit davon entfernt, den Antijudaismus bzw. Antisemitismus zu historisieren, und damit wenigstens den Versuch zu unternehmen, ihn zu erklären, neigt Blasco Ibáñez (ebd.: 99) eher zu anthropologischen Konstanten: „Era hebrea y seguirá fiel á su raza. No iría á perderse aislada é infructífera entre gentes extrañas que odiaban al judío por un instinto

ancestral

[Hervorhebung von mir, N.R.]." Die quasi ontologische Erklärung des Judenhasses 30 und die daraus resultierende Unmöglichkeit eines harmonischen Miteinander erspart es dem Autor im übrigen, einen besonders neuralgischen Punkt zu behandeln: die kritische Auseinandersetzung mit der nationalen Geschichte. Die wird zwar nebenbei erwähnt, in ihrer Bedeutung für die Gegenwart allerdings völlig heruntergespielt. So antwortet Aboab (ebd.: 41) auf die Frage Aguirres, warum er nicht nach Spanien zurückkehre, wenn er das Land doch so liebe: „Hay leyes aún contra los pobres judeos. Está la pragmática de los Reyes Católicos. ¡Cuando la quiten! ... ¡Cuando nos llamen!" Die Antwort des Spaniers, die Pogrome, Vertreibung und vierhundert Jahre Diaspora bilanziert, kann als ein spätes Echo vergleichbarer Sätze Pulidos verstanden werden, die Blasco Ibáñez ohne Zweifel teilt: „Aguirre reía de su miedo. ¡Bah! ¡Los Reyes Católicos! ¡Lo que ,pintaban' ahora! [...] ¿Quién podía acordarse de estos buenos señores?'"' 29

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Vgl. die Parallelen zu der weiblichen Sephardengestalt in Benito Pérez Galdos' Gloria. Darauf deuten auch weitere Formulierungen hin, die über den gesamten Text verstreut sind. Etwa die Ansicht eines indio (aus Indien), mit dem Aguirre über sein Liebeswerben spricht (ebd.: 61): „Nada puede el hombre con las simpatías y repulsiones de la sangre." Der darauf folgende innere Monolog des alter ego des Erzählers klingt zustimmend: „Cada raza tiene sus gustos y su olfato." Desgleichen das allgemeine Credo der Sephardin (ebd.: 95): „No. Es imposible. Tu Dios no es mi Dios; tu raza no es mi raza." Ebenso der Hinweis (ebd.: 105) auf „la fecundidad de su [Benamors, N.R.] raza" oder (ebd.: 55) „esa facilidad de su raza para adoptar todo progreso." Auch wenn der raza-Begriff nicht nur biologisch gemeint sein sollte: Seine Omnipräsenz schafft zumindest kulturelle Ghettomauem, die unüberwindbar scheinen. Es ist bezeichnenderweise nur der durchweg negativ charakterisierte Zabulón (ebd.: 43), der die ridikülisierenden Ansichten des Protagonisten zu relativieren versucht: „Mi padre dice bien: no iremos nunca, no podemos ir. En España vuelven

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Der ,Umweg' über die Geschichte, so darf man diese Sätze wohl verstehen, war auch diesem Autor zu lang und zu beschwerlich. Mitgefühl für die jüdische Leidensgeschichte - ja, aber national entschärft. Als weitere Sicherung gegen Mißverständnisse dient eine vage Ontologisierung: Der Wille zum dauerhaften reencuentro

war spanischerseits zwar vorhanden, „un instinto ancestral" erwies

sich indessen als stärker. Die glorreiche Vergangenheit, „todas las grandezas" (ebd.: 51) des Mittelalters, die der Autor beständig evoziert, bewahrt er zwar gern als historisches Schatzkästchen auf, das zudem als romantische Kulisse taugt (ebd.: 51): „Dicen y dicen que era un rey de Toledo enamorado de una hebrea hermosa y pulida llamada Raquel". Versuchte man hingegen, die Vergangenheit mit neuem Leben zu erfüllen, dann, so die Befürchtung von Blasco Ibänez, könnte sich das Schatzkästlein leicht in eine Büchse der Pandora verwandeln ... Kaum weniger ambivalent ist ein zweiter Roman, den Blasco Ibäfiez 1909 über die Sephardenthematik in Spanien publizierte: Los muertos mandan, nach Ansicht von Smith (1973: 286) „Blasco's bestknown novel on the Jewish theme." In dem Buch, überaus ereignisarm, weitschweifig-langatmig 32 und mit bescheidenen sprachlichen Mitteln erzählt, stehen die sogenannten chuetas auf Mallorca im Mittelpunkt. Handlungsschema und Personenpalette (Erzählzeit und erzählte Zeit sind offensichtlich identisch) lassen sich knapp resümieren. Der junge Jaime Febrer, letzter Vertreter einer ehemals namhaften, reichen Familie der Mittelmeerinsel, spielt mit dem Gedanken, eine chueta zu heiraten, um sich mit dem Geld ihres Vaters, des reichen ,Konvertiten' Benito Valls, vor dem drohenden ökonomischen Ruin zu retten. Die Heiratspläne des verarmten hidalgo, der sein Erbe als eine Art Edelboheme in wenigen Jahren verschwendet hat, werden von seinen christlichen Freunden als skandalös empfunden: Die Juden der Insel, wiewohl seit Jahrhunderten konvertiert, sind noch immer schwer stigmatisiert. Es sind jedoch weniger seine ,altchristlichen' Freunde, die ihn schließlich von der geplanten Heirat abbringen, als die Intervention von Benito Valls Bruder Don Pablo, einem weitgereisten, weltläufigen Schiffskapitän. Dieser, den

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siempre las cosas antiguas: lo viejo se convierte en nuevo. N o hay seguridad; manda demasiado la mujer", so die nun doppelt ridikülisierende Erklärung, „y se mete en lo que no entiende." Ein Diktum Manuel Vázquez Montalbáns paraphrasierend, demzufolge es Schriftsteller gebe, die vierzig Seiten benötigen, um das Öffnen eines Fensters zu beschreiben: Blasco Ibáñez braucht über hundert - monotone - Seiten, bis sein Protagonist das Ziel einer Kutschfahrt erreicht!

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mit seinem Bruder ein äußerst spannungsreiches Verhältnis verbindet, überzeugt den jungen Protagonisten von den Problemen, die eine Heirat mit der chueta für ihn heraufbeschwören würde, und bewegt ihn dazu, die Insel für einige Zeit zu verlassen - nicht ohne die Versicherung, sich um die Lösung seiner finanziellen Probleme zu kümmern. Jaime führt nun auf der Nachbarinsel Ibiza, wo ihm noch ein kleines Stück felsiges Land und ein heruntergekommener „Turm" aus dem Familienbesitz geblieben sind, ein quasi eremitisches Leben, wird von der Familie eines Bauern, die früher in den Diensten seiner Vorfahren stand, mit dem Nötigsten versorgt und verbringt seine Zeit mit schwermütigen Reflexionen über sein herbes Schicksal. Die monotone, fast ein Jahr währende Eremitenexistenz findet nur durch die Beobachtungen

der Inselgebräuche,

charakteristischen Liebeswerbens („los festeigs")

vor allem des

eine gewisse Abwechslung.

Jaime verliebt sich schließlich in Margalida, die hübsche Tochter seines bescheidenen Gönners, muß aber mit einem Nebenbuhler um sie kämpfen (letzterer kommt dabei ums Leben, er selbst wird schwer verletzt) und erlebt zu guter Letzt sein Happyend: Er heiratet Margalida, Pablo Valls hat seinen drohenden ökonomischen Ruin abgewendet, und er kehrt auf seine Heimatinsel zurück. Der simplen Handlung entspricht, so scheint es, die zentrale Botschaft des Romans: Der einstige Glorienschein des Landes ist zwar leider definitiv verblaßt, die Lage ist indes nicht hoffnungslos - vorausgesetzt, man bescheidet sich mit dem, was geblieben ist. Und dafür ist man keinesfalls - das läßt sich als zweite Hauptbotschaft verstehen, auf die .ehrenrührige' Hilfe reicher Juden angewiesen: Zu groß sind die Last der Vergangenheit und die negativen Eigenschaften der chuetas, will der Autor seinen Lesern zeigen, um zu einer harmonischen Convivencia in der Gegenwart zu gelangen. Dabei waren auch einige illustre Vorfahren des jungen Protagonisten, wie der Leser gleich zu Beginn (1909: 2) erfahrt, offensichtlich nicht ,reinrassig', das scheint deren „nariz judaica" oder deren „nariz imperiosa de la familia" anzudeuten. 33 Im weiteren Verlauf ausgedehnter innerer Monologe, mit denen Jaime die „heldenhaften Kämpfe" (ebd.: 50) seiner Familiensaga evoziert, kommt er auf die interkulturellen Sexualkontakte auch explizit zu sprechen. Die Zeit von Convivencia und Reconquista figuriert dort (ebd.: 47) zwar als „la guerra mile33

Die physiognomischen Klischees, vor allem die .typischen Judennasen', weisen sämtliche Juden des Romans auf, einschließlich des positiv charakterisierten Pablo Valls - „su perfil semita, de curva y pesada nariz" (ebd.: 97) und korrespondieren mit den sonstigen Eigenschaften, die Blasco Ibáñez den Juden/Jüdinnen durchgängig zuschreibt: „como en todas las hembras de su raza".

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naria contra los infieles" und letztere als ausgesprochen stereotypisierte Lüstlinge, die christlichen Frauen nachstellten, „para abastecer de carne nueva sus haremes [sie]". Seine eigenen Vorfahren scheinen den „musulmanes", was diesen Aspekt betrifft, allerdings nicht nachgestanden zu haben: „El matrimonio no probaba nada. En varias épocas de tolerancia y momentáneo olvido", versucht er (ebd.: 126) seine eigenen Heiratsambitionen vor sich selbst zu rechtfertigen, „se habían casado cristianos viejos con gentes de la calle. En la isla había muchos que revelaban por sus apellidos estas mezclas." Selber ein erotischer Bon vivant, malt er die Eskapaden seiner berühmten Vorfahren, etwa die seines früheren comendador (ebd.: 140), in weitschweifigen Erinnerungen aus: „Jaime amaba al comendador porque había representado en el seno de la noble familia el desorden, la libertad, el desprecio de las preocupaciones. ¡Lo que a él le importaban las diferencias de raza y religión cuando sentía el deseo de una mujer!" Die Hommage an die sexuelle Toleranz - die übrigen Beziehungen zwischen den drei Kulturen firmieren, zumindest was die Mauren betrifft, dagegen als christlich inspirierte „santa empresa" (ebd.: 134) heldenhafter Kriegergestalten - gipfelt gar (ebd.: 144) in der generellen Bemerkung des Protagonisten: „La pureza de las razas era una ilusión." Demzufolge, versucht er (ebd.: 143) sich Mut zu machen, stellten auch seine eigenen Heiratspläne nichts Ungewöhnliches dar: „¿Qué tenía de extraño que él se uniese á una chueta, igual á las otras mujeres en costumbres, creencias y educación, si el más famoso de los Febrer [...] había vivido [...] con hembras infieles?" Der Eindruck eines relativ philosemitischen Autors, der die historische Convivencia zumindest in Teilen als Fait accompli akzeptiert, wird darüber hinaus durch jene Passagen erhärtet, in denen er den Status quo der chuelas beschreibt: „Ser chueta, proceder de la calle de la Platería, á la que se llamaba por antonomasia la calle", heißt es beispielsweise aus dem Munde des überaus positiv konnotierten Juden/Konvertiten Pablo Valls (ebd.: 100 f.), „era la peor desgracia que le podía ocurrir á un mallorquín. En vano se habían hecho revoluciones en España y aclamado leyes liberales que reconocían la igualdad de todos los españoles: el chueta, al pasar á la Península, era un ciudadano como los otros, pero en Mallorca un réprobo, una especie de apestado que sólo podía emparentar con los suyos." Von dem zweifelhaften Hinweis auf die Halbinsel abgesehen, kommt in dieser und in zahlreichen ähnlichen Passagen eine durchaus kritische Wertung des Antisemitismus zur Geltung, die sich auch auf das Schicksal der jungen Catalina erstreckt, die er zu heiraten gedenkt: „La hija de Valls", schreibt der allwissende Erzähler im Duktus eines kritischen Mitgefühls (ebd.: 119),

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„había sufrido los tormentos del alfilerazo traidor, del arañazo oculto, del golpe de tijera en la trenza, y luego, al ser mujer, el odio y el desprecio de sus antiguas compañeras le había seguido en la vida, amargando sus placeres de mujer joven y rica." In der Person von Jaimes Freund Pablo Valls hat der Erzähler sogar einen Juden gestaltet, der auf sein Judentum stolz ist - „Yo soy chueta, ¿y qué? ... ¡Judío de lo más judío!" (ebd.: 96) - und der den „odio absurdo de siglos" (ebd.) gegen die Juden besonders scharf kritisiert, etwa (ebd.: 109 f.) am Beispiel eines seiner Urgroßväter, an dessen Tod auch die Vorfahren von Jaime beteiligt waren: „Tú también estabas allí ... Es decir, tú no. Uno de tus abuelos, un Febrer que llevaba la bandera verde como alférez mayor del Tribunal; y los damás de tu familia fueron en carroza al pie del castillo para presenciar la quema." Aus dem Munde dieses weitgereisten Kosmopoliten - „había vivido [...] en [...] tierras de libertad, insensibles á los odios religiosos" (ebd.: 97 f.) - erhält der Leser eine ganze Reihe historischer Lektionen, die Américo Castros Interpretationen gewissermaßen vorwegnehmen: „En España", läßt sich Jaime etwa über die trikulturelle Convivencia belehren (ebd.: 97), „no hay cristiano que pueda levantar el dedo. Todos somos nietos de judíos ó de moros." Eine knappe Bemerkung (ebd.: 100) deutet an, daß diese Epoche nicht nur eine erotisch-sexuelle Dimension besaß: „Los tiempos antiguos podían llamarse de libertad: la persecución y la barbarie eran relativamente modernas." Einer ihrer Totengräber, der klerikale Antijudaismus, wird kritisch vermerkt: An den jüdischen bzw. konvertierten Familien, heißt es (ebd.: 100) beispielsweise, „se había ensañado la Inquisición". Auch deren Motive, hier (ebd.: 106) die materiellen, bleiben nicht unerwähnt: „todos vieron [...] confiscados sus bienes, y el Santo Tribunal se enriqueció". Dieser selbstbewußte Jude Pablo Valls, der in seinem Haus ein stattliches Arsenal historischer Dokumente „de la época de las persecuciones" aufbewahrt, „y hablaba de éstas como de un suceso acaecido días antes", entpuppt sich freilich und darin besteht u. a. die eingangs zitierte Zwiespältigkeit des Autors gegenüber der Judenfrage - als weitgehend ,entjudeter' Jude, als einer, der vor allem deshalb akzeptabel ist, weil er eine Ausnahmeerscheinung

unter den chuetas der

Insel verkörpert. Im Kontrast zu seinem Bruder (ebd.: 127) kommt diese Dichotomie am klarsten zum Ausdruck: „Mi hermano [es] el tipo de esos judíos que salen en las comedias, con un bolsón de oro, ayudando á las gentes en una mala hora, para exprimirlas después. Esos son los que nos desacreditan: yo soy otra cosa." Die These des guten Juden Pablo Valls, der, genau betrachtet, eigentlich nichts mit seiner „Rasse" (der Begriff ist omnipräsent) zu tun hat, wird mehrfach

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wiederholt: „no era como los de su raza, inmóviles, en la misma postura durante siglos, reproduciéndose sobre el montón de su vileza y cobardía, sin fuerzas ni solidaridad para levantarse é imponer respeto." Die gewaltsame Marginalisierung, Verfolgung und rassistische Dauerdiskriminierung der Juden, deren Folgen er am Beispiel von Pablo Valls Nichte Catalina noch mit einer Art kritischem Mitgefühl beschrieben hatte, und zwar als gesellschaftlich bedingte Folgen - hier nun werden sie zu gleichsam anthropologischen Konstanten der Jüdischen Rasse" umgedeutet. Auch diese These, die tatsächliche oder vermeintliche Servilität vieler Juden, wird mehrfach wiederholt, etwa am Beispiel von Don Benito, der sich neben einer Reihe üblicher Stereotypen - reich, 34 häßlich, krank - durch ein besonders unwürdiges Anpassertum auszeichnet, vor allem (ebd.: 115) im Hinblick auf seinen ostentativen Katholizismus: ,,¿Y la religión?, ¡Ah, la religión! [...] Por ella daría la vida. [...] clavaba en lo alto sus ojos mortecinos, adorando con el respeto del miedo la santa institución que había quemado á sus ascendientes." Sicher ist diese Kritik an bestimmten Aspekten jüdischer Assimilation und Servilität, hinter denen sich (wie im vorliegenden Falle) zudem Klasseninteressen verbergen, nicht völlig deplaziert. Bei Blasco Ibáfiez dominiert indes ein deutlich antisemitischer Zungenschlag: Die beschriebenen Eigenschaften gehören für ihn zum „Charakter der Rasse", der durch die historisch-gesellschaftlichen Faktoren zwar mitbestimmt wird, dem man aber trotzdem (das Beispiel Pablo Valls dient zur Illustration) individuell entfliehen kann - vorausgesetzt, so seine Botschaft, man ist dazu bereit und bringt die nötige Willenskraft auf. Da dieser Weg indes nur wenigen offensteht, behält die Geschichte gegenüber der Gegenwart leider das letzte Wort: Los muertos mandan, so lautet die häufig variierte Zwischenbilanz des Romantitels. Erst gegen Ende siegt die Gegenwart über die Geschichte: „Yo he arreglado tu porvenir, pequeño inquisidor. Ya sabes", empfiehlt sich der pragmatische 35 Arrangeur von Jaimes ökonomischer Misere (ebd.: 425 f.), „que tu amigo el judío consigue siempre lo que se propone." Nachdem auch seiner geplanten Hei34

35

Dagegen vernehmen wir aus dem Munde von Pablo Valls (ebd.: 104): „El dinero no conoce religión". „orden, método y claridad. [...] La falta de un caracter práctico es lo que nos pierde" in dieser Devise von Pabla Valls (ebd.: 382 f.) scheint auch so etwas wie die Grundprämisse des regeneracionismo der Jahrhundertwende anzuklingen. Die durch die Verhältnisse erzwungene Modernisierung ruft freilich auch wehmütige Erinnerungen an bessere Zeiten wach, wie sie der Erzähler (ebd.: 31), etwa in Gestalt von Jaimes Haus auf Mallorca evoziert: „siguió inmóvil en su contemplación de la antigua casa. ¡Qué hermosa todavia, á pesar de sus amputaciones y su vejez!"

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rat mit der jungen Margalida nichts mehr im Wege steht, stellen die beiden Freunde übereinstimmend fest (ebd.: 430): „No; los muertos no mandan: quien manda es la vida, y sobre la vida el amor." Diese Hommage an das Leben steht freilich auf tönernen Füßen, da sie als individueller

Weg zum Glück den ,Um-

weg über die Geschichte' für zu beschwerlich hält. Die empfohlene .Abkürzung' (ebd.: 429) mündet dagegen in einen abstrakten Universalismus, aus dem die Last der Geschichte schlicht eskamotiert wird: „Tienes razón. Matemos á los muertos: pisoteemos los obstáculos inútiles, las cosas viejas", so das naive Credo des ,guten Juden', der eigentlich keiner mehr sein will, „que obstruyen y complican nuestro camino. Vivimos con arreglo á lo que dijo Moisés, á lo que dijo el Buda, Jesús, Mahoma ú otros pastores de hombres, cuando lo natural y lo lógico sería vivir con arreglo á lo que pensamos y sentimos nosotros mismos." Das politisch-religiöse Hauptanliegen des Autors wird damit einmal mehr benannt. Die historischen Ereignisse, die die Gegenwart noch immer beeinflussen, werden zwar durchaus kritisch beleuchtet; zusammen mit den negativen Eigenschaften der .jüdischen Rasse" bilden sie indes eine unüberwindbare Barriere, mit der man sich abzufinden hat: „Había que respetar el ambiente tradicional de la isla", lautete die anfangliche Warnung Pablo Valls' (ebd.: 125), „so pena de morir ... Era peligroso querer modificar de un golpe la obra de siglos." Der Ausweg, den der ,entjudete' Jude selbst repräsentiert, geht dieser Gefahr aus dem Wege: „Daraus folgt", schrieb Sartre (1994: 37) über diesen Antisemitismustyp, „daß seine Verteidigung des Juden den Juden als Mensch rettet und als Juden auslöscht." Gilt das auch für die Sepharden?

„Me sentí commovido", hatte Blasco Ibáñez 1904 (1978: 1100) über seinen Besuch in Gibraltar geschrieben, „por la fe y la esperanza de la juventud hebrea en una España civilizada, progresiva y libre de prejuicios religiosos, cuyo nacimiento espera para volver a nuestro suelo." Als gelegentlicher Troubadour der Goldenen Internationale versprach er sich von einer Rückkehr der Sepharden ungeahnte Möglichkeiten für sein Land, sicher auch ohne den politischen Frühling, den er sich erhoffte: „Sí, ustedes volverán - les dije - , y la España nueva los recibirá como hermanos que vuelven de un lejano destierro." Wie die Schönheit der dortigen Frauen, so scheint er jedoch nur ein paar Jahre später auch diese Hoffnungen vergessen zu haben: Für die Sepharden, die er in Oriente, seinen 1908 publizierten Reiseimpressionen beschreibt, empfindet er jedenfalls wenig Sympathie.

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Die dort versammelten Sephardenporträts unterscheiden sich substantiell kaum von den allgemeinen Judenbildern, die er (1978: II, 13), etwa am Beispiel der Juden von Vichy, in gewohnter Manier zu zeichnen pflegt: „En todas partes los usureros, los prestamistas, los adoradores de la fortuna [...] una avidez de raza." Juden sind eben Juden, auch wenn sie Sepharden sind! In Belgrad trifft er (ebd.: 43) auf eine Gruppe jüdischer Krämer, „que prosperan a costa de los pobres campesinos servios". Die Sepharden unter ihnen geben sich nur sprachlich, nicht moralisch als solche zu erkennen: „Muchos de ellos se animan al conocer mi nacionalidad, y hablan un castellano fantástico, mezcla de palabras anticuadas y de voces orientales." Denn daß sie mit den anderen Juden moralisch auf einer Stufe stehen - das, so der reisende Schriftsteller, zeigt sich sehr schnell: „su atávico terror de raza acobardada por lenguos siglos de palos y despojos, no impide a estos dulces españoles que al día siguiente le suelten al compatriota moneda falsa en sus tiendas". Im Unterschied zu den Sepharden in Gibraltar sind die spanischstämmigen Juden, die er auf seiner Orientreise registriert, augenscheinlich arme Schlucker - sicher ein wichtiger Grund für die Tatsache, daß sich seine Begeisterung für die ehemaligen ,Landsleute' in engen Grenzen hält. So auch in Konstantinopel, der nächsten Reisestation mit einer sephardischen Bevölkerung. Die dortigen „antiguos compatriotas nuestros" (ebd.: 53) gehören, insinuiert er, dem gleichen Gesindel an: „La moneda de oro tomada de un judío es pérfida y peligrosa. No pasa por sus manos que no la lime hábilmente para arrancarle un poco de polvo de oro, y así, de rasguñón en rasguñón, juntando limaduras, se gana doce y quince francos extraordinarios". Und wie in Belgrad, so versucht auch hier ein sephardischer Jude den spanischen Reisenden zu betrügen, trotz aller .Spanienliebe', die er bekundet: „Que por mis hixos que no engaño, señoreto ... [...] Que por mis viexos te lo juro, que antaño vivieron de allá, como tú vienes agora; porque yo, señoreto, también soy español." Blasco Ibáñez' Kommentar dieser Sätze fällt dementsprechend kühl aus: „La discusión con el compatriota que intenta estafarnos es interesante, por la fogosidad con que se expresa y los ademanes dramáticos que acompañan a su castellano especial." Immerhin lobt der Orientreisende (ebd.: 100) die religiöse Toleranz des Osmanischen Reiches - „Los turcos no sienten la fiebre del proselitismo" - , die auch den (sephardischen) Juden ihr Existenzrecht sichert; er bewundert (ebd.: 104) aber gleichzeitig eine .Eigenschaft' der Türken, die er sich wohl auch selber zugeschrieben hat: „Los turcos tienen un sentido especial para reconocer al judío, aunque se vista a la europea." Kein Zweifel: Die Juden, seien es Sepharden oder Aschkenasen, nehmen einen zentralen Platz in Blasco Ibáñez' Œuvre ein - besondere Sympathien emp-

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fand er für keine der beiden Gruppen. Es sei denn, sie erschienen ihm nützlich und/oder sie hatten aufgehört, wie etwa Pablo Valls, im engeren Sinne Juden zu sein. In dieses Bild paßt denn auch sein Lob der argentinischen Juden, das er zwei Jahre später (1910) in Argentina y sus grandezas intoniert. Im Gegensatz zum Jüdischen Volk" im allgemeinen, „[que] se distinguió siempre por su tendencia al aislamiento" (1910: 100), zeige sich in dem Rio de la Plata-Staat ein völlig neues Bild: „Argentina es el único país del mundo que vence esta tendencia al aislamiento del judío, y le hace despegarse de su adhesión al pasado. En la provincia de Entre Ríos hay varias colonias agrícolas de hebreos procedentes de Rusia. [...] Los jefes de familia, venerables patriarcas de lenguas barbas, siguen fieles al levitón y el sombrero felpudo de copa alta que trajeron de Europa, y en tal facha labran la tierra. Pero las muchachas han tomado los modelos y el lenguaje de las jóvenes del campo, y los hijos usan los amplios calzones llamados bombachas, ciñen el talle con el tirador de cuero sembrado de monedas de plata, se cubren con el poncho, y asustan a sus madres, la buena Rebeca o la dulce Jezebal, cabalgando sobre potros indómitos. Son gauchos, verdaderos gauchos." Alberto Gerchunoff, der in jenen Jahren mit seinen Erzählungen über Los gauchos judíos Furore machte (Rehrmann 1999), hätte diese Zeilen wohl dankbar begrüßt; 36 nicht zuletzt deshalb, weil ihr Autor aus einem Land kam, das er vor allem wegen seiner jüdischen Geschichte tief verehrte. Im Unterschied zu seinem spanischen Kollegen sollte der jüdische Schriftsteller Gerchunoff aber schon bald die bittere Erfahrung machen, daß die Prognose von Blasco Ibáflez illusorisches Wunschdenken war: Die argentinischen Juden, schrieb Letzterer (ebd.), würden schon bald keine mehr sein, „disolviéndose sus condiciones de raza en la enorme fusión nacional." Die Hoffnung, das Judenproblem' würde sich auf diese Weise von ganz alleine lösen, implizierte natürlich, was die Sepharden betraf, das allmähliche Verschwinden internationaler ,Brückenköpfe', an denen auch Blasco Ibáñez gelegen war. Wie es scheint, nahm er das aber durchaus in Kauf. Denn trotz aller /"eertcwert/ro-Rhetorik á la Pulido ließ er, was die künftigen Beziehungen zwischen Spanien und den Sepharden betraf, deutliche Skepsis erkennen: „Pero no querían volver a ella [España, N.R.]", heißt es in Mare Nostrum (1991: 273) über die Sepharden Salonikis, „Les inspiraba miedo la patria de sus abuelos." Die unter den Sephardenaktivisten weitverbreitete Hoffnung auf eine baldige , Rückkehr' der Vertriebenen, zumindest auf freundschaftliche Beziehungen, 36

Auch dessen Werk ist dem spanischen Argentinien-Reisenden (ebd.: 404) bekannt.

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hatte er (1978: 1099) bereits Jahre zuvor mit Blick auf die Sepharden Gibraltars gedämpft: „aún perdura el pánico de la expulsión, el miedo al fanatismo hispánico en los hebreos de sangre española". Damals, so schien es, hatte er diese Befürchtungen noch selber geteilt: Erst eine zukünftige Republik würde den Sepharden eine neue Heimat bieten. Jetzt, mehr als zehn Jahre später, macht sich der Protagonist von Mare

Nostrum

(1991:273) über Befürchtungen solcher Art bereits lustig: „Temían que, al verles de regreso, los españoles actuales suprimiesen las corridas de toros y restablecieran la Inquisición, organizando una quema todos los domingos." Weitere acht Jahre später, in einem von ihm selbst verfaßten Artikel in The Jewish Tribune (1925: 5), behauptet er sogar: „On the Peninsula, anti-Semitism does not exist." Offenkundig interpretierte er die ,Repatrisierungs'-Offerte Primo de Riveras auch als definitives Ende des spanischen Antisemitismus: „How would the Spanish greet the return of the Jews to Spain! It is safe to assume that the Spaniard would hardly notice it. He bears none, nor does he understand antiSemitism." Den gebe es nur noch auf den Balearen, wie er in seinem Roman Los muertos mandan gezeigt habe, nicht jedoch auf der Halbinsel. Und das, so sein Hinweis auf die Geschichte, könne eigentlich gar nicht anders sein: „Because Spain is three quarters Jewish." An anderer Stelle (1925: 92) räumt er sogar ein: „moi même qui descends de bergers d'Aragon, je suis-parmi ceux qui ont le moins de chances d'en avoir et pourtant je n'en jurerais pas!" Bedeutet dieser Hinweis auf die jahrhundertelange Vermischung von Christen und Juden, daß Blasco Ibáñez die jüdischen Elemente der spanischen Geschichte akzeptiert? 37 Auch hier fallt die Antwort ziemlich nüchtern aus. Sein allgemeines Bild der sephardischen

Juden bestimmt, mit den typischen Zwiespältigkeiten

und

Schwankungen, auch sein Bild der spanischen Geschichte. Dessen Grundmuster reflektiert zunächst, in einigen Texten der Jahrhundertwende, mit denen er auf den Seiten von El Pueblo thematisch debütierte, den obsessiven Antisemitismus. Besonders drastisch treten diese Obsessionen in einem Reisebericht über Toledo in Erscheinung, eine Stadt, in der sich, so ihr Besucher (1978: IV, 1145), „toda la historia [...] de nuestra patria" spiegele, „condensada en una legua de terreno".

37

In diesem Zusammenhang nimmt auch Blasco Ibäflez (1925: 5) eine Behauptung vorweg, die zu den Standardargumenten von Amdrico Castro gehört: „Perhaps a great deal of the fanatism that characterizes the Spanish may be ascribed to the large proportion of Jewish blood that flows in their veins." Im Unterschied zu Castro, der religiös-kulturelle ,Bakterienherde' fur den Fanatismus verantwortlich machte, sind es bei Blasco Ibäflez sogar die ,Keime des Blutes'!

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Zunächst erweckt Blasco Ibáñez freilich den Anschein, als sähe er in der Geschichte der Stadt ein besonders gelungenes Beispiel der mittelalterlichen Convivencia: „En aquella Edad Media llamada bárbara", rückt er (ebd.: 1148) etwa die traditionalistische Optik der Reconquista-Historiker zurecht, „los españoles de todas las razas eran modelos de cultura y tolerancia. Dentro de la misma ciudad, bien fuese este de los hijos del profeta o de los guerreros de la cruz, ejercían su culto con toda tranquilidad, sin choques ni persecuciones, la iglesia, la mezquita y la sinagoga." 38 Vor der christlichen Eroberung der Stadt sind es vor allem die maurischen Bewohner, denen Blasco Ibáñez (ebd.: 1150) auch hier besonders zugeneigt ist: „los moros españoles, pueblo el más simpático de la historia". An ihnen schätzt er nicht nur ihre kulturellen Leistungen - es ist die religiöse Toleranz der Mauren, die ihn begeistert: „Jamás buscaron adeptos por las persecuciones religiosas. El vencido cristiano, con tal de reconocer el poder político, podía pensar como quisiera." Ganz anders das Bild, das er von den mittelalterlichen Juden zeichnet. Die verzerrte Vision beginnt bereits (ebd.: 1146) mit dem Jahre 711: „los judíos se vengan de los siglos de servidumbre, humilaciones e insultos, entregando Toledo a los sarracenos". Die Juden als Fünfte Kolonne der Invasoren, wenn auch nur aus Rache für die Verfolgung unter der Westgoten-Herrschaft: An der Legende der jüdischen ,Türöffher' strickt also auch der junge Toledo-Reisende mit. Eine Mischung aus lauem Verständnis für ihre Situation als verfolgte Minderheit und akkusatorischen Klischees bestimmt auch die Beschreibungen, die er von den jüdischen Bewohnern der Stadt im Laufe der folgenden Jahrhunderte gibt. Jedwedes Lob, etwa (ebd.: 1157 f.) der „herrlichen" Synagoge Santa Maria la Bianca, ist von Unterstellungen begleitet: „El carácter de la raza proscripta y perseguida, del pueblo deicida maldecido por el cristianismo, se marca de un modo claro en el exterior de Santa María la Blanca." Der ChristusmörderLegende folgt ein anderes Klischee auf dem Fuße, wiederum verpackt in die angebliche Objektivität historischer Authentizität: „Bien se ve esta sinagoga fue obra de Samuel Levi, el rico tesoro de don Pedro el Cruel y de los judíos poderosos que aguantaban bofetadas y rechiflas en las calles de Toledo, 38

Ähnliche Convivencia-Interpretationen finden sich in anderen Texten (ebd.: 1247) des Autors: „Durante largos periodos, en su suelo vivieron en perfecta paz mahometanos, judios y cristianos. N o recuerdan que reyes moros y reyes que adoraban la cruz llegaron en ocasión a ser buenos amigos; que príncipes que rezaban en templos de Cristo se unieron con princesas islamitas; que los moros se radicaban en los Estados cristianos - esos moros se llamaban mozárabes - y viceversa - los cristianos se llamaban, mudéjares - . "

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vengándose sordamente por medio del préstamo, que hacía afluir a sus manos todo el oro de los creyentes en Jesús." Das verbale Gebräu aus Fakten und Fiktionen, angereichert mit einer Brise geheucheltem Verständnis für die malträtierte Minderheit, schien dem Autor selber nicht zu schmecken. So erklärt es sich wohl, daß er im Schlußkapitel seiner Stadtgeschichte (ebd.: 1158 ff.) fast auf jegliche Kondimentierung verzichtet: „Los cristianos no podían olvidar que después de la rota de Guadalete la canalla judía era la que había entregado Toledo al invasor musulmán. [...] maldecían a los judíos, infames perros, cuyos ascendientes, catorce siglos antes, habían crucificado a otro judío por predicar contra la religión de sus conciudadanos. La persecución y el odio no podían ser más lógicos." Läßt sich auch aus diesen Zeilen noch ein Rest an deskriptiver Distanz herauslesen, dann schlägt sich der Autor der folgenden Passagen bedingungslos auf die Seite des fanatischen Judenhassers Vicente Ferrer, der den christlichen Mob der Stadt zu Mord und Plünderei aufstachelte: „el impulso estaba dado: la muchedumbre sabía ya el camino sin necesidad de que la guiase el santo fraile, y no tardó en saquear el alcana o barrio judío, matando a todo hebreo que se resistía a bautizarse; o lo que es más claro, a decir donde guardaba el dinero." Hier hat der nie sonderlich unparteiische Beobachter der historischen Szenerie seinen Posten definitiv verlassen, hier schließt er sich den Mordbrennern und ihren Anführern uneingeschränkt an: „De todos sus milagros", erweist er dem Hetzer in der Kutte der Bettelmönche seine posthume Reverenz, „solo creo y admiro uno: la matanza de los judíos de Toledo. Fue una revolución a estilo de la época, pero revolución al fin [...]. La matanza de los judíos de Toledo resultó un hermoso desahogo de los pobres contra los explotadores; de los piojosos que trabajaban y se morían de hambre para que el hebreo listo se aprovechara de su idiotez y su miseria." Und eine solche Revolution, angeführt von einem Manne desselben Kalibers, wünschte sich Blasco Ibáfiez auch fiir seine Zeit: „¡Lástima grande que no salga otro Vicente Ferrer predicando con arrebatadora elocuencia contra los hebreos modernos!" Hitler, so darf man vermuten, hätte an diesen verbalen Pogromen seine Freude gehabt ... Rund zwei Jahrzehnte später, als sich dieser zeitgenössische Vicente Ferrer bereits anschickte, Seinen Kampf gegen die Juden zu organisieren, hat sich Blasco Ibáñez wohl nur sehr ungern an die Hetzparolen aus seiner Jugend erinnert. Denn inzwischen 39 hatte der aggressive Antisemitismus der Jahrhundert39

In den dazwischen liegenden Jahrzehnten finden sich nur vereinzelte Äußerungen zur Judenthematik in der spanischen Geschichte, die, wie etwa in Los muertos mandan, aber bereits gewisse Sympathien erkennen lassen.

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wende deutlich abgenommen und war sogar, gerade auch in historischen Fragen, in Sympathie für die verfolgte Minderheit umgeschlagen. Besonders augenfällig tritt dieser Gesinnungswandel in dem posthum erschienenen Kolumbus-Roman En busca del Gran Kan zutage: Trotz zahlreicher Judenklischees, die der Autor eher nebenbei einflicht, präsentiert er hier eine Version der Geschichte, die sich mit den jüdischen Opfern von Verfolgung und Vertreibung überwiegend solidarisiert. Am Beispiel von Lucero und Fernando, zwei Nebenpersonen der Romanhandlung, nimmt diese Solidarität deutlich Gestalt an. Das junge Liebespaar, sie ein jüdisches Mädchen, er ein Junge aus altchristlicher Familie, müssen ihre wachsende Zuneigung vor der Umwelt verstecken - das religiöse Klima, nur wenige Monate vor dem Vertreibungsedikt, läßt solche Verbindungen nicht mehr zu. Dennoch erweist sich Fernando noch in der Öffentlichkeit (1978: III, 1185) als mutig: „Repentinamente se mostró protector de la hija de Cohen, aporreando a todos los camaradas que intentaban ofenderla." Als Tochter eines Geldverleihers gehören solche Beleidigungen zum Alltag. Denn für die Altchristen, schreibt der Autor über deren Verhalten gegenüber Luceros Vater, „resultaba un hombre providencial cuando estos se veían en apuros monetarios, pues siempre se mostraba pronto a conceder un préstamo si le ofrecían por él prendas suficientes. Luego era el usurero odiado, el hombre que venía inoportunamente a reclamar su plata y a quien deseaban todos una pronta muerte para borrar de tal modo su deuda." Jude und Geldverleiher sind hier zwar immer noch Synonyme, allerdings ohne die einseitig negative Bedeutung früherer Jahre. 40 Denn hier werden die Juden eher als Opfer christlicher Willkür dargestellt. So auch das junge Liebespaar: Um dem Fanatismus seiner Umwelt zu entgehen, heuert es das Mädchen als Junge verkleidet - auf einem der Schiffe von Kolumbus an und begleiten den Entdecker in die Neue Welt.

40

In dem bereits zitierten Artikel in The Jewish Tribune (1925: 5) findet sich sogar die folgende Bemerkung über die spanischen Juden: „It was that period in which the Jews brought to the highest development all the existing sciences, mathematics, astronomy, physics, alchemy, medicine, history, geography and cosmography. A more curious thing: Spain was the only country in which the Jews had taken up agriculture since the Dispersion" (Hervorhebung von mir, N.R.). Ein ähnliches ,Kompliment' macht der Protagonist von Mare Nostrum (1991: 273) den Sepharden von Saloniki: „No eran únicamente cambistas o comerciantes, como en el resto de la tierra. Las necesidades de una ciudad dominada por ellos les habían hecho abrazar todas las profesiones, siendo artesanos, pescadores, banqueros, mozos de cordel, cargadores del puerto."

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Bevor der Autor die Hauptstationen der ersten Kolumbus-Reise erzählt und dabei immer wieder auf Lucero und Fernando zu sprechen kommt, und zwar mit gleichbleibender Sympathie, beschäftigt er sich ausfuhrlich mit der Lage der Juden am Vorabend ihrer Vertreibung. Eine herausragende Rolle spielt dabei der konvertierte Hofarzt Gabriel de Acosta, dem auch Lucero viel verdankt. Obwohl reich, universal gebildet und auch von den Juden sehr geschätzt, ist er unter den Christen allseits beliebt, selbst die Inquisition ist ihm wohlgesonnen (ebd.: 1191): „No habían temor de que Acosta fuese en secreto judaizante." Diese Befürchtung, so sein literarischer Schöpfer (ebd.: 1192), ist im vorliegenden Falle deshalb völlig unbegründet, weil er, dem idealen Juden Pablo Valls wesensverwandt, der Prototyp eines Freidenkers ist, der sich aus keiner Religion wirklich etwas macht: „Acosta era un escéptico curioso que veía pasar la vida con interés y al mismo tiempo con incredulidad y tolerancia. Hablaba de los dioses más que de Dios, imaginándose a la Humanidad con mayor dicha en los tiempos del paganismo que en el presente." Blasco Ibáñez' Ideal ,entjudeter' Juden schimmert ebenfalls in seiner Wertschätzung für die kulturellen Leistungen der jüdischen Koryphäen im maurischen Córdoba oder im christlichen Toledo durch. Es ist zwar begrüßenswert, daß er dieses Kapitel der jüdischen Präsenz auf der Halbinsel im Unterschied zu seinen Jugendschriften nun (ebd.: 1199) erwähnt; was zählt, ist indessen ausschließlich die universale Dimension - „los olvidados autores griegos" - der jüdischen Intellektuellen: „Durante [...] la Edad Media existía una confraternidad científica entre los sabios musulmanes de las escuelas adheridas a las mezquitas y los sabios cristianos de los conventos, siendo los autores judíos los que mantenían esta relación." Die Charakterisierung der sonstigen Juden ist dagegen von den üblichen Zweideutigkeiten durchzogen: „Los judíos dominaban España", meint er (ebd.: 1196) zu wissen, „por ser más inteligentes y laboriosos que los cristianos." Vor allem nach den Pogromen von 1391, die hier als Werk eines „populacho fanático" verurteilt werden, und nach den darauf folgenden Zwangskonversionen, habe sich der jüdische Einfluß weiter zugespitzt: , judíos y conversos, al impulso de su propia fuerza financiera, volvían a apoderarse de la vida económica del país. El pueblo los odiaba, creyendo cuantos relatos mentirosos inventaban contra ellos; pero la religión mosaica, en vez de disminuir, se iba extendiendo por el país." Deshalb konnte die Geschichte, suggeriert ihr Interpret (ebd.: 1197), keinen anderen Verlauf nehmen: „Y como una deducción lógica del triunfo inquisitorial, la muchedumbre, fanatizada, exigía la expulsión de los judíos."

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Obwohl Blasco Ibáñez nie ein Freund des Klerus war, 41 noch weniger der Inquisition, der er hier (ebd.), im Rahmen der „intolerancia católica", ausdrücklich „una fe horripilante" attestiert - trotz dieser kritischen Akzente schreibt er den ,halsstarrigen' Juden und judaisierenden' Conversos eine erhebliche Mitschuld, wenn nicht die Hauptschuld an ihrer Verfolgung und Vertreibung zu. Dennoch klingt das Mitleid, das der Erzähler (ebd.: 1261) für die vertriebenen Juden äußert, durchaus echt: „Muchos de estas gentes iban a morir; tal vez no existirían dos semanas después. El robo, la violación y el asesinato los esperaban al otro lado del mar. ¡Quién podía saber si algunas de estas jóvenes de nariz aguileña, tez de marfil y grandes ojos negros eran hermanas o primas de Lucero!" Über mehrere Seiten hinweg (ebd.: 1267 ff.) evoziert Blasco Ibáñez die brutale Szenerie des jüdischen Exodus, die den Beginn der Entdeckungsreise überschattet und fast in den Hintergrund rückt: „Fue en tal momento cuando la escuadrilla descubridora tuvo un encuentro en pleno Océano. Varios buques pasaron cerca, con la proa hacia la costa de Africa. [...] Era todo un pueblo mísero, plañidero, lanzando al mismo tiempo los últimos cánticos de un entusiasmo agonizante, que, empujado por el odio religioso, iba al encuentro de nuevas persecuciones y mayores violencias." Keine der Romangestalten, die Zeuge dieses traurigen Endes der peninsularen Juden wird, äußert Genugtuung, niemand fühlt sich erleichtert. Nur einer der altchristlichen Begleiter von Kolumbus, ein skrupelloser Arrivist, obendrein „dado a los negocios usurarios", der sich im Verlauf der Reise als brutaler Schurke erweist, bildet hiervon eine Ausnahme: „Hombre duro, enemigo instintivamente de los caídos, adulador de los triunfantes y pronto a adoptar todas las ideas dominantes, miró [...] con desprecio y burla a este éxodo miserable que pasaba y pasaba como un río humano." Kein Zweifel: Von den antisemitischen Tiraden der Jahrhundertwende ist auf den Seiten dieses späten Romans kaum noch etwas geblieben. Blasco Ibáñez' frühere Neigung, die Juden für die schlimmsten Übel der Welt verantwortlich zu machen, ist sogar, zumindest mit Blick auf die spanische Geschichte, einer deutlichen Sympathie gewichen, wenn auch überwiegend nur einer allgemein menschlichen Sympathie mit den Opfern brutaler Verfolgung und Vertreibung. Geblieben ist dagegen eine stattliche Palette jüdischer Klischees, die er selber aber nicht als solche empfunden haben dürfte. Die zitierten Beispiele sind dafür genauso illustrativ wie die Charakterisierung des eigentlichen Protagonisten des

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Bereits in seinen Cuentos Medievales von 1887 (1996: 141 f.) findet er harsche Worte für die blutrünstigen Glaubenseiferer spanischer Konvente.

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zuletzt behandelten Romans. Der Autor (ebd.: 1200) zeichnet den Entdecker als typischen Juden: „Y deseaba oro, mucho oro, con una avidez igual a la de los mercaderes judíos." Da er in einem Nachwort zum Roman auch ganz explizit (ebd.: 1357) „un origen judío" seines Helden für wahrscheinlich hält, sind die häufigen Judenvergleiche (ebd.: 1253) sicher kein Zufall: „Colón hizo promesas generosas con una amabilidad de mercader genovés, y si tal no era su origen, con una sonrisa de judío, invencible en los negocios". Auch wenn es stimmt, daß in Kolumbus' Bordbuch viel von Gold die Rede ist: Das als Indiz dafür zu werten, Kolumbus wäre Jude gewesen, illustriert indessen, daß der Autor dieses späten Romans seinem frühen Werk in einigen Facetten treu geblieben ist. Deshalb noch einmal die Frage: Blasco Ibáñez - ein Freund der Juden? Daß er selber an dieser Legende mitgestrickt hat, verwundert nicht. Daß sie auch von jüdischen Autoren, etwa dem eingangs zitierten, kolportiert worden ist, verwundert schon. Wie es scheint, ließen sich die jüdischen Zeitschriften, zu ihnen gehört auch La Revue Juive, die 1925 ein Interview mit Blasco Ibáñez veröffentlichte, von freundlichen Allgemeinplätzen der folgenden Art (1925: 94) Sand in die Augen streuen: „Iis sont très sympathiques", so seine Meinung über die nach Spanien zurückgekehrten' Juden, „et aimés de la population. J'ai beaucoup d'amis parmi eux. Ils sont presque tous d'idées avancées, et républicains." Deshalb stimmt es immerhin tröstlich, daß wenigstens eine zeitgenössische Stimme der philosemitischen Legende widersprochen hat. So schrieb kein Geringerer als Rafael Cansinos Asséns, langjähriger Weggefährte von Blasco Ibáñez im Rahmen der Sephardenkampagne und Kenner seines Werkes, im Jahre 1935 (54): „No. Blasco Ibáñez no era precisamente un amante de los judíos."

4. „Die Reconquista ais Samen der spanischen Herrscherrasse": Concha Espina Im Vergleich zu Blasco Ibáñez, dessen Judenbilder seine Zugehörigkeit zum Kreis der Philosepharden wenigstens in Teilen nachvollziehbar machen, mutet das philosephardische Etikett, das Concha Espina (1869-1955) angeheftet wurde, geradezu grotesk an: Die eingefleischte Rassistin und Katholikin, aus deren Feder glühende Elogen auf den ,Kreuzzug' Francos stammen, hat zwar mit dem frühen Philosephardismus im Umkreis von Pulido kokettiert, zu einer Herzensangelegenheit wurde er indessen nie. Als unermüdliche Propagandistin der „esencias del alma hispana" (1972: II, 818) gab sie sich zwar weltoffen und

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multikulturell, aber nur innerhalb der engen Grenzen einer paternalistischen Hispanidad-ldeologie,

die, und das bereits lange vor der Machtergreifung des

von ihr in höchsten Tönen besungenen „caudillo providencial" (ebd.: 575), hier und da offen rassistisch sind. 42 Ihre kulturimperialistischen Hoffnungen setzte sie vor allem in die Mauren, die in ihren kulturhistorischen Präferenzen deutlich vor den Juden rangieren: Ihnen, den Nachfahren der Cordobeser und Granadiner Adelsgeschlechter, wollte sie in einer zu schaffenden „comisión de españolismo universal" (1970:1, 774) einen Ehrenplatz reservieren - nicht den Sepharden. Dieser Ehrenplatz ist freilich strikt auf die kulturelle Dimension beschränkt. Denn in religiösen Fragen war Concha Espina völlig kompromißlos: Die „christlichen Prinzipien", schrieb sie in ihrem Bürgerkriegstagebuch (1938: 13), seien „[la] base inconmovible de la civilización". Und das war, wie ihre lebenslange Verehrung für Menéndez Pelayo illustriert, keine Überzeugung, die erst durch den Kampf mit „der Hölle des Bolschewismus und der Freimaurerei" (1972: II, 883) entstanden wäre. Ihre Verehrung für den Santandiner Gelehrten, „supremo artífice en todas las asambleas letradas del mundo hispánico" (ebd.: 379), war grenzen- und bedingungslos. Der Ruhm des „gigantischen Werkes" des berühmten Inquisitionsapologeten, jubelte sie (ebd.: 363) noch zu dessen Lebzeiten, „ya trascendía lejos de la patria, enarbolando universalmente un victorioso nombre español". Die hymnischen Elogen an die Adresse Menéndez Pelayos sind, so darf man vermuten, vor allem Ausdruck eines religiösen Schulterschlusses: Der ideologische Leitstern Concha Espinas war stets der Katholizismus in Geschichte und Gegenwart. Daneben speiste sich ihr Weltbild, was fremde Kulturen und Religionen betraf, aus rassistischen Überzeugungen, die nur gelegentlich, etwa im Falle der mittelalterlichen Mauren und deren Nachfahren, mit paternalistischem Wohlwollen betrachtet wurden. Ansonsten dominieren, etwa am Beispiel der lateinamerikanischen Urbevölkerung (ebd.: 386), Charakterisierungen wie die folgenden: „Poco más tarde una piragua con indios de la marina se acercó al buque pidiendo limosna. Voces agrias, como graznidos de aves agoreras, subieron a gemir desde la navecilla donde aquellos seres humanos, fornidos y 42

Dennoch wurde sie, auch offiziellerseits, stets hofiert: „¿Porque deleitan tanto las novelas des esta mujer privilegiada", schreibt einer ihrer italienischen Claqueure (Pillepich 1929: 115), „más que ninguna otra entre las escritoras contemporáneas de España, premiada varias veces por la Real Academia Española, y a la cual se la ha levantado un monumento en Santander, su ciudad nativa?" Weil sie eine „gran escritora" sei, so ihr Panegyriker (ebd.: 116 f.), deren „populäre Werke" zu Recht „in die wichtigsten Sprachen" der Welt übersetzt worden seien.

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desnudos, salvajes y míseros, acechaban el paso de la civilización." Obwohl sie den spanischen Missionsauftrag in der Neuen Welt, und damit auch die „Verbesserung der menschlichen Qualitäten" (ebd.: 859), keineswegs für abgeschlossen hielt, lagen ihre rassistischen Vorlieben43 doch in anderen Breitengraden: „Debemos acudir al norte", forderte sie (ebd.: 435) ihre mediterranen Mitbewohner auf. Vor allem nach Deutschland sollten sie fahren, in ein Land, das sie selber bereiste und dem sie sich eng verbunden fühlte, besonders solchen Deutschen, die ihren eigenen Idealen entsprachen: „Porque figuraba Roger entre los estudiantes ,arios', los adictos fervorosos del Kaiser", porträtiert sie (ebd.: 436) eines dieser Exemplare, die sie besonders bewunderte, „mantenedores del nacionalismo y la tradición contra el elemento semita y la renovadora gracia del ambiente moderno." Trotz dieser rassischen (und politischen) Vorlieben gehörte Concha Espina zum illustren und bizarren Kreis der Madrider Philosepharden, der sich, unter Einschluß namhafter Sepharden, an ihren Ansichten jedoch nicht zu stören schien. Das ist um so verwunderlicher, als auch El cáliz rojo, ihr einziger ,Sephardenroman', der ihr das philosephardische Image wohl erst verschaffte, eher als literarischer Abgesang auf die Ambitionen dieses Kreises zu verstehen ist. Diese Anfang der 20er Jahre erschienene „tragedia puramente espiritual", die in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg angesiedelt ist und die, wie die Autorin (1945: 6 f.) im Vorwort schreibt, „en lo posible" auf jegliche „acción exterior" verzichtet hat, liest sich wie eine direkte Entgegnung auf Pulidos naive ,Rückkehr'-Illusionen - und sie fallt, wenigstens darin kann man dem antisemitischen Machwerk zustimmen, eindeutig negativ aus. Die in der Tat überaus spärliche „acción exterior" beschränkt sich im wesentlichen auf zwei Personen: den reichen44 Sepharden Ismael Dávalos aus Saloniki und die Spanierin Soledad, die sich „en un ambiente exótico" (ebd.: 7), d. h. in einem einsamen Waldgasthof in der Nähe Berlins begegnen: „Soy sefardí", stellt

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Auch ihre politischen Vorlieben waren von letzteren nicht weit entfernt. Die folgende Charakterisierung (ebd.: 311) einer Romanfigur dürfte ihrem eigenen Wertekanon ziemlich genau entsprochen haben: „el Capitán [...] era un hombre de amplias ideas liberales, un hombre de anchurosa hermandad cristiana. Pero en él la tradición política, hecha molde en su rectitud, no admitía novedades de incierta índole; y la vestidura democrática era, a su juicio, un disfraz poco solvente, indefenido programa de una nebulosa llena de tópicos y de prevaricaciones, inadmisibles para quien siente latir en su historia la Monarquía absoluta al través de un árbol genealógico secular." „Yo tengo millones", lautet eine der zahlreichen Anspielungen, hier aus dem Munde von Dávalos selbst, die sich unverkennbar auf alle Sepharden beziehen.

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sich der männliche Protagonist (ebd.: 23) selbstbewußt vor, „y he nacido en Salónica: ¿me permite que le hable en castellano?" Die so melancholische wie geheimnisvolle junge Spanierin, die wegen einer gescheiterten, jedoch nicht näher explizierten Liebesbeziehung in dem abgelegenen Waldgebiet Zuflucht sucht, zeigt sich trotz ihrer schweren seelischen Krise zunächst erfreut über die ungewöhnliche Begegnung, „que le trae de pronto el aroma lejano del mar griego con el acento ancho y familiar de la Espafla eterna". Dies um so mehr, als der Sepharde fiir sie nicht nur das „ewige Spanien" verkörpert, sondern auch eine angenehme äußere Erscheinung besitzt: „Es alto, fuerte, de elegantes proporciones". Lediglich einige .typische Merkmale' wie „los ojos serracenos, atezada la piel, corvo el perfil" weisen auf eine .besondere' Abstammung hin. Einem Happyend, so ist der Leser am Anfang geneigt zu glauben, steht somit eigentlich nichts im Wege - zumal: „soy mercader y me considero español. Tenemos el mismo origen, la misma lengua: ¿quiere usted que seamos amigos?" Tatsächlich scheint die Dramaturgie des Textes zunächst auf ein interkulturelles Idyll abzuzielen, das zugleich eine Art „reencuentro" zwischen Spanien und der sephardischen Diaspora symbolisiert. Auf langen Waldspaziergängen kommen sich beide näher, auch und gerade kulturell: „Si usted me hiciera el favor de aguardar un poco", lautet etwa ein Hinweis Dávalos' auf den Sabbat (ebd.: 62), „Esta noche los hebreos no prendemos nuestra lámpara hasta que arde en el cielo la primera estrella." Die Entgegnung fällt tolerant aus: „¡Ah, si! Es el día festivo para ustedes." Die augenscheinlich projüdische Haltung der Spanierin äußert sich auch in zeitpolitischen Fragen. Eines Morgens (ebd.: 82) bringt sie ihrem sephardischen Verehrer eine Zeitung mit: „El Lokal Anzeiger. Se ha concedido el Mandato de Palestina: ¡Le traigo a usted una Patria!" Die u. a. auf eine englische Initiative zurückgehende Entscheidung bietet Dávalos (ebd.: 84) Anlaß für eine pathetische Hommage an England und Spanien: „Por lo que nos toca a los sefardíes, me parece consolador que sobre la ,Cintura de Piedra' del mundo, el hidalgo y el gentleman se estrechen hoy la mano." Auch in kulturhistorischen Fragen scheint das ansonsten sehr ungleiche Paar zu harmonieren (ebd.: 87): „Ustedes, los israelitas iberos", konzediert Soledad, „han influido mucho en la vida española; les debemos no pocos laureles". Das Lob der Vergangenheit wird von dem Sepharden erfreut bestätigt: „Sí, es indiscutible nuestra gran actuación en la ciencia, en la literatura de España y en la epopeya del descubrimiento." 45

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An anderer Stelle (ebd.: 167) erweist sich Soledad, und mit ihr unverkennbar auch die Autorin selbst, als glühende Verfechterin der peninsularen Hispanidad: „Cuentan que

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Im Bereich der Sprache - „el verbo ardoroso de España", so der triefende Sprach-casi/'c/swo der Erzählerin (ebd.: 58) - nimmt der kulturelle Brückenschlag zwischen den beiden Protagonisten geradezu hymnische Züge an (ebd.: 98 f.): „es el verbo castellano en su infancia latina, llevado por todos los caminos del orbe en rezos, cantares y leyendas, con la perduración de las centurias, como un salmo inextingible y racial". Und heutzutage sind es die Sepharden, fahrt Dávalos in seinem Lobgesang fort, die Spanien durch ihre Sprache in der Welt repräsentieren: „De igual manera hablan todavía setecientos mil hermanos que tenemos en Oriente - dice. 46 Este es el idioma de Colón y de los Reyes Católicos". In immer neuen Ergüssen besingt der Sepharde (ebd.: 101) das Land, aus dem seine Vorfahren grausam vertrieben wurden: 47 „¡España, España! - entona como si en la palabra augusta existiese un valor de exorcismo - . ¡Tierra indomable del Cid, sembrada en duraderas amores por todos los confines del mundo! [...] ¿Cuando te volveremos a ver?" An der .Rückkehr'-Frage beginnen sich indes die Geister zu scheiden. Soledad (ebd.: 90) entgegnet zwar zunächst mitfühlend: „Yo deseo que no sienta usted la nostalgia de la patria perdida". Sie verfällt aber bereits auf derselben Seite - völlig unvermittelt! - in eine Art inneren Monolog, der die antisemitische Wende des Romans markiert: „la grey de Jehová alarga sus tentáculos de caracol, se reproduce como una planta maldita, se extiende, ambulante y amenazada, por el mundo [...] Una brusca expansión de lástima pone, clementes, los ojos de Soledad en los del griego. [...] Observa un romántico perfil, se espeja en la relumbre de unas pupilas ávidas, agradece una sonrisa inefable y se maravilla de que sea aquel hombre, excesivamente civilizado, tolerante y sensible, el fruto de una maldición secular." Wie aus einem romantischen Traum erwacht, in den sie die eloquenten Spanienelogen Dávalos', dessen einfühlsames Wesen und sein wohldosiertes Liebeswerben versetzt hatten, erkennt Soledad in ihrem durchaus

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hace siglos sólo con tres bergatinos descubrieron entre las olas un nuevo continente, lo que se llama hoy América, y fundaron en él otras veinte Espafias". Dabei wird auch der von Pulido mit penetranter Pro-domo-Haltung offerierte ökonomische Köder nicht vergessen: „Desde Xauen a Port Said, desde Sarayevo a Smirna, desde Trebisonda a Trabis, una buena parte del comercio en el norte africano y en el cercano Oriente está en poder de los sefardíes." Wie bei Pulido sucht man indes eine auch nur halbwegs kritische Auseinandersetzung mit der Verfolgungs- und Vertreibungsgeschichte der Sepharden vergeblich: „Las playas más tristes", so scheint lediglich eine der vielen Schwulstformulierungen (ebd.: 110) darauf hinzudeuten, „olvidan su tragedia cuando las olas se ponen a cantar."

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sympathischen und gebildeten Begleiter den Ewigen Juden. An die Stelle einer glorreichen kulturellen Vergangenheit, die zumindest in der Sprache bis in die Gegenwart wirkt, treten nun realistische' Beschreibungen: „el fatalismo de la raza" (ebd.: 164) oder „la prole semita", die trotz „aquel ánimo claro y benévolo" letztlich „su garro" (ebd.: 177) ausstreckt - angetrieben von „el hambre de poseerla [...] de rasgar sobre aquella frente hermosa y nublada los paños de la noche continua" (ebd.: 166). Die von Dávalos heiß ersehnte „amplitud de la caricia absoluta" (ebd.: 165), so eine der vielen pathetischen Kitschformulierungen, stößt auf unüberwindbare Hindernisse. Die doppelte Lesart, die der Roman nahelegt - Soledad = Spanien, Dávalos = sephardische Diaspora

wird auf der persönlichen Beziehungsebene auch ex-

plizit formuliert: „Soledad es un símbolo, una categoría, un linaje preclaro", heißt es überdeutlich (ebd.: 14), „que se erige sobre el podrido corazón de Europa en nombre de una patria creadora de mundos ..." Und „aquel hondo regazo de Castilla" (ebd.: 143) bleibt den Juden auf immer verschlossen. Am Ende des Romans verläßt Soledad denn auch das einsame Waldgasthaus, romantischer Ort des „desencuentro", Dávalos' Liebeswerben war umsonst: „El la quiere ...", so ein symbolischer Schlußkommentar zweier Beobachter (ebd.: 198), „Pero ella no le puede corresponder." Tröstlich stimmt immerhin, wenn man es denn so bezeichnen will, daß Concha Espina wenigstens anerkennt, daß die Sepharden das Ihre zur reichlich besungenen „Glorie" des mittelalterlichen Spaniens beigetragen haben. Ohne die kulturhistorische Aureole des reichen und kultivierten Sepharden hätte sich Soledad, „esta imagen representativa de España" (ebd.: 140), über das Liebeswerben eines - nichtsephardischen - Juden womöglich angeekelt abgewandt. Darauf deuten zum einen die rassistischen Beschreibungen (ebd: 73 ff.) der folgenden Art hin: „Esta raza intrépida, de mirar pálido como la luz del Norte", werde seit einiger Zeit, das zeige „el muestrario de castas más variado de Europa", empfindlich getrübt: „Se han roto muchas fronteras y no sirven prohibiciones para el emigrante que huye ambicioso y deshambrido; ruedan hoy en Germania, como nunca, hombres de todos los matices, blancos amarillos y negros". Von der einstigen Herrenrasse, so die Bilanz der Autorin, sei lediglich (ebd.: 73) „la pobre sociedad alemana" übriggeblieben. Auf den -

relativ! -

positiven

Ausnahmejuden Dávalos deutet zum anderen der häufig zitierte Topos der Sepharden als jüdischer Aristokratie hin, hier (ebd.: 88) aus dem Munde von Dávalos selbst: „El hebreo español [...] constituye al lado del tosco Aschkenasin una verdadera aristocracia, revelada a menudo en síntomas físicos [...] Por

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ejemplo, nuestras mujeres llevan en las pupilas, hondas y morenas como las de usted, con el éxtasis ancestral de los ojos semitas, la hurañía caliente del Eros andaluz." Selbst in der Diaspora, vor allem auf dem Balkan, hätten die Sepharden die „rassische Unordnung" etwas gemindert: „Hemos conseguido imponer un tono serio y linajudo en el chillón tinglado balkánico, sobre la turba cingaresca donde la suerte nos reúne." Auch wenn ein sephardisches Superioritätsgefiihl nicht geleugnet werden kann - der zitierte „Zigeunerpöbel" dürfte indes mehr die rassistischen Ekelgefühle der Autorin als die sephardische Sicht des multikulturellen Lebens auf dem Balkan zum Ausdruck bringen. So entpuppt sich das temporäre Kokettieren der Spanierin „[con] un hombre cuya personalidad y finura le apartan de una manera ilógica del medio en que vive" 48 (ebd.: 27), als melancholischer Abgesang auf den längst erloschenen Leitstern der Hispanidad,

dessen Irrlichter auch ein paar sephardische Strahlen zur Erde

werfen. Letztere, so der pessimistische Blick auf die Welt, ist damit jedoch längst nicht mehr zu retten: „la industria es una religión, y el sentimiento se convierte en metal, con alas de aeroplano y carreras de automóvil." Was bleibt, ist einzig und allein die Erinnerung an bessere Zeiten, an jenen „glorioso lar de la Raza" (ebd.: 90), den heute nur noch wenige Exemplare verkörpern, u. a. Soledad (ebd.: 168): „Que no es rica [...] Pero tiene cosas de lujo, como si viniera de casa ilustre." Völlig einsam mußte sich die Protagonistin des Sephardenromans indessen nicht fühlen. Denn Hoffnung, zumindest aus kulturhistorischer Sicht, boten die Mauren. Sie und nicht die Sepharden waren für Concha Espina einer der geschichtlichen Rettungsanker, die im Sturm der modernen Zeiten kulturelle Sicherheiten boten: „Die Araber", schrieb sie (1970: I, 521) begeistert, „no sintieron la ambición de los metales, sino para labrarlos. Pueblo artista y sensual, quiso de España, mejor que la riqueza, la hermosura, y en su poder los palacios y jardines, hallaron más cultivo que la brutal socava de los filones". Die nachgerade enthusiastische Maurophilie, die sich in mehreren Erzählungen, Romanen und Reisebeschreibungen manifestiert, wirkt wie eine späte Renaissance ihrer romantischen Ahnherren, denen sie sich im übrigen eng verpflichtet fühlte. Während einer ihrer Deutschlandreisen stattete sie auch dem Kasseler Wohnhaus der Brüder Grimm einen Besuch ab und schrieb (1972: II, 748 f.) in der Rückschau: „Desde aquella visita que mi devoción quiso hacer al recuerdo de los 48

„Sus relaciones familiares, algunas con potentados israelitas de Alemania", fügt sie (ebd.: 27) unmißverständlich hinzu, „no le han bastardeado, con la grosura semiteutónica, el procer abolengo sefardí".

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eximios filólogos alemanes, he trasoñado mucho con el afán de reconstruir y enaltecer en España alguna piececilla rústica de nuestro acerbo narrativo, sin abondonar el propósito de seguir trabajando en esta maravillosa cantera nacional y ofrecer al público de mi raza otros volúmenes de castizos cuentos españoles." Die späten literarischen Früchte bestanden in der pathetischen Konversionsgeschichte Casilda de Toledo, die zwar, wie die meisten ihrer Texte, vor allem eine zeitpolitisch motivierte Hommage an den Katholizismus darstellt, die aber auch illustriert, daß sie das maurische Kapitel der peninsularen Geschichte als nationales Ruhmesblatt betrachtete. Ruhmreich war diese Epoche ihrer Lesart zufolge (ebd.: 853) nicht allein deshalb, weil sich damals, „en los tiempos fuertes y viriles" der Reconquista, „la silueta robusta de un solo pueblo" herauskristallisierte; ruhmreich war sie auch, weil dieses „Volk" erst durch seine maurischen Anteile eine hochkarätige Herrscher- und Konquistadorenrasse wurde: „Era cuando los príncipes cristianos se casaban enamoradamente con las infantes moras, y el caldo de nuestra sangre nacional adquiría diversos quilates anímicos, gracia de valores apasionados, que más tarde, en la conquista de América, puso la España Católica sobre la raza india como blasón de insigne hermandad." Der - stolzen! - Anerkennung eines maurischen Teilsubtrats der „eterna personalidad" Spaniens, die sich in jenen Jahrhunderten der christlichislamischen Convivencia herausgebildet habe, folgt (ebd.: 854) die Anerkennung einer religiösen Toleranzepoche, auch sie unverkennbar affirmativ, auf dem Fuße: „Por su parte, los príncipes católicos iban afirmando su credo de piedad y de tolerancia con el ejercicio de amplias virtudes, que neciamente se han querido desmentir en frecuentes épocas de negación cristiana y española." Nein, so einfaltig war Concha Espina nicht. Aus einer zeitlichen Distanz von rund tausend Jahren gibt sich ihr militanter Katholizismus nachgerade schäfchenfromm. Bekehrung mit dem Schwert? Damals, weiß die Erzählerin (ebd.: 860), herrschten andere Sitten: „La tea fanática de aquel tiempo no arde con resplandores estrictamente religiosos; los grupos de taifas, las banderías y partidos se inquietan por el medro físico y aun el intelectual, mucho antes que por el íntimo sentimiento de las almas." Eine Ansicht, die unter ihren nationalkatholischen Freunden eines Ewigen Spaniens - die Erzählung datiert von 1940 - vermutlich nicht auf einhellige Zustimmung traf. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie zu den „esencias perdurables [de] la Iberia racial, la geografía ,piel de toro'" (ebd.: 817), sogar, wenn auch eher nebenbei, die jüdischen Elemente (ebd.: 858) hinzurechnete: „Patricios eran los árabes en España, como lo fueron los romanos y godos, los israelitas". Etwas versöhnlich dürfte ihre politischen Freunde indessen

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die eine Zeile zuvor gemachte Bemerkung gestimmt haben, daß all jene, die zur „Haut des Stiers" dazugehörten, von dieser mehr empfangen, als sie ihr gegeben hätten: „Porque tiene nuestro país la gracia de absorber y la fuerza de enamorar a cuantos tomaron este suelo por camino transitorio y abatieron las alas al conjunto de nuestro ambiete genial." Noch versöhnlicher dürfte sie gestimmt haben, daß die islamische Protagonistin der Erzählung, die dem Cervantinischen Vorbild Zoraida nachempfunden ist, 49 schließlich (ebd.: 856) den einzig wahren Glauben entdeckt: „La sede religiosa de Cristo es un astro inmortal [...] en no pocas regiones hispanas y el sediento espíritu de Casilda recibe milagrosamente el influjo de tan soberano lucero." Die göttliche Eingebung, die ihr, oh Wunder, wie christliche Sterntaler in die Seele fallen, veranlaßt sie schon bald, den väterlichen Palast zu verlassen, um im christlichen Norden das Taufwasser zu empfangen und ihrer Berufung zu folgen - einer Karriere als Wunderheilige, die als Fingerzeig Gottes in die Annalen der Religionsgeschichte eingeht ...50 Was bei Cervantes, den historischen Umständen entsprechend, nur vordergründig als religiöses Märchen mit Happyend, hintergründig dagegen als Verballhornung des christlichen Wahrheits- und Herrschaftsmonopols gelesen werden muß, verkommt bei Concha Espina zu einer unfreiwilligen Religionssatire, deren schwülstiger Pathos im „Jahre Eins" der neuen Zeitrechnung freilich begierige Leser gefunden haben dürfte. Dementsprechend diente das kitschige Rührstück denn auch nicht so sehr der kulturhistorischen Erbauung als der zeitpolitischen Orientierung (ebd.: 867), die einmal mehr nach Toledo wies: „Alcázares y moradores, fuerza y poder quizá presienten en un futuro de españolismo y Cristiandad, distante y luminoso, la epopeya de otro Alcázar que le diga a la Historia universal: España, Franco, Moscardó 5 1 ..." Die Stadt am Tajo, frühes Bollwerk der Reconquista, ist ihrer historischen Reputation, so die frohe Botschaft der Franco-Schriftstellerin, treu geblieben. Daß die Nationale Erhebung just mit Hilfe der Nachfahren jener „moros" er49

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Daß Cervantes dabei Pate stand, ist aus einer Eloge (ebd.: 837 ff.) auf Zoraida zu entnehmen. In einem literarischen Elaborat ähnlichen Kalibers hat Concha Espina (ebd.: 741) die Konversionsgeschichte eines deutschen Protestanten zusammenfabuliert - als erfolgreiche Missionarin fungiert eine junge Spanierin: „Y oyendo las férvidas palabras con que ella enaltecía los misterios del catolicismo, Franck empezó a sentir en el alma el reflejo de una luz desconocida; era el calor divino de la lumbre que ardía en el corazón cristiano de la niña española." Der Franco-Offizier verteidigte den Alcázar der Stadt - erfolgreich - gegen die Belagerung der republikanischen Streitkräfte und avancierte damit zum Helden der Nationalen Erhebung.

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folgte, die knapp tausend Jahre zuvor ihre Herrschaft über die Stadt an die Christen abtreten mußten, schien Concha Espina nicht zu stören. Dabei hatte sie noch in den 20er Jahren jene Gegend, in der Franco seinen „Kreuzzug" begonnen hatte, als „aquellas tierras monstruosas de Africa" (ebd.: 744) abqualifiziert, in denen die spanische Präsenz nur einem Ziel (ebd.: 747) zu dienen habe: „la guerra sin fin con los moros". Und diesen Krieg empfand sie als direkte Prolongation der mittelalterlichen Ruhmestaten: „Y pensamos con infinita admiración en los soldados españoles que luchan y mueren en Africa, valientes, silenciosos y amantes como los que lloraban en Covadonga al despedirse de su bandera." Ganz so widersprüchlich, wie sie auf den ersten Blick anmutet, ist diese Mischung aus historischer Maurophilie und zeitgenössischem Abscheu vor dem afrikanischen „Monstrum" gleichwohl nicht. Denn Concha Espina unterschied auf das genaueste zwischen jener „barbarie marroquí" (1970: I, 773), die es zu bekämpfen und zu kolonisieren gelte, und jenen „guten Mauren", die in der nordafrikanischen „Barbarei" das Unterpfand der Zivilisation verkörperten und von denen sie sich noch einiges versprach: „[Marruecos] pacificaríamos mediante la influencia religiosa y cultural. Los santones, los kubbas de origen español, las tarikas hispanomusulmanes [...] todo nuestro Islam estableciendo intereses, creando gratitudes en el Mogreb, sería el propio redentor de la barbarie marroquí." Das Zitat stammt aus Altar mayor, einem Roman, der, sicher nicht zufällig, direkt auf El cáliz rojo folgte: Nicht die Sepharden, auch nicht deren nordafrikanische Glaubensgenossen, die Pulido als koloniale Bündnispartner zu gewinnen gedachte - die Nachfahren der peninsularen Mauren, lautet die Botschaft dieses Romans, sind die wirklichen Anwälte der spanischen Interessen in Nordafrika. Um ihre kühnen Visionen plausibel zu machen, kreiert sie eine eindrucksvolle Kulisse: In einem Hotel im asturianischen Covadonga (!), geographischer Urimpuls der Reconquista und „simiente de una raza aventurera y domeñadora" (ebd.: 732), versammelt sie einen illustren Gesprächskreis, dem auch ein Nachfahre der mittelalterlichen Al-Andalus-Bewohner angehört. Und er, der weitgereiste und hochgebildete Araber, verspricht seinen spanischen Gesprächspartnern, allesamt Wallfahrer zum nationalen Heiligtum „[de] la historia colosal de España" (ebd.: 745), eine blühende Zukunft - unter Berufung (ebd.: 772) auf die Geschichte: „Yo soy hijo de todos lo países, y hablo ahora como español, porque también en mis pulsos ha saltado el torrente de las invasiones ibéricas y también es mío este verbo racial. [...] Sería muy larga la cuenta de los sitios extranjeros marcados con la fisonomía del Islam andaluz, en las edificaciones, en las costumbres, en el romance, desde Argelia al Arabistán."

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Sichtbarster Ausdruck dieser perennierenden Heimatliebe, wer wollte es bezweifeln, sind auch hier, wie bei den Sepharden, die vom historischen Edelrost der Zeiten verkrusteten Schließ Werkzeuge: „toda la Berbería [...] adora las llaves de sus casas andaluzas, valencianas y aragonesas, como líricos amuletos de tradición y fidelidad". Die stilistischen Erektionen, mit deren Hilfe die Autorin Mauren und Christen zu einer erneuten „resurrección de patrióticas leyendas" (ebd.: 774) verfuhren möchte, blieben, zumindest mit Blick auf den fiktiven Mauren, nicht ohne Wirkung. Denn der, obgleich seine Vorfahren von den Christen vertrieben wurden, macht sogar seinen Frieden mit den obersten Repräsentanten der letzten Maurenbezwinger: Tausende und Abertausende von deren Nachfahren, belehrt er (ebd.: 769) seine überraschten Zuhörer, sprechen noch immer „el cándido lenguaje de Sefarad la España de los Reyes Católicos". Offenkundig beseelt vom kriegerischen Impetus seiner katholischen ,Vorfahren', ist er es auch, der seine Gesprächspartner davon zu überzeugen sucht, daß seine hispanoarabischen Brüder nur darauf warteten, „las hordas bárbaras del Africa Menor" (ebd.: 770) unter spanische Kuratel zu bringen. Und nicht nur das: Die kolonialen Großmachtträume des maurischen Alter ego der Romanautorin versprechen nicht mehr und nicht weniger als die Renaissance der gesamten Hispanidad: „Un millón de árabes oriundos de España que ambulan por los países americanos, fugitivos del Oriente moreno", intoniert Concha Espina (ebd.: 796) ein wohl unterbotenes Delirium tremens des frankistischen Panhispanismus, „se aperciben, también, para restituir el fruto generoso de la semilla peninsular". Diese Art eines kulturimperialistischen Mummenschanzes schwebte ihr wohl vor, als sie im Juli 1936, einen Tag nach Beginn des frankistischen Aufstandes, in ihrem Tagebuch (1938: 11) notierte: „Gran noticia [...]. Se ha sublevado el Ejército en Africa. [...]. El Marruecos español para empezar ...¡Arriba España!"

5. Die Sepharden als Unterabteilung der Hispanidad: Ernesto Giménez Caballero und La Gaceta Literaria52 Der Schlachtruf von Concha Espina dürfte auch einem anderen Philosepharden mit einem bekannten Namen gefallen haben - zumindest in jungen Jahren: Ernesto Giménez Caballero (1898-1988). Sein Interesse an den Sepharden, das 52

Dieser Teil der Untersuchung wurde bereits auf Spanisch veröffentlicht (Rehrmann

1998).

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sich Ende der 20er Jahre vor allem in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift La Gaceta Literaria manifestierte, datiert, so scheint es, aus seinen Erfahrungen als junger Rekrut in Nordafrika - Erfahrungen, die er in seinen Notas

marruecas

de un soldado aufgezeichnet hat. In diesem „primer libro del autor hoy histórico y actualísimo", wie es auf der Titelseite zur Neuauflage 53 von 1983 (sie) programmatisch heißt, nimmt der „Wille zum Imperium" (Franzbach 1993: 301) von Giménez Caballero, dem prominenten Paladin des spanischen Faschismus der 30er Jahre, bereits unübersehbar Gestalt an. Und wie das Vorwort aus demselben Jahre illustriert, ist er seinen kulturimperialistischen Ideen nie untreu geworden: Die Fortexistenz der „pueblos enemigos tradicionales", heißt es wörtlich (1983: 7), „torna - hoy - a situarnos ante Marruecos como en 1921, cuando surgieron estas NOTAS [...] Por eso, actualísimas. Y que esperan encontrar, como entonces, ¡corazones alertas! ¡Y acción!" Auf den Seiten der Notas selbst beschränkt sich die historische Perspektive freilich nicht auf dieses Jahrhundert. Hier, im Norden Afrikas, schärft der Autor (ebd.: 32) einem „soldado desconocido" ein, hat man es mit einem alten Bekannten zu tun, mit dem Feind schlechthin: „Has venido a pelear al África desde las tierras del Quijote por un casus belli marroquí, que te ha enlazado así con la más vieja y profunda tradición del guerrero hispano: la lucha con el moro. Venerable tradición", fugt er offensichtlich mit Blick auf ideologische Aufweichungstendenzen hinzu, „que apenas repercutía ya en tí, desgraciadamente." Nichts in diesen Notas erinnert mehr an die romantischen Reminiszenzen der sagenumwobenen Alhambra-Bewohner, wie sie bei Chateaubriand, Irving und selbst noch bei Alarcón anklingen. Dieses Buch ist, daran läßt sein Autor (ebd. 28) nicht den leisesten Zweifel, aus der Sicht des „hombre superior que construye, que transforma" geschrieben, also aus spanisch-europäischer Warte. Die beschriebenen Mauren (auch die Juden) sind dagegen (ebd.: 157) „un pueblo siempre [...] salvaje, primitivo, colonizable". Die Erinnerung an die Eroberung Amerikas, die sich bei der Lektüre solcher Adjektive unweigerlich einstellt, evoziert ihr Autor gleich zu Beginn (ebd.: 11) auch explizit selbst. Wie Kolumbus, trifft er auf „unos moros desnudos en el agua, como salvajes", hinter denen sich „árboles selváticos" zur bedrohlichen Naturkulisse erheben: „Una cosa así 53

Die Erstauflage, berichtet der Autor (ebd.: 5 ff.), wurde u. a. von Américo Castro „efusivamente" begrüßt; von Miguel de Unamuno erhielt er „un gran espaldarazo de escritor nacional"; und sein „ídolo", der Sozialistenführer Indalecio Prieto (sie), „lo publicó entero en su prensa de Bilbao."

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debió ser un prístino desembarco en un nuevo mundo." Nahezu alles, was der Autor zu Gesicht bekommt, bietet Anlaß zum „Kulturvergleich", und der fällt, etwa in einer Glosse (ebd.: 18 ff.) über „Kif y cigarrillos", zugunsten der „Zivilisation" aus: „El Kif pertenece a estos hombres del mundo cerrado en un dogma; de un paraíso con placeres contados, donde toda aspiración termina. / El cigarrillo es un ,quid' filosófico que se consume como un afán crítico, que indagara, con mirada apasionada, el cielo, hasta la sorpresa fatal de la muerte. / El kif conduce a una nada, a un país idiota de nirvana, donde se quiebra para siempre la voluntad. [...] El dolor del tabaco [...] evoca las luces eléctricas de un salón muellemente tapizado, donde rostros de finos rasgos se perfilan". Wie der Kif, so das Rif: „Las costas son peladas, desagradables, sin bahías naturales." So auch (ebd.: 66) ein Großteil der als unangenehm empfundenen Natur des Landes: „Se comprendre que los pueblos antiguos - y los modernos hayan rehuido sus negocios con ellas. Ni los fenicios, ni los romanos, se entusiasmaron nunca, con la conquista del Rif. Es un hueso para un perro." Hier und da (ebd.: 90 f.) nimmt das Auge des überlegenen Beobachters freilich auch landschaftliche Schönheiten wahr: „La luz africana, inmensa, hecha aquí con azul de mar, verde y violeta de llanura, gris de montaña y blanco de cal. Tetuán es admirable." Um wieviel schöner wäre dieses Idyll, wenn es frei von Menschen wäre - Menschen? Ist es doch genau dort, in den „remansos de luna en las noches de verano, donde esta gente bárbara se debe de emborrachar de poesía y de silencio." Der kulturelle Bannstrahl trifft damit selbstredend vor allem die Bewohner des „Idiotenlandes". Im Unterschied zu seinem „Genre-Kollegen" Alarcón, der sechzig Jahre zuvor wenigstens einen halbwegs orts-, sprach- und kulturkundigen Begleiter hatte, vertraut Giménez Caballero allein auf den Blick des überlegenen Europäers und die „einschlägigen Erfahrungen" des maurenerprobten Spaniers: „Perros se ven pocos", konstatiert der bewaffnete Artenforscher z. B. (ebd.: 98), und weiß auch die Antwort: „El moro no es hombre de canes. El perro necesita caricias, halagos, y el moro no es muy generoso en esto." Besonders intensiv hat sich der Ethnologe in Uniform mit den „moras" beschäftigt. Die Beschreibung eines jungen Mädchens, ihre „delicada coquetería de muía en flor" (ebd.: 155 f.), das er in einem „establecimiento" trifft, ist als Kompliment gemeint: „Sólo a esta edad, y cuando son muy viejas (mirándolas por detrás solamente) es cuando agradan algo las moras." Damit sind die engen erotischen Grenzen bereits markiert: „En las otras edades, las moras son unos pellejos sucios, grasientos, deformes". Unglaublich, wundert sich der enttäuschte

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Sucher einer Sheherezade, „¡[...] que salgan de esas mujeres tuberculosas estos tíos tan bestias, tan ágiles y duros! Yo he indagado mucho buscando tipos femeninos de las Mil y una noches, de esas Mil y una noches tan sobadas y tan citadas por las que han estado aquí en Marruecos de paso [pero] no he encontrado ninguna casa de luna, ni he visto palidecer el sol por la belleza de las moras." Als besonders ärgerlich empfindet der Autor der vorliegenden „literatura colonial", deren stiefmütterliche Pflege er (ebd.: 185) wortreich beklagt, den schlechten Zustand der marokkanischen Hotels (ebd.: 117), die dem Kolonialschriftsteller die wenigen Exkursionen in das kulturelle Feindesland offensichtlich genauso verleideten wie die Absenz schöner Maurinnen. Lediglich einmal traf er in Tetuán auf ein - von Spaniern erbautes - Hotel, das seinen Maßstäben halbwegs entsprach: Insbesondere die Reize eines dortigen „salón hispano-morisco", so nutzt er auch diesen Anlaß zum „Kulturvergleich" (ebd.: 120), „daban en este hotel una nota de cierta civilidad e importancia, quizá la única nota espiritual que se ha visto por esta zona." Die einzige? Der augenscheinlich tatsächlich einzige Ort, an dem sich der eingefleischte Rassist und Maurenhasser ohne jede Einschränkung wohlgefiihlt hat, sind die maurischen Friedhöfe: „un cementerio árabe", scheint er (ebd.: 103) die Devise abzuwandeln, derzufolge nur ein toter Indio ein guter Indio ist, „resulta en huerto de placer." Als Ort der Sinnesfreuden empfindet die negrophile Phantasie des Betrachters arabische Friedhöfe aber wohl nicht nur wegen ihres definitiven Charakters. Da sich dort auch die „Hamachas" treffen, deren Tänze und Musik den spanischen Besucher entzücken (ebd.: 106), ist der Friedhof, scheint er zu suggerieren, zugleich der Ort der arabischen Musen: „Aquellos ritmos salvajes y elementales, aquellas rondas de efebos, aquella música pertubadora, y tanto espectador inmóvil, todo, sobre el fondo magnífico del cementerio en ruina." Man mag es als Trost empfinden, wenn in dem finsteren Panorama, das Giménez Caballero von „nuestro Protectorado" (ebd.: 108) kreiert, wenigstens die Friedhöfe einen kulturellen Lichtschein ins koloniale Mutterland senden. Dort wurde rund fünfzehn Jahre später bekanntlich Miguel de Unamuno, der die Notas angeblich mit einem „gran espaldarazo" begrüßte, gewissermaßen zum Opfer des zeitverschobenen Echos obiger Nekrophilie, als ihm Milán Astray ins Gesicht schrie: „¡Muera la inteligentzia! ¡Viva la muerte!" Dem „moro" als historischem Erbfeind seit den Zeiten des Cid und als eine Art Prolet unter den Völkern stellt Giménez Caballero ein Bild der dortigen Juden gegenüber, das sich zumindest in zwei Facetten .positiv' von den Mauren-

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klischees unterscheidet: die Juden als versierte Geschäftsleute und die Jüdinnen als Objekt erotischer Phantasien. Was erstere betrifft, so unterscheidet er (ebd.: 132) „dos tipos representativos: El judío cambista, callejero, que tintinea sus monedas en la vía pública [...] ese judío tipo del financiero medieval. Y, frente a él, europeo moderno, el banquero vestido de chaquet; manejando los más delicados instrumentos de cambios y finanzas." Besonders der zweite Typ, so scheint er in Anlehnung an Pulidos kühne Träume einer Goldenen Internationale von Spaniern und Sepharden zu insinuieren, könnte sich für Spanien als interessant erweisen: „La mayor parte de las familias tienen miembros en Norteamérica, en Alemania, en la Argentina, donde ocupan, muchos, excelentes puestos." Obwohl Giménez Caballero in späteren Jahren vor allem einen kulturellen Philosephardismus verfocht, plädiert er (ebd.: 134) deshalb hier auch für eine ökonomische Pro-domo-Strategie nebst erotischer Komponenten: „estos elementos de nuestra zona marroquí era menester utilizarlos con más acierto y delicadeza de lo que se ha hecho hasta ahora. Tanto el empuje emprendedor de los judíos, como la belleza y los encantos de las hebreas." Der erste der zahlreichen Hinweise auf die „schönen Jüdinnen" - der zweite .positive' Aspekt der präsentierten Judenporträts - findet sich im folgenden Zusammenhang (ebd.: 131): „En efecto, hasta no hace mucho, relativamente, en Tetuán se daban escenas de asaltos y saqueos contra judíos. Hoy estos asaltos han quedado reducidos a los nuestros contra las judías. [...] No habrá en esto mucha política quizá, pero sí muy buen gusto." Vermutlich hatte Sartre (1994: 33) diese Art der Konquistadorenerotik im Sinn, als er schrieb: „In den Worten, eine schöne Jüdin, liegt eine ganz besondere sexuelle Bedeutung. [...] Sie strömen so etwas wie einen Geruch von Vergewaltigung und Massaker aus." Im vorliegenden Falle beschränkte sich der persönliche Kontakt des erotischen Machiavelli offenkundig nur auf den Besuch einer jüdischen Prostituierten (1983: 138), die aber alle Eigenschaften der Jüdin besitzt: „Sus ojos chispeaban, y se veía en ellos la hebrea lúbrica, insaciable, capaz de pegársela al hijo más pintado de Adonai." Und solche Sätze, ich wiederhole es, verkaufte der Verlag noch 1983 als „actualísimo"! Darüber hinaus registriert der Autor der Notas (ebd.: 140), immerhin ohne das sonst übliche Pathos, unter Juden und Mauren „un eco fiel de la España vieja", wenn auch nur als kulturhistorische Reminiszenz: „A veces, en líneas fundamentales, y en muchos pormenores siempre, es la sociedad que contemplaron el Arcipreste de Talavera o el de Hita, y los mismos Cervantes y Mateo Alemán." Daß die Genannten kaum etwas mit dem rassistischen Credo ihres

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modernen Nachfahren zu tun hatten, erfährt der Leser zwar nicht. Die literarischen Zeugnisse der historischen Convivencia, 54 vor allem die Romanzen, hält er jedoch immerhin für wert, gesammelt und untersucht zu werden: „Estos romances [...] serán estudiados, en su día, por don Ramón Menéndez Pidal, a quien fueron enviados. Y, sus variantes lingüísticos, por don Américo Castro, que está ocupándose del lenguaje judeo-espaflol." 55 Die sonstigen Hinweise auf die Juden in Tetuán bilden eine Mischung aus antisemitischen Klischees und .positiven' Aspekten, vorausgesetzt, man vergleicht sie mit den Mauren. Etwa (ebd.: 131) „la sociedad medieval persistente en las juderías francesas, de que hablan los hermanos Tharaud, aquí está perfectamente representada." Oder (ebd.: 132) die „rincones y momentos de un arcaísmo tal, que a veces se siente uno de repente, hundido a otro mundo, a una época bíblica, milenaria, paleontológica" (sie). Im Vergleich zu den Mauren - so gewinnt der Besucher dem dominanten Bild der ,Steinzeitjuden' an zahlreichen Stellen noch eine positive Note ab - läßt sich bei ihnen doch immerhin ein gewisser Fortschritt konstatieren, etwa (ebd.: 133) bei den Tischmanieren: „el moro no ha transigido con la fórmula europea de la comida. Tiene que hundir los dedazos en las magras y llenarse de grasas, sin consentir aceptar un cubierto. El judío no. El judío ha aceptada todo, y se adapta con asombrosa facilidad. Bien es verdad que en estas rápidas adaptaciones está el secreto de la raza de Israel." Insgesamt läßt Giménez Caballero jedoch keinen Zweifel daran, daß ihn weder die arabische noch die jüdische Kultur sonderlich interessiert. Als ob es dafür noch eines Beweises bedurft hätte, bekennt er (ebd.: 171): „Para el que venga de Europa no cabe duda que lo chocante y de novedad es recorrerse estos barrios musulmanes y las calles hebreas. A mí me interesa más lo europeo". Das findet er z. B. in Tanger (ebd.: 169): „¡Tanger, ciudad de placer! ¡Mujeres, champán, ruleta, salones espléndidos, grandes hoteles, playa lujosa, espectáculos exóticos!" Als zukünftiger Theoretiker der kulturimperialistischen „resurrección nacional" möchte sich freilich auch der junge Frauen- und Champagnerliebhaber nicht mit touristischen Wochenendausflügen in nordafrikanische Nobelhotels bescheiden. Denn nachdem der einstige „Geschäftsführer des Weltgeistes"

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Diese dauerte, mutatis mutandis, offensichtlich immer noch an, wie einer Randbemerkung (ebd.: 114) zu entnehmen ist: „Moros, cristianos, judíos. Todos revueltos y mezclados en este ombligo de la ciudad [Tetuan, N.R.] que es la plaza de España, donde se asoman los tres barrios típicos: la morería, el mellah y el ensanche." Das sind übrigens die einzigen konkreten Hinweise auf die Filiationen zwischen Sepharden und Spanien.

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(Hegel) nach dem kolonialen Desaster von 1898 tatsächlich nur auf dessen spirituelle Dimension reduziert worden war, stand in Nordafrika mehr auf dem Spiel: „¿Hay algo más sorprendente y lastimoso que con tanto Protectorado", wendet er (ebd.: 173) das Lamento über den kolonialen Status quo in die Zukunft, „no podamos favorecer los intereses nacionales dejando que sigan nuestros puertos marroquíes con el régimen abierto, y sean los franceses, los ingleses, los alemanes, los que se lucran con nuestro esfuerzo por mantener este mercado?" Die Aussichten, läßt er (ebd.: 179 f.) am Beispiel von Gibraltar „¡Ver Gibraltar! ¡Ser peregrino, extranjero en su patria!" - erkennen, stimmen jedoch wenig optimistisch: „¿Para qué queríamos nosotros Gibraltar hoy?, se pregunta uno atónito. No es nuestro reino de Granada contemporáneo. España está cerrada desde hace mucho tiempo, mucho, desgraciadamente." Der spanische Genius, insinuiert er (ebd.: 186 f.) in seinem rhetorischen Schlußtremulo, könne jedoch durch die „Scham" der kolonialen Niederlage, „la vergüenza de un ejército numeroso, impotente ante una turba de salvajes", wieder zu seiner alten Größe erwachen: „¡Unámonos en haz! En algo, compañeros vascos, catalanes, gallegos, asturianos, andaluces y nosotros castellanos, todos estos que hemos respondido aún al nombre de españoles". In der Sephardenkampagne Pulidos, die, wie ihr Initiator, den Schwung der Anfangsjahre bereits etwas eingebüßt hatte, sollte Giménez Caballero schon bald einen der Bausteine finden, mit denen er das vom Verfall bedrohte Gebäude der Hispanidad zu modernisieren trachtete - vor allem historisch. Denn obgleich ein Bewunderer der „romantischen" Sephardenkampagne Pulidos (GL, 1/423),56 schien er dagegen noch einen Schritt weiter zu gehen: In der von ihm gegründeten und herausgegebenen Gaceta Literaria, die von 1927 bis 1931 erschien, nahm die Sephardenthematik nicht nur einen prominenten Platz ein; die Zeitschrift beanspruchte auch, eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte zu fuhren und dabei nicht, wie noch Pulido, zimperlich zu verfahren. Diejenigen Leser der Zeitschrift, denen die .Respektlosigkeit' der Artikel über die Sepharden auch vier Jahre nach ihrer Gründung noch nicht aufgefallen war, erhielten 1931 aus der Feder des Conde de Foxa, selber ein engagierter Philosepharde, eine entsprechende Lektion. Unter der Überschrift „Los Reyes Católicos y Giménez Caballero" (III/201) berichtet der Autor der mediokren Erzählung von einem .Besuch' beim Herausgeber der Zeitschrift: „Venimos, 56

Sämtliche Zitate sind der dreibändigen Faksimileausgabe von 1980 entnommen.

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dice el rey, a protestar. Es usted el destructor de nuestra obra. De modo que echamos a los judíos para que ahora haga usted viajes a los Balcanes." Gemeint ist eine mehrmonatige Reise, die der Adressat des königlichen Protestes wenige Jahre zuvor, noch während der Diktatur Primo de Riveras, unternommen hatte, um die osteuropäischen Sepharden für seine „resurrección nacional" zu gewinnen. Die Antwort des Gescholtenen schlägt einen historisch-geographischen Bogen von Valencia bis zur Donau: „En efecto, majestad ... España puso este anuncio en los periódicos: ,Se han perdido la voz del Cid y la de Don Quijote; se gratificará al que las encuentre.' Yo voy a eso a los Balcanes, a gratificar a estos sefarditas que encontraron esta voz junto el Danubio, mojada y arrugada, pero intacta." Offensichtlich sprachlos von der Chuzpe des ambitionierten Untertans, interveniert nun die königliche Gattin: „¿Quiere usted llenar los cafés de narices curvadas? [...] O bien desea añadir al Baedecker de los ingleses de Toledo una sección, tras la catedral, las casullas o la casa del Greco sefardita de Filipópolis, de Bucarest o de Salónica, que dice ,agora', presto y topar." Die Antwort des Inkriminierten mutet geradezu respektlos an: „Señora, señora; la política de 1492 está apolillada". Sie ist aber doch nicht - ganz - so gemeint: „No la reprocho; al contrario; gracias a ella es ahora España un país yentrículo [...] que mueve los labios en las ruinas de Córdoba o Lucena y resuena la voz en los Balcanes." Und für den Fall, daß die Königin der sibyllinischen Argumentation nicht folgen kann, fügt er hinzu: „Así tendremos una provincia más: la provincia Sefardí". Die Geschichte, insinuiert der Erzähler, ist ein kapriziöses Geschöpf: Die Vertreibung der Juden, nach Américo Castro eine der Hauptursachen des spanischen Niedergangs in der frühen Neuzeit, erweist sich á la longue als Segen, als höchst willkommene historische Umwegrentabilität. Derlei Aussichten räumen denn auch die letzten königlichen Zweifel aus: „Los reyes se dan por vencidos. Se van en un ,taxi' [...]. Les espera el cardenal Cisneros junto al chófer. [...] Y en una esquina, junto al hornillo diminuto - ¡asás, calentitas!

vestido de castañera,

está Torquemada, el inquisidor, resignado." Bereits zu Beginn des Erscheinungszeitraums gefiel sich die Gaceta

Litera-

ria, namentlich ihr Spiritus rector, in der Pose des literarischen Ikonoklasten. So hätten einige Leser den ersten Sephardenartikel der Zeitschrift, in dem kein Geringerer als Américo Castro 57 (1/1 f.) von „la brutal extradición de aquellos israelitas" gesprochen hatte - berichtet Giménez Caballero (1/99) - „no [...] con buenos ojos" betrachtet. Schaut man genauer hin, dann bestand für die Befürch57

Vgl. das Castro-Kapitel in der vorliegenden Untersuchung.

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tung, die Zeitschrift betreibe eine Radikalrevision sakrosankter Geschichtsvisionen, freilich erheblich weniger Anlaß, als die Zitate suggerieren. Die zahlreichen Artikel, viele davon aus der Feder jüdisch-sephardischer Autoren, die sich mit der historischen Epoche bis zum Ausweisungsedikt 1492 beschäftigen, schlagen zwar auch kritische Töne an; sie sind aber fast stets bemüht, den historischen Schaden kleinzureden, die Hauptverantwortlichen zu schonen oder gar die Opfer selbst zu Schuldigen zu stempeln. Zunächst fällt auf, bereits in dem ersten Sephardenartikel von Américo Castro (1/2), daß „la brutal extradición" der Juden hauptsächlich oder exklusiv einem „ingrato triunfo de la plebe" oder „la presión del vulgo" angelastet wird; von dem militanten, über die Jahrhunderte ständig gewachsenen Antijudaismus des Klerus ist indes mit keinem Wort die Rede. Die Katholischen Könige, namentlich Fernando, werden hier als eher unentschieden hingestellt, sie haben, so Castro zwischen den Zeilen, dem ,Druck der Straße' nur nolens volens nachgegeben: „Diez años anduvo vacilando Fernando el Católico". Mehrere andere Autoren, die das Mittelalter thematisieren, unterlassen es ganz, dieses heiße Eisen anzufassen. Demgegenüber wagen sich die meisten jüdisch-sephardischen Autoren, die in der Regel unter dem Pseudonym „Medina Asara" firmieren, etwas weiter vor. Von ihnen ist zu erfahren (11/67), daß es auch eine „exterminación sistemática del judaismo en España por el Santo Oficio" gegeben habe; daß die den Juden angelasteten Horrorgeschichten, etwa der bekannte Fall des „Santo Niño de la Guardia" (11/219), auf „actos y documentos falsos" basierten; und daß die antijüdischen Ressentiments des Pöbels zwar eine unheilvolle Rolle spielten, „la chusma", so während der Pogrome von 1391, aber „por el fanático Martínez de Sevilla" angestiftet worden sei: „Por consiguiente", lautet das Resümee eines sephardischen Autors aus Sarajewo (III/333), „fueron los jefes de la Iglesia católica de España los primeros que levantaron la primera muralla de separación entre judíos y cristianos." Der kritische Impetus solcher Aussagen wird allerdings stark reduziert, wenn man sich den Kontext vergegenwärtigt, innerhalb dessen sie in aller Regel gemacht wurden: Der Tenor ist durchweg versöhnlerisch. Der „fanatismo de Torquemada" sei längst Geschichte, so der zuletzt zitierte Autor (ebd.: 335), „España tiende a reparar las faltas y la injusticia del pasado." Das augenscheinliche Bemühen der Zeitschrift, die Brisanz eines unbequemen Geschichtskapitels zu entschärfen, fiel ihr um so leichter, als sogar mehrere jüdische Autoren die Hauptschuld der spätmittelalterlichen Judenpogrome dort ausmachten,

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wo auch die Antisemiten stets fundig wurden, nämlich bei ihren mittelalterlichen Vorfahren selber: „Los horribles matanzas de los siglos XIII, XIV y XV", wirft sich ein anonymer Sephardenautor historische Asche aufs Haupt (11/18), „fueron las consecuencias naturales [!] de la inobediencia contra la voluntad de Dios, de la que se habían hecho culpables los hebreos que invadieron [!] España." Gemeint ist der jüdische ,Sündenfall' - „el pecado [que] llevaba en si la penitencia" - schlechthin: Der Topos des reichen Juden. In Umkehrung der historischen Wirklichkeit behauptet dieser Autor: „El momento decisivo de la historia de los judíos españoles es: que llegaron a ser ricos. La mayoría de ellos fueron comerciantes, fabricantes, joyeros, banqueros. El comercio y la industria estaban en sus manos. El oro se acumulaba en su arcas. Y por sus riquezas fantásticas", so die historische Selbstkasteiung dieses Autors, „fueron, más tarde, martirizados, quemados y expulsados." Ein paar Nummern später (II/37) erhält das antisemitische Standardklischee weitere Schattierungen, wiederum aus der Feder eines jüdischen Pseudonyms: „Las ciudades con academias talmúdicas, situadas cerca de la costa", heißt es über die Zeit der Almohaden, „adquirieron enormes tesoros, ganancias del comercio marítimo; demasiado ricos para ser templos de la ciencia". Hier ist zwar nicht von Sünde die Rede, der Zusammenhang von Reichtum und Verderben wird gleichwohl insinuiert: „así perece la aljama de Córdoba; así se derrumban las escuelas talmúdicas de Lucena, de la ciudad tan enormemente rica y brillante." Am gewaltsamen Ende der mittelalterlichen Convivencia, so läßt sich folglich der Tenor der meisten Beiträge zu diesem Aspekt resümieren, tragen die Opfer eine mehr oder weniger große Portion historischer Mitschuld. 58 Oder man versucht sich in der Quadratur des Kreises: Verurteilt wird zwar (1/412) „esta cosa vieja del fanatismo dogmático de los españoles". Man deutet diesen Fanatismus aber dennoch oder besser: deswegen zu einem Ferment historischer Ruhmestaten um: „Hoy los españoles sabemos muy bien que si otras naciones algo importante han hecho ha sido, con los ojos muy abiertos, un Renacimiento, una Reforma, una Revolución francesa. En cambio, si algo realmente grande ha hecho España, ha sido con los ojos cerrados, como el que se tira de cabeza sin saber adonde va a parar. Con los ojos abiertos no se hubiera conquistado Méjico ni se hubiera combatido a Napoleón. Es, quizá una desgracia; pero los puntos culminantes de nuestra historia son insensateces. Es viejo 58

Zu einer klaren Verurteilung der jüdischen Pogromgeschichte ringt sich die Zeitschrift nur dann durch, wenn es sich um nichtspanische Beispiele handelt. Etwa anhand eines „cuento judío", das Giménez Caballero (1/89) für die Zeitschrift aus dem Deutschen übersetzte.

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también que nuestro héroe Don Quijote sea un loco, mietras Dante, Hamlet, Fausto son pensadores." Die Frage nach der historischen Schuld ist eng verknüpft mit der allgemeinen Bewertung jener Epoche, die von 711 bis 1492 reicht. Sind die Juden dieser Epoche lediglich „invasores", wie ein weiter oben zitierter Autor schrieb, oder sind sie ein integraler Teil „de la plenitud ibérica", wie Américo Castro (1/2) im ersten Sephardenartikel der Zeitschrift formulierte? Das Gesamtbild der einschlägigen Beiträge ist auch hier recht ambivalent: Die meisten Autoren (11/219) verwenden den ideologisch besetzten Reconquista-Begriff. So spricht Menéndez Pidal (1/381) in einem Beitrag über „España y el Cid" von „las tradicionales guerras del odio racial", wenn auch in erster Linie gegen den Islam - ein Zerrbild der Geschichte, das auch ein weniger bekannter Autor (1/432) in einem Beitrag über „Esencia de lo español" präsentiert: „Ocho siglos de constante guerra con el moro, han hecho que España se descubriese [...] como unidad política." Die Juden werden deshalb hier jedoch nicht, wie die Reconquista-Adepten gewöhnlich suggerieren, als kulturelle Fremdkörper empfunden. Im Gegenteil: Im Unterschied zum literarischen Mainstream des 19. und 20. Jahrhunderts, der deutliche Präferenzen für die islamischen Kulturtraditionen erkennen läßt, dominiert in der Gaceta Literaria, zumindest implizit, sogar eine Art christlich-jüdischer Convivencia, deren Anerkennung lange Zeit heftig umstritten war: „España es el único país", heißt es in einem „Panorama sefardí" (1/439), „donde los hebreos el pueblo j u s sanguinis' por excelencia - se han mezclado con la población indígena. Sólo en España han abandonado los judíos su raza, su lengua, su religión." Obwohl der exklusive Charakter, den der Autor den Sepharden attestiert, an der europäischen Wirklichkeit ebenso vorbeigeht wie die versteckte Denunziation, den sonstigen Juden hätte es lediglich am Willen zur Integration gefehlt - trotz dieser Einschränkungen weist er ihnen einen prominenten, ja exponierten Platz in der nationalen Geschichte zu: „cuando se forjó la unidad peninsular los hebreos hicieron de núcleo, de aglutinante". Die Bereitschaft dieses Autors, die Juden im Gebäude der Hispanidad,

noch dazu im obersten

Stockwerk, zu akzeptieren, hat freilich einen - unangemessen - hohen Preis: „Israel ha hecho España", lautet die Schlüsselsentenz, „España ha mejorado a Israel." Die Erläuterung dieser eigenwilligen Interpretation der jüdisch-christlichen Symbiose, die den spanischen' Part zum primus inter pares stilisiert, lautet so: „Es que el judío se fundió con el español porque el español adoptó la mentalidad judía, y el judío adquirió en España lo que le faltaba: aristocracia. Gesto. Pompa. Aun hoy", lenkt er nun den Blick auf eine Art ,Aschenputtelsyndrom',

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an dem die meisten Philosemiten jener Jahre litten,59 „el hebreo-español se distingue de los otros hebreos por el empaque. Es un hebreo vertical. No es un hebreo diagonal, un hebreo de Ghetto." Der einzige Autor, der eine differenzierte Convivencia-Position vertritt, ist Salvador de Madariaga. Er (III/275) spricht, allerdings nur mit Blick auf das islamisch-christliche Verhältnis, von „dos pueblos que durante ocho siglos se habían mezclado íntimamente en guerra y en paz". Im Spektrum der kulturhistorischen Präferenzen der Zeitschrift vertritt Madariaga damit eher eine Minderheitenposition.60 Versehen die meisten Autoren, die den ideologischen Filter der Zeitschrift passierten, das reale Zusammenleben von Juden und Christen, vor allem deren alltagskulturelle Dimension, mit deutlichen Kautelen, findet die kulturelle Seite der Convivencia, unter Einschluß des islamischen Teils, dagegen überschwengliches Lob. Den Auftakt bildet ein Porträt des jüdischen Philosophen Maimónides, „nuestro Maimónides" (1/65), dessen „conciliación entre la razón y la fe" uneingeschränkte Anerkennung findet: „De Maimónides arranca la verdadera resurrección del judaismo. Cuando en el siglo XVIII Mendelssohn hizo adquirir nuevo vigor a la vieja religión casi extinguida", zitiert der Gaceta-Autor, durchaus zustimmend, eine Untersuchung, „era el poderoso espíritu de la ,Guía de los des carriados' el que animaba el filósofo de Berlin." An dem intellektuellen Ruhm des mittelalterlichen Denkers möchte man nun auch partizipieren: „No podemos menos, pues, de felicitarnos que un espíritu tan hondamente humano como el que España dio al judaismo medieval - tan trabajado de problemas espirituales - , halle hoy eco en nosotros". Die gleiche Eloge, diesmal in aller Breite, intoniert ein sephardischer Autor aus Paris (111/47): „¿Que han hecho los nuestros? Consultad los gruesos volúmenes de la Jewish Encyclopedia, de Nueva York. En las treinta mil columnas de letra apretadísima que contiene ese monumento histórico encontraréis toda la gloriosa historia de los sefardíes. Visitad las bibliotecas de España, Italia, Francia, Holanda, Alemania, etc. En los millares de manuscritos que constituyen los archivos judaicos encontraréis sefardíes más que nada." Der jüdische Glanz von Al Andalus und später von Toledo versöhnt auch einige Gaceta-Autoren mit dem kulturellen Output des Islams: „Es un mundo del que se regresa elevado y fortalecido y del que hallamos un precioso rastro en el 59

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Eine weitere Ausnahme stellt etwa ein Artikel über „La música árabe en Granada" dar, der neben einer positiven Würdigung der Maurophilie Garcia Lorcas auch (III/129) „la triste sumisión de Andalucía a Castilla, sumisión forzada" beklagt. Vgl. das Kapitel zu Madariaga.

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arte y en el ambiente que aun se conserva por Andalucía." In einem anderen Artikel ist die Zeitschrift gar bereit, mit einem Thema Frieden zu schließen, das laut Goytisolo (1997: 10 f.) noch immer zu den „campos tabúes" der spanischen Literaturgeschichte gehört: der unbefangene Umgang mit der hispanoarabischen Sinnlichkeit. Die Betrachtungen eines Autors (11/286) über „la poesía arábigo española" sind, so der Untertitel, eine „Invitación al festín": „Bebedores de amor, vamos a escuchar las incitaciones embriagadoras de Benieuzmán para recorrer de nuevo los jardines olorosos y fértiles del amor en la literatura arábiga española." Die häufig ziemlich unverblümten „manifestaciones del amor" werden zwar unter Berufung auf den Autor des berühmten Collar de la Paloma als „placeres inmundos" den spirituellen Werten nachgeordnet, aber dennoch als anthropologisches Faktum akzeptiert: „nadie, ni los más poderosos soberanos, ni los más piadosos ascetas, se han librado de su aguijón". Ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zur „pérfida intención moral", die noch Menéndez Pelayo (Maeztu 1981: 110) in einem Spätwerk dieser erotischen Tradition zu sehen vermeinte: in der Celestina. Deshalb nimmt es nicht wunder, daß auch dieses literarische Meisterwerk aus der Feder eines converso-Autors

eine - partielle! - Neubewertung

erfährt. In mehreren Artikeln unternimmt die Zeitschrift eine vorsichtige „defensa de Celestina" (111/38), die auch in diesem Fall auf eine Anerkennung der »menschlichen Natur' hinausläuft. Der Autor (111/84) sieht sich zwar genötigt zu bekennen, „que el oficio de Celestina me es, como al que más, profundamente repulsivo"; erweist sich (111/38) aber dessen ungeachtet als Pragmatiker: „En ella, si hay mal, es mal humano y sincero, mal inevitable e inconciente." Die Akzeptanz des ,Bösen' als Teil menschlicher Invarianz fällt dem Autor, und mit ihm wohl auch dem Herausgeber der Zeitschrift, um so leichter, als sie sein gesellschaftspolitisches Credo - „.Hermano Lobo' [...] .Hermana Celestina'" (III/129) - gleich mit legitimiert. Vor diesem Hintergrund findet auch das Libro de buen amor wohlwollende Kommentare. Aus Anlaß einer Gedenkfeier für seinen Autor zitiert die Zeitschrift (11/361) aus einer Rede von Menéndez Pidal, dem damaligen Direktor der Academia Española: „Juan Ruiz, vencedor en la cómica batalla de D. Carnal contra Doña Cuaresma, no cree que la Naturaleza, y Dios, que hizo la Naturaleza, pueden ser enemigos, y por eso se arrima gustoso al fuego de todos los impulsos naturales." Die Gaceta Literaria, heißt es am Ende des Artikels, „se asocia al acto." Eine erstaunlich unorthodoxe Haltung zeigt die Zeitschrift schließlich auch mit Blick auf das erste Glied der historischen Kette der jüdischen Geschichte, nämlich in bezug auf die Frage, seit wann Juden auf der Halbinsel leben. Die

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Antwort der Gaceta Literaria

(11/37) fällt trotz der - eingeräumten - histo-

riographischen Lücken eindeutig aus: „se extiende el desarollo de la cultura hispano-judía sobre el espacio de venticinco siglos. [...] el doble de largo que, por ejemplo, la cultura romana." 61 Ein anderer Autor schwächt in diesem Zusammenhang zugleich die legendäre Verratsthese ab, derzufolge sich die Juden an die islamischen Invasoren verkauft und damit die Eroberung der Halbinsel erst ermöglicht hätten: „Los judíos han servido, en cierto modo", lautet hier (111/46) die deutlich moderate Sprachformel, „de guías e introductores a los árabes hasta España, donde, desde hacía muchos siglos, existían comunidades judías." Ob diese und andere Teilrevisionen der jüdischen Geschichte auf der Halbinsel tatsächlich dem historischen Credo von Giménez Caballero entsprachen so stammen die beiden letzten Zitate von sephardischen Autoren - , ist zwar zweifelhaft. Sie dürften indessen dazu beigetragen haben, der ideologischen Patina des Philosephardismus ein paar nützliche Pinselstriche hinzuzufügen schließlich ging es der Zeitschrift bei ihrem sephardischen approach in erster Linie um gegenwartspolitische Interessen: Die Sepharden wurden zu nationalen Hoffnungsträgern.

Ähnlich wie Angel Pulido Jahrzehnte zuvor, sah auch Giménez Caballero keinen Anlaß, die ultima ratio seiner Sepharden-Mission zu verstecken: „Se trata de levantar un plan de posibilidades en la expansión cultural española", benannte er auf der Titelseite der Gaceta Literaria (1/423) die Hauptmotive seiner bevorstehenden Balkanreise, „cerca de nuestros antiguos compatriotas que tras cuatro siglos de apartamiento casi absoluto mantienen heroicamente nuestro idioma." Und dieser Plan, nämlich „explorar y actualizar para España el estado del mundo sefardí en el próximo Oriente", knüpft zwar an die Aktivitäten des bekannten und „admirable" Sephardenapostels an, geht aber, so der Gaceta-Chef,

doch

deutlich darüber hinaus: „No creo ser un Mesías, como estuvo a punto de parecerlo Pulido. Mi tarea es menos romántica, menos difusa." 62 Und er fügt, sicher 61

62

Dabei war gerade das Römische Reich die historische Lieblingsepoche des GacetaHerausgebers. Auch in einem Artikel von Eugenio D'Ors (III/192) kommt diese Präferenz zum Ausdruck: „¡Lo que Roma significa perennemente!" In einem Interview von 1931 (111/66) wird Pulido dagegen mit Lob überschüttet: „A la entrada y a la salida de todos los puentes que conducen a España, hacia el mundo sefardí, se encuentra el nombre del doctor Pulido respetado, admirado, venerado por todos los hebreos del mundo."

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nicht ohne Grund hinzu: „Es de esas tareas que no pueden inspirar desconfianza a ningún elemento español, por tradicionalista que sea." Américo Castros Sicht der Dinge, wie sie im ersten Sephardenartikel (1/2) formuliert wurde, schien damit obsolet zu sein: „Los judíos", hatte dieser geschrieben, „[son] motivo para la gimnasia de la tolerancia, del aguante del ,otro', ruda prueba para nosotros". In Dutzenden von Artikeln macht die Zeitschrift deutlich, daß die kulturelle Expansion mit Hilfe der Sepharden, vor allem auf der Grundlage sprachlicher Affinitäten, ein aussichtsreiches Unterfangen sei: „En nuestros días el cercano Oriente - los Balkanes y la Asia menor - es uno de los puntos", schreibt einer der kulturpolitischen Strategen (1/437), „donde se cruzan innumerables influencias e intereses." Ein anderer Autor (1/439) macht die spanische Sephardenpolitik gar zur Schicksalsfrage der Nation: „Tres milliones de hombres, los más ricos del universo, hablan español. En sus manos está todo nuestro porvenir cultural." Spanien gehe es jedoch nicht, heißt es an anderer Stelle (1/437), um politische und ökonomische Interessen: „Nos interesan solamente las influencias culturales." Wahrscheinlich hatten sich die allzu offen formulierten Pro-domoAmbitionen, wie sie Pulido und seine Epigonen als Köder benutzten, bei zahlreichen Sepharden doch als undiplomatisch erwiesen; deshalb wohl der wenig überzeugende Hinweis auf die rein kulturelle Expansion. Doch auch auf diesem Terrain sahen sich die Strategen kultureller Expansion trotz

sprachlicher

Vorteile, die man als den kulturpolitischen Joker betrachtete, 63 einer starken Konkurrenz gegenüber: „Aquí, en los Balkanes, tanto los alemanes y los italianos, como los franceses y los ingleses hacen círculos y alianzas. Abren escuelas y librerías. Hasta los japoneses han fundado en Constantinopel un instituto de estudio y propaganda para los Balkanes y Asia menor. La guerra europea", lautet die sicher nicht ganz falsche Zustandsbeschreibung des Autors, „ha terminado. Pero sigue la guerra entre las culturas." In diesem Panorama besitze Spanien jedoch einen exklusiven Standortvorteil: „Sin duda, los sefardíes son un elemento útil. Hay que formar círculos, alianzas. Más tarde, librerías. Hasta fundar colegios." Als Hauptkontrahenten im internationalen Kulturkampf verortet die Zeitschrift die Aktivitäten der Alliance Israelite Universelle, der jedoch, warnt ein französischer Sepharde (111/47) seine osteuropäischen Glaubensbrüder, nicht zu trauen sei: „se sacrifican por una madrastra - porque la Alliance es una madra63

Dementsprechend veröffentlichte die Zeitschrift auch Beiträge in judeoespañol, etwa aus der Feder eines griechischen Sepharden (11/251), der den Lesern vor Augen führte, daß „la diferencia [...] a compararlo con el puro idioma castillano" nicht allzu groß war.

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stra - que les desprecia, que les maltrata, que les posterga". Um den französischen Einfluß zurückzudrängen, war man sogar bereit, sprachliche und politische Zugeständnisse zu machen: „En este sentido", so ein Plädoyer (11/59) für kulturelle Umwegrentabilität, „debe España favorecer el sionismo y su lengua. En el sentido de que el sefardí tiene hoy forzosamente que escoger entre el hebreo y el francés. A España le conviene que aprenda el hebreo como lengua religiosa y el español como lengua práctica, porque dos lenguas latinas no pueden existir paralelamente en el israelita. Preferible es la nuestra." Da die kulturelle Attraktivität der Alliance unter den osteuropäischen Sepharden allerdings unübersehbar war, zeigte man sich jedoch auch in dieser Frage pragmatisch-flexibel: „gracias a su conocimiento del francés", relativiert ein sephardischer Autor (11/251) die französische Gefahr, „tenía [die jüdische Gemeinde des Balkans, N.R.] una superioridad real sobre los otros elementos de la sociedad." Und die, so seine Botschaft, komme schließlich auch Spanien zugute. Ein kaum minder großes Interesse zeigte die Zeitschrift an den marokkanischen Sepharden - ein Interesse, das in der Folge des ersten Marokkofeldzuges der spanischen Armee 1859/60 allmählich entstanden war und auch von Pulido nie vernachlässigt wurde. In den Artikeln über die dortigen Sepharden tritt darüber hinaus die zitierte Dichotomie zwischen „moros" und Judíos" wiederum deutlich zutage: „AI revés del moro", so ein früher Beitrag über „Los hebreos del Norte de Africa" (11/45) „todo en él es apariencia, ostentación y espontaneidad, el hebreo es todo prudencia, cautela. El moro os mira siempre de frente, y no os ve; el hebreo os fija largamente la mirada, una mirada profunda, aguada por la zozobra y preñada de interrogaciones; sentiréis cómo os llega muy adentro, que os tienta los recuerdos de nuestra alma". Was dann folgt, sind jedoch zunächst die - offensichtlich positiv gemeinten - Judenstereotypen, wie sie auch in anderen Artikeln auftauchen: „El hebreo, 64 ya de joven, es casi un hombre; dotado de grandes cualidades de todo [...] siente pronto el vértigo de la vida de negocio y a ella se lanza sufrido y decidido; además en todo el mundo encontrará hermanos que le apoyarán". Im Unterschied zu früher, als solche Judenklischees dazu dienten, antisemitische Ressentiments zu legitimieren oder zu schüren, werden sie nun zur Trumpfkarte internationaler Politik: „la amistad innata de los hebreos sefardíes", so der Gaceta-Autor,

„diera óptimos frutos." Leider habe Spanien,

wie die Subjuntivo-Form erkennen läßt, „casi nada" getan, „para atraerse a los

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„La hebrea", weiß der Autor zu berichten, „ya de chica, tiene toda la inquietud de una moza"; leider, so seine Einschränkung, „su fisonomía no sabe nada de armonía".

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hebreos magrebíes". Sehr im Unterschied zu Frankreich, „que viene realizando una gran labor entre la población hebrea de Marruecos". Wenn sich Spanien indessen anschickte, „el núcleo marroquí" der Sepharden für die nationalen Interessen nutzbar zu machen, dann, so die enthusiasthische Prognose der Zeitschrift (1/439), gehe das Land goldenen Zeiten entgegen: „Dentro de veinte aflos habrá en España y Africa cien mil ciudadanos de origen sefardí. Con ellos habrá venido la prosperidad material. Y una expansión de la lengua española que haga de ella la primera europea. Solamente por el esfuerzo judío-español. [...] Para España es cuestión de vida y muerte." 65 Ein - das! - Rezept zur .Regeneration' des Landes, das auch Pulido in einem Interview von 1931 (111/66) erneut ausstellt: „Hoy repito con mayor energía mi afirmación de siempre. El pueblo sefardí es la única base mundial de la existencia de España." Die zuweilen höchst ambivalenten Reaktionen, die der spanische Philosephardismus bei seinen Hauptadressaten, also den Sepharden selber, stets ausgelöst und nicht unwesentlich beflügelt hat, spiegeln sich auch in der Gaceta Literaria wider. Zum einen durch mehr oder weniger explizite Bestätigungen der völlig irrealen Projektionen der peninsularen ,Sephardenfreunde'. Etwa aus dem Munde des „Gran Rabino Sefardita" in Sofia, der dem Conde de Foxa in einem Interview (111/211) „la enorme fuerza que representa en el Oriente cercano esta masa española" mit einem negativen Abziehbild des Stereotyps vom reichen Juden schmackhaft machte: „Piense usted que, aparte los motivos sentimentales y de cultura, los sefarditas españoles son gente rica y emprendedora, comerciantes y banqueros, que pueden ser propagandistas de los productos españoles y prestar su ayuda en los Tratados comerciales firmados por España." Die genuin praktischen Resultate des spanischen Philosephardismus nahmen sich indes - trotz der „precisión científica" (1/439), mit der Giménez Caballero und andere Gace/a-Autoren die angebliche Bedeutung des „núcleo balkánico" hervorhoben - recht bescheiden aus: Die „torrentes de riqueza", von denen auf

65

Die sephardisch-aschkenasische ,Lateinamerikaschiene', die während der FrancoDiktatur eine wichtige Rolle spielen sollte, stößt in der Zeitschrift dagegen kaum auf Interesse, trotz gelegentlicher Hinweise wie den folgenden (1/439): „El [núcleo sefardí] argentino es el más interesante; allí se unen a los sefardíes otros hebreos de idioma yidich. En la Argentina aprenden el español y se mezclan con los sefardíes, formando un nuevo tipo judío mixto, en el que prevalece el tipo sefardí - por la coincidencia de la lengua familiar y la lengua oficial del país." Eine ähnliche „sefardización secundaria", wie es im Frankismus hieß, konstatiert ein sephardischer Autor aus Bulgarien (11/235), „[donde] se producía la españolización de los otros grupos israelitas".

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den Seiten der Zeitschrift die Rede ist, ließen auf sich warten. Einige Zeit nachdem der Gaceta-Chef

von den „alturas hispánicas que perviven (milagrosa-

mente) allá", wie er schrieb (1/465), zurückgekehrt war, konnte die Zeitschrift (111/19), „gracias a las gestiones de Giménez Caballero", ihren Lesern immerhin einige Erfolge vermelden: „se han enviado lectores de español a cinco Universidades balkánicas y se ha esteblecido una línea de vapores entre España, Yugoslavia y otros países balkánicos". Die sonstigen Erfolgsmeldungen des Artikels über „El Año Sefardí 1930" gleichen dagegen den panhispanistischen Aktivitäten in Lateinamerika, die man durch die spanisch-sephardische „comunidad de intereses" eigentlich vermeiden wollte: „Así se evita el error inicial de aquel hispanoamericanismo - ya en decadencia - que todo lo basaba en ,estrechar lazos'." Dementsprechend beschränkt sich der Rest der positiven Bilanz zwischen „ambos españolismos" auf vage Absichtserklärungen, („un plan escalonado de expansión española en el Próximo Oriente"); publizistische Aktivitäten („las nuevas colaboraciones sefardíes y hebreas askenazis hispanistas en ,E1 Sol' y ,La Gaceta Literaria'"); die Tätigkeit von sephardischen „correspondientes", die mit der Real Academia und deren Dependancen kooperieren; und „muchos hebreos", die zu „funcionarios agregados a la diplomacia española" ernannt worden seien. Schließlich seien auch den marokkanischen Sepharden .weitgehende' Zugeständnisse gemacht worden: „El Estado de España [...] ha respetado su personalidad religiosa hasta el extremo de que a los soldados hebreos se les libra del servicio durante todas las festividades de su ritual." Sicher war das zumindest ein Anfang, vor allem an der kulturpolitischen Front, an der die Zeitschrift, wie Giménez Caballero im Mai 1931 bilanzierte (III/121), einen wichtigen Anteil hatte: „La Gaceta Literaria fué la primera que afrontó eficazmente el problema sefardí, el problema judeo-nacional de España." Die rhetorisch aufgetürmten Wortkaskaden des Autors - „hoy [están] en marcha ascendente los primeros e históricos lazos de una reaproximación con esa gran familia espiritual expulsada hace cinco siglos" - erinnern freilich auf fatale Weise an die panhispanistischen Worthülsen, die zur selben Zeit nach Lateinamerika abgefeuert wurden. Dazu hatte man, selbst auf kulturpolitischem Terrain, auch allen Grund, wie etwa einem Bericht von Giménez Caballero über „La Exposición del Libro Español en Bucarest" selber zu entnehmen ist: „Y yo quedé en la tarea de organizar dicha Exposición. Siempre - bien entendido - " , lautet hier das kaum versteckte Lamento (III/246) über die andernorts so gelobten „contactos oficiales", „que al Estado no le costase nada." Zu den finanziellen Schwierigkeiten, die der Autor immerhin erwähnt, kommen noch weitere hinzu,

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etwa „la escasa brillantez de nuestros envíos" und das mangelnde Interesse der spanischen Diplomatie. Die nüchterne Bilanz, die der Balkan-Emissär nach seiner Rückkehr mit Blick auf die kulturelle Situation seines Heimatlandes gezogen hatte (1/465) - sie traf wohl auch auf den Status quo der offiziellen Sephardenaktivitäten zu: „nuestro ámbito respira una beatitud de charco muerto." Ein weiterer Topos besteht in der angeblichen Spanientreue der »vaterlandslosen Spanier': „hasta llegan a celebrar en Constantinopla", so hatte bereits Américo Castros Artikel (1/2) diesen Mythos genährt, „la fiesta 12 de octubre". Die gleiche Spanienliebe, schreibt ein anderer spanischer Gaceta-Autor

(1/26),

empfänden die marokkanischen Sepharden: „El hebreo magrebí [...] no creáis que si como españoles os presentáis a él, os reciba mal o fríamente o que ni siquiera os recuerde pasadas persecuciones; no, al contrario, os recibirá con mucho cariño". Deutlich realistischer bewertet dagegen Giménez Caballero nach der Rückkehr von seiner Balkanreise das sephardische Verhältnis zu Spanien: „Los judíos sefardíes siguen hablando español", konstatiert er ziemlich nüchtern (1/465), „y seguirán, no por amor a España, sino por voluntad de patria, de tierra de origen, de asidero en el cosmo". Kurze Zeit später (II/3) scheint indes die relativ kritische Verve obiger Zeilen von einem projektiven Wunschdenken verdrängt worden zu sein: „Por mucho sionismo que se apodere del judío, siempre el nombre de España hará convulso al sefardí." Und in ziemlicher Verkennung des sephardischen Spanienbildes fugt der Herausgeber der Gaceta

Literaria

hinzu: „Muchos sefardíes balcánicos he visto preciar más el polvo de Toledo que todas sus riquezas actuales." Ebenso gemischt fallen die Aussagen sephardischer Autoren aus, die sich zu diesem Thema geäußert haben: „El rastro, la huella de España", behauptet der Gran Rabino Sefardita in Sofia im Interview mit dem Conde de Foxa (III/211), „está más viva en el corazón de los sefarditas de lo que generalmente se cree." Er diktiert seinem spanischen Interviewer gar „con verdadero entusiasmo" in die Feder: „Si Jerusalén es santo para todos los judíos, no menos debe serlo España para nosotros los serfarditas ..." Ein sephardischer Autor aus Sarajewo (III/333) drückt seine ,Spanienliebe' in den bekannten emphatisch-schwülstigen Versen so aus:

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„A ESPAÑA A Tí, España bien querida, nosotros ,Madre' te llamanos y, mientras toda nuestra vida tu dulce lengua no dejamos. Aunque Tú nos desterraste como madrastra del seno, no estancamos de amarte como santísimo terreno, en que dejaron nuestros padres a sus parientes enterrados y las cenizas de millares de tormentados y quemados Por tí nosotros conservamos amor filial, país glorioso, por consiguiente te mandamos nuestro saludo caluroso."

Bereits in diesen Zeilen klingt jedoch an, daß die ,Spanienliebe' keineswegs frei ist von traumatischen Erinnerungen und daß Spanien als „santísimo terreno" mehr bzw. weniger meint, als die meisten Leser auf der Halbinsel darunter verstanden oder verstehen wollten. Noch unverblümter erinnert ein anderer Autor (11/270) daran, daß die häufig zitierten „Schlüssel der Sepharden", bekanntestes Sinnbild ihrer ,Heimatliebe', nicht nur eine sentimentale Note besitzen: „Los llavines que nos presentan los descendientes de ciudadanos toledanos, condenados a vivir en el destierro, forman una acusación elocuente y conmovedora. Al menos deberían abir esas llaves", forderte dieser Sepharde zu einer selbstkritischen Betrachtung der Vergangenheit auf, „si no ya las viviendas, la conciencia de los que, siendo nietos de los que hicieron mal, están dispuestos a dar satisfacción a los nietos de los que lo sufrieron." Trotz der ideologischen Gesamtmelange, in der solche Postúlate einer kritischen „Aufarbeitung der Vergangenheit" (Adorno) eine Ausnahme bilden, eine bemerkenswerte Interpretation der Schlüsselmetapher - eine Sichtweise, die von den meisten Philosepharden im Umkreis der Zeitschrift mit gemischten Gefühlen gelesen worden sein dürfte. Weitgehende Einigkeit besteht dagegen in einem weiteren Topos, der von beiden Seiten als ideologisches Grundinventar behandelt wurde: „los sefardíes", heißt es dazu in einem frühen Artikel über das „panorama sefardí" (1/439), „ocupan el lugar de una aristocracia, de unos hebreos de primera categoría, más

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antiguos y más puros." 66 Der Mythos von den Sepharden als „la parte más selecta de la raza", zu dem Giménez Caballero (1/465) persönlich seinen Beitrag lieferte und der von ihm und seinen Epigonen vor allem als Ausdruck des spanischen ,Kulturadels' interpretiert wurde (die Juden seien erst durch den Kontakt mit der spanischen' Kultur des Mittelalters zur Aristokratie geworden, wie ein weiter oben zitierter Autor zu sehen vermeinte) - dieser Mythos wurde von einigen sephardischen Gaceta-Autoren

sogar biologisch-rassisch angereichert: „Los

judíos españoles, como demuestran los sefarditas", heißt es wörtlich (11/67), „en su mayor parte se conservan sin mezcla de sangre [son] una raza de extraordinarias calidades físicas y psíquicas." Mit ähnlichen Kategorien hantiert ein französischer Sepharde (111/46), der seinen aschkenasischen Glaubensbrüdern eine ,unreine' Genealogie vorhält: „Los askenazim no son todos judíos puros (según los sefardíes). Descienden de los kazaros y otros pueblos convertidos al judaismo en el siglo VIII. Llevan en sus venas sangre semítica, pero también sangre eslava y tártara. Su número exagerado, su variedad de musculatura, su concepto mental y psicológico bastan para probarlo. Pero no ha llegado el momento", beendet er seine bemerkenswerten Betrachtungen, „de hacer la biología de los askenazim."

Das Interesse der Zeitschrift gilt indessen nicht allein dem ,Rassenadel' der Sepharden und damit dem ,spanischen Erbe', das sich in ihnen - im schroffen Kontrast zu den Aschkenasen - erhalten habe. Ihr Interesse gilt auch, und zwar in extenso, dem sephardischen Erbe auf der Halbinsel. Die Spuren der jüdischen Vergangenheit seien omnipräsent im heutigen Spanien, wenn auch nicht immer, so mehrere Artikel des sephardischen Pseudonymautors „Medina Asara", auf 66

Lediglich ein Beitrag erweist den Juden insgesamt seine Reverenz: „el judío es para el occidental", resümiert dieser Autor (1/71) zunächst die weit verbreitet antisemitischen Klischees, „una subraza de arabal que, falta de cultura de energía, se funde en la masa de la población [...]. Israel es un residuo arqueológico." Die Wirklichkeit, hier vor allem in Palästina, sehe indessen anders aus: „el judío, continuando la labor del árabe medieval, ha sido el principal creador de casi toda la civilización moderna, manteniendo el prestigio mediterráneo ante los sombríos pueblos del Norte." Es folgt eine lange Namensliste jüdischer Persönlichkeiten - Sepharden und Aschkenasen - , die diese These illustrieren sollen. Und heute, im 20. Jahrhundert, erlebe der „nuevo hebraísmo" allerorten „una explosión de sano atavismo", eine Explosion, die sich aus verschiedenen Quellen speise: „La lengua hebrea vuelve a existir, reemplazando al yidix, el francés de la Alianza Israelita, el árabe y el antiguo castellano de los sefardíes."

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den ersten Blick. Zunächst die - wieder - in Spanien lebenden Juden selber, deren Zahl freilich kaum ins Gewicht falle: „AI entrar en España y al darme cuenta de la situación efectiva: de que el número de judíos es exiguo, casi nulo", äußert der sephardische Autor (11/18) seine Verblüffung, „no sabía que pensar." In allen europäischen Ländern steige die Zahl der Juden, so seine Erklärungsversuche, und auch in Spanien „están toleradas todas las regiones. Toleradas ... ¿Es el judío de hoy demasiado orgulloso para trasladarse a un país donde no está más que tolerado?" Da die Situation der Juden auch in anderen Ländern im Prinzip nicht besser sei, liege die geringe Zahl in Spanien möglicherweise an dem sephardischen Spanien-Verdikt: „¿Temen el ,cheren' que pronunciaron sobre Sefarad los rabinos del mundo? Caducó el año pasado", verwirft er jedoch diese Möglichkeit, „y además a la mayoría de los judíos modernos ya les importa poco la voluntad de los rabinos." Die eigentliche raison d'être der geringen Präsenz von Juden im heutigen Spanien liege deshalb ganz woanders: in ihrer historischen ,Sünde'. Da sie wegen ihrer „riquezas fantásticas" - wie dieser Autor die weiter oben bereits zitierten Gründe des Edikts von 1492 ,erklärte' - verfolgt und vertrieben worden seien, blieben sie aus „Scham" vor der ,Sünde' ihrer Vorfahren dem heutigen Spanien fern: „Si, pues, el número de judíos que viven en España hoy es exiguo tenemos que buscar el motivo de este hecho en la profundidad de los conflictos psíquicos que se desarrollaron precisamente por el acto de la inmigración de los hebreos palestinenses en la Península Ibérica. Es el reflejo de aquel pecado". Man darf vermuten, daß solche Erklärungen für die geringe Zahl von Juden in Spanien von den meisten Lesern der Zeitschrift mit Erleichterung zur Kenntnis genommen wurden ... Deutlich weniger surrealistisch sind dagegen die sonstigen Betrachtungen des Pseudonymen Autors über „Los restos del judaismo en España". Sie weisen sogar einen partiell kritischen Duktus auf, etwa seine Betrachtungen (11/67) über „la ruinas judaicas en España, otra especie de sombra [...] Destrucción, lágrima y pasado son, pues, los tres tonos del doloroso acorde que el lector debe oír entre estas lineas." So weist er - sehr im Unterschied zu einigen spanischen Autoren, beispielsweise Blasco Ibáñez, die Spanien als judenfreundliches Land darstellten - etwa darauf hin, „[que] la iglesia procura que no quede en la mente de sus fieles ningún recuerdo de la ,raza maldita'". Und wenn man sich doch daran erinnere, dann durchweg mit negativen Konnotationen: „La palabra judío' tiene hoy en España el significado de ,truhán', y el pueblo se imagina bajo un verdadero judío una especie de diablo cornudo". Genauso sieht es Giménez Caballero (1/99): „Aquí, judío lo aplicamos popularmente en forma de con-

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denación, con tradición católica y medieval, o bien en un significado generalmente peyorativo, aplicado a ciertas cualidades molestas de una persona." Dennoch seien die jüdischen Spuren allgegenwärtig, z. B. in zahlreichen Toponymen („Catalayud = Castillo del judío"); in vielen „restos de la arquitectura hebrea" und im bunten Mosaik von spanischen Familiennamen - „intercalado de partículas de origen israelita". Die meisten jüdischen Spuren, so ein weiterer Beitrag über dieses Thema (11/129), fänden sich im Süden der Halbinsel: „En ninguna parte de España es tan fácil saborear la pura mentalidad judía como en Andalucía." Und hier besonders in der Musik: „la saeta, la creación más grandiosa y genial de la música popular española, es sin duda de origen, ,marrano'." Man darf sicher vermuten, daß die These einer jüdischen Autorenschaft des Flamenco, selbst nur von Teilen dieser Musiktradition, die im Frankismus zum „nacional-flamenquismo" avancieren sollte, nicht nur auf Zustimmung traf. Schließlich hatte man, grosso modo gesehen, auch mit einer anderen - der islamischen - (Co)Autorenschaft noch gewisse Schwierigkeiten, wenngleich in erheblich geringerem Umfang, wie ein Beitrag (III/204) über Garcia Lorcas „Poema del canto jondo" suggeriert: „Pura esencia de la más pura Andalucía, de Andalucía eternamente morisca [...]. De esa Andalucía", so die fast wortgetreue Vorwegnahme der ,Brückenkopf-Theorie' von Menéndez Pidal, „que con sus tradiciones del Corán y la mezquita cordobesa puede hacer de España el intermediario único insustituible entre Europa y el Islam." Eine kaum weniger exponierte Position schreibt der Autor dem Granadiner Dichter selber zu: „Garcia Lorca, el morisco que se ha quedado atrás - el autor del mundo nuevo - , cataloga aquí de modo insuperable y casi sobrehumano todos los temas [...] del cante jondo, en el que está encerrada el alma blanca - lavada en agua de nieve - del pueblo musulmán andaluz."

García Lorca als „Moriske" - angesichts der Sympathie, die der Dichter fiir die maurische Vergangenheit empfand, 67 durchaus eine angemessene Metapher. Gilt sie auch fiir den jüdischen Einfluß? Glaubt man einer Aufzählung des GacetaHerausgebers (1/99), die sich angestrengt bemüht, ironisch zu wirken, dann sind die meisten spanischen Gegenwartsschriftsteller Semiten oder wenigstens Philosemiten:

„Así, Unamuno, tendría de judío su segundo apellido ,Jugo' (según

parece, legítimamente hebreo), que, traducido a su literatura, daría esa cosa 67

Vgl. das Kapitel über Lorca.

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mesiánica y sollozante de sus diatribas famosas. / Ortega y Gasset, su perfil moreno , agudo y concentrado, tan fácil de contrafigurarlo con el de judíos mediterráneos, y que, interpretado espiritualmente, ofrecería esa tendencia al viaje incesante cultural, ese avizoramiento de novedades extranjeras y esa cosa específica del étalage reverberante de las ideas, acompañado de cierto ansia sexual y mística de gozar la vida sin abandonar un radical rictus amargo y triste [...]. / En Maeztu, pálido y trémulo, hundido en reflexiones talmúdicas, su visión peculiar del dinero y del poder, sería su judaismo. / En Valle-Inclán, su fruición por la tertulia comadrera, de ghetto, de suciedad y de histerismos. / En Juan Ramón, su barba nazarénica, su escala lírica de Jacob para escapar del mundo. / En Gómez de la Serna, su amor por el cachivache, por el rastro, por el pelo bucleal y por la métafora en tirabuzón. / En ,Azorín', su luz contemplativa y su escepticismo. / En Pérez de Ayala, su ironía seca, de cerebro ejercitado en la Thora y su gusto por las fiestas de sangre. / En Araquistain, su turbulencia política y sofística. / En Miró, su sabor a dulce de Palestina. / Para qué seguir [...]. Quizá, en el mismo Baroja, su odio hacia el poderoso, su gusto errante de la vida. Su anarquía." Ein fürwahr stattliches Panorama jüdischer Schriftsteller' im zeitgenössischen Spanien ... Das Hauptinteresse Giménez Caballeros gilt hier indessen einem Autor, der nur schwerlich als Philosemit (allenfalls in bezug auf die ,aristokratischen' Sepharden) zu bezeichnen ist: Pío Baroja. Das weiß natürlich auch der Autor dieses Artikels/Interviews, weshalb er sich darauf beschränkt, den Antisemitismus und Rassismus Barojas wenigstens zu verharmlosen - mit viel gewundener Ironie. So habe „Thor", „el perro antisemita" Barojas, dessen Name „el espíritu supremo de la raza aria" symbolisiere, seinen eigenen Herren gebissen und damit dessen „Manien" als ebensolche entlarvt: „Ahora bien: cuando Baroja quiere pasar de la intuición a la teoría, en esto de las razas y de las culturas, es cuando se hace un lío, cuando desvaría, cuando se asusta de su sombra y pone nombres divinos a su perro. Y cuando este perro, a quien juzga su dios protector y magnífico - una buena mañana - , en un rapto de desidia antropológica, se le echa encima. Y le pega en un brazo un mordisco. Como a un vil sefardí. Resultando así Baroja víctima de su propio antisemitismo. Víctima de su propia manía." Diese „Manie" sei jedoch nicht besonders ernstzunehmen. In Spanien gebe es zwar „herencias curiosas de intolerancia antisemita", aber nicht „en casos como el de Baroja caso teórico y sentimental." Im Gegenteil: „Los judíos, en la literatura de Baroja, han sido ese aliciente exquisito, esa complicación europea, que falta en la mayor parte de nuestras obras españolas contemporáneas, tan provinciales, tan poco

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cosmopolitas, tan homogéneas." Im übrigen resultiere „Barojas Judenmanie" lediglich aus seinem Beruf: „Es subsecuente a su talento de novelador y de psicólogo. Y a sus vagos estudios de medicina y de antropología. [...] Imbuido de Gobineau, de Chamberlain y de Nietzsche, y seguro de su prosapia vascolombarda. Baroja, enfrenta bravamente a los mestizos, a los negros, a los americanos y a los judíos." Der eher .literarische' Antisemitismus Barojas sei deshalb auch, in letzter Instanz, für die folgende Manie verantwortlich: „Baroja no mirara nunca en un hombre sus conocimientos eruditos, sino su nariz." Im wirklichen Leben, so die gestelzte Ironie des Gaceta-Chefs,

verflüchtige sich sein „theoretischer" und

„sentimentaler" Antisemitismus dagegen so weit, daß er wegen „seiner sephardischen Vorliebe für die Juden" gar selber als Jude angesehen werde: „Alguien, mal intencionado - un judío, naturalmente - , me pretendía demostrar un día que yo era semita. [...] Creía que Baroja venía de Baruch, pronunciado Baruj. Pero eso es una tontería." Und damit das gleiche, wie der Artikel von Giménez Caballero ... Ein anderer zeitgenössischer Autor von Rang, dem die Gaceta Literaria im Zusammenhang mit der Sephardenthematik in mehreren Beiträgen als „ese profeta hebreo rezagado" (1/439) ihre Wertschätzung zeigte, heißt Miguel de Unamuno und gilt der Zeitschrift, so eine Titelformulierung (11/99), gar als „, Verbo' de la España semita" - und das bereits im Namen: „Miguel de Unamuno Yugo, hombre infinito que se define callándose, Hombre con mayúscula, Cristo peninsular, pulso de España. Un segundo apellido de incierto origen sefardí o morisco [...], muchos lazos atan a la España semita la figura de Unamuno". Nun hat der Salmantiner Dichterphilosoph das zitierte Lob zwar kaum verdient. 68 Doch dieses Manko wird durch seine Jüdische Psychologie" wieder wettgemacht: „es judío por su afán de unidad y su fría visión descarnada de la realidad, visión de hombre agotado sobre las sutilezas del Talmud, inquietud constante de hombre del ghetto perseguido por su yo." Geradezu absurd - man denke nur an den Antiislamismus im Briefwechsel mit Ganivet - sind die moslemischen Filiationen, die der Autor Unamuno andichtet: „Arabe es [...] su apogeo del valor ,Hombre'. Arabe es su autonegación constante, y los motivos predilectos de sus afanes son los motivos predilectos del cante jondo." Man darf vermuten, daß Unamuno dieses Lob mit sehr gemischten Gefühlen gelesen hat. Das war sicher auch den Autoren der Gaceta Literaria nicht unbekannt. Da man aber augenscheinlich des 68

Vgl. das Kapitel über Unamuno.

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Leumundes vom Range eines Unamuno bedurfte, stilisierte ihn die Zeitschrift kurzerhand zum Sinnbild eines .Araber-Juden': „Unamuno nombra las cosas con la intención de capturar su fuerza mágica poniéndoles nombre. El mundo como totem. Igual que en El Cairo musulmán o el ghetto rabínico de Moscú." Trotz aller Ambivalenzen, die sich in den knapp vier Jahren ihres Erscheinens ausmachen ließen, hat die Gaceta Literaria zumindest eines bewirkt: Die Sepharden, vor allem von Pulido zu einem nationalen Thema gemacht, blieben eine publizistische Größe. Insofern ist das Eigenlob aus der Feder ihres Herausgebers (III/121), das er aus Anlaß der neu errichteten Republik von 1931 formulierte, zwar übertrieben, aber nicht völlig deplaziert: „La Gaceta Literaria, fué la primera que afrontó eficazmente el problema sefardí, el problema judeonacional de España. Hasta el punto de estar hoy en marcha ascendente los primeros e históricos lazos de una reaproximación con esa familia espiritual expulsada hace cinco siglos." Denn nirgendwo sonst erschienen an so exponierter Stelle regelmäßig Beiträge über ein nationales Thema von Rang wie in der Zeitschrift von Giménez Caballero. Dazu zählen auch zahlreiche und nicht selten gut fundierte Artikel über jüdische Geschichte und Gegenwart, etwa ein langer Text (III/170 ff.) über „Estudios sobre el judaismo búlgaro", die der verfolgten Prodomo-Strategie in Kultur und Ökonomie nur am Rande dienten. Dabei war der ideologische Spagat des Blattes, wie er hier vor allem in der Dichotomie zwischen Sepharden und Aschkenasen in Erscheinung tritt, stets sehr groß - so groß, daß von einer wohldefinierten Ideologie kaum gesprochen werden kann. Beispielsweise in Gestalt eines „concepto católico de la vida", das kein Geringerer als Ledesma Ramos (11/315) beschwor: „Defiéndase o no la divinidad de Jesucristo, es innegable la rotunda fecundidad de su doctrina." Oder in Gestalt eines römisch-katholischen Commonwealth, das Eugenio D'Ors (III/192) besang. Hier befindet sich zugleich die ideologische Wahlheimat des Gaceta-Herausgebers: „¡Qué hermoso, qué hermoso, qué europeo y magnífico", bekennt er (III/291) enthusiastisch sein Basiscredo, „el catolicismo! ¡Qué tecnicismo fino del alma esta religión, que significó, y significa aún el triunfo de Europa." Es versteht sich von selbst, daß der Autor dieser hymnischen Zeilen die andere Seite des katholischen „tecnicismo fino", Hekatomben von toten ,Häretikern', unerwähnt läßt. Jenseits der nationalen Interessen, die er mit dem Sephardenthema verbindet, ist allenfalls an eine friedliche Koexistenz gedacht: „Acababa de gozar el judaismo, con la mente libre y con sustancias sentimentales propias de recuerdos propios, recientes. Pero al entrar en mi vieja iglesia natal sentí lo que debieron sentir mis judíos en su sinagoga." Und diese Ko-

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existenz, daran läßt er keinen Zweifel, darf auf ideologischem Terrain keinesfalls als Lessingscher Kulturrelativismus mißverstanden werden. Sie verlangt, im Gegenteil, religiöse Wachsamkeit, vor allem gegenüber den Säkularisierungstendenzen der II. Republik: „¡Qué crimen, la tesis laica; qué brutalidad monstruosa contra el niño, como lo son todas las tesis humanitarias!" Denn, so seine Warnung an Azafia und dessen politische Freunde, die u. a. der religiösen Erziehung den Kampf angesagt hatten: „¡Pero si no hay religión sin niñez! ¡Si la religión es fuerza oscura, atávica, salto atrás, defensa del subconsciente, poesía de orígenes!" Trotz der reaktionären Tendenzen der Zeitschrift, die mit Beginn der II. Republik deutlich zunahmen - „Sólo el fascismo", lautet nun die ungeschminkte Devise des Gaceta-Herausgebers (III/383), „ha intentado señalar primacías nuevamente espirituales" - , verurteilt das Blatt indessen die antisemitische Stoßrichtung des deutschen Faschismus. Beispielsweise aus der Feder von Francisco Ayala (111/94), der unter der Überschrift „¡Alemania, despierta!" 1931 „la palidez de los judíos, cada vez más pegados a los quicios" registriert. Noch schärfer attackiert ein anderer Autor (III/196) den bekanntesten deutschen Antisemiten jener Zeit als „Hitler, el caudillo racista, el Gobineau de hojalata". Doch auch hier sind die Nuancen wichtig: „En este sentido actúa Hitler como una fuerza de la Naturaleza. Este es su lado bueno, su lado malo es el de haber nacido retrasado, después del siglo XVI." Die ideologischen Kautelen der Zeitschrift, nämlich die , Wiederversöhnung' mit den Sepharden ohne den lästigen Umweg über die Geschichte zu bewerkstelligen - sie scheinen auch hier dem Autor die Hand geführt zu haben: „en su hostilidad contra los judíos", sieht er sich veranlaßt, gleich mehrfach zu betonen, „tiene el .nacionalismo' de Hitler un tufillo arqueológico." Der Antisemitismus des deutschen „Gobineau de hojalata" leide jedoch nicht nur an Anachronismus, er sei zugleich, wie der Gaceta-Autor

meint, ein

kamouflierter Rassismus - gegen die Südeuropäer: „Claro está que Hitler pretende justificar su odio a los hebreos con el pretexto racial de que le desprecia por ser un hombre mediterráneo, ese hombre mediterráneo a cuya mezcla atribuye el racismo de los nacionalsocialistas todos los males de la decadencia alemana." Mit anderen Worten: „El hitlerismo no lucha contra el vecino judío, sino contra la idea judía, contra la tendencia individualista del latino y el semita, molesto al colectivismo gregario de rebaño que anima a los pueblos del Norte." Und gleichsam entschuldigend, die mediterranen ,Meriten' hervorhebend, rundet dieser Autor seine ideologische Melange mit folgender Prise ab: „Pero esto es

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falso, porque en el Mediterráneo existe también la hostilidad hacia el hebreo, aunque sea bajo la forma de un fenómeno religioso". Zu den ideologischen Denkwürdigkeiten der Zeitschrift, die sie ihrer Leserschaft vor allem gegen Ende des Erscheinungszeitraumes präsentiert, gehört, was die Judenthematik betrifft, sogar eine kleine Hommage an den , Spanier' Karl Marx: „Es que lo mejor de la sinagoga está representado por el espíritu de protesta contra la injusticia social. Espíritu", so der Autor (III/147), „que alcanza su apogeo en el judío español Carlos Marx". Die Skepsis, mit der viele Sepharden den spanischen Philosephardismus betrachteten, dürfte das bunte Ideologiemosaik der Zeitschrift kaum beseitigt haben. Im Gegenteil: Die schillernden Farben dieses Mosaiks, in denen die Brauntöne am Ende dominierten, dürften ihre berechtigten Zweifel an der Aufrichtigkeit der spanischen Sephardenpolitik eher genährt haben. Spanien, schrieb selbst ein sephardischer Gaceta-Autor

1931 (III/335), „tiende a reparar las faltas

y la injusticia del pasado", fugte jedoch hinzu: „Pero, en que es tocante a la cumplida reconciliación hispano hebrea, es el tiempo que hablará". Er sollte Recht behalten. Nicht zuletzt mit Blick auf den Herausgeber der Gaceta Literaria

selber.

Denn für den scheint die philosephardische Sturm- und Drang-Periode, die die Zeitschrift eine Zeitlang verkörperte, nur ein Intermezzo gewesen zu sein. Danach orientierte er sich, was die Juden betrifft, augenscheinlich wieder mehr an jenem Bild, das er als junger Soldat von der jüdischen Bevölkerung Nordafrikas gezeichnet hatte - nun allerdings gegenwartspolitisch angereichert: „Este concepto racista les hace a los ,nazis'", schrieb er kurz vor der Machtergreifung Hitlers in Genio de España (1983: 19), „chocar fundamentalmente con lo judío. No sólo porque lo judío es de otra raza, y de una raza morena, sino porque de Genio de Israel es también racista, basado en una continuidad de sangre, en un jus sanguinis. Los judíos son los hitlerianos de Oriente. Por eso chocan tanto un racismo con el otro racismo." Das war also das Niveau, auf dem sich der Genius des bekanntesten Philosepharden nach Angel Pulido zu Beginn der II. Republik befand...

XI. Das Thema boomt noch immer: Von der II. Republik zum Zweiten Weltkrieg 1. „Spanien hat aufgehört, katholisch zu sein": Die II. Republik und die Sepharden 1931 beginnt eine neue Etappe in der politischen Geschichte des Landes, die Giménez Caballero und seinen Gesinnungsgenossen zutiefst suspekt erschien: Nach dem kurzen Intermezzo von 1868-1874 entsteht zum zweiten Mal eine Republik auf spanischem Boden. Und ähnlich wie damals, steht unter anderem die religiöse Frage im Mittelpunkt der republikanischen Reformen. Der .Republik der Intellektuellen', 1 wie sie von ihren Gegnern verächtlich genannt wird, ist die Säkularisierung von Staat und Gesellschaft ein zentrales politisches Anliegen: „España había dejado de ser católica" - diese Behauptung, immerhin aus dem Munde Manuel Azaflas, des ersten Ministerpräsidenten der Republik, verkannte indessen, wie Antonio Machado bereits damals spöttisch bemerkte (Tufión de Lara 1968: 122), daß Spanien nicht im Ateneo de Madrid beginnt und auch dort nicht endet. Das galt nicht zuletzt für die soziale Frage, die die kirchenfixierten Intellektuellen sträflich vernachlässigten. Während die bäuerlichen und städtischen Massen nicht viel zu erwarten hatten, weckten die Proklamationen über Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche 2 immerhin die Hoffnung, daß wenigstens eine Hypothek der Vergangenheit abgetragen würde - eine, die spätestens seit 1868 in engster Verbindung zur Judenfrage gestanden hatte. Diese Hoffnung schien um so berechtigter zu sein, als führende Mitglieder der Regierung der 1920 gegründeten Casa Universal de los Sefardíes angehört und sich, so Lisbona (1993: 45), als „claros simpatizantes de la causa judía" erwiesen hatten. Das bedeutete freilich nicht, wie immer wieder behauptet wurde (Avni 1982: 31), daß spanische Juden einen nennenswerten Einfluß innerhalb des neuen Systems gehabt hätten. Dieser „antisemitische Mythos", so Avni, hatte mit der Wirklichkeit nichts zu tun: Die wenigen Juden, die sich in linken Parteien engagierten, hätten sich längst vom jüdischen Gemeindeleben entfernt gehabt. Im übrigen trauerten nicht wenige Juden der Monarchie, vor allem König

In bestimmten Blättern der Rechtspresse wurde die Republik, so Avni (1982: 38), sogar als „Jewish plot" diffamiert - „planned well in advance and abetted by the Freemasons and Communism." Ein Teil der in Spanien lebenden Juden profitierte darüber hinaus (Avni 1982: 35) von gewissen Erleichterungen beim Erwerb der spanischen Staatsbürgerschaft.

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Alfons XIII. nach - einem bekannten Philosepharden der zurückliegenden Jahrzehnte. Die offenkundig hohe Wertschätzung, die er in Sephardenkreisen genoß, kommt selbst noch in den etwas hagiographischen Zeilen zum Ausdruck, die Aronsfeld (1979: 37) der erzwungenen Demission des königlichen ,Judenfreundes' widmet: „He may have become generally unpopulär toward the end of his reign, but as a strictly constitutional monarch he had always taken pains to make no distinction between his subjects of different origins and creeds, and on many occassions he seemed distinctly sympathetic to the Sephardic cause - not of course so much for the sake of the Jews as in the interests of Spain." Dennoch brachte die Republik den in Spanien lebenden Juden, die sich noch immer hauptsächlich auf die beiden Gemeinden in Madrid und Barcelona konzentrierten 3 , einige Erleichterungen. Ein Dekret von 1931 (ebd.: 39), das allen Staatsbürgern die Möglichkeit einräumte, den Religionsunterricht ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihrem eigenen Glauben zu regeln, nützte auch den Juden. Auch jüdische Eltern hatten demnach das Recht, ihre Kinder von jüdischen Lehrern unterrichten zu lassen. Gleichzeitig sollten jüdische Geschichte und Literatur einen Platz im Lehrplan staatlicher Schulen erhalten. Entsprechende Pläne sind jedoch nicht realisiert worden; ebensowenig Projekte zur Erforschung der jüdischen Geschichte auf der Halbinsel in einschlägigen Bibliotheken und Archiven. Wie immer, beschränkte sich auch die Republik, so Aronsfeld (ebd.: 37), hauptsächlich auf ,,[a] general goodwill toward the Jews". Der Präsident der provisorischen Regierung, Acalä Zamora, bezeichnete den „semitischen Einfluß" als „ein traditionelles Element der spanischen Kultur". Der Innenminister, Miguel Maura, angeblich selber ,marranischer' Abstammung, verurteilte jedwede religiös motivierte Intoleranz, unter Einschluß der spanischen Geschichte. Idalecio Prieto, führender Sozialist und Finanzminister, sprach sich explizit für den Schutz der jüdischen Religion aus. Und Fernando de los Rios, Justizminister der neuen Republik, gab 1931, während eines Besuchs in Tetuan, vor Vertretern der dortigen Sephardengemeinde seiner Freude darüber Ausdruck, daß „die Schande und große Ungerechtigkeit von 1492" mit der Republik endlich beendet seien. Deshalb forderte er seine Zuhörer auf, die „unglückliche Vergangenheit" zu vergessen und sich nur noch der Gegenwart zu widmen - jenem „aufgeklärten Spanien, dessen intellektuelle Entwicklung der jüdischen und arabischen Kultur soviel schuldet." In einer Parlamentsrede von 1931 äußerte sich Fernando de los

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Die Madrider Gemeinde bestand 1932 aus 45 Mitgliedern, die in Barcelona zählte etwa 250 Personen (Marquina/Ospina 1987: 116).

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Ríos (Böcker 2000: 113) auch zur Geschichte - Äußerungen, die von den republikanischen Abgeordneten mit starkem Beifall bedacht worden seien: „La Historia de España tiene un rumbo eliminatorio desde 1492, con la expulsión de los judíos, a quienes, en esta primera hora consagrada por la Cámara a hablar del problema religioso, rindo un tributo de respeto y el homenaje de nuestro desagravio." Den Worten folgten sogar Taten: Die jüdische Schule in Tanger erhielt finanzielle Unterstützung von der republikanischen Regierung. Damit schien sich die Prophezeiung von Blasco Ibáfiez aus dem Jahre 1925, nämlich erst die Republik würde den Juden eine neue Heimat schaffen, erfüllt zu haben. Allzu ernst waren die feierlichen Deklamationen jedoch offensichtlich nicht gemeint. Rund zwei Jahre vor der eigentlichen Nagelprobe des republikanischen Philosemitismus, nämlich der Einwanderung verfolgter Juden, zeigte sich, daß der politische Mut der Regierung selbst dann nicht sehr groß war, wenn es sich um eher symbolische Maßnahmen handelte: So wurde das Ausweisungsedikt von 1492 offiziell nicht annulliert. Die Kasuisten in der Regierung argumentierten statt dessen, daß das Edikt durch die Revolution von 1868 bereits gegenstandslos geworden sei. Dieser Meinung schloß sich auch Außenminister Alejandro Lerroux an (Aronsfeld 1979: 37), der aber in seiner Eigenschaft als Führer der radikalen Republikaner doch für eine formale Annulierung plädierte. Auch Teile der Presse setzten sich dafür ein, das Edikt offiziell zu annullieren. Diese „gute Nachricht", schrieb ein regierungsfreundliches Blatt (Lisbona 1993:47), sollte dann in den entlegensten Teilen der Welt bekannt gemacht werden, „donde hay colonias de judíos españoles (sefarditas). Después de siglos, en este momento deben reconciliarse con la patria de sus ancestros. Proclamar en España la libertad de culto equivale a abrir todas las puertas del país amado por sus abuelos, que ayer abondonaron con lágrimas que no han secado desde entonces. Gesto generoso que provocará la alegría y la esperanza en todos los lugares donde Israel ha plantado sus tiendas." Es geschah indessen nichts. Insofern war die Sephardenpolitik der Republik eine getreue Fortsetzung der Diktatur Primo de Riveras, schreiben Marquina/Ospina (1987: 82), „si bien con una serie de declaraciones que no eran nada comprometedoras". Vor diesem Hintergrund war auch der letzten Sephardenmission vor dem Bürgerkrieg, die in der Tradition von Rascón über Pulido bis zu Giménez Caballero stand, kein Erfolg beschieden. Diesmal bereiste der Schriftsteller Augustin de Foxá im Auftrag des Ministerio de Estado die Sephardengemeinden des Balkans und plädierte in seinem Bericht - im Gegensatz zu seinem Vorgänger José María Doussinague - abermals für ein primär kulturelles Engage-

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ment der spanischen Regierung, und zwar auf der Basis von Vorträgen, Filmen, Bibliotheken, Schallplatten, Theaterauffuhrungen und Subventionen der sephardischen Presse. Obwohl er seinen Bericht (1932: 9) mit der Versicherung beginnt, „una exposición fría y desapasionada" abzuliefern, begegnet dem Leser auch hier zunächst das übliche Arsenal philosephardischer Allgemeinplätze: „Hay quien afirma que los judíos del Oriente europeo no aman a España; pero los que hemos recorrido las tierras de los Balkanes, los que hemos escuchado la voz arcaica de Castilla [...] tenemos la obligación de afirmar, que los sefarditas de los Balkanes sienten por España un amor encendido y auténtico." Nachdem der Autor die sentimentale Fangleine ausgeworfen hat, wird er jedoch deutlich nüchterner: Einer kulturellen Offensive Spaniens stünden große Hindernisse im Wege. Im Unterschied zu früher, als die philosephardischen Emissäre einige kulturpolitische Konkurrenten, vor allem die französische Alliance Israelite Universell, und nationalistische Bestrebungen der neuentstandenen Balkanländer als Hauptprobleme schilderten, sieht Foxá (ebd.: 18) in „der zionistischen Gefahr" eine hohe Barriere, die jedoch überwindbar sei: „Debemos insistir", schreibt er (ebd.: 20 f.), „en que el sefardismo no es antagónico del ideal sionista; en modo alguno deben maestros nuestros oponerse públicamente a la difusión del hebreo, ni reputar como sueños imposibles los ideales nacionalistas." Alles komme darauf an, die Sepharden im Sinne von Giménez Caballero davon zu überzeugen, daß Philosephardismus lediglich „un sionismo de segunda [sie] grado" sei. Wie den meisten seiner Vorgänger, so ging es auch Foxá darum, die Sepharden dort zu belassen, wo sie lebten. 4 Die romantischen Vorstellungen von einer ,Rückkehr', gar von einer Rückkehr en masse, wie sie im 19. Jahrhundert im Schwange waren, hatten längst keine Konjunktur mehr. Doch genau damit, mit einer Masseneinwanderung europäischer Juden, unter ihnen viele Sepharden, sah sich Spanien ab 1933 konfrontiert. Und wie es schien, bot die iberische Fluchtroute in der Tat Tausenden verfolgter Juden eine Rettungsperspektive. Bereits im Sommer 1933 wird ein Comité Español de Ayuda a las Víctimas del Facismo Hitleriano gegründet (Lisbona 1993: 57 f.). Gefuhrt von Jiménez de Asúa, zählt das Komitee so bekannte Namen wie Américo Castro und Sánchez Albornoz zu seinen Unterstützern. Doch schon bald stellt sich heraus, daß die Bereitschaft zur Hilfe beschränkt ist. Sánchez Albornoz, amtierender Ministro de Estado, lehnt 4

Dafür war sicher auch sein allgemeiner Antisemitismus mitverantwortlich, wie er in einem späteren Gedicht (1940:9) zutage tritt:"!Oh Rusia! Te maldigo, porque eres, entre hielo,/ la gran inteligencia, bajo cráneos mongólicos,/ sutil, negra y segura, judía y miserable."

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die Aufnahme größerer Flüchtlingskontingente aus ökonomischen Gründen entschieden ab. Ähnlich äußert sich Salvador de Madariaga, damals spanischer Botschafter in Paris: Aufnahme verfolgter Juden ja, aber nur „en un ritmo de fácil absorción desde el punto de vista económico y también político". 5 Daß es sich bei dem Hinweis auf den „politischen Rhythmus" der Aufiiahmemodalitäten aus der Sicht der Regierung tatsächlich um ein ernstes Problem handelte, illustriert schließlich eine Äußerung (Aronsfeld 1979: 42) des Außenministers Fernando de los Ríos, eines prominenten Philosepharden: Er, der von dem „Alten Spanien" als ,judaisierender Minister" und „Rabbiner" beschimpft worden sei, befürchtete eine Pressekampagne gegen seine Regierung und gegen die Juden, die er um jeden Preis verhindern wollte. Trotz der ablehnenden Haltung der republikanischen Regierung, die tatsächlich mit einer äußerst restriktiven Aufnahmepraxis Hand in Hand ging, versuchten jüdische Organisationen, etwa die Jewish Colonisation

Association

(JCA), die verantwortlichen Behörden zu einer weniger restriktiven Aufnahmepraxis zu bewegen. Ein Sondergesandter der JCA, der zu diesem Zweck nach Spanien reiste, traf jedoch auf „große Schwierigkeiten" (Bei Bravo 1992: 277), die spanischerseits vor allem ökonomisch begründet wurden. Das Engagement des Emissärs war immerhin nicht ganz umsonst: 1935 durften 60 (!) jüdische Flüchtlinge die Pyrenäen überqueren. Tatsächlich waren jedoch bereits mehrere Tausend eingereist, sei es über die grüne Grenze, mit falschen Papieren, durch Bestechung oder durch eine laxe Kontrolle. Jedenfalls lebten 1935 (Lisbona 1993: 58) in Barcelona ca. 3 000 deutsche und polnische Juden, in Madrid betrug ihre Zahl rund 500 Personen. Die Gesamtzahl der politischen Flüchtlinge, unter denen sich auch zahlreiche Juden befunden haben dürften, schätzen Marquina/ Ospina (1987: 117) für den Zeitraum 1933-1935 auf 3 000 bis 20 000: „Para algunos", kommentieren die beiden Sephardenforscher (ebd.) die De-facto-Rolle des Landes als Fluchtroute für europäische Juden, die gewisse Parallelen zu dem

5

Bei allem Verständnis, das man fur die Kautelen Madariagas aufbringen mag, sie hinderten ihn doch nicht daran, nur wenige Wochen später (Aronsfeld 1979: 42) vor der Liga der Nationen eine Hommage an die kulturelle Bedeutung der Sepharden anzustimmen: „Today when the Jewish question is to the fore, the Spanish Republic turns ist eyes towards that great race to which it is indebted for illustrious men of letters, lawyers, mystics, doctors and statesmen. Spain believes that the attempt to be made in the twentieth century should cover the entire world - to use the words of a famous French writer - nothing but the world, that it should embrace all men, all races, all religious, all nations." Vgl. auch das Kapitel zu Madariaga.

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Befreiernimbus der spanischen Kolonialtruppen Mitte des vorigen Jahrhunderts in Nordafrika aufweist, „pareció una ironía de la Historia que fuera precisamente España lugar de refugio de los judíos alemanes, cuando siempre se le había conocido por el país de la Inquisición y de la expulsión de los judíos". Die eigentliche Ironie, und angesichts der offiziellen Einwanderungsrestriktionen keine besonders überzeugende, dürfte freilich darin bestanden haben, daß der traditionelle Philosephardismus gerade in jenen Jahren einen feierlichen Höhepunkt erlebte: den achthundertjährigen Geburtstag von Maimónides. Aus Anlaß des Veranstaltungsmarathons in der andalusischen Geburtsstadt des berühmten Philosophen hatte ein - vermutlich sephardisches - VorbereitungsKomitee in Bukarest 40 oder 50 Einreisevisa für „spanisch-sephardische Familien" und für Ehepartner spanischer Staatsbürger beantragt. Doch selbst diese, eigentlich sehr bescheidene Petition fand kein Gehör. Nur die Besitzer eines ordentlichen spanischen Passes, nicht die sogenannten „Schutzspanier", die auf der Basis des Dekrets von 1924 Ansprüche geltend machen wollten, dürften einreisen (Marquina/Ospina 1987: 121), teilte der Ministro de Estado der Bukarester Botschaft mit. Für alle anderen gelte die strenge Einzelfallprüfung, „rechazándose toda petición colectiva". Der feierlichen Atmosphäre in Córdoba tat die kleinkariert-bürokratische Einwanderungsarithmetik staltung des Centenario,

indessen keinen Abbruch. Auf der

Schlußveran-

der unter der Schirmherrschaft des Präsidenten Alcalá

Zamora stand, rief (Lisbona 1993: 56) der Zivilgouverneur der Stadt den jüdischen Teilnehmern zu: „Váyanse ustedes con el más amistoso recuerdo de España y digan a todo el Mundo que España les ha acogido con toda la simpatía. Digan a todos que España ha borrado los últimos restos de un pasado oscuro y que la nueva España les abraza como a un hijo que regresa de un largo viaje. [...] Hablen de nosotros a sus [...] amigos, y comuníquenles que España ha abierto sus brazos a sus hermanos judíos y les ha dado el beso de la paz." Sicher läßt sich diese Rede, immerhin im Entstehungsjahr der Nürnberger Gesetze gehalten, als kritische Anspielung auf die Judenverfolgung durch die Nazis verstehen und so war sie sicher auch gemeint. Als „cordial invitación" an die Adresse aller Sepharden, gar aller Juden, „para que se reincorporaran de nuevo a su antigua patria", wie Marquina/Ospina (1987: 112) suggerieren, war sie aber gewiß nicht zu verstehen. Der Centenario

bot der spanischen Regierung zwar eine gute

Gelegenheit, so Aronsfeld (1979: 41), „to demónstrate its sympathy with the Jews and its detestation of the barbarous treatment meted out to Jews in certain other countries". All diejenigen, die mit dieser Rede mehr verbanden, sahen sich

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indes getäuscht. Man interpretiert die Motive der Veranstalter deshalb sicher nicht falsch, wenn man sie vor allem in der philosephardischen Tradition ansiedelt: Ohne die Nazibarbarei wäre die Versöhnungsrhetorik vermutlich genauso ausgefallen. Daß sie in Teilen der jüdischen Presse auf begründetes Mißtrauen traf, verwundert deshalb nicht: „Un gran pueblo se ha arrepentido de sus pecados cometidos contra los judíos?", fragt etwa ein Autor der jüdischen Zeitung Bust 'nail (Lisbona 1993: 57) in durchaus polemischer Absicht, „¿no os acordáis de la Inquisición? ¿De los autos de fé? [...] Centenares de años han transcurrido y [...] el discurso que ha pronunciado el gobernador de Córdoba es una petición de perdón por los pecados cometidos. Es evidente que los millares de judíos quemados y degollados por glorificar el nombre de dios no serán resucitados por estas palabras." Die polemische Schärfe dieser Sätze dürfte auch der Tatsache gegolten haben, daß dem historischen mea culpa kaum Taten folgten. Die antisemitische Hetze, in zahlreichen Fällen ein getreues Echo der Parolen aus Deutschland, nahm dennoch zu. Die zitierten Ängste vom Außenminister Fernando de los Ríos erwiesen sich damit zwar als berechtigt, die politische Hasenpfötigkeit seiner Regierung zahlte sich jedoch nicht aus. Im Gegenteil: Sie dürfte die rechten Scharfmacher eher noch ermutigt haben, sich als spanisches Sprachrohr des Stürmer zu betätigen. Die ideologische Hauptader des Antisemitismus, wie ihn die extreme Rechte propagierte, speiste sich indessen aus der nationalen Geschichte - in schroffer Konfrontation mit den liberal-republikanischen Interpretationen, wie sie etwa Fernando de los Ríos vertrat: Die spanische Rechte, bilanziert Manfred Böcker (2000: 109), „verteidigte den historischen Antisemitismus in Spanien als Teil des Traditionsbestandes der spanischen Nationalgeschichte." Begleitet war diese Verteidigung der Hispanidad' von einer Hommage an die Inquisition (ebd.: 117) und einer Neuauflage sattsam bekannter historischer Schlüssellegenden:

„La España visigótica", schrieb z. B.

ein ,geschichtsbewußter' Jesuit (ebd.: 123), „había acabado, y en los ,ghettos' roñosos y en las obscuras sinagogas Israel vengativo y triunfante entonaba un cántico de júbilo porque se había vengado traidoramente de una nación que durante 600 años le había servido de Patria." Dieselbe Legende, die bereits im 14. Jahrhundert zur Rechtfertigung des „Statuts zur Reinheit des Blutes" herhalten mußte, erwies sich damit noch fünfhundert Jahre später als politisches Kampfinstrument! Besonders nach Hitlers Machtergreifung, schreibt Pujol (1997: 25), reaktivierte der spanische Antisemitismus „de sus viejas y rancias raíces los peores argumentos, los utilizó sin piedad ni decoro, y culpabilizó a los judíos de los males nacionales y mundiales". Dabei handelte es sich im spani-

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sehen Fall, wie der Autor zu Recht betont, um eine besonders extreme Form des „imaginären" Antisemitismus, war doch die Zahl der im Lande lebenden Juden noch immer verschwindend gering. Dennoch, so Pujol, „pasó el judío imaginario a ser el masón, el librepensador, el afrancesado, el liberal, el socialista y el comunista: siempre el hereje; todo ello sin dejar de ser rico y apegado al dinero". Sicher wies das ideologische Kaleidoskop des spanischen Antisemitismus eine stark katholische Färbung auf; die scharfe Trennungslinie, die etwa Lisbona (1993: 91) - unter Berufung auf Caro Baroja - zwischen religiösem Antisemitismus in Spanien und rassistischen Varianten in Europa zieht, geht jedoch an der Wirklichkeit der 30er Jahre vorbei. Geradezu abenteuerlich ist seine Behauptung (ebd.: 91), seit der Abschaffung der Inquisition „no se da en España ninguna forma de antisemitismo". Selbst wenn man dieser Behauptung glauben würde: Spätestens Anfang der 30er Jahre, als Die Protokolle der Weisen von Zion auch auf spanisch erschienen, war dieser ,idyllische Zustand' endgültig vorbei. Es war kein Geringerer als Onésimo Redondo, Führer der faschistischen Juntas Nacionales Libertad

Sindicalistas

(JONS), der die Protokolle

Obreras

in seinem Wochenblatt

von Februar bis Juli 1932 publizierte (ebd.: 92) und mit einem

eindeutigen Vorwort versah: „Lea el lector el plan judío, concebido y tenuísimamente desarrollado por el capital internacional en alianza con las sociedades secretas y con las revoluciones internacionales. Es un comprobante de insuperable valor, para que juzguemos la presente situación de España como lo que es: una invasión de planes extranjeros para envilecer y esquilmar un país, con la fiel colaboración de nuestros intelectuales políticos, instrumento [...] de las logias." In weiteren Artikeln (ebd.: 94) stellt Redondo seine allgemeine Antisemitismuspropaganda in eine Linie mit der spanischen Geschichte: Lob der Inquisition und der Judenvertreibung durch die „grande Isabel" - schließlich sei Spanien ein „Grenzgebiet" gewesen, „entre lo civilizado y lo africano, entre lo ario y lo semita." Folglich sei der „definitive Sieg des Marxismus" gleichbedeutend mit einer historischen Rückwärtsrolle: „sería la reafricación de España, la victoria conjunta de los elementos semitas. [...] Por eso ahora nos invaden los judíos expulsados de otras naciones. Por eso el poder marxista lanza miradas de ternura y protección de los hebreos del Norte de Africa." Das war eine deutliche Attacke gegen Fernando de los Ríos und dessen Annäherung an die sephardischen Gemeinden in Marokko, die, wie angedeutet, nicht ohne Wirkung blieb. Außer Redondo, dem im Chor der antisemitischen Hetzer eine Art ideologischer Dirigentenrolle zufiel, gab es noch einige exponierte Solostimmen, die ihren Haß auf die Juden, seien es Sepharden oder nicht, publizistisch ventilierten. So

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schrieb Ramiro Ledesma (ebd.: 93), Spiritus rector der Falange, in seinem Kampfblatt La Conquista del Estado: „Sólo en la subconciencia o en la conciencia, mejor dicho, de un judío como Marx pudo fraguarse la destrucción de los valores nacionales." In die gleiche Kerbe hieb (ebd.: 95) José Antonio Primero de Rivera, Führer der Falange und immerhin Sohn eines philosephardischen Vaters, in dessen Regierungszeit das berühmte „Dekret von 1924" gefallen war. Er wetterte nicht nur gegen Marx, „un judío alemán", er diffamierte „la raza semita" generell als „azote, plaga y peste esquilmadora del país donde cae". Verlief der Bruch zwischen Philosephardismus und generellem Antisemitismus im Falle Primo de Riveras gleichsam innerhalb der Familie, ereignete er sich im Falle Ernesto Giménez Caballeros, eines weiteren Falange-Ideologen der vordersten Front, in ein und derselben Person. Der exponierte Philosemit, der in seiner Gaceta Literaria jahrelang die Werbetrommel für Angel Pulido und seine Mitstreiter gerührt und sogar selber die Sephardengemeinden des Balkan bereist hatte, verwandelte sich in einen kaum weniger schrillen Antisemiten: „todas las violencias de que los cristianos les hicieron objeto", schrieb er (ebd.: 94) in späten Jahren über die Juden, „estaban justificadas". 6 Obgleich die Ideologen der extremen Rechten die antisemitische Politik Hitlers zumeist applaudierten, sei ihnen sehr daran gelegen gewesen, schreibt Lisbona (ebd.: 95), „de no caer en un profundo racismo ni identificarse con otros fascismos nacionalistas porque, entre otras razones, la situación era muy distinta: en España apenas había judíos entonces y, por tanto, sería completamente estúpido combatir a un enemigo inexistente." Hier sind Zweifel durchaus angebracht - schließlich hatten auch die sonstigen Judenklischees, die die zitierten Autoren verbreiteten, genauso wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Oder will Lisbona suggerieren, daß die Juden immer als solche erkennbar gewesen wären, wenn es sie denn in nennenswerter Zahl gegeben hätte? Im übrigen waren rassistische Antisemitismusvarianten auch in Spanien längst verbreitet, obgleich nicht so weit wie diesseits der Pyrenäen. Darauf weist Lisbona (ebd.: 96) im übrigen sogar selber hin, wenn er dem karlistischen Antisemitismus im Umkreis der integristischen Zeitschrift El Siglo Futuro in den 30er Jahren „una preocupación creciente de la raza" attestiert. Zweifel an der allzu apodiktischen Trennung von rassistischem und nichtrassistischem Antisemitismus sind auch deshalb angebracht, weil selbst in der ,nur' konservativen, antirepublikanischen Presse jener Jahre Judenklischees ver6

Vgl. das Kapitel über ihn und die Gaceta

Literaria.

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breitet wurden, die unter anderem in direkter Verbindung zum europäischen Rassismus standen. Bereits vor der Machtergreifung Hitlers, schreibt Mercedes Semolinos Arribas (1985: 220) in ihrer Untersuchung über Hitler y la prensa de la II república española, die sich, was die Judenthematik betrifft, auf die Analyse von vier Zeitungen des Jahres 1933 konzentriert - bereits zuvor habe es gelegentliche Solidaritätsbekundungen mit der antisemitischen Programmatik der deutschen Nationalsozialisten gegeben. Ab 1933 habe das Thema in den untersuchten Zeitungen jedoch schlagartig an Interesse gewonnen, „al mismo tiempo que mostraban su absoluta conformidad con la actitud de Hitler". Ein Standardklischee, etwa in Informaciones (ebd.: 221), das auch in der falangistischen Presse benutzt wurde, behauptete den vermeintlichen Zusammenhang zwischen Judentum und Sozialismus: „En casi todos los países los líderes socialistas son judíos para seguir la tradición de su jefe de la secta, Carlos Marx." Dieser Zusammenhang sei soweit getrieben worden, daß die Begriffe Marxismus, Sozialismus, Demokratie und Judentum nahezu deckungsgleich gewesen seien. Eine zweite Gruppe antisemitischer Klischees, etwa in den Zeitungen El Debate und La Nación, habe den Mythos unbeschränkter ökonomischer und politischer Macht der Juden kolportiert, zusammen mit sämtlichen Derivaten wie Wucher, Geiz und Geldversessenheit: „Ya es sabido", lautet eine der Kostproben (ebd.: 223), „que esta raza ejerció siempre la hegemonía del tráfico comercial y de los negocios. [...] Explotaron y explotan todos los negocios sucios e inhumanos: la esclavitud, la trata de blancas, los burdeles, el alcohol, los cabarets, las drogas heroicas, la usura, la guerra". In ABC, einem weiteren von der Autorin untersuchten Blatt, seien schließlich auch rassische Überlegungen angestellt worden (ebd.: 223 f.), die sich expressis verbis auf Gobineau und Chamberlain beriefen und der „grandiosa tarea" Hitlers ihre Reverenz bekundet hätten - und sich dabei auch des Vokabulars ihrer Vorbilder bedienten: Die ethnische Vermischung, so die Befürchtung der Redaktion, „pueda emponzoñar la sangre aria". In diesem Sinne begrüßt ABC die Ankündigung der Naziregierung, die Jazzmusik zu verbieten, da es sich um „música de negros" handele. Hier und da lassen die Blätter zwar religiös motivierte Bedenken erkennen, etwa (ebd.: 225) der Korrespondent von El Debate in Berlin; diese werden aber dem ideologischen Grundkonsens untergeordnet: „es evidente que el pueblo alemán tiene profunda aversión a los judíos, lo que si no justificable, es explicable". Dabei agiert die von der Autorin untersuchte antirepublikanische Rechtspresse nicht nur als publizistischer Claqueur der Nazis, ihre Hetze hatte natürlich nicht zuletzt innenpolitische Adressaten. Dementsprechend warnte ABC (ebd.: 224) vor einer

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„großen Gefahr" für Spanien, „si de todos los países donde los vientos judíomarxistas no soplan, se nos fueran para Madrid a establecer en las paredes del ministerio de Hacienda su muro de lamentaciones". Im Vergleich zur antirepublikanischen Rechtspresse verurteilen die prorepublikanischen Blätter, die die Autorin untersucht hat (El Sol, Luz, El Liberal und El Socialista), den Antisemitismus der Nazis - allerdings keineswegs so unisono und entschieden, wie man es erwarten würde. Die deutlichste Kritik an der Judenpolitik findet sich auf den Seiten von El Liberal. „Los miembros de las secciones de Asalto", heißt es beispielsweise (ebd.: 227) über die rapide wachsende Gewalt gegen die Juden kurz nach der Machtergreifung, „participaron directamente en crímenes y sevicias contra los israelitas alemanes. Se desposeyó de sus empleos, legítimamente ganados, a jueces, abogados, médicos, ingenieros, periodistas pertenecientes a la raza judía. Se asaltaron y saquearon sus establecimientos". Ähnlich berichteten die Korrespondenten von El Sol und Luz. Für das zuletzt genannte Blatt war „la bárbara ferocidad de sus [der Juden, N.R.] persecuciones" gleichbedeutend mit der Aufgabe humanitärer Grundprinzipien. Die Verfolgung der Juden, so die Zeitung, sei „consecuencia de ese principio de la pureza de raza, que no es sólo cruel y medieval, sino, ante todo, ridículo, estúpido, pedantesco, extraído de los libros más absurdos y confusos que ha producido la mentalidad germánica." Klare Worte, die nicht den mindesten Verdacht aufkommen lassen, das Blatt würde die beginnende Barbarei verharmlosen. Doch genau das tut der Korrespondent von El Sol, der die einsetzende Judenverfolgung zunächst verurteilt, aber schon bald dafür plädiert (ebd.: 228), nicht zu .übertreiben': „Es un deber sumarse a la rectificación que en casi todo el mundo se ha hecho de los horrores que circularon sobre Alemania. Se han dicho verdaderamente cosas tan disparatadas, que después de la experiencia de la guerra, toda persona sensata tenía que creer en una exageración, si no en una falsedad". Besonders angetan zeigt sich der Berliner Berichterstatter von der Ordnung im Lande, die erst nach der „revolución nacional" eingekehrt sei: „el orden es mayor. Será si se quiere orden de cuartel. Pero es orden. No sé si para todos esto lo será todo. Pero ya es bastante. Sin requerimientos innecesarios cualquier periodista lo confirmará." Da stimmt es immerhin tröstlich, daß ein Journalist von El Socialista, der Tageszeitung des Partido Socialista Obrero Español (PSOE), anderer Meinung war. Beispielsweise (ebd.: 231) in Form einer Antwort auf einen Hetzartikel („¡Guerra a Israel!"), der in El Siglo Futuro erschienen war: „El cerrilismo fanático no tiene fin ni saciedad posible. [...] No cabe duda que estos esforzados soldados de la fe y del pasado, comulgan en la

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idea de aquel que predicó el amor y el perdón y la igualdad de los hombres, y que su religión es la de la paz. [...] ¡Santiago y ellos!" In den folgenden drei Jahren, bis zum Beginn des Bürgerkrieges, dürften solche Positionen, so darf man wohl vermuten, 7 eher Ausnahme als Regel gewesen sein. Nach den Novemberwahlen von 1933, aus denen die antiliberalen und antisozialistischen Kräfte als Sieger hervorgegangen waren, nahmen die antisemitische Hetze und die Sympathie für Hitler deutlich zu (Aronsfeld 1979: 43), vermutlich, wie die zitierten Pressestimmen illustrieren, nicht allein in den Reihen der Falange. Zur Veränderung des Meinungsklimas dürfte auch Hitlers Hetzschrift Mein Kampf beigetragen haben, die 1935 in spanischer Version erschien. Ihr anonymer Übersetzer lobte (ebd.) die „konstruktive und friedliche" Ideologie der Nazis, die mit den Nürnberger Gesetzen soeben bewiesen hätten, daß sie die ,Rassentheorien' des Mein Kampf-Autors

in die Wirklichkeit umzu-

setzen gedachten. In der zweiten Ausgabe der spanischen Übersetzung, da war der Bürgerkrieg bereits ein Jahr im Gange, avancierten Hitler, Mussolini und Franco dann auch konsequenterweise zu den „patriotischen Führern des neuen Europas." Der Kampf gegen „die jüdische Welt Verschwörung", den die Frankofreundliche Presse beschwor, war in seine entscheidende Phase getreten.

2. „Krieg gegen das Judentum": Der Spanische Bürgerkrieg und die Juden Mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges erlebte die antisemitische Propaganda der zurückliegenden Jahre ihren Zenit. Der „Kreuzzug", wie er von Franco und seinen politischen Anhängern qualifiziert wurde, figurierte in der einschlägigen Propagandaliteratur (Lisbona 1993: 64) von Anfang an als „guerra contra el Marxismo, el Separatismo, el Judaismo y la Francmasonería". In diesen Chor stimmten die meisten militärischen und politischen Führer der „nationalen Erhebung" auf die eine oder andere Weise mit ein. General Miguel Cabanellas, der im August 1936 zum Präsidenten der Regierung von Burgos ernannt wurde, forderte seine Anhänger auf, im Kampf „contra los francmasones, los judíos y parásitos similares" unerbittlich zu sein. 8 General López Pinto, Militärgouver7

8

Systematische Untersuchungen der republikanischen, insbesondere der linken Presse liegen nicht vor. Ironischerweise, so Lisbona, hatte er in früheren Jahren selber einer Freimaurerloge angehört.

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neur der provisorischen Hauptstadt der nationalen' Zone, geiferte (ebd.) „contra los enemigos de Cristo: los judíos y los judíos camuflados, los masones [que] deben ser destruidos sin piedad." General Emilio Mola, Oberster Befehlshaber des Nordheeres, fand es (ebd.: 98) völlig verständlich, daß die national gesonnenen Spanier den Haß der Juden auf sich zögen - und zwar aus drei Gründen: „la envidia que les produce todo pueblo con patria propia; nuestra religión por la que sienten aborrecimiento inextinguible, ya que a ella atribuyen su dispersión por el mundo; el recuerdo de su expulsión que no fue, como se afirma, por el capricho de un rey - hay que decirlo claro - sino por la imposición popular." Die schrillsten Töne der militärischen Führungsriege

,National-

spaniens' kamen freilich aus Sevilla. In seinen berühmt-berüchtigten Radioansprachen wütete der dortige Franco-General Queipo de Llano gegen die jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung: „Unser Kampf ist kein Bürgerkrieg", gab er (Broué/Témime 1975: II, 527) deshalb die Parole aus, „sondern ein Kampf für die westliche Zivilisation und gegen die jüdische Welt". Obendrein erlegte er (Avni 1982: 49) der jüdischen Gemeinde von Sevilla, die seinem Despotenregime unterstand, im Januar 1938 eine hohe „Strafe" auf: 138 000 Pesetas - eine große Summe für die kleine Gemeinde. Bei soviel antisemitischer Verve der militärischen Elite konnten diejenigen, die den „Kreuzzug" mit göttlichen Weihen versahen, natürlich nicht zurückstehen: „Judíos y masones fuera de la ley y contra la ley, o con la ley cuando llegó su hora", peitschte zum Beispiel Cardenal Gomá (Tuñón de Lara 1968: 134 f.) seine Anhänger im Rundfunk auf, „envenenaron el alma nacional con doctrinas absurdas, con cuentos tártaros o mongoles aderezados y convertidos en sistema político y social en las sociedades tenebrosas manejadas por el internacionalismo semita". 9 Auf den Seiten der frankofreundlichen Journaille fanden die antisemitischen Parolen natürlich ein getreues Echo: Das verstaubte Ideengebäude der Hispanidad wurde gewissermaßen zu einer Propagandazentrale ausgebaut, die den Kampf an der ideologischen Front organisierte. Arriba España, das publizistische Flaggschiff der Falange, hetzte (Aronsfeld 1979: 44) gegen „das internationale Judentum", druckte regelmäßig die Karrikaturen des Stürmer

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nach und titelte „Spanien

Tuñón de Lara (ebd.: 134) weist mit berechtigtem Sarkasmus daraufhin, daß derselbe Kardinal bei anderen Anlässen, die die ,historische Ehre' des spanischen Katholizismus in ihrem Kern tangierten, indessen geschwiegen habe: „No habló para condenar [...] las matanzas de Badajoz en que los mahometanos [Soldaten der Franco-Truppen, N.R.] asesinaban a españoles bautizados en la Iglesia hasta dentro de la misma catedral".

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erwache!" Schützenhilfe fanden die journalistischen Krieger der

Hispanidad

auch bei den Vordenkern früherer Jahre: „Hay un concepto hispánico de la raza", hieß es (Calleja/Nevada 1988: 49) in einem dieser Blätter, „,1a raza para nosotros está constituida - enseña Maeztu - por el habla y la fe' [...] Lo que no es la raza: una unidad antropométrica. Ni siquiera un tronco antropológico puro. [...] España, sólo frente al judío ha sido una comunidad cerrada; los demás todos han podido adoptar nuestra fe española". Königin Isabella, die Architektin der religösen Einheit und des katholischen Commonwealth,

avancierte zur nationalen

Lichtgestalt (ebd.: 33), zum „ejemplo vivo de mujer cristiana", deren päpstliche Heiligsprechung (!) man sich wünschte. Daß innerhalb dieses Panoramas auch die Inquisition (ebd.: 39) als „garante de la unidad católica de España y de la propia unidad territorial del Imperio" einen Ehrenplatz einnahm, versteht sich fast von selbst. Mit einem judenfreundlichen Image, das der siegreiche Frankismus gleichwohl zu verbreiten wußte, haben die zitierten Stimmen folglich nichts zu tun. Im Gegenteil: dem propagandistischen Gebräu der Hispanidad,

die das Franco-

Lager als publizistisches Kampfinstrument zum Einsatz brachte, dienten die antisemitischen Elemente weniger als ideologischer Zierrat, um damit Hitler zu betören - sie waren ein durchaus fester Bestandteil der eigenen Ideologie. Deshalb haben Marquina/Ospina nur eingeschränkt recht, wenn sie schreiben (1987: 131), daß der Antisemitismus der Franco-Anhänger kein „montaje propagandístico propio" gewesen sei, sich vielmehr an ideologischen Importprodukten, vor allem aus Deutschland, orientiert habe. Die Einschränkung hat vor allem mit zwei Tatsachen zu tun: Zum einen ist recht unwahrscheinlich, daß der hohe Grad antisemitisch durchseuchter Propaganda nur oder überwiegend eine Kopie ausländischer Muster darstellte. Zum anderen gab es bereits, wie weiter oben gezeigt wurde, lange vor Ausbruch des Bürgerkrieges einen nationalen Antisemitismus, der sich vor allem aus der spanischen Geschichte speiste. Recht haben Marquina/ Ospina indessen, wenn sie (ebd.: 142) betonen, daß es auch während des Bürgerkrieges weder Organisationen und Bewegungen noch Publikationen gab, die den Antisemitismus zur politischen Essenz erhoben hätten. Zu einer gewissen Uneindeutigkeit trugen schließlich auch - und nicht zuletzt - die Äußerungen Francos selber bei. So trat bereits kurz nach Beginn des Bürgerkrieges sein Pressechef internationalen Meldungen entgegen (ebd.: 132), die Nationale Bewegung sei antijüdisch eingestellt. Zur Beschwichtigung der internationalen Öffentlichkeit diente wenig später auch ein weiterer Schritt: Die propagandistischen Ausfalle Queipo de Llanos im Sevillaner Rundfunk wurden

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auf Betreiben Francos eingestellt. War er deshalb „kein Antisemit", wie Aronsfeld (1979: 43) schreibt? Aus dessen Sicht war Franco vor allem das Opfer außenpolitischer Abhängigkeiten: „He was of course in an invidious position once he had agreed to accept the corrupting assistance of Nazi Germany, and the respectable Dr. Jekyll had only himself to blame if he were mistaken for the abominable Mr. Hyde." Für die Zeit des Bürgerkrieges, schreibt Lisbona (1993: 99), ließen sich tatsächlich kaum antisemitische Äußerungen Francos belegen. Ein „cierto antisemitismo" sei aber wohl nicht auszuschließen, da Franco bereits vor dem Bürgerkrieg ein exponierter Gegner des Freimaurertums und Mitglied des Internationalen Antikommunistischen Komitees gewesen sei, das ihn mit einschlägigen, auch antisemitischem Propagandamaterial versorgt habe. Offen antisemitische Äußerungen während des Bürgerkrieges seien lediglich von seinem bereits zitierten Pressechef bekannt: „Nuestro programa, según al cual el catolicismo debe reinar sobre toda España", habe dieser 1938 (ebd.: 100) in einem Interview mit einer Pariser Zeitung gesagt, „exige la lucha contra las sectas anticatólicas. La Masonería y el Judaismo. [...] La Masonería y el Judaismo, insistimos, son los dos grandes y poderosos enemigos del movimiento fascista para la regeneración de Europa y especialmente de España. Hitler tiene toda la razón en combatir a los judíos." Franco selber hat sich in den Jahren des Bürgerkrieges dagegen eher als ,Judenfreund' ausgegeben. In einem Brief von Mitte August 1936 an den Consejo Comunal Israelita in Tetuan soll er (ebd.: 67) die Adressaten gebeten haben, den antisemitischen Tiraden seines Generalskollegen Queipo de Llano keine Beachtung zu schenken. Der Hintergrund der Intervention: Die Radiosendungen hätten die Verhandlungen mit jüdischen Bankiers in Tetuan und Tanger gestört, von denen sich Franco Kredite erhofft habe. War das Schreiben an die marokkanischen Sepharden deutlich interessengeleitet, lassen sich andere Äußerungen politisch nicht ganz so eindeutig verbuchen. Dem Daily Telegraph soll Franco 1937 erklärt haben (ebd.), daß es sein fester Wille sei, die Religionsfreiheit in Spanien zu erhalten - „según el espíritu tradicional comprensivo de nuestro pueblo, la oración se debe ofrecer en la Iglesia, en la Mezquita y en la Sinagoga". Ende 1937, in einem Interview mit der argentinischen Zeitung La Prensa, hat sich Franco (ebd.: 67 f.) noch eindeutiger auf das ,trikulturelle Erbe' Spaniens berufen: „bajo los Reyes castellanos y aragoneses convivieron católicos, mahometanos y judíos, dando un ejemplo al mundo de tolerancia [mientras que] bajo la República Española, la fe que dio a nuestra patria unidad y grandeza fue perseguida y arrojada." War Franco also tatsächlich kein Antisemit? War er sogar ein Freund von Juden und Mauren? Eine ein-

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deutige Antwort läßt sich aus der verfügbaren Literatur nicht herauslesen. Sicher scheint auf jeden Fall, daß sich Franco stets von taktischen Überlegungen leiten ließ. Die Einstellung der Sevillaner Radiopropaganda Queipo de Llanos ist dafür ein Indiz: Den augenscheinlich erfolgreichen 10 Verhandlungen mit den jüdischsephardischen Bankiers maß Franco offensichtlich großes Gewicht bei. Nicht minder wichtig war dem mächtigsten Mann der Aufständischen eine generelle ideologische Flexibilität - in Worten und in Taten. So druckte der offiziöse Noticiero de España Anfang 1938 einen Artikel Pio Barojas (Aronsfeld 1979: 43) ab, in dem der bekannte ,98er' Kritik an Hitlers Rassentheorien übte (allerdings ohne Hitler namentlich zu nennen). Aber nur wenige Wochen später veröffentlichte dasselbe Blatt eine Eloge auf Hitlers letzte Rede. Was die De-facto-Flexibilität betrifft, so sticht vor allem die Tatsache ins Auge, daß sich Franco ohne Skrupel der militärischen Hilfe des .historischen Erbfeindes' Spaniens bediente, den er (Martin Gaite 1994: 22) nach dem Bürgerkrieg in gewohnter Manier klassifizierte: „Desde luego, sin petulancia, tal vez podamos decir los españoles que Europa nos debe la vida. Porque España fue el rompeolas europeo donde quebró su ímpetu la más formidable amenaza que vieron los siglos: la marea islámica." Von der ideologischen Kehrtwende waren nun auch die Juden betroffen, die sich im Mai 1939, am Dia de la Victoria, so (Lisbona 1993: 99) anhörte: „No nos hagamos ilusiones; el espíritu judaico que sabe tanto de pactos con la revolución antiespañola no se extirpa en un día y aletea en el fondo de muchas conciencias." Gleichzeitig äußerte (Aronsfeld 1979: 44) das oberste politische Chamäleon, nun unumschränkter Herrscher über ganz Spanien, sein „tiefes Verständnis für die Maßnahmen, die von bestimmten europäischen Ländern gegen die jüdische Rasse ergriffen wurden." Um keinen Zweifel daran zu lassen, wer damit gemeint war, schickte er Julius Streicher sein photographisches Generalskonterfei nebst persönlicher Widmung. 10

Nach Angaben von Daniel François Barukk, dem Präsidenten der Comunidad Israelita de Madrid (Lisbona 1993: 68), soll Franco während einer Audienz des Jahres 1953 gesagt haben: „[que] la población sefardí de Tetuán financió su marcha triunfal sobre España". Rother (1996: 105) zitiert eine spanische Quelle, derzufolge die sephardischen Gemeinden des spanischen Protektorats Ende Juli 1936 eine Million französische Francs für die Aufständischen gespendet hätten. Lisbona hält (1993: 69) im übrigen enge Kontakte zwischen Franco und den nordafrikanischen Sepharden für sehr wahrscheinlich: „No se puede olvidar que Franco es uno de los más prestigiosos militares españoles en Marruecos. Desde su etapa de cadete, en 1912, hasta 1936 desarrolla casi toda su carrera en Africa. [...] Durante todo ese tiempo Franco conoce a la importante colonia judía - unos catorce mil personas - que habita en la zona norte. Y cuando necesitó su ayuda, no dudó en solicitársela."

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Kaum weniger aufschlußreich für die Haltung zur Judenfrage ist das Verhalten der Franco-Diplomaten. Viele von ihnen waren, in schroffem Kontrast zu der später verbreiteten Legende, eingefleischte Judenhasser. So schrieb der national-spanische Vertreter in Istanbul im August 1938 (Rother 1999: 116) von einer „verwirrten Menge mit gekrümmten Rücken, zitternden Händen, Hakennasen und schrägen Blicken" - gemeint waren natürlich Juden, deren Behandlung, so seine Ansicht, man am besten einem „Reptilienfachmann" überlassen solle. Eine ähnliche Prosa (ebd.) pflegte der Bukarester Vertreter Franco-Spaniens: Wegen „seines zerstörerischen Geistes und seiner Habgier" sei die Verfolgung des jüdischen Volkes völlig gerechtfertigt, seine Einreise nach Spanien, von den ,Roten' offen propagiert, komme einer „Schädlingsplage" gleich. Wie diese Beispiele zeigen, so Rother, „war offener Antisemitismus im spanischen diplomatischen Dienst durchaus verbreitet." Und der hatte natürlich, nebst innenpolitischer Faktoren, Auswirkungen auf die praktische Judenpolitik der Regierung in Burgos. Diese protestierte zwar (ebd.: 119) gegen die Diskriminierung spanischer Juden im Ausland, aber nur aus Gründen nationaler Souveränität von humanitären oder philosephardischen Motiven keine Spur. Dem entsprach (ebd.: 121) ihr wichtigstes Ziel: Die Einwanderung von Juden um jeden Preis zu verhindern. Nach dem Ende des Bürgerkrieges wurde die Einreise von Juden per Erlaß definitiv geregelt: Juden, so hieß es (ebd.: 117), durften nur dann einreisen, wenn sie besonders freundschaftliche Beziehungen zu Spanien unterhielten und ihre Unterstützung der „Nationalen Bewegung" nachweisen konnten. Welche Rolle spielten die Juden in den Jahren des Bürgerkrieges auf republikanischer Seite? Die überwältigende Mehrheit der in- und außerhalb Spaniens lebenden Juden hegte offensichtlich (Marquina/Ospina 1987: 138) Sympathien fiir die Republik. Die überproportional hohe Zahl jüdischer Kombattanten in den Internationalen Brigaden (Lustiger 1989: 22) ist dafür unter anderem ein Indiz. Dennoch hatten die in Spanien lebenden Juden, so Aronsfeld (1979: 45), im republikanischen Machtbereich zu leiden - „not indeed as Jews but as members of a well-to-do middle class which found no favour in the eyes of a left-wing regime that made property ,the object of expropriation for social Utility'". Auch die wenigen Synagogen gerieten in den ersten Wochen ins Visier der Revolutionäre, wenn auch eher als Ableger der antikatholischen Verve. In Barcelona drangen Mitglieder von CNT und POUM in die dortige Synagoge ein (Lisbona 1993: 83), richteten aber keine Schäden an. In den folgenden Monaten scheint sich das Verhältnis zwischen Juden und Revolutionären aber entspannt zu haben. So konnte die jüdische Gemeinde von Barcelona im März 1937 ungehindert das

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Purim-Fest feiern. Und einen Monat später, so Lisbona (ebd.: 85), „se da el paradójico caso de que un judío anarquista fue a rezar, rifle en mano, en uno de los días de fiesta." Die letzten religiösen Akte der dortigen Judengemeinde fanden im Dezember 1938 statt: Im Mittelpunkt der Bittgebete (ebd.: 87) standen die deutschen Juden, deren Verfolgung mit der „Reichskristallnacht" wenige Wochen zuvor in eine neue Phase getreten war. Nur zwei Monate später (ebd.: 69), mit dem Einmarsch der Franco-Truppen in Barcelona, wird auch die Synagoge in der Provenza-Straße von organisierten Falangisten gestürmt und geplündert. Die Archive, die reichhaltige Bibliothek und die sakralen Gegenstände werden gestohlen. Weniger dramatisch war die Situation in Madrid, aber wohl vor allem deshalb, weil der größte Teil (ebd.: 83 f.) der dortigen Gemeinde gegen Ende 1936 die umkämpfte Hauptstadt bereits verlassen hatte. Kurz vor dem Einmarsch der Franco-Truppen verließen die letzten Gemeindemitglieder die Stadt. Die sakralen Gegenstände, so ihr Wille, sollten in „Sefarad" bleiben, bis erneut „Zeiten des Friedens und der Toleranz" begännen. 11 Solche Zeiten hatte es unter der republikanischen Regierung im großen und ganzen wohl gegeben - auch nach Einschätzung von Ignacio Bauer (ebd.: 84), dem Präsidenten der Comunidad Israelita de Madrid. Er befand sich bei Ausbruch des Bürgerkrieges in Genf und nahm am dortigen Jüdischen Weltkongreß teil. Seine dortige Ansprache (ebd.: 84 f.) sei mit großem Applaus bedacht worden: „En mi condición de presidente de la Comunidad Israelita de Madrid y de su comité sionista manifiesto a todos los aquí presentes, que el gobierno de la República Española tiene el firme deseo y su firme voluntad de proteger no sólo a los judíos españoles, sino también a todos los judíos refugiados en España. ¡Judíos del mundo entero, podéis tener confianza en las decisiones del gobierno de la República Española!" Wie diese Rede illustriert, hatten sich mittlerweile auch fuhrende Repräsentanten der jüdischen Gemeinden in Spanien von der philosephardischen Rhetorik anstecken lassen. Diese Rhetorik, eine Konstante der Vorbürgerkriegszeit, fand auch unter den politischen Führern der republikanischen Zone prominente Nachahmer. Etwa den anarchistischen Justizminister Garcia Oliver (Aronsfeld 1979: 46), der in einem Interview von der Möglichkeit sprach, „zwanzig Millionen" (!) jüdischer Einwanderer aufzunehmen, an erster Stelle natürlich Sepharden. Auch die alten Illusionen, die südosteuropäischen Sepharden für "

Ende der 40er Jahre sollte die Franco-Propaganda die Lüge verbreiten (ebd.: 83), die Madrider Synagoge wäre von Kommunisten „während der roten Herrschaft" über die Stadt geplündert worden.

Das Thema boomt noch immer Spanien zu gewinnen, erlebten eine Neuauflage. Diesmal war es der republikanische Konsul in Saloniki, Máximo José Kahn, der, mit Billigung und Rückendeckung aus Regierungskreisen (Marquina/Ospina 1987: 138 f.), eine philosephardische Initiative startete - „en vista del papel importante que habrían de jugar los judíos de origen español (sefarditas) de Oriente en la reedificación de España". Der „Aktionsplan", den Kahn seinen Madrider Vorgesetzten unterbreitete, bot nichts nennenswert Neues: Mit Hilfe ausgewählter sephardischer Intellektueller, die als „delegados culturales" fungieren sollten, strebte er eine stärkere sprachlich-kulturelle Präsenz Spaniens an; folgen sollten, wie üblich, kommerzielle und finanzielle Aktivitäten: „El plan, considerado interesante", schreiben Marquina/Ospina (ebd.: 139), „estuvo entre los papeles del subsecretario Esplá, hasta su cese, siendo archivado, al cesar en el cargo, con fecha de abril de 1938." Außer ein paar Bücherlieferungen an die Adresse sephardischer Schulen und Bibliotheken geschah indessen nichts. Im Unterschied zu der dominanten Judenhetze im Franco-Lager demonstrierten die politischen Repräsentanten der republikanischen Zone damit immerhin Sympathien für die Juden - im politischen Klima Europas der späten 30er Jahre wohl eine bemerkenswerte Ausnahme. So unterstützte die republikanische Regierung die Teilnahme jüdisch-spanischer Delegierter am Sephardischen Weltkongreß (ebd.: 139 f.), der im Frühling 1938 in Amsterdam stattfand. Die beiden Kongreßteilnehmer, der Präsident der jüdischen Gemeinschaft von Barcelona, Grunebaum, und Coriat Bendaham, Professor für Talmudstudien am Hispanomarokkanischen Institut von Ceuta, hoben vor allem die „Normalität" des jüdischen Gemeindelebens in Barcelona hervor und stellten eine Reihe kultureller Aktivitäten vor, die mit Unterstützung der Regierung demnächst in Angriff genommen werden sollten. Doch dafür war die Zeit schon abgelaufen.

3. Der Estado Nuevo, die iberische Fluchtroute und die Geburtsstunde des institutionellen Philosephardismus: Die Zeit des Zweiten Weltkriegs Wenn es stimmt, daß die marokkanischen Sepharden den „triumphalen Marsch" Francos nach Spanien mitfinanzierten, dann hatten sie ihren Glaubensbrüdern, die nach dem Ende des Bürgerkrieges noch in Spanien lebten, offenkundig einen fatalen Bärendienst erwiesen: Die Franco-Regierung weigerte sich zwar auch weiterhin, antisemitische Gesetze zu erlassen (Bei Bravo 1992: 279 f.), durch die Hauptstadt defilierten nun aber siegestrunkene Falangegruppen, die antisemi-

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tische Parolen grölten und damit die Toleranz-Rhetorik Francos, häufig unter Berufung auf die trikulturelle Geschichte des Landes, lauthals falsifizierten. Als auch bekannte Nazigrößen in Madrid auftauchten, unter ihnen Heinrich Himmler, und der obskure Mummenschanz nazifaschistischer Rituale die Straßenszenerie beherrschte, mußten die Juden das Schlimmste befürchten. So war es kein Wunder, daß unter den nordamerikanischen Juden Gerüchte entstanden, Spanien wolle alle nach 1931 ins Land gekommenen Juden ausweisen. Einer der Führer der jüdischen Gemeinschaft Lissabons wurde deshalb beauftragt, den Gerüchten nachzugehen. Sein Bericht (Avni 1982: 69 f.), nach einer Reise durch Marokko und Spanien verfaßt, spricht in der Tat von schweren Diskriminierungen und antisemitischer Propaganda, die von keinem Geringeren als Ramón Serrano Suñer, Ministro de la Gobernación

und Schwiegersohn des Caudillo, geschürt

würden. Hinweise auf eine bevorstehende Ausweisung der Juden gebe es aber nicht. Dennoch glich der rechtliche Status der in Spanien gebliebenen Juden mit den Worten Avnis (ebd.: 68) einem „legal limbo": Das Franco-Regime hatte die Verfassung von 1931 außer Kraft gesetzt, irgendwelche Bestimmungen, die das Verhältnis des katholischen Estado Nuevo zu Bürgern anderen Glaubens regelte, gab es nicht, die Reste des jüdischen Lebens wurden in den Untergrund gedrängt. Aus Angst vor Verfolgung konvertierten zwanzig der rund zwei Dutzend aschkenasischen Judenfamilien, die in Madrid geblieben waren. Trotzdem waren die deutschen Bündnisgenossen des frischgekührten Caudillo mit dessen Judenpolitik mitnichten zufrieden. Nicht nur weil sich Franco offenkundig weigerte, die Nürnberger Gesetze zu importieren - es war vor allem die alte Dichotomie, ,,[the] distinction between Sephardic and Aschkenazic Jews, exalting the former and denigrating the latter" (ebd.: 71), die den Nazis Kopfzerbrechen bereitete. Dieser „Mangel an ideologischer Konsistenz" fiel etwa dem deutschen Botschafter in Madrid, Eberhard von Stuhrer, im November 1941 unangenehm auf. In den zurückliegenden zwei Jahren, schrieb er (ebd.) nach Berlin, sei das Jüdische Problem" zwar als Folge des deutschen Einflusses in Presse und Literatur als ebensolches dargestellt worden, die Ergebnisse seien jedoch sehr bescheiden: „im Ganzen gesehen, hat sich die Einstellung der Spanier nur wenig verändert". Eine Ursache verortete er im spezifischen Verhältnis des Franco-Regimes zu den Sepharden. Es sollte indes noch ,schlimmer' kommen: Spanien erwies sich, trotz des „antisemitischen Abrakadabra", wie Aronsfeld (1979: 47) die herrschende Propaganda etwas verharmlosend charakterisiert, als Fluchtroute für Tausende euro-

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päischer Juden. Die Zahlen, die in der einschlägigen Literatur genannt werden, sind jedoch kaum geeignet, die ,Judenretter-These' zu untermauern, die das Franco-Regime Ende der 40er Jahre lancierte, noch weniger die Umstände, unter denen die meisten Juden die Pyrenäen überquerten. Nach Angaben des Joint Distribution Committee (Bel Bravo 1992: 281) bot Spanien während des Ersten Weltkrieges zwischen 53 000 und 63 000 jüdischen Flüchtlingen ein Refugium, hauptsächlich als Durchgangsland. Diese Zahlen halten Marquina/Ospina (1987: 76), die bis dato unerforschte Akten ausgewertet haben, fur maßlos übertrieben. Ihnen zufolge konnten sich lediglich 11 535 Juden via Spanien retten: Rund 7 500 erreichten die spanische Grenze auf eigene Faust, 3 235 genossen verschiedene Formen von diplomatischem Schutz, etwa 800 Personen besaßen gültige spanische Ausweispapiere. Eine mittlere Position nimmt Avni (1982: 91) ein. Zwar hält auch er die Angaben des Joint Distribution Committee fur „highly inflated", veranschlagt die Zahl der jüdischen Flüchtlinge, die sich bis Ende 1942 via Spanien retten konnten, aber wesentlich höher: „30 000 Jews were saved by their passage through Spain." Es sind jedoch vor allem die Umstände, unter denen die meisten Juden die iberische Fluchtroute einschlugen, die der Judenretterpropaganda häßliche Blessuren versetzten. Viele von denen, die die Grenze ohne gültige Papiere erreichten, wurden zwar ins Land gelassen, sie mußten die Grenzbehörden aber zumeist mit erheblichen Summen (Aronsfeld 1979: 47) bestechen. Ein großer Teil, Aronsfeld spricht von 12 000, wurde anschließend in einem Lager bei Miranda de Ebro interniert, „[a] camp where conditions were extremely harsh". Jüdische Hilfsorganisationen wurden nicht geduldet. Nicht selten (Avni 1982: 180) wurden die illegal eingereisten Flüchtlinge sogar wieder zur Grenze zurückgebracht - und damit in den wahrscheinlichen Tod geschickt.12 Die häßlichen Kratzer, die das Judenretter-Image durch das Verhalten der Behörden bekam, wurden allerdings durch die Einstellung der Bevölkerung in Teilen wieder wettgemacht: „Evidence shows, however", berichtet Avni (ebd.), „that the attitude of the common people - guards and police and the majority of Spaniards with whom Jewish refugees came into contact - was sympathetic and warm. In their eyes, the satanic image attached to the word ,Jew' did not represent the people of flesh and blood who, suffering and presented, stood bevor them and admitted they were Jews." 12

Die Opfer der frankistischen Willkür waren vor allem jene, die Spanien nicht - wie die große Mehrheit - als Fluchtroute nach Portugal durchquerten, sondern diejenigen, die zu bleiben versuchten.

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Das Thema boomt noch immer Wenn das praktische Verhalten der spanischen Behörden in jenen Jahren, in

denen es um Leben und Tod ging, ein „Barometer" (ebd.: 92) für ihre wirkliche Einstellung zu den Juden war, dann muß auch eine andere Behauptung im Rahmen der Judenretterthese, die bis in die jüngste Vergangenheit hinein (Rehrmann 1998) kolportiert worden ist, mit äußerster Vorsicht betrachtet werden: die selbstlose Hilfe der frankistischen Diplomaten in Südosteuropa. Viele von ihnen waren, wie weiter oben deutlich wurde, eingefleischte Antisemiten. Ihr zuweilen obsessiver Judenhaß dürfte durch die jüdischen Sympathien für die republikanische Seite im Bürgerkrieg eher noch zugenommen haben. Von ihnen war folglich nicht viel zu erwarten. Dennoch haben sich spanische Diplomaten, vor allem in Sofia, Athen und Budapest, für die Rettung verfolgter Juden eingesetzt: „In contrast to this reluctance on the part of the Spanish Foreign Ministry", ruft Avni (1982: 182) deren menschliches und mutiges Engagement in Erinnerung, „many of its representatives in various countries showed initiative and determination." Was diese Diplomaten auch immer bewogen hat, den „Spaniern ohne Vaterland" zu helfen: Sie gehören auf jeden Fall zu den wenigen, die die feierlichen Sonntagsreden der Philosepharden in der Stunde höchster Gefahr beim Wort genommen haben. Aus Madrid konnten sie jedenfalls nicht mit Rückendeckung rechnen: Zu keinem Zeitpunkt war die Franco-Regierung bereit, auch nur allen verfolgten Sepharden Schutz zu gewähren (von den sonstigen Juden ganz zu schweigen). Sephardische Juden mit voller spanischer Staatsangehörigkeit

und

selbst

„Schutzgenossen", die sich in der Folge des Dekrets von 1924 hatten registrieren lassen, erhielten in den ersten Kriegsjahren zwar spanischen Beistand, aber wohl nur deshalb, weil ihr Vermögen, etwa in Frankreich 1940/41, beschlagnahmt werden sollte: „Besonders besorgt war Spanien", so Rother (1999: 109), „daß bei etwaigen Enteignungen spanischer Juden deren Besitz nicht an Deutschland oder Frankreich fiel, sondern Spanien zugute kam". Ging es dabei ,nur' um den Schutz sephardischer Juden im Ausland, sah sich die Franco-Regierung durch das deutsche Repatriierungsultimatum von Anfang 1943 mit einem anderen, noch gravierenderen Problem konfrontiert: Nun stand man in Madrid vor der Wahl, entweder ,seine' Juden aus dem Machtbereich der Nazis zurückzuziehen oder stillschweigend ihre Deportation zu dulden. Da man es kategorisch ablehnte, die verfolgten Juden ins Land zu lassen, eine völlige Untätigkeit aber geeignet war, das nationale Prestige zu verletzen, entschied man sich fürs Lavieren: Die betroffenen Juden sollten in Drittländer, etwa in die Türkei oder in überseeische Länder, ausreisen dürfen. Das lehnte jedoch, wie vorauszusehen

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war, die Naziregierung rundweg ab. Das unwürdige Schachern nahm schließlich dadurch ein Ende, daß Spanien sich bereit erklärte, solchen Juden eine Einreisebewilligung zu erteilen, die gültige Ausweispapiere besaßen. Ehemalige „Schutzgenossen" blieben davon ausgeschlossen, ebenso all diejenigen, die die Anforderungen des Dekrets von 1924 nicht buchstabengetreu erfüllt hatten. Außerdem durften die Repatriierten nicht in Spanien bleiben, das Land sollte nur als Durchgangsstation zur Weiterreise in Drittländer dienen. Ein Rotationsverfahren sorgte dafür, daß neue Gruppen verfolgter Juden nur dann einreisen durften, wenn ihre Vorgänger das Land bereits verlassen hatten. Ob es nur die damit zusammenhängenden Verzögerungen waren oder bewußtes Kalkül: Jedenfalls konnten 365 spanische Juden nur nach einem Zwischenaufenthalt in einem separaten Teil von Bergen-Belsen die Pyrenäen überqueren (Marquina/Ospina 1987: 205), 155 Athener Juden blieben dort sogar bis zum Ende der Naziherrschaft. Wahrlich kein Ruhmesblatt in der Geschichte des

frankistischen

,Philosephardismus'! Deshalb hat Avni (1982: 179) uneingeschränkt recht, wenn er „fact and fantasy" in der frankistischen Judenretter-Politik akribisch voneinander trennt und schließlich (ebd.: 198) bilanziert: „Was it really the noble and idealistic ,Don Quixote Faces Hitler' 13 ? In the matter of the rescue of Jews, was the Spanish government an altruistic, innocent knight fighting chivalrously against evil? The present study has shown that this was not the case." Das gilt auch für das Schicksal der rund 2 500 Juden, die sich in spanischen Konsulaten in Frankreich eingeschrieben hatten: Nur ein Fünftel von ihnen erhielt eine Repatriierungsofferte aus Madrid. Der bittere Kommentar aus der Feder eines jüdischen Beobachters (Aronsfeld 1979: 51) ist deshalb sehr verständlich: „The .Spaniards without a Homeland'", so die Anspielung auf das berühmte Buch von Angel Pulido, „were condammed to go on living - or die outside the .homeland'." Auch diejenigen, die ins Land gelassen wurden und damit ihr Leben retten konnten, fühlten sich keineswegs willkommen: „A kind of economic inquisition", zitiert Aronsfeld die Stimme eines Betroffenen, „had been putting slow but strong pressure on them to abandon Judaism and to lose their identy completly, but even at the price of calculated total assimilation they were unable to exercise any trade other than that of paddler, and to avoid repeated nuisance sentences of short terms of imprisonment on flimsy pretexts."

13

Genau diesen Eindruck versuchte die Franco-Regierung in späteren Jahren (ebd.: 179) mehrmals zu erwecken - durchaus mit Erfolg!

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Das Thema boomt noch immer Dennoch waren es auch und gerade jüdische Stimmen, die der Judenretter-

propaganda des Frankismus - vielleicht ungewollt - Schützenhilfe leisteten. Bereits 1944 zählte die „World Jewish Congress War Emergency Conference" Franco-Spanien zu jenen Ländern (ebd.: 50), denen man für „the protection they offered under difficult conditions to the persecuted Jews" ausdrücklich dankte. Und Isaac Weismann, einer der Führer des „World Jewish Congress", lobte „the chivalrous attittude and Christian sentiments" der Franco-Regierung gegenüber den verfolgten Juden. Angesichts der traurigen Tatsache, daß Spanien zu den wenigen Fluchtrouten gehörte, die ihnen überhaupt offenstanden, wenn auch nur einen Spalt breit, sind diese Dankadressen wenigstens zum Teil verständlich. Weniger verständlich ist indessen, daß sie auch später noch häufig wiederholt wurden - ohne die erforderliche Kritik an der selektiven Einreisepraxis und der antisemitischen Propaganda, die nach dem Ende des Bürgerkrieges keineswegs abflaute. Im Dezember 1939 erschien eine spanische Neuauflage der Protokolle

der

Weisen von Zion (Aronsfeld 1979: 46) und andere Hetzschriften ähnlichen Kalibers. Im journalistischen ranking antisemitischer Niedertracht tat sich im selben Monat ein Autor von ABC besonders hervor (Pujol 1997: 32 ff.), der eine kommunistische Immigrantin, „esta judía roja de importación", mit antisemitischem Schmutz bewarf: „dispuesta a todos los crímenes y a todas las aberraciones, capaz de todas las hazañas", so die Ausfälle des ABC-Autors,

„menos la de

lavarse con frecuencia". Als typische Angehörige „de la raza israelita", d. h., „de su tribu hambrienta de buhoneros", sei „la fétida intrigante" eine wahre „serpiente con faldas", eine „vagabunda sin patria y sin Dios" und leide obendrein an einer ausgeprägten „patología sexual". Der Autor, so scheint es, schreibt sich von Zeile zu Zeile mehr in einen Zustand antisemitischer Rage hinein, deren blindwütiger Rassismus keine Grenzen kennt: Dieses „ser venenoso que ni siquiera es de nuestra sangre ni de nuestra raza", „esta inmunda aventurera" - „un bicho de esta ídole" verursacht ihm eine „profunda repulsión [...] una especie de repugnancia física". Wohlgemerkt: Die rassistischen Haßtiraden gelten in erster Linie der Jüdin, erst dann der Kommunistin. Als „virgen loca del comunismo" ist sie immerhin ein Mensch, als Jüdin ist sie lediglich ein Exponat „en la galería de monstruos", das der ABC-Autor,

wenn er nur könnte,

gern ausstellen würde - „encerrada de una jaula [...] entre las alimañas exóticas de la colección de fieras del Retiro". Die Bemerkung von Aronsfeld (1979: 51), daß der Antisemitismus auch noch nach dem Sieg der Franco-Truppen „stark" gewesen sei, klingt im Lichte obiger Zitate fast verharmlosend.

Das Thema boomt noch immer

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Auch wenn die rassistischen Katarakte des ^ßC-Autors nicht die Regel waren: Die antisemitische Aufrüstung der frankistischen Ideologie wurde, zumindest in ihrer frühen Phase, durchaus planmäßig vorangetrieben, nicht zuletzt im Bildungssektor. Besonders folgenreich war in diesem Sinne das „Ley de Bases" von September 1938, das u.a. Inhalt und Stellenwert des Geschichtsunterrichtes im Rahmen der Oberstufe regelte und bis 1953 gültig war. Die .Erfindung Spaniens', rund sechzig Jahre zuvor begonnen, wurde nun von ,unspanischen' Elementen bereinigt und erhielt ein durchweg national-katholisches Patent: „la historia fue utilizada por el régimen de Franco", schreibt Esther Martínez-Tórtola (1996: 14) in ihrer Untersuchung über La enseñanza historia en el primer bachillerato franquista

(1938-1953),

de la

„para que los espa-

ñoles se formaran una idea providencial de sí mismos y se apartaran de los pueblos que habían sucumbido a una modernidad perniciosa y satánica." Im Rahmen der hier untersuchten Thematik ist dabei vor allem zweierlei von Interesse: Die antijüdische, beziehungsweise antimaurische Stoßrichtung der frankistischen Schulbuch-Historiographie und die Tatsache, daß diese sich zu einem Gutteil auf ,alte Bekannte' berief (ebd.: 179 ff.), die bereits an der früheren ,Erfindung Spaniens' maßgeblich beteiligt waren: Vor allem Marcelino Menéndez y Pelayo und Ramiro de Maeztu. Deshalb verwundert es nicht, wenn die Reconquista als die Formationsepoche Spaniens zelebriert wird: „Refugiados en los montes Pirineos y Cantábricos", so eine stilistische Kostprobe (ebd.: 63), „todo el elemento Español formó un solo pueblo, el pueblo español, y un solo ideal: la Reconquista del suelo patrio." Die sichtbarste Inkarnation dieser Epoche ist, wie könnte es anders sein, die Cid-Gestalt (ebd.: 67), die all das verkörpert, was dem Nuevo Estado heilig ist: Mut, Treue, Glaube, Idealismus, Respekt vor den Traditionen und Wille zur Unabhängigkeit des Vaterlandes. Was der Cid begonnen hat, so der Tenor der untersuchten Schulbuchtexte (ebd.: 68), führten Ferdinand und Isabella zu einem guten Ende: „El tema del reinado de los Reyes Católicos es una constante en todos los cursos del bachillerato franquista."

Ebenso die damit verbundenen Themenaspekte: Inquisition, Er-

oberung Granadas und Vertreibung der Juden. Die Inquisition, so die Autorin (ebd.: 75), werde als Garantin „de la pureza de la fe y la unidad religiosa" fast durchweg gelobt und ihre Methoden als zeittypisch gerechtfertigt. Die Eroberung Granadas, der zweite Aspekt, wird als logischer und allseits gewünschter Schlußpunkt der Reconquista dargestellt. Das gleiche gelte (ebd.: 73) für die Vertreibung der Juden: „Llevar a cabo la unidad religiosa es muestra indiscutible para esta historiografía de que en España se ha producido la unidad, al menos la unidad de

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fe, mucho más valiosa que la política o territorial. Ello ha sido posible gracias a la Reconquista y a la expulsión de los judíos." Das, so die Autorin, sei die dominante Position der Schulbuchautoren gewesen. Nennenswerte Unterschiede gebe es lediglich in der Begründung des Judenhasses. Die einen führten religiöse Motive ins Feld, die anderen beriefen sich auf ökonomische Gründe: Reichtum, Wucher ... Noch 1946, als Franco-Spanien längst bemüht war, das Stigma politischer Wahlverwandtschaft mit Hitler-Deutschland loszuwerden, lasen (ebd.: 74) spanische Oberschüler in einem soeben erschienenen Manual de Historia Universal über das Ausweisungsedikt von 1492: „La prudencia de esta determinación real no la comprenderá quien desconozca el carácter judío, su actuación hipócrita y sus tendencias sociales, que tantas veces han llevado a España a la ruina. El mundo nos da ahora por fin la razón y, después de cuatro siglos, los políticos adoptan el consejo de nuestros Católicos Soberanos, expulsando de sus territorios a esta raza peligrosísima". Ein ziemlich getreues Echo jener Parolen, die García Morente (Tufión de Lara 1968: 106) drei Jahre zuvor ausgegeben hatte: „no se puede ser español y no ser católico, porque si no se es católico, no se es español. Quien dice ser español y no ser católico no sabe lo que dice". Dennoch sollte die erzkatholische Hardliner-Front unter den SchulbuchHistorikern allmählich brüchig werden, vor allem bei der Beurteilung der ökonomischen Dimension der Judenvertreibung. Hauptsächlich hier sei im Laufe der Jahre, schreibt Martínez-Tórtola (1996: 73), eine „gewisse Entwicklung" in der Argumentationsweise festzustellen - eine, die in der Vertreibung der Juden eine zentrale Ursache der spanischen Dekadenz am Werke sieht: „Decimos [...] de la expulsión de los judíos", so ein Autor in den späten 40er Jahren: „Por humanidad y en especial por error económico debe considerarse como una medida desacertada." Der „eingeschränkte Pluralismus" (Bernecker 1984: 76), der dem FrancoRegime stets eigen war, scheint sich hier genauso zu artikulieren wie der Wunsch, die politische Folklore der Falange durch eine zeitgerechtere Draperie zu ersetzen. Das machte sich, wenn auch langsamen Schrittes, mit Blick auf die Inquisition bemerkbar: „En manos de Fernando", lautete nun (Martínez Tórtola 1996: 76) eine geläuterte Sicht des institutionellen Herzstücks der spanischen Einheit, „la Inquisición fue un instrumento político y un medio de gobierno. El resultado de ella fue matar, prender o alejar a todo el que no profesaba las creencias de la Corona y a todo elemento extranjero como judíos y moriscos." Trotz der Ansicht, daß es sich bei den vertriebenen Minderheiten um „ausländische Elemente" gehandelt habe: eine bemerkenswerte Entwicklung in historischen Grundsatzfragen.

Das Thema boomt noch immer

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Diese Entwicklung erhält noch stärkere Konturen, wenn man sie mit anderen Sektoren des Franco-Regimes kontrastiert. So warnte Radio Falange noch Ende 1944 davor (Aronsfeld 1979: 51 f.), die Jüdische Gefahr" als Hirngespinst abzutun. Zusammen mit dem Kommunismus sei das internationale Judentum noch immer darauf aus, die christliche Welt zu zerstören. Nichts sei deshalb dringender, als den Kampf gegen diese doppelköpfige Hydra fortzusetzen. Zur selben Zeit veröffentlichte ein eher unbekannter Autor, der Universitätsprofessor Vicente Risco (ebd.), eine Historia de los judios,

die dank einer breiten An-

zeigenkampagne große Beachtung fand. Die Protokolle

der Weisen von Zion

galten dem Professor als oberste Autorität bei der Beurteilung der Judenfrage, die jüdische Weltverschwörung demnach als ausgemachte Sache - antisemitische Dutzendware, insofern kaum der Rede wert. Bemerkenswert ist jedoch die Reaktion eines anderen Professors, Francisco Cantera Burgos, der das Buch, so Aronsfeld, einer „vernichtenden Kritik" unterzog: Er empfand bei der Lektüre des antisemitischen Machwerks „Gefühle von Schmerz und Entwürdigung", das Buch sei eine „grobe Beleidigung Spaniens", es ziele darauf ab, „Spaniens Ansehen zu beschädigen". Bemerkenswert ist ferner, daß diese Kritik in der Zeitschrift eines Instituts erschien, das der Regierung unterstand und unter deren Auspizium bereits 1940 gegründet worden war: Das Instituto Benito Arias Montano de Estudios Arabes y y Hebraicos. Die Zeitschrift des Instituts, dessen damaliger Kodirektor die zitierte Kritik verfaßte, heißt Sefarad, und der Titel war Programm: Zu den Aufgaben des Instituts gehörte es unter anderem, die jüdischen Traditionen der Halbinsel zu erforschen und bekanntzumachen. Die Geburtsstunde des institutionellen Philosephardismus der Franco-Ära fällt damit in eine ziemlich dunkle Zeit. Die ,Erfolgsstory', die ihm dennoch beschieden war, ließ zwar noch Jahre auf sich warten, der Grundstein war indes gelegt.

XII. Der Mythos verblaßt: Einige Söhne und Enkel der 98er

In seiner Darstellung der Generation von 1898 und der Generation von 1927 habe er deshalb auf formale Kapitelgrenzen verzichtet, schreibt Hans Ulrich Gumbrecht in seiner Geschichte der spanischen Literatur (1990: 844), um die These zu unterstreichen, „daß der in Spanien um die Jahrhundertwende dominierende intellektuelle Diskurs die Dimensionen der Diskussion und die Möglichkeiten kultureller Produktion bis hin zum Bürgerkrieg vorgab und absteckte". Mit Blick auf die hier untersuchte Thematik stimmt diese These nur sehr eingeschränkt: Obwohl nicht zu übersehen ist, daß einige namhafte ,Söhne' und ,Enkel' der 98er, die im folgenden untersucht werden, der kulturhistorischen Ideenwelt ihrer ,Väter' und .Großväter' nicht allzu fern standen, läßt sich doch, und das bereits vor dem Bürgerkrieg, von einem deutlichen Abnabelungsprozeß sprechen - zumindest was Juden und Mauren in ihren Werken betrifft. Wenngleich das folgende Kapitel nur einige wenige, wenn auch besonders exponierte Namen versammelt, ist doch unübersehbar: Der historische Spanienmythos der 98er, der den beiden kulturellen Minderheiten, vor allem den Juden, nur ein sehr eingeschränktes Wohnrecht im Gebäude der Hispanidad einräumte - wenn überhaupt - , beginnt in den Reihen der 27er allmählich zu verblassen. Die Gründe, die im Werk der hier untersuchten Autoren1 zu einer deutlichen Akzeptanz (die in einigen Fällen geradezu spektakulär ausfällt) von Juden und Mauren gefuhrt haben, sind zwar vielschichtig, zum Teil wohl auch sehr persönlich motiviert; einige allgemeine Aussagen lassen sich indessen machen. Einer der Gründe dürfte - selbstredend - in der Tatsache zu suchen sein, daß die 27er 1

Die getroffene Auswahl muß angesichts der großen Zahl in Frage kommender Autoren sicher etwas willkürlich erscheinen. Für die hier präsentierten Autoren spricht u. a.: Das philosophisch-essayistische Werk von José Ortega y Gasset, vor allem seine Spanientheorien, hat einen kaum zu unterschätzenden Einfluß auf die zeitgenössischen Diskurse, auch und gerade auf die 27er gehabt: „La influencia de Ortega en la juventud creadora", schreibt Diez de Revenga (1988: 35), „füe grande, muy grande, a pesar de que ninguno de estos poetas llegó a suscribir plenamente sus teorías". Das gilt zwar nicht für Salvador de Madariaga; wie Ortega y Gasset hat er jedoch wie kaum ein anderer das Spanienbild des Exils und das europäische Spanienbild nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt - seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die restlichen vier Autoren - Federico García Lorca, Jorge Guillén, Dámaso Alonso und Rafael Alberti - zählen zu den bekanntesten Namen der 27er Generation, der letzten Literaturgeneration vor dem Bürgerkrieg. Zu ihr gehörten zwar noch weitere illustre Namen - aus Zeit und Platzgründen muß die Untersuchung ihrer Werke jedoch zukünftigen Untersuchungen vorbehalten bleiben.

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ein kulturhistorisches Terrain vorfanden, das bereits in erheblichen Teilen bestellt war: Die Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre, etwa über die Inquisition, Religionsfreiheit und die .Rückkehr der Juden', waren nicht folgenlos geblieben. Darüber hinaus haben sich die Nachfolger der 98er vom Spaniensyndrom ihrer , Väter und Großväter' deutlich distanziert: „aunque tienen conciencia histórica y les duele España como al que más", schreiben González Muela/Rozas (1986: 14), „no consideraron en su juventud esos sentimientos como el tema urgente de su poesía." Deshalb ist es kein Zufall, daß ihnen die Kastilienmystik eines Unamuno oder Machado „etwas abstrakt" (ebd: 15) anmutete. Und obwohl sich das Generationslabel der 27er aus der spanischen Geschichte speist - 1927 war das dreihundertste Todesjahr des Barockdichters Luis de Góngora - , hat für sie die alte Dichotomie „Spanien-Europa" an Bedeutung eingebüßt: Sie fühlten sich nicht nur als Europäer, schreibt Diez de Revenga (1988: 34), sondern als „Weltbürger". Ihr „Kosmopolitismus" (ebd: 38) dürfte auch dadurch beflügelt worden sein, daß ihr .Bildungspolster' ungewöhnlich dick war, auch und gerade (González Muela/Rozas 1986:13) formal: „casi todos fueron [...] profesores de Instituto o de Universidad, críticos o eruditos a la vez que creadores". Das schloß freilich nicht aus, daß sich namhafte 27er auch und gerade durch volkstümliche Quellen inspirieren ließen - für das hier untersuchte Thema von ganz besonderer Relevanz. Die Arbeiten zum Cancionero, etwa aus der Feder von Menéndez Pidal, spielten dabei eine zentrale Rolle. Das zeigt auch die folgende (ebd.: 18) Anekdote: „Rafael Alberti se enorgullecía de haber dedicado el dinero de un premio literario a la compra de un ejemplar de un Cancionero". Damit waren jedoch, und das Beispiel Albertis ist dafür besonders illustrativ, ernste Probleme verbunden: Der „popularismo culto", den die Beschäftigung mit den traditionellen Quellen hervorbrachte, mag zwar ästhetisch innovativ gewesen sein, er tradierte jedoch zugleich eine Reihe historischer Stereotypen, die, etwa im Falle des frühen Alberti, noch hinter die Mittelalterklischees der Romantik zurückfielen, zumindest mit Blick auf die Mauren. Der mit Abstand wichtigste Grund, der einen erheblichen Teil der Söhne und Enkel der 98er auf Distanz zur national-katholischen Geschichte ihres Landes brachte, dürfte schließlich in der Erfahrung des Exils zu suchen sein. Deshalb hat Dámaso Alonso, der diese Erfahrung indessen nicht gemacht hat, sicher Recht, wenn er (Diez de Revenga 1988: 26) von den 27ern als einer Generation von „1920-1936" spricht. Die Kommunikation, auch die freundschaftlichen Beziehungen, rissen zwar nicht ab; der „universalismo cultural" (ebd.: 17) derjenigen, die sich für die „España peregrina" entschieden, entscheiden mußten, wurde

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durch das Exil zweifellos befördert - sicher auch mit Blick auf die hier untersuchte Thematik.2

1. Judenklischees, moderate Maurophilie und Reconquista-Kritik: José Ortega y Gasset Trotz aller Widersprüche und Ambivalenzen, die Ortegas (1883-1955) Äußerungen zur Geschichte (seien sie allgemeiner Natur oder auf Spanien bezogen) charakterisieren, heben sie sich doch überwiegend wohltuend von den historischen Standardmythen vieler seiner Zeitgenossen ab. Sein partiell kritischer Blick auf die Geschichte - letztere ist auch in seinem Fall für das Juden- und Maurenbild von zentraler Bedeutung - schützt ihn zwar nicht vor groben Juden-Klischees, stellt aber einige Legenden der nationalen' Formationsepoche in Frage und wird der maurisch-islamischen Kultur zumindest in Teilen gerecht. Auffallend ist zunächst, daß Ortegas Äußerungen zur Geschichte über die Jahrzehnte hinweg relativ geringe Schwankungen aufweisen. Dazu gehört die Grundüberzeugung, die Gegenwartsbedeutung der Geschichte nicht zu überschätzen: „AI defender la nación", lautet seine Devise (1984: 192), der er (fast3) durchweg treu geblieben ist, „defendemos nuestro mañana, no nuestro ayer." Fast gleichlautend heißt es in España invertebrada (1988: 34): „No es el ayer, el pretérito, el haber tradicional, lo decisivo para que una nación exista. [...] Las naciones se forman y viven de tener un programa para mañana." Seine mehr als einmal formulierte Warnung (1984a: 173) vor „la superstición del pasado" muß genauso ernst genommen werden wie das folgende Postulat, das ihn aus der Sicht verklärender Geschichtsrhetoriker verständlicherweise suspekt erscheinen ließ: „La historia de una nación no es sólo la de su periodo formativo y ascendente", schrieb er (1988: 31) an die Adresse der nostalgischen Glorien-Historiker, „es también la historia de su decadencia." Die „Dekadenz" bzw. „Desintegration" Spaniens beginne (1988: 45) während der Regierungszeit von Felipe II. Das zwanzigste Jahr seiner Regentschaft markiere eine tiefgreifende Zäsur: Zumindest im Falle von Guillén und Alberti scheint dieser Zusammenhang, was die Judenthematik betrifft, evident zu sein. Ansonsten hat sich das Geschichtsbild der Exilautoren, vor allem ihr historisches und zeitgenössisches Amerikabild (Rehrmann 1996), erheblich weniger ,modernisiert'. Die folgende Aufforderung (1988a) stellt eher eine Ausnahme dar: „es conveniente volver de cuando en cuando una larga mirada hacia la profunda alameda del pasado: en ella aprendemos los verdaderos valores - no en el mercado del día".

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„Hasta su cima la historia de España es ascendente y acumulativa; desde ella hacia nosotros, la historia de España es decadente y dispersiva." Zu den Elementen eines „dynamischen Systems" (1988: 31) der Geschichte gehört darüber hinaus das Bestreben, nationale Stereotypen zu vermeiden: „el Instituto de Humanidades", schreibt er (1984: 308) in seiner Auseinandersetzung mit Toynbee über Universalgeschichte, „preferiría no hablar nunca en general de un pueblo o nación [...] sin mostrar antes con suficiente rigor por qué procedimiento se llega a esas generalizaciones y, por tanto, qué sentido tienen y pretenden". Und noch ein Aspekt unterscheidet den spanischen Hegelepigonen von den casi/c/sta-Interpreten, wie sie vor allem die 98er Generation hervorgebracht hatte: Für Ortega gibt es (fast) keine „roca viva" der Geschichte, keinen historischen Urgrund, der für Unamuno nationale Homogenität verbürgte. Im Gegenteil: „Originariamente, el Estado consiste en la mezcla de sangres y lenguas. Es superación", schrieb er (1984: 176), „de toda sociedad natural. Es mestizo y plurilingüe." Ketzerische Ansichten für all jene, die nationale Genealogien auf monolineare Abstammungsmythen zurechtstutzten. Ortegas allgemeine Ansichten zur Geschichte, wie sie hier nur knapp skizziert wurden, decken sich weitgehend mit seinen Spanieninterpretationen: Auch sie, wiewohl nicht völlig frei von Widersprüchen und Stereotypen, lassen sich doch als frische Brise begreifen, die die stickige Atmosphäre des verstaubten Hispanidad-Gebäudes lüftete. Und auch sie, genauso wie die allgemeinen Äußerungen zur Geschichte, weisen über die Jahrzehnte hinweg kaum nennenswerte Schwankungen auf. Dabei bezog sich Ortegas Hauptkritik an der traditionalistischen Geschichtsschreibung auf die zahlreichen Varianten eines ewigen homus hispanicus, einer weiteren Version des quasi geschichtslosen Dauerspaniers, der, so die Legende, schon seit grauen Vorzeiten existierte. So gilt sein Spott (1984: 185) all jenen „Philologen", die sich mittlerweile für „Historiker" hielten und die der Ansicht seien, daß etwa der Cid Campeador bereits für nationale Ziele gekämpft hätte, für „una Spania desde Finisterre a Gibraltar. Estos filólogos - como el ingenuo dramaturgo - hacen casi siempre que sus héroes partan para la guerra de los Treinta Años." Um zu erklären, wie zum Beispiel Frankreich und Spanien entstanden seien, äußerten sie die Vermutung, daß diese Länder bereits lange vor ihrer Entstehung als Einheit in der französischen und spanischen Seele existiert hätten - eine absurde Vermutung, wie Ortega meint: „¡Como si existiesen franceses y españoles originariamente antes de que Francia y España existiesen! ¡Como si el francés y el español no fuesen, simplemente, cosas que hubo que forjar en dos mil años de faena!" Dem Spott über den prä-

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historischen Gründungsmythos ,Spaniens' folgt ein weiteres Sakrileg: Der fiktive Dauerspanier sei obendrein ein recht hybrides Gebilde. Die peninsulare Gemengelage erläutert Ortega (1984a: 170) anhand eines Vergleichs: „Dicen que toda la sangre puramente griega que queda hoy en el mundo, cabría en un vaso de vino. ¿Cuán difícil no será encontrar una gota de pura sangre helénica? Pues bien, yo creo que es mucho más difícil encontrar ni hoy ni en otro tiempo verdaderos españoles. De niguna especie existen acaso ejemplares menos numerosos." Ortegas „dynamisches System der Geschichte", das er selber so bezeichnete, steht neueren Interpretationen der Nationalgeschichte als retrospektiver Erfindung damit ziemlich nahe, auch explizit. Denn das, was Spanien genannt werde, schrieb er (1988a: 91) gleichsam in Vorwegnahme moderner Geschichtstheorien, sei eine „politische und historische Abstraktion". Dafür gebe es keine angemessenen Bilder, nur Symbole oder Allegorien, also geistige Konstruktionen: „Y, en consecuencia, puesto que es España una construcción mental nuestra, influimos nosotros en ella más que ella en nosotros." Besonders drastisch, ja nachgerade vernichtend fällt im übrigen seine Kritik an den Ergebnissen vieler geistiger Konstruktionen obiger Art aus. In seinen Betrachtungen über „El casticismo y lo castizo" im Werk von Azorín (1983: 11/187) bilanziert er polemisch: „Casi podría decirse que la mitad de los libros españoles publicados en los últimos siglos está dedicada a demostrar que la otra mitad es admirable. No a analizar, potenciar y aquilatar ésta, sino a ensalzarla. Historia y crítica no han salido hasta hace poco del género panegírico". Die ununterbrochene Tradition dieser Art von Geschichte ist für Ortega ein untrügliches Indiz für die prekäre Identität des Landes. Während andere Länder, er bezeichnet sie als „razas", damit zufrieden seien, eine „Personalität" zu haben, gehe es in Spanien darum, eine solche zu demonstrieren - entweder deshalb, weil man keine habe oder aus Angst, sie zu verlieren: „Es más que sospechosa esta obsesión de que vamos a perder nuestra peculiaridad. En la mujer histérica suele convertirse el afán mismo de perder la inocencia en una excesiva suspicacia e injustificada precaución." Polemische aber kaum übertriebene Sätze, mit denen Ortega seiner Zeit recht weit voraus war. Als Produkt seiner Zeit erweist er sich indessen dort (und diese Facetten seiner Ansichten zur spanischen Geschichte sind für sein Verhältnis zu den beiden Minderheiten, vor allem zu den Mauren, von zentraler Bedeutung), wo auch er (1984a: 172) von „la primaria sustancia de la raza, el módulo hispánico" spricht - Substanzen, die es zu erhalten gelte. Gleichzeitig warnt er davor, nur

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ein paar Zeilen vorher, in der Tradition („¡La tradición!") einen Leitstern für die Gegenwart zu sehen: „No, no podemos seguir la tradición." An anderer Stelle (1988a: 112) behauptet er gar: „estamos ligados en nuestras profundidades orgánicas a ese fondo de tendencias étnicas, imperativo biológico que rige inexorable nuestro destino." Handelt es sich bei diesem Gemisch aus „organischen Tiefen" und Traditionskritik lediglich um sekundäre Widersprüche, um unbedachte Äußerungen, die den Kern seiner historischen Betrachtungen nur marginal berühren? Der Schlüssel zum Verständnis dieser vermeintlichen Widersprüche liegt in Ortegas Aversion gegen „die Masse" - und die haben, was die Geschichte betrifft, ihre Wurzeln im peninsularen Mittelalter. „El secreto de los grandes problemas españoles", pointiert Ortega in España Invertebrada (1988: 105), „está en la Edad Media." Zunächst hat es den Anschein, daß er (ebd.: 40) in dieser Zeit - den gängigen Reconquista-Interpretationen durchaus verwandt - die Geburtsepoche Spaniens ansiedelt, zumindest dessen geistiges Ferment: „La continuada lucha fronteriza que mantienen los castellanos con la Media Luna, con otra civilización", heißt es in der üblichen Diktion, „permite a éstos descubrir su histórica afinidad con las demás Monarquías ibéricas, a despecho de las diferencias sensibles: rostro, acento, humor, paisaje. La ,España una' nace así en la mente de Castilla, no como una intuición de algo real - España no era, en realidad, una sino como un ideal esquema de algo realizable, un proyecto incitador de voluntades, un mañana imaginario capaz de disciplinar el hoy y de orientarlo, a la manera que el blanco atrae la flecha y tiende el arco." Die retrospektive Behauptung einer historischen Bestimmung, die trotz der gewundenen Metaphern aus diesen Zeilen herauszulesen ist, hat Ortega, wie weiter unten gezeigt wird, in anderen Schriften deutlich relativiert. Unverändert blieb dagegen sein Plädoyer (1984: 72) für „una interpretación de la historia radicalmente aristocrática". Und damit trat, was das Mittelalter betrifft, „uno de los defectos más graves y permanentes de nuestra raza" klar hervor (1988: 105): „la ausencia de una minoría selecta, suficiente en número y calidad". Die Dämonen, die Ortega in Gestalt einer Rebellion der Massen in der Gegenwart am Werke sah, bevölkerten also auch die Geschichte, die spanische zumal. Denn zu Beginn des 8. Jahrhunderts, als ,,[u]n soplo de aire africano" über die Halbinsel hinwegfegte, „y cuando después la marea musulmana cede", schreibt er in España invertebrada (ebd.: 103), nahm das historische Grundübel des zukünftigen Spaniens seinen Anfang: „se forman desde luego reinos de monarcas y plebe, pero sin suficiente minoría de nobles." Die Schwäche des Adels und damit die Schwäche des spanischen Feudalismus hätten, suggeriert

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Ortega (ebd.: 108), eine historische Kettenreaktion ausgelöst, deren fatale Folgen bis in die Gegenwart reichten: „Creo que ahora se entenderá mejor lo que antes he dicho: en España lo ha hecho todo el ,pueblo', y lo que no ha hecho el ,pueblo' se ha quedado sin hacer. Pero una nación no puede ser sólo .pueblo': necesita una minoría egregia, como un cuerpo vivo no es sólo músculo, sino, además, ganglio nervioso y centro cerebral." Genau das meint sein Hinweis in La rebelión de las masas (1984: 72): „sustento una interpretación de la historia radicalmente aristocrática". Die Grundbewertung der spanischen Formationsepoche ist deshalb, trotz aller Differenzierungen, die Ortega vornimmt - siehe weiter unten - , eine negative: „Lo que suele llamarse España", bilanziert er (1984a: 172) folglich, „no es eso, sino justamente el fracaso de eso." Ist damit auch eine negative Einstellung zu den Mauren vorprogrammiert? Als positiv läßt sich immerhin verbuchen, daß Ortega eine historische Grundprämisse konservativer Reconquista-Historiker in Frage stellt: Die eines achthundertjährigen Dauerkrieges der Christen gegen die Mauren und die damit verbundene Behauptung, die christlichen Reconquistadoren hätten von Anfang an für jene Ziele gekämpft, die ihnen später angedichtet wurden. Insofern hat er seiner eigenen Interpretation der Reconquista als geistiger

Vorwegnahme

Spaniens selber widersprochen, und das bereits in seiner frühen Schrift über Die Schrecken des Jahres eintausend. Spanien habe zwar mit den Mauren um jede Handbreit Land gerungen, heißt es dort (1992: 83), aber dieser Kampf sei gewiß kein Kampf für Ideen gewesen: „vielmehr ein Kampf für das handgreifliche Stück Land, und nicht gegen den Halbmond, sondern gegen einen bestimmten Mauren im Grenzgebiet, der bei seinen Raubzügen die Saatfelder verbrennt". So wenig klare Ideen die frühe Reconquista beflügelten - hier ist wohl vor allem von religiösen Motiven die Rede - , so wenig kämpften die Christen für ,Spanien': „los españoles que hicieron la Reconquista, al menos en los primeros siglos", entmystifiziert Ortega (1988a: 52) auch diesen Topos, „no sabían nada de España: no combatían por España ni mucho menos por la cruz contra la media luna. Todas estas son cosas eruditas". Und noch eine Standardbehauptung der Reconquista-Legenden stellt Ortega in Frage, nämlich die eines ununterbrochenen Krieges gegen den Islam: „Se me dirá que [...] supimos dar cima a nuestros gloriosos ocho siglos de Reconquista. Y a ello respondo ingenuamente", lautet eine spöttische Bemerkung in España invertebrada (1988: 103), „que yo no entiendo cómo se puede llamar reconquista a una cosa que dura ocho siglos." Kein Zweifel: Ortegas Kritik gängiger Reconquista-Legenden ist mehr als eine frische Brise in der stickigen Atmosphäre der traditionalistischen Historiker-

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zunft - sie bringt einige Grundpfeiler des bereits morschen Hispanidad-Gebäudes zum Einsturz. Besonders gern, so scheint es, führte Ortega die historischen Abrißarbeiten aber wohl nicht aus. Denn auf den obigen Spott über den vermeintlichen Achthundert-Jahre-Krieg folgt die Bemerkung: „Si hubiera habido feudalismo, probablemente habría habido verdadera Reconquista, como hubo en otras partes Cruzadas, ejemplos maravillosos de lujo vital, de energía superabundante, de sublime deportismo histórico." Hier ist sie also wieder, die bereits bekannte aristokratische Interpretation der Geschichte: Der Dominanz des Plebs sei es zu verdanken, daß die „fremden Zivilisationen" so überaus lange auf der Halbinsel blieben. Es verwundert deshalb nicht, wenn Ortegas Porträt des mittelalterlichen Nationalhelden par excellence, der legendären Cid-Gestalt, recht zwiespältig ausfällt, wenn er (1984: 51) ihn nämlich zu jenen „Barbaren" rechnet, „[que] han sido nuestros reyes, nuestros capitanes, nuestros sabios medievales y del Renacimiento". Zwiespältig - oder einfach nur widersprüchlich? - ist die Charakterisierung des „sobradamente, sanamente bárbaro del Cid" deshalb, weil Ortega zwischen Bewunderung und Abneigung hin- und her schwankt. Einerseits nimmt er ihm übel, daß er „un arcaísmo goticista" verteidigt habe, „del que se sentía muy lejos el rey Alfonso VI y su Corte." Andererseits sieht er in ihm den bekanntesten Repräsentanten „[de] uno de los más maravillosos siglos de Europa [porque] es el primer momento de auténtica creación realizadora en que Europa va a decir, por vez primera, qué es lo que ella es." Ist mit der „authentischen Schöpfung" auch der Kampf gegen den Islam gemeint? Darüber schweigt sich Ortega leider aus. Sicher ist indessen: In den bisher untersuchten Schriften finden sich keine positiven Bemerkungen über die trikulturelle Epoche, von der Entmystifizierung der zitierten Reconquista-Legenden einmal abgesehen. Die kulturelle Blüte von Al-Andalus hat Ortega, wie es scheint, genauso wenig interessiert wie deren spätmittelalterliche Renaissance unter christlichem Zepter. Deshalb ist es sicher kein Zufall, daß in den vereinzelten Hinweisen auf die kulturellen Zentren jener Epoche, etwa auf Toledo (1988: 94), von den maurischen und jüdischen Leistungen mit keinem Wort die Rede ist, wohl aber von dem .plebejischen' Charakter, der sich hinter der imperialen Fassade verstecke: „¿No se advierte la pobreza de nuestra arquitectura civil privada? Los ,palacios' de las viejas ciudades son, en rigor, modestísimas habitaciones en cuya fachada gesticula pretensiosamente la vanidad de unos blasones. Si se quitan a Toledo, a la imperial Toledo, el Alcázar y la Catedral, queda una mísera aldea." Was für ein Unterschied zur multikulturellen Perspektive, die selbst ein so reaktionärer

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Toledo-Besucher wie Gustavo Adolfo Bequer eingenommen hat! Von den Toledo-Bildern eines Benito Pérez Galdós ganz zu schweigen. Im Gegensatz zu solchen Autoren, denen die jüdischen und maurischen Gebäude der Stadt wenigstens einer Beschreibung wert gewesen sind, hält Ortega nur die architektonischen Überreste von Thron und Altar für würdige Geschichtsmonumente letztere wohl auch deshalb, weil sie den siegreichen Kampf gegen die „marea musulmana" symbolisieren: „Las catedrales románicas fueron construidas en España", so eine sicher nicht neutral gemeinte Bemerkung (1988a: 37), „al compás que hacían las espadas cayendo sobre los cuerpos de los moros." Die geringen Sympathien, die der junge Ortega für die Mauren empfand, lassen eher die Vermutung zu, daß sich in diesen Zeilen ein spätes Echo der mittelalterlichen matamoros-Püvo\en

Gehör verschafft ...4

Wie läßt sich Ortegas Abneigung gegen die Mauren erklären? Gehörten sie etwa nicht zu den „pueblos creadores e imperiales" (1988: 37), die er, vor allem in Gestalt des Römischen Reiches - „Roma, la gran mandona" (1984: 157) stets besang? Oder zählte er auch sie, wie die Pygmäen, zu den „razas inferiores", die, wie die „großen asiatischen und afrikanischen Zivilisationen", nur „grandes vegetaciones antropomorfas" (ebd.: 174) gewesen seien?5 Denkbar ist auch, daß ihm die kulturelle Blüte von Al-Andalus und dessen Erbe deshalb entgingen, weil er (ebd.: 156) vom Mittelalter, von „todas las edades medias de

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Auch die zeitgenössischen mata-moros-Paio\en, häufig ein später Widerhall des historischen Schlachtengeschreis, findet beim Autor der España invertebrada (1988: 57) noch ein Echo: „De todas suertes, Marruecos hizo del alma dispersa de nuestro Ejército un puño cerrado, moralmente dispuesto para el ataque." Vielleicht versteckt sich hinter der Kampfpose Ortegas aber nur eine ,heimliche Liebe' für den Feind von einst und jetzt: „Luchar con alguien", hatte er (ebd.: 59) ebendort geschrieben, „¿no es una de las más claras formas en que demostramos que existe para nosotros? Nada se parece tanto al abrazo como el combate cuerpo a cuerpo." Ganz sicher war sich Ortega in der Marokko-Frage, der er (1983: 1/295 f.) immerhin eine „enorme Bedeutung" beimaß, aber offensichtlich nicht. Die Kautelen, mit denen er die spanische „Mission" in Nordafrika betrachtete, haben vor allem mit einer Tatsache zu tun: Der spanischen Politik mangele es an Wissen, sie sei Ausdruck einer großen Ignoranz „de lo que es Marruecos". Auch die Umarmungsmetapher weist deshalb Schwankungen' auf: „Yo siento profunda aversión", gibt er sich hier pazifistisch, „hacia toda guerra, simplemente por lo que tiene de guerra." Die Pose des europäischen Herrenmenschen, der die „inferioren Rassen" mit der Pflanzenwelt vergleicht, hat Ortega (1983: 11/672) mit Blick auf Afrika mehr als einmal eingenommen: „La historia africana no tiene, como la nuestra, el aspecto de un progreso, sino que presenta una eterna repetición, como la historia de un vegetal." Daß diese Situation, wenn sie denn stimmte, nicht zuletzt auf das Konto des europäischen Kolonialismus geht, kommt Ortega natürlich nicht in den Sinn.

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la historia", eine denkbar schlechte Meinung hatte: „Son tiempos en que se ama, se odia, se ansia, se repugna, y todo ello en gran medida. Pero, en cambio, se opina poco." Und vor allem: „En la Edad Media no mandaba nadie en el mundo temporal." Zu den möglichen Gründen - Ortega war bekanntlich kein stringenter Theoretiker - darf man auch die Tatsache rechnen, daß sein Denken, trotz der zitierten Reconquista-Kritik, keineswegs frei war von unhistorischen Abstammungsmythen, die, wie Unamunos Felsenmetaphorik, Resistenz gegen alles suggerieren, was sich am historischen Urgestein an Ablagerungen angesammelt hat. In seiner „Andalusien-Theorie" (1988a: 176) liest sich das so: „Cuando veáis el gesto frivolo, casi femenil, del andaluz, tened en cuenta que repercute casi idéntico en muchos miles de años; por tanto, que esa tenue gracilidad ha sido invulnerable al embate terrible de las centurias y a la convulsión de las catástrofes." Die „andalusische Seele", schreibt er (ebd.: 175), gehöre dem ältesten Volk des Mittelmeeres - „más viejo que griegos y romanos". Überrascht es, daß weder Mauren noch Juden in dieser Version der Geschichte erwähnt werden? Die Andalusier, macht Ortega seinen Lesern weis, sind nicht nur das Produkt einer unbefleckten historischen Empfängnis - unbefleckt, vor allem von Mauren und Juden, sind sie bis in die Gegenwart geblieben. Um so überraschender ist das Maurenbild des späten Ortega: In seinen Estudios sobre el amor, vor allem in dem 1949 geschriebenen Vorwort zu El collar de la paloma von Ibn Hazm, präsentiert er ein Bild der maurischen Kultur, das der historischen Wirklichkeit erheblich näher kommt. Statt die Mauren als „marea musulmana" und „soplo de aire africana" zu diskreditieren, erkennt er ihre kulturellen Leistungen, wenn auch mit einigen Kautelen, nunmehr an. Die Kautelen beziehen sich vor allem auf zweierlei: Auf die Bedeutung der maurischen Kultur für die historische Entwicklung Spaniens und auf den originären Charakter ihrer kulturellen Leistungen. So bezweifelt Ortega, was den zuerst genannten Aspekt betrifft, etwa den Einfluß der Mauren auf die Geschlechterbeziehungen in Al-Andalus, speziell auf die christlichen Frauen. Der „presunta herencia de los árabes y la intervención del cura" hält er (1995: 96) entgegen: „No discutamos ahora la porción de verdad que en semejante tesis resida. Mi objeción a ella es previa y consiste hacer notar que, suponiendo verídicos estos dos agentes del tipo femenino español, resultaría éste producido exclusivamente por el influjo varonil y, por tanto, que esa tesis no recela siquiera el influjo recíproco de la mujer sobre si misma y sobre la historia nacional." Damit widerspricht Ortega nicht nur der Annahme, die spanischen Frauen hätten Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung des Landes gehabt, auch nicht über

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die Männer vermittelt'; er widerspricht besonders der These eines „gigantesco influjo de lo femenino en los destinos étnicos". Polemisch zugespitzt, läßt sich diese Sicht der Dinge wohl so interpretieren: Christliche Männer, hauptsächlich aus der Aristokratie, suchten und hatten zwar erotisch-sexuelle Kontakte mit Maurinnen; die „limpieza de sangre" der christlichen Frauen sorgte indessen für ethnische Homogenität. Daß diese Interpretation nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, ließ bereits der weiter oben zitierte Hinweis auf die Mauren als „fremde Zivilisation" erahnen. Im Vorwort zu Ibn Hazms El collar de la paloma hat Ortega diese Ansicht wiederholt: „no estoy dispuesto a correr la aventura", heißt es dort (ebd.: 233), „de llamar en serio ,español' a cualquiera que nace en el territorio peninsular, aunque sea de sangre .indígena' y aunque haya vivido aquí toda su vida". Denn die Territorialität und „el plasma sanguíneo" seien nur dann von Belang, wenn auch alle anderen Faktoren existierten, speziell die „historische Substanz", aus der die Nationalität eines Menschen letztlich bestehe. Von Spanien, so wiederholt er auch hier seine Sicht der historischen Genese im Mittelalter, könne man zwar noch nicht sprechen, weil „la ,cosa' España" sich erst im Status nascendi befunden habe; die maurischen Bewohner von AlAndalus hätten damit jedoch nicht das Geringste zu tun gehabt: „la sociedad árabe de Al-Andalus era distinta y otra de la sociedad o sociedades no-árabes que entonces habitaban España". Jenseits dieser ethnischen Demarkationslinien zeigt sich Ortega gleichwohl konzessionsbereit: „Pero esto no quita", lenkt er (ebd.: 233 ff.) nun den Blick auf die positiven Seiten der maurischen Präsenz auf der Halbinsel, „que nuestra relación con los árabes de Al-Andalus, o .españoles', no implique para nosotros ciertos deberes respecto a su memoria [...] ya que con ello nutrimos nuestra propia sustancia, enriqueciendo y precisando nuestra españolía". Und dann folgt eine Beschreibung der mittelalterlichen Halbinsel, die bis in die Wortwahl hinein ein komplexes Miteinander evoziert - eine Beschreibung, die den ethnischen Kautelen in Teilen selber widerspricht: „Porque nuestra sociedad", schreibt er nun, „ha convivido durante siglos con esa sociedad andaluza, piel contra piel, en roce continuo de beso y lanzada, de toma y daca, de influjo y recepción." Und er fugt, den Stand der historischen Forschung betreffend, hinzu: „Y una de las grandes vergüenzas que desdoran los estudios históricos es que, a estas alturas [1949, N.R.], ni de lejos se haya logrado, esclarecer la figura de la relación entre ambas sociedades." Diese Negativbilanz, so Ortega völlig zu Recht, gelte nicht allein für Spanien: Auch die ausländischen Historiker hätten dieser Epoche, „que fue una de

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las grandes realidades en la historia occidental", nicht das gebotene Interesse gewidmet. Und das trotz der Tatsache, daß das gesamte europäische Mittelalter nicht von der islamischen Zivilisation zu trennen sei, „ya que consiste precisamente en la convivencia, positiva y negativa a la vez, de cristianismo e islamismo sobre un área común impregnada por la cultura grecorromana". Die Hervorhebung, sie stammt von Ortega selber, verweist auf die zweite Kautele, die er seiner späten Wertschätzung der maurischen Kultur vorangestellt hat: Letztere basiere zu einem Großteil, wenn nicht zur Gänze, auf dem, was Griechen und Römer hinterlassen hätten: „La Edad Media, por una de sus caras, es el proceso de una gigantesca recepción: la de la cultura antigua por pueblos de cultura primitiva." Dasselbe gelte für die Religion: „La religión islámica misma procede de la cristiana, pero esta procedencia no hubiera podido originarse, a su vez, si los pueblos europeos y los pueblos árabes no hubiesen penetrado en el área ocupada durante siglos por el Imperio Romano." Sicher ist dieses Bild der maurischen Kultur von Al-Andalus in Teilen ein Zerrbild: War sie doch erheblich mehr als die bloße Rezeption oder Imitation von Griechenland und Rom. Bemerkenswert bleibt dennoch, daß Ortega immerhin ihre kulturelle Vermittlerrolle anerkannte: „Santo Tomás aprende su Aristóteles a través de Avicena y Averroes." Bleibt die Frage: Zählte er zu den kulturellen Vermittlern auch die spanischen Juden? Ortegas Äußerungen über die Juden, seien sie spanischer oder sonstiger Provenienz, sind zwiespältig und fallen im Vergleich zu den zahlreichen Passagen über den peninsularen Islam quantitativ nicht sonderlich ins Gewicht. Ihre geringe Präsenz in seinem umfangreichen Œuvre hat u. a. mit der Tatsache zu tun, daß er sie im Unterschied zu den „razas egregias" oder „pueblos superiores", d. h. zu Römern und Europäern (1983:11/608 f.), als „Asiaten" begriff: „El judío, quiero decir la vida hebrea", stigmatisiert er (1983: V/97 f.) die jüdische Kultur als das Fremde schlechthin, „tiene desde siempre una estructura muy distinta de la greco-romana. Pertenece a la forma asiática de la existencia - Sumeria, Acadia, Caldea, Babilonia, Persia, India." Als Träger und/oder Vermittler der mittelalterlichen Kultur treten sie überhaupt nicht in Erscheinung, weder im maurisch dominierten Al-Andalus noch im christlichen Herrschaftsgebiet, nicht einmal während der Regentschaft des trikulturellen Alfons des Weisen. Bei Ortega betreten die Juden nur als die Herren des Geldes die historische und zeitgenössische Bühne: „Si hoy poseen el dinero los judíos y son los amos del mundo", vermeint der Autor der Rebelión de las masas zu wissen (1984: 243), „también lo poseían en la Edad Media y eran la hez de Europa." Zwischen

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beiden Eigenschaften, reich und Auswurf Europas, die Ortega den Juden zuschreibt, scheint für ihn ein Zusammenhang zu bestehen: „no hay correspondencia entre la riqueza de aquellos judíos y su posición social. [...] en el siglo XVI, por mucho dinero que tuviese un judío, seguía siendo un infrahombre". Verstünde man diese Äußerungen nur als eine neutrale Beschreibung historischer Tatsachen, dann bliebe lediglich das Klischee der reichen Juden und deren Herrschaft über die Welt - nicht eben eine Empfehlung für Objektivität, zumal im spanischen Fall. Ortega suggeriert indessen, daß die Juden deshalb „Untermenschen" waren, weil sie außer Geld nichts hatten: „El síntoma de un poder social auténtico", heißt es im direkten Zusammenhang mit dem „dinero hebreo", „es que cree jerarquías, que sea él quien destaque al individuo en el cuerpo público". Dazu waren die Juden, so die erneute Version einer aristokratischen Interpretation der Geschichte, augenscheinlich jedoch nicht imstande. Dennoch besaßen und besitzen sie Macht, die Macht schlechthin, obwohl das Geld, dessen prominenteste Repräsentanten sie sind, in der „großen Architektur der Gesellschaft" eigentlich nur ein „sekundärer Faktor" ist; vorausgesetzt, die „normalen" historischen Machtfaktoren - Rasse, Religion, Politik und Ideen - sind stark genug, um der Macht des Geldes zu widerstehen: „el dinero no manda más que cuando no hay otro principio que mande". Die Juden als die ökonomischen Herren der Welt - Ortegas monetäre Verschwörungstheorie beansprucht Geltung auch für Spanien: „En la Edad Media, como ahora", schreibt er (1988: 145) nahezu wortgetreu in

España

invertebrada, „el dinero lo tenía el judío. [...] Hoy el dinero se ha adueñado del mundo y, dentro del mundo, de España." Einen Hoffnungsschimmer, wie die darauf folgende Zeile illustriert, sieht Ortega dennoch: „El español dedica menos entusiasmo al oro que otras razas." In den „Heldentaten" der spanischen Conquistadores die von „anderen Motiven" geleitet gewesen seien, sieht er diese Haltung besonders gut verkörpert. Obwohl er die Beziehung zwischen jüdischem Geld und spanischem Idealismus expressis verbis so nicht formuliert hat, läßt die direkte Abfolge, in der die beiden Behauptungen stehen, doch die Vermutung zu, daß er damit sagen wollte: Spanien ist besser gegen dieses Übel immunisiert. Trotz der antisemitischen Standardklischees, denen Ortega das Wort redete, hat er die praktischen

Folgen des Antisemitismus doch hart kritisiert. Vor allem

in einem Essay (1983: 1/524 f.) über Shakespeares Shylock-Figur: „Los aullidos misérrimos del judío veneciano dirigen nuestra atención hacia una de las más graves lacras de la historia: el antisemitismo." Obwohl Ortega in diesem Text eine Reihe von Stereotypen unhinterfragt benutzt (,judío errante", „nariz cor-

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vina" etc.), fällt seine Anklage in Ton und Inhalt doch entschieden und glaubwürdig aus: „¡Como ha padecido esta raza egregia! Los demás pueblos han ido destilando gota a gota sobre el judío todo su poder de odiar. Se le ha maltratado, se le ha expoliado millares de veces, se le ha escarnecido. Se le ha cercenado todos los derechos, se le ha recluido, como al ganado en el corral, dentro de los gheíti y juderías: se le ha señalado con las ruedas bermejas. Cuando el cristiano medieval quería alabar a Dios muy especialmente, mataba judíos." Die Leidensgeschichte der Juden - Ortega spricht, allerdings nur nebenbei, auch von den chuetas - reiche bis in die Gegenwart. Und nicht immer, deutet er an, finde man den Mut, sich dagegen aufzulehnen - und er schließt sich selber ein. Als er kürzlich, der Text datiert von 1910, in Deutschland unterwegs war, sei in seiner Gegenwart in einem Zug ein jüdischer Uhrmacher Opfer antisemitischer Pöbeleien geworden. Aus Angst, wegen seines spanischen Aussehens, selber für einen Juden gehalten zu werden, habe er geschwiegen: „Me avergoncé y no tomé su defensa, y la otra noche, viendo El mercader, se puso de pie en mi memoria el pequeño relojero judío y me clavó sus ojuelos de avecilla maligna y sentí un pinchazo en el corazón." Wie gesagt: Trotz gängiger Stereotypen, die Ortega, eher nebenbei, selber reproduziert, klingt seine Verurteilung antisemitischer Gewalt doch nicht unglaubwürdig, zumal sie kein Einzelfall ist: In der Auseinandersetzung mit Toynbee (1984: 226) macht er den Antisemitismus bzw. den Antijudaismus dafür verantwortlich, „terribles sufrimientos" für die Juden heraufbeschworen zu haben - schreckliche Leiden, die er, im Unterschied zu dem englischen Geschichtstheoretiker, vor allem dem Rassismus anlastet. Während Toynbee, so Ortega, die Verfolgung der Juden im Mittelalter lediglich auf religiösen Antijudaismus zurückgeführt habe, hält er (ebd.: 230) selber „odio de razas" für ein mögliches Motiv: „las periódicas matanzas de judíos durante aquellos siglos", lautet deshalb seine (Suggestiv-)Frage, „¿estaban inspiradas exclusivamente por diferencias religiosas? Es sobremanera inverosímil que, habiendo existido en casi todas las civilizaciones ese terrible odio de razas, faltase precisamente en la nuestra". Damit ist offenkundig auch Spanien gemeint. Denn an anderer Stelle, und es ist die einzige in seinem voluminösen Werk, kritisiert er zugleich, wenn auch recht moderat, die peninsulare Verfolgungs- und Vertreibungspolitik. Diese Passagen, es handelt sich um einen Essay über Galileo Galilei (1983: V/163), enthalten außerdem einen der seltenen Hinweise auf die mittelalterliche Convivencia, die auch die Juden miteinschließt. Als Don Juan II. seinen Sohn mit Doña Blanca aus Navarra verheiratete, zitiert Ortega - zustimmend - eine alte

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Chronik, seien selbstverständlich auch Juden und Mauren eingeladen worden: „Es que todo ser tiene derecho y obligación de ser el que es [...]. El judío y el moro son para este hombre realidades con pleno derecho, en su rango y puesto determinado - dentro del jeráquico pluralismo del universo." Erst späteren Generationen, namentlich den Katholischen Königen, sei es „in den Sinn gekommen", Juden und Mauren zu vertreiben - eine „typisch moderne Idee": „El moderno cree que puede suprimir realidades y construir el mundo a su gusto en nombre de una idea. En este caso es la idea del Estado que los Reyes Católicos inician. Cometen, pues, un lamentable quid pro quo los que hoy expulsan a los judíos en nombre de un retorno a la Edad Media. Los hombres actuales no podemos casi ni comprender la sutancial tolerancia del hombre medieval." Trotz des beschreibenden Charakters dieser Zeilen - schließlich war Ortega ein Freund der Hegeischen Staatsideen - , spürt man ein Quentchen Wehmut, das ihr Autor über den Verlust der mittelalterlichen Toleranz empfunden hat. Und noch ein Aspekt verdient es, hervorgehoben zu werden: Ortega widerspricht der häufig formulierten Verleumdung, die Juden wären, weil sie sich als erwähltes Volk betrachtet hätten, an ihrer Verfolgung selber schuld. Seine Kritik an dieser Behauptung richtet sich, wenn auch nur indirekt, ebenfalls gegen Toynbee. Der habe die Ansicht vertreten (1984: 226), daß es in neuerer Zeit die englischen Protestanten gewesen seien, die England für ein den anderen Völkern überlegenes, erwähltes Volk gehalten hätten. Auf diese Idee seien sie nach Ansicht von Toynbee durch die Lektüre des Alten Testaments gekommen, wo von einem erwählten Volk die Rede sei. Dazu schreibt Ortega mit einem Schuß Ironie: „Vean por qué serie de bandazos en el billar de las ideas resulta que el antisemitismo, el antijudaísmo, que tan terribles sufrimientos ha traído para los judíos, provenía como de su fuente originaria del libro judío por excelencia, de la Torah, o Antiguo Testamento." In diesen Facetten, einer Mischung aus Stereotypen, die er selber produzierte, und anderen, die er kritisierte, erschöpfen sich Ortegas Äußerungen zur Judenthematik. Im Spektrum der hier untersuchten Autoren keine ausgesprochen negative, aber auch keine sonderlich positive Bilanz für einen Autor, von dem (1988a: 112) die Einsicht stammt: „Si queremos vivir tenemos que vivir a la manera española; pero la manera española es múltiple."

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2. Mythenzerstörer und Mythenproduzent: Salvador de Madariaga So wie Ortega y Gasset darf auch Salvador de Madariaga (1886-1978) mit Fug und Recht zu jenen spanischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts gerechnet werden, die das europäische Spanienbild am nachhaltigsten mitgeprägt haben: Der konservative Liberale, Gelehrte, Diplomat und Politiker hat ein umfangreiches Werk hinterlassen, das in viele Sprachen übersetzt wurde und in dem Spanien, in Geschichte und Gegenwart, den thematischen Schwerpunkt bildet. Als „geistiger Mittelpunkt der spanischen Emigration" (Franzbach 1993: 302) er lebte ab 1936 im Exil in Oxford und in der Schweiz - wurde der Goethepreisträger (1967) und Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes (1976) zu einem der bekanntesten Aushängeschilder eines europaorientierten Spaniens und zur Ikone der antifrankistischen Opposition. Dennoch unterscheidet sich sein Spanienbild in etlichen Facetten nur graduell von demjenigen der frankistischen Strömungen; deshalb läßt sich sein Werk nur mit gewichtigen Einschränkungen als „Mythen- und Legendenzerstörung" (ebd.: 303) bezeichnen. Das gilt fur sein ,hispanistisch' gefärbtes Bild von Lateinamerika (Rehrmann 1990) ebenso wie für das Bild der spanischen Juden (auch das der Mauren), das er in mehreren Schriften gezeichnet hat: Die Zerstörung und die Schaffung von Mythen halten sich ziemlich genau die Waage. Madariagas zwiespältige Haltung zur Judenthematik in Spanien kommt bereits in seinen generellen Charakterisierungen zur Geltung. In einer Schrift aus dem Jahre 1946 über Spain and the Jews, immerhin das Produkt einer Vortragsreihe in der Londoner Jewish Historical Society of England, beschreibt er (1946: 5) den Unterschied zwischen „Spaniern" und „Juden" als „starke Polarisierung": „the Spaniard is deeply rooted in space; the Jew in time". Der Spanier, so seine Raum- und Zeitmetaphorik, sei ein Sohn der Erde, der von allen europäischen Völkern am stärksten erdverbundene. Der Jude sei dagegen bodenlos, nur in der Zeit verwurzelt, die aus einer Tradition von zweitausend Jahren bestehe: „They differ from all the peoples of the earth in that their fatherland is history itself." Was sich zunächst als bloße Beschreibung historisch bedingter Unterschiede liest, besitzt indessen die Schwerkraft anthropologischer Gesetze: „May I dare here suggest that this - rather than persecution, segregation or legislation - is the deepest cause of that urban trend of the Jew which leads him to seek commerce and the liberal profession rather than the land? [...] Was not the lack of roots in space a feature of the Jews long before they were dispersed all over the earth by the fall of Jerusalem?" Schon auf der nächsten

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Seite (ebd.: 7) des schmalen Buches wird deutlich, daß die Fragezeichen nur eine Suggestivfrage markieren. Die Eigenschaften, die er den Juden zuschreibt, sind weniger, wenn überhaupt, die Folge ihrer historischen Leidensgeschichte, sie sind eher so etwas wie das Gegenstück zum „Erdgeist" Ganivets: „In these inner attributes, older than any diaspora or any persecution, the true explanation of the chief Jewish characteristics might well be found. This constancy in time with this shifteness in space, are they not the chief features of the mercurial type? The Jews are singularly gifted for all that is mercurial in life. Commerce, in all senses of the world, is their speciality." Die Sterne sind es also, die den jüdischen Charakter hervorgebracht haben! Ein Blick in das Horoskop genügt demnach, um Vergangenheit und Zukunft des jüdischen Schicksals, vor allem die ewige Wanderschaft, letzten Endes zu begreifen: „Passing from one state to another and back again is the essence of all those forms of life; and no one is better fitted than the Jews for such swift changes." Die, wie man sieht, als Kompliment gemeinte Charakterisierung des jüdischen , Wesens' im allgemeinen hat zugleich nachhaltige Auswirkungen auf das historische Verhältnis von „Spaniern" und „Juden" im besonderen, so wie Madariaga es interpretierte. Die essentiellen Eigenschaften, die Madariaga den Juden als quasi geschichtslose Attribute andichtet, lassen den Liebhaber anthropologischer Konstanten nur unschwer erkennen. In den zitierten Vorträgen von 1946 hat er zwar darauf verzichtet, solche Konstanten auch biologisch zu fixieren - fremd waren sie ihm augenscheinlich jedoch nicht. So räsoniert er in Spanien. Wesen und Wandlung aus dem Jahre 1930 (1955: 13 ff.) in extenso über „ein verwickeltes Gemenge von Rassenmerkmalen in Spanien", das sich etwa durch „dolichozephale" und „brachyzephale" Merkmale oder durch „Adlernasen" manifestiere: „Das anthropologische Studium der spanischen Rasse", bilanziert er seine Betrachtungen, „bestätigt die Ansicht, daß der Spanier eine Mischung aus mehreren Rassen ist, von denen sich am deutlichsten eine langköpfige .iberische' [...] und eine rundköpfige .keltische' Rasse [...] herausheben." Selbst wenn man einräumt, daß es rassische Merkmale gibt - der prominente Stellenwert, den ihnen der Laienanthropologe Madariaga beimißt, rückt ihn jedenfalls in gefährliche Nähe zu den „Rassenmystikern" (Morsche) der Jahrhundertwende. Dafür spricht nicht nur die Terminologie, die bestimmte „Spanier", etwa Cäsar, zu einem ,,typische[n] Glied der Rasse" stilisiert. Auch nicht allein das Hin- und Herchangieren zwischen „Rasse" und „Charakter", das von äußeren Merkmalen umstandslos auf das „Wesen" schließt. Dafür spricht auch die Annahme einer Art rassischen Urgesteins, die offensichtlich von Unamunos Felsenmetaphorik

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mitbeeinflußt ist: „Über diese erste, in sich selber nicht einheitliche Schicht", quantifiziert er danach die weiteren Ablagerungen auf dem Ursubstrat, „gingen Wellen von Zivilisationen und Einwanderungen, die größere oder geringere Zeiträume dauerten und größere oder geringere Spuren im Charakter des spanischen Volkes zurückgelassen haben." Besonders charakterbildend seien, neben den Römern, die „Araber" oder „Mauren" gewesen, wie sie, so Madariaga (ebd.: 15), „mit korrekter Unparteilichkeit gleich unkorrekt" genannt worden seien. Wie auch immer man diese Invasoren bezeichne: von 711 bis 1492 hätten sie „in den vertrautesten Beziehungen" mit dem Volk, das sie auf der Halbinsel vorfanden, zusammengelebt, in Frieden und Krieg. Die Rückeroberung, die er als solche bezeichnet, sei deshalb nicht so sehr ein Krieg, eher eine historische Periode gewesen, deren Sinn man erst erfasse, wenn man das mittelalterliche Spanien als Grenzland der islamischen und der europäischen Zivilisation begreife. Hier argumentiert Madariaga, trotz der Verwendung des ReconquistaTerminus, ähnlich wie Ortega y Gasset, stuft den kulturellen Zenit der maurischen Kultur aber ungleich höher ein: Während die Christenheit im Dunkel gelebt habe, seien in Bagdad und Córdoba die Lichter der Wissenschaft, der Kunst und der gesellschaftlichen Bildung erstrahlt. Nordspanien habe damals aus kleinen barbarischen Königreichen bestanden, „die für den mächtigen und hochkultivierten Kalifen von Córdoba kaum etwas anderes sind als marokkanische Stammesherrschaften heute für den Präsidenten der Französischen Republik." Der kulturellen Blüte der Omayyadenherrscher, die Madariaga mit dem Weimar Goethes vergleicht, zollt er genauso seinen Tribut wie der politischen Convivencia zwischen Mauren und Christen: „Nach Córdoba schickten sie [die christlichen Königreiche Nordspaniens, N.R.] ihre Minister oder begaben sich selber, um die Hilfe des Kalifen zu suchen, sich unter seinen Schutz zu stellen oder seinen Schiedsspruch in ihren Streitigkeiten zu erbitten." Das ist ein Bild der Geschichte, das den Reconquista-Ideologen sicher nicht gefallen hat; wohl noch weniger der Hinweis, daß „die Rassenmischung" zumindest in den ersten vier Jahrhunderten der Maurenherrschaft „intensiv" gewesen sei - unter Einschluß der Juden: „Nicht nur der Maure", heißt es (ebd.: 17 f.) wörtlich, „sondern auch der Jude ist ein wichtiger Konstituent des spanischen Volkes, wie es jetzt ist, geworden, und die orientalischen Züge des Spaniers müssen, wenn sie auch vorher dagewesen sein mögen, in den vier Jahrhunderten des Zusammenlebens mit zwei typisch orientalischen Rassen vertieft worden sein." Von den Juden ist in dem Spanien-Buch von 1930 ansonsten aber kaum die Rede; von ihren kulturellen Leistungen in Al-Andalus und im Herrschaftsgebiet

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der Christen erfährt der Leser so gut wie nichts. Erst in den bereits zitierten Vorträgen von 1946 ist Madariaga näher auf die historische Rolle der spanischen Juden eingegangen - mit allen Ambivalenzen, die sein generelles Judenbild bestimmten. Dazu gehört zum Beispiel die bekannte ,Türöffherthese': „They made the Moorish conquest of Spain (711-15) singularly easy", meinte er (1946: 13) zu wissen, „by opening to the invaders the cities which they controlled, and by accepting to guard for the Moorish armies the cities already conquered. According to Graetz, they even conspired with the Jews of Africa to bring the Moors over into Spain." Obwohl er die Juden damit zu finsteren, charakterlosen Gesellen abstempelt, lobt er (ebd.: 9) doch ihren Beitrag zur künftigen Entwicklung Spaniens: „the Jews contributed to the financial, commercial, industrial, political, juridical, scientific, historical and literary life of the country with a brilliancy higher than their mere numbers might lead one to expect." Weniger im maurischen Süden, so Madariaga, sondern im christlichen Norden hätten die Juden Macht, Reichtum, Freiheit und Ansehen erlangt - ein beispielloser Aufstieg in der Geschichte „Israels", der in Toledo besonders steil und fruchtbar verlaufen sei: Die von Alfons X. regierte Stadt (ebd.: 11), „acted as a pivot of learning mostly thanks to the collaboration of Jewish scholars." Die Ambivalenzen, von denen bereits die Rede war, treten allerdings schon hier, im Zusammenhang mit dem Lob der jüdischen Leistungen, deutlich in Erscheinung. Denn ihren beispiellosen Aufstieg hätten die Juden, und nicht nur sie, allein „Spanien" zu verdanken: „it has raised to a high pitch of achievement no less than three oriental peoples: the Jews, the Arabs and the Gypsies." Die ideologische Nähe zu Ganivets „Erdgeist"-Mystik scheint hier besonders ausgeprägt zu sein. Denn wieso war ausgerechnet die Iberische Halbinsel „eine Art Resonanzboden für orientalische Rassen", wie es schon in Spanien (1955: 18) heißt, „die auf ihm am fulligsten" erklungen seien? Wieso waren vor allem die peninsularen Juden „Leuchten der hebräischen Zivilisation", wie sie es seit biblischen Zeiten nicht gegeben habe? Darauf bleibt der „Wesens"-Theoretiker die Antwort schuldig - es sei denn, man gäbe sich mit der folgenden Sentenz zufrieden: „Das sind die Einflüsse von Rasse, Geschichte und Landschaft, die im Laufe der Jahrhunderte das spanische Volk geformt haben, so wie wir es an der Schwelle der Geschichte zur Neuzeit zu Beginn des 16. Jahrhunderts finden." Selbst wenn man sämtliche Faktoren akzeptiert: Haben alle drei dasselbe Gewicht? Und zu welchem Ursache-Wirkungs-Verhältnis stehen sie zueinander? Solche Fragen haben Madariaga augenscheinlich nicht interessiert. Ihre Beant-

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wortung, so ist zu vermuten, hätte den Apologetiker vager „Wesens"-Theorien womöglich in arge Zweifel gestürzt. Kaum weniger fragwürdig ist die Interpretation, die er mit Blick auf die Verfolgung und schließliche Vertreibung der spanischen Juden offeriert: Dieses Schicksal hätten sie sich, verkürzt gesagt, hauptsächlich selber zuzuschreiben. Dies um so mehr, als ihre gesellschaftliche Situation bis zum 14. Jahrhundert geradezu ideal gewesen sei (1946: 11): „Their communities were free, prosperous and well organised. Their worship not molested, save when a stern Pope in Rome put pressure on the Spanish King." Das spanische Volk, so Madariaga (ebd.: 17 f.), sei tolerant gewesen, religiöse Konflikte, das illustriere etwa die Cid-Legende, hätten keine nennenswerte Rolle gespielt. Die im 15. Jahrhundert einsetzende Intoleranz sei, was den christlichen Anteil daran betreffe, hauptsächlich ein Importprodukt gewesen, vor allem der Druck der Päpste, der Fanatismus der Mönche von Cluny und gelegentliche Wellen des Volkszorns, die jedoch überwiegend nicht religiös motiviert gewesen seien: „Intolerance", lautete seine Bilanz (ebd.: 19), „does not become either general or persistent until the fifteenth Century." Wieso geriet das als ausgesprochen harmonisch geschilderte Miteinander von Juden und Christen dennoch aus dem Gleichgewicht? Die Ursachen, so Madariaga (ebd.: 12), seien zwar „komplex"; listet man diejenigen auf, die er, auf mehrere Seiten verstreut, in seinen Vorträgen nennt, dann sind die Hauptschuldigen jedoch die Juden selber. Zunächst, behauptet er (ebd.: 14), sei die Erinnerung an ihren ,Verrat' von 711 im kollektiven Gedächtnis stets präsent gewesen. Da sich die späten Westgoten-Könige den Juden gegenüber als „generös" und „liberal" erwiesen hätten, sei ihr Verhalten völlig „unentschuldbar" gewesen. Zweitens seien die Juden, „powerful, appreciated and protected by Kings and Lords" (ebd.: 12), nie populär gewesen: „Envy was a widespread cause of anti-Jewish feeling." Diese Gefühle seien deshalb entstanden, weil sich die jüdischen Steuereinzieher unbeliebt gemacht und viele Juden der Wucherei verschrieben hätten - „at rates unbelievable in our day". Außerdem hätten „einige Juden" (ebd.: 14) ihre privilegierte Stellung am Hofe der Maurenherrscher dazu ausgenutzt, auf ihren Reisen christliche Frauen für die maurischen Harems zu kaufen: „This did not contribute to good feeling between Christians and Jews." Drittens, und das ist für Madariaga augenscheinlich der wichtigste Grund, hätten sich die Juden, wie überall, als vaterlandslose Gesellen erwiesen: Israel, nicht Spanien, hätten sie als ihre eigentliche Heimat betrachtet. In den Gedichten von Yehuda Halevi oder Salomon Ben Gabirol komme diese

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„allegiance to Jerusalem" (ebd.: 12) unübersehbar zum Ausdruck: „These and many other poems on the same vein [...] show how the roots of the promised land still pulled at the heart of the Jews. They were in Spain but not of Spain." Bis zu diesem Punkt, das muß man sich vergegenwärtigen, hat Madariaga den christlichen Part an den wachsenden Spannungen zwischen den beiden Religionsgruppen so gut wie nicht erwähnt. 6 Der unbedarfte Leser dürfte deshalb geradezu zwangsläufig den - vom Autor wohl erwünschten - Eindruck gewinnen: Den Juden ging es durchweg gut im mittelalterlichen Spanien. Daß es nicht so blieb, daran waren sie selber schuld. So ist es nicht verwunderlich, daß sich die folgende Bilanz (ebd.: 14) nur auf das jüdische .Sündenregister' bezieht: „The sum total of these and other similar factors produced a split society with a tension between its two parts, and therefore at the mercy of any incident. Than, from nowhere in particular [!], the voice of hate would rise". An dieser einseitigen Schuldzuweisung an die Adresse der Juden ändert sich auch auf den folgenden Seiten nur wenig - selbst dort nicht, wo Madariaga im Anschluß an das obige Zitat nun erstmals den christlichen Antisemitismus erwähnt. Dieser sei, in Deutschland entstanden, aus Europa nach Spanien herübergeschwappt und habe sich dort „like a wildfire" ab 1391 verbreitet: „owning to a fanatical priest, Don Ferrán Martínez, who, defying the Archbishop and the Kind, led the crowd against the Jews of Seville, calling many and looting their opulent quarters in that rich city." Das ist alles, mehr konnte oder wollte Madariaga, der den jüdischen ,Schuldanteil' bis ins Detail ausmalte, über das blutige Kapitel der spanischen Judenmassaker, dem Tausende zum Opfer fielen, nicht schreiben. Wieso auch? Die Hauptschuld hielt er für geklärt, da fiel das Treiben eines einzelnen Fanatikers, der sich im übrigen auf die „opulenten Stadtteile" konzentrierte, offenkundig nicht besonders ins Gewicht... Wohl deshalb hält sich Madariaga bei diesem Thema nicht länger auf und beschäftigt sich umgehend mit einem weiteren Judenproblem': den Conversos. Von der Monarchie, dem Staat und der Kirche „mit offenen Armen" akzeptiert, hätten sich diese jedoch, zumindest in ihrer großen Mehrheit, als unsichere Kantonisten erwiesen. Nur wenige, etwa Hernán Pérez de Pulgar, der Privatsekretär der Katholischen Königin, seien „ehrliche" Christen gewesen. Die meisten seien dagegen auch weiterhin, unter einer „christlichen Maske", ihrem alten Glauben treu geblieben: „Modern scholarship, whether Christian or Jewish", 6

Seiner Lesart zufolge (ebd.: 14) hätten die Juden nur unter der frühen Westgotenherrschaft zu leiden gehabt - Grund genug für sie, „to remember the black through the rosy".

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kommentiert der Autor (ebd.: 15) ihr Verhalten, „is unanimous on the staunchness [!] of the loyalty of the Conversos to their old faith". Damit hielt Madariaga jedwedes Verständnis fur das Verhalten der Zwangskonvertierten fur deplaziert, er wirft ihnen sogar, .wissenschaftlich' abgesichert, Halsstarrigkeit in Glaubensfragen vor. Zu den schlimmsten, einer dritten Converso-Kategorie, rechnet er jedoch diejenigen, die in ihrem neuen Glauben zu Extremisten und damit zu „the most fiery enemies of the old" geworden seien. Der fatale Einfluß dieser Neophyten auf die historische Entwicklung des Landes, so Madariaga, „cannot be exaggerated". Gemeint ist vor allem (ebd.: 17), wie könnte es anders sein, die Entstehung der Inquisition, „for a considerable part, a Jewish-inspired institution". Überhaupt, spinnt Madariaga (ebd.: 19 f.) diesen Faden seiner Argumentation konsequent weiter, gehe der katholische Fanatismus zu einem Gutteil, wenn nicht überwiegend, auf das Konto der Juden: „The Spaniard stood in no need of any Jew as to ferocity or civil war. But [...] he did perhaps borrow from the Jew a dogmatic motivation for them, and certainly the persistance needed to maintain strong Institutions to that effect." Der Rest, bis zum Vertreibungsedikt, sei damit gleichsam vorgegeben, Täter und Opfer seien nur schwer auseinanderzuhalten: „the action and reaction of Christian on Jew and Jew on Christian is difficult to disentangle." So kam, was kommen mußte: Das Edikt von 1492 sei zwar ein diktatorischer Akt gewesen, habe zahlreiche traditionell anerkannte oder kurz zuvor gewährte Rechte der Juden verletzt und sei mit Blick auf „einige mächtige und fähige Juden" sogar eine „monströse Undankbarkeit" gewesen: „But it was popular, and in the circumstances, inevitable. No other European monarch, facing the same circumstances, would have acted otherwise. Some would perhaps have acted worse." Dem ist sicher nicht zu widersprechen: Überlegungen zur Staatsräson dürften tatsächlich den Ausschlag gegeben haben. Genauso plausibel ist der Hinweis auf andere Länder, aus denen die Juden im übrigen längst vertrieben worden waren: „Politische und kulturelle Einheit", heißt es deshalb in Spanien (1995: 23) über die peninsulare Minderheitenpolitik, die auch in anderen Ländern eine Rolle spielte, „galt nicht als wesentlich. Wesentlich war Glaubenseinheit - und daher die Vertreibung der Juden". Im höchsten Maße zweifelhaft ist jedoch das implizite Unterfangen Madariagas, den Juden die Hauptschuld am Scheitern der mittelalterlichen Convivencia anzudichten: Das historische Fait accompli von 1492, legen seine Betrachtungen über Spain and the Jews vom Anfang bis zum Ende nahe, sei ohne Alternative gewesen, weil Juden und Conversos eine solche verbaut hätten. Damit bewegt sich Madariaga im Grunde auf

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derselben Argumentationslinie wie Amador de los Ríos, den er (ebd.: 28) denn auch als seine Hauptquelle bezeichnet und dementsprechend lobt (ebd.: 4): „Amador de los Ríos deserves to be quoted as a student of Jewish history beyond and above all reproach both on the score of impartiality and on that of sympathetic unterstanding. 7 Thanks to his work, the foundation had been well and truly laid for an historical edifice which still awaits is architect." Für die historischen Betrachtungen Madariagas gilt deshalb uneingeschränkt: De tal palo, tal astillal Eine ähnlich historische Schräglage weist schließlich auch die Interpretation der Mauren- und Moriskenvertreibung auf: „Mit den Juden hatten schon Ferdinand und Isabella abgerechnet [!]", schreibt er in Spanien (1955: 28) über dieses Kapitel der Geschichte, „es blieben die Mauren". Auch sie seien, genauso wie die jüdischen Conversos, ihrer Religion treu geblieben, König und Klerus hätten deshalb mit großer Sorge die Existenz einer „solchen Masse von Religionsfremden inmitten der Nation" betrachtet. Der Plan, sie gewaltsam zu vertreiben, habe folglich nicht ausbleiben können: „Man darf einen Gedanken des 16. nicht mit den Grundsätzen des 20. Jahrhunderts verurteilen. Daß der Untertan der Religion seines Souveräns zu folgen hat, war die anerkannte Lehre im ganzen damaligen Europa, im protestantischen wie im katholischen." Auch dem ist im Grunde nicht zu widersprechen - mit einer Ausnahme: Madariaga verliert kein Wort darüber, daß es vor allem auf das Konto der antimaurischen Repressionspolitik ging, von der Nichteinhaltung der Granadiner Kapitulationsbedingungen ganz zu schweigen, daß sich „das große Kontingent von Christen zweifelhafter Loyalität" stetig vergrößerte. Die historische Verknüpfung der Juden- und Maurenthematik war Madariaga durchweg wohl bewußt. Die Wiederentdeckung der Sepharden datierte er (1955: 168 f.) dementsprechend auf die „höchst volkstümlichen Unternehmen" der spanischen Kolonialarmee in Marokko Mitte des 19. Jahrhunderts. Was im 16. Jahrhundert, als Spanien „seine Juden über die Meerenge jagte", eine harte, wenn auch unvermeidbare Maßnahme gewesen sei, habe sich Mitte des vergangenen Jahrhunderts als „spanisches Ferment in Marokko" gleichsam als später historischer Segen erwiesen. Für Madariaga (1946: 5) ein untrügliches Zeichen der engen Verbundenheit von Juden und Spaniern: „This continous action and reaction of the two peoples on each other is the true historical fact, of which all others are but symptoms, incidents or episodes; it is the fact which makes the 7

Vgl. das Kapitel über Amador de los Ríos.

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Jew so Spanish, the Spaniards so Jewish; The fact which even after the expulsion, keeps Jewry alive in Spain and Spain alive in Jewry". Das klingt nach historischer Schönfärberei - „incidents or episodes" - , wie sie Pulido beschrieb, ist wohl auch so gemeint. Im Unterschied zu dem Topos sephardischer Spanienliebe, den Pulido kolportierte, argumentiert Madariaga indessen deutlich nüchterner: „Their are signs", schrieb er (ebd.: 27), „that Spain thinks more of her Jews than her Jews of Spain." Obwohl es stets eine „bipolare" Beziehung gegeben habe, sei die Spanientreue der Sepharden doch häufig „übertrieben und sentimentalisiert" worden. Selbst die jahrhundertelange Tradierung des Judenspanischen, vermutet der Autor, „may have been more utilitarian than meets the eye." Das Hauptelement der Verbundenheit mit Spanien - Madariaga spricht klugerweise nicht von ,Liebe' - sei im übrigen eher ,Eigenliebe': „they remained attached to Spain by a tension due precisely to the fact that it was in Spain they had been able to attain the strongest position of all." Trotz der Zweideutigkeiten, die er damit verbindet - , Spanien' als Kulturferment - : eine ziemlich realistische Einschätzung! Ziemlich illusionär ist dagegen die Behauptung: „Had the Republic lived, Toledo might have been become again a centre of Hebrew Studies." 8 Zweifelhaft ist diese Behauptung nicht zuletzt deshalb, weil Madariaga in jenen Jahren höchst persönlich vor einer Masseneinwanderung - deutscher - Juden warnte. So plädierte er (Lisbona 1993: 57 f.) als damaliger spanischer Botschafter in Paris mit Blick auf das im Januar 1933 u. a. von Américo Castro und Claudio Sánchez Albornoz gegründete „Comité español de ayuda a las víctimas del facismo hitleriano" entschieden für ,Mäßigung': Die individuelle Einreise verfolgter Juden sollte zwar akzeptiert werden, unbedingt zu vermeiden sei jedoch „toda organización oficial o pública destinada a orientar hacia España parte considerable de la emigración judeo-alemana". Eine solche Einwanderung könne zu antisemitischen Tendenzen fuhren, die zwar glücklicherweise nicht existierten, „en los centros ex-monárquicos vergonzantes y derrotados por el régimen actual" aber potentiell vorhanden seien. Trotz aller verständlichen Vorsicht ist diese Erklärung kein Ruhmesblatt philosemitischen Engagements eines namhaften Vertreters der Republik ... Die zwiespältige Haltung, die Madariaga gegenüber den Juden stets eingenommen hat, kommt auch in seinen Äußerungen zur Dreyfus-Affäre zum Ausdruck. Als Zwanzigjähriger, schreibt er (1975: 143), habe er der Rehabilitierung

Es folgt die Klammerbemerkung: „(1 understand that the present régime has set up in Madrid a School of Hebraic Studies which publishes a review: Sefarad)."

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von Dreyfus persönlich beigewohnt. Damit sei „la sòrdida persecución" eines Mannes beendet worden, dessen einziges Vergehen darin bestanden habe, Jude zu sein: „Ser judío en la Francia patriota y militarista de principios de siglo no era nada selecto. Antes al contrario, venía a ser una contraselección." Die folgende Formulierung (ebd.: 144) schürt indessen den Verdacht, daß sein Engagement für Dreyfus selber nicht völlig frei war von antisemitischen Vorurteilen: „Dreyfus era poco simpático; no sólo era judío [!]; era feo, era rico, en fin, ostentaba todos los defectos de que un hombre puede adolecer; pero era un hombre, y toda la izquierda se alzó para ponerse a su lado". Am Ende seiner Betrachtungen (1946: 28) über Spanien und die Juden steht die Frage: „What are we to make of this melancholy history?" Obwohl Angel Pulido und die Sephardenkampagne mit keinem Wort erwähnt werden, scheint er dennoch in dessen Fußstapfen zu treten: „there is nothing to prevent Spain and her Jews from cooperating mutally to organize the Spanish-speeking world within the new order of world affairs under the guidance of reason, and so again, in the words of Espinosa, this Hispanic world may persevere in its own being." Eine kaum weniger exponierte Bedeutung hatte er anderthalb Jahrzehnte früher (1955: 168 ff.) auch den Nachfahren der anderen religiös-kulturellen Minderheit im Rahmen der „neuen Weltordnung" zugeschrieben. Das bereits zitierte „Unternehmen" von 1859/60, bei dem, eher nebenbei, die Sepharden wiederentdeckt wurden, habe gezeigt, daß Spanien Afrika niemals ganz vergessen, sich aber dort niemals die Stellung verschafft habe, die ihm von der Geschichte, von der Geographie und vom Geschick bestimmt zu sein scheine: „Andere Aufgaben riefen Spanien in die entlegensten Teile der Welt, während die Hauptarbeit vor den Toren ungetan blieb." Madariagas Ansichten zu Nordafrika illustrieren, daß er augenscheinlich nicht nur ein Anhänger Ganivetscher „Erdgeist"-Theorien war, er ging auch mit dessen kolonialistischen Ambitionen konform, freilich ohne sie als solche zu bezeichnen: „Das spanische Volk hätte in Zeiten friedlicher Expansion", schrieb er über die vertanen Möglichkeiten in dem natürlichen Einflußgebiet', „seine Kräfte nach und nach in Marokko einzudringen, schließlich den Staat zur Intervention zwingen und so einer spontanen Kolonisation den staatlichen Stempel aufdrücken können. [...] Marokko hätte dank der gewissen Rassenverwandtschaft eine Verlängerung Spaniens, ein Spanien jenseits der Meerenge werden können." Leider habe „ein Fremdkörper" der spanischen Phantasie den Blick nach Süden versperrt, leider habe Gibraltar im Wege gestanden, sei wie ein Keil fremden Geistes zwischen die beiden Völker getrieben worden, die sich acht Jahrhunderte lang in Krieg und Frieden durch-

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drungen hätten. Schließlich seien die geistigen Strömungen, die die Felder der Geschichte fruchtbar gemacht hätten, von ihrem Wege abgelenkt worden, Spanien habe die Lust „am Werk" verloren und sich nach innen gewandt. Und das sei letzten Endes gut gewesen: „Das Land sehnte sich nach ein paar ruhigen Jahren, ohne Heeresberichte mit Toten- und Verwundetenziffern und Ruhmreichen Siegen' in den Zeitungen. Es verlangte auszuruhen nach den Erschütterungen, zu arbeiten und sein eigenes Haus zu bestellen. Es erkannte, daß für jedes Volk dort, wo es hingestellt ist, gut sein ist, und daß ihm keine Fremdherrschaft, keine Bürde des weißen Mannes, keine Segnungen der Zivilisation und kein Licht der Christenheit nottun." Schade nur, daß diese Einsicht aus der Not entstanden ist. Denn nur allzugern hätte der kaum verkappte Kolonialist sein Land nach Süden hin verlängert...

3. „Wieviel Erfindung von Geschichte!": Jorge Guilléns Hommage an Mauren und Juden Mit seltener Deutlichkeit, nicht nur im Vergleich mit Madariaga, hat der Lyriker, Literaturkritiker und Übersetzer Jorge Guillén (1893-1984) seine Sympathie für Mauren und Juden bekundet - eine Sympathie, die nicht auf Zufallspräferenzen beruht: Sie ist, neben markanten zeithistorischen Ereignissen, vor allem Bürgerkrieg und Holocaust, nicht zuletzt einer kritischen Revision der spanischen Geschichte geschuldet, die das gesamte Werk des Dichters, der Spanien 1938 verließ, als roter Faden durchzieht. 9 Er selber (Garcia de la Concha 1995: 127 f.) bezeichnete diese Revision als Versuch, „reanimar la historia de Espaiia por nuevo rumbo y hacia nueva meta". Das setzte eine kritische, in seinem Fall fast ikonoklastische Auseinandersetzung mit den gängigen Mythen und Legenden gleichsam zwingend voraus - unter Einschluß jener Generation, die der seinen vorausgegangen war: ¡Oh aquel terrible nacionalismo a redropelo de aquellos demoledores del 98!", schrieb er (ebd.: 130) an die Adresse der berühmten ,Spanien-Problematiker', „Basta, basta. Necesito ser real como un europeo cualquiera. ¡El problema de España! ¡Qué cansancio, qué fastidio!" Man darf dem scharfen Kritiker des 9%-casticismo durchaus beim Wort nehmen: „Españoles castizos, / Absolutistas", schrieb er (1987: 227) mit Blick auf die Sieger des letz-

Auch die erste, 1948 verstorbene Frau Guillens, die französische Jüdin Germaine Cohen, dürfte seine Sympathie für die Juden mitbeeinflußt haben.

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ten „Kreuzzuges", meinte aber wohl nicht nur sie. „Quieren llenar de muertos / Sus grandes listas. / Todo muy serio. / Ya no hay lugar más grato. / Que el cementerio." Es war just diese Art der Geschichte, ihre Mumifizierung zu einem leblosen Körper, die er (ebd.: 231) nach 1939 - einmal mehr! - am Werke sah: „De nuevo como otra vez. / Qué pesadez. / La Historia de esa Península. / Insula, ínsula, / Se ahoga en el agua el pez." Und es war diese Art der Geschichte, zu der Guillén (1984: 76) auf Distanz ging: „¡Bodas / Tardías de la historia / Que desamé a diario!" Denn „Spanien", so wie er es verstand, war ihm keineswegs fremd, gar indifferent gewesen. Bereits in den 20er Jahren bekannte (ebd.: 339) der in Valladolid geborene Autor: „Luz de esta Castilla / Me impone mi destino: Ser ahora y vivir [...] criatura / De las generaciones." In späteren Jahren, sicher mit bedingt durch die Erfahrung des Exils, sprach Guillén (1987: 216) sogar von „Liebe" zu dem Land, das er in den 30er Jahren verlassen mußte: „Uno dijo: ,Me duele España.' / ,Me cansa España, otro dijo. / Y más cada día me extraña / Que soy con más amor su hijo." Eine naive, unreflektierte „Spanienliebe", die auch unter zahlreichen Intellektuellen des Exils nicht unbekannt war (Rehrmann 1996), empfand der Dichter jedoch nie. Die „Liebe" zu Spanien, das war wohl vor allem die Einsicht (1984: 341), daß ihn die Kultur seines Landes auch selber geformt hatte: „Historia ilustre f...] como enlace con todas las firmezas, / Sin cesar navegando en la corriente / Sin principio ni término." Gerade deshalb war für ihn (1987:185) die Frage von Belang: ¿En la Historia de España? ¿Qué ha ocurrido?" Es sind zumindest zwei Gewißheiten, die Guillén mehrmals wiederholte. Zum einen (1979: 216), wohl vor allem an die Adresse der 98er, forderte er das Ende pseudohistorischer Mythen: „¿Península? No basta geografia. / Queremos un paisaje con historia." Zum anderen, nur wenige Zeilen zuvor, spricht er von „Esa incógnita España no más fácil / De mantener en pie / Que el resto del planeta" - eine radikale Infragestellung gängiger Spanien-Klischees, die er (ebd.: 449), gleichsam in Vorwegnahme von Eric Hobsbawms Terminologie, als „Erfindung" bezeichnet: „¡Cuántos bienes posibles, / Cuánta invención de Historia!" Zu den bekanntesten Erfindungen der spanischen Geschichte gehört, was die hier untersuchte Thematik betrifft, die Cid-Legende, die Guillén (ebd.: 240) mit ironischen Fragezeichen versieht: „Sospirò mío Cid, ca mucho avíe grandes cuidados. / El niño dice: ,No nie leas esó' / La narración se anima. Al Cid acompañamos. [...] Comienzan las victorias. Ganado es Alcocer. [...] Con absoluta fe todos los suyos / - Entre ellos este oyente - / En el caudillo sin cesar confian. [...] Nada importa / Que de Marruecos lleguen cincuenta mil soldados. / ,¡E1

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Cid los vencerá! ' grita seguro el niño. / No hay problema, no hay dudas, no hay .suspense'." Es sind gerade die Mauren, die legendären Dauerkontrahenten des berühmten Helden, für die der Dichter an zahlreichen Stellen seines Œuvres eine Lanze bricht - jedoch eine, die kaum romantisch verziert ist. Zwar sind auch seine Gedichte hier und da (ebd.: 294) von Jinetes arábigos" bevölkert, „Que blandieran sus sables / Hacia / La medieval ciudad / De Avila." Auch romantische Liebesphantasien - „,Deseo enamorado' / De algún abencerraje'" (ebd.: 318) sucht man nicht ganz vergeblich. In der Regel weisen solche Allusionen indessen einen Schuß Ironie auf, der die gängigen Klischees einer „España Romántica", so der Titel eines Gedichtes in Erinnerung an Théophile Gautier, als eben solche karrikiert: „Somos muy diferentes / Los españoles", so sein Kommentar an die Adresse des französischen Romantikers (ebd.: 271), „Y hasta los disidentes / Merecen ,oles'." Statt romantischer Verklärung, wie sie die schwärmerische Maurophilie betrieb, setzt er auf eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte: In „Guerra Total" hat Guillén (ebd.: 262 f.) gezeigt, was er darunter verstand. In dem gleichnamigen Gedicht über „aquella guerra de moros y cristianos" läßt der Autor keinen Zweifel daran, wer das Ende „de cierta convivencia: / Cristianos y moriscos" zu verantworten hat: „España es diferente con fiereza. / Se les prohibe a esos moriscos todo: / Su lengua, sus vestidos. / Música, danza, nombres personales." Es war, so der Dichter, die von christlicher Seite in Gang gesetzte Spirale der Gewalt, die die Morisken zu einer verzweifelten Rebellion motivierte: „Vencidos, aplastados, se enfurecen. / Opción: esclavitud o cementerio. / Y se llegó a la guerra. Rebeliones atroces, / Venganzas cruelísimas. / Hay moriscos aún fíeles / A la Imperial Corona. / Tendrán que ser infieles. Desterrados, / Emigran con dolor aquellos árabes. / Ya es siglo XVII." Kein Zweifel: Der Autor dieses Gedichtes solidarisiert sich post festum mit den Verlierern dieses Krieges, denen er nicht nur bescheinigt, lange Zeit mit den Christen friedlich und fruchtbar zusammengelebt zu haben („Hubo hasta una soñada convivencia ideal.") - er läßt, unter Berufung auf Cervantes, auch erkennen, daß es Spanier waren, die von Spaniern vertrieben wurden: „Ricote dice a Sancho: / .Lloramos por España [...] nuestra patria.'" Die maurische Geschichte Spaniens, die zitierten Beispiele belegen es, ist in zahlreichen Gedichten Guilléns präsent - vor allem als Anklage gegen einen uniformen Nationalismus, der dem religiösen Credo des Dichters (1987: 340) übrigens grundsätzlich gegen den Strich ging: „Mi conciencia cristiana muy bien sabe / Que el homicidio es siempre asesinato [...] Matar por patriotismo [...] Montón habrá de crímenes. // Guerra por Dios, Cruzada, mantanza tras man-

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tanza. [...] ¡Ay, violencia!" Eine der Voraussetzungen dafür, daß sich diese Geschichte nicht wiederholt, besteht in der Anerkennung und Bewahrung kultureller Vielfalt; ein stets schwieriges, aber letzten Endes lohnenswertes Unterfangen (1979: 277): „Amar es crear Babel / Entre esfuerzos y aventuras, / A través de tantas horas / Dulces, duras." Wohl auch deshalb hat Guillén mehrfach an die jüdische Geschichte Spaniens erinnert. Etwa in einer „freien Übersetzung" (1987: 286 ff.) eines Gedichtes von Ibn Gabirol, oder in „Hereje y loco" (1979: 241), einem Gedicht zu Ehren von Luis Vives, dessen Mutter, „[una] conversa judaizante", von der Inquisition verurteilt und, so der Autor in einer Fußnote, post mortem auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde: „¡Arda el error! Error con hoguera se cura." Auch die Brandstifter, einschließlich ihrer intellektuellen Helfershelfer, nennt Jorge Guillén beim Namen. Hier (1979: 391) ist es „El gran Inquisidor / [Que] se pone en pie, dirige su diestra acusadora, / Bellamente anillada, / Al reo / Y sin mover los labios / Profiere su condena." Dort (ebd.: 407) ist es „Quevedo", dessen schrille Diatriben gegen Juden und Conversos das Handwerk der Inquisitoren wortgewaltig sekundierten: „Cruce genial de varios que son uno / Terriblemente idéntico a si mismo: / Emergió de una cuna ya ataúd, [...] Hombre mortal de siempre / - Y cristiano muy viejo - [...]." Es war das von Quevedo verkörperte und besungene Spanien, auf das sich jene beriefen (ebd.: 377), die vierhundert Jahre später ihren „Kreuzzug" in Gang setzten: „¿Dos Españas? En efecto. / Una asesinó a la otra. / Y el país quedó perfecto." Daß Guillén die historischen Kontinuitäten genau so verstanden wissen wollte, illustriert seine Hommage an „León Felipe", in der (ebd.: 410) die Geschichte der Juden als allegorischer Gegenwartsbezug evoziert wird: „Le duele mucho y sin cesar el éxodo, / En la memoria su Jerusalén". Jorge Guillén - er hat sich nicht nur mit seltener Deutlichkeit als Erbe des maurisch-jüdischen Spaniens verstanden und den religiösen Fanatismus des spanischen Katholizismus angeprangert; er hat sich auch mit dem Judentum insgesamt eng verbunden gefühlt, und zwar als integraler Bestandteil seines eigenen, christlichen Credos. In „Una sabiduría (De judeo cristiano)", das Gedicht (1987: 259) stammt aus den späten Jahren seines Schaffens, hebt er die Gemeinsamkeiten des jüdisch-christlichen Erbes hervor: „Estaba yo en el Monte Sinai. / Atendía a la voz de Moisés. / Le oí decir: El quinto, no matar'. // Estuve en Galilea. No olvidé, / Las frases de Jesús en su arameo. / , Amaos ya los unos a los otros.' / He ahí mi mejor sabiduría." Kommt die Verbundenheit des Dichters mit den jüdischen Traditionen in den obigen Versen nur sehr allgemein zum Ausdruck, artikuliert er sie in „Etema Israel" (1979: 265) in einer Weise, die unter

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seinen Zeitgenossen, wohl auch unter denen des Exils, ihresgleichen suchen dürfte: „Es sin cesar brillante como un río / Que trueca el sol en inquietud de chispas. / Dúcetil. Sutil con frenesí. Judío." Und noch ein Aspekt verleiht der Judenthematik im Œuvre von Jorge Guillén einen wohl ziemlich singulären Stellenwert: Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor hat er sich über Jahrzehnte hinweg mit dem Holocaust auseinandergesetzt. In dem Gedicht „AI margen de Radnóti" (1979: 253) aus den 40er Jahren trauert er auch stellvertretend für viele namenlose Opfer der Nazibarbarei um einen jüdischen Dichter aus Ungarn, der 1944 in einem Konzentrationslager ermordet wurde: „Hebreos son de un ,lager', un lagar / Donde fermenta infierno. / ¿Batalla? Se destruye a los inermes. [...] Un disparo en la nuca. No se fija / Nadie. Cadáver con sus versos, vivos." In „Los hombres" (ebd.: 332) ist es ein unbekannter Jude: „Sobre un muro de celda en una cárcel, / Poco antes de morir un hombre escribe / Su nombre, luego: Condenado porque / Nació. / Vergüenza y crimen - y de todos. / Porque nació con sangre de Israel." Auch in späteren Jahren ist Guillén mehrfach auf den Holocaust zurückgekommen. In „Exterminio en Auschwitz" (1989: 179) heißt es unter anderem: „Ese máximo crimen de la Historia europea, / Un fondo irracional que ya es locura, / Se mantiene ejerciendo la razón razonante, / Con gran embriagez: asesinatos. / Se cuenta por millones los del todo difuntos: / Máximo crimen de Historia europea." Das größte Verbrechen in der Geschichte Europas hat Guillén nie losgelassen. Noch in seinen letzten Lebensjahren (ebd.: 324 f.) war der Holocaust ein Menetekel, das die menschliche Gattung insgesamt tangierte: „En nuestro planetita, ¿cuál será, hoy por hoy, / Nuestra suprema infamia? / [...] Lo peor: aquel Auschwitz. El horror se razona. / La guerra que es cruzada. Son cómplices los dioses. / Salvación por patriotas: sacros asesinatos. // ¡Milenio amenazante! / Se avergüenza la Tierra de tantas crueldades. // Y el viejo se alejó cansado, melancólico." Auch wenn aus den Versen ein - vielleicht allzu - pessimistisches Credo spricht: Unter Jorge Guilléns Zeitgenossen dürfte es nicht sehr viele Autoren gegeben haben, die seine uneingeschränkte Parteinahme für die beiden Minderheiten in der spanischen Geschichte und für die Juden in der Gegenwart geteilt haben.

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4. Zwischen romantischer Schwärmerei und Respekt vor den Anderen: Mauren, Juden und Christen im Werk von Federico García Lorca Zu ihnen zählte jedoch Federico García Lorca (1898-1936), vor allem mit Blick auf die Mauren. In seinem Werk fänden sich nicht allzuviele Hinweise auf die Alhambra und den Generalife, schreibt Ian Gibson (1995: 82), „trotzdem spielten sie für seine Sensibilität keine geringe Rolle". Zustimmung verdient zumindest der zweite Teil dieser Aussage: Während die Anspielungen auf die maurische Vergangenheit (und Gegenwart) seiner Heimatstadt nicht eben gering ausfallen, besteht an der Bedeutung, die das Maurenthema für den Dichter hatte, kein Zweifel. Er hat sich zwar auch zu den (spanischen) Juden geäußert; die Wertschätzung von Mauren und Morisken, die sich in seinen Gedichten, Theaterstücken und Prosatexten ablesen läßt, ist jedoch unvergleichlich größer, wenn auch häufig im Ton eines gekünstelt wirkenden Orientalismus. Etwa in „Salutación a Granada" (1982: 521), wo er von „aromas del Oriente" schwärmt und die legendären Gestalten der romantischen Maurophilie evoziert: „Que si en Colombia dejo mi linaje, / yo vuelvo a ti con mi emoción más pura / para morir como un Abencerraje." Oder in „AI regresar a Granada" (ebd.: 524): „Granada, bella Granada, / emporio de ruiseñores: / hoy gimes abandonada, / la media luna enterrada / de tus príncipes mejores." Gelegentlich ist es nur eine eher beiläufige Bemerkung, die, wie in Doña Rosita la soltera o el lenguaje de las flores (1992: 93), an die maurische Geschichte der Stadt erinnert: „Alhambra, jazmín de pena / donde la luna reposa." In den Prosatexten, die Lorca seiner Heimatstadt gewidmet hat, sind die Hinweise dagegen allgegenwärtig: „Surgen con ecos fantásticos las casas sobre el monte [...]. En frente", dominiert indessen auch hier (1978: 1/911) die romantische Sicht, „las torres doradas de la Alhambra enseñan recortadas sobre el cielo un sueño oriental". Lorca und seine Freunde, schreibt Gibson (1995: 78), seien häufig durch die Alhambra gewandert, auch durch jene Teile der Stadt, vor allem durch den Albaicin, in denen die Spuren der maurischen Vergangenheit am deutlichsten überdauert haben: „Por todas partes", so Lorca (1978:1/914), „hay evocaciones árabes." Häufig wählt Lorca auch das Mittel des Vergleichs, um seine Präferenzen für die maurische Kultur - im Unterschied zu christlichen Elementen - zu betonen. Dabei verwundert es nicht, daß es sich meistens um ästhetische Vergleiche handelt. Etwa am Beispiel der Gärten: Ein typischer Jardín conventual", schreibt Lorca (ebd.: 923 ff.), „retraza la gran tristeza del convento". Dementsprechend fallen die Beschreibungen seiner Bestandteile aus: Die Farben empfindet er als

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„tímidos y castos", die Gräser und Blumen seien dunkel und verwelkt, der Brunnen kaputt und ausgetrocknet, die Atmosphäre erinnert ihn an den ewigen Herbst: „Las alegrías vibrantes de la primavera y la fastuosidad brillante del verano no entran en él." Ganz anders „die Gärten der Liebe", „[donde] habitan las sabias serpientes bailarinas de las danzas orientales que andan voluptuosas por los macizos abandonados." In diesen Gärten, so die etwas übersteigerte Verzückung des Dichters, zeugten Schwäne, Blumen und „lujurias escondidas" von sinnlicher Vitalität, die man in den düsteren Gärten der Konvente vergeblich suche: „¡Jardines para el olvido, y para las almas sensuales!" Zu den Vergleichen, die für die christlichen Kulturtraditionen nicht günstig ausfallen, gehört natürlich auch der schroffe Kontrast (ebd.: 967) zwischen der Alhambra, „palacio que [...] ha sido siempre el eje estético de la ciudad", und der plumpprotzigen Steinmasse, die Carlos V. nach der Eroberung der Stadt errichten ließ: „Parece que Granada", lautet das ästhetische Urteil Lorcas, „no se ha enterado de que en ella se levantan el palacio de Carlos V. y la dibujada catedral. [...] Granada todavía se asusta de su gran torre fría". 10 Lorca hat den maurischen Einfluß auch deshalb sehr geschätzt, weil er (ebd.: 1003 ff.) in ihm, vor allem unter Berufung auf „el maestro Falla, que ha estudiado profundamente la cuestión", ein konstitutives Element des canto

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sah - das kulturelle Identitätszeichen Andalusiens schlechthin, das selber einen zentralen Platz in seinem künstlerischen Schaffen eingenommen hat: Zusammen mit den liturgischen Gesängen, die die spanische Kirche übernommen habe, und dem Beitrag der Zigeuner sei die „filiación arabe" ein wichtiger Baustein des cante. Schließlich kommt Lorcas Sympathie für die maurische Kultur auch in seinem Diván del Tamarit (1988) zum Ausdruck: durch die explizite Bezeichnung der Verse als diván, gacelas und casidas"

ebenso wie durch ihre „Sensibilität"

(Gibson) für das maurische ,Lebensgefühl'. Letzteres vor allem in Gestalt der maurischen Sinnlichkeit, die in den Versen Lorcas durch Blumen, Düfte, Wasser und erotische Körper evoziert wird. 12 Deshalb hat Emilio García Gómez, einer

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Demgegenüber war, wie eingangs zitiert, Melchor Fernández Almagro (1985), ein Freund von Lorca, wie Gibson (1995: 80) schreibt, ganz anderer Ansicht. Emilio García Gómez (Lorca 1988: 184) weist zwar darauf hin, daß sich Lorca nur sehr eingeschränkt an den arabischen Vorbildern orientierte, die Bezeichnungen aber dennoch nicht als exotische Spielerei mißverstanden werden sollten. Nach Ansicht von El Gamoun (1995: 317) erklärt sich dadurch auch „die große Resonanz", die Lorca in arabischen Ländern finde - eine Resonanz, die häufig an

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der bekanntesten Arabisten Spaniens, sicher recht, wenn er (ebd.: 188) den Diván als wichtigen Beitrag zum Verständnis des maurisch geprägten Spaniens sieht: „El Diván del Tamarit de Garcia Lorca no es una humorada ni una extravagancia. Es un homenaje de simpatía, escrito y publicado en Granada, donde una vieja Facultad de Letras y una naciente Escuela de Estudios Árabes aspiran a imbuir científicamente en la juventud la idea de que estos estudios no son para nosotros adjetivos o accidentales - vocación de exotismo o de utilitarismo colonial - , sino indispensables para entender nuestro pasado y esclarecer nuestra tradición." Vor diesem Hintergrund, der allgegenwärtigen Wertschätzung der maurischen Kultur, ist die folgende Bemerkung (Gil 1988: 192), mit der Lorca seine geographisch-kulturelle Heimat beschrieb, mehr als ein Scherz: „,Soy del reino de Granada'". Diese Bemerkung ist auch deshalb ernstzunehmen, weil Lorca, trotz seines etwas überspannten Orientalismus, die Vernichtung der maurischen Kultur nicht nur als kulturellen Verlust begriff - er sah auch ihre politischen (Spät-)Folgen. Wenige Monate vor seinem Tod, schreibt Ian Gibson (1985: 77), sei Lorca nach seiner Meinung zur Unterwerfung des moslemischen Granadas durch die Christen gefragt worden. Er habe geantwortet, daß es sich dabei um ein verheerendes Ereignis gehandelt habe, auch wenn in den Schulen das Gegenteil behauptet werde: „Se perdieron una civilización admirable, una poesía, una astronomía, una arquitectura y una delicadeza únicas en el mundo, para dar paso a una ciudad pobre y acobardada, a una .tierra del chavico' donde se agita actualmente la peor burguesía de España." Das seien starke Worte gewesen, so Gibson, und sie hätten nicht eben dazu beigetragen, Lorcas Chancen zu verbessern, als die Faschisten Granada im Juli 1936 einnahmen. Hat der illustre Bewohner des Königreiches von Granada' die Vernichtung der jüdischen Kultur in vergleichbarer Weise bewertet? Ian Gibson schreibt (ebd.: 9), daß Lorca, wie er selber 1931 gesagt habe, auch deshalb besonders sensibel für die Opfer von Rassismus und religiöser Intransigenz gewesen sei, weil er aus Granada stamme. Die Geschichte der Stadt habe ihm ein starkes Mitgefühl für alle Verfolgten gegeben, für Zigeuner, Schwarze, Morisken - und Juden. In der Tat lassen sich beide Aussagen, Lorcas kritisches Verhältnis zur nationalen Geschichte, deren prominenteste Opfer Juden und Conversos waren, und

Enthusiasmus grenze. So gebe es arabische Hispanisten, die der Ansicht seien, „Lorca es un árabe que escribe en español".

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seine Sympathie für die (spanischen) Juden, durch zahlreiche Textstellen belegen. Sie fallen zwar, quantitativ gesehen, nicht sonderlich ins Gewicht, lassen aber - wenn auch mit einigen Einschränkungen! - deutliche Sympathien für die Juden im allgemeinen und für die spanischen Juden im besonderen erkennen. Auch Lorcas Verhältnis zu den religiös-kulturellen Minderheiten, der Hinweis von Gibson bestätigt diese Tatsache, ist mit seiner Einstellung zum spanischen Katholizismus, in Geschichte und Gegenwart, aufs engste verbunden: „Hay almas que sufren con lo pasado", schreibt er (1978: 842 ff.) in seinen „Meditationen" über Kastilien. Man darf ihm glauben, daß auch er zu diesen „Seelen" gehörte: Überall, sei es in Avila, Zamora oder Palencia, vernimmt er Stimmen „de reyes crueles y de angustiantes responsos de la Inquisición al chirriar las carnes quemadas de algún astrólogo hereje. Toda la España pasada y casi la presente se respira en las augustas y solemnísimas ciudades de Castilla [...]. Todo el horror medieval con todas sus ignorancias y con todos sus crímenes [...]; ciudades de Castilla llenas de santidad, horror y superstición!" Sicher, auch in diesen Sätzen klingt, wenn auch sehr verhalten, noch ein fernes Echo des Kastilienmythos wider, den die 98er Generation bis zum Überdruß besungen hat. Aber eben nur ein Echo - der Grundakkord, den Lorca in seine Beschreibungen legt, besteht eher aus historischen Molltönen. Sie gelten auch den zeitgenössischen Ausläufern dieser Traditionen, die in einer „edad brutal, tosca y solemnemente expresiva" ihren Anfang nehmen. Zum Beispiel (ebd.: 883) in Gestalt kastilischer Mönche, „hombres de tez curtida, de andar grosero, de manos impuras por el color negruzco que tienen, llenas de cerdas, ese castigo cruel de la Naturaleza. [...] Es feo que estos hombrotes burdos hundan sus labios en las prístinas claridades del gran misterio y sacrificio". Sind diese armseligen Nachfahren des einst allmächtigen Gottesstaates, „eco de la fe primitiva" (ebd.: 888), für Lorca nur Torquemadas en miniature, die, wenn sie bloß könnten, noch immer Häretiker ins Feuer schickten? Die weiter oben zitierte Bemerkung, daß die düstere Geschichte der España Negra noch immer nicht beendet sei, macht diese Vermutung durchaus plausibel. Um so überraschender ist es, daß Lorca an anderer Stelle, just dort, wo er sich am entschiedensten mit der jüdischen Vergangenheit Granadas identifiziert, für den Katholizismus und einen seiner bekanntesten weltlichen Repräsentanten, Philipp II., lobende Worte findet. So teilt er in seinen Briefen aus New York (1985: 48) seiner Familie mit, daß er eine .jüdische Synagoge" besucht habe, „de los judíos españoles". Beeindruckt von den synagogalen Gesängen - „cosas hermosísimas", „de belleza impresionante" - , schreibt er seinen Eltern und

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Geschwistern: „comprendo que en Granada somos casi todos judíos. Es una cosa estupenda ver cómo parecían todos granadinos". Doch dann folgt ein Satz, der deutliche Distanz markiert: „Hicieron una ceremonia muy bonita, muy solemne, pero que a mí me resultó vacía de sentido. Me parece demasiado fuerte la figura de Cristo para negarla." Noch schroffer geht Lorca zu den New Yorker Protestanten auf Distanz, deren Kirchen er besucht hat: „No me cabe en la cabeza (en mi cabeza latina) cómo hay gentes que puedan ser protestantes. Es lo más ridículo y lo más odioso del mundo." Harter Tobak für einen Beobachter der religiös-kulturellen Vielfalt der Stadt, die er nur ein paar Zeilen zuvor als eher positiv empfunden hatte: „La más interesante de esta inmensa ciudad es precisamente el cúmulo de razas y de costumbres diferentes." Wenngleich seine abschätzigen Bemerkungen über Juden und Protestanten zu einem Gutteil ,nur' den religiösen Kultformen gelten, die er im Vergleich zum „instinto innato de la belleza en el pueblo español" und zu dessen „alta idea de la presencia de Dios en el templo" als schal und kalt empfindet - trotz dieser Einschränkungen verblüfft die Härte, mit der Lorca die anderen Religionen verurteilt, und der Enthusiasmus, mit dem er (ebd.: 57) den Katholizismus besingt: „Pero sigo diciendo que la belleza y la profundidad del catolicismo es infinitamente superior. De ser religioso en una religión positiva no hay más perfección que en el catolicismo." Auch wenn diese Elogen auf den Katholizismus in Teilen ästhetisch gemeint sind und der kulturellen Kälte geschuldet sein dürften, die Lorca in New York empfand: Spricht so ein Freund der verfolgten Minderheiten, denen der „perfekte Katholizismus" den Garaus gemacht hat? Oder war auch Lorca, trotz aller Sympathie für die verfolgten Minderheiten, in erster Linie Spanier, und damit nicht völlig frei von nationalkatholischen Denkweisen? Die folgende Bemerkung (ebd.: 47), die weiter nicht erläutert wird, klingt zumindest verdächtig: „Ahora comprendo también, aquí, frente a las iglesias protestantes, el porqué racial de la gran lucha de España contra el protestantismo y de la españolísima actitud del gran rey injustamente tratado en la historia, Felipe II." Keine Frage: Gerade der pauschale Charakter der letzten Bemerkung wirft, auch wenn sie ,nur' auf die Protestanten gemünzt ist, einen Schatten auf die mauren- und judenfreundlichen Äußerungen des Dichters - Äußerungen, die bei weitem überwiegen. Zu ihnen gehört, was die spanischen Juden betrifft (1978: 973), daß jeder Besucher der Stadt „una curiosa mezcla de la Granada judía y la Granada morisca" bemerke - eine Mischung, die im übrigen kaum mit dem Christentum verschmolzen sei. Auch als historisches Ferment des Flamenco erweist Lorca (ebd.: 1027) den jüdischen Traditionen seine Reverenz: „Un canto

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que ya estaba levantado en Andalucía, desde Tartesos, amasado con la sangre del Africa del Norte y probablemente con vetas profundas de los desgarrados ritmos judíos". Der Unterschied zu den Mauren, so wie Lorca sie sah, springt dennoch ins Auge: Im Vergleich zum „moro amigo" (ebd.: 880), der auch quantitativ die Hauptrolle spielt, fällt die „brisa judía" (ebd.: 1114) nicht sonderlich ins Gewicht und weist Ambivalenzen auf, die ihre Bedeutung relativiert. Dennoch gehört Lorca zu jener Minderheit spanischer Autoren, deren positives Verhältnis zur jüdischen Geschichte außer Frage steht - auch durch die Vermeidung der dominanten Dichotomie zwischen Sepharden und Aschkenasen. Denn im Unterschied zum Mainstream der Philosepharden hat sich der Granadiner Dichter als Sympathisant aller Juden erwiesen. In dem Gedicht „cementerio judío", durch seinen New Yorker Aufenthalt inspiriert, hat er die jahrtausendealte Verfolgung der „niños de Cristo" bitter beklagt - und angeklagt. Nordlund (1998: 46 ff.) hat sich die Mühe gemacht, dieses Gedicht, eine schwierige, symbolgeladene Allegorie auf die jüdische Leidensgeschichte, Zeile für Zeile zu interpretieren. Sein Ergebnis, ohne hier ins Detail zu gehen, fällt eindeutig aus: Die Juden, so Lorcas Hauptbotschaft, sind Opfer einer ungerechten und brutalen Verfolgung. In den folgenden Versen (ebd..57), sie gehören zu den klarsten des Gedichts, kommt diese Botschaft auch bei , naiven Lesern' an: „Los niños de Cristo dormían / y el judío ocupó su litera. / Tres mil judíos lloraban en el espanto de las galerías". In Lorcas Version des ,wandernden Juden' gehe es nicht, so Nordland (ebd.: 48), um anthropologische Konstanten irgendeiner Art; Lorca verweise auf die historische Dimension der jüdischen Leidensgeschichte: „Therefore, while the Christian enjoys a physical and psychological well-being, a blissful State of ignorance or denial of Jewish suffering, the Jew must be constant alert in order to be one step ahead of persecution." Dieses Mitgefühl Lorcas klinge übrigens bereits in „El camino" von 1921 (ebd.: 47) an: „Dando vueltas al mundo, / no encontrarás posada. / No tendrás camposanto / ni mortaja, / ni el aire del amor renovará / tu sustancia." In „Cementerio judío" ist das Mitgefühl früherer Jahre noch ausgeprägter. Dort läßt sich Lorcas Verweis (ebd.: 50) auf die innerjüdische Solidarität auch als seine eigene Solidaritätsbekundung interpretieren: „Los niños de Cristo bogaban y los judíos llenaban los muros / con su solo corazón de paloma / por el que todos querían escapar." Nordlund (ebd.: 51) resümiert die allgemeine Haltung des Dichters, die den gängigen Interpretationen der innerjüdischen Solidarität frontal widerspricht: „Lorca [...] is saying that although Jews may be persecuted, roundup against walls and killed, or imprisoned between walls, the spirit and

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solidarity of the Jewish people is not easily broken." Die Mehrheit seiner Zeitgenossen, das wußte wohl auch Lorca, sah im Zusammenhalt der jüdischen Diaspora etwas ganz anderes: Ein zentrales Element des Ewigen Juden, seine Macht zu behaupten und auf Kosten der Christen auszubauen. Auch dieser antisemitischen Standardlegende hat Lorca damit widersprochen.

5. „Mein geliebter Meister Américo Castro": Dámaso Alonso Als Schüler von Menéndez Pidal und Américo Castro darf man bei Dámaso Alonso (1898-1990), dem im , Schicksalsjahr' 1898 geborenen Lyriker, Philologen, Essayisten, Literaturkritiker und Literaturtheoretiker, eine juden- und maurenfreundliche Haltung gleichsam als selbstverständlich voraussetzen. So hat er seine geistige Verwandtschaft mit Américo Castro denn auch mehr als einmal betont. Das berühmteste Buch seines „geliebten Meisters" (1972:11/19) hat er als „leidenschaftliches" Werk geradezu besungen: „La pasión es, a mi juicio, indispensable para que se produzca la intuición; y así, España en su historia quedará en la de la cultura española por una serie de intuiciones fundamentales. Sí, quedará como uno de los libros más renovadores y más ibéricamente apasionados." Dieser Hommage, Anfang der 50er Jahre, also bereits kurz nach Erscheinen des Buches geschrieben, hat er Mitte der 60er Jahre eine noch enthusiastischere Eloge hinzugefügt: „Su libro - y toda esa atmósfera de artículos suyos en torno al libro su interpretación de la historia de España, frenéticamente admirada por muchos, por bastantes discutida, negada por algunos", schrieb er (1975: 438 f.) damals, „significa un paso [...] hacia inmensas extensiones y honduras de tiempo y de razas humanas, y del pensamiento del hombre sobre ella". Sein „großes Buch", bereits in „die wichtigsten Kultursprachen" übersetzt, handele letzten Endes von einem zentralen Thema - dem „Geheimnis Spaniens": „Es un libro apasionadamente español, españolísimo, que una mente española ha sabido imponer al mundo, a ese mundo en el que todo lo español antes, ahora y siempre - suele tener tan ,mala prensa'." Die kulturhistorischen Konturen der Verteidigungsrede des Schülers für den Lehrer treten damit klar zutage: Trotz seiner unorthodoxen Interpretation der spanischen Geschichte sei das Werk Américo Castros durch und durch spanisch. Genauso spanisch wie die Mehrheit der Exilintellektuellen, für deren Rehabilitierung - unter dem Banner eines eher liberalen Hispanismo - sich Dámaso Alonso in jenen Jahren stark gemacht hat. Wie kann man einem Autor wie

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Américo Castro, scheint er vor allem an die Adresse von Claudio Sánchez Albornoz und dessen Epigonen zu schreiben, eine Art nationaler Häresie unterstellen, ohne die spanische „troncalidad" (1985: VIII/730) zu berücksichtigen, von der sein verehrter Lehrer geprägt ist? Die „Liebe zu Spanien", das Hauptkriterium Dámaso Alonsos zur Beurteilung der wissenschaftlichen Integrität Américo Castros, gilt nicht minder für seinen zweiten Lehrer, bei dem auch der zuletzt Genannte in die Schule gegangen ist: „Menéndez Pidal", dehnt er (1975: IV/437) seine Eloge auch auf diesen aus, „trajo a España el método científico positivo, en todo lo que era aplicable a las ciencias del espíritu. De él lo aprendieron sus discípulos inmediatos, ante todo don Américo". Von ihm habe letzterer nicht nur das wissenschaftliche Handwerk gelernt - auch dessen Spanienliebe (ebd.: 89) hat sich augenscheinlich auf Castro übertragen: „En amar a España, en comprenderla de su continuidad, en sentirla, aun físicamente, no creo que nadie haya aventajado a Menéndez Pidal." Für das Verständnis der kulturhistorischen, besser: literaturhistorischen Perspektive, die Dámaso Alonso selber einnimmt, ist seine eigene Spanienliebe sicher ein zentraler Schlüssel. Denn wie seine beiden „Meister", ist er von einem spanischen Ursubstrat, dem vor allem seine ,Liebe' galt, durchaus überzeugt gewesen. So war auch für ihn (1985: VIII/727) die Frage: „¿Tradición o poligénesis?" die Frage schlechthin - „el problema fundamental de toda la historia de la cultura". Und beantwortet hat auch er sie, trotz einer deutlichen Aufgeschlossenheit für die jüdisch-maurische „poligénisis", letzten Endes zugunsten einer spanischen „troncalidad". Dabei hat sich Dámaso Alonso (bewußt?) nicht zu politischen oder kulturanthropologischen Fragen dieser Geschichte geäußert. Sein Interesse an der Zeit der Convivencia und ihren Folgen hat sich stets, wie er selber bekannte (ebd.: 727), auf eine rein „literarische Perspektive" beschränkt. Doch die fällt immerhin, wie seine Verbundenheit mit Menéndez Pidal und Américo Castro bereits vermuten läßt, im Sinne einer „poligénesis" aus - und zwar einer, die Mauren und Juden gleichermaßen als Teil der literarischen Traditionen begreift. Am Beispiel der mittelalterlichen Lyrik fällt Dámaso Alonsos plurikulturelle Perspektive besonders plastisch aus. Unter dem programmatischen Titel „Cristianos, moros y judíos" (1972: 83 f.) schreibt er: „He aquí el nacimiento del villancico. El nacimiento del núcleo ibérico. ¿Como nace? Tres razas, tres literaturas, tres lenguas colaboran: cristianos, moros y judíos." Die eigentlichen Wurzeln dieses „lyrischen Kerns" verortet der Literaturhistoriker zwar in einem entfernten, zeitlich schwer zu bestimmenden „romanismo peninsular"; ihre

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Blüte, gleichsam bedingt durch den trikulturellen Dünger, erfahren diese Wurzeln doch erst nach der „arabischen Invasion": „Lo importante para nosotros es esto: poetas cultos árabes y hebreos, con una curiosidad, con una estimación de lo popular que el europeo no ha tenido hasta el siglo XIX, recogieron esas jaryas redactadas en la lengua vulgar que nadie escribía, y que las tomaron como núcleo de intensidad lírica de sus muwaSäahas. [...] Extraña simbiosis: cristianos, moros y judíos [...] juntos bajo el sol de Andalucía". Hier zeigt der Literaturhistoriker Dámaso Alonso keinerlei Berührungsängste mit der literarischen Convivencia. Die spezifische Modernität der peninsularen Literatur sei Mauren und Juden geschuldet. Die „Sonne Andalusiens", und das dürfte heißen: die fruchtbare Symbiose der drei Kulturen, hat sie ermöglicht. Diese relative Ausgewogenheit, d. h. die literaturhistorische Wertschätzung beider Minderheiten, zieht sich wie ein roter Faden durch alle Texte, die das Thema tangieren, mit einem nur leichten Übergewicht für den maurischen Part. Denn während sich nur wenige Hinweise finden, die den jüdischen Einfluß als integralen Bestandteil der kastilischen Tradition einstufen, gehört der maurische Einfluß explizit (ebd.: 73) dazu, wenn auch ,nur' in der Literatur: „Lo castellano no es (salvo en el pequeño núcleo original) sino la mezcla de un superestrato castellano, mancha conquistadora que avanzaba hacia el Sur, y un elemento mozárabe que iba convirtiéndose en sustrato según iba siendo reconquistado." Welch ein Fortschritt im Vergleich zu Unamuno, der die maurischen Traditionen nur als Ablagerungen auf dem hispanischen Urgestein klassifiziert hatte! Dámaso Alonsos Maurophilie hatte freilich auch Grenzen, die überschritten zu haben er (1985: VIII/729) sogar seinem Lehrer ankreidete. So habe er mit Staunen vernommen, daß Américo Castro der Ansicht sei, er, Dámaso Alonso, habe den Beweis dafür erbracht, daß Góngora den andalusisch-arabischen Dichtern viel verdanke. Das sei jedoch mitnichten wahr: „ni yo he demostrado eso, ni se me ha pasado por la cabeza demonstrarlo". Er habe lediglich auf eine „große Ähnlichkeit" zwischen beiden hingewiesen. Aber: „Esa semejanza de lo hispanoárabe y lo gongorino no nos autoriza a pensar en una descendencia." Ansonsten geht es dem Schüler von Américo Castro jedoch fast durchweg 13 darum, die zentralen Thesen seines Lehrers zu untermauern. Vor allem am Beispiel der einschlägigen Standardwerke. So interpretiert auch er (1972: 381 ff.), unter ausdrücklicher Berufung auf Castro, den „mudejarismo" des Arcipreste de 13

Hier und da hält er seinem Meister allerdings immer mal wieder „Übertreibungen" vor, vor allem dann, wenn dieser, wie in obigem Beispiel, den maurischen Einfluß „überschätzt".

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Hita als Ausdruck der historischen Realität Spaniens: „Juan Ruiz [...] escribe en un país donde lo árabe, o por lo menos lo mudéjar, es una realidad poderosa: nada extraño que imprima visibles huellas en el Libro de Buen Amor." Nein, generell hat Dámaso Alonso keine Probleme, den islamischen Einfluß, der sich in diesen Klassikern der peninsularen Literatur manifestiert, als ebensolchen anzuerkennen. In einigen ,Details' machen sich indessen noch einige Reminiszenzen früherer Interpretationskartelle bemerkbar: natürlich mit Blick auf „la misteriosa incertidumbre entre piedad y erotismo que tanto nos

desconcierta

[Hervorhebung von mir, N.R.] en la obra del Arcipreste". Die derbe Erotik eines „Don Carnal", des eindeutigen Siegers im Kampf mit „Doña Quaresma", ging der muffigen Prüderie des Frankismus, unter dessen moralischem Auspizium auch Dámaso Alonso schrieb, allemal zu weit. Deshalb verwundert es nicht, wenn ihm auch ein anderes Standardwerk der peninsularen Literatur - El collar de la paloma, das er (ebd.: 16) mit Recht zum „recinto limitadísimo de la Weltliteratur" rechnet - , in Teilen höchst anrüchig erscheint: „Advierte el lector moderno", erhebt er (ebd.: 24) auch hier warnend seinen moralischen Zeigefinger, „cuán prevenido debe estar para la lectura de un texto que entre maravillosas delicadezas refiere de vez en cuando brutales obscenidades y en el que se pasa indiferentemente del amor entre hombres y mujeres a apasionadas ,amistades particulares' entre hombres (que a veces apestan a homosexualidad sin tapujos)". Erkennbar sympathischer waren ihm demgegenüber die jüdischen Manifestationen erotischer Liebe. Während die jarchas

arabischer Herkunft, schreibt er

(ebd.: 30), „a veces pican que rabian y, en general, representan un pasión más sensual", seien die ,jarchas de muguasajas hebreas", die Stern veröffentlicht hatte, „un blanco ambiente virginal, de casta pasión [que van] muy bien al carácter de los pueblos cristiano y hebreo". In dieser - und nur in dieser - Frage rangiert das jüdische Erbe in der Literatur aus der Sicht von Dámaso Alonso noch vor dem maurischen! Dennoch veranschlagt er den jüdischen Beitrag zur spanischen Literatur insgesamt recht hoch. Über die neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung ist er gut unterrichtet (ebd.: 34 ff.); mit,provokativen' Thesen spanischer Autoren, die zu ihrer Zeit vielen als Sakrileg erschienen, geht er konform: „,E1 primer poeta castellano de nombre conocido", zitiert er Menéndez Pelayo, „es muy probablemente Judá Leví, de quien consta que versificó, no solamente en su lengua, sino en árabe y en la lengua vulgar de los cristianos.'" Ein Jude als Begründer der spanischen Literatur - mehr als ein halbes Jahrhundert nach Menéndez Pelayo war der unerhörte Charakter solcher Aussagen fast schon zur

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wissenschaftlichen Normalität geworden. Auch dank der Arbeiten von Dámaso Alonso,14 die den literarischen Traditionen des spanischen Judentums den Rang zurückgeben (ebd.: 68), den sie dereinst besessen hatten: „Venerable tesoro, que debe ser, que debe ser (para quien no quiera buscar pan de trastrigo) la base común de toda la poesía tradicional de Portugal y de España." Seine zuweilen recht hochtönende Spanienrhetorik - „Y siempre vivirá España" (ebd.: 99) - , in der die ideologischen Geister der frankistischen Hispanidad zumindest verbal noch immer ihr Unwesen treiben, wird durch die Akzeptanz des trikulturellen „Schatzes" immerhin stark relativiert: Juden und Mauren, so das Credo Dámaso Alonsos, gehören auch zur Hispanidad, zumindest zu ihrer Literatur.

6. Späte Versöhnung mit Juden und Mauren: Rafael Alberti Hat der letzte der hier untersuchten Autoren den kulturhistorischen Pluralismus Dámaso Alsonsos geteilt? „Yo [...] soy chino-arábigo-andaluz", beschrieb Rafael Alberti (1902-1999) seine .kulturhistorische Biographie' in den 70er Jahren (Velloso 1977: 257) mit ähnlichen Worten wie sein Generationskollege Federico García Lorca und fügte hinzu: „Yo digo más, digo que soy un fenicio-romanogrecorromano-arábigo-chino-andaluz. Cádiz es todo eso. Así que me tengo que poner cada vez más cosas." Die mit leichter Ironie gezeichnete Kulturlandschaft seiner Heimatprovinz war durchaus ernst gemeint: Der berühmte Lyriker und Theaterautor der Generation von 1927, der wie kaum ein anderer Autor den antifrankistischen Widerstand während des Bürgerkrieges und den Oppositionsgeist des Exils verkörperte - Alberti kehrte erst nach Francos Tod wieder nach Spanien zurück - , hat sich den multikulturellen Traditionen seines Landes verbunden gefühlt, auch und gerade den „arabischen". Weniger stark waren die Bande, die ihn mit Sefarad verbanden - daß sie in der zitierten Liste kulturhistorischer Einflüsse fehlen, ist deshalb vielleicht kein Zufall: Die jüdische Geschichte Spaniens, wiewohl sie eine positive Rolle für ihn spielt, hat Alberti

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Als Kenner der Thematik lobte er selber (ebd.: 31) ausdrücklich die Beiträge seiner spanischen Kollegen, die „estudios de importancia mundial" durchgeführt hätten; vor allem den Consejo Superio de Investigaciones Científicas und dessen Zeitschriften AlAndalus, Sefarad und Filología Española. In einem kleinen Artikel über „Problemas de las sonoras serfardíes" (1972: 1/142 f.) hat Dámaso Alonso auch zur Sephardenthematik selber einen Beitrag geleistet.

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erst spät zur Kenntnis genommen, unter Einschluß eines (nicht immer) positiven Judenbildes genereller Façon. Die - frühen - Ambivalenzen mit Blick auf die Juden (aber auch auf die Mauren), die möglicherweise zu einem Teil seinem kommunistischen Credo geschuldet sind, verwundern umso mehr, als Alberti mit einigen Grundprämissen der nationalen Geschichte hart ins Gericht gegangen ist. Im ersten Band seiner Memorias (1989: 29) schreibt er über die .katholischen Essenzen' Spaniens: „¡Lamentables generaciones españolas salidas de tanta podredumbre, incubadas en tan mediocres y sucias guaridas! Aunque en la actualidad deteste y odie el imbécil alarde antirreligioso, si no peor en su extremo, por lo menos tan desagradable e inculto como el del más cerril de los beatos, quiero consignar una vez más en mi obra la repugnancia que siento por ese último espíritu católico español, reaccionario, salvaje, que nos entenebreció desde niños los azules del cielo, echándonos cien capas de ceniza, bajo cuya negrura se han asfixiado tantas inteligencias verdaderas. ¡Cuántos brazos y angustiados pulmones hemos visto luchando fiera y desesperadamente por subir de esas simas, sin alcanzar al fin ni un momentáneo puñado de sol! ¡Cuánta familia hundida! ¡Horrible herencia de escombros y naufragios!" Die kritische Bilanz des Nationalkatholizismus, die auch seinen eigenen Jugenderfahrungen gilt, war kein Einzelfall. Auch in seinen Gedichten ist Alberti wiederholt auf die unseligen Traditionen zu sprechen gekommen, etwa (1988: III, 606) in seinen Erinnerungen an einen Besuch Toledos: „Éste es un gran inquisidor. Me mira / a más de cuatro siglos de distancia. // Por la noche me siento / quemado por sus ojos / que me traje adheridos / a mi espalda." In einem Gedicht aus den Bürgerkriegsjahren (1988: I, 580 f.) hat der „Dichter auf der Straße" sogar die gesamte „Burrihispanidad" der

frankistisch-falangistischen

Ge-

schichtspropaganda mit beißendem Spott übergössen: „Levanto el brazo. ¡Presente! / Soy el Imperio español / con dos cuernos en la frente. [...] ¡Por Isabel y Fernando! / ¡Por la Santa Inquisición / y los toros de Guisando! / ¡Viva Cristóbal Colón!" In dem Theaterstück Noche de guerra en el Museo del Prado, es datiert von 1956, läßt der Autor (1991: 220) erkennen, daß er auch zu anderen Säulenheiligen der traditionalistischen Historiographie ein distanziertes Verhältnis hatte: „Acordaos de Numancia, del pérfido romano, del traidor Witiza y del gran don Pelayo, gloria de Covadonga ..." Auf diese patriotistischen Ergüsse entgegnet „eine Stimme", die dem Autor offenkundig aus der Seele spricht: „¡Ya está bien! ¡Bravo! ¡Que siga otro! ¡No es hora de discursos!" Die erfrischende Brise, mit der Alberti das muffige Gebäude der Hispanidad in diesen Texten lüftet, weht freilich nicht durch alle Seiten seines Werkes, die

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sich mit dem Thema beschäftigen. In Numancia, einer historischen Allegorie auf den Bürgerkrieg, ist dagegen überaus häufig von „madre España", „la española espada" (1975: 107) und „este valor hispano" (ebd.: 135) die Rede - im Unterschied zu den zuvor zitierten Texten durchaus nicht mit kritischer Absicht. Ziemlich traditionalistisch sind darüber hinaus Albertis Ansichten zur Entdeckung und Eroberung Amerikas (Rehrmann 1996: 501 ff.), einem weiteren Pfeiler der Hispanidad, die die sarkastische Verballhornung des Entdeckers („¡Viva Cristóbal Colón!") deutlich relativieren. Auch wenn bestimmte Formulierungen, etwa sein Lob der „conquistadores" (ebd.: 503), der .politischen Pädagogik' des antifrankistischen Dichters geschuldet sein mögen: Das Geschichtsbild, das sie tradieren, widerspricht seiner Kritik der „Burrihispanidad" und ihrer bekanntesten Repräsentanten. Besonders augenfällig nimmt dieser Widerspruch auf den Seiten von Santa Casilda Gestalt an, einem frühen, kaum bekannten Theaterstück Albertis, das eine rührselige Missionsgeschichte aus dem 11. Jahrhundert erzählt - unter Aufbietung der gröbsten Klischees, die dieses Genre hervorgebracht hat.15 Im Mittelpunkt des Stücks steht Casilda, die Tochter eines taz/a-Herrschers, in dessen Kerker ein christlicher Edelmann mit seinen Begleitern schmachtet, in den sich Casilda verliebt - und durch den sie zum ,wahren Glauben' findet. Bereits ihre erste Begegnung (1990: 44) bildet den Auftakt der Missionsgeschichte: „Mora soy, morita mora, / morita sin bautizar. / Los cautivos de mi padre / me quisieran cristianar." Während die christlichen Keime der Protagonistin nach nur wenigen heimlichen Besuchen bei dem christlichen Gefangenen zur vollen Blüte reifen - übrigens unter aktiver Mithilfe eines „Engels" (ebd.: 68 ff.) - , werden die Mauren als ungläubige Sadisten dargestellt, die den christlichen Gefangenen grausame Qualen (ebd.: 56) zufügen: „maltratando, rítmicamente, a latigazos a los tres cautivos". Als der Maurenkönig von den heimlichen Besuchen seiner Tochter und von ihrer Absicht erfährt, zum Christentum über15

Dabei ist es, wie ich finde, nur von sekundärer Bedeutung, daß Santa Casilda, wie der Herausgeber der vorliegenden Edition schreibt (1990: 33), „a esa atmósfera neopopularista de recuperación de la tradiciones" gehöre, „que caracteriza una parte de la poesía de la generación de 1927", u. a. „la oleada erudita que Menéndez Pidal ha puesto de moda a través de diferentes organismos de cultura filológica, literaria." Es mag zwar sein, so der Herausgeber (ebd.: 29), daß sich Alberti von den literaturhistorischen Vorbildern des Stoffes, u. a. Lope de Vega und Tirso de Molina, und deren „religiösem Eifer" etwas entfernt hat; das Stück als „un esfuerzo colectivo de consolidación nacional" zu bezeichnen (ebd.: 23), das „el verdadero pasado español, la verdadera sangre española" zum Ausdruck bringe - das läßt sich jedoch nur als unfreiwillige Satire begreifen!

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zutreten, beschließt er (ebd.: 99), sie zusammen mit den christlichen Gefangenen zu töten:„Una rueda de puñales / para tu cuerpo y tu alma. / ¡Arrodíllate, Casilda! / ¡Centra el ruedo, renegada!" Dem Paar gelingt jedoch, mit Gottes Hilfe, die Flucht nach Kastilien. Kaum dort angekommen, wird sich Casilda ihrer himmlischen Kräfte bewußt: Sie (ebd.: 120) gibt einem Blinden sein Augenlicht zurück, obwohl sie noch nicht getauft ist. Ein Eremit, dem sie (ebd.: 124) ihren Status als .Ungläubige' beichtet- „Nací morita, ermitaño, / yo nací morita mala" - , macht sie nun auch formal zum .wahren Menschen'; erst jetzt, nach der Taufe, findet sie (ebd.: 126) ihre eigentliche Bestimmung: „¡Oh alegría! / ¿Qué nueva sangre del cielo / corre por la sangre mía? / ¡Oh consuelo!" Ihre Freude währt indes nicht lange: Die Häscher des Maurenkönigs, „los verdugos de mi padre" (ebd.: 129), lauem dem Paar auf und verletzen den christlichen Geliebten Casildas so schwer, daß er ein paar Seiten später (ebd.: 139) stirbt - aber als glücklicher ,Missionar': „adiós, Casilda la Infanta. / Yo te saludé morita / y hoy te digo adiós cristiana". Am Ende stirbt zwar auch sie, von Engeln zum Himmel emporgetragen, jedoch nicht, ohne vorher für das Seelenheil der .Ungläubigen' gesorgt zu haben: „Ruega por mi padre, / mi esclava y Ali", fleht sie (ebd.: 154) ihren neuen Heiland an, „Diles, mi Jesús mío, / diles tú que te vi." Welches auch immer die ästhetischen Gründe waren, die Alberti zu dieser ,Passionsgeschichte' motivierten: In späteren Jahren mag er froh darüber gewesen sein, daß sie nie16 auf einer öffentlichen Bühne zur Aufführung gelangte ... In den folgenden Jahrzehnten scheint Albertis Interesse an der maurischen Geschichte nahezu völlig erloschen zu sein, von vereinzelten Anspielungen, etwa in den Baladas y canciones del Paraná (1979: 40) - „Pienso en el rey de Sevilla, / triste y blanco" - abgesehen. Er selber schrieb (1988: III, 877) in einem späten Gedicht, vermutlich aus den 70er Jahren: „Es verdad que yo nunca fui a Granada, / [...] y que ni aun en sueños penetré en la Alhambra. / Es verdad que yo jamás entré en la Alhambra." Erst nach seiner Rückkehr aus dem Exil scheint das Interesse am maurischen Spanien wieder erwacht zu sein: „Me están llamando ya de Andalucía", schrieb er (ebd.: 596) Ende der 70er Jahre, „Me espera Andalucía, ahora, y siempre. / Yo sé que está la Alhambra, / que allí está la Mezquita". Es war unter anderem die Erinnerung an seinen ermordeten Jugendfreund und Generationskollegen „Federico" (ebd.: 603), die Alberti zu kultur16

Alberti habe das Stück, so der Herausgeber (ebd.: 19), nur einige Male persönlich vorgetragen, u. a. im Hause von Pedro Salinas und „delante de la familia Menéndez Pidal."

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historischen Evokationen inspirierten: „Se me aparece la Alhambra / con sus jardines". Anfang der 80er Jahre, schreibt er im zweiten Teil seiner Memorias (1987: 211 f.), war es dann soweit:„Y Granada apareció al fin. [...] Y comenzamos el ascenso [a la Alhambra, N.R.] por una larga calle, mientras yo me iba diciendo en voz baja aquel maravilloso y melancólico romance del rey moro que perdió Alhama. [...] Por fin había entrado yo en Granada." Sonderlich aufschlußreich, was Albertis Bild von Al-Andalus betrifft, sind diese und andere Anspielungen auf die maurische Geschichte Spaniens allerdings nicht. Begriff er sie, wie die eingangs zitierten Äußerungen nahelegen, tatsächlich als kulturhistorisches Erbe, das, jenseits der üblichen Bewunderung für die maurischen Prachtbauten, noch immer von Bedeutung für ihn war? Oder ging er nach wie vor mit jenem Geschichtsbild konform, das er in den 20er Jahren in Gestalt der Santa Casilda tradiert hatte? In einem Gedicht über das „XV Jahrhundert", es stammt aus der Periode 1939-1963, läßt Alberti (1989: II, 246) immerhin anklingen, daß er mit der christlichen Bestimmung Casildas inzwischen Probleme hatte:„Como se hiela a un lucero / su color, su relumbrar, / así a la reina de España [Isabel la Católica, N.R.] / se le heló la claridad. / Triste España sin ventura, / todos te deben llorar. II No hay media luna en Granada. / Llorando, Israel se va." Die Zeilen sind eindeutig: Das Ende der Mauren und die Vertreibung der Juden markieren für den Dichter den Beginn einer politischen Eiszeit, die, wie aus seinen zitierten Bemerkungen zum Nationalkatholizismus hervorging, jahrhundertelang andauern sollte. Ist der Hinweis auf „Israel" dabei als durchweg philosemitisches Credo zu lesen? Im Unterschied zur Maurenthematik, die, wenn auch zeitweise höchst traditionalistisch und auf unterschiedliche Schaffensperioden konzentriert, Albertis gesamtes Werk durchzieht, kommt die Judenthematik, zumindest deren spanische Dimension, erst spät zur Sprache. In dem Gedicht „Retornos de Yehuda Halevi, el castellano", es stammt vermutlich aus den fünfziger Jahren, hat der Dichter (ebd.: 526 f.) selber auf die späte, aber deshalb nicht minder erfreuliche ,Bekanntschaft' mit seinem mittelalterlichen Kollegen hingewiesen: „Te he conocido tarde, poeta, cuando ahora / en medio del camino de la vida, / oigo de entre mis manos resbalarse, / latido por latido, triste, el tiempo." Die Begegnung', daran läßt der Autor keinen Zweifel, verlief überaus herzlich: „Me llega tu perfume, / distante de las tierrras y jardines / que tu viajero corazón anduvo. / Te hubiera yo encontrado / en una torcedura callada de Toledo, / melancólicamente, hacia el río. Te hubiera / ofrecido un limón de un patio de Sevilla, / una rama de olivas de Lucena, cantando/contigo entre tinajas al sol, o quizás

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viendo / irse de sangre derretida en nieve / las cumbres de un ocaso granadino." Genauso herzlich ist der .Abschied' der beiden Dichter - und der beiden Landsleute:,,Tu poderoso aroma que hoy me llega, / fuerte de siglos y de fe, me empuja, / fijos los ojos, sin temblor y puro, / Yehuda Hale vi, poeta, el castellano." Die innige Verbundenheit des spanischen Marxisten Alberti mit dem spanischen Juden Yehuda Halevi ist zwar auch den bitteren Erfahrungen des Exils geschuldet, das beide erlitten - „Hoy es tu errante aroma, / tu desterrado aliento el que me busca" - , sie geht jedoch weit darüber hinaus: Hier identifiziert sich ein Autor des 20. Jahrhunderts mit der jüdischen Vergangenheit seines Landes - und das ohne Wenn und Aber. Wäre Albertis Hommage an einen der bekanntesten Dichter von Sefarad in früheren Jahren genauso entschieden ausgefallen? In einem Gedicht aus den 30er Jahren über „Guajiras burlescas de los banqueros alegres y desesperados de Wall Street" heißt es (1988: I, 643) in Strophe vier: „El desarrollo bancario / de Venus, Saturno y Marte / me impone ser arte y parte / del Trust Interplanetario. / Como anuncio extraordinario / e inicial, yo colgaría, / lustrando la astronomía / que va del cielo al infierno, / un Jehová, sempiterno / rey de la banca judía." Das ziemlich platte Stereotyp des jüdischen Bankenkönigs, das Alberti in diesen Versen reproduziert, taucht, wenngleich in abgemilderter Form, in anderen Texten jener Jahre auf. In einem Artikel von 1932 über die Berliner Juden, der in Ortega y Gassets Zeitung El Sol erschien, heißt es (1970: 85 f.) über die Juden der Stadt: „Alguna cosa más fuerte que el dinero, que el aniquilamiento total de la banca del mundo, mantiene muda, pensativa, a esta sucia barriada de los Profetas." Gemeint ist die Atmosphäre der Gewalt und des allenthalben spürbaren Antisemitismus, die Alberti in seinem Artikel beschreibt: „Oídme, hijos de Israel", verleiht er einem fiktiven Ezequiel seine Stimme, „se preparan sangrientas persecuciones contra nosotros. Nuestros cementerios ya han sido profanados. Derribadas las estelas que guardan el santo nombre de nuestros difuntos. Como perros sarnosos, a palos y pedradas somos acosados por las calles. Hay quien aulla por bañarse en la sangre de Israel. ¡Ay de ti, barrio de los profetas berlineses!" Kein Zweifel: Trotz der zitierten Klischees empfindet Alberti deutliches Mitgefühl für die verfolgten Juden Berlins! Im zweiten Teil seiner Memorias (1987: 19) ist er später auf jenes „tremendo clima de violencia" zurückgekommen. Zusammen mit Maria Teresa León befand er sich damals - 1932 - in der deutschen Hauptstadt, um sich im Rahmen eines Stipendiums der Junta de Ampliación de Estudios über das Theaterleben zu informieren. Obwohl er dort nicht mehr explizit über die Verfolgung der Juden

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spricht, ist die Atmosphäre der Gewalt allgegenwärtig. Nachdem Alberti und seine Lebensgefährtin selber zweimal Opfer polizeilicher Willkür geworden sind (ebd.: 25), verlassen sie die Stadt: „No se podía continuar en Berlin." In den folgenden Jahrzehnten ist Alberti augenscheinlich nicht mehr auf die Judenverfolgung in Deutschland, dessen früher Zeuge er geworden war, zurückgekommen. Während einer Reise in die DDR, Mitte der 50er Jahre, besucht er zwar auch Weimar (1978: 104), spricht aber mit keinem Wort über Buchenwald. Politische Rücksichtnahme gegenüber seinen kommunistisch-antizionistischen Freunden? Erst in den 70er Jahren taucht die Judenthematik in Albertis Werk wieder auf, scheinbar in politisch eindeutiger Weise, nämlich als Warnung (1982: 49) an den jüdischen Staat: „Mossé Dayan el tuerto. / Cuídate, Israel. ¡Cuídate! / Puede ser tarde." Was sich wie ein Echo der antizionistischen Rhetorik des Spätstalinismus liest, ist so jedoch vermutlich nicht gemeint. Denn Alberti war, wie ein Gedicht von 1949 illustriert, durchaus ein Freund des neugegründeten Staates Israel: „Oye, Israel, escucha: Hoy por ti desempaña / sus ojos un poeta desterrado de España. / Destierra de su voz los crespones, / destierra de sus amargos pozos el grito de la guerra. / De su profunda noche saca a la luz del día / y de sus duras arpas un salmo de alegría. / Alabado Israel con la garganta entera: / a son de alma, a sones de lengua verdadera. / Alabado Israel con todo encendimiento: / a son de cuerda, a sones de las bocas del viento." Auffallend ist nur, daß diese Hommage an Israel in keiner Anthologie des Dichters erscheint.17 Auch wenn die Vermutung nahe liegt, daß politische Kautelen dafür ausschlaggebend waren: Zumindest im Spätwerk Albertis finden sich Äußerungen, die seine ambivalenten Klischees früherer Jahrzehnte deutlich relativieren. Dort, etwa in seinem Gedicht „A Wael Zweiter" (1980: 108), ist beides präsent - Albertis Solidarität mit den verfolgten Juden im allgemeinen und seine Wertschätzung der jüdischen Vergangenheit Spaniens: „Te conocí hablando de poesía, / del oriente de España, / diciéndome en tu lengua / las más bellas estrofas antiguas, / las de hoy, / heridas del dolor de un pueblo despojado, / errante, pobre, hermoso".

17

Ich verdanke den Hinweis auf die Existenz dieses Gedichts Jacobo Israel Garzón, Direktor der Madrider Zeitschrift Raíces. Seiner Auskunft nach soll es 1949 in der Zeitschrift Davar (Buenos Aires) erschienen sein.

XIII. Die Sicht der Anderen: Sepharden (und aschkenasische Juden) über Spanien1 Da der spanische Philosephardismus, von den uneingeschränkten Antisemiten ganz zu schweigen, stets eine mehr oder weniger ambivalente ideologische Größe darstellte - was liegt da näher als die Vermutung, daß auch das Verhältnis der Sepharden zu Spanien nicht nur von Sympathien geprägt war. Gemäß dem jüdischen Sprichwort: „Wie es christelt, so jüdelt es" (Beuys 1996: 621), hatten die Sepharden und mit ihnen die sonstigen Juden, die an ihrem Schicksal Anteil nahmen, tatsächlich Gründe genug, nicht alles für bare Münze zu nehmen, was sie aus dem Munde der philosephardischen Wortführer vernahmen. Und obwohl es an kritischen Stimmen, die vor allem mit der Inquisition und deren Folgen für die Gegenwart hart ins Gericht gingen, eigentlich nie gefehlt hat, hielt sich das Stereotyp einer uneingeschränkten „Spanienliebe" der Sepharden mit großer Hartnäckigkeit. Noch in den 60er Jahren erschien es einem eher liberalen spanischen Historiker (Lacalle 1961: 110) fast wie ein Wunder, daß die Sepharden vierhundert Jahre lang Spanisch gesprochen hätten und das ohne erkennbaren materiellen Nutzen. Die „einzige Erklärung", meinte er zu wissen, sei in der ,'Tatsache' zu suchen, daß es in Spanien „nie Antisemitismus gab", lediglich einen „verirrten religiösen Eifer". Die enge Spanienverbundenheit, als Gewährsmann zitiert er Yehuda Halevi aus dem späten Mittelalter, sei deshalb nur logisch: Sie verkörpere „,el bien de Sefarad'". „El mal de Sefarad", um im Bilde zu bleiben, auf das von jüdisch-sephardischer Seite viel stärker hingewiesen wurde, wird dagegen verharmlost - wenn es überhaupt zur Sprache kommt. Dabei hatte selbst Angel Pulido, der das Klischee der uneingeschränkten Spanienliebe der Sepharden wie kein anderer prägte, auch solche Stimmen veröffentlicht, die seiner eigenen Harmonierhetorik deutlich widersprachen. Etwa den Brief eines türkischen Sepharden (1905: 111), der ihm „versicherte", daß seine Glaubensbrüder „keinerlei Sympathiegefuhle" für sein Land hegten und die spanische Sprache nur deshalb noch sprächen, weil sie „keine andere" gelernt hätten. Ähnlich äußerte sich Esperanza, die Zeitung der Wiener Sephardengemeinde (Diaz-Mas 1993: 214): Nicht aus Liebe zu Spanien - „absolut nicht" - , sondern „aus Liebe zu uns selbst, aus Liebe zu unserer Existenz und aus Liebe zum Judentum müssen wir die spanische Sprache erAuf den folgenden Seiten werden sowohl die bis dato erforschten Spanienbilder der Sepharden als auch einige bislang unerschlossene Quellen, etwa die Allgemeine Zeitung des Judenthums und der Jewish Chronical, partiell ausgewertet.

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Die Sicht der Anderen

halten". Noch schärfer stellte die Zeitung El Avenir (ebd.: 214 f) die Behauptung Pulidos in Frage, die Sepharden wären „Spanier ohne Vaterland": „Wir sind kein über die Erde verstreutes .spanisches Volk'. Wir sind Juden und als solche dürfen wir uns von keiner anderen Nation vereinnahmen lassen". Wie auch immer man Pulidos Kampagne beurteilt: Die kritischen Stimmen, gegen Spanien und seine eigenen Ambitionen, hat er jedenfalls nicht unterschlagen - wenn ihm das auch sicher schwergefallen ist. So schrieb er (1905: 143) mit einer gewissen Verwunderung: „Descúbrese a las veces, en ciertos [sefardíes, N.R.] hispanófobos, un fondo de rencor contra España por los pasados agravios." Obwohl es bisher keine auch nur annähernd repräsentativen Untersuchungen über das sephardische Spanienbild gibt, scheint zumindest eines festzustehen: Die „pasados agravios", wie Pulido - verharmlosend - schreibt, waren in der sephardischen Erinnerung an das Heimatland ihrer Vorfahren meistens präsent, häufig sogar als das zentrale Element ihres kollektiven Gedächtnisses: „Spain is a somber figure in Jewish history", schreibt Caesar C. Aronsfeld (1979: 1), der das jüdisch-sephardische Verhältnis zu Spanien bislang am gründlichsten untersucht hat, „a memorial to the fickleness of man's fortunes that will rise to the stars and fall to wretched depths. [...]. The year 1492 [...] stands out in Jewish minds: a landmark to be compared only to the destruction of Jerusalem in 70 or the advent of Hitler in 1933; and through the centuries it has barred any thought of a large-scale return." 2 Obwohl die „Rückkehr" nach Spanien in der sephardischen Diaspora, wie an anderer Stelle gezeigt wurde, als ernsthafte Option kaum eine Rolle spielte genauso wenig wie unter den spanischen Philosepharden - , war das Interesse der jüdischen Öffentlichkeit an den „Spanish affairs" stets ausgesprochen groß. Bereits im frühen 19. Jahrhundert, als die napoleonische Invasion das Thema der Religionsfreiheit auf die politische Agenda setzte, richteten die sephardischen Juden von Bordeaux und Bayonne einen offenen Brief (ebd.: 8 f.) an die Revolutionäre von Cadiz, in dem sie diese aufforderten, das „heilige Prinzip der religiösen Freiheit" konsequent zu verwirklichen. Und das hieß unter anderem: „we beseech you to complete your work by repealing the Edict of 1492 which doomed the Jews of Spain to exile". Das „verhängnisvolle Datum" ist fur die Absender des Briefes von herausragender Bedeutung - somit alles andere als eine Fußnote der Geschichte, als die es in Spanien häufig heruntergespielt wurde.

Und das trotz der Tatsache, daß die immer wieder behauptete „Verfluchung" Spaniens (hebräisch: Herem) nie ausgesprochen worden sei.

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Die Sicht der Anderen

Für sie, „the descendants of ancient Jewish families from Spain and Portugal, who fled to France as a result of the persecution" - für sie war dieses Kapitel stets „the doleful memory [...] which has been transmitted from generation to generation". Auch den Rückkehrillusionen, die damals bereits hier und da im Schwange waren, erteilten die

französischen

Sepharden eine

entschiedene

Absage. Ihr Leben in Frankreich, die Wurzeln, die sie dort geschlagen hätten, vor allem aber die politisch-religiösen Freiheiten, die sie dort genössen, markierten ein „standing", das sie jenseits der Pyrenäen nie erreichen würden: „We are French citizens, and we shall never wish to leave a fatherland to which we have become attached by three centuries of a protection which was never belied." Ähnlich lautende Erklärungen, so Aronsfeld, hätten auch deutsche und englische Sephardengemeinden verfaßt. Die prononciert kritische Haltung zur spanischen Geschichte, die in der zitierten Erklärung ins Auge springt, auch der verhalten-skeptische Unterton, der mit Blick auf die politischen Gegenwartsereignisse herauszuhören ist - diese Sicht der Dinge wurde jedoch nicht von allen Juden jener Zeit geteilt. Die enthusiastischen Stimmen, die, wenn auch wohl minoritär, dem späteren Philosephardismus applaudierten und seiner Versöhnungspropaganda einen Anstrich von Plausibilität verliehen, solche Stimmen ließen sich bereits im

frühen

19. Jahrhundert vernehmen. So zeigte sich der Jewish Chronicle - „as usual [...] optimistic" (ebd.: 11) - , in dem sich auch stets sephardische Autoren zu Wort meldeten, davon überzeugt, daß die offizielle Aufhebung des Vertreibungsedikts mit „every likelihood" unmittelbar bevorstünde. Die allgemeine Atmosphäre von „tolerance and progress", vor allem aber die von der provisorischen Regierung ins Auge gefaßte Erlaubnis zur Eröffnung einer Synagoge - „the right so generously granted to us" - beflügelte das Blatt zu den allerhöchsten Erwartungen: „all Spaniards and strangers who may come here will be able to worship God according to their creed". Zwar eine ziemlich blauäugige Prognose, aber durchaus eine, die Spanien in einem (allzu) guten Licht erscheinen ließ. Auch in den folgenden Jahrzehnten, als die jüdische (und protestantische) Thematik die Cortes-Debatten beherrschte, stand Spanien im Zentrum des Interesses jüdischer Medien. Die Allgemeine

Zeitung

Magdeburger Rabbiner Ludwig Philippson

3

des Judenthums,

von dem

herausgegeben, nahm in diesem

Zusammenhang eine Schlüsselstellung ein. Die Petition, die das Blatt in Abstimmung mit den südfranzösischen Judengemeinden an die spanische Regie3

Vgl. Kap. V.

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Die Sicht der Anderen

rung richtete, ist geradezu spektakulär. Nicht nur, weil sie inner- und außerhalb Spaniens auf große Resonanz stieß, sondern auch deshalb, weil ihr Autor mit der spanischen Geschichte hart ins Gericht geht. Das Hauptziel der Petition (Philippson 1854: 489 f.) an die „erhabene Versammlung" der „constituierenden Cortes der spanischen Nation" bestand in der verfassungsmäßigen Absicherung der Religionsfreiheit: „bittend fordern [wir] in das Grundgesetz Spaniens die Freiheit der Culte als eines der Hauptprincipien aufzunehmen". Eine solche „bittende Forderung" sei um so dringlicher, als andere Länder - Amerika, Frankreich, Belgien, Holland, England, Deutschland und Dänemark - ihr längst nachgekommen seien. Gleichzeitig wird die Forderung gestellt, das Vertreibungsedikt von 1492 offiziell aufzuheben. Dem möglichen Einwand, die Petition könnte spanischerseits als „fürwahr anmaßend" empfunden werden, begegnet der Autor Ludwig Philippson mit einem „besonderen Anspruch an Sie": Er verlangt, und das durchaus nicht im Tone eines unterwürfigen Bittstellers, „die Sühne eines alten Unrechts" und „Gerechtigkeit für eine große, geschichtliche Gewaltthat, die zwar in alter finstrer Zeit geschehen, aber deren Folgen doch noch bis heute andauern." Klare Worte, denen noch klarere folgen: Als Nachfahren jener, die unter „der fanatischen Verfolgungssucht, ja der Mordlust Andersgläubiger Seitens der spanischen Könige im fünfzehnten Jahrhundert am meisten litten", sei es ihnen allemal gestattet, an die Adresse „einer edelherzigen Nation ein bittendes Wort zu sprechen, ohne der Zudringlichkeit beschuldigt zu werden". Harter Tobak sicher auch für jene Cortes-Abgeordneten, die der Petition aufgeschlossen gegenüber standen. Dies um so mehr, weil ihnen der Autor auf den folgenden Seiten eine historische Lektion erteilte, die nur schwer zu widerlegen war: Sie basiert in weiten Teilen auf José Amador de los Rios Estudios sobre los Judios de Espana, also „aus dem Munde eines Spaniers selbst." Zu dieser Lektion gehört die „bekannte Thatsache", daß Juden in Spanien lebten, „lange bevor sowohl das Christenthum als auch der Islam die iberischen Küsten betraten." Es sei „doch fast erwiesen", meint Philippson, daß vor allem Toledo eine jüdische Gründung sei und seine Vorfahren „hierdurch frühzeitig einen Rechtsanspruch auf die Heimat in Spanien" besessen hätten. Nicht zuletzt deshalb, weil sie im „eminenten Umfang" zur ökonomischen und kulturellen Entwicklung Spaniens beigetragen hätten, vor allem nach der Eroberung durch die „Muselmänner": „Ja, sie waren den Christen unentbehrlich, weil diese damals allein das Schwert führten, alle Künste und Gewerbe verachteten, welche die Juden nun übten [...]. Noch mehr, die Juden waren es, welche [...] die Wissenschaften in Spanien von den Arabern zu den Christen verpflanzten." Im Unterschied zum Spanienbild in

Die Sicht der Anderen

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bestimmten literarischen Werken sephardischer Autoren, in denen der Bezug auf die kulturelle Dimension von Sepharad angeblich fehlt,4 sind hier die Hauptstationen des künstlerisch-wissenschaftlichen Zenits der peninsularen Juden deutlich präsent - von der Blüte des moslemischen Córdobas bis zu Alfons dem Weisen: „in allen wissenschaftlichen Zweigen zeichneten sie sich literarisch aus, in den Naturwissenschaften, wie in Astronomie, Chemie, in allen medizinischen Fächern, sie übertrugen Schriften fremder Zunge in's Castilische, schrieben Originalwerke in dieser Zunge, ja auch sehr bedeutende poetische". Vor diesem Hintergrund (in großen Teilen liest sich die Petition wie ein historisches Vademekum, dessen Hauptfacetten, obwohl sie größtenteils auf dem Buch von Amador de los Rios fußen, den Adressaten kaum bekannt gewesen sein dürften) sei es um so weniger zu verstehen, mit welchem Recht die Katholischen Könige die Vertreibung der Juden dekretierten. Als eigentliche Drahtzieher nennt der Autor das Heilige Offizium - die Verbannung war „lediglich das Werk der Inquisition, welche Spaniens Boden noch Jahrhunderte mit Blut tränkte, Spaniens Luft mit Seufzern der Gefangenen und Gemarterten füllte". Die völlig undiplomatische Diktion des Textes dürfte, ich wiederhole es, die spanischen Adressaten zumindest überrascht haben: Die Härte der Formulierungen geht weit über den eher moderaten, von einer lavierenden Sowohl-als-auchKasuistik geprägten Charakter des Buches von Amador de los Ríos hinaus. Insofern wird die Versöhnungsgeste, die auf die historische Anklage folgt - die ,Spanienliebe' der Sepharden - , stark relativiert: Trotz allem sei es „rührend", schreibt Philippson, „wie die spanischen Juden, so grausam über die halbe Erde zerstreut, überall, in Jerusalem und Konstantinopel, in Amsterdam und London, in New-York und Paramaibo, ja selbst in New-Sydney, der spanischen Nationalität bis heute treu blieben, oder doch Spuren derselben bewahrten." Davon zeugten die Sprache, Teile ihres Kultes, ihre Namen und die Literatur. Dennoch, beschwichtigt der Autor weitverbreitete Ängste, würde Spanien so bald nicht von Juden „überschwemmt" werden: „So schnell kehren sie nicht wieder dahin, von wannen sie gewaltsam vertrieben worden; so leicht trennen sie sich jetzt nicht mehr von dem Vaterlande, in dem sie heimisch und vollberechtigte Bürger geworden". Eine Masseneinwanderung, sollte die Religionsfreiheit tatsächlich verwirklicht werden, stehe folglich nicht bevor. Es gehe lediglich darum, jenen, „welche davon Gebrauch machen wollen", die Möglichkeit zu einem „freien Eintritt" zu geben. Und der, meint der Autor zu wissen, liege auch im Interesse 4

Vgl. eine weiter unter zitierte Studie von Elena Romero.

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Spaniens: Er „eröffnet dem Lande auch die Aussicht auf die wesentlichsten Vortheile. Spanien bedarf gerade der Industrie, des Handels [...] und Juden werden in diesem Betracht, wenn sie nach Spanien zu gehen sich entschließen, von mächtigem Einfluß sein." Dieses Selbstbild, das der jüdische Autor seinen Adressaten offeriert, dürfte zumindest den Liberalen unter ihnen gefallen haben, wenngleich es ihr Fremdbild, das sie von den Juden hatten, zugleich bestätigt haben dürfte ... Die utilitaristische Saite, die Philippson anschlug, ist in diesen Kreisen wohl auch deshalb auf offene Ohren gestoßen, weil sie keine , Regreßansprüche' zu befürchten hatten: „Wir kommen nicht, um den Grundbesitz wieder zu fordern, [...] nicht einmal um die alten Tempel wieder unser zu nennen [...]- wir kommen nur, um die Schmach der Verbannung auszulöschen". Wie auch immer man den Wink mit dem ökonomischen Zaunpfahl bewertet: Diese Petition aus der Feder eines aschkenasischen Rabbiners, in einem der wichtigsten Medien der deutschen Juden veröffentlicht, und auch international, nicht allein in Spanien, von großer Resonanz - sie ist ein deutliches Indiz dafür, daß jener Teil der Geschichte, den man in Spanien eher verdrängt oder kleingeschrieben hatte, im kollektiven Gedächtnis der Juden höchste Priorität besaß. Die unterschiedlichen Sichtweisen von Opfern und Tätern machen sich auch in dem ,Nachspiel' bemerkbar, das die Petition bewirkte: „Man hat uns getadelt", schrieb Phillipson kurze Zeit später (ebd.: 578), „daß wir uns in dem Memoire auf Einzelheiten [!] einließen, auf Besprechungen und Nachweisungen aus der Geschichte." Zu einer Revision dieser „Einzelheiten" war er indessen nicht bereit: „Wir glauben, nicht mit Recht tadelte man dies. Wir legen gerade das höchste Gewicht hierauf. [...] Es galt, den Spaniern zu zeigen, welch fürchterliches Unrecht ihre Väter den unseren gethan [...]. Der höhnischen Aussage, als ob unsere Väter sich den Haß der Spanier mit Recht zugezogen, mußte entgegengetreten und gesagt werden: wohlan, wage Dich heraus an's Licht!" Die für die allermeisten Spanier schmerzhaft-kritische Sicht der Verfolgungsgeschichte ihres Landes, die auf den Seiten der Allgemeinen Zeitung des Judenthums ins Auge springt, dürfte, was die deutschen Juden betrifft, kein Einzelfall gewesen sein. Denn die jüdische Geschichte Spaniens stand, darauf hat neuerdings vor allem Ismar Schorsch (1989: 47 ff.) hingewiesen, unter den aschkenasischen Juden des frühen 19. Jahrhunderts hoch im Kurs: Wie später vor allem in Argentinien (Rehrmann 1999), so fand auch unter den aschkenasischen Juden Deutschlands ein geradezu spektakulärer ,Sephardisierungsprozeß' statt, der sämtliche Bereiche des jüdischen Lebens tangierte und unter anderem eine stattliche Zahl historischer Schriften (Romane, Essays, kultur-

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historische Abhandlungen etc.) hervorbrachte. Aus den bisherigen Untersuchungen geht zwar kaum hervor, ob das Spanienbild dieses Textkorpus der kritischen Sicht der Allgemeinen Zeitung des Judenthums entspricht. Zumindest die einschlägigen Arbeiten Heinrich Heines, die in diesem Kontext angesiedelt sind, lassen indessen keinen Zweifel zu: Für Heine, in dessen Werk das trikulturelle Spanien breiten Raum einnimmt (Rehrmann 1999a), ist die Erinnerung an „den schlimmen, spanischen Boden", auf dem die Autodafés die Reste der trikulturellen Convivencia in Asche verwandelten, omnipräsent. Genauso präsent ist das „große Goldzeitalter", in dem das jüdische „Dreigestirn" (Jehuda ben Halévy, Salomon Gabirol und Moses Ibn Esra) seinen Zenit erlebte. Dabei mag es zwar sein, wie Anne Maximiliane Jäger (1999: 31 ff.) schreibt, daß Heines „.schwarzes"' Spanienbild auch von der zeittypischen Leyenda Negra beeinflußt war. Ausschlaggebend dürfte indessen eher die kollektive Erinnerung des jüdischen Dichters gewesen sein, dem sogar eine sephardische Genealogie (Veit 1974: 145) nachgesagt wird. Von dieser Erinnerung wollte man in Spanien, von Ausnahmen abgesehen, jedoch wenig wissen. Wohl auch deshalb fielen die internationalen jüdischen Reaktionen auf die politischen Ereignisse im Umkreis von 1868 verhalten aus. Die Bemühungen liberaler Kreise, der Religionsfreiheit zum Durchbruch zu verhelfen, wurden zwar begrüßt, ein skeptisch-kritischer Ton, selbst im eher optimistischen Jewish Chronical, ist indessen unüberhörbar: „The Jews are still represented ex cathedra", schrieb der Madrider Korrespondent (Aronsfeld 1979: 13) des Blattes, „as impius deicides, as enemies and haters of Christianity, as occasional slaughterers of Christian, as blaspheming Jesus three times a day etc." Solange diese „Ignoranz" andauere, warnt der Autor deshalb seine Leser, sei jedwede öffentliche Bekundung zum Judentum gefährlich: „[it] might lead to an outbreak of popular fanaticism and to a consequent disaster". Ähnliche Warnungen veröffentlichte die Allgemeine Zeitung des Judenthums: Sie (ebd.: 17) sprach von „gefährlichen Aspekten" einer jüdischen Einwanderung nach Spanien und kritisierte die , Rückkehrofferte' als Ausdruck rein materialistischer Interessen. Dennoch wurde in einem Teil der jüdischen Publizistik, zumindest im Jewish Chronical (ebd.), zur gleichen Zeit der Topos der sephardischen Spanienliebe kolportiert: „for nearly 800 years Spain was to the Jews another Palestine, and even since the expulsion they have continued to look back on it with feelings but little inferior in tenderness to those with which all Jews regard the Holy Land". Die bisher zitierten Stimmen, die sich zumeist auf bestimmte politische Ereignisse in Spanien bezogen, machen, obwohl sie nicht als repräsentativ gelten

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können, zumindest zweierlei deutlich: Ein beträchtlicher Teil der jüdischen Öffentlichkeit, sephardischer und aschkenasischer Provenienz, hat die Erinnerung an die Verfolgungsgeschichte bewahrt; auch die politischen Verhältnisse werden trotz aller registrierten Fortschritte in religiösen Fragen von vielen noch immer mit Argusaugen betrachtet. Diejenigen, wie die zuletzt zitierte Stimme des Jewish Chronical, die von „zärtlichen Gefühlen" für Spanien sprechen, waren am Vorabend der Kampagne Pulidos offenkundig in der Minderheit. Ein ähnliches Bild, soweit es untersucht wurde5, bietet die sephardische Literatur um die Jahrhundertwende. In der sephardischen Dichtung, schreibt Elena Romero (1996: 313), finde sich häufig „in explicite form what will be the constant typification of Spain on the part of the Sephardim as the country of exile and of those .tormentados y quemados' by the inquisition." Im Theater, das häufig historische Themen aufgegriffen habe, dominiere das Spanien der Inquisition, etwa (ebd.: 318 f) in einem Stück über Don Isaac Abravanel, das 1912 in Konstantinopel uraufgeführt wurde: „Quero6 decir por la pieza Isaac Abravanel / que se trata de la expulsión de Yisrael, // que antes en la España estaban / y los de la Inquisición los quemaban. [...] El consejador de esto fue Torquemada/que la nación judía no era amada; // él quería a todo judío baptizar / y ansí la Iglesia hacer dominar." Und so auch in den historischen Romanen,7 die sich mit Spanien beschäftigten. Etwa in dem Roman Los marranos eines russischen Juden, der 1896 veröffentlicht wurde: „no habrá hombre en el mundo", heißt es dort unter anderem, „que no se revoltará de la hondura de su alma en maldando en este ubtraje las negras consegüenzas que trujo el fanatismo religioso de los pretes católicos de España". Wie auch immer man die Fixierung der jüdisch-sephardischen Autoren auf das Spanien der Inquisition bewertet8: Der von dortigen 5

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8

Elena Romero (1996: 312), die einzige Sephardenforscherin, die das Spanienbild in der sephardischen Literatur bislang in Teilen untersucht hat, schreibt dazu: „the vast majority [of sephardic poetry, N.R.] still remains unstudied and recondite in all kinds of publications and especially in the periodical press. It is very probable, therefore, that the theme of Spain in this genre may be more abundant than it currently appears." Die Schreibweise folgt dem judenspanischen Original. Im Unterschied zu anderen literarischen Gattungen, schreibt Elena Romero (ebd.: 319), stammten zahlreiche historische Spanienromane aus der Feder aschkenasischer Autoren und: „Many of ist authors [...] lack the moste elementary information on the history and the geography of the country and frequently commit errors which seem hilarious to the Spanish reader." Elena Romero kommt zu dem - vorläufigen - Ergebnis (ebd.: 326), daß das literarische Spanienbild extrem einseitig ausfalle: „They have forgotten the periods of peaceful coexistence, whether there were any, and, what is worse, they do not remember the great man of letters and science who lived in the Hispanic, Arab and

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Autoren gern lancierte Topos der sephardischen Spanienliebe läßt sich aus dieser Literatur jedenfalls nicht herauslesen. Spanien bleibt mit den Worten Elena Romeros (ebd.: 3261) „typified for the Sephardim in inquisitorial cruelty". Mit Beginn der Sephardenkampagne Pulidos trat dieses Spanienbild, wie es scheint, eine Weile in den Hintergrund. Nun dominierten zunächst enthusiastische Grußadressen an Pulido (Díaz-Mas 1993: 210 ff.), die der solcherart Gefeierte - „En leendo [sie] vuestro estudio [...] yo creí leir [sie] o sientir [sie] las palabras de un apóstelo, de un Paulo moderno" - zumeist als generelle Spanienliebe interpretierte. Und die setzte sich stets aus mehreren Facetten zusammen. Neben eher sentimentalen Äußerungen (ebd.: 210) über Pulidos Kampagne „Me es imposible por expresar las impresiones que - como judío - mi corazón siente leendo [sie] su libro" - , trugen auch die Sprache und die Zeit der Convivencia dazu bei, die Spanienverbundenheit zu artikulieren. So schrieb (ebd.: 212) ein türkischer Sepharde, der Spanien persönlich bereist hatte: „era un gozo punzante oir hablar mi lengua por primera vez en un país cristiano y por cristianos, esta lengua que en Oriente llamaban de los judíos'." Im Unterschied zum literarischen Korpus, den Elena Romero untersucht hat, ist hier der Verweis auf den kulturellen Zenit in Sefarad durchaus präsent: „La España es nuestra patria", schrieb ein Sepharde (ebd.: 210) aus Smima, „la tierra donde están nuestros padres. Allí duermen nuestras glorias y allí nuestros monumentos; allí se escribieron las páginas más gloriosas de nuestra historia." Auch uneingeschränkte ,Liebesbekundungen' (ebd.: 212) konnte Pulido auf der Haben-Seite seiner Kampagne verbuchen: „Españoles, yo os amo, os adoro porque soy español." Der Autor dieser Zeilen, der sogar „sangre española" für sich reklamierte, fand offenkundig zahlreiche Gleichgesinnte: „Españoles fuimos", so ein sephardischer Redner (ebd.: 211) im Ateneo de Madrid, „españoles somos y españoles seremos." Für Pulido und seine Mitstreiter waren solche Bekundungen sicher rhetorischer Balsam allererster Güte. Nach Ansicht Max Nordaus (ebd.: 212), der Pulido durchaus wohlgesonnen war, durfte man diese Bekundungen aber nicht überbewerten: „La exaltación del momento, el choque de simpatías, sentidas y despertadas, han hecho, seguramente, que las palabras

Christan Kingdoms, and under whatever conditions allowed them to become eminent models for the Jewish world and for the cultural world of the West." All das mag zutreffen, läßt sich aber sicher nicht nur mit der folgenden Bemerkung (ebd.: 325) erklären: „Consequently, this subject, capable of provoking intense emotions and abundant tears from the Sephardic spectators and readers, becomes an efficient escape from daily problems."

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hayan ido más allá de donde el pensamiento haya querido llevarlas." Daß dem, von Ausnahmen abgesehen, sicher so war, illustriert bereits die aufmerksame Lektüre jener Spanienelogen, hier (ebd.: 211) aus dem Munde Enrique Bejaranos - dessen Bekanntschaft mit Pulido die Sephardenkampagne erst richtig in Gang gesetzt hatte - , die mehr auf die jüdische als auf die christliche Vergangenheit (und Gegenwart) Spaniens gemünzt sind: „Si usted leía en mi corazón, cuánto se arde del deseo de besar un día las piedras de aquella patria y fregar mis ojos con el polvo de aquella tierra donde duermen los huesos de mis abuelos." Zusammen mit den betont kritischen Stimmen, die sich von Pulidos Kampagne unbeeindruckt zeigten und vor allem die „horribles images [sic] de los tribunales de la inquisición" (ebd.: 215) in den Vordergrund stellten - Bilder, die, wie erwähnt, Pulido nicht versteckte - , scheint ziemlich klar zu sein: Von uneingeschränkter Liebe der Sepharden zum zeitgenössischen Spanien kann genausowenig die Rede sein wie von einem Vergessen der Geschichte, das sich Pulido und viele seiner Epigonen so sehnlich wünschten. Im Gegenteil: Für viele Juden, fur Sepharden und Aschkenasen, war die Verfolgungsgeschichte der Dreh- und Angelpunkt ihres Spanienbildes: „No doubt the recollection of the expulsion from Spain", schrieb ein Jerusalemer Sepharde kurz nach Beginn von Pulidos Kampagne (Aronsfeld 1989: 24), „is extremely painful to the Jew and fills him with bitter indignation. It is a chapter in our history of which the memory will not soon be wiped out." Daß diese Frage, mehr als jede andere, auch innerjüdische Kontroversen provozierte, illustriert die folgende (ebd.: 25 f.) Episode: Während eines Englandbesuches von Alfons XIII. im Juni 1905 wurde der spanische König unter anderem von einer Delegation der Londoner Spanish and Portuguese Congregation auf das wärmste begrüßt - ohne die Vertreibung zu erwähnen. Während der Jewish Chronical darin kein Problem sah, 9 schrieb eine jüdische Zeitung in Budapest: „Oh how low have they sunk, the descendants of Spain's exalted nobility. [...]. They now live comfortably off and undisturbed in a peaceful country [...] and yet they have remained slaves [...]; have these civilized slaves no ear for the groans of all the victims of the Inquisition?" Erst in den folgenden Jahrzehnten, als die Kampagne Pulidos bereits einige, wenn auch bescheidene materielle Ergebnisse vorweisen konnte - etwa die Eröffnung einer Synagoge und die Professur Yahudas - , scheint die kritische Bewertung der Geschichte etwas in den Hintergrund getreten zu sein, zumindest 9

Im Gegenteil: Noch ein Jahr später lobte ein Autor des Blattes (JC 1906: 28) die uneigennützigen' Motive des spanischen Königs und betonte „the sentimental tie which connects [the Jews of Spain, N.R.] with the old home in the Iberian Peninsula."

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im Jewish Chronical. In dem eher „optimistischen" Blatt stand nun die aktuelle Judenpolitik Spaniens im Mittelpunkt des Interesses. Die Erinnerung an die Verfolgungsgeschichte klingt zwar hier und da auch weiterhin an, etwa in dem Artikel eines jüdischen Spanienreisenden („In the Land of Torquemada", JC 1914: 20) - vom Titel abgesehen, findet eine Auseinandersetzung mit der Geschichte jedoch nicht statt. Der Autor hält es lediglich für „ratsam", daß sich jüdische „Rückkehrer" nicht auf dem Lande und in Kleinstädten niederlassen. Denn, so seine Warnung: „In spite of the great efforts made by the more advanced elements of the population the great bulk of the nation is still very backward." Kaum in Spanien angekommen, zeichnet auch Abraham Schalom Yahuda ein noch positiveres, um nicht zu sagen: rosarot gefärbtes Bild von „The Jews and Modern Spain" (JC 1914: 16 f.). Er schränkt zwar ein, daß es sich nur um erste Eindrücke und Erfahrungen handelt, unterstellt den Protagonisten des spanischen Philosephardismus, namentlich Pulido und dem König, dennoch die lautersten Motive: „I gained the conviction that influential circles, without distinction of political party, sincerely entertain the whish to maintain the best relations with these Jews and to do everything to make still closer the friendly relations subsisting between them and the Spaniards." Diese optimistische Sicht der „Spanish affairs", die aus dem Artikel des ersten Sephardenprofessors spricht, wird jedoch nicht von allen Autoren des Blattes geteilt. Nur wenige Monate später warnt ein anderer Spanienreisender (JC 1914: 20), die Erwartungen, die der Titel „Sunny Spain" suggeriert, deutlich dämpfend: „I doubt very much whether the time is ripe for anything like a large return of Jews to the peninsula". Überall, so seine Erfahrungen, seien die religiösen Bedingungen noch immer „extremely strong", weshalb eine umfangreiche .Rückkehr' von Juden mit Sicherheit „trouble" bedeuten würde. In seinen historischen Betrachtungen hebt dieser Autor lediglich den spätmittelalterlichen Beitrag der peninsularen Juden zur westlichen Kultur hervor. Das Goldene Zeitalter der spanischen Juden steht auch im Mittelpunkt jener Artikel, die in den folgenden Jahren erschienen. Von einigen Berichten abgesehen, etwa aus der Feder Yahudas (JC 1916: 16), die den Philosephardismus des

Königs überschwenglich

loben, oder einer Selbstdarstellung

Pulidos

(JC 1916: 19), in der er die Hauptfacetten seiner Kampagne resümiert - abgesehen davon, heben die meisten Autoren „the Golden Age of Jewish History" (JC 1916: 13) hervor, porträtieren herausragende Geistesgrößen wie Ibn Gabirol (JC Supplement December 1922: 10 f) oder zollen der arabischen Kultur von AlAndalus (JC Supplement August 1922: 1 f.) ihren Tribut. Dagegen fallen die

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Verweise auf die Verfolgungsgeschichte stets knapp und ,sachlich' aus: „In 1481", schreibt etwa der Autor des zuletzt zitierten Artikels, „the Inquisition was established, and burnt 2 000 Jews in Andalusia alone. In 1492 Granada, the last Arab fortress, feil, and in the same year the Jews were expelled from Spain." Welches auch immer die Beweggründe für die überwiegend moderate Beschäftigung mit der spanischen Geschichte waren: Auf jeden Fall dürften die zahlreichen Spanienartikel des Jewish Chronical dazu beigetragen haben, unter seinen Lesern - sicher auch viele außerhalb Englands - ein Bild der Geschichte und Gegenwart des Landes zu vermitteln, das reichlich geschönt war. Die Protagonisten des spanischen Philosephardismus konnten sich bestätigt fühlen: Ein prominentes Medium der jüdischen Öffentlichkeit Europas honorierte ihr Engagement und hielt sich mit kritischen Einwänden deutlich zurück. Ein allgemeiner jüdischer Common sense läßt sich daraus jedoch nicht ablesen. Denn wie bereits im 19. Jahrhundert, so artikulierten sich auch in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts überaus kritische Stimmen, die den stillschweigenden Konsens in historischen Fragen nicht akzeptierten. Eines der bekanntesten Zeugnisse jener Jahre ist die Spanische Reise des schwedischen Rabbiners Marcus Ehrenpreis. Das gut geschriebene Reisebuch, das gründliche Kennmisse über die politische und kulturelle Geschichte und Gegenwart Spaniens verrät, erschien bereits 1928, nur ein Jahr nach dem schwedischen Original, in deutscher Übersetzung. Gleich zu Beginn umreißt der Autor (1928: 12) sein - im Wortsinne - ambivalentes Verhältnis zu Spanien: „Dies ist für mich keine Touristenfahrt in ein fremdes Land. Spanien ist für mich ein geistiges Heimatland, in dem ich seelisch einen Teil meiner Jugend verlebte. Das jüdische Spanien bedeutet für mich Licht und Finsternis, Aufschwung und Erniedrigung. Dort erlebte ich das goldene Zeitalter des jüdischen Geistes [...]. Dort habe ich auch mit den schwergeprüften Opfern der Inquisition gelitten. Ich folgte den Vertriebenen auf ihrem tragischen Wege hinaus in die weite Welt. Ich bin seelisch verbunden mit diesem Lande, das mich zugleich anzieht und abstößt." Im Unterschied zu vielen anderen jüdischen Autoren, die über das trikulturelle Spanien schrieben, enthält das Buch von Marcus Ehrenpreis auch eine Hommage an den Islam. Mit dem Sieg der Mauren, konzediert er (ebd.: 40 f.) anerkennend, „hält ein milderer Geist seinen Einzug. [...] Es kommt einem hier immer deutlicher zu Bewußtsein, daß die Handlungen des Islams besser mit dem Koran übereinstimmen, als die der Kirche mit dem Evangelium." Die Mauren, schreibt er in Übereinstimmung mit der historischen Wirklichkeit, hätten die Anhänger der anderen Religionen, Juden und Katholiken, in aller Regel „in Ruhe

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gelassen". Um so härter geht er (ebd.: 43) mit dem katholischen Klerus ins Gericht: Er sei eine „Kampforganisation" gewesen, die „Liebe predigt und Haß sät". Vor allem der Kirche lastet er das allmähliche Ende der „religiösen Duldsamkeit" an, die noch die alfonsinische Periode geprägt habe. Auf die „katholische Propaganda der Tat", so eine augenscheinliche Anspielung auf den zeitgenössischen Anarchismus, und auf den „Glaubenseifer" fanatisierter Mönche sei es zurückzufuhren, daß das „blühende Leben" der jüdischen Gemeinden ein blutiges Ende fand. Klare Worte, die einer Übersetzung des lesenswerten Buches ins Spanische offenkundig im Wege standen ... Erkennbar nüchtern fällt zudem die Bewertung des zeitgenössischen Spaniens aus. In Madrid traf Ehrenpreis (ebd.: 59 ff.) auf „den alten Senator Angel Pulido und seinen jüngeren Waffenträger Manuel Ortega", deren Kampagne er zwar erwähnt, aber mit einem skeptischen Fragezeichen versieht: „,Sie sagen'", zitiert er das Gespräch mit einem spanischen Pater, ,„die Inquisition wäre überwunden. Ist aber auch der Geist der Inquisition ganz und gar überwunden? [...] Hat nicht einer Ihrer fuhrenden Denker, Menéndez y Pelayo, ein wirklich repräsentativer Mann, dessen Worte mit Recht so schwer wiegen, die Inquisition als positive Macht im religiösen Leben der Nation gebilligt'?" Kein Zweifel, dieser Autor ist über sein Reiseland gut informiert: Unter der philosephardischen Patina, darauf weist er (ebd.: 55) mehr als einmal hin, „spukt noch hier und da der Geist der Inquisition".10 So oder ähnlich sahen es auch jüdische Autoren in der Folgezeit. Noch Anfang der 30er Jahre, bereits nach der Etablierung der II. Republik, reagierten die Vertreter der türkischen Sepharden auf die ,Rückkehrofferte' der liberalen Regierung mit der Erklärung (Lisbona 1993: 53): „los descendientes de las víctimas de la Inquisición no olvidarán nunca el juramento de sus antepasados de no volver a pisar jamás la tierra española." Daß diese Sicht der Dinge unter jüdischen Autoren der Zeit offensichtlich weit verbreitet war, illustriert auch der Korpus der fiktionalen Literatur. In Botschaft aus Granada, einem 1937 veröffentlichten historischen Roman von Ernst Sommer, der nicht zuletzt wegen seiner ästhetischen Meriten völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist," bildet das „furchtbare Räderwerk" (1987: 48) der Inquisition das Zentrum aller 10

"

Nur einmal erweist er sich als schlecht unterrichtet, wenn er (ebd.: 84) nämlich dem kurz zuvor verstorbenen Romancier Blasco Ibäfiez attestiert, „mit sichtlich sympathischer Einfühlung" die Juden- bzw. Sephardenthematik behandelt zu haben. So taucht sein Name etwa in Manfred Braunecks Autorenlexikon deutschsprachiger Literatur des 20. Jahrhunderts (1984) überhaupt nicht auf.

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erzählerischen Handlungsstränge: „Man geriet in ein Labyrinth von Qualen. Je tiefer man sich verirrte, desto grauenhafter war das Ende. Ein Rad griff in das andere. Es gab keine Hoffnung. Weder grenzenlose Aufrichtigkeit half noch arglistige Verstellung." Der Roman, er ist in der Zeit des Ausweisungsdekrets angesiedelt, zeichnet das Bild eines Landes, das unter dem Terrorregime einer fanatisierten Theokratie förmlich erstickt: „Während der Messe", so eine der zahlreichen düsteren Szenarien (ebd.: 90 f.), „schlängelten sich Horcher von Bank zu Bank. Sogar an die Beichtstühle wagten sich Spione heran, um einige Worte von den Lippen der Beichtenden zu erhaschen. Kraft der Annahme aus dem kanonischen Recht, daß jedermann einen Ketzer festnehmen dürfe, bildeten sie eine unheimliche Polizei Gottes und schwärmten hinter den reichsten und angesehensten Marranen her wie Raben, die ein Aas witterten. In den weitläufigen Palästen des neuchristlichen Adels hockten unter der zahlreichen Dienerschaft stumme Boten, um die Brunnen in den Marmorhöfen lagerten sich Bettler, vermummte, Pestkranken gleich, hasteten durch die volkreichen Gassen: alle standen im Dienst der Inquisition und beobachteten Verkehr, Haltung, Betragen und Freundschaft der Marranen." Die religiöse Paranoia, mit der der Erzähler seine Leser auf Schritt und Tritt konfrontiert, mag einseitig und übertrieben sein, nicht zuletzt aufgrund der zeitgenössischen Analogien, die der Autor sicher auch im Auge hatte. Nur als Ausschnitt der historischen Wirklichkeit muß man in diesem Zusammenhang auch die Reduzierung des Vertreibungsedikts auf die Geldgier des Königs (ebd.: 133) interpretieren: Die historische Motivpalette war bekanntlich viel komplexer. Für die hier relevanten Zwecke ist der Roman dennoch aufschlußreich: Er zeigt, was ein jüdischer Autor mit Spanien verbindet - rund drei Jahrzehnte nach Beginn der Sephardenkampagne Pulidos. Daß der Roman, trotz aller zeitgenössischen Fingerzeige, eine gelungene Auseinandersetzung mit dem Schlußkapitel der spanischen Juden darstellt, illustriert schließlich die Wertschätzung, die Ernst Sommer dem maurischen Kulturerbe entgegenbringt, von dem auch die spanischen Juden so stark profitierten. Das inquisitionsfixierte Spanienbild jüdischer Autoren, das Elena Romero kritisierte, wird durch die Erinnerung an Al-Andalus, „die Zierde der Welt" (ebd.: 210), hier zumindest relativiert: „,Vor uns besaßen Barbaren dieses Land'", gibt der Erzähler dem letzten Granadiner Maurenherrscher das Wort (ebd.: 229), „Ihr legt euch bequem in ein Bett, das wir euch gemacht haben. [...] Ihr besetzt unsere Städte und bläht euch auf, als hättet ihr sie erbaut. Aber was ist Cördoba jetzt, und was war es früher. Habt ihr eine Ahnung, was Sevilla und Toledo bedeuteten, ehe ihr sie uns wegnahmt?'"

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Eine einheitliche Sichtweise Spaniens, unter Einschluß der Gegenwart, hat es in der jüdischen Diaspora logischerweise jedoch nie gegeben. Das Spektrum des jüdisch-sephardischen Spanienbildes wies, trotz aller Betonung der Geschichte, stets unterschiedlichste Schattierungen auf, zu denen auch - wenn man sie so nennen will - die folgende Kuriosität gehört: Die jüdische Gemeinde Tetuans soll 1939 „la gloriosa Victoria de la Guerra" gefeiert haben (Lisbona 1993: 71) und ihren Stadtteil mit einem Transparent,geschmückt' haben, auf dem zu lesen war: „Viva Franco, el artífice de la Victoria". Diese Solidaritätsbekundung der Tetuaner Sepharden mit den Siegern des Bürgerkrieges soll ihrerseits, schreibt Lisbona (ebd.: 72), in internationalen Faschistenkreisen für Verwirrung gesorgt haben: „EI hecho es tan curioso que el diario italiano Régimen Fascista [...] llega a criticar con sarcasmo que la colonia hebrea hubiera festejado la Victoria, lo que considera un ultraje histórico, dado que la lucha se había sostenido para liberar a España de las garras del bolchevismo judío." Von solchen Kuriositäten - die sich auch in späteren Jahren wiederholt haben sollen - abgesehen: Das jüdisch-sephardische Spanienbild, wiewohl keineswegs einheitlich, unterscheidet sich, grosso modo gesehen, doch markant von der Sichtweise, die unter den spanischen Philosepharden en vogue war. Es unterscheidet sich vor allem durch einen kritischen Blick auf die Geschichte und durch zahlreiche Kautelen, die dem zeitgenössischen Spanien galten. Es unterscheidet sich weniger, häufig kaum, in bezug auf die kulturellen Zenitepochen im maurischen und christlichen Spanien. Beide, Spanier und Sepharden (unter Einschluß zahlreicher ,sephardisierter' Aschkenasen), betrachteten die kulturelle Blüte des mittelalterlichen Spaniens als zentrales Element ihrer historischen Identität. Doch auch dieser Konsens könnte sich als trügerisch erweisen. Denn das Thema, das sephardische Selbstbild in Geschichte und Gegenwart, ist zwar, wie eingangs betont, noch weithin unerforscht. Vieles spricht indes dafür, daß Marc D. Angel (1995: 362) recht hat: „En el fondo, pienso que la conexión sefardí con España es una conexión judía. Fue en España donde gigantes intelectuales y espirituales judíos crearon una literatura que iba a influenciar a todo el pueblo judío por todos los tiempos, y los sefarditas se sienten profunda e inefablemente orgullosos de estas creaciones." Dafür spricht auch das Œuvre der sephardischen Autoren, das im folgenden untersucht wird.

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1. „Die Erinnerung des großen Verbrechens": Max Nordau Max Nordau (1849-1923), führender Kopf der Zionistischen Bewegung, geistreicher Kulturkritiker und brillanter Autor von Dramen, Lyrik und unzähligen Feuilletons, ist neben Abraham Schalom Yahuda, dem 1915 an die Universität von Madrid berufenen Professor für Hebräisch und Rabbinica, sicher einer der geeignetsten Gewährsmänner zur Beurteilung der Frage, wie das jüdisch-sephardische Spanienbild in Teilen ausgesehen hat. Der direkte Nachfahre von Isaac Abravanel (Lisbona 1993: 35) lebte von 1914 bis 1919 in Madrid, lernte dort namhafte Intellektuelle, Politiker und die Protagonisten der Sephardenkampagne kennen und äußerte sich an zahlreichen Stellen seines Œuvres über die Geschichte und Gegenwart jenes Landes, in dem seine Vorfahren einen steilen Aufstieg und Niedergang erlebt hatten. Nordau, der gut Spanisch sprach,12 hatte Spanien bereits in jungen Jahren bereist: In seinen „Bildern aus Spanien", einem über hundertseitigen Teil seiner Kulturstudien Vom Kreml zur Alhambra (1880), hatte er bereits geistreiche, gut geschriebene Spanienimpressionen präsentiert, die wenig geeignet waren, als Projektionsfläche für sentimental-unkritische Topoi sephardischer Spanienliebe herzuhalten. Denn hier war kein nostalgischer Spanienromantiker unterwegs, der das Land seiner Ahnen ,mit der Seele' suchte: Die Spuren, die er von ihnen f a n d - und es war vor allem die jüdische Vergangenheit, die den Reisenden interessierte - , sind vielmehr Anlaß für kritische, hier und da ausgesprochen bittere Betrachtungen. Schon gleich zu Beginn seiner Reise, auf den Hügeln von Monjuich, oberhalb Barcelonas, wird er (ebd.: 288) mit den traurigen Reminiszenzen der jüdischen Geschichte konfrontiert: „Wie ich so dahinschritt, bemerkte ich plötzlich unter den Fließen der Straße einen flachen Stein mit einer hebräischen Inschrift. Es war das Fragment eines jüdischen Grabsteins aus dem Mittelalter. Der Friedhof war zerstört worden und seine Monumente hatte man zerschlagen und zur Pflasterung der Straßen benutzt. Die Leiche, die dieser alte Grabstein einst bedeckte, ist längst in alle Winde zerstoben, und in alle Winde zerstoben sind auch die Nachkommen des todten Mannes, auf dessen Namen der Fuß des Wanderers tritt. Nichts ist von diesem unglücklichen Geschlechte übriggeblieben als die Erinnerung des großen Verbrechens, das Spanien an seinen treuesten Bewohnern begangen. Wie eine zu oberflächlich eingescharrte Leiche starrt dieses eingesargte Verbrechen mit den hundert Todtenknochen alter Steine, 12

Laut Aronsfeld (1979: 29) hatte Nordau in seiner Kindheit Judenspanisch gelernt.

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halbzerstörter Inschriften und melancholischer Ruinen unter der Decke der Vergangenheit hervor und erhebt seine unverjährte Anklage in allen Städten und auf allen Landstraßen." Man mag das Pathos dieser Zeilen, zumal aus heutiger Sicht, für übertrieben halten - die Bitterkeit und anklägerische Schärfe, die der jüdischsephardische Reisende artikuliert, bieten jedenfalls keinen Raum für geschichtsblinde Versöhnungsrhetorik á la Pulido, den Nordau mehr als dreißig Jahre später selber kennenlernen sollte. Auf seiner mehrwöchigen Reise von Katalonien nach Andalusien kommt der sephardische Autor immer wieder auf die „historischen Verbrechen" (ebd.: 292) zu sprechen, ist aber bemüht, auf „der zauberischen Fahrt [...] alle Schönheit und alles Elend Spaniens" gleichermaßen zu würdigen. Echte Begeisterung empfindet er außer für das jüdische Erbe freilich nur dort, wo er auf die Spuren des maurischen Spaniens trifft. Im Tone romantischer Schwärmerei besingt er (ebd.: 296 ff.) Andalusien, „das bezauberndste Land in Europa" - vor allem jene „morgendländische Märchenwelt", die er beim Anblick der Alhambra überschwenglich beschreibt: „die Todten steigen aus ihren Gräbern", so scheint er auf den gleichen Pfaden der Phantasie zu wandeln wie ein paar Jahrzehnte zuvor Washington Irving, „und füllen mit frischem, bunten Leben jedes Winkelchen des Königspalastes und ein verschollenes Jahrhundert blüht voll und prächtig wieder auf vor deinen Augen, du Glücklicher!" Im Unterschied zu der akkusatorischen Härte, mit der Nordau die Verfolgung und Vertreibung der Juden beschreibt, bleibt er, was das nicht minder gewalttätige Ende von Mauren und Morisken betrifft, jedoch auffallend sachlich. Etwa am Beispiel (ebd.: 300) des Granadiner „Thurm de la vela", dessen Glocken, so seine nüchterne Beschreibung, jedes Jahr am zweiten Januar vierundzwanzig Stunden lang ununterbrochen geläutet würden, „zum Andenken an den Tag, an welchem die Christen unter Ferdinand dem Katholischen in dieses letzte Bollwerk des Islam auf der Halbinsel als Eroberer einzogen". Auf eine kritische Würdigung dieser Ereignisse, die immerhin zahlreiche Parallelen zur Vertreibung der Juden aufweisen, hat Nordau indessen verzichtet. Die romantische Maurophilie des sephardischen Spanienreisenden, die sich, ziemlich einseitig, fast nur auf die kulturelle Dimension der maurischen Präsenz auf der Halbinsel beschränkt, nimmt lediglich mit Blick auf die Moschee von Córdoba eine polemische Färbung an: „Als die Spanier von der Moschee Besitz ergriffen", empört sich (ebd.: 354) der Liebhaber maurischer Baukunst völlig zu Recht, „legten sie die vandalische Axt an ihre Wunder; sie hieben in der Mitte des Säulenwaldes eine große Anzahl der steinernen Stämme um und bauten in

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die so entstandene Lichtung eine spätgotische, fabelhaft reiche und fabelhaft geschmacklose Kirche hinein". Ansonsten bleibt der Blick des Besuchers durchweg romantisch: In der Moschee macht er die Bekanntschaft eines moslemischen Pilgers, der sich als Nachfahre der vertriebenen Morisken entpuppt. Wahrheit oder Erfindung - dieser Urenkel des Cordobeser Herrschergeschlechts habe, berichtet Nordau (ebd.: 359 f.), sogar einen alten, verrosteten Schlüssel bei sich gehabt, mit dem sich das Schloß ,seines' elterlichen Hauses noch habe öffnen lassen: „Durch neun Generationen hatte also diese unglückliche Familie den Schlüssel ihres verlassenen Hauses bewahrt und durch dieses Symbol an seinem doch auf ewig verlorenen Eigenthum festgehalten!" Ist diese Episode, „mein interessantestes spanisches Abenteuer" (ebd.: 361), auch eine ,Umwegallegorie' auf die Schlüsselmetapher sephardischer Spaniennostalgie? Entsprechende Hinweise sucht man in Nordaus „Bildern aus Spanien" jedenfalls vergeblich; wohl nicht zuletzt deshalb, weil ihm Spaniennostalgie, zumindest in Form sentimentaler Klischees, augenscheinlich fremd war. Denn obgleich er, wie zitiert, die Absicht hatte, „Schönheit und Elend Spaniens" ausgewogen darzustellen, überwiegen doch, um im Bilde zu bleiben, eindeutig die „elenden" Seiten des Landes: „Córdoba ist gar nicht eine Stadt", schreibt er (ebd.: 348 f.) zum Beispiel, „sondern ein Mausoleum, ein ungeheures Grabdenkmal über der alten maurischen Herrlichkeit, die hier eingesargt wurde. Nirgends ist die mohammedanische Vergangenheit Andalusiens so lebendig und schön, nirgends seine spanische Gegenwart so beschämend und trostlos wie hier." Die Armut und der verwahrloste Zustand der Stadt mögen Nordau besonders negativ berührt haben - das Urteil über Córdoba gilt jedoch, wenn auch weniger scharf formuliert, für alle Stationen seiner Reise. Überall registriert der hochgebildete Kosmopolit spanische „Laster und Lächerlichkeiten", wie sie seit Montesquieu das europäische Spanienbild prägten. Etwa die pittoresken, heruntergekommenen Gestalten einer Karlistentruppe, die zwar keine Schuhe tragen, aber ihre Uniformen mit imposanten Orden schmücken: „Wenn jeder dieser Orden der Lohn einer Waffenthat ist", lautet der spöttische Kommentar des Betrachters (ebd.: 280), „so muß die heutige spanische Armee aus lauter Cids bestehen!" Als besonders trostlos schien Nordau das intellektuelle Leben des Landes zu empfinden. So könne der spanische Journalismus, schrieb er (ebd.: 376), „selbstverständlich" nicht mit dem Maßstab gemessen werden, den man an die Presse der „vornehmsten Kulturvölker" lege: „Sie hat für uns mehr ein Kuriositäts-Interesse. Sie ist fremdartig und abweichend von allen europäischen Vorbildern. Alle Blätter, die größten wie die kleinsten, haben hier

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gewisse Züge miteinander gemein, die sofort beweisen, daß Spanien noch immer das Land der frommen Gläubigkeit, der höfischen Etikette und der theatralischen Deklamation sei." Auch hier, in den allgemeinen Spanienbildern, dominiert also ein Grundton, der wenig Sympathie und noch weniger Wertschätzung für das andere Land verrät. Immerhin fällt auf, daß sich der jüdische Spanienreisende mit seiner Kritik an dem „Land der frommen Gläubigkeit" ziemlich zurückhält. Er registriert zwar aufmerksam und mit erkennbarem Unbehagen die gesellschaftliche Allgegenwart des Katholizismus, etwa in der Presse; findet jedoch (ebd.: 326) für die Prozessionen der Semana Santa in Sevilla - „eine der Hochwarten des religiösen und politischen Radikalismus" - durchaus anerkennende Worte: „allein ich muß trotzdem sagen, daß ich das erwähnte Kirchenfest nirgends mit so viel Pomp, so tiefer Inbrunst und einem so großartigen äußeren Apparat habe feiern gesehen wie gerade hier." Und das in einer Stadt, lenkt er (ebd.: 323) auch hier den Blick auf das Hauptinteresse seiner Reise, „in der es kaum eine Familie geben dürfte, die nicht maurisches und jüdisches Blut in den Adern hätte." Bei aller Distanz, die Nordau zu dem Land seiner Vorfahren hält, äußert er doch nirgendwo historisch motivierte Aversionen, von Haßgefühlen ganz zu schweigen. Störend wirkt lediglich die herablassende Pose, mit der er, ein Repräsentant der „vornehmsten Kulturvölker", sein Reiseland als europäischen Sonderling, ja als eine Art Paria deklassiert. Eine ausgeprägte Antipathie, die sich sogar mit einem rassistischen Zungenschlag äußert, hat Nordau allerdings nur den Zigeunern entgegengebracht, denen er ein ganzes Kapitel widmete. Denn „das ist einer der Züge", schreibt er (ebd.: 338), „die Spanien mit Ungarn gemein hat. Spanien und Ungarn sind die beiden Länder, wo die Zigeuner sich am wohlsten fühlen, am lustigsten vermehren und in größter Zahl schmarotzen". Gleichsam im Jargon eines Insektenforschers erinnert er daran, daß auch andere Länder „einst von dem menschlichen Heuschreckenzuge [!] der Zigeuner überrannt worden waren". Woher kommt dieser überraschende Groll, der offen rassistische Züge trägt und einer Minderheit gilt, die bis in die Gegenwart verfolgt und diskriminiert worden ist? Die Erklärung, die Nordau (ebd.: 339 f.) selber gibt, mutet kaum weniger überraschend an: „Freigeister von Geburt und Philosophen aus Neigung, fanden sich die Zigeuner sehr gut mit den spanischen Vorurtheilen ab. Als die Juden und Mauren ausgetrieben wurden, da setzten sich die Zigeuner behaglich in die leer gewordenen Nester; als die Nachkommen jener Unglücklichen auf den Scheiterhaufen verbrannt oder an der Garota (Drosselstange) erwürgt wurden, da lebten die Gitanos in Frieden und Seligkeit."

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Verübelt der jüdisch-sephardische Autor dieser Zeilen den Zigeunern, daß sie nicht, wie Juden und Mauren, aus dem Lande getrieben wurden? Oder verübelt er ihnen, daß sie versuchten, genauso wie ein Teil der zwangskonvertierten Juden und Mauren, sich notgedrungen mit den Verhältnissen zu arrangieren? Die Gehässigkeit, mit der Nordau den angeblichen Opportunismus der Zigeuner in religiösen Fragen geißelt, läßt die Vermutung zu, daß Bitterkeit und Projektionen gleichermaßen ihm die Feder führten: „Verlangten die Herren vom heiligen Gerichte, daß jeder Vorübergehende vor den Kirchthüren den Hut abziehe, so knieten die Gitanos nieder; verlangten jene, daß man vor Prozessionen im Staub niederknie, so warfen sich die Gitanos der ganzen Länge nach hin und berührten mit der Stirn den Boden. [...] so waren sie die eifrigsten Söhne der Kirche und stellten kaum einen einzigen Mann zu dem überzahlreichen Ketzerheere, das durch drei Jahrhunderte seine Schwachgläubigkeit auf der Richtstatt zu büßen hatte". Wie auch immer man Nordaus Ausfälle gegen die Zigeuner interpretiert auch sie enthalten noch, und darauf kommt es hier vor allem an, eine scharfe Anklage gegen den katholischen Fanatismus, dem die „Ketzerheere" zwangskonvertierter Juden und Mauren zum Opfer fielen. Eine solche Anklage, die an Schärfe sogar noch zunimmt, hat Nordau auch in späteren Schriften regelmäßig wiederholt. So heißt es in einem Vortrag (1911: 8) von 1909: „Den Feinden des jüdischen Volkes hat es nie an dem guten Willen gefehlt, ganze Arbeit zu leisten. Hätten [...] Ferdinand und Isabella von Spanien nach der Eroberung von Granada das ganze jüdische Volk in ihrem Machtbereich gehabt, sie würden es wahrscheinlich mit Stumpf und Stiel ausgerottet haben." Dennoch sei das mittelalterliche Spanien - auch diesen Aspekt hebt Nordau (ebd.: 10) hervor - eine historische Ausnahmeerscheinung gewesen: Während zwischen Juden und Christen im damaligen Europa „kein innerer Zusammenhang" bestanden habe, weil ein solcher von der „christlichen Umgebung" abgelehnt worden sei, hätten ihn die Juden „in den Ländern des Islam mit der maurischen Kultur immer aufrechterhalten]". Doch von den kulturellen Früchten jener Zenitepoche, den „Übersetzungen griechischer Philosophen und Mediziner und arabischer Naturkundiger", an denen Juden maßgeblich beteiligt waren - davon, so Nordau, konnten deren Nachfahren jedoch selber nicht profitieren: „Die Juden waren immer nur Gebende, niemals Empfangende." Nein, Nordaus Bild von der jüdischen Geschichte Spaniens eignete sich nicht für die sentimentale Versöhnungsrhetorik, die den ,Umweg über die Geschichte' in aller Regel scheute. Als Nachfahre Abravanels, der es zu großem Ansehen

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und Reichtum gebracht hatte, war er im übrigen auch selbstbewußt genug, ein Standardklischee des Antisemitismus - das der reichen Juden - als probate ideologische Zwecklüge zu demaskieren: „Sie, die Verkörperung des Mammons, diese Juden", schrieb er in seinen Zionistischen Schriften (1923: 55), „von denen reichlich die Hälfte keinen Stein besitzt, wo sie ihr Haupt hinlege, und keinen Fetzen, mit dem sie die Blöße ihres Leibes bedecke! Das ist der Hohn, der hinzutritt und Gift einträufelt, nachdem der Haß die Wunde geschlagen hat. Gewiß, es gibt einige hundert überreiche Juden, deren lärmende Millionen weithin bemerkt werden. Aber was hat Israel mit diesen Leuten gemein?" Zu dem anderen, dem eigentlichen Judentum, das die Ideologen des antisemitischen Grunddogmas unterschlagen, zählt Nordau (ebd.) u. a. die Koryphäen des spanischen Mittelalters: „Das Judentum [...] Ibn Gabirols, Jehuda Halevys, Ben Maimons, Spinozas, Heines kennt diese Geldprotzen nicht, die alles geringschätzen, was wir verehren, und die hochhalten, was wir verachten." Die Kritik, die der Urenkel von Abravanel an den jüdischen Millionären übt, ist violent und unerbittlich - nicht zuletzt deshalb, weil sie an den Grundidealen des Zionismus kein Interesse hätten: „Warum sollten sie Zionisten sein? Um ihre materielle Lage zu verbessern? Das", polemisierte er (ebd.: 294 f.), „haben sie nicht nötig. [...] Um der Verfolgung und Beschimpfung zu entgehen? Sie leiden nicht darunter." Doch gerade das spanische Beispiel, so Nordaus Warnung (ebd.: 298) an diese ,,protzig[en] und hochnäsig[en]" Juden, zeige überdeutlich, daß sich die Sicherheit, in der sich „so viele jüdische Millionäre" wiegten, stets mit einem bösen Erwachen enden könne: „Sie kennen zwar die jüdische Geschichte nicht, aber sie haben doch einmal etwas läuten hören, daß es [...] in Spanien unter Ferdinand und Isabella jüdische Millionäre gab, die in Palästen wohnten, Hofund Staatsämter bekleideten, den Adel des Landes mit Trüffelgastmählern bewirteten, und daß dann plötzlich, ohne Warnung, ein furchtbarer Tag anbrach, der diese lächelnden Millionäre in verstümmelte Leichen und die glücklicheren unter ihnen in landfahrende Bettler verwandelte, deren Nachkommen heute in den Judengassen Polens und Rumäniens verhungern und verkommen." Eine bittere Lektion, die der Autor, so darf man vermuten, auch auf seine eigene Familiengeschichte bezog. Die zitierten Facetten von Nordaus Spanienbild dürften - ich wiederhole es auch den meisten sephardenbewegten Lesern in Spanien nicht sonderlich gefallen haben. Um so überraschender ist die Tatsache, daß der späte Nordau seine distanziert-kritische Einstellung zu Spanien deutlich reduzierte, vor allem während jener Jahre, die er in Madrid verbrachte. Dabei mag vor allem diplo-

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matische Contenance eine Rolle gespielt haben; denkbar ist auch, daß seine Lebensgefährtin, aus deren Feder große Teile der Erinnerungen an diese Jahre stammen, hier und da .geglättet' hat. Auf jeden Fall enthalten die Spanien gewidmeten Teile dieses Buches nur wenige halbwegs relevante Hinweise auf die Sephardenthematik, die zudem, vor allem mit Blick auf die Kampagne Pulidos,13 eine recht unkritische Handschrift verraten. Kaum in Spanien angekommen, trifft er (1928: 267) auf der Puerta del Sol zufällig mit einem sephardischen Protagonisten jener Jahre zusammen: „Es ist der Professor Yahuda, der auf die Lehrkanzel für Hebräisch und rabbinische Wissenschaften nach Madrid berufen wurde." In einem Artikel des Jewish Chronical preist Nordau (1916: 12) die Professur des renommierten Sepharden als großen „TriumpP - etwas voreilig, wie sich zeigen sollte.14 Professor Yahuda, schreibt er, „is the first Jew called to a Spanish University chair, or, indeed, receiving any State appointment in Spain since the wholesale expulsion of the Jews from the Peninsula by the Catholic Kings in 1492." Im Unterschied zu den Erinnerungen ist hier immerhin davon die Rede, daß die „ruhmreiche Tradition" der hispanojüdischen Wissenschaften von dem katholischen Herrscherpaar „grausam" beendet wurde. Auch das Ausweisungsedikt, schreibt Nordau, sei theoretisch noch immer in Kraft, spiele aber de facto keine Rolle mehr: „Spain throws a veil over the piles of the Inquisition, dissipates their pestilent fumes and makes an official profession of tolerance, of human brotherhood, and of the recognition of Jewish merit." Dennoch erwarteten den frischberufenen Sephardenprofessor gewaltige Aufgaben: „Great work is in store for him and the disciples he is bound to form. In spite of the endeavours of Kayserling, Amador de los Ríos."15 Die „tiefe Freundschaft", die Nordau mit Yahuda fortan verband, schloß offenkundig auch Pulido ein: „Der hohe Senator", so die ehrerweisende Reverenz seiner Gefährtin (1928: 267), „fühlt sich gekränkt, daß der neue Gast Spaniens ihn noch nicht aufgesucht hat". Die persönliche Bekanntschaft ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Das Ergebnis fiel, wie dem zitierten Artikel im Jewish Chronical (1916: 12) zu entnehmen ist, 13

14 15

Eine ziemlich unkritische Haltung Nordaus zu der Sephardenkampagne Pulidos läßt sich auch-aus der Tatsache ableiten, daß er eines der Bücher Pulidos ins Französische übersetzte - ein Buch (vgl. das Kapitel über Pulido), das vor politischen Ambivalenzen und Sephardenstereotypen geradezu strotzt. Vgl. das Kapitel über Yahuda. Nordau geht interessanterweise mit keinem Wort auf den höchst zwiespältigen Charakter der vielzitierten Studie über die Geschichte der spanischen Juden ein, die Amador de los Ríos 1848 vorlegte. Vgl. das Kapitel über Amador de los Ríos.

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rundweg positiv aus: „The fírst impulse to the revival of rabbinical studies in Spain [...] came from the celebrated author of .Españoles Sin Patria' (,Spaniards Without a Fatherland'), Senator Dr. Angel Pulido. He made himself the champion of the Separdic cause." In der kommenden Zeit macht er darüber hinaus die Bekanntschaft namhafter Politiker (u. a. des Chefs der Liberalen, Graf Romanones 16 ) und zahlreicher Kulturschaffender: „Sehr gern", schreibt seine Gefährtin (1928: 286), nimmt er die Einladungen zum argentinischen Vertreter Dr. Avellanda an, einem feinen Literaten [...]; auch Herr Kohly, der Minister von Kuba, ist ihm ein willkommener Gastgeber. Man trifft ihn bei Professor Simarro, bei Concha Espina, der ausgezeichneten Romanschriftstellerin. Herr von Hoyos besucht ihn mit Carmen de Burgos und schickt ihm seine Bücher." Der diplomatische Duktus dieser Erinnerungen springt besonders durch die Erwähnung von Concha Espina ins Auge: Kannte Nordau die offen antisemitische Einstellung der „ausgezeichneten Romanschriftstellerin" nicht, oder bewahrte er lediglich eine taktische Höflichkeit? Die gleiche Frage stellt sich im Hinblick auf Pulido, den ,,große[n] Philosemit[en]", wie er in den Erinnerungen (ebd.: 283) figuriert. Für den „hohen Senator" findet die Gefährtin

Nordaus

(ebd.: 286) ausschließlich lobende Worte: „Seine Freunde, Dr. Pulido und Dr. Cortezo, schlugen der Medizinischen Akademie vor, ihn zum ausländischen korrespondierenden Mitglied zu ernennen, was auch geschah. Das Diplom wurde ihm in feierlicher Sitzung überreicht. Max Nordau war davon tief gerührt." Darüber hinaus berichten die Erinnerungen

(ebd.: 274) von einigen Vor-

trägen Nordaus im Ateneo und im „Volkshaus" über „die spanische Seele, über ihren Ursprung und ihre Entwicklung", deren einziges wörtliches Zitat jedoch wenig Aufschluß über die Sephardenthematik bietet: „Ihr zweifelt an Euch selber, an Euren Fähigkeiten, an Eurer Bestimmung. Das aber mit Unrecht, glaubt es mir. Ihr seid immer das große Volk, das Ihr gewesen, das aufgeweckte, gerade und freimütige Volk, glänzend wie eine Klinge aus Toledo, ritterlich wie die romantischen Paladine. Nur eine Sache fehlt Euch, eine wichtige Sache, das ist wahr. Ihr habt keine Ideale. Nun kann aber ein großes Volk ohne ein Ideal nicht leben. Schafft Euch ein Ideal!" Über Nordaus Spanienbild, vor allem mit Blick auf die jüdischen Aspekte, erfahrt der Leser indes sonst nichts. Auch kritische Anmerkungen zur Sephardenkampagne, wie sie etwa Yahuda machte, sucht man vergebens. Nur Nordaus

16

In diesem Zusammenhang (ebd.: 268) ist auch von „Herrn Machado" die Rede, ohne daß allerdings deutlich würde, wer damit gemeint ist.

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Studie Die Großen der spanischen Kunst, die auf Initiative Yahudas (ebd.: 287) in Spanien entstand, gab Anlaß zu einem der spärlichen kritischen Kommentare der Erinnerungen: „Das Buch erschien erst nach Jahresfrist, und zwar in einem unmöglichen Format, mit schlechten Klischees, ohne Voranzeige und ohne daß es in der Presse erwähnt worden wäre. Man vergaß sogar", erinnert sich seine Lebensgefährtin (ebd.: 288), „Max Nordau ein Exemplar zu schicken und es in den Buchhandlungen auszustellen." Ansonsten, so der Tenor der

Erinnerungen,

scheint sich der Sepharde Nordau in Spanien rundum wohl gefühlt zu haben (ebd.: 275): „Mit seiner Familie besucht Max Nordau die Kunststätten, die ihn umgeben. Bald schon fahren sie nach Sevilla, Granada, Cordoba und Toledo. [...] Unter anderem machen sie auch einen sentimentalen Ausflug nach Segovia zu dem Hause seiner Vorfahren." Also doch eine späte Versöhnung zwischen dem illustren Nachkommen einer der bekanntesten Judenfamilien Spaniens und den zeitgenössischen Philosepharden des Landes? Ganz so harmonisch, wie die Erinnerungen suggerieren, scheint Nordaus mehrjähriger Aufenthalt in Spanien allerdings doch nicht verlaufen zu sein. So schreibt Rafael Cansinos Asséns, selber einer der Protagonisten der Sephardenkampagne, der zu „este gran hombre" augenscheinlich engen Kontakt unterhielt, daß sich Nordau trotz aller verbalen Wertschätzung seitens namhafter Politiker und Intellektueller gekränkt gefühlt habe. Die großen Leistungen der jüdischen Intellektuellen, Schriftsteller und Dichter würden im zeitgenössischen Spanien zwar anerkannt, zitiert Cansinos Asséns (1985: 26) eine Äußerung Nordaus an die Adresse des Grafen Romanones, „por lo demás - continuó diciendo [Nordau, N.R.] - , en el terreno práctico, yo, personalmente, no he recibido ningún beneficio de España; mis obras traducidas al español no me han producido ni un céntimo; Sempere, el editor valenciano, me dijo con toda frescura que él no pagaba traducciones ..." Sieht man von solchen, eher persönlichen Kränkungen ab, die freilich die übliche Kluft zwischen rhetorischem und praktischem Philosephardismus illustrieren, dann scheint Nordau auch in politischen Grundsatzfragen auf Probleme gestoßen zu sein - Fragen, die gerade aus jüdischer Sicht eine besondere Brisanz besaßen. Etwa während eines Vortrags über „El sentimiento de la nacionalidad", den er im Ateneo von Madrid 17 gehalten hat. Dieses Gefühl, schreibt Cansinos Asséns (ebd.: 473), „que para él consiste en la comunidad de ideas, no en la de lengua ni la de raza. Lo aplauden, 17

Nach Auskunft der Verantwortlichen der Bibliothek des Ateneo sind die Vorträge Nordaus (übrigens auch die seines Freundes Yahuda) während des Bürgerkrieges verbrannt.

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pero apenas lo entienden". Führt man sich vor Augen, was Nordau an anderer Stelle (1923: 23) dazu geschrieben hat, dann erscheint die Bemerkung von Cansinos Asséns nur allzu verständlich: „Der Nationalgedanke hat in seinen Uebertreibungen zu Ausartungen geführt. Er ist zu Chauvinismus abgeirrt, zu einfältigem Fremdenhaß versimpelt, zu grotesker Selbstvergötterung verdummt." Diese Sätze dürften, wenn sie so gefallen sind, auch bei den meisten sephardenbewegten Zuhörern Unbehagen ausgelöst haben. Dennoch besaß Nordaus Spanienbild, zumindest das des späten Nordau, in einigen Punkten eine traditionalistische Färbung, besonders deutlich in einem Vorwort zu dem Buch El alma nacional. Sus vicios y sus causas. Genealogía psicológica del pueblo español, das 1915 vom Marqués de Dosfuentes publiziert wurde. Wie bereits der Titel verrät, handelt es sich um eine der zahllosen Sondierungen der spanischen Seele', die, obgleich aus liberaler Feder, das Arsenal des historischen Psychologismus um eine weitere Blüte bereicherte.18 Insofern ist allein schon die Tatsache bemerkenswert, daß Nordau ein solches Elaborat mit einem - lobenden! - Vorwort versah. Er läßt zwar leichte Kritik an der psychologistischen Perspektive des Buches anklingen,19 geht aber mit zentralen historischen Grundprämissen des Grafen augenscheinlich konform: „La Reconquista", schreibt er (ebd.: 9) etwa im besten Traditionsjargon, „es uno de los hechos más asombrosos de los siglos todos, y ella bastaría para la gloria de un pueblo." Sämtliche Klischees über das peninsulare Mittelalter geben sich in den Zeilen Nordaus ein Stelldichein: „Durante ocho siglos, el pueblo español no tuvo más 18

19

Zu den historischen Denkwürdigkeiten, die der Autor zunächst als Vorlesungen im Ateneo de Madrid präsentiert hat, gehört etwa (1915: 23) die Bezeichnung der spanischen Juden als „aristocracia hebrea, una especie de subraza que no es judía, que se llama española". Von ähnlicher Machart ist die Charakterisierung (ebd.: 44) der Mauren: „Los moros, llamados árabes, son antagónicos al espíritu ibérico. Por eso no se confunden con nosotros. Son extranjeros á quienes se va expulsando." Denkwürdig ist auch (ebd.: 97 f.) die Behauptung, „el Tribunal del Santo oficio era de origen extranjero." Gemeint ist die Habsburger Dynastie, die den religiösen Fanatismus, gegen den Willen des Volkes, importiert habe: „El español es, por su esencia, arreligioso." Ansonsten geriert sich der Autor (ebd.: 24) vor allem als glühender Patriot: „Porque tan sólo nosotros hemos creado tipos universales. Unicamente un español, un ibero, es capaz de concebir y de forjar en la esfera de la vida intelectual seres humanos valederos para todos." Und so weiter ... Die Völkerpsychologie, schreibt er (ebd.: 8 f.), sei eine Pseudowissenschaft, die nur geringen oder keinen Wert besitze. Den Autor nimmt er von dieser Kritik allerdings weitgehend aus: „Un estado de alma es una cosa distinta [...] es transitorio y se modifica sin cesar." Die folgende „Raza"-Definition des Grafen (ebd.: 42) scheint er dabei überlesen zu haben: „Es resistente, tenaz, firme y robusto. Tiene conciencia de su supremacía."

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que un ideal: el de libertar su suelo, el de afirmarse como nación europea." Das „noble Ziel", dem sich das „spanische Volk" acht Jahrhunderte lang verschrieben habe, sei allerdings, lenkt er (ebd.: 10) nun den Blick, und das völlig unvermittelt, auf das Ende dieses „heiligen Martyriums", sehr teuer erkauft worden: „La sublime victoria del alma española ha sido anublada por la cruel expulsión de los moros y de los judíos de la Península. Es una falta grave que el pueblo español ha debido expiar en lo sucesivo." Die Quadratur des Kreises, an der sich der illustre Autor hier versuchte, nämlich „esta lucha heroica" des christlichen Spaniens mit der „dureza inútil y deplorable" bei der Verfolgung und Vertreibung der beiden Minderheiten mit argumentativer Logik auszustatten - dieses kühne Unterfangen .bewältigte' er mit dem lakonischen Satz: „Fué el pago que la iglesia pidió y obtuvo por los servicios que había prestado durante ocho siglos á la idea nacional en España." Ist sich Nordau der argumentativen Kapriolen seines historischen Streifzuges tatsächlich nicht bewußt gewesen? Oder hielt er die Lobhudelei der nationalen Gründungslegende, ja der nationalen „Befreiung" für einen notwendigen Tribut an den spanischen Nationalstolz, für den der Reconquista-Myihos

eine histori-

sche Essenz darstellte? Jedenfalls fällt es schwer, diese Zeilen des scharfsinnigen Zeitkritikers nicht einfach unter der Rubrik historiographischer Kuriositäten zu verbuchen. Immerhin fällt die Interpretation der spanischen Geschichte nach 1492 erheblich kohärenter aus, wenngleich sie der abwegigen ,Importtheorie' des Grafen de Dosfuentes auch in weiten Teilen folgt. So hält auch Nordau die Habsburger Dynastie für die entscheidende „fatalidad histórica", von der eine „influencia nefasta" ausgegangen sei, die der historischen Entwicklung des Landes ihren Stempel aufgedrückt habe. Die Katholischen Könige, unter deren Zepter die Juden immerhin vertrieben wurden, scheint er dagegen von jedweder historischen Schuld freizusprechen - von dem zitierten Hinweis auf die „unnötige Härte" des Edikts abgesehen. In den folgenden Jahrhunderten, so Nordau, sei die Geschichte Spaniens jedenfalls von „grandeza fuera" und „miseria dentro" bestimmt gewesen: „No se oye más que cantos de iglesia y las salmodias que acompañan á la hoguera á víctimas lamentables encapirotadas con el San Benito." Die unausweichliche Folge habe darin bestanden, daß „vuestra evolución normal" in eine historische Sackgasse gemündet sei. Die ,Grundsubstanz' der Nation, insinuiert er indessen, sei davon unberührt geblieben: „Ustedes son siempre el pueblo grande que siempre han sido, enérgico hasta la violencia, bravo hasta la temeridad, despierto al igual de los mejor dotados, recto, franco, brillante como nuestras hojas de Toledo". Dem zeitgenössischen Spanien fehle

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nur ein nationales Ideal, wiederholt er auch hier seine These der Ateneo-Vorträge, mit dessen Hilfe die „spanische Seele" eine Renaissance erleben könne. Und dieses Ideal liege auf der anderen Seite der Pyrenäen: „mezclaos en la gran vida europea, de la cual sois vosotros un örgano esencial". Das Buch des Grafen de Dosfuentes, dessen Vorwort er verfaßte, hält er für einen wichtigen Schritt in diese Richtung: „Usted cree en Espafia. Yo le felicito. Libros como el de usted son uno de los verdaderos medios de afirmar su confianza en ella misma, que su pesimismo ha debilitado peligrosamente." Die Bilanz von Nordaus Äußerungen zu Spanien fällt somit reichlich zwiespältig aus. Während der junge Autor vor allem die Leidensgeschichte der spanischen Juden herausstellt und ein Bild des Landes zeichnet, das von der europäischen Spanienkritik durchdrungen ist, markieren die Madrider Jahre des späten Autors einen deutlichen Wandel - hin zu Positionen, die zwar kritische Elemente beibehalten, den „Triumph" der Sephardenkampagne jedoch überschätzen und Ansichten zur spanischen Geschichte kolportieren, die einen hohen Grad an traditionalistischen Ideologien und argumentativen Widersprüchen aufweisen. Wie auch immer dieser Wandel zu erklären ist - eine Erklärung, die Nordau selber gegeben hat, dürfte in den Verhältnissen liegen, unter denen die meisten europäischen Juden zu Beginn dieses Jahrhunderts zu leiden hatten: „What a contrast to certain other countries", schrieb er (1916: 12) mit Blick auf die Madrider Professur seines Freundes Abraham Shalom Yahuda, „which deem themselves vastly in advance of ,backward' Spain, where Jews cannot attain to the position of an ordinary professor of university!"

2. Außensicht von innen: Abraham Shalom Yahuda

Neben Max Nordau gehört Abraham Schalom Yahuda (1877-1951) zu denjenigen sephardischen Intellektuellen, die Spanien und die philosephardischen Protagonisten der Vorbürgerkriegszeit wohl am besten kennenlernten: Der 1915 aus Berlin angereiste englische Staatsbürger Yahuda bekleidete bis 1922 die Professur für Hebräisch und Rabbinica an der Universität von Madrid und wurde auf diese Weise zu einem prominenten Aushängeschild für die spanischsephardische „Solidarität" (Lisbona 1993: 22) und das angeblich definitive Ende der katholischen Intoleranz. Vordergründig betrachtet hat Yahuda, mütterlicherseits ein Nachkomme von Joseph Ben Shushan, der eine hohe Stellung am Hofe von Alfons VIII. von Kastilien (1166-1214) innehatte (Jewish Chronical,

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4.2.1916: 16), in der Tat dazu beigetragen, ein solches Spanienbild zu schaffen. Ein genauerer Blick auf seine Äußerungen und die Reaktionen auf seine spektakuläre Professur (plus einiger Begleitumstände), zeigen indessen ein differenziertes Bild, das sich nur in Teilen als Stereotyp zur Verbreitung der abgenutzten Versöhnungsrhetorik eignet. Nach Ansicht von Cansinos Asséns (1985: 67), der zu dem „sabio bohemio" augenscheinlich engen Kontakt unterhielt, war bereits die Einrichtung der Professur an sich ein großer Erfolg: „Ha sido un triunfo para él y para nosotros que lo apoyábamos en la prensa. Se ha logrado algo que parecía imposible en este país de principios inconmovibles [...] Triunfo completo. Hasta los reaccionarios se han sumado a él, absteniéndose de impugnar los méritos del nuevo catedrático." Der so überschwenglich Gelobte trat sein Amt, schreibt Aronsfeld (1979: 28), jedoch mit einer großen Dosis Realismus an: Er glaubte nicht, daß ihn die spanische Regierung aus uneigennützigen Motiven, aus „platonischer Liebe für die Juden", wie er sagte, eingeladen habe. Der „reaktionären" Regierung, so Yahudas Überzeugung, sei es um innen- und außenpolitische Interessen gegangen. Etwa darum, jüdische Siedler anzulocken und den sephardischen Gemeinschaften, vor allem in Nordafrika, eine Geste des guten Willens zu zeigen. Seine Skepsis bezog sich dabei auch auf die Liberalen. Es sei zwar ratsam, wird er von Aronsfeld zitiert, eine jüdische Einwanderung erst dann zu befürworten, wenn die Liberalen das Sagen hätten; sehr viel Vertrauen brachte er auch ihnen gleichwohl nicht entgegen, wenn er sie als „anxious to mark their emancipation from the bad tradition of the past" charakterisierte. In seinen öffentlichen Äußerungen ist von dieser, durchaus begründeten Skepsis freilich wenig zu spüren.20 Hier dominiert, so der Titel eines Artikels von Max Nordau im Jewish Chronicle (1916: 12), die These von „Dr. Yahuda's Triumph". Seine Dankesrede aus Anlaß des offiziellen Vorlesungsbeginns fallt dementsprechend konziliant aus. Yahuda erinnert sein akademisches Auditorium vor allem an „those men of my race", so das Zitat von Max Nordau, „who by their invaluable scientific work shed glory on the name of Spain in the past". Das gewaltsame Ende des mittelalterlichen Judentums auf der Halbinsel findet nur in 20

Einen kritischen Zungenschlag, speziell aus spanischer Sicht, verraten allenfalls die akademischen Publikationen Yahudas, etwa über das Judenspanische. Hier kommt er (1915: 343) zu der Ansicht, daß man aufgrund des starken Einflusses der französischen Sprache unter den Sepharden des Osmanischen Reiches eigentlich nicht mehr von iudenspanisch sprechen könne. Denn die dortige Presse und Sephardenliteratur seien bereits „tan afrancesadas que quizá sería más exacto llamarlas judeofrancesas que judeo-españolas."

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Gestalt des letzten jüdischen Gelehrten auf einem spanischen Lehrstuhl zaghaft Erwähnung. Dessen „sadness of the exile, admid the dire circumstances and the disasters that had befallen his people", bildet nur die Überleitung für die üblichen Floskeln unverbrüchlicher Spanienliebe: „Now that after such a long interval of time I have the honour of being called to assume a similar high charge in the old country of my ancesters who hat never forgotten it and had always thought of it with love and sadness." Immerhin: „love and sadness"! Wie groß der Anteil letzterer in seinen Vorlesungen war, geht aus der Literatur leider nicht hervor. Daß sie sich trotz der allgemeinen Lehrstuhlbeschreibung (Hebräische Sprache und Literatur) hauptsächlich auf die Geschichte und Literatur der spanischen Juden bezogen, schreiben sowohl Nordau als auch Cansinos Asséns. Dessen Erinnerungen (1982: 455) ist zu entnehmen, daß der kritische Gehalt der Vorlesungen wohl sehr gering gewesen ist, jedenfalls lassen die Publikumsreaktionen keinen anderen Schluß zu: „¡Es tan interesante lo que dice sobre la historia, ya olvidada, de los sefardíes en la península! ¡Para la mayoría de los oyentes resulta una revelación! ¡Un amor súbito a los sefardíes se despierta en todos los pechos de estos hombres y estas mujeres, por cuyas venas, ignorada, corre sangre judía! Cuando termina el orador, todo el público se agolpa a la tribuna para felicitarlo. Hay señoras tan emocionadas que sacan los pañuelos". Bereits 1914, noch vor dem offiziellen Antritt seiner Madrider Professur, hatte Yahuda ein überwiegend harmonisches Bild von der Beziehung zwischen „The Jews and Modern Spain" gezeichnet, so der Titel eines ausgedehnten Artikels im Jewish Chronical (1914: 16 ff.), in dem er u. a. den Protagonisten der Sephardenkampagne seine Reverenz erweist: „It is well known that for many years past an important movement has been on foot in Spanish intellectual circles to promote an immigration of Sephardim. The most energetic leader of this movement is the learned Professor Angel Pulido, of Madrid, a man who enjoys the highest esteem as politician and senator, and who as a great orator is one of the most popular personalities in Spain. He has assembled around him a large body of politicians, publicists, and prominent men in various circles who are animated by the same desire." Der äußerst gewagten Stilisierung des „learned Professor" (der er nicht war) zu einer der „populärsten Persönlichkeiten" Spaniens entspricht das rosarot gefärbte Bild der politischen Klasse des Landes: „From many conversations which I have had with leading men in the Government I gained the conviction that influental circles, without distinction of political party, sincerely entertain the wish to maintain the best relations with the Jews and to do everything to make still closer the friendly relations subsisting

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between them and the Spaniards." Ein gleichermaßen idyllisches Panorama bietet sich dem Beobachter des spanischen Alltagslebens, etwa in Sevilla. Kritische Worte findet er hier nur mit Blick auf die Geschichte. Die einst florierende jüdische Kultur der Stadt, die berühmten Philosophen, Schriftsteller und Mathematiker - all das, konstatiert Yahuda immerhin geschichtsbewußt, „has been burned on the funeral pyres of the Inquisition". Um so erfreulicher sei es, daß es in dieser Stadt, in der so viele Juden wegen ihres Glaubens leiden mußten, inzwischen wieder eine jüdische Gemeinde gebe - ganz ohne Probleme seitens der christlichen Umwelt: „I am pleased to be able to say that the Jews in Seville are highly esteemed by their Christian neighbours, and live in the utmost harmony with them."21 Selbst die Kirche, teilt der Autor seinen Lesern mit, sei inzwischen längst geläutert: „As regards the clergy, every Jew without exception has assured me that they have never had any ground for complaints against them; indeed, many of them number Catholic clergymen among their best friends." Diese „friendly attitude" würde sich auch dann nicht verändern, habe ihm ein Priester versichert, wenn es zu jüdischen Masseneinwanderungen kommen sollte. Hier, und nur hier, befallen Yahuda indes Zweifel: „Whether this optimism is justified time alone will prove." Während der Autor in der Tat schon bald persönlich schmerzhaft registrieren mußte, daß das Verhältnis zwischen Juden und Christen den idyllischen Beschreibungen seines Artikels widersprach, blieb zumindest seine Sympathie für den obersten politischen Repräsentanten des Landes ungebrochen. Die Wertschätzung, die der König und Ehrenpräsident der Hispano-Hebräischen Gesellschaft den Sepharden entgegengebracht habe, komme etwa durch eine Audienz für den Sephardenprofessor und einige seiner Freunde zum Ausdruck: „The audience is the more noteworthy for the fact that the Kind has never received an deputation of Protestants." Glaubt man Cansinos Ass6ns (1985: 67), dann wurden während des Gesprächs mit Alfons XIII. nicht nur protokollarische Höflichkeiten ausgetauscht. So soll Yahuda auf die ironische Frage des Königs,

21

Es sei hier nur am Rande vermerkt, daß das blauäugige Spanienbild, das Yahuda seinen wohl mehrheitlich jüdisch-aschkenasischen Lesern vermittelt, auch solche Stereotypen enthält, die vor allem von christlichen Autoren kreiert wurden: „The Jewish type", schreibt er zum Beispiel, „is even still to be seen in the population of Seville. Never have I seen in Spain such beautiful Jewish types of women as are to be found in Seville. Not in vain are the Seville women, with their wonderful eyes and wealth of hair, so renowned."

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warum er trotz seiner geäußerten Spanienverbundenheit britischer Staatsbürger 22 sei, geantwortet haben: ,„No es culpa nuestra, Señor ... El edicto de expulsión nos echó a los caminos del éxodo ... España se privó así de miles de hijos suyos ..."' Der Kommentar von Cansinos Asséns: „Yahuda se siente orgulloso de haberle hablado así a S. M. Católica." Trotz der kritischen Bemerkungen blieb Yahudas Sympathie für Alfons XIII. auch in den folgenden Jahrzehnten ungetrübt. Während sich sein Verhältnis zu den sonstigen Philosepharden, vor allem zu Pulido, augenscheinlich drastisch abkühlte, hielt er dem König treu die Stange. So äußerte er sich in einem Interview mit dem Jewish

Chronical

(1931: 12) nach dessen erzwungenem Rücktritt zwar erfreut über „the declaration of freedom for all religious and cults, a new feature in Spain". Dennoch erweist er dem königlichen Statthalter der Diktatur Primo de Riveras seine Reverenz: „But while we Jews may look hopefully to a return of our historic relations with Spain under the new regime, we must not withhold a meed of gratitude and sympathy for Don Alfonso, now also in exile, for he deserves well of us." Noch zehn Jahre später lobt Yahuda im Jewish Forum (1941: 51 ff.) den inzwischen verstorbenen Monarchen als großen Freund der Juden, „who rendered great humanitarian services by alleviating the suffering of thousands of persons and refugees in all countries at war". Hauptsächlich ihm sei es zu danken, so Yahuda, daß Tausende von Juden in Palästina nicht vertrieben wurden. Während einer seiner Audienzen habe er den König emphatisch darauf hingewiesen, „that 30 000 Jews were imploring for his help in the language which they retained from the days their ancestors lived in Spain". Darauf habe dieser geantwortet: ,„Well, you mean that I should invoke a sentimental Spanish motive to justify my personal appeal". Bereits ein paar Tage später habe der König die spanischen Repräsentanten in Berlin, Wien und Konstantinopel angewiesen, in seinem Namen für die bedrängten Juden zu intervenieren - mit Erfolg, wie sich gezeigt habe. Zu den durchweg positiven Erinnerungen Yahudas zählt indessen nicht nur das politische Engagement Alfons XIII. Er weist die Leser des Jewish Forum auch darauf hin, daß der gekrönte Philosepharde ein Liebhaber jüdischer Architektur gewesen sei: „he was particularly found of the

Synagogue

del Transito [...] and very often visited it when in Toledo".

22

Seine Staatsbürgerschaft, schrieb Nordau im Jewish Chrorticle (1916: 12), sei in der Tat eine kleine Staatsaffäre gewesen: Da die spanischen Gesetze die Übernahme einer Professur durch einen Ausländer nicht erlaubten, Yahuda sich jedoch „standhaft weigerte", die spanische Staatsbürgerschaft anzunehmen, habe man speziell für ihn ein Ausnahmegesetz erlassen.

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Die hagiographischen Züge, angereichert mit sentimentalen Versatzstücken aus der Kulturgeschichte, die Yahudas Porträt des spanischen Königs aufweist, mochten in früheren Jahren hauptsächlich diplomatischen Motiven geschuldet sein - post festum wirken sie befremdlich. Auch dann, wenn man in Rechnung stellt, daß sie .guten Absichten' dienten und ein Teil der philosephardischen Gesinnung und des daraus resultierenden Engagements, das Yahuda dem König attestiert, positiv zu werten ist. Immerhin hat er in diesem Artikel aus dem Jahre 1941 der Versuchung widerstanden, auch das Franco-Regime in seine Hagiographie miteinzubeziehen: „It is well, I think, to bear in mind", schrieb er an die Adresse derer, die sich fortan nicht minder als Sephardenfreunde stilisierten, „how different it was before Hitler infested the world with his barbarous racial theories, which led to the present conflagration; and how differently the King of a constitutional Spain behaved towards the Jewish people before the present dictatorship in Spain introduced the Hitlerite methods, which are very reminiscent of Torquemada's inquisitorial times." Die naheliegende Vermutung, daß zahlreiche öffentliche Stellungnahmen Yahudas über das zeitgenössische Spanien und seinen König diplomatischem Kalkül geschuldet sind, erhärtet sich, wenn man sie mit eher privaten Äußerungen und einigen Erfahrungen vergleicht, die ihn augenscheinlich sehr verbittert haben. So bilanziert er (1997: 25 ff.) in einem Brief von 1924 an Cansinos Asséns seinen Aufenthalt an der Madrider Universität zwar durchaus positiv, wenn er schreibt: „Pero uno de los mayores triunfos alcanzados por mi presencia en España y mi obra científica y didáctica ha sido la demostración evidente del fracaso del fanatismo y de las campañas de mentira y calumnia contra el pueblo de Israel, sus enseñanzas y sus ideales." Er fordert den Adressaten, der in einigen Veröffentlichungen heftig gegen den Mainstream des spanischen Philosephardismus polemisiert hatte,23 sogar zur Mäßigung auf: „Hay [...] algunas exageraciones que eliminar. Así, p. e. la nota acusadora haciendo de todo español un hijo de inquisidor, y de todos los españoles de antaño, fanáticos." Dann kommt er allerdings auf eine zentrale Facette des sephardischen Spanienbildes zu sprechen, die den meisten Philosepharden entging: „También no debe ud. confundir la veneración que conservamos por los vestigios de nuestro pueblo en España, el amor que sentimos por aquella España, el amor que sentimos por aquella España tolerante y culta en que todos [sie] las ciencias florecían y las energías vivas y altivas prosperaban, con un amor imaginado o fingido por algunos propagandistas o 23

Vgl. das Kapitel über Cansinos Asséns.

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articulistas por una España que se ha enajenado a nuestras simpatías y que todavía no está bastante madura para merecer sus pasadas glorias y recuperar sus fuerzas fructificadoras en una patria común a todos sus hijos. Nuestra nostalgia es romántica, sentimental, pero no tenemos anhelos de volver a España como a un hogar abandonado, a una ,patria' de la que hemos sido despojados." Neben dieser allgemeinen Bilanz, die sich, wie er schreibt, auf alltägliche Antisemitismuserfahrungen gründet und die vor allem den ,autoreferentiellen' Charakter der sephardischen , Spanienliebe' herausstreicht, hat Yahuda auch einige Bemerkungen über Pulido und seine engsten Mitstreiter gemacht, die besonders dunkle Schatten auf die Sephardenkampagne werfen: „Claro está que no he olvidado al Sr. Farsi ni al Doctor Florido [gemeint ist Pulido, der in einem Roman von Cansinos Asséns, auf den sich Yahuda in seinem Brief bezieht, als „Doctor Florido" firmiert, N.R.], y todavía les conservo sentimientos de amistad que, sin embargo, me abstengo por dignidad manifestarles, puesto ellos han preferido amistades que matan." Während unklar bleibt, wer damit gemeint sein könnte, wird der Briefschreiber mit Blick auf Pulido etwas deutlicher: Als er sich von diesem verabschiedet habe, so Yahuda, „[me ha] dicho cosas que nunca hubiera creído posible escuchar de su boca, palabras que me han herido hondamente y ofendido en lo más profundo de mi alma como hijo de un pueblo por quien él pretendía sentir tanto amor y admiración". Deutlicher wird Yahuda zwar nicht und versichert sogar: „Y desde entonces no he dicho nada que pudiera revelar animosidad alguna contra él." Den Erinnerungen von Cansinos Asséns ist freilich zu entnehmen, daß es sich um nicht weniger als antisemitische Beleidigungen handelte. Den Hintergrund dieser bemerkenswerten Episode bildet offensichtlich die Tatsache, daß dem renommierten Aushängeschild des spanischen Philosephardismus das vereinbarte Gehalt nicht ausgezahlt wurde. Deshalb sah sich Yahuda gezwungen, so Cansinos Asséns (1985: 69), sogar seine Mahlzeiten zusammenzubetteln: „lo invitan por turno a su mesa y al despedirse ponen en sus manos un óbulo ..." Als sich Yahuda darüber beklagte - „¡Soy un mendigo cargado de honores!" - , seien die folgenden Äußerungen gefallen: „Pulido llega a tildarlo de materialismo, de avaricia judaica: Mire, Yahuda, usted no se da cuenta del triunfo tan grande que hemos conseguido ... ¿No sabe usted apreciar el honor de su nombramiento? ... Un catedrático judío en España ... ¡Eso no se había visto desde los tiempos de Abraham Zacuto! ... Y ¿va usted a preocuparse de unos miserables intereses? ..,"24 Hinzu kam, so 24

Nach Ansicht von Cansinos-Asséns (1982: 454) soll das Verhältnis zwischen Pulido und Yahuda von Anfang an schlecht gewesen sein: „Pulido [...] ha molestado que el Gobierno haya traído a España al sabio sefardí sin consultarles [ihn und seine engsten

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Aronsfeld (1979: 28), daß Yahuda gegen Ende des Krieges häufig zu Studien- und Vortragsreisen Spanien verließ und ihm deshalb der Vorwurf gemacht wurde - der sogar das Parlament beschäftigte meint Aronsfeld (ebd.: 29),

seine Pflichten zu vernachlässigen. Dennoch, hätten

diese

Ereignisse

das

Verhältnis

des

renommierten Sephardenprofessors zu Spanien nicht nachhaltig gestört: „In 1922, Yahuda left Madrid for good." Daran darf man indes zweifeln. Denn offenkundig waren es nicht nur Erlebnisse der zitierten Art, die Yahuda über den ambivalenten Charakter zahlreicher Philosepharden die Augen öffneten. Auch nicht allein der alltägliche Antisemitismus, dessen Zeuge er wurde. Wie Lisbona (1993: 22) schreibt, wurde er auch ganz persönlich zur Zielscheibe antisemitischer Attacken: „Aunque la creación de la cátedra es bien recibida en medios universitarios e intelectuales, varios miembros de la jerarquía eclesiástica iniciaron una campaña - que en algún caso rozó el antisemitismo - en contra de Yahuda." Der Formulierung dieses Autors ist zu entnehmen, daß zwischen den gezielten Angriffen auf Yahuda und seiner schließlichen Abreise ein kausaler Zusammenhang bestand: „La campaña no cesa y en 1922 Yahuda abandona Madrid, sin que el Gobierno cubra la cátedra vacante." Die ominösen Begleitumstände, die das Ende dieser mit Pomp und großem rhetorischen Aufwand inaugurierten Professur eines sephardischen Intellektuellen markierten, werfen - ich wiederhole es - ein bezeichnendes Licht auf den zwiespältigen Charakter der Sephardenkampagne und ihrer bekanntesten Köpfe. Diese Umstände sind, wie eine weitere Episode illustriert, jedoch nicht nur die Folge der politischen Verhältnisse der späten Restauration. Es ist wiederum Cansinos Asséns, der daran erinnert, daß das blamable Verhalten der Restaurationsregierung unter den Repräsentanten der liberalen Republik eine genauso unrühmliche Fortsetzung fand. Als Yahuda Anfang der 30er Jahre erneut nach Spanien kam, schreibt Cansinos Asséns (1995: 312), habe er den damaligen Bildungsminister Fernando de los Ríos „zum Scherz" gefragt, ob ihm nun die republikanische Regierung sein lange überfälliges Gehalt bezahle: „El ministro le reconoció su derecho, pero como sus predecesores monárquicos, se excusó con razones presupuestarios. ,En eso no se conoce el cambio de régimen', ríe Yahuda." Der peinliche Charakter auch dieser Episode drang, so scheint es, jedoch damals nicht an die Öffentlichkeit. Yahuda, prominenter Repräsentant der

Mitstreiter, N.R.] y que consideran al ilustre huésped como a un intruso. El doctor Yahuda no es para ellos persona grata".

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spanisch-sephardischen ,Wiederversöhnung', optierte auch weiterhin für diplomatische Zurückhaltung. In dem bereits zitierten Artikel des Jewish

Forum

(1941: 51) beläßt er seine Leser in dem Glauben, daß die Sephardenkampagne, unter Einschluß sämtlicher

Wortführer, die uneingeschränkte Sympathie der

Juden verdiente: „This movement became very popular, particularly because a prominent member of the liberal party, Senator Angel Pulido, became the leader and protagonist of a plan to organize a gradual return of those Jews to Spain, and to enter in close contact with the sephardic communities all over the world, so as to enlist their sympathy for a new liberal Spain. It must be said that among the supporters of that plan were very prominent Spaniards of all classes and all political shades, including the clergy and the most conservative elements among the nobility."

3. Die Binnenperspektive: Das Werk von Rafael Cansinos Asséns Zu den „prominenten Unterstützern" der Sephardenkampagne, auf die Yahuda verwies, gehörte auch Rafael Cansinos Asséns (1882-1964). Als er 1919 sein erstes Buch 25 über die Sepharden veröffentlichte - die Essaysammlung España y los judíos españoles. El retorno del éxodo - , war die Sephardenkampagne zwar bereits mehr als anderthalb Jahrzehnte im Gange; in dem schillernden Ideologiemosaik des spanischen Philosephardismus der Vorbürgerkriegszeit spielt das einschlägige Œuvre von Cansinos Asséns dennoch eine zentrale Rolle - aus mehreren Gründen. So gehört er neben Pulido und Giménez Caballero zu jenen Autoren, in deren Werk die Sephardenthematik einen besonders prominenten Platz einnimmt: In zahlreichen Zeitungsartikeln, literaturhistorischen Essays, Erzählungen, in einem Roman und in seinen ,Memoiren' hat sich Cansinos Asséns regelmäßig mit dem Thema beschäftigt. Als langjähriger Aktivist der Sepharden-

25

Das Œuvre von Cansinos Asséns ist umfangreich und vielfacettig: Es umfaßt Romane, Erzählungen, Lyrik, Literaturgeschichte und Literaturkritik, Essays, Memoiren und Übersetzungen. Der polyglotte Autor, der mehr als ein Dutzend Sprachen beherrscht haben soll - „Vale decir que el hebreo, el persa, el árabe, el alemán, el ruso, el húngaro, el turco, nada digamos de los idiomas corrientes, le son tan familiares como el español", behauptet César Tiempo (1950: 10 f.) - , gehörte Anfang des Jahrhunderts zu den Mitarbeitern der Modernismo-Zeitschrift Helios und wechselte später zur Avantgarde im Umkreis von Gómez de la Serna und dessen Zeitschrift Prometeo. Trotz seines umfangreichen Werks und berühmter Laudatoren, u. a. Borges, ist er eher unbekannt geblieben.

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kampagne waren ihm deren Protagonisten, etwa Pulido, auch persönlich gut bekannt; sein dadurch gewonnenes Insiderwissen taucht in vielen Publikationen auf. Vermutlich hat kein anderer Autor jener Zeit aus einer vergleichbaren Binnenperspektive heraus geschrieben. Der interessanteste Aspekt dieser Binnenperspektive hat dabei mit der Person des Autors zu tun: Cansinos Asséns war möglicherweise selber Sepharde, seiner Sicht als betroffener' käme damit besonderes Gewicht zu. Sicher ist die jüdisch-sephardische Herkunft indessen nicht. Fuentes Florido (1979: 3) schreibt dazu: „Lo cierto es que investigó muy seriamente su genealogía, y parece ser que halló razones convincentes para creer en su abolengo judío". Linares (1978: 15 ff.) führt die „opinión generalizada [que] afirmaba este judaismo" u. a. auf „lo atractivo de la posibilidad" zurück, „de que tras casi cinco siglos de expulsión todavía quedase entre nosotros un auténtico judío de raza". Darüber hinaus hält er „los rasgos de su rostro" und den Namen 26 für mögliche Indizien einer jüdisch-sephardischen Genealogie. Die onomastischen Affinitäten zu jüdisch-spanischen Namen des Mittelalters sind auch für Manuel de Prada (1996: 14) die einzigen, halbwegs plausiblen Indizien einer möglichen „estirpe judía" von Cansinos Asséns. 27 Ansonsten dürften vor allem die zahlreichen Publikationen mit jüdisch-sephardischer Thematik, die hebräischen und jiddischen Sprachkenntnisse (Linares 1978: 15) des Autors, sowie einige Indizien in den fiktiven Texten die Vermutung genährt haben, er selber sei Sepharde. 28 26

27

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Nach Ansicht von César Tiempo, dessen einschlägigen Artikel Linares (ebd.: 16) zitiert, könnte es sich sogar bei der nordamerikanischen Schauspielerin Rita Hayworth um eine sephardische Verwandte von Cansinos Asséns handeln, „[ya que] se llama realmente Margarita Cansinos y desciende de los Cansinos expulsados de España en 1492". In seinen Memoiren hat sich Cansinos Asséns (1982: 220) selber so dazu geäußert: „se da la circunstancia de que mi apellido coincida con el de unos sefardíes, establecidos en Marruecos e Inglaterra, que él [ein sephardischer Bekannter, N.R.] ha conocido, lo que le hace suponer, con algún fundamento, que mi familia trae su origen de un linaje de conversos. N o hay que decir lo que eso excita y enardece mi fantasía." Außerdem erwähnt er (ebd.: 98) die Existenz eines Onkels, eines „catedrático de Literatura en el Instituto Cardenal Cisneros", dem er u. a. ein jüdisches Aussehen' zuschreibt: „Méndez Bejarano [der Name ist übrigens identisch mit dem Direktor einer Bukarester Sephardenschule, der Angel Pulido zu seiner Sephardenkampagne inspirierte, N.R.] era un hombre raro, empezando por su figura: alto, pálido, con unas barbas canosas de patriarca judío." Bei Linares (ebd.: 17 f.) findet sich auch die folgende Anekdote, die, sollte sie stimmen, ein bezeichnendes Licht auf eine der bekanntesten Kulturinstitutionen des Landes wirft: „Había presentado [Cansinos Asséns, N.R.] al premio Fastenrath de la Real Academia Española la serie de ensayos críticos de La Nueva Literatura y su obra

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Sicher ist demgegenüber, das sei hier nur am Rande erwähnt, daß Cansinos Asséns ein durchweg mediokrer Autor war. Die zahlreichen Elogen29 seiner vermeintlichen - ästhetischen Meriten gehen deshalb an der äußerst bescheidenen Wirklichkeit vorbei. So hatte kein Geringerer als Jorge Luis Borges (ebd.: 4) geschrieben: „Durante muchos años, yo creí que la casi infinita literatura estaba en un hombre. Ese hombre fue Carlyle, fue Johannes Becher, fué Rafael Cansinos Asséns". Anstelle der kaum vorhandenen „emociones estéticas", die Borges (Manuel de Prada 1996: 11) zu sehen vermeinte, erhält der Leser aber eine breite Palette nützlicher, z. T. höchst aufschlußreicher Einblicke in die Sephardenkampagne und in das Innenleben' ihrer wichtigsten Träger Einblicke, die in dieser Form einen singulären Stellenwert besitzen. Besonders auffallend ist dabei der Meinungswandel, der sich im Laufe der Jahre beobachten läßt: Die naiv-enthusiastischen Illusionen, die Cansinos Asséns in den Anfangsjahren seines Engagements hegte,30 verwandelten sich später in deutliche Skepsis, hier und da sogar in offene Verbitterung über den ambivalenten Charakter der Sephardenkampagne - eine Verbitterung, die er im Unterschied zu Yahuda offen artikulierte. Und noch ein Aspekt verdient es hervorgehoben zu werden: Wie die meisten ,Sephardenfreunde' jener Jahre, war auch Cansinos Asséns keineswegs frei von antisemitischen Vorurteilen. Innerhalb des erzählerischen und essayistischen Œuvres, das Cansinos Asséns der Sephardenthematik gewidmet hat, markiert die Essaysammlung España y los judíos españoles von 1919 gewissermaßen den hymnischen Zenit.

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recibió la mayor parte de los votos, pero antes de otorgársele el premio, alguien, sin duda algún celoso defensor de la pureza de la raza y cristiano viejo, no tardó en babear que Cansinos era judío y que a un judío no podía entregársele todo un premio de la Real Academia Española de la Lengua; se estremecieron sordamente los gruesos muros de la docta casa y, tras un instante de académica perplejidad, la duda tejió su tela de araña sobre las fatigosas calvas de los inmortales. Pero al fin triunfó la luz de la razón: el Secretario Perpetuo, don Julio Casares, nada sospechoso de veleidades judaizantes, fue encargado de marchar en comisión a la casa de Cansinos para que el escritor mismo confesase o no su relapso judaismo." Die Tatsache, daß Cansinos Asséns in diesem Zusammenhang eine jiidisch-sephardische Abstammung bestritt, hält Fuentes Florido (1979: 3) angesichts des „no muy favorable ambiente hacia los judíos" nicht für überraschend. Manuel de Prada (1996: 15) spricht von „una prosa que nos va envolviendo", von „ardor lírico" und „una borrachera de sensaciones plásticas". Linares (1978: 8) schwärmt von „ilustres imágenes que son como clavos de oro" und von einer angeblichen „sensualidad verbal". Illusionen, die - jenseits der ,lauteren' Motive der Kampagneprotagonisten allerdings schon damals durch kritische Wertungen relativiert wurden.

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Der Enthusiasmus, mit dem er die „Rückkehr" der vertriebenen Sepharden besingt, ist hier noch völlig ungebrochen: „Hay en la vida de las razas momentos predestinados", heißt es gleich zu Beginn (1919: 11), „en los cuales, no antes ni después, han de ocurrir sucesos prodigiosos." Gemeint ist die Kampagne Pulidos, die der Autor hier ohne jegliche Einschränkung und mit ähnlich rhetorischer Verve beschreibt wie der ,Sephardenapostel' selber: „La maravilla ha venido a nosotros. No es una maravilla lo que hoy pasa en España? Cuando, más abatida y postrada la antigua madre de naciones, vemos que todas las hijas de su sangre, llegan a ella, piadosas y benignas, a ofrecerle el don ingenuo de su juventud y de su fuerza. De América, a través de la gran distancia, vienen voces de amor y de entusiasmo. [...] Son los israelitas sefardím, que España hizo latinos por la lengua y por la altivez latina: los que en las tristezas de Israel blanden, sin abatirse, el gladio latino, el orgullo y el valor. -Los sefarditas! Yo os diré, quienes son por si no los conocéis." Während in späteren Texten der vielzitierte Aristokratismus der Sepharden durchaus kritisch gewürdigt wird, spricht Cansinos Asséns hier (ebd.: 12 f.) noch von „la rosa escogida de Israel", von „altivos", „valientes" und „soberbios caballeros de Roma" und „hidalgos de Toledo", die sich völlig zu Recht als ,Edeljuden' fühlten: „Son hoy la aristocracia de Israel, la tribu escogida. Son literatos y poetas y reyes por el oro y por el viejo armiño de Salomón." Ihre ,Spanienliebe', suggeriert der Autor (ebd.: 13), sei frei von Groll und Vorurteil e n - „una inmensa nostalgia de España constituye el fondo de su vida", die Sephardenkampagne renne also gleichsam offene Türen ein: „Desde que D. Angel Pulido los saludó, en su amplio estilo, como a hermanos, su gran amor por nosotros31 estalló en ardiente llama en sus corazones." Der hymnisch-exaltierte Auftakt der Essaysammlung, der in Form und Inhalt ein getreues Echo von Pulidos reencuentro-Pathos artikuliert, gibt auch auf den folgenden Seiten den Ton an. Vor allem die Berufung von Yahuda auf den Madrider Lehrstuhl für „Lengua y Literatura rabínica" feiert der Autor (ebd.: 15) als „triunfo que debemos festejar con íntima y discreta alegría cuantos nos esforzamos por construir el antiguo mundo mental hispano-hebraico". Die internationalen Reaktionen auf die Berufung Yahudas machen, so suggeriert Cansinos Asséns (ebd.: 20), den Enthusiasmus seiner Zeilen plausibel: „Ojead la prensa extranjera de estos días; repasad esos grandes periódicos que se llaman

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Das Personalpronomen scheint einen der eher seltenen Hinweise auf die sephardische Abstammung des Autors zu insinuieren.

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frankfurter Zeitung', ,Vossissche Zeitung', ,Neue Freie Presse', y aquellas otras grandes publicaciones israelitas ,Jewish Daily News', de Nueva York (donde escribe el gran poeta hebreo G. Selikovitsch); ,Haibri' y ,Die Welt', de Berlin; ,E1 Liberal', de Salónica; ,L'Aurore', de Constantinopla; ,Ajerut', de Jerusalén, y en sus columnas encontraréis ecos del entusiasmo y aún del asombro jubiloso con que en Europa y América se ha acogido la determinación del Gobierno de nombrar catedrático de nuestra Universidad Central al doctor Yahuda. La sola presencia entre nosotros del sabio filólogo ha hecho más blanca nuestra leyenda negra." Trotz allen Jubels über den „Triumpf' der Sephardenprofessur als solcher hält es der Autor jedoch für angebracht, gleichzeitig auf deren .praktischen Nutzen' hinzuweisen, insbesondere (ebd.: 59) mit Blick auf „nuestra zona marroquí". So habe Yahuda (ebd.: 18) in einigen seiner Vorlesungen die „Spanienliebe" der „israelitas españoles de Marruecos" hervorgehoben und dabei „la valiosa ayuda que para nosotros representan como espadas pacíficas de penetración espiritual" betont. Auf den folgenden Seiten wird Cansinos Asséns noch deutlicher, wenn er (ebd.: 72 f.) die marokkanischen Sepharden gleichsam als Vorposten des spanischen Kolonialismus in Nordafrika anpreist: „No olvidemos que los judíos han de ser forzosamente, para cualquier potencia que predomine en Africa, sus introductores y representantes. [...] España podría .penetrar' mejor que ninguna potencia en Africa". Spricht aus diesen Worten nur eine unbewußte Überidentifikation des möglicherweise jüdischen Autors mit der herrschenden Klasse des Landes, oder ist er von der kolonialen ,Mission' tatsächlich überzeugt? Führt man sich vor Augen, daß der spanische Kolonialismus in Nordafrika, teilweise auch dessen kulturelle Dimension, zu diesem Zeitpunkt während des Ersten Weltkrieges - bereits auf heftigen Widerstand in liberalen und linken Kreisen stieß (Bachoud 1988), dann überrascht der Wink mit dem kolonialistischen Zaunpfahl des Autors um so mehr. Die pathetisch-illusorische Hoffnung (ebd.: 24 f.), „la madre España" könne auf diesem Wege erneut „madre de árabes e israelitas" werden, ist deshalb wohl mehr als ein rhetorischer Fauxpas.32 Ganz auf der Linie der - ebenfalls illusorischen - Nützlichkeitsoption im Sinne Pulidos befindet sich auch der mehrfach wiederholte Hinweis (ebd.: 14) auf den jüdischen ,Händlergeist': „Los sefardíes constituyen, como los ameri32

Im übrigen scheint Cansinos Asséns keine besonders gute Meinung von den Mauren gehabt zu haben, wie etwa einer Formulierung (ebd.: 126) über „la fiera y abigarrada muchedumbre morisca" zu entnehmen ist.

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canos, gran ayuda para nuestra patria. Dedicados al comercio, que fue, en todo tiempo la profesión noble de Israel, pueden ser de gran valor en la difusión de nuestros productos." Angesichts dieser reichlich penetranten

Lobpreisung

(ebd.: 60) der Sepharden „como intermediarios de la cultura y de la actividad mercantil", Fähigkeiten, die sie „incomparables" machten, klingt die Warnung, hier (ebd.: 89 f.) in bezug auf Frankreich, den dortigen „capitalismo hebráico" nicht als „peligro social" mißzuverstehen, reichlich widersprüchlich: „en Francia [...] vemos a judíos enriquecidos aristocratizarse, cristianizarse, renegando de su antiguo origen; pero eso es un fenómeno propio del capitalismo universal y en modo alguno es imputable a la masa israelita, tan heterogénea como la de cualquier nación constituida". Recht (zweck-)optimistisch lesen sich darüber hinaus auch jene Passagen der verschiedenen Essays, die der historischen und zeitgenössischen Dimension von Vertreibung, Verfolgung und deren gesellschaftlicher Bewältigung gewidmet sind: „el estigma de nuestra 33 Leyenda inquisitorial", so bewertet er (ebd.: 22) die Berufung von Yahuda, „dejará de sonrojar la frente de España." Für das Vertreibungs- bzw. Zwangskonversionsedikt von 1492 findet er zwar harsche Worte; sie reichen (ebd.: 21) von „aquel funesto y memorable edicto de 1492" bis (ebd.: 69) „la crueldad del rey Fernando"; die vorschnelle, versöhnlerische Geste „de quienes aspiran a borrar de nuestra historia toda huella del Exodo" (ebd.: 61), mildert den kritischen Blick auf die Geschichte, deren Folgen er in späteren Texten als omnipräsent beschreibt, indessen deutlich ab. 34 So nimmt es nicht wunder, wenn Cansinos Asséns (ebd.: 22) allenthalben „den Geist der Toleranz" im Aufwind sieht - eine Toleranz, „[que] se afirma cada día más en nuestra patria, al paso que en las demás naciones se recrudecen las intransigencias seculares". Die neue Synagoge von Madrid, die er zusammen mit Yahuda besucht (ebd.: 257), sei eines der sichtbarsten Indizien „de la moderna libertad". 35 Im engen Schulterschluß mit Pulido befindet sich Cansinos Asséns (ebd.: 46 f.) schließlich auch mit Blick auf die Sprache, „el arca santa del idioma". Er spricht zwar nicht so unverblümt von einer kulturpolitischen Strategie auf der 33 34

35

Hier scheint die Personalform nur die Identifikation als Spanier anzudeuten. Sehr undifferenziert ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis (ebd.: 71 f.) auf Amador de los Ríos, dessen Buch Los Judíos de España (1848) zwar eine wichtige Zäsur markiert, aber zugleich zahlreiche Mythen und Stereotypen enthält. Lediglich an einer Stelle (ebd.: 155) schränkt er diese Sicht der Dinge ein, wenn er nämlich der Zeitung ABC vorhält, „más de una vez ha enarbolado el lábaro antisemita".

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Basis sprachlicher Affinitäten, wie das Pulido tut. Er teilt aber dessen Illusionen über die Bereitschaft der sephardischen Intellektuellen, das Spanische als „Muttersprache" zu akzeptieren und zu modernisieren: „Ante la innegable decadencia del judeo-español, los escritores sefardíes, más entusiastas de su grandeza tradicional, creían necesario regenerarlo, tornándolo a su original fuente, la lengua española, en el último grado de evolución alcanzado en la península; tenían aquellos escritores la vergüenza íntima de su lengua, sentían como un sonrojo de escritores coloniales ante sus hermanos de España." Erweist sich der Autor in den zitierten Bereichen als getreuer Epigone Pulidos, so dürfte letzterer, trotz seines liberalen Credos, einige Ansichten über den spanischen Klerus, zumindest wegen ihres polemischen Tonfalls, doch mit gemischten Gefühlen gelesen haben. Etwa im Zusammenhang mit den „chuetas mallorquínes" (ebd.: 94 f.): „¿Por qué, avergonzarnos de nuestro [!] noble origen nazareno? ¿Qué, pueblo de la tierra ha tenido una historia más hermosa que la de Israel?" Statt dessen fordert er die chuetas auf: „Vuestra conducta debe ser: luchar sin descanso contra el clericalismo, del que nunca podréis esperar piedad ni consideración - luchar sin tregua hasta matar este nuevo Leviathan que ha venido sobre el mundo, y en cuyo cadáver encontraréis para vosotros, como aquel maravilloso Sansón, panales de miel y de ventura. [...] Porque tened muy presente, que sólo cuando la iglesia cesárea, no el espíritu de Cristo, hermano vuestro, sea vencida, todas las razas del mundo vivirán en amor, tendrán lugar todas las reinvindicaciones de la historia, y será una cosa hermosa el final de los tiempos." In einem Essay über „La pasión y muerte de Jesús desde el punto de vista judío" geht er (ebd.: 103) sogar noch einen Schritt weiter, wenn er schreibt: „Hace siglos que el pueblo judío rechaza el cáliz de horror trágico que el fanatismo cristiano quiere hacerle apurar como una pócima mortífera, al presentar como obra suya la pasión y muerte de Jesús." Denn „la efigie dolorida de este hermano", fugt er (ebd.: 108) hinzu, habe daraus stets „un impío fanatismo" und „su avidez de sangre" bezogen. Die gemischten Gefühle, mit der christliche Leser diese Attacken auf zentrale Pfeiler ihres Credos aufgenommen haben dürften, kommen, wenn auch verklausuliert, in einem Brief zum Ausdruck, mit dem kein Geringerer als Miguel de Unamuno dem Autor antwortete: „Descontado que una larga y enconada persecución, de origen, no solo religioso y debido a fanatismo, sí, pero también a otras causas", schreibt Unamuno (ebd.: 115 f.), „haya podido degradar y envilecer a una parte de ese pueblo de pastores errantes, hechos luego mercaderes,

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nunca me he explicado la ferocidad del antisemitismo - genuino producto germánico, hasta en Rusia y Francia - que es en gran parte odio a la inteligencia y a la internacionalidad". Wenngleich der bekannte Dichterphilosoph auch bedauert, daß die Christen vergessen hätten, „que el Cristo y su madre y sus hermanos [...] fueron judíos también", spezifiziert er „[las] otras causas" des Antisemitismus doch mit keinem Wort. Bedeutet der Hinweis auf die „mercaderes", daß sie zum Teil selber an der Verfolgung schuld sind? Auf jeden Fall scheint Unamuno sogar noch hinter die moderate Kritik von Cansinos Asséns am historischen und zeitgenössischen Antisemitismus spanischer Couleur zurückzufallen, wenn er diesen lediglich als eine Art ideologisches Importprodukt bezeichnet: „hay que prevenir que llegue a asomar en España por influjo troglodítico, la menor veleidad antisemita". Der Adressat des Briefes enthält sich jedoch eines kritischen Kommentars dieser Zeilen. Sind die meisten Texte dieser Essaysammlung folglich dazu angetan, das reichlich ambivalente Versöhnungs-Pathos im Umkreis von Pulido auch aus sephardischer Sicht zu legitimieren - vor allem durch die weitgehende Ausklammerung des spanischen Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart so hat Cansinos Asséns zumindest mit einem Beitrag ein für die damalige Zeit wohl heißes Eisen angefaßt: „el silencio enigmático" (ebd: 125) von Cervantes mit Blick auf die Judenthematik. In diesem Essay weist er (ebd.: 131) zunächst darauf hin, daß die exponiertesten Autoren des Goldenen Zeitalters, etwa Quevedo und Góngora, eingefleischte Antisemiten waren. Im Vergleich zu deren Werken, zu denen er (ebd.: 136) auch Shakespeares Shylock rechnet, sei das wiewohl relative - Schweigen von Cervantes kein Ausdruck von Antisemitismus gewesen (ebd.: 138): „Cervantes no fué un antisemita." Im Gegenteil (ebd.: 141): „Cervantes, discreto y oportuno por poeta y por hombre desgraciado, acertó a ofrecer al pueblo hebreo lo más valioso: el silencio, el olvido, bajo cuyo palio suntuoso puede soñarse todo." Einige der Indizien, die Cansinos Asséns für diese These anführt,36 sind zwar rein spekulativ; im Kern hat die neuere CervantesForschung diese These indes erhärtet (Rehrmann 1994). Dem damaligen Mainstream der peninsularen Cervantes-Interpreten dürften diese Ansichten dagegen noch als Provokation erschienen sein: „Tan extraño como el silencio de Cervantes respecto a los israelitas, es el de los eruditos y cervantistas oficiales 36

Etwa die Vermutung (ebd.: 135), es sei möglicherweise ein reicher Sepharde gewesen, der Cervantes das Geld für seinen Freikauf aus der nordafrikanischen Gefangenschaft zur Verfugung gestellt habe; oder die Affinitäten (ebd.: 140) zwischen „Quijote" und „Quichol, el justo en hebreo."

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sobre este particular. La exégesis cervantesca, tan pródiga en nimiedades, es una indigente en este punto de las relaciones entre Cervantes y los israelitas. ¿Evangélica ignorancia o católico desprecio?" 37 Als Provokation dürften die meisten zeitgenössischen Leser der Essaysammlung schließlich auch einige Äußerungen über die mittelalterliche Geschichte des Landes aufgefaßt haben, etwa (1919: 158) die folgende: „Antes que España tuviese una historia, ya la historia judaica se continuaba en la península. [...] Nuestros siglos XI y XII tienen una voz hebraica." Der provokativen Wirkung seiner Worte war sich der Autor wohl selber bewußt, wenn er nach einer Aufzählung bekannter jüdischer Philosophen und Schriftsteller, 38 die bis in die Gegenwart reicht, seinen Versöhnungsappell mit einer panhispanistischen Geste beschließt: „La Sefard 39 dispersa por el mundo es una colonia múltiple, una América moral de nuestra metrópoli". Der Enthusiasmus obiger Essaysammlung, der allerdings an einigen Stellen kritische Untertöne aufweist, ist auch in dem fünf Jahre später erschienenen Roman Las Luminarias

de Hanukah.

Un episodio de la historia de Israel en

España noch tonangebend. Den Ausgangspunkt dieses Thesenromans, der ästhetisch leider recht belanglos, thematisch indes sehr aufschlußreich ist, bildet die Recherche einer Familiengeschichte zu Beginn dieses Jahrhunderts: Der junge Dichter Rafael Benasar, sicher zumindest in Teilen das Alter ego des Autors, hegt den Verdacht, daß er einer Converso-Familie angehört und beginnt deshalb mit entsprechenden genealogischen Studien: „¿Acaso era el ansia de explicarse por una clave histórica, muchas circunstancias, inexplicables de otro modo", lauten (1924: 7) seine Anfangsmotive, „como el súbito eclipsarse de la gloria de una familia, brillante en otro tiempo, aquella oscuridad y empobrecimiento súbitos en otro tiempo de un linaje patricio, en cuyos descendientes perduraba,

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Die vollauf berechtigte Polemik gilt dem Autor, was seine Ansichten über die Mauren und Morisken im Œuvre von Cervantes betrifft, freilich auch selber, wenn er (ebd.: 130) in völliger Verdrehung der Tatsachen behauptet: „De los moriscos no tuvo reparo en decir lo que sentía cuando, por ejemplo, en el ,Persiles' al describir un asalto nocturno de los turcos confabulados con la población morisca para saquear un pueblo de la costa valenciana, pide al Rey Católico, en un arrebato de personal indignación, acabe con esa plaga de herejía y rebelión que devasta su reino."

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Zu ihnen rechnet er (ebd.: 174) auch Heinrich Heine, „[que] desciende de familia israelita establecida en España hasta la época del éxodo". Die sephardische Abstammung Heines ist zwar immer wieder behauptet (Veit 1974), aber nie schlüssig bewiesen worden. Abraham Yahuda (1997: 30) machte den Autor selbst darauf aufmerksam, daß seine Schreibweise falsch ist: „Sefarad, no: Sefard".

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no obstante, un fiero orgullo, una rara altivez, no justificables por las razones presentes, sino por un recuerdo vago, pero infalible, unido a una tristeza, a un silencioso despecho, como el de alguien a quien un blasón y un tesoro juntamente han sido arrebatados?" Das Studium vergilbter Familienchroniken und Akten aus Archiven und Bibliotheken erweist sich zunächst als überaus schmerzhafte recherche du temp perdu, vor allem für die etwa gleichaltrige Schwester des jungen Dichters, die wie ihr Bruder nach einem streng katholischen Credo erzogen wurde und durch die allmähliche Gewißheit über ihre jüdische Abstammung in Glaubensaporien gerät: „¿Pero eso es verdad? ¿No te equivocas? ¿Tendremos verdaderamente sangre judaica en nuestra vena?", fragt sie (ebd.: 21) bestürzt ihren Bruder, „¡Nosotros judíos! ¡Descendientes de los que mataron al Cristo!" Bei seinen weiteren Recherchen trifft Rafael schon bald auf den Sepharden Don Isaac Farsi,40 dessen Urahnen Spanien 1492 verlassen haben und der - nun als britischer Staatsbürger - zusammen mit seiner Frau, einer deutschen Jüdin, bereits lange in Spanien lebt, „atraído por la nostalgia de los recuerdos familiares", so (ebd.: 49) der sentimentale Topos vermeintlicher Spanienliebe der Sepharden. Was sich auf den ersten Blick wie ein neues Echo von Pulidos reencuentroPathos ausnimmt, liest sich im weiteren Verlauf des Romans indes erheblich differenzierter. Zunächst konstatiert der Erzähler, hier (ebd.: 19) aus dem Munde des jungen Protagonisten, eine dicke Mauer des Verschweigens und Vergessens: „AI cabo de unos siglos, el terrible recuerdo quedó, al fin, olvidado en los archivos, sepultado bajo el polvo docto; más la tristeza nacida de aquel hecho perduró, sin causa cierta ya, en la memoria y en el corazón del linaje, y también en la hostilidad de las gentes, que sin saber por qué, nunca nos consideraron enteramente como a iguales." Die augenscheinlich fast totale Eskamotage der jüdischen Geschichte Spaniens, die der Erzähler an zahlreichen Stellen wiederholt - „no se sabía nada de ellos", so Don Farsi (ebd.: 52), „como si la raza hubiese sido totalmente extinguida en las hogueras inquisitoriales" - , bedeutet indes nicht, wie das obige Zitat illustriert, daß damit zugleich die eher latente Judenfeindschaft verschwunden wäre. Im Gegenteil: Für Don Farsi (ebd.: 61) sind die Schatten der Vergangenheit noch immer lang: „El país por mi elegido para vivir ha sido España. Y, sin embargo, no puedo llamarme español. Ni me 40

Wie den ,Memoiren' (1982: I, 215 ff.) zu entnehmen ist, handelt es sich auch hier um eine authentische Figur, nämlich um den englischen, in Spanien lebenden und mit einer deutschen Jüdin verheirateten José Farache.

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atrevería tampoco a asumir ese nombre. Porque, residente en una nación todavía algo fanática, que condena o ignora a mi estirpe [...] mi sola salvaguardia es el pasaporte británico, que me acompaña siempre". Noch schärfer äußert sich ein alter jüdischer Gelehrter (ebd.: 38), den der junge Protagonist bei seiner Recherche konsultiert: „Las antiguas hogueras no están quizás extinguidas del todo [...] Acaso un exceso de celo pudiera reanimarlas." Die Häufigkeit entsprechender Hinweise hat fast den Charakter eines Leitmotivs. Hier (ebd.: 99) warnt ein alteingesessener jüdischer Bankier: 41 „El fanatismo religioso no se ha extinguido en nuestro país." Dort (ebd.: 210 f.) ist es der junge Dichter Rafael, der desillusioniert feststellt: „En otro tiempo, los curas [...] azuzaban a la plebe contra los judíos, acusándolos de sacrilegio y de profanación, de mancillar hostias consagradas, de parodiar la misa. Hoy ya se les combate como un peligro económico. Y este lenguaje moderno nos da la clave verdadera del hipócrito lenguaje antiguo." Wie das Beispiel einer „poetisa" zeigt, bei der es sich um Carmen Burgos handeln könnte, 42 sind hier und da sogar noch die blutrünstigen Judenklischees en vogue, wie sie etwa Lope de Vega tradierte: „No se rían ustedes", verteidigt sich die namenlose Dichterin gegen den Spott Don Farsis und des jungen Rafael, „el crimen ritual está prescrito en el Talmud, y lo han practicado siempre los judíos. Así me lo aseguró el rabino de la sinagoga de Varsovia. Además, en España mismo, tenemos el caso perfectamente histórico del santo niño de la Guardia". Die zahlreichen Hinweise des Erzählers auf „el poderío de una Inquisición invisible" (ebd.: 117) wiegen um so schwerer, als er vermutlich auch persönlich wußte, wovon er sprach: Die überaus starken Kautelen, mit denen er das Leben von Juden und Christen im Spanien der Jahrhundertwende beschreibt, lassen wenig Raum für idyllische Interpretationen. Aus dem Munde des jüdischen Bankiers, 43 der als nationalisierter Spanier seit Jahrzehnten in Madrid eine halbklandestine Doppelexistenz fuhrt, vergleicht Cansinos Asséns (ebd.: 100 f.) den spanischen Antisemitismus darüber hinaus mit europäischen Varianten: „En

42

43

Bei ihm handelt es sich augenscheinlich um Dr. Ignacio Bauer, „el representante de Rothschild en nuestro país", so ein Hinweis (1982: I, 458) in den ,Memoiren'. Ihre tertulias, die Cansinos Asséns (ebd.: 215 ff.) regelmäßig besuchte, waren auch der Sephardenthematik gewidmet: „La escritora y sus amigos no hablan de otra cosa". Allerdings, wie die entsprechenden Romanpassagen illustrieren, aufrecht ambivalente Weise. Der Rothschildrepräsentant Bauer, um den es sich, wie angedeutet, hier vermutlich handelt, wird in den ,Memoiren' (1982: I, 461) freilich als unsympathischer und prätentiöser ,Geldjude' dargestellt: „Ese Bauer es la muía doctoral, cargado de oro!"

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Alemania hay restricciones que vedan al judío el acceso a ciertas profesiones. Existe un antisemitismo franco, rabioso. Pero es porque allí hay una población judía numerosa, activa y fuerte, cuya existencia puede ser considerada como un peligro para las ambiciones nacionalistas. En España no hay antisemitismo, porque, como le he dicho, no hay israelitas: sólo hay extranjeros [...] Después del Edicto de expulsión, olvidóse España de los judíos como si hubiese aniquilado en las hogueras hasta el último germen de la estirpe [...] Pero bastaría que se enterase de que otra vez los tiene en su regazo para que de nuevo quisiese exterminarlos como a una plaga [...] Y, además, si los judíos sufren vejaciones y hasta persecución en otros países, como en Rusia; de ninguno de ellos han sufrido afrentas como la que recibieron de España; ninguno de ellos les impuso un éxodo tan doloroso como el que los expulsó de este país [...] Afrenta semejante no se olvida fácilmente y exige una reparación." Dieser „Antisemitismus [fast] ohne Juden" (Adorno), so scheint der Autor damit anzudeuten, ist ebenso gefahrlich wie seine weniger subkutanen Manifestationen. Hinzu kommt, daß das Ausweisungsdekret offiziell noch immer in Kraft ist und der Exodus des Jahres 1492 ein zentrales Ereignis in der Geschichte der Judenverfolgung darstellt. Dementsprechend häufig finden sich in dem Roman Hinweise, die sich auf das fatale Datum 44 beziehen: „La era moderna", so Don Farsi (ebd.: 62), „la inauguró España encendiendo la hoguera del fanatismo". Der kritische Blick auf die Geschichte, den Pulido und die große Mehrheit seiner zeitgenössischen Gesinnungsgenossen geflissentlich vermie-

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Nur sehr spärlich und mit einer antiislamischen Schlagseite erwähnt der Autor demgegenüber die Zeit von Convivencia und Reconquista: „Entre las cruces y las medialunas", situiert er (ebd.: 16) die Juden gleichsam als Convivencia-resistente Sondergruppe, „lograron subsistir maravillosamente, como si el pacto que sus padres sellaron con Jehová les protegiese". Eine recht ambivalente Interpretation der trikulturellen Geschichte enthält auch die folgende (ebd.) Formulierung: „Cooperaron [die Juden, N.R.] a la Reconquista con su oro y con su sangre; las dos cosas que más alto valor tienen entre los hombres." Eine partielle christlich-jüdische Convivencia klingt, eher en passant, lediglich zweimal an. Einmal (ebd.: 58) erinnert das Kreuz im Büro eines (Krypto-)Juden den Erzähler an „la antigua historia española. N o habían presenciado coloquios semejantes aquellos estrados antiguos, presididos por un crucifijo, en el tiempo en que las dos Españas convivían bajo la sombra de la cruz?" Ein weiteres Mal (ebd.: 133) evoziert Don Farsi die mittelalterliche convivencia erótica\ wenn er auf den Hinweis seines Gesprächspartners, „la grandeza española tenía en sus venas sangre judaica", ironisch konstatiert: „Por lo visto [...] las españolas de aquel tiempo no participaban del antisemitismo" zeitgenössischer Façon.

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den, 45 nämlich die Frage nach „la responsabilidad de la historia" (ebd.: 64), ist in dem Roman allgegenwärtig: „¡El Cristo! ¿Qué les importaba a ellos el Cristo", so eine Entgegnung Don Farsis (ebd.: 109) auf das Argument religiöser Intransigenz, „ni la conversión de los hebreos? Lo que ellos querían era el oro de los perseguidos. La cruzada contra los conversos fué como la cruzada contra los musulmanes, ante todo, una gran campaña de rapiña." Ebenso kritisch geht der mögliche Nachfahre der Exodusgeneration mit dem obersten Protagonisten der Vertreibungspolitik - den Katholischen Königen - ins Gericht. Während das Herrscherpaar in den Schriften der meisten zeitgenössischen Autoren noch immer eine quasi sakrosankte Institution darstellt, vernehmen wir aus dem Munde Don Farsis, der gerade eine Statue von Isabel betrachtet, das folgende (ebd.: 164) Verdikt: „Mírela usted. Esta fué la reina ingrata. No advierte usted la severidad de su semblante de fanatizada? Puesta a eligir entre el crucifijo de Torquemada y los fueros de la Humanidad, optó por el simulacro inerte." Obwohl die Motivpalette der Vertreibungspolitik in Wirklichkeit komplexer war, dürfte der kritische Impetus in der Bewertung der historischen Ereignisse von den meisten spanischen Lesern des Romans doch fast als Sakrileg empfunden worden sein. Das gilt sicherlich auch für die ,Dekadenztheorie' des Autors (ebd.: 111), die zwar viel zu monokausal anmutet, die historische Sensibilität der dominanten casticismo-Adepten

aber sicher verletzt hat: „AI cabo de un siglo era

España un país yermo, poblado por frailes, militares y mendigos, mendigos todos ellos que se sustentaban del oro de América. España empezó a decaer el día que los Reyes Católicos expulsaron a los judíos". Vor dem Hintergrund des skizzierten Panoramas - eine recht kritische, wenn auch einseitige Bilanz von Geschichte und Gegenwart - verwundert es nicht, wenn auch ein weiterer Topos in der Literatur über die Sepharden relativ nüchtern ausfällt: die angebliche Spanienliebe der vertriebenen Minderheit. Im allgemeinen thematisiert der Erzähler (ebd.: 51) diesen Aspekt als „amor a la tierra sagrada y funesta de Sefard [sie]" - also nicht als ,Liebe' zu Spanien im allgemeinen. Denjenigen Sepharden, „[que] contaban sus bellezas tradicionales" im Stile einer allzu sentimentalen, ahistorischen Einfalt, hält er (ebd.: 76) vor, Elogen auf Spanien zu intonieren, „sin haberla visto". Die offensichtliche Härte, mit der andere Sepharden das Heimatland ihrer Vorfahren evozieren, veranlaßt die Schwester des Protagonisten Rafael Benasar gar zu folgender Bemerkung (ebd.: 239):

45

Wörtlich heißt es bei Pulido (1905: 20): „Pero a qué incomodarse ahora por lo que sucedió hace tantísimos años."

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„Hablan de España con un encono que me hiere. A cada momento recuerdan su fanatismo, su crueldad. Todo aquí les parece censurable. Diríase que la odian, en vez de amarla." Einen recht undifferenzierten Enthusiasmus weisen im Vergleich dazu nur diejenigen Passagen auf, die sich auf die Sprache der Sepharden beziehen: „El lenguaje era como un vínculo que les unía estrechamente a pesar de todo, con su antigua patria, de la que nunca renegaron. Las crueldades inquisitoriales", behauptet Don Farsi (ebd.: 115), „no fueron suficientes a entibiar su amor por la tierra de sus antepasados. [...] Presintieron esta campaña de reparación que ahora se cumple. Y, para ser dignos de este momento, para poder reivindicar siempre su ascendencia española, conservaron la lengua." Besonders breiten Raum nimmt in dem Roman die zitierte „campaña de reparación" von Pulido ein, der hier nur leicht verfremdet als „Dr. Florido" in Erscheinung tritt. Im Unterschied zu den späteren Erzählungen, in denen Cansinos Asséns kein gutes Haar an dessen Motiven läßt, präsentiert der Romancier hier das Biid eines engagierten Idealisten, dessen Kampagne von einem politischkulturellen Happy end gekrönt wird: „AI acabar la lectura", lautet der erste Hinweis (ebd.: 55) auf den „großen Philosemiten" (Nordau), von dem Don Farsi und dessen Frau gerade einen Artikel gelesen haben, „marido y mujer, mirándose con ojos de jubiloso llanto. ¿Sería llegado un tiempo nuevo para los hijos de Israel, expulsados de España?" Zumindest der Spiritus rector der Sephardenkampagne, seine ,lauteren' Motive und sein selbstloses' Engagement, werden vom Erzähler fast durchweg in Pastellfarben gemalt. Die betont heitere Grundierung von Pulidos Porträt enthält sogar eine Art Schuldeingeständnis, das sich so allerdings nicht in seinen Schriften findet: „Todos me decían: - Amamos a España, señor; no hemos olvidado su idioma, aunque otras cosas hemos olvidado [...] - Y yo, ante aquella nobleza de alma", bekennt Dr. Florido (ebd.: 56), „ante aquel amor milenario que lógicamente hubiera debido ser odio, sentía el sonrojo de nuestras crueldades". Die Hommage an den „magnánimo procer" (ebd.: 138) durchzieht den gesamten Roman (ebd.: 138): „Adivinábanse que se sentía padre de greyes, rey espiritual de pueblos, nexo entre la historia antigua y la moderna; historia él también; figura por de aquellas otras altísimos de los Moisés y los Esdras."

Gelegentliche

Ermüdungserscheinungen,

die

Dr.

Florido

selber

(ebd.: 136) auf Indifferenz und Judenfeindschaft in großen Teilen der spanischen Gesellschaft zurückfuhrt - „No encuentro ambiente, no hallo eco a mis palabras, no siento que el país nos secunde. Estamos solos" - , werden durch den ungebrochenen Enthusiasmus seiner sephardischen Freunde (ebd.: 137) wettgemacht: „No está usted solo. Le secundan los sefardíes de todo el mundo [...] Pero,

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además, le secundan muchos españoles, la mayoría de los españoles". Eine kühne Interpretation, wie etwa der folgende Hinweis (ebd.: 140) illustriert: „Si; le han hecho sufrir mucho [...] Y sabrá usted cómo dejaron de elegirle senador por la Universidad de Salamanca a causa de esta campaña tan patriótica. Los elementos reaccionarios se asustaron, difundieron el rumor de que era judío". Im Einklang mit realistischen Schilderungen dieser Art befindet sich auch die nüchterne Zwischenbilanz der Aktivitäten Pulidos, die dieser (ebd.: 144) mit den Worten zieht: „Creo que por ahora hemos conseguido cuanto era posible. Hemos recordado a los españoles que existen en el mundo millares de hermanos suyos, que hablan su idioma y piensan y sienten como ellos; hemos recordado a España que hay por ahí lejos otra España moral, una España sana, compuesta de afectos e ideales. Hemos despertado, hasta cierto punto, la conciencia nacional; hemos sembrado una inquietud que fructificará en el tiempo. Ahora debemos aguardar." Von den üblichen Klischees und Projektionen abgesehen, die der Erzähler indes nicht als solche registriert, kommt die Wertschätzung Cansinos Asséns' für seine ,authentisch-fiktiven' Romanhelden auch in diesen Zeilen voll zur Geltung. Bei der Bewertung der vielschichtigen Reaktionen auf Pulidos Kampagne erweist sich der Erzähler indes als erheblich klarsichtiger. Bereits recht früh deutet er an, etwa mit Blick auf das begeisterte Engagement des jungen Dichters Rafael (ebd.: 75), daß es sich womöglich um einen „entusiasmo prematuro" handeln könnte. Ein paar Seiten weiter (ebd.: 85) spricht er im Zusammenhang mit der Kampagne von „adhesiones abstractas y generales; nadie temía comprometerse manifestando simpatías a aquellos judíos lejanos [...] seres ideales y abstractos." Anschließend folgt eine recht differenzierte Auflistung der verschiedenen Strömungen gegenüber der Juden- und Sephardenfrage, wie sie ähnlich auch in der neueren Forschungsliteratur auftaucht. Für einige, so Cansinos Asséns (ebd.: 85 ff.), biete die Kampagne Anlaß für „sentimientos efusivos y generosos"; für andere, gemeint sind vor allem die Liberalen der iwrwo-Kabinette, sei sie ein Plädoyer „por la fraternidad de todos los hombres"; eine dritte Gruppe, sie besteht vermutlich aus Anhängern des Regeneracionismo, sehe in den Sepharden der Diaspora potentielle Handelspartner, „hermanos hábiles y activos en las prácticas mercantiles"; eine vierte Strömung, eng mit der vorigen verwandt, ,,soñaba[n] con un éxodo inmediato de aquellos israelitas", um auf diese Weise den ,ökonomischen Brückenkopf 46 der Diaspora auch im 46

Der damit verbundene Topos des reichen Juden, der hinter den Kulissen die Geschicke der Welt bestimmt, wird von Cansinos Asséns übrigens selber kreiert, wenn der insgesamt sehr positiv konnotierte Don Farsi (ebd.: 73) einerseits behauptet: „La

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Lande selber zu verankern; eine fünfte Gruppe, „naturalmente, los más simpáticos", bestehe schließlich aus solchen Leuten, „quienes acercábanse a nuestros amigos, impulsados por misteriosas nostalgias ancestrales [...] el recuerdo de la raza". Obwohl die vermutlich größte Gruppe, die mehr oder weniger antisemitischen Kreise, u. a. diejenigen, die ihr judenfeindliches Basiscredo mit einer halbwegs prosephardischen Gesinnung drapierten, in dieser Auflistung fehlt, dominiert in der Gesamtbewertung der Reaktionen auf Pulidos Kampagne ein kritischer Zungenschlag: „Guiados por una equivocada piedad", lautet die Bilanz von Don Farsi (ebd.: 90), der der Erzähler nicht widerspricht, „nos brindan rosas que están llenas de espinas y nos hacen la mayor ofensa, la ofensa de no conocernos, de no querernos conocer". Fast durchweg positiv bewertet der Erzähler dagegen eine andere Episode jener Jahre: die offizielle Einladung des bekannten Sephardenprofessors Yahuda, der zahlreiche öffentliche Vorlesungen zur sephardischen Geschichte hält und schließlich

sogar

eine

eigens

für ihn

eingerichtete

Professur in

Madrid

übernimmt. Der renommierte Dr. Salomón alias Dr. Yahuda „era el primer judío que, públicamente, como tal judío, no de un modo encubierto, como un viajero anónimo, amparado por un pasaporte extranjero", wie er (ebd.: 183) selber anerkennend bemerkt, „penetraba desde los tiempos del Exodo el país de los Inquisidores". Obwohl der Gelehrte eine gewisse Spaniennostalgie empfindet „desde niño me atraía España" (ebd.: 181) - , betritt er das Land seiner spätmittelalterlichen Vorfahren doch ohne allzu hochgesteckte Erwartungen: „yo me considero la sonda que Israel lanza a los abismos de la conciencia española", formuliert er (ebd.: 184) seine nüchternen Ambitionen, „para ver hasta qué punto perdura en ella el fanatismo antiguo". Dementsprechend kritisch fällt der Tenor seiner Vorlesungen aus, vor allem der Blick auf die Geschichte (ebd.: 203), den die spanischen Autoren zumeist unterließen: „hizo resaltar luego la ingratitud con que la nación española, ya constituida, correspondió a tanta lealtad, sellada muchas veces con la sangre; habló de los autos de fe, del edicto de expulsión, y conteniendo sus sollozos, alzó su voz más entera que nunca, para pronunciar el condigno anatema." Obwohl viele seiner Zuhörer ob derart ,unerhörter' Äußebolsa internacional regula sus oscilaciones según el impulso que le imprime la mano judaica. El nombre de Rothschild vale tanto como el de un rey." Andererseits bedauert derselbe Panegyriker (ebd.: 90) der jüdischen ,goldenen Internationale' die Existenz ebensolcher Klischees bei den Nichtjuden, vor allem bei den Gegnern von Pulidos Kampagne: „Nos describen colmados de riquezas, teniendo en nuestras manos las llaves de todas las cajas de caudales del mundo, poseedores de todo el oro de la tierra".

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rungen wie benommen reagieren - „los oyentes católicos palidecían, se resolvían en sus asientos" (ebd.: 204) - , verwandelt sich die kaum verhaltene Empörung eines Großteils des Auditoriums am Ende (ebd.: 205) doch in .Harmonie': „Aplaudían todos, incluso las señoras, que sólo percibían como música la palabra del orador, y los sacerdotes, ensotanados, muy contentos de poder demostrar su tolerancia." Selbst dem König, von dem er in offizieller Audienz empfangen wird, begegnet Dr. Salomón mit couragierter Chuzpe. Die Sepharden der internationalen Diaspora, hält er (ebd.: 225) dem darüber leicht verstimmten Alfonso XIII. vor, „esperan todavía una palabra de desagravio de parte de la nación española, una anulación explícita de aquel Edicto". Dennoch wird er, mit königlicher Unterstützung, zum Professor der Universidad Central von Madrid ernannt - ein Vorgeschmack auf das große Happy end am Ende des Romans: „Ya tenemos un catedrático judío en la primera Universidad española", bilanziert Don Farsi (ebd.: 248) das in der Tat außergewöhnliche Ereignis, dessen tatsächliches Ende47 allerdings weniger idyllisch ausfiel, „en la sede más alta de la ciencia cristiana. ¿Quién hubiera podido decirlo hace unos años [...]?" Neben der Nordafrikathematik, die hier ebenfalls - wie in den weiter oben zitierten Essays - kolonialistische Ambitionen verrät, hielt es der Erzähler für sinnvoll, auch den mehrjährigen Aufenthalt von Max Nordau („Dr. Nordsee") in den Roman zu integrieren. Der bekannte Zionist wird vor allem zu einem weiteren Kronzeugen für die häufig geäußerte Ansicht, daß die Schatten der Vergangenheit noch immer stärker seien als das schwache Licht philosemitischer Tendenzen in der Gegenwart - trotz der Tatsache, daß auch Nordau in Wirklichkeit ein zumindest in Teilen illusorisches Bild der spanischen Gesellschaft gegenüber den Juden besaß: „Mire usted", antwortet er (ebd.: 272 f.) auf die eher versöhnlerischen Worte Dr. Salomóns mit aggressiver Schärfe, „durante mi estancia en esta tierra de Sefard [sie] he visto cosas que me han llagado profundamente. He visto los lugares en que se alzaron las hogueras para nuestros antepasados, he visto las ruinas profanadas de nuestros cementerios. Y he visto otra cosa todavía más terrible: que aun perdura un odio no borrado por el olvido secular. Fiando en ciertos indicios aparentes de tolerancia me he aventurado en algunas ocasiones a declarar públicamente mi condición de israelita. Pues bien: se han resistido a creerme, como pensando que me dispensaban una cortesanía. 47

Im Roman findet sich kein Hinweis auf die antisemitische Propaganda, die den Sephardenprofessor schließlich veranlaßte, das Land zu verlassen: „Yo he sido aquí por un momento un hombre providencial", lautet hier (ebd.: 325) das geschönte Finale, „pero mi misión en este país del cautiverio está ya terminada".

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Y en ese rasgo he sentido cuán vivamente perdura, convertido en desprecio, un odio insensato e inactual. Que en los demás países exista el antisemitismo, se comprende hasta cierto punto por la rivalidad de la convivencia. Pero que exista en este país, que hace siglos no ve la efigie de un judío, es un hecho que demuestra hasta qué punto es bárbara y cruel la Humanidad. [...] Habló así el doctor Nordsee." Obwohl sich Cansinos Asséns mit dieser Sicht der Dinge nur teilweise identifiziert, verwundert es doch, wenn der Roman mit einem - trikulturellen! Happy end ausklingt, das dem kritischen Impetus in vielen Einzelfragen widerspricht. Unmittelbarer Anlaß (ebd.: 317) für die harmonistische Schlußszenerie ist die festliche Verabschiedung einer sephardischen Delegation aus Marokko, für die das alte, judenfeindliche Spanien inzwischen der Vergangenheit angehört: „Ahora regresaban a sus hogares, llevando en sus almas el recuerdo de una España dulce y clemente, reconquistada para Israel. [...] Y aquella noche, en el salón de un restorán elegante de la corte, en torno a una larga mesa, cubierta de flores, celebrábase aquel banquete, que parecía la pascua de Reconciliación entre las razas." Außer dem anwesenden Dr. Salomón, der seine .Mission' für erfolgreich - beendet hält, ist es vor allem Dr. Florido, der das harmonische Finale wie kein anderer verkörpert: „Mírele usted", sagt der ansonsten kritischskeptische Don Farsi zu dem jungen Dichter Rafael (ebd.: 318), „cómo sonríe ahora satisfecho! -Cuán distinto de aquel día en que fuimos a verle para brindarle la presidencia de nuestra Alianza! Entonces se encontraba en una crisis de desaliento. Desconfiaba del porvenir. Y yo fui profeta aquel día. El se quejaba de su soledad, de no encontrar un pueblo a su alrededor. Ahora ese pueblo le rodea." Läse man nur die beiden Schlußkapitel des Romans, dann würde man Uber die Naivität, mit der ein möglicherweise sephardischer Autor den damaligen Status quo der beiderseitigen Beziehungen bilanziert, vermutlich lächeln. Vor allem deshalb, weil Cansinos Asséns als gebürtiger Spanier von innen schreibt, wie große Teile des Romans erkennen lassen. Das versöhnlerische Schlußtremolo ist mit der jüdisch-katholischen Eintracht jedoch noch nicht zu Ende. Nachdem Don Farsi seine enthusiastische ,Hommage an die Versöhnung' beendet hat - „Y era verdad", beeilt sich der allwissende Erzähler (ebd.: 319) hinzuzufügen - , setzt Don Carlos, ein Freund von Rafael, zum wahrhaft hymnischen Schlußakkord über „una futura comunidad de las razas" an: „Mañana serán los árabes, descendientes también de expulsados; los árabes, que en Tetuán y en Fez conservan las llaves de sus antiguos hogares de la Península, los que tornarán a España y partirán el pan con los españoles en una mesa blanca, como ésta.

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Entonces", scheint er (ebd.: 319) den Geist der frühmittelalterlichen Convivencia zu beschwören, „las deudas del pasado quedarán canceladas. Nada habrá podido contra este jubileo de pueblos el maleficio de los negros poderes. Tres razas unidas trabajarán por el progreso y la emancipación espiritual de España." Das böse Erwachen aus diesen kühnen Träumen fraternisierender Religionen und Kulturen sollte, was Cansinos Asséns betrifft, zwar noch einige Jahre dauern; in den späteren Erzählungen zu demselben Thema erweisen sie sich jedenfalls als schmerzhafte - Phantasmagorien! Den Auftakt der Sammlung Los judíos en Sefard. Episodios y símbolos,** bildet die historische Erzählung „El éxodo", in der (1950: 18) „el cruel Edicto de Expulsión" von 1492 und „Torquemada, el fiero y sanguinario Inquisidor" die Romanze zwischen einer christlichen Duquesa und einem jungen Juden gewaltsam beenden. Der tragische Schlußakkord dieser Liaison, die eher nebenbei die .intersexuelle' Convivencia evoziert, ist vor allem eine Kritik des gnadenlosen Charakters der katholischen Vertreibung und eine Hommage an den unbeugsamen Willen der Vertriebenen, die die Konversionsofferte ausgeschlagen haben: „Desde el balcón de su palacio, la duquesa Delia vió partir a los exiliados para siempre de las tierras de España. Entre ellos, firme y arrogante", lauten die auch allegorisch zu verstehenden Schlußsätze (ebd.: 24), „iba Jaime. Poníase el sol y viendo alejarse en la gloria de su lumbre al único amor de su vida, sentía doña Delia que aquel era el ocaso de su juventud y que en adelante estaría ya siempre sola y triste en medio de su esplendor, como también lo había de estar España". Daß diese Erzählung am Anfang steht, ist sicher kein Zufall: Schließlich war den meisten Philosepharden der ,Umweg über die Geschichte' äußerst unbequem. Wohl deshalb besteht ein weiterer, häufig wiederkehrender Aspekt in der Kritik des jahrhundertelangen Ostrazismus nach 1492: „Es que los nietos de los inquisidores", heißt es aus dem Munde eines .zurückgekehrten' Sepharden in „Rosa Torquemada" (ebd.: 50), „han perdido la memoria [...] la memoria que nosotros conservamos y conservaremos hasta la eternidad". Tauchen die Hinweise auf das ,große Vergessen' zumeist nur nebenbei auf („Melamed El Schofer", ebd.: 84), ist es in „Amnesia ofensiva" das Hauptthema der gleichnamigen Erzählung: „¿Los judíos?", so ein sephardischer Besucher aus Osteuropa (ebd.: 140 ff.), „Nadie se acordaba ya de ellos para compadecerlos ni para execrarlos: los habían olvidado ya del todo, era como si nunca hubiesen existido;

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Das Gros der 1950 publizierten Erzählungen ist vermutlich Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre geschrieben worden.

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y aquel olvido absoluto era para el descendiente de los desterrados más ofensivo que el mayor ultraje." Nur die Gelehrten, schränkt der Erzähler den Grad der historischen Amnesie ein, „los hombres de letras recordaban al judío, sin amor y sin odio, como a una lámina de viejos códigos." Wenngleich der Hinweis auf den nichtvorhandenen Judenhaß recht gewagt anmutet, so hat der fiktive Besucher des einstigen Sefarad doch zumindest partiell recht, wenn er der folgenden Ansicht (ebd.: 144) seiner christlichen Gesprächspartner vehement widerspricht: „Debería usted felicitarse de ello: eso [das Verschweigen der jüdischen Vergangenheit der Halbinsel, N.R.] le demostrará que entre nosotros no hay antisemitismo. No lo ha habido nunca; se ha exagerado mucho nuestra leyenda negra. La Inqusición sólo quemó unas doscientas personas." Die Antwort des Sepharden fällt deutlich aus: „No, no me felicite por ello. No hay antisemitismo, porque no hay semitismo. Nos habéis olvidado y eso es lo más triste." Für die Mitglieder der kleinen Madrider Judengemeinde, und darin besteht ein weiterer thematischer Hauptaspekt der Erzählungen, ist die Vergangenheit dagegen omnipräsent - sowohl als Hypothek der allgemeinen jüdischen Leidensgeschichte als auch in ihren besonderen spanischen Facetten. Was deren allgemeine Dimension betrifft, so kann die Erzählung „¿Hasta cuándo?" als paradigmatisch verstanden werden - eine Erzählung, an deren Ende (ebd.: 113) ein nordamerikanischer Jude, der sich eigentlich nicht mehr als solcher versteht, die folgenden Betrachtungen anstellt: „Por delante de aquella terraza de café pasaba la gente alegre y despreocupada. Hombres y mujeres que no tenían nada de judíos - al menos no lo sabían - , que estaban redimidos de recuerdos y vivían en el presente y a este río de fácil fluir arrojaban sus sensaciones. Hombres y mujeres sin tragedia. En tanto ellos [...] estaban allí relegados como al pie de un muro ruinoso, sosteniendo un destino trágico, que había de durar la suma de los tiempos. - Hasta cuándo?" Die auch von anderen Personen evozierte Leidensgeschichte, etwa in der Erzählung „La sangre de Israel" - „No ha habido nunca un dolor semejante" (ebd.: 168) - , die zu einer Art „neurosis de la raza" („Un entierro en Sefard", ebd.: 184) geführt hat, wirft immer wieder die Frage auf, was sich davon womöglich in Spanien erhalten hat. Das Bild, das sich aus den einzelnen Äußerungen der verschiedenen Erzählungen zusammensetzen läßt, ist ziemlich ernüchternd. Es entspricht weder der weiter oben zitierten Ansicht einer auf Vergessen und Verdrängung beruhenden Indifferenz noch der fast bukolischen Beschreibung aus dem Munde von Melamed El Schofar (so der gleichnamige Titel einer Erzählung), der „a la Sefard de sus antepasados" zurückgekehrt ist, „donde ya un

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fresco soplo de cordial primavera había extinguido las hogueras antiguas". Die Scheiterhaufen sind zwar längst erloschen, von einer „cordial primavera" ist man indessen, so läßt sich den meisten Texten entnehmen, noch weit entfernt. Das illustriert etwa die Ansicht eines sacerdote, der in „Demasiado amor" (ebd.: 91) eine Lanze für die Inquisition bricht: „La Inquisición, amigo mío", entgegnet er seinem jüdischen Freund, „apelaba a remedios heroicos, llevada de su celo por la salvación de las almas. Quemaba a los judíos en este mundo, para que no ardiesen eternamente en el otro. Estas llamas de las hogueras eran llamas de amor. Aquéllas eran tiempos de fe!" Im Unterschied zum Sarkasmus dieser Geschichtsversion stellt in „Corpus Christi" ein namenloser Icherzähler Betrachtungen über den Status quo des spanischen Katholizismus an (ebd.: 132), deren Duktus von Skepsis und Sorge geprägt ist: „Corpus español en estos barrios viejos! Por qué ese aparato de fuerza, esas alabardas, esas colgaduras rojas en los balcones y esa regia corraza vacía en que va siempre el último Austria? ¿Por qué esa pompa de ejecución capital empañado el sentido pastoril de ese sol entre espigas y reviviendo siempre la antigua estampa del auto de fe?" In der Erzählung „Rosa Torquemada" deutet Cansinos Asséns überdies an, daß es nicht nur der Klerus ist, in dessen ideologisch verzerrter Optik der Geschichte und martialisch-militanten Ritualen die dumpfen Trommelschläge der Autodafés ein spätes Echo finden: Der Geist der katholischen Orthodoxie wirkt auch in der Vox populi nach. So geben sich in den Obsessionen eines katholischen Dienstmädchens - mit dem denkwürdigen Namen Rosa Torquemada sämtliche Juden-Dämonen ein Stelldichein (ebd.: 48): „Mire usted, la verdad respondió la muchacha - . Yo he oído hablar de los judíos a las viejas del pueblo [...] Eran unos tíos muy malos, como demonios, con cuernos y rabo [...] que mataron a Cristo [...] Pero el Sábado de gloria murieron todos [...] Yo por lo menos no he visto a ninguno." In der Person dieses Dienstmädchens, dessen Name ihrem jüdischen Arbeitgeber „un placer masoquista en aguantar los desafueros de aquella nieta de inquisidores" (ebd.: 49) bereitet, hat der Erzähler im übrigen den einzigen, halbwegs gelungenen reencuentro-Prozeß

angedeutet,

wenn auch mit einer gewissen Ironie: „Llegó un momento en que Rosa Torquemada tuvo conciencia; una conciencia. Y supo de los judíos y su tragedia y de lo que habían sufrido en España [...] Y supo también que sus señores descendían de aquellos desterrados [...] Y como era buena chica", so die Früchte der häuslichen Lektionen in nationaler Geschichte (ebd.: 51), „se indignó contra aquel crimen histórico y desde entonces se desvivía por halagar a sus señores, como si quisiera rescatar con ello su parte de culpa."

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Kommt in den zitierten Beispielen eher eine objektive Bilanz der antijüdischen Traditionen zur Sprache, lassen sich die folgenden Textfragmente vor allem als Hinweise auf die subjektiven Probleme und „Neurosen" der jüdischen Protagonisten deuten, sich mit der skizzierten Realität auseinanderzusetzen und einen jüdischen Modus vivendi zu finden. Zu diesen Themenaspekten zählt zunächst die halbklandestine Atmosphäre der ,Gründerzeit' der Madrider Gemeinde, wie sie Señor Farsi, der aus England stammende Sepharde des zitierten Romans, in der Erzählung „En aquel tiempo" evoziert (ebd.: 33): „En aquel tiempo en que yo vine a España [...] cuando era peligroso o por lo menos bastante indiscreto mencionar el nombre de judío, la vida de los pocos que componíamos la comunidad tenía un encanto romántico, novelesco, aparte de un mayor fervor de fraternidad". Die rituellen Zusammenkünfte fanden an wechselnden, nur den Gemeindemitgliedern bekannten Orten statt und waren, trotz der .romantischen' Aura, von steter Sorge um Entdeckung geprägt (ebd.: 35): „La reserva entonces llegaba a tal extremo que yo [señor Farsi, N. R.] estuve tratando muchos años a un amigo, con el que hubo de contraer cierta intimidad, sin sospechar nunca que fuera un hermano." Andere suchen dagegen Zuflucht in einer Art Verteidigung nach vorne, indem sie sich ostentativ mit katholischen Bekannten und Freunden umgeben: „[...] buscando en su amistad", so die aschkenasische Protagonistin in „Yom Kipur" (ebd.: 54), „esa bendición católica de que siempre está más o menos ávido el judío - quizá supersticiosamente". Wiederum andere, etwa „Don Menahém Pinhas" - so der gleichnamige Titel - , der aufgrund der Kampagne von „doctor Florido" aus einem Balkanland nach Spanien gekommen ist, gehen noch einen Schritt weiter: „ - Tenía una novia española! , - Una novia!' - con qué énfasis", so der ironische Tonfall des Erzählers (ebd.: 160), „declamaba Don Menahém esa palabra lírica en su soledad. Española y católica!'" Diese etwas groteske Figur eines Balkansepharden (ebd.: 156) ist zugleich die einzige in der gesamten Personenpalette, die dem Topos der sephardischen ,Spanienliebe' vollauf gerecht wird: „Todo en España le imponía. [...] Todos los hombres le parecían caballeros de romance y todas las mujeres, infanzonas o ricos hombres". Schließlich weiß der Autor den Orientierungs- und Anpassungsproblemen seiner jüdischen Gemeindemitglieder aber auch komische Seiten abzugewinnen. Als einer von ihnen, ein Engländer aus Gibraltar, auf dem englischen Friedhof begraben werden soll, möchten die jüdischen Trauergäste wenigstens das Kreuz vom Sarg entfernen. Einige vage Andeutungen über entsprechende Wünsche des Verstorbenen plus einiger „monedas" sollen die Totengräber davon überzeugen, den Sarg zu „entchristianisieren"

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(„En quel tiempo", ebd.: 443): „Estábamos solos, pues en aquel cementerio británico eran raros los sepelios. Ellos [die Totengräber, N. R.] iniciaron un gesto de resistencia, instantáneamente vencido. - Bueno! Si no es más que eso. Nosotros, después de todo, somos republicanos y librepensadores. El difunto sería masón ¿verdad?" Ein weiterer Themenaspekt, den der Erzähler mit einem kritisch-sarkastischen Duktus zur Sprache bringt, besteht in den Beziehungen zwischen Sepharden und Aschkenasen, etwa in der Erzählung „Excomulgado": „Samuel Feibarg, el polaco, fué uno de los asquenazíes a los que los sefardíes, acaudillados por el magnífico Señor Farsi", personifiziert der Autor (ebd.: 56) den innerjüdischen ,Rassismus' am Beispiel von zwei typischen Erzählfiguren, „expulsaron de la sinagoga madrileña bajo la inculpación, a todas luces infundada, de amigos de los alemanes y de espías". Der wahre Grund, so weiß der Autor (ebd.), liegt jedoch in dem sephardischen Superioritätsgefiihl gegenüber den Aschkenasen, „el aristocrático desprecio que el señor Farsi, muy ufano de su cara morena y afilada, semejante a la de un retrato del Greco, sentía por todos aquellos correligionarios suyos que tenían el pelo más o menos rubio y los ojos más o menos azules. Para él, eran aquéllos unos judíos de inferior calidad, algo así como la chusma de Israel." Die von Überheblichkeit und einer gehörigen Portion Verachtung motivierte Attitüde des señor Farsi nimmt geradezu groteske Züge an: Sein „desdén supremo por los asquenazíes" (1950: 114) gilt sogar seiner eigenen Frau, einer aus Deutschland stammenden Jüdin. In der Erzählung „La guerra en el hogar" findet der Erste Weltkrieg auch zwischen den beiden Ehepartnern seinen Niederschlag (ebd.: 117): „El Sr. Farsi", schreibt der Erzähler (ebd.: 116), „no acabó nunca de aceptar del todo el origen asquenazí de aquella mujercita rubio pecosa. La encontraba de otra raza inferior." Es spricht für die kritische Haltung des Autors, wenn er die aristokratische Zenitgesinnung der selbsternannten ,Edeljuden' gleich mehrfach, etwa aus dem Munde eines russischen Aschkenasen („Un entierro en Sefard", ebd.: 190) unumwunden kritisiert: „¡Que ganas de quemarse la sangre! ¿Por qué insultarnos unos a otros? No nos insultan ya bastante los cristianos?" Der (selbst-) kritische Impetus des Autors, für den der Glanz der sephardischen Blütezeit keine Rechtfertigung dafür liefert, die Aschkenasen als jüdische Outcasts zu diffamieren - er nimmt mit Blick auf die Kampagne von Pulido, die in mehreren Erzählungen zur Sprache kommt, geradezu spektakuläre Züge an: Zusammen mit der ziemlich nüchternen Bilanz des zeitgenössischen Verhältnisses von Juden und Christen im allgemeinen trägt die aggressive

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Schärfe, mit der Cansinos Asséns dem nur leicht verfremdeten „doctor Florido" dessen philosemitische Aureole raubt, den Charakter einer verbitterten Totalabrechnung. Neben kleinen polemischen Spitzen an die Adresse sephardischer Spaniennostalgiker, denen, wie dem zitierten Don Menahém Pinhas, „alles in Spanien imponierte", hat der Autor vor allem in „Otra vez el éxodo" mit dem vermeintlichen Judenfreund abgerechnet. Zunächst bricht er, so hat es den Anschein, für Pulido und dessen „campaña de reparación histórica" jedoch eine Lanze, wenn er (ebd.: 169) ihn, freilich mit leichter Ironie, als selbstlosen Idealisten porträtiert: „Por culpa de los judíos había perdido el rectorado de la gloriosa universidad salmantina; por culpa de los judíos, no había llegado a ser ministro, en un país donde lo era cualquiera. Ni siquiera había vendido la edición de aquel infolio voluminoso que consagrara a ensalzar las virtudes de los sefardíes con un verbo elocuente e inagotable." Vermutlich deshalb, so der Erzähler, geht es dem „neuen Moses" inzwischen nicht mehr gut: „El Dr. Florido perdió el sueño, tenía crisis frecuentes de llanto y cuando lo visitaba un sefardí, lo recibía con imprecaciones y reproches violentos." Außer der verpatzten Karriere plagt ihn der Dauervorwurf seiner christlichen Glaubensbrüder, er habe sich an die ,goldene Internationale' verkauft: „Y yo digo ¿dónde está ese oro? ¿Es verdad que existe ese oro? Pero si fuera así", empört er sich (ebd.: 170) gegenüber einem sephardischen Gesprächspartner, „yo debía ser rico, millonario con más razón que nadie. Y estoy en la miseria." Fest entschlossen, seinem selbstverschuldeten Elend zu entrinnen, nimmt er nun doch Kontakt auf mit den legendären Herren des Geldes, „que le trataban", so das sarkastische Crescendo der Erzählung (ebd.: 172), „como a un rey de Israel y le prometían una corona de millones, a cambio de ciertas gestiones políticas." Mit einem verbalen Tremolo, das an die hoh(l)e Kunst der peninsularen Parlamentsrhetorik gemahnt, malt er (ebd.: 177) die Umrisse eines neuen sephardischen Comeback: „Dentro de muy poco - decía - , por lejos que esté usted, ha de oir grandes cosas. Vamos a repatriar en masa a todos los sefardíes de Oriente. Contamos ya con un comité de banqueros que financian la empresa. Será una cosa magnífica, incomparable, inaudita. Será algo así como el reverso del Exodo. Y yo iré para ponerme al frente de los exiliados que vuelven y así entraré en Sefard, presidiendo ese ejército de millones de hombres. ¿Qué le parece a usted?" Geblendet vom Glanz seiner eigenen kühnen Zukunftsprognosen, die ihn der Welt als neuen Moses präsentieren, mag er kleinliche Bedenken nicht hören. Auf den Hinweis eines sephardischen Freundes, seine ostentativen Beziehungen zu jüdischen Bankiers und „vendedores de perlas" könnten bestehende Vorurteile schüren und der

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Kampagne schaden, reagiert er (ebd.: 179) mit einem Wutausbruch: „Se había puesto rojo, apoplético. Golpeaba con los puños en la mesa. Se sofocaba." Darüber gerät nun ihrerseits seine ebenfalls anwesende Frau aus der Fassung, die um die Gesundheit ihres Mannes fürchtet: „Y en medio de su agitación, dejó escapar estas palabras. ,Malditos los judíos. -Qué bien hicieron los reyes católicos al expulsarlos de España!"' Das .befreiende' Wort der Gattin findet ein sofortiges Echo bei Doctor Florido: „Y el nuevo Moisés, el gran amigo de los desterrados asintió: , - Tienes razón! - Tienes razón! - No dan más que disgustos.'" Die philosemitische Patina ist damit ab: Darunter, so die drastische Demaskierung des ,Sephardenapostels', kommt auch hier die Physiognomie des gewöhnlichen Antisemiten zum Vorschein. Wenn mit den Juden kein Staat und Geld zu machen ist, lautet die bittere Botschaft von Cansinos Asséns, die in dieser Form - zumal in Spanien - wohl ihresgleichen sucht, dann sind sie für Pulido nicht mehr interessant: „Aquella noche", so der Schlußsatz dieser Erzählung (ebd.: 180); „sería memorable en sus fastos como la del 9 de Ab de 1492." Die ätzende Schärfe, mit der Cansinos Asséns in diesen Erzählungen zahlreiche Mythen im Zusammenhang mit der Kampagne Pulidos als ebensolche entlarvt - seien sie jüdisch-sephardischer oder katholischer Provenienz - , ist überraschend. Zwar sind auch in anderen Texten, vor allem in dem zitierten Roman, bereits kritische Töne vernehmbar. In den Erzählungen wachsen sie indes zu einem fulminanten Rhythmus an: Von den , lauteren' Motiven Pulidos und dem mehrheitlich judenfreundlichen' Spanien, über die sephardische ,Spanienliebe' bis hin zum aristokratischen .Antisemitismus' der Sepharden und der Scheckbuchdiplomatie einzelner Magnaten49 - der Erzähler erweist sich als Mythenzerstörer avant la lettre und vermittelt daneben einen wertvollen, weil ansonsten spärlichen Einblick in das Innenleben der jüdischen Gemeinde Madrids der Vorbürgerkriegszeit. Bedenklich ist allenfalls die Frequenz, mit der Cansinos Asséns die „physischen Merkmale der Rasse" betont: „Pero el judío", lautet eine der zahlreichen .Charakterisierungen' (ebd.: 34), „no tiene más signo de reconocimiento que sus rasgos fisonómicos, no siempre característicos, alguna palabra de ladino o idisch, algún gesto significativo, que delate un resabio de los gestos rituales." Die Penetranz, mit der er auf physische señas de identidad rekurriert, sind wohl vor allem als Unsicherheit über das zu deuten, was jüdische Identität - sei sie sephardisch oder aschkenasisch - überhaupt

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Vgl. in diesem Zusammenhang die sarkastische Charakterisierung des jüdischen Bankiers „Dr. Sauer" in „Un amor en Israel" (ebd.: 62 ff.).

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ausmacht. Neben der sephardischen Glorie des Mittelalters, die für den Autor zwar wichtig ist, durch ihre krude Instrumentalisierung aber auch fiir ihn die historische Unschuld verloren hat, definiert er (ebd.: 196), hier aus dem Munde eines reumütigen jüdischen Universalisten, die jüdische Identität vor allem negativ: „Asistimos a la lucha entre el pueblo judío y el Imperio Romano, disfrazado de Iglesia Católica. Mientras no quitemos las cruces, última forma de águila, de sobre las conciencias, el pueblo de Israel no tendrá derecho a no ser creyente." Der kritische Impetus, der in den obigen Erzählungen dominiert und der hier und da sogar in Verbitterung umschlägt, bildet zwar den Grundakkord in der Auseinandersetzung mit dem spanischen Philosephardismus der späten 20er und 30er Jahre - die Untersuchung über Los Judíos en la Literatura Española weist indessen einen höchst ambivalenten Tenor auf. Da Cansinos Asséns einer der ersten, wenn nicht der erste spanische Autor überhaupt war, der sich im 20. Jahrhundert mit diesem Thema in extenso beschäftigte, kommt dieser Untersuchung eine Schlüsselrolle zu: Sie dürfte, wie u. a. ihre Rezeptionsgeschichte - teilweise bis in die jüngste Vergangenheit - illustriert, die ambivalenten Interpretationen des Judenbildes in der spanischen Literatur stark beeinflußt haben. Weitgehend zustimmen kann man dem Autor zunächst nur dort (1937: 27), wo er den jahrhundertelangen Ostrazismus des Themas konstatiert und beklagt: „El judío desaparece, se borra en la conciencia de los españoles y sólo asomará alguna que otra vez en su literatura como figura de leyenda o vestido con los arreos históricos." Die meisten anderen Aussagen halten einer kritischen Überprüfung indessen nicht stand. Einige Beispiele: Die erste Untersuchung ist einer Raquel-Version von Vicente García de la Huerta aus dem Jahre 1778 gewidmet. Obwohl die antisemitischen Klischees dieser Bearbeitung des alten Legendenstoffes (Rehrmann 1996) unübersehbar sind, attestiert Cansinos Asséns (1937: 51) dem Autor eine durchweg lautere Gesinnung: „la obra de Huerta queda muy lejos de toda intención antisemítica, de todo propósito de influir en ese sentido sobre un pueblo que, como el español del siglo XVIII, ya había perdido hasta la noción visual del judío". Eine denkwürdige Begründung, wenn man sie zum Beispiel mit der zitierten Erzählung „Rosa Torquemada" vergleicht ... Eine ähnliche Handschrift trägt das Kapitel über Adolfo Gustavo Bécquer und dessen Prosalegende La Rosa de Pasión. Trotz der plumpen Judenstereotypen, deren sich Bécquer in dieser historischen Erzählung bedient, erteilt ihm sein Interpret (ebd.: 56) eine Totalabsolution: „Bécquer, en su ,Rosa de Pasión'

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no es un antisemita como lo es tampoco Shakespeare en su .Mercader de Venecia'; es tan sólo un artista que quiere transmitirnos una emoción de terror supersticioso". Daß Bécquer, „ese Heine sin ironía" (ebd.: 55), seine legendäre Judengestalt so überaus negativ gezeichnet hat, ergebe sich gleichsam zwangsläufig aus dem zeithistorischen Kontext: „El auge prodigioso de la casa Rothschild, que extendía sus tentáculos [!] financieros por las cuatro naciones más poderosas de Europa y parecía realizar un vasto plan de dominación política al amparo del internacionalismo económico [!], era propio a inspirar ese supersticioso temor, en que se complacen las imaginaciones románticas." Auf diese .Erklärung' aus dem Standardrepertoire des Antisemitismus greift ein Autor zurück, der sich andernorts als radikaler Kritiker dieser Klischees geriert... Auf der Basis solcher Prämissen nimmt es nicht wunder, wenn ,der einzige' 50 wirkliche Antisemit in der spanischen Literatur, den die Untersuchung zutage fördert, Adolfo Reyes ist, der mit El Carro de Asalto einen Roman vorgelegt hat, den auch Cansinos Asséns (ebd.: 117) als antisemitisch empfindet. Nicht frei von irritierenden Interpretationen sind schließlich auch die Betrachtungen zur Judenthematik in einigen Romanen von Benito Pérez Galdós. Obwohl er die durchweg juden- und sephardenfreundliche Haltung von Galdós anerkennend registriert, geht die extrem negative Charakterisierung, vor allem von Ester Spinosa (in Gloria) als „Doña Perfecta del judáísmo" (ebd.: 78) doch überwiegend an der (Roman-)Wirklichkeit vorbei: Weder ist die Mutter des sephardischen Protagonisten „la única verdaderamente odiosa" noch ein jüdischer Machiavelli, „que repite el gesto de los Reyes Católicos". Daß der berühmte Autor der Episodios Nacionales auch Sympathien für die islamischmaurische Kultur besaß, der er, zusammen mit Juden und Christen, in Aitta Tetauen als trikulturelle Allegorie auf die mittelalterlichen Convivencia seine Reverenz erwies - diesen Aspekt im Œuvre von Galdós erwähnt Cansinos Asséns jedoch mit keinem Wort. Die Gründe dürften, einmal mehr, in seinen antimaurischen Aversionen liegen: Als kulturelle Quantité négligeable waren die Mauren, d. h. Nordafrika, allenfalls als Objekt kolonialer Begierden von Interesse - mit Unterstützung der Sepharden. 50

Eine - unangemessen - leichte Kritik bleibt darüber hinaus lediglich Blasco Ibáñez vorbehalten, dessen z. T. kruder Antisemitismus (gepaart mit einem dubiosen Philosephardismus) so (ebd.: 126) kommentiert wird: „No. Blasco Ibáñez no era precisamente un amante de los judíos." In einer zwei Jahre zuvor erschienenen Zeitschriftenversion dieses Textes (1935: 54) hatte er diesem Satz noch die versöhnlerische Klammerbemerkung folgen lassen: „(Y sin embargo ese hábil levantino, asistido del don comercial, tiene no pocos rasgos de semita [...])."

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Abraham Yahuda, der seine Professur für jüdische Sprache und Literatur an der Madrider Universidad Central nach antisemitischen Dauerattacken 1922 aufgab, fand in dem bereits zitierten Brief (1997: 29) an Cansinos Asséns überaus lobende Worte für seinen „lieben Rafael": „el recuerdo de España va siempre asociado con la persona de Ud". Schließlich sei der Adressat des Briefes „quizá el único" gewesen, „quien me ha quedado fiel [...] no [...] sólo por simpatía personal y recíproca amistad, sino también porque estaba Ud. interesado únicamente en el éxito de la cosa y en el triunfo de la verdad y de la justicia históricas, sin miras a triunfos personales o conjeturas .políticas', inspiradas por un oportunismo cubierto de idealismo, cuyos protagonistas son unos Sancho Panzas vestidos de Quijotes." Das Urteil Yahudas über die Sephardenkampagne der Vorbürgerkriegszeit ist trotz aller Härte gerecht - der , Freispruch' fur Cansinos Asséns, einen der Protagonisten dieser Kampagne, jedoch nur in Teilen gerechtfertigt. Der „valor duradero", von dem Yahuda spricht, gilt vor allem dem Teil seines Sepharden-Œuvres, in dem Cansinos Asséns das buntscheckige Ideologiemosaik des Philosephardismus beschreibt. Seine Binnenperspektive gewährt dabei Einblicke, die wohl in keinen Archiven zu finden sind. Als Zerstörer von philosephardischen Mythen und Legenden hat er jedoch auch selber solche kreiert und tradiert: Noch in einer neueren, insgesamt erfreulich kritischen Studie über das Judenbild in der spanischen Literatur (Veegh 1990: 11), heißt es kritiklos-lapidar: „Die älteste Arbeit ist die von Cansinos Asséns, der sich in essayistischer Form mit zehn jüdischen Figuren der spanischen Literatur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert auseinandersetzt." Da jahrzehntelang keine anderen, kritischeren Studien folgten, besaß Cansinos Asséns de facto ein Interpretationsmonopol, das in seinen Grundfesten möglicherweise noch immer intakt ist.51 Im übrigen dürfte es vor allem das zuletzt zitierte Buch gewesen sein, das, zumindest in Fachkreisen, dem Autor eine gewisse Reputation verschaffte. Schließlich sind die ästhetischen Meriten seines sonstigen Œuvres dermaßen bescheiden, daß ihm, wie in der Sephardenthematik, eigentlich nur ein dokumentarischer Wert beigemessen werden kann.

51

Vgl. etwa die Studie von Benaim Lasry (1980).

XIV. Geschichte als intellektueller Zweikampf: Die trikulturelle Vergangenheit und Gegenwart im Werk von Americo Castro und Claudio Sánchez Albornoz Wohl selten hat die wissenschaftliche Gemeinde einem intellektuellen Zweikampf beigewohnt, der so verbissen und so lange ausgetragen wurde wie der zwischen Américo Castro (1885-1972) und Claudio Sánchez Albornoz (1893— 1984). Der Fehdehandschuh, den letzterer aufzunehmen sich veranlaßt sah, nachdem Castros Buch España en su historia. Cristianos, moros y judíos erschienen war, wurde zwar auch von den zahlreichen Epigonen der beiden

Maestros

weitergetragen. Die jahrzehntelange Polemik, die im Exil und in Spanien starken Widerhall fand (Rehrmann 1996: 250 f f ) , verlor jedoch nie den Charakter eines Duells: Hier standen sich zwei intellektuelle Kombattanten gegenüber, deren Positionen, was die historische Realität des Landes betraf, das sie beide verlassen hatten, völlig unversöhnlich schienen. Selbst als Castro schon mehr als fünf Jahre tot war, zeigte sich sein Hauptwidersacher, inzwischen selber 84 Jahre alt, so intransigent wie 1956, als seine zweibändige Antwort auf Castro erschienen war. In der immerhin 6. Auflage von España, un enigma histórico, wie Sánchez Albornoz sein Werk in Opposition zu Castro titulierte, hielt er (1986: I ff.) seinem Kontrahenten noch immer dessen angebliche „rabieta" und „sus gritos histéricos" vor und bezeichnete dessen Opus Magnum als „errónea y, a la par, funesta; errònea en su contenido y funesta frente al porvenir de España". Auch dessen Anhänger, jene „claque rumurosa" samt ihren „dislates" blieben von seinen Attacken nicht verschont - Claudio Sánchez Albornoz, einer der bekanntesten Mediävisten dieses Jahrhunderts und zeitweiliger Chef der republikanischen Exilregierung, blieb kämpferisch bis zum letzten Atemzug. Schließlich war der greise Hagiograph der „eternas e inviolables constantes históricas de España" (1982: 40) zutiefst davon überzeugt, im historischen Dauerclinch mit Castro den Sieg davongetragen zu haben: „Ningún historiador", wähnte er sich (1985: I ff.) sicher, „ha intentado seriamente invalidar mi empresa. [...] Nadie osó combatirme de frente. Sólo Castro se irritó y me injurió." Im tiefen Glauben, mit der „Providencia" im Bunde zu stehen, warnte er seine Leser ein ums andere Mal davor, sich auf die historischen Interpretationen Castros einzulassen: „por los clavos de Cristo, repito, encierren bajo siete llaves la sombría y delicuescente [sic] teoría de Américo Castro". Dabei zog Sánchez Albornoz sämtliche Reg i s t e r - auch weniger argumentative. So kreidete er Castro etwa an (ebd.: II f.), sich durch seine Rückkehr ins frankistische Spanien „erniedrigt" zu haben, und

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versuchte ihn auch dort zu treffen, wo er ihn für besonders verwundbar hielt: „Respeto todos los sentimientos raciales y por tanto la hebreofilia de Castro, proyección", so der maliziöse Verdacht des Altchristen, „de su ascendencia familiar. Mal consejera empero para juzgar del ayer de España y para enfrentar su futuro." Harter Tobak für einen Autor, der noch in jüngeren Jahren (1958: 231) geschrieben hatte: „Deseo vivamente que ,las canas no se tornen lanzas' y he de esforzarme para lograrlo." Daß es anders kam, hatte zumindest ein positives Ergebnis: Im akademischen Milieu des Exils und der Halbinsel erreichte das Interesse an der trikulturellen Geschichte zweifellos seinen Zenit. Zugleich trug Sánchez Albornoz ungewollt dazu bei, daß der Nachruhm seines Widersachers seinen eigenen deutlich überschattete. Denn trotz seiner kämpferischen Verve ist sein Werk inzwischen eher der Vergangenheit anheim gefallen: Nachdem er vom historiographischen Schützengraben zur Ewigen Ruhestätte übergewechselt war, verlor offenkundig auch das geschichtsinteressierte Publikum einen Gutteil seines früheren Interesses an seinen Geschichtsvisionen, die es früher, wenn auch eher aus der akademischen Etappe, entweder beklatscht oder kritisiert hatte.1 Während die Kurve seiner wissenschaftlichen Beachtung deutlich fiel, konnte sich der publizistische Kurswert von Américo Castro dagegen behaupten - wenn auch wohl vor allem unter seinen ausländischen Lesern. Noch heute, mehr als ein halbes Jahrhundert nachdem sein monumentales Hauptwerk España en su historia. Cristianos, moros y judíos das Licht der Welt erblickte, ist es Gegenstand überschwenglichen Lobes: Heutzutage über die Araber in Spanien, ja über das mittelalterliche und klassische Spanien überhaupt schreiben zu wollen und dabei von Castros Sicht der peninsularen Geschichte abzusehen, heißt es bei Hottinger (1995: 12), „wäre dem Versuch vergleichbar, sich mit moderner Physik zu befassen, aber die Relativitätstheorie abzustreiten". Diesem Lob schließt sich Tedeschi (1992: 36) uneingeschränkt an: Jeder Historiker, der sich mit dem spanischen Mittelalter beschäftige, „no puede no llegarse a las indiscutibles conclusiones de Américo Castro". López Baralt (1989: 33) räumt zwar „equivocaciones, errores y hasta exageraciones del maestro" ein, bezeichnet sein Werk dennoch als den wissenschaftlichen Referenzpunkt: „a partir de los estudios de Américo Castro [...] resulta muy difícil desentenderse de la dimensión semítica de la cultura española". Eine der letzten offiziellen Ehrerweisungen bestand in dem Versuch des frischgekührten Königs Juan Carlos (Abellän/Monclüs 1989: 536), den streitbaren Historiker und Politiker zur Rückkehr nach Spanien zu bewegen - vergeblich. Er kehrte erst kurz vor seinem Tode in seine Heimatstadt Avila zurück.

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Und Márquez Villanueva (1997: 11), renommierter Harvardwissenschaftler und Schüler des Maestro, erinnert an den Status quo ante: „No será fácil, tal vez, para muchos [...] imaginar los tiempos .felices' en que aún no existía la obra de Américo Castro y la lista de los reyes godos señoreaba sin contraste en las aulas. [...] Pero hubo de veras unos días en que, a no ser arabista o hebraísta, nadie hablaba de moros ni judíos, de convivencia, de limpieza de sangre, de tocinofobia ni de otros grandes temas que hoy son no sólo caballos de batalla para la crítica, sino parte no pequeña de la cultura general de los españoles." Doch auch innerhalb Spaniens werden noch immer Lanzen für Américo Castro gebrochen. Eine der entschiedensten Verteidigungsreden der vergangenen Jahre stammt aus der Feder des katalanischen Autors Eduardo Subirats. Er (1993: 188) attestierte dem ehemaligen Princeton-Professor: „La obra de Castro debe contemplarse bajo el aspecto central de su descubrimiento de un diálogo entre las tres culturas históricas españolas, la judía, la árabe y la cristiana, sin embargo truncado a lo largo de la historia moderna de España, y precisamente hasta el día de hoy." Subirats weist aber zugleich und wohl zu Recht darauf hin (ebd.: 150), daß auch das Werk Castros inzwischen längst nicht mehr die akademische Aufmerksamkeit auf sich ziehe, die es eigentlich verdiene. Statt dessen, so seine Sicht der Dinge (ebd.: 149), dauere unter der Hand eine Geschichtsschreibung fort - „un histórico racismo social y cultural contra ,moros' y judíos'" - , deren Hauptkoordinaten, „hasta ahora indiscutidos", u. a. von Sánchez Albornoz stammten. Unabhängig von der Frage, ob diese Schwarz-weiß-Bilanz stimmt oder nicht: Der alte Streit der Titanen ist augenscheinlich noch immer nicht zu Ende. Was die beiden hier untersuchten Hauptprotagonisten betrifft, so ging ein Teil der polemischen Schärfe, wie man vermuten darf, auf das Konto des Exils. Das persönliche und kulturelle Niemandsland, auf dem sich die Kontrahenten bewegten, von der politischen Hoffnungslosigkeit ganz zu schweigen, war ein Nährboden, auf dem Rechthaberei, Pedanterie und persönliche Animositäten gut gedeihen konnten. Denn in zahlreichen Punkten zogen Castro und Sánchez Albornoz duchaus an einem Strang. So hantierten beide mit zentralen Versatzstücken der Hispanidad - mit historischen .Essenzen' und spanischer ,Glorie', die sie wortreich besangen, etwa die .Entdeckung' und Eroberung Amerikas (Rehrmann 1996: 508 ff.). Für die Annahme einer partiellen Eintracht in Zwietracht, die u. a. durch die Bedingungen des Exils aus dem Gleichgewicht geriet, spricht auch die Tatsache, daß Castro - im Gegensatz zu der Pionierrolle, die ihm die oben zitierten Autoren zuschreiben - eigentlich keine bahnbrechenden

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Neuigkeiten zu bieten hatte und auch nicht bieten konnte: Die trikulturelle Geschichte des Landes war schon lange kein Geheimnis mehr, das nur darauf wartete, von einem kühnen Historiker-Demiurgen gelüftet zu werden. Oder waren die über hundert Jahre, die seit der Renaissance des Themas mittlerweile verstrichen waren, völlig spurlos an den Köpfen vorbeigegangen? Und noch ein Faktor ist geeignet, die ferne Nähe, die Castro und Sánchez Albornoz stets miteinander verband, zu erklären: „Ein Teil der Erbitterung, mit der man aufeinander losging", schreibt Dressendörfer (1999: 125 f.), „ist schlicht dem Umstand geschuldet, daß beide Kontrahenten aus der Schule des inzwischen zum Kirchenvater der spanischen Historiographie verklärten Ramón Menéndez Pidal stammen. Erbschaftsstreitigkeiten sind immer unerfreulich und besonders dann, wenn über die Natur der Erbschaft keine Einigkeiten besteht." Denn der eigentliche Inhalt der Debatte, so Dressendörfer, sei nämlich trotz des gewaltigen Berges an Literatur, die sie hervorgebracht habe, kaum zu definieren. Wenn damit gemeint ist, daß beide Autoren in zentralen historischen Fragen mehr einte als trennte, dann war der spanische Historikerstreit tatsächlich in großen Teilen ein Scheingefecht. Aber eben nicht nur: Daß ihre Erben sich hier und da noch immer in unfruchtbaren Diadochenkämpfen verzehren, hat wohl auch damit zu tun, daß das jeweilige Erbe, um das gestritten wird, häufig nur unzureichend bekannt ist. Vieles, so scheint es, was die jeweiligen Anhänger und Gegner über die Kontroversen der beiden Kulturhistoriker geschrieben haben, ist mehr Reflex als Reflexion, ist eher Ausdruck einer selektiven Rezeption als einer kritischen Gesamtlektüre. Nur so ist es wohl zu erklären, daß zahlreiche Autoren, die sich - aus guten Gründen - auch heute noch auf Castro berufen (etwa einige der oben zitierten), kein Wort darüber verlieren, daß es genauso gute Gründe gibt, gewichtige Teile seines Werkes ad acta zu legen. Die folgenden Seiten enthalten einige Vorschläge, die Spreu vom Weizen zu trennen.

1. Die trikulturelle Geschichte und „tausend Jahre Hispanidad": Américo Castro Nach Ansicht von Márquez Villanueva (1997: 14) beruht die Erfolgsgeschichte von España en su historia. Cristianos, moros y judíos, seine begeisterte Aufnahme und die aggressive Zurückweisung, auf Castros uneingeschränkter Identifikation mit der trikulturellen Geschichte: „Proponía Castro, a partir de un concepto radicalmente distinto, la incorporación del legado semítico no, como

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Menéndez Pelayo a modo de entidad separada aunque imposible de ignorar, sino como elemento decisivamente integrado y hasta cierto punto integrador." Das ist jedoch, wie ich zeigen möchte, nur die halbe Wahrheit; deren andere Hälfte wirft durchaus dunkle Schatten auf den ,Philosemitismus' des Autors: „Llamado alguna vez ,mitoclasta nacional', Castro me parece", heißt es treffend bei Nicolas G. Round (1995: 558), „menos un debelador de mitos que un suplantador de mitos viejos por nuevos." Und die, vor allem die Judenmythen, so meine Überzeugung, 2 haben sicher erheblich zur Erfolgsgeschichte des Buches beigetragen. Eine der ältesten Mythen, gegen die Castro zu Felde zog, betraf die historische Genealogie Spaniens. In ketzerischer Zurückweisung eines quasi zeit- und geschichtslosen Spaniertums, wie es etwa Unamuno in seiner Felsenmetaphorik besungen hatte, bezeichnete er (1983: 13 f.) die Fiktion eines perennierenden Dauerspaniens richtigerweise als „espejismos retrospectivos": „Creíamos que sobre aquella supuesta España cayó el accidente de la presencia indeseada de musulmanes (y de judíos), y que al marcharse éstos, España regresó a su eterno ser, después de un enojoso intermezzo de 800 años." In späteren Jahren ist Castro mit den quasi paläolithischen Spanieninterpretationen noch härter ins Gericht gegangen. In einem Aufsatz aus dem Jahre 1970 (1990: 21 f.) bezeichnete er als „mitografia" all jene Prätentionen, die bereits diejenigen zu Spaniern machten, die im 2. Jahrhundert vor Christus gegen die Römer gekämpft hätten. Nicht einmal die Leonesen und Kastilier des 11. Jahrhunderts hätten sich als Spanier empfunden - „un nombre dado por peregrinos del sur de Francia (a principios del siglo XIII) a los varios y dispares habitantes de los reinos cristianos que había que cruzar para ir a Santiago de Compostela". Und noch später erst hätten die so Bezeichneten den Begriff übernommen: „porque la existencia y el tener convivencia de ser españoles los habitantes de la Península son fenómenos del siglo XVI". Obendrein verfahre man dabei, und das bis in die Gegenwart, ausgesprochen selektiv: Die beiden Hauptirrtümer der spanischen Geschichtsschreibung, resümiert Castro damit zugleich die Erfahrungen, die er mit der Mehrheit seiner Gegner machte, „son imaginar una base española a cuantas gentes existieron en la Península, y el rechazo y no reconocimiento de la acción de moros y judíos (positiva o negativamente) en la estructura del vivir español." Für das Grundgerüst seines Argumentationsgebäudes ist die Zurückweisung eines statischen Spanienbegriffs natürlich eine Grundprämisse: Da Spanien, wie man es später verstand, zur Zeit der islamischen Invasion noch nicht existierte, Die Wirkungsgeschichte des Buches ist bislang kaum untersucht worden.

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können Mauren und Juden, die die Geschicke des Landes fortan entscheidend mitbestimmten, schlechterdings nicht als nationale Fremdlinge aussortiert werden. Vor allem deshalb nicht, so Castro, weil sich die Invasoren mit den Einheimischen vermischten: „Conviene insistir en el hecho, muy sabio", wiederholt und illustriert er (1995: 53 f.) immer wieder aufs neue, „de que durante la Edad Media no hubo completa separación geográfica y racial entre cristianos y musulmanes". Es war jene Vermischung, lautet seine zentrale These (ebd.: 14), die dazu führte, „[que] ni en Occidente, ni en Oriente hay nada análogo a España". Folglich führe es in die Irre (ebd.: 142), ganz Europa, vor allem die Zeit vom 8. bis zum 15. Jahrhundert, begrifflich zu homogenisieren: „el concepto de Edad Media es una abstracción que sirve para poco cuando nos enfrentamos con la realidad inmediata de un grupo humano en un momento dado." Ein harter Brocken für all jene, die den Schlachtruf Montesquieus, hinter den Pyrenäen beginne Afrika, noch immer als nationale Beleidigung empfanden. Ein gewisses Unbehagen dürfte vielen zeitgenössischen Lesern auch die Eindeutigkeit bereitet haben, mit der Castro die islamische Kultur - „en muchos aspectos superior" (ebd.: 296) - den kargen Manifestationen der christlich-westgotischen Traditionen gegenüberstellt. In Sprache, Wissenschaft und Literatur überall habe sich der maurische Einfluß bemerkbar gemacht: „El islam dio a Europa matemáticas, filosofía, medicina, poesía, técnicas varias", zählt er (ebd.: 136) die Highlights der maurischen Kultur auf, „y además ofreció el bello espectáculo de ciudades como Sevilla, Córdoba y Almería, enlazadas comercialmente con el Norte de Europa. Pero los reynos cristianos apenas si podían ostentar nada, fuera de la merced insólita que Dios les había ofrecido con el cuerpo de Santiago." Überall hätten sich die Christen vom Islam „verfuhren" lassen, und das auch ganz wörtlich: „La más alta sociedad castellana", spielt er (ebd.: 292) auf die erotische Convivencia an, „no temía ya a la morisma [...] y, desde el arcipreste [de Hita, N.R.], no esquimaba con horror la belleza de la mujer." Die Gründe dafür (ebd.: 309) lägen auf der Hand: „Para la literatura religiosa o moral de la Edad Media cristiana, la mujer simbolizó el pecado; en la literatura árabe del mismo tipo la mujer fue, a menudo, un incentivo en la marcha hacia Dios". In der Alltagskultur, vor allem in der Hygiene, fänden die erotisch-moralischen Gegensätze ihre Entsprechung: „Si poseyéramos un mapa de los pueblos con baño en la España medieval", schreibt der um bildhafte Vergleiche nie verlegene Autor (ebd.: 82), „tendríamos un dato importante para medir el área de la influencia musulmana." Die retrospektiven Spanien-Fiktionen, die Überlegenheit der maurischen Kultur und, zumindest partiell, die ethnisch-kulturelle Vermischung der verschie-

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denen Bevölkerungsgruppen - diese Facetten von Castros Interpretation der Geschichte fuhren zwangsläufig zur Negation eines weiteren Hauptpfeilers der konservativen Historikerzunft: der Schimäre einer christlich-nationalen Reconquista. Da Spanien als nationale Einheit noch nicht existierte, verliere das Präfix „Re", insinuiert Castro (ebd.: 338), in den ersten Jahrhunderten der islamischen Dominanz seine Berechtigung: „La Reconquista no devolvía tierras cristianas a Castilla, sino grandes núcleos de población islámica, altamente civilizada, o zonas desiertas que habían de repoblarse con urgencia. [...] Es verdad que algunos nombres latinos persistían: Córdoba, Toledo, Valencia. ¿Pero qué continuidad hallaron los conquistadores entre la capital de los visigodos y la que ganaban en 1085, fuera de la topografía y algún monumento romano?" Das gelte auch für die religiöse Komponente, wie er (ebd.: 198 f.) unter Berufung auf zeitgenössisch-christliche Autoren schreibt: „los moros deben ser combatidos, no porque profesen una religión falsa, sino por ocupar indebidamente tierras que son de los españoles cristianos". Der religiöse Eifer der Christen, erst in späteren Jahrhunderten ein wichtiger Faktor, habe um so weniger Sinn gemacht, als der Islam in religiösen Angelegenheiten nach der Laisser faire-Devise verfahren sei: „El Alcorán, fruto del sincretismo religioso", schreibt Castro (ebd.: 199) in ketzerischer Terminologie, „era ya un monumento de tolerancia, 3 puesto que fundía las creencias islámicas con las del judaismo y el cristianismo." Und so habe auch die trikulturelle bzw. trireligiöse Realität ausgesehen: „Hasta fines del siglo XI, prescindiendo de violencias asiladas, los sarracenos dejaron en paz dentro de sus ciudades a quienes no perturbaban la suya." Selbst noch in späteren Zeiten, nachdem Almoraviden und Almohaden die herrschende „Laxheit" weitgehend durch „Rigidität" ersetzt hatten, ließ der Schwanengesang auf die Convivencia der maurischen Zenitepoche noch eine Weile auf sich warten: „Se continuó conviviendo y tolerando hasta que, a la postre, Iblis o el destino convirtió todo aquello en un polvo dorado de grandezas trashumantes, la más espléndida caravana de nuestra historia." Von Córdoba zog diese Karawane, um im Bilde zu bleiben, ins christliche Toledo (ebd.: 205), wo sie namhaften Zulauf erhielt: „Durante los años de convivencia cristiano-islámico-judía, la comunicación espiritual entre las tres creencias hizo posible que Alfonso el Sábio fundara en el Alcorán su doctrina de la tolerancia, sin sentir en ello ofensa para 3

Dabei ist sich Castro (ebd.: 565) darüber bewußt, daß der „Toleranz"-Begriff historisiert werden muß: „Insistimos en la necesidad de no confundir el actual concepto de tolerancia con el de los hispano-cristianos, de no aplicar a un fenómeno histórico el concepto-categoría de otro."

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la Iglesia de que era hijo fiel. Más aquello pasó, y la vida española tomó otros rumbos." Bis zu diesem Wegabschnitt mag man der Karawane Castros ohne große Mühe folgen: Die Markierungssteine, die ihr intellektueller Führer auf den bisherigen Wegen setzte, sind überwiegend wohl plaziert. Erste Orientierungsprobleme, die sich mit Blick auf die Juden als historischer Irrweg par excellence erweisen, sind allerdings bereits hier, im Umkreis der Maurenthematik unübersehbar. So dichtet der Autor (ebd.: 198), der mit seiner Wertschätzung für den peninsularen Islam nicht hinter dem Berg hält, diesem die Paten-, ja die Vaterschaft an dem betont kriegerischen Katholizismus an, der in Santiago el matamoros seinen himmlischen Heerführer fand: „Se ve que en las cimas de la cultura española durante los siglos XIII y XIV se daba a la guerra, ya multisecular, un sentido paralelo al de los musulmanes, y esa creencia de pura inspiración islámica [Hervorhebung von mir, N.R.] desborda en las palabras del arzobispo don Rodrigo, de Alfonso el Sabio y de su sobrino don Juan Manuel." Im martialischen Santiago-Kult, für Castro ein durchaus zweischneidiges Schwert, habe sich diese Partikularität des spanischen Katholizismus (ebd.: 130), später noch durch den „Beitrag" der Conversos angereichert, ideologisch am klarsten verkörpert: „El obispo medieval, si era físicamente apto, combatía como cualquier hijodalgo. Siendo Santiago, a quien España había hecho voto de servir siempre, una divinidad bélica, no se ve por qué no habrían de serlo los sacerdotes encargados de su culto; si los obispos y abades eran hombres de guerra, parece obvio que también lo fueron los canónigos y clérigos inferiores." Dieser „entgegengesetzte Glauben", so Castro (ebd.: 135), „y, en cierto modo" dem maurischen ähnlich, wurde zum „grito nacional de guerra, opuesto al grito de los sarracenos." Santiago als ideologisches Gegenbanner des Islams - was auf den ersten Blick durchaus plausibel erscheint,4 entpuppt sich bei genauerer Betrachtung jedoch als reichlich konstruiert: „Darse a la ascesis mística y verter sangre enemiga", meint Castro (ebd.: 185) zu wissen, „eran tareas compatibles para el musulmán, porque en él se borraban las distancias entre lo corporal y lo espiritual, entre lo mundano y lo divino." Und das trotz der Tatsache, daß die Mauren in praxi, wie er ein ums andere Mal betont, ein Vorbild an Toleranz und religiösem Laisser faire gewesen seien. Wieso war es dann nicht diese tolerante Praxis, fragt sich der verdutzte Leser, an der sich die Christen ein Beispiel

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Wie so häufig, findet Castro (ebd.: 135) ein .beweiskräftiges' Zitat in der Literatur, hier aus dem Cid: „,Los moros llaman Mafómat, e los cristianos Santi Yagüe!"

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nahmen? Und waren nicht die christlichen Doktrinen, auch die Varianten diesseits der Pyrenäen - vom islamischen Virus völlig frei geblieben - , im Prinzip genauso anfällig für fanatischen Eifer wie die auf der Halbinsel? Solche Fragen hat sich Castro, als er den Santiago-Kult und mit ihm den kriegerischen Katholizismus a la española auf der Haben-Seite des Islams verbuchte, augenscheinlich nicht gestellt. Von Spanien aus, so deutet er (ebd.: 185) an, habe sich die religiöse Intransigenz sogar allmählich den Weg über die Pyrenäen gebahnt: „Así penetraba en la cristiandad europea una doctrina y unos hábitos familiares al Islam desde hacía siglos, aunque nueva e inaudita para los monjes franceses del Cister y de Cluny." Castros Maurophilie, das machen diese Zeilen deutlich, hat seinen Preis: Das Abendland ging zwar im Morgenland zur Schule, hat sich aber dabei, leider, religiös infiziert! Über die Gründe, die Castro zu dieser negativen Akkulturationstheorie inspirierten, kann man nur spekulieren. Einer, vielleicht der wichtigste, dürfte in seiner casta-Kategorie zu suchen sein - jener ,Überbautheorie', die von seinem Widersacher Claudio Sánchez Albornoz besonders heftig angegriffen wurde. Und dafür gab es durchaus gute Gründe. Castro zufolge (ebd.: 566 ff.) teilten die beiden „castas sometidas", also Mauren und Juden - und damit meint er offenkundig bereits die Spätphase der Reconquista - , keine gemeinsamen Wertvorstellungen. Die materiellen und geistigen Produkte, die Mauren und Juden schufen, seien zwar von den Christen zur „Befriedigung konkreter Bedürfnisse" akzeptiert worden, hätten sich jedoch nie, da sie aus der Sicht der Christen von den „castas inferiores" stammten, in „valores socializables" verwandelt: „El producto era bueno, pero sus productores no se convertían en una clase social legitimada, ni recibían la estima relativa a que eran acreedores." Weil sie, die Christen, die produktiven und intellektuellen Tätigkeiten als genuin maurische bzw. jüdische Tätigkeit interpretierten, hätten sie diese Tätigkeiten, wiewohl sie von ihnen profitierten, im Grunde verachtet: „La producción de riqueza no fue entonces índice de valor para la casta cristiana, que necesitaba y al mismo tiempo desdeñaba el dinero. De no haber sido así, el hermetismo de la casta se hubiera roto y las castas infieles se habrían infiltrado en la de los señores con daño para su existencia como tal casta." Auch hier also der gleiche Mechanismus wie im religiösen Bereich: Als Reaktion auf Mauren und Juden verbarrikadierten sich die Christen hinter den dicken Mauern ihrer Weltanschauung, ließen sich von außen nur mit dem Nötigsten verproviantieren und widmeten sich ansonsten ihrer eigentlichen Berufung: „el español", schreibt ihr durchaus stolzer Nachfahre (ebd.: 571), „se lanzó a henchir el planeta de resonancias heroicas; de

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belleza expresada en palabras, colores y formas arquitectónicas. Ninguna historia había producido antes del siglo XVI tanta profusión de héroes y caudillos que jugaban con los mayores obstáculos de la naturaleza y ganaban siempre". Dieser Idealismus „sin engranajes objetivos" erreichte ungeahnte Höhen: „se seguía creyendo a pies juntillas", verleiht ihnen Castro (ebd.: 173) wieder einen bildhaften Ausdruck, „que la vida se decidía en el cielo, y que allá se encontraba una secretaría especial de asuntos hispánicos". Trotz der schönen Metapher: die cajía-Theorie, wiewohl sie einige Tendenzen der spanischen Geschichte sichtbar macht, ist doch eine gigantische Hypostasierung der Wirklichkeit, die so idealistisch, wie Castro behauptet, nie gewesen ist. Es klingt (ebd.: 263) geradezu absurd, „[que] España nunca planeó su existencia con vistas a un futuro de realizaciones materiales, sino con la mira puesta en una eternidad celestial o de fama imperecedora."5 Für seine Sicht der Mauren (und später der Juden) hat diese Interpretation indessen weitreichende Konsequenzen: Die Anfälligkeit der Christen für die Viren der moslemischen Theokratie war deshalb besonders groß - schließlich waren sie als quasi sphärische Überbauexistenzen nicht im realen, sprich: materiellen Leben verankert und damit gegen den religiösen Impetus des Islam immunisiert. Hätten sie sich dagegen als Klasse konstituiert, was Castro (ebd.: 594) rundweg bestreitet - „en realidad formaban también otra casta, no otra clase" - , dann wäre ihnen und der ganzen spanischen Geschichte womöglich ein anderes Schicksal beschieden gewesen. Es kam indessen, wie der Autor insistiert, ganz anders. In Gestalt einer trikulturellen Arbeitsteilung, der die drei „Kasten" scharf voneinander trennte, verfestigten sich die religiös-kulturellen Demarkationslinien zu quasi materiellen Strukturen (ebd.: 203) - mit Langzeitwirkung: „el pueblo cristiano guerreaba o trabajaba la tierra, el moro le labraba las casas y el judío lo señoreaba como agente del fisco y como hábil técnico." Castros extremer Psychologismus, in seiner Kastentheorie pseudowissenschaftlich verbrämt, speist sich auch noch aus anderen - trüben - Quellen. Hier sei, und das obige Zitat ist dafür eine gute Überleitung, zunächst sein Bild der mittelalterlichen Juden und Conversos resümiert. Es ist, wie die Zuschreibung 5

Dem negativen Einfluß der „castas inferiores" ist Castro zufolge sogar das schließliche Scheitern des spanischen Kolonialismus geschuldet: „La teocracia hispánica, la imposibilidad de organizar a España o a Hispano-América como un estado puramente civil, afirmando en intereses y realidades y no en magias personales", schreibt er (ebd.: 97), „no es sino un remoto eco del espíritu islámico y del judaico." Denn die Eroberung der neuen Welt „no se debió al predominio de ninguna doctrina económica".

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der sozialen Rollen innerhalb der trikulturellen Arbeitsteilung bereits erkennen läßt, genauso, nein: noch ambivalenter als sein Maurenbild. Darüber können auch allgemeine Aussagen (ebd.: 447), die eher philosemitisch klingen, nicht hinwegtäuschen: „La historia del resto de Europa puede entenderse sin necesidad de situar a los judíos en un primer término; la de España, no." Allemal aufschlußreicher ist es, welchen konkreten Stellenwert er den Juden zuschreibt. Da ist vor allem ihr kultureller Beitrag, den Castro (ebd.: 450), wie nicht anders zu erwarten, entsprechend hoch bewertet - und zwar in Relation zum jeweiligen politischen Kontext: „Cuando el Islam español alcanzó la cumbre de su vitalidad en el siglo X, comenzaron también a surgir las grandes personalidades judías." Nach dem Ende des Kalifats verlagerte sich das kulturelle Schaffen (ebd.: 455) an den Hof von Alfons X: „A Toledo y a otras ciudades vinieron gentes ávidas de saber, que empleaban a judíos españoles como intérpretes de los preciados manuscritos árabes. [...] A través de ellos [...] pasaba a Europa el saber de los musulmanes (filosofía, astronomía, matemáticas, medicina)." Eine „entscheidende Rolle" (ebd.: 474) mißt Castro den Juden am Hofe des weisen Königs nicht zuletzt bei der Grundsteinlegung der kastilischen Literatur zu, „de las primeras obras en prosa docta escrita en castellano". Kein geringes Kompliment für einen Autor, dem Sprache und Literatur besonders am Herzen lagen und fiir den die Literatur eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Quelle seiner historischen Forschungsarbeiten darstellte. Nein, was diese Passagen seines Buches betrifft, befand sich Castro in einer bereits langen Ahnenreihe wissenschaftlich-intellektueller Vorläufer, deren Wissen er durch brillante Interpretationen literarischer Werke bereicherte. Auf diesem Terrain war der versierte Philologe allemal zu Hause. Orientierungsprobleme, die ihn auf absurde Irrwege führten, hatte er dagegen dort, wo es um die sozialen und politischen Realitäten ging. Etwa um die ökonomische Bedeutung der mittelalterlichen Juden, wie sie bereits in seiner Theorie der trikulturellen Arbeitsteilung angeklungen ist - eine Theorie, die er (ebd.: 486) in zahlreichen Varianten hartnäckig wiederholte: „La artesanía, el comercio y lo equivalente a las instituciones bancarias fue en la Edad Media patrimonio casi exclusivo de los hipano-hebreos. Cosas parecidas", meinte er zu wissen, „acontecían en donde quiera que hubo judíos, pero la situación en España llegó a extremos únicos." Damit zielte Castro nicht auf einzelne Juden, die sich, zumeist am Hofe christlicher Herrscher, durch Geldberufe und finanzielle Transaktionen exponiert hatten; damit zielte er, wie schon die regelmäßige Verwendung des Gattungsartikels „el judío" illustriert, auf alle Juden: „Durante los largos siglos

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de la opresión y persecución cristianas", schreibt er (ebd.: 484) beispielsweise, „el judío se hizo usurero [...] contrariando la letra y el espíritu de su ley". Noch größer fällt das Klischee der reichen und damit mächtigen Juden in einem späteren Text (1990: II, 179) aus: „Llegaron a poseer más de cien sinagogas y su poder, gracias a la protección de los reyes y de los grandes señores, fue a veces [Hervorhebung von mir, N.R.] muy considerable. Eran ricos y cultivaban las artes liberales". Diese Sichtweise, die der historischen Forschungsliteratur diametral widerspricht - so waren zahlreiche Untersuchungen ausländischer Autoren schon lange erschienen wird allerdings, wie der Hinweis auf die Verfolgungsgeschichte andeutet, mit folgendem Zusatz (1983: 484) ,erklärt': „porque sólo así pudo mantenerse a flote en sociedades que lo excluían de sus ocupaciones normales." Diese Erklärung, wiewohl sie keineswegs falsch ist, gilt doch in erster Linie für die Bedingungen jüdischen Lebens diesseits der Pyrenäen. Im spätmittelalterlichen Spanien gelangte diese Situation nicht nur nicht „a extremos únicos", wie Castro zu wissen vermeinte, in Spanien waren die Juden sogar viel weniger von normalen ökonomischen Tätigkeiten ausgeschlossen als im sonstigen Europa. Deshalb klingt auch Castros Verteidigung der Juden (ebd.: 498) wie eine versteckte Anklage: „Los señores cristianos se libraban de quebraderos de cabeza al entregar el cuidado de sus bienes al buen postor judío, ducho en tratar con cosas tangibles; tal entrega significaba romper la unidad moral entre vasallos y señores, y especializar al judío en la antipática tarea de estrujar al pobre en beneficio del rico."6 Wie auch immer: An der als sachliche Feststellung drapierten Behauptung, die Juden hätten sich vor allem durch Geldgeschäfte hervorgetan, ändert Castros Erklärung keinen Deut. Nicht zuletzt deshalb, weil sich die Juden bei der Ausübung ihrer „unsympathischen Aufgabe" keineswegs Asche aufs Haupt gestreut hätten: „El judío", schreibt er (ebd.: 453) sogar, „pudo así vivir con holgura, y saborear las delicias de ejercer su poder y ostentar su superioridad sobre la casta de los señores." So kam, suggeriert er (ebd.: 496), was kommen mußte - und das mit der Unvermeidlichkeit einer griechischen Tragödie:7 „El pueblo no toleraba ya la posición preeminente de los hispano-hebreos [...] le irritaba la superioridad 6

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Dabei war Castro (ebd.: 452) immerhin so fair, den Wucher-Vorwurf auch gegen christliche, noch weitaus dreistere Varianten zu richten: „Durante la Edad Media, el interés usual osciló entre 33 y 43 %; en el siglo XVI, después de la expulsión de los judíos de Nápoles (vivamente propiciada por los usureros genoveses y florentinos), los prestamistas cristianos llegaron al 240 %." Genauso sah es Castro (ebd.: 343): „La tragedia de España consistió en necesitar imperiosamente a los hispano-hebreos y en no poder incorporarlos a la vida colectiva."

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económica y técnica de sus compatriotas semitas". Der erste Akt dieser Tragödie wurde 1391 aufgeführt, als „la Iglesia - pueblo", wie Castro (ebd.: 495) sich ausdrückt, ihren Haß auf die Juden in landesweiten Pogromen ventilierte. Hier sah er zwar auch „las masas ciegas" am Werk, die von religiösen Scharfmachern wie Ferrán Martínez „aufgehetzt" wurden; an der behaupteten Einheit von Volk und Kirche in ihrer „Wut" gegen die Juden macht Castro jedoch keine Abstriche: „la Iglesia era pueblo". Eine bemerkenswerte Gleichsetzung von Hetzern und Verhetzten... Doch damit nicht genug: Die blutigen Ereignisse von 1391, die für die spanischen Juden in der Tat eine tiefe Zäsur markierten und sich unter anderem in den Zwangskonversionen en masse manifestierten, hält Castro für den politischen Nährboden, auf dem die Statuten zur Reinheit des Blutes und später die Inquisition gediehen - ein Nährboden allerdings, den die Juden bzw. die Conversos selber bestellt hätten. Unter dem nun drastisch verschärften Verfolgungsdruck, so seine absurde These (ebd.: 513) einer jüdischen Erfindung der „Blutreinheit", hätte die in die Enge getriebene Minderheit eine Art rassisch-religiöser Notbremse gezogen: „De ahí su exclusivismo religioso, que el cristiano no sentía antes de fines del siglo XV [...]. Quienes realmente sentían el escrúpulo de la limpieza de sangre eran los judíos." Mit zahlreichen Beispielen aus der zeitgenössischen Literatur und aus der jüdischen Rechtsprechung innerhalb der aljamas versucht Castro (ebd.: 514 f.), die These einer jüdisch-kollektiven „famahonra", die sich auf das Postulat von Blutreinheit gegründet hätte, plausibel zu machen. In völliger Verkennung der historischen Tatsachen behauptet er: „No encontramos nada semejante en la Castilla [cristiana, N.R.], de la Edad Media". Und was wir schon von den Mauren kennen, erfahren wir nun auch über die Juden (ebd.: 518): „el exclusivismo de la España católica fue un eco del hermetismo de las aljamas". Der jüdische „Hermetismus", den die Christen, durch den Einfluß des Islams bereits prädestiniert, nun allmählich kopierten, wurde, so die Lesart von Castro (ebd.: 523), durch den Einfluß der Conversos noch hermetischer: „Parece increíble, pero lo cierto es que los más duros golpes contra Israel vinieron de sus mismos rabinos luego de bautizarse." Die Juden als Erfinder der Blutreinheit - von dort aus ist es nur ein kleiner Schritt, sie auch der Erfindung der Inquisition zu bezichtigen. Und Castro (ebd.: 519) zögert nicht, diesen Schritt zu tun: „Tras de la Inquisición no había plan doctrinal de ninguna clase, sino el estallido furioso de la grey popular, al que servio de explosivo el alma envenenada de muchos conversos. La prehistoria de los procedimientos inquisitoriales debe rastrearse en las juderías de Castilla y

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Aragón." Gesagt, getan: Die intransigente Glaubensstrenge, mit der die Rabbiner jedwede Manifestation von Häresie und Apostasie verfolgt hätten - sie hätte den Christen (ebd.: 521) als Vorbild gedient: „En vista de todo ello, es lícito y razonable sospechar [Hervorhebung von mir, N.R.] que los nuevos y extraños procedimientos de la Inquisición española sean una adaptación de los usuales en las aljamas, y que el vehículo para tal mudanza se halle en los numerosos judíos que, en el siglo XV, llegaron a ser obispos, frailes y aun miembros del consejo supremo de la Inquisición." Der Verdacht, er beruht auf einzelnen Indizien jüdischer Glaubensstrenge und einzelnen Fällen fanatischer Neuchristen, wird rasch zur generellen Gewißheit: „Ellos [die Conversos, N.R.] fueron, en realidad", spricht der historische Chefankläger (ebd.: 524) nach kurzer Beweisführung sein Urteil, „los inspiradores del Santo Oficio de la Inquisición". Sie waren zugleich diejenigen (ebd.: 553), die sich der religiösen Verfolgungsmaschine am gnadenlosesten bedienten: „La herida grave producida por la Inquisición se percibe sobre todo en el embotamiento moral y de la sensibilidad, en la perversión enloquecida que impulsó a muchos conversos a lanzarse como tácitas hienas sobre sus hermanos de raza". Spricht er hier nur von „vielen" Conversos, sind es ansonsten, wie bei den Juden, meistens alle, die Conversos schlechthin. Deshalb hat Round (1995: 561) völlig Recht, wenn er Castro und seinen Epigonen vorhält: „se propone un modelo de lo que los conversos eran en términos muy generales a fin de hacerlo aplicable a la enorme variedad de expresiones y conductas cristianonuevas." Sicher, Castro räumt, wie in anderen Anklagepunkten, etwa dem Jüdischen Wuchertum", auch hier ,mildernde Umstände' ein - der politische und religiöse Druck, der auf Juden und Conversos lastete - , vergißt aber nicht hinzuzufügen, daß es sich letztlich um ein Phänomen sui generis gehandelt hätte: „Como casi todos los fenómenos de la vida española, su judaismo careció también de límite y discreción, y vino así a despeñarse desde la suma grandeza a la miseria más desastrada." Angesichts dieser Situation, dem Aufeinanderprallen unversöhnlicher „creencias, pasiones y deseos", einem gordischen Knoten gleich, hätten sich die Katholischen Könige entschlossen, entschließen müssen8 (ebd.: 491), diesen Knoten durchzuschlagen: „así [...] se 8

Den Ausschlag, so der grenzenlose Psychologismus Castros (ebd.: 555), könnte aber auch hier die ,typische Converso-Mentalität' Ferdinands gegeben haben: „¿Más no será ese mismo cerco de altos funcionarios conversos el que algún día, con textos a la vista, contribuirá a explicar realmente como Fernando el Católico pasó, casi sin transición, de una política tolerante a otra de cerrada agresividad? ¿No eran tales bruscas sacudidas muy peculiares de la psicología de los conversos? ¿No era después de todo Fernando el Católico un descendiente de conversos por parte de su madre?"

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resolvió a firmar el decreto de destierro [was es, genau genommen, nicht war, N.R.], porque no era posible manejar a un reino cuando pueblo y eclesiásticos menudos se colocaban en frente, sobre todo si había que usar al pueblo para pelear en tierras lejanas". Die historische Logik, die Castro hinter dem Edikt von 1492 am Werke sah, hat er noch in den 60er Jahren (1990: II, 180), eingebettet in die bekannten Judenklischees, hervorgehoben: „Es por tanto muy comprensible que al sentirse fuerte, el hispanocristiano tratara de deshacerse de quienes habían contribuido, en gran medida, al engrandecimiento económico y político de Castilla." An den fatalen Langzeitwirkungen, die „el judío y su alter ego el converso" (1983: 550) den Christen als Vermächtnis hinterlassen hätten, änderte jedoch auch das Edikt von 1492 nichts. Diejenigen, die blieben, die „moralisch Schwächeren", durchsetzten die christlichen Lebensformen nur um so nachhaltiger, weit über den religiösen Bereich hinaus: „Más por las mismas cauces", beendet Castro (ebd.) diesen Teil seiner paradoxen Verteidigungs-Anklage von Juden und Conversos, „entraron también el furor y el ,malsinismo' inquisitoriales, la codicia y la rapiña frenéticas, la limpieza de sangre (ligada al mismo impulso defensivo que creaba la Inquisición), el recelo de la opinión". Dornigere Rosen haben die spanischen Juden wahrscheinlich nie bekommen ... Man versteht nun besser, daß „aquella forma única de vida española", die Castro (ebd.: 509) vor allem auf die konfliktreiche Beziehung zwischen Juden bzw. Conversos und Christen zurückführt, nur sehr eingeschränkt als historisches Guthaben zu verstehen ist. Im Unterschied zum Mainstream der spanischen Historiker und Schriftsteller, die den jüdischen Einfluß, wenn überhaupt, als etwas Äußerliches abtaten, als etwas, was das hispanische Urgestein im Grunde untangiert gelassen habe - im Unterschied dazu insistiert Castro zwar auf eine gegenseitige Durchdringung (ebd.: 561), aber eine, die man im Lichte obiger Interpretationen als überwiegend negativ verstehen muß: „El cristianismo español - tal como se pone de manifiesto en la época posterior a la expulsión e intensa absorción del elemento judaico - está más lleno de resonancias hebraicas que del logos evangélico de cuño griego, y por lo mismo es radicalmente distinto de la religión europea." Noch in späteren Jahren hat Castro (1990: I, 37) diese betont negative Version der Geschichte fast unverändert wiederholt: „La desdichada adopción por parte de los españoles cristianos viejos de la idea islámicojudía de ser indisolubles la política del Estado (secular en Occidente) y el dogmatismo religioso, fue máximo obstáculo para todo intento de secularizar la cultura." Sicher, schuld daran war nicht allein der fatale Einfluß der religiösen Minderheiten; schuld, allerdings in einem geringeren Grade, waren auch die

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Christen, weil es ihnen nicht gelang, sich von ihrem ,maurisch-jüdischen Alter ego' zu befreien: „Lo que más desastrosas consecuencias ha tenido, lo que impidió que el curso de la cultura (ya española en el siglo XVI) se acoplara con el de Europa en el campo científico", präsentiert er (ebd.) aufs neue seine stark psychologistisch gefärbte Interpretation der spanischen Geschichte, „fue la desdichada creencia de que el discurrir sagaz e inteligentemente fuera cosa de judíos. Y allá fueron río abajo la matemática, la astronomía, las inmensas posibilidades que ofrecía la naturaleza de las tierras lejanas". Zumindest indirekt, so darf man Castros generelle Interpretation der spanischen Geschichte verstehen, war die historische Präsenz der Juden ein Unglück für sein Land. Etwas positiver bilanzierte er das Vermächtnis des Islams. Die Vertreibung der Morisken, die sich genauso als Spanier gefühlt hätten wie die Altchristen, sei vor allem ein ökonomischer Aderlaß gewesen (ebd.: 57), der die „typisch christlichen" Inklinationen drastisch verstärkt habe: „el moro trabajaba y producía, y el cristiano señoreaba en un éxtasis de magnificencia personal." Auch die Alltagskultur (ebd.: 83) habe schwere Blessuren davongetragen: „En 1567 tuvo lugar una solemne ceremonia y fueron derribados ,todos los baños artificiales' que había en Granada. La gente olvidó la costumbre de lavarse en España". Glücklicherweise habe sich der maurische Einfluß dennoch in einigen Bereichen erhalten: „El término medio de los doctos sabe", lautet seine (ebd.: 50) kulturelle Bilanz, „que el eco del Islam perdura en los monumentes de Córdoba, Granada, Sevilla, Toledo y otras ciudades menos importantes. En el idioma existen, vivos y anticuados, bastantes millares de vocablos árabes; la literatura se ha inspirado en fuentes árabes, desde la Disciplina clericalis que en el siglo XIII difundió 33 cuentos de procedencia oriental por la España cristiana y por Europa, hasta El criticón, de Baltasar Gracián (siglo XVII), cuyo germen se halla en un relato conservado entre los moriscos aragoneses [...]. No puede prescindirse, al pensar sobre la esencia de España, de esos novecientos años de contextura cristianoislámica." Dennoch erteilt Castro (ebd.: 55) der Moriskenvertreibung post festum seinen Segen, wie üblich aus staatspolitischer Räson. Die zwangsgetauften Mauren seien, so seine grob einseitige Bilanz des 16. Jahrhunderts, „ohne Zweifel" eine politische Gefahr gewesen und hätten mit den ausländischen Feinden Spaniens in enger Verbindung gestanden. Deshalb - die christliche Repressionsspirale bleibt so gut wie unerwähnt - habe an der Vertreibung kein Weg vorbeigefuhrt: „El problema, como tantos otros de la vida española, era insoluble, y huelga discutir si los moriscos debieron o no ser lanzados fuera de su patria." Das historische

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Fait accompli, dem Castro das Wort redet und das sich auf beide Minderheiten bezieht, verwundert nicht. Es muß, trotz seines Impetus, die maurisch-jüdische Geschichte freizulegen, vor allem als Ausdruck einer patriotischen Gesinnung verstanden werden, die der semitischen' Geschichte seines Landes keineswegs per se wohlgesonnen war: „A mí me interesan los españoles", schrieb er (1990: I, 201) denn auch in späteren Jahren relativierend, „los elementos y circunstancias humanas que hicieron posible a este pueblo único en Europa, creador de una civilización en más de un sentido universalizada. Los judíos", rückt er nun das Bild auch explizit zurecht, „para mí son un medio, pues estudiarles como tales sale de mi competencia". Hier darf man Castro durchaus beim Wort nehmen: Ihn interessierten in der Tat zuallererst die Spanier - und das in einem Maße, das auch viele seiner Gegner, inner- und außerhalb Spaniens, eigentlich erfreut haben dürfte. Denn wie die meisten seiner Zeitgenossen, besang auch er (1983: 166 f.) „esas personalidades gigantescas, héroes del esfuerzo (Hernán Cortés), héroes de la expresión (Cervantes, Velázquez), o héroes de la santidad (san Ignacio, santa Teresa); y el héroe anónimo". Allesamt „Giganten" der spanischen Geschichte, die einen Ehrenplatz im Panoptikum der Hispanidad einnehmen. Denn auch Castro war zutiefst davon überzeugt, der Hinweis auf Cortés deutet es an, daß Spanien eine glorreiche Geschichte besitze, die sich unter anderem in den überseeischen „Heldentaten" manifestiere. Nur wenig unterscheidet diese patriotischen Gesänge von denen seiner gegenwartspolitischen Widersacher, die, wie er (ebd.: 586), „la verdadera, la gran historia hispánica" enthusiastisch als „mil años de efectiva hispanidad" abfeierten. Zu den dekorativen Festvokabeln, die Castro als verbalen

Schmuck

seiner

historischen Galavorstellung aufbietet, gehören sogar (ebd.: 580) ein nationaler „afán de eternidad, una serie de cambios de decoración, que dejaban inafectado lo esencial de Hispania". Es waren wohl diese „Essenzen", die Castro im Auge hatte, als er (ebd.: 489) schrieb: „La historia de España necesita mucho menos investigación de archivos de lo que se dice, pero sí está muy necesitada de que nos fijemos en lo ya sabido". Trotz seines glühenden Patriotismus, der viele seiner Zeitgenossen zu Philosepharden gemacht hatte, hielt sich Castro, was die Kampagne Pulidos betrifft, überraschenderweise stark zurück. In seinem dickleibigen Hauptwerk finden sich nur wenige Zeilen, die sich auf die sephardische Geschichte außerhalb Spaniens und ihre Wiederentdeckung beziehen. Und diese Zeilen sind, wie könnte es anders sein, ein getreuer Reflex des hier skizzierten Judenbildes: „Todavía hoy", schrieb er (ebd.: 512) Ende der 40er Jahre, „persiste en los hebreos de la diáspora

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hispánica ese sentimiento de superioridad, lo cual es inexplicable si no lo referimos a su horizonte anterior a 1492 - la creencia en el señorío de la persona, alma de la Castilla de antaño. A través de aquella forma íntima de existir sigue el sefardí ligado vitalmente a sus adversarios y perseguidores de hace 450 años." Eine ähnliche Symbiose hatte er bereits rund zwanzig Jahre früher konstatiert, als er in der ersten Nummer der Gaceta Literaria9

einen Artikel über „Judíos"

veröffentlichte. Doch damals, schrieb er (1990: I, 161) in einem Nachtrag von 1969, war es noch eines unter vielen Themen, das ihn interessierte: „No sospechaba al escribir este artículo en 1927, la importancia que mi obra futura y explicativa de la historia cultural de España - iba a tener la presencia de los hispano-judíos en la Península." 10 Dabei sollte es auch in den folgenden Jahren bleiben. Im Flaggschiff des spanischen Philosephardismus der späten 20er und 30er Jahre, der Gaceta Literaria,

hat Castro nichts mehr publiziert. Ansonsten

tauchen die Sepharden lediglich in einem kleinen Artikel über „la cultura española en el extranjero" (1990: II, 75 ff.) aus dem Jahre 1935 auf. Dort fordert er, und das auch nur am Rande, von der Regierung „becas para estudiantes hispanoamericanos y sefardíes". Nein, die zeitgenössische Sephardenthematik hat Castro nicht sonderlich interessiert. Ohne den Bürgerkrieg und das Exil, das ihn in die USA verschlug, hätte er sich wahrscheinlich auch nicht intensiver mit der trikulturellen Geschichte befaßt: „A decir verdad, el propósito que me llevó (en 1940) a .profesar' en la orden histórica, para mí hasta entonces marginal", bekannte er (1990: I, 207) später selber, „fue el de sugerir algún procedimiento de unir a los españoles, que no consistiese en coserlos a puñaladas, en lanzarlos a la guerra .cibdana', según decía en el siglo XV don Alonso de Cartagena." Man darf ihn wohl beim Wort nehmen. In seinem Hauptwerk (1983: 102) hat er den Bürgerkrieg so erklärt: „Vista a esta luz, la Guerra Civil (1936-1939) ha sido la lucha entre la vieja religiosidad, de creación de otra órbita trascendente, vaga y nubosa,

10

Vgl. das Kapitel über die Gaceta Literaria. Nur zwei Jahre zuvor, in einem Artikel über „Las polémicas sobre España. Insuficiente educación histórica", tauchte die Convivencia-Thematik überhaupt nicht auf. Damals, die Kampagne Pulidos war bereits über 20 Jahre alt, hatte er (1990: II, 37 ff.) die „spanischen Werte" so zusammengefaßt: „España [...] figura en plano eminente dentro de la historia universal; en su haber hallamos estos valores: descubrir el nuevo mundo, poblar y civilizar una buena parte de él, influir en la literatura universal, poseer el arte de Velázquez, Goya y Picasso, con mover la historia de Europa, difundir y conservar su lengua, vencer a Napoleón, y ¡cuántas coséis más!" Von Mauren und Juden keine Spur!

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en la cual se combinara el ,me da la gana' español, con un proyecto utópico de felicidad universal. Lo restante fueron anécdotas frivolas, servilmente calcadas del extranjero." Der haarsträubende Psychologismus, der an etlichen Stellen dieses Buches sein Unwesen treibt, hat es vielen Gegnern Castros leicht gemacht, sein Œuvre in toto zu diskreditieren - oder zu ignorieren: Es sei ein „alarmierendes Symptom", schrieb er (1990: I, 36) selber kurz vor seinem Tode, daß zentrale Entdeckungen seiner Arbeit in Spanien keine Resonanz gefunden hätten. Die Erklärung, die er (ebd.: 39) dafür gibt, ist jedoch ziemlich unzureichend: „No cabe mejor confirmación de mi idea, expuesta en De la edad conflictiva, de haber sido la incultura y atraso españoles motivados por el hecho de haberse fundido, errónea y siniestramente, las naciones de cultura y judaismo." Noch hier, in seinen späten Gegenattacken, zeigt er wenig Bereitschaft, mit Blick auf seine Kritiker die Spreu vom Weizen zu trennen. Da die Angriffe von allen Seiten, auch von jüdischer Seite, gekommen sind, fühlte er sich nur um so mehr im Recht: „Para estos historiadores", schrieb er (ebd.: 27) über Kritiker „del lado israelita", „yo soy un antisemita, mientras que los fanáticos de opuesto signo me han concedido el alto rango de ,gran rabino', me han inventado una ascendencia sefardí, etc. Baer me cita junto con un auténtico antisemita al cual mi obra ha dado ocasión a voluminosos y absurdos comentarios, y cuya postura respecto de los españoles judíos es opuesta a la mía." Die Haupterklärung fur die „aggressive Antwort" (Subirats 1993: 190) auf Castros Buch ist jedoch anderswo zu suchen: Castro „riskierte seinen K o p f , wie sein bekannter Schüler Márquez Villanueva (1997: 13) die Polemik auf den Punkt bringt, weil er, wie sonst niemand zuvor, „el gran hecho básico y diferencial del fenómeno histórico español" betonte - fur viele, noch heute, eine schmerzhafte Einsicht. Was in der Kampagne Pulidos überwiegend fehlte, nämlich die trikulturelle Geschichte - Castro hat sie gewissermaßen nachgeliefert. Ob seine Entdeckungen den Rang einer historischen Relativitätstheorie haben, wie der eingangs zitierte Mauren-Historiker Hottinger meinte, ist zwar zweifelhaft. Als „Diskussionsgrundlage" wird seine Vision der trikulturellen Geschichte, wie Márquez Villanueva (ebd.: 25) prognostizierte, aber wohl Bestand haben. Das hat Castro, den Selbstzweifel nur selten angefochten haben, wohl selber geahnt, als er gegen Ende seines berühmten Buches (1983: 600) bekannte: „Vale más engañarse radicalmente siguiendo la vía emprendida en este libro, que pretender encerrar lo humano en ,hechos', es decir, en aspectos sin coherencia histórico-vital."

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2. Die juden- und maurenfreie „contextura vital de España": Claudio Sánchez Albornoz Gegen solche Selbstzweifel, das zeigen die zu Beginn dieses Kapitels zitierten Äußerungen, war Claudio Sánchez Albornoz augenscheinlich noch mehr gefeit auch weniger zimperlich in der Wahl seiner verbalen Gegenattacken: Castro, schrieb er (1958: 278) gereizt, ,,[t]iene por tontos a todos los historiadores profesionales, de Menéndez Pidal abajo". Von den persönlichen Tiefschlägen abgesehen: Wo liegen die

inhaltlichen

Dissenzen zwischen den beiden Protagonisten des spanischen .Historikerstreits', der, nun unter den harten Bedingungen des Exils, den Höhepunkt der bereits langen Kontroverse über die trikulturelle Vergangenheit des Landes bildete? Vordergründig betrachtet, nehmen sich diese Dissenzen, was zunächst den Islam betrifft, ziemlich unbedeutend aus, wenn sie nicht sogar in einen Konsens münden. Denn auch Sánchez Albornoz fand für die kulturellen Leistungen der Mauren durchaus lobende Worte: „En el siglo X, cuando Medina al-Zahrá fué el ombligo de Al-Andalus", schrieb er (ebd.: 44) in einem Essay aus den 50er Jahren, „la Espafla musulmana era la primera potencia del Mediterráneo Occidental [...]; Córdoba era la mayor ciudad de Occidente y la más culta y la más rica; en sus entrañas maduraba la espléndida civilización hispanoárabe que iba a ejercer maestrazgo sobre la Europa en tinieblas e iba a provocar el primer renacimiento europeo del siglo XIII". Ähnliche Sätze finden sich bereits in España, un enigma histórico (1985: I, 187) - zusammen mit dem Bekenntnis: „No seré yo quien niegue la profundidad y la eficacia de la influencia de la civilización hispano-musulmanas; he procurado registrar esta influencia con celo y con placer en mi España Musulmana." Nein, so borniert, die maurische Kultur in Bausch und Bogen zu verdammen, wie er es in späteren Jahren tat - „Los islamitas conquistadores", schrieb er (1983: 15) kurz vor seinem Tode, „no pudieron importar magnas novedades culturales porque no las tenían" - , war der Autor damals nicht. Auf das zitierte Lob des islamischen Einflusses folgte (1985: I, 187) freilich sofort eine gewichtige Einschränkung: „Pero, cuidado, he escrito influencia, lo que equivale a decir, adaptación, recepción, imitación; y me he referido al conjunto de ideas, formas artísticas, ciencias, técnicas ... del acervo cultural islámico peninsular." Diese Einschränkung, der Dreh- und Angelpunkt seines Dissenz mit Castro, hatte weitreichende Folgen, die Sánchez-Albornoz ständig und überall wiederholte. Denn der islamische Einfluß, der letzten Endes nur oberflächlich gewesen wäre - er hätte „la contextura vital de Espafla", so

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sein Schlüsselbegriff, niemals tangiert. Und das nicht erst in späteren Jahrhunderten, als sich die spanische Christenheit definitiv von Europa „verfuhren" ließ - das prämuslimische Erbe, „la herencia temperamental hispano-goda", hätte sich von Anfang an behauptet: „No; la contextura vital hispana", markiert er (ebd.: 189) seinen Hauptunterschied zu Castro, „no pudo arabizarse. [...] La estructura funcional de los peninsulares estaba ya firmemente acuñada cuando en 711 pusieron pie en Gibraltar los berberiscos de Tariq. [...] Lo hispano premuslim perduró vigoroso." Anstelle einer trikulturellen Symbiose, der Castro das Wort geredet hat, hielt es Sánchez-Albornoz (1958: 244) sogar für nötig, von einer „antibiosis" zu sprechen und (ebd.: 234) seinem Widersacher vorzuhalten: „La España anterior a la invasión árabe no cuenta para él en el nacer de las formas hispanas de vida." Diese „Lebensformen", von der Alltagskultur bis zur Philosophie, sind um so mehr bei Sánchez-Albornoz zu finden. Obwohl vieles, was Castros Hauptkritiker vorbringt, bedenkenswert erscheint" - schließlich war die Convivencia keine kulturelle Einbahnstraße - , mutet sein Bemühen, die prämuslimischen Traditionen freizulegen, vor allem der Stellenwert, den er ihnen beimißt, doch ziemlich obsessiv an: Hier verwehrt sich ein Altchrist, so darf man ohne allzu viel Polemik schreiben, gegen die Zumutung, mit den „catervas de árabes" (1981: 43) in einen Topf geworfen zu werden ... In España, un enigma histórico spricht Sánchez-Albornoz (1985: I, 157) zwar noch von einer „simbiosis hispanooriental" und einem „estilo de vida mestizo" - Formeln kultureller Vermischung, die er Castros islamlastigen Interpretationen entgegenstellt; er rechnet den maurischen Einfluß jedoch drastisch nach unten. Etwa in der Sprache und in der Alltagskultur. Hier sei der Einfluß, konzediert er (ebd.: 192), zwar unübersehbar, aber dennoch, was seine Tiefe betreffe, nur schwer zu bestimmen. Deshalb irrten all jene, unter ihnen Castro, die in der Sprache einen Gradmesser kultureller Vermischung sähen: „no se arabizó la estructura gramatical de las lenguas peninsulares", lautet hier (ebd.: 199) seine Alles-oder-nichts-Position, „no obstante la recepción de muchos cientos de vocablos árabes y la formación de muchos paralelismos expresivos." Im übrigen, so sein „Verdacht" (ebd.: 195), spreche vieles dafür, daß selbst ein Teil des Sprachkorpus, der als arabisch gelte, mediterranen Ursprungs, lediglich von den Invasoren „mitgebracht" worden sei. "

Die methodischen und inhaltlichen Fehler, die er Castro zu Recht ankreidet, hat er u. a. in „Ante .España en su Historia'" (1958: 230 ff.) zusammengefaßt. Einige dieser Fehler, etwa Castros undifferenzierter Converso-Begriff oder seine ,,castá"-Theorie, kann man durchaus unterschreiben.

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Dieser Verdacht sei um so plausibler, als die von Castro und seinen Epigonen kolportierte Begeisterung der christlichen Spanier für die maurische Kultur völlig überschätzt worden sei: „Sólo durante la segunda mitad del siglo X", schränkt er (ebd.: 197) die kulturelle Ausstrahlungskraft des Islams drastisch ein, „la cristiandad española vivió maravillada y sumisa frente a Al-Andalus. Nunca antes y nunca después se dieron juntas en ella ambas actitudes." Danach sei der maurische Einfluß „rasch" durch die christliche Kultur des Nordens, vor allem von diesseits der Pyrenäen kommend, verdrängt worden. Das gleiche gelte (ebd.: 182 f.) für den „mestizaje étnico y espiritual": Erst nach der Eroberung von Toledo und Zaragoza, also Ende des 11. und Anfang des 12. Jahrhunderts, habe es durch das Zusammenleben von „nationalen Gemeinschaften" mit mozárabes und mudéjares ein solches Phänomen gegeben. Doch auch hier folgt die übliche Einschränkung auf dem Fuße: „Es muy dudoso que los mozárabes y los mudéjares pudieran contrarrestar esa renovación intensiva de la ancestral

occidentalidad

[Hervorhebung von mir, N.R.] de los cristianos de España." Ich

wiederhole: Vieles von dem, was Sánchez-Albornoz gegen die maurenlastige /wart/zq/'e-Interpretation Castros vorbringt, ist durchaus bedenkenswert. Die Obsession, mit der er den islamischen Einfluß kleinredet, ist es jedoch nicht. Sein durchsichtiges Unterfangen, allenfalls „átomos orientales incorporados al acervo cultural, étnico, vital y temperamental de los españoles" (ebd.: 157) einzuräumen, folgt der bekannten Devise: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Deshalb verwundert es nicht, wenn sich Sánchez-Albornoz in den folgenden Jahren verstärkt auf die Suche nach jenen prämuslimischen Traditionen begab, deren Existenz, so seine Sicht der Dinge (1981: 47), von „Pseudohistorikern" mit ihren „fantasmagóricas teorías sobre la arabización u orientalización de España" hartnäckig geleugnet würden. Und er wurde fundig: „Fué variadísima y multiforme la herencia recibida por Al-Ándalus de la España cristiana hispanogoda. Se extendió", machte er (ebd.: 52) seinerseits eine Gegenrechnung auf, die keine Posten übersieht, „a la lengua, las letras, el arte, la cultura, la vida diaria, las costumbres, la instituciones, la economía, el talante, la religiosidad ... E incluso a lo más entrañable de grandes figuras de pensadores, escritores, poetas y hombres de acción." Auf Dutzenden von Seiten versucht er nachzuweisen, daß diese Rechnung stimmt. Selbst „die alten Pflanzen" (ebd.: 86), die sich, noch aus römischer Zeit, in andalusischen Patrizierhäusern fänden, sind Teil der kulturellen Inventur, die er seinen Gegnern, allesamt unkundig im Einmaleins der kulturellen Arithmetik, triumphierend präsentiert. Der emsige Sucher eines prämuslimischen Schatzes, den die verblendeten „Pseudohistoriker" übersehen hätten -

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übersehen wollten - , geht sogar noch einen Schritt weiter: Nicht nur für Spanien, ja für ganz Europa seien die kulturellen Reichtümer ein Segen gewesen. Denn mehr noch als durch seinen direkten Einfluß, habe der spanische Islam dazu beigetragen, die Entstehung des Okzident indirekt zu fördern - vor allem durch jene christlichen Flüchtlinge, die die Halbinsel wegen der islamischen Invasion verlassen hätten: „Indirectamente", schreibt er (ebd.: 13) nicht eben sonderlich bescheiden, „el Islam de España contribuyó a la forja de Occidente al provocar la emigración a las Galias de muchos hispanos." Vor allem „la enorme difusión" und „la colosal influencia" der Schriften San Isidoros seien dafür ein Beleg: Seinem Beitrag zur Entstehung der europäischen Kultur des frühen Mittelalters gebühre ein historischer Ehrenplatz. Im Unterschied zu Castro, der die Formationsphase Spaniens erst ans Ende der trikulturellen Epoche datierte und sich über die Phantasmagorien eines Ewigen Spaniens lustig machte, mißt Sánchez-Albornoz jenen kulturellen Elementen eine prioritäre Bedeutung bei, deren Ursprung weit hinter das Jahr 711 zurückreicht: „ese hispanismo milenario", lautet (1958: 67) seine retrospektive Prophetie, „que tiene metidas sus raíces [...] en las entrañas de la misteriosa prehistoria." Kein Wunder, daß er (1981: 32) das Jahr 711 als nationales Unglücksdatum betrachtet: „la historia española sufrió una contorsión brutal". Kein Wunder auch, daß er (1985: II, 9) die Reconquista als „clave de la Historia de España" empfindet und das nördliche Asturien (1981: 33) als „embrión de la España que iba a constituirse en centinela de Europa frente al mundo islamizado". Von der Paradoxie des Embryonen-Begriffes einmal abgesehen: War Spanien, wie Sánchez-Albornoz versicherte, nicht längst ein historisches Faktum? Der Autor von España, un enigma histórico räumt immerhin ein, daß der glühende Patriotismus, von dem so viele seiner Landsleute schwärmten, womöglich ein Trugbild war: „Me parece seguro", schreibt er (1985: II, 12) mit einem Anflug von Kühnheit, „que el deseo de recuperar el solar nacional perdido no figuró entre los estímulos que motivaron la resistencia pelagiana y que decidieron el inicio de la gran aventura". Auch der kriegerische Impetus der Rückeroberer, konzediert er großzügig, sei auf seinem langen Weg von Covadonga bis nach Granada hier und da erschlafft: „Pero no importa aquí", wetzt er (ebd.: 13) diese Scharte jedoch unverzüglich wieder aus, „cuales fueron los crescendos y los desmayos del ideal reconquistador. Importan, sí, y de modo extraordinario, las curvas de su auténtica realización histórica y lo áspero y continuo del duro batallar que esa realización exigió siempre." Stets, so auch hier, folgt auf ein konzilantes Intermezzo das obligatorische „Aber", das die histori-

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sehe Welt wieder ins richtige Lot bringt. Wie auch könnte er in dieser historischen Schlüsselfrage zu den Renegaten überlaufen? Schließlich ging es darum, Crescendos hin, Erschlaffungen her, den „perro moro" (ebd.: 47) zu besiegen. Und dieses Ziel verloren die vom „despotismo oriental" (1958: 21) geknebelten Spanier nie aus den Augen: „No había habido en ella vagar para la paz. Hubo de pelearse sin descanso con el moro. Iba en esa batalla la libertad y la vida. Todos eran soldados." Kann man nach der Lektüre solcher Sätze Netanyahu (1995: 111) widersprechen, wenn er Sánchez-Albornoz die Mentalität eines „mittelalterlichen Spaniers" attestiert, der sämtliche sozialen und politischen Phänomene durch die Brille seiner dogmatischen Kriterien betrachte? Die Reconquista als „Schlüssel zur spanischen Geschichte": Diese historische Grundprämisse gilt es zu verteidigen, auch gegen zeitgenössische Aufweichungstendenzen. Ein Seitenhieb auf Ortega y Gassett (1958: 35 ff.), der die Vorstellung eines achthundertjährigen Heldenepos ironisch kommentiert hatte, konnte deshalb nicht ausbleiben. Mit dieser Interpretation des maurisch-christlichen Verhältnisses als „pugna bárbara y feroz", als „brutal choque de islamitas y cristianos" (1985:1, 176), also eines permanenten

Zusammenpralls,

der nur „gelegentlich"

unterbrochen

wurde - mit dieser Interpretation ist zugleich das Urteil über das vieldiskutierte Toleranz-Kapitel der maurisch-jüdischen Geschichte gesprochen: „La España musulmana", schreibt Sánchez-Albornoz (ebd.: 291), „no gozó de la tolerancia integral que Castro supone". Nun läßt sich, genau betrachtet, auch aus den Studien Castros beileibe keine „integrale Toleranz" herauslesen. Das schien, wenn der Pulverdampf seines erhitzten Gemüts etwas verzogen war, auch seinem Widersacher zu dämmern, weshalb er (ebd.: 288) ihm, was diesen Teil der Kontroverse betrifft, sogar ein Stück entgegenkam: „Me complazco en acompañar a Castro al no juzgar equiparable nuestra tolerancia medieval con la tolerancia europea moderna." In der Tat, räumt er ein, habe es eine gewisse Toleranz zwischen Mauren und Christen gegeben, aber eine (ebd.: 297 ff.), deren Reichweite doch letztlich eng begrenzt gewesen sei: „¿Tolerancia hispanocristiana? Sí, tolerancia interesada o generosa, recelosa o cálida, vivaz o limitada, pero tolerancia de los príncipes y de la aristocracia laica y eclesiástica. Tolerancia de la minoría". Dagegen sei „das Volk" stets von „Passionen" und dem Gedanken eines „göttlichen Krieges" beseelt gewesen. Und diesen „fundamentalen Unterschied", fugt er (ebd.: 295) hinzu, habe Castro nicht verstanden. Von der allzu restriktiven Interpretation der „Toleranz"-Thematik als Elitephänomen und als eine Art diplomatisches Laisser faire zwischen den maurischen

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und christlichen Einflußgebieten abgesehen: Hier, auf seinem Wege zu einer nüchternen Bewertung der Convivencia-Motive, mag man Sánchez-Albornoz durchaus ein Stück folgen. Castros Kontrahent geht jedoch noch einen Schritt weiter. Seiner Lesart zufolge (ebd.: 289) war die mittelalterliche Toleranz eine religiöse Frucht, die auch und gerade am christlichen Baum gereift war, lange bevor der Islam seinen Fuß auf spanischen Boden setzte. San Isidoro, der Zwangskonversionen verurteilt habe, sei dafür ebenso ein Beleg wie der ,trikulturelle König' von Toledo: „Alfonso el Sabio ni necesitó ni pudo por tanto inspirarse en el Alcorán para declarar en las Partidas que la fe debía propagarse ,por buenas palabras y convenibles predicaciones'." Wenn sich schon nicht bestreiten läßt, so die Devise von Sánchez-Albornoz, daß es eine spezifische spanische Toleranz gegeben hat: Warum dann nicht aus der Not eine Tugend machen? Und die (ebd.: 294) lautet: „El paralelo entre la teoría y la práctica de la tolerancia en las dos Espafias, cristiana e islamita, permite llegar a conclusiones distintas de las que Castro defiende. La tolerancia nació sincróneamente en Al-Andalus y en los reinos cristianos." Das spanische Christentum als Verkünder und Anwalt religiöser Toleranz - eine der kühnsten Thesen des Reconquista-Ideologen, der (1983: 33) in seinem letzten Lebensjahr immerhin schrieb: „La Reconquista nos llevó a ser la espada de Dios sobre la tierra frente a turcos y herejes." Die These klingt um so kühner, als Sánchez-Albornoz an anderer Stelle (1981: 10) selber eingeräumt hat, daß es mit der prämuslimischen Toleranz der Christen in praxi nicht sehr weit her gewesen sei. Denn die Juden, die zweite Minderheit, der sein zentrales Interesse gilt, seien vor der Invasion des Jahres 711 „sañudamente" verfolgt worden. Dennoch deutet er noch im selben Satz an und diese Äußerung läßt sich nur sehr bedingt als ,Verständnis' interpretieren - , daß sie es waren, „[que] hicieron posible y hasta hicieron fácil la conquista de Hispania por Táriq y por Musa y el establecimiento del Islam en el extremo occidente europeo." Damit hat Sánchez-Albornoz den historischen Grundstein für sein Gebäude aus antisemitischen Lügen und einem nachgerade unbändigen Haß auf die spanischen Juden bereits gelegt, ein Gebäude, welches dasjenige, das er den Mauren errichtete, noch weit überragt. Das sah der Autor des ausgedehnten Kapitels, das er in España, un enigma histórico (1985: II, 163 f.) den Juden widmete, selber freilich ganz anders: „Ningún español culto siente hoy antipatía alguna hacia el pueblo hebreo". Zu jenen, die die jüdische Vergangenheit „ohne Groll" betrachteten, rechnete er sich folglich selber: „Nadie puede por tanto atribuirme fobias bastardas." Zu dieser Selbsteinschätzung paßt, daß er

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den „herausragenden Beitrag" jüdischer Gelehrter und Schriftsteller wie Ibn Gabirol, Yehuda ha-Levi oder Maimónides zur „Weltkultur" durchaus anerkennt, unter Einschluß ihrer „Vermittlerrolle" zwischen Orient und Okzident: „Todos deben ser inscritos en los cuadros de la tradición cultural hispano-árabe". Doch damit läßt er es, was die positiven Seiten des peninsularen Judentums betrifft, den auch schon bewenden. Denn bereits hier, noch im Vorspann zum Judenkapitel des Buches, offeriert er den Lesern sein eigentliches Credo, und das faßt er so zusammen: „Pero cualquiera que sea la admiración y simpatía que me inspiren las empresas espirituales del pueblo judeo-español, me es preciso dejarlas aquí de lado, porque no influyeron en la forja de lo hispano. La contribución de los judíos españoles a la acuñación de lo hispánico fué muy otra y siempre de caracter negativo, quiero decir que no transmitió calidades sino que provocó reacciones. Nada de lo esencial de la contextura psíquica del pueblo hebreo dejó huellas entre los españoles. Más aun, una tajante oposición enfrenta lo hebraico y lo hispano." Ein negativeres Urteil, es schließt die zeitgenössischen Sepharden mit ein, hat vermutlich kein anderer spanischer Autor des 20. Jahrhunderts gefällt, zumindest kein liberaler': „Es más fácil unir el agua con el fuego", lautet seine (ebd.: 176) Formel, „que hallar vínculos de parentesco entre lo hispánico y lo hebraico." Von der knapp hundertfunfzigseitigen Anklageschrift, die Sánchez-Albornoz den spanischen Juden und ihren Nachfahren unterbreitet - ein akkusatorisches Delirium, das auch in seinen sprachlichen Ausfällen an die von Netanyahu konstatierte „mittelalterliche Mentalität" erinnert

seien hier nur die Haupt-

passagen resümiert. Ganz allgemein, und das ist auf sephardische und sonstige Juden gleichermaßen gemünzt, kreidet er (ebd.: 165) dem „hebräischen Volk" an, sich für das auserwählte Volk, für „el tesoro de los hombres" zu halten - ein kollektives Superioritätsgefühl, das in diesem Ausmaß nur den Juden eigen sei. Da diese sich, um mit Ortega y Gasset zu sprechen, als „Selektokratie" der Menschheit empfänden, hätten sie sich, vor allem in Spanien (ebd.: 167), stets von allen anderen sozialen Gruppen abgegrenzt: „Allí donde había un grupo de hebreos, por reducido que fuera su número, surgía una aljama". Daß es dafür auch noch andere Gründe gab, vor allem solche, die mit der christlichen Umwelt zu tun hatten, interessiert den ,Judenkenner' freilich nicht. Dafür nennt er (ebd.: 169) eine weitere Eigenschaft der Juden, auch sie besonders ausgeprägt in Spanien, die einen fundamentalen und natürlich negativ gemeinten Unterschied zu den Christen markiere: ihre „tiefe Verwurzelung" im

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Diesseits, „esa tradicional inclinación hacia los goces terrenales." Und diese Neigung, ein zentraler Aspekt ihres religiösen Credos, habe weitreichende Folgen (ebd.: 171) gehabt: „Porque creían con fe viva en la recompensa mundanal de su obediencia a la Ley". Die Torah als Vademekum für soziales und politisches Handeln - für Sánchez-Albornoz (ebd.: 175) sind es vor allem zwei Direktiven, die die Juden befolgten und die sie den Christen besonders verhaßt gemacht hätten: Ihr extremer Rationalismus und ihr Streben nach Reichtum, zwei Eigenschaften, durch den „Triumph des Averroismus" in Spanien wiederum besonders ausgeprägt, die, wie könnte es anders sein, vor allem einem, dem Ziel dienten: „lograr el dominio de sus dominadores". Von einer jüdischen Weltverschwörung, von der in den Protokollen der Weisen von Zion die Rede ist, spricht der Autor zwar nicht. Sehr weit ist er, wie das nur auf Spanien bezogene Standardklischee des weltweiten Antisemitismus erahnen läßt, von diesem Geiste jedoch nicht entfernt. Das gilt, wie gesagt, auch für die Sprache, deren sich der Autor bedient, wenn er das üble Treiben des spanischen Juden, wie er meint, nun in concreto beschreibt: „por la trocha zigzagueante de la astucia" (ebd.: 176), mit Hilfe ihres „ingenio sutil" und ihrer „obsecuente adulatoria miel de sus labios" (ebd.: 234), habe es „aquella terrible plaga pública" (ebd.: 198) allmählich geschafft, so die Stürmer-Prosa

des liberalen Historikers, einen beträchtlichen Teil des Landes

unter ihre Kontrolle zu bringen: Bauern, Handwerker und Kaufleute, so sein apokalyptisches Panorama (ebd.: 187), fielen „en las garras de los hebreos". Den Nährboden der quasi konspirativen Erfolgsstrategie der spanischen Juden verortet Sánchez-Albornoz, ähnlich wie Américo Castro, in den Bedingungen der Reconquista. Da die Christen sich der Verteidigung und Rückeroberung ihres Landes gewidmet hätten, sei es den „industriosas masas hebraicas" möglich gewesen, für deren ökonomische Restauration „gute Dienste" (ebd.: 178) zu leisten. Doch schon bald habe sich gezeigt, daß die guten Dienste ein Fluch gewesen seien. Unter dem Schutz der Könige, die sich der Befreiung Spaniens widmeten, „versuchten die Juden, ihre Herrschaft zu errichten" (ebd.: 180) - und das, wenigstens eine Zeit lang, mit Erfolg: „Liegados los más sin recursos", zielt er (ebd.: 181) bereits auf die Zeit der Taifa-Reiche, „al cabo de unas generaciones hubo en todos los reinos cristianos peninsulares judíos fabulosamente ricos y gran número de judíos acomodados; empezaron a poseer gran cantidad de bienes raíces y a amortizar la mayor parte del numerario del país y lograron puestos de mando en la vida política y fiscal del reino". Und nur von ihnen, den reichen Juden, ist fortan die Rede, unter maßloser Überschätzung

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ihrer ökonomischen und politischen Bedeutung. Skrupellose jüdische Händler hätten ihren Reichtum, und das bereits im maurischen Spanien, durch Sklavenhandel und den Import von Eunuchen (ebd.: 184) erwirtschaftet, stets auf Kosten des „Volkes". Ganze Schwärme jüdischer Wucherer und Steuereintreiber hätten die christlichen Reiche überschwemmt, zum Nutzen für die Könige (ebd.: 203), zum Schaden für das Volk: „en toda España la usura judía seguía estrangulando entre sus garras a los españoles de las más diversas clases y tierras".12 Waren es am Anfang nur mehr oder weniger große Teile der Juden, denen SánchezAlbornoz ein derart übles Treiben zur Last legt, ist es schon bald „la casi totalidad de los judíos" (ebd.: 227), die sich daran beteiligte oder beteiligen wollte: „el deseo de enriquecerse se convertía en meta esencial de su existencia y en radical diana de sus actos todos." Ihre „hipertrófia de su apetito de riqueza" sei schier grenzenlos gewesen und offen provokativ: Die .jüdische Oligarchie" (ebd.: 230) habe ihren Reichtum besonders ostentativ zur Schau gestellt, sich von Christen bedienen lassen, und die reichsten unter ihnen hätten sogar Adelige beschäftigt. Wen wundert es, daß der jüdische „Stolz", ja die „Dreistigkeit" (ebd.: 231), mit der sie den Christen gegenübertraten, ein schlimmes Ende nehmen mußte? Die Pogrome von 1391 waren ein Fanal - wie Castro spricht auch er (ebd.: 238) von einer unausweichlichen „Tragödie" - , ein „Gewitter" (ebd.: 204), in dem sich der gerechte Zorn des Volkes entlud: „Y no sólo Castilla", erteilt er (ebd.: 239) diesem Zorn augenscheinlich seine Absolution, „España entera había llegado a saturarse de electricidad antijudaica." Ganz explizit fällt die Absolution, die er dem antisemitischen Mob erteilt, natürlich nicht aus: „Es lícito y hasta es justo", schränkt er (ebd.: 250) immerhin ein, „anatemizar, en nombre de los nunca caducos ideales de libertad y tolerancia, las sañas populares de los españoles". „Aber", auch hier sucht man es nicht vergeblich „aber", nimmt er die Brandschatzer dann doch in Schutz, man könne die damaligen Ereignisse nun einmal nicht nach heutigen Kriterien bewerten ... Auch deshalb nicht, weil die Opfer der „Volkswut" keinerlei Konsequenzen aus dieser „schrecklichen Lektion" (ebd.: 244) gezogen hätten: „Continuaron como si nada hubiera ocurrido." Bei der Auswahl der Zeugen, die er zur Verteidigung dieser These aufbietet, zeigt er (ebd.: 244) sich im übrigen nicht besonders wählerisch: Sogar Castro habe geschrieben, daß die Juden die „Lektion" von 1391 nicht 12

Mit Blick auf das ,jüdische Wuchertum" hält Sánchez-Albornoz (ebd.: 199) sogar einem Autor wie Amador de los Ríos vor, das wahre Ausmaß dieses Übels unterschätzt zu haben: „su mente de hombre del siglo XIX y su devoción por los hebreos [sie] no le permitieron ver la realidad como la realidad era".

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verstanden hätten, vielmehr auch weiterhin solchen Tätigkeiten nachgegangen seien, „,que les acarreaba provecho económico o prestigio social'". Nicht das einzige Beispiel, das die beiden Dauerkontrahenten auf einer Seite der Front vereinigt zeigt... In einem anderen Punkt, die ökonomische Bedeutung der Juden, geht Sánchez-Albornoz freilich auf Distanz zu Castro. Er bestreitet vehement, daß die Demarkationslinien der gesellschaftlichen „Arbeitsteilung" zwischen den „Kasten" so schroff und statisch verlaufen seien, wie Castro stets behauptete. Obwohl auch Sánchez-Albornoz, zumindest implizit, die jüdische „Strangulationsmacht" als Menetekel beschwor, bezeichnete er (ebd.: 178) die Juden, die in den spanischen Städten des Mittelalters produktiven oder merkantilen Tätigkeiten nachgegangen sind, doch nur als „Minderheit" innerhalb der Masse christlicher Handwerker und Gewerbetreibender. Ein jüdisches Übergewicht in diesen Sektoren lasse sich nur bis etwa zum 12. Jahrhundert konstatieren, als die Reconquista ihre wichtigsten Siege bereits errungen hatte: „Después no." Danach habe das christliche Spanien, verglichen mit Europa, zwar auch weiterhin keine potente Ökonomie besessen, „[pero] los judíos nunca llenaron con sus actividades económicas esa falla de nuestra vida nacional." Hier darf man SánchezAlbornoz sicher zustimmen: Auch die historische Forschung, die nicht von den ideologischen Scheuklappen behindert wurde, die seine Sicht in der Regel so verengte, ist zu ähnlichen Ergebnissen gekommen und trug auf diese Weise dazu bei, ein zentrales Argument des Antisemitismus zu entkräften. Doch darum ging es Sánchez-Albornoz natürlich nicht: An seinem Judenbild nahm er keinerlei Retuschen vor. Die im Grunde begrüßenswerte Korrektur einer Geschichtsschreibung, zu der auch Castro zählte, die die ökonomische Bedeutung der Juden, aus welchen Gründen auch immer, völlig überschätzte - sie diente Sánchez-Albornoz hauptsächlich dazu, die „Kasten-Theorie" seines Widersachers zu falsifizieren: „Clases, no castas", überschrieb er (ebd.: 44) deshalb eines seiner Kapitel. Die ökonomische Apartheid, die Castro in Gestalt seiner trikulturellen Arbeitsteilung präsentierte, sei eine Fiktion. Nie hätte es soziale Barrieren gegeben, die Juden und Christen rigide voneinander trennten: „pues se mezclaban con ellos y con ellos convivían pacíficamente, por obra de la tolerancia oficialmente protegida por el Estado". Wie gesagt: Der grobe Raster seiner Judenstereotypen änderte sich dadurch um keinen Deut. Sánchez-Albornoz waren die Juden zuwider, um Argumente für seine Aversionen war er deshalb nie verlegen, auch wenn sich diese offen widersprachen. So hält er (ebd.: 241) den Conversos, die er nach den Pogromen von 1391 nun

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verstärkt zur Zielscheibe seiner Attacken macht, einerseits vor: „Ese gran número de apostasías [...] no permite atribuir a los judíos españoles demasiada firmeza en su fe ni demasiado valor martirial". Andererseits - ich erspare mir, diese Aussage zu kommentieren - stellt er (ebd.: 250) fest, und auch das im Tonfall eines historischen Anklägers: „Los judíos españoles habían mostrado desde muy temprano una extremada intransigencia religiosa." Doch Widerspruch hin oder her: Schließlich diente der Vorwurf religiöser Unnachgiebigkeit dazu, eine wichtigere Argumentationsetappe zu erreichen. Der Widerspruch war ihm deshalb, falls er ihm überhaupt aufgefallen ist, wohl nicht so wichtig. Denn er leitet über zu einem zentralen Anklagepunkt, und dabei nimmt er einen Schulterschluß mit seinem Rivalen erneut in Kauf. Der fanatische Gläubenseifer der Juden (ebd.: 255) habe sich in den Conversos, er nennt sie abschätzig „tornadizos", unvermindert fortgesetzt, nun allerdings mit einem christlichen Anstrich versehen. Zwar seien wenigstens einige von ihnen „conversos de sinceros sentimientos cristianos" gewesen, aber eben mit einem typisch jüdischen Glaubenseifer. Deshalb seien sie auf die Idee verfallen, der öffentlichen „Heuchelei" ihrer neuchristlichen Glaubensbrüder systematisch auf die Schliche zu kommen - die Geburtsstunde der Inquisition. Zu diesem Ergebnis sei nicht nur Amador de los Ríos gekommen: „[También] Américo Castro ha insistido con mucha erudición y agudeza [sie] en la misma tesis [...]. Y hoy no cabe dudar de que la Inquisición fué una satánica invención hispano-hebraica". Auch wenn Castro die Akzente in Wirklichkeit etwas anders setzte: In einigen Kernfragen war der jahrzehntelange Clinch nichts weiter als ein historisches Scheingefecht. Das groteske Schattenboxen der beiden Exilintellektuellen schloß auch eine weitere These Castros mit ein, die sich Sánchez-Albornoz (ebd.: 285) vollauf zu eigen machte: „Castro acierta al atribuir origen judaico al estúpido celo por la llamada ,liempieza de sangre' que torturó a los españoles durante los siglos XVI y XVII." Aus welchen anderen Quellen, fragt der Autor (ebd.: 292) seine Leser, könnten derart trübe Ideen auch sonst entsprungen sein Ideen, die der „Sensibilität" der Spanier zutiefst widersprächen. Nein, was diese Thesen seines verhaßten Rivalen betrifft, läßt er ihm Gerechtigkeit widerfahren: „Me parecen una[s] de las más firmes de .España en su historia'". Im Grunde teilen die beiden Kontrahenten das Commune Sanctorum auch mit Blick auf das violente Schlußkapitel der spanischen Juden, das SánchezAlbornoz (ebd.: 256 f.) nicht zufällig ebenfalls als „final de la tragedia" tituliert. Zwar „[un] terrible y espantoso desenlace", gewiß, aber dennoch, und Castro läßt grüßen, ein „unvermeidlicher" Ausgang: „No había otra posibilidad de cortar el

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nudo trágico que había venido apretándose durante cuatro siglos. [...] De no haberse decretado la expulsión se había llegado a la matanza. [...] Los judíos podían comprar la tolerancia de los reyes, pero no podían apaciguar la furia del pueblo contra ellos." Dem hat Castro wohl kaum widersprochen. Da auch er das jüdische Erbe mitnichten in heiteren Pastellfarben gemalt hatte, dürfte ihm möglicherweise auch die folgende Aussage seines Phantomgegners (ebd.: 258) nicht besonders gegen den Strich gegangen sein: „Creo [...] que la expulsión de los judíos hispanos fué tardía. Realizada un siglo y medio antes de 1492, habría cambiado la psiquis de los españoles y la faz económica de España." Die Parallelen zwischen beiden springen auch hier ins Auge: Die von Sánchez-Albornoz so vehement attackierte „Symbiose"-Theorie Castros - durch die Hintertür betritt sie auch sein eigenes Denkgebäude. Die negativen Folgen für die „spanische Psyche" und die Ökonomie, die er der (über-)langen Präsenz der Juden anlastet, hat auch Castro behauptet. Sánchez-Albornoz' Urteil fällt lediglich einige Grade schärfer aus, wenn er (ebd.: 295) von ökonomischen „ejemplos de prácticas viciosas" spricht, die entweder auf die Christen abgefärbt hätten oder die sie als abschreckend empfunden und sich deshalb völlig von ihnen femgehalten hätten. Die Unterschiede sind deshalb vor allem terminologischer Art: Sánchez-Albornoz obsessiver Haß auf die Juden ventiliert sich in rabiaten Hetzvokabeln (ebd.: 284), die den jüdischen Einfluß als „herencia ponzoñoza", als „fardo del sombrío legado judaico" oder als „sendas tenebrosas" denunzieren- verbale Ausfälle, die seine Gedankenwelt (ebd.: 164) jedoch ungeschminkt zum Ausdruck bringen: „La contribución de los judíos españoles a la acuñación de lo hispánico fué [...] siempre de carácter negativo". Ich wiederhole: Nur selten ist die jüdische Präsenz auf der Halbinsel in schwärzeren Farben gemalt worden als im Werk von Sánchez-Albornoz. Selbst so eingefleischte Judenhasser wie Pío Baroja fanden, wenigstens für die Sepharden, das eine oder andere lobende Wort. Nicht so der prominente Chef der republikanischen Exilregierung: „Nunca estaría dispuesto", schreibt Netanyahu (1995: 106) deshalb zu Recht, „a atribuir a tan maldita gente imparcialidad o decencia, y mucho menos intención patriótica o incluso el sincero deseo de servir al rey, su señor". Dabei erstreckt sich der historische Bannfluch nicht nur auf die reale Geschichte. Sánchez-Albornoz ergeht sich auch in Spekulationen darüber, was alles hätte passieren können, wenn die unheilvolle Macht der Juden nicht gebrochen worden wäre: „no es difícil adivinar", lautet einer seiner retrospektiven Orakelsprüche (1985: II, 252), „cual habría sido la conducta de los judíos hispanos contra los enemigos de su fe, si en lugar de ser exilados [...] hubiesen

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dispuesto de los resortes del poder." Verhängnisvolle Folgen hätte die jüdische Präsenz besonders für jenes „Unternehmen" gehabt, das Sánchez-Albornoz auch hier (Rehrmann 1996: 508 ff.) vereint ihn ein historischer Grundkonsens mit seinem Rivalen - als Krönung der Hispanidad betrachtet: „Es seguro", schreibt er (1985: II, 296) über die Eroberung Amerikas, „que los judíos habrían hecho maravillas y que se habrían enriquecido fabulosamente; pero, ¿habrían logrado crear la sana economía [sie] y el fisco poderoso necesarios para sostener un política ambiciosa como la que inició Carlos V y prosiguieron su hijo y sus nietos? Me permito dudarlo." Nein, variiert er immer wieder aufs neue seine Hauptbotschaft, die judenfeindliche Politik sei hart, aber gerecht und für die Zukunft Spaniens und Amerikas unvermeidbar gewesen. Den Juden habe, so meinte er (ebd.: 179) zu wissen, nur ein Ausweg offen gestanden, einen, den sie freilich nicht eingeschlagen hätten: „Si los hebreos se hubieran consagrado pacíficamente [Hervorhebung von mir, N.R.] a la agricultura, a la industria y al comercio, nunca habrían surgido entre ellos y los cristianos los abismos o las montañas de odio que hicieron imposible su convivencia histórica."13 Dieses Verdikt hat Sánchez-Albornoz um kein Jota verändert. Seine tiefverwurzelten Aversionen gegen die14 Juden erstreckten sich konsequenterweise auch auf die Sepharden: Nirgendwo nährt er nur den leisesten Verdacht, ein Epigone Pulidos zu sein. Ganz im Gegenteil, schreibt er am Ende seines Judenkapitels in España, un enigma histórico (ebd.: 297), überall dort, wo sich die aus Spanien vertriebenen Juden oder „Marranen" niederließen, wurden sie „natürlich" zu „terribles enemigos del pueblo que los había odiado". Gemeint ist natürlich Spanien, dem sie, die von dort stammenden Juden, stets feindlich gesonnen seien, „[una] violenta hostilidad hacia lo hispánico a través de los siglos". Nichts hätten sie unversucht gelassen, dem Land zu schaden, „desde el espionaje a la financiación de empresas militares". Die Juden, so soll man diese Sätze wohl verstehen, haben sich damit gründlich gerächt. Und das trotz der

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Netanyahu (1995: 111) kommentierte diese Zeilen, indem er sie mit der Vertreibung der Morisken vergleicht: „He ahí un ejemplo de lo que le pasó a una comunidad que sólo procuraba vivir pacíficamente con los cristianos españoles, dedicado especialmente a la agricultura y la artesanía, compuesta de gente sencilla, trabajadora, sin grandes ambiciones o sublimes sueños. [...] Su destino fué igual al de los judíos." Auch hier hat Netanyahu (1995: 93) recht, wenn er bemerkt: „Con todo, SánchezAlbornoz ve el pueblo judío como un fenómeno monolítico desde los días de Moisés hasta los suyos [...] y está seguro de poder definir la esencia de los judíos, sus ideales y propensiones, como se definen las peculiaridades características de una especie zoológica o botánica."

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,Tatsache', daß sie es eigentlich selber waren, die ihr Verderben auf spanischem Boden heraufbeschworen hatten. Deshalb: „se comprenderá con qué razón he hablado de cuentas saldadas. Nuestras persecuciones a los hebreos y a sus hijos los conversos de una parte y, de otra, su explotación por ellos del pueblo español durante el medioevo, su sombrío legado a España al salir de ella y sus sañas después de su expulsión, equilibran la balanza." Als später Schüler derart salomonischer Rechtstraditionen fiel es SánchezAlbornoz naturgemäß sehr schwer, seine Kritiker, nicht nur Américo Castro, zu verstehen. Deshalb zeigte er (ebd.: 711 ff.) sich im Anhang der hier verwendeten Ausgabe seines Opus Magnum darüber verwundert, daß ihn etliche Kritiker, unter ihnen „algunos judíos", antisemitischer Ideen bezichtigt hätten: „Quienes me conocen [...] saben cuán lejos estoy de sentir fobias de ninguna naturaleza y menos aun sañas antisemitas". Nein, an seinem .vermeintlichen' Antisemitismus kann es nicht gelegen haben, daß das Buch auf Widerspruch gestoßen ist. Schuld ist vielmehr ein anderes Phänomen: „la hebrofilia [...] porque está a la moda la devoción beata hacia lo hebraico". Diese „Mode", das illustrieren die obigen Zeilen - sie stammen von 1977 - , hat Sánchez-Albornoz verständlicherweise nie gefallen. Ebensowenig eine andere „Mode", die er (1983: 10 f.) kurz vor seinem Tode als „éxtasis ante el ayer islámico" noch einmal einer Radikalkritik unterzog. Das schmale, populärwissenschaftlich gehaltene Buch De la Andalucía islámica a la de hoy liest sich über weite Strecken wie eine Satire, ist aber völlig ernst gemeint. Etwa dort, wo er (ebd.: 21) die zeitgenössischen Vertreter der „islamischen Mode" daran erinnert, was es mit der von ihnen so gerühmten Kultur von Al-Andalus in Wirklichkeit auf sich habe: „No, amigos andaluces, abandonad vuestra nostalgia por la España islámica. Las maravillas de su cultura, de su ciencia, de su filosofía, de su poesía, de su erudición, de su arte están balanceadas por sus torpezas." Zu letzteren rechnet er vor allem ihre schier grenzenlose Wollust, die sich hier und da in regelrechten Exzessen ventiliert habe: „El citado soberano granadino confiesa", weiß er (ebd.: 20) über einen von ihnen zu berichten, „que realizaba diez - diez, insisto - coitos diarios." Nicht zu vergessen, „el gran arraigo de la homosexualidad": Wollen diejenigen, die von der islamischen Vergangenheit schwärmen, zu solchen Zuständen zurückkehren? Wollen die andalusischen Frauen von heute wieder zu „pasto de harenes" (ebd.: 39) werden? Nur geschichtsblinde Ignoranten gehen der islamischen Mode auf den Leim: „No, amigos andaluces, olvidad esas crueles horas de antaño. Vosotras, las Lolas, Cármenes, Rosarios, Anas ..., las mujeres que cantara Manolo Machado, que

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ilumináis con vuestra gracia hermosura la Andalucía de hoy", schreibt der historische Sittenwächter (ebd.: 23 f.) im Stile eines Groschenromans, „¿queréis volver a ser objeto de placer en los harenes? ¿Queréis volver a los mercados de esclavos de otrora y de ahora?" Wie gesagt: Diese Sätze stammen aus der Feder eines der prominentesten Mediävisten des 20. Jahrhunderts, für dessen Rückkehr aus dem argentinischen Exil sich der spanische König höchstpersönlich engagierte. Dabei hatte er (1985: I, III) nur wenige Jahre zuvor seinem Dauerkontrahenten noch einmal vorgehalten, „de llevar la polémica a la calle". SánchezAlbornoz gebührt das Verdienst, daß sie in der Gosse landete ...

XV. Die „geraubte Geschichte": Ausblicke in die Gegenwart

„Es war natürlich unvermeidbar", resümiert Aronsfeld (1979: 54) das Dilemma des Frankismus nach 1945, „daß Spanien aufgrund der - wenn auch ambivalenten - Verbindung zu Hitler mit einem stark getrübten Image aus dem Krieg hervorgehen würde". Wiewohl damit auch die generellen Aporien des Regimes gemeint waren, sein politisches Überleben zu sichern, gilt das Resümee besonders mit Blick auf die Juden: Trotz aller Geschicklichkeit, mit der das politisches Chamäleon seine Farbe wechselte, um sich im Spektrum des schon bald einsetzenden Kalten Krieges zu behaupten, war die ideologische Nähe zu HitlerDeutschland nur schwer zu eskamotieren. Daß die UN-Vertreter des neu gegründeten Staates Israel 1949 gegen die Aufhebung des nach dem Kriege verhängten diplomatischen Embargos gegen den Franco-Staat stimmten (Lisbona 1993: 145), ist dafür ein Indiz. Es war indessen nicht nur die partielle Wahlverwandtschaft zwischen Franco und Hitler, die kritische Beobachter des frühen Estado Nuevo daran zweifeln ließen, daß mit dem Ende der Achse Berlin-Madrid nun auch die Judenfrage eine Zäsur erleben würde. Anlaß zu solchen Zweifeln boten ihnen auch die alten und neuen Dämonen des Antisemitismus, etwa das 1948 ergangene Verbot des amerikanischen Films Gentlemans Agreement, der sich kritisch mit Ursachen und Folgen des Judenhasses auseinandersetzte. Die Zweifel wurden nicht allein durch das Verbot als solches genährt - auch die Begründung (Aronsfeld 1979: 54), die die Zensoren drei Jahre nach dem Ende des Holocaust gaben („perfide" Juden, „Feinde der Kirche" etc.), ließ nur wenig Distanz zum ideologischen Arsenal des Antisemitismus erkennen. Verbale Ausfälle der zitierten Art waren augenscheinlich keine Seltenheit, vor allem in der katholischen Hierarchie: 1949 präsentierte der Bischof von Teruel (Lisbona 1993: 141) eine Schmähschrift gegen die angebliche „Demolierung" und „Profanierung" christlicher Heiligtümer durch Juden in Palästina, in denen ein ganz bestimmter „rassistischer Impuls" zum Ausdruck gekommen sei, nämlich all das zu zerstören, was die Christen am meisten liebten. Selbst Franco hielt es für ratsam, die Welt an den , wahren Charakter' der Juden zu erinnern: Erbost wegen des negativen UN-Votums Israels (ebd.: 145), beschuldigte er das Land in einem Zeitungsartikel, wenn auch unter Pseudonym, den „Direktiven des Freimaurertums" zu gehorchen. Kein sonderlich judenfreundliches Panorama nur vier Jahre nach dem Ende der Nazibarbarei.

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Die „geraubte Geschichte" Die schillernden Ambivalenzen, die bis 1945 das Verhältnis zur Juden- bzw.

Sephardenthematik bestimmt hatten (vor allem die übliche Mischung aus Antisemitismus und Philosephardismus), wurden jedoch, noch bevor das Jahrzehnt zu Ende ging, wieder tonangebend - motiviert durch machtpolitisches Kalkül. Die gezinkte Karte des alten sephardischen Jokers kam erneut ins Spiel: Diesmal galt es, die frankistische Judenretterpolitik propagandistisch auszureizen. Unter der Federführung des Oficina de Información Diplomática des Madrider Außenministeriums ließ das Regime eine rund fiinfzigseitige Broschüre über Spanien und die Juden erstellen (Marquina/Ospina 1987: 244), die, auch in englischer und französischer Übersetzung, die bekannte Judenretterthese propagierte: Der „Schutz der sephardischen Juden während des Weltkrieges", heißt es dort, „ist etwas, auf das Spanien berechtigterweise stolz ist. Der diplomatische Schutz von wehrlosen Menschen ist nicht nur eine der höchsten Missionen der Diplomatie, er ist auch christliche Liebe zum Nächsten - gefangen im unmenschlichen Getriebe des totalitären Materialismus." Weihevolle Worte, die trotz ihres übertrieben-propagandistischen Charakters ein „voller Erfolg" (Lisbona 1993: 149) wurden. Die ersten Schritte, das arg lädierte Image des Regimes mit Hilfe der sephardischen Trumpfkarte aufzupolieren, waren bereits kurz nach Kriegsende unternommen worden. Wieder einmal wurde den „über die ganze Welt verstreuten Sepharden" (ebd.: 150 f.) eine Staatsbürgerschaftsofferte in Aussicht gestellt. Und wieder einmal traf die Realisierung auf zahlreiche Hindernisse, unter anderem auf einen latenten Antisemitismus, mit dem der Außenminister, der Initiator der geplanten Offerte, wohl realistischerweise gerechnet hatte. So findet sich in einem - ablehnenden - Schreiben des Instituto de Cultura Hispánica, das er um eine Stellungnahme gebeten hatte, ein ganzes Sammelsurium antisemitischer Klischees (ebd.), die sich, was das Verhältnis vieler Sepharden zu Spanien betrifft, aber wenigstens durch einen gewissen Realismus auszeichnen: Die religiösen Unterschiede, die „radikalen Differenzen" in den Lebensentwürfen, die „sonderbaren Gewohnheiten", die kulturelle Verwurzelung in anderen Ländern und „die totale Trennung von der spanischen Wirklichkeit" - diese und andere Gründe ließen es den Autoren des panhispanistischen Flaggschiffes ratsam erscheinen, von einer kollektiven Staatsbürgerschaftsofferte Abstand zu nehmen. Unter den anderen Gründen, die sich vor allem auf „die traditionellen Vorstellungen" Spaniens bezogen, rangierten die „Konzeptionen der Hispanidad" an vorderster Stelle: Die massenhafte Nationalisierung von Nachfahren „der alten Vertriebenen" sei gleichbedeutend mit einer Verurteilung des „Einigungs-

Die „geraubte Geschichte"

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werkes" der Katholischen Könige und damit einer „Verschmähung" der Grundideen der Hispanidad. Kein vielversprechender Auftakt des frankistischen Nachkriegsphilosephardismus. So sah es auch der Außenminister: Das Projekt wurde auf Eis gelegt, erst 1948 wurde es, in reichlich ausgedünnter Form, wieder aufgetaut. Nun erhielten lediglich diejenigen Sepharden in Griechenland und Ägypten ein Paß- und Residenz-Angebot (Marquina/Ospina 1987: 238), die zu den „Schutzgenossen" früherer Dekrete ähnlichen Inhalts zählten. Den eher kläglichen Resultaten in praxi stand jedoch eine beachtliche Propagandawirkung gegenüber - selbstredend das Hauptinteresse der Madrider Diplomatie. Sie zeigte sich etwa auf den Seiten der New York Times und anderer Blätter (ebd.: 242), in denen, wenn auch mit kritischem Zungenschlag, die Judenretterthese und die philosephardischen Offerten des Regimes breit diskutiert wurden. Der diplomatische Cordon sanitaire, der die außenpolitische Bewegungsfreiheit des Regimes nach 1945 teilweise drastisch eingeschränkt hatte, begann nun immer mehr zu bröckeln - auch dank der philosephardischen Außenpolitik. Den USA galt dabei, wie im Kontext des Kalten Krieges und der Bedeutung der nordamerikanischen Juden leicht zu verstehen ist, ein besonders ausgeprägtes Interesse. Neben Besuchen hochrangiger Politiker (Lisbona 1993: 135), die man unter anderem von dem .humanitären Engagement' während des Zweiten Weltkrieges zu überzeugen suchte, waren es öffentliche Stellungnahmen, etwa einschlägige Interviews Francos in nordamerikanischen Medien (Aronsfeld 1979: 56), die der dortigen Leserschaft suggerieren sollten, daß es „niemals irgend eine Art von Antisemitismus" in Spanien gegeben habe. Obwohl auch Franco, wenn es ihm nützlich erschien, die antisemitische Propagandatrommel gerührt hatte, betrachtete er den Philosephardismus doch stets als probates Instrument der Außenpolitik - nicht selten als ,Chefsache'. So etwa die Exposición Bibliográfica

Sefardí von 1959, an deren Zustandekommen er höchst-

persönlich mitgewirkt hatte (Lisbona 1993: 260 f.), diplomatisch sekundiert von den spanischen Botschaftern in den USA und Westeuropa, die auf den hohen Stellenwert verwiesen, den die sephardische Kultur in Spanien besitze. Die exponierten Köpfe des Regimes, die sich bei der Eröffnung der Ausstellung ein Stelldichein gaben, sollten diesen Stellenwert unterstreichen: Zu ihnen zählten Jesús Rubio, der Bildungsminister, Blas Piñar, der Direktor des Instituto

de

Cultura Hispánica, und der Präsident der Real Academia de la Lengua, Ramón Menéndez Pidal. Auch die rund 12 000 Besucher der Ausstellung (Marquina/ Ospina 1987: 292) suggerierten der Weltöffentlichkeit: Für Spanien war die jüdische Geschichte kein Problem.

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Die „geraubte Geschichte"

Hinter den diplomatischen Kulissen sah es freilich anders aus. Der Versuch (Lisbona 1993: 262), eine Academia de la Lengua Sefardí zu gründen, gleichsam eine Unterabteilung der Real Academia de la Lengua Española, war zum Scheitern verurteilt. Auch der Vorschlag, ein Instituto de Cultura Judía ins Leben zu rufen, hatte keinen Erfolg - zu groß waren die Bedenken, etwa im Außenministerium, ein solches Institut könnte aus dem Ruder laufen. So blieb es zunächst bei eher symbolischen Gesten: Franco verlieh dem sephardischen Großrabbiner Gaón Anfang der 60er Jahre den Orden „Alfons X. (der Weise)" und kehrte immer wieder aufs neue den Judenfreundlichen Charakter" seines Regimes hervor. In Spanien, verkündete er zum Beispiel 1963 (ebd.: 258), „gibt es keinerlei rassische Diskriminierung, hier leben Schwarze, Mauren und Juden friedlich zusammen." Den Worten folgten gelegentlich auch Taten. 1961 war innerhalb des Consejo Superior de Investigaciones

Científicas bereits das Instituto de Estudios Sefardíes (als

Nachfolgeeinrichtung des Instituto Benito Arias Montano von 1940) eingerichtet worden, unter anderem (ebd.: 262) auf Betreiben der Sephardischen Weltföderation. Das renommierte Institut, das noch heute existiert, ist dem politischen Geist, der an seiner Wiege Pate stand, zwar schnell und erfolgreich entwachsen, war aber dennoch nur die zweite Wahl: Der Traum eines eigenständigen und damit schwerer zu kontrollierenden Instituto de Cultura Judía war damit ausgeträumt. Dabei ließen die Repräsentanten des institutionellen Philosephardismus nur wenig Neigungen erkennen, in der Judenfrage zu Dissidenten des Regimes zu werden. Neben Franco, dem obersten Sephardenfreund, zählten auch so dubiose Persönlichkeiten

wie

Blas Pifiar zu den bekanntesten

Philosepharden

des

Frankismus. Der zeitweilige Chef des Instituto de Cultura Hispánica (ICI), dem die kulturpolitischen Beziehungen mit der spanischsprachigen Welt oblagen, war, wie sein caudillo,

ein glühender Anhänger autoritär-repressiver Ideologien,

deren faschistische Einschläge den Tod des Diktators sogar noch überdauern sollten. Er war es auch, der zusammen mit führenden Intellektuellen des Regimes (ebd.: 250) Anfang der 60er Jahre die Amistad Judeo-Cristiana

gründete,

eine Vereinigung, die den jüdisch-christlichen Dialog in Gang setzen sollte, unter anderem mit Israel. Zu den politischen Kuriositäten jener Jahre gehört, daß ausgerechnet Blas Pifiar Israel bereiste und sich als enger Freund dortiger Politiker bezeichnete. Nur wenige Jahre später gab er diese Freundschaften indessen wieder auf: Die Episode des Philosemitismus, auch des Philosephardismus - sie erinnerte an Giménez Caballero - war damit definitiv zu Ende. Nicht so für die politischen Strategen des Regimes: 1964 unterzeichnete Franco ein Dekret (Marquina/Ospina 1987: 303), das die Eröffnung eines Museo

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Sefardí plus Bibliothek in der alten Toledaner Synagoge El Tránsito ermöglichte - ein medienträchtiges Ereignis, das der Welt erneut den Eindruck vermittelte, daß Frankismus und Philosephardismus eine harmonische Einheit bildeten, sogar mit Blick auf die Geschichte. Ein Teil „dieses Volkes", hieß es in dem Dekret (Lisbona 1993: 263), habe sich „im Laufe einer langen convivencia" dem „hispanischen Genius" assimiliert. Der in dieser Frage bekannteste Autor des Exils, Américo Castro, konnte damit - fast - zufrieden sein: Eine zentrale These seiner Bücher traf bereits innerhalb Spaniens auf offene Ohren, wenn auch nur, wie so häufig in der neueren Geschichte, als kulturelle Einbahnstraße. Der internationale Prestigegewinn, den das Toledaner Museo Sefardí bewirkte, wurde wenige Jahre später noch vergrößert, und zwar durch einen ,unabhängigen' jüdischen Beobachter aus den USA, noch dazu einen Rabbiner. 1970 bereiste Chaim U. Lipschitz auf Einladung des Informations- und Tourismusministeriums das Land und setzte ihm mit seinem Buch Franco, Spain, the Jews and the Holocaust

(1984) ein publizistisches Denkmal. Das hagiographische

Machwerk, das zu einem publizistischen Erfolg wurde, verdankte sein Zustandekommen im übrigen der aktiven Mithilfe der einladenden Gastgeber (Lisbona 1993: 120 f.): Dem illustren Reisenden wurde ein Auto mit Chauffeur zur Verfugung gestellt - so kostenlos wie Unterkunft und Verpflegung. Wegen „mangelnder Zeit" und fehlenden Sprachkenntnissen stellten ihm die staatlichen Reiseagenten sogar eine „ausgewählte Dokumentation" zur Verfügung. Während einer zweiten Spanienreise, nur wenige Monate später, hatte der Autor Gelegenheit, sich für die ,idealen' Arbeitsbedingungen persönlich bei Franco zu bedanken. Ein propagandistischer Geniestreich mit Langzeitwirkung: Als das spanische Königspaar 1976 die USA besuchte, gehörte Lipschitz zu denen, die offiziell empfangen wurden (ebd.: 308) - mit königlichem Lob für sein Buch.

Wie haben die Intellektuellen auf die philosephardische Propaganda des Frankismus und seine historischen Prämissen reagiert? Einige der bekanntesten Köpfe, unter ihnen Menéndez Pidal, Dámaso Alonso und Ortega y Gasset, wurden, was ihr Juden- und Maurenbild betrifft, bereits untersucht. Über die große Mehrheit der Intellektuellen - Schriftsteller, Publizisten, Historiker - wissen wir indessen so gut wie nichts. Auch nicht über den augenscheinlich starken Widerhall (Candau Chacón 1997: 63), den die Debatte zwischen Américo Castro und Claudio Sánchez Albornoz auf der Halbinsel fand. Was die Juden- und Sephardenthematik in den Büchern einiger - eher unbekannter - Historiker

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Die „geraubte Geschichte"

betrifft, so hat lediglich Aronsfeld (1979: 60 ff.) einige Autoren untersucht. Das Ergebnis: ein gewisser Pluralismus in historischen Fragen, der sich vor allem an den Interpretationen von 1492 festmachen läßt. Sie schwanken, hauptsächlich in den 40er und frühen 50er Jahren, zwischen nationalkatholischen Rechtfertigungsversuchen der Vertreibungs- und Konversionspolitik und moderater Kritik. Wie bereits in früheren Jahrzehnten, fiel es auch solchen Autoren, die der Vertreibungspolitik nicht vorbehaltlos applaudierten, offenkundig schwer, „die große Idee" der Katholischen Könige - die nationale Einigung - zu kritisieren: Aus staatspolitischen Gründen, so ein Historiker der späten 40er Jahre, „verließen" die Juden das Land. Geblieben sind auch, wie aus den Zitaten von Aronsfeld hervorgeht, die philosephardischen

Standardklischees,

vor allem

die

sephardische „Spanienliebe". Die bestehenden Forschungslücken sind jedoch noch viel zu groß, als daß klare Tendenzen sichtbar würden. Fest steht lediglich, daß der Antisemitismus in der Sprache zurückgegangen ist, unter Mithilfe offizieller Kulturinstitute: Anfang der 70er Jahre erklärte sich die Real

Academia

Espanola bereit (Lisbona 1993: 255), eine Reihe judenfeindlicher Begriffe aus ihrem Diccionario

zu tilgen. Bereits in den zurückliegenden Jahren waren, auf

Anregung des II. Vatikanischen Konzils, mehr als zweihundert Grundschulbücher auf antisemitische Klischees überprüft worden; das Bildungsministerium akzeptierte die meisten Änderungsvorschläge. Die Revision von Lehrmaterialien und Wörterbüchern bezog sich übrigens auch auf die gängigen Maurenstereotypen. Bereits Ende der 60er Jahre hatte die Vereinigung La Amistad Islamo-Cristiana

Gelegenheit, sich öffentlich dafür zu

bedanken, daß besonders „verletzende Anspielungen auf die islamische Religion" (ebd.: 255) verschwunden seien. Die fast zeitgleiche Sprachrevision mit Blick auf die beiden historischen Minderheiten ist jedoch insofern etwas überraschend, als die inhaltliche Revision des traditionellen Maurenbildes bereits viel früher und entschiedener begonnen hatte, auch und gerade während des Frankismus: Das Echo der Polemik zwischen Castro und Sänchez Albornoz, schreibt Candau Chacön (1997: 63), habe, was die Maurenthematik betrifft, auf der Halbinsel immerhin dazu gefuhrt, daß das Interesse an der historischen Minderheit „keine ideologischen Rechtfertigungen" mehr erforderte. Eine stattliche Palette historischer Untersuchungen, unter ihnen die von Julio Caro Baroja veröffentlichte Studie Los moriscos del reino de Granada (1957), sind dafür ein Indiz: „Die Polemik ging [zwar] weiter", resümiert Candau Chacön (1997: 63), „aber unter anderen Bedingungen". Die ideologische Ausnüchterung gegenüber der Maurenthematik spiegelt sich, wenn auch nur sehr moderat, sogar in offiziösen Schriften jener Jahre

Die „geraubte Geschichte"

775

wider. So ist in der an anderer Stelle bereits mehrfach zitierten Untersuchung von Melchior Fernández Almagro, Mitglied der Real Academia Española, zwar immer noch, häufig sogar recht penetrant, von der „glorreichen Reconquista" Granadas (1995: 42) die Rede; die antimaurische Kampfprosa früherer Zeiten hat jedoch einem vergleichsweise sachlichen und historisierenden Duktus das Feld geräumt. Glaubt man den Aussagen bestimmter Autoren (Vincent 1992: 181 ff.), dann hat die ideologische Abrüstung auf dem historischen Kriegsschauplatz sogar den Alltag erreicht. Die noch heute in vielen Orten Spaniens organisierten „Feste der Mauren und Christen" fügten sich zwar noch immer in ein „sehr archaisches Schema" ein. Zwischen dem Wortlaut der Texte und dem, was die Laienschauspieler daraus machten, liege jedoch ein Abgrund: „Im allgemeinen neigt sich das Herz der Einwohner auf die Seite der Moslems."

Ganz so rosig dürften die Erfahrungen der Juden, die nach 1945 in Spanien lebten, nicht gewesen sein. So gab es 1950 noch bzw. wieder rund 2 500 Juden in Spanien (Havni 1982: 205), in ihrer Mehrheit, so wird vermutet, Sepharden. Sie waren Bürger zweiter Klasse - das frankistische Grundgesetz (Fuero) von 1945 hatte den Katholizismus wieder zur offiziellen Staatsreligion erklärt. Andere Glaubensformen wurden zwar geduldet, aber nur in der privaten Sphäre. Dazu zählten auch jene Synagogen, die 1949 in Madrid und 1954 in Barcelona (dort eine sephardische und eine aschkenasische) das Plazet der Behörden fanden (Aronsfeld 1979: 54 f.): Ihre Gottesdienste hatten einen „strikt privaten" Charakter. Trotz der offiziellen Restriktionen, die das jüdische Leben zu einem Schattendasein verurteilte, wuchs die jüdische Bevölkerung deutlich an: Bis zum Ende der Franco-Diktatur, schätzte ein Beobachter des World Jewish Congress (Havni 1982: 205), lebten rund 10 000 Juden in Spanien - mehr als jemals zuvor, seit sie 1492 vertrieben worden waren. So erfreulich die ,Rückkehr der Juden' auch war: Die Beziehungen ihrer offiziellen Vertreter zum Regime, namentlich zu Franco selber, stellen ein eher dubioses Kapitel in der neueren Geschichte dar. Dazu gehören weniger die persönlichen Audienzen, die Franco den Präsidenten der jüdischen Gemeinden von Barcelona und Madrid mehrmals gewährte (Marquina/Ospina 1987: 250). Denn daß die gewählten Führer der Gemeinden bestrebt waren, ihren Modus vivendi mit dem mächtigsten Mann im Staate auszuhandeln, kann ihnen kaum zum Vorwurf gemacht werden. Wohl auch nicht der Umstand, daß speziell die Sephardenthematik bei Franco stets (Lisbona 1993: 158) auf wohlwollendes In-

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Die „geraubte Geschichte"

teresse stieß. Mehr als bedenklich ist indessen die Tatsache, daß sich prominente Führer der spanischen Juden in die Propagandapolitik des Regimes einbinden ließen - und das gelegentlich in einem Maße, das geradezu verblüfft. So richtete etwa David Ventura, Präsident der Comunidad

Israelita de Barcelona,

1955

einen offenen Brief an den „Unbesiegten Caudillo Spaniens" (Lisbona 1993: 172), in dem er sich für die „günstigen Lebensbedingungen" der spanischen Juden bedankte - ohne ein Wort der Kritik an den politischen Gesamtzuständen im Lande. Dabei war unübersehbar, daß Franco diese und andere Hommagen ähnlichen

Kalibers

vor

allem

als

probates

Instrument

außenpolitischer

Propaganda benutzte, vor allem in Richtung USA. Lisbona (ebd.: 159) spricht deshalb wohl zu Recht von „verdächtigen Koinzidenzen", etwa mit Blick auf die Gewährung persönlicher Audienzen und philosephardischer Bekenntnisse: Sie standen

gelegentlich

in

direktem

Zusammenhang

mit

außenpolitischen

Ambitionen. Selbst kompromittierende Äußerungen des caudillo blieben, wie aus der bisherigen Forschungsliteratur hervorgeht, offenkundig unkommentiert. So soll Franco dem Präsidenten der Madrider Gemeinde gesagt haben (ebd.: 158), daß „die sephardische Bevölkerung" von Tetuän seinen „triumphalen Marsch durch Spanien" mitfinanziert habe. Auch Marquina/Ospina (1987: 250 f.) sind der Ansicht, daß sich einige prominente Führer der jüdischen Gemeinden „voll in das Propagandagetriebe des Franco-Regimes" integriert hätten. Etwa aus Anlaß einer Gedenkveranstaltung (1953) für den ,Sephardenapostel' Angel Pulido, auf der eine durchweg apologetische Version der frankistischen

Judenretterpolitik präsentiert worden sei - unwidersprochen, wie

aus der Schilderung hervorgeht. Wie es scheint, blieb die kompromittierende Nähe zum Regime nicht auf einzelne Funktionäre beschränkt: Nach dem Tode des Diktators sollen (Lisbona 1993: 281) „in allen jüdischen Gemeinden Spaniens feierliche Gottesdienste zu Ehren des [verstorbenen] Staatschefs" stattgefunden haben. Auch außerhalb Spaniens, vor allem in den USA, wurden solche Veranstaltungen organisiert. Etwa im November 1975, als H. P. Salomon, Mitherausgeber der Zeitschrift The American

Sephardi,

in der Spanisch-

Portugiesischen Synagoge von New York einen Gedenkgottesdienst für Franco abhielt - wohl eine späte Frucht der jahrzehntelangen Sephardenpolitik. Denn es war vor allem in den USA, schreibt Lisbona (ebd.: 282), „wo die humanitäre Haltung Francos gegenüber den während des Zweiten Weltkrieges verfolgten Juden am meisten ,mystifiziert' und ,mythifiziert' worden war". Trotz der Nähe zum Regime, die die jüdischen Repräsentanten stets suchten (und fanden), war ihr ,Marsch durch die Institutionen' langsam und beschwer-

Die „geraubte Geschichte"

777

lieh. Erst 1965, kurz nach einer persönlichen Audienz der Gemeindeführer von Barcelona und Madrid bei Franco (Havni 1982: 209), erhielt die Madrider Gemeinde ein offizielles

Anerkennungsschreiben des Innenministers. Auch im

Klerus, einer der wichtigsten Säulen des Regimes, nahm die Dialogbereitschaft mit den ,religiösen Erbfeinden' nur langsam zu. Den ersten Höhepunkt dieses Dialogs markierte ein jüdisch-christlicher Gottesdienst (ebd.: 211), der 1967 in einer Madrider Kirche durchgeführt wurde - mit starkem Widerhall in der spanischen Presse. Fünf Jahre später folgte ein weiterer Schritt auf dem Wege der gegenseitigen Annäherung: Der Bischof von Madrid und Alcalá genehmigte die Einrichtung eines Centro de Estudios sobre Judaismo,

eines kirchlichen

Forschungsinstituts, das die säkulare Variante im Consejo Superior de Investigaciones

Científicas gewissermaßen theologisch ergänzte. Auf eine rechtliche

Gleichstellung warteten die spanischen Juden indessen auch weiterhin vergebens. Das Gesetz über religiöse Freiheit von 1967 (Aronsfeld 1979: 58) brachte zwar Erleichterungen, aber keine Gleichheit - hundert Jahre nach der Revolution von 1868, die diese Gleichheit, wenn auch nur für kurze Zeit, bereits dekretiert hatte. Ein deutliches Zeichen, daß der dominante Einfluß des Nationalkatholizismus im Prinzip noch ungebrochen war. Darunter hatte sogar noch jener ,Ausnahmespanier' zu leiden, dessen literarisches Plädoyer für Toleranz gegenüber Juden und Mauren in der neuen Geschichte ohne Beispiel war: Benito Pérez Galdós. Das hatten wohl auch namhafte Bischöfe nicht vergessen, die sich in den 70er Jahren vehement dagegen wehrten (Tuflón de Lara 1968: 171), in Las Palmas, dem Geburtsort des berühmten Schriftstellers, eine „Casa-museo de Pérez Galdós" zu eröffnen ... Auch andere Dämonen der Vergangenheit spukten noch immer in den dunklen Gewölben der klerikalen Architektur: Erst Anfang der 70er Jahre war die katholische Hierarchie bereit (Avni 1982: 212), eine antisemitische Hauptlegende, die .Ermordung' des Heiligen Kindes von La Guardia, aus Predigten und Kirchenbüchern zu tilgen. Die Zeichen standen jedoch längst auf Veränderung. Am Vorabend von Francos Tod erklärte der Madrider Kardinal Tarancón (Aronsfeld 1979: 57) die Mitgliedschaft in extrem rechten, antisemitischen Parteien für unvereinbar mit dem christlichen Glauben. Tarancón war es auch, der sich seit den frühen 70er Jahren für engere Beziehungen zu Israel einsetzte, etwa im Rahmen eines Christlich-Jüdischen Studienzentrums, das seit 1972 in seiner Diözese existierte. Im politischen Umfeld des greisen Diktators wurden solche Initiativen sicher mit Argusaugen betrachtet: Noch immer gab es keine diplomatischen Beziehungen mit Israel.

Die „geraubte Geschichte"

778

Israelischerseits, darauf wurde bereits hingewiesen, war das frühe FrancoRegime wegen seiner ideologischen Nähe zu Hitler-Deutschland stigmatisiert: Israels Widerstand gegen die UN-Aufnahme Spaniens war deshalb nur allzu verständlich. Das diplomatische Eis begann jedoch schon Anfang der 50er Jahre, nachdem die außenpolitische Isolation des Frankismus zu Ende war, allmählich zu schmelzen. 1952 votierte Israel dafür (Aronsfeld 1979: 55), Spanisch als offizielle UN-Sprache zuzulassen. Dabei standen, neben der Bedeutung Lateinamerikas, auch .sentimentale' Überlegungen Pate: Der israelische UN-Delegierte verwies unter anderem auf die sephardische „Liebe zu und die Identifizierung mit Spanien" - kollektive Gefühle, die in den „letzten vierhundert Jahren" nie nachgelassen hätten. Politisches Tauwetter signalisierte auch die 1953 in Tel Aviv erfolgte Gründung einer „Freundschaftsliga Spanien-Israel" (Marquina/ Ospina 1987: 255), die hauptsächlich die ,Sephardenschiene' befahren sollte. In Spanien trafen solche Initiativen natürlich auf offene Ohren. Bereits 1949 hatte der frankistische Außenminister mit dem Gedanken gespielt (Lisbona 1993: 145), Ignacio Bauer, den damaligen Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Madrids, zum israelischen Generalkonsul in Madrid zu ernennen. Der illustre Aschkenase und exponierte Aktivist des Philosephardismus der Vorbürgerkriegszeit, der inzwischen auch zum Juraprofessor an der Universidad

Central

avanciert war, schien der geeignete Emissär zwischen beiden Ländern zu sein. Die Gedankenspiele hatten jedoch keine Chance, Realität zu werden. So erging es auch anderen Aktivitäten, die auf die Knüpfung von engeren Beziehungen zu Israel gerichtet waren, auch weit unterhalb der diplomatischen Ebene. Dazu zählt etwa die Absicht des frankistischen Außenministers, in Madrid ein

Instituto

Sefardi Angel Pulido de Amigos de Israel (Marquina/Ospina 1987: 280 f.) zu gründen. Die 1957 lancierte Initiative, die den Namen des berühmtesten spanischen Philosepharden - eines Liberalen! - des 20. Jahrhunderts als Firmenschild' benutzte, scheiterte indessen. Zu groß waren die politischen Bedenken, vor allem mit Blick auf die arabischen Länder, die, so fürchtete man, ein solches Institut verstimmen würde. Ganz erfolglos blieb der Versuch, die Erinnerung an den legendären Sephardenfreund zu reaktivieren, allerdings nicht: Noch im selben Jahr reiste sein Sohn nach Israel (ebd.: 270), wo man Angel Pulido als Freund der Juden ehrte. Unterhalb der diplomatischen und institutionellen Ebene trug die Politik der Annäherung auch weiterhin Früchte. Anfang der 60er Jahre kooperierte das Regime mit dem israelischen Geheimdienst (Lisbona 1993: 191), um die klandestine Emigration marokkanischer Juden zu erleichtern - viele von ihnen

779

Die „geraubte Geschichte"

Sepharden, die der ökonomischen Misere im .historischen Hinterland' Spaniens entkommen wollten. Von den rund 400 000 Juden sollen knapp 200 000 Marokko verlassen haben, etwa 30 000 mit Israel als Ziel. Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern wurden dadurch jedoch nicht erkennbar befördert. Erst 1986, mehr als zehn Jahre nach dem Tode Francos, ging dieser Anachronismus zu Ende: Das nationalkatholische „Musterland" von einst, in dessen Geschichte die jüdische Minderheit eine in jeder Hinsicht einzigartige Rolle gespielt hatte, erkannte den , Judenstaat', in dem auch viele Sepharden lebten, offiziell an.

Auch innerhalb Spaniens wehte, was die Judenfrage betraf, nach dem Ableben des Diktators ein neuer Wind. Im Mai 1976 nahm die spanische Königin (Aronsfeld 1979: 62), eine späte Nachfahrin von Isabela la Católica, an einem Gottesdienst in der neuen Madrider Synagoge teil. Nur kurze Zeit später wurde in der Hauptstadt der Grundstein für eine jüdische Schule gelegt (ebd.: 64), die den Namen eines berühmten Convivencia-Spaniers erhielt: Colegio Judío Ibn Gabirol. Eine deutliche Zäsur im Verhältnis zur nationalkatholischen Vergangenheit markierte vor allem die Verfassung von 1978, die den Katholizismus als Staatsreligion ad acta legte und den spanischen Juden (Avni 1982: 204) „die volle verfassungsmäßige Emanzipation" bescherte. Der politische Wandel, wenn auch nur in Form eines „paktierten Bruchs" mit dem Frankismus, zog verständlicherweise das Interesse der internationalen Judengemeinden auf sich. Bereits im Dezember 1976 wurde Madrid zum Treffpunkt des europäischen Zweigs des World Jewish Congress.

Sein Präsident,

Nahum Goldmann, bezeichnete (Aronsfeld 1979: 63) die „Wiederversöhnung zwischen Spanien und den Juden" als „historisches Ereignis" allerersten Ranges. Auch fUr den verstorbenen Diktator fand er lobende Worte: „Wir können uns nicht über ihn beklagen". Die Madrider Presse feierte das Treffen und die Rede Goldmanns als „Beweis für den totalen Wandel, in den Beziehungen zwischen Spanien und den internationalen Judengemeinden". Die politischen Präferenzen der transición-Politiker

galten indessen auch

weiterhin den Sepharden. 1977 reiste der sephardische Großrabbiner Ovadia Yosef nach Madrid (Lisbona 1993: 313), wo er unter anderem von König Juan Carlos empfangen wurde. Die Reise, die man in Spanien als „positives Signal an die Adresse der weltweiten Sephardengemeinden" interpretierte, war vor allem unter zwei Aspekten von Bedeutung: Der Großrabbiner bezeichnete es als

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Die „geraubte Geschichte"

„völlig falsch", daß jemals ein hérem (Bannfluch) gegen das ehemalige Land von Torquemada ausgesprochen worden sei, und seine Anwesenheit ermutigte das spanische Außenministerium, so Lisbona (ebd.), die sephardischen Juden erneut als politisches Instrument zu benutzen: „Wieder einmal, genauso wie in den fünfziger und sechziger Jahren, brachte die spanische Diplomatie die sephardische Karte ins Spiel, die sie [gegenüber den in Israel regierenden Aschkenasen, N.R.] als soziale und politische ,Opposition' versteht." Wie haben die jüdischen Gemeinden und Intellektuellen auf die ,Sephardisierung' der spanischen Außenpolitik mit Blick auf Israel reagiert? Über das jüdische Leben im nachfrankistischen Spanien liegen bislang nur bruchstückhafte Informationen vor - auch das ein Desiderat, das, besonders im europäischen Vergleich, erstaunlich wirkt. Eine der wichtigsten Veränderungen der jüdischen Präsenz im Nach-Franco-Spanien hat vermutlich mit ihrer kulturellen Zusammensetzung zu tun: Durch eine massive Einwanderung lateinamerikanischer Juden, die, vor allem mit Beginn des argentinischen Obristenregimes 1976, in Spanien politisches Asyl suchten, verloren die Sepharden, so wird vermutet (Díaz-Mas 1993: 240), die Mehrheit im Lande. 1 Ein großer Teil der vier- bis fünftausend Neueinwanderer aus Lateinamerika (Lisbona 1993: 314) ging im übrigen zu den bestehenden Gemeinden auf Distanz - vor allem aus religiösen Gründen: Viele Lateinamerikaner, unter ihnen zahlreiche Intellektuelle aus dem linken Spektrum ihrer Herkunftsländer, waren keine gläubigen Juden. Erst in den 90er Jahren soll es zu einer Annäherung an die alteingesessene, vermutlich sephardische Mehrheit gekommen sein. Ob damit auch eine, zumindest partielle ,Sephardisierung' der wohl überwiegend aschkenasischen Juden aus Lateinamerika verbunden war, ist nicht bekannt. Einige Indizien deuten freilich darauf hin, daß das Interesse an der Geschichte der peninsularen Juden durch den Aufenthalt in Spanien angeregt bzw. vertieft wurde. Zu diesen Indizien zählt etwa das erzählerische Werk von Mario Satz aus Argentinien, der mit Tres cuentos españoles (1988) und dem Roman Azahar (1996) das mittelalterliche Sefarad sondiert - ein Autor, der durch seine geschliffene, poetische Sprache genauso überzeugt wie durch seine gründlichen Geschichtskenntnisse. Auch unter spanischen Intellektuellen nahm das Interesse an den Juden bzw. Sepharden zu. So war es kein Geringerer als der bekannte Historiker und Anthropologe Julio Caro Baroja (Lisbona 1993: 331), der 1979 die Präsidentschaft der neugegründeten Asociación de Amistad España-Israel

(AEI) übernahm, gefolgt

Statistische Angaben, so Diaz-Mas (ebd.: 241), liegen indessen nicht vor.

Die „geraubte Geschichte"

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von Camilo José Cela, dem späteren Nobelpreisträger für Literatur, der das Amt 1983 antrat. Ein Teil der Ambivalenzen, die den spanischen Philosemitismus bzw. den Philosephardismus früherer Zeiten geprägt hatte, schien jedoch im nachfrankistischen Spanien überdauert zu haben: Zu den Vizepräsidenten der Asociación

gehörte auch Ricardo de la Cierva, ein besonders reaktionärer

Historiker, der aus seinem frankistischen Credo nie einen Hehl gemacht hat. Wie auch immer man solche Allianzen bewertet: In den 80er und frühen 90er Jahren erlebte die Juden- und vor allem die Sephardenthematik ein starkes öffentliches Interesse, auch im Parlament. Ein Gesetz von 1982 ermöglichte den Sepharden eine präferenzielle Einbürgerung (Díaz-Mas 1993: 206), zusammen mit den Bürgern anderer Länder, die Spanien „kulturell verbunden" sind. Darüber hinaus wurden zahlreiche internationale Kongresse und Ausstellungen organisiert (ebd.: 272 ff.), die sich mit der Geschichte der spanischen Juden befaßten. Daran beteiligt waren auch und gerade staatliche Einrichtungen, etwa das Kulturministerium, das 1991 die vielbeachtete Ausstellung „Jüdisches Leben in Sefarad" organisierte. Nur kurz vor dem Ereignis jener Jahre, dem V. Centenario der Vertreibung der spanischen Juden („Sefarad 92"), war damit die jüdische Geschichte in akademischen und politischen Kreisen recht gut präsent.

Das Ereignis der 90er Jahre, das zum Prüfstein für den Umgang mit der trikulturellen Vergangenheit wurde, war „Sefarad 92" - jener offizielle Veranstaltungsreigen, der, wenn auch deutlich im Schatten des V. Centenario der Entdeckung Amerikas, die Bilanz einer fünfhundertjährigen Geschichte zog: 14921992. Die Erwartungen an diesen Centenario,

auch und gerade außerhalb

Spaniens, waren groß: 1992 sollte für Spanien und die Welt, schrieb etwa der deutsch-jüdische Historiker Wolfsohn (1991: 12 f.), „nicht nur ein Jubeljahr sein. Ein Gedenkjahr muß es werden, mit Gedanken sowohl an Licht als auch an Schatten." Nur auf diese Weise könne Spanien ein Zeichen setzen - „für eine einzigartige historisch-politische Kultur des Umgangs mit der Vergangenheit". Glaubt man einigen Stimmen, die nach dem Ende des Gedenkjahres Bilanz gezogen haben, dann hat das offizielle Spanien die ,historische Probe' bestanden. Knapp zwei Jahrzehnte nach Beginn der Demokratisierung, attestiert Kenig (1995: 155) den Veranstaltern von „Sefarad 92", habe der „großartige" Gedenkmarathon „unter der dreifachen Flagge von Al-Andalus, Amerika und Sefarad" unter Beweis gestellt, daß Spanien wieder einen bedeutenden Platz unter den Nationen eingenommen habe. An anderer Stelle schreibt die Autorin (Kenig

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Die „geraubte Geschichte"

1994: 168) nicht minder enthusiastisch: Spanien habe seine Stimme wiedergefunden - „ohne sein Gedächtnis zu verlieren". Die in der Einleitung dieser Untersuchung zitierten Stimmen lassen jedoch erkennen, daß nicht alle Beobachter von „Sefarad 92" die rundweg positive Bilanz dieser Autorin - immerhin einer ausgewiesenen Kennerin der spanischen Juden - teilen. Tatsächlich gibt es gute Gründe, den Enthusiasmus ihrer Sicht der Dinge etwas zu dämpfen: Ein kritischer Blick auf das Gedenkjahr fördert noch immer zahlreiche Ambivalenzen zutage, die seit dem 19. Jahrhundert das Thema bestimmen, wenn auch mit deutlich abnehmender Tendenz. Bereits 1990 war den über die Welt verstreuten sephardischen Gemeinden der Premio Principe de Asturias a la Concordia verliehen worden - eine noble, symbolische Geste, die den Versöhnungswillen der heutigen Nachfahren der Katholischen Könige augenscheinlich illustriert: „Im Geiste der Eintracht des heutigen Spanien und als Erbe jener, die vor fünfhundert Jahren das Ausweisungsdekret unterzeichneten", lautet der Laudatiotext (Lisbona 1993: 357) des jungen Bourbonenprinzen, „heiße ich Sie mit offenen Armen und bewegten Gefühlen willkommen." Von einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte kann indessen nicht die Rede sein: Weder formal, durch eine offizielle Aufhebung des Vertreibungsedikts, 2 noch argumentativ, etwa durch eine eindeutige Verurteilung „dieses eingesargte[n] Verbrechen[s]", das, wie Max Nordau (vgl. das entsprechende Kapitel) vor über hundert Jahren geschrieben hatte. Statt dessen firmierten die Sepharden (Bei Bravo 1992: 294) als „unzertrennlicher Teil der großen hispanischen Familie", der die Iberische Halbinsel vor fünfhundert Jahren „verließ" (!) - und selbstverständlich, so der sentimentale Dauertopos, der auch hier nicht fehlt, „mit den Schlüsseln ihrer Häuser in den Händen". Dieser Topos, obwohl auf ziemlich wackligen Füßen, soll die angeblich unverbrüchliche Spanienliebe der Sepharden suggerieren: „Selbst als sie ihre Heimat unter dramatischen Umständen verlassen mußten", lautet ein entsprechender Passus in der Laudatio des Prinzen (Lisbona 1993: 357 f.), „blieben sie ihr treu, vielleicht in der Hoffnung, daß Spanien eines Tages erneut der Ort sein würde, an dem sie sich wiedersehen." Die Versöhnungsrhetorik im Umkreis der Preisverleihung von 1990, die statt des Umwegs über die Geschichte eine bequeme Abkürzung wählte, der man offiziellerseits übrigens auch mit Blick auf die Kolonialgeschichte in Latein2

Da die Verfassung aus den späten 70er Jahren Religionsfreiheit gewähre, lautet statt dessen die offizielle Version (Grupo de Trabajo Sefarad 92, 1992: 5), sei damit auch das Edikt de jure obsolet.

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Die „geraubte Geschichte"

amerika den Vorzug gab (Rehrmann 1991) - sie findet ihr getreues Pendant in den Kautelen, mit denen die spanische Diplomatie den V. Centenario von 1992 ideologisch austarierte. Ihr ging es vor allem darum, wie die einschlägigen Vorgaben erkennen lassen (Lisbona 1993: 351 f.), eine „für beide Seiten adäquate Orientierung" des Veranstaltungsreigens zu gewährleisten. Und das bedeutete: „Keine Diskussionen", so wörtlich, über „die negativen Elemente" der Vergangenheit, etwa „die Erinnerung an die Vertreibung, die Verfolgung durch die Inquisition, die Intoleranz". Anstatt „mehr als nötig das Bild von Torquemada wiederzubeleben", präferierten die Diplomatien und ihre parteipolitischen Souffleure eine „konstruktive Überwindung der historischen Ereignisse". „Konstruktiv" - in der Lesart der Organisatoren von „Sefarad 92" hieß das vor allen Dingen, so eine offizielle Programmbroschüre (Grupo de Sefarad

Trabajo

92, 1992: 5), die „brillante Vergangenheit der jüdischen Präsenz in

Spanien" in den Vordergrund zu stellen. Also all jene „Schriftsteller, Denker, Talmudgelehrten und Männer der Wissenschaft, die mit ihrer Arbeit dazu beitrugen, die Weltkulturen ihrer Zeit zu bereichern" (ebd.: 3). An dieser Aussage gibt es tatsächlich nichts zu deuteln: „Auf dieser Erde", formulierte ein weiterer Broschürenautor (Sociedad Estatal 1992: 167 ff.) eine wohlverdiente Hommage an die kulturelle Elite der spanischen Juden, „lebten Dichter wie Judá Halevi, Salomón Ibn Gabirol, Moisés Ibn Ezra; Philosophen vom Format eines Maimónides, Najmánides und Crescas und glänzten darüber hinaus Astronomen und Kartographen, Politiker, Finanziers und Führer der Gemeinschaften, die eine herausragende Rolle in der jüdischen und spanischen Geschichte spielten." Auch die „Wiederentdeckung" der Sepharden im Umkreis der Jahrhundertwende ist den anonymen Autoren der Hochglanzbroschüren von „Sefarad 92" ein Begriff: „Der moderne Prozeß der Wiederannäherung an die Sepharden", heißt es dort (Grupo de Trabajo Sefarad 92, 1992: 3 f.), „war spanischerseits bemerkenswert: von ihrer Präsenz in der Literatur Ende des vergangenen Jahrhunderts (Galdós, Blasco Ibáñez, Baroja, Pardo Bazán etc.) bis zum Interesse, das die Entdeckung im spanischen Volk auslöste, weil die Sepharden des Balkans ihre Sprache noch nach vier Jahrhunderten erhalten" hätten. Spanien, so die späte Dankadresse, „wurde durch diese Treue sensibilisiert". Was von dem negativen Abziehbild des spanischen Philosephardismus, nämlich dem Topos der sephardischen Hispanophilie zu halten ist, wurde in der vorliegenden Untersuchung deutlich: Es ist nur ein Ausschnitt der Realität. Ein regelrechtes Zerrbild der intellektuellen und literarischen Aktivitäten um die Jahrhundertwende ist jedoch der Hinweis auf die zitierten Koryphäen der damaligen Literatur: So

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waren, wie ich in den entsprechenden Kapiteln dargestellt habe, zwei der Genannten, Blasco Ibáfiez und Pío Baroja, eingefleischte Antisemiten, die nur für die aristokratischen' Sepharden Sympathie empfanden - weil sie spanische Ideale verkörperten. Pardo Bazán, die Dritte im Bunde, mochte auch die Sepharden nicht. Ihr Antisemitismus galt allen Juden, auch den mittelalterlichen Bewohnern der Halbinsel, deren kulturelles Erbe in den Romanen und Essays ihrer beiden zitierten Kollegen so hoch im Kurs stand. Nur einer, Benito Pérez Galdós, verdient das Lob der „Sefarad"-Autoren: Er ist, wie gezeigt wurde, tatsächlich der einzige Schriftsteller von Rang jener Zeit, in dessen vielgelesenen Romanen beide kulturellen Minderheiten, Juden und Mauren, ohne ideologische Scheuklappen beschrieben werden - in Gegenwart und Geschichte. Im Unterschied zu Pulido, den die Vergangenheit nicht interessierte, sehen sich die Autoren von „Sefarad 92" immerhin veranlaßt, das düstere Datum zu erwähnen: „Die Ausweisung der Juden im Jahre 1492 [...] war nach allgemeiner Sicht, fiir die einen wie für die anderen" (!), schreiben sie (Grupo de Trabajo Sefarad 92, 1992: 4),salomonisch', „ein negatives Phänomen" - und fügen ohne Punkt hinzu: „sie [die Ausweisung, N.R.] forderte [jedoch] die Expansion des Spanischen in die entlegendsten Winkel der Welt." Ich verzichte hier auf eine genauere Analyse des gewundenen Broschürentextes, der das Kopfzerbrechen ahnen läßt, das er seinen Autoren bereitet hat. Die Redaktionsdevise, niemandem auf die Füße zu treten, ist allenthalben spürbar, selbst bei einem Kapitel der jüngeren Geschichte, an dessen kritischer Aufarbeitung die Repräsentanten des demokratischen Systems eigentlich besonders interessiert gewesen sein müßten: Spanien und der Holocaust. Die legendäre Judenretterthese des Frankismus wird explizit zwar nicht mehr vertreten. Statt dessen, heißt es - fast - im Einklang mit der historischen Wirklichkeit {Grupo de Trabajo Sefarad 92, 1922: 5), „retteten sich mehrere Tausende Juden dank des Schutzes spanischer Botschaften und Konsulate". Das „Fast", auch wenn es pingelig klingt, soll sagen: Es waren lediglich einzelne, couragierte Diplomaten, die, auch unter Mißachtung gegenteiliger Anweisungen aus Madrid, sephardische Juden, speziell in Griechenland, vor den Gaskammern der Nazis gerettet haben. Der folgende Teilsatz, die Fortsetzung des obigen Zitats, verwischt dagegen die schillernde, ja dubiose Rolle des Franko-Regimes, wenn er die Rettung europäischer Juden ohne irgendwelche Einschätzungen „der Gewährung von Asyl unseres Landes" zuschreibt. Die maurische Geschichte, laut offizieller Broschüre (Sociedad Estatal 1992: 169), „der andere große Pfeiler [der] spanischen Kultur", enthielt offen-

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kundig weniger historischen Sprengstoff. Sie hat den Veranstaltern, so scheint es, deshalb kaum Schwierigkeiten bereitet. Im Gegenteil: Die jüdischen Kulturleistungen des Mittelalters werden zwar gelobt, man identifiziert

sich augen-

scheinlich aber nur mit den maurischen Traditionen - „unseren arabischen Wurzeln" (ebd.). Hier klingt der Text geradezu euphorisch: „Ein Gutteil unserer besten Kultur hat arabische Ursprünge". Selbst mit Blick auf die ,erotische Convivencia', die natürlich stets auch die Juden, besser: die Jüdinnen umfaßte, läßt man Nonchalance erkennen: „Christliche Könige unterhielten Beziehungen zu maurischen Edeldamen und umgekehrt." Ganz anders der sephardische Teil der Veranstaltungsagenda. Ein besonders heißes Eisen, das den Organisatoren von „Sefarad 92" schwere Sorgen bereitete, bestand in den womöglich unkalkulierbaren Reaktionen der sephardischen Mitveranstalter. Diese hatten sich erst Ende 1990 zu einer Comisión

Nacional

Judía Sefarad 92 zusammengeschlossen, weil die offizielle Arbeitsgruppe bis dato fast nur auf dem Papier existiert hatte: Die von ihr geplanten Projekte, so ein spanischer Kritiker (Lisbona 1993: 356), hatten das Ideenstadium noch kaum überschritten, und die Mittel zu ihrer Realisierung flössen nur spärlich - deutliche Indizien für die gemischten Gefühle, die das bevorstehende Datum auslöste. Wie es scheint, erwiesen sich die sephardischen Gemeinden, vor allem in Madrid und Barcelona, nicht nur als Retter in letzter Minute; sie zerstreuten offenkundig (ebd.: 365) auch die zitierten Sorgen der staatlichen Instanzen: Keiner ihrer offiziellen Vertreter verlangte die explizite Aufhebung des Vertreibungsedikts, keiner sprach von „Schuld", keiner verlangte „Wiedergutmachung", weder finanzieller noch moralischer Natur. Der clase política des Landes - man darf vermuten: fast unisono - war damit wohl ein Stein vom Herzen gefallen: Die befürchtete Zwietracht, hauptsächlich in historischen Fragen, ließ Eintracht erwarten, zumindest im offiziellen Programm. Der Geist historischer „Versöhnung" und enger „Verwandtschaft" in Sprache und Kultur durchwehte auch die Reden der sephardischen Repräsentanten. Salomón Gaón, einer der Preisträger von 1990, formulierte (ebd.: 358) seine Gefühle in Versen, die bereits in den 20er Jahren, etwa in der Gaceta

Literaria,

publiziert worden waren: „Dich, geliebtes Spanien, ,Mutter' nennen wir Dich, und solange wir leben, sprechen wir Deine süße Sprache. Obwohl Du uns vertrieben hast, wie eine Stiefmutter von ihrer Brust, lassen wir nicht nach, Dich zu lieben als heilige Erde, in der unsere Väter ihre begrabenen Verwandten und die Asche von Tausenden ihrer Lieben zurückließen. Für Dich, glorreiches Land, bewahren wir innige Liebe, deshalb schicken wir Dir unseren glorreichen Gruß."

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Andere Redner, unter ihnen die Generalsekretäre der Comunidades

Israelitas

von Madrid und Barcelona (ebd.: 367 f.), sprechen zwar davon, daß „das neue, offene und demokratische Spanien [...] sich seiner Vergangenheit stellt, da man die Geschichte nicht ändern kann". Sie ziehen es indessen durchweg vor, nur von J e n e n Begebenheiten" zu reden, wenn sie Pogrome, Repression und Vertreibung insinuieren. Ansonsten ist auch bei ihnen von „totaler Wiederversöhnung" und einer „neuen, reichen und fruchtbaren Beziehung zwischen dem Judentum und der Hispanität" die Rede. Der gemeinsame Hauptnenner, darauf verweist das Prädikat „neu", ist auch bei den sephardischen Rednern die kulturelle Blüte des Mittelalters: Eines der wichtigsten Ziele, wenn nicht das Ziel überhaupt, besteht für den Präsidenten der Comunidad

Israelita

von Barcelona folglich darin

(ebd.: 359), „der spanischen und sonstigen Welt die Sternstunden der jüdischspanischen Kreativität in den Jahrhunderten ihres höchsten Zenits vor Augen zu fuhren". Es liegt mir fern, das sei betont, die Versöhnungsattitüde der jüdischen Redner auf den Foren von „Sefarad 92" lediglich als taktischen Diplomatenjargon abzutun. Die Gesten und Emotionen, die Bereitschaft zum Dialog - all das mag durchaus authentisch gewesen sein: Die historische ,Abkürzung', die auch die sephardischen Mitveranstalter von „Sefarad 92" eingeschlagen haben, erscheint mir indessen als Irrweg. Es ist jedoch höchst zweifelhaft, wie andere Stimmen illustrieren, die in der vorliegenden Untersuchung zur Sprache kamen, daß die Reden und Deklamationen von 1992 das sephardische

Meinungs-

spektrum artikulierten. Ähnliche Ambivalenzen bestimmten auch in anderen Bereichen der Gesellschaft das Bild, in denen das geschichtsträchtige Datum ein Echo fand: Presse und Literatur. Mein Eindruck 3 ist, was die Presse betrifft, daß die Resonanz auf „Sefarad 92" mit der breiten, kritischen

und mehrere Jahre geführten Debatte

über Spanien und Lateinamerika - eine Debatte, die diese Bezeichnung tatsächlich verdient - nicht zu vergleichen ist. Der quantitativ eher bescheidene Artikelkorpus spiegelt im übrigen einen Gutteil der Sichtweisen wider, die im politischen Bereich zutage traten, beispielsweise in den Spalten von El País, der führenden liberalen Tageszeitung des Landes. Als positiv kann zunächst gelten, daß die Autoren des Blattes das historische ,Land der drei Kulturen' ohne die Scheuklappen betrachten, die dem Gros der nationalkatholischen Historiographie jahrhundertelang den Blick einengten. Das Mit- und Gegeneinander von Mauren, 3

Entsprechende Gesamtuntersuchungen liegen auch hier nicht vor.

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Juden und Christen im Mittelalter figuriert in El País (Monsalvo Antón 1992: 3) zwar zu Recht als „problematisch", aber zugleich als „fruchtbare Convivencia", die im übrigen Europa ohne Vergleich dastehe. Auch das Erbe von Al-Andalus wird durchweg akzeptiert: Die „Dialektik" des trikulturellen Zusammenlebens gehöre zur „Substanz" der spanischen Kultur und bilde ein Grundferment dessen, „was man die okzidentale Zivilisation nennt". Als positiv kann ferner gelten, daß der renommierte Historiker Antonio Domínguez Ortiz an gleicher Stelle (ebd.: 4) den spanischen Renaissance-Intellektuellen sogar ins Stammbuch schreibt: Sie hätten nur die Vertreibung von Mauren und Morisken - aus primär ökonomischen Motiven - kritisiert, nicht aber die „grausamen Maßnahmen" gegen die Juden ein Jahrhundert zuvor. Meldet sich in diesen beiden Artikeln ein erfrischend kritischer Geist zu Wort, der auch in der neueren Kultur- und Literaturgeschichte wenn nicht tonangebend, so doch unüberhörbar ist (Subirats 1993), präsentieren andere Artikel dagegen Teilwahrheiten oder sattsam bekannte Klischees. Die Gretchenfrage besteht in der gesamten Palette der Gründe, die zum Drama von 1492 führte. Es ist zwar richtig, wie ein Historiker der Universität von Salamanca schreibt (Monsalvo Antón 1992: 6), daß die Vertreibung „durch das Klima der Feindschaft gegen die Juden, das in der öffentlichen Meinung verwurzelt war", begünstigt wurde und damit „die Entscheidung populär" genannt werden könne. Über die fatale Rolle, in die ein kleiner Teil der Juden als Steuereintreiber und Geldverleiher hineingedrängt wurde, schweigt sich der Autor aber ebenso aus wie über die antijüdische Hetze des Klerus, die das zitierte Klima erst zu einem Gutteil erzeugt hatte. Fragwürdig ist darüber hinaus die Dichotomie, die ein weiterer Autor der Zeitung, ein Rechtshistoriker der Universität von Zaragoza (Motis 1992: 5) präsentiert: Die Ressentiments gegen die Juden seien lediglich „Antijudaismus", kein .Antisemitismus" gewesen. Rassische Vorstellungen - lange Hakennasen, mandelförmige Augen, hervorstehende Zähne - seien „der Mentalität der Epoche fremd" gewesen. Schließlich findet sich im Korpus der El PaisArtikel (Cygielman 1992: 6) auch ein besonders abgegriffenes Klischee: Die Sepharden als jüdische .Aristokraten", deren „hispanophile" Gesinnung, ja sogar deren „spanische Mentalität" die Jahrhunderte überdauert hätten: „die sephardischen Juden", vermeint der El País-Autor zu wissen, „haben sich der spanischen Sprache und Kultur immer verbunden gefühlt. Trotz ihres Unglücks auf spanischer Erde. Trotz der Inquisition, trotz der Vertreibung. Unglaublich, aber wahr." Der fiktive Charakter dieser Sätze ist eine gute Überleitung zum letzten Bereich, auf den ich einen kurzen Blick werfen möchte: die Literatur. Für die

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Diegeraubte Geschichte"

zahlreichen, vor allem historischen Romane, die in den vergangenen Jahren zur Juden- und Maurenthematik erschienen sind, gelten zwar die gleichen Kautelen wie für die Presse, da verallgemeinerbare Untersuchungen nicht existieren. Erste Tendenzen scheinen sich indessen abzuzeichnen. So heißt der einzige spanische Autor von Rang, in dessen Romanen und Essays die maurisch-jüdische Vergangenheit und ihre Bedeutung für die Gegenwart nicht nur durch die Brille nationalkatholischer Prämissen betrachtet wird, augenscheinlich noch immer Juan Goytisolo, dessen Sicht der Dinge im Verlauf der Untersuchung mehrfach zitiert wurde. Seine Außenseiterrolle wird dann besonders deutlich, wenn man ihn mit zeitgenössischen Autoren vergleicht: Vor allem mit Antonio Gala, der sich ebenfalls, wenn auch in geringerem Umfang, häufig mit den plurikulturellen Traditionen seines Landes beschäftigt hat. In seinem dickleibigen Roman von 1990, El manuscrito carmesí, für den er den angesehenen Premio Planeta erhielt, spielt Boabdil, der letzte Granadiner Maurenherrscher, die Protagonistenrolle. Von den antimaurischen Invektiven, wie sie noch ein 1983 publiziertes Buch des bekannten Exilhistorikers Claudio Sánchez Albornoz en masse enthält, ist in diesem Roman nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die hemmungslosen Lüstlinge, über die sich Sánchez Albornoz mokierte, treten hier zwar als sinnenfrohe, aber hochgebildete Repräsentanten einer raffinierten Liebeskultur in Erscheinung, die mit den Keuschheitsidealen eines Cervantes oder dem „erotischen Machiavellismus" (Carlos Fuentes) eines Don Juan nur Mitleid empfinden: „Sie [die christlichen Männer, N.R.] verwandeln die Spiele des Fleisches", lautet ein Kommentar Boabdils (1990: 284), „in etwas so unendlich Vermessenes und Kompromittierendes, daß ich dazu neige, für ihre Geliebten Bewunderung zu empfinden." Auch die damit eng verbundene ,altchristliche Angst vor dem Wasser' karikiert der Autor (ebd.: 338) mit spöttischer Verve: „Königin Isabella", so eine beredte Szene, „legte eine nicht ganz saubere Hand auf den Arm von Moraima", der Frau von Boabdil. Die Gründe hat der Icherzähler (ebd.: 203), der eine Zeitlang in christlicher Gefangenschaft lebte, am eigenen Leibe erfahren: „die Badehäuser sind für sie der Vorhof zur Hölle, womöglich gar die Hölle selber". Von Nietzsche (1986: 21) wissen wir, daß diese Sicht der Dinge nicht erfunden ist: Nach der christlichen .Rückeroberung' Córdobas wurden die 270 öffentlichen Bäder der Stadt geschlossen. Wenig Freude dürften die Urenkel der Reconquista-Ideologen auch dort empfinden, wo Antonio Gala das ,Land der drei Kulturen' generell bewertet, etwa den Mythos eines achthundertjährigen Dauerkrieges zwischen Christen und Mauren: „Es gibt keinen Krieg señor, der acht Jahrhunderte dauert", belehrt Boabdil (Gala 1990: 338)

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seinen königlichen Widersacher Ferdinand. Statt solcher Legenden beschreibt der Romanprotagonist, und mit ihm der Erzähler, eine vielschichtige Realität, die naiven Multi-Kulti-Idyllen ebensowenig entspricht wie den kulturellen Apartheids-Dogmen der nationalkatholischen Orthodoxie: „ohne uns wird die Geschichte Spaniens eine andere sein. Wir, Christen und Mauren", lautet das realistische Credo des letzten Narazenenherrschers, „haben acht Jahrhunderte [hier] gelebt, die einen durch die anderen, und so sind wir gestorben; wir haben uns beobachtet, gehaßt, verfolgt, imitiert; wir haben zusammengelebt (convivido)." Dennoch ist der Erfolgsroman nicht frei von bekannten Stereotypen. Sie betreffen besonders die Juden, mit deren historischer Rolle der Romancier - trotz seines trikulturellen Basiscredos - einige Probleme hat, die antisemitischen Klischees verdächtig ähnlich sind: „Er wußte", lautet eine Art Selbstanklage des jüdischen Arztes am Granadiner Hofe (ebd.: 80), „daß die Angehörigen seiner Rasse in Granada und in vielen anderen Reichen verfolgt worden sind - und sein werden ... Und er wußte, daß sie einem verarmten Volk gelegentlich Gründe zur Verfolgung gaben - durch Wucher, durch Steuern, die sie zu einem großen Teil kassierten; und durch die hohen Preise, die man den jüdischen Fachleuten (profesionales) zahlen mußte, wenn man sie brauchte." Behauptungen dieser Art, die an keiner Stelle des Romans relativiert werden, meinte der eingangs zitierte Satz von Adorno: „Wenn der Bürger schon zugibt, daß der Antisemit im Unrecht ist, so will er wenigstens, daß auch das Opfer schuldig ist." Das Urteil Adornos gilt auch für die ,Ghetto-Theorie' des Romans, wiederum aus dem Munde des jüdischen Arztes: „Ihr und die Christen glaubt", belehrt er den künftigen Alhambra-Herrscher, „daß ihr uns in einen Stadtteil, in eine Gemeinschaft, in ein Ghetto drängt und darauf reduziert. Das stimmt aber nicht: Wir sind es, die sich darauf reduzieren, um uns, einer dem anderen, den Rücken freizuhalten, um uns zu stärken; denn zusammengedrängt verteidigen wir uns besser gegen Ansteckung und Infiltrationen, schützen wir besser unsere Unveränderlichkeit. Jude sein, Boabdil, heißt ohne Rast dafür zu kämpfen, es zu sein, mit der größtmöglichen Rigorosität." Das alles ist sicher nicht völlig falsch, aber doch eine krasse Verschiebung der historischen Proportionen, die Ursache und Wirkung verdreht. Im Vergleich zu den Zerrbildern, die Gala präsentiert, muten selbst die naiven Convivencia-Schwärmereien der offiziellen Programmtexte von „Sefarad 92" noch realistischer an ... Deshalb trifft, was diese Facetten des Romans angeht, leider auch für den renommierten Planeta-Preisträger das zu, was er im „Vorwort" (ebd.: 19) so formulierte: „Es wird behauptet, die Geschichte wie-

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derholte sich; das ist jedoch falsch: diejenigen, die sich wiederholen, sind die Historiker." Auch andere Autoren, die in den 90er Jahren auf dem Terrain des historischen Romans reüssierten, haben dazu beigetragen, das literarische Arsenal trikultureller Stereotypen zu vergrößern: In dem inzwischen in fünfter Auflage erschienenen Erfolgsroman El Cid, el último héroe von José Luis Olaizola, der sich, wie der Autor im Vorwort (1992: 13) bemerkt, an den Studien von Menéndez Pidal orientiert, wird die trikulturelle Vergangenheit zwar insgesamt sehr positiv bewertet; die jüdischen Figuren des Romans werden jedoch ausschließlich über ihre Beziehung zu Gold und Geld charakterisiert: „El judío Elifaz [...] un avaro amable", heißt es beispielsweise (ebd.: 53) über einen Freund des Cid, „sólo se entusiasmaba cuando veía muchas riquezas". Auch die sonstigen Merkmale, etwa „la astucia y la paciencia propia de los de su raza" (ebd. 27), suggerieren stets, trotz eines gewissen Wohlwollens des Autors, eine .typische' Kollektividentität. Eine Mischung aus positiver Gesamtperspektive und stereotypisierten Detaildarstellungen bietet auch der - überaus mediokre - Roman ¡Adiós, Sefarad! von Vicente Blanco. Obwohl die Vertreibung der Juden als „gran error" (1996: 209) bezeichnet wird, ist doch auffallend häufig von reichen Juden und ihren Schätzen die Rede. Die Minderheit trägt obendrein an ihrem Schicksal eine gehörige Portion Mitschuld: „Creo que el pueblo hebreo", so eine jüdische Selbstbezichtigung (ebd.: 128), „en Sefarad pocas veces ha sido consciente de ser minoría y pagó las imprudencias y deslealtades con sufrimiento". Die Bilanz von „Sefarad 92" fällt also nicht so eindeutig positiv aus, wie einige Beobachter meinten: Die offiziellen Veranstaltungsbroschüren, Presseartikel und literarischen Bearbeitungen des historischen Stoffes, die im Umkreis des Gedenkjahres erschienen sind, lassen, soweit sie hier untersucht wurden, zwar deutliche Fortschritte im Vergleich zu früheren Jahren erkennen - zufrieden, gar enthusiastisch stimmen sie nicht. Sicher wurde auf den Foren von „Sefarad 92" nicht bloß „Scheinerinnerung" betrieben, die mit den Worten Detlev Claussens (1987: 75) „Identität ohne Reflexion" anstrebt. Dafür war das Presseecho, wenn auch nur in Teilen, viel zu kritisch. Dennoch war es, wie ein eingangs zitierter Autor resümierte, „ein Jahr der verpaßten Gelegenheiten". Das war es nicht zuletzt deshalb, weil die eigentlichen Protagonisten des teuren Veranstaltungsreigens, wie derselbe Kritiker nüchtern bilanzierte, wohl auch weiterhin eher Unbekannte bleiben werden: Nämlich die große Zahl jüdischer und maurischer Autoren aus der Zeit der Convivencia, deren Werke nur ver-

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einzelt, und das häufig nur als Fragmente, in europäische Sprachen übersetzt worden sind. Die schon von Heine kritisierte Ignoranz - sie dauert, beileibe nicht allein in Spanien, damit immer noch an.

„Sefarad 92", der organisatorische Höhepunkt der kollektiven Erinnerung an die jüdisch-maurische Geschichte im nachfrankistischen Spanien, war schon fast wieder vergessen, als 1997 ein heftiger Streit um die spanische Geschichte begann, in deren Verlauf auch die trikulturelle Vergangenheit zur Debatte stand. Zu den Auslösern dieser Kontroverse, die, während ich diese Zeilen schreibe (Dezember 2000), noch immer andauert, zählten vor allem die Vorschläge zur Neuordnung des Geschichtsunterrichts an den Schulen, die eine Expertenkommission, von der konservativen Regierung eingesetzt, der Öffentlichkeit vorgestellt hatte. Zusätzlichen Auftrieb erhielt die Kontroverse, die bereits Ende 1997 mehr als 650 Zeitungsartikel und einige Fernsehdiskussionen bewirkt hatte (Valls 1998: 139), durch den Sammelband Reflexiones sobre el ser de España, den die Real Academia de la Historia im selben Jahr (1997) veröffentlichte. In beiden Texten ging es den Autoren, grosso modo betrachtet, nicht allein um die „konstante Obsession" (Varela 1999: 10), die „nationale Identität" historisch zu bestimmen; es ging ihnen auch darum, die „historische Kontinuität Spaniens" (Valls 1998: 134) im Bewußtsein der neuen Schüler- und Studentengenerationen zu verankern, vor allem gegenüber der Regionalgeschichte, wie sie in den Comunidades Autónomas gelehrt wird. Wie auch immer man zu den Bedenken gegen die schleichende ,Entnationalisierung' des regionalen Geschichtsunterrichts steht, die öffentlichen Reaktionen auf den Versuch der konservativen Regierung, den Geschichtsunterricht zu ,renationalisieren' (unter aktiver Mithilfe der 1738 gegründeten Real Academia de la Historia), stimmen überwiegend optimistisch: Eine Reihe namhafter Intellektueller, die sich bislang an der Debatte beteiligt hat, 4 stellt die konservativen Kontinuitätsfiktionen, hier speziell mit Blick auf die trikulturelle Geschichte, radikal in Frage.

4

Die im folgenden zitierten Stellungnahmen beschränken sich auf themenrelevante Beiträge exponierter Autoren, die von 1997 bis 2000 in der Madrider Tageszeitung El Pais erschienen sind. Dabei konzentriere ich mich auf Äußerungen zur trikulturellen Geschichte. Die Auseinandersetzung mit der frankistischen Vergangenheit, die viele Autoren in den Mittelpunkt ihrer Beiträge stellten, kommt hier nur dann zur Sprache, wenn sie sich auf das Untersuchungsthema bezieht.

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Den Auftakt der El País-Debatte bildete interessanterweise ein Vergleich mit Deutschland: Die Zeit des politischen Übergangs, die sogenannte transición, sei vorübergegangen, schreibt Santos Juliá (1997: 1), ohne daß sich etwas Vergleichbares wie der deutsche „Historikerstreit" ereignet habe. Der „Konsens über die Zukunft", fügte er hinzu, der den Übergang zur Demokratie beherrscht habe, sei zu einer „Versöhnung mit der Vergangenheit" geworden - auch mit zahlreichen Topoi der älteren Nationalgeschichte, die während des Frankismus ihren Höhepunkt erlebten. Genau darauf zielte der Beitrag des Schriftstellers Antonio Muñoz Molina (1997: 1 ff.): „Die Geschichte, die mir in der Schule gelehrt wurde", schreibt der 1956 geborene Autor, „ähnelt, was ihre Indoktrinationsabsicht und ihre paranoide Verherrlichung eines noblen, von äußeren Feinden umgebenen Volkes betrifft, sehr stark dem durch und durch katholischen Spanien, Hammer der Häretiker, Siegerin über die ungläubigen Moslems während der Reconquista und über den atheistischen Kommunismus während des ,Befreiungskreuzzuges'",

wie der Frankismus den Bürgerkrieg verklärt hatte. Zur

Zielscheibe von Múfioz Molinas Kritik an der nationalkatholischen Version der Geschichte wird nicht nur der Frankismus - auch eines seiner ersten Opfer, der baskische Nationalismus, beruht seiner Ansicht nach auf ideologischen Prämissen, die, mutatis mutandis, in ganz Spanien Geltung besitzen: Für Sabino Arana, den geistigen Gründungsvater des modernen Nationalismus, sei das alte Konzept der „Blutreinheit" genauso wichtig gewesen wie für die katholische Orthodoxie. Damit war, wie Juan Aranzadi (2000: 2) diesen Gedanken weiterführt, stets eine rassistische Stoßrichtung verbunden: Als „verdächtig" galten all jene, die keine „blutreine" baskische Genealogie vorweisen konnten, neben „Spaniern" also vor allem „der Maure und der Jude". Just hier, so der Autor, trafen sich paradoxerweise der baskische Nationalismus und seine nationalkatholischen Gegner im Rest des Landes: „Die spanische Ethnizität [...] hat ihre Wurzeln im Mythos der christlichen Reconquista [...] und im Ausschluß von Mauren und Juden." Diese Art der Geschichtsschreibung meinte auch Eduardo Haro Tecglen (1997: 1), als er schrieb, daß die Geschichte Spaniens, und nicht nur sie, „immer von Fanatikern des españolismo, von ehrlosen Lügnern" erzählt worden sei. Mit ähnlicher Schärfe intervenierte der ,große alte Mann' der spanischen Gegenwartsliteratur, Rafael Sánchez Ferlosio (1998: 1 ff.), der bereits 1992 (Rehrmann 1992), aus Anlaß des V. Centenario der .Entdeckung' Amerikas, die ideologischen Hypotheken des Panhispanismus einer Radikalkritik unterzogen hatte. Nun polemisierte Sánchez Ferlosio gegen den „verheerenden Fetisch"

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historisch rekonstruierter Identitäten, gegen die politische „Kontrolle der Mythen" und einen Teil der Geschichtswissenschaften, der sich in eine willfährige „Maschine zur Produktion nationaler Identität" verwandelt habe - nicht zuletzt zur Abwehr von „Infiltrationen jedweder .Fremdkörper'", namentlich der Mauren: „A moro muerto, gran lanzada", zitiert der Autor einen alten Antimauren-Schlachtruf, dessen ideologisches Echo noch immer nicht völlig verklungen sei. Die meisten Interventionen, deren Tenor ähnlich ausfällt, stammen aus der Feder des literarischen Con vivencia-Anwaltes der letzten Jahrzehnte: Juan Goytisolo. Zur thematischen Palette, die Goytisolos Artikel offerieren, gehören zum einen (1998: 3) kritische Fragen an den Wahrheitsgehalt historischer Schlüsselereignisse der Reconquista-Zeit: „Gab es wirklich eine Schlacht von Guadalete? Existieren verläßliche Daten über Covadonga? Befindet sich der Leichnam von Santiago tatsächlich im Grab von Compostela? Wie läßt sich die Tatsache erklären, daß die Eroberung der Halbinsel durch einige Tausend schlecht ausgerüsteter Reiter weniger als ein Jahrzehnt dauerte, während sich die angebliche Reconquista, wie noch immer gelehrt wird, über acht Jahrhunderte erstreckte?" Goytisolo, der (ebd: 4) die Existenz von „metaphysischen Kategorien und ewigen Essenzen" unter anderem auf den „retrocasticismo" der auch hier untersuchten 98er Generation zurückfuhrt, ist zum anderen davon überzeugt, daß die Produktion historischer Mythen gerade heutzutage eine politische Funktion erfüllt: „der beschleunigte Prozeß der ökonomischen Globalisierung fördert die Rückkehr zu den alten Identitätsphantasmen." Es sind also nicht allein ideologische „Interpretationskartelle", die, wie der Autor bereits an anderer Stelle zitiert wurde, die historische Stafette mehr oder weniger bewußt weiterreichen: Die Neuauflage der alten Stereotypen dient auch zeitgenössischen Interessen. So ist es kein Zufall, daß Goytisolo (1998: 3), und das bereits mehrere Jahre vor den rassistischen Ausbrüchen in Südandalusien, auf „die säkulare Aversion gegen den moro" hinwies - ein „historisches Substrat, das sich etwa in dem „komplizenhaften Schweigen" der Bevölkerung des El Ejido zeige, wenn einige „cristianos viejos", verkleidet als „europeos nuevos", marokkanische Arbeitsimmigranten attackierten. Auch außerhalb Spaniens sieht Goytisolo (1999: 3) die alten Dämonen des Mauren- und Judenhasses am Werke: Ist die „operación memoricida" der serbischen und kroatischen Extremisten mit Blick auf die osmanische Geschichte des Balkans, fragt der Autor, etwa keine Neuauflage jener Operation, „die der spanische Nationalkatholizismus gegen das jüdisch-arabische Vermächtnis" durchgeführt habe? Auf seine Weise hat sich

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auch der .literarische Gourmet', Essayist und Romancier Manuel Vázquez Montalbán an der Debatte beteiligt: „Vergleicht man die Rezepte von Al-Andalus mit denen aus dem heutigen Magreb", schrieb er (2000: 2) in einer seiner Kolumnen, „dann entdecken wir, daß mit dem Rückzug der Araber und der Vertreibung der Morisken auch der Verlust eines wichtigen Teils unseres Gaumengedächtnisses verbunden war". Die bisher zitierten Beiträge aus der Feder namhafter Autoren können allesamt, ich wiederhole es, als Ausdruck einer durchweg gesunden Debattenkultur verstanden werden, zumindest auf den Seiten von El País, der größten Tageszeitung Spaniens. Auch weniger bekannte Autoren zeigten Freude an einer nötigen - polemischen Auseinandersetzung, etwa Juan Sisinio Pérez Garzón (1998: 1 ff.), der das zitierte Buch der Real Academia

de la Historia wegen

seines „nationalistischen Substrats" hart kritisierte: Die „dominante Interpretation des Buches" konstruiere eine „espafiolistische", im „Nationalkatholizismus verankerte" Geschichte, in der das trikulturelle Spanien vor allem aus der Sicht der alten Reconquista-Perspektive in Erscheinung trete. Öl ins Feuer der Debatte goß darüber hinaus das auch hier mehrfach zitierte Buch von Benzion Netanyahu über die spanische Inquisition, in dem sein Autor die These vertritt, daß das berühmt-berüchtigte Tribunal im wesentlichen auf rassistischen Prämissen basierte - eine These, die Netanyahu in El País (2000) wiederholte und die ihm unter anderem den Vorwurf einbrachte, die spanische Judenverfolgung unzulässigerweise mit dem Holocaust zu vergleichen. Zu denen, die den israelischen Inquisitionsforscher gegen „seine Verleumder" (Jackson 2000: 1) in Schutz nahmen, gehörte unter anderem der bekannte Historiker und Publizist Antonio Elorza (2000: 1 f.), der nicht nur die Rassismusthese akzeptierte, sondern auch davor warnte, die „alten compañeros

unserer Ge-

schichte", namentlich die Mauren, auf das historische Abstellgleis zu schieben auch mit Blick auf die „moros" der Gegenwart: Müsse man sich mit dem „pejorativen" Charakter dieser Vokabel, fragt Elorza, tatsächlich auf ewig abfinden? Eine prononciert gegenwartspolitische Stoßrichtung weisen schließlich auch einige jener Artikel auf, die vor allem die jüdische Geschichte des Landes in Erinnerung rufen. In einem „Brief an Spinoza" zieht Fernando

Savater

(1998: 1 ff.) einen Vergleich zwischen dem historischen „Sefarad", das „in Barbarei und Verfolgung" gemündet sei, und den Fanatikern der Gegenwart, unter anderem im Baskenland. Vielleicht gelinge es ja irgendwann, beendet Savater seinen „Brief an den sephardischen Philosophen, dieses „gastfreundliche Sefarad", in dem niemand ausgeschlossen und verfolgt werde, zu finden.

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Dagegen ist für Miguel Herrero de Miñón (1998: 1 ff.) der fünfzigste Jahrestag der Gründung Israels Anlaß, an die „besonderen Beziehungen" zwischen beiden Ländern zu erinnern. Obwohl in diesem Artikel auch einige der philosephardischen Topoi der Vergangenheit eine Neuauflage erleben - etwa der „sefardismo" und „das nationale Interesse Spaniens" - , verweist der Autor doch zu Recht auf eine Reihe spanischer Besonderheiten, namentlich auf Angel Pulido, dessen Kampagne wohl entscheidend dazu beigetragen habe, daß das spanisch-jüdische Verhältnis im 20. Jahrhundert einen singulären Charakter besaß. Dazu gehört sicher auch die hier skizzierte Debatte. Im Unterschied zum 19. und frühen 20. Jahrhundert, als nur wenige Intellektuelle von Rang, vor allem Benito Pérez Galdós, die trikulturelle Geschichte als nationales Vermächtnis akzeptierten, sind es heute unvergleichbar mehr. Insofern hat Javier Tusell (1998: 12), der sich ebenfalls mehrfach an der Historikerdebatte der vergangenen Jahre beteiligte, sicher Recht, wenn er resümiert, daß sich Spanien seiner Geschichte inzwischen stellt - zumindest nicht weniger als andere Länder. Die Hoffnung konservativer Historiker, die nationalkatholischen Pfeiler der spanischen Geschichte würden den Frankismus ohne tiefgreifende Fissuren überdauern, wurde damit enttäuscht. Ricardo de la Ciervas Buch von 1995 No nos robarán la historia, einer jener kläglichen Versuche, die Risse in den Pfeilern der Hispanidad akademisch zu kitten, ist insofern längst Geschichte ...

Literatur

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