Gesundheitsmärkte im Mehrebenensystem: Eine Untersuchung zum System des Europäischen Verwaltungsrechts am Beispiel des Vergaberechts [1 ed.] 9783428535071, 9783428135073

Die Entwicklung des Verwaltungsrechts ist eng mit dem historischen Prozess der Evolution des gewaltengegliederten demokr

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German Pages 582 Year 2011

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Gesundheitsmärkte im Mehrebenensystem: Eine Untersuchung zum System des Europäischen Verwaltungsrechts am Beispiel des Vergaberechts [1 ed.]
 9783428535071, 9783428135073

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Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Band 55

Gesundheitsmärkte im Mehrebenensystem Eine Untersuchung zum System des Europäischen Verwaltungsrechts am Beispiel des Vergaberechts

Von

Wolfgang Denkhaus

Duncker & Humblot · Berlin

WOLFGANG DENKHAUS

Gesundheitsmärkte im Mehrebenensystem

Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Herausgegeben von Thomas Bruha, Armin Hatje, Meinhard Hilf, Hans Peter Ipsen †, Rainer Lagoni, Gert Nicolaysen, Stefan Oeter

Band 55

Gesundheitsmärkte im Mehrebenensystem Eine Untersuchung zum System des Europäischen Verwaltungsrechts am Beispiel des Vergaberechts

Von

Wolfgang Denkhaus

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Wintersemester 2009/2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0945-2435 ISBN 978-3-428-13507-3 (Print) ISBN 978-3-428-53507-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-83507-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Untersuchungen zum europäischen Verwaltungsrecht haben gegenwärtig Konjunktur. Trotz der Fülle der Beiträge fällt auf, dass es an einer systematischen Untersuchung zur Stellung der Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der Union bisher fehlt, obgleich das Binnenmarktrecht durchaus im Zentrum des Unionsrechts steht. Die vorliegende Untersuchung soll – am Beispiel der Regulierung der Märkte des Gesundheitswesens – einen Beitrag dazu leisten, die damit bestehende Lücke zu schließen. Aus theoretischer Sicht greift die Untersuchung die aktuelle rechtswissenschaftliche Gewaltengliederungsdiskussion auf. Das Unionsrecht soll daher primär aus prozedural-organisatorischer Sicht als – in beständigem Wandel begriffenes – System gewaltengegliederter Rechtserzeugung sui generis rekonstruiert werden. Die Folgen der atypischen Strukturen europäischer Rechtserzeugung für das europäische Verwaltungsrecht sollen am Referenzgebiet des europäischen Vergaberechts und der Frage seiner Anwendung auf den Vertragswettbewerb im öffentlichen Gesundheitswesen näher beleuchtet werden. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2009/2010 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Anfang 2010 berücksichtigt. Bei der Erstellung dieser Abhandlung konnte ich auf das Privileg eines wissenschaftlichen Umfelds und die Unterstützung durch eine Vielzahl fördernder und freundschaftlich-kritisch zugewandter Menschen zurückgreifen. Ihnen allen möchte ich herzlich danken. Mein Doktorvater Herr Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute hat mein wissenschaftliches Interesse für das öffentliche Recht stetig gefördert und meine Perspektive auf dieses Rechtsgebiet während meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl geprägt. Herr Prof. Dr. Arndt Schmehl hat mir im Rahmen des Zweitgutachtens und in weiteren Gesprächen wertvolle Anregungen und Hinweise gegeben. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Thomas Bruha, Herrn Prof. Dr. Meinhard Hilf, Herrn Prof. Dr. Rainer Lagoni, Herrn Prof. Gert Nicolaysen und besonders Herrn Prof. Dr. Stefan Oeter für die Aufnahme meiner Dissertation in die Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht. Danken möchte ich ferner Herrn Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem und Herrn Prof. Dr. Karl-Heinz Ladeur für die Impulse, die sich aus meiner Mitarbeit an der Forschungsstelle Recht und Innovation der Universität Hamburg ergeben haben. Ein anregendes Umfeld für zahlreiche Diskussionen und für aufmunternde sowie kritische Denkanstöße bildeten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

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Vorwort

am Lehrstuhl von Prof. Dr. Trute. Namentlich besonders hervorheben möchte ich Doris Kühlers, Arne Pilniok, Jan Dein, Eike Westermann und Dr. Roland Broemel, mit denen ich persönlich und fachlich sehr gern zusammengearbeitet habe. Bei der Durchsicht und dem Lektorat dieser Arbeit haben mir Brigitte Woehrl, Bärbel Schäfer und Peter Schäfer sehr geholfen. Herzlichen Dank für Rat und Tat schulde ich auch meinem Bruder. Ganz besonders möchte ich mich schließlich bei meiner Frau für ihre Hilfe und ihre Geduld bedanken, mit der sie meine Unausgeglichenheit und meine Lamenti während der Fertigstellung dieser Arbeit ertragen hat. Widmen möchte ich diese Arbeit meinen Eltern, die mich stets sehr großzügig unterstützt und mir vieles ermöglicht haben. Hamburg, im Juni 2010

Wolfgang Denkhaus

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Kapitel Gewaltengliederung und Rechtserzeugung im Mehrebenensystem der Europäischen Union

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A. Gewaltengegliederte Rechtserzeugung in der Europäischen Union . . . . . . . I. Die Europäische Union als Mehrebenensystem bzw. Struktur der „Multi Level Governance“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Europäische Union als Staaten-, Verfassungs- und Verwaltungsverbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Europäische Union als verbandsübergreifende Struktur gewaltengegliederter Rechtserzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Denken in Gewaltengliederungsstrukturen: Zur prozeduralorganisatorischen „Wende“ in der Wissenschaft vom öffentlichen Recht . . 1. Das Gewaltengliederungsprinzip als prozedural-organisatorisches Ordnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Von der staatlichen Steuerungs- zur europäischen Gewaltengliederungsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewaltengliederung vs. „Governance“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Gewaltengliederungsbegriff als rechtswissenschaftliches Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Europäische Integration als Prozess der Reorganisation der Strukturen europäischer Rechtserzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verwaltung im Kontext der Reorganisation der Strukturen europäischer Rechtserzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäische Rechtserzeugung zwischen Integrations- und Teilungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die Rechtserzeugung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft . . . . . . I. Strukturmerkmale der Rechtserzeugung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dominanz der Judikative und Exekutive, weitgehende Blockade der Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Ausbau der Grundfreiheiten zu Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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57 57 58

8

Inhaltsverzeichnis 3. Extensive Auslegung der Kommissionskompetenzen, insbesondere aus dem Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Das Beispiel des Telekommunikationsendgerätesektors . . . . . . . . . . . . .

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5. Die Grenzen der „negativen Integration“ durch EuGH und Kommission

62

a) Das Erfordernis von Tatbestandsrestriktionen der Grundfreiheiten: Das Keck-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

b) Das Erfordernis von Korrekturen auf der Rechtfertigungsebene der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

II. Verwaltungsrechtliche Implikationen: Primärrechtliche Europäisierung und Transnationalisierung, begrenzte Verwaltungsrechtsangleichung . . . . .

64

III. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zwischen „positiver“ und „negativer“ Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

1. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zwischen intergouvernementaler Politik und supranationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

2. Funktionalistische Deutungen europäischer Integration: Die Gemeinschaft als „Zweckverband“ oder „Marktverfassung“ . . . . . . . . .

66

3. Asymmetrien zwischen „positiver“ und „negativer“ Integration in der Phase der „Europäisierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Die EWG als „partiell funktionsfähige“ Struktur gewaltengegliederter Rechtserzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Die Rechtserzeugung im Mehrebenensystem der Europäischen Union . . . .

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I.

Die Herausbildung verbandsübergreifender Strukturen europäischer Rechtserzeugung im Zuge des Übergangs zum Binnenmarkt . . . . . . . . . . . .

70

II. Die Gewaltengliederung der Europäischen Union zwischen Teilungsund Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Leittendenzen der Reorganisation der Rechtserzeugung im Mehrebenensystem der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Die Entblockierung und supranationale Parlamentarisierung der Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

a) Die verbandsübergreifende Reorganisation und supranationale Entblockierung und Parlamentarisierung der Legislative . . . . . . . . . .

76

b) Ausbau der Gesetzgebungszuständigkeiten der Union . . . . . . . . . . . .

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c) Die Reorganisation der europäischen Legislative zwischen demokratischer Legitimation und funktionaler Binnenmarktintegration . .

78

aa) Die Reorganisation der europäischen Legislative zwischen nationaler und supranationaler Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . .

78

bb) Die Reorganisation der europäischen Legislative im Kontext der Ausdifferenzierung der Strukturen europäischer Gewaltengliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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cc) Die Rolle der Legislative in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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dd) Binnenmarktharmonisierung und Verwaltungsrechtsangleichung

82

Inhaltsverzeichnis

9

2. Die Ausdifferenzierung der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kontroll- und Steuerungsfunktionen der Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die verbandsübergreifende Organisation von Judikative und Verfassungsgerichtsverbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Justizielle Steuerung der europäischen Legislative durch die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Supranationale Verrechtlichung europäischer Politik und Ausdifferenzierung des Rechtsstatus der Unionsbürger . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausbau der Grundfreiheiten zu einem System transnationaler Gleichheits-, Freiheits- und Leistungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Binnenmarktkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Verwaltung des Unionsraums zwischen Binnenmarktgesetzgebung und wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kommissionskompetenzen . . . . 1. Das Verhältnis der Kompetenzen von EuGH, Binnenmarktgesetzgeber und Kommission aus verwaltungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zum Bedeutungsgewinn der Grundsätze des „institutionellen Gleichgewichts“ unter den Bedingungen der Ausdifferenzierung des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zum Verhältnis der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kompetenzen der Kommission zu den Kompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Folgen der Unterscheidung von hoheitlicher und unternehmerischer Tätigkeit für die mitgliedstaatlichen Verwaltungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der funktionale Unternehmensbegriff als Ausgangspunkt der Definition des sachlichen Zuständigkeitsbereichs der Kommission . . . . a) Die funktionale Legitimation der Kommissionskompetenzen aus den Art. 101 ff. AEU und deren Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Abgrenzung von unternehmensbezogenen Kommissionskompetenzen und rahmenregulativen Binnenmarktkompetenzen . . . 3. Begrenzung der Kommissionskompetenzen auf der Tatbestandsebene des Art. 106 Abs. 1 AEU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung hoheitlicher und unternehmerischer Tätigkeiten in der Eingriffsverwaltung und der „kooperativen Regulierung“ . . . . . . . . . b) Abgrenzung hoheitlicher und unternehmerischer Tätigkeiten in der Leistungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Insbesondere: Die Sozialversicherungs- und Bildungssysteme . . . . . 4. Begrenzungen auf der Rechtfertigungsebene des Art. 106 Abs. 2 AEU: „Vom Verhinderungs- zum Gefährdungsmaßstab“ . . . . . . . . . . . . . 5. Begrenzungen auf der Ebene der Kompetenznorm des Art. 106 Abs. 3 AEU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Korrespondierende Restriktionen des Beihilfetatbestands . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

V.

a) Die funktionalen Kompetenzen der Kommission aus dem Beihilferecht zwischen Wettbewerbsschutz und europäisch koordinierter Förderungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Selektivität der Beihilfe“ – Abgrenzung zu nationalen und supranationalen Gesetzgebungskompetenzen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgleichszahlungen für Sonderlasten allgemeinwirtschaftlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Graduelle Annäherung an die staatliche Gewaltengliederung . . . . . . . . . . . .

114

115 116 117

2. Kapitel Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union 119 A. Europäische Rechtserzeugung als Herausforderung an die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Jenseits von „direktem“ und „indirektem“ Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die europäische Verwaltungsorganisation zwischen Effektivität und Subsidiarität, Hierarchie und Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Determinanten des europäischen Verwaltungsverfahrens: Das Äquivalenz-, Effektivitäts- und Beschleunigungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Grundfreiheiten des Binnenmarkts als Determinanten des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union . . II. Die Grundfreiheiten als binnenmarktfunktionale Freiheits- und Gleichheitsrechte sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Verfahrens- und Organisationsabhängigkeit der Grundfreiheiten und ihre Kopplung mit den Binnenmarktkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die tatbestandlichen Gewährleistungen der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . 1. Die Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten als Determinanten des Verwaltungsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten als transnationales Verwaltungskollisions- und Koordinierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insbesondere: Die Grundfreiheiten als Determinanten des Sozialverwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Restriktionen auf der Tatbestands- und Rechtfertigungsebene . . . . . . . . . . . 1. Binnenmarktneutrale Regelungen der Modalitäten der Marktteilnahme im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigungsgründe als unionsrechtlicher Rahmen für die einzelstaatliche Regulierung des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Grundfreiheiten als System zur Marktöffnung und zur transnationalen Verwaltungskoordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Binnenmarktharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Inhaltsverzeichnis

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I. Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Mitentscheidungsverfahren als prozeduraler Rahmen . . . . . . . . . . . . . . III. Die Binnenmarktkompetenzen im System der Kompetenznormen des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Binnenmarktkompetenzen und sektorpolitische Sachzuständigkeit . . . . 2. Die Grundsätze der funktionellen und materiellen Spezialität . . . . . . . . IV. Rechtsangleichung wegen Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsangleichung wegen zwischenstaatlicher Handelshemmnisse . . . . 2. Funktionale Kopplung von Rechtsangleichung und Grundfreiheiten und Kontrollfunktion des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsangleichung wegen spürbarer Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . V. Rechtsangleichung und Regulierung des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Frage nach der Reichweite der Regulierungsbefugnisse des Binnenmarktgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Binnenmarktregulierung als notwendige Funktion der Binnenmarktharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Komplementarität von funktionalen Binnenmarktzielen und materiellen Allgemeinwohlzielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Binnenmarktharmonisierung als Instrument der Umstellung nationaler Regulierung auf Binnenmarktregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Grenzen der Binnenmarktkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die effektive Beseitigung von Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen als Grenze der Binnenmarktkompetenzen . . . . . . . . . . . . . a) Die Tatbestandsrestriktionen der Grundfreiheiten als Grenzen der korrespondierenden Binnenmarktkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regulierung ohne Beseitigung zwischenstaatlicher Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen als Grenze der Binnenmarktkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundrechte und Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kompetenzen der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Verwaltungsrechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Methoden der Rechtsangleichung: Teil- und Vollharmonisierung, Folgeharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwaltungsrechtsangleichung im Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Reichweite der Rechtsangleichungsbefugnisse im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vollzugsmodelle zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung: Einzelvollzugs-, Direktvollzugs-, Transnationalitäts- und Referenzentscheidungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis III. Verwaltungsrechtsangleichung im zentralen und dezentralen Vollzug . . . . 1. Verwaltungsrechtsangleichung im Bereich des zentralen Vollzugs . . . . a) Grundsätzliche Kompetenz zur Vollzugszentralisierung . . . . . . . . . . b) Horizontale Zentralisierung des Vollzugs (Transnationalitätsmodell, Referenzentscheidungsmodell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertikale Zentralisierung des Vollzugs (Ausbau der Eigenverwaltung der Union) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sekundärrechtliche Verwaltungsrechtsangleichung im dezentralen Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Normative Strukturvorgaben an die Verwaltungsrechtsangleichung im Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ausrichtung der Verwaltungsrechtsangleichung auf die funktionalen Binnenmarktziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zentralisierung zur Beseitigung von Handelshemmnissen: Zum Effektivitäts-, Effizienz- und Beschleunigungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Referenzentscheidungsmodell aus binnenmarktfunktionaler Sicht 5. Intervertikale Entscheidungsabstufungen im Referenzentscheidungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen und Kommissionsmitteilungen 1. Delegation von Durchführungskompetenzen auf die Kommission . . . . . 2. Kommissionsmitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kommissionsmitteilungen als norminterpretierende Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein generelles Weisungsrecht der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grenzen im Kontext des „institutionellen Gleichgewichts“ . . . . . . . . VI. Das Kooperationsprinzip als prozedurale Grundlage und Grenze der Verwaltungsrechtsangleichung im Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

E. Referenzgebiete der Verwaltungsrechtsangleichung im Anwendungsbereich der Binnenmarktkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Heterogenität der Bauformen und Strukturen europäischer Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Dezentralisierte und zentralisierte Modelle der Marktzugangsregulierung im Produktzulassungsrecht (Warenverkehrsfreiheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die europäischen Produktzulassungsverfahren als Instrumente zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entscheidungsmodelle des Produktzulassungsrechts zwischen Dezentralisierung und Zentralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Behördennetzwerke im freien Personen- und Dienstleistungsverkehr . . . . . 1. Behördennetzwerke als Instrumente zur gemeinsamen Aufgabenerledigung im freien Personen- und Dienstleistungsverkehr . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 2. Behördennetzwerke im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit: Die Koordinierung der Arbeitsverwaltungen und Sozialversicherungsträger 3. Behördennetzwerke im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit (Dienstleistungsrichtlinie) . . . . . . . . . . . 4. Verwaltungsverbundsstrukturen in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Regulierungsverwaltung in den Netzwirtschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Organisations- und Verfahrensstrukturen der Regulierungsverbünde in den Netzwirtschaften zwischen Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht 2. Die Heterogenität der Regulierungsverbundstrukturen (Telekommunikation, Energie, Verkehr) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Interdependenzen zwischen Netzregulierung und wettbewerbsrechtlicher Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Netzregulierung im Kontext des Übergangs von der Marktverfassung des EWG-Vertrags zur europäischen Binnenmarktverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Kapitel Das Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

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A. Die Grundlagen des europäischen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die austauschvertraglich steuernde Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ausschreibungsverwaltung zwischen Haushalts-, Wettbewerbs- und Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten als Grundlagen des EU-Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zu den Schwierigkeiten der Integration des Vergaberechts in das System des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Das Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . I. Das europäische Vergaberecht als europäisches Verwaltungsrecht . . . . . . . . 1. Das Vergaberecht als Referenzgebiet des Europäischen Allgemeinen Verwaltungsrechts (nicht nur der Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Vergaberecht als europäisches Verwaltungsverfahrensrecht und Rechtsschutzregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Vergaberecht im Europäischen Verwaltungsverbund . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Vergaberecht als Koordinierungsstruktur im Europäischen Verwaltungsverbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Horizontale Koordinierung im Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertikale Koordinierung im Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Kommissionsmitteilung als Instrument zur Homogenisierung des dezentralen Verwaltungsvollzugs im Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis III. Das Vergaberecht im System des europäischen besonderen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Funktion des Vergaberechts im System des europäischen besonderen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der sektorübergreifende Anwendungsbereich des Vergaberechts und das Problem der Konkretisierung seiner spezifischen Schutzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die spezifische binnenmarktfunktionale Schutzfunktion des Vergaberechts – Abgrenzung zur Steuerung durch Organisation und Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergaberecht und Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einkauf oder Subvention: Vergaberecht und Beihilferecht . . . . . . . . . . . 4. Vergaberecht und Produkt-, Berufs- und Dienstleistungszulassungsrecht 5. Vergaberecht und Regulierungsverwaltungsrecht in den Netzwirtschaften

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203

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C. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendungsbereich und Anwendungsgrenzen im Überblick . . . . . . . . . . . . II. Persönlicher Anwendungsbereich der EU-Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . 1. Der institutionelle und funktionale Begriff des öffentlichen Auftraggebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionaler Auftraggeberbegriff und Indizwirkung des Anhangs III . . III. Der sachliche Anwendungsbereich der EU-Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . 1. Der öffentliche Auftrag als gegenleistungsabhängiger Vertrag (Austauschvertrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertrag im funktionalen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertrag zwischen Auftraggeber und Unternehmen: Abgrenzung zur Binnensteuerung durch Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entgeltlichkeit (sachlicher Leistungsaustausch) . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vertragliches Aushandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung von vertraglichem Markteintritt, hoheitlicher Marktregulierung und kollektivvertraglicher Steuerung . . . . . . . . . . . . . a) Das Erfordernis der Abgrenzung zwischen vergaberechtlichem Vertrag und hoheitlichem Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das austauschvertragliche Verhandlungsverhältnis als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Abgrenzung zwischen vergaberechtlichem Vertrag und hoheitlichem Handeln nach Vertragstypen des Vergaberechts . . . . .

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D. Die Vertragstypologie des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge als entgeltliche öffentliche Aufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis II. Bau- und Dienstleistungskonzessionen i. S. v. Art. 1 Abs. 3 und 4 RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die vergaberechtliche Definition von Bau- und Dienstleistungskonzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unanwendbarkeit der Vergaberichtlinien auf Dienstleistungskonzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung von Dienstleistungsaufträgen und Dienstleistungskonzessionen nach Maßgabe der wirtschaftlichen Risikoverteilung . . . . . . . III. Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . 1. Rahmenverträge und Rahmenvereinbarungen im engeren Sinne . . . . . . 2. Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG als Sonderfall eines Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrags . . . . . . . . . . 3. Rahmenvereinbarungen als gestuftes Vergabeverfahren nach Art. 32 RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Abgrenzung von Rahmenvereinbarungen zu Liefer- und Dienstleistungsaufträgen und Dienstleistungskonzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . E. Vergabeverfahren und vergaberechtlicher Rechtsschutz zwischen funktionalen Binnenmarktzielen und staatlicher Steuerung . . . . . . . . . . . . . . I. Das prozedurale Steuerungskonzept der Vergaberichtlinie . . . . . . . . . . . . . . 1. Transparenzprinzip, Diskriminierungsverbot und Wirtschaftlichkeitsprinzip als Maximen des Vergabeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vergaberechtsneutralität der Primärzwecke der Auftragsvergabe . . II. Zur Zulässigkeit von Sekundärzwecken („vergabefremden Zwecken“) als Zuschlagskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung zwischen Primärzweck und Sekundärzwecken (vergabefremde Zwecke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit von vergaberechtlichen Sekundärzwecken im Lichte der Vergaberichtlinie und der Rechtfertigungsgründe der Grundfreiheiten . . 3. Die Steuerungsspielräume der öffentlichen Hand an den Beispielen der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und Tariftreueklauseln . . . III. Wahl des Vergabeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Offenes Verfahren und dynamische Beschaffungssysteme . . . . . . . . . . . 2. Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nicht offenes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhandlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Primär- und Sekundärrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Vergaberechtliche Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Vergabe defizitärer öffentlicher Dienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Sektoren-, Universaldienst- und Frequenzvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sektorpolitische Vertragssteuerung im Forschungs- und Bildungssektor . . IV. Das Sozial- und Gesundheitsvergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Die Märkte des Gesundheitswesens zwischen Sozialrecht und Binnenmarktrecht

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A. Das Gesundheitswesen in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 I. Das öffentliche Gesundheitswesen zwischen sozialrechtlicher Regulierung und Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 II. Das öffentliche Gesundheitswesen in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 B. Die Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens im System des SGB V . . . I. Die Märkte für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen . . . . . . . . . . . . II. Die Märkte für Gesundheitsversorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die atypischen Strukturen der öffentlich finanzierten, sozialrechtlich besonders regulierten Märkte für Gesundheitsversorgungsleistungen . . 2. Die Entwicklung der sozialrechtlichen Regulierung der Märkte für Gesundheitsversorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Anfänge: Vom Individualauftrag zum Kooperationsprinzip . . . . b) Vom Kooperationsprinzip der gemeinsamen Selbstverwaltung zur hoheitlich-kooperativen Zugangs-, Preis- und Leistungsregulierung c) Der Wettbewerb als Steuerungsinstrument zur Verwirklichung gesundheitspolitischer Systemziele im Leistungserbringungsrecht . . 3. Der Übergang zum dezentralen Vertragswettbewerb als Zäsur in der Entwicklung des Leistungserbringungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Markteintritt der gesetzlichen Krankenkassen als Nachfrager zwischen staatlicher Steuerung und funktionalen Binnenmarktzielen . . C. Die Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens im System der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das öffentliche Gesundheitswesen im Kontext der unionsrechtlichen Überformung der Systeme der öffentlichen Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . II. Arbeitnehmerfreizügigkeit und Sozialrechtskoordinierung als traditioneller unionsrechtlicher Bezugsrahmen des öffentlichen Gesundheitswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Märkte für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen im System des Binnenmarktrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit auf die Märkte für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entscheidung des EuGH in der Rs. Garcia zur Unanwendbarkeit der Versicherungsrichtlinie 92/49/EWG auf die gesetzliche Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit auf die gesetzliche Krankenversicherung in der Rs. Kattner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 4. Mitgliedstaatliche Regulierung der gesetzlichen Krankenversicherungsmärkte – Rechtfertigungsfähigkeit der Sozialversicherungspflicht . . . . . 5. Rechtsangleichung im Binnenmarkt für Krankenversicherungsleistungen a) Kompetenzen zur Sozialrechtskoordinierung und aus der EU-Sozialpolitik gem. Art. 48 AEU und 153 AEU . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsangleichung zur Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 53 Abs. 1 und 2 AEU i.V. m. 62 AEU . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zum Verhältnis von Binnenmarktkompetenzen und sozialpolitischen Sachkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kein legislativer Sonderstatus der Sozialversicherung im Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Märkte für Gesundheitsversorgungsleistungen im System des Binnenmarktrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ansprüche auf grenzüberschreitende Krankenbehandlung auf Grundlage der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der VO 883/2004/EG . . a) Das System der grenzüberschreitenden Leistungsaushilfe gem. VO 883/2004/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinbarkeit der VO 883/2004/EG mit den Grundfreiheiten des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansprüche auf grenzüberschreitende Leistungserbringung aus der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aktive Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit: Grenzüberschreitender Marktzugang der Leistungserbringer . . . . . . . . . . . . . . . . b) Passive Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit: Patientenrechte auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung . . 3. Mitgliedstaatliche Regulierung der Märkte für Gesundheitsdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umfassende Rechtfertigungsbedürftigkeit der mitgliedstaatlichen Marktzugangsregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Rechtfertigungsfähigkeit von Beschränkungen des grenzüberschreitenden Marktzugangs der Leistungserbringer und Patienten nach Art. 36, 52 AEU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtfertigung von einzelstaatlichen Beschränkungen des grenzüberschreitenden Marktzugangs aus sonstigen „zwingenden Erfordernissen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsangleichung im Binnenmarkt für Gesundheitsversorgungsdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kompetenzen zur Sozialrechtskoordinierung und zur gesundheitspolitischen Harmonisierung gem. Art. 48 und Art. 168 AEU . . . . . . b) Rechtsangleichung zur Gewährleistung der aktiven Warenverkehrsund Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU . . . . . c) Das Vordringen des Vergaberechts im Gesundheitswesen . . . . . . . . . d) Rechtsangleichung zur Gewährleistung der passiven Warenverkehrsund Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis aa) Zur Reichweite der Harmonisierungskompetenzen aus Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Patientenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beurteilung aus kompetenzrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abgrenzung von Binnenmarktkompetenzen und Sachkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

D. Die Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens im System des Wettbewerbs- und Beihilferechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf die Märkte für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Tatbestandslösung“ des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die „Rechtfertigungslösung“ des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der funktionelle Unternehmensbegriff und die Suggestivkraft des Versicherungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. „Solidarität“ als Argument? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Prinzip der praktischen Wirksamkeit und die objektiv wettbewerbsbeschränkende Wirkung staatlicher Sozialversicherungsmonopole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Prinzip der Konnexität von Wettbewerbsrecht und Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Anwendung des Wettbewerbs- und Beihilferechts auf die Sozialversicherung als horizontales Gewaltengliederungsproblem . . d) Die Folgen einer Deregulierung der gesetzlichen Krankenversicherungsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf die Gesundheitsversorgungsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf Nachfragetätigkeit der gesetzlichen Krankenkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die „Nachfragelösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „Angebotslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zum Erfordernis der Anwendung des Wettbewerbsrechts auch auf reine Nachfragekonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Anwendungsgrenzen des Wettbewerbsrechts bei „Nachfragekonstellationen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandliche Grenzen: Abgrenzung zur hoheitlich-kooperativen Marktregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigungsgründe: Ausnahmen bei Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

294 296 297 297 299 299 299 300 301 303

303 304 305 307 310 310 310 312 313 315 315 316

Inhaltsverzeichnis

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5. Kapitel Das Gesundheitsvergaberecht

318

A. Gesundheitsvergaberecht als rechtswissenschaftliche Ordnungsaufgabe . . . 318 I. Das Gesundheitsvergaberecht als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 II. Das Gesundheitsvergaberecht zwischen sozialrechtlicher Steuerung und funktionalen Binnenmarktzielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 1. Der selektive Versorgungsvertrag als sozialrechtliches Steuerungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 2. Der Vertragswettbewerb im Gesundheitswesen als Marktzugangsproblem im europäischen Binnenmarkt für Gesundheitsdienstleistungen 321 3. Die „paradoxe“ Wirkung des Vertragswettbewerbs auf den freien Marktzugang im Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 4. Die Vergaberichtlinien als Instrument zur Gewährleistung von Marktzugangsfreiheit unter Bedingungen dezentralen Vertragswettbewerbs . . 323 III. Gesundheitsvergaberecht als Herausforderung an die Rechtswissenschaft . . 324 1. Die Kontroversen um die Anwendbarkeit des EU- und GWBVergaberechts auf den Vertragswettbewerb nach dem SGB V . . . . . . . . 324 2. Auf dem Weg zu einem Gesundheitsvergaberecht: Das GKV-OrgWG und die Entscheidung des EuGH in der Rs. Oymanns . . . . . . . . . . . . . . . 326 3. Die atypischen Strukturen der sozialrechtlich regulierten Gesundheitsmärkte als vergaberechtliche Herausforderung . . . . . . . . . . 327 4. Dogmatische Herausforderungen im Gesundheitsvergaberecht nach der Entscheidung des EuGH in der Rs. C-300/07 (Oymanns) . . . . . . . . 328 B. Das Gesundheitsvergaberecht als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 I. Gesundheitsvergaberecht als „Konkurrenzproblem“ an den Schnittstellen von GWB und SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 II. Gesundheitsvergaberecht als „Harmonisierungsproblem“ im System des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 III. Gesundheitsvergaberecht und Sozialvergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 IV. Zum weiteren Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 C. Zum sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG im Leistungserbringungsrecht des SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 I. Der vergaberechtliche Austauschvertrag als spezifische Anwendungsvoraussetzung des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 II. Das Erfordernis der Abgrenzung von vertraglichen, hoheitlichen und hoheitlich-kooperativen Steuerungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 III. Abgrenzung von vertraglichem und einseitig hoheitlichem Handeln durch Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

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Inhaltsverzeichnis 1. Vergaberechtsneutrale Marktzugangsregulierung am Beispiel der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nach §§ 95 SGB V . . . . . 339 2. Das Verhältnis von hoheitlicher Marktzugangsregulierung und vergaberechtlichem „Verkauf“ von Marktzugangsrechten aus binnenmarktfunktionaler Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 IV. Das Beispiel der Gesamtverträge nach § 83 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

D. Die Versorgungsverträge des SGB V in der Vertragstypologie des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Selektive Versorgungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu Begriff und Bedeutung des „selektiven Versorgungsvertrags“ . . . . . 2. Vergaberechtlich nicht relevante Selektivverträge und vergaberechtlich relevante Sachverhalte anderer Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Zuordnung der Versorgungsverträge des SGB V zu den Vertragstypen der Richtlinie 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Typen der vertraglichen Zugangsregulierung: Einkaufs- und Zulassungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Versorgungsverträge mit Einkaufscharakter (Einkaufsverträge) . . . . . . . 3. Versorgungsverträge mit Zulassungswirkung (Zulassungsverträge) . . . . a) Zulassungsverträge als „hybride Struktur“ zwischen Liefer- oder Dienstleistungsauftrag, Rahmenvereinbarung und Dienstleistungskonzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulassungsverträge im System der Vergaberichtlinie . . . . . . . . . . . . . aa) Zulassungsverträge als entgeltliche Liefer- oder Dienstleistungsverträge i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . bb) Zulassungsverträge als Dienstleistungskonzession i. S. v. Art. 1 Abs. 4 RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zulassungsverträge als Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gleichstellung von Rahmenvereinbarung über die Leistungserbringung mit einer Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Kontrollüberlegung: Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage? . . . . . . . . . . III. Vergaberechtliche Querschnittsprobleme der Versorgungsverträge des SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit des Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG auf „drittnützige“ Liefer- oder Dienstleistungsaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Abgrenzung zwischen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen des Sachleistungs- oder Kostenerstattungsprinzips auf die Stellung von Zulassungsverträgen im Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . a) Die Unterscheidung zwischen Sachleistungs- und Kostenerstattungsprinzip aus vergaberechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

343 343 343 344 345 345 346 347

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353 354 356 356 358 359 359

Inhaltsverzeichnis

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b) Sachleistungsprinzip und Kostenerstattungsprinzip als vergaberechtsneutrale Abwicklungsmodalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 E. Verfahrensanforderungen an Versorgungsverträge nach dem SGB V . . . . . I. Unanwendbarkeit des Vergaberechts bei hoheitlicher und hoheitlichkooperativer Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vergaberechtliche Anforderungen an selektive Versorgungsverträge nach dem SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrensanforderungen bei Versorgungsverträgen zum Leistungseinkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahrensanforderungen bei Lieferaufträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensanforderungen bei Dienstleistungsaufträgen . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensanforderungen bei Versorgungsverträgen mit Zulassungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Verfahrensanforderungen bei Rahmenvereinbarungen b) Verfahrensanforderungen bei Rahmenvereinbarungen über Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfahrensanforderungen bei Dienstleistungskonzessionen . . . . . . . . F. Zum Verhältnis von EU-Vergaberecht, GWB-Vergaberecht und SGB V . . . I. Zur Frage der Anwendbarkeit des EU- und GWB-Vergaberechts auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Frage nach dem Verhältnis von EU-Vergaberecht, GWB und SGB V als Mehrebenenproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Verhältnis von GWB und SGB V als „Dauerbrenner“ der rechtswissenschaftlichen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Diskussion um die Anwendung des GWB-Kartellrechts auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Restriktion der Anwendung des GWB-Kartellrechts durch § 69 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konsens der Zivil- und Sozialgerichte hinsichtlich der Anwendungsgrenzen des GWB-Kartellrechts im Leistungserbringungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mittelbare Anwendbarkeit des Monopolmissbrauchsverbots der §§ 19 ff. GWB über § 69 Satz 2 SGB V a. F. bzw. § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB V n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Anwendung des GWB-Vergaberechts auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Kontroversen um die Anwendung der § 97 ff. GWB . . . . . . . . . . . . 2. Zum Verhältnis von SGB V und GWB-Vergaberecht bis zum GKVOrgWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Uneindeutigkeit der Gesetzeslage bis zum GKV-OrgWG . . . . . b) Tendenzen zur Entwicklung eines einzelstaatlichen Gesundheitsvergaberechts im Rahmen der §§ 69 ff. SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . .

362 362 363 363 363 364 364 364 365 366 366 366 368 369 369 370

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372 373 373 374 374 375

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Inhaltsverzeichnis 3. Zum Verhältnis von SGB V und GWB-Vergaberecht nach Inkrafttreten des GKV-OrgWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Richtlinienkonforme Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V . . . b) Richtlinienkonforme Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V . . . c) Richtlinienkonforme Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 3 SGB V . . .

G. Gestaltungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers im Rahmen des SGB V I. Zur Frage der verbleibenden gesundheits- und sozialpolitischen Handlungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gestaltungsspielräume mit Blick auf Gegenstand und Primärzweck von Versorgungsverträgen nach dem SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Vergaberechtsneutralität der Primärzwecke der Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der vergaberechtsneutralen Vertragsgestaltung bei gesetzlicher Regelung von nichtwirtschaftlichen Zuschlagskriterien (vergabefremde Zwecke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gestaltungsspielräume aus den Rechtfertigungsgründen der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Eck- und Orientierungspunkte zur Ausgestaltung des Vertragswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

376 376 377 378 379 379 380 380

381 382 385

H. Zum Erfordernis einer „Sektorenrichtlinie“ für das öffentliche Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

6. Kapitel Der persönliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie A. Die gesetzlichen Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber . . . . . . . . . . . . I. Der funktionale Auftraggeberbegriff als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Organisation, Finanzierung und staatliche Kontrolle der gesetzlichen Krankenversicherungsträger im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Übernahme von Allgemeinwohlaufgaben durch die gesetzlichen Krankenkassenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gewerbliche oder nichtgewerbliche Tätigkeiten der gesetzlichen Krankenkassenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die gesetzlichen Krankenkassen im Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unbeachtlichkeit der Eröffnung von – begrenzten – Wettbewerbsspielräumen der gesetzlichen Krankenkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Grenzen des Wettbewerbskriteriums als Abgrenzungskriterium in besonders regulierten Sektoren und die Maßgeblichkeit des wirtschaftlichen Verlustrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Verzahnung von öffentlichem und privatem Sektor und die Instrumentalisierung des Wettbewerbs zu Steuerungszwecken . . . . .

390 390 390 391 392 393 393 394

395 395

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b) Die Maßgeblichkeit des wirtschaftlichen Verlustrisikos, insbesondere des Insolvenzrisikos für die Abgrenzung von öffentlichem und privatem Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396

V.

4. Die Insolvenzfähigkeit der gesetzlichen Krankenkassen aus vergaberechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 a) Der Übergang zur Insolvenzfähigkeit der gesetzlichen Krankenkassen gem. § 171b SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 b) Die partielle Deckung des Insolvenzrisikos innerhalb des solidarisch finanzierten Kassensystems und ihre vergaberechtlichen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Auftraggebereigenschaft kraft öffentlicher Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . 400 1. Zum Begriff der überwiegenden öffentlichen Finanzierung . . . . . . . . . . 400 2. Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen: Sozialbeiträge, Steuerzuschüsse, Prämien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 3. Der Sozialbeitrag als Form der öffentlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 4. Die Folgen des solidarischen Wettbewerbs für den Charakter des Sozialbeitrags als Form der öffentlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

5. Vergaberechtliche Implikationen der Einführung eines staatlichen Gesundheitsfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 6. Rückwirkungen der öffentlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen auf die Frage der „Gewerblichkeit“ ihrer Tätigkeit . . . . 407 VI. Auftraggebereigenschaft kraft staatlicher Beherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . 407 1. Der funktionale vergaberechtliche Begriff der „staatlichen Aufsicht“ in Abgrenzung zur deutschen Unterscheidung zwischen Rechts- und Fachaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 2. Grundsatz: Keine staatliche Aufsicht im funktionalen vergaberechtlichen Sinne bei staatlicher Rechtsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 3. Die Rechtsaufsicht über die gesetzliche Krankenversicherungen als „funktionale Fachaufsicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 B. Die Auftraggebereigenschaft der Leistungserbringer und ihrer Verbände . . 412 I. Keine öffentliche Auftraggebereigenschaft wegen Teilnahme an der Leistungserbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 II. Die Auftraggebereigenschaft der kassenärztlichen Vereinigungen und der Einrichtungen der Gemeinsamen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 C. Zu den Grenzen der Anwendung des funktionellen Auftraggeberbegriffs . . 414 I. Die „privatisierte“ gesetzliche Krankenkassenversicherung der Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 II. „Die Einbeziehung der PKV in die GKV“ – sind private Krankenversicherungen im Basistarif öffentliche Auftraggeber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416

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Inhaltsverzeichnis 7. Kapitel Der sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts im Leistungserbringungsrecht des SGB V

418

A. Dogmatische Eck- und Orientierungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 I. Das Leistungserbringungsrecht des SGB V zwischen hoheitlichkooperativer Regulierung und Vertragswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 II. Kriterien zur Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs der RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 B. Vertragsärztliche Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die vertragsärztliche Zulassung gem. §§ 95 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die vertragsärztliche Zulassung als Dienstleistungsauftrag, Rahmenvereinbarung oder Dienstleistungskonzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Zulassung als Dienstleistungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Zulassung als Rahmenvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Zulassung als Dienstleistungskonzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zulassung zu vertragsärztlicher Versorgung als vergaberechtsneutrale hoheitlich-kooperative Zulassungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Keine Zurechnung der Leistungserbringung als Dienstleistungsauftrag zu den gesetzlichen Krankenkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Kollektivvertragsstrukturen des Vertragsarztrechts als System von Normsetzungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die atypischen Strukturen der hoheitlich-kooperativen Regulierung der vertragsärztlichen Versorgung als vergaberechtliches Problem . . . . 2. Grundstruktur des Kollektivvertragssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesamtverträge gem. § 83 ff. SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bundesmantelvertrag gem. §§ 87 ff. SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schiedswesen auf Landes- und Bundesebene gem. § 89 SGB V . . . d) Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gem. § 92 SGB V 3. Vergaberechtliche Beurteilung der Kollektivvertragsstruktur . . . . . . . . . a) Gesamtverträge zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung als Dienstleistungsaufträge: Das Beispiel des Medicare-Systems . . . . . b) Gesamtverträge und Bundesmantelvertrag als gestuftes System von Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das allgemeine Vertragsarztsystem als System der hoheitlichkooperativen Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das allgemeine System des Vertragsarztrechts als vergaberechtsneutrale hoheitlich-kooperative Regulierungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

420 420 420 421 421 422 423 425 426 427 427 428 428 429 429 431 431 432 433 434

C. Hoheitlich-kooperative Regulierung der Märkte für Arznei- und Heilmittelleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 I. Die arzneimittelrechtliche Zulassung und die Zulassung zur Arzneimittelversorgung nach §§ 31 ff. SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

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II. Die Festbetragsfestsetzung nach § 35 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rahmenvereinbarungen gem. § 129 SGB V, Rabattpflichten und Heilmittelvereinbarungen gem. 84 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vergaberechtliche Beurteilung der hoheitlich-kooperativen Arzneimittelpreisregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kooperative Regulierung der Märkte für Heilmittelleistungen gem. §§ 124, 125 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnisse zum System der hoheitlich-kooperativen Regulierung . . . . . . . .

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D. Individualverträge des SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung und über andere ambulante Versorgungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung gem. § 73b SGB V . . a) Grundstruktur des § 73b SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verträge mit Hausarztgemeinschaften gem. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subsidiäre Einzelverträge gem. § 73b Abs. 4 Satz 3 SGB V . . . . . . 2. Vergaberechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die richtlinienkonforme Auslegung des § 69 Abs. 2 SGB V als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hausarztverträge als Dienstleistungsauftrag oder Rahmenvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verträge mit Hausarztgemeinschaften als hoheitlich-kooperative Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anwendbarkeit der RL 2004/18/EG auf Verträge mit Hausarztgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB auf Verträge mit Hausarztgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Vereinbarkeit von Verträgen mit Hausarztgemeinschaften mit der RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reformbedarf und Reformoptionen in der hausarztzentrierten Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besondere ambulante Versorgungsformen gem. § 73c SBG V . . . . . . . . II. Verträge über die Integrierte Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V . . . . . . . III. Verträge über die Teilnahme von Apotheken an besonderen Versorgungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verträge über die Krankenhausversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulassung durch Gesetz und Rechtsverordnung bei Hochschulkliniken gem. § 108 Nr. 1 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulassung durch Verwaltungsakt bei Plankrankenhäusern gem. § 108 Nr. 2 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zulassung durch Versorgungsvertrag gem. § 108 Nr. 3 SGB V . . . . . . . 4. Rahmenvereinbarungen nach § 112 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

439 440 441 442 442 443 443 443 444 444 445 445 446 447 448 449 450 451 452 453 456 457 457 459 460 462

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Inhaltsverzeichnis 5. Verträge über die besondere ambulante und stationäre Versorgung nach. § 116b SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Arzneimittelrabattverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Selektive Rabattverträge als Innovation im Arzneimittelversorgungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anreizung von Preiswettbewerb durch selektive Auftragsvergabe als Zweck der Rabattverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rabattverträge als Rahmenvereinbarungen über die Lieferungen von Arzneimitteln durch Arzneimittelhersteller zu Sonderkonditionen 4. Vergaberechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mögliche Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht bei patentgeschützten Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verträge über die Hilfsmittelversorgung gem. § 127 SGB V . . . . . . . . . . . . 1. Umstellung der Hilfsmittelversorgung auf selektive Versorgungsverträge 2. Das gestufte Vergabeverfahren nach § 127 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschreibung im Wettbewerb gem. Art. 127 Abs. 1 und 1a SGB V c) Vergaberechtliche Anforderungen aus der RL 2004/18/EG . . . . . . . d) Verfahren nach Art. 127 Abs. 2 und 3 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassende Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Weitere Versorgungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

462 463 463 464 464 466 467 469 469 470 470 471 472 473 475 476

8. Kapitel Zusammenfassung und Ausblick A. Die Verwaltung im Mehrebenensystem der Europäischen Union – Zum Denken in Gewaltengliederungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Verwaltung im Prozess der Reorganisation der Strukturen europäischer Gewaltengliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „European Multi Level Governance“ als Gewaltengliederungsproblem . . . III. Die Strukturen europäischer Rechtserzeugung zwischen Integrations-, Teilungs- und Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Teilungs- und Integrationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Trennungs- und Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Schlüsselstellung des EuGH im europäischen Gewaltengefüge . . . B. Die Verwaltung im Kontext der Evolution der Strukturen europäischer Gewaltengliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Reorganisation der Strukturen europäischer Rechtserzeugung im Zuge des Übergangs zum Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entblockierung und Parlamentarisierung der Legislative . . . . . . . . . . . . . 2. Kontroll- und Steuerungsfunktion des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

478

478 478 480 482 482 482 483 484 484 484 485

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27

3. Ausdifferenzierung der Exekutive und Veränderung der Rolle der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 II. Die Verwaltung des Unionsraums zwischen Binnenmarktgesetzgebung und wettbewerbsrechtlicher Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 1. Extensive Auslegung der Kommissionskompetenzen zu Lasten des Rats unter Geltung des EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 2. Restriktive Auslegung der Kommissionskompetenzen nach dem Übergang zum Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 3. Das Verhältnis von Binnenmarktgesetzgebung und Wettbewerbskontrolle als Gewaltengliederungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 C. Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union . . 489 I. Zur Bedeutung der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union für das System des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 II. Die Grundfreiheiten des Binnenmarktes als Determinanten des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 1. Die Grundfreiheiten als verfahrens- und organisationsabhängige Freiheits- und Gleichheitsrechte sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 2. Das europäische Verwaltungsorganisationsrecht zwischen Hierarchie und Kooperation, Äquivalenz und Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 3. Die Grundfreiheiten als Determinanten des Verwaltungsverfahrensrechts: Äquivalenz-, Effektivitäts- und Beschleunigungsprinzip . . . . . . . 493 III. Binnenmarktharmonisierung und Binnenmarktregulierung . . . . . . . . . . . . . . 495 1. Die Binnenmarktkompetenzen im System des Unionsrechts: Die Prinzipen der funktionalen und materiellen Spezialität . . . . . . . . . . . . . . 495 2. Verwaltungsrechtsangleichung im Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 3. Das Kooperationsprinzip als prozedurale Grundlage und Grenze europäischer Verwaltungsrechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 IV. Durchführungskompetenzen der Kommission und Kommissionsmitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 V. Referenzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 D. Das Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . 499 I. Das Vergaberecht als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 II. Verwaltungsrechtsdogmatische Verortungsschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 499 III. Das Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . 501 1. Das Vergaberecht als Referenzgebiet des allgemeinen europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 2. Das Vergaberecht als binnenmarktfunktionales Verfahrens- und Rechtschutzregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 3. Das Vergaberecht als Koordinierungsstruktur im Europäischem Verwaltungsverbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503

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Inhaltsverzeichnis 4. Zu Stellung und Funktion des Vergaberechts im System des europäischen besonderen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 5. Zum persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der RL 2004/ 18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 6. Das Vergabeverfahren zwischen funktionalen Binnenmarktzielen und staatlicher Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507

E. Das Gesundheitswesen zwischen sozialrechtlicher Regulierung und Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Gesundheitsmärkte im europäischen Mehrebenensystem . . . . . . . . . . . II. Die Anwendbarkeit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auf die Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Spielräume für die mitgliedstaatliche Regulierung auf der Rechtfertigungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Binnenmarktharmonisierung des Sozialversicherungs- und Leistungserbringungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Insbesondere: Kompetenz zur vergaberechtlichen Harmonisierung des Vertragswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Gesundheitsmärkte im System des EU-Wettbewerbs- und Beihilferechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Das Gesundheitsvergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Gesundheitsvergaberecht als Herausforderung für die Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Gesundheitsvergaberecht als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Gesundheitsvergaberecht als Ordnungsaufgabe an die Wissenschaft vom europäischen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Erfordernis der Angrenzung von hoheitlich-kooperativer Regulierung und vergabevertraglicher Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundsätze der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf Einkaufs- und Zulassungsverträge nach dem SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gestaltungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . G. Der persönliche und sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts im Leistungserbringungsrecht des SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfahrensanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Richtlinienkonforme Auslegung des § 69 Abs. 2 SGB V . . . . . . . . . . . . . . .

509 509 509 510 511 512 513 514 514 517 517 518 519 521 522 523 523 526 526

H. Résumé und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569

In the beginning was the market. O. E. Williamson1

Einleitung Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist die Europäische Union in eine neue Phase der Integration getreten.2 Wesentliche Ziele des Reformprogramms von Lissabon sind die weitere Effektivierung des europäischen Institutionengefüges, der Ausbau der Rechte des Europäischen Parlaments und eine Optimierung des Grundrechtsschutzes der Unionsbürger.3 Trotz der mit dem Lissabonvertrag einhergehenden weiteren Annäherung an (bundes-)staatliche Strukturen besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Europäische Union nach wie vor keinen europäischen (Bundes-)Staat im herkömmlichen Sinne konstituiert.4 Am Anfang des europäischen rechtlichen Integrationsprozesses stand daher auch nicht das Ziel der Errichtung eines europäischen (Bundes-)Staates, sondern die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes auf Grundlage des EGKS-Vertrags von 1951 und der Römischen Verträge von 1957. Gleichwohl war die Gründung einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von Beginn an nicht Selbstzweck, sondern schon ausweislich der Präambel des

1

Williamson, Markets and Hierachies, 1975, S. 37. Die vorliegende Untersuchung berücksichtigt die mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum 01.12.2009 verbundenen Vertragsänderungen. Normen des Primärrechts werden grundsätzlich nach Maßgabe des Vertrags über die Europäische Union (EU) und des Vertrags über die Arbeitsweisen der Europäischen Union (AEU) in der derzeit geltenden Fassung des Vertrags von Lissabon zitiert. Auf Normen des EUVertrags alter Fassung (EU a. F.), des EG-Vertrags (EG) und des EWG-Vertrags (EWG) wird – soweit erforderlich – im Kontext der historischen Entwicklung des Europarechts gesondert verwiesen. 3 Vgl. zum Lissabonvertrag: Oppermann, DVBl. 2008, S. 473 ff.; Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009) S. 11 ff.; Häde, EuR 2009, 200 ff.; Hatje/Kindt, NJW 2008, S. 1761 ff.; Pache/Rösch, NVwZ 2008, S. 473 ff.; Terhechte, EuR 2008, S. 143 ff.; Weber, EuZW 2008, S. 9 ff.; Nowak, EuR 2009, S. 129 ff.; zum Lissabon-Urteil des BVerfG: Schorkopf, EuZW 2009, S. 719 ff. 4 Statt vieler: Jestaedt, Der Europäische Verfassungsverbund, in: Calliess (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 93 ff. Zur „Präzedenzlosigkeit der Union“: Schuppert, Anforderungen an eine europäische Verfassung, in: Klingemann/Weidhardt (Hrsg.), Zur Zukunft der Demokratie, 2000, S. 207 ff. 2

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EWGV auch darauf gerichtet, „die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen“. Der bisherige Erfolg des europäischen Integrationsprozesses beruht denn auch nicht auf der Wirkkraft einer europäischen nationalen Idee, sondern auf der geschickten Kombination von rechtlich verbindlichen Zielsetzungen und Werten, der korrespondierenden Übertragung von Kompetenzen auf eigenständige Institutionen, einschließlich einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, die dem gemeinsamen Recht konkrete Gestalt verleiht und seine Durchsetzung gerade auch gegenüber den Bürgern gewährleistet.5 Treffend hat H.-P. Ipsen die europäischen Verträge daher als „Wandel-Verfassung“ beschrieben und in Abgrenzung zum (bundes-)staatlichen Verfassungsrecht konstatiert: „Sie ist (. . .) als Integrationsverfassung selbst prinzipiell auf den Wandel hin angelegt, nämlich den Prozess der immer engeren Zusammenführung der Mitgliedstaaten durch Vergemeinschaftung bislang mitgliedstaatlicher öffentlicher Aufgaben. Jede Anwendung und Auslegung von Normen der EG-Verfassung, die (. . .) diesen Verfassungsprozess fördert, ist der Anlage der EG-Verfassung adäquat, im Sinne eines Beitrags zum Verfassungswandel im Sinne der Verfassungsverwirklichung, (. . .). Dieser Wandel ist also nicht, wie im Staatsrecht Reaktion auf Tatbestandsveränderung im Geltungsbereich der einschlägigen Verfassungsnorm. Dieser Wandel ist selbst Aktion, konkreter Vollzug der auf Wandel angelegten EG-Verfassung. Sie ist – wortspielerisch formuliert – eine Wandel-Verfassung einzigartigen, sonst nicht existierenden Typs.“ 6 Der in die europäische Verfassungsordnung selbst eingeschriebene Wandel beschäftigt mittlerweile nicht mehr allein die sozialwissenschaftliche Integrationsforschung und die „große“ europäische Verfassungstheorie, sondern gerade auch die Verwaltungsrechtswissenschaft.7 Dies gilt nicht nur für das besondere Verwaltungsrecht, das sich mit der vom Unionsgesetzgeber beständig produzierten Normenflut auseinanderzusetzen hat, sondern auch für das auf übergreifende Ordnungsbildung ausgerichtete allgemeine Verwaltungsrecht. In der Entwicklung der immer noch recht jungen Wissenschaft vom allgemeinen europäischen Verwaltungsrecht lassen sich parallel zum Wandel der europäischen Integrationsverfassung mehrere Phasen unterscheiden.

5 Calliess, Zum Denken im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, in: ders. (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 187 (187 f., 189 f.). 6 H.-P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, in: Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, 1983, S. 29 (50 f.). Vgl. Calliess, Zum Denken im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, in: ders. (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 187 (190). 7 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2004, S. 397 ff. m.w. N.

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Unter Geltung der „Marktverfassung“ des EWG-Vertrags waren die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsrecht noch im Wesentlichen auf die Durchsetzung der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts durch EuGH und Kommission beschränkt. Dagegen kam die sekundärrechtliche Verwaltungsrechtsangleichung aufgrund der weitgehenden Blockade des Rats infolge des Einstimmigkeitsprinzips nur zögerlich voran.8 Diesen Befunden korrespondierte aus verwaltungsrechtlicher Sicht das Leitbild der Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts, also die Überformung des einzelstaatlichen Rechts durch das Gemeinschaftsrecht, bei gleichzeitig strikter Trennung zwischen direktem Vollzug als Ausnahmefall und indirektem mitgliedstaatlichen Vollzug als Regelfall.9 Mit dem schrittweisen Übergang von der Marktverfassung des EWG-Vertrags zur Binnenmarktverfassung der Europäischen Union haben sich die Strukturen europäischer Rechtserzeugung allerdings grundlegend verändert. Einerseits sind die Zuständigkeiten der Union beständig erweitert worden. Andererseits sind alle europäischen Gewalten in der Legislative, Exekutive und Judikative über Verfahren der politisch-administrativen Koordinierung, der Rechtsetzung im Zusammenwirken von Rat, Parlament und Umsetzungsgesetzgeber, der Durchführung im Komitologieverfahren und der transnationalen Verwaltungskoordinierung in der einen oder anderen Weise verbandsübergreifend organisiert.10 Der sozialwissenschaftlichen Beobachtung der Herausbildung eines sachlich mehr oder weniger umfassenden europäischen „politisch-administrativen Mehrebenensystems“ korrespondiert damit aus rechtswissenschaftlicher Sicht der Befund der Herausbildung verbandsübergreifender Strukturen europäischer gewaltengegliederter Rechtserzeugung.11 Der Übergang zur heutigen Binnenmarktverfassung der Europäischen Union erweist sich nicht zuletzt für das Verwaltungsrecht als folgenreich. Anders als unter Geltung des EWG-Vertrags verfügt die Union seit dem Übergang zum Mehrheitsprinzip im Rat und zum Mitentscheidungsverfahren über eine weitgehend entblockierte und zugleich parlamentarisch demokratisierte Legislative

8 Zum ordoliberalen Modell der Gemeinschaft als „Marktverfassung“: Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2003, S. 183 (186 ff.); vgl. auch: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., 2004, § 3 Rn. 1 ff. 9 Zur Europäisierungsperspektive und ihren Grenzen vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 403. Grundlegend zum Trennungsprinzip: Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1977, S. 9 ff. 10 Zur Gewaltengliederung des Mehrebenensystems der Europäischen Union eingehend: Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 253 ff.; ders., Die drei Gewalten, 2008, S. 172 ff. 11 Zum Begriff des Mehrebenensystems grundlegend: Benz, Mehrebenen-Verflechtungen, in: Benz/Scharpf/Zintl (Hrsg.), Horizontale Politikverflechtungen, S. 47; ders., Accountable Multilevel Governance, in: European Law Journal 2007, S. 505 ff.

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mit weit reichenden Gesetzgebungskompetenzen, insbesondere im Bereich der Rechtsangleichung im Binnenmarkt.12 Entsprechend setzte mit dem Übergang zum Binnenmarkt ein verstärkter Prozess europäischer sekundär- und tertiärrechtlicher Verwaltungsrechtsangleichung ein, der sich nicht zuletzt in einer fortschreitenden Vernetzung nationaler und unionaler Verwaltungsträger niederschlug. Infolge dieser Veränderungen im europäischen Gewaltengefüge rückte im europäischen Verwaltungsrecht der Begriff des Europäischen Verwaltungsverbunds als neues Leitbild verbandsübergreifender europäischer Verwaltungsorganisation in den Vordergrund, womit zugleich eine Relativierung des Trennungsprinzips einherging.13 Mit den konkurrierenden Begriffen der Europäisierung und des Europäischen Verwaltungsverbunds reagierte die Verwaltungsrechtswissenschaft allerdings in erster Linie auf die Beobachtung von Veränderungen innerhalb des Systems des Verwaltungsrechts, die sich vor allem aus der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten und aus dem Prozess der europäischen Sekundär- und Tertiärrechtsetzung ergaben. Angesichts der immer engeren verbandsübergreifenden Verflechtung aller Gewalten im Mehrebenensystem der Europäischen Union deutet sich mittlerweile jedoch der Übergang zu einer dritten Entwicklungsphase an, die verstärkt nach der Stellung der Verwaltung innerhalb der verbandsübergreifenden Strukturen der europäischen Gewaltengliederung fragt.14 Damit erweitert sich die Perspektive der Verwaltungsrechtswissenschaft hin zur Analyse gerade auch der Zusammenhänge zwischen der Entwicklung des Systems europäischer gewaltengegliederter Rechtserzeugung und den Veränderungen des so erzeugten verbandsübergreifenden verwaltungsrechtlichen Organisations-, Verfahrens- und Rechtsschutzregimes. Die Hinwendung der Verwaltungswissenschaft zu Fragen europäischer Gewaltengliederung hat zunächst den Vorzug, dass sie die konkurrierenden Leitbilder der Europäisierung und der Verbundbildung zu integrieren vermag, da beides als verwaltungsrechtliche Folge der Ausdifferenzierung eines verbandsübergreifenden Systems unionaler Rechtserzeugung begriffen werden kann. Die gegenwärtige Renaissance des Gewaltengliederungsbegriffs leuchtet indes auch deswegen ein, weil die Entwicklung des Verwaltungsrechts bereits auf nationaler Ebene untrennbar mit dem historischen Prozess der Evolution des gewaltengegliederten demokratischen Rechtsstaates verknüpft ist. Schon unsere Vorstellung darüber, was unter Verwaltung begrifflich zu verstehen ist, wird maßgeblich durch das

12 Vgl. zur Reichweite der Binnenmarktkompetenzen: Möstl, EuR 2002, S. 318 ff.; eingehend auch Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 75 ff. u. S. 169 ff. 13 Vgl. Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (762 f.). 14 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, S. 1 (9 ff.).

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Gewaltenteilungsprinzip geprägt.15 Darüber hinaus hat sich die Teilungsidee als kategoriales prozedural-organisatorisches Ordnungsprinzip im System des staatlichen Verwaltungsrechts erwiesen. Das Teilungsprinzip formt das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip des staatlichen Verfassungsrechts „in verwaltungsrechtlich handhabbare Münze um, indem es mit seiner Unterscheidung zwischen Gesetzgebung und Verwaltungsvollzug parlamentarische Steuerung ebenso wie rechtsstaatliche Berechenbarkeit sichert und beides mit der Kontrollkompetenz der Gerichte sanktioniert.“ 16 In der Europäischen Union liegen die Dinge allerdings komplizierter. Zwar hat sich das verbandsübergreifende System der Rechtserzeugung in der Europäischen Union bereits vergleichsweise weitgehend den Strukturen der Gewaltengliederung eines demokratischen Rechtsstaats angenähert. Entsprechend ist auch die Verwaltung des Unionsraums in Parallele zum staatlichen Recht den allgemeinen Prinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet.17 Gleichwohl bestehen nach wie vor Differenzen. Im System unionaler Gewaltengliederung übersetzen sich vom staatlichen Recht jedenfalls partiell abweichende materiell-funktionale Gewährleistungen (insbesondere der Grundfreiheiten), vermittelt über abweichende verbandsübergreifende Verfahrensstrukturen der Rechtserzeugung (insbesondere die Verfahren der Binnenmarktharmonisierung und Umsetzungsgesetzgebung) in abweichende Strukturen des so erzeugten Verwaltungsorganisations- und Verwaltungsverfahrensrechts und des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes.18 Die von den Grundrechten abweichenden funktionalen Gewährleistungen der Grundfreiheiten des Binnenmarktes prägen – „quer“ zur traditionellen Differenzierung von „direktem“ und „indirektem“ Vollzug – sowohl

15 Zur negativen Definition des materiellen Verwaltungsbegriffs in Abgrenzung zu den übrigen Gewalten: O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1924, Band I, S. 7; Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931, S. 5 f. 16 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, S. 1 (10). Einem Denken in europäischen Gewaltengliederungsstrukturen wird denn auch nicht zuletzt das Potenzial zugeschrieben, die gesteigerte Komplexität der verbandsübergreifenden Verwaltungsstrukturen im Mehrebenensystems der Europäischen Union unter Rückgriff auf die Beschreibungs- und Ordnungsangebote des Organisations- und Verfahrensrechts theoretisch und dogmatisch besser in den Griff zu bekommen. Vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 181. Zur Leistungsfähigkeit eines prozedural-organisatorischen Gewaltengliederungsansatzes aus verfassungstheoretischer Sicht auch: Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 10 f. 17 Schmidt-Aßmann, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts: Einleitende Problemskizze, in: ders./Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 9 (24 ff.); ders., Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 393 ff. 18 Vgl. Trute, Die konstitutive Rolle der Rechtsanwendung, in: Trute/Groß/Röhl/ Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 211 ff. Zu den o. g. verwaltungsrechtlichen Prinzipien vgl. z. B. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 503 (517 ff.).

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das Verwaltungsorganisationsrecht als auch das Verwaltungsverfahren.19 Anders als unter Geltung der „Marktverfassung“ des EWG-Vertrags vermitteln sich die verwaltungsrechtlichen Wirkungen dieser Prinzipien auch nicht mehr allein oder in erster Linie über die gerichtliche Kontrolle subjektiver Rechte durch den EuGH, sondern auch über den Prozess der Binnenmarktharmonisierung, der ebenfalls auf die funktionalen Ziele der Grundfreiheiten des Binnenmarktes ausgerichtet ist.20 Die Binnenmarktverfassung der Europäischen Union beeinflusst die Grundstrukturen des Allgemeinen Europäischen Verwaltungsrechts ebenso wie das Verhältnis verschiedener Teilmaterien des Europäischen Besonderen Verwaltungsrechts zueinander.21 Von daher können die Ordnungsaufgaben des Europäischen Verwaltngsrechts nur unter Berücksichtigung der strukturellen Eigenheiten des Systems europäischer Rechtserzeugung angemessen erfasst und bewältigt werden. Zu den wesentlichen damit verbundenen Ordnungsaufgaben dürfte die Anpassung des überkommenen demokratie- und rechtsstaatszentrierten Ordnungssystems des staatlichen Verwaltungsrechts an die stärker funktional geprägten Strukturen des europäischen Verwaltungsrechts liegen, die im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen in besonderer Deutlichkeit zutage treten.22 In der vorliegenden Untersuchung sollen die Einwirkungen des europäischen Binnenmarktrechts auf das System des Europäischen Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrechts analysiert werden. Als Referenzgebiet der Untersuchung soll das europäische Vergaberecht gewählt werden, dessen Koordinierungs-, Verfahrens- und Rechtsschutzregime in besonderer Weise durch die funktionalen Gewährleistungen der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit geprägt wird. Die Leistungsfähigkeit des so entwickelten Ordnungsansatzes soll dort überprüft werden, wo vergaberechtliche Ordnungsprobleme derzeit wohl mit am deutlichsten zutage treten. Dies führt zum Thema des Gesundheitsvergaberechts, das Gegenstand des besonderen Teils dieser Untersuchung ist.23 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann an Grundlagenuntersuchungen zur Gewaltengliederung des eu19 Vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 397 ff.; v. Danwitz, Systemgedanken eines Rechts der Verwaltungskooperation, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 171 (174 ff.). 20 Zur Kopplung von Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen: Möstl, EuR 2002, S. 318 ff. 21 Hierzu eingehend im 2. Kapitel dieser Untersuchung. 22 Zur Bedeutung der Grundfreiheiten als Determinanten des Verwaltungsrechts vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 2004, S. 397 ff.; v. Danwitz, Systemgedanken eines Rechts der Verwaltungskooperation, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 171 (174 ff.). 23 Zur aktuellen Diskussion: Kingreen, NJW 2009, 2417 ff.; ders., SGb 2008, S. 437 ff.; Rixen, VSSR 2005, S. 225 ff.; Burgi/Brohm, MedR 2005, S. 74 ff.; Cassel/ Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008; Burgi, DVBl. 2003, S. 949 ff.; Kühling, WiVerw 2008, S. 239 ff.

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ropäischen Mehrebenensystems und zum europäischen Rechtsetzungsverfahren ebenso angeknüpft werden, wie an eine Vielzahl von Untersuchungen zur Entwicklung, Grundsätzen und tragenden Rechtsprinzipien des europäischen Verwaltungsorganisations- und Verwaltungsverfahrensrechts.24 Auch zum gewählten Referenzgebiet des Vergaberechts liegen mittlerweile an eine Reihe verwaltungsrechtlicher Vorarbeiten vor, die sich insbesondere mit der „Europäisierung“ des nationalen Verwaltungsrechts durch das Vergaberecht befassen.25 Was bisher allerdings weitgehend fehlt, ist eine übergreifende systematische Untersuchung zur Stellung der Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union und deren Folgen für die Ordnungs- und Systembildung im Europäischen Verwaltungsrecht. Gleiches gilt für das Vergaberecht und dessen spezifische Stellung im System des europäischen besonderen Verwaltungsrechts. Die vorliegende Untersuchung soll einen Beitrag dazu leisten, diese Lücke zu schließen. Durch die Wahl eines prozedural-organisatorischen Ansatzes sollen Interdependenzen innerhalb des Systems des Unionsrechts, wie namentlich die Zusammenhänge zwischen der gerichtlichen Kontrolle der Grundfreiheiten durch den EuGH, der korrespondierenden Binnenmarktharmonisierung durch den Unionsgesetzgeber und den Strukturen des so erzeugten sekundären und tertiären unionalen (oder national transformierten) Verwaltungsrechts, transparenter gemacht werden. Auf der verwaltungsrechtlichen Ebene setzt die Untersuchung konsequenterweise nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie beim Trennungsprinzip bzw. den konkurrierenden Leitbildern der Europäisierung oder Verbundbildung an. Vielmehr sollen die Auswirkungen der europäischen Binnenmarktverfassung auf das Gesamtsystem des europäischen Verwaltungsrechts in den Blick genommen werden, das sich im Zusammenspiel der immer enger verzahnten Schichten des Eigenver-

24 Zur Übertragung des Gewaltengliederung des Mehrebenensystems der Europäischen Union und zur Stellung der Verwaltung in den Strukturen europäischer Gewaltengliederung aus verfassungstheoretischer Sicht eingehend: Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 209 ff., S. 253 ff., S. 270 ff. Zum europäischen Rechtsetzungsverfahren vgl. z. B. die umfassende Darstellung bei Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006. Zu Entwicklung, Grundprinzipien, Rechtsmaßstäben und Strukturen des europäischen Verwaltungsrecht vgl. insbesondere: v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 144 ff., S. 210 ff.; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 397 ff.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, sowie die Beiträge in Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999. 25 Zur Entwicklung des Vergaberechts und dessen tragenden Prinzipien im Kontext von Ökonomisierung und Aufgabenprivatisierung Bungenberg, Vergaberecht im Wettbewerb der Systeme – eine rechtsebenenübergreifende Analyse des Vergaberechts, 2007, S. 17 ff., S. 133 ff. Zur Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts durch das Vergaberecht: Näfe, Das Vergaberecht als Referenzgebiet für die Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts, 2008. Zum Vergaberechts aus verwaltungsrechtlicher Sicht auch Burgi, NZBau 2002, S. 47 ff.; ders., DVBl. 2003, S. 949 ff.; ders., NVwZ, 2007, S. 737 ff.; Battis, DÖV 2001, S. 988, 990; Ruthig, NZBau, 2005, S. 497 ff.; vgl. auch Schoch, NVwZ 2008, S. 241 ff.

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waltungsrechts der Union und des nationalen Unionsverwaltungsrechts konstituiert. Damit kann das Arbeitsprogramm der weiteren Untersuchung umrissen werden. In einem Einleitungskapitel soll zunächst an die aktuelle rechtswissenschaftliche Mehrebenen- und Gewaltengliederungsdiskussion angeknüpft werden. Ausgehend von einigen verfassungstheoretischen Vorüberlegungen, sollen die Zusammenhänge zwischen den Veränderungen im europäischen Gewaltengefüge und Veränderungen im System des europäischen Verwaltungsrechts am Beispiel des Binnenmarkt- und Wettbewerbsrechts eingehender beleuchtet werden, um so das verwaltungsrechtliche Ordnungspotenzial eines Denkens in Gewaltengliederungsstrukturen herauszuarbeiten. Ziel dieses Kapitels ist weniger die verfassungstheoretische Kritik bestimmter Arrangements europäischer Rechtssetzung,26 als vielmehr die verfassungstheoretisch angeleitete Analyse der tragenden Strukturprinzipien der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union, so wie sie durch die Verträge und deren Auslegung durch den EuGH de lege lata vorgegeben und damit für das Ordnungssystem des europäischen Verwaltungsrechts prägend sind. Das zweite Kapitel widmet sich der Stellung der Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union. Hierbei sollen insbesondere das Zusammenspiel der gerichtlichen Kontrolle der Grundfreiheiten durch den EuGH und der Binnenmarktharmonisierung durch den Unionsgesetzgeber veranschaulicht und die Bedeutung der Grundfreiheiten als Determinanten des Verwaltungsorganisations- und Verwaltungsverfahrensrechts herausgearbeitet werden. Zur Vertiefung der Untersuchung wird auf einige Referenzgebiete des europäischen Verwaltungsrechts (Produktzulassungsrecht, Behördennetzwerke im Personenund Dienstleistungsverkehr, Regulierungsverwaltungsrecht) einzugehen sein, deren Organisations- und Verfahrensstrukturen in besonderer Weise durch das System des europäischen Binnenmarktrechts geprägt sind. Das dritte Kapitel wendet sich der Stellung des Koordinierungs-, Verfahrens- und Rechtsschutzregimes des europäischen Vergaberechts im System des europäischen Verwaltungsrechts sowie dem Verhältnis des Vergaberechts zu anderen Materien des europäischen Verwaltungsrechts (Wettbewerbs- und Beihilferecht, Berufs- und Produktzulassungsrecht, Regulierungsverwaltungsrecht) zu. Die folgenden Kapitel leiten schließlich zum Referenzgebiet des öffentlichen Gesundheitswesens über. Zunächst soll die Stellung der sozialrechtlich besonders regulierten Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens im System des europäischen Binnenmarkt- und Wettbewerbsrechts überblickartig entfaltet werden. Die Untersuchung dient einerseits zur Vertiefung und Konkretisierung der im zweiten Kapitel herausgearbeiteten Strukturmerkmale der Rechtserzeugung in 26 Hierzu z. B. Schließky, Legitimität und Souveränität, 2004, S. 405 ff.; Möllers, Gewaltenteilung, 2005, S. 253 ff.

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der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union. Andererseits sollen auch bereits einige allgemeine Eck- und Orientierungspunkte für die anschließende Untersuchung zur Anwendbarkeit des Vergaberechts auf den Vertragswettbewerb in der GKV herausgearbeitet werden. Der anschließende Abschnitt zum „Gesundheitsvergaberecht“ gliedert sich in einen dogmatischen Grundlagenteil und in Einzeluntersuchungen zum persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich des EU-Vergaberechts im Leistungserbringungsrecht des SGB V. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse für den eiligen Leser, einem wertenden Résumé und einem Ausblick auf den weiteren Untersuchungsbedarf.

1. Kapitel

Gewaltengliederung und Rechtserzeugung im Mehrebenensystem der Europäischen Union A. Gewaltengegliederte Rechtserzeugung in der Europäischen Union I. Die Europäische Union als Mehrebenensystem bzw. Struktur der „Multi Level Governance“ Die Perspektive der politischen Wissenschaften und der Soziologie, der Verfassungs- und Verwaltungsrechtslehre und der Europarechtswissenschaft auf die Organisation von Hoheitsgewalt in der Europäischen Union wandelt sich. An die Stelle des Leitbildes der Trennung der politisch-administrativen und rechtlichen Systeme der Union und der Mitgliedstaaten treten die neuen Leitbilder des europäischen Mehrebenensystems und des europäischen Verfassungs- und Verwaltungsverbunds. Die von Artur Benz1 geprägten, weitgehend synonymen Begriffe des europäischen Mehrebenensystems bzw. der „European Multi Level Governance“ knüpfen theoretisch an die transdisziplinäre „Governance“-Diskussion an, deren Wurzeln in der ökonomischen Theorie liegen. Im Jahre 1975 veröffentlichte der amerikanische Ökonom Oliver E. Williamson einen bahnbrechenden Aufsatz zur ökonomischen Theorie der Organisation.2 Ausgangspunkt seiner Überlegungen waren das ökonomische Marktmodell und die Frage, wie die Entstehung von komplexen Organisationen auf Märkten erklärt werden konnte, wenn doch der ökonomische Austausch auf Wettbewettbewerbsmärkten an sich bereits effiziente Güterallokationen sicherstellen sollte.3 Für die Vielfalt der auf Märkten entstehenden, teils hierarchischen, teils austauschvertraglichen, teils hybriden Institutionen prägte Williamson den Begriff der „Governance“.4 Mittlerweile ist der

1 Grundlegend: Benz, Mehrebenen-Verflechtungen, in: Benz/Scharpf/Zintl (Hrsg.), Horizontale Politikverflechtungen, 1992, S. 147 ff.; ders., Mehrebenenverflechtung in der Europäischen Union, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl., S. 317 ff. 2 Williamson, Markets and Hierachies, 1975, ders., The Economic Institutions of Capitalism, 1985; ders., The Mechanisms of Governance, 1996. 3 Zur ökonomischen Governance-Diskussion: Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomie, 3. Aufl., 2003, S. 13 ff., S. 544 ff. m.w. N.

A. Gewaltengegliederte Rechtserzeugung in der EU

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Governance-Begriff allerdings nicht mehr allein auf ökonomische Organisationen und wirtschaftswissenschaftliche Fragestellungen beschränkt, sondern wird von den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen zur Beschreibung von – typischerweise organisations- oder verbandsübergreifenden – politischen, administrativen und rechtlichen Strukturen verwandt, die sich ausgehend von gängigen theoretischen Beschreibungsangeboten nicht mehr angemessen erfassen lassen.5 Von daher eignet sich der „etwas unterdefinierte“ Begriff der Governance gerade auch zur Beschreibung der „präzedenzlosen“ verbandsübergreifenden Hoheitsordnung in der Europäischen Union.6 Das Governance-Konzept stellt den überkommenen großtheoretischen Modellen allerdings keinen Gegenentwurf auf hohem Abstraktionsniveau entgegen, sondern beruht gerade auf der Annahme, dass große Gesellschaftstheorien angesichts der gestiegenen gesellschaftlichen Komplexität nicht mehr ohne Weiteres formulierbar sind.7 Folglich zielt der GovernanceBegriff auch weniger auf unmittelbare Problemlösung, sondern zunächst auf Problemerfassung. In ihrer Gesamtheit steht die transdisziplinäre GovernanceDiskussion im Kontext der neoinstitutionalistischen Wende in den Sozialwissenschaften, die mit einer Relativierung der klassischen großtheoretischen Beschreibungsangebote von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einhergeht, deren Erklärungspotenzial angesichts der Herausbildung neuer komplexer institutioneller 4 Vgl. Williamson, The Mechanisms of Governance, New York, 1996. Zur Entwicklung des theoretischen Modells und dessen Implikationen für die Rechtswissenschaft: Denkhaus, Die neue Institutionenökonomik und das Governancekonzept, in: Bungenberg et al. (Hrsg.), Recht und Ökonomik, 2004, S. 31 ff.; Trute/Denkhaus/Kühlers, Die Verwaltung 37 (2004), S. 451 ff. 5 Zum Stand der Governance-Diskussion vgl. die Beiträge in: Benz/Lütz/Schimank/ Simonis (Hrsg.), Handbuch der Governance, Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007; auch Schuppert, Governance im Spiegel der Wissenschaftsdisziplinen, in: ders. (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, S. 371 f.; ders., Die Verwaltung 40 (2007), S. 463 ff.; Trute/Denkhaus/Kühlers, Die Verwaltung 37 (2004), S. 451 ff.; Trute/Kühlers/Pilniok, PVS-Sonderheft, 41 (2008) S. 175 ff.; Joerges, Constitutionalism and Transnational Governance, in: Joerges/Sand/Teubner (Hrsg.), Transnational Governance and Constitutionalism, 2004, S. 343 ff.; Voßkuhle, Das Konzept des rationalen Staates, in: Schuppert/ders. (Hrsg.), Governance von und durch Wissen, 2008, S. 13 ff.; kritisch z. B. Möllers, Common Market Law Review 43 (2006), S. 314 ff. 6 Zur „Unterdefinition“ des Governance-Begriffs kritisch: Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 225. Zur Präzedenzlosigkeit der Integrationsverfassung der Gemeinschaft vgl. H.-P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, in: Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, 1983, S. 29 (50 f.). 7 Vgl. Voßkuhle, Das Konzept des rationalen Staates, in: Schuppert/Voßkuhle (Hrsg.), Governance von und durch Wissen, Nomos Verlag, 2008, S. 13 f.; Trute/Denkhaus/Kühlers, Die Verwaltung 37 (2004), S. 451 (452 ff.); zum Problem von Informations- und Transaktionskosten aus ökonomischer Sicht: Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomie, 3. Aufl. 2003, S. 13 ff.; S. 544 ff.; aus rechtswissenschaftlicher Sicht zum Problem des Umgangs mit begrenzten Informationen: Scherzberg, VVDSTRL 63 (2003), S. 214 ff.; Hoffmann-Riem, Die Verwaltung 38 (2005), S. 145 ff.; auch schon: Di Fabio, Die Verwaltung 27 (1994), S. 345 ff.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

Arrangements an Grenzen zu stoßen scheint.8 Ausgehend von der Erkenntnis der Grenzen überkommener Ordnungsmodelle ist jede Wissenschaftsdisziplin darauf verwiesen, ihre jeweils eigenen – ihren Erkenntnisinteressen entsprechenden – Problemlösungsstrategien zu entwickeln.9 Die europäische Integrationsforschung hat mit den Begriffen des „europäischen Mehrebenensystems“ bzw. der „European Multi Level Governance“ den Versuch unternommen, die gesteigerte Komplexität der verbandsübergreifenden Hoheitsordnung der Europäischen Union angemessener zu erfassen. Die Begriffe verweisen einerseits auf die Mittellage der Union zwischen einer supranationalen Marktverfassung und einem verbandsübergreifend verfassten, politisch-administrativen Systems eigener Art. Andererseits hebt der Begriff die verbandsübergreifenden Verflechtungen der politischen und administrativen Systeme der Union und der Mitgliedstaaten besonders hervor, die nur noch in ihrer Gesamtheit funktionsfähig sind. Anders als in der älteren Integrationsforschung steht damit nicht mehr allein die Frage nach Funktion und Legitimation des politisch-administrativen Systems auf der Unionsebene,10 aber auch nicht mehr allein die Analyse der Folgen der fortschreitenden Europäisierung für die politisch-administrativen Systeme der Mitgliedstaaten,11 sondern stehen vielmehr Funktion und Legitimation des europäischen Mehrebenensystems selbst im Zentrum des Interesses, das sich im Zusammenspiel der politisch-administrativen Systeme der Union und der Mitgliedstaaten konstituiert.12 Zugleich verlagert sich der Schwerpunkt der Analysen hin zu den konkreten ebenenübergreifenden Strukturen und Modi europäischer politisch-administrativer „Governance“,13 in deren Rahmen eine Mehrzahl von 8 Vgl. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomie, 3. Aufl. 2003, S. 13 ff., 541 ff.; hierzu Denkhaus, Die neue Institutionenökonomik und das Governancekonzept, in: Bungenberg et al. (Hrsg.), Recht und Ökonomik, 2004, S. 31 ff.; Trute/Denkhaus/Kühlers, Die Verwaltung 37 (2004), S. 451 ff. 9 Vgl. Trute/Denkhaus/Kühlers, Die Verwaltung 37 (2004), S. 451 (452 ff.); Trute/ Kühlers/Pilniok, PVS-Sonderheft, 41 (2008) S. 175 ff. 10 Jachtenfuchs/Kohler-Koch, Regieren und Institutionenbildung, in: Jachtenfuchs/ Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, S. 11 ff. 11 Vgl. zur Europäisierungsdiskussion die Sammelbände des MPI, z. B. Knodt/Kohler-Koch (Hrsg.), Deutschland zwischen Europäisierung und Selbstbehauptung, 2000; zur rechtswissenschaftlichen Europäisierungsdiskussion: Ress, in: Burmester (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung, 1991, S. 199 ff.; Bermann/Kenntner (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 2002; zu den Grenzen der Europäisierungsperspektive: Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 31 ff., 403 f.; Ruffert, DÖV 2007, S. 761 ff. 12 Scharpf, Regieren im europäischen Mehrebenensystem, Leviathan 30 (2002), S. 65 ff.; Benz, Konstruktive Vetospieler in Mehrebenensystemen, in: Mayntz/Streeck (Hrsg.), Die Reformierbarkeit der Demokratie, 2003, S. 205 ff., ders., Accountable Multilevel Governance, European Law Journal, 2007, S. 505 ff. 13 Zum aktuellen Stand der mittlerweile etwas ausladenden Governance-Diskussion siehe die Beiträge bei: Benz/Lütze/Simonis/Schimank, Handbuch Governance, 2007; Schuppert, Governance im Spiegel der Wissenschaftsdisziplinen, in: ders. (Hrsg.),

A. Gewaltengegliederte Rechtserzeugung in der EU

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nationalen und supranationalen Akteuren mit begrenzten Zuständigkeiten bei politischen und administrativen Entscheidungen untereinander, aber auch mit gesellschaftlichen Akteuren interagieren.14 Über seine Funktion als übergreifender Beschreibungsrahmen für das politisch-administrative Mehrebenensystem in der Europäischen Union und dessen sektoralen Ausdifferenzierungsprozesse wird dem Begriff des Regierens in Mehrebenensystemen in der sozialwissenschaftlichen Integrationsforschung schließlich auch die Funktion eines übergreifenden Paradigmas zugeschrieben, durch den die verschiedenen theoretischen Beschreibungsangebote der sozialwissenschaftlichen Integrationsforschung besser aufeinander bezogen werden sollen.15

II. Die Europäische Union als Staaten-, Verfassungs- und Verwaltungsverbund Parallel zur Entwicklung in der sozialwissenschaftlichen Integrationsforschung lösen sich auch die Europarechtslehre und die Verfassungs- und Verwaltungsrechtswissenschaft unter Rückgriff auf die Begriffe des europäischen Mehrebenensystems und des europäischen Staaten-, Verfassungs- und Verwaltungsverbunds von der klassischen Trennungsperspektive auf die gewaltengegliederten Systeme der Rechtserzeugung der Union und der Mitgliedstaaten.16 Der Begriff des europäischen Staatenverbunds macht deutlich, dass die Mitgliedstaaten in der EU enger fusioniert sind als in einem klassischen Staatenbund. Andererseits betont der Begriff des Staatenverbunds die nach wie vor bestehenden Differenzen der Union zu einem klassischen Bundesstaat.17 In seiner ursprünglichen, durch Kirchhoff geprägten Fassung zielte der Begriff vor allem auf die Verteidigung

Governance-Forschung, 2005, S. 371 ff.; ders., Was ist und wozu Governance, Die Verwaltung 40 (2007), S. 463 ff.; Trute/Kühlers/Pilniok, PVS-Sonderheft, 41 (2008) S. 175 ff., Trute, Die konstitutive Rolle der Rechtsanwendung, in: ders./Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 211 (222 ff.); zu den ökonomischen Bezügen: Denkhaus, Die neue Institutionenökonomik und das Governancekonzept, in: Bungenberg et al. (Hrsg.), Recht und Ökonomik, München 2004, S. 31 ff.; Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung 37 (2004), S. 451 ff.; Voßkuhle, Das Konzept des rationalen Staates, in: Gunnar Folke Schuppert/ders. (Hrsg.), Governance von und durch Wissen, 2008, S. 13 ff.; Joerges, Constitutionalism and Transnational Governance, in: Joerges/Sand/Teubner, Transnational Governance and Constitutionalism, 2004, S. 343 ff. 14 Vgl. Benz, Accountable Multilevel Governance, European Law Journal, 2007, S. 505 ff. 15 Jachtenfuchs/Kohler-Koch, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, S. 1 (14 ff.). 16 Vgl. Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (762 f.). 17 Calliess, Zum Denken im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, in: ders. (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 187 (189 f.).

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

mitgliedstaatlicher Souveränität im europäischen Integrationsprozess.18 Mittlerweile wird der Begriff des Staatenverbunds jedoch in Parallele zum sozialwissenschaftlichen Mehrebenenbegriff auch verwendet, um gerade die hybride Struktur der Organisationsverfassung der Union zwischen Bundesstaat und Staatenbund zu erfassen.19 Der auf Pernice zurückgehende Begriff des europäischen Verfassungsverbunds ist ursprünglich als Gegenbegriff zum Begriff des Staatenverbunds Kirchhoffscher Prägung entwickelt worden.20 Er wird mittlerweile indes zunehmend als komplementäre Beschreibungsmöglichkeit der EU begriffen.21 Im Gegensatz zum klassischen Verständnis des Begriffs des Staatenverbunds erlaubt es der Begriff des Verfassungsverbunds, das Verhältnis der Verfassungsordnungen der Union und der Mitgliedstaaten nicht mehr nur aus der völkerrechtlichen Außenperspektive des Verhältnisses der Mitgliedstaaten zur Union, sondern auch aus der verfassungsrechtlichen Binnenperspektive der Begründung, Organisation und Begrenzung von Territorialherrschaft gegenüber den Bürgern zu erfassen. Andererseits weist der Begriff des Verfassungsverbunds auch über die nur begrenzt ergiebigen Kontroversen um die isolierte Verfassungsfähigkeit der Union und das Für und Wider der isolierten Übertragung des Verfassungsbegriffs von der staatlichen Ebene auf die Ebene der europäischen Verträge hinaus.22 Weder das einzelstaatliche Verfassungsrecht noch die europäischen Verträge können beim heutigen Stand europäischer Integration den für die neuzeitliche Verfassungsidee konstitutiven Anspruch erheben, Hoheitsgewalt sachlich umfassend zu begründen, zu organisieren und zu begrenzen. Vielmehr können nur noch die europäischen Verträge und die Summe der mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen „als gestufte Verfassungsstruktur und Einheit“ 23 ein angemessenes Bild der normativen Grundlagen der Hoheitsgewalt auf dem Gebiet der Europäischen Union vermitteln. Parallel zur Verfassungslehre löst sich auch die Verwaltungsrechtswissenschaft unter Rückgriff auf den Begriff des Europäischen Verwaltungsverbunds24 vom traditionellen verwaltungsrechtsdogmatischen Trennungsprinzip, das strikt zwischen dem direkten Vollzug des Unionsrechts als eng begrenztem Ausnahmefall 18 Kirchhof, Die rechtliche Struktur der EU als Staatenverbund, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 893 (904 ff.). 19 Oeter, Föderalismus, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 (61 ff.). 20 Pernice, EuR 31 (1996), S. 27 ff.; ders., JZ 2000, S. 866 ff. 21 Calliess, Zum Denken im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, in: Calliess (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 187 (189 f.). 22 Vgl. hierzu: Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 167 ff. 23 Pernice, EuR 31 (1996), S. 27 (S. 29 f.). 24 Zum Begriff: Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./ Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1.

A. Gewaltengegliederte Rechtserzeugung in der EU

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und dem Regelfall des indirekten Vollzugs durch die Mitgliedstaaten unterscheidet. Dem Trennungsprinzip liegt die Idee von der Union als Rechts-, nicht aber als Vollzugsgemeinschaft zugrunde. Dem entspricht die Vorstellung, dass die Verwaltungsträger der Union und der Mitgliedstaaten bei strikter territorialer Begrenzung ihrer Zuständigkeiten „jeder für sich“ und „unabhängig voneinander“ für den Vollzug des Unionsrechts zuständig seien.25 Das Trennungsprinzip ist allerdings schon mit dem vom EuGH aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Anerkennungsprinzip nur bedingt vereinbar, das gerade auf die Transnationalisierung des einzelstaatlichen Verwaltungsrechts zielt.26 Es erweist sich zudem als unterkomplex, seit im Zuge der fortschreitenden Harmonisierung im Binnenmarkt auf sekundärrechtlicher Grundlage z. B. im europäischen Arzneimittelrecht 27 oder im europäischen Telekommunikationsrecht28 verbandsübergreifende Strukturen europäischer Verwaltung entstanden sind, in denen Verwaltungsträger der Union und der Mitgliedstaaten bei Verwaltungsentscheidungen zusammenwirken, die – mediatisiert über den Verbund – auch grenzüberschreitende Wirkung entfalten können. Mit dem Begriff des Europäischen Verwaltungsverbunds tritt demgegenüber – bei fließenden Übergängen – das neue Leitbild eines europäischen Verwaltungsraums in den Vordergrund, in dem die Verwaltungsträger der Union und der Mitgliedstaaten grundsätzlich „alle gemeinsam“, wenn auch mit verteilten Zuständigkeiten für den teils zentralen, regelhaft aber nach wie vor dezentralen Vollzug des Unionsrechts verantwortlich sind.29

III. Die Europäische Union als verbandsübergreifende Struktur gewaltengegliederter Rechtserzeugung Die Begriffe des europäischen Verfassungs- und Verwaltungsverbunds standen allerdings bis in die jüngere Vergangenheit für eher lose gekoppelte verfassungstheoretische und verwaltungsrechtliche Paralleluntersuchungen europäischer Mehrebenenstrukturen. Das genaue Verhältnis der Begriffe zueinander, aber auch zum älteren Begriff des Staatenverbunds sowie zu funktionalistischen Deutungen der Union als Zweckverband, Marktverfassung oder Regulierungsstaat ist denn

25

Groß, EuR 2005, S. 54 (56). Vgl. Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (762 f.). 27 Eingehend: Lorenz, Das gemeinschaftliche Arzneimittelzulassungsverfahren, 2006. 28 Zum Regulierungsverbund im Telekommunikationssektor: Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation: ein neues Modell europäisierter Verwaltung, in: Osterloh/Schmidt/Weber (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung: FS Selmer, 2004, S. 565 ff.; Ladeur/Möllers, DVBl. 2005, S. 525 ff. 29 Groß, EuR 2005, S. 54, (56); Ruffert, DÖV 2007, S. 761 ff.; Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 f. 26

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

auch nach wie vor nicht abschließend geklärt.30 Was in der Rechtswissenschaft damit bis in die jüngere Zeit fehlte, war ein übergreifendes genuin rechtswissenschaftliches, d. h. rechtsnormativ unmittelbar anschlussfähiges Paradigma, das es erlaubt, die gesteigerte Komplexität und Dynamik der verbandsübergreifenden Organisations- und Verfahrensstrukturen des europäischen Institutionengefüges angemessener zu erfassen und zugleich die unterschiedlichen rechtswissenschaftlichen Beschreibungsangebote europäischer Integration enger aufeinander zu beziehen. Diese theoretisch-dogmatische Lücke könnte gleichwohl mit der aktuellen rechtswissenschaftlichen Gewaltengliederungsdiskussion schrittweise geschlossen werden. Im Zuge der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit europäischen Mehrebenenfragen kristallisiert sich seit einigen Jahren immer deutlicher heraus, dass den Begriffen des europäischen Mehrebenensystems bzw. des Verfassungs- und Verwaltungsverbunds nicht zuletzt ein in dieser Form neues Gewaltengliederungsproblem korrespondiert.31 Der sozialwissenschaftlichen Beobachtung politisch-administrativer Mehrebenenverflechtungen korrespondiert aus rechtswissenschaftlicher Sicht der Befund immer engerer verbandsübergreifender Gewaltenverflechtungen zwischen Union und Mitgliedstaaten. Die Entstehung von verbandsübergreifenden Organisations- und Verfahrensstrukturen europäischer horizontaler und vertikaler Gewaltengliederung lässt sich angefangen vom verbandsübergreifenden Zusammenwirken von EuGH, EuG und nationalen Verfassungs- und Fachgerichten im Bereich der Judikative über die verbandsübergreifenden Verfahren von Unionsgesetzgebung und staatlicher Umsetzungsgesetzgebung im Bereich der Legislative bis hin zu den verbandsübergreifenden Verfahren der europäischen politischen Koordinierung, der Durchführung im europäischen Ausschusswesen und des europäischen koordinierten Verwaltungsvollzugs in der Exekutive nachweisen.32 Auf dem Gebiet der Europäischen 30 Zum Verhältnis der Begriffe des Verfassungs- und Verwaltungsverbunds vgl.: Ruffert, Von der Europäisierung des Verwaltungsrechts zum Europäischen Verwaltungsverbund, DÖV 2007, S. 761 (769 f.); zur Union als Staaten- und Verfassungsverbund: Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (8 ff.); vgl. auch Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, S. 183 (185 ff.). 31 Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 253 ff.; ders., Die drei Gewalten, 2008, S. 172 ff.; Schließky, Legitimität und Souveränität, 2004, S. 405 ff.; aus föderativer Sicht vgl.: Oeter, Föderalismus, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 ff.; aus verwaltungsrechtlicher Sicht: Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10 ff.); mit Blick auf die Folgen für die Gesetzesbindung auch Trute, Die konstitutive Rolle der Rechtsanwendung, in: ders./Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 211 ff. 32 Vgl. Möllers, Gewaltengliederung, 2005; ders., Die drei Gewalten 2008, S. 172 ff.; Schließky, Legitimität und Souveränität, S. 405 ff.; Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10 ff.).

A. Gewaltengegliederte Rechtserzeugung in der EU

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Union ist damit eine verbandsübergreifende gewaltengegliederte Struktur eigener Art entstanden. Im Rahmen dieser gewaltengegliederten Struktur wirken die Organe der Union und der Mitgliedstaaten im Rahmen verbandsübergreifender Organisations- und Verfahrensstrukturen bei der Ausübung gesetzgebender und vollziehender Gewalt, bei der Gewährleistung der Freiheitsrechte der Bürger und bei der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben auf Grundlage ihrer jeweiligen Zuständigkeiten in sektoral sehr unterschiedlichen Formen von Verantwortungsteilungen zusammen.33 Die Europäische Union kann zwar immer noch auch als Staatenverbund im Sinne eines besonders engen Verbunds völkerrechtlich nach wie vor souveräner Staaten bzw. einer hybriden Struktur mit teils bundesstaatsähnlichen und teils staatenbündischen Strukturen beschrieben werden.34 Jedoch sind in der Europäischen Union nicht mehr nur die einzelnen, durch ihre Regierungen im Außenverhältnis repräsentierten Staaten, sondern gleichsam die einzelnen Gewalten in der Judikative, Legislative und Exekutive in verbandsübergreifenden Strukturen europäischer horizontaler und vertikaler Gewaltengliederung integriert. Diese Struktur konstituiert aus prozedural-organisatorischer Sicht den europäischen Verfassungs- und Verwaltungsverbund.

IV. Denken in Gewaltengliederungsstrukturen: Zur prozedural-organisatorischen „Wende“ in der Wissenschaft vom öffentlichen Recht 1. Das Gewaltengliederungsprinzip als prozedural-organisatorisches Ordnungsprinzip Mit der aktuellen Gewaltengliederungsdiskussion kehrt die Rechtswissenschaft unter Bedingungen der Supranationalisierung und Internationalisierung von Hoheitsgewalt bei gleichzeitig fortschreitender Aufgabenprivatisierung zu einer Maxime der Organisation von Hoheitsgewalt zurück, die älter ist als der moderne Staats- und Verfassungsbegriff. Die Erkenntnis, dass Macht gefährlich ist und zu Missbrauch verleitet, hat seit jeher zu Überlegungen geführt, wie diesen Gefahren entgegengewirkt werden kann.35 Die neuzeitliche Gewaltenteilungsidee entsteht allerdings erst im Zeitalter der Aufklärung.36 Sie verbindet sich in der Fol33 Vgl. Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./SchöndorfHaubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (9 f.). 34 Erstmals BVerfG 89, S. 155, 156; die hybride Struktur betonend: Oeter, Föderalismus, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 ff.; eher souveränitätszentriert: Kirchhof, Die rechtliche Struktur der EU als Staatenverbund, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 893 (904 ff.). 35 Hierzu: Maurer, Staatsrecht I, 5. Aufl., 2007, § 12, Rn. 1 ff. 36 Di Fabio, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 27, S. 613 ff.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

gezeit mit der Evolution des demokratischen Rechts- und Verfassungsstaates und wird zur modernen Gewaltengliederungsidee weiterentwickelt, die neben dem Erfordernis der Teilung der Gewalten auch deren Kooperationsbedarf reflektiert.37 In diesem Sinne verweist der moderne Gewaltengliederungsbegriff auf ein Prinzip der Organisation von Hoheitsgewalt, die im Grundsatz allen westlichen Demokratien gemeinsam ist.38 Durch die organisationsrechtliche Trennung und verfahrensrechtliche Verbindung auf verschiedene, sich wechselseitig balancierende und kontrollierende Gewalten in der Legislative, der Exekutive und Judikative sollen die demokratischen und rechtsstaatlichen Freiheiten der Bürger gewährleistet werden und soll sowohl der Entkopplung der Hoheitsgewalt von der Gesamtheit der Bürger als auch dem Missbrauch von Hoheitsgewalt gegenüber dem einzelnen Bürger entgegengewirkt werden. Zugleich soll durch die Zuweisung von Hoheitsfunktionen auf unterschiedliche Gewalten, die zu ihrer Erfüllung nach der Erfahrung am besten geeignet sind, eine insgesamt funktionsadäquate Organisation von Hoheitsgewalt gewährleistet werden.39 In föderativen Mehrebenensystemen wird die funktionale Teilung durch ein Moment der territorialen bzw. der vertikalen Teilung ergänzt, durch welche die Prinzipien demokratischer und individueller Selbstbestimmung auf mehreren Verbandsebenen gewährleistet und zugleich verbandsübergreifend austariert werden sollen.40 Besondere Bedeutung hat das Gewaltengliederungsprinzip für die Ordnungs- und Systembildung im sich beständig ausdifferenzierenden staatlichen Verwaltungsrecht. Das Gewaltengliederungsprinzip formt das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip des staatlichen Verfassungsrechts in verwaltungsrechtlich handhabbare Münze um, indem es mit seiner Unterscheidung zwischen Gesetzgebung und Verwaltungsvollzug parlamentarische Steuerung ebenso wie rechtsstaatliche Berechenbarkeit sichert und beides mit der Kontrollkompetenz der Gerichte sanktioniert.41 Insgesamt erweist sich das Gewaltengliederungsprinzip damit als kategoriales prozedural-organisatorisches Ordnungsprinzip im System des staatlichen Verfassungs- und Verwaltungsrechts.42

37 Hoffmann-Riem, Gewaltengliederung und Verantwortungsteilung als Ordnungsprinzip, FS H.-P. Schneider, 2008, S. 183 ff. 38 Eingehend: Di Fabio, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 27, S. 613 ff. Zur Übersetzung des politischen Prinzips der Gewaltenteilung in ein Organisationsprinzip: Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 538. 39 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 179 f. 40 Vgl. Oeter, Föderalismus, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59, 85 ff. 41 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund und die Rolle des Verwaltungsrechts, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10). 42 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 180 f.

A. Gewaltengegliederte Rechtserzeugung in der EU

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2. Von der staatlichen Steuerungs- zur europäischen Gewaltengliederungsdiskussion Die Entwicklung der Gewaltengliederungsidee ist zwar eng mit dem historischen Prozess der Evolution des demokratischen Verfassungsstaates verbunden.43 Dies schließt ihre Anpassung an neue Gegebenheiten jedoch nicht notwendig aus.44 Bereits im System des staatlichen Rechts ist die Grundidee der arbeitsteiligen Aufgabenwahrnehmung mit dem doppelten Ziel der Verhinderung von Machtmissbrauch und der funktionsadäquaten Organisation öffentlicher Aufgabenerfüllung von der Begrenzung auf Fragen der Binnenorganisation staatlich verfasster Hoheitsgewalt partiell gelöst und auf das Kooperationsspektrum öffentlicher und privater Aufgabenerfüllung übertragen worden.45 Dies führte zur Frage nach der Ausgestaltung von „Regelungsstrukturen“, mit denen Kooperationsbeziehungen zwischen staatlichen und privaten Akteuren in einer Weise ausgestaltet werden können, die einerseits ein angemessenes Legitimations- und Kontrollniveau sicherstellen, andererseits aber auch eine effektive öffentliche Aufgabenerfüllung gewährleisten.46 Allerdings beruhte die damalige, vor allem auf verwaltungsrechtlicher Ebene geführte Diskussion noch auf der Prämisse, dass in erster Linie Veränderungen im Verhältnis zwischen staatlich verfasster öffentlicher Gewalt sowie Wirtschaft und Gesellschaft zu verarbeiten seien. Damit stellte sich vorrangig die Frage, ob und wie der staatliche Gesetzgeber „gewährleistend“, d.h. steuernd oder doch zumindest rahmenregelnd auf staatlichprivate Kooperationsbeziehungen einwirken kann, um eine allgemeinwohlverträgliche Aufgabenerfüllung zu gewährleisten.47 Unter Bedingungen weiter fort43 Zur historischen Wandlungsfähigkeit des Gewaltengliederungsprinzips nach dem Wegfall des monarchischen Prinzips beim Übergang zu demokratischen Verfassungsstaat: Schließky, Souveränität und Legitimität, 2004, S. 408; Oppermann, Europarecht, Rn. 243. 44 Hoffmann-Riem, Gewaltengliederung und Verantwortungsteilung als Ordnungsprinzip, FS H.-P. Schneider, 2008, S. 183 (186 ff.); zur historischen Wandlungsfähigkeit des Gewaltengliederungsprinzips nach dem Wegfall des monarchischen Prinzips beim Übergang zum demokratischen Verfassungsstaat: Schließky, Souveränität und Legitimität, 2004, S. 408; Oppermann, Europarecht, Rn. 243. 45 Vgl. z. B. Schuppert, Die Verwaltung, 31 (1998), S. 415 ff. 46 Hoffmann-Riem, Gewaltengliederung und Verantwortungsteilung als Ordnungsprinzip, FS H.-P. Schneider, 2008, S. 183 ff. 47 Vgl. zur Steuerungsdiskussion und zum Konzept des „Gewährleistungsstaates“: Mayntz, Politische Steuerbarkeit und Reformblockaden, Staatswissenschaften und Staatspraxis 3 (1990), S. 283 ff.; dies., Politische Steuerung, PVS-Sonderheft, 26 (1995) S. 148 ff.; Mayntz/Scharpf, Der Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus, in: dies. (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, 1995, S. 39 ff. Zur rechtwissenschaftlichen Rezeption vgl. die Beiträge in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997; Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und schlankem Staat, 1999; ders., Der Gewährleistungsstaat, in: ders. (Hrsg.), Der Gewährleistungsstaat – ein Leitbild auf dem Prüfstand, 2005, S. 11 ff.; zum abweichenden Konzept der Regelungsstruktur: Trute,

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

geschrittener europäischer Mehrebenenintegration verlagert sich das Problem jedoch von den Schnittstellen von Staat und Gesellschaft hin zur Grundsatzfrage nach der funktionsteiligen Organisation von öffentlicher Gewalt selbst. Es geht nicht mehr allein um (staatliche) Regelungs-, sondern auch um (europäische) Gewaltengliederungsstrukturen. 3. Gewaltengliederung vs. „Governance“ Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wirkt das Gewaltenteilungsprinzip allerdings „wie eine schöne, doch auf dem Rückzug begriffene Idee aus dem Arsenal einer alt gewordenen Moderne“ 48. Öffentliche Gewalt hat sich, so ein verbreiteter Eindruck, einerseits in von der Exekutive dominierten Organisationen zentralisiert, deren häufig informelle Koordinierungsformen demokratischer Legitimation und rechtsstaatlicher Kontrolle nur eingeschränkt zugänglich sind. Andererseits scheint das Gewaltenteilungsprinzip auch angesichts der fortscheitenden Internationalisierung der Rechtsordnung und der Entstehung neuer, häufig transnationaler Strukturen privater wirtschaftlicher Macht an seine Grenzen zu stoßen.49 Dementsprechend fehlt es nicht an Stimmen, die einer Übertragung der Gewaltengliederungsidee auf neue, regelmäßig ebenenübergreifende Formen politischadministrativer und rechtlicher Koordinierung skeptisch gegenüberstehen, die sich national, supranational und international jenseits des staatlichen „Government“ etablieren.50 Die im Schrifttum geäußerte Kritik dürfte insoweit das Richtige treffen, als dass das staatliche Gewaltenteilungsprinzip nicht im Wege einer „als ob“-Betrachtung auf neue nichtstaatliche Formen der politisch-administrativen und rechtlichen Koordinierung übertragen werden kann. Dies gilt auch für das Mehrebenensystem in der Europäischen Union.51 Die an die Binnendifferenzierungen kontinentaleuropäischer staatlicher Rechtsordnungen angelehnten Begriffe des europäischen Verfassungs- und Verwaltungsverbunds sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die verbandsübergreifenden Strukturen der Organisation europäischer Hoheitsgewalt zwar bis zu einem gewissen Grade den Strukturen DVBl. 1996, S. 950 ff.; ders., Die konstitutive Rolle der Rechtsanwendung, in: ders./ Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 211, 230 ff.; eingehend zum Übergang vom Erfüllungs- zum Gewährleistungsstaat auch: Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen im Gewährleistungsstaat, 1998, S. 18 ff., 31 ff., 139 ff. 48 Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 225. 49 Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 225 ff.; zum Problem auch: Hoffmann-Riem, Gewaltengliederung und Verantwortungsteilung als Ordnungsprinzip, FS H.-P. Schneider, 2008, S. 183 (185 ff.). 50 Alemann, Die Handlungsformen der interinstitutionellen Vereinbarung, 2006, S. 407 ff. 51 Differenzierend: Schließky, Souveränität und Legitimität, 2004, S. 405 ff.

A. Gewaltengegliederte Rechtserzeugung in der EU

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staatlicher Gewaltengliederung angenähert haben, sich gleichwohl aber nach wie vor von diesen unterscheiden.52 In der Europäischen Union ist eine hybride Struktur der Rechtserzeugung entstanden, die bundesstaatsähnliche bzw. verfassungsrechtstypische und staatenbundsähnliche bzw. völkerrechtstypische Organisations- und Verfahrenselemente miteinander verbindet.53 Zugleich befindet sich die Europäische Union in einer Art Mittellage zwischen einer Marktverfassung und einem sachlich umfassenden gewaltengegliederten System der Rechtserzeugung. Die Europäische Union verfügt zwar, ähnlich wie ein Bundesstaat, mit der Union und den Mitgliedstaaten über zwei Verbandsebenen von Hoheitsgewalt. Damit eignen sich föderative oder konföderative Modelle im Zweifel besser zur Erfassung der Organisationsstrukturen europäischer Hoheitsgewalt als einheitsstaatliche Modelle.54 Anders als in einem Bundesstaat kann die vertikale Teilung zwischen Union und Mitgliedstaaten indessen schon verfassungstheoretisch nicht aus dem Erfordernis der föderativen Mäßigung einer europäischen gesamtstaatlichen Hoheitsgewalt begründet werden. Vielmehr reagiert das Mehrebenensystem in der Europäischen Union durch verbandsübergreifende Verflechtungen zwischen den Organen der Union und den Mitgliedstaaten gerade umgekehrt auf das Fehlen einer europäischen gesamtstaatlichen Einheit. Es geht im vertikalen Verhältnis von Union und Mitgliedstaaten zwar immer auch um „Teilung“ von Hoheitsgewalt, andererseits aber auch um Gewaltenverflechtung zum Zweck fortschreitender Integration.55 Gleiches gilt für die horizontale Dimension des Gewaltengefüges in der Union. Das horizontale Verhältnis der Organe der europäischen Legislative, Exekutive und Judikative ist zwar durchaus durch Machtbalancierungsfunktionen gekennzeichnet. Andererseits weicht die Organisationsverfassung der Union mit Blick auf die starke Stellung der im Rat vertretenen mitgliedstaatlichen Exekutive in den Verfahren europäischer legislativer Rechtserzeugung, die fließenden Über-

52 Vgl. Jestaedt, Der Europäische Verfassungsverbund, in: Calliess (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 93 ff. 53 Oeter, Föderalismus, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 ff. 54 Oeter, Föderalismus, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 (71 ff.). 55 Vgl. zur vertikalen Kompetenzordnung in der Union: Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 53 ff. Zu den Auswirkungen des Integrationsprinzips vgl. Jestaedt, Der Europäische Verfassungsverbund. Verfassungstheoretischer Charme und rechtstheoretische Insuffizienz einer Unschärferelation, in: Calliess (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 93 ff.; Calliess, Zum Denken im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund. Abschließende Reflektion und Rekonstruktion eines Konzepts im Lichte der vorangegangenen Beiträge, in: Calliess (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 187 (190 f.); H.-P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, in: J. Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, 1983, S. 29, 50 f.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

gänge zwischen Regierungs- und Verwaltungsfunktionen der Kommission sowie das unklare Verhältnis von legislativer Sekundär- und exekutiver Tertiärrechtsetzung nach wie vor erheblich von der Machtbalance in der staatlichen Gewaltentrias ab.56 Schließlich sind die Organe der Europäischen Union, auch wenn sie sich im Verhältnis untereinander ausbalancieren, doch zugleich auch wieder integrationsfunktional gekoppelt.57 EuGH und Kommission wirken bei der gerichtlich-administrativen Durchsetzung der Grundfreiheiten (Art. 34 f., 45, 49, 56, 63 AEU) und des Wettbewerbsrechts (Art. 101 ff. AEU) zusammen.58 Andererseits erweitert der EuGH mit seiner Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten immer auch die Kompetenzen des europäischen Binnenmarktgesetzgebers (insbesondere Art. 114, 53 Abs. 2, 61 AEU) und steuert so mittelbar zugleich den Prozess sekundärrechtlicher Binnenmarktharmonisierung.59 Dort, wo der Union die Rechtsetzungskompetenzen noch fehlen, wie etwa in der Hochschulpolitik, wirken schließlich Rat und Kommission in den Verfahren der politischen Koordinierung zusammen und beeinflussen so den Prozess der dezentralen materiellen Angleichung des einzelstaatlichen Rechts.60 Insofern unterscheiden sich die Strukturen der europäischen Gewaltengliederung gerade auch durch ihre besondere Integrationsfunktion von staatlichen und bundesstaatlichen Ordnungsmustern. 4. Der Gewaltengliederungsbegriff als rechtswissenschaftliches Paradigma Der bisherige Verlauf der rechtswissenschaftlichen Gewaltengliederungsdiskussion kann jedoch nicht auf den Versuch reduziert werden, das staatliche Gewaltenteilungsprinzip mehr oder weniger schematisch auf die abweichenden Strukturen europäischer Gewaltengliederung zu übertragen. Vielmehr deutet sich 56 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund und die Rolle des Verwaltungsrechts, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10 ff.); Schließky, Souveränität und Legitimität, 2004, S. 405 ff.; Möllers, Die drei Gewalten, S. 172 ff. 57 Hieraus resultieren die besondere Bedeutung und die integrationsfunktionale Ausrichtung des „Kooperationsprinzips“ im europäischen Rechtsetzungsverfahren. Vgl. zum „Kooperationsprinzip“ im unionalen Rechtsetzungsverfahren: Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 325 ff. Siehe auch unten 1. Kapitel, C. II. und 2. Kapitel C. II. und D. VI. 58 Zum Verhältnis von Wettbewerbsrecht und Grundfreiheiten eingehend: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 2 Rn. 6 ff., Rn. 30 ff. 59 Zu den Interdependenzen zwischen der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten und dem Ausbau der Gesetzgebungszuständigkeiten der Gemeinschaft grundlegend: Maduro, We the Court, 1999, S. 78 ff.; zu den Zusammenhängen zwischen der Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit und der Binnenmarktgesetzgebung im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie: Calliess, DVBl. 2007, S. 336 ff.; allgemein zum Zusammenhang zwischen dem Ausbau subjektiver Rechte und dem Ausbau der Unionskompetenzen: Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 179. 60 Voß, EuR 2003, S. 310 ff.

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im Zuge der aktuellen rechtswissenschaftlichen Diskussion eher eine organisations- und verfahrensrechtliche Wende in der Europarechtslehre und der Verfassungs- und Verwaltungsrechtswissenschaft an, die darauf gerichtet ist, die gesteigerte Komplexität neuer Strukturen der Organisation von Hoheitsgewalt angemessener zu erfassen. In der Verfassungstheorie geht es nicht mehr allein um die Frage, wie Hoheitsgewalt durch unterschiedliche Legitimationsmodelle gerechtfertigt werden kann, sondern auch darum, wie sich konkrete Organisations-, Verfahrens- und Kompetenzverteilungsregeln auf politische Entscheidungsprozesse, die Ausübung von Macht bzw. die Verhinderung von Machtmissbrauch und eine effektive Aufgabenerfüllung auswirken.61 Zugleich wächst in der Rechtswissenschaft das Interesse an Zusammenhängen zwischen den Organisations- und Verfahrensstrukturen der Rechtserzeugung und Fragen der Ordnungs- und Systembildung im materiellen Recht.62 Ein Denken in Gewaltengliederungsstrukturen erlaubt es so verstanden, Veränderungen in den Strukturen der Organisation von Hoheitsgewalt, insbesondere in überstaatlichen Mehrebenensystemen unter Rückgriff auf die funktionale Differenzierung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative präziser zu erfassen, als dies ausgehend von abstrakteren Beschreibungsangeboten, wie etwa dem Staats- oder Verfassungsbegriff, möglich ist.63 Andererseits ist der Gewaltengliederungsbegriff als übergreifendes Paradigma jedenfalls im Grundsatz zu unterschiedlichen anderen theoretischen Beschreibungsangeboten der Reorganisation von Hoheitsgewalt (Staatenverbund, Verfassungsverbund, Mehrebenensystem, Marktverfassung, Regulierungsstaat usw.) kompatibel, die wiederum als alternative Rekonstruktionsversuche der Veränderungen der Strukturen europäischer Gewaltengliederung begriffen werden können.64 Schließlich wahrt die Gewaltengliederungsidee gerade dadurch, dass sie

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Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 10 f. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 181. 63 Vgl. Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 253 ff., ders., Die drei Gewalten, 2008, S. 172 ff.; Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./ Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10 ff.). 64 Vgl. nur die von ganz unterschiedlichen theoretischen Prämissen her entwickelten Annäherungen an die europäische Gewaltengliederung bei: Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 253 ff.; Schließky, Souveränität und Legitimität, 2004, S. 405 ff.; Oeter, Föderalismus, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 59 (72 ff.); Hoffmann-Riem, Gewaltengliederung und Verantwortungsteilung als Ordnungsprinzip, FS H.-P. Schneider, 2008, S. 183 (185 ff.). von der Groeben/Mestmäcker (Hrsg.), Verfassung oder Technokratie für Europa, Ziele und Methoden der europäischen Integration, 1974, S. 23 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 3 Rn. 1 ff., und Majone, The European Community. An „Independent Fourth Branch of Government“?, in: Brüggemeier (Hrsg.), Verfassungen für ein ziviles Europa, 1994, S. 23 ff. Zu den Grenzen abstrakter bzw. staatszentrierter Beschreibungsangebote europäischer Integration angesichts der „Vorbildlosigkeit“ der Union: Schließky, Souveränität und Legitimität, 2004, S. 407; Calliess, Zum Denken im europäischen Staatenund Verfassungsverbund, in: Calliess (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 187 (192). 62

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

den Zusammenhang zwischen der Trennung der Gewalten und der Gewährleistung von Freiheitsrechten der Bürger betont, auch ein gewisses Maß an normativer Distanz zu neuen, teils formellen, teils informellen Organisationsstrukturen überstaatlicher Hoheitsgewalt, die häufig durch ein hohes Maß an Verantwortungsverschränkungen und nur bedingt transparente Entscheidungs- und Kontrollstrukturen gekennzeichnet sind, auf.65 Die Gewaltengliederungsidee liefert so verstanden einen normativen Bezugsrahmen, der es erlaubt, den Reorganisationsprozess von Hoheitsgewalt gerade auch jenseits des Staates nicht nur faktisch, sondern auch mit einem gewissen Grad an Rückbindung an die normativen Anliegen der Gewährleistung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und verantwortungsteiliger Aufgabenerfüllung zu rekonstruieren. In diesem paradigmatischen Sinne verstanden, ist der Gewaltengliederungsbegriff schließlich auch hinreichend offen, um gleichsam andere Machtbalancierungsprobleme z. B. im Verhältnis von verfasster öffentlicher Gewalt und privater wirtschaftlicher Macht zu erfassen.66 Die aktuelle rechtswissenschaftliche Gewaltengliederungsdiskussion dürfte denn auch weniger als schlichter Gegenentwurf zur sozialwissenschaftlichen Mehrebenen- und Governance-Diskussion zu verstehen sein, sondern kann eher als deren rechtswissenschaftliches Korrelat begriffen werden. Der Gewaltengliederungsbegriff erlaubt es, die sozialwissenschaftliche Beobachtung neuer, typischerweise organisations- und ebenenübergreifender politisch-administrativer Verflechtungen aufzugreifen und in den weiteren Kontext von verbandsübergreifenden Reorganisationsprozessen in der Legislative, Exekutive und Judikative einzuordnen.67 In Abgrenzung zum primär sozialwissenschaftlich geprägten Governance-Begriff erleichtert der Gewaltengliederungsbegriff jedoch die Rückbindung der Analyse neuer komplexer Organisationsstrukturen von Hoheitsgewalt an die genuin rechtswissenschaftlichen Fragen nach adäquaten Organisations- und Verfahrensstrukturen, durch die demokratische und rechtsstaatliche Freiheiten der Bürger, aber auch eine effektive öffentliche Aufgabenerfüllung durch Anforderungen an transparente Verfahren, hinreichend klare Verantwortungszuweisun65 Vgl. Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 12 ff., S. 225 ff.; Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund und die Rolle des Verwaltungsrechts, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10 ff.). 66 Hoffmann-Riem, Gewaltengliederung und Verantwortungsteilung als Ordnungsprinzip, in: Hufen (Hrsg.), Verfassungen – Zwischen Recht und Politik, FS H.-P. Schneider, 2008, S. 183 ff. 67 So steht z. B. Möllers dem Governance-Begriff eher skeptisch gegenüber: Möllers, European Governance – Meaning and Value of a Concept, Common Market Law Review 43 (2006), S. 314 ff. Andererseits entspricht Möllers Analyse von konkreten Organisations- und Verfahrensstrukturen gewaltengegliederter Mehrebenensysteme (ders., Die drei Gewalten, 2008) methodisch eben jener „neoinstitutionalistischen Wende“, für die (auch) der Governance-Begriff jedenfalls aus wissenschaftstheoretischer Sicht steht. Hierzu: Trute/Denkhaus/Kühlers, Die Verwaltung 37 (2004), S. 451 (452 f.); Denkhaus, Die neue Institutionenökonomik und das Governancekonzept, in: M. Bungenberg et al. (Hrsg.), Recht und Ökonomik, 2004, S. 31 ff.

A. Gewaltengegliederte Rechtserzeugung in der EU

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gen und effektive Kontrollstrukturen auch unter den Bedingungen neuer Strukturen und Modi der organisations- und ebenenübergreifenden Handlungskoordinierung öffentlicher und/oder privater Akteure gewährleistet werden können.68 Ob der Gewaltengliederungsbegriff auch jenseits der staatlichen Gewaltengliederung Ordnungsfunktionen übernehmen kann, lässt sich angesichts der Heterogenität dieser Strukturen allerdings nicht generalisierend beantworten.69 Besonders aussichtsreich erscheint dieser Ansatz dort, wo bereits eine gewisse Annäherung an die Binnenstrukturen staatlich verfasster Hoheitsgewalt erreicht ist, sodass ein hinreichendes Maß an Vergleichbarkeit besteht, die eine Begriffserweiterung rechtfertigen kann. Dies gilt vor allem für das Mehrebenensystem in der Europäischen Union.70

V. Europäische Integration als Prozess der Reorganisation der Strukturen europäischer Rechtserzeugung 1. Die Verwaltung im Kontext der Reorganisation der Strukturen europäischer Rechtserzeugung Mit der Rekonstruktion des Systems europäischer Rechtserzeugung als System gewaltengegliederter Rechtserzeugung erweitert sich der Bezugsrahmen der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Europarecht. Neben die traditionell im Vordergrund stehende Frage nach dem vertikalen Verhältnis von Unionsrecht und nationalem Recht bzw. von Unionskompetenzen und mitgliedstaatlichen Kompetenzen tritt die Frage nach der Bedeutung des horizontalen Verhältnisses der unionalen Gewalten zueinander für den Prozess der Entwicklung und Ausdifferenzierung des Unionsrechts. Diese Perspektiverweiterung eröffnet zunächst die Möglichkeit zur verfassungstheoretischen Bewertung der Leistungsfähigkeit der Organisationsverfassung der Union bei der Gewährleistung der Freiheitsrechte der Bürger.71 Darüber hinaus bestehen indes auch enge 68 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10 f.); vgl. Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 228; zu den Defiziten des Governance-Begriffs insoweit: Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl., 2003, S. 183 (207 f.); „Governance-Strukturen sind die Antworten auf Problemlagen der Gesellschaft und des politischen Systems. ,Governance‘ statt Regierung und Verwaltung: Dies ist das Resultat – aber dies ist auch das Problem, an dem sich die Wege von Politik und Rechtswissenschaft scheiden müssen.“ 69 Zu den Grenzen im internationalen Recht und bei hybriden Organisationsformen: Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 198 ff., 210 ff. 70 So im Ergebnis auch: Schließky, Souveränität und Legitimität, 2004, S. 407; Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 173 ff.; Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10 ff.). 71 In diesem Sinne: Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 9 ff.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

Zusammenhänge zwischen europäischen Gewaltengliederungsfragen und Fragen der Anwendung europäischen materiellen Rechts.72 Letztlich sind alle Fragen europäischer materieller Rechtsanwendung von der Kontrolle der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts durch EuGH und Kommission73 über die Rechtsangleichung durch den Binnenmarktgesetzgeber bis zur Durchführungsrechtsetzung durch die Kommission und zum koordinierten Verwaltungsvollzug immer auch auf das Verhältnis der unionalen und nationalen Organe in der Legislative, Exekutive und Judikative bezogen und in diesem Sinne immer auch Gewaltengliederungsfragen. Umgekehrt haben Veränderungen in den Organisations- und Verfahrensstrukturen europäischer Rechtserzeugung immer auch Folgen für das materielle Recht. Damit eignet sich ein Denken in Gewaltengliederungsstrukturen gerade auch dazu, die Entwicklung und Ausdifferenzierung des Systems des geltenden Primär-, Sekundär- und Tertiärrechts aus einer organisations- und verfahrensrechtlichen Perspektive zu rekonstruieren.74 Besondere Bedeutung haben beide Aspekte für die Ordnungs- und Systembildung im europäischen Verwaltungsrecht.75 So liegt der eigentliche und zugleich rechtswissenschaftlich unmittelbar fassbare Grund dafür, dass mittlerweile – anders als unter Geltung des EWG-Vertrags – europäische Verbundstrukturen der Verwaltung entstehen, jedenfalls nicht allein in den praktischen Funktionsnotwendigkeiten europäischer politisch-administrativer Governance, sondern vor allem auch in der Entblockierung und gleichzeitigen demokratischen Parlamentarisierung der Verfahren der europäischen Rechtsangleichung durch den Übergang zum Mitentscheidungsverfahren bzw. zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 294 AEU) als Regelverfahren, insbesondere im Bereich des Binnenmarktrechts.76 Entsprechend prägen die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten des Binnenmarktes und die Binnenmarktharmonisierung durch den Gemeinschafts- bzw. Unions72 So ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass die Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten als Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten gerade auch als Reaktion des EuGH auf die Blockade des Rats unter Geltung des EWG-Vertrags zu verstehen ist, der von seinen zur Verwirklichung der Grundfreiheiten vorgesehenen Rechtsangleichungskompetenzen keinen Gebrauch machte bzw. keinen Gebrauch machen konnte. Siehe: Maduro, We the Court, 1999, S. 78 ff.; Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 179. 73 Hierzu: Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 7; Lukes, in: Handbuch des EU Wirtschaftsrechts, Bd. II, 1999, Rn. 86 ff. 74 Zu den allerdings fließenden Übergängen zwischen Verfassungstheorie und Rechtsdogmatik: Möllers, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 1 (2). 75 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10 f.); ders., Ordnungsidee, 2. Aufl., 2004, S. 180 f. 76 Zum „Harmonisierungsschub“ nach dem Übergang zum Mehrheitsprinzip: Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 14 Rn. 4, 22 f.; vgl. auch: Boest, EuR 1992, S. 182 ff.; Böhner, ZG 16 (2001), S. 85 ff.; Giebenrath, Das Mitentscheidungsverfahren des Art. 251 (ex Art. 189b) EG-Vertrag zwischen Maastricht und Amsterdam, 2000.

A. Gewaltengegliederte Rechtserzeugung in der EU

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gesetzgeber auch in besonderer Weise den rechtlichen Prozess europäischer Verwaltungsintegration und die Strukturen des europäischen Verwaltungsrechts. 2. Europäische Rechtserzeugung zwischen Integrations- und Teilungsprinzip Wenn der Gewaltengliederungsbegriff im Folgenden auf europäische Zusammenhänge übertragen werden soll, so bedarf es der Vergewisserung über einige der wesentlichen, gerade für die europäische Rechtserzeugung strukturbestimmenden Prinzipien. Dies gilt vor allem für die Prägung des Unionsrechts durch das Integrationsprinzip.77 Die Prägung der Strukturen europäischer Gewaltengliederung durch das Integrationsprinzip verleiht dem unionalen System der Rechtserzeugung nicht nur eine spezifische Entwicklungsdynamik, sondern beeinflusst zwangsläufig auch das vertikale und horizontale Verhältnis der unionalen bzw. nationalen Gewalten zueinander. Die vertikale Gewaltengliederung zwischen Union und Mitgliedstaaten wird durch die Prinzipien des Vorrangs und der Effektivität des Unionsrechts einerseits und die Prinzipien der Einzelermächtigung und der Subsidiarität andererseits geprägt.78 Diese Prinzipien zielen freilich nicht auf die Stabilisierung einer einmal definierten föderativen Gewaltenbalance. Sie dienen vielmehr der immer wieder neuen Rejustierung des Verhältnisses von unionalen und nationalen Gewalten im Prozess fortschreitender Integration.79 Auch die horizontale Gewaltenbalance erfährt in der Europäischen Union integrationsfunktionale Modifikationen. So bestimmt der EuGH in seiner Rechtsprechung des EuGH zum sog. „institutionellen Gleichgewicht“ die Zuständigkeiten der Unionsorgane zueinander in der Regel so, dass das System europäischer Rechtserzeugung insgesamt nach Maßgabe der Ziele des Vertrags funktionsfähig ist.80 Darüber hinaus justiert der EuGH das horizontale Gewaltengefüge in der Europäischen Union jedoch gerade auch mittelbar, insbesondere durch die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen 77 Vgl. Calliess, Zum Denken im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, in: ders. (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 187 (189 ff.); H.-P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, in: Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, 1983, S. 29 (50 f.). 78 Zu diesen Grundprinzipien und ihrer Bedeutung für die Kompetenzordnung der Union: Bieber/Epiney/Haag, Europäische Union, 6. Aufl., 2005, § 3 Rn. 21 ff.; § 6 Rn. 36 ff. 79 Vgl. Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 178 f. 80 Zum im Vertrag nicht verankerten Begriff des „institutionellen Gleichgewichts“: Möllers, Gewaltengliederung, S. 259 ff.; Bieber/Epiney/Haag, Europäische Union, 6. Aufl. 2005, § 6 Rn. 20. Vgl. EuGH, Rs. 9/56 (Meroni/Hohe Behörde) Slg. 1958, 1 (11); EuGH, Rs. 138/79 (Roquette/Rat) Slg. 1980, 3333; EuGH Rs. 230/81 (Luxemburg/Parlament), Slg. 1983, 255, Rn. 9; EuGH, Rs. C-345/95 (Frankreich/Parlament) Slg. 1997, I-5215.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

und zu den (von Rat und Parlament unabhängigen) wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrollkompetenzen der Kommission.81 Die eigentliche Besonderheit der Gewaltengliederung in der Europäischen Union liegt mithin in der spezifischen, nicht immer spannungsfreien Verbindung des Integrationsprinzips mit den Prinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.82 Entsprechend liegt die wesentliche theoretisch-dogmatische Herausforderung im System unionaler Rechtserzeugung darin, eine effektive Rückbindung europäischer Hoheitsgewalt an die demokratischen und rechtsstaatlichen Freiheiten der Bürger sicherzustellen, die ursprünglich nur auf der nationalstaatlichen Ebene gewährleistet waren. Im Folgenden sollen die Zusammenhänge zwischen dem Prozess der Reorganisation der Strukturen europäischer Rechtserzeugung und dem Prozess der Entwicklung und Ausdifferenzierung des Systems des materiellen Unionsrechts unter Rückgriff auf das Gewaltengliederungsparadigma untersucht werden. Das besondere Augenmerk soll dabei auf die Bedeutung des Übergangs von der Marktverfassung des EWG-Vertrags zur Binnenmarktverfassung der Europäischen Union gerichtet werden.83 Zugleich sollen auch bereits die Folgen des Reorganisationsprozesses europäischer Rechtserzeugung für die Entwicklung und Ausdifferenzierung des Systems des europäischen Verwaltungsrechts mit in den Blick genommen werden. Zur verfassungstheoretischen Absicherung der Untersuchung soll neben und mit der Strukturanalyse des geltenden Gemeinschaftsund Unionsrechts auch auf die Entwicklung der integrationstheoretischen Beschreibungs- und Legitimationsmodelle europäischer Integration eingegangen werden.84

81 Im Folgenden wird die Rechtsprechung des EuGH zum „institutionellen Gleichgewicht“ daher als Teilaspekt eines sachlich weitergehenden Prozesses der Reorganisation des Systems unionaler gewaltengegliederter Rechtserzeugung erfasst. 82 Hierzu aus verfassungstheoretischer Sicht eingehend: Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 253 ff. 83 Zum Übergang zum Binnenmarkt und zur Europäischen Union: Baur, JA 1992, S. 65 ff. und S. 97 ff.; Bieber/Dehouse/Weiler (Hrsg.), 1992: One Open Market?, 1988; Dauses, EuZW 1990, S. 8 ff.; Ehlermann, WuW 1992, S. 5 ff.; Grabitz, Über die Verfassung des Binnenmarktes, in: FS Steindorff, 1990, S. 1155 ff.; Grabitz/Bogdandy, JuS 1990, S. 170 ff.; Müller-Graff, EuR 1989, S. 107 ff.; ders., ZHR 159 (1995), S. 34 ff. 84 Wenn im Folgenden bestimmte Phasen der europäischen Integration idealtypisch unterschieden werden, so geht es allein darum, bestimmte neu hinzutretende Leittendenzen in der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts herauszuarbeiten und zu erfassen, die nicht einfach an die Stelle, sondern vielmehr neben frühere Entwicklungsprozesse treten und diese teilweise auch überlagern. Zu den Phasen europäischer Integration („Integration“, „Europäisierung“, „Politisierung“) aus institutionalistischer Sicht: Wiener, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 117 (S. 131 ff.).

B. Die Rechtserzeugung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

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B. Die Rechtserzeugung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft I. Strukturmerkmale der Rechtserzeugung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1. Dominanz der Judikative und Exekutive, weitgehende Blockade der Legislative Die Europäische Gemeinschaft ist ursprünglich als supranationale Wirtschaftsgemeinschaft entstanden.85 Im Zentrum der europäischen Gewaltengliederung stand das Zusammenwirken von EuGH und Kommission bei der Durchsetzung der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts.86 Darüber hinaus wurden der Kommission auch begrenzte Sachaufgaben insbesondere im Bereich der Agrarmarktordnung, der Sozialfondsverwaltung und der Sozialrechtskoordinierung übertragen.87 Die Anfangs allein im Rat repräsentierte Legislative erwies sich angesichts des Einstimmigkeitsprinzips allerdings als weitgehend blockiert.88 Angesichts der Herausbildung einer funktionsteiligen Organisationsstruktur im institutionellen Rahmen der Gemeinschaft sah sich der EuGH schon frühzeitig dazu veranlasst, einige Grundsätze des aufgabenteiligen Zusammenwirkens der Gemeinschaftsorgane zu entwickeln, die dann später mit dem Begriff des „institutionellen Gleichgewichts“ beschrieben wurden.89 So begrenzte der EuGH einerseits im Rahmen des EGKS mit der Meroni-Entscheidung die Spielräume der Kommission zur Aufgabendelegation auf verselbstständigte Verwaltungsträger auf technische Aufgaben.90 Andererseits entwickelte der EuGH für das Verhältnis der Delegation von Durchführungskompetenzen an die Kommission eine Art Wesentlichkeitstheorie, nach der „die wesentlichen Elemente“ einer zu regelnden Materie im sekundärrechtlichen Basisrechtsakt normiert werden müssen.91 Die Anfänge der Rechtsprechung des EuGH zum institutionellen Gleichgewicht können allerdings nicht mit einer gemeinschaftsrechtlichen Adaption des nationalstaatlichen Gewaltenteilungsprinzips gleichgesetzt werden.92 Neben der starken 85 Zur Entwicklung: Bieber/Epiney/Haag, Europäische Union, 6. Aufl., 2005, § 1 Rn. 1 ff. 86 Calliess, DVBl. 2007, S. 336 f.; vgl. auch die systematische Darstellung zum „Wettbewerb im Binnenmarkt“ bei Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., 2004, § 3 Rn. 1 ff. 87 Vgl. Streinz, Europarecht, 8. Aufl., 2008, Rn. 21 ff., 1064, 1086 ff. 88 Streinz, Europarecht, 8. Aufl., 2008, Rn. 25. 89 Vgl. Schließky, Souveränität und Legitimität, 2004, S. 407 f. m.w. N. 90 EuGH Rs. 25/70 (Köster) Slg. 1970, 1161, Rn. 6. 91 EuGH, verb. Rs. 9/56 und 10/56 (Meroni) Slg. 1958, 1 (9 ff.; 53 ff.); hierzu Möllers, Die drei Gewalten, S. 179. 92 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2004, S. 94 ff.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

Stellung der Judikative und Exekutive auf der Gemeinschaftsebene lag eine der wesentlichen Differenzen zwischen dem Prinzip des institutionellen Gleichgewichts und dem staatlichen Teilungsprinzip schon unter Geltung des EWG-Vertrags in der integrationsfunktionalen Ausrichtung des Systems gemeinschaftlicher Rechtserzeugung.93 Die großen Linien der so ausgelösten Entwicklungsdynamik des Gewaltengefüges in der EWG traten allerdings weniger in der Feinjustierung des „institutionellen Gleichgewichts“ in Delegationsfällen als vielmehr im Versuch des EuGH zutage, die Blockade im Rat durch seine Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten und die gleichzeitige Erweiterung der Kompetenzen der Kommission zu kompensieren.94 2. Der Ausbau der Grundfreiheiten zu Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten Der EuGH reagierte auf die mit dem „Luxemburger Kompromiss“ 95 verfestigte Ratsblockade zunächst mit dem Ausbau der Grundfreiheiten von objektiven Vertragspflichten der Mitgliedstaaten zu unmittelbar innerstaatlich anwendbaren und gerichtlich durchsetzbaren subjektiven Rechten.96 Durch die Weiterentwicklung der Grundfreiheiten zu Diskriminierungsverboten konnte der EuGH Ungleichbehandlungen innerhalb der einzelstaatlichen Rechtsordnungen im Wege der Kontrolle subjektiver Rechte abbauen, zu deren Beseitigung die Mitgliedstaaten nach dem Vertrag ohnehin verpflichtet waren.97 Zugleich machte sich der EuGH durch die „Subjektivierung“ der Grundfreiheiten allerdings auch selbst von der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch Kommission, Rat oder Mitgliedstaaten unabhängig und festigte so seine autonome Stellung im europäischen Gewaltengefüge.98 Den nächsten Schritt leitete der EuGH mit der Weiterentwicklung der Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten99 ein, die mit der Dassonville-Formel100 und dem Cassis-de-Dijon-Urteil101 zur Warenverkehrsfreiheit einsetzte. Mit dem 93 Zur Bedeutung des Integrationsprinzips für das institutionelle Gefüge der Union: Calliess, Zum Denken im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, in: ders. (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 187 (189 ff.). 94 Hierzu: Weiler, The Constitution of Europe, 1999; Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 7 f.; Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 177 f. 95 Abgedruckt in EuR 1966, S. 79. 96 EuGH, Rs. 6/64 (Costa/E.N.E.L) Slg. 1964, 1251, Rn. 110, 141 – (Warenverkehrsfreiheit); EuGH, Rs. 2/74 (Reyners) Slg. 1974, 631, Rn. 24 ff. – (Niederlassungsfreiheit), EuGH, Rs. 33/74 (van Binsbergen) Slg. 1974, 1291 – (Dienstleistungsfreiheit); EuGH, Rs. 13/76 (Donà) Slg. 1976, 1333, Rn. 6 f. – (Arbeitnehmerfreizügigkeit). 97 Vgl. EuGH, Rs. 2/74 (Reyners) Slg. 1974, 631, Rn. 24 ff. 98 Vgl. EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos) NJW 1963, S. 974, Rn. 1 ff.; EuGH, Rs. 6/64 (Costa/ENEL) Slg. 1964, 1251, Rn. 110, 141.

B. Die Rechtserzeugung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

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Ausbau der Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten bezog der EuGH auch unterschiedslos anwendbare Bestimmungen des einzelstaatlichen Produkt- und Berufszulassungsrechts in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ein.102 Damit setzte der EuGH nunmehr – gewissermaßen anstelle des Rats – im Wege der gerichtlichen Kontrolle der Grundfreiheiten auch eine Art von „negativer Rechtsangleichung“ durch und trug so wesentlich zur Errichtung des Gemeinsamen Marktes bei.103 3. Extensive Auslegung der Kommissionskompetenzen, insbesondere aus dem Wettbewerbsrecht Zugleich tendierte der EuGH neben und mit der weiten Auslegung der Grundfreiheiten auch zu einer extensiven Auslegung der Kommissionskompetenzen zulasten des Rats, um die von ihm selbst vorangetriebene Marktöffnung durch eine korrespondierende Erweiterung der administrativen Zuständigkeiten der Kommission abzusichern.104 Dies zeigte sich einerseits an der Einräumung eines ungeschriebenen „Notverordnungsrechts“ der Kommission in Fällen der dauerhaften Ratblockade,105 vor allem aber an der extensiven Auslegung des Anwendungsbereichs der autonomen wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrollbefugnisse der Kommission aus den Art. 90, 91 ff. EWG (heute Art. 106, 107 ff. AEU). Unter Rückgriff auf eine weite Auslegung des funktionellen Unternehmensbegriffs bezog der EuGH neben den Netzwirtschaften (Post, Telekommunikation, Energie, Verkehr) schrittweise auch öffentlich finanzierte Sektoren, wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunksektor106 und den öffentlichen Arbeitsver99 Zur Entwicklung und zum Begriff: Streinz, Europarecht, 8. Aufl., 2008, Rn. 795 ff.; eingehend auch: Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999. 100 EuGH, Rs. 8/74 (Dassonville) Slg. 1974, 837, Rn. 5. 101 Zur Warenverkehrsfreiheit als Beschränkungsverbot: EuGH Rs. 120/78 (REWE/ Bundesmonopolverwaltung für Brandtwein – „Cassis de Dijon“) Slg. 1979, 649, Rn. 8. Zur Dienstleistungsfreiheit: EuGH Rs. C-76/90 (Säger) Slg. 1991, I-4221, Rn. 13; zur Niederlassungsfreiheit (differenzierend): EuGH, Rs. 107/83 (Klopp) Slg. 1984, 2971, Rn. 19; zur Arbeitnehmerfreizügigkeit: EuGH, Rs. C-415/93 (Bosman) Slg. 1995, I4921, Rn. 87, 96. 102 Vgl. statt Vieler: Calliess, DVBl. 2007, S. 336 f. 103 Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 7 f.; Calliess, DVBl. 2007, S. 336 f. 104 Vgl. schon EuGH verb. Rs. 9/56 und 10/56 (Meroni) Slg. 1958, 1; hierzu Möllers, Die drei Gewalten, S. 176 f.; aber auch EuGH Rs. C-202/88 (Frankreich/Kommission – „Telekommunkations-Endgeräte“) Slg. 1991 I-1223, Rn. 55. 105 EuGH Rs. 84/81 (Staple Dairy Products/Intervention Board of Agricultural Procedure) Slg. 1982, 1763, Rn. 12; hierzu Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV Art. 211 Rn. 42. 106 EuGH Rs. 155/73 (Sacchi) Slg. 1974, 409, Rn. 15; EuGH Rs. C-260/89 (ERT) Slg. 1991, I-2925, Rn. 18; hierzu Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wettbewerbs-

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

mittlungssektor107, in den Anwendungsbereich des besonderen wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrollregimes der Kommission ein.108 Zugleich beschränkte der EuGH die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, sich zur Aufrechterhaltung staatlicher Monopole auf die wettbewerbsrechtliche Sonderregelung für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (Art. 90 Abs. 2 EWG, heute: Art. 106 Abs. 2 AEU) zu berufen, durch einen strengen „Verhinderungsmaßstab“, der es den Mitgliedstaaten weitgehend unmöglich machte, den Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 90 Abs. 2 EWG (heute: Art. 106 Abs. 2 AEU) zu führen.109 Auf diese Weise eröffnete der EuGH der Kommission im Ergebnis die Möglichkeit, auf Grundlage ihrer Kompetenzen aus Art. 90 Abs. 3 EWG (heute: Art. 106 Abs. 3 AEU) auch gegen den Willen des Rats und der einzelnen Mitgliedstaaten eine eigenständige Liberalisierungspolitik durchzuführen. Die Besonderheit der Kompetenz aus Art. 90 Abs. 3 EWG (heute: 106 Abs. 3 AEU) lag und liegt dabei darin, dass sie der Kommission neben der Möglichkeit zu Einzelentscheidungen auch die Möglichkeit einräumt, in Konkurrenz zum Rat eigenständige Richtlinien zu erlassen.110 Vor allem seit der Umsetzung des Binnenmarktprogramms mit der Einheitlichen Europäischen Akte machte die Kommission zunehmend konsequent von denen ihr eingeräumten weit reichenden wettbewerbsrechtlichen Kompetenzen aus Art. 90 EWGV (Art. 106 AEU) Gebrauch und leitete so beginnend mit dem Telekommunikationssektor einen Prozess der Monopolöffnung und Marktliberalisierung im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge ein.111 4. Das Beispiel des Telekommunikationsendgerätesektors Unter den Bedingungen des EWG-Vertrags trat die Tendenz des EuGH zur integrationsfunktionalen Justierung des Verhältnisses der Gemeinschaftsorgane zueinander in besonderer Deutlichkeit bei der Marktöffnung und Liberalisierung recht, 1991, S. 11 ff.; Überblick zur Rechtsprechungsentwicklung: Bullinger/Mestmäcker, Multimediadienste: Struktur und staatliche Aufgaben nach deutschem und europäischem Recht 1997, S. 92 ff. 107 EuGH Rs. C-41/90 (Höfner u. Elsner) Slg. 1991, I-1979. Hierzu auch mit Blick auf die Implikationen für andere „sozialbeitragsfinanzierte Dienste“: Ehrike, WuW 1991, S. 970 ff.; Giesen, Das Sozialversicherungsmonopol und der EG-Vertrag, 1995; Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86, EGV Rn. 11 ff. 108 Zur Entwicklung: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 795 ff., 813 ff., 833 ff. 109 EuGH Rs. 155/73 (Sacchi) Slg. 1974, 409, Rn. 14 – Sacchi, hierzu: Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86 EGV Rn. 58; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 34 Rn. 31, S. 882 f., vgl. auch Hoffmann-Riem, DVBl. 1999, S. 125 ff. 110 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV Art. 86 Rn. 67 ff., 88; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 35 Rn. 1 ff., S. 892 ff. 111 Ehricke, WuW 1995, 1995, S. 691 ff.

B. Die Rechtserzeugung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

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am Beispiel des Telekommunikationsendgerätesektors zutage.112 Die Kommission hatte im Zuge der Umsetzung des Binnenmarktprogramms den Entschluss gefasst, den Telekommunikationssektor, beginnend mit dem Endgerätesektor, zu liberalisieren.113 Nachdem ein entsprechender Richtlinienvorschlag am Widerstand des Rats gescheitert war, ordnete sie mit der Endgeräterichtlinie unter Rückgriff auf ihre Richtlinienkompetenz aus Art. 90 Abs. 3 EWG (heute: Art. 106 Abs. 3 AEU) die Aufhebung aller ausschließlichen und besonderen Rechte gegen den Willen des Rats an.114 Die Mitgliedstaaten leiteten gegen die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein und machten hierbei u. a. eine Überschreitung der Kommissionskompetenzen zulasten des Rats geltend, da grundsätzlich allein dieser zur Richtliniengesetzgebung befugt sei, während die Kommission – abgesehen von Delegationsfällen – grundsätzlich auf Einzelfallentscheidungen beschränkt sei.115 Die Argumentation der Mitgliedstaaten leuchtete aus Sicht des staatlichen Gewaltenteilungsprinzips durchaus ein. So steht außer Frage, dass es sich bei der Grundsatzentscheidung zur Liberalisierung eines bestimmten Wirtschaftsektors aus Sicht der nationalen Verfassungstraditionen um eine „wesentliche“ Entscheidung handelt, die grundsätzlich von den hierzu demokratisch legitimierten parlamentarischen Gesetzgebungsorganen getroffen werden sollte. Die Gemeinschaft verfügte jedoch unter Geltung des EWG-Vertrags noch über keine parlamentarisierte Legislative. Zugleich konnte sich der nach Gemeinschaftsrecht zur Richtlinienrechtsetzung allein befugte Rat unter Bedingungen des Einstimmigkeitsprinzips nicht zu einer Harmonisierung entschließen. Angesichts dieser Ausgangslage entschied sich der EuGH in seiner Endgeräterichtlinienentscheidung zu einer Modifikation des Teilungsprinzips im Lichte des Integrationsprinzips. Einerseits hat der Gerichtshof die Kompetenz der Kommission zur Aufhebung der Endgerätemonopole gerade auch im Richtlinienwege auf Grundlage von Art. 90 Abs. 3 EWGV (heute: Art. 106 Abs. 3 AEU) ausdrücklich bestätigt, obwohl eine Überschneidung mit den Ratskompetenzen zur Rechtsangleichung vorliegt.116 Andererseits hat der EuGH die Kompetenzen der Kommission zur eigenständigen Liberalisierung mit Blick auf die Aufhebung 112 Zur Marktöffnung und späteren Harmonisierung im TK-Sektor: siehe die Beiträge bei Mestmäcker (Hrsg.), Kommunikation ohne Monopole II, 1995; zur weiteren Entwicklung in der Phase der Harmonisierung: Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation – ein neues Modell europäisierter Verwaltung, in: FS Selmer, 2004, S. 565 ff. 113 Weißbuch an den Europäischen Rat zur Vollendung des Binnenmarktes, KOM 1985, 310 end. 114 Richtlinie 88/301/EWG der Kommission vom 16.5.1988 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikations-Endgeräte. 115 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2004, § 35 Rn. 2, S. 893 m.w. N. 116 EuGH Rs. C-202/88 (Frankreich/Kommission – „Telekommunikations-Endgeräte“) Slg. 1991 I-1223, Rn. 31 –, aber auch schon EuGH Rs. 188–190/80 (Frankreich u. a./Kommission – „Transparenzrichtlinie“) Slg. 1982, 2545, Rn. 6.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

besonderer Rechte auch wieder eingeschränkt,117 sodass die Kommission seither bei besonderen Rechten auf Einzelfallentscheidungen118 und den Erlass von Transparenzrichtlinien 119 beschränkt ist. Da der EuGH die autonome Richtlinienkompetenz der Kommission gleichwohl im Grundsatz bestätigte, konnte die Kommission in der Folgezeit eine schrittweise Monopolaufhebung im TK-Sektor dennoch weitgehend im Alleingang durchsetzen.120 5. Die Grenzen der „negativen Integration“ durch EuGH und Kommission a) Das Erfordernis von Tatbestandsrestriktionen der Grundfreiheiten: Das Keck-Urteil Durch die kombinierte Anwendung der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts führten der EuGH und die Kommission eine weitgehende Öffnung der ehemaligen staatlichen Wirtschaftsverwaltungsmonopole in den Netzwirtschaften herbei.121 Gleichwohl konnte der EuGH das Fehlen einer voll funktionsfähigen europäischen Legislative mit den Mitteln der Judikative nur unvollkommen kompensieren. Grenzen der negativen Integration ergaben sich einerseits aus Korrekturen auf der Tatbestands- und der Rechtfertigungsebene der Grundfreiheiten, zu denen sich der EuGH vor dem Hintergrund der extensiven Auslegung europäischer subjektiver Wirtschaftsfreiheiten veranlasst sah.122 So beschränkte der EuGH im Keck-Urteil123 den Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots der 117 EuGH Rs. C-202/88 (Frankreich/Kommission – „Telekommunikations-Endgeräte“) Slg. 1991 I-1223, Rn. 31. 118 Vgl. EuGH Rs. C-202/88 (Frankreich/Kommission – „Telekommunikations-Endgeräte“) Slg. 1991 I-1223, Rn. 31. 119 Der Erlass erfolgte durch die Kommission mit der Richtlinie 94/46 vom 13.10.1994, ABl. 1994 Nr. L268/15. 120 Vgl. Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation – ein neues Modell europäisierter Verwaltung, in: FS Selmer, 2004, S. 565 ff. 121 Ehricke, WuW 1995, 1995, S. 691 ff. Die Entwicklung im Telekommunikationssektor wurde denn auch von Teilen des Schrifttums dahin gehend interpretiert, dass die Kommission auf Grundlage von Art. 106 Abs. 3 AEU in „problematischen Wirtschaftssektoren“ generell eine systematische „Politik der Umstrukturierung“ vornehmen könne. Pernice, in: Grabitz/Hilf, Art. 90 EGV Rn. 62; Emmerich, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, H II. Rn. 90, Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV Art. 86 Rn. 71; enger dagegen Storr, DÖV 2002, S. 357 ff.; S. 364. 122 Die im Folgenden skizzierten Entwicklungen setzen zum Teil noch in der Phase der „Europäisierung“ des einzelstaatlichen Rechts unter Geltung des EWG-Vertrags ein und sollen daher unter dem Gesichtspunkt der Grenzen des „negativen Integrationsmodells“ angesprochen werden. Zugleich deutet sich hiermit jedoch auch eine „Trendwende“ in der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts an, auf die im Rahmen der späteren Untersuchungen zum Mehrebenensystem der Union zurückzukommen sein wird. Vgl. unten 1. Kapitel, C. IV. 123 EuGH, verb. Rs. C-267 und C-268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6097, Rn. 16.

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Warenverkehrsfreiheit angesichts erkennbarer Missbrauchstendenzen auf produktbezogene Regeln und nahm unterschiedslos anwendbare vertriebsbezogene Bestimmungen des einzelstaatlichen Wirtschaftsverwaltungsrechts vom Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots der Warenverkehrsfreiheit aus. b) Das Erfordernis von Korrekturen auf der Rechtfertigungsebene der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts Weitergehend suchte der EuGH einen angemessenen Ausgleich zwischen den Beschränkungsverboten der Grundfreiheiten und den Zielen der einzelstaatlichen Wirtschaftsregulierung auch durch Korrekturen auf der Rechtfertigungsebene sicherzustellen.124 Beginnend mit dem Cassis-Urteil125, ging der EuGH zur Anerkennung einer Vielzahl ungeschriebener zwingender Allgemeinwohlerfordernisse über, die bei nichtdiskriminierenden Marktzugangsschranken eine Aufrechterhaltung einzelstaatlicher Maßnahmen der Wirtschaftsregulierung u. a. aus umwelt-,126 verbraucher-,127 sozial-,128 gesundheits-129 und medienpolitischen130 Gründen rechtfertigen können. Etwas zeitversetzt nahm der EuGH auch entsprechende Korrekturen im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Sonderregelung des Art. 86 Abs. 2 EG vor, die zu einer Begrenzung der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kompetenzen der Kommission führten.131 Jenseits dieser Korrekturen stößt das Instrumentarium der negativen Integration indes auch an nicht hintergehbare funktionale Grenzen innerhalb der europäischen Gewaltengliederung.132 So konnte der EuGH zwar durch eine extensive Auslegung der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts die Spielräume der Mitgliedstaaten zur Ausübung ihrer Kompetenzen auf der einzelstaatlichen Ebene im Wege der „negativen Rechtsangleichung“ begrenzen und zugleich einen gewissen Harmonisierungsdruck auslösen. Andererseits führt weder die Anwendung der Grundfreihei124

Calliess, DVBl. 2007, S. 336 f. EuGH, Rs. 120/78 (REWE/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein – „Cassis des Dijon“) Slg. 1979, 649. 126 EuGH Rs. 302/86 (Kommission/Dänemark) Slg. 1988, 4607, Rn. 8; EuGH Rs. C-379/98 (Preussen Elektra) Slg. 2001, I-2099, Rn. 79. 127 EuGH, Rs. C-239/90 (Boscher) Slg. 1991, I-2023. 128 EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831; EuGH Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931. 129 EuGH, Rs. C-368/98 (Vanbraekel u. a.) Slg. 2001, I-5363; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet) Slg. 2003, I-4509. 130 EuGH, Rs. C-368/95 (Familiapress) Slg. 1997, I-3689. 131 EuGH, Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich) Slg. 1997, I-5815, Rn. 55, EuGH Rs. C-393/92 (Amelo) Slg. 1994, I-1477, Rn. 48 f. Hierzu näher unten 1. Kapitel, C. IV. 132 Zu den funktionalen Grenzen der Judikative bei der Verarbeitung von Regulierungsproblemen eingehend: v. Bogdandy, Chancen und Gefahren einer Konstitutionalisierung der WTO, Vortrag an der Humboldt-Universität zu Berlin, 26. Juni 2002, FCE 5/02, Berlin 2000, S. 19 ff. 125

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

ten noch die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf einzelne Wirtschaftssektoren zur Verlagerung von Gesetzgebungszuständigkeiten von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft, da hierzu eine Ausübung der Rechtsangleichungskompetenzen durch die europäische Legislative erforderlich ist.133

II. Verwaltungsrechtliche Implikationen: Primärrechtliche Europäisierung und Transnationalisierung, begrenzte Verwaltungsrechtsangleichung Die nur partielle Funktionsfähigkeit der Gewaltengliederung der EWG schlug sich auch im Prozess europäischer Verwaltungsintegration nieder. So konnte der EuGH die Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten zwar zu innerstaatlich wirksamen materiell-rechtlichen Determinanten des einzelstaatlichen Verwaltungsrechts im Sinne eines Gebots strikter Inländergleichbehandlung weiterentwickeln.134 Das Prinzip der praktischen Wirksamkeit erlaubte es weitergehend, die funktionalen Ziele der Grundfreiheiten und des Wettbewerbs- und Beihilferechts auch gegen einzelstaatliche Vertrauensschutzgewährleistungen durchzusetzen.135 Mit dem Ausbau der Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten im Cassis-de-Dijon-Urteil bildeten sich schließlich auch bereits das Herkunftsland- und Anerkennungsprinzip als primärrechtliche Grundlagen des heutigen Systems horizontaler europäischer Verwaltungskoordinierung heraus.136 Ein weitergehender Prozess europäischer Verwaltungsintegration setzte jedoch notwendig abstrakt-generelle Regelungen zur zwischenstaatlichen Koordinierung der einzelstaatlichen Verwaltungsträger, aber auch abstrakt-generelle Maßnahmen der Angleichung des materiellen Verwaltungsrechts und des Verfahrens- und Organisationsrechts voraus, deren Schaffung jenseits der Möglichkeiten der Rechtsprechung, aber auch jenseits der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Entscheidungsbefugnisse der Kommission liegen. Jenseits der negativen Integration durch den EuGH kam die Verwaltungsrechtsangleichung lediglich punktuell in gewissen begrenzten Bereichen, wie etwa in Teilen des Produktzulassungsrechts, sowie in der Agrarmarktpolitik voran.137 Darüber hinaus bildeten sich insbesondere im 133 Zu den Grenzen der negativen Rechtsangleichung: v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 14 Rn. 10; Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 14 Rn. 21. 134 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 397 f. 135 Eingehend: Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 2000. 136 Zu den verwaltungsrechtlichen Implikationen, insbesondere zum transnationalen Verwaltungsakt: Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 ff.; 935; ders., EuR 1996, S. 270, 301. Hierzu näher: 2. Kapitel, A. II. und III. 137 Zur Europäisierung des Verwaltungsrechts in jüngerer Zeit: Schoch, Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, in: Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 507 ff.; ders., NordÖR 2002, S. 1 ff.

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Bereich der Sozialrechtskoordinierung auch erste Vorformen der horizontalen und teilweise auch vertikalen Koordinierung der europäischen Sozialversicherungsträger, die freilich erst wesentlich später als allgemeines Strukturprinzip des Europäischen Verwaltungsverbunds erkannt wurden.138 Im Grundsatz blieb es freilich bei der strikten Trennung des direkten Vollzugs des Gemeinschaftsrechts als eng begrenztem Ausnahmefall und des indirekten einzelstaatlichen Vollzugs des Gemeinschaftsrechts durch die mitgliedstaatlichen Verwaltungsträger als Regelfall – bei insgesamt begrenzter Reichweite der Koordinierung und Harmonisierung.139 Diese Arten der Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsrecht konnten noch im Wesentlichen zutreffend als Prozess der Europäisierung des einzelstaatlichen Verwaltungsrechts erfasst werden. Seit Mitte der 1990er-Jahre rückte allerdings – über den Zwischenschritt des Begriffs der „Verwaltungskooperation“ – zunehmend eine Mehrebenen- und Verbundperspektive auf das Verwaltungsrecht in der Union in den Vordergrund.140 Dieser Perspektivwechsel spiegelt die verwaltungsrechtlichen Folgen von Veränderungen in den Strukturen europäischer Gewaltengliederung wider, die im Zuge des Übergangs von der Marktverfassung des EWG-Vertrags zur heutigen „Binnenmarktverfassung“ des Mehrebenensystems der Europäischen Union eingetreten sind.

III. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zwischen „positiver“ und „negativer“ Integration 1. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zwischen intergouvernementaler Politik und supranationalem Recht Die Strukturmerkmale der funktional begrenzten Gewaltengliederung des EWG-Vertrags spiegeln sich auch in deren theoretischen Beschreibungsmodellen wider. Die Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses hatte schon unter Geltung des EWG-Vertrags deutlich gemacht, dass sich die klassischen Beschreibungsangebote der Staats- und Völkerrechtslehre zur Rekonstruktion der Rechtsordnung der Gemeinschaft nur bedingt eigneten. Einerseits ging die Gemeinschaft bereits unter Geltung des EWG-Vertrags aufgrund der Existenz einer supranationalen Rechtsordnung erkennbar über einen klassischen völkerrechtlichen Staatenbund hinaus. Andererseits blieb die Gemeinschaft jedoch wegen der funktionalen Begrenzung des supranationalen Rechts, aber auch wegen der ungewöhnlich starken Stellung europäischer intergouvernementaler Politik hinter der 138 Zum System der Koordinierung der Sozialverwaltungsträger eingehend: Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, 1999, S. 92 ff. 139 Zum Trennungsprinzip grundlegend: Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1977, S. 9 ff. 140 Vgl. Schmidt-Aßmann, EuR 1996, S. 270, 301; Ruffert, DÖV 2007, S. 761 f.; Groß, EuR 2005, S. 54 f.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

Idee eines europäischen Bundesstaates zurück.141 Angesichts dieser Ausgangslage gewannen in der Europarechtslehre mit der Zweckverbandslehre Hans-Peter Ipsens142 und der u. a. durch Böhm143, Eucken144 und Mestmäcker145 geprägten ordoliberalen Marktverfassungslehre funktionalistische Deutungen der Gemeinschaftsrechtsordnung die Oberhand, die später mit dem durch Majone geprägten Modell des Regulierungsstaates noch einmal eine Wiederbelebung finden sollten.146 Unbeschadet ihrer Unterschiede war den funktionalistischen Schulen der Integrationstheorie die Annahme der grundsätzlichen Beschränkung der Gemeinschaft auf Wirtschaftsintegration gemeinsam. Damit korrespondierte die Vorstellung, dass europäische Integration im Wesentlichen auf die Übertragung von begrenzten Hoheitsfunktionen auf von den Mitgliedstaaten unabhängige Organe der Exekutive und Judikative beschränkt sein sollte, während die Funktionen der parlamentarischen Legislative grundsätzlich auf der nationalen Ebene verbleiben sollten.147 Eben wegen der funktionalen Begrenzung europäischer Integration bedurfte diese auch lediglich einer normativ-funktionalen, nicht aber einer supranationalen parlamentarisch-demokratischen Legitimation.148 2. Funktionalistische Deutungen europäischer Integration: Die Gemeinschaft als „Zweckverband“ oder „Marktverfassung“ Die funktionalistischen Deutungen europäischer Integration haben zwar die Europarechtslehre stark beeinflusst. Dagegen sind funktionalistische bzw. ordo141 Oeter, Föderalismus, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 (63 ff.). 142 H.-P. Ipsen, Der deutsche Jurist und das Europäische Gemeinschaftsrecht, in: Verhandlungen zum 45. Deutschen Juristentag, Bd. II, Teil L, 3, München, 1964; ders., Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen, 1972. 143 Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf – Eine Untersuchung zur Frage des wirtschaftlichen Kampfrechts und zur Frage der rechtlichen Struktur der geltenden Wirtschaftsordnung, 1933; ders., Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, 1950; siehe auch Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. 2, 1983, S. 21 f. 144 Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, 9. Aufl., 1989, S. 87 ff., 222 ff. 145 von der Groeben/Mestmäcker (Hrsg.), Verfassung oder Technokratie für Europa, Ziele und Methoden der europäischen Integration, 1974, S. 23 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 3 Rn. 1 ff.; kritisch hierzu: Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, S. 183, 191, eher skeptisch auch: Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 683 (684 f.). 146 Majone, The European Community. An „Independent Fourth Branch of Government?“, in: Brüggemeier (Hrsg.), Verfassungen für ein ziviles Europa, 1994, S. 23 ff. 147 H.-P. Ipsen, Der deutsche Jurist und das Europäische Gemeinschaftsrecht, in: Verhandlungen zum 45. Deutschen Juristentag, Bd. II, Teil L, 3, München, 1964; ders., Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen, 1972. 148 H.-P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 176 ff.; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 312 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 3 Rn. 1.

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liberale Engführungen der Legitimation der Gemeinschaft in der Verfassungsund Verwaltungsrechtswissenschaft immer auf eine gewisse Skepsis gestoßen.149 Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass es sowohl Ipsen als auch den Vertretern der Marktverfassungslehre nicht allein um die Entwicklung verfassungstheoretischer Modelle der Legitimation europäischer Integration, sondern auch um die Entwicklung einer theoriegeleiteten Dogmatik eines entstehenden europäischen Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrechts ging. Wenn H.-P. Ipsen150 die EWG in den 1960er-Jahren anknüpfend an die Forsthoffsche Verwaltungslehre als supranationale Verwaltungsstruktur, als „Zweckverband funktionaler Integration“ rekonstruierte, ging es nicht allein darum, der EWG eine eigenständige Legitimation jenseits des Völker- und des (nationalen) Verfassungsrechts zu verschaffen, sondern gerade auch um einen Bezugsrahmen für die Entwicklung einer gemeinschaftlichen Verwaltungslehre, die sich mit der Übertragung von verschiedenartigsten Verwaltungsaufgaben auf seine supranationale Bürokratie auseinanderzusetzen hatte.151 Wenn H.-J. Mestmäcker152 die EWG in den 1970er-Jahren als supranationale Marktverfassung deutete, so zog er damit einerseits die verfassungstheoretisch folgerichtige Konsequenz aus der ersten „Revolution“ in der Geschichte des Europarechts,153 die der EuGH durch die Weiterentwicklung der Grundfreiheiten zu unmittelbar innerstaatlich anwendbaren subjektiven Bürgerrechten in den Rs. van Gend & Loos154 und Costa/ E.N.E.L.155 eingeleitet hatte. Mestmäcker beantwortet die vom EuGH in diesen Entscheidungen letztlich bereits aufgeworfene europäische Verfassungsfrage unter Rückgriff auf den Gewaltengliederungsbegriff und löste das Problem durch die Trennung der europäischen Marktverfassung von der demokratischen Mehr-

149 Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, S. 193. 150 H.-P. Ipsen, Der deutsche Jurist und das Europäische Gemeinschaftsrecht, in: Verhandlungen zum 45. Deutschen Juristentag, Bd. II, Teil L, 3, 1964; ders., Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 196 ff. 151 H.-P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 182 ff. (verfassungstheoretische Grundlegungen) und S. 680 ff., S. 940 ff., S. 957 ff. und S. 968 ff. (gemeinschaftliche Durchführungsmaßnahmen). Vgl. auch Joerges, in: Jachtenfuchs/KohlerKoch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl., 2003, S. 193. 152 Mestmäcker, Auf dem Weg zu einer Ordnungspolitik für Europa, in: Mestmäcker/ Möller/Schwartz (Hrsg.), Eine Ordnungspolitik für Europa. FS Hans von der Groeben, 1987, S. 9 ff.; zur Wirtschaftsverfassung der Union: Hatje, Wirtschaftsverfassung, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 684; zur Wettbewerbsverfassung: Drexel, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 684; zum ordnungspolitischen Hintergrund: Eucken, Die Grundlage der Nationalökonomie, 1965, vgl. auch Ophüls, Die Grundzüge der europäischen Wirtschaftsverfassung, ZHR 124 (1962), S. 136 ff. 153 Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 177. 154 EuGH Rs. 26/62 (van Gend & Loos) Slg. 1963, 1, Rn. 2 f.; 8 ff. 155 EuGH Rs. 6/64 (Costa/E.N.E.L) Slg. 1964, 1149.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

heitspolitik.156 Die Funktion und Legitimation der Gemeinschaft liegen in erster Linie in der Gewährleistung europäischer Marktbürgerrechte (Grundfreiheiten, Wettbewerbsrecht) durch EuGH und Kommission, nicht aber in der Rechtsangleichung und Regulierung durch die anfangs allein im Rat repräsentierte Legislative.157 Eben deswegen sollte die europäische Gewaltengliederung auch auf den Zweck der Gewährleistung von Marktbürgerrechten begrenzt bleiben und eben hierdurch die „potenzielle Universalität“ der gewaltengegliederten mitgliedstaatlichen Demokratien nicht grundsätzlich infrage stellen.158 Über seine Legitimationsfunktion hinaus lieferte denn auch gerade das Marktverfassungsmodell einen bis in die Gegenwart handhabbaren Bezugsrahmen für die rechtsdogmatische Ordnungsbildung im System des europäischen Wirtschaftsverfassungs- und Wettbewerbsrechts. Es verweist bis zu einem gewissen Grad auf konkrete rechtliche Ordnungszusammenhänge, die sich in der Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten und zum Wettbewerbsrecht bis in die Gegenwart nachweisen lassen.159 3. Asymmetrien zwischen „positiver“ und „negativer“ Integration in der Phase der „Europäisierung“ Die Stärke der funktionalistischen Schulen der Europarechtslehre lag und liegt denn auch nicht zuletzt in ihrer relativ guten Anschlussfähigkeit zu einer Reihe von konkreten anwendungsbezogenen Ordnungsaufgaben der Europarechtslehre. Ihre korrespondierende Schwäche besteht darin, dass sie die Verselbstständigung der supranational organisierten gemeinschaftlichen Exekutive und Judikative gegenüber der parlamentarisch-demokratischen Mehrheitspolitik nicht etwa infrage stellt, sondern vielmehr abzusichern sucht.160 Darüber hinaus bleiben funktionalistische Modelle europäischer Integration eine überzeugende Antwort auf die Frage schuldig, ob es überhaupt möglich ist, die Union als „Markt ohne Staat“ bzw. die Mitgliedstaaten als „Staaten ohne Märkte“ zu organisieren, ohne erhebliche Funktions- und Legitimationsdefizite in Kauf nehmen zu müssen.161 Der 156 Vgl. Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl., 2003, S. 183, 196 f. 157 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., 2004, S. 94 f. 158 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., 2004, S. 94; vgl. Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl., 2003, S. 183 (196 f.). 159 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., 2004, S. 94 ff. 160 Vgl. Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, S. 191 (193 ff.); Oeter, Föderalismus, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 (63 ff.). 161 Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl., 2003, S. 191 f. (193 ff.).

B. Die Rechtserzeugung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

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Universalismus der Gewaltengliederungsidee und deren historischer Erfolg im System des staatlichen Rechts sprechen jedenfalls eher gegen die Tragfähigkeit eines Modells der Organisation von Hoheitsgewalt, das auf der Auslagerung von wesentlichen Teilfunktionen der staatlichen Gewaltengliederung auf eine übergeordnete supranationale Ebene basiert, die ihrerseits über keine effektiven parlamentarisch-demokratischen Legitimations- und Kontrollstrukturen verfügt. Die weitere Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses zeigte denn auch, dass die funktionalistische Aufspaltung der Strukturen europäischer Rechtserzeugung zu Funktions- und Legitimationsdefiziten führte, die vom Sozialwissenschaftler Fritz Scharpf auf die prägnante Formel von der Asymmetrie zwischen „negativer“ und „positiver“ Integration gebracht wurden.162 Die Gemeinschaft verfügte zwar über unabhängige Organe der Judikative und Exekutive, die in der Lage waren, Marktbürgerrechte gegen mitgliedstaatliche Beschränkungen im Wege der negativen Integration durchzusetzen. Ihr fehlte jedoch aufgrund der weitgehenden Blockade des Rats durch das Einstimmigkeitsprinzip eine funktionsfähige Legislative, die in der Lage war, auf nationaler Ebene entstehende Regulierungsdefizite auf supranationaler Ebene angemessen auszugleichen.163

IV. Die EWG als „partiell funktionsfähige“ Struktur gewaltengegliederter Rechtserzeugung Die Grenzen einer in erster Linie auf negative Integration begrenzten Marktverfassung traten auch in Form von praktischen Folgeproblemen insbesondere im Rahmen der Liberalisierung der Universaldienstleistungssektoren zutage. Hier zeichnete sich frühzeitig ein weitergehender Regulierungsbedarf ab, um überhaupt funktionsfähige Wettbewerbsbedingungen unter den atypischen Bedingungen natürlicher Monopole herzustellen.164 Zugleich limitierte die Marktverfassung des EWG-Vertrags die Handlungsoptionen der Gemeinschaft. Entweder verzichtete die Gemeinschaft zugunsten der Mitgliedstaaten auf eine Durchsetzung der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts und eröffnete so neue Spielräume für eine Regulierung auf einzelstaatlicher Ebene.165 Dann musste Regulierung jedoch unter Umständen mit Renationalisierung erkauft 162 Scharpf, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl., 2003, S. 109 ff.; ders., Negative and Positive Integration in the political Economy of the European Welfare States, in: Marks/Scharpf/Schmitter/Storck (Hrsg.), Governance in the European Union, 1996, S. 15 ff.; hierzu Calliess, DVBl. 2007, S. 336, S. 344 ff. 163 Scharpf, Die Politikverflechtungs-Falle, PVS, 26 (1985) S. 323 ff. 164 Zur limitierenden Funktion der negativen Integration gegenüber der demokratischen Mehrheitspolitik: Kingreen, Das Sozialtstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, S. 7 f. 165 Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 8; Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, S. 200 ff.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

werden.166 Oder der EuGH setzte seine Tendenzen zur extensiven Auslegung der Kompetenzen der europäischen Judikative und Exekutive fort und eröffnete ggf. auch der Kommission Regulierungskompetenzen, die an sich dem Rat vorbehalten waren.167 In diesem Falle hätten zur Fortsetzung des Integrationsprozesses indes weiter wachsende Legitimationsdefizite in Kauf genommen werden müssen.168 Die funktionalistische Integrationstheorie suchte die Strukturdefizite eines funktional begrenzten Systems gemeinschaftlicher Rechtserzeugung später noch einmal durch das Modell des „Regulierungsstaates“ legitimationstheoretisch zu überwinden.169 Dieses Modell hält an der Idee funktional begrenzter Wirtschaftsintegration ebenso fest wie an der Skepsis gegenüber supranationaler parlamentarisch-demokratischer Mehrheitsherrschaft. Es erkennt allerdings Regulierungserfordernisse zur Korrektur von Marktversagen an, wobei die Regulierungsaufgaben von unabhängigen Regulierungsbehörden als „vierte Gewalten“ übernommen werden sollen.170 Das Modell des Regulierungsstaates fällt jedoch bereits in die Endphase funktional begrenzter europäischer Wirtschaftsintegration. Im Zuge der Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza ergaben sich Veränderungen in den Strukturen der europäischen Gewaltengliederung, die in den Sozial- und Rechtswissenschaften einen Paradigmenwechsel hin zu einem Denken in Mehrebenenstrukturen einleiteten. 171

C. Die Rechtserzeugung im Mehrebenensystem der Europäischen Union I. Die Herausbildung verbandsübergreifender Strukturen europäischer Rechtserzeugung im Zuge des Übergangs zum Binnenmarkt Seit dem schrittweisen Übergang von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum heutigen System des EG bzw. EU-Vertrags im Zuge der Verträge von Maastricht, Amsterdam, Nizza und Lissabon haben sich die Strukturen der euro166 Eberlein/Grande, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl., 2003, S. 418 (428 ff.); Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl., 2003, S. 202 f. 167 Zu einem Notverordnungsrecht der Kommission bei Ratsblockaden etwa: EuGH Rs. 84/81 (Staple Dairy Products/Intervention Board of Agricultural Procedure) Slg. 1982, 1763, Rn. 12 f.; hierzu Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV Art. 211 Rn. 42. 168 Scharpf, Die Politikverflechtungs-Falle, in: PVS, 26 (1985) S. 323 ff. 169 Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl., 2003, S. 191 (199 ff.). 170 Majone, The European Community. An „Independent Fourth Branch of Government?“, in: Brüggemeier (Hrsg.), Verfassungen für ein ziviles Europa, 1994, S. 23 ff. 171 Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl., 2003, S. 191 (205).

C. Die Rechtserzeugung im Mehrebenensystem der EU

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päischen Gewaltengliederung grundlegend verändert.172 Die Vertragsordnung der EU ist im Gegensatz zum EWG gerade nicht mehr funktional auf Wirtschaftsintegration begrenzt. Vielmehr kommt im Übergang von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union eine Entscheidung der Mitgliedstaaten zum Ausdruck, europäische Integration sachlich immer umfassender durch Rechtsangleichung und politische Koordinierung voranzutreiben. Zwar sind die Rechtsetzungskompetenzen der Union nach wie vor nach Maßgabe der in Art. 5 Abs. 1 bis 3 EU verankerten Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität beschränkt.173 Andererseits sind die Zuständigkeiten der Union, jedenfalls wenn die Rechtsetzungs- und politischen Koordinierungszuständigkeiten in ihrer Gesamtheit gesehen werden, praktisch nicht mehr auf bestimmte Sachgebiete begrenzt.174 Mit der kontinuierlichen Erweiterung der Zuständigkeiten der Union korrespondiert eine immer engere verbandsübergreifende Verflechtung der unionalen und nationalen Gewalten in der Legislative, Exekutive und Judikative.175 Die Europäische Union kann daher beim heutigen Stand der Integration nicht mehr mit Anspruch auf Vollständigkeit als von den Mitgliedstaaten mehr oder weniger strikt getrennter und zugleich funktional begrenzter Zweckverband, aber auch nicht als funktional begrenzte Marktverfassung oder Regulierungsstaat rekonstruiert werden.176 Vielmehr ist in der Europäischen Union eine verbandsübergreifende Struktur europäischer horizontaler und vertikaler Gewaltengliederung entstanden, die sich im Wege der immer engeren Verflechtung der gewaltengegliederten Systeme der Rechtserzeugung der Union und der Mitgliedstaaten konstituiert.177 Die Mitgliedstaaten sind im Rahmen der verbandsübergreifenden Strukturen europäischer Gewaltengliederung mittlerweile deutlich enger fusioniert als in einem Staatenbund. Gleichwohl ist kein europäischer Verfassungs-, Verwaltungs- oder Sozialstaat nach einheits-

172 Zum Übergang zum Binnenmarkt und zur Europäischen Union: Baur, JA 1992, S. 65 ff. und S. 97 ff.; Bieber/Dehouse/Weiler (Hrsg.), 1992: One Open Market?, 1988; Dauses, EuZW 1990, S. 8 ff.; Ehlermann, WuW 1992, S. 5 ff.; Grabitz, Über die Verfassung des Binnenmarktes, in: FS Steindorff, 1990, S. 1155 ff.; Grabitz/Bogdandy, JuS 1990, S. 170 ff.; Müller-Graff, EuR 1989, S. 107 ff.; ders., ZHR 159 (1995), S. 34 ff.; Fischer, RuP 2001, S. 8 ff.; Grimm, JZ 1995, S. 12 ff.; Herdegen, EuGRZ 1992, S. 589 ff.; Hirsch, NJW 2000, S. 46 ff.; Isensee, Integrationsziel Europastaat, in: FS Everling 1995, S. 567 ff. Zum Vertrag von Lissabon: Terhechte, EuR 2008, S. 143 ff.; Nowak, EuR 2009, S. 129 ff. 173 Vgl. z. B.: Jarass, EuGRZ 1994, S. 209 ff. 174 Zum Spannungsfeld zwischen den nicht auf mehr oder weniger klar begrenzte Politikfelder (Sachgebiete) begrenzten Zuständigkeiten der Union und dem Prinzip der Bestimmtheit der Kompetenzordnung: Oeter, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 (115 f.). Vgl. z. B.: Jarass, EuGRZ 1994, S. 209 f. 175 Vgl. Möllers, Die drei Gewalten, S. 172 ff. 176 Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, S. 193. 177 Vgl. Möllers, Die drei Gewalten, S. 172 ff.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

oder bundesstaatlichen Mustern entstanden.178 Die Union verfügt nach wie vor über keine Kompetenz-Kompetenz. Und auch dort, wo die Union über relativ weit reichende Rechtsangleichungs-, Durchführungs- oder Vollzugskompetenzen verfügt, wie z. B. im Bereich der Binnenmarktharmonisierung, blieb sie doch über verbandsübergreifende Verfahren der Rechtsetzung im Zusammenwirken von Rat und Parlament, über verbandsübergreifende Verfahren der Durchführung im Komitologieverfahren und über verbandsübergreifende Verfahren des koordinierten Verwaltungsvollzugs regelhaft auf ein Zusammenwirken mit den Mitgliedstaaten angewiesen. Was damit letztlich entsteht, ist weder Bundesstaat, noch Staatenbund, sondern ein sachlich letztlich umfassender, sich immer stärker zentralisierender europäischer Integrationsverbund, dessen Organe und Rechtsetzungs-, Durchführungs- und Vollzugsstrukturen aber zugleich an die Mitgliedstaaten zurückgebunden bleiben.179 Innerhalb dieses Verbunds tauschen die Mitgliedstaaten im Rahmen verbandsübergreifender Koordinierungs-, Rechtsetzungs-, Durchführungs- und Vollzugsstrukturen autonome Entscheidungszuständigkeiten auf einzelstaatlicher Ebene gegen Mitentscheidungsrechte auf der Unionsebene ein. Mit dem Verbundmodell scheint die Union mithin eine Form der verbandsübergreifenden horizontalen und vertikalen Gewaltengliederung sui generis gefunden zu haben, die einerseits fortschreitende Integration ermöglicht, andererseits aber die Entstehung eines europäischen Bundesstaats und damit letztlich die „Unterordnung“ der Mitgliedstaaten unter die Union vermeiden soll.180

II. Die Gewaltengliederung der Europäischen Union zwischen Teilungs- und Kooperationsprinzip Die Herausbildung von europäischen Strukturen verbandsübergreifender horizontaler und vertikaler Gewaltengliederung kann in erster Näherung entsprechend der gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten auf die Prinzipien der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Effektivität zurückgeführt werden.181 Das damit auch für die Union vorgezeichnete Teilungsprinzip erfährt angesichts der integrationsfunktionalen Ausrichtung der Strukturen europäischer Rechtserzeugung nach wie vor erhebliche Modifikation.182 Anders als unter Gel178 Zur Konzeption der Gemeinschaft als „werdender Bundesstaat“: Ernst B. Haas, The Uniting of Europe. Political, Social and Economic Forces, 1950–1957, 2. Aufl., 1968; kritisch hierzu H.-P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 182. 179 Vgl. Benz, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, S. 317 f. 180 Vgl. zur „föderativen Verbundverfassung“ der Union: Oeter, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 (110 ff.). 181 Vgl. Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 172 ff.; Schließky, Souveränität und Legitimität, 2004, S. 405 ff. 182 Siehe oben 1. Kapitel, A.V. 2.

C. Die Rechtserzeugung im Mehrebenensystem der EU

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tung des EWG-Vertrags wird das Integrationsprinzip in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union allerdings nicht mehr allein oder in erster Linie durch die begrenzte Verlagerung von Zuständigkeiten auf von den Mitgliedstaaten strikt getrennte, diesen übergeordnete Organe verwirklicht.183 Vielmehr steht eine immer engere horizontale und vertikale Kooperation zwischen unionalen und nationalen Organen im Vordergrund.184 Das Kooperationsprinzip tritt auf der horizontalen Ebene in besonderer Deutlichkeit als Strukturprinzip des europäischen Gesetzgebungsverfahrens zutage, dessen Funktionsfähigkeit mit dem effektiven Zusammenwirken von Kommission, Rat und Parlament im europäischen Gesetzgebungsverfahren, aber auch im Komitologieverfahren steht und fällt.185 Auch auf der vertikalen Ebene schlägt sich das Kooperationsprinzip nicht zuletzt in engmaschigen Legitimations- und Kompetenzverschränkungen zwischen Union und Mitgliedstaaten nieder. Entsprechend fehlt der europäischen Gewaltengliederung auch das Moment präziser vertikaler Teilung.186 Stattdessen entfaltet die europäische Gewaltengliederung neben ihrer horizontalen Teilungszugleich eine vertikale Gewaltenverbindungsfunktion. Im Bereich der Legislative ist das europäische Gesetzgebungsverfahren über die Beteiligung des Rats am Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG187 bzw. nunmehr am ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 294 AEUV188 mittelbar an die parlamentarischen Regierungssysteme auf der mitgliedstaatlichen Ebene zurückgebunden. Zugleich suchen die nationalen Parlamente ihre Autonomieeinbußen auf der einzelstaatlichen Ebene zumindest partiell durch eine verstärkte Ex-ante-Kontrolle des Entscheidungsverhaltens der nationalen Regierungsvertreter im Rat auszugleichen.189 Die Verflechtungen verstärkten sich mit dem Vertrag von Lissabon durch die neu eingeführten Verfahren der europäischen interparlamentarischen Zusammenarbeit.190 Die nationale Exekutive hat sich im Europäischen Rat, im

183

Siehe oben 1. Kapitel, B. I. 1. Zum besonderen Kooperationsbedarf im europäischen Mehrebenensystem aus sozialwissenschaftlicher Sicht: Benz, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, S. 317 ff. 185 Zum Kooperationsprinzip im europäischen Gesetzgebungsverfahren: Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 325 ff. 186 Zur Schwierigkeit funktionaler Kompetenzabgrenzung: Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005. 187 Zum Rechtsangleichungsverfahren: Müller-Graff, EuR 1989, S. 107 ff.; ders., ZHR 159 (1995), S. 34 ff. 188 Schwarze, Der Reformvertrag von Lissabon, Wesentliche Elemente des Reformvertrags, EuR Beiheft 1 (2009), S. 9 (11 f.). 189 Zur parlamentarischen Ex-ante- und Ex-post-Kontrolle im mitgliedstaatlichen Unionsverfassungsrecht: Grabenwarter, Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 282 (312 ff.). Zu den geänderten Anforderungen nach dem Vertrag von Lissabon: Vgl. BVerfG NJW 2009, S. 2267 ff. 190 Art. 12 VEU sieht allerdings lediglich Konsultations-, nicht aber Mitentscheidungsrechte vor: Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009) S. 9 (19 f.) 184

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

Rat und in den Komitologieverfahren Schlüsselstellungen in den politischen Leitungs-191, Koordinierungs-192, Rechtsetzungs- und Durchführungsorganen193 der Union und bei den Verfahren der europäischen Ämterbesetzung gesichert. In der Verwaltung entstehen weder verbandsübergreifende europäische Verwaltungsbürokratien, noch kennt die Europäische Union klare Trennungen der Vollzugskompetenzen zwischen Union und Mitgliedstaaten, wie sie für den bundesstaatlichen Verwaltungsvollzug des Grundgesetzes typisch sind. Vielmehr bilden sich im Rahmen des Europäischen Verwaltungsverbunds als Informations-, Entscheidungs- und Organisationsverbund, z. B. in der Arzneimittelzulassung194 oder der Telekommunikationsregulierung195, neue und unterschiedlich verdichtete, teils hierarchische, teils kooperative Strukturen europäischer Kollegialverwaltung, in deren Rahmen Verwaltungsträger der Union und der Mitgliedstaaten beim administrativen Informationsaustausch und bei administrativen Entscheidungsprozessen verbandsübergreifend zusammenwirken.196 Schließlich haben sich auch im Bereich der Judikative verbandsübergreifende Strukturen der gerichtlichen Kontrolle etabliert, in denen sich der EuGH eine Schlüsselstellung gesichert hat.197 Angesichts der damit „quer“ zu allen Gewalten feststellbaren Herausbil-

191 Zu den Politiken der EU: Blanke: DÖV 1993, S. 412; Bleckmann, DVBl. 1992, S. 335 ff.; Doehring, ZRP 1993, S. 98 ff.; Dörris, JA 1990, S. 437 ff.; Everling, DVBl. 1993, S. 936 ff.; Fischer, RuP 2001, 8 ff.; Grimm, JZ 1995, S. 12 ff.; Herdegen, EuGRZ 1992, S. 589 ff.; Hirsch, NJW 2000, 46 ff.; Isensee, Integrationsziel Europastaat, in: FS Everling 1995, S. 567 ff. 192 Zum System der Sektorpolitiken in Abgrenzung zu den Binnenmarktkompetenzen: Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 227 ff. Zur politischen Koordinierung: Scharpf, Regieren im europäischen Mehrebenensystem, in: Leviathan 30 (2002), S. 65 ff.; Sabel, Learning by Monitoring: The Institutions of Economic Development in: Smelser/Swedberg (Hrsg.), The Handbook of Economic Sociology, 1994, S. 137 ff.; Platzer, Die EU – Sozial- und Beschäftigungspolitik nach Amsterdam: Koordinierte und verhandelte Europäisierung? Integration, 1999, S. 176 ff.; Mestmäcker, Beschäftigungspolitik als neue Aufgabe der Europäischen Union, in: Basedow/Hopt/Kütz (Hrsg.), FS für Ulrich Drobing 1998, S. 81 ff. 193 Vgl. Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 293 (303 f.). 194 Gassner, Europäisierung des Arzneimittelrechts, in: Bottkem/Möllers/Schmidt (Hrsg.), Recht in Europa, 2003, S. 113 ff.; Ehlermann, Europäischer Arzneimittelmarkt, 1990, S. 29 ff. 195 Vgl. Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation, FS Selmer, 2004, S. 565 ff.; Möllers/Ladeur, DVBl. 2005, S. 525 ff. Zum europäischen Arzneimittelzulassungsverfahren: Di Fabio, Die Verwaltung 27 (1994) S. 345 ff. 196 Vgl. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 329 ff. 197 Möllers, Die drei Gewalten, S. 177 ff. Zugleich sucht die Mehrzahl der nationalen Verfassungsgerichte durch nationale Verfassungsvorbehalte den Letztentscheidungsanspruch des EuGH auszutarieren und im Rahmen der Kontrolle des nationalen Verfassungsrechts einen gewissen Einfluss auf die innerstaatliche Anwendung des Unionsrechts zu wahren. Hierzu: Mayer, Europäische Verfassungsgerichtsbarkeit, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht 2003, S. 229 (234 ff.); Grabenwarter,

C. Die Rechtserzeugung im Mehrebenensystem der EU

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dung verbandsübergreifender Strukturen europäischer Rechtserzeugung erweist sich das traditionelle Trennungsprinzip, das strikt zwischen nationaler und supranationaler Legitimation sowie nationalen und supranationalen Rechtsetzungsund Vollzugskompetenzen unterscheidet, sowohl verfassungstheoretisch als auch verwaltungsrechtsdogmatisch als unterkomplex.198 Es bedarf der Ergänzung durch die Frage, wie die verbandsübergreifend organisierten Gewalten in der Legislative, Exekutive und Judikative im horizontalen und vertikalen Verhältnis zueinander ausbalanciert werden müssen, um ein insgesamt hinreichendes Legitimationsniveau zu gewährleisten.199 Zugleich haben die Mehrebenenstrukturen der europäischen Gewaltengliederung einen Grad an Komplexität erreicht, der es voraussetzungsvoll erscheinen lässt, ausgehend von allgemeinen Legitimationsmodellen überhaupt abstrakte Aussagen über Funktion und Legitimation der Strukturen europäischer gewaltengegliederter Rechtserzeugung zu treffen. Vielmehr bedarf es hierzu konkreter Analysen der verbandsübergreifenden Organisations- und Verfahrensstrukturen, in denen sich Hoheitsgewalt in der Europäischen Union reorganisiert.200 Eben hierauf verweist in seinem theoretischen Kern auch der Begriff der „European Multi Level Governance“.201

III. Leittendenzen der Reorganisation der Rechtserzeugung im Mehrebenensystem der Europäischen Union Die Herausbildung eines gewaltengegliederten Mehrebenensystems in der Europäischen Union ist Ausdruck und Folge von eng interdependierenden Veränderungsprozessen im Bereich der europäischen Legislative, Exekutive und Judikative, die im Zuge des schrittweisen Übergangs von der Marktverfassung des EWG-Vertrags zum heutigen System der EU-Verträge eingetreten sind. Die Frage nach Funktion und Legitimation europäischer Rechtserzeugung lässt sich – wenn überhaupt – nur in einer Gesamtschau ihrer wesentlichen einzelnen Strukturelemente und deren jeweiligen Veränderungen beurteilen.202

Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 283 (286 ff., 297 ff.). 198 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 f. 199 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10 ff.). 200 Vgl. Möllers, Die drei Gewalten, S. 7 f. 201 Benz, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, S. 317; siehe auch oben 1. Kapitel, A. I. 202 Zur Reform der Institutionen und Verfahren durch den Lissabon-Vertrag: Terhechte, EuR 2008, S. 143 (159 ff.).

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

1. Die Entblockierung und supranationale Parlamentarisierung der Legislative a) Die verbandsübergreifende Reorganisation und supranationale Entblockierung und Parlamentarisierung der Legislative Anders als unter Geltung des EWG-Vertrags verfügt die Europäische Union mittlerweile über eine funktionsfähige, verbandsübergreifend organisierte Legislative, in der Unionslegislative und einzelstaatliche Parlamente bei der supranationalen Gesetzgebung und der einzelstaatlichen Umsetzungsgesetzgebung zusammenwirken. Zugleich bleibt das europäische Gesetzgebungsverfahren nach Maßgabe der Art. 294 und 295 AEU vermittelt über den Rat – sowie über die Konsultationsverfahren der interparlamentarischen Zusammenarbeit nach Art. 12 EU – an die parlamentarisch demokratischen Regierungssysteme der Mitgliedstaaten zurückgebunden.203 Die nationalen Parlamente nehmen autonome Gesetzgebungsfunktionen und Funktionen im Bereich der Umsetzungsgesetzgebung wahr, wobei sich der Schwerpunkt der Gesetzgebung angesichts der fortschreitenden Kompetenzverlagerung auf die Unionsebene zunehmend hin zur Umsetzungsgesetzgebung verlagert.204 Auf der supranationalen Ebene wurde die Legislative der Union durch den Übergang vom Einstimmigkeitsprinzip zum Mehrheitsprinzip im Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG einerseits „entblockiert“ und andererseits „parlamentarisiert“ und bis zu einem gewissen Grade an ein parlamentarisch-demokratisches Gesetzgebungsverfahren in einem bundesstaatlichen Zwei-Kammer-System angenähert.205 Dieser Prozess setzt sich mit dem Übergang zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren als Regelverfahren (Art. 294 AEU) mit dem Vertrag von Lissabon fort, das u. a. den Übergang zum Öffentlichkeitsprinzip bei Ratsentscheidungen, ein Gesetzgebungsverfahren in drei Lesungen sowie ein Vermittlungsverfahren zwischen Rat und Parlament vorsieht.206

203 Böhner, ZG 16 (2001), S. 85 f.; zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 294 AEUV) nach dem Vertrag von Lissabon: Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009) S. 9 (11 f.) und (15 f.); Terhechte, EuR 2008, S. 162 f. 204 Vgl. Grabenwarter, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 282 (312 ff.). 205 Boest, EuR 1992, S. 182; Böhner, ZG 16 (2001) 85 ff.; Giebenrath, Das Mitentscheidungsverfahren des Art. 251 (ex-Art. 189b) EG-Vertrag zwischen Maastricht und Amsterdam, 2000. 206 Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009) S. 9 (11 f.). Zur Stärkung der demokratischen Legitimation und zum Ausbau der Rechte des Parlaments auch: Hatje/Kindt, NJW 2008, S. 1761 (1766 ff.).

C. Die Rechtserzeugung im Mehrebenensystem der EU

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b) Ausbau der Gesetzgebungszuständigkeiten der Union Mit der Entblockierung und Parlamentarisierung der europäischen Legislative korrespondiert eine kontinuierliche Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeiten der Union,207 die mittlerweile regelhaft im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren im Zusammenwirken von Parlament und Rat ausgeübt werden.208 Die Zuständigkeiten der parlamentarisierten Unionslegislative reichen von den weit gefassten Binnenmarktkompetenzen (insbesondere Art. 114 AEU) und der Rechtsetzung im Raum der Freiheit der Sicherheit und des Rechts (Art. 67 ff. AEU) über die sektorpolitische Rechtsetzung in der Agrar-, Umwelt-, Gesundheits-, Verbraucherschutz- und Sozialpolitik bis hin zur Haushaltsgesetzgebung und zu den „haushaltsnahen“ Rechtsetzungskompetenzen im Bereich der europäischen Agrar-, Struktur- und Entwicklungsfonds sowie zur Programmgesetzgebung, insbesondere im Bereich der Forschungs-, Bildungs-, und Kulturförderung, aber auch im Bereich der Industrie-, Energie- und Umweltpolitik.209 Mit dem Vertrag von Lissabon sind weitere „wesentliche“ Zuständigkeiten in das ordentliche Gesetzgebungsverfahren überführt werden, die vordem allein in die Zuständigkeit des Rats, der Kommission oder der Mitgliedstaaten fielen. Dies gilt insbesondere für die bisher im EU-Vertrag normierte polizeiliche Zusammenarbeit und die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Art. 82 ff., 87 ff. AEU),210 für die Rahmengesetzgebungskompetenz im Bereich der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (Art. 16 Satz 2 AEU) sowie für die Rahmengesetzgebungskompetenz im Bereich der Zusammenarbeit im Zollwesen (Art. 33 AEU) und in der gemeinsamen Handelspolitik (Art. 207 Abs. 2 AEU). Ebenfalls in das Verfahren der Mitentscheidung bzw. das ordentliche Gesetzgebungsverfahren fällt unter „Wesentlichkeitsgesichtspunkten“ die Delegation von Durchführungskompetenzen an die Kommission (Art. 291 Abs. 2 AEU) sowie – mit dem Vertrag von Lissabon – auch die Verordnungsermächtigung an die Kommission (Art. 290 AEU). Von den Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments auch künftig ausgenommen bleiben allerdings insbesondere die Wirtschaftspolitik und das Haushaltskontrollverfahren (Art. 120 ff. AEU), die Währungspolitik (Art. 127 ff. AEU) das Steuerrecht (Art. 110 ff. AEU), das Zolltarifrecht (Art. 31 AEU) sowie das Wettbewerbs- und Beihilferecht (Art. 101 ff. AEU).211 207 Zur Ausdifferenzierung der Gemeinschaftskompetenzen: Jarass, EuGRZ 1994, S. 209 ff.; ders., AöR 121 (1996) S. 173 ff.; zu den Änderungen durch den Vertrag von Lissabon vgl. Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009) S. 9 (16 ff.); Terhechte, EuR 2008, S. 154 ff., 179 ff. 208 Böhner, ZG 16 (2001), S. 85 ff.; zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 294 AEUV: Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009) S. 9 (11 f.). 209 Vgl. Böhner, ZG 16 (2001), S. 85 ff. 210 Hierzu Müller-Graff, EuR 2009, S. 105, 120 ff. 211 Vgl. Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009) S. 9 (11 ff.), (19 ff.). Zur Kompetenzordnung des AEUV: Hatje/Kindt, NJW 2008, S. 1761 (1762 f.).

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

c) Die Reorganisation der europäischen Legislative zwischen demokratischer Legitimation und funktionaler Binnenmarktintegration aa) Die Reorganisation der europäischen Legislative zwischen nationaler und supranationaler Legitimation Der Prozess der verbandsübergreifenden Reorganisation der europäischen Legislative verweist aus verfassungstheoretischer Sicht zunächst auf die bekannten europäischen Legitimationsfragen, deren Klärung sich schon deswegen als schwierig erweist, weil die Befunde je nach demokratietheoretischem Vorverständnis stark variieren. Jedenfalls wird der Europäischen Union heute von der ganz h. M. die Demokratiefähigkeit zumindest nicht mehr grundsätzlich abgesprochen.212 Zugleich verändert sich auch die Perspektive auf Organisation von Demokratie in der Europäischen Union. Lange Zeit stand in Einklang mit dem Trennungsgedanken vor allem die Frage nach dem „richtigen“ Verhältnis von nationaler und supranationaler Legitimation im Zentrum des Interesses. Vertreter eines nationalen Legitimationskonzepts tendieren dazu, die Bedeutung der über den Rat vermittelten nationalen parlamentarisch-demokratischen Legitimation europäischer Rechtserzeugung hervorzuheben. Sie verweisen andererseits auf die starke föderative Modifikation des Prinzips der Wahlrechtsgleichheit bei Wahlen zum Europäischen Parlament auf die Beschränkung des Initiativrechts auf die Kommission, aber auch auf außerrechtliche Legitimationsdefizite, wie etwa die begrenzte Akzeptanz des Parlaments oder das Fehlen einer kritischen europäischen Öffentlichkeit.213 Vertreter eines supranationalen Legitimationskonzepts neigen hingegen dazu, die Fortschritte bei der supranationalen demokratischen Parlamentarisierung der Rechtserzeugung und die besondere Rolle des Europäischen Parlaments zu betonen. Sie verweisen anderseits auf die nur mittelbare Legitimation des Rats und dessen nur wenig effektive Kontrolle durch die nationalen Parlamente.214 Die Kritik an den national wie supranational bestehenden Legitimationsdefiziten hat nach wie vor ihre Berechtigung.215 Gleichwohl zeigt schon der föderative 212 Zum Demokratieprinzip in der Europäischen Union z. B.: Benz, Demokratie in der Europäischen Union, in: Katenhusen/Lamping (Hrsg.), Demokratien in Europa. 2003, S. 157 ff.; Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/ders., Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 317 (374 ff.). Siehe auch aus den Beiträgen in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003: v. Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, S. 149 (171 ff.); Möllers, Verfassungsgebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, S. 1 (30 ff.); Oeter, Föderalismus, S. 59 (93 ff.), und Kirchhoff, Die rechtlichen Strukturen der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 893 (910 ff.). In der Tendenz nach wie vor eher skeptisch zur Demokratiefähigkeit der Union und zur Rolle des EP: BVerfG NJW 2009, S. 2267 ff.; kritisch hierzu: Calliess, NJW 30/2009, XIV ff. 213 Diese Aspekte betonend: BVerfG NJW 2009, S. 2267 ff. 214 Zum Ganzen vgl. Möllers, Die drei Gewalten, S. 180 ff. m.w. N.

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Verfassungsvergleich, dass auch bundesstaatliche Demokratien demokratietheoretischen Idealtypen nur schwer gerecht werden können, zumal dann, wenn sich diese implizit am Modell einer egalitären Demokratie im Einheitsstaat orientieren. Bundesstaatliche Zwei-Kammer-Systeme sind nicht ausnahmsweise, sondern regelhaft durch eine zum Teil deutsche Überrepräsentation der Bürger der kleineren Einzelstaaten in der „Zweiten Kammer“ gekennzeichnet, um demokratischer Fremdherrschaft zulasten von Minderheiten Grenzen zu setzen.216 Zwar geht die „Überföderalisierung“ der Union noch deutlich über bundesstaatliche Vergleichsmuster hinaus.217 Gleichwohl relativiert sich aus einer bundesstaatlichen Vergleichsperspektive doch manche Grundsatzkritik an der hochgradig föderalisierten und zugleich konkordanzdemokratisch geprägten europäischen parlamentarischen Demokratie.218 Unabhängig von den im Einzelnen gewählten demokratietheoretischen Prämissen dürfte es beim heutigen Stand europäischer Mehrebenenintegration allerdings grundsätzlich nicht mehr ausreichen, allein nach dem angemessenen Verhältnis von nationaler und supranationaler Legitimation zu fragen. Vielmehr kommt es gerade auch darauf an, dass sich die verbandsübergreifend organisierten europäischen Gewalten auch im horizontalen Verhältnis zueinander in einem angemessenen Gleichgewicht befinden.219 Beim heutigen Stand europäischer Mehrebenenintegration können, wenn überhaupt, nur die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament gemeinsam und im europäischen Verbund ein insgesamt hinreichendes Maß an parlamentarischer Kontrolle gewährleisten und die dominierende Stellung der europäischen Exekutive und Judikative angemessen austarieren. Dabei kann es angesichts des historischen Prozesses der schrittweisen Transformation der Union von einem demokratischen politischen System nicht um ein Optimum, sondern nur um Optimierung gehen.220 bb) Die Reorganisation der europäischen Legislative im Kontext der Ausdifferenzierung der Strukturen europäischer Gewaltengliederung Aus dieser Perspektive findet die supranationale parlamentarische Demokratisierung der Rechtserzeugung ihre Legitimation letztlich bereits im mittlerweile 215 Zur Gesamtproblematik im Lichte des Lissabon-Urteils vgl. die Beiträge von Streinz, NJW 30/2009, Editorial und Calliess, NJW 30/2009, XIV ff. 216 Vgl. Oeter, Föderalismus, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 ff. 217 BVerfG NJW 2009, S. 2267 ff., Rn. 290. 218 Zum Ganzen eingehend: Oeter, Föderalismus, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht S. 59 (93 ff.). 219 Benz, Path-Dependent Institutions and Strategic Veto Players – National Parliaments in the European Union, in: West European Politics, Vol. 29 (5), 2004, S. 875 (880 ff.). 220 Vgl. v. Bogdandy, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, Europäische Prinzipienlehre, S. 149, 171 ff.

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sehr weit vorangeschrittenen Prozess der verbandsübergreifenden Reorganisation aller übrigen Gewalten, insbesondere in der kontinuierlichen Ausdifferenzierung der europäischen Exekutive221 und der Herausbildung „gekoppelter“ Exekutiven im Europäischen Verwaltungsverbund.222 Die nationalen Parlamente sind schon aufgrund der strukturellen Asymmetrien zwischen der dezentral organisierten einzelstaatlichen Legislative und der supranational oder im europäischen Verbund organisierten Exekutive allein nicht in der Lage, eine hinreichende parlamentarische Kontrolle europäischer Verwaltung sicherzustellen. Im Rahmen der supranationalen Gesetzgebung und der politischen Koordinierung können die nationalen Parlamente ex ante allenfalls das Abstimmungsverhalten einzelner Regierungsvertreter im Rat, nicht aber den Rat als Kollegialorgan europäischer Rechtsangleichung und europäischer politischer Koordinierung effektiv kontrollieren.223 Andererseits kehrt sich auf dem Umweg über den Europäischen Verwaltungsverbund das Verhältnis zwischen nationaler Legislative und Exekutive gewissermaßen um. Während auf nationaler Ebene jede Regierung „für sich“ an das parlamentarische Gesetz gebunden ist, können alle nationalen Regierungen im Rat als europäischem Kollegialorgan supranationales Recht schaffen, an das dann – ex post – alle nationalen Parlamente gebunden sind.224 Damit kann – unbeschadet tatsächlicher oder vermeintlicher Legitimationsdefizite – letztlich nur durch Hinzutreten des Europäischen Parlaments eine insgesamt hinreichend effektive parlamentarische Kontrolle der europäischen Rechtserzeugung gewährleisten werden. Allein das unmittelbar in die europäische Gesetzgebung eingebundene Europäische Parlament, nicht aber die am Rechtsetzungsverfahren nicht unmittelbar beteiligten nationalen Parlamente, kann gestaltenden Einfluss auf den Inhalt europäischer Sekundärrechtsetzung und die Reichweite der Delegation von Durchführungskompetenzen auf die Kommission nehmen. Ebenso ist lediglich das Europäische Parlament in der Lage, die Kommission unmittelbar auf supranationaler Ebene politisch zu kontrollieren und zugleich über die Komitologieverfahren Steuerungsfunktionen auch im Rahmen der administrativen Durchfüh221 Möllers, Die drei Gewalten, S. 183 ff.; Scharpf, Regieren im europäischen Mehrebenensystem, Leviathan 30 (2002), S. 65 ff.; Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, S. 183 (210 ff.); Sabel, Learning by Monitoring: The Institutions of Economic Development in: Smelser/Swedberg (Hrsg.), The Handbook of Economic Sociology, 1994, S. 137 ff.; Platzer, Die EU – Sozial- und Beschäftigungspolitik nach Amsterdam: Koordinierte und verhandelte Europäisierung? Integration, 1999, S. 176 ff.; Mestmäcker, Beschäftigungspolitik als neue Aufgabe der Europäischen Union, in: Basedow/Hopt/Kütz (Hrsg.), FS für Drobing 1998, S. 81 ff. 222 Möllers, Die drei Gewalten, S. 188 ff. 223 Zur Rolle der nationalen Parlamente im europäischen Mehrebenensystem: Benz, Path-Dependent Institutions and Strategic Veto Players – National Parliaments in the European Union, in: West European Politics, Vol. 29 (5), 2004, S. 875 ff. 224 Zu Möglichkeiten und Grenzen einer dezentralen parlamentarischen Legitimation europäischer Rechtserzeugung und politischer Koordinierung: vgl. Möllers, Die drei Gewalten, S. 158 ff., S. 166 ff.

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rung zu übernehmen.225 Damit führt an einer konsequenten supranationalen demokratischen Parlamentarisierung europäischer Rechtserzeugung jedenfalls dann kein Weg vorbei, wenn der Anspruch auf eine effektive parlamentarische Kontrolle der Exekutive auch unter Bedingungen europäischer Mehrebenenintegration aufrechterhalten werden soll.226 Eben weil jedoch auch die supranationale parlamentarisch-demokratische Legitimation der europäischen Rechtserzeugung nach wie vor Defizite aufweist, bleibt andererseits deren Ergänzung durch die nationale parlamentarisch-demokratische Legitimation erforderlich.227 cc) Die Rolle der Legislative in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union Der Prozess der supranationalen demokratischen Demokratisierung der europäischen Rechtserzeugung ist aus unionsrechtlicher Sicht eng mit dem Übergang von der Marktverfassung des EWG-Vertrags zur Binnenmarktverfassung der Europäischen Union verknüpft.228 Das Binnenmarktrecht steht im Zentrum des heutigen Systems der gewaltengegliederten Rechtserzeugung der Europäischen Union. Ziel des Binnenmarktrechts ist gem. Art. 26 Abs. 2 AEU die Errichtung eines Raums ohne Binnengrenzen, der durch einen freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Vorschriften des Vertrags gekennzeichnet ist. Die heutige Binnenmarktverfassung der Europäischen Union ist aus dem System der Grundfreiheiten und der Rechtsangleichungskompetenzen des Gemeinsamen Marktes hervorgegangen. Sie gründet sich auf die beiden Hauptsäulen der gerichtlichen Kontrolle der Grundfreiheiten durch den EuGH und die Rechtsangleichung durch den Binnenmarktgesetzgeber. Die wesentliche Differenz des Binnenmarktes zum System des Gemeinsamen Marktes liegt auf der Ebene der Rechtsangleichung durch den Binnenmarktgesetzgeber. Der Unterschied zwischen der Rechtsangleichung im Gemeinsamen Markt und der Rechtsangleichung im Binnenmarkt liegt zunächst in einer gewissen Erweiterung der materiellen Kompetenznormen (vgl. Art. 114 Abs. 3 AEU) und der Einführung der Schutzniveauklausel des Art. 114 Abs. 3 AEU, vor allem aber in der Erleichterung der Kompetenzausübung durch den Übergang zum Mehrheitsprinzip im 225 Kritisch mit Blick auf die Einbeziehung des Parlaments in das Komitologieverfahren: Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 (315 f.). 226 So im Ergebnis auch: Möllers, Die drei Gewalten, S. 182 f. 227 Vgl. BVerfG NJW 2009, S. 2267 ff. 228 Zum Übergang zum Binnenmarkt und zur Europäischen Union: Baur, JA 1992, S. 65 ff. und S. 97 ff.; Bieber/Dehouse/Weiler (Hrsg.), 1992: One Open Market?, 1988; Dauses, EuZW 1990, S. 8 ff.; Ehlermann, WuW 1992, S. 5 ff.; Grabitz, Über die Verfassung des Binnenmarktes, in: FS Steindorff, 1990, S. 1155 ff.; Grabitz/Bogdandy, JuS 1990, S. 170 ff.; Müller-Graff, EuR 1989, S. 107 ff.; ders., ZHR 159 (1995), S. 34 ff.

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Rat und zum Mitentscheidungsverfahren, der im Bereich des Binnenmarktrechts sehr frühzeitig einsetzte. Insofern geht der Übergang zum Binnenmarkt mit der parlamentarischen Demokratisierung der europäischen Rechtserzeugung spätestens seit dem Vertrag von Maastricht Hand in Hand.229 Das Alleinstellungsmerkmal der allgemeinen Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEU und die besonderen Binnenmarktkompetenzen (insbesondere Art. 53 Abs. 1 AEU) liegt in ihrem grundsätzlich nur funktional begrenzten Anwendungsbereich. Die Binnenmarktkompetenzen sind grundsätzlich sachgebietsübergreifend immer dann eröffnet, wenn Maßnahmen der Rechtsangleichung erforderlich sind, um Handelshemmnisse oder Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt zu beseitigen, die sich aus Unterschieden im System des einzelstaatlichen Rechts ergeben. Die Binnenmarktkompetenzen erfassen u. a. das Produkt- und Berufszulassungsrecht, das Patent- und Urheberrecht, das Versicherungs- und Finanzdienstleistungsaufsichtsrecht, die Koordinierung der Arbeitsverwaltungen und Sozialversicherungsträger, aber auch die Rechtsangleichung im Bereich des Sozialversicherungsrechts und des sozialen Leistungserbringungsrechts.230 Neben und mit der Befugnis zur Rechtsangleichung umfasst die Binnenmarktharmonisierung auch weit reichende sektorale Regulierungsbefugnisse, wobei sich der Binnenmarktgesetzgeber gem. Art. 114 Abs. 3 AEU an einem hohen Schutzniveau zu orientieren hat.231 Insgesamt steht das Binnenmarktrecht damit durchaus mit im Zentrum des Prozesses der Entblockierung und parlamentarischen Demokratisierung des europäischen Gesetzgebungsverfahrens. dd) Binnenmarktharmonisierung und Verwaltungsrechtsangleichung Der Übergang von der Marktverfassung des EWG-Vertrags zur heutigen Binnenmarktverfassung der Europäischen Union steht für eine Veränderung in den Strukturen der europäischen Gewaltengliederung, die gerade auch für den Prozess europäischer Verwaltungsintegration folgenreich sind. Erst seit dem Übergang zum Binnenmarkt verfügt die Union über das Instrumentarium, um die abstrakt-generellen, materiell-rechtlichen, verfahrensrechtlichen und organisationsrechtlichen Regelungen zu treffen, die erforderlich sind, um einen weitergehenden Prozess europäischer Verwaltungsintegration einzuleiten. Über die Angleichung des materiellen Rechts hinaus erfassen die Binnenmarktkompetenzen 229 Vgl. Calliess, DVBl. 2007, S. 336 (344 ff.); ders., Das Demokratieprinzip im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, in: FS Ress, 2005, S. 399 ff. 230 Hierzu näher unten 2. Kapitel, C. III. bis V. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde für gewerbliche Schutzrechte in Art. 118 AEU allerdings nunmehr ein besonderer Kompetenztitel geschaffen. 231 Vgl. zur grundsätzlichen Reichweite der Binnenmarktkompetenzen: Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 75 ff., sowie unten 2. Kapitel, insbesondere die Untersuchungen zu den Referenzgebieten des besonderen Verwaltungsrechts (dort unter E.).

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auch die Kompetenzen zur Angleichung des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrechts sowie zur Vollzugszentralisierung, soweit diese zur Verwirklichung der Binnenmarktziele unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätsprinzips erforderlich sind.232 Entsprechend setzte schon im Zuge der Umsetzung des Binnenmarktprogramms im Rahmen der Einheitlichen Europäischen Akte ein rasch fortschreitender Prozess europäischer Verwaltungrechtsangleichung ein, der sich in der Folgezeit immer weiter beschleunigt hat. Zugleich bildet die Binnenmarktharmonisierung bereits wegen der sachlichen Reichweite der Binnenmarktkompetenzen das eigentliche Gravitationszentrum europäischer Verwaltungsintegration233 Nicht zufällig finden sowohl das europäische Telekommunikationsrecht234 als auch das europäische Arzneimittelzulassungs-235 und Medizinproduktrecht236 sowie das europäische Chemikalienund Lebensmittelrecht 237, das europäische Finanzdienstleistungsrecht 238, das europäische Gesundheitsversorgungsrecht239 sowie schließlich auch die Sozialversicherungskoordinierung240 und die sozialrechtliche Koordinierung der einzelstaatlichen Arbeitsverwaltungen241 ihren primärrechtlichen Rahmen durchgängig im System der Grundfreiheiten des Binnenmarktes sowie im korrespondierenden System der Binnenmarktkompetenzen. Europäisches Verwaltungsrecht ist damit zwar durchaus nicht allein, aber doch in wesentlichen seiner wichtigsten Referenzgebiete „Binnenmarktverwaltungsrecht“. Seine allgemeine Ordnung und seine Strukturen werden essenziell durch das System der Grundfreiheiten des Binnenmarktes und die Reichweite der Binnenmarktkompetenzen bestimmt, auf deren Grundlage die sekundärrechtliche Verwaltungsrechtsangleichung erfolgt. 232

Hierzu näher unten 2. Kapitel, C. IV. Zur Reichweite der Binnenmarktkompetenzen Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 75 ff., S. 169 ff. 234 Vgl. Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation – ein neues Modell europäisierter Verwaltung, in: FS Selmer, 2004, S. 565 ff. 235 Gassner, Europäisierung des Arzneimittelrechts, in: Bottkem/Möllers/Schmidt (Hrsg.), Recht in Europa – Festgabe zum 30-jährigen Bestehen der Juristischen Fakultät Augsburg, Baden-Baden, 2003, S. 113 ff. 236 Knipschild, Europäisches Veterinär- und Lebensmittelrecht, in: E. SchmidtAßmann/B. Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verfassungsverbund, 2004, S. 87 ff. 237 Vgl. Richtlinie 93/42/EWG des Rats vom 14.6.1993 über Medizinprodukte, vgl. auch Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten, 2006, S. 44 f. 238 Siehe hier nur den Überblick über das Sekundärrecht bei: Sedlazeczek, in: Streinz, EUV/EGV Art. 56 Rn. 28 ff. 239 Siehe hierzu den Kommissionsentwurf zu einer Richtlinie über die Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, KOM (2008) 0414 end. 240 Hierzu Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten, 2006, S. 28 ff. 241 Art. 13 ff. RL 1612/68/EWG, Coester/Denkhaus, Die Verordnungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, in: Oetker/Preis, EAS, B 2100. 233

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2. Die Ausdifferenzierung der Exekutive Der Prozess europäischer Verwaltungsrechtsangleichung steht im weiteren Kontext der verbandsübergreifenden Reorganisation der europäischen Exekutiven. Dieser Prozess schlägt sich zunächst auf der Regierungsebene nieder. Die vormals informellen politischen Verhandlungsregimes europäischer Politik sind in den Sektorpolitiken der Verträge konstitutionalisiert und teilweise auch verrechtlicht worden.242 Die Union verfügt damit über ein praktisch wirksames Verfahren zur verbandsübergreifenden politischen Koordinierung der Rechtserzeugung auf der einzelstaatlichen Ebene, die materiell angleichende Effekte im einzelstaatlichen Recht gerade auch dort zeitigt, wo der Union eigene Rechtsetzungskompetenzen fehlen, wie z. B. bei der Angleichung der Hochschulabschlüsse.243 Die politische Koordinierung ermöglicht es den Regierungen der Mitgliedstaaten, durch europäisch abgestimmte Ausübung ihres Initiativrechts auf einzelstaatlicher Ebene eine inhaltliche Harmonisierung des nationalen Rechts herbeizuführen. Das Problem der Verfahren der politischen Koordinierung liegt jedenfalls aus unionsrechtlicher Sicht weniger in verdeckten Kompetenzüberschreitungen,244 da einerseits die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen gerade unberührt bleibt und andererseits die Kohärenz europäischer und nationaler Politiken gerade die vom Vertrag intendierte Zielsetzung der Koordinierung ist,245 sondern in Defiziten der parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle der Koordinierungsverfahren. Einerseits unterliegt die politische Koordinierung als Domäne der Exekutive in der Regel keiner oder doch nur einer begrenzten oder mittelbaren supranationalen Kontrolle in Form von Mitwirkungsbefugnissen des Parlaments.246 Andererseits zeigen die nationalen Parlamente, obwohl sie rechtlich nicht unmittelbar gebunden sind, eine gewisse Neigung, sich den tatsächlichen oder vermeintlichen Konsenszwängen europäischer intergouvernementaler Regierungsabsprachen zu beugen.247 Die Kontrolldefizite auf der parlamentarischen Ebene sind umso misslicher, als die politische Koordinierung eben wegen ihrer informellen Ausgestaltung auch nur einer begrenzten gericht242 Zur „zweiten“ und „dritten“ Säule der Europäischen Union: Scharpf, Regieren im europäischen Mehrebenensystem, Leviathan 30 (2002), S. 65 ff.; Joerges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, S. 183, 210 ff.; Sabel, Learning by Monitoring: The Institutions of Economic Development in: Smelser/Swedberg (Hrsg.), The Handbook of Economic Sociology, 1994, S. 137 ff.; Platzer, Die EU – Sozial- und Beschäftigungspolitik nach Amsterdam: Koordinierte und verhandelte Europäisierung? Integration, 1999, S. 176 ff. 243 Vgl. hierzu Bieber/Epiney/Haag, Europäische Union, 6. Aufl., 2005, § 29. 244 Voß, EuR 2003, S. 310 ff. 245 Zum Kohärenzziel: Pechstein, in: Streinz, EUV/EGV Art. 2 EU Rn. 6; ders., EuR 1995, S. 247 ff.; Klein, Institutionelle Kohärenz in der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft, in: Ruffert (Hrsg.), Recht und Organisation, 2003, S. 119 ff. 246 Vgl. Voß, EuR 2003, S. 310 ff. 247 Voß, EuR 2003, S. 310 (325 f.).

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lichen Kontrolle durch den EuGH unterliegt.248 In bestimmten Bereichen, wie dem der Haushaltskontrolle und dem Zentralbankwesen, sind aus den ursprünglich informellen Verfahren europäischer intergouvernementaler Politik aufsichtsähnliche Kontrollverfahren bzw. neue unabhängige exekutive Organe mit eigenständigen Kompetenzen in der Währungspolitik hervorgegangen.249 Unter Bedingungen funktionsfähiger europäischer Gesetzgebungsverfahren und praktisch wirksamer Formen der politischen Koordinierung hat sich auch die Rolle der Kommission verändert.250 Das Initiativrecht der Kommission hat als Steuerungsinstrument im Gesetzgebungsverfahren erheblich an Bedeutung gewonnen.251 Zugleich differenzierte sich die europäische Verwaltung im Zuge der fortschreitenden sekundärrechtlichen Harmonisierung durch die Errichtung von Exekutivagenturen und europäischen Verwaltungsverbundsstrukturen, z. B. im Produktzulassungs- oder Regulierungsverwaltungsrecht, kontinuierlich aus.252 Damit wachsen der Kommission auch jenseits ihrer primärrechtlichen Kompetenzen aus dem Wettbewerbs- und Beihilferecht und der Sozialfondverwaltung neue delegierte Rechtsetzungsbefugnisse im Bereich der Durchführung zu, wobei die Regierungen der Mitgliedstaaten und das Parlament ein gewisses Gleichgewicht über die Entsendung von Vertretern in die Komitologieausschüsse zu gewährleisten suchen.253 Mit dem Vertrag von Lissabon wird die Zuständigkeit für die Durchführung im Bereich des indirekten Vollzugs nunmehr explizit den Mitgliedstaaten zugewiesen (Art. 291 Abs. 1 AEUV), wobei allerdings gem. Art. 291 Abs. 2 AEU nach wie vor die Möglichkeit zur Delegation von Durchführungskompetenzen an die Kommission besteht, soweit diese erforderlich ist.254 Zudem wird der Kommission gem. Art. 290 AEU auch jenseits der Durchführung erstmals ein delegiertes Verordnungsrecht eingeräumt, das dem Verordnungsrecht der Regierung im einzelstaatlichen Verfassungsrecht nahe kommt. Zugleich strebt die Kommission zum Zweck ihrer Entlastung mit Vollzugsaufgaben die Delegation von eigenen Vollzugskompetenzen auf europäische Agenturen und Verwaltungsverbundsstrukturen an.255 Insgesamt ist damit im Bereich der Exekutive eine Tendenz zur stärkeren Trennung von Regierungs- und Verwal248 249

Kritisch: Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 227. Hierzu eingehend Jochimsen, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion,

1996. 250

Vgl. Terhechte, EuR 2008, S. 143 (164 f.). Vgl. Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 343 ff. 252 Vgl. die Beiträge zu einzelnen Referenzgebieten des besonderen Verwaltungsrechts, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005; sowie Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 227 ff. 253 Vgl. Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 208 ff.; Demmke/Haibach, DÖV 1997, S. 710 ff. 254 Vgl. Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009) S. 9 (11 ff.), (21 f.). 255 Hierzu am Beispiel der Verkehrsagenturen, Fehling, EuR Beiheft 2 (2005) S. 141 ff. 251

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tungsfunktionen der Kommission bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung verbandsübergreifender Strukturen europäischer Verwaltung feststellbar. 3. Kontroll- und Steuerungsfunktionen der Judikative a) Die verbandsübergreifende Organisation von Judikative und Verfassungsgerichtsverbund Auch die Judikative ist in der Europäischen Union verbandsübergreifend organisiert. Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens sind verbandsübergreifende Instanzenzüge zwischen EuGH und EuG und einzelstaatlichen Gerichten entstanden. Im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens entscheidet der EuGH über Streitigkeiten zwischen Organen der Union sowie zwischen der Union und den Mitgliedstaaten.256 Innerhalb der europäischen Judikative übernimmt der EuGH eine Schlüsselfunktion bei der gerichtlichen Kontrolle der Anwendung des europäischen Primär-, Sekundär- und Tertiärrechts, bei der Gewährleistung subjektiver Unionsbürgerrechte, aber auch bei der Kontrolle der europäischen Kompetenznormen sowie bei der Balancierung des „institutionellen Gleichgewichts“ zwischen den Organen der Europäischen Union.257 Zugleich sind der EuGH und die einzelstaatlichen Verfassungsgerichte in einen europäischen „Verfassungsgerichtsverbund“ 258 eingebunden, in dessen Rahmen die einzelstaatlichen Verfassungsgerichte dem vom EuGH formulierten Anspruch auf Vorrang und unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit des Unionsrechts nach Maßgabe des einzelstaatlichen Unionsverfassungsrechts einerseits Eingang in das staatliche Verfassungsrecht verschaffen, andererseits in der Regel zugleich gewisse natio256 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10 ff.). 257 Zur Kontroverse um die Bedeutung des „Institutionellen Gleichgewichts“ als Determinante der Gewaltenbalancierung in der Union: Hummer, Das „institutionelle Gleichgewicht“ als Strukturdeterminante der Europäischen Gemeinschaften, in: Miehsler/Mock/Simma/Tammelo (Hrsg.), Ius Humanitas – Festschrift zum 90. Geburtstag von Alfred Verdross, 1980, S. 459 ff.; zustimmend: Herdegen, Europarecht, 10. Aufl., 2008, § 8 Rn. 108. Kritisch: Bieber/Epiney/Haag, Europäische Union, 6. Aufl., 2005, § 6 Rn. 20. Differenzierend: Schließky, Souveränität und Legitimität, 2004, S. 407. Ob der Begriff als Verweis auf eine „Strukturdeterminante“ der Union akzeptiert wird, hängt maßgeblich davon ab, inwieweit die integrationsfunktionale Ausrichtung des Systems unionaler Rechtserzeugung mit in den Blick genommen wird. Hierzu bereits oben in diesem Kapitel, A. V. 2. und B. I. 2. c). 258 Mit dem Begriff des „Verfassungsgerichtsverbunds“ soll hier die aus rechtsvergleichender Sicht durchaus singuläre, teils mittelbare, teils unmittelbare prozedurale Kopplung zwischen EuGH und den nationalen Verfassungsgerichten und die für sie kennzeichnende Verbindung teils hierarchischer, teils kooperativer Elemente beschrieben werden. Zum Verhältnis von EuGH und nationaler Verfassungsgerichtsbarkeit vgl. Mayer, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 229 (234 ff.); Grabenwarter, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 283 (286 ff., 297 ff.).

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nale Verfassungsvorbehalte aufrechtzuerhalten suchen.259 Die damit einhergehende Möglichkeit von konkurrierenden Letztentscheidungsansprüchen des EuGH und einzelstaatlicher Verfassungsgerichte steht seit jeher im Zentrum des Interesses der Verfassungsrechtslehre und ist mit einem hierarchiefixierten Verfassungsverständnis kaum zu vereinbaren.260 Sie macht im Gesamtkontext der Gewaltengliederung der Union jedoch nur deutlich, dass sich offenbar auch im Bereich der Verfassungsjudikative gewisse neue Elemente der (vertikalen) Gewaltenbalancierung etabliert haben, was die Möglichkeit von kollidierenden Entscheidungen jedenfalls so lange nicht vollkommen ausschließt, wie die Letztentscheidungsfrage nicht abschließend geklärt ist. Nationale Verfassungsvorbehalte haben damit zumindest potenziell zur Folge, dass insbesondere auch der Rechtsfortbildung durch den EuGH im Interesse der Gewährleistung der (nationalen) Freiheitsrechte der Bürger bzw. der Wahrung einzelstaatlicher Kernkompetenzen gewisse verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sein könnten. Da „Grundnormkonflikte“ zwischen wechselseitig autonomen Verfassungsordnungen einer hierarchischen Auflösung an sich nicht zugänglich sind, erscheint es in diesen Fällen verfassungstheoretisch am konsequentesten, von der Unmöglichkeit einer verbindlichen Letztentscheidung in der Judikative auszugehen.261 Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass in diesen Fällen nur politische Verhandlungslösungen oder – soweit dies nach Unionsrecht oder nationalem Verfassungsrecht zulässig ist – Verfassungsänderungen de lege ferenda als Optionen blieben.262 Diese Konsequenz muss auch nicht notwendig als Problem des Zurückweichens des Rechts „vor der reinen politischen Macht“ gedeutet werden.263 Vielmehr 259 Exemplarisch tritt der Versuch einer Reihe von nationalen Verfassungsgerichten zur Absicherung nationaler Kompetenzen und deren Veränderung über die Zeit in der Rechtsprechung des BVerfG zutage (vgl. BVerfGE 37, 271; 73, 339; 89, 155; NJW 2009, 2267). Im Lissabon-Urteil lässt sich das BVerfG mittlerweile auch methodisch von der Rechtsprechung des EuGH inspirieren, indem es nun auch seinerseits die Grundrechte der Bürger zum Zweck der Absicherung der Kernkompetenzen der mitgliedstaatlichen Demokratien zu instrumentalisieren sucht. Kritisch hierzu Nettesheim, NJW 2009, S. 2867 (2869); Terhechte, EuZW 2009, S. 724 (726); vgl. aber auch den Hinweis von Hillgruber/Gärditz, JZ 2009, S. 872 ff. auf die vergleichbare Praxis des EuGH. 260 Instruktiv hierzu die Kontroversen zwischen Pernice und Huber um die „Spitze“ des Europäischen Verfassungsverbunds und die Letztentscheidungskompetenz des EuGH oder des BVerG (und anderer nationaler Verfassungsgerichte) auf der 60. Staatsrechtslehrertagung. Pernice, VVDStRL 60 (2001), S. 148 ff.; Huber, VVDStRL 60 (2001), S. 196 ff. 261 Heintze, AöR 119 (1994) S. 654 ff.; MacCormick, The Maastricht-Urteil, Sovereignity Now ELJ 1 (1995) S. 259 ff.; Grossmann, Grundnorm und Supranationalität, in: v. Danwitz et al. (Hrsg.), Auf dem Wege zu einer europäischen Staatlichkeit, 1993, S. 47 ff. 262 Mayer, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 229 (260 f.). 263 Vgl. Isensee, Vorrang des Europarechts und deutsche Verfassungsvorbehalte – offener Dissens, in: FS Stern, 1997, S. 1265.

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spricht angesichts der bisherigen Entwicklung europäischer rechtlicher Integration einiges dafür, dass offene Letztentscheidungskonflikte zwischen EuGH und nationalen Verfassungsgerichten allenfalls dann eintreten werden, wenn Grundsatzfragen europäischer bzw. nationaler demokratischer Verfassungspolitik berührt werden, deren Klärung indes grundsätzlich in die Zuständigkeit des Europäischen Rats, der Regierungen und der Parlamente der Mitgliedstaaten sowie des Europäisches Parlaments fällt.264 Ausgehend von dieser Prämisse, erscheint es auch nicht notwendig als problematisch, wenn grundlegende verfassungspolitische Streitfragen, jedenfalls im Sonderfall einer „Blockade der Verfassungsjustiz“, auf die primär zuständigen, demokratisch legitimierten Organe zurückverlagert und entweder im politischen Verhandlungswege und/oder durch Änderungen des einzelstaatlichen oder europäischen (Verfassungs-)Rechts in der einen oder anderen Weise aufgelöst werden. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit offen kollidierender Letztentscheidungen des EuGH und einzelner nationaler Verfassungsgerichte angesichts der Verfestigung des Vorrangprinzips und der gewachsenen Autorität des EuGH mittlerweile als ausgesprochen gering einzuschätzen.265 b) Justizielle Steuerung der europäischen Legislative durch die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten Zu den Eigenheiten der Unionsrechtsordnung zählt schließlich die enge Kopplung von subjektiven Rechten und Kompetenznormen.266 Der EuGH rejustiert das europäische Gewaltengefüge – ähnlich wie schon unter Geltung des EWG-Ver264 Zur Kopplung von Recht und Politik in der Institution der Verfassung vgl. auch: Möllers, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 1 (30 ff.). 265 Dies zeigt sich exemplarisch an den jüngeren Entscheidungen des BVerfG zum Vertrag von Lissabon (BVerfG NJW 2009, 2267) und zur Vorratsdatenspeicherung (Urteil vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08). Trotz der Betonung nationaler Souveränitätsansprüche in der Lissabon-Entscheidung konnte sich das BVerfG im konkreten Konfliktfall nicht zu einer inhaltlichen Kontrolle und ggf. Korrektur unionsrechtlicher Vorgaben durchringen. 266 In der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten fallen die drei Hauptfunktionen der Verfassungsjudikative als Hüterin des „demokratischen Verfahrens“, der „föderativen Kompetenzordnung“ und der „Grundrechte“ (hierzu: Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 138 ff.) in integrationsfunktional modifizierter Weise zusammen. Der EuGH „parlamentarisiert“, indem er den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten erweitert, zugleich immer die Verfahren europäischer Rechtserzeugung, da er hierdurch die Kompetenzen des „parlamentarischen“ Binnenmarktgesetzgebers erweitert (vgl. Maduro, We the Court, 1999, S. 78 ff.). Zugleich rejustiert der EuGH immer auch die föderative Kompetenzverteilung, da der neue Sachbereich aus der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten die geteilte Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und der Union verlagert, wobei die Ausübung der Binnenmarktkompetenzen über den Rat an die Mitgliedstaaten zurückgebunden bleibt (vgl. Weiler, The Constitution of Europe, 1999). Schließlich erweitert der EuGH auch den Rechtstatus der Bürger als Träger von Grundfreiheiten, wobei sich die Grundfreiheiten aufgrund ihrer integrationsfunktionalen Ausrichtung und ihrer letztlich dienenden Funktion im Integrationsprozess rechtlich von den Grundrechten unterscheiden. Hierzu: Möstl, EuR 2002, S. 318 ff., sowie unten 2. Kapitel, B. II.

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trags – auch unter Geltung des EG- bzw. des AEU-Vertrags nach wie vor weder allein noch in erster Linie unmittelbar durch Entscheidungen zum „institutionellen Gleichgewicht“ im engeren Sinne, also z. B. durch Entscheidungen über die Reichweite gewisser Verfahrensrechte des Parlaments gegenüber Rat oder Kommission,267 sondern vor allem auch mittelbar, insbesondere durch die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten. Dabei eröffnet das Erwachen der europäischen „Ersten Gewalt“ dem EuGH – anders als noch unter Geltung des EWG-Vertrags – allerdings neue und wesentlich erweiterte Steuerungsmöglichkeiten. Anders als unter Geltung des EWG-Vertrags, ist der EuGH bei seiner Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten nicht mehr allein auf die Durchsetzung von Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten gegen einzelstaatliches Recht beschränkt.268 Vielmehr folgt unter den Bedingungen einer funktionsfähigen europäischen Legislative im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten mit einer gewissen Zeitverzögerung auch eine sekundärrechtliche Harmonisierung durch den europäischen Binnenmarktgesetzgeber.269 Damit kann der EuGH mit seiner Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten zugleich auch den Prozess der legislativen Rechtsangleichung auf Grundlage der mit den Grundfreiheiten korrespondierenden Binnenmarktkompetenzen mittelbar beeinflussen.270 Wenn der EuGH die Grundfreiheiten z. B. tatbestandlich auf neue Sektoren wie den Rundfunksektor271, den Gesundheitssektor272 oder den Sozialversicherungssektor273 ausdehnt, erweitert er damit zugleich auch die Harmonisierungskompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers. 274 Andererseits kann der EuGH mit seiner Rechtsprechung zu den zwingenden Erfordernissen auf der Rechtfertigungsebene auch bereits gewisse Eck- und Orientierungspunkte für die Konkretisierung eines europäischen Allgemeinwohlbegriffs definieren, die in aller Regel vom Binnenmarktgesetzgeber bei der anschließenden Binnenmarktregulierung aufgegriffen werden.275 Ähnliche Steuerungsmöglichkeiten ergeben sich für den EuGH mittler267 EuGH, Rs. C-133/06 (Rat/Parlament) EuGRZ 2008, S. 278, Rn. 54; weitere Nachweise bei Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 176. 268 Hierzu oben in 1. Kapitel, B. I. 269 Vgl. Weiler, The Constitution of Europe, 1999, S. 188 ff., S. 298 ff. 270 Maduro, We the Court, 1999, S. 78 ff. 271 EuGH, Rs. 155/73 (Sacchi) Slg. 1974, 409, Rn. 15; EuGH, Rs. C-260/89 (ERT) Slg. 1991, I-2925, Rn. 18. 272 Grundlegend: EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 18; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 45. 273 Neuerdings: EuGH, Urteil vom 5.3.2009, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, S. 1325 ff. 274 Vgl. Weiler, The Constitution of Europe, 1999, S. 298 ff., sowie näher unten 2. Kapitel, C. IV. 2. 275 Der Gesetzgeber verfügt allerdings über ein weites Ermessen: Hierzu: Calliess, DVBl. 2007, S. 336, (344 ff.); ders., Das Demokratieprinzip im europäischen Staatenund Verfassungsverbund, in: FS Ress, 2005, S. 399 (404 ff.); näher unten 2. Kapitel, C. V. und VI.

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weile auch im Bereich des allgemeinen Diskriminierungsverbots des Art. 18 AEU und des allgemeinen Freizügigkeitsrechts des Art. 21 AEU, die ähnlich wie die Grundfreiheiten durch eine Verknüpfung von gerichtlich kontrollfähigen funktionalen Freiheits- und Gleichheitsrechten der Bürger einerseits und funktionalen Rechtsetzungskompetenzen der europäischen Legislative geprägt sind.276 c) Supranationale Verrechtlichung europäischer Politik und Ausdifferenzierung des Rechtsstatus der Unionsbürger Neben und mit der Erweiterung seiner gerichtlichen Steuerungsmöglichkeiten im Verhältnis zur Legislative sieht sich der EuGH angesichts der Veränderungen der konstitutionellen Rahmenbedingungen auch vor die Aufgabe einer Neujustierung des institutionellen Gleichgewichts zwischen den übrigen Unionsorganen gestellt. Einerseits haben die Regierungen der Mitgliedstaaten mit dem System der europäischen Sektorpolitiken den Versuch unternommen, wesentliche Teile der nationalen Politiken auf die europäische Ebene zu verlagern, andererseits aber einer effektiven Kontrolle durch den EuGH und einer Mitentscheidung durch das Parlament zu entziehen.277 Auf der anderen Seite hat die Kommission an Macht gewonnen, da sie mit ihrem ausschließlichen Initiativrecht gestaltend auf die Rechtsangleichung durch die europäische Legislative einwirken kann und zugleich im Wege der Delegation neue Zuständigkeiten im Bereich der Durchführung und des Vollzugs erlangt.278 Schließlich sind mit den europäischen Agenturen neue, nachgeordnete Verwaltungseinheiten entstanden, was die Frage nach der Reichweite ihrer Zuständigkeiten aufwirft.279 Als Leitmotiv der Rechtsprechung des EuGH erweist sich dabei die konsequente subjektive Verrechtlichung der intergouvernemental geprägten Sektorpolitiken sowie die Effektivierung und parlamentarische Demokratisierung der europäischen Rechtserzeugung durch richterliche Rechtsfortbildung.280 d) Ausbau der Grundfreiheiten zu einem System transnationaler Gleichheits-, Freiheits- und Leistungsrechte Das wichtigste Steuerungsinstrument des EuGH in der europäischen Gewaltengliederung liegt nach wie vor in der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten. 276 Vgl. Kingreen, EuR Beiheft 1 (2007), S. 43 ff.; Kanitz/Steinberg, EuR 2003, S. 1013, 1016 ff. 277 Zu diesem Problem: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 3 Rn. 62 f., S. 112 f.; Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 227. 278 Zum Initiativrecht der Kommission: Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 343 ff. Zur Tertiärrechtsetzung: Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 (296 ff.). 279 Vgl. Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 183 ff., 188 ff. 280 Vgl. Terhechte, EuR 2008, S. 143 (184 ff.).

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Anders als unter Geltung des EWG-Vertrags sind die Funktionen der Grundfreiheiten allerdings nicht mehr allein auf die Gewährleistung von Marktzugangsfreiheit und Marktteilnahmegleichheit begrenzt. Vielmehr konstituieren die Grundfreiheiten mittlerweile ein ausdifferenziertes System binnenmarktfunktionaler Gleichheits-, Freiheits- und Leistungsrechte mit entsprechend weit reichenden Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten des EuGH.281 Die Evolution der Grundfreiheiten ist auch unter Geltung des Binnenmarktrechts nach wie vor durch den kontinuierlichen Ausbau des Systems der Grundfreiheiten als transnationalen Marktzugangsfreiheiten geprägt. So hat der EuGH auch nach dem Übergang vom EWG-Vertrag zum EG- und EU-Vertrag den Ausbau der Grundfreiheiten von Diskriminierungs- zu Beschränkungsverboten vorangetrieben. Nachdem der EuGH noch unter Geltung des EWG-Vertrags neben der Warenverkehrsfreiheit auch die Dienstleistungsfreiheit zu einem Beschränkungsverbot ausgebaut hatte, setzte sich diese Entwicklung nach dem Übergang zum EG-Vertrag insbesondere auch im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit282 ebenso fort wie die Tendenz zur sektoralen Erweiterung des tatbestandlichen Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten, insbesondere im Gesundheits-283 und Sozialversicherungssektor.284 Daneben hat der EuGH jedoch auch neue Akzente gesetzt und neben der wirtschaftlichen gerade auch der sozialen bzw. leistungsrechtlichen Dimension der Grundfreiheiten klarere Konturen verliehen.285 Unionsbürger haben mittlerweile einen unmittelbar aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit sowie ergänzend aus den allgemeinen Unionsbürgerrechten auf Nichtdiskriminierung und Freizügigkeit abgeleiteten Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zu den sozialen Sicherungs-, Gesundheits- und Bildungssystemen in allen Mitgliedstaaten, in denen sie rechtmäßig ihren Aufenthalt nehmen.286 Weitergehend hat der EuGH das zunächst eher begrenzte System der europäischen sekundärrechtlichen Sozialrechtskoordinierung schrittweise zu einem sachlich umfassenden System transnationaler sozialer Sicherheit ausgebaut, das grundsätzlich alle nach nationalem Recht sozialleistungsberechtigten Unionsbürger und alle Zweige der Sozialversicherung erfasst.287 Das Sozialrecht der Union kennt zwar nach wie vor keine genuin europäischen sozialen Leistungsrechte, 281 Zu den heutigen Funktionen der Grundfreiheiten als Gleichheits-, Freiheits- und Leistungsrechte: D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2009, § 7, Rn. 22 ff., 28 ff., 32 ff. 282 EuGH, Rs. C-415/93 (Bosman) Slg. 1995, I-4921. 283 Grundlegend: EuGH Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 18; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 45. 284 EuGH, Urteil vom 5.3.2009, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, S. 1325 ff. Kanitz/Steinberg: EuR 2003, S. 1013 (1016 ff.). 285 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2009, § 7, Rn. 32 ff.; Kingreen, EuR Beiheft 1 (2007), S. 43 ff. 286 Kanitz/Steinberg, EuR 2003, S. 1013 (1016 ff.). 287 Kingreen, EuR 2007 Beiheft 1, S. 43 ff.

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sondern baut nach wie vor auf die stark divergierenden sozialen Leistungsrechte der Mitgliedstaaten auf. Gleichwohl haben alle Unionsbürger mittlerweile einen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zu allen Sozialleistungen anderer Mitgliedstaaten, in denen sie ihren rechtmäßigen Aufenthalt wählen, auf grenzüberschreitende Zusammenrechnung von Sozialversicherungszeiten, auf Sozialleistungsexport und auf Erstattung einer erforderlichen Krankenbehandlung in anderen Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Kostensätze des Behandlungsstaates.288 Schließlich hat der EuGH mit dem Ausbau der passiven Dimension der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung eine vollkommen neue Kategorie transnationaler sozialer Rechte auf grenzüberschreitende öffentliche Gesundheitsversorgung geschaffen.289 Insgesamt konstituieren die Grundfreiheiten damit beim heutigen Stand ein System binnenmarktfunktionaler Gleichheits-, Freiheits- und Leistungsrechte, mit entsprechend weit reichenden Steuerungsmöglichkeiten des EuGH. e) Die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Binnenmarktkompetenzen Durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten auch auf öffentlich finanzierte Sektoren hat der EuGH zugleich auch die Binnenmarktkompetenzen des Unionsgesetzgebers bis weit in jenen sektorpolitischen Bereich ausgedehnt, der traditionell durch die Dominanz europäischer intergouvernementaler Koordinierung bei gleichzeitig eher begrenzten sektorpolitischen Rechtsetzungskompetenzen geprägt ist.290 Weitergehend hat der EuGH auch die politischen Gestaltungsspielräume des Binnenmarktgesetzgebers durch seine korrespondierende Rechtsprechung zur Reichweite der Binnenmarktkompetenzen aus Art. 114 AEU bzw. Art. 61, 53 Abs. 1 AEU kontinuierlich ausgebaut. So sind nach der Rechtsprechung des EuGH die Binnenmarktkompetenzen des Unionsgesetzgebers bereits dann eröffnet, wenn eine Maßnahme grundsätzlich geeignet ist, zur Förderung der Freiheit des Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs durch Angleichung von Unterschieden im einzelstaatlichen Recht beizutragen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, kann der Binnenmarktgesetzgeber zugleich auch jedes andere nichtwirtschaftliche Allgemeinwohlziel z. B. umwelt-, 288

Kanitz/Steinberg, EuR 2003, S. 1013 (1016 ff.). Nach Maßgabe der Entscheidungen in den Rs. Kohll, Decker und Smits u. Peerbooms haben alle nach nationalem Recht sozialleistungsberechtigten Unionsbürger einen primärrechtlich abgesicherten Anspruch auf grenzüberschreitende Inanspruchnahme von öffentlich finanzierten Gesundheitsversorgungsdienstleistungen nach Maßgabe der Leistungskataloge und der Erstattungssätze des zuständigen Versicherungsstaates. Vgl. EuGH Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 18; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 45. Hierzu im Einzelnen unten im 4. Kapitel, C. III. 2. 290 EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 90; ähnlich EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet) Slg. 2003, I-4509, Rn. 90, 92. 289

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gesundheits- oder sozialpolitischer Art mitverfolgen, wenn und soweit zugleich auch die funktionalen Binnenmarktziele mitgefördert werden.291 Damit sind die Binnenmarktkompetenzen im Verhältnis zu den regelmäßig enger gefassten sektorpolitischen Kompetenzen der Union entweder funktional konkurrierende oder funktional speziellere Normen. In der Regel kann der Unionsgesetzgeber Maßnahmen der Rechtsangleichung daher sowohl auf die Binnenmarkt- als auch auf die Sektorkompetenzen stützen, wenn die Maßnahmen einerseits sachlich von den Sektorkompetenzen gedeckt sind, andererseits aber zugleich auch geeignet sind, funktionale Binnenmarktziele zu fördern. In diesen Fällen ist für die Wahl der Kompetenzgrundlage letztlich maßgeblich, ob der Gesetzgeber die Maßnahme vorrangig sektorpolitisch oder vorrangig binnenmarktfunktional begründet. Für eine ausschließliche Anwendung der regelmäßig enger gefassten Sektorkompetenzen bleibt damit nur dann ein begrenzter Raum, wenn sektorpolitische Ziele nichtwirtschaftlicher Art eindeutig im Vordergrund stehen und eventuelle positive Auswirkungen der sektorpolitischen Angleichung für den Binnenmarkt nach Ziel und Wirkung der Maßnahme als bloße Nebeneffekte einzustufen sind.292 Dementsprechend handelt es sich bei den Binnenmarktkompetenzen heute um ein sachlich sehr weit gefasstes Instrument zur Umstellung einzelstaatlicher Regulierung auf allgemeinwohlverträgliche Binnenmarktregulierung im Wege der Rechtsangleichung. Diese extensive Auslegung der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen wird im Schrifttum allerdings vor allem unter Kompetenzgesichtspunkten kritisiert.293 Diese Kritik trifft insoweit das Richtige, als dass der sachliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten nur schwer zu begrenzen ist, da praktisch die gesamte einzelstaatliche Rechtsordnung unmittelbar oder mittelbar auch Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs nach sich zieht. Trotz der damit grundsätzlich berechtigten Kritik muss in Rechnung gestellt werden, dass der weite sachliche Anwendungsbereich der Binnenmarktkompetenzen grundsätzlich in der funktionalen Struktur dieser Kompetenznormen begründet ist.294 Ebenso sollte nicht übersehen werden, dass der EuGH mit dem Ausbau des Binnenmarktrechts zugleich einen Prozess der demokratischen Parlamentarisierung der supranationalen Rechtserzeugung vorantreibt, der in den Vertragsreformen der letzten beiden Dekaden auch primärrechtlich vorgezeichnet ist.295

291 Vgl. EuGH, Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Rat und Parlament – „Tabakrichtlinie“) Slg. 2000, I-8419. Hierzu Möstl, EuR 2002, S. 318, 330 ff.; sowie unten 2. Kapitel, C. IV. 292 Vgl. Generalanwalt Fennelly, Schlussanträge in der Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Rat und Parlament) Slg. 2000, I-8423, Rn. 66. 293 Wägenbaur, EuZW 2000, S. 549 ff. 294 Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 169 ff.; Möstl, EuR 2002, S. 318 (330 ff.). 295 Boest, EuR 1992, S. 182 ff.

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IV. Die Verwaltung des Unionsraums zwischen Binnenmarktgesetzgebung und wettbewerbsund beihilferechtlichen Kommissionskompetenzen 1. Das Verhältnis der Kompetenzen von EuGH, Binnenmarktgesetzgeber und Kommission aus verwaltungsrechtlicher Sicht Die Stärkung der Rolle des Binnenmarktgesetzgebers wirft nicht zuletzt die Frage nach deren Rückwirkungen auf das Verhältnis zu den primärrechtlich abgesicherten Kernkompetenzen der Kommission aus dem Wettbewerbs- und Beihilferecht auf. Unter Geltung der Marktverfassung des EWG-Vertrags hatte der EuGH die Kompetenzen der Kommission gerade auch zulasten des damals noch weitgehend blockierten Rats weit ausgelegt.296 Unter den Bedingungen der parlamentarischen Demokratisierung europäischer Rechtserzeugung bei gleichzeitig fortschreitender sekundärrechtlicher Verwaltungsrechtsangleichung und tertiärer Durchführungsrechtsetzung stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Kompetenzen des Unionsgesetzgebers zu den autonomen wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrollkompetenzen der Kommission jedoch in veränderter und komplexerer Form.297 Insbesondere ist zu klären, inwieweit die Kommission unter Rückgriff auf ihre eigenständigen wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrollkompetenzen auch unabhängig vom Unionsgesetzgeber gestaltend und steuernd auf die Verwaltung des Unionsraums Einfluss nehmen kann und soll. a) Zum Bedeutungsgewinn der Grundsätze des „institutionellen Gleichgewichts“ unter den Bedingungen der Ausdifferenzierung des europäischen Verwaltungsrechts Der vom EuGH vor allem durch die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen konsequent vorangetriebene Prozess der demokratischen Parlamentarisierung europäischer Politik und Rechtserzeugung erfordert zunächst mit einer gewissen Zwangsläufigkeit eine gewisse Rejustierung des „institutionellen Gleichgewichts“ zwischen Parlament, Rat und Kommission. Einerseits dürften für das vom EuGH unter Bedingungen der Ratsblockade erwogene Notverordnungsrecht der Kommission schon mit dem Übergang zum Mitentscheidungsverfahren nach Art. 294 AEU (ex-Art. 251 EG) die Voraussetzungen gerade im Lichte des Integrationsprinzips entfallen sein.298 Andererseits 296

Siehe oben in diesem Kapitel, B. I. Zu den Veränderungen instruktiv: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 34 Rn. 26 ff., Rn. 31 ff. 298 EuGH Rs. 84/81 (Staple Dairy Products/Intervention Board of Agricultural Procedure) Slg. 1982, 1763, Rn. 12; für eine restriktive Auslegung im Lichte von Art. 251 EG: Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV Art. 211 Rn. 42. Zur Diskussion um das Not297

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haben das vom EuGH formulierte „Wesentlichkeitsprinzip“ 299 und die MeroniDoktrin300 unter den Bedingungen der sekundärrechtlichen und tertiärrechtlichen Ausdifferenzierung des europäischen Verwaltungsrechts immer größere praktische Bedeutung für die Delegation von Durchführungskompetenzen auf die Kommission301 und den Aufgabenzuschnitt europäischer Exekutivagenturen gewonnen.302 Dabei hat sich namentlich das „Wesentlichkeitsprinzip“ mittlerweile zu einem Strukturprinzip weiterentwickelt, das insbesondere auch beim im Ergebnis erfolgreichen Versuch des Parlaments eine zentrale Rolle spielt, auf dem Umweg über „institutionelle Vereinbarungen“ gestaltenden Einfluss auf die Ausübung von Durchführungskompetenzen an die Kommission zu gewinnen.303 Die gerade aus verwaltungsrechtlicher Sicht wohl folgenreichsten institutionellen Verschiebungen dürften sich allerdings aus der Neujustierung des Verhältnisses von Binnenmarktgesetzgeber und Kommission ergeben, die der EuGH im Rahmen seiner Rechtsprechung des EuGH zum funktionellen Unternehmensbegriff und (damit) zu den wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kompetenzen der Kommission vorgenommen hat. b) Zum Verhältnis der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kompetenzen der Kommission zu den Kompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers Auch unter Geltung des AEU verfügt die Kommission im Rahmen des Wettbewerbs- und Beihilferechts mit Art. 106 Abs. 3 und 108 AEU über ihre angestammten eigenständigen Kontroll- und Rechtsetzungsbefugnisse. Art. 106 Abs. 3 AEU eröffnet der Kommission i.V. m. Art. 106 Abs. 1 AEU nach wie vor die Möglichkeit, Einzelentscheidungen und Richtlinien an die Mitgliedstaaten zu richten, soweit deren Maßnahmen in Bezug auf staatsnahe Unternehmen gegen das Wettbewerbsrecht oder die Grundfreiheiten verstoßen. Diese Kompetenzen der Kommission sind nach wie vor normativ funktional aus dem Ziel der Geverordnungsrecht der Kommission eingehend: Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 201 ff. 299 EuGH Rs. 25/70 (Köster) Slg. 1970, 1161, Rn. 6. 300 EuGH, verb. Rs. 9/56 und 10/56 (Meroni) Slg. 1958, 1, 9 ff.; 53 ff., damals auf die EGKS bezogen. 301 Vgl. zur neueren Rechtsprechung: EuGH, Rs. C-240/90 (Deutschland/Kommission) Slg. 1992, I-5383, Rn. 37. Hierzu Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 (296 ff.); sowie unten 2. Kapitel, D. V. 302 Hierzu für die Verkehrsagenturen, Fehling, EuR Beiheft 2 (2005) S. 41 (45 ff.). 303 Zur Bedeutung „institutioneller Vereinbarungen“ im europäischen Rechtsetzungsverfahren: Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 302 ff. Vgl. auch Kugelmann, in: Streinz, EGV/EUV Art. 211 Rn. 104. Im Vertrag von Lissabon wird die Delegation von Durchführungskompetenzen in die Zuständigkeit von Parlament und Rat verlagert. Vgl. Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009) S. 9 (11 ff.). Hierzu näher unten 2. Kapitel D. V. 1.

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währleistung der praktischen Wirksamkeit des Wettbewerbsschutzes im Binnenmarkt legitimiert und eben deswegen der politischen Kontrolle durch den Binnenmarktgesetzgeber bewusst entzogen.304 Die Kommission ist daher bei der Ausübung dieser Kompetenzen – anders als im Bereich des sekundären und tertiären Binnenmarktrechts – nicht auf die Delegation von Zuständigkeiten durch Rat und Parlament angewiesen.305 Hieraus ergeben sich indes insbesondere bei staatlichen Monopolen nach wie vor Konkurrenzprobleme sowohl zur gerichtlichen Kontrollkompetenz des EuGH als auch zu den Binnenmarktkompetenzen, die ebenfalls auf die Verwirklichung der Grundfreiheiten (vgl. Art. 26 Abs. 2, 114 Abs. 1 AEU) zielen.306 Weitergehend verfügt die Kommission auch im Rahmen von Art. 108 AEU über eigenständige beihilferechtliche Kontrollkompetenzen, die ihr, soweit die Voraussetzungen des funktionellen Unternehmensbegriffs vorliegen, ebenfalls sehr weit reichende autonome Gestaltungszuständigkeiten eröffnen.307 Ein typisches Beispiel ist die Beihilfekontrolle der Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die der Kommission die Rolle eines zentralen und unabhängigen Akteurs in der europäischen Medienpolitik verschafft hat.308 Mit der Entscheidung über den Anwendungsbereich des Wettbewerbs- und Beihilferechts entscheidet der EuGH daher immer auch über das Verhältnis der Kompetenzen des Unionsgesetzgebers zu den autonomen wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kommissionskompetenzen der Kommission. Die Reichweite der Kommissionskompetenzen aus dem Wettbewerbs- und Beihilferecht ergibt sich in erster Linie aus dem funktionellen Unternehmensbegriff, der zugleich den sachlichen Zuständigkeitsbereich der Kommission im Rahmen der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrolle definiert.309 Weitere Stellschrauben sind die Kompetenznormen der Art. 106 Abs. 3 und 108 AEU sowie Art. 106 Abs. 2 AEU, den die Kommission bei der Ermessensausübung zu beachten hat.

304 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV Art. 86 Rn. 67 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 35 Rn. 1 ff., S. 892 ff. 305 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV Art. 86 Rn. 88; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 35 Rn. 1 ff. 306 Zur Funktion des Beihilfeverfahrens Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 87 EG Rn. 1 ff. 307 Zu den besonderen Gestaltungsspielräumen der Kommission: Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 87 EG Rn. 1 ff.; 3; Mederer, in: GTE, vor Art. 92–94 EGV Rn. 4, enger: v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, vor Art. 87–89 EGV Rn. 2. 308 Koenig/Kühling, ZUM 2001, S. 537 ff. 309 Zum funktionellen Unternehmensbegriff grundlegend: EuGH Rs. C-41/90 (Höfner u. Elsner) Slg. 1991, I-1979, Rn. 21 f.; vgl. Eilmannsberger, in: Streinz, EUV/EGV vor Art. 81 Rn. 21 ff.

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c) Die Folgen der Unterscheidung von hoheitlicher und unternehmerischer Tätigkeit für die mitgliedstaatlichen Verwaltungsträger In der wettbewerbsrechtlichen Diskussion wird die Frage nach dem Verhältnis von Unionsgesetzgebung und autonomer wettbewerbs- und beihilferechtlicher Kontrolle in erster Linie als materiell-rechtliches Problem der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Wettbewerbsschutzes im Binnenmarkt diskutiert, was im Zweifel eine extensive Auslegung der eigenständigen Kontrollkompetenzen der Kommission als unabhängiger Wettbewerbshüterin gerade auch im Verhältnis zum Binnenmarktgesetzgeber nahe legt.310 Nur wenig diskutiert werden allerdings die spezifisch verwaltungsrechtlichen Implikationen, die mit der Entscheidung über die Reichweite der Kommissionskompetenzen aus den Art. 101, 106 ff. AEU einhergehen. Die erheblichen verwaltungsrechtlichen Folgewirkungen der Anwendung des Wettbewerbs- und Beihilferechts auf einzelne öffentliche Sektoren treten exemplarisch bei der Frage der Anwendung des funktionellen Unternehmensbegriffs des EU-Wettbewerbs- und Beihilferechts auf hoheitliche bzw. wirtschaftliche Verwaltungstätigkeiten der Mitgliedstaaten zutage. Soweit eine Verwaltungstätigkeit als rein hoheitliche Tätigkeit anzusehen ist, wie z. B. regelhaft die Tätigkeit von staatlichen Polizei- und Justizbehörden, aber auch von staatlichen Produktzulassungs- oder Dienstleistungsaufsichtsbehörden, fallen diese Tätigkeiten aus primärrechtlicher Sicht ausschließlich in den Anwendungsbereich der Zuständigkeiten des Unionsgesetzgebers sowie ggf. in den Anwendungsbereich der politischen Koordinierung im Rat. Die wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kompetenzen der Kommission aus Art. 106 Abs. 3, 108 AEU sind dagegen in Ermangelung einer Unternehmenstätigkeit nicht anwendbar.311 Entsprechend ist die Kommission in diesen Fällen auch kompetenzrechtlich auf ihr Initiativrecht beschränkt. Ihre Vollzugszuständigkeiten richten sich nach den sekundärrechtlichen Basisrechtsakten und sind damit von einem Delegationsakt des Unionsgesetzgebers abhängig, der die Reichweite der Durchführungs- oder Vollzugskompetenzen festlegt. Zudem unterliegt die Kommission bei der Durchführung den Beschränkungen des Komitologieverfahrens. Ist eine Verwaltungstätigkeit dagegen als unternehmerische Tätigkeit i. S. d. Wettbewerbsrechts anzusehen, so fällt diese Tätigkeit zusätzlich auch in den Anwendungsbereich der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrollkompetenzen der Kommission aus Art. 106 und 107 ff. AEU, deren Ausübung einer Kontrolle durch den nationalen und unionalen Gesetzgeber bewusst entzogen ist. Typische Beispiele sind die Tä-

310 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV Art. 86 Rn. 88; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 35 Rn. 1 ff., S. 892 ff. 311 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33, Rn. 28 ff.; Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86, Rn. 8; EuGH, Rs. C-364/93 (SAT-Fluggesellschaft) Slg. 1994, I-43, Rn. 27 ff.; EuGH, Rs. C-343/95 (Diego Cali) Slg. 1997, I-1547, Rn. 2.

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tigkeiten öffentlicher Monopolunternehmen im Post- und Telekommunikationssektor312, in der Energie- und Verkehrswirtschaft313, im öffentlich-rechtlichen Rundfunksektor314 und in der kommunalen Daseinsvorsorge315. In den genannten Sektoren verfügt die Kommission jedenfalls potenziell über die Möglichkeit, sowohl die Organisationsstrukturen als auch die Finanzierung der erfassten mitgliedstaatlichen Verwaltungsträger i. S. d. Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Wettbewerbsschutzes (mittelbar) gestaltend und steuernd im Wege der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrolle zu beeinflussen. Sie tritt damit je nach Feinjustierung ihrer Kompetenzen als eigenständiger Akteur europäischer Verwaltungsintegration neben oder ggf. auch vor den Unionsgesetzgeber. Dies wirft die Frage nach der spezifischen Legitimation dieser Kompetenzen und deren möglichen Grenzen auf. 2. Der funktionale Unternehmensbegriff als Ausgangspunkt der Definition des sachlichen Zuständigkeitsbereichs der Kommission a) Die funktionale Legitimation der Kommissionskompetenzen aus den Art. 101 ff. AEU und deren Grenzen Die gerade auch vom Binnenmarktgesetzgeber unabhängigen Kompetenzen der Kommission aus Art. 106 Abs. 3 und 108 AEU finden ihre Grundlagen und Grenzen auch unter Geltung des AEU im Ziel der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Wettbewerbsschutzes im europäischen Binnenmarkt. Der besondere Rang des Ziels des Wettbewerbsschutzes erfordert einerseits, dass gerade auch staatsnahe Unternehmenstätigkeiten, von denen besondere Gefahren für den Wettbewerb im Binnenmarkt ausgehen, umfassend in den Anwendungsbereich der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrollkompetenzen der Kommission einbezogen werden.316 Hierzu dient vorrangig der funktionale Unternehmensbegriff des Wettbewerbsrechts.317 Nach dem funktionellen Unternehmensbegriff erfasst das Wettbewerbsrecht jede der Art nach wirtschaftliche Tätigkeit, 312 EuGH Rs. C-202/88 (Frankreich/Kommission – „Telekommunikations-Endgeräte“) Slg. 1991 I-1223, Rn. 12; auch schon: EuGH Rs. 188–190/80 (Frankreich u. a./ Kommission – „Transparenzrichtlinie“) Slg. 1982, 2545, Rn. 6. 313 EuGH Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich) Slg. 1997, I-5815, Rn. 55; EuGH, Rs. C-393/92 (Amelo) Slg. 1994, I-1477, Rn. 48 f. EuGH, Rs. C-320/91 (Carbeau) Slg. 1993, I-2533, Rn. 15 ff. 314 EuGH, Rs. 155/73 (Sacchi) Slg. 1974, 409, Rn. 15; EuGH, Rs. C-260/89 (ERT) Slg. 1991, I-2925, Rn. 18. 315 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33, Rn. 18 ff. 316 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV Art. 86, Rn. 67 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 35 Rn. 1 ff., S. 892 ff. 317 Eilmannsberger, in: Streinz, EUV/EGV vor Art. 81 Rn. 21 ff.

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unabhängig von ihrer Rechtsform oder der Art ihrer Finanzierung. Im Zweifel soll es darauf ankommen, ob eine Tätigkeit auch von privaten Unternehmen ausgeübt werden kann.318 Die sehr weite Fassung des funktionellen Unternehmensbegriffs rechtfertigt sich grundsätzlich aus dem Ziel der praktischen Wirksamkeit des EU-Wettbewerbsrechts. Sie stellt sicher, dass tatsächlich alle wirtschaftlichen Tätigkeiten der öffentlichen Hand in den Anwendungsbereich der wettbewerbsund beihilferechtlichen Kontrollverfahren fallen.319 Andererseits bereitet es aus gleichen Gründen Schwierigkeiten, den Anwendungsbereich des Unternehmensbegriffs rechtssicher zu begrenzen. Denn grundsätzlich ist keine hoheitliche Tätigkeit der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten denkbar, die nicht – ggf. in Verbindung mit einer Beleihung – zumindest hypothetisch auch auf private Unternehmen delegiert werden könnte.320 Die schwer zu begrenzende Weite des funktionellen Unternehmensbegriffs spiegelt allerdings zunächst nur die konsequente Ausrichtung der Kommissionskompetenzen auf das funktionale Ziel des Wettbewerbschutzes im Binnenmarkt wieder. Denn ebenso, wie grundsätzlich jede hoheitliche Tätigkeit zumindest potenziell auf private Unternehmen delegiert werden könnte, beeinflusst umgekehrt praktisch jede hoheitliche Verwaltungstätigkeit aktuell oder potenziell immer auch den Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt. Gleichwohl sind die in erster Linie funktional und gerade nicht parlamentarisch-demokratisch legitimierten Verfahren der wettbewerbsund beihilferechtlichen Kontrolle weder dazu bestimmt noch dazu geeignet, der Kommission jenseits ihrer unbestrittenen Verwaltungszuständigkeiten im Wettbewerbs- und Beihilfeverfahren die Möglichkeit zu verschaffen, eine von einer Ermächtigung durch den Unionsgesetzgeber unabhängige De-facto-Aufsicht auch über die übrige hoheitliche Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten auszuüben.321 Mithin müssen die Kompetenzen der Kommission gerade unter Gewaltengliederungsgesichtspunkten auch wieder begrenzt werden.

318

Grundlegend: EuGH, Rs. C-41/90 (Höfner u. Elsner) Slg. 1991, I-1979, Rn. 21 f. Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86, Rn. 6 ff. 320 Vgl. Frenz, Handbuch des Europarechts, Bd. 3, 2007, Rn. 2606, zur vergaberechtlichen Parallelproblematik der „nichtgewerblichen“ Tätigkeit: „Eine Gewerblichkeit kann auch nicht mit dem Argument angenommen werden, dieselbe Tätigkeit könne ebenso gut durch private Anbieter erbracht werden. Denn diese Argumentation wäre nahezu immer möglich, da kaum Aufgaben denkbar sind, die nicht auch von Privaten erfüllt werden können. Dem Vergaberecht verbliebe demzufolge keinerlei Anwendungsbereich.“ Vgl. zur vergaberechtlichen Problematik auch EuGH, Rs. C-360/96 (BFI Holding) Slg. 1998, I-6821, Rn. 38 ff., 44; Ziekow, NZBau 2004, S. 181, 182 f. 321 Zum funktionalen Charakter der Kommissionskompetenzen aus den Art. 101 ff. AEU: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 3, Rn. 19, § 35 Rn. 8. Für eine demokratische Parlamentarisierung der Kompetenzen aus Art. 106 Abs. 3 AEU: Eckert, Die Befugnisse der EU-Kommission gem. Art. 90 III und ihre Grenzen, 1992, S. 98 f. 319

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b) Zur Abgrenzung von unternehmensbezogenen Kommissionskompetenzen und rahmenregulativen Binnenmarktkompetenzen Im Grundsatz ist denn auch unstrittig, dass nicht alle Verwaltungstätigkeiten der Mitgliedstaaten in den Anwendungsbereich des EU-Wettbewerbs- und Beihilferechts fallen können.322 Allerdings bereitet die Abgrenzung nichtwirtschaftlicher und hoheitlicher Tätigkeiten zwangsläufig Schwierigkeiten, da der funktionale Unternehmensbegriff aufgrund seiner potenziellen Weite praktisch immer eine Anwendung des Wettbewerbsrechts rechtfertigen könnte.323 Zugleich sind die im Schrifttum vertretenen Ansätze zur Restriktion des Anwendungsbereichs des funktionellen Unternehmensbegriffs, wie etwa der Rückgriff auf unterschiedliche wirtschaftswissenschaftliche Theorien öffentlicher Güter324 oder Parallelen zu den Ausnahmetatbeständen der Grundfreiheiten325, letztlich nur begrenzt ergiebig, da die mit dem Unternehmensbegriff verbundene, spezifische wettbewerbsrechtliche Problematik letztlich nur aus dem spezifischen normativen Kontext des EU-Wettbewerbsrechts heraus bewältigt werden kann. Hierbei dürften die zuvor entfalteten Überlegungen zur Gewaltenbalance zwischen Kommission, Rat und Parlament und das damit einhergehende Erfordernis der Restriktion des Wettbewerbsrechts zur Vermeidung seiner Überdehnung hin zu einer allgemeinen wettbewerbsrechtlichen „Unionsaufsicht“ einen in sich konsistenten Orientierungsrahmen bieten, um die tragenden Ordnungsprinzipien der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH herauszuarbeiten. Im Grundsatz muss bei der Bestimmung der Grundlagen und Grenzen der Kommissionskompetenzen aus den Art. 101 ff. AEU nach wie vor beim funktionellen Unternehmensbegriff angesetzt werden. Dieser muss jedoch stärker auf die spezifische Funktion der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrollkompetenzen der Kommission gerade auch im Verhältnis zu den konkurrierenden Rechtsangleichungskompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers eingestellt werden. Dabei greift es jedenfalls beim heutigen Stand des Unionsrechts zu kurz, einen Vorrang der materiellen Bindung der Mitgliedstaaten an das Wettbewerbs- und Beihilferecht vor dem prozeduralen Prinzip des institutionellen Gleichgewichts zwischen den Unionsorganen zu postulieren326 oder umgekehrt das „horizontale“ Gewaltenteilungsprinzip gegen die „vertikale“ Bindung der Mitgliedstaaten an das Wettbewerbs- und Beihilferecht 322 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33, Rn. 28 ff.; Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86, Rn. 8; EuGH, Rs. C-364/93 (SAT-Fluggesellschaft) Slg. 1994, I-43, Rn. 27 ff.; EuGH, Rs. C-343/95 (Diego Cali) Slg. 1997, I-1547, Rn. 2. 323 Vgl. Frenz, EuGH, Rs. C-360/96 (BFI Holding) Slg. 1998, I-6821, Rn. 38 ff., 4. 324 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33, Rn. 28 ff. 325 Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86, Rn. 8. 326 So allerdings nach wie vor die h. M. im EU-Wettbewerbsrecht. Vgl. Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 35, Rn. 3.

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in Stellung zu bringen.327 Vielmehr ist es erforderlich, die vom Vertrag vorgesehene horizontale Aufgabenverteilung zwischen den Unionsorganen bei der Gewährleistung des materiellen Ziels des Wettbewerbschutzes im Binnenmarkt mit in den Blick zu nehmen. Zwar zählt der Schutz des Wettbewerbs im Binnenmarkt nach wie vor zu den wichtigsten materiellen Zielen des Unionsrechts. Allerdings ist es nicht allein Aufgabe der Kommission, sämtliche hoheitlichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu kontrollieren, die sich verzerrend auf den Wettbewerb im Binnenmarkt auswirken könnten. Vielmehr obliegt es vorrangig dem Binnenmarktgesetzgeber im Wege der Rechtsangleichung einheitliche gesetzliche Rahmenbedingungen für einen diskriminierungs- und beschränkungsfreien Wettbewerb im Binnenmarkt zu schaffen.328 Demgegenüber sind die strikt unternehmensbezogenen wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrollkompetenzen der Kommission grundsätzlich auf unternehmerische Wettbewerbsbeschränkungen sowie auf Maßnahmen der Mitgliedstaaten begrenzt, durch die einzelne Unternehmen oder Unternehmensgruppen in wettbewerbsverzerrender Weise begünstigt werden.329 Im Kern geht es damit darum, die abstrakt generelle Rechtsetzungskompetenz der europäischen Legislative von der einzelfall- bzw. fallgruppenbezogenen exekutiven Kompetenz der Kommission abzugrenzen. Die Grenzen zwischen Binnenmarktkompetenzen und Kommissionskompetenzen verläuft daher grundsätzlich entlang der Unterscheidung zwischen der hoheitlichen Rahmenregulierung des unternehmerischen Wettbewerbs im Binnenmarkt als Aufgabe des Binnenmarktgesetzgebers und der Kontrolle der unternehmerischen Teilnahme am Wettbewerb im Binnenmarkt als Aufgabe der Kommission. Diese – im Einzelfall schwierige Abgrenzung – gilt sowohl für den Bereich der Eingriffs- als auch für den Bereich der Leistungsverwaltung.

327 Vgl. hierzu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 35, Rn. 2. 328 Von einem begrenzten Vorrang der Rechtsangleichung gehen ebenfalls aus: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 34 Rn. 37 f. Zur Reichweite der Rechtsangleichungskompetenz aus 114 AEU wegen Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt siehe unten 2. Kapitel, C. IV. 3. 329 Zur Begrenzung der Kompetenzen der Kommission auf „unternehmensbezogene“ Maßnahmen im Anwendungsbereich des Art. 90 Abs. 3 EG-V (heute: 106 Abs. 3 AEU) grundlegend bereits EuGH, Rs. C-202/88 (Frankreich/Kommission – „Telekommunikations-Endgeräte“) Slg. 1991 I-1223. Nach dieser Entscheidung ist die Kommission zwar im Verhältnis zum Rat gerade nicht auf Einzelfallmaßnahmen beschränkt, sondern kann auf Grundlage von Art. 106 Abs. 3 AEU gerade auch Richtlinien erlassen. Jedoch müssen diese Richtlinien von vornherein auf Monopolunternehmen mit ausschließlichen Rechten i. S. d. Art. 106 Abs. 1 AEU bezogen sein. Bei Unternehmen mit besonderen Rechten i. S. v. Art. 106 Abs. 1 AEU ist die Kommission zudem grundsätzlich auf eine Einzelfallprüfung beschränkt. Zulässig ist hier lediglich der Erlass von Transparenzrichtlinien, durch die eine effektive Beihilfekontrolle gewährleistet werden soll (vgl. Rn. 32). Vgl. zum Ganzen auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 35, Rn. 2 ff., 20 ff.

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3. Begrenzung der Kommissionskompetenzen auf der Tatbestandsebene des Art. 106 Abs. 1 AEU Zur Justierung der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kommissionskompetenzen gerade auch im Verhältnis zum konkurrierend zuständigen Unionsgesetzgeber dient vorrangig der funktionale Unternehmensbegriff des EU-Wettbewerbsrechts, an den die Tatbestandsnorm des Art. 106 AEU in modifizierter Weise anknüpft.330 Entsprechend kommt der genauen Abgrenzung hoheitlicher und unternehmerischer Verwaltungstätigkeiten eine Schlüsselstellung bei der Bestimmung der Reichweite der Kommissionskompetenzen zu. a) Abgrenzung hoheitlicher und unternehmerischer Tätigkeiten in der Eingriffsverwaltung und der „kooperativen Regulierung“ Im Bereich der Eingriffsverwaltung besteht ein weitgehender Konsens dahin gehend, dass Tätigkeiten, die mit der Ausübung von Hoheitsrechten verbunden sind, in der Regel jedenfalls dann nicht in den Anwendungsbereich des Unternehmensbegriffs fallen, wenn sie in den klassischen Organisationsformen der unmittelbaren Staatsverwaltung verfasst sind. Hierbei geht es durchaus nicht um eng begrenzte Kernbereiche der staatlichen Verwaltung, wie etwa die typischerweise genannten Bereiche Polizei, Justiz und Strafvollzug,331 sondern ebenso um die gesamte übrige staatliche Eingriffsverwaltung, also z. B. die Tätigkeit von allgemeinen Ordnungsbehörden, des Fiskus, von Ausländerbehörden, Einwohnermeldeämtern, Umwelt- und Baubehörden, Gesundheitsbehörden, Lebensmittelbehörden, Gewerbeaufsichtsämtern, aber auch von Kartell- und Regulierungsbehörden. Die eigentlichen problematischen Grenzfälle entstehen, wenn hoheitliche Aufgaben z. B. im Wege der Beleihung oder der gesetzlichen Delegation auf einzelne Unternehmen332 oder auf Unternehmensverbände („kooperative Regulierung)333 übertragen werden. In derartigen Fällen folgt der EuGH einer konsequent funktionalen Betrachtung. Maßgeblich ist somit allein der hoheitliche Charakter der Tätigkeit, nicht aber die möglicherweise private Organisationsform der Einrichtung.334 Entsprechend ist schon im Bereich der Eingriffsverwaltung strikt zwischen der Marktteilnahme von Unternehmen und der Übertragung von hoheitlichen Befugnissen auf Unternehmen zu unterscheiden. Letztere fallen als hoheitliche Tätigkeiten grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des Wettbe330 Zum Begriff des Unternehmens i. S. v. Art. 106 Abs. 1 AEU: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 31, Rn. 18 ff. 331 Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86, Rn. 8 f. 332 Vgl. EuGH, Rs. C-364/93 (SAT/Eurocontrol) Slg. 1994, I-43, Rn. 30. 333 EuGH, Rs. C-153/93 (Delta) Slg. 1994, I-2517, Rn. 14; EuGH, Rs. C-140/94 (DIP) Slg. 1995, I-3257, Rn. 16; EuGH, Rs. C-35/99 (Arduino) Slg. 2002 I-1529, Rn. 35 f. 334 Vgl. EuGH, Rs. C-364/93 (SAT/Eurocontrol) Slg. 1994, I-43, Rn. 30.

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werbsrechts.335 Dies gilt allerdings nur dann, wenn der staatliche Gesetzgeber die Allgemeinwohlbindung der Einrichtung durch gesetzliche Vorgaben gewährleistet und zugleich eine staatliche Letztverantwortung, insbesondere in Form einer Fachaufsicht, sicherstellt.336 Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so nimmt der Staat durch die unkontrollierte Delegation von Eingriffsbefugnissen auf private Unternehmen dem jeweiligen hoheitlichen Handeln letztlich selbst seinen hoheitlichen Charakter. Hier greifen daher folgerichtigerweise das Kartell- und Monopolmissbrauchsverbot.337 Insgesamt ist es dem EuGH durch diese Rechtsprechungslinie gelungen, Kriterien zu entwickeln, die sich jedenfalls in der Tendenz mit den Legitimationsanforderungen des staatlichen Verfassungsrechts an die Übertragung öffentlicher Aufgaben an Private in öffentlich-privaten Kooperationsstrukturen decken.338 Einerseits steht das EU-Wettbewerbsrecht einer flexiblen Ausgestaltung der staatlichen Verwaltungsorganisation nicht entgegen. Dies gilt gerade auch für die kooperativen Handlungsformen, denen unter Legitimationsgesichtspunkten allerdings noch immer „das Odium der rechtsstaatlichen Unzulänglichkeit“ anhaftet.339 Während ein hierarchiefixierter Legitimationsbegriff kooperative Verwaltungsarrangements jedoch tendenziell „im Zwiespalt brauchbarer Illegalität“ 340 verharren lässt, fragt der dezentrale Ansatz des EUWettbewerbsrechts gleichsam spiegelbildlich nach den konkreten Effekten hoheitlicher Delegationsakte auf den unternehmerischen Wettbewerb im Binnenmarkt. Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab gewährleistet der EuGH durch die Formulierung von Mindestanforderungen an die staatliche Letztverantwortung neben dem Schutz des Wettbewerbs jedenfalls mittelbar auch letztlich ein 335 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 31, Rn. 64 ff.; Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86, Rn. 10 f. EuGH, Rs. C-153/ 93 (Delta) Slg. 1994, I-2517, Rn. 14; EuGH, Rs. C-140/94 (DIP) Slg. 1995, I-3257, Rn. 16; EuGH, Rs. C-35/99 (Arduino) Slg. 2002 I-1529, Rn. 35 f. Zur Abgrenzung von unternehmerischer Marktteilnahme und hoheitlich-kooperativer Regulierung siehe auch unten 3. Kapitel, B. III. und C. III. 2. (Anwendung des Vergaberechts); 4. Kapitel, D. II. (Anwendung des Wettbewerbsrechts im Gesundheitswesen), 5. Kapitel, C. III. (Grundsätze der Anwendung des Gesundheitsvergaberechts) und 7. Kapitel, A. bis C. (Einzelfälle der Anwendung des Gesundheitsvergaberechts). 336 EuGH, Rs. C-153/93 (Delta) Slg. 1994, I-2517, Rn. 14; EuGH, Rs. C-140/94 (DIP) Slg. 1995, I-3257, Rn. 16; EuGH, Rs. C-35/99 (Arduino) Slg. 2002 I-1529, Rn. 35 f. 337 EuGH, Rs. C-35/96 (CNDS), Slg. 1998 I-3851, Rn. 36 ff. Vgl. Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 31, Rn. 65. 338 Vgl. zu den Legitimationsanforderungen an die kooperative Regulierung: Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 100; Trute, DVBl. 1996, S. 950 ff.; Di Fabio, NZS 1998, 449 ff.; Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 2, 2006, S. 49 (57 ff.). 339 Thiel, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 2, 2006, S. 71 (96). 340 Eberle, Die Verwaltung 17 (1984) S. 439 (463). Das hierarchische Konzept sachlicher und personeller Legitimation geht ursprünglich auf Böckenförde zurück, siehe Böckenförde, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 14 ff.

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hinreichendes Legitimationsniveau und sanktioniert dieses mit dem Kartellverbot des EU-Wettbewerbsrechts.341 Schließlich grenzt der EuGH auf diesem Wege gleichsam „bottom up“ auch die Zuständigkeiten des Binnenmarktgesetzgebers und der Kommission funktional und legitimatorisch ab. Während die kooperative Regulierung unter staatlicher Letztverantwortung allein in die Harmonisierungszuständigkeit des (hierzu legitimierten) Unionsgesetzgebers fällt, greift bei der „freien“ Delegation von Hoheitsbefugnissen auf private Unternehmen die Zuständigkeit der Kommission aus dem Wettbewerbs- und Beihilferecht. b) Abgrenzung hoheitlicher und unternehmerischer Tätigkeiten in der Leistungsverwaltung Größere Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung zwischen hoheitlichen bzw. „rahmenregulativen“ und unternehmerischen Verwaltungstätigkeiten im Bereich der Leistungsverwaltung. Gleichwohl besteht auch hier im Grundsatz ein vergleichbares Abgrenzungsproblem. Einerseits ist heute weitgehend unstrittig, dass Tätigkeiten öffentlicher Unternehmen in der Daseinsvorsorge (Post, Telekommunikation, Energie, Verkehr) als unternehmerische Tätigkeiten regelmäßig in den Anwendungsbereich des EU-Wettbewerbsrechts fallen.342 Dies gilt auch dann, wenn die Tätigkeiten dieser Einrichtungen öffentlich finanziert werden, wie etwa bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oder öffentlichen Arbeitsvermittlungen.343 Diese Einrichtungen unterliegen folglich grundsätzlich den wettbewerbsund beihilferechtlichen Kontrollverfahren, wobei in den Fällen gemeinwirtschaftlicher Tätigkeiten ggf. die Ausnahmeregelung des Art. 106 Abs. 2 AEU zu berücksichtigen ist. Andererseits gibt es auch im Bereich der Leistungsverwaltung bestimmte Tätigkeiten notwendig hoheitlicher Natur. So kann z. B. eine steuerfinanzierte Sozialfürsorge oder Grundsicherung erkennbar nicht von privaten Unternehmen unter Marktbedingungen bereitgestellt werden, da nur der Staat aufgrund seiner hoheitlichen Verfügungsgewalt über öffentliche Mittel derartige Leistungssysteme auf Dauer stellen kann.344 Auch unter Gewaltengliederungsgesichtspunkten leuchtet ein, dass es sich bei der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen einer sozialen Mindestsicherung um einen Kernbereich der Kompetenzen der Legislative handelt, die grundsätzlich in die Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers (z. B. durch Mindeststandards nach Art. 153 AEU) und des einzelstaat341

Vgl. EuGH, Rs. C-35/96 (CNDS), Slg. 1998 I-3851, Rn. 36 ff. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33, Rn. 18 ff. 343 EuGH, Rs. 155/73 (Sacchi) Slg. 1974, 409, Rn. 15; EuGH, Rs. C-260/89 (ERT) Slg. 1991, I-2925, Rn. 18; EuGH, Rs. C-41/90 (Höfner u. Elsner) Slg. 1991, I-1979, Rn. 21 f. 344 Vgl. die Kriterien bei: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33, Rn. 32 ff. 342

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lichen Sozialgesetzgebers fallen muss. Dagegen sind die Verfahren der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrolle jedenfalls im Grundsatz kein Instrument, das der Kommission die Legitimation verleihen könnte, über den Zuschnitt und die Finanzierung der sozialen Mindestsicherung der Bürger in den Mitgliedstaaten z. B. im Wege der Beihilfekontrolle (mit) zu entscheiden.345 Ausgehend von den so skizzierten Eck- und Orientierungspunkten, blieben allerdings nach wie vor einige Problem- und Grenzfälle. So bestehen z. B. bei Kultur- und Forschungseinrichtungen oftmals fließende Übergänge zwischen nichtwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Tätigkeiten. In der Praxis bereiten diese Fälle allerdings eher geringe Probleme, da einerseits die Möglichkeit der Freistellung nach Art. 106 Abs. 2 AEU besteht und die Kommission andererseits hier aus kultur- und forschungspolitischen Gründen zu einer sehr zurückhaltenden Kontrollpraxis bzw. einer sehr weit reichenden Freistellungspraxis tendiert.346 Damit verbleiben mit den solidarisch finanzierten sozialen Sicherungssystemen und den öffentlich finanzierten Bildungssystemen zwei in besonderem Maße problematische Konstellationen. c) Insbesondere: Die Sozialversicherungs- und Bildungssysteme Seit jeher besonders umstritten ist die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf solidarische Sozialversicherungsträger, die von der h. M. im Wettbewerbsrecht befürwortet,347 vom EuGH jedoch in ständiger Rechtsprechung abgelehnt wird.348 Die Schwierigkeiten bei der Verordnung der Sozialversicherung im

345 Dem entspricht, dass der EuGH in ständiger Rechtsprechung die allgemeine Systematik des Steuer- und Sozialversicherungsrechts (Steuer- und Beitragssätze etc.) vom Beihilfetatbestand ausnimmt: Vgl. EuGH, Rs. C-53/00 (Ferring) Slg. 2001, 9067, Rn. 17; EuGH, Rs. C-351/98 (Kommission/Spanien) Slg. 2002 I-8031, Rn. 33 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 43, Rn. 53 ff. Zur Beihilfekontrolle des Sozial- und Steuerrechts siehe noch näher unten in diesem Kapitel C. IV. 6. b). 346 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 44, Rn. 41 ff., 46 ff. 347 Vgl. zur Problematik: Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86, Rn. 9 ff.; Steinmeyer, Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen. Kartellrechtliche Beschränkungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2000; Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten, 2006, S. 356 ff.; Haverkate, VSSR 1999, S. 177 ff.; Pitschas, VSSR 1999, S. 221 ff.; Engelmann, VSSR 1999, S. 167 ff.; Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 1 ff., 378 ff., 438 ff.; Ramsauer, NZS 2006, S. 505 ff. Siehe auch die Beiträge bei: Sodan (Hrsg.), Krankenkassenreform und Wettbewerb, 2005; Klusen/Meusch (Hrsg.), Wettbewerb und Solidarität im europäischen Gesundheitsmarkt, 2006. 348 EuGH, verb. Rs. C-159/91 u. C-160/91 (Poucet u. Pistre) Slg. 1993, I-637; Rs. C-244/94 (Fédération française) Slg. 1995, 4013; EuGH, Rs. C-67/96 (Albany) Slg. 1999, I-5751; EuGH, Rs. C-218/00 (Cisal/INAIL) Slg. 2002, I-691, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 5.3.2009, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, S. 1325 ff.

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Wettbewerbsrecht beruhen letztlich auf ihrer Mittellage zwischen einem (nichtwirtschaftlichen) steuerfinanzierten Sozialleistungssystem und einem (wirtschaftlichen) Versicherungsunternehmen.349 Bei solidarischen Sozialversicherungen lässt sich ausgehend vom funktionellen Unternehmensbegriff aber immerhin noch argumentieren, dass die Organisation von solidarischer Risikoumverteilung den Einsatz hoheitlichen Zwangs zwingend erfordere und damit eine notwendig hoheitliche Tätigkeit repräsentiere.350 Dagegen steht bei öffentlich finanzierten Bildungs- und Hochschuleinrichtungen im Prinzip außer Frage, dass die Dienstleistungen dieser Einrichtungen auch von privaten Unternehmen erbracht werden können und auch erbracht werden. Gleichwohl lehnt der EuGH den wirtschaftlichen Charakter überwiegend öffentlich finanzierter Bildungs- und Hochschuleinrichtungen in ständiger Rechtsprechung ab.351 Die Sozialversicherungs- und Bildungssysteme der Mitgliedstaaten dürften denn auch jene Fälle beschreiben, in denen die alleinige Orientierung an den materiellen Voraussetzungen des funktionellen Unternehmensbegriffs jedenfalls dann an ihre Grenzen stößt, wenn die mittlerweile gefestigte einschlägige Rechtsprechung nicht sogleich als dogmatisch unvertretbar verworfen werden soll.352 Um die eigentlich tragenden Grundsätze der Rechtsprechung des EuGH vollständig zu erfassen, dürften gerade hier Überlegungen zur Stellung der Bildungs- und Sozialsysteme in den Strukturen der europäischen Gewaltengliederung erforderlich sein. Die Ausgestaltung der Sozialversicherungs- und der öffentlichen Bildungssysteme, einschließlich der Entscheidung über deren Finanzierung, zählt nach den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zu den Kernkompetenzen der Legislative, die allein über die erforderliche Legitimation verfügt, diese Systeme zu errichten und in ihren wesentlichen Grundsätzen auszugestalten. Auf der Unionsebene treten die vom Vertrag vorgesehenen politischen Koordinierungszuständigkeiten des Rats hinzu. Eine zusätzliche Anwendung des Wettbewerbs- und Beihilferechts würde zwar wegen der Möglichkeit der Anwendung der Ausnahmevorschrift des Art. 106 Abs. 2 AEU für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nicht notwendig dazu führen, dass die Aufrechterhaltung dieser Dienste unmöglich gemacht würde.353 Dessen ungeachtet könnte die Kommission vor allem über die Verfahren der Beihilfekontrolle einen vom Binnenmarktgesetzgeber und 349

Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, S. 845 f. Vgl. EuGH, Urteil vom 5.3.2009, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, S. 1325 ff., Rn. 39 ff., 45 ff.; zum Solidaritätsprinzip eingehend: Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 165 ff. Hierzu im Einzelnen unten 4. Kapitel, D. I. 351 EuGH Rs. 263/86 (Humbel) Slg. 1988, 5365, Rn. 17 bis 19; EuGH Rs. C-109/92 (Wirth) Slg. 1993, I-6447, Rn. 17; vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/EGV Art. 43, Rn. 23. 352 So allerdings z. B. Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86, Rn. 9. 353 Hierzu eingehend: Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten, 2006, S. 356 ff. 350

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vom einzelstaatlichen Gesetzgeber unabhängigen autonomen Zugriff auf den Kernbereich der Bildungs- und Sozialhaushalte der Mitgliedstaaten und damit auch – mittelbar – auf die Ausgestaltung dieser Systeme nehmen.354 Damit würde das Gleichgewicht in der europäischen horizontalen und vertikalen Gewaltengliederung allerdings ganz erheblich hin zur Kommission verlagert. Diese Verlagerung würde umso schwerer wiegen, als dass unklar bleibt, wie die damit einhergehende Erweiterung der autonomen politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Kommission im Kernbereich des Bildungs- und Sozialwesen unter Legitimationsgesichtspunkten zu rechtfertigen sein sollte. Damit dürfte der eigentlich maßgebliche Gesichtspunkt für die eher restriktive Auslegung des EU-Wettbewerbsrechts im Bildungs- und Sozialversicherungssektor gerade auch im Gewaltengliederungsprinzip liegen. Der EuGH vermeidet eine Hypertrophie der Kommissionskompetenzen zulasten von Rat und Parlament, die sich angesichts des heutigen Grads der sachlichen Ausdifferenzierung des Unionsrechts und seines Vordringens bis in Kernbereiche parlamentarisch-demokratischer Rechtsetzungskompetenzen auch mit Blick auf den besonderen Rang des Wettbewerbsschutzes im Binnenmarkt nicht mehr ohne Weiteres rechtfertigen lässt.355 4. Begrenzungen auf der Rechtfertigungsebene des Art. 106 Abs. 2 AEU: „Vom Verhinderungs- zum Gefährdungsmaßstab“ Jene die jüngere Rechtsprechung des EuGH kennzeichnende Erweiterung der Kompetenzen der parlamentarisierten europäischen Legislative gegenüber der europäischen Exekutive schlägt sich auch in Akzentverschiebungen in der Rechtsprechung zu den Ermessensspielräumen sowie Darlegungs- und Beweislasten der Kommission innerhalb des tatbestandlichen Anwendungsbereichs des Wettbewerbs- und Beihilferechts nieder. Unter den Bedingungen der Ratsblockade unter Geltung des EWG-Vertrags hatte der EuGH noch dazu tendiert, die autonomen Kompetenzausübungsspielräume der Kommission aus den Art. 85 ff. bzw. 91 ff. EWGV (nunmehr Art. 101 ff. und 107 ff. AEU) zulasten des Rats sehr weit auszulegen, was sich exemplarisch an der bereits diskutierten Rechtsprechung des EuGH zu den wettbewerbsrechtlichen Liberalisierungskompetenzen der Kommission im Telekommunikationssektor zeigt.356 Die noch unter Geltung des EWG-Vertrags getroffene Grundsatzentscheidung hin zu einer weitgehenden wettbewerbsrechtlichen Liberalisierung hat der EuGH für den Telekommunika354 Vgl. zur insoweit parallel gelagerten Problematik der freilich deutlich „wirtschaftsnäheren“ und zugleich haushaltsrechtlich weit weniger bedeutsamen Rundfunkfinanzierung: Koenig/Kühling, ZUM 2001, S. 537 ff. 355 Zur Frage der Anwendung des Wettbewerbs- und Beihilferechts auf die gesetzlichen Krankenversicherungsträger im Einzelnen unten 4. Kapitel, D. I. und II. 356 EuGH, Rs. C-202/88 (Frankreich/Kommission – „Telekommunikations-Endgeräte“) Slg. 1991, I-1223, Rn. 12.

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tionssektor auch später nicht mehr grundsätzlich revidiert. In anderen Sektoren, wie namentlich der Energie- und Postwirtschaft, hat sich diese Entwicklung indessen nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht nicht mehr in gleicher Weise wiederholt. So scheiterte die Kommission bereits Mitte der 1990er-Jahre mit dem Versuch, auch in der Energiewirtschaft eine wettbewerbsrechtliche Liberalisierung nach dem Muster des Telekommunikationssektors im Alleingang durchzusetzen, an einer geänderten Rechtsprechung des EuGH.357 Die Ausgangslage im Bereich der Energiewirtschaft war mit jener im Telekommunikationssektor durchaus vergleichbar. Die Kommission hatte sich mit einer auf weit reichende Monopolöffnung gerichteten Initiative gegenüber der nunmehr bereits in Rat und Parlament repräsentierten Binnenmarktlegislative nicht durchsetzen können. Sie leitete daher gegen einige Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren ein, wobei von der Kommission nach dem Muster der Endgeräterichtlinie Verstöße gegen die Warenverkehrsfreiheit moniert wurden. Die Klage der Kommission scheiterte nunmehr allerdings an einer veränderten Rechtsprechungslinie des EuGH und EuG.358 Zwar stellten EuGH und EuG die Kompetenzen der Kommission zur Monopolkontrolle aus Art. 90 Abs. 1 und 3 EGV (nunmehr Art. 106 Abs. 1 und Abs. 3 AEU) nicht grundsätzlich infrage. Gleichwohl setzte der EuGH die Akzente nunmehr deutlich anders. Einerseits betonte der EuGH die besonderen wettbewerbsrechtlichen Kontrollkompetenzen der Kommission, womit bereits eine gewisse Distanzierung des Gerichtshofs gegenüber der von der Kommission auf Grundlage von Art. 90 Abs. 1 EGV (nunmehr Art. 106 Abs. 1 AEU) durchgeführten administrativen Kontrolle auch der Grundfreiheiten anklingt.359 Andererseits stellte der EuGH klar, dass die wettbewerbsrechtlichen Kontrollbefugnisse der Kommission gerade deswegen weit gefasst seien, weil die Kommission zugleich nach Art. 90 Abs. 2 EGV (nunmehr Art. 106 Abs. 2 AEU) verpflichtet sei, auch den besonderen Erfordernissen von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse angemessen Rechnung zu tragen. Zur Aufgabenverteilung zwischen Kommission und Mitgliedstaaten führt der EuG nunmehr aus, dass dem Ermessen der Kommission in der Anwendung des Art. 90 Abs. 2 EGV (heute: Art. 106 AEU) das ebenso weite Ermessen der Mitgliedstaaten bei der Regelung bestimmter Sektoren gegenüberstehen könne.360 Die damit vollzogene Rejustierung des Verhältnisses der Kompetenzausübungsspielräume von 357 EuGH, Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich) Slg. 1997, I-5815, Rn. 55; EuGH, Rs. C-393/92 (Amelo) Slg. 1994, I-1477, Rn. 48 f.; ähnlich für Postmonopole: EuGH, Rs. C-320/91 (Carbeau) Slg. 1993, I-2533, Rn. 15 ff. Zum Ganzen: Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 34 Rn. 31 ff. 358 EuGH, Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich) Slg. 1997, I-5815, Rn. 55. 359 EuGH, Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich) Slg. 1997, I-5815, Rn. 55. 360 Zu diesen Sektoren, „in denen den Mitgliedstaaten ein weiter Ermessensspielraum zu Gebote steht“, zählt neben dem Postwesen insbesondere die Energiewirtschaft. Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 34 Rn. 31.

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Kommission und Mitgliedstaaten wird im Schrifttum aus materiell-rechtlicher Sicht auf die Kurzformel des „Übergangs vom Verhinderungs- zum Gefährdungsmaßstab“ gebracht.361 Die Mitgliedstaaten müssen nicht mehr den schwer zu führenden Nachweis erbringen, dass eine Anwendung des Wettbewerbsrechts das Funktionieren der betroffenen öffentlichen Dienste objektiv unmöglich macht. Vielmehr genügt der Nachweis, dass das Funktionieren dieser Dienste in ihrer bisherigen Form ernsthaft gefährdet wird. Soweit die Mitgliedstaaten diesen Nachweis erbringen, obliegt der Kommission die qualifizierte Beweislast, wie derartige Dienste auch künftig aufrechterhalten werden könnten. Der pauschale Verweis auf Subventionsmöglichkeiten genüge hierzu noch nicht.362 Der in der Rechtsprechung des EuGH vollzogene Übergang von einem strengen Verhinderungs- zu einem moderateren Gefährdungsmaßstab wird in der wettbewerbsrechtlichen Literatur in erster Linie als Problem im vertikalen Verhältnis zwischen unionalem Wettbewerbsschutz und mitgliedstaatlichen Kompetenzen im Bereich der Daseinsvorsorge diskutiert und unter dem Gesichtspunkt der Relativierung der praktischen Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts überwiegend kritisiert.363 Der Sache nach handelt es sich jedoch gerade auch um eine Rejustierung des vertikalen Verhältnisses der Kommissionskompetenzen aus Art. 106 AEU zu den Kompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers. Unter Geltung des strengen Verhinderungsmaßstabs konnte die Kommission eine wettbewerbsrechtliche Liberalisierung gestützt auf Art. 106 Abs. 3 AEU gerade auch unabhängig vom Rat immer dann durchführen, wenn die Mitgliedstaaten den praktisch kaum zu führenden Nachweis erbrachten, dass eine Aufrechterhaltung öffentlicher Dienste bei Anwendung des Wettbewerbsrechts objektiv unmöglich war. Die bloße Erschwerung oder Behinderung genügte dagegen nicht.364 Im Rahmen dieser Konzeption war jedoch nicht den Mitgliedstaaten der Verhinderungsnachweis praktisch abgeschnitten. Vielmehr blieb auch der Binnenmarktgesetzgeber tendenziell „außen vor“, da die Reorganisation der Daseinsvorsorge jedenfalls bei Uneinigkeit zwischen Kommission und Binnenmarktgesetzgeber zumindest theoretisch auch allein im Zusammenspiel von wettbewerbsrechtlicher Liberalisierung, einzelstaatlicher Marktöffnung und ggf. Subventionierung und hieran wiederum anknüpfender Beihilfekontrolle durch die Kommission durchgeführt werden konnte. Die Entwicklung der Liberalisierung der Netzwirtschaften machte

361 Zum Übergang vom Verhinderungs- zum Gefährdungsmaßstab: Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33, Rn. 31 ff. 362 EuGH, Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich) Slg. 1997, I-5815, Rn. 55; EuGH, Rs. C-393/92 (Amelo) Slg. 1994, I-1477, Rn. 48 f., ähnlich für Postmonopole: EuGH, Rs. C-320/91 (Carbeau) Slg. 1993, I-2533, Rn. 15 ff. 363 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 34 Rn. 31 ff. 364 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 34 Rn. 31.

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allerdings bereits zu Beginn der 1990er-Jahre immer deutlicher, dass Maßnahmen der wettbewerbsrechtlichen Liberalisierung notwendig mit Maßnahmen der ReRegulierung verknüpft werden mussten, um überhaupt funktionsfähige Wettbewerbsmärkte unter den besonderen Bedingungen „natürlicher Monopole“ auf netzgebundenen Märkten zu schaffen.365 Derartige Maßnahmen liegen indes schon aus sachlicher Sicht jenseits der Kommissionskompetenzen aus dem Wettbewerbs- und Beihilferecht und erforderten ein Handeln des Binnenmarktgesetzgebers. Andererseits ist es mit Blick auf die Entblockierung und Parlamentarisierung der europäischen Legislative auch weder integrationsfunktional noch unter Gesichtspunkten demokratischer Legitimation zu rechtfertigen, dass „wesentliche Maßnahmen“ zur Reorganisation ganzer Sektoren der Daseinsvorsorge unabhängig vom Binnenmarktgesetzgeber durchgeführt werden. Die Entscheidung des EuGH zum Verhältnis des Kommissionsermessens aus Art. 106 Abs. 2 AEU zum Ermessen der Mitgliedstaaten muss daher auch rechtsdogmatisch von vornherein in den weiteren Kontext des vom EuGH in ständiger Rechtsprechung hervorgehobenen Harmonisierungsvorbehalts zugunsten des Binnenmarktgesetzgebers eingeordnet werden.366 Der EuGH sichert im Bereich der Daseinsvorsorge das Organisationsermessen der Mitgliedstaaten im Rahmen von Art. 106 Abs. 1 Satz 1 AEU zwar bis zu einem gewissen Grade gegen die Kommission ab. Da das so gesicherte mitgliedstaatliche Ermessen jedoch zugleich unter einem Harmonisierungsvorbehalt steht, grenzt der EuGH zugleich auch auf der Rechtfertigungsebene des Art. 106 AEU die Kommissionskompetenzen zu den Kompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers ab. Besonders strenge Beweislastanforderungen erlegt die Rechtsprechung der Kommission gestützt auf Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEU folgerichtigerweise gerade auch dann auf, wenn diese eine Marktliberalisierung in einem Sektor durchführen will, für die der Unionsgesetzgeber noch keine Liberalisierungs- und Harmonisierungsstrategie entwickelt hat.367 Hier muss die Kommission darlegen, wie und gestützt auf welche Erwägungen sie das Unionsinteresse an einer Marktöffnung im jeweiligen Wirtschaftssektor stützen will, was in Ermangelung entsprechender Ratsbeschlüsse praktisch nur schwer möglich sein dürfte. Sehr deutlich bringt der EuG in seiner Entscheidung in der Rs. T-106/95 (FFSA) zum Ausdruck, dass er mittlerweile von einem (bedingten) Vorrang der legislativen Binnenmarktharmonisierung ausgeht. Bei Fehlen einer Gemeinschaftsregelung für öffentliche Versorgungsunternehmen sei die Kommission nicht befugt, „über die Gestaltung 365 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 18 Rn. 55 ff., 59 ff. 366 Ausdrückliche Verweise auf die Zuständigkeiten des Binnenmarktgesetzgebers finden sich auch in einschlägigen Entscheidungen des EuG zu den wettbewerbsrechtlichen Kompetenzen der Kommission. Vgl. EuG Rs. T-106/95 (FFSA) Slg. 1997 II 229, Rn. 192, und bei EuG Rs. T-260/94 (Air Inter) Slg. 1997 II 997, 1043, Rn. 140. 367 EuGH, Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich) Slg. 1997, I 5815, Rn. 55.

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und den Umfang der einem öffentlichen Unternehmen übertragenen Aufgabe oder über die Zweckmäßigkeit der von den nationalen Behörden auf diesem Gebiet getroffenen politischen Entscheidungen zu entscheiden“ 368. Dass die Ordnungsstrukturen des Art. 106 AEU heute nicht mehr allein ausgehend von materiellrechtlichen Begriffen des „Verhinderungs- bzw. Gefährdungsmaßstabs“, sondern nur noch prozedural-organisatorisch unter Einbeziehung des horizontalen Verhältnisses von Kommission und Binnenmarktgesetzgeber angemessen erfasst werden können, bestätigt sich schließlich auch mit Blick auf die vieldiskutierte Entscheidung des EuG in der Rs. Air Inter.369 Hier ging es darum, ob Ausschließlichkeitsrechte im nationalen Flugverkehr noch durch Art. 90 Abs. 2 EGV (heute: Art. 106 Abs. 2 AEU) zu rechtfertigen waren. Der EuG lehnte dies mit der Begründung ab, dass die betroffene nationale Fluggesellschaft nicht den Nachweis erbringen konnte, dass es außer Ausschließlichkeitsrechten kein anderes zur Sicherstellung des Betriebs defizitärer Strecken geeignetes System gab. Diese partielle Rückkehr zum strengen materiellen Verhinderungsmaßstab rechtfertigte der EuG jedoch bereits nicht mehr allein unter Rückgriff auf Art. 90 Abs. 2 EGV (heute: Art. 106 Abs. 2 AEU), sondern unter Verweis auf das mittlerweile vom europäischen Gesetzgeber erlassene Sekundärrecht, das explizit auf eine schrittweise Aufhebung von Ausschließlichkeitsrechten im nationalen Flugverkehr zielte.370 Wie eng oder weit Art. 106 Abs. 2 AEU im Einzelfall auszulegen ist, hängt damit beim heutigen Stand des Unionsrechts maßgeblich von dessen mittelbarer sekundärrechtlichen Konkretisierung durch den Binnenmarktgesetzgeber ab. Die in der jüngeren Rechtsprechungsentwicklung zutage tretenden Tendenzen zur Restriktion der Kommissionskompetenzen bzw. zu deren engerer Rückbindung an das Binnenmarktsekundärrecht sind allerdings kein kartellrechtlicher Freibrief für die Mitgliedstaaten. Zwar dürfte es der Kommission beim heutigen Stand des Unionsrechts kaum noch möglich sein, ganze Wirtschaftssektoren quasi im Alleingang zu liberalisieren. Allerdings sind auch nach der neueren Rechtsprechung des EuGH hinreichend konkrete Maßnahmen der Kommission zur Aufhebung einzelner Monopole nach wie vor zulässig, wenn hierdurch die Erfüllung einer Universaldienstleistungsverpflichtung durch ein Monopolunternehmen (unter Beachtung der sekundärrechtlichen Vorgaben des Binnenmarktgesetzgebers) nicht ernsthaft gefährdet wird.371

368 EuG Rs. T-106/95 (FFSA) Slg. 1997 II 229, Rn. 192. Von einem Vorrang der Rechtsangleichung gehen ebenfalls aus: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 34 Rn. 37 f. 369 EuG Rs. T-260/94 (Air Inter) Slg. 1997 II 997. 370 EuG Rs. T-260/94 (Air Inter) Slg. 1997 II 997, Rn. 140. 371 EuGH, Rs. C-393/92 (Amelo) Slg. 1994, I-1477, Rn. 48 f., ähnlich für Postmonopole: EuGH, Rs. C-320/91 (Carbeau) Slg. 1993, I-2533, Rn. 15 ff.

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5. Begrenzungen auf der Ebene der Kompetenznorm des Art. 106 Abs. 3 AEU Soweit die Kompetenzen der Kommission aus Art. 106 AEU tatbestandlich gem. Art. 106 Abs. 1 AEU eröffnet sind und die Vorgaben des EuGH an die Ermessensausübung nach Art. 106 Abs. 2 AEU von der Kommission eingehalten wurden, stellt sich schließlich die Frage nach der Art der Maßnahmen, welche die Kommission gestützt auf Art. 106 Abs. 3 AEU treffen kann. Art. 106 Abs. 3 AEU eröffnet der Kommission einerseits die Möglichkeit, Einzelfallmaßnahmen in Bezug auf einzelne Unternehmen i. S. d. Art. 106 Abs. 1 AEU zu treffen. Diese klassische exekutive Kompetenz ist im Verhältnis zu den abstrakt-generellen Rechtsetzungsbefugnissen des Binnenmarktgesetzgebers unter Gewaltengliederungsgesichtspunkten unproblematisch. Andererseits verfügt die Kommission gem. Art. 106 Abs. 3 AEU auch über die Zuständigkeit zum Richtlinienerlass, wenn und soweit dies zur Erreichung der Ziele des Art. 106 Abs. 1 AEU erforderlich ist. In der Zuweisung von eigenständigen Gesetzgebungsfunktionen zur Kommission findet die marktverfassungsrechtliche Prägung auch der heutigen Binnenmarktverfassung der Union gerade auch kompetenzrechtlich ihren wohl deutlichsten Niederschlag.372 Andererseits treten in der Richtlinienkompetenz des Art. 106 Abs. 3 AEU gleichsam potenzielle Kompetenzkonflikte zwischen Kommission und Binnenmarktgesetzgeber besonders deutlich zutage. Das überwiegende wettbewerbsrechtliche Schrifttum plädiert gleichwohl im Interesse der praktischen Wirksamkeit des Wettbewerbsschutzes für eine extensive Auslegung der Richtlinienkompetenzen aus Art. 106 Abs. 3 AEU. Hierbei wird ergänzend auch darauf verwiesen, dass sich ein Kollisionsproblem praktisch nicht stellen könne, da es die Kommission aufgrund ihres alleinigen Initiativrechts in der Hand habe, potenziell kollidierende Gesetzgebungsakte der Legislative von vornherein zu verhindern.373 Diese sehr weite Auslegung der Kommissionskompetenzen aus Art. 106 Abs. 3 AEU überzeugt jedoch beim heutigen Stand des Unionsrechts nicht mehr. Zunächst dürfte es nur schwer mit der vom EuGH entwickelten „Wesentlichkeitstheorie“ in Einklang zu bringen sein, wenn die Kommission anstelle von Parlament und Rat ganze Wirtschaftssektoren im Richtlinienwege liberalisiert und dabei möglicherweise sogar den konkurrierend zuständigen Unionsgesetzgeber durch Nichtausübung ihres Initiativrechts blockiert. Zweitens unterliegen die „negativen“ Richtlinienkompetenzen der Kommission auch funktionalen Begrenzungen, die deren Eignung zur Marktöffnung und Liberalisierung notwendig begrenzen. Die Kommission kann zwar im Richtlinienwege die Aufhebung insbesondere von Monopolrechten anordnen. Jedoch verfügt die Kom372 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 3 Rn. 19, § 35 Rn. 3. 373 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 35 Rn. 3. Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86 Rn. 88.

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mission gerade nicht über autonome Kompetenzen zur sektoralen Re-Regulierung, die sich indes zur Neuordnung ehemals staatlich monopolisierter netzgebundener Märkte in der Vergangenheit als unverzichtbar erwiesen hat.374 Schließlich lässt sich eine extensive Auslegung der Gesetzgebungskompetenzen der Kommission auch integrationsfunktional nicht mehr überzeugend rechtfertigen, da die Union mittlerweile über funktionsfähige, in Parlament und Rat repräsentierte Legislativorgane verfügt. Die im Schrifttum nach wie vor herrschende Auffassung deckt sich denn auch weder mit der seit geraumer Zeit abweichenden Kommissionspraxis, noch ist sie mit der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH zu Art. 106 AEU in Einklang zu bringen. So bemühte sich der EuGH schon in der bereits angesprochenen Entscheidung zur Telekommunikationsendgeräterichtlinie gerade auch um eine differenzierte Abgrenzung der exekutiven Rechtsetzungskompetenzen der Kommission zu den Kompetenzen des damals noch allein im Rat repräsentierten Binnenmarktgesetzgebers.375 Demnach ist die Kommission zwar im Verhältnis zum Rat nicht auf Einzelfallentscheidungen begrenzt, sondern kann auf Grundlage von Art. 106 Abs. 3 AEU auch Richtlinien erlassen. Gleichwohl kann die Kommission schon nach der Entscheidung in der Rs. C-202/88 abstrakt-generelle Richtlinien grundsätzlich nur in Bezug auf Monopolunternehmen treffen. Bei Unternehmen mit besonderen Rechten i. S. v. Art. 106 Abs. 1 EU ist die Kommission dagegen grundsätzlich auf Einzelfallprüfungen beschränkt.376 Der flankierende Richtlinienerlass ist hier nach dem EuGH grundsätzlich nur in Form von Transparenzrichtlinien zulässig, die der Kommission wiederum die einzelfallbezogene Kontrolle erleichtern sollen.377 Die in der Rs. C-202/88 grundsätzlich eröffnete Kompetenz zur Monopolaufhebung im Richtlinienwege hat der EuGH zudem mittlerweile mit den bereits angesprochenen Entscheidungen zu den staatlichen Energiemonopolen ebenfalls erheblich eingeschränkt, sodass die Kommission auch hier ohne eine zuvor von Parlament und Rat festgelegte Harmonisierungsstrategie ihre Richtlinienkompetenzen praktisch nicht mehr ausüben kann.378 Die Entwicklung der Rechtsprechung zu Art. 106 Abs. 3 AEU ist denn auch eines der anschaulichsten Beispiele für die 374 Zum gewandelten Verhältnis von Beschränkungsrecht und Regulierung z. B. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, Vorwort zur zweiten Aufl., sowie § 18 Rn. 55 ff. 375 EuGH, Rs. C-202/88 (Frankreich/Kommission – „Telekommunikations-Endgeräte“) Slg. 1991 I-1223. 376 EuGH, Rs. C-202/88 (Frankreich/Kommission – „Telekommunikations-Endgeräte“) Slg. 1991 I-1223, Rn. 12, 32. 377 Zur Bedeutung der Differenzierung zwischen ausschließlichen und besonderen Rechten: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33 Rn. 46 ff., sowie (zu den Transparenzrichtlinien) § 35 Rn. 20 ff. 378 Vgl. EuGH, Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich) Slg. 1997, I-5815, Rn. 55; EuGH, Rs. C-393/92 (Amelo) Slg. 1994, I-1477, Rn. 48 f., EuGH, Rs. C-320/91 (Carbeau) Slg. 1993 I-2533, Rn. 15 ff. Zum Ganzen: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 34 Rn. 31 ff.

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theoretisch-dogmatischen Grenzen des klassischen Marktverfassungsmodells. Dieses wird weder der gewachsenen Bedeutung der Legislative im europäischen Institutionengefüge noch der Komplexität der abstrakt-generellen Regulierungsaufgaben gerecht, mit denen sich der Unionsgesetzgeber mittlerweile gerade auch bei der Marktöffnung in staatsnahen Wirtschaftssektoren konfrontiert sieht. 6. Korrespondierende Restriktionen des Beihilfetatbestands a) Die funktionalen Kompetenzen der Kommission aus dem Beihilferecht zwischen Wettbewerbsschutz und europäisch koordinierter Förderungspolitik Die im Wettbewerbsrecht auftretende Problematik der Abgrenzung der Kompetenzen der Kommission zu jenen der nationalen und supranationalen Legislative setzt sich im Beihilferecht fort.379 Nach Art. 107 AEU unterliegen alle staatlichen oder aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfen einem präventiven Beihilfeverbot mit Freistellungsvorbehalt. Zweck der Norm ist die Verhinderung eines einzelstaatlichen Subventionswettlaufs im Wege einer beihilferechtlichen Ex-ante-Kontrolle nach Art. 108 AEU. Das Beihilferecht dient ebenso wie das Wettbewerbskartellrecht dem Schutz des Wettbewerbs im Binnenmarkt. Allerdings beschränkt sich das EU-Beihilferecht nicht allein auf das negative Ziel der Durchsetzung des Wettbewerbsschutzes, sondern dient ebenfalls der Kohärenz einzelstaatlicher und europäisch koordinierter Förderungspolitiken. Entsprechend ist das Beihilferecht strukturell mit dem System der europäischen Förderungspolitiken (Strukturfonds nach Art. 174 ff. AEU, Förderungsprogramme in der Forschungspolitik nach Art. 179 ff. AEU etc.) gekoppelt.380 Entsprechend sieht das Beihilferecht insbesondere dann Freistellungsmöglichkeiten (vgl. Art. 107 Abs. 2 und 3, Art. 109 AEU) vor, wenn die Ziele der einzelstaatlichen Förderungspolitiken jenen der europäisch koordinierten Förderungspolitik entsprechen. So wäre es z. B. erkennbar kontraproduktiv, wenn die Kommission das Beihilfeverbot gerade dort besonders restriktiv handhaben würde, wo einzelstaatliche Förderpolitiken den Schwerpunkten der EU-Förderpolitiken entsprechen, wie etwa bei KMU oder in der Forschungsförderung. Nicht zufällig bestehen denn auch gerade hier relativ großzügig gefasste Gruppenfreistellungsverordnungen.381

379 Zur Funktion des Beihilfeverfahrens: Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 87 EG Rn. 1 ff. 380 Zu den Interdependenzen von gemeinschaftlicher Subventionskontrolle und Gemeinschaftssubventionen bereits: Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 669 ff., S. 680 ff. 381 Vgl. zum System der Freistellungstatbestände: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 44, Rn. 1 ff.

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b) „Selektivität der Beihilfe“ – Abgrenzung zu nationalen und supranationalen Gesetzgebungskompetenzen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht Das EU-Beihilferecht unterscheidet sich vom Wettbewerbskartellrecht nicht zuletzt durch seine erweiterte politische Steuerungsfunktion.382 Gerade diese führt jedoch auch wieder zu dem Erfordernis einer Begrenzung der funktionalen Kommissionskompetenzen, um Überdehnungen des Anwendungsbereichs der Beihilfekontrolle in Kernkompetenzen der nationalen und supranationalen Legislative zu vermeiden. Gleichwohl ist der Beihilfetatbestand im Interesse der praktischen Wirksamkeit des Wettbewerbsschutzes im Binnenmarkt grundsätzlich weit auszulegen. Erfasst werden grundsätzlich alle Arten von wirtschaftlichen Vergünstigungen, die einzelnen Unternehmen oder Wirtschaftszweigen unmittelbar oder mittelbar von den Mitgliedstaaten gewährt werden.383 Andererseits muss das Beihilferecht jedoch von den mitgliedstaatlichen Kompetenzen zur Ausgestaltung des Steuer- und Sozialversicherungsrechts, aber auch zu anderen fiskalisch relevanten Kompetenzen abgrenzt werden, die allein in die Zuständigkeit der nationalen und ggf. der supranationalen Legislative fallen (vgl. z. B. Art. 100 ff. AEU). Im Kern geht es auch hier darum, die abstrakt generelle Rechtsetzungskompetenz der Legislative von der einzelfall- bzw. fallgruppenbezogenen Kontrollkompetenz der Kommission abzugrenzen. Hierzu bedient sich der EuGH unterschiedlicher Stellschrauben. Im Steuer- und Sozialversicherungsrecht greift der EuGH insbesondere auf das Kriterium der Selektivität der Beihilfe zurück. Demnach fallen zwar Vergünstigungen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht, die einzelnen Unternehmen oder Unternehmensgruppen gewährt werden, in den Anwendungsbereich der Beihilfekontrolle. Dagegen nimmt der EuGH die allgemeine Systematik des Steuer- und Sozialversicherungsrechts mangels Selektivität vom Beihilfetatbestand aus.384 Zwar führen systematisch bedingte Unterschiede in den Steuersätzen und die Steuerprogression, aber auch Regelungen z. B. über Pflichtversicherungs- und Beitragsbemessungsgrenzen immer auch zu gewissen wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen für einzelne Unternehmen und damit jedenfalls potenziell auch zu Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt. Würden diese Regelungen allerdings in die Beihilfekontrolle einbezogen, könnte die Kommission über die Art. 107 ff. AEU letztlich eine Fein-

382 Zu den besonderen Gestaltungsspielräumen der Kommission: Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 87 EG Rn. 1 ff., 3; Mederer, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, vor Art. 92–94 EGV Rn. 4, enger: v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, vor Art. 87–89 EGV Rn. 2. 383 Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV, Art. 87 EG, Rn. 27 ff. Zum Beihilfebegriff vgl. Bär-Bouyssière, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Aufl., Art. 87, Rn. 22 ff. 384 EuGH, Rs. C-53/00 (Ferring) Slg. 2001, I-9067, Rn. 17; EuGH, Rs. C-351/98 (Kommission/Spanien) Slg. 2002 I-8031, Rn. 33 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 43, Rn. 53 ff.

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

steuerung der Systematik des mitgliedstaatlichen Steuer- und Sozialversicherungsrechts vornehmen, dessen Ausgestaltung jedoch grundsätzlich in die Zuständigkeit des einzelstaatlichen Gesetzgebers bzw. in die Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fällt, die auch allein über die hierfür erforderliche Legitimation verfügen.385 c) Ausgleichszahlungen für Sonderlasten allgemeinwirtschaftlicher Tätigkeit Besonders deutlich treten die eher restriktiven Tendenzen in der jüngeren Rechtsprechung des EuGH bei der Frage der beihilferechtlichen Relevanz von staatlichen Zuschüssen zu defizitären Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zutage. Die Mitgliedstaaten können auf Unternehmen bestimmte Aufgaben von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse übertragen, zugleich aber vorsehen, dass die hierdurch entstehenden Sonderlasten durch öffentliche Zuwendungen ausgeglichen werden. Hierbei können zwei Konstellationen unterschieden werden. Einerseits können die Mitgliedstaaten durch Gesetz bestimmten Unternehmen Sonderlasten auferlegen, also z. B. Arzneimittelgroßhändlern im Interesse der Arzneimittelversorgung besondere Pflichten zur Vorratshaltung auferlegen und zum Ausgleich der Mehrkosten gewisse Steuervergünstigungen vorsehen.386 Anderseits spielen Ausgleichszahlungen jedoch auch im Rahmen der Privatisierung defizitärer öffentlicher Dienste eine Rolle. So können die Mitgliedstaaten z. B. den Betrieb eines defizitären öffentlichen Personenverkehrsnetzes auf ein privates Unternehmen übertragen, diesem Unternehmen jedoch zugleich einen Zuschuss für die zu erwartenden Defizite gewähren.387Aus beihilferechtlicher Sicht stellt sich hier wie dort die Frage, ob eine derartige Ausgleichszahlung den Beihilfetatbestand erfüllt. Im Übrigen handelt es sich gleichwohl um unterschiedliche Konstellationen. Bei der gesetzlichen Übertragung von Sonderlasten auf bestimmte Gruppen von Unternehmen, wie Arzneimittelgroßhändler, geht es letztlich um ein Schnittstellenproblem zwischen Beihilfekontrolle und einseitig hoheitlicher Wirtschaftsregulierung. Im Falle der öffentlichen Aufgabenprivatisierungen im Wege einer subventionierten Auftragsvergabe an ein privates Unternehmen stellt sich dagegen die Frage nach dem Verhältnis von Beihilfe- und Vergaberecht. Für beide Fälle war lange Zeit umstritten, ob Aus385 Zur Zuständigkeitsverteilung im Steuerrecht: Bieber/Epiney/Haag, Europäische Union, 6. Aufl. 2005, § 19 Rn. 10 ff. Zum Sozialversicherungsrecht siehe unten 4. Kapitel, C. III. und IV. 386 EuGH, Rs. C-53/00 (Ferring) Slg. 2001, I-9067, Rn. 27. Der Fall betraf eine Abgabe auf Direktverkäufe durch Pharmahersteller zum Ausgleich von Wettbewerbsvorteilen, da diese im Gegensatz zu Arzneimittelgroßhändlern nicht zu einer Vorratshaltung verpflichtet waren. 387 EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark-Trans) Slg. 2003, I-7747, Rn. 85 ff. Hier ging es um Ausgleichszahlungen einer Kommune an ein Unternehmen, das einen defizitären Universaldienst betreiben sollte.

C. Die Rechtserzeugung im Mehrebenensystem der EU

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gleichszahlungen für den Betrieb defizitärer öffentlicher Dienste in den Anwendungsbereich des Beihilfeverbots des Art. 107 Abs. 1 AEU und der beihilferechtlichen Ex-ante-Kontrolle nach Art. 108 AEU fallen. Die Kommission vertrat einen „Beihilfeansatz“, wonach die Beihilfekontrolle grundsätzlich eröffnet ist, Art. 106 Abs. 2 AEU jedoch ggf. Ausgleichszahlungen rechtfertigen kann. Der EuGH hat sich nach anfänglich uneinheitlicher Rechtsprechung mittlerweile für einen „Ausgleichsansatz“ entschieden. Demnach fallen Ausgleichszahlungen für defizitäre Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse schon nicht in den Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEU, soweit sich die Zuwendung auf den Ausgleich der Sonderlast der Allgemeinwohlbindung beschränkt.388 Eine derartige beihilferechtlich neutrale Ausgleichszahlung liegt vor, wenn die Mitgliedstaaten durch transparente Verfahren (Vergabeverfahren oder auch Gutachtenverfahren) sicherstellen, dass die Zuwendung nicht über den Ausgleich der wirtschaftlichen Zusatzlasten der Allgemeinwohlverpflichtung hinausgeht.389 Durch diese Lösung stellt der EuGH einerseits sicher, dass die Mitgliedstaaten nach wie vor bestimmten Unternehmen oder Unternehmensgruppen sowohl durch Gesetz als auch durch Vertrag besondere öffentliche Aufgaben übertragen und hierbei ausgleichende Vergünstigungen vorsehen können, ohne dass die Beihilfekontrolle eröffnet ist. Andererseits belässt der EuGH den Mitgliedstaaten die Wahl der Steuerungsinstrumente. Insbesondere müssen die Mitgliedstaaten Sonderlasten, wie etwa Vorratshaltungspflichten, nicht generell ausschreiben. Vielmehr bleibt auch die Kombination von gesetzlicher Rahmenregulierung und steuerlicher Vergünstigung zulässig, wobei die Mitgliedstaaten hier im Wege des Gutachtenverfahrens gewährleisten müssen, dass die Vergünstigung nicht über den Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile der Regulierung hinausgeht.

V. Graduelle Annäherung an die staatliche Gewaltengliederung Als Bilanz der bisherigen Untersuchungen lässt sich trotz nach wie vor bestehender Differenzen eine jedenfalls graduelle Annäherung der Strukturen europäischer Rechtserzeugung an die Strukturen der staatlichen Gewaltentrias feststellen. Dies zeigt sich insbesondere am Bedeutungsgewinn des Unionsgesetzgebers in den Strukturen europäischer Rechtserzeugung, aber auch an einer gewissen Annäherung des Verhältnisses von Legislative und Exekutive an staatliche Muster, die sich u. a. am Beispiel der Kommissionsverantwortung gegenüber dem Parlament, aber auch am Bedeutungsgewinn delegierter Rechtsetzungsbefugnisse der Kommission offenbart. Auch unter Geltung der Binnenmarktverfassung der Union treibt der EuGH den Prozess der Vergemeinschaftung vormals

388

EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark-Trans) Slg. 2003, I-7747, Rn. 85 ff. EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark-Trans) Slg. 2003, I-7747, Rn. 85 ff., hierzu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 43, Rn. 20 ff. 389

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1. Kap.: Gewaltengliederung im Mehrebenensystem der EU

staatlicher öffentlicher Aufgaben konsequent voran. Anders als unter Geltung des EWG-Vertrags erfolgt dies jedoch nicht mehr allein oder in erster Linie durch einen Ausbau der Kommissionskompetenzen und die damit einhergehende extensive Auslegung der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kompetenzen der Kommission. Vielmehr steht mittlerweile vor allem die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten und der Binnenmarktkompetenzen des Unionsgesetzgebers im Vordergrund. Dem entspricht gerade in potenziellen horizontalen Kollisionsfällen eine eher restriktive Auslegung der autonomen Kommissionskompetenzen aus den Art. 101, 107 ff. AEU. Insgesamt lässt sich eine deutliche Stärkung der Stellung des Binnenmarktgesetzgebers in der europäischen Gewaltengliederung feststellen, die nicht nur im Zuge von Vertragsreformen, sondern gerade auch durch Akzentverschiebungen in der Rechtsprechung des EuGH eingetreten ist. Diese Entwicklung in der Rechtsprechung des EuGH weist erkennbar über das Marktverfassungsmodell hinaus. Sie mag mit Blick auf das Prinzip der praktischen Wirksamkeit des Wettbewerbsschutzes im Binnenmarkt auf teilweise berechtigte Kritik stoßen. Sie liegt gleichwohl in einer Linie mit den vom europäischen Verfassungsgeber mit den Verträgen von Maastricht, Amsterdam, Nizza und Lissabon vorgezeichneten Leittendenzen, die ebenfalls auf eine Stärkung der Rolle des parlamentarischen Binnenmarktgesetzgebers hinauslaufen. Die damit einhergehende Rejustierung des institutionellen Gleichgewichts in der Europäischen Union zugunsten der Legislative erscheint auch unter Legitimationsgesichtspunkten jedenfalls dort als folgerichtig, wo es um die Verteilung von klassischen Gesetzgebungsfunktionen in Kernbereichen der Eingriffs- und Leistungsverwaltung geht.

2. Kapitel

Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union A. Europäische Rechtserzeugung als Herausforderung an die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht I. Jenseits von „direktem“ und „indirektem“ Vollzug Die Reorganisation der Strukturen europäischer Rechtserzeugung stellt gerade die Verwaltungsrechtswissenschaft vor besondere Herausforderungen. Dies erhellt sich schlagartig an der von Schmidt-Aßmann aufgeworfenen Frage, ob sich im Rahmen des EG-Rechts denn überhaupt von einer „Verwaltung“ sprechen lasse, wo doch die Europäische Union selbst nicht nach den Maßstäben klassischer Gewaltengliederung organisiert sei.1 Die Formulierung der Frage verweist auf die Zusammenhänge zwischen den Strukturen eines gewaltengegliederten Systems der Rechtserzeugung und der rechtswissenschaftlichen Vorstellung vom Begriff der Verwaltung und den Ordnungsstrukturen des so erzeugten Verwaltungsrechts. Im System des staatlichen Rechts liefern das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip die verfassungsrechtlichen Eck- und Orientierungspunkte für die Ordnungsbildung im Verwaltungsorganisations- und Verwaltungsverfahrensrecht. Während das Demokratieprinzip als Maxime des Verwaltungsorganisationsrechts das Verhältnis von Legislative und Exekutive definiert, prägen das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte vornehmlich das Verwaltungsverfahrensrecht und den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz. Im System des Unionsrechts liegen die Dinge allerdings komplizierter. Zwar ist auch die Union der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet.2 Zugleich ist das System unionaler Gewaltengliederung jedoch gerade auch durch vom staatlichen Recht abweichende materiell-funktionale Gewährleistungen (insbesondere der Grundfreiheiten) und abweichende verbandsübergreifende Verfahrensstrukturen der Rechtserzeugung (insbesondere die Verfahren der Binnenmarktharmonisierung 1 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 9. 2 Schmidt-Aßmann, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts: Einleitende Problemskizze, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 9 (24 ff.); ders., Ordnungsidee, 2. Aufl., 2004, S. 393 ff.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

und Umsetzungsgesetzgebung) geprägt. Diese übersetzen sich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit auch in abweichende Strukturen des so erzeugten Systems des europäischen Verwaltungsrechts. Die Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen entfalten ihre Wirkungen „quer“ zur traditionellen Differenzierung zwischen „direktem“ und „indirektem“ Vollzug sowohl im Eigenverwaltungsrecht der Union als auch im nationalen Unionsverwaltungsrecht.3 Sie prägen (namentlich über die binnenmarktfunktional geprägten Prinzipien der Äquivalenz, Effektivität, Kooperation und Beschleunigung) sowohl die europäische Verwaltungsorganisation als auch das europäische Verwaltungsverfahren und unterlaufen damit zumindest partiell die für das staatliche Verwaltungsrecht jedenfalls im Grundsatz prägende Differenzierung zwischen legitimationszentriertem Verwaltungsorganisations- und rechtsstaatszentriertem Verwaltungsverfahrensrecht.4 Zu den wesentlichen Herausforderungen an die Systembildung im europäischen Verwaltungsrecht zählt daher die Herausarbeitung der Zusammenhänge zwischen den Spezifika des europäischen Systems gewaltengegliederter Rechtserzeugung und den Spezifika der Ordnungsstrukturen des so erzeugten europäischen Verwaltungsrechts, das sich seinerseits erst im Zusammenspiel seiner unionalen und (unionsrechtlich überformten) nationalen Schichten konstituiert.5 Besondere Herausforderungen ergeben sich einerseits aus dem für den europäischen Verwaltungsraum kennzeichnenden Zusammentreffen nationaler und supranationaler Steuerungsansprüche, die im System des europäischen Verwaltungsrechts nach Maßgabe des Vorrangs-, Effektivitäts- und Subsidiaritätsprinzips zum Ausgleich gebracht werden müssen. Andererseits dürfte es vor allem auch darum gehen, das aus nationalstaatlichen Kontexten stammende bipolare demokratie- und rechtsstaatszentrierte Ordnungssystem des Verwaltungsorganisationsrechts bzw. des Verwaltungsverfahrensrechts und des gerichtlichen Rechtsschutzes stärker als bisher auf die spezifisch integrationsfunktionale Ausrichtung des verbandsübergreifenden Systems europäischer Rechtserzeugung einzustellen.

II. Die europäische Verwaltungsorganisation zwischen Effektivität und Subsidiarität, Hierarchie und Kooperation Die von staatlichen Mustern abweichenden Strukturen europäischer Gewaltengliederung schlagen sich zunächst in Besonderheiten der europäischen Verwaltungsorganisation nieder. Die Verwaltung des Unionsraums kann aus organisationsrechtlicher Sicht schon im Ansatz nicht als regelhaft hierarchischer Legitimations- und Steuerungszusammenhang rekonstruiert werden, der von einem 3

Vgl. Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (761 f.); Groß, EuR 2005, S. 54 (55 f). Zu den o. g. verwaltungsrechtlichen Prinzipien vgl. z. B. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 210 ff., S. 503 ff. 5 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (7 f.). 4

A. Rechtserzeugung als Herausforderung an die Wissenschaft

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Unionsvolk über Parlament und Regierung und eine monokratische Verwaltungsbürokratie bis zum Bürger als Regelungsadressaten führt. Vielmehr ist die Verwaltung in der Europäischen Union in ein polyzentrisches System der Rechtserzeugung eingebunden, in dem nationale und supranationale Steuerungsansprüche und subjektiv-rechtliche Gewährleistungen des Unionsrechts und des einzelstaatlichen Verfassungsrechts zusammentreffen und nach den Prinzipien der Effektivität, Äquivalenz und Subsidiarität zum Ausgleich gebracht werden müssen.6 Durch die immer engere horizontale und vertikale Vernetzung von nationalen und unionalen Verwaltungsträgern zum Zweck der koordinierten Aufgabenerledigung im Europäischen Verwaltungsverbund relativiert sich einerseits die traditionelle Trennung zwischen unionaler Eigenverwaltung („direkter“ Vollzug) und mitgliedstaatlichem Unionsverwaltungsrecht („indirekter Vollzug“).7 Andererseits überlagern die funktional geprägten Prinzipien und Gewährleistungen des europäischen Primär-, Sekundär- und Tertiärrechts, angefangen vom europäischen Produktzulassungsrecht8 über das Regulierungsverwaltungsrecht9 bis hin zum europäischen Vergaberecht10, in immer stärkerem Maße das demokratieund rechtsstaatszentrierte Ordnungssystem des einzelstaatlichen Verwaltungsrechts. Das Effektivitätsprinzip verlangt, dass die Organisation des europäischen Verwaltungsraums in einer Weise ausgestaltet ist, welche die effektive Wirksamkeit der Ziele des Unionsrechts gewährleistet.11 Damit erhält auch das unionsrechtliche Effizienzprinzip, wonach mitgliedstaatliches Recht die Rechte nicht erheblich erschweren darf, einen spezifisch funktionalen Einschlag.12 Die Verwaltungsorganisation des Unionsraums ist so auszugestalten, dass die Ziele des Unionsrechts möglichst effektiv und in diesem Rahmen dann auch unter effizientem Ressourceneinsatz verwirklicht werden, was Anforderungen an die Gründung und Ausgestaltung von Behörden, Stellen und Ausschüssen, die Förderung 6 Vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 2004, S. 49; Trute, Die konstitutive Rolle der Rechtsanwendung, in: Trute, in: ders./Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 211 (230 ff.). 7 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (761 f.); Groß, EuR 2005, S. 54 (55 f.). 8 Eingehend: Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 224 ff. 9 Hierzu: Pernice, Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden? Europarechtliche Aspekte. WHI Paper 3/2006, S. 13 ff. 10 Zur Stellung des Vergaberechts im Binnenmarkt: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 1 ff., Rn. 9 ff. 11 Zum Effektivitätsprinzip grundlegend: EuGH, Rs. 9/70 (Franz Grad) Slg. 1970, 825; EuGH, Rs. 41/74 (Yvonne von Duyn) Slg. 1974, 1337; vgl. Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, 2003. Zum Verhältnis von Effektivitäts- Effizienz- und Äquivalenzprinzip siehe näher unten 2. Kapitel, D. IV. 3. 12 Zum Effizienzprinzip Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 83, Rn. 61; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 115 ff., 131 ff.; EuGH Rs. 33/76 (Rewe Zentralfinanz) Slg. 1976, 1989, 1998; EuGH verb. Rs. 205–215/82 (Milchkontor) Slg. 1983, 2633, 2635; EuGH Rs. C-343/96 (Dilexport) NVwZ 1999, 633, 635.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

bestimmter Organisationsformen, die Zuweisung bestimmter Aufgaben und Befugnisse, aber auch das Gebot zur Qualifikation des Personals nach sich ziehen kann.13 Das Äquivalenzprinzip besagt, dass Verwaltungsentscheidungen grundsätzlich in allen Mitgliedstaaten als gleichwertig anzuerkennen sind, soweit zwingende Erfordernisse nicht entgegenstehen.14 Das Anerkennungsprinzip legt der Tendenz nach eine horizontale oder vertikale Entscheidungskonzentration im Europäischen Verwaltungsverbund nahe, um so Mehrfachregulierungen entgegenzuwirken.15 Nach dem Subsidiaritätsprinzip ist die Zentralisierung von Zuständigkeiten im Europäischen Verwaltungsverbund allerdings nur zulässig, wenn und soweit die Aufgaben nicht bereits durch nationale Stellen effektiv verwirklicht werden können bzw. auf unionaler Ebene effektiver verwirklicht werden können.16 Das für den Europäischen Verwaltungsverbund kennzeichnende Zusammentreffen konkurrierender legislativer Steuerungsansprüche, aber auch der gesteigerte interadministrative Koordinierungsbedarf im Europäischen Verwaltungsverbund setzten den Steuerungsansprüchen der nationalen und supranationalen Legislative gegenüber der Verwaltung notwendig Grenzen.17 Zugleich können mit der organisationsrechtlichen Verlagerung von Verwaltungsaufgaben auf den Europäischen Verwaltungsverbund aber auch neue Rechtsschutzprobleme einhergehen, wenn z. B. wesentliche Vorentscheidungen in den interadministrativen Bereich verlagert werden, wie z. B. bei der Regulierungsverfügung im Telekommunikationsrecht.18 Die normativ schon unmittelbar durch die Grundfreiheiten des Binnenmarktes vorgeprägte transnationale hierarchisch-kooperative Organisationsstruktur des Europäischen Verwaltungsverbunds erfährt durch die funktional gleichgerichtete Binnenmarktgesetzgebung eine weitere wesentliche Verdichtung und tritt so als Organisationsprinzip des europäischen Verwaltungsrechts neben das traditionelle Hierarchieprinzip des einzelstaatlichen Verwaltungsrechts. Die Grundfreiheiten des Binnenmarktes definieren dabei im Zusammenspiel mit den Binnenmarktkompetenzen sowohl die sachliche Reichweite des vorrangigen Steuerungsanspruchs des Binnenmarktgesetzgebers als auch dessen

13 Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 83, Rn. 63, Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 112 ff. 14 Zum Äquivalenzprinzip: Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 117 ff., 134 ff.; EuGH Rs. C-343/96 (Dilexport) NVwZ 1999, 633, 635. 15 Hierzu im Einzelnen unten 2. Kapitel, D. IV. 3. 16 Zum schwer konkretisierbaren Subsidiaritätsprinzip: Jarass, EuGRZ 1994, S. 209 ff.; Streinz, in: ders., EUV/EGV Art. 5 Rn. 37 ff., sowie näher unten 2. Kapitel, C. VI. 3. 17 Vgl. Trute, Die konstitutive Rolle der Rechtsanwendung, in: ders./Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 211, 230 ff., zu den damit einhergehenden Legitimationsproblemen auch Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 172 ff. 18 Hierzu: Ladeur/Möllers, DVBl. 2005, S. 525 ff.; v. Danwitz, DVBl. 2003, S. 1405 ff.

A. Rechtserzeugung als Herausforderung an die Wissenschaft

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binnenmarktfunktionale Grenzen.19 Der Binnenmarktgesetzgeber kann auf die Verwaltungsorganisation des Unionsraums immer dann, aber auch nur dann Zugriff nehmen, wie dies zur Beseitigung von Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt unter Beachtung der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität erforderlich ist. Eine Hierarchisierung bzw. Zentralisierung der europäischen Verwaltung ist im Wege der Rechtsangleichung daher nur insoweit möglich, wie nicht bereits die Kooperation zwischen nationalen Verwaltungsträgern zur Gewährleistung eines beschränkungsfreien grenzüberschreitenden Waren-, Personen- Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs im Binnenmarkt ausreichend ist.20 Andererseits wurzelt auch die vielfach diagnostizierte gesteigerte Autonomie der europäischen Verbundverwaltung gegenüber parlamentarischen Steuerungsansprüchen aus normativer Sicht nicht zuletzt in der unmittelbaren primärrechtlichen Absicherung des Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips in den Grundfreiheiten des Binnenmarktes, die als Organisationsprinzipien des Europäischen Verwaltungsverbunds jedenfalls im Grundsatz nicht zur Disposition des unionalen oder nationalen Gesetzgebers stehen.21

III. Determinanten des europäischen Verwaltungsverfahrens: Das Äquivalenz-, Effektivitäts- und Beschleunigungsprinzip Die Besonderheiten der Gewaltengliederung der Europäischen Union prägen neben dem Verwaltungsorganisationsrecht zunehmend auch das Verwaltungsverfahren und den gerichtlichen Rechtsschutz. Ähnlich wie im Bereich der Verwaltungsorganisation entfalten die Vorgaben des Unionsrechts auch im Verwaltungsverfahren ihre vereinheitlichenden Wirkungen zunehmend „quer“ zur traditionellen Unterscheidung zwischen unionalem Eigenverwaltungsrecht und nationalem Unionsverwaltungsrecht. Kennzeichnend für das europäische Verwaltungsverfahren sind gerade im Vergleich zum deutschen Recht deutlich erweiterte Beurteilungs- und Ermessensspielräume der Verwaltung, insbesondere bei Prognoseentscheidungen, komplexen Sachverhalten und besonderen Verwaltungsverfahren. Als funktionales Äquivalent der geringeren Justiziabilität von Verwaltungsentscheidungen bei gleichzeitig zurückgenommenem Vertrauensschutz kommt dem Verwaltungsverfahren bei der Gewährleistung der subjektiven Rechte der Unions19

Vgl. Möstl, EuR 2002, S. 318 (328 ff.). Dieser in den Grundfreiheiten angelegte „funktionale Filter“ erklärt, jedenfalls im Anwendungsbereich der Binnenmarktkompetenzen, die für den Europäischen Verwaltungsverbund kennzeichnende spezifische Kopplung der Prinzipien der Hierarchie und der Kooperation. Zur Verbindung beider Prinzipien als Strukturmerkmal des Verbundmodells: Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./SchöndorfHaubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (7 f.). 21 Zum Äquivalenzprinzip: v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 517 ff. 20

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

bürger besondere Bedeutung zu, was sich u. a. in erweiterten Beteiligungs- und Informationsrechten der Bürger, aber auch in der strengen Kontrolle von Formfehlern durch den EuGH niederschlägt.22 Insgesamt ist das europäische Verwaltungsrecht damit durch einen vergleichsweise hohen Grad der Prozeduralisierung bei gleichzeitig geringerer sachlich-inhaltlicher Determinierung des Verwaltungshandelns geprägt, was sich exemplarisch z. B. am zentralisierten Arzneimittelzulassungsverfahren und bei der Telekommunikationsregulierung zeigt.23 Ähnlich wie das Verwaltungsorganisationsrecht ist auch das europäische Verwaltungsverfahrensrecht gerade im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen in besonderer Weise durch die binnenmarktfunktionalen Prinzipien der Äquivalenz und Effektivität geprägt.24 Diese treten grundsätzlich neben nationale und unionale Verfahrensgrundrechte und geben auch dem europäischen Verwaltungsverfahren einen spezifisch funktionalen Einschlag. Innerhalb des Rahmens des Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips ist es allerdings im Bereich des „indirekten bzw. dezentralen Vollzugs“ grundsätzlich jedem Mitgliedstaat nach Maßgabe seiner jeweiligen nationalen Verwaltungstraditionen überlassen, in welche konkreten Verwaltungsverfahren die inhaltlichen Ziele und Vorgaben des Unionsgesetzgebers übersetzt werden.25 In jüngerer Zeit lässt sich allerdings eine zunehmende Verdichtung der unionsrechtlichen Vorgaben an das innerstaatliche Verwaltungsverfahren feststellen, die zu einer Beschränkung der innerstaatlichen Verfahrensautonomie führt. Das Unionsrecht übersetzt sich dabei sowohl negativ, i. S. d. Limitierung einzelstaatlicher Vertrauensschutzgewährleistungen im Rahmen der §§ 48, 49 VwVfG, als auch positiv in Form des Beschleunigungsgrundsatzes, z. B. in der Dienstleistungsrichtlinie, aber auch in Form von besonderen Verfahrensrechten, z. B. in der Sozialrechtskoordinierung oder der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, in das staatliche Verwaltungsverfahrensrecht.26 Darüber hinaus hat sich mit dem europäischen Vergaberecht ein vollkommen neues Verfahrens- und Rechtsschutzregime herausgebildet, das funktional auf die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit bei der öffentlichen Auftragsvergabe ausgerichtet ist.27

22

Vgl. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 259 ff., S. 297 ff. Vgl. Trute, Die konstitutive Rolle der Rechtsanwendung, in: ders./Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 230 ff. 24 Vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 112 ff., 131 ff. 25 Vgl. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 517 ff. 26 Hierzu näher 2. Kapitel, V. 27 Hierzu eingehend im 3. Kapitel. 23

B. Die Grundfreiheiten des Binnenmarkts

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B. Die Grundfreiheiten des Binnenmarkts als Determinanten des europäischen Verwaltungsrechts I. Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union Im Zentrum des gewaltengegliederten Systems europäischer Rechtserzeugung steht – wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt – die Binnenmarktverfassung der Europäischen Union.28 Der europäische Binnenmarkt konstituiert nach Art. 26 Abs. 2 AEU ein System, das auf die Beseitigung von Hindernissen für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr im Binnenmarkt gemäß den Vorschriften des Vertrags gerichtet ist.29 Zur Verwirklichung dieses Ziels dient einerseits die gerichtliche Kontrolle der Grundfreiheiten durch den EuGH. Die Grundfreiheiten entfalten als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote neben und mit ihrer Wirkung als binnenmarktfunktionale Gleichheitsrechte zugleich die Wirkungen von Determinanten des europäischen Verwaltungsrechts.30 Sie zielen auf die Beseitigung von Ungleichbehandlungen innerhalb der staatlichen Rechtsordnungen ebenso wie auf den Abbau von Mehrfachregulierungen des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs im Binnenmarkt.31 Die gerichtliche Kontrolle der Grundfreiheiten wird im tatbestandlichen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten durch die Rechtsangleichung durch den Binnenmarktgesetzgeber ergänzt, die neben und mit der Rechtsangleichung auch auf die Gewährleistung eines hohen Sicherheits-, Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutzniveaus ausgerichtet ist (vgl. Art. 114 Abs. 3 AEU). Das System des Binnenmarktrechts zielt in seiner Gesamtheit allerdings nicht allein auf Marktöffnung und Liberalisierung, sondern vielmehr auf die schrittweise Umstellung der einzelstaatlichen Regulierung der nationalen Märkte auf die allgemeinwohlverträgliche Regulierung eines einheitlichen Binnenmarktes, der durch die Beseitigung von zwischenstaatlichen Handelshemmnissen und fairen Wettbe-

28 Hierzu: Jarass, AöR 121 (1996), S. 173, 178 f.; Seidel, EuR 2006, S. 26 ff.; Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 1 ff.; Bardenhewer/Pipkorn, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 100a Rn. 1; Möstl, EuR 2002, S. 318 ff. Zu den Folgen des Vertrags von Lissabon eingehend: Nowak, EuR 2009, S. 129 ff. 29 Zum Übergang zum Binnenmarkt und zur Europäischen Union: Bieber/Dehouse/ Weiler (Hrsg.), 1992: One Open Market?, 1988; Dauses, EuZW 1990, S. 8 ff.; Ehlermann, WuW 1992, S. 5 ff.; Grabitz, Über die Verfassung des Binnenmarktes, in: FS Steindorff, 1990, S. 1155 ff.; Grabitz/Bogdandy, JuS 1990, S. 170 ff.; Müller-Graff, EuR 1989, 1989, S. 107 ff.; ders., Binnenmarktauftrag und Subsidiaritätsprinzip, ZHR 159 (1995), S. 34 ff. 30 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 397 f. 31 Jarass, EuGRZ 1994, S. 209 ff.; Bardenhewer/Pipkorn, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 100a EGV Rn. 1.

126

2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

werbsbedingungen geprägt ist.32 Die Verwirklichung dieses Ziels kann auch Maßnahmen der Angleichung des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrechts sowohl im Bereich des dezentralen als auch des zentralen Vollzugs erforderlich machen.33 Im Folgenden soll zunächst die Bedeutung der Grundfreiheiten und der Binnenmarktkompetenzen für die Entwicklung und Ausdifferenzierung der Strukturen des europäischen Verwaltungsrechts näher beleuchtet werden. Anschließend sollen die so gewonnenen Ergebnisse anhand von Referenzgebieten des europäischen besonderen Verwaltungsrechts (Produktzulassungsrecht, Behördennetzwerke im Personen- und Dienstleistungsverkehr, Regulierungsverwaltungsrecht) weiter vertieft werden.

II. Die Grundfreiheiten als binnenmarktfunktionale Freiheitsund Gleichheitsrechte sui generis Die vom System des staatlichen Verfassungsrecht abweichenden Wirkungen der europäischen Binnenmarktverfassung auf das System des Verwaltungsrechts finden ihren normativen Grund nicht zuletzt in der von den staatlichen Grundrechten abweichenden Funktion der Grundfreiheiten in den Strukturen europäischer gewaltengegliederter Rechtserzeugung. Die Grundfreiheiten des Binnenmarktes stehen zwar aufgrund ihres subjektiv rechtlichen Charakters und ihrer grundsätzlich staatsgerichteten Schutzfunktion durchaus in einem gewissen Nä32 Zu den Regulierungskompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers: Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 69 ff.; Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 94 EGV Rn. 38; Bardenhewer/Pipkorn, in: Groeben/ Thiesing/Ehlermann, Art. 100a EGV Rn. 70 f.; Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 14 EGV Rn. 11; Caspar, EuZW 2000, S. 237 (240). 33 Vgl. zur Problematik der mitgliedstaatlichen Verfahrens- und Organisationsautonomie: Schmidt-Aßmann, Verfassungsprinzipien für den Europäischen Verwaltungsverbund, in: Hoffmann-Riem/ders./Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2006, § 5 Rn. 20 ff.; Sydow, VerwArch 97 (2006), S. 1, (13); R. Wahl/Groß, BVBl 1998, S. 2, (10); Blattner, Europäisches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 32 ff.; Klepper, Vollzugskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft aus abgeleitetem Recht, 2001, S. 52 ff.; Vetter, DÖV 2005, S. 721 ff.; Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 ff., 304 ff.; Jarass, AöR 121 (1996), S. 173 (181 ff.); Bernhardt, Verfassungsprinzipien – Verfassungsgerichtsfunktionen – Verfassungsprozessrecht im EWG Vertrags, 1987, S. 188 f.; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 375 f., 484 ff.; Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S. 231; Kahl, Die Verwaltung, 29 (1996), S. 341 ff.; ders., in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 10, Rn. 24; v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV Art. 5, Rn. 43; Scheuing, Die Verwaltung 34 (2001), S. 107 (110); Schoch, Die Verwaltung, Beiheft 2 (1999), 135 (135 f.); Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 83; Jarass, AöR 121 (1996), S. 182 ff.; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG III, Art. 83, Rn. 59; Siegel, Entscheidungsfindung im Europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 290 ff.; zur Kompetenz zur Schaffung einer Agentur aus Art. 95 EG auch: EuGH Rs. C-217/04 (Vereinigtes Königreich/Rat und Parlament) EuZW 2006, S. 369, Rn. 59 ff.

B. Die Grundfreiheiten des Binnenmarkts

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heverhältnis zu den nationalen und unionalen Grundrechten.34 Gleichwohl unterscheiden sich die Grundfreiheiten bereits in ihrer rechtlichen Genese von den Grundrechten, da sie nicht im Staat-Bürger-Verhältnis, sondern im Verhältnis zwischen Union und Mitgliedstaaten und damit im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern wurzeln.35 Die Grundfreiheiten sind ursprünglich nicht als System subjektiver Rechte konzipiert worden. Sie entfalteten vielmehr nach der anfänglichen Konzeption des EWG-Vertrags allein die Wirkungen von objektiv-rechtlichen Vertragspflichten der Mitgliedstaaten, keine neuen zwischenstaatlichen Handelshemmnisse zu errichten und bestehende Handelshemmnisse nach einem im Vertrag definierten Zeitplan abzubauen, um so zur Errichtung eines Gemeinsamen Marktes beizutragen.36 Erst durch die vom EuGH frühzeitig eingeleitete Weiterentwicklung der Grundfreiheiten zu innerstaatlich anwendbaren und gerichtlich durchsetzbaren Rechten der Bürger37 und von Diskriminierungs- zu Beschränkungsverboten38 haben die Grundfreiheiten ihren heutigen Charakter als subjektive Unionsbürgerrechte gewonnen. Obwohl sich die Grundfreiheiten den Grundrechten mittlerweile aus subjektiv-rechtlicher Sicht angenähert haben, ist denn auch ihr Schutzzweck nach wie vor von anderer Art, weswegen die Grundfreiheiten einen europäischen Grundrechtsschutz gerade auch im Bereich der Wirtschaftsgrundrechte nicht entbehrlich machen.39 Im Gegensatz zu grundrechtlichen Freiheits- und Gleichheitsrechten schützen die Grundfreiheiten nicht generell vor Ungleichbehandlungen oder vor Eingriffen in absolut geschützte Freiheitsräume. Vielmehr handelt es sich bei den Diskriminierungs- und Beschrän34 Zur Vergleichbarkeit der Normstruktur: Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV Art. 28 Rn. 2; zu den Unterschieden: Kingreen, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 635 f., 652 ff. 35 Zum Prozess der Subjektivierung der Grundfreiheiten und zum Ausbau von Diskriminierungs- zu Beschränkungsverboten: D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, 2009, § 7 Rn. 1 ff. Eingehend auch Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999. 36 Instruktiv zu diesem ursprünglichen Verständnis: EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos) Slg. 1963, 1, Rn. 25 ff.; EuGH, Rs. 6/64 (Costa/E.N.E.L) Slg. 1964, 1149. Zum Zusammenhang zwischen dem Ablauf der Umsetzungspflichten nach dem EWG und der Subjektivierung der Grundfreiheiten siehe: EuGH Rs. 2/74 (Reyners) Slg. 1974, 631, Rn. 24 ff. 37 Grundlegend: EuGH, Rs. 6/64 (Costa/ENEL) Slg. 1964, 1251, 1269 ff. Durch die Weiterentwicklung der Normen des Primärrechts hat der EuGH die um die Wahrung ihrer Rechte bedachten Bürger des Binnenmarktes zu Kontrollagenten der Gemeinschaft erhoben, die die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts vor den einzelstaatlichen Gerichten durchsetzen können. Hierzu: Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, der dem Bürger einen „status procuratorius“ zuschreibt (ebd., S. 225 ff.); Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 179. 38 Grundlegend: EuGH Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung – „Cassis de Dijon“) Slg. 1979, 649. 39 Möstl, EuR 2002, S. 318 (328 ff.). Vgl. zur Entwicklung und zum Verhältnis von Grundfreiheiten und Grundrechten: Walter, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, 2009, § 1 Rn. 20 ff.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

kungsverboten der Grundfreiheiten um binnenmarktfunktionale Gleichheits- und Freiheitsgewährleistungen,40 die darauf gerichtet sind, Diskriminierungen und Beschränkungen unter Rechtfertigungsdruck zu setzen, die in spezifischer Weise geeignet sind, den grenzüberschreitenden Waren-, Personen-, Dienstleistungsund Kapitalverkehr im Binnenmarkt in spezifischer Weise zu behindern.41 Es ist also nicht schon die Ungleichbehandlung innerhalb der staatlichen Rechtsordnung oder die Beschränkung von Wirtschaftsfreiheiten durch die Mitgliedstaaten, sondern immer erst die daraus resultierende Beschränkung gerade des grenzüberschreitenden Marktzugangs, die den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten eröffnet.42

III. Die Verfahrens- und Organisationsabhängigkeit der Grundfreiheiten und ihre Kopplung mit den Binnenmarktkompetenzen Zu den strukturellen Besonderheiten der Grundfreiheiten zählt auch ihre besondere Verfahrens- und Organiationsabhängigkeit. Schon die Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten erfordern gegebenenfalls Anpassungen des einzelstaatlichen Verwaltungsverfahrens zur Gewährleistung des Prinzips strikter Inländergleichbehandlung. Die praktische Wirksamkeit der Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten kann eine Angleichung auch des Verwaltungsorganisationsrechts erforderlich machen, um die praktische Wirksamkeit des Herkunftsland- und Anerkennungsprinzip organisationsrechtlich abzusichern.43 Von daher erweist es sich als nur folgerichtig, wenn die Grundfreiheiten im System des Vertrags seit 40 Vgl. zum Charakter der Grundfreiheiten als Gleichheits- und Freiheitsrechte: D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, 2009, § 7 Rn. 20 ff. und 28 ff. Zur Kontroverse um den Charakter der Grundfreiheiten als Gleichheitsrechte und/oder Freiheitsrechte: Jarass, Die Grundfreiheiten als Grundgleichheiten, FS Everling, S. 593 ff. Für ein gleichheitsrechtliches Verständnis z. B. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 115 f. Die freiheitsrechtliche Dimension der Beschränkungsverbote betonend: Di Fabio, AfP 1998, S. 564 (566). 41 Zu dieser – von den Grundrechten verschiedenen – Schutzrichtung der Grundfreiheiten: Möstl, EuR 2002, S. 318 (328); Perau, Gemeinschaftsrechtliche Grenzen nationaler und gemeinschaftsrechtlicher Werbebeschränkungen, 1997, S. 249 (251); Scheffer, Die Marktfreiheiten des EG-Vertrages als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers, 1997, S. 158 m. Fn. 1, 176 f.; Eilmannsberger, JBl. 1999, S. 345 (352), (355 ff.); ders., JBl. 1999, S. 434 (452); Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 16, S. 26 f., S. 110 f., S. 176 f.; Leible, in: Grabitz/ Hilf, Art. 28 EGV Rn. 8, 44; Caspar, EuZW 2000, S. 237 (241); Steindorff, ZHR 158 (1994), S. 149 (160); Classen, EWS 1995, S. 97, (104); Stein, EuZW 2000, S. 337 ff. 42 Möstl, EuR 2002, S. 318 (328). Folgerichtigerweise werden die Grundfreiheiten heute auch im Schrifttum als (transnationale) Marktzugangsfreiheiten charakterisiert. Vgl. statt Vieler: Streinz, Europarecht, Rn. 672 ff., 681a; 733 m.w. N. 43 Hierzu sogleich näher unten 2. Kapitel, B. IV.

B. Die Grundfreiheiten des Binnenmarkts

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jeher mit besonderen Kompetenznormen verbunden sind, die eine weitergehende Rechtsangleichung und Regulierung ermöglichen. Neben ihrem abweichenden materiellen Schutzbereich unterscheiden sich die Grundfreiheiten denn auch durch ihre durchgängige strukturelle Kopplung mit den Binnenmarktkompetenzen vom System der staatlichen und unionalen Grundrechte. Im Gegensatz zu den Grundrechten können die europäischen Grundfreiheiten denn auch nur im Verhältnis zur mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt als rechtsstaatliche Freiheitsgewährleistungen der Bürger gegen den Zugriff legislativer oder exekutiver Gewalt begriffen werden. Auf der unionalen Ebene führt dagegen jede Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten durch den EuGH immer auch zu einer Erweiterung der Gesetzgebungskompetenzen des Unionsgesetzgebers, deren Ausübung neben und mit der Rechtsangleichung auch auf die Gewährleistung eines hohen Sicherheits-, Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutzniveaus ausgerichtet ist (vgl. Art. 114 Abs. 3 AEU).44 Eben weil der Unionsgesetzgeber mittlerweile auch selbst, insbesondere bei der Binnenmarktharmonisierung, auf hohem Schutzniveau, aber auch im Raum der Freiheit der Sicherheit und des Rechts oder in der EU-Gesundheits-, Sozial- und Umweltpolitik europäische Allgemeinwohlinteressen definiert und durchsetzt, wächst andererseits im Interesse der praktischen Wirksamkeit der Grundrechte der Bürger auch der Bedarf an effektiver rechtsstaatlicher Kontrolle europäischen Verwaltungshandelns. Die funktionalen Gewährleistungen der Grundfreiheiten und die Harmonisierung und Regulierung durch den Binnenmarktgesetzgeber machen denn auch einen effektiven unionalen und einzelstaatlichen Grundrechtsschutz keineswegs entbehrlich, sondern müssen vielmehr gerade umgekehrt mit den grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen austariert werden.45 In Bezug auf ihre kompetenzerweiternde Funktion zugunsten des Unionsgesetzgebers sind die Grundfreiheiten des Binnenmarktes denn auch verwaltungsrechtsdogmatisch nicht allein dem Rechtsstaats-, als vielmehr gerade auch dem – funktional geprägten – europäischen Demokratieprinzip zuzuordnen. Von daher kann es auch nicht Wunder nehmen, dass sich die Grundfreiheiten des Binnenmarkts – vermittelt über das vom EuGH entwickelte Anerkennungsprinzip – zunächst vor allem zu einer Maxime des Verwaltungsorganisationsrechts und erst in zweiter Linie auch zu einer Maxmine des Verwaltungsverfahrensrechts entwickelt haben.46

44 Zu den Regulierungskompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers: Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 94 EGV Rn. 38; Bardenhewer/Pipkorn, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 100a EGV Rn. 70 f.; Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 14 EGV Rn. 11, Caspar, EuZW 2000, S. 237 (240). 45 Vgl. Möstl, EuR 2002, S. 318 (328 ff.). 46 Vgl. Ruffert, DÖV 2007, S. 761 ff.; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 83, Rn. 62; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 117 ff.; 134 ff.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

IV. Die tatbestandlichen Gewährleistungen der Grundfreiheiten 1. Die Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten als Determinanten des Verwaltungsverfahrensrechts Als Diskriminierungsverbote schützen die Grundfreiheiten die Unionsbürger vor allen vor offenen und verdeckten Diskriminierungen nach der Staatsangehörigkeit und konstituieren in diesem Sinne materielle Determinanten des einzelstaatlichen Verwaltungsverfahrensrechts im Sinne eines Gebotes strikter Inländergleichbehandlung.47 Neben offenen Diskriminierungen nach der Staatsangehörigkeit erfassen die Diskriminierungsverbote auch verdeckte Diskriminierungen, also alle Maßnahmen, die typischerweise in besonderer Weise geeignet sind, Staatsangehörige aus anderen Mitgliedstaaten zu benachteiligen. Typische Beispiele sind Wohnsitzerfordernisse im Inland oder besondere Sprachanforderungen als Zulassungsvoraussetzungen im Berufsrecht.48 Die Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten können sich auch zu primärrechtlichen Transparenzgeboten und Rechtsschutzgewährleistungen verdichten, wie z. B. im europäischen Vergabeprimärrecht49 oder bei Genehmigungsverfahren im Bereich der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung.50 Die Wirkung der Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten ist zugleich auf die Gleichbehandlung innerhalb der jeweils bestehenden – notwendig im Verhältnis zueinander unterschiedlichen – einzelstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen beschränkt. Ihre Rechtswirkung beschränkt sich damit grundsätzlich auf die „Europäisierung“ der jeweils anwendbaren einzelstaatlichen Rechtsordnungen.51 Die Unterschiede zwischen den nationalen Verwaltungsrechtsordnungen bleiben dagegen von den Diskriminierungsverboten der Grundfreiheiten grundsätzlich unberührt. Insbesondere gewährleisten die Diskriminierungsverbote keinen Schutz vor Beschränkungen des 47 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, 2009, § 7 Rn. 20 ff.; Jarass, EuR 1995, S. 202 (211 ff.); D. Ehlers, NVwZ 1990, S. 810 (814). 48 D. Ehlers, NVwZ 1990, S. 810 (814 f.). 49 EuGH, Rs. C-324/98 (Telaustria) Slg. 2000 I-10745, Rn. 62; hierzu: Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 26 ff. 50 Bei stationären Auslandskrankenbehandlungen sind „Genehmigungen nur dann trotz des Eingriffs in eine Grundfreiheit gerechtfertigt, wenn es jedenfalls auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruht, die im Voraus bekannt sind, damit dem Ermessen der nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden, die seine missbräuchliche Ausübung verhindern (. . .). Ein derartiges System vorheriger behördlicher Genehmigungen muss sich auch auf eine leicht zugängliche Verfahrensregelung stützen und geeignet sein, den Betroffenen zu gewährleisten, dass ihr Antrag unverzüglich, objektiv und unparteiisch behandelt wird, und die Versagung von Genehmigungen muss ferner im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens anfechtbar sein.“ EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 90; ähnlich EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet) Slg. 2003, I-4509, Rn. 90 und 92. 51 Vgl. Ruffert, DÖV 2007, S. 761 ff.

B. Die Grundfreiheiten des Binnenmarkts

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freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs im Binnenmarkt, die sich notwendig schon aus der Unterschiedlichkeit und territorialen Begrenztheit des einzelstaatlichen Verwaltungsrechts selbst ergeben.52 2. Die Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten als transnationales Verwaltungskollisions- und Koordinierungsrecht Die Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten sind daher, auch bei weiter Auslegung des Begriffs der mittelbaren Diskriminierung, nicht ausreichend, um die praktische Wirksamkeit der Freiheit des grenzüberschreitenden Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs im Binnenmarkt zu gewährleisten. Konsequenterweise hat der EuGH die Grundfreiheiten beginnend mit dem Cassis-de-Dijon-Urteil zur Warenverkehrsfreiheit von Diskriminierungs- zu Beschränkungsverboten ausgebaut.53 Als Beschränkungsverbote richten sich die Grundfreiheiten gegen Handelshemmnisse im Binnenmarkt, die sich aus der Unterschiedlichkeit von unterschiedslos anwendbaren Marktzugangsregeln des Herkunfts- und Bestimmungslands ergeben.54 Vorbehaltlich einer Harmonisierung, hat die Unterschiedlichkeit des einzelstaatlichen Produkt- und Dienstleistungszulassungsrechts zur Folge, dass Produkte oder Dienstleistungen, die in einem Mitgliedstaat (Herkunftsland) rechtmäßig zum Verkehr zugelassen sind, gleichwohl bei Grenzübertritt einem erneuten Zulassungsverfahren im Zielstaat (Bestimmungsland) unterworfen werden.55 Hierauf reagieren die Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten mit dem Herkunftsland- und dem Anerkennungsprinzip, welche die Verwaltungsbehörden der Zielstaaten verpflichten, Markzulassungen in anderen Mitgliedstaaten grundsätzlich als gleichwertig anzuerkennen, soweit zwingende Erfordernisse keine erneute Marktzugangsregulierung bei Grenzübertritt rechtfertigen.56 Der Ausbau der Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten wird im Schrifttum mit dem Übergang von einem gleichheits- zu einem freiheitsrechtlichen Gehalt der Grundfreiheiten gleichgesetzt. Einzelstaatliches Wirt52

Classen, EWS 1995, S. 97 (99). EuGH Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung – „Cassis des Dijon“) Slg. 1979, 649. 54 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, 2009, § 7 Rn. 28 ff.; Streinz, Konvergenz der Grundfreiheiten, FS Rudolf, 2001, S. 199 (207 ff.). 55 Möstl, EuR 2002, S. 318 (329). 56 Zum Herkunftsland- und Anerkennungsprinzip grundlegend: EuGH Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung – „Cassis des Dijon“) Slg. 1979, 649. Der Begriff der „gegenseitigen Anerkennung“ ist zwar etwas irreführend, da es an einem formalen Anerkennungsakt fehlt (hierzu: Matthies, in: FS Steindorff, S. 1287, 1294). Er wird jedoch mittlerweile auch explizit vom EuGH benutzt (vgl. EuGH Rs. C-184/96, Slg. 1998 I-6197, Rn. 28). Zu den verwaltungsrechtlichen Implikationen, insbesondere zum transnationalen Verwaltungsakt: Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 (935); EuR 1996, S. 270 (301); Ruffert, Die Verwaltung 34 (2001) S. 453 ff. 53

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

schaftsordnungsrecht wird, unabhängig von einer Ungleichbehandlung im Zielstaat, allein schon deswegen rechtfertigungsbedürftig, weil es den Marktzugang bei Grenzübertritt beschränkt.57 Gleichwohl behalten die Grundfreiheiten auch als Beschränkungsverbote ihren spezifischen, den Schutzbereich begrenzenden Binnenmarktbezug. Auch als Beschränkungsverbote zielen die Grundfreiheiten nicht auf den Abbau von objektiven Beschränkungen von individuellen Wirtschaftsfreiheiten, sondern ausschließlich auf den Abbau von spezifischen Schranken gerade für den grenzüberschreitenden Marktzugang.58 Wenn der EuGH etwa die Pflicht zur Eintragung in eine Handwerksrolle als Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit qualifiziert,59 so geht es nicht darum, ob es Handwerkern grundsätzlich zumutbar ist, dass die Ausübung ihrer Berufsfreiheit an Eintragungserfordernisse geknüpft wird. Dies ist vielmehr ausschließlich eine Frage der nationalen Grundrechte, sowie – im Falle einer Harmonisierung – der Unionsgrundrechte. Im Lichte der Dienstleistungsfreiheit geht es dagegen allein darum, ob es einem in einem Mitgliedstaat rechtmäßig niedergelassenen Handwerker zumutbar ist, dass der Marktzugang in einen anderen Mitgliedstaat von einer derartigen Beschränkung abhängig gemacht wird.60 Aus verwaltungsrechtlicher Sicht handelt es sich bei den Beschränkungsverboten der Grundfreiheiten damit um ein transnationales Verwaltungskollisions- und Koordinierungsrecht eigener Art, das der transnationalen Koordinierung der verwaltungsrechtlichen Regulierung des grenzüberschreitenden Marktzugangs im Binnenmarkt dient.61 Die Grundfreiheiten entscheiden bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zur Vermeidung von Mehrfachregulierungen mit dem Herkunftslandprinzip zunächst über das anwendbare einzelstaatliche Verwaltungsrecht. Sie stellen zugleich mit dem Anerkennungsprinzip sicher, dass das Recht des Herkunftslands in der Verwaltungsrechtsordnung des Bestimmungslands im Einklang mit den Zielen der Art. 34 f.,

57

Prononciert: Di Fabio, AfP 1998, S. 564 ff. Möstl, EuR 2002, S. 318 (329). 59 EuGH, Rs. C-215/01 (Bruno Schnitzer) Slg. 2003, I-14847. 60 Möstl, EuR 2002, S. 318 (329). Selbst das Bosman-Urteil (EuGH Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921), das unionseinheitliche Transferregelungen im Berufsfußball am Beschränkungsverbot der Arbeitnehmerfreizügigkeit misst, stellt den begrenzten Schutzzweck der Grundfreiheiten nicht infrage. Zwar handelte es sich bei den in Rede stehenden Transferregelungen um innerstaatlich wie grenzüberschreitend einheitlich anwendbare Vorschriften, die den Wechsel zwischen Berufsfussballverbänden von bestimmten Voraussetzungen abhängig machten. Damit scheint auf den ersten Blick keine spezifische Beschränkung gerade der grenzüberschreitenden Marktzugangsfreiheit vorzuliegen. Die Besonderheit lag jedoch darin, dass die europäischen Berufsfußballverbände ein transnationales Regelwerk erlassen hatten, das gerade darauf zielte, den Transfer auch grenzüberschreitend zu regeln und zu begrenzen. Hierzu: Möstl, EuR 2002, S. 318 (330 f.); Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 70 f., 132 ff., 148 ff. 61 Zum kollisionsrechtlichen Gehalt der Grundfreiheiten: Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 2006, S. 159 ff. 58

B. Die Grundfreiheiten des Binnenmarkts

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45, 49, 56, 63 AEU grenzüberschreitende Wirkung entfaltet. Dies entspricht einer horizontal koordinierenden Wirkung. In ihrem Zusammenwirken führen beide Prinzipien – vorbehaltlich zwingender Erfordernisse – einerseits zur Transnationalisierung der Wirkungen einzelstaatlicher Verwaltungsentscheidungen („transnationaler Verwaltungsakt“ 62) sowie – unter Zuständigkeitsgesichtspunkten – zu einer horizontalen Entscheidungskonzentration bei paralleler Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden der Herkunftsstaaten, die nach Maßgabe des Rechts des Herkunftslands – vorbehaltlich zwingender Erfordernisse – mit Wirkung für den gesamten Binnenmarkt Zulassungsentscheidungen treffen.63 Die Wirkung des Anerkennungsprinzips beschränkt sich im Interesse der praktischen Wirksamkeit der Grundfreiheiten allerdings allein auf positive Zulassungsentscheidungen. Dagegen gibt es aus binnenmarktfunktionaler Sicht keinen zwingenden Grund, warum die Zulassungsbehörden anderer Mitgliedstaaten an die ablehnende Entscheidung eines Mitgliedstaats gebunden sein sollten.64 Für die Marktteilnehmer wirkt die über primärrechtliche Kollisionsregeln vermittelte transnationale Verwaltungskoordinierung damit grundsätzlich nur rechtserweiternd, nicht aber rechtsverkürzend.65 3. Insbesondere: Die Grundfreiheiten als Determinanten des Sozialverwaltungsrechts Die auf transnationale Verwaltungskoordinierung gerichtete Funktion der Grundfreiheiten ist nicht auf das Produkt- und Berufszulassungs- und das Dienstleistungsaufsichtsrecht beschränkt, sondern tritt in besonderer Deutlichkeit auch im Bereich der sozial- bzw. leistungsrechtlichen Gewährleistungen der Grundfrei-

62 Zum transnationalen Verwaltungsakt grundlegend: Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 ff.; ders., EuR 1996, S. 270 ff.; Ruffert, Die Verwaltung 34 (2001) S. 453 ff. Die unmittelbar grenzüberschreitende Wirkung des transnationalen Verwaltungsaktes ist nach wie vor umstritten. Diese dürfte im Ergebnis unmittelbar aus den Grundfreiheiten folgen, die insoweit einen Rechtsanwendungsbefehl enthalten: Dünchheim, Verwaltungsprozess unter europäischem Einfluss, 2003, S. 33 ff.; Ruffert, Die Verwaltung, 32 (2001) S. 453 (481 ff.); Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 143 ff.; a. A. J. Becker, DVBl. 2001, S. 855 (860 ff.). 63 Zu den Begriffen der horizontalen und vertikalen Konzentration grundlegend: G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 118 ff.; ders., DÖV 2006, S. 66 ff.; siehe auch: J.-P. Schneider, EuR Beiheft 2 (2005) S. 141 ff.; Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 322. 64 Hierzu Streinz, EuZW 1997, S. 487 (490); Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 179; R. Wahl/Groß, DVBl. 1998, S. 2 (7). 65 Durch ähnliche, grundsätzlich nur rechtserweiternde Wirkungen ist auch das – ebenfalls über Kollisionsregeln vermittelte – System der sekundärrechtlichen Sozialrechtskoordinierung geprägt, das der praktischen Wirksamkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit dient. Zum sozialrechtlichen „Günstigkeitsprinzip“: EuGH Rs. 24/75 (Petroni) Slg. 1975, 1149. Hierzu sogleich näher unten 2. Kapitel, B. IV. 3.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

heiten zutage.66 Das klassische Beispiel ist die sekundärrechtliche Sozialrechtskoordinierung zum Zweck der Gewährleistung des Zugangs der Unionsbürger zu den sozialen Sicherungssystemen der Beschäftigungs- bzw. Aufenthaltstaaten, der Zusammenrechung von Sozialversicherungszeiten und des Sozialleistungsexports. Anders als im Bereich der wirtschaftsfreiheitlichen Dimension der Grundfreiheiten dient die Sozialrechtskoordinierung der Beseitigung von Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit, die sich gerade aus dem drohenden Verlust von sozialen Rechten bei Ausübung des Rechts auf Mobilität im Binnenmarkt ergeben.67 Ähnlich wie das vom EuGH aus der Warenverkehrsfreiheit abgeleitete System der horizontalen Koordinierung des Produktzulassungsrechts, baut auch die sekundärrechtliche Sozialrechtskoordinierung maßgeblich auf transnationalen Kollisionsregeln auf, die nach Maßgabe des in Art. 16 Abs. 3 VO 883/2004/EG verankerten Beschäftigungslandprinzips über das auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbare Recht entscheiden.68 Weiterhin stellen die Koordinierungsregeln sicher, dass das nationale Recht die nach Art. 18 und 45 ff. AEU intendierten transnationalen Wirkungen unter Abweichung vom Territorialitätsprinzip entfaltet.69 Im Zweifel gilt dabei, dass auch die Sozialrechtskoordinierung nie rechtsverkürzend, sondern nur rechtserweiternd wirken darf („Günstigkeitsprinzip“).70 Jenseits dieses Systems ist im Zuge des vom EuGH vorangetriebenen Ausbaus der passiven Dimension der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit mittlerweile ein weiteres System der Verwaltungskoordinierung zum Zweck der Gewährleistung von Patientenrechten in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung entstanden, das seine Grundlagen bisher allein im Primärrecht findet.71 Die Krankenversicherungsträger der Mitgliedstaaten sind unmittelbar aus Art. 34 und 56 AEU verpflichtet, die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen bei Leistungserbringern, die in anderen Mitgliedstaaten zur Gesundheitsversorgung zugelassen sind, nach Maßgabe der Leistungskataloge und Kostensätze des Versicherungs66 Vgl. D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2009, § 7 Rn. 32 ff. Im Einzelnen auch unten 2. Kapitel, E. III. 2. und 3.; 4. Kapitel, C. III. und IV. 67 Zum System der Koordinierung der Sozialverwaltungsträger eingehend: Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, 1999, S. 92 ff.; zu den Einwirkungen der sozialrechtlichen Dimension der Unionsbürgerrechte, insbesondere der Grundfreiheiten: Kingreen, EuR Beiheft 1 (2007) S. 43 ff. Vgl. näher unten 2. Kapitel, E. III. 2.; 4. Kapitel, C. II., V. 1. 68 Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, 1999, S. 110 ff. 69 Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, 1999, S. 115 ff. Die schon mit den VO (EWG) Nr. 3 und 4 zum 1.1.1959 in Kraft getretene sozialrechtliche Koordinierung der Sozialversicherungsträger kann damit, was oft übersehen wird, den Anspruch erheben, gewissermaßen den Archetypus der heutigen europäischen Verbundverwaltung zu konstituieren. 70 EuGH Rs. 24/75 (Petroni) Slg. 1975, 1149; EuGH Rs. 41/84 (Pinna) Slg. 1986, 1. Zu den Grenzen des Günstigkeitsprinzips: Bieresborn, ZESAR 2007, S. 473 ff. 71 Siehe hierzu näher 2. Kapitel, E. III. 2., 4. Kapitel, C. V.

B. Die Grundfreiheiten des Binnenmarkts

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staates zu erstatten, soweit zwingende Erfordernisse nicht entgegenstehen.72 Die Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote der „passiven“ Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit73 entfalten hier eine horizontal koordinierende Wirkung zwischen den Rechtsordnungen des Versicherungs- und Behandlungsstaates, da die Berufszulassung zu den Gesundheitsberufen in anderen Mitgliedstaaten im Sozialverwaltungsrecht des Versicherungsstaates unter Erstattungsgesichtspunkten seither grundsätzlich die Wirkung einer Zulassung zur öffentlichen Gesundheitsversorgung im Inland entfaltet.74 Zugleich folgen aus der Warenverkehrsund Dienstleistungsfreiheit auch besondere Anforderungen an die binnenmarktkonforme Ausgestaltung des sozialrechtlichen Genehmigungsverfahrens vor Inanspruchnahme einer grenzüberschreitenden stationären Krankenbehandlung.75

V. Restriktionen auf der Tatbestands- und Rechtfertigungsebene Der Ausbau der Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten hatte zur Folge, dass sich Marktteilnehmer immer häufiger auf die Grundfreiheiten beriefen, um sich einzelstaatlichen Beschränkungen ihrer allgemeinen Wirtschaftsfreiheit auch in Fällen zu entziehen, die keine spezifischen Beschränkungen gerade des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs im Binnenmarkt nach sich ziehen. Daher sah sich der EuGH veranlasst, im Zuge des Ausbaus der Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten auch gewisse korrespondierende Restriktionen auf der Tatbestands- und der Rechtfertigungsebene vorzunehmen, die den Mitgliedstaaten Spielräume für eine allgemeinwohlverträgliche einzelstaatliche Regulierung des Binnenmarktes und für die einzelstaatliche Überwachung auf der Ebene des Vollzugs belassen. 1. Binnenmarktneutrale Regelungen der Modalitäten der Marktteilnahme im Inland Im Keck-Urteil76 stellte der EuGH klar, dass zwar „produktbezogene“ Regelungen, die sich auf die Herstellung des Produkts selbst beziehen, in den Anwen72 Grundlegend: EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831; EuGH, Rs. C-158/ 96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 18; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 45. 73 Zur „Passivierung“ der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit: Kingreen, EuR Beiheft 1 (2007) S. 43 (46 f.). 74 Zur Gleichstellung der Zulassung in anderen Mitgliedstaaten mit der Zulassung im Inland bei grenzüberschreitender Leistungsinanspruchnahme: EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 18; vgl. auch EuGH, Rs. C-372/04 (Watts) Slg. 2006, I-4325, Rn. 92. 75 EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 90; ähnlich EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet) Slg. 2003, I-4509 Rn. 90, 92. Hierzu näher unten 2. Kapitel E. III. 4. und 4. Kapitel G. 4. 76 EuGH, verb. Rs. C-267 und C-268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6097, Rn. 16.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

dungsbereich der Warenverkehrsfreiheit fallen. Dagegen sind „vertriebsbezogene“ Regelungen, die sich allein auf die Modalitäten des Absatzes im Inland beziehen, vom Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit ausgenommen. Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum dahin gehend verallgemeinert worden, dass die Beschränkungsverbote nur unmittelbar marktzugangsbezogene Regelungen erfassen. Bloße Modalitäten der Marktteilnahme, wie etwa Regelungen über Ladenöffnungszeiten, sind dagegen vom Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ausgenommen, soweit sie keine spezifischen Beschränkungen des grenzüberschreitenden Marktzugangs nach sich ziehen.77 Das Keck-Urteil bestätigt einerseits den begrenzten Schutzbereich der Grundfreiheiten als transnationale Marktzugangsfreiheiten. Andererseits werden mit den Tatbestandsrestriktionen Kernbereiche der einzelstaatlichen Rechtsetzungs- und Vollzugskompetenzen abgesichert, die „binnenmarktneutral“ und damit auch harmonisierungsfest sind, also auch nicht später im Wege der Rechtsangleichung vereinheitlicht werden können.78 2. Rechtfertigungsgründe als unionsrechtlicher Rahmen für die einzelstaatliche Regulierung des Binnenmarktes Neben den Tatbestandsrestriktionen hat der EuGH auch Korrekturen auf der Rechtfertigungsebene vorgenommen. Der Vertrag enthält einerseits in Art. 36 und 52 AEU ein System ausdrücklicher Rechtfertigungsgründe, die insbesondere aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie des Gesundheitsschutzes Marktzugangsbeschränkungen rechtfertigen können, solange noch keine Harmonisierung erfolgt ist. Die ausdrücklichen Rechtfertigungsgründe erfassen sowohl diskriminierende als auch unterschiedslos anwendbare Marktzugangsbeschränkungen. Sie sind jedoch als Ausnahmeregelungen mit Blick auf das Prinzip der praktischen Wirksamkeit der Grundfreiheiten restriktiv auszulegen.79 Darüber hinaus hat der EuGH beginnend mit dem Cassis-Urteil80 für unterschiedslos anwendbare Maßnahmen eine Vielzahl weiterer ungeschriebener Allgemeinwohlerfordernisse anerkannt, die eine Aufrechterhaltung mitgliedstaatlicher Maßnahmen der Marktzugangsregulierung rechtfertigen können, soweit es sich um zwingende Erfordernisse nichtwirtschaftlicher Art handelt und Beschränkungen unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht über das zur Zielverwirklichung erforderliche Maß hinausgehen. Zu den zwischenzeitlich anerkannten Allgemeinwohlzielen zählen u. a. Gründe des Verbraucherschutzes, des 77

Eberhartinger, EWS 1997, S. 43 (49 ff.). Vgl. Möstl, EuR 2002, S. 318 (329). Hierzu auch unten in diesem Kapitel, C. III. 79 Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV Art. 30 Rn. 3; EuGH, Rs. 113/80 (Kommission/ Irland) Slg. 1981, 1625. 80 EuGH, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung – „Cassis de Dijon“) Slg. 1979, 649. 78

B. Die Grundfreiheiten des Binnenmarkts

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Umweltschutzes, die Gewährleistung der finanziellen Stabilität der sozialen Sicherungssysteme, aber auch die Gewährleistung einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung.81 Mit dem System der ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe stellt der EuGH einerseits einen angemessenen Interessenausgleich zwischen dem Unionsziel der Gewährleistung von Marktzugangsfreiheit im Binnenmarkt und anderen, unionsrechtlich anerkannten Allgemeinwohlzielen nichtwirtschaftlicher Art sicher.82 Andererseits definiert der EuGH mit den Rechtfertigungsgründen der Grundfreiheiten die Spielräume der Mitgliedstaaten zur allgemeinwohlverträglichen Regulierung des Binnenmarktes auf einzelstaatlicher Ebene. Anders als bei den Tatbestandsrestriktionen steht das System der Rechtfertigungsgründe indes unter einem Harmonisierungsvorbehalt.83 Der Sinn und Zweck des Systems der Rechtfertigungsgründe der Grundfreiheiten liegt darin, für einen Übergangszeitraum, in dem noch keine Binnenmarktharmonisierung und damit auch noch keine unionseinheitliche Binnenmarktregulierung erfolgt ist, eine allgemeinwohlverträgliche Regulierung auf einzelstaatlicher Ebene zu ermöglichen.84 Die damit zwangsläufig einhergehenden Marktzugangsschranken im Binnenmarkt müssen (vorübergehend) hingenommen werden.

VI. Die Grundfreiheiten als System zur Marktöffnung und zur transnationalen Verwaltungskoordinierung In seiner Gesamtheit erweist sich das System der Grundfreiheiten des Binnenmarktes durchaus nicht als reines Marktöffnungs- und Liberalisierungsrecht, sondern als ein System objektiv- und subjektiv-rechtlicher Gewährleistungen, das neben und mit der Marktöffnung zugleich der binnenmarktkonformen Koordinierung der verwaltungsrechtlichen Regulierung der Marktteilnahme und des Marktzugangs auf einzelstaatlicher Ebene dient.85 Als Beschränkungsverbote dienen die Grundfreiheiten der horizontalen Koordinierung der Regulierung des grenzüberschreitenden Marktzugangs im Herkunfts- und Bestimmungsland, welche sich hierbei nicht nur in das Verwaltungsorganisations-, sondern zunehmend auch in das Verwaltungsverfahrensrecht ausdehnen. Mit dem Herkunftslandprinzip ge81 Vgl. hierzu: Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis de Dijon Rechtsprechung des EuGH zu Art. 30 EGV, 1997; Nowak/Schnitzler, EuZW 2000, S. 627 ff. 82 Leible, in: Grabitz/Hilf, Art. 30 EGV Rn. 6; Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV Art. 30 Rn. 2 m.w. N. 83 EuGH, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung – „Cassis de Dijon“) Slg. 1979, 649, Rn. 8. 84 Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV Art. 30 Rn. 7. 85 Vgl. Leible, in: Grabitz/Hilf, Art. 30 EGV Rn. 6, Schroeder, in: Streinz, EUV/ EGV Art. 30 Rn. 2.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

währleistet der EuGH, dass von vornherein nur Produkte und Dienstleistungen in den Binnenmarkt gelangen, die bereits die Hürde der allgemeinwohlverträglichen Marktzugangsregulierung in zumindest einem Mitgliedstaat (dem Herkunftsstaat) genommen haben, und gewährleistet schon damit eine allgemeinwohlverträgliche Marktzugangsregulierung durch die zuständigen Behörden des Herkunftslandes.86 Zugleich stellt der EuGH mit dem Anerkennungsprinzip sicher, dass im europäischen Binnenmarkt grundsätzlich nur noch eine einmalige Regulierung des Marktzugangs (im Herkunftsland), nicht aber eine grenzüberschreitende Mehrfachregulierung (im Herkunfts- und im Bestimmungsland) erfolgt. Im Ergebnis führen die Grundfreiheiten damit auch als Beschränkungsverbote nicht zu einer generellen Deregulierung, sondern lediglich zu einer horizontalen Konzentration der Regulierungszuständigkeiten im jeweiligen Herkunftsland, dessen Behörden über die Marktzulassung mit Wirkung für den gesamten Binnenmarkt nach Maßgabe der Verfahren und materiellen Standards des Herkunftslands entscheiden. Zugleich strahlen die Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten z. B. in Form des Beschleunigungsgrundsatzes der Dienstleistungsrichtlinie zunehmend auch in das Verwaltungsverfahrensrecht aus. Durch die Rechtsprechung zu den zwingenden Erfordernissen zieht der EuGH zusätzliche Allgemeinwohlsicherungen ein, da unter bestimmten Voraussetzungen Produkte und Dienstleistungen, die bereits die Anforderungen für den rechtmäßigen Marktzugang im Herkunftsland erfüllen, gleichwohl einem erneuten Zulassungsverfahren beim Marktzugang in den Zielstaat nach dem dort geltenden Recht unterworfen werden können. Ergänzend stellt der EuGH durch Restriktionen auf der Tatbestandsebene sicher, dass binnenmarktneutrale Modalitäten der Marktteilnahme in allen Mitgliedstaaten weiterhin allein nach Maßgabe des Rechts des Bestimmungslands reguliert und kontrolliert werden können. Insgesamt ist die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten damit erkennbar durch das Ziel geprägt, das funktionale Ziel der Marktöffnung mit den auch im Binnenmarkt bestehenden Erfordernissen der allgemeinwohlverträglichen Marktregulierung unter einem effektiven Verwaltungsvollzug unter Bedingungen noch nicht erfolgter Harmonisierung durch transnationale Verwaltungskoordinierung zum Ausgleich zu bringen.87

86 Konsequenterweise fallen Maßnahmen zur Regulierung des erstmaligen Marktzugangs zu den Gütermärkten im Herkunftsstaat nicht in den Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots der Grundfreiheiten. Vielmehr gilt nur das Diskriminierungsverbot. EuGH Rs. 15/79 (Groenweld) Slg. 1979, 3409, Rn. 7; EuGH Rs. C-388/95 (Belgien/ Spanien) Slg. 2000, I-3123; kritisch hierzu Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV Art. 29 Rn. 4 f. 87 Vgl. Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV Art. 30 Rn. 7.

C. Binnenmarktharmonisierung

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C. Binnenmarktharmonisierung I. Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen Die gerichtliche Kontrolle der Grundfreiheiten durch den EuGH bildet eines der beiden Hauptfundamente des europäischen Binnenmarktes. Gleichwohl reicht die „negative Rechtsangleichung“ über die Grundfreiheiten zur Verwirklichung der Binnenmarktziele allein nicht aus. Die Beschränkungsverbote gewährleisten zwar vorbehaltlich zwingender Erfordernisse, dass Produkte grundsätzlich nur noch einer einmaligen Regulierung im Herkunftsland unterliegen. Anders als in einem „wirklichen Binnenmarkt“ bestehen jedoch nach wie vor in allen Mitgliedstaaten unterschiedliche Produktzulassungsregeln, was unter Umständen zu zwischenstaatlichen Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Weitergehend müssen in vielen Fällen aus zwingenden Erfordernissen zwischenstaatliche Marktzugangsschranken hingenommen werden, die nur im Wege der Harmonisierung beseitigt werden können. Schließlich können sich auch bei grundsätzlicher Geltung des Herkunftsland- und Anerkennungsprinzips weitergehende Erfordernisse der Rechtsangleichung im Bereich der grenzüberschreitenden Verwaltungskoordinierung ergeben, um z. B. einen Informationsaustausch zwischen den nationalen Verwaltungsträgern über Anerkennungsvoraussetzungen zu gewährleisten. Aus diesem Grund bedarf die gerichtliche Durchsetzung der Grundfreiheiten notwendig der Ergänzung durch korrespondierende Maßnahmen der Binnenmarktharmonisierung durch den Unionsgesetzgeber.88

II. Das Mitentscheidungsverfahren als prozeduraler Rahmen Das heutige System der Binnenmarktkompetenzen ist aus dem System der Rechtsangleichungskompetenzen des Gemeinsamen Marktes hervorgegangen. Der Unterschied zwischen der Rechtsangleichung im Gemeinsamen Markt und im Binnenmarkt liegt einerseits in gewissen Erweiterungen der Rechtsangleichungskompetenzen sowie in der Einführung einer materiellen Schutzniveauklausel des Art. 114 Abs. 3 AEU im Rahmen der allgemeinen Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEU, die den Binnenmarktgesetzgeber zu einer Harmonisierung auf hohem Sicherheits-, Umwelts-, Verbraucher- und Gesund-heitsschutzniveau verpflichtet.89 Darüber hinaus liegt die wesentliche Differenz zwischen der Rechtsangleichung im Gemeinsamen Markt und im Binnenmarkt im Übergang von Einstimmigkeits- zum Mehrheitsprinzip im Rat90 und zur Beteiligung des Parla88 Zu den Grenzen der negativen Rechtsangleichung: v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 14 Rn. 10; Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 14 Rn. 21. 89 Zur Bedeutung der Schutzniveauklausel: Schroeder, DVBl. 2002, S. 213 (215 ff.). 90 Vgl. Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 14 Rn. 1 und 15.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

ments im Mitentscheidungsverfahren nach Art. 294 AEU.91 Das Mitentscheidungsverfahren hat die europäische Rechtsangleichung und damit auch die sekundärrechtliche Verwaltungsintegration beschleunigt, da einzelstaatliche Blockademöglichkeiten nicht mehr bestehen. Gleichwohl kann europäische Rechtsangleichung nach wie vor nicht gegen den Willen einer starken Minderheit oder gar der Mehrheit der Mitgliedstaaten durchgesetzt werden. Damit ist das Mitentscheidungsverfahren ein Verfahren, das Rechtsangleichung einerseits ermöglicht, andererseits jedoch einer uferlosen Kompetenzverlagerung sowohl auf der Ebene der Rechtsetzung als auch auf der Ebene des Vollzugs auch wieder gewisse prozedurale Grenzen setzt.92 Der Rat kann im Regelverfahren nach Art. 294 AEU nicht mehr primär als Blockadeinstanz zur Verteidigung nationalstaatlicher Interessen begriffen werden, nur dass diese Blockaden nunmehr über Koalitionen organisiert werden müssten. Vielmehr geht es eher um einen „vernünftigen Kompromiss“, ein immer wieder neues Ausbalancieren von Rechtsetzungszuständigkeiten zwischen EG und Mitgliedstaaten im Rahmen der Entscheidung über Teiloder Vollharmonisierung, aber auch von Verwaltungszuständigkeiten, wenn Verwaltungsverfahren und Verwaltungsorganisation Gegenstand der Rechtsangleichung sein sollen.93 Im Mitentscheidungsverfahren kommt damit das für europäische Integration typische Austarieren zwischen Zentralisierungstendenzen und Wahrung von Dezentralität, von fortschreitender Integration bei Wahrung mitgliedstaatlicher Identität in Verfahren geformt zum Ausdruck und entfaltet über Verfahren auch Wirkung.94 Eine zusätzliche Facette gewinnt das Mitentscheidungsverfahren durch die Einbindung des Parlaments. Diese verleiht gerade der Binnenmarktharmonisierung eine besondere parlamentarisch-demokratische Legitimation.95 Andererseits beeinflusst die Einbindung des Parlaments in das Verfahren auch inhaltlich einerseits im Sinne eines Wesentlichkeitsprinzips die 91 Zur Bedeutung des Mitentscheidungsverfahrens für die Binnenmarktharmonisierung nach Art. 95 vgl. Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95, Rn. 50 ff.; zur Funktion des Verfahrens nach Art. 251 EG mit Blick auf die Verfahrensvereinfachung und Parlamentsbeteiligung: Hilf/Pache, NJW 1998, S. 705 (710); Gellermann, in: Streinz, EUV/ EGV Art. 251 Rn. 2. 92 Vgl. Hilf/Pache, NJW 1998, S. 705 (710 ff.); Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV Art. 251 Rn. 5 f. 93 Vgl. zum Mitentscheidungsverfahren insoweit allgemein: Böhmer, ZG 16 (2001), S. 85 ff.; Rabe, NJW 1993, S. 1 ff.; Wuermeling, Legislativer Trialog im institutionellen Dreieck der Europäischen Gemeinschaft, 1990. Zur Delegation von Durchführungszuständigkeiten: Demmke/Haibach, DÖV 1997, S. 710 ff. Zum konkordanzdemokratischen Charakter der Durchführungsverfahren: Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 (313 ff.). 94 Dies spiegelt sich letztlich auch in den Strukturprinzipien des Verwaltungsverbunds wider. Hierzu: Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund, in: ders./ Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, S. 1 (7 f.) und (22 f.). 95 Siehe oben 1. Kapitel, C. III. 1.

C. Binnenmarktharmonisierung

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Dichte der sekundärrechtlichen Rechtsangleichung sowie die Art und Reichweite der Delegation von Durchführungskompetenzen an die Kommission.96

III. Die Binnenmarktkompetenzen im System der Kompetenznormen des Vertrags 1. Binnenmarktkompetenzen und sektorpolitische Sachzuständigkeit Das System der Binnenmarktkompetenzen steht im Zentrum der Kompetenzordnung der Union.97 Es gründet sich auf die allgemeine Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEU und auf die besonderen Binnenmarktkompetenzen der Art. 46, 48, 50, 53, 59, 61, 64 Abs. 2 AEU, die den einzelnen Grundfreiheiten zugeordnet sind. Den Binnenmarktkompetenzen ist ihr funktionaler, auf die Verwirklichung der Binnenmarktziele des Art. 26 Abs. 2 AEU gerichteter Charakter gemeinsam. Entsprechend haben die Binnenmarktkompetenzen keinen gegenstandsbezogenen Anwendungsbereich, sondern sind grundsätzlich immer dem Grunde nach eröffnet, wenn eine Maßnahme der Union der Beseitigung von Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt dient.98 Aufgrund ihrer funktional gleichgerichteten Ziele gehen die besonderen Binnenmarktkompetenzen der allgemeinen Binnenmarktkompetenz als funktional speziellere Normen vor.99 Ausgesprochen umstritten war zunächst das Verhältnis der allgemeinen Binnenmarktkompetenz aus Art. 114 AEU zu den regelmäßig deutlich enger gefassten und in der Kompetenzausübung teilweise nach wie vor an das Einstimmigkeitsprinzip beschränkten, sektorpolitischen Kompetenzen, z. B. aus der EU-Gesundheitspolitik (Art. 168 AEU). Teile des Schrifttums gehen von einer Subsidiarität des Art. 114 AEU zum System der EU-Sektorkompetenzen aus. Begründet wurde dies u. a. damit, dass Art. 114 Abs. 1 AEU vorsieht, dass die Binnenmarktkompetenz nur eröffnet ist, „soweit der Vertrag nichts anderes bestimmt“. Diese Argumentation überzeugt jedoch schon deswegen nicht, weil Art. 114 Abs. 1 AEU lediglich eine Verweisungsnorm darstellt, sodass jeweils gesondert geprüft werden muss, ob andere Normen des Vertrags etwas anderes bestimmen.100 Der EuGH und die heute h. M. gehen denn auch davon aus, dass nur explizite Bereichsausnahmen, wie z. B. in der Agrarpolitik, sowie funktional gleichgerichtete besondere Binnenmarktkompetenzen der Kompetenz aus Art. 114 AEU vor96 Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 51; Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV Art. 211 Rn. 45 f.; Jorna, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 211 EGV Rn. 37. 97 Zur europäischen Kompetenzordnung und zur Stellung der Binnenmarktkompetenzen: Jarass, EuGRZ 1994, S. 209 ff.; ders., AöR 121 (1996) S. 173 (179 f.); Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 227 ff. 98 Möstl, EuR 2002, S. 318 (327); Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 14. 99 Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 5. 100 Vgl. Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 227 ff.; Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 5.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

gehen.101 Dagegen schließen die auf materielle Ziele ausgerichteten nichtwirtschaftlichen Sektorpolitiken die Anwendung des Art. 114 AEU, aber auch der anderen Binnenmarktkompetenzen nicht aus.102 Sie sollen nicht Binnenmarktkompetenzen begrenzen, sondern zusätzliche Kompetenzen schaffen. Gegenüber den an materiellen Zielen der EG-Umwelts-, Gesundheits- oder Sozialpolitik orientierten Sektorkompetenzen aus Art. 191, Art. 168 und Art. 153 Abs. 2 AEU besteht eine derartige Subsidiarität dagegen gerade nicht.103 Ebenso erweist sich das aus dem nationalen Verfassungsrecht bei der Abgrenzung sachgebietsbezogener definierter Kompetenznormen vertraute Kriterium des „Schwerpunkts“ der Maßnahme zur Ermittlung der Reichweite integrationsfunktionaler Kompetenznormen als letztlich ungeeignet.104 Aufgrund der unterschiedlichen Art der funktionalen Binnenmarktziele einerseits und der materiellen Steuerungsziele der Sektorpolitiken scheidet die Abgrenzung nach dem Schwerpunkt der Maßnahme notwendig aus. So muss etwa ein „Mehr“ an Umweltschutz nicht notwendig mit einem „Weniger“ an Binnenmarkt erkauft werden. Vielmehr können auch strenge Umweltstandards zur Förderung des Binnenmarktziels beitragen, wenn sie unionsweit einheitlich gestaltet sind und auf diese Weise Unterschiede im einzelstaatlichen Recht beseitigen.105 Demzufolge ist die funktionale Binnenmarktkompetenz grundsätzlich immer dann eröffnet, wenn eine Maßnahme gerade (auch) darauf gerichtet und dazu geeignet ist, Handelshemmnisse oder Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt zu beseitigen.106 2. Die Grundsätze der funktionellen und materiellen Spezialität Auf dieser Grundlage ist bei der Abgrenzung der Binnenmarktkompetenzen im Verhältnis zueinander und im Verhältnis zu den Sektorkompetenzen jeweils auf das Hauptziel der gesetzgeberischen Maßnahme und die Grundsätze der funktionalen und materiellen Spezialität abzustellen.107 Soweit eine Maßnahme 101

Leible, in: Streinz, Art. 95 Rn. 5 f. Eingehend: Yves Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 227 ff. 103 Vgl. etwa für die Gesundheitspolitik: Lurger, in: Streinz, EUV/EGV Art. 152 Rn. 29; Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf, Art. 152 Rn. 57; EuGH, Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Rat und Parlament – „Tabakrichtlinie“) Slg. 2000, I-8419. 104 Zu den Grenzen der Schwerpunkttheorie: Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 236 ff. Siehe auch EuGH: Rs. C-155/91 (Kommission/ Rat – „Titanoxid“) Slg. 1993, I-939 Rn. 15 ff. Zum Recht des Binnenmarktgesetzgebers, jedes andere materielle Ziel „so intensiv“ zu verfolgen, „wie es der Gesetzgeber wünscht“, soweit zugleich auch die Binnenmarktziele gefördert werden, auch: Generalanwalt Fennelly, Schlussanträge in der Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Rat und Parlament) Slg. 2000, I-8423, Rn. 66. 105 Möstl, EuR 2002, S. 318 (327). 106 Möstl, EuR 2002, S. 318 (327). Hierzu im Einzelnen unten in diesem Kapitel, C. IV. 102

C. Binnenmarktharmonisierung

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nach dem Willen des Binnenmarktgesetzgebers (auch) auf die Förderung der funktionalen Binnenmarktziele gerichtet ist, gehen die Binnenmarktkompetenzen als funktional speziellere Normen den Sachkompetenzen des Vertrags vor.108 Innerhalb des Systems der Binnenmarktkompetenzen greift jeweils die funktional speziellere Binnenmarktkompetenz. Mithin gehen die besonderen Binnenmarktkompetenzen aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 66 und Art. 48 AEU), der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (insb. Art. 50 Abs. 2; 53 und 62 AEU) und der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 64 Abs. 2 AEU) der allgemeinen Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEU insoweit vor, als dass der Binnenmarktgesetzgeber gerade die in diesen spezielleren Kompetenznormen bezeichneten Ziele verfolgt und hierfür die dort genannten Maßnahmen treffen will.109 Entsprechend liegt der Schwerpunkt der allgemeinen Binnenmarktkompetenz bei Maßnahmen, die der Verwirklichung des freien Warenverkehrs dienen. Soweit Maßnahmen mehrere Grundfreiheiten betreffen, ist auch eine Verbindung der Kompetenznormen zulässig und gängige Praxis.110 Unter Verfahrensgesichtspunkten ergeben sich aus dieser funktionalen Spezialität allerdings mittlerweile keine besonderen Unterschiede mehr, da die Ausübung sämtlicher Binnenmarktkompetenzen mittlerweile im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gem. Art. 294 AEU unter Beteiligung des Parlaments erfolgt, wobei lediglich bei der Sozialrechtskoordinierung nach Art. 48 Abs. 2 AEU ein – temporärer – Aussetzungsvorbehalt besteht.111 Im Verhältnis von Binnenmarktkompetenzen zu den Sachkompetenzen des Vertrags, z. B. auch Art. 153 AEU (Sozialpolitik), Art. 168 AEU (Gesundheitspolitik) oder Art. 192 AEU (Umweltpolitik), findet die funktionale Spezialität der Binnenmarktkompetenz ihre Grenzen in der materiellen Spezialität der Sachkompetenz. Der Unionsgesetzgeber kann daher jedenfalls Maßnahmen, mit denen ausschließlich oder überwiegend sozial-, gesundheitsoder umweltpolitische Ziele verfolgt und hierzu die in den entsprechenden Kompetenznormen bezeichneten Maßnahmen getroffen werden, nur auf die besonderen Sachkompetenzen des Vertrags stützen.112 Dessen ungeachtet schließen die 107 Vgl. EuGH, Rs. C-376/98 (Deutschland/Parlament und Rat – „Tabakrichtlinie“) Slg. 2000, I-8419, Rn. 112; EuGH, Rs. C-164 und 165/97 (Parlament/Rat) Slg. 1999, I-1139, Rn. 114 ff.; im Einzelnen: Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 228 ff. 108 Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 232 ff., 242 ff.; Möstl, EuR 2002, S. 318 (327). 109 Kahl, in: Calliess/Ruffert, Art. 95 EGV Rn. 54; Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 233. 110 Im Einzelnen: Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 247 ff. 111 Vgl. zu den Änderungen durch den Vertrag von Lissabon: Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009) S. 11 ff.; Oppermann, DVBl. 2008, S. 473 ff. 112 Vgl. EuGH, Rs. C-376/98 (Deutschland/Parlament und Rat – „Tabakrichtlinie“) Slg. 2000, I-8419, Rn. 112; hierzu: Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 241 ff.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

Sachkompetenzen die Anwendung der Binnenmarktkompetenz dann nicht aus, wenn der Gesetzgeber gerade auch die funktionalen Binnenmarktziele fördern will. Die Wahl der Kompetenzgrundlage nach objektiven, nachvollziehbaren Kriterien unterliegt dabei der Kontrolle durch den EuGH.113 Auch in Bezug auf das Verhältnis von Binnenmarktkompetenzen und Sachkompetenzen haben sich jedoch die früher bestehenden Unterscheide im Verfahren mit dem Vertrag von Lissabon durch den teilweisen Übergang zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren relativiert.114

IV. Rechtsangleichung wegen Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen Der Anwendungsbereich des Systems der Binnenmarktkompetenzen ist aufgrund der inhaltlich nicht auf bestimmte Sachgebiete oder Rechtsgebiete beschränkten funktionalen Binnenmarktzielsetzung grundsätzlich weit gefasst. Dies zeigt sich exemplarisch an der allgemeinen Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEU (ex-Art. 95 EG). 1. Rechtsangleichung wegen zwischenstaatlicher Handelshemmnisse Die allgemeine Binnenmarktkompetenz ist gem. Art. 114 Abs. 1 AEU immer dann eröffnet, wenn es für die Herstellung oder das Funktionieren des Binnenmarktes i. S. v. Art. 14 Abs. 2 EG erforderlich ist. Damit ist der Anwendungsbereich des Art. 114 Abs. 1 AEU funktional auf die Beseitigung von zwischenstaatlichen Handelshemmnissen für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungsund Kapitalverkehr im Binnenmarkt ausgerichtet. Ein zwischenstaatliches Handelshemmnis liegt regelmäßig vor, wenn in dem erfassten Bereich unterschiedliche innerstaatliche Regelungen bestehen. Damit ist der Anwendungsbereich zur Rechtsangleichung wegen Handelshemmnissen immer eröffnet, wenn die Grundfreiheiten auf das staatliche Recht anwendbar sind, aber Handelshemmnisse wegen zwingender Erfordernisse aufrechterhalten werden können.115 Art. 114 AEU bezieht sich zwar vermittelt über Art. 26 Abs. 2 AEU grundsätzlich auf alle Grundfreiheiten. Im Vordergrund steht indes die Rechtsangleichung im Bereich 113 EuGH, Rs. 45/86 (Kommission/Rat) Slg. 187, 1493, Rn. 11; EuGH, Rs. C-300/89 (Kommission/Rat) Slg. 1991, I-2867, Rn. 10; EuGH Rs. C-164 und 165/97 (Parlament/ Rat) Slg. 1999, I-1139, Rn. 12. 114 Vgl. Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009) S. 11 ff.; Oppermann, DVBl. 2008, S. 473 ff. 115 Zum Zusammenhang von Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen: Müller-Graff, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 30 EGV Rn. 349; Schwartz, ZEuP 1994, S. 559 (577); Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 94 Rn. 3 f.; Calliess, DVBl. 2007, S. 336 ff.

C. Binnenmarktharmonisierung

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des Warenverkehrs, weil die besonderen Binnenmarktkompetenzen in den übrigen Bereichen regelmäßig spezieller sind.116 Die besonderen Binnenmarktkompetenzen aus Art. 46, 48, 50, 53, 59, 61, 64 Abs. 2 AEU sind funktional allein auf die Verwirklichung jener Grundfreiheiten ausgerichtet, denen sie jeweils im Vertrag zugeordnet sind.117 2. Funktionale Kopplung von Rechtsangleichung und Grundfreiheiten und Kontrollfunktion des EuGH Die Binnenmarktkompetenzen zur Beseitigung von Handelshemmnissen sind mithin durchgängig funktional mit den Grundfreiheiten gekoppelt. Damit kommt der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten sowohl für die Anwendung als auch für die Abgrenzung und die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der verschiedenen Binnenmarktkompetenzen außerordentliche Bedeutung zu. Wenn der EuGH z. B. die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auf das Leistungserbringungsrecht des öffentlichen Gesundheitswesens anwendet,118 so sind zugleich die mit diesen Grundfreiheiten jeweils korrespondierenden Binnenmarktkompetenzen eröffnet, also im Falle der Warenverkehrsfreiheit Art. 114 AEU und im Falle der Dienstleistungsfreiheit Art. 53, 62 AEU.119 Wenn der EuGH in seiner Rechtsprechung zur Anwendung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auf die Gesundheitsversorgungssysteme der Mitgliedstaaten zugleich eine präzise Abgrenzung zwischen den primärrechtlichen Gewährleistungen der Art. 34 und 56 AEU (ex-Art. 28 und 49 EG) und dem traditionellen sekundärrechtlichen System der Sozialrechtskoordinierung nach der VO 1408/71/ EWG vornimmt, so grenzt er damit zugleich die Kompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers zur Sozialrechtskoordinierung aus Art. 48 AEU (ex-Art. 42 EG) von den Kompetenzen zur Harmonisierung im Bereich des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs (Art. 114 und 54 AEU; ex-Art. 47 Abs. 2 und 95 EG) ab.120

116

Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 5. Zur Kompetenz aus Art. 47 Abs. 2 EG vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/EGV Art. 47 Rn. 12 ff. 118 EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 41; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 72; EuGH, Rs. C 444/05 (Stamatelaki) Slg. 2007, I-3185 = NJW 2007, 1663 = EuZW 2007, 339 Rn. 30. 119 Instruktiv hierzu ist der von der Kommission auf Art. 114 AEU gestützte Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vom 2.7.2008, KOM (2008) 414 endgültig, 2008/0142 (COD). 120 EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831, Rn. 14 ff.; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 22 ff. 117

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

3. Rechtsangleichung wegen spürbarer Wettbewerbsverzerrungen Die allgemeine Binnenmarktkompetenz ist nach der Rechtsprechung des EuGH alternativ auch eröffnet, wenn zwischen den Mitgliedstaaten spürbare Wettbewerbsverzerrungen bestehen.121 Anders als bei der Angleichung wegen Handelshemmnissen, die Beschränkungen des „Marktzugangs in das Inland“ entgegenwirken soll, richtet sich die Angleichung wegen Wettbewerbsverzerrungen auf die Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt. Sie erfasst daher insbesondere Fälle, in denen einzelne Mitgliedstaaten ihrer eigenen Wirtschaft z. B. durch niedrige Umwelt-, Gesundheits- oder Sicherheitsstandards Vorteile beim „Marktzugang in das Ausland“ verschaffen wollen.122 Allerdings bereitet die Begrenzung des Anwendungsbereichs der Kompetenz zur Rechtsangleichung wegen Wettbewerbsverzerrungen nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten, da letztlich alle Standortunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten – von Unterschieden im Steuer- und Sozialversicherungsrecht bis hin zu Unterschieden in den Bereichen des Bildungswesens und der Kultur – immer auch Auswirkungen auf den Standortwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten haben können. Der EuGH hat den Anwendungsbereich der Rechtsangleichungskompetenz wegen Wettbewerbsverzerrungen mithin durch das sog. Spürbarkeitskriterium eingeschränkt.123 Der Binnenmarktgesetzgeber muss demnach nachweisen, dass in einem konkret eingrenzbaren Wirtschaftssektor aufgrund nachprüfbarer Belege nicht unerhebliche Wettbewerbsvorteile bzw. -nachteile bestehen, die ihren Grund in der Unterschiedlichkeit der nationalen Regelungen finden.124 Neben diesen kompetenzrechtlichen Restriktionen begrenzt jedoch auch der gerade bei der Angleichung von wettbewerbsverzerrenden Standortvorteilen in der Regel fehlende Mehrheitskonsens zwischen den Mitgliedstaaten die praktische Wirksamkeit dieses Rechtsangleichungsverfahrens.125

121 EuGH, Rs. C-300/89 (Kommission/Rat – „Titanoxid“) Slg. 1991 I-2867, Rn. 15; EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco and Imperial Tobacco) Slg. 2002, I-11453, Rn. 60. 122 Vgl. Bardenhewer/Pipkorn, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 100a EGV Rn. 19; Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 19. 123 EuGH, Rs. C-300/89 (Kommission/Rat – „Titanoxid“ ) Slg. 1991 I-2867, Rn. 23. 124 Zum Verhältnis qualitativer und quantitativer Spürbarkeitserfordernisse: Selmayr/ Kamann/Ahlers, EWS 2003, S. 9 (54); zur gerichtlichen Überprüfbarkeit: Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 EG Rn. 22 f. 125 Der Rückgriff auf die Binnenmarktkompetenz wegen Wettbewerbsverzerrungen spielt in der Praxis der Rechtsangleichung im Vergleich zum gesetzlichen Regelfall der Angleichung wegen Handelshemmnissen eine nachgeordnete Rolle. Zu den Anwendungsfällen vgl. die Nachweise bei Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 18 ff.

C. Binnenmarktharmonisierung

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V. Rechtsangleichung und Regulierung des Binnenmarktes 1. Die Frage nach der Reichweite der Regulierungsbefugnisse des Binnenmarktgesetzgebers Von der grundsätzlichen Eröffnung der Rechtsangleichungskompetenzen zu unterscheiden ist die Frage nach dem Verhältnis von Rechtsangleichung und Regulierung des Binnenmarktes.126 Dass der Binnenmarktgesetzgeber im Rahmen der Rechtsangleichung auch zur allgemeinwohlverträglichen Binnenmarktregulierung berechtigt ist, ergibt sich schon aus der Schutzniveauklausel des Art. 114 Abs. 3 AEU, welche die Unionsorgane ausdrücklich auf eine Harmonisierung auf hohem Sicherheits-, Umwelts-, Verbraucher- und Gesundheitsschutzniveau festlegt. Gleichwohl ist das Verhältnis von Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt umstritten. Teile des Schrifttums vertreten die Auffassung, dass von den Binnenmarktkompetenzen – mit Blick auf die Abgrenzung zu den Sektorkompetenzen – nur Maßnahmen gedeckt seien, die ihrem Schwerpunkt nach auf die Beseitigung von Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen gerichtet seien.127 Zum Teil wird auch die Auffassung vertreten, die Maßnahme müsse bei einer Gesamtbetrachtung von Rechtsangleichung und Regulierung insgesamt zu einem „Binnenmarktgewinn“ i. S. d. Abbaus von Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen führen.128 2. Binnenmarktregulierung als notwendige Funktion der Binnenmarktharmonisierung Die letztgenannten Auffassungen beruhen jedoch zumindest implizit auf der unzutreffenden Vorstellung, dass zwischen den funktionalen Zielen der Beseiti126 Eingehend: Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 36 ff., 236 ff.; zum Regulierungsbegriff aus freiheitsrechtlicher Sicht: v. Danwitz, DÖV 2004, S. 997 ff.; stärker auf das Problem der prozeduralen Verarbeitung komplexer Regelungsaufgaben bezogen: Trute, Regulierung: Am Beispiel des Telekommunikationsrechts, in: FS Brohm, 2002, S. 169 (181 f.); zustimmend Wollenschläger, Wissensgenerierung durch Verfahren, 2009, S. 116 ff. 127 Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 06; Langeheine, in: Grabitz/Hilf, Altband 1, Art. 100a EGV Rn. 93; Wägenbaur, EuZW 1999, S. 144 (148); Simma, Kompetenzen und Grundrechte: Beschränkungen der Tabakwerbung aus der Sicht des Europarechts, 1999, S. 29 f., S. 50 ff.; Bardenhewer/Pipkorn, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 100a EGV Rn. 51; H.-P. Schneider, NJW 1998, S. 576 ff.; ders., NJW 1998, S. 2191 ff.; im Erg. ablehnend: Reich, NJW 1998, S. 1537 ff.; Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf, Art. 152 EGV Rn. 57. In den wiederum anders gelagerten Fällen horizontaler Kompetenzkonflikte hat der EuGH das Schwerpunktkriterium z. T. selbst verwendet, vgl. EuGH, Rs. C-84/94 (Vereinigtes Königreich/Rat) Slg. 1996, I-5755, Rn. 22: „Hauptziel“; EuGH, Rs. C-42/97 (Parlament/Rat) Slg. 1999, I-869 Rn. 40: „überwiegende Komponente“. 128 In diese Richtung: Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, S. 59, S. 215 f.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

gung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen und materiellen Allgemeinwohlzielen ein Widerspruch bestehe bzw. dass es überhaupt möglich sei, Rechtsangleichung ohne Regulierung durchzuführen. Dies ist indes nicht der Fall. Maßnahmen der Rechtsangleichung beziehen sich regelmäßig auf bestimmte Sachgebiete, die bisher nach Maßgabe des einzelstaatlichen Rechts einer besonderen Regulierung unterworfen waren, deren Erforderlichkeit vom Unionsrecht anerkannt wird. Im Zuge der Rechtsangleichung z. B. von Produktstandards im Arzneimittelrecht stellt sich demzufolge immer notwendig die Frage, welche bisher auf nationaler Ebene gewährleisteten Schutzgüter nunmehr durch europäisches Recht gewährleistet werden sollen.129 Damit ist ein Akt der Angleichung einzelstaatlicher Maßnahmen der Marktregulierung immer auch eine Art der Binnenmarktregulierung, unabhängig davon, für welche (hohen oder niedrigen) Schutzstandards sich der Binnenmarktgesetzgeber im Wege der Rechtsangleichung entscheidet.130 Zudem besteht zwischen den funktionalen Primärzielen des Binnenmarktes und den materiellen Zielen der allgemeinwohlverträglichen Regulierung des Binnenmarktes auch kein Zielkonflikt. Vielmehr sind diese Ziele unterschiedlicher Art und stehen damit in einem Verhältnis der Komplementarität. Die funktionalen Binnenmarktziele sind allein darauf gerichtet, zwischenstaatliche Handelshemmnisse oder Wettbewerbsverzerrungen, die sich gerade aus der Unterschiedlichkeit des einzelstaatlichen Rechts ergeben, durch Rechtsangleichung zu beseitigen. Die Rechtsangleichung selbst verwirklicht damit regelmäßig bereits die funktionalen Binnenmarktziele.131 Dagegen hat die Entscheidung des Binnenmarktgesetzgebers, eine Regulierung auf niedrigem, mittlerem oder hohem Schutzniveau vorzunehmen, auf die Beseitigung von zwischenstaatlichen Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen keinen Einfluss.132 Denn die Unterschiede zwischen den staatlichen Rechtsordnungen entfallen durch Rechtsangleichung ganz unabhängig vom jeweils gewählten materiellen Schutzniveau der Regulierung. 3. Komplementarität von funktionalen Binnenmarktzielen und materiellen Allgemeinwohlzielen Da zwischen den funktionalen Binnenmarktzielen und materiellen Allgemeinwohlzielen kein Zielkonflikt besteht, kann es für die Begrenzung der Binnen129 Zur Untrennbarkeit von Binnenmarktziel und Sachkompetenz: Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 36 ff., S. 236 ff., S. 239 f. 130 Zur Notwendigkeit, dem der vormaligen mitgliedstaatlichen Norm zugrunde liegenden substanziellen Regelungsanspruch auch im Rahmen der Harmonisierung Rechnung tragen zu können: Müller-Graff, EuR 1989, S. 118 (134); Möstl, EuR 2002, S. 318 (325). 131 Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 36 f. 132 Möstl, EuR 2002, S. 318 (325).

C. Binnenmarktharmonisierung

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marktkompetenzen auch nicht darauf ankommen, ob eine Maßnahme ihrem „Schwerpunkt“ nach auf Rechtsangleichung zielt. Vielmehr ist die Binnenmarktkompetenz nach den soeben unter Abschnitt C. III. entwickelten Kriterien immer dann eröffnet, wenn eine Maßnahme ihrem Hauptziel nach zumindest auch geeignet ist, die funktionalen Binnenmarktziele zu fördern. Zutreffend hat Generalanwalt Fennelly deswegen darauf hingewiesen, dass der Unionsgesetzgeber gleichzeitig mit dem Binnenmarktziel jedes anderes Sachziel so intensiv verfolgen kann, wie er dies wünscht, sofern nur der Binnenmarkt durch die Maßnahme gefördert werde.133 Die Binnenmarkt-Harmonisierungskompetenzen verleihen demnach keine ausschließlich wirtschaftliche – eindimensional nur auf das wirtschaftliche Binnenmarktziel verpflichtete – Kompetenz, sondern stellen Kompetenznormen dar, die aus Gründen des Binnenmarkts (also aus einem wirtschaftlichen Grund) und im Rahmen der auf den Binnenmarkt bezogenen Zielbindung eine echte Sachkompetenz eröffnen und die dem Binnenmarktgesetzgeber auch die Gestaltungsfreiheit verschaffen, zugunsten von Sachzielen des öffentlichen Wohls sowie zur Statuierung der zu ihrer Verfolgung notwendigen Beschränkungen wirtschaftlicher Freiheit vorzunehmen.134 Nicht umsonst statuieren z. B. Art. 36, 45 Abs. 3, 52 AEU Vorbehalte zugunsten der Mitgliedstaaten, die diese im Interesse der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit den Grundfreiheiten entgegenhalten können, und gestattet die Cassis-Formel135 nichtdiskriminierende Beschränkungen aus zwingenden Erfordernissen des öffentlichen Wohls. Es erscheint somit nur als folgerichtig, dass diese Belange, die schon von den Mitgliedstaaten einseitig ins Feld geführt werden dürfen, erst recht nicht unter den Tisch fallen sollen, wenn die Union rechtsangleichend tätig wird.136 4. Binnenmarktharmonisierung als Instrument der Umstellung nationaler Regulierung auf Binnenmarktregulierung Die Binnenmarktkompetenz begründet damit eine echte, gestalterische Gesetzgebungszuständigkeit. Sie tritt funktional an die Stelle der vormals staatlichen Legislativaufgaben und verleiht dem Binnenmarktgesetzgeber, wenn er Materien aus Gründen des Binnenmarkts harmonisiert, ein Mandat, den vergemeinschafteten Bereich nunmehr selbst – als an die Stelle der Mitgliedstaaten tretender Sachgesetzgeber – gestalterisch zu ordnen und hierbei diejenigen Beschränkungen wirtschaftlicher Freiheit vorzusehen, die aus Gründen des öffentlichen Wohls für 133 Generalanwalt Fennelly, Schlussanträge in der Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Rat und Parlament) Slg. 2000, I-8423, Rn. 66; dazu kritisch: Wägenbaur, EuZW 2000, S. 549 ff.; zustimmend: Möstl, EuR 2002, S. 318 (328). 134 Möstl, EuR 2002, S. 318 (327). 135 EuGH Rs. 120/78 (REWE/Bundesmonopolverwaltung für Brandtwein – „Cassis des Dijon“) Slg. 1979, S. 649. 136 v. Danwitz, EuZW 1999, S. 622 (624).

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

erforderlich gehalten werden.137 Es handelt sich dagegen weder um eine bloß technisch-kompromisshafte Angleichung von durch die Mitgliedstaaten Vorgegebenem, noch ist der Binnenmarktgesetzgeber verpflichtet, eine einseitig auf Liberalisierung ausgerichtete, die Sachziele des öffentlichen Wohls vernachlässigende Rechtsangleichung zu betreiben oder sich auf eine Harmonisierung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu beschränken. Im Gegenteil stellt Art. 114 Abs. 3 AEU ausdrücklich klar, dass die Union in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz (also bzgl. eben jener vormals von den Mitgliedstaaten verfolgten substanziellen Regelungsanliegen nichtwirtschaftlicher Art) von einem hohen Schutzniveau auszugehen hat, und bringt damit einen allgemeinen, auch jenseits des Art. 114 AEU gültigen Grundsatz der Harmonisierung im Binnenmarkt zum Ausdruck, dass nämlich die Union, wenn sie Materien mitgliedstaatlicher Normsetzung vergemeinschaftet und damit den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zur eigenständigen Erfüllung anerkannter Staatsaufgaben (wie Sicherheitsgewährleistung, Gesundheitsschutz etc.) aus der Hand nimmt, selbst in der Lage sein muss, nunmehr an die Stelle der Mitgliedstaaten zu treten und Einlösung dieser vormals staatlichen Aufgaben zu garantieren.138 Die Binnenmarktharmonisierung hat sich daher mittlerweile zu einem umfassenden Instrument weiterentwickelt, durch das die allgemeinwohlverträgliche, mitgliedstaatliche Regulierung der nationalen Märkte auf allgemeinwohlverträglich europäische Regulierung des gesamten Binnenmarktes umgestellt wird. Am treffendsten hat GA Fenelly in seinen Schlussanträgen zur Tabakrichtlinienentscheidung den Wesensgehalt der Binnenmarktkompetenz umschrieben: „Entscheidend ist (. . .), dass eine Maßnahme die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes oder die Erreichung der Dienstleistungsfreiheit zum Ziel hat. Es lässt sich nicht sagen, dass ein höheres Gesundheitsschutzniveau einen niedrigeren Binnenmarktgehalt zur Folge hat. Jedes materielle Ziel, sei es die Gesundheit oder ein anderes Gebiet der Regulierungstätigkeit, das auch verfolgt wird, steht nicht so sehr im Wettbewerb mit dem Binnenmarktziel oder dient ihm; es ist vielmehr anderer Art und kann daher gleichzeitig oder untrennbar so intensiv verfolgt werden, wie der Gesetzgeber wünscht (oder für erforderlich hält), sofern die funktionalen Ziele des Binnenmarktes von der erlassenen Maßnahme gefördert werden.“ 139 (Hervorhebungen durch den Verfasser)

137 Müller-Graff, EuR 1989, S. 107 (118 ff.), (134); Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 94 EGV Rn. 36 ff., Art. 95 EGV Rn. 27; Möstl, EuR 2002, S. 318 (325). 138 Möstl, EuR 2002, S. 318 (325). 139 Generalanwalt Fennelly, Schlussanträge in der Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Rat und Parlament) Slg. 2000, I-8419, Rn. 66.

C. Binnenmarktharmonisierung

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VI. Die Grenzen der Binnenmarktkompetenzen 1. Die effektive Beseitigung von Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen als Grenze der Binnenmarktkompetenzen Trotz ihrer Reichweite sind die Verfahren der Binnenmarktharmonisierung nicht sachlich unbegrenzt. Die Binnenmarktkompetenzen begründen keine Kompetenz-Kompetenz.140 Vielmehr muss eine Maßnahme, die auf die Binnenmarktkompetenzen gestützt werden soll, immer auch zur Erreichung der funktionalen Binnenmarktziele beitragen. Hieraus ergeben sich zwei wesentliche Schranken der Binnenmarktkompetenzen. a) Die Tatbestandsrestriktionen der Grundfreiheiten als Grenzen der korrespondierenden Binnenmarktkompetenz Die Binnenmarktkompetenz wegen Handelshemmnissen ist einerseits immer dann nicht eröffnet, wenn Maßnahmen der einzelstaatlichen Marktregulierung schon ihrer Art nach keine marktzugangsbeschränkende Wirkung entfalten. Denn in diesen Fällen fehlt es schon an einem zwischenstaatlichen Handelshemmnis, das durch Rechtsangleichung beseitigt werden könnte. Daher kommt der Rechtsprechung des EuGH zu den tatbestandlichen Anwendungsgrenzen der Grundfreiheiten (z. B. zu Art. 34 oder 56 AEU) eine Schlüsselstellung bei der Begrenzung der Binnenmarktkompetenzen zu. So folgt z. B. aus der Keck-Entscheidung des EuGH,141 nach der einzelstaatliche Vertriebsregelungen grundsätzlich nicht in die Warenverkehrsfreiheit eingreifen, dass der Binnenmarktgesetzgeber hier auch keine Rechtsangleichung nach Art. 114 AEU vornehmen kann, sodass der Union allenfalls noch der Rückgriff auf die enger begrenzten sektorpolitischen Zuständigkeiten offen steht. Andererseits wirken sich auch sektorale tatbestandliche Bereichsausnahmen restringierend auf die Binnenmarktkompetenzen aus. So nimmt der EuGH z. B. öffentlich finanzierte Bildungs- und Hochschulsysteme jedenfalls beim derzeitigen Stand der Integration schon tatbestandlich von der Dienstleistungsfreiheit aus.142 Damit fehlt es auch hier (noch) an den tatbestandlichen Voraussetzungen der Binnenmarktharmonisierung.

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Leibl, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 12. EuGH, verb. Rs. C-267 und C-268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6097, Rn. 16. 142 EuGH Rs. 263/86 (Humbel) Slg. 1988, 5365, Rn. 17 bis 19; EuGH Rs. C-109/92 (Wirth) Slg. 1993, I-6447, Rn. 17. 141

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

b) Regulierung ohne Beseitigung zwischenstaatlicher Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen als Grenze der Binnenmarktkompetenz Auch wenn der tatbestandliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten eröffnet ist, ergeben sich weitergehende Restriktionen der Binnenmarktkompetenz unmittelbar aus den Begrenzungen der mit den Grundfreiheiten korrespondierenden Binnenmarktkompetenzen selbst. Zwar kann der Binnenmarktgesetzgeber im Rahmen der Binnenmarktharmonisierung grundsätzlich auch regulieren. Die Grenze des Art. 114 Abs. 1 AEU ist aber dann überschritten, wenn der Binnenmarktgesetzgeber zwar generell strengere Umwelt-, Gesundheits- oder Sicherheitsstandards vorschreibt, aber den Mitgliedstaaten zugleich uneingeschränkt die Möglichkeit offenlässt, strengere nationale Regeln zu erlassen.143 In derartigen Fällen wird letztlich nur das materielle (Mindest-) Schutzniveau in der Union erhöht.144 Dagegen werden die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gerade nicht beseitigt. Maßnahmen des Binnenmarktgesetzgebers, die allein auf Verschärfung der materiellen Schutzstandards, nicht aber zugleich auch auf Abbau von Unterschieden zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zielen, sind mithin von den Binnenmarktkompetenzen nicht mehr gedeckt.145 Aus diesen Gründen hat der EuGH die rein gesundheitspolitisch motivierte Tabakwerberichtlinie für nichtig erklärt, die ein weit reichendes Tabakwerbeverbot enthielt, andererseits aber uneingeschränkte Abweichungen der Mitgliedstaaten zugunsten strengerer nationaler Maßnahmen zuließ.146 2. Verhältnismäßigkeit Liegen unter diesen Prämissen die Voraussetzungen für die Anwendung der Binnenmarktkompetenzen vor, sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität zu beachten. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen Maßnahmen der Rechtsangleichung zur Verwirklichung der funktionalen Binnenmarktziele geeignet und erforderlich sein. Eine Maßnahme ist dann zur Verwirklichung der Binnenmarktziele geeignet, wenn sie eine Beseitigung von zwischenstaatlichen Handelshemmnissen bzw. von spürbaren Wettbewerbsverzerrungen bezweckt und bewirkt. Darüber hinaus muss die Maßnahme zur Zielverwirkli-

143 EuGH, Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Rat und Parlament – „Tabakrichtlinie“) Slg. 2000, I-8419, Rn. 96 ff.; vgl. auch Caspar, EuZW 2000, S. 237 ff.; Stein, EuZW 2000, S. 337 ff.; Nolte, NJW 2000, S. 1145 ff. 144 EuGH, Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Rat und Parlament – „Tabakrichtlinie“) Slg. 2000, I-8419, Rn. 101 ff. 145 Ebenso: Möstl, EuR 2002, S. 318 (340 f.); Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 75 ff. 146 EuGH, Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Rat und Parlament – „Tabakrichtlinie“) Slg. 2000, I-8419.

C. Binnenmarktharmonisierung

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chung auch erforderlich sein. Sie darf also nicht über das zur Zielverwirklichung erforderliche Maß hinausgehen.147 a) Grundrechte und Grundfreiheiten Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind zunächst die Unionsgrundrechte in die Abwägung einzustellen, die bei einer Harmonisierung auf hohem Schutzniveau durchaus in erheblicher Weise, z. B. durch ein Produktverbot, berührt sein können.148 Umstritten ist dagegen, ob darüber hinaus auch eine Bindung des Binnenmarktgesetzgebers an die Grundfreiheiten besteht.149 Hiergegen könnte sprechen, dass die Grundfreiheiten in erster Linie die Mitgliedstaaten adressieren. Andererseits spricht das Prinzip der praktischen Wirksamkeit der Grundfreiheiten für eine Bindung auch des Binnenmarktgesetzgebers.150 Allerdings ist, auch wenn mit der h. M. von einer Bindung des Binnenmarktgesetzge147 Zur Verhältnismäßigkeit vgl. auch: Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 188 ff. 148 Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 207 ff.; Stein, EuZW 1995, S. 435 (437 f.); Skouris, EuZW 1995, S. 438 ff.; Di Fabio, AfP 1998, S. 564 (567 ff.); v. Danwitz, Produktwerbung in der Europäischen Union, 1998, S. 61 ff., 100 f.; Hatje, Werbung und Grundrechtsschutz in rechtsvergleichender Betrachtung, in: Schwarze (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 37 ff.; Simma, Kompetenzen und Grundrechte: Beschränkungen der Tabakwerbung aus der Sicht des Europarechts, 1999. 149 Für eine Bindung: EuGH Rs. 37/83 (REWE) Slg. 1984, 1229; EuGH Rs. C-51/93 (Meyhui) 1994, I-3879; EuGH, Rs. C-114/96 (Kieffer) Slg. 1997, I-3629; D. Ehlers, JURA 2001, S. 266 (275); Jarass, EuR 1995, S. 201 (211); ders., EuR 2000, S. 705 (715); Kingreen/Störmer, EuR 1998, S. 263 (277 f.); Petersmann, EuZW 1993, S. 593 (594); für eine Bindung, die bei Gemeinschaftsrechtsakten indes zu z. T. anderen Rechtsfolgen als gegenüber einseitigen Maßnahmen der Mitgliedstaaten führt: J. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar Art. 28 EGV Rn. 101 f.; Holoubek, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar Art. 49 EGV Rn. 42 f.; Leible, in: Grabitz/Hilf, Art. 28 EGV Rn. 44; Caspar, EuZW 2000, 241; nur grundsätzliche Bindung ohne unmittelbare Unterworfenheit (mit anderen Rechtsfolgen als für die Mitgliedstaaten): Matthies, Die Verfassung des Gemeinsamen Marktes, in: GS Sasse, 1981, S. 115 (129); Müller-Graff, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 30 EGV Rn. 295; Scheffer, Die Marktfreiheiten des EG-Vertrages als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers, 1997, S. 131 ff.; Schwarze, Werbung im Gemeinschaftsrecht – Rechtsbestand und Grundfragen, in: ders. (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 9, 15; Perau, Gemeinschaftsrechtliche Grenzen nationaler und gemeinschaftsrechtlicher Werbebeschränkungen, 1997, S. 249 ff.; für eine weitgehende Freistellung des Gemeinschaftsgesetzgebers (weil dessen Regelungen die Grundfreiheiten regelmäßig nicht berühren): Barents, The Community and the Unity of the Common Market, GYIL 33 (1990), S. 9 ff.; skeptisch gegenüber einer ins Einzelne gehenden Überprüfung von Gemeinschaftsrechtsakten anhand der Grundfreiheiten: Generalanwalt Fennelly, Schlussanträge in der Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Rat und Parlament) Slg. 2000, I-8419, Rn. 150. 150 So auch die ganz h. M. und der EuGH: EuGH, Rs. 37/83 (REWE) Slg. 1984, 1229, Rn. 18; EuGH, Rs. C-51/93 (Meyhui) 1994, I-3879, Rn. 11.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

bers ausgegangen wird, der spezifische und begrenzte Schutzzweck der Grundfreiheiten zu berücksichtigen. Da die Grundfreiheiten lediglich die Freiheit des grenzüberschreitenden Marktzugangs schützen, dürften Maßnahmen der Rechtsangleichung, die zur Beseitigung von Handelshemmnissen durch Angleichung führen, in aller Regel nicht gegen die Grundfreiheiten verstoßen.151 Ebenso stellen Maßnahmen der Binnenmarktregulierung auch dann, wenn sie auf hohem Schutzniveau erfolgen, jedenfalls dann keine spezifische Beschränkung gerade des grenzüberschreitenden Marktzugangs dar, wenn unionsweit einheitliche Standards vorgegeben werden. Insofern dürfte bei Maßnahmen, die kompetenzrechtlich von den funktionalen Binnenmarktzielen gedeckt sind, in aller Regel allenfalls ein Eingriff in die Unionsgrundrechte, nicht aber in die Grundfreiheiten vorliegen.152 Gleichwohl ist die Bindung des Binnenmarktgesetzgebers an die Grundfreiheiten nicht überflüssig, da erst hierdurch auch dem einzelnen Unionsbürger ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet wird. b) Kompetenzen der Mitgliedstaaten Neben den Grundfreiheiten und Grundrechten ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zusätzlich auch auf die Auswirkungen auf die Kompetenzen der Mitgliedstaaten abzustellen.153 Wieweit das Verhältnismäßigkeitsprinzip die Gestaltungsspielräume der Mitgliedstaaten absichert, hängt maßgeblich davon ab, welche Ziele des Unionsgesetzgebers im Rahmen der Abwägung berücksichtigungsfähig sind. Wird mit Teilen des Schrifttums unterstellt, dass allein zwischen dem spezifischen „Binnenmarktgewinn“, also der Beseitigung von zwischenstaatlichen Handelshemmnissen einerseits, und den Kompetenzbeschränkungen zulasten der Mitgliedstaaten abzuwägen sei, so könnten sich aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip erhebliche Restriktionen der Gestaltungsspielräume des Unionsgesetzgebers insbesondere dann ergeben, wenn Maßnahmen gerade auch auf die Regulierung auf hohem Schutzniveau zielen.154 Jedoch spricht schon Art. 114 Abs. 3 AEU, der die Union ausdrücklich zur Harmonisierung auf hohem Schutzniveau verpflichtet, dafür, dass bei der Verhältnismäßigkeitsprü-

151 Barents, The Community and the Unity of the Common Market, GYIL 33 (1990), S. 9, 13, 21 ff.; Perau, Gemeinschaftsrechtliche Grenzen nationaler und gemeinschaftsrechtlicher Werbebeschränkungen, 1997, S. 251; Scheffer, Die Marktfreiheiten des EGVertrages als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers, 1997, S. 142; Möstl, EuR 2002, S. 318 (331); vgl. auch EuGH, Rs. C-200/96 (Metronome Music) Slg. 1998, I-1953 (Rn. 21). 152 Eingehend Möstl, EuR 2002, 318 (330 ff.). 153 Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Altband 1, Art. 3b EGV Rn. 48, vgl. auch EuGH, Rs. C-378/98 (Deutschland/Rat und Parlament – „Tabakrichtlinie“) Slg. 2000, I-8419, Rn. 83 f., Rn. 107. 154 So in der Tendenz: Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), EU Kommentar, Art. 94 EGV Rn. 40.

C. Binnenmarktharmonisierung

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fung auf die Gesamtheit der Ziele der Unionsmaßnahmen als auch auf die praktische Wirksamkeit der materiellen Regulierungsziele abzustellen ist.155 In diesem Falle führt das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu nur sehr begrenzten Einschränkungen der Spielräume des Binnenmarktgesetzgebers. Denn in aller Regel ist nur der Binnenmarktgesetzgeber in der Lage, einerseits ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten, andererseits aber zugleich durch Rechtsangleichung das Entstehen zwischenstaatlicher Handelshemmnisse zu vermeiden.156 Da dem Binnenmarktgesetzgeber zudem auch ein gewisses Ermessen eingeräumt werden muss, dürften zur Zielverwirklichung geeignete Maßnahmen in aller Regel auch erforderlich sein.157 3. Subsidiarität Während die Verhältnismäßigkeitsprüfung vorrangig auf die Relation zwischen den vom Gesetzgeber definierten Zielen der Maßnahme und den vom Gesetzgeber vorgesehenen Mitteln der Maßnahme abstellt, fragt das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 Abs. 3 EUV nach dem Verhältnis zwischen europäischen Rechtsangleichungsmaßnahmen und möglicherweise ausreichenden einzelstaatlichen Maßnahmen.158 Da indes auch bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Folgen der Maßnahme für die Kompetenzen der Mitgliedstaaten mit in den Blick genommen werden müssen, sind die Übergänge zwischen Verhältnismäßigkeitsund Subsidiaritätsprüfung letztlich fließend. Nach Art. 5 Abs. 3 EUV ist zu prüfen, ob die Ziele einer Maßnahme nicht bereits durch mitgliedstaatliche Maßnahmen ausreichend bzw. durch Rechtsangleichung besser verwirklicht werden können. Erforderlich ist damit eine doppelte Effektivitäts- und Mehrwertprüfung.159 Die kompetenzbegrenzende Wirkung des Subsidiaritätsprinzips ist allerdings nach den bisherigen Erfahrungen gering. Denn es wird nur selten der Fall sein, dass die Ziele der Binnenmarktharmonisierung, also die möglichst effektive, unionsweit einheitliche Beseitigung von Handelshemmnissen bei gleichzeitiger allgemeinwohlverträglicher einheitlicher Binnenmarktregulierung, durch mitgliedstaatliche Einzelmaßnahmen ausreichend bzw. durch Rechtsangleichung nicht besser erreicht werden können.160 Insgesamt dürfte die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips im Bereich der Binnenmarktharmonisierung begrenzt sein. Dies gilt umso mehr, als sich in der Rechtsprechung des EuGH bisher kaum An-

155 Generalanwalt Fennelly, Schlussanträge in der Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Rat und Parlament) Slg. 2000, I-8419, Rn. 97, Rn. 149. 156 Möstl, EuR 2002, S. 318 (343 f.). 157 Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 12. 158 Vgl. Streinz, in: Streinz, EUV/EGV Art. 5 Rn. 36 ff. 159 Streinz, in: Streinz, EUV/EGV Art. 5 Rn. 37 f. 160 Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 12.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

knüpfungspunkte finden, die es erlauben, das Subsidiaritätsprinzip zu einem handhabbaren Kontrollmaßstab zu verdichten.161

D. Verwaltungsrechtsangleichung I. Methoden der Rechtsangleichung: Teil- und Vollharmonisierung, Folgeharmonisierung Die Reichweite der Binnenmarktharmonisierung ist je nach Kompetenznorm unterschiedlich. Die allgemeine Binnenmarktkompetenz erfasst sowohl die Möglichkeit zur Voll- als auch zur Teilharmonisierung, wobei dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen zusteht.162 Ähnlich weit sind die Rechtsangleichungskompetenzen aus der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit aus Art. 53 AEU gefasst.163 Dagegen sehen andere Binnenmarktkompetenzen, wie z. B. Art. 46 und 48 AEU enger begrenzte Rechtsangleichungskompetenzen vor. So beschränkt Art. 48 AEU die Rechtsangleichung auf die zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit erforderlichen Maßnahmen zur Sicherung von sozialen Leistungsrechten, die bereits nach nationalem Recht bestehen. Damit schließt Art. 48 AEU eine materielle Angleichung des einzelstaatlichen Sozialleistungsrechts gerade aus und beschränkt die Angleichung auf diejenigen materiell-rechtlichen und organisations- und verfahrensrechtlichen Regelungen, die zur Errichtung eines grenzüberschreitenden Systems der Sozialrechtskoordinierung erforderlich sind.164 Von Bedeutung für die Reichweite der Binnenmarktharmonisierung sind ggf. auch Vorgaben des EuGH im Rahmen der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten. So hat der EuGH z. B. in seinen Urteilen zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung festgestellt, dass die Kompetenzen der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und für die Leistungskataloge von der Anwendung der Grundfreiheiten unberührt blieben.165 Damit definiert der EuGH zugleich bestimmte Kernbereiche einzelstaatlicher Kompetenzen, die jedenfalls einer Rechtsangleichung wegen Handelshemmnissen nicht zugänglich sind.

161 Streinz, in: Streinz, EUV/EGV Art. 5 Rn. 43; Jarass, EuGRZ 1994, S. 209 ff.; Lienbacher, in: Schwarze, (Hrsg.), EU Kommentar, Art. 5 EGV Rn. 17 ff. m.w. N. 162 Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 75 ff., S. 159 ff., S. 164 ff.; Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 39 ff. 163 Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 39 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/ EGV Art. 47 Rn. 12 ff. 164 Eichenhofer, in: Streinz, EUV/EGV Art. 42 Rn. 14 ff. Unabhängig von ihrer sachlichen Reichweite umfassen alle Binnenmarktkompetenzen auch die Kompetenz zur Folgeharmonisierung bzw. Folgekoordinierung. Vgl. Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 95 Rn. 26. 165 EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 18; Rs. C-157/99 (Smits u. Peerboomss) Slg. 2001, I-5473, Rn. 45.

D. Verwaltungsrechtsangleichung

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II. Verwaltungsrechtsangleichung im Binnenmarkt 1. Zur Reichweite der Rechtsangleichungsbefugnisse im Verwaltungsrecht Soweit die Voraussetzungen für eine materielle Teil- oder Vollharmonisierung dem Grunde nach vorliegen, stellt sich weiter die Frage, ob diese Maßnahmen über das materielle Verwaltungsrecht hinaus auch eine Angleichung des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrechts umfassen können. Während die Kompetenz zur materiellen Harmonisierung, z. B. in Form einheitlicher Produktstandards, unumstritten ist, vertreten Teile des Schrifttums unter Verweis auf die Verwaltungsautonomie der Mitgliedstaaten die Auffassung, dass eine Angleichung des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrecht – wenn überhaupt – so nur in engen Grenzen, z. B. mit Blick auf die Implied-powersDoktrin, zulässig sei.166 Für diese inzwischen in die Defensive geratene Auffassung lassen sich jedoch im geltenden Primärrecht keine Anknüpfungspunkte finden. Insbesondere kennt der Vertrag – auch in der Fassung von Lissabon – keine den Art. 83 ff. GG entsprechenden Regelungen, die das Prinzip der vorrangigen Vollzugszuständigkeit der Mitgliedstaaten festschreiben würden.167 Nach einer im Vordringen begriffenen Auffassung bestimmt sich die Reichweite der Verwaltungsrechtsangleichungsbefugnisse des Binnenmarktgesetzgebers damit grundsätzlich nach der jeweilig einschlägigen Sachkompetenz.168 Im Bereich der Binnenmarktharmonisierung sind daher neben Maßnahmen der materiellen Rechtsangleichung auch Maßnahmen zur Angleichung des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrechts grundsätzlich zulässig, wenn und soweit diese 166 Bernhardt, Verfassungsprinzipien – Verfassungsgerichtsfunktionen – Verfassungsprozessrecht im EWG-Vertrag, 1987, S. 188 f.; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 375 f., S. 484 ff.; Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S. 231; Kahl, Die Verwaltung, 29 (1996) S. 341 ff.; ein enges Verständnis mit Blick auf Agenturgründungen vertritt auch Vetter, DÖV 2005, S. 721 ff. 167 Vgl. zum primärrechtlichen Rahmen: Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 (294 ff.), der allerdings auf dem im sekundärrechtlich normierten Komitologieverfahren strukturelle Ähnlichkeiten zu den Art. 84, 85 Abs. 1 GG ausmacht. (S. 310 f.); Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG III, Art. 83, Rn. 59; Siegel, Entscheidungsfindung im Europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 290 ff. 168 Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/ Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 (306); v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, EuV/EGV Art. 5, Rn. 43; Scheuing, Die Verwaltung 34 (2001) S. 107, 110; Schoch, Die Verwaltung, Beiheft 2 (1999) S. 135 (135 f.); Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 83; Jarass, AöR 121 (1996) S. 182 ff.; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG III, Art. 83, Rn. 59; Siegel, Entscheidungsfindung im Europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 290 ff.; zur Kompetenz zur Schaffung einer Agentur aus Art. 95 EG auch: EuGH Rs. C-217/04 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat) EuZW 2006, S. 369, Rn. 59 ff.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

Maßnahmen zur Verwirklichung der funktionalen Binnenmarktziele unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips geeignet und erforderlich sind. 2. Vollzugsmodelle zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung: Einzelvollzugs-, Direktvollzugs-, Transnationalitäts- und Referenzentscheidungsmodell Um die Reichweite der Rechtsangleichungskompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers im Bereich des Vollzugs im Einzelnen zu bestimmen, ist es sinnvoll, zunächst einige begriffliche Klärungen vorzunehmen. Traditionell wird im europäischen Verwaltungsrecht ausgehend vom Trennungsprinzip zwischen dem Ausnahmefall des direkten Vollzugs des Unionsrechts und dem Regelfall des indirekten Vollzugs durch die nationalen Verwaltungsträger unterschieden.169 Diese Unterscheidung ist seit einiger Zeit in die Kritik geraten, da sie auf der Idee beruht, die europäische Verwaltungsrechtsangleichung beschränke sich im Wesentlichen auf die Angleichung des materiellen Verwaltungsrechts, während die Zuständigkeit für die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrechts allein bei den Mitgliedstaaten liege, wobei jeder Mitgliedstaat „für sich“ für den Vollzug zuständig ist.170 Die „vertikale“ Differenzierung zwischen direktem und indirektem Vollzug wird jedoch letztlich schon durch das unmittelbar in den Grundfreiheiten wurzelnde Anerkennungsprinzip unterlaufen, das seine transnationalisierenden Wirkungen gerade auf der horizontalen Ebene zwischen den Mitgliedstaaten entfaltet.171 Zudem weist auch die sekundärrechtliche Rechtsangleichung – namentlich im Produktzulassungsrecht, aber auch im Bereich der Dienstleistungsfreiheit – erkennbar über die Trennung von direktem und indirektem Vollzug hinaus.172 Dem entspricht der Befund, dass Verwaltungsträger der Union und der Mitgliedstaaten in horizontal und vertikal koordinierten Verbundsstrukturen zusammenwirken,173 wobei sich der Europäische Verwaltungsverbund von einem Informations-, schrittweise zu einem Organisations- und Entscheidungsverbund weiterentwickelt,174 in dem sich Informationsnetze zu Or169 Grundlegend Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1977, S. 9 ff. 170 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (761 f.); Groß, EuR 2005, S. 54 (55 f.). 171 Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 (935); ders., EuR 1996, S. 270 (301); Ruffert, Die Verwaltung 34 (2001), S. 453 ff. 172 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (761 f.); Groß, EuR 2005, S. 54 (55 f.). 173 Zu den Strukturprinzipien des Europäischen Verwaltungsverbunds: Schmidt-Aßmann, Verfassungsprinzipien für den Europäischen Verwaltungsverbund, in: HoffmannRiem/ders./Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I: 2006, § 5 Rn. 20 ff.; zu einzelnen Referenzgebieten vgl. die Beiträge in: Schmidt-Aßmann/ Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004; siehe auch: Siegel, Entscheidungsfindung im Europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 244 ff. 174 J.-P. Schneider, EuR Beiheft 2 (2005) S. 141 f., S. 148 ff.; vgl. auch Siegel, Entscheidungsfindung im Europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 380 ff.

D. Verwaltungsrechtsangleichung

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ganisationsstrukturen verdichten und zugleich grenzüberschreitende Entscheidungsverfahren entstehen, wie z. B. bei der Regulierungsverfügung im Telekommunikationssektor.175 Daher hat sich mittlerweile die auf Sydow zurückgehende Differenzierung zwischen vier Modellen – dem Einzelvollzugs-, Direktvollzugs-, Transnationalitäts- und Referenzentscheidungsmodell – durchgesetzt, welche die klassische Dichotomie von direktem und indirektem Vollzug erweitert und ergänzt.176 Während beim direkten Vollzug die Union „allein“ und beim indirekten Vollzug alle Mitgliedstaaten „für sich“ entscheiden, entscheidet beim Transnationalitätsmodell eine mitgliedstaatliche Behörde „für alle“ und beim Referenzentscheidungsmodell eine mitgliedstaatliche Behörde „vorab“ und unter regelhafter Einbindung anderer Behörden der Mitgliedstaaten bzw. der Union.177 Diesen Modellen entsprechen unterschiedliche Grade der horizontalen (Transnationalitätsmodell und Referenzentscheidungsmodell) und der vertikalen (Direktvollzugsmodell) Entscheidungszentralisierung im Europäischen Verwaltungsverbund. Dementsprechend überlagert die Unterscheidung zwischen zentralem und dezentralem Vollzug zunehmend die traditionelle Differenzierung zwischen indirektem und direktem Vollzug.178 Diese Differenzierungen sollen im Folgenden zugrunde gelegt werden. Mit dem dezentralen Vollzug sollen dabei jene Verwaltungsstrukturen beschrieben werden, in denen die Vollzugszuständigkeit grundsätzlich noch auf der Ebene der Mitgliedstaaten verbleibt, auch wenn – wie z. B. beim Referenzentscheidungsmodell – unter Umständen bereits besondere Anerkennungsverfahren vorgesehen sind, die eine grenzüberschreitende Anerkennung der Zulassungsentscheidung des Herkunftslands beschleunigen. Mit dem zentralen Vollzug sollen dagegen die horizontale Zentralisierung in der Form des transnationalen Verwaltungsakts sowie die vertikale Zentralisierung, also die Verlagerung von Entscheidungszuständigkeiten auf die Unionsebene, erfasst werden.179

III. Verwaltungsrechtsangleichung im zentralen und dezentralen Vollzug Die Rechtsangleichungskompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers umfassen nach Maßgabe der bisher entwickelten normativen Maßstäbe sowohl die Voll175 Ladeur/Möllers, DVBl. 2005, S. 525 ff.; Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation: ein neues Modell europäisierter Verwaltung, in: FS Selmer, 2004, S. 565 ff. 176 Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 118 ff. 177 Prägnant Sydow, DÖV 2006, S. 66 (67 f.); zu den Modellen im Einzelnen siehe unten in diesem Kapitel, D. III. 1. 178 Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 124 ff.; vgl. auch J.-P. Schneider, EuR Beiheft 2 (2005), S. 141 f.; Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (761 f.); Groß, Die Kooperation zwischen europäischen Agenturen und nationalen Behörden, EuR 2005, S. 54 ff. 179 Ähnlich J.-P. Schneider, EuR Beiheft 2 (2005), S. 141 ff.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

zugszentralisierung als auch Maßnahmen zur Harmonisierung des dezentralen Vollzugs. Der zentrale Vollzug entweder auf Grundlage des transnationalen Verwaltungsakts oder aufgrund der Übertragung von neuen Eigenverwaltungszuständigkeiten auf die Kommission oder europäische Agenturen bildet allerdings nach wie vor den Ausnahmefall. Da es sich hierbei jedoch um die am weitesten gehenden Eingriffe in die Vollzugskompetenzen der Mitgliedstaaten handelt, ist es gleichwohl sinnvoll, sich zunächst mit den Kompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers zur Vollzugszentralisierung zu befassen. 1. Verwaltungsrechtsangleichung im Bereich des zentralen Vollzugs a) Grundsätzliche Kompetenz zur Vollzugszentralisierung Zunächst ist festzustellen, dass der Vollzugszentralisierung im Anwendungsbereich der Binnenmarktkompetenzen nicht eine harmonisierungsfeste Verwaltungszuständigkeit der Mitgliedstaaten entgegengehalten werden kann, da es im Anwendungsbereich der Binnenmarktkompetenzen, anders als z. B. im Umweltrecht, an einer Festschreibung des Prinzips des indirekten bzw. dezentralen Vollzugs i. S. v. Art. 192 Abs. 4 AEU (ex-Art. 175 Abs. 4 EG) gerade fehlt.180 Gegen eine Binnenmarktkompetenz zur Verwaltungszentralisierung wird allerdings teilweise ins Feld geführt, dass der Topos der Rechtsangleichung schon begrifflich auf die Angleichung des einzelstaatlichen Rechts beschränkt sei.181 Auch der Begriff der Rechtsangleichung muss indessen im Lichte des Prinzips der praktischen Wirksamkeit binnenmarktfunktional, d. h. mit Blick auf das in Art. 114 Abs. 1 AEU (ex-Art. 95 Abs. 1 EG) normierte Ziel der Errichtung und des Funktionierens des Binnenmarktes, ausgelegt werden. Erfasst werden damit alle Maßnahmen, die geeignet sind, durch Rechtsvereinheitlichung Handelshemmnisse oder Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt zu beseitigen bzw. deren Entstehen zu vermeiden. Zu Errichtung dieses Ziels können gerade auch Maßnahmen der Vollzugszentralisierung erforderlich sein.182 180 Zum Grundsatz des dezentralen bzw. indirekten Vollzugs des Umweltrechts: Klein, in: Streinz, EUV/EGV Art. 175 Rn. 43. Allerdings beeinflusst das EU-Recht den mitgliedstaatlichen Vollzug auch im Umweltrecht in vielfältiger Weise: vgl. Nitzschke, Harmonisierung des nationalen Verwaltungsvollzugs im EG-Umweltrecht, 2000; siehe auch die Beiträge bei Lübbe-Wolf (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, sowie Huber, UTR 62 (2002), S. 9 (26 ff.). Zur Reichweite der unmittelbaren Vollzugskompetenzen auch Trute, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG III, Art. 83, Rn. 66. 181 Vetter, Die Kompetenzen der Gemeinschaft zur Gründung von unabhängigen europäischen Agenturen, DÖV 2005, S. 721, 726. 182 Vgl. EuGH, Rs. C-217/04, EuZW 2006, S. 369, Rdnr. 59 ff. zur Schaffung von Agenturen auf Grundlage von Art. 114 AEU (ex-Art. 95 EG); kritisch hierzu auch Vetter, DÖV 2005, S. 721 ff.; differenzierend: Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, S. 290 f.

D. Verwaltungsrechtsangleichung

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b) Horizontale Zentralisierung des Vollzugs (Transnationalitätsmodell, Referenzentscheidungsmodell) Der Unionsgesetzgeber verfügt auf Grundlage der Binnenmarktkompetenzen einerseits über weitreichende Kompetenzen zur horizontalen Zentralisierung des Verwaltungsvollzugs, insbesondere in Form von Maßnahmen der Rechtsangleichung, die darauf zielen, das Anerkennungsprinzip durch die Transnationalisierung der Wirkungen von Verwaltungsakten sicherzustellen.183 Diese sekundärrechtliche Kompetenz wird auch nicht bereits durch die primärrechtliche Gewährleistung des Anerkennungsprinzips entbehrlich. Vielmehr kann gerade das Anerkennungsprinzip Maßnahmen der Rechtsangleichung erforderlich machen, durch die z. B. rechtsverbindlich geklärt wird, für welche Produkte oder Produktgruppen das Anerkennungsprinzip unter Äquivalenzgesichtspunkten Wirkung entfalten soll.184 Der transnationale Verwaltungsakt hat allerdings seine Schwächen.185 Zunächst setzt die gegenseitige Anerkennung von Produktzulassungen ein hohes Maß an wechselseitigem Vertrauen und zumindest näherungsweise vergleichbare Schutzstandards im Europäischen Verwaltungsverbund voraus.186 Auch wenn diese Voraussetzungen erfüllt sein sollten, können sich durch eine mechanische Implementierung des Anerkennungsprinzips erhebliche Vollzugsdefizite in den Bestimmungsländern ergeben, da deren Behörden kaum in der Lage sein werden, eine effektive Überwachung nach Maßgabe der Standards anderer Mitgliedstaaten durchzuführen.187 Zudem droht bei der bloßen Festschreibung des Anerkennungsprinzips die Gefahr eines Deregulierungswettlaufs zwischen den Mitgliedstaaten, die versucht sein können, sich durch niedrige Produktstandards einen Wettbewerbsvorteil im Binnenmarkt zu verschaffen.188 Das einfache

183 Vgl. Schmidt-Aßmann, EuR 1996, S. 270 (301); Ruffert, Die Verwaltung 34 (2001) S. 453 ff.; Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 143 ff.; J. Becker, DVBl. 2001, S. 855 (860 ff.). Zur Umsetzung des Transnationalitätsmodells im sekundären Verwaltungsrecht vgl. auch Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 324 ff. 184 Vgl. Leible, in: Streinz, EUV/EGV Art. 14 Rn. 18 ff., 21 ff. 185 Vgl. Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 (935); ders., EuR 1996, S. 270 ff. Allgemein zu den Voraussetzungen der Verwaltungskooperation: Ruffert, Die Verwaltung 34 (2001) S. 453 ff.; Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 143 ff.; J. Becker, DVBl. 2001, S. 855 (860 ff.); Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 324 ff. 186 Vgl. hierzu allgemein Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 390 ff. 187 Dies zeigt sich deutlich an der Diskussion um das Herkunftslandprinzip im ursprünglichen Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie, KOM (2004) 2 endg. Hierzu Calliess, DVBl. 2007, S. 336 ff.; Kugelmann, EuZW 2005, S. 327 ff.; Möstl, DÖV 2006, S. 281 ff.; zur endgültigen Fassung: Ziekow, Die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf das deutsche Genehmigungsverfahrensrecht, GewArch 2007, S. 179 ff. (Teil 1) und S. 217 ff. (Teil 2). 188 Zu Möglichkeiten und Grenzen des Regulierungswettbewerbs im Binnenmarkt: Schwarze, EuR 2007, S. 1944; im Zusammenhang mit der Dienstleistungsrichtlinie

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

Transnationalitätsmodell ist damit zwar eine zulässige Option der Rechtsangleichung. Es steht jedoch, soweit es nicht durch weitergehende Maßnahmen der Rechtsangleichung flankiert wird, jenseits seiner sonstigen Defizite nicht zuletzt auch in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Binnenmarktziel der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen.189 Die sekundärrechtliche Normierung des Anerkennungsprinzips eignet sich daher vor allem dann als Instrument der Verwaltungsrechtsangleichung, wenn zugleich eine weitgehende Angleichung des materiellen Verwaltungsrechts durch einheitliche Produktstandards sowie ggf. auch des Verfahrensrechts erfolgt, durch die sichergestellt wird, dass materielle Standards auch effektiv überwacht werden.190 Andererseits erweist sich der transnationale Verwaltungsakt aus gleichen Gründen auch als der insgesamt wohl stärkste Eingriff in nationale Vollzugszuständigkeiten.191 Entsprechend war das von der Kommission ursprünglich für die Rechtsangleichung favorisierte Transnationalitätsmodell in Rat und Parlament häufig nicht durchsetzbar.192 c) Vertikale Zentralisierung des Vollzugs (Ausbau der Eigenverwaltung der Union) Als Alternative zum Anerkennungsprinzip bieten sich die vertikale Zentralisierung des Vollzugs und der Ausbau von Eigenverwaltungszuständigkeiten der Union an. Der Ausbau der Eigenverwaltung der Union kann sich bei einer Gesamtbetrachtung sogar als autonomieschonender erweisen als eine horizontale Zentralisierung und Transnationalisierung der Vollzugskompetenzen. Zwar verlieren die Mitgliedstaaten (in ihrer Eigenschaft als Herkunftsländer) im harmonisierten Bereich ihre Zuständigkeiten auf dezentraler Ebene. Andererseits sehen sich die Mitgliedstaaten (in ihrer Eigenschaft als Bestimmungsländer) nicht mit dem Problem konfrontiert, sich für Zulassungsentscheidungen anderer Mitgliedstaaten öffnen zu müssen, an deren Zustandekommen sie nicht beteiligt sind. Der direkte Vollzug bietet dagegen die Möglichkeit, dass die nationalen Verwaltungen über die Durchführung im Ausschusswesen,193 aber auch durch die Besetzung Calliess, DVBl. 2007, S. 336 ff.; Kugelmann, EuZW 2005, S. 327 ff.; Möstl, DÖV 2006, S. 281 ff. 189 Vgl. hierzu Leible, in: Streinz, EGV/EUV Art. 95 EG Rn. 18 f. 190 Zur Umsetzung im Sekundärrecht: Siegel, Entscheidungsfindung im Europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 324 ff. 191 Siegel, Entscheidungsfindung im Europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 322 ff. 192 Dies zeigt sich beispielhaft an der Dienstleistungsrichtlinie: Calliess, DVBl. 2007, 336 ff. Anderseits stellt er auch das Vordringen des Referenzentscheidungsmodells als Reaktion auf die Defizite des klassischen Transnationalitätsmodells dar. Hierzu Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 331 ff.; vgl. auch Sydow, DÖV 2006, S. 66 ff. 193 Hierzu: Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 300 ff.

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von Prüfungsausschüssen im europäischen Agenturwesen194 in jene supranationalen Verwaltungsentscheidungen eingebunden werden, die dann später in ihrem Zuständigkeitsbereich Wirkungen entfalten sollen. Angesichts dieser Ausgangsbefunde kann es nicht Wunder nehmen, dass sich die vertikale Zentralisierung des Vollzugs zu einem wichtigen Instrument europäischer Verwaltungsintegration entwickelt hat,195 wobei teils fließende Übergänge zu dezentralen Verfahren feststellbar sind, wie z. B. im Pflanzenschutzrecht im Zusammenhang mit der Wirkstoffzulassung.196 Ein typisches Beispiel ist das zentralisierte europäischen Arzneimittelzulassungsverfahren nach Maßgabe der VO (EG) Nr. 726/2004/EG, das neben der Angleichung des materiellen Arzneimittelzulassungsrechts auch die Übertragung von Entscheidungszuständigkeiten auf die Kommission, die Errichtung einer Europäischen Arzneimittelagentur mit Entscheidungsvorbereitungsfunktionen sowie eines zentralisierten Zulassungsverfahrens umfasst.197 Die Praxis der Vollzugszentralisierung wirft allerdings die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit dem Kompetenzgefüge des Vertrags auf. Die aus binnenmarktrechtlicher Sicht primär in Betracht kommende Kompetenznorm des Art. 114 AEU (exArt. 95 EG) wird im Schrifttum mit Blick auf die Begründung von Vollzugskompetenzen der Union überwiegend restriktiv ausgelegt.198 Der EuGH199 und eine im Vordringen befindliche Auffassung200 legen Art. 114 AEU (ex-Art. 95 EG) dagegen weiter aus. Dieser Auffassung dürfte zuzustimmen sein. Die Kompetenz zur vertikalen Verwaltungszentralisierung nach Maßgabe von Art. 114 AEU (exArt. 95 EG) folgt aus materiell-rechtlicher Sicht daraus, dass zentralisierte Ver194 Vgl. Ruffert, Verselbständigte Verwaltungseinheiten: Ein Megatrend im Vergleich, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 431 ff. 195 Vgl. zum Vorkommen, Ausdiversifizierung und Ausgestaltung des Direktvollzugs im Verwaltungsverbund: Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 290 ff., S. 295 ff. 196 Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 232 f. 197 Zum Arzneimittelzulassungsverfahren: Schmidt am Busch, Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2007, S. 265 ff., S. 280 ff. 198 R. Wahl/Groß, DVBl. 1998, S. 2, 10; Blattner, Europäisches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 32 ff.; Klepper, Vollzugskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft aus abgeleitetem Recht, 2001, S. 52 ff.; Epiney, NUR 2007, S. 111 (112 f.); Vetter, DÖV 2005, S. 721 ff. 199 EuGH, Rs. C-217/07 (Kommission/Niederlande) EuZW 2006, S. 369, Rn. 59 ff., zu europäischen Agenturen; vgl. auch EuG verb. Rs. T-366/03 und T-235/04 (Österreich/Kommission) NUR 2006, S. 98 ff. 200 Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/ Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 (304 ff).; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 10, Rn. 24; v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV Art. 5, Rn. 43; Scheuing, Die Verwaltung 34 (2001) S. 107 (110); Schoch, Die Verwaltung, Beiheft 2 (1999) S. 135 f.; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 83; Jarass, AöR 121 (1996) S. 182; differenzierend: Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG III, Art. 83, Rn. 59; Siegel, Entscheidungsfindung im Europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 290 ff.

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fahren mit einheitlicher Zulassungswirkung für den gesamten Binnenmarkt in besonderer Weise geeignet sind, zwischenstaatliche Handelshemmnisse zu beseitigen, die sich aus der einzelstaatlichen Mehrfachregulierung des Marktzugangs ergeben. Im Gegensatz zum Transnationalitätsmodell hat der Ausbau der Eigenverwaltung der Union zudem den Vorzug, dass nicht nur die Folgen einer Vollzugszersplitterung für den Binnenmarkt abgemildert werden, sondern vielmehr der Vollzug selbst vereinheitlicht wird.201 Auch das Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätsprinzip202 dürften einer weitgehenden Verfahrenszentralisierung in der Regel nicht entgegenstehen, da zentralisierte einheitliche Zulassungsverfahren durchaus besser als koordinierte Maßnahmen des dezentralen Vollzugs geeignet sein können, die funktionalen Binnenmarktziele zu fördern. Zudem kann sich die vertikale Zentralisierung auch mit Blick auf die allgemeinwohlverträgliche Regulierung des Binnenmarktes als das effektivere Mittel erweisen, da ein Deregulierungswettlauf zwischen den Herkunftsstaaten von vornherein ausgeschlossen ist. Sind die Voraussetzungen für eine Verwaltungszentralisierung erfüllt, verfügt der Unionsgesetzgeber über ein grundsätzlich sehr weites Ermessen bei der Ausgestaltung der Verwaltungsorganisation von europäischen Agenturen sowie bei der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens,203 wobei bei der Ausgestaltung des Verfahrens neben der effektiven Zielverwirklichung auch ein effektiver Grundrechtsschutz zu gewährleisten ist.204 2. Sekundärrechtliche Verwaltungsrechtsangleichung im dezentralen Vollzug Obwohl die Union nach der hier vertretenen Auffassung über potenziell sehr weit reichende Kompetenzen zur Vollzugszentralisierung verfügt und Tendenzen zur Verwaltungszentralisierung insbesondere im Produktzulassungsrecht, aber auch im Regulierungsverwaltungsrecht erkennbar sind, steht doch der dezentrale Vollzug nach wie vor im Vordergrund.205 In bestimmten Fällen kann die Wahl des dezentralen Vollzugs auch aus normativer Sicht unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität geboten sein, wenn z. B. auf mitgliedstaatlicher Ebene Aufsichtsfunktionen vor Ort wahrgenommen werden müssen, wie etwa bei der Arzneimittelüberwachung im Rahmen der Nachmarkt201 Vgl. zu Effektivität Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 293 ff. 202 Zur begrenzten Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips: Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 (304 f.). 203 EuGH Rs. C-217/07 (Kommission/Niederlande), EuZW 2006, S. 369 (Rn. 59 ff.). 204 Zu dahin gehend bestehenden Defiziten: Ladeur/Möllers, DVBl. 2005, S. 525 ff. 205 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 ff.; vgl. auch Siegel, Entscheidungsfindung im Europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 331 ff.

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kontrolle, aber auch bei der Dienstleistungsaufsicht.206 Aber auch im Übrigen ist unter Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätsgesichtspunkten stets genau zu prüfen, ob nicht ein autonomieschonender koordinierter dezentraler Vollzug zur Zielverwirklichung ausreichend ist. Soweit die Wahl des dezentralen Vollzugs zulässig oder geboten ist, erstrecken sich die Rechtsangleichungskompetenzen des Unionsgesetzgebers jedoch auch hier nicht nur auf das materielle Verwaltungsrecht, sondern umfassen – unter Beachtung der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität – auch das einzelstaatliche Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrecht.207 So legt insbesondere das Anerkennungsprinzip über die Angleichung des materiellen Rechts hinaus regelmäßig geeignete Verfahren der grenzüberschreitenden Verwaltungskoordinierung nahe, um sicherzustellen, dass zwischen den einzelstaatlichen Verwaltungsträgern Informationen über bereits im Herkunftsland erfolgte Zulassungen ausgetauscht werden, die bei nationalen Zulassungsentscheidungen auch unterhalb der Schwelle des transnationalen Verwaltungsakts mit berücksichtigt werden müssen.208 Hierbei kann ggf. auch eine vertikale Einbeziehung der Kommission oder europäischer Agenturen zur Verfahrensbeschleunigung erforderlich sein.209 Dies ist aus binnenmarktfunktionaler Sicht insbesondere dann geboten, wenn zwischen nationalen Behörden im Anerkennungsverfahren keine Einigkeit erzielt werden kann, sodass Vollzugsblockaden drohen.210 Ebenso liegt es in der Konsequenz des Binnenmarktziels der Vermeidung von Mehrfachregulierungen, wenn Informationsverbünde zu Entscheidungsverbünden verdichtet werden.211 Insofern findet die Herausbildung von europäischen Verbundstrukturen horizontaler und vertikaler Verwaltungskoordinierung im Bereich des dezentralen Vollzugs ihre nor206 Zu möglichen Begrenzungen vgl. auch R. Wahl/Groß, DVBl. 1998, S. 2 (10); Blattner, Europäisches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 32 ff.; Klepper, Vollzugskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft aus abgeleitetem Recht, 2001, S. 52 ff.; Epiney, NUR 2007, S. 111 (112 f.); Vetter, DÖV 2005, S. 721 ff. 207 Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/ Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 (304 ff.); Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 10, Rn. 24; v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, EuV/EGV Art. 5, Rn. 43, Scheuing, Die Verwaltung 34 (2001), S. 107 (110); Schoch, Die Verwaltung, Beiheft 2 (1999), S. 135 f.; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 83; Jarass, AöR 121 (1996), S. 182 ff. 208 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (763 f); zum Informationsverbund: Siegel, Entscheidungsfindung im Europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 372. 209 Beispiele sind die Novel-Food-Verordnung (EG) Nr. 258/97, aber auch das dezentrale Arzneimittelzulassungsverfahren nach der RL 2004/24/EG, soweit es im Anerkennungsverfahren unter Beteiligung mehrerer nationalen Behörden durchgeführt wird. Hierzu Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 338 ff. 210 Vgl. für das Schiedsverfahren und das Anerkennungsverfahren im dezentralen Arzneimittelzulassungsverfahren (RL 2001/83/EG): Schmidt am Busch, Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2007, S. 274 f. 211 Zur Weiterentwicklung zum Entscheidungsverbund eingehend: Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 372 ff.

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mative Rechtfertigung in den funktionalen Gewährleistungen der Grundfreiheiten. Sie beschreibt zugleich eine Kernkompetenz des Binnenmarktgesetzgebers im Bereich der Verwaltungsrechtsangleichung. Darüber hinaus können auch Maßnahmen der Angleichung im einzelstaatlichen Verwaltungsorganisationsund Verwaltungsverfahrensrecht, jedenfalls in Form von Rahmenvorgaben zur Verfahrensbeschleunigung erforderlich sein, etwa in Form der Verpflichtung zur Errichtung von One-Stop-Behörden oder zur Einführung von Genehmigungsfiktionen im Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie.212

IV. Normative Strukturvorgaben an die Verwaltungsrechtsangleichung im Binnenmarkt 1. Die Ausrichtung der Verwaltungsrechtsangleichung auf die funktionalen Binnenmarktziele Die Besonderheit der Binnenmarktkompetenzen liegt nach den bisherigen Untersuchungen darin, dass sie nicht nur Rechtsangleichungskompetenzen begründen, sondern diese zugleich auch funktional auf die Ziele des Binnenmarktes (Art. 114 Abs. 1, 26 Abs. 2 AEU) ausrichten. Maßnahmen der Verwaltungsrechtsangleichung sind daher sowohl im Bereich des zentralen wie des dezentralen Vollzugs nur dann zulässig, wenn die Angleichung neben materiellen Zielen auch geeignet ist, den Binnenmarkt zu fördern.213 Damit haben die Binnenmarktkompetenzen, anders als staatliche Sachkompetenzen, nicht nur eine kompetenzeröffnende, sondern auch eine kompetenzausrichtende Wirkung, die auch die Leittendenzen der Verwaltungsrechtsangleichung normativ vorprägen. Dies zeigt sich am deutlichsten am Produktzulassungsrecht, aber auch am Dienstleistungsaufsichtsrecht. Das funktionale Ziel der Beschränkungsverbote der Art. 34 und 56 AEU liegt in der Vermeidung von Mehrfachregulierungen im Binnenmarkt, das primärrechtlich durch das Herkunftsland- und Anerkennungsprinzip abgesichert wird.214 Damit wird zugleich die zulässige Richtung der sekundärrechtlichen Verwaltungsrechtsangleichung – unbeschadet des Ermessens des Binnenmarktgesetzgebers – normativ bis zu einem gewissen Grade vorgeprägt. Maßnahmen der Verwaltungsrechtsangleichung nach Art. 114 AEU bzw. 53 Abs. 2, 61 AEU müssen grundsätzlich im Vergleich zum Status quo ante zum Abbau von Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen beitragen.

212 Vgl. Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (763 f.); auch Ziekow, Die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf das deutsche Genehmigungsverfahrensrecht, GewArch 2007, S. 179 ff. (Teil 1) und S. 217 ff. (Teil 2). 213 Vgl. oben 2. Kapitel, C. VI. 1. und 2. 214 Vgl. oben 2. Kapitel, B. IV. 2. und B. V.

D. Verwaltungsrechtsangleichung

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2. Das Herkunftslandprinzip Aus der funktionalen Kopplung der Binnenmarktkompetenzen mit den Grundfreiheiten erklären sich denn auch einige Strukturmerkmale des Europäischen Verwaltungsverbunds. So folgt aus dem Herkunftslandprinzip, dass die Zuständigkeit für die Produktzulassung, aber auch für die „produktbezogene“ Überwachung des Herstellungsprozesses grundsätzlich im Herkunftsland erfolgen muss. Dies spiegelt sich z. B. in der VO (EG) Nr. 882/2004 über die Harmonisierung des Lebens- und Futtermittelrechts wider, nach welcher die produktbezogene Lebensmittelüberwachung nach Maßgabe der Vorschriften des europäischen Lebensmittelrechts den Behörden des Herkunftslands obliegt.215 Gleiches gilt grundsätzlich für die Arzneimittelüberwachung sowie für die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen nach Maßgabe der RL 70/156/EWG und der RL 2007/46/ EG216 sowie in modifizierter Form auch für die endgültige Fassung der Dienstleistungsrichtlinie.217 3. Zentralisierung zur Beseitigung von Handelshemmnissen: Zum Effektivitäts-, Effizienz- und Beschleunigungsprinzip Darüber hinaus kommt den Grundfreiheiten auch für die Verwaltungskoordinierung im Verbund normative Bedeutung zu. Ihre Strukturvorgaben spiegeln sich nicht zuletzt im spezifisch binnenmarktfunktionalen Einschlag wider, der das Effektivitäts- und Effizienzprinzip im Anwendungsbereich der Binnenmarktkompetenzen erhält.218 Im Bereich der Rechtsangleichung im Binnenmarkt geht es zunächst um die praktische Wirksamkeit der funktionalen Binnenmarktziele des Art. 26 AEU, auf die wiederum auch die Kompetenznorm des Art. 114 AEU ausgerichtet ist. Daher ist gerade auch die Ausgestaltung der Koordinierung, soweit es um das Ziel des Abbaus von Handelshemmnissen in Form der Mehrfachregulierung geht, zunächst am funktionalen Effektivitätsprinzip zu messen. Welches Verfahren der Verwaltungskoordinierung (Direktvollzugsmodell, Referenzentscheidungsmodell usw.) aus normativer Sicht vorzugswürdig ist, bestimmt sich demzufolge zunächst nach dessen Effektivität in Bezug auf die Beseitigung 215 Zum Verfahren: Schmidt am Busch, Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2007, S. 134 ff. 216 Vgl. hierzu Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 237 ff., S. 242 ff. 217 Zur Bedeutung des Herkunftslandprinzips im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie: Calliess, DVBl. 2007, S. 336 ff. 218 In der Rechtswissenschaft hat sich mittlerweile die Unterscheidung zwischen Effektivität und Effizienz weitgehend eingebürgert, wobei mit Effektivität die Wirksamkeit der Zielverwirklichung, mit Effizienz dagegen die Zweck-Mittel-Relation beschrieben wird. Vgl. statt vieler: Hoffmann-Riem, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 11 (16 f.); für den Verwaltungsverbund: Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, S. 60 ff.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

von Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt. Erst auf dieser Grundlage ist dann dem Effizienzprinzip in Form des Beschleunigungsprinzips Rechnung zu tragen, also mit zu berücksichtigen, welches der Verfahren die zeitlich geringste Dauer aufweist.219 Ein praktisch wirksames Instrument der Beseitigung von zwischenstaatlicher Mehrfachregulierung liegt zunächst in der vertikalen Vollzugszentralisierung und dem Ausbau der Eigenverwaltungszuständigkeiten der Union. Dies beschreibt denn auch eine der wichtigsten Facetten der Entwicklung des Europäischen Verwaltungsverbunds. Die Tendenz zur Vollzugszentralisierung zeigt sich u. a. am zentralisierten europäischen Arzneimittelzulassungsverfahren nach der VO (EG) 726/2004; beim Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Lebensmittel nach der VO (EG) 1829/2003 oder bei der Zentralisierung der Wirkstoffzulassung im Rahmen der Pflanzenschutzrichtlinie 91/4141/EWG, bei der allerdings die eigentliche Produktzulassung nach wie vor auf einzelstaatlicher Ebene erfolgt.220 Eine weitere Möglichkeit der effektiven Beseitigung von zwischenstaatlicher Mehrfachregulierung liegt in der horizontalen Zentralisierung im Wege der materiell-rechtlichen Vollharmonisierung und der sekundärrechtlichen Normierung des Anerkennungsprinzips, wie bei der Kfz-Typenzulassung nach der RL 70/156/EWG und der RL 2007/46/EG, aber auch bei der Zulassung nach der Pflanzenschutzmittel-Richtlinie 91/514/EWG, in die allerdings zugleich auch die Kommission über die vorgelagerte Wirkstoffzulassung nach Art. 3 Abs. 1, 4 Abs. 1a RL 91/414/EWG eingebunden ist.221 4. Das Referenzentscheidungsmodell aus binnenmarktfunktionaler Sicht Soweit keine Vollharmonisierung des materiellen Rechts erfolgt, zielt die Rechtsangleichung typischerweise auf die Einschränkung der marktzugangsbeschränkenden Effekte der mitgliedstaatlichen Mehrfachregulierung. Mit dieser Ausgangslage korrespondieren die unterschiedlichen Varianten des Referenzentscheidungsmodells, das als Rahmenbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher horizontal und vertikal koordinierter Entscheidungsmodelle im Verwaltungsverbund fungiert.222 Allen Varianten des Referenzentscheidungsmodells ist im Grundsatz gemeinsam, dass zunächst eine nationale Verwaltungsbehörde für die Zulas219 Daher ist die Vermeidung von „Überschneidungen und Doppelprüfungen“ im Verwaltungsverbund, jedenfalls im Anwendungsbereich des Art. 114 AEU, nicht primär ein Effizienz-, sondern vielmehr ein Effektivitätsproblem. Insoweit ungenau: Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 68 f. 220 Vgl. Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 232 ff., S. 293 ff. 221 Vgl. Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 232 ff., S. 324 ff. 222 Grundlegend: Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 124 ff.; vgl. auch J.-P. Schneider, EuR Beiheft 2 (2005) S. 141 f.

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sungsentscheidungen zuständig ist, die von den anderen Behörden in einem beschleunigten Verfahren anerkannt werden können, wobei zugleich Verfahren vorgesehen werden können, die eine Abstimmung zwischen der federführenden Zulassungsbehörde und den übrigen beteiligten nationalen Behörden ermöglichen, um Meinungsverschiedenheiten über das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen beizulegen.223 Beispiele sind das Zulassungsverfahren der Novel-Food-Verordnung (EG) Nr. 258/97, aber auch das dezentralisierte Zulassungsverfahren im Arzneimittelrecht, soweit dies im Anerkennungsverfahren unter Beteiligung mehrerer nationaler Behörden durchgeführt wird. Diese Verfahren gewährleisten eine beschleunigte Zulassung, soweit die nationalen Behörden Einvernehmen über das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen herstellen können.224 5. Intervertikale Entscheidungsabstufungen im Referenzentscheidungsmodell Unterschiedlich sind dagegen die aus funktionaler Sicht zulässigen Optionen, wenn keine positive Zulassungsentscheidung auf dezentraler Ebene getroffen werden kann. Soweit die federführende Zulassungsbehörde die Zulassung im Einvernehmen mit den anderen beteiligten Behörden ablehnt, kann diese Entscheidung – abweichend von den rein „rechtserweiternden“ Wirkungen des primärrechtlichen Anerkennungsprinzips – nach Maßgabe des Sekundärrechts Wirkungen für den gesamten Binnenmarkt entfalten. Ein Beispiel ist das dezentrale Arzneimittelzulassungsverfahren.225 Diese Wirkung steht nicht im Widerspruch zum Binnenmarktziel, da die Grundfreiheiten nur spezifisch grenzüberschreitende Marktzugangsschranken beseitigen, nicht aber Wirtschaftsfreiheiten generell erweitern sollen. Insofern folgt aus den Grundfreiheiten auch nicht, dass der Binnenmarktgesetzgeber „Antragstourismus“ hinnehmen muss.226 Alternativ ist es jedoch auch zulässig, dass bei einer abschlägigen Vorprüfung durch eine federführende nationale Behörde oder bei Uneinigkeit zwischen den nationalen Behörden die Entscheidungszuständigkeit auf die Kommission bzw. auf europäische Agenturen zu verlagern. Beispiele sind die Novel-Food-Verordnung (EG) Nr. 258/57 und das dezentrale Arzneimittelzulassungsverfahren nach der RL 2004/24/EG, soweit es im Anerkennungsverfahren unter Beteiligung mehrerer nationalen Behörden durchgeführt wird.227 223 Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 331 ff. 224 Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 327, S. 334 f. 225 Schmidt am Busch, Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2007, S. 275. 226 Zu diesem Problem bei anders gelagerten Verfahren nach der Freisetzungsrichtlinie 2001/17/EG: Calliess/Korte, DÖV 2006, S. 10 (18). 227 Zu intervertikalen Entscheidungsabstufungen im Verwaltungsverbund: Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 338 ff.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

V. Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen und Kommissionsmitteilungen Im Kontext der sekundärrechtlichen Rechtsangleichungsbefugnisse der Union stellt sich schließlich auch die Frage nach den Grundlagen und Grenzen der Übertragung von tertiärrechtlichen Rechtsetzungskompetenzen auf die Kommission. Hierbei kann zwischen delegierten Durchführungskompetenzen und der Mitteilungspraxis der Kommission unterschieden werden. 1. Delegation von Durchführungskompetenzen auf die Kommission Art. 290 und 291 Abs. 1 AEU eröffnen Parlament und Rat u. a. auch die Möglichkeit, Durchführungskompetenzen auf die Kommission zu übertragen.228 Von dieser Möglichkeit machen Parlament und Rat auch im Bereich der Binnenmarktharmonisierung regelmäßig Gebrauch. Im Rahmen der Durchführung wachsen der Kommission erhebliche Gestaltungsspielräume zu, die Rat und Parlament durch die Errichtung von Komitologieausschüssen auszugleichen suchen, die mit Vertretern des Parlaments und der Mitgliedstaaten besetzt sind. Unter Geltung des EG-Vertrags lag die primärrechtliche Kompetenz zur Übertragung von Durchführungskompetenzen nach Art. 211 EG noch ausschließlich beim Rat. Allerdings beharrte das Parlament anknüpfend an das „Wesentlichkeitsprinzip“ des EuGH darauf, dass eine Delegation von Durchführungskompetenzen unter parlamentarischer Beteiligung zu erfolgen habe.229 Durch den Vertrag von Lissabon wurde die Kompetenz zur Delegation von Durchführungskompetenzen nach Maßgabe der Art. 291 und 292 AEU nunmehr auch primärrechtlich ausdrücklich Parlament und Rat zugewiesen. Diese Ausgangskonstellation prägt auch die sekundärrechtliche Ausgestaltung des Komitologieverfahrens, das zwischen dem Beratungs-, dem Verwaltungs- und dem Regelungsverfahren sowie dem Regelungsverfahren mit Kontrolle differenziert.230 In diesem gestuften Ver228 Hierzu eingehend Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 ff.; Demmke/Haibach, DÖV 1997, S. 710 ff.; Mensching, EuZW 2000, S. 268 ff.; Haibach, VerwArch 90 (1999), S. 98 ff.; Shaw, Comitology and Delegation of Power, 1995. Zu den Implikationen für die Mitgliedstaaten: v. Danwitz, DVBl. 1998, S. 421 ff. 229 Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV vor Art. 250 Rn. 20 ff.; Kugelmann, in: Streinz, Art. 211 Rn. 45; Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, S. 301 ff. Als „wesentlich“ sind dabei solche Bestimmungen anzusehen, durch die grundsätzliche Ausrichtungen der Unionspolitik umgesetzt werden. Vgl. EuGH, Rs. C-240/90 (Deutschland/Kommission) Slg. 1992, I-5383, Rn. 37. Zur Abgrenzung zur „grundrechtzentrierten“ Wesentlichkeitstheorie: Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 (296 ff.). 230 Zu den Verfahrensarten: Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 301 ff.

D. Verwaltungsrechtsangleichung

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fahrensregime nimmt die Dominanz der Kommission parallel zur „Wesentlichkeit“ der Maßnahmen schrittweise ab, während andererseits die Befugnisse von Rat und Parlament zunehmen.231 In der Praxis der Sekundärrechtsetzung nimmt die Bedeutung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle zu, indem das Parlament einer Maßnahme der Kommission in bindender Weise widersprechen kann.232 Das Regelungskontrollverfahren hat zwar unter Legitimationsgesichtspunkten den Vorzug, dass es die Steuerungsmöglichkeiten des Parlaments erweitert. Dessen ungeachtet besteht die Gefahr, dass gerade hierdurch Maßnahmen von wesentlicher Bedeutung von der Ebene der legislativen auf die Ebene der exekutiven Rechtserzeugung verlagert werden.233 Der Versuch der Begrenzung des Machtzuwachses der Kommission zulasten der mitgliedstaatlichen Verwaltungsautonomie schlägt sich auch in weiteren Änderungen im Vertrag von Lissabon nieder. So wird nunmehr abweichend vom Vertrag von Nizza die Durchführungskompetenz ausdrücklich den Mitgliedstaaten zugewiesen (vgl. Art. 291 AEU). Gleichwohl bleibt trotz der grundsätzlichen Absicherung der Durchführungszuständigkeit der Mitgliedstaaten eine Delegation von Durchführungskompetenzen an die Kommission nach wie vor jedenfalls dann zulässig, soweit dies nach Art der Maßnahme als erforderlich erscheint.234 Ob diese neuen Regelungen zu einer effektiven Begrenzung der Verlagerung von Durchführungskompetenzen auf die Kommission führen werden, bleibt wegen der bestehenden Abweichungsmöglichkeiten abzuwarten. Insgesamt sind die primärrechtlichen Vorgaben an die Durchführung auch im AEU nach wie vor wenig präzise.235 2. Kommissionsmitteilungen Von den delegierten Durchführungskompetenzen der Kommission zu unterscheiden ist die Praxis der Kommissionsmitteilung, die sich in einer bisher nur unzureichend geklärten Mittellage zwischen unverbindlicher Auslegungsmitteilung und verbindlicher Verwaltungsrichtlinie befindet.236

231

Kugelmann, in: Streinz, Art. 211 Rn. 45. Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 304 f. 233 Vgl. Möllers, Tertiäre exekutive Rechtsetzung im Europarecht, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2004, S. 293 (315 f.). 234 Vgl. Schwarze, EuR Beiheft 1 (2009), S. 9 (20 f.). 235 Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 306. 236 Vgl. Groß, DÖV 2004, S. 20 ff.; Siegel, NVwZ 2008, S. 620 ff.; Adam, Die Mitteilungen der Kommission als Verwaltungsvorschriften des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999; Gundel, EuR 1998, S. 90 ff.; Pampel, Rechtsnatur und Rechtswirkungen horizontaler und vertikaler Leitlinien im reformierten europäischen Wettbewerbsrecht, 2005, S. 94 ff. 232

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

a) Kommissionsmitteilungen als norminterpretierende Verwaltungsvorschriften Die Kommissionsmitteilung ist eine inzwischen gewohnheitsrechtlich anerkannte Handlungsform der Kommission im Rahmen ihrer Zuständigkeiten aus Art. 17 Abs. 1 EU (ex-Art. 211 EG.)237 Mit ihrer Mitteilungspraxis reagiert die Kommission nicht zuletzt auf die Komplexität der unionsrechtlich geregelten Materien, bei denen Unsicherheit über deren Auslegungen bestehen kann.238 Andererseits entfaltet die Kommissionsmitteilung eine zumindest faktisch homogenisierende Wirkung auf den einzelstaatlichen Verwaltungsvollzug239 und dient der Kommission zugleich auch zur horizontalen und vertikalen Koordinierung der beteiligten Verwaltungsträger, z. B. im Wettbewerbsrecht und im Telekommunikationsrecht. Dies führt zur Frage ihres Verhältnisses zum Sekundär- und Tertiärrecht, nach den Grenzen der Mitteilungszuständigkeiten der Kommission und zu Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine missbräuchliche Mitteilungspraxis.240 Ursprünglich ist die Kommissionsmitteilung als Instrument zur Auslegung des Primärrechts im Zusammenhang mit dem Ausbau der Grundfreiheiten von Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten entstanden. Seit dem Cassis-Urteil nutzt die Kommission das Instrument der Auslegungsmitteilung auch, um die Behörden der Mitgliedstaaten unabhängig von einem Vertragsverletzungsverfahren zur Einhaltung einer bestimmten primärrechtskonformen Verwaltungspraxis für einen ganzen Wirtschaftssektor bzw. bestimmte Arten von Hemmnissen anzuhalten.241 Später hat die Kommission diese Praxis auch auf die Auslegung von Sekundärrecht erweitert.242 An diese Kommissionspraxis hat mittlerweile auch der Binnenmarktgesetzgeber angeknüpft, der die Kommission z. B. im Bereich der Telekommunikationsrichtlinie explizit zum Erlass von Mitteilungen ermächtigt, die von den zuständigen Verwaltungsträgern der Mitgliedstaaten „weitestgehend“ zu beachten sind.243

237 Vgl. Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 290 ff.; Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV Art. 211 Rn. 38. 238 Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 255 f. 239 Groß, DÖV 2004, S. 20 ff. 240 Vgl. Pampel, Rechtsnatur und Rechtswirkungen horizontaler und vertikaler Leitlinien im reformierten europäischen Wettbewerbsrecht, 2005, S. 94 ff. Zur TK-Regulierung vgl.: Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation: ein neues Modell europäisierter Verwaltung, in: FS Selmer 2004, S. 565 ff. 241 Vgl. Vollendung des Binnenmarktes: Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Mailand, 28–29, Juni 1985, KOM (85) 310 endg., Juni 1985. 242 Zur Entwicklung: Adam, Die Mitteilungen der Kommission als Verwaltungsvorschriften des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 1 ff.; Gundel, EuR 1998, S. 90 ff. 243 Vgl. Groß, DÖV 2004, S. 20 (21 f.); Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (763 f.).

D. Verwaltungsrechtsangleichung

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b) Kein generelles Weisungsrecht der Kommission Aus der Heterogenität der Anwendungsfelder ergeben sich die Kontroversen um die rechtliche Verbindlichkeit der Kommissionsmitteilung. Ganz überwiegend wird der Kommissionsmitteilung keine rechtliche Verbindlichkeit gegenüber den Mitgliedstaaten zugemessen. Eine Generalermächtigung zum Erlass von Mitteilungen mit verbindlicher Außenwirkung lässt sich insbesondere aus der Kontrollfunktion der Kommission aus Art. 17 Abs. 1 EU (ex-Art. 211 UA 1 EG) nicht ableiten.244 Begründet wird dies mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das zur Entfaltung von Rechtsverbindlichkeit eine Ermächtigung im Primär- oder Sekundärrecht verlangt.245 Ausgehend von diesem Grundsatz, wird indes bei Fällen der sekundärrechtlichen Delegation von Mitteilungsbefugnissen von einer rechtlichen Verbindlichkeit auszugehen sein.246 Im Übrigen handelt es sich dagegen um – gegenüber den Mitgliedstaaten – rechtlich nicht verbindliche norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, die allerdings gleichwohl Rechtswirkungen im Sinne einer Selbstbindung des Ermessens der Kommission oder einer Agentur entfalten können.247 Aufgrund der mit ihnen verbundenen Rechtswirkungen sind Kommissionsmittelungen trotz in der Regel fehlender Rechtsverbindlichkeit gegenüber den Mitgliedstaaten der gerichtlichen Kontrolle des EuGH im Wege der Nichtigkeitsklage zugänglich.248 Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn die Kommission die Grenzen einer authentischen Auslegung überschreitet.249 c) Grenzen im Kontext des „institutionellen Gleichgewichts“ Die Rechtmäßigkeit einer Kommissionsmitteilung bestimmt sich im Sonderfall der ausdrücklichen Ermächtigung nach der sekundärrechtlichen Ermächtigungsgrundlage.250 Bei Fehlen einer derartigen Ermächtigung kommt es maßgeblich darauf an, dass sich die Kommission auf eine bloße Auslegung des jeweiligen Primär- oder Sekundärrechts im Lichte der hierzu ergangenen Rechtsprechung 244

Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 290. Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 256 m.w. N. 246 Groß, DÖV 2004, S. 20 (21 f.). 247 Groß, DÖV 2004, S. 20 (23); Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 257. 248 EuGH, Rs. C-57/95 (Frankreich/Kommission) Slg. 1997, I-1627, Rn. 7; Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV Art. 211 Rn. 38; Adam, Die Mitteilungen der Kommission als Verwaltungsvorschriften des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 145 ff.; Gundel, EuR 1998, S. 90 (100). 249 Gundel, EuR 1998, S. 90 (100); Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 257. 250 Zur Kommissionsmitteilung im Beihilferecht: Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 290 ff. 245

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

des EuGH beschränkt.251 Dies gilt insbesondere auch bei der Auslegung des Primärrechts. Geht die Kommission bei der Auslegung der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten über die vom EuGH tatsächlich entscheidenden Fallkonstellationen hinaus oder leitet sie hieraus Anforderungen an den Verwaltungsvollzug ab, die sich mit den Entscheidungen des EuGH nicht decken, drohen im Wege einer „De-facto-Gesetzgebung“ Übergriffe sowohl in die Kompetenzen des EuGH, des Rats, des Parlaments als auch der Mitgliedstaaten.252 Die primärrechtlichen Grundsätze über die Willensbildung der Unionsorgane bilden jedoch eine absolute Grenze, die nicht zur Disposition der Organe steht.253 Einerseits droht die Kommission bei einer zu extensiven Mitteilungspraxis in Rechte des EuGH einzugreifen, dem allein die Kompetenz zur verbindlichen Auslegung des Primärrechts zusteht. Daneben existiert die Gefahr von Übergriffen in Rechte des Rats und des Parlaments, soweit die Kommission im Wege der Kommissionsmitteilung u. U. eine „De-facto-Harmonisierung“ in Sachgebieten vornimmt, in denen es an einer sekundärrechtlichen Harmonisierung bzw. einer Delegation von Durchführungskompetenzen gerade fehlt.254 Schließlich können auch die Kompetenzen der Mitgliedstaaten berührt sein, soweit die nationalen Verwaltungsträger zu einer einheitlichen Vollzugspraxis in Bereichen angehalten werden sollen, in denen noch keine Harmonisierung erfolgt ist. Besonders problematisch ist eine derartige Praxis dann, wenn die Kommission im Mitteilungswege bestimmte Harmonisierungsvorstellungen faktisch zu verwirklichen sucht, mit denen sie sich gegenüber Rat und Parlament nicht durchsetzen konnte, wie etwa bei den Kommissionsmittelungen zu Verfahrensanforderungen im Vergaberecht sowie in Bereichen, die nicht von der Vergaberichtlinie RL 2004/18/EG erfasst sind.255 Im Rahmen eines derzeit anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens der Bundesrepublik Deutschland, dem auch das Parlament beigetreten ist, wird der EuGH Gelegenheit haben, zur Klärung der Grenzen der Mitteilungszuständigkeiten der Kommission beizutragen.256

251 Gundel, EuR 1998, S. 90 (100); Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 257. 252 Siegel, DÖV 2007, S. 237 (242 f.). 253 EuGH Rs. C-133/06 (Parlament/Rat) EuGRZ 2008, S. 278, Rn. 54. Damit handelt es sich letztlich um ein Problem des „institutionellen Gleichgewichts“. Ebenso: Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 257. 254 Die Kommission tendiert insbesondere im Bereich von Dienstleistungskonzessionen zu einer extensiven Mitteilungspraxis, um so den Weg zu einer von ihr angestrebten Richtlinie zu ebnen. Vgl. Komm (2005) 569 endg., S. 8. 255 Hierzu: Siegel, DÖV 2007, S. 237 (242 f.); sowie Schnieders, DVBl. 2007, S. 287 (290 f.). 256 Anhängig als Rs. T-258/06 (Deutschland/Kommission), vgl. ABl. Nr. C vom 2.12.2006, S. 52; hierzu auch Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 259.

D. Verwaltungsrechtsangleichung

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VI. Das Kooperationsprinzip als prozedurale Grundlage und Grenze der Verwaltungsrechtsangleichung im Binnenmarkt Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass die Kompetenzen der Union zur Verwaltungsrechtsangleichung – auch unter Berücksichtigung der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität – sehr weit reichen. Angesichts dieses Ausgangsbefunds fällt auf, dass sich sowohl der Grad der Verwaltungszentralisierung als auch die Dichte der Angleichung des einzelstaatlichen Verwaltungsrechts gerade auf der organisations- und verfahrensrechtlichen Ebene nach wie vor in Grenzen halten.257 Der dezentrale Vollzug ist nach wie vor der Regelfall. Und auch beim Ausbau der Eigenverwaltungsstrukturen der Union entstehen mittlerweile zwar z. T. hochgradig verdichtete Verwaltungsverbundsstrukturen, wie z. B. im Regulierungsverbund im Telekommunikationssektor.258 Jedoch bildet sich selbst dort, wo die Union über die ausschließlichen Rechtsetzungs- und Vollzugszuständigkeiten verfügt, wie im EU-Wettbewerbsrecht, keine verbandsübergreifende Verwaltungsbürokratie mit der Kommission als weisungsbefugter Spitze.259 Vielmehr entwickeln sich unterschiedlich verdichtete Strukturen der horizontalen und vertikalen Verwaltungskoordinierung, in deren Rahmen Verwaltungsträger der Union und der Mitgliedstaaten beim teils zentralen, teils dezentralen Vollzug im Rahmen kollegial geprägter Verwaltungsstrukturen zusammenwirken. Diese Entwicklung dürfte jedenfalls nicht allein auf die Grenzen der materiellen Unionskompetenzen, aber auch nicht allein auf faktische Erfordernisse europäischer administrativer „Governance“ zurückzuführen sein.260 Vielmehr wird die Herausbildung von hierarchisch-kooperativen Strukturen europäischer Verwaltung offenbar auch durch die kooperativen Verfahren der europäischen Rechtsangleichung selbst beeinflusst, die auf einen Interessenausgleich zwischen Kommission, Rat und Parlament ausgerichtet sind.261 Das Eigeninteresse der Kommission an einem Ausbau der eigenen Kompetenzen bzw. der Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen auf ihr nachgeordnete Agenturen muss mit dem Interesse der Regierungen der Mitgliedstaaten an der Wahrung nationaler Verwaltungsautonomie und dem Interesse des Parlaments an der Wahrung seiner Gesetzgebungszuständigkeiten austariert werden. Die durch das Kooperationsprinzip 257

Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (763 ff.). Ladeur/Möllers, DVBl. 2005, S. 525 (527 ff.); Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation: ein neues Modell europäisierter Verwaltung, in: FS Selmer, 2004, S. 565 ff. 259 A. Fuchs, EuR Beiheft 2 (2005) S. 77 ff. 260 Hierzu: Trute, Die konstitutive Rolle der Rechtsanwendung, in: ders./Groß/Röhl/ Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 211 (230 ff.); auch Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (763 ff.). 261 Zur Bedeutung des Kooperationsprinzips im europäischen Rechtsetzungsverfahren bereits oben 1. Kapitel, C. II. Siehe auch Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 325 ff. 258

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

geprägten Verfahren der Rechtsangleichung262 ermöglichen unter Bedingungen des Mehrheitsprinzips im Rat einerseits eine kontinuierlich fortschreitende europäische Verwaltungsintegration, zumal dieser Prozess durch die funktionale Ausrichtung der Rechtsangleichungskompetenzen normativ vorgeprägt ist. Auf der anderen Seite setzt das Kooperationsprinzip als Strukturprinzip des europäischen Gesetzgebungsverfahrens einer Hierarchisierung der europäischen Verwaltungsorganisation auch wieder Grenzen. Die kooperativen Verfahren europäischer sekundärrechtlicher Rechtsangleichung übersetzen sich im Wege der Verwaltungsrechtsangleichung und Delegationsrechtsetzung nicht etwa in eine gesamteuropäische Verwaltungshierarchie, sondern in die ebenfalls kooperativ geprägten Komitologieverfahren und in Kooperationsstrukturen europäischer Verwaltung auf der Ebene des eigentlichen Verwaltungsvollzugs. Der schon auf der Ebene des Gesetzgebungsverfahrens prozedural vorgezeichnete Kompromiss zwischen den Eigeninteressen der beteiligten Unionsorgane scheint dabei in der Herausbildung von Kollegialstrukturen europäischer Verwaltung zu liegen, die ein verbandsübergreifendes Zusammenwirken von nationalen und supranationalen Akteuren in einem Informations- und Entscheidungsverbund ermöglichen, indessen aber auch einen gewissen Grad nationaler Verwaltungsautonomie wahren.

E. Referenzgebiete der Verwaltungsrechtsangleichung im Anwendungsbereich der Binnenmarktkompetenzen I. Die Heterogenität der Bauformen und Strukturen europäischer Verwaltung Das System der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen prägt den Prozess europäischer Verwaltungsintegration und die Ausdifferenzierung einzelner Referenzgebiete des europäischen besonderen Verwaltungsrechts schon aufgrund seines weiten sachlichen Anwendungsbereichs zwangsläufig in besonderer Weise. Nicht zufällig finden wesentliche Referenzgebiete des europäischen Verwaltungs- und Sozialrechts – angefangen vom europäischen Produktzulassungsrecht über die Verwaltungskoordinierung der staatlichen Arbeitsvermittlungen und Sozialversicherungsträger bis hin zu den Behördennetzwerken der Dienstleistungsrichtlinie, dem Regulierungsverwaltungsrecht und dem europäischen Vergaberecht – ihre primärrechtlichen Grundlagen im System der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen. Die Ausdifferenzierung der Bauformen und Strukturen des europäischen Verwaltungsrechts ist immer auch wesentlich durch die Zufälligkeiten europäischer politischer Kompromisse, wechselnde Mehrheitskonstellationen im Rat und Parlament sowie Besonderheiten des zu regelnden Sachbereichs geprägt. Dies setzt Versuchen einer allgemeinen Ordnungs- und 262

Hierzu oben in diesem Kapitel, C. II.

E. Referenzgebiete der Verwaltungsrechtsangleichung

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Systembildung im europäischen Verwaltungsrecht nach wie vor Grenzen. Gleichwohl ist die Ausdifferenzierung verschiedener Bauformen europäischer Verwaltungskoordinierung doch nicht allein politischen Zufälligkeiten und sachlichen Besonderheiten geschuldet. Die Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen bilden weitergehend auch einen primärrechtlichen Ordnungsrahmen, der sich bis zu einem gewissen Grad auch in die Strukturen des sekundären Verwaltungsrechts übersetzt. Die Wirkungen der Gewährleistungen der Grundfreiheiten des Binnenmarktes erstrecken sich dabei auf gleitenden Skalen quer zu den verschiedenen Bauformen und Strukturen des Europäischen Verwaltungsverbunds, vor allem auf das Verwaltungsorganisationsrecht, teilweise auch auf das einzelstaatliche Verwaltungsverfahrensrecht. Dies lässt sich überblickartig an den Referenzgebieten des europäischen Produktzulassungsrechts, der Behördennetzwerke im Personen- und Dienstleistungsverkehr und des Kartell- und Regulierungsverwaltungsrecht verdeutlichen.

II. Dezentralisierte und zentralisierte Modelle der Marktzugangsregulierung im Produktzulassungsrecht (Warenverkehrsfreiheit) 1. Die europäischen Produktzulassungsverfahren als Instrumente zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Warenverkehrsfreiheit In den Referenzgebieten des Europäischen Verwaltungsverbunds nimmt zunächst das Produktzulassungsrecht eine hervorgehobene Stellung ein, indem sich seit Längerem bekannte Kooperationsstrukturen besonders stark ausdifferenziert haben. Das Produktzulassungsrecht ist in besonderer Weise durch die Warenverkehrsfreiheit und das Anerkennungsprinzip geprägt. Regelungsziel ist die Feststellung der Verkehrsfähigkeit von Produkten im Binnenmarkt, die mit einem gewissen Gefahrenpotenzial verbunden sind.263 Die sekundärrechtliche Harmonisierung als Grundlage der verschiedenen Entscheidungsmodelle erfolgt auf Grundlage der allgemeinen Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEU Ziel der Rechtsangleichung ist die Beseitigung von Handelshemmnissen für den freien Warenverkehr sowie zugleich die Gewährleistung eines hohen Sicherheits-, Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutzniveaus (vgl. Art. 114 Abs. 3 AEU). Die Binnenmarktharmonisierung auf hohem Schutzniveau erlaubt dem Unionsgesetzgeber auf der einen Seite eine relativ weit reichende Regulierung insbesondere zur Gewährleistung der technischen Produktsicherheit, des Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzes.264 Daher ist es auch möglich, bestimmte Produkte, die europäische Standards nicht (mehr) erfüllen, ganz vom Markt zu 263 264

Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (762 f.). Calliess, DVBl. 2007, S. 336 ff., sowie oben 2. Kapitel, C. V.

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

nehmen. Denn auch in diesen Fällen führt die Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen bzw. die Stärkung des Verbrauchervertrauens zu potenziell positiven Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Warenverkehr und Warenabsatz insgesamt.265 Trotz der Heterogenität der Entscheidungsmodelle liegt das einheitliche, durch die Warenverkehrsfreiheit und die funktionale Ausrichtung der Binnenmarktkompetenzen normativ vorgegebene Leitmotiv der Entwicklung des europäischen Produktzulassungsrechts in der Beseitigung von Mehrfachregulierungen im Binnenmarkt. Dieser funktionalen Zielsetzung entspricht die im Produktzulassungsrecht feststellbare Grundtendenz zur fortschreitenden horizontalen oder vertikalen Entscheidungszentralisierung und zum schrittweisen Übergang von Informations- zu Entscheidungsverbünden, wie z. B. dem Referenzentscheidungsmodell.266 Die Verfahren der europäischen Produktzulassung lassen sich mithin zwar immer noch im ersten Zugriff, ausgehend von der Dichotomie von direktem und indirektem Vollzug, erfassen.267 Gleichwohl wird die letztlich am vertikalen Verhältnis von Unionsverwaltung und mitgliedstaatlicher Verwaltung orientierte Trennung von direktem und indirektem Vollzug den Verwaltungsverbundsstrukturen gerade im Bereich der Produktzulassung nicht mehr gerecht. Die Zuweisung von Zulassungsaufgaben zu den mitgliedstaatlichen Behörden dient beim heutigen Stand der Verwaltungsintegration gerade nicht mehr allein oder in erster Linie dem auf das Inland beschränkten „indirekten Vollzug“ des Unionsrechts. Sie ist vielmehr – z. B. in Referenzentscheidungsverfahren – Bestandteil eines transnationalen Verwaltungsverfahrens, das grundsätzlich auf eine Zulassung auch in allen anderen Mitgliedstaaten angelegt ist. Zum anderen besteht beim heutigen Stand der Harmonisierung auch keine strikte Trennung von Vollzugszuständigkeiten der Union und der Mitgliedstaaten mehr. Vielmehr zeigen sich fließende Übergänge auch innerhalb einzelner Verfahren, bei denen die Vollzugskompetenz von den Mitgliedstaaten auf die Kommission übergehen kann.268 Aus diesem Grund erscheint es mittlerweile sinnvoller, zwischen dem dezentralisierten und dem zentralisierten Vollzug des europäischen Produktzulassungsrechts zu unterscheiden.269 2. Die Entscheidungsmodelle des Produktzulassungsrechts zwischen Dezentralisierung und Zentralisierung Das klassische Modell des indirekten Vollzugs des Gemeinschafts- bzw. des Unionsrechts durch die mitgliedstaatlichen Behörden ist im heutigen System des 265

Möstl, EuR 2002, S. 318 (332). Vgl. oben 2. Kapitel, D. III. 1. 267 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (762 f.). 268 Eingehend, Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 227 ff., S. 320 ff. 269 So auch Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (762). 266

E. Referenzgebiete der Verwaltungsrechtsangleichung

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europäischen Produktzulassungsrechts ein Auslaufmodell.270 An seine Stelle treten einerseits mehr oder weniger stark horizontal oder vertikal zentralisierte Verwaltungsverfahren, die nach ihrer Konzeption auf die beschleunigte Zulassung im gesamten Binnenmarkt gerichtet sind. Das bekannteste Modell ist der transnationale Verwaltungsakt, der freilich mittlerweile auch in horizontale Verwaltungskooperationen eingebettet ist.271 Verwaltungskooperationen finden sich im Vorfeld der Entscheidung oder auch in Form von Beschränkungen der grenzüberschreitenden Wirkungen getroffener Entscheidungen.272 Häufig, wie z. B. bei der Novel-Food-Verordnung, ist auch die Kommission auf der vertikalen Ebene eingebunden. Hält die Erstprüfung durch die federführende Behörde den Konsultationen der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten nicht stand, geht die Entscheidung auf die Kommission über.273 Die Novel-Food-Verordnung ist auch ein Beispiel für den Übergang vom dezentralen zum zentralen Vollzug im Interesse der praktischen Wirksamkeit des Marktzugangs im Binnenmarkt. Kommt zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten in einer angemessenen Frist keine Einigung zustande, geht die Entscheidungsbefugnis auf die Kommission über.274 Durch ein höheres Maß an Zuständigkeitskonzentration und kooperativer Verdichtung ist das ebenfalls grundsätzlich dezentrale Referenzentscheidungsverfahren geprägt. Die Zulassungsentscheidung wird hier von einem Mitgliedstaat nach nationalem Recht als Referenzentscheidung getroffen. Die übrigen Mitgliedstaaten können sich der Referenzentscheidung im Anerkennungsverfahren anschließen. Der Referenzstaat behält in der hierdurch begründeten Kooperationsstruktur besondere Zuständigkeiten bei der Erneuerung, Änderung oder Aufhebung der Referenzentscheidung.275 Beispiele sind u. a. das europäisch harmonisierte dezentrale Zulassungsverfahren für Human- und Tierarzneimittel und die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, in die allerdings auch die Kommission über die zentrale Wirkstoffzulassung eingebunden ist.276 Das Pflanzenschutzrecht markiert den Übergang zu den vertikal zentralisierten Produktzulassungsverfahren, da die vorgelagerte Zuständigkeit zur Wirkstoffzulassung bei der Kommission liegt. Anwendung findet das zentralisierte Zulassungs-

270 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (762); Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 122 ff. mit Nachweisen zu früher geltenden Regeln. 271 Vgl. Boehme-Neßler, Europäisches Richtlinienrecht wandelt deutsches Verwaltungsrecht, 1994; Ruffert, Die Verwaltung 33 (2001) S. 457 ff. 272 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (762 f.). 273 Hierzu: Mesenburg, Erosion staatlicher Vollzugsbefugnisse im Gentechnikrecht, 2003, S. 191 ff. 274 Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 343 f. 275 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (763). 276 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (762 f.).

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

verfahren bei bestimmten (hochwertigen) Human- und Tierarzneimitteln 277 und bei genetisch veränderten Lebens- und Futtermitteln278. In den zentralisierten Verfahren handelt die EU-Eigenverwaltung, entweder die Kommission und/oder die ihr nachgeordneten Agenturen. Kooperative Strukturen entstehen einerseits zwischen verschiedenen Behörden auf der Ebene der Eigenverwaltung, aber auch im Verhältnis zu mitgliedstaatlichen Behörden, auf deren Ressourcen, z. B. beim zentralisierten Prüfungsverfahren im Arzneimittelrecht, zurückgegriffen wird.279 Kennzeichnend für die verschiedenen dezentralen und zentralen Produktzulassungsverfahren ist, dass sie die mitgliedstaatlichen Produktzulassungsbehörden nicht substituieren, sondern diese in supra- und transnationale Organisations- und Verfahrensstrukturen einbetten, wobei teilweise auch Private eingebunden sind.280 Einheitliches Ziel der verschiedenen Varianten ist – unbeschadet ihrer sektorspezifischen Besonderheiten – der Abbau von Marktzugangsschranken infolge der mitgliedstaatlichen Mehrfachregulierung der Produktzulassung.281

III. Behördennetzwerke im freien Personenund Dienstleistungsverkehr 1. Behördennetzwerke als Instrumente zur gemeinsamen Aufgabenerledigung im freien Personen- und Dienstleistungsverkehr Die horizontale und vertikale Koordinierung im Europäischen Verwaltungsverbund erfährt eine weitere Verdichtung und wird häufig durch Elemente der Hierarchie ergänzt, wenn Verwaltungsaufgaben nicht mehr durch einzelne Verwaltungsbehörden, sondern von vornherein durch Behördennetzwerke erledigt werden.282 Derartige Behördennetzwerke sind insbesondere im Anwendungsbereich der Personenverkehrsfreiheiten und der Dienstleistungsfreiheit, aber auch – in oft weniger formalisierter Form – in den Sektorpolitiken entstanden. Binnenmarktrechtliche Kompetenzgrundlagen sind vor allem die Art. 46, 48, 53 Abs. 1 277 Verordnung (EG) Nr. 727/2004 2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittelagentur, ABl. Nr. L 136 v. 30.4.2004, S. 1 ff. 278 Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.9.2003 über gentechnisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABl. EG 2003 Nr. L 268, S. 1. 279 Vgl. den Überblick bei Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 327 ff. 280 Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung im Produktzulassungsrecht, 2000. 281 Zu den einzelnen Ausgestaltungsvarianten auch schon eingehend oben 4. Kapitel, D. III. und IV. 282 Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (763 f.).

E. Referenzgebiete der Verwaltungsrechtsangleichung

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und 62 AEU (ex-Art. 40, 42, 47 Abs. 2, 55 EG). Ähnlich wie im Bereich des Produktzulassungsrechts ist auch die Herausbildung von Behördennetzwerken wesentlich durch politische Kompromisse, die Besonderheiten einzelner Sachbereiche und verwaltungspraktische Erwägungen geprägt. Gleichwohl bestehen gewisse normativ relevante Zusammenhänge zwischen den primärrechtlichen Gewährleistungen und den auf ihre Verwirklichung ausgerichteten administrativen Verbundstrukturen. So liegen die Gründe für die Errichtung von Behördennetzwerken in den von der Warenverkehrsfreiheit abweichenden Anforderungen an die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Freiheit des Personenverkehrs (Art. 45, 49 AEU; ex-Art. 39, 43 EG) und des Dienstleistungsverkehrs (Art. 56 AEU, ex-Art. 49 EG). Bei der Gewährleistung des freien Personen- und Dienstleistungsverkehrs ist regelmäßig eine auf Dauer angelegte Zusammenarbeit zwischen den Behörden des Herkunfts- und Bestimmungslands zur gemeinsamen Aufgabenerledigung erforderlich, die regelmäßig einer gewissen Koordinierung durch die Kommission oder durch europäische Agenturen bedarf. Ähnliche Behördennetzwerke zur Gewährleistung und Flankierung des freien Personenverkehrs sind auch im Rechtsrahmen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts entstanden.283 2. Behördennetzwerke im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit: Die Koordinierung der Arbeitsverwaltungen und Sozialversicherungsträger Im Bereich der Personenverkehrsfreiheiten kennt zunächst das europäische Arbeits- und Sozialrecht seit jeher horizontal koordinierte Behördennetzwerke, die ihre primärrechtlichen Grundlage in der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEU) und den besonderen Binnenmarktkompetenzen aus Art. 46 und 48 AEU finden.284 Auf Grundlage von Art. 46 AEU ist im Rahmen der RL 1612/68/ EWG ein System der Verwaltungszusammenarbeit zwischen den staatlichen Arbeitsverwaltungen bei der grenzüberschreitenden Zusammenführung von Arbeitsgesuchen und Stellenangeboten erreichtet worden. Ziel des Systems ist die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des grenzüberschreitenden Zugangs zu den europäischen Arbeitsmärkten durch grenzüberschreitende öffentliche Arbeitsvermittlung im Rahmen eines horizontal und vertikal koordinierten Informations- und Organisationsverbunds. Auch die Kommission ist als Arbeitsvermittlungsstelle in dieses System eingebunden.285 Die Mitgliedstaaten sind im Rahmen der RL 1612/68/EWG zur Errichtung nationaler Koordinierungsstellen verpflichtet, die eine Zusammenarbeit untereinander und mit der Kommission 283

Vgl. Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (764). Zur Sozialrechtskoordinierung siehe bereits oben 2. Kapitel, B. IV. 3., sowie im Einzelnen: unten 4. Kapitel, C. II. und V. 1. 285 Franzen, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 40 Rn. 10. 284

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

gewährleisten.286 Die Kommission übernimmt auf zentraler Ebene in erster Linie Koordinierungsfunktionen. Sie verfügt jedoch auch über gewisse hierarchische Steuerungsmöglichkeiten in Form von Durchführungsbefugnissen. Ebenso findet sich das für die europäische Durchführung typische Ausschusswesen.287 Ein weiteres Beispiel für europäisches Behördennetzwerk bildet das System der Koordinierung der europäischen Sozialversicherungsträger auf Grundlage von Art. 48 AEU und der VO 883/2004/EG. Das heutige System der Koordinierung der Sozialversicherungsträger der Mitgliedstaaten ist historisch aus der „Harmonisierung“ des internationalen Sozialrechts der Mitgliedstaaten hervorgegangen.288 Diesen Traditionen folgend, wird die Sozialrechtskoordinierung von der Sozialrechtslehre rechtsdogmatisch bis heute als Sondermaterie des internationalen Sozialrechts behandelt und so zugleich vom System des staatlichen Sozialrechts als System des materiellen sozialen Leistungsrechts abgrenzt.289 Aus europarechtlicher Sicht ist das System der Sozialrechtskoordinierung gleichwohl integraler Bestandteil des Binnenmarktes.290 Aus verwaltungsrechtlicher Sicht handelt es sich bei der Sozialrechtskoordinierung – unbeachtet der Besonderheiten ihrer Entstehung – um ein Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts und zugleich um einen in erster Linie horizontal koordinierten Informations-, Entscheidungs- und Organisationsverbund.291 Ziel der Koordinierung der Sozialversicherungsträger ist die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit durch grenzüberschreitende Sicherung sozialer Rechte bei Ausübung des Rechts auf Mobilität im Binnenmarkt.292 Hierzu dient die horizontale Koordinierung der mitgliedstaatlichen Sozialleistungsträger bei der grenzüberschreitenden Zusammenrechnung von Sozialversicherungszeiten, dem Sozialeistungsexport und der grenzüberschreitenden Leistungsaushilfe im Krankheitsfall, die über Kontaktstellen vermittelt wird.293 Das ursprünglich eher begrenzte System der Sozialrechtskoordinierung ist durch 286

Art. 24 ff., 32 ff. VO 1612/68/EWG. Vgl. zum Ganzen Coester/Denkhaus, Die Verordnung zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer, in: Oetker/Preis (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, (EAS) B 2100. 288 Zur Entwicklung: Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, 1999, S. 48 ff. Dagegen zielt Art. 48 AEU gerade nicht auf Harmonisierung des einzelstaatlichen sozialen Leistungsrechts. Vgl. Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S. 47 f. 289 Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, 1999, S. 82 ff.; Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S. 45 ff. 290 Zur Einwirkung der Grundfreiheiten im Bereich der Sozialrechtskoordinierung und zu deren Reichweite: Kanitz/Steinberg, EuR 2003, S. 1013, 1016 ff. 291 Zum Begriff: J.-P. Schneider, EuR Beiheft 2 (2005) S. 141 f., 147 ff. am Beispiel des Wirtschaftsverwaltungsrechts. 292 Eichenhofer, in: Streinz, EUV/EGV Art. 42 Rn. 17, eingehend: S. Tiemann, Die Gesundheits- und Sozialpolitik der Europäischen Union, 2005, S. 201 ff. 293 Zur Struktur im Überblick: Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S. 48 ff.; im Einzelnen: Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, S. 92 ff. 287

E. Referenzgebiete der Verwaltungsrechtsangleichung

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Rechtsfortbildung durch den EuGH und gesetzgeberische Reformen immer weiter ausgebaut worden. Es umfasst mittlerweile praktisch alle Zweige der sozialen Sicherungssysteme der Mitgliedstaaten und nahezu alle in den sozialen Systemen nach nationalem Recht leistungsberechtigten Unionsbürger.294 Die im Vordergrund stehende horizontale Koordinierung wird durch Durchführungskompetenzen der Kommission durch ein begrenztes vertikal-hierarchisches Element ergänzt.295 Zu den Besonderheiten der Sozialrechtskoordinierung zählt auch, dass der EuGH aus den Grundfreiheiten über die Koordinierung hinaus auch Anforderungen an das einzelstaatliche Verwaltungsverfahrensrecht abgeleitet hat. So haben die innerstaatlich zuständigen Sozialversicherungsträger bei der Genehmigung der grenzüberschreitenden Leistungsaushilfe im Krankheitsfall im Interesse der praktischen Wirksamkeit bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Krankenbehandlung internationale Standards zugrunde zu legen und Entscheidungen nach transparenten, diskriminierungsfreien und im Vorhinein feststehenden Kriterien zu treffen. Ziel dieser Verfahrensanforderungen ist die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. der Dienstleistungsfreiheit.296 3. Behördennetzwerke im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit (Dienstleistungsrichtlinie) Netzwerkartige Behördenstrukturen kennt darüber hinaus auch das System der Verwaltungszusammenarbeit auf Grundlage der Dienstleistungsrichtlinie, deren Vorgaben über die §§ 71a ff. VwVfG in das nationale Verwaltungsverfahrensrecht übersetzt wurden. Die Dienstleistungsrichtlinie dient der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Sie findet ihre primärrechtlichen Grundlagen in den Art. 49 und 56 AEU sowie in der Kompetenznorm der Art. 62, 53 Abs. 1 AEU. Die wirtschaftsverwaltungsrechtliche Aufsicht über die grenzüberschreitende Niederlassung und die grenzüberschreitende Dienstleistungstätigkeit wird über ein Behördennetzwerk koordiniert, das die mitgliedstaatlichen Behörden über nationale Verbindungsstellen verknüpft.297 Durch die Abmilderung des ursprünglich strikten Herkunftsland294 Zum Ausbau: Kingreen, Die Universalisierung sozialer Rechte im europäischen Gemeinschaftsrecht, in: EuR Beiheft 1 (2007) S. 43 ff.; Kanitz/Steinberg, Grenzenloses Gemeinschaftsrecht? Die Rechtsprechung des EuGH zu Grundfreiheiten, Unionsbürgerschaft und Grundrechten als Kompetenzproblem, EuR 2003, S. 1013 (1016 ff.); zu den Änderungen durch die VO 883/2004/EG: Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S. 49 ff. 295 Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, 1999, S. 94 f. 296 EuGH, Rs. C-157/99 (Smiths und Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 90; ähnlich EuGH, Rs. 385/99 (Müller-Fauré und van Riet) Slg. 2003, I-4509, Rn. 90 und 92. Siehe auch oben 2. Kapitel, B. IV. 3. 297 Calliess, DVBl. 2007, S. 336 ff.; Kugelmann, EuZW 2005, S. 327 ff.; Möstl, DÖV 2006, S. 281 ff.; Ziekow, GewArch 2007, S. 179 ff. (Teil 1) und S. 217 ff. (Teil 2).

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

prinzips verbleiben den mitgliedstaatlichen Behörden nach wie vor gewisse Spielräume für eine mitgliedstaatliche Marktzugangsregulierung und eine laufende Wirtschaftsaufsicht. Gleichwohl sind die sekundärrechtlichen Grenzen vom Binnenmarktgesetzgeber im Vergleich zur Rechtsprechung des EuGH zum Primärrecht deutlich enger gefasst worden.298 Wegen der Verschärfung des Anerkennungsprinzips sind die Einheitlichen Ansprechpartner (EA) – die in den Mitgliedstaaten sämtliche Zulassungsvoraussetzungen prüfen (One-Stop-Behörden) – bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Zulassung in besonderer Weise auf einen grenzüberschreitenden Informationsaustausch angewiesen (vgl. Art. 6 ff. RL 2006/123/EG). Die Verschränkung und Vernetzung der behördlichen Zuständigkeiten dürften eine erhebliche Eigendynamik im Sinne einer weitergehenden Harmonisierung der Verwaltungspraxis entfalten.299 Darüber hinaus enthält auch die Dienstleistungsrichtlinie neben Koordinierungsvorgaben auch Anforderungen an die transparente und diskriminierungsfreie Ausgestaltung des einzelstaatlichen Verwaltungsverfahrens. So zieht die organisationsrechtliche Entscheidung zur Schaffung Einheitlicher Ansprechpartner notwendig eine Verfahrenskonzentration zumindest in Form einer Kommunikationskonzentration nach sich. Ein unmittelbarer Zugriff auf das nationale Verwaltungsverfahren ergibt sich ebenfalls aus dem – funktional aus der Dienstleistungsfreiheit abgeleiteten – Beschleunigungsgrundsatz, der sich in Form der Genehmigungsfiktion des Art. 13 Abs. 4 RL 2006/123/EG in das Verwaltungsverfahren übersetzt. Die Dienstleistungsrichtlinie ist denn auch ein Beispiel dafür, dass sich die Rechtsangleichung im Binnenmarkt zunehmend auch auf das verfahrensrechtliche „Wie“ der Gewährleistung der Grundfreiheiten niederschlägt.300 4. Verwaltungsverbundsstrukturen in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung Nicht durchsetzen konnte sich die Kommission mit ihrem Versuch, auch das öffentlich finanzierte Gesundheitswesen in den Anwendungsbereich der allgemeinen Dienstleistungsrichtlinie einzubeziehen. Indessen liegt mittlerweile ein Entwurf für eine Richtlinie über Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vor, der zu einer relativ weitgehenden Harmonisierung des Leistungserbringungsrechts der Mitgliedstaaten führen dürfte.301 Der Richtlinienentwurf dient der Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung 298

Vgl. Calliess, DVBl. 2007, S. 336 ff. Ruffert, DÖV 2007, 761 (764). 300 Ziekow, GewArch 2007, S. 179 ff. (Teil 1) und S. 217 ff. (Teil 2). 301 Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vom 2.7.2008, KOM (2008) 414 endgültig, 2008/0142 (COD). Hierzu Kingreen, ZESAR 2009, S. 107 ff.; siehe im Einzelnen auch unten 4. Kapitel, C. V. 4. d). 299

E. Referenzgebiete der Verwaltungsrechtsangleichung

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der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auf die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von öffentlich finanzierten Gesundheitsleistungen. Vorgesehen ist ein Behördennetzwerk, das die grenzüberschreitende Abwicklung der Leistungserbringung in Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten über Verbindungsstellen gewährleistet, aber auch die Information der Patienten über ihre Rechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung sicherstellen soll. Die Richtlinie gewährt im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 34 und 56 AEU (ex-Art. 28 und 49 EG) einen grundsätzlich genehmigungsfreien Anspruch auf Erstattung der Kosten der grenzüberschreitenden, ambulanten Krankenbehandlung nach Maßgabe der Sätze des Versicherungsstaates sowie Anforderungen an das Genehmigungsverfahren bei grenzüberschreitender stationärer Versorgung.302 Die Koordinierung des Systems obliegt der Kommission, die durch einen beratenden Ausschuss unterstützt wird. Vorgesehen sind auch relativ weit reichende Standardisierungsbefugnisse im Bereich der Qualitätssicherung. Im Falle ihres Inkrafttretens wird die EU-Patientenrichtlinie einen erheblichen Harmonisierungsschub in den Organisationsund Verfahrensstrukturen des Leistungserbringungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung nach sich ziehen303

IV. Regulierungsverwaltung in den Netzwirtschaften 1. Die Organisations- und Verfahrensstrukturen der Regulierungsverbünde in den Netzwirtschaften zwischen Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht Ein weiteres heterogenes Referenzgebiet des Europäischen Verwaltungsverbunds ist mit den Regulierungsverbünden in den Netzwirtschaften (Telekommunikation, Energie und Verkehr) entstanden. Hier haben sich zugleich, vor allem im Regulierungsverbund im Telekommunikationssektor, besonders verdichtete Verbundstrukturen entwickelt. Aus binnenmarktfunktionaler Sicht ergibt sich die Sonderstellung der Regulierungsverbünde im System des europäischen Verwaltungsrechts aus der Verbindung der funktionalen Ziele der Gewährleistung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit und des Wettbewerbsschutzes unter den besonderen Bedingungen ehemals monopolisierter Netzwirtschaften. Auch aus kompetenzrechtlicher Sicht verweist das einschlägige Sekundärrecht teils auf die Binnenmarktkompetenzen304, teils auf das Wettbewerbsrecht305. Speziell im 302

Vgl. Kingreen, ZESAR 2009, S. 107 ff. Zu den Folgen der EU-Patientenrichtlinie für die Verwaltungskoordinierung in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung siehe näher unten 4. Kapitel, C. IV. 4. d). 304 Auch der TK-Sektor ist heute in erster Linie Gegenstand der Binnenmarktharmonisierung durch Rat und Parlament auf Grundlage der Kompetenzen aus Art. 95 und 55, 303

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

Bereich der Telekommunikationsregulierung sind auch im Regulierungsverfahren deutliche Anleihen bei den Verfahren der wettbewerbsrechtlichen Monopolkontrolle erkennbar. Zugleich verfügt die Kommission hier, ähnlich wie in den Verbundstrukturen des europäischen Kartellverfahrensrechts, über eine starke Stellung im Regulierungsverfahren. Trotz der zum Teil deutlich erkennbaren Anleihen beim Wettbewerbsrecht hat das Regulierungsverwaltungsrecht doch eine eigenständige Prägung. So besteht zunächst die Besonderheit, dass die natürlichen Monopollagen in den Netzwirtschaften eine dauerhafte Ex-ante-Regulierung erforderlich machen können, auf die das allgemeine Kartellverfahren als Verfahren der Ex-post-Kontrolle nicht zugeschnitten ist.306 Demgegenüber ist das Regulierungsverwaltungsrecht auch durch die „binnenmarkttypischen“ Ziele der Gewährleistung des freien Marktzugangs durch Verwaltungskoordinierung bei gleichzeitiger allgemeinwohlverträglicher Marktzugangsregulierung und hierauf ausgerichtete Verfahrensstrukturen geprägt.307 Dies schlägt sich insbesondere in der zentralen Bedeutung der Marktzugangsregulierung nieder, die sich zu Netzzugangsverpflichtungen marktbeherrschender Unternehmen verdichten kann, die dem allgemeinen Wettbewerbsrecht an sich fremd sind. Die Ergänzung der wettbewerbsrechtlichen Verfahren der Ex-post-Kontrolle durch sektorspezifische Verfahren der Ex-ante-Regulierung findet ihre normative Rechtfertigung in den besonderen Gefahren von Marktzugangsbeschränkungen im Binnenmarkt, die sich aus der Netzherrschaft einzelner Unternehmen ergeben können. Zugleich spiegelt sich in der Verlagerung von Regulierungsentscheidungen von den nationalen Behörden auf den europäischen Regulierungsverbund das allgemeine binnenmarktfunktionale Ziel der Vermeidung von zwischenstaatlichen Marktzugangsschranken wider, die sich aus der mitgliedstaatlichen Mehrfachregulierung grenzüberschreitender Sachverhalten ergeben können. Die Zugehörigkeit der Regulierungsverfahren zum Binnenmarktrecht zeigt sich schließlich auch an den nichtwirtschaftlichen Allgemeinwohlzielen der Netzregulierung, insbesondere dem Ziel der Gewährleistung universeller Dienste, aber auch bei anderen nichtwirtschaftlichen Regulierungszielen, z. B. bei der Frequenzregulierung.308

47 Abs. 2 EG. Vgl. nur die einschlägigen Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rats: RL 2002/19/EG (Zugangsrichtlinien TK), RL 2002/20EG (Genehmigungsrichtlinie), RL 2002/21/EG (Rahmenrichtlinie), RL 2002/22EG (Universaldienste) und RL 2002/58/EG (TK-Datenschutzrichtlinie). 305 Vgl. die auf Art. 86 Abs. 3 EG gestützte RL 2002/77/EG der Kommission über den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze- und dienste. 306 Hierzu: Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation: ein neues Modell europäisierter Verwaltung, in: FS P. Selmer 2004, S. 565 ff.; zur Europäisierung des TK Rechts auch: Hoffmann-Riem, DVBl. 1999, S. 125 ff. 307 Vgl. oben 2. Kapitel, C. V. 308 Vgl. Kühling/Eibracht, Telekommunikationsrecht, 2008, S. 14 ff.

E. Referenzgebiete der Verwaltungsrechtsangleichung

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2. Die Heterogenität der Regulierungsverbundstrukturen (Telekommunikation, Energie, Verkehr) Die Entwicklung des Regulierungsverwaltungsrechts weist in den einzelnen Netzsektoren allerdings erhebliche Unterschiede auf, was Verallgemeinerungen erschwert. Im Telekommunikations- und Energiesektor zielt die Verbindung der Regulierungsbehörden untereinander und mit der Kommission darauf, eine effektive und abgestimmte Verwirklichung der Normziele der Regulierung zu bewirken und zugleich die notwendige Flexibilität im Verfahren zu wahren.309 Im Telekommunikationsrecht sind spezielle Regulierungsverfahren geschaffen worden, in denen die nationalen Regulierungsbehörden nach den Vorgaben der Kommission in Empfehlungen und Leitlinien und unter „weitestgehender Berücksichtigung“ der Stellungnahmen der Kommission, sowie der anderen nationalen Regulierungsbehörden Entscheidungen treffen.310 Im Energierecht sind die Verbundstrukturen dagegen stärker dezentralisiert. Die Mitgliedstaaten sind aufgrund der Rahmenrichtlinie zwar zur Errichtung von Regulierungsbehörden verpflichtet, deren allgemeine Aufgaben und Ziele sekundärrechtlich festgeschrieben sind.311 Die Entscheidungsbefugnisse liegen dabei grundsätzlich auf der mitgliedstaatlichen Ebene, während die Kommission auf bestimmte Informations- und Anhörungsrechte und punktuelle Vetopositionen beschränkt ist.312 Noch schwächer ausgeprägt sind die Verbundstrukturen im Eisenbahnsektor. Im Vordergrund der losen horizontalen Koordinierung stehen eher technische Abstimmungserfordernisse, weniger aber rechtliche Zwänge. Vertikal bestehen punktuelle Regulierungsbefugnisse der Kommission. Aufgaben, die sonst in Behördennetzwerken erledigt werden, sind teilweise auf die Europäische Eisenbahnagentur übertragen worden, die der Kommission zum Zweck der Bündelung technischen Sachverstands zugeordnet ist. Zusätzlich existieren auch Europäische Regulierungsgruppen, in denen die nationalen Regulierer zusammengeschlossen sind und welche die Verbundeffekte verstärken.313 3. Interdependenzen zwischen Netzregulierung und wettbewerbsrechtlicher Liberalisierung Die Heterogenität der Netzregulierung ist einesteils durch die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Regulierungsaufgaben bedingt. Auf der anderen Seite werden 309

Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (765). Ladeur/Möllers, Der europäische Regulierungsverbund der Telekommunikation im deutschen Verwaltungsrecht, Deutsches Verwaltungsblatt 2005, S. 525, 527 ff.; vgl. auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 18 Rn. 59 ff. 311 Zur Marktöffnung im Energiesektor: Gundel, EuZW 2003, S. 612 ff. 312 Britz, EuR 2006, S. 58 ff.; Ruffert, Von der Europäisierung des Verwaltungsrechts zum Europäischen Verwaltungsverbund, DÖV 2007, S. 761 (765), Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 18 Rn. 64 ff. 313 Britz, EuR 2006, S. 567 ff.; Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (765.f.). 310

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2. Kap.: Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

die Entwicklung und Ausdifferenzierung des Regulierungsverwaltungsrechts auch maßgeblich durch den Grad der wettbewerbsrechtlichen Liberalisierung einzelner Netzsektoren beeinflusst. In diesem Zusammenhang beeinflusst nicht zuletzt die Rechtsprechung des EuGH zur Reichweite der wettbewerbsrechtlichen Kontrollkompetenzen der Kommission in den einzelnen Netzsektoren auch die Ausdifferenzierung der Strukturen des Regulierungsverwaltungsrechts. Im Telekommunikationsrecht hat der EuGH der Kommission sehr weit reichende wettbewerbsrechtliche Liberalisierungskompetenzen eingeräumt, die hier zu einer raschen Monopolaufhebung führten.314 Die vom EuGH abgesicherte starke Stellung der Kommission im Bereich der allgemeinen Wettbewerbskontrolle übersetzt sich gerade im TK-Sektor auch in den Regulierungsverbund. Im Energieund Verkehrswesen hat der EuGH die eigenständigen wettbewerbsrechtlichen Kontrollkompetenzen der Kommission dagegen wesentlich enger begrenzt.315 Entsprechend ist hier die wettbewerbsrechtliche Liberalisierung wesentlich weniger weit vorangekommen. Zugleich hatte die durch politische Kompromisserfordernisse eher gebremste Harmonisierung durch den Binnenmarktgesetzgeber von Beginn an deutlich größeres Gewicht. Entsprechend ist ebenfalls die wettbewerbsrechtliche Liberalisierungsfunktion der Regulierungsverbünde deutlich reduzierter ausgeprägt, der Grad ihrer Zentralisierung geringer und die Stellung der Kommission im Verbund schwächer ausgeprägt.316 4. Die Netzregulierung im Kontext des Übergangs von der Marktverfassung des EWG-Vertrags zur europäischen Binnenmarktverfassung Unabhängig von den Unterschieden in ihrer sekundärrechtlichen Ausgestaltung treten gerade im Bereich der sektoralen Netzwerkregulierung die im vorangegangenen Kapitel diskutierten Veränderungen im Verhältnis von Kommission und Unionsgesetzgeber exemplarisch zutage, wie sie für den Übergang von der Marktverfassung der EWG zur Binnenmarktverfassung der Union kennzeichnend sind.317 Zwar fallen netzgebundene Dienstleistungen nach wie vor auch in den Anwendungsbereich des EU-Wettbewerbs- und Beihilferechts, soweit deren Anwendungsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen.318 Im Bereich netzgebundener 314 Vgl. Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation: ein neues Modell europäisierter Verwaltung, in: FS P. Selmer 2004, S. 565 ff. 315 EuGH, Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich – „Energiemonopole“) Slg. 1997, I-5815, Rn. 55. Hierzu auch eingehend oben 1. Kapitel, C. IV. 2. und 3. 316 v. Danwitz, Der europäische Elektrizitätsbinnenmarkt zwischen Wettbewerbsorientierung und Wettbewerbsbeschränkung, in: Gedächtnisschrift für Tettinger, 2008, S. 703 (705 ff.); Britz, EuR 2006, S. 58 ff.; Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (765). 317 Siehe oben 1. Kapitel, C. IV. 318 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 18 Rn. 30 ff.

E. Referenzgebiete der Verwaltungsrechtsangleichung

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Märkte hat sich allerdings ein erhöhter Regulierungsbedarf offenbart, um überhaupt einen grenzüberschreitenden freien Marktzugang und Wettbewerb unter den Bedingungen staatlich ehemals monopolisierter, netzgebundener Märkte zu eröffnen und dann auf Dauer zu stellen.319 Damit entstehen zugleich neue Schnittstellen von Beschränkungsrecht und Regulierungsverwaltungsrecht.320 Auf der einen Seite stößt das Wettbewerbs- und Beihilferechts als klassisches Beschränkungsrechts schon aus funktionaler Sicht an seine Grenzen, wenn sich ein weitergehender sektoraler Regulierungsbedarf abzeichnet, um überhaupt das funktionale Ziel des Wettbewerbsschutzes im Binnenmarkt zu verwirklichen. Indessen fehlt der Kommission aus kompetenzrechtlicher Sicht im Rahmen der Art. 101, 106 und 107 ff. AEU das Mandat, um die erforderlichen abstrakt-generellen Regulierungsmaßnahmen für einzelne netzgebundene Wirtschaftssektoren einseitig, d. h. unabhängig von Rat und Parlament, zu treffen.321 Anders als in der ersten Phase der Marktöffnung und Liberalisierung, z. B. durch die Endgeräterichtlinie, ist daher eine eher konfrontative Ausübung insbesondere der autonomen wettbewerbsrechtlichen Richtlinienbefugnisse aus Art. 106 Abs. 3 AEU beim heutigen Stand der Entwicklung des Unionsrechts gerade im Bereich netzgebundener Märkte allein nicht mehr zielführend.322 Stattdessen erweist sich ein aufgabenteiliges Zusammenwirken zwischen Kommission und Binnenmarktgesetzgeber im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens als unverzichtbar, um sekundärrechtliche Grundlagen für das Regulierungsverwaltungsrecht in den Netzwirtschaften zu schaffen.323 Im Bereich der Netzregulierung tritt denn auch einerseits der relative Bedeutungsgewinn des Unionsgesetzgebers gerade auch dort zutage, wo es um die klassischen unionsrechtlichen Anliegen der Gewährleistung des freien Marktzugangs und Wettbewerbs im Binnenmarkt geht. Andererseits sind der Kommission – allgemeinen Tendenzen folgend – auch neue, praktisch wirksame Steuerungsmöglichkeiten insbesondere bei der Ausübung ihres Initiativrechts im europäischen Gesetzgebungsverfahrens, aber auch im Rahmen delegierter Zuständigkeiten zugewachsen. Damit erweist sich das Regulierungsverwaltungsrecht in den Netzwirtschaften als ein besonders anschauliches Beispiel für tragende Strukturprinzipien, wie sie für die Binnenmarktverfassung der Europäischen Union, gerade auch in Abgrenzung zum traditionellen Marktverfassungsmodell, kennzeichnend sind.

319 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 18 Rn. 55 ff. 320 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 18 Rn. 59 ff. 321 Siehe oben 1. Kapitel, C. IV. 1. und 2. 322 Siehe oben 1. Kapitel, C. IV. 2. 323 Zur Bedeutung des Kooperationsprinzips im europäischen Gesetzgebungsverfahren: Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 325 ff., sowie bereits oben 1. Kapitel, C. II.

3. Kapitel

Das Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts Das europäische Vergaberecht nimmt im System des europäischen Verwaltungsrechts eine Schlüsselstellung ein. Es konstituiert ein besonderes Verfahrensund Rechtsschutzregime, das der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit unter den besonderen Bedingungen öffentlicher Auftragsvergabe dient. Aufgrund seiner binnenmarktfunktional geprägten Verfahrensgewährleistungen eignet sich das Vergaberecht in besonderer Weise als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsverfahrensrechts. Darüber hinaus konstituiert das europäische Vergaberecht aber auch eine – wenn auch lose geknüpfte – transnationale Koordinierungsstruktur nationaler und supranationaler Verwaltungsträger, die in den organisationsrechtlichen Bezugsrahmen des Europäischen Verwaltungsverbunds eingeordnet werden kann. Von daher kann das Vergaberecht als Beispiel für die Übersetzung der funktionalen Gewährleistungen der Grundfreiheiten des Binnenmarktes in ein sekundärrechtlich normiertes Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrecht dienen. Trotz seiner wachsenden Bedeutung ist die genaue Stellung und Funktion des Vergaberechts im System des europäischen Verwaltungsrechts allerdings noch keineswegs vollständig ausgeleuchtet. Zu den wesentlichen verwaltungsrechtlichen Ordnungsaufgaben im Vergaberecht zählen die möglichst präzise Eingrenzung seines potenziell sehr weiten Anwendungsbereichs, insbesondere auch in Abgrenzung zu anderen spezielleren Materien des europäischen Verwaltungsrechts, sowie die Gewährleistung eines angemessenen Ausgleichs zwischen funktionalen Binnenmarktzielen und legitimen staatlichen Steuerungszielen im Vergabeverfahren.

A. Die Grundlagen des europäischen Vergaberechts I. Die austauschvertraglich steuernde Verwaltung Mit dem Vergaberecht hat sich ein neues, stark unionsrechtlich geprägtes Referenzgebiet des Verwaltungsrechts etabliert, das sich jenseits der klassischen Differenzierung zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung konstituiert.1 Im An1 Zur Entwicklung des Vergaberechts und dessen tragenden Prinzipien im Kontext von Ökonomisierung und Aufgabenprivatisierung: Bungenberg, Vergaberecht im Wett-

A. Die Grundlagen des europäischen Vergaberechts

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wendungsbereich des Vergaberechts tritt die Verwaltung dem Bürger nicht, wie in der Eingriffsverwaltung einseitig hoheitlich regelnd, aber auch nicht, wie in der Leistungsverwaltung – einseitig gewährend und fördernd –, sondern austauschvertraglich beschaffend und steuernd gegenüber.2 Die historischen Wurzeln des Vergaberechts liegen im öffentlichen Beschaffungswesen zum Zweck der staatlichen Eigenbedarfsdeckung. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben in der Leistungs-, Eingriffs- und Planungsverwaltung benötigt die öffentliche Hand Güter und Dienstleistungen. Kommt eine Bedarfsdeckung durch hoheitlichen Zwang oder durch Eigenbetriebe nicht in Betracht, verbleibt die Möglichkeit des Markteintritts der öffentlichen Hand als Nachfrager. Mittlerweile nutzt die öffentliche Hand das Instrument des öffentlichen Auftrags allerdings nicht nur zu Beschaffungszwecken auf Grundlage von entgeltlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, sondern gerade auch umgekehrt zur öffentlichen Aufgabenprivatisierung im Wege der Konzessionsvergabe, aber auch zur vertraglichen Ausgestaltung von Public Private Partnerships,3 im Rahmen städtebaulicher Verträge sowie zu einer Vielzahl von weiteren sektorpolitischen Steuerungszwecken, z. B. bei der Universaldienstvergabe im Telekommunikationsrecht,4 bei der Frequenzvergabe im Telekommunikations- und Rundfunkrecht5 sowie zur sektorpolitischen Vertragssteuerung im Forschungssektor6 und im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen.7

bewerb der Systeme – eine rechtsebenenübergreifende Analyse des Vergaberechts, 2007, S. 17 ff., S. 133 ff. Zum Vergaberecht aus verwaltungsrechtlicher Sicht auch Burgi, Der Verwaltungsvertrag im Vergaberecht, in: NZBau 2002, S. 47 ff.; ders., Die Ausschreibungsverwaltung. Dogmatische Herausforderungen des Verwalters mit Dienstleistungskonzessionen, in: DVBl. 2003, S. 949 ff.; ders., Von der Zweistufenlehre zur Dreiteilung des Rechtsschutzes im Vergaberecht, in: NVwZ, 2007, S. 737 ff.; Schoch, Gewährleistungsverwaltung: Stärkung der Privatrechtgesellschaft, NVwZ 2008, 241 ff.; Battis, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Gemeinschaftsrecht, DÖV 2001, S. 988 ff.; Ruthig, NZBau, 2005, S. 497 ff. Zur Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts durch das Vergaberecht eingehend: Näfe, Das Vergaberecht als Referenzgebiet für die Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts, 2008. 2 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1984. 3 Vgl. Schoch, Gewährleistungsverwaltung: Stärkung der Privatrechtgesellschaft, NVwZ 2008, S. 241 ff. 4 Kühling, WiVerw 2008, S. 239 (241 f.). 5 Vgl. Nacimiento, Konkurrentenschutz im Rahmen der Frequenzverwaltung, K&R 2006, S. 536 ff. 6 Vgl. Trute, Die Rechtsqualität von Zielvereinbarungen und Leistungsverträgen im Hochschulbereich, Wissenschaftsrecht 2000, 134 ff.; Pilniok, Auf dem Weg zu einem europäischen Forschungsförderungsverbund? Zur Governance der Vergemeinschaftung der Forschungsförderung, Hochschulmanagement 2008, S. 13, 15 f. 7 Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff.

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

II. Die Ausschreibungsverwaltung zwischen Haushalts-, Wettbewerbs- und Vergaberecht Die öffentliche Auftragsvergabe beschreibt neben der staatlichen Beihilfevergabe das wichtigste Instrument, mit dem die öffentliche Hand staatlich definierte Steuerungsziele durch den Einsatz öffentlicher Mittel verwirklichen kann. Hier wie dort bestehen erweiterte Handlungsspielräume der Verwaltung und enge Bezüge zum Recht der planenden Verwaltung.8 Zugleich ist die öffentliche Auftragsvergabe, ebenso wie die öffentliche Subventionierung, regelmäßig fiskalisch relevant. Von daher unterliegt die öffentliche Auftragsvergabe im System des staatlichen Rechts seit jeher besonderen haushaltsrechtlichen Vorgaben, die eine sparsame und zweckmäßige öffentliche Mittelverwendung sicherstellen sollen. Das Außenverhältnis der öffentlichen Hand zu den privaten Bietern wurde dagegen auf nationaler Ebene im Einzelnen unterschiedlich geregelt. In Deutschland, aber auch in einigen anderen Mitgliedstaaten, wird das fiskalische Handeln der öffentlichen Hand dem Privatrecht zugeordnet, während das Haushaltsvergaberecht zum öffentlichen Innenrecht zählt. Entsprechend sind die subjektiv-rechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen vergaberechtliche Entscheidungen im System des deutschen öffentlichen Rechts traditionell eher schwach ausgeprägt.9 Als effektiver als der Grundrechtsschutz hat sich in Deutschland in der Vergangenheit allerdings der zivilgerichtliche Rechtsschutz über das GWB-Kartellrecht und das UWG erwiesen. So können insbesondere die Missbrauchsverbote des § 20 GWB eingreifen, wenn die öffentliche Hand bei der Auftragsvergabe eine bestehende marktbeherrschende Stellung ausnutzt, um unangemessene Preisoder Leistungsbedingungen durchzusetzen.10 Mittlerweile wird das einzelstaatliche Vergabewesen jedoch immer stärker durch das System des europäischen Vergaberechts überlagert, das im deutschen Recht seine Umsetzung in den Art. 97 ff. GWB und in der Vergabeverordnung gefunden hat.11 8 Vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 201; zu den Beurteilungsspielräumen der Planungsverwaltung auch Eifert, ZJS, 2008, S. 336 ff. 9 Zu den Defiziten vor Umsetzung der Vergaberichtlinien: Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 222; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 5 ff. Mittlerweile gehen von der Rechtsprechung des BVerfG allerdings ebenfalls Impulse für eine Verdichtung des gerichtlichen Rechtsschutzes aus. Die Schwerpunkte dieser Entwicklung liegen im Leistungserbringungsrecht, hierzu: Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff. 10 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 7. 11 Vgl. den Überblick und Ausblick bei Burgi, NZBau 2009, S. 609 ff.; sowie Alber, Die jüngere Rechtsprechung des EuGH zu den öffentlichen Aufträgen, in: Schwarze, Jürgen (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, Baden-Baden, 2000, S. 141 ff.; Überblicksdarstellungen finden sich bei Byok, Die Entwicklung des Vergaberechts, NJW 2004, S. 198 ff.; 2006, S. 2076 ff.; 2008, S. 559 ff.; 2009, S. 644 ff. Vgl. auch Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 10 ff.

A. Die Grundlagen des europäischen Vergaberechts

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III. Die Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten als Grundlagen des EU-Vergaberechts Das europäische Vergaberecht dient weder allein noch in erster Linie der sparsamen und zweckmäßigen Verwendung öffentlicher Mittel. Vielmehr reagiert das EU-Vergaberecht auf die besonderen Gefahren, die sich aus dem Markteintritt der öffentlichen Hand für die praktische Wirksamkeit des grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt ergeben können. Zwar ist die staatliche Beschaffungstätigkeit auf Märkten auch aus unionsrechtlicher Sicht ein grundsätzlich anerkanntes Instrument öffentlicher Aufgabenerfüllung. Die Vergabe öffentlicher Aufträge erlaubt es der Europäischen Union und ihren Agenturen, den staatlichen Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Einrichtungen, sich am Markt die nötigen Leistungen zu beschaffen, die erforderlich sind, um ihre jeweiligen öffentlichen Aufgaben erfüllen zu können.12 Gleichwohl stehen sich mit der öffentlichen Hand als Nachfrager und ihren in der Regel privaten Vertragspartnern „konstitutionell heterogene“ Akteure gegenüber.13 Die öffentliche Hand ist aufgrund ihrer besonderen Verfügungsgewalt über öffentliche Mittel oder wirtschaftlich gleichwertige, ausschließliche oder besondere Rechte selbst nicht in gleicher Weise jenen Markt- und Wettbewerbsmechanismen unterworfen, die sie zu öffentlichen Zwecken instrumentalisieren will. Zudem wird die öffentliche Auftragsvergabe regelmäßig nicht allein durch Wirtschaftlichkeitserwägungen, sondern durch eine Vielzahl anderer z. B. regional-, struktur-, industrie-, sozial- oder forschungspolitischer Ziele mitbestimmt.14 Unter den atypischen Bedingungen staatlicher Marktnachfrage gewährleistet das EU-Vergaberecht die Verwirklichung der funktionalen Binnenmarktziele durch ein hieraus abgestimmtes Instrumentarium, insbesondere durch Vorgaben an ein transparentes, diskriminierungsfreies Vergabeverfahren im Wettbewerb. Im Gegensatz zum Beihilferecht dient das Vergaberecht allerdings nicht primär dem Schutz des Wettbewerbs im Binnenmarkt, sondern der Gewährleistung des freien Zugangs zu den öffentlich finanzierten Märkten der Mitgliedstaaten. Gewisse Basisanforderungen an ein faires und transparentes Vergabeverfahren ergeben sich bereits aus dem sog. Primärvergaberecht, das seine Grundlagen unmittelbar in den primärrechtlichen Gewährleistungen der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit findet.15 Die Basisanforderungen des Primärvergaberechts werden im Anwen12 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 1; F. Becker/Bertram, Die Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Zulassung eines Krankenhauses zur Krankenhausbehandlung, KH 2002, S. 541 ff. 13 Rittner, ZHR 152 (1988), S. 318. 14 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 2. 15 Zu den Mindeststandards des Primärvergaberechts in Bezug auf Transparenz und Nichtdiskriminierung: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 11; zu den Verfahrensanforderungen an die Vergabe von Dienstleistungs-

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

dungsbereich der Vergaberichtlinien 2004/18/EG und 2004/17/EG zu einer transnationalen Koordinierungsstruktur und einem differenziertem Verfahrensund Rechtsschutzregime verdichtet, die eine diskriminierungsfreie und transparente öffentliche Auftragsvergabe im grenzüberschreitenden Wettbewerb sicherstellen sollen. Aufgrund seines spezifischen Schutzzwecks folgt das europäische Vergaberecht keinem sektoralen, sondern einem funktionalen und zugleich handlungsformbezogenen Regelungsansatz. Anders als z. B. das europäische Produktzulassungsrecht oder das europäische Regulierungsverwaltungsrecht ist das europäische Vergaberecht daher in seinem Anwendungsbereich nicht auf bestimmte Sachgebiete oder Wirtschaftssektoren begrenzt. Zugleich erfasst die formal begrenzte Typologie des sekundären Vergaberechts (Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge und Baukonzessionen) praktisch alle Vertragstypen des Schuldrechts.16 Das europäische Vergaberecht ist damit auf dem besten Wege, sich neben und möglicherweise noch vor dem Beihilferecht zu einer Art „Metarecht“ 17 weiterzuentwickeln, das sektorübergreifend überall dort einschlägig sein kann, wo die öffentliche Hand öffentliche Zwecke im Wege der austauschvertraglichen Nachfragesteuerung zu verwirklichen sucht.

IV. Zu den Schwierigkeiten der Integration des Vergaberechts in das System des Verwaltungsrechts Angesichts des Bedeutungsgewinns des europäischen und national transformierten Vergaberechts sind Fragen vergaberechtlicher Natur in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus der Rechtswissenschaft gerückt. Neben der Wettbewerbsrechtslehre hat sich auch das allgemeine Verwaltungsrecht, vor allem im Zusammenhang mit der verwaltungsrechtlichen Steuerungsdiskussion, in den letzten Jahren verstärkt dem Thema „Vergaberecht“ zugewandt.18 Die Integration des Vergaberechts in das System des Verwaltungsrechts bereitet gleichkonzessionen, die nicht den Vergaberichtlinien unterliegen, vgl. Kommission, Mitteilungen zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, ABl. 2000 Nr. C 121. Siehe auch die Mitteilung C (2007) 6661 der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen auf institutionalisierte Öffentlich Private Partnerschaften (IÖPP). Zur Kommissionsmitteilung als administrativer Handlungsform und ihren Problemen siehe auch unten 2. Kapitel, D. V. 2. Zur Kommissionsmitteilung als verwaltungsrechtlichem Koordinierungsinstrument im Vergaberecht näher unten 3. Kapitel, B. II. 4. 16 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1988. 17 So für das Beihilferecht, Koenig/Kühling, in: Streinz, EU/EGV, Art. 87 Rn. 3. 18 Burgi, NZBau 2002, S. 47 ff.; ders., DVBl. 2003, S. 949 ff.; ders., NVwZ, 2007, S. 737 ff.; Schoch, NVwZ 2008, S. 241 ff.; ders., JURA 2008, S. 672 ff. Zur Europäisierung des staatlichen Verwaltungsrechts durch das Vergaberecht: Näfe, Das Vergaberecht als Referenzgebiet für die Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts, 2008.

A. Die Grundlagen des europäischen Vergaberechts

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wohl nach wie vor Schwierigkeiten. Die erste Hürde liegt schon in den bereits genannten Besonderheiten der deutschen Fiskustheorie. An diese Traditionen hat der deutsche Gesetzgeber auch mit seiner Entscheidung angeknüpft, die Vergaberichtlinien im GWB umzusetzen und damit zugleich grundsätzlich den Zivilrechtsweg zu eröffnen.19 Umgekehrt erschwert die traditionelle Zuordnung des Vergaberechts zum Haushaltsrecht als öffentlichem Innenrecht die Integration des Vergaberechts in das Rechtsschutzzentrierte Ordnungssystem des Verwaltungsrechts.20 Aber auch aus der Perspektive staatlicher Steuerung erscheint das Vergaberecht zunächst als eine eher ambivalente Materie.21 Zwar kann das Vergaberecht zu einer sparsamen und zweckmäßigen öffentlichen Mittelverwendung beitragen. Andererseits können sich Vergabeverfahren als aufwendig und kostenintensiv erweisen. Zudem begrenzt das Vergaberecht eben jene staatlichen Steuerungsspielräume, auf deren Absicherung die Ideen staatlicher Steuerung und Gewährleistungsverantwortung gerade abzielen.22 Unter Ordnungsgesichtspunkten kommt erschwerend hinzu, dass es sich beim Vergaberecht um eine dem staatlichen Verwaltungsrecht gleichsam „äußere“ Materie zu handeln scheint. Das Vergaberecht entfaltet ausgehend vom Unionsrecht und vom GWB seine im Einzelfall oft umstrittenen Wirkungen gewissermaßen „quer“ zu den Privatisierungstypen, Verantwortungsstufungen und Steuerungsinstrumenten des staatlichen Gewährleistungsverwaltungsrechts. Es ignoriert zumindest partiell die Unterscheidungen zwischen privatrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Vertrag, aber auch zwischen Vertrag und Verwaltungsakt.23 Die Besonderheiten der deutschen Fiskustheorie und die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers zur Umsetzung der Vergaberichtlinien im GWB sollten indes nicht verdecken, dass es sich beim Vergaberecht der Sache nach um öffentliches Sonderrecht handelt. Das Vergaberecht berechtigt und verpflichtet (im Gegensatz zum Wettbewerbsrecht) gerade die öffentliche Hand in besonderer Weise. Es adressiert regelhaft allerdings gerade nicht private Unternehmen oder Verbraucher. In einer Reihe von Mitgliedstaaten der Union wird das Vergaberecht denn auch seit jeher dem öffentlichen Recht zugeordnet. In Frankreich erfolgt z. B. die Zuschlagsentscheidung in der Rechtsform des Verwaltungsakts, mit der Folge, dass Vergabeentscheidungen der gerichtlichen Kontrolle vor den Verwaltungsgerichten unterliegen.24 Das Vergaberecht ist denn auch ein anschauliches Beispiel für den allgemeinen Befund, dass das öffentliche Recht und das private Recht sowohl unter Steuerungs- als 19

Vgl. zur Umsetzungsgeschichte: Byok, NJW 1998, S. 2774 ff. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 222. 21 Vgl. Schoch, Gewährleistungsverwaltung: Stärkung der Privatrechtgesellschaft, NVwZ 2008, S. 241 ff. 22 Vgl. nur: Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Reform des Verwaltungsrechts, 1993, S. 65 ff. 23 Schoch, NVwZ 2008, S. 241 (245 f.). 24 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 8. 20

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auch unter Rechtsschutzgesichtspunkten zumindest teilweise austauschbar geworden sind.25 Dies gilt für das Unionsrecht ohnehin, dem die strikte systematische Trennung von öffentlichem und privatem Recht fremd ist. Zu Recht hat der Präsident des EuGH Skouris denn auch darauf hingewiesen, dass sich das europäische Vergaberecht mit seinem ausgeformten Verwaltungsverfahren, seinen verbindlichen Auswahlkriterien und seinem ausgebauten Rechtsschutz der Sache nach zu einer Materie des besonderen Verwaltungsrechts entwickelt hat.26

B. Das Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts I. Das europäische Vergaberecht als europäisches Verwaltungsrecht 1. Das Vergaberecht als Referenzgebiet des Europäischen Allgemeinen Verwaltungsrechts (nicht nur der Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts) Die Ursachen für die derzeit bestehenden Schwierigkeiten bei der Verordnung des Vergaberechts im System des Verwaltungsrechts wurzeln nicht zuletzt in der besonderen unionsrechtlichen Prägung des Vergaberechts. Die Evolution und Ausdifferenzierung des Vergaberechts lässt sich aufgrund seiner genuin unionsrechtlichen Prägung nicht allein als Prozess der Fortentwicklung des Systems des staatlichen Verwaltungsrechts erfassen.27 Zugleich kann das Vergaberecht auch nicht als bloße Fortsetzung des EU- oder GWB-Kartellrechts mit anderen Mitteln begriffen werden. Das Vergaberecht betrifft, wie Gassner zutreffend feststellt, „öffentliche Ausschreibungen und ist kein genuiner Bestandteil des Kartellrechts. Der oft verwendete Begriff des „Kartellvergaberechts“ reflektiert zwar zutreffend den Standort dieser Vorschriften (§§ 97 ff. GWB), insinuiert aber eine Nähe vergaberechtlicher Bestimmungen zum klassischen Kartellrecht, die entstehungsgeschichtlich kaum begründbar ist.28 Vielmehr steht das Vergaberecht mit seinen 25 Vgl. auch Hoffmann-Riem, Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen. Systematisierung und Entwicklungsperspektiven, in: ders./SchmidtAßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen 1996, S. 261 ff.; aus sozialrechtlicher Sicht: Eichenhofer, SGb 2003, S. 365 ff. 26 Skouris, EuR 1998, S. 111 (120): „So wie das Europäische Vergaberecht heute ausgestaltet ist, erinnert es stark an einen Zweig des Besonderen Verwaltungsrechts mit voll ausgeformtem Verwaltungsverfahren, verbindlichen Auswahlkriterien und ausgebautem Rechtsschutz.“ 27 Battis, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Gemeinschaftsrecht, DÖV 2001, S. 988 (990). 28 Gassner, ZVersWiss 2008, S. 411 (420); Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 45 f.

B. Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

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Grundsätzen der Fairness, Transparenz und Nichtdiskriminierung für die Entstehung einer neuen Materie des europäischen besonderen Verwaltungsrechts.29 Im Vergaberecht übersetzen sich die subjektiv- und objektiv-rechtlichen Gewährleistungen der Grundfreiheiten, vermittelt über die Rechtsangleichung, unmittelbar fassbar in Verwaltungsverfahrensrecht und ein besonderes Rechtsschutzregime.30 Das Vergaberecht ist zudem – jedenfalls im Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien – ein Teilgebiet des besonderen Verwaltungsrechts, in dem gerade auch das Verwaltungsverfahren praktisch vollständig harmonisiert worden ist. Die Verfahrens- und Rechtsschutzgewährleistungen des Vergaberechts reagieren auf die Erkenntnis, dass vom Handeln der Verwaltung in vertraglicher Form, gerade wegen der typischerweise erweiterten Handlungsspielräume der Verwaltung, erhebliche Gefahren für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt ausgehen können, und dies unabhängig davon, welchen Zweck die öffentliche Hand sonst noch mit dem Einsatz der Handlungsform des Vertrags, z. B. im Rahmen des Städtebau- oder Umweltrechts, im Sozialrecht oder bei der Vorbereitung und Durchführung von Privatisierungen, verfolgt.31 Es entfaltet seine rechtlichen Wirkungen deswegen notwendig unabhängig von verwaltungsrechtlichen Differenzierungen, die innerhalb der staatlichen Rechtsordnung wurzeln. Neben der Frage, ob Konzept- und Publikationspflichten, Ausschreibungsverfahren und Einspruchsmöglichkeiten übergangener Konkurrenten auch über das Vergaberecht hinaus für die dogmatische Fortbildung des staatlichen Verwaltungsverfahrensrecht genutzt werden können,32 gilt es umgekehrt, das Vergaberecht als Referenzgebiet des Allgemeinen Europäischen Verwaltungsrechts zu rekonstruieren. Neben die Frage nach den Auswirkungen des Vergaberechts auf den Rechtsweg, den Gerichtszugang, den Kontrollmaßstab und das Verwaltungsverfahren in verschiedenen nationalen Verwaltungsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Union33 eröffnet das Vergaberecht daher auch die Möglichkeit, Strukturmerkmale eines allmählich entstehenden allgemeinen europäischen Verwaltungsrechts herauszuarbeiten, das sich jenseits der Differenzierung von „direktem“ und „indirektem“ Vollzug konstituiert.34 Als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts in diesem Sinne erlaubt es das Vergaberecht, den genuin 29 Vgl. zur Bedeutung dieser Grundsätze für das Vergaberecht: Gassner, ZVersWiss 2008, S. 411 (420). 30 Zur Bedeutung der Grundfreiheiten: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 9 ff.; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1829 ff. 31 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 2. 32 In diesem Sinne: Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 345 ff. 33 Zu diesen Europäisierungseffektiven des Vergaberechts im deutschen und französischen Verwaltungsrecht: Näfe, Das Vergaberecht als Referenzgebiet für die Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts, 2008, S. 119 ff. und S. 248 ff. 34 Siehe oben, 2. Kapitel, A. I.

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europarechtlichen Fragen nachzugehen, wie sich die Grundfreiheiten des Binnenmarkts vermittelt über die Vergaberichtlinien in sekundärrechtliche Vorgaben an das Organisations- und Verfahrensrecht übersetzen, wie sich das Vergaberecht zu anderen Gebieten des europäischen Verwaltungsrechts wie etwa dem Beihilferecht, aber auch dem Produktzulassungsrecht, dem Berufszulassungsrecht oder dem Regulierungsverwaltungsrecht verhält, welche verwaltungsorganisationsrechtlichen Probleme sich im Rahmen der horizontalen und vertikalen Koordinierung des einzelstaatlichen Vergabewesens im Europäischen Verwaltungsverbund ergeben und wie Interessenkonflikte zwischen der öffentlichen Hand, ihren Vertragspartnern und übergangenen Dritten im Vergabeverfahren und im vergaberechtlichen Rechtsschutz verarbeitet werden können. 2. Das Vergaberecht als europäisches Verwaltungsverfahrensrecht und Rechtsschutzregime Diese Aufgabe weist über das System des (europäisierten) staatlichen Verwaltungsrechts, nicht nur mit Blick auf die verwaltungsorganisationsrechtlichen Fragen der Koordinierung im europäischen Verbund, sondern gerade auch unter Verfahrens- und Rechtsschutzgesichtspunkten hinaus, weil auch beim Interessenausgleich sowie bei den Verfahrens- und Rechtsschutzgewährleistungen in den Mehrecksverhältnissen zwischen Verwaltung, Vertragspartnern und konkurrierenden Dritten immer auch die grenzüberschreitenden Folgewirkungen des einzelstaatlichen, verwaltungsvertraglichen Verfahrens auf den europäischen Binnenmarkt mit in Betracht gezogen werden müssen. Mit dem EU-Vergaberecht hat sich mithin – vermittelt über das GWB-Vergaberecht – ein Verfahrens- und Rechtsschutzregime in das einzelstaatliche Recht übersetzt, das seine wichtigsten normativen Fluchtpunkte bereits jenseits der staatlichen Rechtsordnung findet und daher in seinen tragenden Ordnungsgrundsätzen bzw. seiner „Ordnungsidee“ nur noch ausgehend vom Unionsrecht rekonstruiert werden kann.35 Die Summe der zuvor skizzierten Einzelaspekte berühren Grundsatzfragen eines allmählich entstehenden allgemeinen europäischen Verwaltungsrechts und charakterisieren das Vergaberecht zugleich als eines seiner Referenzgebiete. Das Vergaberecht reagiert durch besondere Verfahrensanforderungen und Rechtsschutzgewährleistungen auf die für den Markteintritt des Staates kennzeichnenden besonderen Gefahren der Verflechtung von öffentlichen und privaten Interessen und sucht durch Transparenz- und Diskriminierungsverbote, den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und ein grundsätzliches Verhandlungsverbot ein hinreichendes Maß an Distanz zwischen öffentlicher Gewalt und privater wirtschaftlicher Macht zu gewährleisten. Es zielt hierbei zwar primär auf die Gewährleistung der Grundfreiheiten, 35 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 9 ff.

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trägt jedoch mittelbar auch zur Gewährleistung der demokratischen Steuerbarkeit des Verwaltungshandels bei, indem es der Einflussnahme Privater auf hoheitliche Entscheidungen Grenzen setzt.36 Beispiele hierfür sind die vergaberechtlichen Anforderungen an Public-Private-Partnerships und an die Inhouse-Vergabe.37 Mit seinem prozeduralen Steuerungsansatz, der Vorverlagerung des subjektiven Rechtsschutzes in das Vergabeverfahren und der Instrumentalisierung der Kontrollressource „Öffentlichkeit“ in Form von Transparenz- und Offenlegungspflichten38 steht das Vergaberecht schließlich für eine Materie des Verwaltungsrechts, die in besonderer Weise durch die Auseinandersetzung mit dem Problem der Verarbeitung von Komplexität unter den Bedingungen von begrenzten Informationen und begrenzten administrativen und gerichtlichen Kontrollressourcen gekennzeichnet ist.39 Unter all diesen Gesichtspunkten ergeben sich Möglichkeiten zum Anschluss an verschiedene Stränge der Diskussion im allgemeinen Verwaltungsrecht und damit auch zur schrittweisen Integration des Vergaberechts als Referenzgebiet in ein System des allgemeinen europäischen Verwaltungsrechts, das zugleich zu den „großen“ Themen des nationalen Verwaltungsrechts anschlussfähig ist.

II. Das Vergaberecht im Europäischen Verwaltungsverbund 1. Das Vergaberecht als Koordinierungsstruktur im Europäischen Verwaltungsverbund Das Vergaberecht nimmt im System des europäischen Verwaltungsrechts insoweit eine Sonderstellung ein, als sich die Grundfreiheiten des Binnenmarktes hier in erster Linie in ein besonderes Verfahrens- und Rechtsschutzregime übersetzen, durch das Marktzugangsschranken bei der öffentlichen Auftragsvergabe nach Möglichkeit von vornherein vermieden werden sollen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass auch das Vergaberecht durchaus etwas „mit dem Europäischen Verwaltungsverbund zu tun“ hat.40 Auch im Vergaberecht finden sich – wenn auch in locker geknüpfter Form – die für den Europäischen Verwaltungsverbund aus organisationsrechtlicher Sicht generell prägenden, verbandsübergreifenden, horizontalen und vertikalen Koordinierungsformen. Die Kommission 36 Vgl. Schmidt-Aßmann, Zur Gesetzesbindung der verhandelnden Verwaltung, in: FS Brohm, 2002, S. 547 ff. 37 Zur Inhouse-Problematik vgl. den Überblick bei: Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2317 ff. 38 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 41 Rn. 6 f. und Rn. 26 f. 39 Hierzu Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 236 und S. 345 ff.; Trute, Die konstitutive Rolle der Rechtsanwendung, in: ders./Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 211 (230 ff.). 40 So die Frage von Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (766 f.).

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verfügt über bestimmte, in den Vergaberichtlinien näher definierte Durchführungszuständigkeiten und wird bei ihrer Ausübung durch einen beratenden Ausschuss unterstützt.41 Weitergehend greift die Kommission zum Zweck der Homogenisierung des Verwaltungsvollzugs auf das semiformelle Instrument der Mitteilung zurück, dessen Wirkungen Verwaltungsrichtlinien nahe kommen.42 Damit treten auch im Vergaberecht die verwaltungsrechtlichen Probleme der Durchführungsrechtsetzung und der nur partiell formalisierten Handlungsformen der Kommission zutage, die sich hier mittlerweile in ein Vertragsverletzungsverfahren der Bundesrepublik gegen die extensive Mitteilungspraxis der Kommission übersetzt haben, dem sich auch das Parlament angeschlossen hat.43 2. Horizontale Koordinierung im Vergabeverfahren Die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit erfolgt im Vergaberecht zwar in erster Linie durch Verwaltungsverfahren und den gerichtlichen Rechtsschutz. Gleichwohl besteht auch im Vergaberecht ein gewisser horizontaler und vertikaler Koordinierungsbedarf, um die Gewährleistungen der Grundfreiheiten auf Dauer zu stellen. Dies gilt einerseits für die horizontale Koordinierung. So müssen öffentliche Auftraggeber bei den Anforderungen an technische Spezifikationen (Art. 23 RL 2004/18/EG) europäische Normen und Umweltsiegel sowie Zertifizierungen durch benannte Stellen anderer Mitgliedstaaten gem. Art. 23 Abs. 4 RL 2004/18/EG als gleichwertig anerkennen, um so den Marktzugang von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten zu erleichtern. Gleiches gilt gem. Art. 49 und 50 RL 18/2004 für Qualitätssicherungs- und Umweltmanagementnormen anderer Mitgliedstaaten, die europäischen Standards entsprechen. Weitergehend enthalten die Vergaberichtlinien auch eigenständige Formen der horizontalen Koordinierung im Vergabeverfahren. So führen die Mitgliedstaaten gem. Art. 52 RL 2004/18/EG amtliche Verzeichnisse über zugelassene Auftragnehmer oder übertragen diese Aufgaben Zertifizierungsstellen. Die Aufnahme in das amtliche Verzeichnis bzw. die Zertifizierung begründet in anderen Mitgliedstaaten eine persönliche Eignungsvermutung i. S. d. Voraussetzungen der Art. 45 ff. der RL 18/72004/EG. Die Angaben der amtlichen Verzeichnisse oder der Inhalt der Zertifizierung darf gem. Art. 52 Abs. 4 nicht ohne Begründung in Zweifel gezogen werden.

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Vgl. Art. 77 RL 2004/18/EG. Vgl. Siegel, DÖV 2007, S. 237 ff.; Schnieders, DVBl. 2007, S. 287 ff. 43 EuGH Rs. T-258/06 (Deutschland/Kommission) ABl. Nr. C vom 2.12.2006, S. 52, hierzu auch Siegel, Entscheidungsfindung im europäischen Verwaltungsverbund, 2009, S. 259. 42

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3. Vertikale Koordinierung im Vergabeverfahren Die horizontale Koordinierung wird auch im Vergaberecht durch Formen der vertikalen Koordinierung ergänzt. Dies gilt im Interesse der Gewährleistung der Transparenz des Vergabeverfahrens vor allem in Bezug auf Bekanntgabepflichten, die gegenüber der Kommission bestehen. So haben öffentliche Auftraggeber der Kommission im Rahmen von Beschafferprofilen regelmäßig Vorabinformationen über Art und Umfang der in den folgenden zwölf Monaten geplanten Aufträge mitzuteilen. 44 Zugleich sind öffentliche Auftraggeber spätestens 48 Tage nach erfolgter Auftragsvergabe bzw. nach Abschluss einer Rahmenvereinbarung verpflichtet, die Kommission über die Auftragsvergabe oder den Abschluss einer Rahmenvereinbarung zu informieren. Weitergehend existieren auch bei Bekanntmachung der Auftragsvergabe besondere Mitteilungspflichten gegenüber der Kommission.45 Zusätzliche Informationspflichten gegenüber der Kommission ergeben sich in Bezug auf die Statistik des Auftragsvolumens in den Mitgliedstaaten46 und hinsichtlich der Verzeichnisse über öffentliche Auftraggeber i. S. v. Anhang II H zur RL 2004/18/EG.47 Schließlich sind auch die verbundtypischen Durchführungskompetenzen der Kommission und die Errichtung eines beratenden Ausschusses vorgesehen,48 der die Kommission bei der Durchführung unterstützt. Die Durchführungsbefugnisse der Kommission beziehen sich nach Maßgabe der Art. 78 und 79 RL 2004/18/EG u. a. auf die Neufestsetzung der Schwellenwerte, bestimmte Berechungsmodalitäten, die Anpassung der Bekanntmachungspflichten vor, bei und nach Auftragsvergabe, Änderungen der Auftraggeberverzeichnisse nach Anhang III sowie Anpassungserfordernisse in den weiteren Anhängen zur Richtlinie. 4. Die Kommissionsmitteilung als Instrument zur Homogenisierung des dezentralen Verwaltungsvollzugs im Vergaberecht Insgesamt erweisen sich die Durchführungskompetenzen der Kommission im Vergabeverwaltungsrechts damit als eher begrenzt. Allerdings greift die Kommission gerade im Bereich des Vergaberechts zur Gewährleistung des einheitlichen Verwaltungsvollzugs ergänzend auch auf das Instrument der Kommissionsmitteilung zurück.49 Bei der Kommissionsmitteilung handelt es sich – wie im 2. Kapi44

Art. 35 Abs. 1 RL 2004/18/EG. Art. 36, 58, 64 und 69 RL 2004/18/EG. 46 Art. 76 f. RL 18/2004. 47 Art. 1 Abs. 9 lit. c RL 2004/18/EG. 48 Art. 77 RL 2004/18/EG. 49 Mitteilung der Kommission – Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union vom 11.3.1998, KOM (1998) 143 endg.; Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht; Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 24.9.1999, ABl. 45

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tel dargelegt – um eine von der Kommission entwickelte Handlungsform, welche eine systematisierte und generalisierte Auslegungen des Primär- und Sekundärrechts unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH sicherstellen soll.50 Kommissionsmitteilungen kommen nach Gegenstand und Wirkung Verwaltungsrichtlinien nahe und finden ihre Rechtsgrundlage in den allgemeinen Kommissionskompetenzen aus Art. 17 Abs. 1 EU.51 Kommissionsmitteilungen sind zwar nicht unmittelbar verbindlich, entfalten indes eine mittelbare Bindungswirkung aufgrund der Verbindlichkeit des ausgelegten Primär- oder Sekundärrechts. Verstöße gegen Kommissionsmitteilungen können die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach sich ziehen.52 Im Vergaberecht nutzt die Kommission die Mitteilung als quasihierarchische Steuerungsform einerseits bei Auslegungsfragen im Anwendungsbereich der Richtlinien. Andererseits greift die Kommission jedoch gerade auch in noch nicht harmonisierten Bereichen auf relativ breiter Front auf das Instrument der Mitteilung zurück, um aus dem Primärrecht bestimmte besondere Verfahrensanforderungen für Dienstleistungskonzessionen im Unterschwellenbereich und bei sog. nichtprioritären Dienstleistungen (insbesondere im Gesundheits- und Sozialwesen) abzuleiten. Die grundsätzliche Zulässigkeit des Einsatzes des Instruments der Mitteilung, gerade auch zu Zwecken der Übersetzung der Rechtsprechung des EuGH in administrative Leitlinien, ist zwar weithin anerkannt.53 Gleichwohl tendiert die Kommission gerade im Vergabeprimärrecht zu einer ungewöhnlich strengen Auslegung und zugleich sachlich sehr weitgehenden Generalisierung der einschlägigen Rechtsprechung. Die Mitteilungspraxis flankiert dabei erkennbar die Ver2000 C 121, S. 2; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für das öffentliche Beschaffungswesen und Konzessionen vom 15.11.2005, KOM (2005) 569 endg.; Mitteilung zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für das öffentliche Beschaffungswesen und Konzessionen, KOM (2005) 569 endg.; Mitteilung der Kommission für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, vom 23.6. 2006 (Dokument ohne Nummer; zugänglich über die Internetseiten der Kommission/ GD Binnenmarkt/Öffentliches Auftragswesen/Wichtige Dokumente, unter dem Datum vom 24.7.2006). Mitteilung vom 05.02.2008 zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen auf institutionalisierte Öffentlich Private Partnerschaften (IÖPP), KOM (2007) 6661. 50 Siehe oben 2. Kapitel, D. V. 2. 51 Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 295 f.; Adam, Die Mitteilungen der Kommission: Verwaltungsvorschriften des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 84 f. 52 Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 296. Siehe hierzu auch oben 2. Kapitel, D. V. 2. 53 Härtel, Handbuch europäische Rechtsetzung, 2006, S. 290 ff. Adam, Die Mitteilungen der Kommission: Verwaltungsvorschriften des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 14 ff., siehe oben 2. Kapitel D. V. 2.

B. Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

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suche der Kommission, weitere Bereiche der Auftragsvergabe in die Harmonisierung einzubeziehen.54 Eben deswegen ist diese Praxis freilich unter Gewaltengliederungsgesichtspunkten voraussetzungsvoll. Einesteils drohen Grenzüberschreitungen in die Sphäre des EuGH, wenn dessen Einzelfallentscheidungen durch die Exekutive auf Sachverhalte übertragen werden, die bisher nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen waren. Indessen drohen Grenzüberschreitungen zulasten der Mitgliedstaaten, die beim Vollzug Bindungen unterworfen werden, die möglicherweise vom Primärrecht nicht gedeckt sind. Schließlich drohen auch Eingriffe in die Rechte von Rat und Parlament als Legislative, wenn die Kommission über Mitteilungen im Alleingang eine Quasiharmonisierung dort durchsetzen will, wo sie sich gegenüber dem Binnenmarktgesetzgeber mit ihren Initiativen nicht durchsetzen konnte. Mittlerweile ist denn auch gegen die Kommissionsmitteilungen zur Vergabe im Unterschwellenbereich ein Verfahren vor dem EuGH anhängig, das von einigen Mitgliedstaaten eingeleitet wurde und dem auch das Parlament beigetreten ist. Gerade mit Blick auf die oben skizzierte dreifache Konfliktlage spricht das Prinzip des „institutionellen Gleichgewichts“ für eine eher restriktive Auslegung der Kommissionsspielräume bei der „authentischen Auslegung“ des Primärrechts.55

III. Das Vergaberecht im System des europäischen besonderen Verwaltungsrechts 1. Zur Funktion des Vergaberechts im System des europäischen besonderen Verwaltungsrechts a) Der sektorübergreifende Anwendungsbereich des Vergaberechts und das Problem der Konkretisierung seiner spezifischen Schutzfunktion Das Vergaberecht nimmt im System des europäischen Verwaltungsrechts nicht zuletzt wegen seines nur funktional, nicht aber sachlich-inhaltlich begrenzten Anwendungsbereichs eine gewisse Sonderstellung ein. Das Vergaberecht ist sektorübergreifend regelmäßig immer dann anwendbar, wenn die öffentliche Hand auf Grundlage von entgeltlichen Austauschverträgen als Nachfrager in Märkte eintritt. Die scheinbar begrenzte Typologie der Vergaberichtlinie (Bau-, Liefer-, Dienstleistungsauftrag, Baukonzession, Rahmenvereinbarung) deckt praktisch alle entgeltlichen Vertragstypen des Schuldrechts ab.56 In seiner funktionalen 54 Vgl. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1813. 55 In diesem Sinne auch: Siegel, DÖV 2007, S. 237 (242 f.); dagegen: Schnieders, DVBl. 2007, S. 287 (290 f.). 56 Vgl. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1984 ff.

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

Ausrichtung unterscheidet sich das Vergaberecht von allen anderen, im Wege der sekundärrechtlichen Harmonisierung entstandenen Materien des europäischen besonderen Verwaltungsrechts (Produktzulassungs-, Berufszulassungs-, Regulierungsverwaltungsrecht etc.). Es steht insoweit zugleich in einem Näheverhältnis zum Wettbewerbs- und Beihilferecht, die ihre Grundlagen allerdings im Primärrecht finden.57 Aus der potenziellen Weite des Anwendungsbereichs des Vergaberechts ergibt sich einerseits ein hoher normativer Differenzierungsbedarf, andererseits aber auch ein besonderes Abgrenzungsbedürfnis zu anderen Materien des Verwaltungsrechts. Dies gilt auch deswegen, weil sich seit einiger Zeit eine gewisse Tendenz in Rechtsprechung und Literatur feststellen lässt, den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien des Vergaberechts letztlich auszudehnen. So wird z. B. in der Rechtsprechung neuerdings ein Grundstückskaufvertrag, der mit gewissen Auflagen verbunden wurde, in eine Baukonzession i. S. d. GWB umgedeutet, obgleich der Verkauf eines Bauwerks und die Einräumung eines zeitlich befristeten Nutzungsrechts an einem Bauwerk etwas durchaus Verschiedenes sind.58 Andererseits wird in der Literatur z. B. die hoheitliche Aufnahme in einen Krankenhausplan durch Verwaltungsakt der zuständigen Landesbehörde, den hierdurch erstattungspflichtigen gesetzlichen Krankenkassenverbänden zugerechnet,59 obwohl die hoheitliche Aufnahme in den Krankenhausplan gerade darauf gerichtet ist, die Krankenkassenträger im Interesse der langfristigen Krankenhausplanung daran zu hindern, unter Marktbedingungen selbst zu entscheiden, ob und zu welchen Konditionen sie Krankenhausdienstleistungen „einkaufen“. Diese Beispiele deuten letztlich auf eine gewisse Unsicherheit darüber hin, was mit dem Vergaberecht eigentlich „praktisch wirksam“ gewährleistet werden soll. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass durch eine Überdehnung des Vergaberechts Materien des einzelstaatlichen Verwaltungsrechts in eine Verfahrensharmonisierung einbezogen werden, die sich nicht aus den Zielen des Vergaberechts rechtfertigen lässt und das Vergabeverfahren letztlich zu überfordern droht. b) Die spezifische binnenmarktfunktionale Schutzfunktion des Vergaberechts – Abgrenzung zur Steuerung durch Organisation und Verwaltungsakt Um den Ausdifferenzierungsprozess des Vergaberechts und der vertraglichen Steuerungsformen rechtsdogmatisch besser in den Griff zu bekommen, ohne Schutzlücken zu schaffen, dürfte zunächst eine Besinnung auf die eigentlichen 57 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 45 ff. 58 Hierzu kritisch Kühling, WiVerw 2008, S. 239 ff. 59 Koenig/Steiner, Die Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Leistungsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen – Teil 1, in: ZESAR 2003, S. 98 (102 f., 104 f.).

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Kernfunktionen des Vergaberechts im Gesamtsystem des europäischen Verwaltungsrechts erforderlich sein, die zugleich seine spezifische Funktion im Binnenmarkt, in Abgrenzung zu anderen Materien des europäischen (Wirtschafts-)Verwaltungsrechts, insbesondere des Wettbewerbsrechts, des Beihilferechts, des allgemeinen Berufs-, Produkt- und Dienstleistungszulassungsrechts, sowie einigen wichtigen Sondermaterien, wie der Regulierung der Netzwirtschaften und der kollektivvertraglichen Regulierung, beschreiben. Das Vergaberecht ist das Recht der austauschvertraglich beschaffenen Verwaltung, nicht der einseitig hoheitlich steuernden, leistenden, regulierenden oder kollektivvertraglich regelnden Verwaltung. Es reagiert im Interesse des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs auf die spezifischen Gefahren für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, die sich gerade aus dem Markteintritt der öffentlichen Hand als Nachfrager auf Grundlage entgeltlicher Aufträge oder gegenleistungsabhängiger Konzessionen ergeben. Es erfasst im Bereich des Verwaltungsorganisationsrechts zwar in der Regel Public-Private-Partnerships,60 jedoch weder reine Angebotskonstellationen noch die Steuerung durch Organisation bei Eigenbetrieben.61 Demgegenüber erfasst das Vergaberecht grundsätzlich nur das austauchvertragliche Handeln der öffentlichen Hand, nicht aber einseitig hoheitliches Handeln durch Verwaltungsakt, es sei denn, die öffentliche Hand „verkauft“ nach faktischen Vertragsverhandlungen Zug um Zug gegen ein wirtschaftliches Gegenleistungsversprechen bestimmte Vergünstigungen an ein Unternehmen zulasten konkurrierender Dritter.62 2. Vergaberecht und Wettbewerbsrecht Angesichts der Zuordnung des Vergaberechts zum System des GWB im System des deutschen Rechts ist es sinnvoll, zunächst das Verhältnis von Vergaberecht und Wettbewerbsrecht zu klären. In Deutschland hat sich seit der Umsetzung der Vergaberichtlinien im GWB-Vergaberecht der Begriff des „Kartellvergaberechts“ eingebürgert.63 Gleichwohl sind EU-Wettbewerbsrecht und EUVergaberecht in ihren Normzielen, Tatbestandsvoraussetzungen, Rechtsfolgen, aber auch mit Blick auf die Formen der Verwaltungskoordinierung im europäischen Verbund und in ihren Verfahrens- und Rechtsschutzregimes verschieden und daher klar zu trennen.64 Das EU-Vergaberecht ist nicht Liberalisierungs-, 60 Ruffert, Rechtsprechungsanalyse – Europäisiertes Allgemeines Verwaltungsrecht im Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 41 (2008) S. 544 (563 ff.). 61 Kühling, WiVerw 2008, S. 239 (241 ff.). 62 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2077. 63 Vgl. Gassner, ZVersWiss 2008, S. 411 (420). 64 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 45 ff.; siehe auch Gassner, ZVersWiss 2008, S. 411 (420).

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

sondern Marktöffnungsrecht. Es findet seine primärrechtlichen Grundlagen nicht in den Normen des EU-Wettbewerbsrechts, sondern in den Grundfreiheiten des Binnenmarktes.65 Während das unternehmensbezogene EU-Wettbewerbsrecht den Wettbewerb im Binnenmarkt vor unternehmerischen und unternehmensbezogenen staatlichen Wettbewerbsbeschränkungen schützt (Art. 101 ff., 106 AEU), richten sich die staatsgerichteten Grundfreiheiten gegen staatliche Beschränkungen des grenzüberschreitenden Marktzugangs im Binnenmarkt sowie im Wege der Drittwirkung gegen Marktzugangsbeschränkungen auch durch private Organisationen, die in ihren Wirkungen staatlichen Marktzugangsbeschränkungen gleichkommen. Unternehmerische Kartellbildungen werden vom EU- und GWBVergaberecht denn auch gerade nicht erfasst, sondern sind allein Gegenstand des EU- bzw. des GWB-Wettbewerbsrechts. Als öffentliches Sonderrecht reagiert das EU-Vergaberecht dagegen allein auf die spezifischen Gefahren des Markteintritts des Staates oder staatsnaher Einrichtungen als Nachfrager. Das Vergaberecht adressiert ausschließlich die staatlichen Gebietskörperschaften und staatlich beherrschte öffentliche Einrichtungen, nicht aber generell private Unternehmen. Zudem erfasst das EU-Vergaberecht allein den Markteintritt der öffentlichen Hand als Nachfrager, nicht aber – wie das EU-Wettbewerbsrecht – den Markteintritt öffentlicher Unternehmen als Anbieter.66 Den unterschiedlichen primärrechtlichen Zielsetzungen entsprechen unterschiedliche kartell- und vergaberechtliche Regelungsansätze, Verfahrens- und Rechtsschutzgewährleistungen. Anders als das EU-Kartellrecht, baut das EUVergaberecht nicht auf einem System von Verbotstatbeständen und einem bei der Kommission bzw. in einem europäischen Behördennetzwerk zentralisierten Kontrollverfahren auf, sondern beschränkt sich im Rahmen eines dezentralen Regelungsansatzes auf die Harmonisierung der Vergabeverfahren und bestimmte Primär- und Sekundärrechtsschutzanforderungen, die in Deutschland durch Vergabekammern und Zivilgerichte gewährleistet werden.67 Zwar überschneiden sich das Wettbewerbsrecht und das Vergaberecht im Ziel des Schutzes von Unternehmen gegen den Missbrauch staatlicher oder staatsnaher Nachfragemacht. Dessen ungeachtet setzt die Anwendbarkeit des Vergaberechts im Gegensatz zum Wettbewerbsrecht eine marktbeherrschende Stellung der öffentlichen Hand und die damit einhergehenden Gefahren von Wettbewerbsbeschränkungen gerade nicht voraus. Vielmehr genügt bereits der Markteintritt der öffentlichen Hand als solcher, da mit diesem – marktmachtunabhängig – Gefahren für den grenzüberschreitenden Marktzugang verbunden sein können.68 Die Ausschreibung im 65 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 11. 66 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 2. 67 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3032 ff.

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Wettbewerb dient damit im Vergaberecht jedenfalls nicht primär dem Wettbewerbsschutz selbst, sondern hat dienende Funktion zum Ziel der grenzüberschreitenden Marktöffnung im Binnenmarkt. Umgekehrt macht das Vergaberecht wegen seiner abweichenden Schutzfunktion die Anwendung des Wettbewerbsrechts auch nicht überflüssig. Insbesondere enthält das Vergaberecht keine wirksamen Instrumente, um den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch die öffentlichen Hand entgegenzuwirken, die gerade auch bei strenger Einhaltung von Ausschreibungsverfahren bei den Bietern ein „race to the bottom“ auslösen kann. Damit bleibt das Wettbewerbsrecht einerseits neben dem Vergaberecht anwendbar.69 Andererseits kann das Wettbewerbsrecht, eben wegen seiner komplementären Funktionen zum Vergaberecht, auch nur einen Teilbeitrag zur Bewältigung der neuen Aufgabe der vergaberechtlichen Ordnungsbildung leisten.70 3. Einkauf oder Subvention: Vergaberecht und Beihilferecht Das Verhältnis von Vergaberecht und Beihilferecht ist nach wie vor nicht abschließend geklärt. Auch der EuGH hat die Frage der Anwendbarkeit der Beihilfevorschriften auf das öffentliche Beschaffungswesen bisher offen gelassen.71 Vergaberecht und Beihilferecht stehen denn auch in einem gewissen Näheverhältnis, was die Abgrenzung der Rechtsmaterien zueinander erschwert. Das Vergaberecht adressiert, ebenso wie das Beihilferecht, die fiskalisch handelnde Verwaltung und ist wie jenes, öffentliches Sonderrecht, da es die öffentliche Hand und gleichgestellte Einrichtungen, nicht aber generell Unternehmen oder Private adressiert. Gleichwohl sind auch das Vergabe- und Beihilferecht strikt zu trennen. Zwar unterwerfen sowohl das Vergabe- als auch das Beihilferecht die öffentliche Hand besonderen Verfahren der Ex-ante-Kontrolle. Anders als das Beihilferecht, erfasst das Vergaberecht jedoch nicht die einseitig fördernde, sondern allein die austauschvertraglich beschaffende Verwaltung.72 Im Gegensatz zum Beihilferecht dient das Vergaberecht nicht dem Schutz vor Wettbewerbsverzer68 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 2 f., Rn. 9 ff. 69 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 45. 70 Vgl. Gassner, ZVersWiss 2008, S. 411 (420). 71 Vgl. EuGH, Rs. 21/88 (Du Pont de Nemours), Slg. 1990, I-889; EuGH, Rs. C-351/88 (Laboratori Bruneau), Slg. 1991, I-3641; vgl. aber die Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rs. 21/88, Slg. 1990, I-889, innerhalb welcher er darauf hinweist, dass es sich im konkreten Fall, in dem es um eine Bestimmung ging, die einen bestimmten prozentualen Anteil der Aufträge für ortsansässige Unternehmen bereitgestellt hat, durchaus um eine Beihilfe handeln kann; hierzu auch näher Boesen, Vergaberecht, 2003, Einl., Rn. 33. 72 Zu den Abgrenzungsproblemen: Kühling, WiVerw 2008, S. 239 ff.; EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark-Trans) Slg. 2003, I-7747, Rn. 85 ff.; vgl. auch Schlussanträge des

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

rungen im Binnenmarkt infolge eines einzelstaatlichen Subventionswettlaufs, sondern der Öffnung des einzelstaatlichen Beschaffungswesens für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr.73 Im Gegensatz zum Beihilferecht findet das Vergaberecht seine Grundlagen auch nicht unmittelbar im Primärrecht, sondern in den Vergaberichtlinien. Es gewährleistet im Gegensatz zum Beihilferecht als besonderem Aufsichtsverfahren74 unmittelbar im Wege des Primär- und Sekundärrechtsschutzes durchsetzbare subjektive Rechte. Das Beihilferecht unterwirft einzelstaatliche Subventionen im Interesse des Wettbewerbsschutzes einem präventiven Verbot mit Freistellungsvorbehalt und einem bei der Kommission zentralisierten Kontrollverfahren. Es enthält aufgrund seiner Zuordnung zum Wettbewerbsrecht indessen keine besonderen binnenmarktrechtlichen Beschränkungs- und Diskriminierungsverbote und verpflichtet die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten mithin auch nicht zur grenzüberschreitenden Subventionierung von Unternehmen, die ihren Sitz außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs haben.75 Ebenso folgen aus dem Beihilferecht grundsätzlich keine über das Vergaberecht hinausgehenden Ausschreibungspflichten.76 Demgegenüber steht das Vergaberecht der staatlichen Beschaffungstätigkeit auf Märkten gerade nicht grundsätzlich entgegen, sondern zielt ausschließlich darauf, eine binnenmarktkonforme staatliche Marktteilnahme durch besondere Verfahrensanforderungen sowie durch ein dezentralisiertes Primär- und Sekundärrechtsschutzregime durch Vergabekammern und Zivilgerichte zu gewährleisten. Während sich aus dem Beihilferecht grundsätzlich keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur grenzüberschreitenden Öffnung ihres Subventionswesens ergibt, verpflichtet das Vergaberecht die Mitgliedstaaten im Interesse der Gewährleistung der Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten grundsätzlich zur grenzüberschreitenden Öffnung ihres Beschaffungswesens.77 Wegen ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen, Verfahren und Rechtsschutzgewährleistungen sind Vergabe- und Beihilferecht grundsätzlich nebeneinander anwendbar. Da das Beihilferecht im Grunde nur einseitige staatliche Subventionen, GA Jacobs in der Rs. C-126/01 (GEMO) Slg. 2003, I-13797 (Rn. 118 ff.). Hierzu auch unten in diesem Kapitel, F. I. und III. 73 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 9 ff., Rn. 54 f. 74 Zur partiellen Subjektivierung des Beihilferechts: Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilferecht, 2005, S. 203 ff. 75 EuGH, Rs. C-351/98 (Laboratori Bruneau) Slg. 2002, I-8031, Rn. 57; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 42 Rn. 20 f. Allerdings kann aus Art. 56 AEU ggf. ein Anspruch auf grenzüberschreitende Subventionierung folgen, soweit ein Unternehmen im Inland seinen Sitz hat. So für die Forschungsförderung bei grenzüberschreitenden Forschungsprojekten: EuGH, Rs. C-39/04 (Laboratoires Fournier SA) Slg. 2005, I-2057. 76 Kühling, WiVerw 2008, S. 239 (241 f.). 77 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 9.

B. Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

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nicht aber gegenseitige wirtschaftliche Austauschbeziehungen und das Vergaberecht grundsätzlich nur gegenseitige wirtschaftliche Austauschbeziehungen erfasst, schließen sich die Anwendung von Vergabe- und Beihilferecht allerdings zumindest theoretisch gegenseitig aus. Gleichwohl sind Beihilfe- und Vergaberecht aufgrund ihrer komplementären Funktionen, aber auch wegen der Möglichkeit von Mischtatbeständen vielfältig miteinander gekoppelt. So dürfen Beihilfen, die Unternehmen im Einklang mit dem Beihilferecht gewährt wurden, im Interesse der praktischen Wirksamkeit des EU-Beihilferechts nicht zu einem Ausschluss der subventionierten Angebote aus einem Vergabeverfahren führen. Umgekehrt sind öffentliche Auftraggeber aus anderen Mitgliedstaaten berechtigt und im Interesse der praktischen Wirksamkeit des Beihilferechts möglicherweise sogar verpflichtet, Angebote, die auf unionsrechtswidrigen Beihilfen beruhen, von der Auftragsvergabe auszuschließen.78 Umgekehrt können einzelstaatliche Bestimmungen, die einen bestimmten Anteil der Aufträge für ortsansässige Unternehmen reservieren, unter Umständen den Beihilfetatbestand des Art. 107 AEU erfüllen, wenn den ortsansässigen Unternehmen hierdurch ein einseitiger wirtschaftlicher Vorteil erwächst.79 Schwierige Abgrenzungs- und Konkurrenzprobleme zwischen Beihilfe- und Vergaberecht ergeben sich auch in den Fällen von staatlichen Ausgleichszahlungen für den Betrieb defizitärer öffentlicher Dienste. Hier können mit Blick auf die staatliche Zuwendung an das Unternehmen sowohl der vergaberechtliche Entgelttatbestand als auch der Beihilfetatbestand erfüllt sein. Freilich schließt die Einhaltung der Vergabeverfahren bei der Ausschreibung defizitärer öffentlicher Dienste mit staatlicher Ausgleichszahlung das Vorliegen eines Beihilfetatbestands in der Regel aus, da in diesen Fällen davon auszugehen ist, dass sich die Zuwendung auf den wirtschaftlichen Ausgleich der Sonderlast der Übernahme von Allgemeinwohllasten beschränkt. Umgekehrt begründet das Beihilferecht auch in derartigen Fällen keine über das Vergaberecht hinausgehenden Ausschreibungspflichten, da die Mitgliedstaaten alternativ zum Vergabeverfahren auch andere transparente Verfahren zum Nachweis des Vorliegens einer Ausgleichszahlung für Sonderlasten wählen können.80 4. Vergaberecht und Produkt-, Berufs- und Dienstleistungszulassungsrecht Während sich das Vergaberecht vom Wettbewerbs- und Beihilferecht durch seine abweichende Verortung im Primärrecht (Art. 101 ff., 107 ff. vs. Art. 34 und 78 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 56. 79 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rs. 21/88 (Du Pont de Nemours) Slg. 1990, I-889; dazu auch näher Boesen, Vergaberecht, 2003, Einl., Rn. 33. 80 Kühling, WiVerw 2008, S. 239 (241 f.).

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

56 AEU) und seinem in erster Linie sekundärrechtlichen Charakter unterscheidet, ist dies im Verhältnis von Vergaberecht und europäischem Produkt-, Berufs- und Dienstleistungsrecht gerade nicht der Fall. Das europäische Produktzulassungsrecht (Produktsicherheitsrecht, Arzneimittelsicherheitsrecht und Arzneimitteltransparenzrichtlinie, Lebensmittel- und Chemikalienrecht, Medizinproduktrecht, Biopatentrecht etc.) sowie das Niederlassungs- und Dienstleistungsrecht (Allgemeine Dienstleistungsrichtlinie, RL 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, Versicherungsrichtlinien, Finanzdienstleistungsaufsichtsrecht, Gesundheitsversorgungsrecht, Arbeitnehmerentsenderecht usw.) finden ihre wesentlichen Grundlagen, ebenso wie die Vergaberichtlinien, in der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit und in den korrespondierenden Binnenmarktkompetenzen aus Art. 114 und 62, 53 Abs. 1 AEU.81 Das Vergaberecht und der überwiegende Teil des „sonstigen“ europäischen Binnenmarktverwaltungsrechts dienen damit nicht komplementären, sondern grundsätzlich funktional deckungsgleichen Zielen, nämlich der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit durch Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrecht. Bei der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Diskriminierungsund Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten bedient sich der Binnenmarktgesetzgeber beim Produktsicherheits-, Berufszulassungs- und Dienstleistungsaufsichtsrecht einerseits und beim Vergaberecht andererseits auch grundsätzlich vergleichbarer Methoden, insbesondere der Angleichung des Verwaltungsverfahrensrechts und der Verwaltungskoordinierung im Europäischen Verwaltungsverbund. Allerdings dient die Harmonisierung der Verwaltungsverfahren durch die Vergaberichtlinien ausschließlich dazu, den besonderen Gefahren für den Marktzugang im Binnenmarkt zu begegnen, die sich aus dem Markteintritt der öffentlichen Hand aufgrund von wirtschaftlichen Austauschverträgen ergeben. Dagegen erfasst der Anwendungsbereich der Harmonisierungsvorschriften der RL 2004/ 18/EG und 2004/17EG in Abgrenzung zum Produktzulassungs-, Niederlassungsund Dienstleistungsrecht gerade nicht die Verfahren der einseitig hoheitlichen Marktregulierung unter staatlicher Letztverantwortung.82 Zwar können auch hoheitliche Handlungsformen wie Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie fallen, soweit die Voraussetzungen eines funktionalen Vertragsverhältnisses gegeben sind. Gleichwohl ist stets Voraussetzung, dass es sich aus funktionaler Sicht um einen wirtschaftlichen Austauschvertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmer/n i. S. d. Vertragstypen des Art. 1 Abs. 2, 3 und 5 der RL 2004/18/EG handelt.83 Soweit diese Voraussetzung 81

Hierzu oben 1. Kapitel, C. III. 1. und 2. Kapitel, E. I. bis IV. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2079. Hierzu eingehend unten 3. Kapitel, C. III. 2. 82

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nicht vorliegt, greifen alleine die für die Rechtsangleichung im Bereich der hoheitlichen Marktregulierung vorgesehenen Harmonisierungsvorschriften des Produkt-, Berufs- und Dienstleistungsrechts sowie ggf. auch andere sekundärrechtliche Vorschriften, z. B. aus dem Bereich des Regulierungsverwaltungsrechts oder der sektorpolitischen Rechtsangleichung. Gerade wegen des grundsätzlich sektorübergreifenden und nur durch den funktionalen Auftragsbegriff begrenzten Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien erweist sich die genaue Abgrenzung zwischen vertraglichem und hoheitlichem oder hoheitlich-kooperativem Handeln für die Abgrenzung des Vergaberechts zu anderen Materien des besonderen europäischen Verwaltungsrechts als zentral. Hieraus ergeben sich auch die Grenzen der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf hoheitliche Verwaltungsverfahren auf einzelstaatlicher Ebene. Das Vergaberecht ist zwar weit auszulegen. Es ist jedoch kein Instrument, das dazu bestimmt oder geeignet wäre, das gesamte System des einzelstaatlichen Verwaltungsverfahrensrechts auf Vergabeverfahren umzustellen. Vielmehr umfasst das europäische Verwaltungsrecht gerade auch im Bereich der Rechtsangleichung im Binnenmarkt eine Vielzahl anderer, speziellerer und effektiverer Verfahren, die gerade darauf gerichtet sind, sich den Marktzugang im Binnenmarkt unter den Bedingungen hoheitlicher oder hoheitlich-kooperativer Regulierung im Wege der Verwaltungsrechtsangleichung zu gewährleisten.84 So bedarf es z. B. im Bereich der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung keiner Umstellung des bisherigen hoheitlich-kooperativen Zulassungsverfahrens der §§ 95 ff. SGB V auf unionsweite Ausschreibungsverfahren im Wettbewerb nach Maßgabe der RL 2004/18/EG, um die praktische Wirksamkeit der Dienstleistungsfreiheit im europäischen Binnenmarkt für ambulante ärztliche Versorgungsleistungen zu gewährleisten. Vielmehr wird der diskriminierungsfreie Zugang von Ärzten aus anderen Mitgliedstaaten zur vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland bereits durch die funktional speziellere RL 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen gewährleistet, die vom Bundesgesetzgeber mittlerweile über § 95a Abs. 3 SGB V in das vertragsärztliche Zulassungsverfahren integriert wurde.85 5. Vergaberecht und Regulierungsverwaltungsrecht in den Netzwirtschaften Besonders anschaulich lässt sich die Stellung des Vergaberechts im System des europäischen Verwaltungsrechts schließlich am Beispiel des Verhältnisses zum Regulierungsverwaltungsrecht in den Netzwirtschaften, insbesondere am Ver83

Vgl. EuGH Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 71. Hierzu oben 2. Kapitel, E. I. bis IV. 85 Vgl. Kruse, in: Kruse/Hänlein, Sozialgesetzbuch V, 3. Aufl., 2009, § 95a Rn. 2, Rn. 11 ff. 84

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

hältnis zur Telekommunikationsregulierung, verdeutlichen. Das europäische Telekommunikationsrecht ist primärrechtlich an den Schnittstellen von Wettbewerbsrecht und Binnenmarktrecht angesiedelt. Einerseits handelt es sich beim Telekommunikationsrecht um ein Sonderwettbewerbsrecht, das dem Schutz des Wettbewerbs unter den besonderen Bedingungen netzgebundener, ehemals staatlich monopolisierter Märkte im Telekommunikationssektor dient.86 Zum Zweck der Herstellung und dauerhaften Gewährleistung des Wettbewerbs genügt das Instrumentarium des allgemeinen europäischen Kartellverfahrensrechts nicht. Vielmehr bedarf es einer weitergehenden Regulierung, die im Rahmen der Telekommunikationsrichtlinie organisationsrechtlich durch einen Regulierungsverbund abgesichert wird, in dem die Kommission und die einzelstaatlichen Regulierungsbehörden über horizontale und vertikale Formen der Koordinierung eingebunden sind.87 Im Rahmen des Verbunds erfolgt auf Grundlage von Regulierungsverfügungen in einem mehrstufigen Verfahren unter weitgehender Berücksichtigung der Empfehlungen und Stellungnahmen der Kommission eine besondere Marktzugangsund Entgeltregulierung marktbeherrschender Unternehmen, das in seinen Strukturen (Marktabgrenzung, Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung) an das wettbewerbsrechtliche Missbrauchsverfahren angelehnt ist.88 Neben dem Ziel des Wettbewerbschutzes dient die Telekommunikationsregulierung zugleich auch dem Schutz des grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehrs im Telekommunikationssektor. Die einschlägigen Kompetenzgrundlagen für die Verwaltungsrechtsangleichung liegen dementsprechend in erster Linie in den Binnenmarktkompetenzen des Art. 114 und der Art. 62, 53 Abs. 1 AEU sowie ergänzend auch in den autonomen Kommissionskompetenzen aus Art. 106 Abs. 3 AEU.89 Neben und mit der Gewährleistung des Marktzugangs unter Wettbewerbsbedingungen zielt das Telekommunikationsrecht schließlich auch auf die Gewährleistung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsdiensten zu wirtschaftlich angemessenen Konditionen. Hierzu greift die Richtlinie und ihr folgend der einzelstaatliche Umsetzungsgesetzgeber u. a. auf ein besonderes Vergabeverfahren nach Maßgabe der §§ 15 ff. TKG zurück, das als lex specialis von den Verfahren nach der allgemeinen Vergaberichtlinie abzugrenzen ist. Nach Feststellung und amtlicher Bekanntgabe einer Unterversorgung 86 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 18 Rn. 55 ff., 59 ff. 87 Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation: ein neues Modell europäisierter Verwaltung, in: FS Selmer 2004, S. 565 ff. 88 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 18 Rn. 59 ff. 89 Hierzu oben 2. Kapitel, C. III. und E. I. bis IV.

B. Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

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kann die zuständige nationale Regulierungsbehörde nicht rentable universelle Dienste im Wettbewerb ausschreiben und hierbei Ausgleichspflichten der zum Markt zugelassenen Unternehmen vorsehen, wenn ein wirtschaftlich rentabler Betrieb ohne Ausgleichszahlungen nicht möglich ist.90 Der Sache nach handelt es sich bei den nach § 15 TKG auszuschreibenden öffentlichen Diensten damit um einen atypischen öffentlichen Auftrag, der einerseits konzessionsähnliche Elemente, andererseits – mit Blick auf die hoheitlich bewirkten Ausgleichszahlungen – auch entgeltliche Auftragselemente i. S. d. Vergaberichtlinien 2004/ 1018/EG bzw. 2004/17/EG umfasst, der jedoch durch die Telekommunikationsrahmenrichtlinie vom Anwendungsbereich der allgemeinen Vergaberichtlinien ausgenommen ist. Bis zum Jahr 2004 wurde das sektorale System der Telekommunikationsregulierung gleichwohl durch die vergaberechtliche Sektorenrichtlinie ergänzt, die auch für Telekommunikationsdienstleistungen besondere vergaberechtliche Verfahrensgewährleistungen vorsahen, die wegen des bereits erreichten Grades der Marktliberalisierung indes weniger streng gefasst waren als das allgemeine Verfahrensregime der vergaberechtlichen Vorläuferregelungen der heutigen RL 2004/18/EG.91 Aufgrund der vor allem durch die konsequente Liberalisierungspolitik der Kommission und die effektive sektorale Telekommunikationsregulierung bewirkten sehr weitgehenden Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte erscheint es im Telekommunikationssektor mittlerweile allerdings als nicht mehr erforderlich, besondere vergaberechtliche Verfahrens- und Rechtsschutzgewährleistungen aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz zu den übrigen Netzwirtschaften (Post, Energie, Verkehr, Wasser etc.) konnte der Telekommunikationssektor daher von der Sektorenrichtlinie RL 2004/10017/EG ausgenommen und zugleich vom allgemeinen Regime der RL 2004/1018/EG im Wege einer sektoralen Bereichsausnahme freigestellt werden.92 Die Entwicklung im Telekommunikationssektor ist damit einerseits ein anschauliches Beispiel für die zielgerichtete Instrumentalisierung der Vertragssteuerung und der Vergabeverfahren für sektorpolitische Steuerungszwecke, gerade auch durch den Unionsgesetzgeber selbst. Andererseits offenbart sich die spezifische und begrenzte Funktion des Vergaberechts im Gesamtsystem des europäischen Verwaltungsrechts. Das strenge, die Vertragsfreiheit beschränkende Vergaberecht ist wegen seiner spezifischen, auf den Schutz vor den besonderen Gefahren des Markteintritts des Staates als Nachfrager gerichteten Funktion nur solange und soweit anwendbar, als nicht bereits durch Marktprozesse bzw. effektive Marktregulierung eine grund90

Kühling, WiVerw 2008, S. 239 (242 f.). Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 37 Rn. 40; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1984 ff. 92 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1984 ff. 91

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

sätzlich an Wirtschaftlichkeitskriterien orientierte Auftragsvergabe gewährleistet wird.93

C. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich I. Anwendungsbereich und Anwendungsgrenzen im Überblick Der persönliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie wird durch die Begriffe des „öffentlichen Auftraggebers“ und des „Bieters“ definiert. Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers wird vom EuGH in funktionaler Betrachtung weit ausgelegt, sodass neben staatlichen Gebietskörperschaften und staatsnahen Unternehmen auch Selbstverwaltungskörperschaften einbezogen sind.94 Der sachliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien RL 2004/18/EG und 2004/17/ EG setzt dagegen beim ebenfalls sehr weit gefassten Begriff des „öffentlichen Auftrags“ an. Der funktionale Auftragsbegriff erfasst grundsätzlich jede vertragliche Einkaufstätigkeit der öffentlichen Hand. Da die Vergaberichtlinie neben entgeltlichen Aufträgen über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen i. S. v. Art. 1 Abs. 2 lit. a) RL 2004/18/EG, auch noch die Spezialfälle der Baukonzession i. S. v. Art. 1 Abs. 3 RL 2004/18/EG und die Rahmenvereinbarung über spätere Einzelaufträge i. S. v. Art. 1 Abs. 5 2004/18/EG erfasst, geht der Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien über die klassischen Fälle des Leistungseinkaufs hinaus.95 Demzufolge kann der Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien aus funktionaler Sicht auch zweistufig gefasst werden. Die Vergaberichtlinien erfassen die Marktnachfrage der öffentlichen Hand auf Grundlage von Austauschverträgen nach Maßgabe der Vertragstypen der RL 20014/18/EG und 2004/17/EG. Damit fallen sämtliche gegenseitigen Vertragsabschlüsse und Schuldverhältnisse, deren Vergütung in Geld gezahlt wird, unter den Auftragsbegriff. Obwohl die Vertragstypologie des Art. 1 Abs. 2 lit. a), Abs. 3 und Abs. 5 RL 2004/18/EG zunächst als begrenzt erscheint, werden damit nahezu alle aus dem Schuldrecht bekannten Vertragsarten erfasst. Wegen der Weite des Anwendungsbereichs der RL 2004/ 18/EG besteht allerdings die Gefahr, dass Ausschreibungspflichten und Verfahren auf Bereiche ausgedehnt werden, auf die sie nicht zugeschnitten sind. Hieraus ergibt sich ein besonderer Begrenzungs- und Differenzierungsbedarf, dem im Rahmen der Vergaberichtlinien durch Bereichsausnahmen sektorale Sonderregelungen und das System der Schwellenwerte Rechnung getragen werden muss. 93 Zu den Schwächen des Vergabeverfahrens: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 37 Rn. 28; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1984 ff. 94 Zum funktionalen Auftraggeberbegriff: Ziekow, VergabeR 2003, S. 483 ff. 95 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2033.

C. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich

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Daher sind für eine Reihe von Sektoren, wie z. B. den Wehrsektor, die Arbeitsmärkte, den Forschungssektor, aber auch für bestimmte Finanzdienstleistungsaufträge und Grundstücksgeschäfte Ausnahmebereiche geschaffen worden.96 Weitergehend sind sog. nichtprioritäre Dienstleistungen insbesondere im Gesundheits- und Sozialwesen gem. Art. 21 RL 2014/18/EG wegen der Besonderheiten dieser Dienstleistungssektoren von den Ausschreibungspflichten der RL 2004/18/ EG grundsätzlich ausgenommen worden. Auch für Bereiche des öffentlichen Auftragswesens, die bereits einen gewissen Liberalisierungsgrad aufweisen (Gas, Wärme und Elektrizität, Wasser, Verkehrsleistungen, Postdienste und Rohstoffförderung), wäre eine Anwendung der strengen Verfahrensanforderungen der RL 2004/18/EG nicht angemessen, da hier der Wettbewerb bereits bis zu einem gewissen Grad eine an Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten ausgerichtete Vergabepraxis gewährleistet. Deshalb wurde für teillliberalisierte Wirtschaftssektoren mit der Sektorenkoordinierungsrichtlinie eine eigene Vergaberichtlinie geschaffen, die sich speziell auf diese Tätigkeitsbereiche bezieht.97 Im Vergleich zur Vergabekoordinierungsrichtlinie sieht die Sektorenkoordinierungsrichtlinie einen sachlich engeren, indes persönlich weiteren Anwendungsbereich vor. Insgesamt enthält die RL 2004/17/EG ein abgeschwächteres Vergaberecht, welches sich beispielsweise in höheren Schwellenwerten und flexibleren Verfahren äußert. Schließlich lässt sich die Anwendung des aufwendigen Vergabeverfahrens der RL 2008/14/EG auch mit Blick auf das Auftragsvolumen nicht immer rechtfertigen. Die strengen Verfahrensanforderungen der Richtlinie sind daher Art. 7 i.V. m. Art. 9 Abs. 1 und 2 RL 2004/18/EG und der EG-VO 2083/2005 nur auf solche Aufträge anwendbar, deren Wert die Schwellenwerte erreichen oder übersteigen. Art. 9 RL 2004/18/EG enthält genaue Regelungen über die Berechnung, insbesondere wenn es sich um langfristig angelegte Aufträge über wiederkehrende Leistungen handelt.

II. Persönlicher Anwendungsbereich der EU-Vergaberichtlinien 1. Der institutionelle und funktionale Begriff des öffentlichen Auftraggebers Voraussetzung für die Anwendung des Vergaberechts ist zunächst die Einbeziehung einer Einrichtung in den persönlichen Anwendungsbereich des EU-Vergaberechts. Maßgeblich hierfür ist der Begriff des „öffentlichen Auftraggebers“ i. S. d. RL 2004/18/EG. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 1 RL 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 1 RL 2004/17/EG definieren als öffentlichen Auftraggeber 96 Vgl. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1984 ff. 97 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 37 Rn. 17 ff.

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

„den Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts und ihre Verbände, die aus einer oder mehrerer dieser Körperschaften und Einrichtungen bestehen“.98 Angelehnt an die Begrifflichkeiten der Vergaberichtlinien kann zwischen dem institutionellen und dem funktionalen Auftraggeberbegriff unterschieden werden.99 Eine rein institutionelle Fassung des Auftragsgeberbegriffs reicht jedoch zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Vergaberechts nicht aus. Vielmehr müssen – unabhängig von der Rechtsform – auch all jene Einrichtungen erfasst werden, die unter einem beherrschenden Einfluss institutioneller Auftraggeber stehen, wenn Umgehungstatbeständen entgegengewirkt werden soll. Bei der Konkretisierung des Begriffs des Auftraggebers im Bereich öffentlicher Einrichtungen ist daher, ähnlich wie im Wettbewerbsrecht, eine funktionale Betrachtungsweise erforderlich.100 Während die institutionenbezogenen Begriffe des Staates, der Gebietskörperschaften und der Verbände dieser Institutionen vergleichsweise einfach zu fassen sind, ist dies bei „öffentlichen Einrichtungen“ nicht ohne Weiteres der Fall. Aus diesem Grund konkretisieren Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG den Begriff der „öffentlichen Einrichtung“ näher. Als öffentliche Einrichtung und damit als öffentlicher Auftraggeber gilt jede Einrichtung, die (1) zur Erfüllung eines besonderen im Allgemeininteresse liegenden Zwecks gegründet wurde, (2) eigene Rechtspersönlichkeit besitzt und (3) alternativ entweder vom Staat, von Gebietskörperschaften oder anderen öffentlichen Einrichtungen überwiegend finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgane überwiegend mit Mitgliedern besetzt sind, die von letztgenannten Einrichtungen ernannt werden. 2. Funktionaler Auftraggeberbegriff und Indizwirkung des Anhangs III Der funktionale Auftraggeberbegriff i. S. d. RL 2004/18/EG ist im Interesse der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinienziele weit auszulegen.101 Neben der öffentlichen Hand können daher auch Private in den An98 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2570. 99 Zum funktionalen Auftraggeberbegriff: Ziekow, VergabeR 2003, S. 483 ff.; Crass, Der öffentliche Auftraggeber, 2004; Ohler, Zum Begriff des öffentlichen Auftraggebers im europäischen Vergaberecht, 2001. 100 EuGH Rs. 31/87 (Beentjes) Slg. 1988, 4635, Rn. 11 f.; vgl. auch Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2571; Ziekow, VergabeR 2003, S. 483 ff. 101 Alber, in: Schwarze (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, 2000, S. 141 (149); EuGH, Rs. C-214/00 (Kommission/ Spanien) Slg. 2003, I-4667, Rn. 53.

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wendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen, um eine Umgehung des Vergaberechts im Rahmen der öffentlichen Aufgabenprivatisierung zu vermeiden (keine „Flucht ins Privatrecht“).102 Im Rahmen des funktionalen Auftraggeberbegriffs ist folglich grundsätzlich nicht auf die Rechtsform, sondern vielmehr maßgeblich auf die Übertragung von Allgemeinwohlaufgaben auf eine Einrichtung sowie auf die staatliche Kontrolle und Einflussnahme abzustellen, die es im konkreten Einzelfall rechtfertigt, eine Einrichtung vergaberechtlich dem Staat und den Gebietskörperschaften gleichzustellen.103 Die wichtigsten Anknüpfungspunkte für die Konkretisierung des funktionalen Auftraggeberbegriffs liefern Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG. Bei der Konkretisierung des funktionalen Auftraggeberbegriffs kann ergänzend auch auf den Anhang III der RL 2004/18/EG zurückgegriffen werden.104 Nach Art. 1 Abs. 9 und Abs. 3 RL 2004/18/EG findet sich in Anhang III der Richtlinie eine Auflistung derjenigen öffentlichen Einrichtungen, die nach Auffassung der Mitgliedstaaten in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Diese sind von den Mitgliedstaaten so vollständig wie möglich zu führen. Die Auflistung ist jedoch nach Art. 1 Abs. 9 und Abs. 1 RL 2004/18/EG nicht erschöpfend. Sie gibt zudem nur die Auffassung der Mitgliedstaaten wieder und hat daher sowohl gegenüber der Kommission, z. B. bei ihren Beobachtungspflichten aus Art. 35 Abs. 4 RL 2004/18/EG, als auch gegenüber den erfassten Einrichtungen und potenziellen Auftragnehmern lediglich eine Orientierungsfunktion. Die Aufnahme in die Liste rechtfertigt somit weder zwingend den Schluss des Vorliegens der Auftraggebereigenschaft, noch schließt die Nichtaufnahme die öffentliche Auftragsgebereigenschaft notwendig aus. Allerdings hat die Aufnahme in die Liste eine gewisse Indizwirkung in Bezug auf das Vorliegen einer Auftraggebereigenschaft.105

102 EuGH, Rs. C-84/03 (Kommission/Spanien) Slg. 2005, I-139, Rn. 28; EuGH, Rs. C-214/00 (Kommission/Spanien) Slg. 2003, I-4667, Rn. 55 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2578. 103 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2571 ff.; Prieß, Vergaberecht, 3. Aufl., 2005, S. 150 f.; Hailbronner, in: Grabitz/ Hilf, B 4, Rn. 24. 104 Vgl. Boesen, Vergaberecht, § 98 GWB Rn. 31; ähnlich Byok/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 (54); VK Bund, Beschluss v. 05.09.2001, Az. VK 1 23/01. 105 Dreher, DB 1998, S. 2579 (2583); Wollenschläger, NZBau 2004, S. 655 (656); Eschenbruch, in: Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz, § 98 GWB, Rn. 69; Marx, in: Motzke/ Pietzker/Prieß, § 98 GWB Rn. 8; VK Bund, Beschluss v. 05.09.2001, Az. VK 1 23/01; BayObLG NZBau 2004, 623; für eine nur ausnahmsweise widerlegliche Vermutung dagegen Boesen, Vergaberecht, § 98 GWB Rn. 31; ähnlich auch Byok/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 (54).

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

III. Der sachliche Anwendungsbereich der EU-Vergaberichtlinien Größere Schwierigkeiten als die Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs der Vergaberichtlinie bereitet deren sachlicher Anwendungsbereich. Hierbei kann an die vorangegangenen Untersuchungen zur Stellung des Vergaberechts im System des europäischen besonderen Verwaltungsrechts angeknüpft werden. Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie ist daher zwar grundsätzlich weit auszulegen. Gleichwohl muss eine Überdehnung des Vergaberechts auf Sachverhalte und Steuerungsinstrumente vermieden werden, auf die das Vergaberecht nicht zugeschnitten ist und für die das europäische Verwaltungsrecht andere, regelmäßig speziellere Regelungen vorsieht. Ausgangspunkt der Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie ist der Begriff des „öffentlichen Auftrags“. 1. Der öffentliche Auftrag als gegenleistungsabhängiger Vertrag (Austauschvertrag) a) Vertrag im funktionalen Sinne Die Vergaberichtlinien und das staatliche Umsetzungsrecht erfassen öffentliche Aufträge in Form von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen sowie Dienstleistungskonzessionen und Rahmenvereinbarungen über (spätere) entgeltliche Aufträge. Voraussetzung für die Anwendung der Vergaberichtlinien ist damit nach Maßgabe der Art. 1 Abs. 2 der RL 2004/18/EG und 2004/17/EG grundsätzlich ein entgeltlicher Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Auftragnehmer. Das Vergaberecht ist mithin stets anwendbar, wenn nach staatlichem Recht von einem öffentlichen Auftraggeber die Rechtsform eines Vertrags gewählt wird.106 Bei funktionaler Betrachtung kommt es nicht darauf an, ob es sich um einen privatrechtlichen oder einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt.107 Ebenso können Verwaltungsakte jedenfalls dann unter den Vertragsbegriff fallen, wenn vertragsähnliche Auswahlspielräume bestehen.108 Für die Anwendung sowohl des primären als auch des sekundären Vergaberechts bleibt allerdings der funktionale Vertragsbegriff konstitutiv. Erforderlich für die Anwendung des Vergaberechts ist daher stets, dass zwischen Auftrageber und 106 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2033. 107 EuGH Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001 I-5409, Rn. 73; dazu: Arweiler, NZBau 2003, S. 93 (95 ff.); Burgi, NZBau 2002, S. 57 (60 ff.); Boyk, NJW 2004, S. 198 (201). 108 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2078; Koenig/Steiner, ZESAR 2003, S. 150 (151); Wilke, ZfBR 2004, S. 141 (142); Ruhland/Burgi, VergabeR 2005, S. 1 ff.

C. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich

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Auftragnehmer ein vertragliches oder vertragsähnliches Verhandlungsverhältnis in Bezug auf Zulassung-, Preis- oder Leistungsbedingungen bestand.109 b) Vertrag zwischen Auftraggeber und Unternehmen: Abgrenzung zur Binnensteuerung durch Organisation Das Vergaberecht reagiert als „nachfrageorientiertes“ Verfahren auf das Problem des Markteintritts des Staates als Nachfrager. Demzufolge fallen Angebotskonstellationen nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts. Dem entspricht die Abgrenzung zwischen vergaberechtlich relevanter Außensteuerung durch Vertrag und vergaberechtsneutraler Steuerung durch Organisation. Die Anwendung des Vergaberechts scheidet dann grundsätzlich aus, wenn es an einem Austauschvertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem diesem gegenüber verselbstständigten Auftragnehmer fehlt. Dies ist dann der Fall, wenn ein öffentlicher Auftraggeber öffentliche Aufgaben nach wie vor unmittelbar selbst und durch Eigenbetriebe erfüllt. In diesem Fall fehlt es in Bezug auf den Eigenbetrieb an einem gegenüber dem Auftraggeber verselbstständigten Auftragnehmer. Ergo begründet das Vergaberecht auch keine Privatisierungspflichten, soweit öffentliche Aufgaben nach wie vor durch die öffentliche Hand im Wege der organisationsrechtlichen Binnensteuerung selbst erfüllt werden.110 Ebenso sind Übertragungen von kommunalen Aufgaben auf Zweckverbände vergaberechtlich neutral, soweit die Grenzen der kommunalen Daseinsvorsorge eingehalten werden. Allerdings ist der sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts auch bei Inhouse-Fällen im Interesse der praktischen Wirksamkeit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit weit auszulegen. Hieraus ergeben sich die Grundsätze der Inhouse-Rechtsprechung des EuGH. Einerseits ist das Vergaberecht dann auf die Inhouse-Vergabe anwendbar, wenn die öffentliche Hand private Unternehmen an ihren Eigenbetrieben beteiligt hat, denn in diesen Fällen führt die Vergabe an den Eigenbetrieb immer zugleich auch zu einer Begünstigung des privaten Teilhabers des öffentlichen Unternehmens.111 Umgekehrt besteht für private Unternehmen ein erkennbarer Anreiz, sich durch Beteiligung an öffentlichen Unternehmen einen privilegierten Zugang zur öffentlichen Auftragsvergabe zu verschaffen. Darüber hinaus liegt auch dann ein Auftragsverhältnis zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Auftragnehmer vor, wenn ein öffentliches Unternehmen zwar im alleinigen Eigentum der öffentlichen Hand steht, jedoch ihre Geschäftsführung keiner effektiven Kontrolle durch die 109

EuGH Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001 I-5409, Rn. 73. Kühling, WiVerw 2008, S. 239 ff. 111 EuGH, Rs. C-26/03 (Stadt Halle) Slg. 2005, I-1, Rn. 42 ff., Rn. 49 ff.; ebenso EuGH, Rs. C-29/04 (Mölding) NVwZ 2006, 70 (Rn. 39 ff.); EuGH, Rs. C-107/98 (Teckal) Slg. 1999, I-8121, Rn. 50; bezogen auf die Verleihung einer Dienstleistungskonzession EuGH, Rs. C-410/04 (ANAV/Bari) NVwZ 2006, 555, Rn. 24. 110

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

öffentliche Hand unterliegt.112 In diesen Fällen hat die öffentliche Hand ihre Unternehmen gewissermaßen selbst „in den Markt entlassen“. Folglich besteht auch keine Rechtfertigung, das verselbstständigte Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe anders zu behandeln als andere Auftragnehmer.113 c) Entgeltlichkeit (sachlicher Leistungsaustausch) Die EU-Vergaberichtlinien erfassen nach Art. 1 Abs. 2 der RL 2004/18/EG und 2004/17/EG grundsätzlich nur „entgeltliche“ Aufträge. Ebenso wie der Vertragsbegriff ist auch das Kriterium der Entgeltlichkeit des Auftrags funktional und damit weit auszulegen.114 Ein entgeltlicher Auftrag i. S. d. Vergaberichtlinien liegt immer dann vor, wenn der Leistung des Auftragnehmers eine Gegenleistung gegenübersteht, ganz gleich, ob es sich hierbei um eine Geldleistung oder einen sonstigen wirtschaftlichen Vorteil handelt.115 Die Entgeltlichkeit ist weit zu verstehen, sodass jede Art von Vergütung, die einen Geldwert darstellen kann, erfasst wird.116 Eine Bezahlung in Geld ist folglich nicht zwingend erforderlich. Unschädlich ist es ferner, wenn der Umfang der Entgeltpflicht nicht von vornherein genau feststeht, soweit die Berechnungsgröße klar festgelegt ist und der Auftraggeber seinen Einfluss darauf behält, sodass der Umfang der Vergütung absehbar und bestimmbar ist.117 Entgeltlichkeit ist nach dem EuGH sogar dann gegeben, wenn der Auftraggeber auf einen gesetzlichen Gebührenanspruch zugunsten des Leistungserbringers verzichtet.118 Auch eine Gewinnerzielung ist nicht erforderlich.119 Es reicht damit für die Entgeltlichkeit auch aus, wenn der Leistungserbringer lediglich eine kostendeckende Vergütung in Form einer Kostenerstattung erhält. Damit werden auch sog. bloße Entschädigungen vom Entgeltbegriff erfasst. Ebenfalls ist es unerheblich, ob die tatsächliche Zahlung durch den Auftraggeber selbst oder etwa von privaten Gebührenzahlern aufgebracht 112

EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen) EuZW 2005, 727, Rn. 68 ff.; ebenso für eine Enkelgesellschaft EuGH, Rs. C-340/04 (Carbotermo) EuZW 2006, 375, Rn. 59, Rn. 61. 113 Zur Inhouse-Problematik ausführlich Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2317 ff. 114 EuGH Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001 I-5409, Rn. 75; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2035. 115 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2008. 116 Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, B 5, Rn. 24; Eschenbruch, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 99 Rn. 35 ff.; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rn. 57; Schimanek, NZBau 2005, S. 304 (305); OLG Naumburg, NZBau 2006, S. 58 (62); OLG Düsseldorf, NVwZ 2004, 1022 (1022). 117 Boesen, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 58. 118 EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. I-2001, 5409, Rn. 81 ff.; ebenso OLG Naumburg, NZBau 2002, S. 235 (235 f.). 119 OLG Naumburg, NZBau 2006, S. 58 (62).

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wird. Allerdings setzt der Begriff der Entgeltlichkeit voraus, dass der Vorteil unmittelbar oder mittelbar aus öffentlichen Mitteln bewirkt wird. Daher stellen z. B. Bau- oder Dienstleistungskonzessionen, die als Gegenleistung lediglich ein wirtschaftliches Verwertungsrecht des Konzessionärs unter allgemeinen Marktbedingungen vorsehen, zwar ebenfalls gegenleistungsabhängige Bau- bzw. Dienstleistungsaufträge i. S. d. RL 2004/18/EG dar. Indes fehlt es hier am Kriterium der Entgeltlichkeit. Dem entsprechen bei der Dienstleistungskonzession auch gegenüber dem entgeltlichen Dienstleistungsauftrag abweichende Rechtsfolgen i. S. d. Unanwendbarkeit der RL 2004/18/EG.120 d) Vertragliches Aushandeln Erforderlich für den vergaberechtlichen Vertragsbegriff ist schließlich, dass der öffentliche Auftraggeber im Rahmen des Vertragsschlusses über einen gewissen Verhandlungs- und Ausgestaltungsspielraum verfügt. Dem Begriff des Austauschvertrags ist bereits begrifflich das Aushandeln von Leistung und Gegenleistung immanent. Aus teleologisch-funktionaler Sicht folgt das Erfordernis von Verhandlungsspielräumen aus dem Schutzzweck der Norm. Das Vergaberecht soll die öffentliche Hand daran hindern, ihre vertraglichen Gestaltungsspielräume zu nutzen, um den Marktzugang im Binnenmarkt zu beschränken. Das Vergaberecht richtet sich damit auf die Kontrolle von Ermessensspielräumen, die der Verwaltung nach Maßgabe des staatlichen Rechts eingeräumt werden. Aus diesem Grund ist das Vergaberecht bei gebundenen Entscheidungen grundsätzlich unanwendbar. In diesem Fällen liegt die eigentliche Ursache der möglichen Marktzugangsbeschränkung nicht (erst) auf der Ebene der Verwaltungsentscheidung, sondern (schon) auf der Ebene der gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelung, auf deren Grundlage sie erfolgt.121 Dass der Vertragsgegenstand einem nationalen Gesetzeswerk unterliegt, welches andere Zwecke als das Vergaberecht verfolgt und den Vertragsschluss nicht als Regelfall vorsieht, schadet der Einordnung als Vertrag i. S. d. Richtlinien allerdings nicht.122 Es reicht vielmehr aus, wenn der Auftragsgegenstand nach seinen funktionellen Eigenschaften als Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrag eingeordnet werden kann und die Möglichkeit eines Vertragsschlusses besteht.123 Unerheblich ist ebenfalls, wenn der öffentli120 EuGH, Rs. C-406/01 (Telautria) Slg. 2002, I-4561, Rn. 11 ff.; auch schon EuGH Rs. C-272/91 (Kommission/Italien) Slg. 1994, I-1409; EuGH Rs. C-60/96 (BVI Holding) Slg. 1998, I-6821; siehe auch Kommission, Mitteilungen zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, ABl. 2000 Nr. C. 121/2. 121 Vgl. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2034. 122 EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 66. 123 EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 66, für den Fall, dass eine unmittelbare Errichtung von Erschließungsanlagen den gesetzlichen Regelfall bildete, jedoch auch städtebauliche Erschließungsverträge möglich waren.

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

che Auftraggeber seinen Vertragspartner nicht auswählen kann, soweit zumindest der Vertragsinhalt zur Disposition der Parteien steht. So ist es nach dem EuGH unschädlich, wenn zwar der Vertragspartner gesetzlich vorgeschrieben ist, jedoch die genauen Inhalte im Vertragswerk frei ausgehandelt werden.124 Allein diese weite Auslegung wird dem Hauptzweck der Vergaberichtlinien gerecht, der darin besteht, dem Wettbewerb öffentliche Aufträge zugänglich zu machen. Würde man anders entscheiden und die freie Vertragspartnerwahl zum konstitutiven Anwendungsmerkmal der Vergaberichtlinien erheben, entzöge man Aufträgen, die sonst alle Anwendungsvoraussetzungen erfüllten, dem gemeinschaftlichen Wettbewerb.125 Daraus erwüchse eine erhebliche Umgehungsgefahr. Dementsprechend muss im Fall des gesetzlich festgelegten Vertragspartners genügen, dass der Vertragsinhalt frei ausgehandelt wird. Andererseits schließt die gesetzliche Verpflichtung eines Auftraggebers zum Abschluss eines Vertrags mit einem gesetzlich definierten Auftragnehmer die Anwendung des Vergaberechts nicht notwendig aus. Vielmehr bleibt das Vergaberecht dann anwendbar, wenn der öffentliche Auftraggeber zumindest über Gestaltungsspielräume in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung des Auftragsverhältnisses verfügt, also z. B. Art und Preis der in Auftrag gegebenen Leistungen oder die Leistungsbedingungen im Verhandlungswege festlegen kann.126 2. Abgrenzung von vertraglichem Markteintritt, hoheitlicher Marktregulierung und kollektivvertraglicher Steuerung a) Das Erfordernis der Abgrenzung zwischen vergaberechtlichem Vertrag und hoheitlichem Handeln Der funktionale Vertragsbegriff dient weitergehend auch der Abgrenzung von vertraglichem und hoheitlichem Handeln. Von Bedeutung ist im Kontext dieser Untersuchung vor allem die Abgrenzung zwischen vergaberechtlichem Vertrag und hoheitlichem Handeln durch Verwaltungsakt und zur hoheitlich-kooperativen Regulierung.127 Grundsätzlich legt bereits der Wortlaut der Vergaberichtlinien die 124

EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 75. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2035. 126 EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001 I-5409, Rn. 71. Im konkreten Fall ging es um einen städtebaulichen Vertrag, der mit dem Eigentümer eines Grundstücks abgeschlossen worden war. Hier bestand einerseits die Möglichkeit, eine Unterbeauftragung Dritter zu vereinbaren, sodass die gesetzlichen Regelungen vergaberechtskonform ausgelegt werden konnten. Andererseits besteht in diesen Fällen die Gefahr von strategischen Grundstückskäufen durch Unternehmen, um sich einen privilegierten Marktzugang bei späteren Erschließungsaufträgen zu verschaffen. 127 Zu den spezifischen Abgrenzungsproblemen im Bereich des Gesundheitsvergaberechts siehe unten 5. Kapitel, C. II. und III. 125

C. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich

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Unanwendbarkeit der Vergaberichtlinien auf Verwaltungsakte nahe.128 Auch fehlt es bei einseitigen hoheitlichen Entscheidungen durch Verwaltungsakt an dem für Vertragsverhältnisse typischen beiderseitigen Willenserklärungen. Die h. M. in Deutschland geht denn auch von einer Unanwendbarkeit des Vergaberechts auf Verwaltungsakte aus, zumal § 99 GWB Verwaltungsakte von der Anwendung des GWB-Vergaberechts ausschließt.129 Freilich dürfte allein die formale Durchführung einer Vergabeentscheidung in der Rechtsform des Verwaltungsakts eine Ausnahme des Beschaffungsakts von den EU-Vergaberichtlinien noch nicht rechtfertigen. Denn wenn allein schon die Wahl der administrativen Handlungsform zur Nichtanwendung des Vergaberechts führen würde, wären Umgehungsversuchen Tür und Tor geöffnet. Mithin kann allein die Wahl der Rechtsform des Verwaltungsakts die Anwendung des Vergaberechts nicht generell ausschließen.130 Vielmehr ist eine funktionale Betrachtung erforderlich. Instruktiv ist in diesem Zusammenhang zunächst die Entscheidung des EuGH in der Rs. C-399/ 98 (Ordine degli Architetti), in dem es um die Abgrenzung vergaberechtlicher Auftragsverhältnisse und die hoheitliche Regulierung bei Erschließungsverträgen ging. In seiner Entscheidung stellte der Gerichtshof maßgeblich darauf ab, ob einem Beschaffungsvorgang vertragstypische Verhandlungen zwischen öffentlichem Auftrageber und Auftragnehmer über einen wirtschaftlichen Austausch von Leistungen und Gegenleistungen vorangegangen sind.131 b) Das austauschvertragliche Verhandlungsverhältnis als Ausgangspunkt Bedingung für die Anwendung des Vergaberechts ist demnach, dass zwischen den Parteien zumindest ein faktisches austauschvertragliches Verhandlungsverhältnis bestand. Entsprechend wird bei öffentlich-rechtlichen Verträgen, bei Verwaltungsakten oder bei der hoheitlich-kooperativen Regulierung durch Satzungen, Normsetzungsverträge oder Planfeststellungsverfahren einerseits stets zu prüfen sein, ob nicht – unbeschadet der hoheitlichen Handlungsform – de facto ein verdeckter wirtschaftlicher Austauschvertrag vorliegt.132 Andererseits greift das Vergaberecht bei hoheitlichen Handlungsformen auch nur dann, wenn zumin128 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2077. 129 BGH NZBau 2001, 517 (519); OLG Zelle, NZBau 2000, 299 (300), Endler, NZBau 2002, S. 125 (129); Burgi, NZBau 2002, S. 57 (62). 130 Koenig/Steiner, ZESAR 2003, S. 150 (151 f.); Wilke, ZfBR 2004, S. 141 (142); Ruhland/Burgi, VergabeR 2005, S. 1 ff.; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2079. 131 Da ein solches Verhandlungsverhältnis über einen wirtschaftlichen Leistungsaustausch im italienischen Fall eines Erschließungsvertrags gegeben war, ging der EuGH hier von der Anwendbarkeit des Vergaberechts aus. EuGH Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001 I-5409, Rn. 71. 132 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2079.

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

dest ein faktisches Auftragsverhältnis vorhanden ist.133 Dementsprechend wird aus vergaberechtlicher Sicht zunächst grundsätzlich zwischen gebundenen Entscheidungen kraft Verwaltungsakts und Ermessensentscheidungen zu differenzieren sein. Ist ein öffentlicher Auftraggeber bei einem Beschaffungsakt durch Gesetz oder Verordnung in seiner Entscheidung unter Ausschluss jeden Ermessens gebunden, liegt von vornherein kein Vertrag i. S. d. Art. 1 Abs. 2 der RL 2004/ 18/EG und 2004/17/EG vor. Besteht dagegen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts ein Auswahl- oder zumindest ein Ausgestaltungsermessen der zuständigen öffentlichen Einrichtung, so kann ein Auftragsverhältnis i. S. d. Art. 1 Abs. 2 der RL 2004/18/EG und 2004/17/EG bestehen.134 c) Die Abgrenzung zwischen vergaberechtlichem Vertrag und hoheitlichem Handeln nach Vertragstypen des Vergaberechts Ausgehend von diesen allgemeinen Eck- und Orientierungspunkten, dürfte anknüpfend an die Vertragstypen der Vergaberichtlinien eine weitere typisierende Abgrenzung zwischen vertraglichem und hoheitlichem Handeln der öffentlichen Hand erforderlich sein. Im Folgenden sollen für die verschiedenen Vertragstypen der Vergaberichtlinie jeweils einige typische Abgrenzungsfragen diskutiert werden. Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG zielen ihrem Gegenstand nach unmittelbar auf den Einkauf von Gütern und Dienstleistungen durch die öffentliche Hand.135 Schon in „klassischen Einkaufsfällen“ dürfte nach den zuvor entwickelten Maßstäben eine Anwendung des Vergaberechts ausscheiden, wenn der öffentlichen Hand jedweder austauschvertragliche Verhandlungsspielraum fehlt, weil Gegenstand, Preis- und Leistungsbedingungen des Leistungseinkaufs bereits abschließend auf abstrakt-genereller Ebene durch Gesetze oder Verordnungen festgelegt worden sind.136 Ein Beispiel sind die klassischen Interventionskäufe des europäischen Agrarmarktrechts, bei denen Interventionsstellen in bestimmten Fällen zwingend zum Ankauf von angebotenen Erzeugnissen zu festgesetzten Stützungspreisen verpflichtet sind (obligatorische Interventionen).137 Bei obligatorischen, vom Gesetz- oder Verordnungsgeber zwingend vorgegebenen Interventionen besteht nicht die vergaberechtstypische Gefahr, dass die öffentliche Hand vom Gesetzgeber eröffnete vertragliche Spielräume nutzt, um inländische Anbieter zu privilegieren. Vielmehr ergeben sich 133

Vgl. EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 75. Vgl. zu den erforderlichen inhaltlichen Ausgestaltungsspielräumen: EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001 I-5409, Rn. 75. 135 Hierzu näher unten 3. Kapitel, D. I. 1. 136 Vgl. EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 75. 137 Vgl. zum Verfahren der Interventionskäufe: Kopp, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV Art. 34 Rn. 21 ff. 134

C. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich

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Gefahren für den diskriminierungsfreien Zugang aller potenziellen Anbieter zu Stützungskäufen allenfalls aus diskriminierenden abstrakt-generellen Regelungen des einschlägigen Gesetzes- und Verordnungsrechts selbst. In diesem Falle dürfte allerdings kein Verstoß gegen die Vergaberichtlinien, sondern vielmehr ein unmittelbarer Verstoß gegen die Grundfreiheiten vorliegen. Bei den hier beispielhaft genannten Stützungskäufen durch die öffentliche Hand scheidet eine Anwendung der Vergaberichtlinien zudem auch deswegen aus, weil das Vergabeverfahren mit seiner Ausrichtung auf den Zuschlag nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip138 erkennbar in Konflikt zum Ziel der Interventionsankäufe steht, die gerade darauf zielen, bestimmte am Markt nicht erzielbare Einkaufspreise abzusichern. Insofern haben Stützungskäufe keinen Auftrags-, sondern letztlich Beihilfecharakter.139 Auch deswegen bestimmt sich die Vereinbarkeit von Stützungskäufen mit dem Unionsrecht grundsätzlich nicht nach dem Vergaberecht, sondern vielmehr nach dem Beihilferecht bzw. – soweit der Anwendungsbereich der EU-Agrarmarktpolitik eröffnet ist – ggf. nach speziellerem europäischen Agrarmarktrecht. Etwas andere Abgrenzungsprobleme zwischen hoheitlicher Regulierung und vergaberechtlichen Vertragsverhältnissen ergeben sich im Bereich der Bau- und Dienstleistungskonzessionen i. S. v. Art. 1 Abs. 3 und 4 RL 2004/18/EG. Bauund Dienstleistungskonzessionen sind nicht auf den Leistungseinkauf durch die öffentliche Hand gerichtet. Vielmehr „veräußert“ die öffentliche Hand ein ausschließliches oder besonderes wirtschaftliches Verwertungsrecht am Markt Zug um Zug gegen eine wirtschaftlich äquivalente Gegenleistung des Auftragnehmers. Typische Beispiele sind Konzessionen zur Verwertung von Bauwerken, wie z. B. Autobahnteilstücken gegen Gebühren oder zum Betrieb eines öffentlichen Personenverkehrsnetzes. Während Baukonzessionen vollumfänglich in den Anwendungsbereich des Vergabeverfahrens fallen, greifen bei Dienstleistungskonzessionen lediglich die Basisanforderungen des Primärvergaberechts bzw. die Vorgaben der entsprechenden Kommissionsmitteilungen. Gleichwohl handelt es sich auch bei Dienstleistungskonzessionen um vergaberechtlich relevante Vertragsverhältnisse, die von der vergaberechtsneutralen hoheitlichen Regulierung abzugrenzen sind.140 Bei der Konzessionsvergabe ergeben sich Abgrenzungserfordernisse vor allem zu hoheitlichen Zulassungsverfahren, wie sie u. a. bei geregelten Berufen in den Mitgliedstaaten üblich sind. Die von einer besonderen hoheitlichen Zulassung abhängige Berufsausübung z. B. als Arzt, Anwalt oder Steuerberater läuft aus wirtschaftlicher Sicht auf die Einräumung eines besonderen privilegierten Marktzugangsrechts hinaus. Insoweit bestehen gewisse Parallelen zur Dienstleistungskonzession. Gleichwohl hat die Kommission in ihren ein138

Zum Wirtschaftlichkeitsprinzip näher unten in diesem Kapitel, E. I. Vgl. zum Verhältnis von Stützungskäufen, Stützungsbeihilfen und sonstigen Beihilfen aus agrarmarktrechtlicher Sicht: Kopp, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV Art. 34 Rn. 18 ff., 32 ff., 37 ff. 140 Zum Ganzen näher unten in diesem Kapitel E. II. 139

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

schlägigen Mitteilungen zutreffend klargestellt, dass hoheitliche Genehmigungen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, wie insbesondere Berufszulassungsverfahren, nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen.141 Dieses Diktum bedarf indes einer möglichst präzisen dogmatischen Begründung. Der wesentliche Unterschied zwischen der austauschvertraglichen Konzessionsvergabe und der einseitigen hoheitlichen Marktzulassung dürfte aus funktionaler Sicht vor allem darin liegen, dass die öffentliche Hand bei Konzessionsvergaben selbst in den Markt eintritt, da sie besondere Marktzugangsrechte Zug um Zug gegen ein Entgelt „verkauft“. Dagegen beschränkt sich die öffentliche Hand bei hoheitlichen Zulassungsentscheidungen auf die Regulierung der Rahmenbedingungen der Marktteilnahme Dritter.142 Ob im Einzelfall eine Konzessionsvergabe oder eine hoheitliche Zulassungsentscheidung vorliegt, dürfte damit maßgeblich davon abhängen, ob die öffentliche Hand für die Erteilung der Zulassung eine Gegenleistung verlangt, die wirtschaftlich am Wert des Marktzugangsrechts orientiert ist. Beschränkt sich die öffentliche Hand dagegen auf die Erhebung von Gebühren, die allein die Kosten des administrativen Aufwands des Zulassungsverfahrens decken sollen, liegt ein hoheitliches Zulassungsverfahren vor. In diesem Fall sind zur Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Verfahrens nicht die Vergaberichtlinien, sondern die sekundärrechtlichen Regelungen des europäischen Berufszulassungsrechts bzw. ggf. auch die allgemeine Dienstleistungsrichtlinie anwendbar.143 Besonders schwierige Abgrenzungsprobleme können sich schließlich auch im Bereich von Rahmenvereinbarungen nach Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG ergeben. Rahmenvereinbarungen unterscheiden sich von entgeltlichen Aufträgen und Bauoder Dienstleistungskonzessionen dadurch, dass sie noch nicht unmittelbar auf Leistungsaustausch gerichtet sind, sondern vielmehr erst die Preis- und Leistungsbedingungen für eine spätere Einzelauftragsvergabe durch die öffentliche Hand regeln.144 Aufgrund ihres spezifischen Gegenstands ergeben sich besondere Abgrenzungsprobleme zwischen vergaberechtlichen Rahmenvereinbarungen und der hoheitlichen bzw. hoheitlich-kooperativen Regulierung durch Berufsverbände, die in vielen Mitgliedstaaten üblich sind, um z. B. Gebührenordnungen für freie Berufs oder die Preis- und Leistungsbedingungen in der vertragsärztlichen Versorgung festzulegen. Das besondere Näheverhältnis zwischen Rahmenvereinbarungen und der hoheitlich-kooperativen Regulierung folgt vor allem daraus, dass hier wie dort im Verhandlungswege durch Wirtschaftsteilnehmer Rahmenbedingungen für spätere Einzelverträge festgelegt werden. Besonders deutlich tritt dieses Näheverhältnis in der vertragsärztlichen Versorgung zutage, da hier in vie141 142 143 144

Komm 2000/C 121/02, Abschnitt 2.4. Hierzu bereits näher oben in diesem Kapitel, B. III. 1. Vgl. oben in diesem Kapitel, B. III. 4. Zur Rahmenvereinbarung siehe im Einzelnen unten in diesem Kapitel, D. III.

C. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich

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len Mitgliedstaaten auch formal die Figur des Kollektivvertrags gewählt wird, um die Preis- und Leistungsbedingungen der Versorgung verbindlich festzulegen. Zur Bewältigung der damit einhergehenden Abgrenzungsprobleme bietet sich – in Parallele zur entsprechenden wettbewerbsrechtlichen Problematik – wiederum eine Differenzierung zwischen dem Markteintritt der öffentlichen Hand als Nachfrager und der hoheitlichen oder hoheitlich-kooperativen Regulierung der Bedingungen der Marktteilnahme an.145 Zwar unterscheiden sich Wettbewerbsrecht und Vergaberecht in ihrem Schutzzweck.146 Gleichwohl besteht zwischen ihnen ein Verhältnis der Komplementarität. 147 Insbesondere ist beiden Rechtsgebieten gemeinsam, dass sie auf die Gefahren der Marktteilnahme durch die öffentliche Hand bzw. öffentliche Unternehmen, nicht aber auf die hoheitliche Marktregulierung reagieren.148 Dementsprechend kommt eine Anwendung sowohl des Wettbewerbsrechts als auch des Vergaberechts nicht in Betracht, wenn die öffentliche Hand nicht als Nachfrager von Leistungen in Märkte eintritt, sondern sich vielmehr auf die hoheitliche Marktregulierung beschränkt.149 In entsprechender Anwendung der Grundsätze der Rechtsprechung des EuGH zum Wettbewerbsrecht dürfte die Anwendung des Vergaberechts auf Verwaltungsakte, öffentlich-rechtliche Verträge und andere Formen der hoheitlich-kooperativen Regulierung (nur) dann ausgeschlossen sein, wenn es an den vom EuGH geforderten spezifischen austauschvertraglichen Verhandlungsspielräumen der öffentlichen Hand fehlt, da der Gesetzgeber (1) eine hinreichende Allgemeinwohlbindung des Handelns der Vertragsparteien gewährleistet, (2) diese durch Rahmenvorgaben hinreichend eng bindet und (3) zugleich die staatliche Letztverantwortung für den Inhalt des Vertrages, z. B. in Form einer Fachaufsicht, gewahrt bleibt.150

145 Vgl. zu Fällen kooperativer Regulierung: EuGH Rs. C-153/93 (Delta) Slg. 1994, I-2517 (Tariffestsetzung durch Frachtausschüsse); EuGH Rs. C-35/99 (Arduino) Slg. 2002, I-1529 (Festsetzung einer Gebührenordnung für Anwälte); dagegen unternehmerische Marktteilnahme wegen fehlender staatlicher Letztverantwortung: EuG Rs. T-513/ 93 (CNDS) Slg. 2000 II-1807 (Festsetzung einer Gebührenordnung durch Berufsverband). Zum Ganzen: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 31 Rn. 64 ff. 146 Hierzu oben in diesem Kapitel, III. 3. 147 Hierzu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36, Rn. 45 ff. 148 Vgl. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2077 f. Vgl. auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 2 ff. (für das Vergaberecht) und § 31 Rn. 64 ff. (für das Wettbewerbsrecht). 149 Vgl. zum Wettbewerbsrecht: EuGH Rs. C-153/93 (Delta) Slg. 1994, I-2517; EuGH Rs. C-35/99 (Arduino) Slg. 2002, I-1529; EuG Rs. T-513/93 (CNDS) Slg. 2000 II-1807. 150 Vgl. zur vergleichbaren Problematik im Wettbewerbsrecht z. B. EuGH Rs. C-153/ 93 (Delta) Slg. 1994, I-2517 (Tariffestsetzung durch Frachtausschüsse); EuGH Rs. C-35/99 (Arduino) Slg. 2002, I-1529 (Festsetzung einer Gebührenordnung für Anwälte).

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

D. Die Vertragstypologie des Vergaberechts Die vorangegangenen Untersuchungen zur Abgrenzung von vergaberechtlichen Vertragsverhältnissen und hoheitlicher Regulierung haben deutlich gemacht, dass der möglichst präzisen Unterscheidung zwischen den einzelnen Vertragstypen der Vergaberichtlinie besondere Bedeutung zukommt. Auf die damit einhergehenden Abgrenzungsfragen soll nunmehr etwas genauer eingegangen werden.

I. Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG 1. Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge als entgeltliche öffentliche Aufträge Die Vergaberichtlinien sind sachlich gem. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG zunächst auf Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge anwendbar. Bei Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen handelt es sich um entgeltliche öffentliche Aufträge über die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren sowie sonstige entgeltliche Leistungen. Voraussetzung für einen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsauftrag ist stets, dass im Rahmen eines selektiven Vertragsverhältnisses eine verbindliche Vereinbarung über eine konkrete Leistung gegen ein definiertes Entgelt besteht. Dagegen spielen die Zahlungsmodalitäten keine Rolle. Unbeachtlich ist daher, ob Einmal- oder Ratenzahlung vereinbart ist oder ob die Zahlung an den Auftrageber unmittelbar oder vermittelt über Dritte erfolgt.151 Voraussetzung für einen Auftrag ist auf der Leistungsseite zumindest, dass eine vertraglich verbindliche Verpflichtung zur Abnahme einer Leistung besteht. Werden dagegen nur Leistungskonditionen vereinbart, die erst nach einem weiteren Auftrag zu einer Abnahmepflicht führen, liegt kein Auftrag, sondern lediglich eine Rahmenvereinbarung vor.152 Als Entgelt ist jede geldwerte Leistung zu verstehen. In der Praxis stehen Vereinbarungen über Geldzahlungen zwar im Vordergrund, jedoch genügen auch andere geldwerte Vorteile, wie Bürgschaften, Darlehen oder Garantien.153 Allerdings ist in Abgrenzung zu Bau- oder Dienstleistungskonzessionen zumindest die Zuwendung eines geldwerten Vorteils zulasten der öffentlichen Hand vonnöten. Kein Entgelt liegt vor, wenn der Auftragge-

151 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2030; Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 89 (108). 152 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2029. 153 Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, B5 Rn. 24; Eschenbruch, in: Kulartz/Kus/Protz, GWB-Vergaberecht, § 99 Rn. 35, Boesen, Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 57.

D. Die Vertragstypologie des Vergaberechts

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ber lediglich ein fiskalisch neutrales ausschließliches oder besonderes wirtschaftliches Nutzungsrecht zur Verwertung eigener Leistungen am Markt als Gegenleistung erhält.154 2. Abgrenzung von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen Die Abgrenzung zwischen den verschiedenen entgeltlichen Auftragstypen kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Aus Sicht des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung ist insbesondere die genaue Abgrenzung von Lieferund Dienstleistungsaufträgen von Bedeutung. Lieferaufträge gem. Art. 1 Abs. 2 lit. c RL 18/2004 EG betreffen den Kauf, das Leasing, die Miete, die Pacht und den Ratenkauf mit und ohne Kaufoption von Waren. Zentral für den Begriff des Lieferauftrags ist damit der Warenbegriff. Der Warenbegriff ist weit zu fassen, wobei bei binnenmarktfunktionaler Auslegung die Parallele zu Art. 34 AEU gezogen werden kann.155 Waren sind daher alle bewegliche, feste oder flüssige Sachen, einschließlich Gas und Elektrizität. 156 Erfasst werden ferner atypische Vertragstypen, wie der Mietkauf oder der Lagervertrag. Nicht erforderlich ist dagegen, dass der Auftraggeber Eigentum an einer Ware erlangt. Es genügt vielmehr, dass die Waren dem Auftraggeber in irgendeiner Weise tatsächlich überlassen bzw. zur Verfügung gestellt werden.157 Dienstleistungsaufträge sind dagegen Verträge über Leistungen i. S. d. Anhangs II der RL 2004/18/EG, die keine Bauoder Lieferaufträge sind. Damit erfüllt der Begriff des Dienstleistungsauftrags – ebenso wie der Begriff der Dienstleistungsfreiheit in Art. 56 AEU – eine Auffangfunktion. Soweit ein gemischttypischer Auftrag vorliegt, der Elemente eines Liefer- und Dienstleistungsauftrags enthält, sieht Art. 2 Abs. 1 lit. c RL 2004/18/ EG eine Abgrenzung nach dem überwiegenden Wert der wirtschaftlichen Leistung vor.158

154 EuGH, Rs. C-406/01 (Telaustria) Slg. 2002, I-4561, Rn. 11 ff.; auch schon EuGH, Rs. C-272/91 (Kommission/Italien) Slg. 1994, I-1409; EuGH Rs. C-360/96 (BVI Holding) Slg. 1998, I-6821; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2017. 155 Jochum, in: Grabitz/Hilf, B 7, Rn. 2; Boesen, Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 66, Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2105. 156 Boesen, Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 67. 157 Boesen, Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 69 und 74; Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, B 5 Rn. 82; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2109 f. 158 EuGH, Rs. C-331/92 (Gestión Hotelera) Slg. 1994, I-1329, Rn. 29; Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, B 5, Rn. 93; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2118.

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

II. Bau- und Dienstleistungskonzessionen i. S. v. Art. 1 Abs. 3 und 4 RL 2004/18/EG 1. Die vergaberechtliche Definition von Bau- und Dienstleistungskonzessionen Neben entgeltlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen enthalten die Vergaberichtlinien auch Regelungen über Bau- und Dienstleistungskonzessionen. Gemäß Art. 1 Abs. 3 lit. a RL 2004/17/EG und Art. 1 Abs. 3 RL 2004/18/EG ist eine Baukonzession ein Vertrag, der von einem Auftrag über eine Bauleistung nur insoweit abweicht, als die Gegenleistung für die Bauleistung ausschließlich in dem Recht zur Nutzung des Bauwerks oder in diesem Recht zuzüglich eines Preises besteht. Gemäß Art. 1 Abs. 3 lit. b RL 2004/17EG und Art. 1 Abs. 4 RL 2004/18 EG sind Dienstleistungskonzessionen Verträge, die von einem Dienstleistungsauftrag nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistung in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich eines Preises besteht. Bau- und Dienstleistungskonzessionen stellen damit zwar auch gegenleistungsabhängige, öffentliche Aufträge dar. Ihnen fehlt jedoch die Entgeltlichkeit, da lediglich ein wirtschaftliches Verwertungsrecht auf privaten Märkten eingeräumt wird. Bau- und Dienstleistungskonzession spielen vor allem als Instrumente der öffentlichen Aufgabenprivatisierung und der vertraglichen Rahmensteuerung der Aufgabenerfüllung durch Private eine besondere Rolle. Typische Fälle von Baukonzessionen sind Verträge über den Bau und Betrieb von Autobahnen und anderen öffentlichen Verkehrswegen. Der Auftragnehmer verpflichtet sich zur Errichtung und zum Betrieb eines Straßenteilstücks. Als Gegenleistung erhält der Auftragnehmer das zeitlich befristete Recht zur Erhebung einer Straßenmaut.159 Typische Fälle von Dienstleistungskonzession sind Konzessionierung von Dienstleistungen im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs auf eigenes wirtschaftliches Risiko des Betreibers.160 2. Unanwendbarkeit der Vergaberichtlinien auf Dienstleistungskonzessionen Baukonzessionen unterliegen grundsätzlich den allgemeinen Vorgaben des Vergaberechts. Dagegen sind Dienstleistungskonzessionen wegen ihrer Besonderheiten vom Gemeinschaftsgesetzgeber gem. Art. 17 der RL 2004/18/EG und 159 Zur Baukonzession: Prieß, Vergaberecht, 3. Auflage 2005, S. 170 ff.; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2710. 160 Zur Dienstleistungskonzession: Enzian, DVBl. 2002, S. 235 (236); Boesen, Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 59; Jennert, NZBau 2005, S. 131 (133); Hatting/Ruhland, VergabeR 2005, S. 425 (429); EuGH, Rs. C-406/01 (Telaustria) Slg. 2002, I-4561, Rn. 11 ff.; auch schon EuGH, Rs. C-272/91 (Kommission/Italien) Slg. 1994, I-1409; EuGH, Rs. C-360/96 (BVI Holding) Slg. 1998, I-6821.

D. Die Vertragstypologie des Vergaberechts

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Art. 18 der RL 2004/17/EG explizit vom Anwendungsbereich der EU-Vergaberichtlinien ausgenommen worden. Diese Ausnahmeregelung ist vom EuGH nicht beanstandet und sogar weitergehend auch auf die Sektorenrichtlinie übertragen worden, in der ursprünglich eine entsprechende Ausnahmeregelung fehlte.161 Die Ausnahmeregelung für Dienstleistungskonzessionen findet ihre Erklärung in der besonderen Bedeutung dieser Konzessionen für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben in den Mitgliedstaaten und der sehr unterschiedlichen Ausgestaltung und Funktion derartiger Konzessionen, die eine Angleichung erschwert.162 Zwar handelt es sich sowohl bei Bau- als auch bei Dienstleistungskonzessionen aus vergaberechtlicher Sicht um öffentliche Aufträge, die sich lediglich in den Vergütungsmodalitäten von anderen öffentlichen Aufträgen unterscheiden. Aus Sicht des staatlichen Verwaltungsrechts handelt es sich bei Bau- und Dienstleistungskonzessionen indes um rechtliche Regelungen, durch die Unternehmen vom Staat unmittelbar mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben gegenüber dem Bürger betraut werden. Vor diesem Hintergrund bestand zwar ein Mehrheitskonsens im Rat, Baukonzessionen in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien einzubeziehen. Dagegen war die Mehrheit der Mitgliedstaaten nicht bereit, die sehr unterschiedlichen staatlichen Regelungen zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen durch Dritte in das relativ strenge Korsett des EU-Vergaberechts einzubeziehen. Unberührt von der Ausnahmeregelung der Vergaberichtlinien bleibt allerdings das Primärrecht. Damit haben die Mitgliedstaaten auch bei Dienstleistungskonzessionen die Mindeststandards einer diskriminierungsfreien Vergabe einzuhalten, die sich vor allem aus den Grundfreiheiten ergeben.163 3. Abgrenzung von Dienstleistungsaufträgen und Dienstleistungskonzessionen nach Maßgabe der wirtschaftlichen Risikoverteilung Aufgrund der Unanwendbarkeit des sekundären Vergaberechts auf Dienstleistungskonzessionen ist eine möglichst präzise Abgrenzung zwischen Dienstleistungsaufträgen und Dienstleistungskonzessionen erforderlich. Generell unterscheiden sich Dienstleistungskonzessionen von Dienstleistungsaufträgen dadurch, dass die Vergütung nicht vom Staat selbst bewirkt wird, sondern vielmehr durch die wirtschaftliche Verwertung der Dienstleistung gegenüber den Bürgern bzw. Nutzern erfolgt.164 Das wirtschaftliche Risiko in Bezug auf die kostendeckende 161

EuGH, Rs. C-406/01 (Telaustria) Slg. 2002, I-4561, Rn. 11 ff. Vgl. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1829 ff. 163 EuGH, Rs. C-406/01 (Telaustria) Slg. 2002, I-4561, Rn. 11 ff.; eingehend hierzu: Burgi, NZBau 2005, S. 610 ff. 164 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2016; Enzian, DVBl. 2002, S. 235 (236); Boesen, Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 59; 162

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

Leistungserbringung wird damit nicht vom öffentlichen Auftraggeber in Form einer Entgeltzahlung abgedeckt, sondern verbleibt beim Konzessionsnehmer.165 Für die Abgrenzung zwischen Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungskonzession ist damit nicht die formale Wahl des Konzessionsmodells, sondern die Art der Vergütung und die daraus resultierende Risikoverteilung maßgeblich. So kann z. B. eine Konzessionsvergabe im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs bei entsprechender Ausgestaltung gleichwohl als Dienstleistungsauftrag zu werten sein. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der öffentliche Auftragsgeber dem Konzessionär zusätzlich zur Konzession einen Zuschuss zahlt und sich zudem verpflichtet, eventuelle Fehlbeträge zwischen tatsächlichen Einnahmen und Leistungsausgaben auszugleichen. Denn in diesem Fall liegt das wirtschaftliche Risiko von Unterdeckungen im Betrieb gerade nicht beim Konzessionär, sondern beim öffentlichen Auftraggeber.166 Für Dienstleistungskonzessionen ist damit typisch, dass der Konzessionsnehmer auf Grundlage des Auftrags eine Dienstleistung unter allgemeinen Marktbedingungen auf eigenes wirtschaftliches Risiko unmittelbar gegenüber dem Bürger erbringt und von diesem vergütet wird.167

III. Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG 1. Rahmenverträge und Rahmenvereinbarungen im engeren Sinne Neben Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen sowie Bau- und Dienstleistungskonzessionen enthalten die Vergaberichtlinien auch Regelungen über Rahmenvereinbarungen. Nach Art. 1 Abs. 4 der RL 2004/17EG und Art. 1 Abs. 5 der RL 2004/18/EG handelt es sich bei Rahmenvereinbarungen um „eine Übereinkunft zwischen einem Auftraggeber und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggeber/n und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmer/n, die zum Ziel hat, die Bedingungen für die Aufträge, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis und ggf. die in Aussicht genommene Menge.“ Rahmenvereinbarungen beziehen sich damit auf die Regelung der Preis- und Leistungsbedingungen späterer Einzelaufträge. Dabei muss das Entgelt noch nicht abschließend fixiert sein.168 Gleichwohl liegt auch schon in der Rahmenvereinbarung selbst ein öffentlicher Auftrag, Jennert, NZBau 2005, S. 131 (133); Hatting/Ruhland, VergabeR 2005, S. 425 (429); EuGH, Rs. C-406/01 (Telaustria) Slg. 2002, I-4561, Rn. 11 ff. 165 Vgl. Kommission, Mitteilungen zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, ABl. 2000 Nr. C. 121/5. 166 Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 61 f. 167 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2016. 168 Kommission, Erläuterungen – Rahmenvereinbarungen – Klassische Richtlinie, Dokument CC 2005/33 rev. 1 v. 14.7.2005, Abschnitt 2.2. mit Fn. 18.

D. Die Vertragstypologie des Vergaberechts

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bzw. die Rahmenvereinbarung ist diesem gleichzustellen, da auch die Rahmenvereinbarung, ebenso wie ein Einzelauftrag, auf die Regelung eines entgeltlichen Leistungsaustauschs zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zielt und zugleich, ebenso wie der Einzelauftrag, mit der Gefahr von Marktzugangsschranken im Binnenmarkt verbunden wird, weil der Kreis der in Betracht kommenden Wirtschaftsteilnehmer begrenzt wird.169 Daraus folgt, dass Rahmenvereinbarungen grundsätzlich ausschreibungspflichtig sind.170 Aus systematischer Sicht nehmen Rahmenvereinbarungen eine Art Zwischenstellung zwischen öffentlichen Aufträgen und einem besonderen Vergabeverfahren ein, was ihre rechtsdogmatische Verortung erschwert. Einerseits enthalten Rahmenvereinbarungen bereits eine Regelung über den Inhalt eines (späteren) Auftrags. Andererseits haben Rahmenvereinbarungen zur Folge, dass die Auftragsvergabe letztlich in einem mehrstufigen Verfahren abläuft.171 Mit Blick auf die unterschiedliche inhaltliche Ausgestaltung von Rahmenvereinbarungen kann grundsätzlich zwischen „Rahmenverträgen“, die bereits alle Bedingungen für die künftigen Einzelverträge verbindlich festlegen, und „Rahmenvereinbarungen im engeren Sinne“, bei denen noch eine nähere Ausgestaltung der Preis- und Leistungsbedingungen im Wege weiterer Verhandlungen erforderlich ist, unterschieden werden.172 2. Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG als Sonderfall eines Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrags Bei Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG handelt es sich – je nach Schwerpunkt der Leistung – um einen spezialgesetzlich normierten Subtypus von Bau-, Liefer- bzw. Dienstleistungsaufträgen i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG, da sie ebenso wie Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge auf die entgeltliche Vergabe von Aufträgen über die Errichtung von Bauwerken, Warenlieferungen oder Dienstleistungen gerichtet sind.173 Ebenso wie im Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG stehen bei Rahmenverträgen Leistungs- und Entgeltzahlungspflichten fest. Damit liegt jedenfalls bei Rahmenverträgen auch ein entgeltliches Auftragsverhältnis vor. Weitergehend dürften 169 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3049; davon selbstverständlich ausgehend auch schon EuGH, Rs. C-79/94 (Kommission/Griechenland) Slg. 1995, I-1071, Rn. 15. 170 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2125. Der Auftragscharakter der Rahmenvereinbarung ist allerdings umstritten. Vgl. Greaf, NZBau 2005, S. 561 ff. 171 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2125. 172 Kommission, Erläuterungen – Rahmenvereinbarungen – Klassische Richtlinie, Dokument CC 2005/33 rev. 1 v. 14.7.2005, Abschnitt 2.2. 173 Vgl. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3049.

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

aber auch Rahmenvereinbarungen im engeren Sinne, die noch nicht alle Preisund Leistungsbedingungen enthalten, bereits als entgeltliche Aufträge einzustufen sein, soweit die eingangs genannten Voraussetzungen des grundsätzlich weit zu fassenden funktionalen Auftragsbegriffs trotz der Konkretisierungsbedürftigkeit im Grundsatz erfüllt sind. Rahmenvereinbarungen stellen Aufträge im funktionalen Sinne dar, da sie auf einen persönlichen und sachlichen Leistungsaustausch zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer gerichtet sind und durch ein vertragliches Verhandlungsverhältnis gekennzeichnet sind. 3. Rahmenvereinbarungen als gestuftes Vergabeverfahren nach Art. 32 RL 2004/18/EG Auf der Rechtsfolgenseite liegt die Besonderheit von Rahmenvereinbarungen in den besonderen Ausschreibungspflichten nach Art. 32 RL 2004/18/EG. Sämtliche Rahmenvereinbarungen sind zunächst als solche gem. Art. 32 Abs. 1 RL 2004/18/EG nach allgemeinen Regeln ausschreibungspflichtig, wobei Art. 32 Abs. 1 EG für nichtprioritäre Dienstleistungen (wie im Gesundheitswesen) keine Art. 21 RL 2004/18/EG entsprechenden Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht vorsieht. Der Grund für die Ausschreibungspflicht liegt in der Gefahr der Umgehung der Vorgaben des EU-Vergaberechts. So bieten Rahmenverträge z. B. die Möglichkeit, einen an sich angestrebten Gesamtauftrag in eine Vielzahl von Einzelaufträgen zu stückeln, die jeweils für sich unter den Schwellenwerten der Anwendung des Vergaberechts liegen.174 Folgerichtigerweise sehen Art. 17 Abs. 3 der RL 2004/17/EG und Art. 9 Abs. 9 der RL 2004/18/EG die Schätzung eines Gesamtwerts der zu erwartenden Einzelaufträge vor. Hinsichtlich des weiteren Vergabeverfahrens zwischen den Parteien einer Rahmenvereinbarung differenziert Art. 32 RL 2004/18/EG zwischen Rahmenverträgen und Rahmenvereinbarungen im engeren Sinne. Bei Rahmenverträgen erfolgt die Einzelauftragsvergabe gem. Art. 32 Abs. 3 und 4 Satz 2 1. Spiegelstrich RL 2004/18/EG nach den Bedingungen des Vertrags, also ohne erneute Ausschreibung. Bei Rahmenvereinbarungen im engeren Sinne sehen Art. 32 Abs. 3 und 4 RL 2004/18/ EG dagegen besondere Vergabeverfahren auch zwischen den Parteien der Rahmenvereinbarung vor. Insofern handelt es sich bei Rahmenvereinbarungen im engeren Sinne auch um eine besondere Form des Vergabeverfahrens im Sinne eines besonderen Verhandlungsverfahrens, die nach dem 16. Erwägungsgrund der RL 2004/18/EG alternativ neben anderen Vergabeverfahren durch zentrale Beschaffungsstellen, dynamische Beschaffungssysteme, elektronische Auktionen und Verhandlungsverfahren zulässig ist.175 Die Zulässigkeit von Rahmenvereinbarun-

174

EuGH Rs. C-79/94 (Kommission/Griechenland) Slg. 1995, I-1071, Rn. 15. Zum Verfahren der Rahmenvereinbarung: Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3060 ff. 175

D. Die Vertragstypologie des Vergaberechts

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gen im engeren Sinne hängt von der transparenten, offenen und diskriminierungsfreien Ausgestaltung dieses mehrstufigen Verfahrens ab.176 4. Die Abgrenzung von Rahmenvereinbarungen zu Liefer- und Dienstleistungsaufträgen und Dienstleistungskonzessionen Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG stellen nach der hier vertretenen Auffassung spezialgesetzlich geregelte Sonderfälle eines Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrags i. S. v. Art. 1 Abs. 2a RL 2004/18/EG dar. Ihre Besonderheit liegt darin, dass die konkreten Leistungs- und Entgeltzahlungspflichten noch von einem gesonderten Einzelauftrag abhängig sind. Hieraus ergeben sich zugleich die Abgrenzungskriterien zwischen Rahmenverträgen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 und langfristig angelegten entgeltlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen i. S. v. Art. 1 Abs. 2 a) RL 2004/18/EG, die sich im Einzelfall allerdings als schwierig erweisen kann.177 So kann ein öffentlicher Auftraggeber mit einem Auftragnehmer z. B. einen längerfristigen Vertrag über Reparatur- oder Instandsetzungsarbeiten an öffentlichen Gebäuden abschließen, wobei die Dienstleistungen in gewissen Intervallen anfallen und erst dann Leistungspflichten und Entgeltzahlungsansprüche begründen. Für die Abgrenzung zwischen einem Rahmenvertrag und einem (aufschiebend bedingten) entgeltlichen Dienstleistungsauftrag ist hier maßgeblich, ob die Bedingungen des Eintritts der konkreten Dienstleistungsverpflichtung und der Entgeltanspruch bereits unmittelbar durch den Vertrag geregelt werden. Soweit dies der Fall ist, liegt ein entgeltlicher Dienstleistungsauftrag vor.178 Ist dagegen nochmals eine gesonderte Einzelauftragserteilung erforderlich, so handelt es sich um einen Rahmenvertrag. Unter einem etwas anderen Gesichtspunkt stellt sich die Frage der Abgrenzung von Rahmenvereinbarungen über spätere entgeltliche Dienstleistungsaufträge und einer Dienstleistungskonzession. Beide Konstellationen haben gemeinsam, dass den Auftragnehmer ein gesteigertes wirtschaftliches Risiko trifft, da die tatsächliche Inanspruchnahme von Einzelleistungen nicht im Voraus feststeht. So sind insbesondere auch Rahmenverträge ohne Abrufverpflichtung des Auftraggebers vergaberechtlich zulässig.179 Im Übrigen bestehen indes grundsätzliche Differenzen. Bei einer Rahmenvereinbarung über spätere entgeltliche Dienstleistungsaufträge hängt die spätere Inanspruchnahme von Abrufentscheidungen des Auftrag176

Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 67 f. Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 89 (108); Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2030. 178 In diesem Sinne für entgeltliche Aufträge im Sozialleistungserbringungsrecht: Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 89 (108); Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2030. 179 3. VK Bund, Beschluss v. 28.01.2005, Az. VK 3-221/04. 177

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

gebers ab. Bei der Dienstleistungskonzession hängt die Inanspruchnahme der Dienstleistung dagegen von Wahlentscheidungen der Nutzer am Markt ab. Da die Dienstleistungskonzession auf die Übertragung eines Rechts zur Dienstleistungserbringung am Markt gerichtet ist, ist diese zugleich dadurch gekennzeichnet, dass dem Konzessionsnehmer typischerweise im Rahmen des Vertrags erweiterte wirtschaftliche Freiheiten eingeräumt werden, die es ihm erlauben, Dienstleistungen auf eigenes wirtschaftliches Risiko abzusetzen.180 Dagegen sind Rahmenvereinbarungen gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie die Bedingungen für die spätere Einzelauftragsvergabe bereits festlegen. Entsprechend sind die wirtschaftlichen Freiheitsräume des Auftragnehmers enger begrenzt.181 Schließlich ist die Dienstleistungskonzession – abgesehen von der fehlenden Entgeltlichkeit – ein verbindlicher öffentlicher Einzelauftrag, der einerseits bereits unmittelbar Leistungsverpflichtungen des Auftragnehmers, i. S. d. Verpflichtung z. B. zum Betrieb eines bestimmten Verkehrsnetzes zu bestimmten Konditionen, andererseits auch bereits Gegenleistungspflichten des Auftraggebers in Form der unmittelbaren Verpflichtung zur Übertragung des Nutzungsrechts umfasst. Bei Rahmenverträgen hängt die Begründung konkreter Leistungs- und Gegenleistungspflichten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer dagegen noch von einer späteren Einzelauftragserteilung ab.182

E. Vergabeverfahren und vergaberechtlicher Rechtsschutz zwischen funktionalen Binnenmarktzielen und staatlicher Steuerung I. Das prozedurale Steuerungskonzept der Vergaberichtlinie Im Zentrum des Vergaberechts steht das Vergabeverfahren, das durch den vergaberechtlichen Rechtsschutz ergänzt wird. Das Vergabeverfahren zielt auf einen angemessenen Ausgleich zwischen den funktionalen Gewährleistungen der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit und den mit einer öffentlichen Auftragsvergabe ebenso regelmäßig wie zwangsläufig einhergehenden staatlichen Steuerungszielen. Die Besonderheit des Interessenausgleichs im Vergabeverfahren liegt darin, dass neben und mit den Interessen von Auftragnehmer, Auftraggeber und konkurrierenden Dritten immer auch die Wirkungen der öffentlichen Auftragsvergabe auf den freien grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt mit in den Blick genommen werden müssen. Hierbei folgt das Vergaberecht dem Prinzip der prozeduralen Ex-ante-Steuerung. Durch 180

Vgl. EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427 (2431). Vgl. EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427 (2431). 182 Ähnlich: Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 68 f.; vgl. auch Bühring/Linnemannstöns, MedR 2008, S. 149 ff. 181

E. Vergabeverfahren und vergaberechtlicher Rechtsschutz

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besondere Verfahrensanforderungen an die öffentliche Auftragsvergabe sollen Beschränkungen des freien grenzüberschreitenden Zugangs zu öffentlich finanzierten Märkten der Mitgliedstaaten von vornherein verhindert und erst in zweiter Linie in einem gesonderten Rechtsschutzverfahren ex post korrigiert werden. 1. Transparenzprinzip, Diskriminierungsverbot und Wirtschaftlichkeitsprinzip als Maximen des Vergabeverfahrens Das Vergaberecht beschränkt sich zum Zweck der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit im Wesentlichen auf die Vorgabe von Verfahrensanforderungen und Rechtsschutzgewährleistungen, die auf eine diskriminierungsfreie und transparente Auftragsvergabe zielen. Die Anforderungen an das Vergabeverfahren finden ihre Grundlagen im Diskriminierungsverbot, das sich zu einem besonderen Transparenzgebot verdichtet. Durch ex ante greifende Verfahrensanforderungen soll Verletzungen des Rechts der Bieter von vornherein vorgebeugt werden. Durch Publikationspflichten soll die Kontrollressource „Öffentlichkeit“ erschlossen werden. Soweit die Schwellenwerte überschritten sind, sind die Grundsätze des Vergabeverfahrens in Bezug auf technische Spezifikationen (Art. 23 ff. RL 2004/18/EG), persönliche Eignungskriterien (Art. 44 RL 2004/18/EG), die zulässigen Verfahrensarten (Art. 28 ff. RL 2004/18/EG) und die Zuschlagskriterien183 (Art. 53 RL 2004/18/EG) einzuhalten.184 Nach Art. 45 und 46 RL 2004/18/EG kann der öffentliche Auftrageber durch eine Vorauswahl den Kreis der Bieter zudem im Vorfeld auf Bieter beschränken, die über die erforderliche fachliche und berufliche Eignung verfügen (persönliche Ausschlusskriterien).185 Zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Transparenzgebots und des Diskriminierungsverbots sind öffentliche Auftraggeber gem. Art. 53 RL 2004/18/EG grundsätzlich auf den Zuschlag nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip verpflichtet, wobei die Richtlinie dem Auftrageber allerdings gewisse Spielräume bei der Bestimmung des gerade auch mit Blick auf die Qualität wirtschaftlichsten Angebots belässt.186 Der Zuschlag erfolgt dementsprechend grundsätzlich nach Maßgabe des niedrigsten Angebots, wobei gem. Art. 55 RL 2004/18/EG ungewöhnlich niedrige Angebote einem gesonderten Prüfungsverfahren unterliegen.187 Nach Art. 41 183 Vgl. hierzu: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 20 ff., § 40 Rn. 33 ff., Rn. 49 ff. 184 Hierzu: Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3035 ff. 185 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2855 ff. 186 Hierzu: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 30 ff. 187 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2895 ff.

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

RL 18/2004 EG ist schließlich in allen Verfahren den nicht berücksichtigten Bietern vor Zuschlag eine Vorabinformation zu geben, um deren Rechtsschutzmöglichkeiten nach Maßgabe der Rechtsmittelrichtlinie zu wahren.188 2. Die Vergaberechtsneutralität der Primärzwecke der Auftragsvergabe Aufgrund seines prozeduralen Steuerungsansatzes belässt auch das EU-Vergaberecht der öffentlichen Hand nach wie vor erhebliche Spielräume zur Instrumentalisierung von Vergabeverfahren zum Zweck der Verwirklichung einzelstaatlich definierter Steuerungsziele. Insbesondere enthält das Vergaberecht schon im Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien keine sachlich-inhaltlichen Beschränkungen der zulässigen Primärzwecke der öffentlichen Auftragsvergabe. Die öffentliche Hand ist damit nach wie vor in ihrer Entscheidung frei, ob sie überhaupt öffentliche Aufträge vergibt und zu welchen – notwendig nur politisch definierbaren – Primärzwecken („Hochschulbauauftrag oder Rüstungsauftrag“) eine Auftragsvergabe erfolgt. Das Vergaberecht zielt im Interesse der praktischen Wirksamkeit der Grundfreiheiten des Binnenmarktes allein darauf, durch ein diskriminierungsfreies und transparentes Verfahren sicherzustellen, dass vergabefremde Sekundärzwecken auf die Auftragsvergabe möglichst keinen Einfluss haben. Hierzu dient nicht zuletzt das Wirtschaftlichkeitsprinzip, wonach der Zuschlag grundsätzlich dem günstigsten Angebot zu erteilen ist (vgl. Art. 53 RL 2004/18/EG).

II. Zur Zulässigkeit von Sekundärzwecken („vergabefremden Zwecken“) als Zuschlagskriterien 1. Abgrenzung zwischen Primärzweck und Sekundärzwecken (vergabefremde Zwecke) Die Abgrenzung zwischen vergaberechtsneutralen Primärzwecken bzw. Spezifikationen des Auftragsgegenstands und nichtwirtschaftlichen vergaberechtlichen Sekundärzwecken (sog. vergabefremden Zwecken) bzw. Zuschlagskriterien kann im Einzelfall allerdings schwierig sein. So stellt sich z. B. die Frage, ob die Einhaltung besonderer Umweltstandards bei Aufträgen über die Lieferung von Bussen im öffentlichen Personenverkehr noch eine vergaberechtsneutrale Gegenstandsbeschreibung oder doch schon ein (vergabefremdes) Zuschlagskriterium darstellt. Die Unterscheidung ist insoweit relevant, als öffentliche Auftraggeber gem. Art. 53 RL 2004/18/EG grundsätzlich auf den Zuschlag nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip verpflichtet sind, wobei die Richtlinie dem Auftraggeber 188 Vgl. hierzu: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 41 Rn. 6 ff.

E. Vergabeverfahren und vergaberechtlicher Rechtsschutz

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indes bereits Spielräume bei der Bestimmung des gerade auch mit Blick auf die Qualität wirtschaftlichsten Angebots belässt.189 Richtigerweise wird zur Abgrenzung zwischen vergaberechtlichen Primär- und Sekundärzwecken darauf abzustellen sein, ob ein Kriterium unmittelbar mit der Art des Gegenstands des Auftrags, mithin dem Produkt oder der Dienstleistung zusammenhängt, oder von diesem unabhängig ist. Aus diesem Grund dürften Umweltstandards bei Bussen als vergaberechtsneutrale Spezifikationen der Qualitätsanforderungen an das Produkt anzusehen sein. Dagegen besteht z. B. zwischen einem öffentlichen Bauauftrag und einer Verpflichtung zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen kein aus der Art des Gegenstands (hier also der Errichtung eines Bauwerks) folgender Zusammenhang. Damit liegt hier ein (vergabefremder) Sekundärzweck vor. Gleichwohl kann die Abgrenzung immer nur relativ zum Gegenstand des Auftrags vorgenommen werden. Daher ist z. B. die Verpflichtung zur Beschäftigung von bestimmten Gruppen von Langzeitarbeitslosen jedenfalls dann eine vergaberechtsneutrale Gegenstandsbeschreibung, wenn z. B. ein Auftrag der Bundesagentur für Arbeit über berufliche Wiedereingliederungsmaßnahmen an eine private Arbeitsvermittlung vergeben wird. Denn berufliche Wiedereingliederungsmaßnahmen müssen bereits ihrer Art nach notwendig auf bestimmte Gruppen von Beschäftigungssuchenden bezogen werden. Ein Auftrag über Wiedereingliederungsmaßnahmen gerade für Langzeitarbeitslose stellt mithin in diesem Fall eine „technische Spezifikation“, d. h. eine Konkretisierung des primären Auftragsgegenstands dar. Dieses Beispiel zeigt zugleich, dass die öffentliche Auftragsvergabe durchaus in weitem Umfang auch zu arbeitsmarkt-, sozial- oder umweltpolitischen Zwecken instrumentalisiert werden kann, ohne dass vergaberechtliche Restriktionen bestehen.190 Dies gilt allerdings nur insoweit, wie die Maßnahmen gerade ihrem primären Zweck nach auf derartige Maßnahmen gerichtet sind. Enger sind die Grenzen, wenn derartige Zwecke lediglich „mitverfolgt“ werden sollen. 2. Zulässigkeit von vergaberechtlichen Sekundärzwecken im Lichte der Vergaberichtlinie und der Rechtfertigungsgründe der Grundfreiheiten Mit der Mitverfolgung nichtwirtschaftlicher Nebenzwecke im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe ist die eigentliche Kernproblematik der „vergabefremden Zwecke“ angesprochen. Die typischen und kontrovers diskutierten Beispiele sind Ausschreibungsbedingungen, in denen der Zuschlag z. B. für einen Bauauftrag von der Verpflichtung zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen 189 Hierzu: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 30 ff. 190 EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus) Slg. 2002, I-7213, Rn. 59 ff.; vgl. auch EuGH Rs. C-448/01 (Wienstrom) Slg. 2003 I-14527, Rn. 71; zustimmend: Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2968 f.

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

oder von sog. Tariftreueklauseln abhängig gemacht wurde, ohne dass zwischen diesen Nebenbedingungen und der Art des Auftragsgegenstands ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen würde.191 Zur Beurteilung dieser Problemfälle muss zunächst die zugrunde liegende normative Gesamtproblematik in den Blick genommen werden. Mit sozialpolitisch motivierten Zuschlagsbedingungen sucht die öffentliche Hand die öffentliche Auftragsvergabe zu instrumentalisieren, um in die Unternehmensorganisation und die wirtschaftliche Handlungsfreiheit eines Wirtschaftsteilnehmers über jenes Maß hinaus einzugreifen, das sich bereits aus den allgemein geltenden gesetzlichen Regelungen des Arbeits- oder Sozialrechts ergibt. Dies mag sozialpolitisch sinnvoll sein – oder auch nicht. In jedem Fall werden subjektive Rechte der Bieter berührt. Dies gilt aus unionsrechtlicher Sicht insbesondere für die Grundfreiheiten, da Unternehmen, die alle gesetzlichen Standards erfüllen, gleichwohl keinen Zugang zur öffentlichen Auftragsvergabe erhalten, wenn sie nicht bereit sind, weitergehende Verpflichtungen zu übernehmen. Damit besteht bei der Verfolgung vergabefremder Zwecke durch die öffentliche Hand in jedem Fall ein besonderes Abwägungserfordernis zwischen der Gewährleistung von Marktzugangsfreiheit im Binnenmarkt und unionsrechtlich anerkannten nichtwirtschaftlichen Allgemeinwohlzielen. Dieses Abwägungsproblem wird vom EU-Vergaberecht letztlich durchaus differenziert verarbeitet. So sieht der 1. Erwägungsgrund der RL 2004/18/EG mittlerweile explizit auch die Berücksichtigung „sozialer“ Ziele bei der Auftragsvergabe vor. Zudem gelten auch die Grundfreiheiten nicht schrankenlos, sondern finden auf primärrechtlicher Ebene ihre Grenze in den „zwingenden Erfordernissen“ des Systems der Rechtfertigungsgründe der Grundfreiheiten. Diese Wertungen müssen auch bei der Auslegung der Vergaberichtlinien berücksichtigt werden, die auf die Gewährleistung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit zielen. Daher sind die Zuschlagskriterien der Vergaberichtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH auch nicht abschließend. Vielmehr können nach der neueren Rechtsprechung grundsätzlich alle vom EuGH auf der primärrechtlichen Ebene anerkannten zwingenden Erfordernisse grundsätzlich auch bei der Auftragsvergabe berücksichtigt werden.192 Dies gilt jedenfalls soweit, wie diese Kriterien mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen, im Leistungsverzeichnis ausdrücklich genannt sind, dem Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit eingeräumt wird (Spezifikation) und insbesondere das Diskriminierungsgebot gewahrt bleibt.

191 Vgl. den Überblick bei Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 30 ff. 192 Zur Berücksichtigung von anerkannten, auch ungeschriebenen zwingenden Allgemeinwohlerfordernissen bei der Auslegung des Vergabesekundärrechts ausdrücklich: EuGH, Rs. C-360/89 (Kommission/Italien), Slg. 1992, I-3401, Rn. 14; zustimmend: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 33. Kritisch Dreher, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), GWB § 97 Rn. 126.

E. Vergabeverfahren und vergaberechtlicher Rechtsschutz

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3. Die Steuerungsspielräume der öffentlichen Hand an den Beispielen der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und Tariftreueklauseln Um allgemeine Eck- und Orientierungspunkte zur Bestimmung der Steuerungsspielräume der öffentlichen Hand im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe zu gewinnen, können die vordergründig antagonistischen Entscheidungen des EuGH zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und zu Tariftreueklauseln herausgegriffen werden. Einerseits hat der EuGH mit Blick auf die unionsrechtlich anerkannten Ziele in der Sozial-, Struktur- und Beschäftigungspolitik Zusatzkriterien als zulässig angesehen, die eine Auftragsvergabe von der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen abhängig machten, obwohl bei einer derartigen Klausel fraglich ist, ob der vom EuGH geforderte Zusammenhang zum Gegenstand des Auftrags Bestand hat.193 Dies deutet zunächst auf nicht unerhebliche politische Gestaltungsspielräume bei der Auftragsvergabe hin. Andererseits hat der EuGH eine Berliner Tariftreueklausel für unzulässig erklärt, obgleich diese Klausel ebenfalls eine besondere sozialpolitische Schutzfunktion entfalten sollte.194 Die eigentlich maßgeblichen Erwägungen dieser sehr kontroversen Entscheidung lagen auf der sekundärrechtlichen Ebene. Die Vergaberichtlinien sehen die Möglichkeit von Tariftreueklauseln nicht vor, sind jedoch nicht abschließend. Dessen ungeachtet sind bei Tariftreueklauseln die Bestimmungen der Entsenderichtlinie anwendbar. Die Entsenderichtlinie sieht zum grenzüberschreitenden Schutz von Arbeitnehmern alternativ gesetzliche Mindeststandards, etwa in Form von Mindestlöhnen, oder die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen vor. Dagegen finden sich auch hier keine Regelungen über die Zulässigkeit von Tariftreueklauseln. Der deutsche Gesetzgeber hat sich indes bisher weder zu einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn noch zur flächendeckenden Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen in allen Branchen durchringen können. Vor diesem Hintergrund wollte es dem EuGH offenbar nicht recht einleuchten, warum die Bundesrepublik einerseits der Auffassung war, dass die Arbeitnehmer der im Inland ansässigen Unternehmen keines sozialen Schutzes durch gesetzliche Mindestlöhne oder allgemeinverbindliche Tarifverträge bedürfen, andererseits aber die Arbeitnehmer ausländischer Unternehmen, die Zugang zur deutschen öffentlichen Auftragsvergabe erlangen wollen, schutzwürdiger sein sollen. Im Kern sah der EuGH damit in der Tariftreueklausel die Gefahr von Marktzugangsschranken und Wettbewerbsverzerrungen, die den Zielen der Entsenderichtlinie zuwider gelaufen wären.195 Einerseits nutzt der deutsche Gesetz193 EuGH Rs. C-31/87 (Beentjes) Slg. 1988, 4635, Rn. 28; EuGH Rs. 225/98 (NordPas-de-Calais) Slg. 2000 I-7445, Rn. 50; sehr kritisch hierzu Dreher, in: Immenga/ Mestmäcker, GWB § 97 Rn. 126. 194 EuGH Rs. C-346/06 (Rüffert) ZESAR 2007, 300, hierzu Hänlein, ZESAR 2007, S. 275 ff.; Huber, EuR 2008, 391 ff.; Frenz, VergabeR 2009, 563 ff. m.w. N. 195 Zur Entsenderichtlinie als maßgeblichem Prüfungsmaßstab in der Rs. C-346/06: Hänlein, ZESAR 2007, S. 275 ff.

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

geber die bestehenden Möglichkeiten der Entsenderichtlinie zur Schaffung einheitlicher höherer sozialer Standards im Inland nicht und verschafft so den im Inland ansässigen Unternehmen Wettbewerbsvorteile. Demgegenüber erschwert er aber ausländischen Unternehmen, welche die allgemein in Deutschland geltenden Standards erfüllen, durch Tariftreueklauseln den Zugang zur öffentlichen Auftragsvergabe in Deutschland. Die vom EuGH letztlich getroffene Entscheidung ist damit zwar nicht zwingend, da insbesondere die Entsenderichtlinie nicht notwendig als abschließende Regelung hätte interpretiert werden müssen.196 Sie erscheint jedoch sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis als durchaus vertretbar. Mit Blick auf die sozial- und beschäftigungspolitischen Steuerungsspielräume bei der öffentlichen Auftragsvergabe folgt aus der Entscheidung gleichwohl keine über die rechtshängige Sonderkonstellation hinausgehende Restriktion. Vielmehr bestätigt die Entscheidung den allgemeinen Befund, dass die öffentliche Hand bei der Auftragsvergabe sicherzustellen hat, dass sich aus nichtwirtschaftlichen Zuschlagskriterien keine Wettbewerbsverzerrungen oder Diskriminierungen im Binnenmarkt ergeben. Mit Blick auf die vorstehenden skizzierten Spielräume der öffentlichen Hand sowohl auf der Ebene der Primär- als auch der Sekundärzwecke kann das Vergaberecht insgesamt als ein besonderes Verfahrens- und Rechtsschutzregime begriffen werden, das darauf zielt, das Unionsziel der Gewährleistung des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs mit mitgliedstaatlich definierten Gemeinwohlzielen zum Ausgleich zu bringen.

III. Wahl des Vergabeverfahrens 1. Offenes Verfahren und dynamische Beschaffungssysteme Das Diskriminierungs- und das Transparenzgebot schlagen sich auch in den zulässigen Verfahren der RL 2004/18/EG nieder. Das Vergabeverfahren kann nach Art. 28 RL 2004/18/EG im offenen oder nicht offenen Verfahren oder im Verhandlungswege durchgeführt werden, wobei die Verfahrensgrundsätze des Vergaberechts nur im offenen Verfahren uneingeschränkt gewährleistet werden.197 Sowohl die Systematik der Art. 28 ff. RL 2004/18/EG als auch die praktische Wirksamkeit des Diskriminierungs- und Transparenzgebots sprechen für einen Vorrang des offenen Verfahrens gegenüber dem nicht offenen Verfahren und dem Verhandlungsverfahren, soweit in der Richtlinie nicht ausnahmsweise Verfahrensregelungen vorgesehen sind. Das offene Verfahren erfolgt gem. Art. 33 RL 2004/18/EG regelmäßig im Rahmen eines dynamischen Beschaf-

196 Vgl. den abweichenden Schlussantrag des GA Yves Bot v. 20.09.2007 in der Rs. C-346/06 (Rüffert ), Rn. 57 ff. 197 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3022 f.

E. Vergabeverfahren und vergaberechtlicher Rechtsschutz

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fungssystems.198 Das Vergabeverfahren im dynamischen Beschaffungssystem setzt als „gestuftes Verfahren“ bei einer besonderen Ankündigung durch die unverbindlichen Angebote, die durch Interessenten eingeholt werden, an.199 Hieran schließt sich die Auswahl der Teilnehmer nach der Eignung gem. Art. 33 Abs. 2 RL 18/2004 EG an, wobei die zugelassenen Teilnehmer ihre Angebote jederzeit nachbessern können. Im nächsten Schritt erfolgen gem. Art. 35 Abs. 5 RL 18/ 2004/EG ein Aufruf zum Wettbewerb und der Eingang der verbindlichen Angebote der Teilnehmer. Der Zuschlag richtet sich gem. Art. 33 Abs. 6 RL 2014/18/ EG nach den Maßgaben der Zuschlagskriterien der Art. 53 ff. RL 2004/18/EG. Im deutschen Recht erhebt § 101 Abs. 6 S. 1 GWB das offene Verfahren zum Regelverfahren und verlangt eine gesetzliche Gestattung aufgrund des GWB, wenn ein öffentlicher Auftraggeber ein anderes Verfahren anwenden will. Die Wahl zwischen offenen, nicht offenen und Verhandlungsverfahren eröffnet § 101 Abs. 6 S. 2 GWB nur Auftraggebern nach § 98 Nr. 4 GWB. 2. Rahmenvereinbarungen Alternativ zum dynamischen Verfahren ist auch eine Vergabe über Rahmenvereinbarungen nach Art. 32 RL 2004/18/EG möglich.200 Hierbei wird zunächst eine noch nicht abschließende Rahmenvereinbarung z. B. über Preise oder Leistungsbedingungen mit einem oder mehreren Leistungserbringern abgeschlossen. Der Abschluss der Rahmenvereinbarung kann dabei in allen zulässigen offenen oder geschlossenen Vergabeverfahren erfolgen. Nach Abschluss der Rahmenvereinbarung erfolgt entweder unmittelbar die Einzelauftragserteilung, oder es wird nochmals ein Wettbewerb eingeleitet, der Konsultationen und Informationen umfassen kann.201 3. Nicht offenes Verfahren Nach Art. 1 Abs. 11 RL 18/2004 EG sind neben offenen grundsätzlich auch nicht offene Verfahren zulässig.202 Diese Verfahren werden durch einen Interessentenwettbewerb eingeleitet. Hieran schließen sich eine Auswahlentscheidung des Auftraggebers und eine Aufforderung des Auftraggebers zur Abgabe von An198 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3025. 199 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 40, Rn. 14 ff.; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3032 ff. 200 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3049 ff. 201 Siehe hierzu schon oben in diesem Kapitel, D. III. 202 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 40 Rn. 13; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3080 ff.

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

geboten an ausgewählte Teilnehmer an. Ein nicht offenes Verfahren ist im Gegensatz zum offenen Verfahren dadurch gekennzeichnet, dass nur eine beschränkte Anzahl von Unternehmen aus einem Bewerberkreis zur Angebotsabgabe aufgefordert wird. Es können sich gem. Art. 1 Abs. 11 lit. b) RL 2004/18/ EG sowie Art. 1 Abs. 9 lit. b RL 2004/17/EG zwar alle Wirtschaftsteilnehmer um die Teilnahme bewerben, aber nur bei Aufforderung durch den öffentlichen Auftraggeber ein Angebot abgeben. Geschlossene Verfahren lassen sich dadurch rechtfertigen, dass durch den Interessentenwettbewerb eine offene Vorauswahl nach Eignungskriterien erfolgt ist.203 Andererseits wird der Kreis der potenziellen Bieter von vornherein beschränkt. Insoweit besteht ein Nachteil gegenüber einem offenen Verfahren, das daher grundsätzlich vorzuziehen ist. Eine weitere Legitimation geschlossener Verfahren kann darin liegen, dass eine Auftragserfüllung dringlich ist, sodass ein langwieriges, alle möglichen Interessenten einbeziehendes offenes Verfahren zu zeitaufwendig oder zu kostenintensiv ist.204 4. Verhandlungsverfahren Schließlich kommt die Auftragsvergabe unter bestimmten Voraussetzungen auch im Verhandlungsverfahren mit oder ohne vorherige Bekanntmachung in Betracht. Die Auftragsvergabe im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Veröffentlichung ist nach Art. 30 Abs. 1 RL 2004/18/EG zulässig, wenn ein offenes oder nicht offenes Verfahren nicht zum Erfolg geführt hat.205 Diese Voraussetzung ist nach Art. 30 Abs. 1 lit. a RL 2004/18/EG einerseits dann erfüllt, wenn keine ordnungsgemäßen Angebote oder nur Angebote abgegeben worden sind, die mit den jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften nicht vereinbar sind.206 Die zweite Konstellation für Verhandlungsverfahren mit vorheriger veröffentlichter Bekanntmachung sind nach Art. 30 Abs. 1 lit. b RL 2004/18/EG Aufträge über Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen, die ihrer Natur nach oder wegen der damit verbundenen Risiken eine vorherige globale Preisgestaltung nicht zulassen. Diese Konstellation wird allerdings in Art. 30 Abs. 1 lit. b RL 2004/18/ EG ausdrücklich auf Ausnahmefälle beschränkt.207 Art. 31 RL 2004/18/EG sieht

203 Zum Teilnahmewettbewerb vor einem nichtoffenen Verfahren vgl. EuGH, Rs. C-470/99 (Universale-Bau) Slg. 2002, I-11617 (11690, Rn. 93 u. 95). 204 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3085. 205 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3096. 206 Die innerstaatlichen Vorschriften müssen aber ihrerseits den Art. 4, 24, 25 und 27 sowie Kap. VII zum Ablauf des Verfahrens der RL 2004/18/EG entsprechen. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3096. 207 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3100.

E. Vergabeverfahren und vergaberechtlicher Rechtsschutz

245

schließlich unter engen Voraussetzungen auch Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung in verschiedenen Konstellationen vor, die nach einzelnen Auftragsarten gegliedert aufgeführt werden. Art. 31 RL 2004/18/EG nennt als Fälle insbesondere ein vorangegangenes erfolgloses Vergabeverfahren, die Verengung auf einen Wirtschaftsteilnehmer sowie Gründe zwingender Dringlichkeit.208

IV. Primär- und Sekundärrechtsschutz Das EU-Vergaberecht umfasst neben dem Vergabeverfahren auch ein System des Primär- und Sekundärrechtsschutzes, wobei zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes vor allem ein wirksamer Primärrechtsschutz vor Vertragschluss erforderlich ist.209 Die Grundlagen des vergaberechtlichen Rechtsschutzes bestimmen sich nach den Rechtsmittelrichtlinien (RMR), die von Parlament und Rat am Ende 2007 neu gefasst worden sind. In Deutschland erfolgt der Primärrechtsschutz über die Vergabekammern und, außer im Anwendungsbereich des SGB V, über die Zivilgerichte. Die mit der RMR neu gefassten europäischen Standards entsprechen in etwa den schon zuvor in Deutschland geltenden nationalen Standards. Der Primärrechtsschutz baut gem. Art. 2a und b RMR auf einer Informationspflicht nach Zuschlag und eine Stillhalteperiode auf, die öffentliche Auftraggeber nach Zuschlag und vor Vertragschluss einhalten müssen, bevor ein Vertragschluss erfolgen darf.210 Diese Stillhalteperiode gibt übergangenen Bietern die Möglichkeit, ein Nachprüfverfahren bei den zuständigen Nachprüfstellen einzuleiten, um einstweiligen Rechtsschutz bzw. Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren zu erlangen. Der Antrag hat, soweit er nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, gem. Art. 110 Abs. 2 GWB aufschiebende Wirkung. Im Bereich des Primärrechtsschutzes eröffnet Art. 1 Abs. 4 RMR den Mitgliedstaaten nunmehr auch ausdrücklich die Möglichkeit, vor Einleitung eines Nachprüfverfahrens eine Rügepflicht der Unternehmen vorzusehen. Dies ist in Deutschland durch Art. 107 Abs. 3 GWB erfolgt. Im Bereich des nachträglichen Rechtsschutzes sieht die RMR nunmehr erstmals eine zivilrechtliche Nichtigkeitsfolge vergabewidrig geschlossener Verträge, die in Deutschland über § 134 BGB seit Langem anerkannt ist. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen.211

208

Hierzu: EuGH, Rs. C-394/02 (Kommission/Griechenland) VergabeR 2005, 467. Lutz/Costa-Zahn, Die Reform der Rechtsmittelrichtlinien, NZBau, 2008, S. 22 (22 f.). 210 Lutz/Costa-Zahn, Die Reform der Rechtsmittelrichtlinien, NZBau, 2008, S. 22 (23 f.). 211 Lutz/Costa-Zahn, Die Reform der Rechtsmittelrichtlinien, NZBau, 2008, S. 22 (25 f.). 209

246

3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

F. Vergaberechtliche Sonderfälle Im Zuge der Ausdifferenzierung des vertraglichen Steuerungsinstrumentariums der öffentlichen Hand entstehen zunehmend Übergangsformen und sektorale Subtypen der öffentlichen Auftragsvergabe, deren Einordnung in das System des Vergaberechts Schwierigkeiten bereiten kann. Auf diese Typen soll abschließend an den Beispielen (1) der Vergabe defizitärer öffentlicher Dienste, (2) der Sektoren-, Universaldienst- und Frequenzvergabe, (3) der sektorpolitischen Vertragssteuerung im Forschungs- und Bildungssektor sowie (4) dem Sozial- und Gesundheitsvergaberecht überblicksartig eingegangen werden.

I. Die Vergabe defizitärer öffentlicher Dienste Im Zuge der öffentlichen Aufgabenprivatisierung stellt sich neben der Frage der Vergabe rentabler auch die Frage der Vergabe nicht rentabler und daher subventionsbedürftiger öffentlicher Dienste. Während die Vergabe rentabler öffentlicher Dienste typischerweise im Wege der Dienstleistungskonzession erfolgt, entstehen bei der Vergabe defizitärer öffentlicher Dienste neue Mischtypen der Vertragssteuerung, die durch eine Kombination von Elementen der entgeltlichen Auftrags-, der Konzessions- und der Beihilfevergabe geprägt sind, was deren rechtssichere Verortung zwischen Vergabeprimär-, Vergabesekundär- und Beihilferecht erschwert. Für das Beihilferecht ist strittig, ob diese Vertragstypen in den Anwendungsbereich des Art. 107 AEU fallen und dann ggf. über Art. 106 Abs. 2 AEU freigestellt werden können (Beihilfelösung) oder ob eine Ausgleichszahlung für Sonderlasten schon tatbestandlich aus dem Anwendungsbereich des Art. 107 Abs. 1 AEU herausfällt. Der EuGH hat zunächst uneinheitlich entschieden.212 Mittlerweile hat sich jedoch eine feste Rechtsprechungslinie etabliert. Demnach ist die Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEU ausgeschlossen, wenn die Ausgleichszahlung in einem transparenten und überprüfbaren Verfahren festgelegt wird, das gewährleistet, dass nur die Zusatzlasten der Übernahme einer Allgemeinwohllast ausgeglichen werden. Hierzu kommt einerseits eine Ausschreibung, andererseits aber auch ein Sachverständigengutachten in Betracht.213 Damit ergeben sich aus dem Beihilferecht jedenfalls keine über das Vergaberecht hinausgehenden (faktischen) Ausschreibungspflichten.214 Fraglich ist allerdings, ob auf derartige Fälle das Vergaberecht anwendbar ist. Für die Anwendung des Vergaberechts spricht, dass es sich bei der Vergabe defizitärer öffentlicher Diens212 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 43 Rn. 20 ff. 213 EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark-Trans) Slg. 2003, I-7747; vgl. Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 43 Rn. 20 ff.; siehe oben 1. Kapitel, C. IV. 6. c). 214 Kühling, WiVerw 2008, S. 239 ff. Siehe auch oben 3. Kapitel, B. III. 3.

F. Vergaberechtliche Sonderfälle

247

te – wegen der Ausgleichszahlung – gerade um ein gegenleistungsabhängiges Auftragsverhältnis handelt, was ja der Grund für den Ausschluss des Beihilferechts ist. Damit scheidet zugleich eine Dienstleistungskonzession aus. Vielmehr liegt – wegen der Ausgleichszahlung – in der Regel ein entgeltlicher Auftrag vor.215 Gleichwohl könnte bei einer Anwendung des Vergaberechts im Ergebnis die Differenzierung des EuGH zum Beihilferecht de facto unterlaufen werden. Zwar kann nach Beihilferecht auch ein Sachverständigengutachten als Option gewählt werden, um eine Beihilfekontrolle ex ante auszuschließen. Letztlich müsste jedoch gleichwohl, aus vergaberechtlichen Gründen, stets eine Ausschreibung erfolgen.216 Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die beihilferechtliche „Gutachten-Option“ des EuGH durchaus nicht vollständig leer laufen muss. So beziehen sich die einschlägigen Entscheidungen des EuGH zum Beihilferecht nicht allein auf vergaberechtlich relevante Fälle der entgeltlichen Auftragsvergabe, sondern auch auf „vergaberechtsneutrale“ Fälle, in denen bestimmten Unternehmen z. B. durch Gesetz bestimmte Allgemeinwohlpflichten auferlegt werden, die dann durch Steuervergünstigungen kompensiert werden. In derartigen Fällen können die Mitgliedstaaten die präventive Beihilfekontrolle vermeiden, indem sie die Angemessenheit der Höhe der Steuervergünstigung durch ein Sachverständigengutachten überprüfen lassen. Daneben scheidet auch die Anwendung des Vergaberechts aus, da es an einem öffentlichen Auftrag fehlt. Werden defizitäre öffentliche Dienste dagegen von einem Mitgliedstaat durch öffentlichen Auftrag vergeben, ist das Vergaberecht anwendbar. Damit besteht auch regelmäßig eine Ausschreibungspflicht, wobei die Einhaltung der Ausschreibungspflichten in diesen Fällen wiederum eine präventive Beihilfekontrolle in der Regel ausschließt.

II. Die Sektoren-, Universaldienst- und Frequenzvergabe Das Vergaberecht ist in seiner Struktur und Dogmatik nach wie vor am Leitbild des öffentlichen Bauauftrags als nach wie vor wirtschaftlich wichtigsten Vertragstypus des Vergaberechts orientiert. Im Zuge der Übertragung von Ausschreibungsverfahren auch auf anderen Sektoren ist mittlerweile indes eine zunehmende sektorale Ausdifferenzierung des Vergaberechts feststellbar. Dabei durchläuft auch das Vergabeverfahren einen Funktionswandel. Neben die klassischen Ziele der Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Zugangs zu entgeltlichen öffentlichen Aufträgen treten weitergehende sektorpolitische Steuerungsziele, die im Wege von Ausschreibungswettbewerben verwirklicht werden sollen. Damit entstehen sektorspezifische Subtypen des Vergaberechts, die durch eine zielgerichtete Instrumentalisierung des Vergaberechts zu spezifischen sektorpoli215 Vgl. Kommission, Mitteilungen zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, ABl. 2000 Nr. C. 121/5. Siehe oben 3. Kapitel, B. III. 3. 216 Vgl. Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV Art. 87 Rn. 35 f.

248

3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

tischen Steuerungszielen und die gleichzeitige Einbindung von besonderen Vergabeverfahren in sektorale verwaltungsrechtliche Regelungsregimes des einzelstaatlichen und europäischen Verwaltungsrechts geprägt sind. Die Schwerpunkte dieser sektoralen Ausdifferenzierung des Vergaberechts liegen derzeit in den Netzwirtschaften und in öffentlich finanzierten Sektoren. Im Bereich der Netzwirtschaften sind im Rahmen der Sektorenvergaberichtlinie, aber auch im Bereich der Ausschreibung von Universaldienstleistungen im Telekommunikationssektor und bei der Frequenzvergabe besondere Vergabeverfahren normiert worden, welche die sektorale Marktöffnungs- und Regulierungsfunktion des Regulierungsverwaltungsrechts in den Netzwirtschaften zielgerichtet ergänzen.217 Die Einordnung dieser sekundärrechtlich besonders geregelten vergaberechtlichen Sonderfälle bereitet keine sonderlichen Schwierigkeiten, da mit den einschlägigen sekundärrechtlichen Regelungen sektorale unionsrechtliche Sondertatbestände vorliegen, die das Primär- und Sekundärvergaberecht nach dem Grundsatz der lex specialis verdrängen. Ebenso sind die jeweiligen einzelstaatlichen Umsetzungsgesetze des Telekommunikations- und Rundfunkrechts gegenüber dem GWB spezieller.

III. Sektorpolitische Vertragssteuerung im Forschungs- und Bildungssektor Jenseits der Netzwirtschaften bilden sich neue atypische Formen der vertraglichen Steuerung vor allem in öffentlich finanzierten Sektoren. Im Europäischen Forschungsraum haben sich Ausschreibungsverfahren über ihre klassischen Funktionen als Instrument der Vergabe von Forschungsaufträgen oder Forschungsbeihilfen hinaus zu einem System der europäischen und einzelstaatlichen Forschungssystemsteuerung weiterentwickelt, das weder klassischen Beihilfenoch klassischen Beschaffungszwecken, sondern sektorpolitischen Steuerungszielen dient. So instrumentalisieren einzelne Mitgliedstaaten, z. B. im Rahmen der deutschen Exzellenzinitiative, Ausschreibungsverfahren, um einen bundesweiten Exzellenzwettbewerb zwischen Forschungsorganisationen anzureizen, der zu einer Stratifizierung des Forschungs- und Bildungssystems beitragen soll.218 Weitergehend nutzt auch die Kommission selbst die Vergabe von Forschungsmitteln mittlerweile nicht mehr nur zum Zweck der Förderung von einzelnen Forschungsprojekten, sondern gerade auch zum Zweck der grenzüberschreitenden Koordinierung der einzelstaatlichen Forschungsförderungsorganisationen und damit zur Netzwerkbildung im Europäischen Forschungsraum.219 Ähnliche Formen 217

Vgl. Kühling, WiVerw 2008, S. 239 (241 ff.). Hierzu Pilniok, Europäischer Forschungsförderungsverbund, Hochschulmanagement 2008, S. 13, 15 ff. 219 Hierzu Pilniok, Europäischer Forschungsförderungsverbund, Hochschulmanagement 2008, S. 13, 15 ff. 218

F. Vergaberechtliche Sonderfälle

249

der Vertragssteuerung sind mittlerweile auch im europäischen Bildungs- und Kulturraum entstanden. Da diese Ausschreibungsverfahren auf die Vergabe von Fördermitten, nicht aber auf den Anschluss von wirtschaftlichen Austauschverhältnissen gerichtet sind, dürfte hier allerdings regelhaft nur die Anwendung des Beihilferechts in Betracht kommen. Zudem besteht für den Forschungssektor in der Vergaberichtlinie eine sektorale Bereichsausnahme, sodass eine Anwendung des Sekundärvergaberechts und des GWB-Vergaberechts auch deswegen in der Regel nicht in Betracht kommen dürfte. Soweit Organe oder Agenturen der Union im europäischen Forschungs- und Bildungsraum auf das Instrumentarium der sektorpolitischen Vertragssteuerung zurückgreifen, greifen ggf. die Ausschreibungspflichten des einschlägigen Sekundärrechts, wie etwa des 8. Forschungsrahmenprogramms, denen jedoch keine drittschützende Wirkung zukommen dürfte. Eine Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2342/2002 der Kommission vom 23. Dezember 2002 über die Vergabe öffentlicher Aufträge durch EU-Organe dürfte dagegen bereits wegen des Fehlens eines Auftragstatbestands ausscheiden. Dagegen ist die RL 2004/18/EG auf die Auftragsvergabe durch Unionsorgane nicht anwendbar.220 Aus beihilferechtlicher Sicht scheidet eine Kontrolle ebenfalls aus, da Unionsbeihilfen vom Kontrollregime der Art. 107 ff. AEU ausgenommen sind.221

IV. Das Sozial- und Gesundheitsvergaberecht Während sich im Europäischen Forschungsraum sowie im europäischen Bildungs- und Kulturraum in erster Linie neue atypische Formen des Förderungsvergaberechts entwickelt haben, entstehen im Sozial- und Gesundheitswesen neue, eher auftragsähnliche Formen der Vertragssteuerung durch die öffentliche Hand. Die Vertragssteuerung dient im Bereich des Sozial- und Gesundheitsvergaberechts der dezentralen Steuerung der sozialen Leistungserbringung nach Maßgabe sozial- und gesundheitspolitischer Zielsetzungen. Die Sozialleistungsträger schließen mit privaten oder öffentlichen Leistungserbringern Verträge ab, die diesen einen (privilegierten) Zugang zu den öffentlich finanzierten Leistungserbringungssystemen z. B. im Bereich der Beschäftigungsförderung, der Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe oder im öffentlichen Gesundheitswesen verschaffen, wobei den Leistungsempfängern in der Regel ein Wahlrecht zwischen verschiedenen Anbietern verbleibt.222 Aufgrund ihrer in der Regel nicht unmittelbar auf Leistungseinkauf, sondern auf Zulassung gerichteten Funktion steht die Sozial- und Gesundheitsvergabe in einem gewissen Näheverhältnis zur Konzessionsvergabe. 220

EuG, Rs. T-411/06 (Sogelma) EuR 2009, 369, Rn. 116 ff. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 46 Rn. 6. 222 Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 89 ff.; ders., SGb 2008, S. 427 ff.; EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427. 221

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3. Kap.: Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

Andererseits besteht jedoch auch ein Näheverhältnis zur entgeltlichen Auftragsvergabe, da die Finanzierung der Leistungserbringung letztlich durch die öffentliche Hand erfolgt. Entsprechend ist die Verortung der Sozial- und Gesundheitsvergabe im System des europäischen Vergabeprimär- und Sekundärrechts ausgesprochen umstritten. Auf diese Konstellationen wird für den Bereich des Gesundheitsvergaberechts im 5. bis 7. Kapitel im Einzelnen einzugehen sein.

4. Kapitel

Die Märkte des Gesundheitswesens zwischen Sozialrecht und Binnenmarktrecht A. Das Gesundheitswesen in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union I. Das öffentliche Gesundheitswesen zwischen sozialrechtlicher Regulierung und Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht Die Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen, flächendeckenden Gesundheitsversorgung zählt zu den wichtigsten gemeinsamen sozialpolitischen Anliegen der Mitgliedstaaten und der Union.1 Alle Mitgliedstaaten verfügen über überwiegend öffentlich finanzierte Gesundheitssysteme, die der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung dienen. Angesichts steigender Ausgaben und begrenzter Ressourcen stehen die EU-Gesundheitssysteme allerdings unter erheblichem Reformdruck.2 Zu den Leittendenzen der hierdurch ausgelösten Gesundheitsreformprozesse zählt neben der Tendenz zur fortschreitenden öffentlichen Aufgabenprivatisierung3 nicht zuletzt der verstärkte Rückgriff des Gesundheitsgesetzgebers auf markt- und wettbewerbsorientierte Formen der Regulierung des Krankenver1 Vgl. Europäischer Rat, Schlussfolgerungen des Rates zu den gemeinsamen Werten und Prinzipien in den Europäische Union-Gesundheitssystemen, 2006/C141/01. Zur nationalen Ebene der EU Gesundheitssysteme S. Tiemann, Gesundheitssysteme in Europa – Experimentierfeld zwischen Staat und Markt. Frankreich, Niederlande, Schweiz, Schweden und Großbritannien – Analyse und Vergleich, 2006; Dixon/Mossialos, (Hrsg.), Health Care Systems in eight countries: trends and challanges; prepared by: European Observatory on Health Care Systems, 2002. Zur unionsrechtlichen Ebene: B. Tiemann, Die Gesundheits- und Sozialpolitik in der Europäischen Union; 2005. 2 Vgl. die Beiträge bei: Moynihan/Blum/Busse/Schlette (Hrsg.), Gesundheitspolitik in Industrieländern, Ausgabe 12. Im Blickpunkt: Kosten und Nutzen, Finanzierung und Steuerung, Zugang und Gerechtigkeit, 2009; Busse/Schlette (Hrsg.), Gesundheitspolitik in Industrieländern, Ausgabe 4. Im Blickpunkt: Zugang, Primärversorgung, Organisationsreform, 2005; Dixon/Mossialos (Hrsg.), Health Care Systems in eight countries: trends and challanges; prepared by: European Observatory on Health Care Systems, 2002; sowie Gethmann/Gerok/Helmchen/Henke/Mittelstraß/Schmidt-Aßmann/Stock/ Taupitz/Thiele (Hrsg.), Gesundheit nach Maß? Eine transdisziplinäre Studie zu den Grundlagen eines dauerhaften Gesundheitssystems, 2004. 3 Vgl. die Beiträge bei: Busse/Zentner/Schlette (Hrsg.), Gesundheitspolitik in Industrieländern, Ausgabe 5. Im Blickpunkt: Privatisierungstrends, Patientensicherheit, Lebensstil, 2006; Bruckenberger/Klaue/Schwintowski, Krankenhausmärkte zwischen

252

4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

sicherungs- und Leistungserbringungssektors.4 Neben zentralisierten Modellen des „angereizten Wettbewerbs“ z. B. in Form des Arzneimittelfestbetragsverfahrens gem. § 35 SGB V gewinnen in den EU-Gesundheitssystemen seit geraumer Zeit neue Formen der dezentralen Vertragswettbewerbs an Bedeutung. Auch im deutschen Gesundheitswesen sind mittlerweile in praktisch allen Leistungssektoren neue Formen der individualvertraglichen Steuerung, z. B. in Form von Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b SGB V), der besonderen ambulanten Versorgung (§ 73b SGB V), der besonderen stationären Versorgung (§ 116b SGB V), der Hilfsmittelversorgung (§ 127 SGB V), der Arzneimittelversorgung (§130 Abs. 8 SGB V) oder der Integrierten Versorgung (§§ 140a ff. SGB V) eingeführt worden. Diese ergänzen bzw. überlagern das traditionelle System der hoheitlich-kooperativen Regulierung der Leistungserbringung im öffentlichen Gesundheitswesen. Insgesamt hat sich das Krankenversicherungsrecht des SGB V in den vergangenen Jahren immer stärker dem Modell öffentlich finanzierter, sozialrechtlich besonders regulierter Wettbewerbsmärkte für gesetzliche Krankenversicherungs- und Gesundheitsversorgungsleistungen angenähert.5 Die Regulierung des öffentlichen Gesundheitswesens fällt beim heutigen Stand der Integration allerdings nicht mehr allein in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.6 Vielmehr wirkt auch die Union in mannigfaltiger Form auf die EU-Gesundheitssysteme ein. Neben dem klassischen Instrumentarium der Sozialrechtskoordinierung (Art. 48 AEU und VO 883/2004/EG) und der gesundheits- und sozialpolitischen Koordinierung und Harmonisierung (Art. 151 ff., 168 AEU)7 haben auch die gerichtlich-administrativen Kontrolle der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts8 sowie die Rechtsangleichung durch den Binnenmarktgesetz-

Regulierung und Wettbewerb, 2006, S. 203 ff.; Fleckenstein, MedR 2002, S. 510 ff.; Bohle/Grau, KH 2003, S. 698 ff. 4 Vgl. Ameringer, The health care revolution: from medical monopoly to market competition, 2008; Cassel, Wettbewerb in der Gesundheitsversorgung, in: Arnold/Klauber/Schellschmidt (Hrsg.), Krankenhaus-Report, 2002, S. 3 ff., sowie die Beiträge bei: Klusen/Meusch (Hrsg.), Wettbewerb und Solidarität im Europäischen Gesundheitsmarkt, 2006; Braun/Schulz-Nieswandt (Hrsg.), Liberalisierung im Gesundheitswesen – Einrichtungen des Gesundheitswesens zwischen Wettbewerb und Regulierung, 2006. 5 Vgl. Schenke, WiVerw 2006, S. 34 ff.; Ramsauer, NZS 2006, S. 505 ff.; Sodan (Hrsg.), Krankenkassenreform und Wettbewerb, 2005; Haverkate, VSSR 1999, S. 177 ff.; Sauter/Ellerbrock, GesR 2007, S. 497 ff.; Smigielski, Reformperspektiven für die gesetzliche Krankenversicherung, in: U. Kirchhoff (Hrsg.), Öffentliche Wirtschaft, Sozialwirtschaft und Daseinsvorsorge im Wandel: zum Spannungsfeld von europäischer Wettbewerbsordnung und Allgemeininteresse, FS Cox, 2003, S. 367 ff.; Ruckdäschel, Wettbewerb und Solidarität im Gesundheitswesen: Zur Vereinbarkeit von wettbewerblicher Steuerung und solidarischer Sicherung, 2000. 6 Vgl. den Überblick von Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Spielräume der Mitgliedstaaten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2006. 7 Meusch, Vielfalt als Chance? – Die offene Methode der Koordinierung (OMK), in: Klusen/Meusch (Hrsg.), Wettbewerb und Solidarität im Europäischen Gesundheitsmarkt, 2006, S. 69 ff.

A. Gesundheitswesen in der Binnenmarktverfassung der EU

253

geber,9 aber auch die Durchführungsrechtsetzung und der koordinierte Verwaltungsvollzugs10 im Gesundheitswesen an Bedeutung gewonnen. Erst im verbandsübergreifenden Zusammenspiel der mitgliedstaatlichen und unionalen Systeme der Rechtserzeugung konstituiert sich der Ordre Public des europäischen Binnenmarktes für Gesundheitsdienstleistungen.11 Das Recht des öffentlichen Gesundheitswesens ist damit mittlerweile integraler Bestandteil der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union und zugleich eines der wichtigsten Referenzgebiete des europäischen Verwaltungsrechts.12

II. Das öffentliche Gesundheitswesen in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union Fragen der gemeinschafts- und unionsrechtlichen Überformung des Rechts des öffentlichen Gesundheitswesens haben die Rechtswissenschaft seit jeher beschäftigt. Neben dem traditionellen System der europäischen Sozialrechtskoordinierung und dem sektorpolitischen Instrumentarium der EU-Gesundheits- und So8 Zur Anwendung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der VO 1408/71 EWG auf die gesetzliche Pflegeversicherung vgl. EuGH, Rs. C-160/96 (Molenaar) Slg. 1998, I-843. Zur Auslegung der VO 1408/71 EWG im Lichte der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit: EuGH, Rs. C-56/01 (Inizan) Slg. 2004, I-12403. Zur Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf die gesetzlichen Krankenversicherungsmärkte: EuGH Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, S. 1325. Zur Anwendung der Warenverkehrs- bzw. Dienstleistungsfreiheit auf das Leistungserbringungsmärkte: EuGH, Rs. 238/82 (Duphar) Slg. 1984, S. 523 ff.; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-368/98 (Vanbraekel) Slg. 2001, I-5363; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473; EuGH, Rs. C-56/ 01 (Inizan) Slg. 2004, I-12403; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré und van Riet) EuZW 2003, S. 466; hierzu: Bieback, NZS 2001, S. 561 ff.; Nowak, EuZW 2003, S. 474 ff.; Frenz, NVwZ, 2003, S. 947 ff.; Herrmann, ZESAR 2004, S. 370 ff.; Schreiber, ZESAR 2004, S. 413 ff. 9 Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2006, S. 201 ff., 237 ff., 313 ff.; Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Spielräume der Mitgliedstaaten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2006, S. 213 ff. 10 Hierzu eingehend: Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2006, S. 205 ff., 237, 281 ff., 322, 371, 384, 398, 409. 11 Vgl. Pitschas, VSSR 2002, S. 75 ff.; Zimmermann, WATTS going on? – Der europäische Gesundheitsmarkt und wie die europäische Gesundheitspolitik die nationalen Gesundheitssysteme beschäftigt, in: Klusen/Meusch (Hrsg.), Wettbewerb und Solidarität im europäischen Gesundheitsmarkt, 2006, S. 104 ff.; unter Gesichtspunkten der Verteilung von Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenzen: Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2006; unter dem Blickwinkel der verbliebenen Kompetenzen der Mitgliedstaaten: Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Spielräume der Mitgliedstaaten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2006; Rixen, ZIAS 2004, S. 24 ff. 12 Siehe bereits oben 1. Kapitel, C. III.; 2. Kapitel, B. IV. 3. und F. III. 2. und 3. Zum Gesundheitsrecht als Referenzgebiet des nationalen und europäischen Verwaltungsrechts vgl. Kingreen, Governance im Gesundheitsrecht, Die Verwaltung 42 (2009), S. 339 ff.

254

4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

zialpolitik13 zählt vor allem die Stellung des öffentlichen Gesundheitswesens im System des europäischen Binnenmarkt- und Wettbewerbsrechts zu den „Dauerbrennern“ der rechtswissenschaftlichen Diskussion.14 In der Entwicklung der rechtswissenschaftlichen Diskussion spiegeln sich die Veränderungen der Strukturen europäischer Rechtserzeugung wider, so wie sie im ersten Kapital entfaltet wurden. Zunächst wurde das Gemeinschaftsrecht auch in der gesundheitsrechtlichen Diskussion in erster Linie in seiner Funktion als vorrangig anwendbare supranationale Marktverfassung bzw. als limitierender Faktor mitgliedstaatlicher Kompetenzen in der Gesundheits- und Sozialpolitik erfasst.15 Von einigen Autoren wurden aus dem Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht sehr weit reichende Forderungen nach einer Deregulierung der mitgliedstaatlichen Sozialversicherungsund Gesundheitssysteme abgeleitet, die zum Teil deutlich über die vom EuGH entwickelten Grundsätze zur Anwendung des Wettbewerbsrechts und der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit im Gesundheitswesen hinausgehen.16 Umgekehrt fehlt es nicht an Versuchen, die sozialpolitischen Kompetenzen der Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Begründungsstrategien gegen das Vordringen des Unionsrechts abzusichern.17 Insgesamt orientierte sich die sozialrechtliche Diskussion damit erkennbar an einem eher antagonistischen Verständnis von supranationaler Freiheit und mitgliedstaatlicher Verantwortung für das Soziale. In den vergangenen Jahren ist jedoch auch im öffentlichen Gesundheitswesen ein Übergang von der Phase der primärrechtlichen Marktöffnung und Liberalisierung zur Phase der Verwaltungsrechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt feststellbar.18 Zugleich tendiert der EuGH gerade im Recht des öffentlichen Gesundheitswesens traditionell zu einer eher restriktiven Auslegung des Wettbewerbsrechts bei gleichzeitig extensiver Auslegung der Grundfreiheiten.19 Durch die kontinuierliche Erweiterung des Anwendungsbereichs insbesondere 13 Hierzu: Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten, 2006, S. 31 ff., 167 ff.; zur Sozialrechtskoordinierung: Eichenhofer, Europäisches Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S. 47 ff. 14 Zur Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf die gesetzlichen Krankenversicherungsmärkte z. B.: Kirchberg, NJW 2009, S. 1313 ff.; M. Fuchs, NZS 2002, S. 337 ff. Zur Anwendung der Warenverkehrs- bzw. Dienstleistungsfreiheit auf das Leistungserbringungsmärkte z. B.: Bieback, NZS 2001, S. 561 ff.; Nowak, EuZW 2003, S. 474 ff.; Frenz, NVwZ, 2003, S. 947 ff.; Herrmann, ZESAR 2004, S. 370 ff.; Schreiber, ZESAR 2004, S. 413 ff. 15 Vgl. etwa Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 1 ff., S. 378 ff., 438 ff.; ähnlich Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten, 2006, S. 356 ff. 16 Vgl. Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV Art. 86, Rn. 9 ff.; zur Problematik: etwa Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 1 ff., S. 378 ff., 438 ff. 17 Vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 1 ff., 378 ff., 438 ff. 18 Siehe zu den allgemeinen Entwicklungen oben 1. Kapitel, B. I. und C. III. und IV.; 2. Kapitel, A. und D.

B. Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens im System des SGB V

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der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheiten eröffnet der EuGH dem Binnenmarktgesetzeber zugleich neue Spielräume für die Rechtsangleichung.20 Zu den aktuell wohl wichtigsten Folgen der fortschreitenden Rechtsangleichung zählen die vergaberechtliche Harmonisierung der öffentlichen Ausschreibungsverfahren im Rahmen des Vertragswettbewerbs in der GKV21 und die anstehende Verabschiedung einer EU-Patientenrichtlinie, die nicht nur subjektive Rechte der Unionsbürger auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung begründet, sondern auch zu einer weitgehenden Harmonisierung des Leistungserbringungsrechts der Mitgliedstaaten führen wird.22 Im Zuge dieser Entwicklungen wächst gerade auch in der Verwaltungsrechtswissenschaft das Interesse an der Analyse der Stellung der Organisations- und Verfahrensstrukturen des öffentlichen Gesundheitswesens im Mehrebenensystem der Europäischen Union. Anknüpfend an diese Entwicklung, soll im Folgenden die Stellung der spezialrechtlich besonders regulierten Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens in den Mehrebenenstrukturen der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union eingehender diskutiert werden. Die Untersuchung wendet sich zunächst der mitgliedstaatlichen Ebene der sozialrechtlichen Regulierung der Märkte für Krankenversicherungs- und Gesundheitsversorgungsleistungen am Beispiel des SGB V zu. Bei der anschließenden Untersuchung der unionsrechtlichen Ebene soll das besondere Augenmerk dem Zusammenspiel von Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen sowie dem europäischen Wettbewerbs- und Beihilferecht und dessen jeweiligen Folgen für den Prozess europäischer Verwaltungs- und Sozialrechtsangleichung gelten. Auf diese Weise sollen auch bereits einige allgemeine Eck- und Orientierungspunkte für eine Dogmatik des Gesundheitsvergaberechts entwickelt werden, das Gegenstand des besonderen Teils dieser Untersuchung ist.

B. Die Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens im System des SGB V Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) konstituiert den sozialrechtlichen Rahmen für die Regulierung der eng verzahnten, sozialrechtlich 19 Zur weiten Auslegung der Grundfreiheiten vgl. EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831. Zu den gleichzeitigen Restriktionen des Wettbewerbsrechts: EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325. Siehe auch oben 1. Kapitel, C. IV. 1. und 3. c); 2. Kapitel, B. IV. 3. und E. III. 3. 20 Siehe oben 1. Kapitel, C. III. 2. und 2. Kapitel, B. III., B. IV. 3., C. I. und E. III. 2. und 3. 21 Vgl. Kingreen, NJW 2009, S. 2417 ff., sowie näher unten 4. Kapitel, C. IV. 4. c) und 5. Kapitel, A. I. bis IV. 22 KOM (2008) 414 endgültig, 2008/0142 (COD). Der Entwurf knüpft an die grundlegenden Entscheidungen des EuGH zu grenzüberschreitenden Patientenrechten in den Rs. Kohll und Decker an. Vgl. EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

besonders regulierten Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens.23 Hierbei können im Grundsatz drei zentrale Märkte unterschieden werden.24 Auf den Behandlungsmärkten konkurrieren die Leistungserbringer vorwiegend mit der Art und Qualität ihrer Leistungen, deren Erbringung ihnen (im Rahmen des Sachleistungsprinzips) Ansprüche auf Leistungsentgelte gegen die gesetzlichen Krankenkassen verschafft. Auf den Krankenversicherungsmärkten konkurrieren die Krankenversicherungsträger mit unterschiedlichen Organisationsformen der Leistungserbringung, Serviceleistungen sowie verschiedenen Wahltarifoptionen um die Versicherten. Auf den Gesundheitsversorgungsmärkten war der Wettbewerb lange durch die Kooperationsstrukturen der gemeinsamen Selbstverwaltung ausgeschlossen. Mittlerweile hat sich jedoch auch hier ein Vertragswettbewerb entfaltet, vor allem zwischen den Leistungserbringern um den Zugang zu besonderen selektiv-vertraglichen Versorgungsformen. Die folgenden Untersuchungen beschränken sich auf die Krankenversicherungs- und Gesundheitsversorgungsmärkte.

I. Die Märkte für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen Dass heute, anders als z. B. noch Mitte der 1990er-Jahre, mit einer gewissen Berechtigung überhaupt von Märkten für gesetzliche Krankenversicherungsdienstleistungen gesprochen werden kann, ist das Resultat von Reformen, die letztlich mit der Gesundheitsstrukturreform von 1996 einsetzten.25 Die gesetzlich Versicherten verfügen seither über ein freies Kassenwahlrecht, mit der Folge, dass die gesetzlichen Krankenkassen untereinander in einem „solidarischen Wettbewerb“ mit Risikostrukturausgleich stehen.26 Zugleich besteht ein – begrenzter – Systemwettbewerb zwischen der GKV und der PKV.27 Beginnend mit dem GSG 1996, sind die gesetzlichen Krankenkassenträger auch organisationsrechtlich bis hin zur Insolvenzfähigkeit privaten Versicherungsunternehmen angenähert worden.28 Mit der Gesundheitsreform 2007 haben die gesetzlichen Krankenkassen erstmals auch die Möglichkeit erhalten, den gesetzlich Versicherten Wahl23 Zur historischen Entwicklung: Zöllner, Landesbericht Deutschland, in: Köhler/Zacher (Hrsg.), Ein Jahrhundert Sozialversicherung, 1980, S. 44 ff. 24 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 15. 25 Hierzu: A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2001, S. 172 ff. 26 Vgl. Mühlhausen, Der Mitgliederwettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, 2002; Sodan, Der Risikostrukturausgleich oder die Quadratur des Kreises, 2002, S. 79 ff.; vgl. auch die Beiträge bei: Klusen/Straub/Meusch (Hrsg.), Die Steuerungswirkung des Risikostrukturausgleichs, 2001. 27 Raimer, System-„wettbewerb“ zwischen GKV und PKV?, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 1, 2005, S. 37 ff. 28 Schmidt, GesR 2007, S. 295 ff.

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tarife (§ 53 SGB V) anzubieten, deren Spektrum von staatlich initiierten Sondertarifen z. B. für die hausarztzentrierte Versorgung bis hin zu Privatversichertentarifen reicht.29 Eine weitere grundlegende Zäsur liegt in der schrittweisen Einführung des Gesundheitsfonds seit dem 1.1.2009.30 Durch den Gesundheitsfonds haben die gesetzlichen Krankenkassenträger ihre Haushalts- und Beitragssatzautonomie im Bereich der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung weitgehend verloren, da die Beitragssätze nicht mehr von den einzelnen Krankenkassenträgern, sondern vom Bundesministerium für Gesundheit festgesetzt werden, mit der Folge, dass mit der Beitragsautonomie auch der zuvor bestehende Beitragssatzwettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassenträgern entfällt. Die einkommensabhängigen Beiträge werden von den einzelnen Krankenkassen nunmehr zugunsten des staatlichen Gesundheitsfonds eingezogen, der vom Bundesversicherungsamt verwaltet wird, das zugleich den Risikostrukturausgleich durchführt. Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten grundsätzlich kopfgleiche Einheitsprämien aus dem staatlichen Gesundheitsfonds, wobei der Risikostrukturausgleich durch Risikozuschläge gewährleistet wird. Andererseits sind die gesetzlichen Krankenkassen nunmehr berechtigt und verpflichtet, Zusatzprämien einzuführen, soweit die Zahlungen aus dem Gesundheitsfond zur Kostendeckung nicht ausreichen.31 Damit ist das bisherige System des Beitragssatzwettbewerbs zugunsten eines (begrenzten) Preis- und Leistungswettbewerbs in Form eines Zusatzprämien- und Wahltarifwettbewerbs aufgegeben worden. Die neueren Reformen haben in ihrer Gesamtheit zur Folge, dass zwar nach wie vor das Gesamtsystem der gesetzlichen Krankenversicherung durch die an den Gesundheitsfonds abgeführten Sozialbeiträge und Steuerzuschüsse solidarisch finanziert wird. Dagegen erfolgt die Finanzierung der einzelnen im Wettbewerb stehenden Krankenkassen nunmehr nicht mehr solidarisch, sondern durch risikoadjustierte Einheitsprämien und ggf. durch Zusatzprämien. Da die gesetzlichen Krankenkassen zudem in einem – wenn auch gesetzlich regulierten – Wahltarifwettbewerb stehen, hat sich der gesetzliche Krankenversicherungssektor zunehmend vom klassischen Modell der mittelbaren staatlichen Sozialleistungsverwaltung gelöst. Stattdessen ist mittlerweile ein überwiegend öffentlich finanzierter, sozialrechtlich besonders regulierter Markt für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen entstanden.32

29 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 164 ff.; Huber, Die Wahltarife im SGB V, Berlin 2008. 30 Axer, GesR 2007, S. 193 ff.; Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 373 ff. 31 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 374 f. 32 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 15.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

II. Die Märkte für Gesundheitsversorgungsleistungen 1. Die atypischen Strukturen der öffentlich finanzierten, sozialrechtlich besonders regulierten Märkte für Gesundheitsversorgungsleistungen Von der Regulierung der Märkte für Krankenversicherungsleistungen zu unterscheiden ist die Regulierung der öffentlich finanzierten Gesundheitsmärkte durch das Leistungserbringungsrecht der §§ 69 ff. SGB V. Für die öffentlich finanzierten Gesundheitsmärkte sind die sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisse zwischen gesetzlichen Krankenkassen, Leistungserbringern und gesetzlichen Versicherten strukturprägend. Die gesetzlichen Krankenversicherungsträger erbringen die gegenüber den gesetzlichen Versicherten regelhaft geschuldeten Sachleistungen nicht unmittelbar selbst, sondern bedienen sich hierzu privater, freigemeinnütziger und öffentlicher Leistungserbringer.33 Eine der wesentlichen Herausforderungen an das Leistungserbringungsrecht des SGB V liegt damit darin, neben und mit der Sicherstellung der Versorgung auch einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten zu gewährleisten.34 Aus den Dreiecksbeziehungen zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten ergeben sich zugleich die Besonderheiten der öffentlich finanzierten und sozialrechtlich besonders regulierten Märkte für Gesundheitsversorgungsleistungen.35 Die wesentlichen Differenzen zum klassischen Marktmodell liegen nicht allein in der öffentlichen Finanzierung selbst, sondern auch darin, dass nicht nur die gesetzlich Versicherten, sondern auch die gesetzlichen Krankenkassen als Nachfrager nach Gesundheitsversorgungsleistungen in Betracht kommen. Aufgrund des Zusammenschlusses des ganz überwiegenden Teils der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung verfügen die gesetzlichen Krankenkassenträger in ihrer Gesamtheit auch über eine marktbeherrschende Stellung auf der Nachfrageseite der Märkte für Gesundheitsversorgungsleistungen. Da die gesetzlichen Krankenkassen einerseits in der Regel zur Sachleistung verpflichtet sind, andererseits aber – unabhängig vom Sachleistungsprinzip – letztlich die Kosten der Leistungserbringung tragen, liegt es aus Sicht der Krankenkassen und ihrer Verbände nahe, ihre Nachfragemacht zielgerichtet zu instrumentalisieren, um auf die Leistungserbringung an die gesetzlich Versicherten Einfluss zu nehmen.36 Andererseits drohen bei der Instrumentalisierung 33

Zur Grundstruktur: Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S. 203 ff. Kingreen, SGb 2008, S. 437 (439). 35 Henke, Ökonomische Grundlagen der Krankenhausreform in der Bundesrepublik Deutschland, in: Pitschas (Hrsg.), Reform der stationären Krankenversorgung, Speyer 2003, S. 9 ff. 36 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 15 ff.; kritisch zur Instrumentalisierung der Nachfragemacht der Krankenkassen bei Arzneimittelrabattverträgen: Detting, MedR 2008, S. 349 ff. 34

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der Nachfragemacht durch die gesetzlichen Krankenkassen Interessenkonflikte mit den Leistungserbringern, ggf. aber auch mit den gesetzlich Versicherten selbst. Die Frage nach adäquaten Strategien zum Umgang mit der Nachfragemacht der gesetzlichen Krankenkassen und zur Gewährleistung eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten bildet denn auch eines der Leitmotive der Entwicklung des Leistungserbringungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung. Zugleich hat der Sozialgesetzgeber im Laufe der Zeit unterschiedliche Strategien entwickelt, um mit den damit verbundenen Steuerungs- und Interessenausgleichsproblemen umzugehen. 2. Die Entwicklung der sozialrechtlichen Regulierung der Märkte für Gesundheitsversorgungsleistungen a) Die Anfänge: Vom Individualauftrag zum Kooperationsprinzip Anders als in Staaten mit staatlichen Gesundheitsdiensten ist die Leistungserbringung in Deutschland nie vollständig in staatliche Regie überführt worden, sondern zunächst rein privatrechtlich geordnet geblieben. Grundlage für die Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen gesetzlichen Krankenkassen und den Leistungserbringern war der privatrechtliche Individualvertrag zwischen Krankenkassenträgern und Leistungserbringern, insbesondere den Kassenärzten. Dabei zeigten sich schon frühzeitig die mit der beherrschenden Nachfragemacht der Krankenkassen verbundenen Probleme: Die Krankenkassen suchten ihre Nachfragemacht zu instrumentalisieren, um den Zugang zur kassenärztlichen Versorgung und die Inanspruchnahme und Erbringung von kassenärztlichen Leistungen über den selektiven Abschluss und die inhaltliche Ausgestaltung von Verträgen mit den Kassenärzten zu steuern. Dies führte schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu Konflikten zwischen Krankenkassen und Kassenärzten, welche die marktbeherrschende Stellung der Krankenkassen durch die Bildung gewerkschaftsähnlicher Organisation (Leipziger Verband) auszugleichen suchten.37 Trotz wechselvollen Verlaufs lag die allgemeine Entwicklungstendenz im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung, aber auch in anderen Leistungssektoren bis in die 1980er-Jahren hinein in der weitergehenden „Neutralisierung“ der Nachfragemacht der gesetzlichen Krankenkassenträger.38 Hierfür waren im Vertragsarztrecht vor allem zwei Entwicklungen ausschlaggebend. Einerseits wurde das System der Einzelverträge zwischen Krankenkassen und Kassenärzten schon Ende der 1920er-Jahre durch ein Verbands- und Kollektivvertragssystem ersetzt, durch das die Krankenkassen mit den kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen der Gesamtverträge die Gesamtvergütung und die Preis- und Leistungs37 38

Huerkamp, Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert, 1985, S. 279 ff. Vgl. A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2001, S. 217 ff.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

bedingungen in der vertragsärztlichen Versorgung für alle erfassten Versicherten und Kassenärzte abstrakt-generell regelten. An die Stelle der ursprünglichen Individualvertragsbeziehungen trat damit das Kooperationsprinzip, das für das Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung bis in die 1990erJahre bestimmend bleiben sollte und noch heute – wenn auch in relativierter Form – zu den Grundprinzipien der Organisation der Leistungserbringung in den Strukturen der Gemeinsamen Selbstverwaltung zählt.39 Andererseits hatte das Bundesverfassungsgericht mit dem bekannten „Kassenarzturteil“ einen subjektivrechtlichen Anspruch auf Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung geschaffen, der es den Krankenkassen und den kassenärztlichen Vereinigungen weitgehend unmöglich machte, den Marktzugang der Vertragsärzte autonom zu steuern.40 Insgesamt dominierte damit im Leistungserbringungsrecht des Rechts der gesetzlichen Krankenkassen bis in die 1990er-Jahre ein Regelungsmechanismus, der durch eine sektorspezifische Verbindung und Modifikation der klassischen Form der berufsständischen Selbstverwaltung in den Organisationsformen der mittelbaren Staatsverwaltung, die allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätze des freiberuflichen Berufszulassungsrechts und ein kollektivvertragliches Verhandlungsregime geprägt war, das ein gewisses Näheverhältnis zum Kollektivarbeitsrecht aufweist.41 b) Vom Kooperationsprinzip der gemeinsamen Selbstverwaltung zur hoheitlich-kooperativen Zugangs-, Preis- und Leistungsregulierung Die zweite Entwicklungsphase setzte im Zuge steigender Ausgaben und stagnierender Einnahmen seit Ende der 1970er-Jahre ein. Zum Zweck der Kostendämpfung wurde das bisherige System der kooperativen Selbstverwaltung schrittweise auf ein System der hoheitlich-kooperativen Zugangs-, Preis- und Leistungsregulierung bei gleichzeitiger Budgetierung und Bedarfsplanung umgestellt. Kennzeichnend für diese letztlich bis in die Gegenwart andauernde Entwicklungsphase ist einerseits eine Hochzonung der Verantwortlichkeiten in der gemeinsamen Selbstverwaltung von der Landes- auf die Bundesebene, die sich in der Verlagerung von Regelungsbefugnissen von der Ebene der Gesamtverträge auf die Ebene der Bundesmantelverträge, aber auch von Entscheidungsbefugnissen der Krankenkassen von der Landes- auf die Ebene der Spitzenverbände auf der Bundesebene niederschlägt.42 Zugleich ist eine Konzentration von Aufgaben 39 Hierzu eingehend: A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2001, S. 19 ff., 40 ff., 242 ff. 40 BVerfGE 11, 30 (44 ff.); 16, 286 (297). 41 Vgl. U. Becker, Hat die gemeinsame Selbstverwaltung noch eine Zukunft?, in: Münsterische Sozialrechtsvereinigung e.V. (Hrsg.), Gesetzliche Krankenversicherung in der Krise, 2002, S. 122 ff.; Musil, Gemeinsame Selbstverwaltung als Kooperationsform, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Wettbewerb, Kooperation und Kontrolle als Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 2, 2006, S. 49 ff.

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durch die Verlagerung von Befugnissen von der kollektivvertraglichen Ebene auf gemeinsame Landesausschüsse und den Gemeinsamen Bundesausschuss feststellbar. Der durch Vertreter des Spitzenverbands der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft gebildete Gemeinsame Bundesausschuss verfügt heute nach Maßgabe von § 92 SGB V sowie einer Reihe weiterer Normen über umfassende Richtlinien- und Steuerungsbefugnisse in allen Bereichen der Leistungserbringung.43 Die dritte Tendenz liegt in der Stärkung der Position der Krankenkassen im Verhältnis zu den Verbänden der Leistungserbringer, wobei namentlich in der vertragsärztlichen Versorgung mittlerweile alle wesentlichen Entscheidungen von der Zulassung zur Versorgung bis hin zur ärztlichen Honorarverteilung unter Beteiligung der Krankenkassen getroffen werden.44 Die vierte Leittendenz ergibt sich aus dem beständig wachsenden Einfluss des Staates im Gesundheitswesen. Dieser tritt schon in der immer engmaschigeren gesetzlichen Regulierung des Leistungserbringungsrechts zutage, das sich mittlerweile neben dem Steuerrecht zu einer der wohl komplexesten Materie des deutschen Rechts entwickelt haben dürfte. Darüber hinaus hat namentlich das Bundesgesundheitsministerium immer weitergehende Befugnisse z. B. bei der Fortschreibung der Globalbudgets (§ 71 Abs. 3 SGB V), der Festsetzung der Beitragssätze oder dem Ausschluss von Arzneimitteln von der Versorgung (§ 34 Abs. 2 SGB V) an sich gezogen. Als mindestens ebenso bedeutsam erscheint schließlich der Ausbau der staatlichen Aufsichtsbefugnisse. Zwar ist die Aufsicht über die Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung bis heute formal auf eine Rechtsaufsicht beschränkt. Die Reichweite einer Rechtsaufsicht hängt jedoch notwendig vom Inhalt des materiellen Rechts ab, auf welches sich diese bezieht. Da Krankenkassen und Leistungserbringer gesetzlich zur Gewährleistung der Qualität, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Versorgung verpflichtet sind (vgl. §§ 12, 70 SGB V), entfaltet die Rechtsaufsicht im Leistungserbringungsrecht näherungsweise die Wirkungen einer Fachaufsicht.45 Flankierend sind auch die Wahlrechte der Versicherten beschränkt worden (vgl. § 76 Abs. 2 SGB V). Erheblichen Beschränkungen unterliegt mittlerweile auch die ärztliche Berufsfreiheit durch Zulassungsbeschränkungen im Rahmen der Bedarfsplanung (vgl. §§ 95 ff., 99 ff. SGB V) sowie durch die Behandlungsleitlinien des GBA (§ 92 Abs. 1 SGB V) und die beständig ausgebauten Qualitätssicherungspflichten (§§ 136 ff. SGB V).46 42 Schulin, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 204 ff. 43 Hierzu: Greß/Wasem, MedR 2006, S. 512 ff.; zu den Befugnissen des Gemeinsamen Bundesausschusses auch: Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 348 ff. 44 Zur Entwicklung: Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 340 ff. 45 So auch Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1292 f. 46 Kritisch hierzu schon: Schulin, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 204 ff.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

c) Der Wettbewerb als Steuerungsinstrument zur Verwirklichung gesundheitspolitischer Systemziele im Leistungserbringungsrecht Die Umstellung der Leistungserbringung vom Kooperationsprinzip auf ein stärker zentralisiertes System hoheitlich-kooperativer Regulierung ist untrennbar mit dem gleichzeitigen Bedeutungsgewinn des regulierten Wettbewerbs als gesundheitspolitischem Steuerungsinstrument verbunden.47 Zwischen den gesetzlichen Krankenkassen wurde schon Mitte der 1990er-Jahre mit dem GSG ein solidarischer Wettbewerb bei freiem Kassenwahlrecht der Versicherten und gleichzeitigem Risikostrukturausgleich eingeführt.48 Im Leistungserbringungsrecht wurde mit dem System der Festbetragsfestsetzung nach § 35 SGB V ein System geschaffen, durch das ein Preiswettbewerb durch Regulierung angereizt werden soll, indem die erstattungsfähigen Kosten auf das untere Preisdrittel der am Markt befindlichen vergleichbaren Arzneimittelgruppen festgesetzt werden (vgl. § 35 Abs. 5 SGB V).49 Im Bereich der Krankenhausfinanzierung wurde das Vergütungssystem von tagesgleichen Pflegesetzen (vgl. § 13 BPflV) auf Fallpauschalen umgestellt (vgl. §§ 9 ff. KHEntgG), um einen Qualitäts- und Effizienzwettbewerb anzureizen.50 Allerdings handelt es sich sowohl beim Festbetragsystem als auch beim Fallpauschalensystem nicht um Formen der Einführung von dezentralen Markt- und Wettbewerbsmechanismen, sondern vielmehr um zentralisierte Formen der Regulierung, bei der Wettbewerb zum Zweck der Verwirklichung von Gesundheitssystemzielen instrumentalisiert wird.51 So werden die Festbetrags-

47 Vgl. Engelmann, VSSR 1999, S. 167 ff.; ders., NZS 2000, S. 213 ff.; Pitschas, VSSR 1999, S. 221 ff.; Haverkate, VSSR 1999, S. 177 ff.; Steinmeyer, Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, 2000, S. 19 ff., 69 ff.; Sauter/Ellerbrock, GesR 2007, S. 497 ff.; Kingreen, GesR 2006, S. 193 ff.; Hänlein/Kruse, NZS 2000, S. 165 ff. Siehe auch die Beiträge bei: Braun/Schulz-Nieswandt (Hrsg.), Liberalisierung im Gesundheitswesen, 2006; Klusen/Meusch (Hrsg.), Wettbewerb und Solidarität im europäischen Gesundheitsmarkt, 2006. 48 Vgl. Schulte, RPG 2007, S. 87 ff.; Straub/Pütz, Gesundheits- und Sozialpolitik 2004, S. 10 ff. 49 Steinmeyer, Festbeträge im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in: Mummenhoff (Hrsg.), Administrative Restriktionen in der Arzneimittelversorgung, 2002, S. 36 ff.; J. Fahlbusch, SGb 2003, S. 458 ff.; Koenig/Sander, Festbeträge für Arzneimittel auf dem Prüfstand des EG-Wettbewerbsrechts, in: Mummenhoff (Hrsg.), Administrative Restriktionen in der Arzneimittelversorgung, 2002, S. 67 ff. 50 Rübsamen, Verfassungsrechtliche Aspekte des Fallpauschalensystems im Krankenhauswesen (DRG-Vergütungssystem), 2008, S. 50 ff.; Henke, Ökonomische Grundlagen der Krankenhausreform in der Bundesrepublik Deutschland, in: Pitschas, R. (Hrsg.), Reform der stationären Krankenversorgung, 2003, S. 9 ff.; Pitschas, NZS 2003, S. 341 ff.; ders., Vergütung für stationäre Gesundheitsversorgung durch diagnosebezogene Fallpauschalen: in: ders. (Hrsg.), Reform der stationären Krankenversorgung 2003, S. 81 ff. 51 Vgl. Cassel, Wettbewerb in der Gesundheitsversorgung: Funktionsbedingungen, Wirkweise und Gestaltungsbedarf, in: Arnold/Klauber/Schellschmidt (Hrsg.), Krankenhaus-Report, 2002, S. 3 ff.; Bruckenberger/Klaue/Schwintowski, Krankenhausmärkte zwischen Regulierung und Wettbewerb, 2006, S. 109 ff., 203 ff.

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gruppen und Festbeträge vom Gemeinsamen Bundesausschuss und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen gem. § 35 Abs. 1 und 3 SGB V zentral und bundeseinheitlich festgelegt. Die Wirksamkeit der Festlegung von Festbetragsgruppen im Verfahren nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V hängt gem. § 94 SGB V von einer Nichtbeanstandung durch das Bundesgesundheitsministerium ab. Die Festbetragsfestsetzung durch die Spitzenverbände unterliegt gem. § 214 SGB V der Aufsicht durch das BGM, das auch eine Zweckmäßigkeitskontrolle durchführen kann. Ebenso werden die Fallpauschalen gem. §§ 9 und 10 KHEntgG von den Verbänden der Krankenkassen und Krankenhausträger auf der Bundes- und Landesebene einheitlich festgesetzt, wobei die Wirksamkeit der Vereinbarung auf der Landesebene gem. § 14 KHEntgG von der Genehmigung der zuständigen Landesbehörde abhängig ist. 3. Der Übergang zum dezentralen Vertragswettbewerb als Zäsur in der Entwicklung des Leistungserbringungsrechts Auch die Tendenzen zur Stärkung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen stehen damit zunächst im Kontext der allgemeinen Zentralisierungstendenzen im Gesundheitswesen. Eine neue Entwicklung hin zur Eröffnung von dezentralen vertraglichen Verhandlungsspielräumen der Krankenkassen zeichnet sich auf breiter Front erst mit dem GMG 2003 ab, das zur verstärkten Förderung von Gesundheitszentren, der Integrierten Versorgung und der hausarztzentrierten Versorgung führte und den Krankenkassen die Möglichkeit eröffnete, in diesen Bereichen selektive Direktverträge mit einzelnen Leistungsanbietern abzuschließen.52 Diese Entwicklungen sind mit der Gesundheitsreform 2007 nochmals verstärkt worden, sodass die Krankenkassen mittlerweile in praktisch allen Bereichen der Leistungserbringung über die Möglichkeit verfügen, unabhängig vom allgemeinen System selektive Versorgungsverträge abzuschließen.53 Die Implementierung von selektiven Versorgungsverträgen z. B. in Form von Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b SGB V), der besonderen ambulanten Versorgung (§ 73b SGB V), der besonderen stationären Versorgung (§ 116b SGB V), der Hilfsmittelversorgung (§ 127 SGB V), der Arzneimittelversorgung (§ 130 Abs. 8 SGB V) oder der Integrierten Versorgung (§§ 140a ff. SGB V) steht nach wie vor im Kontext der allgemeinen Tendenz zur Instrumentalisierung des Wettbewerbs zum Zweck der Verwirklichung der gesundheitspolitischen Systemziele der Gewährleistung einer angemessenen, qualitativ hochwertigen wirtschaftlichen Versorgung der gesetzlich Versicherten mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung.54 Anders als bei den älteren Verfahren der Markt- und

52 53 54

Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 10 ff. Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 136 ff. Rixen, VSSR 2005, S. 225 ff.; ders., GesR 2006, S. 49 ff.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

Wettbewerbsregulierung z. B. durch Festbeträge oder Fallpauschalen, setzt der Gesundheitsgesetzgeber nunmehr jedoch auf einen dezentralen Regelungsansatz, der es den einzelnen Krankenkassen ermöglichen soll, ihre Marktmacht zielgerichtet einzusetzen, um einzelnen Leistungserbringern Zug um Zug gegen Preisnachlässe und Qualitätsverbesserungen einen privilegierten Zugang zur Versorgung der gesetzlich Versicherten zu verschaffen.55 Mit der Umstellung der Organisation der Leistungserbringung auf neue Formen des Vertragswettbewerbs deutet sich im Recht des öffentlichen Gesundheitswesens eine zumindest partielle Abkehr von einem hierarchisch-kooperativen Steuerungsmodell an, das auf der Vorstellung umfassender Gesundheitssystemsteuerung durch das abstrakt-generelle Gesetz und einer im Wesentlichen auf Vollzugsfunktionen beschränkten Verwaltung beruht. Dem auf Regelanwendung fixierten Modell bürokratischer Steuerung wird leitbildhaft das an privatwirtschaftlichen Modellen orientierte Konzept der Krankenkassen als Dienstleistungsunternehmen entgegengesetzt, die sowohl untereinander als auch mit privaten Krankenkassen im Wettbewerb stehen und im Leistungserbringungssektor neben Verwaltungs- gerade auch Gestaltungsfunktionen übernehmen sollen.56 4. Der Markteintritt der gesetzlichen Krankenkassen als Nachfrager zwischen staatlicher Steuerung und funktionalen Binnenmarktzielen Die schrittweise Umstellung der sozialen Leistungserbringung im öffentlichen Gesundheitswesen auf ein reguliertes Marktmodell mit Vertragswettbewerb kann allerdings nicht mit einem generellen Rückzug des Staates aus der Verantwortung für die öffentliche Gesundheitsversorgung gleichgesetzt werden.57 Vielmehr handelt es sich auch beim Vertragswettbewerb im Gesundheitswesen um ein gesundheitsrechtliches Steuerungsinstrument, das der Gesetzgeber zur Erreichung gesundheits- und sozialpolitischer Systemziele ergänzend neben dem bisherigen hoheitlich-kooperativen Steuerungsinstrumentarium einsetzt. Durch den zielgerichteten dezentralen Einsatz staatlicher bzw. staatsnaher Nachfragemacht sollen Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsreserven erschlossen werden, die aufgrund der diagnostizierten Fehlsteuerungen des bisherigen kooperatistischen Zulassungs-, Planungs- und Vergütungssystems nicht zu realisieren waren.58 Gerade indem der Gesundheitsgesetzgeber den steuernden Zugriff auf die gesetzlichen Krankenkassen lockert und diesen erweiterte austauschvertragliche Handlungsspielräume

55 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 15 ff. 56 Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff. 57 Kingreen, SGb 2008, S. 437 (440). 58 Rixen, VSSR 2005, S. 225 ff.; Ebsen, Soziale Sicherheit 2003, S. 128 ff.

B. Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens im System des SGB V

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verschafft, eröffnet er andererseits den gesetzlichen Krankenkassen als Verwaltungsträgern erweiterte autonome Steuerungsmöglichkeiten im Verhältnis zu den gesetzlich Versicherten und den Leistungserbringern.59 Der über das Instrument selektiver Versorgungsverträge mediatisierte Markteintritt der gesetzlichen Krankenversicherungsträger auf der Nachfrageseite der Märkte für Gesundheitsdienstleistungen erweist sich denn auch sowohl für die gesetzlich Versicherten als auch für die Leistungserbringer als folgenreich. So kann der Markteintritt der gesetzlichen Krankenkassen einerseits in ein Spannungsverhältnis mit der Wahlfreiheit der gesetzlich Versicherten geraten, deren Stellung als Nachfrager auf den Märkten für Gesundheitsdienstleistungen zunehmend durch den zielgerichteten Einsatz der Nachfragemacht der gesetzlichen Krankenkassenträger eingeschränkt wird.60 Demgegenüber sind die Leistungserbringer unter den besonderen Bedingungen der überwiegend öffentlich finanzierten Märkte notwendig auf den Zugang zu den öffentlich finanzierten Systemen angewiesen, um ihre Berufsfreiheit ausüben zu können.61 Das Vordringen des Individualvertrags als sozialrechtliche Handlungsform wirft damit zwangsläufig auch die Frage nach geeigneten prozeduralen und materiellen Regeln auf, die einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Krankenkassen, gesetzlich Versicherten und Leistungserbringern und einen effektiven Schutz subjektiver Rechte unter den Bedingungen des Wandels der staatlichen Steuerungsformen gewährleisten.62 Dabei sind durch den Markteintritt der gesetzlichen Krankenkassen nicht nur grundrechtliche Gewährleistungen des einzelstaatlichen Rechts, sondern auch europäische subjektive Rechte, insbesondere die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt, berührt. Neben Rechtsschutzfragen grundrechtlicher und sozialrechtlicher Natur63 stellt sich im öffentlichen Gesundheitswesen damit insbesondere auch die Frage nach unionsrechtlichen Implikationen der Einführung neuer Formen des Vertragswettbewerbs in der GKV.64 Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Grundfreiheiten, das sekundäre Binnenmarktrecht, einschließlich des Vergaberechts, sowie für das europäische Wettbewerbsrecht.

59 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 15 ff. 60 Kingreen, SGb 2008, S. 437 (440 f.). 61 Rixen, VSSR 2005, S. 225 ff. 62 Kingreen, SGb 2008, S. 437 (440); Kingreen/Rixen, DÖV 2008, S. 741 ff. 63 Hierzu: Kingreen, SGb 2008, S. 437 (440 ff.). 64 Kingreen, SGb 2004, S. 659 ff.; Klöck, NZS 2008, S. 178 ff.; Koenig/Klahn/Schreiber, ZESAR 2008, S. 5 ff.; Koenig/Engelmann/Hentschel, MedR 2003, S. 562 ff.; Rixen, GesR 2006, S. 49 ff.; Stelzer, ZESAR 2004, S. 269 ff.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

C. Die Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens im System der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen I. Das öffentliche Gesundheitswesen im Kontext der unionsrechtlichen Überformung der Systeme der öffentlichen Daseinsvorsorge Die Mitgliedstaaten sind bei der sozialrechtlichen Regulierung des öffentlichen Gesundheitswesens mittlerweile in mannigfaltige unionsrechtliche Regelungszusammenhänge eingebunden, die von der gesundheits- und sozialpolitischen Koordinierung und Rechtsangleichung über die Kontrolle der Grundfreiheiten und des Wettbewerbs- und Beihilferechts bis hin zur Binnenmarktharmonisierung reichen.65 Auch wenn die Bedeutung der sektorpolitischen Koordinierung und Rechtsangleichung nicht unterschätzt werden sollten, gehen doch die wesentlichen Impulse für die rechtliche Integration im Gesundheitswesen nach wie vor in erster Linie vom europäischen Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht aus. Fragen der Anwendbarkeit der Grundfreiheiten des Binnenmarktes und des Wettbewerbsrechts, aber auch des sekundären Binnenmarktrechts auf das öffentliche Gesundheitswesen zählen denn auch zu den „Dauerbrennern“ der rechtswissenschaftlichen Diskussion.66 Die gerade für die gesetzliche Krankenversicherung kennzeichnende Annäherung an das Modell eines überwiegend öffentlich finanzierten, besonderes regulierten Wettbewerbsmarktes legt gerade auch aus europarechtlicher Sicht zunächst den rechtlichen Vergleich mit anderen besonderen Sektoren der öffentlichen Daseinsvorsorge nahe.67 Indessen bestehen zwischen der Regulierung der Märkte für gesetzliche Krankenversicherungs- und 65 Vgl. Zimmermann, WATTS going on? – Der europäische Gesundheitsmarkt und wie die europäische Gesundheitspolitik die nationalen Gesundheitssysteme beschäftigt, in: Klusen/Meusch (Hrsg.), Wettbewerb und Solidarität im europäischen Gesundheitsmarkt, 2006, S. 104 ff. 66 Ramsauer, NZS 2006, S. 505 ff.; Haverkate, VSSR 1999, S. 177 ff.; T. Schmidt, GesR 2007, S. 295 ff.; Giesen, Die Vorgaben des EG-Vertrags für das internationale Sozialrecht, 1999, S. 113 ff.; ders., SGb 1994, S. 63 ff.; Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Spielräume der Mitgliedstaaten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2006, S. 290 ff.; Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 311 ff., 482 ff.; K. Fahlbusch, Ambulante ärztliche Behandlung in Europa, 2006, S. 253 ff.; Schenke, WiVerw 2006, S. 34 ff.; Cassel, Wettbewerb in der Gesundheitsversorgung, in: Arnold/Klauber/Schellschmidt (Hrsg.), Krankenhaus-Report, 2002, S. 3 ff.; Hänlein/Kruse, NZS 2000, S. 165 ff.; Steinmeyer, Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen. Kartellrechtliche Beschränkungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2000; Engelmann, VSSR 1999, S. 167 ff. 67 Vgl. etwa: Pitschas, Deutsches und europäisches Gesundheitsrecht zwischen öffentlich-rechtlicher Wettbewerbsordnung und Verbraucherschutz. Soziale Krankenversicherung als Ausnahmebereich des Art. 86 Abs. 2 EGV, in: Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung 2000, S. 199 ff.

C. Märkte im System der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen

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Gesundheitsdienstleistungen und der Regulierung z. B. des Telekommunikationssektors auch normative relevante Differenzen. Die hybride Struktur der gesetzlichen Krankenversicherung, die einerseits in ihrer Gesamtheit nach wie vor ein soziales Sicherungs- und Gesundheitsversorgungssystem konstituiert, andererseits aber auch besonders regulierte Märkte für Krankenversicherungs- und Gesundheitsdienstleistungen konstituiert, spiegelt sich gleichsam in einigen Besonderheiten der Rechtsprechung des EuGH zur Stellung der sozialrechtlich besonders regulierten Krankenversicherungs- und Gesundheitsmärkte im System des Binnenmarkt- und Wettbewerbsrechts wider, die neben einigen Gemeinsamkeiten auch signifikante Differenzen zur Rechtsprechung zu anderen besonders regulierten Märkten aufweist. So hat der EuGH die Marktöffnung im europäischen Binnenmarkt für gesetzliche Krankenversicherungs- und Gesundheitsdienstleistungen nicht so sehr über das Wettbewerbs- und Beihilferecht68 als vielmehr in erster Linie über die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit und damit über die Grundfreiheiten des Binnenmarktes vorangetrieben,69 deren Anwendung auf die öffentlich finanzierten Gesundheitssysteme wiederum die Eröffnung der Binnenmarktkompetenzen des Unionsgesetzgebers nach sich zieht.70 Diese allgemeine Tendenz zeigt sich sowohl mit Blick auf die gesetzlichen Krankenversicherungsmärkte als auch mit Blick auf die öffentlich finanzierten Gesundheitsversorgungsmärkte.71

II. Arbeitnehmerfreizügigkeit und Sozialrechtskoordinierung als traditioneller unionsrechtlicher Bezugsrahmen des öffentlichen Gesundheitswesens Mit dem Begriff des Binnenmarktes wird typischerweise vor allem die Gewährleistung des freien Warenverkehrs- und Dienstleistungsverkehrs assoziiert. Der Binnenmarkt umfasst jedoch seit jeher auch eine sozialrechtliche Dimension, die in besonderer Deutlichkeit im Bereich des freien Personenverkehrs (Ar68 EuGH, verb. Rs. C-159/91 u. C-160/91 (Poucet u. Pistre) Slg. I-637; EuGH, Rs. C-244/94 (Fédération française) Slg. 1995, 4013; EuGH, C-67/96 (Albany) Slg. 1999, I-5751; EuGH, Rs. C-218/00 (INAIL) EuZW 2002, 146; EuGH, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. C-355/01 (AOK Bundesverband) Slg. 2004, I-2493; siehe auch EuG, Rs. T-319/99 (FENIN) Slg. 2003, II-357; EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 62 f. 69 EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 17 ff.; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831, Rn. 21 ff. EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 64 ff.; EuGH, Rs. C-368/98 (Vanbreakel) Slg. 2001, I-5363; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet), Slg. 2003, I-4509; hierzu: Frenz, MedR 2004, S. 296 ff. 70 Siehe oben 2. Kapitel, B. III. und C. IV. 2. 71 Zur Stellung der öffentlichen Gesundheitsmärkte im System des Wettbewerbs- und Beihilferechts siehe näher unten 4. Kapitel, D.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

beitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit) zutage tritt.72 Die Personenverkehrsfreiheiten des Binnenmarktes gewährleisten, ergänzt durch die allgemeinen Unionsbürgerrechte auf Freizügigkeit und Nichtdiskriminierung, neben und mit der Freiheit des Marktzugangs auch einen Anspruch aller Unionsbürger zum diskriminierungsfreien Zugang zu grundsätzlich allen Leistungen der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit, einschließlich des Zugangs zu den gesetzlichen Sozialversicherungs- und Gesundheitsversorgungssystemen in allen Mitgliedstaaten, in denen sie rechtmäßig ihren Aufenthalt wählen.73 Im Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit konkretisieren sich diese Ansprüche durch die auf Grundlage von Art. 42 EG (nunmehr Art. 48 AEU) erlassene VO 1408/71/EWG bzw. die nachfolgende VO 883/ 2004/EG über die Koordinierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit.74 Die VO 883/2004/EG erfasst in ihrem persönlichen Anwendungsbereich sämtliche nach nationalem Recht sozial leistungsberechtigte Unionsbürger. Ihr sachlicher Anwendungsbereich erfasst im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sowohl die Märkte für Krankenversicherungsleistungen als auch die nachgelagerten Märkte der Leistungserbringer. So haben Unionsbürger einerseits gem. Art. 4 VO 883/2004/EG einen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zu den gesetzlichen Krankenversicherungssystemen aller Mitgliedstaaten, in denen sie rechtmäßig ihren Aufenthalt wählen. Andererseits gewährt die VO 883/2004/EG nach Maßgabe der Art. 17 ff. VO 883/2004/EG unter bestimmten Voraussetzungen auch einen grenzüberschreitenden Zugang zu den Märkten der Leistungserbringung. Der EuGH hat den sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich der Sozialrechtskoordinierung auch im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens kontinuierlich erweitert und neben der seit jeher erfassten Kranken- und Unfallversicherung auch die gesetzliche Pflegeversicherung in deren Anwendungsbereich einbezogen und damit grenzüberschreitend geöffnet.75 Im Gegensatz zur VO 1408/17/EWG ist der Anspruch auf grenzüberschreitenden Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen der Beschäftigungs- bzw. Aufenthaltsstaaten nach Maßgabe der VO 883/2004/EG mittlerweile nicht mehr auf bestimmte Berufsgruppen (Arbeitnehmer, Freiberufler etc.) begrenzt, sondern erfasst grundsätzlich alle Unionsbürger. Umgekehrt sind einzelstaatliche Maßnahmen, die z. B. Grenzgänger vom Zugang zu einzelnen Zweigen der Sozialversicherung, wie z. B. der Pflegeversicherung, ausschließen, unanwendbar.76 Allerdings beschränken sich die Wirkungen der VO 883/2004/EG allein auf den 72 Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, 1999, S. 82 ff.; Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S. 45 ff. 73 Kanitz/Steinberg, EuR 2003, S. 1013 (1016 ff.); Kingreen, EuR Beiheft 1 (2007), S. 43 ff. 74 Vgl. Eichenhofer, Sozialrecht, 7. Aufl. 2006, S. 49 ff. 75 Vgl. EuGH, Rs. C-160/96 (Molenaar) Slg. 1998, I-843. 76 Vgl. Eichenhofer, Sozialrecht, 7. Aufl. 2006, S. 51 ff.

C. Märkte im System der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen

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grenzüberschreitenden Zugang zu den einzelstaatlichen Krankenversicherungssystemen und deren grenzüberschreitende Koordinierung. Kompetenzen zur Angleichung des einzelstaatlichen Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenkassen (Sozialversicherungspflicht, Beitragssätze, Leistungskataloge) ergeben sich dagegen aus Art. 48 AEU nicht.77

III. Die Märkte für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen im System des Binnenmarktrechts 1. Zur Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit auf die Märkte für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen Das traditionelle System der Kollisionsnormen der europäischen Sozialrechtskoordinierung setzt das Bestehen solidarisch finanzierter Pflichtversicherungssysteme in den Mitgliedstaaten ganz selbstverständlich voraus und baut auf diesen Systemen auf. Daher stehen gesetzliche Sozialversicherungspflichten auch nicht etwa im Widerspruch zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern bilden den Rahmen, der es den Unionsbürgern aus sozialrechtlicher Sicht gerade ermöglicht, von ihren Freizügigkeitsrechten Gebrauch zu machen, ohne hierbei den Verlust sozialer Rechte befürchten zu müssen.78 Die Arbeitnehmerfreizügigkeit zielt, wie sich aus Art. 48 AEU zwanglos ergibt, auf die Gewährleistung der Mobilität im Binnenmarkt durch grenzüberschreitende Sicherung sozialer Rechte, nicht aber durch Freistellung von sozialem Schutz. Damit stehen gesetzliche Sozialversicherungspflichten bei funktionaler Betrachtung auch nicht im Widerspruch zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern werden von dieser ganz selbstverständlich als zulässiges sozialrechtliches Instrument des Arbeitnehmerschutzes vorausgesetzt. Umgekehrt führt jedoch der Ausschluss von Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten von den gesetzlichen Sozialversicherungssystemen des Beschäftigungs- bzw. Aufenthaltstaates regelmäßig zu einem Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. die sekundärrechtlichen Vorschriften der VO 1408/71/EWG bzw. der VO 883/2004/EG.79 Das Bestehen solidarisch finanzierter gesetzlicher Krankenversicherungssysteme berührt, unbeschadet und gerade wegen ihrer sozialen Schutzfunktion, allerdings zwangsläufig den Dienstleistungsverkehr im europäischen Binnenmarkt für Versicherungsdienstleistungen. Die damit angesprochene Frage der Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf die gesetzliche Krankenversicherung stand lange Zeit etwas im Schatten der wettbewerbsrechtlichen Diskussion und wurde teilweise als eine Art Annexprob77 EuGH Rs. C-12/93 (Drake) Slg. I-1994, 4337, Rn. 27; Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 308 f., 503 ff. 78 Vgl. Kingreen, EuR Beiheft 1 (2007) S. 43 ff. 79 Vgl. EuGH Rs. C-160/96 (Molenaar) Slg. 1998, I-843.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

lem zur Frage der Anwendung des Wettbewerbsrechts diskutiert. Entsprechend kreiste die Diskussion um die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit vor allem darum, ob es sich bei solidarischen Sozialversicherungsdienstleistungen um Dienstleistungen wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Natur handele.80 Diese Überlegungen treffen zwar insoweit das Richtige, als auch die Dienstleistungsfreiheit nur wirtschaftliche Dienstleistungen erfasst, weswegen rein hoheitliche Tätigkeiten nichtwirtschaftlicher Art nicht in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit fallen.81 Im Gegensatz zum „unternehmensbezogenen“ Wettbewerbsrecht kommt es für die Anwendbarkeit der „staatsbezogenen“ Regelungen der Dienstleistungsfreiheit jedoch gerade nicht darauf an, ob die gesetzlichen Sozialversicherungsträger selbst unternehmerische, d. h. wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben. Vielmehr ist allein maßgeblich, ob eine hoheitliche Regelung, im Fall der Sozialversicherung also die gesetzliche Sozialversicherungspflicht, geeignet ist, den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr zu beschränken.82 Demzufolge liegt z. B. auch dann eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit vor, wenn ein Mitgliedstaat eine bestimmte Dienstleistungstätigkeit, wie z. B. den Betrieb von Glücksspielen, auf seinem Hoheitsgebiet ganz untersagt.83 In diesem Fall finden im Zielstaat im betroffenen Sektor keinerlei wirtschaftliche Tätigkeiten statt. Ebenso liegt keine Diskriminierung vor, da inländische wie ausländische Dienstleistungsunternehmen gleichermaßen am Marktzugang gehindert sind. Gleichwohl wird durch ein Glücksspielverbot der Marktzugang von Dienstleistungsunternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten zum Markt zugelassen sind, durch hoheitliche Regelungen objektiv beschränkt. Dies genügt für einen Eingriff in den Tatbestand des Art. 56 AEU als Beschränkungsverbot. Eine ähnliche Beschränkungslage ist auch mit gesetzlichen Sozialversicherungspflichten verbunden, soweit es um den Binnenmarkt für Versicherungsdienstleistungen geht. Einerseits sind gesetzlich Sozialversicherungspflichtige, soweit die Sozialversicherungspflicht reicht, daran gehindert, grenzüberschreitend vergleichbare entgeltliche Dienstleistungen privater Krankenversicherungsunternehmen in Anspruch zu nehmen. Umgekehrt können private Versicherungsunternehmen keinen Zugang zu den durch die Sozialversicherungspflicht „geschlossenen“ Marktsegmenten erlangen.84

80 Vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 491 f.; Schulz, ZESAR 2005, S. 13 ff. Zur „Konnexität“ des funktionellen Unternehmensbegriffs des EU-Wettbewerbsrechts und dem Begriff wirtschaftlicher Dienstleistungen i. S. v. Art. 49 EG auch: M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (367 f.). 81 EuGH Rs. 263/86 (Humbel) Slg. 1988, 5365, Rn. 17 ff.; EuGH Rs. C-109/92 (Wirth) Slg. 1993, I-6447, Rn. 17. 82 Vgl. Giesen, ZESAR 2009, S. 311 (317); Penner, ZESAR 2009, S. 411 (417 ff.). 83 EuGH Rs. C-275/92 (Schindler) Slg. 1994, I-1039, Rn. 44 f. 84 Vgl. Giesen, ZESAR 2009, S. 311 (317); Penner, ZESAR 2009, S. 411 (417 ff.); kritisch hierzu: M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (367 f.).

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2. Die Entscheidung des EuGH in der Rs. Garcia zur Unanwendbarkeit der Versicherungsrichtlinie 92/49/EWG auf die gesetzliche Krankenversicherung Angesichts der objektiv marktzugangsbeschränkenden Wirkungen gesetzlicher Sozialversicherungspflichten auf den europäischen Versicherungsmärkten liegt eine Anwendung der Dienstleistungsfreiheit und ggf. auch der einschlägigen sekundärrechtlichen Versicherungsrichtlinien nahe, wenn und soweit deren tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind.85 Im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung tendierte der EuGH gleichwohl zunächst zu einer zurückhaltenden Rechtsprechungslinie. Einerseits hat der EuGH die Frage nach der Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit auf die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme der Mitgliedstaaten lange Zeit offengelassen.86 Andererseits hat der Gerichtshof auf der sekundärrechtlichen Ebene in der Rs. Garcia die Anwendbarkeit der RL 92/49/EWG (Dritte Richtlinie Schadensversicherung) auf die solidarisch finanzierten gesetzlichen Krankenversicherungssysteme der Mitgliedstaaten ausdrücklich abgelehnt, da diese Richtlinie sowohl ihrem Sinn und Zweck als auch ihrem Wortlaut nach nicht auf die Harmonisierung der gesetzlichen Krankenversicherungssysteme der Mitgliedstaaten gerichtet sei.87 Die Entscheidung des EuGH in der Rs. Garcia ist im Ergebnis schon deswegen nicht zu beanstanden, da die RL 92/49/EWG nach ihrem Wortlaut und dem Willen des Unionsgesetzgebers erkennbar nicht auf gesetzliche Sozialversicherungssysteme der Mitgliedstaaten Anwendung finden sollte.88 Aus dieser Entscheidung zu einem bestimmten speziellen Rechtsakt des Sekundärrechts kann indes grundsätzlich noch nicht auf die Reichweite der primärrechtlichen Gewährleistungen der Dienstleistungsfreiheit und der korrespondierenden Kompetenznormen aus Art. 53 i.V. m. 62 AEU zurückgeschlossen werden. Gleichwohl wurde die Rs. Garcia im Schrifttum teilweise dahin gehend interpretiert, dass auch eine Anwendung der primärrechtlichen Gewährleistungen des Art. 56 AEU auf die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme nicht in Betracht komme. Diese Schlussfolgerung wurde vor allem auf eine Äußerung des Generalanwalts im Schlussabtrag zur Rs. Garcia gestützt, die sich explizit auf das der RL 92/49/EG zugrunde liegende Primärrecht beziehen. Der Generalanwalt weist darauf hin, dass die dritte Richtlinie in Übereinstimmung mit den Zielen, die mit ihr verfolgt werden, auf der Grundlage der Bestimmungen des Vertrages erlassen wurde, die der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit dienen, während das Gebiet der sozialen Sicherheit von anderen, besonderen Bestimmungen geregelt wird.89 Der 85

In diesem Sinne: Giesen, ZESAR 2009, S. 311 (317). M. Fuchs, NZS 2002, S. 337 ff. 87 EuGH, Rs. C-238/94 (García), Slg. 1996, I-1679; vgl. RL 92/49/EWG ABl. EG 1992 Nr. L 228/1. 88 Hierzu: M. Fuchs, NZS 2002, S. 337 (338 f.). 89 GA Rs. C-238/94 (Garcia) Slg. 1996, I-1675, Rn. 9. 86

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

EuGH nimmt in seiner Entscheidung ausdrücklich auf diese Äußerung des Generalanwalts Bezug und betont ebenfalls, dass die Dritte Schadensrichtlinie 92/49/ EWG „den Bereich der sozialen Sicherheit nicht regeln konnte, der vielmehr anderen Bestimmungen des Unionsrechts (namentlich den Art. 45 und 48 AEU, Anmerkung des Verfassers) unterliegt“.90 3. Die Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit auf die gesetzliche Krankenversicherung in der Rs. Kattner Mittlerweile hat der EuGH seine Rechtsprechungslinie in Bezug auf die Einbeziehung der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit jedoch verändert. Als Meilenstein erweist sich die Entscheidung des EuGH vom 05.03.2009 in der Rs. C-350/07 (Kattner),91 nach der das solidarisch finanzierte System der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit fällt.92 Mit der Entscheidung zur deutschen Unfallversicherung wendet der EuGH die Dienstleistungsfreiheit erstmals ausdrücklich auf ein solidarisch finanziertes, auf Pflichtmitgliedschaft beruhendes Sozialversicherungssystem an und gibt damit seine noch in der Rs. Garcia erkennbare Zurückhaltung hinsichtlich der Einbeziehung von Sozialversicherungsträgern in das System des Binnenmarktrechts auf.93 Die Entscheidung ist im Schrifttum teilweise heftig kritisiert worden.94 Sie erweist sich gleichwohl im Ergebnis als folgerichtig. Zwar stellen gesetzliche Sozialversicherungspflichten keine diskriminierenden Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Vielmehr sind die gesetzlich Versicherten unterschiedslos daran gehindert, inländische oder ausländische private Versicherungsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen, soweit die gesetzliche Sozialversicherungspflicht reicht. Umgekehrt wird inländischen wie ausländischen Versicherungsunternehmen unterschiedslos der Marktzugang zu den durch die Sozialversicherungspflicht erfassten Marktsegmenten verwehrt. Die Dienstleistungsfreiheit erfasst allerdings nicht nur Diskriminierungen, sondern auch objektive Marktzugangsschranken durch unterschiedslos anwendbares innerstaatliches Recht.95 Die 90

EuGH, Rs. C-238/94 (Garcia) Slg. 1996, I-1679, Rn. 13. EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, S. 1325 ff. 92 Vgl. EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 80 f.; hierzu: Giesen, ZESAR 2009, S. 311 (313); Penner, ZESAR 2009, S. 411 (417); M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (368 ff.); Röbke, EWiR, 2009, S. 457 (457 f.). 93 Zustimmend: Giesen, ZESAR 2009, S. 311 (313); Penner, ZESAR 2009, S. 411 (417); kritisch insoweit M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (368 ff.); Röbke, EWiR, 2009, S. 457 f. 94 M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (368 ff.); Röbke, EWiR, 2009, S. 457 f. 95 Zur Dienstleistungsfreiheit als Beschränkungsverbot: EuGH, Rs. C-205/99 (Analir) Slg. 2001, I-1271, Rn. 21; EuGH, Rs. C-94/04 (Cipolla) Slg. 2006, I-11421, Rn. 56. 91

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Sozialversicherungspflicht führt notwendig zu objektiven Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt, da die gesetzlich Versicherungspflichtigen gehindert werden, grenzüberschreitend private Versicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen, die im Hinblick auf das abgesicherte Risiko einen vergleichbaren Schutz bieten könnten.96 Zudem beschränkt die gesetzliche Sozialversicherungspflicht auch die aktive Dienstleistungsfreiheit von Versicherungsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten, da diese aus gleichen Gründen am grenzüberschreitenden Markzugang gehindert werden.97 4. Mitgliedstaatliche Regulierung der gesetzlichen Krankenversicherungsmärkte – Rechtfertigungsfähigkeit der Sozialversicherungspflicht Die gesetzliche Sozialversicherungspflicht kann jedoch unbeschadet ihrer marktzugangsbeschränkenden Wirkung unionsrechtlich rechtfertigungsfähig sein.98 Da es sich bei der Sozialversicherungspflicht um eine objektive „nicht diskriminierende“ Marktzutrittsschranke handelt, kommt neben den ausdrücklich im Vertrag normierten Rechtfertigungsgründen der Art. 51 EG und 52 i.V. m. Art. 62 AEU (ex-Art. 45 und 46 i.V. m. 55 EG) auch die Anwendung zwingender ungeschriebener Allgemeinwohlerfordernisse als möglicher Rechtfertigungsgrund in Betracht.99 Die Gewährleistung sozialer Sicherheit und die finanzielle Stabilität von mitgliedstaatlichen Systemen der sozialen Sicherheit zählen zu den durch den EuGH in ständiger Rechtsprechung anerkannten ungeschriebenen zwingenden Erfordernissen, welche die Aufrechterhaltung von Marktzugangsschranken vorbehaltlich einer Harmonisierung rechtfertigen können.100 Da die Organisation solidarischer sozialer Sicherungssysteme ohne eine Versicherungspflicht nicht auskommt, die auch wirtschaftlich leistungsfähigere Versichertengruppen erfasst, kann die Sozialversicherungspflicht zur Gewährleistung der finanziellen Stabilität solidarischer Sozialversicherungssysteme als erforderlich und damit als gerechtfertigt angesehen werden.101 Damit können die Mitgliedstaaten – vorbehalt96 EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 83; vgl. auch EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 33; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 61. 97 EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 82. 98 Siehe oben 2. Kapitel, B. V. 99 Hierzu allgemein: Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, 1995, S. 159. 100 EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 41; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 72; EuGH, Rs. C-444/05 (Stamatelaki) Slg. 2007, I-3185, Rn. 30; Giesen, Unfallversicherungsmonopol und EG Vertrag, ZESAR 2009, S. 311, 317 ff.; Penner, ZESAR 2009, S. 411, (417 ff.); M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (370 ff.). 101 EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 85 ff.; zustimmend: M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (370 ff.); kritisch: Giesen, ZESAR 2009, S. 311 (318 f.).

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lich einer Harmonisierung – nach wie vor auf einzelstaatlicher Ebene gesetzliche Sozialversicherungspflichten im Rahmen der Regulierung ihrer Versicherungsmärkte vorsehen.102 5. Rechtsangleichung im Binnenmarkt für Krankenversicherungsleistungen Die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf gesetzliche Sozialversicherungssysteme scheint auf den ersten Blick zu keinen allzu großen Änderungen der Rechtslage zu führen, da die Sozialversicherungspflicht im Ergebnis aufrechterhalten werden kann.103 Die eigentliche Brisanz der Entscheidung liegt freilich auf der Ebene der kompetenzrechtlichen Folgewirkungen der Erweiterung des Anwendungsbereichs des Art. 56 AEU. Die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf die Sozialversicherungspflicht hat grundsätzlich zur Folge, dass zugleich auch die entsprechenden Binnenmarktkompetenzen des Unionsgesetzgebers aus Art. 53 Abs. 1 und 2 AEU i.V. m. 62 AEU anwendbar sind.104 Damit stellt sich die Frage nach den Implikationen dieser Entscheidung für das Verhältnis der im Krankenversicherungssektor einschlägigen Unionskompetenzen zueinander und nach der Reichweite der neu eröffneten Harmonisierungskompetenzen des Unionsgesetzgebers. a) Kompetenzen zur Sozialrechtskoordinierung und aus der EU-Sozialpolitik gem. Art. 48 AEU und 153 AEU Die gesetzlichen Krankenversicherungssysteme fallen nach Maßgabe des Vertrags zunächst in den Anwendungsbereich der Kompetenzen des Unionsgesetzgebers zur Sozialrechtskoordinierung (Art. 48 AEU) und zur sozialpolitischen Rechtsangleichung im Bereich der sozialen Sicherheit (Art. 153 Abs. 1c, Abs. 2 AEU), die durch den Vertrag von Lissabon teilweise neu gefasst wurden. Art. 48 AEU begründet eine Kompetenz des Unionsgesetzgebers zur zwischenstaatlichen Sozialrechtskoordinierung, insbesondere in Bezug auf die Zusammenrechnung von Sozialversicherungszeiten und den Sozialleistungsexport, die in Bezug auf die hier interessierenden Märkte für Krankenversicherungsleistungen insbesondere die Zuständigkeit zur Gewährleistung des Zugangs der Unionsbürger zu den gesetzlichen Krankenversicherungssystemen sämtlicher Mitgliedstaaten umfasst, in denen diese rechtmäßig ihren Aufenthalt wählen (vgl. Art. 4 VO 883/2004/ 102 Als weitere Rechtfertigungsgründe nennt der EuGH die Gewährleistung eines sozialen Mindestschutzes, Präventionsgesichtspunkte sowie das – fragwürdige – Kriterium der traditionellen Zuordnung der Unfallversicherung zu den Systemen der sozialen Sicherung. Hierzu näher: M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (370 ff.) kritisch: Giesen, ZESAR 2009, S. 311 (317 ff.). 103 Vgl. Kirchberg, NJW 2009, S. 1313 ff.; vgl. auch Schulz, ZESAR 2005, S. 13 ff. 104 Vgl. oben 2. Kapitel, C. I. und III.

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EG).105 Anders als die Vorgängernorm des Art. 42 EG, erstreckt Art. 48 AEU diese Kompetenz explizit auch auf Selbstständige und trägt so Veränderungen der nationalen Systeme sozialer Sicherheit Rechnung.106 Auf der verfahrensrechtlichen Ebene ist ein Übergang zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erfolgt, womit zugleich eine Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip einhergeht, wobei in Art. 48 Abs. 2 AEU nach wie vor ein – temporärer Aussetzungsvorbehalt – vorgesehen ist. Die Reichweite der Kompetenzen aus Art. 48 AEU ist allerdings von vornherein auf die Angleichung des zwischenstaatlichen Sozialrechts und ein System von Kollisionsnormen beschränkt, das über das jeweils anwendbare nationale Recht entscheidet.107 Dagegen umfasst Art. 48 AEU weder eine Kompetenz zur Angleichung des materiellen einzelstaatlichen Sozialleistungsrechts, etwa in Bezug auf Sozialversicherungspflichten, Beitragssätze oder Leistungsstandards, noch kann aus Art. 48 AEU eine Kompetenz zur Angleichung des innerstaatlichen sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens oder der Verwaltungsorganisation der staatlichen Krankenversicherungsträger abgeleitet werden.108 Neben den Koordinierungskompetenzen aus Art. 48 AEU verfügt der Unionsgesetzgeber allerdings nach Maßgabe von Art. 153 Abs. 1c, Abs. 2 AEU auch über eine Kompetenz zur begrenzten Harmonisierung im Bereich der innerstaatlichen Systeme sozialer Sicherheit. Diese ist freilich gem. Art. 153 Abs. 2b AEU von vornherein auf Mindeststandards begrenzt. Sie steht zudem unter dem Finanzierungs- und Kompetenzvorbehalt des Art. 153 Abs. 4 AEU.109 Schwerer als diese materiell-rechtlichen bzw. kompetenzrechtlichen Restriktionen wiegt allerdings das für den Bereich der sozialen Sicherheit nach wie vor bestehende Einstimmigkeitsprinzip, das die praktische Relevanz dieser Kompetenz stark einschränkt. Insgesamt sind die Kompetenzen des Unionsgesetzgebers aus Art. 48 AEU und Art. 153 AEU damit nach wie vor relativ eng begrenzt.110 b) Rechtsangleichung zur Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 53 Abs. 1 und 2 AEU i. V. m. 62 AEU Angesichts der nach wie vor bestehenden Restriktionen im Bereich der Art. 48 AEU und Art. 153 AEU kommt der Einbeziehung der gesetzlichen Sozialver105 Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 308 f. 106 Vgl. Eichenhofer, Sozialrecht, 7. Aufl. 2006, S. 50 f. 107 Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 503 f. 108 Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 308 f., 507 f. 109 Vgl. zur Reichweite der inhaltlich ähnlich ausgestalteten Vorläufernorm des Art. 137 EG: M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (369 f.). 110 Zu den Kompetenzen der Union aus den Vorläufernormen des Art. 42 und 137 EG und ihrem Verhältnis zu den Kompetenzen der Mitgliedstaaten: M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (369 f.).

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sicherung in die Dienstleistungsfreiheit und damit in den Anwendungsbereich der besonderen Binnenmarktkompetenzen aus Art. 53 Abs. 1 und 2 AEU i.V. m. 62 AEU besondere Bedeutung zu. Dem Unionsgesetzgeber wird nunmehr jedenfalls potenziell die Möglichkeit eröffnet, auch im Kernbereich des Sozialversicherungsrechts im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 294 AEU eine sozialrechtliche Harmonisierung durchzuführen.111 Die Implikationen der sich damit andeutenden, potenziell durchaus einschneidenden Veränderung im europäischen Kompetenzgefüge lassen sich allerdings noch nicht im Einzelnen abschätzen. Grundsätzlich sind die Rechtsangleichungskompetenzen aus Art. 53 Abs. 1 i.V. m. 62 sehr weit gefasst, was sich z. B. an der allgemeinen Dienstleistungsrichtlinie, aber auch an den Versicherungsrichtlinien zeigt, die auf dieser Grundlage erlassen worden sind.112 Werden die allgemein geltenden Maßstäbe zur Bestimmung der Reichweite der Binnenmarktkompetenzen angelegt, so könnte der Binnenmarktgesetzgeber das gesetzliche Sozialversicherungsrecht – angefangen von der Ausgestaltung der Sozialversicherungspflicht selbst über die sozialen Leistungsstandards bis hin zum Beitragsrecht – jedenfalls insoweit harmonisieren, wie durch die Angleichung von Unterschieden im einzelstaatlichen Sozialrecht zugleich auch objektive Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit auf den europäischen Versicherungsmärkten beseitigt werden und die Angleichung zur Verwicklung dieses Ziels geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist. Auch unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 3 AEU) könnten sich die hierdurch eröffneten Angleichungsspielräume als relativ weit erweisen. Allerdings hat der EuGH in der Rs. C-350/07 unter Verweis auf die Rs. Kohll113, Smits und Peerbooms114 und Watts115 ausdrücklich klargestellt, dass die Dienstleistungsfreiheit „die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt“ 116. Hieraus dürfte folgen, dass die Union den Mitgliedstaaten im Wege der Rechtsangleichung jedenfalls nicht generell die Voraussetzungen der Begründung von Sozialversiche111 Dass der EuGH diese kompetenzrechtliche Folgen seiner Entscheidung auch durchaus mit im Blick hatte, zeigt sich schon daran, dass der Gerichtshof bei der Frage der Rechtfertigungsfähigkeit der Sozialversicherungspflicht ausdrücklich darauf verweist, „dass in Ermangelung einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene das Recht jedes betroffenen Mitgliedstaats bestimmt, unter welchen Voraussetzungen ein Recht auf Anschluss an ein System der sozialen Sicherheit oder die Verpflichtung hierzu besteht“ (EuGH Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 75). Damit verwendet der EuGH jene Formel, mit welcher der Gerichtshof auch sonst auf den Zusammenhang zwischen Grundfreiheiten und Rechtsangleichungskompetenzen verweist. 112 Hierzu: Basedow, Europäischer Versicherungsbinnenmarkt und Angleichung des Versicherungsvertragsrechts, in: Wandt/Reiff/Loorschelders/Bayer (Hrsg.), FS Lorenz, 2004, S. 1 ff. 113 EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 18. 114 EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 45. 115 EuGH, Rs. C-372/04 (Watts) Slg. 2006, I-4325, Rn. 92. 116 EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 37, Rn. 71.

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rungspflichten, die Beitragssätze, die Leistungskataloge und die Organisationsstrukturen der Sozialversicherung vorgeben kann. Zulässig dürften jedenfalls Rahmenvorgaben sein, durch die der Binnenmarktgesetzgeber allgemeine Organisationsprinzipen solidarisch finanzierter Systeme117 in Abgrenzung zu privaten Versicherungssystemen, Grundsätze über das Verhältnis von sozialer Mindestsicherung und ergänzendem privaten Versicherungsschutz118 oder der Erforderlichkeit von Sozialversicherungspflichten119 festgelegt, zumal der EuGH diese Grundsätze jedenfalls teilweise schon heute unmittelbar aus dem Primärrecht ableitet. Die damit eröffneten Spielräume gehen jedenfalls deutlich über die bisherigen Kompetenzen aus Art. 48 AEU und 153 AEU hinaus. Insofern kann in der Entscheidung des EuGH zur deutschen Unfallversicherung eine „stille Revolution“ in der Entwicklung des europäischen Sozialrechts gesehen werden. Auch im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung dürfte die weitere Entwicklung der sozialrechtlichen Marktregulierung auf den Krankenversicherungsmärkten daher in absehbarer Zukunft immer stärker durch den Binnenmarktgesetzgeber mitbestimmt werden. c) Zum Verhältnis von Binnenmarktkompetenzen und sozialpolitischen Sachkompetenzen Mit der Eröffnung der potenziell durchaus weit reichenden Harmonisierungskompetenzen aus Art. 53 Abs. 1 und 2 AEU i.V. m. 62 AEU stellt sich schließlich noch die Frage nach deren Verhältnis zu den Kompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers zur Sozialrechtskoordinierung aus Art. 48 AEU und zur sozialpolitischen Harmonisierung im Bereich der sozialen Sicherheit aus Art. 153 Abs. 1c, Abs. 2 AEU. Dies führt zunächst zu der Frage, wie sich die soeben beschriebenen kompetenzrechtlichen Implikationen des Urteil in der Rs. Kattner mit den älteren Ausführungen des EuGH in der Rs. Garcia vereinbaren lassen, nach der die Versicherungsrichtlinie 92/49/EWG den Bereich der sozialen Sicherheit „nicht regeln konnte“, da sie „in Übereinstimmung mit den Zielen, die mit ihr verfolgt werden“, auf der Grundlage der Bestimmungen des Vertrages erlassen wurde, die der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit dienen, „während das Gebiet der sozialen Sicherheit von anderen, besonderen Bestimmungen geregelt wird“.120 Die etwas gewundene Formulierung des EuGH in der Rs. Garcia scheint zwar vordergründig auf eine Unanwendbarkeit der Harmonisierungskompetenzen aus Art. 53 Abs. 1 und 2 AEU 117

EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 39 ff., Rn. 87. EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 89. 119 EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 90 f. 120 GA Rs. C-238/94 (Garcia) Slg. 1996, I-1675, Rn. 9; EuGH, Rs. C-238/94 (Garcia) Slg. 1996, I-1679, Rn. 13. Hierzu: M. Fuchs, NZS 2002, S. 337 (338 f.); ders., ZESAR 2009, S. 365 (368 ff.). 118

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i.V. m. Art. 62 AEU auf gesetzliche Sozialversicherungssysteme hinzudeuten.121 Sie schließt bei näherer Betrachtung eine Einbeziehung der Sozialversicherung in den Anwendungsbereich der Harmonisierungskompetenzen aus Art. 53 Abs. 1 und 2 AEU i.V. m. 62 AEU jedoch gerade nicht grundsätzlich aus. Denn letztlich stellt der EuGH in der Rs. Garcia lediglich klar, dass Maßnahmen, die ihrer Zielsetzung nach hauptsächlich oder ausschließlich auf die Regelung des Gebiets der sozialen Sicherheit gerichtet sind, nicht auf Grundlage von Art. 53 Abs. 1 und 2 AEU i.V. m. 62 AEU erlassen werden können.122 Der Binnenmarktgesetzgeber kann also in der Tat nach wie vor auf Grundlage der Art. 53 Abs. 1 und 2 AEU i.V. m. Art. 62 AEU keine rein sozialpolitisch motivierte Harmonisierungspolitik in den Systemen der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten betreiben. Vielmehr bestimmt sich das Verhältnis von Binnenmarkt- und Sachkompetenzen nach allgemeinen Regeln.123 Maßgeblich für die Kompetenzabgrenzung sind folglich das jeweilige Hauptziel der Maßnahme des Unionsgesetzgebers sowie die Grundsätze der funktionalen und materiellen Spezialität. Soweit eine Maßnahme des Binnenmarktgesetzgebers im Bereich der Sozialversicherung ihrem Hauptziel nach (auch) darauf gerichtet und dazu geeignet ist, Handelshemmnisse im Binnenmarkt für Versicherungsdienstleistungen zu beseitigen, ist die Kompetenz aus Art. 53 Abs. 1 i.V. m. Art. 62 AEU grundsätzlich eröffnet. Dabei kann der Binnenmarktgesetzgeber nach allgemeinen Regeln im Rahmen von Art. 53 Abs. 1 i.V. m. Art. 62 AEU auch andere Allgemeinwohlziele, insbesondere auch solche sozialpolitischer Natur, mitverfolgen, soweit die Maßnahme insgesamt geeignet ist, die funktionalen Binnenmarktziele zu fördern.124 Rein sozialpolitisch motivierte Harmonisierungsmaßnahmen können dagegen nach wie vor allein auf Grundlage der materiell spezielleren besonderen sozialpolitischen Kompetenzen aus Art. 153 AEU durchgeführt werden. Soweit der Unionsgesetzgeber auf die Sicherung sozialer Rechte der Unionsbürger im Wege der Sozialrechtskoordinierung abzielt, geht daher Art. 48 AEU als funktional spezieller Binnenmarktkompetenz den Art. 53 Abs. 1 und 2 AEU i.V. m. Art. 62 AEU vor. In den genannten Fällen greifen nach allgemeinen Regeln der Auflösung von Konkurrenzen mit bzw. innerhalb des Systems der Binnenmarktkompetenzen nach wie vor allein Art. 48 bzw. 153 AEU.125 d) Kein legislativer Sonderstatus der Sozialversicherung im Binnenmarkt Dagegen kann aus den partiell spezielleren Kompetenznormen der Art. 48 bzw. 153 AEU nicht auf einen generellen „legislativen Sonderstatus der Sozial121

In diesem Sinne z. B. M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (368 ff.). M. Fuchs, NZS 2002, S. 337 (342). 123 Siehe hierzu eingehend oben 2. Kapitel, C. III. 124 Zu den Voraussetzungen der Ausübung der Kompetenzen zur Binnenmarktharmonisierung und der Reichweite der Kompetenznormen siehe oben 2. Kapitel, C. V. und VI. 125 Hierzu oben 2. Kapitel, C. III. 122

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versicherung im EG-Primär- und Sekundärrecht“ geschlossen werden, der zu einer Bereichsausnahme von der Dienstleistungsfreiheit und den ihr korrespondierenden Binnenmarktkompetenzen führen würde.126 Die sektorpolitischen Rechtsetzungskompetenzen der Union aus Art. 153 AEU sollen die Kompetenzen der Union erweitern, nicht aber die Binnenmarktkompetenzen begrenzen, soweit deren Voraussetzungen vorliegen.127 Die Koordinierungskompetenz aus Art. 48 AEU ist zwar, insofern ihre Voraussetzungen vorliegen, gegenüber den Art. 53 Abs. 1 i.V. m. Art. 62 AEU die funktional speziellere Norm. Gleichwohl zeigt die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auf das soziale Leistungserbringungsrecht, dass die Art. 45, 48 AEU eine ergänzende Anwendung der Art. 56, 62, 53 Abs. 1 AEU gerade nicht ausschließen, soweit die Voraussetzungen für die Anwendung der Art. 45, 48 AEU nicht vorliegen.128 Schließlich kann auch aus der Entscheidung des Unionsgesetzgebers zur Herausnahme des Gesundheitswesens aus der allgemeinen Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG nicht auf einen legislativen Sonderstatus der Sozialversicherung geschlossen werden.129 Einerseits lässt sich aus der Entscheidung des „einfachen“ Unionsgesetzgebers, in einem konkreten sekundärrechtlichen Harmonisierungsakt bestimmte Bereichsausnahmen vorzusehen, grundsätzlich nicht auf die Reichweite der zugrunde liegenden primärrechtlichen Kompetenznorm zurückschließen. Andererseits stehen mittlerweile die Verabschiedung und Umsetzung einer von der Kommission auf Art. 95 EG (nunmehr Art. 114 AEU) gestützten Richtlinie zu Patientenrechten in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung an, die zu einer erheblich weitgehenden Harmonisierung des sozialen Leistungserbringungsrechts führen wird.130 Auch mit Blick auf die sich damit abzeichnende Weiterentwicklung des Sekundärrechts dürfte die These vom „legislativen Sonderbereich Sozialversicherung“ – abgesehen vom unwahrscheinlichen Fall einer grundsätzlichen Beanstandung der Richtlinie durch den EuGH – nicht mehr haltbar sein.

126 So aber M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (368 ff.); ähnlich: Bieback, EWS 1999, S. 361 (364). 127 Hierzu oben 2. Kapitel, C. III. 128 EuGH, Rs. 238/82 (Duphar) Slg. 1984, S. 523 ff.; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-368/ 98 (Vanbraekel) Slg. 2001, I-5363; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473; EuGH, Rs. C-56/01 (Inizan) Slg. 2004, I-12403; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré u. van Riet) EuZW 2003, S. 466. Hierzu sogleich unten 4. Kapitel, IV. 1. und 4. e). 129 In diesem Sinne M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (369 f.). 130 Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vom 2.7.2008, KOM (2008) 414 endgültig, 2008/0142 (COD). Hierzu unten III.

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IV. Die Märkte für Gesundheitsversorgungsleistungen im System des Binnenmarktrechts 1. Ansprüche auf grenzüberschreitende Krankenbehandlung auf Grundlage der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der VO 883/2004/EG Auch im System des Unionsrechts ist strikt zwischen der sozialrechtlichen Regulierung der Krankenversicherungsmärkte und der sozialrechtlichen Regulierung der Gesundheitsversorgungsmärkte durch das Leistungserbringungsrecht des SGB V zu unterscheiden. Die Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung fällt zunächst seit jeher in den Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der sekundärrechtlichen Sozialrechtskoordinierung, die nicht nur einen Anspruch der leistungsberechtigten Unionsbürger auf diskriminierungsfreien grenzüberschreitenden Zugang zu den gesetzlichen Krankenversicherungssystemen der Beschäftigungsstaaten, sondern nach Maßgabe der Art. 17 ff. der VO 883/2004/EG (vordem Art. 18 ff. VO 1408/71 EWG) auch Ansprüche der berechtigten Unionsbürger auf grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung begründen. a) Das System der grenzüberschreitenden Leistungsaushilfe gem. VO 883/2004/EG Vom persönlichen Anwendungsbereich erfasst werden nach Maßgabe von Art. 2 VO 883/2004/EG grundsätzlich alle nach dem Recht des zuständigen Staates sozial leistungsberechtigten Unionsbürger. Aus sachlicher Sicht erfasst Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 grundsätzlich sämtliche Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung unter Einschluss der Leistungen bei Mutterschaft, der Familienleistungen und der Leistungen für Rentner.131 Gemäß §§ 17 und 18 VO 883/2004/EG gewährt die Verordnung zunächst Grenzgängern und deren Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen, im Wege der grenzüberschreitenden Leistungsaushilfe Ansprüche auf Sachleistungen nach Maßgabe der Leistungskataloge und Erstattungssätze des Wohnsitzstaates, die vom Träger des Wohnsitzstaates für Rechnung des zuständigen Trägers im Beschäftigungsstaat erbracht werden. § 19 VO 883/2004/EG gewährt entsprechende Sachleistungsansprüche bei Erkrankung während eines vorübergehenden Aufenthalts im Ausland.132 Eine Besonderheit der Vorschriften über die Sozialrechtskoordinierung liegt schließlich darin, dass nach Art. 20 VO 883/2004/EG (vordem 22 Abs. 1c VO 1408/71/EWG) nicht nur Grenzgänger und Reisende, sondern grundsätzlich alle im Inland gesetzlich 131

Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S. 50 f. Vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 506 f. 132

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Krankenversicherten einen Anspruch auf Genehmigung von Auslandskrankenbehandlungen haben, wenn eine erforderliche Krankenbehandlung im Inland nicht bzw. nicht rechtzeitig zu erlangen ist.133 Art. 20 VO 883/2004/EG gewährt mithin allen versicherten Unionsbürgern zusätzliche genuin unionsrechtliche Ansprüche auf die Übernahme der Kosten von Auslandskrankenbehandlungen nach den Kostensätzen des Behandlungsstaates, die nach dem Recht des zuständigen Versicherungsstaates nicht bestehen.134 Aus diesem Grund sieht Art. 20 Abs. 1 VO 883/2004/EG für derartige Behandlungen eine grundsätzliche Genehmigungspflicht durch den zuständigen Versicherungsträger vor. Die Genehmigung wird gem. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 VO 883/2004/EG erteilt, „wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der betreffenden Person vorgesehen sind und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs ihrer Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann“. Die Art. 21 ff. VO 883/2004/EG normieren schließlich die Voraussetzungen für Ansprüche auf Geldleistungen sowie Sonderregelungen für Rentner. Die Verwaltungszusammenarbeit wird über einen Verwaltungs-, Fach- und Rechnungsausschuss sowie einen beratenden Ausschuss koordiniert und findet ihre Grundlagen in den Art. 71 ff. VO/883/2004. Das interadministrative Verwaltungsverfahren, der Rechtsschutz und die Durchführungszuständigkeiten sind in den Art. 76 ff. VO 883/2004/EG normiert.135 Das so konstituierte Koordinierungs-, Verfahrens- und Rechtsschutzregime der VO 883/2004/EG ist in seiner Gesamtheit von vornherein auf die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der zwischenstaatlichen Sozialrechtskoordinierung beschränkt.136 Es lässt daher das innerstaatliche materielle soziale Leistungsrecht ebenso unberührt wie die innerstaatliche Verwaltungsorganisation und das Verwaltungsverfahren. b) Vereinbarkeit der VO 883/2004/EG mit den Grundfreiheiten des Binnenmarktes Die VO 883/2004/EG enthält zwar im Vergleich zur Vorgängerverordnung 1408/71/EWG eine Reihe von Verbesserungen und Erleichterungen bei der grenzüberschreitenden Inanspruchnahme von Sachleistungen. Indessen sind die Leistungen nach wie vor durch das Territorialitätsprinzip erheblich eingeschränkt. Nur wer als Arbeitnehmer oder als gleichgestellte Person in einem an133

Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, 1999, S. 133. Vgl. EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-56/01 (Inizan) Slg. 2004, I-12403. Hierzu auch Eichenhofer, VSSR 1999, S. 101 ff. 135 Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S. 55. 136 Vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 507 f. 134

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deren Mitgliedstaat wohnt, hat einen dem Grunde nach uneingeschränkten Anspruch auf grenzüberschreitende Leistungsinanspruchnahme. Im Übrigen beschränken sich die Ansprüche auf diejenigen Fälle, in denen eine Leistung im zuständigen Staat nicht oder jedenfalls nicht rechtzeitig erbracht werden kann, wobei in diesen Fälle zudem nach Art. 20 Abs. 1 i.V. m. Abs. 2 Satz 2 VO 883/ 2004/EG zuvor ein Genehmigungsverfahren zu durchlaufen ist.137 Damit stellt sich die Frage, ob die letztlich restriktiven Bestimmungen der VO 883/2004/EG mit vorrangigem Primärrecht vereinbar sind. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit, sondern seit den – später noch näher zu diskutierenden – Entscheidungen des EuGH in den Rs. Kohll und Decker auch für die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit.138 In Bezug auf die Vereinbarkeit des Art. 17 ff. VO 883/2004 mit den Art. 34, 45, 49 und 56 AEU bestehen keine grundlegenden Bedenken, da die Art. 17 bis 19 VO 883/ 2004/EG einen dem Grunde nach uneingeschränkten Zugang von Grenzgängern und Reisenden auf Krankenbehandlung gewährleisten.139 Gleiches gilt jedoch letztlich auch mit Blick auf Art. 20 VO 883/2004/EG (vordem Art. 22 VO 1408/ 71/EWG). Diese Vorschrift gewährt den Bürgern zusätzliche unionsrechtliche Ansprüche auf Übernahme von Behandlungskosten nach den Kostensätzen des Behandlungsstaates, die nach einzelstaatlichem Recht nicht bestehen.140 Die VO 883/2004/EG gewährt den Unionsbürgern damit Rechte, die sie nach dem Recht des zuständigen Versicherungsstaates nicht hätten.141 Demzufolge steht auch das Erfordernis einer Genehmigung vor Inanspruchnahme einer Auslandskrankenbehandlung weder im Widerspruch zur Arbeitnehmerfreizügigkeit noch im Widerspruch zur Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit. Vielmehr ist die durch Art. 20 VO 1408/71 EWG begründete sekundärrechtliche Erweiterung sozialer Rechte auf grenzüberschreitende Behandlung geeignet, sowohl die Arbeitnehmerfreizügigkeit als auch die Dienstleistungsfreiheit zu fördern.142 Dementsprechend kann der europäische Sekundärrechtsgesetzgeber diese Erweiterung sozialer Rechte auch von gewissen Anforderungen, wie etwa Genehmigungspflichten, abhängig machen, die eine Prüfung der Erforderlichkeit der Auslandskrankenbehandlung umfassen können.143 Allerdings muss die Genehmigung in einem dis137 Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S. 53; vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 506. 138 EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; hierzu: Eichenhofer, VSSR 1999, S. 101 ff. 139 Vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 508. 140 EuGH, Rs. C-56/01 (Inzian) Slg. 2004, I-12403, Rn. 21. 141 EuGH, Rs. C-56/01 (Inzian) Slg. 2004, I-12403, Rn. 22. 142 EuGH, Rs. C-56/01 (Inzian) Slg. 2004, I-12403, Rn. 25. 143 EuGH, Rs. C-56/01 (Inzian) Slg. 2004, I-12403, Rn. 56; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 76 ff.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet), Slg. 2003, I-4509, Rn. 76 ff.

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kriminierungsfreien und transparenten Verfahren nach ex ante feststehenden objektiven Kriterien nach Maßgabe internationaler medizinischer Standards erfolgen, durch welche die praktische Wirksamkeit der durch Art. 20 VO 883/204(EG (vordem Art. 22 VO 1408/71/EWG) gewährten Rechte sicherstellt wird.144 2. Ansprüche auf grenzüberschreitende Leistungserbringung aus der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit a) Aktive Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit: Grenzüberschreitender Marktzugang der Leistungserbringer In der Entwicklung von besonderen Verfahrensanforderungen für die Genehmigung von Auslandskrankenbehandlungen nach Maßgabe der VO 883/2004/EG spiegeln sich bereits die Folgen der vom EuGH vorangetriebenen Erweiterung des Anwendungsbereichs der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit im öffentlichen Gesundheitswesen wider. Allerdings sind diese Folgen nicht allein auf gewisse punktuelle Modifikationen des Rechts der Sozialrechtskoordinierung begrenzt, sondern verweisen auf einen grundlegenden Wandel des unionsrechtlichen Rahmens der Regulierung der Märkte der sozialen Leistungserbringung. Die Besonderheiten der Märkte der Leistungserbringung liegt allerdings darin, dass das Leistungserbringungsrecht im Gegensatz z. B. zum allgemeinen Produkt- oder Berufszulassungsrecht zu keinen unmittelbaren Beschränkungen des freien Grenzübertritts von Waren- und Dienstleistung führt, da weder Versicherte noch Leistungserbringer rechtlich per se daran gehindert sind, private Gesundheitsdienstleistungen grenzüberschreitend anzubieten und nachzufragen.145 Freilich hängt die praktische Wirksamkeit des grenzüberschreitenden Marktzugangs der Leistungserbringer auf den überwiegend öffentlich finanzierten Gesundheitsmärkten notwendig vom grenzüberschreitenden Zugang auch zu den öffentlich finanzierten Systemen ab. Dementsprechend hat der EuGH beginnend mit der Rechtssache Duphar146 zunächst die aktive Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auch auf das soziale Leistungserbringungsrecht der Mitgliedstaaten ausgedehnt. Damit haben Leistungserbringer aus allen Mitgliedstaaten grundsätzlich einen Anspruch auf diskriminierungs- und beschränkungsfreien Zugang zu den 144 EuGH, Rs. C-56/01 (Inzian) Slg. 2004, I-12403, Rn. 57; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 90; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet), Slg. 2003, I-4509, Rn. 85. Hierzu auch Eichenhofer, Das europäische koordinierende Krankenversicherungsrecht nach den EuGH-Urteilen Kohll und Decker, VSSR 1999, S. 101 ff. 145 Vgl. Nowak/Schnitzler, EuZW 2000, S. 627 ff. 146 EuGH, Rs. 238/82 (Duphar) Slg. 1984, S. 523 ff.; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-368/ 98 (Vanbraekel) Slg. 2001, I-5363; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473; EuGH, Rs. C-56/01 (Inizan) Slg. 2004, I-12403; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré und van Riet) EuZW 2003, S. 466.

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öffentlich finanzierten und sozialrechtlich besonders regulierten Gesundheitsmärkten der anderen Mitgliedstaaten. Umgekehrt ist die leistungserbringungsrechtliche Regulierung der Gesundheitsmärkte, soweit sie den grenzüberschreitenden Marktzugang beschränkt, besonders rechtfertigungsbedürftig.147 b) Passive Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit: Patientenrechte auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung Einen weiteren wesentlichen Schritt zur Binnenmarktintegration des öffentlichen Gesundheitswesens hat der EuGH mit der Anwendung auch der passiven Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auf das soziale Leistungserbringungsrecht vollzogen, die mit den Rs. Kohll148 und Decker149 einsetzte. Demnach haben auch die gesetzlich Versicherten unmittelbar aus Art. 34 und 56 AEU (exArt. 28 und 49 EG) einen Anspruch auf grenzüberschreitende Inanspruchnahme von ambulanten und stationären Gesundheitsdienstleistungen unter Erstattung durch die zuständigen Träger ihres Versicherungsstaates. Die Rechtsprechung in den Rs. Kohll und Decker sowie die Folgeentscheidungen150 verdeutlichen neben der wirtschaftlichen auch die soziale Dimension des Binnenmarktes. Einerseits erleichtern die Entscheidungen den grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr auf den Gesundheitsmärkten. Andererseits führt die Entscheidung jedoch auch zu einer erheblichen Erweiterung der sozialen Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, die deutlich über die bisherigen Rechte aus der Sozialrechtskoordinierung hinausgehen. Im Gegensatz zur sekundärrechtlichen Sozialrechtskoordinierung gewähren die Art. 34 und 56 AEU (exArt. 28 und 49 EG) unmittelbare primärrechtliche Ansprüche aller nach nationalem Recht leistungsberechtigten Unionsbürger auf grenzüberschreitende Krankenbehandlung nach den Kostensätzen des Versicherungsstaates. Zugleich sind sämtliche Beschränkungen dieser Rechte, insbesondere durch besondere Genehmigungspflichten, wegen ihrer marktzugangsbeschränkenden Wirkung rechtfertigungsbedürftig.151 147 Bieback, NZS 2001, S. 561 ff.; Nowak, EuZW 2003, S. 474 ff.; Frenz, NVwZ, 2003, S. 947 ff.; U. Becker, NJW 2003, S. 2272 ff.; Herrmann, ZESAR 2004, S. 370 ff.; Schreiber, ZESAR 2004, S. 413 ff.; Nowak/Schnitzler, EuZW 2000, S. 627 ff.; eingehend auch K. Fahlbusch, Ambulante ärztliche Behandlung in Europa, 2006. 148 EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931. 149 EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831. 150 EuGH, Rs. C-368/98 (Vanbraekel) Slg. 2001, I-5363; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473; EuGH, Rs. C-56/01 (Inizan) Slg. 2004, I-12403; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré und van Riet). 151 EuGH, Rs. C-56/01 (Inzian) Slg. 2004, I-12403, Rn. 57; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 90; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet), Slg. 2003, I-4509, Rn. 85. Hierzu auch Bieback, NZS 2001, S. 561 ff.; Nowak, EuZW 2003, S. 474 ff.; Frenz, NVwZ, 2003, S. 947 ff.; U. Becker, NJW 2003, S. 2272 ff.; Herrmann, ZESAR 2004, S. 370 ff.; Schreiber, ZESAR 2004, S. 413 ff.;

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3. Mitgliedstaatliche Regulierung der Märkte für Gesundheitsdienstleistungen a) Umfassende Rechtfertigungsbedürftigkeit der mitgliedstaatlichen Marktzugangsregulierung In Konsequenz der Rechtsprechung des EuGH fällt grundsätzlich das gesamte System der Zugangs-, Preis- und Leistungsregulierung, der Kollektiv- und Einzelverträge des Leistungserbringungsrechts in den Anwendungsbereich der Warenverkehrs- bzw. der Dienstleistungsfreiheit. Zugleich ist jede Beschränkung der Erstattungsfähigkeit von Leistungen auf das Inland besonders rechtfertigungsbedürftig. Dies gilt sowohl für die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung und zur Krankenhausversorgung als auch für auch Arzneimittelfestbeträge, für gesetzliche Regelungen über die Arzneimittelversorgung in Apotheken und Krankenhäusern oder für Rehabilitationsleistungen. Zugleich unterliegen alle Beschränkungen der Erstattungsfähigkeit von Leistungen auf das Inland einem besonderen Rechtfertigungsbedarf. Andererseits besteht im öffentlichen Gesundheitswesen vorbehaltlich einer Harmonisierung auch ein unionsrechtlich grundsätzlich besonderer Regulierungsbedarf, um eine flächendeckende, qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsdienstleistungen dauerhaft zu gewährleisten. Diesem spezifischen Regulierungsbedarf des Gesundheitssektors trägt der EuGH in seiner einschlägigen Rechtsprechung zu den geschriebenen und ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen der Grundfreiheiten auch in besonderer Weise Rechnung. Neben dem vom Vertrag ausdrücklich anerkannten Rechtfertigungsgründen erkennt der EuGH auch die ungeschriebenen zwingenden Erfordernisse der Gewährleistung der finanziellen Stabilität der sozialen Sicherungssysteme152 sowie das Interesse an einer qualitativ hochwertigen, langfristig planbaren flächendeckenden Gesundheitsversorgung der Bevölkerung153 in ständiger Rechtsprechung als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe an. b) Zur Rechtfertigungsfähigkeit von Beschränkungen des grenzüberschreitenden Marktzugangs der Leistungserbringer und Patienten nach Art. 36, 52 AEU Mit Blick auf die mögliche Rechtfertigungsfähigkeit mitgliedstaatlicher Marktzugangsschranken ist zunächst an die ausdrücklichen Rechtfertigungsgründe der Nowak/Schnitzler, EuZW 2000, S. 627 ff.; eingehend auch Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2006, S. 201 ff., 237 ff., 313 ff., 371, 384, 409. 152 EuGH, Rs. 238/82 (Duphar) Slg. 1984, 523, Rn. 16; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1831, Rn. 41; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, 1-1831, Rn. 39. 153 EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 105 f.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré und van Riet) EuZW 2003, 466, Rn. 91.

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Art. 36 und 52 AEU zu denken, die insbesondere das Ziel des Gesundheitsschutzes umfassen. Da ein funktionsfähiges öffentliches Gesundheitswesen für einen effektiven Gesundheitsschutz erforderlich ist, dürfte eine Anwendung der Art. 36 und 52 AEU grundsätzlich in Betracht kommen.154 So hat der EuGH in der Rs. C-141/07 neuerdings eine deutsche gesetzliche Regelung in den §§ 14, 15 ApoG über Verträge über die externe Arzneimittelversorgung in Krankenhäusern nach Art. 30 EG (nunmehr Art. 36 AEU) als gerechtfertigt angesehen, welche Krankenhäuser dazu verpflichtet, bei der externen Vergabe von Arzneimittelversorgungsaufträgen neben der eigentlichen Warenbelieferung auch eine Notfallversorgung durch die externe Apotheke sicherzustellen. Mit Blick auf diese Regelung hatte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens war zwischen den Parteien unstrittig, dass nur inländische ortsnah ansässige Apotheken in der Lage sind, die gesetzlich zwingend vorgegebene Verpflichtung zur Warenlieferung und zur Notfallversorgung zu erfüllen.155 Damit führt die Regelung dazu, dass der grenzüberschreitende Marktzugang für ausländische Anbieter praktisch unmöglich gemacht wird. Folglich hatte die Kommission die Bundesrepublik aufgefordert, die gesetzlichen Regelungen im Sinne einer Trennung von Arzneimittellieferungsund Notfallversorgungsvertrag zu ändern. In seinem einschlägigen Urteil stellte der EuGH zunächst fest, dass mit den §§ 14 und 15 ApoG eine Beschränkung des freien Warenverkehrs verbunden ist, ließ dabei allerdings offen ob es sich um eine Diskriminierung oder eine objektive Beschränkung handelt.156 Mit Blick auf die sehr weite Fassung des Diskriminierungsbegriffs dürfte es sich bei einer Regelung, welche die Märkte für die Belieferung von Krankenhäusern mit Arzneimitteln praktisch ausschließlich inländischen Anbietern vorbehält, zumindest als mittelbare Diskriminierung zu werten sein. Denn eine derartige Regelung ist geeignet, gerade Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten den Marktzugang zu erschweren bzw. unmöglich zu machen. Allerdings können über Art. 36 und 52 AEU (ex-Art. 30 bzw. 46 EG) auch diskriminierende Beschränkungen ausnahmsweise gerechtfertigt sein.157 Zwar sind die Art. 36 und 52 AEU (ex-Art. 30 bzw. 46 EG) als Ausnahmetatbestände grundsätzlich eng auszulegen. Gleichwohl ist die (diskriminierende) Kopplung von Arzneimittellieferungs- und Notfallversorgungspflichten in den §§ 14, 15 ApoG nach Auffassung des EuGH sowohl geeignet als auch erforderlich, um das hohe Niveau der stationären Arzneimittelversorgung in Deutschland aufrechtzuerhalten, das nach Meinung des Gerichts gerade 154 EuGH Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, 1225, Rn. 49 ff. zu Apothekenverträgen nach §§ 14 f. ApoG. 155 EuGH Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, 1225, Rn. 35 f.; hierzu: Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2009, § 8, Rn. 48. 156 EuGH Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, 1225, Rn. 35 f. 157 Vgl. Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2009, § 8, Rn. 48.

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auch durch die Bündelung von Arzneimittel- und Notfallversorgung in einer Hand gewährleistet wird.158 Mit der Anerkennung der Rechtfertigungsfähigkeit der mit dem ApoG verbundenen Beschränkungen des freien Warenverkehrs eröffnet der EuGH den Mitgliedstaaten – vorbehaltlich einer Harmonisierung – die Möglichkeit, nach wie vor weitgehend autonom über die Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen der Arzneimittelversorgung im Bereich der stationären Krankenhausversorgung zu entscheiden. Andererseits beschränkt der EuGH die Möglichkeiten der Kommission, auf dem Umweg über das Vertragsverletzungsverfahren – und vorgreiflich einer Harmonisierung – bestimmte inhaltliche Vorstellungen über eine binnenmarktkonforme Ausgestaltung der Organisation der stationären Arzneimittelversorgung durchzusetzen.159 c) Rechtfertigung von einzelstaatlichen Beschränkungen des grenzüberschreitenden Marktzugangs aus sonstigen „zwingenden Erfordernissen“ Eine Rechtfertigung von einzelstaatlichen Beschränkungen des grenzüberschreitenden Marktzugangs von Leistungserbringern und Patienten könnte auch aus sonstigen zwingenden Erfordernissen in Betracht kommen. In der Rs. Duphar hat der EuGH das zwingende Erfordernis der Gewährleistung der finanziellen Stabilität der Systeme der sozialen Sicherheit als ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund für objektive Marktzugangsschranken durch Negativlisten für Arzneimittel ausdrücklich anerkannt, soweit diese transparent und diskriminierungsfrei ausgestaltet sind.160 Bei diskriminierungsfrei ausgestalteten Festbetragsystemen handelt es sich lediglich um eine objektive Marktzugangsschranke, die nach allgemeinen Grundsätzen der Dogmatik der Grundfreiheiten nicht nur durch die im Vertrag normierten, sondern auch durch ungeschriebene zwingende Erfordernisse gerechtfertigt werden können. Damit bewegt sich der EuGH in der Rs. Duphar, trotz etwas unklarer Formulierung, noch im allgemeinen Rahmen des Ordnungssystems der Grundfreiheiten.161 Ähnliche Tendenzen zeigen sich auch im Rahmen der Rechtsprechung zu den Patientenrechten in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung. So hält der EuGH sowohl im Bereich der ambulanten als auch der stationären Versorgung besondere Genehmigungserfordernisse für eine Krankenbehandlung bei Leistungserbringern anderer Mitgliedstaaten, mit denen die gesetzlichen Krankenkassen keine Vertragsbeziehungen unterhalten, für potenziell rechtfertigungsfähig, soweit diese Genehmigungserfordernisse im Interesse der finanziellen Stabilität der einzelstaatlichen Systeme, 158

EuGH Urteil 11.9.2008 (C-141/07) NVwZ 2008, 1225 Rn. 49 ff. Zum Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten vgl. EuGH Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, 1225. 160 EuGH Rs. 238/82 (Duphar) Slg. 1984, 523, Rn. 16 ff. 161 Vgl. Nowak/Schnitzler, EuZW 2000, S. 627 ff. 159

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

der sozialen Sicherheit oder der Gewährleistung einer flächendeckenden qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung erforderlich sind.162 Hierbei lassen sich nach der Auffassung des EuGH besondere Genehmigungserfordernisse für die grenzüberschreitende ambulante Versorgung im Ergebnis allerdings nicht rechtfertigen. Einerseits stellt die ambulante Auslandskrankenbehandlung die finanzielle Stabilität sozialer Sicherheitssysteme nicht infrage, da nur Kosten erstattet werden müssen, die sonst auch im Inland entstehen würden. Andererseits sei im Bereich der ambulanten Versorgung auch eine ernsthafte Gefahr einer massenhaften Abwanderung von Patienten zu erwarten, welche die Aufrechterhaltung einer angemessenen Versorgung im Inland gefährden würde.163 Dagegen erkennt der EuGH ein besonderes Genehmigungserfordernis für stationäre Auslandskrankenbehandlungen trotz der damit verbundenen, zumindest mittelbar diskriminierenden Beschränkung als erforderlich an, weil andernfalls Belange der Krankenhausplanung beeinträchtigt werden könnten.164 Ähnlich wie im Urteil zum deutschen Apothekengesetz165 lässt der EuGH auch bei seinen Urteilen zu den Genehmigungserfordernissen im Bereich der grenzüberschreitenden Patientenrechte letztlich die Frage offen, ob es sich um diskriminierende oder unterschiedslose Beschränkungen handelt.166 Jedoch wird es sich auch hier – je nach Ausgestaltung des einzelstaatlichen Rechts – entweder um eine unmittelbare oder zumindest um eine mittelbar diskriminierende Beschränkung handeln.167 Soweit Regelungen des einzelstaatlichen Rechts explizit eine Auslandskrankenbehandlung von einer besonderen Genehmigung abhängig machen, handelt es sich um eine offene Diskriminierung, da inländische und grenzüberschreitende Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden. Soweit das staatliche Recht lediglich besondere Genehmigungen für eine Krankenbehandlung bei Leistungserbringern fordert, mit denen die Krankenkassen keine Vertragsbeziehungen unterhalten, liegt zwar keine unmittelbare Diskriminierung vor. Gleichwohl wird von einer mittelbaren Diskriminierung auszugehen sein, da derartige Genehmigungserfordernisse typischerweise ausländische Leistungserbringer häufiger betreffen als 162 EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 41; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831, Rn. 39; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 105 f.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré und van Riet) EuZW 2003, 466, Rn. 91. 163 EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 42 ff.; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831, Rn. 40 ff. 164 EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 105 ff.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré und van Riet) EuZW 2003, 466, Rn. 91 ff. 165 EuGH, Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, S. 1225. 166 Vgl. EuGH, Rs. 238/82 (Duphar) Slg. 1984, 523; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-368/ 98 (Vanbraekel) Slg. 2001, I-5363; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473; EuGH, Rs. C-56/01 (Inizan) Slg. 2004, I-12403; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré und van Riet) EuZW 2003, 466. 167 Nowak/Schnitzler, EuZW 2000, S. 627 ff.

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Leistungserbringer aus dem Inland.168 Die Implikationen der Rechtsprechung des EuGH zu den Rechtfertigungsgründen der Grundfreiheiten im Gesundheitswesen sind – nicht zuletzt aufgrund der unklaren Formulierungen des EuGH – nach wie vor umstritten. Insbesondere wird diskutiert, ob die Unterscheidung zwischen diskriminierenden und unterschiedslosen Beschränkungen im Zuge eines allgemeinen Rechtsprechungswandels mittlerweile generell obsolet geworden ist.169 Hiergegen spricht jedoch, dass der EuGH in anderen Fällen an dieser Unterscheidung festhält.170 Folglich dürfte die Erweiterung des Systems der Rechtfertigungsgründe im Gesundheitswesen eher auf sektorale Besonderheiten zurückzuführen sein. Im öffentlichen Gesundheitswesen besteht ein auch unionsrechtlich anerkennungswürdiges Interesse an einer ortsnahen Versorgung und einer leistungsfähigen regionalen Versorgungsinfrastruktur.171 Diese Allgemeinwohlbelange haben zur Folge, dass – in begrenzten Sonderfällen – auch gewisse mittelbare Diskriminierungen hingenommen werden müssen. Zugleich liegt die Erweiterung des Systems der Rechtfertigungsgründe im Gesundheitswesen letztlich in der Konsequenz der kontinuierlichen Erweiterung des Systems der Grundfreiheiten auf „atypische“ Sektoren, auf die das System der Grundfreiheiten ursprünglich nicht zugeschnitten war. 4. Rechtsangleichung im Binnenmarkt für Gesundheitsversorgungsdienstleistungen Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass das Recht der sozialen Leistungserbringung mittlerweile umfassend in den Anwendungsbereich sämtlicher Produkt- und Personenverkehrsfreiheiten des Binnenmarktes fällt. Die rechtlichen Folgen der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten beschränken sich auch im Leistungserbringungsrecht nicht auf die vom EuGH selbst vorangetriebene Marktöffnung. Mindestens ebenso bedeutsam sind die hiermit verbundenen Erweiterungen der Harmonisierungskompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers aus Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU. Mit der Erweiterung des Anwendungsbereichs der allgemeinen und besonderen Binnenmarktkompetenzen stellt sich zugleich das Erfordernis ihrer funktionalen Abgrenzung im Verhältnis zueinander, aber auch im Verhältnis zu den Kompetenzen aus der EU-Gesundheitspolitik aus Art. 168 AEU. Diese Abgrenzung ist ausgehend von den vom Unions168 Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Spielräume der Mitgliedstaaten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2006, S. 322. 169 Nowak/Schnitzler, EuZW 2000, S. 627 ff.; Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Spielräume der Mitgliedstaaten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2006, S. 131 ff. 170 Vgl. Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Spielräume der Mitgliedstaaten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2006, S. 85 ff. 171 Vgl. EuGH Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, 1225 Rn. 47 ff.

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gesetzgeber jeweils verfolgten Zielen im Lichte der jeweils einschlägigen Grundfreiheit vorzunehmen. a) Kompetenzen zur Sozialrechtskoordinierung und zur gesundheitspolitischen Harmonisierung gem. Art. 48 und Art. 168 AEU Das Leistungserbringungsrecht des SGB V fällt zunächst nach wie vor in den Anwendungsbereich der Kompetenzen des Unionsgesetzgebers zur Sozialrechtskoordinierung aus Art. 48 AEU und der besonderen gesundheitspolitischen Kompetenzen aus Art. 168 AEU. Die sozialrechtliche Koordinierungskompetenz aus Art. 48 AEU umfasst im Leistungserbringungsrecht des SGB V insbesondere die Zuständigkeit zur Angleichung des zwischenstaatlichen Rechts der Leistungsaushilfe im Krankheitsfall nach Maßgabe der Kostensätze des Behandlungsstaates für Rechnung des zuständigen Versicherungsstaates (vgl. Art. 17 ff. VO 883/ 2004/EG).172 Die Besonderheit der Koordinierungskompetenz liegt insoweit darin, dass sie den berechtigten Unionsbürger genuin unionsrechtliche sozialrechtliche Leistungsansprüche verschaffen kann, die sich nicht aus dem Recht des zuständigen Versicherungsstaates ergeben.173 Gleichwohl begründet Art. 48 AEU letztlich keine originären unionsrechtlichen Leistungsrechte, da auch die Kollisionsnormen der Art. 17 ff. VO 883/2004/EG auch in diesen Fällen lediglich über das anwendbare nationale Sozialrecht entscheiden.174 Jenseits des sozialen Leistungsrechts umfasst Art. 48 AEU auch die Zuständigkeit zur Angleichung des zwischenstaatlichen Verwaltungsorganisationsrechts, des Verwaltungsverfahrens und des Rechtsschutzes, wenn und soweit dies für die Zwecke der grenzüberschreitenden Koordinierung erforderlich ist (vgl. Art. 71 ff. VO 883/ 2004/EG). Daher bleiben auch im Bereich des Leistungserbringungsrechts die innerstaatliche Verwaltungsorganisation, wie namentlich die Kooperationsstrukturen der gemeinsamen Selbstverwaltung, aber auch das innerstaatliche sozialrechtliche Verwaltungsverfahren und der sozialrechtliche Rechtsschutz von Maßnahmen nach Art. 48 AEU unberührt.175 Neben den Zuständigkeiten aus Art. 48 AEU greifen im Leistungserbringungsrecht des SGB V auch die besonderen gesundheitspolitischen Kompetenzen aus Art. 168 AEU. Art. 168 AEU begründet einerseits Förderungs- und Unterstützungskompetenzen (vgl. Art. 168 Abs. 1 bis 3 AEU), die eine Harmonisierung ausschließen (vgl. Art. 168 Abs. 5). Darüber hinaus sieht Art. 168 Abs. 4 AEU jedoch auch besondere gesundheitspolitische 172

Vgl. hierzu: EuGH, Rs. C-56/01 (Inzian) Slg. 2004, I-12403, Rn. 21. Vgl. EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-56/01 (Inizan) Slg. 2004, I-12403. Hierzu auch Eichenhofer, VSSR 1999, S. 101 ff. 174 Vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 507 f. 175 Vgl. Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S. 47 f.; Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 308 ff.; 417 f. 173

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Rechtsangleichungsbefugnisse, insbesondere in Bezug auf Qualitäts- und Sicherungsstandards bei Blutprodukten, Arzneimitteln und Medizinprodukten, vor.176 Die Beschlussfassung erfolgt gem. Art. 168 Abs. 4 AEU im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren. Ebenso wie unter Geltung des Art. 152 EG steht auch die Gesundheitspolitik des AEU allerdings unter einem Kompetenzsicherungsvorbehalt. Gemäß § 168 Abs. 7 AEU wahrt die Union die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung der Gesundheitspolitik und die medizinische Versorgung. Diese umfasst die Verwaltung des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung sowie die Bereitstellung der hierfür erforderlichen Mittel.177 Insgesamt sind die Kompetenzen der Union aus Art. 48 AEU und Art. 168 AEU im Bereich des Gesundheitsversorgungs- und Leistungserbringungsrechts weiter gefasst als die zuvor untersuchten Kompetenzen im Bereich des sozialen Krankenversicherungsrechts im engeren Sinne. Dessen unbeschadet liegt der Schwerpunkt dieser Zuständigkeiten auf der Ebene der politischen und sozialrechtlichen Koordinierung bei nach wie vor eng begrenzten Harmonisierungskompetenzen. b) Rechtsangleichung zur Gewährleistung der aktiven Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU Deutlich weitergehende Folgen, gerade auch kompetenzrechtlicher Art, hat dagegen die Anwendung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V und die damit einhergehende Möglichkeit zur Rechtsangleichung nach Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU. Hinsichtlich des Anwendungsbereichs und der Reichweite der Rechtsangleichungskompetenzen kann zwischen der aktiven und der passiven Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit unterschieden werden. Die aktive Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit eröffnet dem Binnenmarktgesetzgeber die Möglichkeit, Maßnahmen zur Angleichung des einzelstaatlichen Rechts zu treffen. Die Kompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers aus Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU erfassen neben der Angleichung des materiellen Rechts, z. B. durch Produktstandards, auch die Verwaltungsorganisation und das Verwaltungsverfahren, wenn und soweit dies unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität erforderlich ist, um den grenzüberschreitenden Zugang von Waren und Dienstleistungen zu den Gesundheitsmärkten anderer Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Mittlerweile hat der Unionsgesetzgeber gestützt auf Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU bzw. deren Vorläufernormen eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen, die auf eine Har176 Vgl. zur Reichweite der etwas enger gefassten Kompetenzen aus der Vorläufernorm des Art. 152 EG und den legislativen und institutionell-organisatorischen Maßnahmen der Realisierung: Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2006, S. 17 ff., 50 ff., 314 ff., 346 ff. 177 Vgl. Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2006, S. 314 ff., 346 ff.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

monisierung des Rechts der sozialen Leistungserbringung zielen. Die fortschreitende Harmonisierung hat ihrerseits zur Folge, dass sich der Schwerpunkt der Rechtsprechungsaktivitäten des EuGH im harmonisierten Bereich ebenfalls auf die sekundärrechtliche Ebene verlagert. So hatte die Entscheidung des EuGH in der Rs. Duphar, die Warenverkehrsfreiheit auf die Arzneimittelfestbetragsregulierung auszudehnen, zunächst die teilweise Harmonisierung des Arzneimittelpreisrechts durch die Transparenzrichtlinie 89/105/EWG zur Folge.178 Besonders weit ist die Harmonisierung gerade auch des Verwaltungsorganisationsrechts und des Verwaltungsverfahrens im allgemeinen Arzneimittelzulassungsrecht fortgeschritten. Die miteinander verzahnten zentralen und dezentralen Arzneimittelzulassungsverfahren finden ihre Grundlagen in der Verordnung (EG) Nr. 726/2004/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur, in der RL 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel und in der RL 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln. 179 Neben dem Arzneimittelrecht erfolgten mit den RL 93/42/EWG, 90/385/EWG und 98/79/EWG sowie der Änderungsrichtlinie 2007/47/EG weitere, insgesamt aber weniger engmaschige Maßnahmen zur Harmonisierung und europäischen Normung im Bereich des Medizinproduktrechts.180 Damit gehen auch im Gesundheitswesen die gerichtliche Kontrolle der Grundfreiheiten durch den EuGH und der Prozess der Binnenmarktharmonisierung Hand in Hand. Umgekehrt treibt der EuGH den Prozess der rechtlichen Integration nicht mehr allein durch seine Rechtsprechung zum Primärrecht, sondern zunehmend auch durch die extensive Auslegung des Sekundärrechts voran. Weitergehende kompetenzrechtliche Implikationen ergeben sich aus der Anwendung der aktiven Dienstleistungsfreiheit auf das Leistungserbringungsrecht. Diese eröffnet insbesondere die Kompetenz zur Harmonisierung der Zulassungsbedingungen für Gesundheitsberufe gem. Art. 53 AEU. Von dieser Zuständigkeit hat der Binnenmarktgesetzgeber zuletzt mit der RL 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen im Bereich der Gesundheitsberufe Gebrauch 178 Die Transparenzrichtlinie ist ihrerseits nach der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht nur auf staatliche Positiv- oder Negativlisten, sondern auch auf das System der Festbetragsfestsetzung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss und den Spitzenverband Bund der Krankenkassen anwendbar. Vgl. EuGH, Urteil Rs. C-317/05 (PohlBoskamp) Slg. 2006, I-10611, Rn. 40 ff.; hierzu: Jäkel, GesR 2007, S. 57 ff. 179 Vgl. Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2006, S. 268 ff. 180 Vgl. Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, 2006, S. 314 ff.

C. Märkte im System der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen

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gemacht, die gerade auch die Zulassungsbedingungen für die Ausübung von Tätigkeiten in den Sozialversicherungssystemen der Mitgliedstaaten mit umfasst.181 c) Das Vordringen des Vergaberechts im Gesundheitswesen Die derzeit wohl wichtigste Folge der Einbeziehung des sozialen Leistungserbringungsrechts in den Anwendungsbereich der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit und damit auch der Binnenmarktkompetenzen aus Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU liegt in der daraus resultierenden Möglichkeit der Anwendung des europäischen Primär- und Sekundärvergaberechts auf das Leistungserbringungsrechts des SGB V, soweit die sachlichen und persönlichen Anwendungsvoraussetzungen des Vergaberechts vorliegen.182 Zugleich ist Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf den Vertragswettbewerb in der GKV ein besonders anschauliches Beispiel für die Co-Evolution von einzelstaatlicher Marktregulierung, grenzüberschreitender Marktöffnung und sekundärrechtlicher Harmonisierung, wie sie für das Mehrebenensystem in der Europäischen Union nicht untypisch ist. Dass sich heute die Frage nach den Grundlagen und Grenzen der Anwendung des Vergaberechts auf das Leistungserbringungsrecht des öffentlichen Gesundheitswesens überhaupt stellt, ist zunächst (1) die Folge der vom einzelstaatlichen Gesetzgeber nach wie vor autonom getroffenen Entscheidung, neue Formen der selektiven Vertragssteuerung im öffentlichen Gesundheitswesen einzuführen.183 Andererseits hat (2) der EuGH mit seinen Entscheidungen zur Anwendbarkeit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V, die primärrechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Primärvergaberechts auf den Vertragswettbewerb in der GKV geschaffen, das seine Grundlagen unmittelbar in den Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote der Art. 34 und 56 AEU findet.184 Da der EuGH das Leistungserbringungsrecht in den Anwendungsbereich der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit einbezogen hat, kann (3) der Binnenmarktgesetzgeber in diesen Bereichen eine Harmonisierung auf Grundlage der Binnenmarktkompetenzen aus Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU durchführen.185 Von dieser ihm eingeräumten Kompetenz hat der Binnenmarktgesetzgeber auch bereits Gebrauch gemacht, da in der allgemeinen 181 Vgl. Maydell, in: Griller (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsverfassung de lege lata et ferenda, 2006, S. 141 (148 ff.). 182 Zur Diskussion: Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff.; Knispel, NZS 2006, S. 120 ff.; Lorff, ZESAR 2007, S. 104 ff.; Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff.; sowie die Beiträge in Ebsen (Hrsg.), Vertragswettbewerb und Vergaberecht in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2009. Zum Ganzen näher unten 5. Kapitel, A. IV. 183 Vgl. Kingreen, SGb 2008, S. 437 (438 ff.). 184 Hierzu unten 5. Kapitel, A. III. 185 Siehe oben 2. Kapitel, C. I. und IV. 2.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

RL 2004/18/EG für das Gesundheitswesen, anders als z. B. für den Forschungssektor, keine tatbestandliche Bereichsausnahme vorgesehen ist, sondern vielmehr lediglich bestimmte Sonderregelungen für nicht prioritäre Gesundheitsdienstleistungen bestehen.186 Damit kommt neben einer Anwendung des Vergabeprimärrechts auch eine Anwendung der Vergaberichtlinien und des national transformierten GWB-Vergaberechts auf den Vertragswettbewerb in der GKV in Betracht. Mittlerweile hat (4) der EuGH mit seiner Entscheidung vom 19.06.2009 in der Rs. C-300/07 (Oymanns) den folgerichtigen nächsten Schritt getan.187 Demnach sind die gesetzlichen Krankenkassenträger öffentliche Auftraggeber kraft öffentlicher Finanzierung. Zugleich fallen Integrierte Versorgungsverträge i. S. v. §§ 140a ff. SGB V in der Regel als Lieferaufträge i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG bzw. Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. V RL 2004/18/EG auch in den sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie. Auf die Grundlagen und Grenzen der Anwendung des Vergaberechts auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V und deren Folgen für die Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers und der Krankenkassen wird in den folgenden Kapiteln noch im Einzelnen einzugehen sein. Schon an dieser Stelle kann jedenfalls festgehalten werden, dass Versorgungsverträge nach dem SGB V, soweit sie auf wirtschaftlichen Leistungsaustausch zielen, künftig in aller Regel ausschreibungspflichtig sein dürften. Zugleich ist mit der Entscheidung in der Rs. C-300/07 erstmals ein wesentliches Kernsegment der sozialrechtlichen Steuerung der Leistungserbringung im Gesundheitswesen in die sekundärrechtliche Harmonisierung durch den Binnenmarktgesetzgeber einbezogen worden.188 d) Rechtsangleichung zur Gewährleistung der passiven Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU aa) Zur Reichweite der Harmonisierungskompetenzen aus Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU Die Rechtsprechung des EuGH zur passiven Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit hat eigenständige kompetenzrechtliche Konsequenzen, die sich von jenen der aktiven Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit unterscheiden. Insbesondere kann der Binnenmarktgesetzgeber nunmehr gestützt auf Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU auch Maßnahmen treffen, die darauf gerichtet sind, den grenzüberschreitenden Zugangs von Patienten zu den Gesundheitsversorgungssystemen anderer Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Mit Blick auf die Reichweite die186 Vgl. Engelmann, SGb 2008, S. 133 ff. Zu den Bereichsausnahmen des Vergaberechts: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 39 Rn. 5. 187 EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427; hierzu: Kingreen, NJW 2009, 2417 ff. 188 Vgl. Kingreen, NJW 2009, 2417 ff.

C. Märkte im System der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen

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ser Kompetenzen gelten die allgemeinen Regeln. Wie sonst auch umfassen die Binnenmarktkompetenzen neben der Angleichung des materiellen Rechts auch Maßnahmen zur Angleichung des Verwaltungsverfahrens und der Verwaltungsorganisation, wenn und soweit dies zur Gewährleistung der Binnenmarktziele unter Beachtung der Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit erforderlich ist.189 Im Bereich der passiven Patientenrechte besteht allerdings die Besonderheit, dass der EuGH in ständiger Rechtsprechung die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und zur Regelung der Versicherungspflichten und Leistungsstandards in diesen Systemen betont.190 Entsprechend sind auch die Zuständigkeiten des Binnenmarktgesetzgebers aus Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU auf die Gewährleistung des Zugangs zu den nationalen Gesundheitsversorgungssystemen nach Maßgabe der Leistungsstandards und Kostensätze des nationalen Sozialrechts beschränkt, die nach wie vor von den Mitgliedstaaten autonom festgelegt werden können.191 Allerdings machte der Binnenmarktgesetzgeber von diesen ihm neu zugewachsenen Kompetenzen zunächst keinen Gebrauch. Damit blieb die Weiterentwicklung der europäischen Patientenrechte zunächst allein dem EuGH vorbehalten. Der konsequente Ausbau der primärrechtlichen Gewährleistungen löste schließlich aber doch einen politischen Reflektionsprozess ein, der im Jahr 2006 zunächst in die „Schlussfolgerungen des Rates zu den Werten und Prinzipien in den EU-Gesundheitssystemen“ einmündete. In diesen Schlussfolgerungen definiert der Rat für die EG-Gesundheitssysteme die Werte der Universalität, der diskriminierungsfreien Zugänglichkeit und der Solidarität, die – vor allem in Form einer öffentlichen Finanzierung – Bedingung für universelle Zugänglichkeit ist.192 Anknüpfend an die Schlussfolgerungen des Rats legte die Kommission im Juli 2008 einen neuen Vorschlag für eine „Richtlinie des Parlaments und des Rats über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung“ vor, dessen Verabschiedung und Umsetzung in nationales Recht eine weitgehende Harmonisierung des Leistungserbringungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung nach sich ziehen werden.193

189

Hierzu eingehend oben 2. Kapitel, C. IV. und V. Vgl. EuGH, Rs. 238/82 (Duphar) Slg. 1984, 523, Rn. 16; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831, Rn. 21; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 17. 191 Hieran knüpft auch die Kommission in ihrem Vorschlag zur EU-Patientenrichtlinie an: Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vom 2.7.2008, KOM (2008) 414 endgültig, 2008/0142 (COD), S. 9 und S. 26. 192 Europäischer Rat, Schlussfolgerungen des Rates zu den gemeinsamen Werten und Prinzipien in den Europäischen Union-Gesundheitssystemen, 2006/C141/01. 193 Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Ge190

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

bb) Patientenrichtlinie Die auf die allgemeine Binnenmarktkompetenz zur Rechtsangleichung auf „hohem Gesundheitsschutzniveau“ (vgl. Art. 114 Abs. 3 AEU; ex-Art. 95 Abs. 3 EG) gestützte Richtlinie schafft gem. Art. 1 RL „einen allgemeinen Rahmen für eine sichere, hochwertige und effiziente grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung“ und zielt auf die sekundärrechtliche Umsetzung der vom EuGH entwickelten Grundsätze zu Patientenrechten in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung.194 Die Richtlinie ist gem. Art. 2 RL auf jegliche Art der Gesundheitsversorgung anwendbar, unabhängig davon, wie sie organisiert, ausgeführt oder finanziert wird bzw. ob sie öffentlich oder privat erfolgt.195 Die Behandlungsmitgliedstaaten sind gem. Art. 5 Abs. 1 RL zuständig für die Organisation und Bereitstellung der Gesundheitsversorgung. Dazu legen sie unter Beachtung der Grundsätze Universalität, Zugang zu hochwertiger Versorgung, Gleichbehandlung und Solidarität klare Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gesundheitsversorgung in ihrem Hoheitsgebiet fest. Gemäß Art. 5 Abs. 3 RL soll die Kommission, soweit dies notwendig ist, um die Erbringung grenzüberschreitender Gesundheitsdienstleistungen zu erleichtern, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten Leitlinien erarbeiten, um die Durchführung des Art. 5 Abs. 1 RL zu erleichtern, was im Ergebnis auf eine europäische Standardisierung der Qualitätsstandards im Gesundheitswesen und eine fortschreitende Verzahnung von europäischen Komitologieverfahren und nationalen Standardisierungssystemen hinauslaufen dürfte, deren Rückwirkungen auf die mitgliedstaatlichen Handlungsspielräume noch nicht absehbar ist. Darüber hinaus sieht die Richtlinie u. a. Zuständigkeitsregelungen für die Behörden des Versicherungsstaates vor (Art. 6 RL) und regelt die Patientenrechte in der ambulanten und stationären Versorgung (Art. 7 und 8 RL). Im Gegensatz zu den vom EuGH aus dem Primärrecht abgeleiteten Anforderungen sieht der Entwurf auch für die stationäre Versorgung einen grundsätzlich genehmigungsfreien grenzüberschreitenden Behandlungsanspruch vor. Eine Ausnahme ist nur vorgesehen, wenn die Krankenkassenträger den Nachweis erbringen, dass durch eine genehmigungsfreie Versorgung die finanzielle Stabilität der nationalen Systeme der sozialen Sicherung ernsthaft gefährdet wäre. Da dieser Nachweis im Einzelfall praktisch nie zu erbringen sein wird, drohen hier Konflikte mit den Zielen der nationalen Krankenhausbedarfsplanung und möglicherweise auch eine Überforderung einzelner nationaler Systeme.196 Weitergehend sind Verfahrens- und Informationsrechte der Versicherten (Art. 9 und 10 RL), die Errichtung nationaler Kontaktstellen (Art. 11 RL) sowie sundheitsversorgung vom 2.7.2008, KOM (2008) 414 endgültig, 2008/0142 (COD). Hierzu: Röbke, MedR 2009, S. 79 ff. 194 Röbke, MedR 2009, S. 79 (79 f.); Kingreen, ZESAR, 2009, 107. 195 Röbke, MedR 2009, S. 79 (80 f.); Kingreen, ZESAR, 2009, 107. 196 Zur derzeitigen Regelung über die Auslandskrankenbehandlung im SGB V vgl. Kruse, in: Kruse/Hänlein, SGB V § 13 Rn. 32.

C. Märkte im System der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen

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Regelungen über die Verwaltungszusammenarbeit (Art. 13 ff. RL) und über europäische Referenznetzwerke (Art. 15 RL), die Gesundheitstelematik (Art. 16 RL) sowie über die Zusammenarbeit bei neuen Gesundheitstechnologien (Art. 17 RL) vorgesehen.197 Hierbei sind insbesondere die Folgen der europäischen Referenznetzwerke auf die Zulassung, Bedarfsplanung und Budgetierung in den nationalen Systemen noch schwer abzuschätzen. cc) Beurteilung aus kompetenzrechtlicher Sicht Die Vereinbarkeit der Patientenrichtlinie mit den Kompetenznormen der Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU lässt sich derzeit nur sehr kursorisch beurteilen. Zunächst ist anzumerken, dass die von der Kommission gewählte Kompetenzgrundlage des Art. 95 EG (nunmehr Art. 114 AEU) jedenfalls nicht allein ausreichen dürfte, um den Richtlinienvorschlag zu decken. Die einschlägigen Regelungen des Richtlinienentwurfs beziehen sich weder allein noch in erster Linie auf den freien Warenverkehr, sondern vielmehr in erster Linie auf den freien Dienstleistungsverkehr, sodass hier die funktional spezielleren Kompetenznormen zur Harmonisierung der Dienstleistungsmärkte aus Art. 62, 53 Abs. 1 AEU herangezogen werden müssen. Inhaltlich dürften gegen die Richtlinie dagegen jedenfalls insoweit keine Bedenken bestehen, wie lediglich primärrechtliche Vorgaben des EuGH umgesetzt werden. Aber auch dort, wo die Richtlinie über die Vorgaben des EuGH hinausgeht, wie etwa im Bereich der stationären Versorgung (Art. 8 RL) oder bei den Referenznetzwerken (Art. 15 RL), dürfen angesichts der weiten Spielräume des Binnenmarktgesetzgebers nur geringe Risiken von Kompetenzüberschreitungen bestehen.198 Eine abschließende Untersuchung der kompetenzrechtlichen Implikationen der Richtlinie ist beim derzeitigen Verfahrensstand allerdings noch nicht möglich. Unbeschadet der damit noch offenen Fragen, stehen die EU-Gesundheitssysteme mit dem Inkrafttreten der EU-Patientenrichtlinie vor einem weit reichenden Harmonisierungsschub hin zu einem europäischen Leistungserbringungs- und Gesundheitsversorgungsrecht. e) Abgrenzung von Binnenmarktkompetenzen und Sachkompetenzen Abschließend bleibt noch das Verhältnis von Binnenmarktkompetenzen und gesundheitspolitischen Sachkompetenzen im Bereich des sozialen Leistungserbringungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zu klären. Hierbei kann wiederum auf die im 2. Kapitel herausgearbeiteten allgemeinen Grundsätze angeknüpft werden. Maßgeblich für die Bestimmung der Kompetenzgrundlage sind das Hauptziel der sekundärrechtlichen Maßnahme und die Grundsätze der funk197

Röbke, MedR 2009, S. 79 (81); Kingreen, ZESAR, 2009, 107. Zu den Spielräumen des Binnenmarktgesetzgebers eingehend oben 2. Kapitel, III. und IV. 198

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

tionalen und materiellen Spezialität.199 Innerhalb des Systems der Binnenmarktkompetenzen bestimmt sich das Verhältnis der Harmonisierungszuständigkeiten aus der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU) zu den Koordinierungskompetenzen aus Art. 48 AEU nach Maßgabe des Prinzips funktionaler Spezialität. Die Kompetenz aus Art. 48 AEU ist als funktional spezieller Binnenmarktzuständigkeit nach wie vor jeweils dann vorrangig eröffnet, wenn der Binnenmarktgesetzgeber Maßnahmen i. S. d. Art. 48 AEU „zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit“ treffen will, die insbesondere die Zusammenrechnung von Sozialversicherungszeiten und den Sozialleistungsexport gewährleisten. Insoweit der Unionsgesetzgeber die in Art. 48 AEU ausdrücklich normierten Ziele verfolgt, ist zugleich die Anwendung aller übrigen Binnenmarktkompetenzen ausgeschlossen.200 Ebenfalls allein auf Art. 48 AEU gestützt werden können Maßnahmen des Unionsgesetzgebers, die auf die Gewährleistung von grenzüberschreitenden Behandlungsleistungen nach dem Kostensätzen des Behandlungsstaates zielen (vgl. Art. 22 VO 883/2004/EG).201 Dagegen kommt eine Anwendung der Kompetenzen aus Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU nicht in Betracht, da die Begründung oder Einschränkung von zusätzlichen genuin unionsrechtlichen transnationalen sozialen Leistungsrechten, die über das jeweilige nationale Sozialrecht hinausgehen, von vornherein zu keiner Beschränkung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit führt.202 Neben den Zuständigkeiten aus Art. 48 AEU greifen im Leistungserbringungsrecht des SGB V nach wie vor auch die besonderen gesundheitspolitischen Kompetenzen aus Art. 168 AEU. Soweit die EU-Gesundheitspolitik nach Maßgabe der Art. 168 AEU lediglich Förderungs- und Unterstützungskompetenzen enthält (vgl. Art. 168 Abs. 1 bis 3 AEU) bzw. eine Harmonisierung ausschließt (vgl. Art. 168 Abs. 5), stellen sich von vornherein keine unmittelbaren Konkurrenzprobleme zu den Binnenmarktkompetenzen. Anders ist die Lage allerdings in Bezug auf die besonderen gesundheitspolitischen Rechtsangleichungsbefugnisse aus Art. 168 Abs. 4 AEU, die insbesondere Qualitäts- und Sicherungsstandards bei Blutprodukten, Arzneimitteln und Medizinprodukten umfassen. Diese Kompetenzen dürften als materiell speziellere Normen einer Binnenmarktharmonisierung nach Art. 114 AEU jedenfalls dann vorgehen, wenn der Unionsgesetzgeber mit den in Art. 168 Abs. 4 AEU enummerierten Maßnahmen ausschließlich gesundheitspolitische Zielsetzungen i. S. d. Art. 168 Abs. 1 AEU verfolgt. Soweit die Maßnahme dagegen gerade auch der Förderung funktionaler Binnenmarktziele dient, greift Art. 114 AEU als funktionale speziellere Kompetenzgrundlage.203

199 200 201 202 203

Siehe oben 2. Kapitel, C. III. Siehe oben 2. Kapitel, C. III. Vgl. EuGH, Rs. C-56/01 (Inzian) Slg. 2004, I-12403, Rn. 21. Siehe oben 2. Kapitel, C. III. Siehe oben 2. Kapitel, C. III.

D. Märkte im System des Wettbewerbs- und Beihilferechts

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D. Die Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens im System des Wettbewerbs- und Beihilferechts Das europäische Wettbewerbsrecht gewährleistet den Schutz des Wettbewerbs im europäischen Binnenmarkt. Damit stellt sich neben und mit der Frage nach der Anwendbarkeit der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen auch die Frage nach der Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens. Auch hier kann zwischen den Märkten für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen (Sozialversicherungsrecht i. e. S.) und den nachgelagerten Märkten für Gesundheitsversorgungsleistungen (Leistungserbringungsrecht) unterschieden werden.

I. Zur Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf die Märkte für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen 1. Die „Tatbestandslösung“ des EuGH Die Frage nach der Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf die gesetzlichen Krankenversicherungsmonopole der Mitgliedstaaten ist seit jeher ausgesprochen umstritten. Während die h. M.204 für eine Anwendung des Wettbewerbs- und Beihilferechts auf die gesetzlichen Krankenversicherungsmonopole der Mitgliedstaaten plädiert, folgt der EuGH einer differenzierenden Linie. Zwar fallen nach der Rechtsprechung des EuGH ergänzende soziale Kranken- und Rentenversicherungssysteme, insbesondere betrieblicher Art, dann in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts, wenn sie grundsätzlich nach Art einer individuell-äquivalenten Privatversicherung organisiert sind.205 Allerdings legt der EuGH schon bei betrieblichen Sicherungssystemen den wettbewerbsrechtlichen Rechtfertigungstatbestand des Art. 106 Abs. 2 AEU unter Verweis auf das unionsrechtlich anerkannte Interesse an der Existenz ergänzender betrieblicher Sicherungssysteme sehr weit aus. Daher können nicht nur bestehende obligatorische betriebliche Renten- und Krankenversicherungssysteme aufrechterhalten, sondern auch neue 204 Haverkate, VSSR 1999, S. 177 ff.; Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 69 ff. T. Schmidt, GesR 2007, S. 295 ff.; Giesen, SGb 1994, S. 63 ff.; Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Spielräume der Mitgliedstaaten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2006, S. 32 ff. m.w. N.; Pitschas, Deutsches und europäisches Gesundheitsrecht zwischen öffentlich-rechtlicher Wettbewerbsordnung und Verbraucherschutz. Soziale Krankenversicherung als Ausnahmebereich des Art. 86 Abs. 2 EGV, in: Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung 2000, S. 199 ff.; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV Art. 86 Rn. 12; gegen eine Anwendung des Wettbewerbsrechts z. B.: Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, S. 438 ff.; Keßler, WRP 2006, S. 1283 ff. 205 EuGH, Rs. C-219/97 (Bokken), Slg. 1999, I-6121; EuGH, Rs. C-67/96 (Albany), Slg. 199, I-5751.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

Systeme dieser Art errichtet werden.206 Schließlich nimmt der EuGH in ständiger Rechtsprechung den Kernbereich der durch einkommensabhängige Beiträge finanzierten gesetzlichen Sozialversicherungssysteme unter Verweis auf den nichtwirtschaftlichen Charakter solidarisch organisierter, gesetzlich weitgehend determinierter Pflichtversicherungssysteme bereits tatbestandlich vom Anwendungsbereich des funktionellen Unternehmensbegriffs des EU-Wettbewerbsund Beihilferechts aus.207 Diese Rechtsprechung hat der EuGH auch in seiner jüngsten Entscheidung für die deutsche gesetzliche Unfallversicherung nochmals konkretisiert und ausdrücklich bestätigt.208 2. Die „Rechtfertigungslösung“ des Schrifttums Die oben bereits diskutierte, durchaus bahnbrechende Entscheidung des EuGH zur Einbeziehung der Sozialversicherungspflicht in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit im Rahmen des Unfallversicherungsurteils steht auf den ersten Blick in einem auffälligen Kontrast zu der im gleichen Urteil getroffenen Entscheidung zur tatbestandlichen Unanwendbarkeit des Monopolmissbrauchsverbots des Wettbewerbsrechts (Art. 106, 102 AEU) auf solidarisch finanzierte, gesetzlich weitgehend determinierte Sozialversicherungsmonopole. Diese Entscheidung des EuGH ist im Schrifttum denn auch nur vereinzelt auf Zustimmung, überwiegend aber auf Kritik gestoßen. Die Kritik orientiert sich vor allem an der grundsätzlich weiten Fassung des funktionellen Unternehmensbegriffs des Wettbewerbsrechts und dem hinter diesem Begriff stehenden Schutzzweck des Wettbewerbsrechts. Der funktionelle Unternehmensbegriff erfasst im Interesse der praktischen Wirksamkeit des EU-Wettbewerbsrechts jede der Art nach wirtschaftliche Tätigkeit, unabhängig von der Rechtsform und der Art der Finanzierung. Im Zweifel soll es darauf ankommen, ob eine Tätigkeit ihrer Art nach auch von privaten Unternehmen unter Wettbewerbsbedingungen erbracht wird.209 Auf dieser Grundlage hat der EuGH z. B. in der Grundsatzentscheidung in der Rs. Höfer entschieden, dass über Sozialbeiträge finanzierte Arbeitsvermittlungsleistungen staatlicher Arbeitsämter in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts fallen.210 Ausgehend von dieser Entscheidung lässt sich nun argumentie206

EuGH, Rs. C-67/96 (Albany), Slg. 199, I-5751, Rn. 98 ff. EuGH, verb. Rs. C-159/91 u C-160/91 (Poucet u. Pistre) Slg. I-637; EuGH, Rs. C-244/94 (Fédération française) Slg. 1995, 4013; EuGH, C-67/96 (Albany) Slg. 1999, I-5751; EuGH, Rs. C-218/00 (INAIL) EuZW 2002, 146; EuGH, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. C-355/01 (AOK Bundesverband) Slg. 2004, I-2493; siehe auch EuG, Rs. T-319/99 (FENIN) Slg. 2003, II-357; EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 38 ff., 69. 208 EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 38 ff. 209 Eingehend: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33 Rn. 32 ff. m.w. N. 210 EuGH, Rs. C-41/90 (Höfner u. Elser) Slg. 1919, I-1979, Rn. 21 f. 207

D. Märkte im System des Wettbewerbs- und Beihilferechts

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ren, dass nicht nur Arbeitsvermittlungsleistungen, sondern selbstverständlich auch Kranken- oder Rentenversicherungsleistungen ebenfalls von privaten Unternehmen unter Wettbewerbsbedingungen erbracht werden können und auch de facto erbracht werden.211 Die solidarische Finanzierung wäre demgegenüber, ebenso wie bei der Arbeitsvermittlung, lediglich eine unbeachtliche Finanzierungsmodalität.212 Parallel zur tatbestandlichen Anwendung der Art. 101 ff. AEU auf die solidarische Sozialversicherung wollen die Vertreter der h. M. den Besonderheiten solidarischer Systeme auf der Rechtfertigungsebene des Art. 106 Abs. 2 AEU angemessen Rechnung tragen (sog. Rechtfertigungslösung).213 Art. 106 Abs. 2 AEU erlaubt bei Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen, eine Freistellung von Vorschriften des Vertrags, wenn andernfalls die Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert würden. Da an der Gewährleistung sozialer Sicherheit ein Unionsinteresse besteht und eine solidarische Sozialversicherung ohne eine Sozialversicherungspflicht nicht auskommt, käme eine Freistellung der Sozialversicherung insbesondere vom Monopolmissbrauchverbot des Art. 102, 106 Abs. 1 AEU durchaus in Betracht.214 3. Der funktionelle Unternehmensbegriff und die Suggestivkraft des Versicherungsbegriffs Bevor allerdings die Frage nach einem angemessenen Interessenausgleich auf der Rechtfertigungsebene überhaupt sinnvoll gestellt werden kann, ist zunächst zu überprüfen, ob die Argumentation zur Tatbestandsebene tatsächlich tragfähig ist. Bei etwas genauerer Betrachtung beruht die zuvor skizzierte, vordergründig erst einmal einleuchtende Argumentation nicht zuletzt auf der Suggestivkraft des durchaus schillernden Versicherungsbegriffs, der Vergleichbarkeit gerade auch dort impliziert, wo sie fraglich sein mag. Dies zeigt sich, wenn näher nach dem Zweck von Versicherungsdienstleistungen gefragt wird. Jede Versicherung dient letztlich der versicherungsmäßigen Risikodeckung, mithin der Verlagerung von individuellen Risiken auf ein Kollektiv von im Wesentlichen in gleicher Weise 211 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33 Rn. 32 f. 212 In diese Richtung: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33 Rn. 39. 213 So z. B. Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV Art. 86 Rn. 12; Engelmann, Kostendämpfung im Gesundheitswesen und EG-Wettbewerbsrecht, 2002, S. 69 ff. DünnesZimmermann, Gesundheitspolitische Spielräume der Mitgliedstaaten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2006, S. 321 ff., 381 ff.; Pitschas, Deutsches und europäisches Gesundheitsrecht zwischen öffentlich-rechtlicher Wettbewerbsordnung und Verbraucherschutz. Soziale Krankenversicherung als Ausnahmebereich des Art. 86 Abs. 2 EGV, in: Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsordnung 2000, S. 199 ff. 214 Vgl. zu betrieblichen Versicherungssystemen: EuGH, C-67/96 (Albany) Slg. 1999, I-5751.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

Betroffenen.215 Dies gilt für die soziale wie für die private Versicherung.216 Gleichwohl verweisen die private Wettbewerbsversicherung und die solidarische Sozialversicherung auf durchaus unterschiedliche Arten der Risikokollektivierung. Eine Privatversicherung dient der Verlagerung von individuellen Risiken auf ein Risikokollektiv auf Basis einer individuell-risikoäquivalenten Prämienkalkulation.217 Eine derartig organisierte und finanzierte Versicherung kann von privaten Unternehmen auf Wettbewerbsmärkten angeboten werden. Denn grundsätzlich hat jeder Versicherungsnehmer unter Marktbedingungen ein wirtschaftliches Interesse daran, sein eigenes versicherungskalkulatorisches Kostenrisiko – aber eben auch nur sein eigenes Kostenrisiko – mit seinen Prämien zu decken.218 Dabei kommt zur Organisation einer individuell-risikoäquivalenten Vorsorge durch private Wettbewerbsversicherung je nach Versicherungszweck und gesetzlichen Vorgaben sowohl das Kapitalumlageverfahren (Regelfall) als auch das Kapitaldeckungsprinzip in Betracht, wie insbesondere bei der kapitalgedeckten Rentenversicherung, sowie – soweit entsprechende gesetzliche Pflichten bestehen – auch bei der privaten Krankenversicherung.219 Unabhängig vom gewählten Deckungsverfahren ist eine Privatversicherung unter allgemeinen Marktbedingungen jedoch kein Instrument zur Organisation von „Solidarität unter Fremden.“ 220 In Abgrenzung zur Privatversicherung dient eine solidarische, in der Regel umlagefinanzierte Sozialversicherung der Verlagerung von individuellen Risiken auf ein Risikokollektiv auf Grundlage einkommensabhängiger Beitragsleistungen, also der Risikotragung nach Maßgabe individueller wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.221 Nicht das individuelle Kostenrisiko, sondern das individuelle Einkommen liefert folglich den Bezugspunkt für die Umverteilung von Kostenrisiken (vgl. § 3 SGB V). Eine letztlich steuerähnliche Umverteilung individueller Kos215 W. Müller, Das Versicherungsprinzip, in: Rolf/Spah/Wagner (Hrsg.), Sozialvertrag und Versicherung, 1996, S. 129 ff. 216 In diesem Sinne auch, A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2001, S. 175 ff. 217 Vgl. Kingreen, ZESAR 2007, S. 139 ff. 218 Auch das BVerG (BVerfGE 76, S. 304 f.) betont diesen Aspekt, wenn es zur Abgrenzung zwischen Sozial- und Privatversicherung darauf abstellt, Letztere infolge eines „individualbezogenen Risikobegriffs“ bzw. einer „versicherungsmathematischen Äquivalenz“, nach welcher der Beitrag eine „feste versicherungsmathematisch bestimmte Größe“ ist, die sich nach der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des versicherten Ereignisses, dem Zinsertrag, den Verwaltungskosten und sonstigen Faktoren (wie z. B. gesetzlichen Risikoselektionsverboten) orientiert. 219 Daher greift das abstrakte Kriterium der „Umlagefinanzierung“ zur Abgrenzung von nichtwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Versicherungstätigkeiten jedenfalls bei der Krankenversicherung auch zu kurz, so aber: Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/ EGV Art. 86 Rn. 12. 220 Prägnant: Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 253. 221 Zu den Einzelheiten des Solidarausgleichs nach dem GKV-WSG 2007: Kingreen, ZESAR 2007, S. 139 ff.

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tenrisiken nach Maßgabe wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit auf Grundlage einkommensabhängiger Sozialbeiträge erfordert indes unter Bedingungen einer Grundsatzentscheidung für eine marktwirtschaftliche Ordnung notwendig hoheitlichen Zwang.222 Damit lässt sich durchaus vertreten, dass es sich bei solidarischen Versicherungsdienstleistungen um eine von der Privatversicherung verschiedene, notwendig hoheitliche Art der Risikovorsorge handelt.223 Dies leuchtet bei genauerer Betrachtung gerade auch im Vergleich zum Fall der staatlichen Arbeitsvermittlung in der Rs. Höfner ein. Grundsätzlich kann jedes private Unternehmen und letztlich auch jeder einzelne Bürger unter allgemeinen Bedingungen von Marktwirtschaft und Parteiautonomie ohne Weiteres Arbeitsvermittlungsdienstleistungen anbieten. Dagegen kann erkennbar nicht jedes private Unternehmen unter Bedingungen von Vertragsfreiheit am Markt eine solidarische Risikoumverteilung organisieren. Überdies unterläuft die Versicherungsdienstleistung als komplexe Finanzdienstleistung auch die von der Definition des funktionellen Unternehmensbegriffs ganz selbstverständlich vorausgesetzte klare Unterscheidbarkeit zwischen Art und Finanzierung einer Tätigkeit.224 So kann zwischen der Art einer Arbeitsvermittlungsdienstleistung als Sachleistung und der Art ihrer Finanzierung durch den Staat oder den Markt klar getrennt werden.225 Dagegen besteht zwischen der Art der solidarischen oder risikoäquivalenten Organisation eines Risikoausgleichs durch Versicherungseinrichtungen und der Art der einkommensabhängigen oder risikoäquivalenten Finanzierung dieser Dienstleistungen ein untrennbarer Zusammenhang. Aus dieser Perspektive verweist das Solidarprinzip nicht bloß auf eine unbeachtliche Finanzierungsmodalität, sondern auf die spezifische, ihrer Art nach nur hoheitlich zu erbringende Risikoumverteilungsdienstleistung der gesetzlichen Sozialversicherung. 4. „Solidarität“ als Argument? a) Das Prinzip der praktischen Wirksamkeit und die objektiv wettbewerbsbeschränkende Wirkung staatlicher Sozialversicherungsmonopole Die Entscheidung des EuGH zur tatbestandlichen Unanwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf solidarisch finanzierte gesetzliche Sozialversicherungssysteme erweist sich damit als durchaus vertretbar. Zumindest kann festgestellt werden, dass die solidarische Sozialversicherung einen wettbewerbsrechtlichen Zweifelsfall darstellt, der auf Grenzen des funktionellen Unternehmensbegriffs verweist 222 Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 259. 223 Vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 253 ff. 224 Vgl. EuGH, Rs. C-41/90 (Höfner u. Elser) Slg. 1919, I-1979, Rn. 21. 225 Vgl. EuGH, Rs. C-41/90 (Höfner u. Elser) Slg. 1919, I-1979, Rn. 21 ff.

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und daher „so, aber eben auch anders“ entschieden werden kann. Eben weil die Rechtsprechungslinie des EuGH zwar vertretbar, aber andererseits durchaus nicht zwingend ist, bleiben rechtsdogmatische Zweifel. Bedenken ergeben sich aus teleologischer Sicht schon mit Blick auf das Ziel der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des EU-Wettbewerbsrechts (vgl. Art. 4 Abs. 3 EU; Art. 3 Abs. 1 lit. b, Art. 101 AEU).226 So steht außer Frage, dass die Existenz gesetzlicher Sozialversicherungsmonopole nicht nur den Marktzugang, sondern auch den Wettbewerb im Binnenmarkt beschränkt, da die sozialrechtlich monopolisierten Märkte dem allgemeinen Marktwettbewerb entzogen sind. Zudem entspricht es der allgemeinen Erfahrung, dass der Gerichtshof das Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht gerade auch in Zweifels- und Grenzfällen, wie jenem der gesetzlichen Sozialversicherung, in aller Regel „funktional“ und damit weit auslegt. Somit verwundern gerade die apodiktische Strenge und ungewöhnliche Klarheit, mit denen der EuGH die Anwendung des funktionellen Unternehmensbegriffs und damit der Art. 101 ff. und 107 ff. AEU auf solidarisch finanzierte gesetzliche Sozialversicherungssysteme ablehnt.227 b) Das Prinzip der Konnexität von Wettbewerbsrecht und Grundfreiheiten Die damit genährten Zweifel wachsen mit Blick auf das Unfallversicherungsurteil von 2009 weiter, in dem der EuGH zwar die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf gesetzliche Sozialversicherungssysteme nach wie vor ablehnt, andererseits aber die Dienstleistungsfreiheit nunmehr zumindest grundsätzlich auch auf Sozialversicherungsdienstleistungen anwendet.228 Damit scheint der EuGH das Prinzip der grundsätzlichen Konnexität von Grundfreiheiten und Wettbewerbsrecht und damit einen der dogmatischen Eckpfeiler des europäischen Wirtschaftsverfassungsrechts infrage zu stellen. Die Verfassung des europäischen Binnenmarktes beruht wesentlich auf den komplementären Funktionen der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts bei der Marktöffnung und Liberalisierung im Binnenmarkt. Während die staatsgerichteten Grundfreiheiten die mitgliedstaatlichen Märkte grenzüberschreitend öffnen, schützt das unternehmensbezogene Wettbewerbsrecht den Wettbewerb auf den so eröffneten Märkten. Beides zusammen gewährleistet den Gleichklang von Marktöffnung und Liberalisierung.229 Programmatisch stellt daher R. Giesen zum Verhältnis von Wettbewerbsrecht und Dienstleistungsfreiheit Folgendes fest: „Art. 50 EG erfasst alle Leistun226 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 1, Rn. 2 ff. 227 Vgl. Giesen, ZESAR 2009, S. 311 (314 ff.); Penner, ZESAR 2009, 411 ff. 228 EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 68, 75. 229 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 2 Rn. 6 ff.; § 33 Rn. 7 ff.; zum Zusammenhang vgl. zuletzt wieder: EuGH, Rs. C-94/04 (Cipolla) NJW 2007, 281, Rn. 45 ff., 56 ff.

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gen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, und die Art. 82 ff. EG betreffen unternehmerische Tätigkeiten, welche vom EuGH ebenfalls als eine ,wirtschaftliche Tätigkeit‘ umschrieben werden. Beide Tatbestandsmerkmale haben die Funktion, gemäß der Vorgabe des Art. 2 1. Spiegelstrich EG die ökonomische Dimension des Binnenmarktprinzips zu definieren und gegen den außerökonomischen Bereich abzugrenzen. Deshalb sind bisher auch keine Fälle bekannt, in welchen der EuGH ein bestimmtes Verhalten den Grundfreiheiten unterworfen hätte, aber nicht den Kartellrechtsregeln nach Art. 81 ff. EG. Umgekehrt sind auch keine Fälle bekannt, in denen er ein bestimmtes Verhalten den Kartellrechtsregeln nach Art. 81 ff. EG unterworfen hätte, aber nicht den Grundfreiheiten.“ 230 Das von Giesen hervorgehobene Prinzip der Konnexität von Wettbewerbsrecht und Grundfreiheiten wird durch die Unfallversicherungsentscheidung des EuGH indes erstmals offen durchbrochen.231 Im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung erfolgt – anders als in den Universaldienstleistungssektoren – zwar im Grundsatz ebenfalls eine Marktöffnung durch die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit, aber gerade keine parallele Liberalisierung durch das Wettbewerbsrecht.232 Die vom EuGH damit im Sozialversicherungs- und Gesundheitssektor vorgenommene partielle Entkopplung von Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht will zunächst auch deswegen nicht recht einleuchten, als eine Anwendung des Wettbewerbsrechts nicht notwendig zu einer Aufhebung der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht führen müsste. Vielmehr hätte der EuGH neben der Dienstleistungsfreiheit auch das Wettbewerbsrecht für anwendbar erklären können, zugleich aber – ähnlich wie bei der Dienstleistungsfreiheit – dem Interesse an der Aufrechterhaltung sozialer Sicherungssysteme auf der Rechtfertigungsebene des Art. 106 Abs. 2 AEU angemessen Rechnung tragen können.233 c) Die Anwendung des Wettbewerbs- und Beihilferechts auf die Sozialversicherung als horizontales Gewaltengliederungsproblem Die Differenzierungen in der Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der Grundfreiheiten und zum Wettbewerbs- und Beihilferecht im Sozialversicherungs- und Gesundheitssektor dürften sich denn auch rein materiell-rechtlich 230 Giesen, Verletzung von Europarecht durch das Monopol der Berufsgenossenschaft, Gutachten 2003, III 2 d cc aaa, zitiert nach M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (367 f.). 231 M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365 (368). 232 EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 68, 75 f. 233 Vgl. EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 68, 83 ff. Für eine Berücksichtigung sozialer Sicherungsziele auf der Rechtfertigungsebene auch: Giesen, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag, 1995, S. 119 ff.; Mestmäcker, in: Immenga/ Mestmäcker, EG Wettbewerbsrecht, Art. 37, 90 EGV, C. Rn. 11 f.; ebenso, allerdings nur für nicht solidarisch finanzierte Sozialversicherungssysteme: EuGH, Rs. C-219/97 (Bokken), Slg. 1999, I-6121, Rn. 88 ff.; EuGH, Rs. C-67/96 (Albany), Slg. 199, I-5751, Rn. 98 ff.

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nicht vollständig überzeugend begründen lassen. Dessen ungeachtet scheint es dem EuGH auch nicht allein oder in erster Linie um die Verteidigung nationaler Kompetenzen im Bereich der Gesundheits- und Sozialpolitik zu gehen. Dies zeigt sich wiederum besonders deutlich am Unfallversicherungsurteil. Hier beschränkt der EuGH die nationalen Kompetenzen im Kernbereich der sozialen Sicherungssysteme erheblich, indem er mit Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf die Sozialversicherung zugleich neue Harmonisierungskompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers eröffnet.234 Eine überzeugende Begründung der tragenden Grundsätze der Rechtsprechung des EuGH dürfte denn auch weder allein auf der materiell-rechtlichen Ebene noch allein auf der Ebene der vertikalen Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten, sondern erst unter zusätzlicher Einbeziehung der Ebene der europäischen (horizontalen) Gewaltengliederung und damit des „institutionellen Gleichgewichts“ zwischen den Unionsorganen gelingen.235 Auch das Wirtschaftsverfassungsrecht der Union ist mittlerweile integraler Bestandteil eines umfassenderen Systems europäischer Gewaltengliederung.236 Damit stellen sich bei der Verortung der Sozialversicherung im System des Unionsrechts neben wirtschaftsfreiheitsrechtlichen Fragen auch Legitimationsfragen. Die Begründung, Organisation und Weiterentwicklung der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme sind nach den gemeinsamen Verfassungstraditionen aller westlichen Demokratien jedenfalls in ihren wesentlichen Grundsätzen eine Aufgabe der parlamentarischen Legislative, nicht aber der Exekutive. Indem der EuGH die Sozialversicherung in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit und der Binnenmarktkompetenzen einbezieht, weist er dem Europäischen Parlament und dem Rat als den Organen der europäischen Legislative erweiterte Kompetenzen im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung zu. Indem der EuGH die Anwendung des funktionalen Unternehmensbegriffs auf solidarische Sozialversicherungssysteme ablehnt, entzieht er die Sozialversicherung zugleich den in erster Linie normativ-funktional und damit gerade nicht parlamentarisch demokratisch legitimierten, autonomen wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrollkompetenzen der Kommission.237 Eine Anwendung des funktionalen Unternehmensbegriffs auf die gesetzlichen Sozialversicherungsträger würde zwar, wegen der Möglichkeit der Freistellung des Monopolmissbrauchsverbot über Art. 106 Abs. 2 AEU (ex-Art. 86 Abs. 2 EG), nicht notwendig eine Aufhebung der staatlichen Sozialversicherungsmonopole nach sich ziehen.238 Dessen ungeachtet wäre auch dann, wenn die Sozialversicherungsträger als Un234 So im Ergebnis jedoch M. Fuchs, ZESAR 2009, S. 365, (369 ff.) mit entsprechender Kritik an der Rechtsprechung des EuGH. 235 Siehe oben 1. Kapitel, A. V. II., C. IV. 1. 236 Siehe oben 1. Kapitel, C. IV. 237 Zur normativ funktionalen Legitimation der Kommissionszuständigkeiten vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 3, Rn. 2 ff. 238 EuGH, Rs. C-67/96 (Albany), Slg. 199, I-5751.

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ternehmen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse einzustufen wären, jedenfalls das Verfahren der Beihilfekontrolle (Art. 107 ff. AEU; ex-Art. 87 ff. EG) auf die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme der Mitgliedstaaten anwendbar. Die Rechtslage in der Sozialversicherung wäre damit in etwa mit jener vergleichbar, die heute für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kennzeichnend ist.239 Ebenso wie die Rundfunkgebühr nach Auffassung der Kommission und nach h. M. im Schrifttum als Beihilfe unter die Beihilfekontrolle fällt, würde auch der ungleich wichtigere Sozialbeitrag der Beihilfekontrolle durch die Kommission unterliegen. Damit würde die Kommission auch im Bereich der Sozialversicherung – ähnlich wie im Rundfunksektor – zu einem dominierenden, von der europäischen Legislative unabhängigen exekutiven Entscheidungsorgan aufsteigen, das im Rahmen der Beihilfekontrollverfahren mit den Regierungen der Mitgliedstaaten die weitere Entwicklung der Finanzierung und der Aufgaben der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme weitgehend parlamentsunabhängig aushandeln könnte.240 Diese absehbare Entparlamentarisierung des Sozialversicherungsrechts hat der EuGH durch seine Entscheidung für die supranationale Parlamentarisierung und gegen eine supranationale Gouvernementalisierung des Sozialversicherungsrechts vermieden. Umgekehrt definiert der EuGH mit seiner Rechtsprechung auf vertretbare Weise die Grenzen, die den funktionalen Kontrollkompetenzen der Kommission unter Legitimationsgesichtspunkten gesetzt sein müssen. d) Die Folgen einer Deregulierung der gesetzlichen Krankenversicherungsmärkte Die Restriktion der Kommissionskompetenzen lässt sich allerdings nur soweit rechtfertigen, wie Kernbereiche der solidarisch finanzierten gesetzlichen Sozialversicherungssysteme der Mitgliedstaaten betroffen sind. Dagegen können allein gewisse begrenzte soziale Bindungen öffentlicher Unternehmenstätigkeiten eine Anwendung des Wettbewerbs- und Beihilferechts noch nicht ausschließen, zumal Art. 106 Abs. 2 AEU (ex-Art. 86 Abs. 2 EG) ausdrücklich klarstellt, dass allgemeinwirtschaftliche Unternehmenstätigkeiten vom Wettbewerbsrecht grundsätzlich erfasst werden sollen.241 Ausgehend von diesen Prämissen, bestehen gerade im deutschen Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) mittlerweile Besonderheiten, welche die Frage der Anwendung des Wettbewerbs- und Beihilferechts auch dann aufwerfen, wenn die Grundsätze des EuGH zur Unanwendbarkeit des Wettbewerbs- und Beihilferechts auf solidarisch finanzierte Sozialversicherungssysteme zugrunde gelegt werden. So wird die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland zwar als Gesamtsystem nach wie vor grundsätzlich 239

Koenig/Kühling, ZUM 2001, S. 537 ff. Siehe oben 1. Kapitel, C. IV. 6. 241 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33, Rn. 24 ff. 240

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solidarisch finanziert.242 Allerdings ist in Deutschland, ähnlich wie in den Niederlanden, durch die Einführung eines Gesundheitsfonds inzwischen eine Trennung zwischen der solidarischen Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens und der Finanzierung der einzelnen gesetzlichen Krankenkassenträger erfolgt.243 Die gesetzlichen Krankenversicherungen ziehen die einkommensabhängigen Beiträge mittlerweile nur noch für den beim Bundesverwaltungsamt angesiedelten staatlichen Gesundheitsfonds ein, der seinerseits solidarisch finanziert wird und rein hoheitliche Aufgaben bei der Zuweisung von Finanzmitteln an die einzelnen Krankenkassen und bei der Durchführung des Risikostrukturausgleichs übernimmt. Die einzelnen Krankenkassenträger selbst werden dagegen durch kopfgleiche Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds, risikoäquivalente Prämien für Wahltarife sowie durch Zusatzprämien finanziert, die wahlweise einheitlich oder einkommensabhängig erhoben werden können. Damit handelt es sich bei der einzelnen Krankenkasse nicht mehr um eine solidarisch finanzierte Organisation, sondern um ein durch Einheitsprämien finanziertes Unternehmen innerhalb eines insgesamt nach wie vor überwiegend solidarisch finanzierten Systems.244 Versicherungseinrichtungen, die sich im Wettbewerb durch Kopfprämien finanzieren, können jedoch auch unter regulierten Wettbewerbsbedingungen auf Dauer gestellt werden. Die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die gesetzlichen Krankenversicherungen in ihrer derzeitigen Form hängt damit maßgeblich davon ab, ob auf den einzelnen, durch Einheitsprämien finanzierten Krankenversicherungsträger oder auf die Eingliederung der Krankenkassenträger in das „solidarische“ Gesamtsystem der GKV abgestellt wird. Die besseren Argumente dürften derzeit wohl (noch) dafür sprechen, auf das Gesamtsystem der GKV abzustellen, da der Status der einzelnen Krankenkassen untrennbar mit diesem System verbunden ist. Auch die bisherige Rechtsprechung des EuGH deutet darauf hin, dass der Gerichtshof die einzelnen Kassen als Teile des Gesamtsystems der gesetzlichen Krankenversicherung begreift.245 Gleichwohl ist bei künftigen Gesundheitsreformen zu bedenken, dass mit jeder weiteren Umstellung der Finanzierung der GKV auf ein kopfgleiches Prämienmodell zugleich auch die Wahrscheinlichkeit der Eröffnung des Anwendungsbereichs des EU-Wettbe-

242 Die bisher eingeführten Wahltarifoptionen berühren die solidarische Finanzierung des Grundsystems nicht. Kingreen, ZESAR 2007, S. 139 ff. Es erscheint jedoch denkbar, dass einzelne, an die Privatversicherung angelehnte Wahltarifoptionen für sich in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts fallen. Vgl. T. Schmidt, GesR 2007, S. 295 (295 f.). 243 Vgl. Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 373 ff. 244 Vgl. Axer, GesR 2007, S. 193 ff.; Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 373 ff. 245 Auch im Festbetragsurteil hat der EuGH maßgeblich auf die Stellung der Krankenkassen im Gesamtsystem der Leistungserbringung abgestellt: EuGH, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. C-355/01 (AOK-Bundesverband) Slg. 2004, I-2493. Ähnlich auch für die Berufsgenossenschaften: EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 44 ff.

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werbsrechts zunimmt. Umgekehrt ist eine Ausnahme vom Wettbewerbs- und Beihilferecht umso weniger zu rechtfertigen, als die Mitgliedstaaten eine Umstellung auf das Marktmodell vornehmen. Unabhängig von der politisch zu klärenden Frage nach der Gewichtung solidarischer und äquivalenter Beitragselemente, erscheint es im Interesse der Rechtssicherheit bedenkenswert, im Rahmen künftiger Gesundheitsreformen rechtlich strikt zwischen einer wettbewerbsrechtsneutralen unmittelbaren Beitragspflicht zu einem solidarisch finanzierten, staatlich verfassten Gesundheitsfonds und den privatwirtschaftlich organisierten und (anteilig) über Prämien auch äquivalent finanzierten Versicherungstätigkeiten der im Wettbewerb stehenden Krankenkassenträger auf den Märkten für Krankenversicherungsdienstleistungen zu trennen. Während die hoheitliche Tätigkeit eines Gesundheitsfonds nach wie vor vom Wettbewerbs- und Beihilferecht ausgenommen bliebe, würden die einzelnen gesetzlichen Krankenkassenträger in diesem Fall in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts fallen. Dieses Ergebnis liegt durchaus in der Konsequenz der einzelstaatlichen Reformen, die gerade darauf hinauslaufen, die gesetzlichen Krankenkassen zu (überwiegend) öffentlich finanzierten Unternehmen umzuformen. Den nach wie vor bestehenden besonderen Regulierungserfordernissen in der gesetzlichen Krankenversicherung kann ggf. im Rahmen des Rechtfertigungstatbestands des Art. 106 Abs. 2 AEU angemessen Rechnung getragen werden.246 Eine Anwendung des Beihilferechts auf die Zahlungen des Gesundheitsfonds an die Krankenkassenträger dürfte dagegen auch bei Annahme einer Unternehmenseigenschaft der gesetzlichen Krankenkassen ausscheiden. Einerseits dürfte es bei einem allgemeinen Zuwendungssystem, das zugleich der Durchführung eines Risikostrukturausgleichs dient, schon an der erforderlichen Selektivität der Beihilfe fehlen, sodass Art. 107 Abs. 1 AEU (exArt. 87 Abs. 1 EG) schon deswegen tatbestandlich nicht anwendbar wäre.247 Darüber hinaus dürften die Zuschüsse aus dem Fonds jedenfalls als Ausgleichszahlungen für defizitäre Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse einzustufen sein, die nach der Rechtsprechung des EuGH gem. Art. 106 Abs. 2 AEU (ex-Art. 86 Abs. 2 EG) vom Beihilfeverbot jedenfalls dann schon tatbestandlich ausgenommen sind, wenn sich die Zuschüsse auf den Ausgleich der Mehrkosten der Übernahme von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse beschränken. Die vom EuGH geforderten transparenten Verfahren zur Feststellung der Mehrkosten einer Allgemeinwohllast dürften in Form der Verfahrensregelungen über die Festsetzung kopfgleicher Prämien und den Risikostrukturausgleich erfüllt sein.248 246 In diesem Sinne schon für die bisherige Rechtslage: Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten, 2006, S. 381 ff. 247 EuGH Slg. 2001, 9067, 9108, Rn. 17 – Ferring; EuGH 26.9.2002, Slg. 2002 I-8031, 8042f Rn. 33 ff. – Spanien/Kommission; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 43, Rn. 53 ff. 248 Zur Ausgestaltung vgl. Schulte, RPG 2007, S. 87 ff.

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II. Die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf die Gesundheitsversorgungsmärkte Auch in den Gesundheitsversorgungsmärkten (Leistungserbringungsrecht) stellt sich die Frage nach der Anwendung des Wettbewerbsrechts. Die Frage der Anwendung des Kartellverbots des Art. 101 AEU und des Monopolmissbrauchsverbots des Art. 102 AEU auf die Kooperationsstrukturen der gemeinsamen Selbstverwaltung und die hoheitlich-kooperative Regulierung der Leistungserbringung bildete neben der Frage der Anwendung des Wettbewerbsrechts auf das gesetzliche Krankenversicherungsmonopol zeitweise das Zentrum der Diskussion um die Europäisierung des Gesundheitswesens.249 Mit der Einführung neuer Formen von selektiven Versorgungsverträgen stellt sich neben der Frage der Anwendung des Vergaberechts auf die Nachfragetätigkeiten der gesetzlichen Krankenkassen auch die Frage nach der Anwendung des Wettbewerbsrechts auf den Märkten für Gesundheitsversorgungsleistungen in neuer und komplexer Form.250 Die folgende überblicksartige Darstellung beschränkt sich auf die wettbewerbsrechtliche Stellung der gesetzlichen Krankenversicherungen und ihrer Verbände auf den Gesundheitsversorgungsmärkten. 1. Die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf Nachfragetätigkeit der gesetzlichen Krankenkassen a) Die „Nachfragelösung“ Die Frage nach der Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die Tätigkeiten der gesetzlichen Krankenversicherungsträger auf den Märkten für Gesundheitsversor249 EuGH, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. C-355/01 (AOK-Bundesverband) Slg. 2004, I-2493. Vgl. Steinmeyer, Festbeträge im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in: Mummenhoff, Winfried (Hrsg.), Administrative Restriktionen in der Arzneimittelversorgung, 2002, S. 36 ff.; Kingreen, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für Kosten-Nutzen-Bewertungen und Festbeträge in der Arzneimittelversorgung, in: Arzneimittel im Europäischen Binnenmarkt, EuR Beiheft 2 (2007) S. 145 ff.; Koenig/ Sander, Festbeträge für Arzneimittel auf dem Prüfstand des EG-Wettbewerbsrechts, in: Mummenhoff, Winfried (Hrsg.), Administrative Restriktionen in der Arzneimittelversorgung, 2002, S. 67 ff.; Natz, Marktregulierung durch Arzneimittelfestbeträge. Gesetzliche Krankenkassen im Lichte des Wettbewerbsrechts der EU und der USA, Frankfurt am Main 2005, Schwerdtfeger, Verfassungswidrige und EG-widrige Vorschlagsrechte im Entwurf eines Festbetrags-Neuordnungsgesetzes (§ 35 SGB V neu), in: NZS 2000, S. 67 ff.; J. Fahlbusch, Urteilsanmerkung: Festbeträge, Bundesverfassungsgericht, Urteil des 1. Senates des BVerfG vom 17.12.2002 – 1 BvL 28/95, 29/95, 30/95, SGb 2003/8, 458 ff.; Penner, NZS 2007, S. 521 ff. 250 Frenz, Krankenkassen im Wettbewerbs- und Vergaberecht, NZS 2007, S. 233 ff.; Bernhardt, Doppelte Regulierung im Leistungsbeschaffungsrecht der GKV? – Die gesetzlichen Krankenkassen zwischen Wettbewerbs- und Vergaberecht nach dem GKVWSG 2007, in: ZESAR 2008, S. 128 ff.

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gungsleistungen kann in den allgemeinen Kontext der Diskussion um die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf „Nachfragekonstellationen“ eingeordnet werden. Grundsätzlich ist unstrittig, dass das Wettbewerbsrecht nicht nur auf Wettbewerbsbeschränkungen auf der Angebotsseite, sondern auch auf Nachfragekartelle (Art. 101 AEU) und Nachfragemonopole (Art. 102 AEU) anwendbar ist.251 Umstritten ist indessen, unter welchen Voraussetzungen die Nachfragetätigkeit der öffentlichen Hand oder gleichgestellter Einrichtungen in den Anwendungsbereich des EU-Wettbewerbsrechts einzubeziehen ist.252 Ausgangspunkt für die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die Marktteilnahme der öffentlichen Hand ist, ebenso wie bei Angebotstätigkeiten, der funktionelle Unternehmensbegriff. Als unternehmerisch gelten grundsätzlich alle der Art nach wirtschaftlichen Tätigkeiten, unabhängig von der Rechtsform und der Art der Finanzierung.253 Unterschiedliche Auffassungen werden jedoch hinsichtlich der konkreten Anknüpfungspunkte für die Feststellung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Tätigkeit vertreten. Ein Teil der Lehre geht anknüpfend an die h. M. im deutschen Wettbewerbsrecht davon aus, dass zur Feststellung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Tätigkeit isoliert auf den Markteintritt der öffentlichen Hand als Nachfrager abzustellen ist.254 Begründet wird dies einerseits formal damit, dass die Ausübung von Marktnachfrage auf Grundlage von Austauschverträgen definitionsgemäß eine wirtschaftliche und keine hoheitliche Tätigkeit sei. Darüber hinaus wird auf Schutzlücken verwiesen, die entstehen, wenn in diesen Fällen allein das Vergaberecht anwendbar wäre.255 Nach dieser Auffassung liegt im Ergebnis bei allen Fällen öffentlicher Auftragsvergabe zugleich auch eine unternehmerische Tätigkeit auf der Nachfrageseite vor.256

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Eilmannsberger, in: Streinz, EUV/EGV Vor Art. 81 Rn. 27. Vgl. Eilmannsberger, in: Streinz, EUV/EGV Vor Art. 81 Rn. 27; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1761 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 926 ff.; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 EGV Rn. 56; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, EG Wettbewerbsrecht, Art. 85 Abs. 1; BGH WuW/E DR-233 – Inkontinenzhilfen. 253 EuGH Rs. C-41/90, Slg. 1919, I-1979 – Höfner u. Elsner. 254 Vgl. Steinmeyer, Festbeträge im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in: Mummenhoff, Winfried (Hrsg.), Administrative Restriktionen in der Arzneimittelversorgung, 2002, S. 36 ff.; Kingreen, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für KostenNutzen-Bewertungen und Festbeträge in der Arzneimittelversorgung, in: Arzneimittel im Europäischen Binnenmarkt, EuR Beiheft 2 (2007) S. 145 ff.; Koenig/Sander, Festbeträge für Arzneimittel auf dem Prüfstand des EG-Wettbewerbsrechts, in: Mummenhoff (Hrsg.), Administrative Restriktionen in der Arzneimittelversorgung, 2002, S. 67 ff.; Schwerdtfeger, NZS 2000, S. 67 ff. 255 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 926 ff 256 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 926 ff.; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 EGV Rn. 56; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, EG Wettbewerbsrecht, Art. 85 Abs. 1; BGH WuW/E DR-233 – Inkontinenzhilfen. 252

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

b) Die „Angebotslösung“ Die etwa gleich stark vertretene Gegenauffassung257 und der EuG258 stellen dagegen zur Feststellung einer unternehmerischen Nachfragetätigkeit maßgeblich auf die der Nachfrage jeweils korrespondierende Angebotstätigkeit ab. Demnach fällt die öffentliche Auftragsvergabe nur dann in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts, wenn die der Nachfrage korrespondierende Angebotstätigkeit der öffentlichen Hand wirtschaftlicher und nicht hoheitlicher Natur ist. Nach dieser Auffassung ist der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts im Ergebnis deutlich enger begrenzt. Zwar sind öffentliche und staatsnahe Unternehmen, die wirtschaftliche Dienste auf Angebotsmärkten anbieten, auch bei ihrer Nachfragetätigkeit nicht nur an das Vergaberecht, sondern auch an das Wettbewerbsrecht gebunden. Dagegen fällt die Auftragsvergabe durch die staatlichen Gebietskörperschaften zur Erfüllung hoheitlicher Zwecke nur in den Anwendungsbereich des Vergaberechts, nicht aber in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts. Ebenso ist die Auftragsvergabe durch Einrichtungen der funktionalen Staatsverwaltung, wie z. B. durch öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten, dann dem Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts entzogen, wenn die Beschaffung zu hoheitlichen Zwecken erfolgt. Begründet wird diese Auffassung einerseits damit, dass das Vergaberecht bei der Beschaffung zu hoheitlichen Zwecken speziellere und abschließende Regelungen enthalte. Andererseits könne das Vorliegen einer unternehmerischen Tätigkeit generell nicht allein durch einen isolierten Blick auf die Nachfrageseite, sondern stets nur „angebotsbezogen“ festgestellt werden.259 So fällt neben hoheitlichen Tätigkeiten z. B. auch die Marktteilnahme von Verbrauchern und von Arbeitnehmern nach ganz herrschender Meinung nicht in den Anwendungsbereich des funktionellen Unternehmensbegriffs. Dies gilt sowohl für Angebots- als auch für Nachfragetätigkeiten.260 Ob aber eine konkrete Nachfrage zu unternehmerischen Zwecken im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung oder zum Zweck des privaten Endverbrauchs ausgeübt wird, könne nur mit Blick auf die jeweilige Verwendung der beschafften Güter oder Dienstleistungen bestimmt werden.

257 Eilmannsberger, in: Streinz, EUV/EGV Vor Art. 81 Rn. 27; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1761 ff.; Natz, Marktregulierung durch Arzneimittelfestbeträge, 2005, S. 76; Pruns, Kartell- und vergaberechtliche Probleme des selektiven Kontrahierens auf europäischer und nationaler Ebene, 2008, S. 202. 258 EuG Rs. T-513/93 (CNDS) Slg. 2000 II-1807, Rn. 62 ff. 259 Eilmannsberger, in: Streinz, EUV/EGV Vor Art. 81 Rn. 27. 260 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 8 Rn. 23 ff., 31 ff.

D. Märkte im System des Wettbewerbs- und Beihilferechts

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c) Zum Erfordernis der Anwendung des Wettbewerbsrechts auch auf reine Nachfragekonstellationen Im Ergebnis dürften die besseren Argumente gleichwohl für eine Anwendung des Wettbewerbsrechts auch auf die isolierte Ausübung staatlicher Nachfragemacht sprechen. Es ist zwar richtig, dass zur Feststellung, ob eine Nachfrage von einem Unternehmen, einem Verbraucher oder einem Arbeitnehmer ausgeübt wird, notwendig auf die Art der Verwendung der angeschafften Leistungen abgestellt werden muss. Hierauf kommt es jedoch aus normativer Sicht letztlich nicht an. So liegt der eigentliche Grund dafür, dass die Nachfragetätigkeit von Verbraucher und Arbeitnehmern vom Wettbewerbsrecht ausgenommen wird, gerade nicht im notwendigen technischen Feststellungszusammenhang zwischen Angebots- und Nachfragetätigkeiten begründet. Vielmehr ist das scharfe Kontrollregime des Wettbewerbsrechts auf die Marktteilnahme von Verbrauchern und Arbeitnehmern grundsätzlich nicht zugeschnitten, zumal die Anwendung des Wettbewerbsrechts die Partei- und Tarifautonomie in nicht vertretbarer Weise beschränken würde.261 Die Nachfragetätigkeit von Arbeitnehmern und Verbrauchern fällt deswegen nicht in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts, weil diese Personengruppen generell, d. h. sowohl mit Blick auf ihre Angebotsals auch mit Blick auf ihre Nachfragetätigkeiten, vom Wettbewerbsrecht ausgenommen werden sollen. Der Blick auf die Seite der Mittelverwendung ist ausgehend von diesen normativen Prämissen lediglich ein technisches Hilfsmittel, um festzustellen, ob eine Nachfrage gerade als Verbraucher oder als Arbeitnehmer ausgeübt wird.262 Im Fall der Marktteilnahme des Staates liegen die Dinge dagegen anders. Das EU-Wettbewerbsrecht nimmt die staatlichen Gebietskörperschaften und andere öffentliche Einrichtungen auch dann, wenn diese hoheitlich handeln, gerade nicht generell von seinem Anwendungsbereich aus. Art. 106 Abs. 1 AEU (ex-Art. 86 Abs. 1 EG) verpflichtet die Mitgliedstaaten vielmehr gerade in ihrer Eigenschaft als Hoheitsträger auf das Wettbewerbsrecht, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen in Bezug auf öffentliche oder staatsnahe Unternehmen treffen. Auch das Beihilfeverbot des Art. 107 AEU (ex-Art. 87 EG) adressiert die Mitgliedstaaten, soweit sie aufgrund ihrer hoheitlichen Verfügungsgewalt über öffentliche Mittel wettbewerbsverzerrende Subventionen an Unternehmen oder Produktionszweige vergeben.263 Da das EU-Wettbewerbs- und Beihilferecht Hoheitsträger gerade nicht generell von seinem Anwendungsbereich ausnehmen will, kann die wettbewerbsrechtliche Stellung von Hoheitsträgern normativ nicht mit der Stellung von Arbeitnehmern und Verbrauchern gleichgesetzt werden. Dies gilt umso 261 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 8 Rn. 23 ff., 31 ff. 262 Vgl. Eilmannsberger, in: Streinz, EUV/EGV Vor Art. 81 Rn. 21ff. 263 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 926 ff.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

mehr, als im Falle einer Nichtanwendung des Wettbewerbsrechts auf die staatliche Nachfrage die Gefahr von erheblichen Schutzlücken, insbesondere in Fällen staatlichen Marktmachtmissbrauchs, zu besorgen wäre. Damit dürfte das Wettbewerbsrecht im Einklang mit wesentlichen Teilen der Literatur bei staatlicher Marktnachfrage generell von einer Anwendung des Wettbewerbsrechts auszugehen sein.264 Die hier vertretene Auffassung findet in der jüngeren Rechtsprechung des EuGH eine zusätzliche Absicherung. Dies zeigt sich vor allem mit Blick auf die Entscheidung des EuGH in der Rs. AOK-Bundesverband. Zwar hat der Gerichtshof in der genannten Rechtssache eine Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die Mitwirkung der Krankenkassen bei der Festbetragsfestsetzung im Ergebnis abgelehnt.265 Der EuGH hat dieses Ergebnis indes gerade nicht damit begründet, dass gesetzliche Krankenkassen auf der Angebotsseite „nichtwirtschaftliche“ Sozialversicherungsleistungen erbringen würden. Vielmehr stellt der EuGH in seiner Entscheidung allein darauf ab, dass die Krankenkassen mit der „Festsetzung der Festbeträge nur einer Pflicht nachkommen, die ihnen § 35 SGB V auferlegt, um den Fortbestand des deutschen Systems der sozialen Sicherheit sicherzustellen“. Aus Sicht des EuGH scheint damit die spezifisch hoheitliche Tätigkeit der Krankenkassen, die auf einer gesetzlichen Pflicht beruht und auf die Verwaltung des deutschen Systems der gesetzlichen Krankenkassen zielt, der eigentlich maßgebliche Grund für die Nichtanwendung des Wettbewerbsrechts zu sein.266 Zugleich betont der Gerichtshof ausdrücklich, dass jenseits der hoheitlich-kooperativen Festbetragsregulierung andere Formen der wirtschaftlichen (Nachfrage-) Tätigkeit der gesetzlichen Krankenkassen denkbar sind, die in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts fallen können.267 Obwohl der EuGH die streitige Grundsatzfrage letztlich offenlässt, deutet damit doch einiges darauf hin, dass der Gerichtshof (auch) bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts auf unternehmerische Nachfragetätigkeiten maßgeblich auf die Unterscheidung zwischen der hoheitlichen Marktregulierung und wirtschaftlichem bzw. unternehmerischem Markteintritt abstellt. Während die hoheitliche Marktregulierung durch die gesetzlichen Krankenkassenträger als nichtunternehmerische Tätigkeit von der Anwendung des Wettbewerbsrechts ausgenommen ist, fällt der wirtschaftliche Markteintritt der Krankenkassenträger auf Angebots- wie auf Nachfragemärkten in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts.268 264 Ebenso: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 926 ff.; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 EGV Rn. 56; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, EG Wettbewerbsrecht, Art. 85 Abs. 1 m.w. N. 265 EuGH, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. C-355/01 (AOK-Bundesverband) Slg. 2004, I-2493. 266 EuGH, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. C-355/01 (AOK-Bundesverband) Slg. 2004, I-2493, Rn. 61 ff. 267 EuGH, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. C-355/01 (AOK-Bundesverband) Slg. 2004, I-2493, Rn. 58.

D. Märkte im System des Wettbewerbs- und Beihilferechts

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2. Allgemeine Anwendungsgrenzen des Wettbewerbsrechts bei „Nachfragekonstellationen“ a) Tatbestandliche Grenzen: Abgrenzung zur hoheitlich-kooperativen Marktregulierung Die Anwendung des Wettbewerbsrechts auch auf isolierte staatliche Nachfragetätigkeiten hat nicht zuletzt den Vorzug, dass sie geeignet ist, Schutzlücken im System des Vergaberechts insbesondere bei beherrschender staatlicher Nachfragemacht durch Anwendung von Art. 82 EG zu schließen. Andererseits gelten auch bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts auf „Nachfragekonstellationen“ die allgemeinen Grenzen des Wettbewerbsrechts, die auch bei Angebotskonstellationen greifen.269 Dies zeigt sich wiederum an der Rs. AOK-Bundesverband, in welcher der Gerichtshof eine Anwendung der Art. 101 und 102 AEU (ex-Art. 81 und 82 EG) auf das System der Festbetragsfestsetzung unter Verweis auf die hoheitliche Art der Festbetragsfestsetzung abgelehnt hat. Diese Entscheidung liegt entgegen der im Schrifttum geäußerten Kritik270 durchaus in einer Linie mit den allgemeinen und weithin anerkannten Grundsätzen der Rechtsprechung des EuGH zur Abgrenzung von unternehmerischer Marktteilnahme und hoheitlichkooperativer Regulierung. So lehnt der EuGH in ständiger Rechtsprechung die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die hoheitlich-kooperative Rechtsetzungstätigkeit von Berufsverbänden ab, da hier kein Fall der Marktteilnahme, sondern der Marktregulierung vorliegt.271 Das Wettbewerbsrecht ist auf derartige Regulierungsformen unanwendbar, wenn und soweit die Mitgliedstaaten die Allgemeinwohlbindung der Regulierung und die Letztverantwortung über die Entscheidungen, z. B. durch eine Fachaufsicht oder hoheitliche Genehmigungspflichten, wahren. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, greift dagegen das Kartellver268 Zu den Anwendungsgrenzen des Wettbewerbsrechts in Fällen hoheitlich-kooperativer Regulierung siehe bereits oben 1. Kapitel, C. IV. 3. a). 269 Siehe oben 1. Kapitel, C. IV. 3. bis 5. 270 Vgl. Steinmeyer, Festbeträge im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in: Mummenhoff (Hrsg.), Administrative Restriktionen in der Arzneimittelversorgung, 2002, S. 36 ff.; Kingreen, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für Kosten-Nutzen-Bewertungen und Festbeträge in der Arzneimittelversorgung, in: Arzneimittel im Europäischen Binnenmarkt, EuR Beiheft 2 (2007) S. 145 ff.; Koenig/Sander, Festbeträge für Arzneimittel auf dem Prüfstand des EG-Wettbewerbsrechts, in: Mummenhoff (Hrsg.), Administrative Restriktionen in der Arzneimittelversorgung, 2002, S. 67 ff.; Schwerdtfeger, NZS 2000, S. 67 ff.; gegen eine Anwendung des Wettbewerbsrechts auf Nachfragetätigkeiten der gesetzlichen Krankenversicherung dagegen z. B. Natz, Marktregulierung durch Arzneimittelfestbeträge, 2005, S. 76; Pruns, Kartell- und vergaberechtliche Probleme des selektiven Kontrahierens auf europäischer und nationaler Ebene, 2008, S. 202. 271 EuGH, Rs. C-153/93 (Delta) Slg. 1994 I-2517; EuGH, Rs. C-140/94 (DIP) Slg. 1995 I-3257, Rn. 16; EuGH, Rs. C-35/99 (Arduino) 2002 I-1529, 1572; zuletzt EuGH, Rs. C-94/04 (Cipolla) NJW 2007, 281 (284). Siehe hierzu bereits oben 1. Kapitel, C. IV. 3.

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4. Kap.: Die Märkte des Gesundheitswesens

bot.272 Auch bei der Festbetragsfestsetzung handelt es sich nicht um einen Markteintrittsfall auf der Nachfrageseite, sondern um ein hoheitlich-kooperatives Regulierungsverfahren. Zwar verfügen die Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung auch im Bereich der Festbetragsfestsetzung über erhebliche autonome Entscheidungsspielräume.273 Zudem ist die Aufsicht über den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und den Bundesausschuss gem. § 217d SGB V bzw. § 91 Abs. 8 SGB V auf eine Rechtsaufsicht beschränkt. Andererseits reagiert der EuGH mit seiner Rechtsprechung zur hoheitlich-kooperativen Regulierung gerade auf die für diese strukturprägenden Autonomienspielräume der Selbstverwaltungsträger. Daher dürfen die Anforderungen an die sachlich inhaltliche Determinierung des Verwaltungshandelns und die hoheitliche Aufsicht und Kontrolle auch nicht überspannt werden.274 Unbeschadet der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen, kommt die Rechtsaufsicht auch im Falle der Festbetragsfestsetzung bereits wegen der Verpflichtung der gemeinsamen Selbstverwaltung auf die materiellen Ziele der Qualitäts- und Wirtschaftlichkeit letztlich den Befugnissen einer Fachaufsicht nahe.275 Zudem werden die Festbeträge gem. § 94 SGB V erst wirksam, wenn sie seitens des zuständigen Bundesministeriums nicht beanstandet wurden. Damit scheidet eine Anwendung des Wettbewerbsrechts in Ermangelung einer unternehmerischen Marktteilnahme der Krankenkassen aus.276 b) Rechtfertigungsgründe: Ausnahmen bei Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Eine Anwendung des Kartell- und Markmachtmissbrauchsverbots der Art. 101 und 102 AEU auf die Krankenkassen kommt nach den zuvor entfalteten Grundsätzen allerdings dann in Betracht, wenn diese aufgrund selektiver Verträge tatsächlich in den Markt eintreten und sich hierbei zugleich abstimmen. Ebenso kann ein Mitgliedstaat, der derartige Absprachen durch gesetzliche Rahmenregelungen ermöglicht oder begünstigt, auch selbst gegen Art. 106 Abs. 1 i.V. m. Art. 101 und 102 AEU (ex-Art. 86, 81 und 82 EG) verstoßen. Die damit grund272

Vgl. zuletzt EuGH Rs. C-94/04 (Cipolla) NJW 2007, 281 (284). Vgl. Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 2, 2006, S. 49 (55 ff.). 274 Vgl. zur Problematik des Legitimationsniveaus der Gemeinsamen Selbstverwaltung: Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 2, 2006, S. 49 (57 ff.). 275 Siehe hierzu noch eingehend im Kontext der vergaberechtlichen Parallelproblematik der Arzneimittelfestbetragsfestsetzung unten 7. Kapitel, D. I. bis IV. 276 So im Ergebnis auch Natz, Marktregulierung durch Arzneimittelfestbeträge, 2005, S. 76; Pruns, Kartell- und vergaberechtliche Probleme des selektiven Kontrahierens auf europäischer und nationaler Ebene, 2008, S. 202; a. A. z. B. Schwerdtfeger, NZS 2000, S. 67 ff. Zur Abgrenzung zwischen hoheitlich-kooperativer Regulierung und Marktteilnahme im Gesundheitswesen aus vergaberechtlicher Sicht siehe unten 5. Kapitel, C. II. (Grundlagen) und 7. Kapitel, A. bis C. (Einzelfälle). 273

D. Märkte im System des Wettbewerbs- und Beihilferechts

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sätzlich eröffnete Anwendung des Kartellverbots auf abgestimmtes Einkaufsverhalten der öffentlichen Hand wirft indessen die Frage auf, ob die Spielräume der öffentlichen Hand auf diese Weise nicht über Gebühr eingeschränkt werden. So kann z. B. im öffentlichen Gesundheitswesen ein berechtigtes, gesundheitspolitisches Interesse daran bestehen, dass Krankenkassen bestimmte Waren oder Dienstleistungen gemeinsam beschaffen, wie z. B. bei Rabattverträgen über Arzneimittel gem. § 130 Abs. 8 SGB V.277 Zugleich könnten bei einer rigiden Anwendung des Kartellverbots auch Zielkonflikte mit dem Vergabesekundärrecht auftreten, das die Zulässigkeit von Einkaufsgemeinschaften in Form von zentralen Beschaffungsstellen gem. Art. 11 i.V. m. Art. 1 Abs. 10 LKR ausdrücklich vorsieht.278 Derartige potenzielle Konflikte mit berechtigten Allgemeinwohlinteressen auf mitgliedstaatlicher Ebene oder den Wertungen des europäischen sekundären Vergaberechts lassen sich jedoch über die Anwendung des Art. 101 Abs. 3 bzw. ggf. 106 Abs. 2 AEU (ex-Art. 86 Abs. 2 EG) weitgehend entschärfen.279 Da das Vergaberecht zentrale Beschaffungsstellen nunmehr ausdrücklich zulässt, wird man bei Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Hand grundsätzlich auch von einer kartellrechtlichen Freistellungsfähigkeit nach Art. 101 Abs. 3 AEU ausgehen können bzw. in diesen Kooperationen eine unionsrechtlich anerkannte Form allgemeinwohlgebundener Wirtschaftstätigkeit i. S. v. Art. 106 Abs. 2 sehen können. Insofern greift auch hier Art. 101 Abs. 3 bzw. ggf. 106 Abs. 2 AEU und schließt eine Anwendung des Kartellverbots ggf. aus.280

277

Hierzu aus vergaberechtlicher Sicht unten 7. Kapitel, D. V. Zur wettbewerbsrechtlichen Problematik von Einkaufskooperationen eingehend Ruppelt, Einkaufskooperationen im deutschen und europäischen Kartellrecht, 2008. 279 Vgl. EuGH, Rs. C-67/96 (Albany) Slg. 1999, I-5751, Rn. 105 f.; EuGH, Rs. C-115/97 (Brentjens) Slg. 1999, I-6025, Rn. 105 f.; EuGH, Rs. C-219/97 (Bokken) Slg. 1999, I-6121, Rn. 95 f. Zur Anwendung des Art. 106 Abs. 2 AEU auf Sozialversicherungsträger siehe oben 1. Kapitel, C. IV. 4. 280 Unberührt bleibt hiervon allerdings die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die gemeinsame Beschaffungstätigkeit der Krankenkassen: Hierzu in Bezug auf Arzneimittelrabattverträge näher unten 7. Kapitel, D. V. 278

5. Kapitel

Das Gesundheitsvergaberecht A. Gesundheitsvergaberecht als rechtswissenschaftliche Ordnungsaufgabe I. Das Gesundheitsvergaberecht als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts In der rechtswissenschaftlichen Diskussion um die Europäisierung des Gesundheitswesens standen lange Zeit die im vorangegangenen Kapitel diskutierten primärrechtlichen Fragen der Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts und der Grundfreiheiten im Vordergrund. Im Zuge der fortschreitenden Harmonisierung des Gesundheitsrechts verlagert sich der Schwerpunkt der Diskussion allerdings zunehmend auf die sekundärrechtliche Ebene. In diesen Kontext kann auch die aktuelle Diskussion um die Anwendung des EU- und GWB-Vergaberechts auf neue Formen des Vertragswettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeordnet werden.1 Dass gerade das Vergaberecht in den vergangenen Jahren immer stärker in das Zentrum der gesundheitsrechtlichen Diskussion gerückt ist, ist einerseits Folge der Einführung neuer Formen der individualvertraglichen Steuerung durch den mitgliedstaatlichen Gesundheitsgesetzgeber. Eine Vorreiterrolle bei der Implementierung eines dezentralen Vertragswettbewerbs im Gesundheitswesen dürfte Großbritannien eingenommen haben, das schon in den 1980erJahren das Modell der „internen“ Märkte innerhalb des NHS einführte.2 Der deutsche Gesundheitsgesetzgeber setzte dagegen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts auf ein eher zentralistisches Steuerungsmodell in Form der Bedarfsplanung, Budgetierung und Festbetragsregulierung. Mittlerweile sind freilich auch in 1 Vgl. zur kaum noch überschaubaren Diskussion: Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff.; Knispel, NZS 2006, S. 120 ff.; Lorff, ZESAR 2007, S. 104 ff.; Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff.; Burgi, NZBau 2008, S. 480 ff.; Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007. Zur neueren Rechtsentwicklung seit dem Urteil des EuGH in der Rs. C-300/07 (Oymanns): Kingreen, NJW 2009, S. 2417 ff.; Roth, SGb 2009, S. 639 ff.; Hamann, PharmR 2009, S. 509 ff. Siehe auch die Beiträge bei Ebsen (Hrsg.), Vergaberecht und Vertragswettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2009. 2 Vgl. Mitton, in: Schubert/Hegelich/Bazant (Hrsg.), Europäische Wohlfahrtstaaten, 2008, S. 271 ff.

A. Gesundheitsvergaberecht als rechtswissenschaftliche Ordnungsaufgabe

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Deutschland in praktisch allen Leistungssektoren neue Formen der Vertragssteuerung etabliert worden, die das traditionelle hierarchisch-kooperative Steuerungsmodell z. B. in Form von Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b SGB V), der besonderen ambulanten Versorgung (§ 73b SGB V), der besonderen stationären Versorgung (§ 116b SGB V), der Hilfsmittelversorgung (§ 127 SGB V), der Arzneimittelversorgung (§ 130 Abs. 8 SGB V) oder der Integrierten Versorgung (§§ 140a ff. SGB V) ergänzen bzw. überlagern. Die Einführung neuer Formen individualvertraglicher Steuerung steht einerseits im Kontext des im vorangegangenen Kapitel beleuchteten Prozesses der Umstellung des staatlichen Leistungserbringungsrechts auf ein System regulierter Wettbewerbsmärkte. Andererseits erweist sich die partielle Umstellung des SGB V auch aus unionsrechtlicher Sicht als folgenreich. Insbesondere stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit des Verfahrens- und Rechtsschutzregimes des Vergaberechts auf neue Formen des Vertragswettbewerbs in der GKV. Nach anfänglichen Abschottungstendenzen hat der deutsche Gesundheitsgesetzgeber mit der Novelle des § 69 SGB im GKVOrgWG eine grundsätzliche Öffnung des Leistungserbringungsrechts des SGB V hin zum GWB-Vergaberecht vollzogen. Andererseits hat der EuGH mit seiner Grundsatzentscheidung in der Rs. Oymanns wesentliche Teile des Vertragswettbewerbs in der GKV in den Anwendungsbereich des EU- und GWB-Vergaberechts einbezogen.3 Spätestens mit diesen Entscheidungen hat sich die neue Materie des Gesundheitsvergaberechts als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts konstituiert. Das Gesundheitsvergaberecht wirft eine Vielzahl von Einzelfragen zum persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V und die daraus resultierenden Verfahrens- und Rechtsschutzgewährleistungen auf. Vor der Hinwendung zu Detailfragen sollen jedoch zunächst die allgemeinen Ordnungsstrukturen dieses Rechtsgebiets in diesem Kapitel veranschaulicht werden.

II. Das Gesundheitsvergaberecht zwischen sozialrechtlicher Steuerung und funktionalen Binnenmarktzielen 1. Der selektive Versorgungsvertrag als sozialrechtliches Steuerungsinstrument In der rechtswissenschaftlichen Diskussion wird die Implementierung neuer Formen der dezentralen Vertragssteuerung im Gesundheitswesen häufig mit der Einführung eines „Vertragswettbewerbs“ auf den Gesundheitsversorgungsmärkten gleichgesetzt.4 Damit ist zwar eine wesentliche Funktion der selektiven Ver3 EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427; hierzu Kingreen, NJW 2009, S. 2417 ff. 4 Vgl. die Beiträge bei Ebsen (Hrsg.), Vergaberecht und Vertragswettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2009; siehe auch Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem (Hrsg.), Vertragswettbewerb in der GKV, 2008.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

tragssteuerung in der GKV beschrieben. Gleichwohl handelt es sich beim neuen System selektiver Versorgungsverträge zunächst um ein neues dezentrales Steuerungsinstrument, mit dem gesundheitspolitische Systemziele erreicht werden sollen, zu deren Verwirklichung sich das bisherige versäulte System der kollektivvertraglichen und kooperativen Regulierung als nicht oder nicht hinreichend geeignet erwiesen hat. Versorgungsverträge nach dem SGB V übernehmen im Leistungserbringungsrecht denn auch vielfältige und unterschiedliche Steuerungsfunktionen mit entsprechend unterschiedlichen vertraglichen Spielräumen der beteiligten Akteure und unterschiedlichen Formen der Rückbindung an das allgemeine kollektivvertragliche System.5 Einerseits können Versorgungsverträge im Wesentlichen auf die dezentrale Koordinierung des Zusammenwirkens von Krankenkassen und Leistungserbringern im Rahmen strukturierter Versorgungsprogramme begrenzt sein, wobei den Vertragsparteien nur sehr geringe Ausgestaltungsspielräume eröffnet werden. Beispiele sind Strukturverträge nach § 73a SGB V, Verträge mit Krankenhäusern nach § 116b SGBV zur Umsetzung von DMP-Programmen oder Verträge über strukturierte Behandlungsprogramme nach § 137 f. SGB V. Diese Verträge sind zugleich typischerweise eng an das allgemeine kollektivvertragliche System zurückgebunden oder unterliegen besonderen Genehmigungspflichten. Eine „Marktöffnung“ im Sinne eines angereizten Vertragswettbewerbs ist damit gerade nicht intendiert. Das Marktöffnungspotenzial dieser Formen der Vertragssteuerung ist entsprechend gering. Eine weitere wichtige Funktion von Versorgungsverträgen liegt in der Vernetzung verschiedener Versorgungsformen insbesondere im Rahmen der Integrierten Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V. Bei Integrierten Versorgungsverträgen werden den Vertragsparteien allerdings zugleich auch weite selektiv-vertragliche Gestaltungsspielräume eröffnet, die einen dezentralen Wettbewerb anreizen sollen.6 Dies gilt auch für die meisten anderen Versorgungsverträge nach dem SGB V, wie z. B. Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung (Art. 73b SGB V), die besondere ambulante Versorgung (Art. 73c SGB V), die Hilfsmittelversorgung (Art. 127 SGBV) und für Arzneimittelrabattverträge (Art. 130 Abs. 6 SGB V). Den genannten Vertragstypen ist auch gemeinsam, dass sie das traditionelle System der „nicht selektiven“ hoheitlich-kooperativen Zugangs-, Preis- und Leistungsregulierung durch neue Formen der vertraglichen Marktzugangsregulierung substituieren bzw. neben das traditionelle System treten. Daher haben selektive Versorgungsverträge in der Regel „Zulassungswirkung“.7 Sie regeln Preis und Leis5 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem (Hrsg.), Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 70 ff. 6 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem (Hrsg.), Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 88 ff. 7 Vgl. Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439, 451; ders., Kartell- und vergaberechtliche Aspekte des vertraglichen Handelns der Krankenkassen, in: KrV 2004, S. 95 ff.; ders., Vertragswettbewerb in der gesetzlichen Krankenversiche-

A. Gesundheitsvergaberecht als rechtswissenschaftliche Ordnungsaufgabe

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tungsbedingungen für die Leistungserbringung, wobei die Erstattung von der Leistungsinanspruchnahme durch die Versicherten abhängig bleibt. Derartige Versorgungsverträge zielen, unbeschadet ihrer sonstigen gesundheitspolitischen Funktionen, gerade auch auf die Eröffnung eines Vertragswettbewerbs in der GKV.8 Die Besonderheit liegt dabei darin, dass hier kein Wettbewerb „auf“ öffentlich finanzierten Märkten, sondern ein Wettbewerb „um“ öffentlich finanzierte Märkte eröffnet wird, da die Leistungserbringer letztlich um privilegierte Marktzugangsrechte konkurrieren. Schließlich können die Krankenkassen die neuen Vertragsformen auch zu klassischen „Beschaffungszwecken“ nutzen, also z. B. bestimmte Hilfsmittel bei Hilfsmittellieferanten gegen ein bestimmtes Entgelt einkaufen und diese Hilfsmittel dann einzelnen Versicherten überlassen, wie z. B. bei Hilfsmittelverträgen nach § 127 SGB V.9 In ihrer Gesamtheit stehen die selektiven Versorgungsverträge des SGB V folglich für eine durch gesundheitspolitische Systemziele motivierte Dezentralisierung der Vertragssteuerung, wobei die Spielräume für die Eröffnung eines Vertragswettbewerbs ebenso wie die Art des Vertragswettbewerbs im Einzelnen sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können. 2. Der Vertragswettbewerb im Gesundheitswesen als Marktzugangsproblem im europäischen Binnenmarkt für Gesundheitsdienstleistungen Grundlegende Veränderungen im System der mitgliedstaatlichen Regulierung der öffentlich finanzierten Märkte für Gesundheitsdienstleistungen berühren in aller Regel auch den europäischen Binnenmarkt für Gesundheitsdienstleistungen. Dies gilt gleichsam für die Umstellung der Leistungserbringung auf dezentrale Vertragssteuerung. Einerseits kann die Einführung von neuen Formen des Vertragswettbewerbs im Leistungserbringungsrecht der GKV als ein weiterer Schritt hin zu einem wettbewerbsorientierten Binnenmarkt für öffentlich finanzierte Gesundheitsdienstleistungen gedeutet werden. Mit dem Übergang zu selektiven Versorgungsverträgen kann jedenfalls potenziell eine gewisse zusätzliche Marktöffnungsfunktion im Binnenmarkt verbunden sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn die bisherigen besonderen Zulassungsschranken aufgehoben werden und grundsätzlich jeder zum Markt allgemein zugelassene Leistungserbringer auch

rung: zur Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit, in: Soziale Sicherheit 2003, S. 128 ff.; Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, S. 79 f.; Nielandt, RsDE Nr. 57 (2005) S. 444 ff. 8 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem (Hrsg.), Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 15 ff. 9 Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439, 451; Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, S. 128 ff.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

zur öffentlichen Gesundheitsversorgung Zugang erhält.10 Andererseits wird mit dem selektiven Versorgungsvertrag jedoch auch eine neue Marktzugangshürde im Binnenmarkt für Gesundheitsversorgungsleistungen geschaffen, da der Zugang zu den öffentlich finanzierten Märkten für die Versorgung der gesetzlich Versicherten nunmehr vom Abschluss eines Versorgungsvertrags mit den Krankenkassen abhängig gemacht wird.11 Umgekehrt erhalten die gesetzlichen Krankenkassen mit dem selektiven Versorgungsvertrag ein neues vertragliches Steuerungsinstrument an die Hand, das ihnen jedenfalls potenziell sehr weite Spielräume eröffnet, den grenzüberschreitenden Marktzugang im Binnenmarkt zu beschränken, indem sie vorrangig oder auch ausschließlich Verträge mit innerstaatlichen Leistungserbringern abschließen. Damit drohen indes die Marktöffnungsfunktionen der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auf den Märkten für Gesundheitsversorgungsleistungen erheblich relativiert zu werden. 3. Die „paradoxe“ Wirkung des Vertragswettbewerbs auf den freien Marktzugang im Binnenmarkt Das marktabschottende Potenzial des Vertragswettbewerbs ist aus binnenmarktrechtlicher Sicht umso bedenklicher, als das System der Selektivverträge die bisherigen Marktzugangsschranken in der Regel nicht etwa substituiert, sondern vielmehr als „zweite Hürde“ neben diese tritt. So bestehen z. B. im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung nach wie vor ein besonderes Zulassungserfordernis und Zulassungsbeschränkungen durch die Bedarfsplanung.12 Zusätzlich ist allerdings ein System von Selektivverträgen eingeführt worden, sodass allein die Zulassung nicht mehr notwendig den freien Marktzugang der zugelassenen Vertragsärzte zu den Versicherten gewährleistet.13 Ebenso besteht in der Arzneimittelversorgung neben dem fortbestehenden Festbetragssystem gem. § 35 SGB V nunmehr zusätzlich ein selektives Rabattvertragsverfahren.14 Aus binnenmarkt10 In diese Richtung geht die Entwicklung in der Hilfsmittelversorgung nach Maßgabe der § 126 f. SGB V. Hierzu Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 136 ff. Insbesondere entfällt seit dem 1.1.2009 die Notwendigkeit einer gesonderten Zulassung des Leistungserbringers. Vgl. zur Übergangsproblematik: Roth, MedR 2008, S. 206 ff. 11 Vgl. zur Verlagerung von Verteilungsentscheidungen auf die Krankenkassen und deren Verbände: Kingreen, Gesundheit ohne Gesetzgeber? in: ders./Laux (Hrsg.), Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, 2008, S. 147 ff. 12 Zur mittlerweile gelockerten Bedarfsplanung nach dem Vertragsrechtsänderungsgesetz 2007: Hess, VSSR 2007, S. 199 ff.; Orlowski, VSSR 2007, S. 157 ff. 13 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Weiterentwickelung des Vertragswettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung, Gutachten für den AOK-BV, Juli 2006, S. 9 f. 14 Vgl. Knispel, Soziale Sicherheit 2008, S. 110 ff.; Beck/Seiter/Wartenberg, Rabattverträge und ihre Auswirkungen auf den GKV-Markt, pharmind, 2007, S. 897 ff.; Zeiner, Vertragswettbewerb und Modellvorhaben als strategische Option für Pharmaunternehmen, pharmind 2008, S. 817 ff.

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funktionaler Sicht ergibt sich vor diesem Hintergrund der nur vordergründig paradoxe Befund, dass die potenziellen Gefahren der spezifisch vertraglichen Marktzugangsbeschränkung umso größer sind, je größer die vertraglichen Spielräume der Krankenkassen sind, je mehr sich also „Vertragswettbewerb“ entfalten kann. Denn gerade dort, wo die vertraglichen Spielräume der Parteien gesetzlich nur wenig determiniert sind, wie z. B. bei Rabattverträgen über Arzneimittel gem. § 130 Abs. 8 SGB V, verlagert sich das eigentliche Marktzugangsproblem von der gesetzlichen auf die vertragliche Ebene. Sind die Krankenkassen dagegen hoheitlich nach wie vor weitgehend determiniert, wie z. B. bei strukturierten Behandlungs- oder DMP-Programmen gem. §§ 116b SGB V, so drohen Marktzugangsschranken weniger durch den Vertragsschluss selbst als vielmehr durch die gesetzlichen Rahmenvorgaben, deren Binnenmarktkonformität jedoch vergleichsweise einfach im Wege der gerichtlichen Kontrolle durch den EuGH überprüft werden kann. 4. Die Vergaberichtlinien als Instrument zur Gewährleistung von Marktzugangsfreiheit unter Bedingungen dezentralen Vertragswettbewerbs Umso mehr der Gesetzgeber mithin die eigentliche Entscheidung über den Marktzugang auf die gesetzlichen Krankenkassen delegiert, desto eher liegt auch eine Anwendung des europäischen Vergaberechts nahe, das gerade auf die Gefahren von Marktzugangsschranken reagiert, die sich aus frei ausgehandelten Austauschverträgen ergeben.15 Dabei ist allein die gerichtliche Ex-post-Kontrolle der Einhaltung der Basisanforderungen des Vergabeprimärrechts durch den EuGH kaum ein geeignetes Instrument, um dem erheblichen Marktabschottungspotenzial zu begegnen, das sich aus dem dezentralen Einsatz einer Vielzahl von im Einzelnen sehr unterschiedlich ausgestalteten Versorgungsverträgen durch eine Vielzahl von Krankenkassenträgern in einer Vielzahl von Leistungserbringungssektoren ergeben kann. Demgegenüber sind die in den Vergaberichtlinien normierten besonderen Verfahrensanforderungen gerade darauf gerichtet, den Gefahren von dezentralen Marktzugangsbeschränkungen ex ante durch besondere Anforderungen an die Öffentlichkeit und Transparenz der Ausschreibungsverfahren zu begegnen.16 Da der Unionsgesetzgeber in den Vergaberichtlinien für den Gesundheitssektor, anders als z. B. für den Forschungssektor, auch keine generelle tatbestandliche Bereichsausnahme vorgesehen hat, liegt eine Anwendung des besonderen Verfahrens- und Rechtsschutzregimes der RL 2004/18/EG aus binnen15 Vgl. zur Verlagerung der Marktzugangsentscheidungen auf die Krankenkassen, Kingreen, Gesundheit ohne Gesetzgeber? in: ders./Laux (Hrsg.), Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, 2008, S. 147 ff. 16 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 28 f.

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marktfunktionaler Sicht durchaus nahe.17 Die Anwendung des sekundärrechtlichen Vergabeverfahrens erscheint jedenfalls in den Fällen des Vertragswettbewerbs umso mehr geboten, als die bisherigen sekundärrechtlichen Instrumente des europäischen Berufsrechts oder des Arzneimittelrechts ihre Wirksamkeit bei der Gewährleistung des diskriminierungsfreien Zugangs zur Versorgung in jenem Maße einbüßen, in dem sich die eigentliche Marktzugangsschranke auf die Ebene der Selektivverträge verlagert. Aus binnenmarktfunktionaler Sicht erscheint eine Anwendung der Vergaberichtlinien damit insgesamt als eine jedenfalls grundsätzlich folgerichtige Konsequenz der Umstellung der Leistungserbringung auf Vertragswettbewerb.

III. Gesundheitsvergaberecht als Herausforderung an die Rechtswissenschaft 1. Die Kontroversen um die Anwendbarkeit des EU- und GWB-Vergaberechts auf den Vertragswettbewerb nach dem SGB V Im Recht des öffentlichen Gesundheitswesens treffen mit dem EU- und GWBVergaberecht und dem Sozialleistungserbringungsrecht allerdings zwei komplexe Rechtsmaterien mit unterschiedlichen Zielen, normativen Leitbildern, systematischen Strukturen und dogmatischen Traditionen aufeinander, die noch bis vor wenigen Jahren praktisch vollständig gegeneinander abgeschottet waren.18 Beiden Materien ist zwar vordergründig das Ziel der „Förderung des Wettbewerbs“ gemeinsam.19 Hier wie dort ist der Schutz des Wettbewerbs jedoch nicht das eigentliche Primärziel, sondern Mittel zum Zweck der Verwirklichung anderer Normziele. Der Vertragswettbewerb im SGB V reiht sich aus Sicht des staatlichen Gesundheitsgesetzgebers letztlich in die breite Palette sozialrechtlicher Steuerungsinstrumente ein, die darauf zielen, die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung der gesetzlich Versicherten zu gewährleisten. Die durch die Einführung von Individualverträgen ermöglichte Auftragsvergabe im Wettbewerb hat damit in der Logik des SGB V letztlich eine dienende Funktion zu den vom Sozialgesetzgeber verfolgten gesundheitspolitischen Systemzielen.20 17 Vgl. zu den tatbestandlichen Bereichsausnahmen der Vergaberichtlinien: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 39 Rn. 5. 18 Vgl. hierzu den Überblick bei: Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 34 ff. 19 Das programmatische Bekenntnis des Gesetzgebers zum Wettbewerb im Sozialleistungserbringungsrecht zeigt sich schon in der Bezeichnung des GKV-Reformgesetzes 2007 als GKV-„Wettbewerbstärkungsgesetz“, in dessen Rahmen gerade auch die neuen Formen des Vertragswettbewerbs erheblich ausgeweitet wurden. Zur dienenden Funktion des Wettbewerbs in den Regelungsstrukturen des SGB V: Bruckenberger/ Klaue/Schwintowski, Krankenhausmärkte zwischen Regulierung und Wettbewerb, 2005, S. 43 ff.

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Das EU-Vergaberecht dient dagegen dem Ziel der Gewährleistung des diskriminierungs- und beschränkungsfreien Waren- und Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt, das in der Regel am besten durch ein transparentes Ausschreibungsverfahren im Wettbewerb zu verwirklichen ist.21 Die Komplexität der damit verbundenen Abstimmungsaufgabe steigert sich noch dadurch, dass nicht nur zwei Rechtsmaterien des staatlichen Rechts aufeinander abzustimmen sind, sondern dass eine europäische Mehrebenenproblematik in Form der Abstimmung von europäischem Vergabeprimär- und Sekundärrecht, transformiertem GWB Vergaberecht und SGB Leistungserbringungsrecht zu bewältigen ist.22 Vor diesem Hintergrund kann es nicht Wunder nehmen, dass die Frage der Anwendbarkeit des EU-Vergaberechts und des transformierten GWB Vergaberechts bis in die jüngere Zeit grundsätzlich umstritten war.23 Kontroversen bestanden einerseits schon mit Blick auf die Auftraggebereigenschaft der gesetzlichen Krankenversicherung, die zwar einerseits (noch) in die mittelbare Staatsverwaltung eingegliedert sind, andererseits aber über Selbstverwaltungsrechte verfügen, jedenfalls formal nur einer Rechtsaufsicht unterliegen und zudem einem solidarischen Binnenwettbewerb und zugleich einem begrenzten systemübergreifenden Wettbewerb mit den privaten Krankenversicherungen unterliegen.24 Noch größere Schwierigkeiten bereitet die Frage der sachlichen Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die teils selektiven, teils nicht selektiven, teils individuellen und teils kollektiven Vertragsverhältnisse im Leistungserbringungsrecht des SGB V. Einerseits ist schon die Frage nach der Abgrenzung vergaberechtsrelevanter Vertragsverhältnisse zu hoheitlichen und hoheitlich-kooperativen Regulierungsformen, wie etwa der Zulassung durch Verwaltungsakt oder der hoheitlich-kooperativen Regulierung durch Normsetzungsverträge, nicht abschließend geklärt. Andererseits bereitet die Verortung der neuen selektiven Versorgungsverträge des SGB innerhalb der Vertragstypologie des Vergaberechts einige Probleme, da die Vertragstypen der Richtlinie (Bau-, Liefer- und Dienstleistungsauftrag, Dienstleistungskonzes20 Vgl. Ebsen, Soziale Sicherheit 2003, S. 128 ff.; Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff.; Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem (Hrsg.), Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 15 ff.; Greß, Sozialer Fortschritt 2003, S. 105 ff. 21 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., 2004, § 36 Rn. 9 ff. 22 Zur Frage der Auswirkungen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts auf das Verhältnis von GWB und SGB V: vgl. Koenig/Engelmann/Hentschel, MedR 2003, S. 262 (263); Kingreen, SGb 2004, S. 659 ff.; Wollenschläger, NZBau 2004, S. 655 ff. 23 Vgl. statt vieler: Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff.; Neumann, VSSR 2005, S. 211 ff.; Knispel, NZS 2006, S. 120 ff.; Lorff, ZESAR 2007, S. 104 ff. Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff. 24 Übersicht über den Streitstand z. B. bei Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, S. 2654 ff.; vgl. auch die vieldiskutierte Entscheidung des BayObLG zur Unanwendbarkeit des Vergaberechts auf die gesetzlichen Krankenkassenträger: BayObLG, NVwZ 2005, S. 117 ff.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

sion, Rahmenvereinbarung) an sich auf Zweipersonenkonstellationen, nicht aber auf die vertragliche Steuerung von Mehrecksbeziehungen zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und gesetzlich Versicherten zugeschnitten sind. Begleitet wurde die materiell-rechtliche Diskussion durch die gerade für das deutsche Recht traditionell kennzeichnenden materiell-rechtlichen und prozessualen Konkurrenzprobleme an den Schnittstellen von SGB V und GWB.25 2. Auf dem Weg zu einem Gesundheitsvergaberecht: Das GKV-OrgWG und die Entscheidung des EuGH in der Rs. Oymanns Mittlerweile hat sich das rechtliche Koordinatensystem für die vergaberechtliche Diskussion im Gesundheitswesen allerdings grundlegend verändert. Einerseits hat der deutsche Gesetzgeber mit dem GKV-OrgWG das GWB-Vergaberecht durch die Einführung des § 69 Abs. 2 SGB V n. F. auch im Bereich des Vertragswettbewerbs in der GKV für grundsätzlich anwendbar erklärt, soweit die allgemeinen Voraussetzungen seiner Anwendung vorliegen, und zugleich den Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.26 Andererseits hat der EuGH vom 19.06.2009 (Oymanns) die gesetzlichen Krankenkassenträger als öffentliche Auftraggeber qualifiziert und zugleich Integrierte Versorgungsverträge nach §§ 140a ff. SGB V in den sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie einbezogen.27 Damit sind erstmals auch wesentliche Kernbereiche des sozialrechtlichen Steuerungsinstrumentariums des Leistungserbringungsrechts des SGB V in den Anwendungsbereich der sekundärrechtlichen Binnenmarktharmonisierung integriert worden.28 Zugleich ist das Gesundheitsvergaberecht als sekundärrechtlich harmonisiertes Verwaltungsverfahrensrecht entstanden, das sich nicht mehr jenseits, sondern grundsätzlich innerhalb des Anwendungsbereichs des EU-Vergaberechts konstituiert. Allerdings sind die vergaberechtlichen Ordnungsprobleme der sozialen Leistungserbringung auch mit der Grundsatzent25 Während das BSG durch Beschluss vom 20.4.2008 (BSG SozR 4-1500 § 81 Nr. 4) im Sinne einer ausschließlichen Zuständigkeit der Sozialgerichte entschieden hatte, kündigte der BGH mit Beschluss vom 15.7.2008 (BGH Beschluss v. 15.7.2009 – X ZB 17/08) an, dieser Entscheidung nicht folgen zu wollen. 26 Hierzu: Kamann/Gey, PharmR 2009, S. 114 ff.; auch Hölzl/Eichler, NVwZ 2009, S. 27 ff. 27 EuGH Rs. C-300/07 NJW 2009, S. 2427, 2431, hierzu: Kingreen, NJW 2009, S. 2417 ff.; Roth, SGb 2009, S. 639 ff.; Stelzer, WZS 2009, S. 267 ff.; Goodzari, BKK 2009, 302 f. 28 Außerdem hat die Europäische Kommission am 17.10.2007 aufgrund einer Beschwerde des Deutschen Generikaverbandes (vgl. PharmR 2007, 192 f.) ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland initiiert; dort wird die Ansicht geäußert, das GWB-Vergaberecht sei auch auf Rabattverträge anwendbar (vgl. Dokument 2007/4410 K (2007)) 4883; BSG, SGb 2008, 544 Rn. 66. Anfang Mai 2008 wurde in Form einer mit Gründen versehenen Stellungnahme die zweite Stufe des Aufsichtsklageverfahrens eingeleitet (IP/08/686 vom 6.5.2008).

A. Gesundheitsvergaberecht als rechtswissenschaftliche Ordnungsaufgabe

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scheidung des EuGH nicht abschließend geklärt, sondern vielmehr nur ihrem Schwerpunkt nach in das System des Vergaberechts verlagert worden. Klärungsbedürftig bleibt einerseits nach wie vor die Frage nach den Grundlagen und Grenzen der persönlichen Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die gesetzlichen Krankenversicherungsträger, die vom staatlichen Gesetzgeber immer stärker an das Modell insolvenzfähiger Versicherungsunternehmen angenähert werden. Dies gilt umso mehr, als die Entscheidung des EuGH in der Rs. Oymanns mit Blick auf die Auftraggebereigenschaft der gesetzlichen Krankenversicherungsträger jedenfalls in der Begründung schon wieder überholt ist, da sich die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen durch die Einführung des Gesundheitsfonds bereits wieder verändert hat.29 Ebenso erweist sich die rechtssichere Verortung der individual- und kollektivvertraglichen Steuerungsinstrumente des SGB V in die Vertragstypologie der Vergaberichtlinien nach wie vor als schwierig, da diese an sich nicht auf die vertragliche Steuerung von Mehrpersonenverhältnissen im sozialen Leistungserbringungsrecht zugeschnitten sind. Schließlich ergeben sich gerade aus der Grundsatzentscheidung des EuGH zur Anwendung des Vergaberechts auf den Vertragswettbewerb in der GKV neue Fragen nach den verbleibenden gesetzgeberischen Gestaltungsspielräumen und den Kriterien der Abgrenzung vergaberechtsrelevanter und vergaberechtsneutraler Steuerungsinstrumente des SGB V, die noch nicht eingehender untersucht worden sind. 3. Die atypischen Strukturen der sozialrechtlich regulierten Gesundheitsmärkte als vergaberechtliche Herausforderung Um die im Gesundheitsvergaberecht zutage tretenden Ordnungsprobleme in den Griff zu bekommen, sind zunächst deren Ursachen zu klären. Die eigentlichen Gründe für die nach wie vor bestehenden vergaberechtlichen Probleme, die sich gerade im Leistungserbringungsrecht des öffentlichen Gesundheitswesens offenbaren, liegen nicht zuletzt in der strukturellen Asymmetrie zwischen den normativen Ordnungssystemen des Vergaberechts und des SGB V begründet, die im Problem der Anwendung der Vertragstypologie der RL 2004/18/EG auf die Vertragssteuerung des SGB V paradigmatisch zutage tritt. Die Vertragstypen der Vergaberichtlinie (Bau-, Liefer- und Dienstleistungsauftrag, Bau- und Dienstleistungskonzession, Rahmenvereinbarung) sind originär auf zweipolige Austauschbeziehungen auf Nachfragemärkten zugeschnitten und in ihrem Differenzierungspotenzial begrenzt. Im Gesundheitswesen muss die Typologie des Art. 1 RL 2004/18/EG auf einen vergaberechtsuntypischen öffentlich finanzierten Markt bezogen werden, der durch Dreiecksverhältnisse zwischen Krankenkassen, Leis29 EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427 Rn. 59, der auf die damaligen Sozialbeitragswettbewerb abstellt.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

tungserbringern und Versicherten und hierauf bezogene besondere Steuerungsinstrumente geprägt ist. Daher lassen sich in aller Regel immer Argumente finden, die gegen eine Anwendung des Vergaberechts ins Feld geführt werden können. Da die Vertragstypologie des Vergaberechts jedoch andererseits sehr weit ausgelegt werden kann, lassen sich bei „funktionaler Betrachtung“ gleichwohl immer auch Argumente finden, um sämtliche Formen der Vertragssteuerung nach dem SGB V, aber ggf. auch hoheitliche Zulassungsentscheidungen durch Verwaltungsakt, wie die Aufnahme in einen Krankenhausplan, in die Anwendung des Vergaberechts einzubeziehen. 4. Dogmatische Herausforderungen im Gesundheitsvergaberecht nach der Entscheidung des EuGH in der Rs. C-300/07 (Oymanns) Die mit den atypischen Strukturen der Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens strukturell verbundenen vergaberechtlichen Ordnungsprobleme bestehen unbeschadet der Entscheidung des EuGH zur Einbeziehung des Vertragswettbewerbs in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie fort. Somit kann es auch nicht verwundern, dass die Entscheidung des EuGH ebenso viele Fragen aufwirft, wie sie beantwortet. Im Ausgangsverfahren der Rs. C-300/07 ging es um die Frage der Ausschreibungspflichtigkeit eines Integrierten Versorgungsvertrags über orthopädietechnische Leistungen. Der Vertrag regelte die Preis- und Leistungsbedingungen für die zeitlich befristete Erbringung dieser Leistungen an die Versicherten einer AOK. Der Entgeltanspruch war von der tatsächlichen Inanspruchnahme der Leistungen durch die Versicherten abhängig. Allerdings war im Großen und Ganzen absehbar, in welchem Umfang derartige Leistungen dann von den Versicherten in Anspruch genommen werden würden. In seinem Urteil hat der EuGH einerseits entschieden, dass ein derartiger Vertrag je nach Schwerpunkt der Leistung entweder als Lieferauftrag oder als Dienstleistungsauftrag einzustufen sei.30 Andererseits hat der Gerichtshof jedoch für den Fall, dass ein Lieferauftrag vorliegt, bereits wieder offengelassen, ob es sich dann um einen Lieferauftrag i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG oder um den Sonderfall einer Rahmenvereinbarung (über Lieferaufträge) i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG handelt.31 Soweit der Vertrag überwiegend Dienstleistungscharakter hat, liegt nach Auffassung des EuGH dagegen eine Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG vor. Dieses Ergebnis ist insoweit nicht zu beanstanden, als ein Versorgungsvertrag, der lediglich Preis- und Leistungsbedingungen für die Kostenerstattung von Einzelleistungen enthält, letztlich „Rahmenbedingungen“ für den späteren Abschluss von Einzelverträgen regelt. Indessen blieb der 30 31

EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 61 ff. EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 66.

A. Gesundheitsvergaberecht als rechtswissenschaftliche Ordnungsaufgabe

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EuGH eine überzeugende Antwort auf die Frage schuldig, wie eine Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/EG vorliegen kann, wenn dieser Vertrag doch gerade nicht auf die Rahmenregelung späterer Einzelaufträge der Krankenkassen, sondern lediglich auf die Rahmenregelung der Bedingungen der Versorgung der gesetzlich Versicherten gerichtet ist. Der EuGH vermeidet die Auseinandersetzung mit diesem Problem letztlich dadurch, dass er das Tatbestandsmerkmal des Vorliegens eines „öffentlichen Auftrags“ in seiner Entscheidung nicht prüft, das damit gleichsam „unter den Tisch fällt“.32 Im Ergebnis umgeht der EuGH auf diese Weise vergaberechtliche Probleme, die sich aus der strukturellen Diskrepanz zwischen dem auf zweipolige Auftragsverhältnisse ausgerichteten Vergaberecht und den Dreiecksverhältnissen des Leistungserbringungsrechts ergeben. Diese höchstrichterliche Vermeidungsstrategie sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der EuGH im Wege der Rechtsfortbildung den Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2014/18/ EG über ihre bisherige Begrenzung auf Rahmenvereinbarungen über (ausschreibungspflichtige) öffentliche Aufträge hinaus auch auf Rahmenvereinbarungen über private Auftragsverhältnisse zwischen Versicherten und Leistungserbringern erweitert hat, wobei diese „privaten Aufträge zwischen Privaten“ für sich gesehen selbstverständlich weiterhin nicht ausschreibungspflichtig sind.33 Lässt die Entscheidung des EuGH damit einerseits wesentliche Fragen offen, wirft sie andererseits auch neue Fragen auf. Neben der Frage nach den Folgen der Entscheidung für die Verortung von Versorgungsverträgen zwischen Rahmenvereinbarung, Lieferauftrag, Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungskonzession stellt sich insbesondere auch die Frage nach den Implikationen dieser Entscheidung für die hoheitliche und hoheitlich-kooperative Regulierung der sozialen Leistungserbringung. Sind neben Integrierten Versorgungsverträgen nunmehr z. B. auch Gesamtverträge über die vertragsärztliche Versorgung (§ 83 SGB V) oder gar das System der Festbetragsfestsetzung (§ 85 SGB V) aus funktionaler Sicht als „Rahmenvereinbarungen“ i. S. d. Vergaberechts zu deuten, da auch diese Verträge Rahmenbedingungen der Versorgung der gesetzlich Versicherten regeln? Welche Folgerungen ergeben sich aus der Entscheidung des EuGH zum europäischen Vergaberecht für das nach wie vor umstrittene Verhältnis von GWB und SGB V innerhalb des Systems des deutschen Rechts? Und welche Spielräume verbleiben dem Sozialgesetzgeber – wenn überhaupt – bei der besonderen sozialgesetzlichen Ausgestaltung des Vertragswettbewerbs im Rahmen des SGB V? Anknüpfend an diesen Problemaufriss sollen nunmehr die Ordnungsstrukturen des Gesundheitsvergaberechts im Zusammenhang entwickelt werden.

32 33

EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 67 ff. Siehe oben 3. Kapitel, V. 1.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

B. Das Gesundheitsvergaberecht als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts I. Gesundheitsvergaberecht als „Konkurrenzproblem“ an den Schnittstellen von GWB und SGB V Um die mit der Anwendung des EU-Vergaberechts auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V verbundenen Ordnungsprobleme zu bewältigen, stellt sich zunächst die Frage nach der für die Aufgabe am besten geeigneten dogmatischen Ordnungsperspektive. In der aktuellen Diskussion wird die Frage der Anwendung des Vergaberechts auf den Vertragswettbewerb in der GKV bisher in erster Linie als ein Ausschreibungsproblem an den Schnittstellen von SGB V und GWB innerhalb des Systems des staatlichen Rechts erfasst.34 Im Zentrum der Überlegungen stehen die gesetzlichen Krankenkassenträger, deren rechtlicher Status im Spannungsfeld zwischen den vom Gesetzgeber vorgegebenen Regelungen des SGB V und des GWB zu bestimmen ist. Damit korrespondiert üblicherweise die Frage, ob die gesetzlichen Krankenkassen überhaupt als öffentliche Auftraggeber Ausschreibungspflichten aus dem GWB-Vergaberecht unterliegen, welchen Vertragstypen des Vergaberechts (Lieferauftrag, Dienstleistungsauftrag, Rahmenvereinbarung, Dienstleistungskonzession) einzelne Versorgungsverträge des SGB V zuzuordnen sind und welche Anforderungen an die Auftragsvergabe durch die gesetzlichen Krankenkassen sich hieraus ggf. ergeben. Dagegen wird auf die EUVergaberichtlinie eher in einer Art „zweiten Folie“, insbesondere zur Auflösung von Konkurrenzproblemen zwischen GWB und SGB V, Bezug genommen, während schließlich das Primärrecht üblicherweise erst in einer „dritten Folie“, insbesondere unter dem Gesichtspunkt von Basisanforderungen des „Primärvergaberechts“ für die Auftragsvergabe jenseits des Anwendungsbereichs der Vergaberichtlinien bzw. GWB-Vergaberecht, thematisiert wird.35 Insgesamt folgt die vergaberechtliche Diskussion aus dogmatischer Sicht primär einer „Bottom up“Perspektive, die zunächst auf der Ebene des staatlichen Rechts ansetzt und erst in zweiter Linie das EU-Vergaberecht mit in den Blick nimmt, wenn und soweit dies zur Bewältigung von Rechtsanwendungsproblemen auf der Ebene des staatlichen

34 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 99 f., 112 ff.; Knispel, Soziale Sicherheit 2008, S. 110 ff.; Koenig/Klahn/Schreiber, PharmR 2008, S. 182 ff.; Willenbruch, PharmR 2008/3, S. 151 ff.; A. P. Ehlers/Heinemann, Essentials aus dem Pharma- und Sozialrecht – Vergabekammer des Bundes entscheidet: Krankenkassen-Rabattverträge sind öffentliche Aufträge; pharmind 2007, S. 1448 f.; Heßhaus, Ausschreibung und Vergabe von Rabattverträgen PharmR 2007, S. 334 ff.; Koenig/Klahn/Schreiber, GesR 2007, S. 559 ff.; Sträter/Natz, PharmR 2007, S. 7 ff. 35 Vgl. Burgi/Brohm, MedR 2005, S. 74 ff.; Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff.; Burgi, NZBau 2008, S. 480 ff.; Kingreen, Das Sozialvergaberecht, in: SGb 2008, S. 437 ff.

B. Gesundheitsvergaberecht als Referenzgebiet des Verwaltungsrechts

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Rechts als erforderlich erscheint. Die bisher in der vergaberechtlichen Diskussion vorherrschende Perspektive ist aus rechtsdogmatischer Sicht zunächst durchaus folgerichtig. Mit den §§ 97 ff. GWB und der Vergabeverordnung hat der staatliche Gesetzgeber die Vorgaben der EU-Vergaberichtlinien in nationales Recht transformiert. Damit ist das EU-Vergaberecht grundsätzlich nur noch mittelbar im Rahmen der unionsrechtskonformen Auslegung des GWB-Vergaberechts anwendbar. Die Umsetzung der Vergaberichtlinie in das GWB sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich beim GWB-Vergaberecht um national transformiertes Unionsrecht handelt, das gerade in Zweifelsfällen nur im Lichte des Unionsrechts angewandt werden kann. Bereits die Frage nach dem Verhältnis von SGB V und GWB-Vergaberecht im System des staatlichen Rechts muss im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung unter Rückgriff auf die Vorgaben der RL 2004/18/EG geklärt werden. Im formalen Gewand eines Konkurrenzproblems zwischen verschiedenen Teilgebieten des staatlichen Rechts entfalten sich damit bereits die sachlich-inhaltlichen Harmonisierungsvorgaben des europäischen Verwaltungsrechts. Die rechtssichere Anwendung des GWB-Vergaberechts auf das Leistungserbringungsrecht des SGB setzt daher zunächst notwendig ein hinreichendes Maß an Klarheit über den sachlichen Anwendungsbereich des EUVergaberechts im Gesundheitssektor voraus. Erst wenn in systematisch-funktionaler Auslegung des Unionsrechts geklärt ist, welche Formen der Steuerung der sozialen Leistungserbringung überhaupt von der EU-Vergaberichtlinie erfasst und welche unionsrechtlichen Anforderungen an innerstaatliche Verfahrens- und Rechtsschutzgewährleistungen in diesen Fällen zu beachten sind, kann in einem Folgeschritt geklärt werden, was hieraus für das Verhältnis von GWB und SGB V im System des nationalen Rechts folgt.

II. Gesundheitsvergaberecht als „Harmonisierungsproblem“ im System des europäischen Verwaltungsrechts Das Gesundheitsvergaberecht verweist als Referenzgebiet des europäischen (Sozial-)Verwaltungsrechts denn auch aus materiell-rechtlicher Sicht weder allein noch in erster Linie auf ein Konkurrenzproblem zwischen staatlichem Sozialund Vergaberecht, sondern vielmehr primär auf ein Harmonisierungsproblem innerhalb des Systems des europäischen Verwaltungsrechts, das dann auch wieder Folgewirkungen im System des staatlichen Rechts, insbesondere an den Schnittstellen von SGB V und GWB, zeitigt.36 Damit verlagert sich der dogmatische Ausgangspunkt der Überlegungen von den Schnittstellen von SGB V und GWB im System des staatlichen Rechts hin zu einer „Top down“-Perspektive, die primär auf der Ebene des europäischen Vergaberechts als Materie des besonderen europäischen Verwaltungsrechts ansetzt und nach dessen Implikationen für das 36

Vgl. oben 3. Kapitel, B. III. 1.; 4. Kapitel, C. IV. 4. c).

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

staatliche Recht und den Steuerungsspielräumen des staatlichen Gesetzgebers fragt. Mit der Entscheidung in der Rs. C-300/07 (Oymanns) hat der EuGH im Wege der Auslegung der RL 2004/18/EG entschieden, dass wesentliche Teile des Leistungserbringungsrechts des SGB V in den Anwendungsbereich eines besonderen harmonisierten europäischen Verfahrens- und Rechtsschutzregimes fallen, was im Ergebnis eine Harmonisierung des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens im Bereich der Vertragssteuerung durch die gesetzlichen Krankenkassen zur Folge hat.37 Der eigentliche normative Grund für die grundsätzliche Einbeziehung des Vertragswettbewerbs in der GKV in den Anwendungsbereich des besonderen Verfahrens- und Rechtsschutzregimes des Vergaberechts ist genuin unionsrechtlicher Natur und liegt in den besonderen Gefahren, die sich durch den Markteintritt der gesetzlichen Krankenkassen als Nachfrager für den freien grenzüberschreitenden Marktzugang im Binnenmarkt für Gesundheitsversorgungsleistungen ergeben können.38 Das durch Marktzugangsprobleme in zweipoligen entgeltlichen Auftragsverhältnissen geprägte harmonisierte Verfahrens- und Rechtsschutzregime des Vergaberechts trifft im Gesundheitswesen allerdings auf einen atypisch strukturierten, sozialrechtlich besonders regulierten Markt, dessen Regelungsstrukturen auf die Steuerung des Leistungsaustauschs in Mehrecksbeziehungen zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und gesetzlich Versicherten ausgerichtet sind.39 Daraus resultiert ein mehrschichtiges Ordnungsproblem, das im System des europäischen Verwaltungsrechts wurzelt und daher auch in diesem Systemkontext zu bewältigen ist. In einem ersten Schritt stellt sich die Frage nach der sachlichen Anwendbarkeit des harmonisierten Vergabeverfahrens der RL 2004/18/EG auf die teils hoheitlichen, teils kooperativen, teils individualvertraglichen Steuerungsinstrumente des Leistungserbringungsrechts des SGB V. Daraus ergibt sich gerade auch im Gesundheitsvergaberecht das Erfordernis, den auf austauschvertragliche Steuerungsformen begrenzten sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie von den Verfahren der hoheitlichen und hoheitlich-kooperativen Regulierung der Leistungserbringung abzugrenzen, die im System des europäischen Verwaltungsrechts ggf. anderen, funktional spezielleren Harmonisierungsvorschriften unterliegen können.40 In einem zweiten Schritt ist zu klären, welche Anforderungen sich aus der vergaberechtlichen Harmonisierung für den so eingegrenzten Sachbereich ergeben. Hierzu bedarf es vor allem abstrakt-genereller Kriterien, die es erlauben, innerhalb des Anwendungsbereichs des EU-Vergabe37 EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 40 ff., 60 ff.; Kingreen, NJW 2009, 2417 ff. 38 Siehe oben 3. Kapitel, A. III., 5. Kapitel, A. II. 2. und 3. 39 Siehe oben 5. Kapitel, A. III. 3. 40 Vgl. bereits oben 3. Kapitel, A. III. sowie unten 5. Kapitel, C. Zur sekundärrechtlichen Harmonisierung des Leistungserbringungsrechts im Kontext des Systems der Binnenmarktkompetenzen siehe auch 4. Kapitel, C. IV. 4.

B. Gesundheitsvergaberecht als Referenzgebiet des Verwaltungsrechts

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rechts eine Zuordnung der Versorgungsverträge des SGB V zu den verschiedenen Vertragstypen der Vergaberichtlinie vorzunehmen, denen wiederum unterschiedliche Anforderungen an die Harmonisierung der Vergabeverfahren entsprechen.41 In diesem Zusammenhang ist im Wege der teleologisch-systematischen Auslegung insbesondere zu diskutieren, ob und inwieweit die auf zweipolige Auftragsverhältnisse zugeschnittenen Vertragstypen der Vergaberichtlinie auch auf neue Formen der austauschvertraglichen Steuerung sozialrechtlicher Mehrpersonenverhältnisse angewandt werden können bzw. angewendet werden müssen.42 Erst im Anschluss an diese genuin unionsrechtlichen Untersuchungen kann schließlich die Frage nach den Folgen der Anwendbarkeit des EU-Vergaberechts im System des staatlichen Rechts angegangen werden. Dies gilt einerseits für die Frage nach dem Verhältnis von EU-Vergaberecht, GWB-Vergaberecht und SGB V sowie andererseits mit Blick auf die verbleibenden Spielräume der gesetzlichen Krankenkassen und des staatlichen Gesundheitsgesetzgebers bei der Ausgestaltung des Vertragswettbewerbs in der GKV.43 Während die Frage nach den konkreten Handlungsspielräumen der gesetzlichen Krankenkassenträger letztlich nur einzelfall- bzw. fallgruppenbezogen beantwortet werden kann, können in Bezug auf die Gestaltungsspielräume des staatlichen Gesundheitsgesetzgebers allgemeinere Eck- und Orientierungspunkte herausgearbeitet werden, die sich einerseits aus der Vergaberichtlinie, andererseits aber auch aus den Rechtfertigungsgründen der Grundfreiheiten und der Rechtsprechung des EuGH zu „vergabefremden Zwecken“ ergeben können.44 Die Bedeutung des Primärrechts, insbesondere der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit für das Gesundheitsvergaberecht, liegt im Rahmen der so skizzierten Konzeption nicht allein darin, dass ggf. auch jenseits des Anwendungsbereichs der Vergaberichtlinie bestimmte Transparenzanforderungen für die Auftragsvergabe bestehen können.45 Vielmehr kommt der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit gerade auch bei der primärrechtskonformen Auslegung des Sekundärrechts eine Schlüsselstellung zu. Dies gilt sowohl für den sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie als auch für die Abgrenzung zwischen verschiedenen Vertragstypen der Richtlinie.46 Schließlich hat das Primärrecht – vor allem mit Blick auf die Rechtfertigungsgründe der Grundfreiheiten – auch zentrale Bedeutung für die Bestimmung der verbleiben-

41 Zur Vertragstypologie der Vergaberichtlinie siehe allgemein oben 3. Kapitel, D. sowie für das Gesundheitsvergaberecht unten 5. Kapitel, D. II. 42 Siehe oben 5. Kapitel, A. III. 3. sowie im Einzelnen unten 5. Kapitel, D. II. 3. 43 Siehe hierzu allgemein oben 3. Kapitel, E. II., sowie für das Gesundheitsvergaberecht unten 5. Kapitel, G. 44 Siehe hierzu allgemein oben 3. Kapitel, E. II., sowie für das Gesundheitsvergaberecht unten 5. Kapitel, G. II. und III. 45 Hierzu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 9 ff. 46 Siehe oben 3. Kapitel, B. III. und D. sowie unten 5. Kapitel, C. und D.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

den Gestaltungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers im Anwendungsbereich des SGB.47

III. Gesundheitsvergaberecht und Sozialvergaberecht Die Implementierung neuer Formen der Vertragssteuerung ist nicht allein auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V beschränkt, sondern steht im allgemeinen Kontext der Implementierung von neuen Formen der dezentralen Vertragssteuerung, wie sie z. B. auch im Sozial-, Kinder- und Jugendhilferecht feststellbar ist. Entsprechend stellt sich das Problem des Verhältnisses des sozialen Leistungserbringungsrechts zum System des EU- und GWB-Vergaberechts auch in anderen Bereichen. Aufgrund der damit verbundenen – bis zu einem gewissen Grad vergleichbaren – Problemlagen ist für diese neuen Formen der sozialleistungserbringungsrechtlichen Steuerung der übergreifende Begriff des „Sozialvergaberechts“ geprägt worden, der zugleich auch auf normative Differenzen zum GWB-Vergaberecht verweisen soll.48 Aus rechtsdogmatischer Sicht reagiert der Begriff des Sozialvergaberechts in erster Linie auf Konkurrenzprobleme, die sich innerhalb des Systems des staatlichen Rechts zwischen Sozialrecht und GWB-Vergaberecht immer dann ergeben, wenn sich der Sozialgesetzgeber entschließt, individualvertragliche Steuerungsformen im sozialen Leistungserbringungsrecht zu implementieren. Die Frage der Anwendung des Vergaberechts auf den Vertragswettbewerb im Gesundheitswesen weist allerdings neben Gemeinsamkeiten auch eine Reihe von Unterschieden zu anderen Formen der sozialrechtlichen Vertragssteuerung auf. Im Gegensatz z. B. zum Sozial-, Kinder- und Jugendhilferecht, aber auch zur Vertragssteuerung im Rahmen der Arbeitsmarktförderung steht die Implementierung neuer Formen des Vertragswettbewerbs im Kontext eines weitergehenden Reorganisationsprozesses des Gesundheitswesens, der gerade auch für die gesetzlichen Krankenkassen als Leistungsträger und Auftraggeber folgenreich ist.49 Anders als sonst im „Sozialvergaberecht“ stehen im öffentlichen Gesundheitswesen gerade auch die gesetzlichen Krankenkassenträger in einem Wettbewerb zueinander und werden schrittweise zu insolvenzfähigen Unternehmen umgewandelt, was wiederum für deren Auftraggebereigenschaft folgenreich sein kann.50 Andererseits sind die individual-vertraglichen 47 Siehe hierzu allgemein oben 3. Kapitel, E. II., sowie für das Gesundheitsvergaberecht unten 5. Kapitel, G. 48 Vgl. Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff.; Rixen, VSSR 2005, S. 225 ff. 49 Vgl. Kingreen, Vergaberechtliche Anforderungen an die sozialrechtliche Leistungserbringung, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 89 ff.; ders., SGb 2008, S. 437 ff.; Rixen, VSSR 2005, S. 225 ff. 50 Vgl. Kingreen, ZESAR 2007, S. 139 ff. Es erscheint jedoch denkbar, dass einzelne, an die Privatversicherung angelehnte Wahltarifoptionen für sich in den Anwendungsbereichen des Wettbewerbsrechts fallen. T. Schmidt, GesR 2007, S. 295 ff. (295 f.).

B. Gesundheitsvergaberecht als Referenzgebiet des Verwaltungsrechts

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Steuerungsinstrumente des SGB V integraler Bestandteil des allgemeinen Systems der sozialrechtlichen Regulierung der Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens. Sie entfalten ihre spezifischen Wirkungen regelhaft gerade relativ zum allgemeinen Regulierungsregime und müssen daher aus diesen Kontexten heraus entfaltet werden. Schließlich wirft das Nebeneinander von hoheitlicher, hoheitlich-kooperativer und individualvertraglicher Steuerung im Anwendungsbereich des SGB V auch besondere vergaberechtliche Abgrenzungsfragen an den Schnittstellen von vertraglichem und hoheitlichem Handeln auf, die sich in anderen Bereichen der sozialrechtlichen Vertragssteuerung nicht in gleicher Form stellen.51 Diese Besonderheiten lassen es gerechtfertigt erscheinen, das „Gesundheitsvergaberecht“ – unbeschadet der Möglichkeit seiner sozialrechtlichen Verortung in den Kontext eines entstehenden Sozialvergaberechts – als eigenständiges Referenzgebiet des europäischen Verwaltungs- und Sozialrechts zu rekonstruieren.

IV. Zum weiteren Gang der Untersuchung Zur Rekonstruktion der allgemeinen Ordnungsstrukturen des Gesundheitsvergaberechts soll im Folgenden schrittweise vorgegangen werden. Zunächst soll der sachliche Anwendungsbereich des EU-Vergaberechts im Leistungserbringungsrecht des SGB V in Abgrenzung zu anderen Materien des besonderen europäischen Verwaltungsrechts eingegrenzt werden (s. u. Abschnitt III.). Hierzu sollen allgemeine Eck- und Orientierungspunkte zur Abgrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der „vertragsbezogenen“ Vorschriften der RL 2004/18/EG vom System der hoheitlichen und hoheitlich-kooperativen Regulierung der Leistungserbringung entwickelt werden, die in den Anwendungsbereich anderer Harmonisierungsvorschriften des europäischen Verwaltungsrechts fallen. Anschließend soll die Stellung der Versorgungsverträge des SGB V in der Vertragstypologie der Vergaberichtlinie näher beleuchtet werden, wobei ergänzend auch auf einige weitere vergaberechtliche „Querschnittsprobleme“ des Vertragswettbewerbs in der GKV eingegangen werden soll (s. u. Abschnitt IV.). Die Untersuchungen zu unionsrechtlichen Ebene schließen mit Überlegungen zu den Verfahrensanforderungen, die sich aus der Zuordnung einzelner Typen von Versorgungsverträgen zu den Vertragstypen des Vergaberechts ergeben (s. u. Abschnitt V.). Ausgehend von diesen unionsrechtlichen Grundlegungen sollen schließlich die Folgen der Anwendung des EU-Vergaberechts im System des staatlichen Rechts exemplarisch am Beispiel des Verhältnisses von SGB V und GWB-Vergaberecht (s. u. Abschnitt VI.) und der verbleibenden Gestaltungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers im Bereich der Vertragssteuerung in der GKV (s. u. Abschnitt VII.) herausgearbeitet werden.

51

Vgl. Burgi/Brohm, MedR 2005, S. 74 ff.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

C. Zum sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG im Leistungserbringungsrecht des SGB V I. Der vergaberechtliche Austauschvertrag als spezifische Anwendungsvoraussetzung des Vergaberechts Das Leistungserbringungsrecht des SGB V konstituiert eine komplexe Regelungsstruktur, in der hoheitliche, hoheitlich-kooperative und austauschvertragliche Steuerungsinstrumente in enger Verzahnung nebeneinander stehen. Spätestens mit der Entscheidung des EuGH in der Rs. C-300/07 (Oymanns) ist deutlich geworden, dass wesentliche Teile dieser Regelungsstruktur in den Anwendungsbereich der RL 2004/18/EG fallen.52 Der Anwendungsbereich der RL 2004/18/ EG ist dabei gerade im Leistungserbringungsrecht des SGB V durchaus weit und keineswegs notwendig allein auf die neuen Formen von selektiven Versorgungsverträgen beschränkt, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. So schließen weder die Rechtsform des Verwaltungsakts noch die Rechtsform des öffentlich-rechtlichen Vertrags die Anwendung des Vergaberechts notwendig aus.53 Damit könnten prinzipiell auch die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung (§ 95 SGB V)54, die Aufnahme in einem Krankenhausplan (§ 108 Nr. 2 SGB V)55 oder das System von Normsetzungsverträgen des SGB V in den Anwendungsbereich des Vergabeverfahrens fallen.56 Allerdings ist das Vergaberecht nicht dazu bestimmt, das gesamte System der hoheitlich-kooperativen Regulierung des Leistungserbringungsrechts einer vergaberechtlichen Harmonisierung zu unterwerfen, zumal im Gesundheitswesen auch andere sekundärrechtliche Vorschriften des europäischen Verwaltungsrechts anwendbar sind, die speziell auf hoheitliche Regulierungsformen zugeschnitten sind, wie insbesondere die Transparenzrichtlinie 89/105/EWG und die RL 2005/ 36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen.57 Dies wirft die Frage nach den Grundlagen und Grenzen der Anwendbarkeit der RL 2004/18/EG in Abgrenzung zu anderen Materien des europäischen besonderen Verwaltungsrechts auf. Die RL 2004/18/EG reagiert mit der Harmonisierung der Verfahren der öffentlichen 52

EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, S. 2427, Rn. 40 ff., 60 ff. Koenig/Steiner, ZESAR 2003, S. 150 (151 f.); Wilke, ZfBR 2004, S. 141, 142; Ruhland/Burgi, VergabeR 2005, S. 1 ff. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2079, sowie oben 3. Kapitel, V. 3. 54 Vgl. Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), S. 1 (27), und Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 120, die von einer Dienstleistungskonzession ausgehen, die immerhin primärvergaberechtlich relevant wäre. 55 Vgl. Burgi/Brohm, MedR 2005, S. 74 ff. 56 Siehe oben 3. Kapitel, C. III. 2. 57 Siehe oben 3. Kapitel, B. III. 4. 53

C. Zum sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG

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Auftragsvergabe bei Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, bei Rahmenvereinbarungen und bei Baukonzessionen auf das Problem des Markteintritts der öffentlichen Hand als Nachfrager auf Grundlage von Austauschverträgen. Der sachliche Anwendungsbereich der vergaberechtlichen Harmonisierung ist damit von vornherein auf austauschvertragliche Beziehungen zwischen der öffentlichen Hand und regelhaft privaten Bietern beschränkt, die durch austauschvertragliche Verhandlungsspielräume gekennzeichnet sind.58 Ob eine der unterschiedlichen Arten von Steuerungsinstrumenten des SGB V in den Anwendungsbereich der vergaberechtlichen Harmonisierung nach Maßgabe der RL 2004/18/EG und ergänzend der Rechtsmittelrichtlinie fällt, hängt letztlich davon ab, ob eine Krankenkasse oder eine andere öffentliche Einrichtung aus funktionaler Sicht (also zumindest faktisch) auf austauschvertraglicher Grundlage Zug um Zug auf der Nachfrageseite in einen wirtschaftlichen Austauschvorgang eintritt. Soweit dies der Fall ist, liegt jedenfalls ein vergaberechtlich relevanter Sachverhalt vor, der zumindest in den Anwendungsbereich des Primärvergaberechts fällt. Ob es sich im Einzelnen um einen Dienstleistungs- oder Liefervertrag, eine Rahmenvereinbarung oder um eine von der Vergaberichtlinie ausgenommene Dienstleistungskonzession handelt, bleibt zunächst noch offen. Fehlt es indes bereits an diesem Austauschvertragsverhältnis (wie in der Regel beim Verwaltungsakt und bei Kollektivvertragsstrukturen, hierzu sogleich), so kommt die Anwendung des Primärund des Sekundärvergaberechts von vornherein nicht in Betracht.

II. Das Erfordernis der Abgrenzung von vertraglichen, hoheitlichen und hoheitlich-kooperativen Steuerungsformen Aus der spezifischen Funktion des Vergaberechts im System des europäischen Verwaltungsrechts folgt das Erfordernis der Abgrenzung von vergaberechtlichen Vertragsverhältnissen zum System der exekutiven Rechtsetzung in der Sozialversicherung, insbesondere zu hoheitlichen Zulassungsentscheidungen durch VA (z. B. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen der Bedarfsplanung gem. § 95 SGB V oder Aufnahme in einen Landeskrankenhausplan gem. § 108 Abs. 2 SGB V), zur hoheitlich-kooperativen Regulierung durch Normsetzungsverträge (z. B. Gesamtverträge nach § 83 SGB V), zu den Verfahren der Festbetragsfestsetzung (§§ 34 f. SGB V) und zur Richtlinienrechtsetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses (§§ 92 ff. SGB V).59 Allerdings schließt in den genannten Fällen weder der öffentlich-rechtliche Charakter der Regelungen noch 58

Siehe oben 3. Kapitel, B. III. 1. und C. III. 1. und 2. Zum System der exekutiven Rechtsetzung in der gesetzlichen Krankenversicherung vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung. 2000, S. 63 ff. (Vertragsärztliche Versorgung), S. 115 ff. (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses), S. 129 ff. (Festbetragsfestsetzung), S. 141 ff. (Bedarfsplanung). Siehe im Einzelnen auch unten 7. Kapitel, B. III. und C. 59

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

deren besondere gesundheitspolitische Steuerungsfunktion die Anwendung des Vergaberechts bereits notwendig aus. Vielmehr ist eine funktionale Betrachtung zugrunde zu legen, die sich am Ziel der praktischen Wirksamkeit des Vergaberechts orientiert.60 Das Prinzip der praktischen Wirksamkeit des Vergaberechts rechtfertigt indes auch nicht den generalisierenden Umkehrschluss, dass jede Maßnahme der hoheitlichen oder hoheitlich-kooperativen Regulierung im Gesundheitswesen allein schon deswegen als vergaberechtlicher Vertrag zu qualifizieren sei, weil vergleichbare Wirkungen (wie z. B. die Zulassung zu Versorgung oder die Regelung von Rahmenbedingungen der Leistungserbringung) hypothetisch auch durch vergaberechtliche Verträge bewirkt werden könnten.61 Vielmehr reagiert das Vergaberecht – ähnlich wie das Wettbewerbsrecht – in spezifischer Weise auf das Problem des Markteintritts der öffentlichen Hand als Nachfrager, nicht aber auf das Problem der hoheitlichen Regulierung der Marktteilnahme.62 Bei den letztgenannten Fällen greifen die Grundfreiheiten sowie das sonst bei hoheitlicher Regulierung einschlägige Sekundärrecht, wie z. B. die Arzneimitteltransparenzrichtlinie 89/105/EWG, das sekundäre Medizinproduktrecht oder die Berufsrichtlinie 2005/36/EG. Zur Abgrenzung kann anknüpfend an die Überlegungen zu den Anwendungsvoraussetzungen des Vergaberechts im 3. Kapitel eine Parallele zur wettbewerbsrechtlichen Abgrenzung zwischen hoheitlicher Regulierung und unternehmerischer Marktteilnahme gezogen werden.63 Ebenso wie im Wettbewerbsrecht stellt sich auch im Vergaberecht das Problem, zwischen dem austauschvertraglichen Markteintritt der Verwaltung und der hoheitlichen bzw. hoheitlich-kooperativen Marktregulierung durch die Verwaltung zu unterscheiden, da sowohl das Wettbewerbsrecht als auch das Vergaberecht (in wechselseitiger Komplementarität) allein auf die besonderen Gefahren der Marktteilnahme der öffentlichen Hand reagieren.64 Maßgeblich für eine funktionale Abgrenzung zwischen hoheitlichem und vertraglichem Handeln sind damit die Gewährleistung der Allgemeinwohlbindung des Handelns eines Verwaltungsträgers, das Ausmaß der hoheitlichen Determinierung des Handelns durch gesetzliche Rahmenvorgaben sowie die Gewährleistung der staatlichen Letztverantwortung, insbesondere durch eine staatliche Aufsicht, die funktional einer Fachaufsicht entspricht.65 60

Siehe oben 3. Kapitel, C. III. 2. So aber: Koenig/Steiner, ZESAR 2003, S. 98 ff.; S. 150 ff.; kritisch hierzu: Burgi/ Brohm, Krankenhausplanung und Kartellvergaberecht, in: MedR 2005, S. 74 ff. 62 Siehe oben 3. Kapitel, C. III. 2. 63 Siehe oben 3. Kapitel, C. III. 2. Zur Abgrenzung von hoheitlich-kooperativer Regulierung und unternehmerischer Marktteilnahmen aus wettbewerbsrechtlicher Sicht siehe oben 1. Kapitel, C. IV. 3. und 4. Kapitel, D. II. 2. 64 Siehe oben 3. Kapitel, C. III. 2. 65 EuGH Rs. C-153/93 (Delta) Slg. 1994 I-2517; EuGH 17.10.1995 Rs. C-140/94 (DIP) Slg. 1995 I-3257, Rn. 16; EuGH Rs. C-35/99 (Arduino) 2002 I-1529, 1572; zuletzt EuGH Rs. C-94/04 (Cipolla) NJW 2007, 281 (284). 61

C. Zum sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG

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III. Abgrenzung von vertraglichem und einseitig hoheitlichem Handeln durch Verwaltungsakt 1. Vergaberechtsneutrale Marktzugangsregulierung am Beispiel der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nach §§ 95 SGB V Damit sind bereits die allgemeinen Eck- und Orientierungspunkte formuliert, um eine Abgrenzung von hoheitlichen Zulassungsentscheidungen durch VA, wie z. B. der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gem. § 95 SGB V und zu vergaberechtlichen Zulassungsverträgen, wie z. B. einem Integrierten Versorgungsvertrag gem. §§ 140a ff. SGB V, vorzunehmen. Die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung erfolgt nach Maßgabe der §§ 95 ff. SGB V und der Zulassungsverordnung durch VA der Zulassungsausschüsse des gemeinsamen Landesausschusses der kassenärztlichen Vereinigungen und der gesetzlichen Krankenkassen als gebundener Verwaltungsakt. Die Aufsicht wird gem. § 90 Abs. 4 SGB V von den zuständigen Landesbehörden durchgeführt. Den Zulassungsausschüssen steht keinerlei Ermessensspielraum zu. Damit liegt in diesen Fällen eine hoheitliche Zulassungsentscheidung zu einem geregelten Beruf vor, der sich vergaberechtlich nicht grundsätzlich von anderen hoheitlichen Berufszulassungsverfahren unterscheidet. In Ermangelung eines vergaberechtlichen Vertrags ist daher weder das primäre noch das sekundäre Vergaberecht anwendbar. Stattdessen greifen die allgemeinen Beschränkungs- und Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten, das Herkunftslandprinzip und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, die auch sonst einen diskriminierungsfreien, grenzüberschreitenden Marktzugang gewährleisten.66 Sekundärrechtlich greifen die Berufszulassungsrichtlinien.67 Dagegen wäre es rechtsdogmatisch unpräzise und zugleich aus binnenmarktfunktionaler Sicht sogar potenziell kontraproduktiv, die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung aufgrund eines weit gefassten Begriffs der „Dienstleistungskonzession“ als vergaberechtlich relevante Sachverhalte einzustufen, die zwar (noch) nicht den Vergaberichtlinien, wohl aber dem primären Vergaberecht unterliegen würde.68 Insbesondere handelt es sich bei einer hoheitlichen Berufszulassungsentscheidung nicht schon deswegen um eine „Dienstleistungskonzession“, weil die Zulassungsentscheidung ähnlich wie eine Dienstleistungskonzession ein besonderes Marktzugangsrecht verschafft. Viel-

66 Hierzu eingehend: K. Fahlbusch, Ambulante ärztliche Behandlung in Europa, 2006, S. 253 ff. 67 Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen. Siehe hierzu bereits oben 3. Kapitel, B. III. 4. (aus vergaberechtlicher Sicht) und 4. Kapitel, C. IV. 4. b) (aus kompetenzrechtlicher Sicht). 68 So allerdings Bieback, Die Stellung der Sozialleistungsträger im Marktrecht der EG, in: RsDE Nr. 49 (2001), S. 1 ff., 27; Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 122.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

mehr kommt es gerade auch bei funktionaler Betrachtung allein auf die hoheitliche oder vertragliche Form der Zulassung an. Umgekehrt dienen das primäre und sekundäre Vergaberecht der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit durch besondere Verfahrensanforderungen allein in jenen Fällen, in denen der Staat als „ungleicher“ Vertragspartner in den Markt eintritt. Es bewirkt, dass der Staat durch Verfahrensrecht „gezwungen“ wird, sich wie jedes andere Wirtschaftssubjekt zu verhalten.69 Dieses Instrumentarium kann seine angestrebten Wirkungen jedoch nur entfalten, wenn der Staat tatsächlich als Vertragspartner in den Markt eintritt und damit seine – durch das Marktprinzip nicht oder nur unvollkommen gemäßigte – Nachfragemacht instrumentalisiert. 2. Das Verhältnis von hoheitlicher Marktzugangsregulierung und vergaberechtlichem „Verkauf“ von Marktzugangsrechten aus binnenmarktfunktionaler Sicht Wenn sich der Staat allerdings entschließt, den Zugang zu den öffentlich finanzierten Gesundheitsmärkten unter Rückgriff auf das Instrumentarium des Berufszulassungsrechts rein hoheitlich zu regulieren, mithin auf den Einsatz seiner Marktnachfragemacht gerade verzichtet, sind allein die primärrechtlichen und sekundärrechtlichen Gewährleistungen des europäischen Berufs- und Produktzulassungsrechts das binnenmarktfunktional angemessene Instrument zur Gewährleistung des diskriminierungsfreien Marktzugangs. Eine Anwendung der Grundsätze des Vergaberechts auch auf hoheitliche Verfahren der Berufs- und Produktzulassung im öffentlich finanzierten System hätte dagegen zur Folge, dass sich aus dem Unionsrecht eine grundsätzliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten ergeben würde, leistungserbringungsrechtliche Berufs- oder Produktzulassungen künftig grundsätzlich nur noch gegenleistungsabhängig im Wettbewerb zu vergeben. Die unbeabsichtigte Nebenwirkung einer Überdehnung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts läge damit darin, dass die Unionsrechtsordnung die Marktnachfragemacht des Staates zunächst entfesseln würde, um sie dann wieder mühselig zu binden. Der Staat wäre gezwungen, für die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung oder zur Arzneimittelversorgung zunächst eine wirtschaftliche Gegenleistung des Leistungserbringers zu verlangen, woraus sich dann in einem zweiten Schritt bestimmte primär- oder sekundärrechtliche Anforderungen an die damit einhergehende Auftragsvergabe ergeben würden.70 Zur Gewährleis69

Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 904 f. Vergaberechtlich relevant sind grundsätzlich nur hoheitliche Zulassungsentscheidungen, bei denen der Auftraggeber für die Einräumung eines Verwertungsrechts eine wirtschaftlich gleichwertige Gegenleistung in Form einer entsprechenden Leistungsverpflichtung des Auftragnehmers verlangt. Vgl. Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberechts-Kommentar, § 99 GWB Rn. 27a. 70

C. Zum sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG

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tung der praktischen Wirksamkeit des freien Marktzugangs im Binnenmarkt ist es jedoch grundsätzlich vorzugswürdig, wenn sich der Staat allein auf ein unionsrechtkonformes hoheitliches Zulassungsverfahren beschränkt, von den europäischen Marktbürgern also gerade keine an den Staat zu entrichtende „Gegenleistung“ für den Marktzugang verlangt. Damit ist gerade auch im Leistungserbringungsrecht strikt zwischen wirtschaftlich gegenleistungsfreien, staatlichen Genehmigungen und gegenleistungsabhängigen, wirtschaftlichen Austauschgeschäften zum Zweck der Erlangung des Rechts auf Marktzugang zu unterscheiden.71 Der Staat kann zwar im Gesundheitswesen die Zulassung selbst „ökonomisieren“, also Zugangsrechte zur öffentlich finanzierten Gesundheitsversorgung im Rahmen von Versorgungsverträgen „verkaufen“, d. h. von wirtschaftlichen Gegenleistungen abhängig machen. Soweit sich der Staat indessen Zulassungen zur Versorgung hoheitlich „erteilt“, sich also auf „gegenleistungsunabhängige“ hoheitliche Zulassungsverfahren beschränkt, sind Zulassungen zu den öffentlich finanzierten Gesundheitsmärkten nicht anders zu behandeln als sonstige behördliche Zulassungen in Form einer Zulassung als Arzt, Apotheker oder Anwalt oder Zulassungen nach Arzneimittel- oder Medizinproduktrecht.72 Hier wie dort gilt damit ein striktes Trennungsprinzip.73 Der maßgebliche Abgrenzungsgesichtspunkt zwischen einer Gebühr für eine Berufs- oder Produktzulassung und einer wirtschaftlichen Veräußerung eines Marktzugangsrechts durch den Staat kann dabei letztlich nur im vertraglichen Aushandeln der Preis- und Leistungsbedingungen zwischen Staat und Leistungserbringer nach dem Prinzip des Austauschs von Leistung und Gegenleistung liegen. Hieraus erklärt sich die vom EuGH zu Recht betonte konstitutive Bedeutung des „vertraglichen“ Aushandelns für die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs des primären und sekundären Vergaberechts.74

IV. Das Beispiel der Gesamtverträge nach § 83 SGB V Darüber hinaus muss der Anwendungsbereich des Vergaberechts auch von der hoheitlich-kooperativen Regulierung des Leistungserbringungsrechts, also z. B. 71 Zum Unterscheidungserfordernis zwischen staatlichen Genehmigungen im Berufszulassungsrecht und gegenleistungsabhängigen Konzessionen vgl. Kommission, Mitteilungen zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, ABl. 2000 Nr. C. 121/5; Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, S. 56. 72 Kommission, Mitteilungen zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, ABl. 2000 Nr. C. 121/5. 73 Kommission, Mitteilungen zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, ABl. 2000 Nr. C. 121/5, Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 56. 74 EuGH Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 71, 75; hierzu Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2035 f.; Hausmann, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 67 (79).

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

der Festsetzung von Arzneimittelfestbeträgen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, aber auch von der Regulierung durch Normsetzungsverträge (z. B. Gesamtverträge gem. 83 SGB V oder Bundesmantelvertrag gem. § 87 SGB V) abgegrenzt werden.75 Bei derartigen Formen der hoheitlich-kooperativen Regulierung könnte es sich aus vergaberechtlicher Sicht am ehesten um Rahmenvereinbarungen über die spätere Leistungserbringung handeln. Die Regulierung deckt sich in ihren Wirkungen insoweit mit Rahmenvereinbarungen, als Preisoder Leistungsbedingungen für die Teilnahme an der Versorgung der gesetzlich Versicherten festgelegt werden.76 Die öffentlich-rechtliche Rechtsform der Rahmenregulierung schließt die Anwendung des Vergaberechts ebenso wenig aus wie die Tatsache, dass die Vertragspartner der Normsetzungsverträge bereits gesetzlich feststehen.77 Schließlich scheitert die Annahme einer Rahmenvereinbarung nach der Entscheidung des EuGH in der Rs. C-300/0778 auch noch nicht notwendig daran, dass sich die Vereinbarungen nicht auf spätere Einzelaufträge der gesetzlichen Krankenversicherungen beziehen, sondern lediglich die Bedingungen für die Inanspruchnahme von Leistungen durch die gesetzlich Versicherten normieren. Der eigentlich maßgebliche Abgrenzungsgesichtspunkt liegt vielmehr – ähnlich wie bei der Zulassung durch Verwaltungsakt – im Erfordernis der Abgrenzung zwischen dem vergaberechtlich relevanten Markteintritt der gesetzlichen Krankenkassen als Nachfrager und der hoheitlich-kooperativen Marktregulierung unter Beteiligung der gesetzlichen Krankenkassen. So könnte es sich z. B. bei einem Gesamtvertrag zwischen den Krankenkassen und den vertragsärztlichen Vereinigungen bei entsprechender Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen durchaus um eine Rahmenvereinbarung über die Preis- und Leistungsbedingungen der vertragsärztlichen Versorgung handeln, wobei die kassenärztlichen Vereinigungen ggf. als Vertreter der Kassenärzte handeln könnten.79 Dies würde aber voraussetzen, dass die Parteien des Gesamtvertrags nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen des SGB V die Preis- und Leistungsbedingungen tatsächlich weitgehend frei nach dem Prinzip des wirtschaftlichen Austauschs von Leistung und Gegenleistung in einer Weise aushandeln könnten, wie dies z. B. bei Verträgen über die Integrierte Versorgung der Fall ist.80 Gleichwohl sind die Spielräume für die Aushandlung der Gesamtverträge nach § 83 SGB V hoheitlich eng determiniert, wobei die Parteien der Gesamtverträge u. a. an die gesetzlichen Regelungen über Arznei- und Heilmittelvereinbarungen und Richtgrö75

Siehe oben 3. Kapitel, C. III. 2., sowie im Einzelnen unten 7. Kapitel, A. bis C. Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff. 77 EuGH Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 71, 75. 78 Vgl. EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 67 ff. 79 Zu älteren sozialrechtlichen Rekonstruktionen dieser Art: A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 346 ff. 80 Vgl. oben 3. Kapitel, C. III. 2., sowie eingehender unten 7. Kapitel, B. 76

D. Versorgungsverträge in der Vertragstypologie des Vergaberechts

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ßen (Art. 84 SGB V), über die Gesamtvergütung (§ 85 SGB V) sowie an die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (Art. 72 Abs. 2 SGB V, 92 SGB V) gebunden sind, deren Wirksamkeit wiederum von der Nichtbeanstandung durch das BGM (§ 95 SGB V) abhängig ist.81 Zudem werden der Bundesmantelvertrag und der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) Bestandteil des Gesamtvertrags (§ 87 Abs. 1 SGB V).82 Schließlich unterliegen sowohl die Krankenkassen als auch deren Verbände sowie die kassenärztlichen Vereinigungen bei der Ausübung ihrer gesetzlich übertragenen Zuständigkeiten der Rechtsaufsicht durch die zuständigen Landesbehörden bzw. das BGM (vgl. § 78 Abs. 1, §§ 208, 214, 217d SGB V), die aufgrund der Dichte der normativen Vorgaben und der allgemeinen materiellen Verpflichtung auf die Grundsätze der Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit (§ 70 Abs. 1 SGB V) funktional einer Fachaufsicht angenähert ist.83 Das gesamte System ist zudem gerade darauf ausgerichtet, die Nachfragemacht der Krankenkassen über kooperative Verbandsstrukturen zu „neutralisieren“, nicht aber – wie bei selektiven Versorgungsverträgen – zu „entfesseln“. Damit scheidet eine Anwendung des Vergaberechts hier gerade auch aus funktionaler Sicht infolge des Fehlens eines vergaberechtlich relevanten Austauschvertrags aus. Es liegt vielmehr ein Fall der hoheitlich-kooperativen Regulierung unter staatlicher Letztverantwortung vor.

D. Die Versorgungsverträge des SGB V in der Vertragstypologie des Vergaberechts I. Selektive Versorgungsverträge 1. Zu Begriff und Bedeutung des „selektiven Versorgungsvertrags“ Mit Blick auf die zuvor vorgenommene Abgrenzung von austauschvertraglichem und hoheitlichem bzw. hoheitlich-kooperativem Handeln beschränkt sich der sachliche Anwendungsbereich der RL 2004/18/EG zwar nicht notwendig ausschließlich, aber doch im Wesentlichen auf das System der „neuen“ selektiven Versorgungsverträge nach dem SGB V, die in aller Regel durch austauschvertragliche Verhandlungsverhältnisse zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern gekennzeichnet sind. Der auf Ebsen et al.84 zurückgehende Begriff des 81 Greß/Wasem, MedR 2006, S. 512 ff.; zur Entwicklung im Rahmen der Gesundheitsreform 2007: Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 348 ff. 82 Hierzu Rumpf, VSSR 2004, S. 281 ff. 83 Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1292 f. 84 Vgl. Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff.; Cassel/ Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 74 ff.

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„selektiven Versorgungsvertrags“ verweist auf die Möglichkeit der Krankenkassen zum selektiven Kontrahieren, das diese Vertragstypen aus sozialrechtlicher Sicht vom traditionellen hoheitlich-kooperativen Regulierungsregime des SGB V unterscheidet.85 Aus vergaberechtlicher Sicht ist allerdings nicht schon die Selektionsmöglichkeit selbst, sondern sind die hiermit verbundenen austauschvertraglichen Verhandlungsspielräume der Krankenkassenträger bzw. ihrer Verbände maßgeblich, die geeignet sein können, den Marktzugang im Binnenmarkt zu beschränken. Aus diesen – mit der Selektivität des Vertragsschlusses regelhaft verbundenen – Verhandlungsspielräumen ergibt sich die grundsätzliche, vergaberechtliche Relevanz des selektiven Kontrahierens durch gesetzliche Krankenkassen oder deren Verbände. In aller Regel unterliegen selektive Versorgungsverträge nach dem SGB V (Integrierte Versorgungsverträge, Hausarztverträge, Heilmittelvereinbarungen, Rabattverträge etc.) daher zumindest den Basisanforderungen des Primärvergaberechts.86 Andererseits kommen, soweit die sachlichen Anwendungsvoraussetzungen vorliegen, auch die Anwendung der Vergaberichtlinien und damit auch ggf. strengere Ausschreibungspflichten in Betracht. 2. Vergaberechtlich nicht relevante Selektivverträge und vergaberechtlich relevante Sachverhalte anderer Art Aus den oben genannten Gründen muss allerdings nicht notwendig jeder selektive Vertrag in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen. So sind selektive Verträge denkbar, die rein gesundheitspolitische Koordinierungsfunktionen erfüllen und praktisch keine inhaltlichen Ausgestaltungsspielräume eröffnen, wie z. B. Verträge über DMP-Programme in Krankenhäusern nach § 116b Satz 1 SGB V. Hier fehlt es, trotz „Selektivität“, an austauschvertraglichen Verhandlungsspielräumen, die sich gerade auch auf den Inhalt des Vertrags (Leistung, Gegenleistung) beziehen müssen.87 Umgekehrt sind auch Sachverhalte jenseits des Systems der selektiven Versorgungsverträge denkbar, die vergaberechtlich relevant sein können, weil zumindest faktisch vertragstypische Verhandlungsspielräume über die Preis- und Leistungsbedingungen wirtschaftlicher Austauschverhältnisse bestehen, mit denen die Gefahr von vertraglichen Marktzugangsbeschränkungen verbunden ist. Hierbei sind im Wesentlichen drei Konstellationen an den Schnittstellen von (faktischer) vergaberechtlicher Vertragssteuerung und der zuvor erörterten hoheitlichen Regulierung zu unterscheiden. Zum einen schließt die Tatsache, dass die Parteien eines Vertrags von vornherein durch regu85 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 15 ff. 86 Zum Primärvergaberecht oben 3. Kapitel, A. III., V. 3. EuGH Rs. C-399/98, Slg. 2001 I-5409, Rn. 71, 75 – Ordine degli Architetti. 87 Vgl. Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 82. Siehe auch unten 7. Kapitel, D. IV. 5.

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lative Vorgaben des Gesetzgebers festgeschrieben werden, die Anwendung des Vergaberechts nach der Rechtsprechung des EuGH nicht notwendig aus. Damit sind auch „nichtselektive“ Vertragskonstellationen denkbar, die gleichwohl in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen können. So könnte der Gesetzgeber die Krankenkassen z. B. verpflichten, mit einem bestimmten gesetzlich eng begrenzten Kreis von Leistungserbringern besondere Versorgungsverträge abzuschließen, den Vertragsparteien jedoch zugleich die inhaltliche Ausgestaltung dieser Verträge überlassen. Nach der Rechtsprechung des EuGH fallen derartige Verträge, trotz der gesetzlichen Festlegung der Vertragsparteien, in den Anwendungsbereich der Richtlinie, um Umgehungstatbestände zu vermeiden.88 Darüber hinaus können unter bestimmten Umständen auch hoheitliche Zulassungsentscheidungen durch Verwaltungsakt in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen, falls aus funktionaler Sicht ein Vertrag im vergaberechtlichen Sinne vorliegt, da die öffentliche Hand de facto Marktzugangsrechte gegen eine frei ausgehandelte wirtschaftliche Gegenleistung „verkauft“.89 So kann z. B. die Anwendung des Vergaberechts auf Integrierte Versorgungsverträge nach §§ 140a ff. SGB V im Interesse der praktischen Wirksamkeit des Vergaberechts nicht davon abhängig gemacht werden, ob die Zuschlagsentscheidung der Krankenkassen im System des staatlichen Rechts rechtsdogmatisch als Verwaltungsakt qualifiziert wird oder nicht.90 Schließlich ist es auch denkbar, dass bestimmte Formen der hoheitlich-kooperativen Regulierung z. B. durch Normsetzungsverträge in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen, soweit diese mit Blick auf den vertraglichen Gestaltungsspielraum der Krankenkassen die Voraussetzungen einer vergaberechtlichen Rahmenvereinbarung erfüllen.91

II. Die Zuordnung der Versorgungsverträge des SGB V zu den Vertragstypen der Richtlinie 2004/18/EG 1. Typen der vertraglichen Zugangsregulierung: Einkaufs- und Zulassungsverträge Eine der wesentlichen vergaberechtlichen Herausforderungen im Bereich des Vertragswettbewerbs in der GKV liegt darin, die unterschiedlichen Versorgungsverträge des SGB V (hausarztzentrierte Versorgung, besondere ambulante Versorgung, Integrierte Versorgung, Hilfsmittelvereinbarungen, Rabattverträge usw.) 88 EuGH Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 71, 75; hierzu Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2035 f 89 So für die Aufnahme in den Krankenhausplan z. B. Koenig/Steiner, ZESAR 2003, S. 150, 151 f.; siehe unten 7. Kapitel D. IV. 90 Siehe näher unten 7. Kapitel, D. II. 91 Siehe unten 7. Kapitel, D. IV. 3.

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den unterschiedlichen Vertragstypen der RL 2004/18/EG (Liefervertrag, Dienstleistungsvertrag, Rahmenvereinbarung, Dienstleistungskonzession) zuzuordnen, mit denen z. T. auch unterschiedliche sekundärrechtliche Anforderungen an das Vergabeverfahren verbunden sind. Die Gründe für diese Schwierigkeiten liegen nicht zuletzt darin, dass die Typologien des SGB V und der RL 2004/18/EG auf ganz unterschiedliche normative Ziele ausgerichtet sind. Hinsichtlich der Zuordnung der unterschiedlichen Typen von selektiven Versorgungsverträgen des SGB V in die Vertragstypologie der Vergaberichtlinien lassen sich schon wegen der Unterschiedlichkeit der einzelnen Vertragstypen des SGB V und der zugleich im Rahmen jedes Vertragstyps bestehenden Gestaltungsspielräume keine generalisierenden Aussagen machen. Vielmehr sind insoweit Einzelfalluntersuchungen erforderlich.92 Hierbei ist auch bei selektiven Versorgungsverträgen zunächst immer zu prüfen, ob überhaupt die erforderlichen inhaltlichen austauschvertraglichen Verhandlungsspielräume bestehen, die Mindestvoraussetzung der Anwendung der RL 2004/18/EG sind. Ist diese Hürde genommen, kann in einem zweiten Schritt auf die auf Ingwer Ebsen zurückgehende Unterscheidung zwischen Einkaufs- und Zulassungsverträgen zurückgegriffen werden, um eine typisierende Bestimmung der unterschiedlichen vergaberechtlichen Anforderungen und Problemlagen bei selektiven Versorgungsverträgen nach dem SGB V vorzunehmen.93 2. Versorgungsverträge mit Einkaufscharakter (Einkaufsverträge) Bei Versorgungsverträgen mit Einkaufscharakter erwirbt die Krankenkasse eine bestimmte Leistung gegen eine vertraglich vereinbarte Festvergütung. Bei diesen Vertragskonstellationen liegt aus vergaberechtlicher Sicht regelmäßig ein entgeltlicher Dienstleistungs- oder Liefervertrag i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/ 18/EG vor, auf den die strengen Verfahrensvorschriften der RL 2004/18/EG grundsätzlich uneingeschränkt anwendbar sind.94 Der Leistungseinkauf gegen Festvergütung ist im Leistungserbringungsrecht des SGB V zwar noch ein Ausnahmefall. Seine Bedeutung nimmt jedoch rasch zu. Beispiele sind etwa der Einkauf von Haushaltshilfe- oder Rettungstransportleistungen, aber auch der Hilfsmitteleinkauf durch die gesetzlichen Krankenkassen.95 Die Krankenkassen verfügen bei der Ausgestaltung von „Leistungseinkaufsverträgen“ in der Regel über erhebliche Spielräume, aus denen sich vergaberechtliche Folgeprobleme ergeben 92 Vgl. Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff. 93 Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 (451). 94 Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 (451). 95 Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, S. 170 f.

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können. Einerseits können die Krankenkassen z. B. Hilfsmittel nach Maßgabe von § 127 SGB V selbst einkaufen, um sie dann den Versicherten leihweise oder dauerhaft zur Verfügung zu stellen. In diesem Fall liegt eine klassische Konstellation eines Lieferauftrags zum Zweck der Eigenbedarfsdeckung der öffentlichen Hand vor.96 Andere Vertragsvarianten weichen dagegen bereits stärker vom klassischen Einkaufsmodell ab, was ihre Verortung im System des Vergaberechts erschwert. So können die Krankenkassen mit den Leistungserbringern u. a. auch „drittnützige“ Versorgungsverträge (also letztlich atypische Verträge zugunsten Dritter) abschließen, durch welche die Leistungserbringer verpflichtet werden, Hilfsmittel unmittelbar an die Versicherten zu liefern.97 In der Praxis sind überdies auch die Übergänge zwischen entgeltlichen Leistungseinkaufsverträgen und Versorgungsverträgen mit Zulassungswirkung oftmals fließend. So räumt der Gesetzgeber den Vertragsparteien im Rahmen der Integrierten Versorgung gem. § 140c SGB V z. B. die Möglichkeit ein, sog. Budgetvereinbarungen zu treffen. Wenn aber eine Kasse einer Integrierten Versorgungseinrichtung für die vereinbarten Leistungskontingente ein festes Budget einräumt, so liegt der Sache nach ein Leistungseinkauf gegen Festentgelt durch die Krankenkassen vor, der – je nach Schwerpunkt der Dienstleistung – als entgeltlicher Liefer- oder Dienstleistungsauftrag zu qualifizieren ist.98 Bei Budgetvereinbarungen gem. § 140c SGB V dürfte selbst dann ein Liefer- oder Dienstleistungsauftrag (und damit keine Dienstleistungskonzession) vorliegen, wenn den Versicherten ein Wahlrecht zwischen verschiedenen zugelassenen Leistungserbringern verbleibt. Denn die Wahlentscheidung der Versicherten und die hiermit verbundene tatsächliche Inanspruchnahme der Leistungen durch die Versicherten haben bei Budgetvereinbarungen letztlich keine Auswirkungen auf die Entgeltzahlung der Kassen an die Leistungserbringer. 3. Versorgungsverträge mit Zulassungswirkung (Zulassungsverträge) a) Zulassungsverträge als „hybride Struktur“ zwischen Liefer- oder Dienstleistungsauftrag, Rahmenvereinbarung und Dienstleistungskonzession Bei Versorgungsverträgen mit Zulassungswirkung beschränkt sich der Vertrag dagegen grundsätzlich auf die Einräumung eines privilegierten Marktzugangsrechts und die Regelung der Preis- und Leistungsbedingungen der Leistungser96

Siehe unten 7. Kapitel, D. VI. 2. Zur Problematik „drittnütziger“ Versorgungsverträge: Pruns, Kartell- und vergaberechtliche Probleme selektiven Kontrahierens auf europäischer und nationaler Ebene, 2008, S. 200 ff.; Natz, Marktregulierung durch Arzneimittelfestbeträge, 2005, S. 76 ff.; siehe im Einzelnen unten 5. Kapitel, D. III. 1. 98 Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 128 ff. 97

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

bringung.99 Die Krankenkassen „kaufen“ also gerade nicht bestimmte Leistungen gegen ein festes Entgelt „ein“, sondern gewähren ihren Vertragspartnern lediglich durch besondere vertragliche Zulassung einen privilegierten Marktzugang, der diesen im Wettbewerb mit anderen Leistungserbringern Vorteile verschafft.100 Der Erstattungsanspruch und damit der wirtschaftliche Erfolg der Leistungserbringer hängen nach wie vor von der tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme durch die Versicherten ab, denen ein Wahlrecht verbleibt. Ein typischer Fall ist ein Arzneimittelrabattvertrag nach § 130 Abs. 8 SGB V, der den Arzneimittelherstellern Zug um Zug gegen Preisnachlässe lediglich verbesserte Absatzmöglichkeiten auf den öffentlich finanzierten Arzneimittelmärkten verschafft. Ebenso können z. B. auch „Integrierte Versorgungsverträge“ nach §§ 140a ff. SGB V als Zulassungsverträge ausgestaltet sein, wenn lediglich Preis- und Leistungsbedingungen für die spätere Kostenerstattung nach Einzelleistungsabrechung vereinbart werden. Aufgrund ihrer spezifischen, auf Steuerung des Marktzugangs zu den öffentlich finanzierten Gesundheitsmärkten gerichteten Funktion bereitet die vergaberechtliche Verortung von derartigen Zulassungsverträgen besondere Schwierigkeiten. Die Auffassungen reichen hier von der These einer weitgehenden sachlichen Unanwendbarkeit101 bis zu einer sachlichen weitgehenden Anwendbarkeit des primären bzw. sekundären Vergaberechts auf den Vertragswettbewerb in der GKV.102 Im Einzelnen war und ist u. a. umstritten, ob das Vergaberecht überhaupt auf selektive Zulassungsverträge, wie z. B. Verträge über die Integrierte Versorgung, Versorgungsverträge im Krankenhaussektor oder Arzneimittelrabattverträge, anwendbar ist103 und ob es sich im Einzelfall um Lieferoder Dienstleistungsaufträge104, um Dienstleistungskonzessionen105 oder um Rahmenvereinbarungen106 handelt. Der eigentliche Grund für die bestehenden dogmatischen Schwierigkeiten liegt in der aus vergaberechtlicher Sicht „hybriden Struktur“ von Zulassungsverträgen, die sich aus ihrer spezifischen sozialrechtlichen Steuerungsfunktion in den leistungserbringungsrechtlichen Dreiecksverhältnissen auf den öffentlich finanzierten Gesundheitsmärkten erklärt. Versorgungs99 Zum Begriff: Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff. 100 Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 79 f. 101 Emmerich, Ausnahmebereich Krankenversicherung?, in: FS Raiser, 2005, S. 648 ff. 102 Koenig/Klahn/Schreiber, ZESAR 2008, S. 5 ff. 103 Vgl. Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff.; Ebsen/ Greß/Jacobs/Szecsenyi/Wasem, Soziale Sicherheit 2003, S. 128 ff. 104 Für Rabattverträge Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 135 ff. 105 Stelzer, ZESAR 2004, S. 269 ff., und 2005, S. 21 ff.; vgl. Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff. 106 Vgl. Bühring/Linnemannstöns, MedR 2008, S. 149 ff.

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verträge mit Zulassungswirkung befinden sich letztlich in einer Art „Mittellage“ zwischen entgeltlichen Auftragsverhältnissen, Rahmenvereinbarungen und Dienstleistungskonzessionen. Versorgungszulassungsverträge wie z. B. Verträge über die Integrierte Versorgung oder die Arzneimittelversorgung (Rabattverträge) dienen in der Regel gerade nicht der Eigenbedarfsdeckung der gesetzlichen Krankenkassen, sondern zielen auf die Einräumung eines privilegierten Zugangs der Leistungserbringer zur Versorgung der gesetzlich Versicherten, denen regelhaft ein Wahlrecht verbleibt. Hierin liegt ein Unterschied zu den klassischen Fällen des „Leistungseinkaufs“ auf Grundlage entgeltlicher Liefer- oder Dienstleistungsaufträge. Da Versorgungsverträge in der Regel nur ein privilegiertes Marktzugangsrecht verschaffen, besteht zugleich ein gewisses Näheverhältnis zu einer Dienstleistungskonzession i. S. v. Art. 1 Abs. 4 RL 2004/18/EG.107 Anders als typischerweise bei Dienstleistungskonzessionen, dienen Versorgungsverträge indes nicht der Gewährleistung eines Zugangsrechts zu privaten Märkten, sondern regeln die Rahmenbedingungen des Zugang zu einem öffentlich finanzierten System und der Kostenerstattungspflichten der gesetzlichen Krankenkassenträger.108 Damit besteht auch ein gewisses Näheverhältnis zu einer vergaberechtlichen Rahmenvereinbarung.109 Anders als vergaberechtliche Rahmenverträge regeln Versorgungsverträge indes typischerweise nicht die Rahmenbedingungen für eine spätere öffentliche Auftragsvergabe durch die gesetzlichen Krankenkassen, sondern lediglich die Rahmenbedingungen für die Kostenerstattung für die Leistungserbringung an die gesetzlich Versicherten, die ihre Grundlage in einem privaten Einzelvertrag zwischen Versicherten und Leistungserbringern findet.110 Mit den Versorgungsverträgen nach dem SGB V ist damit ein leistungserbringungsrechtliches Steuerungsinstrument sui generis entstanden, dessen spezifischer, von den typischen „zweipoligen“ Vertragsverhältnissen des Vergaberechts abweichender Zweck in der Steuerung der Leistungserbringung in den Dreiecksverhältnissen zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten auf den öffentlich finanzierten Gesundheitsmärkten liegt. Um die mit der vergaberechtsuntypischen Struktur der Zulassungsverträge verbundenen vergaberechtlichen Ordnungsprobleme in den Griff zu bekommen, ist es nicht ausreichend, offenkundige Strukturdifferenzen durch „selektives Subsumieren“ nach dem Muster der EuGH-Entscheidung in der Rs. C-300/07 auszublenden. Vielmehr muss die begrenzte „Passgenauigkeit“ der Vertragstypen der Vergaberichtlinien gerade umgekehrt zunächst als solche transparent gemacht werden. Der Binnenmarktge-

107 So grundsätzlich: Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff. 108 Siehe oben 3. Kapitel, C. III. 2., D. II. 109 So im Ergebnis der EuGH für Verträge nach §§ 140a ff. SGB V: EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, S. 2427. 110 Siehe oben 3. Kapitel, C. III. 2., D. III.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

setzgeber hatte bei der Normierung der Vergaberichtlinien erkennbar andere, regelhaft zweipolige Auftragsverhältnisse vor Augen. Dagegen wurde der vergaberechtliche Sonderfall des Vertragswettbewerbs im Gesundheitswesen nicht bedacht. Ausgehend von diesen Vorüberlegungen, ist weiter zu untersuchen, ob Versorgungsverträge mit Zulassungswirkungen aus teleologisch-funktionaler Sicht gleichwohl mit Blick auf strukturelle Gemeinsamkeiten zu den in der RL 2004/ 18/EG normierten Vertragstypen, aber auch mit Blick auf deren marktzugangsbeschränkenden Wirkungen im Binnenmarkt, in den Anwendungsbereich des Vergabesekundärrechts einbezogen werden können bzw. einbezogen werden müssen. b) Zulassungsverträge im System der Vergaberichtlinie aa) Zulassungsverträge als entgeltliche Liefer- oder Dienstleistungsverträge i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG Verträge mit Zulassungswirkung stehen einerseits in einem gewissen Näheverhältnis zu entgeltlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, da sie auf die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen auf den öffentlich finanzierten Märkten des Gesundheitswesens gerichtet sind und zugleich Entgeltzahlungspflichten der gesetzlich Krankenkassen in Form von Kostenerstattungspflichten begründen, die freilich unter der Bedingung der tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme durch die gesetzlich Versicherten stehen. Insofern wird im Schrifttum und in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass Versorgungsverträge mit Zulassungswirkung, wie z. B. Rabattverträge nach § 130 Abs. 8 SGB V oder Krankenhausversorgungsverträge nach § 108 Nr. 3 SGB V, als entgeltliche Liefer- oder Dienstleistungsaufträge i. S. v. Art. 1 Abs. 2a RL 2004/18/EG einzustufen seien.111 In diese Richtung geht es auch, wenn das OLG Düsseldorf in seiner Vorlagefrage an den EuGH in der Rs. C-300/07 erkennbar davon ausging, dass es sich bei Zulassungsverträgen über die Integrierte Versorgung je nach Schwerpunkt der Leistung um entgeltliche Liefer- oder Dienstleistungsverträge i. S. v. Art. 1 Abs. 2a RL 2004/18/EG handle und dass es im Übrigen um ein Abgrenzungsproblem zwischen Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungskonzession gehe. Anders als typischerweise bei entgeltlichen Liefer- und Dienstleistungsverträgen sind Zulassungsverträge jedoch letztlich nur auf die Regelung der Rahmenbedingungen für die Leistungserbringung gegenüber den gesetzlich Versicherten gerichtet, denen ein Wahlrecht zwischen verschiedenen Leistungserbringern verbleibt. Im Gegensatz zum typischen Fall eines Liefer- oder Dienstleistungsauftrags begründet der Zulassungsvertrag auch noch 111 Für Rabattverträge Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 135 ff. Auch das OLG Düsseldorf ist in der Vergangenheit dieser Auffassung z. B. für Rabattverträge beigetreten. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.12.2007 – Verg 44/07, BeckRS 2008, 04422; a. A. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 27.3.2008 – L 5KR 507/08 ER-B.

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keine unmittelbaren bzw. zumindest nach dem Vertrag in ihrem Eintritt bereits feststehenden künftigen Leistungspflichten und Erstattungsansprüche. Vielmehr hängen die Leistungspflicht und der Erstattungsanspruch der Leistungserbringer von der tatsächlichen Inanspruchnahme der Leistungen durch die gesetzlich Versicherten und damit vom Abschluss von gesonderten Einzelverträgen ab. Damit bestehen bei Zulassungsverträgen auch andere Marktzugangsprobleme als jene, auf die der Unionsgesetzgeber mit den vergaberechtlichen Regelungen über Liefer- und Dienstleistungsverträge reagiert. Ausschreibungspflichten sollen bei entgeltlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen einen unmittelbaren Zugang zur Auftragsvergabe durch die öffentliche Hand sichern. Es geht um die Eröffnung eines Wettbewerbs auf öffentlich finanzierten Märkten. Zulassungsverträge setzen indes bereits im Vorfeld der eigentlichen Leistungserbringung an und reizen einen Wettbewerb um öffentlich finanzierte Märkte an. bb) Zulassungsverträge als Dienstleistungskonzession i. S. v. Art. 1 Abs. 4 RL 2004/18/EG Wegen ihrer letztlich auf Zugang zu einem öffentlich finanzierten Markt auf grundsätzlich eigenes wirtschaftliches Risiko gerichteten Funktion stehen Zulassungsverträge auch in einem gewissen Näheverhältnis zu Dienstleistungskonzessionen i. S. v. Art. 1 Abs. 4 RL 2004/18/EG.112 Anders als bei klassischen Dienstleistungskonzessionen begründen Zulassungsverträge jedoch keine Zugangsrechte zu privaten Märkten, sondern zu öffentlich finanzierten Märkten und zu Erstattungsansprüchen gegen die gesetzlichen Krankenversicherungsträger. Daher fehlt es bei Zulassungsverträgen in der Regel auch an den für Dienstleistungskonzessionen typischen erweiterten wirtschaftlichen Freiheitsgraden des Leistungserbringers. Im Gegensatz zu Dienstleistungskonzessionen liegt der Zweck von Zulassungsverträgen gerade darin, Preis- und Leistungsbedingungen der Leistungserbringung im Interesse der letztlich kostenpflichtigen Krankenkassen festzulegen und wirtschaftliche Freiheitsräume zu begrenzen. Schließlich ist der Begriff der Dienstleistungskonzession generell gerade dann eng auszulegen, wenn die öffentliche Hand letztlich die Kosten der Dienstleistungserbringung trägt, also z. B. Auslastungsgarantien gibt oder Zuschüsse leistet.113 Der Sinn und Zweck dieser restriktiven Auslegung liegt darin, auch verdeckte entgeltliche Dienstleistungsaufträge in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien ein112 Stelzer, ZESAR 2004, S. 269 ff., und 2005, S. 21 ff.; vgl. Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff. 113 Vgl. EuGH, Rs. C-406/01 (Telaustria) Slg. 2002, I-4561, Rn. 11 ff.; auch schon EuGH, Rs. C-272/91 (Kommission/Italien) Slg. 1994, I-1409; EuGH, Rs. C-360/96 (BVI Holding) Slg. 1998, I-6821, siehe auch Kommission, Mitteilungen zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, ABl. 2000 Nr. C. 121/5.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

zubeziehen. Bei Versorgungsverträgen sind allerdings letztlich immer die gesetzlichen Krankenkassenträger – und gerade nicht die „privaten“ Leistungsempfänger – die Kostenschuldner. Eben deswegen ist auch das insolvenzbedingte Forderungsausfallrisiko der Leistungserbringer im Vergleich zur Dienstleistungskonzession notwendig reduziert, und zwar unabhängig davon, wie der Zulassungsvertrag im Übrigen ausgestaltet ist. Schließlich ist auch das wirtschaftliche Betriebsrisiko bei der Teilnahme an der Leistungserbringung im öffentlich finanzierten Gesundheitswesen typischerweise geringer als bei wirtschaftlichen Tätigkeiten auf staatlich konzessionierten privaten Märkten.114 Insgesamt dürften daher unter den derzeit geltenden Systembedingungen des SGB V die Voraussetzungen einer Dienstleistungskonzession, wenn überhaupt, so nur in sehr atypischen Sonderfällen erfüllt sein. cc) Zulassungsverträge als Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG Aufgrund ihrer nicht auf Leistungseinkauf, sondern allein auf Regelung der Rahmenbedingungen der Leistungserbringung und Kostenerstattung gerichteten Funktion stehen Zulassungsverträge schließlich auch in einem besonderen Näheverhältnis zu Rahmenvereinbarungen (über Dienstleistungs- und Lieferaufträge) i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG.115 Ähnlich wie bei Rahmenvereinbarungen regeln Zulassungsverträge die Rahmenbedingungen für die spätere Einzelleistungserbringung. Dabei stehen – wie auch sonst bei Rahmenvereinbarungen – zwar in der Regel die Preis- und Leistungsbedingungen, nicht aber die konkrete Höhe des Vergütungsanspruchs fest. Vielmehr sind die konkrete Leistungspflicht und der Vergütungsanspruch – wie typischerweise bei Rahmenvereinbarungen – vom Abschluss eines gesonderten Einzelvertrags mit den Leistungserbringern abhängig. Schließlich ist die Krankenkasse, ebenso wie bei einer Rahmenvereinbarung, und anders als üblicherweise bei einer Dienstleistungskonzession, alleinige Kostenschuldnerin des Leistungserbringers. Entsprechend geht der EuGH in sei114 Zudem dürfte das wirtschaftliche Betriebsrisikos des Leistungserbringers kein sonderlich geeignetes Kriterium sein, um gerade eine Rahmenvereinbarungen von einer Dienstleistungskonzession abzugrenzen. Zwar sind Dienstleistungskonzessionen in Abgrenzung zu Dienstleistungsaufträgen dadurch gekennzeichnet, dass der Konzessionsinhaber ein für private Märkte typisches Betriebsrisiko trägt, wobei das Risiko in der Praxis aber auch durchaus kalkulierbar sein kann. Andererseits ist jedoch gerade auch für Rahmenvereinbarungen, anders als für entgeltliche Aufträge, ein gesteigertes Betriebsrisiko typisch, da nicht im Vorfeld feststehen muss, in welchem Umfang später Einzelaufträge erteilt werden. Dabei sind sogar Rahmenvereinbarungen auch ohne spätere Abnahmepflicht des Auftraggebers zulässig. Damit kann der (potenzielle) Auftragnehmer nicht nur bei Dienstleistungskonzessionen, sondern gerade auch bei Rahmenvereinbarungen in bestimmten Fällen mit dem vollen Betriebsrisiko belastet sein. Vgl. oben 3. Kapitel, D. III. 4. 115 Vgl. Bühring/Linnemannstöns, MedR 2008, S. 149 ff.

D. Versorgungsverträge in der Vertragstypologie des Vergaberechts

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ner Entscheidung in der Rs. C-300/07 auch davon aus, dass es sich bei Integrierten Versorgungsverträgen mit überwiegenden Dienstleistungspflichten um eine Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG handle.116 Allerdings unterscheiden sich Zulassungsverträge insoweit – aber auch nur insoweit – von „klassischen“ Rahmenvereinbarungen, als die gesetzlichen Krankenkassen selbst keinen späteren Einzelauftrag erteilen. Vielmehr erfolgt die Leistungserbringung regelhaft aufgrund eines privaten Einzelvertrags zwischen dem Versicherten und dem Leistungserbringer. Da die Versicherten bei Zulassungsverträgen regelmäßig über ein Wahlrecht verfügen, ist eine Zurechnung des Einzelvertragsschlusses als entgeltlicher Auftrag i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG zu den Krankenkassen in der Regel weder zivilrechtlich möglich noch aus vergaberechtlicher Sicht sinnvoll.117 Eine Zurechnung von Einzelaufträgen Dritter zu den gesetzlichen Krankenkassen kommt allenfalls in jenen Konstellationen in Betracht, in denen die Krankenkassen die Einzelauftragsvergabe in besonderer Weise steuern und beeinflussen können. Diese Voraussetzung kann z. B. bei Arzneimittelrabattverträgen gem. § 130 Abs. 8 SGB V im Verhältnis zwischen Krankenkassen, verschreibenden Ärzten und abgebenden Apotheken erfüllt sein, da der Gesetzgeber hier besondere gesetzliche Rahmenregelungen geschaffen hat, durch welche die Rabattverträge besondere Steuerungswirkungen gegenüber den Leistungserbringern entfalten.118 Soweit es an derartigen besonderen Rahmenregelungen fehlt, wie z. B. bei Verträgen über die Integrierte Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V, scheidet eine vergaberechtliche Zurechnung von Einzelaufträgen im Sinne einer „Delegation“ dagegen grundsätzlich aus.119 dd) Gleichstellung von Rahmenvereinbarung über die Leistungserbringung mit einer Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG Soweit eine Zurechnung der Auftragsvergabe durch Dritte zu den Krankenkassen als Auftraggebern ausscheidet, müsste konsequenterweise auch eine Anwendung der vergaberechtlichen Bestimmungen über Rahmenvereinbarungen auf die Rahmenverträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern außer Betracht bleiben. Dieses Ergebnis ist jedoch aus funktionaler Sicht zweifelhaft. So entsprechen die marktzugangsbeschränkenden Wirkungen eines leistungserbringungsrechtlichen Zulassungsvertrags unbeschadet des Fehlens eines (zurechenbaren) Einzelauftrags grundsätzlich denen einer Rahmenvereinbarung i. S. v. 116

Vgl. EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 67 ff. Zum Zurechnungsproblem bei Wahlfreiheit der Versicherten: Ebsen, Das selektive Vertragshandeln der Krankenkassen und Leistungserbringer im Lichte des europäischen Vergaberechts, FS Zuleeg, 2005, S. 439 ff. 118 Hierzu Boldt, PharmR 2009, S. 377, 380 f., sowie eingehend unten 7. Kapitel, D. V. 119 Vgl. Boldt, PharmR 2009, S. 377 (380 ff.). 117

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG. Der Marktzugang zu einem öffentlich finanzierten Markt und zu einer Erstattungspflicht gegen einen öffentlichen Auftraggeber wird schon im Vorfeld der Einzelbeauftragung auf einen bestimmten Kreis von Wirtschaftsteilnehmern beschränkt. Dabei macht es für die Beschränkung des Marktzugangs letztlich keinerlei Unterschied, ob die späteren Einzelaufträge dann von der gesetzlichen Krankenversicherung selbst oder von einem Dritten erteilt werden. Daher erscheint es aus funktionaler Sicht grundsätzlich als geboten, den Einzelvertrag zwischen Versicherten (oder Intermediären, wie z. B. Apotheken) und dem Leistungserbringer im Rahmen von Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/ EG einem Einzelauftrag durch die gesetzlichen Krankenkassen normativ gleichzustellen.120 Eben weil die marktzugangsbeschränkenden Wirkungen von Zulassungsverträgen auch bei freiem Wahlrecht der Versicherten jenen einer Rahmenvereinbarung über Einzelaufträge der Krankenkassen entsprechen, muss sich die Krankenkasse die – für sich gesehen vergaberechtlich neutrale – Leistungsinanspruchnahme durch die Versicherten aus funktionaler Sicht im Wege einer „Alsob-Betrachtung“ wie eine eigene Einzelauftragsvergabe zurechnen lassen. Ob der Einzelauftrag den Krankenkassen im Sinne einer spezifischen Lenkung des einzelnen Vertragsschlusses zugerechnet werden kann oder nicht, ist dagegen unbeachtlich.121 Vielmehr liegt die eigentliche, den Leistungserbringer begünstigende vergaberechtlich relevante Auswahlentscheidung der Krankenkassen bereits im Abschluss des Zulassungsvertrags selbst. Diese Entscheidung begründet zugleich die Ausschreibungspflicht. Damit sprechen gewichtige Gründe dafür, Versorgungsverträge mit Zulassungswirkung grundsätzlich als Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG einzustufen.122 ee) Kontrollüberlegung: Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage? Die bisherigen Überlegungen zur Stellung von Zulassungsverträgen zwischen entgeltlichem Auftrag, Rahmenvereinbarung und Dienstleistungskonzession legen eine Einbeziehung von Zulassungsverträgen als Rahmenvereinbarungen in die Vergaberichtlinie zwar nahe. Gleichwohl bedarf es noch einer abschließenden dogmatischen Kontrollüberlegung. Allein die Tatsache, dass von bestimmten austauschvertraglichen Steuerungsformen erhebliche marktzugangsbeschränkende Wirkungen ausgehen, rechtfertigt noch nicht notwendig den Umkehrschluss, dass diese Verträge auch in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien einbezogen werden könnten oder müssten. Dies zeigt sich allein schon daran, dass der 120 So im Ergebnis, wenn auch auf Grundlage einer Gesamtbetrachtung zum Verhältnis von Dienstleistungskonzession und Rahmenvereinbarung, auch EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 67 ff. 121 A.A. Boldt, PharmR 2009, S. 377 (380 ff.). 122 Im Ergebnis ähnlich: Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, S. 273 (274 ff.).

D. Versorgungsverträge in der Vertragstypologie des Vergaberechts

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Binnenmarktgesetzgeber Dienstleistungskonzessionen und Grundstückskaufverträge vom Anwendungsbereich der Richtlinien ausgenommen hat, obwohl auch hier erhebliche Gefahren für den Marktzugang im Binnenmarkt drohen.123 Weiterhin ändert die Tatsache, dass die marktzugangsbeschränkenden Wirkungen von Zulassungsverträgen ihrer Art nach weitgehend jenen einer „klassischen“ Rahmenvereinbarung entsprechen, nichts an dem Befund, dass die Regelungen über Rahmenvereinbarungen (Art. 1 Abs. 5, 32 RL 2004/18/EG) ursprünglich vom Binnenmarktgesetzgeber nicht mit Blick auf sozialrechtliche Versorgungsverträge, sondern vielmehr zur Absicherung der praktischen Wirksamkeit der allgemeinen vergaberechtlichen Regelungen über Liefer- und Dienstleistungsaufträge nach Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG eingeführt wurden. Eben deswegen reicht es auch nicht aus, die Anwendung der RL 2004/18/EG auf sozialrechtliche Versorgungsverträge allein mit dem „Zauberbesen“ des Effet-utile-Grundsatzes zu begründen. Vielmehr müssen gerade auch bei der teleologisch-funktionalen Auslegung des Unionsrechts die allgemeinen Grundsätze der rechtswissenschaftlichen Dogmatik beachtet werden.124 Eine Anwendung der RL 2004/18/EG auf Vertragstypen, die vom Unionsgesetzgeber bei der Normierung der Vergaberichtlinien erkennbar nicht berücksichtigt wurden, kommt mithin – ebenso wie im staatlichen Recht – nur dann in Betracht, wenn eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage vorliegt. Hierbei sind auch Veränderungen „der Strukturen des geregelten Sachbereichs, (. . .) an denen auch der Gesetzgeber nichts ändern kann, die er vernünftiger bei jeder Regelung berücksichtigt“ 125, mit in Rechnung zu stellen. Bei der Novellierung der RL 2004/18/EG im Jahre 2004 konnte der Gemeinschaftsgesetzgeber den raschen Bedeutungsgewinn individualvertraglicher Steuerungsformen im Leistungserbringungsrecht des SGB V noch nicht vorhersehen. Demzufolge bestand auch noch kein Anlass, für derartige Fälle Sonderregelungen zu schaffen. Die bisherigen Überlegungen haben zudem gezeigt, dass gesundheitsrechtliche Versorgungsverträge nicht etwa – wie ein Grundstückvertrag oder eine Dienstleistungskonzession – einfach „jenseits“ der Typologie ausschreibungspflichtiger Verträge (Liefer-, Dienstleistungsauftrag, Rahmenvereinbarung, Baukonzession) anzusiedeln sind, sondern eher in einer Art „Mittellage“ zwischen ausschreibungspflichtigen Vertragstypen (Lieferund Dienstleistungsauftrag bzw. Rahmenvereinbarung) und nicht ausschreibungspflichtigen Vertragstypen (Dienstleistungskonzession) liegen. In der Bandbreite der vom Binnenmarktgesetzgeber normierten Vertragstypen stehen Versorgungsverträge ausschreibungspflichtigen Rahmenvereinbarungen zudem deutlich näher als Dienstleistungskonzessionen, die von den Vergaberichtlinien ausgenommen 123 Vgl. hierzu und zur Gefahr der Überdehnung des Vergaberechts: Kühling, WiVerw 2008, S. 239 ff. 124 Zu den Grundlagen der objektiv-teleologischen Auslegung: Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 153 ff. 125 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., S. 154, S. 170 ff.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

sind.126 Schließlich ist die Interessenlage bei Versorgungsverträgen bei wertender Betrachtung mit jener bei Rahmenverträgen nach Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG durchaus vergleichbar, da hier wie dort eine selektivvertragliche Marktzugangsbeschränkung schon im Vorfeld des Abschlusses von späteren Einzelverträgen droht.127 Dementsprechend kann aus den Besonderheiten von Zulassungsverträgen nicht auf einen gesetzgeberischen Willen geschlossen werden, diese nach dem Muster von Grundstücksgeschäften von den Vergaberichtlinien auszunehmen.128 Vielmehr liegt eine planwidrige Regelungslücke vor, die im Wege der funktionalen, erweiternden Auslegung des Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG zu schließen ist. Rechtsdogmatisch erscheint dabei die Gleichstellung der Erstattungspflicht der Krankenkassen bei Leistungsinanspruchnahme mit einem Einzelauftrag der Krankenkassen als ein zu diesem Zweck gangbarer Weg, da der Versorgungsvertrag hierdurch einerseits in den Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG einbezogen werden kann, andererseits aber an den von Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie geforderten Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere dem Vorliegen eines Einzelauftrags, grundsätzlich festgehalten werden kann.

III. Vergaberechtliche Querschnittsprobleme der Versorgungsverträge des SGB V Mit der Verortung selektiver Versorgungsverträge im System der RL 2004/18/ EG ist noch eine Reihe von Querschnittsproblemen verbunden, die weitgehend unabhängig von der Vertragstypologie des SGB auftreten. Insbesondere stellt sich (a) die Frage nach der Anwendbarkeit der Vergaberichtlinie auf „drittnützige“ Aufträge, (b) die Frage nach der Abgrenzung zwischen Liefer- und Dienstleistungsauftrag sowie schließlich (c) die Frage nach der Bedeutung der Unterscheidung zwischen Sachleistungs- und Kostenerstattungsprinzip für die sachliche Anwendbarkeit des Vergaberechts. 1. Anwendbarkeit des Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG auf „drittnützige“ Liefer- oder Dienstleistungsaufträge Versorgungsverträge mit Einkaufscharakter können einerseits als klassische Leistungseinkaufsverträge ausgestaltet werden. Ein typisches Beispiel sind die bereits erwähnten Hilfsmittelverträge, bei denen die Krankenkassenträger selbst Hilfsmittel einkaufen, um diese dann den Versicherten dauerhaft oder leihweise zu überlassen. Hier liegen klassische Fälle eines Liefer- oder Dienstleistungsver126

Vgl. EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 67 ff. Siehe oben 5. Kapitel, D. II. 3. b) cc). 128 Vgl. Kühling, Möglichkeiten und Grenzen effizienter Daseinsvorsorge durch externe Auftragsvergabe im Gemeinschaftsrecht, WiVerw 2008, S. 239 ff. 127

D. Versorgungsverträge in der Vertragstypologie des Vergaberechts

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trags zur Eigenbedarfsdeckung der öffentlichen Hand vor. Größere Schwierigkeiten bereiten dagegen „drittnützige“ Versorgungsverträge.129 Hierzu zählen neben den oben beispielhaft genannten Hilfsmittelverträgen mit Direktlieferungspflicht letztlich auch alle selektiven Versorgungsverträge, bei denen Leistungskontingente gegen ein Festbudget eingekauft werden, wie z. B. bei Versorgungsverträgen nach § 140c SGB V. Bei derartigen Verträgen stellt sich bereits die Frage, ob überhaupt ein öffentlicher Auftrag i. S. d. VO 2004/18/EG vorliegt.130 Hiergegen könnte sprechen, dass selektive Versorgungsverträge letztlich nicht der Beschaffung von Waren oder Dienstleistungen durch die gesetzlichen Krankenkassen dienen, sondern vielmehr allein zum Zweck der Versorgung der gesetzlich Versicherten abgeschlossen werden. Die Frage nach dem Auftragscharakter selektiver Versorgungsverträge ist rechtlich besonders relevant, weil zur Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs sowohl des primären Vergaberechts als auch der Vergaberichtlinie 2004/18/EG ein öffentliches Auftragsverhältnis sachliche Mindestvoraussetzung ist. Die Rechtsprechung ist früher vereinzelt davon ausgegangen, dass ein öffentlicher Auftrag i. S. d. Vergaberechts nur vorliege, wenn sich ein Vertragsverhältnis auf die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen zur Erfüllung eigener Aufgaben einer öffentlichen Einrichtung bezieht.131 Die Rechtsprechungslinie ist allerdings noch zu stark an der klassischen Beschaffungsfunktion des Vergaberechts und zu wenig an der binnenmarktfunktionalen Schutzfunktion der europäischen Vergabeverfahren orientiert. Für die potenziell marktzugangsbeschränkende Wirkung eines öffentlichen Auftrags macht es keinen Unterschied, ob die öffentliche Hand einen Auftrag zum Zweck der Eigenbedarfsdeckung oder zu anderen drittnützigen Zwecken vergibt. Konsequenterweise ist der EuGH in seiner Entscheidung vom 18.11.2004 einer restriktiven Auslegung des Vergaberechts bei drittnützigen Aufträgen entgegengetreten.132 Demnach unterscheiden die Vergaberichtlinien grundsätzlich nicht nach dem Zweck des Auftrags. Vielmehr kommt es allein darauf an, dass der Auftraggeber einen Auftrag, gleich zu welchem Zweck, vergibt. Nach der Entscheidung des EuGH vom 18.01.2007 kommt es bei Bauaufträgen auch nicht darauf an, ob der Auftraggeber ein Bauwerk selbst erwerben oder nutzen will. Vielmehr genügt es für die Anwendung des Vergaberechts, dass ein Bauwerk nach den Vorgaben des Auftragsgebers errichtet wird. Dies gilt sogar dann, wenn der Auftragnehmer das Bauwerk nach Fertigstellung unmittelbar an einen Dritten weiterveräußern 129 Hierzu: Pruns, Kartell- und vergaberechtliche Probleme selektiven Kontrahierens auf europäischer und nationaler Ebene, 2008, S. 200 ff.; Natz, Marktregulierung durch Arzneimittelfestbeträge, 2005, S. 76 ff. 130 Vgl. zur älteren, ablehnenden Rechtsprechung: BayObLG NZBau, 2002, S. 108. 131 BayObLG NZBau, 2002, S. 108; vgl. auch OLG Düsseldorf VergabeR 2004, S. 624; Pruns, Kartell- und vergaberechtliche Probleme selektiven Kontrahierens auf europäischer und nationaler Ebene, 2008, S. 200 ff.; Natz, Marktregulierung durch Arzneimittelfestbeträge, 2005, S. 76 ff. 132 EuGH Rs. C-126/03 (Kommission/Deutschland) VergabeR 2005, S. 57.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

soll.133 Damit kommt es auch bei selektiven Versorgungsverträgen für die Anwendung des Vergaberechts nicht darauf an, ob die gesetzliche Krankenversicherung Aufträge zur Deckung eines eigenen Bedarfs oder zur unmittelbaren Deckung des Bedarfs der gesetzlich Versicherten abschließt. Die gilt umso mehr, als sich auch die älteren vom EuGH abweichenden Entscheidungen ausschließlich auf Konstellationen bezogen, in denen der öffentliche Auftraggeber einen Auftrag zur Erfüllung von Verpflichtungen erteilt hatte, die nicht zu den öffentlichen Aufgaben des Auftraggebers zählten.134 Versorgungsverträge nach dem SGB V dienen dagegen gerade der Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen der Krankenkassen gegenüber den gesetzlich Versicherten, die sich aus den leistungsrechtlichen Bestimmungen der §§ 11 ff., 20 ff. SGB V ergeben. 2. Zur Abgrenzung zwischen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG Selektive Versorgungsverträge stellen sich nach den bisherigen Überlegungen aus vergaberechtlicher Sicht regelhaft als Liefer- oder Dienstleistungsaufträge (bei Einkaufsverträgen) oder als Rahmenvereinbarungen über Liefer- oder Dienstleistungsaufträge (bei Zulassungsverträgen) dar. Dies wirft die Frage nach der Abgrenzung zwischen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen (bzw. zwischen Rahmenvereinbarungen über Liefer- und Dienstleistungsaufträgen) auf. Die Unterscheidung zwischen Dienstleistungsauftrag und Lieferauftrag ist zwar für die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs der RL 2004/18/EG ohne Bedeutung. Gleichwohl ergeben sich im Gesundheitswesen erhebliche Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite. Bei Lieferaufträgen bestehen auch im Gesundheitswesen umfassende Ausschreibungsverpflichtungen. Bei Dienstleistungsaufträgen bestehen dagegen gem. Art. 21 RL 2004/18/EG i.V. m. Anhang II gerade keine besonderen Ausschreibungspflichten, sondern lediglich gewisse Spezifikations- und Meldepflichten. Die Abgrenzung zwischen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen bestimmt sich bei Versorgungsverträgen grundsätzlich nach Art der jeweils nach Maßgabe des Leistungskatalogs des III. Abschnitts des 2. Kapitel des SGB V (§§ 20 ff. SGB V) geschuldeten Leistung. Der Leistungskatalog des SGB V bezieht sich überwiegend auf Dienstleistungen, etwa in Form von ambulanten und stationären Behandlungsdienstleistungen. Daneben können aber auch Warenleistungen, insbesondere in Form von Arzneimitteln und Hilfsmitteln (§§ 31 ff. SGB V), geschuldet sein. Die Lieferung von Hilfsmitteln und Arzneimitteln ist mittlerweile gem. § 127 SBB V bzw. 130a Abs. 8 SGB V auch Gegenstand von Hilfsmittelverträgen135 bzw. von Arzneimittelrabattverträgen.136 In der Praxis

133 134 135

EuGH, Rs. C-220/05 (Auroux) Slg. 2007, I-385, Rn. 42 ff. OLG Düsseldorf, VergabeR 2004, S. 624. Vgl. Hartmann/Suoglu, SGb 2007, S. 404 ff., sowie unten 7. Kapitel, D. VI.

D. Versorgungsverträge in der Vertragstypologie des Vergaberechts

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kann die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen indes auch Elemente der Warenlieferung und der Dienstleistungserbringung verbinden, wenn etwa bei der stationären Krankenhausbehandlung zugleich eine Versorgung mit Medikamenten erfolgt oder wenn bei der Arzneimittelabgabe durch Apotheken zugleich eine fachkundige Beratung durchgeführt wird. Bei derartigen „gemischten“ Auftragsverhältnissen bzw. Rahmenvereinbarungen über gemischte Auftragsverhältnisse ist nach der Rechtsprechung des EuGH zur Abgrenzung auf den jeweiligen Schwerpunkt der Leistung abzustellen. Überwiegt also z. B. bei einem Auftrag über die Lieferung von Hilfsmitteln der Warenlieferungscharakter, ist von einem Lieferauftrag bzw. einer Rahmenvereinbarung über einen Lieferauftrag auszugehen. Stehen dagegen persönliche Dienstleistungen, wie etwa Beratungsleistungen oder die individuelle Anpassung, im Vordergrund, kann ein Dienstleistungsauftrag vorliegen.137 Dieser Rechtsprechungslinie ist der EuGH auch in seiner Entscheidung in der Rs. C-300/07 zu Integrierten Versorgungsverträgen als Rahmenvereinbarungen gefolgt. Nach der Ratio dieser Entscheidung handelt es sich folglich bei einem Integrierten Versorgungsvertrag – je nach Schwerpunkt der zu erbringenden Leistung – entweder um eine Rahmenvereinbarung über einen Dienstleistungsauftrag oder um eine Rahmenvereinbarung über einen Lieferauftrag.138 Entsprechend unterscheiden sich auch die Rechtsfolgen (Ausschreibungspflichten) im oben genannten Sinne. 3. Auswirkungen des Sachleistungs- oder Kostenerstattungsprinzips auf die Stellung von Zulassungsverträgen im Vergaberecht a) Die Unterscheidung zwischen Sachleistungs- und Kostenerstattungsprinzip aus vergaberechtlicher Sicht In seiner Entscheidung in der Rs. C-300/07 hat der EuGH bei der Abgrenzung zwischen einer Dienstleistungskonzession besonders hervorgehoben, dass die gesetzliche Krankenkasse „alleinige Kostenschuldnerin“ der Leistungserbringer sei.139 Weitergehend betont der EuGH, dass die Leistungserbringer, eben weil die Krankenkassen Kostenschuldner seien, auch keinem Forderungsausfallrisiko wegen Insolvenz des Vertragspartners ausgesetzt sind.140 Diese Voraussetzung ist jedoch nur beim Sachleistungsprinzip erfüllt. Anders stellt sich die Lage dagegen beim Kostenerstattungsprinzip dar, da hier nur noch der gesetzlich Versicherte Kostenschuldner der Leistungserbringer ist. Entsprechend besteht für die Leis136

Hierzu z. B. Knispel, Soziale Sicherheit 2008, S. 110 ff., sowie unten 7. Kapitel,

D. V. 137 138 139 140

Vgl. EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 64. Vgl. EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 66. EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 73. EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 74.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

tungserbringer bei Wahl des Kostenerstattungsprinzips auch ein erhöhtes insolvenzbedingtes Forderungsausfallrisiko. Zwar gilt nach dem SGB V nach wie vor grundsätzlich das Sachleistungsprinzip. Jedoch kann gem. § 13 Abs. 2 SGB V optional auch das Kostenerstattungsprinzip gewählt werden. In einigen Mitgliedstaaten, wie etwa Frankreich, ist das Kostenerstattungsprinzip sogar seit jeher der Regelfall gerade auch in der gesetzlichen Krankenversicherung. Damit stellt sich die Frage, ob die Wahl des Kostenerstattungsprinzips mit Blick auf die Abgrenzung zwischen Rahmenvereinbarung und Dienstleistungskonzession und damit letztlich auch für vergaberechtliche Ausschreibungspflichten zu abweichenden Ergebnissen führt.141 Auf den ersten Blick könnte der Übergang zum Kostenerstattungsprinzip durchaus vergaberechtlich relevant sein. Denn letztlich scheint bei der Umstellung auf das Kostenerstattungsprinzip eine Lage einzutreten, wie sie auch für die Marktteilnahme von Leistungserbringern auf privatversicherungsfinanzierten Gesundheitsmärkten typisch ist. Die Versicherten sind nunmehr die alleinigen Nachfrager auf den Gesundheitsmärkten und treffen Wahlentscheidungen unter Knappheitsbedingungen, von denen der wirtschaftliche Erfolg der Leistungserbringer abhängt. Zugleich erfolgt die Erstattung durch die Krankenkassen nunmehr allein an die Versicherten, die dann ihrerseits gegenüber den Leistungserbringern zur Kostenerstattung im Rahmen des Behandlungsvertrags verpflichtet sind. Dagegen sind die Krankenkassen in diesem Fall gegenüber den Leistungserbringern gerade nicht mehr unmittelbar zur Kostenerstattung verpflichtet. In diesem Fall scheint sich ein selektiver Zulassungsvertrag jedenfalls vordergründig in der Tat nur noch darauf zu beschränken, dem Auftragnehmer ein privilegiertes Verwertungsrecht am Markt im Sinne einer Dienstleistungskonzession einzuräumen. b) Sachleistungsprinzip und Kostenerstattungsprinzip als vergaberechtsneutrale Abwicklungsmodalitäten Aus vergaberechtlicher Sicht dürfte außer Frage stehen, dass beim Übergang zum Kostenerstattungsprinzip schon wegen des veränderten Insolvenzrisikos eine nicht unerhebliche Annäherung an das Modell einer Dienstleistungskonzession erfolgt. Gleichwohl spricht eine Reihe von Überlegungen gegen die vergaberechtliche Relevanz der Unterscheidung zwischen Sachleistungs- und Kostenerstattungsprinzip. Zunächst ist es bereits unter dem Gesichtspunkt der praktischen Wirksamkeit des EU-Vergaberechts zumindest fraglich, ob die Mitgliedstaaten den Vertragswettbewerb im öffentlichen Gesundheitswesen allein schon durch die Wahl der Modalitäten der Kostenerstattung weitgehend dem Vergaberecht sollten entziehen können, soweit das System im Übrigen unverändert bleibt. Dies gilt umso mehr, als die Wahl zwischen Kostenerstattungsprinzip und Sachleistungs141 Zum Verhältnis von Sachleistungsprinzip und Kostenerstattungsprinzip im Rahmen von § 13 SGB V: Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 41 f.

D. Versorgungsverträge in der Vertragstypologie des Vergaberechts

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prinzip an den marktzugangsbeschränkenden Wirkungen der selektiven Versorgungsverträge auf den öffentlich finanzierten Märkten für Gesundheitsdienstleistungen nichts ändert. Zudem trägt auch bei Wahl der Kostenerstattungsoption letztlich die Krankenkasse als öffentlicher Auftraggeber das Entgeltrisiko, da sie zur Kostenerstattung verpflichtet bleibt. Darüber hinaus erscheint es auch als wenig überzeugend und rechtlich kaum praktikabel, z. B. im Rahmen der Krankenhausversorgung, der hausarztzentrierten Versorgung oder der Integrierten Versorgung teils vom Vorliegen eines Dienstleistungsauftrags, teils vom Vorliegen einer Dienstleistungskonzession auszugehen, je nachdem, ob der Versicherte nun nach dem Sachleistungs- oder dem Kostenerstattungsprinzip versichert ist. Gegen die normative Relevanz der Modalitäten der Kostenerstattung spricht schließlich auch die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit, nach der für die Anwendung der Art. 28 und 49 EG im Leistungserbringungsrecht die Wahl zwischen Sachleistung und Kostenerstattung auf mitgliedstaatlicher Ebene grundsätzlich unbeachtlich ist.142 Dementsprechend dürfte bei primärrechtskonformer Auslegung auch im sekundären Vergaberecht nichts anderes gelten. Konsequenterweise wird im Schrifttum daher die These vertreten, es komme im Sozialleistungsrecht grundsätzlich nicht auf die Person an, welche die Zahlung unmittelbar erbringt. Vielmehr sei allein maßgeblich, dass ein Entgelt gezahlt wird, das letztlich von einem Sozialleistungsträger erstattet werde.143 Dieser Interpretation dürfte trotz ihrer Weite im Ergebnis zuzustimmen sein. Die Kostenerstattungsoption des § 13 Abs. 2 SGB V macht vor allem deutlich, dass es grundsätzlich wenig sinnvoll ist, die vergaberechtliche Beurteilung von selektiven Verträgen im Leistungserbringungsrecht allzu sehr mit dem Sachleistungsprinzip und der daraus im Regelfall folgenden Kostenerstattungspflicht der Kassen gegenüber den Leistungserbringern oder ihren Verbänden zu verknüpfen. Zwar ist das Kostenerstattungsmodell in Deutschland derzeit noch der gesetzliche und faktische Ausnahmefall. Jedoch geht die Tendenz in der Gesetzgebung eindeutig zur Erweiterung der Versichertenrechte unter Annäherung an die private Krankenversicherung. Dies zeigt sich neben der Kostenerstattungsoption auch an den zahlreichen Wahltarifen, die der Gesetzgeber in § 53 SGB V vorsieht und die bis hin zu Tarifen gehen, die praktisch den PKVTarifen entsprechen. In anderen gesetzlichen Krankenversicherungssystemen, wie in Frankreich, ist die Kostenerstattung ohnehin der rechtliche Regelfall.144 Umgekehrt ist in Frankreich trotz des Grundsatzes der Kostenerstattung derzeit eher

142 EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 17–19; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831, Rn. 21 ff.; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I -5473, Rn. 64 ff.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet) Slg. 2003, I4509. 143 Vgl. Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 89 (108). 144 K. Fahlbusch, Ambulante ärztliche Behandlung in Europa, 2006, S. 126 f.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

das Sachleistungsprinzip im Vordringen begriffen. Rechtstechnisch wird eine Sachleistung im Rahmen des formal fortbestehenden Kostenerstattungssystems dadurch herbeigeführt, dass der Versicherte seinen Kostenerstattungsanspruch an den Leistungserbringer abtritt.145 Die Ausgestaltung eines Systems der Leistungserbringung in der Form der Sachleistung oder Kostenerstattung erweist sich damit als vergaberechtlich neutrale formale Abwicklungsmodalität, die an der Kostenträgerschaft der Krankenkassen ebenso wenig etwas ändert wie an der Steuerungswirkung selektiver Versorgungsverträge.146 In allen Fällen kann es folglich einheitlich nur darauf ankommen, ob der öffentliche Auftraggeber letztlich das Entgeltrisiko trägt.

E. Verfahrensanforderungen an Versorgungsverträge nach dem SGB V Die präzise Verortung der Steuerungsinstrumente des Leistungserbringungsrechts des SGB V ist vor allem mit Blick auf die sehr unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Folgen von Bedeutung. Hierbei kann entsprechend der vorangegangenen Überlegungen grundsätzlich zwischen hoheitlicher Regulierung und austauschvertraglichem Handeln unterschieden werden.

I. Unanwendbarkeit des Vergaberechts bei hoheitlicher und hoheitlich-kooperativer Regulierung Soweit sich der Gesundheitsgesetzgeber auf die hoheitliche und hoheitlich kooperative Regulierung der Leistungserbringung beschränkt, ist das Vergaberecht nicht anwendbar.147 Dies gilt sowohl für hoheitliche Zulassungsentscheidungen durch Verwaltungsakt als auch für die hoheitlich-kooperative Regulierung durch Normsetzungsverträge sowie für das Festbetragsverfahren und die Richtlinienrechtsetzung durch Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung, soweit die Allgemeinwohlbindung des Verwaltungshandelns und staatliche Letztverantwortung jeweils gewahrt werden. Insofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, bestehen in den genannten Fällen weder Ausschreibungspflichten, noch stehen die sozialgesetzlichen Rahmenregelungen im Widerspruch zum Vergaberecht. Ob die Voraussetzungen für vergaberechtsfreies hoheitliches oder hoheitlich-kooperatives Handeln vorliegen, ist allerdings stets einzelfallbezogen zu prüfen. 145

K. Fahlbusch, Ambulante ärztliche Behandlung in Europa, 2006, S. 128 ff. Die Kostenerstattungsfrage bestätigt damit nochmals den Charakter des selektiven Versorgungsvertrags als atypisches vergaberechtliches Instrument staatlicher Marktregulierung im Gesundheitswesen, das sich klassischen vergaberechtlichen Kategorien teilweise entzieht. Hierzu oben 5. Kapitel, D. I. 147 Siehe oben 3. Kapitel, C. III. 2.; 5. Kapitel, C. III. 146

E. Verfahrensanforderungen an Versorgungsverträge nach dem SGB V

363

II. Vergaberechtliche Anforderungen an selektive Versorgungsverträge nach dem SGB V Selektive Versorgungsverträge nach dem SGB V fallen dagegen in aller Regel in den Anwendungsbereich der RL 2004/18/EG.148 Hinsichtlich der damit verbundenen Verfahrensanforderungen ist nach Maßgabe der vergaberechtlichen Vertragstypen zu differenzieren. Welchem der vergaberechtlichen Vertragstypen die einzelnen Versorgungsverträge nach dem SGB V zuzuordnen sind, lässt sich nicht generalisierend feststellen, sondern erfordert ebenfalls eingehende Untersuchungen, die im 7. Kapitel vorgenommen werden sollen. Gleichwohl können mit Blick auf die vorangegangenen Untersuchungen bereits orientierende Aussagen über die Bedeutung der verschiedenen vergaberechtlichen Vertragstypen für den Vertragswettbewerb in der GKV getroffen werden. 1. Verfahrensanforderungen bei Versorgungsverträgen zum Leistungseinkauf Bei Versorgungsverträgen zum Leistungseinkauf richten sich die vergaberechtlichen Verfahrensanforderungen nach den vergaberechtlichen Bestimmungen über Liefer- und Dienstleistungsaufträge gem. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG. a) Verfahrensanforderungen bei Lieferaufträgen Bei Lieferaufträgen greifen auch im öffentlichen Gesundheitswesen die strengen Ausschreibungspflichten der Vergaberichtlinien. Es gelten die Eignungs- und Zuschlagskriterien. Einzuhalten sind die in der Richtlinie vorgesehenen Verfahrensarten (offenes Verfahren, dynamische Beschaffungssysteme usw.). Beim Zuschlag gilt grundsätzlich das Wirtschaftlichkeitsprinzip. Zudem sind die Gewährleistungen der Rechtsmittelrichtlinien einzuhalten. Lieferaufträge liegen nach den hier vorgenommenen Abgrenzungen ausschließlich bei Versorgungsverträgen mit Einkaufscharakter vor, wobei es allerdings nicht darauf ankommt, ob die Krankenkassen die Waren selbst beschaffen oder ob die Leistungserbringer die Waren unmittelbar an die Versicherten liefern. Denkbare Fälle sind Hilfsmittelverträge nach § 127 SGB V, soweit sie auf die Erbringung von Leistungen gegen Festvergütung gerichtet sind. Darüber hinaus können z. B. auch Integrierte Versorgungsverträge als Lieferaufträge einzustufen sein, soweit einerseits der Schwerpunkt der Leistung in einer Warenlieferung liegt und anderseits ein Fall des Leistungseinkaufs auf Basis eines Festbudgets i. S. v. Art. 140c SGB V vorliegt.149 148

Siehe oben 5. Kapitel, D. II. EuGH Rs. C-331/92 (Gestión Hotelera) Slg. 1994, I-1329, Rn. 29; Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, B5 Rn. 93; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2118. 149

364

5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

b) Verfahrensanforderungen bei Dienstleistungsaufträgen Bei Dienstleistungsaufträgen greifen im Gegensatz zu Lieferaufträgen die Sonderregelungen über nichtprioritäre Gesundheitsdienstleistungen. Für Dienstleistungen, die in Anhang II Teil A der RL 2004/18/EG aufgeführt sind, gelten die zuvor für Lieferaufträge genannten Schwellenwerte, Verfahrens- und Zuschlagsanforderungen.150 Dagegen können die öffentlichen Auftraggeber gem. Art. 21 RL 2004/18/EG bei Dienstleistungen, die in Anhang II Teil B genannt sind, Aufträge weitgehend frei nach Maßgabe der jeweiligen Vorschriften des staatlichen Rechts vergeben. Zu diesen Sektoren zählen Dienstleistungen im Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen. Die Mitgliedstaaten sind daher lediglich verpflichtet, die Bestimmungen über technische Spezifikationen nach Art. 23 RL 2004/18/ EG einzuhalten und die Kommission in einem formalisierten Verfahren ex post über die durchgeführten Vergabeverfahren zu informieren (Art. 35 Abs. 4 RL 2004/18/EG). Dagegen bestehen weder hinsichtlich der Art der Durchführung der Verfahren besondere sekundärrechtliche Vorgaben, noch besteht ein vergaberechtlicher Bieterschutz nach den Rechtsmittelrichtlinien. 151 Im Übrigen sind die Basisanforderungen des Primärvergaberechts einzuhalten, die allerdings nur Mindeststandards in Bezug auf Fairness und Transparenz der Auftragsvergabe normieren. Zudem besteht hier nur die – begrenzt effektive – Möglichkeit der gerichtlichen Ex-post-Kontrolle. Für den Rechtsschutz gelten die allgemeinen sozialrechtlichen Regelungen.152 Vom Vorliegen eines Dienstleistungsauftrags ist ebenfalls ausschließlich bei Fällen des Leistungseinkaufs gegen Festpreise auszugehen. Ein entgeltlicher Dienstleistungsauftrag kann, z. B. im Rahmen eines Vertrags über die hausarztzentrierte Versorgung oder die Integrierte Versorgung, dann vorliegen, wenn die Dienstleistungserbringung im Vordergrund steht und die Krankenkasse ein bestimmtes, vertraglich definiertes Leistungskontingent gegen ein festes Budget einkauft. 2. Verfahrensanforderungen bei Versorgungsverträgen mit Zulassungswirkung a) Grundsätzliche Verfahrensanforderungen bei Rahmenvereinbarungen Bei Versorgungsverträgen mit Zulassungswirkung sind die Verfahrensanforderungen für Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG einzuhal150 Pruns, Kartell- und vergaberechtliche Probleme des selektiven Kontrahierens auf europäischer und nationaler Ebene, 2008, S. 403 f. 151 Hierzu: Ebsen, FS Zuleeg, S. 439 (450 f.); Pruns, Kartell- und vergaberechtliche Probleme des selektiven Kontrahierens auf europäischer und nationaler Ebene, 2008, S. 432 f. 152 Hierzu: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 36, Rn. 9 ff.

E. Verfahrensanforderungen an Versorgungsverträge nach dem SGB V

365

ten.153 Grundsätzlich sind Rahmenvereinbarungen gem. Art. 32 Abs. 2 RL 2004/ 18/EG nach allgemeinen Regeln auszuschreiben, wobei gem. Art. 32 Abs. 2 Satz 2 insbesondere auch die Zuschlagskriterien des Art. 53 R 2004/18/EG, d. h. grundsätzlich das Wirtschaftlichkeitsprinzip, zu beachten sind. Hinsichtlich der Ausschreibungspflichten zwischen den Parteien der Rahmenvereinbarung ist nach Maßgabe der Art. 32 Abs. 3 und 4 RL 2004/18/EG zu differenzieren. Grundsätzlich bestehen gem. Art. 32 Abs. 3 Satz 2 und Art. 34 1. Spiegelstrich der Richtlinie keine weiteren Ausschreibungspflichten, soweit die Preis- und Leistungsbedingungen abschließend geregelt sind. Dies wird bei Rahmenvereinbarungen, die auf die unmittelbare Erbringung von Leistungen im System gerichtet sind, wie etwa bei der Integrierten Versorgung (§ 140a ff. SGB V), der hausarztzentrierten Versorgung (§ 73b SGB V), aber auch bei Rabattverträgen (§ 130 Abs. 8 SGBV) typischerweise der Fall sein, da eine abschließende Regelung Voraussetzung der Leistungserbringung ist.154 Andererseits sind jedoch auch mehrstufige Verhandlungsverfahren denkbar, in denen auf der Ebene der Rahmenvereinbarung noch keine abschließende Regelung, sondern nur eine Vorauswahl getroffen worden ist. Ein Beispiel ist das mehrstufige Vergabeverfahren bei Heilmittelverträgen nach Art. 127 SGB V.155 Hier können auch nach Abschluss der Rahmenvereinbarung Ausschreibungspflichten bestehen. b) Verfahrensanforderungen bei Rahmenvereinbarungen über Dienstleistungen Bei Versorgungsverträgen nach dem SGB V wird es sich vergleichsweise häufig um Rahmenvereinbarungen über Liefer- oder Dienstleistungsverträge handeln. Dies gilt z. B. bei Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung (§ 73a SGB V), über strukturierte Behandlungsprogramme (§ 116b SGB V), über die Integrierte Versorgung (§ 140a ff. SGB V), aber auch bei Heilmittelverträgen oder Arzneimittelrabattverträgen (§ 127f bzw. 130 Abs. 8 SGB V), wobei die Übergänge zu Dienstleistungs- und Lieferaufträgen i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/ 18/EG allerdings fließend sein können.156 Eine der wichtigsten Folgen der Einstufung von Versorgungsverträgen als Rahmenvereinbarung liegt darin, dass Art. 1 Abs. 5, 32 RL 2004/18/EG weder tatbestandlich noch verfahrensrechtlich zwischen Rahmenvereinbarungen über Liefer- bzw. Dienstleistungsaufträge differenziert.157 Daher ergeben sich aus der Entscheidung des EuGH, Zulassungsver153 Siehe oben 3. Kapitel, D. III. sowie Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3060 ff. 154 Siehe zu diesen Versorgungsvertragstypen näher unten 7. Kapitel, D. I. 1., II. und IV. 155 Siehe hierzu unten 7. Kapitel, D. VI. 2. 156 Siehe unten 7. Kapitel, D. I. 1., IV. 5., V. und VI. 157 Siehe oben 3. Kapitel, D. III. 2.

366

5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

träge über Dienstleistungen in der Integrierten Versorgung als Rahmenvereinbarung und nicht als Dienstleistungsauftrag zu qualifizieren, auch erhebliche Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite, die vom EuGH wohl auch so intendiert gewesen sein dürften.158 Während bei Dienstleistungsaufträgen im Gesundheitswesen gem. Art. 21 RL 2004/18/EG nur die Artikel 23 und Artikel 35 Abs. 4 über technische Spezifikationen und Meldepflichten gelten, kennt Art. 32 RL 2004/ 18/EG für Rahmenvereinbarungen eine derartige Sonderregelung für nichtprioritäre Dienstleistungen gerade nicht. Entsprechend bestehen bei Versorgungsverträgen mit Zulassungswirkung auch dann Ausschreibungspflichten, wenn sich diese schwerpunktmäßig oder ausschließlich auf Dienstleistungen beziehen.159 c) Verfahrensanforderungen bei Dienstleistungskonzessionen Versorgungsverträge mit Zulassungswirkung können schließlich zumindest hypothetisch auch als Dienstleistungskonzessionen bereits tatbestandlich vom Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie ausgenommen sein, sodass hier nur das Primärvergaberecht greift. Allerdings dürften unter den derzeitigen Systembedingungen des SGB V die Voraussetzungen für eine Dienstleistungskonzession bei selektiven Versorgungsverträgen regelmäßig nicht gegeben sein, da es an den die Marktteilnahme auf privaten Märkten typischen wirtschaftlichen Freiheitsgraden und wirtschaftlichen Betriebsrisiken in den öffentlich finanzierten, hoheitlich besonders regulierten und zugleich vertraglich durch die Krankenkassen besonders gesteuerten Märkten regelhaft fehlt.

F. Zum Verhältnis von EU-Vergaberecht, GWB-Vergaberecht und SGB V Nach den bisherigen Untersuchungen zum EU-Vergaberecht ist es nunmehr möglich, einen Perspektivwechsel hin zur Analyse der Folgen der Anwendbarkeit des EU-Vergaberechts für das System des staatlichen Rechts vorzunehmen. Dies führt zunächst zur Frage nach dem Verhältnis von SGB V und GWB-Vergaberecht.

I. Zur Frage der Anwendbarkeit des EU- und GWB-Vergaberechts auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V Für das System des deutschen Rechts ist ein nach wie vor nicht vollständig geklärtes Nebeneinander des allgemeinen Systems des GWB-Vergaberechts und 158

EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 60 ff. Siehe oben 3. Kapitel, D. III. 3. c); siehe auch Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3060 ff. 159

F. Verhältnis von EU-Vergaberecht, GWB-Vergaberecht und SGB V

367

des besonderen Systems des SGB-V-Vergaberechts kennzeichnend, das der Gesundheitsgesetzgeber im Rahmen des Vertragswettbewerbs in der GKV geschaffen hat.160 Einerseits hat der deutsche Gesetzgeber seine aus der Vergaberichtlinie bestehenden Umsetzungsverpflichtungen im Rahmen der §§ 97 ff. GWB und der Vergabeverordnung erfüllt und im Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB zugleich den Rechtsweg zu den Vergabekammern (§ 104 GWB) und zu den Vergabesenaten der Zivilgerichte (§ 116 GWB) eröffnet. Andererseits hat der Sozialgesetzgeber im Zuge der Umstellung des Leistungserbringungsrechts auf Vertragswettbewerb den Versuch unternommen, im Anwendungsbereich des SGB V eine Art „Vergaberecht light“ mit besonderen gesundheitspolitischen Steuerungsfunktionen und begrenzten Ausschreibungspflichten zu entwickeln.161 Der Sozialgesetzgeber tendierte dabei zunächst eher zu einer Abschottung des SGB V gegenüber dem GWB-Wettbewerbs- und Vergaberecht.162 Mit der Novelle des § 69 SGB V durch das GKV-OrgWG hat der Gesetzgeber jedoch nunmehr auch die allgemeinen vergaberechtlichen Bestimmungen der §§ 97 ff. GWB im Leistungserbringungsrecht des SGB V für grundsätzlich anwendbar erklärt, soweit dessen Voraussetzungen vorliegen (vgl. § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V n. F.). Von diesem Rechtsgrundverweis bleibt zwar die materiell-rechtliche Frage des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Voraussetzungen der §§ 97 ff. GWB unberührt. Jedenfalls aber hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Anwendung der §§ 97 ff. GWB auf selektive Versorgungsverträge durch § 69 SGB V nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden soll.163 Andererseits hat der Gesetzgeber die Öffnung hin zum Vergaberecht schon auf der materiellen Ebene auch wieder eingeschränkt, da bei dessen Anwendung gem. § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V n. F. der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen zu berücksichtigen ist. Parallel zur materiell-rechtlichen Öffnung des SGB V für die §§ 97 ff. GWB hat der Gesetzgeber im GKV-OrgWG auch die vordem zwischen Zivil- und Sozialgerichten umstrittene Rechtswegfrage (vorerst) zugunsten der Sozialgerichte geklärt. Für die Kontrolle der Einhaltung der vergaberechtlichen Pflichten der Krankenkassenträger sind gemäß § 104 GWB (auf den § 69 Abs. 2 SGB V n. F. deklaratorisch verweist) die Vergabekammern zuständig. Abweichend von § 116 Abs. 2 GWB sind in Beschwerdeinstanz jedoch nicht die Vergabesenate der OLGs, sondern gemäß § 29 Abs. 5 SGG, § 116 Abs. 3 S. 1 GWB n. F. die Landessozialgerichte zuständig.164 In den sozialrechtlichen Streitigkeiten über die

160 Vgl. Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff.; Koenig/Klahn/Schreiber, ZESAR 2008, S. 5 ff.; Burgi, GesR 2007, S. 553 ff.; Burgi/Brohm, MedR 2005, S. 74 ff. 161 Vgl. Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff. 162 Kritisch hierzu: Koenig/Engelmann/Hentschel, MedR 2003, S. 562 ff. 163 Hierzu: Knispel, GesR 2009, S. 236 ff.; Kamann/Gey, PharmR 2009, S. 114 ff. 164 Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG), BR-Dr.733/08, hierzu kritisch: Hölzl/Eichler, NVwZ 2009, S. 27 ff.

368

5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

Entscheidungen von Vergabekammern sind gem. § 142a SGG die vergaberechtlichen Vorschriften der § 115 Abs. 2 Satz 2 bis 5, 116 Abs. 1 und 2 sowie die §§ 117 bis 123 und 126 GWB entsprechend anzuwenden. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Landessozialgerichten in Vergaberechtssachen ist abweichend von § 124 Abs. 2 GWB gem. § 142a Abs. 4 SGG die Zuständigkeit des BSG eröffnet.165 Trotz der Änderungen der Gesetzeslage ist die namentlich genaue Reichweite der Sonderregelung des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V n. F. nach wie vor umstritten.166 Ebenso ist die Frage, ob der Gesetzgeber den materiellen Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB im Leistungserbringungsrecht vermittelt über § 69 SGB V beschränken und zugleich den Rechtsweg abweichend regeln kann, mit Blick auf den Vorrang der Vergaberichtlinien und das Erfordernis der richtlinienkonformen Auslegung des § 69 SGB V nach wie vor nicht abschließend geklärt.167

II. Die Frage nach dem Verhältnis von EU-Vergaberecht, GWB und SGB V als Mehrebenenproblem Die Frage nach dem Verhältnis von EU- und GWB-Vergaberecht und SGB V verweist letztlich auf ein rechtliches Mehrebenenproblem, zu dessen Bewältigung grundsätzlich zwischen Umsetzungsverpflichtungen im „vertikalen“ Verhältnis zwischen Union und Mitgliedstaaten sowie Konkurrenzproblemen im „horizontalen“ Verhältnis zwischen GWB und SGB V im System des deutschen staatlichen Rechts unterschieden werden muss. Die Vergaberichtlinie muss in das nationale Recht transformiert werden, und zwar auch mit Wirkung für den Vertragswettbewerb im SGB V, soweit dieser in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt.168 Allerdings steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, ob er seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen dadurch nachkommt, dass er den Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB auf das SGB V erstreckt oder ob er stattdessen eine gesonderte richtlinienkonforme Umsetzung im Rahmen des SGB V bzw. des SGG vornimmt. Der deutsche Gesetzgeber hat die materiell- und verfahrensrechtliche Umsetzung der Vergaberichtlinie im Grundsatz im Rahmen des GWB vollzogen, während im Rahmen des SGB V und des SGG der Sache nach eine Art „Sondervergaberecht“ entstanden ist, das sich teilweise an anderen Gesichtspunkten orientiert.169 Selbst wenn es dem deutschen Gesetzgeber aber möglich sein sollte, das GWB-Vergaberecht als staatliches Recht von der Anwendung auf die Leistungserbringung im Gesundheitswesen auszuschließen bzw. dessen Anwendung nach Maßgabe von § 69 SGB V einzuschränken, ließe dies doch die 165 166 167 168 169

Vgl. Wenner, in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, § 142 SGG Rn. 1 ff. Hierzu Kamann/Gey, PharmR 2009, S. 114 (116 ff.). Vgl. Hölzl/Eichler, NVwZ 2009, S. 27 ff. Vgl. Auktor, in: Kruse/Hänlein, SGB V, § 69 Rn. 7 m.w. N. Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff.; ders., NJW 2009, S. 2417 (2418 f.).

F. Verhältnis von EU-Vergaberecht, GWB-Vergaberecht und SGB V

369

Anwendbarkeit der EU-Vergaberichtlinien unberührt, soweit deren Voraussetzungen vorliegen. Damit stellt sich die Frage, wie das Verhältnis von EU-Vergaberecht, GWB-Vergaberecht und SGB V im Einzelnen unionsrechtskonform zu justieren ist. Hierzu soll zunächst das Verhältnis von GWB und SGB V aus seinem einzelstaatlichen Entwicklungskontext entfaltet werden.

III. Das Verhältnis von GWB und SGB V als „Dauerbrenner“ der rechtswissenschaftlichen Diskussion Das Verhältnis des Leistungserbringungsrechts des SGB V zum GWB war und ist sowohl für das GWB-Kartellrecht als auch für das GWB-Vergaberecht umstritten. In Bezug auf beide Materien des GWB tendierte der Sozialgesetzgeber gegen den Widerstand der Zivilgerichtsbarkeit zunächst eher zu einer Abschottung des Leistungserbringungsrechts des SGB V gegen das GWB. Seit dem GKV-WSG von 2007 und dem GKV-OrgWG von 2009 zeichnen sich dagegen deutliche Öffnungstendenzen sowohl in Bezug auf das Wettbewerbskartellrecht als auch im Hinblick auf das Vergaberecht ab. Diese partielle Öffnung wird allerdings schon materiell-rechtlich durch gewisse Restriktionen im Rahmen von § 69 SGB V beschränkt. Zudem hat sich der Gesetzgeber sowohl in Bezug auf das GWB-Kartell- als auch in Bezug auf das GWB-Vergaberecht zu einer Aufspaltung des Rechtswegs entschlossen und hier wie dort die abschließende Zuständigkeit der Sozialgerichte begründet. 1. Die Diskussion um die Anwendung des GWB-Kartellrechts auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V In Rechtsprechung und Lehre bestand in Deutschland zunächst vor allem ein Grundsatzstreit über die Anwendung des GWB-Kartellrechts auf die gesetzlichen Krankenversicherungsträger und ihre auf Grundlage der §§ 69 ff. SGB V näher geregelten Beziehungen zu den Leistungserbringern. Die Streitigkeiten bezogen sich sowohl auf das materiell-rechtliche Verhältnis von SGB V und GWB im Bereich des Leistungserbringungsrechts als auch auf die prozessuale Zuständigkeitsverteilung zwischen Zivil- und Sozialgerichten im Leistungserbringungsrecht. Aufgrund der Lehre von der „Doppelnatur“ 170 der Handlungen der gesetzlichen Krankenversicherungen differenzierten die herrschende Wettbewerbsrechtslehre und die Zivilgerichte zwischen „öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen“ auf Grundlage des SGB V und einem zugleich bestehenden „bürgerlich-rechtlichen Wettbewerbsverhältnis“ zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern 170 Zur Lehre von der Doppelnatur: Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., 2001, § 130 Rn. 9, 17; ders., Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1969, Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), GWB, 3. Aufl. 2001; Einleitung, Rn. 25.

370

5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

und den Leistungserbringern. Nach Auffassung der Zivilgerichte waren sowohl der sachliche Anwendungsbereich des GWB als auch die prozessuale Zuständigkeit der Kartellsenate im Anwendungsbereich des Leistungserbringungsrechts eröffnet.171 Eine Ausnahme bestand demnach nur für das Vertragsarztrecht und die Krankenhausfinanzierung, die „schon immer“ öffentlich-rechtlicher Natur gewesen sei.172 Demgegenüber vertraten die Sozialgerichte die Auffassung, dass es sich beim SGB V um eine abschließende Regelung sozialrechtlicher Natur handle.173 Die mit dieser Entwicklung einhergehenden Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Zivil- und Sozialgerichten konnten auch durch mehrere Entscheidungen des GemSOBG der Bundesgerichte nicht vollständig ausgeräumt werden.174 2. Restriktion der Anwendung des GWB-Kartellrechts durch § 69 SGB V Angesichts der Uneinigkeit der Zivil- und Sozialgerichte suchte der Gesetzgeber seit dem Jahr 2000 durch mehrmaligen Gesetzesnovellen für ein gewisses Maß an Klarheit zu sorgen. Mit dem Gesundheitsreformgesetz 2000 erfolgte eine erste Novellierung des § 69 SGB V. Nach § 69 Satz 1 SGB V 2000 regeln das 4. Kapitel des SGB V sowie die §§ 63, 64 SGB V abschließend Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apothekern und sonstigen Leistungserbringern, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach §§ 90–94 SGB V. Nach § 69 Satz 2 SGB V 2000 werden auch die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern durch das 4. Kapitel des SGB V, die §§ 63 und 64 sowie das Krankenhausfinanzierungsgesetz, das Krankenhausentgeltgesetz sowie die auf diesen Grundlagen ergangenen Rechtsverordnungen geregelt. Nach § 69 Satz 3 SGB V 2000 gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Leistungserbringungsrechts nur noch „entsprechend“ und auch nur so weit, wie sie mit den Vorschriften aus dem SGB V vereinbar sind. Die Bestimmungen der Sätze 1 bis 3 gelten auch dann, wenn durch die Rechtsverhältnisse Rechte Dritter betroffen sind. § 69 SGB V hat zur Folge, dass die Rechtsverhältnisse im Leistungserbringungsrecht nunmehr einheitlich als öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse anzusehen sind.175 Das BGB ist dement171

Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 130, Rn. 17 f. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 130, Rn. 22. 173 Vgl. z. B. BSG v. 29.9.1994 NJW-RR 1995, 1275 m. Anm. Jestaedt NJW 1995, S. 1527. 174 GemSOBG Urt. v. 10.4. 1986 , NJW 1986, 2359; Urt. v. 29.10.1987, NJW 1988, 2295; Urt. v. 10.07. 1989, NJW 1990, 1527. 175 So nun ausdrücklich auch: BGH WRP 2006, 447 (448); hierzu Bumiller, GRUR 2000, S. 484 ff.; Steinmeyer, FS Sandrock, 2000, S. 943 ff.; Neumann, WuW 1999, S. 961 ff.; Schultz, NZSozR 1998, S. 269 ff.; Beuthin, MedR 1994, S. 253 ff. 172

F. Verhältnis von EU-Vergaberecht, GWB-Vergaberecht und SGB V

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sprechend nicht mehr unmittelbar, sondern nur noch nach Maßgabe der Verweisungsnorm des § 69 Satz 3 SGB V anwendbar. Dementsprechend verdrängen die §§ 69 ff. SGB V seither aus materiell-rechtlicher Sicht die Regelungen des GWB-Kartellrechts.176 Flankiert wurden die materiell-rechtlichen Regelungen des § 69 SGB V durch die prozessuale Zuständigkeitsnorm des § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG. Demnach sind die Sozialgerichte auch für die verbleibenden privatrechtlichen Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung zuständig, und zwar auch dann, wenn diese Angelegenheiten Dritte betreffen.177 Durch entsprechende Regelungen in den §§ 87 und 96 GWB wurde zusätzlich klargestellt, dass im Bereich der §§ 69 ff. SGB V eine ausschließliche Zuständigkeit der Sozialgerichte besteht. 3. Konsens der Zivil- und Sozialgerichte hinsichtlich der Anwendungsgrenzen des GWB-Kartellrechts im Leistungserbringungsrecht Die Zurückdrängung des GWB-Kartellrechts aus dem Leistungserbringungsrecht ist im Schrifttum auf ein geteiltes Echo gestoßen.178 Unabhängig von möglichen ordnungspolitischen Bedenken verfügt der Gesetzgeber innerhalb sehr weit gefasster verfassungsrechtlicher Grenzen jedoch über die Kompetenz, bestimmte Wirtschaftssektoren vom Anwendungsbereich des GWB auszunehmen. Diese Entscheidung hat der Sozialgesetzgeber im Rahmen der Novellierung des § 69 SGB V erkennbar treffen wollen. Folgerichtigerweise haben mittlerweile sowohl das BSG als auch der BGH die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung nachvollzogen. Mit Urteil vom 12.05.2005 stellte der 3. Senat des BSG fest, dass „nunmehr auch für alle kartellrechtlichen Streitigkeiten aus dem Leistungserbringungsrecht (. . .) ausschließlich die Sozialgerichte zuständig“ sind.179 Zivilrechtliche Vorschriften seien nur noch entsprechend und lückenfüllend anwendbar.180 Mit Entscheidung vom 23.02.2006 hat sich der 1. Senat des BGH dieser Auffassung unter ausdrücklicher Aufgabe der Lehre von der Doppelnatur angeschlossen. Die Regelung des § 69 SGB V erfasse nicht – wie der Wortlaut möglicher176 BSGE 87, 95; 89, 24; nunmehr auch BGH WRP 2006, 447 (448); zustimmend Boecken, NZS 2000, S. 269 (270); Knispel, NZS 2001, S. 466 (468); ablehnend: Engelmann, NZ 2000, S. 213 ff., Koenig/Engelmann, WRP 2002, S. 1244 ff.; Schwerdtfeger, PharmdInd 2000, S. 105 ff. 177 Einschränkend: K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., 2001, § 87, Rn. 34 ff. 178 Zustimmend Boecken, NZS 2000, S. 269 (270); Knispel NZS 2001, S. 466 (468); ablehnend: Engelmann, NZ 2000, S. 213 ff., Koenig/Engelmann, WRP 2002, S. 1244 ff.; Schwerdtfeger, PharmdInd 2000, S. 105 ff.; kritisch auch Kingreen, ZMGR 2005, S. 163. 179 BSG, GesR 2005, 409; vgl. auch Keßler, WRP 2006, S. 1283 ff. 180 BSG, GesR 2005, 409; SGb 2006, S. 56.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

weise nahe legen könnte – „die Beurteilung der internen, insbesondere der vertraglichen Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern“, sondern erstrecke sich auch „im Hinblick auf § 69 SGB V auf die Auswirkungen dieser Rechtsbeziehungen auf Dritte“.181 Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergebe, solle die Neufassung des § 69 SGB V gerade sicherstellen, dass Handlungen der gesetzlichen Krankenversicherungen und der für sie tätigen Leistungserbringer zur Erfüllung des Versorgungsauftrags gegenüber den Versicherten nur nach öffentlichem Recht beurteilt werden. Damit werde zugleich der früheren Rechtsprechung der Boden entzogen, „dass solche (schlicht hoheitlichen) Handlungen aufgrund ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb gegebenenfalls eine Doppelnatur haben können und dementsprechend dem Wettbewerbsund Kartellrecht unterliegen können“.182 Es sei gerade der Zweck des § 69 SGB V, die genannten Rechtsbeziehungen ausschließlich den in dieser Vorschrift aufgeführten Rechtsvorschriften zu unterwerfen und dabei die Anwendung des Wettbewerbsrechts auszuschließen.183 4. Mittelbare Anwendbarkeit des Monopolmissbrauchsverbots der §§ 19 ff. GWB über § 69 Satz 2 SGB V a. F. bzw. § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB V n. F. Mit dem GKV-WSG 2007 und dem GKV-OrgWG 2009 hat der Gesetzgeber seine zuvor getroffene Grundsatzentscheidung gegen die unmittelbare Anwendung des GWB-Kartellrechts allerdings teilweise wieder revidiert. So sind nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V nunmehr auch die Vorschriften der §§ 19 bis 21 SGB V über den Marktmachtmissbrauch entsprechend im Leistungserbringungsrecht anwendbar. Dies gilt indes nicht für Verträge, zu denen die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind und bei deren Nichtzustandekommen eine Schiedsamtregelung greift. Durch die Regelung des § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V wird sichergestellt, dass die Krankenkassen ihre Marktmacht gegenüber den Leistungserbringern nicht unangemessen ausüben können. Sachlich erfasst § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V grundsätzlich sämtliche neuen selektiven Vertragstypen, die im vorangegangenen Abschnitt untersucht wurden. Ausgenommen bleibt gem. § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V allerdings das Kollektivvertragssystem des Leistungserbringungsrechts, insbesondere das allgemeine System des Vertragsarztrechts. Die Novellierung des § 69 SGB V ist zu begrüßen. Sie trägt den wirtschaftlichen Machtungleichgewichten zwischen Kassen und Leistungserbringern angemessen Rechnung und kann einem Missbrauch von Marktmacht vorbeugen. Frei181 182 183

BGH WRP 2006, 447 (448). BGH WRP 2006, 447 (448). BGH WRP 2006, 447 (448).

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lich bleibt die Anwendung des Kartellverbots des § 1 GWB auf das Leistungserbringungsrecht nach wie vor ausgeschlossen. Zudem gelten auch die §§ 19 ff. GWB nach wie vor nur entsprechend. Schließlich lässt § 69 Satz 2 SGB V die abschließende Rechtswegzuweisung zu den Sozialgerichten unberührt. Damit hat sich im Leistungserbringungsrecht des ASGB V vermittelt über § 69 Abs. 2 SGB V im Ergebnis eine Art „Wettbewerbsrecht light“ mit eingeschränktem Gewährleistungsgehalt etabliert.

IV. Die Anwendung des GWB-Vergaberechts auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V 1. Die Kontroversen um die Anwendung der § 97 ff. GWB Von der Frage der Anwendung des GWB-Kartellrechts ist die Frage der Anwendung des GWB-Vergaberechts auf die gesetzliche Krankenversicherung und das Leistungserbringungsrecht des SGB V strikt zu trennen. Zugleich kann aus vergaberechtlicher Sicht zwischen der Rechtslage bis zum Inkrafttreten des GKV-OrgWG und der Rechtslage nach dessen Inkrafttreten unterschieden werden.184 Bis zum GKV-OrgWG tendierte der Sozialgesetzgeber auch in Bezug auf das GWB-Vergaberecht eher zu einer Abschottung des Leistungserbringungsrechts des SGB V. Die Grundlage für die Abgrenzung zum Vergaberecht bildete ursprünglich ebenfalls § 69 Satz 2 SGB V a. F., nach der die §§ 69 ff. SGB V die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern grundsätzlich „abschließend“ regeln. Die Novelle des § 69 SGB V im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 zielte allerdings noch in erster Linie auf den damals im Vordergrund stehenden Streit über die Anwendung des GWB-Kartellrechts auf die gesetzliche Krankenversicherung. Dementsprechend vertraten eine Reihe von Vergabekammern und Zivilgerichten sowie Teile des Schrifttums die Auffassung, dass § 69 SGB V ausschließlich das Verhältnis des SGB V zum GWB-Kartellrecht, nicht aber das Verhältnis zum GWB-Vergaberecht erfasse.185 Der daraus abgeleiteten These von der materiellen Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB entsprach aus prozessualer Sicht die Auffassung, dass die gerichtlichen Zuständigkeitszuweisungen der §§ 104, 116 GWB für vergaberechtliche Streitigkeiten eine spezielle Rechtswegzuweisung zu den Zivilgerichten enthalte. Dagegen gingen andere Stimmen im Schrifttum und in der Gerichtsbarkeit davon aus, dass neben dem Wettbewerbsrecht auch das Vergaberecht im Leistungserbringungsrecht nicht anwendbar und eine Zuständigkeit der Zivilgerichte ausgeschlossen sei.186 184

Zu den Rechtsänderungen: Knispel, GesR 2009, S. 236 ff. Koenig/Steiner, ZESAR 2003, S. 98 ff.; Kingreen, SGb 2004, S. 659 ff.; Koenig/ Engelmann/Hentschel, MedR 2003, S. 562 (563, dort Fn. 1); Wollenschläger, NZBau 2004, S. 655 ff. 186 BSGE 87, 95; 89, 24; Ebsen, FS Zuleeg, 2005, S. 439 (445). 185

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

Damit lebte praktisch zeitgleich mit der Beilegung der Streitigkeiten über die Anwendung des GWB-Kartellrechts nunmehr ein ähnlich gelagerter Streit über die Anwendbarkeit des GWB-Vergaberechts im Sozialleistungserbringungsrecht neu auf. 2. Zum Verhältnis von SGB V und GWB-Vergaberecht bis zum GKV-OrgWG a) Zur Uneindeutigkeit der Gesetzeslage bis zum GKV-OrgWG Für die Anwendbarkeit des GWB-Vergaberechts konnte schon vor Inkrafttreten des GKV-OrgWG der Wille des Sozialgesetzgebers ins Feld geführt werden. So führte der Gesetzgeber in der Begründung zu § 69 SGB V im Jahre 2000 aus: „§ 69 SGB V (regelt) als Grundsatznorm des Leistungserbringungsrechts, dass die dort genannten Rechtsbeziehungen allein sozialversicherungsrechtlicher und nicht privatrechtlicher Natur sind. Dies folgt aus der Vorgabe abschließender Regelungen dieser Beziehungen im 4. Kapitel des SGB V. Die Krankenkassen und ihre Verbände erfüllen in diesen Rechtsbeziehungen ihren öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag und handeln nicht als Unternehmen i. S. d. Privatrechts, einschließlich des Wettbewerbs- und Kartellrechts.“ Der Gesetzgeber zielte damit erkennbar darauf, die Anwendung der „unternehmensbezogenen“ Regelungen des GWB im Bereich des Leistungserbringungsrechts des SGB V auszuschließen. Das GWB-Vergaberecht knüpft jedoch gerade nicht an die Unternehmenseigenschaft einer Einrichtung, sondern „umgekehrt“ an die Eigenschaft einer Einrichtung als „öffentlicher Auftraggeber“ an.187 Andererseits sprachen bis zum Inkrafttreten des GKV-OrgWG auch eine Reihe von Argumenten gegen eine Anwendung des GWB-Vergaberechts auf selektive Versorgungsverträge nach SGB V.188 § 69 SGB V a. F. legte seinem Wortlaut nach fest, dass die Rechtsbeziehungen zwischen Kassen und Leistungserbringern nach dem Willen des Gesetzgebers „abschließend“ durch jene gesetzlichen Bestimmungen geregelt werden sollen, die in § 69 SGB V a. F. explizit aufgeführt sind. Hierzu zählen zwar neben den Bestimmungen des SGB V u. a. das KHG sowie – seit dem GKV-WSG 2007 – auch die § 19 bis 21 GWB, aber gerade nicht die §§ 97 ff. GWB. Insgesamt zielte der Gesetzgeber im Jahr 2000 mit der Novellierung des § 69 SGB V erkennbar auf die Schaffung einer abschließenden Sonderregelung für das Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung.189 Dass sich an diesem historischen gesetzgeberischen Willen auch mit dem GKV-WSG 2007 zunächst nichts geändert hatte, zeigt sich schließlich mit Blick auf die Novelle des § 69 Satz 2 SGB V im Rahmen des GKV-WSG. Die damalige Entscheidung zur 187 188 189

Koenig/Steiner, ZESAR 2003, S. 98 ff. Engelmann, SGb 2008, S. 133 ff. Engelmann, SGb 2008, S. 133 (135 f.).

F. Verhältnis von EU-Vergaberecht, GWB-Vergaberecht und SGB V

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entsprechenden Anwendung der §§ 19 ff. GWB, nicht aber der §§ 97 ff. GWB, macht deutlich, dass der Gesetzgeber auch im Rahmen des GKV-WSG das GWB-Vergaberecht gerade nicht auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V angewendet wissen wollte.190 b) Tendenzen zur Entwicklung eines einzelstaatlichen Gesundheitsvergaberechts im Rahmen der §§ 69 ff. SGB V Für den jedenfalls ursprünglich bestehenden Willen des Gesetzgebers eine auch vergaberechtlich abschließende Regelung im Rahmen der §§ 69 ff. SGB V zu schaffen, sprechen gleichsam der konkrete Gehalt der Regelungen der §§ 69 ff. SGB V. Die §§ 69 SGB V umfassen einerseits nach wie vor kollektivvertragliche Regelungen, die sich grundlegend vom allgemeinen Vergabewesen unterscheiden.191 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber jedoch beginnend mit dem GMG 2003 schrittweise eine Vielzahl von Regelungen über selektive Versorgungsverträge eingeführt, bei denen das SGB V oft auch ausdrücklich eine öffentliche Ausschreibung vorsieht. So sind z. B. Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b Abs. 2 Satz 3 SGB V), über die Förderung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung (§ 73c Abs. 2 Satz 3 SGB V), über die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 127 Abs. 2 Satz 2 SGB V) und über die Arzneimittelversorgung (§ 129 Abs. 5b Satz 1 SGB V) grundsätzlich öffentlich auszuschreiben. Diese Regelungen machen deutlich, dass der Gesetzeber im Rahmen des Leistungserbringungsrechts des SGB V zunächst eine Sonderform des Vergaberechts etablieren wollte.192 Dagegen konnten die vom Sozialgesetzgeber vorgesehenen öffentlichen Ausschreibungspflichten bis zur Novelle des § 69 SGB V durch das GKV-OrgWG nicht ohne Weiteres als punktuelle Rückausnahmen von der abschließenden Sonderregelung des § 69 SGB V begriffen werden, dass es im Rahmen der genannten Bestimmungen gerade an der hierzu erforderlichen expliziten Verweisung auf das GWB-Vergaberecht fehlte. Vielmehr ordnete der Gesetzgeber lediglich eine „öffentliche Ausschreibung“ nach Maßgabe der Bestimmungen des SGB V an. Dagegen wurde im Rahmen des SGB V – anders als z. B. im Rahmen des SGB III – weder auf das „Vergaberecht“ noch auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren verwiesen.193 Mit Blick auf den Willen des staatlichen Gesundheitsgesetzgebers dürften damit bis zum Inkrafttreten des GKVOrgWG gewichtige Argumente gegen eine Anwendung der §§ 97 ff. GWB auf das Leistungserbringungsrecht des SGV gesprochen haben. Allerdings konnten auch schon nach der alten Rechtslage vor allem Argumente unionsrechtlicher Na190

Vgl. auch Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 100 ff. Vgl. Kingreen, SGb 2008, S. 437 ff.; Rixen, VSSR 2005, S. 225 ff. 192 Zum Versuch des Gesetzgebers ein „Vergaberecht light“ zu schaffen auch: Kingreen, NJW 2009, S. 2417 (2418 f.). 193 Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 99. 191

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

tur für eine (begrenzte) Anwendung der §§ 97 ff. GWB ins Feld geführt werden.194 Zwar kommt eine richtlinienkonforme Auslegung des § 69 SGB V nur insoweit in Betracht, wie Wortlaut und Wille des staatlichen Gesetzgebers hierfür überhaupt Spielräume belassen. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so bleibt nur die Möglichkeit der unmittelbaren Anwendung der Vergaberichtlinie.195 Bei einer restriktiven Interpretation des § 69 SGB V drohten jedoch latente Spannungen zwischen dem SGB V und dem Unionsrecht. Um diese Spannungen zu vermeiden, lag schon nach alter Rechtslage eine Anwendung des GWB-Vergaberechts auf den Vertragswettbewerb in der GKV im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 69 SGB V a. F. jedenfalls dann nahe, wenn und soweit andernfalls Verstöße gegen vorrangiges Gemeinschaftsrecht drohten.196 3. Zum Verhältnis von SGB V und GWB-Vergaberecht nach Inkrafttreten des GKV-OrgWG Mit dem GKV-OrgWG hat der Gesetzgeber indes auch in Bezug auf das Vergaberecht einen Richtungswechsel eingeleitet. Durch den mit dem GKV-OrgWG neu eingeführten Rechtsgrundverweis in § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V n. F. wird nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass die §§ 97 ff. GWB auch auf Versorgungsverträge nach dem SGB V Anwendung finden, soweit die vergaberechtlichen Voraussetzungen für dessen Anwendung vorliegen.197 a) Richtlinienkonforme Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V Damit verlagert sich das Kollisionsproblem zwischen SGB V und GWB-Vergaberecht vom Sozialrecht (§ 69 SGB V) hin zum GWB-Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB). Ob das GWB-Vergaberecht auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V im konkreten Einzelfall anwendbar ist, bestimmt sich jedenfalls in Zweifelsfällen nunmehr in erster Linie nach Maßgabe der richtlinienkonformen Auslegung der §§ 97 ff. GWB. Damit konstituiert sich im Gesundheitsvergaberecht aus rechtsdogmatischer Sicht nunmehr ein Mehrebenensystem eigener Art in Form eines Dreiecksverhältnisses von EU-Vergaberecht, GWB-Vergaberecht und SGB V. Das EU-Vergaberecht bestimmt – vermittelt über die richtlinienkonforme Auslegung – ob und inwieweit die §§ 97 ff. GWB auf das Leistungserbringungsrecht des SGB anwendbar ist. § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V knüpft seinerseits – klarstellend – an diese richtlinienkonforme Auslegung des GWB an und „übersetzt“ diese zugleich in das System der §§ 69 ff. SGB V. Dieses dogmatische Dreiecks194

Auktor, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 69 Rn. 7 m.w. N. Vgl. zum Ganzen allgemein: Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV Art. 249 Rn. 125 ff., 128 ff. 196 Hierzu z. B.: Koenig/Klahn/Schreiber, ZESAR 2008, S. 5 ff. 197 Kamann/Gey, PharmR 2009, S. 114 f. 195

F. Verhältnis von EU-Vergaberecht, GWB-Vergaberecht und SGB V

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verhältnis greift auch im Hinblick auf die früher ebenfalls stark umstrittene Rechtswegfrage.198 Auch hier hat der Sozialgesetzgeber mit dem GKV-OrgWG – zumindest vorläufig – „die Würfel fallenlassen“ und den Rechtsweg abschließend den Sozialgerichten zugewiesen.199 Da die einschlägigen Regelungen des GKV-OrgWG mit Blick auf die Rechtsschutzgewährleistungen im Grundsatz jenen des GWB entsprechen, stehen dieser Entscheidung mit Blick auf die Vorgaben der Rechtsmittelrichtlinie keine Bedenken entgegen.200 b) Richtlinienkonforme Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V Als problematisch könnten sich allerdings die vom Gesetzgeber neu eingeführten begrenzten Ausnahmeregelungen der § 69 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V erweisen. § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V nimmt Verträge, zu deren Abschluss die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet sind und für die Schiedsstellenregelungen gelten, nicht nur vom Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts, sondern ebenfalls vom Anwendungsbereich des Vergaberechts aus. Auch die Ausnahmeregelung des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V ist jedoch richtlinienkonform auszulegen. Nach den im 4. Kapitel entwickelten und oben unter Abschnitt III. präzisierten Grundsätzen ist die RL 2004/18/EG auf Versorgungsverträge nach dem SGB V (nur) dann nicht anwendbar, wenn es sich bei den erfassten Verträgen um vergaberechtsneutrale Strukturen der hoheitlich-kooperativen Regulierung handelt.201 Damit dürfte § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V in richtlinienkonformer Auslegung im Grundsatz mit der RL 2004/18/EG vereinbar sein. Mit Blick auf den Vorrang des Unionsrechts vermag § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V indessen keine generelle vergaberechtliche Bereichsausnahme für obligatorische Verträge mit Schiedsstellenregelungen zu begründen. Vielmehr ist stets zu prüfen, ob die sehr unterschiedlich ausgestalteten Vertragsstrukturen des SGB V in den Anwendungsbereich der RL 2004/18/EG fallen oder von diesem ausgenommen sind.202 Soweit das EU-Vergaberecht anwendbar ist, ist § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V einschränkend auszulegen. Zur Vermeidung von Konflikten mit dem Unionsrecht greift in diesen Fällen nicht § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V, sondern die Grundsatzregelung des § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V, mit der Folge einer entsprechenden Anwendung der §§ 97 ff. GWB. 198 Für die Eröffnung des Zivilrechtswegs: BGH, NJW 2008, 3222; OLG Düsseldorf, NZBau 2007, 525; für die Eröffnung des Sozialrechtswegs: BSG, NJW 2008, 3238; LSG Baden-Württemberg, BeckRS 2008, S. 5067; vgl. hierzu Byok/Csaki, NZS 2008, S. 402 ff.; Hülzl/Eichler, NVwZ 2009, S. 27 ff. 199 Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG), BR-Dr.733/08, hierzu kritisch: Hölzl/Eichler, NVwZ 2009, S. 27 ff. 200 So im Ergebnis auch: Hölzl/Eichler, NVwZ 2009, S. 27 ff. 201 Siehe oben 3. Kapitel, C. III. 2.; 5. Kapitel, C. II. und D. II. 202 Siehe unten 7. Kapitel, D. I. 2.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

c) Richtlinienkonforme Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 3 SGB V Über die Ausnahmeregelung des § 69 Abs. 2 Satz 2 hinaus sieht § 69 Abs. 2 Satz 3 SGB V vor, dass bei der Anwendung der §§ 97 ff. GWB der „Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen besonders zu berücksichtigen ist“. Der Gesetzgeber zielte mit dieser recht unpräzise gehaltenen Sonderregelungen erkennbar darauf, den gesetzlichen Krankenkassen zur Erfüllung ihres Versorgungsauftrags erweiterte Spielräume zu verschaffen, was im Ergebnis auch dann zu einer Einschränkung der Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB führen könnte, wenn deren Anwendungsvoraussetzungen an sich erfüllt sind. Mit § 69 Abs. 2 Satz 3 SGB V dürfte der Gesetzgeber einerseits das Ziel der Absicherung sektorspezifischer gesundheitsvergaberechtlich besonderer Ausschreibungsverfahren verfolgt haben, wie sie insbesondere mit dem besonderen gestuften Vergabeverfahren nach Maßgabe des § 127 SGB V für Hilfsmittelverträge geschaffen wurden.203 Mit Blick auf diese Zielsetzung steht das Unionsrecht einer Einschränkung des Anwendungsbereichs der allgemeinen Bestimmungen des GWB (nur) dann nicht entgegen, wenn die gesundheitsvergaberechtlichen Sonderregelungen den Anforderungen der Richtlinie entsprechen bzw. richtlinienkonform ausgelegt werden können. Andererseits könnte eine Anwendung des § 69 Abs. 2 Satz 3 SGB V nach der Intention des Gesetzgebers auch dann in Betracht kommen, wenn es an derartigen besonderen Ausschreibungsverfahren fehlt, wie etwa bei Rabattverträgen nach § 130 Abs. 8 SGB V. In diesen Fällen ist § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V allerdings im Lichte der jüngeren Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich restriktiv auszulegen: Der EuGH hat mit seiner Entscheidung in der Rs. Oymanns204 zur Anwendung der RL 2004/18/EG auf Integrierte Versorgungsverträge im Ergebnis klargestellt, dass die Mehrzahl der selektiven Versorgungsverträge vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten unterliegt, die freilich in den sozialrechtlichen Regelungen des SGB V zum Teil überhaupt nicht (wie bei Verträgen über die Integrierte Versorgung und Rabattverträgen) und zum Teil nur unzureichend normiert sind. Das auch der Entscheidung des EuGH folgende grundsätzliche Erfordernis einer Durchführung von vergaberechtlichen Ausschreibungen darf auch nicht durch generalisierende Verweise auf Versorgungserfordernisse im Rahmen einer extensiven Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 3 SGB V unterlaufen werden.205 Mithin greifen – in richtlinienkonformer Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 3 SGB V – die §§ 97 ff. GWB grundsätzlich überall dort, wo der Gesundheitsgesetzgeber im SGB V keine spezielleren richtlinienkonformen Regelungen geschaffen hat. Eine Ausnahme von der Anwendung der §§ 97 ff. GWB kommt im Rahmen des § 69 Abs. 2 Satz 3 SGB V folglich in aller Regel nur in Betracht, wenn derartige Ausnahmen im Lichte der Vergabe203 204 205

Vgl. hierzu Dreher, NZBau 2009, S. 273 (277 ff.). EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, S. 2427. Kamann/Gey, PharmR 2009, S. 114 (116 f.).

G. Gestaltungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers

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richtlinien aus „zwingenden Erfordernissen“ ausnahmsweise rechtfertigungsfähig sind.206 Damit konstituiert sich für den Vertragswettbewerb in der GKV ein „bewegliches System“, in dem die Krankenkassen neben dem SGB V zusätzlich auch die §§ 97 ff. GWB zu beachten haben, wenn und soweit Ausschreibungspflichten nach der RL 2004/18/EG bestehen, denen die sozialgesetzlichen Regelungen des SGB V (allein) nicht genügen. Den übergreifenden Rahmen bildet die RL 2004/ 18/EG, die nicht nur für die Bestimmung des Verhältnisses von GWB und SGB V im System des staatlichen Rechts, sondern auch für die darüber hinaus weisende Frage nach den autonomen Gestaltungsspielräumen des Sozialgesetzgebers bei der sozialrechtlichen Rahmenregulierung des Vertragswettbewerbs in der GKV von maßgeblicher Bedeutung ist.

G. Gestaltungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers im Rahmen des SGB V I. Zur Frage der verbleibenden gesundheits- und sozialpolitischen Handlungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers Mit der grundsätzlichen Einbeziehung des Vertragswettbewerbs in der GKV in den Anwendungsbereich des EU bzw. des GWB-Vergaberechts sind allerdings noch nicht alle Fragen beantwortet. Vielmehr folgt hieraus zunächst nur, dass die Versorgungsverträge nach dem SGB V in aller Regel von den Krankenkassen nach Maßgabe der Vergaberichtlinien (bzw. des weitgehend inhaltsgleichen GWB-Vergaberechts) auszuschreiben sind.207 Damit ist jedoch noch nicht abschließend geklärt, welche Spielräume der gesetzlichen Krankenkassen mit Blick auf ihren besonderen Versorgungsauftrag bei der Auftragsvergabe im konkreten Einzelfall verbleiben.208 Von der nur einzelfall- bzw. vertragstypbezogen zu klärenden Frage nach den Ausschreibungsspielräumen der Krankenkassen zu unterscheiden ist die weitergehende Frage nach den verbleibenden gesundheits- und sozialpolitischen Spielräumen des Gesundheitsgesetzgebers bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen des Vertragswettbewerbs im Rahmen des SGB V.209 Die grundsätzliche Anwendbarkeit des EU-Vergaberechts rechtfertigt jedenfalls nicht den verallgemeinernden Umkehrschluss, dass der Sozialgesetzgeber nunmehr, wenn er den Krankenkassen Möglichkeiten zum selektiven Kontrahieren eröffnet, im Wesentlichen auf einen Rechtsgrundverweis der 206

Hierzu oben, 3. Kapitel, E. II., sowie sogleich unten 5. Kapitel, G. II. und III. Zu den Einzelheiten: 7. Kapitel, D. I. bis VII. 208 Instruktiv hierzu für Rabattverträge nach § 130 Abs. 8 SGB V der Überblick bei Gabriel, NZS 2008, 455 ff., sowie bei Kamann/Gey, pharmind 2009, 114 (118 ff.). 209 Vgl. Kingreen, NJW 2009, S. 2417 (2418 f.). 207

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

§§ 97 ff. GWB beschränkt wäre. Vielmehr können sich sowohl aus der grundsätzlichen Vergaberechtsneutralität der Primärzwecke der Auftragsvergabe als auch aus den Rechtfertigungsgründen der Grundfreiheiten und der Rechtsprechung des EuGH zu den sog. vergabefremden Zwecken nach wie vor Spielräume für eine gesundheits- und sozialpolitisch motivierte gesetzliche Rahmenregulierung des Vertragswettbewerbs im Rahmen des SGB V ergeben.210 Ob die einzelnen Vertragstypen des SGB V in ihrer derzeitigen Form mit dem Vergaberecht vereinbar sind, kann – ebenso wie die Frage nach bestehenden Ausschreibungspflichten der Krankenkassen – lediglich einzelfallbezogen geklärt werden. Gleichwohl lassen sich die Gestaltungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers anknüpfend an die Untersuchungen im 3. Kapitel jedenfalls in ihren Grundzügen „vorab“ skizzieren.211

II. Gestaltungsspielräume mit Blick auf Gegenstand und Primärzweck von Versorgungsverträgen nach dem SGB V 1. Grundsätzliche Vergaberechtsneutralität der Primärzwecke der Auftragsvergabe Das Vergaberecht lässt das Recht der öffentlichen Auftraggeber, den Gegenstand und den Primärzweck der öffentlichen Auftragsvergabe autonom zu bestimmen, grundsätzlich unberührt. Damit ist nicht nur der einzelne öffentliche Auftraggeber, sondern auch der rahmenregulierende Gesetzgeber grundsätzlich frei, den Gegenstand und den Primärzweck öffentlicher Auftragsverhältnisse autonom nach Maßgabe der auf einzelstaatlicher Ebene definierten politischen Ziele festzulegen.212 Ob der Gesundheitsgesetzgeber den gesetzlichen Krankenkassen bzw. deren Verbänden überhaupt die Möglichkeit eröffnet, auf Grundlage von Versorgungsverträgen in die Gesundheitsmärkte einzutreten, ist ebenso vergaberechtsneutral wie die Entscheidung, in welchen Sektoren und mit welcher Reichweite eine derartige Umstellung erfolgt. Es bestehen zwar Ausschreibungspflichten bei Auftragsvergabe, aber keine Umstellungspflichten auf Auftragsvergabe.213 Aus diesem Grund ist der Gesundheitsgesetzgeber vergaberechtlich frei, einmal erfolgte Entscheidungen zur Umstellung auf Vertragswettbewerb z. B. wegen mangelnder Tauglichkeit oder aufgrund veränderter politischer Prioritäten wieder

210 EuGH, Rs. C-31/87 (Beentjes) Slg. 1988, 4635, Rn. 28; EuGH, Rs. 225/98 (Nord-Pas-de-Calais) Slg. 2000 I-7445, Rn. 50; EuGH, Rs. C-360/89 (Kommission/ Italien), Slg. 1992, 1-3401, Rn. 14; EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus) Slg. 2002, I-7213, Rn. 59 ff.; EuGH, Rs. C-448/01 (Wienstrom) Slg. 2003 I-14527, Rn. 71; EuGH, Rs. C-346/06 (Rüffert) ZESAR 2007, 300. 211 Siehe oben 3. Kapitel, E. 212 Siehe oben 3. Kapitel, E. II. 1. 213 Siehe oben 3. Kapitel, E. II. 1. Vgl. auch Kühling, WiVerw 2008, S. 239 (240 f.).

G. Gestaltungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers

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rückgängig zu machen. Soweit sich der Gesundheitsgesetzgeber zur Einführung von austauschvertraglichen Steuerungsformen entscheidet, steht es diesem wiederum weitergehend frei, den Gegenstand dieser Vertragsverhältnisse (Primärzweck) nach Maßgabe gesundheitspolitischer Ziele zu definieren. Daher ist es vergaberechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber den zulässigen Gegenstand von Versorgungsverträgen auf bestimmte, gesetzlich näher definierte Primärzwecke beschränkt, wie es z. B. bei Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung, über die besondere ambulante Versorgung, über strukturierte Behandlungsprogramme, über die Integrierte Versorgung, aber auch bei Hilfsmittelverträgen und Rabattverträgen durchgängig der Fall ist. Die Beschränkung der zulässigen Zwecke von selektiven Versorgungsverträgen ist als solche binnenmarktneutral, da aus der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit nur insoweit ein Anspruch auf Zugang zur öffentlichen Auftragsvergabe abgeleitet werden kann, wie eine öffentliche Auftragsvergabe überhaupt erfolgt. Jenseits des Systems der Versorgungsverträge wird die praktische Wirksamkeit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit dagegen durch andere sekundärrechtliche Instrumente, wie z. B. die Transparenzrichtlinie, sichergestellt. 2. Grenzen der vergaberechtsneutralen Vertragsgestaltung bei gesetzlicher Regelung von nichtwirtschaftlichen Zuschlagskriterien (vergabefremde Zwecke) Gleichwohl sind die Übergänge zwischen vergaberechtsneutralen Konkretisierungen des Gegenstands eines öffentlichen Auftrags und vergaberechtlich relevanten Eignungs-, Auswahl- und Zuschlagskriterien auch im öffentlichen Gesundheitswesen fließend.214 Folglich muss der Gesundheitsgesetzgeber schon bei der gesetzlichen Festlegung des Gegenstands eines Versorgungsvertrags dafür Sorge tragen, dass sich nicht bereits aus dem gesetzlich definierten Vertragsinhalt marktzugangsbeschränkende Wirkungen für den Binnenmarkt ergeben. Ein typisches Beispiel für eine marktzugangsbeschränkende Ausgestaltung des Gegenstands eines Versorgungsvertrags sind die bereits im vorangegangenen Kapitel angesprochenen gesetzlichen Regelungen der §§ 14 und 15 ApoG über stationäre Arzneimittelversorgungsverträge.215 Hier hatte der Gesetzgeber den zulässigen Vertragsgegenstand für die externe Ausschreibung von Arzneimittelversorgungsverträgen durch Krankenhäuser auf die Arzneimittellieferung mit begleitender Notfallversorgungspflicht beschränkt. Bei dieser gesetzgeberischen Rahmenregelung handelt es sich nicht allein um die Vorgabe eines vergaberechtsneutralen Vertragsgegenstands (Arzneimittellieferung), sondern zugleich auch um die Nor214 Siehe oben 3. Kapitel, E. II. 1.; vgl. auch EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus) Slg. 2002, I-7213, Rn. 59 ff.; vgl. auch EuGH, Rs. C-448/01 (Wienstrom) Slg. 2003 I-14527, Rn. 71. 215 EuGH, Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, 1225.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

mierung eines „vergabefremden“ Zuschlagskriteriums (begleitende Notfallversorgung), das sich nicht an der wirtschaftlich günstigsten Arzneimittelversorgung orientiert, sondern vielmehr den Zuschlag aus gesundheitspolitischen Gründen auf Bieter beschränkt, die zugleich eine Notfallversorgung vor Ort sicherstellen können. Eine derartige Regelung verstößt gegen Art. 28 EG.216 Verallgemeinernd lässt sich daher konstatieren, dass eine vergaberechtsneutrale gesetzliche Definition eines Vertragsgegenstands typischerweise dann vorliegt, wenn der Gesetzgeber zwischen Warenlieferungs- und ortsnahen Dienstleistungsverpflichtungen trennt und sich zugleich auf die bloße Vorgabe von Qualitätskriterien beschränkt. Verbindet der Gesetzgeber, was häufig gesundheitspolitisch sinnvoll ist, Warenlieferungs- mit Dienstleistungspflichten (wie z. B. bei Hilfsmittelverträgen, die neben Warenlieferungs- auch begleitende Dienstleistungsverpflichtungen umfassen), oder verknüpft er Lieferungs- oder Dienstleistungspflichten mit bestimmten gesundheitspolitisch motivierten Anforderungen (wie z. B. die Sicherstellung einer wohnortnahen oder flächendeckenden Versorgung), so liegt im Zweifel keine vergaberechtsneutrale Gegenstandsbeschreibung, sondern bereits eine gesetzliche Normierung von Zuschlagskriterien vor. Dies führt zunächst zu ganz erheblichen Beschränkungen der Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers. Allerdings können derartige, gesundheitspolitisch motivierte Zuschlagskriterien auch im System des Vergaberechts aus zwingenden Erfordernissen gerechtfertigt sein.

III. Gestaltungsspielräume aus den Rechtfertigungsgründen der Grundfreiheiten Die Vergaberichtlinien verpflichten öffentliche Auftraggeber gem. § 53 RL 2004/18/EG grundsätzlich auf den Zuschlag nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip, wobei die Richtlinie dem Auftrageber allerdings bereits Spielräume bei der Bestimmung des gerade auch mit Blick auf die Qualität wirtschaftlichsten Angebots belässt.217 Entsprechend ist ebenfalls der Sozialgesetzgeber im Rahmen des SGB V schon im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsprinzips nicht daran gehindert, bei der Rahmenregulierung von Versorgungsverträgen besondere Qualitätsanforderungen vorzugeben (vgl. z. B. §§ 73a Abs. 1, 73b Abs. 2 Nr. 1, 127 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Zudem regelt § 53 RL 2004/18/EG nach der Rechtsprechung des EuGH die zulässigen Zuschlagskriterien nicht abschließend. Vielmehr können bei der öffentlichen Auftragsvergabe in gewissen Grenzen auch vergabefremde Zwecke berücksichtigt werden. So sieht etwa der 1. Erwägungsgrund der RL 2004/18/EG explizit auch die Berücksichtigung „sozialer“ Ziele vor. Auch der EuGH erkennt in ständiger Rechtsprechung an, dass bei der öffentlichen Auftragsvergabe gleichsam soziale Zusatzkriterien, etwa in Bezug auf die Beschäf216 217

EuGH Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, 1225, Rn. 48. Hierzu: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 36 Rn. 40 ff.

G. Gestaltungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers

383

tigung von Langzeitarbeitslosen durch den öffentlichen Auftraggeber, festgelegt werden können.218 Weitergehend betont der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich, dass bei der Auslegung des sekundären Vergaberechts die auf primärrechtlicher Ebene anerkannten zwingenden Allgemeinwohlerfordernisse zu berücksichtigen sind.219 Schließlich entspricht es bereits heute der Rechtsprechung des EuGH, dass der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Auftragsbeschreibung sämtliche Kriterien auch sozial- und gesundheitspolitischer Natur festschreiben kann, die sich aus dem Zweck des Auftrags selbst notwendig ergeben.220 Dies gilt entsprechend auch für die gesetzliche Rahmenregulierung des Vertragswettbewerbs. Bei der Bestimmung der rechtfertigungsfähigen, vergabefremden Zwecke kommt der Rechtsprechung des EuGH zu den Rechtfertigungsgründen der Grundfreiheiten entscheidende Bedeutung zu.221 Grundsätzlich kommt eine Mitverfolgung „vergabefremder“ Sekundärzwecke im Rahmen der gesetzlichen Regulierung des Vertragswettbewerbs in der GKV immer dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber hiermit zwingende Erfordernisse nichtwirtschaftlicher Art verfolgt, die vom EuGH in seiner Rechtsprechung zur Anwendung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit als Rechtfertigungsgründe für Marktzugangsschranken anerkannt worden sind.222 Hieraus können sich gerade im Vertragswettbewerb in der GKV nicht unerhebliche gesetzgeberische Gestaltungsspielräume für eine sozial- und gesundheitspolitisch motivierte Steuerung ergeben. Belange des Gesundheitsschutzes können gem. Art. 30, 46 EG grundsätzlich Beschränkungen der grenzüberschreitenden Marktzugangsfreiheit sogar dann rechtfertigen, wenn hiermit diskriminierende Marktzugangsbeschränkungen verbunden sind. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH zählen zudem die finanzielle Stabilität der Systeme der sozialen Sicherheit und die Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen, angemessenen, allgemeinzugäng218 EuGH Rs. 31/87 (Beentjes) Slg. 1988, 4635, Rn. 28; EuGH Rs. C-225/98 (NordPas-de-Calais) Slg. 2000 I-7445, Rn. 50; sehr kritisch hierzu Dreher, in: Immenga/ Mestmäcker, GWB § 97 Rn. 126. 219 Zur Berücksichtigung von anerkannten, auch ungeschriebenen zwingenden Allgemeinwohlerfordernissen bei der Auslegung des Vergabesekundärrechts ausdrücklich: EuGH, Rs. C-360/89 (Kommission/Italien) Slg. 1992 I-3401, Rn. 14; übereinstimmend: GA Lenz, Schlussanträge in derselben Rs., S. 3411 f., Rn. 18; zustimmend: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36 Rn. 33. 220 EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus) Slg. 2002, I-7213, Rn. 59 ff.; vgl. auch EuGH Rs. C-448/01 (Wienstrom) Slg. 2003 I-14527, Rn. 71; zustimmend: Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2968 f. 221 Zur Berücksichtigung von anerkannten, auch ungeschriebenen zwingenden Allgemeinwohlerfordernissen bei der Auslegung des Vergabesekundärrechts ausdrücklich: EuGH, Rs. C-360/89 (Kommission/Italien) Slg. 1992 I-3401, Rn. 14; übereinstimmend: GA Lenz, Schlussanträge in derselben Rs. S. 3411 f. Rn. 18; zustimmend: Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 36 Rn. 33. Kritisch: Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 97, Rn. 126. 222 EuGH Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 64 ff.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet) Slg. 2003, I-4509.

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

lichen, flächendeckenden und wirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung zu den zwingenden ungeschriebenen Allgemeinwohlzielen, die bei der Anwendung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit im öffentlich finanzierten Gesundheitswesen zu beachten sind.223 Ebenso wie damit einerseits die funktionalen Ziele des Primärrechts bei der Auslegung der sekundären Vergaberichtlinien zu berücksichtigen sind, muss also andererseits in Zweifelsfällen auch der Rechtsprechung des EuGH zu den zwingenden Erfordernissen bei der Auslegung des Vergabeprimär- und Sekundärrechts im Gesundheitswesen angemessen Rechung getragen werden. So sind z. B. unbefristete Auftragsverhältnisse im Vergaberecht zwar nicht grundsätzlich unzulässig, aber doch bedenklich, da sie zu Marktzugangsbeschränkungen führen können.224 Weitergehend sieht Art. 32 RL 2004/ 18/EG vor, dass Rahmenvereinbarungen grundsätzlich nur auf eine Dauer von maximal vier Jahren ausgeschrieben werden dürfen, soweit kein „Sonderfall“ vorliegt. Andererseits sind im Vergaberecht grundsätzlich auch langfristige Aufträge möglich, wenn eine langfristige Auftragsvergabe nach dem Gegenstand des Auftrags erforderlich ist.225 Im Rahmen seiner Rechtsprechung zur Anwendung der Grundfreiheiten im öffentlich finanzierten Gesundheitswesen hat der EuGH jedoch z. B. entschieden, dass das Allgemeinwohlziel einer langfristigen Krankenhausplanung zum Zweck der Gewährleistung der flächendeckenden stationären Krankenhausversorgung der Bürger in allen Mitgliedstaaten sogar diskriminierende staatliche Regelungen z. B. in Form von besonderen Genehmigungserfordernissen bei stationären Auslandskrankenbehandlungen rechtfertigen kann.226 Unter dem Gesichtspunkt einer primärrechtskonformen Auslegung des Vergaberechts muss daher jedenfalls in Zweifelsfällen auch bei der Auslegung des sekundären Vergaberechts bei Versorgungsverträgen im Krankenhaussektor berücksichtigt werden, dass eine effektive langfristige Krankenhausplanung durch die Anwendung der Vergaberichtlinien nicht ernsthaft gefährdet werden darf.227 Hieraus können sich entsprechend längere Laufzeiten von Krankenhausversorgungsverträgen rechtfertigen lassen.228 Besondere Bedeutung kommt dem anerkannten Allgemeinwohlbelang der Gewährleistung einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Versorgung auch immer dann zu, 223 EuGH Rs. 238/82 (Duphar) Slg. 1984, 523; EuGH Rs. C-158/96 (Kohll) 1998, I-1831, Rn. 17 ff.; EuGH Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 64 ff.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet) Slg. 2003, I-4509. 224 Vgl. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2044. 225 Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, B 5 Rn. 49; Eschenbruch, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 99 Rn. 73, 76, 86; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2047. 226 EuGH Rs. C-157/99 (Smits u. Peerboom) Slg. 2001, I-5473, Rn. 64 ff.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet) Slg. 2003, I-4509. 227 Zu den Auswirkungen: Burgi/Brohm, MedR 2005, S. 74 ff. 228 Vgl. Art. 32 Abs. RL 2004/18/EG.

G. Gestaltungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers

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wenn es um vertragliche Regelungen geht, die auf die Gewährleistung einer wohnortnahen oder flächendeckenden qualitativ hochwertigen Versorgung der Bevölkerung zielen (vgl. § 127 Abs. 1 Satz 2 SGB V bzw. § 73b Abs. 1 und 4 Satz 1 SGB V). Zwar beschränken derartige Regelungen zwangsläufig den Marktzugang im Binnenmarkt, da sie inländische und damit ortsnahe Leistungserbringer bzw. deren Gemeinschaften (vgl. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V für Gemeinschaften von Hausärzten eines Zulassungsbezirks) tendenziell begünstigen. Allerdings können diese Restriktionen auch vergaberechtlich rechtfertigungsfähig sein. Wie weit die Spielräume des Gesetzgebers bei der Rahmenregulierung des Vertragswettbewerbs gehen können, zeigt wiederum die Entscheidung des EuGH zum deutschen ApoG, nach dem die gesetzliche Kopplung von Warenlieferungsund Notfallversorgungspflichten bei Verträgen über die externe Arzneimittelversorgung in Krankenhäusern rechtfertigungsfähig ist, obwohl diese im Ergebnis auf eine fast vollständige Marktabschottung durch eine mittelbar diskriminierende gesetzliche Regelung des deutschen ApoG hinausläuft.229 Dass der Gesetzgeber gerade im Gesundheitswesen nach wie vor über erhebliche Spielräume verfügt, zeigt sich schließlich auch mit Blick auf die Doc-Morris-Entscheidungen des EuGH, nach der eine Beschränkung der Versorgung der Bevölkerung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf Apotheken zulasten des Internethandels ebenso gerechtfertigt ist wie die Beschränkung des Filialvertriebs von Arzneimitteln auf zugelassene Apotheker.230

IV. Eck- und Orientierungspunkte zur Ausgestaltung des Vertragswettbewerbs Gerade im Leistungserbringungsrecht des SGB V bestehen folglich sowohl für den rahmenregulierenden Gesetzgeber als auch für die gesetzlichen Krankenkassen als Auftraggeber durchaus Spielräume für eine an gesundheitspolitischen Zielen orientierte Steuerung. Hinsichtlich der Möglichkeit der Berücksichtigung gesundheitspolitischer Systemziele im Bereich der Vertragssteuerung im öffentlichen Gesundheitswesen sind allerdings – ebenso wie bei der Frage der tatbestandlichen Anwendbarkeit der Vergaberichtlinie – generalisierende Aussagen nicht möglich. Vielmehr muss jeweils maßgeblich auf den Zweck und den Gegenstand des einzelnen Vertrags sowie auf die jeweils berührte Grundfreiheit abgestellt werden.231 Gleichwohl lassen sich im Rahmen einer typisierenden Betrachtung einige allgemeine Eck- und Orientierungspunkte formulieren, die dann 229

EuGH, Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, 1225. EuGH, Rs. C-322/01 (Doc Morris I) Slg. 2003, I14887, Rn. 124; EuGH verb. Rs. C-171/07 u. C-172/07 (Doc Morris II), Rn. 62. 231 Hierzu 5. Kapitel, D. III. 3. (Abgrenzung Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Lichte der Grundfreiheiten); 7. Kapitel, D. V. 3. (Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit durch Rabattverträge). 230

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

im Lichte der noch im Einzelnen zu diskutierenden Typen von Versorgungsverträgen weiter zu präzisieren sind. Hierbei kann einerseits an die mittlerweile vom EuGH entwickelten allgemeinen Grundsätze zur Berücksichtigung „vergabefremder“ Zwecke bei öffentlichen Ausschreibungen angeknüpft werden.232 So können Ziele i. S. d. 1. Erwägungsgrunds der Richtlinien, aber auch andere vom EuGH anerkannte Allgemeinwohlziele als Zuschlagskriterien herangezogen werden, wenn diese Kriterien (1) mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen, (2) im Leistungsverzeichnis ausdrücklich genannt sind, (3) dem Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit eingeräumt wird (Spezifikation) und (4) insbesondere das Diskriminierungsverbot gewahrt bleibt.233 Als eine Art Leitentscheidung kann dabei an das Urteil des EuGH zu Arzneimittelversorgungsverträgen in der stationären Versorgung angeknüpft werden.234 Im Licht dieser Entscheidung verfügt der Gesundheitsgesetzgeber nach wie vor über sehr weite Spielräume, den Gegenstand von Versorgungsverträgen gesetzlich nach Maßgabe gesundheitspolitischer Ziele auszugestalten. Zulässig sind insbesondere gesetzliche Vertragstypen aller Art, die nach der Art ihrer Ausgestaltung auf eine ortsnahe qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung abzielen, wie die bereits genannten Arzneimittelverträge zwischen Krankenhäusern und externen Apotheken, aber auch Verträge über die Integrierte Versorgung, über die hausarztzentrierte Versorgung und die besondere ambulante Versorgung, über die Krankenhausversorgung oder die Versorgung mit Vorsorge und Rehabilitationsleistungen, aber auch weitere Verträge z. B. über die Heil- und Hilfsmittelversorgung, die Versorgung mit Leistungen in der häuslichen Krankenpflege, der Soziotherapie usw. können sowohl vom Gesetzgeber selbst als auch von den Krankenkassen im Rahmen von Ausschreibungen grundsätzlich mit der Auflage einer ortsnahen Niederlassung verknüpft werden, wenn und soweit dies zur Versorgung der Versicherten erforderlich ist.235 Im Lichte des Krankenhausapothekenurteils des EuGH können daher z. B. Ausschreibungen über die Arzneimittelversorgung in der Integrierten Versorgung ebenfalls mit der Auflage verbunden werden, über die Belieferung von Versorgungsnetzwerken mit Arzneimitteln hinaus auch eine ortsnahe Notfallversorgung und Beratung sowohl der übrigen Leistungserbringer als auch der Patienten sicherzustellen.236 Ebenso sind weder der Gesetzgeber bei der Rahmengesetzgebung, noch die Krankenkassen und ihre Verbände bei der Auftragsvergabe verpflichtet, bei Verträgen mit Krankenhäusern oder Rehabilitationseinrichtungen eine überregionale oder grenzüberschreitende Auftragsvergabe vorzusehen, wenn hierdurch entweder die flächen232

Siehe oben, 3. Kapitel, E. II. 2. EuGH, Rs. C-448/01 (Wienstrom) Slg. 2003 I-14527, Rn. 34; hierzu: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 40 Rn. 77 ff. 234 EuGH, Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, S. 1225. 235 EuGH, Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, 1225, Rn. 50 ff. 236 EuGH, Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, 1225, Rn. 56. 233

H. Erfordernis einer „Sektorenrichtlinie‘‘ für das Gesundheitswesen

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deckende Versorgung in einzelnen Regionen im Inland gefährdet wäre oder wenn den Versicherten hierdurch unzumutbar weite Reisewege zu einer zugelassenen Versorgungseinrichtung entstehen würden. Andererseits darf die Teilnahme an der vertraglichen Versorgung weder ex ante von einer bereits erfolgten ortsnahen Niederlassung abhängig gemacht werden, da hierdurch von vornherein eine Marktabschottung erfolgen würde. Vielmehr muss die Bereitschaft des Bieters zur Errichtung einer Niederlassung nach erfolgter Zuschlagsentscheidung genügen.237 Ebenso sind alle Arten von Wohnsitzerfordernissen im Inland unzulässig.238 Schließlich kann eine ortsnahe Niederlassung dann nicht vertraglich vereinbart werden, wenn diese zur Gewährleistung von Versorgungszielen nicht erforderlich ist, wie insbesondere bei bestimmten Warenlieferungen. Daher sind insbesondere Rabattverträge über Arzneimittel unionsweit auszuschreiben, soweit die übrigen Anwendungsvoraussetzungen der RL 2004/18/EG vorliegen.239

H. Zum Erfordernis einer „Sektorenrichtlinie“ für das öffentliche Gesundheitswesen Die vorangegangenen Überlegungen zu den gesundheitspolitischen Gestaltungsspielräumen des einzelstaatlichen Gesundheitsgesetzgebers verdeutlichen nochmals die Folgen, die sich aus der Umstellung des Leistungserbringungsrechts auf Vertragswettbewerb bei gleichzeitiger Anwendung des Vergaberechts ergeben. Einerseits zeigt sich, dass das europäische Vergaberecht einer sozialund gesundheitspolitisch motivierten Steuerung des Vertragswettbewerbs im SGB V nicht grundsätzlich entgegenstehen muss. Vielmehr verfügt der staatliche Gesetzgeber nach wie vor über nicht unerhebliche Spielräume. Die Anwendung des Vergaberechts stellt damit das gerade auch unionsrechtlich anerkannte Ziel der Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen, flächendeckenden und wirtschaftlichen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung nicht in Frage, sondern entfaltet seine Wirkungen im Gesundheitswesen grundsätzlich relativ zu diesem Ziel. Zwischen den funktionalen Binnenmarktzielen und den genannten Allgemeinwohlerfordernissen muss im Vergaberecht auch durchaus kein Widerspruch bestehen. Vielmehr kann gerade eine transparente öffentliche Ausschreibung im Wettbewerb nicht nur zur Förderung der funktionalen Binnenmarktziele, sondern auch zur Förderung der Ziele der Gewährleistung einer wirtschaftlichen und qualitativ hochwertigen Versorgung beitragen.240 Daher ist auch bei der Konkretisie237 Vgl. EuGH, Rs. C-153/03 (Kommission/Spanien), noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht. 238 Ständige Rechtsprechung, vgl. EuGH, Rs. 107/83 (Klopp) Slg. 1984, 2971. 239 Byok/Caski, NZS 2008, S. 402 ff.; Knispel, Soziale Sicherheit 2008, S. 110 ff. Hierzu im Einzelnen unten 7. Kapitel, D. V. 240 Auch der EuGH geht regelmäßig davon aus, dass die grenzüberschreitende Marktöffnung – jedenfalls in der ambulanten Versorgung der Gewährleistung einer

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5. Kap.: Das Gesundheitsvergaberecht

rung des vergaberechtlichen Rahmens der Leistungserbringung im öffentlichen Gesundheitswesen grundsätzlich von der Möglichkeit einer harmonisierenden Zielverwirklichung auszugehen.241 Das Unionsrecht zielt grundsätzlich auf die Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen, angemessenen und flächendeckenden Gesundheitsversorgung durch grenzüberschreitende Marktöffnung im europäischen Binnenmarkt.242 Nur wenn eine harmonisierende Zielverwirklichung ausnahmsweise nicht möglich sein sollte, können im Lichte der Rechtsprechung des EuGH ggf. Restriktionen in Betracht kommen.243 Andererseits geht mit der Einbeziehung des Vertragswettbewerbs in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie ein signifikanter Harmonisierungsschub im Kernbereich der sozialrechtlichen Steuerung der Leistungserbringung einher, der weit über das bisher z. B. aus der Transparenzrichtlinie bekannte Maß hinausgeht. Im Ergebnis führt die Anwendung der Vergaberichtlinie dazu, dass letztlich alle Maßnahmen der sozialgesetzlichen Ausgestaltung des Vertragswettbewerbs in der GKV, soweit diese von den Vorgaben der RL 2004/18/EG abweichen, zwar nicht notwendig unzulässig, aber doch stets besonders rechtfertigungsbedürftig sind. Der Gesundheitsgesetzgeber muss immer dann, wenn er den Vertragswettbewerb in der GKV abweichend ausgestalten will, den Nachweis erbringen, dass diese Abweichungen aus zwingenden, vom EuGH anerkannten Allgemeinwohlgründen erforderlich sind und nicht über das erforderliche Maß hinausgehen. Schließlich bleibt der Befund, dass das EU-Vergaberecht, auch wenn es auf den Vertragswettbewerb in der GKV anwendbar ist, doch erkennbar nicht auf derartige Formen der sektoralen Vertragssteuerung zugeschnitten ist. Die daraus resultierenden Folgeprobleme schlagen sich bereits auf der tatbestandlichen Ebene der Vertragstypen des Vergaberechts nieder. Sie setzen sich über die für das Gesundheitswesen z. T. wenig geeigneten Eignungs-, Spezifikations- und Zuschlagskriterien der allgemeinen Vergaberichtlinie fort, die erkennbar durch die Auseinandersetzung mit anderen Formen der Auftragsvergabe, insbesondere Bauaufträgen, geprägt sind. Sie finden ihren Abschluss in der Frage der verbleibenden, gesundheitspolitischen Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten, die derzeit nur unter Rückgriff auf das Primärrecht und die Rechtsprechung des EuGH geklärt werden können. Mittelfristig dürfte sich daher die Verabschiedung einer „Gesundheitssektorenricht-

hochwertigen Gesundheitsversorgung – nicht entgegensteht: Vgl. EuGH, Rs. C-158/96, (Kohll) Slg. 1998, I-1931, Rn. 17 ff.; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831, Rn. 21 ff. 241 Zu diesem Grundsatz: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 3 Rn. 65 ff. 242 Vgl. hierzu auch: Kommission: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rats über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, KOM (2008) 414 endgültig, 2008/0142 (COD), S. 1 ff., 10 ff. Hierzu oben 4. Kapitel, C. IV. 4. d). 243 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 3 Rn. 65 ff.

H. Erfordernis einer „Sektorenrichtlinie‘‘ für das Gesundheitswesen

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linie“ durch den Binnenmarktgesetzgeber nach dem Muster der Sektorenrichtlinie für die Netzwirtschaften als erforderlich erweisen. Diese müsste einerseits die atypischen Strukturen der Vertragssteuerung im Gesundheitswesen auf der Ebene der Vertragstypen aufgreifen, anderseits gesundheitssystembezogene Eignungs-, Spezifikations- und Zuschlagskriterien enthalten und schließlich Handlungskorridore für die gesundheitspolitische Rahmenordnung des Vertragswettbewerbs durch die Mitgliedstaaten enthalten. Bis dahin wird das Gesundheitsvergaberecht schon wegen der Entwicklungsdynamik des staatlichen Gesundheitsrechts und der damit beständig neu entstehenden vergaberechtlichen Fragestellungen durch eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit gekennzeichnet sein. Andererseits ergibt sich hierdurch auch für die Zukunft ein weites Feld rechtswissenschaftlicher Betätigung.

6. Kapitel

Der persönliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie A. Die gesetzlichen Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber Die gesetzlichen Krankenkassen sind einerseits nach wie vor in die mittelbare Staatsverwaltung eingegliedert, andererseits aber weitgehend wirtschaftlichen Unternehmen angenähert worden. Dies erschwert ihre rechtssichere Verortung nicht nur im Wettbewerbsrecht, sondern auch im persönlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts.1 Ausgangspunkt der Konkretisierung des persönlichen Anwendungsbereichs der RL 2004/18/EG und 2004/17/EG ist der Begriff des „öffentlichen Auftraggebers“.

I. Der funktionale Auftraggeberbegriff als Ausgangspunkt Das Vergaberecht unterscheidet den institutionellen und funktionellen Auftraggeberbegriff. Für die gesetzlichen Krankenversicherungsträger als Einrichtungen der funktionalen Verwaltung scheidet der institutionelle Auftraggeberbegriff aus, sodass allein der funktionale Auftraggeberbegriff in Betracht kommt. Der funktionelle Auftragsgeberbegriff wird ausgehend vom Begriff der „öffentlichen Einrichtung“ durch Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG konkretisiert: Als öffentliche Einrichtung und damit als öffentlicher Auftraggeber gilt demnach jede Einrichtung, die (1) zur Erfüllung eines besonderen, im Allgemeininteresse liegenden Zwecks gegründet wurde, (2) eigene Rechtspersönlichkeit besitzt und (3) alternativ überwiegend entweder vom Staat, von Gebietskörperschaften oder anderen öffentlichen Einrichtungen finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Leistungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgane überwiegend mit Mitgliedern besetzt ist, die von letztgenannten Einrichtungen ernannt werden. Bei der Konkretisierung des funktionalen Auftraggeberbegriffs kann ergänzend auch auf den Anhang III der RL 2004/18/EG zurückgegriffen werden.2 Die Aufnahme in 1

Vgl. T. Schmidt, GKV-WSG: GesR 2007, S. 295 ff. Vgl. Boesen, Vergaberecht, § 98 GWB, Rn. 31; ähnlich auch Byok/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 (54); VK Bund, Beschluss v. 05.09.2001, Az. VK 1 23/01. 2

A. Die gesetzlichen Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber

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die Liste hat allerdings lediglich Indizwirkung in Bezug auf das Vorliegen einer Auftraggebereigenschaft.3 Damit macht die Aufnahme der gesetzlichen Krankenkassen in den Anhang III der Richtlinie eine Einzelfallprüfung der funktionalen Auftraggebereigenschaft unter Berücksichtigung ihrer Allgemeinwohlbindung, Organisation und Finanzierung nicht entbehrlich.4

II. Die Organisation, Finanzierung und staatliche Kontrolle der gesetzlichen Krankenversicherungsträger im Überblick Die gesetzlichen Krankenkassen sind Körperschaften öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung.5 Ihre Aufgabe liegt gem. § 1 SGB V allgemein darin, die Gesundheit der gesetzlich Versicherten zu fördern, wiederherzustellen oder zu verbessern.6 Nach §§ 2 Abs. 1, 11 ff. SGB V erbringen die gesetzlichen Krankenkassen zu diesem Zweck die im dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots. Die Finanzierung der Leistungen erfolgt gem. §§ 3, §§ 220 ff. SGB V„solidarisch“, d. h. durch einkommensabhängige Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei grundsätzlich einheitlichen Leistungsstandards und beitragsfreier Mitversicherung von Familienangehörigen. 7 Die Krankenkassen erfüllen ihre Leistungsverpflichtung allerdings nicht unmittelbar selbst, sondern im Zusammenwirken mit ärztlichen und nichtärztlichen Leistungserbringern nach Maßgabe der §§ 69 ff. SGB V.8 Das Leistungserbringungs3 Dreher, DB 1998, S. 2579 (2583); Pietzker, ZHR 1998, S. 427 (444); Wollenschläger, NZBau 2004, S. 655, (656); Eschenbruch, in: Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz, § 98 GWB, Rn. 69; Marx, in: Motzke/Pietzker/Prieß (Hrsg.), VOB-Kommentar, § 98 GWB Rn. 8; VK Bund, Beschluss v. 05.09.2001, Az. VK 1 23/01; VK Lüneburg, Beschluss v. 21.09.2004, Az. 203 VgK 42/2004; BayObLG, Beschluss v. 24.05.2004, Az. Verg 6/04, NZBau 2004, S. 623; für nur ausnahmsweise widerlegliche Vermutung dagegen Boesen, Vergaberecht, § 98 GWB, Rn. 31; ähnlich auch Byok/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 (54). 4 Siehe EuGH, Rs. C-373/00 (Truley) Slg. 2003, I-1931, 1987, Rn. 37, 1989, Rn. 44 ff.; Rs. C-283/00 (Kommission/Spanien) Slg. 2003, I-11697, Rn. 77; BayObLG, NZBau 2004, 623. 5 Zur Organisationsstruktur der gesetzlichen Krankenversicherung: Schnapp, Organisationsrecht, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1179 ff. 6 Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, S.194 f. 7 Zum Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung eingehend: Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 244 ff.; vgl. auch Brunckhorst, Solidarität unter Fremden, 1997; Volkmann, Solidarität – Programm und Prinzip der Verfassung, 1997, S. 5 ff.; Isensee, Solidarität – sozialethische Substanz eines Blankettbegriffs, in: ders. (Hrsg.), Solidarität in Knappheit, 1998, S. 97 ff.; ders., Soziale Sicherheit im europäischen Markt, VSSR 1996, S. 169 ff.; Depenheuer, Solidarität im Verfassungsstaat, 1992; ders., Nicht alle Menschen werden Brüder, in: Isensee (Hrsg.), Solidarität in Knappheit, 1998, S. 41 (54 ff.); zum Verhältnis von Versicherungs- und Solidarprinzip in der Sozialversicherung eingehend: Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, 2000, S. 149 ff., 254 ff., 394 ff. 8 Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl., 2007, S. 203 ff.

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6. Kap.: Der persönliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie

recht bildet einerseits den Rechtsrahmen, über den die Erstattungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber den Leistungserbringern konkretisiert und dann auch die Erstattung selbst abgewickelt wird.9 Darüber hinaus übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen und ihre Verbände entweder allein oder zusammen mit den Verbänden der Leistungserbringer im Leistungserbringungsrecht zahlreiche Steuerungsfunktionen im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung.10 Bei der Durchführung ihrer Aufgaben unterliegen die gesetzlichen Krankenkassen auf der Landes- und Bundesebene nicht der Fachaufsicht, sondern einer, allerdings sehr engmaschigen, Rechtsaufsicht nach Maßgabe der §§ 87 ff. SGB IV, §§ 208, 214 SGB V.11 Auf Basis dieser Grundstruktur des SGB V ist die öffentliche Auftraggebereigenschaft der gesetzlichen Krankenkassen ausgehend vom funktionalen Auftraggeberbegriff zu klären.

III. Die Übernahme von Allgemeinwohlaufgaben durch die gesetzlichen Krankenkassenträger Voraussetzung für die Anwendung des funktionalen Auftraggeberbegriffs ist gem. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 3 RL 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 RL 2004/17/EG zunächst die Übertragung einer besonderen Allgemeinwohlaufgabe nichtgewerblicher Art. Bei den Aufgaben öffentlicher Auftraggeber handelt es sich um Tätigkeiten, die „eng mit der öffentlichen Ordnung und dem institutionellen Funktionieren des Staates verknüpft sind“ 12 bzw. einem „gesamtgesellschaftlichen Interesse“ dienen.13 Die besondere Allgemeinwohlbindung der gesetzlichen Krankenkassen i. S. d. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 3 RL 2004/ 18/EG und Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 RL 2004/17/EG liegt auf der Hand, da die gesetzlichen Krankenkassenträger nach Maßgabe der §§ 1, 2, 11 ff., 69 ff. SGB V besondere Aufgaben bei der Gewährleistung der Gesundheitsversorgung der gesetzlich Versicherten übernehmen.14 Fraglich könnte indes sein, ob es sich bei den Tätigkeiten der gesetzlichen Krankenkassen um Tätigkeiten „nichtge9

Vgl. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 128 ff., 343 ff. Vgl. Pitschas, Nationale Gesundheitsreform und europäische „Governance“ in der Gesundheitspolitik, VSSR 2002, S. 75 ff. 11 Zur funktionalen Fachaufsicht im Rahmen der formalen Rechtsaufsicht in der gesetzlichen Krankenversicherung: Schnapp, Aufsicht und Finanzprüfung, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1289 (1292 ff.); siehe auch: Salzwedel, Die Selbstverwaltung der Sozialversicherung, in: Schriftenreihe des Deutschen Sozialgerichtsverbands, Bd. I, 1966, S. 50 (53 ff.). 12 EuGH Rs. C-470/99 (Universale Bau) Slg. 2002, I-1617, Rn. 63. 13 Boesen, Vergaberecht, § 98 Rn. 44; Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2596; Ziekow, NZBau, 2004, S. 181 ff. 14 Vgl. BayObLG, NVwZ 2005, 117; Boyk/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 (54); Wollenschläger, NZBau 2004, S. 655 (656 f.); Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, S. 89 (95); Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Ver10

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werblicher Art“ handelt. Eine nichtgewerbliche Tätigkeit liegt dann vor, wenn eine Einrichtung nicht ausschließlich nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt wird, sondern auch unter Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher, politischer oder sozialer Belange handelt.15 Allein die Übernahme einer Allgemeinwohlaufgabe schließt die Gewerblichkeit einer Einrichtung allerdings noch nicht aus, da auch gewerbliche Unternehmen Allgemeinwohlaufgaben erfüllen können.16 Dem Erfordernis der Nichtgewerblichkeit liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Anwendung der besonderen Vorschriften des Vergaberechts nicht erforderlich ist, wenn eine Einrichtung dem allgemeinem Wettbewerbsdruck unterliegt und damit schon durch den Markt zu einer Auftragsvergabe im Wettbewerb gezwungen ist. Mithin fallen z. B. staatliche Unternehmen dann nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts, wenn diese Leistungen ebenso wie private Unternehmen unter allgemeinen Markt- und Wettbewerbsbedingungen erbringen.17

IV. Gewerbliche oder nichtgewerbliche Tätigkeiten der gesetzlichen Krankenkassenträger Der Begriff der „Gewerblichkeit“ i. S. d. RL 2004/81/EG muss unionsrechtsautonom bestimmt werden. Ein Rückgriff auf die Begrifflichkeiten des staatlichen Gewerberechts scheidet damit aus.18 Erforderlich ist vielmehr eine teleologisch-funktionale Auslegung im Lichte der Ziele der Vergaberichtlinien.19 1. Die gesetzlichen Krankenkassen im Wettbewerb Aus funktionaler Sicht könnte gegen eine nichtgewerbliche Tätigkeit der gesetzlichen Krankenkassen sprechen, dass die gesetzlichen Krankenversicherungsträger Krankenversicherungsleistungen erbringen, die grundsätzlich auch von privaten Unternehmen unter Wettbewerbsbedingungen erbracht werden können und auch erbracht werden.20 Zudem stehen die gesetzlichen Krankenkassen sowohl fassungsverbund, 2003, S. 167 ff.; Schmidt-Aßmann, Verfassungsfragen der Gesundheitsreform, NJW 2004, S. 1689 ff. 15 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2601. 16 EuGH, Rs. C-360/96 (BFI Holding) Slg. 1998, I-6821, Rn. 31 ff. 17 Siehe hierzu EuGH Rs. 283/00 (Kommission/Spanien) Slg. 2003, I-11697, Rn. 81 ff.; Rs. C-360/96 (BFI Holding) Slg. 1998, I-6821, Rn. 44, 49 ff. 18 Boesen, Vergaberecht, § 98 Rn. 51 und 54. 19 EuGH Rs. C-360/96 (BFI Holding) Slg. 1998, I-6821, 6865, Rn. 48 f.; EuGH Rs. C-373/00 (Truley) Slg. 2003, I-1931, Rn. 60. 20 Vgl. Mühlenbruch/T. Schmidt, ZIAS 2004, S. 171 ff.; Kontusch, Wettbewerbsrelevantes Verhalten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des deutschen und europäischen Wettbewerbs-, Kartell- und Verfassungsrechts, Berlin 2004.

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untereinander in einem „solidarischen Wettbewerb“ um gesetzlich Versicherte21 als auch in einem „systemübergreifenden“ Wettbewerb mit den privaten Krankenversicherungsunternehmen auf dem Markt für freiwillig Versicherte (vgl. § 9 SGB V).22 Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen zwar in einem Wettbewerb stehen, dies jedoch an der solidarischen, d. h. einkommensabhängigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen nichts ändert. Da die gesetzlichen Krankenkassen untereinander auch noch über einen Risikostrukturausgleich verbunden sind, besteht zwar innerhalb des Gesamtsystems der gesetzlichen Krankenversicherung ein Wettbewerb der einzelnen Träger. Gleichwohl konstituiert die gesetzliche Krankenversicherung in ihrer Gesamtheit nach wie vor eine Solidargemeinschaft, die Grundsätzen folgt, die von der privaten Versicherungswirtschaft (derzeit noch) grundsätzlich abweichen.23 2. Unbeachtlichkeit der Eröffnung von – begrenzten – Wettbewerbsspielräumen der gesetzlichen Krankenkassen In der jüngeren vergaberechtlichen Diskussion ist zudem immer deutlicher geworden, dass das formale Kriterium des Wettbewerbsdrucks allein nicht (mehr) ausreicht, um die Frage nach der Gewerblichkeit einer Tätigkeit rechtssicher zu beantworten. So kann die Gewerblichkeit der Tätigkeiten der gesetzlichen Krankenkassen nicht schon allein daraus folgen, dass Krankenversicherungsdienstleistungen auch von privaten Krankenversicherungen unter Wettbewerbsbedingungen erbracht werden können. Denn grundsätzlich sind kaum Tätigkeiten öffentlicher Einrichtungen denkbar, die nicht auch von Privaten erbracht werden können.24 Dann aber bliebe für die Anwendung des Vergaberechts kaum noch Raum.25 Ebenso wenig können die partielle Eröffnung eines Wettbewerbs zwi21 Hierzu: Mühlhausen, Der Mitgliederwettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, 2002. 22 M. Fuchs, Wettbewerb zwischen privaten und öffentlichen Krankenversicherungen, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsrechtsordnung, 2000, S. 39 ff.; zur aktuellen Entwicklung: T. Schmidt, GesR 2007/7, S. 295 ff. 23 So auch Boyk/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 (54); Wollenschläger, NZBau 2004, S. 655 (657); zweifelnd: Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, S. 89 (96); vgl. auch Schulin, Selbstverwaltung, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 187 ff., 190; Ramsauer, NZS 2006, S. 505 ff.; Knappe/Weissberger, Sozialer Fortschritt 2003, S. 102 ff.; Stillfried, Neudefinition der Solidarität als Reformperspektive? Welche Antworten bietet der Gesundheitssystemvergleich?, RPG 1998, S. 103 ff.; Ruckdäschel, RPG 2003, S. 105 ff.; siehe aber auch zur Relativierung des Solidarprinzips: T. Schmidt, GesR 2007, S. 295 ff. 24 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2606. 25 EuGH, Rs. C-360/96 (BFI Holding) Slg. 1998, I-6821, Rn. 38 ff., Rn. 44; Ziekow, NZBau, 2004, S. 181 (182 f.). Daher kann der weit gefasste Begriff „wirtschaftlicher Tätigkeiten“ i. S. d. funktionellen Unternehmensbegriff des EG-Wettbewerbsrechts auch

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schen gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen um freiwillig Versicherte und die Möglichkeit der Krankenkassen zum Angebot von freiwilligen Wahltarifen nach dem Muster von Privatversicherungen (vgl. § 53 SGB V) allein noch nicht zur Unanwendbarkeit des Vergaberechts führen, da es den Mitgliedstaaten sonst weitgehend freistünde, bereits durch eine vergleichsweise eng begrenzte Marktöffnung eine Anwendung des Vergaberechts auszuschließen.26 Vielmehr muss das Vergaberecht mit Blick auf den Schutzzweck der Norm bei gemischtwirtschaftlichen Tätigkeiten selbst dann anwendbar bleiben, wenn die gewerblichen Tätigkeiten einer Einrichtung überwiegen.27 Erst wenn ein öffentliches Unternehmen – wie z. B. die Deutsche Telekom – über längere Zeit einem entwickelten Wettbewerb ausgesetzt ist, kann von einer gewerblichen Tätigkeit ausgegangen werden und damit eine Ausgliederung dieses Sektors aus dem Vergaberecht erfolgen.28 3. Die Grenzen des Wettbewerbskriteriums als Abgrenzungskriterium in besonders regulierten Sektoren und die Maßgeblichkeit des wirtschaftlichen Verlustrisikos a) Die Verzahnung von öffentlichem und privatem Sektor und die Instrumentalisierung des Wettbewerbs zu Steuerungszwecken Die Grenzen des Wettbewerbskriteriums sind nicht zuletzt Folge der Reorganisation des öffentlichen Sektors aufgrund der Privatisierung in den Universaldienstleistungssektoren und der gleichzeitigen Umstellung des staatlichen Verwaltungsrechts auf neue Steuerungsformen. So hat sich gezeigt, dass auch nach der Aufgabenprivatisierung und Marktöffnung z. B. im Telekommunikationssektor nach wie vor eine relativ engmaschige hoheitliche Regulierung erfolgen muss, um überhaupt Wettbewerbsmärkte auf Dauer zu stellen.29 Umgekehrt nicht auf den Begriff der „Gewerblichkeit“ i. S. d. Vergaberechts übertragen werden. Vgl. zur Definition im Wettbewerbsrecht: EuGH Rs. C-41/90 (Höfner u. Elser) Slg. 1991, I-1979, Rn. 21 ff. 26 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2610 f. 27 EuGH, Rs. 44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria) Slg. I 1998, I-73, Rn. 31 ff. 28 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2607. Anders ist die Lage dagegen aufgrund von Sonderrechten und Sonderbindungen nach wie vor z. B. bei der Deutschen Post AG. Hierzu Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, B 4 Rn. 114. 29 Vgl. Hoffmann-Riem, Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen – Systematisierung und Entwicklungsperspektiven, in: ders./SchmidtAßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261 (263 ff.); Schuppert, DÖV 1998, S. 831 ff.; ders., Zur notwendigen Neubestimmung der Staatsaufsicht im verantwortungsteilenden Verwaltungsstaat, in: ders. (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und schlankem Staat, 1999, S. 299 ff.; Trute, DVBl. 1996, S. 950 ff.; ders., Verantwortungsteilungen als Schlüsselbegriff eines sich

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greift der Staat auch in nicht privatisierten Sektoren, wie im Gesundheitswesen, aber auch im Hochschul- und Forschungssektor immer häufiger auf den Wettbewerb als Steuerungsinstrument zurück.30 Damit kommt es einerseits zu einer immer engeren Verzahnung von staatlicher Steuerung und Wettbewerb. Auf der anderen Seite nimmt der Differenzierungsgehalt des Wettbewerbskriteriums bei der vergaberechtlichen Trennung von gewerblichem und nichtgewerblichem Handeln zwangsläufig ab. b) Die Maßgeblichkeit des wirtschaftlichen Verlustrisikos, insbesondere des Insolvenzrisikos für die Abgrenzung von öffentlichem und privatem Sektor Die entscheidende Herausforderung in besonders regulierten Sektoren liegt damit darin, zwischen dem Wettbewerb als Steuerungsinstrument zur Verwirklichung anderer Gemeinwohlziele und dem Wettbewerb als marktwirtschaftlichem Selbststeuerungsinstrument zu differenzieren. Mittlerweile verdichtet sich hierbei in Rechtsprechung und Lehre ein Grundkonsens, dass nicht die formale Intensität des Wettbewerbs, der auch künstlich von staatlicher Seite geschaffen werden kann, sondern vielmehr allein das Bestehen oder Fehlen des wirtschaftlichen Verlustrisikos und hier vor allem das Insolvenzrisiko für die Differenzierung zwischen gewerblichen und nichtgewerblichen Tätigkeiten maßgeblich ist.31 Denn immer dann, wenn die Einrichtung ihren wirtschaftlichen Verlust und namentlich das Insolvenzrisiko letztlich nicht selbst tragen muss, besteht kein vollständiger Wettbewerbsdruck. Öffentliche Einrichtungen sind daher dann nichtgewerblicher Art, wenn der Staat oder eine Gebietskörperschaft oder eine andere öffentliche Einrichtung das Verlustrisiko ganz oder in wesentlichen Teilen übernimmt. Dabei soll es nach der Rechtsprechung des EuGH sogar ausreichen, wenn der Staat als einziger Anteilseigner voraussichtlich alle Maßnahmen ergreifen wird, um einen Konkurs der Einrichtung zu vermeiden.32 Bei einer derartigen Prognoseentscheidung bleibt zwar oft unklar, wann ein eigenes Verlustrisiko vorliegt, da ein Verlustrisiko auch ohne ausdrückliche Übernahme faktisch von der öffentlichen Hand übernommen werden kann. Andererseits dürfte nur bei einer derart weiten Fassung des Begriffs der Gewerblichkeit einer Umgehung des Vergaberechts verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, in: G. F. Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und schlankem Staat, 1999, S. 13 ff.; Schoch, DVBl. 1994, S. 962 ff. 30 Vgl. Cassel, Wettbewerb in der Gesundheitsversorgung: Funktionsbedingungen, Wirkweise und Gestaltungsbedarf, in: Arnold/Klauber/Schellschmidt (Hrsg.), Krankenhaus-Report, 2002, S. 3 ff.; Bruckenberger/Klaue/Schwintowski, Krankenhausmärkte zwischen Regulierung und Wettbewerb, 2006, S. 109, 203 ff. 31 EuGH Rs. 283/00 (Kommission/Spanien) Slg. 2003 I-11697, Rn. 91 ff.; Prieß, Vergaberecht, 3. Aufl. 2005, S. 157; Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfeund Vergaberecht, 2007, Rn. 2604. 32 EuGH Rs. 283/00 (Kommission/Spanien) Slg. 2003 I-11697, Rn. 91 ff.

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effektiv entgegengewirkt werden können. Demzufolge ist der Rechtsprechung des EuGH im Ergebnis zuzustimmen.33 Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Sektor sind damit im Vergaberecht im Wesentlichen mit den Grenzen von privatwirtschaftlichem Konkurs und (faktischer) staatlicher Gewährleistungsträgerschaft gleichzusetzen.34 4. Die Insolvenzfähigkeit der gesetzlichen Krankenkassen aus vergaberechtlicher Sicht a) Der Übergang zur Insolvenzfähigkeit der gesetzlichen Krankenkassen gem. § 171b SGB V Hinsichtlich des wirtschaftlichen Verlustrisikos der gesetzlichen Krankenkassen kann zwischen der Rechtslage bis zum 31.12.2009 und der Rechtslage seit dem 01.01.2010 unterschieden werden. Bis zum 31.12.2009 stellte sich die Rechtslage in Bezug auf das Kriterium des wirtschaftlichen Verlustrisikos relativ einfach dar, da die gesetzlichen Krankenkassen noch nicht insolvenzfähig waren.35 Vielmehr erfolgte deren Liquidation im Wege der Schließung durch die Aufsichtsbehörde, wenn ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr gewährleistet ist (vgl. §§ 146a, 153, 170 SGB V).36 Die Haftung für Gläubigerforderungen geht im Wege der Garantiehaftung der übrigen Kassen der jeweiligen Kassenart nach Maßgabe von § 155 SGB V vonstatten.37 Mangels Insolvenzfähigkeit konnte daher bis zum 31.12.2009 noch von einer nichtgewerblichen Tätigkeit der gesetzlichen Krankenkassen ausgegangen werden. Allerdings strebte der Gesetzgeber bereit seit Längerem den Übergang zur Insolvenzfähigkeit der Krankenkassen an, die ursprünglich schon mit dem GKV-WSG 2007 eingeführt werden sollte.38 Indessen wurden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken geäußert, ob die derzeitige Insolvenzordnung hinreichend Gewähr dafür bietet, dass die Verpflichtungen des Staates aus dem Sozialstaatsprinzip und aus der staatlichen Schutzpflicht für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung auch im Insolvenzfall sichergestellt werden.39 Zur Wahrung der staatlichen Gewährleistungsverantwortung, ins33 So auch Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2605. 34 Instruktiv die Analyse der Konsequenzen dieser Rechtsprechung für den Bankensektor nach der Finanzkrise: Höfler/Braun, Private Banken als öffentliche Auftraggeber – Vergaberechtliche Implikationen des staatlichen Rettungspakets, NZBau 2009, S. 5 ff. 35 Vgl. Schmahl, NZS 2003, S. 239 ff. 36 Hierzu: Groß, NZS 2008, S. 238 ff.; Schnapp, NZS 2002, S. 449 ff. 37 Vgl. Hänlein, in: Kruse/Hänlein, SGB V § 155 Rn. 10 ff. 38 Hierzu: N. Schmidt, ZInsO 2006, S. 1244 ff.; Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 295 f. 39 Scholz/Buchner, KrV 2007, S. 77 ff.; zur Parallelproblematik bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vgl. BVerfGE 89, S. 144 ff.

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besondere für die Versorgungsverpflichtungen der Kassen, beschränkte sich der Gesetzgeber in § 171b SGB V (2007) zunächst auf eine Übergangsregelung für eine spätere Einführung der Insolvenzfähigkeit der Krankenkassen.40 Mit dem GKV-OrgWG hat der Gesetzgeber die Insolvenzfähigkeit der Krankenkassen durch die modifizierte Anwendung der Insolvenzordnung nach Maßgabe der §§ 171b ff. SGB V n. F. schließlich zum 01.01.2010 endgültig eingeführt.41 Die Anwendung des Insolvenzverfahrens auf gesetzliche Krankenkassenträger hat zur Folge, dass die Ansprüche der Insolvenzgläubiger nur noch in Höhe der Insolvenzquote befriedigt werden. Diese Folge hält der Gesetzgeber im Hinblick auf wichtige Gläubigergruppen (Inhaber von Versorgungsansprüchen, Leistungserbringer und gesetzlich Versicherte) für nicht hinnehmbar und sieht deswegen eine Ausfallhaftung im Kassensystem nach Maßgabe von § 171d und e SGB V vor.42 Für bis zum 31.12.2009 entstandene Versorgungsverpflichtungen der Krankenkasse haftet gem. § 171d Abs. 1 SGB V der Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Für später entstehende Versorgungsansprüche ist von den Krankenkassen nach Maßgabe von § 171f SGB V ein Deckungsfonds zu errichten, zu dem vom 01.01.2010 bis 31.12.2049 jährliche Zuführungen vonseiten der Krankenkassen zu leisten sind. Für sonstige Verpflichtungen i. S. d. § 155 Abs. 5 Nr. 3– 5 SGB V, wie insbesondere Ansprüche der Versicherten und der Leistungserbringer, haften weiterhin die übrigen Kassen der jeweiligen Kassenart (§ 171d Abs. 5 SGB V). Mit der durch das GKV-OrgWG vollzogenen modifizierten Einführung der Insolvenzfähigkeit der Kassen stellt sich die Frage nach deren vergaberechtlichen Folgen. b) Die partielle Deckung des Insolvenzrisikos innerhalb des solidarisch finanzierten Kassensystems und ihre vergaberechtlichen Folgen Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Insolvenzfähigkeit der Kassen einzuführen, steht im Kontext der allgemeinen Tendenz, die Krankenkassen immer stärker dem privaten Unternehmensmodell anzunähern.43 Diese Reformansätze können jedoch zugleich als Reaktion auf unionsrechtliche Vorgaben verstanden werden. Zwar hat der EuGH die Unternehmenseigenschaft der deutschen gesetzlichen Krankenkassen verneint, soweit sie hoheitliche Aufgaben im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung44 und bei der kooperativen Regulierung der Leis40

Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 295 f. Vgl. Hänlein, in: Kruse/Hänlein, SGB V § 171b n. F. Rn. 2f. 42 Vgl. Hänlein, in: Kruse/Hänlein, SGB V § 171d Rn. 1. 43 Hierzu schon: A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2000, S. 172 ff. 44 EuGH Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325; hierzu oben 1. Kapitel, C. IV. 3. c); 4. Kapitel, D. I. 41

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tungserbringung45 übernehmen. Gleichwohl stehen die gesetzlichen Krankenkassen unter einem gewissen wettbewerbsrechtlichen Rechtfertigungsdruck, zumal Änderungen der Rechtsprechung nicht ausgeschlossen werden können.46 Damit erscheint die schrittweise „Entlassung“ der Krankenkassen in den Markt als eine mögliche politische Option, um eine auch wettbewerbsrechtlich unbedenkliche Organisation des Krankenkassenwesens zu erreichen.47 Andererseits mag die Einführung der Insolvenzfähigkeit zugleich als ein Weg erscheinen, die Anwendung des EU-Vergaberechts auf die gesetzlichen Krankenkassen mittelfristig auszuschließen, um auf diesem Wege zugleich staatliche Steuerungsmöglichkeiten zu erhalten bzw. zurückzugewinnen. Im Fall der gesetzlichen Krankenkassen ist indes fraglich, ob allein die Insolvenzfähigkeit der einzelnen gesetzlichen Krankenkassenträger bereits die Anwendung des Vergaberechts ausschließen könnte. Denn im Falle der Insolvenz eines Trägers soll nach den Vorgaben der §§ 171a ff. SGB V auch künftig wesentliche Teile des Insolvenzrisikos vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen (§ 171d Abs. 1 SGB V), von einem von den Kassen finanzierten Fonds (§ 171e SGB V) oder von den Kassen der jeweiligen Kassenart (§ 171d Abs. 5 SGB V) getragen werden.48 Die entscheidende Frage lautet damit, ob die – eingeschränkte – Ausfallhaftung im Kassensystem i. S. d. §§ 171d und e SGB V vergaberechtlich mit der Ausfallhaftung eines Sicherungsfonds der privaten Versicherungswirtschaft i. S. d. §§ 124 ff. VAG gleichzustellen oder vielmehr als staatlicher Insolvenzausfallhaftung zu qualifizieren ist. Ob die Ausfallhaftung innerhalb eines Krankenkassensystems, das in seiner Gesamtheit nach wie vor überwiegend aus einkommensabhängigen, obligatorischen Sozialbeiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gespeist wird, dem Staat zugerechnet werden kann, hängt wiederum wesentlich von der Frage ab, ob Sozialbeiträge, ähnlich wie Steuern, als öffentliche Mittel zu qualifizieren sind, oder ob diese Beiträge, ähnlich wie z. B. Prämieneinnahmen der Berufs- oder Kfz-Haftpflichtversicherungen, als Einnahmen aus dem laufenden gewerblichen Kranken-

45 EuGH verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. 355/01 (AOK-Bundesverband) Slg. 2004, I-2493, S. 51 ff.; hierzu kritisch: Koenig/Engelmann, EuZW 2004, S. 682 ff. Siehe auch oben 4. Kapitel, D. II. 46 Vgl. etwa den abweichenden Schlussantrag des GA Jacobs, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. 355/01, AOK-Bundesverband) Slg. 2004, I-2493, S. 25 ff., 43 ff., der die gesetzlichen Krankenkassen aufgrund des Bestehens von Wettbewerb aus Unternehmen i. S. d. Art. 81 ff. EG qualifiziert. In diesem Sinne auch die herrschende Lehre: Giesen, Das Sozialversicherungsmonopol und der EG-Vertrag, 1995, S. 112 ff.; Pitschas, ZSR 1999, 804 (818 f.); Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG Vertrags, S. 153 ff.; a. A. z. B. Schulz, ZESAR 2005, S. 13 ff.; Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 378 ff., 438 ff. 47 Vgl. zu den möglichen Ausgestaltungsformen: Pitschas, ZSR 1999, S. 804 (818 f.); Billinger, Das Pflichtversicherungsmonopol der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EG-Vertrags, S. 153 ff. 48 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 296.

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versicherungsgeschäft einzustufen sind.49 Daher kann die Frage nach der „Gewerblichkeit“ der gesetzlichen Krankenkassen abschließend erst unter Berücksichtigung der öffentlichen oder privatwirtschaftlichen Art ihrer Finanzierung geklärt werden.

V. Auftraggebereigenschaft kraft öffentlicher Finanzierung 1. Zum Begriff der überwiegenden öffentlichen Finanzierung Als eigentlich maßgebliche Abgrenzungskriterien für die öffentliche Auftraggebereigenschaft der gesetzlichen Krankenversicherungen erweisen sich damit die Kriterien der staatlichen Finanzierung und Kontrolle i. S. d. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG. Von einer überwiegenden öffentlichen Finanzierung ist nach ständiger Rechtsprechung auszugehen, wenn der Anteil der öffentlichen Finanzierung bei über 50 % liegt.50 Der Begriff der öffentlichen Finanzierung ist weit auszulegen. Erfasst werden verlorene Zuschüsse, Bürgschaften, Fördermittel, Darlehen usw.51 Nicht erfasst werden dagegen Einnahmen aus dem laufenden Geschäftsbetrieb, die am Markt unter Wettbewerbsbedingungen erzielt werden.52 Dies gilt auch dann, wenn der Staat Auftraggeber ist, soweit die öffentlichen Mittel als Entgelt für eine erbrachte Dienstleistung anzusehen sind.53 In der Rs. University of Cambridge stellt der EuGH klar: „Nicht alle Zahlungen eines öffentlichen Auftraggebers begründen oder festigen eine besondere Unterordnung oder Bindung. Nur Leistungen, die als Finanzhilfe ohne spezifische Gegenleistung die Tätigkeiten der betreffenden Einrichtung finanzieren und unterstützen, können als öffentliche Finanzierung eingestuft werden.“ 54 In Parallele zum Beihilferecht dürfte weiterhin auch dann keine öffentliche Finanzierung vorliegen, wenn der Staat durch Zuschüsse lediglich Sonderlasten ausgleicht, die sich aus der Übernahme einer allgemeinwohlgebundenen Aufgabe durch ein Unternehmen ergeben.55 Indessen muss die Mittelzuweisung in einem transparenten Verfahren erfolgen und darf 49 Vgl. zum Streitstand: Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2655, sowie sogleich unten 6. Kapitel, A. IV. 3. 50 EuGH, Rs. C-380/98 (University of Cambridge) Slg. 2000, I-8035, Rn. 30 ff. Bei der Ermittlung des öffentlichen Finanzierungsanteils sind zunächst alle – auch die aus gewerblichen Tätigkeiten stammenden – Einnahmen zu ermitteln: EuGH, Rs. C-380/98 (University of Cambridge) Slg. 2000, I-8035, Rn. 36. 51 Boesen, Vergaberecht, § 98 Rn. 66. 52 EuGH, Rs. C-380/98 (University of Cambridge) Slg. 2000, I-8035, Rn. 24 ff. 53 EuGH, Rs. C-380/98 (University of Cambridge) Slg. 2000, I-8035, Rn. 25, Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2622. 54 EuGH, Rs. C-380/98 (University of Cambridge) Slg. 2000, I-8035, Rn. 21. 55 Zur Konvergenz von Beihilfe- und Vergaberecht, Koenig/Kühling, in: Streinz, EGV/EUV § 87, Rn. 36.

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nicht über die Deckung der Zusatzkosten hinausgehen, die einem durchschnittlich gut geführten Unternehmen durch den Allgemeinwohlauftrag entstehen, um die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Gegenleistung im vergaberechtlichen Sinne zu erfüllen.56 Keine öffentliche Finanzierung liegt schließlich generell vor, soweit ein öffentliches Unternehmen seinerseits staatliche Mittel im Rahmen eines öffentlichen Auftrags erhält, der unter Einhaltung der Vorschriften des Vergaberechts ausgeschrieben wurde. Denn hier gewährleistet das Vergaberecht gerade, dass keine staatliche Einflussnahme im Wege der öffentlichen Finanzierung erfolgt. Vielmehr handelt es sich in diesen Fällen um eine wirtschaftliche Gegenleistung für die vertraglich vereinbarte Leistung.57 2. Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen: Sozialbeiträge, Steuerzuschüsse, Prämien Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen werden durch eine Mischfinanzierung gedeckt. Einerseits erhalten die gesetzlichen Krankenversicherungsträger gem. § 221 SGB V Steuerzuschüsse zur Deckung der Zusatzkosten des Familienlastenausgleichs. Diese Einnahmen könnten grundsätzlich als öffentliche Finanzierung anzusehen sein. Da die Mittel jedoch zum Zweck der Deckung der Kosten des Familienlastenausgleichs aufgewendet werden, ließe sich auch vertreten, dass es sich hier um den Ausgleich einer Sonderlast bzw. als „Gegenleistung“ für die Bereitstellung einer beitragsfreien Familienversicherung handelt. Gleichwohl sprechen die besseren Gründe für das Vorliegen einer öffentlichen Finanzierung. Insbesondere liegt bei Steuerzuschüssen zur Familienversicherung keine Gegenleistung im vergaberechtlichen Sinne vor. Zwar dient der Steuerzuschuss dem Ausgleich von Familienlasten. Jedoch setzt ein vergaberechtliches Geschäftsverhältnis Vertragsverhandlungen auf gleicher Augenhöhe voraus.58 An Vertragsverhandlungen auf gleicher Augenhöhe fehlt es indes erkennbar im Falle der Familienversicherung, da hier eine einseitige Zuweisung von staatlichen Mitteln zur Deckung von ebenfalls einseitig gesetzlich begründeten Leistungspflichten der Krankenkassenträger erfolgt.59 Des Weiteren erzielt die gesetzliche Krankenkasse Einnahmen aus der freiwilligen Versicherung, wobei hier ein begrenzter Wettbewerb mit der PKV besteht. Diese Einnahmen dürften folglich als Einnahmen aus dem laufenden Versicherungsgeschäft am Markt 56 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.07.2003 (Altmark Trans) Rs. C-280/00, Rn. 87 ff. Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2622. 57 Vgl. EuGH, Rs. C-380/98 (University of Cambridge) Slg. 2000, I-8035, Rn. 21. 58 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2671. 59 Zur Erforderlich eines vertraglichen Verhandlungsverhältnisses als Bedingung für die Qualifizierung staatlicher Ausgleichszahlungen als wirtschaftliche Gegenleistung grundlegend: Opitz, NVwZ, 2003, S. 1087 (1089); zustimmend: Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2671 f.

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zu qualifizieren sein. Damit handelt es sich auch insoweit nicht um öffentliche Mittel. Zwar wird auch der Beitrag zur freiwilligen Versicherung staatlich nach Maßgabe der §§ 241 ff. SGB V festgelegt. Zudem sind die Wechselmöglichkeiten nach Maßgabe von § 9 SGB V beschränkt. Gleichwohl sind gesetzlichen Vorgaben an die Ausgestaltung von Prämiensätzen auch dem privaten Krankenversicherungsrecht nicht fremd.60 Demgegenüber muss sich die gesetzliche Krankenversicherung auf den Märkten für freiwillig Versicherte einem Wettbewerb stellen, der die staatliche Finanzsteuerung in diesen Bereichen bis zu einem gewissen Grad relativiert.61 Ebenso dürften Zusatzeinnahmen aus freiwilligen Wahltarifen i. S. v. § 53 SGB V jedenfalls dann nicht als öffentliche Finanzierung zu qualifizieren sein, wenn diese Einnahmen im Wettbewerb mit privaten Versicherungsunternehmen erzielt werden.62 Die Haupteinnahmequelle der GKV liegt jedoch nach wie vor in einkommensabhängigen Sozialbeiträgen, die aufgrund einer gesetzlichen Sozialversicherungspflicht erhoben werden. Damit hängt die Erfüllung des Kriteriums der öffentlichen Finanzierung letztlich von der vergaberechtlichen Einordnung des Sozialbeitrags ab. 3. Der Sozialbeitrag als Form der öffentlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen Gerade die Frage der Zuordnung des Sozialbeitrags zu den öffentlichen Mitteln i. S. v. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG ist allerdings hochgradig umstritten. Zu ihrer Klärung kann zwischen der Rechtslage bis zum 31.12.2008 und der Rechtslage ab der Einführung des staatlichen Gesundheitsfonds zum 01.01.2009 unterschieden werden. Diese Unterscheidung bietet sich schon deswegen an, weil der EuGH in seinem Grundsatzurteil zur Auftraggebereigenschaft der gesetzlichen Krankenkassenträger in der Rs. 300/07 (Oymanns) noch nach alter Rechtslage zu entscheiden hatte. Gegen die Qualifikation als öffentliche Mittel konnte bis zum 31.12.2008 ins Feld geführt werden, dass den Kassen die Einnahmen aus Sozialbeiträgen nicht vom Staat zugewiesen wurden, sondern vielmehr von diesen selbst aufgrund eines autonomen Beitragserhebungsrechts festgesetzt und eingezogen wurden.63 Darüber hinaus verfügten die Kassen auch insoweit über eine 60 Vgl. zum Standard- bzw. Basistarif in der privaten Krankenversicherung: Wille/ Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 386 ff. 61 Vgl. M. Fuchs, Wettbewerb zwischen privaten und öffentlichen Krankenversicherungen, in: G. Igl (Hrsg.), Das Gesundheitswesen in der Wettbewerbsrechtsordnung, 2000, S. 39 ff.; siehe auch: Raimer, System-„wettbewerb“ zwischen GKV und PKV?, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 1, 2005, S. 37 ff. 62 Vgl. T. Schmidt, GesR 2007, S. 295 ff. 63 BayObLG, NVwZ 2005, S. 117: Boyk/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 (54); Wollenschläger, NZBau 2004, S. 655 (656 f.); Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, S. 89 (95).

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Beitragssatzautonomie, als sie die Höhe des Beitrags im Wettbewerb mit anderen Kassen festlegen durften. Gesetzlich geregelt waren allein der Grundsatz der einkommensabhängigen Beitragsbemessung sowie einige Sonderbestimmungen für einzelne Versichertengruppen.64 Schließlich konnte gegen das Vorliegen einer öffentlichen Finanzierung ebenfalls eingewandt werden, dass der Staat zwar für bestimmte Versichertengruppen wie Wehrpflichtige und Sozialhilfeempfänger die Beitragslast aus Steuermitteln trägt, dass jedoch der ganz überwiegende Teil der Beitragseinnahmen aus Zwangsbeiträgen Privater gedeckt wird, die einer gesetzlichen Sozialversicherungspflicht unterliegen.65 Aus diesen Besonderheiten hat u. a. das BayObLG abgeleitet, dass es sich bei Krankenversicherungsbeiträgen nicht um öffentliche Mittel i. S. d. Vergaberechts handle.66 Mittlerweile hat der EuGH indes letztinstanzlich entschieden, dass gesetzliche Krankenkassenträger bereits nach alter Rechtslage als öffentliche Auftraggeber kraft staatlicher Finanzierung und Aufsicht zu qualifizieren seien. Dieser Auffassung ist im Ergebnis zu folgen. Aus funktionaler Sicht kann es für die öffentliche Finanzierung einer Einrichtung grundsätzlich nicht darauf ankommen, ob ein Mitgliedstaat selbst durch staatsunmittelbare Einrichtungen zweckgebundene öffentliche Zwangsabgaben erhebt und die Mittel dann einer Einrichtung zuweist, oder ob der Staat einer Einrichtung ein Beitragserhebungsrecht überträgt. Andernfalls hätten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, allein durch Ausgestaltung der Modalitäten der Beitragserhebung das EU-Vergaberecht zu umgehen. Auch wenn die Krankenkassen bis 31.12.2008 ihre Beiträge noch selbst festsetzen konnten, wurden doch die Rahmenbedingungen der Bemessung sowie Differenzierungen nach einzelnen Versichertengruppen gesetzlich festgelegt (vgl. §§ 220, Abs. 1 Satz 2, 223 Abs. 2 und 3, 224 ff. SGB V). Die Aufsichtsbehörde konnte eine Erhöhung der Beiträge gem. § 220 Abs. 2 Satz 3 SGB V anordnen. Weitergehend bestanden Vorgaben im Hinblick auf Verwendung und Verwaltung der Mittel gem. §§ 259 ff. SGB V. Diese führten, ebenso wie der Risikostrukturausgleich (§§ 265 ff. SGB V), zu einer erheblichen Relativierung der Beitragsautonomie der Krankenkassen.67 Für die Zuordnung des Sozialbeitrags zur öffentlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen sprach überdies auch schon nach alter Rechtslage die Parallele zur Rundfunkgebühr, die vom EuGH ebenfalls als Form der öffentlichen Finanzierung eingestuft wird.68 Anders als bei der Rund64

BayObLG, NVwZ 2005, 117. Vgl. Boyk/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 (54); Wollenschläger, NZBau 2004, S. 655 (656 f.); Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, S. 89 (95); Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2655. 66 BayObLG, NVwZ 2005, 117. 67 Vgl. Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 109 f. 68 Zur EuGH, Rs. C-336/06 (Bayerischer Rundfunk) NvWZ 2007, 1287; vgl. VK Bund, Beschl. v. 19.10.2004, Az. VK-3191/04; auch die h. M. geht von einer öffentlichen Finanzierung des Rundfunks durch Rundfunkgebühren aus. So: Boesen, Vergaberecht, § 98 Rn. 72 ff.; Opitz, NVwZ, 2003, 1087 (1091); Frenz, Handbuch Europarecht, 65

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funkgebühr verfügen der Gesetzgeber und die staatliche Aufsicht im Bereich des Sozialbeitrags sogar über wesentlich engmaschigere Möglichkeiten der Haushaltssteuerung. Zudem wird der Sozialbeitrag im Gegensatz zur Rundfunkgebühr nicht nach dem abgabenrechtlichen Äquivalenzprinzip, sondern einkommensabhängig erhoben. Der Sozialbeitrag unterscheidet sich damit noch deutlicher als die Rundfunkgebühr von einer wirtschaftlichen Gegenleistung und rückt in ein Näheverhältnis zur Steuer.69 Aus diesem Grund sind Sozialbeiträge grundsätzlich als öffentliche Mittel zu qualifizieren, zumal dann wenn sie – ähnlich wie bei der Steuer – einkommensabhängig erhoben werden.70 4. Die Folgen des solidarischen Wettbewerbs für den Charakter des Sozialbeitrags als Form der öffentlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung Bei der gesetzlichen Krankenversicherung, aber auch bei der Rundfunkgebühr besteht allerdings, anders als z. B. bei der Rentenversicherung, die Besonderheit, dass die Krankenkassen im Verhältnis zueinander in einem solidarischen Wettbewerb stehen. Ob und in welchem Umfang also eine einzelne Krankenkasse überhaupt Beitragseinnahmen erzielt, hängt damit maßgeblich vom Wettbewerb auf den gesetzlichen „Krankenversicherungsmärkten“ ab.71 Damit stellt sich speziell bei der gesetzlichen Krankenkasse die weitergehende Frage, ob Sozialbeiträge auch dann, wenn sie unter solidarischen Wettbewerbsbedingungen erhoben werden, noch als öffentliche Mittel einzustufen sind. Zur Beantwortung dieser Frage ist wiederum eine funktionale Betrachtung erforderlich. Das Kriterium der öffentlichen Finanzierung rechtfertigt die Einbeziehung einer Einrichtung in den persönlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts, weil mit einer öffentlichen Finanzierung regelmäßig eine verstärkte staatliche Einflussnahme auf die Geschäftstätigkeit einer Einrichtung einhergeht.72 Diese Voraussetzung war bei den gesetzlichen Krankenkassen unbeschadet des solidarischen Wettbewerbs nach der bis zum 31.12.2008 geltenden Rechtslage erfüllt. Der Gesetzgeber nahm über die Kopplung der Beitragsfinanzierung mit einer Vielzahl detailliert normierter gesetzlicher Bestimmungen in ganz erheblichem Umfang Einfluss auf die Tätigkeit der gesetzlichen Krankenversicherungsträger. Die wichtigste staatliche Einflussnahme liegt bereits unmittelbar in der gesetzlichen Festlegung grundsätzlich ein-

Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2671 ff.; a. A. Dreher, NZBau 2005, 297 (300); Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, B 4, Rn. 121. 69 Ähnlich: Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 110 f. 70 Wie hier auch VK Lüneburg, Beschluss v. 21.09.2004, Az. 203 VgK 42/2004; Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 110 f.; offen gelassen bei Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2656. 71 Vgl. BayObLG, NVwZ 2005, 117. 72 Vgl. EuGH, Rs. C-380/98 (University of Cambridge) Slg. 2000, I-8035, Rn. 24 ff.

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kommensabhängiger Beiträge, wodurch die Krankenkassen dazu verpflichtet wurden, in ihren jeweiligen Versichertenkollektiven abweichend vom Äquivalenzprinzip einen Solidarausgleich durchzuführen. Daneben bestand im Rahmen der §§ 224 ff. SGB V in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung eine Vielzahl weiterer Sonderregelungen über die Beitragsfreiheit bestimmter Einnahmen, wie Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Erziehungsgeld, durch die der Staat sozialpolitische Ziele in der Geschäftstätigkeit der Krankenkassen durchsetzt. Darüber hinaus nutzte der Gesetzgeber auch den Risikostrukturausgleich für eine über die Finanzierung mediatisierte Steuerung der Geschäftstätigkeit der Krankenkassen (vgl. § 266 Abs. 4 SGB V a. F.).73 Demzufolge sind die Sozialbeiträge zu gesetzlichen Krankenkassen unter den Bedingungen solidarischen Wettbewerbs nach der bis zum 31.12.2008 geltenden Rechtslage als öffentliche Mittel zu qualifizieren, mit der Folge, dass die gesetzlichen Krankenkassen nach alter Rechtslage als öffentliche Auftraggeber kraft überwiegender öffentlicher Finanzierung einzustufen sind. 5. Vergaberechtliche Implikationen der Einführung eines staatlichen Gesundheitsfonds Abschließend zu klären bleibt allerdings noch die Frage nach den vergaberechtlichen Folgen, die sich aus der Einführung eines zentralen Gesundheitsfonds beim Bundesversicherungsamt ergeben, die zum 01.01.2009 erfolgte (vgl. §§ 220 SGB V). Ab dem 01.01.2009 haben die Kassen ihre Beitragsautonomie – abgesehen von der Möglichkeit zur Erhebung von Zusatzprämien – verloren. Ihre Funktion reduziert sich insoweit nach Maßgabe von § 252 Abs. 2 SGB V auf die Beitragseinziehung zugunsten eines zentralen Gesundheitsfonds, der vom Bundesversicherungsamt verwaltet wird. Das Bundesversicherungsamt weist den Krankenkassen nach Maßgabe von § 266 SGB V eine einheitliche Grundpauschale zu, bei der bereits der Risikostrukturausgleich in Form von alters-, geschlechts- und risikoadjustierten Zu- oder Abschlägen eingerechnet wird. Der allgemeine Beitragssatz wird gem. § 241 Abs. 1 SGB V erstmals mit Wirkung zum 01.01.2009 von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung einheitlich festgesetzt.74 Die Mediatisierung der Finanzierung über einen Gesundheitsfond bestätigt zunächst, dass es für die Definition des Begriffs der öffentlichen Mittel nicht auf die Modalitäten der Erhebung von öffentlichen Zwangsabgaben ankommen kann. Öffentlich-rechtliche Zwangsabgaben, die für einen staatlich zentral verwalteten Fonds erhoben, von diesem verwaltet und dann an die Krankenkassen ausgezahlt 73 Vgl. Schulte, Wettbewerb und Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung, RPG 2007, S. 87 ff. 74 Hierzu: Axer, GesR 2007, S. 193 ff.; siehe auch Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 373 ff.

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werden, erfüllen grundsätzlich die Voraussetzungen für die Qualifikation als öffentliche Mittel i. S. d. Vergaberechts. Zwar werden die einzelnen Krankenkassenträger nunmehr gem. § 266 SGB V grundsätzlich durch einheitliche Zuweisungen je Versicherungsmitglied und damit gerade nicht mehr solidarisch finanziert. Demgegenüber fehlt es beim künftigen Gesundheitsfonds noch mehr als bisher an der vom EuGH für die Anerkennung von Ausgleichszahlungen geforderten Verhandlungen auf „gleicher Augenhöhe“ zwischen den Vertragspartnern.75 Fraglich bleibt freilich, ob der auf den Krankenversicherungsmärkten nach wie vor bestehende Angebotswettbewerb der Krankenkassenträger unter den Bedingungen einer Gesundheitsfondsfinanzierung zu einem abweichenden Ergebnis führt. Auch nach dem 01.10.2009 stehen die Krankenkassen in einem Angebotswettbewerb zueinander, der sich allerdings nicht mehr auf den allgemeinen Beitragssatz nach § 241 SGB V bezieht, sondern auf einen „positiven“ Wahltarifwettbewerb nach § 58 SGB V und einen „negativen“ Zusatzprämienwettbewerb nach § 242 SGB V beschränkt. Unbeschadet dieser Veränderung hängen die Gesamteinnahmen der gesetzlichen Krankenkassen aus Zuschüssen des Gesundheitsfonds, Wahltarifen und Zusatzbeträgen von deren Mitgliederzahl und damit vom Wettbewerb auf den gesetzlichen Krankenversicherungsmärkten ab. Gleichwohl dürften auch die nach wie vor begrenzten Wettbewerbsspielräume auf den Krankenversicherungsmärkten die öffentliche Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherungsträger letztlich unberührt lassen. Insbesondere verfügt die öffentliche Hand immer noch über erhebliche, gerade über die Finanzierung vermittelte Steuerungsmöglichkeiten, um die Tätigkeiten der gesetzlichen Krankenkassen auf die gesundheitspolitischen Ziele der Gewährleistung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung (vgl. § 70 SGB V) auszureichen. Zunächst bewirkt bereits die Errichtung eines staatlichen Gesundheitsfonds selbst, dass die Krankenkassen einerseits von einem unmittelbaren Marktwettbewerb entkoppelt, andererseits im Hinblick auf weit über 90 % ihrer Finanzierung von unmittelbaren staatlichen Zuschüssen abhängig werden. Darüber hinaus bestehen auch nach der ab 01.01.2009 geltenden Rechtslage in den §§ 259 ff. SGB V strenge gesetzliche Vorgaben hinsichtlich der Verwendung und Verwaltung der Haushaltsmittel durch die gesetzlichen Krankenkassenträger. Auch die neuen Wahl- und Zusatztarife unterliegen nach Maßgabe von § 53 und 242 SGB V engmaschiger Regulierung und besonderen behördlichen Genehmigungsund Berichtspflichten. Im Bereich der Wahltarife ist die maximale Höhe der Prämienzahlungen der Krankenkassen vom Gesetzgeber auf ein Zwölftel der Gesamtbeitragshöhe begrenzt worden. Gleiches gilt für die maximale Höhe der Zu-

75 Zur Erforderlichkeit eines vertraglichen Verhandlungsverhältnisses als Bedingung für die Qualifizierung staatlicher Ausgleichszahlungen als wirtschaftliche Gegenleistung grundlegend: Opitz, NVwZ, 2003, S. 1087 (1089); zustimmend: Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2671 f.

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satzprämien gem. § 242 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V. Weiterhin sind die Krankenkassenträger gem. § 53 Abs. 3 SGB V ausdrücklich verpflichtet, bestimmte Wahltarife für besondere Versorgungsformen nach Maßgabe der § 63, § 73b, § 73c, § 73f, § 137f und § 140a SGB V anzubieten, die vom Gesundheitsgesetzgeber als besonders förderungswürdig angesehen werden. Noch einmal erheblich verstärkt werden diese Steuerungswirkungen durch den vereinfachten und effektivierten Risikostrukturausgleich, der seinerseits auf die gesundheitspolitischen Steuerungsziele des SGB V, insbesondere die Förderung besonderer Behandlungsprogramme, ausgerichtet ist.76 Mithin bleiben die Krankenkassen auch nach Einführung des Gesundheitsfonds öffentliche Auftraggeber kraft überwiegender öffentlicher Finanzierung. 6. Rückwirkungen der öffentlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen auf die Frage der „Gewerblichkeit“ ihrer Tätigkeit Die bisherigen Überlegungen erlauben es nunmehr, die Frage nach den Folgen der Insolvenzfähigkeit der Kassen auf die „Gewerblichkeit“ ihrer Tätigkeit und damit auf ihre insoweit bestehende öffentliche Auftraggebereigenschaft abschließend zu klären.77 Zwar unterliegt die einzelne Kasse seit dem 01.01.2010 dem Insolvenzrisiko. Das Insolvenzrisiko wird jedoch nach wie vor jedenfalls zu wesentlichen Teilen (für Ansprüche von Versorgungsempfänger, Versicherten und Leistungserbringern) letztlich durch die Sozialbeiträge der gesetzlich Versicherten und der Arbeitgeber gedeckt, die ihrerseits als öffentliche Mittel zu qualifizieren sind. Dieses aus öffentlichen Mitteln finanzierte Deckungssystem kann nicht mit einem aus gewerblichen Einnahmen finanzierten Sicherungsfonds der privaten Versicherungswirtschaft i. S. d. §§ 124 ff. VAG gleichgesetzt werden. Daraus folgt, dass auch bei Einführung der modifizierten Insolvenzfähigkeit der Krankenkassen nach §§ 171b ff. SGB V deren öffentliche Auftraggebereigenschaft unberührt bleibt.

VI. Auftraggebereigenschaft kraft staatlicher Beherrschung 1. Der funktionale vergaberechtliche Begriff der „staatlichen Aufsicht“ in Abgrenzung zur deutschen Unterscheidung zwischen Rechts- und Fachaufsicht Neben der Auftraggebereigenschaft kraft öffentlicher Finanzierung könnten die gesetzlichen Krankenversicherungsträger auch kraft staatlicher Aufsicht öffentliche Auftraggeber i. S. v. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/EG sowie 76 Schulte, Wettbewerb und Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung, RPG 2007, S. 87 ff. 77 Siehe oben 6. Kapitel, A. III. 2. b).

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Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG sein. Die Auftraggebereigenschaft kraft Aufsicht ist für die gesetzlichen Krankenversicherungen ebenso umstritten wie die Auftraggebereigenschaft kraft öffentlicher Finanzierung.78 Der Begriff der staatlichen Aufsicht i. S. v. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/EG sowie Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG ist autonom und funktional auszulegen. Auf Differenzierungen auf mitgliedstaatlicher Ebene, wie bei der deutschen Unterscheidung zwischen Rechts- und Fachaufsicht, kommt es daher jedenfalls nicht allein an.79 Vielmehr ist auf die effektive staatliche Einflussnahmemöglichkeit auf die Geschäftstätigkeit einer Einrichtung, insbesondere ihr Auftragsvergabeverhalten, abzustellen.80 Unter dieser Einschränkung herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die deutsche staatliche Fachaufsicht der unmittelbaren Staatsverwaltung hinreichende Einflussmöglichkeiten eröffnet, die eine öffentliche Auftraggebereigenschaft der unter Aufsicht stehenden Einrichtung begründen.81 2. Grundsatz: Keine staatliche Aufsicht im funktionalen vergaberechtlichen Sinne bei staatlicher Rechtsaufsicht Andererseits genügt die bloße Rechtsaufsicht in der Regel nicht, um eine öffentliche Auftraggebereigenschaft i. S. d. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/ EG sowie Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG zu begründen.82 So unterliegen z. B. auch Banken, Versicherungsunternehmen und Wertpapierhandelsgesellschaften gem. §§ 1, 32 ff., 44 ff. KWG, §§ 4, 35 ff. WpHG und §§ 1, 81 ff. VAG der staatlichen Rechtsaufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Diese mit durchaus weit reichenden Eingriffsbefugnissen verbundene Rechtsaufsicht ist jedoch nicht geeignet, die öffentliche Auftraggebereigenschaft von privaten Banken, Investmentgesellschaften oder Versicherungen zu begründen. Ihre Funktion richtet sich vielmehr ausschließlich auf die Gewährleistung der Stabilität der Finanzmärkte und Finanzunternehmen

78 Vgl. BayObLG, NVwZ 2005, 117; Boyk/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 (54); Wollenschläger, NZBau 2004, S. 655 (656 f.); Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, S. 89 (95); Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2656 f. 79 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2626. 80 Der EuGH stellt funktional darauf ab, das ein öffentlicher Auftraggeber die Regeln überwacht, die die Geschäftsführung zum Gegenstand haben, soweit die Regelungen hinreichend detailliert sind. EuGH, Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich) Slg. 2001 I-939, Rn. 52 ff. 81 Frenz, Öffentliches Recht, 3. Aufl. 2007, Rn. 462; BayObLG, NVwZ 2005, S. 117 f.; Dreher, NZBau, 2005, S. 297 ff. m.w. N. 82 BayObLG, NVwZ 2005, S. 117 f.; Boyk/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 ff.; Dreher, NZBau, 2005, S. 297 ff. m.w. N. auch zur Gegenauffassung.

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sowie auf den Einleger-, Anleger- und Versichertenschutz unter Marktbedingungen.83 Ebenso wird bei Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung, wie insbesondere bei den freiberuflichen Kammern, bei Hochschulen und Universitäten sowie bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wegen der Beschränkung der Aufsicht auf die Rechtsaufsicht nicht von einer staatlichen Beherrschung kraft Aufsicht auszugehen sein.84 Gleichwohl vertreten Teile des Schrifttums die Auffassung, Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung seien schon wegen ihrer öffentlich-rechtlichen und damit hoheitlichen Organisationsform per se öffentliche Auftraggeber.85 Jede Art der Selbstverwaltung sei stets dezentrale Staatsverwaltung86 und damit der Selbstverwaltung der kommunalen Gebietskörperschaften gleichzustellen, die gem. Art. 1 Abs. 9 UAbs. 1 RL 2004/18/EG ausdrücklich als öffentliche Auftraggeber benannt sind.87 Gegen diese Auffassung spricht indessen, dass es für die funktionale Auftraggebereigenschaft generell nicht auf die Rechtsform einer Einrichtung ankommt. Zudem steht eine ganze Reihe von öffentlich-rechtlichen Einrichtungen im uneingeschränkten Wettbewerb, sodass hier eine Belastung mit Ausschreibungspflichten unangemessen wäre. Dies gilt namentlich für öffentlich-rechtliche Wettbewerbsversicherungen i. S. d. § 1 Abs. 1 VAG, die mittlerweile auch nicht mehr durch die staatliche Gewährleistungsträgerhaftung privilegiert sind.88 Aus diesem Grund ist auch bei öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften, wie z. B. bei berufsständischen Kammern oder Sozialversicherungsträgern, eine generalisierende, allein an die Rechtsform oder die Zuordnung zur mittelbaren Staatsverwaltung anknüpfende Betrachtung unzureichend. Vielmehr ist auch hier konkret auf die Ausgestaltung der Aufsicht abzustellen. 3. Die Rechtsaufsicht über die gesetzliche Krankenversicherungen als „funktionale Fachaufsicht“ In der Regel können die staatlichen Rechtsaufsichtsbehörden bei Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung gerade in deren eigenen Aufgabenbereichen aufgrund des hier bestehenden Selbstverwaltungsrechts keinen steuernden

83 Zur Auftraggebereigenschaft von öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten: Dreher, Sind öffentlich-rechtliche Kreditinstitute öffentliche Auftraggeber?, FS Hadding, 2004, S. 797 ff. 84 So auch Eschenbruch/Hunger, NZBau 2003, S. 471, 474; Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2627; BayObLG, NVwZ 2005, S. 117 f.; Boyk/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 ff.; Dreher, NZBau, 2005, S. 297 ff. 85 Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 114. 86 Vgl. Böckenförde, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 32 f. 87 Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 114. 88 Vgl. Dreher, Sind öffentlich-rechtliche Kreditinstitute öffentliche Auftraggeber? in: FS für Hadding, 2004, S. 797 ff.

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Einfluss nehmen. Daher können z. B. Bauaufträge oder Aufträge im Bereich der beruflichen Weiterbildung, die von berufsständischen Kammern vergeben werden, dem Staat jedenfalls nicht qua Aufsichtssteuerung zugerechnet werden.89 Auch die gesetzlichen Krankenversicherungen sind als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften verfasst, die jedenfalls formal lediglich einer Rechtsaufsicht unterliegen.90 Daraus hat das BayObLG abgeleitet, dass eine öffentliche Auftraggebereigenschaft kraft staatlicher Aufsicht ausscheide.91 Dies gelte umso mehr, als die Krankenkassen sowohl über Satzungs- als auch über Haushaltsautonomie verfügen und zudem miteinander im Wettbewerb stünden. Diese Argumentation vermag jedoch im Ergebnis nicht zu überzeugen. Zwar ist die staatliche Aufsicht „in einer Geste scheinbarer Großzügigkeit“ formal auf die Rechtsaufsicht beschränkt.92 Gleichwohl ist die Geschäftstätigkeit der Krankenkassen sowohl auf der Beitrags- als auch auf der Leistungsseite engmaschig gesetzlich geregelt und allein schon deswegen auch einer engmaschigen Kontrolle im Rahmen der Rechtsaufsicht zugänglich. Darüber hinaus sind sowohl die Krankenkassen als auch deren Verbände, die kassenärztlichen Vereinigungen und die Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung, wie die gemeinsamen Bundes- und Landesausschüsse, gem. § 12 Abs. 1 bzw. § 70 SGB V auf eine angemessene, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der gesetzlich Versicherten mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet. Damit sind die staatlichen Aufsichtsbehörden indes im Rahmen der Rechtsaufsicht unmittelbar kraft Gesetzes auch zur Angemessenheits-, Zweckmäßigkeits- und Wirtschaftlichkeitskontrolle verpflichtet.93 Die staatliche Aufsicht wird erleichtert und zugleich verstärkt, da die Aufsichtsbehörden auch in erheblichem Umfang über Selbsteintrittsrechte verfügen.94 Aufgrund der engmaschigen gesetzlichen Vorgaben unterliegen ebenfalls die Satzungen, die Haushaltspläne und die

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So auch Eschenbruch/Hunger, NZBau 2003, S. 471 (474). Schnapp, Aufsicht und Finanzprüfung, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1289 (1292 ff.). 91 BayObLG, NVwZ 2005, 117. 92 Schnapp, Aufsicht und Finanzprüfung, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1289 (1292 ff.). 93 Schnapp, Aufsicht und Finanzprüfung, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1289 (1292). 94 Zum fließenden Übergang zwischen Rechts- und Fachaufsicht und zur funktionalen Fachaufsicht im Rahmen der formalen Rechtsaufsicht in der gesetzlichen Krankenversicherung: Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 89 (98 f.); ders., MedR 2004, S. 188 ff.; Gassner/Braun, NZS 2005, S. 194 (194 f.); Ziekow, Vergaberecht 2003, S. 483 (501); Schnapp, Aufsicht und Finanzprüfung, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1289 (1292 ff.); siehe auch: Salzwedel, Die Selbstverwaltung der Sozialversicherung, in: Schriftenreihe des Deutschen Sozialgerichtsverbands, Bd. I, 1966, S. 50 (53 ff.). 90

A. Die gesetzlichen Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber

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Auswahl der Geschäftsführung engmaschiger aufsichtsrechtlicher Kontrolle.95 Da die Rechtsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung damit funktional einer Fachaufsicht weitgehend gleichgestellt werden kann, liegt auch aus vergaberechtlicher Sicht eine staatliche Aufsicht i. S. d. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/EG sowie Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG vor.96 Dagegen dürfte die dritte Alternative des Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/EG sowie Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG nicht vorliegen, da die Aufsichts-, Leistungs- und Verwaltungsgremien der gesetzlichen Krankenversicherungen nicht von den staatlichen Gebietskörperschaften oder gleichgestellten öffentlichen Einrichtungen besetzt werden. Vielmehr werden Verwaltungsrat und Geschäftsführung im Rahmen dezentral durch das System der Friedenswahlen durch Versicherten- und Arbeitgebervertreter bestimmt. Damit scheidet eine Auftragsgebereigenschaft kraft Beherrschung von Aufsichts- und Leistungsorganen aus.97 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen kraft überwiegender öffentlicher Finanzierung und kraft staatlicher Aufsicht öffentliche Auftraggeber i. S. d. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/ EG sowie Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG sind. Dieses Ergebnis deckt sich mit der Entscheidung des EuGH in der Rs. 300/07 (Oymanns), nach der gesetzliche Krankenkassenträger als öffentliche Auftraggeber kraft Finanzierung und Aufsicht zu qualifizieren sind.98 Demzufolge sind zugleich auch deren Verbände gem. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 1 RL 2004/18/EG sowie Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 1 RL 2004/17/EG als öffentliche Auftraggeber anzusehen. Dies gilt sowohl für die Landes- als auch für die Bundesverbände der Krankenkassen als auch für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen.

95 Die Rechtsaufsicht nach § 87 SGB IV umfasst auch die Kontrolle der wirtschaftlichen Mittelverwendung nach §§ 69 Abs. 2, 274 SGB IV sowie nach § 12, 70 SGB V. Daneben kann die Aufsichtsbehörde gem. § 37 SGB IV die Geschäftsführung an sich ziehen. Ebenso erfolgt gem. § 88 SGB IV ein umfassendes Überprüfungsrecht bzgl. der Geschäfts- und Rechnungsführung. Vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2657, Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, S. 116 ff. 96 So auch Koenig/Klahn/Schreiber, ZESAR 2008, 5 ff.; Beule, GesR 2004, S. 209 (214); Koenig/Steiner, ZESAR 2003, S. 98 (100); Koenig/Busch, NZS 2003, S. 461 ff.; Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 89 (98 f.); ders., MedR 2004, S. 188 ff.; Gassner/Braun, NZS 2005, S. 194 (194 f.); Ziekow, Vergaberecht, 2003, S. 483 (501); Byok/Jansen, NVwZ 2005, S. 53 ff.; Wollenschläger, NZBau 2004, S. 655 ff. 97 Vgl. A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2001, S. 180, 187 ff.; so auch: Kingreen, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 89 (98 f.); ders., MedR 2004, S. 188 ff.; Gassner/Braun, NZS 2005, S. 194 ff.; a. A. Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 111. 98 EuGH Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427.

412

6. Kap.: Der persönliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie

B. Die Auftraggebereigenschaft der Leistungserbringer und ihrer Verbände I. Keine öffentliche Auftraggebereigenschaft wegen Teilnahme an der Leistungserbringung Von der öffentlichen Auftraggebereigenschaft der gesetzlichen Krankenkassenträger und ihrer Verbände ist die öffentliche Auftraggebereigenschaft der Leistungserbringer und ihrer Verbände zu unterscheiden. Im Gegensatz zu den Krankenkassen werden die Leistungserbringer grundsätzlich auf eigenes wirtschaftliches Risiko tätig und unterliegen typischerweise auch uneingeschränkt dem Insolvenzrisiko.99 Daher sind die Leistungserbringer im öffentlichen Gesundheitswesen, also z. B. Vertragsärzte und Vertragszahnärzte, Apotheker, Hersteller von Arzneimitteln, Heil- und Hilfsmitteln, aber auch privatwirtschaftlich organisierte Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen nicht als öffentliche Auftraggeber i. S. d. Vergaberechts zu qualifizieren. Zwar liegt die Leistungserbringung im öffentlichen Interesse. Die besondere Allgemeinwohlbindung einer Tätigkeit begründet allerdings allein noch keine öffentliche Auftraggebereigenschaft.100 Damit handelt es sich bei der Leistungserbringung regelmäßig um eine gewerbliche Tätigkeit, zumal die Leistungserbringer in einem zum Teil sehr scharfen, staatlich angereizten Wettbewerb zueinander stehen. Auch die Tatsache, dass die Leistungserbringer an einem System teilnehmen, das öffentlich finanziert wird, begründet nicht ihre Auftraggebereigenschaft i. S. d. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/EG sowie Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG. Vielmehr handelt es sich bei der Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen um ein wirtschaftliches Entgelt für die erbrachten Leistungen.101 Gleichwohl bleibt unbeschadet dieses Grundsatzes auch in Bezug auf die vergaberechtliche Stellung der Leistungserbringer stets eine Einzelfallprüfung erforderlich. So können einzelne Leistungserbringer, wie z. B. Universitätskliniken, Landeskrankenhäuser oder städtische Kliniken, durchaus als öffentliche Auftraggeber kraft öffentlicher Finanzierung, Kontrolle oder Leitung in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen.102 Auch in diesen Fällen ergibt sich die 99 Zur Maßgeblichkeit des wirtschaftlichen Verlustrisikos: EuGH Rs. 283/00 (Kommission/Spanien) Slg. 2003, I-11697, Rn. 91 ff.; Prieß, Vergaberecht, 3. Aufl. 2005, S. 157; Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2604. 100 EuGH, Rs. C-360/96 (BFI Holding) Slg. 1998, I-6821, Rn. 31 ff. 101 So im Rahmen der Prüfung des Begriffs der „entgeltlichen Dienstleistung“ i. S. v. Art. 49 EG auch EuGH Rs. 238/82 (Duphar) Slg. 1984, 523; EuGH Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998. 1998, I-1831, Rn. 17 ff.; EuGH Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 64 ff.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet) Slg. 2003, I-4509. 102 Hierzu: Schmitz, f & w 2005, S. 370 ff.; Kaeding, KH 2004, S. 189 ff.; Jansen, MedR 2008, S. 185 ff.

B. Auftraggebereigenschaft der Leistungserbringer und ihrer Verbände

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Auftraggebereigenschaft dessen ungeachtet nicht bereits aus dem Status der Einrichtung als Leistungserbringer innerhalb des Systems des SGB V, sondern hiervon unabhängig aus der öffentlichen Trägerschaft der Einrichtung und den damit verbundenen Steuerungsmöglichkeiten der Gebietskörperschaften.

II. Die Auftraggebereigenschaft der kassenärztlichen Vereinigungen und der Einrichtungen der Gemeinsamen Selbstverwaltung Von der Auftraggebereigenschaft einzelner Leistungserbringer ist die mögliche Auftraggebereigenschaft ihrer Verbände zu unterscheiden. Generell sind Verbände der Leistungserbringer nach den bisher entwickelten Maßstäben dann öffentliche Auftraggeber kraft öffentlicher Finanzierung i. S. d. Art. 1 Abs. 9 und Abs. 2 RL 2004/18/EG sowie Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 RL 2004/17/EG, wenn sie als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften mit Zwangsbeitragserhebungsrecht verfasst sind. Dies gilt nicht nur, aber gerade auch für die kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Bei den kassenärztlichen Vereinigungen handelt es sich um öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften, in denen die Vertragsärzte als beitragspflichtige Pflichtmitglieder zusammengeschlossen sind. Die kassenärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen übernehmen Allgemeinwohlaufgaben nicht gewerblicher Art bei der Sicherstellung und Organisation der vertragsärztlichen Versorgung auf Grundlage des SGB V. Sie sind nicht insolvenzfähig und stehen aufgrund der räumlichen Zuständigkeitsabgrenzung auch nicht in einem Wettbewerb untereinander. Die öffentliche Auftraggebereigenschaft folgt bereits aus ihrer Finanzierung durch Zwangsbeiträge ihrer Mitglieder.103 Darüber hinaus unterliegen die kassenärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen gleichsam einer den gesetzlichen Krankenkassen vergleichbar engen Rechtsaufsicht. Der Inhalt der Gesamtverträge und der Bundesmantelverträge ist gesetzlich weitgehend determiniert und gem. § 78 SGB V Gegenstand der Rechtsaufsicht durch das Bundesministerium für Gesundheit bzw. die obersten Verwaltungsbehörden der Länder. Darüber hinaus sind auch die kassenärztlichen Vereinigungen gem. § 70 SGB V auf die Grundsätze der Angemessenheit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Versorgung verpflichtet. Damit erstreckt sich die staatliche Rechtsaufsicht im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle gerade auch auf eine Zweckmäßigkeitskontrolle im Sinne einer funktionalen Fachaufsicht.104 Für die Aufsicht über die 103 Vgl. zur Auftraggebereigenschaft kraft Finanzierung in funktionalen Selbstverwaltung: Eschenbruch/Hunger, NZBau 2003, S. 471 (474 m.w. N.). 104 Schnapp, Aufsicht und Finanzprüfung, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1289 (1292 ff.).

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6. Kap.: Der persönliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie

kassenärztlichen Vereinigungen gelten die strengen Maßstäbe der Satzungs- und Haushaltskontrolle für die gesetzlichen Krankenversicherungen gem. § 78 Abs. 3 SGB V entsprechend. Im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse kann die Aufsichtsbehörde den Inhalt des Bundesmantelvertrags und der Gesamtverträge beanstanden und so deren Inkrafttreten verhindern. Darüber hinaus kann die zuständige Landesbehörde den kassenärztlichen Vereinigungen den Sicherstellungsauftrag gem. § 71 SGB V auch ganz entziehen und auf die Krankenkassen übertragen. Insgesamt ist damit die öffentliche Auftraggebereigenschaft der kassenärztlichen Vereinigungen auch Kraft staatlicher Aufsicht gegeben.105 Öffentliche Auftraggeber sind schließlich aus gleichen Gründen ebenfalls die besonderen Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung, insbesondere die gemeinsamen Landesausschüsse und der Gemeinsame Bundesausschuss sowie die Landesschiedsämter und das Bundesschiedsamt. Diese Einrichtungen werden einerseits überwiegend öffentlich aus Zwangsbeiträgen der Krankenkassen bzw. der kassenärztlichen Vereinigungen finanziert.106 Andererseits unterliegen auch diese Einrichtungen, wie die Gemeinsame Selbstverwaltung insgesamt, einer Rechtsaufsicht, die sich auf die Angemessenheit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Entscheidungen der Selbstverwaltung erstreckt. Damit liegt auch eine Auftraggebereigenschaft kraft funktionaler Fachaufsicht vor. Wenn und soweit die genannten Einrichtungen entgeltliche Aufträge vergeben, ist die RL 2004/18/EG daher anwendbar.

C. Zu den Grenzen der Anwendung des funktionellen Auftraggeberbegriffs Abschließend sollen die Grenzen der Anwendbarkeit des funktionellen Unternehmensbegriffs auf Krankenkassenträger noch etwas genauer beleuchtet werden. Hierzu soll einerseits in einem Rechtsvergleich die Auftraggebereigenschaft der Krankenkassenträger im obligatorischen Krankenversicherungssystem der Niederlande untersucht werden, in denen die Privatisierung des Gesundheitswesens seit der Gesundheitsreform von 2006 weiter fortgeschritten ist als jedenfalls bisher in Deutschland. Andererseits soll im Rahmen des deutschen Krankenversicherungssystems den möglichen Folgen der Einführung eines Basistarifs in der privaten Krankenkassenversicherung für die Auftraggebereigenschaft der privaten Krankenversicherungsträger diskutiert werden.

105 Ebenso: Rixen, Vergaberecht oder Sozialrecht in der gesetzlichen Krankenversicherung? – Ausschreibungspflichten von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen GesR 2006, S. 49 ff. 106 Vgl. Eschenbruch/Hunger, NZBau 2003, S. 471 (474).

C. Grenzen der Anwendung des funktionellen Auftraggeberbegriffs

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I. Die „privatisierte“ gesetzliche Krankenkassenversicherung der Niederlande In den Niederlanden ist im Jahr 2006 eine grundlegende Strukturreform des Gesundheitswesens erfolgt.107 Bis zu dieser Reform bestand ein dualistisches System der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung, das dem deutschen System nicht unähnlich war.108 Im Jahr 2006 wurden die privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen zu einem neuen einheitlichen obligatorischen Krankenversicherungssystem zusammengeschlossen. Dieses System beruht auf einer allgemeinen Krankenversicherungspflicht in einem Basistarif. Die Organisation des Systems orientiert sich am privaten Versicherungsrecht und entspricht in etwa der Organisation der deutschen privaten Krankenversicherung im neuen Basistarif.109 Die Krankenkassen schließen unter Kontrahierungszwang private Krankenbasistarife zu Einheitsprämien ab, bei denen jede Risikoselektion ausgeschlossen ist. Die Ausgaben der Krankenversicherungen im Basistarif werden allerdings nur etwa zur Hälfte aus den am Markt erzielten Prämieneinnahmen gedeckt. Die andere Hälfte der Einnahmen fließt den Kassen durch einen staatlichen Gesundheitsfonds zu, über den zugleich ein Risikostrukturausgleich durchgeführt wird. Der Fonds wird in erster Linie aus einkommensabhängigen Sozialbeiträgen sowie ergänzend aus Steuermitteln finanziert.110 Das niederländische Modell beruht damit in etwa zu gleichen Teilen auf einer – wenn auch regulierten – privatwirtschaftlichen sowie einer öffentlichen Finanzierungskomponente. Der Staat strebt durch dieses Modell einerseits eine wettbewerbsförmige Organisation des Krankenkassensektors an. Andererseits behält der Staat über die Ausgestaltung der Fondsfinanzierung nach wie vor erhebliche Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeit der Krankenkassen. Damit handelt es sich beim niederländischen Modell um einen vergaberechtlichen Grenzfall. Es erscheinen unter Finanzierungsgesichtspunkten sowohl eine Anwendung als auch eine Nichtanwendung des Vergaberechts als vertretbar. Letztlich wird eine funktionale Betrachtung im Zweifel eher für eine Anwendung des Vergaberechts sprechen. Der entscheidende Gesichtspunkt dürfte sein, dass die niederländischen Krankenkassen nach wie vor zu gut 50 % öffentlich finanziert sind.111 Jedoch kommt es maßgeblich auf eine Gesamtbetrachtung und insbesondere auf die Analyse der tatsächlichen Art der staatlichen Einflussnahme in der Zukunft an. 107

Walser, ZRP 2005, S. 273 ff. Hierzu: S. Tiemann, Gesundheitssysteme in Europa, 2006, S. 87 ff., 90 ff. 109 Vgl. Walser, ZRP 2005, S. 273 (273 f.). 110 Zur Reform: Greß/Manouguian/Wasem, Niederlande – Anatomie einer Reform, G+G 2007, S. 36 ff.; Walser, ZRP 2005, S. 273 ff. 111 Zum Finanzierungskriterium: EuGH, Rs. C-380/98 (University of Cambridge) Slg. 2000, I-8035, Rn. 30 ff. Bei der Ermittlung des öffentlichen Finanzierungsanteils sind zunächst alle – auch die aus gewerblichen Tätigkeiten stammenden – Einnahmen zu ermitteln: EuGH, C-380/98, University of Cambridge Slg. 2000, I-8035, Rn. 36. 108

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6. Kap.: Der persönliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie

II. „Die Einbeziehung der PKV in die GKV“ – sind private Krankenversicherungen im Basistarif öffentliche Auftraggeber? Ebenso wie sich die Frage stellt, von welchem Privatisierungsgrad an gesetzliche Krankenkassenverträge aus dem Anwendungsbereich des Vergaberechts herausfallen, wirft sich umgekehrt die Frage auf, ab welchem Grad der Integration von privaten Krankenkassen in ein gesetzliches Krankenversicherungssystem eine Anwendung des Vergaberechts auf diese Einrichtungen in Betracht kommt. Der vergaberechtliche Grenzfall des niederländischen Krankenversicherungsmodells ist in diesem Zusammenhang insoweit interessant, als er nicht nur die Frage aufwirft, ab welchem Grad der „Privatisierung“ gesetzliche Krankenkassenträger nicht mehr in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen. Vielmehr führt die Aufhebung der Systemgrenzen im niederländischen Modell gleichsam zur spiegelbildlichen Frage, ab welchem Grad der Annäherung an ein gesetzliches Krankenversicherungssystem private Krankenversicherungsträger als öffentliche Auftraggeber in den Anwendungsbereich des Vergaberechts einzubeziehen wären. Für das niederländische System gelten für die ehemaligen privaten Krankenversicherungsträger die zuvor gemachten Ausführungen, sodass eine öffentliche Auftraggebereigenschaft jedenfalls dann in Betracht kommen könnte, wenn die Finanzierung der ehemaligen privaten Krankenkassenträger überwiegend öffentlich erfolgt. Auch im deutschen System erscheint die Auftraggebereigenschaft der privaten Krankenkassen mittlerweile zumindest diskussionswürdig, als durch die Einführung eines obligatorischen Basistarifs mit dem GKV-WSG 2007 eine nicht unerhebliche Annäherung an die gesetzliche Krankenversicherung erfolgte.112 Gleichwohl liegen die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 9 RL 2004/18/EG im Ergebnis unter keinem Gesichtspunkt vor. Einesteils sind die privaten Krankenversicherungen nicht öffentlicher Auftraggeber kraft öffentlicher Finanzierung, da der ganz überwiegende Teil der Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen nach wie vor über reguläre Tarife erzielt wird.113 Darüber hinaus können jedoch auch die Prämien des obligatorischen Basistarifs nicht Sozialbeiträgen gleichgestellt werden. Zwar sind die Prämien im Basistarif nach § 12a VAG in der Höhe auf den Höchstsatz der Beiträge in der GKV begrenzt. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Form der staatlichen Regulierung der Vertragsbedingungen privater Krankenversicherungen, wie er – wenn auch in eingeschränkter Form – auch schon zuvor in Form des Standardtarifs nach § 257 SGB V vorgesehen war.114 Auch eine öffentliche Auftraggebereigenschaft kraft staatlicher Aufsicht oder Besetzung der Leistungsgremien scheidet aus, da die privaten Kran112 Axer, MedR 2008, S. 482 ff.; Kingreen, ZESAR, 2007, S. 139 ff.; ders., ErsK 2007, S. 112 ff.; T. Schmidt, GesR 2007, S. 295 ff. 113 Vgl. Weyers/Wandt, Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl., 2003, Rn. 872. 114 Vgl. zur Entwicklung Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 385 ff.

C. Grenzen der Anwendung des funktionellen Auftraggeberbegriffs

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kenkassen nicht nur formal, sondern auch funktional lediglich der Rechtsaufsicht im Rahmen der Aufsicht der BaFin über die privaten Versicherungsmärkte nach Maßgabe der §§ 5 ff., 81 ff. VAG unterliegen.115 Die Aufsicht umfasst die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb (§ 5 VAG) und die laufende Aufsicht im Rahmen der allgemeinen Rechtsaufsicht116 nach Maßgabe der §§ 81 ff. VAG zur Vermeidung von Missständen. Zu diesem Zweck überwacht die BaFin insbesondere die Bildung ausreichender Rückstellungen, die Buchhaltung und die Solvabilität der Versicherungsunternehmen. Die Aufsichtsmittel sind gem. § 81 Abs. 2 VAG grundsätzlich auf die Beobachtung sowie auf den Erlass von Anordnungen zur Beseitigung von Missständen beschränkt. Das einschneidendste Mittel ist der Widerruf der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb nach Maßgabe von § 87 VAG. Dagegen kann die Aufsichtsbehörde einzelnen Vorstandsmitgliedern keinen Verweis erteilen.117 Insgesamt hält sich die Rechtsaufsicht damit in dem für den Finanzdienstleistungssektor üblichen Rahmen. Eine Geschäftskontrolle, die den Anforderungen des EuGH an eine vergaberechtliche Aufsicht entsprechen würde, ist nicht möglich. Gegen eine vergaberechtliche Aufsichtssteuerung spricht ferner, dass das VAG weitgehend harmonisiert ist und damit lediglich jene Aufsichtsmittel umfasst, die vom Binnenmarktgesetzgeber zur Gewährleistung funktionsfähiger privater Versicherungsmärkte als erforderlich angesehen werden.118 Eine Auftraggebereigenschaft kraft Aufsicht oder Besetzung der Leistungsgremien scheidet damit ebenfalls aus.

115 Zur Rechtsaufsicht nach dem VAG vgl. Weyers/Wandt, Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl., 2003, Rn. 55 ff. 116 Weyers/Wandt, Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl., 2003, Rn. 55 ff. 117 BVerwG VersR 2000, S. 707 ff. 118 Basedow, Europäischer Versicherungsbinnenmarkt und Angleichung des Versicherungsvertragsrechts, in: Wandt/Reiff/Loorschelders/Bayer (Hrsg.), FS Lorenz, 2004, S. 1 ff.

7. Kapitel

Der sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts im Leistungserbringungsrecht des SGB V A. Dogmatische Eck- und Orientierungspunkte I. Das Leistungserbringungsrecht des SGB V zwischen hoheitlich-kooperativer Regulierung und Vertragswettbewerb Die eigentlichen Problemschwerpunkte der vergaberechtlichen Diskussion liegen auf der Ebene des sachlichen Anwendungsbereichs der RL 2004/18/EG (und damit regelhaft des GWB-Vergaberechts) auf die Verfahren der Steuerung der Leistungserbringung nach Maßgabe der §§ 69 ff. SGB V. Zur Bearbeitung dieser Fragestellung kann auf die im 3. und 5. Kapitel entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden. Die notwendige, wenn auch nicht unbedingt zureichende Voraussetzung für die sachliche Anwendbarkeit des EU-Vergaberechts ist demnach das Vorliegen eines entgeltlichen (gegenleistungsabhängigen) Vertragsverhältnisses zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Auftragnehmer.1 In Ermangelung eines entgeltlichen Vertragsverhältnisses scheidet eine Anwendung der RL 2004/18/EG und 2004/17/EG immer dann aus, wenn die öffentliche Hand nicht in austauschvertraglicher, sondern in hoheitlicher oder hoheitlich-kooperativer Form handelt.2 Gerade im Leistungserbringungsrecht des SGB V bietet sich daher bei der Untersuchung der Grundlagen und Grenzen des sachlichen Anwendungsbereichs der Vergaberichtlinien eine grundsätzliche Differenzierung zwischen dem „traditionellen“ (regelmäßig vergaberechtsneutralen) System der hoheitlich-kooperativen Regulierung und dem „neuen“ (regelmäßig vergaberechtsrelevanten) System der selektiven Versorgungsverträge an.3 Beide Systeme stehen allerdings nicht in strikter Trennung nebeneinander, sondern sind vielmehr „quer“ zu den einzelnen Leistungssektoren und zum Teil auch sektorenübergreifend (im Rahmen der Integrierten Versorgung) miteinander verzahnt.4 Im Folgen1

Hierzu oben 3. Kapitel, B. III. 1., C. III.; 5. Kapitel, C. I. Hierzu oben 3. Kapitel, C. III. 4.; 5. Kapitel, C. II. und III. 3 Vgl. zum Erfordernis der Differenzierung z. B. Pruns, Kartell- und vergaberechtliche Probleme selektiven Kontrahierens auf europäischer und nationaler Ebene, 2008, S. 53 ff. Siehe auch oben 5. Kapitel, C. I. und II. 4 Vgl. Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 55 ff. 2

A. Dogmatische Eck- und Orientierungspunkte

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den soll das System der hoheitlich-kooperativen Regulierung im Leistungserbringungsrecht des SGB V exemplarisch am Beispiel des allgemeinen Systems der vertragsärztlichen Versorgung (§§ 72 ff. SGB V), der Arzneimittelzulassung und Festbetragsfestsetzung (§§ 31, 34 ff. SGB V) sowie der Heilmittelzulassung (§§ 32, 124 f. SGB V) untersucht werden, wobei in diesem Rahmen auch auf die Richtlinienrechtsetzung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (§§ 91 ff. SGB V) einzugehen sein wird. Hieran schließen sich Untersuchungen zum System der selektiven Versorgungsverträge an, wobei im Bereich der Krankenhausversorgung wegen des engen Sachzusammenhangs zugleich auch auf die hoheitliche Zugangsregulierung fokussiert wird.

II. Kriterien zur Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs der RL 2004/18/EG Trotz des Siegeszugs des neuen Systems des Vertragswettbewerbs in der GKV besteht das allgemeine System der hoheitlich-kooperativen Regulierung nach wie vor in allen Leistungssektoren des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung in der einen oder anderen Form fort.5 Dieses System ist grundsätzlich vergaberechtsneutral und muss nach den im 3. und 5. Kapitel entwickelten Maßstäben vom „neuen“ System der austauschvertraglichen Steuerung der Leistungserbringung durch selektive Versorgungsverträge abgegrenzt werden. Hierbei kann – wie bereits gezeigt wurde – an die vom EuGH entwickelten Kriterien zur Abgrenzung zwischen unternehmerischer Marktteilnahme und kooperativer Marktregulierung im Wettbewerbsrecht angeknüpft werden.6 Zwar unterscheiden sich Wettbewerbsrecht und Vergaberecht in ihrem Schutzzweck.7 Gleichwohl existiert zwischen ihnen ein Verhältnis der Komplementarität. 8 Insbesondere ist beiden Rechtsgebieten gemeinsam, dass sie auf die Gefahren der Marktteilnahme durch 5 Vgl. zu hoheitlich-kooperativen Regelungsinstrumentarium des Leistungserbringungsrechts des SGB V die Beiträge bei: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 1, Wettbewerb, 2005, sowie Band 2, Kooperation, 2006. Zum Vertragswettbewerb: Bickmann, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 2, Kooperation, 2006, S. 125 ff.; Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 9 ff., 151 ff. 6 Nichtanwendung des Wettbewerbsrechts auf die hoheitlich-kooperative Regulierung: EuGH Rs. C-153/93 (Delta) Slg. 1994, I-2517 für die Tariffestsetzung durch Frachtausschüsse; EuGH Rs. C-35/99 (Arduino) Slg. 2002, I-1529, Rn. 40 ff., für die Festsetzung einer Gebührenordnung für Anwälte. Dagegen EuG Rs. T-513/93 (CNDS) Slg. 2000, II-1807, Rn. 62 ff.: Marktteilnahme wegen fehlender staatlicher Letztverantwortung bei weitgehend autonomer Festsetzung einer Gebührenordnung durch Berufsverband. Hierzu: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 31, Rn. 64 ff., sowie oben 3. Kapitel, C. III. 2. und 5. Kapitel, C. II. 7 Hierzu oben 3. Kapitel, B. III. 2. 8 Hierzu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 36, Rn. 45 ff.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

die öffentliche Hand bzw. öffentliche Unternehmen, nicht aber auf die hoheitliche Marktregulierung reagieren.9 Maßgeblich für die Abgrenzung ist der für vergaberechtliche Vertragsverhältnisse erforderliche wirtschaftliche Verhandlungsspielraum der Vertragsparteien. Die Anwendung des Vergaberechts auf die hoheitlich-kooperative Regulierung der Leistungserbringung ist daher dann ausgeschlossen, wenn es an diesen Verhandlungsspielräumen infolge einer hinreichend engen gesetzlichen Determinierung bei gleichzeitiger Wahrung einer staatlichen Letztverantwortung durch entsprechende hoheitliche Aufsichtsbefugnisse fehlt.10 Der Zweck der hoheitlich-kooperativen Regulierung der Leistungserbringung lag und liegt gerade auch darin, die potenzielle Nachfragemacht der gesetzlichen Krankenkassen über Kooperationsstrukturen aufzufangen.11 Bereits deswegen spricht einiges dafür, dass die hoheitlich-kooperative Regulierung der Leistungserbringung im Ergebnis nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen kann. Diese Vermutung soll im Folgenden einer Überprüfung anhand der im 3. und 5. Kapitel entwickelten Kriterien unterzogen werden.12

B. Vertragsärztliche Versorgung I. Die vertragsärztliche Zulassung gem. §§ 95 SGB V 1. Die vertragsärztliche Zulassung als Dienstleistungsauftrag, Rahmenvereinbarung oder Dienstleistungskonzession Die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die vertragsärztliche Zulassung wurde bereits thematisiert, sodass hier auf die Überlegungen des 5. Kapitels zur Abgrenzung von vergaberechtlichen Vertragsverhältnissen und hoheitlicher Regulierung Bezug genommen werden kann. Im Kern geht es um ein Problem der Abgrenzung zwischen hoheitlich-kooperativer Regulierung und austauschvertraglicher Steuerung.13 Bevor diese Abgrenzung vonstatten geht, ist es jedoch vorab sinnvoll, zu prüfen, welche Vertragstypen der RL 2004/18/EG grundsätzlich auf die vertragsärztliche Zulassung anwendbar sein könnten.14 9 Vgl. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2077 f. Vgl. auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2004, § 36, Rn. 1 ff., für das Vergaberecht und § 31, Rn. 64 ff. für das Wettbewerbsrecht. 10 EuGH Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 71, 75. Zum Wettbewerbsrecht: EuGH Rs. C-153/93 (Delta) Slg. 1994, I-2517; EuGH Rs. C-35/99 (Arduino) Slg. 2002, I-1529, Rn. 40 ff.; EuG Rs. T-513/93 (CNDS) Slg. 2000 II-1807, Rn. 62 ff. 11 Hierzu oben 4. Kapitel, B. II. 2. 12 Hierzu oben 3. Kapitel, C. III. 4.; 5. Kapitel, C. II. und III. 13 Siehe oben 5. Kapitel, C. IV. 14 Zur Frage der Anwendung des Vergaberechts auf das allgemeine System der vertragsärztlichen Versorgung: Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), S. 1 (27 ff.); Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 120 ff.

B. Vertragsärztliche Versorgung

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a) Die Zulassung als Dienstleistungsauftrag Die vertragsärztliche Zulassung berechtigt und verpflichtet den Vertragsarzt nach Maßgabe der §§ 95 ff. SGB V zur Versorgung der gesetzlich Versicherten. Sie begründet zugleich einen über die kassenärztlichen Vereinigungen mediatisierten Entgeltzahlungsanspruch in Form einer Einzelleistungsvergütung, der letztlich zulasten der gesetzlichen Krankenkassen geht, die mit den kassenärztlichen Vereinigungen nach Maßgabe der §§ 82 ff. SGB V eine Gesamtvergütung vereinbaren. Der Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung erfolgt nach Maßgabe der §§ 95 ff. SGB V durch Verwaltungsakt durch die jeweils zuständigen gemeinsamen Landesausschüsse der Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen.15 Die Wahl der Rechtsform des Verwaltungsakts muss das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses im vergaberechtlichen Sinne allerdings nicht notwendig ausschließen, soweit ein faktisches wirtschaftliches Austauschverhältnis mit hinreichend weiten quasivertraglichen Ausgestaltungsspielräumen vorliegt.16 Aus Sicht der Typologie der Vergaberichtlinie wäre es mithin zunächst denkbar, dass es sich bei der vertragsärztlichen Zulassung um einen entgeltlichen Dienstleistungsauftrag (Art. 1 Abs. 2 RL 20034/18/EG) der Krankenkassen bzw. der im Gemeinsamen Landesausschuss zusammengeschlossenen Krankenkassen und der kassenärztlichen Vereinigungen (vgl. § 90 Abs. 1 SGB V) an den einzelnen Vertragsarzt zur Erbringung von vertragsärztlichen Versorgungsleistungen mit aufschiebend bedingter Entgeltzahlungspflicht bei Leistungserbringung an die Versicherten handelt.17 In diesem Falle wären die vergaberechtlichen Vorgaben an die Ausschreibung von Dienstleistungsaufträgen zu beachten, wobei allerdings bei Dienstleistungsaufträgen im Gesundheitswesen lediglich gewisse Basisanforderungen an technische Spezifikationen einzuhalten sind.18 b) Die Zulassung als Rahmenvereinbarung Neben Liefer- und Dienstleistungsaufträgen kommt bei der Vertragssteuerung im Leistungserbringungsrecht des SGB V indes auch das Vorliegen einer Rahmenvereinbarung in Betracht, zumal der EuGH Integrierte Versorgungsverträge 15 Hierzu: Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 184 ff.; Hess, VSSR 2007, S. 199 ff. Orlowski, VSSR 2007, S. 157 ff. 16 Koenig/Steiner, ZESAR 2003, S. 150 (151 f.); Wilke ZfBR 2004, S. 141, 142; Ruhland/Burgi, VergabeR 2005, S. 1 ff.; Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2077 f.; zur Anwendung auf öffentlich-rechtliche Verträge: EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 75. 17 Für einen Dienstleistungsauftrag im Fall der Krankenhauszulassung durch Verwaltungsakt: Koenig/Steiner, ZESAR 2003, S. 150 (151 f.); hierzu näher unten 7. Kapitel, D. IV. 18 Pruns, Kartell- und vergaberechtliche Probleme selektiven Kontrahierens auf europäischer und nationaler Ebene, 2008, S. 346 ff., 403 ff.

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nach §§ 140a ff. SGB V in diesem Sinne qualifiziert hat.19 Demzufolge wäre es grundsätzlich denkbar, dass auch die vertragsärztliche Zulassung eine Rahmenvereinbarung gem. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG zwischen Vertragsarzt, kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen darstellt, welche die Rahmenbedingungen für die spätere Einzelleistungserbringung regelt, wobei die weitere Konkretisierung durch den Gesamtvertrag und den Bundesmantelvertrag erfolgt. Zwar muss eine Rahmenvereinbarung grundsätzlich auf die spätere Vergabe entgeltlicher Einzelaufträge gerichtet sein.20 Im Grundsystem erfolgt demgegenüber gerade keine unmittelbare entgeltliche Einzelbeauftragung der Vertragsärzte durch die Krankenkasse. Vielmehr geht die Einzelbeauftragung durch die gesetzlich Versicherten, denen gem. § 76 SGB V das Recht auf freie Arztwahl zusteht, vonstatten. Freilich schließt das Fehlen eines unmittelbaren Einzelauftrags das Vorliegen einer Rahmenvereinbarung nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rs. C-300/07 gerade nicht notwendig aus.21 Vielmehr kann der Einzelvertragsschluss zwischen Versicherten und Leistungserbringern im Einzelfall einer Einzelauftragsvergabe i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG nach der hier vertretenen Auffassung jedenfalls dann gleichzustellen sein, wenn ein Versorgungsvertrag zwischen einer Krankenkasse und einem Leistungserbringer in seinen marktzugangsbeschränkenden Wirkungen jenen einer Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG funktional entspricht.22 Dies könnte bei der vertragsärztlichen Zulassung durchaus der Fall sein, da die Zulassung den Kreis der Marktteilnehmer im Vorfeld des Einzelvertragsschlusses über eine Versorgungsleistung in ähnlicher Weise beschränkt wie eine Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG: hier wie dort können nicht alle zum ärztlichen Beruf zugelassenen Leistungserbringer an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. c) Die Zulassung als Dienstleistungskonzession Schließlich könnte mit Blick auf das Verfahren der vertragsärztlichen Zulassung auch noch über das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession i. S. v. Art. 1 Abs. 4 RL 2004/18/EG diskutiert werden, da der Vertragsarzt durch die Zulassung letztlich ein Zugangsrecht zu einem öffentlich finanzierten Markt bei freiem Wahlrecht der Versicherten auf grundsätzlich eigenes wirtschaftliches Betriebsrisiko erhält.23 Ob letztlich eine Rahmenvereinbarung oder eine Dienstleistungskonzession vorliegt, bestimmt sich nach der Entscheidung des EuGH in der 19 EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 67 ff.; hierzu Kingreen, NJW 2009, S. 2417 ff. 20 Siehe oben 3. Kapitel, D. III. 21 EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 67 ff.; hierzu Kingreen, NJW 2009, S. 2417 ff. 22 Siehe oben 5. Kapitel, D. II. 3. b) dd). 23 So Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), S. 1 (27); Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 120.

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Rs. C-300/07 nach Maßgabe der Kostentragungspflicht der Krankenkassen und der wirtschaftlichen Risikoverteilung.24 Für eine Rahmenvereinbarung könnte nach diesen Grundsätzen sprechen, dass die Krankenkassen – wenn auch mediatisiert durch die kassenärztlichen Vereinigungen – letztlich Kostenschuldner sind. Zudem ließe sich angelehnt an die Rs. C-300/07 argumentieren, dass das Betriebsrisiko der Teilnahme an einem öffentlich finanzierten System geringer sei als im Fall der Dienstleistungskonzession auf einem privaten Markt.25 Andererseits haben die Krankenkassenträger im allgemeinen System der vertragsärztlichen Versorgung gerade keinen Einfluss auf die individuellen Wahlentscheidungen der gesetzlich Versicherten in Bezug auf die Inanspruchnahme von einzelnen Vertragsärzten. Anders als bei Leistungsansprüchen aus anderen Büchern des SGB ist der Leistungsanspruch der gesetzlich Versicherten bei den Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung auch nicht von einer vorherigen Bewilligung durch die gesetzlichen Krankenkassen abhängig. Vielmehr entsteht der Anspruch gem. § 40 Abs. 1 SGB V unmittelbar kraft Gesetzes, soweit die sachlichen Voraussetzungen vorliegen. Der Versicherte ist lediglich gem. § 15 Abs. 2, 291 SGB V zur Vorlage der Krankenversicherungskarte bei dem von ihm ausgewählten Vertragsarzt verpflichtet, um einen Nachweis seiner Leistungsberechtigung zu erbringen. Damit lässt sich argumentieren, dass den Krankenkassen die Inanspruchnahme des einzelnen Vertragsarztes durch den gesetzlich Versicherten im allgemeinen System nicht als Einzelauftrag zugerechnet werden kann, was ebenfalls für eine Dienstleistungskonzession sprechen könnte.26 2. Die Zulassung zu vertragsärztlicher Versorgung als vergaberechtsneutrale hoheitlich-kooperative Zulassungsentscheidung Die bisherigen Überlegungen machen paradigmatisch deutlich, dass bei der Anwendung der sehr weit gefassten Vertragstypen des Vergaberechts auf die vergaberechtsuntypischen Strukturen des Leistungserbringsrechts vielfältige Lösungen zunächst als vertretbar erscheinen und argumentativ untermauert werden können. Damit droht allerdings auch eine Engführung der Perspektive auf dogmatische Detailprobleme der Abgrenzung zwischen den einzelnen Vertragstypen der Vergaberichtlinie, während die eigentliche vergaberechtliche Grundsatzfrage, nämlich die nach den Grenzen des Gesamtsystems des Primär- und Sekundärvergaberechts im Verhältnis zur vergaberechtsneutralen hoheitlichen Regulierung, nicht recht in Erscheinung tritt.27 Demgegenüber ist nochmals auf die „speziali24

EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 67 ff. EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 73 f. 26 Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 122, im Ergebnis auch Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), S. 1 (27). 27 Zur wettbewerbsrechtlichen Parallelproblematik: EuGH, Rs. C-153/93 (Delta) Slg. 1994, I-2517; EuGH, Rs. C-35/99 (Arduino) Slg. 2002, I-1529, Rn. 40 ff.; EuG Rs. 25

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sierte“ Funktion des Vergaberechts im System des europäischen besonderen Verwaltungsrechts zu verweisen. Das Vergaberecht zielt allein auf die Harmonisierung der Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe, nicht auf die Harmonisierung der Verfahren staatlicher Regulierung insgesamt.28 Die Frage, welchem vergaberechtlichen Vertragstypus die vertragsärztliche Zulassung zugeordnet werden kann, stellt sich daher überhaupt erst dann, wenn bereits geklärt ist, dass überhaupt ein vergaberechtlich relevantes vertragliches Austauschverhältnis vorliegt. Alle Vertragstypen der Vergaberichtlinie, einschließlich der Rahmenvereinbarung und der Dienstleistungskonzession, setzen voraus, dass die öffentlich Hand und Unternehmen auf vertraglicher Grundlage in wirtschaftliche Austauschbeziehungen eintreten und über die für wirtschaftliche Austauschbeziehungen typischen wirtschaftlichen Freiheits- und Verhandlungsspielräume verfügen.29 Die Zulassung zur allgemeinen vertragsärztlichen Versorgung ist dann, aber auch nur dann vergaberechtlich relevant, wenn der Gesetzgeber die Krankenkassen ermächtigt hätte, auch im allgemeinen System besondere Marktzugangsrechte im Verhandlungswege Zug um Zug gegen Preisnachlässe oder Leistungsverbesserungen zu „verkaufen“. Da der Gesetzgeber den Krankenkassenträgern eben diese Möglichkeit im neuen System der selektiven Versorgungsverträge (Integrierte Versorgungsverträge, Hilfsmittelverträge, Arzneimittelrabattverträge usw.) eröffnet, fallen derartige Verträge regelmäßig in den Anwendungsbereich des Vergaberechts.30 Soweit diese vergaberechtlichen Mindestvoraussetzungen jedoch nicht erfüllt sind, weil im System des SGB V nach wie vor eine hoheitliche Zulassungsentscheidung nach dem Muster berufsrechtlicher Zulassungsverfahren erfolgt, scheidet die Anwendung des Vergaberechts konsequenterweise aus.31 Dies gilt gerade auch für die Zulassung als Vertragsarzt nach Maßgabe der §§ 95 ff. SGB V. Die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ist eine gebundene Entscheidung, die dem Gemeinsamen Landesausschuss keinerlei Spielräume für ein Auswahlermessen lässt.32 Damit fehlt es zugleich an den vom EuGH für das Vergaberecht für konstitutiv erklärten vertraglichen Aushandlungsspielräumen.33 Zudem werden Zulassungen im allgemeinen System auch nicht von individuellen T-513/93 (CNDS) Slg. 2000, II-1807, Rn. 62 ff.; hierzu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 31 Rn. 65; siehe auch oben 3. Kapitel, C. III. 2.; 5. Kapitel, C. II. 28 Siehe zur Abgrenzung zu anderen Gebieten des europäischen Verwaltungsrechts oben 3. Kapitel, B. III. 29 Siehe oben: 3. Kapitel, C. III. 1.; 5. Kapitel, C. I. 30 EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 62 ff., 67 ff. 31 Siehe oben. 5. Kapitel, C. III.; zur berufsrechtlichen Regulierung aus wettbewerbsrechtlicher Sicht: EuGH, Rs. C-153/93 (Delta) Slg. 1994, I-2517; EuGH, Rs. C-35/99 (Arduino) Slg. 2002, I-1529, Rn. 40 ff.; EuG Rs. T-513/93 (CNDS) Slg. 2000, II-1807, Rn. 62 ff. 32 Zur aktuellen Rechtslage: Hess, VSSR 2007, S. 199 ff.; Orlowski, VSSR 2007, S. 157 ff. 33 EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 71, 75.

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wirtschaftlichen Gegenleistungen abhängig gemacht. Damit fehlt es ebenfalls an der Gegenseitigkeit eines vergaberechtlichen Austauschverhältnisses. Schließlich unterliegt der Landesausschuss der Rechtsaufsicht durch die zuständigen Landesbehörden, die wegen der gesetzlichen Determinierung der Zulassungsentscheidung in ihren Wirkungen einer Fachaufsicht entspricht. Damit scheidet eine Anwendung des Vergaberechts auf die vertragsärztliche Zulassung unter allen denkbaren Gesichtspunkten aus. Dies gilt nicht nur für den Dienstleistungsauftrag und die Rahmenvereinbarung, sondern – entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung – auch für die Dienstleistungskonzession.34 Zwar hat die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung insoweit konzessionsähnlichen Charakter, als dem Vertragsarzt letztlich ein besonderes wirtschaftliches Verwertungsrecht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eingeräumt wird, das ihn gegenüber nicht zugelassenen Ärzten privilegiert. Auch eine Dienstleistungskonzession setzt indes, ebenso wie jeder (andere) öffentliche Auftrag, vertragliche Verhandlungsspielräume zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer über einen wirtschaftlichen Leistungsaustausch voraus.35 Im allgemeinen Vertragsarztrecht fehlt es dagegen gerade an dieser Voraussetzung.36

II. Keine Zurechnung der Leistungserbringung als Dienstleistungsauftrag zu den gesetzlichen Krankenkassen Auch wenn die vertragsärztliche Zulassung als hoheitliches Zulassungsverfahren selbst nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt, wäre es jedoch denkbar, dass sich die Krankenkassen auch im allgemeinen System des Vertragsarztrechts die Wahlentscheidungen der gesetzlich Versicherten als entgeltliche Einzelaufträge zurechnen lassen müssen. Hierfür könnte sprechen, dass unter Geltung des Sachleistungsprinzips die gesetzlichen Krankenkassen, nicht aber die gesetzlich Versicherten alleiniger Kostenschuldner sind. Gegen eine Zurechnung spricht allerdings, dass die Kassen die Wahlentscheidungen der Versicherten im allgemeinen System nicht – oder nur mittelbar über das sogleich noch zu erörternde Kollektivvertragssystem – beeinflussen können.37 Gleichwohl kommt es im Vergaberecht nicht auf die zivilrechtliche Zurechenbarkeit von Handlungen 34 Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), S. 1 (27); Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 120. 35 Dieses Kriterium ist bei den klassischen Fällen, in denen Dienstleistungskonzessionen vor allem beim Streckenbetrieb im Verkehrswesen diskutiert werden, regelmäßig erfüllt. Hierzu Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162 ff. 36 Allerdings sind neben dem allgemeinen System besondere vertragsärztliche Versorgungsformen, wie etwa die hausarztzentrierte Versorgung und die Integrierte Versorgung, entstanden, die anders beurteilt werden müssen. Hierauf wird an späterer Stelle im Zusammenhang mit der Analyse neuer Versorgungsformen zurückzukommen sein. Hierzu unten 7. Kapitel, D. I. und II. 37 Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 120 ff.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

Dritter, sondern allein auf eine funktionale Betrachtung an. Allerdings lässt sich auch bei funktionaler Betrachtung eine Zurechnung der Wahlentscheidungen der gesetzlich Versicherten als entgeltlicher Einzelauftrag i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG zu den Krankenkassen nicht überzeugend rechtfertigen, da dann letztlich jede Wahlentscheidung der Versicherten einer Ausschreibungspflicht unterliegen müsste. Bei den Einzelverträgen zwischen Versicherten und Vertragsärzten handelt es sich indes um private Auftragsverhältnisse zwischen Privaten, die nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen.38 Damit treten nochmals die Schwierigkeiten der Integration der sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisse in das System des Vergaberechts zutage, das auf zweipolige Auftragsverhältnisse zugeschnitten ist.39 Jedenfalls darf der Versuch, die Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber in das Vergaberecht einzubeziehen, nicht dazu führen, dass im Ergebnis eine Überdehnung der Vorschriften des Vergaberechts in den Bereich privater wirtschaftlicher Austauschverhältnisse erfolgt.40 Um dieses vom Vergaberecht nicht intendierte Ergebnis zu vermeiden, scheidet die Konstruktion eines – über den Versicherten vermittelten – entgeltlichen öffentlichen Einzelauftrags der gesetzlichen Krankenversicherungen i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG bei einer Leistungsinanspruchnahme durch die gesetzlich Versicherten grundsätzlich aus. Vielmehr ist nur denkbar, dass sich die gesetzlichen Krankenversicherungen im Rahmen von Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG den privaten Einzelauftrag der gesetzlich Versicherten wie einen eigenen öffentlichen Einzelauftrag zurechnen lassen müssen.41 Diese dogmatische Konstruktion hat den Vorzug, dass der Einzelauftrag der gesetzlich Versicherten prinzipiell nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt und daher auch nicht ausschreibungspflichtig werden kann. Gleichwohl kann eine Ausschreibungspflicht der gesetzlichen Krankenkassenträger bzw. ihrer Verbände auch im allgemeinen System des Vertragsarztrechts bestehen, soweit eine ausschreibungspflichtige Rahmenvereinbarung zwischen Krankenkassen und Leistungserbringer i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG vorliegt.

III. Die Kollektivvertragsstrukturen des Vertragsarztrechts als System von Normsetzungsverträgen Im allgemeinen System des Vertragsarztrechts existiert allerdings die Besonderheit, dass die Rahmenbedingungen der Leistungserbringung gerade nicht durch 38 Vgl. allgemein zum Anwendungsbereich des Vergaberechts: Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1984 ff.; soweit eingehend oben 3. Kapitel, C. 39 Siehe oben 5. Kapitel, A. IV. 3. 40 Vgl. oben 5. Kapitel, D. II. 3. b) dd). 41 So im Ergebnis letztlich: EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 62 ff., 67 ff.

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selektive Versorgungsverträge, wie etwa Integrierte Versorgungsverträge gem. §§ 140a ff. SGB V oder Hilfsmittelvereinbarungen i. S. v. § 127 SGB V, sondern durch das Kollektivvertragssystem des Vertragsarztrechts geregelt werden.42 Damit bleibt zu klären, ob es sich beim Kollektivvertragssystem des Vertragsarztrechts um ein vergaberechtlich relevantes Vertragssystem, insbesondere um eine Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG, handeln könnte. 1. Die atypischen Strukturen der hoheitlich-kooperativen Regulierung der vertragsärztlichen Versorgung als vergaberechtliches Problem Die Preis- und Leistungsbedingungen der vertragsärztlichen Versorgung werden im allgemeinen System über Kollektivverträge (Gesamtverträge und Bundesmantelvertrag) festgelegt, auf deren vergaberechtliche Stellung mit Blick auf die Gesamtverträge nach § 83 SGB V bereits eingegangen wurde.43 Die Überlegungen im 3. und 5. Kapitel haben deutlich gemacht, dass es letztlich – ähnlich wie bereits bei der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung – um ein Problem der Abgrenzung von vergaberechtlichen Vertragsverhältnissen zur hoheitlich-kooperativen Regulierung durch Normsetzungsverträge geht. Demgegenüber treten auch im Kollektivertragssystem der vertragsärztlichen Versorgung die dogmatischen Übertragungsprobleme exemplarisch zutage, die sich aus den ganz unterschiedlichen Strukturen des Vergaberechts und des Leistungserbringungsrechts des SGB V ergeben. Bevor die Frage nach dem Vorliegen eines „vergaberechtsneutralen“ hoheitlich kooperativen Regulierungssystems eingehender diskutiert wird, soll daher auch hier zunächst untersucht werden, welche der Vertragstypen der Vergaberichtlinie auf die Kollektivvertragsstrukturen der vertragsärztlichen Versorgung jedenfalls potenziell Anwendung finden könnten. 2. Grundstruktur des Kollektivvertragssystems Die Regelungsstruktur der allgemeinen vertragsärztlichen Versorgung konstituiert in ihrer Gesamtheit ein über Verbands- und Kollektivvertragsstrukturen mediatisiertes System von Normsetzungsverträgen, durch das Krankenkassen und Vertragsärzte die Preis- und Leistungsbedingungen der Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung und der Abwicklung der vertragsärztlichen Vergütung unter staatlicher Aufsicht und unter Berücksichtigung enger gesetzlicher

42 Hierzu eingehend A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, Berlin 2001. 43 Hierzu: Bieback, RsDE Nr. 49 (2001), S. 1 (27); Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 120 ff.; siehe auch: Ebsen/Greß/Szecsenyi/Wasem, Soziale Sicherheit 2003, S. 128 ff.; Steinmeyer, GSP 2003, S. 9 ff.

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Vorgaben gemeinsam und einheitlich durch Gesamtverträge auf Landesebene und den Bundesmantelvertrag regeln.44 a) Gesamtverträge gem. § 83 ff. SGB V Der Gesamtvertrag legt gem. §§ 83 ff. SGB V im Rahmen des Bundesmantelvertrags zwischen Kassen und den kassenärztlichen Vereinigungen die Gesamtvergütung für die Gesamtheit der von den Vertragsärzten erbrachten Leistungen auf Landesebene fest und regelt zugleich die Grundsätze ihrer Verteilung an die Vertragsärzte durch die kassenärztlichen Vereinigungen.45 Dabei enthält der Gesamtvertrag auch detaillierte Regelungen über die Verteilung der Gesamtvergütung auf Arztgruppen und Ärzte (sog. Regelleistungsvolumina). Die Kassen leisten die Gesamtvergütung an die kassenärztlichen Vereinigungen, denen der gesetzliche Sicherstellungsauftrag obliegt. Die kassenärztlichen Vereinigungen verteilen die Gesamtvergütung nach Maßgabe der vom Gesamtvertrag umfassten Honorarvereinbarung an die einzelnen Arztgruppen und Ärzte weiter, die in den kassenärztlichen Vereinigungen als Pflichtmitglieder zusammengeschlossen sind.46 Die kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen unterstehen der Rechtsaufsicht der zuständigen Landesbehörden. b) Bundesmantelvertrag gem. §§ 87 ff. SGB V Auf der Bundesebene vereinbaren die kassenärztlichen Bundesvereinigungen und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen den Inhalt des Bundesmantelvertrags nach Maßgabe der §§ 87 ff. SGB V. Der Bundesmantelvertrag ist gem. § 87 Abs. 1 SGB V Bestandteil der Gesamtverträge. Der Bundesmantelvertrag enthält insbesondere den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) für ärztliche und zahnärztliche Leistungen, der gem. § 87 Abs. 2 SGB V den Inhalt der abrechungsfähigen Leistungen und ihr in Punktwerten ausgedrücktes Verhältnis zueinander nach Maßgabe der Vorgaben des § 87 SGB V umfasst. Der EBM wird vom Bewertungsausschuss festgelegt, der sich gem. § 83 Abs. 3 aus Vertretern der kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassenverbände zusammensetzt. Gemäß § 83 Abs. 6 SGB V kann das Bundesministerium für Gesundheit an Sitzungen des Bewertungsausschusses teilnehmen. Beschlüsse sind dem Ministerium vorzulegen, das diese gem. § 86 Abs. 6 Satz 2 SGB V beanstanden kann. 44 Vgl. Rompf, VSSR 2004, S. 281 ff.; A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2001, S. 220 ff., 242 ff.; Pruns, Kartell- und vergaberechtliche Probleme selektiven Kontrahierens auf europäischer und nationaler Ebene, 2008, S. 53 ff. 45 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 184 ff. 46 Zu den Grundlagen eingehend: A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2001, S. 220 ff., 244 ff.; zur aktuellen Struktur: Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 184 ff.

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Die Nichtbeanstandung kann vom Ministerium gem. § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB V mit Auflagen verbunden werden. Kommen Beschlüsse des Bewertungsausschusses nicht fristgerecht zustande oder wird Beanstandungen nicht fristgerecht abgeholfen, kann das Ministerium den Inhalt des Beschlusses gem. § 86 Abs. 6 Satz 4 SGB V festsetzen. Unbeschadet der besonderen aufsichtsrechtlichen Befugnisse aus § 86 Abs. 6 SGB V unterliegen die kassenärztlichen Bundesvereinigungen und der Spitzenverband der Krankenkassen bei den ihnen nach Maßgabe des Art. 86 übertragenen Aufgaben gem. § 78 und § 214 der Rechtsaufsicht durch das Bundesministerium für Gesundheit.47 c) Schiedswesen auf Landes- und Bundesebene gem. § 89 SGB V Kommen Verträge über die vertragsärztliche Versorgung nicht zustande, entscheiden gem. § 89 Abs. 1 SGB V die Schiedsämter auf Landes- und Bundesebene, die mit Vertretern der kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassenverbände besetzt sind. Entscheidungen über die vertragsärztliche Vergütung sind den Aufsichtsbehörden vorzulegen und können von diesen gem. § 89 Abs. 5 Satz 4 SGB V innerhalb einer Frist von zwei Monaten beanstandet werden. Die Schiedsämter unterstehen gem. § 89 Abs. 5 SGB V der Aufsicht durch die zuständigen Landesbehörden bzw. das Bundesministerium für Gesundheit.48 Die Aufsicht erstreckt sich auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem (untergesetzlichen) Recht. Da die Rechtsaufsicht auch die Verpflichtung der Leistungserbringer zur zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung umfasst (vgl. § 70 Abs. 1 SGB V), entspricht diese im Ergebnis weitgehend einer Fachaufsicht.49 d) Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gem. § 92 SGB V Ein zentraler Baustein des Kollektivvertragssystems des Vertragsarztrechts sind schließlich die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, die gem. § 92 Abs. 8 SGB V Bestandteil des Bundesmanteltarifs werden. Im Bedeutungsgewinn des Gemeinsamen Bundesausschusses kommen die Tendenzen zur Zentralisierung von Entscheidungszuständigkeiten auf der Bundesebene der Gemeinsamen Selbstverwaltung besonders deutlich zum Ausdruck.50 Der Bundesausschuss setzt sich aus Vertretern des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesell47

Vgl. A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2001, S. 346 ff. A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2001, S. 301 ff., 346 ff.; Ebsen, VSSR 1990, S. 57 ff.; Krause, VSSR 1990, S. 197 ff. 49 Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1292 f. 50 Greß/Wasem, MedR 2006, S. 512 ff.; zur Entwicklung im Rahmen der Gesundheitsreform 2007: Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 348 ff. 48

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

schaft zusammen und verfügt über weit reichende Steuerungsmöglichkeiten in allen Sektoren des Leistungserbringungsrechts des SGB V.51 Zu seinen Richtlinienbefugnissen zählen gem. § 92 Abs. 1 SGB V u. a. Richtlinien über die ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Maßnahmen der Früherkennung, die Einführung neuer Behandlungsmethoden, die Verordnung von Arznei- und Hilfsmitteln, die Bedarfsplanung und die Qualitätssicherung.52 Der Gemeinsame Bundesausschuss verfügt im Rahmen der sehr allgemeinen gesetzlichen Vorgaben des § 92 SGB V über erhebliche Ermessensspielräume, was unter Legitimationsgesichtspunkten, aber auch mit Blick auf einen effektiven Grundrechtsschutz der Leistungserbringer problematisch sein kann.53 Andererseits ist jedenfalls unter Legitimationsgesichtspunkten zu berücksichtigen, dass der Ausbau der Befugnisse des Bundesausschusses nicht zuletzt eine Folge der zunehmenden Verrechtlichung von Standards der professionellen medizinischen Praxis ist, was zur Folge hat, dass professioneller Sachverstand verstärkt in Entscheidungsprozesse eingebunden werden muss. Die Lage ist hier bis zu einem gewissen Grad mit ähnlichen Entwicklungen im Bereich der technischen Normung und der Qualitätssicherung zu vergleichen.54 Andererseits gewährleistet die Einbindung von Vertretern der Kassenärzte, der Krankenhausträger und der Krankenkassen einen gewissen Interessenausgleich und zugleich ein gewisses Maß an Distanz zu den jeweiligen Einzelinteressen der Parteien der Gemeinsamen Selbstverwaltung. Schließlich ist zu beachten, dass die Wirksamkeit von Richtlinien des Bundesausschusses gem. § 94 Abs. 1 Satz 2 von einer Nichtbeanstandung durch das Bundesgesundheitsministerium abhängt. Hilft der Bundesausschuss einer Beanstandung nicht ab, so kann das Ministerium die Richtlinie gem. § 94 Abs. 1 Satz 5 SGB V selbst festsetzen.55 Insofern dürfte insgesamt ein hinreichendes Maß an Allgemeinwohlbindung und staatlicher Letztverantwortung gewahrt sein.56

51 Statt den Vergaberichtlinien greift die Transparenzrichtlinie, vgl. Jäkel, GesR 2007, S. 57 ff. 52 Wigge, MedR 2000, S. 574 ff. 53 Vgl. Schuler-Harms, Grundrechte als Rahmen verschiedener Kooperationsformen im Gesundheitswesen, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 2, Kooperation, 2006, S. 23 ff.; Musil, Gemeinsame Selbstverwaltung als Kooperationsform, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 2, Kooperation, 2006, S. 49 (57 ff.). 54 Vgl. Wigge, MedR 2000, S. 574 ff. 55 Vgl. zum Beanstandungsrecht gem. § 94 SGB V: Kaltenborn, VSSR 2000, S. 249 ff. 56 Vgl. Thiel, Kooperative untergesetzliche Normsetzung im Gesundheitswesen, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 2, Kooperation, 2006, S. 71 (89 ff.).

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3. Vergaberechtliche Beurteilung der Kollektivvertragsstruktur Fraglich ist nun, wie diese kollektivvertragliche Struktur vergaberechtlich zu beurteilen ist. a) Gesamtverträge zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung als Dienstleistungsaufträge: Das Beispiel des Medicare-Systems Bei Gesamtverträgen über vertragsärztliche Leistungen könnte es sich zunächst um entgeltliche Dienstleistungsaufträge zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den kassenärztlichen Vereinigungen handeln. Zwar erscheint die Annahme eines Dienstleistungsauftrags wegen der rahmenregulativen Funktion der Gesamtverträge zunächst eher fern liegend. Dessen ungeachtet können „Gesamtverträge“ über die Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung aller bei einer gesetzlichen Krankenkasse versicherten Patienten durchaus die Voraussetzungen eines entgeltlichen Dienstleistungsauftrags erfüllen. So werden z. B. im Rahmen des Medicare-Systems der Vereinigten Staaten „Gesamtverträge“ zwischen gesetzlichen Krankenversicherungsträgern und privaten Health-Maintaince-Organisationen (HMO) geschlossen, deren Gegenstand die Sicherstellung der Versorgung der gesetzlichen Versicherten mit den Leistungen des MedicareProgramms ist.57 Bei HMO handelt es sich um privatwirtschaftlich organisierte, renditeorientierte Unternehmen, die sich gegenüber einer oder mehreren gesetzlichen oder privaten Krankenversicherungsträgern zur Sicherstellung der Versorgung der Versicherten mit den von der Versicherung geschuldeten Leistungen entweder für sämtliche Leistungen oder für bestimmte Leistungsarten, wie die ambulanten oder die stationäre Versorgung, gegen eine „Gesamtvergütung“ verpflichten.58 Die HMO unterhalten ihrerseits Vertragsbeziehungen mit einzelnen Leistungserbringern, die sich zur Versorgung der Versicherten gegen die Zahlung einer Vergütung durch die HMO verpflichten.59 Die Vereinbarung einer Festvergütung dient dabei nach dem amerikanischen Steuerungsmodell dazu, aufseiten der HMO Anreize für Kostensenkungen zu schaffen, da dem HMO-Unternehmen die nicht aufgewendeten Teile der Vergütung als Gewinn verbleiben. Aus vergaberechtlicher Sicht „kaufen“ die gesetzlichen Krankenkassenträger hier also auf Gesundheitsversorgungsmärkten die Sicherstellung der Versorgung der bei ihnen 57 Grundlage für die Errichtung von HMO im öffentlichen System ist der HMO Act von 1973. 58 Hierzu: F.-X. Kaufmann, Varianten des Wohlfahrtsstaates, 2003, S. 110 f.; Murswiek, Sozialpolitik in den USA, 1988, S. 72 ff.; Kruse, Das Krankenversicherungssystem in den USA. Ursachen seiner Krise und Reformversuche, 1997, S. 62 ff. 59 Da den HMO die nicht für die Versorgung aufgewendeten Anteile der Gesamtvergütung verbleiben, sollen durch dieses System Anreize zur Kostendämpfung geschaffen werden. Siehe: F.-X. Kaufmann, Varianten des Wohlfahrtsstaates, 2003, S. 110 f., sowie Amelung/Amelung/Domdey/Janus/Kraut/Wagner, Managed Care. Neue Wege im Gesundheitsmanagement, 4 Aufl. 2007.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

Versicherten gegen eine Festvergütung bei einer privaten Unternehmensorganisation „ein“. Derartige Verträge wären daher, soweit ein vergleichbares System in einem EU-Mitgliedstaat eingeführt würde, als entgeltliche Dienstleistungsaufträge zwischen einem gesetzlichen Krankenversicherungsträger und einem privaten Unternehmen einzustufen, wobei der Gegenstand der Dienstleistung eben in der Sicherstellung der ambulanten Versorgung der Versicherten liegt. Gleichwohl scheidet ein entgeltlicher Dienstleistungsauftrag im Fall von Gesamtverträgen nach § 83 SGB V aufgrund der anders gelagerten gesetzlichen Rahmenbedingungen von vornherein aus. Zwar schließt die Tatsache, dass die Vertragsparteien der Gesamtverträge gesetzlich bereits feststehen, nach der Rechtsprechung des EuGH ein entgeltliches Auftragsverhältnis gerade nicht notwendig aus.60 Gleichwohl „vergeben“ die Krankenkassen keinen Sicherstellungsauftrag an die kassenärztlichen Vereinigungen. Vielmehr besteht der Sicherstellungsauftrag gem. § 75 Abs. 1 SGB V unmittelbar kraft Gesetzes. Demgegenüber „erbringen“ die kassenärztlichen Vereinigungen keine Sicherstellungsdienstleistung. Vielmehr dient der Gesamtvertrag der Regelung der Rahmenbedingungen der Leistungserbringung durch die Vertragsärzte im allgemeinen System, wobei die kassenärztlichen Vereinigungen als Selbstverwaltungseinrichtung der Vertragsärzte mit den Krankenkassen die Preis- und Leistungsbedingungen der vertragsärztlichen Versorgung aushandeln. b) Gesamtverträge und Bundesmantelvertrag als gestuftes System von Rahmenvereinbarungen Auch wenn die Normsetzungsverträge des Vertragsarztrechts nicht als entgeltliche Sicherstellungsaufträge der Krankenkassen oder ihrer Verbände an die kassenärztlichen Vereinigungen gewertet werden können, könnte es sich beim System der Kollektivverträge der vertragsärztlichen Versorgung (Gesamtverträge und Bundesmantelvertrag) – gerade wegen ihrer Mediationsfunktion – um ein gestuftes System von Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/ EG handeln. Die Krankenkassen bzw. deren Verbände können im Rahmen der Gesamtverträge und des Bundesmantelvertrags die Preis-, Leistungs- und Qualitätsbedingungen der vertragsärztlichen Versorgung mit den kassenärztlichen Vereinigungen sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aushandeln.61 Die Tatsache, dass die Kollektivverträge nicht die Bedingungen einer späteren Einzelauftragsvergabe durch die gesetzlichen Krankenkassen, sondern die Bedingungen der Leistungserbringung an die gesetzlich Versicherten regeln, schließt nach der Entscheidung des EuGH in der Rs. C-300/07 eine Rahmenvereinbarung gerade nicht aus.62 Gleichwohl scheidet die Anwendung der vergaberechtlichen Vorschriften über Rahmenvereinbarungen letztlich aus. Einesteils setzt eine Rah60 61 62

EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 71, 75. Hierzu Rompf, VSSR 2004, S. 281 ff. EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 62 ff., 67 ff.

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menvereinbarung voraus, dass der Marktzugang von Leistungserbringern gerade durch die Rahmenvereinbarung schon im Vorfeld der Einzelauftragsvergabe (bzw. der Einzelleistungserbringung) beschränkt wird. Eben diese Zielsetzung rechtfertigt auch die Anwendung des Art. 1 Abs. 5 RL 20004/18/EG z. B. auf Integrierte Versorgungsverträge, die eine Vorauswahl und Begrenzung der zugelassenen Leistungserbringer ermöglichen.63 Bei der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt die Beschränkung indes bereits durch die vertragsärztliche Zulassung, während andererseits die Kollektivverträge gerade sämtliche zugelassenen Vertragsärzte erfassen sollen.64 In seiner Offenheit für alle zugelassenen Vertragsärzte unterscheidet sich das Kollektivvertragssystem des Vertragsarztrechts auch grundsätzlich von jenen Fällen, in denen der EuGH das Vergaberecht auf Verträge erweitert hat, bei denen die Vertragsparteien bereits gesetzlich feststehen, wie z. B. bei bestimmten Erschließungsverträgen im Städtebaurecht.65 Durch die Anwendung des Vergaberechts auf bestimmte städtebauliche Verträge wollte der EuGH verhindern, dass Dritte von möglichen Bauaufträgen ausgeschlossen werden. Auch im Fall der Erschließungsverträge ging es mithin um gesetzliche Regelungen über öffentlich-rechtliche Verträge, die Marktzugangschranken begründen, da sie den Kreis der Bieter beschränken.66 Dagegen ist das Kollektivvertragssystem des Vertragsarztrechts gerade umgekehrt dadurch gekennzeichnet, dass es alle zur Versorgung zugelassenen Vertragsärzte umfasst und deren Zugang zur Versorgung gewährleistet. Demzufolge scheidet eine Anwendung des Vergaberechts auf das kollektive Vertragsarztrechts auch unter diesem Gesichtspunkt aus. c) Das allgemeine Vertragsarztsystem als System der hoheitlich-kooperativen Regulierung Eine Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG setzt schließlich notwendig voraus, dass die Vertragsparteien überhaupt über austauschvertragliche wirtschaftliche Verhandlungsspielräume verfügen, um zumindest Preisund Leistungsbedingungen für die spätere Erbringung von Einzelaufträgen unter Marktbedingungen zu regeln.67 Auch dies ist jedoch beim Kollektivvertragssystem des Vertragsarztrechts, im Gegensatz zum System der selektiven Versorgungsverträge, trotz der bestehenden kollektiven Verhandlungsspielräume nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich beim allgemeinen System des Vertragsarzt63

EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 62 ff., 67 ff. A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2001, S. 346 ff. 65 EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 71, 75. 66 Entsprechend müssen die Kommunen bei der Ausgestaltung städtebaulicher Verträge zumindest sicherstellen, dass der gesetzlich festgelegte Vertragspartner (z. B. ein Grundstückseigentümer) seinerseits Unteraufträge an Dritte nach Maßgabe der RL 2004/18/EG ausschreibt. Vgl. Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfeund Vergaberecht, 2007, Rn. 2035 f. 67 EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 71, 75. 64

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

rechts um ein geradezu klassisches Beispiel für ein hoheitlich-kooperatives System der Regulierung unter staatlicher Letztverantwortung. Die Einbindung von kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen in das Kollektivvertragssystem der §§ 83 ff. SGB V, das Schiedswesen (§ 89 SGB V) und das Ausschusswesen auf Landesebene (§ 90 SGB V) und auf der Bundesebene (§§ 91 ff. SGB V) gewährleistet einen Interessenausgleich und stellt zugleich eine gewisse Distanz zu den wirtschaftlichen Einzelinteressen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer sicher.68 Zudem sind vertragliche Gestaltungsspielräume der Vertragsparteien auf Bundes- und Landesebene durch die §§ 83 ff. SGB V engmaschig gesetzlich determiniert. Die normative Determinierung wird noch dadurch verstärkt, dass auch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gem. § 92 Abs. 8 SGB V Bestandteile des Bundesmanteltarifs werden, wobei die Wirksamkeit der Richtlinien wiederum von einer Nichtbeanstandung durch die zuständige Behörde abhängt. Die Dichte der Regelungen nähert die Rechtsaufsicht über die Kollektivvertragsparteien einer Fachaufsicht an, zumal die staatlichen Aufsichtsbehörden aufgrund der Verpflichtung der Krankenkassen und Leistungserbringer auf die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Versorgung (§ 70 SGB V) letztlich eine Zweckmäßigkeitskontrolle durchführen können.69 Ferner bestehen auf Bundes- wie auf Landesebene staatliche Beanstandungsrechte, insbesondere in Vergütungsfragen.70 Dass die Vertragsparteien gleichwohl über gewisse Gestaltungsspielräume verfügen, die unter Bedingungen eines öffentlich finanzierten Systems auch gewisse Verteilungswirkungen entfalten können, ist dagegen für hoheitlich-kooperative Regulierungsformen generell nicht untypisch und schließt folglich deren Vorliegen auch nicht notwendig aus. Vielmehr ist die Delegation von Regulierungsbefugnissen einschließlich damit verbundener Regulierungsspielräume für sämtliche Formen der kooperativen Regulierung kennzeichnend.71

IV. Das allgemeine System des Vertragsarztrechts als vergaberechtsneutrale hoheitlich-kooperative Regulierungsstruktur Als Ergebnis lässt sich konstatieren, dass es sich beim allgemeinen System der vertragsärztlichen Versorgung um eine vergaberechtlich neutrale, hoheitlich-kooperative Regulierungsstruktur zum Zweck der Zugangs-, Preis- und Leistungsregulierung auf den Märkten für vertragsärztliche Leistungen handelt. Dieses 68

Vgl. A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, 2001, S. 288 ff., 346 ff. Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1292 f. 70 Vgl. § 87 Abs. 3e SGB V und § 89 Abs. 5 Satz 3 SGB V. 71 Vgl. EuGH Rs. C-153/93 (Delta) Slg. 1994, I-2517; EuGH Rs. C-35/99 (Arduino) Slg. 2002, I-1529, Rn. 40 ff.; EuG Rs. T-513/93 (CNDS) Slg. 2000, II-1807, Rn. 62 ff. 69

B. Vertragsärztliche Versorgung

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System konstituiert sich im Rahmen des SGB V im Zusammenspiel von vertragsärztlicher Zulassung und kollektivvertraglichen Verhandlungsregimes und ist auch vergaberechtlich als Einheit zu verstehen. Der Sinn und Zweck des Gesamtsystems liegt neben und mit seinen sozialrechtlichen Sicherstellungsfunktionen gerade auch in der Neutralisierung der Nachfragemacht der gesetzlichen Krankenkassen, denen gerade die Möglichkeit genommen werden soll, ihre Nachfragemacht auf Grundlage von vertraglichen wirtschaftlichen Austauschverhältnissen mit einzelnen Vertragsärzten oder auch einzelnen Verbänden von Vertragsärzten zielgerichtet zu instrumentalisieren.72 Das allgemeine System der vertragsärztlichen Versorgung beschränkt den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt zwar durchaus in erheblicher Weise. Schon das vertragsärztliche Zulassungsverfahren schränkt neben der Berufsfreiheit auch die Niederlassungsund Dienstleistungsfreiheit ein, wenn diese Beschränkungen auch unter Umständen aus sozial- und gesundheitspolitischen Gründen gerechtfertigt sein können. Des Weiteren sind auch mit der kollektivvertraglichen Regulierung der vertragsärztlichen Versorgung objektive Beschränkungen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit verbunden.73 Unabhängig von seiner möglichen Rechtfertigungsfähigkeit im Lichte der Grundfreiheiten schränkt das allgemeine Vertragsarztrecht die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit jedoch gerade nicht im Wege der austauschvertraglichen Steuerung, sondern vielmehr durch hoheitlichkooperative Regulierung ein.74 Den Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen fehlen bei der Zugangsregulierung auf der Ebene der vertragsärztlichen Zulassung von vornherein jedwede austauschvertragliche Verhandlungs- und Gestaltungsspielräume. Auf der nachgelagerten Ebene der Kollektivverträge bestehen zwar Verhandlungsspielräume. Gleichwohl haben die Vertragsparteien auch hier keine Möglichkeit, den Marktzugang einzelner Vertragsärzte vertraglich einzuschränken, da das System gerade alle zugelassenen Vertragsärzte erfassen und einer Regulierung nach abstrakt-generellen Kriterien unterwerfen soll. Zudem wird das gesamte System gesetzlich engmaschig determiniert und steht aufgrund der Aufsichtsbefugnisse und Beanstandungsrechte der staatlichen Aufsichtsbehörden in seiner Gesamtheit unter staatlicher Letztverantwortung. Eben hierin liegt auch der wesentliche Unterschied zum „neuen“ System der selektiven Versorgungsverträge, die in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen. Im allgemeinen Vertragsarztrecht greifen dagegen zwar die auf hoheitliche Marktzugangsschranken gerichteten Bestimmungen des Sekundärrechts, nicht aber die auf Austauschvertragsverhältnisse beschränkten Regelungen des Vergaberechts. 72

Siehe oben 4. Kapitel, B. II. 2. b). Zum Schutz vor diesen Gefahren dient neben den primärrechtlichen Gewährleistungen der Grundfreiheiten insbesondere die EU-Berufsrichtlinie RL 2005/36/EG. Hierzu eingehend oben 2. Kapitel, E. III. 3.; 4. Kapitel, C. IV. 2. und 4. b). 74 Zum Erfordernis der Differenzierung siehe oben 3. Kapitel, C. III. 2.; 5. Kapitel, C. II. und III. 73

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

C. Hoheitlich-kooperative Regulierung der Märkte für Arznei- und Heilmittelleistungen I. Die arzneimittelrechtliche Zulassung und die Zulassung zur Arzneimittelversorgung nach §§ 31 ff. SGB V Das allgemeine System der Arzneimittelversorgung des SGB V stellt, ähnlich wie die allgemeine vertragsärztliche Versorgung, ein nicht selektiv-vertragliches System der Zugangs-, Preis- und Leistungsregulierung auf den Märkten für öffentlich finanzierte Arzneimittelleistungen dar.75 Die Zulassung zur Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung knüpft gem. § 31 Abs. 1 SGB V grundsätzlich an die allgemeine Arzneimittelzulassung an, sodass schon deswegen austauschvertragliche Verhandlungsspielräume der einzelnen gesetzlichen Krankenversicherungsträger nicht bestehen.76 Ebenso kann den Krankenkassen die konkrete Inanspruchnahme eines Arzneimittels durch einen gesetzlich Versicherten nicht als entgeltliche Auftragsvergabe an die Arzneimittelhersteller zugerechnet werden. Voraussetzung für die Arzneimittelabgabe ist kein Einzelauftrag der Kasse an einen Arzneimittelhersteller, sondern eine Verschreibung durch den Arzt sowie die anschließende Abgabe durch die Apotheken.77 Auf diesen Prozess haben die Krankenkassen jedenfalls im allgemeinen System keinen austauschvertraglich gestaltenden Einfluss, der Anknüpfungspunkte für die Rekonstruktion einer vergaberechtlichen Auftragserteilung liefern würde. Zwar unterliegt die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung vielfältiger zusätzlicher Regulierungen, die weit über die Anforderungen nach dem allgemeinen Arzneimittelzulassungsrecht hinausgehen. Gleichwohl sind die besonderen zusätzlichen Restriktionen, die für Erstattungsfähigkeit, Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln bestehen, fast durchgängig hoheitlicher Natur und zugleich den vertraglichen Gestaltungsspielräumen der einzelnen Krankenkassen mit den einzelnen Leistungserbringern entzogen. So ist die Erstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung gem. § 31 Abs. 1 SGB V und § 34 Abs. 1 SGB unmittelbar gesetzlich auf apotheken- und verschreibungspflichtige Arzneimittel beschränkt worden. Darüber hinaus kann das BMG gem. § 34 Abs. 3 und 4 SGB V unwirtschaftliche oder wenig wirksame Arzneimittel im Verordnungswege von der Versorgung ausschließen. Schließlich kann der Gemeinsame Bundesausschuss gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V festlegen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkran75 Im Folgenden wird das Grundsystem der Arzneimittelversorgung ohne das System der Rabattverträge untersucht. Zum derzeitigen Rechtsstand siehe: Dieners/Heil, PharmR 2007, S. 89 ff. (Teil 1) und PharmR 2007, S. 142 ff. (Teil 2). 76 Zur (eingeschränkten) positiven Vorgreiflichkeit der Arzneimittelzulassung: Mrozynski, in: Wannagat (Hrsg.), SGB V, § 31, Rn. 26: vgl. auch BSGE 85, 36, 51 f. 77 Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 135 f.

C. Hoheitlich-kooperative Regulierung der Märkte

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kungen als Therapiestandards gelten, zur Behandlung dieser Erkrankungen ausnahmsweise vom Vertragsarzt verschrieben werden können.78 Diese Zulassungsentscheidung ist zwar offenkundig selektiv. Sie beruht indessen nicht auf vertraglichen Verhandlungen mit den Arzneimittelherstellern, sondern auf Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, in dem die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Kassenärztliche Vereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft vertreten sind.79 Die Wirksamkeit der Festbetragsfestsetzung durch den Bundesausschuss hängt gem. § 94 Abs. 1 Satz 2 von einer Nichtbeanstandung durch das Bundesgesundheitsministerium ab. Hilft der Bundesausschuss einer Beanstandung nicht ab, so kann das Ministerium die Richtlinie gem. § 94 Abs. 1 Satz 5 SGB V selbst festsetzen. Damit liegt auch hier ein Fall der hoheitlich-kooperativen Regulierung unter staatlicher Letztverantwortung vor. Das Vergaberecht ist unanwendbar.

II. Die Festbetragsfestsetzung nach § 35 SGB V Soweit Arzneimittel zur Versorgung zugelassen sind, haben die Krankenkassen die Kosten gem. § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB V – vorbehaltlich abweichender Regelungen im SGB V – nach wie vor grundsätzlich „in voller Höhe“ zu erstatten, sodass auch insoweit keine austauschvertraglichen Verhandlungsspielräume der Kassen bestehen. Für die meisten Arzneimittel werden allerdings gem. § 35 SGB V und 32a SGB V Fest- bzw. Höchstbeträge festgelegt. Der Sinn und Zweck der Festsetzung von Festbeträgen liegt in der Anreizung eines Preiswettbewerbs zwischen den Arzneimittelherstellern. Dieser Wettbewerb soll dadurch ausgelöst werden, dass Festbetragsgruppen für vergleichbare Arzneimittel gebildet werden. Die Kassen erstatten die Kosten nur bis zur Höhe eines Festbetrags, der sich am unteren Preisdrittel der Festbetragsgruppe orientiert. Damit wird ein Anreiz für die Arzneimittelhersteller geschaffen, in einen Preiswettbewerb nach „unten“ hin zum voll erstattungsfähigen Preisdrittel einzutreten.80 Die Höchstund Festbetragsfestsetzung erfolgt in einem zweistufigen Verfahren. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt die fest- oder höchstbetragspflichtigen Arzneimittel unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWG) fest. Ebenso definiert der Bundesausschuss die Festbetragsgruppen. Auf der zweiten Stufe legt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Festbeträge mit verbindlicher Wirkung für alle Kassen fest, wobei sowohl der Bundesausschuss als auch der Spitzenverband über 78

Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 94 f. Statt den Vergaberichtlinien greift die Transparenzrichtlinie 89/105/EWG, vgl. hierzu Jäkel, GesR 2007, S. 57 ff. Siehe auch oben, 4. Kapitel, C. IV. 4. b). 80 Zum Festbetragssystem: Natz, Marktregulierung durch Arzneimittelfestbeträge, 2005; Sodan, PharmR 2007, S. 485 ff.; zum Fest- und Höchstbetragsystem nach dem GKV-WSG: Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 97 ff. 79

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

nicht unerhebliche Beurteilungs- und Ermessensspielräume im Verfahren der Festbetragsfestsetzung verfügen.81 Unbeschadet ihrer Spielräume, unterliegen sowohl der Bundesausschuss als auch der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bei der Festbetragsfestsetzung relativ engmaschigen gesetzlichen Vorgaben sowie einer staatlichen Rechtsaufsicht (§ 91 Abs. 8 SGB V bzw. § 217d SGB V), die auch eine Zweckmäßigkeitskontrolle umfasst und damit einer Fachaufsicht funktional gleichgesetzt werden kann.82 Ferner hängt die Wirksamkeit der Festbetragsfestsetzung durch den Bundesausschuss gem. § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V von einer Nichtbeanstandung durch das Bundesgesundheitsministerium ab.83 Bei der Festbetragsfestsetzung durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen greifen gem. § 35 Abs. 6 SGB V die Verfahren nach § 213 Abs. 2 und 3. SGB V. Demnach kann das Bundesgesundheitsministerium die Festbeträge festsetzen, soweit eine Einigung nicht rechtzeitig zustande kommt. Darüber hinaus kann das Bundesgesundheitsministerium gem. § 214 SGB V auch von seinen Rechtsaufsichtsbefugnissen Gebrauch machen, wenn der Spitzenverband bei der Festbetragsfestsetzung gegen seine durch § 70 Abs. 1 SGB V begründete Verpflichtung zu einer zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung verstößt. Schließlich fehlt es sowohl an einem individuellen als auch an einem kollektivvertraglichen Aushandeln dieser Bedingungen im Verhältnis zwischen Krankenkasse und Arzneimittelherstellern, da die Arzneimittelhersteller gem. § 92 Abs. 2 Satz 5 SGB V lediglich im Wege der Stellungnahme in das Festsetzungssystem eingebunden sind, sodass auch deswegen eine Anwendung des Vergaberechts ausscheidet. Zutreffend hat der EuGH denn auch im Zusammenhang mit der Frage der Anwendbarkeit des EU-Wettbewerbsrechts festgestellt, dass es sich beim System der Festbetragsfestsetzung nicht um einen Fall der Marktteilnahme der gesetzlichen Krankenkassen, sondern um ein System der hoheitlichen Marktregulierung handele.84 Damit kommt (auch) eine Anwendung des Vergaberechts nicht in Betracht.

81 Zum Verfahren der Festbetragsfestsetzung vgl. Boerner, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 2, Kooperation, 2006, S. 1 (8 ff.). Zu den Spielräumen bei der delegierten Rechtsetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses und den damit verbundenen Legitimationsproblemen: Thiel, Kooperative untergesetzliche Normsetzung, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 2 Kooperation, 2006, S. 71 (89 ff.). 82 Vgl. Schnapp, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1995, S. 1292 f., zum Verfahren siehe auch Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 97 ff. 83 Hierzu: Kaltenborn, VSSR 2000, S. 249 ff. 84 EuGH, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. C-355/01 (AOK-Bundesverband) Slg. 2004, I-2493. Ähnlich auch für die Berufsgenossenschaften: EuGH, Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325, Rn. 44 ff.; hierzu oben 4. Kapitel, D. II. 2. d).

C. Hoheitlich-kooperative Regulierung der Märkte

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III. Rahmenvereinbarungen gem. § 129 SGB V, Rabattpflichten und Heilmittelvereinbarungen gem. 84 SGB V Anders als bei der Festbetragsfestsetzung wird die Abgabe von Arzneimitteln durch Apotheken kollektivvertraglich durch eine Rahmenvereinbarung nach § 129 SGB V zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und den Verbänden der Apotheker geregelt, wobei die Apotheken zur Abgabe des preisgünstigsten Arzneimittels verpflichtet sind. Auch in diesem System fehlt es schon wegen der Nichteinbindung der Arzneimittelhersteller an vergaberechtsrelevanten Elementen in Bezug auf die Arzneimittelbeschaffung durch die Krankenkassen.85 Im Verhältnis zu den Apotheken handelt es sich – ähnlich wie in der vertragsärztlichen Versorgung – um ein über Verbands- und Kollektivvertragsstrukturen mediatisiertes System zur gemeinsamen und einheitlichen Regelung der Abgabebedingungen der Apotheken unter staatlicher Letztverantwortung. Die Einbindung von Krankenkassen und Apothekern in das Kollektivvertragssystem sowie in das auch mit unparteiischen Mitgliedern besetzte Schiedswesen (vgl. § 129 Abs. 8 SGB V) gewährleistet einen angemessenen Interessenausgleich und zugleich die erforderliche Distanz zu den Einzelinteressen einzelner Wirtschaftsteilnehmer. Dessen ungeachtet unterliegt das Schiedswesen gem. § 129 Abs. 10 SGB V der Rechtsaufsicht durch das Bundesgesundheitsministerium, das in diesem Rahmen auch die Einhaltung der Grundsätze des § 70 SGB V in fachaufsichtsähnlicher Weise überwachen kann. Da es an den erforderlichen austauschvertraglichen Handlungsspielräumen fehlt, handelt es sich auch hier um eine Form der hoheitlich-kooperativen Regulierung unter staatlicher Letztverantwortung. Neben dem Rahmenvertrag nach § 129 SGB V bestehen unmittelbare gesetzliche Rabattpflichten der Apotheken bzw. der pharmazeutischen Industrie nach § 130 und 130a SGB V, die ebenfalls dem vertraglich gestaltenden Zugriff der einzelnen Krankenkassen entzogen sind.86 Schließlich wirken die Krankenkassen im Rahmen der Gesamtverträge mit den kassenärztlichen Vereinigungen über Heilmittelvereinbarungen nach § 84 SGB V auf das Verschreibungsverhalten der Ärzte ein. Gleichwohl handelt es sich auch hier nicht um ein vergaberechtliches Vertragsverhältnis, sondern um einen Bestandteil des bereits zuvor untersuchten hoheitlich-kooperativen Regulierungsregimes des Vertragsarztrechts. Zudem sind die Arzneimittelhersteller im Gegensatz zu den Vertragsärzten ohnehin nicht unmittelbar am System der hoheitlich-kooperativen Regulierung der Arzneimittelversorgung beteiligt.

85

Vgl. Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 135 f. Zum Rahmenvertrag nach § 129 SGB V Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 ff.; zur Struktur der Rabattregelungen nach § 130 und 130a SGB V Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 93 f. 86

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

IV. Vergaberechtliche Beurteilung der hoheitlich-kooperativen Arzneimittelpreisregulierung Das allgemeine System der Arzneimittelzulassung und Arzneimittelpreisregulierung nach §§ 31 ff., 129 ff. SGB V stellt in seiner Gesamtheit ein hoheitlichkooperatives System der gemeinsamen und einheitlichen Zugangs-, Preis- und Leistungsregulierung auf den Märkten für öffentlich finanzierte Arzneimittelleistungen dar, das in Ermangelung austauschvertraglicher Verhandlungsspielräume keine Anknüpfungspunkte für die Anwendung des Vergaberechts liefert. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr durch die Entscheidung für ein System des angereizten Preiswettbewerbs für ein vom Vergabemodell grundsätzlich abweichendes System der öffentlichen Finanzierung privater Leistungen entschieden. Das so konstituierte System fällt daher nicht in den Anwendungsbereich der RL 2004/ 18/EG oder 2004/17/EG betreffend öffentliche Aufträge, sondern in den Anwendungsbereich der RL 89/105/EWG betreffend die Transparenz von Maßnahmen der Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme.87 Die Vorgaben der RL 89/105/EG binden dabei nicht nur den Gesetz- und Verordnungsgeber, sondern auch die untergesetzlichen Normsetzungsinstanzen der Gemeinsamen Selbstverwaltung. Folgerichtigerweise hat der EuGH entscheiden, dass auch der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Festbetragsfestsetzung nach §§ 35, 92 SGB V an die Transparenzrichtlinie gebunden ist.88 Eine Anwendung des Vergaberechts auf den GBA kommt dagegen Mangels austauschvertraglicher Handlungsspielräume nicht in Betracht. Freilich ist auch das allgemeine nicht vertraglich-selektive System der sozialrechtlichen Arzneimittelpreisregulierung – ähnlich wie die vertragsärztliche Versorgung – mittlerweile durch austauschvertragliche Regelungselemente ergänzt worden. Den Anfang machte die Möglichkeit der Krankenkassen, Apotheken an der Integrierten Versorgung zu beteiligen und hierbei Selektivverträge auszuschreiben (§ 129 Abs. 5b SGB V). Von wesentlich grundsätzlicher Bedeutung ist die mit dem GKV-WSG von 2007 eingeführte Möglichkeit von Krankenkassen, selektive Rabattverträge mit Arzneimittelherstellern abzuschließen (§ 130a Abs. 8 SGB V). Diese neu eingeführten selektiven Verträge könnten mittelfristig das gesamte bisherige System der nicht selektiven Arzneimittelpreisregulierung über Festbeträge ablösen. Auf diese Versorgungsformen wird an späterer Stelle einzugehen sein.

87 Hierzu: Dünnes-Zimmermann, Gesundheitspolitische Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2006, S. 45 ff. 88 EuGH, Urteil v. 26.10.2006 – Rs. C-317/05; hierzu: Jäkel, GesR 2007, S. 57 ff.

C. Hoheitlich-kooperative Regulierung der Märkte

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V. Kooperative Regulierung der Märkte für Heilmittelleistungen gem. §§ 124, 125 SGB V Ein weiteres klassisches, hoheitlich-kooperatives System der Zugangs-, Preisund Leistungsregulierung besteht schließlich auch im Heilmittelsektor. Gesetzlich Versicherte haben gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB V auf erforderliche Heilmittel Anspruch. Die Abgabe setzt eine Verordnung des Vertragsarztes voraus.89 Heilmittel sind persönlich zu erbringende medizinische Leistungen, wie z. B. Maßnahmen der physikalischen Therapie, der podologischen Therapie, der Atemtherapie, der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie sowie der Ergotherapie. Beschränkungen der erstattungsfähigen Leistungen ergeben sich durch den gesetzlichen Ausschluss bestimmter Leistungen nach § 34 SGB V. Der Ausschluss ist für alle Kassen verbindlich, sodass insoweit keine vertraglichen Spielräume der Kassen bestehen. Die Zulassung zur Versorgung erfolgt nach vertragsärztlichem Muster durch Verwaltungsakt durch die Landesverbände der Krankenkassen (§ 124 Abs. 5 SGB V). Auf die Zulassung besteht ein Rechtsanspruch, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 124 Abs. 2 SGB V erfüllt sind. Ein Versagungsermessen existiert nicht. Anders als in der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt auch keine Bedarfsplanung.90 Die gesetzlich Versicherten können nach Verschreibung durch den Arzt nach ihrer Wahl Leistungen von allen zugelassenen Leistungserbringern in Anspruch nehmen.91 Die Rahmenregulierung der Versorgung erfolgt hoheitlich-kooperativ durch Rahmenempfehlungen des GBA nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V und durch Verträge nach § 125 SGB V, die zwischen den Kassenverbänden und den Verbänden der Leistungserbringer auf Bundesebene abgeschlossen werden. Die Verträge regeln Art und Inhalt der Leistungen sowie die Vergütung.92 Austauschvertragliche Verhandlungsspielräume der Kassen oder ihrer Verbände in Bezug auf die Auswahl einzelner Leistungserbringer oder die Ausgestaltung des Inhalts von Verträgen mit einzelnen Leistungserbringern sind nicht vorhanden.93 Damit handelt es sich bei den Kollektivverträgen nach § 125 SGB V auch nicht um vergaberechtliche Rahmenvereinbarungen. Anders als im Vertragsarztrecht und im Arzneimittelrecht bestehen schließlich auch keine optionalen selektiven Auftragsvergabemöglichkeiten der Kassen jenseits des kollektiven Systems. Damit handelt es sich bei der Heilmittelversorgung um den einzigen Versorgungssektor, der heute noch ausschließlich nicht selektiv und rein hoheitlich-kooperativ reguliert wird. Anknüpfungspunkte für die Anwendung des Vergaberechts liegen nicht vor.94 89 Vgl. I.9 der Heilmittelrichtlinie G-BA v. 16.03.2004 BAnz. Nr. 106a (Beilage/S. 12 183) vom 09.06.2004. 90 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 156. 91 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 156. 92 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 156 f. 93 Vgl. Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 135 f.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

VI. Ergebnisse zum System der hoheitlich-kooperativen Regulierung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das traditionelle System der hoheitlich-kooperativen Regulierung des Vertragsarztrechts, der Arzneimittel- und der Heilmittelversorgung nicht in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fällt. So erscheint gerade aus funktionaler Sicht folgerichtig, dass das System die potenzielle Nachfragemacht der Krankenkassen auf den Gesundheitsmärkten gerade nicht entfesseln, sondern über Kollektivvertragsstrukturen neutralisieren will.95 Die wichtigste Konsequenz dieses Befunds liegt darin, dass die hoheitlich-kooperative Regulierung der Leistungserbringung nicht in den Anwendungsbereich der verwaltungsverfahrensrechtlichen Harmonisierungsvorgaben der Vergaberichtlinien fällt. Daraus folgt einerseits, dass innerhalb des gegenwärtigen Systems der hoheitlich-kooperativen Regulierung keine vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten bestehen, zumal diese mit dem klassischen hoheitlich-kooperativen Steuerungsmodell des SGB V ohnehin strukturell inkompatibel wären. Andererseits sind die Mitgliedstaaten auch nicht gezwungen, die hoheitlich-kooperative Regulierung der Leistungserbringung im Wege einer generellen Systemumstellung auf das harmonisierte Vergabeverfahren der RL 2004/18/EG umzustellen. Vielmehr kann das bisherige System aufrechterhalten und – in den zuvor beschriebenen vergaberechtlichen Grenzen, d. h. bei Wahrung einer staatlichen Letztverantwortung – auch weiterentwickelt werden.

D. Individualverträge des SGB V Das traditionelle System der kooperativen Regulierung wird indes im Anwendungsbereich des SGB V zunehmend durch selektive Versorgungsverträge überlagert. Anders als bei der hoheitlich-kooperativen Regulierung ist das Vergaberecht nach Maßgabe der im 5. Kapitel entwickelten Grundsätze auf selektive Versorgungsverträge in aller Regel anwendbar. Hieraus können sich einerseits Ausschreibungspflichten der gesetzlichen Krankenkassen nach Maßgabe der RL 2004/18/EG ergeben. Andererseits stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit der sozialgesetzlichen Rahmenregelungen des Vertragswettbewerbs in der GKV mit der RL 2004/18/EG. Entsprechend der Überlegungen im 5. Kapitel, soll bei der folgenden Untersuchung einiger ausgewählter Versorgungsvertragstypen des SGB V eine unionsrechtskonforme Auslegung der Bestimmungen der §§ 69 ff. SGB V vorgenommen werden. Hierzu soll in Einklang mit § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V n. F. unterstellt werden, dass die sozialrechtlichen Regelungen über selek94 Im Ergebnis ebenso: Koenig/Engelmann/Hentschel, MedR 2003, S. 562 ff., 565; Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 138. 95 Siehe oben 4. Kapitel, B. II. 2. a) und b); 5. Kapitel, C. II. 2.

D. Individualverträge des SGB V

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tive Versorgungsverträge mit Blick auf mögliche vergaberechtliche Ausschreibungspflichten nicht abschließend sind. Soweit sich aus der RL 2004/18/EG Ausschreibungspflichten ergeben, sind die gesetzlichen Regelungen der §§ 97 ff. GWB in unionsrechtskonformer Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V auch auf Versorgungsverträge nach dem SGB V entsprechend anzuwenden.96

I. Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung und über andere ambulante Versorgungsformen 1. Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung gem. § 73b SGB V a) Grundstruktur des § 73b SGB V Die Möglichkeit zum Abschluss von selektiven Versorgungsverträgen besteht im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung in Form von Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b SGB V)97 und die besondere ambulante ärztliche Versorgung (§ 73c SGB V).98 Gemäß § 73b Abs. 1 SGB V sind die Krankenkassen zum Angebot hausarztzentrierter Versorgungstarife an die gesetzlich Versicherten verpflichtet. Bei der hausarztzentrierten Versorgungen sind gem. § 73b Abs. 3 SGB V besondere Qualitätsanforderungen zu erfüllen, die über die Qualitätsanforderungen hinausgehen, die durch den Gemeinsamen Bundesausschuss und den Bundesmantelvertrag festgelegt werden. Nach Art. 73b Abs. 2 SGB V besteht insbesondere die Verpflichtung der teilnehmenden Vertragsärzte zur Teilnahme an Qualitätszirkeln, zur Behandlung nach evidenzbasierten Leitlinien und zur Erfüllung der Fortbildungspflichten nach § 95d SGB V. Für die Versicherten ist die Teilnahme gem. § 73b Abs. 3 Satz 1 freiwillig. Wählen die Versicherten einen Hausarzttarif gem. § 53 Abs. 3 i.V. m. § 73b SGB V, so sind sie an diese Entscheidung gem. § 73b Abs. 3 Satz 2 SGB V für mindestens ein Jahr gebunden. Sie dürfen in dieser Zeit grundsätzlich nur die Leistungen der zur hausarztzentrierten Versorgung zugelassenen Ärzte in Anspruch nehmen. Soweit die hausarztzentrierte Versorgung reicht, geht der Sicherstellungsauftrag von den kassenärztlichen Vereinigungen an die Krankenkassen über. Damit ist das System der hausarztzentrierten Versorgung vom allgemeinen Vertragsarztrecht weitgehend abgekoppelt worden. Einflussmöglichkeiten der kassenärztlichen Vereinigungen bestehen nicht mehr, wenn vom Erfordernis der Verrechnung der Leistungen mit den Gesamtvergütungen nach § 73b Abs. 7 bzw. § 73c Abs. 6 SGB V abgesehen wird.99 96

Vgl. oben 5. Kapitel, F. IV. 3. Vgl. Weigeldt, Hausarztzentrierte Versorgung, ZaeFQ 2006, S. 25 ff.; Rehborn, VSSR 2004, S. 157 ff.; Kingreen/Temizil, ZMGR 2009, S. 134 ff. 98 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 261 ff. 99 Vgl. Weigeldt, Hausarztzentrierte Versorgung, ZaeFQ 2006, S. 25 (26 f.). 97

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

b) Verträge mit Hausarztgemeinschaften gem. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V Die Organisation der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt durch Vertragsschluss zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und zugelassenen Leistungserbringern, wobei sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen seit dem Inkrafttreten des GKV-OrgWG grundlegend verändert haben. Bis zum Inkrafttreten des GKVOrgWG sollte das gesetzgeberische Ziel der flächendeckenden Einführung des Hausarztmodells allein durch selektive Verträge mit einzelnen Hausärzten, deren Gemeinschaften oder sonstigen zugelassenen Einrichtungen verwirklicht werden, wobei auf den Vertragsschluss kein Anspruch bestand. Das reine Individualvertragsmodell erwies sich jedoch als nicht geeignet, eine flächendeckende Einführung des Hausarztmodells zu gewährleisten.100 Aus diesem Grund sind die Krankenkassen nunmehr gem. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB ausdrücklich gesetzlich verpflichtet, allein oder in Kooperation mit anderen Krankenkassen spätestens bis zum 30. Juni 2009 Verträge mit Gemeinschaften zu schließen, die mindestens die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der kassenärztlichen Vereinigung umfassen. Können die Vertragsparteien sich nicht einigen, kann die Gemeinschaft nach Absatz 4 Satz 2 die Einleitung eines Schiedsverfahrens nach Absatz 4a verlangen, die den Vertragsinhalt nach billigem Ermessen festlegt. Einigen sich die Parteien nicht auf eine unabhängige Schiedsperson, wird diese gem. Absatz 4a Satz 2 von der zuständigen Aufsichtsbehörde bestimmt. Anders als nach § 73b Abs. 4 SGB V a. F. haben die Krankenkassen damit im Regelfall der hausarztzentrierten Versorgung kein Wahlrecht zwischen mehreren Anbietern. c) Subsidiäre Einzelverträge gem. § 73b Abs. 4 Satz 3 SGB V Mit § 73b Abs. 4 und 4a SGB V vollzieht der Gesetzgeber für den Regelfall der hausärztlichen Versorgung eine partielle Rückkehr zum tradierten Kollektivvertragsmodell der vertragsärztlichen Versorgung, wobei an die Stelle der kassenärztlichen Vereinigungen nunmehr allerdings marktmächtige private Hausarztverbände treten. Ist ein Vertrag mit einem Hausarztverband nach Absatz 4 Satz 1 zustande gekommen, können die Krankenkassen gem. Absatz 4 Satz 3 und 4 allerdings nach wie vor zusätzlich selektive Individualverträge mit zugelassenen Ärzten i. S. v. § 73 Abs. 1a SGB V, Gemeinschaften von Leistungserbringern, Trägern von Einrichtungen der hausarztzentrierten Versorgung und den kassenärztlichen Vereinigungen abschließen. Gemäß § 73b Abs. 4 Satz 4 SGB V sind die Krankenkassen zur Sicherstellung der Versorgung zu einem Vertragsschluss nach § 73b Abs. 4 Satz 3 gesetzlich verpflichtet, wenn sie keinen Vertragspartner i. S. d. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V finden. Ein Anspruch auf Vertragsschluss seitens der Leistungserbringer besteht gem. § 73 Abs. 4 Satz 5 SGB allerdings 100

Auktor, in: Kruse/Hänlein, SGB V, § 73b Rn. 17.

D. Individualverträge des SGB V

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nicht.101 Vielmehr sind die Krankenkassen in den Fällen des § 73b Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB V verpflichtet, eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebots unter Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien öffentlich auszuschreiben (Art. 73b Abs. 4 Satz 6 SGB V). Damit verfügen die Krankenkassen bei Verträgen i. S. v. § 73 Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB V über ein Auswahlermessen.102 Inhaltlich räumt der Gesetzgeber den Krankenkassen in Bezug auf sämtliche Varianten von Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung relativ weite Gestaltungsspielräume in Bezug auf Inhalt, Durchführung und Vergütung der hausarztzentrierten Versorgung ein (§ 73b Abs. 5 SGB V). Die Krankenkassen können mit den Vertragsärzten bzw. deren Gemeinschaften mithin grundsätzlich frei vereinbaren, welche Leistungen zu erbringen sind und ob für die Leistungen z. B. eine Einzelleistungsvergütung, eine Kopfpauschale oder eine pauschale Gesamtvergütung gezahlt wird.103 Im Verhältnis zu den Versicherten kann die Krankenkasse Anreize zur Inanspruchnahme der hausarztzentrierten Versorgung durch Bonuszahlungen oder Zuzahlungsermäßigungen schaffen (§ 53 Abs. 3 Satz 2 SGB V). 2. Vergaberechtliche Beurteilung a) Die richtlinienkonforme Auslegung des § 69 Abs. 2 SGB V als Ausgangspunkt Bei der vergaberechtlichen Beurteilung von Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung müssen die Veränderungen aufgrund der Novellierung der Regelungen im Rahmen des GKV-OrgWG und die damit einhergehende Differenzierung zwischen Verträgen mit Hausarztgemeinschaften und subsidiären Einzelverträgen berücksichtigt werden. Den Ausgangspunkt der vergaberechtlichen Beurteilung bildet § 69 Abs. 2 SGB V. Nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V sind die §§ 97 ff. GWB entsprechend auf Hausarztverträge anwendbar, soweit deren Voraussetzungen vorliegen. Auch wenn die Voraussetzungen der §§ 97 ff. GWB vorliegen, soll eine Anwendung des Vergaberechts nach § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V allerdings ausgeschlossen blieben, wenn die Krankenkassen zum Abschluss eines Vertrags gesetzlich verpflichtet sind und eine Schiedsstellenregelung vorgesehen ist. Nach Maßgabe von § 69 Abs. 2 SGB V wäre demnach grundsätzlich zwischen Versorgungsverträgen mit Hausarztgemeinschaften nach § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V und sonstigen Versorgungsverträgen nach § 73b Abs. 4 Satz 3 SGB V zu unterscheiden. Während Verträge mit Hausarztgemeinschaften wegen des gesetzlichen Kontrahierungszwangs der Krankenkassen und der Schiedsstellenrege101

Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 124. Vgl. Koenig/Engelmann/Hentschel, SGb 2003, S. 189 (190 f.), Kingreen/Temizil, ZMGR 2009, S. 134 (135 f.). 103 Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 125 f., Kingreen/Temizil, ZMGR 2009, S. 134 (136 f.). 102

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

lung des § 73b Abs. 4a SGB V grundsätzlich vom Vergaberecht ausgenommen wären, käme bei den subsidiär zulässigen sonstigen Versorgungsverträgen eine Anwendung der §§ 97 ff. SGB V in Betracht. Nach den im 5. Kapitel entwickelten Kriterien ist § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V allerdings richtlinienkonform im Lichte der RL 2004/18/EG auszulegen. Daher bleibt das GWB-Vergaberecht vermittelt über § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V und unbeschadet des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V auf sämtliche Hausarztverträge des § 73b Abs. 4 und 4a SGB V anwendbar, wenn und soweit die sachlichen Anwendungsvoraussetzungen der RL 2004/ 18/EG erfüllt sind.104 b) Hausarztverträge als Dienstleistungsauftrag oder Rahmenvereinbarung Bei Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung gem. § 73b SGB V kann je nach Ausgestaltung des Vertrags entweder ein Dienstleistungs- oder Lieferauftragauftrag i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG oder eine Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG vorliegen.105 Soweit ein Vertrag über die hausarztzentrierte Versorgung lediglich die Rahmenbedingungen der späteren Einzelleistungserbringung regelt, sind Verträge gem. § 73b SGB V mit Blick auf den typischen Leistungsschwerpunkt der hausärztlichen Versorgung als Rahmenvereinbarungen (über spätere Dienstleistungsaufträge) einzustufen, wobei die Inanspruchnahme der Leistungen durch die gesetzlich Versicherten einer Einzelauftragsvergabe durch die gesetzlichen Krankenkassenträger gleichzustellen ist.106 Ist dagegen zwischen den Parteien ein festes Budget vereinbart, so liegt regelmäßig ein einfacher entgeltlicher Dienstleistungsauftrag vor.107 Das Vorliegen eines entgeltlichen Auftrags bzw. einer Rahmenvereinbarung könnte indessen bei Verträgen mit Hausarztgemeinschaften nach § 73b Abs. 4 Satz 1 und 2 durch die hier geltenden besonderen gesetzlichen Vorgaben ausgeschlossen sein. So kommt nach § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V als privilegierter Vertragspartner der Krankenkassen notwendig nur eine einzige Gemeinschaft von Hausärzten in Betracht, in der mindestens die Hälfte der zugelassenen Hausärzte vertreten ist. Dessen ungeachtet bleibt das Vergaberecht nach der Rechtsprechung des EuGH auch dann anwendbar, wenn der Vertragspartner schon gesetzlich feststeht, soweit die Anwendungsvoraussetzungen der RL 004/18/EG im Übrigen erfüllt sind.108 Damit 104 So im Ergebnis für die alte Rechtslage auch: Koenig/Engelmann/Hentschel, SGb 2003, S. 189 (190 f.); Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 125 ff., 171. 105 Siehe zur Abgrenzung oben 5. Kapitel, D. II. 106 Siehe oben 5. Kapitel, D. II. 3. b) dd) und ee). 107 Die Krankenkasse „kauft“ in diesem Falle hausarztzentrierte Leistungen gegen ein festes Entgelt „ein“; siehe oben 5. Kapitel, D. II. 1. und 2. 108 EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 71, 75; siehe oben 3. Kapitel, C. III. 1. a) und 2.

D. Individualverträge des SGB V

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stellt sich für den (neuen) Regelfall von Verträgen zwischen Krankenkassen und Hausarztverbänden die Frage, ob es sich bei dieser neuen Form der quasi-kollektivvertraglichen Regelung um ein vergaberechtlich relevantes Vertragsverhältnis oder um einen Fall der vergaberechtlich neutralen hoheitlich-kooperativen Regulierung unter staatlicher Letztverantwortung handelt.109 c) Verträge mit Hausarztgemeinschaften als hoheitlich-kooperative Regulierung Für das Vorliegen einer vergaberechtlich neutralen hoheitlich-kooperativen Regulierungsstruktur reicht es indessen nicht aus, dass die gesetzlichen Krankenkassen gem. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V zum Abschluss von Verträgen mit Hausarztgemeinschaften gesetzlich verpflichtet sind, soweit diese mindestens 50 % der zugelassenen Hausärzte vertreten. Ein gesetzlicher Kontrahierungszwang ist auch sonst im privaten Wirtschaftsverkehr nicht unüblich. Er lässt zudem die weiten inhaltlichen Gestaltungsspielräume der Vertragsparteien (vgl. § 73b Abs. 5 SGB V) unberührt. Gegen das Vorliegen einer hoheitlich-kooperativen Regulierungsstruktur spricht auch, dass die Gemeinschaften der Hausärzte i. S. v. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V (im Gegensatz zu kassenärztlichen Vereinigungen) nicht als Körperschaften öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung, sondern als private Hausarztverbände organisiert sind. Sie unterliegen daher weder einer Fach- noch einer dieser funktional vergleichbaren verdichteten Rechtsaufsicht. Ebenso wenig dürfte die Schiedsstellenregelung des § 73b Abs. 4a SGB V ausreichen, um eine hinreichende staatliche Letztverantwortung für Inhalt und Ausgestaltung der Verträge zu gewährleisten.110 Einerseits lässt auch das Schiedsverfahren des § 73b Abs. 4a SGB V die weiten, hoheitlich nur wenig determinierten vertraglichen Gestaltungsspielräume unberührt, die der Gesetzgeber den Vertragsparteien im Rahmen von § 73b Abs. 5 SGB V eingeräumt hat. Zudem steht die hoheitliche Bestimmung der Schiedsperson durch zuständige Behörde unter der doppelten Bedingung der Uneinigkeit der Vertragsparteien über den Vertragsinhalt und die Schiedsperson. Die staatliche Verantwortung für die hausarztzentrierte Versorgung beschränkt sich mithin auf eine allgemeine gesetzliche Rahmenverantwortung für die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung durch die Vertragsparteien i. S. d. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V und eine subsidiäre Auffangverantwortung beim Scheitern der Vertragsverhandlungen nach Maßgabe von § 73b Abs. 4a SGB V.111 Diese Rahmen- und Auffangverantwortung dürfte bei funktionaler Betrachtung nicht ausreichen, um eine Ausnahme vom sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts zu rechtfertigen. 109

Siehe oben, 3. Kapitel, C. III. 2. und 5. Kapitel, C. III. Zu den Anforderungen, 5. Kapitel, C. II., sowie am Beispiel der vertragsärztlichen Versorgung 7. Kapitel, B. III. 3. 111 Vgl. Kingreen/Temizil, ZMGR 2009, S. 134 ff. 110

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

d) Anwendbarkeit der RL 2004/18/EG auf Verträge mit Hausarztgemeinschaften Verträge von Krankenkassen mit Gemeinschaften von Hausärzten über die hausarztzentrierte Versorgung nach Maßgabe von § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V fallen damit – ebenso wie sonstige Individualverträge nach § 73b Abs. 4 Satz 3 SGB V – grundsätzlich in den sachlichen Anwendungsbereich der RL 2004/18/ EG. Sie stellen zugleich eine besondere Form der Marktteilnahme der gesetzlichen Krankenkassen dar, die in mehrfacher Hinsicht in ein Spannungsfeld mit verfassungs- und unionsrechtlichen Vorgaben geraten kann. Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich u. a. die Frage nach der Vereinbarkeit der Privilegierung der in privaten Hausarztverbänden zusammengeschlossenen Hausärzten gegenüber konkurrierenden Dritten im Lichte von Art. 12 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG.112 Aus unionsrechtlicher Sicht stehen Verträge i. S. v. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V zunächst in einem erkennbaren Spannungsverhältnis zum Kartell- und Marktmachtmissbrauchsverbots des EU-Wettbewerbsrechts. Darüber hinaus dürfte § 73b Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V auch gegen die vergaberechtlichen Vorgaben der RL 2004/18/EG verstoßen. Verträge i. S. v. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V dürften vergaberechtlich regelmäßig als Rahmenvereinbarungen i. S. v. § 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG zu qualifizieren sein, da typischerweise die Rahmenbedingungen der hausärztlichen Versorgung nach Maßgabe späterer Einzelverträge zwischen Hausärzten und Versicherten geregelt werden.113 Daraus folgt, dass – ähnlich wie bei Verträgen über die Integrierte Versorgung – grundsätzlich Ausschreibungspflichten der gesetzlichen Krankenkassen im Wettbewerb nach Maßgabe der RL 2004/18/EG bzw. der §§ 97 ff. GWB bestehen.114 Diese Ausschreibungspflichten können ihre marktöffnende und drittschützende Wirkung bei Verträgen nach § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V jedoch nicht entfalten, da der Gesundheitsgesetzgeber mit den Hausarztgemeinschaften letztlich einen einzigen privilegierten Monopolanbieter festschreibt. Damit stellt § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V in seiner derzeitigen Fassung eine gesetzliche Privilegierung von marktbeherrschenden Hausarztgemeinschaften zulasten sonstiger Anbieter dar, die nur subsidiär nach Maßgabe der § 73b Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB V Zugang zur hausarztzentrierten Versorgung erlangen können, auf die nach § 73b Abs. 4 Satz 5 SGB V zudem kein Anspruch besteht. Mit der Feststellung der Anwendbarkeit der Vergaberichtlinie und der daraus grundsätzlich resultierenden Ausschreibungspflicht ist die Prüfung der Vereinbarkeit von § 73 Abs. 4 und 4a SGB V mit dem Vergaberecht allerdings noch nicht abgeschlossen. Vielmehr ist nunmehr zu untersuchen, wel112 Vgl. Otting/Sorami-Bastian, ZGMR 2005, S. 243 (245 f.), vgl. zur Anwendung des Diskriminierungsverbots auch EuGH, Rs. C-59/00 (Vestergaard), ABl. C. 84 v. 06.04.2002, 31; EuGH, Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745. OVG RheinlandPfalz, Beschluss v. 25.05.2005 – 7 B 10356/05, NZBau 2005, 411. 113 Vgl. 5. Kapitel, D. II. 3. b) cc). 114 Vgl. EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 62 ff., 67 ff.

D. Individualverträge des SGB V

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che konkreten Anforderungen an das Vergabeverfahren aus der Vergaberichtlinie bzw. den §§ 97 ff. GWB für Verträge nach § 73 Abs. 4 Satz 1 SGB V abzuleiten sind.115 Hierbei erweist sich die Neuregelung der hausarztzentrierten Versorgung durch das GKV-OrgWG als anschauliches Beispiel, um das Zusammenspiel der Normen des SGB V, des GWB und der RL 2004/18/EG zu exemplifizieren. e) Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB auf Verträge mit Hausarztgemeinschaften Nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V sind die §§ 97 ff. GWB auf Hausarztverträge nach § 73b Abs. 4 SGB V grundsätzlich anwendbar, soweit die allgemeinen Anwendungsvoraussetzungen der §§ 97 ff. GWB vorliegen. Dies ist – wie gezeigt – bei richtlinienkonformer Auslegung der §§ 97 ff. GWB grundsätzlich der Fall. Nach Art. 28 ff. RL 2004/18 EG und § 101 Abs. 6 Satz 1 GWB haben die Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber grundsätzlich das offene Verfahren zu wählen, soweit das GWB keine Ausnahmen vorsieht.116 Da im GWB für Versorgungsverträge der gesetzlichen Krankenkassenträger, anders als für Verträge von Sektorauftraggebern, keine Sonderregelungen vorgesehen sind, müssten die Krankenkassenträger demzufolge ein offenes Ausschreibungsverfahren durchführen, in dem eine unbestimmte Zahl von Unternehmen öffentlich zur Auftragsvergabe aufgefordert wird (vgl. § 101 Nr. 2 GWB). Die vom GWB geforderte öffentliche Ausschreibungspflicht ist jedoch mit der abweichenden sozialrechtlichen Regelung des § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht vereinbar, der die Krankenkassen explizit zum Abschluss eines Vertrags mit einem einzelnen marktstarken Hausarztverband verpflichtet. Innerhalb des Systems des deutschen Rechts löst § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V das Kollisionsproblem, indem er das GWB auf Verträge für unanwendbar erklärt, zu deren Abschluss die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet sind und für die zugleich eine Schiedsstellenregelung vorgesehen ist.117 § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V ist freilich seinerseits richtlinienkonform auszulegen. Die Norm vermag folglich gegenüber dem GWB nur insoweit Ausschlusswirkung zu entfalten, wie dies der praktischen Wirksamkeit der Verfahrensanforderungen der RL 2004/18/EG nicht entgegensteht. Damit liegt der Schlüssel zur Auflösung der Konkurrenzen zwischen SGB V und GWB auch bei Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung letztlich auf der Ebene der RL 2004/18/EG.118

115

Vgl. 3. Kapitel, E.; 5. Kapitel, E. II. Zum unionsrechtlichen Primat des offenen Verfahrens: Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3022 f.; siehe oben 3. Kapitel, E. III. 1. 117 Vgl. oben 5. Kapitel, F. IV. 3. 118 Vgl. oben 5. Kapitel, F. IV. 116

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

f) Vereinbarkeit von Verträgen mit Hausarztgemeinschaften mit der RL 2004/18/EG Die Art. 28 ff. der RL 2004/18/EG gehen – ähnlich wie § 101 Abs. 6 Satz 1 SGB V – von einem grundsätzlichen Vorrang des offenen Verfahrens aus, soweit die Richtlinie keine Ausnahmen vorsieht. Nach § 31 RL 2004/18/EG kommt ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung allerdings ausnahmsweise dann in Betracht, wenn sich das Angebot auf einen Wirtschaftsteilnehmer verengt. Diese Voraussetzung könnte in den Fällen des § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V erfüllt sein, da der Gesetzgeber die gesetzlichen Krankenkassen im Ergebnis dazu verpflichtet, einen Versorgungsvertrag mit einem einzelnen Anbieter abzuschließen, der mindestens 50 % der an der Versorgung teilnehmenden Allgemeinmediziner vertritt. Gleichwohl stellt sich nunmehr die Frage, ob die Privilegierung eines einzelnen Anbieters durch die gesetzliche Regelung des § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V ihrerseits mit den Vorgaben der RL 2004/18/EG vereinbar ist. Bei der gesetzlichen Verpflichtung der Krankenkassen, Versorgungsverträge mit marktbeherrschenden Hausarztgemeinschaften zu schließen, könnte es sich aus vergaberechtlicher Sicht um ein gesetzlich vorgegebenes nichtwirtschaftliches Zuschlagskriterium handeln, das darauf zielt, eine flächendeckende Versorgung nach Maßgabe des Hausarztmodells sicherzustellen. Als Zuschlagskriterium weicht § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V zwar vom Wirtschaftlichkeitsprinzip des Art. 53 RL 2004/18/EG ab. Gleichwohl kann der Gesetzgeber die Berücksichtigung vergabefremder Zwecke bei der Auftragsvergabe vorsehen, wenn und soweit diese Kriterien aus zwingenden Erfordernissen gerechtfertigt sind und nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.119 Da der EuGH das Interesse an einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung als zwingendes Erfordernis anerkannt hat, das Beschränkungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann, kann eine gesetzliche Verpflichtung zum vorrangigen Vertragsschluss mit Hausarztgemeinschaften, die mindestens 50 % der zugelassenen Hausärzte vertreten, grundsätzlich mit dem Vergaberecht vereinbar sein.120 Allerdings dürfen die mit vergabefremden Zuschlagskriterien verbundenen Beschränkungen des freien Marktzugangs Dritter nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.121 Für die Erforderlichkeit des neuen Kollektivvertragsmodells des § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V spricht, dass das Ziel einer flächendeckenden Einführung des Hausarztmodells in der Vergangenheit allein durch Individualverträge nicht verwirklicht werden konnte. Gleichwohl dürfte § 73b 119

Vgl. oben 3. Kapitel, F. II. 2.; 5. Kapitel, G. III. Vgl. EuGH Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 105 f.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré und van Riet) EuZW 2003, 466, Rn. 91. Siehe auch oben 4. Kapitel, C. IV. 3.; 5. Kapitel, G. III. 121 Vgl. EuGH Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 105 ff.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré und van Riet) EuZW 2003, 466, Rn. 91 ff. Siehe auch oben 4. Kapitel, C. IV. 3. 120

D. Individualverträge des SGB V

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Abs. 4 Satz 1 SGB V über das zur Zweckerreichung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderliche Maß hinausgehen, da die Norm keine ausdrückliche Verpflichtung der Krankenkassen bzw. der Hausarztgemeinschaften vorsieht, konkurrierenden Dritten zu gleichen Bedingungen einen diskriminierungsfreien Zugang zur hausärztlichen Versorgung nach Maßgabe der ausgehandelten Vertragsbedingungen zu gewährleisten. Daher ist § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V in seiner derzeitigen Form mit dem EU-Vergaberecht nicht vereinbar. 3. Reformbedarf und Reformoptionen in der hausarztzentrierten Versorgung Mit Blick auf § 73b Abs. 4 und 4a SGB V besteht demzufolge derzeit aus vergaberechtlicher Sicht in jedem Fall Reformbedarf, wobei dem Gesetzgeber mehrere Optionen zur unionsrechtskonformen Ausgestaltung des § 73b SGB V zur Verfügung stehen dürften. Zunächst ist es grundsätzlich möglich, zu dem bis zum GKV-OrgWG geltenden rein individualvertraglichen Modell des § 73b SGB V zurückzukehren und Hausarztverträge generell im Wettbewerb nach Maßgabe der §§ 97 ff. GWB auszuschreiben. Diese Option scheint jedoch mit Blick auf den geringen Erfolg dieses Modells in der Vergangenheit als nur begrenzt praxistauglich. Alternativ hat der Gesetzgeber auch die Möglichkeit, die hausärztliche Versorgung vergaberechtsneutral in den Formen der hoheitlich-kooperativen Regulierung unter staatlicher Letztverantwortung sicherzustellen. Dies kann einerseits im Wege der (Wieder-)Eingliederung in das allgemeine System der vertragsärztlichen Versorgung durch Kollektivverträge zwischen Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen erfolgen, was indes auf einen Bruch mit den bisherigen Leittendenzen der Reformen des Vertragsarztrechts hinausliefe. Andererseits ist es auch möglich, das derzeitige Vertragsmodell der § 73b Abs. 4 und 4a SGB V so weiterzuentwickeln, dass es den unionsrechtlichen Anforderungen an ein vergaberechtlich neutrales System hoheitlich-kooperativer Regulierung unter staatlicher Letztverantwortung entspricht. Zur Sicherstellung der Allgemeinwohlbindung des Kollektivvertragssystems des § 73b Abs. 4 Satz 1 müssten einerseits die hoheitlichen Kontrollbefugnisse der staatlichen Aufsichtsbehörden, z. B. in Form einer generellen Genehmigungspflicht oder allgemeinen Nichtbeanstandungsvorbehalten für Verträge nach § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V, in einer Weise verdichtet werden, durch die eine staatliche Letztverantwortung gewährleistet wird.122 Auf der anderen Seite müssten zusätzliche gesetzliche Vorgaben getroffen werden, die einer Diskriminierung konkurrierender Dritter, z. B. durch gesetzliche Beitrittsrechte, entgegenwirken. Schließlich besteht auch noch die Möglichkeit, am derzeitigen Modell des § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V unter Inkaufnahme der Anwendbarkeit des Vergaberechts weiterzuentwickeln. Bei unions122

Vgl. oben 5. Kapitel, C. II.; 7. Kapitel, B. I. und II.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

rechtskonformer Ausgestaltung der Regelungen des § 73b Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V und des § 73b Abs. 4a SGB V müsste den Leistungserbringern im Bereich der hausarztzentrierten Versorgung dann zumindest ein Wahlrecht zwischen verschiedenen gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten des Zugangs zur hausarztzentrierten Versorgung eingeräumt werden. Einesteils müsste allen zugelassenen Allgemeinärzten die Möglichkeit zum Beitritt zu Hausarztverträgen nach § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V eingeräumt werden, die zwischen Krankenkassen und Hausarztverbänden abgeschlossen worden sind.123 Demgegenüber können zugelassene Leistungserbringer jedoch auch – unter den Voraussetzungen des § 73b Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB V – Individualverträge mit den Krankenkassen abschließen, die von den Krankenkassen im Wettbewerb unter Einhaltung der §§ 97 ff. GWB auszuschreiben sind. Selbst bei gesetzlicher Festschreibung eines Beitrittsrechts konkurrierender Allgemeinärzte zu Hausarztverträgen nach § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V bleibt jedoch ein vergaberechtliches „Restrisiko“, da sich konkurrierende Dritte mit der Ausübung des Beitrittsrechts letztlich Vertragsbedingungen unterwerfen müssten, die ohne ihre Beteiligung ausgehandelt wurden, was mit der Gefahr von Diskriminierungen einhergehen kann. Mithin erscheint es als keinesfalls ausgemacht, dass das derzeitige Vertragssysteme des § 73b Abs. 4 und 4a SGB V ohne grundlegendere Reformen vergaberechtskonform ausgestaltet werden kann. 4. Besondere ambulante Versorgungsformen gem. § 73c SGB V Mit § 73c SGB V hat der Gesetzgeber das selektive Versorgungsvertragsmodell der hausarztzentrierten Versorgung auch auf andere ambulante Versorgungsformen ausgedehnt.124 Gegenstand von Verträgen nach Art. 73c SGB V können Versorgungsaufträge sein, die sowohl die gesamte ambulante Versorgung als auch einzelne Bereiche der ambulanten Versorgung umfassen können (Art. 73c Abs. 1 Satz 2 SGB V). Die Qualitätsanforderungen werden gem. Art. 73c Abs. 1 Satz 3 SGB V durch den Gemeinsamen Bundesausschuss und den Bundesmantelvertrag festgelegt. Die Regelungen über Ausschreibungspflichten und Modalitäten des Vertragsschlusses (Art. 73c Abs. 3 SGB V), die inhaltliche Ausgestaltung des 123 Ein gesetzliches Beitrittsrecht aller zugelassenen Hausärzte bzw. gleichgestellter Leistungserbringer aus anderen Mitgliedstaaten steht seinerseits auch nicht im Widerspruch zu Art. 53 RL 2004/18/EG, der die nachträgliche Aufnahme Dritter in Rahmenvereinbarungen ausdrücklich ausschließt. Art. 53 RL 2004/18/EG bezieht sich vielmehr ausschließlich auf den Fall, dass nachträglich eine begrenzte Zahl weiterer Anbieter durch Vertrag (ohne Ausschreibung) in eine Rahmenvereinbarung aufgenommen wird, woraus sich wiederum die Gefahr der Diskriminierung nicht aufgenommener Dritter ergibt. Ein genereller gesetzlicher Aufnahmeanspruch sämtlicher zugelassener Leistungserbringer schließt dagegen Diskriminierungen Dritter beim Marktzugang gerade aus. Hierzu noch näher bei Hilfsmittelverträgen gem. § 127 SGB V unten 7. Kapitel, D. VI. 2. c). 124 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 262.

D. Individualverträge des SGB V

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Vertrags (Art. 73c Abs. 4 SGB V), Wahltarifsregelungen und Wahlfreiheit der Versicherten (Art. 73c Abs. 2 SGB V) entsprechen im Wesentlichen den Regeln über die hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b Abs. 3, Abs. 4 Satz 3 bis 5 und Abs. 5 SGB V.125 Anders als im Bereich der Hausarztversorgung folgt § 73c SGB V jedoch nach wie vor einem reinen Individualvertragsmodell, während Kollektivverträge mit Facharztverbänden nach dem Muster von § 73b Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V ebenso wenig vorgesehen sind wie eine Schiedsstellenregelung. Verträge über die besondere ambulante Versorgung nach Art. 73c Abs. 4 SGB V dürften daher in der Regel als Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 20004/18/EG zu qualifizieren sein. Allerdings stehen den Krankenkassen auch hier weite Gestaltungsspielräume offen, die von einem „Zulassungsmodell“ bis hin zu einem „Leistungseinkaufsmodell“ reichen können.126 Je nach Ausgestaltung kann somit im Einzelfall auch ein Dienstleistungsauftrag vorliegen. Verträge über die besondere ambulante Versorgung unterliegen, soweit es sich um Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG handelt, den besonderen Ausschreibungspflichten nach Art. 32 RL 2004/18/EG. Insofern es sich um entgeltliche Dienstleistungsaufträge i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/ EG handelt, bestehen dagegen nur Spezifikations- und Meldepflichten. Die nicht abschließenden Bestimmungen des § 73c SGB V, die zwar Ausschreibungspflichten normieren, diese aber nicht weiter konkretisieren, verstoßen als solche nicht gegen das EU-Vergaberecht. Vielmehr ist § 69 Abs. 2 SGB V im Lichte der RL 2004/18/EG dahin gehend auszulegen, dass die Einhaltung der Verfahrensanforderungen der RL 2004/18/EG durch entsprechende Anwendung der §§ 97 ff. GWB gewährleistet werden.

II. Verträge über die Integrierte Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V Das System der sog. „Integrierten Versorgung“ (§§ 140a ff. SGB V) ist im Jahr 2000 erstmals in das Leistungserbringungsrecht des SGB V aufgenommen worden. Zweck ist es, die überkommene Versäulung der Leistungserbringung zu überwinden. Angestrebt wird die Zusammenarbeit von Hausärzten, Fachärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen und Apotheken. Ziel ist eine effiziente, übergreifende und damit auch wirtschaftliche sowie qualitativ hochwertige Versorgung.127 Zu diesem Zweck subventioniert der Gesetzgeber die Integrierte Versorgung nach Maßgabe von § 140d SGB V durch Anschubfinan125

Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 262 f. Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 80 f. 127 Beule, GesR 2004, S. 209 ff.; Dierks, Integrierte Versorgung aus juristischer Sicht, ZaeFQ 2006, 37 ff.; Gabriel, NZS 2007, S. 344 ff.; Sieben, MedR 2007, S. 706 ff. 126

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

zierungen. Im Bereich der Integrierten Versorgung ist der Sicherstellungsauftrag der kassenärztlichen Vereinigungen gem. § 140a Abs. 1 SGB V eingeschränkt. Nach § 140a SGB V und § 140b Abs. 1 SGB V können die Krankenkassen selektive Versorgungsverträge mit Vertragsärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungserbringern sowie Gemeinschaften dieser Leistungserbringer abschließen.128 Im Rahmen dieser Verträge sind die Leistungserbringer gem. § 140b Abs. 2 SGB V zu einer qualitätsgesicherten, wirksamen, ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung verpflichtet.129 Anders als bei der hausarztzentrierten Versorgung (vgl. § 73b Abs. 4 Satz 4) besteht bei der Integrierten Versorgung indessen grundsätzlich keine Ausschreibungspflicht.130 Darüber hinaus dürfen Dritte generell in Verträge über die Integrierte Versorgung gem. § 140b Abs. 5 SGB V nur mit Zustimmung der bisherigen Vertragspartner aufgenommen werden. Bei der Ausgestaltung der Verträge verfügen die Kassen und ihre ausgewählten Vertragspartner über ein ausgesprochen weites Ermessen. Ziel des Gesetzgebers ist es ausdrücklich, Räume für neue Managementformen zu schaffen.131 Die zwangsläufig für vernetzte Versorgungsformen nicht geeigneten Vergütungsregeln der einzelnen Sektoren sind gem. § 140b Abs. 3 SGB V nicht anwendbar. Stattdessen können die Vertragspartner die Vergütung nach § 140c SGB V weitgehend frei vereinbaren. Die Gestaltungsspielräume reichen folglich von Einzelleistungsvergütungen nach tatsächlichem Leistungsanfall bis hin zu festen Budgets (vgl. § 140c Abs. 2 SGB V).132 Im Bereich der Integrierten Versorgung besteht schließlich die Besonderheit, dass neben Ärzten und Krankenhausträgern auch Hilfsmittelhersteller und Apotheken in die Versorgung einbezogen werden können (vgl. Art. 129b Abs. 5 SGB V).133 Verträge mit Hilfsmittelherstellern und Apotheken sind in der Regel sowohl auf die Abgabe von Arznei- und Hilfsmitteln als auch auf fachkundige Beratungsdienstleistungen gerichtet. Hieraus ergibt sich das Erfordernis der Abgrenzung zwischen Dienstleistungs- und Lieferauftrag. Bei gemischten Verträgen ist gem. Art. 1 Abs. 2 lit. d und Abs. 2 RL 2004/18/EG der Wert der Leistung für die Einordnung als Dienstleistungs- oder Lieferauftrag maßgeblich, der wertmäßig überwiegt. Für eine Einordnung als Dienstleistungsauftrag spricht, dass diese Verträge zwar auch die Abgabe von Arznei- und Hilfsmitteln umfassen. Gleichwohl spielen bei diesen Verträgen gerade auch die persönliche Dienstleistungserbringung in Form der fachkundigen Beratung, der Auswahl der angemessenen 128 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 88 f. 129 Dierks, Integrierte Versorgung aus juristischer Sicht, ZaeFQ 2006, S. 37 (37 f.). 130 Vgl. Gabriel, NZS 2007, S. 344 (345 f.). 131 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 89 f. 132 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 242 f. 133 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 243 f.

D. Individualverträge des SGB V

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Arznei- und Hilfsmittel sowie ggf. auch die individuelle Anpassung an besondere Behandlungsbedürfnisse des Versicherten eine besondere Rolle. Aus diesem Grund dürften Verträge mit Apotheken in der Regel als Dienstleistungsaufträge einzuordnen sein.134 Bei Verträgen mit Hilfsmittellieferanten dürfte es auf die konkrete Ausgestaltung des Einzelauftrags ankommen.135 Bei Versorgungsverträgen nach §§ 140a ff. SGB V handelt es sich je nach Schwerpunkt der Leistung um Liefer- oder um Dienstleistungsaufträge i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG bzw. um Rahmenvereinbarungen über Liefer- oder Dienstleistungsaufträge i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG. Soweit für die vertraglich festgelegten Leistungskontingente ein Festbudget vereinbart wird, liegt ein entgeltlicher Einzelauftrag i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18 EG in Form eines Liefer- oder Dienstleistungsauftrags vor.136 Dieser Auftrag ist gem. Art. 21 i.V. m. Anhang II Teil B RL 2004/18/EG nur bei Lieferaufträgen ausschreibungspflichtig, während bei Dienstleistungsaufträgen im Gesundheitswesen lediglich Spezifikations- und Meldepflichten gem. Art. 23 und 35 Abs. 4 RL 2004/18/EG bestehen. Soweit sich der Vertrag auf die Regelung der Preis- und Leistungsbedingungen der Leistungserbringung beschränkt (Zulassungsvertrag) und die Leistungspflicht sowie der Vergütungsanspruch von der Leistungsinanspruchnahme durch den Versicherten abhängig ist, greifen dagegen die spezielleren Vorschriften über Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG.137 Hier bestehen gem. Art. 32 RL 2004/18/EG sowohl bei Rahmenvereinbarungen über Lieferungen als auch bei Rahmenvereinbarungen über Dienstleistungsaufträge Ausschreibungspflichten. Allerdings ist, soweit die Preis- und Leistungsbedingungen im Versorgungsvertrag bereits abschließend geregelt sind, keine weitere Ausschreibung der Einzelleistungen erforderlich. Da Art. 140a ff. SGB V keine Ausschreibungspflichten begründet, ist die Vorschrift aus vergaberechtlicher Sicht bei unionsrechtskonformer Auslegung als nicht abschließend anzusehen. Die Ausschreibungspflichten ergeben sich aus der RL 2004/18/EG bzw. der §§ 97 ff. GWB. Die von den §§ 140a ff. SGB V intendierte Vernetzung verschiedener Leistungsarten und die Kopplung von Warenlieferungs- und Dienstleistungsverpflichtungen ist mit Blick auf zwingende Erfordernisse der Gewährleistung einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen Versorgung aus unionsrechtlicher Sicht jedenfalls rechtfertigungsfähig und damit grundsätzlich zulässig.138 Generell 134

Vgl. Gabriel, NZS 2007/7, S. 344 (345 f.). Vgl. EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 62 ff., 67 ff. 136 So im Ergebnis auch: Gabriel, NZS 2007, S. 344 (345 f.). 137 Dierks, Integrierte Versorgung aus juristischer Sicht, ZaeFQ 2006, S. 37 ff.; Gabriel, NZS 2007, S. 344 ff. Sieben, MedR 2007, S. 706 ff.; Kingreen, NJW 2009, S. 2417 ff. Vgl. EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 67 ff. 138 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 80 f. 135

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

steht das Vergaberecht gesetzlichen und vertraglichen Regelungen über Zuschlagskriterien nicht entgegen, die eine ortsnahe Versorgung gewährleisten sollen. Die damit notwendig verbundenen Beschränkungen des grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehrs müssen hingenommen werden. Problematisch ist allerdings – ebenso wie bei der hausarztzentrierten Versorgung – die Beschränkung auf im Inland zugelassene Leistungserbringer (vgl. § 140b Abs. 1 SGB V). Hier dürfte, vorbehaltlich zwingender Erfordernisse, auch Leistungserbringern, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig zugelassen sind, der Zugang zur Versorgung zu gewähren sein. Problematisch ist schließlich auch die durch § 140b Abs. 5 eröffnete Möglichkeit der nachträglichen Öffnung von bestehenden Verträgen für den Beitritt Dritter bei Zustimmung der übrigen Vertragspartner, da Art. 32 Abs. 2 Satz 3 RL 2004/18/EG diese Möglichkeit nicht vorsieht. Hier erscheint es jedoch grundsätzlich denkbar, dass eine Öffnung der Verträge zur Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung in Integrierten Versorgungsprogrammen erforderlich sein kann. In jedem Fall besteht bei Anwendung des § 140b Abs. 5 SGB V ein besonderer unionsrechtlicher Rechtfertigungsbedarf.

III. Verträge über die Teilnahme von Apotheken an besonderen Versorgungsformen Die gesetzlichen Bestimmungen über die Integrierte Versorgung gem. § 140a ff. SGB V sind mit § 129 Abs. 5b SGB V verzahnt, der die Voraussetzungen für die Beteiligung von Apotheken an vertraglichen Versorgungsformen besonders regelt. Apotheken können nach Art. 129 Abs. 5b SGB V grundsätzlich an allen besonderen Versorgungsverträgen beteiligt werden. Der wichtigste Anwendungsfall ist die Integrierte Versorgung. Nach § 129 Abs. 5b Satz 2 SGB V sind Verträge mit Apotheken grundsätzlich öffentlich auszuschreiben, wobei die Versorgungsverträge nach § 129 Abs. 5b Satz 3 SGB V auch Maßnahmen zur Qualitätssicherung umfassen sollen. Bei der Teilnahme an der Integrierten Versorgung können die näheren Anforderungen an die Qualität und Struktur der Versorgung abweichend von den gesetzlichen Regelungen individualvertraglich festgelegt werden. Damit ist das Vergaberecht auf Versorgungsverträge nach § 129 Abs. 5b SGB V anwendbar. In der Regel dürfte es sich, angesichts der Bedeutung einer fachkundigen Beratung für eine qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung, um Dienstleistungsaufträge nach Art. 1 Abs. 2 lit. d und Abs. 2 RL 2004/18/EG handeln. Zwar sind Apothekenverträge auf die Abgabe von Arzneimitteln an die Versicherten gerichtet, die an besonderen Versorgungsformen teilnehmen. Jedoch steht die Beratungsleistung im Vordergrund. Dies gilt umso mehr, als auch § 129 Abs. 5b SGB V das Ziel der Gewährleistung der Qualität der Arzneimittelversorgung ausdrücklich betont.139 Bei dieser Zielvorgabe handelt es sich auch nicht um produktbezogene Qualitätsanforderungen, die jeden-

D. Individualverträge des SGB V

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falls bei Fertigarzneimitteln nur von den Herstellern erfüllt werden können, sondern erkennbar um beratungsbezogene Qualitätsanforderungen. Soweit die Verträge nach § 129 Abs. 5b SGB V lediglich die Rahmenbedingungen der Abgabe von Arzneimitteln regeln, greifen die gegenüber Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG spezielleren Regelungen der Art. 1 Abs. 5, 32 RL 2004/18/EG. Entsprechend bestehen Ausschreibungspflichten nach Maßgabe der RL 2004/18/EG bzw. der §§ 97 ff. GWB. Im Rahmen der Ausschreibung sind Zuschlagskriterien, die neben der Arzneimittelabgabe auch ortsnahe Beratungspflichten umfassen grundsätzlich zulässig, da die damit einhergehenden objektiven Beschränkungen des Bieterkreises aus zwingenden Gesundheitsversorgungserfordernissen gerechtfertigt werden können.140

IV. Verträge über die Krankenhausversorgung Das Krankenhausrecht nimmt im Leistungserbringungsrecht des SGB V traditionell eine Sonderstellung ein. Kennzeichnend ist eine enge Verzahnung von Krankenhausplanungsrecht, Krankenhausinvestitionsförderung und sozialem Leistungserbringungsrecht. Das KHG und die Krankenhausgesetze der Länder enthalten Regelungen über die duale Krankenhausfinanzierung (vgl. § 4 KHG), die Krankenhausbedarfsplanung (vgl. § 6 KHG), die Aufnahme in den Krankenhausplan (vgl. § 8 KHG) und die Vergütung nach tagesgleichen Pflegesätzen bzw. Fallpauschalen (vgl. §§ 16 ff. KHG), die in ihren Zielsetzung teilweise den Regelungen der §§ 81 ff. SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung entsprechen, andererseits aber in ihren Strukturen zum Teil erhebliche Differenzen zum Vertragsarztrecht aufweisen. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Analyse der sozialrechtlichen Bestimmungen der §§ 107–114 SGB V sowie ergänzend des § 116b SGB V. Auf das Krankenhausplanungsrecht wird nur insoweit eingegangen, wie die Normen des SGB V auf dieses verweisen. 1. Zulassung durch Gesetz und Rechtsverordnung bei Hochschulkliniken gem. § 108 Nr. 1 SGB V Die Zulassung zur Krankenhausversorgung erfolgt gem. § 108 SGB V entweder unmittelbar durch Gesetz, soweit ein Krankenhaus nach Landesrecht als Hochschulklinik anerkannt ist (§ 108 Nr. 1 SGB V), durch Aufnahme in den Krankenhausplan (§ 108 Nr. 2 SGB V) oder durch Abschluss eines Versorgungsvertrags zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und einem Kranken-

139 140

Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 243 f. Vgl. oben, 5. Kapitel, G. III.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

hausträger (§ 108 Nr. 3 SGB V).141 Trotz der Unterschiede in den Zulassungsformen können in allen Fällen selektive Versorgungsverträge i. S. d. Vergaberechts vorliegen.142 Da die Zulassung von Hochschulkliniken nach § 108 Nr. 1 SGB V unmittelbar durch Gesetz und Rechtsverordnung erfolgt, liegt in den Fällen von § 108 Nr. 1 SGB V in Bezug auf den hoheitlichen Zulassungsakt offenkundig kein Vertrag im vergaberechtlichen Sinne vor. Allerdings haben die Landesverbände der Krankenkassen nach Maßgabe von § 109 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB V auch bei Hochschulkliniken die Möglichkeit, im Benehmen mit den zuständigen Landesbehörden Bettenvereinbarungen zu treffen. Damit könnte auch bei Hochschulkliniken jedenfalls in Bezug auf Bettenvereinbarung ein vergaberechtlich relevantes Vertragsverhältnis im Sinne einer Rahmenvereinbarung gem. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG vorliegen.143 Gegen das Vorliegen einer Rahmenvereinbarung könnte indes die enge Verzahnung der sozialrechtlichen Regelungen über Bettenvereinbarungen mit dem Krankenhausplanungsrecht sprechen, der die austauschvertraglichen Verhandlungsspielräume der Landesverbände der Krankenkassen beschränkt. So können gem. § 109 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichend vom Krankenhausplan niedrigere Bettenzahlen lediglich dann vereinbart werden, wenn die Leistungsstruktur hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Nach § 109 Abs. 1 Satz 4 sind sog. ergänzende Bettenvereinbarungen nur zulässig, wenn die Landeskrankenhauspläne nicht abschließend sind. Schließlich ist das Zustandekommen der Bettenvereinbarungen stets vom Einvernehmen der zuständigen Landesbehörde abhängig. Andererseits bezieht sich § 109 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB V ausdrücklich auf Fälle, in denen der Gesetzgeber der Landesverbänden der Krankenkassen gewisse austauschvertragliche Verhandlungsspielräume einräumen wollte, wenn diese auch in Einklang mit den Zielen der Krankenhausplanung ausgeübt werden sollen. Damit erscheint eine Anwendung des Vergaberechts zumindest als denkbar. Allerdings dürften dem Gesundheitsgesetzgeber auch im Falle einer grundsätzlichen Anwendung des Vergaberechts nach wie vor erhebliche Gestaltungsspielräume verbleiben. So hat der EuGH in seiner Rechtsprechung zur Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf die stationäre Versorgung die besondere Bedeutung der Krankenhausplanung für eine angemessene, qualitativ hochwertige und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit stationären Behandlungsdienstleistungen ausdrücklich hervorgehoben.144 Daher dürfte das Vergaberecht der Berücksichtigung von Belangen der Krankenhausplanung bei Bettenvereinbarungen und deren prozeduraler Absicherung nach Maß141 Zur vergaberechtlichen Diskussion: F. Becker/Bertram, Die Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Zulassung eines Krankenhauses zur Krankenhausbehandlung, KH 2002, S. 541 ff.; Burgi, NZS 2005, S. 169 ff.; Burgi/Brohm, MedR 2005, S. 74 ff. 142 Vgl. Koenig/Steiner, ZESAR, 2003, S. 98 ff., 150 ff.; Burgi/Brohm, MedR 2005, S. 74 ff.; Burgi, NZS 2005, S. 169 ff.; F. Becker/Bertram, Die Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Zulassung eines Krankenhauses zur Krankenhausbehandlung, KH 2002, S. 541 ff. 143 Koenig/Steiner, ZESAR, 2003, S. 150 (152 ff.).

D. Individualverträge des SGB V

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gabe des § 109 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB V nicht entgegenstehen. Auch hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrens wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob Ausschreibungen mit Blick auf den jeweiligen Vertragsgegenstand überhaupt zur Zweckerreichung geeignet und erforderlich sind, oder ob nach Maßgabe von Art. 30 ff. RL 2004/18/EG Verhandlungsverfahren ausreichend sind.145 2. Zulassung durch Verwaltungsakt bei Plankrankenhäusern gem. § 108 Nr. 2 SGB V Bei Plankrankenhäusern erfolgt die Aufnahme in den – rechtlich nicht verbindlichen – Krankenhausplan gem. § 8 KHG i.V. m. den Landeskrankenhausgesetzen durch Feststellungsbescheid der zuständigen Landesbehörde. Die Feststellung geht anhand von Eignungs- und Bedarfskriterien vonstatten. Krankenhausträger, welche die Voraussetzungen des Krankenhausplans erfüllen haben mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich einen Zulassungsanspruch, der sich bei Überversorgung auf einen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung reduziert.146 Beim Feststellungsverfahren handelt sich um ein gebundenes Verfahren, auf das die Kassen keinen Einfluss nehmen können. Vertragsverhandlungen zwischen den Verbänden der Krankenkassen und der Krankenhausträger finden dagegen erst bei den Pflegesatzvereinbarungen bzw. den Vereinbarungen über Fallpauschalen nach §§ 17a ff. KHG statt. Obwohl das SGB V damit ausdrücklich zwischen der Zulassungsentscheidung durch die zuständige Landesbehörde und der – durch Fiktion des § 108 Nr. 2 SGB V – begründeten Erstattungspflicht der Krankenkassen trennt, wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass ein entgeltlicher Dienstleistungsauftrag (oder ggf. eine Rahmenvereinbarung) zwischen der gesetzlichen Krankenkasse und dem Plankrankenhaus zustande komme.147 Begründet wird dies damit, dass die Aufnahme in den Krankenhausplan in ihren Wirkungen einem Versorgungsvertrag zwischen Krankenkassen und einem Vertragskrankenhaus i. S. v. § 108 Nr. 3 SGB V gleichkomme. Es könne dem Gesetzgeber jedoch nicht freistehen, allein durch die Wahl der Rechtsform des Verwaltungsakts Sachverhalte dem Vergaberecht zu entziehen. Entsprechend sei in der Aufnahme in den Krankenhausplan ein Zuschlag im Rahmen einer öffentlichen Auftragsvergabe zu sehen. Diesen vergaberechtlichen 144 EuGH, Rs. 238/82 (Duphar) Slg. 1984, 523; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1831, Rn. 17 ff.; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 64 ff.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet) Slg. 2003, I-4509. 145 Zur Wahl des Vergabeverfahrens, oben 3. Kapitel, E. III. 146 Grundlegend zum subjektiv-rechtlichen Anspruch auf Aufnahme in den Krankenhausplan und zu dessen Durchsetzung im Wege der Konkurrentenklage: BVerfG Beschl. v. 14.01.2004 (1 BvR 506/03) GesR 2004, 85. Zur Zulässigkeit der Konkurrentenklage auf Aufnahme und auf Verbleib im Krankenhausplan: Burgi, NZS 2005, S. 169 ff. 147 Vgl. Koenig/Steiner, ZESAR, 2003, S. 150 ff.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

Vertragsschluss müssen sich die Landesverbände der Krankenkassen nach der gesetzlichen Fiktion des § 109 Abs. 1 SGB V auch als Abschluss eines Versorgungsvertrags zurechnen lassen.148 Dieser Auffassung kann jedoch letztlich nicht gefolgt werden. Das Vergaberecht ist anwendbar, wenn den gesetzlichen Krankenkassen vom Gesetzgeber tatsächlich austauschvertragliche Handlungsspielräume bei der Zulassung zur Versorgung eingeräumt wurden.149 Dies ist bei der Aufnahme in einen Krankenhausplan indes gerade nicht der Fall. Vielmehr entzieht der Gesetzgeber den Krankenkassen im Rahmen von § 108 Nr. 2 SGB V gerade die Möglichkeit, mit Krankenhausträgern in Verhandlungen über die Versorgung einzutreten.150 Entsprechend besteht auch nicht die für selektive Versorgungsverträge typische Gefahr des Missbrauchs der Nachfragemacht der gesetzlichen Krankenkassen. Andererseits „verkauft“ auch die zuständige Landesbehörde nicht Zug um Zug gegen wirtschaftliche Gegenleistungen Zugangsrechte zur Krankenhausversorgung. Damit handelt es sich im Falle des § 108 Nr. 2 SGB V um einen Fall der vergaberechtlich neutralen hoheitlichen Zugangsregulierung, der ebenso wie die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt.151 In Ermangelung von selektivvertraglichen Verhandlungsspielräumen liegt folglich bei der Aufnahme in den Krankenhausplan weder ein Dienstleistungsauftrag noch eine Rahmenvereinbarung oder Dienstleistungskonzession i. S. d. RL 2004/18/EG vor.152 Das Vergaberecht ist mithin auf fiktive Versorgungsverträge i. S. v. § 108 Nr. 2, § 109 Abs. 1 SGB V nicht anwendbar.153 3. Zulassung durch Versorgungsvertrag gem. § 108 Nr. 3 SGB V Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG könnten jedoch beim Abschluss von Versorgungsverträge zwischen den Kassenverbänden und sonstigen Krankenhäusern nach §§ 108 Nr. 3, 109 SGB V vorliegen. Zwar unterliegen die Landesverbände der Krankenkassen gerade bei auch bei Versorgungsverträgen nach § 108 Nr. 3 SGB V besonderen Beschränkungen. So dürfen Versorgungsverträge nach Maßgabe von § 109 Abs. 3 SGB V von vornherein nicht abgeschlossen werden, wenn die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des 148

Koenig/Steiner, ZESAR, 2003, S. 150 (152). Zu diesem Kriterium ausführlich oben 3. Kapitel, C. III. 1. und 2., 5. Kapitel, C. III. 1. 150 Burgi/Brohm, MedR 2005, S. 74 ff. 151 Ebenso im Ergebnis: Burgi/Brohm, MedR 2005, S. 74 ff.; Burgi, NZS 2005, S. 169 ff. 152 Vgl. zum Erfordernis von Vertragsverhandlungen: EuGH, Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti) Slg. 2001, I-5409, Rn. 71, 75: a. A. Koenig/Steiner, ZESAR, S. 2003 98 ff. (104 f.), die den Verwaltungsakt als Auftragserteilung qualifizieren. 153 Für Bettenvereinbarungen i. S. v. §§ 109 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB V gelten die Ausführungen zu Hochschulkliniken entsprechend. Siehe oben 7. Kapitel, D. VI. 1. 149

D. Individualverträge des SGB V

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Krankenhauses nicht gewährleistet ist oder wenn nach Maßgabe der Landeskrankenhausplanung kein Versorgungsbedarf besteht. Zudem sind der Abschluss und die Ablehnung des Versorgungsvertrags von einer Genehmigung durch die zuständige Landesbehörde abhängig. Gleichwohl spricht die praktische Wirksamkeit des Vergaberechts eher für eine Anwendung der RL 2004/18/EG, soweit den Krankenkassenträgern – wie im Falle des § 108 Nr. 3 SGB V – gewisse, wenn auch beschränkte austauschvertragliche Verhandlungsspielräume eingeräumt werden. Gleichwohl dürften dem staatlichen Gesetzgeber auch bei Versorgungsverträgen nach § 108 Nr. 3 SGB V – ähnlich wie schon bei Bettenvereinbarungen – nicht unerhebliche Gestaltungsspielräume verbleiben. So dürften die in § 109 Abs. 3 SGB V vorgesehenen Beschränkungen des Kreises der zulassungsfähigen Krankenhäuser mit Blick auf die unionsrechtlich anerkannten zwingenden Erfordernisse der Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen stationären Gesundheitsversorgung und der Gewährleistung der finanziellen Stabilität der sozialen Sicherungssysteme mit dem Unionsrecht vereinbar sein.154 Ähnlich wie bei Bettenvereinbarungen dürfte auch die prozedurale Absicherung der Ziele der Krankenhausplanung durch besondere Genehmigungserfordernisse vergaberechtlich nicht zu beanstanden sein, soweit die Genehmigungsverfahren diskriminierungsfrei ausgestaltet sind. Zwar sieht die RL 2004/18/EG eine Kopplung von Vergabeverfahren mit zusätzlichen besonderen hoheitlichen Genehmigungsverfahren an sich nicht vor. Daraus muss jedoch nicht notwendig auf die generelle Unzulässigkeit derartiger Genehmigungserfordernisse geschlossen werden. Vielmehr dürfte davon auszugehen sein, dass das Vergaberecht den Fall besonderer Genehmigungspflichten nicht abschließend regelt. Hiervon ausgehend wird eine Kopplung des Vergabeverfahrens mit besonderen Genehmigungspflichten jedenfalls dann zulässig sein, wenn diese – wie bei der Krankenhausplanung – aus zwingenden Erfordernissen unionsrechtlich gerechtfertigt sind. Weiterhin dürfte sich die Besonderheiten der Krankenhausversorgung auch auf die zulässige Laufzeit von Versorgungsverträgen nach § 108 Nr. 3 SGB V und auf die Wahl des zulässigen Vergabeverfahrens auswirken. So wird die grundsätzliche Beschränkung der Laufzeit von Rahmenvereinbarungen grundsätzlich auf vier Jahre bei Versorgungsverträgen nach § 108 Nr. 3 SGB V jedenfalls dann nicht greifen, wenn längere Laufzeiten für einen wirtschaftlich rentablen Betrieb erforderlich sind (vgl. Art. 32 Abs. 2 Satz 5 RL 2004/18/EG). Bei der Wahl des Vergabeverfahrens wird – ähnlich wie bei Bettenvereinbarungen – jeweils einzelfallbezogen zu prüfen sein, ob unionsweite Ausschreibungen mit Blick auf den jeweiligen Gegenstand des Versorgungsvertrags als Verfahren geeignet bzw. erforderlich sind, oder ob Verhandlungsverfahren nach Art. 30 oder 31 RL 2004/18/EG in Betracht kommen.

154 Vgl. EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms) Slg. 2001, I-5473, Rn. 64 ff.; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller Fauré u. van Riet) Slg. 2003, I-4509.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

4. Rahmenvereinbarungen nach § 112 SGB V Im Gegensatz zu § 108 Nr. 3 SGB V handelt es sich bei Rahmenvereinbarungen über die allgemeinen Grundsätze der Krankenhausversorgung nach § 112 SGB V um einen Fall der vergaberechtsneutralen, hoheitlich-kooperativen Regulierung. Die Grundstruktur dieser Rahmenvereinbarung (Kollektivvertragssystem unter Einbindung von Krankenkassen und Leistungserbringern, gesetzlich definierte Aufgaben, abstrakt-generelle Reglungen für alle Leistungserbringer, Schiedsstellenwesen, staatliche Aufsicht) entsprechen den allgemeinen, bereits in Bezug auf die vertragsärztliche Versorgung untersuchten Strukturmerkmalen.155 Damit scheidet die Anwendung des Vergaberechts hier aus. 5. Verträge über die besondere ambulante und stationäre Versorgung nach. § 116b SGB V Eine weitere Form der individualvertraglichen Steuerung ist dagegen mit § 116b SGB V in das System der Krankenhausversorgung eingeführt worden. § 116b SGB V sieht selektive Vertragsverhältnisse zwischen Krankenkassen und deren Verbänden über die ambulante Versorgung im Rahmen von DeseaseManagement-Programmen (DMP) nach Maßgabe von § 116b Abs. 1 SGB V und über hochspezialisierte stationäre Versorgungsleistungen (§ 116b Abs. 2–5 SGB V) vor. Die Krankenkassen verfügen in beiden Fällen über selektiv vertragliche Handlungsspielräume hinsichtlich der Auswahl der Vertragspartner, wobei Verträge nach § 116b Abs. 1 SGB V allerdings voraussetzen, dass das Krankenhaus generell an DMPs teilnimmt. Weiterhin ist auch der Vertragsgegenstand auf die vom Bundesversicherungsamt per Rechtsverordnung zugelassenen DMP beschränkt, wobei zugleich die verbindlichen Vorgaben der Programme einzuhalten sind.156 Inhaltlich ergibt sich der Vertragsinhalt demzufolge im Wesentlichen aus den DMP, wobei der Vertrag nach § 137g Abs. 1 SGB V im Rahmen des Zulassungsverfahrens vom Bundesversicherungsamt geprüft wird. Ebenso werden für die stationären Programme durch § 116b Abs. 3 SGB V relativ genaue Vorgaben gemacht, die durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses konkretisiert werden. Auch hinsichtlich der Vergütung, die sich an der vertragsärztlichen Vergütung orientiert, bestehen gem. § 116b Abs. 5 SGB V in beiden Vertragsvarianten des § 116b SGB V kaum Spielräume. Verträge nach § 116b SGB V sind damit ein Beispiel für selektive Versorgungsverträge, die trotz der Auswahlspielräume vom Anwendungsbereich der RL 2004/18/EG ausgenommen sein dürften, da es an den erforderlichen wirtschaftlichen Handlungsspielräumen bei der in-

155 156

S. 82.

Siehe oben 7. Kapitel, B. Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008,

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haltlichen Ausgestaltung des Vertrags fehlt. Letztlich handelt es sich um über Verträge mediatisierte Formen der dezentralen Koordinierung von besonderen Versorgungsprogrammen.

V. Arzneimittelrabattverträge 1. Selektive Rabattverträge als Innovation im Arzneimittelversorgungsrecht Das Recht der Arzneimittelversorgung in der GKV wurde lange durch ein System der hoheitlich-kooperativen Arzneimittelzugangs- und Arzneimittelpreisregulierung, insbesondere das Verfahren der Festbetragsfestsetzung gem. §§ 35 und 35a SGB V geprägt. Dagegen verfügten die gesetzlichen Krankenkassen bis zum Jahr 2003 über keine effektiven selektiv-vertraglichen Gestaltungsspielräume, um einzelnen Anbietern einen privilegierten Marktzugang zu verschaffen. Dies hat sich mittlerweile geändert. Seit 2003 besteht gem. § 130 Abs. 8 SGB V für einzelne Krankenkassen und ihre Verbände erstmals die Möglichkeit, selektive Rabattverträge mit einzelnen Arzneimittelherstellern abschließen, durch die sich die Arzneimittelhersteller zur Zahlung von zusätzlichen Rabatten an die Krankenkassen verpflichten. Dieses Rabattvertragssystem ist im Rahmen des GWV-WSG weiter ausgebaut worden.157 Nach § 130 Abs. 8 SGB V können die Krankenkassen und ihre Verbände auch Leistungserbringer an Rabattverträgen beteiligen. Die Krankenkassen können ihrerseits im Verhältnis zu den gesetzlich Versicherten einen Anreiz zur Inanspruchnahme von Rabattarzneimittel schaffen, indem sie nach § 31 Abs. 3 Satz 4 SGB V die Zuzahlungen ermäßigen oder ganz aufheben. Anreize für die Verordnung der erfassten Arzneimittel durch den Vertragsarzt schafft der Gesetzgeber auch durch § 84 Abs. 4a Satz 2 SGB V, in dem Rabattarzneimittel von den Arzneimittelbudgets der Vertragsärzte ausgenommen werden. Schließlich privilegiert der Gesetzgeber Rabattarzneimittel auch bei der Abgabe in Apotheken, da die Apotheker bei wirkstoffgleichen Medikamenten gem. § 129 Abs. 1 Satz 2 SGB V vorrangig zur Abgabe von Rabattmedikamenten verpflichtet sind.158

157 Zu Arzneimittelrabattverträgen aus vergaberechtlicher Sicht: Schickert, PharmR 2009, S. 164 ff.; Kamann/Gey, PharmR 2009, S. 114 ff.; Boldt, PharmR 2009, S. 377 ff.; Knispel, Soziale Sicherheit 2008/, S. 110 ff.; Koenig/Klahn, PharmR 2008, S. 182 ff.; Willenbruch, PharmR 2008, S. 151 ff.; A. P. Ehlers/Heinemann, pharmind 2007, S. 1448 f.; Heßhaus, PharmR 2007, S. 334 ff.; Koenig/Klahn/Schreiber, GesR 2007, S. 559 ff.; Sträter/Natz, PharmR 2007, S. 7 ff. 158 Zur Grundstruktur der Rabattvertragsregelung: Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 99 f., 112 ff.; Koenig/Klahn, GesR 2007, S. 559 (559 f.); Byok/Caski, NZS 2008, S. 402 ff.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

2. Die Anreizung von Preiswettbewerb durch selektive Auftragsvergabe als Zweck der Rabattverträge Der Sinn und Zweck der Rabattvertragsregelung leuchtet schnell ein. Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten die Möglichkeit, im Rahmen von selektiven Verträgen zusätzliche Rabatte mit einzelnen Arzneimittelherstellern auszuhandeln. Die Arzneimittelhersteller können sich mit der Gewährung von Zusatzrabatten verbesserte Absatzmöglichkeiten „erkaufen“. Als „Gegenleistung“ senkt die Krankenkasse die Zuzahlungen für die Versicherten oder hebt sie ganz auf. Hierdurch schafft die Krankenkasse wirtschaftliche Anreize für die Versicherten und mittelbar auch für die verschreibenden Ärzte, Rabattmedikamente in Anspruch zu nehmen bzw. zu verschreiben. Der Gesetzgeber unterstützt das Modell, indem er die Rabattmedikamente von den Arzneimittelbudgets der Vertragsärzte ausnimmt und deren vorrangige Abgabe durch die Apotheken anordnet. Das übergreifende Ziel der Rabattverträge liegt in der Anreizung eines Preissenkungswettbewerbs zwischen den Arzneimittelherstellern. Damit fügen sich die Rabattverträge in das Gesamtsystem der Arzneimittelpreisregulierung ein, das auch über die Festbetragsregelung auf die Schaffung von Preiswettbewerb zielt.159 3. Die Rabattverträge als Rahmenvereinbarungen über die Lieferungen von Arzneimitteln durch Arzneimittelhersteller zu Sonderkonditionen Die Rabattverträge nach § 130 Abs. 8 SGB V werfen neben Grundsatzfragen auch eine Vielzahl von Sonderproblemen, z. B. mit Blick auf die genauen Voraussetzungen der – nach Art. 32 RL 2004/18/EG grundsätzlich zulässigen – Beteiligung mehrerer pharmazeutischer Unternehmen an Rabattverträgen,160 aber auch mit Blick auf bestimmte besondere Ausgestaltungsformen, wie etwa Mehrwertverträge oder Risk-Sharing-Verträge auf,161 die im Rahmen dieser Grundlagenuntersuchung nicht im Einzelnen abgehandelt werden sollen. Die folgende Darstellung beschränkt sich vielmehr auf die Grundsatzfragen der Verortung von Rabattverträgen im System des Vergaberechts. Aus dem Bereich der rabattvertraglichen Sonderprobleme soll allein auf die Frage der Ausschreibungspflicht von Rabattverträgen über innovative Arzneimittel näher eingegangen werden, da diese für das Verständnis der Stellung von Zulassungsverträgen im System des Vergaberechts von allgemeinerer Bedeutung ist. Hinsichtlich der Stellung von 159 Zur Lenkungswirkung des Rabattvertrags: Schickert, PharmR 2009, S. 164 ff., 167 f.; vgl. zum Steuerungskonzept auch Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 99 f., 112 f. 160 Hierzu Boldt, PharmR 2009, S. 377 ff. 161 Vgl. Schickert, PharmR 2009, S. 164 (172 ff.).

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Rabattverträgen im System des EU-Vergaberechts ist zunächst festzustellen, dass es sich bei den Rabattverträgen unzweifelhaft um Verträge i. S. d. Vergaberechts handelt.162 Die Krankenkassen verfügen sowohl in Hinblick auf die Wahl des Vertragspartners als auch in Hinblick auf die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrags über die hierfür erforderlichen austauschvertraglichen Verhandlungsspielräume.163 Da es sich bei Arzneimitteln um Waren handelt, liegt die Einordnung als Liefervertrag i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG unmittelbar nahe.164 Zwar zielen Rabattverträge nicht auf die Lieferung von Waren an die Krankenversicherungsträger. Vielmehr betreffen Rabattverträge allein die Konditionen der Lieferung von Waren zum Zweck der Versorgung der gesetzlich Versicherten.165 Die Abgabe an die gesetzlich Versicherten erfolgt vermittelt über die Zwischenschaltung von Großhändlern und Apotheken (vgl. §§ 31 Abs. 1 Satz 1, 129 SGB V). Sie setzt zudem eine Verschreibung durch den Vertragsarzt voraus (vgl. §§ 34 Abs. 1 Satz 1, Art. 84 Abs. 7a SGB V).166 Rabattverträge unterscheiden sich damit von den in Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG beispielhaft genannten Vertragstypen des Kaufs oder der Miete von Waren. Aus zivilrechtlicher Sicht dürfte es sich um ein geschäftsbesorgungsähnliches Vertragsverhältnis handeln, durch das der Arzneimittelhersteller Waren zum Zweck der Erfüllung der Versorgungsverpflichtungen der gesetzlichen Krankenversicherung liefert. Ausschlaggebend für die Einordnung als Liefer- und nicht als Dienstleistungsvertrag ist aus vergaberechtlicher Sicht indes nicht die Zivilrechtsdogmatik, sondern eine funktionale Betrachtung des „warenverkehrsbezogenen“ Charakters von Rabattverträgen. Zweck der Rabattverträge ist die Preisregulierung auf den Arzneimittelmärkten. Staatliche Regelungen über die Arzneimittelpreisregulierung fallen jedoch unstrittig in den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit. Dementsprechend dürfte für die Einordnung als Liefervertrag ausreichend sein, dass der Gegenstand des Rabattvertrags in der Lieferung von Waren zum Zweck der Versorgung 162 Eine Klärung der vergaberechtlichen Stellung von Rabattverträgen durch den EuGH steht an: So hat die Europäische Kommission am 17.10.2007 aufgrund einer Beschwerde des Deutschen Generikaverbandes (vgl. PharmR 2007, S. 192 f.) ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland initiiert; dort wird die Ansicht geäußert, das GWB-Vergaberecht sei auch auf Rabattverträge anwendbar [vgl. Dokument 2007/4410 K (2007) 4883]; BSG, SGb 2008, S. 544 Rn. 66. Anfang Mai 2008 wurde in Form einer mit Gründen versehenen Stellungnahme die zweite Stufe des Aufsichtsklageverfahrens eingeleitet (IP/08/686 vom 6.5.2008). 163 Koenig/Klahn, PharmR 2008, S. 182 (182 f.). 164 So auch: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.11.2007 – VII-Verg 47/07, PharmR 2008, 141; Koenig/Klahn/Schreiber, PharmR 2008, S. 182 ff.; Willenbruch, PharmR 2008, S. 151 ff. 165 So auch: Schickert, PharmR 2009, S. 164 (166); LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Oktober 2008, Az.: L 11 KR 4810/08 ER-B; anders etwa OLD Düsseldorf, Beschluss vom 19. Dezember 2007, Az. VII-Verg 50/07; nicht problematisiert etwa durch die 2. Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 20. Oktober 2008, Az. VII-Verg. 46/08. 166 Vgl. Schickert, PharmR 2009, S. 164 (167 f.).

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

der gesetzlich Versicherten liegt. Dass die Lieferung nicht unmittelbar an die Krankenkassen, sondern an Dritte erfolgt, ist aus binnenmarktfunktionaler Sicht unbeachtlich.167 4. Vergaberechtliche Beurteilung Die Besonderheit des Rabattvertrags liegt in seiner vom Gesetzgeber bezweckten Preisregulierungsfunktion durch Anreiz eines Wettbewerbs der Arzneimittelhersteller um einen privilegierten Zugang zur Arzneimittelversorgung.168 Diese besondere Funktion schließt die Anwendung des Vergaberechts nicht aus, sondern spricht gerade für dessen Anwendbarkeit. Denn generell liegt der Sinn und Zweck des Vergaberechts darin, durch einen Wettbewerb der Anbieter ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis zu erreichen. Da Rabattverträge lediglich die Rahmenbedingungen für die Lieferung von Arzneimitteln regeln, handelt es sich um einen Rahmenvertrag i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG.169 Die Krankenkassen müssen sich die Inanspruchnahme der von Rabattverträgen erfassten Arzneimittel wie eine entgeltliche Einzelauftragsvergabe i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/ EG zurechnen lassen. Dies folgt einerseits bereits daraus, dass die Rahmenvereinbarung den Marktzugang der Wirtschaftsteilnehmer in gleicher Weise begrenzt wie ein klassischer Rahmenvertrag. Zudem besteht gerade im Bereich der Rabattverträge eine Reihe von Besonderheiten, die eine Zurechnung der konkreten Inanspruchnahme von Einzelleistungen zu den gesetzlichen Krankenkassen in besonderer Weise nahe legen. Insbesondere können und sollen die Krankenkassen gem. § 31 Abs. 3 Satz 4 SGB V durch Zuzahlungsermäßigungen das Wahlverhalten der gesetzlich Versicherten zielgerichtet zugunsten der vertraglich gebundenen Arzneimittelhersteller beeinflussen. Darüber hinaus können die Krankenkassen durch besondere Verträge mit den Vertragsärzten gem. § 84 Abs. 4a Satz 2 SGB V auch das Verschreibungsverhalten der Ärzte zielgerichtet steu-

167 So auch: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.11.2007, Az. VII-Verg 47/07, PharmR 2008/3, S. 141 ff.; hierzu: Willenbruch, PharmR 2008, S. 151 ff.; ebenso im Ergebnis: A. P. Ehlers/Heinemann, pharmind 2007, S. 1448 (1448 f.); Koenig/Klahn, PharmR 2008, 182 (183 f.); offen gelassen bei Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007. S. 136. 168 Vgl. Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 99 f., 112 f.; Schickert, PharmR 2009, S. 164 (167 f.). 169 Vgl. zuletzt LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.01.2009, Az. L 11 WB 5971/08, Beschluss vom 04.02.2009, Az. L 11 WB 381/09 und VK Bund, Beschluss vom 23.01.2009, Az. VK 3 – 194/08. Zudem OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2007, Az. VII-Verg 44/07; ebenso Europäische Kommission, mit Gründen versehene Stellungnahme im Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4410 vom 06.05.2008 zu Verträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V; auch Schickert, PharmR 2009, S. 164 ff.; ähnlich Sträter/Natz, PharmR 2007, S. 7 ff. Willenbruch, PharmR 2008/3, S. 151 ff.; A. P. Ehlers/Heinemann, pharmind 2007, S. 1448 (1448 f.); Heßhaus, PharmR 2007, S. 334 ff.

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ern.170 Als Rahmenvereinbarungen sind Rabattverträge gem. Art. 32 RL 2004/ 18/EG ausschreibungspflichtig.171 Zwar enthält § 130 Abs. 8 SGB V keine Ausschreibungspflicht. Dies führt indes bei unionsrechtskonformer Auslegung der §§ 69 ff. SGB V zu keinem Verstoß des § 130 Abs. 8 SGB V gegen die RL 2004/18/EG. Vielmehr ist davon auszugehen, dass § 130 Abs. 8 SGB V die Frage der Ausschreibungspflicht nicht abschließend regelt. Die damit bestehende Lücke ist vermittelt über § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V durch eine entsprechende Anwendung der §§ 97 ff. GWB zu schließen. 5. Mögliche Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht bei patentgeschützten Arzneimitteln In Einklang mit dem bisherigen Ergebnissen dieser Untersuchung herrscht mittlerweile zwischen Vergabekammern, Zivil- und Sozialgerichten weitgehend Einigkeit darüber, dass Verträge zur Lieferung von generischen Arzneimitteln, welche Krankenkassen exklusiv mit einem (oder mehreren) Pharmaunternehmen abschließen (und damit eine Auswahlentscheidung treffen), aufgrund der grundsätzlichen Verpflichtung des Apothekers zur Abgabe eines rabattierten wirkstoffgleichen Arzneimittels nach § 129 Abs. 1 S. 3 SGB V öffentliche Aufträge gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. c) VKR, § 99 Abs. 2 GWB in Form von Rahmenvereinbarungen gemäß Art. 1 Abs. 5, Art. 32 VKR, § 3a Nr. 4 Abs. 1 S. 1 VOL/A sind.172 Umstritten ist dagegen, ob auch Verträge über patentgeschützte Arzneimittel einer Ausschreibungspflicht unterliegen. Bei patentgeschützten Arzneimitteln sind ist Vergabekammern des Bundes im EPO- und TKK-Verfahren davon ausgegangen, dass auch derartige Verträge einer Ausschreibungspflicht unterliegen können, wenn andere (patentgeschützte) Präparate existieren, die (zumindest teilweise) dieselben Indikationen abdecken und durch den Vertrag eine „Lenkungswirkung“ zugunsten des Rabattvertragspartners und damit für diesen ein Wettbewerbsvorteil erreicht wird.173 Nach der weitergehenden Auffassung des OLG Düsseldorf trifft die Krankenkassen selbst dann eine Ausschreibungs170

Vgl. Kamann/Gey, PharmR 2009, S. 114, 117 ff. So zuletzt LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.01.2009, Az. L 11 WB 5971/08, Beschluss vom 04.02.2009, Az. L 11 WB 381/09 und VK Bund, Beschluss vom 23.01.2009, Az. VK 3 – 194/08. Zudem OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2007, Az. VII-Verg 44/07; ebenso Europäische Kommission, mit Gründen versehene Stellungnahme im Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4410 vom 06.05.2008 zu Verträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V. 172 Vgl. Kamann/Gey, PharmR 2009, S. 114, 117; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.01.2009, Az. L 11 WB 5971/08, Beschluss vom 04.02.2009, L 11 WB 381/09 und VK Bund, Beschluss vom 23.01.2009, Az. VK 3 – 194/08. Zudem OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2007, Az. VII-Verg 44/07; ebenso Europäische Kommission, mit Gründen versehene Stellungnahme im Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4410 vom 06.05.2008 zu Verträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V. 173 2. VK Bund, Beschluss vom 22.08.2008, Az. VK 2 – 78/08 und 3. VK Bund, Beschluss vom 15.08.2008, Az. VK 3 – 107/08. 171

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

pflicht, wenn es an Alternativpräparaten fehlt, da ein Wettbewerbsverhältnis zwischen dem betroffenen Originalanbieter und den Händlern bestehen kann, die parallel importierte Produkte aus anderen EU-Mitgliedstaaten in Deutschland anbieten.174 Dagegen hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg im EPOVerfahren das Vorliegen eines öffentlichen Auftrages abgelehnt, weil der betroffene Rabattvertrag über ein patentgeschütztes Arzneimittel keine Exklusivitätsverpflichtung der Krankenkasse erhielt und zudem – wie bei allen patentgeschützten Arzneimitteln – mangels alternativer wirkstoffgleicher Präparate die Ersetzungsverpflichtung des Apothekers nach § 129 Abs. 1 S. 3 SGB V nicht eingriff.175 Ferner vertritt das Gericht die Auffassung, dass in der Verordnungsentscheidung des Arztes – die aufgrund seiner Therapiefreiheit nicht der Krankenkasse zugerechnet werden könne – keine vergaberechtliche Auswahlentscheidung liege, da sich ein Arzt nicht nur am Wirtschaftlichkeitsgebot, sondern gleichsam am therapeutischen Nutzen orientiere. Dies gelte umso mehr, als auch nach Nr. 12 Satz 1 der relevanten Arzneimittelrichtlinien für die Verordnung von Arzneimitteln der therapeutische Nutzen gewichtiger sei als die Kosten.176 Im Ergebnis dürfte gleichwohl der VK Bund und dem OLG Düsseldorf zuzustimmen sein. Nach den im 5. Kapitel entwickelten Kriterien reicht es für die Anwendung des Vergaberechts auf Versorgungsverträge aus, wenn diese überhaupt eine marktzugangsregulierende Wirkung entfalten. Dies ist auch bei Rabattverträgen über patentgeschützte Arzneimittel der Fall. Diese entfalten aufgrund der Verbesserung der Absatzmöglichkeiten jedenfalls eine gewisse Lenkungswirkung, wenn diese auch im Vergleich zu Generika zurückgenommen sein mag. Eben in der durch den Rabattvertrag bewirkten privilegierten Marktstellung liegt auch der Anreiz für die Arzneimittelhersteller, derartige Verträge abzuschließen. Damit droht nach den im 5. Kapitel entwickelten Kriterien zugleich die Gefahr einer Begrenzung des Zugangs zu den öffentlich finanzierten Gesundheitsmärkten zulasten konkurrierender Dritter. Ob die Auswahlentscheidung des einzelnen Arztes den Krankenkassen mit Blick auf dessen Therapiefreiheit zugerechnet werden kann, ist dagegen jedenfalls dann vergaberechtlich unbeachtlich, wenn dem Rahmenvertrag selbst überhaupt eine marktzugangsregulierende Wirkung zugeschrieben werden kann. Daher sind auch Rabattverträge über patentgeschützte Arzneimittel jedenfalls dann ausschreibungspflichtig, wenn in Bezug auf das geschützte Medikament überhaupt ein Wettbewerb vorhanden ist.177 174

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.10.2008, Az. VII-Verg 46/08, Umdruck,

S. 8. 175 LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2008, L 11 KR 4810/08 ER-B, Umdruck, S. 16. 176 Vgl. Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung („ArzneimittelRichtlinien/AMR“) in der Fassung vom 31. August 1993, zuletzt geändert am 18. Juli 2008, BAnz. Nr. 112, S. 2746. 177 Kamann/Gey, PharmR 2009, S. 114 (117 ff.).

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VI. Verträge über die Hilfsmittelversorgung gem. § 127 SGB V 1. Umstellung der Hilfsmittelversorgung auf selektive Versorgungsverträge Die bisher diskutierten Fälle bezogen sich schwerpunktmäßig auf selektive Zulassungsverträge. Diese Fälle stehen rechtlich und tatsächlich auch im Vordergrund. Dessen ungeachtet kennt das SGB V mittlerweile auch eine Reihe von Versorgungsverträgen mit Einkaufscharakter. Ein anschauliches Beispiel sind Hilfsmittelverträge gem. § 126 f. SGB V.178 Unter Hilfsmitteln sind z. B. Prothesen, Hörgeräte, aber auch nichtärztliche Dialyseleistungen (vgl. § 126 Abs. 3 SGB V) zu verstehen. Versicherte haben gem. § 33 SGB V einen Anspruch auf Hilfsmittel, wobei Hilfsmittel gem. § 33 Abs. 2 SGB V nur bis zur Höhe eines Festbetrags erstattet werden, der auf Bundesebene durch die Spitzenverbände unter Beteiligung des MDS festgesetzt werden.179 Der Hilfsmittelanspruch besteht gem. § 33 Abs. 6 SGB V nur gegen versorgungsberechtigte Hilfsmittellieferanten. Bis zum GKV-WSG folgte das Hilfsmittelrecht jedenfalls im Grundsatz noch einem vertragsarztähnlichen Zulassungsmodell. Voraussetzung für die Teilnahme war eine besondere Zulassung nach § 126 SGB V, auf die bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Rechtsanspruch bestand. Die Rahmenbedingungen der Versorgung wurden jedenfalls im Regelfall kollektivvertraglich geregelt, wenn auch schon weit reichende selektiv-vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten existierten.180 Seit dem GKV-WSG ist das Hilfsmittelrecht nunmehr konsequent auf ein Leistungseinkaufsmodell mit Vertragswettbewerb umgestellt worden.181 Versicherte haben ab dem 01.01.2009 gem. §§ 33 Abs. 6, 126 SGB V grundsätzlich nur noch einen Anspruch auf Versorgung durch Hilfsmittellieferanten, mit denen die Krankenkassen individuelle Versorgungsverträge abgeschlossen haben. Umgekehrt dürfen Hilfsmittel gem. § 126 Abs. 1 SGB V ab 01.01.2009 nur noch von Vertragspartnern der Krankenkassen abgegeben werden. Das bisher bestehende besondere Zulassungserfordernis nach § 126 SGB V entfällt zum 1.1.2009 ersatz178 Zur vergaberechtlichen Diskussion: Boecken, Rechtliche Schranken für die Beschaffungstätigkeit der Krankenkassen im Hilfsmittelbereich nach der Publizierung des Vertragsrechts – insbesondere zum Schutz der Leistungserbringer vor Ungleichbehandlungen, in: NZS 2000, S. 269 ff.; Bühring/Linnemannstöns, MedR 2008, S. 149 ff.; Burgi, NZBau 2008, S. 480 ff.; Hartmann/Suoglu, SGb 2007, S. 404 ff.; Koenig/Busch, NZS 2003, S. 461 ff.; Sodan, VSSR 2008, S. 1 ff. 179 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 136, 138. Dieses Verfahren ist vergaberechtsneutral, da selektiv-vertragliche Spielräume nicht bestehen. Zur Begründung vgl. oben 7. Kapitel, D. V. 4. 180 Vgl. zur alten Rechtslage: Kontusch, Wettbewerbsrelevantes Verhalten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des deutschen und europäischen Wettbewerbs-, Kartell- und Verfassungsrechts, 2004. 181 Hartmann/Suoglu, SGb 2007, S. 404 ff.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

los.182 Zugang zur Versorgung haben damit künftig alle Hilfsmittellieferanten, welche die Voraussetzungen an eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Versorgung erfüllen, wobei die Bedingungen von den Spitzenverbänden der Krankenkassen festgelegt werden. Diese Voraussetzungen sind in der Regel erfüllt, wenn die berufsrechtliche Zulassung erfolgt ist und Fortbildungspflichten eingehalten werden.183 Das bisher bestehende „doppelte“ Zulassungsverfahren entfällt. Dieses Verfahren wird nunmehr durch selektive Versorgungsverträge nach § 127 SGB V ersetzt. 2. Das gestufte Vergabeverfahren nach § 127 SGB V a) Überblick Das Hilfsmittelrecht ist vom Gesetzgeber konsequent vom Zulassungs- auf das entgeltliche Auftragsvergabemodell umgestellt worden.184 Aus vergaberechtlicher Sicht können vergaberechtsneutrale und vergaberechtsrelevante Regelungselemente unterschieden werden. Vergaberechtsneutral sind die besonderen zusätzlichen Qualitätsanforderungen, die Hilfsmittelieferanten nach § 126 Abs. 1 SGB V erfüllen müssen. Insbesondere handelt es sich nicht um Rahmenvereinbarungen, da die Bedingungen nicht im Verhandlungswege von den Krankenkassen und Leistungserbringern, sondern einseitig vom Spitzenverband festgelegt werden. Gleiches gilt für die Richtlinien des G-BA nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und für das – unverbindliche – Hilfsmittelverzeichnis, das zum Zweck der Herstellung von Markttransparenz gem. § 139 SGB V von den Spitzenverbänden angelegt wird.185 Vergaberechtlich relevant sind dagegen die Hilfsmittelverträge nach § 127 SGB V, einschließlich des dort normierten dreistufigen Vergabeverfahrens.186 Nach § 127 Abs. 1 SGB V können Krankenkassen, ihre Landesverbände und Arbeitsgemeinschaften im Wege der Ausschreibung Verträge mit Leistungserbringern (oder deren Zusammenschlüssen) über die Lieferung bestimmter Mengen von Hilfsmitteln, die Durchführung einer bestimmten Menge von Versorgungen zu einem bestimmten Zeitraum schließen. Die zweite Stufe des Verfahrens regelt § 127 Abs. 2 SGB V. Diese Stufe greift in den Fällen, in denen Ausschreibungen nicht „zweckmäßig“ sind. Als Beispiel nennt § 127 Abs. 1 Satz 4 SGB V Hilfsmittel, die für einen Versicherten individuell angefertigt werden 182 Zur Übergangsproblematik: Roth, MedR 2008, S. 206 ff.; Knispel, GesR 2008, S. 273 f. 183 Sodan, VSSR 2008, S. 1 ff. 184 Allerdings können sich Spannungsverhältnisse zum Wettbewerbsrecht bzw. zu den Grundfreiheiten ergeben, da insoweit zusätzliche Marktzugangshürden errichtet werden. Vgl. zum Hilfsmittelverzeichnis: Seidel/Hartmann, NZS 2006, S. 511 ff.; siehe auch: Tillmanns, PharmR 2008, S. 350 ff. 185 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 139 f. 186 Zur Struktur: Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 138 f.

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müssen. Hier schließen die Kassen ohne Ausschreibung Rahmenverträge mit einzelnen Leistungserbringern oder deren Verbänden. Allerdings haben die Kassen nach § 127 Abs. 2 Satz 3 SGB V ihre Absicht zum Abschluss dieser Verträge öffentlich bekannt zu machen. § 127 Abs. 2 Satz 3 SGB V zielt darauf, allein geeigneten Leistungserbringern die Möglichkeit zu eröffnen, am Vergabeverfahren nach § 127 Abs. 2 SGB V teilzunehmen. Der mit dem GKV-OrgWG ebenfalls neu eingeführte § 127 Abs. 2a SGB V stellt klar, dass weitere Leistungserbringer den Rahmenverträgen nach § 127 Abs. 2 SGB V beitreten können, soweit sie nicht bereits aufgrund bestehender Verträge zur Versorgung berechtigt sind.187 Die dritte Stufe des Vergabeverfahrens greift nach § 127 Abs. 3 SGB V schließlich dann, wenn Hilfsmittel geliefert werden müssen, für die weder Verträge nach § 127 Abs. 1 noch nach § 127 Abs. 2 SGB V bestehen. Hier erfolgt der unmittelbare entgeltliche Einzelauftrag an einen Leistungserbringer. Die Krankenkassen können jedoch auch hier zuvor anonymisierte Angebote zum Zweck des Preis-Leistungs-Vergleichs einholen. b) Ausschreibung im Wettbewerb gem. Art. 127 Abs. 1 und 1a SGB V Mit §§ 126 und 127 SGB V hat der Gesundheitsgesetzgeber den Versuch unternommen, im Anwendungsbereich des SGB V ein Sondervergaberecht zu schaffen. Zugleich hat sich der Gesetzgeber bei der Novellierung der §§ 126 ff. SGB V erkennbar an den Vorgaben der RL 2004/18/EG orientiert. Demzufolge sind die Regelungen des § 127 SGB V auch für das Verhältnis von SGB-V-Auftragsvergabe und EU-Vergaberecht besonders instruktiv. Nach § 126 SGB V ist der Zugang zur Heilmittelversorgung auf Anbieter beschränkt, die eine ausreichende, funktionsgerechte und zweckmäßige Versorgung sicherstellen. Die in § 126 SGB V normierten Kriterien können als gesundheitsrechtsspezifische Umsetzung der Vorauswahlkriterien der Art. 45 und 46 RL 2004/18/EG gedeutet werden, die eine Selektion von Bietern nach Maßgabe von persönlicher und fachlicher Eignung ausdrücklich zulassen. § 127 Abs. 1 SGB V sieht damit in Einklang mit Art. 28 RL 2004/18/EG vorrangig ein offenes Ausschreibungsverfahren im Wettbewerb vor.188 Die Verträge umfassen Verträge über die Lieferung einer bestimmten Menge von Hilfsmitteln oder einer bestimmten Anzahl von Versorgungen oder die Versorgung in einem bestimmten Zeitraum. Die Leistungserbringer haben die Qualität der Versorgung, die notwendige Beratung und eine wohnortnahe Versorgung sicherzustellen.189 Die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V normierten Qualitätsanforderungen sind einzuhalten.190 Nach 187

Hierzu: Murawski, in: Kruse/Hänlein, SGB V, § 127 Rn. 10. Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 66 f. 189 Wille/Koch, Gesundheitsreform 2007, S. 139 f. 190 Seidel/Hartmann, NZS 2006, S. 511 ff. 188

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dem mit dem GKV-OrgWG von 2008 neu eingeführten § 127 Abs. 1a geben der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Spitzenverband der Leistungserbringer ab dem 30. Juni 2009 Empfehlungen über die Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen i. S. v. § 127 Abs. 1 SGB V ab.191 Bei ausschreibungspflichtigen Hilfsmittelverträgen i. S. v. § 127 Abs. 1 SGB V handelt es sich je nach Schwerpunkt der Leistung um Liefer- oder Dienstleistungsaufträge i. S. d. Richtlinie.192 Soweit eine Festvergütung für ein bestimmtes Leistungskontingent vereinbart wird, liegt ein entgeltlicher Einzelauftrag i. S. v. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG vor, der aus unionsrechtlicher Sicht nur bei Lieferaufträgen ausschreibungspflichtig ist.193 Dagegen gehen die Ausschreibungspflichten des Art. 127 Abs. 1 SGB V bei Dienstleistungsaufträgen über die Anforderungen der RL 2004/18/EG hinaus. Soweit dagegen im Rahmen von Verträgen nach § 127 Abs. 1 SGB V nur Rahmenbedingungen für die spätere Einzelleistungserbringung an die Versicherten geregelt werden, liegt eine Rahmenvereinbarung i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/ 18/EG vor. Daraus folgt, dass – abgesehen vom Ausnahmefall eines entgeltlichen Dienstleistungsauftrags – bei Verträgen nach § 127 Abs. 1 SGB V bei der auch sozialrechtlich vorgesehenen Ausschreibung die Verfahren der RL 2004/18/ EG einzuhalten sind. c) Vergaberechtliche Anforderungen aus der RL 2004/18/EG Da § 127 SGB Abs. 1. SGB V keine näheren Regelungen über die Art der Ausschreibung enthält und damit bestimmte Ausschreibungsverfahren auch nicht ausschließt, verstößt die Norm nicht gegen die RL 2004/18/EG. Jedoch sind die Vorgaben der RL 2004/18/EG bei der Durchführung von Ausschreibungen nach § 127 SGB V zu beachten, weswegen die Vorschriften der §§ 97 ff. GWB vermittelt über § 69 Abs. 2 SGB V auf Ausschreibungen nach § 127 Abs. 1 SGB V anzuwenden sind. Die in § 127 Abs. 1 Satz 2 SGB V allgemein normierten Anforderungen an die Qualität der Versorgung, die notwendige Beratung und eine wohnortnahe Versorgung sowie der Verweis auf das Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V beziehen sich aus vergaberechtlicher Sicht teils auf technische Spezifikationen des Vertragsgegenstands i. S. v. Art. 23 RL 2004/18 EG, teils auf Eignungskriterien nach Art. 45 ff. RL 2004/18/EG und teils auf Zuschlagskriterien nach Art. 53 RL 2004/18/EG. Entsprechend sind die jeweils einschlägigen Verfahrensvorschriften der Richtlinie einzuhalten. Vergaberechtlich nicht zu beanstanden sein dürfte § 127 Abs. 1 Satz 2 SGB V, soweit er allgemein auf die Zuschlagskriterien der Qualität der Versorgung, die notwendige Beratung und eine 191

Vgl. Murawski, in: Kruse/Hänlein, SGB V, § 127 Rn. 2 f. Vgl. EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427, Rn. 62 ff. 193 Vgl. die Ausnahmeregelung des Art. 21 RL 2004/18/EG für nichtprioritäre Dienstleistungen. Hierzu Emmerich, Ausnahmebereich Krankenversicherung?, FS Raiser, 2005, Berlin, 2005, S. 648 ff. 192

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wohnortnahe Versorgung anzuwenden ist. So sieht Art. 53 Abs. 1a RL 2004/18/ EG ausdrücklich „Qualität“ und „Kundendienst“ als zulässige Zuschlagskriterien vor. Das Kriterium der „wohnortnahen Versorgung“ ist zwar nicht ausdrücklich in Art. 53 Abs. 1a RL 2004/18/EG genannt, indes mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH zu den „zwingenden Erfordernissen“ ebenfalls als zulässig anzusehen.194 Aus vergaberechtlicher Sicht nicht ganz unproblematisch ist dagegen der Verweis auf das Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V.195 Das Hilfsmittelverzeichnis regelt gem. Art. 139 Abs. 1 EG einerseits die nach nationalem Recht erstattungsfähigen Hilfsmittel. Hierbei handelt es sich um zulässige Beschränkungen des Auftragsgegenstandes, da aus dem Unionsrecht keine eigenständige Verpflichtung zur Kostenerstattung für Heil- und Hilfsmittel abgeleitet werden können, soweit diese nicht von den nationalen Leistungskatalogen erfasst werden. Nach § 139 Abs. 2 SGB V können zusätzlich besondere Qualitätsanforderungen normiert werden. Auch der Verweis auf Qualitätsanforderungen ist vergaberechtlich grundsätzlich zulässig. Hierbei ist allerdings mit Blick auf Art. 23 Abs. 3a RL 2004/18/EG zu beachten, dass bei technischen Spezifikationen vorrangig europäische Normen und Standards zugrunde zu legen sind. Soweit es an diesen fehlt, ist jedoch nach wie vor der Verweis auf nationale Normen zulässig, wobei allerdings – mit Blick auf das Anerkennungsprinzip – der Zusatz „oder gleichwertig“ hinzuzufügen ist. Da es im Bereich der Qualitätssicherung in der Leistungserbringung bisher an europäischen Normen fehlt, bleibt der Verweis auf Art. 139 SGB V damit (noch) zulässig. Allerdings muss Art. 127 Abs. 1 Satz 3 i.V. m. 139 Abs. 2 SGB V unter Beachtung des „Gleichstellungsverweises“ des Art. 23 Abs. 3a RL 2004/18/EG unionsrechtskonform ausgelegt werden. Entsprechend haben die Krankenkassen bei Ausschreibungen Qualitätsnormen anderer Mitgliedstaaten grundsätzlich als gleichwertig anzuerkennen. Bei Medizinprodukten verweist § 139 Abs. 5 SGB V schließlich ausdrücklich auf die CEKennzeichnung, sodass die Norm insoweit mit Art. 23 RL 2004/18/EG vereinbar ist. Schließlich sind die Empfehlungen der Spitzenverbände über die Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen (§ 127 1a SGB V) als unverbindliche Konkretisierungen der vergaberechtlichen Vorgaben der RL 2004/18/EG bzw. der §§ 97 ff. GWB rechtlich nicht zu beanstanden und praktisch wegen der Komplexität der Materie sinnvoll. d) Verfahren nach Art. 127 Abs. 2 und 3 SGB V Anders stellt sich die Lage auf der zweiten Stufe des Verfahrens laut § 127 Abs. 2 SGB V dar, die greift, wenn Ausschreibungen nicht „zweckmäßig“ sind. Aus vergaberechtlicher Sicht können offene Verfahren insbesondere dann nicht zweckmäßig sein, wenn der Aufwand für eine allgemeine Ausschreibung unter 194 195

Vgl. oben 5. Kapitel, G. III. Seidel/Hartmann, NZS 2006, S. 511 ff.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

Einbeziehung aller potenziellen Bieter zu hoch wäre.196 Diese Voraussetzung dürfte bei dem in § 127 Abs. 1 Satz 4 SGB V genannten Beispielsfall, bei dem Hilfsmittel, die für einen einzelnen Versicherten individuell angefertigt werden müssen, erfüllt sein. Im Einklang mit der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf und EuGH zu den geschlossenen Verfahren sieht § 127 Abs. 2 Satz 3 zudem die Verpflichtung der Kassen vor, die Einleitung eines solchen Verfahrens bekannt zu machen, sodass ein Interessentenwettbewerb möglich ist.197 Damit dürfte § 127 Abs. 2 SGB V mit der RL 2004/18/EG vereinbar sein. Als vergaberechtlich problematisch könnte sich dagegen der mit dem GKV-OrgWG ebenfalls neu eingeführte § 127 Abs. 2a SGB V erweisen, der festlegt, dass weitere Leistungserbringer den Rahmenverträgen nach § 127 Abs. 2 SGB V beitreten können, soweit sie nicht schon aufgrund bestehender Verträge zur Versorgung berechtigt sind. Die in § 127 Abs. 2a SGB V normierte Öffnungsklausel könnte in Widerspruch zu Art. 32 Abs. 2 Satz 3 RL 2004/18/EG stehen, der für Rahmenvereinbarungen die Möglichkeit zur nachträglichen Aufnahme weiterer Vertragspartner gerade nicht vorsieht. Allerdings ist Art. 32 Abs. 2 Satz 3 RL 2004/18/EG seinerseits teleologisch-funktional auszulegen. Art. 32 RL 2004/18/EG eröffnet die Möglichkeit, im Wege von Rahmenvereinbarungen bereits eine personelle Vorauswahl der in Betracht kommenden Vertragspartner vorzunehmen und zusätzlich bereits gewisse Preis- und Leistungsbedingungen festzulegen. Art. 32 RL 2004/18/EG verlagert mithin die Ausschreibungspflichten zumindest teilweise von der Ebene des Einzelauftrags auf den vorgelagerten Rahmenvertrag.198 Wegen der mit Rahmenvereinbarungen einhergehenden potenziellen marktzugangsbeschränkenden Wirkungen müssen Rahmenvereinbarungen allerdings grundsätzlich nach allgemeinen Regeln ausgeschrieben werden. Zur Gewährleistung des diskriminierungsfreien Zugangs zu Rahmenvereinbarungen dient auch die Regelung des Art. 32 Abs. 2 Satz 3 RL 2004/18/EG, nach der eine nachträgliche vertragliche Aufnahme weiterer Anbieter zu einer Rahmenvereinbarung unzulässig ist. Durch Art. 32 Abs. 2 Satz 3 RL 2004/18/EG soll sichergestellt werden, dass die Parteien einer Rahmenvereinbarungen nicht nachträglich eine begrenzte Zahl weiterer Anbieter (ohne Ausschreibung) in die Rahmenvereinbarung aufnehmen, da hier die Gefahr der Diskriminierung von übergangenen Konkurrenten besteht, die nicht nachträglich in die Rahmenvereinbarung aufgenommen wurden. Rahmenvereinbarungen nach § 127 Abs. 2 und 2a SGB V weichen jedoch von den in Art. 32 Abs. 2 Satz 3 RL 2004/18/EG normierten Konstellationen ab. Ziel der Rahmenvereinbarung nach §§ 127 Abs. 2 und 2a SGB V ist gerade nicht die Be196 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 3085. 197 Vgl. zum Teilnahmewettbewerb vor einem nichtoffenen Verfahren OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, 364 (370) mit Bezug auf EuGH, Rs. C-470/99 (Universale-Bau) Slg. 2002, I-11617, Rn. 93 u. 95. 198 Zur vergaberechtlichen Rahmenvereinbarung siehe auch oben 3. Kapitel, D. III.

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schränkung des Marktzugangs auf eine begrenzte Zahl von zugelassenen Marktteilnehmern. Vielmehr sollen Rahmenvereinbarungen nach § 127 Abs. 2 und 2a SGB V gerade umgekehrt grundsätzlich allen Leistungserbringern offenstehen, um auf diese Weise sämtlichen am Markt zugelassenen Anbietern den Zugang zur Versorgung in den Fällen des § 127 Abs. 2 SGB V zu gewährleisten. Entsprechend liegt der Sinn und Zweck des § 127a SGB V darin, eine gesetzliche Versorgungsberechtigung auch derjenigen Leistungserbringer über den 31.12.2008 sicherzustellen, die bisher noch keine Verträge mit den Krankenkassen abgeschlossen hatten. Hierdurch soll ein willkürlicher Ausschluss von Leistungserbringern von den Verträgen verhindert werden.199 Da mithin im Falle des § 127 Abs. 2a SGB V die spezifische Gefahr von Marktzugangsbeschränkungen und Diskriminierungen nicht besteht, auf die Art. 32 Abs. 2 RL 2004/18/EG reagiert, dürfte § 127 Abs. 2a SGB V bei teleologisch-funktionaler Betrachtung nicht in den Anwendungsbereich des Art. 32 Abs. 2 Satz 3 RL 2004/18/EG fallen. Bei dieser Auslegung scheidet ein Verstoß der Norm gegen Vergaberecht aus. Nach § 127 Abs. 3 SGB V ist schließlich eine Vergabe auch im Verhandlungswege möglich, wenn keine Verträge nach § 127 Abs. 1 oder 2 SGB V bestehen oder eine zumutbare Versorgung des Versicherten nicht möglich ist. § 127 Abs. 3 SGB V nimmt damit die Vorgaben der Art. 30 und 31 RL 2004/18/EG in Bezug auf die strikte Subsidiarität der Verhandlungsvergabe auf. Das Kriterium der nicht „zumutbaren“ Versorgung lässt sich als Umsetzung von Art. 31 Ziff. 1 lit. c RL 2004/18/EG deuten, der bei „Dringlichkeit“ eine Vergabe im Verhandlungswege zulässt. Mit Blick auf die spezifische, auf Versorgung der Versicherten gerichtete Funktion der Hilfsmittelverträge erscheint es vertretbar, bei der Frage der „Dringlichkeit“ eines Auftrags maßgeblich auf die Zumutbarkeit für den Versicherten abzustellen, wenn etwa andernfalls erhebliche Wartezeiten zu besorgen wären. 3. Zusammenfassende Beurteilung Im Rahmen der §§ 126 ff. SGB V hat der Gesundheitsgesetzgeber erkennbar den Versuch unternommen, im Rahmen der Reform des Hilfsmittelrechts ein sektorales sozialrechtliches Sondervergaberecht zu schaffen, das den Vorgaben der RL 2004/18/EG und der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH entspricht. Zwar erfolgt die Umsetzung nicht durch strikt wortlautgetreue Übertragung des Normtextes der RL 2004/18/EG in den Normtext des SGB V. Jedoch ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine wortlautgetreue Übertragung von europäischen in staatliche Normtexte auch nicht zwingend geboten, soweit die Ziele des Unionsrechts im Rahmen der Umsetzung in staatliches Recht angemessen verwirklicht werden.200 Unter diesen Voraussetzungen sind die Differenzen zwi199 200

Murawski, in: Kruse/Hänlein, SGB V, § 127 Rn. 10. Vgl. Streinz, Europarecht, 8. Aufl., 2008, Rn. 433, 437 ff. m.w. N.

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7. Kap.: Anwendungsbereich im Leistungserbringungsrecht des SGB V

schen den Vorgaben der RL 2004/18/EG und den §§ 126 und 127 SGB V jedenfalls nicht so gravierend, dass eine richtlinienkonforme Auslegung nicht möglich wäre.201 Insofern können die §§ 126 und 127 SGB V als sozialgesetzliche Umsetzung der RL 2004/18/EG begriffen werden. Die Krankenkassen haben sich daher bei der Auftragsvergabe grundsätzlich an den Vorschriften der § 126 und 127 SGB V zu orientieren. Zur Vermeidung von Konflikten mit dem Unionsrecht greifen vermittelt über § 69 Abs. 2 SGB V zusätzlich noch die Verfahrensanforderungen der §§ 97 ff. GWB, was etwa die genauen Anforderungen an Ausschreibungen im Wettbewerb in dynamischen Beschaffungssystemen, bei Rahmenvereinbarungen oder in geschlossenen Verfahren betrifft. Die besonderen Zuschlagskriterien des § 127 Abs. 1 Satz 2 SGB V, insbesondere das Erfordernis einer wohnortnahe Versorgung, sind mit dem Unionsrecht vereinbar und bleiben mithin anwendbar. Auch die Verpflichtung zur Beachtung des Hilfsmittelverzeichnisses gem. §§ 127 Abs. 1 Satz 3, 139 SGB V ist grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar und daher von den Krankenkassen bei Ausschreibungen zugrunde zu legen. Allerdings muss mit Blick auf Art. 23 Abs. 3a RL 2004/18/ EG eine Gleichwertigkeitsklausel vorgesehen werden. Unverbindliche Konkretisierungen bestehender Ausschreibungspflichten in Form von Empfehlungen der Spitzenverbände sind dagegen vergaberechtlich unschädlich. Die Bestimmungen des § 127 Abs. 2 und 3 SGB V stehen mit den vergaberechtlichen Anforderungen über nicht offene Verfahren bzw. Verhandlungsverfahren im Einklang und bleiben daher ebenfalls anwendbar. Ebenso dürfte die Öffnungsklausel des § 127 Abs. 2a SGB V bei teleologisch-funktionaler Auslegung nicht gegen das grundsätzliche „Öffnungsverbot“ des Art. 32 Abs. 2 Satz 3 RL 2004/18/EG verstoßen, da mit § 127 Abs. 2a SGB V keine Gefahren von Marktzugangsschranken verbunden sind. Insgesamt ist § 127 SGB V damit ein Beispiel dafür, dass eine spezialgesetzliche Umsetzung der RL 2004/18/EG im SGB V sinnvoll sein kann, um sektorale vergaberechtliche Regimes zu schaffen, die darauf zielen, die Anforderungen der RL 2004/18/EG in einer Weise in das staatliche Recht zu transformieren, die auf die Besonderheiten der sozialen Leistungserbringung zugeschnitten ist.

VII. Weitere Versorgungsverträge Neben den bisher untersuchten Fällen ist im Leistungserbringungsrecht noch eine Reihe weiterer selektiver Verträge vorgesehen, die hier nicht in allen Einzelheiten diskutiert werden sollen, da sie strukturell weitgehend den bereits disku201 Dies gilt umso mehr, als auch die Umsetzung der RL 2004/18/EG in den §§ 97 ff. GWB einige Defizite aufweist. So z. B. mit Blick auf die generelle Ausnahme von Verwaltungsakten vom Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts durch § 99 GWB. Hierzu: Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 2077.

D. Individualverträge des SGB V

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tierten Vertragstypen entsprechen. Hier sei lediglich darauf hingewiesen, dass das Modell selektiver Versorgungsverträge und hier insbesondere der entgeltliche Leistungseinkauf durch Dienstleistungsauftrag auch jenseits der bisher diskutierten Versorgungssektoren im Vordringen begriffen sind. Entgeltliche Einzelverträge über Dienstleistungen oder Rahmenvereinbarungen über solche Aufträge sind u. a. in Form der Auftragsvergabe an Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen (§ 111 Abs. 2 Satz 1 SGB V), der Auftragsvergabe für Leistungen der Haushaltshilfe und der häuslichen Krankenpflege (§§ 132 Abs. 1 Satz 2 SGB V, 132a Abs. 2 Satz 1 SGB V), bei der Erbringung von Leistungen der Soziotherapie und sozialmedizinischen Nachsorgemaßnahmen (§ 132b Abs. 1, 132c Abs. 1 SGB V) und bei Verträgen über Krankentransportdienstleistungen (§ 133 Abs. 1 SGB V) vom Gesetzgeber eingeführt worden. In allen Fällen handelt es sich aus vergaberechtlicher Sicht regelmäßig um entgeltliche Dienstleistungsaufträge bzw. Rahmenvereinbarungen über solche Aufträge i. S. d. RL 2004/18/EG.202 Dementsprechend bestehen nach Maßgabe der zuvor entwickelten Grundsätze regelmäßig Ausschreibungspflichten. Andererseits bestehen mit Strukturverträgen gem. § 73a SGB V203 und den Verträgen über die Beteiligung von strukturierten Behandlungsprogrammen nach § 137 f. SGB V204 auch noch einzelne Formen von Versorgungsverträgen, die eng an das kollektive System des SGB V angegliedert sind und lediglich gewisse flankierende Koordinierungsfunktionen übernehmen. Wegen der nicht hinreichend weiten wirtschaftlichen Verhandlungsspielräume dürfte es sich hier um vergaberechtlich neutrale gesundheitspolitische Steuerungsinstrumente handeln.

202 Hierzu im Einzelnen: Sorami-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht, 2007, S. 160 ff., die allerdings maßgeblich auf das Versichertenwahlrecht abstellt und bei dessen Bestehen von einer Dienstleistungskonzession ausgeht. 203 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 74 f. 204 Cassel/Ebsen/Greß/Jacobs/Schulze/Wasem, Vertragswettbewerb in der GKV, 2008, S. 86.

8. Kapitel

Zusammenfassung und Ausblick A. Die Verwaltung im Mehrebenensystem der Europäischen Union – Zum Denken in Gewaltengliederungsstrukturen I. Die Verwaltung im Prozess der Reorganisation der Strukturen europäischer Gewaltengliederung Der bisherige Erfolg der europäischen Integration beruht nicht auf der Wirkkraft einer europäischen nationalen Idee, sondern auf der geschickten Kombination von rechtlich verbindlichen Zielsetzungen und Werten und der korrespondierenden Übertragung von Kompetenzen auf eigenständige Institutionen, einschließlich einer unabhängigen Gerichtsbarkeit.1 Die Vertragsverfassung der Europäischen Union kann mit H.-P. Ipsen als „Integrationsverfassung“ beschrieben werden, „die selbst prinzipiell auf den Wandel hin angelegt (ist), nämlich den Prozess der immer engeren Zusammenführung der Mitgliedstaaten durch Vergemeinschaftung bislang mitgliedstaatlicher öffentlicher Aufgaben.“ 2 Der für die Integrationsverfassung der Union kennzeichnende Wandel ist mittlerweile nicht mehr allein ein Thema der „großen“ europäischen Verfassungstheorie, sondern beschäftigt auch die Verwaltungsrechtswissenschaft. In der Entwicklung der Wissenschaft vom europäischen Verwaltungsrecht lassen sich – parallel zur Evolution des Systems unionaler Rechtserzeugung – im Wesentlichen drei Phasen unterscheiden.3 Unter Geltung der „Marktverfassung“ des EWG-Vertrags dominierte das Prinzip der Trennung zwischen den eng begrenzten Eigenverwaltungszuständigkeiten der Gemeinschaft (direkter Vollzug) und dem indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten. Die Ein1 Calliess, Zum Denken im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, in: ders. (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, 2007, S. 187 (189 f.). 2 H.-P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, in: Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtschutzinstanz, 1983, S. 29 (50 f.). 3 Vgl. zum Folgenden: Einleitung, S. 18 f.; 1. Kapitel, A. II. und III.

A. Verwaltung im Mehrebenensystem der EU

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wirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das einzelstaatliche Verwaltungsrecht beschränken sich im Wesentlichen auf die Marktöffnung und Liberalisierung im Wege der gerichtlich-administrativen Kontrolle der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts durch EuGH und Kommission, bei im Übrigen allenfalls punktueller Harmonisierung vor allem des materiellen Verwaltungsrechts. Der Prozess europäischer Verwaltungsintegration konnte daher noch im Wesentlichen zutreffend als Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts erfasst werden. Mit dem Inkrafttreten der Verträge von Maastricht, Amsterdam, Nizza und Lissabon haben sich die Strukturen der Organisation europäischer Hoheitsgewalt jedoch grundlegend verändert. Anders als unter Geltung des EWG-Vertrags sind die Kompetenzen der Union – jedenfalls wenn die Summe ihrer Rechtsetzungsund Koordinierungszuständigkeiten in den Blick genommen wird – sachlich-inhaltlich praktisch nicht mehr begrenzt. Zugleich sind alle europäischen Gewalten in der Legislative, Exekutive und Judikative durch verbandsübergreifende Verfahren der politischen Koordinierung, der Rechtsangleichung, der gerichtlichen Kontrolle, der Durchführung und des koordinierten Vollzugs ebenenübergreifend organisiert. Der sozialwissenschaftlichen Beobachtung der Entstehung eines europäischen politisch-administrativen „Mehrebenensystems“ entspricht damit aus rechtswissenschaftlicher Sicht der Befund der Herausbildung verbandsübergreifender Strukturen europäischer gewaltengliederter Rechtserzeugung. Die verbandsübergreifende Reorganisation der Strukturen europäischer Rechtserzeugung schlägt sich aus verwaltungsrechtlicher Sicht besonders augenfällig in der Herausbildung von Verbundstrukturen europäischer Verwaltung nieder, in deren Rahmen nationale und supranationale Verwaltungsträger bei der gemeinsamen Aufgabenerfüllung zusammenwirken. Damit rückte in der Verwaltungsrechtswissenschaft der Begriff des Europäischen Verwaltungsverbunds als neues Leitbild des europäischen Verwaltungsorganisationsrechts in den Vordergrund, womit zugleich eine Relativierung des Trennungsprinzips einherging.4 In beiden Phasen der Entwicklung des europäischen Verwaltungsrechts reagierte die Verwaltungsrechtswissenschaft allerdings noch in erster Linie auf die Beobachtung von Veränderungen innerhalb des Systems des Verwaltungsrechts, die sich vor allem aus der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten und aus dem Prozess der europäischen Sekundär- und Tertiärrechtssetzung ergaben. Mittlerweile deutet sich allerdings der Übergang zu einer dritten Entwicklungsphase an, die verstärkt nach der Stellung der europäischen Verwaltung innerhalb der Strukturen der europäischen Gewaltengliederung fragt.5

4

Vgl. Ruffert, DÖV 2007, S. 761 (762 f.). Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund und die Rolle des Verwaltungsrechts, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (9 ff.). 5

480

8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

Im Zuge der aktuellen Gewaltengliederungsdiskussion verlagert sich die Perspektive der Verwaltungsrechtswissenschaft von der Analyse der Folgen europäischer gewaltengegliederter Rechtserzeugung innerhalb des Binnensystems des Verwaltungsrechts, hin zur Analyse der Zusammenhänge zwischen der Entwicklung des Systems europäischer gewaltengegliederter Rechtserzeugung und den Veränderungen des so erzeugten verwaltungsrechtlichen Organisations-, Verfahrens- und Rechtschutzregimes. Ein Denken in Gewaltengliederungsstrukturen eröffnet aus verwaltungsrechtlicher Sicht nicht zuletzt die Möglichkeit, den Prozess der Entwicklung und Ausdifferenzierung des Unionsrechts (auch) als Prozess der Reorganisation europäischer Gewaltengliederung zu rekonstruieren. Neben traditionellen Fragen nach dem „vertikalen“ Verhältnis nationaler und supranationaler Legitimation und nationalen und supranationalen Kompetenzen, lenkt der Gewaltengliederungsbegriff die Aufmerksamkeit gerade auch auf die Analyse des „horizontalen“ Verhältnisses der verbandsübergreifend organisierten Gewalten in der europäischen Legislative, Exekutive und Judikative und deren Bedeutung für die Entwicklung und Ausdifferenzierung der Ordnungsstrukturen europäischer Verwaltung.

II. „European Multi Level Governance“ als Gewaltengliederungsproblem Die Hinwendung der Verwaltungsrechtswissenschaft zu Fragen europäischer Gewaltengliederung hat zunächst den Vorzug, dass sie die konkurrierenden Leitbilder der Europäisierung und der Verbundbildung zu integrieren vermag, da beides als verwaltungsrechtliche Folge der Ausdifferenzierung des Systems europäischer Rechtserzeugung begriffen werden kann.6 Darüber hinaus leuchtet der Übergang zu einem Denken in Gewaltengliederungsstrukturen aber auch deswegen ein, weil die Entwicklung und Ausdifferenzierung des Systems des Verwaltungsrechts schon auf nationalstaatlicher Ebene auf das Engste mit der Evolution des gewaltengegliederten demokratischen Rechtstaats verknüpft ist. Schon die Vorstellung darüber, was unter Verwaltung begrifflich zu verstehen ist, wird maßgeblich durch die Gewaltenteilungsidee geprägt. Weitergehend hat sich das Gewaltengliederungsprinzip im System des nationalen Rechts als kategoriales verwaltungsrechtliches Ordnungsprinzip erwiesen. Das Teilungsprinzip formt das Demokratie- und Rechtstaatsprinzip des staatlichen Verfassungsrechts „in verwaltungsrechtlich handhabbare Münze um, indem es mit seiner Unterscheidung zwischen Gesetzgebung und Verwaltungsvollzug parlamentarische Steuerung ebenso wie rechtstaatliche Berechenbarkeit sichert und beides mit der Kontrollkompetenz der Gerichte sanktioniert.“ 7

6

Vgl. oben 1. Kapitel, A. IV. 1. und 2.

A. Verwaltung im Mehrebenensystem der EU

481

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wirkt das Gewaltenteilungsprinzip allerdings „wie eine schöne, doch auf dem Rückzug begriffene Idee aus dem Arsenal einer alt gewordenen Moderne“.8 Öffentliche Gewalt scheint sich auf nationaler, wie auf internationaler Ebene zunehmend in von der Exekutive dominierten Organisationen zu zentralisieren, deren häufig informelle Koordinierungsformen demokratischer Legitimation und rechtstaatlicher Kontrolle nur eingeschränkt zugänglich sind. Zudem scheint das Gewaltenteilungsprinzip auch angesichts der Entstehung neuer, häufig transnationaler Strukturen privater wirtschaftlicher Macht als voraussetzungsvoll. Dementsprechend fehlt es nicht an Stimmen, die einer Übertragung der Gewaltengliederungsidee auf neue, regelmäßig ebenenübergreifende Formen politisch-administrativer und rechtlicher „Governance“ skeptisch gegenüberstehen, die sich jenseits des staatlichen „Government“ etablieren.9 Diese Kritik dürfte insoweit das Richtige treffen, als das Modell der staatlichen Gewaltentrias nicht im Wege einer „als ob Betrachtung“ auf neue Formen der Organisation nichtstaatlicher Hoheitsgewalt übertragen werden kann. Allerdings läuft die aktuelle rechtswissenschaftliche Gewaltengliederungsdiskussion auch weniger auf eine schematische Übertragung der klassischen Teilungsidee auf neue Formen der politisch-administrativen und rechtlichen Koordinierung hinaus. Vielmehr deutet sich eine prozedural-organisatorische Wende in der Wissenschaft vom öffentlichen Recht an. In jenem Maße, in dem sich Hoheitsfunktionen auf inter- und supranationale Organisationen verlagern, wächst in der Rechtswissenschaft das Interesse an den Zusammenhängen zwischen den materiellen Anliegen der Gewährleistung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und dem prozedural-organisatorischen Prinzip der Gewaltengliederung. Zugleich wird mit dem Übergang zu einer prozedural-organisatorischen Perspektive die Erwartung verbunden, das Ordnungspotential des Organisations- und Verfahrensrechts zu nutzen, um die gesteigerte Komplexität der Ordnungsaufgaben im europäischen Mehrebenensystem besser in den Griff zu bekommen.10 In diesem Sinne dürfte die Renaissance der Gewaltengliederungsidee in der Rechtswissenschaft weniger als Gegenentwurf zu transdisziplinären GovernanceDiskussion zu begreifen sein. Sie erweist sich vielmehr als deren rechtswissenschaftliches Korrelat. Im Gegensatz zum sozialwissenschaftlich geprägten Governance-Begriff hat der Gewaltengliederungsbegriff allerdings den Vorzug einer besseren Anschlussfähigkeit zu genuin rechtswissenschaftlichen Fragen nach der Gewährleistung individueller und kollektiver Rechte unter Bedingungen der 7 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund und die Rolle des Verwaltungsrechts, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (10). 8 Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 225. 9 Vgl. oben 1. Kapitel, A. IV. 3. 10 Vgl. oben 1. Kapitel, A. IV. 1. und 3.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

Trans-, Inter- und Supranationalisierung von Hoheitsgewalt. Ob und inwieweit sich der Gewaltengliederungsbegriff letztlich sinnvoll auf atypische Formen der nichtstaatlichen Governance übertragen lässt, dürfte gleichwohl nicht generalisierend zu beantworten sein. Im Zweifel wird ein derartiges Vorgehen dort am ehesten Erfolg versprechen, wo sich nichtstaatliche Strukturen der Organisation von Hoheitsgewalt bereits so weit an die Strukturen der staatlichen Gewaltengliederung angenähert haben, dass ein gewisses Maß an faktischer und normativer Vergleichbarkeit besteht. Dies gilt namentlich für das Mehrebenensystem der Europäischen Union.11

III. Die Strukturen europäischer Rechtserzeugung zwischen Integrations-, Teilungs- und Kooperationsprinzip 1. Teilungs- und Integrationsprinzip Die Übertragung des Gewaltengliederungsbegriffs auf das europäische Mehrebenensystem sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Strukturen europäischer Rechtserzeugung nach wie vor erheblich von nationalstaatlichen Idealtypen unterscheiden.12 Zwar kann auch die horizontale und vertikale Untergliederung der Gewalten im Mehrebenensystem der Europäischen Union auf die Prinzipien der Demokratie und Rechtstaatlichkeit zurückgeführt werden. In diesem Sinne ist auch das System europäischer Rechtserzeugung durch das Teilungsprinzip geprägt. Gleichwohl lässt sich die Evolution des Systems europäischer Rechtserzeugung gerade nicht auf die Idee der Teilung einer als vorgegeben gedachten europäischen gesamtstaatlichen Hoheitsgewalt zurückführen. Vielmehr reagiert das System europäischer Rechtserzeugung gerade umgekehrt auf das Fehlen einer staatlichen europäischen Einheit. Entsprechend wird das Teilungsprinzip im europäischen System der Rechtserzeugung in besonderer Weise durch das Integrationsprinzip geprägt und modifiziert. Die Übertragung von Hoheitsfunktionen auf gemeinschaftliche Organe dient nicht allein der Gewährleistung der Freiheitsrechte der Bürger, sondern immer auch dem funktionalen Ziel fortschreitender Integration. Von daher liegt die wesentliche Herausforderung europäischer Gewaltengliederung in der Abstimmung des Integrationsmit dem Demokratie- und Rechtstaatsprinzip.13 2. Trennungs- und Kooperationsprinzip Das Integrationsprinzip hat im Laufe der Evolution des Systems des Europarechts in unterschiedlicher Weise zu Modifikationen des Teilungsprinzips ge11 12 13

Vgl. oben 1. Kapitel, A. IV. 4. Vgl. zum Folgenden oben 1. Kapitel, A. V. Vgl. oben 1. Kapitel, A. V. 1. und 2.

A. Verwaltung im Mehrebenensystem der EU

483

führt. Unter Geltung des EWG-Vertrags stand die „negative Integration“ im Wege der gerichtlich-administrativen Durchsetzung europäischer Marktbürgerrechte durch EuGH und Kommission im Zentrum des Systems gemeinschaftlicher Rechtserzeugung. Dagegen kam die „positive Integration“ im Wege der Rechtsangleichung und Regulierung aufgrund der Blockade des Rats durch das Einstimmigkeitsprinzip nur zögerlich voran. Entsprechend war das System der europäischen Rechtserzeugung durch eine Dominanz der supranational organisierten gemeinschaftlichen Exekutive und Judikative zu Lasten der auf nationaler Ebene „zurückbleibenden“ parlamentarischen Legislative geprägt. Der Dominanz der von den Mitgliedstaaten unabhängigen Organe der gemeinschaftlichen Judikative und Exekutive (EuGH und Kommission) entsprach eine relativ klare vertikale Trennung zwischen den gemeinschaftlichen und nationalen Systemen der Rechtserzeugung.14 Im Mehrebenensystem der Europäischen Union stehen dagegen verbandsübergreifende Verflechtungen zwischen den unionalen und nationalen Systemen der Rechtserzeugung im Vordergrund, die mit einer erheblichen Relativierung des vertikalen Trennungsprinzips einhergehen. Dem gegenüber gewinnt das das Kooperationsprinzip als Modus europäischer Rechtserzeugung an Bedeutung. Auf der vertikalen Ebene wirken Parlament, Rat und die im Rat repräsentierten Regierungen der Mitgliedstaaten unter Bedingungen des Mehrheitsprinzips sowohl im europäischen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 294 AEU, als auch im Komitologieverfahren zusammen. Die Mitgliedstaaten tauschen dabei eigenständige nationale Kompetenzen gegen Mitentscheidungsbefugnisse auf der unionalen Ebene ein. Auch auf der horizontalen Ebene überlagert das kooperative Zusammenwirken von Kommission, Rat und Parlament im europäischen Gesetzgebungsverfahren und im Komitologieverfahren das frühere eher konfrontative „Nebeneinander“ von wettbewerbsrechtlicher Kontrolle durch die Kommission und eng begrenzter Rechtsangleichung durch den Rat.15 3. Die Schlüsselstellung des EuGH im europäischen Gewaltengefüge Bei der Justierung der horizontalen und vertikalen Gewaltenbalance in der Europäischen Union kommt dem EuGH eine Schlüsselstellung zu. Der Gerichtshof steuert die Evolution des europäischen Gewaltengefüges einerseits unmittelbar durch seine Rechtssprechung zum sog. „institutionellen Gleichgewicht“, andererseits aber auch mittelbar, insbesondere durch seine Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen sowie zum Wettbewerbs- und Beihilferecht.16 Unter Geltung des EWG-Vertrags tendierte der EuGH noch zu 14 15 16

Vgl. oben 1. Kapitel, B. I. bis III. Vgl. oben 1. Kapitel, C. I. bis III. Vgl. oben 1. Kapitel, A. V. 4. und C. IV.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

einer weiten Auslegung der Kompetenzen der Kommission zu Lasten der damals noch allein im Rat repräsentierten gemeinschaftlichen Legislative. Mittlerweile trägt der EuGH den Veränderungen im unionalen Gewaltengefüge allerdings durch eine eher extensive Auslegung der Kompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers gerade auch im Verhältnis zu den autonomen wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kompetenzen der Kommission Rechnung. Damit verweist der Übergang zur Binnenmarktverfassung der Europäischen Union gerade auch auf grundlegende Verschiebungen im horizontalen Gewaltengefüge der Europäischen Union.

B. Die Verwaltung im Kontext der Evolution der Strukturen europäischer Gewaltengliederung I. Die Reorganisation der Strukturen europäischer Rechtserzeugung im Zuge des Übergangs zum Binnenmarkt Im Zentrum der heutigen Strukturen europäischer Rechtserzeugung steht die Binnenmarktverfassung der Europäischen Union.17 Der Begriff des „Binnenmarktes“ verweist in Abgrenzung zum Begriff des „Gemeinsamen Marktes“ auf gewisse materielle Erweiterungen der Rechtsetzungskompetenzen des Binnenmarktgesetzgebers, vor allem aber auf eine Effektivierung der Verfahren der Binnenmarktgesetzgebung. Beides zusammen erweist sich insbesondere für die Verwaltung und das Verwaltungsrecht als folgenreich. 1. Entblockierung und Parlamentarisierung der Legislative Anders als unter Geltung des EWG-Vertrags umfasst das System unionaler Rechtserzeugung mittlerweile eine funktionsfähige „Erste Gewalt“ mit weitreichenden Kompetenzen insbesondere im Bereich der Binnenmarktharmonisierung, aber auch im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie im Bereich der unionalen Sektorpolitiken.18 Erst seit dem Übergang zum europäischen Binnenmarkt verfügt die Europäische Union damit über praktisch wirksame Verfahren der abstrakt generellen Rechtsangleichung, die erforderlich sind, um auf effektive Weise europäisches sekundäres Verwaltungsrecht zu erzeugen. Gerade im Rahmen der Binnenmarktharmonisierung gem. Art. 114 AEU verfügt der Unionsgesetzgeber über potentiell weitreichende Kompetenzen nicht nur zur Angleichung des materiellen Verwaltungsrechts, sondern auch zur Angleichung des Verwaltungsorganisations- und Verwaltungsverfahrensrechts und des verwal17 18

Vgl. zum Folgenden 1. Kapitel, C. Vgl. 1. Kapitel, C. III. 1.

B. Verwaltung im Kontext der Evolution der Gewaltengliederung

485

tungsgerichtlichen Rechtsschutzes, wenn und soweit eine Angleichung zur Gewährleistung der funktionalen Binnenmarktziele unter Beachtung der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität erforderlich ist. 2. Kontroll- und Steuerungsfunktion des EuGH Auch die europäische Judikative ist mittlerweile verbandsübergreifend organisiert. Dem EuGH kommt im Rahmen der Vorabentscheidungs- und Vertragsverletzungsverfahren eine Schlüsselstellung bei der Kontrolle des Primär-, Sekundärund Tertiärrechts und bei der Justierung des „institutionellen Gleichgewichts“ zwischen den Unionsorganen zu. Auf der unionsrechtlichen Ebene ist der EuGH mittlerweile nicht mehr auf die gerichtlich-administrative Durchsetzung der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts im Zusammenwirken mit der Kommission beschränkt. Vielmehr steuert der EuGH den Prozess europäischer Verwaltungsintegration gerade auch über die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten und zu den Binnenmarktkompetenzen.19 Aus materiell-rechtlicher Sicht haben sich die Grundfreiheiten im Zuge der Rechtsfortbildung durch den EuGH zu einem umfassenden System transnationaler wirtschaftlicher und sozialer Unionsbürgerrechte weiterentwickelt.20 Zugleich führt jede Erweiterung des tatbestandlichen Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten auf neue Sektoren, wie z. B. den Gesundheits- oder Sozialversicherungssektor, aus kompetenzrechtlicher Sicht immer auch zu einer entsprechenden Erweiterung der Binnenmarktkompetenzen des Unionsgesetzgebers aus Art.114 AEU. Sie ermöglicht damit eine Harmonisierung und Regulierung des erfassten Sachbereichs durch den Binnenmarktgesetzgeber. Dabei liefert der EuGH mit seiner Rechtsprechung zu den zwingenden Erfordernissen auf der Rechtfertigungsebene der Grundfreiheiten auch Eck- und Orientierungspunkte für eine Konkretisierung des europäischen Allgemeinwohlbegriffs, an denen sich der Binnenmarktgesetzgeber bei der Regulierung des Binnenmarktes „auf hohem Schutzniveau“ orientiert (vgl. Art. 114 Abs. 3 AEU).21 3. Ausdifferenzierung der Exekutive und Veränderung der Rolle der Kommission Im Bereich der Exekutive ist im Zuge der sekundärrechtlichen Verwaltungsrechtsetzung ein Prozess der Ausdifferenzierung der Eigenverwaltung der Union im Rahmen des europäische Agenturwesens und eine immer engere Verflechtung unionaler und nationaler Verwaltungsträger im Rahmen eines europäischen Infor19

Vgl. 1. Kapitel, C. III. 3. Grundlegend: EuGH Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-120/ 95 (Decker) Slg. 1998, I-1831, vgl. 1. Kapitel, C. III. 3. c) und d) sowie im Einzelnen 4. Kapitel, C. III. und IV. 21 Vgl. 1. Kapitel, C. III. 3. e) und 2. Kapitel, B. III. 20

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

mations- und Entscheidungsverbunds feststellbar. Verändert hat sich auch die Rolle der Kommission. Einerseits hat das Initativrecht der Kommission unter Bedingungen einer funktionsfähigen unionalen Legislative erheblich an Bedeutung gewonnen (vgl. Art. 294 Abs. 2 AEU). Andererseits sind der Kommission im Wege der Delegation durch den Binnenmarktgesetzgeber neue tertiärrechtliche Rechtsetzungskompetenzen zugewachsen, die im Komitologieverfahren ausgeübt werden. Die wohl wichtigsten Veränderungen im europäischen Gewaltengefüge lassen sich allerdings im Verhältnis zwischen den Kompetenzen des EuGH bei der Kontrolle der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts, den Kompetenzen des Unionsgesetzgebers zur Rechtangleichung im Binnenmarkt (insb. Art. 114 AEU) und den autonomen wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrollkompetenzen der Kommission aus den Art. 101 ff., 107 ff. AEU feststellen.22

II. Die Verwaltung des Unionsraums zwischen Binnenmarktgesetzgebung und wettbewerbsrechtlicher Kontrolle 1. Extensive Auslegung der Kommissionskompetenzen zu Lasten des Rats unter Geltung des EWG Unter Geltung des EWG-Vertrags hatte der EuGH den Anwendungsbereich des Wettbewerbs- und Beihilferechts gerade auch im horizontalen Verhältnis zum Rat sehr weit ausgelegt.23 Durch die extensive Auslegung des funktionellen Unternehmensbegriffs auf der Tatbestandsebene, eröffnete der EuGH der Kommission im Rahmen von Art. 90 EGV (heute Art. 106 AEU) die Möglichkeit, gerade auch gegen den Willen des Rats die Liberalisierung einzelner Wirtschaftssektoren, wie namentlich des Telekommunikationssektors, im Wege des Richtlinienerlasses nach Art. 90 Abs. 3 EGV (heute 106 Abs. 3 AEU) praktisch im Alleingang durchzusetzen.24 Durch die gleichzeitige Einbeziehung öffentlich finanzierter Dienste in den Anwendungsbereich des Beihilferechts (nunmehr Art. 107 ff. AEU) verschaffte der EuGH der Kommission zudem die Möglichkeit, im Rahmen des Beihilfeverfahrens mit den Mitgliedstaaten Aufgabenzuschnitt und Finanzierung insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ebenfalls weitgehend unabhängig von Rat und Parlament auszuhandeln.25 Flankiert wurde die extensive Auslegung der Liberalisierungszuständigkeiten der Kommission schließlich durch eine eher restriktive Auslegung der wettbe22

Vgl. 1. Kapitel C. III. 2. und C. IV. 1. Vgl. zum Folgenden 1. Kapitel, B. I. 1. bis 4. und C. IV. 6. 24 Vgl. EuGH, Rs. C-202/88 (Frankreich/Kommission – „Telekommunikations-Endgeräte“) Slg. 1991, I-1223, vgl. 1. Kapitel, B. I. 3. und C. IV. 1. b). 25 Vgl. 1. Kapitel, C. IV. 6. 23

B. Verwaltung im Kontext der Evolution der Gewaltengliederung

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werbsrechtlichen Ausnahmeregelungen des Art. 90 Abs. 2 EGV (heute Art. 106 Abs. 2 AEU) für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Aufgrund des vom EuGH angelegten strengen „Verhinderungsmaßstabs“ konnten die Mitgliedstaaten praktisch nie den Nachweis erbringen, dass eine Freistellung öffentlicher Unternehmen von der Anwendung des Wettbewerbs- und Beihilferechts im Interesse der Gewährleistung einer funktionsfähigen öffentlichen Daseinsvorsorge erforderlich war.26 2. Restriktive Auslegung der Kommissionskompetenzen nach dem Übergang zum Binnenmarkt Die weite Auslegung des funktionalen Unternehmensbegriffs und der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kommissionskompetenzen liegt grundsätzlich in der Konsequenz des funktionalen Ziels der Gewährleistung des Wettbewerbsschutzes im Binnenmarkt.27 Von daher ist heute weitgehend unumstritten, dass wesentliche Teile des staatlichen Wirtschaftsverwaltungsrechts, insbesondere die wirtschaftliche Daseinsvorsorge in den Netzwirtschaften (Telekommunikation, Post, Energie, Verkehr) grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Wettbewerbs- und Beihilferechts fallen. Andererseits sind die nur funktional und gerade nicht demokratisch legitimierten Verfahren der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Kontrolle weder dazu bestimmt, noch dazu geeignet, die gesamte Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten einer vom Binnenmarktgesetzgeber unabhängigen de facto Aufsicht durch die Kommission zu unterstellen. Von daher besteht auch weitgehend Einigkeit, dass der Anwendungsbereich des Wettbewerbs- und Beihilferechts begrenzt werden muss. Mittlerweile tendiert der EuGH denn auch sowohl auf der Tatbestands-, als auch auf der Rechtfertigungsebene zu einer eher restriktiven Auslegung des Wettbewerbs- und Beihilferechts jedenfalls dann, wenn andernfalls Übergriffe in Kernkompetenzen des europäischen Binnenmarktgesetzgebers drohen.28 Folgerichtiger Weise hat der EuGH in jüngerer Zeit die Kernbereiche der hoheitlichen Verwaltungstätigkeit der Mitgliedstaaten in der Eingriffs- und Leistungsverwaltung, aber auch das Sozialversicherungs- und Bildungswesen und die hoheitlich kooperative Regulierung unter staatlicher Letztverantwortung schon tatbestandlich vom funktionalen Unternehmensbegriff ausgenommen.29 Zugleich tendiert der EuGH gerade bei potentiellen Konflikten zwischen Kommission und Binnenmarktgesetzgeber auch zu einer eher weiten Auslegung des Rechtfertigungstatbestands des Art. 106 Abs. 2 AEU für Dienste von allgemeinem wirt26 27 28 29

Vgl. 1. Kapitel, B. I. 4. und C. IV. 4. Vgl. 1. Kapitel, C. IV. 1. b). Vgl. zum Folgenden 1. Kapitel, C. IV. Vgl. 1. Kapitel, C. IV. 2. und 3.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

schaftlichem Interesse (Übergang vom Verhinderungs- zum Gefährdungsmaßstab). Dies hat im Ergebnis zur Folge, dass die Kommission mittlerweile nicht mehr im Alleingang ganze Wirtschaftssektoren unabhängig von Rat und Parlament liberalisieren kann.30 Schließlich hat der EuGH auch im Beihilferecht eine Abgrenzung von exekutiven und legislativen Zuständigkeiten vorgenommen und u. a. die allgemeine Systematik des Steuer- und Sozialversicherungsrechts vom Anwendungsbereich der Beihilfekontrolle ausgenommen.31 3. Das Verhältnis von Binnenmarktgesetzgebung und Wettbewerbskontrolle als Gewaltengliederungsproblem Im Schrifttum wird die Frage der Reichweite der Kommissionskompetenzen aus dem Wettbewerbs- und Beihilferecht bisher in erster Linie als vertikales Kompetenzverteilungsproblem zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten erfasst, das materiell-rechtlich unter Rückgriff auf den funktionellen Unternehmensbegriff bewältigt werden soll. Die eher restriktiven Tendenzen in der neueren Rechtsprechung des EuGH sind denn auch überwiegend auf Kritik gestoßen, weil hierdurch der effektive Wettbewerbsschutz im Binnenmarkt relativiert werde.32 Diese Kritik trifft insoweit das Richtige, als zum effektiven Schutz des Wettbewerbs im Binnenmarkt die Unabhängigkeit der Kommission gerade auch gegenüber politischen Einflüssen durch den Binnenmarktgesetzgeber unverzichtbar ist. Gleichwohl führt es nur begrenzt weiter, das materielle Ziel des Wettbewerbsschutzes gegen das prozedural-organisatorische Prinzip der Gewaltengliederung in Stellung zu bringen oder umgekehrt. Dies gilt umso mehr, als der Schutz des Wettbewerbs im Binnenmarkt nach Maßgabe des Vertrags nicht allein der Kommission, sondern gerade auch dem Binnenmarktgesetzgeber obliegt, der gem. Art. 114 AEU für die Rechtsangleichung zur Beseitigung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen zuständig ist.33 Anders als unter Bedingungen der Ratsblockade unter Geltung des EWG-Vertrags lässt sich eine allzu extensive Auslegung der Kommissionskompetenzen im Verhältnis zum Binnenmarktgesetzgeber auch integrationsfunktional nicht mehr ohne weiteres rechtfertigen, da die Union mittlerweile über eine funktionsfähige Legislative verfügt.34 Zudem hat die Liberalisierung gerade in den Netzwirtschaften einen besonderen Reregulierungsbedarf zu Tage treten lassen, um überhaupt funktionsfähige Wettbewerbsmärkte unter den atypischen Bedingungen der Netzwirtschaften zu schaffen. Die damit erforderliche Regulierung ist jedoch al30 31 32 33 34

Vgl. 1. Kapitel, C. IV. 4. und 5. Vgl. 1. Kapitel, C. IV. 6. Vgl. 1. Kapitel, C. IV. 2. Für das Gesundheitswesen: 4. Kapitel, D. I. 3. und 4. Vgl. zum Folgenden 1. Kapitel, C. V. Für das Gesundheitswesen: 4. Kapitel, D. I. 4. Vgl. 1. Kapitel, C. III. 1.

C. Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

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lein dem demokratisch hierzu legitimierten Binnenmarktgesetzgeber vorbehalten und liegt jenseits der funktional begrenzten Zuständigkeiten der Kommission.35 Insgesamt erscheint die vom EuGH vorgenommene Rejustierung der Kompetenzen von Kommission und Binnenmarktgesetzgeber damit als eine in sich folgerichtige Konsequenz aus den mittlerweile eingetretenen Veränderungen im europäischen Gewaltengefüge. Zugleich ist die Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zum Wettbewerbs- und Beihilferecht eines der anschaulichsten Beispiele für die theoretischen und dogmatischen Grenzen, an die das Marktverfassungsmodell unter den veränderten Bedingungen europäischer Binnenmarktintegration stößt.36

C. Die Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union I. Zur Bedeutung der Binnenmarktverfassung der Europäischen Union für das System des europäischen Verwaltungsrechts Die Reorganisation der Strukturen europäischer Gewaltengliederung stellt gerade die Verwaltungsrechtswissenschaft vor besondere Herausforderungen. Dies erhellt sich schon an der von Schmidt-Aßmann aufgeworfenen Frage, ob sich im Rahmen des EG-Rechts denn überhaupt von einer „Verwaltung“ sprechen lasse, wo doch die Europäische Union selbst nicht nach den Maßstäben klassischer Gewaltengliederung organisiert sei.37 Die Formulierung der Frage verweist auf die unmittelbaren Zusammenhänge zwischen den Strukturen eines gewaltengegliederten Systems der Rechtserzeugung und der rechtswissenschaftlichen Vorstellung vom Begriff der Verwaltung und den Ordnungsstrukturen des so erzeugten Verwaltungsrechts. Im System des staatlichen Rechts liefern das Demokratie- und Rechtstaatsprinzip die verfassungsrechtlichen Eck- und Orientierungspunkte für die Ordnungsbildung im Verwaltungsorganisations- und Verwaltungsverfahrensrecht. Während das Demokratieprinzip als Maxime des Verwaltungsorganisationsrechts das Verhältnis von Legislative und Exekutive definiert, prägen das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte vornehmlich das Verwaltungsverfahrensrecht und den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz.38 35

Vgl. 1. Kapitel, C. IV. 2. Vgl. 1. Kapitel, C. V. 37 Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund und die Rolle des Verwaltungsrechts, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (9). 38 Vgl. 2. Kapitel, A. I. und B. I. und II. 36

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

Im System des Unionsrechts liegen die Dinge dagegen anders. Zwar ist auch die Union den Prinzipien der Demokratie und Rechtstaatlichkeit verpflichtet. Gleichwohl ist das System unionaler Gewaltengliederung nach wie vor durch vom staatlichen Recht abweichende materiell-funktionale Gewährleistungen (insbesondere der Grundfreiheiten) und abweichende Verfahrensstrukturen der Rechtserzeugung (insbesondere die Verfahren der Binnenmarktharmonisierung und Umsetzungsgesetzgebung) geprägt, die sich wiederum in abweichende Strukturen des so erzeugten Systems des europäischen Verwaltungsrechts übersetzen. Die Wirkungen der Grundfreiheiten und der Binnenmarktharmonisierung entfalten sich „quer“ zur traditionellen Differenzierung zwischen Unionsverwaltungsrecht (direktem Vollzug) und nationalem Unionsverwaltungsrecht (indirektem Vollzug).39 Sie prägen dabei (namentlich über das Äquivalenz-, Effektivitäts,- Kooperations- und Beschleunigungsprinzip) sowohl die europäische Verwaltungsorganisation, als auch das europäische Verwaltungsverfahren. Europäisches Verwaltungsrecht ist damit zwar nicht allein, aber doch in wesentlichen Teilbereichen Binnenmarktverwaltungsrecht. Seine Entwicklung, Reichweite und Struktur wird wesentlich durch die Grundfreiheiten des Binnenmarktes und deren Kopplung mit dem System europäischer Binnenmarktkompetenzen geprägt. Zu den wesentlichen Ordnungsaufgaben an die Wissenschaft vom europäischen Verwaltungsrecht zählt daher die Herausarbeitung der Zusammenhänge zwischen den Spezifika des europäischen Systems gewaltengegliederter Rechtserzeugung und den Spezifika der Ordnungsstrukturen des so erzeugten unionalen und national transformierten Verwaltungsorganisations- und Verwaltungsverfahrensrechts. Besondere Herausforderungen ergeben sich einerseits aus dem für den europäischen Verwaltungsraum kennzeichnenden Zusammentreffen nationaler und supranationaler Steuerungsansprüche, die im System des europäischen Verwaltungsrechts nach Maßgabe des Vorrangs-, Effektivitäts- und Subsidiaritätsprinzips zum Ausgleich gebracht werden müssen. Andererseits dürfte es vor allem auch darum gehen, das aus nationalstaatlichen Kontexten stammende demokratie- und rechtsstaatszentrierte Ordnungssystem des Verwaltungsrechts stärker als bisher auf die spezifisch integrationsfunktionale Ausrichtung des verbandsübergreifenden Systems europäischer Rechtserzeugung einzustellen.40

39 40

Vgl. 2. Kapitel, A. I. Vgl. 2. Kapitel A. II. und III. sowie B. II. und IV.

C. Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

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II. Die Grundfreiheiten des Binnenmarktes als Determinanten des europäischen Verwaltungsrechts 1. Die Grundfreiheiten als verfahrens- und organisationsabhängige Freiheits- und Gleichheitsrechte sui generis Die abweichenden verwaltungsrechtlichen Wirkungen der europäischen Binnenmarktverfassung finden ihren wesentlichen normativen Grund in der von den staatlichen Grundrechten abweichenden Funktion der Grundfreiheiten in den Strukturen europäischer gewaltengegliederter Rechtserzeugung.41 Im Gegensatz zu grundrechtlichen Freiheits- und Gleichheitsrechten schützen die Grundfreiheiten nicht generell vor Ungleichbehandlungen oder vor Eingriffen in absolut geschützte Freiheitsräume. Vielmehr handelt es sich bei den Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten der Grundfreiheiten um binnenmarktfunktionale Gleichheits- und Freiheitsgewährleistungen sui generis. Diese sind darauf gerichtet, Diskriminierungen und Beschränkungen unter Rechtfertigungsdruck zu setzen, die geeignet sind, den grenzüberschreitenden Waren-, Personen-, Dienstleistungsund Kapitalverkehr im Binnenmarkt in spezifischer Weise zu behindern. Es ist also nicht schon die Ungleichbehandlung innerhalb der staatlichen Rechtsordnung oder die Beschränkung von Wirtschaftsfreiheiten durch die Mitgliedstaaten, sondern immer erst die daraus resultierende Beschränkung gerade des grenzüberschreitenden Marktzugangs, die den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten eröffnen. Zu den strukturellen Besonderheiten der Grundfreiheiten zählt auch ihre besondere Verfahrens- und Organisationsabhängigkeit. Schon die Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten erfordern gegebenenfalls Anpassungen des einzelstaatlichen Verwaltungsverfahrens zur Gewährleistung des Prinzips strikter Inländergleichbehandlung. Die praktische Wirksamkeit der Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten kann eine Angleichung auch des Verwaltungsorganisationsrechts erforderlich machen, um die praktische Wirksamkeit des Herkunftslandund Anerkennungsprinzip organisationsrechtlich sicherzustellen. Von daher erweist es sich als nur folgerichtig, wenn die Grundfreiheiten im System des Vertrags seit jeher mit besonderen Kompetenznormen verbunden sind, die eine weitergehende Rechtsangleichung und Regulierung ermöglichen. Neben ihrem abweichenden materiellen Schutzbereich unterscheiden sich die Grundfreiheiten denn auch durch ihre durchgängige strukturelle Kopplung mit den Binnenmarktkompetenzen vom System der staatlichen und unionalen Grundrechte.42 Im Gegensatz zu den Grundrechten können die europäischen Grundfreiheiten denn auch nur im Verhältnis zur mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt als rechtsstaatliche Freiheitsgewährleistungen der Bürger gegen den Zugriff legislati-

41 42

Vgl. zum Folgenden 2. Kapitel, B. II. Vgl. 2. Kapitel, B. III.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

ver oder exekutiver Gewalt begriffen werden. Auf der unionalen Ebene führt dagegen jede Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten durch den EuGH immer auch zu einer Erweiterung der Gesetzgebungskompetenzen des Unionsgesetzgebers, deren Ausübung in die Harmonisierung und Regulierung des erfassten Sachbereichs einmündet. In Bezug auf ihre kompetenzerweiternde Funktion zu Gunsten des Unionsgesetzgebers sind die Grundfreiheiten des Binnenmarktes denn auch verwaltungsrechtsdogmatisch nicht allein dem Rechtsstaats-, als vielmehr gerade auch dem – funktional geprägten – europäischen Demokratieprinzip zuzuordnen. Von daher kann es auch nicht Wunder nehmen, dass sich die Grundfreiheiten des Binnenmarkts – vermittelt über das vom EuGH entwickelte Anerkennungsprinzip – zunächst vor allem zu einer Maxime des Verwaltungsorganisationsrechts und erst in zweiter Linie auch zu einer Maxime des Verwaltungsverfahrensrechts entwickelt haben. 2. Das europäische Verwaltungsorganisationsrecht zwischen Hierarchie und Kooperation, Äquivalenz und Effektivität Die von den Grundrechten abweichende Schutzfunktion der Grundfreiheiten und ihre Kopplung mit dem funktional gleichgerichteten System der Binnenmarktkompetenzen schlagen sich zunächst in ihren abweichenden verwaltungsorganisationsrechtlichen Wirkungen nieder.43 Die Verwaltung des Unionsraums kann aus organisationsrechtlicher Sicht schon im Ansatz nicht als regelhaft hierarchischer Legitimations- und Steuerungszusammenhang rekonstruiert werden, der von einem Unionsvolk über Parlament und Regierung und eine monokratische Verwaltungsbürokratie bis zum Bürger als Regelungsadressaten führt. Vielmehr treffen in der europäischen Verwaltung nationale und supranationale Steuerungsansprüche zusammen, die in den horizontalen und vertikalen Koordinierungsstrukturen des europäischen Verwaltungsverbunds verarbeitet werden müssen. Die Grundfreiheiten des Binnenmarktes definieren dabei aufgrund ihrer Kopplung mit den Binnenmarktkompetenzen die sachliche Reichweite des vorrangigen Steuerungsanspruchs des Binnenmarktgesetzgebers, der seine binnenmarktfunktionalen Grenzen wiederum im Ziel der effektiven Wirksamkeit der Grundfreiheiten findet. Der Binnenmarktgesetzgeber kann auf die Verwaltungsorganisation des Unionsraums daher immer dann, aber auch nur dann, Zugriff nehmen, wie dies zur Beseitigung von Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt unter Beachtung der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität erforderlich ist.44 Dieser „funktionale Filter“ erklärt die für den europäischen 43 Vgl. zum Folgenden 2. Kapitel, A. II. sowie B. IV. und V. (zur Bedeutung der Rechtfertigungsebene). 44 Vgl. 2. Kapitel, A. II. und D. II.

C. Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

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Verwaltungsverbund kennzeichnende spezifische Kopplung der Prinzipien der Hierarchie und der Kooperation. Eine Hierarchisierung der europäischen Verwaltung ist im Wege der Rechtsangleichung nur insoweit möglich, wie nicht bereits die Kooperation zwischen nationalen Verwaltungsträgern zur Gewährleistung eines beschränkungsfreien grenzüberschreitenden Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs im Binnenmarkt ausreichend ist.45 Die normativ schon unmittelbar durch die Grundfreiheiten des Binnenmarktes vorgeprägte transnationale hierarchisch-kooperative Organisationsstruktur des europäischen Verwaltungsverbunds erfährt durch die funktional gleichgerichtete Binnenmarktgesetzgebung eine weitere wesentliche Verdichtung und tritt so als Organisationsprinzip des europäischen Verwaltungsrechts neben das traditionelle Hierarchieprinzip des einzelstaatlichen Verwaltungsrechts.46 Auch die vielfach diagnostizierte gesteigerte Autonomie der europäischen Verbundverwaltung gegenüber parlamentarischen Steuerungsansprüchen wurzelt aus normativer Sicht nicht zuletzt in der unmittelbaren primärrechtlichen Absicherung des Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips in den Grundfreiheiten des Binnenmarktes. Diese stehen als Organisationsprinzipien des Europäischen Verwaltungsverbunds gerade nicht zur grundsätzlichen Disposition des unionalen oder nationalen Gesetzgebers. Nach Maßgabe des Äquivalenzprinzips sind marktzugangsrelevante verwaltungsbehördliche Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten von den zuständigen Behörden des Destinationsstaates grundsätzlich als gleichwertig anzuerkennen, wenn zwingende Erfordernisse nicht entgegenstehen. Zugleich muss die Verwaltungsorganisation des europäischen Verwaltungsraums nach Maßgabe des Effektivitätsprinzips so ausgestaltet sein, dass die Wirksamkeit der Ziele des Binnenmarkts im Ergebnis sichergestellt wird.47 3. Die Grundfreiheiten als Determinanten des Verwaltungsverfahrensrechts: Äquivalenz-, Effektivitäts- und Beschleunigungsprinzip Die Strukturen der Binnenmarktverfassung der Union prägen mittlerweile allerdings nicht mehr allein das Verwaltungsorganisationsrecht, sondern zunehmend auch das Verwaltungsverfahren und – vereinzelt – den gerichtlichen Rechtschutz.48 Kennzeichnend für das europäische Verwaltungsverfahren sind gerade im Vergleich zum deutschen Recht deutlich erweiterte Beurteilungs- und Ermessensspielräume der Verwaltung, insbesondere bei Prognoseentscheidungen, kom45

Vgl. 2. Kapitel, A. II. Vgl. 2. Kapitel, D. IV. 47 Vgl. 2. Kapitel, A. II. und B. IV. 2. bis 4. Zum Rechtschutz im Vergaberecht siehe 3. Kapitel, E. IV. 48 Vgl. zum Folgenden 2. Kapitel, A. III. 46

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

plexen Sachverhalten und besonderen Verwaltungsverfahren. Als funktionales Äquivalent der geringeren Justiziabilität von Verwaltungsentscheidungen bei gleichzeitig zurückgenommenem Vertrauensschutz kommt dem Verwaltungsverfahren bei der Gewährleistung der subjektiven Rechte der Unionsbürger besondere Bedeutung zu. Dies schlägt sich u. a. in erweiterten Beteiligungs- und Informationsrechten der Bürger, aber auch in der strengen Kontrolle von Formfehlern durch den EuGH nieder. Insgesamt ist das europäische Verwaltungsrecht damit durch einen vergleichsweise hohen Grad der Prozeduralisierung bei gleichzeitig geringerer sachlich-inhaltlicher Determinierung des Verwaltungshandelns geprägt. Dies zeigt sich exemplarisch z. B. am zentralisierten Arzneimittelzulassungsverfahren und bei der Telekommunikationsregulierung.49 Ähnlich wie das Verwaltungsorganisationsrecht ist auch das europäische Verwaltungsverfahren im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen in besonderer Weise durch die binnenmarktfunktionalen Prinzipien der Äquivalenz und Effektivität geprägt. Diese treten grundsätzlich neben nationalen und unionalen Verfahrensgrundrechte und geben dem europäischen Verwaltungsverfahren einen spezifisch funktionalen Einschlag.50 Innerhalb des Rahmens des Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips ist es allerdings grundsätzlich jedem Mitgliedstaat nach Maßgabe seiner jeweiligen nationalen Verwaltungstraditionen überlassen, in welche konkreten Verwaltungsverfahren die inhaltlichen Ziele und Vorgaben des Unionsgesetzgebers übersetzt werden. In jüngerer Zeit lässt sich allerdings eine zunehmende Verdichtung der unionsrechtlichen Vorgaben an das innerstaatliche Verwaltungsverfahren feststellen. Das Unionsrecht übersetzt sich sowohl negativ, im Sinne der Limitierung einzelstaatlicher Vertrauenschutzgewährleistungen, als auch positiv in Form des Beschleunigungsgrundsatzes der Dienstleistungsrichtlinie51 sowie in Form von besonderen Verfahrensrechten z. B. in der Sozialrechtskoordinierung oder der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung in das staatliche Verwaltungsverfahrensrecht.52 Darüber hinaus hat sich mit dem europäischen Vergaberecht ein vollkommen neues Verfahrens- und Rechtsschutzregime herausgebildet, das funktional auf die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit bei der öffentlichen Auftragsvergabe ausgerichtet ist.53

49 50 51 52 53

Zur TK-Regulierung siehe unten 2. Kapitel, E. IV. Vgl. 2. Kapitel, A. III. Vgl. die Genehmigungsfiktion des Art. 13 Abs. 4 DLR, hierzu 2. Kapitel, E. III. 3. Vgl. 2. Kapitel, B. IV. 3. und E. III. 3. und 4. Hierzu eingehend im 3. Kapitel.

C. Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

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III. Binnenmarktharmonisierung und Binnenmarktregulierung 1. Die Binnenmarktkompetenzen im System des Unionsrechts: Die Prinzipien der funktionalen und materiellen Spezialität Die Rechtsangleichung wegen Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen eröffnet dem Binnenmarktgesetzgeber neben und mit der Kompetenz zur Rechtsangleichung auch umfassende Regulierungsbefugnisse. Die Regulierung hat gem. Art. 114 Abs. 3 AEU grundsätzlich auf hohem Umwelt-, Gesundheitsund Sicherheitsniveau zu erfolgen.54 Die Binnenmarktregulierung ist dabei grundsätzlich in jeder materiellen Intensität zulässig, wenn zugleich die funktionalen Binnenmarktziele gefördert werden. Das sich damit ergebende Problem der Abgrenzung von Binnenmarktkompetenzen und Sachkompetenzen der Union ist ausgehend vom Hauptziel der Unionsmaßnahme nach Maßgabe der Prinzipien der funktionalen und materiellen Spezialität zu verarbeiten. Die Binnenmarktkompetenzen sind gegenüber den Sachkompetenzen die funktional spezielleren Normen, wenn und soweit der Binnenmarktgesetzgeber neben und mit sachpolitischen Zielen gerade auch die funktionalen Binnenmarktziele fördern will. Dagegen sind die Sachkompetenzen materiell spezieller, wenn und soweit der Unionsgesetzgeber allein oder ganz überwiegend sachpolitische Ziele verfolgt und dabei die in den Sachkompetenzen vorgesehen Maßnahmen trifft. Die Wahl der Zuständigkeitsnorm nach objektiven und nachvollziehbaren Kriterien unterliegt der Kontrolle durch den EuGH.55 2. Verwaltungsrechtsangleichung im Binnenmarkt Wesentliche Prinzipien des europäischen Verwaltungsrechts, wie das Effektivitäts-, Effizienz- und Äquivalenzprinzip gewinnen ihre Form und Kontur gerade im Zusammenspiel zwischen der gerichtlichen Kontrolle des Primär- und Sekundärrechts durch den EuGH und der sekundärrechtlichen Harmonisierung durch den Unionsgesetzgeber.56 Als Beispiel für diese Interdependenzen können das sekundäre Produktzulassungsrecht und die Dienstleistungsrichtlinie genannt werden. Im Rahmen des Produktzulassungsrechts verdichtet sich das primärrechtlich im Effektivitätsprinzip wurzelnde Gebot der Vermeidung von Mehrfachregulierungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs auf der sekundärrechtlichen Ebene zu einer fortschreitenden zentralen und dezentralen Entscheidungskonzentration im Europäischen Verwaltungsverbund. Die Dienstleistungsrichtlinie führt im Interesse der praktischen Wirksamkeit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit einerseits eine dezentrale Entscheidungskonzentration bei europä54 55 56

Vgl. 2. Kapitel, C. I. bis III. Vgl. 2. Kapitel, C. III. 2. Vgl. 2. Kapitel. C. IV. bis VI. und D. I. bis IV.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

isch vernetzen nationalen One-Stop-Behörden (vgl. Art. 6 ff. RL 2006/123/EG) herbei und setzt andererseits das in den Grundfreiheiten wurzelnde Beschleunigungsprinzip in Form von Genehmigungsfiktionen (vgl. Art. 13 Abs. 4 RL 2006/ 123/EG) im einzelstaatlichen Verwaltungsverfahren um.57 3. Das Kooperationsprinzip als prozedurale Grundlage und Grenze europäischer Verwaltungsrechtsangleichung Im Rahmen der Binnenmarktkompetenzen erweist sich das Kooperationsprinzip als eigentliche prozedurale Grundlage und Grenze europäischer Verwaltungsrechtsangleichung. Während die Binnenmarktharmonisierung aus materiell-rechtlich funktionaler Sicht auf fortschreitende Verwaltungsintegration gerichtet ist, enthält das Mitentscheidungsverfahren als prozedurale Grundlage effektiver Verwaltungsrechtsangleichung zugleich gewisse verfahrensmäßige Sicherungen der nationalen Verwaltungsautonomie, da die Interessen der Kommission und der im Rat vertretenen Regierungen der Mitgliedstaaten zum Ausgleich gebracht werden müssen.58 Insgesamt handelt es sich beim System der Grundfreiheiten und Binnenmarktkompetenzen um ein gestuftes System zur schrittweisen Umstellung einzelstaatlicher Regulierung auf allgemeinwohlverträgliche Binnenmarktregulierung unter Einschluss weit reichender Angleichungsbefugnisse im Bereich des dezentralen und zentralen Vollzugs. Umgekehrt setzt die integrationsfunktionale Ausrichtung der Binnenmarktkompetenzen einer Renationalisierung des Vollzugs Grenzen.

IV. Durchführungskompetenzen der Kommission und Kommissionsmitteilungen Die Binnenmarktkompetenzen umfassen auch die Befugnis zur Delegation von Durchführungskompetenzen auf die Kommission nach Maßgabe von Art. 17 EU (ex-Art. 211 EG).59 Die Reichweite der Durchführungskompetenz wird auch im Bereich der Binnenmarktharmonisierung durch das Wesentlichkeitsprinzip begrenzt, nachdem tragende Grundsatzentscheidungen im sekundärrechtlichen Basisrechtsakt normiert werden müssen.60 Andererseits suchen Rat und Parlament die Durchführungsrechtsetzung durch die Kommission im Rahmen der Komitologieverfahren zu kontrollieren, wobei neuerdings das Regelungskontrollverfahren unter Beteiligung des Parlaments an Bedeutung gewinnt. Die verstärkte Einbezie57

Vgl. 2. Kapitel, D. IV. 3. und E. III. 3. Vgl. 1. Kapitel, C. II. und 2. Kapitel, C. VI. 59 Vgl. zum Folgenden 2. Kapitel, D. V. 1. 60 Vgl. EuGH, verb. Rs. 9/56 und 10/56 (Meroni) Slg. 1958, 1. Siehe 1. Kapitel, B. I. 1. und C. IV. 1. 58

C. Verwaltung in der Binnenmarktverfassung der EU

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hung von Parlamentsvertretern in das Komitologieverfahren ist zweischneidig, da sie zwar zu einer effektiven parlamentarischen Kontrolle exekutiver Tertiärrechtsetzung führen, aber auch die weitere Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen in das Ausschusswesen begünstigen kann. Neben der Durchführungsrechtsetzung nutzt die Kommission auch das semiformelle Instrument der Kommissionsmitteilung zur Homogenisierung des Verwaltungsvollzugs. Problematisch ist dieses Instrument unter Teilungsgesichtspunkten, wenn die Kommission die Grenzen ihrer Zuständigkeit zur „authentischen Auslegung“ zu Lasten von EuGH, Rat, Parlament und Mitgliedstaaten überschreitet.61

V. Referenzgebiete Die zuvor skizzierten Strukturmerkmale des europäischen Verwaltungsrechts treten auch in einzelnen Referenzgebieten des europäischen Verwaltungsrechts, wie dem Produktzulassungsrecht, dem Personenverkehrs- und Dienstleistungsrecht, sowie dem Regulierungsverwaltungsrecht in den Netzwirtschaften zu Tage.62 Die Struktur der Verwaltungskoordinierung und das Verwaltungsverfahrens wird in den untersuchten Referenzgebieten zwar in erheblichem Maße durch Zweckmäßigkeitserwägungen und die Zufälligkeiten politischer Kompromisse bestimmt. Daneben schlagen sich jedoch auch normative Vorgaben des Primärrechts in den Verwaltungsstrukturen nieder. Die funktionalen Ziele der Grundfreiheiten treten in den untersuchten Referenzgebieten in besonderer Deutlichkeit im Verwaltungsorganisationsrecht zu Tage, wobei insbesondere der Übergang von Informations- zu Entscheidungsverbünden und die zunehmende Entscheidungszentralisierung im Europäischen Verwaltungsverbund durch die funktionalen Binnenmarktziele normativ vorgeprägt werden.63 Darüber hinaus entfalten die Grundfreiheiten in den untersuchten Referenzgebieten jedoch zunehmend auch die Wirkung von Determinanten des Verwaltungsverfahrensrecht, so z. B. in den Genehmigungsverfahren der grenzüberschreitenden Leistungsaushilfe in der Sozialrechtskoordinierung, in Form des Beschleunigungsgrundsatzes der Dienstleistungsrichtlinie, aber auch im Bereich der Genehmigungsverfahren in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung.64 Insgesamt erweisen sich die Grundfreiheiten damit als sekundärrechtlich verdichtete organisatorisch-prozedurale Determinanten der verwaltungsrechtlichen Regulierungsstruktur des Binnenmarktes. Weiterhin lassen sich auch normative Zusammenhänge zwischen der jeweils sektoral einschlägigen Grundfreiheit und den sektoralen Strukturen des sekundär61 62 63 64

Vgl. 2. Kapitel, D. V. 2. Vgl. 2. Kapitel, D. II. bis IV. und E. I. Vgl. 2. Kapitel, D. III. und IV. Vgl. 2. Kapitel, D. II. und E. III.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

rechtlich geschaffenen besonderen Verwaltungsrechts nachweisen. Im Bereich des Produktzulassungsrechts liegt die zunehmende Entscheidungszentralisierung in der Konsequenz der Gewährleistung der Warenverkehrsfreiheit, die in besonderer Weise auf den Abbau der Mehrfachregulierung im Binnenmarkt zielt.65 Im Bereich des freien Personen- und Dienstleistungsverkehrs wird der Aufgabenzuschnitt der Verwaltungszusammenarbeit im europäischen Verbund wesentlich durch das Erfordernis der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit geprägt. Anders als im Produktzulassungsrecht steht hier weniger die Entscheidungszentralisierung, als vielmehr die Vernetzung nationaler und supranationaler Verwaltungsträger zum Zweck der gemeinsamen Aufgabenerledigung im Vordergrund, die den komplexeren personenbezogenen Regelungsfunktionen dieser Verbünde Rechnung trägt.66 Das Regulierungsverwaltungsrecht in den Netzwirtschaften ist schließlich in besonderer Weise durch die Kombination der Ziele und Verfahren der Gewährleistung des freien Marktzugangs- und des Wettbewerbsschutzes im Binnenmarkt geprägt.67 Hierbei bestehen enge Zusammenhänge zwischen der Ausgestaltung der Netzregulierung und dem Grad der sektoralen wettbewerbsrechtlichen Liberalisierung. Namentlich im Telekommunikationsrecht sind im Rahmen des Regulierungsverbunds aus organisationsrechtlicher Sicht besonders verdichtete Verbundstrukturen entstanden, während das Verwaltungsverfahren durch eine Modifikation der wettbewerbsrechtlichen Kontrollverfahren zum Zweck der effektiven Marktzugangsregulierung weiterentwickelt worden sind. Die Ergänzung der wettbewerbsrechtlichen Verfahren der ex-post-Kontrolle durch sektorspezifische Verfahren der ex-ante-Regulierung findet ihre normative Rechtfertigung in den besonderen Gefahren von Marktzugangsbeschränkungen im Binnenmarkt, die sich aus der Netzherrschaft einzelner Unternehmen ergeben können. Zugleich spiegelt sich in der Verlagerung von Regulierungsentscheidungen von den nationalen Behörden auf den europäischen Regulierungsverbund das allgemeine binnenmarktfunktionale Ziel der Vermeidung von zwischenstaatlichen Marktzugangsschranken, die sich aus der mitgliedstaatlichen Mehrfachregulierung grenzüberschreitender Sachverhalte ergeben können.

65 66 67

Vgl. 2. Kapitel, E. II. Vgl. 2. Kapitel, E. III. Vgl. 2. Kapitel, E. IV.

D. Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

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D. Das Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts I. Das Vergaberecht als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts Das europäische Vergaberecht konstituiert ein besonderes Verfahrens- und Rechtsschutzregime, das der Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit unter den besonderen Bedingungen öffentlicher Auftragsvergabe dient.68 Aufgrund seiner binnenmarktfunktional geprägten Verfahrensgewährleistungen eignet sich das Vergaberecht in besonderer Weise als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsverfahrensrechts. Darüber hinaus konstituiert das europäische Vergaberecht eine – wenn auch eher lose geknüpfte – transnationale Koordinierungsstruktur nationaler und supranationaler Verwaltungsträger, die in den organisationsrechtlichen Bezugsrahmen des Europäischen Verwaltungsverbunds eingeordnet werden kann. Das europäische Vergaberecht reagiert auf die besonderen Gefahren, die sich durch den Markteintritt der öffentlichen Hand als Nachfrager für die praktische Wirksamkeit des grenzüberschreitenden Warenverkehrs und Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt ergeben können. Zum Schutz vor diesen Gefahren dient zunächst das sog. Primärvergaberecht, das seine Grundlagen unmittelbar in den primärrechtlichen Gewährleistungen der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit findet. Die Basisanforderungen des Primärvergaberechts werden im Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien zu einem differenzierten Verfahrensregime und einem besonderen System des Primär- und Sekundärrechtsschutzes verdichtet, die eine diskriminierungsfreie und transparente öffentliche Auftragsvergabe im grenzüberschreitenden Wettbewerb sicherstellen sollen.69 Zu den zentralen verwaltungsrechtlichen Ordnungsaufgaben im Vergaberecht zählt die möglichst präzise Eingrenzung seines potentiell sehr weiten Anwendungsbereichs in Abgrenzung zu anderen spezielleren Materien des europäischen Verwaltungsrechts70 und der angemessene Ausgleich zwischen funktionalen Binnenmarktzielen und legitimen staatlichen Steuerungszielen im Vergabeverfahren.71

II. Verwaltungsrechtsdogmatische Verortungsschwierigkeiten Angesichts des Bedeutungsgewinns des Vergaberechts sind Fragen vergaberechtlicher Natur in den letzten Jahren zunehmend in den Focus der Verwal68 69 70 71

Zum Folgenden 3. Kapitel, A. I. und II. Vgl. 3. Kapitel A. III. Vgl. hierzu 3. Kapitel, B. III. Vgl. hierzu 3. Kapitel, E. I. bis III.

500

8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

tungsrechtswissenschaft gerückt. Die Integration des Vergaberechts in das System des Verwaltungsrechts bereitet allerdings nach wie vor einige Schwierigkeiten.72 Die erste Hürde liegt schon in den Besonderheiten der deutschen Fiskustheorie, die das fiskalische Handeln des Staates dem Privatrecht zuordnet. An diese Traditionen hat der deutsche Gesetzgeber auch mit seiner Entscheidung angeknüpft, die Vergaberichtlinien im GWB umzusetzen. Aber auch aus der erweiterten Perspektive staatlicher Steuerung erscheint das Vergaberecht zunächst als eine etwas ambivalente Materie. Zwar kann das Vergaberecht zu einer sparsamen und zweckmäßigen öffentlichen Mittelverwendung beitragen. Andererseits können sich Vergabeverfahren als aufwendig und kostenintensiv erweisen. Zudem begrenzt das Vergaberecht eben jene staatlichen Steuerungsspielräume, auf deren Absicherung die Ideen staatlicher Steuerung und Gewährleistungsverantwortung gerade zielen. Unter Ordnungsgesichtspunkten kommt erschwerend hinzu, dass es sich beim Vergaberecht um eine dem staatlichen Verwaltungsrecht gleichsam „äußere“ Materie zu handeln scheint. DasVergaberecht entfaltet seine im Einzelfall oft umstrittenen Wirkungen ausgehend vom Unionsrecht und vom GWB gewissermaßen „quer“ zu den Privatisierungstypen, Verantwortungsstufungen und Steuerungsinstrumenten des staatlichen Gewährleistungsverwaltungsrechts. Sie scheint dabei sowohl die Differenzierung zwischen privatrechtlichem und öffentlichrechtlichen Vertrag, als auch die Unterscheidung zwischen Vertrag und Verwaltungsakt zumindest partiell zu ignorieren. Die Besonderheiten der deutschen Fiskustheorie und die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers zur Umsetzung der Vergaberichtlinien im GWB sollten jedoch nicht verdecken, dass es sich beim Vergaberecht der Sache nach um öffentliches Sonderrecht handelt. Das Vergaberecht berechtigt und verpflichtet (im Gegensatz zum Wettbewerbsrecht) gerade die öffentliche Hand in besonderer Weise, adressiert regelhaft jedoch gerade nicht private Unternehmen oder Verbraucher. In einer Reihe von Mitgliedstaaten der Union wird das Vergaberecht denn auch seit jeher dem öffentlichen Recht zugeordnet. In Frankreich erfolgt z. B. die Zuschlagsentscheidung in der Rechtsform des Verwaltungsakts, mit der Folge, dass Vergabeentscheidungen der gerichtlichen Kontrolle vor den Verwaltungsgerichten unterliegen. Das Vergaberecht ist denn auch ein anschauliches Beispiel für den allgemeinen Befund, dass das Öffentliche Recht und das Private Recht sowohl unter Steuerungs-, als auch unter Rechtsschutzgesichtspunkten zumindest teilweise austauschbar geworden sind.73

72 73

Vgl. zum Folgenden oben 3. Kapitel, A. IV. Vgl. 3. Kapitel, B. I. und II.

D. Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

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III. Das Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts 1. Das Vergaberecht als Referenzgebiet des allgemeinen europäischen Verwaltungsrechts Die Ursachen für die derzeit bestehenden Schwierigkeiten bei der Verordnung des Vergaberechts im System des Verwaltungsrechts wurzeln letztlich in der besonderen unionsrechtlichen Prägung des Vergaberechts. Die Evolution und Ausdifferenzierung des Vergaberechts lässt sich aufgrund seiner genuin unionsrechtlichen Prägung nicht allein als Prozess der Fortentwicklung des Systems des staatlichen Verwaltungsrechts, einschließlich des Gewährleistungsverwaltungsund Verwaltungsvertragsrechts erfassen. Vielmehr steht das Vergaberecht mit seinen Grundsätzen der Fairness, Transparenz und Nichtdiskriminierung für die Entstehung einer neuen Materie des europäischen besonderen Verwaltungsrechts. Im Vergaberecht übersetzen sich die subjektiv- und objektiv-rechtlichen Gewährleistungen der Grundfreiheiten, vermittelt über die Rechtsangleichung, in ein sekundärrechtlich normiertes Verwaltungsverfahren und ein besonderes Rechtsschutzregime. Das Vergaberecht ist zudem – jedenfalls im Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien – ein Teilgebiet des besonderen Verwaltungsrechts, in dem gerade auch das Verwaltungsverfahrensrecht praktisch vollständig harmonisiert worden ist.74 Die Verfahrens- und Rechtsschutzgewährleistungen des Vergaberechts reagieren auf die Erkenntnis, dass vom Handeln der Verwaltung in austauschvertraglicher Form erhebliche Gefahren für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt ausgehen können. Dies gilt unabhängig davon, welchen Zweck die öffentliche Hand sonst noch mit dem Einsatz der Handlungsform des Austauschvertrags, z. B. im Rahmen des Städtebau- oder Umweltrechts, im Sozialrecht oder bei der Vorbereitung und Durchführung von Privatisierungen, verfolgt. Das Vergaberecht entfaltet seine rechtlichen Wirkungen deswegen notwendig unabhängig von verwaltungsrechtlichen Differenzierungen, die innerhalb der staatlichen Rechtsordnung wurzeln. Neben der Frage, ob Konzept- und Publikationspflichten, Ausschreibungsverfahren und Einspruchsmöglichkeiten übergangener Konkurrenten auch über das Vergaberecht hinaus für die dogmatische Fortbildung des staatlichen Verwaltungsverfahrensrecht genutzt werden können, gilt es daher gerade auch umgekehrt, das Vergaberecht selbst als europäisches (d.h. genuin unionales) Verwaltungsrecht zu rekonstruieren.75 Als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts in diesem Sinne, erlaubt es das Vergaberecht, den genuin europarechtlichen Fragen nachzugehen, 74 75

Vgl. oben 3. Kapitel, B. II. 1. Vgl. oben 3. Kapitel, B. II. 2.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

wie sich die Grundfreiheiten des Binnenmarkts vermittelt über die Vergaberichtlinien in sekundärrechtliche Vorgaben an das Organisations- und Verfahrensrecht übersetzen, wie sich das Vergaberecht zu anderen Gebieten des europäischen Verwaltungsrechts wie etwa dem Beihilferecht, aber auch dem Produktzulassungsrecht, dem Berufszulassungsrecht oder dem Regulierungsverwaltungsrecht verhält, welche verwaltungsorganisationsrechtlichen Probleme sich im Rahmen der horizontalen und vertikalen Koordinierung des einzelstaatlichen Vergabewesens im Europäischen Verwaltungsverbund ergeben und wie Interessenkonflikte zwischen der öffentlichen Hand, ihren Vertragspartnern und übergangenen Dritten im Vergabeverfahren und im vergaberechtlichen Rechtschutz verarbeitet werden.76 2. Das Vergaberecht als binnenmarktfunktionales Verfahrens- und Rechtschutzregime Mit dem EU-Vergaberecht hat sich mithin – vermittelt über das GWB-Vergaberecht – ein Verfahrens- und Rechtsschutzregime in das einzelstaatliche Recht übersetzt, das seine wichtigsten normativen Fluchtpunkte bereits jenseits der staatlichen Rechtsordnung findet und daher in seinen tragenden Ordnungsgrundsätzen bzw. seiner „Ordnungsidee“ nur noch ausgehend vom Unionsrecht rekonstruiert werden kann.77 Die Summe der zuvor skizzierten Einzelaspekte berührt Grundsatzfragen eines allmählich entstehenden allgemeinen europäischen Verwaltungsrechts und charakterisiert das Vergaberecht zugleich als eines seiner Referenzgebiete. Das Vergaberecht reagiert durch besondere Verfahrensanforderungen und Rechtsschutzgewährleistungen auf die für den Markteintritt des Staates kennzeichnenden besonderen Gefahren der Verflechtung von öffentlichen und privaten Interessen und sucht durch Transparenz- und Diskriminierungsverbote, den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und ein grundsätzliches Verhandlungsverbot ein hinreichendes Maß an Distanz zwischen öffentlicher Gewalt und privater wirtschaftlicher Macht zu gewährleisten. Es zielt hierbei zwar primär auf die Gewährleistung der Grundfreiheiten, trägt jedoch mittelbar auch zur Gewährleistung der demokratischen Steuerbarkeit des Verwaltungshandels bei, indem es der Einflussnahme Privater auf hoheitliche Entscheidungen Grenzen setzt. Beispiele hierfür sind die vergaberechtlichen Anforderungen an Public-Private-Partnerships und an die Inhouse-Vergabe. Mit seinem prozeduralen Steuerungsansatz, der Vorverlagerung des subjektiven Rechtsschutzes in das Vergabeverfahren und der Instrumentalisierung der Kontrollressource „Öffentlichkeit“ in Form von Transparenz- und Offenlegungspflichten, steht das Vergaberecht schließlich für eine Materie des Verwaltungsrechts, die in 76 77

Vgl. oben 3. Kapitel, B. I. 1. und 2. Vgl. zum Folgenden oben 3. Kapitel, A. III. und B. I.

D. Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

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besonderer Weise durch die Auseinandersetzung mit dem Problem der Verarbeitung von Komplexität unter Bedingungen von begrenzten Informationen und begrenzten administrativen und gerichtlichen Kontrollressourcen gekennzeichnet ist. Unter all diesen Gesichtspunkten ergeben sich Möglichkeiten zum Anschluss an verschiedene Stränge der Diskussion im allgemeinen Verwaltungsrecht und damit auch zur schrittweisen Integration des Vergaberechts als Referenzgebiet in ein System des allgemeinen europäischen Verwaltungsrechts. 3. Das Vergaberecht als Koordinierungsstruktur im Europäischem Verwaltungsverbund Das Vergaberecht unterscheidet sich von anderen Materien des europäischen Verwaltungsrechts nicht zuletzt dadurch, dass sich die Gewährleistungen der Grundfreiheiten des Binnenmarktes hier in erster Linie in ein besonderes Verfahrens- und Rechtschutzregime übersetzt. Bei genauer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass auch das Vergaberecht auch in die Koordinierungsstruktur des Europäischen Verwaltungsverbunds eingebettet ist. Auch im Vergaberecht finden sich die für den Europäischen Verwaltungsverbund aus organisationsrechtlicher Sicht strukturprägenden, verbandsübergreifenden, horizontalen und vertikalen Koordinierungsformen. Die Kommission verfügt über bestimmte, in den Vergaberichtlinien näher definierte, Durchführungszuständigkeiten und wird bei deren Ausübung durch einen beratenden Ausschuss unterstützt.78 Weitergehend greift die Kommission zum Zweck der Homogenisierung des Verwaltungsvollzugs auf das semiformelle Instrument der Mitteilung zurück, dessen Wirkungen Verwaltungsrichtlinien nahe kommen. Damit treten auch im Vergaberecht die verwaltungsrechtlichen Probleme der Durchführungsrechtsetzung und der nur partiell formalisierten Handlungsformen der Kommission zu Tage.79 4. Zu Stellung und Funktion des Vergaberechts im System des europäischen besonderen Verwaltungsrechts Das Vergaberecht nimmt im System des europäischen Verwaltungsrechts gerade auch wegen seines nur funktional, nicht aber sachlich-inhaltlich, begrenzten Anwendungsbereichs eine Sonderstellung ein. Das Vergaberecht ist sektorübergreifend immer dann anwendbar, wenn die öffentliche Hand auf Grundlage von entgeltlichen Austauschverträgen als Nachfrager in Märkte eintritt. Aus der potentiellen Weite des Anwendungsbereichs des Vergaberechts ergibt sich ein besonderes Abgrenzungsbedürfnis zu anderen Materien des besonderen europäischen Verwaltungsrechts. Dies gilt auch deswegen, weil sich seit einiger Zeit in 78 79

Vgl. Art. 78 ff. RL 2004/18/EG. Vgl. 3. Kapitel, B. II.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

Rechtsprechung und Literatur eine gewisse Tendenz feststellen lässt, den Anwendungsbereich des Vergaberechts letztlich auszudehnen.80 Um den Ausdifferenzierungsprozess des Vergaberechts und der vertraglichen Steuerungsformen der öffentlichen Hand rechtsdogmatisch besser in den Griff zu bekommen, ohne Schutzlücken zu schaffen, ist zunächst eine Besinnung auf die eigentlichen Kernfunktionen des Vergaberechts im Gesamtsystem des europäischen Verwaltungsrechts erforderlich. Das Vergaberecht ist das Recht der austauschvertraglich beschaffenen Verwaltung, nicht der einseitig hoheitlich steuernden, leistenden oder regulierenden Verwaltung. Es erfasst das Vergaberecht daher zwar das austauchvertragliche Handeln der öffentlichen Hand, nicht aber einseitig hoheitliches Handeln durch Verwaltungsakt, es sei denn, die öffentliche Hand „verkauft“ nach faktischen Vertragsverhandlungen Zug um Zug gegen ein wirtschaftliches Gegenleistungsversprechen bestimmte Vergünstigungen an ein Unternehmen zu Lasten konkurrierender Dritter.81 Das Vergaberecht reagiert im Interesse des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs auf die spezifischen Gefahren für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, die sich gerade aus dem Markteintritt der öffentlichen Hand als Nachfrager auf Grundlage entgeltlicher Aufträge oder gegenleistungsabhängiger Konzessionen ergeben. Es erfasst im Bereich des Verwaltungsorganisationsrechts zwar in der Regel Public-Private-Partnerships, jedoch weder reine Angebotskonstellationen, noch die Steuerung durch Organisation bei Eigenbetrieben. Ausgehend von seiner spezifischen Funktion im Binnenmarkt bestimmt sich auch das Verhältnis des Vergaberechts zu anderen spezielleren Materien des europäischen (Wirtschafts-)Verwaltungsrechts. Als nachfrageorientiertes Verfahren erfasst das Vergaberecht im Gegensatz zum EU-Wettbewerbsrecht keine reinen Angebotskonstellationen. Umegekehrt ist allerdings das Wettbewerbsrecht nicht auf Angebotskonstellationen beschränkt. Es erfasst zur Vermeidung von Schutzlücken vielmehr gerade auch die Tätigkeit der öffentlichen Hand auf Nachfragemärkten, soweit die Voraussetzungen des funktionellen Unternehmensbegriffs vorliegen.82 Im Gegensatz zum Beihilferecht erfasst das Vergaberecht keine reinen Subventionstatbestände, sondern nur die austauschvertragliche Steuerung durch die öffentliche Hand. Umgekehrt folgen aus dem Beihilferecht grundsätzlich keine über das Vergaberecht hinausgehenden öffentlichen Ausschreibungspflichten. Aufgrund seiner Beschränkung auf austauschvertragliche Steuerungsformen ist das Vergaberecht auch nicht auf die hoheitliche oder hoheitlich-kooperative Regulierung unter staatlicher Letztverantwortung anwendbar. Vielmehr greifen hier 80 81 82

Vgl. zum Folgenden 3. Kapitel, B. III. 1. a) und b). Vgl. 3. Kapitel, B. III. 1. b). Vgl. 3. Kapitel, B. III. 2.

D. Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

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allein die spezielleren Normen des europäischen Berufs-, Produkt- und Dienstleistungszulassungsrechts.83 Im Bereich der Netzwirtschaften bestehen schließlich Konkurrenzen zwischen der Harmonisierung des Regulierungsverwaltungsrechts und den besonderen vergaberechtlichen Bestimmungen der RL 2004/18/EG und 2004/17/EG. Das Regulierungsverwaltungsrechts erfasst die hoheitliche Regulierung des Marktzugangs und der Marktteilnahme im europäischen Regulierungsverbund. Ergänzend sind die Vergaberichtlinien auf die austauschvertragliche Marktteilnahme der erfassten Unternehmen anwendbar. Allerdings umfasst das Regulierungsverwaltungsrecht z. T. auch besondere Ausschreibungsverfahren, die wiederum vom Anwendungsbereich der allgemeinen Richtlinie ausgenommen sind (z. B. §§ 15 TKG).84 5. Zum persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der RL 2004/18/EG Auch unter Berücksichtigung speziellerer Normen des europäischen Verwaltungsrechts ist der Anwendungsbereich des Vergaberechts immer noch sehr weit. Der persönliche Anwendungsbereich des Vergaberechts erfasst ausgehend vom funktionalen Auftraggeberbegriff nicht nur die staatlichen Gebietskörperschaften, sondern auch von diesen beherrschte Einrichtungen und Unternehmen.85 Größere Probleme bereitet allerdings die Eingrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs des Vergaberechts. Die scheinbar begrenzte Typologie der Vergaberichtlinie (Bau-, Liefer-, Dienstleistungsauftrag, Baukonzession, Rahmenvereinbarung) deckt praktisch alle entgeltlichen Vertragstypen des Schuldrechts ab.86 Daher besteht gerade im sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts ein besonderer normativer Differenzierungsbedarf. Dies gilt nicht zuletzt für die präzise Abgrenzung zwischen den Vertragstypen der Vergaberichtlinie. Während Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge und Rahmenvereinbarungen den strengen Verfahrens- und Rechtsschutzgewährleistungen der RL 2004/18/EG unterliegen, fallen Dienstleistungskonzessionen i. S. v. Art. 1 Abs. 4 RL 2004/18/EG lediglich in den Anwendungsbereich des sog. Primärvergaberechts.87 Die präzise Abgrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der RL 2004/18/ EG und 2004/17/EG ist insbesondere mit Blick auf atypische Formen der Vertragssteuerung durch die öffentliche Hand erforderlich. Die wichtigsten Beispiele 83 84 85 86 87

Vgl. 3. Kapitel, B. III. 3. und 4. Vgl. 3. Kapitel, B. III. 5. Vgl. 3. Kapitel, C. I. und II. Vgl. 3. Kapitel, C. III. Vgl. 3. Kapitel, C. III. und D.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

sind die Ausschreibung defizitärer öffentlicher Dienste, das Sektorenvergaberecht, die Vertragssteuerung im Forschungs- und Bildungssektor und das Sozialund Gesundheitsvergaberecht. Für diese Sonderfälle der Vertragssteuerung ist kennzeichnend, dass hier Auftrags-, Subventions- und Konzessionselemente in unterschiedlicher Weise mit einander verknüpft werden.88 In den genannten Bereichen ist daher zunächst eine Abgrenzung von Beihilfeund Vergaberecht erforderlich. Die Anwendung des Beihilferechts scheidet jedenfalls dann aus, wenn sich die Zuwendungen der öffentlichen Hand an einen Auftraggeber auf den Ausgleich der Mehrkosten der Übernahme von besonderen Allgemeinwohllasten beschränken. Umgekehrt scheidet Anwendung des Vergaberechts dann aus, wenn es an einem gegenseitigen wirtschaftlichen Leistungsaustausch zwischen den Parteien fehlt, wie z. B. bei der Ausschreibung von öffentlichen Beihilfen im Forschungs- und Bildungssektor.89 Soweit die Anwendung des Vergaberechts dem Grunde nach in Betracht kommt, ist in einem weiteren Schritt eine Abgrenzung zwischen entgeltlicher öffentlicher Auftragsvergabe und einer Konzessionsvergabe i. S. v. Art. 1 Abs. 4 RL 2004/18/EG vorzunehmen. Im Gegensatz zu allen übrigen Vertragstypen des Vergaberechts beziehen sich Dienstleistungskonzessionen nicht unmittelbar auf den Zugang zur öffentlichen Auftragsvergabe, sondern auf die Konzessionierung des Zugangs zu privaten Märkten. Entsprechend bestehen typischerweise erweiterte wirtschaftliche Risiken und Handlungsspielräume der Auftragnehmer. Diesen obliegt es, die Bedingungen für die kostendeckende Leistungserbringung an Private eigenständig festzulegen. Umgekehrt kann die faktische Übernahme der Kostenrisiken durch den öffentlichen Auftraggeber gegen das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession sprechen.90 Ausgehend von diesen Kriterien fällt die Ausschreibung defizitärer öffentlicher Dienste regelmäßig in den Anwendungsbereich des Vergaberechts, soweit die öffentliche Hand die Kostenrisiken ganz oder teilweise übernimmt. Zu beachten ist allerdings, dass namentlich im TK-Sektor mit den §§ 15 ff. TKG besondere Vergabeverfahren vorgesehen sind, die das allgemeine Vergaberecht verdrängen.91 Mit Blick auf die Übernahme der Kostenrisiken durch die öffentliche Hand liegt schließlich auch im Sozial- und Gesundheitsvergaberecht eine Anwendung der RL 2004/18/EG nahe. Aufgrund der Besonderheiten dieser Konstellationen bedarf es hier jedoch eingehenderer Untersuchungen. Diese sind mit Blick auf das Gesundheitsvergaberecht Gegenstand des 5. Kapitels dieser Arbeit.92 88 89 90 91 92

Vgl. zum Folgenden 3. Kapitel, F. Vgl. 3. Kapitel, B. III. 3. und F. III. Vgl. 3. Kapitel, D. II. und III. 4. Vgl. 3. Kapitel, F. I. und II. Vgl. 3. Kapitel, F. IV.

D. Vergaberecht im System des europäischen Verwaltungsrechts

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6. Das Vergabeverfahren zwischen funktionalen Binnenmarktzielen und staatlicher Steuerung In seinem weit gefassten Anwendungsbereich folgt das Vergaberecht einem prozeduralen Ansatz der ex-ante Steuerung. Durch besondere Verfahrens- und Rechtschutzgewährleistungen soll eine transparente und diskriminierungsfreie öffentliche Auftragsvergabe von vorn herein sichergestellt werden. Durch die Zuschlagserteilung nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip soll eine Instrumentalisierung öffentlicher Aufträge zu politischen Zwecken nach Möglichkeit vermieden werden. Das Vergabeverfahren ist allerdings nicht durch ein einfaches Primat wirtschaftlicher Zielsetzungen gekennzeichnet. Es zielt vielmehr darauf, die funktionalen Ziele des Binnenmarktes mit anerkannten Allgemeinwohlzielen zum Ausgleich zu bringen.93 Von daher verfügt die öffentliche Hand auch im Anwendungsbereich des Vergabeverfahrens nach wie vor über nicht unerhebliche sachpolitische Steuerungsmöglichkeiten. Zunächst fallen die Primärzwecke der öffentlichen Auftragsvergabe von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts. Die öffentliche Hand ist daher nach wie vor in ihrer politischen Entscheidung frei, ob sie überhaupt öffentliche Aufträge vergibt und zu welchen primären Zwecken („Hochschulbauauftrag oder Rüstungsauftrag?“) die Auftragsvergabe erfolgt.94 Engere Grenzen sind der öffentlichen Hand allerdings auf der Ebene der Sekundärzwecke der Auftragsvergabe („vergabefremde Zwecke“) gezogen. Bei Sekundärzwecken handelt es sich um Allgemeinwohlziele, die die öffentliche Hand unabhängig vom eigentlichen Gegenstand des Auftrags gleichsam „nebenbei“ mitverfolgt. Auch hier ergeben sich jedoch durchaus Gestaltungsspielräume. So legt der EuGH mittlerweile das Wirtschaftlichkeitsprinzip eher weit aus, sodass z. B. Umweltstandards als vergaberechtlich neutrale technische Spezifikationen des Auftragsgebenstands zulässig sein können. Des Weiteren sieht die RL 2004/ 18/EG mittlerweile in ihrem 1. Erwägungsgrund ausdrücklich die Möglichkeit zur Berücksichtigung sozialpolitischer Zielsetzungen bei der Auftragsvergabe vor.95 Darüber hinaus kann die öffentliche Hand nach der neueren Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich alle auf der Ebene der Rechtfertigungsgründe der Grundfreiheiten anerkannten „zwingenden Erfordernisse“ auch im Rahmen der Auftragsvergabe berücksichtigen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Kriterien (1) mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen, (2) dem Auftraggeber 93

Vgl. 3. Kapitel, E. I. 1. Vgl. 3. Kapitel, E. I. 2. Weitere Spielräume bestehen bei der Wahl des Vergabeverfahrens, hierzu 3. Kapitel, E. III. Zum Primär- und Sekundärrechtsschutz siehe 3. Kapitel, E. IV. 95 Vgl. 3. Kapitel, E. II. 1. und 2. 94

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit eingeräumt wird (Spezifikation), (3) im Leistungsverzeichnis ausdrücklich genannt sind und (4) insbesondere das Diskriminierungsgebot gewahrt bleibt.96 Trotz dieser Öffnungstendenzen sind die Gestaltungsspielräume der öffentlichen Hand im Vergaberecht nach wie vor nicht unbegrenzt. Dies zeigt sich exemplarisch an der Entscheidung des EuGH zur Unzulässigkeit von Tariftreueklauseln in Bauaufträgen nach dem Berliner Haushaltsvergaberecht.97 Diese Entscheidung ist zugleich ein anschauliches Beispiel für die enge Kopplung des Vergaberechts mit der Kontrolle des Primär- und Sekundärrechts durch den EuGH. Die Tarifbindung von Unternehmen stellt nach der ständigen Rechtssprechung des EuGH eine Beschränkung des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs dar. Diese Beschränkung ist allerdings mit Blick auf die unionsrechtliche Anerkennung der sozialen Funktionen der Tarifautonomie grundsätzlich rechtfertigungsfähig. An diese Rechtsprechungslinie des EuGH knüpft auch der Binnenmarktgesetzgeber mit der Entsenderichtlinie an, die eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen ausdrücklich zulässt. Dagegen sieht die RL 2004/18/EG eine derartige Möglichkeit (bisher) nicht vor. Der deutsche Gesetzgeber konnte sich jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht zu einer Aufnahme des Bausektors in das Entsenderecht durchringen. Von daher wollte dem EuGH nicht einleuchten, warum Arbeitnehmer in Deutschland lediglich bei der öffentlichen Auftragsvergabe, nicht aber bei der privaten Auftragsvergabe besonders schutzwürdig sein sollten. Die Entscheidung des EuGH zur Unvereinbarkeit einer Tariftreueklausel mit dem EU-Vergaberecht mag nicht zwingend sein. Sie belegt jedenfalls die Verdichtung der primär- und sekundärrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts im Bereich der Auftragsvergabe. Der mitgliedstaatliche Gesetzgeber hat bei der Durchsetzung staatlicher Steuerungsziele grundsätzlich die vom Binnenmarktgesetzgeber vorgegebenen Handlungsoptionen zu beachten. Dagegen steht die Entscheidung des EuGH einer Öffnung des EU-Vergaberechts für Tariftreueklauseln durch den Binnenmarktgesetzgeber gerade nicht entgegen. Ebenso ist der nationale Gesetzgeber schon jetzt nicht daran gehindert, Arbeitnehmer generell tarifrechtlich abzusichern, soweit dies im Rahmen des Entsenderechts erfolgt.

96 EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus) Slg. 2002, I-7213, Rn. 59 ff., hierzu 3. Kapitel, E. II. 2. 97 EuGH, Rs. C-346/06 (Rüffert) ZESAR 2007, 300, vgl. zum Folgenden 3. Kapitel, E. II. 3.

E. Gesundheitswesen zwischen Regulierung und Binnenmarktrecht

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E. Das Gesundheitswesen zwischen sozialrechtlicher Regulierung und Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht I. Die Gesundheitsmärkte im europäischen Mehrebenensystem Auch das öffentliche Gesundheitswesen ist mittlerweile integraler Bestandteil der verbandsübergreifenden Strukturen europäischer gewaltengegliederter Rechtserzeugung. Dies zeigt sich exemplarisch am Verhältnis von sozialrechtlicher Regulierung nach dem SGB V und dem Wettbewerbs- und Binnenmarktrecht.98 Auf der mitgliedstaatlichen Ebene ist seit geraumer Zeit ein schrittweiser Prozess der Umstellung des SGB V auf neue Formen der sektoralen Markt- und Wettbewerbsregulierung feststellbar, der sowohl die Märkte für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen, als auch die Märkte der Erbringung von Gesundheitsleistungen erfasst. Neben eher zentralistischen Formen der Regulierung, etwa durch Festbeträge, gewinnen neuerdings auch dezentrale Formen der Vertragssteuerung an Bedeutung, bei denen die Krankenkassen Preis- und Leistungsbedingungen mit einzelnen Leistungserbringern aushandeln können.99 Neben dem staatlichen Gesundheitsgesetzgeber wirkt jedoch auch die Union immer stärker auf die EUGesundheitssysteme ein. Die Einwirkungen erstrecken sich – allgemeinen Mustern folgend – von der politischen Koordinierung, über die gerichtlich-administrative Durchsetzung der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts, bis hin zur Binnenmarktharmonisierung, Durchführungsrechtsetzung und den homogenisierenden Wirkungen des koordinierten Verwaltungsvollzugs.100

II. Die Anwendbarkeit der Warenverkehrsund Dienstleistungsfreiheit auf die Märkte des öffentlichen Gesundheitswesens In der rechtswissenschaftlichen Diskussion um die Europäisierung des Gesundheitswesens stand zunächst die Frage der Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die Krankenversicherungs- und Gesundheitsversorgungsmonopole der Mitgliedstaaten im Vordergrund.101 Anders als z. B. in den Netzwirtschaften hat der EuGH die Binnenmarktintegration des öffentlichen Gesundheitswesens allerdings primär über die Grundfreiheiten vorangetrieben. Nach der Rechtsprechung des EuGH fallen sowohl die gesetzlichen Sozialversicherungsmonopole auf den Märkten für gesetzliche Krankenversicherungsleistungen, als auch die Märkte für Gesundheitsversorgungsleistungen in den Anwendungsbereich der Warenver98

Vgl. zum Folgenden 4. Kapitel, A. I. und II. Vgl. 4. Kapitel, B. I. und II. 100 Vgl. 1. Kapitel, C. III. sowie 4. Kapitel, A. II. und C. I. bis V. 101 Vgl. 4. Kapitel, A. II. 99

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

kehrsfreiheit bzw. der Dienstleistungsfreiheit.102 Speziell auf den Gesundheitsversorgungsmärkten greift seit den Grundsatzentscheidungen des EuGH in den Rs. Kohll und Decker neben der aktiven auch die passive Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit.103 In diesen Grundsatzentscheidungen des EuGH tritt die allgemeine Tendenz zum Ausbau der Grundfreiheiten zu einem umfassenden System nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch sozialer Unionsbürgerrechte paradigmatisch zu Tage.104 Grundsätzlich haben mittlerweile alle nach nationalem Recht leistungsberechtigten Unionsbürger auch in allen anderen Mitgliedstaaten einen Anspruch auf Zugang zu den Leistungen der dortigen Gesundheitssysteme unter Kostenerstattung durch die Sozialversicherungsträger des Versicherungsstaates. Auf diese Weise hat der EuGH die ursprünglich als transnationale Marktzugangsfreiheiten konzipierten Grundfreiheiten zu einer neuen Kategorie binnenmarktfunktionaler sozialer Teilhaberrechte weiterentwickelt.105

III. Spielräume für die mitgliedstaatliche Regulierung auf der Rechtfertigungsebene Auf der Rechtfertigungsebene der Grundfreiheiten trägt der EuGH der besonderen Allgemeinwohlbindung des Gesundheitswesens durch seine Rechtsprechung zu den „zwingenden Erfordernissen“ Rechnung. So können die Gewährleistung der finanziellen Stabilität der sozialen Sicherungssysteme der Mitgliedstaaten und das Erfordernis der Gewährleistung einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung Beschränkungen des freien Marktzugangs im Binnenmarkt rechtfertigen. Die vergleichsweise extensive Auslegung der Rechtfertigungsgründe der Grundfreiheiten hat zur Folge, dass die gesetzlichen Krankenversicherungsmonopole der Mitgliedstaaten nach wie vor mit dem Unionsrecht vereinbar sind, wenn und soweit deren Fortbestand zur Gewährleistung der finanziellen Stabilität der nationalen Systeme sozialer Sicherheit erforderlich ist.106 Auch im Bereich des Leistungserbringungsrechts folgt der EuGH auf der Rechtfertigungsebene einer differenzierten Linie. Einerseits sind Beschränkungen der grenzüberschreitenden ambulanten Versorgung z. B. durch besondere Ge-

102 EuGH Rs. C-350/07 (Kattner) NJW 2009, 1325; EuGH Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831. Vgl. 4. Kapitel, C. III. 1. bis 3. und C. IV. 1. und 2. 103 EuGH Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831. Vgl. oben 4. Kapitel, C. IV. 2. 104 Vgl. 1. Kapitel, C. III. 3. d). 105 Vgl. 1. Kapitel, C. III. 3. d) und 4. Kapitel, C. V. 2. 106 Vgl. 4. Kapitel, C. III. 4.

E. Gesundheitswesen zwischen Regulierung und Binnenmarktrecht

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nehmigungspflichten grundsätzlich unzulässig, da nach Auffassung des EuGH hier keine Gefahren für die finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung erkennbar sind. Andererseits trägt der EuGH im Bereich der stationären Versorgung dem Erfordernis einer langfristigen nationalen bzw. regionalen Krankenhausplanung Rechnung. Beschränkungen grenzüberschreitender Patientenrechte in Form von Genehmigungspflichten sind daher grundsätzlich gerechtfertigt, soweit das Genehmigungsverfahren dem Beschleunigungsprinzip gerecht wird und die Genehmigung nach Maßgabe diskriminierungsfreier, transparenter, ex ante feststehender Kriterien erfolgt, die sich an internationalen Standards orientieren.107

IV. Binnenmarktharmonisierung des Sozialversicherungs- und Leistungserbringungsrechts Im öffentlichen Gesundheitswesen treten die im ersten und zweiten Kapitel beschriebenen Zusammenhänge zwischen der gerichtlichen Kontrolle der Grundfreiheiten durch den EuGH und der Binnenmarktharmonisierung durch den Unionsgesetzgeber in besonderer Deutlichkeit zu Tage.108 So lässt die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf die gesetzlichen Krankenversicherungsträger der Mitgliedstaaten zwar aus subjektiv-rechtlicher Sicht die Sozialversicherungspflicht und damit den Bestand dieser Systeme unberührt. Andererseits eröffnet der EuGH jedoch mit seiner Entscheidung zur Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf diese Systeme notwendig auch den Anwendungsbereich der Harmonisierungskompetenzen des Unionsgesetzgebers aus Art. 294 AEU. Damit kann der Unionsgesetzgeber Maßnahmen der Rechtsangleichung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungsmärkte nicht mehr allein auf die Zuständigkeiten aus der Sozialpolitik, sondern auch auf die Binnenmarktkompetenzen stützen, wenn und soweit die Maßnahme gerade auch zur Förderung der Binnenmarktziele dient.109 Auch im Bereich der nachgelagerten Gesundheitsversorgungsmärkte ist der Unionsgesetzgeber nicht mehr allein auf seine Kompetenzen zur Sozialrechtskoordinierung (Art. 48 AEU) beschränkt, die allein die begrenzte grenzüberschreitende Leistungsaushilfe zu den Kostensätzen des Leistungserbringungsstaats regeln.110 Vielmehr eröffnet die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der passiven Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auf Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung auch den Anwendungsbereich der 107 108 109 110

Vgl. 4. Kapitel, C. IV. 3. Vgl. 1. Kapitel, C. III. 3. e) und 2. Kapitel, B. III. Vgl. 4. Kapitel, C. III. 5. Vgl. 4. Kapitel, C. IV. 4. a).

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

korrespondierenden Binnenmarktkompetenzen aus Art. 114, 62, 53 Abs. 1 AEU.111 Damit kann der Binnenmarktgesetzgeber nunmehr auch weitergehende Maßnahmen zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zu den Kostensätzen des Versicherungsstaates treffen. Mittlerweile liegt denn auch der Entwurf einer Richtlinie über Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vor, der an die einschlägige Rechtsprechung des EuGH anknüpft, andererseits aber z. B. bei grenzüberschreitenden Referenznetzen, deutlich über diese hinausgeht. Im Falle ihrer Verabschiedung wird die Patientenrichtlinie in eine weitgehende Harmonisierung des Leistungserbringungsrechts der Mitgliedstaaten einmünden und zur Herausbildung Europäischer Verwaltungsverbundstrukturen in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung führen.112

V. Insbesondere: Kompetenz zur vergaberechtlichen Harmonisierung des Vertragswettbewerbs Die neben der künftigen Patientenrichtlinie wohl bedeutsamste und zugleich bereits realisierte sekundärrechtliche Harmonisierung des Leistungserbringungsrechts ergibt sich allerdings aus der grundsätzlichen Anwendbarkeit des europäischen Vergaberechts auf die Vertragssteuerung in der GKV.113 Die grundsätzliche Einbeziehung des Leistungserbringungsrechts des SGB V in den Anwendungsbereich des harmonisierten europäischen Vergabeverfahrens ist Ausdruck und Folge eines Coevolutionsprozesses von Unionsrecht und einzelstaatlichem Recht, wie er für das europäische Verwaltungsrecht generell nicht untypisch ist. Einerseits folgt schon aus den Grundsatzentscheidungen des EuGH zur Einbeziehung des Leistungserbringungsrechts des SGB V in den Anwendungsbereich der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit in den Rs. Duphar, Kohll und Decker, dass der Binnenmarktgesetzgeber auch das Gesundheitswesen in den Anwendungsbereich des Vergaberechts einbeziehen kann.114 Andererseits hat der staatliche Gesundheitsgesetzgeber mittlerweile im Leistungserbringungsrecht des SGB V neue Formen der individualvertraglichen Steuerung (z. B. Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung, die besondere stationäre Versorgung oder Arzneimittelrabattverträge) eingeführt, die ihrer Art nach grundsätzlich in den An111

Vgl. 4. Kapitel, C. IV. 4. b) bis d). In diesem Sinne nun ausdrücklich EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427. Vgl. 4. Kapitel, C. IV. 4. d). 113 Vgl. zum Folgenden 4. Kapitel, C. IV. 4. c). 114 EuGH, Rs. 238/82 (Duphar) Slg. 1984, 523 ff.; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll) Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker) Slg. 1998, I-1831. Vgl. oben 4. Kapitel, C. IV. 2. 112

E. Gesundheitswesen zwischen Regulierung und Binnenmarktrecht

513

wendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen können, wenn und soweit deren Voraussetzungen erfüllt sind. Unabhängig von der an späterer Stelle zu diskutierenden Frage, ob der persönliche und sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts im Einzelfall eröffnet ist, liegt die Anwendung des Vergaberechts damit jedenfalls im Grundsatz in der Konsequenz der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten im Gesundheitswesen bei gleichzeitiger Umstellung des staatlichen Sozialrechts auf zumindest „auftragsähnliche“ Steuerungsformen.115

VI. Die Gesundheitsmärkte im System des EU-Wettbewerbs- und Beihilferechts Während im Gesundheitswesen das aufgabenteilige Zusammenwirken von EuGH und Binnenmarktgesetzgeber bei der – begrenzten – Marktöffnung und Binnenmarktharmonisierung besonders deutlich zu Tage tritt, verfolgte der EuGH in Bezug auf die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die Versicherungs- und Versorgungsstrukturen des öffentlichen Gesundheitswesens eine eher zurückhaltende Linie.116 Im Bereich der Märkte für Krankenversicherungsdienstleistungen fallen nach der Rechtsprechung des EuGH zwar neben privaten Krankenversicherungen auch bestimmte ergänzende freiwillige oder betriebliche Sozialversicherungssysteme in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts, soweit sie grundsätzlich nach Art einer Privatversicherung organisiert sind. Dagegen nimmt der EuGH jedenfalls den Kernbereich solidarisch finanzierter, gesetzlich weitgehend determinierter gesetzlicher Krankenversicherungssysteme vom Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts schon tatbestandlich aus.117 Ähnliche Tendenzen zeigen sich auch auf den nachgelagerten Gesundheitsversorgungsmärkten. Zwar fallen die Märkte für Gesundheitsdienstleistungen – einschließlich der Vertragsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern – grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts, soweit aus funktionaler Sicht eine unternehmerische Tätigkeit vorliegt.118 Zugleich nimmt der EuGH jedoch spezifisch hoheitliche Tätigkeiten der gesetzlichen Krankenkassen, z. B. bei der Festbetragsfestsetzung nach § 35 SGB V – anknüp-

115 In diesem Sinne EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427 sowie im Einzelnen 5. Kapitel, A. und B. 116 Vgl. zum Folgenden 4. Kapitel, D. I. und II. 117 EuGH, verb. Rs. C-159/91 u. C-160/91 (Poucet u. Pistre) Slg. I-637; EuGH, Rs. C-244/94 (Fédération française) Slg. 1995, 4013; EuGH, C-67/96 (Albany) Slg. 1999, I-5751. Vgl. 4. Kapitel, D. I. 1. 118 Vgl. 4. Kapitel, D. II. 1.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

fend an die allgemeinen Grundsätze zur hoheitlich-kooperativen Marktregulierung – von der Anwendung des Wettbewerbsrechts aus.119 Die Nichtanwendung des Wettbewerbsrechts, sowohl auf solidarisch organisierte Sozialversicherungssysteme, als auch auf die hoheitlich-kooperative Festbetragsregulierung ist im Schrifttum zwar überwiegend auf Kritik gestoßen. Sie findet ihre Rechtfertigung jedoch schon in der notwendig hoheitlichen, nicht unternehmerischen Art dieser Tätigkeiten. Des Weiteren sprechen jedoch auch Gewaltengliederungsgesichtspunkte gegen eine allzu dominierende Stellung der Kommission als europäischer Exekutive in den Kernbereichen sozialer Sicherheit.120 In diesem Sinne verstanden, kann die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts im Gesundheitssektor auch als Versuch zur Rejustierung des Gewaltengleichgewichts zwischen den Unionsorganen gedeutet werden. Aus verwaltungsrechtlicher Sicht entspricht die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung des Wettbewerbsrechts den bereits im 1. Kapitel diskutierten Grundsätzen zur Nichtanwendung des Wettbewerbsrechts auf Kernbereiche hoheitlicher Tätigkeiten im Bereich der Leistungs- und Eingriffsverwaltung und auf die hoheitlich-kooperative Regulierung.121

F. Das Gesundheitsvergaberecht Die derzeit wohl wichtigste Tendenz im Prozess der sekundärrechtlichen Überformung des öffentlichen Gesundheitswesens liegt im Vordringen des Vergaberechts im Leistungserbringungsrecht des SGB V.122 Die Frage nach der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf den Vertragswettbewerb war lange schon im Grundsatz umstritten.123 Mittlerweile hat sich die Rechtslage allerdings in wesentlichen Punkten geändert.124

I. Das Gesundheitsvergaberecht als Herausforderung für die Rechtswissenschaft Impulse für die Weiterentwicklung des vergaberechtlichen Ordnungsrahmes des SGB V sind zunächst vom staatlichen Gesundheitsgesetzgeber ausgegan119 EuGH, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. C-355/01 (AOK-Bundesverband) Slg. 2004, I-2493. Vgl. 4. Kapitel, D. II. 2. 120 Vgl. 4. Kapitel, D. I. 3. und 4. 121 Vgl. 1. Kapitel, C. IV. 3. 122 Vgl. 5. Kapitel, A. I. bis III. 123 Vgl. 5. Kapitel, A. IV. 1. 124 EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427.

F. Das Gesundheitsvergaberecht

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gen.125 Durch den im GKV-OrgWG neu eingeführten Rechtsgrundverweis in § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die §§ 97 ff. GWB auch auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V Anwendung finden, soweit die vergaberechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Damit hat sich die Frage der Anwendung des Vergaberechts auf das Leistungserbringungsrecht des SGB V vom Binnensystem des SGB V auf die unionsrechtskonforme Auslegung der §§ 97 ff. GWB verlagert. Der Sozialgesetzgeber sieht allerdings nach wie vor Begrenzungen der Anwendung des Vergaberechts im Leistungserbringungsrecht des SGB V vor. Nach § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V fallen Verträge, zu deren Abschluss die Krankenkassen verpflichtet sind und für die eine Schiedstellenregelung besteht, nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts. Nach § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V soll bei der Anwendung des Vergaberechts zudem der besondere Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen berücksichtigt werden. Die Bestimmungen des § 69 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V sind allerdings ebenfalls unionsrechtskonform auszulegen. Eine Beschränkung der Anwendung der §§ 97 ff. GWB ist daher nur zulässig, wenn und soweit dies mit den Vorgaben der EU Vergaberichtlinie vereinbar ist. Auf der Rechtschutzebene hat der Gesetzgeber auch für Versorgungsverträge nach dem SGB V die Zuständigkeit der Vergabekammern eröffnet. Der gerichtliche Rechtsweg ist dagegen abweichend vom Regelfall nicht den Zivilgerichten, sondern den Sozialgerichten zugewiesen worden.126 Die Entscheidungen des Gesetzgebers lassen allerdings die Grundsatzfrage nach der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Vertragssteuerung in der GKV letztlich offen, da nach wie vor zu klären ist, ob die vergaberechtlichen Voraussetzungen für eine Anwendung der §§ 97 ff. GWB überhaupt vorliegen. Diese Frage war im Schrifttum bis in die jüngere Zeit stark umstritten. Die Auffassungen reichten von einer weitgehenden Unanwendbarkeit des Vergaberechts auf die Vertragssteuerung in der GKV, über eine Differenzierung zwischen vergaberechtlich relevanten „Einkaufsverträgen“ und vergaberechtlich neutralen „Zulassungsverträgen“, bis hin zur Annahme einer grundsätzlichen Anwendbarkeit des Vergaberechts auf alle Formen des Vertragswettbewerbs in der GKV.127 In diesem Zusammenhang kommt der Entscheidung des EuGH in der Rs. Oymanns über die Anwendung der Vergaberichtlinie 2004/18/EG auf Verträge über die Integrierte Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V entscheidende Bedeutung zu. Demnach sind gesetzliche Krankenkassen Auftraggeber kraft öffentlicher Finanzierung. Zugleich fallen Integrierte Versorgungsverträge als Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG auch dann in den sachlichen Anwen125 126 127

Vgl. 5. Kapitel, A. IV. 2. und F. IV. 3. Vgl. 5. Kapitel, F. I. bis IV. Vgl. 5. Kapitel, A. IV. 1.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

dungsbereich der Vergaberichtlinien, wenn diese Verträge nicht auf klassischen Leistungseinkauf gerichtet sind, sondern lediglich die Zulassung zur Versorgung regeln.128 Im Lichte dieser Entscheidung des EuGH fällt nunmehr jedenfalls in der Praxis der ganz überwiegende Teil der neuen individualvertraglichen Steuerungsformen des SGB V in den Anwendungsbereich des strengen Verfahrens- und Rechtschutzregimes des Vergaberechts. Damit ist die neue, stark unionsrechtlich geprägte Materie des Gesundheitsvergaberechts entstanden, die sich nicht mehr jenseits, sondern grundsätzlich innerhalb des Rahmens des EU- und GWB-Vergaberechts entfaltet.129 Trotz der mittlerweile eingetreten Veränderungen besteht im Gesundheitsvergaberecht nach wie vor ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit. So ist die Entscheidung des EuGH in der Rs. C-300/07 ist in Bezug auf die Auftraggebereigenschaft der gesetzlichen Krankenkassen in Folge der Veränderung der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen durch die Einführung eines Gesundheitsfonds jedenfalls in der Begründung bereits wieder überholt. Die größeren Herausforderungen ergeben sich allerdings mit Blick auf die sachliche Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die teils individuellen, teils kollektiven, teils selektiven und teils nichtselektiven Formen der Vertragssteuerung im Leistungserbringungsrecht des SGB V.130 Um die damit bestehenden Herausforderungen zu bewältigen ist ein hinreichendes Maß an Klarheit über deren Ursachen erforderlich. Mit dem EU- und GWB-Vergaberecht und dem SGB V treffen zwei Rechtsmaterien zusammen, die lange abgeschottet waren und zudem durch unterschiedliche normative Ziele, Leitbilder und dogmatische Traditionen geprägt sind. Die Vertragstypologie der Vergaberichtlinie ist ursprünglich für Konstellationen in austauschvertraglichen Zweipersonenverhältnissen (insbesondere Bauaufträge) entwickelt worden, was eine differenzierte Einordnung der vielfältigen abweichenden, typischerweise auf die Steuerung von Mehrpersonenbeziehungen (Krankenkassen, Leistungserbringer, gesetzlich Versicherter) gerichteten Vertragsformen des SGB V in der Systematik des Vergaberechts erheblich erschwert.131 Um die vergaberechtsuntypischen vertraglichen Steuerungsinstrumente des SGB V rechtssicher in den Vergaberichtlinien zu verorten, führt es letztlich nur wenig weiter, die begrenzte Vertragstypologie der RL 2004/18/EG mit zum Teil gewagten Konstruktionen überzustrapazieren. Vielmehr steht am Anfang einer Lösung der Befund, dass die auf andere Fälle hin konzipierte Begriffswelt der 128 129 130 131

EuGH, Rs. C-300/07 (Oymanns) NJW 2009, 2427. Vgl. 5. Kapitel, A. I. und IV. 2. Vgl. 5. Kapitel, A. IV. 3. Vgl. 5. Kapitel, A. IV. 4.

F. Das Gesundheitsvergaberecht

517

Vergaberichtlinien auf die „drittbezogene“ Vertragssteuerung im Gesundheitswesen an sich nicht zugeschnitten ist.

II. Das Gesundheitsvergaberecht als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts 1. Das Gesundheitsvergaberecht als Ordnungsaufgabe an die Wissenschaft vom europäischen Verwaltungsrecht Aufbauend auf diesen Ausgangsbefund stellt sich die Frage nach einem adäquaten dogmatischen Bezugsrahmen für die Bewältigung der im Gesundheitsvergaberecht zu Tage tretenden Ordnungsaufgaben. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion wird das Gesundheitsvergaberecht bisher in erster Linie als Konkurrenzproblem an den Schnittstellen von staatlichem Sozialrecht und GWB-Vergaberecht erfasst. In einer zweiten Folie wird sodann gegebenenfalls auf die EUVergaberichtlinie Bezug genommen, wenn und soweit deren Heranziehung zur Bewältigung von Kollisionsproblemen im System des staatlichen Rechts als geboten erscheint. Erst in dritter Linie wird schließlich auch ergänzend auf das Primärvergaberecht Bezug genommen, namentlich, wenn es um bestimmte Basisanforderungen an die öffentliche Auftragsvergabe jenseits des Anwendungsbereichs der Vergaberichtlinie bzw. des GWB-Vergaberechts geht.132 Diese gängige Perspektive ist zunächst durchaus folgerichtig, da das EU-Vergaberecht mit den §§ 97 ff. GWB in nationales Recht transformiert wurde, sodass eine unmittelbare innerstaatliche Anwendung des Richtlinienrechts grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt. Allerdings sollte die Tatsache, dass die Vorgaben der EU-Vergaberichtlinie in nationales Recht übersetzt wurden, nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich beim GWB-Vergaberecht um national transformiertes Unionsrecht handelt. Gerade in Zweifelsfällen, wie regelhaft im Gesundheitswesen, kann der Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts daher von vornherein nur im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung bestimmt werden. Im formalen Gewande eines Konkurrenzproblems innerhalb des Systems des staatlichen deutschen Rechts entfalten damit die Harmonisierungsvorgaben des europäischen Verwaltungsrechts ihre materiell-rechtliche Wirkung.133 Das Gesundheitsvergaberecht verweist als Referenzgebiet des europäischen Verwaltungsrechts denn auch weder allein noch in erster Linie auf ein Konkurrenzproblem innerhalb des Systems des deutschen staatlichen Rechts, sondern vielmehr auf ein rechtswissenschaftliches Ordnungsproblem, das originär im System des europäischen Verwaltungsrechts wurzelt und daher auch aus dessen Ordnungszusammenhängen heraus zu bewältigen ist. Hierzu ist in einem ersten 132 133

Vgl. 5. Kapitel, B. I. Vgl. 5. Kapitel, B. II.

518

8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

Schritt eine konsequente Rückbeziehung der Problematik des Gesundheitsvergaberechts auf den primärrechtlichen normativen Bezugsrahmen der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit erforderlich, die gerade das Vergaberecht in besonderer Weise prägen. Aus dieser Perspektive erweisen sich die neuen vertraglichen Steuerungsinstrumente als durchaus ambivalent, da die Krankenkassen ihre vertraglichen Spielräume nutzen können, um den Marktzugang im Binnenmarkt zu beschränken. Diese Gefahr vergrößert sich noch, da die Krankenkassen über eine marktbeherrschende Stellung verfügen. Die Gefahr gerade von vertraglichen Marktzugangsschranken wächst in jenem Maße, in dem der Gesetzgeber die individualvertraglichen Verhandlungsspielräume der Krankenkassen erweitert. Zugleich handelt es sich beim Vergaberecht um jene Materie des europäischen besonderen Verwaltungsrechts, die spezifisch darauf zugeschnitten ist, gerade den Gefahren vorzubeugen, die sich dem Markteintritt der öffentlichen Hand als Nachfrager aufgrund von Austauschverträgen ergeben. Damit erweist sich die Entscheidung des EuGH in der Rs. Oymanns im Lichte des Primärrechts zunächst als grundsätzlich konsequent.134 2. Zum Erfordernis der Angrenzung von hoheitlich-kooperativer Regulierung und vergabevertraglicher Steuerung Allerdings ist auch im Gesundheitsvergaberecht eine Überdehnung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts gerade auch in Abgrenzung zu anderen spezielleren sekundärrechtlichen Materien des europäischen Verwaltungsrechts zu vermeiden. Hierzu kann auf die im 3. Kapitel entwickelten allgemeinen Kriterien zur Verortung des Vergaberechts im System des europäischen besonderen Verwaltungsrechts zurückgegriffen werden.135 Als maßgebliches Kriterium im Gesundheitsvergaberecht erweist sich dabei aus funktionaler Sicht das Vorliegen oder Nichtvorliegen von vertragstypischen Verhandlungsspielräumen der gesetzlichen Krankenkassen, die diese in die Lage versetzten, den Marktzugang im Binnenmarkt individualvertraglich zu beschränken. Eine Anwendung des Vergaberechts scheidet daher nach wie vor bei hoheitlichen Zulassungsentscheidungen durch Verwaltungsakt (z. B. Vertragsarztzulassung) und bei der hoheitlich-kooperativen Regulierung z. B. durch Normsetzungsverträge aus, wenn und soweit hier die staatliche Letztverantwortung für die Entscheidung gewahrt bleibt. Dagegen kommt eine Anwendung des Vergaberechts immer dann in Betracht, wenn die Krankenkassen in Hinblick auf Parteien und Inhalt eines Versorgungsvertrags über hinreichende autonome Gestaltungsspielräume verfügen, die zu Marktzugangsbeschränkungen führen können. Dies 134 135

Vgl. 5. Kapitel, A. III. und B. II. Vgl. 3. Kapitel, C. III. und 5. Kapitel, C. I.

F. Das Gesundheitsvergaberecht

519

ist typischerweise bei den neu eingeführten Formen des individualvertraglichen Vertragswettbewerbs in der GKV (z. B. Integrierte Versorgungsverträge, Arzneimittelrabattverträge, Hilfsmittelverträge) der Fall.136 Zwischen beiden Konstellationen besteht allerdings eine Vielzahl von Übergangsformen. So muss z. B. die Tatsache, dass die Krankenkassen zu einem Vertragschluss gesetzlich verpflichtet sind und zugleich eine Schiedstellenregelung besteht – entgegen § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V – nicht notwendig zur Unanwendbarkeit des Vergaberechts führen. Vielmehr ist z. B. bei Kollektivverträgen mit privaten Hausarztverbänden nach § 73b SGB im Einzelnen zu prüfen, ob durch die gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf Kontrahierungszwang und Schiedsstellen die staatliche Letztverantwortung noch in einer Weise gewahrt ist, die es gerechtfertigt erscheinen lässt, diese Regelungsformen als vergaberechtlich neutrale Formen der hoheitlich-kooperativen Regulierung zu qualifizieren.137 Umgekehrt muss bei funktionaler Betrachtung jedoch auch nicht jeder „neue“ selektive Individualvertrag nach dem SGB V notwendig in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen, soweit die Krankenkassen nur in Hinblick auf den Vertragspartner, nicht aber in Hinblick auf die Vertragsbedingungen über Verhandlungsspielräume verfügen, wie z. B. bei Verträgen über besondere Versorgungsformen nach § 116b SGB V. In derartigen Grenzfällen ist damit stets eine konkrete Einzelfallprüfung geboten.138 Soweit der Anwendungsbereich der RL 2004/18/EG nach diesen Maßstäben eröffnet ist, ist § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V seinerseits restriktiv auszulegen, um Verstöße gegen das Unionsrecht zu vermeiden. Anstelle der Ausnahmeregelung des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V greift in diesen Fällen der Grundsatz der § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB V, mit der Folge, dass die §§ 97 ff. GWB anwendbar sind.139 3. Grundsätze der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf Einkaufs- und Zulassungsverträge nach dem SGB V Soweit eine Anwendung des Vergaberechts nach den o. g. Grundsätzen in Betracht kommt, kommt es hinsichtlich der Anwendbarkeit des Verfahrens- und Rechtschutzregimes des Vergaberechts in der Regel nicht auf den konkreten Vertragsgegenstand der Vereinbarung an. Grundsätzlich unbeachtlich ist insbesondere, ob die Krankenkassen ein fest definiertes Leistungskontingent einkaufen (sog. „Einkaufverträge“ z. B. über bestimmte Hilfsmittelkontingente) oder ob sie lediglich die Rahmenbedingungen der Zulassung zur Versorgung der gesetzlich Versicherten regeln, denen nach wie vor ein Wahlrecht zusteht (sog. Zulassungs136 137 138 139

Vgl. 5. Kapitel, C. III. Vgl. 5. Kapitel, C. III und 7. Kapitel, D. I. Vgl. 5. Kapitel, D. I. und II. Vgl. 5. Kapitel, F. IV. 3.

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

verträge“). Vielmehr handelt es sich bei „Einkaufsverträgen“ regelhaft entweder um Liefer- oder Dienstleistungsverträge i. S. d. Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG, während es sich bei „Zulassungsverträgen“ bei funktionaler Betrachtung regelmäßig um Rahmenvereinbarungen i. S. d. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG handelt. In beiden Fällen ist das Vergabeverfahren nach Maßgabe der RL grundsätzlich anwendbar.140 Allerdings bereitet die rechtssichere vergaberechtliche Verortung von Zulassungsverträgen in der Vertragstypologie des Vergaberechts wegen ihrer vergaberechtsuntypischen Steuerungsfunktion in sozialrechtlichen Mehrecksbeziehungen einige Schwierigkeiten. Im Gegensatz zu klassischen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen sind Zulassungsverträge gerade nicht auf Leistungseinkauf gegen Festentgelt, sondern lediglich auf die Gewähr eines privilegierten Zugangs zur Leistungserbringung gerichtet, wobei den Versicherten typischerweise ein Wahlrecht zwischen mehreren Anbietern verbleibt. Wegen ihrer lediglich auf Zulassung gerichteten Funktion besteht aber auch ein gewisses Näheverhältnis zu Dienstleistungskonzessionen, die nicht in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie fallen. Anders als klassische Dienstleistungskonzessionen sind Zulassungsverträge jedoch gerade nicht auf die Regulierung des Zugangs zu privaten Märkten beschränkt, sondern gewähren den Zugang zu einem öffentlich finanzierten System und zur Erstattung durch die gesetzlichen Krankenversicherungsträger.141 Am relativ nächsten stehen Zulassungsverträge letztlich Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG. Ebenso wie Rahmenvereinbarungen regeln Zulassungsverträge lediglich die Preis- und Leistungsbedingungen für eine spätere Einzelauftragsvergabe, die ihrerseits zu Erstattungsansprüchen gegen die Krankenkassenträger als öffentlichen Auftraggebern führt. Allerdings regeln Zulassungsverträge im Gegensatz zu klassischen Rahmenvereinbarungen gerade nicht die Einzelauftragsvergabe durch die gesetzlichen Krankenkassenträger, sondern lediglich die Rahmenbedingungen für die Leistungsinanspruchnahme durch die gesetzlich Versicherten, die den Krankenkassenträgern jedenfalls bei Bestehen eines Versichertenwahlrechts nicht ohne Weiteres zugerechnet werden kann.142 Trotz dieser Differenz erscheint eine Anwendung der Bestimmungen des Vergaberechts auch in diesen Fällen aus binnenmarktfunktionaler Sicht als geboten, da Zulassungsverträge den freien Marktzugang im Binnenmarkt in gleicher Weise beschränken, wie „klassische“ Rahmenvereinbarungen i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG. Auch wenn die Qualifizierung von Zulassungsverträgen als Rahmenvereinbarungen damit grundsätzlich als folgerichtig erscheint, bleibt gleichwohl der Befund, dass die Bestimmungen des Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18 EG auf derartige 140 141 142

Vgl. 5. Kapitel, D. I. und II. Vgl. 5. Kapitel, D. II. 3. a) und b). Vgl. 5. Kapitel, D. II. 3. b) cc).

F. Das Gesundheitsvergaberecht

521

Vertragsformen ursprünglich nicht zugeschnitten waren. Zugleich führt kein Weg an dem Befund vorbei, dass es bei Zulassungsverträgen an einem öffentlichen Einzelauftrag fehlt, den Art. 1 Abs. 5 jedoch ausdrücklich fordert.143 Angesichts dieser rechtlichen Ausgangslage ist es unzureichend, wenn der EuGH in seiner Entscheidung in der Rs. Oymanns an der eigentlichen Problemlage „vorbeisubsumiert“, indem er das Tatbestandsmerkmal des „öffentlichen Auftrags“ übergeht. Vielmehr ist das bestehende „Lückenproblem“ in der RL 2004/18/EG zunächst als solches transparent zu machen und dann unter Rückgriff auf die allgemeinen Regeln der rechtswissenschaftlichen Dogmatik in Angriff zu nehmen. Im Bereich selektiver Zulassungsverträge liegt letztlich eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage vor. Der Unionsgesetzgeber konnte zum Zeitpunkt der Verabschiedung der RL 2004/18/EG das Problem selektiver Zulassungsverträge noch nicht in seiner heutigen Form vor Augen haben. Gleichwohl treten auch hier vergleichbare Marktzugangsprobleme zu Tage treten, wie auch sonst bei Rahmenvereinbarungen. Daher ist Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG im Wege der erweiternden Auslegung auch auf Zulassungsverträge anwendbar, wenn die übrigen Voraussetzungen der RL vorliegen. Um das Problem des „Fehlens“ von öffentlichen Einzelaufträgen dogmatisch zu bewältigen, ohne den Richtlinienwortlaut zu ignorieren, erscheint es am gangbarsten, Einzelverträge zwischen Versicherten bzw. Intermediären und Leistungserbringern funktional einem öffentlichen Auftrag i. S. v. Art. 1 Abs. 5 RL gleichzustellen. 144 4. Gestaltungsspielräume des Gesundheitsgesetzgebers Gerade im Leistungserbringungsrecht des SGB V bestehen trotz der regelhaften Anwendung der RL 2004/18/EG auf individual-vertragliche Regelungsformen sowohl für den rahmenregulierenden Gesetzgeber, als auch für die gesetzlichen Krankenkassen durchaus Spielräume für eine an gesundheitspolitischen Zielen orientierte Steuerung. Hinsichtlich der Möglichkeit der Berücksichtigung gesundheitspolitischer Systemziele im Bereich der Vertragssteuerung im öffentlichen Gesundheitswesen sind allerdings generalisierende Aussagen nicht möglich. Vielmehr muss jeweils maßgeblich auf den Zweck und den Gegenstand des einzelnen Vertrags, sowie auf die jeweils berührte Grundfreiheit abgestellt werden. Gleichwohl lassen sich im Rahmen einer typisierenden Betrachtung einige allgemeine Eck- und Orientierungspunkte formulieren, die dann im Lichte der noch im Einzelnen zu diskutierenden Typen von Versorgungsverträgen weiter zu präzisieren sind.145 Hierbei kann an die mittlerweile vom EuGH entwickelten allge143 144 145

Vgl. 5. Kapitel, D. II. 3. b) dd). Vgl. 5. Kapitel, D. II. 3. b) ee). Vgl. zum Folgenden 5. Kapitel, G. I. bis IV.

522

8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

meinen Grundsätze zur Berücksichtigung „vergabefremder“ Zwecke bei öffentlichen Ausschreibungen angeknüpft werden. So können Ziele im Sinne des 1. Erwägungsgrunds der Richtlinien, aber auch anderen vom EuGH anerkannte Allgemeinwohlziele als Zuschlagskriterien herangezogen werden, wenn diese Kriterien (1) mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen, (2) dem Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit eingeräumt wird (Spezifikation), (3) im Leistungsverzeichnis ausdrücklich genannt sind und (4) insbesondere das Diskriminierungsgebot gewahrt bleibt.146 Zu Orientierungszwecken kann weitergehend an die Entscheidung des EuGH zu Arzneimittelversorgungsverträgen in der stationären Versorgung in der Rs. C141/07 angeknüpft werden.147 Im Licht dieser Entscheidung verfügt der Gesundheitsgesetzgeber nach wie vor über sehr weite Spielräume, den Gegenstand von Versorgungsverträgen gesetzlich nach Maßgabe gesundheitspolitischer Ziele auszugestalten. Zulässig sind insbesondere Versorgungsverträge, die nach der Art ihrer Ausgestaltung auf eine ortsnahe, qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung abzielen. Ebenso können Verträge über die Integrierte Versorgung, über die hausarztzentrierte Versorgung und die besondere ambulante Versorgung, über die Krankenhausversorgung oder die Versorgung mit Vorsorge- und Rehabiliationsleistungen, aber auch weitere Verträge z. B. über die Heil- und Hilfsmittelversorgung, die Versorgung mit Leistungen in der häuslichen Krankenpflege, der Soziotherapie usw. sowohl vom Gesetzgeber selbst, als auch von den Krankenkassen im Rahmen von Ausschreibungen grundsätzlich mit der Auflage einer ortsnahen Niederlassung verknüpft werden, wenn und soweit dies zur Versorgung der Versicherten erforderlich ist. Unbeschadet dieser allgemeinen Eck- und Orientierungspunkte bedarf es auf Grund der Komplexität und Vielgestaltigkeit der Konstellationen für alle Formen der Vertragssteuerung in der GKV genauerer fallgruppenbezogener Untersuchungen.148

G. Der persönliche und sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts im Leistungserbringungsrecht des SGB V Mit Blick auf die Ergebnisse der hier durchgeführten Einzeluntersuchungen zum persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts im Leis-

146 EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus) Slg. 2002, I-7213, Rn. 59 ff., hierzu 3. Kapitel, E. II. 2. und 5. Kapitel, G. II. und III. 147 EuGH, Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland) NVwZ 2008, 1225. Vgl. zum Folgenden 5. Kapitel, G. IV. 148 Vgl. hierzu das 7. Kapitel.

G. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich des Vergaberechts

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tungserbringungsrecht im öffentlichen Gesundheitswesen ergibt sich ein mehrstufiger Gesamtbefund.

I. Persönlicher Anwendungsbereich Die gesetzlichen Krankenkassen und ihre Verbände, aber auch die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Einrichtungen der Gemeinsamen Selbstverwaltung fallen als öffentliche Auftraggeber Kraft öffentlicher Finanzierung und Aufsicht gem. Art. 1 Abs. 9 UAbs. 2 in den persönlichen Anwendungsbereich der RL 2004/18/EG.149 Die Einstufung der gesetzlichen Krankenkassenträger und ihrer Verbände als öffentliche Auftraggeber bleibt auch durch den Übergang zur Insolvenzfähigkeit der gesetzlichen Krankenkassenträger gem. § 171a ff. SGB V im Rahmen des GKV-OrgWG unberührt, da das Insolvenzrisiko auch nach der ab 01.01.2010 geltenden Rechtslage zu wesentlichen Teilen über sozialbeitragsfinanzierte Sicherungssysteme innerhalb der GKV gedeckt wird.150 Ebenso führt die Einführung eines staatlichen Gesundheitsfonds und die Möglichkeit zum Angebot von Wahltarifen und zur Erhebung von Zusatzprämien zu keiner Änderung des Auftraggeberstatus der gesetzlichen Krankenkassenträger, da diese nach wie vor ganz überwiegend aus Sozialbeiträgen und Steuern finanziert werden.151

II. Sachlicher Anwendungsbereich Voraussetzung für die sachliche Anwendbarkeit des Vergaberechts im Leistungserbringungsrecht des SGB V ist – nach den im 5. Kapitel entwickelten Grundsätzen – der Grad der autonomen austauschvertraglichen Verhandlungsspielräume in Bezug auf die Vertragsparteien und die Preis- und Leistungsbedingungen der Versorgung.152 Der sachliche Anwendungsbereich der RL 2004/18/ EG ist dabei im Interesse der praktischen Wirksamkeit des Vergaberechts grundsätzlich weit auszulegen. Daher muss weder die gesetzliche Determinierung der Vertragsparteien, noch eine Beschränkung der inhaltlichen Gestaltungsspielräume die Anwendung des Vergaberechts notwendig ausschließen, wenn den Vertragsparteien noch hinreichende autonome wirtschaftliche Gestaltungsspielräume verbleiben. Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen der Anwendung des Vergaberechts fallgruppenbezogenen für die verschiedenen Vertragstypen des Leistungserbringungsrechts des SGB V zu konkretisieren. Die Teilnahme der Krankenkassen am allgemeinen System der hoheitlich-kooperativen Regulierung im Vertragsarztrecht, die Festbetragsfestsetzung im Arz149 150 151 152

Vgl. 6. Kapitel, A. III. bis VIII. sowie B. I. und II. Vgl. 6. Kapitel, A. III. 4. und IV. 6. Vgl. 6. Kapitel, A. II. 2. und IV. 5. Vgl. 5. Kapitel, C. I. und 7. Kapitel, A. I.

524

8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

neimittelsektor und die hoheitlich-kooperative Regulierung der Heilmittelversorgung unterliegt nicht dem sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinien 2004/ 18/EG, da es hier an austauschvertraglichen Verhandlungsspielräumen fehlt, an die das Vergaberecht anknüpft.153 Gleiches gilt – unbeschadet der Vertragsfiktionen der §§ 108 Nr. 1 und 2 SGB V – auch für die Zulassung von Universitätskliniken und Plankrankenhäusern zur Versorgung durch Gesetz, Rechtsverordnung oder Verwaltungsakt. Als über Kollektivverträge mediatisiertes System der hoheitlich-kooperativen Regulierung sind auch Rahmenvereinbarungen über die allgemeinen Grundsätze der Krankenhausversorgung (§ 112 SGB V) vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen.154 Auch selektive Individualverträge können bei hinreichend enger hoheitlicher Determinierung des Vertragsinhalts vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen sein. Ein Beispiel sind Krankenhausverträge über DMP Programme und besondere stationäre Leistungen nach § 116b SGB V, bei denen zwar Selektionsmöglichkeiten, aber praktisch keine inhaltlichen Verhandlungsspielräume bestehen. Ähnlich dürften Strukturverträge nach § 73a SGB V und Verträge über strukturierte Behandlungsprogramme gem. § 137 f. SGB V zu beurteilen sein.155 Eine hybride Struktur im Grenzbereich vergaberechtlich neutraler Formen der hoheitlich-kooperativen Regulierung und vergaberechtlich relevanter Vertragssteuerung ist dagegen mit dem GKV-OrgWG im Rahmen von Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V entstanden.156 Die gesetzlichen Regelungen über Verträge mit Hausarztgemeinschaften knüpfen einerseits an Elemente des allgemeinen Systems des Vertragsarztrechts an, da die gesetzlichen Krankenkassen zu einem Vertragschluss mit einem Hausarztverband verpflichtet sind, der mindestens 50 % der zugelassenen Allgemeinmediziner umfasst. Ähnlich wie im allgemeinen System ist zudem in § 73b Abs. 4a SGB V eine Schiedstellenregelung vorgesehen. Im Gegensatz zum allgemeinen Vertragsarztrecht erfolgt der Vertragsschluss jedoch nicht mit den Kassenärztlichen Vereinigungen als Körperschaften öffentlichen Rechts, sondern mit marktstarken privaten Hausarztverbänden. Ebenso wie auch sonst bei Selektivverträgen nach dem SGB V verzichtet der Gesetzgeber auch weitgehend auf sachlich-inhaltliche Vorgaben an die Vertragsgestaltung. Daher handelt es sich nicht um ein vergaberechtlich neutrales System der hoheitlich-kooperativen Re-

153 154 155 156

Vgl. 7. Kapitel, B. I. bis IV. Vgl. 7. Kapitel, C. IV. Vgl. 5. Kapitel, D. I. 2. sowie 7. Kapitel, D. IV. 5. und VII. Vgl. zum Folgenden 7. Kapitel, D. I. 1. bis 3.

G. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich des Vergaberechts

525

gulierung, sondern um einen vergaberechtlich relevanten Austauschvertrag, regelhaft um eine Rahmenvereinbarung i. S. v. § 1 Abs. 5 RL 1 Abs. 5 SGB V. Die Ausnahmeregelung des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V ist daher in richtlinienkonformer Auslegung nicht anwendbar. Vielmehr greift § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V, der zur entsprechenden Anwendung der §§ 97 ff. GWB führt. Da die durch § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V begründete gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen zum Vertragsschluss mit Hausarztgemeinschaften mit den Verfahrensvorgaben der RL 2004/18/EG im Ergebnis nicht vereinbar ist, besteht aus vergaberechtlicher Sicht bei Verträgen mit Hausarztgemeinschaften Reformbedarf. Soweit eine Anwendung des Vergaberechts ausgeschlossen werden soll, dürfte ein Ausbau der staatlichen Kontrollbefugnisse in Bezug auf den Inhalt der Verträge unverzichtbar sein. Hierbei muss auch der diskriminierungsfreie Zugang aller Vertragsärzte zur Hausarztversorgung gewährleistet werden. Um Grenzfälle an den Schnittstellen von hoheitlich-kooperativer Regulierung und austauschvertraglicher Steuerung handelt es sich auch bei Krankenhausversorgungsverträgen nach § 108 Nr. 3 SGB V und bei Bettenvereinbarungen mit Universitätskliniken und Plankrankenhäusern nach § 109 Abs. 1 SGB V.157 Diese Vertragstypen sind einerseits noch vergleichsweise eng an das System der staatlichen Krankenhausplanung angelagert, was zu Beschränkungen der wirtschaftlichen Gestaltungsspielräume der Vertragsparteien führt. Zudem bestehen besondere behördliche Genehmigungsvoraussetzungen bzw. Einvernehmensregelungen. Andererseits sind diese Vertragstypen gerade dadurch gekennzeichnet, dass die Entscheidung über den Zugang zur Versorgung auf die gesetzlichen Krankenkassenträger delegiert wurde, denen zugleich gewisse autonome Verhandlungsspielräume eingeräumt wurden. Daher dürfte die praktische Wirksamkeit des Vergaberechts hier eher für eine Anwendung der RL 2004/18/EG sprechen, wobei den Belangen der Krankenhausplanung auf der Ebene der Spezifikationen, Eignungsund Zuschlagskriterien angemessen Rechnung getragen werden kann. Ebenso steht die Anwendung des Vergaberechts besonderen behördlichen Genehmigungspflichten und Einvernehmensregelungen nicht entgegen, wenn diese zur Gewährleistung der Ziele der Krankenhausplanung erforderlich sind. Die übrigen untersuchten selektiven Verträge (besondere ambulante Versorgung gem. § 73c SGB V, Integrierte Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V, Hilfsmittelversorgung gem. § 126 ff. SGB V, Rabattverträge nach § 130 Abs. 8 SGB V) fallen als entgeltliche Dienstleistungs- oder Lieferaufträge im Sinne von Art. 1 Abs. 2 RL 2004/18/EG bzw. als Rahmenvereinbarung im Sinne von Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG.158

157 158

Vgl. 7. Kapitel, D. IV. 3. Vgl. 7. Kapitel, D. I. 4., II. und III., V. bis VII.

526

8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

III. Verfahrensanforderungen Soweit die untersuchten Verträge als Dienstleistungsaufträge zu qualifizieren sind, besteht wegen der Ausnahmeregelung für das Gesundheits- und Sozialwesen in Art. 21 RL 2004/18/EG i.V. m. Anhang II b allerdings lediglich eine Verpflichtung zur Einhaltung von Spezifikationspflichten (Art. 23) und Beobachtungspflichten (Art. 35 Abs. 4). Im Übrigen bliebt eine freie Auftragsvergabe möglich, bei der allerdings das primärrechtliche Transparenz- und Diskriminierungsverbot zu beachten sind.159 Bei Lieferaufträgen, wie z. B. bestimmten Hilfsmitteleinkaufsverträgen nach Art. 127 SGB V und bei Rahmenvereinbarungen, die den Regelfall der untersuchten Versorgungsverträge bilden (hausarztzentrierte Versorgung, besondere ambulante Versorgung, integrierte Versorgung, Hilfsmittelversorgung, Rabattverträge nach § 130 Abs. 8 SGB V), besteht eine vergleichbare Ausnahmeregelung dagegen nicht. Hier greifen die strengen Ausschreibungsregeln der RL 2004/18/EG.

IV. Richtlinienkonforme Auslegung des § 69 Abs. 2 SGB V Um Verstöße gegen Unionsrecht zu vermeiden, sind in diesen Fällen (vermittelt über eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 1 bis 3 SGB V) ergänzend die §§ 97 ff. GWB neben den gesetzlichen Regelungen des SGB V anwendbar. Umgekehrt gewährleistet eine entsprechende Anwendung der §§ 97 ff. GWB in der Regel die Vereinbarkeit der (vergaberechtlich nicht abschließenden) gesetzlichen Regelungen der §§ 69 ff. SGB V mit der RL 2004/ 18/EG.160 Unter dieser Voraussetzung sind die gesetzlichen Rahmenregelungen des SGB V über den Vertragswettbewerb in der GKV – mit Ausnahme der o. g. Fälle des § 73b Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V – mit dem Unionsrecht grundsätzlich vereinbar. Dies gilt insbesondere für die gesetzlichen Vorgaben an die Ausgestaltung des Vertragsgegenstands, die persönlichen und fachlichen Eignungskriterien und für besondere gesetzliche Zuschlagskriterien in Bezug auf Qualität und Wirtschaftlichkeit sowie an die wohnortnahe bzw. flächendeckende Versorgung.

H. Résumé und Ausblick Fragen europäischer Gewaltengliederung sind nicht nur Fragen der „großen“ europäischen Verfassungstheorie. Sie beeinflussen notwendig auch die Stellung 159 Zu den Verfahrensanforderungen je nach Zuordnung zu bei den einzelnen Vertragstypen der Richtlinie vgl. 3. Kapitel, E. III. und 5. Kapitel, E. I. und II. 160 Zur unionsrechtskonformen Auslegung des § 69 Abs. 2 SGB V vgl. 5. Kapitel, F. IV. 3.

H. Résumé und Ausblick

527

der Verwaltung in den Strukturen europäischer Rechtserzeugung, bis hin zu Einzelfragen verwaltungsrechtlicher Rechtsanwendung. In diesem Sinne sind alle Fragen europäischer Rechtsanwendung immer auch Gewaltengliederungsfragen und untrennbar mit der Frage nach dem Verhältnis der unionalen und nationalen Organe der Legislative, Exekutive und Judikative in den Strukturen europäischer Rechtserzeugung verbunden. Das hier vorgeschlagene Denken in Gewaltengliederungsstrukturen weist nicht zuletzt über die bisher vorherrschende „Binnenperspektive“ auf das System des europäischen Verwaltungsrechts hinaus. Es verdeutlicht das Erfordernis einer Analyse gerade auch der Interdependenzen zwischen den Veränderungen der Strukturen europäischer Rechtserzeugung und den Strukturen des so erzeugten Verwaltungsrechts, wie namentlich die Zusammenhänge zwischen dem Bedeutungsgewinn der unionalen „Ersten Gewalt“ in Form des Binnenmarktgesetzgebers und dem Prozess europäischer sekundär- und tertiärrechtlicher Verwaltungsintegration. Umgekehrt können konkrete Fragen des Verhältnisses verschiedener Teilmaterien des europäischen Verwaltungsrechts, wie etwa des Verhältnisses von Wettbewerbs- und Beihilferecht, Vergaberecht und Regulierungsverwaltungsrecht rechtssicher nur ausgehend von den spezifischen Funktionen dieser Rechtsgebiete im Gesamtsystem des europäischen Verwaltungsrechts geklärt werden. Dies gilt gerade auch dann, wenn es sich, wie im Recht des öffentlichen Gesundheitswesens, um die Bewältigung von rechtsdogmatischen Einzelfragen in atypische Spezialmaterien des europäischen Verwaltungsrechts handelt. Das so beschriebene Ordnungspotential dürfte ein Denken in Gewaltengliederungsstrukturen auch in anderen Referenzgebieten des europäischen Verwaltungsrechts, wie z. B. dem Produktsicherungs-, Dienstleistungs- oder Regulierungsverwaltungsrecht entfalten, womit zugleich auf weitergehenden Forschungsbedarf verwiesen werden kann. Darüber hinaus bestehen auch im hier gewählten Gebiet des Vergaberechts noch zahlreiche offene Rechtsfragen, die nicht abschließend geklärt werden konnten. Dies gilt etwa für die Frage nach der Reichweite der Kommissionskompetenzen bei der semiformellen Homogenisierung des Verwaltungsvollzugs über Mitteilungen, die in einem Näheverhältnis zur Durchführungsfrage steht. Auch die genaue Reichweite der Steuerungsspielräume der öffentlichen Hand bei der öffentlichen Auftragsvergabe bedarf weitergehender Untersuchungen in anderen Referenzgebieten. Schließlich wird die Entwicklungsdynamik des staatlichen und europäischen Rechts auch im Gesundheitsvergaberecht, das hier eingehender vermessen wurde, immer wieder neue Rechtsfragen zu Tage fördern. Aufgrund der vielfältigen Besonderheiten des öffentlichen Gesundheitswesens stellt sich nicht zuletzt die Frage nach Reformen de lege ferenda. So wäre mittelfristig an eine Gesundheitssektorenrichtlinie nach dem Muster der bereits bestehenden Sektorenricht-

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8. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

linie zu denken, die besser als die allgemeine Richtlinie auf die Eigenheiten des Vertragswettbewerbs im öffentlichen Gesundheitswesen zugeschnitten ist. Solange sich der Binnenmarktgesetzgeber zu einem solchen Schritt nicht entschließt, wird das Gesundheitsvergaberecht zu rechtsdogmatischen Kontroversen Anlass geben, die letztlich in den begrenzten Kompatibilität der allgemeinen Vergaberichtlinie zu den besonderen Steuerungsformen des Gesundheitswesens wurzeln. Für das Gesundheitsvergaberecht gilt daher bis auf Weiteres: Luxemburg locuta – causa finita – questio non saluta.161

161

Vgl. M. Fuchs, NZS 2002, S. 3337 ff.

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Sachwortverzeichnis Agenturen – Arzneimittelagentur 163 ff., 179 f. – europäische 85, 160, 169, 173, 175, 180 f., 188, 249, 292, 485 – Verwaltungskompetenzen 157, 163 ff. Allgemeinwohl – Konkretisierung im EU Gesetzgebungsverfahren 89, 92 f., 129 – und funktionale Binnenmarktziele 148 f. – zwingende Allgemeinwohlerfordernisse siehe Grundfreiheiten Allgemeinwohlbindung öffentlicher Einrichtungen siehe Beihilferecht Angebotslösung siehe Gesundheitswesen Apotheken – Krankenhausapotheken 286, 288, 386 – Teilnahme an der Integrierten Versorgung 453 f. Apothekenverträge 286, 386, 417 Äquivalenzprinzip – im Versicherungsrecht 302, 405 – im Verwaltungsrecht 120 ff., 123 ff., 161, 492 f. Arbeitnehmerfreizügigkeit siehe Grundfreiheiten, einzelne Arzneimittel – apothekenpflichtige 437 f. – Festbeträge 262 ff., 285 ff., 314 ff., 342, 438 ff. – Heilmittelvereinbarungen 342, 344, 439 – patentgeschützte 467 f. – Rabattverträge 317, 320, 322 f., 344, 348 ff., 378 ff., 441, 463 ff. Arzneimittelagentur 163 ff., 179 f. Arzneimittelzulassungsverfahren 43, 74, 262 ff., 285 ff., 348, 453 ff., 465

Aufsicht – Fachaufsicht 102, 227, 408 ff. – Rechtaufsicht 261 ff., 306, 408 ff. Auftrag, öffentlicher siehe Vergaberecht Auftraggeber – gesetzliche Krankenkassen als ~ 325 f., 334, 391 ff., 400 ff., 412 f. – Leistungserbringer als ~ 412 ff. – öffentlicher siehe Vergaberecht Ausgleichszahlungen siehe Beihilferecht Ausschreibung siehe Vergaberecht Bauauftrag siehe Vergaberichtlinie Behördennetzwerke 36, 136, 176 ff. Beihilferecht – Allgemeinwohlbindung öffentlicher Einrichtungen 117, 209 – Ausgleichszahlungen 166 ff., 213, 309, 406 – Beihilfekontrolle im Steuer- und Sozialhilferecht 95, 105 ff., 115 ff., 307, 488 – Beihilfen an Unternehmen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse 209 – Beihilfeverfahren, Struktur 99, 486 – Europäische Förderpolitik, Verhältnis zum ~ 114 – Funktion des ~ 207, 305 f., 515 – funktionaler Unternehmensbegriff siehe Wettbewerbsrecht – Kompetenzen der Kommission 58 ff., 95, 114, 496 – Selektivität der Beihilfe 115 f., 309 – Vergaberecht, Verhältnis zum ~ siehe Vergaberecht – Wettbewerbsrecht, Verhältnis zum ~ siehe Wettbewerbsrecht

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Sachwortverzeichnis

Beschaffungssysteme siehe Vergabeverfahren Beschleunigungsprinzip 168, 490, siehe auch Verwaltungsrecht, Europäisches Beschränkungsverbot 166, 193, 209 f., 491, siehe auch Grundfreiheiten Bestimmungslandprinzip 131 f., siehe auch Grundfreiheiten Bettenvereinbarung 458, 461, 525, siehe auch Krankenhaus Bildungssektor 245 f. Binnenmarkt – Begriff 70 ff., 139 f. – Grundfreiheiten des ~ 125 ff., 139 ff., 509 ff., siehe auch Grundfreiheiten – Initiativrecht der Kommission 84 f., 97, 189 – Kontrollfunktion des EuGH 57 f., 88 ff., 145 ff. – Mitentscheidungsverfahren 31, 54, 82, 94, 139 f., 496 – Rechtsangleichung im ~ 147 ff., 156 ff., 274 ff., 289 ff., 511 – Rolle des Binnenmarktgesetzgebers 81 ff., 95 ff., 139 ff. – Stellung der Verwaltung 125, 135 ff., 140 ff., 164, 186, 496 Binnenmarktharmonisierung 119, 139 ff., 147 ff., 156 ff., 292, 484, 495 ff., siehe auch Binnenmarktkompetenzen – im Gesundheitswesen siehe Gesundheitswesen Binnenmarktkompetenzen – Folgeharmonisierung 156 – Grundfreiheiten, Grenze der ~ 151 f., 191 f. – Grundrechte, Grenze der ~ 153 f. – materielle Allgemeinwohlziele 136, 148 – Rechtsangleichung und Regulierung 151 ff., 255, 271 ff., 475 – Rechtsangleichung wegen Handelshemmnissen 144 ff., 488

– Rechtsangleichung wegen Wettbewerbsverzerrungen 144 ff., 151 f. – Reichweite der Kompetenzen 81 ff., 141 ff., 275, 289 ff. – Subsidiarität, Grenze der ~ 83, 120 ff., 155 – Teil- und Vollharmonisierung 140, 156 f., 168 – und Grundfreiheiten 34, 55, 89, 92 ff., 128, 139 ff., 151 ff. – und Sachkompetenzen 166, 277 f., 495 – Verhältnismäßigkeitsprinzip, Grenze der ~ 154 f., 451 Binnenmarktverfassung 119, 125, 188, 251 f., 489 Binnenmarktziele 83, 139, 141 ff., 166, 236 f., 319, 387, 485, 495 f., 507 Bundesmantelvertrag 260, 342 f., 413 f., 422, 427 ff., 432 f., 443, 453 Cassis de Dijon-Entscheidung 58, 63, 136, 149, 172, siehe auch Grundfreiheiten defizitäre öffentliche Dienste 116 ff., 309, 506 Demokratieprinzip 119, 129, 458, 489 f. demokratische Legitimation 78, 481, siehe auch Legitimation Dezentralisierung 158 ff., 178 ff., 321, siehe auch Verwaltung, Europäische Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 112 f., 116, 487 Dienstleistungsauftrag siehe Vergaberichtlinie Dienstleistungsfreiheit 191, 194, 215 ff., 228 ff., siehe auch Grundfreiheiten, einzelne Dienstleistungskonzession 228, 230 ff., 247 f., siehe auch Vergaberichtlinie Dienstleistungsrichtlinie 142, 166, 276 f., 494 ff. Direktvollzug 159, 167, siehe auch Vollzug, direkter

Sachwortverzeichnis Diskriminierungsverbot – Begriff 58 – Beschränkungsverbot, Verhältnis zum ~ 58 f., 63, 89 ff., 137 ff., siehe auch Grundfreiheiten – Grundfreiheiten als ~ 58, 130 ff., siehe auch Grundfreiheiten – im Vergaberecht siehe Vergabeverfahren 193, 225 f. – im Verwaltungsverfahren siehe Verwaltungsverfahren DRGs siehe Fallpauschalen dynamische Beschaffungssysteme 234, 242 f., 363, 476, siehe auch Vergabeverfahren Effektivitätsprinzip, 121 f., 167, 493 ff., siehe auch Verwaltungsrecht, Europäisches Effizienzprinzip 121, 167 f., siehe auch Verwaltungsrecht, Europäisches Einzelvollzug 158 ff., siehe auch Verwaltung, Europäische Energiewirtschaftsrecht 108 Europäische Arzneimittelagentur 163, siehe auch Agenturen Europäische Gewaltengliederung 47 f., 57 f., 72 ff., 306, 526 – Ausdifferenzierung 55, 79, 126, 176 ff. – Exekutive 43 f., 50, 70 ff., 117, 478 – institutionelles Gleichgewicht 57, 94 f., 173, 201 f., 306, 479 f., 514 – Integrationsprinzip 55 f., 173, 482 – Judikative 50, 117, 478 – Legislative 50, 117, 478 – Rechtserzeugung 103 ff., 119 ff., 171, 253 f., 478 – Reorganisationsprozess 52 f., 56, 334 – staatliche Gewaltentrias, Verhältnis zur ~ 43 f., 50, 70 ff., 117, 478 – Teilungsprinzip 32 f., 56 ff., 72 f., 480 – Verwaltung 50, 53, 64, 94 ff., 117, 156 ff., 478

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Europäische Integration 30, 44, 53 f., 55 f., 478 ff., siehe auch Integration Europäische Verwaltungsorganisation siehe Verwaltungsorganisation, Europäische Europäische Wirtschaftsgemeinschaft – Deregulierung des Telekommunikationssektor 60, siehe auch Telekommunikation – Europäisierung 31, 479 – Funktionsdefizite der Rechterzeugung 68 f. – Grundfreiheiten und Wettbewerbsrecht, zentrale Bedeutung 57 ff. – Kompetenzen 57 – Marktverfassung, die EWG als ~ 31 f., 65 ff., 75, 188 ff. – positive und negative Integration siehe Integration 68 f. – Strukturmerkmale der Gewaltengliederung 36, 65, 167 – Supranationalisierung 45, 482 – Transnationalisierung 45, 482 – Verwaltungsrechtsangleichung 32, 64, 496 – Zweckverband, die EWG als ~ 43, 66, 68 f. Europäischer Gerichtshof Erster Instanz (EuG) siehe Judikative Europäischer Gerichtshof (EuGH) siehe Judikative Europäisches Beihilferecht siehe Beihilferecht Europäisches Mehrebenensystem 65, 75, 285, 293, 482 f., siehe auch Mehrebenensystem Europäisches Parlament 88 ff., siehe auch Legislative Europäisches Verwaltungsrecht siehe Verwaltungsrecht, Europäisches Europäisches Verwaltungsverfahren siehe Verwaltungsverfahren, Europäisches Europäisches Wettbewerbsrecht siehe Wettbewerbsrecht

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Sachwortverzeichnis

European Multi Level Governance 38, 75, 480, siehe auch Governance Exekutive – Ausdifferenzierung 48, 84 ff. – Begriff 72 f., 84 ff. – Europäische Agenturen siehe Agenturen – Europäische Kommission siehe Kommission – Europäische Verwaltung siehe Verwaltung, Europäische – Europäischer Rat 73, 88 – Regierungs- und Verwaltungsfunktionen 50, 84 f. – Stellung in der EU 58 f., 84 f., 203, 306, 479 ff. Fachaufsicht 103, 261, 315 ff., 407 ff. Fallpauschalen 262 ff., 457 f. Forschungssektor 191, 215, 249, 294, 323, 396, siehe auch vergaberechtliche Sonderfälle Frequenzvergabe 191, 247 f., siehe auch vergaberechtliche Sonderfälle funktionaler Auftraggeberbegriff 216, 390 ff., 415 f., 505, siehe auch Vergaberecht funktionaler Unternehmensbegriff 95 ff., 270, 300 ff., 414, 486 ff., 504, siehe auch Wettbewerbsrecht funktionaler Vertragsbegriff 194 ff., 216 ff., 323 ff., 418, 421 ff., 442 f., 501 f., siehe auch Vergaberichtlinie Gemeinsame Selbstverwaltung 230 f., 419 f. Gemeinsamer Bundesausschuss 261, 316, 357 ff., 414, 429 ff. Gesamtverträge 329, 341 ff., 414, 427 ff. Gesetzgebung siehe Legislative Gesetzgebungskompetenz 64, 77, 94, 115 f., 141, 147 ff., 151 ff., 492, siehe auch Kompetenzen Gesetzgebungsverfahren 76, 131 ff., 189, 275 ff., 295 ff., 483

gesetzliche Krankenversicherung siehe Krankenversicherung Gesundheitsberufe 135, 292 Gesundheitsfonds 257, 405 Gesundheitsvergaberecht 249 f., 318 ff., 324 ff., 330 ff., 524 ff. – als Referenzgebiet des Verwaltungsrechts 318 ff. – Auftraggebereigenschaft – gesetzliche Krankenkassen 325, 390 ff., 407 f., 412 ff. – Leistungserbringer 367, 412 ff. – private Krankenkassen 415 ff. – Begriff 249 f., 318 – EU-Vergaberecht 193, 234, 304, 330 ff., 336 ff., 343 ff., 356 ff. – Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers 221 f., 333 ff., 379 ff. – Gesundheitssektorenrichtlinie 387 f., 528 – GWB-Vergaberecht 324, 330 f., 366 ff., 378 ff. – Harmonisierung 323, 331 f. – Individualverträge nach SGB V 442 ff. – Kollektivverträge nach SGB V 427 ff., 441 f., 451, 519 – Querschnittsprobleme 335, 356 f. – und Sozialvergaberecht 249 f., 334 f. – Verfahrensanforderungen 362 ff., 526 – Verhältnis EU-, GWB-, SGB V-Vergaberecht 366 ff., 374 ff. – Versorgungsverträge nach SGB V 343 ff., 350 ff., 442 ff., siehe auch Gesundheitsvergaberecht, Vertragstypen – Vertragssteuerung 248, 319 ff., 336 ff., 505 ff. – Vertragstypen – Apothekenverträge 456 – Arzneimittelrabattverträge 323, 358, 463 ff. – besondere ambulante Versorgung 443 f., 526 – Bundesmantelvertrag 428, 431 ff.

Sachwortverzeichnis – Gesamtverträge 339, 428, 431 ff. – Hausarztgemeinschaften 444 ff. – hausarztzentrierte Versorgung 443 ff., 451 ff., 526 – Hilfsmittelverträge 469 ff., 519 – integrierte Versorgung 448, 453 ff., 515 – Krankenhausversorgung 285, 457 ff. – vertragsärztliche Versorgung 413, 420 ff., 451 ff. – Vertragswettbewerb 321 ff. – weitere Versorgungsverträge 476 ff. Gesundheitsversorgung – aktive Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit 273, 283, 291 f. – EU-Patientenrichtlinie 185, 255, 297 ff. – grenzüberschreitende 92, 124, 130 ff., 284 f., 494, 512 – passive Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit 135, 284, 291 f. – Patientenrechte 134, 297 ff., 511 f. Gesundheitsversorgungsmärkte 258 ff. Gesundheitswesen – Beihilferecht im ~ 299 f., 513 f. – Binnenmarktharmonisierung im ~ 266, 298, 509 – Gesundheitsversorgungsmärkte 267, 310 ff., 431, 510 ff. – Grundfreiheiten im ~ 266 ff. – im Binnenmarkt 251 ff. – Krankenversicherungsmärkte 273 ff., 307 ff., 404 ff. – Wettbewerbsrecht im ~ 299 ff. – Angebotslösung 312 f. – Nachfragelösung 310 f. – Rechtfertigungslösung 300 f. Gewaltengliederung – als Paradigma 44, 50 f. – Begriff 54 f. – Europäische 68, 73, 89 – Gewaltengliederungsstrukturen 43, 478, 527

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– Steuerung durch Recht und ~ 46 ff., 90 f., 115 f. – Verwaltung, Stellung in ~ 41, 46 f., 53 ff., 64 ff., 82 ff., 85, 94 ff. Governance – European Multi Level G. 38, 48 ff., 75, 480 f., siehe auch European Multi Level Governance – theoretische Grundlagen 38 ff., 488 f. – und Gewaltengliederung 48 f., 478, – und Regelungsstrukturen 47, 478 grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung siehe Gesundheitsversorgung Grundfreiheiten 31 f., 58 ff., 88 ff., 125 ff., 139, 151, 166 ff., 176 ff., 193, 269 ff., 280 ff., 322 ff. – aktive ~ 283 f. – als Determinanten des Verwaltungsrechts 125 ff., 491 f. – als Freiheitsrechte 90, 131, 491 – als Gleichheitsrechte 90, 491 – als Leistungsrechte 90 ff. – als Verwaltungskollisions- und Verwaltungskoordinierungsrecht 119 ff., 131 ff. – Beschränkungsverbote 58 f., 131 ff., 193 – Binnenmarktkompetenzen, Kopplung mit den ~ 176 ff., 266 – Cassis-Entscheidung 63 f., 131, 136, 149 – Diskriminierungsverbote 58 f., 130 f., 193 – Dogmatik der ~ 58, 90 ff., 126 ff. – einzelne – Arbeitnehmerfreizügigkeit 91, 132, 134, 143, 156, 181 f., 266 ff., 280 ff., 298 – Dienstleistungsfreiheit 34, 60, 91 f., 132 ff., 143 ff., 156 ff., 183, 210 ff., 219, 236 ff., 254 ff., 269 ff., 282 ff., 291 ff., 361, 381 ff., 435, 458, 495 f., 499 – Niederlassungsfreiheit 91, 134 ff., 182 ff., 268, 271, 277, 282

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Sachwortverzeichnis

– Warenverkehrsfreiheit 58, 63, 91, 108, 131 ff., 145, 157 ff., 177, 292, 465, 498 – Herkunftslandprinzip 132 ff., 167 ff. – im Gesundheitswesen 266 ff., siehe auch Gesundheitswesen – im Verwaltungsverfahren 123 ff., 130 ff., 185, 198 f., 238 ff., 487 ff. – in der Verwaltungsorganisation 119 ff. – Keck-Urteil 63, 132 – Kontrolle durch den EuGH 144, 323 – passive ~ 283 f. – Personenverkehrsfreiheiten 180 f., 268 – Produktverkehrsfreiheiten 58 f., 177 – Rechtfertigungsgründe 62 ff., 88 ff., 135 ff., 239 f., 273 f., 285 ff., 383 ff. – Restriktionen der ~ 135, 151 – und Grundrechte 131, 153, 175 f. – und Wettbewerbsrecht, 57 f., 94 ff., 304 f., siehe auch Konnexitätsprinzip – zwingende Allgemeinwohlerfordernisse siehe Rechtfertigungsgründe Grundrechte – Kontrollfunktion des EuGH 144, 173, 323 – und Grundfreiheiten 131 GWB-Vergaberecht 414, siehe auch Vergaberecht Harmonisierung, siehe auch Binnenmarktkompetenzen – Folgeharmonisierung 156 – Teilharmonisierung 156 – Vollharmonisierung 156 Hausarztgemeinschaften 444 ff. Hausarztverträge 344, 466 ff. hausarztzentrierte Versorgung 443 ff. Haushaltsrecht 192 f. Haushaltsvergaberecht 192, 508 Heilmittelvereinbarungen, siehe auch Gesundheitsvergaberecht 342, 439 ff. Herkunftslandprinzip, siehe auch Grundfreiheiten 167 ff.

Hierarchieprinzip – Begriff 122, 493 – im europäischen Verwaltungsorganisationsrecht 482 f., siehe auch Verwaltungsorganisation – und Kooperationsprinzip 72, 175, 482 ff. Hilfsmittel 345 f., 469 ff. Hochschulkliniken 457 ff., siehe auch Krankenhaus Humanität 343 Implied powers 157 Individualverträge 324, 442 ff., siehe auch Gesundheitsvergaberecht Insolvenzfähigkeit siehe Krankenkassen institutionelles Gleichgewicht siehe Europäische Gewaltengliederung Integration – Asymmetrie von positiver und negativer ~ 68 ff. – negative Integration 69, 483 – positive Integration 69, 483 Integrationsprinzip – Begriff 55, 478 – Europäische Gewaltengliederung, Bedeutung für die ~ 68 f. Integrationsverfassung der EU 30, 32, 478 integrierte Versorgung 292, 515 ff. Intergouvernmentalismus 65, 84 ff. Judikative – Binnenmarktkompetenzen, Kontrolle der ~ 88, 92, 94, 487 f. – EuGH und EuG 94 f., 145, 314, 328, 483 – Grundfreiheiten, Kontrolle der ~ 58 ff., 88 ff., 487 f. – Grundrechte, Kontrolle der ~ 90, 486 – Sekundärrecht, Kontrolle des ~ 92 f., 151 ff., 485 – Stellung in der europäischen Gewaltengliederung 57, 86

Sachwortverzeichnis – Stellung in der Europäischen Union 86 ff. – Stellung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 57 ff., 86 – Verfassungsgerichtsverbund 86 ff., 487 – Vertragsverletzungsverfahren 86, 485 – Vorabentscheidungsverfahren 86, 485 – Wettbewerbsrecht, Kontrolle des ~ 59, 94 ff., 488 Kartellrecht 111 ff., 196, 369 ff., siehe auch Wettbewerbs- und Beihilferecht Kassenärztliche Vereinigung – Mittelverteilung 259, 428 – Steuerung 259 f. – Struktur 412 – Vergaberecht 413, 431 – Wettbewerbsrecht 315 Keck-Urteil siehe Grundfreiheiten Kollektivverträge – im Vergaberecht 432, 519, siehe auch Gesundheitsvergaberecht 222 f., 432, 519 f. – Steuerung im Gesundheitswesen 427 f., 524 Kommission – Beihilferecht, Zuständigkeit 57, 95, 114 – Delegation von Kompetenzen 94, 115, 170 ff. – Durchführungskompetenzen 170 f., 496 – EuGH, Verhältnis zum ~ 94 f. – Europäisches Parlament, Verhältnis zum ~ 94 f. – Initiativrecht 78, 84 f., 112 – Kompetenzen 59, 84 f. – Legitimation 98 f., 305 f. – ordentliches Gesetzgebungsverfahren 54, 76 f., 143 f., 275 f. – Wettbewerbsrecht, Zuständigkeit 59 f., 95, 98 ff.

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Kommissionsmitteilungen 170 ff., 201, 496, siehe auch Mitteilungen Kompetenzen – Agenturen 85, 164 ff., 525 – Binnenmarktkompetenzen 141, 502, siehe auch Binnenmarkt – Delegation von ~ 57, 94, 170 ff., siehe auch Kommission – der Kommission 59, 85 f., 94 ff. – des EuGH 57, 72, 86 ff. – des Europäischen Parlaments 72, 76 ff., 94 f., 141 ff. – funktionale ~ 141, 502 – funktionaler Kompetenzbegriff 141 ff., 502 – Gesetzgebungskompetenz 71, 76 ff., 115, 141 ff., 492 – Kompetenz-Kompetenz 72, 151 – Sachkompetenzen 143 ff. – Wesentlichkeitstheorie 57, 112, 170 Kompetenz-Kompetenz siehe Kompetenzen Kompetenzordnung 141 f. Konnexitätsprinzip 304 f. Konstitutionalisierung 84, siehe auch Verfassung Kooperationsprinzip 175, 259 ff., 482, 496 f. – Begriff 175 – im Gesetzgebungsverfahren der Union siehe Legislative 259 ff. – in der gesetzlichen Krankenversicherung 482 – in der Verwaltungsorganisation der Union siehe Verwaltungsverbund 259 Krankenhaus – Bettenvereinbarungen 458 ff., 520 – Fallpauschalen 262, 459 – Finanzierung 262 – Hochschulkliniken 412, 457 f., 525 – Pflegesätze 457 – Plankrankenhäuser 459, 524 – Planung 204, 288, 384, 457 ff.

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Sachwortverzeichnis

– Universitätskliniken 412, 457 – Versorgung 204 f., 457 ff. – Vertragskrankenhäuser 459 Krankenhausapotheken 386 Krankenhausverträge 457 ff. Krankenkassen – als Nachfrager 255, 264, 321 f., 345 f. – Beiträge 300, 391 f. – gesetzliche 256 f., 267 ff., 299, 410 – Insolvenzfähigkeit 398 ff., 407 – private 416 f. – Risikostrukturausgleich 256, 407, 415 – Spitzenverband Bund der ~ 261 f., 397 f. Krankenversicherung – gesetzliche 256 f., 267 ff., 299, 410 f. – private 361, 416 f. Krankenversicherungsmärkte 256 ff., 406, siehe auch Gesundheitswesen Landesausschuss 261, 339, 370, 410, 421 ff. Landesbehörden 339, 343, 425 f., 458 Landeskrankenhausplan 458 ff. Langzeitarbeitslose, Beschäftigung von ~ 239, 241, siehe auch Vergabeverfahren Legislative – Binnenmarktkompetenzen 55, 77, 82 ff., 128 f., siehe auch Binnenmarkt – Blockade unter Geltung des EWG 57, 140 ff., 483 – Einstimmigkeitsprinzip 31, 57, 139, 275, 483 – Entblockierung 76, 110, 484 – Europäisches Parlament 76 ff., 94 f., 139, 484 – Exekutive, Verhältnis zur ~ 72 ff., 79, 485 – Gesetzgebungszuständigkeiten 74, 175 – in der Europäischen Union siehe Legislative – Judikative, Verhältnis zur ~ 57, 92 f., 95 f., 139 ff.

– Kooperationsprinzip im Gesetzgebungsverfahren 175, 482 – Mehrheitsprinzip 76, 139, 173, 483 – Mitentscheidungsverfahren 76 f., 139 f., 496 – nationale Parlamente 76 ff., 307 – ordentliches Gesetzgebungsverfahren 143 ff., 275 f., 291 – Parlamentarisierung 66 ff., 76 ff., 480 f. – Rat 84 ff., 486 – Struktur der ~ in der EU 76 ff., 484 – Verwaltung, Verhältnis zur ~ 476, 485 Legitimation – demokratische 48, 66 ff., 78 f., 110 f., 481 – funktionale 78 f., 98 – nationale 78 f., 480 – supranationale 78, 480 Leistungserbringung – im Gesundheitswesen 262 – Individualauftrag 259 – Kooperationsprinzip 259 – Leistungserbringer als öff. Auftraggeber 249, 258 ff. – Regulierung 260 ff. Leistungserbringungsrecht 262, 336, 353 Lieferauftrag 294, 328 f., 358 ff., 446, siehe auch Vergaberichtlinie Markt – beherrschende Stellung 258 f., 518 – Gesundheitsversorgung 258 ff., 310 f. – Krankenversicherung 256 f., 269 f., 299 ff. Markteintritt 22 f., 263 f., 518 Marktmacht 206, 264, 372 Marktregulierung 210 ff., 293, 314 f., 419 f., 493 f., siehe auch Regulierung Marktverfassungslehre 66 f. Mehrebenensystem – Begriff 38 f., 70 f., 478 – Multi Level Governance, Verhältnis zu ~ 38 ff., 480 Monopol 300 ff.

Sachwortverzeichnis Nachfrage, Krankenkassen als Nachfrager 255, 258 f., 263 ff., 310 ff., 322 ff. Nachfragelösung siehe Gesundheitswesen 310 Nachfragemacht 288 ff., 311 ff., 322 ff. Nachfragewettbewerb 311 ff., 322 ff. negative Integration siehe Integration Netzwirtschaften 62, 185 ff., 487 nicht offenes Verfahren 243 f., siehe auch Vergabeverfahren Niederlassungsfreiheit, 183, 498, siehe auch Grundfreiheiten, einzelne offenes Verfahren 242 ff., 363, siehe auch Vergabeverfahren öffentliches Gesundheitswesen 134, 184, 279 ff., 511 f., siehe auch Gesundheitswesen One-Stop-Behörden 166, 184, 496, siehe auch Verwaltungsrechtsangleichung, Referenzgebiete Parlament siehe Legislative Parlamentarisierung 54, 76 f., 484 Patientenrechte 134, 184, 279 ff., 511 f. Patientenrichtlinie 185, 255, 296 f., 512 Plankrankenhaus siehe Krankenhaus positive Integration siehe Integration private Krankenversicherung siehe Krankenversicherung Qualität – Qualitativ hochwertige Versorgung 257 f., 526 – und Wirtschaftlichkeit 434, 526 Qualitätssicherung 261, 430 f. Rabattverträge 317 ff., 463 f., siehe auch Arzneimittelrabattverträge Rahmenvereinbarung 352 ff., siehe auch Vergaberichtlinie Rechtfertigungslösung 300 f., siehe auch Gesundheitswesen

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Rechtserzeugung – Gewaltengliederung 38, 43 ff., 479 – in der Europäischen Union 38 ff., 482 – in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 57 ff., 481 Rechtsstaatsprinzip 480 ff., 489 Referenzentscheidungsmodell siehe Verwaltung in der EU 158, 161 ff. Referenzgebiete siehe Verwaltungsrechtsangleichung, Referenzgebiete 161 ff. Regulierung – Gesundheitswesen 251, 285, 439 ff., 447 – Netzwirtschaften 185, 211, 487 ff. – Verwaltungsrecht 187, 211 Regulierungsverwaltungsrecht, 187 ff., 211 f., siehe auch Verwaltungsrechtsangleichung Risikostrukturausgleich 256 ff., 309, 394, 403 ff. Sachkompetenzen der Union 297, 495, siehe auch Kompetenzen Schiedsstelle 515, 519, 524 Schwellenwerte 201, 214 ff., 232 ff., 237, 364 Sektorpolitiken 84, 90, 142, 484 Sekundärrechtsschutz siehe Vergaberechtsschutz Selbstverwaltung 414, siehe auch Gemeinsame Selbstverwaltung Solidaritätsprinzip 303 ff. – solidarisch finanzierte Sozialversicherungssysteme 105 ff., 257, 269 ff., 295, 300 ff. – solidarischer Wettbewerb 256 f., 262 Sozialrecht – Freizügigkeitssozialrecht 90, 269 – im Gesundheitssektor 285, 323, 514, siehe auch Gesundheitswesen – Koordinierendes Sozialrecht 133, 266, 274 f., 289 f. – nationales Sozialrecht 133, 295

578

Sachwortverzeichnis

Sozialrechtskoordinierung 134, 143, 182 ff., 267 Sozialstaatsprinzip 397 Sozialvergaberecht – Begriff 334 – und Gesundheitsvergaberecht 502 ff. Sozialversicherung – im Binnenmarkt 278 f., 511 – Monopol 303 f. – Organisation 105, 181, 256 f. – und Beihilferecht 115 f. – und Wettbewerbsrecht 105, 278 f., 303 ff. Sozialversicherungspflicht 269 ff., 273, 305, 402 f. Sozialverwaltungsrecht 133 ff. Spitzenverband Bund der Krankenkassen 261 ff., 316, 428 ff., 470 ff. Staatenverbund – Begriff 41 ff. – die Europäische Union als ~ 41 ff. – und Verwaltungsverbund, Verhältnis zum ~ 41 ff. – Verfassungsverbund, Verhältnis zum ~ 41 ff. Steuerung – Begriff 47, 86 f., 204, 222, 236 f., 319, 507 – Gesundheitswesen 48, 262 – Governance, Verhältnis zu ~ 39 ff., 480 Strukturprinzipien des Europäischen Verwaltungsrechts 36, 65, 95, siehe auch Verwaltungsrecht Subsidiarität 276, 291, 475, 485 ff. Subventionen 208, 313, siehe auch Beihilferecht 176 Tariftreueklauseln 240 ff., 508, siehe auch Vergabeverfahren Tatbestandslösung 299, siehe auch Gesundheitswesen Teilungsprinzip 48 ff., 480

Telekommunikation, Auftragsvergabe 211 ff., 238 ff., 247 f., siehe auch Vergaberecht Telekommunikationsendgeräte-Entscheidung 60, 113 Telekommunikationsregulierung 74, 124, 186, 212 f., 494 Telekommunikationsrichtlinien 172, 212 transnationaler Verwaltungsakt 159 ff., 209 ff. Transparenzprinzip 237, siehe auch Vergabeverfahren Universitätskliniken siehe Krankenhaus Unternehmensbegriff, funktionaler 97, 301, siehe auch Wettbewerbs- und Beihilferecht Verfassung – Begriff 37, 41, 47 – Europäische 25, 69 – Marktverfassung 34, 40 ff., 62 ff., 78, 114, 183, 254, 473 ff. verfassungsgebende Gewalt 79 Verfassungsgericht 81 – implied powers 157 Verfassungsgerichtsverbund 81, siehe auch Judikative Verfassungstraditionen 67, 101 Verfassungsverbund – Begriff 42 – Staatenverbund, Verhältnis zum ~ 41 ff., 66 – Verwaltungsverbund, Verhältnis zum ~ 33, 41 ff. vergabefremde Zwecke 242 ff., siehe auch Vergabeverfahren Vergaberecht – Abgrenzung zu hoheitlicher Steuerung 264, 312 ff. – Auftrag, öffentlicher 190 f., 218 ff., 259 ff., 343 ff., 499, 506 f. – Auftragsbegriff 218 ff.

Sachwortverzeichnis – Ausschreibungspflichten 208 ff., 234 ff., 508 – Beihilferecht, Verhältnis zum ~ 207 ff. – Berufszulassungsrecht, Verhältnis zum ~ 205, 209 ff. – EU-Vergaberecht 190 ff., 293 ff., 326 ff., 360, 366 ff., 376 ff., 388, 399, 418 ff., 451, 453, 465, 471 – Gesundheitsrecht, Verhältnis zum ~ 350 ff., siehe auch Gesundheitsvergaberecht – Grundlagen 190 ff. – GWB-Vergaberecht 198, 206, 223, 249, 294, 318 ff., 324 ff., 366 ff., 373 ff., 502, 516 f. – Haushaltsvergaberecht 192, 508 – im europäischen Verwaltungsverbund 199 ff., 489 f. – im System des europäischen Verwaltungsrechts 196 ff., 479 f. – Produktzulassungsrecht, Verhältnis zum ~ 205, 209 ff. – Regulierungsverwaltung, Verhältnis zum ~ 204, 211 f. – Sozialrecht, Verhältnis zum ~ 240, siehe auch Sozialvergaberecht – Steuerung 246 ff., 261 f., 318 – Wettbewerbsrecht, Verhältnis zum ~ 205 ff. vergaberechtliche Sonderfälle 246 ff. – Bildungssektor 246 f., 506 – defizitäre öffentliche Dienste 246 – Forschungssektor 191, 195, 249, 323, 396 – Frequenzvergabe 191, 246 – Gesundheitsvergabe 318 ff., 330 ff., 506, 514 ff., siehe auch Gesundheitsvergaberecht – Sektorenvergaberecht 246 f., 506 – Sozialvergabe 334 f., siehe auch Sozialvergaberecht – Universaldienstvergabe 191, 246 ff. Vergaberechtsneutralität 219, 225, 238 ff., 246 f., 327, 339, 360, 380 ff., 418 f., 423 ff.

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Vergaberechtsschutz 242 f. – Primärrechtschutz 245 f. – Sekundärrechtsschutz 245 f. Vergaberichtlinie 214 ff., 217, 230 ff., 320, 390 ff. – persönlicher Anwendungsbereich 215 ff. – funktionaler Auftraggeberbegriff 216 ff., 414 f. – institutioneller Auftraggeberbegriff 215 ff., 414 f. – sachlicher Anwendungsbereich 218 ff. – Bauauftrag 228 f. – Dienstleistungsauftrag 228 ff. – Dienstleistungskonzession 230 f. – funktionaler Vertragsbegriff 218 – Lieferauftrag 228 ff. – Rahmenvereinbarung 232 ff. – Schwellenwerte 201, 215 f., 232 ff., 237, 364 Vergabeverfahren – Ausschreibungsverfahren 240 f., 383 ff., 387 ff. – Dynamische Beschaffungssysteme 242 ff. – geschlossene Verfahren 242 ff. – offene Verfahren 242 ff. – Primärzwecke 238 f., 380 f. – Prinzipien des ~ 236 – Diskriminierungsverbot 236 – Transparenzprinzip 236 – Wirtschaftlichkeitsprinzip 236 – Rahmenvereinbarungen 242 ff. – Sekundärzwecke siehe vergabefremde Zwecke 238 f., 381 ff., 507 – Vergabefremde Zwecke 238 f., 381 ff., 507 – Verhandlungsverfahren 242 ff. – Wahl des ~ 240 ff. Verhandlungsverfahren 234, 242 ff., 365, 450 f., siehe auch Vergabeverfahren Verkehrswirtschaft 98

580

Sachwortverzeichnis

Versicherung – Sozialversicherung 302 ff., siehe auch Sozialversicherung – Wettbewerbsversicherung 301 ff. Versicherungsbegriff 301 ff. Versicherungsmärkte 256, 267, 273 f., 404 ff., 511 Versicherungsrichtlinie 210, 271 ff. Versicherungsunternehmen 106, 256, 270 ff., 394 vertragsärztliche Versorgung 211 ff., 285 ff., 399 ff., 413 Vertragskrankenhaus siehe Krankenhaus Vertragssteuerung – Begriff 191, 248, 293 – im Gesundheitswesen siehe Gesundheitsvergaberecht 249 f., 299, 319 f., 348 f. – und Vertragswettbewerb 327 f. Vertragsverletzungsverfahren 58, 61, 86, 101, 172 f., 200 f., 286 Vertragswettbewerb – Begriff 263, 385, 418, 512 ff. – im Gesundheitswesen siehe Gesundheitsvergaberecht 330 ff. – paradoxe Wirkung 322 f. – und Vertragssteuerung 327 f. Verwaltung – Begriff 41, 53, 92, 119 – Dezentralisierung 157, 178 – Europäische ~ 478 – Begriff 158 f., 492 – Direktvollzug 158 f. – Einzelvollzug 158 f. – Heterogenität 176 f., 187 – Referenzentscheidungsmodell 158 ff., 161, 168 f. – Struktur 158 f., 478 – Transnationalisierungsmodell 64, 133, 161 f. – Verbundbegriff siehe Verwaltungsverbund 489

– Zentralisierung 121, 160 ff., 168 – horizontale 121, 159 ff., 163 ff., 168, 178 f. – vertikale 161 – Stellung in der Gewaltengliederung 43 ff., 305, 478 Verwaltungsakt – Abgrenzung Vertrag zu ~ 246, 319 f., siehe auch Gesundheitsvergaberecht – transnationaler 133 Verwaltungskompetenz siehe Kompetenzen Verwaltungskoordinierung 26, 59, 128 ff., 165 ff. Verwaltungsorganisation, Europäische – direkter Vollzug 28, 83, 103, 114 ff. – indirekter Vollzug 28, 43, 65, 85, 119, 121, 158 f. – Verbundbegriff siehe Verwaltungsverbund Verwaltungsrecht, Europäisches 53 f., 83 ff., 94 ff., 119 ff., 156 ff., 196 ff., 489 – Äquivalenzprinzip 122, 405, 493 – Determinanten des Europäischen Verwaltungsrechts 491, 493 – direkter Vollzug siehe Verwaltungsorganisation 121, 478 – Effektivitätsprinzip 121 ff., 493 – Hierarchieprinzip 122, 492 f. – indirekter Vollzug siehe Verwaltungsorganisation 121, 478 – Kooperation 493, 496 – Referenzgebiete 176 – Strukturprinzipien des Europäischen Verwaltungsrechts 65, 119 ff., 189, 493 Verwaltungsrechtsangleichung 157 ff., 206 – Herkunftslandprinzip 137, 167, 339 – im dezentralen Vollzug 165, 175, 496 – im zentralen Vollzug 179, 496 – Referenzgebiete

Sachwortverzeichnis – Behördennetzwerke (Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit) 36, 126, 170 ff. – Beihilferecht siehe Beihilferecht – Produktzulassungsrecht (Warenverkehrsfreiheit) 177 f., 497 ff. – Regulierungsverwaltungsrecht 186 ff., 198 f., 211, 248, 497 ff. – Vergaberecht 196 ff. – Reichweite 156 ff., 496 – Strukturvorgaben der Grundfreiheiten 167 ff. – Beschleunigungsprinzip 121 ff., 167 f., 493 ff. – Effektivitätsprinzip 121 ff., 167 f., 493 ff. – Effizienzprinzip 167 ff. Verwaltungsverbund – Begriff 45 – Referenzgebiete 126, 171 ff., siehe auch Verwaltungsrechtsangleichung, Referenzgebiete – Struktur 86 – Vergaberecht 199 ff. – Verhältnis zum ~ 33, 41 ff. Verwaltungsverfahren, Europäisches 58, 64, 158 f., 198, 208, 332 ff. – Beschränkungsverbote im ~ 277 ff., 293, 340 ff. – Diskriminierungsverbote im ~ 128 ff., 339, 491, 502 – Prinzipien 123 ff. – Struktur 158 Völkerrecht 42 f., 49, 65 Vollzug – dezentral 158, 165, 175, 496 – direkt 28, 83, 103, 114 ff. – indirekt 28, 43, 65, 85, 119, 121, 158 f. – zentral 158, 159 ff., 167, 179, 496

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Vorabentscheidungsverfahren 86, siehe auch Judikative Warenverkehrsfreiheit 58, 63, 108, 131, 134 ff., 145, 151, 177, 292, 465, siehe auch Grundfreiheiten, einzelne Wesentlichkeitstheorie 55, 77, 95, 112, 496 Wettbewerb – als Steuerungsinstrument 264, 319 ff., 332 – im Gesundheitswesen 262 f., 299 ff., 321 ff., 366 ff., 393 ff. – Leistungswettbewerb 257 – Preiswettbewerb 436 ff., 464 – Vertragswettbewerb 252 ff., 263 ff., 512 Wettbewerbsrecht – Beihilferecht, Verhältnis zum ~ 114, 207, 313 ff., 487 ff. – Gefährdungsmaßstab 107 ff. – Grundlagen des ~ 59 f., 94 ff. – im Gesundheitswesen siehe Gesundheitswesen – Kompetenzen der Kommission 307, 479 ff., 487 ff. – Rechtfertigungsebene 135, 301 – Restriktionen 114, 135 ff., 239, 436 – Tatbestandsebene 102, 135, 301, 486 – Unternehmensbegriff, funktionaler 59, 95 ff., 311 ff., 414, 486 ff., 504 – Verhinderungsmaßstab 60, 109 ff., 487 Wirtschaftlichkeitsprinzip – im Sozialrecht (SGB V) 507 – im Vergaberecht 363 f., 450 Zentralisierung 83, 122 ff., 140, 158 ff., 162 ff., 167 f., 175, 188, 263, siehe auch Verwaltung, Europäische Zweckverbandslehre 66