Gesundheit und Selbstbestimmung: Voraussetzungen und Folgen der Einwilligungs(un)fähigkeit von Patienten [1. Aufl.] 9783662611395, 9783662611401

Dieses Buch bietet einen umfassenden Überblick über die Einwilligungsfähigkeit von Patientinnen und Patienten aus Sicht

486 51 4MB

German Pages XXIII, 384 [395] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXIII
Front Matter ....Pages 1-1
Kapitel 1: Einleitung (Anna Genske)....Pages 3-27
Kapitel 2: Rechtsethische, verfassungsrechtliche und dogmatische Grundlagen (Anna Genske)....Pages 29-73
Kapitel 3: Aktueller Forschungsstand in Rechtswissenschaft und -praxis (Anna Genske)....Pages 75-114
Front Matter ....Pages 115-115
Kapitel 4: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit (Anna Genske)....Pages 117-153
Kapitel 5: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit (Anna Genske)....Pages 155-179
Kapitel 6: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit (Anna Genske)....Pages 181-213
Kapitel 7: Vorschlag zur Regelung der Einwilligungsfähigkeit im Medizinrecht (Anna Genske)....Pages 215-220
Front Matter ....Pages 221-221
Kapitel 8: Rechtsfolgen bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit (Anna Genske)....Pages 223-255
Kapitel 9: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit (Anna Genske)....Pages 257-311
Front Matter ....Pages 313-313
Kapitel 10: Arzthaftungsrechtliche und prozessuale Anschlussfragen (Anna Genske)....Pages 315-334
Kapitel 11: Zusammenfassung und Ausblick (Anna Genske)....Pages 335-348
Back Matter ....Pages 349-384
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Gesundheit und Selbstbestimmung: Voraussetzungen und Folgen der Einwilligungs(un)fähigkeit von Patienten [1. Aufl.]
 9783662611395, 9783662611401

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Kölner Schriften zum Medizinrecht Christian Katzenmeier (Hrsg.)

Anna Genske

Gesundheit und Selbstbestimmung Voraussetzungen und Folgen der Einwilligungs(un)fähigkeit von Patienten

123

23

Kölner Schriften zum Medizinrecht Band 23 Reihenherausgeber Christian Katzenmeier

Weitere Bände siehe http://www.springer.com/series/8204

Anna Genske

Gesundheit und Selbstbestimmung Voraussetzungen und Folgen der Einwilligungs(un)fähigkeit von Patienten

Anna Genske Institut für Medizinrecht Universität zu Köln Köln, Deutschland

ISSN 1866-9662 ISSN 1866-9670 (electronic) Kölner Schriften zum Medizinrecht ISBN 978-3-662-61139-5 ISBN 978-3-662-61140-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort Die vorliegende Schrift wurde im Sommersemester 2019 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Auf diesem Stand befindet sich auch die berücksichtigte Literatur und Rechtsprechung. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Professor Dr. Christian Katzenmeier für die Bereitschaft, das Thema zu betreuen und die Entstehung der Arbeit in vielfältiger Weise zu unterstützen und zu fördern. Ebenso danken möchte ich der Zweitberichterstatterin Frau Professor Dr. Christiane Woopen, die mir während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiterin am ceres (Cologne Center for Ethics, Rights, Economics and Social Sciences of Health) zahlreiche Einblicke in die disziplinübergreifenden Zusammenhänge des Themas ermöglicht hat und durch die zügige Erstellung des Zweitgutachtens maßgeblich zu einem schnellen Abschluss des Promotionsverfahrens beigetragen hat. Für das fortwährende Interesse am Entstehen dieser Arbeit, den inspirierenden Austausch und die wertvollen Anregungen danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Medizinrecht der Universität zu Köln, meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen am ceres sowie all denjenigen, die die Arbeit Korrektur gelesen haben. Mein besonderer Dank gilt zudem meiner Familie und meinen Freunden für ihre fortwährende Bestärkung und Unterstützung auf allen Wegen.

Berlin im September 2019

Anna Genske

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

1. Teil: Die Einwilligungsfähigkeit in Rechtswissenschaft und -praxis ............ 1 Kapitel 1: Einleitung ............................................................................................. 3 A. Problemstellung........................................................................................... 4 I. Bedeutung der Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich ............. 5 II. Gesetzeslücke und Forschungsbedarf ................................................... 7 III. Konkretisierungsbedarf aus Sicht der medizinischen Praxis ............... 8 IV. Selbstbestimmungsbezug der Einwilligungsfähigkeit ......................... 9 B. Begriffe und Konzepte .............................................................................. 10 I. Einwilligung ......................................................................................... 10 1. Allgemeines .................................................................................. 10 2. Die Einwilligung im Medizinrecht ................................................ 11 a) Systematik der informierten Einwilligung im Delikts- und Vertragsrecht ................................................ 11 b) Ausprägungen der Einwilligung im Gesundheitsbereich ........ 12 3. Wesentliche Bezugspunkte der Einwilligung im Medizinrecht .... 14 a) Indikation und Standard .......................................................... 14 b) Medizinische Maßnahme ........................................................ 14 c) Die zu behandelnde Person: Patient, Ratsuchender, Proband.. 16 II. Die Einwilligungsfähigkeit ................................................................. 17 1. Begriff ........................................................................................... 17 a) Einwilligungs(un)fähigkeit ...................................................... 17 b) „Schillernde“ Begriffsverwendung ......................................... 18 c) Einwilligungsfähigkeit und Einwilligungszuständigkeit ......... 19 2. Grundlegende Differenzierungen .................................................. 20 a) Absolute, relative und partielle Einwilligungs(un)fähigkeit .... 20 b) Schwere und Dauer der Einwilligungs(un)fähigkeit ............... 21 c) „Noch nicht“, „nicht mehr“ und „niemals“ einwilligungsfähige Personen ................................................ 22 C. Forschungsgegenstand ............................................................................... 23 I. Methodischer Rahmen ......................................................................... 23 1. Besonderheiten des Medizinrechts ................................................ 24 a) Herausforderungen der Intradisziplinarität .............................. 24 b) Berücksichtigung außerrechtlicher Befunde ........................... 25 2. Aufgabe der Rechtsdogmatik und theoretische Bezüge ................ 26 II. Gang der Untersuchung ...................................................................... 27 Kapitel 2: Rechtsethische, verfassungsrechtliche und dogmatische Grundlagen.................................................................................... 29 A. Die Einwilligungsfähigkeit als Rechtsfrage .............................................. 29 I. Meinungsspektrum ............................................................................... 29 II. Würdigung .......................................................................................... 30 1. Normativität der Einwilligungsfähigkeit ....................................... 30

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2. Rolle der Empirie .......................................................................... 31 3. Zusammenwirken von Recht, Medizin und Psychologie .............. 32 III. Fazit ................................................................................................... 33 B. Rechtsethische Grundlagen ....................................................................... 33 I. Selbstbestimmung und Fürsorge .......................................................... 33 II. Autonomie und Selbstbestimmung in Gesundheitsangelegenheiten .. 34 1. Vorfragen ...................................................................................... 34 a) Verhältnis von Autonomie und Selbstbestimmung ................. 35 b) Begriff der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung ............ 36 2. Gehalt der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung ................... 37 a) Vielfalt der Umschreibungsversuche in Medizinethik, Philosophie und Recht ........................................................... 37 b) Rezeption des Autonomiebegriffs von Feinberg ..................... 38 c) Patientenautonomie in der Prinzipienethik .............................. 39 d) Diskussion und Würdigung ..................................................... 40 e) Fazit ......................................................................................... 43 3. Grenzen der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung ................ 43 III. Fürsorge im Gesundheitsbereich ....................................................... 43 1. Bedeutung des Fürsorgeprinzips für die Einwilligungsfähigkeit .. 44 2. Folgerungen für die Einwilligungsfähigkeit .................................. 44 a) Selbst- und Fremdbestimmung ................................................ 44 b) Einwilligungsfähigkeit als Grenze zwischen hartem und weichem Paternalismus beim Handeln gegen den Willen des Betroffenen ...................................................................... 45 3. Fazit............................................................................................... 47 IV. Autonomie, Paternalismus und Rationalität ...................................... 47 1. Einwände gegen substantielle, vernunftorientierte Ansätze .......... 48 2. Einwände gegen verhaltensökonomisch fundierte Ansätze .......... 49 a) Prämissen verhaltensökonomischer Ansätze zur Bestimmung von Autonomie ...................................................................... 49 b) Stellungnahme ......................................................................... 50 3. Herausforderungen des prozeduralen Ansatzes............................. 51 a) Vorschlag einer Minimalkonzeption von Rationalität ............. 51 b) Vereinbarkeit mit liberalistischen Freiheitskonzeptionen und dem Geltungsgrund des Selbstbestimmungsprinzips ...... 52 V. Fazit .................................................................................................... 53 C. International- und verfassungsrechtlicher Rahmen ................................... 54 I. Die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung im internationalen Recht ........................................................................ 54 II. Verfassungsrechtlicher Rahmen ......................................................... 55 1. Die Einwirkung der Grundrechte auf das einfache Recht ............. 55 2. Verortung des Selbstbestimmungsrechts und des Fürsorgeprinzips .................................................................... 56 a) Die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung in den Grundrechten............................................................... 56 b) Grundrechtsimmanente Begrenzungen: Fürsorgeprinzip ........ 58 c) Weitere Schranken, insbesondere aus Art. 6 Abs. 1, 2 GG ..... 60

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3. Grundrechtsmündigkeit ................................................................. 61 4. Gehalt des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts ........ 62 III. Fazit ................................................................................................... 64 D. Dogmatik der informierten Einwilligung .................................................. 64 I. Die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Behandlungseinwilligung ...... 64 1. Erklärung der Einwilligung durch den Einwilligungsberechtigten ........................................................... 64 2. Vorherige Selbstbestimmungsaufklärung ..................................... 65 3. Freiwilligkeit ................................................................................. 66 4. Weitergehende Anforderungen an die Behandlungseinwilligung . 67 5. Kein Widerruf der Einwilligung ................................................... 68 6. Dispositionsbefugnis und fehlende Sittenwidrigkeit ..................... 68 II. Rechtsnatur der Behandlungseinwilligung, Anwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB und Abgrenzung zur Geschäftsfähigkeit ................. 70 1. Rechtsnatur der Behandlungseinwilligung und Anwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB ............................................. 70 2. Abgrenzung zu §§ 2, 104 Nr. 1, 106 BGB .................................... 71 3. Abgrenzung zu § 104 Nr. 2 BGB .................................................. 71 III. Fazit ................................................................................................... 73 Kapitel 3: Aktueller Forschungsstand in Rechtswissenschaft und -praxis .... 75 A. Gesetzliche Regelungen der Einwilligungsfähigkeit ................................. 75 I. Fehlen einer allgemeinen Regelung und Normierungsbedarf .............. 75 1. Maßgeblichkeit bestehender Regelungen aus anderen Bereichen . 76 a) Einfaches Recht: Freier Wille, Geschäfts- und Schuldfähigkeit ...................................................................... 76 b) Internationales Gesundheitsrecht ............................................ 77 2. Normentwicklung im Zivilrecht .................................................... 77 a) Regelungsanläufe .................................................................... 77 b) Votum des 63. Deutschen Juristentags .................................... 78 c) Änderungen des Familienrechts und Beratungen zum Patientenrechtegesetz .................................. 79 d) Fazit......................................................................................... 80 II. Spezielle Regelungen der Einwilligungsfähigkeit .............................. 80 1. Inhalt der spezialgesetzlichen Regelungen .................................... 81 2. Auslegung der Einwilligungsfähigkeit in den Gesetzesbegründungen ................................................................ 82 3. Diskussion und Stellungnahme ..................................................... 83 4. Weitergehende spezialgesetzliche Anforderungen ........................ 84 B. Die Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte ................... 85 I. Zur Rolle der Einwilligungs(un)fähigkeit im Prozess .......................... 85 II. Zivilrecht ............................................................................................ 86 1. Haftungsrecht ................................................................................ 86 a) Reichsgericht und frühe BGH-Rechtsprechung ...................... 86 b) Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit psychisch erkrankter Patienten ............................................................... 86

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c) Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger ab 1958.......................................................... 88 d) Neuere Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit Volljähriger ............................................................................ 89 2. Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit psychisch erkrankter Personen im Vormundschafts-, Pflegschaftsund Betreuungsrecht .................................................................... 90 III. Strafrecht ........................................................................................... 90 1. Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH zu § 185 StGB .............................................................. 91 2. Arzthaftungsrechtliche Rechtsprechung ........................................ 91 3. Rechtsprechung zu §§ 223 und 216 StGB..................................... 92 IV. Diskussion und Stellungnahme ......................................................... 94 1. Emanzipation der Einwilligungsfähigkeit von der Geschäftsfähigkeit ....................................................................... 94 2. Variationsbreite ............................................................................. 94 a) Gehalt der Definitionsansätze und außerrechtliche Erwägungen .................................................. 95 b) Die Rolle der Vernunft und das Erfordernis der sittlichen Reife ........................................ 96 3. Offene Fragen zur Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten.............................................................. 97 a) Einwilligungszuständigkeit im Zivil- und Strafrecht............... 97 b) Rolle des Alters ....................................................................... 98 C. Die Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft ........................... 100 I. Definitionen der Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft .. 100 1. Rezeption der Rechtsprechung .................................................... 100 2. Weitergehende Definitionsansätze .............................................. 102 a) Die Definition von Amelung .................................................. 102 b) Die Definition von Odenwald ............................................... 104 c) Die Definition von Stief ......................................................... 105 3. Zwischenergebnis........................................................................ 106 II. Alter als Referenzwert ...................................................................... 106 1. Feste Altersgrenze oder Regelvermutung ................................... 106 2. Referenzwerte ............................................................................. 107 3. Diskussion und Stellungnahme ................................................... 108 a) Keine Altersgrenze nach geltendem Recht ............................ 108 b) Keine Übertragung auf volljährige Patienten ........................ 110 c) Gesetzgeberischer Handlungsbedarf ..................................... 110 D. Weiterführende Fragen ............................................................................ 111 I. Möglichkeit einer rechtsgebietsübergreifenden Definition der Einwilligungsfähigkeit.................................................................... 111 1. Rechtsgebietsspezifische Unterschiede ....................................... 111 2. Meinungsstand ............................................................................ 111 3. Würdigung .................................................................................. 112 II. Bestehender Konsens in Rechtswissenschaft und -praxis ................. 113 III. Gegenwärtige Differenzen und offene Fragen ................................ 113

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2. Teil: Eigener Vorschlag zur Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit im Medizinrecht ................................................................................................ 115 Kapitel 4: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit .................................. 117 A. Die inhaltlichen Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit ............... 117 I. Die Charakteristika der Einwilligung ................................................. 117 1. Die Einwilligung als Instrument der Disposition ........................ 117 2. Die Einwilligung als Tatsachen- und Wertentscheidung ............ 118 3. Besonderheiten der gesundheitsbezogenen Einwilligung ........... 118 a) Die gesundheitsbezogene Einwilligung als Konfliktentscheidung ........................................................... 118 b) Bezug zur ärztlichen Aufklärungspflicht............................... 119 II. Die hieraus folgenden Fähigkeiten ................................................... 119 1. Einsichtsfähigkeit ........................................................................ 119 a) Parallelität von Selbstbestimmungsaufklärung und Einwilligungsfähigkeit ......................................................... 120 b) Anforderungen an die Selbstbestimmungsaufklärung ........... 121 c) Zur Rolle des tatsächlichen Informationsverständnisses ....... 124 d) Zwischenergebnis .................................................................. 125 2. Urteilsfähigkeit............................................................................ 125 a) Urteilsfähigkeit als Fähigkeit zur vernünftigen Wertung?..... 125 b) Weitergehende Anforderungen an Einsichts- und Urteilsfähigkeit............................................. 135 3. Steuerungsfähigkeit ..................................................................... 137 4. Äußerungsfähigkeit ..................................................................... 138 III. Fazit ................................................................................................. 138 B. Das erforderliche Ausmaß ....................................................................... 139 I. Fester Schwellenwert oder relativer Beurteilungsmaßstab ................ 139 1. Konkreter Maßstab der Einwilligungsfähigkeit als Abwägungsentscheidung ........................................................... 139 2. Rechtsdogmatische Überlegungen .............................................. 140 3. Orientierungswerte ...................................................................... 140 a) Orientierungspunkte der relativen Einwilligungs(un)fähigkeit .................................................. 141 b) Weitergehende Erwägungen ................................................. 143 4. Fazit............................................................................................. 143 II. Bezugspunkte der Relativität ............................................................ 144 1. Zulässigkeit außerrechtlicher Kriterien als Bezugspunkte .......... 145 2. Selbstbestimmungsrecht als Bezugspunkt der Relativität ........... 145 3. Keine Abhängigkeit von der Komplexität der Entscheidung ...... 146 4. Keine Abhängigkeit von der Dringlichkeit der Maßnahme ........ 146 C. Die Bezugspunkte der Einwilligungsfähigkeit ........................................ 147 I. Keine Bewertung des Entscheidungsinhalts....................................... 147 II. Dogmatische Erwägungen ................................................................ 148 1. Privilegierung der Zustimmung bei absolut indizierten Eingriffen .............................................. 149

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2. Privilegierung der Eingriffsablehnung bei fehlender Indikation ............................................................. 150 III. Medizinische Praxis ........................................................................ 150 IV. Abgrenzung zur Vetofähigkeit und zur Widerrufsfähigkeit ............ 151 1. Vetofähigkeit ............................................................................... 151 2. Widerrufsfähigkeit ...................................................................... 151 D. Fazit ......................................................................................................... 152 Kapitel 5: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit .................... 155 A. Einzelfallbezogenheit der Prüfung .......................................................... 155 B. Altersbezogene Differenzierungen .......................................................... 156 I. Alter als formale Kategorie zur Bestimmung der Mündigkeit ........... 157 1. Die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit volljähriger Patienten................................................................. 157 a) Die Mündigkeit als generelle Zulassung zum Rechtsverkehr 158 b) Das Verhältnis von Mündigkeit und Handlungsfähigkeit ..... 158 c) Die Einwilligungsfähigkeit als spezielle Ausprägung der Handlungsfähigkeit ........................................................ 160 d) Doppelrolle des Alters als Indiz für Fähigkeitsdefizite und als formale Kategorie ................. 160 2. Erfordernis der positiven Feststellung der Einwilligungsfähigkeit bei Minderjährigen ......................... 161 3. Keine positive Prüfung der Einwilligungsfähigkeit hochaltriger Patienten .................................................................................... 162 a) Hintergründe der Diskussion ................................................. 162 b) Stellungnahme: Rechtliche Betreuung als vorzugswürdiges Instrument der Fürsorge im Alter ............ 163 c) Keine Vermutung der Einwilligungsunfähigkeit Betreuter ... 165 d) Ergebnis ................................................................................ 166 II. Gleiche Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger, volljähriger und alter Menschen............................ 166 C. Inhaltliche Differenzierungen .................................................................. 168 I. Inhalt der Entscheidung: Partielle Einwilligungsunfähigkeit ............. 168 II. Charakteristika des Eingriffs: Relativität des Beurteilungsmaßstabs 169 D. Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit und Erfordernis einer zweistufigen Prüfung ................................................. 169 I. Die traditionelle Auffassung zur zweistufigen Prüfung der Einwilligungsfähigkeit.................................................................... 169 II. Stellungnahme: Keine inhaltliche Engführung auf bestimmte Defekte .................................................................... 170 III. Das Erfordernis tatsächlicher Defizite in der Willensbildung ......... 171 1. Keine Überprüfung bei bloßer Unvernünftigkeit der Entscheidung ........................................... 171 2. Keine Indizwirkung der Betreuerbestellung ................................ 172 IV. Die verbleibende Bedeutung der Eingangsmerkmale ..................... 172 1. Klassische Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit: Junges Alter, psychische Krankheit und geistige Behinderung . 173

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2. Einwilligungsunfähigkeit als Folge physischer Erkrankungen ... 175 a) Schlechter Allgemeinzustand ................................................ 175 b) Bewusstlosigkeit und starke Schmerzen ............................... 176 3. Einwilligungsunfähigkeit als Folge der Behandlung .................. 177 4. Einwilligungsunfähigkeit als Folge hohen Alters ....................... 177 5. Weitere potentielle Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit ....... 178 a) Starke Emotionen und starke Müdigkeit ............................... 178 b) Optimistische Fehlannahme und therapeutisches Missverständnis .......................................... 178 E. Fazit ......................................................................................................... 179 Kapitel 6: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit .................. 181 A. Die Einwilligungsfähigkeit aus medizinischer und psychologischer Sicht ............................................................................ 181 I. Herausforderungen des Zusammenwirkens von Recht, Medizin und Psychologie ............................................................... 181 II. Empirische Modelle der Einwilligungsfähigkeit und ihre Operationalisierung ................................................................. 182 1. Beurteilung mithilfe strukturierter Beurteilungsinstrumente ...... 182 2. „Vier-Fähigkeiten-Modell“ der Einwilligungsfähigkeit .............. 183 a) Inhaltliche Ausgestaltung der einzelnen Kriterien in den Operationalisierungen des Vier-Fähigkeiten-Modells ......... 185 b) Unterschiede der auf dem Vier-Fähigkeiten-Modell basierenden Testverfahren ................................................... 187 c) Diskussion ............................................................................. 189 d) Ergebnis ................................................................................ 192 3. Vorschläge für das Beurteilungsverfahren .................................. 192 III. Vorgaben der medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland ... 193 1. Kriterien der bestehenden Leitlinien ........................................... 194 2. Diskussion ................................................................................... 196 3. Ergebnis ...................................................................................... 197 IV. Klinische Praxis .............................................................................. 197 1. Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit als ärztliche Aufgabe .... 197 2. Praktische Herausforderungen .................................................... 198 a) Anforderungen an die Qualifikation der beurteilenden Ärzte ........................................................ 198 b) Unsicherheiten bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit ................................................... 199 c) Zeit- und ressourcenintensives Verfahren ............................. 199 3. Abrechnungsfragen ..................................................................... 200 V. Zusammenfassung und Fazit ............................................................ 201 B. Forschung zur Gesundheitskompetenz .................................................... 201 C. Neurowissenschaftliche und entscheidungstheoretische Ansätze............ 202 I. Physiologische und neurowissenschaftliche Erkenntnisse zur menschlichen Willensfreiheit ................................................... 203 II. Empirische Befunde zur begrenzten Rationalität .............................. 204

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III. Einfluss von Informationsumfang und -kontext auf die Einwilligungsfähigkeit ........................................................ 205 IV. Folgerungen für das Recht .............................................................. 206 D. Einwilligungsfähigkeit in der Philosophie und Medizinethik ................. 207 I. Risikorelativität .................................................................................. 207 1. Theoretische Vorannahmen......................................................... 208 2. Diskussion und Folgerungen für das Recht ................................. 209 II. Kritik an der kognitivistischen Definition der Einwilligungsfähigkeit.............................................................. 210 III. Authentizität .................................................................................... 211 IV. Folgerungen für das Recht .............................................................. 212 Kapitel 7: Vorschlag zur Regelung der Einwilligungsfähigkeit im Medizinrecht ..................................................................................................... 215 A. Regelungsvorschlag ................................................................................ 216 B. Erläuterungen .......................................................................................... 216 I. Ort der Regelung im Behandlungsvertragsrecht ................................ 216 II. Einsichts-, Urteils-, Steuerungs- und Äußerungsfähigkeit ................ 217 1. Kein Verweis auf die Regelung der Selbstbestimmungsaufklärung ............................................. 217 2. Die Ausgestaltung der Urteilsfähigkeit ....................................... 218 3. Steuerungsfähigkeit und Äußerungsfähigkeit ............................. 218 III. Einzelfallbezug und Eingangsmerkmale ......................................... 219 IV. Ober- und Untergrenzen des relativen Beurteilungsmaßstabs und Vermutungsregelung ab Vollendung des 14. Lebensjahres ..... 219 C. Fazit ......................................................................................................... 220 3. Teil: Rechtsfolgen der Einwilligungs(un)fähigkeit und praktische Implikationen .................................................................................................... 221 Kapitel 8: Rechtsfolgen bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit................. 223 A. Einwilligungsebene: Die Einwilligungszuständigkeit ............................. 223 I. Grundsatz ........................................................................................... 223 II. Minderjährige Patienten .................................................................... 224 1. Maßgeblichkeit der Einwilligung des Minderjährigen selbst ...... 225 a) Meinungsspektrum ................................................................ 225 b) Stellungnahme ....................................................................... 226 c) Fazit ....................................................................................... 227 2. Mitwirkungsbefugnisse der Sorgeberechtigten und Vorgehen im Konfliktfall .......................................................... 227 a) Teilmündigkeit des Minderjährigen ...................................... 228 b) Konflikt zwischen einwilligungsfähigem Minderjährigen und gesetzlichem Vertreter ......................... 235 c) Anforderungen an die Einwilligung der Personensorgeberechtigten .................................................. 239 III. Relativ einwilligungsfähige Volljährige mit und ohne Betreuer ..... 240 1. Grundsatz: Alleinentscheidungsbefugnis des Betreuten ............. 240

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2. Vorgehen bei Zweifeln an der Einwilligungsfähigkeit................ 241 3. Sonderfall: Lucidum intervallum ................................................ 242 B. Vertragsebene: Auswirkungen der Einwilligungsfähigkeit auf die Fähigkeit zum Abschluss des Behandlungsvertrages ................ 243 I. Grundsätze ......................................................................................... 244 1. Abschluss des Behandlungsvertrags ........................................... 244 2. Ausstellung einer Vollmacht in Gesundheitsangelegenheiten .... 244 II. Minderjährige Patienten .................................................................... 246 1. Vertragsschluss durch die Eltern ................................................. 246 2. Eigene Vertragsschlusskompetenz des Minderjährigen .............. 247 a) Grundsätze ............................................................................. 247 b) Privat versicherte Patienten und GKV-Patienten, die Leistungen in Anspruch nehmen, die nicht vom Katalog der GKV umfasst sind .......................................................... 249 c) Gesetzlich versicherte Patienten, die GKV-Leistungen in Anspruch nehmen ............................................................ 250 d) Ergebnis ................................................................................ 253 3. Weitergehende Reformvorschläge .............................................. 253 III. Relativ einwilligungsfähige Volljährige mit und ohne Betreuung .. 254 C. Weitere Folgen ........................................................................................ 255 Kapitel 9: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit ...................... 257 A. Vertragsebene: Auswirkungen der Einwilligungsunfähigkeit auf die Fähigkeit zum Abschluss des Behandlungsvertrages ................ 257 I. Volljährige Patienten.......................................................................... 257 II. Minderjährige Patienten .................................................................... 258 III. Behandlung in Notfallsituationen .................................................... 259 B. Einwilligungsebene ................................................................................. 259 I. Vorrang der Einwilligung des Patienten ............................................ 260 1. Gebot der frühzeitigen Aufklärung bei absehbarem Verlust der Einwilligungsfähigkeit ............................................ 260 2. Zeitlich nach hinten verlagerte Aufklärungspflicht bei absehbarer Wiedererlangung der Einwilligungsfähigkeit .... 261 II. Antizipierte Behandlungsentscheidungen ......................................... 262 III. Stellvertretende Behandlungseinwilligung ...................................... 264 1. Arten der Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten .......... 264 a) Gewillkürt (Vorsorgevollmacht) ........................................... 264 b) Gesetzlich .............................................................................. 265 2. Umfang der Vertretungsmacht .................................................... 267 a) Grundsätze ............................................................................. 267 b) Besonderheiten bei volljährigen Patienten ............................ 270 c) Besonderheiten bei minderjährigen Patienten ....................... 273 d) Handeln mit, ohne oder gegen den Willen des Betroffenen .. 275 IV. Mutmaßliche Einwilligung .............................................................. 277 V. Willensunabhängige Rechtfertigungsgründe .................................... 279 1. Spezialgesetzliche Eingriffsermächtigungen............................... 279 2. Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag ............................... 280

XVI

Inhaltsverzeichnis

3. Rechtfertigender Notstand in Notfallsituationen, § 34 StGB ...... 280 4. Ärztliche Fürsorge als Rechtfertigungsgrund bei der Behandlung minderjähriger Patienten ........................... 283 C. Partizipationsrechte konkret einwilligungsunfähiger Patienten ............... 284 I. Gestufte Willensäußerungen .............................................................. 284 1. Grundsatz: Mutmaßlicher und natürlicher Wille ......................... 284 a) Mutmaßlicher Wille .............................................................. 284 b) Natürlicher Wille ................................................................... 285 2. Qualifizierter natürlicher Wille ................................................... 286 a) Wunschfähigkeit des Betreuten ............................................. 286 b) Vetofähigkeit Minderjähriger ................................................ 286 3. Freier Wille des Betreuten, § 1896 Abs. 1 a BGB ...................... 288 II. Informationsrechte konkret einwilligungsunfähiger Patienten ......... 288 1. Ärztliche Informationspflicht, § 630e Abs. 5 BGB ..................... 288 2. Einbeziehung in die Entscheidungsfindung ................................ 289 III. Spezialgesetzlich verankerte Partizipationsrechte ........................... 289 IV. Informierte Zustimmung des einwilligungsunfähigen Patienten, sog. Informed Assent ...................................................................... 290 V. Gebot der rechtlichen Assistenz bei volljährigen Personen .............. 291 1. Konzept und Rechtsgrundlagen .................................................. 291 2. Umsetzung im deutschen Recht durch das Betreuungsrecht ....... 292 D. Zulässigkeit medizinischer Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen......................................................... 294 I. Allgemeine Systematik ...................................................................... 294 1. Einwilligungsunfähigkeit als Voraussetzung ärztlichen Zwangs und Gesetzgebungsgeschichte des § 1906a BGB ........ 296 2. Natürlicher Wille und Veto ......................................................... 297 a) Weitreichende Vetobefugnis volljähriger Patienten .............. 297 b) Umstrittene Vetobefugnis des minderjährigen Patienten ...... 298 II. Voraussetzungen ärztlicher Zwangsmaßnahmen bei Volljährigen ... 299 1. Anwendungsbereich des § 1906a BGB ....................................... 299 2. Einwilligung des Gesundheitsbevollmächtigten oder des Betreuers ..................................................................... 300 3. Voraussetzungen des § 1906a Abs. 1 S. 1 BGB.......................... 300 4. Genehmigung des Betreuungsgerichts, § 1906a Abs. 2 BGB ..... 303 5. Weitere Voraussetzungen............................................................ 304 a) Rechtzeitige Ankündigung .................................................... 304 b) Widerruf der Einwilligung und Anzeige beim Betreuungsgericht ................................................................ 304 c) Notfälle .................................................................................. 304 6. Rechtsfolgen bei Verstößen ........................................................ 305 III. Voraussetzungen ärztlicher Zwangsmaßnahmen bei Minderjährigen ......................................................................... 305 1. Fehlende gesetzliche Regelung ................................................... 305 2. Allgemeine Voraussetzungen ...................................................... 305 a) Einwilligungsunfähigkeit des Minderjährigen ...................... 306 b) Einwilligung des Sorgerechtsinhabers .................................. 306

Inhaltsverzeichnis

XVII

c) Geeignetheit, Erforderlichkeit und überwiegender Nutzen der Zwangsmaßnahme ............................................. 306 d) Vergeblicher Überzeugungsversuch, § 1626 Abs. 2 BGB .... 307 e) Keine Begrenzung auf den stationären Aufenthalt ................ 307 f) Familiengerichtlicher Genehmigungsvorbehalt ..................... 308 3. Weitergehende Anforderungen nach § 1631b BGB .................... 310 4. Fazit............................................................................................. 311 4. Teil: Anschlussfragen und wesentliche Ergebnisse .................................... 313 Kapitel 10: Arzthaftungsrechtliche und prozessuale Anschlussfragen ........ 315 A. Prozessuale Fragen .................................................................................. 315 I. Zur Rolle der Einwilligungsfähigkeit im Prozess .............................. 315 II. Prüfungsumfang der Gerichte und Kompetenzen des gerichtlichen Sachverständigen ...................................................... 316 1. Stellungnahme: Keine Einschätzungsprärogative des Arztes...... 316 2. Eigenständige Prüfpflicht der Gerichte ....................................... 317 3. Rolle des Sachverständigen ......................................................... 318 III. Prozessuale Bedeutung der aus der Mündigkeit folgenden Vermutungsregeln .......................................................................... 318 1. Materiell-rechtliche Vermutungsregeln ...................................... 319 2. Allgemeine Beweislastgrundsätze und Korrekturbedarf ............. 319 3. Mögliche Lösungsansätze und eigene Würdigung ...................... 320 a) Keine rechtshindernde Einwendung ...................................... 321 b) Keine gesetzliche oder richterrechtliche Beweislastumkehr . 321 c) Anscheinsbeweis ................................................................... 323 d) Weitere vertragsrechtliche Besonderheiten ........................... 325 4. Fazit............................................................................................. 325 B. Arzthaftungsrechtliche Erwägungen ....................................................... 326 I. Haftung des Arztes bei Falschbeurteilung der Einwilligungsfähigkeit.............................................................. 327 1. Haftung des beurteilenden Arztes für die fehlerhafte Beurteilung selbst .................................................... 328 a) Fehlerhafte Beurteilung als vertragliche Nebenpflichtverletzung ........................................................ 328 b) Verschulden........................................................................... 328 c) Schaden ................................................................................. 329 2. Behandlung des fehlerhaft für einwilligungs(un)fähig befundenen Patienten................................................................. 329 a) Fallkonstellationen ................................................................ 329 b) Fehlen einer wirksamen Einwilligung in allen Fällen ........... 330 3. Haftung im Rahmen ärztlicher Zwangsmaßnahmen ................... 332 4. Fazit............................................................................................. 332 II. Verletzung der Informationspflichten gegenüber situativ einwilligungsunfähigen Patienten ...................................... 333 III. Passivlegitimation ........................................................................... 333

XVIII

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 11: Zusammenfassung und Ausblick ................................................. 335 A. Wesentliche Ergebnisse........................................................................... 335 I. Grundlagen ......................................................................................... 335 1. Erfordernis einer einheitlichen Begriffssprache .......................... 335 2. Die Konkretisierung und letztverbindliche Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit obliegt dem Recht und der Rechtspraxis ........................................................................ 335 3. Selbstbestimmung und Fürsorge als rechtsethische Grundlagen . 335 4. Maßgaben des internationalen Rechts und des Grundgesetzes ... 336 5. Abgrenzung zur Geschäftsfähigkeit ............................................ 337 6. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf ........................................... 337 II. Befunde zum Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit ....................... 338 1. Ableitung der Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit aus den Charakteristika der gesundheitsbezogenen Einwilligung ... 338 a) Verhältnis zwischen Einsichtsfähigkeit und Selbstbestimmungsaufklärung ............................................. 339 b) Kein Vernunftkriterium zur Beurteilung der Urteilsfähigkeit .............................................................. 339 c) Steuerungsfähigkeit als genuin psychologisch-psychiatrisches Kriterium; Äußerungsfähigkeit und Kundgabeerfordernis .. 339 2. Relativität der Einwilligungsfähigkeit und einheitliche Beurteilung............................................................. 340 3. Die Mündigkeit als Grundlage der Vermutung der Einwilligungsfähigkeit Volljähriger .......................................... 340 4. Keine Engführung der ersten Stufe im Rahmen der gebotenen zweistufigen Prüfung der Einwilligungsfähigkeit ..................... 341 5. Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit ................. 341 a) Medizin und Psychologie ...................................................... 341 b) Forschung zur Gesundheitskompetenz und zum Entscheidungsverhalten ....................................................... 342 c) Medizinethik.......................................................................... 342 III. Befunde zur Rechtsfolgenseite ........................................................ 343 1. Rechtsfolgen der Einwilligungsfähigkeit .................................... 343 2. Rechtsfolgen der Einwilligungsunfähigkeit ................................ 344 3. Informations- und Partizipationsrechte einwilligungsunfähiger Patienten .............................................. 345 4. Legitimation ärztlichen Zwangs .................................................. 345 IV. Arzthaftungsrechtliche und zivilprozessuale Anschlussfragen ....... 346 1. Keine Einschätzungsprärogative des Arztes im Zivilprozess ...... 346 2. Vermutung der Einwilligungsfähigkeit Volljähriger als Anscheinsbeweis ....................................................................... 346 3. Geringe haftungsrechtliche Risiken der Fehlbeurteilung ............ 346 B. Finaler Regelungsvorschlag .................................................................... 347 C. Ausblick .................................................................................................. 348 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 349

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis

a.A. ABA ABGB AcP a.F. AG MedR AJOB AMG Am J Geriatr Psychiatry Am J Psychiatry AöR APA Arch Dis Child AT AWMF BÄK BÄO BDSG BeckOGK BeckOK Begr. BEMA BetrR BGBl. BGH BGHZ BGT BJPsych BMC BMC Pediatr BMJ BMV-Ä BR-Drs. BSG BSGE BtÄndG BT-Drs. BtG BtKomm

andere Ansicht American Bar Association Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Österreich Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) alte Fassung Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht American Journal of Bioethics (Zeitschrift) Arzneimittelgesetz The American Journal of Geriatric Psychiatry (Zeitschrift) American Journal of Psychiatry (Zeitschrift) Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) American Psychological Association Archives of Disease in Childhood (Zeitschrift) Allgemeiner Teil Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. Bundesärztekammer Bundesärzteordnung Bundesdatenschutzgesetz Beck-online Großkommentar Beck’scher Online-Kommentar Begründer Einheitlicher Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen Betreuungsrecht Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Betreuungsgerichtstag e.V. The British Journal of Psychiatry (Zeitschrift) Biomedical Central (Datenbank) BMC Pediatrics (Zeitschrift) British Medical Journal (Zeitschrift) Bundesmantelvertrag Ärzte Bundesratsdrucksache Bundessozialgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundessozialgerichts Betreuungsrechtsänderungsgesetz Bundestagsdrucksache Betreuungsgesetz Systematischer Praxiskommentar Betreuungsrecht

XX

Abkürzungsverzeichnis

Bundesgesundheitsbl BVDH BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BWNotZ CAT CDBI CCTI CFR Child Dev Clin Psychol Rev DÄBl DÄBl Int DEGEAM DGGG DGIM DGJKP DGMR DGN DGNB DGP DGPPN DJT DMW DSGVO EBM EbM EGMR EMRK Ethik Med EuGH EUGrCH Eur J Pediatr Eur J Public Health EWF EWUF

Bundesgesundheitsblatt (Zeitschrift) Berufsverband Deutscher Humangenetiker e.V. Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg (Zeitschrift) Competence Assessment Tool Lenkungsausschuss für Bioethik des Europarates Competency to Consent to Treatment Instruments Code of Federal Regulations (USA) Child Development (Zeitschrift) Clinical Psychology Review (Zeitschrift) Deutsches Ärzteblatt (Zeitschrift) Deutsches Ärzteblatt International (Zeitschrift) Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht e.V. Deutsche Gesellschaft für Neurologie Deutsche Gesellschaft für neurowissenschaftliche Begutachtung Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. Deutscher Juristentag Deutsche Medizinische Wochenschrift (Zeitschrift) Datenschutzgrundverordnung Einheitlicher Bewertungsmaßstab Evidenzbasierte Medizin Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention Ethik in der Medizin (Zeitschrift) Europäischer Gerichtshof EU-Grundrechtecharta European Journal of Pediatrics (Zeitschrift) European Journal of Public Health (Zeitschrift) Einwilligungsfähigkeit Einwilligungsunfähigkeit

Abkürzungsverzeichnis

FamFG FamRZ

Fn. FS FuR GA GenDG GesR GfH GG GK GKV GOÄ GRUR KG Hdb. HEC Forum Hk HK-AKM HK-BUR Hong Kong Med J HLQ HLS-EU i.d.F.v. i.e.S. Int J Law & Psych i.S.d. ISG i.S.v. i.w.S. J Clin Nurs J Med Ethics J Med Philos JR Jura J Royal Soc Med JuS JVEG JZ KassKomm

XXI

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht, Erbrecht, Verfahrensrecht, Öffentlichem Recht (Zeitschrift) Fußnote Festschrift Familie und Recht (Zeitschrift) Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift) Gendiagnostikgesetz Gesundheitsrecht (Zeitschrift) Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e.V. Grundgesetz Grundkurs Gesetzliche Krankenversicherung Gebührenordnung für Ärzte Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Kammergericht Handbuch HealthCare Ethics Committee Forum (Zeitschrift) Handkommentar Heidelberger Kommentar Arztrecht, Krankenhausrecht, Medizinrecht Heidelberger Kommentar zum Betreuungs- und Unterbringungsrecht Hong Kong Medical Journal (Zeitschrift) Health Literacy Questionnaire European Health Literacy Survey in der Fassung vom im engeren Sinne International Journal of Law & Psychiatry (Zeitschrift) im Sinne des Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH im Sinne von im weiteren Sinne Journal of Clinical Nursing (Zeitschrift) Journal of Medical Ethics (Zeitschrift) Journal of Medicine and Philosophy (Zeitschrift) Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Journal of the Royal Society of Medicine (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Juristenzeitung (Zeitschrift) Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht

XXII

Abkürzungsverzeichnis

KBV KritV Law Hum Behav LDSG LG lit. LMK Ls. MacCAT-T Mayo Clin Proc MBO-Ä MedR MPG MRB

MRVG MüKo m.w.N. NJOZ NJW NJWE-FER NK NStZ NVwZ NZFam NZS OLG OVG PKV Psychiatr. Serv. PsychKG PsychothBO RDG RegE RelKErzG RGSt RGZ Rn. RöV Rspr. R&P

Kassenärztliche Bundesvereinigung Kritische Vierteljahrsschrift (Zeitschrift) Law and Human Behavior (Zeitschrift) Landesdatenschutzgesetz Landgericht Littera Lindenmeier-Möhring kommentierte BGH-Rechtsprechung Leitsatz MacArthur Competence Assessment Tool for Treatment Mayo Clinical Proceedings (Zeitschrift) (Muster-)Berufsordnung für die Deutschen Ärztinnen und Ärzte Medizinrecht (Zeitschrift) Medizinproduktegesetz Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde von Biologie und Medizin des Europarates vom 4. April 1997 (Oviedo-Konvention) Maßregelvollzugsgesetz Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Online-Zeitschrift (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW Entscheidungsdienst Familien- und Erbrecht (Zeitschrift) Nomos Kommentar Neue Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Familienrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Sozialrecht (Zeitschrift) Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Private Krankenversicherung Psychiatric Services (Zeitschrift) Psychisch-Kranken-Gesetz Psychotherapeuten Berufsordnung Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen (Zeitschrift) Regierungsentwurf Gesetz über die religiöse Kindererziehung Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer Röntgenverordnung Rechtsprechung Recht und Praxis (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis

RuP SEV SchwangerschaftsKG SGb SGB I SozR S/S st. StGB StPO StrSchV Swiss Med Wkly TPG UN-BRK Univ Chic Law Rev Univ Penns Law Rev VersR VerwRspr

VGH VO Vorb. VVG WHO ZEFQ ZEFQ ZEV ZfME Z Gerontol Geriat zit. ZPR ZRP ZStW

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Recht und Politik (Zeitschrift) Sammlung der Europäischen Verträge Schwangerschaftskonfliktgesetz Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil Sozialrecht (Entscheidungssammlung) Schönke/Schröder (Kommentar) ständige(r) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strahlenschutzverordnung Swiss Medical Weekly (Zeitschrift) Transplantationsgesetz UN-Behindertenrechtskonvention University of Chicago Law Review (Zeitschrift) University of Pennsylvania Law Review (Zeitschrift) Versicherungsrecht (Zeitschrift) Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland – Sammlung obergerichtlicher Entscheidungen aus dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht Verwaltungsgerichtshof Verordnung Vorbemerkung Versicherungsvertragsgesetz Weltgesundheitsorganisation Zeitschrift für Evidenz Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (Zeitschrift) Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (Zeitschrift) Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge (Zeitschrift) Zeitschrift für medizinische Ethik (Zeitschrift) Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie (Zeitschrift) Zitiert Zivilprozessrecht Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (Zeitschrift)

1. Teil: Die Einwilligungsfähigkeit in Rechtswissenschaft und -praxis

Kapitel 1: Einleitung 1. Kapitel: Einleitung

Medizinisches Handeln berührt die höchstpersönliche Sphäre des Patienten1 gleich in mehrfacher Hinsicht. Neben elementaren Rechtsgütern wie dem Leben, der körperlichen und seelischen Integrität, der Gesundheit und der Freiheit2 betrifft es auch die hierauf bezogene Selbstbestimmung oftmals in ihrem Kern.3 Entsprechend ist die Beziehung zwischen Arzt und Patient durch ein substantielles Näheverhältnis charakterisiert.4 Nicht zuletzt wegen ihrer starken persönlichkeitsrechtlichen Relevanz5 sind medizinische Maßnahmen nicht allein durch einen Behandlungsvertrag 6 rechtlich legitimierbar, sondern müssen zusätzlich – jedenfalls im Grundsatz – indiziert sein, nach den fachlichen Regeln durchgeführt werden und von der selbstbestimmten Einwilligung des zuvor hinreichend über die für seine Entscheidung relevanten Aspekte informierten Patienten, Ratsuchenden oder Probanden gedeckt sein.7 Selbstbestimmten Patientenentscheidungen kommt in dieser Trias eine herausgehobene Stellung zu.8 Wann eine Behandlungsentscheidung als selbstbestimmt 1

Bei allen personenbezogenen Bezeichnungen gilt die gewählte Form für beide Geschlechter. 2 Etwa im Rahmen behandlungsbegleitender oder -ermöglichender Eingriffe in Gestalt freiheitsentziehender Maßnahmen, § 1906 Abs. 4 BGB oder der freiheitsentziehenden Unterbringung, § 1906 Abs. 1 BGB, näher hierzu Kap. 9 D I. 3 Katzenmeier, in: ders./Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S. 47; Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, 1997, S. 52; Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 823. Betroffen sind damit Verfassungsgüter von besonderem Gewicht, vgl. BVerfGE 142, 313 = NJW 2017, 53, 55 ff. m. Anm. Dodegge = MedR 2017, 122 m.w.N.; Kap. 2 C II. 4 Dieser Befund steht in gewissem Kontrast zu den weitreichenden Technisierungs-, Digitalisierungs- und Ökonomisierungstendenzen sowie zunehmenden Dienstleistungsbestrebungen der letzten Jahrzehnte, insbes. im Bereich der Wunschmedizin, vgl. nur Ratzel/Lippert, MedR 2004, 525; Damm/Schulte in den Bäumen, KritV 2005, 101 aber auch Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. I § 1 Rn. 1 ff.; ders., in: Katzenmeier/Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S. 12 ff. sowie jüngst Miranowicz, MedR 2018, 131 ff. 5 BGH, VerwRspr 1962, 70, 71; NJW 1964, 1177; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 51; Damm, MedR 2015, 775, 784. 6 §§ 630a ff. BGB. Der Behandlungsvertrag bildet im Regelfall den rechtlichen Rahmen des Arzt-Patient-Verhältnisses, vgl. Lipp, MedR 2016, 843, 844. 7 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 6 Rn. 1 f.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. I Rn. 29 m.w.N.; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630a Rn. 15 m.w.N.; so aus strafrechtlicher Sicht auch S/S/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 34 ff. m.w.N. Grundlegend Laufs, MedR 1986, 163, 164 ff. 8 Dies spiegelt sich nicht zuletzt in den besonderen Regelungen zur Aufklärung und Einwilligung in §§ 630d und 630e BGB nieder. Das Selbstbestimmungsrecht ermöglicht es Arzt und Patient zudem vertraglich Standardabweichungen zu vereinbaren, § 630a Abs. 2 Hs. 2 BGB, BT-Drs. 17/10488, S. 20; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630a Rn. 189 ff. m.w.N. Über erhöhte Aufklärungspflichten lassen sich im Rahmen der informierten Einwilligung Indikationsdefizite ausgleichen, Soergel/Spickhoff, § 823 BGB Anh. I Rn. 83 und Rn. 134 f.; Deutsch, VersR 2005, 1009, 1012; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 7 und § 630e Rn. 9, jeweils m.w.N.; Deutsch/Spickhoff, Rn. 447 und Rn. 456 f.; Staudinger/Hager, 2009, § 823 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Genske, Gesundheit und Selbstbestimmung, Kölner Schriften zum Medizinrecht 23, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1_1

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4

1. Kapitel: Einleitung

gilt, hängt maßgeblich vom Befund der Einwilligungsfähigkeit ab. 9 Sie ist notwendige Voraussetzung sowohl für die positive Aktualisierung des Selbstbestimmungsrechts durch die Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme als auch für dessen negative Aktualisierung in Form der Therapieablehnung.10 Strukturell ist die Einwilligungsfähigkeit eng mit der Patientenaufklärung verbunden.11 Letzterer haben sich Rechtsprechung und Literatur in den letzten Jahrzehnten intensiv gewidmet und die ärztlichen Aufklärungs- und Informationspflichten differenziert und mannigfaltig ausgestaltet. 12 Grundvoraussetzung einer sinnvollen Aufklärung ist jedoch nicht zuletzt, dass der Patient die vermittelten Informationen auch verstehen, bewerten und in eine eigene Entscheidung umsetzen kann.13 Diese Aspekte sind Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

A. Problemstellung A. Problemstellung

Bei der Einwilligungsfähigkeit handelt es sich, trotz des noch immer vergleichsweise gering ausgeprägten rechtswissenschaftlichen Diskurses, nicht um eine Randerscheinung, sondern um einen „grundlegenden und repräsentativen Problembereich“ des Rechts.14 Das folgt nicht zuletzt aus der Bedeutung der Einwilligungsfähigkeit für das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und ihrem Bezug zu verfassungsrechtlichen Grundwerten wie dem Recht auf Leben, und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit.15 Die Einwilligungsfähigkeit markiert hierbei in gewisser Weise die „Gratwanderung zwischen Selbstbestimmung mit der Gefahr der Selbstschädigung einerseits und der Fürsorge für Betroffene mit der Gefahr der Fremdbestimmung andererseits“.16 Rn. I 85 f.; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. XIII Rn. 32 ff.; Nebendahl, in: Igl/Weltli, Gesundheitsrecht, 3. Aufl. 2018, Kap. XI § 49 Rn. 31 f. Ausführlich zum Ganzen Voigt, Individuelle Gesundheitsleistungen, 2013, S. 70 ff., insbes. 73 f. m.w.N. 9 Daneben sind auch das Erfordernis der Freiwilligkeit und der Informiertheit des Patienten selbstbestimmungsrelevant, vgl. Kap. 2 B II 2 c). 10 Vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 63 m.w.N.; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 115 ff. m.w.N.; BeckOK-BGB/Veit, § 1626 Rn. 52.1; BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 121; Lorenz, NZFam 2017, 782. Näher hierzu Kap. 4 C. 11 Das unterstreicht etwa Laufs, Anm. zu BGH, NJW 1993, 2372, 2375, der die Einsichtsfähigkeit, einen Teilaspekt der Einwilligungsfähigkeit, treffend als „Aufklärungsfähigkeit“ bezeichnet, näher hierzu unten Kap. 4 A II 1. 12 Vgl. Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 6 Rn. 22. Krit. zu den hiermit einhergehenden Anforderungen an die Ärzteschaft Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 353 ff.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 78 ff. m.w.N. 13 Vgl. Kap. 4 A. 14 Damm, MedR 2015, 775, 775 m.w.N. 15 Vgl. nur BVerfGE 52, 131, 174 f. = NJW 1979, 1925, 1930; NJW 1984, 1025; NJW 2011, 2113, 2114; NJW 2017, 53, 56 m. Anm. Dodegge; Staudinger/Hager, 2017,Vor §§ 823 ff. Rn. 73 m.w.N.; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 350 ff. und 385; Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 71; Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 821. Ausführlich hierzu Kap. 2 B und C II 2. 16 Damm, MedR 2015, 775, 775 m.w.N., wobei zu berücksichtigen ist, dass auch die verbleibende Selbstbestimmung einwilligungsunfähiger Patienten in gewissem Rahmen zu achten ist, vgl. Kap. 2 B III, 9 B III 2 und 9 D.

A. Problemstellung

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I. Bedeutung der Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich Ein besonders vielschichtiges Anwendungsfeld kommt der Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich zu.17 Dieses bewegt sich auf der Schnittstelle zwischen Medizinrecht, Erwachsenenschutz-18 und Kindschaftsrecht.19 Charakteristisch ist hierbei die Rolle der Einwilligungsfähigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung der informierten Einwilligung.20 Als Sammelbegriff umfasst sie die einzelnen Fähigkeiten, über die ein Patient verfügen muss, um eine rechtsverbindliche Entscheidung für oder gegen eine konkrete medizinische Maßnahme treffen zu können. Damit realisiert sich in der Einwilligungsfähigkeit sowohl die Fähigkeit des Einzelnen zu als auch sein Recht auf selbstbestimmte Entscheidungen über den eigenen Körper, die eigene Psyche und die eigene Gesundheit. Zugleich bildet die Einwilligungsfähigkeit die Grenze für heteronome Entscheidungsbefugnisse Dritter. 21 Folgerichtig bestimmt sich nach ihr auch die Person des Einwilligenden (sog. Einwilligungszuständigkeit) und des Aufklärungsadressaten.22 Im Forschungskontext beeinflusst die Einwilligungsfähigkeit unter welchen Voraussetzungen fremdnützige Studien am Menschen zulässig sind. Das gilt insbesondere für das maximal zulässige Risiko fremdnütziger Forschung. An Stelle der üblicherweise vorzunehmenden Risiko-Nutzen-Abwägung (relative Grenze) sieht etwa das Arzneimittelgesetz bei drittnützigen Studien mit einwilligungsunfähigen Probanden eine absolute Obergrenze in Gestalt minimaler Belastungen und minimaler Risiken vor.23 Diese Studien sind zudem auf gruppennützige Vorhaben

17

So auch Damm, MedR 2015, 775, 775 f. und 779. Vgl. Lipp, MedR 2016, 843, 843 und Dethloff, Familienrecht, 32. Aufl. 2018, Kap. 3 und § 17 Rn. 44. Näher zum Begriff des Erwachsenenschutzes Lipp, FamRZ 2013, 913, 914 ff. 19 Damm, MedR 2015, 775, 775 fasst Erwachsenenschutz- und Kindschaftsrecht unter dem Begriff des „allgemeinen Personenrechts“ zusammen. 20 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d Rn. 8; NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 14 ff.; Spickhoff/Spickhoff, § 630d Rn. 3; Giesen, in: Korff u.a. (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Bd. 1, 1998, S. 539. Während die Einwilligungsfähigkeit als Voraussetzung der wirksamen Einwilligung im Forschungsrecht (vgl. nur § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 lit. a AMG, § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 MPG, § 28c Abs. 1 S. 3 RöV und § 87 Abs. 1 S. 3 StrSchV) und in § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB seit längerem ausdrücklich normiert ist, ergibt sich das Erfordernis aus dem Behandlungsvertragsrecht allenfalls implizit, vgl. § 630d Abs. 1 S. 2 BGB. Damit ist die v.a. in der Zivilrechtsliteratur noch vereinzelt vertretene Ansicht, Voraussetzung einer wirksamen Behandlungseinwilligung sei die Geschäftsfähigkeit (vgl. etwa MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16), nunmehr endgültig überholt, Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 38 und 101. Näher hierzu Kap. 2 D II. 21 So die ganz h.M. für volljährige Betreute, str. für Minderjährige, vgl. Kap. 8 A II und III. 22 Vgl. § 630e Abs. 1 S. 1 BGB und § 630d Abs. 1 S. 1, 2 BGB. Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 51; NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 10. Das gilt richtigerweise auch für minderjährige Patienten, die einwilligungsfähig sind, vgl. Kreße, MedR 2015, 91, 94; Kern, LMK 2007, 220412; ders., NJW 1994, 753, 755. Näher hierzu Kap. 8 A I und II 1. 23 Vgl. § 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. d AMG (zukünftig § 40b Abs. 4 S. 1 Nr. 1 AMG-E i.V.m. Art. 31 Abs. 1 lit. g ii) VO (EU) 536/2014); vgl. hierzu 12. AMG-Novelle, RegE BT-Drs. 15/2109, S. 31 f.; Paus, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, AMG § 41 Rn. 1. In der 18

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1. Kapitel: Einleitung

begrenzt und streng subsidiär, d.h. sie sind ausgeschlossen, wenn sich die erhofften Ergebnisse auf anderem Wege erzielen lassen. 24 Auf die Einwilligungsunfähigkeit kommt es auch für die Beurteilung der Zulässigkeit ärztlichen Zwangs an. Sowohl die freiheitsentziehende Unterbringung zu Behandlungszwecken als auch ärztliche Zwangsmaßnahmen setzen bei fehlender Fremdgefährdung zwingend voraus, dass dem Betroffenen die Einwilligungsfähigkeit fehlt.25 Anders als im früheren Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht gilt dies nicht für die Bestellung eines Betreuers.26 Bei länger andauernder Einwilligungsunfähigkeit werden die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung aber regelmäßig vorliegen,27 so dass sich die Frage auch in diesem Zusammenhang stellt. Die besondere Bedeutung der Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie im BGB ausschließlich in gesundheitsbezogenen Kontexten erwähnt wird.28 Auch die spezialgesetzlichen Regelungen der Einwilligungsfähigkeit sind ganz überwiegend dem Medizin- und Gesundheitsrecht zuzuordnen.29 Die thematische Ausrichtung auf das Medizin- und Gesundheitsrecht spiegelt sich auch in der rechtswissenschaftlichen Debatte wider.30 Praxis werden klinische Studien mit erkrankten Probanden in der Regel nicht „ausschließlich“, sondern allenfalls „überwiegend fremdnützig“ sein, Woopen, ZfME 1999, 51, 52 f. 24 Vgl. §§ 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG, etwa durch präklinische Studien oder den Einschluss einwilligungsfähiger Patienten, näher hierzu Spickhoff/Listl-Nörr, AMG § 41 Rn. 6. Ähnliche Beschränkungen finden sich auch für andere indikationslose Eingriffe, etwa die Organspende, vgl. §§ 8, 8a TPG und die rein „familiennützige“ Gendiagnostik, § 14 Abs. 2 GenDG, näher hierzu Damm, MedR 2015, 775, 779 f. m.w.N. 25 Vgl. § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB für volljährige Patienten. Das Erfordernis der Einwilligungsunfähigkeit als Voraussetzung ärztlichen Zwangs folgt für Minderjährige mangels spezieller Regelung aus § 630d Abs. 1 BGB, Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986 m.w.N. Ausführlich hierzu Kap. 9 D III. 26 Ganz h.M., vgl. statt vieler Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 51 m.w.N. 27 Vgl. § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB. So auch Spickhoff, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, 2013, § 6 Rn. 43; ders., AcP 208 (2008), 345, 364. Richtigerweise enthält der Antrag des Betroffenen auf Einrichtung einer Betreuung zugleich eine Einwilligung in die hiermit verbundene Beschränkung der eigenen Rechtsstellung (sog. Doppelnatur des Betreuungsantrags), Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 78; enger MüKoBGB/Schwab, § 1896 Rn. 132, der eine Doppelnatur nur bei körperlich behinderten Betreuten annimmt. Ist der betroffene Antragssteller einwilligungsunfähig, wird seine Rechtsstellung kraft Gesetzes begrenzt, so dass sich die Einwilligungsunfähigkeit an dieser Stelle nicht auswirkt, näher hierzu Staudinger/Bienwald, 2017, § 1896 Rn. 3 ff. 28 Vgl. nur § 630d Abs. 1 S. 2 BGB (Behandlungsvertrag), § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB (Patientenverfügung), § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB (freiheitsentziehende Unterbringung zur medizinischen Behandlung) und § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB (ärztliche Zwangsmaßnahmen). 29 Damm, MedR 2015, 775, 779; vgl. nur §§ 40, 41 AMG, § 21 MPG, §§ 8, 8a TPG und § 14 GenDG sowie die Umschreibung der Einwilligungsfähigkeit in den PsychKG der Länder. Näher zu den gesetzl. Regelungen Kap. 3 A II. 30 Vgl. nur Geilen, Einwilligung, 1963, S. 86 ff.; Amelung, ZStW 104 (1992), 525 ff. und 821 ff.; Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff, 1994; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 73 ff.; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 110 ff.; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013; Spickhoff, FamRZ 2018, 412 ff. Ausführungen zu anderen Anwendungsbereichen finden sich allenfalls am Rande, etwa bei Amelung, ZStW 104 (1992), 525 ff. und 821 ff.; ders., in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit,

A. Problemstellung

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II. Gesetzeslücke und Forschungsbedarf Trotz ihrer weitreichenden Bedeutung wurde die Einwilligungsfähigkeit bis heute nicht allgemein normiert.31 Der Bundesgesetzgeber hat sich zwar in der Vergangenheit wiederholt mit der Frage auseinander gesetzt, bisher aber keine allgemeine Regelung geschaffen.32 Die bestehenden spezialgesetzlichen Regelungen weichen im Regelungsgehalt zum Teil stark voneinander ab und sind überwiegend vage gehalten, so dass sie nur begrenzt handlungsleitend wirken.33 Auch die Rechtsprechung beurteilt die Einwilligungsfähigkeit wenig einheitlich. Die bestehende Variationsbreite an Kriterien ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Gerichte im Einzelfall zum Teil von stark divergierenden Grundannahmen ausgehen.34 Hinzu kommt, dass die Grundlagen der Einwilligungsfähigkeit bisher wissenschaftlich nicht hinreichend bearbeitet wurden. Vor allem die Zivilrechtslehre hat sich mit der Einwilligungsfähigkeit bisher nur vereinzelt befasst.35 Das fällt besonders ins Auge, wenn man die umfangreiche Literatur zur ärztlichen Aufklärungspflicht betrachtet.36 Zwar rückte die Einwilligungsfähigkeit in den letzten beiden Jahrzehnten stärker in den Fokus der Rechtswissenschaft.37 Im Vordergrund stehen jedoch bis heute themenspezifische Arbeiten. Die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger38 und alter Menschen39 gehören hierbei zu den am intensivsten diskutierten Anwendungs2002, S. 24 ff. sowie Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 71 ff. Seit Inkrafttreten der DSGVO wird die Einwilligungsfähigkeit v.a. Minderjähriger zunehmend auch im Datenschutzrecht diskutiert, vgl. statt vieler Joachim, ZD 2017, 414 ff. m.w.N. 31 Krit. zur Nichtregelung durch das PatRG Katzenmeier, MedR 2012, 576, 581 m.w.N.; näher zum Regelungsbedarf Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 124 ff. 32 Vgl. Kap. 3 A I. 33 Näher hierzu Kap. 3 A II. 34 Vgl. Kap. 3 B IV 2. 35 Vgl. etwa Laufs, ArztR, 5. Aufl. 1993, Rn. 222 ff.; Prinz von Sachsen Gessaphe, Der Betreuer, 1999, S. 333 ff.; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 54 ff.; Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 305 ff.; Soergel/Spickhoff, Anh I § 823 Rn. 106 ff.; ders., AcP 208 (2008), 345, 384 ff.; Coester-Waltjen, MedR 2012, 553 ff.; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 110 ff.; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 38 ff.; Damm, MedR 2015, 775 ff.; ders., Bundesgesundheitsbl. 2016, 1075; Spickhoff, FamRZ 2018, 412 ff. 36 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 6 Rn. 22 bezeichnet die Aufklärungspflicht als das meist diskutierte Thema des Arztrechtes überhaupt. Zurückhaltender Kern, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. II § 6 Rn. 25: „ein Hauptthema“. 37 So auch Damm, MedR 2015, 775, 779 und 785 m.w.N.; ders., MedR 2018, 939, 942. Die verstärkte Befassung mit der Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft fügt sich ein in einen generellen Bedeutungszuwachs des Themas in den letzten 20 Jahren, näher hierzu Nedopil, Nervenarzt 2009, 611, 616. 38 Vgl. nur Rouka, Selbstbestimmungsrecht, 1996, S. 102 ff. und S. 111 ff.; Wölk, MedR 2001, 80 ff.; Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 293 ff.; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 73 ff.; Nebendahl, MedR 2009, 197 ff.; Gleixner-Eberle, Einwilligung in die medizinische Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 248 ff.; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 110 ff.; Spickhoff, FamRZ 2018, 412 ff. 39 Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 384 ff.; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 54 ff. Zur Einwilligungsfähigkeit junger und alter Menschen im Vergleich, Coester-Waltjen, MedR 2012, 553 ff. (Behandlung); Taupitz, MedR 2012, 583 ff. (Forschung).

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1. Kapitel: Einleitung

feldern. Eine medizinrechtliche Untersuchung, die sich schwerpunktmäßig dem Zivilrecht widmet und diese Teilaspekte zusammenführt, fehlt bisher. 40

III. Konkretisierungsbedarf aus Sicht der medizinischen Praxis Auch in der Medizin wurde wiederholt der Bedarf an klareren normativen Kriterien und Rahmenbedingungen unterstrichen.41 Bis heute stufen Mediziner die Beurteilung der Einwilligungs(un)fähigkeit in der Praxis als besondere ethische Herausforderung ein. Laut einer im US-Bundesstaat Ohio durchgeführten Erhebung gehörten Unsicherheiten bei der Feststellung der Einwilligungsfähigkeit zu den drei häufigsten Gründen eine klinische Ethikberatung anzufragen.42 In einer weiteren Studie, die in einem Krankenhaus in Minnesota durchgeführt wurde, hatten 82 % aller untersuchten Ethikberatungen die Einwilligungs(un)fähigkeit des Patienten zum Gegenstand.43 Ähnliche Befunde wurden auch für den europäischen Raum erhoben. In einer Studie mit 656 Hausärzten und Internisten in Norwegen, der Schweiz, Italien und Großbritannien zu ethischen Problemen in der klinischen Praxis gaben 94,8 % der befragten Ärzte an, in der Praxis bereits einmal mit Unklarheiten im Hinblick auf die Einwilligungs(un)fähigkeit des Patienten konfrontiert gewesen zu sein.44 13,1 % der norwegischen, 12,5 % der britischen Befragten und 10,3 % der befragten Ärzte in der Schweiz haben diesen Themenkomplex als für sie schwierigstes ethisches Problem überhaupt beschrieben.45 Bisher gibt es keine empirischen Untersuchungen zur deutschen Ärzteschaft. Jedoch wird in der medizinisch-psychologischen Literatur auch in Deutschland der Forschungsbedarf auf konzeptioneller Ebene unterstrichen, da inzwischen zahlreiche Messinstrumenten zur Prüfung der Einwilligungsfähigkeit entwickelt wurden, die sich aber inhaltlich und auch strukturell zum Teil stark voneinander unterscheiden.46 Diese Vielfalt ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die jeweiligen Beurteilungsverfahren auf verschie40

Den Schwerpunkt der rechtlichen Diskussion zur Einwilligungsfähigkeit bildet noch immer das (Medizin-)Strafrecht, grundlegend Amelung, ZStW 104 (1992), 525 ff. und 821 ff.; ders., in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 24 ff.; vgl. a. Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991; Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff, 1994; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 73 ff.; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012 sowie Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 161 ff. Die zivilrechtlichen Arbeiten zum Thema befassen sich ganz überwiegend mit der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger oder alter Patienten, vgl. oben Fn. 38 f. Krit. zum fehlenden rechtlichen Standard auch Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 133. 41 Vgl. statt vieler Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1326 und Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2399 jeweils m.w.N. Das gilt auch für die Rechtspraxis in Deutschland, vgl. Loos u.a., Wirkungen des Patientenrechtegesetzes, 2016, S. 142 f. 42 Moeller et al., HEC Forum 2012, 99, 106 f. 43 Swetz et al., Mayo Clin Proc 2007, 686. 44 Vgl. Hurst et al., J Med Ethics 2007, 51, 54. 45 Hurst et al., J Med Ethics 2007, 51, 54 f. 46 Vgl. Vollmann et al., Nervenarzt 2004, 29, 34. Näher zur Variationsbreite der bestehenden Beurteilungsinstrumente Kap. 6 A II 2.

A. Problemstellung

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denen normativen Grundannahmen basieren.47 In der Folge weichen auch die Beurteilungsergebnisse zum Teil erheblich voneinander ab.48 Der Bedarf an verlässlichen und validen Prüfkriterien wird zusätzlich verstärkt durch die im Zuge der Technisierung, Digitalisierung und Personalisierung immer komplexer werdenden Behandlungsoptionen.49 Diese verlangen dem Patienten ein hohes Maß an Fähigkeiten beim Informationsverständnis-, der Informationsbeurteilung und Entscheidungsfindung ab. Zugleich steigt die Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen in Folge des demographischen Wandels weiter an.50 Die potentiell fehlerhafte Beurteilung der Einwilligungs(un)fähigkeit durch den Arzt ist dabei nicht nur unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten problematisch. 51 Wird der Patient fehlerhaft für einwilligungsunfähig gehalten, obwohl er in Wirklichkeit zu einer selbstbestimmten Entscheidung in der Lage ist, oder wird ihm umgekehrt fälschlicherweise ein Zuviel an Kompetenz zugesprochen, ist hiervon auch sein Selbstbestimmungsrecht und sein hiermit korrespondierende Schutzanspruch betroffen.52

IV. Selbstbestimmungsbezug der Einwilligungsfähigkeit Die bestehenden Unsicherheiten, die die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit in Recht und Medizin in wissenschaftlicher und praktischer Sicht aufwirft, stehen in deutlichem Kontrast zum besonderen Stellenwert des verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts des Patienten.53 Durch die enge Verbindung der Einwilligungsfähigkeit zur Einwilligungsbefugnis, die den Kern des Selbstbestimmungsrechts in medizinischen Angelegenheiten ausmacht54 und den Betroffenen in Gestalt einer absoluten Eingriffsgrenze vor paternalistischen Eingriffen Dritter schützt, treten ihre verfassungsrechtlichen Bezüge klar zu Tage.55 Auch die menschenrechtliche Dimension der Einwilligungs(un)fähigkeit verdeutlicht den bestehenden Klärungsbedarf, insbesondere nachdem Deutschland 2009 dem Geltungsbereich der UN-Behindertenrechtskonvention beigetreten ist.56 47

Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2399 m.w.N. Instruktiv Grisso/Appelbaum, Am J Psychiatry 1995, 1033 ff. Näher hierzu Kap. 6 A II 1. 49 Vgl. hierzu jüngst vor dem Hintergrund möglicher Folgen für die Standardbildung in der Medizin Frahm et al., MedR 2018, 447, 448 m.w.N. 50 Ähnlich auch, mit Blick auf die immer komplexer werdenden Prüfprotokolle und Behandlungsmethoden, Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1332 und Helmchen, Nervenarzt 2015, 1140. 51 Vgl. hierzu Kap. 10 B. 52 Helmchen, Nervenarzt 2015, 1140. Näher hierzu sogleich. 53 So bereits Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 54; zust. Damm, MedR 2015, 775, 775. 54 Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 142 ff. sowie aus medizinethischer Sicht Steinfath/Pindur in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 28 und Ach/Schöne-Seifert, ebenda, S. 47. 55 BVerfGE 52, 131, 172 ff. = NJW 1979, 1925, 1929 ff.: Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 385; Damm, MedR 2015, 775, 784; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 546 m.w.N. Näher zum Ganzen Kap. 2 C II. 56 Convention of the Rights of Persons with Disabilities (CRPD), 13. Dezember 2006, New York, ratifiziert von Deutschland durch das Gesetz v. 21.12.2008 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, BGBl. II S. 1419. 48

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1. Kapitel: Einleitung

B. Begriffe und Konzepte B. Begriffe und Konzepte

Grundlage sowohl der wissenschaftlichen Auseinandersetzung als auch einer gelingenden Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit in der Praxis ist eine klare Begriffssprache. Nachdem das Anwendungsfeld der Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich umrissen ist, werden im Folgenden ihr Bezugspunkt, die informierte Einwilligung, näher dargestellt und die im Gefolge der Einwilligungsfähigkeit diskutierten Begriffe und Abgrenzungsvorschläge besprochen.

I. Einwilligung Die medizinrechtliche Einwilligung unterscheidet sich in wichtigen Punkten vom Grundtatbestand der rechtfertigenden Einwilligung. Zugleich ist die rechtfertigende Einwilligung selbst nur eine von mehreren Ausprägungen des Einwilligungsprinzips. 1. Allgemeines Bereits in den Materialien zum BGB wurde die Pluralität der Einwilligungstatbestände hervorgehoben.57 Im Delikts- und Strafrecht bezeichnet die Einwilligung die jederzeit widerrufliche, vorherige Zustimmung zum Eingriff in ein konkretes Rechtsgut des Einwilligenden, mit der der Einwilligende erklärt, dass er die Beeinträchtigung durch den anderen hinnehmen wird.58 Durch seine Einwilligung erklärt der Einwilligende, legitimiert durch sein Selbstbestimmungsrecht, den Verzicht auf den zivil- und strafrechtlichen Integritätsschutz mit der Folge, dass die Verbotsnormen des § 823 Abs. 1 BGB und der §§ 223 ff. StGB zurückzutreten haben.59 In diesem Sinne lässt sich die Einwilligung als verfassungsrechtlich verbürgte Dispositions- und Preisgabemöglichkeit des Einwilligungsbefugten über höchstpersönliche Rechtsgüter umschreiben.60 Hiervon zu unterscheiden sind die verschiedenen rechtsgeschäftlichen Einwilligungstatbestände, etwa die Einwilligung des auf einem Bildnis Abgebildeten nach § 22 S. 2 KUG,61 die Einwilligung in die Nutzung, Verarbeitung und Weitergabe Näher hierzu Damm, Bundesgesundheitsbl 59 (2016), 1075 ff.; ders., MedR 2015, 775, 783 ff.; Lipp, MedR 2016, 843, 843 ff.; Klie u.a., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5, 8 ff. 57 Protokolle, Bd. II, S. 1080; vgl. a. BVerfGE 52, 131, 172 f. = NJW 1979, 1925, 1930; näher hierzu Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 12 ff. 58 BGH, NJW 1964, 1177; BeckOK-BGB/Förster, § 823 Rn. 33; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 3 f.; S/S/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 33; Amelung, in: Rüthers/Stern (Hrsg.), Freiheit und Verantwortung, 1984, S. 3; krit. hierzu Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 124 ff., insbes. S. 136 ff. 59 BVerfGE 52, 131, 172 = NJW 1979, 1925, 1930; BGH, VerwRspr 1962, 70, 71; NJW 1964, 1177; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 9 f.; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 13 m.w.N.; S/S/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 33 m.w.N. 60 Vgl. NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 3 f. m.w.N.; für das Medizinrecht Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 51 und MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 9 f. 61 OLG München, NJW 2002, 305, 305.

B. Begriffe und Konzepte

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personenbezogener Daten nach den Bestimmungen des Datenschutzrechts,62 aber auch die vorherige Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zum Rechtsgeschäft eines Minderjährigen gemäß § 183 BGB.63 2. Die Einwilligung im Medizinrecht a) Systematik der informierten Einwilligung im Delikts- und Vertragsrecht Das Einwilligungserfordernis im Behandlungskontext ist trotz seiner inzwischen über 120-jährigen Geschichte vergleichsweise jung.64 Noch bis ins späte 19. Jahrhundert wurde zur Legitimation ärztlicher Heileingriffe auf das ärztliche Berufsrecht rekurriert.65 Erst die Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts in Strafsachen aus dem Jahr 189466 ebnete den Weg von einer ausschließlich am Patientenwohl orientierten Medizin (salus aegroti suprema lex) hin zur Anerkennung des Patientenwillens als zentraler Richtschnur ärztlichen Handelns (aegroti voluntas suprema lex).67 Das Erfordernis der Einwilligung nach Aufklärung ist hierbei historisch im Delikts- und Strafrecht gewachsen und richterrechtlich ausgestaltet worden. 68 aa) Informierte Einwilligung im Deliktsrecht Nach der herrschenden Meinung ist die Einwilligung ein Element der Legitimation ärztlichen Handelns, das durch die Dispositions- und Preisgabemöglichkeit des Einwilligungsbefugten charakterisiert wird.69 Die hiermit korrespondierende ärztliche 62 Art. 7 DS-GVO, näher hierzu BeckOK-BGB/Bamberger, § 12 Rn. 224 ff. Instruktiv zur datenschutzrechtlichen Einwilligung im Medizinrecht Spranger, MedR 2017, 864 ff. 63 Staudinger/Klumpp, 2017, § 107 Rn. 88 m.w.N. 64 Als Rechtsprinzip geht die Einwilligung zurück auf den römisch-rechtlichen Grundsatz „Volenti non fit iniuria“, grundlegend hierzu Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 25 ff. 65 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 6 Rn. 26 ff. m.w.N. Vor diesem Hintergrund sind die Bestrebungen im Minderjährigenrecht die Rechtmäßigkeit indizierter medizinischer Behandlungen bei vorhandenem Behandlungswillen des Minderjährigen allein mit der ärztlichen Empfehlung zu begründen kritisch zu sehen, näher hierzu Kap. 9 C. Ebenso wenig kann die Ablehnung einer Behandlung, selbst wenn diese vital indiziert ist, nicht unter Berufung auf ein eigenständiges Behandlungsrecht des Arztes oder die Gewissensfreiheit der Ärzte und Pflegekräfte überwunden werden, vgl. BGHZ 163, 195, 199 f. = MedR 2005, 719, 721; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. VI Rn. 115; ders., MedR 2016, 843, 845 m.w.N. 66 RGSt 25, 375 f. 67 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 6 Rn. 26 ff. m.w.N.; Katzenmeier, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 91; Wever, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, § 630d Rn. 2. Patientenwohl und -wille stehen hierbei nicht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis, Damm, MedR 2015, 775, 782, sondern verbinden sich im Ideal der als „Behandlungs- und Entscheidungspartnerschaft“ ausgestalteten Arzt-PatientBeziehung, Katzenmeier, MedR 2012, 576, 583. 68 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 6 Rn. 1 f.; MüKoBGB/Wagner, Vor § 630a Rn. 2 und § 630d Rn. 1. 69 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 51; Deutsch/Spickhoff, Rn. 310; Schroth, in: FS Volk, 2009, S. 720 f.; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012,

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1. Kapitel: Einleitung

Pflicht zur Einholung der Einwilligung – und damit zur Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten – leitet die Rechtsprechung aus der Tatbestandsmäßigkeit der ärztlichen Behandlung als Körper- oder Gesundheitsverletzung ab.70 bb) Kodifikation im Vertragsrecht Im Zuge des Patientenrechtegesetzes (PatRG)71 wurde die informierte Einwilligung als vertragliche Nebenpflicht des Arztes72 im Recht des Behandlungsvertrages normiert, vgl. § 630d Abs. 1 BGB.73 Erklärtes Anliegen des Gesetzgebers war es hierbei, die von Rechtsprechung und Literatur im Deliktsrecht entwickelten Grundsätze gesetzlich zu fixieren.74 Anders als das Deliktsrecht nimmt das Vertragsrecht indes nicht die Dispositionsbefugnis des Einwilligenden über seine körperliche und gesundheitliche Integrität zum Ausgangspunkt, sondern die hiermit korrespondierende Verpflichtung des Arztes als Einwilligungsempfänger, die informierte Zustimmung des Patienten vor Behandlungsbeginn einzuholen.75 Wie im Deliktsrecht stellt die Einwilligung nach Aufklärung den Arzt aber auch im Vertragsrecht von seiner Haftung frei, solange die Behandlung lege artis erfolgt, vgl. §§ 630d Abs. 1, 630a Abs. 2 BGB.76 Die mitunter betonte Gegensätzlichkeit zwischen Vertragsund Deliktsrecht77 ist damit in erster Linie theoretischer Natur und dürfte sich praktisch kaum auswirken. b) Ausprägungen der Einwilligung im Gesundheitsbereich Im Gesundheits- und Behandlungskontext wird die informierte Einwilligung im Regelfall unmittelbar vor einem medizinischen Eingriff vom Patienten geäußert (aktuelle Einwilligung). Sie kann auch vorab in Form einer Patientenverfügung für den S. 119; Geerds, Einwilligung und Einverständnis, 1953, S. 39 ff., insbes. S. 42. Während die Einwilligung in sonstigen Kontexten grundsätzlich für sich genommen legitimierend wirkt, gelten für das ärztliche Handeln weitergehende Anforderungen. So ist die ärztliche Heilbehandlung als Eingriff in höchstpersönliche Rechtsgüter des Patienten nach h.M. nur dann legitimiert, wenn sie indiziert ist, der Patient hinreichend aufgeklärt wurde, er auf dieser Grundlage in den Eingriff eingewilligt hat und der Arzt den Eingriff lege artis durchgeführt hat, Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 6 Rn. 1 ff. Näher hierzu Kap. 1 B I 3 a). 70 Grundlegend RGSt 25, 375, 375 f.; seither st. Rspr., vgl. nur RGSt 38, 34, 35; RGSt 74, 91, 95 f.; BGH, NJW 1958, 267, 268; NJW 1981, 351; MedR 2008, 158, 159. Für das Zivilrecht RGZ 68, 431, 433 f.; RGZ 168, 206, 210; BGH, NJW 1972, 335, 336; NJW 1976, 1790, 1791 m.w.N.; OLG Hamm, NJW 1983, 2095. Näher hierzu Kap. 2 C. 71 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013, BGBl. I S. 277. 72 So auch NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 22 f. m.w.N. 73 Näher zur Regelung der Einwilligung im Behandlungsvertragsrecht MükoBGB/Wagner, § 630d Rn. 2 m.w.N. 74 BT-Drs. 17/10488, S. 9 f.; Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 2, Jauernig/Mansel, Vor § 630a Rn. 1; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 909. 75 Vgl. Katzenmeier, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2013, 2014, S. 24. 76 NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 19. 77 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Rn. 413; so auch angedeutet im RegE zum PatRG, BT-Drs. 17/10488, S. 23.

B. Begriffe und Konzepte

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Fall einer zukünftigen Einwilligungsunfähigkeit kundgetan werden, vgl. § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB.78 In beiden Fällen liegt eine vollwirksame Einwilligung vor.79 Hiervon abzugrenzen sind die mutmaßliche und die hypothetische Einwilligung. Auf die mutmaßliche Einwilligung kommt es nur dann an, wenn es an einer aktuellen oder antizipierten Einwilligung des Betroffenen fehlt, vgl. § 630d Abs. 1 S. 4.80 Es handelt sich damit um ein Einwilligungssurrogat, dass der Selbstbestimmung des Patienten nur bedingt Rechnung trägt und daher auch nur subsidiär und in eng begrenzten Ausnahmefällen zur Legitimation medizinischer Eingriffe herangezogen werden kann.81 Anders als die mutmaßliche Einwilligung, ist die hypothetische Einwilligung kein Einwilligungssurrogat, sondern eine Ausprägung des fehlenden Zurechnungszusammenhangs im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität. 82 Ist die Einwilligung des Patienten in Folge eines Aufklärungsfehlers unwirksam, kann sich der Arzt nach den Grundsätzen der hypothetischen Kausalität haftungsrechtlich entlasten, soweit er nachweisen kann, dass der Patient seine Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erteilt hätte, vgl. § 630h Abs. 2 S. 2 BGB.83 Gegenstück der informierten Einwilligung (Informed Consent) ist die informierte Ablehnung (Informed Refusal84) des einwilligungsfähigen Patienten.85 In den Einzelheiten umstritten aber vom Grundsatz her anerkannt ist auch ein Vetorecht des einwilligungsunfähigen Patienten.86 Ein positives Zustimmungserfordernis des einwilligungsunfähigen Patienten (sog. Informed Assent) hingegen kennt das deutsche Recht – anders als etwa das US-amerikanische Recht87 – abgesehen von wenigen Spezialfällen nicht. Ansätze hierzu finden sich in spezialgesetzlichen Regelungen der Einwilligung im Gesundheitsbereich, die teilweise eine Übereinstimmung mit dem mutmaßlichen Willen des einwilligungsunfähigen Patienten fordern.88 In neuerer Zeit wird das Erfordernis eines umfassenderen Konzeptes, des sog. Contextual Consent, unterstrichen.89 Kern des Contextual Consents ist die informierte Einwilligung, die einzelfallbezogen, um weitere rechtliche und nicht-rechtliche Instrumente ergänzt werden soll.90

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Kap. 9 B II. Vgl. Kap. 9 B II. 80 Vgl. Kap. 9 B IV. 81 Vgl. Kap. 9 B IV. 82 Genauer: des fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhangs, NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 21. Ausführlich hierzu Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 99 ff.; vgl. a. die umfangreichen Nachw. zur Rspr. bei MüKoBGB/Wagner, § 630h Rn. 44 Fn. 106. 83 Vgl. Kap. 10 B I 2. 84 So in Anlehnung an die US-amerik. Rechtsprechung Deutsch, NJW 1982, 2585, 2586. 85 Vgl. Kap. 4 C. 86 Näher hierzu Kap. 4 C II und Kap. 9 C I 2 b) und D. 87 Näher hierzu Kap. 9 C IV. 88 So etwa § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 2 AMG, § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 AMG und § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB. Näher hierzu Kap. 9 C IV. 89 Ausführlich hierzu Dorneck et al., MedR 2019, 431 ff. 90 Vgl. Dorneck et al., MedR 2019, 431, 439. 79

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1. Kapitel: Einleitung

3. Wesentliche Bezugspunkte der Einwilligung im Medizinrecht a) Indikation und Standard Als eine der drei Grundvoraussetzungen legitimen ärztlichen Handelns steht die informierte Einwilligung in enger Wechselwirkung zur Indikation und zur standardgemäßen Behandlung.91 Indikation, Einwilligung und Standard stehen hierbei nicht starr neben-, sondern vielmehr in enger Wechselwirkung zueinander, was es erforderlich macht, ihr Verhältnis stetig neu zu bestimmen und im konkreten Fall auszutarieren.92 Das Erfordernis eines insoweit flexiblen Rahmengerüsts wird insbesondere durch den anhaltenden immensen technischen und wissenschaftlichen Fortschritt der modernen Medizin illustriert. Dieser bringt stetig neue Behandlungsoptionen hervor, die zeitlich immer früher ansetzen und damit die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit verschieben.93 Auch die Nachfrage nach wunschmedizinischen Leistungen wächst.94 Diese Entwicklungen erschweren nicht nur Indikationsstellung und Standardbestimmung erheblich,95 sondern wirken sich auch und gerade auf die Anforderungen an Aufklärung und Einwilligung und damit auch auf die Einwilligungsfähigkeit des Patienten aus.96 b) Medizinische Maßnahme Die informierte Einwilligung des Patienten ist vor jeder medizinischen Maßnahme einzuholen, vgl. § 630d Abs. 1 S. 1 BGB.97 Das BGB knüpft das Einwilligungserfordernis im Behandlungsvertragsrecht damit an den Begriff der medizinischen Maßnahme, ohne diesen näher zu konkretisieren.98 Schrifttum und Gesetzes91

Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 6 Rn. 1 f.; Laufs, in: ders./Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. I Rn. 29. Für die Einwilligungsfähigkeit ist v.a. die Indikation bedeutsam, vgl. Kap. 4 C II. 92 Vgl. Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 6 Rn. 1 f.; Laufs, in: Katzenmeier/Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S. 12. Näher zur Akzentverschiebung durch die steigende Nachfrage an Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin, Damm/Schulte in den Bäumen, KritV 2005, 101. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen und auch indikationsloses medizinisches Handeln dem Pflichtengefüge der §§ 630a ff. BGB zu unterstellen, normiert § 630a Abs. 1 BGB das Erfordernis einer medizinischen Indikation im Behandlungsvertragsrecht nicht. Hieraus lässt sich jedoch richtigerweise nicht ableiten, dass der Gesetzgeber die Indiziertheit ärztlichen Handelns nunmehr generell für entbehrlich hält, vgl. BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630a Rn. 28. Grundlegend zum Indikationsbegriff Dörries, in: dies./Lipp (Hrsg.), Medizinische Indikation, 2015, S. 13 ff.; vgl. a. Köberl, MedR 2019, 203 ff. Zum Begriff des Standards S. Hart, in: ders. (Hrsg.), Ärztliche Leitlinien im Medizin und Gesundheitsrecht, 2005, S. 88 ff. 93 Franke, Modelle von Gesundheit und Krankheit, 3. Aufl. 2012, S. 21 ff., insbes. S. 25; Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, 2000, S. 129. 94 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 6 Rn. 1 f. 95 Ausführlich hierzu Frahm et al., MedR 2018, 447, 448 m.w.N. 96 Vgl. Kap. 8 A und Kap. 9 B, passim. Zu den konkreten Auswirkungen auf die Aufklärungspflicht des Arztes S. jüngst Eberbach, MedR 2019, 111, 115 ff. 97 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d Rn. 2; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 11. 98 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 27. Krit. hierzu Taupitz, GesR 2015, 65, 67 und NK-BGB/Voigt, § 630a Rn. 23 Fn. 1, die zudem zutreffend auf die

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begründung gehen insoweit von einem weiten Begriffsverständnis aus, das sämtliche Maßnahmen und Eingriffe am Körper und der Psyche eines Menschen umfasst, die darauf abzielen Krankheiten, Leiden sowie Gebrechen körperlicher und seelischer Art mit und ohne Krankheitswert99 zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern.100 Die medizinische Maßnahme beschränkt sich damit nicht auf „klassisches“ ärztliches Tätigwerden im Rahmen der Diagnostik, Therapie und Rehabilitation, sondern umfasst auch Früherkennung und Prävention sowie wunschmedizinische101 Eingriffe.102 Da das Einwilligungserfordernis neben der körperlichen und seelischen Integrität und Gesundheit des Betroffenen auch dessen Selbstbestimmungsrecht schützt, verpflichten nicht nur invasive Eingriffe den Behandelnden zur Einholung der Einwilligung, sondern grundsätzlich auch alle sonstigen hiermit verbundenen präventiven, therapeutischen und rehabilitativen Maßnahmen,103 etwa auch Beratungsleistungen vor Durchführung einer genetischen Diagnostik.104 Das entspricht weitgehend dem betreuungsrechtlichen Begriff der ärztlichen Maßnahme, der nach der Legaldefinition in §§ 1901a Abs. 1 S. 1, 1904 Abs. 1 S. 1, 1906 Abs. 1 Nr. 2 und 1906a Abs. 1 S. 1 BGB Untersuchungen des Gesundheits-

uneinheitliche Begriffsverwendung innerhalb der §§ 630a ff. BGB hinweisen. So beziehen bspw. § 630a Abs. 1 und § 630c BGB den Behandlungsbegriff auf die gesamte Vertragsdurchführung, während § 630d Abs. 1 und § 630e BGB einen konkreten medizinischen Eingriff in den Blick nehmen. Unklar bleibt auch, warum das Gesetz teils von medizinischer Behandlung und teils von medizinischen Maßnahmen spricht, vgl. § 630d Abs. 1 BGB. Ein unterschiedlicher Bedeutungsgehalt scheint hierdurch nicht intendiert zu sein. 99 Hierzu zählen etwa Körperschäden (wie nichtkrankhafte Entstellungen, Schielen u.ä.) und körperliche Beschwerden, die nicht unbedingt krankhafter Natur sind, wie z.B. Menstruations- und Schwangerschaftsbeschwerden, vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 17. 100 BT-Drs. 17/10488, S. 17; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630a Rn. 26; ders., in: HKAKM, Nr. 800 Rn. 21; MüKoBGB/Wagner, Vor § 630a Rn. 8; Jauernig/Mansel, § 630a Rn. 5; Hk-BGB/Schreiber, § 630a Rn. 2; NK-BGB/Voigt, Vor § 630a Rn. 5; ders., Individuelle Gesundheitsleistungen, 2013, S. 70 ff. Ausführlich hierzu und zu weiteren Abgrenzungsfragen Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 27 m.w.N. 101 Die Gesetzesbegründung spricht insoweit missverständlich von „Heilbehandlung“, vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 17, ohne dass wunschmedizinische Maßnahmen ausgeschlossen sein sollen, ganz h.M. vgl. nur Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 21; ders., NJW 2013, 817, 818, Fn. 15; Jauernig/Mansel, § 630a Rn. 5; Hk-BGB/Schreiber, § 630a Rn. 2; Spickhoff/Spickhoff, § 630a Rn. 12 f. Wunschmedizinische Maßnahmen sind neben zahlreichen Maßnahmen aus dem Bereich der Fortpflanzungsmedizin (wie etwa der Kinderwunschbehandlung, der Sterilisation zur Schwangerschaftsverhütung oder dem Schwangerschaftsabbruch), auch altruistisch, kosmetisch oder religiös motivierte Eingriffe: Etwa die Zirkumzision (religiös), Tätowierungen (kosmetisch), die Teilnahme an drittnützigen Forschungsvorhaben oder die Lebendorganspenden (altruistisch), weitere Beispiele bei Dörries, in: dies./Lipp (Hrsg.), Medizinische Indikation, 2015, S. 16 und BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630a Rn. 27. 102 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630a Rn. 27 m.w.N.; ders., in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 21; Spickhoff/Spickhoff, § 630a Rn. 12 f. m.w.N.; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 27; Jauernig/Mansel, § 630a Rn. 5; Hk-BGB/Schreiber, § 630a Rn. 2; NK-BGB/Voigt, Vor § 630 a Rn. 5 m.w.N. Näher zum Ganzen Voigt, Individuelle Gesundheitsleistungen, 2013, S. 70 ff., insbes. S. 73 f. 103 NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 1 und 3 m.w.N. 104 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630a Rn. 26. Näher hierzu Geiß/Greiner, Rn. B 108.

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1. Kapitel: Einleitung

zustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe erfasst.105 Anders als die medizinische Maßnahme nach §§ 630a ff. BGB umfasst die betreuungsrechtliche ärztliche Maßnahme auch Eingriffe zu Forschungszwecken.106 Ergänzend zu den §§ 630a ff. BGB ist das Einwilligungserfordernis für medizinische Eingriffe, die nicht dem gesundheitlichen Wohl des Betroffenen dienen, an verschiedenen Stellen spezialgesetzlich normiert. Etwa im Forschungsrecht, wo es sich auf sämtliche Eingriffe medizinischer Art im Zusammenhang mit klinischen Studien bezieht,107 aber auch im Zusammenhang mit der Organ- und Gewebespende108 und der familiennützigen Gendiagnostik.109 Als Voraussetzung der Einwilligung hat die Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich einen entsprechend weiten Anwendungsbereich, der durch ein breites und heterogenes Spektrum medizinischer Maßnahmen gekennzeichnet ist.110 Bereits der klassische Behandlungsalltag ist durch eine Vielfalt von Behandlungsmöglichkeiten gekennzeichnet, angefangen bei weniger invasiven Maßnahmen wie der Behandlung einer Erkältung, unkomplizierten Zahnbehandlungen, Vorsorgeuntersuchungen oder der Verschreibung von Medikamenten über tiefgreifendere Eingriffe wie Rückenmarksuntersuchungen oder Dialyse, bis hin zu schweren operativen Eingriffen an lebenswichtigen Organen oder komplexen onkologischen Therapieplänen.111 Bezugspunkt für Aufklärung und Einwilligung und damit auch die Einwilligungsfähigkeit sind damit Maßnahmen unterschiedlicher Komplexität und Intensität, die jeweils verschiedenen Behandlungszielen dienen können.112 c) Die zu behandelnde Person: Patient, Ratsuchender, Proband Nicht nur die medizinischen Maßnahmen, auf die sich das Einwilligungserfordernis bezieht, sind vielschichtig. Auch die Person des Einwilligenden, im Regelfall der 105

Näher hierzu BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 21. Während sowohl die Gesetzesbegründung als auch die Kommentarliteratur zu dieser Frage weitgehend schweigt, befürwortet die überwiegende Ansicht in der Literatur die Möglichkeit einer Forschungsverfügung unabhängig von § 1901a Abs. S. 1 BGB, vgl. Helmchen/Lauter, Mit Demenzkranken forschen?, 1995, S. 51 ff.; Freund/Heubel, MedR 1997, 347; Taupitz, Biomedizinische Forschung, 2002, S. 116; Seelmann, in: Brudermüller u.a. (Hrsg.), Forschung am Menschen, 2005, S. 115; Helmchen, Nervenarzt 2015, 1140 ff. Näher zur antizipierten Einwilligung mittels Forschungsverfügung Reimer, Die Forschungsverfügung, 2017, S. 141 ff. Der Gesetzgeber hat dies durch einen Verweis im Arzneimittelrecht auf § 1901a BGB nunmehr auch verbindlich geregelt, vgl. § 40b Abs. 4 S. 6 AMG n.F. in der Fassung des 4. AMG ÄndG (noch nicht in Kraft). Hierin setzt gruppennützigen Forschung mit einwilligungsunfähigen Volljährigen einen nach § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB geäußerten Willen des Betroffenen voraus, näher hierzu BT-Drs. 18/8034, S. 46. 107 Vgl. etwa § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 lit. a AMG, § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 MPG, § 28c Abs. 1 S. 3 RöV und § 87 Abs. 1 S. 3 StrSchV. 108 §§ 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b, 8a S. 1 Nr. 4 und 5 TPG. 109 § 14 Abs. 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 4 GenDG. 110 So auch BT-Drs. 17/10488, S. 9. 111 Vgl. hierzu auch die Bsp. bei Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 42. 112 Etwa zu ästhetischen, reproduktionsmedizinischen oder altruistischen Zwecken wie etwa der Organspende, näher hierzu Dörries, in: dies./Lipp (Hrsg.), Medizinische Indikation, 2015, S. 16. Näher zur Komplexität der modernen Krankenversorgung Frahm et al., MedR 2018, 447, 448. 106

B. Begriffe und Konzepte

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Empfänger der medizinischen Leistung, variiert stark. Den Standardfall bildet hierbei der Patient.113 Während nach dem allgemeinen Sprachgebrauch Patient nur ist, wer bereits erkrankt ist, umfassen die §§ 630a ff. BGB ihrem weiten Anwendungsbereich entsprechend auch (noch) gesunde Personen, die sich etwa zur Beratung über frühdiagnostischen Untersuchungen an eine medizinische Einrichtung wenden oder an universalpräventiven Screenings,114 etwa im Rahmen onkologischer Früherkennungsprogramme teilnehmen.115 Patient ist hiernach, wer Kontakt zu einer Einrichtung des Gesundheitssystems aufgenommen hat mit dem Ziel, sich behandeln oder gesundheitsbezogen beraten zu lassen.116 Die Regelungen des Forschungsrechts betreffen demgegenüber gesunde wie erkrankte Personen, die an klinischen Forschungsvorhaben teilnehmen (Probanden),117 die Vorschriften des Transplantationsgesetzes wiederum Spender, die Gewebe oder Organe im Rahmen der Lebendspende spenden wollen oder ihre antizipierte Einwilligung in die Entnahme von Geweben und/oder Organen nach dem Tod erteilt haben, vgl. § 8 TPG. Paradigmatisch wird im Folgenden grundsätzlich vom Patienten gesprochen. Soweit sich relevante Abweichungen ergeben wird auszugsweise auch die Rechtslage zu Probanden und Spendern dargestellt.

II. Die Einwilligungsfähigkeit Für ein umfassendes Verständnis der Thematik sind neben Begriffsfragen auch die grundlegenden Differenzierungen der Einwilligungsfähigkeit wesentlich. 1. Begriff a) Einwilligungs(un)fähigkeit Die Einwilligungsfähigkeit umfasst als Sammelbegriff diejenigen Fähigkeiten, über die ein Patient im konkreten Fall verfügen muss, um eine rechtsverbindliche 113

Auch die §§ 630a ff. BGB gehen vom Patientenbegriff aus, ohne diesen jedoch einheitlich zu verwenden. So ist die an die Vergütungspflicht anknüpfende Legaldefinition in § 630a Abs. 1 BGB nicht in allen Fällen spannungsfrei mit der Begriffsverwendung in §§ 630c ff. BGB (Patient als behandelte Person) in Einklang zu bringen, näher hierzu Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 10 m.w.N.; Hebecker/Lutzi, MedR 2015, 17 ff. Auch der Begriff des Behandelnden wird vom Gesetz nicht einheitlich verwendet, vgl. hierzu Kap. 10 B. 114 Universelle Prävention zeichnet sich dadurch aus, dass die Maßnahmen an die Allgemeinbevölkerung oder größere Bevölkerungsschichten gerichtet sind, unabhängig von einer tatsächlich bestehenden Erkrankung, einem Krankheitsverdacht oder einem etwa alters- oder verhaltensbedingt erhöhten Risiko, vgl. Gordon, Public Health Reports 1983, 107 ff. 115 Zu nennen wären hier etwa die an die Allgemeinbevölkerung gerichteten Screeningprogramme für Brust-, Prostata-, Haut- und Darmkrebs, vgl. https://www.krebshilfe.de/informieren/ueber-krebs/krebsfrueherkennung/, letzter Zugriff: 16.10.2019. 116 Wie hier auch Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung des Patienten, 2009, S. 25; vgl. a. Geiß/Greiner, Rn. B 108; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630a Rn. 26 und Rn. 29 sowie NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 1 und Rn. 3 m.w.N. 117 Vgl. etwa § 28c RöV und § 87 StrSchV. Das Arzneimittelrecht verwendet hingegen den Begriff der „betroffenen Person“, § 40 AMG, und das Medizinprodukterecht den der „Person, bei der […] [die klinische Prüfung] durchgeführt werden soll“, vgl. § 20 MPG.

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1. Kapitel: Einleitung

Entscheidung für oder gegen eine konkrete medizinische Maßnahme treffen zu können.118 Sie beschreibt zugleich das Ausmaß, in dem diese Fähigkeiten bei Minderjährigen vorliegen müssen, um einwilligungsfähig zu sein. Bei volljährigen Patienten kommt es hingegen darauf an, in welchem Maß, die relevanten Fähigkeiten beeinträchtigt sein müssen, damit das Verdikt der Einwilligungsunfähigkeit gerechtfertigt erscheint.119 Um diese beiden Aspekte sichtbar zu machen, wird daher, wenn dies inhaltlich notwendig ist, der Begriff der Einwilligungs(un)fähigkeit verwendet. b) „Schillernde“ Begriffsverwendung120 Im Gesetz wird die Einwilligungs(un)fähigkeit sehr unterschiedlich umschrieben.121 Auch die Bestimmungsversuche in Rechtsprechung und Literatur sind vielfach uneinheitlich: teils zu weit, teils zu eng und insgesamt eher vage.122 Das schlägt sich auch in der Rechtsanwendung nieder. Vor allem die Rechtsprechung verwendet den Begriff vieldeutig und zum Teil auch widersprüchlich.123 Hierdurch wird nicht nur das Konzept der Einwilligungsfähigkeit verwässert, sondern auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema erschwert.124 Eine klare Begriffssprache ist zudem Grundvoraussetzung für die gelingende Beurteilung der Einwilligungs(un)fähigkeit in der juristischen und medizinischen Praxis. 125 Für die Zwecke 118

Vgl. Kap. 4 A. Ausführlich hierzu Kap. 4 A und B sowie Kap. 5 B. 120 So treffend NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 15. 121 Vgl. Kap. 3 A II. 122 Neben inhaltsgleichen Umschreibungen beispielsweise als „Fähigkeit zur frei verantwortlichen Willensbetätigung“ (OLG Frankfurt, NJW 1991, 763, 763) und „Willensfähigkeit“ (vgl. bspw. BGH, NJW 1966, 1855, 1856; NJW 1973, 556, 558; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 542; ders., ZStW 104 (1992), 821, 821 sowie in jüngerer Zeit Kirste, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 29 und Jaeger, in Prütting, MedR-K, 2016, BGB § 630d Rn. 3), finden sich auch Formulierungen, die synonym verwendet werden, letztlich aber nur Teilaspekte der Einwilligungsfähigkeit umfassen. Das gilt etwa für die Definition der Einwilligungsfähigkeit als „Fähigkeit zur freien Willensbildung“ (BGH, NJW-RR 2011, 723, 724; NJW 2013, 1449, 1450), „Fähigkeit einen Willensentschluss zu fassen“ (BGH, NJW 1959, 811, 812) und „Fähigkeit eine eigenverantwortliche relevante Entscheidung zu treffen“ (BGH, NJW 1993, 2372, 2373 f.; NJW 1987, 2291, 2293; 1981, 633, 633). All diese Umschreibungen bilden die Steuerungsfähigkeit nicht ab. Auch die noch immer verbreitete Gleichsetzung mit der Einsichtsfähigkeit (vgl. nur Lorenz, NZFam 2017, 782, 783; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 36), ist stark verkürzt. Krit. hierzu bereits Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 543. HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 152 halten den Begriff der Einsichtsunfähigkeit im Bereich der Zwangsbehandlung für vorzugswürdig, adressieren jedoch die hiermit verbundene Verkürzung des Beurteilungsmaßstabes nicht. 123 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 532 ff.; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 15; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, 5. Aufl. 2017, StGB § 228 Rn. 15; so aus zivilrechtlicher Sicht auch Zimmermann, Auswirkungen des Betreuungsrechts, 1997, S. 178. 124 Grundlegend Saliger, in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 117 ff., 122. So auch für die medizinische Forschung zur Einwilligungsfähigkeit Okai et al., BJPsych 2007, 291, 295. 125 So auch Okai et al., BJPsych 2007, 291, 295; vgl. a. die stark variierenden Begrifflichkeiten im Englischen, die von „decisional capacity“ (Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1323) über „competency“ und „decision making capacity“ (Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005) 954, 955) bis hin zur „mental capacity“ reichen (so etwa Okai et al., British Journal 119

B. Begriffe und Konzepte

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dieser Untersuchung wird daher soweit wie möglich auf abweichende Begrifflichkeiten verzichtet. Abzulehnen ist schließlich auch die in jüngerer Zeit wiederholt angeregte Abkehr vom Begriff der Einwilligungsfähigkeit hin zur Entscheidungsfähigkeit.126 Zwar ist zuzugeben, dass der Begriff der Einwilligungsfähigkeit seinem Wortlaut nach die negative Aktualisierung des Selbstbestimmungsrechts durch die Ablehnung eines medizinisch indizierten Eingriffs nicht erfasst. Auch die Gefahr, dass das Selbstbestimmungsrecht in der Praxis auf den positiven Entscheidungsaspekt verkürzt zu werden droht, lässt sich nicht vollständig von der Hand weisen. Der Begriff der Entscheidungsfähigkeit ist jedoch aufgrund seiner Weite zu ungenau und inhaltlich nicht klarer als der der Einwilligungsfähigkeit. Semantisch erscheint die Entscheidungsfähigkeit eher als Oberbegriff für verschiedene Formen der Handlungsfähigkeit,127 die spezifische Arten von Entscheidungen betreffen, sei es diejenige über eine medizinische Behandlung, einen Vertragsschluss, die Eingehung der Ehe oder die Frage wie mit dem eigenen Nachlass verfahren werden soll.128 c) Einwilligungsfähigkeit und Einwilligungszuständigkeit In jüngerer Zeit wurde angeregt, in Anlehnung an die internationale Debatte die Einwilligungsfähigkeit als medizinischen Aspekt von der Einwilligungszuständigkeit als Rechtsfrage zu unterscheiden.129 Diese Unterscheidung überzeugt nur bedingt. In der internationalen Diskussion wurde der Begriff „capacity“ einige Zeit für die klinische Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit verwendet. Der Begriff „competency“ bezog sich auf die juristische Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit. Die Sinnhaftigkeit dieser Unterscheidung wurde in jüngerer Zeit aber zurecht angezweifelt.130 Hinzu kommt, dass die Differenzierung von „capacity“ und „competency“ inhaltlich nicht dem Verhältnis von Einwilligungsfähigkeit und Einwilligungszuständigkeit entspricht. Die von Teilen des Schrifttums vertretene Entkoppelung der Einwilligungszuständigkeit bei minderjährigen Patienten von der of Psychiatry 2007, 291). In den vergangenen Jahren zeigten systematische Übersichtsarbeiten wiederholt, dass sich die Begriffs- und Auslegungsvielfalt auf konzeptioneller Ebene auch auf die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit in der Praxis auswirkt, vgl. nur Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2399 f. m.w.N.; Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323 ff. 126 So etwa MüKoBGB/Schwab, § 1901a Rn. 9 (erstmals in der 6. Aufl. 2012, BGB, § 1901a Rn. 9) und Staudinger/Bienwald, 2017, § 1901b Rn. 22 aber auch Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 103 f. Der Begriff findet sich auch vereinzelt in der Rspr., vgl. etwa BVerfGE 142, 313 = NJW 2017, 53, 58 = MedR 2017, 122, ohne dass jedoch Anhaltspunkte für eine generelle Abkehr vom Begriff der Einwilligungsfähigkeit bestehen. Zum Teil werden beide Begriffe auch von einander unterschieden und mit eigenen Bedeutungsgehalten versehen, so etwa Damm, MedR 2015, 775 ff.; ders., MedR 2018, 939, 942 und ZEK BÄK, DÄBl. 2016, A1, A2 f. 127 Etwa die Einwilligungs-, Geschäfts-, Ehe- und Testierfähigkeit, näher hierzu Jürgens/Jürgens, BGB § 1 Rn. 3; Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 10 ff. 128 Die gleichen Einwände sprechen auch gegen den in der Ethik verwendeten Begriff der Selbstbestimmungsfähigkeit, so etwa Vollmann, Patientenselbstbestimmung, 2008, passim; Scholten/Vollmann, in: Vollmann (Hrsg.), Ethik in der Psychiatrie, 2017, S. 27. 129 Vgl. Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 118 f. 130 Vgl. Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 114; Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 159.

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1. Kapitel: Einleitung

Einwilligungsfähigkeit ist ein Spezifikum des deutschen Rechts, das sich so in anderen Rechtsordnungen nicht findet.131 2. Grundlegende Differenzierungen Die Einwilligungsunfähigkeit betrifft verschiedene, zum Teil sehr heterogene Personengruppen, die sich nach unterschiedlichen Merkmalen differenzieren lassen. So kann die betroffene Person etwa „teilweise oder vollständig, vorübergehend, wechselnd oder dauerhaft einwilligungsunfähig sein.“132 Diese Differenzierungen dienen nicht nur der Systematisierung, sondern tragen auch dem Umstand Rechnung, dass je nach Ursache und gradueller Ausprägung133 unterschiedliche rechtliche Erwägungen, insbesondere auf Rechtsfolgenebene, anzustellen sind.134 a) Absolute, relative und partielle Einwilligungs(un)fähigkeit Grundlegend zu unterscheiden sind zunächst absolute, relative und partielle Einwilligungs(un)fähigkeit.135 Absolut einwilligungsunfähig sind Personen, denen die Einwilligungsfähigkeit vollständig in Bezug auf alle denkbaren Maßnahmen fehlt, etwa in Folge von Bewusstlosigkeit oder schweren neurologischen Erkrankungen wie dem apallischen Syndrom oder stark fortgeschrittener Demenz. 136 Auch Kleinkinder sind regelmäßig absolut einwilligungsunfähig. Relativ einwilligungs(un)fähig sind demgegenüber Personen, deren Fähigkeiten nur eingeschränkt ausgeprägt sind, so dass sie in Bezug auf einige Maßnahmen einwilligungsfähig sind, bezogen auf andere aber nicht.137 In diesem Zusammenhang werden etwa die Fähigkeiten 131

Vgl. Kap. 8 A II. CDBI, Leitfaden für Mitglieder Medizinischer Ethikkommissionen, 2010, S. 48. 133 Zwar erfordert die juristische Praxis eine klare Antwort (ja oder nein) auf die Frage nach der Einwilligungsfähigkeit. Das Recht berücksichtigt jedoch, dass es sich rein tatsächlich um eine graduell ausgeprägte Fähigkeit handelt, bei der der Übergang zwischen Einwilligungsfähigkeit und -unfähigkeit fließend ist. So bestimmt etwa die konkrete Ausprägung der individuellen Fähigkeiten des Betroffenen, ob das Recht ihm Entscheidungs- oder gestufte Partizipationsrechte zuerkennt, vgl. etwa § 630e Abs. 1 und 5 BGB, näher hierzu Damm, MedR 2015, 775, 777 und ders., MedR 2013, 201, 207 f., jeweils m.w.N. 134 Magnus, in: Lindner (Hrsg.), Selbst- oder bestimmt?, 2017, S. 107 und Quante, Personales Leben, 2002, S. 274 ff. Entsprechend empfiehlt auch der Lenkungsausschuss für Bioethik des Europarates (CDBI) die ethische Bewertung von Forschungsvorhaben an den Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit der Probanden auszurichten, vgl. CDBI, Leitfaden für Mitglieder Medizinischer Ethikkommissionen, 2010, S. 48. 135 Das entspricht im Wesentlichen der Unterscheidung von „voller, teilweiser (und) fehlender“ Einwilligungsfähigkeit, vgl. Woopen, ZfME 1999, 51, 55. 136 Umgekehrt sind generell einwilligungsfähige Personen für alle denkbaren Maßnahmen einwilligungsfähig. Den paradigmatischen „Normalfall“ bildet hierbei der gesunde volljährige Patient, näher hierzu Kap. 4 B I 3 a). Entgegen einer zum Teil vertretenen Ansicht setzt die absolute Einwilligungsunfähigkeit nicht das Fehlen jeder Einsichtsfähigkeit oder den vollständigen Verlust der kognitiven Fähigkeiten des Betroffenen voraus, so aber Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 385 und Damm, MedR 2015, 775, 777. Maßgeblich ist vielmehr, ob die tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen von denjenigen eines durchschnittlichen siebenjährigen Kindes abweichen, vgl. Kap. 4 B I. 137 Die Betroffenen sind folglich nur „teilweise einwilligungsfähig“, vgl. Woopen, ZfME 1999, 51, 55. 132

B. Begriffe und Konzepte

21

von Minderjährigen über sieben Jahren diskutiert138, aber auch diejenigen von Personen, im leichteren bis mittleren Stadium neurodegenerativer Erkrankungen wie der Alzheimerdemenz.139 Auch Patienten, deren Fähigkeiten im Zeitverlauf schwanken (sog. fluktuierende Einwilligungsfähigkeit) fallen in diese Gruppe.140 Personen, deren Fähigkeiten in diesem Sinne eingeschränkt sind, stellen die rechtliche und medizinische Praxis vor besondere Herausforderungen, denn bei ihnen muss die Einwilligungs(un)fähigkeit besonders genau geprüft werden, was hinreichend klare Kriterien erforderlich macht.141 Anders als bei der Geschäftsfähigkeit wird eine relative Einwilligungsfähigkeit, bei der die Anforderungen je nach Maßnahme schwanken, mehrheitlich befürwortet.142 Neben der absoluten und der relativen Einwilligungs(un)fähigkeit wird im Kontext psychischer Erkrankungen die Möglichkeit einer partiellen Einwilligungs(un)fähigkeit erwogen.143 Hiernach soll die Einwilligungsfähigkeit für Entscheidungen, die mit der psychischen Grunderkrankung zusammenhängen unter bestimmten Umständen ausgeschlossen sein, ohne dass hiervon die Einwilligungsfähigkeit für sonstige gesundheitsbezogene Entscheidungen berührt wird.144 Das ist insbesondere dann denkbar, wenn dem Betroffenen bezüglich der Grunderkrankung die Krankheits- und Behandlungseinsicht fehlt.145 b) Schwere und Dauer der Einwilligungs(un)fähigkeit Auch die Dauer der Beeinträchtigungen fließt in die rechtliche Bewertung ein. Die Einwilligungsfähigkeit kann dauerhaft (irreversibel)146 oder vorübergehend (reversibel) beeinträchtigt oder aufgehoben sein.147 Irreversibel einwilligungsunfähig sind beispielsweise schwer geistig behinderte Patienten oder Patienten im apallischen Syndrom. Auch Demenzpatienten verlieren ihre Einwilligungsfähigkeit mit Fortschreiten der Erkrankung dauerhaft und unumkehrbar. Ist die Einwilligungsfähigkeit lediglich vorübergehend beeinträchtigt oder aufgehoben, ist weiter zu differenzieren. Ist der Patient nur kurzzeitig einwilligungsunfähig und ein Betreuer nicht

138

Ausführlich hierzu unten Kap. 3 D I. Klie u.a., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5, 7; Helmchen, Nervenarzt 2015, 1140. 140 Das gilt für nahezu allen psychischen Erkrankungen, die sich auf die für die Einwilligungsfähigkeit relevanten Teilbereiche auswirken, vgl. DGPPN, Nervenarzt 2014, 1419, 1423 (S. 5). Näher zu den hiermit verbundenen praktischen Problemen bei der Beurteilung Trachsel et al., Am J Alzheimers Dis Other Dementias 2015, 360, 361 ff. 141 Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2400. 142 Holzhauer, ZRP, 1989, 451, 457; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 530 ff. und 543 ff.; Kern, NJW 1994, 753, 755; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 34; Voll, Einwilligung, 1996, S. 88; Blandini, BWNotZ 2007, 129, 130; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 385; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 6; Jürgens/Jürgens, § 1896 Rn. 34; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XXIV § 149 Rn. 64; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 41 m.w.N.; Bichler, GesR 2014, 208, 210. 143 Vgl. OLG Zweibrücken, NStZ 2011, 707, 708. 144 OLG Zweibrücken, NStZ 2011, 707, 708; so bereits Schünemann, VersR 1981, 306, 307. 145 Näher hierzu unten Kap. 5 C I. 146 Vgl. etwa § 1905 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB. 147 Kirste, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 29.

139

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1. Kapitel: Einleitung

rechtzeitig bestellbar,148 sind regelmäßig nur akut indizierte medizinische Maßnahmen unter den Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung zulässig.149 Eine kurzzeitige (relative oder absolute) Einwilligungsunfähigkeit kann beispielsweise durch erhebliche Schmerzen,150 vorübergehende Bewusstlosigkeit151 oder aber übermäßigen Rauschmittelkonsum152 ausgelöst werden. Umstritten ist, ob auch umgekehrt eine kurzfristige Einwilligungsfähigkeit bei generell einwilligungsunfähigen Volljährigen möglich ist (sog. lucidum intervallum).153 Eine voraussichtlich länger als 48 Stunden andauernde Einwilligungsunfähigkeit macht eine Betreuerbestellung erforderlich, sofern keine Patientenverfügung vorliegt, die die medizinische Behandlungssituation erfasst und der Patient keinen Dritten zur Wahrnehmung seiner Gesundheitsangelegenheiten bevollmächtigt hat.154 Beispielhaft zu nennen wären das länger andauernde künstliche Koma im Rahmen einer intensivmedizinischen Behandlung (absolute, längerfristige Einwilligungsunfähigkeit), aber auch die längerfristige relative Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen, die sich über den Zeit- und Entwicklungsverlauf stetig bis zur generellen Einwilligungsfähigkeit entfaltet. c) „Noch nicht“, „nicht mehr“ und „niemals“ Einwilligungsfähige Schließlich ist zu fragen, ob der Patient, noch nicht oder nicht mehr einwilligungsfähig ist oder ob er niemals einwilligungsfähig sein wird.155 In der ersten Gruppe finden sich altersbedingt einwilligungsunfähige Personen wie beispielsweise Frühgeborenen und Säuglinge, denen bereits die Äußerungsfähigkeit fehlt, aber auch Kleinkinder, Kinder und Jugendliche, deren Einsichts-, Urteils-, und/oder Steuerungsfähigkeit in unterschiedlichem Maße beeinträchtigt sein können.156 Der zweiten 148

Das wird regelmäßig bei einer Dauer von weniger als 48 Stunden der Fall sein. Hier kann eine Betreuung schon aufgrund der Pflicht ein Gutachten einzuholen und sich einen persönlichen Eindruck vom Betreuten zu verschaffen, vgl. § 271 Nr. 1 FamFG i.V.m. §§ 278 Abs. 1, 280 FamFG, i.d.R. auch im Wege der Eilbetreuung häufig nicht schnell genug eingerichtet werden. 149 Näher hierzu unten Kap. 9 B IV; zu weiteren einwilligungsunabhängigen Rechtfertigungsgründen S. Kap. 9 B V. 150 Vgl. nur BGH, NJW 1978, 1206 (Zahnextraktion); NJW 1987, 2291 (Notfallpatient); NJW 1993, 2372 m. Anm. Laufs (Geburt); NJW 1994, 799 (Weisheitszahnextraktion); OLG Frankfurt a. M., MedR 1984, 194 (Unfallpatient); OLG Naumburg, Urt. v. 6.2.2014 – 1 U 45/13 (Geburt); OLG Koblenz, MedR 2015, 422 (Notfallpatientin); näher hierzu NKStGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 65 und Genske, MedR 2016, 173 ff. 151 Etwa infolge einer körperlichen Erkrankung, eines Unfalls oder während eines operativen Eingriffes. 152 NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 65. 153 Vgl. Kap. 8 A III 3. 154 Vgl. § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB, näher hierzu Staudinger/Bienwald, 2017, § 1896 Rn. 29 und Rn. 263 ff.; Lipp, MedR 2016, 843, 846 m.w.N. 155 So bereits Kirste, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 29; ähnlich Gieselmann/Gather/Vollmann, Psych. Pflege Heute 2019, 253, 254. NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14 unterscheiden „(noch) nicht bzw. nicht mehr voll selbstbestimmungsfähig(e)“ Personen; zust. Magnus, in: Lindner (Hrsg.), Selbst- oder bestimmt?, 2017, S. 107; weitere Differenzierungen bei Berg et al., Informed Consent. 2001, S. 94. 156 Genske, Drittnützige Studien, 2013, S. 8.

C. Forschungsgegenstand

23

Gruppe gehören u.a. ältere minderjährige und erwachsene Patienten an, die früher einmal zumindest relativ einwilligungsfähig waren, aus vielfältigen Gründen wie z.B. schweren psychischen Erkrankungen oder neurologischen Schädigungen aber aktuell nicht mehr in der Lage sind, ihre Einwilligung in ärztliche Maßnahmen wirksam zu erteilen.157 In der letzten Gruppe finden sich schließlich Personen, die aus unterschiedlichen Gründen wie beispielsweise schweren emotional-kognitiven Behinderungen niemals einwilligungsfähig waren und es mit großer Wahrscheinlichkeit auch niemals sein werden.158

C. Forschungsgegenstand C. Forschungsgegenstand

Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind grundlegende Rechtsfragen der Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich. Hierzu wird zunächst das bestehende Konzept der Einwilligungs(un)fähigkeit im Recht herausgearbeitet, um es im weiteren Verlauf der Arbeit sowohl allgemein als auch bereichsbezogen zu konkretisieren. Als wesentliches Element der Patienteneinwilligung wird die Einwilligungsfähigkeit im Kontext des Behandlungsgeschehens bearbeitet. Im Zentrum der Untersuchung steht das zivilrechtliche Medizinrecht in Gestalt des Behandlungsvertrags- und deliktsrechtlichen Arzthaftungsrechts im Zusammenwirken mit dem Betreuungs- und Kindschaftsrecht.

I. Methodischer Rahmen Die Auseinandersetzung mit der Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich ist methodisch anspruchsvoll. Schon das Medizinrecht erfordert als rechtsgebietsübergreifende Rechtsmaterie159 einen intradisziplinären Zugang. Hinzu kommt, dass die Einwilligungsfähigkeit verschiedene, auch außerrechtliche Disziplinen berührt, was es erforderlich macht, sich zumindest in Grundzügen auch mit außerrechtlichen 157

Insbes. bei Personen, die zwar noch generell einwilligungsfähig sind, deren Fähigkeiten prognostisch aber beispielsweise wegen einer neurodegenerativen Erkrankung zunehmend und irreversibel abnehmen, stellt sich die Frage nach geeigneten Maßnahmen der Vorsorgeplanung in Form einer Vorsorgevollmacht, Patienten- und/oder Betreuungsverfügung besonders dringlich. Ausdrücklich geregelt ist nur die Patientenverfügung, vgl. § 1901a Abs. 1 BGB. Die Möglichkeit einer Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten wird seit dem 1. BtÄndG jedoch gesetzlich vorausgesetzt, vgl. § 1904 Abs. 5 S. 1 BGB, näher hierzu MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 81; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 29. Die Möglichkeit, eine Betreuungsverfügung zu verfassen, ergibt sich aus § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB, näher hierzu BGH, NJW-RR 2016, 1156; MüKoBGB/Schwab, § 1897 Rn. 24. Ausführlich zum Ganzen unten Kap. 9 B II. 158 Beispiele hierzu finden sich bei Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 44. Neben den genannten Differenzierungen findet sich im Strafrecht auch die Unterscheidung von konstitutioneller (z.B. aufgrund von Minderjährigkeit) und aktueller Einwilligungsunfähigkeit (etwa aufgrund von Bewusstlosigkeit), vgl. etwa NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 15; MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 36. Diese Differenzierung ist jedoch nicht spezifisch genug, da eine Person, die aus konstitutionellen Gründen einwilligungsunfähig ist, immer auch aktuell einwilligungsunfähig ist. 159 Vgl. hierzu auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412.

24

1. Kapitel: Einleitung

Befunden auseinanderzusetzen. Den Ausgangspunkt bildet nichtsdestotrotz ein klassisch rechtsdogmatisches Vorgehen. Auch rechtstheoretische Bezüge werden, soweit erforderlich, in die Untersuchung einbezogen. 1. Besonderheiten des Medizinrechts a) Herausforderungen der Intradisziplinarität 160 Das Medizinrecht wird von seinem Gegenstand her bestimmt161 und bezeichnet die Gesamtheit der Normen, die die behandelnde und forschende Tätigkeit der Gesundheitsberufe, in erster Linie der Ärzte, betreffen.162 Damit hat es überkommene fachliche Einteilungen überwunden. Die Teilrechtsgebiete des Zivil-, Straf- und öffentlichen Rechts „fließen“ vielmehr in ihm zusammen.163 Eingebettet in einen verfassungsrechtlichen, vor allem von den Grundrechten gezogenen Rahmen, vereint es Normen unterschiedlicher Spezialität und Hierarchie sowie zunehmend auch europa- und internationalrechtliche Regelungen.164 Das Medizinrecht ist damit schon seiner Natur nach kein einheitliches Rechtsgebiet,165 sondern regelungstechnisch stark zerklüftet, weit verzweigt166 und durch einen mehr oder weniger großen richterlichen Ermessensspielraum in der Anwendung gekennzeichnet. Das stellt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich vor zahlreiche Herausforderungen.167 Die gesundheitsbezogene Einwilligungsfähigkeit berührt neben dem Zivilrecht vor allem das Strafrecht und das öffentliche Gefahrenabwehrrecht, etwa in Gestalt der PsychKG der Länder. Das wirft die Frage auf, ob sich die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit rechtsgebietsübergreifend bestimmen lassen oder rechtsgebietsspezifische Ausdifferenzierungen notwendig sind.168 160 Gemeint ist hiermit die Überschreitung der Rechtsgebietsgrenzen, Saliger, in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 117 ff., insbes. 121. A.A. Jestaedt, in: ders./Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 196: Intradisziplinarität als Verhältnis der Rechtsdogmatik zu den Grundlagenfächern. 161 Näher zu den hiermit verbundenen Herausforderungen, Zuck, in: Quaas/Zuck/Clemens, § 1 Rn. 1 ff. 162 Vgl. Sodan, in: Wenzel (Hrsg.), Hdb. d. Fachanwalts Medizinrecht, 3. Aufl. 2013, Kap. 1 Rn. 1. Enger Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 5 Rn. 2, der das Medizinrecht als Oberbegriff für Arzt-, Arzneimittel- und Medizinprodukterecht „und weitere Vorschriften im Dienste der Gesundheit“ fasst. Zuck, in: Quaas/Zuck/Clemens, § 1 Rn. 17 ff. klammern die Forschungstätigkeit hingegen aus und beschränken das Medizinrecht auf behandlungsbezogene Rechtsnormen. Hierbei gehen sie von einem weiten Behandlungsbegriff aus. Zum umfassenderen Begriff des Gesundheitsrechts und zu weiteren Abgrenzungsfragen vgl. Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 5 Rn. 2; Laufs, in: ders./Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. I Rn. 20; Zuck, in: Quaas/Zuck/Clemens, § 1 Rn. 19 ff. 163 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 5 Rn. 2. 164 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 5 Rn. 2 ff.; Laufs, in: ders./Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. I Rn. 20; Zuck, in: Quaas/Zuck/Clemens, § 1 Rn. 15 f. 165 Zuck, in: Quaas/Zuck/Clemens, § 1 Rn. 8 ff. 166 Vgl. nur die umfangreiche Auflistung bei Laufs, in: ders./Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. I Rn. 20. 167 Spickhoff, FamRZ 2018, 412. 168 Vgl. hierzu Kap. 3 A I.

C. Forschungsgegenstand

25

b) Berücksichtigung außerrechtlicher Befunde Daneben werfen die besonders ausgeprägten interdisziplinären Bezüge des Medizinrechts,169 die auch in der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Einwilligungsfähigkeit in jüngerer Zeit verstärkt thematisiert werden, 170 die Frage nach der Bedeutung außerrechtlicher Befunde auf. Ziel ist es nicht, Theorien, Begriffe, empirische Befunden und Methoden aus anderen Disziplinen in das Recht zu übernehmen.171 Ebenso wenig sollen die disziplinären Grenzen um den Preis fachlicher Genauigkeit und Expertise aufgeweicht oder gar aufgelöst werden.172 Die Auseinandersetzung mit Diskursen außerhalb der Rechtswissenschaften soll vielmehr dabei helfen, eine bessere Vorstellung vom Gegenstandsbereich, auf den das Recht einwirkt, zu bekommen, „blinde Flecken“ zu identifizieren 173 und neue Impulse für die Lösung solcher Probleme zu erhalten, die innerfachlich bisher nur unzureichend gelöst werden konnten.174 Das gilt vor allem für ein so interdisziplinäres Thema wie die Einwilligungsfähigkeit, das nicht nur rechtliche Fragen aufwirft, sondern auch weit in die Medizin, die Psychologie und die VerhaltenswissenDas Medizinrecht ist sowohl eng auf seinen Gegenstand – die Medizin – bezogen, als auch in besonderer Weise mit ethischen Fragen verknüpft. Der Bezug zur Ethik wird hierbei zweifach vermittelt. Zum einen praktisch über die Medizin selbst in Form der Berufsethik(en) und der ethischen Standesnormen, insbes. der Ärzteschaft. Zum anderen aber auch wissenschaftlich über die Medizinethik als Forschungsdisziplin. Letztere ist vom Gegenstand her nicht auf berufs- und standesethische Fragen beschränkt, sondern widmet sich verstärkt auch grundlegenderen Legitimationsfragen medizinischen Handelns. Als Teilgebiet der praktischen Philosophie befindet sich die Medizinethik in einem disziplinären Nachbarschaftsverhältnis zur Rechtswissenschaft, mit der sie wiederum über die juristischen Grundlagenfächer verbunden ist. Näher hierzu a. Laufs, in: ders./Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. I Rn. 12 ff., insbes. Rn. 21; Zuck, in: Quaas/Zuck/Clemens, § 1 Rn. 7 und Rn. 9; Deutsch/Spickhoff, Rn. 11 und Rn. 13 f. Zur zunehmenden interdisziplinären Zusammenarbeit des Medizinrechts mit einer Vielzahl weiterer empirischer, evaluativer und normativer Disziplinen S. Katzenmeier, in: ders./Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S. 58 f. Grundlegend zum Verhältnis von Recht und Ethik Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 72, S. 148 ff. und S. 150 m.w.N. In der Praxis ist das Zusammenwirken des Medizinrechts mit Vertretern anderer Disziplinen zusätzlich auch institutionell gefestigt. Etwa in Form des regelmäßig durch Mediziner einzubringenden Sachverstands in gerichtlichen Verfahren, aber auch im außergerichtlichen Bereich, vgl. Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. XII Rn. 1 ff., 3 und Schmidt-Aßmann, in: FS Laufs, 2006, S. 1061 ff. (am Beispiel des Transplantationsrechts). 170 Vgl. Damm, MedR 2015, 775, 781 und Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 120 ff. 171 Anders scheinbar Deutsch/Spickhoff, Rn. 13. 172 Vgl. Jestaedt, in: ders./Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 185, 204, In ähnlicher Weise fordert Gutmann einen „theoretisch kontrollierte(n) Umgang mit Intraund Interdisziplinarität“, vgl. ders., in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 110; so bereits Lüdemann, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 2 f. 173 Czada, in: Bizer/Führ/Hüttig (Hrsg.), Responsive Regulierung, 2002, S. 39 f.; Gutmann, in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 98. 174 Gutmann, in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 101; Saliger, ebenda, S. 117 ff. und S. 123; vgl. a. Engel, in: ders. u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 363 ff. 169

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1. Kapitel: Einleitung

schaften aber auch die Medizinethik hineinwirkt.175 Hierbei ist es Aufgabe der Rechtswissenschaft die Bedeutung außerrechtlicher Erkenntnisse für das Recht zu diskutieren176 und diese – soweit es sinnvoll, möglich und geboten erscheint – in rechtliche Kategorien zu übertragen.177 2. Aufgabe der Rechtsdogmatik und theoretische Bezüge Die rechtswissenschaftliche Dogmatik178 hat in erster Linie eine systematisierende, genauer eine begriffs- und systembildende Funktion.179 Sie fasst Erscheinungen des Rechts, die bisher gar nicht oder nur unzureichend bearbeitet oder verstanden wurden „unter dem richtigen Gesichtspunkt zusammen“, um sie „so dem juristischen Verständnis zu erschließen“.180 Hierzu stellt sie das geltende positive Recht, das Rechtsprechung und Gesetzgebung hervorgebracht haben, in einen durchgehenden Zusammenhang, um es so besser interpretierbar zu machen und „zu allgemeinen Aussagen über die strukturelle Zusammenhänge des Rechts zu gelangen“.181 Den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bilden die Grundlagen und Anwendungsprobleme der Einwilligungs(un)fähigkeit im Gesundheitsbereich. Zur Bearbeitung der hierdurch aufgeworfenen Rechtsfragen werden die relevanten Bezüge zur Rechtsordnung herausgearbeitet und der „Rechtsstoff“ auf verschiedenen Abstraktionsebenen systematisiert.182 Nicht zuletzt unternimmt die vorliegende Arbeit den Versuch, die bislang vielfach noch unterbestimmten Rechtsbegriffe im Gefolge der Einwilligungs(un)fähigkeit besser auszufüllen.183 Zwar ist der Schwerpunkt der 175

Zur Bedeutung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse für das Recht vgl. Lüdemann, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 1 ff. sowie unten Kap. 6 C. 176 Das betrifft sowohl die Frage, welche außerrechtlichen Befunde für das Recht relevant sind als auch die maßgeblichen Selektionskriterien, vgl. Jestaedt, in: ders./Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 203 f.; Gutmann, in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 98, S. 102 und S. 106. 177 Vgl. Jestaedt, in: ders./Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 185, 204; Saliger, in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 117 ff., 123; für das Medizinrecht Zuck, in: Quaas/Zuck/Clemens, § 1 Rn. 9; weitergehend Gutmann, in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 105, der der Rechtswissenschaft eine „Türhüterfunktion“ zuspricht. Krit. hierzu zurecht Lüdemann, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 32 ff., insbes. S. 50 und Rixen u.a., MedR 2003, 191, 192. 178 Näher zum Begriff und zu Abgrenzungsfragen Lepsius, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 1, 19; Gutmann, in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 112. 179 Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 437; Gutmann, in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 94. Krit. zum Systemgedanken Lepsius, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 1, 37 f. 180 Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 242 f. 181 Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 230; vgl. a. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 7; Gutmann, in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 94. 182 Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 482 ff. 183 Das gilt etwa für die Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit (Kap. 4 A II), die Schwere einer medizinischen Maßnahme (Kap. 4 B II) sowie den Vernunftbegriff im Zusammenhang mit Einwilligungsentscheidungen im Gesundheitsbereich (Kap. 4 A II 2 a)).

C. Forschungsgegenstand

27

Arbeit damit rechtsdogmatisch. Da die Einwilligungs(un)fähigkeit ihrer Natur nach auch diverse rechtliche Fragen inhaltlicher, konzeptioneller und struktureller Art aufwirft, werden zusätzlich die rechtstheoretischen Bezüge und Reibungsflächen in ihren Grundzügen dargestellt.184

II. Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil (Kapitel 1 bis 3) widmet sich dem aktuellen Forschungsstand zur Einwilligungsfähigkeit im Recht. Neben den rechtsethischen Grundlagen und den relevanten Bezügen zum Verfassungsrecht, werden die für die Einwilligungsfähigkeit relevanten Aspekte der Einwilligungslehre dargestellt (Kapitel 2). Hierauf aufbauend wird der aktuelle Forschungsstand zur Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft herausgearbeitet und die Einwilligungsfähigkeit im geltenden Recht verortet: aus Sicht des Gesetzgebers unter Einbeziehung des internationalen Rechts ebenso, wie in der umfangreichen Spruchpraxis der Gerichte (Kapitel 3). Anschließend wird der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit inhaltlich konkretisiert, indem die relevanten Fähigkeiten und das jeweils erforderliche Ausmaß diskutiert werden (Kapitel 4). Im fünften Kapitel werden konzeptionellen Fragen thematisiert. Es schließt die rechtliche Auseinandersetzung mit dem Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit ab, bevor im sechsten Kapitel verschiedene außerrechtliche Ansätze zur Definition der Einwilligungsfähigkeit aufgegriffen und ihre Bedeutung für die Einwilligungsfähigkeit im Medizinrecht diskutiert werden. Der zweite Teil der Arbeit (Kapitel 4 bis 7) endet mit einem Vorschlag zur Regelung der Einwilligungsfähigkeit im Behandlungsvertragsrecht (Kapitel 7). Der dritte Teil (Kapitel 8 und 9) ist schließlich der Rechtsfolgenseite gewidmet. Die Befunde der ersten beiden Teile werden praxisbezogen aufgearbeitet, indem sowohl die Auswirkungen der Einwilligungsfähigkeit185 (Kapitel 8) als auch der Einwilligungsunfähigkeit186 (Kapitel 9) dargestellt werden. Den Abschluss bildet schließlich der vierte Teil, in dem einzelne durch die Arbeit aufgeworfenen arzthaftungs- und prozessrechtlichen Fragen diskutiert (Kapitel 10) und die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit, inklusive des in Bezug auf die Rechtsfolgenseite weiter entwickelten Gesetzesvorschlages, zusammengefasst werden (Kapitel 11).

184

Näher zum Verhältnis von Rechtsdogmatik und Rechtstheorie, Lepsius, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 1, S. 5 ff., insbes. S. 26 und Gutmann, in: Hilgendorf/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 104 f. 185 Etwa die Einwilligungsbefugnis (auch: Einwilligungszuständigkeit), aber auch die Auswirkung der EWF auf die Fähigkeit zum Abschluss des Behandlungsvertrages. 186 Thematisiert werden an dieser Stelle insbes. Einwilligungssurrogate, die Rahmenbedingungen stellvertretender Behandlungsentscheidungen und die Vss. ärztlichen Zwangs.

Kapitel 2: Rechtsethische, verfassungsrechtliche und dogmatische Grundlagen 2. Kapitel: Grundlagen

Ziel dieses Kapitels ist es, den rechtsethischen (B.) und verfassungsrechtlichen (C.) Rahmen der Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich herauszuarbeiten. Hierfür ist zunächst zu klären, welche Aufgabe der Rechtswissenschaft und -praxis bei der Ausgestaltung und Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit zukommt (A.). Abschließend werden die für die Zwecke dieser Untersuchung wesentlichen Elemente der rechtswissenschaftlichen Einwilligungslehre dargestellt (D.).

A. Die Einwilligungsfähigkeit als Rechtsfrage A. Die Einwilligungsfähigkeit als Rechtsfrage

Die Einwilligungsfähigkeit ist Gegenstand verschiedener Disziplinen.1 Hierbei wirken vor allem medizinisch-psychologische Operationalisierungen mit rechtlichen und ethischen Rahmenvorgaben zusammen.2 Bis heute ist die Rolle des Rechts bei der Ausgestaltung und Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit umstritten.

I. Meinungsspektrum Die Rechtsprechung positionierte sich schon früh zur Beurteilungsfrage und erkannte an, dass über die Einwilligungsfähigkeit im Prozess letztverantwortlich der Richter (gegebenenfalls sachverständig beraten) zu entscheiden hat.3 Hiermit war implizit auch gesagt, dass es dem Recht obliegt, geeignete Kriterien zu entwickeln, um die Einwilligungsfähigkeit beurteilen zu können.4 Demgegenüber wird vor allem in der Strafrechtsliteratur vertreten, dass sowohl die differenzierte Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit als auch ihre Beurteilung im Einzelfall im Wesentlichen von den empirischen Fächern zu leisten sei.5 Daneben differenziert eine dritte, vereinzelt im Minderjährigenrecht vertretene Ansicht, die Einwilligungsfähigkeit als medizinische Frage von der Einwilligungszuständigkeit als Rechtsfrage.6 1

Für einen Überblick S. Kap. 6; vgl. a. Damm, MedR 2018, 939, 942 f. NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 27; allgemein zum Verhältnis von Recht und Empirie Damm, VersR 1999, 129, 131 sowie oben Kap. 1 C I 1. 3 Anerkannt wurde, dass Aufklärungs- und Einwilligungsfähigkeit weit in das Gebiet der Medizin hineinreichen, was jedoch nach der Rspr. ihre Eigenschaft als Rechtsfragen nicht in Frage stellt, vgl. BGHZ 29, 46, 51 ff. = NJW 1959, 811, 812; NJW 56, 1106; OLG München, NJW 1958, 633, 634; so auch Schmoeckel, NJW 2016, 433, 434; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60 f. und 68 f. m.w.N.; ders., in: Lipp (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13 für die Geschäftsfähigkeit. 4 Vgl. hierzu auch Belling u.a., Selbstbestimmungsrecht, 1994, S. 130 f. und Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60 ff. m.w.N. 5 So etwa Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 78; Voll, Einwilligung, 1996, S. 64 f.; ähnlich auch Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 118 f. 6 Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 118 f. Vgl hierzu bereits Kap. 1 B II 1 c); näher zur Einwilligungszuständigkeit unten Kap. 8 A. 2

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Genske, Gesundheit und Selbstbestimmung, Kölner Schriften zum Medizinrecht 23, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1_2

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2. Kapitel: Grundlagen

II. Würdigung Das der Mindermeinung zugrundeliegende, primär empirische Verständnis der Einwilligungsfähigkeit überzeugt nicht. Es verkennt sowohl die ethisch-rechtliche Funktion der Einwilligungsfähigkeit als auch das komplexe interdisziplinäre Wirkgefüge, in dem sie auszugestalten und einzelfallbezogen zu beurteilen ist. 1. Normativität der Einwilligungsfähigkeit Anders als zum Teil angenommen, handelt es sich bei der Einwilligungsfähigkeit nicht um ein medizinisch-psychologisches Kriterium oder gar eine feste Eigenschaft einer Person, die sich eindeutig beschreiben und psychologisch diagnostizieren ließe. Die Einwilligungsfähigkeit hat vielmehr normativen Charakter.7 Das belegt schon die Vielzahl an Messinstrumenten und Kriterienkatalogen, die im Einzelfall bei denselben Patienten zu unterschiedlichen Beurteilungsergebnissen führen können.8 Nicht nur Definition und Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit setzen grundlegende Wertentscheidungen voraus. Auch ihre Funktionen illustrieren die Normativität des Konzepts. Durch die Überprüfung im Behandlungsalltag soll sichergestellt werden, dass von Autonomie getragene Behandlungsentscheidungen einwilligungsfähiger Patienten respektiert werden.9 Gleichzeitig bedeutet die Beurteilung eine Schutz- und Fürsorgegewährleistung für Personen, deren tatsächliche Fähigkeiten in einer konkreten Behandlungssituation beeinträchtigt oder ausgeschlossen sind.10 Die Einwilligungsfähigkeit entscheidet somit (mit) darüber, ob eine Person rechtsverbindliche Behandlungsentscheidungen treffen kann, d.h. unter welchen Umständen ihr eine solche als selbstbestimmt und eigenverantwortlich

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Vgl. BGH, NJW 1959, 811, 814; Faden/Beauchamp, Informed Consent, 1986, S. 287 ff.; Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 17 f.; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 54 und S. A 59; Berghmans et al., Health Care Analysis 12 (2004), 251, 254; Vollmann, Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 75; Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 27; Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 115; sowie aus med.-psych. Sicht Appelbaum/Roth, Arch Gen Psychiatry 1982, 951; Newberry/Pachet, Psychol Health Med 2008, 438; Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323. 8 So erstmals Grisso/Appelbaum, Am J Psychiatry 1995, 1033, 1035. Die MacArthur Treatment Competence Study war der bis dahin erste systematische Versuch, das Konzept der Einwilligungsfähigkeit empirisch zu erfassen, abrufbar unter: http://www.macarthur. virginia.edu/treatment.html, letzter Zugriff: 16.10.2019; vgl. a. die Befunde von Vollmann et al., Psychological Medicine 2003, 1463, 1467 ff.; Moye et al., Gerontologist 2004, 166, 173; Okai et al., BJPsych 2007, 291, 293 f. und Gurrera et al., Am J Geriatr Psychiatry 2007, 168, 171 f. aus jüngerer Zeit; näher zum Ganzen Kap. 6 A II 1 und 2. 9 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 823; Damm, MedR 2010, 451, 460; ders., MedR 2015, 231; ders., MedR 2015, 775; Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 86 m.w.N.; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 129; vgl. a. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60 f. sowie aus ethischer Sicht Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 51 ff., insbes. 53 f.; Brock, Bioethics 1991, 105, 108 ff.; Buchanan, J. Royal Soc. Med. 97 (2004), 415, 416; Vollmann, Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 48. 10 Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 823; Damm, MedR 2015, 775 m.w.N.; vgl. a. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60 f.

A. Die Einwilligungsfähigkeit als Rechtsfrage

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zugerechnet werden kann.11 Sie konkretisiert damit verfassungsrechtliche Grundwerte auf einfachrechtlicher Ebene.12 Zwar kann die Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit vor allem im psychiatrischen Kontext auch zur Verbesserung der medizinischen Behandlung beitragen.13 Hierbei handelt es sich jedoch um einen Sekundäreffekt, der nichts daran ändert, dass die Beurteilung auch aus ärztlicher Sicht primär der ethisch-rechtlichen Legitimation angestrebter medizinischer Maßnahmen dient.14 Der normative Charakter der Einwilligungsfähigkeit zeigt sich schließlich in ihrer historischen Genese. Das Einwilligungserfordernis im Behandlungskontext mit all seinen Voraussetzungen stammt nicht aus der Medizin oder Psychologie. Es wurde vielmehr im Zuge der Aufwertung der Patientenautonomie, die den Wandel vom paternalistisch geprägten Arzt-Patient-Verhältnis hin zu einer therapeutischen Entscheidungspartnerschaft angestoßen hat, von außen an die Medizin herangetragen.15 Die Grenze zwischen Fähigkeit und Unfähigkeit zur Einwilligung ist damit nicht rein tatsächlich, sondern in erster Linie ethisch-rechtlich zu bestimmen.16 Hierbei obliegt es dem Recht nicht nur die maßgeblichen Teilfähigkeiten zu konkretisieren, sondern auch zu bestimmen, in welchem Ausmaß diese im konkreten Fall mindestens vorhanden sein müssen, um von einer im rechtlichen Sinne selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Patientenentscheidung sprechen zu können. 17 2. Rolle der Empirie Hiermit ist nicht gesagt, dass empirisches Wissen bei der rechtlichen Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit vollständig außen vor gelassen werden könnte. Vielmehr hat das Recht die realen Bedingungen und Zusammenhänge, auf die es einwirkt, bei der Regelung eines Lebenssachverhaltes grundlegend zu berücksich11

Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992) 525, 547 und 551; ders., ZStW 104 (1992), 821, 825; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 69 m.w.N.; ders., in: Lipp (Hrsg), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13; Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 27. 12 BVerfG, NJW 1979, 1925, 1930 f.; BGHZ 29, 46, 49 = NJW 1959, 811, 812; BGHZ 29, 176, 179 = NJW 1959, 814, 815; Amelung, ZStW 104 (1992) 525, 547 und 551; ders., ZStW 104 (1992), 821, 825; Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, Kap. XI § 57 Rn. 15; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 5; ders., in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 92; näher hierzu Kap. 2 B. 13 Näher hierzu Kap. 6 A III. 14 Siehe Kap. 10 B. 15 Vgl. nur RGSt 25, 375 f.; RGZ 168, 206, 210; BGH, NJW 1959, 811, 812; so auch Hermann et al., Ethik Med 2016, 107 m.w.N.; Vollmann, Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 24 ff.; Faden/Beauchamp, Informed Consent, 1986, S. 86 f.; vgl. a. NK-BGB/Voigt, § 630f Rn. 4 m.w.N.: Fehlen eines „unmittelbaren therapeutischen Bezugs“ der informierten Einwilligung und „medizinisch-fachlicher Wesentlichkeit“. 16 Belling u.a., Selbstbestimmungsrecht, 1994, S. 131; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 69; vorsichtiger Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 825. Zur Parallelproblematik bei der Geschäfts- und Testierfähigkeit vgl. Schmoeckel, NJW 2016, 433, 434 m.w.N.; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 68 m.w.N.; Zimmermann, BWNotZ 2000, 97, 100 m.w.N.; Lipp, in: ders. (Hrsg), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 11. 17 Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 59; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 69 f. und S. 85; ders., in: ders. (Hrsg), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13.

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2. Kapitel: Grundlagen

tigen.18 Bei Normen, die in die Rechtssphäre des Einzelnen eingreifen, folgt dies aus der abwehrrechtlichen Dimension der Grundrechte.19 Die Reichweite dieser Wechselwirkung ist bisher nicht abschließend geklärt.20 Bezogen auf die Einwilligungsfähigkeit geht es dabei im Kern um die Frage, „welche rechtliche Relevanz (dem) empirischen Patienten für das Konzept des ‚normativen Patienten‘ zukommt.“21 Anerkannt ist, dass Normen in Ausnahmefällen auch kontrafaktisch gesetzt werden können, ja teilweise sogar müssen; etwa dann, wenn die tatsächlichen Gegebenheiten und Strukturen durch rechtliche Steuerung verändert werden sollen oder konfligierende Rechte Dritter dies erforderlich machen.22 Derartige Erwägungen haben bei der Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich wegen ihres starken persönlichkeitsrechtlichen Bezugs zurückzutreten.23 Welche Anforderungen genau zu stellen sind, ergibt sich aus dem Zusammenwirken verschiedener individualrechtlicher Belange, genauer: aus dem Zusammenspiel von Selbstbestimmung und Fürsorge.24 Hiernach ist eine gesetzliche oder gerichtliche Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit insbesondere dann als unzulässiger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu werten, wenn die Einwilligungsfähigkeit zugunsten fürsorgerischer Erwägungen an (ideale) Voraussetzungen gebunden wird, die nur ein geringer Prozentsatz der Patienten tatsächlich erfüllt.25 Auch der Gesetzgeber und die Gerichte haben bei der Definition der Einwilligungsfähigkeit somit in gewissem Rahmen das tatsächliche Entscheidungsverhalten realer Personen zu beachten.26 3. Zusammenwirken von Recht, Medizin und Psychologie Während die Teilfähigkeiten und ihr Ausmaß rechtlich auszugestalten sind, kommt den empirischen Fächern, vor allem der Psychologie und Medizin, die Aufgabe zu, die normativ-rechtlichen Rahmenbedingungen auf psychologische Schlüsselfähigkeiten wie das Erinnerungsvermögen, die Begriffsbildung oder die Benennung 27 zu 18 Damm, MedR 2002, 375, 376; Hollerbach, Selbstbestimmung, 1996, S. 25; Lüdemann, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 28 ff.; so für die Einwilligung auch Rönnau, Willensmängel, 2001, S. 210. 19 Vgl. Kap. 2 B IV und C II. 20 Grundlegend hierzu Lüdemann, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 7 ff., insbes. S. 23 ff.; vgl. a. Damm, VersR 1999, 129, 131; ders., MedR 2002, 375, 383. 21 Damm, MedR 2002, 375, 383. 22 Vgl. Damm, VersR 1999, 129, 131. Beispielhaft wäre die Geschäftsfähigkeit zu nennen, die unabhängig vom tatsächlichen Entwicklungsstand des Minderjährigen an feste Altersgrenzen gebunden ist, vgl. §§ 2, 104 Nr. 1, 106 BGB. 23 Vgl. etwa Holzhauer, ZRP 1989, 451, 457; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 528; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 355 f.; Damm, MedR 2015, 775, 776; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14. 24 Vgl. Kap. 2 B I. 25 So auch angedeutet bei Damm, MedR 2010, 451, 460; näher hierzu Kap. 2 B IV 2 und Kap. 6 C. 26 Grundlegend hierzu Lüdemann, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 28 ff. 27 Benennung bezeichnet die Fähigkeit, sich auf ein Objekt, eine Person, einen Ort, ein Konzept oder eine Idee mithilfe des jeweiligen Namens zu beziehen.

B. Rechtsethische Grundlagen

33

beziehen und zu beurteilen, inwieweit möglicherweise bestehende Beeinträchtigungen dieser Schlüsselfähigkeiten auf die rechtlich geforderten Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit zurückwirken.28 Zudem obliegt es den empirischen Wissenschaften möglichst verlässliche Beurteilungsverfahren zu entwickeln.29 Medizin und Psychologie widmen sich darüber hinaus den der Einwilligungsfähigkeit zu Grunde liegenden empirischen Modellen. Im klinischen Alltag beurteilt in der Regel der behandelnde Arzt die Einwilligungs(un)fähigkeit des Patienten anhand der rechtlich relevanten Kriterien.30 Mediziner und Psychologen beraten als Sachverständige zudem die Gerichte, die auf dieser Grundlage letztverbindlich über deren Vorliegen entscheiden.31

III. Fazit Die Einwilligungsfähigkeit ist als Rechtsfrage nach rechtlichen Kriterien zu beurteilen. Das gilt sowohl für die maßgeblichen Teilfähigkeiten als auch für das im Einzelfall erforderliche Ausmaß, in dem diese Fähigkeiten (schon oder noch) ausgeprägt sein müssen, um von einer selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Patientenentscheidung sprechen zu können. Der Gesetzgeber und die Gerichte haben hierbei das tatsächliche Entscheidungsverhalten realer Personen durch Rezeption grundlegender Erkenntnisse der empirischen Fächer zumindest in Grundzügen zu berücksichtigen.32

B. Rechtsethische Grundlagen B. Rechtsethische Grundlagen

Eng verbunden mit der Rolle des Rechts bei der Konkretisierung und Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit ist die Frage nach ihren rechtsethischen Grundlagen.

I. Selbstbestimmung und Fürsorge Wie gezeigt kommt der normative Charakter der Einwilligungsfähigkeit insbesondere in ihrer Funktion zum Ausdruck, selbstbestimmte Entscheidungen des Patienten so weit wie möglich zu ermöglichen und zugleich fürsorgerisches Handeln auf das erforderliche Mindestmaß zu begrenzen. Selbstbestimmung und Fürsorge erscheinen damit als wesentliche Grundpfeiler der Einwilligungsfähigkeit. Welche Anforderungen an die tatsächlichen Fähigkeiten des Patienten im konkreten Fall zu stellen sind, ist durch eine einzelfallbezogenen Abwägung beider Prinzipien zu 28

ABA/APA, Assessment of Older Adults, 2008, S. 55; Friedrich/Schleidgen, in: Beck (Hrsg.), Krankheit und Recht, 2017, S. 31. 29 Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 159; ABA/APA, a.a.O. Fn. 28, S. 55. 30 Vgl. Kap. 6 A I und IV 1. 31 Vgl. §§ 403, 404a ZPO, § 244 StPO; s.a. BGHZ 29, 46, 51 ff. = NJW 1959, 811, 812; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 87; näher hierzu Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 115; Diederichsen, in: FS Hirsch, 2008, S. 362. Zur Rolle der Einwilligungsfähigkeit im Prozess S. Kap. 3 B und Kap. 10 A. 32 Näher hierzu Kap. 2 B IV 2 und Kap. 6 A - C.

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2. Kapitel: Grundlagen

ermitteln.33 Beide präzisieren gleichsam als ‚Eckwerte‘ in ihrem Zusammenwirken die Übergänge zwischen der Fähigkeit und der Unfähigkeit zur Einwilligung. 34 In ihrer verfassungsrechtlichen Ausgestaltung wirken Selbstbestimmung und Fürsorge grundsätzlich auf allen Ebenen der Rechtsordnung und bilden so den Rahmen für die Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit im einfachen Recht. 35 Ausgehend von der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung sollen beide Prinzipien im Folgenden näher dargestellt werden.

II. Autonomie und Selbstbestimmung in Gesundheitsangelegenheiten Die Einwilligungslehre lässt sich im Gesamtzusammenhang des Diskurses um die individuelle Selbstbestimmung verorten.36 Gleichzeitig können Autonomie und Selbstbestimmung in Gesundheitsangelegenheiten nicht losgelöst von ihrem Bezugsrahmen – der Gesundheit – bestimmt werden.37 Deshalb greift die folgende Darstellung verschiedene medizinethische und rechtsphilosophische Definitionen der Patientenautonomie auf, die auch für das Medizinrecht wichtige Anhaltspunkte bieten.38 Der Geltungsgrund des Autonomieprinzips hingegen lässt sich nur in der Auseinandersetzung mit dem gemeinsamen Ursprung des neuzeitlichen Autonomiegedankens in der Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie ermitteln.39 Gerade weil Selbstbestimmung und Autonomie in Ethik, Philosophie und Recht sehr heterogen verstanden werden, ermöglicht dieses Vorgehen die für die Einwilligungsfähigkeit wesentlichen Aspekte disziplinübergreifend zu diskutieren und zu einem für den Zweck dieser Untersuchung dienlichen Begriffsverständnis zu gelangen. 1. Vorfragen Bevor Gehalt und Grenzen der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung vertieft werden, soll das Verhältnis von Autonomie und Selbstbestimmung (a) und der Begriff der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung (b) umrissen werden. 33 Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 823; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 54; Damm, MedR 2010, 451, 460; ders., MedR 2015, 231; ders., MedR 2015, 775, 783; Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 86 m.w.N.; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 129; so aus ethischer Sicht auch Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 51 ff., insbes. 53 f.; Brock, Bioethics 1991, 105, 108 ff.; Buchanan, J. Royal Soc. Med. 97 (2004), 415, 416; Vollmann, Aufklärung und Einwilligung, 2000, S. 106 f. sowie unten Kap. 6 D I 2. 34 Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 829; Damm, MedR 2010, 451, 460. 35 Damm, MedR 2010, 451, 452; ders., MedR 2002, 375, 376 f.; vgl. a. Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 821 m.w.N. 36 Ohly, „Volenti non fit inuiria“, 2002, S. 66. 37 Steinfath/Pindur, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 27; Damm, MedR 2010, 451, 452. Zur Kontextabhängigkeit von Autonomie, vgl. Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 65 und Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, 2013, S. 120. 38 Damm, MedR 2002, 375, 377; ders., MedR 2010, 451 m.w.N.; vgl. a. Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 38. 39 Damm/Schulte in den Bäumen, KritV 2005, 101, 103.

B. Rechtsethische Grundlagen

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a) Verhältnis von Autonomie und Selbstbestimmung Das Verhältnis von Autonomie (von griech. autós: ‚selbst‘ und nómos: ‚das Gesetz‘) und Selbstbestimmung ist umstritten.40 Tendenziell wird im Medizin- und Gesundheitsrecht eher auf die Selbstbestimmung des Patienten Bezug genommen, während der philosophisch-ethische Diskurs stärker vom Autonomiebegriff geprägt ist.41 Die überwiegende Auffassung in Recht und Medizinethik setzt Autonomie und Selbstbestimmung im Gesundheitsbereich im Wesentlichen gleich.42 Vereinzelt werden beide Prinzipien aber auch voneinander abgegrenzt. In der Regel wird Selbstbestimmung dabei aus der Autonomie des Menschen abgeleitet.43 So unterscheiden etwa Bartram u.a. Autonomie als ‚Verfasstheit‘ von Selbstbestimmung als deren ‚Manifestation‘.44 Hiernach ist Autonomie als Status, Anlage und „Fundamentalausstattung“ des Menschen zu fassen, während Selbstbestimmung den Gebrauch und das „aktive Zur-Geltung-Bringen“ von Autonomie bezeichnet.45 Auch der Deutsche Ethikrat charakterisiert in seiner ‚Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik‘ Selbstbestimmung als ein der Autonomie nachgelagertes Prinzip.46 Die prinzipielle Autonomiefähigkeit des Menschen bedingt nach Ansicht des Ethikrates nicht nur die Zuerkennung von Selbstbestimmung, sondern auch die Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln.47 Autonomie ist nach diesem Verständnis Geltungsgrund von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Auch in der rechtlichen Debatte wird das enge Zusammenspiel von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung betont. 48 Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Recht primär auf die wechselseitigen Abgrenzung und Absicherung individueller Freiheitsräume gerichtet ist.49 Selbstbestimmung ist in diesem Zusammenhang ohne 40 Näher zur rechtshistorischen Begriffsverwendung und der Ableitung aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, Hollerbach, Selbstbestimmung, 1996, S. 7 ff. 41 Höfling, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, 2013, § 5 Rn. 10; Hollerbach, Selbstbestimmung, 1996, S. 21 m.w.N. 42 Vgl. nur Kirste, JZ 2011, 805, 806; Höfling, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, 2013, § 5 Rn. 10; Damm, MedR 2002, 375; Ach/Schöne-Seifert, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 44; Hollerbach, Selbstbestimmung, 1996, S. 7 und Dreier, GG, Vor Art. 1-19 Rn. 7. 43 So etwa Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, 2000, S. 134 und Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, 2013, S. 120; anders für das Staatskirchenrecht Hollerbach, Selbstbestimmung, 1996, S. 20 f. m.w.N., der Autonomie in diesem Kontext als „verliehene“ Gewalt und Selbstbestimmung als „originäres Recht“ bezeichnet. 44 Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, 2000, S. 134 m.w.N. 45 Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, 2000, S. 134. 46 Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, 2013, S. 120. 47 Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, 2013, S. 120. 48 BGHZ 154, 205, 217 = NJW 2003, 1588, 1591 = MedR 2003, 512, 516; Dreier, GG, Art. 2 II, Rn. 20 m.w.N.; Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung des Patienten, 2009, S. 203; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, 2008, S. 103; Damm, MedR 2002, 375, 376; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, 45 ff.; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 41; Göbel, Einwilligung im Strafrecht, 1992, S. 22; Hofmann, JZ 1992, 165, 173; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 4 und Rn. 14. Grundlegend Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 43 f. 49 Kant, MdS, Einleitung in die Rechtslehre, § B und § C; vgl. a. Mayr, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 49 f.; Kirste, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 51 m.w.N.

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2. Kapitel: Grundlagen

Eigenverantwortung nicht denkbar.50 Das Verständnis von Autonomie als Status, der sich in selbstbestimmten Handlungen als Selbstbestimmung aktualisiert, erinnert zudem an das Verhältnis von zivilrechtlicher Mündigkeit und Handlungsfähigkeit, das für die Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit im Recht besonders wichtig ist.51 Die Differenzierung von individueller Selbstbestimmung und Autonomie wird in der internationalen Debatte aber nicht aufgegriffen. Da die Definitionen der Patientenautonomie im Wesentlichen aus dem US-amerikanischen Raum stammen, erscheint es sinnvoll, Selbstbestimmung im Einklang mit der herrschenden Meinung als deutsche Entsprechung von Autonomie zu fassen.52 b) Begriff der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung Für die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung lassen sich drei Bezugspunkte ausmachen: Die Selbstbestimmung über die körperliche und seelische Integrität, die informationelle Selbstbestimmung über gesundheitsbezogene Daten53 und die Selbstbestimmung über die Verwendung von Körpersubstanzen (sog. bio-materielle Selbstbestimmung54). Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Selbstbestimmung über die körperliche und seelische Integrität. Der Begriff der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung schließt jede Form des Kontakts mit dem Gesundheitssystem ein, sei es als bereits Erkrankter (Patient), als (Noch-)Gesunder im Rahmen indizierter, selektiver oder universeller Prävention,55 als Studienteilnehmer (Proband) oder als Organ- oder Gewebespender. Er geht damit inhaltlich über die Patientenautonomie hinaus.

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Hollerbach, Selbstbestimmung, 1996, S. 26; Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung des Patienten, 2009, S. 203 m.w.N.; vgl. a. Kirste, JZ 2011, 805, 806. 51 Näher hierzu Kap. 5 B I. 52 So bereits Hollerbach, Selbstbestimmung, 1996, S. 7. Im Internationalen Recht wird Selbstbestimmung ausschließlich völkerrechtlich verstanden, vgl. Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 28 m.w.N. Für das individualrechtliche Verständnis hat sich der Autonomiebegriff durchgesetzt. In Deutschland hat sich die Diskussion um die individuelle Selbstbestimmung ebenfalls aus der Idee des Selbstbestimmungsrechts der Völker entwickelt, vgl. hierzu Hollerbach, Selbstbestimmung, 1996, S. 7 ff. 53 Vgl. hierzu jüngst OLG Bamberg, MedR 2018, 402 f. (Videoübertragung einer Operation zu Lehrzwecken) und KG, MedR 2018, 312 ff. m. krit. Anm. Pfeifer (MRT als Eingriff in die Intimsphäre). Das gesundheitsbezogene Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst sowohl die Entscheidung über die Verwendung, Speicherung und Weitergabe gesundheitsbezogener Daten als auch Auskunfts- und Einsichtnahmerechte in die eigene Patientenakte, vgl. § 630g BGB, näher hierzu Walter/Strobl, MedR 2018, 472 ff.; vgl. a. Simitis, BDSG, 8. Aufl. 2014, §4a Rn. 20. 54 Grundlegend hierzu Halàsz, Das Recht auf bio-materielle Selbstbestimmung, 2004. 55 Die universelle Prävention adressiert die Gesamtbevölkerung bzw. größere Bevölkerungsschichten, selektive Prävention Personen mit einem gegenüber der Normalbevölkerung erhöhten Risiko. Die indizierte Prävention richtet sich schließlich an Patienten mit manifesten genetischen oder verhaltensbedingten Risikokonstellationen, bei denen klinisch nachweisbare Anomalien vorliegen, ohne dass hiermit eine Symptomträgerschaft verbunden sein muss, grundlegend hierzu Gordon, Public Health Reports 1983, 107, 108 f.

B. Rechtsethische Grundlagen

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2. Gehalt der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung Grundlegend lässt sich Autonomie, resp. Selbstbestimmung, als Freiheit von Fremdbestimmung fassen.56 Ein Mangel an Selbstbestimmung bedeutet Unfreiheit, die Abhängigkeit und Vulnerabilität verursachen kann.57 Selbstbestimmung ist kontextabhängig, da ihr Gehalt nicht zuletzt auch von der möglichen Quelle der Fremdbestimmung abhängt.58 Positiv betrifft sie die Fähigkeit des Einzelnen, „sich nach seinen Bedürfnissen selbst zu behaupten“ und sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten.59 Da sich das klassisch deontologische Autonomieverständnis nur bedingt auf gesundheitsbezogene Entscheidungen anwenden lässt, wurden in Medizinethik, Philosophie und Recht verschiedene Definitionen entwickelt, die den Besonderheiten gesundheitsbezogener Entscheidungen besser Rechnung tragen.60 Vorannahmen, Gehalt und Grenzen dieser Umschreibungsversuche variieren zum Teil stark, so dass sich in der Gesamtschau ein sehr heterogenes Bild ergibt.61 a) Vielfalt der Umschreibungsversuche in Medizinethik, Philosophie und Recht Die herrschende Meinung in der Medizinethik bezieht die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung auf einzelne Handlungen und charakterisiert sie im Wesentlichen als rationalen Entscheidungsprozess des vom Eingriff betroffenen Patienten.62 Eine kritische Strömung betont demgegenüber die Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums und geht von einem relationalen Begriffsverständnis aus,63 das in der Tradition philosophisch-kommunitaristischer Ansätze steht.64 Einen eher konzep56

Hollerbach, Selbstbestimmung, 1996, S. 16; Hofmann, JZ 1992, 165, 169 m.w.N.; s.a. Birnbacher, MedR 2012, 560, 562.; Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 65. 57 Birnbacher, MedR 2012, 560, 562. Näher zum Verhältnis von Selbstbestimmung und Freiheit Von der Pfordten, Menschenwürde, 2016, S. 55 f. 58 Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 65; Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 31 ff. Im Gesundheitsbereich kommt als Quelle von Fremdbestimmung nicht nur ein am objektiven Wohl des Patienten orientiertes ärztliches Handeln in Betracht, Katzenmeier, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 91. Zusätzlich stellt sich v.a. bei Patienten mit beeinträchtigten tatsächlichen Fähigkeiten die Frage, inwieweit Dritte rechtsverbindlich für den Betroffenen handeln können, näher hierzu Kap. 9 B II. 59 Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung des Patienten, 2009, S. 203 m.w.N.; Damm, MedR 2002, 375, 376; Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 825; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 4 und 14. 60 Birnbacher, MedR 2012, 560, 562 etwa hält Kants Autonomieverständnis für zu anspruchsvoll. Zudem bezieht sich Kant ausschließlich auf moralisches Handeln, also die Selbstgesetzgebung in Fragen des richtigen Handelns und nicht in Fragen der eigenen Lebensführung, Schöne-Seifert, in: Ach/Bayertz/Siep (Hrsg.), Grundkurs Ethik II, 2011, S. 17. A.A. wohl Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 42. 61 Dworkin, The Theory and Practice of Autonomy, 1988, S. 6; Steinfath/Pindur, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 28; Wiesemann, ebenda, S. 15; NKStGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 22. 62 Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 114 und S. 118 ff. 63 Näher hierzu etwa Steinfath/Pindur, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 35 ff. mit zahlreichen Nachweisen; vgl. a. Ach/Schöne-Seifert, ebenda, S. 42 ff. 64 Näher hierzu Brugger, Liberalismus, Pluralismus, Kommunitarismus, 1999, S. 253 ff.

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2. Kapitel: Grundlagen

tionellen Zugang zum Verständnis von Selbstbestimmung in Gesundheitsangelegenheiten wählt die moderne Rezeption des vierdimensionalen Autonomiebegriffs von Feinberg, der Autonomie als Recht, Fähigkeit, Ideal und Zustand unterscheidet.65 Den Aspekt der „wertorientierten Interessen“ unterstreicht hingegen Magnus, die eine wertgebundene Patientenautonomie vorschlägt, die das objektive Wohl des Patienten stärker berücksichtigt.66 Als Rahmen für die Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit haben sich vor allem die Ansätze von Feinberg und Beauchamp/Childress bewährt. b) Rezeption des Autonomiebegriffs von Feinberg Sowohl im medizinethischen als auch im medizinrechtlichen Schrifttum werden die vier Dimensionen des Autonomiebegriffs des Rechtsphilosophen Joel Feinberg67 herangezogen, um die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung zu definieren.68 Nach Feinberg lässt sich Autonomie als Fähigkeit (‚capacity‘), Zustand (‚condition‘), Ideal (‚ideal‘) und Recht (‚right‘) charakterisieren.69 Autonomie als Fähigkeit umfasst u.a. die Einwilligungsfähigkeit des Patienten.70 Nach dem fähigkeits-bezogenen Autonomieverständnis sind Entscheidungen des Betroffenen als selbstbestimmt zu respektieren, wenn er gewisse Mindestanforderungen, insbesondere ein gewisses Maß an Rationalität erfüllt.71 Demgegenüber ist etwa das Leitbild des 65

Vgl. Feinberg, Harm to Self, 1968, S. 28 ff. Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 67 ff., insbes. S. 67 und 73 ff. Nach dem von Magnus für das Strafrecht vorgeschlagenen Verständnis von Patientenautonomie ist der Patientenwille nur in dem Umfang zu beachten, in dem er dem Wohl des Patienten nicht schadet (vgl. S. 73). Auch eine selbstbestimmte Entscheidung kann nach Magnus übergangen werden, wenn sie „für jeden erkennbar“ zu einer „deutliche(n) und gravierende(n) Schädigung“ führt oder „mit großer Wahrscheinlichkeit“ führen würde und es hierfür keinen „einsichtigen Grund gibt.“ Nach diesem hart paternalistischen Ansatz werden objektive Vernunfterwägungen herangezogen, um Maßnahmen (bzw. deren Unterlassen) gegen den autonomen Willen des Patienten zu rechtfertigen, zur Kritik hieran vgl. Kap. 2 B II d) bb) sowie Kap. 4 A II 2 a) und C I. Zu weiteren Bestimmungsversuchen der Patientenautonomie S. die Übersicht bei Wiesemann, in: dies./Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 15 ff. 67 Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 28 ff. 68 Vgl. Birnbacher, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 1997, 105, 107; ders., MedR 2012, 560, 562 f.; Katzenmeier, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 96; Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 42 ff. 69 Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 28 ff.; so für die Patientenautonomie auch Birnbacher, MedR 2012, 560, 562 f. In ähnlicher Weise unterscheidet Damm, MedR 2002, 375, 376 und ders., MedR 2010, 451, 452 Autonomie als normativen (Rechts-)Anspruch, idealistische Autonomieentwürfe, persönliche Autonomiekompetenz und soziale Autonomie. Krit. zum Ganzen Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, 2000, S. 133 70 Vgl. Birnbacher, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 1997, 105, 109; ders., MedR 2012, 560, 562; Steinfath/Pindur, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 28 und Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 44. Über die Einwilligungsfähigkeit hinaus folgt aus dem Verständnis von Autonomie als Fähigkeit, genauer: aus den tatsächlichen Fähigkeiten des Einzelnen, auch ein Anspruch auf Einbeziehung in den Prozess der Entscheidungsfindung sowie der Anspruch auf eine den individuellen Fähigkeiten angepasste Aufklärung, vgl. Birnbacher, MedR 2012, 560, 562. 71 Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 30. 66

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mündigen Patienten als durch den Arzt ideal informiertem Entscheider eine Ausprägung von Autonomie als Ideal.72 Als regulative Idee wirkt dieses Bild auf das Verhältnis zwischen Arzt und Patient in der Praxis.73 Aus dem Leitbild des mündigen, erwachsenen Patienten folgt beispielsweise die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit volljähriger Personen.74 Autonomie als Recht bezeichnet wiederum das individuelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten,75 das sich im Gesundheitsbereich auf die körperliche und psychische Integrität bezieht.76 Autonomie als Recht ist hierbei nicht an den Besitz von Autonomie im Fähigkeitssinn gebunden. 77 Das zeigt u.a. die Möglichkeit rechtsverbindliche, antizipierte Einwilligungsentscheidungen in Form von Patientenverfügungen zu treffen, § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB, aber auch die Bedeutung des mutmaßlichen Willens bei aktueller Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen.78 Die Grenze ist richtigerweise erst dann erreicht, wenn einer Person die Fähigkeit zur Selbstbestimmung dauerhaft und von vornherein als Fähigkeit in einem sehr basalen Sinn fehlt. Dann kommt dem Betroffenen Autonomie auch nicht mehr als Rechtsanspruch zu.79 Autonomie als Zustand betrifft nach Feinberg schließlich die Ausübung von Selbstbestimmung im konkreten Fall, etwa durch das Treffen einer bestimmten Entscheidung (sog. „de facto autonomy“).80 c) Patientenautonomie in der Prinzipienethik Beauchamp und Childress beschreiben Patientenautonomie stärker inhaltlich. Hiernach gilt eine Patientenentscheidung als selbstbestimmt, wenn der Patient sie freiwillig und hinreichend informiert trifft und er einwilligungsfähig ist. 81 Beauchamp und Childress betrachten nicht die Person als solche, sondern ihre konkreten Fähigkeiten, eine bestimmte Entscheidung treffen zu können. Sie interpretieren Autono-

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Vgl. Birnbacher, MedR 2012, 560, 562 f.; Katzenmeier, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 96; Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 51; vgl. hierzu allgemein auch Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 47. 73 Birnbacher, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 1997, 105, 109; ders., MedR 2012, 560, 563; Katzenmeier, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 96. 74 Katzenmeier, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 96; ausführlich hierzu unten Kap. 5 B I. 75 Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 49 f. und S. 52 ff. 76 Birnbacher, MedR 2012, 560, 563. 77 Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 28; so auch Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, 2000, S. 134; Birnbacher, MedR 2012, 560, 563; Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 63; weitergehend Rehbock, Ethik Med 2002, 131, 136 und 149 und Damm, MedR 2010, 451, 461, die einen unbedingten Gültigkeitsanspruch des Autonomieprinzips vertreten; ähnlich a. Lipp, in: Wolter u.a. (Hrsg.), Einwirkungen der Grundrechte, 1999, S. 75. 78 Vgl. hierzu Kap. 9 B III 2 a) cc). 79 Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 28 und Birnbacher, MedR 2012, 560, 563. Das ist etwa bei Personen der Fall, die aufgrund schwerer geistiger Schädigungen niemals einwilligungsfähig waren und es auch nie sein werden sowie bei Säuglingen und Kleinstkindern, s.o. Kap. 1 B II 2 c). 80 Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 31 ff. Auch die de facto autonomy setzt nach Feinberg Rationalität voraus, vgl. ebenda, S. 33, näher hierzu Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 78 und unten Kap. 2 B IV 3. 81 Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 104 ff.

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2. Kapitel: Grundlagen

mie damit handlungsbezogen (sog. lokales Autonomieverständnis). 82 Ob eine konkrete Patientenentscheidung als selbstbestimmt gilt, richtet sich hierbei nicht nach ihrem Inhalt und der Übereinstimmung mit grundlegenden, gesellschaftlichen Wertvorstellungen, sondern allein danach, ob sie das Ergebnis eines intakten Willensbildungsprozesses darstellt (sog. prozedurales Autonomieverständnis). 83 Um ein hinreichendes Mindestmaß an Selbstbestimmtheit zu gewährleisten und zu niedrigen Standards entgegenzuwirken, verlangen Beauchamp und Childress im Gegenzug, dass der Willensbildungsprozess ein gewisses Maß an Rationalität und Reflektiertheit aufweist (sog. rationales Autonomieverständnis).84 Die drei genannten Aspekte (Patientenautonomie als lokal, prozedural und rational) konkretisieren die von Feinberg beschriebenen Dimensionen von Autonomie als Fähigkeit und Autonomie als Zustand.85 Analog zu Feinbergs Verständnis von Autonomie als Recht beinhaltet auch das Prinzip des Respekts vor der Patientenautonomie nach Beauchamp und Childress eine Abwehrkomponente, die den Patienten vor Handlungen gegen seinen Willen schützen soll. Diese wird von den Autoren um eine positive Verwirklichungskomponente erweitert.86 In der jüngsten Auflage wird zudem die Verpflichtung des Arztes unterstrichen,87 auf die Befähigung des Einzelnen zu selbstbestimmten Entscheidungen hinzuwirken, was auf das Konzept der rechtlichen Assistenz verweist. 88 d) Diskussion und Würdigung Sowohl Feinbergs Verständnis von Autonomie als Fähigkeit, Recht, Zustand und Ideal als auch das Autonomiemodell von Beauchamp und Childress, das für Vertreter unterschiedlichster ethischer Theorien anschlussfähig ist, haben die Debatte

82 Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 104 und S. 115 ff. Dieses lokale Autonomieverständnis (auch Handlungsautonomie) steht im Gegensatz zum globalen, oder auch personalen Autonomieverständnis, bei dem nicht einzelne Handlungen, sondern die Fähigkeiten der Person allgemein in den Blick genommen werden, näher hierzu Steinfath/Pindur, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 29 ff. m.w.N. 83 Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 104 f.; so bereits Dworkin, The Theory and Practice of Autonomy, 1988, S. 102. Demgegenüber erachten Vertreter substantieller Autonomiemodelle nur solche Entscheidungen als selbstbestimmt, die Ausdruck bestimmter grundlegender Werte sind, näher hierzu mit zahlreichen Literaturnachweisen, Wiesemann, in: dies./Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 15 ff.; Steinfath/Pindur, ebenda, S. 31 ff. sowie Kap. 2 B IV. 84 Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 104 und S. 118 ff. Krit. hierzu Steinfath/Pindur, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 32. 85 Zu weiteren Merkmalen des liberalen Verständnisses von Patientenautonomie, vgl. Steinfath/Pindur, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 35 und S. 39. Da diese Einwilligungsfähigkeit nur am Rande betreffen, wird vorliegend auf eine nähere Darstellung verzichtet. 86 Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 107. Demgegenüber hat Feinberg Autonomie noch ausschließlich abwehrrechtlich verstanden, ders., Harm to Self, 1986, S. 52 ff. Krit. hierzu Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 56. 87 Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 107. 88 Näher zur rechtlichen Assistenz unten Kap. 9 C.

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um die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung entscheidend geprägt.89 In der Zusammenschau ergibt sich ein vielschichtiges und praxistaugliches Konzept.90 aa) Kritik am rein handlungsbezogenen Autonomieverständnis Der Ansatz von Beauchamp und Childress erscheint jedoch im Hinblick auf die Reduktion von Autonomie auf ein rein handlungsbezogenes Konzept problematisch. Hierdurch wird das Prinzip des Respekts vor der Autonomie an die konkrete Autonomiefähigkeit gekoppelt. Zwar ist der Paradigmenwechsel von globaleren Autonomiekonzeptionen, die, wie es bei Feinberg noch anklingt, die Person insgesamt oder zumindest einen bestimmten Lebensbereich in den Blick nehmen, hin zu einer einzelfallbezogenen Beurteilung der Autonomiefähigkeit zu begrüßen. 91 Beschränkt man das Autonomieprinzip aber auf einzelne Handlungen, ist die Pflicht zur Beachtung fortwirkender, schon vorhandener oder noch verbleibender Selbstbestimmung aktuell einwilligungsunfähiger Personen nicht mehr hierin verortbar. Beauchamp und Childress interpretieren diese Aspekte als Ausprägung des Wohltuns- und Nichtschadensprinzips.92 Plausibler erscheint es, diese unter das Autonomieprinzip zu fassen,93 da sich ansonsten der weitgehende Vorrang des in erster Linie subjektiv zu bestimmenden mutmaßlichen Willens des Patienten kaum plausibel begründen lässt.94 Vorzugswürdig ist daher, wie etwa von Quante vorgeschlagen, ein gemischtes Modell, das Elemente personaler und handlungsbezogener Autonomie vereint.95 Personale Autonomie bezieht sich hierbei auf Autonomie als Ideal und als Recht, während für Autonomie als Fähigkeit und als Zustand ein handlungsbezogenes Verständnis angezeigt erscheint. bb) Autonomie als Schwellenkonzept Sowohl Feinberg als auch Beauchamp und Childress verstehen Autonomie als Schwellenkonzept.96 Hiernach gelten Patientenentscheidungen nicht erst dann als autonom, wenn die hierfür erforderlichen Fähigkeiten vollständig ausgeprägt sind. 89

Schöne-Seifert, in: Ach/Bayertz/Siep (Hrsg.), Grundkurs Ethik II, 2011, S. 15 f.; Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 56. 90 Schöne-Seifert, in: Ach/Bayertz/Siep (Hrsg.), Grundkurs Ethik II, 2011, S. 15 f.; Wiesemann, in: dies./Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 17 f. 91 Ein solches, globaleres Verständnis liegt etwa der zivilrechtlichen Mündigkeit zu Grunde. Bis zum Inkrafttreten des Betreuungsrechts war im BGB die Möglichkeit der Entmündigung vorgesehen, vgl. § 6 a.F. BGB. Diese hatte zur Folge, dass der Entmündigte global und für alle Lebensbereiche als absolut handlungs- und damit auch einwilligungsunfähig erachtet wurde. Die nunmehr in §§ 1896 ff. BGB geregelte rechtliche Betreuung, wirkt sich hingegen nicht mehr auf die Handlungsfähigkeit des Betroffenen aus. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Betreute eine rechtliche Entscheidung noch selbst treffen kann oder nicht. Dem liegt ein lokales Autonomieverständnis zu Grunde, ausführlich hierzu unten Kap. 4 B I und 9 B III. 92 Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 188 f. 93 Quante, Personales Leben, 2002, S. 222 f. 94 Näher hierzu Kap. 9 B und C. 95 Quante, Personales Leben, 2002, S. 222 f. 96 Sog. “threshold concept”, vgl. Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 29 f.; Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 116 f.

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2. Kapitel: Grundlagen

Ausreichend für die Zuerkennung von „Autonomie im Vollsinne“ ist vielmehr, dass die notwendigen Fähigkeiten in einem hinreichenden Maß vorliegen.97 Feinberg geht davon aus, dass je nach Lebensbereich unterschiedliche Schwellenwerte maßgeblich sein können. Er bezeichnet Autonomie als Fähigkeit (‚competence‘) innerhalb des jeweiligen Lebensbereichs aber missverständlich als „Alles-oder-nichtsPrinzip“.98 Erreicht der Patient das Mindestmaß nicht, fehlt ihm Autonomie in einem globalen Sinne, liegen seine Fähigkeiten darüber ist er vollständig autonom. Demgegenüber differenzieren Beauchamp und Childress nach den Umständen der jeweiligen Handlung und gehen von einem einzelfallbezogenen Schwellenwert aus, der in Relation zu den mit der Entscheidung verbundenen Risiken variiert. 99 Den Gegensatz zum Schwellenkonzept bilden graduelle Ansätze. Hiernach wird berücksichtigt, dass eine Person oder eine Handlung in der Realität mehr oder weniger autonom sein kann, also graduell ausgeprägt ist. In jüngerer Zeit wird vor allem von Vertretern des Behavioral Law and Economics-Ansatzes, einer rechtstheoretischen Strömung, die an Erkenntnisse der Verhaltensökonomie anknüpft und hieraus normative Schlüsse zieht,100 eine graduelle Betrachtungsweise von Autonomie vertreten.101 Das moderne, einzelfallbezogene Autonomieverständnis von Beauchamp und Childress berücksichtigt auch als Schwellenkonzept die graduelle Ausprägung der Fähigkeiten des Patienten. Hiernach ist Autonomie als Fähigkeit handlungs- und damit einzelfallbezogen zu verstehen. Zugleich gehen die Autoren davon aus, dass der erforderliche Schwellenwert die Umstände des Einzelfalls 102 berücksichtigt. In der Folge ergibt sich ein äußerst differenziertes Bild. So können auch Patienten, deren Fähigkeiten schwächer ausgebildet sind und die nach dem graduellen Verständnis als weniger autonom gelten, über weniger risikoreiche Entscheidungen selbstbestimmt entscheiden, wenn sie das niedrigere Level an Fähigkeiten, das 97

Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 116 f.; Faden/Beauchamp, Informed Consent, 1986, S. 238 ff., insbes. 240 f.; Quante, Personales Leben, 2002, S. 174 Fn. 22; Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 74 und S. 79 ff. 98 Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 28; zust. Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 80. Krit. hierzu auch Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 55 f. 99 Sog. “sliding scale approach”, Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 119 f. Je höher das Risiko der medizinischen Intervention ist, desto strenger sind die Anforderungen, die hiernach an die Autonomiefähigkeit zu stellen sind. Nach Beauchamp und Childress gilt dies nur für die Anforderungen an den Nachweis der Einwilligungsfähigkeit (level of evidence); zust. Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 81. Demgegenüber geht die überwiegende Ansicht von einer fähigkeitsbezogen variierenden Schwelle zur Einwilligungsfähigkeit aus, vgl. Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 51 ff. und Magnus, Patientenautonomie, 2015, S. 73, näher zur Risikorelativität in der Medizinethik Kap. 6 C I. Zur Relativität der Einwilligungsfähigkeit Recht S. Kap. 4 B. 100 Lüdemann, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 2. Näher hierzu sogleich. 101 Näher zum graduellen Autonomieverständnis Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 82 f. 102 Hierzu zählt insbes. das Risiko-Nutzenprofil des geplanten Eingriffs, vgl. Kap. 6 C I.

B. Rechtsethische Grundlagen

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hierfür erforderlich ist, erreichen. Vor allem bei Patienten mit eingeschränkten tatsächlichen Fähigkeiten wird zudem regelmäßig in jedem Einzelfall geprüft, ob sie über die jeweils erforderlichen Fähigkeiten verfügen. Der Schwellenansatz bedeutet in dieser Verknüpfung weder eine globale „Alles-Oder-Nichts-Entscheidung“ für einen bestimmten Lebensbereich, noch negiert er die schwach ausgeprägten Fähigkeiten zur Selbstbestimmung von Patienten mit defizitärer Autonomie. Bestimmt man Autonomie nicht nur graduell, sondern wie die Vertreter des Behavioral Law and Economics-Ansatzes auch idealistisch, werden hingegen die meisten Entscheidungen als nicht autonom gelten, da in der Realität kaum jemand im Einklang mit idealen Rationalitätsstandards handelt.103 Zudem bleibt nach diesem Ansatz offen, wann eine Entscheidung als hinreichend autonom gilt. e) Fazit Die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung lässt sich als Recht, Ideal, Fähigkeit und Zustand konzeptualisieren. Um fortwirkende Selbstbestimmung als Ausprägung des Prinzips des Respekts vor der Patientenautonomie interpretieren zu können, ist ein gemischtes Konzept von personaler und Handlungsautonomie vorzugswürdig. Personale Autonomie bezieht sich hierbei auf Autonomie als Ideal und Autonomie als Recht, während für Autonomie als Fähigkeit und Autonomie als Zustand ein handlungsbezogenes Verständnis angezeigt erscheint. Autonomie als Fähigkeit und Zustand sind als Schwellenkonzepte zu verstehen. Hiernach ist der Patient bereits dann hinreichend autonom, wenn er im konkreten Fall bestimmte Mindestanforderungen erfüllt. Die jeweiligen Anforderungen richten sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den Risiken der geplanten Maßnahme. Durch den Einzelfallbezug und die Relativität des Schwellenwertes wird die graduelle Ausprägung von Autonomie als Fähigkeit hinreichend abgebildet. 3. Grenzen der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung Der Gehalt der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung ist untrennbar mit ihren Grenzen verbunden.104 Hierbei kommen neben den Rechten Dritter105 und gesellschaftlichen Interessen106 vor allem konfligierende Interessen des Patienten selbst in Betracht. Letztere sind Teil des Fürsorgeprinzips.

III. Fürsorge im Gesundheitsbereich Der Schutz subjektiver und objektiver Interessen des Patienten wird unter dem Begriff der Fürsorge diskutiert. Das Fürsorgeprinzip umfasst sowohl das Prinzip des Nicht-Schadens (nonmaleficience, primum nil nocere) als auch das Wohltunsgebot 103

Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 83 f. bezeichnet diesen Ansatz treffend als „Rationalitäts- oder Autonomieperfektionismus“. 104 Ohly, „Volenti non fit inuiria“, 2002, S. 66. 105 Zulässig sind hierbei nur Maßnahmen zum Schutz Dritter, nicht aber eine Behandlung des einwilligungsfähigen Betroffenen gegen dessen Willen, ausführlich hierzu unten Kap. 9 B IV. 106 Vgl. hierzu Kap. 2 D I 6.

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2. Kapitel: Grundlagen

(beneficience, bonum facere).107 Beide Facetten sind auf die Förderung bzw. Erhaltung des Patientenwohls gerichtet.108 Die Bindung des Arztes an das Wohl des Patienten folgt aus dem ärztlichen Heilauftrag.109 Berufsrechtlich ist dieses Gebot in der Bundesärzteordnung und der Musterberufsordnung für Ärzte verankert, die als oberstes Gebot ärztlichen Handelns die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit nennen.110 1. Bedeutung des Fürsorgeprinzips für die Einwilligungsfähigkeit Fürsorgerische Erwägungen fließen zunächst in die Bestimmung der Kriterien der Einwilligungsfähigkeit ein.111 Ein Austarieren von Selbstbestimmung und Fürsorge im konkreten Fall ermöglicht es, sowohl zu hohe als auch zu niedrige Standards zu vermeiden.112 Davon unabhängig stellt das Fürsorgeprinzip auch einen wesentlichen Legitimationsgrund paternalistischer Maßnahmen dar, was die Frage aufwirft, inwieweit der aktuelle Wille des Patienten durch einen Eingriff oder dessen Unterlassen mit Rücksicht auf sein Wohl übergangen werden darf.113 2. Folgerungen für die Einwilligungsfähigkeit Hieraus folgt für die Einwilligungsfähigkeit zweierlei: Entgegen einer weit verbreiteten Annahme markiert sie nicht die Grenze zwischen Selbst- und Fremdbestimmung (a). Sie betrifft vielmehr primär die Abgrenzung zwischen illegitimem (hartem) Paternalismus und grundsätzlich legitimierbarem (weichem) Paternalismus (b). a) Selbst- und Fremdbestimmung Das Zusammenspiel von Selbstbestimmung und Fürsorge ist komplex und vielschichtig. Fürsorgerisches Handeln ist hierbei nicht gleichbedeutend mit Fremdbestimmung.114 So handeln Ärzte etwa auch dann fürsorgerisch, wenn sie durch einen Eingriff das gesundheitliche Wohl des Patienten fördern, der sich auf eigenen Wunsch zum Arzt begibt und einer Behandlung zustimmt. Der Arzt trägt in diesem

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Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 150 ff. und S. 202 ff. Ausführlich hierzu Kap. 9 B II. 109 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. I § 1 Rn. 7 ff. und § 4 Rn. 13 ff. 110 Vgl. § 1 Abs. 1 BÄO und § 1 Abs. 2 MBO-Ä. Näher hierzu Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 95. Zur Bindung des Stellvertreters an das Wohl, vgl. Kap. 9 B II. 111 Vgl. oben Kap. 2 A und B I 112 Autonomie und Fürsorge sind in diesem Sinne als wechselbezüglich aufeinander bezogene Prinzipien zu verstehen, vgl. Damm, MedR 2010, 451, 460; ders., MedR 2002, 375, 384; so bereits Amelung, in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 28; vgl. a. Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 197 und MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 41 sowie aus ethischer Sicht Vollmann, Aufklärung und Einwilligung, 2000, S. 106 f. 113 Näher hierzu sogleich. 114 Vgl. etwa Damm, MedR 2010, 451, 460; ders., MedR 2002, 375, 384 und Katzenmeier, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 91. 108

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Fall dem Willen und dem Wohl des Patienten gleichermaßen Rechnung.115 Salus aegroti, das Wohl des Patienten, und volenti aegroti (seine Autonomie) stehen damit nicht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis, sondern sind eng mit einander verwoben.116 Entsprechend markiert die Einwilligungsunfähigkeit auch nicht den Übergang von der (absoluten) Selbstbestimmung zur (vollständigen) Fremdbestimmung.117 Denn selbst wenn der Patient konkret einwilligungsunfähig ist, ist seine schon vorhandene oder noch verbliebene Selbstbestimmung in gewissem Umfang für Dritte verbindlich.118 So ist etwa der Betreuer bei stellvertretenden Behandlungsentscheidungen grundsätzlich an die Wünsche des einwilligungsunfähigen Betreuten gebunden und hat in gewissem Rahmen auch selbstschädigendes Verhalten zu tolerieren.119 Gleiches gilt – wenn auch in abgeschwächter Form – für bestimmte Behandlungswünsche und Eingriffsablehnungen einwilligungsunfähiger Minderjähriger.120 Schließlich können antizipierte Behandlungsentscheidungen volljähriger Patienten über den Verlust der Einwilligungsfähigkeit hinaus bindend sein.121 Die Einwilligungsfähigkeit ist damit ein wesentlicher Aspekt, nicht aber notwendige Voraussetzung von Selbstbestimmung. b) Einwilligungsfähigkeit als Grenze zwischen hartem und weichem Paternalismus beim Handeln gegen den Willen des Betroffenen Die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit betrifft vielmehr die Abgrenzung zwischen illegitimem (‚hartem‘) und grundsätzlich legitimierbarem (‚weichem‘) Paternalismus beim Handeln gegen den Willen des Betroffenen.122 Vertreter des harten Paternalismus halten es für möglich, medizinische Maßnahmen gegen den aktuellen Willen des Patienten zur Steigerung seines Wohls vorzunehmen oder zu unterlassen, auch wenn die Patientenentscheidung, die übergangen werden soll, autonom getroffen wurde.123 Demgegenüber bezeichnet weicher Paternalismus am Wohl

115

Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 58; ders., in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 91 und S. 102. 116 Vgl. Damm, MedR 2002, 375, 384; ders., MedR 2010, 451, 460 und Katzenmeier, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 91. Grundlegend hierzu Quante, Personales Leben, 2002, S. 333 f. 117 Ähnlich auch Birnbacher, MedR 2012, 560, 563 und Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 54. A.A. Amelung ZStW 104 (1992), 821, 823; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 54; Damm, MedR 2015, 775, 775; Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 239 f. 118 Vgl. § 1626 Abs. 2 BGB und § 1902 BGB, ausführlich hierzu Kap. 9 B II. 119 Vgl. BVerfGE 128, 282, 304 = NJW 2011, 2113, 2115 f. m.w.N. (Zwangsbehandlung) sowie BGHZ 182, 116, 127 = NJW 2009, 2814, 2817 und BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 6 zu selbstschädigenden Wünschen eines geschäftsunfähigen Betreuten. Näher zum Ganzen Kap. 9 B II und D sowie Kap. 4 C II 2, Kap. 9 B II. 120 Hierbei kommt den Sorgeberechtigten schon wegen der bestehenden Erziehungsbedürftigkeit des Minderjährigen ein größerer Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zu als dem Betreuer, vgl. Kap. 9 B III 2, C und D. 121 § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB. Näher zum Ganzen Kap. 9 B I, II, C und D und Kap. 4 C II 2. 122 So auch Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 114. 123 So in jüngerer Zeit etwa Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 97.

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2. Kapitel: Grundlagen

orientierte Maßnahmen gegen den nicht autonomen Willen des Patienten.124 Während rein fürsorgerisch motiviertes Handeln ohne oder gegen den Willen des einwilligungsfähigen Patienten nach dem herrschenden liberalen Grundrechtsverständnis kaum zu rechtfertigen ist,125 sind stellvertretende Entscheidungen zum Wohl des konkret einwilligungsunfähigen Patienten auch dann, wenn sie seinem aktuellem Willen widersprechen, in gewissem Umfang durch Fürsorgeerwägungen legitimierbar.126 Das betrifft sowohl die Versagung von Behandlungswünschen als auch die Durchführung medizinischer Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen.127 Während diese ‚weich‘ paternalistischen Maßnahmen und Unterlassungen aus der philosophischen Paternalismusdebatte als ethisch unproblematisch weitgehend ausgeklammert werden,128 sind sie rechtlich, wegen der hiermit verbundenen Grundrechtseingriffe, starken Rechtfertigungslasten ausgesetzt. 129 So sind etwa 124

Grundlegend Feinberg, Canadian Journal of Philosophy 1 (1971), S. 105 ff.; vgl. a. Quante, Personales Leben, 2002, S. 309. Näher zur Unterscheidung beider Paternalismusformen Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, 2013, S. 32 ff. 125 Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 26 m.w.N., Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 12 ff. und Quante, Personales Leben, 2002, S. 310 ff., insbes. S. 317 und S. 319. A.A. Magnus, Patientenautonomie im Strafecht, 2015, S. 105 m.w.N. Magnus bezieht sich in ihrer Argumentation maßgeblich auf §§ 216 und 228 StGB, die sie als (indirekte), hart paternalistische Normen qualifiziert, ebenda, S. 97; so auch Neumann, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 250 ff. Das überzeugt nicht. §§ 216 und 228 StGB schützen, indem sie den Eingreifenden trotz Einwilligung des Opfers nicht straflos stellen, das Wohl des Einwilligenden allenfalls sekundär. Primär dienen sie dem Schutz gesellschaftlicher Grundwerte (Tötungstabu) sowie dem Schutz von Rechten Dritter (insbes. vor Nachahmungstätern). Sie sind daher durch Werte, die unabhängig vom Wohl des Betroffenen sind, gerechtfertigt und deshalb gerade nicht paternalistisch. So auch Joerden, in: ders. u.a. (Hrsg.), Menschenwürde, 2013, S. 218 und 231; Quante, Personales Leben, 2002, S. 304 f.; Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 18 f.; diff. Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 36 ff., der beide Normen im Anschluss an Murmann, Selbstverantwortung, 2005, S. 497 f. als abstrakte Gefährdungsdelikte und damit als Erscheinungsformen des weichen Paternalismus qualifiziert. Krit. hierzu Tenthoff, Tötung auf Verlangen, 2008, S. 144 ff. 126 Mayr, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 49; Hillgruber, Schutz vor sich selbst 1992, S. 70 ff. 127 Ausführlich hierzu Kap. 9 B und D. 128 So etwa Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 12 ff.; Beauchamp, in: Post (Hrsg.), Encyclopedia of Bioethics, 3rd Ed. 2004, S. 1985; Quante, Personales Leben, 2002, S. 308 ff., insbes. S. 319. 129 St. Rspr., vgl. nur BVerfGE 58, 208, 226 = 1982, 691, 693; NJW 1998, 1774, 1775; NJW 2011, 2113, 2115 f.; NJW 2011, 3571; BVerfGE 142, 313, 318 f. = NJW 2017, 53, 56 f. m. Anm. Dodegge = MedR 2017, 122, 125 f.; BVerfG, Urt. v. 24.07.2018 – 2 BvR 309/15; vgl. a. Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 73; Hillgruber, Schutz vor sich selbst, 1992, S. 72; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 39; Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 22 ff., insbes. S. 23. Demgegenüber hält Kirste, JZ 2011, 805, 806 ff. die Kategorie des weichen Paternalismus im Recht für überflüssig. Warnungen, Informationen und Aufklärungen, die üblicherweise unter diesem Begriff diskutiert werden, greifen seiner Ansicht nach nicht in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen ein, sind also schon per definitionem nicht paternalistisch. Die von Kirste nicht diskutierte ärztliche Zwangsbehandlung gegen den natürlichen Willen des einwilligungsunfähigen Patienten stellt hingegen einen schweren Grundrechtseingriff dar. Sie lässt sich, da die Betroffenen konkret

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ärztliche Zwangsmaßnahmen gegen den Willen des einwilligungsunfähigen Patienten nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 1631b, 1906, 1906a BGB zulässig.130 Auch die am Wohl des Betreuten orientierte Einrichtung einer rechtlichen Betreuung ohne oder gegen den Willen des Betroffenen setzt voraus, dass dieser zur freien Willensbildung nicht mehr in der Lage ist, vgl. § 1896 Abs. 1a BGB.131 3. Fazit Fürsorgerische Erwägungen fließen in die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit ein. Zusätzlich bestimmt sich hiernach unter welchen Voraussetzungen weich paternalistisches Handeln gegen den Willen des konkret einwilligungsunfähigen Patienten zulässig ist. Die Einwilligungsfähigkeit betrifft damit einen wesentlichen Aspekt der Abgrenzung zwischen zulässigem (weichem) und unzulässigem (hartem) Paternalismus.

IV. Autonomie, Paternalismus und Rationalität Sowohl in der Paternalismusdebatte als auch in der Diskussion um die Voraussetzungen autonomen Handelns finden sich an verschiedenen Stellen die Forderung nach Vernunft-, resp. Rationalitätsstandards. Rationalität wird hierbei je nach Kontext sehr unterschiedlich verstanden. Im Kern lassen sich drei verschiedene Deutungen ausmachen: Vertreter substantieller Definitionen von Autonomie plädieren dafür, den Inhalt einer Entscheidung sowie die Motivation und Gründe des Entscheidenden auf ihre Übereinstimmung mit gesellschaftlichen Werten zu überprüfen. Sie halten nur solche Entscheidungen für selbstbestimmt, die auf „intersubjektiv“ geteilten Gründen beruhen und in diesem Sinne als vernünftig verstanden werden können.132 Rationalität in diesem Sinne bezieht sich auf den Entscheidungsinhalt und setzt voraus, dass sich dieser im Rahmen eines objektiven Wertesystems bewegt. Die Gegenansicht, nach der Autonomie, wie auch hier vertreten, prozedural zu verstehen ist, bewertet hingegen nicht den Inhalt der jeweiligen Entscheidung, sondern allein den Prozess der Entscheidungsfindung.133 Auch hier wird aber, wie etwa das Modell von Beauchamp und Childress zeigt, Rationalität vorausgesetzt.134 Die Vertreter verhaltensökonomischer Ansätze im Recht legen Rationalität schließlich in einem objektiven, idealen Sinn aus und ähneln in dieser Hinsicht substantiellen Autonomiedefinitionen. einwilligungsunfähig sind, auch nicht als harter Paternalismus qualifizieren, so dass die Unterscheidung aufrechterhalten werden sollte. Zuzugeben ist Kirste aber, dass im Einzelfall genau geprüft werden sollte, ob eine als paternalistisch deklarierte Maßnahme überhaupt einen Grundrechtseingriff beinhaltet oder nicht. 130 Näher hierzu Kap. 9 D. 131 Vgl. a. die weiterführenden Nachweise in Kap. 9 B III 1 b) aa). 132 Wiesemann, in: dies./Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 15 ff., insbes. S. 17. 133 So auch Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 77 f. und Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 50 f. 134 Vgl. oben Kap. 2 B II 2 c). Ähnlich auch Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 28, der als Voraussetzung von Autonomie als Fähigkeit, die Fähigkeit rationale Entscheidungen zu treffen formuliert; zust. Quante, Personales Leben, 2002, S. 174.

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2. Kapitel: Grundlagen

1. Einwände gegen substantielle, vernunftorientierte Ansätze Ein substantielles Verständnis von Autonomie setzt ein gesellschaftlich breit akzeptiertes System grundlegender Werte voraus, vor dessen Hintergrund sich Inhalt, Gründe und Motive einer konkreten Patientenentscheidung als selbstbestimmt bewerten lassen.135 Vorausgesetzt wird damit eine in gewisser Weise homogene Gesellschaft, in der nicht nur über bestimmte fundamentale Werte Einigkeit besteht, sondern auch über die Hierarchie dieser Werte untereinander, so dass Wertkonflikte, die sich v.a. im Gesundheitsbereich häufig stellen, objektiv aufgelöst werden können.136 Das widerspricht dem bestehenden weltanschaulichen Pluralismus in unserer Gesellschaft, der nicht nur eine rationale Ordnung von Gütern kennt, sondern zahlreiche, nebeneinander existierende.137 Was rational ist und was nicht, lässt sich damit kaum objektiv bestimmen.138 Selbst ein so fundamentales Gut wie die Gesundheit stellt keinen universell akzeptierten Höchstwert dar.139 So ist denkbar, dass sich Menschen bewusst ungesund verhalten, um andere Lebensziele, etwa ein genussvolles, leistungssportorientiertes oder abenteuerreiches Leben zu realisieren.140 Diesen Umstand versucht das herrschende liberale Grundrechtsverständnis dadurch zu berücksichtigen, dass sich das Recht einer Bewertung individueller Gründe und Motivationen so weit wie möglich enthält.141 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich auch der Begriff der Gesundheit nicht vollständig objektivieren lässt und sich das Wohl des Patienten nicht ausschließlich nach medizinischen Kriterien bestimmt.142 Selbst wenn man für objektiv bestimmbar hielte, wann eine Entscheidung hinreichend rational ist, müsste begründet werden, warum die Fähigkeit objektiv vernünftige Entscheidungen zu treffen, Voraussetzung für Autonomie sein sollte.143

135

Wiesemann, in: dies./Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 17. Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 89 f.; Wiesemann, in: dies./Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 17. 137 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 89 f.; Maio, Mittelpunkt Mensch, 2. Aufl. 2017, S. 159; vgl. a. Woopen, ZEFQ 2014, 140 ff. 138 Maio, Mittelpunkt Mensch, 2. Aufl. 2017, S. 159; Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 90. 139 Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, 1997, S. 51 m.w.N.; Woopen, ZEFQ 2014, 140 ff. A.A. Dworkin, in: Wasserstrom (Hrsg.), Morality and the Law, 1971, S. 120; Thaler/Sunstein, The American Economic Review 93 (2003), 175, 178 f. und Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 553. Krit. zur Idee von Gesundheit als Höchstwert Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 89 f. 140 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 84 in Anlehnung an Mill, Über die Freiheit, 1991, S. 71. 141 Vgl. nur BGHZ 67, 48, 53 = NJW 1976, 1790, 1791 und BGH, NJW 2000, 885, 886; Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 90. Diese Tendenz zeigt sich auch in der „Freiheit zur Krankheit“-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, s. BVerfGE 58, 208, 226 = NJW 1982, 691, 693; BGH, NJW 2001, 888, 890. 142 Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, 1997, S. 51. 143 So schon Mill, Über die Freiheit, 1991, S. 17 ff., der dem Menschen ein absolutes Bestimmungsrecht über sich selbst, seinen Körper und seine Seele zuerkannte, das er in Einklang mit seinen individuellen Wertvorstellungen ausüben können sollte. 136

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2. Einwände gegen verhaltensökonomisch fundierte Ansätze Auch gegen ein verhaltensökonomisch geprägtes Verständnis von Rationalität bestehen Bedenken. a) Prämissen verhaltensökonomischer Ansätze zur Bestimmung von Autonomie Die Rezeption verhaltensökonomischer Ansätze zur Bestimmung von Autonomie sowie paternalistischer Eingriffsgrenzen ist nicht neu. Schon Amelung hat sein Modell zur Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit maßgeblich hierauf gestützt.144 Amelung ging davon aus, dass eine Person nur dann einwilligungsfähig ist, wenn sie in der Lage ist, ihre Interessen „vernünftig wahrzunehmen“, d.h. zu „erkennen, was (ihr) nützt“.145 Nutzen interpretierte Amelung utilitaristisch-ökonomisch.146 Hiernach sei die mit der Einwilligung verbundene Rechtsgutspreisgabe nur vernünftig, wenn sie darauf gerichtet sei, im Gegenzug einen aus Sicht des Einwilligenden zu bestimmenden Vorteil zu erlangen oder zumindest einen Nachteil zu vermeiden.147 In ähnlicher Weise beruft sich der Behavorial Law and Economics-Ansatz auf ökonomische Ansätze zur Nutzenmaximierung. Hiernach handeln Personen rational, wenn sie aufgrund einer stabilen, individuellen Präferenzordnung unter Berücksichtigung der optimalen Menge an Informationen ihren eigenen Nutzen maximieren (sog. Rational Choice Theorie).148 Während Amelung im Einklang mit der Rational Choice Theorie davon ausging, dass menschliches Entscheidungsverhalten grundsätzlich rational ist,149 berücksichtigt der Behavorial Law and EconomicsAnsatz umgekehrt neuere verhaltensökonomische Erkenntnisse, die belegen, dass menschliches Verhalten in der Regel nur eingeschränkt rational und von systematischen Rationalitätsdefiziten geprägt ist (sog. Bounded Rationality Ansatz).150 Liberalistische Ansätze, die dem Einzelnen weite Freiheitsräume gewährleisten, seien mit den tatsächlich bestehenden Rationalitätsdefiziten menschlichen Handelns unvereinbar, da sie unzutreffend davon ausgehen, dass Menschen generell im Einklang mit ihren eigenen Interessen handeln.151 Überzeugender sei es deshalb, tat144

Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 544 ff., insbes. 551; ders., Vetorechte, 1995, S. 9 ff. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 544 f. 146 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 545. 147 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 545 ff. Die dritte Fallgruppe, die Amelung nennt, spielt im medizinischen Kontext kaum eine Rolle. Zum subjektiven Maßstab s., ebenda, S. 546 ff. 148 Van Aaken, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 112; Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 63 mit Verweis auf Becker, The Economic Approach to Human Behavior, 1976, S. 14. 149 Amelung ist, aus heutiger Sicht unzutreffend, davon ausgegangen, dass die Rational Choice Theorie auf individuelles Entscheidungsverhalten nicht anwendbar ist. Er hat jedoch implizit über seine ökonomischen Grundannahmen und das Modell des homo oeconomicus hierauf zurückgegriffen, so zutreffend Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 133 Fn. 276. 150 Vgl. etwa Sunstein/Thaler, Univ Chic Law Rev 70 (2003), 1159, 1162; Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 98; van Aaken, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 109 f.; ausführlich zur bounded rationality, ebenda, S. 112 ff. sowie dies., in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 192 ff. 151 van Aaken, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 109 f.; Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 101. 145

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2. Kapitel: Grundlagen

sächlich vorhandene Rationalitätsdefizite durch weich paternalistische Eingriffe und entsprechende Standards zum Wohl des defizitär Handelnden im Sinne einer Entscheidungsoptimierung auszugleichen.152 b) Stellungnahme Die Frage, die verhaltensökonomisch fundierte Paternalismustheorien aufwerfen, lautet im Kern, welche Schlüsse aus den deskriptiven, psychologischen und verhaltensökonomischen Studien der vergangenen Jahrzehnte normativ für das Recht zu ziehen sind. Diese haben gezeigt, dass Vernunft bei der Entscheidungsfindung nur eine untergeordnete Rolle spielt und das menschliche Entscheidungsverhalten durch eine Vielzahl von systematischen Rationalitätsdefiziten geprägt ist.153 Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme, Rationalitätsdefizite könnten einen legitimen Zweck staatlichen Eingriffshandelns darstellen, besonders rechtfertigungsbedürftig.154 Ebenso überzeugend, wenn nicht sogar überzeugender erscheint es, in Anbetracht der eingeschränkten Rationalität durchschnittlicher Personen, niedrigere Standards an Rationalität und Autonomie zu formulieren.155 Das gilt in besonderem Maße für die Autonomie von Patienten und die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit. Denn es ließe sich kaum rechtfertigen, bei erkrankten Personen einen Maßstab anzulegen, den schon gesunde Personen im Regelfall nicht erfüllen

152 So etwa Sunstein/Thaler, Univ Chic Law Rev 70 (2003), 1159, 1162; zurückhaltender Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 236 f., der diese Folgerung nur eingeschränkt für gerechtfertigt hält. Einen moderaten Ansatz vertritt im Erg. auch van Aaken, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 109 ff. Ihr Prinzip des „schonendsten Paternalismus“ setzt eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus, die sicherstellen soll, dass staatliches Eingriffshandeln zur Behebung „kostspieliger“ Entscheidungsdefizite auf das mildeste aller gleichwirksamen Mittel beschränkt bleibt (S. 133). Krit. zum Ganzen Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 34 ff.; Eidenmüller, JZ 2011, 814, 819 ff. und Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, 2013, S. 38 ff. 153 Ausführlich hierzu, Kap. 6 C I. 154 Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 34; Gutwald, ebenda, S. 84 f.; Kirste, JZ 2011, 805, 807 sowie für die Einwilligungsfähigkeit auch Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 138 f. m.w.N. Wie oben gezeigt, kann das Recht die Realbedingungen von Autonomie nicht einfach ignorieren, sondern hat diese bei der Ausgestaltung der Autonomiefähigkeit zu berücksichtigen, vgl. Kap. 2 A II 2. So auch van Aaken, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 110, die paternalistisches Handeln zur Rationalitätsoptimierung für zulässig erachtet. Van Aaken argumentiert zur Rechtfertigung des paternalistischen Ansatzes im Wesentlichen konsequentialistisch, indem sie paternalistisches (Eingriffs-)Handeln bei Rationalitätsdefiziten dann für gerechtfertigt hält, wenn die durch defizitäre Rationalität verursachten Wohlfahrtseinbußen die Freiheitseinbußen durch die paternalistische Maßnahme überwiegen, ebenda, S. 135 f. So auch Camerer et al., Univ. Penns. Law Rev. 151 (2003), 1211, 1219 ff.; ausführlich hierzu Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, 244 ff. Krit. zum Ganzen Mayr, in: FatehMoghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 53 f. 155 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 84 f. Der Befund, dass menschliches Verhalten nur eingeschränkt rational („quasi-rational“) ist, ist damit aus normativer Sicht ambivalent, Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 101 f.

B. Rechtsethische Grundlagen

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können.156 Zudem ist zweifelhaft, inwiefern Rationalitätsoptimierung überhaupt als Aufgabe des Rechts betrachtet werden kann.157 Auch die implizite Gleichsetzung von rechtlicher Autonomie und umfassender Rationalität ist dogmatisch wenig überzeugend.158 Hierdurch wird negiert, dass liberalistische Theorien nicht zwangsläufig ein hohes Maß an Rationalität ihrer Akteure voraussetzen.159 Zudem setzt der Behavioral Law and Economics-Ansatz wie auch andere substantielle Autonomiedefinitionen einen objektiven Rationalitätsbegriff voraus, gegen den die bereits oben genannten Einwände bestehen.160 Das Erfordernis vollständiger Rationalität lässt sich damit als Voraussetzung autonomen Entscheidens nicht schlüssig begründen und ist daher abzulehnen.161 3. Herausforderungen des prozeduralen Ansatzes Im Ergebnis ist ein prozedurales Verständnis von Autonomie vorzugswürdig, in dem Rationalität in einem minimalen Sinne als Voraussetzung der Fähigkeit Entscheidungen zu treffen, verstanden wird. Auch dieser Ansatz stößt jedoch an Grenzen. a) Vorschlag einer Minimalkonzeption von Rationalität Grundlegende Voraussetzung für Autonomie als Fähigkeit im Feinbergschen Sinne ist die Fähigkeit überhaupt eine Entscheidung treffen zu können. Dies erfordert nach der hier vertretenen Ansicht nur eine minimale Rationalität, genauer: die Fähigkeit, die eigenen Wünsche durch Zweck-Mittel-Überlegungen in die Tat umsetzen zu können.162 Um über einen medizinischen Eingriff zu entscheiden, muss der Patient Schlüsse ziehen und realisieren können.163 Dass der Einwilligende rechtlich gesehen in der Lage sein muss, Informationen gegeneinander abzuwägen, setzt kein anspruchsvolles Verständnis von Rationalität als vernunftgeleitetem, an stabilen Wertpräferenzen und Zielen ausgerichteten Denken und Handeln voraus.164 Auch Beauchamp und Childress interpretieren Rationalität in einem basalen Sinne, indem sie von einem durchschnittlichen Entscheider in Alltagssituationen ausgehen.165 156

So zutreffend bereits Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 141. A.A. Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 34. 158 Näher hierzu Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 80 ff. 159 Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 42. Näher hierzu Kap. 4 A II. 160 Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 35. Ähnlich auch Gutwald, ebenda, S. 85 f. und 89 f. sowie oben Kap. 2 B IV 1. 161 Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 35. Ähnlich auch Gutwald, ebenda, S. 85 f. 162 So auch Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 78 und Kirste, JZ 2011, 805, 806 und 813. 163 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 78. 164 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 78; Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, 2013, S. 39. So auch Duttge, NJW 2016, 120 und Scholten/Vollmann, in: Vollmann (Hrsg.), Ethik in der Psychiatrie, 2017, S. 32. 165 Sog. „normal chooser“, Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 104, näher hierzu Wiesemann, in: dies./Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 17. Für 157

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2. Kapitel: Grundlagen

b) Vereinbarkeit mit liberalistischen Freiheitskonzeptionen und dem Geltungsgrund des Selbstbestimmungsprinzips Fordert man lediglich ein Minimum an entscheidungsbezogener Rationalität für Autonomie, ergeben sich Spannungen zum Geltungsgrund des Autonomieprinzips.166 Aus deontologischer Sicht liegt das Prinzip des Respekts vor selbstbestimmten (Gesundheits-)Entscheidungen in der Würde des Menschen begründet.167 Der aus der Menschenwürde folgende gegenseitige Achtungsanspruch knüpft hierbei an die Eigenschaft des Menschen als Vernunftwesen an.168 Auch liberalistische Freiheitskonzeptionen gehen zumindest in ihrer klassischen Ausprägung davon aus, dass der Mensch üblicherweise zur rationalen Wahrnehmung seiner eigenen Interessen in der Lage ist. Sie folgern hieraus die rechtliche Gewährleistung von Freiheitsräumen, innerhalb derer sich der Einzelne nach seinen individuellen Vorstellungen verwirklichen und entfalten kann.169 Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich auflösen. Nicht das aktuelle vernunftgeleitete Handeln einer konkreten Person bildet den Kern der Menschenwürdegewährleistung, sondern die prinzipielle Vernunftfähigkeit des Menschen.170 Zudem stellt der Bezug zur Vernunftfähigkeit des Menschen nur einen möglichen Ansatz zur Begründung des Menschenwürdeprinzips dar. So klammert etwa Nussbaum in ihrem Ansatz zur Bestimmung der Würde den Bezug zur Vernunft explizit aus. 171 Auch das Grundgesetz knüpft die Menminimale Rationalitätsstandards auch Quante, Personales Leben, 2002, S. 174 f. Fn. 22 und S. 180 f. und Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 78 ff., insbes. S. 85. 166 Rothaar, in: Joerden u.a. (Hrsg.), Menschenwürde, 2013, S. 79 bezeichnet es als „die offene Frage“ einer auf Minimalanforderungen gestützten Definition von Selbstbestimmung, warum Selbstbestimmung in diesem Sinne „überhaupt irgendeinen Grund darstellen sollte, diese zu respektieren“ (Herv. d. Verf.). 167 Vgl. Dreier, GG Art. 1 I Rn. 11 f. und 14; Ohly, „Volenti non fit iniuria”, 2002, S. 69; Hofmann, JZ 1992, 165, 168 m.w.N. So für die Selbstbestimmung des Patienten und das Einwilligungserfordernis auch BVerfGE 52, 131, 173 = NJW, 1979, 1925, 1930; Joerden, in: ders. u.a. (Hrsg.), Menschenwürde, 2013, S. 229 f.; Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 57 Rn. 15 ff.; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 5; ders., Arzthaftungsrecht, 2002, S. 324; Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 70; Rönnau, Willensmängel, 2001, S. 453; Giesen, in: Korff u.a. (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Bd. 1, 1998, S. 539; Deutscher Ethikrat, Demenz und Selbstbestimmung, 2012, S. 47. 168 Vgl. Rothaar, in: Joerden u.a. (Hrsg.), Menschenwürde, 2013, S. 76 und 78 sowie oben Kap. 2 B II 2. 169 Das heben auch die Vertreter eines verhaltensökonomisch fundierten Paternalismus hervor, vgl. etwa van Aaken, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 109 f. aber auch Mayr, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 50. 170 Vgl. Kap. 2 B II 2. So auch Neumann, in: Klug/Kriele (Hrsg.), Menschen- und Bürgerrechte, 1988, S. 143 f.; Kirste, JZ 2011, 805, 806; Stoecker/Neuhäuser, in: Joerden u.a. (Hrsg.), Menschenwürde, 2013, S. 44 und Rothaar, ebenda, S. 89 m.w.N. zur Gegenansicht. 171 Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2010, S. 223 ff.; vgl. a. die Nachweise bei Stoecker/Neuhauser, in: Joerden u.a. (Hrsg.), Menschenwürde, 2013, S. 52 f. Hieraus ergeben sich jedoch neue Begründungserfordernisse, vgl. Düwell, in: Joerden u.a. (Hrsg.), Menschenwürde, 2013, S. 111 ff. Einen möglichen Ansatz, warum selbstbestimmte Handlungen unabhängig von der Vernunftfähigkeit des Einzelnen respektiert werden sollten, hat Gewirth

B. Rechtsethische Grundlagen

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schenwürdegewährleistung nicht an ein konkretes Maß an Vernunft oder Kompetenz zum vernunftgeleiteten Handeln, sondern erkennt sie dem Menschen kraft seines Menschseins unabhängig von seinen aktuellen Fähigkeiten zu.172 Ein inhaltlicher Rationalitätsstandard ist damit auch verfassungsrechtlich keine notwendige Voraussetzung gesundheitsbezogener Selbstbestimmung.

V. Fazit Die konkreten Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit ergeben sich aus der Abwägung von Selbstbestimmung und Fürsorge im Einzelfall. Selbstbestimmung im Gesundheitsbereich lässt sich grundlegend als Recht, Fähigkeit, Zustand und Ideal charakterisieren. Recht und Ideal sind hierbei als Ausprägung personaler Autonomie, Fähigkeit und Zustand als Ausprägungen der handlungsbezogenen Autonomie zu verstehen. Der Respekt vor der Selbstbestimmung des Patienten setzt weder Autonomie als Fähigkeit noch Autonomie als Zustand voraus. Die Pflicht, bei stellvertretenden Entscheidungen die schon vorhandene oder noch verbliebene Selbstbestimmung des konkret einwilligungsunfähigen Patienten zu berücksichtigen, folgt aus dem Autonomieprinzip. Die Einwilligungsfähigkeit markiert folglich nicht die Grenze zwischen (vollständiger) Selbst- und (absoluter) Fremdbestimmung, sondern fungiert vielmehr aus der Eingriffsperspektive zur Abgrenzung regelmäßig unzulässiger, hart paternalistischer Maßnahmen von rechtfertigungsbedürftigen, aber grundsätzlich legitimierbaren, weich paternalistischen Maßnahmen. Autonomie ist im Einklang mit dem herrschenden, liberalen Grundrechtsverständnis prozedural zu verstehen. Hieraus folgt, dass Rationalität nur in Bezug auf den Willensbildungsprozess, genauer, die Fähigkeit eine Entscheidung zu treffen, eine Voraussetzung für Autonomie im Fähigkeitssinne sein kann. Vorzugswürdig ist hierbei ein Konzept minimaler Rationalität.

entwickelt: Aus dem Umstand, dass der Mensch ein handlungsfähiges Wesen ist, folgert Gewirth ein Interesse des Einzelnen an der Aufrechterhaltung der eigenen Freiheit und ‚Handlungsfähigkeit‘ und dem Schutz vor der Beeinträchtigung dieser Freiheit durch andere. Diese positive Bewertung der Bedingungen der Handlungsfähigkeit, die allein an den Umstand anknüpft, dass der Mensch ein handlungsfähiges Wesen ist, führt zu einem universellen Geltungsanspruch des Prinzips des Respekts vor selbstbestimmten Handlungen, Gewirth, in: Meyer/Parent (Hrsg.), The Constitution of Rights, 1992, S. 19 ff. Ausführlich hierzu Düwell, in: Joerden u.a. (Hrsg.), Menschenwürde, 2013, S. 112 ff.; zum „Begründungsdilemma“ des Menschenwürdeprinzips allgemein Birnbacher, in: Joerden u.a. (Hrsg.), Menschenwürde, 2013, S. 169 ff. 172 Vgl. BVerfGE 87, 209, 228 = NJW 1993, 1457, 1458 f.; BVerfGE 96, 375, 399 f.; BVerfGE 115, 118, 152; Dreier, GG, Art. 1 I Rn. 66; Spaemann, in: Böckenförde/ Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 304 ff.; vgl. a. Isensee /Kirchhoff/Müller-Terpitz, Hdb. d. StaatsR, 2009, § 147 Rn. 33.

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2. Kapitel: Grundlagen

C. International- und verfassungsrechtlicher Rahmen C. Internationales Recht und Verfassungsrecht

I. Die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung im internationalen Recht Das Recht auf gesundheitsbezogene Selbstbestimmung findet sich an verschiedenen Stellen im internationalen Recht. In der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wird es über das Grundrecht auf Privatsphäre gewährleistet, das die individuelle Lebensgestaltung und Persönlichkeitsentwicklung schützt.173 Hiervon ist auch die körperliche und psychische Integrität umfasst.174 Die EU-Grundrechtecharta (EUGrCH) regelt die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung in Art. 3 EUGrCH sogar ausdrücklich. Während im ersten Absatz das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit allgemein normiert ist, enthält Absatz 2 spezielle Vorgaben für Medizin und Biologie. Neben zahlreichen Verboten175 regelt Art. 3 Abs. 2 EUGrCH das Erfordernis der freien und informierten Einwilligung des Betroffenen entsprechend den durch die Mitgliedstaaten gesetzlich festgelegten Einzelheiten.176 Damit wird das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht als Dispositionsbefugnis über Körper, Psyche und Gesundheit ausgestaltet. Da die Ausgestaltung dieses Rechts den Mitgliedstaaten obliegt, ergeben sich hieraus jedoch keine näheren Vorgaben für das deutsche Recht.177 In ähnlicher Weise regeln auch die UN-Behindertenrechtskonvention178 und das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen179 die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen als Dispositionsbefugnis über die eigenen Rechtsgüter. Beide Abkommen enthalten zudem Vorgaben, die die Unterzeichnerstaaten zum Schutz der Handlungsfähigkeit von Erwachsenen mit eingeschränkten tatsächlichen Fähigkeiten verpflichten.180 Die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung im Forschungskontext ist schließlich speziell in der Biomedizin-Konvention des Europarates (Oviedo-Konvention) geregelt.181 Deutschland hat diese bisher nicht ratifiziert.182 173

Vgl. Art. 8 Abs. 1 EMRK. EGMR, NVwZ 2002, 453, 455 – Bensaid/Vereinigtes Königreich; NJW 2002, 2851, 2854 – Pretty ./. Vereinigtes Königreich; HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Nettesheim, Art. 8 Rn. 7 f. und Rn. 10 m.w.N. Magnus leitet die abwehrrechtliche Komponente des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts hingegen aus dem Zusammenspiel von Art. 8 Abs. 1 und Art. 3 EMRK ab, vgl. dies., Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 109. 175 Art. 3 Abs. 2 lit. b) – d) EUGrCH. 176 Art. 3 Abs. 2 lit. a) EUGrCH. 177 Siehe a. Kap. 3 A I 1 b). 178 Art. 12 und 25 lit. d) UN-BRK, Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen v. 13.12.2006, BGBl. 2008 II S. 1419. 179 Haager Übereinkommen vom 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen, BGBl. 2007, II, S. 323. Vgl. dazu das deutsche Ausführungsgesetz v. 17.3.2007, BGBl. I, S. 314, in der Fassung v. 18.2.2013, BGBl. I, S. 267. Näher hierzu Kap. 3 A I 1 b). 180 Vgl. Art. 12 und 25 S. 2 und 3 UN-BRK und Art. 1 Abs. 1 Haager Abkommen. Näher hierzu Kap. 3 A I 1 b) und Kap. 9 C. 181 Vgl. Art. 5 ff. des Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates v. 4. April 1997 (MRB), SEV Nr. 194. 182 Näher zu den Gründen Klinnert, Die europäische Bioethik-Konvention, 2009, S. 248 ff.

174

C. Internationales Recht und Verfassungsrecht

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II. Verfassungsrechtlicher Rahmen Anders als die EU-Grundrechtecharta erwähnt das Grundgesetz die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung nicht explizit. Ihre genaue Verortung ist Gegenstand des zweiten Abschnitts. Die Einwilligungsfähigkeit wird zudem von Teilen der Literatur in Bezug zur Grundrechtsmündigkeit gesetzt, was kritisch zu betrachten ist. Zuletzt werden inhaltliche Vorgaben dargestellt, die sich für die einfach-rechtliche Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit aus dem Verfassungsrecht ergeben. Das wirft die Frage nach der Rolle der Grundrechte im Verhältnis zwischen Arzt und Patient auf. 1. Die Einwirkung der Grundrechte auf das einfache Recht Die Grundrechte entfalten außerhalb der öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach den PsychKG der Länder183 keine unmittelbare Geltung im Arzt-Patient-Verhältnis,184 sondern wirken hierauf nur mittelbar über die Auslegung wertungsoffener Privatrechtsnormen ein.185 Im Arztrecht ist etwa die Sittenwidrigkeitsgrenze der Einwilligung von den Gerichten im Lichte der Grundrechte auszulegen. 186 Diese Ausstrahlungswirkung erstreckt sich nach der Rechtsprechung auf das gesamte einfache Recht.187 Als objektive Wertentscheidungen binden die Grundrechte die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung an die „das Grundgesetz beherrschenden Gedanken“, woraus insbesondere das Willkürverbot folgt, das u.a. sachfremden Erwägungen in den Entscheidungsgründen entgegensteht.188 Die Einwilligungsfähig183

In diesem Rahmen ist das Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient ausnahmsweise öffentlich-rechtlicher Natur, vgl. BGHZ 38, 49, 55 = NJW 1963, 40 f.; BGH, NJW 2008, 1444, 1445 = FamRZ 2008, 782 (Ls.); näher hierzu Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 1 Fn. 2 und Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 4 f. 184 Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist richtigerweise auch bei GKV-Patienten privatrechtlicher Natur. Das kommt nunmehr auch in § 630a Abs. 1 BGB deutlich zum Ausdruck. So bereits zuvor BGHZ 76, 259, 261 = NJW 1980, 1452, 1453; NJW 1986, 2364 = MedR 1986, 321, 322; NJW 1987, 2289, 2290; Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 4 m.w.N. Damit ist die im Sozialrecht vertretene Gegenauffassung (sog. „Versorgungskonzeption“) überholt, vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 18 f.; BeckOK-BGB/Katzenmeier, 630a Rn. 17 und Rn. 47; ders., in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 13 m.w.N.; ders., NJW 2013, 817, 817 Fn. 11; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 1; Jauernig/Mansel, Vor § 630a Rn. 5; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415. A.A. Hauck, NJW 2013, 3334, 3336 f. 185 Grundlegend BVerfGE 7, 198, 205 ff.; vgl. a. BVerfGE 73, 261, 269 f. = NJW 1987, 827 f.; BVerfGE 84, 192, 194 f.; Stern/Sachs, Staatsrecht III/1, 1988, § 76, S. 1509 ff., 1543 ff.; 1561 ff; vgl. a. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 13, 33, Art. 1 Rn. 54 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 111 ff. und Rn. 240; Dreier, GG, Vorb. 98 m.w.N. 186 Vgl. Dreier, GG, Vorb. 99; näher zur Sittenwidrigkeit der Einwilligung Kap. 2 D I 6. 187 BVerfGE 73, 261, 269 f. = NJW 1987, 827 f.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 113 ff. Wie weit die Gerichte bei der Begründung ihrer zivilrechtlichen Entscheidungen den Grundrechten Rechnung tragen müssen und wann wegen der autonomen Gestaltung privatrechtlicher Beziehungen Zurückhaltung geboten ist, ist in den Einzelheiten umstritten, näher hierzu Dreier, GG, Vorb. 98 ff. m.w.N. 188 Vgl. Art. 1 Abs. 3 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG; grundlegend hierzu BVerfGE 4, 1, 7; BVerfGE 81, 132, 137 f. = NJW 1990, 1103 f.; BVerfGE 86, 59, 62 f. = NJW 1992, 1675 f. Vor diesem Hintergrund ist die höchst heterogene Rechtsprechung zur Einwilligungsfähig-

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2. Kapitel: Grundlagen

keit berührt zudem die grundrechtliche Schutzpflichtendogmatik. Aus dem objektiven Gewährleistungsgehalt der Grundrechte werden staatliche Pflichten zum Schutz des Einzelnen abgeleitet, die den Staat dazu anhalten, Verletzungen der grundrechtlichen Schutzgüter des Einzelnen durch Private entgegenzuwirken.189 Hieraus folgt etwa die Pflicht, die Voraussetzungen ärztlicher Zwangsmaßnahmen gesetzlich zu regeln.190 Auch in dieser Hinsicht wirken die Grundrechte gestaltend auf die Beziehung zwischen Arzt und Patient ein und bestimmen den Rahmen für die differenzierte Ausgestaltung des Selbstbestimmungsrechts im einfachen Recht.191 2. Verortung des Selbstbestimmungsrechts und des Fürsorgeprinzips Sowohl die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung als auch die staatlichen Fürsorgepflichten, nach denen sich die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit bestimmen, werden an je unterschiedlichen Stellen des Verfassungsrechts verortet.192 a) Die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung in den Grundrechten Die Grundrechte enthalten kein direktes Äquivalent der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung. Sie realisiert sich vielmehr in verschiedenen Grundrechten, die die elementaren Bedingungen für die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Entfaltung gewährleisten.193 Hierzu zählen das Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit und auf Freiheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie die Glaubens- und Gewissensfreiheit. aa) Allgemeines Persönlichkeitsrecht und körperliche Unversehrtheit Das Bundesverfassungsgericht hat das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht ursprünglich als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG verortet.194 Nunmehr leitet es die Selbstbestimkeit (Kap. 3 B) besonders kritisch zu sehen. Näher zur Grundrechtsbindung der Gerichte Dreier, GG, Art. 3, Rn. 62 ff. 189 Dreier, GG, Vorb. 101 ff. m.w.N.; mit Bezug zur Einwilligungsfähigkeit auch Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 351. 190 Vgl. BVerfG, NJW 2011, 2113, 2115 f.; 2011, 3571; BVerfGE 142, 313, 318 = NJW 2017, 53, 56 f. m. Anm. Dodegge = MedR 2017, 122, 125 f.; BVerfG, Urt. v. 24.07.2018 – 2 BvR 309/15, Näher zur Funktion der Grundrechte in Dreieckskonstellationen sowie zur verfassungsrechtlichen Schutzpflichtendogmatik Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 128 ff. und Rn. 133 ff. 191 Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 351. Die konkrete Ausgestaltung ist hingegen dem einfachen Recht vorbehalten, Katzenmeier, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 97 f. für die Aufklärungsdogmatik. Die Schutzpflichten binden zwar auch die Gerichte. In erster Linie adressieren sie jedoch den Gesetzgeber, dem bei der Ausgestaltung ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zukommt, vgl. Dreier, GG, Vorb. 102 m.w.N. 192 Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 829. 193 Sog. „Voraussetzungsgrundrechte“, vgl. Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 20 m.w.N. 194 BVerfGE 52, 131, 168 = NJW 1979, 1925, 1929 f.; Badura, Staatsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. C 34; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 350 f.; Nebendahl, MedR 2009, 197, 199.

C. Internationales Recht und Verfassungsrecht

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mung über den eigenen Körper und die eigene Psyche aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ab.195 Eine gewichtige Auffassung kombiniert beide Ansätze.196 bb) Die doppelte Verankerung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit ist vorzugswürdig Zwar unterstreicht auch das Bundesverfassungsgericht, dass Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – über den Wortlaut hinaus – nicht nur die physische, sondern auch die leiblichseelische Integrität des Menschen schützt.197 Nach einer gewichtigen Literaturansicht und Teilen der Rechtsprechung soll die seelische und psychische Integrität vom Gewährleistungsgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG aber nur eingeschränkt umfasst sein.198 Durch die zusätzliche Verortung in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG wird der Bezug zur Gesundheit und zur Psyche des Betroffenen klarer.199 cc) Aufladung durch die Glaubensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG Stützt der Patient seine Behandlungsentscheidung auf religiöse Gründe, sind die Gerichte bei der einzelfallbezogenen Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit auch an Art. 4 Abs. 1 GG gebunden.200 Die Religionsfreiheit schützt das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an seinem Glauben auszurichten und seiner religiösen Überzeugung gemäß zu handeln,201 was auch gesundheitsbezogene Entscheidungen einschließt.202 Entsprechend hat der Gesetzgeber die Einwilligungsfähigkeit weltanschaulich neutral auszugestalten.203 Das schließt insbesondere eine Bewertung der beispielsweise religiösen Motive des Patienten bei der Beurteilung der 195

Vgl. BVerfGE 89, 120, 130; BVerfGE 128, 282, 304 f.= NJW 2011, 2113, 2115 f.; NJW 2011, 3571; BVerfG, Urt. v. 24.07.2018 – 2 BvR 309/15; so bereits BVerfGE 52, 151, 173 f. = NJW 1979, 1925, 1930 f. abw. Votum; vgl. a. BeckOK-GG/Lang, GG, Art. 2 Rn. 58 und Rn. 63; Zuck, in: Quaas/Zuck/Clemens, § 2 Rn. 36: Art. 2 II 1 GG als konkretisiertes Selbstbestimmungsrecht für das Medizinrecht. 196 So etwa Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 S. 1 Rn. 204; Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 57 Rn. 15 ff.; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, 2015, Kap. V. Rn. 5 m.w.N.; ders., Bundesgesundheitsbl. 2012, 1093; Kirste, JZ 2011, 805, 806; Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 23; Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, 1997, S. 50 f. 197 BVerfGE 52, 131, 174 = NJW 1979, 1925, 1931 abw. Votum; zust. Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 33 ff. 198 Nur biologisch-physische Integrität: Isensee/Kirchhof/Müller-Terpitz, Hdb. d. StaatsR, 2009, § 147 Rn. 7 und Rn. 41 ff., insbes. Rn. 44; Spickhoff/Steiner, GG Art. 2 Rn. 13; diff. BVerfGE 56, 54, 75; Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 35 m.w.N.; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 55: alles, was psychisch-seelische Pathologien verursacht, insbes. nichtkörperliche Einwirkungen, die einem körperlichen Eingriff gleichzustellen sind, weil sie das Befinden des Menschen in einer Weise verändern, die der Zufügung von Schmerzen entspricht. 199 Vgl. oben Kap. 2 B II 2. 200 OLG München, NJW-RR 2002, 811 = MedR 2003, 174, 176; BVerfG, NJW 2002, 206, 207; Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, 2013, S. 51; Hessler, MedR 2003, 13, 17. 201 BVerfGE 32, 98, 106 f.; BVerfGE 33, 23, 28 f.; BVerfGE 41, 29, 49. 202 OLG München, NJW-RR 2002, 811 = MedR 2003, 174, 176. 203 Näher zur staatlichen Neutralitätspflicht Dreier, GG, Art. 4 Rn. 161 ff.

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2. Kapitel: Grundlagen

Einwilligungsfähigkeit aus.204 Zum Tragen kommt dies etwa bei der religiös motivierten Ablehnung von Bluttransfusionen durch Zeugen Jehovas,205 aber auch bei der medizinisch nicht indizierten Beschneidung (Zirkumzision).206 Während das Bundesverfassungsgericht bei religiös motivierten Behandlungsentscheidungen Art. 4 Abs. 1 GG als lex specialis anstelle des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts prüft, wird im Schrifttum vertreten, das Selbstbestimmungsrecht um eine religiöse Komponente zu erweitern, also gewissermaßen „aufzuladen.“207 Richtigerweise verdrängt Art. 4 Abs. 1 GG das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht nicht aus Spezialitätsgründen.208 Beide Gewährleistungen sind, anders als vom Bundesverfassungsgericht nahegelegt, nicht deckungsgleich. Der Patient wird seine Behandlungsentscheidung in der Regel nicht ausschließlich auf religiöse, sondern zusätzlich auch auf nicht-religiöse Gründe stützen.209 Im Ergebnis erscheint daher eine Erweiterung des über Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährten Schutzes um den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG vorzugswürdig.210 b) Grundrechtsimmanente Begrenzungen: Fürsorgeprinzip Unter welchen Voraussetzungen die Einwilligung dem Betroffenen rechtlich als selbstbestimmte und eigenverantwortliche Willensäußerung zugerechnet werden kann, lässt sich nicht pauschal beantworten. Der jeweilige Beurteilungsmaßstab ist vielmehr durch eine differenzierte Abwägung zu ermitteln.211 Neben gemeinwohlorientierten Aspekten wie der verfassungsmäßigen Ordnung und Rechten Dritter,212 sind hierfür, wie gezeigt, vor allem Fürsorgeerwägungen wesentlich.213 Die Dogmatik der Einwilligung in Gestalt von Wirksamkeitsvoraussetzungen, Reichweite und Grenzen spiegelt damit das komplexe Spannungsfeld grundlegender, verfassungsrechtlich geschützter Werte wider. Ebenso wie die verfassungsrechtliche Verortung des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts, wird auch der Ort 204

Dreier, GG, Art. 4 Rn. 161. Vgl. etwa OLG München, NJW-RR 2002, 811 = MedR 2003, 174, 176; aber auch Spickhoff/Spickhoff, TFG § 13 Rn. 17 ff.; Bender, MedR 1999, 260 ff.; ders., MedR 2000, 422 f.; Hessler/Glockentin, MedR 2000, 419 ff. 206 Das gilt nur, wenn sich der Beschnittene selbst hierfür entscheidet. Denn die stellvertretende Einwilligung der Eltern in die Beschneidung des männlichen Kindes, vgl. § 1631d BGB, stellt einen Eingriff in die körperliche Integrität und in das religiöse Selbstbestimmungsrecht des Kindes dar. Näher zur verfassungsrechtlichen Legitimation der Zirkumzision Dreier, GG, Art. 4, Rn. 80 ff. 207 So etwa Hessler, MedR 2003, 13, 17. 208 So auch Hessler, MedR 2003, 13, 17. 209 Hessler, MedR 2003, 13, 17. 210 Ausführlich hierzu Hessler, MedR 2003, 13, 17; vgl. zum Zusammenspiel von Art. 2, 4 und 6 GG auch LG Köln, NJW 2012, 2128 f. = MedR 2012, 680, 681 f. m. Anm. Kreße. 211 Grundlegend Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 40 ff.; vgl. a. Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 66; Damm, MedR 2015, 775, 783 und ders., MedR 2015, 231. 212 NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 4; Spickhoff, AcP 2008, 345, 346 f.; Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 823. Zu denken ist etwa an den Schutz des Rechtsverkehrs, Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 355 m.w.N., aber auch an die in § 228 StGB normierte Sittenwidrigkeitsgrenze. 213 NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 4; Spickhoff, AcP 2008, 345, 346 f. m.w.N.; Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 823. Ausführlich hierzu Kap. 2 B. 205

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seiner fürsorgerisch motivierten Grenzen nicht einheitlich beurteilt. Hierbei ist es zweckmäßig zwischen Minderjährigen und Volljährigen zu differenzieren. aa) Fürsorgerische Grenzen des Selbstbestimmungsrechts Volljähriger Die fürsorgerische Begrenzung des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts volljähriger Patienten wird auf unterschiedliche Erwägungen gestützt. Neben dem Sozialstaatsprinzip (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG), wird der Schutz der körperlichen Integrität und des Lebens des Betroffenen vor sich selbst (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) angeführt. Vor allem Amelung aber auch Merkel sehen die Grundlage fürsorgerisch motivierte staatliche Eingriffe in das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht volljähriger Patienten in Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG.214 Hiernach ist ein Erwachsener erst dann als einwilligungsunfähig zu erachten, wenn er an einem Defekt leidet, der so schwerwiegend ist, dass er hierdurch an einem menschenwürdiges Dasein gehindert ist.215 Die überwiegende und vorzugswürdige Auffassung begründet die Mindestanforderungen an die Einwilligungsfähigkeit hingegen mit den staatlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.216 Die nicht unumstrittene Rechtsfigur des „Schutz des Einzelnen vor sich selbst“, die ebenso wie die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verortet wird, stellt sicher, dass die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall nicht zu niedrig liegen.217 bb) Fürsorgerische Grenzen des Selbstbestimmungsrechts Minderjähriger Das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht minderjähriger Patienten ist immanent durch das Elterngrundrecht begrenzt.218 Mit zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit des Minderjährigen und der hiermit einhergehenden abnehmenden Pflege- und Erziehungsbedürftigkeit tritt das elterliche Sorgerecht jedoch in seinem Anwendungsbereich mehr und mehr hinter den Grundrechten des Kindes zurück.219 214

Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 827 f.; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 24. Krit. hierzu Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 88 aber auch Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 351. 215 Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 827 f.; so auch NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 24. Krit. hierzu Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 88; näher zur Schranke der individuellen Dispositionsbefugnis aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG, Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, 2013, S. 61 ff. 216 So etwa Hessler, MedR 2003, 13, 14 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 487 f. und Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 38 f. 217 Näher hierzu Kap. 4 B I 1. 218 Dreier, GG, Art. 6, Rn. 161. 219 BVerfGE 24, 119, 144 f. = NJW 1968, 2233, 2235; BVerfGE 59, 360, 382 = NJW 1982, 1375, 1377; OLG Frankfurt a.M., NJW 2007, 3580, 3581; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 52; Dreier, GG, Art. 6, Rn. 162; Katzenmeier/Schmitz-Luhn, in: FS Fischer, 2010, S. 121 f.; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 420 ff., insbes. 423; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl. 2010, § 57 Rn. 25 ff.; Dethloff, Familienrecht, 32. Aufl. 2018, § 9 Rn. 3; Schwab, Familienrecht, 27. Aufl. 2019, § 69 Rn. 834. Eine weitere, allerdings nicht fürsorgerisch begründete Begrenzung des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrecht bildet das religiöse Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 4 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, aus dem u.a. die Befugnis in die Knabenbeschneidung einzuwilligen, hergeleitet wird,

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2. Kapitel: Grundlagen

Das gilt insbesondere bei Entscheidungen, die das Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen im Kern berühren.220 Dogmatisch folgt diese an den Fähigkeiten des Kindes ausgerichtete Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Kindes aus der Natur des Elterngrundrechtes. Letzteres ist als pflichtgebundenes, dienendes Grundrecht ausgestaltet. Es steht den Eltern nicht im eigenen, sondern im Interesse des Kindes als fremdnütziges Recht zu und berechtigt und verpflichtet sie zur Förderung des Kindeswohls.221 Als weitere fürsorgerisch motivierte Beschränkung des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts tritt, wie bei Volljährigen, die objektive Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hinzu. c) Weitere Schranken, insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG Daneben hat das Bundesverfassungsgericht in einer vereinzelt gebliebenen und zu Recht kritisierten Entscheidung das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht einer volljährigen Patientin durch Art. 6 Abs. 1, 2 GG begrenzt.222 Die Patientin und Klägerin, die der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehörte, lehnte vor einer anstehenden Krankenhausbehandlung mittels Patientenverfügung eine Bluttransfusion aus religiösen Gründen ab. Nach Beginn der Krankenhausbehandlung verschlechterte sich ihr Zustand erheblich. Eine Bluttransfusion wurde erforderlich. Der Ehemann, der selbst kein Zeuge Jehovas war, wurde nach Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit der Klägerin als Betreuer bestellt und willigte entgegen der insoweit eindeutigen Patientenverfügung in die Bluttransfusion ein. 223 Das Bundesverfassungsgericht sah die Grundrechte der Klägerin verfassungsimmanent durch die Pflicht der Patientin zum Schutz der Familie hinsichtlich des Ehemannes (Art. 6 Abs. 1 GG) und zur Wahrung des Kindeswohls (Art. 6 Abs. 2 GG) beschränkt und verneinte eine Grundrechtsverletzung durch die Betreuerbestellung.224 Eine verfassungsimmanente Beschränkung des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts Volljähriger aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG ist abzulehnen. In der Konsequenz liefe sie auf eine Pflicht zum Weiterleben hinaus, die sich grundrechtsdogmatisch nicht begründen lässt. 225 Art. 6 Abs. 1 und 2 GG enthalten zwar auch objektive Schutzpflichten zum Schutz von Ehe, Familie und Kindeswohl. Beide Gewährleistungen kämen aber nur dann zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen in Betracht, wenn die religiöse Gesundheitsentscheidung der Klägerin den Gewährleistungsgehalt des Art. 6 GG berührt hätte. Schon wegen der fehlenden unmittel-

vgl. § 1631d BGB. Die Einzelheiten sind umstritten. Instruktiv hierzu MüKoBGB/Huber, § 1631d Rn. 19 ff.; vgl. a. LG Köln, NJW 2012, 2128 f. = MedR 2012, 680, 681 m. Anm. Kreße und Spickhoff, FamRZ 2013, 337, 339 f. 220 Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423; ähnlich auch Coester-Waltjen, MedR 2012, 552, 559. 221 Dreier, GG, Art. 6, Rn. 141 f. m.w.N.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 189; Hoffmann, NZFam 2015, 985, 988; Heiß, NZFam 2015, 491, 491 f.; Heilmann, NJW 2014, 2904, 2907. In diesem Rahmen haben die Eltern insbes. die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes zu unterstützen, Dreier, GG, Art. 6, Rn. 141 f. m.w.N. Krit. hierzu Isensee/Kirchhof/Höfling, Hdb. d. StaatsR, 2009, § 155 Rn. 45 ff. 222 BVerfG, NJW 2002, 206, 207. 223 BVerfG, NJW 2002, 206. 224 BVerfG, NJW 2002, 206, 207. 225 Isensee/Kirchhof/Müller-Terpitz, Hdb. d. StaatsR, 2009, § 147 Rn. 39.

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baren Grundrechtsbindung Privater226 können sich Ehegatten und Kinder nicht auf etwaige, die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung beschränkenden Rechte oder Pflichten aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG berufen.227 Weder aus der Natur der Ehe,228 noch aus der hieraus folgenden Pflicht zur gegenseitigen Beistandspflicht und Rücksichtnahme lässt sich herleiten, dass das Recht des Einzelnen, über seine Gesundheit frei zu bestimmen, während des Bestehens der Ehe und des Zusammenlebens als Familie durch konfligierende Interessen des Ehegatten und der Kinder beschränkt ist.229 3. Grundrechtsmündigkeit Vor allem bei minderjährigen Patienten wird als weitere Begrenzung des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts die Grundrechtsmündigkeit diskutiert.230 Unbestritten ist, dass der Mensch jedenfalls ab seiner Geburt unabhängig von seinen individuellen Fähigkeiten Träger der Menschenwürdegarantie, der körperlichen Unversehrtheit, des Lebensrechts und individueller Freiheitsgewährleistungen ist.231 Hiervon ist auch das gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrecht umfasst. In der Literatur wird prominent vertreten, dass Minderjährige ihr gesundheitsbezogenes Selbstbestimmungsrecht erst dann selbständig ausüben und wahrnehmen können, wenn sie bestimmte Anforderungen erfüllen, d.h. grundrechtsmündig sind.232 Die Grundrechtsmündigkeit wird somit von der Grundrechtsinhaberschaft differenziert und entweder an bestimmte Altersstufen oder spezielle Fähigkeiten geknüpft.233 Insgesamt wird sie sehr uneinheitlich beurteilt.234 Während die Grundrechtsmündigkeit vor allem im zivil- und strafrechtlichen Schrifttum umfassend als Grundrechtsausübungsfähigkeit verstanden wird, wird sie in der verfassungsrecht226

Vgl. Kap. 2 C II 1. Maunz/Dürig/Badura, GG Art. 6 Rn. 14 m.w.N.; Hessler, MedR 2003, 13, 17. 228 Die im Übrigen nicht auf Lebenszeit angelegt sein muss, vgl. Dreier, GG, Art. 6, Rn. 89 f. 229 Näher zum Ganzen Hessler, MedR 2003, 13, 18; Ulsenheimer, in: FS Eser, 2005, S. 1229. 230 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 827; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 57 m.w.N.; Damm, MedR 2015, 775, 776. Krit. hierzu Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 13. 231 Vgl. BVerfGE 24, 119, 144 = NJW 1968, 2233, 2235; BVerfGE 47, 46, 73 = NJW 1978, 807, 809; BVerfGE 58, 208, 225 = NJW 1982, 691, 692 f.; BVerfGE 79, 51, 63 f. = NJW 1989, 519, 520; BGHZ 35, 1, 8 = NJW 1961, 1397, 1398; Dreier, GG, Art. 1 I, Rn. 67 m.w.N. Zum potenziell kontrafaktischen Moment, dass dieser fähigkeitsunabhängigen Zuschreibung innewohnt Neumann, in: Klug/Kriele (Hrsg.), Menschen- und Bürgerrechte, 1988, S. 143 f. 232 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 827; so auch angedeutet bei Nebendahl, MedR 2009, 197, 199. Krit. hierzu Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 13; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 352 f.; ders., FamRZ 2018, 412 f. 233 Vgl. nur Stern/Sachs, Staatsrecht III/1, 1988, § 70 IV 1, S. 1045 ff.; Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 827; Nebendahl, MedR 2009, 197, 199. Für einen Überblick S. Dreier, GG, Vorb. Rn. 112. 234 Die überwiegende Ansicht plädiert für eine Orientierung an einfachgesetzlichen Altersgrenzen, während andere einen fähigkeitsbezogenen Ansatz bevorzugen, näher hierzu Kap. 3 C I. sowie Dreier, GG, Vorb. Rn. 112. 227

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2. Kapitel: Grundlagen

lichen Literatur überwiegend mit der Prozessfähigkeit im Rahmen der Verfassungsbeschwerde gleichgesetzt.235 Richtigerweise ist die Grundrechtsmündigkeit prozessual zu verstehen. Anhaltspunkte für das Erfordernis einer darüber hinausgehenden, allgemeinen Grundrechtsausübungsfähigkeit finden sich weder im Grundgesetz, noch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.236 Verfassungsrechtlich gesehen ist im Verhältnis zum Staat vielmehr jeder Grundrechtsträger, unabhängig von seinem Alter und seinen konkreten Fähigkeiten zur selbständigen Grundrechtsausübung berechtigt.237 Eine andere Frage ist, inwieweit insbesondere jüngere Minderjährige hierzu auch imstande sind.238 Wird die Grundrechtsausübung an ein gewisses Fähigkeitslevel gebunden, müssten zudem auch volljährige Patienten mit krankheits-, behinderungs- oder zustandsbedingt eingeschränkten Fähigkeiten grundrechtsunmündig sein können.239 Dieser Schluss wird in der Diskussion aber nur selten gezogen.240 Auf Bedenken stößt zudem, dass die Gegenauffassung die Grundrechtsmündigkeit bei der gesundheitsbezogen Selbstbestimmung im Ergebnis mit der Einwilligungsfähigkeit gleichsetzt.241 Zum Teil wird hieraus gefolgert, dass die Definition und Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit keinen Grundrechtseingriff darstelle,242 was wesentlichen Grundsätzen der Grundrechtsdogmatik widerspricht. Wird die Fähigkeit, grundrechtlich gewährleistete Freiheiten auszuüben einfachrechtlich ausgestaltet und an bestimmte, eingrenzende Voraussetzungen gebunden, liegt hierin bereits deshalb ein Grundrechtseingriff, weil ihr verfassungsrechtlicher Gewährleistungsgehalt verkürzt wird.243 Eine materielle Eingrenzung des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts durch die Figur der Grundrechtsmündigkeit ist damit abzulehnen. 4. Gehalt des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts Wichtigste Ausprägung des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts ist die Dispositionsbefugnis über die eigenen Rechtsgüter, die dem Einzelnen in den 235

Vgl. Dreier, GG, Vorb. Rn. 114 m.w.N.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 191 f.; weitergehend Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 13, der den Begriff der Grundrechtsmündigkeit im Ergebnis auch prozessrechtlich als überflüssig ablehnt. 236 Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 13. 237 Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 13 m.w.N.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 187; vgl. a. Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 551. 238 So auch Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 13. 239 Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 13. Näher zu dieser Differenzierung Kap. 5 D. 240 Vgl. etwa Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 130 ff. und Mayr, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 52, der es nicht nur bei kleineren Kindern, sondern auch bei Volljährigen, deren Selbstbestimmungsfähigkeit vollständig aufgehoben ist, für „naheliegend“ hält, „wegen des Fehlens der Fähigkeit zur Selbstbestimmung (…) einen Eingriff in ihr Selbstbestimmungsrecht bei Regulierung ihres Verhaltens zu verneinen.“ 241 So etwa Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 827; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 124; vgl. a. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 1 Abs. 3, Rn. 210; Dreier, GG, Vorb. Rn. 113 f. 242 Vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 130 f. Krit. hierzu auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412 f. m.w.N. 243 Vgl. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 13 aber auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 413. A.A. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 130 f.

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Grenzen der Rechtsordnung ein Letztentscheidungsrecht über die eigene körperliche und seelische Integrität gewährt.244 Das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht umfasst nicht nur die positive Freiheit, sich nach gebotener Aufklärung für einen medizinischen Eingriff zu entscheiden, selbst wenn dieser nur schwach oder gar nicht indiziert ist;245 als negative Freiheit folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht auch ein „Recht zur Krankheit“, dass es dem Patienten grundsätzlich ermöglicht, auch dringend gebotene Heilbehandlungen verbindlich abzulehnen.246 Gestützt wird diese Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht, das die leiblich-seelische Integrität in ständiger Rechtsprechung „zum ureigensten Bereich der Personalität des Menschen“ zählt, innerhalb dessen „er aus Sicht des Grundgesetzes frei (ist), seine Maßstäbe zu wählen und nach ihnen zu leben und zu entscheiden.“247 Ein von der Einwilligung des Patienten unabhängiges Behandlungsrecht des Arztes, das aus der Indiziertheit der Maßnahme folgt, wäre mit dem so verstandenen, freiheitsrechtlichen Charakter der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung unvereinbar.248 Der hohe Stellenwert der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung liegt nicht zuletzt im starken Würdegehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG begründet.249 Gesundheit und Körper sind in ihrer basalen Ausgestaltung eine notwendige Bedingung des Lebens an sich. Sie betreffen den Kernbereich der Persönlichkeit und bilden die Basis der individuellen Entfaltung des Einzelnen und von Selbstbestimmung überhaupt.250 Das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht bezieht sich nicht nur auf die biologisch-physische Integrität des Körpers, sondern auch auf die Gesundheit und die psychisch-seelische Verfasstheit des Einzelnen.251 Nicht umfasst sind das soziale Wohlbefinden oder die Abwesenheit von Unlustgefühlen, so dass der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt insoweit hinter der von der WHO vertretenen, umfassenden Definition von Gesundheit als „Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ zurückbleibt.252 244

Näher hierzu Kap. 1 B I 2 a) aa) und bb). Näher zur Indiziertheit als Vss. rechtmäßigen ärztlichen Handelns Voigt, Individuelle Gesundheitsleistungen, 2013, S. 70 ff. 246 Insofern kommt dem Einzelnen sowohl ein „positives Bestimmungsrecht“ als auch ein „negatives Abwehrrecht“ über die eigene körperliche und psychische Integrität zu, vgl. Lorenz, NZFam 2017, 782; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 472 („Freiheit zur Krankheit“ als Ausprägung des positiven Bestimmungsrechts). Nach st. Rspr. kommt auch psychisch erkrankten Personen, deren tatsächliche Fähigkeiten krankheitsbedingt eingeschränkt sind, in gewissem Rahmen eine „Freiheit zur Krankheit“ zu, vgl. statt vieler BVerfGE 128, 282, 304 m.w.N. = NJW 2011, 2113, 2115 f. Das hat zur Folge, dass ärztliche Maßnahmen gegen den (natürlichen) Willen des Betroffenen nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 1631b, 1906, 1906a BGB zulässig sind. Näher hierzu Kap. 9 D. 247 BVerfGE 52, 131, 175 = 1979, 1925, 1931 abw. Votum. 248 Grundlegend hierzu RGSt 25, 375, 379; s.a. BGHZ 29, 46, 49 = NJW 1959, 811, 812. 249 Dreier, GG, Art. 2 II, Rn. 20; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 484. 250 Dreier, GG, Art. 2 II, Rn. 20 m.w.N.; Woopen, in: Sturma/Heinrichs (Hrsg.), Hdb. d. Bioethik, 2014, S. 280; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 401 f. 251 Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 33; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 55; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 472. Krit. hierzu Kloepfer, VerfR II, 2010, § 57 Rn. 8. 252 Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 472; enger Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 33; Maunz/ Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 55. A.A. BVerwG, NJW 1995, 2648, 2649. 245

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2. Kapitel: Grundlagen

III. Fazit Das Selbstbestimmungsrecht im Gesundheitsbereich ist sowohl im internationalen Recht geschützt als auch verfassungsrechtlich „doppelt“ in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankert. Auch die psychisch-seelische Integrität ist vom Schutzbereich umfasst. Eine fürsorgerisch begründete Begrenzung erfährt es insbesondere durch das Patientenwohl und die objektive Schutzpflicht des Staates zum Schutz der körperlichen Integrität aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Bei Minderjährigen tritt das pflichtgebundene elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 1, 2 GG als weitere Begrenzung hinzu, die jedoch mit zunehmendem Entwicklungsstand des Minderjährigen zurück tritt. Eine weitergehende Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts durch das Erfordernis der Grundrechtsmündigkeit im Sinne einer Grundrechtsausübungsfähigkeit ist abzulehnen. Wesentlicher Gehalt der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung ist die über das Einwilligungserfordernis einfachrechtlich gewährleistete Dispositionsbefugnis über die eigene körperliche und seelische Integrität und Gesundheit. Die für die Einwilligungsfähigkeit wesentlichen Aspekte der Einwilligungsdogmatik werden im Folgenden überblicksartig dargestellt.

D. Dogmatik der informierten Einwilligung D. Dogmatik der informierten Einwilligung

Neben den Wirksamkeitsvoraussetzungen und -grenzen der informierten Einwilligung (I.), ist die Einwilligungsfähigkeit von der Geschäftsfähigkeit abzugrenzen und die Rechtsnatur der Einwilligung zu klären (II.).

I. Die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Behandlungseinwilligung Die gesundheitsbezogene Einwilligung ist wirksam, wenn sie nach ordnungsgemäßer ärztlicher Aufklärung freiwillig und rechtzeitig vor dem Eingriff vom einwilligungsfähigen Berechtigten ausdrücklich oder konkludent erklärt wurde und weder widerrufen wurde noch aus sonstigen Gründen unwirksam ist. 1. Erklärung der Einwilligung durch den Einwilligungsberechtigten Vor Durchführung der Behandlung hat der Arzt die Einwilligung des zu behandelnden Patienten einzuholen, soweit dieser einwilligungsfähig ist.253 Der Patient kann seine Zustimmung ausdrücklich oder konkludent erklären. 254 Die vor allem im

253

§ 630d Abs. 1 S. 1 BGB. Patient i.S.v. § 630d Abs. 1 BGB ist nach einhelliger Auffassung v.a. beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nicht derjenige, den die Vergütungspflicht trifft (vgl. § 630a Abs. 1 BGB), sondern derjenige, der tatsächlich behandelt wird, vgl. Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 10 m.w.N.; Hebecker/Lutzi, MedR 2015, 17 ff. 254 BGH, NJW 1956, 1106, 1107; BGHZ 29, 176, 180 f. = NJW 1959, 814; BGHSt 12, 379, 382 = NJW 1959, 825; BGH, NJW 1961, 261, 262; BGHSt 17, 359, 360 = NJW 1963, 165; ders., in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 10; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 32a. m.w.N.;

D. Dogmatik der informierten Einwilligung

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Strafrecht vertretene Auffassung, die Einwilligung müsse als rein innerer Vorgang nicht nach außen kundgegeben werden,255 gilt im Medizinrecht spätestens seit Einführung des § 630d Abs. 1 BGB als überholt, da § 630d BGB voraussetzt, dass die Behandlerseite den Eingriff in Kenntnis der Einwilligung des Patienten vornimmt.256 Die Behandlungseinwilligung ist vom Abschluss des Behandlungsvertrages zu unterscheiden, der das gesamte Behandlungsgeschehen betrifft und mehrere Maßnahmen umfassen kann, über die der Betroffene jeweils gesondert zu entscheiden hat.257 Ist der Patient einwilligungsunfähig, hat der Arzt die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung die fragliche Maßnahme gestattet oder untersagt.258 Die Behandlungseinwilligung ist nicht formgebunden; die antizipierte Einwilligung im Rahmen einer Patientenverfügung unterliegt der Schriftform.259 2. Vorherige Selbstbestimmungsaufklärung Vor Erteilung der Einwilligung sind der Patient sowie, im Falle seiner Einwilligungsunfähigkeit, der hierzu Berechtigte über die wesentlichen Umstände der Behandlung aufzuklären.260 Das Aufklärungserfordernis ist als Besonderheit des Medizinrechts dem typischerweise bestehenden Informationsgefälle zwischen Arzt und Patient geschuldet. Es soll den Patienten in die Lage versetzen, sein Selbstbestimmungsrecht wirksam auszuüben.261 Die Aufklärung muss nicht nur vollständig und in verständlicher Sprache, sondern auch rechtzeitig erfolgen, was einzelfallbezogen zu beurteilen ist.262 Eine fehlerhafte Aufklärung führt zur Unwirksamkeit der Einwilligung und damit grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit des Eingriffs mit der Folge, dass der Arzt, soweit ihn ein Verschulden trifft, grundsätzlich für alle Schadensfolgen haftet.263 Jedoch kann im Einzelfall unter Wertungsgesichtspunkten der Schroth, in: FS Volk, 2009, S. 723; Lackner/Kühl/Kühl, § 228 Rn. 6; Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 71. 255 Vgl. nur Göbel, Einwilligung im Strafrecht, 1992, S. 135 ff. und Rönnau, Jura 2002, 665, 666. 256 § 630d Abs. 1 S. 1 BGB; s.a. Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 73; Lackner/Kühl/Kühl, § 228 Rn. 9. Ausführlich zum Kundgabeerfordernis Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 327 ff. 257 NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 63. 258 § 630d Abs. 1 S. 2 BGB. Näher hierzu Kap. 9 B II und III. 259 § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB. Zu weiteren, spezialgesetzlichen Schriftformerfordernissen, die nach § 630d Abs. 1 S. 3 BGB ausdrücklich unberührt bleiben sollen, vgl. BeckOKBGB/Katzenmeier, § 630d Rn. 21; ders., in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 10. 260 § 630e Abs. 1 S. 1 BGB; NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 14; näher hierzu Kap. 4 A I 3 und II 1. Krit. zur Ausgestaltung des § 630e Abs. 1 BGB BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 9. 261 Vgl. Kap. 4 A I 3 b). 262 § 630e Abs. 2 S. 1 BGB. Näher hierzu Kap. 9 B I 1 und Kap. 4 A II 1 b). 263 Nach st. Rspr. sind medizinische Eingriffe, unabhängig von ihrer Zweckrichtung als tatbestandsmäßige Körperverletzung zu werten (grundlegend RGSt 25, 375, 378 f.; vgl. a. die Nachw. in Kap. 10 A Fn. 36). Ist der Eingriff nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gedeckt, etwa in Folge unvollständiger oder sonst fehlerhafter Aufklärung, ist hiernach nicht nur das Selbstbestimmungsrecht, sondern auch der Körper des Patienten verletzt. Krit. hierzu Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, Kap. XI § 63 Rn. 2; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 112 ff. und S. 356 ff.

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2. Kapitel: Grundlagen

Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Aufklärungsmangel und Gesundheitsverletzung entfallen, wenn der konkrete Mangel vom Schutzzweck der Aufklärungspflicht nicht umfasst ist.264 Die Einzelheiten sind stark umstritten und von einer kaum noch überschaubaren Kasuistik geprägt.265 Daneben kann sich der Arzt auf die hypothetische Einwilligung des Patienten berufen.266 Diesen Einwand des pflichtgemäßen Alternativverhaltens kann der Patient entkräften, wenn er plausibel geltend macht, dass er sich vor dem Hintergrund seiner individuellen Lebensführung bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte.267 3. Freiwilligkeit Die Behandlungseinwilligung muss schließlich freiwillig erteilt werden.268 Eine heteronome Beeinflussung des Einwilligenden durch Zwang, Gewalt, Drohung und arglistige Täuschung führt in der Regel zur Unwirksamkeit.269 Schwieriger zu beurteilen ist hingegen, unter welchen Umständen auch einfache Irrtümer des Einwilligenden, die nicht durch arglistige Täuschung verursacht wurden, zur Unwirksam264

Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kap. V Rn. 66 ff., insbes. 68. Entgegen einer verbreiteten und zum Teil von den Obergerichten rezipierten Ansicht (vgl. etwa OLG Karlsruhe, NJW 1983, 2643; MedR 2003, 104, 105 sowie die Nachw. bei Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 63 Rn. 5 ff., insbes. Rn. 8), bejaht der BGH den Zurechnungszusammenhang nicht nur dann, wenn sich der Risikotyp, über den der Arzt pflichtwidrig nicht aufgeklärt hat, auch verwirklicht hat. Der BGH geht vielmehr, im Grundsatz zutreffend, von der Unteilbarkeit der Selbstbestimmungsaufklärung aus (vgl. BGHZ 90, 96, 101 f. = JZ 1984, 629, 630 f. m. zust. Anm. Kern/Laufs; BGHZ 106, 391, 398 f. = NJW 1989, 1533 m. Anm. Deutsch; NJW 1991, 2346, 2347; so auch OLG Köln, MedR 2012, 121, 122 m. Anm. Steffen). Realisiert sich nach fehlerhafter Aufklärung ein nicht aufklärungspflichtiges Risiko, kann nach vorzugswürdiger Ansicht der Zurechnungszusammenhang nur dann entfallen, wenn der Patient wenigstens eine Grundaufklärung erhalten hat, so BGHZ 106, 391, 398 f. = NJW 1989, 1533, 1535; ähnlich auch BGH, NJW 1991, 2346, 2347 = MedR 1991, 331, 332; NJW 1996, 777; 2001, 2798; ausführlich hierzu Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 63 Rn. 5 ff., insbes. Rn. 8 und Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kap. V Rn. 66 ff., jeweils m.w.N. 266 § 630h Abs. 2 S. 2 BGB. Näher hierzu Kap. 10 B. 267 St. Rspr., vgl. nur BGH, NJW 1984, 1397, 1398 f. m. Anm. Deutsch; NJW 1994, 799, 801; NJW 1998, 2734; NJW 2010, 3230, 3232 = MedR 2011, 242, 243; NJW 2015, 75, 76. Näher hierzu Laufs, in: ders/Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 63 Rn. 3 und BeckOKBGB/Katzenmeier, § 630h Rn. 38 m.w.N. 268 BeckOGK/Spindler, § 823 Rn. 86; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 31 und NKStGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 17a und Rn. 22 m.w.N. Besonders problematisch ist die Freiwilligkeit bei Einwilligungen in staatliche Grundrechtsbeeinträchtigungen (etwa im Rahmen der Blutuntersuchung nach § 81a StPO). Näher hierzu Amelung, Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, 1981; ders., in: Rüthers/Stern (Hrsg.), Freiheit und Verantwortung, 1984, S. 16 ff. und Kolz, Einwilligung und Richtervorbehalt, 2006, S. 58 ff. 269 BGHSt 16, 309, 310 (Irrtum); BGH, NStZ 2004, 442 (Täuschung); OLG Nürnberg, VersR 1988, 299, 300 (Täuschung); BeckOGK/Spindler, § 823 Rn. 86; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 31; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 22; Lackner/Kühl/Kühl, § 228 Rn. 8; so für die Behandlungseinwilligung auch NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 110 m.w.N.; NKStGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 73; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 385 f.; Giesen, in: Korff u.a. (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Bd. 1, 1998, S. 540. 265

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keit der Einwilligung führen können.270 Wann ein irrtumsbedingtes Autonomiedefizit so erheblich ist, dass nicht mehr von einer freiwilligen und damit dem Einwilligenden als selbstbestimmt zurechenbaren Willensäußerung gesprochen werden kann, wird in der Literatur sehr uneinheitlich beurteilt.271 Während eine gewichtige Auffassung nur solche Irrtümer für maßgeblich hält, die die Grundlagen des Beurteilungs- und Abwägungsprozesses, der zur Einwilligung geführt hat, verzerrt haben,272 hält die vorzugswürdige Gegenauffassung jeden Irrtum für relevant, der Wesen, Bedeutung und Tragweite der eigenen Erklärung betrifft und von gewisser Erheblichkeit ist.273 Das entspricht auch der Rechtsprechung zur Behandlungseinwilligung, wonach der Patient Art, Bedeutung und Folgen des Eingriffs zumindest in seinen Grundzügen erkannt haben muss, der Patient also im Wesentlichen wissen muss, in was er einwilligt.274 4. Weitergehende Anforderungen an die Behandlungseinwilligung Das Kindschaftsrecht,275 das Betreuungsrecht, die PsychKG der Länder aber auch das GenDG276 enthalten weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung im Gesundheitsbereich.277 Neben den Beratungsanforderungen des GenDG278 bedarf etwa die stellvertretende Behandlungseinwilligung des Betreuers oder Bevollmächtigten nach §§ 1904 ff. BGB in bestimmten Fällen der Genehmigung des Betreuungsgerichts.279 270

Grds. bejahend BGH, NJW 1964, 1177, 1178; BGH, NStZ 2004, 442; BeckOGK/Spindler, § 823 Rn. 86; NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 110 m.w.N.; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 385 f. sowie aus strafrechtlicher Sicht NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 73 m.w.N. Die Gegenansicht, die dem Einwilligenden nur ein Anfechtungsrecht analog §§ 119 ff. BGB zugesteht (so etwa Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 7 aber auch Klose/Straub, MedR 2019, 714, 718 f.), ist mit den Besonderheiten der Behandlungseinwilligung unvereinbar. 271 Näher hierzu NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 22 und Schroth, in: FS Volk, 2009, S. 731 ff. sowie aus zivilrechtlicher Sicht Ohly, in: FS Jakobs, 2007, S. 464 ff. Ausführlich zur Freiwilligkeit der Behandlungseinwilligung Groß/Joschko, GuP 2019, 91, 92 ff., die insbesondere die Auswirkungen chronischen Leidensdrucks auf die Freiwilligkeit der Entscheidung diskutieren. 272 NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 22. 273 Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 76 m.w.N.; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 913. 274 St. Rspr., vgl. BGH, NJW 1984, 1397, 1398; NJW 2000, 1784, 1786; NJW 2011, 375 = MedR 2011, 244 m. Anm. Jaeger; NJW-RR 2017, 533, 534; s.a. Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, Kap. XI § 59 Rn. 5; Staudinger/Hager § 823 Rn. I 76 m.w.N.; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 327 m.w.N.; ders., in: BeckOK-BGB, § 630e Rn. 11; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 913; grundlegend Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 356 ff.; zur Freiwilligkeit der Einwilligung in eine Lebendorganspende, vgl. Hillenkamp, MedR 2016, 109 ff. 275 § 1631b BGB. 276 § 10 Abs. 2 GenDG. 277 § 630d Abs. 1 S. 3; s.a. BT-Drs. 17/10488, S. 23; Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 37. 278 Vgl. § 10 Abs. 2 GenDG, näher hierzu Vossenkuhl, Der Schutz genetischer Daten, 2013, S. 78 ff. 279 Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 24; Hk-BGB/Schreiber, § 630d Rn. 4; Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 5; NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 12; näher hierzu Kap. 9 B III 2 b) bb) und D II 4.

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2. Kapitel: Grundlagen

5. Kein Widerruf der Einwilligung Die Einwilligung kann jederzeit ohne Angabe von Gründen formlos gegenüber der Behandlerseite widerrufen werden.280 Das folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten.281 Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich die Einschätzung der eigenen Interessen wandeln kann.282 Zum Schutz des Erklärungsgegners wirkt der Widerruf nicht zurück, sondern lediglich ex nunc ab dem Zeitpunkt, in dem er dem Erklärungsgegner zugeht.283 Der Behandlerseite können bei besonders kurzfristigem Widerruf Schadensersatzansprüche zustehen.284 Der Widerruf kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden, wobei bei konkludenter Erklärung der Widerrufswille unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden muss.285 Hat der Patient die Einwilligung in einer schwierigen Situation erteilt, kann der Arzt verpflichtet sein, sich zu vergewissern, ob der geplante Eingriff nach wie vor dem Willen des Patienten entspricht.286 6. Dispositionsbefugnis und fehlende Sittenwidrigkeit Aus dem Selbstbestimmungsrecht folgt die grundsätzliche Befugnis des Einzelnen über seine Rechtsgüter, genauer den rechtlichen Schutz dieser Güter, in den von der Rechtsordnung vorgegebenen Grenzen zu disponieren.287 Die Dispositionsbefugnis entfällt jedoch regelmäßig dann, wenn der spezifische Rechtsgüterschutz neben 280

§ 630d Abs. 3 BGB; BT-Drs. 17/10488, S. 24. So bereits BGH, NJW 1980, 1903; NJW 2005, 2385, 2386 m.w.N.; Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 5 m.w.N.; HkBGB/Schreiber, § 630d Rn. 7; NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 17 sowie aus strafrechtlicher Sicht Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 527 f.; Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 79; NKStGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 89. Das Widerrufsrecht kann richtigerweise nicht nur gegenüber dem Vertragspartner ausgeübt werden, sondern auch gegenüber jeder anderen tatsächlich behandelnden Person, BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d Rn. 29; Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 7. 281 BT-Drs. 17/10488, S. 24; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d Rn. 29. 282 vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 527. 283 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d Rn. 29; BT-Drs. 17/10488, S. 41. A.A. Göbel, Einwilligung im Strafrecht, 1992, S. 138 ff.: Wirkung ex tunc. Richtigerweise kann der Patient seine Einwilligung auch noch während des Eingriffs widerrufen, soweit ein Abbruch medizinisch möglich ist, Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 110 m.w.N. A.A. Tempel, NJW 1980, 609 614. Zu den Aufklärungspflichten des Arztes beim Widerruf nach Eingriffsbeginn NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 89. 284 Etwa wegen kostspieliger Vorbereitungsmaßnahmen oder bei erfolgloser Neuvergabe des Operationstermins, näher hierzu Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 5 m.w.N. Eine allgemeine Stornogebühr bei Absage des OP-Termins ist demgegenüber mit den Besonderheiten des Arzt-Patienten-Verhältnisses unvereinbar und daher unzulässig, vgl. AG München, MedR 2017, 325, 327. 285 Staudinger/Hager, 2009, BGB § 823 Rn. I 110. Ein bloßes Sträuben des Patienten gegen den Eingriff unter Schockwirkung oder aus Angst genügt hierfür regelmäßig nicht, NKStGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 89 m.w.N.; Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 110; vgl. a. OLG Köln, MDR 2019, 671. Zur Frage, inwieweit eine Einwilligung auch durch den nach § 630d Abs. 1 S. 2 BGB Berechtigten widerrufen werden kann, wenn der Patient zwischenzeitlich einwilligungsunfähig geworden ist, vgl. NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 17. 286 OLG Köln, MDR 2019, 671. 287 Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 392 f.; Lackner/Kühl/Kühl, § 228 Rn. 5.

D. Dogmatik der informierten Einwilligung

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Individualinteressen auch Interessen der Allgemeinheit betrifft.288 So berührt etwa die Einwilligung des Betroffenen in eine aktiv lebensbeendende Maßnahme nach herrschender Ansicht das Tötungstabu so dass eine Rechtfertigung mangels Dispositionsbefugnis des Betroffenen regelmäßig ausscheidet, vgl. § 216 StGB.289 Bei vital indizierten Hochrisikooperationen, die ihrerseits mit einer Gefährdung des Lebens einhergehen, ist die Einwilligungssperre des § 216 StGB hingegen richtigerweise nicht berührt, da ein Eingriff, der zur Abwendung einer bestehenden Lebensgefahr erforderlich ist, auf Grund seiner „insgesamt lebenserhaltenden Tendenz“ dem Schutzzweck des § 216 StGB nicht zuwiderläuft, sondern ihn „sogar positiv fördert.“290 Eng mit der Disponibilität des Rechtsgutes verbunden ist die Frage der Sittenwidrigkeit.291 Nach allgemeinen Regeln ist eine Einwilligung in einen medizinischen Eingriff unwirksam, wenn sie gegen die guten Sitten verstößt;292 etwa wenn ein Gesunder aus finanzieller Not in eine Lebendorganspende einwilligt.293 Eine Mindermeinung vertritt, dass Sittenwidrigkeit und Einwilligungsunfähigkeit eng zusammenhängen. Hiernach seien gravierende und irreversible Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität ohne plausiblen Grund, die regelmäßig zur Sittenwidrigkeit der Einwilligung führen, zugleich ein starkes Indiz für ein Entscheidungsdefizit des Einwilligenden.294 Diese Argumentation sieht sich durchgreifenden Bedenken ausgesetzt.295 Zum Einen lässt sich ein Zusammenhang zwischen objektiv unvernünftig getroffenen Entscheidungen und Einwilligungsunfähigkeit empirisch nicht belegen. Zum anderen ist die Verknüpfung der Einwilligungsfähigkeit mit Vernunfterwägungen problematisch.296 Die hiermit zusammenhängenden Fragen werden in Kapitel 4 vertieft.297 288

Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 78; Göbel, Einwilligung im Strafrecht, 1992, S. 23 f. Näher hierzu Amelung, in: Rüthers/Stern (Hrsg.), Freiheit und Verantwortung, 1984, S. 5 ff. 289 Göbel, Einwilligung im Strafrecht, 1992, S. 29 ff., insbes. 39 ff. und S. 42 f. Demgegenüber ist beim assistierten Suizid und beim Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen § 216 StGB mangels Tötungshandlung und mangels Tatherrschaft des Assistierenden nicht berührt, vgl. Göbel, Einwilligung im Strafrecht, 1992, S. 41 f. und Kubiciel, JZ 2009, 600 ff.; vgl. a. die Neuregelung in § 217 Abs. 1 StGB. Instruktiv zu den hiermit verbundenen Herausforderungen Weilert, MedR 2018, 76 ff. 290 MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 32 m.w.N. 291 NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 33 m.w.N. Näher zur Sittenwidrigkeit als Grenze der Einwilligung Göbel, Einwilligung im Strafrecht, 1992, S. 46 ff. 292 NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 16. Maßgeblich ist § 228 StGB. Die § 138 und 134 BGB sind auf die Patienteneinwilligung nach h.M. weder direkt noch analog anwendbar, vgl. MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 24. Ausführlich zu § 228 StGB, insbes. zu Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Norm NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 33 ff.; Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 82. 293 Vgl. §§ 18, 19 TPG sowie die Nachw. bei NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 51. 294 Murmann, Selbstverantwortung, 2005, S. 501 ff.; zust. Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 36 ff.; weitergehend Frisch, in: FS Hirsch, 1999, S. 491 ff., der nicht nur eine Indizwirkung der Sittenwidrigkeit für defizitäre Autonomie annimmt, sondern objektiv unvernünftige Einwilligungen generell nicht als Ausdruck der Entscheidung einer autonomen Person begreift. 295 Krit. hierzu auch Rönnau, Willensmängel, 2001, S. 166 ff.; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 42a und Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, 2013, S. 303 f. 296 Rönnau, Willensmängel, 2001, S. 168. 297 Ausführlich hierzu Kap. 4 A II 2 a).

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2. Kapitel: Grundlagen

II. Rechtsnatur der Behandlungseinwilligung, Anwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB und Abgrenzung zur Geschäftsfähigkeit Die Wirksamkeitsvoraussetzungen und -grenzen der gesundheitsbezogenen Einwilligung unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von den Voraussetzungen einer Willenserklärung. Dennoch wird die Einwilligung vereinzelt als Rechtsgeschäft charakterisiert. Kaum geklärt ist, wie die Einwilligungsfähigkeit von der Geschäftsfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB abzugrenzen ist. Eine klarere Tendenz besteht für das Verhältnis der §§ 2, 106 BGB zur Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger. 1. Rechtsnatur der Behandlungseinwilligung und Anwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB Dogmatisch gesehen hängt die Frage nach der direkten oder analogen Anwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB auf die Behandlungseinwilligung eng mit der Rechtsnatur der Einwilligung zusammen.298 Hält man die Einwilligung für ein Rechtsgeschäft oder eine rechtsgeschäftsähnliche Erklärung, liegt eine Anwendung der Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit nahe. Dessen ungeachtet werden in der Literatur beide Fragen weitgehend unabhängig voneinander diskutiert.299 Der Streit um die Rechtsnatur der gesundheitsbezogenen Einwilligung wirkt sich deshalb praktisch kaum aus. Nach heute ganz herrschender Ansicht ist die Einwilligung nicht als Rechtsgeschäft, sondern als Gestattung einer Handlung zu charakterisieren, die in den Rechtskreis des Gestattenden eingreift.300 Die vor allem im Zivilrecht früher prominent vertretene Rechtsgeschäftslehre301 ist abzulehnen, weil sich Einwilligungen und Willenserklärungen auf verschiedenartige Normtypen beziehen.302 Anders als Willenserklärungen sind Einwilligungen nicht konstitutiv auf die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges gerichtet, sondern heben den Schutz straf- und delikts-

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Staudinger/Knothe, 2011, Vor §§ 104 ff. Rn. 57. Vgl. Staudinger/Klumpp, Vor §§ 104 ff Rn. 99; Spickhoff, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, 2013, § 6 Rn. 40 ff.; Voll, Einwilligung, 1996, S. 63. 300 BGHZ 29, 33, 36 = NJW 1959, 811; seither st. Rspr., vgl. nur BGH, NJW 1964, 1177; NJW 1974, 1947, 1950; NJW 1988, 2946, 2947; LG München I, NJW 1980, 646; AG Schlüchtern, NJW 1998, 832, 832 f.; vgl. a. BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d Rn. 7; ders., in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 4; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 12 und § 630d Rn. 9; HkBGB/Staudinger, § 823 Rn. 78; Hk-BGB/Dörner, § 106 Rn. 10; Staudinger/Klumpp, Vor §§ 104 ff Rn. 38 und 99 ff.; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 64; Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 71; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 526; Schünemann, VersR 1981, 306, 307. A.A. Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 201 ff. Zwar finden sich vereinzelt noch BGH-Entscheidungen, in denen die Einwilligung als empfangsbedürftige Willenserklärung bezeichnet wird, BGH, NJW 1961, 655, 657; 1984, 1395, 1396. Hiermit ist aber keine Rechtsprechungsänderung (für das Medizinrecht) intendiert, Deutsch, NJW 1984, 1802 f. 301 Vgl. nur RGZ 68, 431, 435 f.; BGH, NJW 1953, 700, 701; NJW 1956, 1106, 1107; Zittelmann, AcP 99 (1906), 1, 47 ff.; Kothe, AcP 185 (1985), 105, 120, 152 ff. 302 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 527 m.w.N.; zust. NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 20; ähnlich auch NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 2. A.A. wohl Klose/Straub, MedR 2019, 714, 718 f., die die Behandlungseinwilligung als „atypisches Rechtsgeschäft“ charakterisieren. 299

D. Dogmatik der informierten Einwilligung

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rechtlicher Normen auf.303 Hinzu kommt, dass sich die Einwilligung in wesentlichen Merkmalen wie beispielsweise der jederzeitigen, einseitigen Widerrufbarkeit von typischen Rechtsgeschäften unterscheidet.304 Die überwiegende Meinung hält die §§ 104 ff. BGB allenfalls im Bereich vermögensrechtlicher Einwilligungen für anwendbar, nicht jedoch im persönlichkeitsrechtlichen Bereich, dem auch die Behandlungseinwilligung unterfällt.305 2. Abgrenzung zu §§ 2, 104 Nr. 1, 106 BGB Anders als die Geschäftsfähigkeit richtet sich die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten nicht nach festen Altersgrenzen, sondern nach den individuellen Fähigkeiten des Betroffenen im Einzelfall.306 Auch eine beschränkte Einwilligungsfähigkeit mit der Folge, dass die Einwilligung des Minderjährigen einer Autorisierung durch den gesetzlichen Vertreter nach dem Modell der §§ 107 ff. BGB bedürfte, gibt es bei der Einwilligungsfähigkeit nicht. Ist der Minderjährige einwilligungsfähig, ist er auch einwilligungsbefugt.307 Zwar kann es ausnahmsweise zu einer Doppelzuständigkeit mit dem gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen kommen. Anders als im rechtsgeschäftlichen Bereich ist die Einwilligung des Minderjährigen aber unabhängig von der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters wirksam.308 3. Abgrenzung zu § 104 Nr. 2 BGB Schwieriger ist das Verhältnis zwischen Einwilligungsunfähigkeit und der Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB zu bestimmen. Die Einwilligungsunfähigkeit wird häufig intuitiv als Minus zur Geschäftsunfähigkeit beschrieben.309 Tatsächlich gestaltet sich die Beziehung beider Fähigkeiten zueinander komplexer. Inhaltlich setzen beide, so wie alle Formen der Handlungsfähigkeit, den Verlust der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit voraus.310 Anders als bei der Geschäftsunfähigkeit, bei der die freie Willensbestimmung krankheitsbedingt vollständig, und nicht nur für schwierige Rechtsgeschäfte ausgeschlossen sein muss (globaler

303

Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 527; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 20; vgl. a. NKStGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 25. 304 So bereits Geerds, Einwilligung und Einverständnis, 1953, S. 39 ff., insbes. S. 42 und S. 49. 305 Vgl. Hk-BGB/Dörner, § 106 Rn. 10; BeckOGK/Ahrens, § 106 Rn. 24; Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff Rn. 100 f.; Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 318 ff. A.A. Klose/Straub, MedR 2019, 714, 718 f., die auch die Behandlungseinwilligung als „atypisches Rechtsgeschäft“ charakterisieren, auf das die Regelungen über Willensmängel in §§ 116 ff. BGB – wenngleich in modifizierter Form – Anwendung finden sollen. 306 Ganz h.M., vgl. BGHZ 29, 33, 36 f. = NJW 1959, 811 und unten Kap. 3 C II. 307 Vgl. Kap. 8 A II 1. 308 Sie ist in Fällen der Doppelzuständigkeit lediglich nicht hinreichend. A.A. MüKoBGB/ Schmitt, 7. Aufl. 2015, § 107 Rn. 11. Näher hierzu Kap. 8 A II 1. 309 Schmoeckel, NJW 2016, 433, 435; Spickhoff, AcP, 208 (2008), 345, 383 f.; ähnlich a. BayObLG, FamRZ 1990, 1154, 1155 und MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16: Einwilligungsfähigkeit einer geschäftsunfähigen Person als Fall der partiellen Geschäftsfähigkeit. 310 Grundlegend hierzu Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 61 ff.

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2. Kapitel: Grundlagen

Ansatz),311 kommt es bei der Einwilligungsunfähigkeit jedoch darauf an, ob der Einwilligende außer Stande ist, die Bedeutung und Tragweite des konkreten Eingriffs zu erfassen, zu beurteilen und sich hiernach zu bestimmen (einzelfallbezogener Ansatz).312 Nach der überwiegenden Ansicht variiert zudem der Beurteilungsmaßstab der Einwilligungsfähigkeit,313 so dass sich beide Fähigkeiten grundlegend unterscheiden. Während die Anforderungen an die Geschäftsfähigkeit sehr niedrig liegen – der Betroffene ist erst dann geschäftsunfähig, wenn seine Fähigkeit zur freien Willensbildung vollständig aufgehoben ist – kommt es bei der Einwilligungsunfähigkeit nur darauf an, ob die tatsächlichen Fähigkeiten der betroffenen Person in Bezug auf die konkret anstehende Einwilligungsentscheidung beeinträchtigt sind.314 Anders als bei der Geschäftsunfähigkeit ist bei der Einwilligungsunfähigkeit nicht relevant, ob der Patient noch imstande ist, über weniger risikoreiche und schwerwiegende Maßnahmen wirksam zu entscheiden. Die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit können daher im Einzelfall sowohl höher als auch niedriger liegen als die der Geschäftsfähigkeit:315 Ein situativ einwilligungsunfähiger Patient kann noch geschäftsfähig sein. Einem konkret einwilligungsfähigen Patienten kann aber auch umgekehrt die Geschäftsfähigkeit fehlen.316 Eine konkrete Einwilligungsunfähigkeit bei gleichzeitiger genereller Geschäftsfähigkeit kommt in Betracht, wenn die tatsächlichen Fähigkeiten des Patienten nur leicht beeinträchtigt sind und er in der Folge lediglich außerstande ist, wirksam über besonders schwerwiegende Maßnahmen, wie etwa gendiagnostische Untersuchungen mit weitreichenden Konsequenzen, zu entscheiden. Die umgekehrte Konstellation kann gegeben sein, wenn die Fähigkeiten des Betroffenen ganz erheblich beeinträchtigt sind und er selbst die niedrigen Anforderungen an die Geschäftsfähigkeit nicht mehr erfüllt. Ein solcher Zustand schließt nicht aus, dass der Patient noch über minimalinvasive und kaum risikoreiche Eingriffe wie beispielsweise Blutabnahmen wirksam befinden kann.

311

Näher hierzu MüKoBGB/Spickhoff, § 104 Rn. 15 ff. mit umfangreichen Rspr.- und Literaturnachweisen. 312 Holzhauer, ZRP 1989, 451, 457; Müller, Betreuung, 1998, S. 235. Das entspricht der Unterscheidung von personaler- und Handlungsautonomie, vgl. Kap. 2 B II 2, und kommt auch in der unterschiedl. Ausgestaltung durch die Gerichte zum Ausdruck, vgl. Kap. 3 B. 313 Sog. relative Einwilligungsfähigkeit, vgl. Kap. 4 B. Zwar befürworten Teile der Literatur auch eine relative Geschäftsfähigkeit, v.a. für ältere Menschen, so etwa Schmoeckel, NJW 2016, 433, 435 und Spickhoff, AcP, 208 (2008), 345, 383 f.; ders./ders., § 104 Rn. 24 ff. Da die Anforderungen an die Geschäftsfähigkeit aber ohnehin denkbar niedrig liegen und erst dann von ihrem Fehlen auszugehen ist, wenn die freie Willensbestimmung vollständig ausgeschlossen ist, ließe sich ein relativer Beurteilungsmaßstab bei der Geschäftsfähigkeit kaum sinnvoll umsetzen. A.A. Pawlowski, JZ 2003, 66, 72, der § 105a BGB als gesetzliche Ausprägung der relativen Geschäftsfähigkeit versteht. 314 Vgl. Kap. 4 B und 5 A. 315 So bereits Müller, Betreuung, 1998, S. 235. 316 Vgl. Prinz von Sachsen Gessaphe, Der Betreuer, 1999, S. 347; Müller, Betreuung, 1998, S. 235; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 529; ders., in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 28; Schünemann, VersR 1981, 306, 307; Kothe, AcP 185 (1985), 105, 150 f.

D. Dogmatik der informierten Einwilligung

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III. Fazit Die gesundheitsbezogene Einwilligung unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von einer rechtsgeschäftlichen Erklärung. Sie ist als Gestattung zu charakterisieren. Die §§ 104 ff. BGB sind weder direkt noch analog anwendbar. Sowohl das Verhältnis der Einwilligungsfähigkeit zur Aufklärungspflicht als auch die Abgrenzung der Einwilligungsfähigkeit vom Erfordernis der Freiwilligkeit der Einwilligung werfen Anschlussfragen auf, die in Kapitel 4 vertieft werden. Gleiches gilt für die Unterschiede zwischen Geschäfts- und Einwilligungsfähigkeit, die dazu führen können, dass die Fähigkeit zum Abschluss des Behandlungsvertrages und die Fähigkeit zur Einwilligung auseinanderfallen (vgl. hierzu Kapitel 8 und 9).

Kapitel 3: Aktueller Forschungsstand in Rechtswissenschaft und -praxis 3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

In der Rechtswissenschaft und -praxis ist die Einwilligungsfähigkeit, trotz ihres Bedeutungszuwachses in den letzten Jahren, noch immer ein Randthema. Der Bundesgesetzgeber hat bereits mehrfach eine allgemeine Regelung im BGB erwogen. Trotz zahlreicher Anläufe hat er dieses Vorhaben bisher nicht realisiert (A.I.). Stattdessen wurde die Einwilligungsfähigkeit – in Anlehnung an prägende Formeln der Rechtsprechung (B.) – an verschiedenen Stellen spezialgesetzlich geregelt (A.II.). Auch die Rechtswissenschaft hat die Einwilligungsfähigkeit konkretisiert (C.). Die Vielfalt an Definitionen in all diesen Bereichen ergibt in der Zusammenschau ein sehr heterogenes Bild, was die Frage aufwirft, ob sich die Einwilligungsfähigkeit überhaupt rechtsgebietsübergreifend ausgestalten lässt (D.).

A. Gesetzliche Regelungen der Einwilligungsfähigkeit I. Fehlen einer allgemeinen Regelung und Normierungsbedarf A. Gesetzliche Regelungen der Einwilligungsfähigkeit

Obwohl die Einwilligungsfähigkeit verschiedene Bereiche des Rechts berührt,1 ist sie bis heute in keinem Teilgebiet allgemein geregelt.2 Das ist besonders für das Straf- und Zivilrecht verwunderlich. Im StGB wird sie bislang nicht einmal erwähnt. Im familienrechtlichen Teil des BGB findet sich seit 1992 eine (Teil-)Definition im Kontext der freiheitsentziehenden Unterbringung in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Hiernach ist eine betreute Person einwilligungsunfähig, wenn sie auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.3 Ausdrücklich erwähnt wird die Einwilligungsfähigkeit zudem in § 1905 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 sowie § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB. Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes4 ist die Einwilligungsfähigkeit auch außerhalb des Familienrechts in § 630d Abs. 1 S. 2 BGB als Tatbestandsmerkmal mit spezifischen Rechtsfolgen enthalten. In allen drei Fällen geht das Gesetz über eine bloße Erwähnung

1

Vgl. oben Kap. 1 A I. Auch in den kammerrechtlichen Regelungen der Ärzteschaft wie etwa der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) und den darauf basierenden Berufsordnungen der Landesärztekammern wird die Einwilligungsfähigkeit nicht normiert. Anders etwa in der Schweiz, wo die Einwilligungsfähigkeit (dort: Urteilsfähigkeit) im Zivilrecht allgemein gesetzlich geregelt ist, vgl. Art. 16 ZGB. Näher hierzu Aebli-Müller, MedR 2018, 785, 786 f. und Damm, MedR 2018, 939, 943 f. 3 § 1906 BGB wurde eingefügt durch das Betreuungsgesetz (BtG) v. 12.9.1990, BGBl. I, 2002. Näher hierzu Kap. 3 B. 4 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten v. 20.2.2013, BGBl. I, S. 277. 2

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Genske, Gesundheit und Selbstbestimmung, Kölner Schriften zum Medizinrecht 23, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1_3

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

nicht hinaus.5 2012 normierte der Bundesgesetzgeber die Einwilligungsfähigkeit schließlich als „Einsichts- und Urteilsfähigkeit“ im neu erlassenen § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB; 2013 und 2017 folgte die jüngste Regelung im Rahmen der ärztlichen Zwangsmaßnahme.6 1. Maßgeblichkeit bestehender Regelungen aus anderen Bereichen Das Fehlen einer allgemeinen Regelung wirft die Frage auf, ob Regelungen aus anderen Bereichen herangezogen werden können, um die Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit zu konkretisieren. a) Einfaches Recht: Freier Wille, Geschäfts- und Schuldfähigkeit Bis in die jüngere Zeit wurde vereinzelt erwogen, direkt oder analog auf die Regelungen zur Geschäftsfähigkeit zurückzugreifen.7 Die §§ 104 ff. BGB werden den Besonderheiten der Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich jedoch nicht gerecht, so dass dieser Ansatz zu Recht ganz überwiegend abgelehnt wird.8 Eine gewisse Ähnlichkeit drängt sich zudem zum „freien Willen“ des Betreuten auf (vgl. § 1896 Abs. 1a BGB). Zur Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit kann die Norm dennoch nichts Wesentliches beitragen. Zum einen geht auch § 1896 Abs. 1a BGB über eine bloße Begriffserwähnung nicht hinaus. Zum anderen entspricht der freie Wille nach einhelliger Meinung im Kern der Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB,9 die sich von der Einwilligungsunfähigkeit in wesentlichen Punkten unterscheidet.10 Schließlich überzeugt auch eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Schuldfähigkeit in §§ 19, 20, 21 StGB und § 3 JGG nicht: Während sich die Einwilligungsfähigkeit auf die Disposition über die eigenen Rechtsgüter bezieht, ist die Schuldfähigkeit auf die „Achtung fremder Rechtsgüter“ und entsprechend normierter Verbote gerichtet und hat damit eine gänzlich andere Zielrichtung.11 5 Krit. zur fehlenden Normierung im Rahmen der §§ 630a ff. BGB Katzenmeier, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2013, 2014, S. 24 und ders., MedR 2012, 576, 581. 6 § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB (zuvor: § 1906 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB a.F.); näher hierzu Dodegge, NJW 2013, 1265, 1266 f. Inhaltlich entspricht die Formulierung § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB. 7 So für § 104 Nr. 2 BGB etwa Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, 1993, S. 161 ff., insbes. S. 173 f.; MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 19; weitergehend MüKoBGB/Schmitt, 6. Aufl. 2012, § 105 BGB, Rn. 22 und Staudinger/Knothe, 2011, Vor §§ 104 ff. Rn. 57, die eine analoge Anwendung auch der §§ 106 ff. BGB befürworteten. Die Rechtsprechung interpretiert die Einwilligungsfähigkeit vereinzelt als Sonderfall der partiellen Geschäftsfähigkeit, vgl. BayObLG, FamRZ 1990, 1154, 1155. 8 Vgl. Kap. 2 D II. 9 Vgl. BGH, FPrax 2011, 119; OLG Köln, FGPrax 2006, 117; Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 54 m.w.N.; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 365; BT-Drs. 15/2494, S. 28. A.A. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 81 ff. m.w.N. (Maßgeblichkeit der Fähigkeiten eines durchschnittlichen 14-Jährigen). Der XII. Senat des BGH in Zivilsachen lehnt die Gleichsetzung mit der Geschäftsfähigkeit inzwischen ab, S. NJW 2016, 2745, 2746 f m.w.N. 10 Näher hierzu Kap. 2 D III und Kap. 3 B IV 1. 11 Vgl. RGSt 41, 392, 396; Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 16; Amelung, ZStW 104 (1992), 525 f.; ders., NJW 1996, 2393, 2395; Helmchen/Lauter, Mit Demenzkranken

A. Gesetzliche Regelungen der Einwilligungsfähigkeit

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b) Internationales Gesundheitsrecht Auch die Regelungen des internationalen Gesundheitsrechts erscheinen zur Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit nur bedingt geeignet. Regelungen zur Einwilligung im Gesundheitsbereich finden sich etwa in der EU-Grundrechtecharta und der UN-Behindertenrechtskonvention.12 Nähere Vorgaben zur Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit enthalten jedoch beide nicht.13 Das Haager Erwachsenenschutzabkommen enthält schließlich eine Negativ-Definition der Handlungsfähigkeit.14 Hiernach ist eine Person handlungsunfähig, wenn sie wegen einer Beeinträchtigung oder Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, ihre Interessen zu schützen.15 Das Haager Abkommen unterstreicht damit den Aspekt der Interessenwahrnehmung, der eine wesentliche Weichenstellung für die Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit enthält. 16 Insgesamt ist die Umschreibung aber zu allgemein gehalten, nicht zuletzt weil die Handlungsfähigkeit neben der Einwilligungsfähigkeit auch die Geschäfts-, Testier-, Ehe-, Delikts- und Verschuldensfähigkeit umfasst.17 2. Normentwicklung im Zivilrecht Angesichts dieser Regelungslücke hat der Bundesgesetzgeber wiederholt erwogen, die Einwilligungsfähigkeit an verschiedenen Stellen im BGB zu normieren. a) Regelungsanläufe Schon in den Beratungen zum 1. Entwurf des BGB wurde die Normierungsfrage im Zuge der geplanten Regelung der Einwilligung in § 706 E-BGB thematisiert.18 Da die Einwilligung damals überwiegend rechtsgeschäftlich charakterisiert wurde, hielt die 1. Kommission eine eigenständige Normierung, neben der im Entwurf bereits vorgesehenen Geschäftsfähigkeit, für entbehrlich.19 In den späteren Beratungen wurde von der Rechtsgeschäftstheorie zwar Abstand genommen.20 Da die forschen?, 1995, S. 29; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 22; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 33; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 60 f. m.w.N. A.A. Geerds, Einwilligung und Einverständnis, 1953, S. 65 f.; Roxin, in: FS Dreher, 1977, S. 343 ff., insbes. S. 345 f.; so auch angedeutet bei Joerden, MedR 2018, 764, 765 f. Aus denselben Gründen ist eine analoge Anwendung der §§ 827 f. BGB zu verneinen, so im Erg. a. Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 63. 12 Vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. a. EUGrCH, Art. 12 und 25 lit. d) UN-BRK. 13 Vgl. Kap. 2 C I. 14 Haager Übereinkommen vom 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen, BGBl. 2007, II, S. 323. Vgl. dazu das deutsche Ausführungsgesetz v. 17.3.2007, BGBl. I, S. 314, nunmehr in der Fassung v. 18.2.2013, BGBl. I, S. 267. 15 Vgl. Art. 1 Abs. 1 Haager Abkommen. 16 Näher hierzu Kap. 4 A I 1. 17 Vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60 ff., insbes. 62 f. 18 Vgl. Motive, Bd. II, S. 407 f., Protokolle, Bd. II, S. 1080. § 706 BGB-E lautete: „Hat der Beschädigte in die beschädigende Handlung eingewilligt, so steht ihm ein Anspruch auf Schadensersatz nicht zu.“ 19 Motive Bd. II, S. 730. Näher zur Rechtsnatur der Einwilligung oben Kap. 2 D II. 20 Protokolle, Bd. II, S. 1080.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

2. Kommission aber beschloss, § 706 E-BGB vollständig aus dem Entwurf zu streichen, stellte sich fortan auch die Frage nach der Regelung der Einwilligungsfähigkeit nicht mehr.21 Die Thematik wurde erst Ende der 1970er Jahre im Rahmen der Vorbereitungen zur Neuregelung des elterlichen Sorgerechts erneut aufgegriffen.22 Der ursprüngliche Entwurf sah eine spezielle Regelung der Einwilligungsfähigkeit im Kontext der Heilbehandlung Minderjähriger vor.23 Nach § 1626a BGB-E sollten minderjährige Patienten ab Vollendung des 14. Lebensjahres selbständig in eine Heilbehandlung einwilligen können, wenn sie fähig sind, Grund und Bedeutung der Heilbehandlung einzusehen und ihren Willen hiernach zu bestimmen.24 Letztlich wurde die Vorschrift von den Antragsstellern25 aus dem Entwurf zurückgezogen, nachdem sich der Rechtsausschuss für die Streichung ausgesprochen hatte. Es wurde befürchtet, § 1626a BGB-E würde die Verantwortung der Sorgerechtsinhaber für das Wohl des Kindes zu sehr in den Hintergrund treten lassen.26 Eine allgemeine Regelung wurde schließlich in den Beratungen zur Reform des Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts durch das Betreuungsgesetz vom 12. September 1990 erwogen.27 Auslöser war die bestehende Rechtsunsicherheit bei der Beurteilung der Einwilligungsunfähigkeit bei nach altem Recht unmündigen und unter Vormundschaft stehenden Personen.28 Der Gesetzgeber sah letztlich aus pragmatischen Gründen von einer übergreifenden Normierung der Einwilligungsfähigkeit im Rahmen der Reform ab.29 Er unterstrich aber gleichwohl die Notwendigkeit einer solchen Regelung30 und definierte die Einwilligungsunfähigkeit als Voraussetzung der freiheitsentziehenden Unterbringung in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB erstmals im BGB.31 b) Votum des 63. Deutschen Juristentags Im Jahr 2000 bestätigte schließlich auch der 63. Deutsche Juristentag den gesetzgeberischen Handlungsbedarf.32 Anlass war die Auseinandersetzung mit rechtlichen 21

Protokolle, Bd. II, S. 1080. Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge v. 18.7.1979, BGBl. I, S. 1061. 23 § 1626a BGB-E, vgl. BT-Drs. 8/111, S. 3. 24 § 1626a BGB-E, vgl. BT-Drs. 8/111, S. 3. 25 Der Entwurf wurde von den Fraktionen der SPD und der FDP in den Bundestag eingebracht, vgl. BT-Drs. 8/2788. 26 BT-Drs. 8/2788, S. 4 f. und S. 45; MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 73. 27 Betreuungsgesetz (BtG) v. 12.9.1990, BGBl. I, S. 2002. 28 BT-Drs. 11/4528 S. 71 f. 29 Der Gesetzgeber sah sich unter dem bestehenden Reformdruck (das Vormundschaftsund Pflegschaftsrecht war praktisch an seine Grenzen gestoßen; eine Neuregelung längst überfällig) außer Stande, innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit einen sinnvollen Regelungsvorschlag zu erarbeiten, der über die Grundsätze der Rechtsprechung hinausging, vgl. BT-Drs. 11/4528 S. 72. 30 BT-Drs. 11/4528 S. 71 f. 31 Die Gesetzesbegründung schweigt zu dieser Frage. Inzwischen ist aber anerkannt, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zumindest einen Teilaspekt der Einwilligungsfähigkeit regelt, vgl. Jürgens/Marschner, § 1906 Rn. 11; so im Erg. a. Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 64 f. 32 Beschlüsse des 63. DJT, Leipzig, 2000, Bd. II/1, S. K 61. 22

A. Gesetzliche Regelungen der Einwilligungsfähigkeit

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Fragen der Selbstbestimmung am Lebensende. Während eine Regelung der Einwilligungsunfähigkeit Volljähriger mit 21 zu 20 Stimmen bei 7 Enthaltungen knapp abgelehnt wurde,33 wurde die gesetzliche Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger mehrheitlich befürwortet und der Regelungsbedarf unterstrichen.34 c) Änderungen des Familienrechts und Beratungen zum Patientenrechtegesetz In den Gesetzgebungsverfahren zum Zweiten35 und Dritten36 Betreuungsrechtsänderungsgesetz (Patientenverfügungsgesetz) wurde die Frage einer übergreifenden Regelung trotz des wiederholt deutlich gewordenen Handlungsbedarfs nur noch am Rande thematisiert.37 Das ist vor allem für das Patientenverfügungsgesetz erstaunlich, das dafür gesorgt hat, dass die Einwilligungsfähigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung der Patientenverfügung erstmals ausdrücklich im BGB erwähnt wurde.38 Der Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Umfangs der Personensorge bei der Beschneidung des männlichen Kindes, der zur Verabschiedung von § 1631d BGB führte,39 schweigt ebenfalls zur Frage einer übergreifenden Regelung. Zugleich wird die Einwilligungsfähigkeit in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB abweichend vom Betreuungsrecht40 als Einsichts- und Urteilsfähigkeit definiert. Die Regelung war notwendig geworden, nachdem das Landgericht Köln 2012 die religiös motivierte Beschneidung eines minderjährigen Jungen auf Wunsch der sorgeberechtigten Eltern als mit dem Kindeswohl unvereinbare rechtswidrige Körperverletzung eingestuft hatte.41 Erneut wurde eine spezielle Regelung für minderjährige Patienten im Gesetzgebungsverfahren zum Patientenrechtegesetz erwogen.42 Der entsprechende Änderungsantrag des Gesundheitsausschusses, den geplanten § 630d BGB um einen vierten Absatz zu ergänzen, wurde jedoch nicht verabschiedet. 43 Hiernach sollten 33

Beschlüsse des 63. DJT, Leipzig, 2000, Bd. II/1, S. K 61, Beschluss II. Mit 25 gegen 19 Stimmen bei einer Enthaltung, vgl. Beschlüsse des 63. DJT, Leipzig, 2000, Bd. II/1, S. K 6, Beschluss VIII. 35 Zweites Gesetz zur Änderung d. Betreuungsrechts vom 21.4.2005, BGBl. I, 1073. 36 Drittes Gesetz zur Änderung d. Betreuungsrechts vom 29.7.2009, BGBl. I, 2286. 37 In den Materialien zum 2. BtÄndG wird die Einwilligungsfähigkeit als „Einsichtsfähigkeit und Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln“ definiert, vgl. BT-Drs. 15/2494, S. 28. Der Gesetzesentwurfs zum 3. BtÄndG („Stünker-Entwurf“) erschöpft sich in einem Verweis auf die Gesetzesbegründung zum Betreuungsgesetz, vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 9. 38 Vgl. § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB. 39 Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes v. 20.12.2012, BGBl. I, S. 2749. 40 Vgl. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 und 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB. 41 LG Köln, NJW 2012, 2128 f. = MedR 2012, 680, 681 m. Anm. Kreße. Das Recht der Eltern zur Einwilligung in die medizinisch nicht indizierte Beschneidung war auch vorher umstritten, vgl. zum Meinungsstand BT-Drs. 17/11295, S. 11 f. m.w.N. 42 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013, BGBl. I, S. 277. 43 Krit. hierzu Spickhoff, FamRZ 2018, 412 sowie Katzenmeier, MedR 2012, 576, 581; vgl. a. Loos u.a., Wirkungen des Patientenrechtegesetzes, 2016, S. 57 f. und S. 142 f. 34

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

Minderjährige, die in der Lage sind, die Tragweite des Eingriffs nach Aufklärung und Beratung zu erfassen, in medizinische Eingriffe selbst einwilligen können.44 Schließlich entschied sich der Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung der ärztlichen Zwangsmaßnahme zu einer speziellen Regelung.45 Auslöser für die Gesetzesänderung waren zwei Beschlüsse des XII. Zivilsenat des BGH vom 20. Juni 2012, mit denen der Senat seine bis dahin auf § 1906 a.F. BGB gestützte Rechtsprechung zur stationären Zwangsbehandlung aufgab, und die Norm fortan, in Übereinstimmung mit zwei unmittelbar zuvor ergangenen Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts,46 für zu unbestimmt erachtete.47 Die Materialien beider Gesetze schweigen trotz ihres klaren thematischen Bezugs zur Frage einer übergreifenden Regelung.48 d) Fazit Der Regelungsbedarf wurde wiederholt bekräftigt. Das gesetzgeberische Interesse an einer allgemeinen Regelung hat indes seit den 1990er Jahren erheblich nachgelassen, so dass es nach wie vor an einer allgemeinen Regelung der Einwilligungsfähigkeit fehlt. Die Einwilligungsfähigkeit ist aber an verschiedenen Stellen auf Bundes- und Landesebene spezialgesetzlich normiert.

II. Spezielle Regelungen der Einwilligungsfähigkeit Die bestehenden spezialgesetzlichen Regelungen sind erkennbar an einzelne Formeln der Rechtsprechung angelehnt. Sie betreffen in der Regel entweder besonders tiefgreifende oder medizinisch nicht oder nur gering indizierte Maßnahmen an besonders schutzwürdigen, vulnerablen Personengruppen.49 Die Regelungen unterscheiden sich sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit, Hierarchie und Spezialität. So ist die Einwilligungsunfähigkeit als Voraussetzung ärztlich44

Vgl. Änderungsantrag 3, BT-Drs. 17/11710, S. 25. Vgl. § 1906 Abs. 3 BGB a.F., eingeführt durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsbehandlung v. 18.2.2013, BGBl. I, S. 266 und § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB, eingeführt durch das Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten v. 17.7.2017, BGBl. I, S. 2426. 46 Vgl. BVerfG, NJW 2011, 2113; 2011, 3571. Näher hierzu Kap. 9 D I 2. 47 Vgl. BGH, NJW 2012, 2967, 2968 f. = MedR 2013, 39 m. Anm. Olzen/Götz; s.a. BGH, Beschl. v. 20.06.2012 – XII ZB 130/12; NJW-RR 2013, 321, 322. 48 Während die Begründung zum Fraktionsentwurf des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsbehandlung lediglich den Gesetzestext wiedergibt, BT-Drs. 17/11513, S. 7, erwähnt die Beschlussempfehlung (BT-Drs. 17/12086) die EWF gar nicht. Die Begründung zum Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten beschränkt sich darauf, festzustellen, dass § 1906 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB-E die Einwilligungsunfähigkeit des Betreuten voraussetzt, vgl. BT-Drs. 18/11240, S. 19. 49 Wie etwa Minderjährige oder einwilligungsunfähige Erwachsene, §§ 40 Abs. 4, 41 Abs. 3 AMG, §§ 20 Abs. 4, 21 Abs. 3 MPG, §§ 1631d Abs. 1 S. 1, 1906 f. BGB und § 8a TPG. 45

A. Gesetzliche Regelungen der Einwilligungsfähigkeit

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er Zwangsmaßnahmen nicht nur in den Psychisch-Kranken- und Maßregelvollzugsgesetzen der Länder geregelt, sondern auch auf Bundesebene in §§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 und 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB. Im Familienrecht findet sie sich zusätzlich in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB. Daneben finden sich Regelungen u.a. im Transplantations-, Gendiagnostik- und Forschungsrecht, in verschiedenen Berufsordnungen sowie vereinzelt auch im nichtmedizinischen Bereich.50 1. Inhalt der spezialgesetzlichen Regelungen In den meisten spezialgesetzlichen Regelungen ist die Einwilligungsfähigkeit unter Verzicht auf die Urteilsfähigkeit, als Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgestaltet.51 Hiernach ist der Patient einwilligungsfähig, wenn er in der Lage ist, „Wesen, Bedeutung und Tragweite“ eines konkreten medizinischen Eingriffs zu erkennen (Einsichtsfähigkeit) und seinen Willen hiernach auszurichten (Steuerungsfähigkeit).52 Zum Teil wird die Formel um die Einsichtsfähigkeit in die Risiken des Eingriffs ergänzt,53 zum Teil erschöpft sie sich hierin.54 An wieder anderer Stelle wird gefordert der Patient müsse „Grund und Bedeutung“ oder „Grund, Bedeutung und Tragweite“ der Maßnahme einsehen können.55 Im Betreuungsrecht wird demgegenüber darauf abgestellt, ob der Betroffene imstande ist, die „Notwendigkeit“ der Unterbringung bzw. der ärztlichen Maßnahme zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln.56 Das ärztliche Berufsrecht definiert die Einwilligungsfähigkeit hingegen als „behandlungsbezogene natürliche Einsichtsfähigkeit“.57 In dieser Formel fehlt nicht nur die Urteils-, sondern auch die Steuerungsfähigkeit. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB nennt als einzige Norm zusätzlich zur Einsichts- auch die Urteilsfähigkeit. Die Gesetzesbegründung setzt jedoch beide Fähigkeiten gleich.58 Damit wird das von der Rechtsprechung entwickelte Element der Urteilsfähigkeit in den beste50

Hingegen enthält § 81c Abs. 3 S. 2 StPO anders als teilweise vertreten, keine Regelung der Einwilligungsfähigkeit, vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 14 Fn. 82. A.A. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 531; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 74. Näher zu den einzelnen Regelungen Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 25 ff. 51 Vgl. 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, 1906 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB, §§ 40 Abs. 1 S. 3, 41 Abs. 3 AMG, §§ 20 Abs. 2 und Abs. 4, 21 MPG, § 28c, 28d RöV und §§ 87, 88 StrSchV, §§ 8a, 8c TPG, §§ 14, 15 Abs. 4, 17 GenDG, § 3 Abs. 3 KastrG, § 18 PsychKG NRW und § 17a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 MRVG NRW. 52 So etwa §§ 40 Abs. 1 S. 3, 41 Abs. 3 AMG, §§ 8a, 8c TPG, §§ 14, 15 Abs. 4, 17 GenDG. Vgl. a. die inhaltlich gleiche Formulierung, der Betroffene müsse in der Lage sein, Wesen, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs einzusehen und seinen Willen hiernach zu bestimmen, in § 20 Abs. 4 MPG, § 28d RöV und § 88 StrSchV. 53 §§ 20 Abs. 2, 21 MPG. 54 § 28c RöV, § 87 StrSchV. 55 § 3 Abs. 3 KastrG, § 18 PsychKG NRW. 56 §§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, 1906 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB. Vgl. a. § 17a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 MRVG NRW, wonach die Einwilligungsfähigkeit im konkreten Fall fehlt, wenn die Patientin oder der Patient zur Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahme oder zum Handeln nach dieser Einsicht krankheitsbedingt nicht in der Lage ist. 57 Vgl. § 12 f. PsychothBO-NRW. 58 Maßgeblich ist hiernach nur, ob der betroffene Minderjährige Wesen, Bedeutung und Tragweite des mit der Beschneidung verbundenen Eingriffs in seine körperliche Unversehrtheit erfassen, also einsehen kann, vgl. BT-Drs. 17/11295, S. 18.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

henden gesetzlichen Regelungen nur unzureichend rezipiert. Im Gegensatz zur Einsichtsfähigkeit, die allein darauf abstellt, ob der Patient in der Lage ist, die entscheidungserheblichen Informationen zu verstehen, beschreibt die Urteilsfähigkeit die Fähigkeit diese Informationen vor dem Hintergrund der eigenen Werte und Präferenzen bewerten und das Für und Wider des Eingriffs gegeneinander abwägen zu können.59 Hierin kommt der starke Bezug der Einwilligungsfähigkeit zum Selbstbestimmungsrecht zum Ausdruck. Die Rechtsprechung hat die Urteilsfähigkeit in jüngerer Zeit zunehmend in das Zentrum der Prüfung gerückt.60 Das gesetzgeberische Schweigen zur Urteilsfähigkeit ist deshalb besonders misslich. 2. Auslegung der Einwilligungsfähigkeit in den Gesetzesbegründungen Neben den spezialgesetzlichen Regelungen geben auch die Gesetzesbegründungen Aufschluss darüber, wie das Kriterium der Einwilligungsfähigkeit auszulegen ist. Die Gesetzesbegründung zu § 1901a BGB definiert die Einwilligungsfähigkeit im Einklang mit der Mehrzahl der Regelungen als „natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit“.61 Die Materialien zum Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz sprechen hingegen von der „natürlichen“ Einwilligungsfähigkeit als bereichsspezifischer Ausprägung des freien Willens nach § 1896 Abs. 1a BGB. Diese „natürliche“ Einwilligungsfähigkeit soll die Einsichtsfähigkeit sowie die Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln voraussetzen.62 Im Regierungsentwurf zum Patientenrechtegesetz werden exemplarische Konkretisierungsansätze der Rechtsprechung dargestellt, wobei die Ausführungen zum Teil widersprüchlich und insgesamt wenig anwendungsbezogen bleiben.63 Irritierend ist der Verweis auf die Gesetzesbegründung zum Dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetz, in der die Einwilligungsfähigkeit entgegen der arzthaftungsrechtlichen Rechtsprechung auf die Einsichtsund Steuerungsfähigkeit verkürzt wird.64 Positiv hervorzuheben ist jedoch, dass die Gesetzesbegründung die Urteilsfähigkeit gesondert erwähnt und ausgestaltet und den engen Zusammenhang zwischen Einwilligungsfähigkeit und ärztlicher Aufklärungspflicht betont.65

59

Ausführlich hierzu Kap. 4 A II 2. Vgl. Kap. 3 B II 1 d). 61 Vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 12 f. (Entwurf zum 3. BtÄndG). 62 Vgl. BT-Drs. 15/2494, S. 28. 63 So wird zunächst auf die „natürliche Willensfähigkeit“ des Patienten abgestellt, die aber keine Voraussetzung der Einwilligung ist, sondern sich auf den natürlichen Willen bezieht, vgl. Müller, Betreuung, 1998, S. 234. Anschließend wird die hinreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten betont. Unmittelbar danach wird die verkürzte Formel der natürlichen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit wiedergegeben, nach der es darauf ankommen soll, ob der Patient Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken der medizinischen Maßnahme erfassen und seinen Willen hiernach ausrichten kann. Bei minderjährigen Patienten soll es schließlich auf die „behandlungsspezifische natürliche Einsichtsfähigkeit“ ankommen, vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 23. 64 BT-Drs. 17/10488, S. 23. 65 BT-Drs. 17/10488, S. 23. 60

A. Gesetzliche Regelungen der Einwilligungsfähigkeit

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3. Diskussion und Stellungnahme Die variablen Bezugspunkte der Einsichtsfähigkeit (Risiken, Wesen, Tragweite, Bedeutung, Art, Folgen und Notwendigkeit des Eingriffs) in den spezialgesetzlichen Regelungen wurden im Schrifttum zurecht wiederholt kritisiert.66 Sie spiegeln letztlich die uneinheitliche Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit wieder.67 Die Beliebigkeit der Formulierungen trägt dort erheblich zum als „Leerformel“ empfundenen Charakter der Definitionsansätze bei.68 Im Gegensatz zu den gerichtlichen Leitentscheidungen stellt die Mehrzahl der Regelungen zwar einheitlich auf die Fähigkeit des Betroffenen ab, „Wesen, Bedeutung und Tragweite“ des Eingriffs verstehen zu können. Die Begriffe werden jedoch auch in den Gesetzesbegründungen nicht näher ausgefüllt. Hierdurch wurde die Chance versäumt, klärend auf die Rechtslage einzuwirken. Insbesondere bleibt offen, warum die Umschreibung der Einsichtsfähigkeit nicht stärker an die Selbstbestimmungsaufklärung angelehnt wird. Die Risikoaufklärung stellt einen Kernaspekt der Selbstbestimmungsaufklärung dar. Gleiches gilt für die Fähigkeit, die mit dem Eingriff verbundenen Risiken und Folgen abschätzen zu können. In den gesetzlichen Formulierungen kommt dies als Fähigkeit „Tragweite und Bedeutung“ des Eingriffs zu erkennen, nur sehr indirekt zum Ausdruck. Offen bleibt auch, welchen Mehrwert das „Wesen“ des Eingriffs der Formel hinzufügt.69 All dies ließe sich in einer allgemeinen Regelung klarstellen. Neben der vagen Begriffsverwendung erscheint zudem die in der Gesetzesbegründung zum Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz angedeutete Gleichsetzung von „natürlicher“ Einwilligungsfähigkeit und freiem Willen nach § 1896 Abs. 1a BGB problematisch, da hierdurch die Abgrenzung zur Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB verschwimmt.70 Bedenklich ist zudem der weitgehende Verzicht auf die Urteilsfähigkeit71 und die Reduktion der Einsichtsfähigkeit auf die Fähigkeit zur Krankheits- und Behandlungseinsicht im Betreuungsrecht.72 § 1906 Abs. 1 Nr. 2 und § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB umschreiben damit letztlich nur einen Teilaspekt der Einwilligungsunfähigkeit.73 Unklar bleibt, ob eine Zwangsbehandlung auch zulässig wäre, wenn der Patient zwar versteht, dass er krank und ein Eingriff notwendig ist, er die Behandlung aber ablehnt, weil er die Risiken der Maßnahme aus anderen Gründen nicht erfassen kann oder seine Urteilsfähigkeit beeinträchtigt ist.74 Das Fehlen einer allgemeinen Regelung ist nicht

66

Vgl. nur Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 535; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 15; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 29 f. Näher hierzu Kap. 4 A I. 67 Vgl. Kap. 3 B. 68 Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 44. Näher hierzu Kap. 3 B IV 2 a). 69 A.A. Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 36: „Wesen“ als eingängigste Formulierung. 70 Vgl. Kap. 2 D III und Kap. 3 B IV 1. 71 Näher hierzu Kap. 3 B II 1 c), 2 und IV. 72 Die Krankheits- und Behandlungseinsicht stellt nur einen Teilaspekt der Einsichtsfähigkeit dar, vgl. Kap. 4 A I. 73 Ausführlich zur Normgeschichte und Auslegung von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 52 ff. 74 Das kommt etwa bei demenziellen Syndromen in Betracht, Moye et al., Amercian Psychologist 2013, 158, 165 m.w.N.; Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 22 m.w.N.; Näher hierzu Kap. 5 D III 1.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

zuletzt deshalb misslich, weil auch die Einwilligung als Bezugspunkt der Einwilligungsfähigkeit, dogmatisch nicht hinreichend bestimmt ist.75 Dass die Einwilligungsfähigkeit verschiedenste Bereiche des Rechts berührt und damit unterschiedliche Ministerien, ohne dass sich eine „eindeutige ‚Ressortzuständigkeit‘“ ausmachen lässt, mag erklären, welchen praktischen Schwierigkeiten sich der Bundesgesetzgeber ausgesetzt sieht.76 Es mindert jedoch nicht den bestehenden Regelungsbedarf und die gesetzgeberische Pflicht dem verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrecht des Patienten im Behandlungskontext zu praktischer Wirksamkeit zu verhelfen.77 4. Weitergehende spezialgesetzliche Anforderungen In den spezialgesetzlichen Regelungen finden sich neben Umschreibungen der Einwilligungsfähigkeit zum Teil noch weitergehende Anforderungen an die Entscheidungsbefugnisse des Patienten. So können etwa minderjährige Probanden, die konkret einwilligungsfähig sind, in Arzneimittelstudien nur gemeinsam mit ihren Eltern einwilligen.78 Im Medizinprodukterecht wird ergänzend zur Einwilligungsfähigkeit die Geschäftsfähigkeit des Probanden gefordert.79 Auch das Transplantationsrecht beschränkt die fremdnützige Organ- und Gewebespende unter Lebenden im Wesentlichen auf volljährige, einwilligungsfähige Patienten.80 Eine Ausnahme gilt für die Knochenmarkspende, in die einwilligungsfähige Minderjährige zwar einwilligen können, auch hier aber nur gemeinsam mit ihrem gesetzlichen Vertreter.81 Für die Sterilisation sieht das Gesetz, unabhängig von der Einwilligungsfähigkeit, ein Mindestalter von 18 Jahren vor,82 für die Kastration eines von 25 Jahren.83 Ähnlich heterogen ausgestaltet sind auch die Mitwirkungsrechte konkret einwilligungsunfähiger Personen bei medizinisch nicht indizierten oder besonders tiefgreifenden Eingriffen, die mit hohen Risiken und hohen Belastungen für die behandelte Person einhergehen.84 Wegen dieser besonderen Anwendungssituationen – in der Regel allenfalls schwach indizierte Maßnahmen bei vulnerablen Personengruppen – lassen sich hieraus kaum allgemeine Schlussfolgerungen für die Entscheidungsbefugnisse von Patienten im Behandlungsalltag ableiten.85 75

Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 65. Im Schrifttum wird daher eine gesetzliche Regelung auch für Volljährige befürwortet, so etwa Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 124 und Spickhoff, NJW 2000, 2298, 2300. Für eine Normierung im Rahmen der §§ 630a ff. BGB Katzenmeier, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2013, 2014, S. 24; ders., MedR 2012, 576, 581; ders., DÄBl 2011, A1885 f. 76 So zutreffend Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 85. 77 Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 54 m.w.N. 78 § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 lit. a i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 S. 4 AMG; so auch § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a TPG für die fremdnützige Organspende unter Lebenden. 79 Vgl. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 MPG, § 87 Abs. 1 S. 3 StrSchV und § 28c Abs. 1 S. 3 RöV. 80 § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 lit. a AMG; § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit a TPG. 81 Vgl. § 8a S. 1 Nr. 4 TPG. 82 Vgl. § 1631c BGB. 83 § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 3 i.V.m § 3 KastrG. 84 Vgl. Kap. 9 C III. 85 So die h.M., vgl. nur Laufs, VersR 1978, 385 ff.; Bork, NJW 1985, 654, 655; Deutsch, NJW 1995, 3019, 3022; Osieka, Recht der Humanforschung, 2006, S. 323; Holzhauer, NJW

B. Die Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte

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B. Die Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte B. Die Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte

Aufgrund ihrer Heterogenität mindern auch die vorhandenen spezialgesetzlichen Regelungen das Bedürfnis einer allgemeinen Regelung nicht. Eine solche Regelung sollte, wie auch die bestehenden spezialgesetzlichen Regelungen, die verschiedenen Definitionsansätze der Rechtsprechung zumindest berücksichtigen. Diese sind Gegenstand des folgenden Abschnitts. Vor allem die Zivil- und Strafgerichte prägen Tatbestand und Rechtsfolgen der Einwilligungs(un)fähigkeit bis heute.86 Sehr vereinzelt haben sich auch Sozial- und Verwaltungsgerichte der Einwilligungsfähigkeit gewidmet, ohne jedoch Wesentliches zur Kriterienbildung beizutragen.87 Die Darstellung beschränkt sich daher auf die ordentliche Gerichtsbarkeit.88

I. Zur Rolle der Einwilligungs(un)fähigkeit im Prozess Im Zivilrecht stellt sich die Frage nach der Einwilligungsfähigkeit im Vertrags-, Delikts- und Familienrecht. Im Vertrags- und Deliktsrecht steht regelmäßig das ärztliche Handeln ohne den Willen des Patienten im Raum. Der Einwand, der Patient sei im konkreten Fall einwilligungsunfähig gewesen, wird hier sowohl von Behandler- als auch von Patientenseite in den Prozess eingebracht: Aus Sicht des Patienten gestützt auf die Behauptung, die erteilte Einwilligung sei aufgrund der eigenen Einwilligungsunfähigkeit unwirksam gewesen;89 aus Behandlersicht mit dem Argument, eine Pflicht zur Aufklärung des Patienten habe mangels Einwilligungsfähigkeit nicht bestanden und der Eingriff sei durch die mutmaßliche Einwilligung des Patienten legitimiert gewesen.90 Im Betreuungsrecht beschäftigt die Gerichte die Frage im Zusammenhang mit der Reichweite der Handlungsbefugnisse des Betreuers. Dieser ist nach überwiegender Meinung nur dann zu stellvertretenden 1992, 2330; Ratzel/Lippert/Lippert, MBO, § 15 Rn. 3; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423 A.A. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 33 f. m.w.N. Näher zum Ganzen Kap. 8 A II. 86 Vgl. Kap. 3 C I 1. 87 Vgl. beispielsweise OVG Münster, Beschluss vom 10.02.2014, 13 E 494/12 zur Einwilligung einer 15-Jährigen in die Schweigepflichtentbindung (Einwilligungsfähigkeit wird bejaht) aber auch VG Sigmaringen, Entscheidung vom 21.05.2001, 4 K 607/01 zum Recht eines Minderjährigen auf Akteneinsicht nach § 68 Abs. 3 SGB VIII. Entscheidungen über die öffentlich-rechtliche Unterbringung und Zwangsmaßnahmen nach den PsychKG der Länder sind hingegen gemäß § 312 S. 1 Nr. 3 FamFG als Unterbringungssachen den Zivilgerichten zugeordnet, näher hierzu Bienwald, in: ders. u.a., BetR-K, Einf. Rn. 22 ff. 88 Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich verschiedentlich zur Einwilligungsfähigkeit geäußert. Die Ausführungen lehnen sich i.d.R. eng an die zur Überprüfung gestellten Ermächtigungsgrundlagen an und charakterisieren weniger die „tatbestandlichen“ Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit im Allgemeinen, weshalb die verfassungsgerichtlichen Leitentscheidungen im Zusammenhang mit der ärztlichen Zwangsmaßnahme in Kap. 9 D vertieft werden. 89 Vgl. BGH, NJW 1978, 1206; OLG Frankfurt a.M., MedR 1984, 194 = VersR 1984, 289; OLG Naumburg, Urt. v. 6.2.2014 – 1 U 45/13; OLG Koblenz, NJW 2015, 79 = GesR 2014, 663; OLG Koblenz, MedR 2016, 535 m. Anm. Janda; OLG Dresden, RDG 2019, 135, 136. 90 Vgl. BGH, NJW 1987, 2291; BGH, NJW 1993, 2372 m. Anm. Laufs/Hirsche.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

Behandlungsentscheidungen befugt, wenn der Betreute im konkreten Fall einwilligungsunfähig ist.91 Auf die Einwilligungsfähigkeit kommt es damit maßgeblich an, wenn der Betreuer eine medizinische Maßnahme gegen den Willen des Betreuten befürworten oder ablehnen möchte.92 Die Strafgerichtsbarkeit hat die Einwilligungsfähigkeit schließlich auch außerhalb des Medizinrechts entscheidend weiterentwickelt. Im Zentrum steht hierbei, ähnlich wie im Deliktsrecht, die Frage, ob eine erteilte Einwilligung des Rechtsgutsinhabers den Schädiger mit rechtfertigender Wirkung entlastet hat.

II. Zivilrecht Im Zivilrecht hat sich neben dem Arzthaftungssenat auch der Staatshaftungssenat um die Einwilligungsfähigkeit verdient gemacht (1.). Eine etwas andere Linie schlagen die Betreuungsgerichte ein (2.). 1. Haftungsrecht In der arzthaftungsrechtlichen Rechtsprechung lassen sich vier Entwicklungslinien ausmachen: Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs bis Ende der 1950er Jahre (a), Schadensersatzprozesse psychiatrisch behandelter Patienten (b), die Rechtsprechung zur Wirksamkeit der Einwilligung minderjähriger (c) und erwachsener, somatisch erkrankter Patienten (d). a) Reichsgericht und frühe BGH-Rechtsprechung Das Reichsgericht in Zivilsachen charakterisierte die Einwilligung in ärztliche Maßnahmen schon kurz nach Inkrafttreten des BGB im Einklang mit der damals herrschenden Zivilrechtsansicht93 als rechtsgeschäftliche Willenserklärung.94 Entsprechend beurteilte es die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten in ständiger Rechtsprechung nach den §§ 104 ff. BGB.95 Der III. Zivilsenat des BGH bestätigte diesen Ansatz Anfang der 1950er Jahre in einer Entscheidung zu einem, damals noch als Einwilligung qualifizierten, konkludenten Haftungsverzicht eines Beifahrers.96 b) Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit psychisch erkrankter Patienten: Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit Dieser Linie, nach der die Einwilligung rechtsgeschäftlich charakterisiert wurde, schloss sich der Arzthaftungssenat des BGH in einem Urteil zur Einwilligung eines

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Kap. 8 A III 1 und Kap. 9 B III 2 a). Vgl. Kap. 9 D I und II. 93 Grundlegend Zittelmann, AcP, 99 (1906), 1, 47 ff., näher hierzu Kap. 2 D II. 94 RG, JW 1907, 505; RGZ 68, 431, 436 f.; RG, JW 1911, 748; näher hierzu Kap. 2 D II. 95 RG, JW 1907, 505; RGZ 141, 262, 265; BGH, NJW 1958, 905: schwebende Unwirksamkeit des durch einen minderjährigen Beifahrer konkludent erklärten Haftungsverzicht nach §108 Abs. 1 i.V.m. §§ 2, 106 BGB; offen hingegen gelassen in RG, JW 1911, 748. 96 BGH, NJW 1951, 916 m.w.N.; so auch BGH, NJW 1953, 700, 701. 92

B. Die Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte

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psychisch erkrankten Patienten in eine Elektroschockbehandlung an.97 Der erkennende Senat prüfte jedoch nicht, ob die als Willenserklärung qualifizierte Einwilligung nach § 104 Nr. 2 BGB unwirksam war. Er prüfte vielmehr, ob die Einwilligung auf zutreffenden Vorstellungen des Patienten über Art und Folgen des konkreten Eingriffs beruhte und er Wesen, Bedeutung und Tragweite dieses Eingriffs jedenfalls in seinen Grundzügen erkannt hatte.98 Nach § 104 Nr. 2 BGB wäre zu beurteilen gewesen, ob der Patient krankheitsbedingt außer Stande war, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der psychischen Erkrankung zu bilden und hiernach zu handeln.99 Das ist zu verneinen, wenn die freie Willensbestimmung krankheitsbedingt vollständig aufgehoben ist. Ob der Betroffene die Tragweite einzelner Erklärungen noch erfassen kann, ist demgegenüber nicht maßgeblich.100 In einer weiteren Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1958, prüfte der Arzthaftungssenat zusätzlich, ob der Kläger, ein psychisch erkrankter Patient, konkret in der Lage war, „das Für und Wider der medizinischen Behandlung verständig abzuwägen“.101 Dieser Beurteilungsmaßstab wurde wenig später auch vom Staatshaftungssenat bestätigt und um die Steuerungsfähigkeit erweitert.102 Anlass war das Schadensersatzbegehren zweier ehemals psychiatrisch untergebrachter Patienten, die geltend machten, ihre Einwilligungen in die freiheitsentziehende Unterbringung zu Behandlungszwecken seien unwirksam gewesen.103 Der erkennende Senat beurteilte, ob die Patienten ausreichend einsichts-, urteils- und steuerungsfähig waren. Die Einsichtsfähigkeit definierte er als eine „solche verstandesmäßige, geistige und sittliche Reife, die es gestattet, die Bedeutung und die Tragweite des Eingriffs zu erkennen“, die Urteilsfähigkeit als „Urteilskraft, um das Für und Wider abzuwägen“ und die Steuerungsfähigkeit als „Fähigkeit, das Handeln nach dieser Einsicht zu bestimmen“.104 Damit wurde die Einwilligungsfähigkeit volljähriger Patienten in ständiger Rechtsprechung einem eigenen, von § 104 Nr. 2 BGB abweichenden Maßstab unterstellt.

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BGH, NJW 1956, 1106. BGH, NJW 1956, 1106, 1107; so auch BGHZ 29, 46, 51 = NJW 1959, 811, 812. Der Patient muss nach Ansicht des BGH seine Einwilligung wie der Teilnehmer an einer Gefälligkeitsfahrt „im Bewußtsein der Möglichkeit einer Gefahr“ erteilen. Entsprechend hat sich der Arzt vor jedem Eingriff „der klaren, auf zutreffenden Vorstellungen über Art und Folgen des Eingriffs beruhenden, wenn auch naturgemäß nicht ihre Einzelheiten umfassenden Einwilligung des Kranken (zu) versichern“, BGH, NJW 1956, 1106 f.; so bereits RGZ 163, 129, 138. 99 BeckOK-BGB/Wendtlandt, § 104 Rn. 10 m.w.N. 100 Vgl. BGH, NJW 1953, 1342 m.w.N.; NJW 1961, 261; OLG München, FGPrax 2010, 29, 30; BeckOK-BGB/Wendtlandt, § 104 Rn. 10. 101 BGHZ 29, 46, 51 = NJW 1959, 811, 812. Der erkennende Senat prüfte, ob der Patient „geschäfts- oder willensfähig“ war und stellte die „Urteilsfähigkeit“ der „freien Willensentschließung“ (vgl. § 104 Nr. 2 BGB) des Patienten gegenüber, vgl. ebenda. 102 BGH, VerwRspr 1962, 70 = VersR 61, 632; NJW 1964, 1177. 103 BGH, VerwRspr 1962, 70 = VersR 61, 632; NJW 1964, 1177. 104 BGH, VerwRspr 1962, 70, 72. 98

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

c) Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger ab 1958 In seiner Grundsatzentscheidung vom 9. Dezember 1958 löste der Arzthaftungssenat des BGH schließlich auch die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger von der Geschäftsfähigkeit105 und prüfte, zunächst unter Verzicht auf die Urteils- und Steuerungsfähigkeit, ob der im Behandlungszeitpunkt 20-jährige Patient und Kläger106 nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermochte, mithin einsichtsfähig war. 107 In den 1970er Jahren befasste sich der Senat erneut mit der Frage im Zusammenhang mit der Verschreibung eines arsenhaltigen Mittels an eine 15-jährige Patientin. Diese war ohne ihre Eltern beim Arzt erschienen und hatte durch die fehlerhafte Anwendung eine Arsenvergiftung erlitten.108 Das Gericht hielt es für maßgeblich, ob die Patientin die Aufklärung verstandesgemäß aufgenommen hatte, die Tragweite der ärztlichen Verordnung tatsächlich erfasst und sich konkret danach verhalten hatte.109 Dadurch deutete der BGH neben der Einsichtsfähigkeit auch die Steuerungsfähigkeit an. Anders als bei volljährigen, psychisch erkrankten Patienten prüfte er jedoch die Urteilsfähigkeit der minderjährigen Patientin nicht. Maßgeblich sollte allein sein, ob diese imstande war, die Anweisungen des Arztes zu verstehen und zu befolgen. Die Obergerichte griffen schließlich in den 1980er und 1990er Jahren erneut die eingangs genannte Formel des BGH auf und prüften auch bei medizinisch nicht indizierten Maßnahmen wie dem Schwangerschaftsabbruch 110 und der Zirkumzision,111 ob der oder die Minderjährige, nach ihrer geistigen und sittlichen Reife in der Lage war, „die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen“ und – insoweit ergänzend – eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Letzteres setzt sowohl die Urteils- als auch die Steuerungsfähigkeit implizit voraus. In der Folgezeit widmeten sich die Zivilgerichte zunehmend der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen minderjährige Patienten ohne Beteiligung ihres gesetzlichen Vertreters in einen medizinischen Eingriff einwilligen können (sog. Einwilligungszuständigkeit).112 Die Zivilgerichte beurteilten die Einwilligungszuständigkeit zunehmend unabhängig von der Einwilligungsfähigkeit, mit der Folge, dass die Frage nach der Einwilligungsfähigkeit des minderjährigen Patienten an Entscheidungserheblichkeit verloren hat.113

105

BGHZ 29, 33, 36 = NJW 1959, 811; so zuvor bereits OLG München, NJW 1958, 633, 634. 106 Das Volljährigkeitsalter lag bis zur Neufassung des § 2 BGB durch das Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters vom 31. Juli 1974, BGBl. I, S. 1713 bei 21 Jahren. 107 Auch eine analoge Anwendung der §§ 104 ff. BGB lehnte der Senat ab, da bei Minderjährigen, die über die entsprechende Reife verfügen, das Schutzbedürfnis entfiele, vgl. BGHZ 29, 33, 36 = NJW 1959, 811; so auch OLG München, NJW 1958, 633; OLG Hamm, NJW 1983, 2095, 2095; LG München I, NJW 1980, 646; AG Schlüchtern, NJW 1998, 832. 108 BGH, NJW 1970, 511, 512. 109 BGH, NJW 1970, 511, 512; NJW 1972, 335, 337. 110 LG München I, NJW 1980, 646; AG Schlüchtern, NJW 1998, 832. 111 OLG Frankfurt a.M., NJW 2007, 3580, 3581; LG Frankenthal, MedR 2005, 243, 243. 112 Zum Teil wird insoweit auch von Einwilligungskompetenz gesprochen, vgl. GleixnerEberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 15; näher hierzu unten Kap. 8 A II. 113 So etwa BGH, NJW 2007, 217, 218.

B. Die Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte

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d) Neuere Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit Volljähriger Anders als bei minderjährigen Patienten definierte die Zivilrechtsprechung die Einwilligungsfähigkeit bei volljährigen, psychisch gesunden Patienten von Beginn an als Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit.114 So etwa das OLG Düsseldorf, dass die Wirksamkeit der Einwilligung einer Patientin in eine kosmetische Operation zu beurteilen hatte, die unter dem Einfluss sedierender Medikamente stand.115 Das Gericht prüfte, ob die Patientin imstande war, die Sachlage zu erfassen und zutreffend zu beurteilen, das Für und Wider sorgfältig abzuwägen und etwaige Bedenken mitzuteilen und umzusetzen.116 In der Folgezeit rückten die Zivilgerichte die Urteilsfähigkeit zunehmend ins Zentrum der Prüfung.117 Zugleich wurde die Verbindung zwischen Einwilligungsfähigkeit und Aufklärungspflicht stärker betont. In einer Reihe von Urteilen zur Auswirkung von Schmerzen auf die Einwilligungsfähigkeit wurde bekräftigt, dass die Einwilligung eines Patienten unwirksam sei, wenn er schmerzbedingt außerstande ist, die an ihn herangetragene Aufklärung zu erfassen und zu würdigen.118 Hiervon sei auszugehen, wenn der Einwilligende „völlig auf seine Schmerzen fixiert ist, schwerstens unter ihnen leidet und gegenüber Umweltreizen in erheblichem Maße in seiner Aufnahmefähigkeit eingeschränkt erscheint“.119 Das kommt nach der Rechtsprechung bei Unfallpatienten mit erheblichen Verletzungen ebenso in Betracht wie bei Frauen im fortgeschrittenen Stadium einer Geburt.120 Gleiches soll gelten, wenn ein Patient innerhalb weniger Stunden zweimal operiert wird, unter erheblichen psychischen und physischen Belastungen steht und sein Allgemeinzustand sehr schlecht ist.121 Anlässlich der unterlassenen Aufklärung einer Patientin über verschiedene Entbindungsalternativen konkretisierte der Arzthaftungssenat des BGH die Urteilsfähigkeit weiter und prüfte, ob die Patientin unter der Geburt zu einer verantwortungsvollen Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen und den jeweiligen Risiken der verschiedenen Methoden imstande war und zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung gelangen konnte.122

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Im Fall hielt das Gericht die Einwilligung der Patientin für unwirksam, vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1679, 1680. 115 OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1679, 1680. 116 OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1679, 1680. 117 BGH, NJW 1987, 2291, 2293; NJW 1993, 2372, 2373 m. Anm. Laufs; OLG Frankfurt a.M., MedR 1984, 194, 196 = VersR 1984, 289; so auch angedeutet in BGH, NJW 1986, 780. 118 OLG Frankfurt a.M., MedR 1984, 194, 196 = VersR 1984, 289 (Unfallpatient). 119 OLG Frankfurt a.M., MedR 1984, 194, 196 = VersR 1984, 289 (Unfallpatient). 120 BGH, NJW 1993, 2372, 2373 m. Anm. Laufs/Hirsche; OLG Frankfurt a.M., MedR 1984, 194 = VersR 1984, 289. 121 BGH, NJW 1987, 2291, 2293. 122 BGH, NJW 1993, 2372, 2373 f.; OLG Düsseldorf, VersR 1995, 1317. Das OLG Naumburg prüfte in einem vergleichbaren Fall hingegen sehr allgemein die „natürliche Einsichtsund Urteilsfähigkeit zu Art, Bedeutung, Folgen und Risiken einer Behandlung“, vgl. OLG Naumburg, GesR 2015, 99, 100.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

2. Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit psychisch erkrankter Personen im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Betreuungsrecht Die Vormundschafts- und Betreuungsgerichte und der XII. Zivilsenat des BGH befassten sich schließlich wiederholt mit der Einwilligungsfähigkeit psychisch erkrankter Patienten. Während in der Rechtsprechung zum früheren Vormundschaftsund Pflegschaftsrecht123 die Urteilsfähigkeit gelegentlich noch erwähnt124 und vereinzelt auch die vollständige Formel des Staatshaftungssenats zu Grunde gelegt wurde,125 verkürzte die betreuungsrechtliche Judikatur, ähnlich wie in der arzthaftungsrechtlichen Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger,126 den Prüfmaßstab auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit.127 Zugleich wurde das Erfordernis der Krankheits- und Behandlungseinsicht als Teilaspekt der Einsichtsfähigkeit stärker ausgestaltet. Die Einwilligungsfähigkeit eines psychisch Erkrankten in ärztliche Maßnahmen setzt hiernach voraus, dass der Patient in der Lage ist, zu verstehen, dass er behandlungsbedürftig ist.128 Denn ein psychisch kranker Patient, der sich für gesund hält und deshalb keinen Anlass sieht, sich behandeln zu lassen, kann kaum informiert über eine psychiatrische Behandlung entscheiden.129 In der betreuungsrechtlichen Rechtsprechung findet sich zudem die Tendenz, die Einwilligungsunfähigkeit der Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB anzunähern.130

III. Strafrecht Die Strafgerichte haben sich mit der Einwilligungsfähigkeit zunächst außerhalb des medizinischen Bereichs beschäftigt. Erst später wendeten sie sich auch dem Medizinrecht zu. Wesentlich für die Einwilligungsfähigkeit ist die Rechtsprechung zur Tötung auf Verlangen, vgl. § 216 StGB, und zur einvernehmlichen Körperverletzung, vgl. § 223 StGB.

123

D.h. vor Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes und des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Vgl. OLG Hamm, NJW 1983, 2095; LG Bremen, Urt. v. 9.7.1998 – 7 O 285/97, BeckRS 2013, 19285. 125 BGH, NJW 2013, 1449, 1450; LG Bremen, Urt. v. 9.7.1998 – 7 O 285/97, BeckRS 2013, 19285 (Die Entscheidung erging zum alten Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht in Anlehnung an BGH, VerwRspr 1962, 70, 72). 126 Vgl. Kap. 3 B II 1 c). 127 So etwa BGH, NJW 2001, 888, 890; NJW 2006, 1277, 1278 = MedR 2007, 104, 105; OLG Hamm, NJW 1983, 2095; NJWE-FER 1997, 178, 179; NJOZ 2009, 3271. 128 BGH, NJW 2001, 888, 890; NJW 2013, 1449, 1450; OLG Hamm, NJW 2003, 2392, 2393. 129 BGH, NJW 2013, 1449, 1450. 130 Vgl. BGH, NJW-RR 2016, 3; NJW-RR 2016, 5; OLG Hamm, NJOZ 2009, 3271, 3272; BayObLG, NJWE-FER 1999, 238; OLG Düsseldorf, FamRZ 1995, 118, aber auch die an § 104 Nr. 2 BGB angelehnten Formulierungen des BGH in Strafsachen, der die Einwilligungsfähigkeit verneint, weil sich die Einwilligende in einem „ihre freie Selbstbestimmung ausschließenden akuten krankhaften Zustand“ befunden habe und ihre „Urteils- und Willensfähigkeit“ krankheitsbedingt gestört gewesen sei, vgl. BGH, NJW 1981, 932. 124

B. Die Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte

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1. Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH zu § 185 StGB Ihren Ausgangspunkt nahm die Entwicklung noch vor Inkrafttreten des BGB in einer Reihe von Urteilen zur tätlichen Beleidigung Minderjähriger nach § 185 StGB.131 Ungeklärt war damals, ob minderjährige Verletzte wirksam in die Verletzung ihrer Ehre einwilligen können und nach welchen Kriterien sich ihre Einwilligungsfähigkeit bestimmen sollte.132 Das Reichsgericht bejahte die Einwilligungsmöglichkeit dem Grunde nach, sofern die einwilligenden Minderjährigen nach ihrer geistige Reife fähig waren, zu verstehen, dass die Handlungen eine Kränkung ihrer Ehre enthielten.133 Nach Inkrafttreten des BGB beschäftigte sich das Reichsgericht mit der Anwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB, lehnte diese jedoch ebenso wie die analoge Anwendung der Normen über die Schuldfähigkeit ab. 134 2. Arzthaftungsrechtliche Rechtsprechung Mit der Einwilligung in einen medizinischen Eingriff befasste sich das Reichsgericht in Strafsachen erstmals in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1894.135 Konkrete Kriterien enthält das Urteil nicht. Es beschränkt sich darauf mögliche Ausschlussgründe der Einwilligungsfähigkeit, wie etwa Bewusstlosigkeit, „Gei-

131

Vgl. RGSt 10, 372; RGSt 29, 398, 399; RGSt 41, 392; RGSt 60, 34; RGSt 71, 349 f.; RGSt 75, 179, 180; so auch BGHSt 5, 362 = NJW 1954, 847; BGHSt 7, 129 = NJW 1955, 471; BGHSt 23, 1, 4 ff. = NJW 1969, 1582, 1583. Mit der Neuregelung des 13. Abschnitts des StGB durch das Vierte StrafrechtsreformG (4. StrRG) v. 23.11.1973, BGBl. I, S. 1725 hat der BGH diese Rechtsprechungslinie verlassen und § 185 StGB fortan nicht mehr als Auffangtatbestand im Bereich der Sexualdelikte herangezogen, vgl. BGH, NJW 1986, 2442. Näher hierzu Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 51. 132 Die Zustimmung des Verletzten in die Beeinträchtigung der Geschlechtsehre wurde von den Strafgerichten nicht als tatbestandsausschließendes Einverständnis, sondern als Einwilligung eingestuft. 133 Vgl. RGSt 41, 392, 394 (die Einwilligungsfähigkeit eines 16- und eines 17-jährigen Minderjährigen wurde grds. für möglich gehalten); RGSt 71, 349, 350 (die Einwilligungsfähigkeit einer 14-jährigen Minderjährigen wurde wegen ihres „kindlichen Wesens“ verneint); RGSt 75, 179, 180 f. (die Einwilligungsfähigkeit einer 15-Jährigen wurde verneint). So auch BGH, GA 1956, 317 (die Einwilligungsfähigkeit einer 16-Jährigen wurde bejaht); BGH, Urt. v. 25.03.1971 – 4 StR 72/71 (die Einwilligungsfähigkeit einer 15-Jährigen wurde für möglich gehalten). A.A. noch RGSt 10, 372 (die Dispositionsbefugnis eines 11- und eines 14-jährigen Mädchens wurde generell verneint). Anders als der III. und V. Strafsenat, ging der II. Strafsenat des Reichsgerichts in Anlehnung an die Altersgrenze des damaligen Strafantragsrechts in § 65 StGB a.F. (18 Jahre) in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei minderjährigen Verletzten die Einwilligungsfähigkeit in der Regel zu verneinen sei, vgl. etwa RGSt 29, 398, 399 f. und RGSt 60, 34, 36; ausführlich hierzu Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 47 ff. m.w.N. 134 RGSt 41, 392, 396. Zur Begründung führt der erkennende Senat an, dass die Einwilligung in eine objektiv ehrverletzende Handlung keine „Verfügung über ein Recht oder ein Rechtsverhältnis“ sei, sondern die Ehre, wie auch das Leben und die körperliche Unversehrtheit, Rechtsgüter seien, „die zwar Dritten gegenüber Rechtsschutz genießen, selbst aber nicht Gegenstand eines Rechts ihres Trägers sind.“, ebenda, S. 395 f. Krit. hierzu zu Recht Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 527 Fn. 7. Näher zum Ganzen Kap. 3 B I. 135 RGSt 25, 375.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

steskrankheit“ oder „Unzurechnungsfähigkeit“, zu nennen.136 Der BGH in Strafsachen widmete sich der Frage erstmals 1959.137 Anlass war die ohne Mitwirkung der Eltern erteilte Einwilligung einer 17-jährigen Patientin in eine nur relativ indizierte Blinddarmoperation, an deren Folgen die Patientin verstarb. Der 5. Strafsenat definierte die Einwilligungsfähigkeit wie bei Erwachsenen als Einsichts- und Urteilsfähigkeit und interpretierte sie unter Berücksichtigung der elterlichen Sorge und im Einklang mit der späteren Linie der Zivilrechtsprechung restriktiv: Zwar könne einem Minderjährigen je nach den Umständen ein ausreichendes Verständnis zugetraut werden, um das Für und Wider verständig gegeneinander abzuwägen und die Tragweite seiner Einwilligung zu erkennen.138 Der Senat verneinte jedoch angesichts der fehlenden Dringlichkeit des Eingriffs die Einwilligungsfähigkeit der minderjährigen Patientin im konkreten Fall mit dem Argument, gerade ein „verständiger“ Minderjähriger hätte eine solche nicht dringliche Behandlungsentscheidung nicht allein, sondern stets gemeinsam mit den Eltern zu treffen.139 Das Kriterium der Verständigkeit prägte auch die Zahnextraktionsentscheidung des BGH,140 in der Einsichts- und Urteilsfähigkeit als Fähigkeit zur „vernünftigen“ Abwägung definiert wurden, wobei ein medizinisch-objektiver Vernunftmaßstab zugrunde gelegt wurde.141 Unabhängig vom Alter des Patienten wurde in beiden Urteilen die Urteilsfähigkeit als Fähigkeit das Für und Wider abzuwägen, explizit geprüft. Schließlich ergänzte das OLG Frankfurt den Maßstab weiter: Für die Einwilligung eines drogenabhängigen Patienten in die Verschreibung suchtfördernder Arzneimittel mit dem Risiko möglicher Mehrfachabhängigkeiten verlangte es, dass dieser hinreichend steuerungsfähig war.142 3. Rechtsprechung zu §§ 223 und 216 StGB Außerhalb des Medizinrechts wurde die Einwilligungsfähigkeit in einer Reihe von Urteilen zur Tötung auf Verlangen, § 216 StGB,143 und zur einvernehmlichen Körperverletzung, §§ 223 ff. StGB,144 konkretisiert. In Anlehnung an die Rechtspre136

RGSt 25, 375, 381 f. BGHSt 12, 379 = NJW 1959, 825. 138 BGHSt 12, 379, 382 f. = NJW 1959, 825. 139 BGHSt 12, 379, 383 = NJW 1959, 825 f. Der BGH stellt damit wenig überzeugend bei relativer Indikation höhere Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit als bei absolut und vital indizierten Eingriffen. Ausführlich hierzu Kap. 4 B II 4 und C. 140 BGH, NJW 1978, 1206. 141 BGH, NJW 1978, 1206. 142 OLG Frankfurt, NJW 1991, 763. In die Beurteilung floss u.a. die Dauer der Abhängigkeit, das Ausmaß bestehender Persönlichkeitsveränderungen, etwaige Entzugserscheinungen und ein möglicher Beschaffungsdruck im Zeitpunkt der Arzneimittelverschreibung ein. 143 Vgl. etwa RGSt 72, 399; BGH, NJW 1965, 699; NJW 1981, 932; NStZ 2011, 340; NStZ 2012, 85. Die Einwilligung in die Fremdtötung wirkt im Gegensatz zur Einwilligung in andere Rechtsgutsverletzungen nicht unrechtsauschließend, sondern lediglich unrechts- und schuldmildernd. Es handelt sich somit nicht um einen Rechtfertigungs-, sondern lediglich um einen Strafmilderungsgrund, S/S/Eser/Sternberg-Lieben, § 216 Rn. 1 m.w.N. Nach h.M. ist die Einwilligung nach § 216 StGB aber nach denselben Voraussetzungen zu prüfen wie die rechtfertigende Einwilligung, vgl. BGH, NStZ 2011, 340, 341 m.w.N. 144 Vgl. BGH, NJW 1953, 912; NStZ 2000, 87; NJW 2013, 1379 (jeweils zur Einwilligung in eine Schlägerei) und BGH, NJW 2004, 1054 (Einwilligung in Heroinfremdinjektion). 137

B. Die Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte

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chung zu § 185 StGB urteilte der IV. Strafsenat des Reichsgerichts, dass ausnahmsweise auch Minderjährige über die erforderliche Reife und Einsichtsfähigkeit verfügen können, um ein hinreichendes Urteil über Wert und Unwert des Lebens im Rahmen von § 216 StGB zu treffen.145 Der 2. Strafsenat des BGH hielt in der Folge das Tötungsverlangen einer 16-Jährigen für beachtlich.146 Auch bei Volljährigen sollte es auf die hinreichende „natürliche“ Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Einwilligenden ankommen.147 Mit Blick auf die Tragweite der Einwilligungsentscheidung in die eigene Tötung forderte der BGH in Strafsachen zusätzlich, dass die Einwilligung von gewisser Dauer und von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen sein müsse.148 Zum Teil bemühen die Gerichte nunmehr erneut einen Vernunftmaßstab und prüfen, ob der Einwilligende in der Lage ist, die Situation „nach objektiven Maßstäben“ zu beurteilen,149 die Bedeutung und Tragweite seines Entschluss „verstandesmäßig zu überblicken“ oder den Entschluss, sich töten zu lassen, „rational zu überschauen“.150 Auf die Einsichts- und Urteilsfähigkeit stellen die Strafgerichte in ständiger Rechtsprechung schließlich auch bei einvernehmlichen Körperverletzungshandlungen ab.151 Demgegenüber beurteilte das BayObLG die Einwilligungsfähigkeit eines 15-Jährigen in eine Mutprobe, die daraus bestand sich von drei Personen zusammenschlagen zu lassen, erneut nach dem auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit verkürzten Maßstab.152 Maßgeblich sollte hiernach lediglich sein, ob der Minderjährige in der Lage war, Wesen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs voll zu erfassen und seinen Willen danach zu bestimmen.153 Wie zuvor der BGH, zweifelte das BayObLG zudem wegen der objektiven Unvernünftigkeit der Einwilligung an der Einwilligungsfähigkeit des Verletzten.154

RGSt 72, 399, 400. Mangels notwendiger „Feststellungen über die geistige Entwicklung“ der Einwilligenden wird die Frage vom Reichsgericht offengelassen und zur Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen. 146 Vgl. BGH, NJW 1965, 699, 700. 147 BGH, NJW 1981, 932; so auch BGH, NStZ 2011, 340, 341; NStZ 2012, 85, 86. 148 Vgl. BGH, NStZ 2011, 340, 341. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe bewertete der 2. Strafsenat des BGH etwa das zwischen mehreren epileptischen Anfällen geäußerte Tötungsverlangen einer chronisch alkoholabhängigen und zugleich mehrfachbehinderten Einwilligenden als nicht ernstlich i.S.v. § 216 StGB, vgl. BGH, NStZ 2012, 85, 86. 149 Vgl. BGH, NJW 1981, 932. 150 BGH, NStZ 2011, 340 f. 151 Schlägerei: BGH, NJW 1953, 912, 913 (Einwilligungsfähigkeit nach Konsum von 4 Flaschen Bier verneint; Einwilligender hatte im alkoholisierten Zustand zu einer Schlägerei herausgefordert, an deren Folgen er verstarb); BGH, NStZ 2000, 87, 88; NJW 2013, 1379, 1382 (Einwilligungsfähigkeit aufgrund erheblicher Alkoholisierung – BAK von rund 3,0 ‰ – verneint). Heroinfremdinjektion: BGH, NJW 2004, 1054, 1057 (Einwilligungsfähigkeit wegen BAK von 2,3 ‰ und körperlich sehr labilen Zustandes fraglich). 152 Das BayObLG spricht zwar in den Entscheidungsgründen von der „Urteilsfähigkeit“, definiert diese jedoch als Fähigkeit, die Tragweite des Eingriffs in die körperliche Integrität zu erfassen, was der Einsichtsfähigkeit entspricht, vgl. BayObLG, NJW 1999, 372. Das Gericht ließ die Frage der Einwilligungsfähigkeit des Verletzten letztlich offen, ebenda, S. 373. 153 BayObLG NJW 1999, 372 = NStZ 1999, 458, 459 m. krit. Anm. Amelung. 154 BayObLG, NJW 1999, 372 = NStZ 1999, 458, 459 m. krit. Anm. Amelung. 145

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

IV. Diskussion und Stellungnahme In der Zusammenschau zeigt sich, dass die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit in der Rechtsprechung stark variieren. Wegen der Vielfalt an Definitionen drängt sich die Frage nach einer Verletzung des Willkürverbots auf. Problematisch erscheint zudem der vor allem im Strafrecht wiederholt bekräftigte Vernunftmaßstab und die Verkürzung auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit im Betreuungsund Minderjährigenrecht. 1. Emanzipation der Einwilligungsfähigkeit von der Geschäftsfähigkeit Während die Strafgerichte die Einwilligungsfähigkeit seit jeher unabhängig von der Geschäftsfähigkeit ausgestaltet haben, löste sich die Zivilrechtsprechung hiervon erst in den 1950er Jahren. Sie entwickelte zunächst eigenständige Kriterien für Volljährige und beurteilte schließlich ab Ende der 1950er Jahre auch die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger abweichend von den §§ 2 und 106 ff. BGB. Das Abrücken von den festen Altersgrenzen der Geschäftsfähigkeit zu Gunsten eines fähigkeitsbezogenen Ansatzes wirft kaum Abgrenzungsschwierigkeiten auf.155 Das Verhältnis der Einwilligungsunfähigkeit zur Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB ist hingegen deutlich komplexer. Wie gezeigt unterscheiden sich beide Fähigkeiten grundlegend in ihren Anforderungen,156 was auch in der abweichenden Ausgestaltung durch die Gerichte zum Ausdruck kommt. Die vor allem im Betreuungsrecht bestehende Tendenz, beide Fähigkeiten zu vermischen, ist vor diesem Hintergrund kritisch zu sehen. Zum Teil wird zudem statt der Einsichtsfähigkeit das tatsächlich richtige Verständnis der Aufklärung und statt der Urteilsfähigkeit die objektiv „zutreffende“ Beurteilung als Aspekt der Einwilligungsfähigkeit geprüft.157 Dieser Aspekt wird in Kapitel 4 A II 2 vertieft. 2. Variationsbreite Betrachtet man die „Formeln“ der Rechtsprechung näher, zeigt sich eine Vielfalt unterschiedlicher Formulierungen, die über die Variationsbreite in den gesetzlichen Regelungen der Einwilligungsfähigkeit noch hinausgeht.158 So wird die Einwilligungsfähigkeit zum Teil bezogen auf den Eingriff gefordert,159 zum Teil bezogen auf dessen Gestattung160 und an wieder anderer Stelle in Bezug auf beide.161 Die Unterschiede dürften zwar praktisch kaum ins Gewicht fallen, da Inhalt der Ein155

Was nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass die Rolle des Lebensalters bei der Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger von den Gerichten höchst uneinheitlich beurteilt wird, vgl. Kap. 3 B IV 3 b). 156 Vgl. Kap. 2 D II 3. 157 Vgl. RGSt 29, 398; RGSt 41, 392 und RGSt 72, 399. 158 Krit. hierzu bereits Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 541; vgl. a. Wölk, MedR 2001, 80, 81; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 83. 159 Vgl. BGH, VerwRspr 1962, 70, 71 f.; NJW 1964, 1177; OLG Hamm, NJW 1983, 2095 sowie aus strafrechtlicher Sicht BGH, NJW 1969, 1582, 583; BayObLG, NJW 1999, 372. 160 BGH, NJW 1981, 932; NStZ 2011, 340, 341. 161 BGHZ 29, 33, 36 = NJW 1959, 811.

B. Die Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte

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willigung gerade die Gestattung der Eingriffshandlung ist. 162 Die uneinheitliche Verwendung verstärkt aber den Eindruck der Beliebigkeit. Die Bezugspunkte der Einsichtsfähigkeit reichen ähnlich wie in der Gesetzgebung von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs,163 über dessen Wesen,164 seine Art165 und die Folgen.166 Hierin spiegeln sich nicht zuletzt die Anforderungen der Rechtsprechung an die Selbstbestimmungsaufklärung.167 Die Rechtsprechung hat die Einwilligungsfähigkeit im Gesundheitsbereich damit als Gegenstück zur ärztlichen Aufklärungspflicht konzipiert. Während die Betonung der Parallelität von Aufklärungspflicht und Einwilligungsfähigkeit positiv hervorzuheben ist, erscheint die vor allem in der Zivilrechtsprechung verbreitete Tendenz problematisch, bei der Prüfung der Einwilligungsfähigkeit betreuter und minderjähriger Patienten auf die Urteilsfähigkeit zu verzichten. Sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht wird die Einwilligungsfähigkeit zudem vereinzelt auf die Einsichtsfähigkeit reduziert 168 oder aber auf die Steuerungsfähigkeit verzichtet.169 An anderer Stelle werden Urteils- und Einsichtsfähigkeit gleichgesetzt.170 Die vom Staatshaftungssenat herausgearbeitete Trias aus Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit psychisch kranker Personen findet sich nur selten. a) Gehalt der Definitionsansätze und außerrechtliche Erwägungen Die scheinbare Beliebigkeit der Formulierungen und die weitgehend fehlende Subsumtion171 führen dazu, dass die Ansätze der Rechtsprechung bisher nur wenig zur Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit beitragen.172 Erschwerend kommt hinzu, dass die überwiegende Zahl der Entscheidungen schwerwiegende Einzelschicksale zum Gegenstand hat, was vor allem bei minderjährigen Patienten zu einer eher restriktiven, die elterliche Sorge und das staatliche Fürsorgegebot betonen-

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Krit. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 532 f. und Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 36. 163 BGHZ 29, 33, 36 = NJW 1959, 811; OLG Hamm, NJW 1983, 2095. 164 BGH, NJW 1969, 1582, 1583; BayObLG, NJW 1999, 372. 165 BGH, VerwRspr 1962, 70, 71 f.; NJW 1964, 1177. 166 BGH, NJW 1956, 1106, 1107. Krit. hierzu schon Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 537 und Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 36. 167 Näher zur Parallelität von Einwilligungsfähigkeit und Selbstbestimmungsaufklärung unten Kap. 4 A II 1 a). 168 KG, NJW-RR 2007, 514, 516. 169 Vgl. NStZ 2011, 340, 341. 170 Vgl. etwa RGSt 41, 392, 394; OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1679, 1680. 171 Die Ausführungen beschränken sich meist auf die Wiedergabe der „Formel“. Eine tiefergehende Würdigung findet sich – anders als in der schweizerischen Rechtsprechung (näher hierzu Gleixner-Eberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 286) – nur selten, etwa in LG München I, NJW 1980, 646 und AG Schlüchtern, NJW 1998, 832; vgl. a. die Nachw. bei Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 119. 172 Krit. hierzu bereits Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 537 f.; ders., Vetorechte, 1995, S. 8 f.; vgl. a. Wölk, MedR 2001, 80, 82; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 39 ff., insbes. S. 44; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 83; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 37 und Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 116 ff.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

den Rechtsprechung geführt hat.173 Diese Grundsätze lassen sich nur schwer auf die alltäglichen Behandlungsfälle in der medizinischen Praxis übertragen.174 Hieran krankt auch die rechtswissenschaftliche Debatte, die auf diese offenkundigen Ausnahmekonstellationen selbst dann zurückgreift, wenn es um die Entwicklung allgemeiner Grundsätze zur Einwilligung im Behandlungsalltag geht. 175 Die Vagheit der von der Rechtsprechung zu Grunde gelegten Ansätze begünstigt zudem das wiederholt beschriebene, bewusste oder unbewusste Einfließen sachfremder, moral- und ergebnisorientierter Erwägungen in die Entscheidungsgründe. 176 Mit Blick auf das im Gleichheitssatz verankerte Willkürverbot erscheint dies kaum legitimierbar.177 b) Die Rolle der Vernunft und das Erfordernis der sittlichen Reife Moralische Erwägungen fließen nicht nur verdeckt in die Entscheidungsgründe ein. Zum Teil legen die Gerichte moralische Beurteilungsmaßstäbe auch ausdrücklich zu Grunde. Vor allem die Strafgerichte haben wiederholt die Fähigkeit zur objektiv vernünftigen Wertung betont. In eine ähnliche Richtung weist das von den Zivilgerichten verwendete Kriterium der sittlichen Reife. In beiden Fällen wird die Einwilligungsfähigkeit anhand außerrechtlicher Maßstäbe an einer überindividuellen Werteordnung gemessen, was im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht problematisch erscheint.178 Im Zusammenspiel mit der Verkürzung auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit begünstigt ein objektiver Vernunftmaßstab zudem die Tendenz, bei einer vom „Normalen“ abweichenden Entscheidung eines minderjährigen oder psychisch erkrankten Patienten unmittelbar auf dessen Einwilligungsunfähigkeit zu schließen.179 Durch den Verzicht auf die Urteilsfähigkeit droht die Einwilligungsfähigkeit auf die Fähigkeit, das medizinisch Notwendige einsehen und dieser Einsicht entsprechend handeln zu können, reduziert zu werden.180 Damit wird dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen nicht hinreichend Rechnung getragen, das es gebietet, auch solche Entscheidungen des hinreichend selbstbestimmungsfähigen Patienten zu berücksichtigen, die vom medizinisch Gebotenen abweichen.181 Fließt das medizinisch Gebotene jedoch implizit in die Definition der Einwilligungsfähigkeit ein, droht die Entscheidungsfreiheit empfindlich beschränkt zu werden. 182

173

Vgl. etwa BGH, NJW 2007, 217 aber auch BGHSt 12, 379 = NJW 1959, 825. Näher hierzu Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 91 f. 175 Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 92 m.w.N. 176 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 338 f.; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 83 und Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 42, jeweils mit Beispielen. 177 Zwar kommt den Gerichten bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe „eine Gestaltungsbefugnis für den Einzelfall“ zu. Innerhalb des jeweiligen Zuständigkeitsbereichs besteht jedoch eine Bindung an den Gleichheitssatz, der abweichende Entscheidungen in gleichgelagerten Fällen rechtfertigungsbedürftig macht, vgl. Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2010; Maunz/Dürig/Kirchhof, GG Art. 3 Abs. 1 Rn. 288 f. 178 Ausführlich hierzu Kap. 4 A II 2. 179 So etwa BGH, NJW 1978, 1206; BayObLG, NJW 1999, 372. 180 Das kommt auch in der Formulierung der „krankheitsbedingten Unfähigkeit zu verhaltenswirksamer Einsicht“ zum Ausdruck, vgl. BVerfG, NJW 2011, 2113, 2116 m.w.N. 181 Näher hierzu Kap. 3 B. 182 Grundlegend hierzu Kap. 4 A II 2. 174

B. Die Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte

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3. Offene Fragen zur Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten Auch die Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten ist sehr heterogen. Das betrifft vor allem die Rolle von Altersgrenzen bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit aber auch die Einwilligungszuständigkeit. a) Einwilligungszuständigkeit im Zivil- und Strafrecht In der Literatur wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass die Zivil- und Strafgerichte die Einwilligungszuständigkeit Minderjähriger unterschiedlich ausgestalten.183 Während die Strafgerichte einwilligungsfähigen Minderjährigen regelmäßig eine Alleinzuständigkeit zugestünden, sei die Zivilrechtsjudikatur sorgerechtsorientierter, was sich nicht zuletzt darin zeige, dass auch dann, wenn minderjährige Patienten konkret einwilligungsfähig sind, eine Einwilligungszuständigkeit allenfalls gemeinsam mit seinem gesetzlichen Vertreter anerkannt werde.184 Richtig ist, dass das Reichsgericht in Strafsachen die selbständige Einwilligung Minderjähriger in eine Ehrverletzung grundsätzlich für möglich hielt.185 Zugleich verneinte der II. Strafsenat aber, mit Verweis auf das damalige Strafantragsalter,186 in ständiger Rechtsprechung die Einwilligungsfähigkeit unter 18-Jähriger.187 Entscheidungen, in denen die Strafgerichte in diesen Konstellationen eine Alleinentscheidungsbefugnis des einwilligungsfähigen Minderjährigen tatsächlich annahmen, sind rar gesät.188 Zweifelhaft ist auch, ob sich die vom Reichsgericht zur Ehrverletzung entwickelten Grundsätze auf medizinrechtliche Sachverhalte übertragen lassen. So verfuhr etwa der 5. Strafsenat des BGH in der oben erwähnten Entscheidung zur Einwilligung einer minderjährigen Patientin in eine relativ indizierte Blinddarmoperation ähnlich restriktiv wie zuletzt der Arzthaftungssenat.189 Er verneinte die Einwilligungsfähigkeit einer im Zeitpunkt des Eingriffs 17-jährigen Patientin, betonte das elterliche Sorgerecht und ging – zumindest bei risikoreichen und zeitlich nicht dringenden Eingriffen – von einer Doppelzuständigkeit der Minderjährigen gemeinsam mit den Eltern aus.190 Hinzuweisen ist schließlich auf eine vielbesprochene Entscheidung des BGH in Strafsachen, in der die Einwilligung einer konkret einwilligungsfähigen 16-Jährigen in die einverständliche Fremdtötung

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Vgl. Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 58 f. m.w.N.; Gleixner-Eberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 248 ff., insbes. S. 260 f.; Brückner, Selbstbestimmungsrecht, 2014, S. 76 ff.; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 422 ff. 184 So etwa BGH, NJW 1970, 511, 512; NJW 1972, 335, 337. Näher hierzu Kap. 8 A II. 185 Vgl. RGSt 41, 392, 394; RGSt 71, 349, 350; RGSt 75, 179, 180 f.; so auch BGH, GA 1956, 317 und BGH, Urt. v. 25.03.1971 – 4 StR 72/71. 186 § 65 StGB a.F. 187 Vgl. RGSt 29, 398, 400; RGSt 60, 34, 36. Das Volljährigkeitsalter lag zu dieser Zeit noch bei 21 Jahren. Näher hierzu Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 48 ff. m.w.N. 188 Vgl. RGSt 41, 392, 394 (die Einwilligungsfähigkeit der 16- und 17-jährigen Einwilligenden wurde grds. bejaht, im konkreten Fall jedoch wegen Alkoholeinflusses verneint); BGH, GA 1956, 317 (die Einwilligungsfähigkeit einer 16-Jährigen wurde bejaht). Angedeutet auch in BGH, Urt. v. 25.03.1971 – 4 StR 72/71 wo die Einwilligungsfähigkeit der im Fall 15-Jährigen für möglich gehalten wurde, die Frage jedoch letztlich offen blieb. 189 BGHSt 12, 379, 382 f. = NJW 1959, 825. 190 BGHSt 12, 379, 383 = NJW 1959, 825.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

(fehlgeschlagener Doppelselbstmord) als wirksam erachtet wurde.191 Hier liegt es nahe, dass die Wirksamkeit der Einwilligung der betroffenen Minderjährigen bejaht wurde, um die Privilegierung des § 216 StGB annehmen zu können,192 so dass auch in diesem Fall eine Übertragbarkeit auf andere Sachverhalte fraglich erscheint. Hinzu kommt, dass auch die Zivilgerichte vereinzelt Alleinentscheidungsbefugnisse einwilligungsfähiger Minderjähriger angenommen haben.193 Ein kategorischer Unterschied in der Beurteilung der Einwilligungszuständigkeit minderjähriger Patienten im Zivil- und Strafrecht lässt sich damit im Ergebnis kaum ausmachen. Vielmehr bestehen rechtsgebietsübergreifende Widersprüche, die auf eine stark ergebnis- und interessengeleitete Rechtsprechung hinweisen. b) Rolle des Alters Nicht nur die Frage der Einwilligungszuständigkeit, auch die Rolle des Lebensalters bei der Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger wird von den Gerichten wenig einheitlich beurteilt. aa) Kasuistik Während das OLG Koblenz die Einwilligungsfähigkeit einer 17-jährigen Patientin, die in Begleitung ihrer Mutter aufgeklärt worden war, für eine relativ indizierte Operation bejahte,194 führte der BGH in seiner jüngsten Entscheidung zum Thema im obiter dictum aus, dass minderjährige Patienten bei relativ indizierten operativen Eingriffen grundsätzlich nur vetofähig, aber nicht einwilligungsfähig seien.195 Die Entscheidung hatte einen besonders tragischen Sachverhalt zum Gegenstand, da die 15-jährige Klägerin infolge der Operation unter anderem querschnittsgelähmt war.196 Auch hier war die Minderjährige, wie im Fall des OLG Koblenz, in Begleitung ihrer Eltern aufgeklärt worden und hatte mit ihnen gemeinsam die Aufklärungs- und Einwilligungsbögen unterschrieben. Ähnlich restriktiv wie der Arzthaftungssenat urteilte auch der 5. Strafsenat des BGH, der im Jahre 1959 im oben erwähnten Urteil zur Einwilligung einer minderjährigen Patientin in eine Operation die Fähigkeit einer 17-Jährigen, in eine relativ indizierte und zeitlich nicht dringliche Blinddarmoperation einzuwilligen verneinte, an deren Folgen sie verstarb.197 Die Patientin hatte im Unterschied zu den genannten zivilrechtlichen Entscheidungen den Arzt allein aufgesucht.198 Zu nennen sind schließlich zwei Urteile zur Einwilligung zweier minderjähriger Patientinnen in die primär kosmetisch motivierte Verschreibung eines arsenhaltigen Mittels zur Entfernung juveniler Warzen, dessen (unsachgemäße) Anwendung in beiden Fällen zu einer Arsenvergiftung führte.199 191

BGH, NJW 1965, 699, 700. So bereits Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 538 f. 193 Vgl. BGHZ 29, 33, 36 = NJW 1959, 811; LG München I, NJW 1980, 646; AG Schlüchtern, NJW 1998, 832. 194 OLG Koblenz, GesR 2014, 280, 281. 195 BGH, NJW 2007, 217, 218. Ausführlich hierzu unten Kap. 8 A II. 196 BGH, NJW 2007, 217. 197 BGHSt 12, 379, 380 f. = NJW 1959, 825. 198 BGHSt 12, 379 = NJW 1959, 825. 199 BGH, NJW 1970, 511, 512; NJW 1972, 335, 337. 192

B. Die Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte

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Der BGH urteilte bezüglich der beiden jeweils allein beim Arzt erschienenen Patientinnen, dass die Fähigkeit einer 15- und einer 16-Jährigen zur Einwilligung in die Behandlung mit einem nicht ungefährlichen Medikament nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden könne.200 Während das Landgericht Bad Kreuznach die Einwilligungsfähigkeit eines 16-Jährigen in eine gendiagnostische Untersuchung zur Feststellung einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Erbkrankheit bejahte,201 hob das OLG Koblenz das Urteil mit der Begründung auf, bei einem Minderjährigen sei „grundsätzlich davon auszugehen, dass er keinesfalls über die Einwilligungsfähigkeit verfügt und – dem gleichen Rechtsgedanken im Jugendstrafrecht in §§ 1, 105 JGG folgend – selbst bei einem Volljährigen die Einwilligungsfähigkeit noch fehlen kann.“202 Angesichts der Komplexität der mit den Ergebnissen einer genetischen Untersuchung für einen Verwandten als nicht selbst untersuchtem Dritten verbundenen Folgen, seien die allgemeinen zivilrechtlichen Kategorien zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit bei gendiagnostischen Untersuchungen unter besonderer Würdigung des Einzelfalles restriktiv anzuwenden.203 Das Landgericht München I und das Amtsgericht Schlüchtern hielten nach intensiver Einzelfallprüfung demgegenüber zwei jeweils 16-Jährige Schwangere für fähig, in einen medizinisch nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch einzuwilligen.204 Demgegenüber forderte das OLG Hamm 1998 für die Einwilligung in einen Schwangerschaftsabbruch in jedem Fall die Volljährigkeit der Schwangeren.205 Im Zusammenhang mit der Zirkumzision männlicher Minderjähriger aus kulturellen und religiösen Gründen hat sich die Diskussion möglicher Altersgrenzen deutlich nach unten verlagert. Während das LG Frankenthal 206 und das OLG Hamm207 die Einwilligungsfähigkeit 9- bzw. 6-jähriger männlicher Kinder in die Beschneidung noch generell und ohne nähere Prüfung verneinten, ging das OLG Frankfurt a.M. davon aus, dass ein durchschnittlich entwickelter Zwölfjähriger grundsätzlich in der Lage sei, wirksam in eine religiöse Beschneidung einzuwilligen, sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen.208 Auch außerhalb des 200

BGH, NJW 1970, 511, 512; NJW 1972, 335, 337. LG Bad Kreuznach Urt. v. 2.11.2012 – 3 O 306/11, BeckRS 2014, 11535. 202 OLG Koblenz, MedR 2014, 168, 172. 203 OLG Koblenz, MedR 2014, 168, 172. Krit. zu dieser Divergenz auch Damm, MedR 2018, 939, 940. Der BGH ging im Rahmen der Revision nicht auf die Frage ein, S. BGH, NJW 2014, 2190 = JZ 2014, 898 mit Anm. Katzenmeier/Voigt = MedR 2015, 186 m. Anm. Hebecker/Lutzi. 204 LG München I, NJW 1980, 646; AG Schlüchtern, NJW 1998, 832. 205 OLG Hamm, NJW 1998, 3424, 3425; so auch OLG Hamburg, NZFam 2014, 948, 949 m. Anm. Holzwarth; abgeschwächt in OLG Hamm, NJW 2013, 3662, 3663. 206 LG Frankenthal, MedR 2005, 243, 243. 207 OLG Hamm, NJW 2013, 3662, 3663. 208 OLG Frankfurt a.M., NJW 2007, 3580, 3581. Im konkreten Fall wurde die Einwilligungsfähigkeit wegen der verzögerten Entwicklung des Kindes abgelehnt. Zur Begründung beruft sich das Gericht auf § 5 S. 2 RelKErzG, der die religiöse Umerziehung gegen den Willen des Kindes nach Vollendung des zwölften Lebensjahres untersagt. Die Annahme einer widerleglichen, auf § 5 S. 2 RelKErzG gestützten Vermutung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger ab 12 Jahren in die Zirkumzision überzeugt schon aus dogmatischen Gründen nicht, denn § 5 S. 2 RelKErzG normiert lediglich ein Vetorecht und kein selbständiges

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

medizinischen Bereiches gehen die Zivilgerichte mitunter von einer widerleglichen Vermutung der Einwilligungsfähigkeit ab einem bestimmten kalendarischen Alter aus. So nahm beispielsweise das OLG Zweibrücken für Einwilligungsentscheidungen Minderjähriger im Bereich der Aufenthaltsbestimmung eine Altersgrenze bei Vollendung des 14. Lebensjahres an, die nach Ansicht des Gerichts gleichsam den „Durchschnittstypus für die kindliche Selbstbestimmungsfähigkeit“ darstellt und aus einer Gesamtanalogie zu den §§ 50b Abs. 2 S. 1 FGG, 1671 Abs. 3 S. 2 BGB a.F. hergeleitet wurde.209 bb) Stellungnahme Die Ausführungen der Zivil- und Strafgerichte zur Maßgeblichkeit von Altersgrenzen sind im medizinischen Kontext weder einheitlich noch widerspruchsfrei. So lässt sich kaum überzeugend begründen, warum einerseits ein durchschnittlich entwickelter Zwölfjähriger in der Lage sein soll, in einen keinesfalls ungefährlichen und zugleich irreversiblen Eingriff in seine körperliche Integrität einzuwilligen, für den zudem keinerlei medizinische Veranlassung besteht, während die obergerichtliche Rechtsprechung den ebenfalls medizinisch nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch einer Minderjährigen generell für unzulässig hält. Mitunter werden in ähnlich gelagerten Fällen sogar von denselben Gerichten und Senaten unterschiedliche Auffassungen vertreten. Ob sich aus dieser Spruchpraxis generelle Schlüsse ziehen lassen, erscheint damit insgesamt eher zweifelhaft. Zu begrüßen ist aber, dass die Gerichte die Einwilligungsfähigkeit auch zunehmend jüngerer Minderjähriger, ihrem individuellen Entwicklungsstand entsprechend, bejahen.210

C. Die Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft C. Die Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft

Auch die Rechtswissenschaft hat sich vereinzelt mit einer möglichen Definition der Einwilligungsfähigkeit befasst (I.). Daneben werden im Schrifttum auch ausgewählte Einzelfragen ausführlicher diskutiert (II.).

I. Definitionen der Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft 1. Rezeption der Rechtsprechung Die überwiegende Ansicht im Schrifttum rezipiert bis heute rechtsgebietsübergreifend – in zahlreichen Variationen – die Umschreibung der Einwilligungsfähigkeit durch die Rechtsprechung. Hiernach wird die Einwilligungsfähigkeit mit der „natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit“ gleichgesetzt, die voraussetzt, dass der Patient nach seiner geistigen und sittlichen Reife Wesen, Bedeutung und Tragweite Entscheidungsrecht des Kindes. Zudem ist die Übertragung der Schranken des Erziehungsrechts aus § 5 S. 2 RelKErzG auf einen körperlichen Eingriff, wenn auch aus religiösen Gründen, fraglich und zumindest begründungsbedürftig. 209 OLG Zweibrücken, Beschl. v. 29.6.1999 – Az 6 UF 73/99, BeckRS 1999, 30065093. 210 Ausführlich zur Frage der Altersgrenzen Kap. 3 C II.

C. Die Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft

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des Eingriffs und seiner Gestattung jedenfalls in groben Zügen zu ermessen vermag und das Für und Wider der Maßnahme gegeneinander abwägen kann, um zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung zu gelangen.211 Überwiegend anerkannt ist auch, dass neben diesen intellektuell-kognitiven Elementen zusätzlich die Steuerungsfähigkeit als voluntatives Element erforderlich ist.212 Dennoch findet sich die Trias von Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit im Schrifttum, ähnlich wie in der Spruchpraxis der Gerichte, nur selten.213 Analog zur Bandbreite der Definitionen in der Rechtsprechung unterscheiden sich die Bezugspunkte der Einsichtsfähigkeit auch in der Literatur.214 Auch die einzelnen Fähigkeiten variieren stark. Zum Teil wird die Einwilligungsfähigkeit mit der Einsichtsfähigkeit gleichgesetzt, 215 mitunter auf die Urteils-216 oder die Steuerungsfähigkeit217 verzichtet. Die Einwilligungsfähigkeit wird zudem von einigen Autoren negativ218 und von anderen positiv219 definiert. Eine gängige „Formel“, wie sie zum Teil bekräftigt wird,220 lässt sich damit kaum ausmachen.221 Vor allem im betreuungsrechtlichen Schrifttum wird die Einwilligungsfähigkeit analog zur Rechtsprechung und der Normierung in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB und § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB häufig auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit verkürzt.222 Seit Inkrafttreten des Patientenrechte211

Vgl. Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 58 m.w.N.; Blandini, BWNotZ 2007, 129, 130; NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 110; Hk-BGB/Dörner, § 106 Rn. 10; Staudinger/Klumpp, Vor §§ 104 ff. Rn. 38 und Rn. 99; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16; Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 3; Hk-BGB/Schreiber, § 630d Rn. 3; sowie aus strafrechtlicher Sicht NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14 f.; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 21; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XXII § 138 Rn. 16 und Kap. XXIV § 149 Rn. 63; Kern, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XI § 65 Rn. 3; Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 84; Voll, Einwilligung, 1996, S. 62. Ähnlich bereits Geerds, Einwilligung und Einverständnis, 1953, S. 66. 212 Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 58 m.w.N.; NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 110; Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 38 und Rn. 99; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16; Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 3. 213 Etwa bei Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 58; Damm, MedR 2015, 775, 781; S/S/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 40 und NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 21 und Rn. 28. 214 So wird zum Teil gefordert, dass der Patient in der Lage sein muss, die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seine möglichen Folgen erfassen zu können, Hk-BGB/Dörner, § 106 Rn. 10, zum Teil nur die Bedeutung und an wieder anderer Stelle Wesen, Bedeutung und Tragweite oder Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken, vgl. BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901a Rn. 19. Krit. hierzu auch Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 51. 215 Lorenz, NZFam 2017, 782, 783; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 36. 216 Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 88 und S. 118. 217 So etwa Ganner, Selbstbestimmung im Alter, 2005, S. 237. 218 Amelung, ZStW (104), 1992, 525, 558; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 185. 219 Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 46. 220 So etwa Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 58. 221 So bereits Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 37; vgl. a. die detaillierte Aufschlüsselung der im Schrifttum aufgegriffenen Definitionsansätze bei Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 126 ff. 222 Staudinger/Bienwald, 2017, § 1905 Rn. 74; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901a Rn. 19, § 1904 Rn. 6 und § 1905 Rn. 4; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 31, S. 164 und S. 179 m.w.N.; ders., in: Lipp (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 17 Rn. 128; Jürgens/Jürgens, § 1896 Rn. 34. Näher hierzu Kap. 3 A II.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

gesetzes findet sich diese Umschreibung zunehmend auch im arzthaftungsrechtlichen Schrifttum,223 was auf den Verweis der Gesetzesbegründung auf das Dritte Betreuungsrechtsänderungsgesetz zurückführbar scheint.224 2. Weitergehende Definitionsansätze Im Schrifttum wird der hierüber hinausgehende Klärungsbedarf zunehmend unterstrichen,225 von einem nicht unerheblichen Teil aber noch immer unzutreffend den empirischen Fächern überantwortet.226 Die Gegenansicht hat sich demgegenüber schon früh um eine eigenständige, rechtliche Definition bemüht. Ende der 1950er Jahren umschrieb etwa Engisch die Einwilligungsfähigkeit als „die von Fall zu Fall vom Arzt zu prüfende Reife und Fähigkeit, die Tragweite des ärztlichen Eingriffs für Körper, Beruf und Lebensglück zu ermessen". 227 Engischs Definition wurde über das Strafrecht228 hinaus auch im zivilrechtlichen Arzthaftungsrecht rezipiert229 und hat vereinzelt auch Eingang in die Rechtsprechung gefunden.230 Sie geht jedoch vom Gehalt her kaum über die Formeln der Rechtsprechung hinaus. In den 1990er Jahren wandte sich schließlich Amelung der Thematik zu und schlug erstmals eine elaborierte Begriffsbestimmung vor. Diese diente als Ausgangspunkt weiterer Umschreibungsversuche der Einwilligungsfähigkeit in der Strafrechtswissenschaft und wurde auch in der medizinischen Literatur umfangreich rezipiert.231 Eingang in die Rechtsprechungspraxis hat sie bedauerlicherweise nicht gefunden. a) Die Definition von Amelung Nach Amelung fehlt einer Person die erforderliche Einwilligungsfähigkeit, wenn sie wegen eines biologischen Defekts – Amelung nennt insoweit Minderjährigkeit, geistige Behinderung und psychische Erkrankung – „nicht erfassen kann, - welchen Wert oder Rang die von der Einwilligungsentscheidung berührten Güter und Interessen für sie haben, - um welche Tatsachen es bei der Entscheidung geht, - welche Folgen und Risiken sich aus der Einwilligungsentscheidung ergeben und - welche anderen Mittel es zur Erreichung der mit der Einwilligung erstrebten Ziele gibt, die sie möglicherweise weniger belasten.“ 223

Vgl. etwa MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16 m.w.N.; NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 110; Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 3; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 39. 224 Vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 23. Näher hierzu Kap. 3 A II 2. 225 Vgl. statt vieler Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 543 ff.; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 37; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 73 ff. 226 Vgl. Kap. 2 A I. 227 Engisch, Ärztliche Operation, 1958, S. 14. 228 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 543; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XXII § 126 Rn. 14. 229 Laufs, ArztR, 5. Aufl. 1993, Rn. 222; Kern, in Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. VIII § 47 Rn. 1. 230 BGH, NJW 1972, 335, 337. 231 Vgl. nur Helmchen/Lauter, Mit Demenzkranken forschen, 1995, S. 36 und S. 42 f.

C. Die Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft

103

Das gleiche soll gelten, wenn der Betroffene zwar die erforderliche Einsicht hat, aber wegen eines biologischen Defekts nicht in der Lage ist, sich nach ihr zu bestimmen.232 Inhaltlich knüpft Amelungs Definition an den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Dreiklang von Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit an. Sie füllt diesen erstmals inhaltlich aus, was in der klinischen Praxis als Erleichterung aufgegriffen wurde.233 Es ist zudem sein Verdienst, die rechtswissenschaftliche Diskussion zur Einwilligungsfähigkeit in Deutschland angestoßen und dogmatisch bereichert zu haben. Amelung schlägt eine zweistufige Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit vor, bei der auf der ersten Stufe das Vorliegen eines „biologische(n) Defekt(s)“, namentlich „Minderjährigkeit, (eine) psychische Erkrankung oder geistige Behinderung“ zu prüfen ist. Er befürwortet zudem ein gemischt subjektiv-objektives Modell, das die individuellen Werte und Ziele des Patienten berücksichtigt und damit autonomiestärkend wirkt. Zugleich macht er ein Vernunftkriterium stark, indem er fordert, dass der Einwilligende zu einer vernünftigen Wertung anhand seiner Interessen in der Lage sein muss.234 Bei der Ausgestaltung bezieht sich Amelung auf ökonomische Entscheidungsmodelle.235 Für volljährige Patienten nimmt er niedrigschwellige Anforderungen an. Gestützt auf das Sozialstaatsprinzip vertritt er, dass ein Erwachsener nur dann einwilligungsunfähig sein könne, wenn er an einem Defekt leidet, der so schwerwiegend ist, dass es ihm hierdurch unmöglich ist, ein menschenwürdiges Dasein zu führen.236 Bei Minderjährigen sollen die Anforderungen nach Amelung hingegen wesentlich höher liegen.237 Der von Amelung vorgeschlagene zweistufige Aufbau ist grundsätzlich begrüßenswert. Die Verengung der zur Einwilligungsunfähigkeit führenden Befunde auf Minderjährigkeit, psychische Erkrankungen und geistige Behinderungen berücksichtigt aber nicht hinreichend, dass auch physische Ursachen wie beispielsweise starke Schmerzen, Bewusstlosigkeit, der Einfluss sedierender Medikamente oder ein besonders schlechter Gesundheits- und Allgemeinzustand, die Einwilligungsfähigkeit beeinträchtigen können.238 Auch das Vernunftkriterium ist problematisch.239 Zum Einen sind die Prämissen der ökonomischen Entscheidungsmodelle, auf die sich Amelung zur Konkretisierung bezieht, inzwischen stark umstritten.240 Zum anderen setzt Amelung das Vernunftkriterium ohne nähere Begründung voraus. Auch die Urteilsfähigkeit lässt sich aus Amelungs Ansatz bedauerlicherweise nur implizit herauslesen.241 Insgesamt vertritt Amelung für volljährige Patienten sehr niedrig232

Amelung, R&P 1995, 20, 26; ders., in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 32. Näher zur ursprünglichen Version (Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 558) und zum Entwicklungsprozess Gleixner-Eberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 284 f. 233 Vgl. Helmchen/Lauter, Mit Demenzkranken forschen?, 1995, S. 39. 234 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 544 ff. 235 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 545. Näher hierzu Kap. 4 A II 2. 236 Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 827 f.; zust. NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 24. 237 Näher hierzu Kap. 5 B. 238 Vgl. hierzu Kap. 5 D. 239 Vgl. hierzu Kap. 2 B IV, Kap. 4 A I 2 und Kap. 6 C. 240 Näher hierzu Kap. 2 B IV und 4 A II 2. 241 So auch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 62.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

schwellige Anforderungen, was mit Blick auf den Fürsorgeaspekt der Beurteilung problematisch erscheint.242 Dass die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger deutlich höher liegen, wirft schließlich die Frage auf, ob altersbezogener Unterschiede an den Beurteilungsmaßstab rechtlich legitimiert werden können.243 b) Die Definition von Odenwald Einen weiteren Vorschlag zur Definition der Einwilligungsfähigkeit hat Odenwald 2004 entwickelt. Hiernach ist einwilligungsfähig, „wer in der konkreten Entscheidungs- und Tatsituation nach der Entwicklung seines Wertegefüges und aufgrund seiner intellektuell-kognitiven sowie emotional-voluntativen Fähigkeiten imstande ist, die verfügbaren entscheidungserheblichen Informationen zu erfassen, hierauf aufbauend eine authentische Entscheidung als Ergebnis eines auch unter Beachtung möglicher unbewusster Einflüsse auf der Grundlage seiner eigenen Werteordnung nachvollziehbaren Entscheidungsprozesses zu treffen, sie kundzugeben und aufrechtzuerhalten.“244 Damit konkretisiert Odenwald die Trias aus Einsichts-, Urteilsfähig- und Steuerungsfähigkeit noch stärker. Wie Amelung, vertritt auch Odenwald einen relativen Ansatz245 und unterstreicht in seiner Definition, dass die Einwilligungsfähigkeit einzelfallbezogen zu prüfen ist.246 Anders als Amelung löst sich Odenwald weitgehend von den Formeln der Rechtsprechung und den spezialgesetzlichen Umschreibungen der Einwilligungsfähigkeit. Zudem verzichtet er vollständig auf Eingangsmerkmale. Dass Odenwald den Einzelfallbezug der Einwilligungsfähigkeit hervorhebt, ist zu begrüßen.247 Terminologisch ist Odenwalds Vorschlag jedoch wenig anschlussfähig. Problematisch ist auch der vollständige Verzicht auf Eingangsmerkmale. Hierdurch wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Fähigkeiten des Betroffenen aus tatsächlichen Gründen (zustands-, alters-, erkrankungs- oder behinderungsbedingt) vermindert sein müssen.248 Odenwalds Definition macht so eine Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit auch bei Abwesenheit derartiger Gründe möglich, was dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht hinreichend Rechnung trägt.249 Auch das Erfordernis einer authentischen Entscheidung auf Grundlage der eigenen Werteordnung bzw. eines gefestigten Wertegefüges erscheint vor dem Hintergrund neuester entscheidungstheoretischer Befunde250 und den Schwierigkeiten, denen sich eine nähere Ausgestaltung des Authentizitätskriteriums ausgesetzt

242 243 244 245 246 247 248 249

Näher hierzu Kap. 2 B I und III. Näher hierzu Kap. 5 B. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 46. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 49. Ausführlich hierzu Kap. 4 B I und II. Vgl. Kap. 5 A. Vgl. Kap. 5 A. Ausführlich Kap. 5 D. Krit. hierzu auch Stief, Einwilligungsfähigkeit 2012, S. 78; näher hierzu unten Kap. 5 D

III. 250

Vgl. Kap. 4 A I 2 und Kap. 6 C.

C. Die Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft

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sieht,251 bedenklich. Insgesamt wirken die Anforderungen, vor allem im Vergleich zur Geschäftsfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB, sehr hoch. Die für minderjährige und volljährige Patienten einheitlich positiv ausgestaltete Definition ist zudem nicht differenziert genug und erweckt den Eindruck, die Einwilligungsfähigkeit müsse auch bei volljährigen Patienten vor jeder Behandlung explizit festgestellt werden.252 c) Die Definition von Stief 2012 hat schließlich Stief folgende Begriffsbestimmung unterbreitet: Hiernach ist einwilligungsunfähig: „(1) (…) wer wegen Bewusstlosigkeit, wegen krankhafter oder vergleichbar schwerer psychischer Störung oder wegen Intelligenzminderung nicht imstande ist, die Art und die Bedeutung des preisgegeben Gutes, den Zweck des Eingriffs und dessen Tragweite, d.h. die dem Eingriff unmittelbar und mittelbar einhergehenden Folgen und Risiken eventuell bestehende Eingriffsalternativen, oder die gesetzliche Güterbewertung zu erfassen und seine hierauf aufbauende Entscheidung kundzugeben. (2) Einwilligungsunfähig ist auch, wer aus einem der in Absatz 1 bezeichneten Gründe nicht zu einsichtsgemäßem Handeln in der Lage ist. (3) Hinsichtlich der im konkreten Einzelfall zu stellenden Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit sind Aspekte des Rechtsgüterschutzes normativ zu berücksichtigen, namentlich der Rang des preisgegebenen Guts, der Zweck des Eingriffs, sowie Ausmaß und Schwere der mit der Vornahme bzw. Nichtvornahme der Rechtsgutspreisgabe verbundenen Folgen und Risiken. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend für die Fähigkeit, die Einwilligung zu einem Eingriff zu verweigern oder zu widerrufen.“253 Stiefs Definitionsvorschlag zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit ist der bislang ausgereifteste. Zu begrüßen ist, dass die Definition Amelungs Ansatz weiterentwickelt, begrifflich anschlussfähig ist und auf das Vernunftkriterium verzichtet. Auch die Erweiterung der Eingangsmerkmale gegenüber dem Vorschlag von Amelung ist positiv hervorzuheben. Stiefs Definition erfasst jedoch noch immer nicht alle relevanten Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit, so dass hier nach wie vor ein Anpassungsbedarf besteht.254 Die Wahl einer negativen Definition ist jedenfalls für volljährige Patienten vorzugswürdig. Erstrebenswert wäre letztlich eine Formulierung die auch die Belange minderjähriger Patienten hinreichend berücksichtigt.255 Problematisch erscheint schließlich das Erfordernis, der Einwilligende 251

Ausführlich hierzu Kap. 6 D III. Näher zum Ganzen Kap. 5 B I. 253 Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 207. 254 Etwa erhebliche Schmerzen, starke Emotionen und starke Müdigkeit. Auch die weitgehende Ausklammerung geistiger Behinderungen erschließt sich nicht, näher hierzu Kap. 5 D III. 255 Ausführlich hierzu Kap. 5 B I. 252

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

müsse die gesetzliche Güterbewertung erfassen können.256 Zudem kommt auch in Stiefs Modell die Urteilsfähigkeit nur indirekt zur Geltung. Die ausdrückliche Gleichbehandlung von Behandlungszustimmung und -verzicht ist zu begrüßen.257 Die Widerrufsfähigkeit wirft hingegen komplexere Fragen auf als es Stiefs Definition suggeriert.258 3. Zwischenergebnis In der Strafrechtswissenschaft wurden bereits ausgereifte Ansätze erarbeitet, die als Grundlage für eine Weiterentwicklung der Definition der Einwilligungsfähigkeit auch im Zivilrecht dienen können. Dennoch besteht nach wie vor in vielen Bereichen Klärungsbedarf; etwa was die Prüfrichtung (positiv oder negativ), die relevanten Eingangsmerkmal und die inhaltliche Ausgestaltung der Fähigkeiten im Einzelnen angeht.

II. Alter als Referenzwert Neben der Begriffsbildung befasst sich die Rechtswissenschaft auch mit einzelnen dogmatischen Fragen im Gefolge der Einwilligungsfähigkeit, die schwerpunktmäßig das Minderjährigenrecht betreffen.259 Entsprechend umfangreich ist die Diskussion zur Einwilligungszuständigkeit, die im zweiten Teil dieser Arbeit vertieft wird.260 Ein weiterer Diskussionsschwerpunkt betrifft die Rolle des Alters bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten.261 Neben festen Altersgrenzen und einer an ein bestimmtes Lebensalter geknüpften, widerleglichen Vermutung der Einwilligungsfähigkeit262 wird, etwas weniger prominent, auch ein Altersspannenmodell vorgeschlagen. 1. Feste Altersgrenze oder Regelvermutung Das Erfordernis einer festen Altersgrenze, ab der Minderjährige als generell einwilligungsfähig gelten sollen, wird klassischerweise mit dem Bedürfnis aller Beteiligten nach Rechtssicherheit begründet und auf eine Analogie zu den gesetzlich geregelten Teilmündigkeiten gestützt.263 Diese gesetzlichen Regelungen gestehen Minderjährigen schon vor Erreichen der Volljährigkeit in bestimmten Lebensbereichen

256

Näher hierzu Kap. 4 A II 1. Vgl. Kap. 4 C. 258 Näher hierzu Kap. 4 C IV 2. 259 Vgl. nur die jüngst erschienen Monographien Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 110 ff.; Gleixner-Eberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 248 ff.; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 73 ff.; s.a. Kap. 1 A II m.w.N. 260 Vgl. Kap. 8 A. 261 Vgl. Kap. 3 C II sowie jüngst Kaeding/Schwenke, MedR 2016, 935, 936 f. 262 Eingehend zu dieser Differenzierung Gleixner-Eberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 288 ff., insbes. S. 290 f. 263 Vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 84; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 128 f. Krit. zur Geeignetheit von Altersgrenzen zur Erhöhung der Rechtssicherheit Coester-Waltjen, MedR 2012, 553, 558 m.w.N.; ähnlich Damm, MedR 2015, 775, 780. 257

C. Die Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft

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Alleinentscheidungsbefugnisse zu.264 Für eine widerlegliche Regelvermutung der Einwilligungsfähigkeit werden hingegen die typische Entwicklung und die durchschnittliche Reife minderjähriger Patienten eines bestimmten Lebensalters angeführt, die diese Vermutung auch schon vor Eintritt der Mündigkeit stützen sollen.265 Das Altersspannenmodell enthält schließlich zwei Altersgrenzen: eine feste Untergrenze, unterhalb derer Minderjährige als absolut einwilligungsunfähig gelten, und eine Obergrenze, ab der generell von der Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen ausgegangen werden kann. 266 Auf die Frage, ob ein minderjähriger Patient im konkreten Fall einwilligungsfähig ist, soll es damit im Regelfall nur ankommen, solange er sich altersmäßig zwischen beiden Grenzwerten befindet. 2. Referenzwerte Als maßgebliche Referenzwerte für die feste Altersgrenze und die widerlegliche Vermutung der Einwilligungsfähigkeit werden vor allem die Vollendung des zwölften,267 vierzehnten268 und sechzehnten269 Lebensjahres diskutiert, wobei zeitweise auch eine generalisierende Übertragung der 14-Jahresgrenze, genauer: der durchschnittlichen Fähigkeiten eines 14-Jährigen auch auf volljährige Patienten erwogen wurde.270 Beim Altersspannenmodell schwankt die Untergrenze zwischen sieben271 264

Etwa §§ 112, 113 BGB, § 5 S. 1 RelKErzG, § 1746 Abs. 2 BGB und §§ 60, 159 Abs. 1 FamFG. Krit. hierzu Lorenz, NZFam 2017, 782, 784. Siehe a. § 1628 BGB-E des AlternativEntwurfs des Deutschen Juristinnenbundes zur elterl. Sorge, der eine feste Altersgrenze von 16 Jahren vorsah, abgedr. in Coester-Waltjen u.a., Neues elterliches Sorgerecht, 1977, S. 14. 265 So etwa Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 60 f.; zust. OLG Frankfurt a.M., NJW 2007, 3580, 3581; Gleixner-Eberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 288 f.; Damm, MedR 2015, 775, 781; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XXIV § 149 Rn. 68; Reichmann/Ufer, JR 2009, 485, 486; weitere Nachweise bei Bichler, GesR 2014, 208, 210. Näher zur Vermutung der Einwilligungsfähigkeit Kap. 5 B I. 266 So etwa Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 128 ff. m.w.N.; Ohly, „Volenti non fit inuiria“, 2002, S. 320 f.; zurückhaltender Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XXIV § 149 Rn. 65: Kinder unter 14 Jahren seien „in der Regel” noch nicht einwilligungsfähig. 267 So etwa Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 47 in Anlehnung an § 5 S. 2 RelKErzG; zust. OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580, 3581 für die Einwilligungsfähigkeit in die Beschneidung nach § 1631d BGB; krit. hierzu Putzke, MedR 2008, 268, 270. 268 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 84 f.; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 60 f.; Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2299 f.; OLG Frankfurt a.M., NJW 2007, 3580, 3581; Gleixner-Eberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 291 ff; Damm, MedR 2015, 775, 781; Reichmann/Ufer, JR 2009, 485, 486; vgl. a. die Nachw. bei Bichler, GesR 2014, 208, 210. 269 Vgl. BÄK, DÄBl. 2011, A 346, A 348 und Wiss. Beirat der BÄK, DÄBl. 1994, A 3204, A 3207 aber auch § 1628 Abs. 1 BGB-E im Alternativ-Entwurf des Deutschen Juristinnenbundes, näher hierzu Coester-Waltjen, in: dies. u.a., Neues elterliches Sorgerecht, 1977, S. 81; diff. Putzke, MedR 2008, 268, 270 m.w.N.; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419; NKStGB/Merkel, § 218a Rn. 29: 16-Jahresgrenze als unverbindlicher Orientierungswert. 270 So etwa Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 84 f.; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 60 f.; Ganner, Selbstbestimmung im Alter, 2005, S. 245. Krit. hierzu Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 387 sowie nunmehr auch Taupitz, MedR 2012, 583, 585; zust. Damm, MedR 2015, 775, 781. 271 In Anlehnung an § 104 Nr. 1 BGB, vgl. Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13 m.w.N. Ohly, „Volenti non fit inuiria“, 2002, S. 320 f. stützt diesen

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

und vierzehn Jahren,272 während die Obergrenze zwischen vierzehn und achtzehn Jahren, dem Erreichen des Volljährigkeitsalters, gezogen wird. 273 Besonders die Vertreter der ersten beiden Ansichten messen dem vierzehnten Lebensjahr eine entscheidende Bedeutung zu. Angeführt werden verschiedene spezialgesetzliche Teilmündigkeitsregelungen, wie § 5 S. 1 RelKErzG, der es dem Minderjährigen ab Vollendung des 14. Lebensjahres ermöglicht, sein religiöses Bekenntnis eigenverantwortlich zu bestimmen. Genannt wird daneben auch § 1746 Abs. 2 BGB, wonach der Minderjährige ab dem 14. Lebensjahr seine Einwilligung in eine Adoption eigenständig widerrufen kann sowie die Verfahrensrechte nach §§ 60, 159 Abs. 1 FamFG.274 Zudem berufen sich die Befürworter dieser Altersgrenze auf empirische Studien, die zeigen, dass bereits 14-Jährige bei der Beurteilung ihrer Einwilligungsfähigkeit in Bezug auf Standardeingriffe ähnliche Ergebnisse erzielen wie Erwachsene.275 Teile der Literatur verweisen auch auf die seit 2001 im österreichischen Recht bestehende Regelvermutung der Einwilligungsfähigkeit ab Vollendung des 14. Lebensjahres.276 3. Diskussion und Stellungnahme a) Keine Altersgrenze nach geltendem Recht De lege lata ist weder eine feste Altersgrenze noch eine altersbezogene Regelvermutung zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger schlüssig begründbar.277 Die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten ist vielmehr Befund auf die „rule of sevens“ des US-amerikanischen Rechts. Krit. hierzu Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 139 m.w.N.: „Fehlender praktischer Mehrwert“. 272 Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 131 ff.; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XXIV § 149 Rn. 65. So auch § 1626a BGB-E, BT-Drs. 7/2060, S. 51. 273 Vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 84 f.; Ohly, „Volenti non fit inuiria“, 2002, S. 320 f. (14 Jahre); Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 150 f. (18 Jahre) und Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XXIV § 149 Rn. 65. 274 Ehemals §§ 50b Abs. 2 und 59 Abs. 3 S. 1 FGG, Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 84. Weitere Beispiele bei Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2299 und Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 187. So nunmehr auch §§ 9 Abs. 1 Nr. 3, 167 Abs. 3 FamFG, der die Verfahrensfähigkeit in FamFG-Sachen ab Vollendung des 14. Lebensjahres normiert. Krit. zu dieser Argumentationslinie Lorenz, NZFam 2017, 782, 784, die insbes. im Hinblick auf die Verfahrensrechte im FamFG und das eigenständige Religionswahlrecht aus § 5 RelKErzG, wenig überzeugend vertritt, dass der Gesetzgeber Minderjährigen zwar eigene Handlungsmöglichkeiten in bestimmten Lebensbereichen einräumt, diese aber immer an die Mitwirkung der Personensorgeberechtigten bindet. 275 Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 967; Ruhe et al., Eur J Pediatr 2015, 775, 776. Alderson et al., Arch Dis Child 2006, 300, 301 ff. zeigten, dass bereits unter 12-jährige Patienten mit chronischer Diabetes informierte Entscheidungen zum Diabetesmanagement treffen können. 276 § 173 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 ABGB, wobei nach § 21 Abs. 2 ABGB die Mündigkeit bereits vor Eintritt der Volljährigkeit mit Vollendung des 14. Lebensjahres eintritt. 277 So auch die ganz h.M., vgl. Wölk, MedR 2001, 80, 86; Putzke, MedR 2008, 268, 270; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 190 m.w.N.; Coester-Waltjen, MedR 2012, 553, 558; Duttge, in: Schicktanz/Schweda (Hrsg.), Pro Age oder Anti-Aging?, 2012, S. 98; Bichler,

C. Die Einwilligungsfähigkeit in der Rechtswissenschaft

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anhand einer Einzelfallprüfung zu ermitteln,278 wobei das Alter des minderjährigen Patienten lediglich ein Beurteilungskriterium von mehreren darstellt.279 Gegen eine einheitliche Altersgrenze spricht schon die Bandbreite der in der Literatur vertretenen Auffassungen.280 Ein Konsens ist trotz der seit Jahrzehnten anhaltenden Diskussion nicht in Sicht.281 Auch die in der Literatur besonders häufig genannte 14-Jahresgrenze bietet sich hierfür nicht an. Dass bereits 14-Jährige generell, in Bezug auf alle denkbaren Einwilligungsentscheidungen einwilligungsfähig sein sollen, erscheint schon in Anbetracht des individuellen Entwicklungsprozesses zweifelhaft.282 Die bestehenden, empirischen Studien zur Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger haben die Fähigkeiten der Probanden zudem in erster Linie für Standardeingriffe gemessen. Hinzu kommt, dass die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit Volljähriger in der Mündigkeit, d.h. ihrer generellen Zulassung zum Rechtsverkehr, begründet liegt.283 Einen der Mündigkeit vergleichbaren Vermutungstatbestand stellen die wenigen Spezialregelungen, die Minderjährigen in ausgewählten Lebensbereichen Alleinentscheidungsbefugnisse zuerkennen, jedoch nicht dar. Auch ihre Analogiefähigkeit erscheint fraglich,284 zumal der Gesetzgeber je nach Regelungsbereich sehr unterschiedliche Altersgrenzen normiert hat, die vom zwölften bis zum 25. Lebensjahr reichen.285 Auch ein Vergleich mit den Wertungen anderer Rechtsordnungen lässt keine für das deutsche Recht maßgebliche Altersgrenze erkennen. Anders als etwa im österreichischen Recht liegt das Mündigkeitsalter in Deutschland bei 18 und nicht bei 14 Jahren. Die Einführung eines entsprechenden Vermutungstatbestandes ist somit dem Gesetzgeber vorbehalten. Für die Einwilligung im Gesundheitsbereich lassen sich formelle Altersgrenzen auch nicht (allein) mit Rechtssicherheitserwägungen rechtfertigen.286 Das folgt bereits aus dem GesR 2014, 208, 209; Deutsch/Spickhoff, Rn. 992; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 1; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16; Damm, MedR 2018, 939, 945 f. 278 Vgl. statt vieler Wölk, MedR 2001, 80, 86 m.w.N.; Duttge, in: Schicktanz/Schweda (Hrsg.), Pro Age oder Anti-Aging?, 2012, S. 98; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 1; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 6. 279 NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 1; Kern, NJW 1994, 753, 755; Putzke, MedR 2008, 268, 270; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 192; ähnlich auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419 und NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 29: Vollendung des 16. Lebensjahres als unverbindliche Orientierungsgröße. Aus empirischer Sicht finden sich Hinweise darauf, dass die Krankheitserfahrung des Kindes eine größere Rolle spielt als das Alter, vgl. Alderson et al., Arch Dis Child 2006, 300, 302 m.w.N. 280 So bereits Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 830 m.w.N.; vgl. a. die heterogene Rechtsprechung zur Frage der Altersgrenzen, dargestellt in Kap. 3 B IV 3 b). 281 Lorenz, NZFam 2017, 782, 785. 282 Ähnlich DGGG/AG MedR, Rechtsfragen bei der Behandlung Minderjähriger, 2011, S. 4. 283 Ausführlich hierzu Kap. 5 B I 1. 284 So auch Bichler, GesR 2014, 208, 210; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419; angedeutet auch bei Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 387 285 Vgl. nur § 5 S. 2 RelEKG (12 Jahre); § 5 S. 1 RelKErzG (14 Jahre); § 36 SGB I (15 Jahre); § 2229 Abs. 1 BGB, § 293 ZPO, § 46 Abs. 2 StrSchV, § 2 Abs. 2 S. 3 TPG (16 Jahre); § 1631c i.V.m. § 1905 BGB, § 2 BGB (18 Jahre) und § 3 KastrG (25 Jahre). Das Gesetz stellt damit je nach Kontext der Entscheidung unterschiedliche Anforderungen an das Alter des Einwilligenden. 286 A.A. Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 21 m.w.N.; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 128.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

starken persönlichkeitsrechtlichen Bezug der Behandlungseinwilligung, der eine stärkere Berücksichtigung individualrechtlicher Belange gebietet, hinter denen etwaige Verkehrsinteressen regelmäßig zurückzutreten haben.287 b) Keine Übertragung auf volljährige Patienten Auch die früher vereinzelt erwogene, generalisierende Übertragung des Referenzwerts des durchschnittlichen Vierzehnjährigen auf volljährige Patienten288 sieht sich Bedenken ausgesetzt. So erscheint zweifelhaft, ob es überhaupt möglich ist, verlässlich zu ermitteln, über welches Maß an Fähigkeiten ein durchschnittlicher 14Jähriger verfügt. Eine Übertragung dieses Wertes auf volljährige Patienten erscheint zudem mit Blick auf die bestehenden Unterschiede im Entscheidungsverhalten problematisch. Studien belegen, dass Menschen im fortgeschrittenen Alter stärker regelbasiert unter Einbeziehung individueller Entscheidungsheuristiken und Emotionen und weniger informationsbasiert entscheiden.289 Möglicherweise ist es deshalb auch normativ geboten, aufgrund des erfahrungsbasierten Entscheidens im Alter geringere Anforderungen an die Einsichts- und Urteilsfähigkeit zu stellen.290 Daneben gelten die oben ausgeführten Bedenken auch hier.291 Eine generalisierende Übertragung ist damit im Ergebnis abzulehnen.292 c) Gesetzgeberischer Handlungsbedarf De lege lata bleibt es damit bei der widerleglichen Vermutung der Einwilligungsunfähigkeit Minderjähriger, wobei sich diese mit zunehmendem Alter und entsprechenden Entwicklungsstand leichter entkräften lassen wird. Eine Regelung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger, insbesondere einer Vermutung der Einwilligungsfähigkeit ab dem 14. Lebensjahr, erscheint in Anbetracht der empirischen Befunde und dem hohen Stellenwert des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts Minderjähriger de lege ferenda geboten.293

287 Vgl. etwa Holzhauer ZRP 1989, 451, 457; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 355 f.; Damm, MedR 2015, 775, 776; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14; Amelung, ZStW 104 (1992), 525 ff. und Damm, MedR 2015, 775. Ganz deutlich Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 355, der aus verfassungsrechtlichen Gründen einen grundsätzlichen Abwägungsvorrang des Selbstbestimmungsrechts gegenüber dem Schutz des Rechtsverkehrs statuiert; vgl. auch die Nachweise bei Staudinger/Klumpp, 2017, BGB § 104 Rn. 21 zur Testierfähigkeit. 288 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 84 f.; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 60 f. 289 Vgl. Löckenhoff et al., Psychology and Aging 2011, 274, 275; Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 167. 290 Ähnlich auch Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 387 und Deutsch/Spickhoff, Rn. 992. 291 Ausführlich hierzu Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 387 f. 292 So schon Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 387; Deutsch/Spickhoff, Rn. 992; zust. Taupitz, MedR 2012, 583, 585; Damm, MedR 2015, 775, 781; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16. 293 So auch Taupitz, MedR 2012, 583, 585; § 1626a BGB-E, BT-Drs. 7/2060 und BT-Drs. 8/111, näher hierzu Coester-Waltjen u.a., Neues elterliches Sorgerecht, 1977, S. 37 und Kap. 3 A I 2 a).

D. Weiterführende Fragen

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D. Weiterführende Fragen D. Weiterführende Fragen

Unbeschadet der aufgezeigten Differenzen und Unklarheiten besteht zu Einzelfragen inzwischen weitgehend Konsens (II.). Die gegenwärtigen Differenzen und offenen Fragen werden im III. Abschnitt gelistet. Eine Kernfrage, die bereits an dieser Stelle vertieft werden soll, ist, ob die Einwilligungsfähigkeit angesichts der heterogenen Definitionsversuche in Rechtswissenschaft und -praxis einheitlich oder rechtsgebietsspezifisch ausgestaltet werden sollte (I.).

I. Möglichkeit einer rechtsgebietsübergreifenden Definition der Einwilligungsfähigkeit 1. Rechtsgebietsspezifische Unterschiede In der Rechtsprechung der Zivil- und Strafgerichte finden sich viele rechtsgebietsübergreifende Verweise und identische Formulierungen. Es bestehen jedoch auch Unterschiede, die sich an Rechtsgebietsgrenzen festmachen lassen. Während die h.M. im Zivilrecht die Anwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB auf Einwilligungen im vermögensrechtlichen Bereich bejaht,294 wird dies im strafrechtlichen Schrifttum überwiegend abgelehnt.295 Zudem verzichten Rechtsprechung und Schrifttum im Betreuungsrecht, anders als im Delikts-, Vertrags- und Strafrecht weitgehend auf das Element der Urteilsfähigkeit. Die Strafgerichte haben wiederum im Gegensatz zur Zivilrechtsprechung wiederholt das Erfordernis der Fähigkeit zur vernünftigen Wertung betont. Der häufig hervorgehobene, grundlegende Unterschied in der Beurteilung der Einwilligungszuständigkeit minderjähriger Patienten durch die Zivilund Strafgerichte lässt sich hingegen, wie gezeigt, nicht belegen.296 2. Meinungsstand Im zivilrechtlichen Schrifttum wird vereinzelt eine übergreifende Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit befürwortet, um ein einheitliches Rechtswidrigkeitsurteil im Zivil- und Strafrecht zu erreichen.297 Die wohl überwiegende Meinung betont hingegen die unterschiedlichen Logiken von Straf-, Zivil- und Öffentlichem Recht, die zu einer differenzierten Ausgestaltung der Rechtfertigungsgründe und insbesondere auch der Einwilligung führen könnten.298 Hierbei wird vor allem auf strafrechtliche 294 Vgl., nur Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 318 ff.; Hk-BGB/Dörner, § 106 Rn. 10; Kreße, MedR 2015, 91, 96, jeweils m.w.N. 295 Vgl. statt vieler S/S/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 39 m.w.N. 296 Näher hierzu Kap. 3 B IV 3 a). 297 Vgl. OLG München, NJW 1958, 633, 634; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 10 ff.; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 424. 298 Vgl. Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 117 ff., ders., in: FS Jakobs, 2007, S. 453 ff.; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 21 ff., insbes. S. 25; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 70 f. m.w.N.; Lesch, NJW 1989, 2309, 2310; Kothe, AcP 185 (1985), 105, 156 ff.; Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 90; Geerds, Einwilligung und Einverständnis, 1953, S. 217; S/S/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 39; anders noch die 27. Aufl. 2006, ebenda; zurückhaltender Deutsch/Spickhoff, Rn. 3.

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

Besonderheiten verwiesen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet es, das Strafrecht als ultima ratio auf die Sanktion grob sozialwidriger Verhaltensweisen zu beschränken, was zur asymmetrischen Akzessorietät von materiellem Strafrecht, öffentlichem Recht und Zivilrecht führt: Nicht alles, was öffentlich- oder zivilrechtlich verboten ist, ist zugleich strafwürdig. Umgekehrt kann strafrechtlich nicht sanktioniert sein, was zivil- oder öffentlich-rechtlich erlaubt ist.299 3. Würdigung Die Frage ist nicht neu.300 Sie stellt sich in Bezug auf die Einwilligungsfähigkeit jedoch zunehmend drängender, weil die fehlende Normierung und die heterogene Auslegung der Einwilligungsfähigkeit in der Praxis zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit geführt haben. Schon das Bundesverfassungsgericht hat den Generalklauselcharakter der Einwilligung hervorgehoben, zugleich aber die Möglichkeit rechtsgebietsspezifischer Besonderheiten ausdrücklich anerkannt.301 Aus der Geltung der Rechtfertigungsgründe in der Gesamtrechtsordnung folgt richtigerweise kein Gebot einer homogenen Ausgestaltung im Detail.302 Auch das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung303 lässt sich – schon wegen der zahlreichen Rechtssetzungsakteure in der föderalistisch strukturierten Bundesrepublik – allenfalls als Gebot der Widerspruchsfreiheit fassen.304 So verstanden gebietet das Credo der Einheit der Rechtsordnung gerade nicht, denselben Lebenssachverhalt in verschiedenen Regelungsbereichen unbedingt gleich zu behandeln. Vielmehr geht es darum, dafür Sorge zu tragen, dass die in den Teilrechtsgebieten erzielten Wertungen unter Berücksichtigung ihrer Funktion innerhalb der Gesamtrechtsordnung folgerichtig bleiben.305 Ob ein Ausschluss des Strafunrechts wegen niedrigerer Anforderungen an die Einwilligung im Strafrecht bei gleichzeitiger Bejahung einer zivilrechtlichen Haftung in 299 So bereits RGSt 61, 242, 247; BGHSt 11, 241, 244 = NJW 1958, 799 f.; vgl. a. S/S/Sternberg-Lieben Vor §§ 32 ff. Rn. 27a m.w.N.; zust. Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 70 m.w.N.; zu weitgehend hingegen BGH, NJW 2010, 2963, 2966, wonach die Reichweite der rechtfertigenden Einwilligung eine „strafrechtsspezifische Frage“ sei, die zwar unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Grundsätze und Regelungen anderer Rechtsbereiche, „im Grundsatz (jedoch) autonom nach materiell strafrechtlichen Kriterien zu entscheiden (sei)“. Ähnlich zuvor bereits Verrel, Gutachten 66. DJT, 2006, S. C 57 ff. Krit. hierzu Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 424 m.w.N. 300 Bereits Engisch hat sich vertieft mit der Einheitlichkeit des Rechtswidrigkeitsbegriff befasst (vgl. ders., Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 41 ff.). Zum Verhältnis der Einwilligung zum Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung siehe Ohly, in: FS Jakobs, 2007, S. 451 ff. Näher zur Historie des Grundsatzes Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 233 f. 301 BVerfG, NJW 1979, 1925, 1930 abw. Votum d. Richter Hirsch, Niebler und Steinberger; ähnlich bereits Geerds, Einwilligung und Einverständnis, 1953, S. 217. 302 So aber Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 424. 303 Grundlegend Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 7 ff. und 41 ff. 304 S/S/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 27 m.w.N.; Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 146 ff. und S. 233 ff.; Ohly, in: FS Jakobs, 2007, S. 456; diff. Lepsius, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 36 f.: allenfalls relationale, nicht substanzielle Einheit. 305 S/S/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 27 m.w.N. und Beispielen; Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 233 ff.

D. Weiterführende Fragen

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diesem Sinne widersprüchlich ist, erscheint zumindest fraglich.306 So ist eine strafrechtlich gerechtfertigte Handlung anders als im Zivilrecht nicht positiv erlaubt; es entfällt lediglich das Unwerturteil.307 Strafrechtlich besteht gerade nicht automatisch eine Pflicht zum Tätigwerden.308 Unterschiede im Rechtswidrigkeitsurteil sind aber nach diesen Grundsätzen nur hinsichtlich des „ob“ und der Art der Rechtsfolgen, nicht hingegen auf Tatbestandsebene legitimierbar.309 Die bestehenden Differenzen in den Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit sind daher anzugleichen.

II. Bestehender Konsens in Rechtswissenschaft und -praxis Trotz aller Unklarheiten lässt sich zumindest zu Einzelfragen der Einwilligungsfähigkeit ein zunehmender Konsens in Rechtswissenschaft und -praxis beobachten. So wird die Einwilligungsfähigkeit rechtsgebietsübergreifend in der Regel als Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit und damit durch kognitive und voluntative Elemente charakterisiert. Im Medizinrecht wird zudem die Parallelität von Einwilligungsfähigkeit und Aufklärungspflicht betont. Schon in den frühen Urteilen des Reichsgerichts hat sich ein einzelfallbezogenes Verständnis der Einwilligungsfähigkeit herausgebildet. Bezugspunkt der Einwilligungsfähigkeit war und ist der konkrete medizinische Eingriff, auch wenn diesem Umstand sprachlich nicht immer hinreichend Rechnung getragen wird, indem etwa von (absolut) einwilligungs(un)fähigen Patienten statt von situativ oder konkret einwilligungsfähigen Personen gesprochen wird.310

III. Gegenwärtige Differenzen und offene Fragen Nach wie vor bleibt jedoch eine Reihe von Fragen offen: Während nahezu einhellig befürwortet wird, die Einwilligungsfähigkeit bei Minderjährigen positiv festzustellen und bei Volljährigen negativ, herrscht in Rechtsprechung und Gesetzgebung ein uneinheitliches Bild. Dieser Aspekt wird in Kapitel 5 B I vertieft. Gleiches gilt für die Frage der relativen Einwilligungsfähigkeit, der in Kapitel 4 B nachgegangen wird. Umstritten ist zudem, ob für Zustimmung und Ablehnung einer Behandlung gleiche Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen sind sind oder nicht und wie die Einwilligungsfähigkeit von der Vetofähigkeit abzugrenzen ist (Kapitel 4 C). Das gilt auch für die Frage, ob ein Vernunftmaßstab, wie er in der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur wiederholt vorausgesetzt wird, zur 306

A.A. OLG München, NJW 1958, 633, 634; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 424 f. S/S/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 33 f.; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 71 m.w.N. 308 Strafrechtlich setzt eine Pflicht zum Tätigwerden eine Garantenpflicht voraus, die grds. nicht aus dem Behandlungsvertrag folgt, es sei denn das Unterlassen geht mit Gesundheitsgefahren für den Patienten einher. A.A. wohl Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 425. 309 S/S/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 27; ähnlich auch Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 251 ff. Auch Ohly, in: FS Jakobs, 2007, S. 457 hält einen Gleichlauf von Strafrecht und Zivilrecht bei der Behandlungseinwilligung für wünschenswert. 310 So bereits Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 117; s.a. Kap. 5 A. 307

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3. Kapitel: Aktueller Forschungsstand

Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit geboten und legitimierbar ist (Kapitel 4 A II). In Kapitel 5 D wird vertieft, ob die Einwilligungsfähigkeit zweistufig geprüft werden sollte. Schließlich sind die einzelnen Fähigkeiten näher auszugestalten (Kapitel 4 A) und zu klären, ob und inwieweit sich Unterschiede auf Tatbestandsebene zwischen minderjährigen und volljährigen Patienten rechtfertigen lassen (Kapitel 5 B II).

2. Teil: Eigener Vorschlag zur Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit im Medizinrecht

Kapitel 4: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit 4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

Als bereichsspezifische Ausprägung der Handlungsfähigkeit entscheidet die Einwilligungsfähigkeit darüber, ob dem Patienten eine konkrete Behandlungsentscheidung rechtlich als eigene zugerechnet werden kann oder nicht.1 Die genauen Anforderungen an die Handlungsfähigkeit bestimmen sich nach der jeweiligen Handlungsform.2 Die Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit – genauer: die maßgeblichen Teilfähigkeiten und ihre Konkretisierung – werden demnach von der Einwilligung bestimmt.3 Die erforderlichen Teilfähigkeiten sind nicht nur inhaltlich zu konkretisieren (A.). Klärungsbedürftig ist auch das notwendige Ausmaß, in dem die tatsächlichen Fähigkeiten bei Minderjährigen vorhanden, und bei Volljährigen beeinträchtigt sein müssen, um das Urteil der Einwilligungsfähigkeit, resp. der Einwilligungsunfähigkeit zu rechtfertigen (B.). In diesem Zusammenhang wird kontrovers diskutiert, ob das konkret erforderliche Ausmaß vom Inhalt der Entscheidung (Zustimmung oder Ablehnung) abhängt oder nicht (C.).

A. Die inhaltlichen Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit A. Die Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit

Um die erforderlichen Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit präzisieren zu können, werden zunächst die maßgeblichen Merkmale der Einwilligung dargestellt. Zwar ist die Einwilligung selbst weder durch den Gesetzgeber ausreichend geregelt noch durch Rechtspraxis und Rechtswissenschaft umfassend geklärt.4 Zur Behandlungseinwilligung besteht aber in grundlegenden Fragen Einigkeit.

I. Die Charakteristika der Einwilligung Die Einwilligung dient nach einhelliger Auffassung der Disposition über die eigenen Rechtsgüter.5 Sie beinhaltet sowohl Wert- als auch Tatsachenentscheidungen. 1. Die Einwilligung als Instrument der Disposition Aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen folgt eine grundsätzliche Dispositionsbefugnis über die eigenen Rechtsgüter innerhalb der von der Rechtsordnung gezogenen Grenzen.6 Im Arzt-Patient-Verhält1

Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 62 m.w.N. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 61; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 54. 3 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 551; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 54. 4 So zutreffend bereits Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 54. Das gilt vor allem für die Einwilligung im Zivilrecht, vgl. Ohly, in: FS Jakobs, 2007, S. 453. 5 Vgl. Kap. 1 B I 2 a) aa). 6 Näher hierzu Kap. 1 B I 2 a) aa) und 2 B. 2

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Genske, Gesundheit und Selbstbestimmung, Kölner Schriften zum Medizinrecht 23, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1_4

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

nis ergibt sich hieraus ein Letztentscheidungsrecht des Patienten über medizinische Eingriffe in die körperliche und seelische Integrität; sei es in Form einer medizinisch gebotenen Behandlung, der Teilnahme an Forschungsvorhaben, der Inanspruchnahme wunschmedizinischer Leistungen oder der Spende von Geweben und Organen. Diese Letztentscheidungsbefugnis ist nunmehr auch vertragsrechtlich in Gestalt der Pflicht des Arztes normiert, sich vor Behandlungsbeginn der informierten Einwilligung des Patienten zu versichern.7 Die Einwilligung stellt somit im Kern ein Instrument zur Wahrnehmung und zum Schutz der eigenen Interessen dar.8 Hiermit korrespondiert die Umschreibung der Einwilligungsfähigkeit als Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Gestaltung9 und Fähigkeit, die eigenen Interessen zu schützen.10 2. Die Einwilligung als Tatsachen- und Wertentscheidung Die Einwilligungsentscheidung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sowohl tatsächliche als auch wertende Elemente enthält. Die Wahrnehmung der eigenen Interessen setzt voraus, dass der Einwilligende zum Erfassen von Tatsachen und Kausalverläufen, die aus seiner Sicht entscheidungserheblich sind,11 grundsätzlich in der Lage ist. Erforderlich ist, dass der Einwilligende diese als wichtig oder unwichtig für sich bewerten und zueinander in Beziehung setzen kann. 12 3. Besonderheiten der gesundheitsbezogenen Einwilligung a) Die gesundheitsbezogene Einwilligung als Konfliktentscheidung Im Gesundheitsbereich wird die Wahrnehmung der eigenen Interessen dadurch erschwert, dass der Patientenentscheidung regelmäßig ein Güterkonflikt zu Grunde liegt.13 Ist eine medizinische Behandlung geboten, um einen bestehenden oder drohenden gesundheitlichen Nachteil zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern, sieht sich der Erkrankte regelmäßig dem Dilemma ausgesetzt, entscheiden zu müssen, ob er einen ärztlichen Eingriff in seine körperlichen oder seelische Integrität, um seiner Gesundheit – oder gar des eigenen Lebens – willen, gestattet.14

7

§ 630d Abs. 1 BGB; vgl. Kap. 1 B I 2 a) bb). So bereits Geilen, Einwilligung, 1963, S. 90; vgl. a. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 544 f. 9 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 63. 10 Vgl. Art. 1 Abs. 1 Haager Abkommen. Näher hierzu Kap. 3 A I 1 b). Entsprechend knüpft auch § 1896 Abs. 1 BGB den Betreuungsbedarf an die Unfähigkeit, die eigenen Angelegenheiten zu besorgen, näher hierzu BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1896 Rn. 15 ff. 11 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 548. 12 So bereits Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 545 ff.; zust. Belling u.a., Selbstbestimmungsrecht, 1994, S. 132 f. 13 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 549 f. 14 Ähnlich schon Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 549.

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A. Die Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit

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b) Bezug zur ärztlichen Aufklärungspflicht Die bei Konfliktentscheidungen erforderliche Güterabwägung wird im Gesundheitsbereich regelmäßig erst durch die ärztliche Aufklärung über die wesentlichen Umstände der Behandlung ermöglicht (sog. Selbstbestimmungsaufklärung).15 Indem der Arzt den Patienten aufklärt, versetzt er ihn in die Lage, sein Selbstbestimmungsrecht sinnvoll wahrnehmen und eine informierte Abwägungsentscheidung treffen zu können.16 Entsprechend ist die ordnungsgemäße Aufklärung Wirksamkeitsvoraussetzung der Behandlungseinwilligung;17 durch sie „materialisiert“ sie sich.18

II. Die hieraus folgenden Fähigkeiten Um die eigenen Interessen effektiv wahrnehmen und schützen zu können, muss der Betroffene in der Lage sein, Tatsachen und Prognosen zu verstehen, diese zu seiner individuellen Situation in Bezug zu setzen, abzuwägen, eine Entscheidung zu treffen und sich gemäß der eigenen Einsicht zu verhalten. Letzteres erfordert insbesondere, dass sich der Einwilligende gegen den bestimmenden Einfluss Dritter zur Wehr setzen kann. Umschrieben sind damit die Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit.19 1. Einsichtsfähigkeit Die Einsichtsfähigkeit, als Fähigkeit die entscheidungserheblichen Tatsachen und Kausalverläufe zu erfassen, lässt sich im Medizinrecht in Anlehnung an die ärztliche Aufklärungspflicht konkretisieren.

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BGHZ, 29, 46, 49 ff. = NJW 1959, 811, 812; BGHZ 29, 176, 179 f. = NJW 1959, 814 f.; NJW 1986, 780; NJW 1990, 2929 f.; BGHZ 166, 336, 339 = NJW 2006, 2108; BVerfGE 52, 131, 175 f. = NJW 1979, 1925, 1931; Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 59 Rn. 11; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 324; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V. Rn. 6 f.; MüKoBGB/Wagner, § 630e Rn. 4. In anderen Lebensbereichen muss der Einwilligende die Situation eigenständig überschauen können, vgl. BGH, NJW 1953, 912, 913; NJW 2013, 1379, 1382; Lackner/Kühl/Kühl § 228 Rn. 7. 16 Einhellige Meinung, vgl. nur BGHZ 29, 46, 49 ff. = NJW 1959, 811, 812; BGHZ 29, 176, 180 = NJW 1959, 814 f.; NJW 1989, 1538; NJW 1998, 2734; NJW 2006, 2108; BVerfG, NJW 1979, 1925, 1931; Geiß/Greiner, Rn. C 5; Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 1983, S. 7 ff.; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 6 m.w.N.; ders., Arzthaftung, 2002, S. 324 f.; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 913 und § 630e Rn. 4; NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 14; Damm/Schulte in den Bäumen, KritV 2005, 101, 103 Fn. 14; vgl. a. BT-Drs. 17/10488, S. 24 und NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 17a und Rn. 74 ff. m.w.N. 17 Vgl. § 630e BGB. Näher hierzu MüKoBGB/Wagner, § 630e Rn. 4 ff., insbes. Rn. 6. 18 Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 28. 19 Vgl. Kap. 3 D II.

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

a) Parallelität von Selbstbestimmungsaufklärung und Einwilligungsfähigkeit Das Erfordernis der Einwilligung nach Aufklärung dient, wie gezeigt, der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Das Selbstbestimmungsrecht bestimmt sowohl die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit als auch die Anforderungen an die Selbstbestimmungsaufklärung; beide stehen entsprechend in enger Beziehung zueinander.20 Entscheidend ist hierbei wie stark eine Maßnahme das Rechtsgut, über das der Einwilligende disponiert, und damit sein Selbstbestimmungsrecht berührt.21 So sind je nach Risiko, Erfolgsaussichten, Schwere und Indiziertheit des Eingriffs, den etwaigen Behandlungsalternativen sowie den zu erwartenden Folgen einer Nichtvornahme unterschiedliche Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht zu stellen.22 Dazu gehört etwa, wieviel Bedenkzeit dem Patienten einzuräumen ist (Zeitpunkt der Aufklärung), über welche Punkte er aufzuklären ist (objektiv entscheidungserhebliche Informationen) und wie detailliert die Aufklärung zu sein hat.23 Die genannten Aspekte bestimmen zugleich die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit, vor allem diejenigen an die Einsichtsfähigkeit.24 In diese Richtung weisen auch der von Laufs und Hiersche geprägte Begriff der „Aufklärungsfähigkeit“25 und die Rechtsprechung, die sich in ihren Formulierungen erkennbar an die Aufklärungsdogmatik anlehnt.26 Ist der Betroffene aus

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Vgl. BGHZ 29, 46, 51 = NJW 1959, 811, 812; NJW 1987, 2291, 2293; NJW 1993, 2372, 2373 m. Anm. Laufs/Hiersche; BGHSt 12, 379, 383 = NJW 1959, 825; OLG Celle, Urt. v. 08.04.2013 – 1 U 49/12; Damm, MedR 2002, 375, 380; Jauernig/Mansel § 630d Rn. 3; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16. 21 So ausdrücklich BGH, NJW 1974, 1947, 1950. 22 Ganz h.M., vgl. BGH, NJW 1956, 1106, 1107; NJW 1959, 814, 815; NJW 1972, 335; NJW 1984, 1395, 1396; NJW 1998, 2734; Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 57 Rn. 12 ff.; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 21 ff.; BeckOGK/Spindler, § 823 Rn. 802. Krit. zur Lehre vom reziproken Zusammenhang von Indikation und Aufklärungsumfang Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 32 f. 23 St. Rspr., vgl. nur BGH, NJW 1972, 335; NJW 1973, 556, 557; NJW 1984, 1395, 1396; NJW 1998, 2734; OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1679, 1679 LS. (kosmetische Operation). Näher hierzu Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 327 ff. und S. 343 f.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kap. V Rn. 26 ff.; Laufs, in: ders./Kern, 2010, Hdb. d. ArztR, Kap. XI § 60 Rn. 5 ff.; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 21 ff.; Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 90. 24 Vgl. Kap. 4 B II 1. 25 Laufs/Hiersche, Anm. zu BGH, NJW 1993, 2372, 2375; zust. OLG Celle, Urt. v. 08.04.2013 – 1 U 49/12; Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 3. In diese Richtung auch Damm, MedR 2002, 375, 380 (Einwilligungsfähigkeit als „Informationsfähigkeit“); MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16 und Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 144 ff. 26 Vgl. BGHZ 26, 33, 39 = NJW 1959, 811; VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 1177, 1178; 1969, 1582, 1583: EWF als Fähigkeit die „(Wesen), Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung“ zu erfassen und BGHZ 29, 33, 46, 51 = NJW 1959, 811, 812: Fähigkeit, „Art, Zweck und Folgen der Behandlung zu beurteilen“. Weitere Nachweise in Kap. 3 B.

A. Die Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit

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tatsächlichen Gründen nicht in der Lage die entscheidungsrelevanten Informationen und Zusammenhänge zu verstehen, ist er konkret einwilligungsunfähig. 27 Verkürzt erscheint demgegenüber das Credo, die Anforderungen an die Einsichtsfähigkeit würden unmittelbar von der Aufklärung bestimmt.28 Zum einen kann die Aufklärungspflicht im Einzelfall gemindert oder aufgehoben sein, ohne dass dies auf die Einwilligungsfähigkeit durchschlagen würde. Der Arzt ist einem informierten Patienten gegenüber ebenso wenig zur Aufklärung verpflichtet wie gegenüber einem Patienten, der wirksam auf die Aufklärung verzichtet hat,29 ohne dass deshalb die Anforderungen an die Einsichtsfähigkeit reduziert wären.30 Zum anderen würde ein solcher Zusammenhang die konkreten Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit letztlich in das Belieben des Arztes stellen.31 Selbstbestimmungsaufklärung und Einwilligungsfähigkeit sind richtigerweise nicht unmittelbar voneinander abhängig, sondern über das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht verbundene Rechtsinstitute. Es liegt daher nahe, für die Ausgestaltung der Einsichtsfähigkeit auf die ungleich elaboriertere Ausgestaltung der Selbstbestimmungsaufklärung zurückzugreifen.32 Hierbei kann es jedoch nicht darum gehen, die inzwischen kaum mehr überschaubare und wegen ihrer Reichweite zu Recht kritisierte Kasuistik33 zu übernehmen. Die für die Einsichtsfähigkeit relevanten Aspekte lassen sich vielmehr unter Rückgriff auf die Grundzüge der Aufklärungspflichtdogmatik entwickeln. b) Anforderungen an die Selbstbestimmungsaufklärung Die Selbstbestimmungsaufklärung umfasst als Fallgruppen nach überwiegender Meinung die Risiko-, Verlaufs- und Diagnoseaufklärung.34

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Vgl. BGH, NJW 1987, 2291, 2293; NJW 1993, 2372, 2374; OLG Frankfurt, MedR 1984, 194, 196; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 66 m.w.N.; MüKoBGB/Wagner, § 630e Rn. 6. 28 So etwa Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 66 f.; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 59; Lesch, NJW 1989, 2309, 2311; Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 65 f. Krit. hierzu bereits Wölk, MedR 2001, 80, 87. 29 § 630e Abs. 3 BGB. Näher hierzu BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 54 ff. m.w.N. 30 Der Patient muss in beiden Fällen die für seine Entscheidung wesentlichen Tatsachen und Kausalverläufe hinreichend erfassen können. Auch in dringlichen Behandlungssituationen, § 630e Abs. 3 Var. 1 BGB, bleiben die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit letztlich unverändert. Die zustimmende Patientenentscheidung ist in diesen Fällen aber regelmäßig durch die mutmaßliche Einwilligung privilegiert, näher hierzu Kap. 4 B II 4 und C. 31 Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 27. 32 Die Anforderungen an die Aufklärungspflicht sind seit Inkrafttreten des Patientengesetzes gesetzlich geregelt, vgl. § 630e BGB. Krit. zur Regelung Katzenmeier, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2013, 2014, S. 24 ff.; ders., MedR 2012, 576, 582. 33 Grundlegend Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 353 ff.; vgl. a. Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 28 f. und Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 1983, S. 2. 34 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 59 Rn. 11; Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 1983, S. 53 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 325; ders., in: BeckOK-BGB, § 630e Rn. 8 f. Näher zur Vielfalt an Typisierungsansätzen Deutsch/Spickhoff, Rn. 435.

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

aa) Diagnoseaufklärung – Fähigkeit zur Krankheitseinsicht Durch die Diagnoseaufklärung wird der Patient über den medizinischen Befund informiert, d.h. darüber, dass er krank ist und an welcher Krankheit er leidet.35 Das setzt voraus, dass der Patient fähig ist, dies auch zu erfassen. Wesentliches Element der Einsichtsfähigkeit ist deshalb, dass der Patient imstande ist, zu erkennen, dass er entsprechend einer medizinischen Diagnose als krank gilt, da er ansonsten – etwa in akuten psychotischen Phasen einer Schizophrenie36 aber auch im Endstadium der Demenz – die Notwendigkeit etwaiger medizinischer Maßnahmen nicht erfassen kann.37 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit nicht rein medizinisch, sondern vor allem im psychiatrischen Bereich, auch normativ geprägt ist.38 Die Diagnosestellung durch den Arzt enthält dementsprechend auch wertende Elemente, so dass im Einzelfall genau ermittelt werden muss, ob der Patient wirklich außer Stande ist, seine Krankheit anzuerkennen oder ob er lediglich einer anderen, vertretbaren Meinung ist. bb) Risiko- und Verlaufsaufklärung – Fähigkeit zum Tatsachen- und Prognoseverständnis Mit der Pflicht zur Risiko- und Verlaufsaufklärung korrespondiert schließlich die Fähigkeit, die wesentlichen Umstände der Behandlung zu erfassen. 39 Die Risikoaufklärung bezieht sich auf die mit dem ärztlichen Eingriff verbundenen Gefahren, während die Verlaufsaufklärung40 bezweckt, dem Patienten die nach dem jeweiligen medizinischen Wissensstand prognostizierbare weitere Gesundheitsentwicklung mit und ohne medizinische Behandlung zu vermitteln.41 Die Übergänge zwischen beiden sind fließend und lassen sich insbesondere bei der Aufklärung über alternative Behandlungsmethoden mit deren jeweiligen Erfolgschancen und Risiken nicht sinnvoll voneinander abgrenzen.42 Im Kern hat der Arzt den Patienten im Rahmen der Risiko- und Verlaufsaufklärung über Art, Tragweite, Dringlichkeit, den voraussichtlichen Verlauf und die Folgen des geplanten Eingriffs sowie die Art

35 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 8. Näher hierzu Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, Kap. XI § 59 Rn. 13 ff. 36 Vgl. Moye et al., Amercian Psychologist 2013, 158, 165 m.w.N. und Kap. 5 D III 1. 37 Damm, MedR 2015, 775, 781; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16; demgegenüber geht das BayObLG, FamRZ 1994, 1060, 1061, davon aus, dass die Feststellung einer Krankheitsuneinsichtigkeit für den Befund, dass die EWF fehlt, „oft nicht aus(reiche)“. 38 Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 115. Franke, Modelle von Gesundheit und Krankheit, 3. Aufl. 2012, S. 21 ff., insbes. S. 26 ff. und S. 129 ff.; Keil, Individualisierte Medizin, 2015, S. 204; näher zu den versch. Krankheitsbegriffen im Recht ebenda, S. 202 ff. 39 Vgl. a. § 630e Abs. 1 S. 1 BGB. Näher hierzu auch Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 147 ff. 40 Die Verlaufsaufklärung wird in § 630e BGB nicht explizit genannt, BeckOK-BGB/Katzenmeier § 630e Rn. 8. Krit. hierzu Hart, GesR 2012, 385, 386 und Rehborn, GesR 2013, 257, 263 f. 41 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 59 Rn. 16 und Rn. 21; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 326 f.; ders., in: BeckOK-BGB § 630e Rn. 8. 42 Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 59 Rn. 12; BeckOK-BGB/Katzenmeier § 630e Rn. 9.

A. Die Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit

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und konkrete Wahrscheinlichkeit der bestehenden Risiken43 und Erfolgsaussichten, die Notwendigkeit und Eignung der Maßnahme, bestehende Behandlungs-alternativen und die ohne den Eingriff mögliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu informieren.44 Der Patient muss damit sowohl Tatsachen als auch Prognosen erfassen können. Zu den Tatsachen zählen die Notwendigkeit des Eingriffs, d.h. der Grad der Indiziertheit,45 die Dringlichkeit und Eignung der Maßnahme sowie das Bestehen etwaiger Behandlungsalternativen.46 Daneben werden regelmäßig ohne nähere Konkretisierung Art, Bedeutung, Wesen und Tragweite der Maßnahme genannt. 47 Die Bedeutung bezieht sich richtigerweise auf das betroffene Rechtsgut.48 Erforderlich ist demnach, dass der Patient erfassen kann, welches Rechtsgut durch die angestrebte Behandlung betroffen ist. Das Wesen umfasst als genereller Begriff alle genannten Aspekte.49 Die Tragweite bezieht sich wiederum auf das Ausmaß des geplanten Eingriffs und die hiermit verbundenen Folgen und Risiken. Damit ist die Fähigkeit, prognostisches Wissen erfassen zu können, angesprochen.50 Der Patient muss hiernach den voraussichtlichen Verlauf und die möglichen Folgen der Behandlung und der Nicht-Behandlung sowie Art und Wahrscheinlichkeit der spezifischen Eingriffsrisiken im Verhältnis zu den hiermit verbundenen Erfolgschancen erfassen können.51 Schon der Bezug der Aufklärung zu den Fähigkeiten des Patienten gebietet es, die ärztliche Aufklärungspflicht nicht im Sinne eines Maximums an Informationen misszuverstehen und zu überdehnen, sondern die psychologischen Besonderheiten bei der Verarbeitung von Risikoinformationen zu berücksichtigen.52

43 Deutsch/Spickhoff, Rn. 415 f. differenzieren insoweit zwischen rechtfertigender Einwilligung in den Eingriff und dem Verzicht auf den Schadensersatzanspruch im Falle der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos, den sie als Unterfall des Handelns (bzw. Unterlassens) auf eigene Gefahr klassifizieren. Ausführlich zu den hiermit verbundenen dogmatischen Streitfragen Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, 2013, S. 248 ff. 44 Vgl. BGHZ 29, 46, 55 ff. = NJW 1959, 811, 813 f.; BGHZ 90, 103, 105 ff. = NJW 1984, 1397, 1398 m. Anm. Deutsch; Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 59 Rn. 12; BeckOK-BGB/Katzenmeier, 630e Rn. 9; MüKoBGB/Wagner, § 630e Rn. 7 ff. Grundlegend hierzu Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 1983, S. 53 ff.; vgl. a. § 630e Abs. 1 S. 2 und 3 BGB. 45 Zu unterscheiden sind hiernach Heileingriff, wunschmedizinischer Eingriff und der Eingriff zu Forschungszwecken. 46 § 630e Abs. 1 S. 2 und 3 BGB; S. hierzu BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 21 ff. 47 Vgl. statt vieler BT-Drs. 17/10488, S. 24. 48 A.A. Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 36: Mehrwert ggü. dem Wesen unklar. 49 So auch Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 36 und Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 45: Wesen als das den Eingriff Kennzeichnende. 50 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 548; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 28; Damm, MedR 2015, 775, 781. 51 § 630e Abs. 1 S. 2 BGB. Deutsch, NJW 1982, 2585. 52 Ausführlich hierzu Spiecker/Kurzenhäuser, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 144 ff. m.w.N.; krit. zur Überforderung des Patienten durch Überinformation auch Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 351. Näher hierzu Kap. 6 C II und III, und Kap. 2 B IV.

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

cc) Erforderlicher Maßstab Sowohl für den Aufklärungsumfang als auch für die Einsichtsfähigkeit ist die Sicht des Patienten ausschlaggebend. Der Maßstab des verständigen Patienten 53 kann für den Arzt bei der Aufklärung zwar orientierend wirken. Der Aufklärende hat jedoch die individuelle Lebenssituation des Patienten zu berücksichtigen. Das gilt vor allem für dessen berufliche und private Lebensführung sowie erkennbare Entscheidungspräferenzen und Wertvorstellungen (Prinzip der patientenbezogenen Information).54 Gleiches gilt auch für die Einsichtsfähigkeit. Hierdurch wird berücksichtigt, dass es dem Patienten freisteht, Aspekte, die medizinisch gesehen relevant sein mögen, im Rahmen der eigenen Entscheidungsfindung niedriger zu gewichten. So ist etwa denkbar, dass für einen Patienten, dem sein äußerliches Erscheinungsbild unwichtig ist, das Risiko erheblicher Narbenbildung kaum eine Rolle spielt, wohingegen es für einen anderen Patienten von hohem Gewicht sein mag. In gleicher Weise kann für einen Spitzensportler schon eine geringe Bewegungseinschränkung oder Minderung seiner Ausdauer schwerwiegend sein, während ein solches Risiko für einen Patienten, der keinen Sport treibt, vernachlässigbar erscheinen wird. Die Einsichtsfähigkeit ist entsprechend eng mit der Urteilsfähigkeit – der Fähigkeit zu werten und die jeweiligen Informationen auf die eigene Lebenssituation zu beziehen – verwoben.55 c) Zur Rolle des tatsächlichen Informationsverständnisses Die Einsichtsfähigkeit ist, anders als in der Rechtsprechung zum Teil angedeutet, 56 nicht mit dem Informationsverständnis gleichzusetzen.57 Ein Fehlverständnis auf Patientenseite kann vielmehr auf verschiedenen Ursachen beruhen. Neben einer Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit kommt in Betracht, dass der Patient fehlerhaft oder unvollständig aufgeklärt wurde. Hierzu zählt auch die nicht adressatengerechte, für den Patienten unverständliche Aufklärung.58 Möglich ist auch, dass der Patient anderweitigen Fehlvorstellungen unterliegt.59 Schließlich kommen sprachliche und kulturelle Barrieren sowie ein eingeschränktes Hörvermögen in Betracht, das der Patient aus Scham verschweigt. Eine klare Differenzierung ist hier schon deshalb geboten, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass Patienten für einwilligungsunfähig erklärt werden, obwohl ihre Fähigkeiten in ausreichendem Maße vorhanden sind.60

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BGHZ 29, 46 = NJW 1959, 811; Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 59 Rn. 6. 54 BGH, NJW 1977, 337, 338; Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 60 Rn. 2; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 20; MüKoBGB/Wagner, § 630e Rn. 27. Näher hierzu Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 32. 55 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 548. 56 So etwa RGSt 29, 398; RGSt 41, 392 und BGH, NJW 1972, 335, 337. 57 Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 149. 58 Vgl. § 630e Abs. 2 Nr. 3 BGB. Näher hierzu BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 49 f. und unten Kap. 6 C II. 59 Die Einwilligung ist in diesem Fall nach h.M. ipso iure unwirksam, vgl. Kap. 2 D II. 60 Näher hierzu Kap. 6 A II 2 c) bb) (1).

A. Die Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit

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d) Zwischenergebnis Die Einsichtsfähigkeit lässt sich damit zusammenfassend als Fähigkeit umschreiben, a) die Art der vom Eingriff betroffenen Rechtsgüter, b) den Zweck, die Notwendigkeit und die Dringlichkeit, den voraussichtlichen Verlauf, die möglichen Folgen, Risiken und Nutzen des Eingriffs und seiner Nichtvornahme sowie c) die bestehenden Behandlungsalternativen zu verstehen. 2. Urteilsfähigkeit Die Urteilsfähigkeit61 betrifft die Fähigkeit, die entscheidungserheblichen, im Regelfall durch die Aufklärung vermittelten, Informationen auf die eigene Lebenssituation zu beziehen, vor dem Hintergrund der eigenen Werte, Wünsche und Vorstellungen als wichtig oder unwichtig zu bewerten, auf dieser Grundlage das Für und Wider abzuwägen und zu einer Entscheidung zu gelangen;62 kurz: die Fähigkeit zur „Wertung und Relationierung der Vorteile und Risiken“.63 a) Urteilsfähigkeit als Fähigkeit zur vernünftigen Wertung? In Literatur und Rechtsprechung wird zum Teil der Entscheidungsinhalt in die Beurteilung der Urteilsfähigkeit einbezogen. So prüfen vor allem die Strafgerichte, ob der Betroffene zu einer „verständigen“ Abwägung64 oder zur „verstandesgemäßen“ Beurteilung der eigenen Situation nach objektiven Maßstäben 65 imstande ist. In ähnlicher Weise wird gelegentlich eine „verstandesmäßige“, geistige und sittliche Reife gefordert.66 Teile des Schrifttums halten für maßgeblich, dass der Patient zu einer „vernünftigen Einschätzung“ seiner Interessen imstande ist.67 Zu klären ist damit, ob ein Vernunftmaßstab zur Bestimmung der Urteilsfähigkeit rechtlich geboten erscheint. Hierzu lässt sich in den letzten Jahrzehnten ein deutlicher Perspektivwechsel verzeichnen. Während bis in die 1980er Jahre ein objektivierter Vernunftmaßstab dominierte, werden inzwischen mehrheitlich subjektivere Ansätze vertreten, nach

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Auch Urteilskraft oder Urteilsvermögen, RGSt 41, 392; BGHSt 12, 379, 382 = NJW 1959, 825; NJW 1981, 932; NStZ 2011, 340, 341 und BayVerfGH, 1993, 1520, 1522. 62 St. Rspr., vgl. nur BGH, VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 1177; NJW 1986, 780; NJW 1998, 2734; NJW 2013, 1449, 1450 und für das Strafrecht RGSt 77, 17, 20; BGH, NJW 1953, 912, 913; BGHSt 12, 379, 382 f. = NJW 1959, 825; NJW 1978, 1206; NStZ 2000, 87, 88; NStz2011, 340, 341. 63 Damm, MedR 2015, 775, 781. 64 BGH, VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 1177; NJW 2013, 1449 1450; für das Strafrecht BGH, NJW 1953, 912, 913; BGHSt 12, 379, 382 f. = NJW 1959, 825; NJW 1978, 1206; NStZ 2000, 87, 88; NStZ 2011, 340, 341. 65 BGH, NJW 1981, 932 (zu § 216 StGB). 66 BGH, VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 1177, 1178. 67 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 544 ff.; Prütting, Tiefe Hirnstimulation, 2014, S. 72; Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 73 ff.; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 22.

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

denen die Wünsche, Werte und Ziele des Patienten den für die Entscheidung maßgeblichen Referenzrahmen bilden. aa) Ablehnung eines objektiv-medizinischen Vernunftmaßstabs Die Bewertung der Einwilligungsentscheidung des Patienten anhand objektiv-medizinischer Maßstäbe wurde von der überwiegenden Auffassung im Zivil- und Verfassungsrecht schon früh abgelehnt.68 Noch in den 1970er und 1980er Jahren hat das Vernunftkriterium jedoch Eingang in psychiatrische Beurteilungsverfahren gefunden69 und die Rechtsprechung des BGH zur Einwilligungsfähigkeit im Strafrecht geprägt.70 Nach der damals, und von den Strafgerichten vereinzelt auch heute noch in abgeschwächter Form vertretenen Ansicht,71 sollte für die Einwilligungsfähigkeit maßgeblich sein, ob die Entscheidung des Patienten für oder gegen eine bestimmte Maßnahme aus medizinischer Sicht vernünftig erscheint.72 Der BGH in Strafsachen zweifelte im Zahnextraktionsfall an der Einwilligungsfähigkeit einer Patientin, die auf eine medizinisch nicht indizierte Extraktion sämtlicher plombierter Zähne bestand, weil sie sich hiervon die Beseitigung ihrer chronischen Kopfschmerzen erhoffte.73 In der vielfach kritisierten Entscheidung74 schloss der 2. Strafsenat von der Unvernünftigkeit der Einwilligung auf das Fehlen der Urteils- und damit der Einwilligungsfähigkeit.75

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Vgl. BVerfG, NJW 1979, 1925, 1931; BVerfGE 58, 208, 226 = NJW 1982, 691, 693; NJW 1998, 1774, 1775; NJW 2011, 2113, 2116; BGH, NJW 1973, 556, 558; NJW 1974, 1422, 1423; NJW 1980, 1333, 1334; 1984, 1397, 1398; NJW 1990, 2928, 2929; NJW 2000, 885, 886; NJW 2003, 1862, 1863; für das Strafrecht BGHSt 11, 111, 114 = NJW 1958, 267, 268; zust. Roxin, in: FS Welzel, 1974, S. 450 f.; ders., AT I, § 13 Rn. 87; Hillgruber, Schutz vor sich selbst, 1992, S. 67; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 547 und 551; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60 und S. 68 f.; ders., in: Lipp (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 39; Rönnau, Willensmängel, 2001, S. 215 ff.; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 35 f. und S. 75; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 48; Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257; Joerden, in: ders. u.a. (Hrsg.), Menschenwürde, 2013, S. 230; Bichler, GesR 2014, 208, 210; Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 151; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 24. 69 Sog. Reasonable Outcome of Choice-Kriterium, vgl. Appelbaum/Roth, Arch Gen Psychiatry 1982, 951; Roth/Meisel/Lidz, Am J Psychiatry 1977, 279. Näher hierzu Markus, Einwilligungsfähigkeit im amerik. Recht, 1995, S. 73 f. m.w.N. Inzwischen enthalten die gängigen Testverfahren keine inhaltsbezogenen Bewertungskriterien mehr, vgl. Kap. 6 A II. 70 Vgl. BGH, NJW 1978, 1206 (Zahnextraktionsfall). 71 Vgl. BGH, NJW 1953, 912, 913; NJW 1978, 1206; NJW 1981, 932; NStZ 2000, 87, 88; NStZ 2011, 340, 341. 72 BGH, NJW 1978, 1206 (Zahnextraktionsfall). 73 BGH, NJW 1978, 1206 (Zahnextraktionsfall). 74 Vgl. nur Rogall, NJW 1978, 2344, 2345 f.; Hruschka, JR 1978, 518, 519 ff.; Amelung, JR 1999, 45, 46 f.; Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, 1993, S. 80 ff.; Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 86 ff.; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 46 f. 75 BGH, NJW 1978, 1206 (Zahnextraktionsfall).

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(1) Gehalt des Selbstbestimmungsrechts Diese Sichtweise ist mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten unvereinbar, das dem Einzelnen die Freiheit gewährleistet, seine Rechtsgüter nach individuellen Maßstäben zu bewerten und zu gewichten, um – geleitet von den eigenen Wünschen, Zielen und Wertvorstellungen – zu einer individuellen Entscheidung zu gelangen, mag diese aus medizinischer Sicht noch so unvernünftig sein. 76 Gerade Behandlungsentscheidungen, die sich regelmäßig als Konfliktentscheidungen darstellen, können unabhängig davon wie indiziert sie sind, den individuellen Wertvorstellungen des Patienten widersprechen.77 So mag etwa die Ablehnung einer vital indizierten aber sehr belastenden Therapie aus medizinischer Sicht unvernünftig erscheinen, für einen Patienten, der seine Lebensqualität höher bewertet als die verbleibende Lebenszeit, vorzugswürdig erscheinen. Gerade in lebensbedrohlichen Situationen, gebietet es das im Persönlichkeitsrecht verankerte Selbstbestbestimmungsrecht den Patienten nach eigenen Maßstäben entscheiden zu lassen, welche Rechtsgüter er zu „opfern“ bereit ist und ob er einen vital indizierten Eingriff gegebenenfalls ablehnen möchte.78 Auch psychisch erkrankten Menschen gesteht die Rechtsprechung in gewissem Umfang eine „Freiheit zur Krankheit“ zu, die auch die Ablehnung aus medizinischer Sicht notwendiger Behandlungen umfasst, sofern diese ausschließlich der Besserung ihres Gesundheitszustands dienen.79 (2) Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit als Rechtsfrage Ein solches Recht auf Unvernunft80 setzt voraus, dass der Patient zu einer selbstbestimmten Entscheidung in der Lage ist. Ist der Betroffene in Bezug auf die konkrete Behandlungsentscheidung einwilligungsunfähig, gesteht ihm die Rechtsordnung selbstschädigende Entscheidungen nur noch eingeschränkt zu.81 Fließt die medizinische Vernünftigkeit der Entscheidung aber, wie vom 2. Strafsenat erwogen, in die 76

BVerfG, NJW 2011, 2113, 2116; NJW 1979, 1925, 1931; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 547 und 551 m.w.N.; Hillgruber, Schutz vor sich selbst, 1992, S. 67; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60 und 68 f.; Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13, jeweils m.w.N.; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 35 f.; Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 87; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 48; Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257; Joerden, in: ders. u.a. (Hrsg.), Menschenwürde, 2013, S. 230; Bichler, GesR 2014, 208, 210; Duttge, NJW 2016, 120, 121; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 24. A.A. Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 26. 77 Vgl. BVerfG, NJW 1979, 1925, 1931; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 39; Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 21 m.w.N. 78 Vgl. BGHSt 11, 111, 114 = NJW 1958, 267, 268; Duttge, NJW 2016, 120, 121; für das Zivilrecht BGH, NJW 1984, 1397, 1398; NJW 1994, 799, 800 m.w.N.; weitere Nachweise bei Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl. 2018, Rn. 380 m.w.N. 79 BVerfGE 58, 208, 226 = NJW 1982, 691, 693; NJW 2011, 2113, 2115 f. m.w.N.; Hillgruber, Schutz vor sich selbst, 1992, S. 72; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 39. 80 Ähnlich bereits Birnbacher, MedR 2012, 560, 564: „Recht auf Irrationalität“ und Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 35: „Recht auf unvernünftige Entscheidung“. 81 Vgl. BVerfGE 128, 282, 304 = NJW 2011, 2113, 2115 f. m.w.N. Zur Verbindlichkeit selbstschädigender Wünsche des situativ einwilligungsunfähigen Betreuten S. Kap. 9 B III 2 b) aa).

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit ein, droht die Entscheidungsfreiheit, die gerade auch Abweichungen von der Norm ermöglichen soll, faktisch leer zu laufen.82 Daher folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht weitergehend, dass auch die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit, genauer: die Entscheidung, ob dem Patienten seine Einwilligung bzw. Nicht-Einwilligung im konkreten Fall rechtlich zugerechnet werden kann, allein nach rechtlichen Maßstäben zu erfolgen hat.83 Die Bewertung der tatsächlichen Fähigkeiten des Patienten als medizinisch vernünftig, verständig oder vertretbar widerspricht bei volljährigen und damit mündigen Personen84 ebenso wie die Überprüfung des Entscheidungsinhalts, ihrer Anerkennung als eigenverantwortliche Entscheidungsträger im Rechtsverkehr.85 Die Einwilligungsfähigkeit – und damit die verbindliche Anerkennung der Einwilligungsentscheidung eines Volljährigen – kann vielmehr nur ausnahmsweise, und im Hinblick auf bestimmte Defizite versagt werden. Die Versagungsmöglichkeiten sind hierbei begrenzt auf tatsächliche Defizite in der Willensbildung, die die für die Einwilligungsfähigkeit maßgeblichen Teilfähigkeiten beeinträchtigen können. Die Verneinung der Einwilligungsfähigkeit ist nur mit Blick auf Defizite dieser Art rechtlich legitimierbar, da nur diese eine abweichende Behandlung des Betroffenen überhaupt erforderlich machen und den hiermit verbundenen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des betroffenen rechtfertigen können.86 Nichts anderes kann letztlich auch für minderjährige Patienten gelten. Wollte man mit dem Argument ihrer Unmündigkeit bei Minderjährigen einen Vernunftmaßstab zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit vertreten, wie es etwa Amelung tut,87 wäre dies nur schwer mit ihrer sich entwickelnden Selbstbestimmungsfähigkeit („Autonomie im Werden“) vereinbar.88 Ein solcher Maßstab würde zudem sachfremden Erwägungen bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit Rechnung tragen, da sich ein notwendiger Zusammenhang zwischen der objektiven Unvernünftigkeit der Entscheidung und der Einwilligungsunfähigkeit des Patienten empirisch nicht belegen lässt.89 Studien haben wiederholt gezeigt, dass medizinisch vernünftige Entscheidung nicht mit der Einwilligungsfähigkeit korrelieren und objektiv unvernünftige Entscheidungen kein verlässliches Indiz für die Einwilligungsunfähigkeit des Patienten darstellen.90 Aus medizinischer Sicht unvernünftige Entscheidungen können, müssen aber nicht auf 82

Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 75; Birnbacher, MedR 2012, 560, 564 f. vgl. a. DGPPN, Nervenarzt 2014, 1419, 1422. Nach der Gegenansicht wäre zudem eine erneute Überprüfung der Einwilligungs(un)fähigkeit nach Kundgabe des Entscheidungsergebnisses erforderlich, vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 115, was einige Vertreter konsequent annehmen, so etwa Brock, Bioethics 1991, 105, 109. 83 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60. 84 Ausführlich hierzu Kap. 5 B I. 85 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60 und 69 m.w.N.; Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13; NK-StGB/Paeffgen/Zabel § 228 Rn. 16. 86 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 61 und 68 m.w.N., insbes. aus der der Rechtsprechung. 87 Vgl. Kap. 4 A II 2 b) bb). 88 Näher hierzu Kap. 2 C II. 89 Ähnlich bereits Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 49. 90 Kitamura et al., Int J of Law & Psych 1998, 223, 232 f.; Okai et al., BJPsych 2007, 291, 296 m.w.N.

A. Die Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit

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einem Defizit an Autonomie beruhen. Die Abweichung einer Entscheidung von objektiv vernünftigen Wertungen ist damit ambivalent. Sie kann sowohl Ausdruck intakter als auch defizitärer Autonomie sein.91 bb) Stärker subjektivierte Ansätze Um dieser Ambivalenz Rechnung zu tragen, sollte sichergestellt werden, dass sich tatsächlich bestehende Einschränkungen, die einer medizinisch unvernünftigen Entscheidung zu Grunde liegen können, durch die rechtlichen Kriterien der Einwilligungsfähigkeit abbilden lassen, ohne dass hierdurch das Selbstbestimmungsrecht über Gebühr beschränkt wird. Die in diesem Rahmen vorgeschlagenen Lösungsansätze reichen vom ökonomisch geprägten, gemischt subjektiv-objektiven Ansatz Amelungs (1), über das Erfordernis eines „einsichtigen Grundes“ bei Magnus (2), hin zu einer Bewertung des Wertesystems (4) und der subjektiven Zielsetzung (5) des Einwilligenden. Auch die Zivilrechtsprechung hat sich der Frage gewidmet (3).92 (1) Gemischt subjektiv-objektiver Vernunftbegriff bei Amelung Amelung hat für die Behandlungseinwilligung einen gemischt-objektiven Vernunftmaßstab vorgeschlagen, der sich an ökonomischen Entscheidungstheorien orientiert.93 Amelung geht davon aus, dass eine Person nur dann einwilligungsfähig ist, wenn sie in der Lage ist, ihre Interessen „vernünftig wahrzunehmen“, d.h. zu „erkennen, was (ihr) nützt“.94 Nutzen interpretiert Amelung utilitaristisch-ökonomisch.95 Hiernach sei die mit der Einwilligung verbundene Rechtsgutspreisgabe nur vernünftig, wenn sie darauf gerichtet ist, im Gegenzug einen Vorteil zu erlangen oder einen Nachteil zu vermeiden.96 Eine Einwilligung ist nach Amelung zudem nur dann vernünftig, wenn sie „wirklich erforderlich“ ist, d.h. das mildeste aller gleichwirksamen Mittel darstellt.97 Sie muss „den subjektiven Wertungen des Rechtsgutsträgers entsprechen, auf einer zutreffenden Würdigung der bewertungsrelevanten Tatsachen und Kausalverläufe beruhen und im Fall eines Konflikts zwischen den Gütern des Betroffenen nach dessen Wertmaßstäben zur Konfliktlösung erforderlich sein.“98 Amelungs Modell enthält starke normative Prämissen, die besonders rechtfertigungsbedürftig sind. Nicht nur der ökonomische Ansatz, auch die Vorgabe, der 91

Schünemann, VersR 1981, 306, 308; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 551. Vgl. auch die Ausführungen bei Kern, in: ders./Mazal (Hrsg.), Grenzen der Selbstbestimmung, 2003, S. 169 ff. zu den philosophischen Grundlagen der Diskussion und zur Bedeutung der Vernünftigkeit der Entscheidung für die Urteilsfähigkeit im österreichischen Recht. 93 Vgl. hierzu bereits Kap. 2 B IV 2. 94 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 544 f. 95 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 545. 96 Der Vorteil ist hierbei aus Sicht des Einwilligenden zu bestimmen, Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 545 ff. Die dritte Fallgruppe, die Amelung nennt, dass der Einwilligende ein Gut preisgibt, dass für ihn nutzlos ist, spielt im medizinischen Kontext kaum eine Rolle. Näher zum subjektiven Maßstab, ebenda, S. 546 ff. m.w.N. 97 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 549 f. 98 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 550 f. 92

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

Eingriff müsste das mildeste aller gleichwirksamen Mittel darstellen erscheint bedenklich; auch wenn die Folgen der objektiv zu ermittelnden Handlungsalternativen nach Amelung subjektiv, aus Sicht des Einwilligenden zu bewerten sind.99 Zwar hat Amelung die Rationalitätsanforderungen seines Modells im Nachgang relativiert, durch das Zugeständnis, dass auch subjektiv irrationale Entscheidungen als verbindlich zu akzeptieren seien, sofern diese nicht auf einem Defekt basieren.100 Am utilitaristisch geprägten Modell des nutzenorientierten, ökonomischen Entscheiders hielt er aber fest.101 Schon die rechtliche Zulässigkeit der Lebendorganspende zeigt indes, dass auch Verfügungen, die zum irreversiblen Verlust eines Organs führen können, selbst bei nur geringen Heilungsaussichten beim Spender „noch Ausdruck von Selbstbestimmung sein“ können, obwohl sie „aus der Perspektive einer medizinischen Kosten-Nutzen-Logik in Einzelfällen als ‚objektiv‘ unvernünftig erscheinen mögen.“102 (2) Erfordernis eines „einsichtigen Grundes“ bei Magnus Einen stärker objektivierten Ansatz vertritt Magnus. Sie fordert das Bestehen eines „einsichtigen Grundes“, um eine objektiv unvernünftige Entscheidung als Ausdruck der Autonomie des Patienten hinreichend sicher von möglichen Autonomiedefiziten abgrenzen zu können.103 Magnus vertritt für das Strafrecht einen paternalistischen Ansatz, bei dem die Autonomie des Patienten durch das Patientenwohl begrenzt ist. Der Wille selbst des einwilligungsfähigen Patienten ist nach Magnus nur in dem Umfang zu beachten, wie er dem Wohl des Betroffenen nicht zuwider läuft.104 Eine Verletzung des Patientenwohls ist nach Magnus anzunehmen, wenn eine selbstbestimmte Patientenentscheidung „für jeden erkennbar“ zu einer „deutliche(n) und gravierende(n) Schädigung“ führt oder „mit großer Wahrscheinlichkeit“ führen würde und es hierfür keinen objektiv „einsichtigen Grund gibt.“ 105 Fehlt es an einem „einsichtigen Grund“, soll der Patientenwille übergangen werden dürfen.106 Objektiv unvernünftige Patientenwünsche ohne einsichtigen Grund sind nach Magnus sittenwidrig, so dass es insoweit an einer eingriffslegitimierenden Einwilligung fehlt.107 Lehnt der Patient hingegen einen Eingriff ab, kommt es maßgeblich auf die Einwilligungsfähigkeit an, die Magnus als Fähigkeit zum vernünftigen Entscheiden interpretiert.108 Magnus bezeichnet ihren Ansatz als „allenfalls schwach paternalistisch“, „weil ein vernünftiger Patient bei rationaler Entscheidung das eigene Wohl ebenfalls nicht vernachlässigen würde“.109 99

Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 549 f. Ausführlich zur Kritik bereits Kap. 2 B IV 2 a). Vgl. Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 942; Amelung, JR 1999, 45, 46 f. 101 Krit. hierzu schon Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 132 ff. 102 Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 37. 103 Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 75. 104 Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 73. 105 Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 78. 106 Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 77 f. 107 Vgl. § 228 StGB. Problematisch erscheint zudem, dass Magnus einen weiten Sittenwidrigkeitsbegriff bei gesundheitsbezogenen Entscheidungen annimmt, vgl. Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht 2015, S. 78. 108 So ganz deutlich Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 80. 109 Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 79.

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A. Die Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit

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Magnus Argumentation sieht sich den bereits ausgeführten Bedenken ausgesetzt. Nicht nur ist das von ihr vertretene substantielle Autonomieverständnis mit dem herrschenden liberalen Grundrechtsverständnis unvereinbar.110 Es bleibt auch offen, nach welchen Maßstäben sich bestimmen soll, ob ein Grund „einsichtig“ ist. Magnus Argumentation unterliegt zudem einem Zirkelschluss. Indem zusätzlich zum Erfordernis eines „einsichtigen Grundes“ die Fähigkeit zum vernünftigen Entscheiden als Kriterium der Einwilligungsfähigkeit definiert wird, lassen sich objektiv unvernünftige Entscheidungen als Fähigkeitsdefizit interpretieren, was abzulehnen ist.111 (3) Zivilrechtsprechung zum Entscheidungskonflikt In eine ähnliche Richtung wie das Erfordernis eines „einsichtigen Grundes“ weist die Zivilrechtsprechung zum Entscheidungskonflikt. Der Arzthaftungssenat des BGH hat sich der Frage im Zusammenhang mit der hypothetischen Einwilligung wiederholt gewidmet.112 Hiernach führt der Einwand des Arztes, die Verweigerung der Einwilligung zu einer bereits durchgeführten Behandlung wäre bei ordnungsgemäßer Aufklärung medizinisch unvernünftig gewesen, zu einer Plausibilisierungspflicht auf Seiten des Patienten.113 Macht der Patient geltend, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte, ist dies nach ständiger Rechtsprechung selbst dann zu achten, wenn eine Ablehnung der Behandlung „rational nicht ohne weiteres begründbar und richtig erscheint“.114 Dem Patienten wird damit im Rahmen der Plausibilitätsprüfung Raum für persönliche Gründe gewährt, die auf individuellen Wertentscheidungen beruhen und über das medizinische Behandlungsziel der Erhaltung oder Verbesserung des Gesundheitszustandes hinausgehen.115 Dennoch fordert auch der VI. Zivilsenat, dass der Patient „verständig“ und seine persönlichen Gründe „beachtenswert“ sind.116 Diese Einschränkungen sind den Besonderheiten des Einwands der hypothetischen Einwilligung geschuldet, der weder das Selbstbestimmungsrecht des Patienten aushöhlen, noch missbräuchlichen Aufklärungsfehlerrügen Vorschub leisten darf.117 Der modifizierte Vernunftmaßstab des Arzthaftungssenats kann dennoch als Ausgangspunkt für die weitere Auseinandersetzung mit dem Vernunftkriterium brauchbar gemacht werden. Maßgeblich ist hiernach nicht mehr eine rein medizinische Betrachtungsweise, sondern die Frage, ob die Entscheidung des Patienten unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse und individuellen Wertvorstellungen vernünftig, d.h. aus Sicht eines verständigen Dritten nachvollziehbar und 110

Vgl. oben Kap. 2 B IV. Vgl. bereits oben Kap. 4 A II 2 a) aa) (2). 112 Vgl. BGHZ 90, 103, 111 f. = NJW 1984, 1397, 1399 m. Anm. Deutsch; BGH, NJW 1991, 2344, 2345; NJW 1994, 799, 801 und NJW 2010, 3230, 3232; siehe auch § 630h Abs. 2 S. 2 BGB. 113 St. Rspr., vgl. nur BGHZ 90, 103, 111 f. = NJW 1984, 1397, 1399 m. Anm. Deutsch; NJW 2010, 3230, 3232 = MedR 2011, 242, 243; NJW 2015, 75, 76. Näher hierzu Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 63 Rn. 3. 114 BGH, NJW 1974, 1422, 1423; vgl. a. BGH, NJW 1994, 799, 800 f. und NJW 1998, 2734. 115 Vgl. BGHZ 90, 103, 111 f. = NJW 1984, 1397, 1398. m. Anm. Deutsch. 116 BGHZ 90, 103, 111 f. = NJW 1984, 1397, 1398. m. Anm. Deutsch. 117 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630h Rn. 38 m.w.N. 111

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

plausibel erscheint.118 In ähnlicher Weise wird in der Literatur im Kontext der Einwilligungsfähigkeit ein vernünftiges Wertesystem des Patienten gefordert (4). Klärungsbedürftig ist, ob eine Bewertung des Wertesystems normativ geboten ist und welche Maßstäbe hierfür anzulegen sind. (4) Anforderungen an das Wertesystem des Einwilligenden Da befürchtet wird, dass sich durch einen vollständig subjektiven Maßstab tatsächlich bestehende Defizite in der Willensbildung von Patienten nicht hinreichend abbilden lassen, wurden im Schrifttum wiederholt Kriterien vorgeschlagen, denen das Wertesystem des Patienten genügen muss. So findet sich in der Psychologie die Forderung, die Entscheidung des Patienten müsse auf einem vernünftigen Wertesystem ("reasonable value system") beruhen.119 Im Strafrecht setzt Amelung für die Urteilsfähigkeit ein „intaktes“ Wertesystem voraus.120 In der Medizinethik wird schließlich mit ähnlicher Zielrichtung ein Authentizitätskriterium diskutiert.121 Nach Amelung sind medizinisch unvernünftige Entscheidungen des Betroffenen nur dann wirksam und verbindlich, wenn das Wertesystem des Patienten nicht krankheits- oder entwicklungsbedingt verzerrt ist.122 Als Beispiele für eine krankheitsbedingte Verzerrung nennt Amelung schwere Drogenabhängigkeit und Schizophrenie; für eine entwicklungsbedingte Verzerrung die Minderjährigkeit.123 Letztere äußere sich darin, dass sich Jugendliche verstärkt vom Urteil anderer abhängig fühlen, was etwa zur Einwilligung in riskante Mutproben führen könne.124 Die Annahme einer Verzerrung setzt eine intakte – oder mit Amelung: „unverzerrte“ und insoweit „richtige“ – Wertrangordnung voraus.125 Hierfür sei bei Volljährigen das subjektive Wertesystem vor Ausbruch der Erkrankung maßgeblich, bei Jugendlichen soll es hingegen, mangels präexistentem Wertesystem auf einen objektiven Vernunftmaßstab ankommen.126 Dieser Ansatz ähnelt dem Authentizitätskriterium in der Medizinethik, wonach der Patient imstande sein muss, eine authentische Entscheidung zu treffen, was ein authentisches Wertesystem und authentische Ziele voraussetzt.127

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BGH, NJW 1991, 1543, 1544; NJW 1991, 2344, 2345; NJW 1998, 2734, 2374; MedR 2005, 599, 600; NJW 2007, 2767. 119 Kitamura et al., Int J of Law & Psych 1998, 223, 232 f. 120 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 544 ff.; ders., R&P 1995, 20, 24; ders., in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 30; zust. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 56 f.; Nedopil, Nervenarzt 2009, 611, 617. 121 Näher hierzu unten Kap. 6 D III. Vereinzelt wird auch im Recht die Authentizität der Einwilligungsentscheidung gefordert, vgl. Schroth, in: FS Volk, 2009, S. 724 und Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 56 f. 122 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 551 ff.; ders., R&P 1995, 20, 24; ders., in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 30; zust. Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 26; Nedopil, Nervenarzt 2009, 611, 617. 123 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 551 f.; ders., NJW 1996, 2393, 2397. 124 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 551 f. m.w.N. 125 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 552. 126 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 553. 127 Vgl. Kap. 6 D III.

A. Die Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit

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Diese Ansätze sehen sich zahlreichen Bedenken ausgesetzt.128 So ist insbesondere bei chronischen Verläufen zweifelhaft, ob sich krankheitsbedingt verzerrte Werte überhaupt von gesunden, nicht-verzerrten Werten abgrenzen lassen.129 Eine solche Differenzierung setzt zudem Konsens über die für eine Verzerrung maßgeblichen Kriterien voraus.130 Unklar bleibt, ob auch kleinere Abweichungen im Wertesystem des Patienten ausreichen, um von einer die Einwilligungsfähigkeit ausschließenden Verzerrung auszugehen, ob es ausreicht, dass die Wertrangfolge betroffen ist oder ob sich die Verzerrung auch auf die hierauf beruhenden Ziele erstrecken muss. Offen ist auch wie der Vernunftmaßstab bei minderjährigen Patienten zu konkretisieren ist, die noch kein „intaktes“ Wertesystem ausgebildet haben. Das gilt vor allem in Situationen, die medizinisch ambivalent sind. Selbst wenn sich ein vorheriges, defektfreies Wertesystem des Einwilligenden ermitteln ließe – was zweifelhaft erscheint – wird sich bei volljährigen Patienten die erfolgte Änderung der Wertmaßstäbe nicht immer verlässlich auf eine neu hinzugetretene Erkrankung zurückführen lassen. Die Abgrenzung zu einem zulässigen, autonomen Wertewandel wirft erhebliche Schwierigkeiten auf.131 Durch Amelungs Ansatz drohen die Betroffenen zudem in existentiellen Krankheitssituationen, die typischerweise mit einem Wandel der eigenen Wertvorstellungen einhergehen,132 auf den status quo festgeschrieben zu werden.133 Die Gefahr einer hiermit verbundenen paternalistischen Bevormundung ist besonders bei psychischen Erkrankungen hoch, da hier bereits die Diagnosestellung, d.h. die Frage, ob – mit Amelung gesprochen – ein „Defekt“ vorliegt, normativ konnotiert ist.134 Auch die Beschreibung von Minderjährigkeit als „Defekt“ überzeugt nicht.135 Junges Alter kann ein Indiz für eine noch nicht ausgereifte, noch in der Entwicklung befindliche Selbstbestimmungsfähigkeit sein. Das bestimmte Wertrangfolgen allein mit jugendlichem Übermut und hiermit verbundenen Fehleinschätzungen erklärbar sind, erscheint vor dem Hintergrund ähnlicher Entscheidungsmuster im Erwachsenenalter fraglich.136 Der objektive Vernunftmaßstab, der bei Minderjährigen automatisch zum Ausschluss der Einwilligungsfähigkeit führen soll, ist schließlich aus den oben genannten Gründen (Verstoß gegen das Willkürverbot und die Autonomie im Werden) rechtlich kaum legitimierbar.137

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Näher zur ethischen Debatte in Kap. 6 D III. Charland et al., Philos Psychiatr Psychol 2013, 375, 377 f., die eindrücklich beschreiben, dass bei Anorexia Nervosa Patienten die Erkrankung maßgeblich die Identität und Persönlichkeit der Betroffenen bestimmt; ähnlich auch Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 115. 130 Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 115. 131 Tenthoff, Tötung auf Verlangen, 2008, S. 104; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 72. ff. 132 Näher hierzu Wieseman, in: dies./Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 17. 133 Tenthoff, Tötung auf Verlangen, 2008, S. 104; Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 112. 134 Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 115. 135 Krit. hierzu bereits Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, 74 f. 136 So mit Hinweis auf die traditionelle Mensur schlagender Verbindungen etwa NKStGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 16 und Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 77; vgl. a. Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 167 m.w.N. 137 So auch Diederichsen, in: FS Hirsch, 2008, S. 358; näher zum Ganzen Kap. 4 A II 2 a) bb). 129

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

Befürwortete man ein solches Kriterium, wäre genau zu prüfen, ob das vorhandene Defizit generell geeignet ist, eine Verzerrung der Werte(-Rangordnung), Ziele und Wünsche des Betroffenen herbeizuführen.138 Falls ja, müsste ermittelt werden, ob die Wertverschiebung im konkreten Fall tatsächlich auf dem Defekt beruht.139 In einem dritten Schritt wäre schließlich festzustellen, ob die Werteverzerrung ursächlich für das Entscheidungsergebnis geworden ist, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass aus der objektiven Unvernunft der Entscheidung beim Vorliegen eines „Defektes“ vorschnell auf die Einwilligungsunfähigkeit geschlossen wird. 140 (5) Verfehlung der subjektiven Zielsetzung Einen weiteren gemischt subjektiv-objektiven Ansatz vertritt schließlich Fateh-Moghadam. Hiernach soll maßgeblich sein, ob die Entscheidung aus subjektiver Sicht vernünftig ist.141 Das ist etwa dann zu verneinen, wenn der Einwilligende zur Erreichung seines subjektiven Ziels ein Mittel wählt, das objektiv ungeeignet ist.142 Hiernach wird die subjektive Zwecksetzung des Einwilligenden ebenso wenig einer objektiven Bewertung unterzogen „wie die höchstpersönliche und grundsätzlich unvertretbare Abwägungsentscheidung darüber, welches Risiko er zur Zweckerreichung einzugehen bereit ist.“143 Beispielsweise sei eine Lebendspende nach diesem Ansatz erst dann subjektiv irrational, wenn der vom Spender angestrebte medizinische Nutzen für den Empfänger von vornherein ausgeschlossen ist.144 In diesem Fall stellt sich in der Regel schon die Frage nach der Wirksamkeit der Einwilligung nicht mehr, weil der Spender keinen Anspruch gegen den Arzt auf Vornahme einer medizinisch nicht indizierten Maßnahme hat. Führt der Arzt die Maßnahme dennoch durch, spricht – wie schon in der Zahnextraktionsentscheidung des BGH – wenig dafür, allein aus der subjektiven Zweckverfehlung auf die Sittenwidrigkeit der Einwilligung oder die Einwilligungsunfähigkeit des Patienten zu schließen. (6) Fazit Auch die zahlreichen Versuche, das Vernunftkriterium stärker subjektiv auszugestalten, können die grundlegenden Spannungen zum Selbstbestimmungsrecht letztlich nicht auflösen. Vor diesem Hintergrund erscheint auch im einfachen Recht ein Konzept minimaler Rationalität vorzugswürdig.145 Rationalität ist nach der hier vertretenen Ansicht allein auf den Prozess der Willensbildung zu beziehen.146 Das Kriterium der minimalen Rationalität lässt sich als Fähigkeit, die eigenen Wünsche 138 Tan et al., Philos Psychiatr Psychol 2006, 267, 277 ff.; Cabrera, AJOB Neuroscience 2011, 41, 42; Soriano/Lagman, Am J Hosp & Palliative Med 2012, 401, 402; weitere Nachweise in Kap. 6 D III. Krit. hierzu Charland et al., Philos Psychiatr Psychol 2013, 375, 377. 139 Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 74. 140 Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 131. Siehe hierzu auch Kap. 5 D III 1. 141 Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 37. 142 Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 37. 143 Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 37. 144 Fateh-Moghadam, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 37 f. 145 Vgl. hierzu aus rechtsethischer Sicht bereits oben Kap. 2 B IV 3 a). 146 Näher hierzu Kap. 2 B IV.

A. Die Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit

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durch Zweck-Mittel-Überlegungen in die Tat umsetzen zu können, interpretieren.147 Maßgeblich ist damit, dass der Patient Schlüsse ziehen und realisieren kann. Ein anspruchsvolles Verständnis von Rationalität als vernunftgeleitetem, an stabilen Wertpräferenzen und Zielen ausgerichteten Denken und Handeln lässt sich hingegen nicht schlüssig begründen.148 b) Weitergehende Anforderungen an Einsichts- und Urteilsfähigkeit aa) Das Kriterium der „natürlichen“ Einsichts- und Urteilsfähigkeit In Rechtsprechung und Literatur findet sich bis heute die Umschreibung der Einwilligungsfähigkeit als „natürliche“ Einsichts- und Urteilsfähigkeit.149 Hierdurch wird die Abgrenzung zum natürlichen Willen erschwert, der gerade das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit voraussetzt. 150 Hinzu kommt, dass das Kriterium der „Natürlichkeit" von der Rechtsprechung sehr unterschiedlich ausgelegt wird151 und der Umschreibung weder ein praktischer noch ein dogmatischer Mehrwert zukommt. Aus Gründen der Rechtsklarheit sollte deshalb darauf verzichtet werden.152 bb) Das Kriterium der geistigen und sittlichen Reife Besonders die ältere Rechtsprechung, aber auch Teile des neueren Schrifttums, verlangen zudem ein gewisses Maß an „geistiger und sittlicher Reife“ des Einwilligenden.153 Das Kriterium findet sich nicht nur in Bezug auf Minderjährige, 154 sondern auch bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit psychisch kranker Erwachsener.155 Wurde die Reife in den Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen noch ausschließlich kognitiv als „geistige Reife“ oder „hinreichende Verstandes147

Vgl. Kap. 2 B IV 3 a). Ausführlich zum Ganzen oben Kap. 2 B IV 3 a). 149 Vgl. BGH, 1964, 1177, 1178; OLG Hamm, NJW 1983, 2095; OLG Zweibrücken, NStZ 2011, 707, 708; Soergel/Zimmermann, § 1904 Rn. 3; Kreße, MedR 2015, 91, 92; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 58. Zum Teil wird auch von „natürlicher Willensfähigkeit“ (Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XXII § 138 Rn. 16; Jaeger, in: Prütting, MedR-K, 2016, BGB § 630d Rn. 3; BT-Drs. 17/10488, S. 23 m.w.N.) oder der „natürlichen“ Einsichts- und Steuerungsfähigkeit gesprochen, BGH, NJW 2001, 888, 790; OLG Hamm, NJW 1983, 2095; OLG Hamm, NJWE-FER 1997, 178, 179; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 6; MüKoBGB/Schwab, § 1904 BGB Rn. 16; vgl. a. BT-Drs. 11/4528, S. 71 und BT-Drs. 16/8442, S. 12 f. 150 Näher zum Begriff des natürlichen Willens unten Kap. 9 C I 1. 151 NK-StGB/Paeffgen/Zabel § 228 Rn. 15. 152 So bereits Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 38 und Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. S. 142 f. 153 Vgl. BGHZ 29, 33, 35 f. = NJW 1959, 811; VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 1177, 1178; NJW 1972, 335, 337; NJW 1974, 1947, 1950; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 418; Kreße, MedR 2015, 91, 92, für das Strafrecht RGSt 29, 398; RGSt 72, 399; BayObLG, NJW 1999, 372 = NStZ 1999, 458, 459 m. krit. Anm. Amelung; vgl. a. KG, NStZ-RR 2015, 25: „Verstandesreife“. 154 Vgl. BGH, NJW 1974, 1947, 1950; Kreße, MedR 2015, 91, 92 sowie aus strafrechtlicher Sicht BayObLG, NJW 1999, 372 = NStZ 1999, 458, 459 m. krit. Anm. Amelung. 155 BGH, VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 1177. 148

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

reife“ gefasst,156 fordert der VI. Zivilsenat des BGH in ständiger Rechtsprechung zusätzlich auch eine entsprechende „sittliche Reife.“ 157 Hiermit werden ausdrücklich moralische Erwägungen zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit zugelassen, was die ohnehin bestehende Tendenz begünstigt, die Einwilligungsfähigkeit unter Rückgriff auf gesellschaftliche Wertvorstellungen relativ beliebig bejahen und ablehnen zu können.158 Bei volljährigen Patienten widerspricht ein solcher außerrechtliche Maßstab zudem, ähnlich wie das Vernunfterfordernis, dem Status als eigenverantwortlicher Rechtsperson.159 Auch bei Minderjährigen ist ein Kriterium, das das Erfordernis einer hinreichenden geistigen Entwicklung unterstreicht,160 letztlich nicht erforderlich.161 Ausreichend ist vielmehr ein hinreichendes Maß an Einsichts- und Urteilsfähigkeit.162 cc) Hinreichendes Maß an Einsichts- und Urteilsfähigkeit Das Kriterium der „hinreichenden“ Einsichts- und Urteilsfähigkeit163 impliziert, dass die tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen, den rechtlichen Mindestanforderungen an die Einwilligungsfähigkeit im konkreten Fall entsprechen müssen.164 Bei Minderjährigen ist hiermit der individuelle Entwicklungsstand angesprochen.165 Dieser lässt sich nicht allein altersbezogen bestimmen.166 Maßgeblich sind hierfür neben den Ressourcen des Minderjährigen selbst auch seine Lebens- und Krankheitserfahrung.167 Insbesondere bei schweren chronischen Erkrankungen ist anerkannt, dass auch jüngere Minderjährige im Einzelfall imstande sein können, über ihre Behandlung zu entscheiden, was beispielsweise bei onkologischen Erkrankungen im gravierendsten Fall auch die Umstellung von der kurativen auf die palliative Versorgung (Therapieverzicht und Behandlungsabbruch) oder einen Wechsel des Heilverfahrens von der Schulmedizin zur Alternativmedizin umfassen kann.168 156

RGSt 29, 398 und RGSt 72, 399. BGH, NJW 1959, 811; VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 1177; NJW 1972, 335, 337; NJW 1974, 1947, 1950. 158 Vgl. Kap. 3 B IV 2. 159 Krit. hierzu auch Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 537 und Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 41 ff. Näher hierzu Kap. 2 B II. Das Kriterium der sittlichen Reife stammt aus dem Strafrecht, vgl. § 3 JGG, wird dort aber ebenfalls überwiegend abgelehnt, vgl. nur MüKoStGB/Laue, JGG § 3 Rn. 8 m.w.N. 160 Kreße, MedR 2015, 91, 92; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 40 f. m.w.N. 161 So auch die h.M. zum Reifekriterium in § 3 JGG, vgl. MüKoStGB/Laue, JGG § 3 Rn. 8. 162 Vgl. BGH, VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 1177. 163 BGH, VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 1177. 164 Näher hierzu Kap. 4 B. 165 Kreße, MedR 2015, 91, 92. 166 Alderson, in: Wiesemann u.a. (Hrsg.), Das Kind als Patient, 2003, S. 32. 167 Näher hierzu Alderson, in: Wiesemann u.a. (Hrsg.), Das Kind als Patient, 2003, S. 37 und Alderson et al., Arch Dis Child 2006, 300, 302. 168 Kreße, MedR 2015, 91, 92; Nebendahl, MedR 2009, 197 ff.; ders., in: Igl/Weltli, Gesundheitsrecht, 3. Aufl. 2018, Kap. XI § 49 Rn. 56; vgl. a. die progressive Rechtsprechung des Obergerichts Luzern, das einen 17-jährigen Patienten bei vitaler Indikation für hinreichend einwilligungsfähig hielt eine Therapieverweigerung (hier: dritter Chemotherapiezyklus bei infauster Hirnkrebsdiagnose) wirksam zu erklären, Obergericht Luzern, Entscheid v. 3.12.2007 – 30 07 22, Ziff. 4.3. f., abrufbar unter: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/lgve, 157

A. Die Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit

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3. Steuerungsfähigkeit Neben der kognitiven Einsichts- und Urteilsfähigkeit setzt die Einwilligungsfähigkeit nach einhelliger Meinung ein voluntatives Element voraus. Hiernach muss der Patient in der Lage sein, sich seiner eigenen Einsicht, genauer: seinem Behandlungs- oder Ablehnungswunsch gemäß, zu verhalten.169 Die Steuerungsfähigkeit kann entwicklungsbedingt, durch eine psychische Krankheit eine starke Drogenabhängigkeit oder den Einfluss sedierender Medikamente beeinträchtigt sein. Eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit liegt vor, wenn der Patient nur eingeschränkt fähig ist, dem ärztlichen Rat oder Einflüssen Dritter, Hemmungen entgegenzusetzen.170 Die Konkretisierung der Steuerungsfähigkeit fällt weitgehend in das Gebiet der empirischen Wissenschaften, insbesondere der Psychologie und Medizin. Rechtlich relevant ist vor allem die Abgrenzung zur Freiwilligkeit der Einwilligung. Während die Freiwilligkeit äußere Einflüsse betrifft, die den Patienten am entscheidungsgemäßen Verhalten hindern, namentlich Zwang, Gewalt, rechtswidrige Drohung oder arglistige Täuschung, bezieht sich die Steuerungsfähigkeit auf „innere Vorgänge“.171 Sie beschreibt das Unvermögen, die eigene Entscheidung Dritten gegenüber aufrechtzuerhalten. Zum Teil wird die Fähigkeit zum einsichtsgemäßen Verhalten von der Rechtsprechung über die Einwilligung hinaus auf die Frage der Therapietreue erstreckt.172 Das ist dogmatisch nicht überzeugend. Die Therapietreue betrifft die Obliegenheit des Patienten, ärztliche Hinweise, etwa zur Einnahme verordneter Medikamente oder zu etwaigen Vorsichtsmaßnahmen, zu befolgen.173 Die Frage, ob der Patient in der Lage ist, sich sich bewusst gegen den ärztlichen Rat zu entscheiden, ist damit keine Frage der Einwilligungsfähigkeit, sondern eine Frage der Verschuldensfähigkeit im Rahmen von § 254 BGB.174

letzter Zugriff: 16.10.2019. Näher hierzu Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 61 f. Ausführlich zum Ganzen Kap. 8 A II 2 b) aa). Grundlegend zu den arzthaftungsrechtlichen Grenzen alternativmedizinischer Maßnahmen Schumacher, Alternativmedizin 2017, S. 57 ff. 169 BGHZ 29, 46, 51 = NJW 1959, 811, 812; OLG Hamm, NJW 1982, 2095. 170 RGSt 77, 17, 20; OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1679, 1680; OLG Frankfurt, NJW 1991, 763. Näher hierzu Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 37 ff. und S. 163 f. und Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 153 f. 171 BGH, NJW 1964, 1177, 1178; NK-StGB/Paeffgen/Zabel § 228 Rn. 19 ff. Zur Abgrenzung zu sonstigen Irrtümern und Fehlvorstellungen des Patienten, vgl. Kap. 2 D I 3. 172 Vgl. BGH, NJW 1970, 511, 512 (Arsenfall). 173 Vgl. § 630c Abs. 1 BGB; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630c Rn. 4; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 16 f. Entsprechend ist auch die therapeutische Information, vgl. § 630c Abs. 2 S. 1 BGB (ehemals Sicherungsaufklärung) von der Selbstbestimmungsaufklärung grundverschieden, dient sie doch, als Teil der Behandlung, der Sicherung des Therapieerfolgs, BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630c Rn. 7 ff. In der aktuellen Gesetzesfassung kommt dies nicht klar genug zum Ausdruck. Krit. hierzu Spickhoff, ZRP 2012, 65, 67; Katzenmeier, MedR 2012, 576, 580; ders., NJW 2013, 817, 818; Hart, MedR 2013, 159, 161. 174 A.A. Hegerfeld, MedR 2019, 770, 771 ff., die vertritt, dass die Informationspflichten aus § 630c BGB die (inhaltlich mit der Einwilligungsfähigkeit identische) „Informationsbefolgungsfähigkeit“ des Patienten voraussetzen. Näher zu Rechtsfolgen der Verletzung der therapeutischen Mitwirkungsobliegenheiten, BeckOK-BGB/Katzenmeier § 630c Rn. 4 f.

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

4. Äußerungsfähigkeit Schließlich wird in Rechtsprechung und Literatur, im Einklang mit der herrschenden Meinung in Psychologie und Medizin, geprüft, ob der Patient seine Entscheidung auch mitteilen kann (sog. Äußerungsfähigkeit).175 Das Erfordernis, die eigene Entscheidung äußern zu können, folgt daraus, dass ein medizinischer Eingriff nach allgemeinen Grundsätzen nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Arzt auf Grund oder zumindest in Kenntnis der Einwilligung handelt.176 An die Äußerungsfähigkeit sind keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist lediglich, dass der Patient seine Entscheidung eindeutig zum Ausdruck bringen kann, sei es ausdrücklich oder konkludent durch Worte, Gesten, Mimik oder das Verhalten. 177 Auch die Kommunikation mit den Augen, etwa mithilfe eines per Augensteuerung bedienbaren Computers ist hiervon erfasst.178 Sinnvoll erscheint es, ähnlich wie bei der Testierfähigkeit auch bei hör-, sprech- und schreibunfähigen Patienten mit deren Einverständnis eine Verständigungsperson hinzuzuziehen.179

III. Fazit Hiernach ist die eingangs entwickelte Umschreibung der erforderlichen Fähigkeiten wie folgt zu ergänzen: Eine volljährige Person ist einwilligungsunfähig, wenn sie außer Stande ist, a) den Zweck, die Notwendigkeit, die Dringlichkeit, den voraussichtlichen Verlauf, die möglichen Folgen, die potentiellen Risiken oder den potentiellen Nutzen des Eingriffs und seiner Nichtvornahme zu verstehen, b) zu erfassen, welchen Wert die betroffenen Rechtsgüter für ihn haben und unter welchen Alternativen er wählen kann, das Für und Wider abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen c) diese Entscheidung zu äußern oder d) nach dieser Einsicht zu handeln.

175 BGH, NJW 1980, 1903; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 385; ders., FamRZ 2018, 412, 419; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 143; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 64 f. 176 Vgl. § 630d Abs. 1 S. 1 BGB; so bereits BGH, NJW 1956, 1106, 1107; BGHZ 29, 176, 180 = NJW 1959, 814; s.a. NK-StGB/Paeffgen/Zabel § 228 Rn. 32a m.w.N.; Lackner/Kühl/Kühl § 228 Rn. 9. 177 BGHSt 12, 379, 382 = NJW 1959, 825; NJW 1961, 261, 262; BGHSt 17, 359, 360 = NJW 1963, 165; OLG Hamm, NJW 2002, 3410, 3412. Näher hierzu Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 143; vgl. a. die Anforderungen an die Äußerungsfähigkeit im Rahmen der Testierfähigkeit in OLG Hamm, NJW 2002, 3410, 3412; BeckOK-BGB/Litzenburger, § 2232 Rn. 5 f.; und MüKoBGB/Hagenau, § 2232 Rn. 49 ff. 178 MüKoBGB/Hagenau, § 2232 Rn. 50. 179 Vgl. § 24 BeurkG. Näher hierzu statt vieler MüKoBGB/Hagenau, § 2232 Rn. 49 ff.

B. Das erforderliche Ausmaß

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B. Das erforderliche Ausmaß B. Das erforderliche Ausmaß

Nachdem die Teilfähigkeiten näher beschrieben sind, stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß diese im konkreten Fall vorhanden sein müssen.

I. Fester Schwellenwert oder relativer Beurteilungsmaßstab Die Frage, ob sich für das Maß der Einwilligungsfähigkeit ein fester Schwellenwert bestimmen lässt oder ob dieser relativ zu den Umständen des Einzelfalls variiert, wird in der Literatur nicht einhellig beurteilt. Anders als bei der Geschäftsfähigkeit wird im Schrifttum zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit mehrheitlich ein relativer Maßstab befürwortet.180 Die Rechtsprechung hat sich noch nicht ausdrücklich mit der Frage befasst, die Relativität aber wiederholt implizit vorausgesetzt.181 Eine prominente Mindermeinung lehnt demgegenüber variierende Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit ab und schlägt als Referenzwert zur Bestimmung des Übergangs von der Einwilligungsunfähigkeit zur Einwilligungsfähigkeit feste Altersgrenzen vor.182 1. Konkreter Maßstab der Einwilligungsfähigkeit als Abwägungsentscheidung Ein an bestimmte Altersgrenzen gebundener, fester Schwellenwert für die Einwilligungsfähigkeit überzeugt nicht. Der starke persönlichkeitsrechtliche Bezug der Einwilligung im Gesundheitsbereich gebietet es vielmehr, die Anforderungen einzelfallbezogen zu bestimmen.183 Der konkrete Maßstab beruht sowohl auf Selbstbestimmungs- als auch auf Fürsorgeerwägungen.184 Ein Austarieren beider Werte im konkreten Fall ermöglicht es, sowohl zu hohen als auch zu niedrigen Standards entgegenzuwirken.185 Ein fester Schwellenwert würde demgegenüber das Verhältnis 180

Vgl. BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 6; Jürgens/Jürgens, § 1896 Rn. 34; Holzhauer, ZRP, 1989, 451, 457; Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, 1993, S. 167 ff.; Voll, Einwilligung, 1996, S. 88; Kern, NJW 1994, 753, 755; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 34; Blandini, BWNotZ 2007, 129, 130; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 41 m.w.N.; Bichler, GesR 2014, 208, 210; Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 155 f. Ausführlich zum Ganzen Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 530 ff., 543 ff. und BT-Drs. 11/4528, S. 141; vgl. a. Kap. 6 D I. 181 Credo der „hinreichenden“ Einsichts- und Urteilsfähigkeit, vgl. nur BGHSt 12, 379, 382 f. = NJW 1959, 825; für das Zivilrecht BGH, VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 1177. 182 Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 10 ff., insbes. Rn. 22; ders., Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 63 ff., insbes. S. 67; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 58 f.; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 35; vgl. hierzu auch Kap. 3 C II. 183 Vgl. BGH, VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 1177; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16; Bichler, GesR 2014, 208, 210. 184 Vgl. Kap. 2 B I. 185 Amelung, in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 28; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 197 sowie aus ethischer Sicht Vollmann, Aufklärung

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

beider Prinzipien abstrakt festschreiben. Vor allem die in der Literatur vorgeschlagene 14-Jahresgrenze führt für weniger schwerwiegende Eingriffe zu überhöhten Anforderungen und verschiebt das Gewicht im Einzelfall zu stark zu Gunsten fürsorgerischer Erwägungen. Sie sieht sich zudem den bereits genannten Bedenken ausgesetzt.186 2. Rechtsdogmatische Überlegungen Auch rechtsdogmatische Überlegungen sprechen nicht grundsätzlich gegen, sondern eher für eine relative Einwilligungsfähigkeit.187 Rechtsprechung und Literatur haben die Einwilligungsfähigkeit von der Geschäftsfähigkeit emanzipiert, weil die vergleichsweise starren Vorgaben der §§ 104 ff. BGB mit den Besonderheiten der persönlichkeitsrechtlichen Einwilligung unvereinbar waren.188 Das gilt nicht nur für die Altersgrenzen der §§ 2 und 106 BGB, sondern gerade auch für das Verständnis der Einwilligungsfähigkeit als „subjektiv individuelle und objektiv konkrete“ Fähigkeit.189 Diese gebietet eine an den Umständen des Einzelfalls orientierte Beurteilung.190 3. Orientierungswerte Ein relativer Beurteilungsmaßstab bedeutet zwangsläufig eine höhere Rechtsunsicherheit bei der Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit in der Praxis. 191 Den Interessen des Rechtsverkehrs, die einen festen Schwellenwert nahelegen, kommt bei der Einwilligungsfähigkeit jedoch ein geringeres Gewicht zu als bei anderen Formen der zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit.192 Das folgt aus dem persönlichkeitsrechtlichen Bezug der Behandlungseinwilligung. Dieser gebietet eine stärkere und Einwilligung, 2000, S. 106 f.; ders., Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 48; so auch angedeutet bei MüKoBGB/Schwab § 1906 Rn. 41. 186 Vgl. Kap. 3 C II 1. 187 A.A. Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 17. 188 Vgl. Holzhauer, ZRP 1989, 451, 457. 189 Holzhauer, ZRP 1989, 451, 457; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 6. 190 Holzhauer, ZRP 1989, 451, 457; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 6; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14. Zwar ist der Mindermeinung zuzugeben, dass das Postulat der Relativität nicht zwangsläufig aus dem Erfordernis der einzelfallbezogenen Beurteilung folgt, Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 63 Fn. 236. Die wiederholte Beurteilung kann im Vergleich zu einer einmaligen, zukunftsgerichteten Beurteilung auch bei gleichbleibenden Anforderungen autonomiestärkend wirken, da sich hierdurch vorübergehende Besserungen in den Fähigkeiten des Betroffenen berücksichtigen lassen. Problematisch bleibt jedoch, dass statische Anforderungen die Grenze zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge unverrückbar festlegen; krit. hierzu auch Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 56 ff. 191 Damm, MedR 2015, 775, 777. 192 Ganz h.M., vgl. nur Schünemann, VersR 1981, 306, 307; Holzhauer, ZRP 1989, 451, 457; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 528; ders., Vetorechte, 1995, S. 11; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 355 f.; S/S/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 39 f.; Damm, MedR 2015, 775, 777; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14; BeckOGK/Brilla, § 1904 Rn. 19.5. A.A. Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 21 m.w.N.; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 47 und 128 ff.; näher hierzu Kap. 3 C II 3 a).

B. Das erforderliche Ausmaß

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Berücksichtigung individualrechtlicher Belange, hinter denen etwaige Verkehrsschutzinteressen im Regelfall zurückzutreten haben.193 Zudem lässt sich die bestehende Rechtsunsicherheit dogmatisch eindämmen. Der relative Maßstab ist unterhalb durch die absolute Einwilligungsunfähigkeit und oberhalb durch die generelle Einwilligungsfähigkeit begrenzt (sog. Spannenmodell).194 Zweifelsfragen stellen sich damit in der Praxis nur bei Personen, deren tatsächliche Fähigkeiten im Übergangsbereich zwischen vollständiger Einwilligungsunfähigkeit und vollständiger Einwilligungsfähigkeit liegen. a) Orientierungspunkte der relativen Einwilligungs(un)fähigkeit Als unterer Referenzwert wird in der Literatur ebenfalls die Vollendung des 14. Lebensjahres vorgeschlagen. Bis dahin seien jüngere Minderjährige vollständig einwilligungsunfähig.195 Wie bereits ausgeführt sieht sich ein derart hoher unterer Grenzwert durchgreifenden Bedenken ausgesetzt.196 Plausibler erscheint es, für den Übergang zur absoluten Einwilligungsunfähigkeit in Anlehnung an § 104 Nr. 1, 276 Abs. 1 S. 2 und 828 Abs. 2 BGB auf die Vollendung des siebten Lebensjahres abzustellen.197 Kinder, die jünger als sieben Jahre alt sind, sind absolut, das heißt in Bezug auf jede vorstellbare Einwilligungsentscheidung, einwilligungsunfähig. 198 Gleiches gilt für volljährige Personen, deren Willensbildung vollständig, d.h. in Bezug auf jede denkbare Einwilligungsentscheidung aufgehoben ist, vgl. § 104 Nr. 2 BGB.199 Den oberen Referenzwert markieren die durchschnittlichen Fähigkeiten eines gesunden Volljährigen.200 Erreicht ein Patient mindestens diese Fähigkeiten, ist er vollständig einwilligungsfähig. Beide Referenzwerte ergeben sich aus gesetzgeberischen Grundsatzentscheidungen. Während sich der Maßstab des Siebenjährigen

193 Vgl. etwa Holzhauer, ZRP 1989, 451, 457; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 355 f.; Damm, MedR 2015, 775, 776; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14; S/S/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 39 f.; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 528; ganz deutlich Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 355, der aus dem Verfassungsrecht einen grundsätzlichen Abwägungsvorrang des Selbstbestimmungsrechts ggü. Belangen des Rechtsverkehrs ableitet; vgl. a. die Nachweise bei Staudinger/Klumpp, 2017, § 104 Rn. 21 zum Parallelproblem der relativen Testierfähigkeit. 194 Näher hierzu bereits oben Kap. 3 C II 1. 195 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 131 ff.; zurückhaltender Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XXIV § 149 Rn. 65: Kinder unter 14 Jahren seien „in der Regel“ noch nicht einwilligungsfähig; vgl. a. § 1626a BGB-E, abgedr. in BT-Drs. 7/2060, S. 51. 196 So aber Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 131 ff. 197 Vgl. Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13. 198 Weitergehend Lipp, der eine Übertragung des Referenzmaßes auch auf volljährige Personen befürwortet, ders., Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 70 f. m.w.N.; ders., in: Lipp (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13. 199 Zu weitgehend demgegenüber Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 827 f. und NKStGB/Merkel, § 218a Rn. 24, die fordern, dass die tatsächlichen Einschränkungen generell so erheblich sein müssen, dass sie als Hindernisse eines selbstständigen menschenwürdigen Daseins erscheinen. Krit. hierzu auch Stief, Die Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 184. 200 Für einen oberen Schwellenwert auch Buchanan, J. Royal Soc. Med. 97 (2004), 415, 418.

142

4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

aus den gesetzlichen Regelungen der Handlungsunfähigkeit ergibt,201 folgt die obere Grenze aus der Mündigkeit, d.h. der generellen Zulassung des Einzelnen zum Rechtsverkehr. Diese tritt ipso iure mit der Volljährigkeit ein.202 Die §§ 104 Nr. 1, 276 Abs. 2 S. 1, 828 Abs. 1 BGB tragen dem Umstand Rechnung, dass Kindern unter sieben Jahren typischerweise die Eigenverantwortlichkeit fehlt.203 Die 7-Jahresgrenze markiert damit das erforderliche Mindestmaß an Fähigkeiten, ab dem die Rechtsordnung überhaupt von einer, wenn auch noch sehr gering ausgeprägten, rechtlich relevanten Handlungsfähigkeit des Betroffenen ausgeht. Oberhalb dieser Schwelle entfaltet sie sich graduell bis zur vollständigen Handlungsfähigkeit, die mit Erreichen des Volljährigkeitsalters vermutet wird.204 Besonders die beschriebene Obergrenze ist erforderlich, um überhöhten Standards bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit entgegen zu wirken. Anforderungen, die über die durchschnittlichen Fähigkeiten eines gesunden Volljährigen hinausgehen, sind aufgrund des hiermit verbundenen Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht dem Gesetzgeber vorbehalten.205 Erreichen die tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen dieses Maß, ist er in Bezug auf alle Einwilligungsentscheidungen einwilligungsfähig, seien es gendiagnostische Maßnahmen, komplizierte chirurgische Eingriffe oder onkologische Behandlungspläne. Das gilt für 12-jährige Patienten ebenso wie für über 80-Jährige, für psychisch kranke und geistig behinderte Patienten ebenso wie für Menschen, die unter dem Einfluss sedierender Mittel stehen.

201

Vgl. nur § 104 Nr. 1 BGB, § 828 Abs. 1 BGB, §§ 51 Abs. 1, 52 ZPO i.V.m. § 104 Nr. 1 BGB. Grundlegend Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 70 ff.; vgl. a. ders., in: Lipp (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13. Krit. hierzu Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 139 m.w.N. Vor Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes wurde der Referenzwert des durchschnittlichen 7-Jährigen zur Beurteilung der Mündigkeit des Betroffenen herangezogen. Wich die geistige Leistungsfähigkeit des Betroffenen negativ von der eines durchschnittlichen Kindes unter 7 Jahren ab, wurde der Betroffene wegen Geisteskrankheit entmündigt und damit absolut geschäftsunfähig, vgl. §§ 6 Nr. 1, 104 Nr. 3 BGB. Die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB sollte hingegen unabhängig vom Referenzwert des durchschnittlichen 7-Jährigen zu bestimmen sein, vgl. Palandt/Heinrichs, 50. Aufl. 1991, BGB § 6 Rn. 2 m.w.N. Dennoch sollte bei einem Unterschreiten der Fähigkeiten eines durchschnittlichen 7-Jährigen auch im Rahmen von § 104 Nr. 2 BGB von der absoluten Handlungsunfähigkeit auszugehen sein, ebenda, Rn. 2; vgl. hierzu auch Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 70. 202 Näher hierzu Kap. 5 B I 1. 203 Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 70 m.w.N. 204 Vgl. Kap. 5 B I. Das zeigen auch die zahlreichen Teilmündigkeitsregelungen, die minderjährigen Personen sukzessive eigene (Mit-)Entscheidungsbefugnisse einräumen. So untersagt etwa § 5 S. 2 RelKErzG den Sorgerechtsinhabern ihr Kind nach Vollendung des 12. Lebensjahres gegen dessen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher zu erziehen. § 5 S. 1 RelKErzG regelt die Religionsmündigkeit (14 Jahre), § 36 SGB I die Sozialmündigkeit (15 Jahre); vgl. a. § 2229 Abs. 1 BGB, § 293 ZPO, § 46 Abs. 2 StrSchV, § 2 Abs. 2 S. 3 TPG (16 Jahre) sowie die flexible Ausgestaltung der Autonomie im Werden des Minderjährigen in § 1626 Abs. 2 BGB. 205 So etwa § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 3 i.V.m. § 3 KastrG, der die Einwilligungsfähigkeit für die Kastration an die Vollendung des 25. Lebensjahres knüpft.

B. Das erforderliche Ausmaß

143

b) Weitergehende Erwägungen Die 7-Jahresgrenze wird in der Literatur vereinzelt als praktisch wirkungslos kritisiert, da Personen mit derart gering ausgeprägten Fähigkeiten zweifelsfrei einwilligungsunfähig seien.206 Dieser Einwand ist nicht völlig von der Hand zu weisen, betrifft aber die gesetzlich normierte Geschäftsfähigkeit gleichermaßen. Er kann jedenfalls nicht dazu führen, die Untergrenze zur absoluten Einwilligungsunfähigkeit so hoch anzusetzen, dass hierdurch ganz bewusst Personengruppen, deren Selbstbestimmungsfähigkeit im konkreten Fall bereits teilweise ausgeprägt ist, ausgeschlossen werden. Überzeugender erscheint vielmehr, wie vielfach gefordert, eine Vermutung der Einwilligungsfähigkeit ab dem 14. Lebensjahr zu normieren. 207 Hierdurch ließe sich bestehenden Unsicherheiten in der Praxis entgegenwirken, ohne das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen über Gebühr zu beschränken. Die Anforderungen an die Einwilligungs(un)fähigkeit sollten im Einzelfall vom hinreichend geschulten, behandelnden Arzt, informiert durch empirische Testverfahren, eingeschätzt werden.208 Durch die Einbeziehung der konkreten Entscheidungssituation bildet die Mehrheit der bestehenden Testverfahren eingriffsbezogen variierende Anforderungen auch empirisch ab.209 Die verbleibende Rechtsunsicherheit belastet den Arzt nicht über Gebühr, da dessen Haftung in Zweifelsfällen regelmäßig mangels Verschuldens ausgeschlossen sein wird.210 Auch die hiermit verbundenen beweisrechtlichen Herausforderungen sind nicht so gravierend, dass sie nicht mehr tragbar wären.211 Die Hauptschwierigkeit liegt vielmehr darin begründet, dass die Einwilligungs(un)fähigkeit im Regelfall erst im Nachhinein gerichtlich überprüft wird.212 Eine retrospektive Beurteilung ist aber auch dann anspruchsvoll, wenn man von einem festen Schwellenwert ausgeht; die Beurteilung der Geschäfts-, Testier- und Ehefähigkeit sieht sich letztlich ähnlichen Herausforderungen ausgesetzt. 4. Fazit Die Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit, genauer, das Ausmaß, in dem die Teilfähigkeiten ausgeprägt sein müssen, ist nicht starr, sondern in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen.213 Die Frage kann folglich für ver206

Vgl. nur Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 139 m.w.N. Ausführlich hierzu oben Kap. 3 C II 1. 208 Vgl. Kap. 6 A II 1. 209 Näher hierzu Kap. 6 A II 2. 210 Vgl. Kap. 10 B. A.A. Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 21 m.w.N. 211 So aber Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 21 m.w.N. 212 Näher hierzu Kap. 10 A I. 213 Vgl. BGH VerwRspr 1962, 70, 72; NJW 1964, 117; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 6; Holzhauer, ZRP 1989, 451, 457; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 117 m.w.N.; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 16; Bichler, GesR 2014, 208, 210; Amelung, in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 33. Zum Teil wird die Relativität auch auf die jeweils erforderlichen Teilfähigkeiten bezogen. Während bei einfacheren Eingriffen die Einsichtsfähigkeit ausreichen soll, soll es bei schwerwiegendere Entscheidungen die volle Trias aus Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit ankommen, vgl. Kap. 6 A II 2 b) dd). Im medizinethischen Schrifttum wird zudem vertreten, dass mit zunehmender Schwere des Eingriffs lediglich die Anforderungen an den Nachweis 207

144

4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

schiedene Eingriffe unterschiedlich zu beantworten sein. So ist denkbar, dass ein und dieselbe Person über einfachere Eingriffe möglicherweise wirksam entscheiden kann, während ihr für schwerwiegendere Maßnahmen die erforderliche Einwilligungsfähigkeit fehlt.214 Entsprechend kann aus dem Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit für einen leichteren Eingriff nicht abgeleitet werden, dass der Betroffene imstande ist, rechtswirksam über eine Behandlung zu entscheiden, die von erheblichem Einfluss auf sein weiteres Leben ist.215 Dieses „In-Beziehung-stehen“ der Einwilligungsfähigkeit zu äußeren Faktoren216 wird vor allem in der medizinethischen Literatur auch als „relationale Konzeption“ der Einwilligungsfähigkeit bezeichnet.217 Die Formulierung hat auch Eingang in das juristische Schrifttum gefunden.218 Relationalität wird in einem anderen, prominenteren Sinne jedoch als Gegenbegriff zu rein individualistischen Autonomiekonzeptionen verwendet, um die Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums zu unterstreichen.219 Auf den Begriff der relationalen Einwilligungsfähigkeit sollte deshalb verzichtet werden.220

II. Bezugspunkte der Relativität In Rechtsprechung und Literatur werden zahlreiche außerrechtliche Faktoren genannt, von denen die Anforderungen an das Maß der Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall abhängen sollen. Die herrschende Meinung nennt Schwere und Risiken des bevorstehenden Eingriffs als relevante Bezugspunkte.221 Rechtsprechung und Teile der Literatur nehmen zudem die Art der Indikation sowie die Dringlichkeit der Maßnahme in den Blick.222 Im Schrifttum wird darüber hinaus erwogen, die Anfordeder Einwilligungs(un)fähigkeit steigen, vgl. Wicclair, Bioethics 1999, 149, 153; Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 119 f. 214 NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 65; Amelung, Vetorechte, 1995, S. 11; Kern, NJW 1994, 753, 755; Eberbach, MedR 1986, 14, 15 ff.; Schünemann, VersR 1981, 306, 307 f. 215 Ähnlich auch Kern, NJW 1994, 753, 755. 216 So zutreffend Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 41. 217 Vollmann, Nervenarzt, 2000, 709, 711; ders., Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 64 ff. 218 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 49 m.w.N.; Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 60 Rn. 20. 219 Ausführlich hierzu Ach/Schöne-Seifert, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 48 ff. und Andersen, ebenda, S. 61 ff. jeweils m.w.N. 220 Gleiches gilt für den Begriff der beschränkten Einwilligungsfähigkeit (so etwa Amelung, Vetorechte, 1995, S. 25 und S. 30; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 117), der Assoziationen zur beschränkten Geschäftsfähigkeit und zum Zustimmungsvorbehalt des gesetzlichen Vertreters erweckt, S. hierzu auch Kap. 1 B II und Kap. 3 B. 221 Vgl. Holzhauer, ZRP 1989, 451, 457; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 557; ders., in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 30 f. m.w.N.; Kern, NJW 1994, 753, 755; Voll, Einwilligung, 1996, S. 88; Blandini, BWNotZ 2007, 129, 130; Kern, LMK 2007, 220412; Bichler, GesR 2014, 208, 210; Jürgens/Jürgens, § 1896 Rn. 34; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 41; Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 80; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 6; NK-StGB/ Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14 und Rn. 65. 222 Vgl. etwa BGHSt 12, 379, 382 f. = NJW 1959, 825; NJW 1972, 335, 337; OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1679, 1679; Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 831 f.; Kern, LMK 2007, 220412; Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 80.

B. Das erforderliche Ausmaß

145

rungen an die Einwilligungsfähigkeit in Abhängigkeit von der Komplexität der Einwilligungsentscheidung zu bestimmen.223 1. Zulässigkeit außerrechtlicher Kriterien als Bezugspunkte Die Bezugnahme auf außerrechtliche Kriterien zur Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit wurde im Schrifttum vereinzelt kritisiert.224 Dass rechtliche Anforderungen von außerrechtlichen Umständen (mit-)bestimmt werden, ist indes, vor allem im Medizinrecht, nicht unüblich. Das zeigt etwa die ärztliche Aufklärungspflicht, deren Inhalt, Umfang und Zeitpunkt nach einhelliger Meinung ebenfalls in Abhängigkeit von tatsächlichen Faktoren wie der Schwere, der Indiziertheit, dem Risiko und den Erfolgsaussichten des geplanten Eingriffs zu ermitteln sind. 225 Der Gehalt dieser tatsächlichen Kriterien ist hierbei nicht empirisch, sondern nach rechtlichen Maßstäben zu ermitteln. So lässt sich etwa die Eingriffsschwere normativ konkretisieren, indem geprüft wird, ob die zu erwartenden Folgen reversibel sind, welcher Wert dem betroffenen Rechtsgut zukommt und wie stark es vom Eingriff betroffen ist.226 Die maßgeblichen Umstände folgen schließlich aus dem Wesen der Einwilligung als Disposition über die eigenen Rechtsgüter und ihrer Grundlage im (gesundheitsbezogenen) Selbstbestimmungsrecht.227 Hieraus folgt, dass ausschließlich auf solche Umstände zurückgegriffen werden kann, die im Zusammenhang mit dem preiszugebenden Rechtsgut stehen. Außer Acht zu bleiben haben damit beispielsweise die ökonomischen Folgen einer Behandlung, die wirtschaftliche Schwierigkeit der Entscheidung oder aber auch ihre Vernünftigkeit. Auf all diese Aspekte kann es schon deshalb nicht ankommen, weil sie nicht die körperlich-seelische Integrität betreffen, über die der Betroffene mittels seines Selbstbestimmungsrechts disponiert.228 2. Selbstbestimmungsrecht als Bezugspunkt der Relativität Das erforderliche Maß der Einwilligungsfähigkeit wird über das Selbstbestimmungsrecht vermittelt.229 Die tatsächlichen Umstände des Eingriffs, insbesondere 223

Staudinger/Bienwald, 2017, § 1901b Rn. 22. Vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 63 f. m.w.N. 225 Näher hierzu oben Kap. 4 A I 3 b) und II 1 a). 226 So etwa Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 530 f.; ders., ZStW 104 (1992), 829, 830 f.; Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 84 f. m.w.N.; Bichler, GesR 2014, 208, 210; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14; angedeutet auch in BGH, NJW 1974, 1947, 1950; 1976, 1790. Krit. zur Bedeutung des Rechtsguts als Kriterium der Einwilligungsfähigkeit Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 88. 227 Vgl. Kap. 1 B I 2 a) aa) und Kap. 4 A I 1. Das scheint Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 158 ff. zu verkennen, die sowohl das Risiko-Nutzen-Profil der Maßnahme als auch die Indiziertheit zur Bestimmung des jeweils erforderlichen Kompetenzniveaus für irrelevant hält. 228 So im Ergebnis auch Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 66 m.w.N., der wirtschaftliche Erwägungen jedoch ebenso wie den Schwierigkeitsgrad der jeweiligen Entscheidung deshalb außen vorlassen will, weil es sich um außerrechtliche Kriterien handelt. Ausführlich zur Berücksichtigung außerrechtlicher Befunde im Recht oben Kap. 1 C I 1 b). 229 Die Ansicht, nach der die Anforderungen an die Einwilligungs(un)fähigkeit vom Aufklärungsumfang abhängen (so etwa Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 66 f.; Taupitz, 224

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

das hiermit verbundene Risiko, seine Schwere und Indiziertheit, aber auch das Bestehen von Handlungsalternativen, bestimmen in welchem Maß das Selbstbestimmungsrecht, genauer: die grundlegende Dispositionsbefugnis über die eigenen Rechtsgüter, im konkreten Fall betroffen ist. Hiernach richtet sich wiederum, welche Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen sind. 230 Beispielsweise wird der Patient bei einem erheblichen körperlichen Eingriff, der nicht oder nur relativ indiziert ist, unabhängig vom rechtlich geforderten Umfang der Aufklärung das Für und Wider regelmäßig sehr viel sorgfältiger abwägen als bei einem ebenso erheblichen aber absolut indizierten Eingriff.231 Die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit des Patienten sind damit unabhängig von Umfang, Inhalt und Zeitpunkt der Aufklärung umso höher, je stärker eine Maßnahme das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen berührt. 3. Keine Abhängigkeit von der Komplexität der Entscheidung In der Literatur wird zum Teil vertreten, dass das konkret erforderliche Maß der Einwilligungsfähigkeit in Abhängigkeit von der Komplexität der Einwilligungsentscheidung zu ermitteln sei.232 Wie komplex eine Entscheidung ist, hängt jedoch, anders als die Frage, in welchem Umfang das Selbstbestimmungsrecht betroffen ist, nicht nur von äußeren Faktoren, sondern auch von den persönlichen Werten des Patienten ab.233 So wird etwa die Entscheidung für oder gegen eine vital indizierte Bluttransfusion für einen Zeugen Jehovas glaubensbedingt einen anderen Schwierigkeitsgrad haben, als für Personen, nach deren Wertesystem die Transfusion von Fremdblut unproblematisch ist.234 Die Komplexität einer Entscheidung lässt sich somit nicht objektivieren, was sie als rechtlichen Anknüpfungspunkt ungeeignet erscheinen lässt.235 4. Keine Abhängigkeit von der Dringlichkeit der Maßnahme Die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit hängen schließlich auch nicht von der zeitlichen Dringlichkeit236 der medizinischen Maßnahme ab.237 Im AnGutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 59; Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 65 f.; Lesch, NJW 1989, 2309, 2311) erscheint hingegen zu kurz gegriffen. Näher hierzu Kap. 4 A II 1 a). 230 So schon angedeutet bei Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 117. Der Patient ist mehr gefordert, wenn er nicht nur das Für und Wider einer Behandlungsmöglichkeit abwägen muss, sondern mehrere Alternativen miteinander zu vergleichen hat. 231 BGHSt 12, 379, 382 f. = NJW 1959, 825; OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1679, 1679 LS. 232 Vgl. Staudinger/Bienwald, 2017, § 1901b Rn. 22; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419; Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 155; Klie u.a., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5, 10; Gieselmann/Gather/Vollmann, Psych. Pflege Heute 2019, 253, 254. 233 So auch Buller, Bioethics 2001, 93, 100; Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7 th Ed. 2013, S. 120. 234 Vgl. hierzu Bender, MedR 1999, 260, 261 ff.; ders., MedR 2000, 422 f. 235 So im Erg. a. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 63; ders., in: Lipp (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 17. 236 Zu den versch. Auslegungen des Dringlichkeitskriteriums, vgl. Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 58 f. und Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 93 ff. 237 So aber BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 122; Diederichsen, in: FS Hirsch, 2008, S. 358. Krit. zum Ganzen Belling u.a., Selbstbestimmungsrecht, 1994, S. 134.

C. Die Bezugspunkte der Einwilligungsfähigkeit

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schluss an eine frühe BGH-Entscheidung zur Einwilligung einer minderjährigen Patientin238 wird vereinzelt noch heute vertreten, die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit würden sinken, je dringlicher eine Maßnahme ist.239 Im obiter dictum dieser Entscheidung hatte der 5. Strafsenat ausgeführt, dass der Arzt in besonders dringlichen, lebensbedrohlichen Fällen die Einwilligung des Patienten bereits darin erblicken dürfe, dass der Kranke zur Behandlung erscheint und einer ihm mitgeteilten Operationsabsicht nicht widerspricht.240 Demgegenüber seien bei einem aufschiebbaren, lediglich relativ indizierten Eingriff höhere Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit geboten.241 Diese Argumentation überzeugt nicht.242 Eine Herabsetzung der Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit in lebensbedrohlichen Situationen lässt sich schon mit Blick auf den hohen Stellenwert des Rechtsguts Leben und die entsprechend starken Fürsorgepflichten des Staates nicht rechtfertigen.243 Das wird besonders deutlich, wenn man sich den gegenteiligen Fall vor Augen führt, in dem der Patient einer absolut indizierten Notfallbehandlung widerspricht. Zum Teil wird daher vertreten, die Anforderungen seien nur herabgesetzt, wenn der Patient dem Eingriff zustimmt.244

C. Die Bezugspunkte der Einwilligungsfähigkeit C. Die Bezugspunkte der Einwilligungsfähigkeit

Angesprochen ist hiermit die grundlegende Frage, ob es aus rechtlicher Sicht geboten ist, unterschiedliche Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen, je nachdem, ob der Einwilligende die Maßnahme befürwortet oder ablehnt.245

I. Keine Bewertung des Entscheidungsinhalts Die Frage ist zu Gunsten der Einheitlichkeit zu beantworten. 246 Die Gegenauffassung, die den Entscheidungsinhalt für maßgeblich hält, indem sie zustimmende und ablehnende Entscheidungen entweder wegen ihres unterschiedlichen Risikoprofils247 oder nach dem Grad ihrer Übereinstimmung mit dem objektiv Vernünftigen 238

BGHSt 12, 379, 382 f. = NJW 1959, 825. Vgl. BGH, NJW 1972, 335, 336 f.; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 539 f.; ders., ZStW 104 (1992), 821, 831 f.; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XXIV § 149 Rn. 65; Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 101; so auch angedeutet bei Kern, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XI § 65 Rn. 3. 240 Vgl. BGHSt 12, 379 = NJW 1959, 825. 241 BGHSt 12, 379, 382 f. = NJW 1959, 825. 242 So auch Bichler, GesR 2014, 208, 210 m.w.N.; Wölk, MedR 2001, 80, 87. 243 Vgl. Stief, Einwilligungsfähigkeit, S. 44. 244 Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 831 ff. 245 S. hierzu NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 44; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S.196 f.; Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 831 ff. 246 So auch Schünemann, VersR 1981, 306, 308; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 63; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 115 ff.; Rothärmel, Einwilligung, 2004, S. 95. 247 So etwa Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 51 ff.; Helmchen/Lauter, Mit Demenkranken forschen?, 1995, S. 48 f.; Buchanan, J. Royal Soc. Med. 97 (2004), 415, 416; 239

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

differenziert,248 sieht sich gewichtigen Bedenken ausgesetzt. Sie verschiebt bei Patientenentscheidungen, die weniger risikoreich sind und damit eher dem medizinisch Vernünftigen entsprechen, die Gewichtung einseitig zu Gunsten des Selbstbestimmungsrechts. Es erscheint zweifelhaft, ob fürsorgerische Erwägungen tatsächlich – wie etwa Amelung vertritt249 – zunehmend in den Hintergrund treten, je mehr sich die Einwilligung dem medizinisch Vernünftigen annähert.250 In der Praxis wurde wiederholt das Problem der unerkannten Einwilligungsunfähigkeit beschrieben.251 Hiernach tendiert ein gewichtiger Teil der einwilligungsunfähigen Patienten dazu, dem ärztlichen Urteil zu folgen, was dazu führt, dass die Einwilligungsfähigkeit dieser Gruppe trotz bestehender Defizite seltener überprüft wird.252 Die Bewertung des Entscheidungsinhalts als mehr oder weniger risikoreich oder objektiv vernünftig oder unvernünftig widerspricht zudem wie gezeigt der mit der Mündigkeit verbundenen Anerkennung volljähriger Personen als eigenverantwortliche Entscheidungsträger im Rechtsverkehr.253 In jüngerer Zeit findet sich auch zunehmend die gegenteilige Ansicht, nach der im Fall der Zustimmung höhere Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen sein sollen als an die Eingriffsablehnung, da die Zustimmung regelmäßig mit einem Eingriff in die Gesundheit des Patienten verbunden ist.254 Richtigerweise sind beide Fragen mit der Indiziertheit der Maßnahme verknüpft und verweisen auf verschiedene Arten von Willensäußerungen. Unterschiedliche Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit bei Zustimmung und Ablehnung lassen sich demgegenüber nicht schlüssig begründen.255

II. Dogmatische Erwägungen Als Kehrseite der Einwilligung teilt die Nicht-Einwilligung deren rechtliche Struktur.256 Beide setzen damit voraus, dass der Betroffene einwilligungsfähig ist,257 wobei die Anforderungen von den Umständen des konkreten Eingriffs abhängen, über

Steinfath/Pindur, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 29 m.w.N. Näher hierzu Kap. 6 D I. 248 Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 831; zust. NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14. 249 Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 831 f. 250 So auch Kitamura et al., Int J of Law & Psych 1998, 223, 232 f. 251 Vgl. Kitamura et al., Int J of Law & Psych 1998, 223, 232 f. und Okai et al., BJPsych 2007, 291, 296 m.w.N. 252 Näher hierzu Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 116; vgl. a. die Befunde bei Okai et al., BJPsych 2007, 291, 296 m.w.N. 253 Vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60; angedeutet auch bei Vollmann, Nervenarzt 2000, 709, 711: „verdeckter Paternalismus“; zust. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 116. Näher hierzu Kap. 2 B und Kap. 4 A II 2. 254 So etwa MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 44; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419; J. Prütting/Merrem, in: Prütting, MedR-K, BGB § 630d Rn. 15. 255 Ausführlich hierzu sogleich. 256 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 115. 257 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 63; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 115 ff. m.w.N.; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 95; angedeutet bereits bei Schünemann, VersR 1981, 306, 308.

C. Die Bezugspunkte der Einwilligungsfähigkeit

149

den es zu entscheiden gilt. Betrachtet man Zustimmung und Ablehnung hingegen getrennt, geht es richtigerweise nicht mehr um die mit der Einwilligung verbundene Dispositions- und Entscheidungsbefugnis, sondern um bejahende Zustimmung (informed assent) und Veto.258 Beide setzen ein geringeres Maß an Fähigkeiten voraus als die Einwilligungsfähigkeit.259 In ähnlicher Weise lassen sich auch die Wertungsunterschiede, von denen die Gegenansicht zutreffend ausgeht, begründen. Rechtlich werden bestimmte zustimmende und bestimmte ablehnende Patientenentscheidungen privilegiert und von der Einwilligung verschiedene Formen von Willensäußerungen für ausreichend gehalten.260 1. Privilegierung der Zustimmung bei absolut indizierten Eingriffen Der Umstand, dass der Betroffene einem medizinisch indizierten Eingriff zustimmt, kann dazu führen, dass anstelle der aktuellen Einwilligung Einwilligungssurrogate zugunsten des Arztes eingreifen. Relevant ist in diesem Zusammenhang vor allem die mutmaßliche Einwilligung, deren Voraussetzungen den oben zitierten Kriterien des BGH entsprechen.261 Stimmt der Patient einer dringend indizierten Behandlung zu oder verhält er sich neutral und sind keine Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Willen erkennbar,262 kommt es auf die aktuelle Einwilligung und die Einwilligungsfähigkeit des Patienten regelmäßig nicht an. Lehnt der Patient hingegen eine dringend indizierte Maßnahme ab, ist für eine mutmaßliche Einwilligung kein Raum. Entscheidend ist dann, ob der Therapieverzicht wirksam erklärt wurde, was voraussetzt, dass der Patient konkret einwilligungsfähig war. 263 Zustimmendes und neutrales Verhalten sind damit im Ergebnis gegenüber der Ablehnung des Eingriffs rechtlich privilegiert. Sofern die weiteren Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung erfüllt sind, genügt das Fehlen konkreter Anhaltspunkte für einen der Behandlung entgegenstehenden mutmaßlichen Willen.264 Äußert der aktuell einwilligungsunfähige Patient einen Behandlungswunsch, sprechen starke Indizien gegen einen abweichenden mutmaßlichen Willen. Maßgeblich ist dann, ob die Entscheidung im objektiven Interesse des Betroffenen liegt, was bei unaufschiebbaren, absolut indizierten Eingriffen regelmäßig der Fall sein wird. 265

258

Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 95 f. Vgl. Kap. 4 C IV 1 und Kap. 9 C III. 260 So auch angedeutet bei Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 95 f. 261 Vgl. Kap. 4 B II 4. Näher zur mutmaßlichen Einwilligung unten Kap. 9 B IV. 262 Vgl. Kap. 9 B IV. 263 Äußert der Patient hingegen mangels Einwilligungsfähigkeit nur einen natürlichen Abwehrwillen, hat der Arzt in Notfallsituationen, wenn eine stellvertretende Einwilligung nicht rechtzeitig erlangt werden kann und auch keine Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden mutmaßlichen Willen vorliegen, den im objektiven Interesse liegenden Eingriff gestützt auf die mutmaßliche Einwilligung vorzunehmen. Näher hierzu unten Kap. 9 B V 3. 264 Näher hierzu Kap. 9 B IV. 265 NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 115; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 55. Näher hierzu unten Kap. 9 B IV. 259

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

2. Privilegierung der Eingriffsablehnung bei fehlender Indikation Andere Erwägungen gelten bei Eingriffen, die nicht medizinisch indiziert sind. Lehnt der Patient einen solchen Eingriff ab, sind niedrigschwellige Ablehnungsmöglichkeiten normativ bereits deshalb geboten, weil die Verweigerung eines nicht indizierten Eingriffs keine Rechtsgutseinbuße bedeutet.266 Hieraus folgt, dass bei überwiegend fremdnützigen Forschungsvorhaben niedrigere Anforderungen an die Ablehnung als an die Zustimmung zur Studienteilnahme zu stellen sind.267 Ausreichend ist, dass der Betroffene durch konkrete Äußerungen oder sein willensgetragenes Verhalten unmissverständlich zum Ausdruck bringt, nicht an der Studie teilnehmen zu wollen.268 Auf die Einwilligungsfähigkeit kommt es damit nicht an. Gleiches gilt für die Knochenmarkspende eines Minderjährigen.269 Auch für die verbindliche Ablehnung einer Sterilisation ist der natürliche Wille des Betreuten ausreichend.270 Gleiches gilt für die Vetobefugnis nach § 2 Abs. 2 S. 3 TPG.271

III. Medizinische Praxis Auch in der medizinischen Praxis ist die Annahme verbreitet, die Einwilligungsfähigkeit selbst sei, je nachdem, ob der Patient der Maßnahme zustimmt oder nicht, nach unterschiedlichen Maßstäben zu beurteilen.272 Das Phänomen wurde auch bei der freiheitsentziehenden Unterbringung empirisch untersucht. Die Einwilligungsunfähigkeit wurde bei Patienten, die gegen ihren Willen freiheitsentziehend untergebracht wurden, häufig strenger geprüft, als bei freiwillig untergebrachten Patienten.273 In der juristischen Literatur wird die Vermutung geäußert, die Anforderungen 266

So im Erg. auch Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 197, der jedoch unzutreffend davon ausgeht, dass die Fähigkeit eine Behandlung abzulehnen generell als „Minus“ in der Einwilligungsfähigkeit enthalten ist. 267 Vgl. etwa §§ 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG und 40 Abs. 1 Nr. 3 AMG. Näher hierzu Duttge, in: Schicktanz/Schweda (Hrsg.), Pro Age oder Anti-Aging?, 2012, S. 99. 268 § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 i.V.m. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG. Ähnlich auch für die Vetobefugnis des einwilligungsunfähigen Kindes im Rahmen von § 1631d BGB, Staudinger/Salgo, 2015, § 1631d Rn. 35. Näher zum Ganzen unten Kap. 9 C III. 269 § 8a S. 1 Nr. 4 S. 4 TPG 270 § 1905 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB. 271 § 2 Abs. 2 S. 3 TPG gestattet den Widerspruch gegen eine postmortale Organ- und Gewebeentnahme bereits ab Vollendung des 14. Lebensjahres, während die Einwilligung und die Übertragung der Entscheidung erst ab dem vollendeten 16. Lebensjahr wirksam erklärt werden kann. Damm, MedR 2015, 775, 779 interpretiert dies, anders als hier vertreten, als gesetzgeberische Grundsatzentscheidung für höhere Anforderungen an aktive Einwilligungsentscheidungen. 272 In einer Studie mit Schweizer Hausärzten gaben 73,7 % der Befragten (n = 562) an, dass sie die Frage, wie schwer die Konsequenzen der vom Patienten getroffenen Entscheidung sind, für die Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit für relevant oder sehr relevant halten, vgl. Hermann et al., Swiss Med Wkly 2014, w14039. Dennoch wendeten 66,8 % (n = 510) der Befragungsteilnehmer bei der Lösung einer Fallvignette zur Chemotherapie für die zustimmende und für die ablehnende Patientenentscheidung jeweils gleich strenge Kriterien an. Immerhin 31,7 % (n = 242) der Befragten forderten strengere Standards für die in der Fallvignette als risikoreicher beschriebenen Behandlungsablehnung. 273 Okai et al., BJPsych 2007, 291, 294 m.w.N.

C. Die Bezugspunkte der Einwilligungsfähigkeit

151

würden im Fall der Zustimmung zur Unterbringung nicht zuletzt auch deshalb niedriger angesetzt, um den gerichtlichen Genehmigungsvorbehalt des § 1906 BGB zu umgehen, was bedenklich erscheint.274 Demgegenüber bestehen gegen die Praxis, die Einwilligungsfähigkeit erst dann förmlich zu prüfen, wenn der Patient die vorgeschlagene Behandlung ablehnt,275 jedenfalls dann keine durchgreifenden Bedenken, wenn das ärztliche Handeln durch die mutmaßliche Einwilligung des Patienten gedeckt ist. Außerhalb von Notfallmaßnahmen lässt sich dieses Vorgehen aber nicht rechtfertigen. Vielmehr hat der Arzt unabhängig vom Inhalt der jeweiligen Entscheidung die Einwilligungs(un)fähigkeit vorab zu prüfen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die erforderlichen Fähigkeiten des Betroffenen aus tatsächlichen Gründen gemindert sind.276

IV. Abgrenzung zur Vetofähigkeit und zur Widerrufsfähigkeit 1. Vetofähigkeit Eng mit den privilegierten Ablehnungsentscheidungen ist die Frage verbunden, inwieweit ein im konkreten Fall einwilligungsunfähiger Patient eine vorgeschlagene Behandlung ablehnen kann. Neben der Reichweite der Vetobefugnis ist insbesondere umstritten, welche Anforderungen an die Vetofähigkeit zu stellen sind.277 Diese ist richtigerweise nicht mit der Einwilligungsfähigkeit identisch, sondern stellt ein Minus zur Einwilligungsfähigkeit dar.278 Wann ein Veto beachtlich ist, hängt u.a. vom Grad der Indiziertheit der Maßnahme ab.279 2. Widerrufsfähigkeit Die Einwilligungsfähigkeit ist zudem zur Widerrufsfähigkeit abzugrenzen. Unter welchen Bedingungen Patienten eine einmal erteilte Einwilligung widerrufen können und ob die Widerrufsfähigkeit der Einwilligungsfähigkeit entspricht, wird 274

Krit. hierzu auch Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906a Rn. 30. Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323 m.w.N.; Buchanan, J. Royal Soc. Med. 97 (2004), 415, 416. 276 Ausführlich hierzu Kap. 5 B I, D III. 277 Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 421 f. 278 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 533 ff. und 557; ders., Vetorechte, 1995, S. 12; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 177; Golbs, Vetorecht, 2006, S. 198; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XXIV § 149 Rn. 69; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 197. MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 44; Staudinger/Salgo, 2015, § 1631d Rn. 35; Spickhoff/Spickhoff, § 630d Rn. 7; für eine Gleichsetzung von Einwilligungs- und Vetofähigkeit bei Minderjährigen BGH, NJW 2007, 217, 218; OLG Hamm, NJW 2013, 3662, 3663; BeckOK-BGB/Veit, § 1626 Rn. 52.1; BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 121; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. XIII Rn. 38 m.w.N. Ausführlich zum Ganzen Kap. 9 D I 2 und III. 279 Vgl. Kap. 9 D I 2 a) und b); siehe. auch Golbs, Vetorecht, 2006, S. 182. Näher zur Vetofähigkeit Amelung, Vetorechte, 1995, S. 12 ff. ; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 165 ff.; Golbs, Vetorecht, 2006, S. 174 ff. Zur Reichweite einzelner Vetobefugnisse siehe Kap. 9 B III 2 d) bb) und D. 275

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4. Kapitel: Der Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit

kontrovers diskutiert.280 Konkret geht es um die Frage, inwieweit sich der Betroffene durch eine antizipierte Einwilligung in Form einer Patientenverfügung selbst binden kann. Insbesondere ist umstritten, ob der Verfügende eine mittels Patientenverfügung wirksam erteilte Einwilligung in eine zukünftige Behandlung auch dann widerrufen kann, wenn er einwilligungsunfähig geworden ist.281 Während zum Teil auch für den Widerruf einer Patientenverfügung als actus contrarius die Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen gefordert wird,282 soll nach der Gegenansicht der natürliche Wille ausreichend sein.283 Dogmatisch erscheint es vorzugswürdig auch für den Widerruf einer Einwilligung die Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen zu verlangen. Ob dies auch für jede antizipierte Einwilligungsentscheidung im Rahmen einer Patientenverfügung gelten sollte, erscheint wegen der vielschichtigen hiermit verbundenen rechtsethischen Probleme fraglich.284

D. Fazit D. Fazit

Die Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit lassen sich unter Rückgriff auf die informierte Einwilligung näher ausdifferenzieren. Erforderlich sind hiernach Einsichts-, Urteils-, Steuerungs- und Äußerungsfähigkeit. Die Einsichtsfähigkeit ist parallel zur Selbstbestimmungsaufklärung auszugestalten. Die Urteilsfähigkeit betrifft die Fähigkeit zur Wertung und Abwägung, wobei sich weder subjektive noch objektive Vernunftanforderungen schlüssig begründen lassen. Rationalität kann lediglich in einem minimalen Sinne als Kriterium für den Willensbildungsprozess gefordert werden. Die Steuerungsfähigkeit fällt weitgehend in das Gebiet der Psychologie und Medizin. Rechtlich ist vor allem die Abgrenzung zur Freiwilligkeit der Einwilligung maßgeblich. Während die Freiwilligkeit äußere Vorgänge beschreibt, bezieht sich die Steuerungsfähigkeit auf innere Defizite der Willensbetätigung. 280

Vgl. hierzu etwa Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 117 ff.; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 197. 281 Vgl. § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB. 282 So etwa Spickhoff/Spickhoff, § 1901a Rn. 21; ders., AcP 208 (2008), 345, 401; Staudinger/Bienwald, 2017, § 1901b Rn. 22; Haussener, Selbstbestimmung am Lebensende, 2017, S. 119; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 197; Olzen, JR 2009, 354, 357 f.; Coeppicus, NJW 2011, 2085, 2089 m.w.N.; Steenbreker, NJW 2012, 3207, 3210 f. 283 Golbs, Vetorecht, 2006, S. 216; Jürgens/Jürgens, § 1901a Rn. 12 m.w.N.; HKBUR/Bauer, § 1901 Rn. 40. Krit. zur fehlenden gesetzlichen Klarstellung in § 1901a BGB Lange, ZEV 2009, 537, 541. 284 Umstritten ist etwa, ob eine schwergradige Demenz zu einem Bruch der personalen Identität des Betroffenen führt, näher hierzu Steenbreker, MedR 2012, 725, 726 ff. und Birnbacher, Ethik Med 2016, 283, 285 ff. Zu weiteren ethischen Fragen S. Quante, Personales Leben, 2002, S. 287 ff. und Jox/Ach/Schöne-Seifert, DÄBl. 2014, A-394 ff. Grundlegend zum Auseinanderfallen von antizipiertem und aktuellem, im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit geäußerten Willen Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 239 ff.; Lanzrath, MedR 2017, 102, 103 ff. und Joerden, MedR 2018, 764, 770 ff. Eine nach Art der Verfügung diff. Ansicht vertritt Birnbacher, Ethik Med 2016, 283 ff.: Widerruf sog. „Pflegeverfügungen“ kraft natürlichen Willens möglich, Widerruf einer Patientenverfügung, die im Rahmen eines Advance Care Planning erstellt wurde, hingegen nur bei Einwilligungsfähigkeit.

D. Fazit

153

Die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit sind nicht starr, sondern in Abhängigkeit vom Ausmaß zu bestimmen, in dem die Entscheidung das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen berührt. Maßgeblich sind hierfür Risiko, Schwere und Indiziertheit der Maßnahme. Durch die einzelfallbezogene, relative Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit, ergibt sich ein äußerst differenziertes Bild, dass die graduell ausgeprägten Fähigkeiten des Patienten soweit wie möglich berücksichtigt. In Abhängigkeit von der Indikation sind bestimmte Eingriffsablehnungen und bestimmte zustimmende Entscheidungen des Patienten privilegiert. Während bei absolut und zeitlich dringend indizierten Maßnahmen im Regelfall die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung greifen, unterliegt die Ablehnung nicht medizinisch indizierter Maßnahmen schon deshalb geringeren Anforderungen, weil es an einem objektiven Anlass für den Eingriff in die Rechtsgüter des Patienten fehlt. Auf die Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit kommt es in diesen Fällen nicht entscheidend an. Die Anforderungen an die Einwilligung sind vielmehr unabhängig von den genannten Privilegierungen zu bestimmen. Maßgeblicher Bezugspunkt der Einwilligungsfähigkeit ist die konkrete Entscheidung. Eine Aufspaltung in Zustimmung und Ablehnung ist rechtlich nicht geboten.

Kapitel 5: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit 5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

Die Einwilligungsfähigkeit ist nicht nur inhaltlich auszugestalten (Kapitel 4). Sie wirft auch eine Vielzahl an strukturellen und konzeptionellen Fragen auf. Anders als die Geschäftsfähigkeit lässt sie sich nicht abstrakt bestimmen, sondern ist bezogen auf eine konkrete Einwilligungsentscheidung zu prüfen (A.). Wesentlich für das Verständnis der Einwilligungsfähigkeit ist zudem das Zusammenspiel von Mündigkeit und Handlungsfähigkeit. Die Mündigkeit tritt mit Vollendung eines bestimmten Lebensalters ein. Welche Rolle Alter auf der Handlungsebene, insbesondere bei der Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit spielt, wird in Abschnitt B. vertieft. Wie bereits im vorherigen Kapitel angedeutet, wirken sich auch die Charakteristika des Eingriffs, namentlich Schwere, Risiko und Indiziertheit, auf die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit aus (C.). Schließlich sind die Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit näher zu beleuchten. Hiermit verbunden ist die Frage, ob eine zweistufige Prüfung der Einwilligungsfähigkeit geboten erscheint (D.).

A. Einzelfallbezogenheit der Prüfung A. Einzelfallbezogenheit der Prüfung

Die Einwilligungsfähigkeit ist eine besondere Ausprägung der allgemeinen Handlungsfähigkeit.1 Sie entscheidet mit darüber, ob dem Betroffenen eine konkrete Einwilligungsentscheidung rechtlich als selbstbestimmte und eigenverantwortliche Willensäußerung zugerechnet werden kann.2 Anders als ihre möglichen Ursachen3 ist sie keine dauerhafte und unveränderliche Eigenschaft einer Person, sondern eine situationsbezogene, normative Wertung im Hinblick auf eine konkrete Behandlungsentscheidung.4 Dieser Einzelfallbezug spiegelt sich auch prozessual wieder.5 Die Einwilligungsfähigkeit wird in der Regel gerichtlich überprüft, wenn die Wirksamkeit einer konkreten Behandlungsentscheidung streitig ist.6 Eine hiervon losgelöste, in die Zukunft gerichtete generelle Feststellung der Einwilligungsunfähigkeit 1

Vgl. Kap. 5 B I 1 c). Vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 45 ff. m.w.N.; Damm, MedR 2015, 775, 775. 3 Wie etwa Minderjährigkeit, psychische Erkrankungen oder geistige Behinderungen aber auch Bewusstlosigkeit und erhebliche Schmerzen. Näher hierzu Kap. 5 D III. 4 Ganz h.M., vgl. nur BGHZ 29, 33, 36 = NJW 1959, 811; BayObLG, FamRZ 1994, 1060, 1061; Holzhauer, ZRP 1989, 451, 457; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 543; Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, 1993, S. 168 f.; Voll, Einwilligung, 1996, S. 62; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 117; Katzenmeier/Schmitz-Luhn, in: FS Fischer, 2010, S. 120 f.; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 41 m.w.N.; Damm, MedR 2015, 775, 777; ders., MedR 2018, 939, 944; Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 154; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 6 und aus ethischer Sicht Hermann et al., Ethik Med 2016, 107; Maio, Mittelpunkt Mensch, 2. Aufl. 2017, S. 203 f. 5 Ausführlich hierzu Kap. 10 A. 6 Vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 45; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 557 f.; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 41; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, StGB § 228 Rn. 14. 2

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Genske, Gesundheit und Selbstbestimmung, Kölner Schriften zum Medizinrecht 23, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1_5

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5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

erwachsener Personen gibt es seit der Reform des früheren Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts nicht mehr.7 Ebenso wenig existiert ein Verfahren zur dauerhaften Feststellung der Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten. 8 Maßgeblich ist damit aus rechtlicher Sicht allein, ob der Betroffene aktuell in Bezug auf eine bestimmte Einwilligungsentscheidung einwilligungsfähig ist oder nicht. In diesem Sinne ist die Einwilligungsfähigkeit als situative Fähigkeit zu verstehen.9 Das Recht trägt damit den vorhandenen Fähigkeiten des Betroffenen so weit wie möglich flexibel Rechnung, unabhängig davon, ob der Betroffene kurzfristig, dauerhaft oder irreversibel einwilligungsunfähig ist und in welchem Ausmaß seine tatsächlichen Fähigkeiten beeinträchtigt sind.10 Bei volljährigen Patienten ist deshalb anlassbezogen zu beurteilen, ob ihr aktueller psychopathologischer Zustand in der jeweiligen Situation ihre Fähigkeit, eine konkret anstehende Einwilligungsentscheidung zu treffen, ausschließt.11 Bei minderjährigen Patienten kommt es demgegenüber darauf an, ob die für eine konkrete Einwilligungsentscheidung erforderlichen Fähigkeiten entwicklungsbedingt schon ausreichend vorhanden sind.12 Trotz der diesbezüglich klaren Rechtslage wird der Begriff der Einwilligungs(un)fähigkeit in Literatur und Rechtsprechung traditionell wenig trennscharf verwendet und häufig mit der Mündigkeit als generellem Zustand gleichgesetzt.13 Schon aus Klarstellungsgründen sollte dem Einzelfallbezug sprachlich stärker Rechnung getragen und auf generalisierende Formulierungen soweit möglich verzichtet werden.14

B. Altersbezogene Differenzierungen B. Altersbezogene Differenzierungen

Eng mit dem Erfordernis einer einzelfallbezogenen Prüfung verbunden ist die Frage nach dem Zusammenwirken von Einwilligungs(un)fähigkeit und Alter. Dem Lebensalter kommt in verschiedenen Hinsichten eine besondere Bedeutung bei der Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit zu. Zum einen bestimmt es als formale 7

Prinz von Sachsen Gessaphe, Der Betreuer, 1999, S. 347; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 118. Näher hierzu Kap. 5 B I 1 b). 8 Lorenz, NZFam 2017, 782, 785. 9 Klie u.a., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5, 10; zust. Damm, MedR 2015, 775, 777; so bereits angedeutet bei Prinz von Sachsen Gessaphe, Der Betreuer, 1999, S. 347. In diese Richtung weisen auch spezialgesetzliche Regelungen der Einwilligungsfähigkeit, die den Einzelfallbezug ausdrücklich enthalten, wie beispielsweise §§ 12 und 13 PsychothBO NRW („behandlungsbezogene natürliche Einsichtsfähigkeit“), § 18 Abs. 4 S. 1 PsychKG NRW („der Behandlung“) aber auch §§ 8a S. 1 Nr. 5, 8c Abs. 2 S. 1 TPG („der [vorgesehenen] Entnahme“), § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 lit. a, Abs. 4 Nr. 3 S. 4, 41 Abs. 3 AMG, §§ 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 21 Abs. 3 S. 2 MPG („der klinischen Prüfung“) und §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 S. 1 GenDG („der genetischen Untersuchung“). 10 So auch Damm, MedR 2015, 775, 777 („potenzielle Autonomiegewinne“) und NKStGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 14 ff. m.w.N.; vgl. a. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 530 ff., 543 ff., insbes. 557 f. m.w.N. 11 Klie u.a., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5, 7; zust. Damm, MedR 2015, 775, 777. 12 Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 58. 13 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 67 Fn. 259. Krit. hierzu Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 117. 14 So bereits Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 117.

B. Altersbezogene Differenzierungen

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Kategorie den Eintritt der Mündigkeit, was sich auf den konkreten Beurteilungsgegenstand auswirkt.15 Daneben kann das Alter auch eine Ursache für mögliche Fähigkeitsdefizite sein und damit Indizwirkung für die Einwilligungsunfähigkeit haben. Schließlich werden im Gefolge der Einwilligungsfähigkeit verschiedene Altersgrenzen diskutiert, etwa die Vollendung des 7., 14., 16. und 80. Lebensjahres.16 Zum Teil wird auch erwogen diese Altersgrenzen nicht rein formal zu fassen, sondern die durchschnittlichen Fähigkeiten einer Person eines bestimmten Lebensalters als altersunabhängiges Referenzmaß heranzuziehen, beispielsweise die Fähigkeiten eines durchschnittlichen 14-Jährigen.17 So verstanden fungiert das Alter als Referenzwert für ein bestimmtes Maß an Fähigkeiten.

I. Alter als formale Kategorie zur Bestimmung der Mündigkeit In formaler Hinsicht bestimmt das Alter den Eintritt der Mündigkeit des Einzelnen. Hiermit verbunden ist die Frage, inwieweit die Einwilligungsfähigkeit vor jedem Eingriff positiv festzustellen ist oder nicht. Das ist vor allem für die Darlegungsund Beweislast im Zivilprozess relevant.18 Kommt es positiv auf die Einwilligungsfähigkeit an, ist bei Nichterweislichkeit davon auszugehen, dass der Betroffene nicht einwilligungsfähig ist. Bildet hingegen die Einwilligungsunfähigkeit den relevanten Prüfmaßstab, ist im Zweifel Einwilligungsfähigkeit anzunehmen. 1. Die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit volljähriger Patienten Nach allgemeinen Grundsätzen soll der behandelnde Arzt im Regelfall auf die Einwilligungsfähigkeit volljähriger Personen vertrauen dürfen; vorausgesetzt, es bestehen keine objektiven Anhaltspunkte, die Anlass zu Zweifeln bieten.19 Einer positiven Feststellung der Einwilligungsfähigkeit im konkreten Fall bedarf es hiernach bei Erwachsenen gerade nicht.20 Vielmehr ist maßgeblich, ob der Betroffene ausnahmsweise einwilligungsunfähig ist.21 Bei Minderjährigen ist die Einwilligungsfähigkeit demgegenüber jeweils positiv festzustellen.22 Begründet wird diese Dif15

Näher hierzu sogleich. Ausführlich zu den Altersgrenzen des 7., 14. und 16. Lebensjahres in Kap. 3 C II; zur Vollendung des 80. Lebensjahres vgl. Kap. 5 B I 3. 17 Vgl. Kap. 3 C II. 18 Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 52. 19 NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 16; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 228 Rn. 13; NKStGB/Merkel, § 218a Rn. 24; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 166 ff.; Voll, Einwilligung, 1996, S. 63; Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 86; Amelung, R&P 1995, 26; für das Zivilrecht Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 52; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 33 f. 20 Demgegenüber legt § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB eine positive Feststellungspflicht nahe. Krit. hierzu Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 17 Rn. 127. 21 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 46 f.; Damm, MedR 2015, 775, 778. A.A. Zimmermann, Auswirkungen des Betreuungsrechts, 1997, S. 169: Positive Feststellung vor jeder ärztlichen Maßnahme. 22 Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 52; Damm, MedR 2015, 775, 778; so aus strafrechtlicher Sicht auch NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28. Kuhlmann, Heilbehandlung 16

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5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

ferenzierung zum Teil mit praktischen Erwägungen23 oder mit dem allgemeinen Regel-Ausnahmeverhältnis der Geschäfts-, Ehe- und Testierfähigkeit,24 das für alle Ausprägungen der Handlungsfähigkeit und damit auch für die Einwilligungsfähigkeit gelten soll.25 Beide Begründungsansätze verkennen den eigentlichen Anknüpfungspunkt der Differenzierung: Die (Un)Mündigkeit des Betroffenen.26 a) Die Mündigkeit als generelle Zulassung zum Rechtsverkehr Die Rechtsordnung legt nach eigenen Grundsätzen fest, unter welchen Voraussetzungen sie den Einzelnen als mündig anerkennt und ihn als selbstbestimmte und eigenverantwortlich handelnde Rechtsperson generell zum Rechtsverkehr zulässt.27 Im deutschen Recht wird die Mündigkeit nicht fähigkeits-, sondern altersbezogen bestimmt, indem sie formal an die Vollendung eines bestimmten Lebensalters gekoppelt wird.28 Ab Erreichen des Volljährigkeitsalters setzt das Recht die prinzipielle Fähigkeit des Einzelnen zum autonomen Handeln voraus und gewährt ihm die Befugnis, im Rahmen der Rechtsordnung nach seinen eigenen Maßstäben selbstbestimmt rechtsverbindlich zu handeln.29 b) Das Verhältnis von Mündigkeit und Handlungsfähigkeit Ist eine Person nach den genannten Grundsätzen formal mündig, wird ihre Handlungsfähigkeit vermutet.30 Während die Mündigkeit die Zulassung zum Rechtsverkehr und damit die Rechtsstellung des Betroffenen im Allgemeinen betrifft, ist die Handlungsfähigkeit durch ihren Einzelfallbezug gekennzeichnet.31 Das zeigen auch alter Menschen, 1996, S. 36 ff., erwägt bei Minderjährigen eine Vermutung der Einwilligungsfähigkeit für geringfügige Eingriffe, lehnt dies aber letztlich ab, was zu begrüßen ist. 23 Vgl. Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 46. Krit. hierzu Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 34. 24 Vgl. § 104 BGB, §§ 1304 i.V.m. 104 BGB und § 2229 Abs. 4 BGB. 25 So etwa Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 33; ablehnend Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 115. 26 Grundlegend hierzu Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 45; vgl. a. Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 46. 27 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 42 ff., insbes. S. 44 f.; zust. Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 52; ähnlich bereits Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 327. 28 Das Volljährigkeitsalter liegt momentan bei 18 Jahren, vgl. § 2 BGB. Der Eintritt der Volljährigkeit führt bei gesunden Personen zur unbeschränkten Geschäftsfähigkeit (§§ 2, 106 BGB), zum Ende der elterlichen Sorge (§ 1626 Abs. 1 S. 1 BGB), zur Ehemündigkeit (§ 1303 S. 1 BGB), zur unbeschränkten Testierfähigkeit (§§ 2247 Abs. 4, 2229 Abs. 1 BGB) und Erbvertragsfähigkeit ( § 2275 BGB), zur Prozessfähigkeit ( § 52 ZPO, § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, § 71 Abs. 1 SGG, § 58 Abs. 1 Nr. 1 FGO) und zur Erlangung des passiven Wahlrechts (Art. 38 Abs. 2 GG). Näher zum Ganzen MüKoBGB/Spickhoff, § 2 Rn. 6 ff. m.w.N. Zur verfassungsmäßigen Rechtfertigung der Volljährigkeitsgrenze vgl. Geipel, Lebensalter im Recht, 2011, S. 132. 29 NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 347; ähnlich auch BeckOK-BGB/Wendtland, § 104 Rn. 1. Grundlegend zum Ganzen Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60 m.w.N.; ders., in: Lipp (Hrsg), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 14. 30 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 45; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A52. 31 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 47 f. m.w.N. und S. 60.

B. Altersbezogene Differenzierungen

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die Regelungen der Geschäfts-, Ehe- und Testierfähigkeit, die die Teilnahme am Rechtsverkehr nicht umfassend, sondern bereichsspezifisch als Zurechnungsfragen regeln.32 Aufgabe des Rechts ist es, die Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit zu definieren, d.h. festzulegen, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit einer Person eine konkrete Handlung als eigene zugerechnet werden kann und unter welchen Bedingungen der Zurechnungszusammenhang mangels Eigenverantwortlichkeit ausnahmsweise entfallen soll.33 Da bei Volljährigen die Handlungsfähigkeit durch die Mündigkeit indiziert ist,34 kommt es darauf an, ob tatsächliche Defizite der Entscheidungsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen vorliegen,35 die diese Vermutungswirkung erschüttern können. Hierzu zählen etwa schwere geistige Behinderungen, psychische Erkrankungen und Schmerzzustände.36 All diese Faktoren wirken sich ausschließlich punktuell auf die Handlungsfähigkeit aus. Die allgemeine Rechtsstellung des Betroffenen bleibt unabhängig vom Ausmaß der Beeinträchtigungen unberührt. Denn eine Entmündigung geistig beeinträchtigter Personen, vgl. § 6 BGB a.F., kennt das deutsche Recht nicht mehr.37 An ihre Stelle ist die rechtliche Betreuung getreten.38 Ebenso wenig wie die tatsächlichen Beeinträchtigungen selbst, berührt die Einrichtung einer Betreuung die Rechtsstellung des Betreuten als mündige Rechtsperson.39 Damit besteht die mit

32 Vgl. §§ 104 Nr. 2 i.V.m. 105 Abs. 1, 2 BGB, 2229 Abs. 4 und § 1304 i.V.m. 104 Nr. 2 BGB. Näher hierzu Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 43 f.; so für die Einwilligungsfähigkeit auch Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 823 f. und Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 52. Zu den verschiedenen Ausprägungen der Handlungsfähigkeit S. Aichele/v. Bernstorff, BtPrax 2010, 199, 201. 33 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 45; ders., in: ders. (Hrsg), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 10; zust. Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 52 und S. A 59. 34 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 45; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 52. 35 Damm, MedR 2010, 451, 460 spricht insoweit von „Kompetenzdefiziten hinsichtlich der Ausübung von Selbstbestimmung“; so auch Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 45 und S. 49. 36 Ausführlich hierzu unten Kap. 5 D. 37 § 6 BGB a.F. regelte sowohl die Entmündigung wegen Geisteskrankheit, § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 104 Nr. 3 BGB a.F. als auch wegen Geistesschwäche, Trunk- und Verschwendungssucht, vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2, 3 i.V.m. § 114 BGB a.F., vgl. MüKoBGB/Schwab, Vor §§ 1896 ff. Rn. 4. Mit dem zum 1. Januar 1992 in-Kraft-getretenen Betreuungsgesetz (BtG v. 12.9.1990, BGBl. I, 2002) wurde unter anderem die Entmündigung abgeschafft. Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit, § 6 Abs. 1 BGB a.F., führte zum vollständigen Verlust der rechtlichen Handlungsfähigkeit. Näher hierzu Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 13 ff.; Bienwald, in: ders. u.a., BetR-K, Einf. Rn. 9; Holzhauer, ZRP 1989, 451, 457. 38 Vgl. §§ 1896 ff. BGB. Näher hierzu unten Kap. 5 B I 3 b). 39 Vgl. BT-Drs. 11/4528, S. 59 ff.; MüKoBGB/Schwab, Vor §§ 1896 ff. Rn. 4; Bienwald, in: ders. u.a., BetR-K, Einf. Rn. 9 f. und Rn. 13 ff.; vgl. a. Staudinger/Coester, 2016, § 1673 Rn. 8; Zenz, in: Igl/Klie (Hrsg.), Recht der älteren Menschen, 2007, § 5 Rn. 6. Igl/Klie, ebenda, § 1 Rn. 6; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 361. Grundlegend Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 45 ff. und S. 71; ders., in: Lipp (Hrsg), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 10. Zu beachten ist hierbei, dass die Führung der Betreuung zu einer faktischen Entmündigung des Betreuten führen kann, wenn dem Betroffenen „vermittelt wird, er stünde nun unter Betreuung und maßgebend sei deshalb, was der Betreuer bestimmt“, Bienwald, in: ders. u.a., BetrR-K, 1896 BGB Rn. 163.

160

5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

dem Volljährigkeitsalter eingetretene Mündigkeit unabhängig vom Grad etwaiger tatsächlicher Beeinträchtigungen fort.40 c) Die Einwilligungsfähigkeit als spezielle Ausprägung der Handlungsfähigkeit Das gilt auch für die mit der Mündigkeit verbundene Vermutung der Einwilligungsfähigkeit.41 Als bereichsspezifische Ausprägung der Handlungsfähigkeit ist auch sie bei volljährigen Personen unabhängig vom Vorliegen etwaiger tatsächlicher Fähigkeitsdefizite zu vermuten.42 Tatsächliche Defizite können sich bei Volljährigen nur auf der Ebene der Einwilligungsfähigkeit auswirken, mit dem Ergebnis, dass diese nach anlassbezogener Prüfung für eine konkrete Behandlungsentscheidung trotz Mündigkeit des Betroffenen ausnahmsweise zu verneinen ist.43 Maßgeblich ist damit nicht, ob der betroffene Volljährige im Einzelfall einwilligungsfähig ist, sondern ob er es aus tatsächlichen Gründen ausnahmsweise nicht ist. 44 Schon um diesem Paradigmenwechsel ausreichend Rechnung zu tragen, sollte die herkömmliche Begriffsverwendung, die die Einwilligungsfähigkeit unzutreffend in einem globalen Sinne auch auf die Mündigkeit bezieht,45 so weit möglich vermieden werden.46 d) Doppelrolle des Alters als Indiz für Fähigkeitsdefizite und als formale Kategorie Dem Alter kommt damit bei der Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit eine besondere Rolle zu. Das Lebensalter wirkt sich sowohl auf Ebene der Handlungsfähigkeit als auch auf Ebene der Mündigkeit aus. Als formale Kategorie bestimmt das Alter den Beginn der Mündigkeit des Einzelnen.47 Daneben kann der Umstand, dass sich die erforderlichen Fähigkeiten bei Minderjährigen altersbedingt noch in der Entwicklung befinden, die situative Einwilligungsunfähigkeit des Minderjährigen 40 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 45 ff.; MüKoBGB/Schwab, Vor §§ 1896 ff. Rn. 4; Bienwald, in: ders. u.a., BetR-K, Rn. 9 f. 41 Krit. hierzu Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 85; ders., in: Schicktanz/Schweda (Hrsg.), Pro Age oder Anti-Aging?, 2012, S. 103. 42 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 45 ff., insbes. S. 48 und S. 63 und BeckOGK/Brilla, § 1904 Rn. 33 ff. 43 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 45. Das scheint Damm, MedR 2010, 451, 460 zu verkennen, der nicht zwischen Mündigkeit und Handlungsfähigkeit unterscheidet, sondern global von der Autonomie des Betroffenen ausgeht. Entsprechend schwierig ist es, tatsächliche Defizite (Damm spricht insoweit von „empirisch mehr oder weniger defizitärer oder imperfekter Autonomie“) konzeptionell zu verorten. Anders als Lipp differenziert Damm nicht verschiedene rechtliche Ebenen des Konzepts der Selbstbestimmung, sondern Autonomie im empirischen und Autonomie im normativen Sinne, vgl. Damm, MedR 2010, 451, 460. Das ist wenig überzeugend, weil hierdurch offenbleibt, wie sich tatsächliche Autonomiedefizite rechtlich auswirken. 44 Vgl. statt vieler Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 46 f. m.w.N. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Einwilligungsfähigkeit von der Literatur in Ermangelung einer allgemeinen gesetzlichen Regelung häufig positiv definiert wird, vgl. Kap. 3 A II und Kap. 3 C I. 45 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 67 Fn. 259. 46 Vgl. Kap. 5 A. 47 Vgl. § 2 BGB.

B. Altersbezogene Differenzierungen

161

manifestieren, wenn das Kind, resp. der Jugendliche das konkret erforderliche Maß an Fähigkeiten im Einzelfall noch nicht erreicht. Auch bei volljährigen Patienten werden durch den fortgeschrittenen Alterungsprozess verursachte Beeinträchtigungen der kognitiven und voluntativen Fähigkeiten als mögliche Ursachen der konkreten Einwilligungsunfähigkeit diskutiert.48 Nach dieser Lesart soll auch dem hohen Alter eine Indizwirkung für potentielle Fähigkeitsdefizite zukommen.49 Das Alter unterscheidet sich damit grundlegend von anderen Merkmalen, die zur Einwilligungsunfähigkeit führen können. Psychische oder neurologische Erkrankungen, Intoxikationen, Schmerzen aber auch Nebenwirkungen von Medikamenten können ausschließlich die Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigen, lassen aber dessen Mündigkeit unberührt. Liegen sie vor, ist einzelfallbezogen zu klären, in welchem Ausmaß die tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen beeinträchtigt sind und ob ihm die jeweilige Einwilligungsentscheidung noch als eigene zugerechnet werden kann oder nicht.50 Einen Einfluss auf die in der Mündigkeit begründet liegende Indizwirkung haben sie hingegen nicht 2. Erfordernis der positiven Feststellung der Einwilligungsfähigkeit bei Minderjährigen Anders als bei Volljährigen fehlt bei Minderjährigen ein der Mündigkeit vergleichbarer Vermutungstatbestand.51 Ihre Einwilligungsfähigkeit ist damit in jedem Einzelfall positiv festzustellen.52 Auf Grund ihrer sich noch entwickelnden Fähigkeiten geht die Rechtsordnung nicht davon aus, dass Minderjährige grundsätzlich in der Lage sind, selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu handeln.53 Das zeigt sich bereits daran, dass die Rechtsstellung Minderjähriger von vornherein normativ durch das Erziehungsrecht der Eltern begrenzt ist.54 Ebenso wie das Recht volljährigen Personen formal den Status der Mündigkeit zuerkennt, legt es bei minderjährigen Patienten die Unmündigkeit unabhängig von ihren tatsächlichen Fähigkeiten fest. Die Unmündigkeit indiziert hierbei die Handlungsunfähigkeit. Während diese Vermutung bei der Geschäftsunfähigkeit aus Gründen des Verkehrsschutzes unwiderleglich ist, vgl. §§ 2, 104 Nr. 1, 106 BGB, kann sie bei der Einwilligungsunfähigkeit entkräftet werden, wenn der Minderjährige im Einzelfall über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt. Diese Differenzierung gebietet der starke persönlichkeitsrechtliche Bezug der gesundheitsbezogenen Einwilligung, hinter dem die Interessen des 48

Näher hierzu Kap. 5 B I 3. Für das junge Alter ist dies unstrittig. Die Indizwirkung des hohen Alters wird in der Medizin jedoch zunehmend angezweifelt. Näher hierzu Kap. 5 D IV 4. 50 Näher hierzu in Abschnitt D. 51 NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28. 52 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 47. 53 NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28. Entsprechend geht das Grundgesetz in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG von der Erziehungsbedürftigkeit Minderjähriger aus, vgl. ebenda, Rn. 28. 54 Vgl. Art. 6 Abs. 2 GG, §§ 1626, 1629 BGB, NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28. Das Elternrecht ist hierbei als pflichtgebundenes Recht ausgestaltet. Es besteht „um des Kindes Willen“ als fremdnütziges Recht und wird „aus sich heraus in dem Maße überflüssig und gegenstandslos, in dem das Kind in die Mündigkeit hineinwächst.“, vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 29 f. Näher hierzu Kap. 2 C II 2 b) bb). 49

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5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

Rechtsverkehrs grundsätzlich zurückzutreten haben.55 Bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten wird letztlich darüber entschieden, ob die betroffene Person trotz ihrer Unmündigkeit ausnahmsweise für eine konkrete Einwilligungsentscheidung punktuell zum Rechtsverkehr zuzulassen ist.56 Auch deshalb lässt sich die mitunter geforderte Vermutung der Einwilligungsfähigkeit ab Vollendung des 14. oder 16. Lebensjahres nicht auf eine Gesamtanalogie zu bestehenden Teilmündigkeitsregelungen stützen, sondern ist dem Gesetzgeber vorbehalten.57 3. Keine positive Prüfung der Einwilligungsfähigkeit hochaltriger Patienten Ein positives Prüferfordernis wird in jüngerer Zeit über den Kreis der minderjährigen Patienten hinaus auch bei sehr alten Patienten erwogen. a) Hintergründe der Diskussion Bisher besteht altersspezifisches Sonderrecht in Deutschland nur in Form des Minderjährigenrechts. Im Zuge der demographischen Entwicklung rückte nunmehr auch die Gruppe der sehr alten Menschen zunehmend in den Fokus des Rechts.58 Die Rechtswissenschaft diskutiert zum Thema „Altenrecht“ unter anderem die rechtliche Bedeutung von Altersgrenzen.59 Bezogen auf die Handlungsfähigkeit wird beispielsweise die Vollendung des 80. Lebensjahres als mögliche Grenze thematisiert, was sich auch mit der herrschenden Definition der Hochaltrigkeit in der Altersforschung deckt.60 Die Problematik nimmt an Aktualität zu, denn die Gruppe der Hochaltrigen stellt in Deutschland die zur Zeit die am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe dar.61 Gekennzeichnet ist sie unter anderem durch eine im Vergleich zu anderen Altersgruppen höhere Prävalenz neurodegenerativer 62 und psy55

Vgl. oben Kap. 4 B I 2. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 47; ders., in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 10. Entsprechend definieren die spezialgesetzlichen Regelungen die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger positiv, vgl. nur § 8a TPG, § 20 Abs. 4 MPG, § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 4 AMG, § 12 PsychothBO NRW, §§ 28d RöV, 88 StrSchV; s. a. Kap. 3 A II. 57 Vgl. Kap. 3 C II. 58 Vgl. nur Igl/Klie (Hrsg.), Recht der älteren Menschen, 2007 und Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, 2013. 59 Vgl. Igl, Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 2000, S. S057 ff.; Duttge, in: Schicktanz/Schweda (Hrsg.), Pro-Age oder Anti-Aging?, 2012, S. 88 ff. sowie Geipel, Lebensalter im Recht, 2011, zum umfassenderen Phänomen der „Altersschranken“ im Recht. 60 Die überwiegende Ansicht in der Altersforschung bestimmt die Grenze zur Hochaltrigkeit nicht kalendarisch, sondern demographisch, indem sie sie kohortenspezifisch definiert, vgl. Deutscher Alterssurvey (DEAS) http://www.dza.de/forschung/deas.html; Berliner Altersstudie (BASE II), https://www.base-berlin.mpg.de/de/projektinformation und Hochaltrigenstudie NRW80+, http://www.ceres.uni-koeln.de/forschung/nrw80/, letzter Zugriff jeweils am 16.10.2019. Die Grenze wird dort gezogen, wo 50 Prozent oder weniger der Zugehörigen einer Geburtskohorte noch am Leben sind. 61 Wagner et al., Z Gerontol Geriat 2018, 193, 195. 62 Wie beispielsweise demenzielle Syndrome. Die Prävalenzrate liegt bei Männern und Frauen in Deutschland zwischen 60 und 64 Jahren bei unter einem Prozent, bei Männern im 56

B. Altersbezogene Differenzierungen

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chischer Erkrankungen sowie zunehmende Multimorbidität 63 und Pflegebedürftigkeit.64 Vor diesem Hintergrund wird die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit Volljähriger, die – vermittelt durch die Mündigkeit – unabhängig von den individuellen Fähigkeiten an die Vollendung des 18. Lebensjahres gekoppelt ist, in jüngerer Zeit kritisch diskutiert.65 Im Schrifttum wird insbesondere hinterfragt, dass die Einwilligungsfähigkeit hochaltriger Patienten in der klinischen Praxis bis zum Beweis des Gegenteils unterstellt wird, obwohl ihre „Mündigkeit“ gerade wegen der charakteristischen Verschlechterung ihres neurologischen, psychischen und physischen Allgemeinzustandes nicht mehr selbstverständlich sei.66 Befürchtet wird, dass alte Menschen hierdurch in der Tendenz der Gefahr ausgesetzt seien, sich gegen paternalistisch motivierte ärztliche Fürsorgebestrebungen „nicht mehr effektiv zur Wehr setzen“ zu können, was letztlich eine Altersdiskriminierung bedeute.67 Trotz dieser klaren Andeutungen wird für die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit bislang kein Ablaufdatum in Form einer Höchstaltersgrenze gefordert.68 Anders im erbrechtlichen Schrifttum. Dort wird explizit eine Umkehr des Prüfmaßstabs der Testierfähigkeit im hohen Alter vertreten, mit der Folge, dass es nicht mehr auf die Testierunfähigkeit des volljährigen Erblassers ankommen soll, sondern umgekehrt die Testierfähigkeit im Einzelfall positiv festzustellen wäre.69 b) Stellungnahme: Rechtliche Betreuung als vorzugswürdiges Instrument der Fürsorge im Alter Eine allein auf dem hohen Lebensalter beruhende Umkehr der Vermutungswirkung mit der Folge, dass bei sehr alten Menschen nicht mehr die Handlungsfähigkeit, Alter von 80 bis 84 Jahren hingegen bei 10,3, bei Frauen derselben Altersgruppe bei 12,8 Prozent. Bei den über 95-jährigen Frauen beträgt der Anteil sogar 38 Prozent, vgl. Ziegler/Doblhammer, Prävalenz und Inzidenz von Demenz in Deutschland, 2009, S. 12. 63 Hiermit sind häufig auch komplexe Medikamentenwechselwirkungen verbunden, Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 85. 64 Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 85 nennt zusätzlich die „allgemeine Altersschwäche“. Das überzeugt mit Blick auf die psychiatrische Literatur nicht. Hiernach zeigen sich „auch bei Hochbetagten bemerkenswert wenig kognitive Veränderungen, die dem normalen Alterungsprozess zugeschrieben werden können“, vgl. Cording, Fortschr Neurol Psychiat 72 (2004), 147, 153. 65 So zur Einwilligungsfähigkeit Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 85; ders., in: Schicktanz/Schweda (Hrsg.), Pro Age oder Anti-Aging?, 2012, S. 102 f. Krit. zu vergleichbaren Tendenzen bei der Testierfähigkeit Schmoeckel, NJW 2016, 433, 438. 66 Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 85; ders., in: Schicktanz/Schweda (Hrsg.), Pro Age oder Anti-Aging?, 2012, S. 103. 67 Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 85; zurückhaltender ders., in: Schicktanz/Schweda (Hrsg.), Pro Age oder Anti-Aging?, 2012, S. 89. 68 Duttge, in: Schicktanz/Schweda (Hrsg.), Pro Age oder Anti-Aging?, 2012, S. 103. Duttge fordert eine „gewissenhafte“ Prüfung der Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall, nähere Festlegungen zum Verfahren und zum Beurteilungszeitpunkt sowie einen „spezifisch an das höhere Lebensalter anknüpfenden Diskriminierungsschutz“ in Analogie zum Minderjährigenrecht, vgl. ebenda, S. 87 ff. und S. 103. Grundlegend zum Erfordernis eines Altenrechts Igl/Klie, in: dies. (Hrsg.), Recht der älteren Menschen, 2007, § 1 Rn. 1 f. 69 Vgl. die Nachweise bei Schmoeckel, NJW 2016, 433, 438 m.w.N.

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5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

sondern deren Handlungsunfähigkeit indiziert wäre, ist de lege lata weder erforderlich noch geboten.70 Vielmehr berücksichtigen die flexiblen Mechanismen des deutschen Erwachsenenschutzrechts trotz ihres altersunspezifischen Charakters71 auch die besonderen Bedürfnissen älterer Menschen in ausreichender Weise.72 Inwieweit die Einwilligungsfähigkeit einer bestimmten Personengruppe zu vermuten ist, lässt sich zudem wie gezeigt nicht losgelöst vom Status der Mündigkeit beantworten. Die Mündigkeit bleibt bei volljährigen Personen seit Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes unabhängig von etwaigen psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen bestehen.73 Die rechtliche Betreuung ist hierbei als flexibles Unterstützungsund Hilfsangebot im Einzelfall angelegt, das an den aktuellen Bedarf des Betroffenen anknüpft.74 Die Einrichtung einer Betreuung spricht dem Betreuten weder die Mündigkeit noch die Handlungsfähigkeit generell ab, sondern stellt ihm einen Beistand zur Seite, der etwaige Defizite seiner Handlungsfähigkeit punktuell und bedarfsorientiert ausgleicht.75 Aufgrund seiner Offenheit reagiert das Betreuungsrecht auch im Alter auf die individuelle Situation und die individuellen Bedürfnisse des Betreuten. Es berücksichtigt somit gerade auch die vielfältigen Lebenswirklichkeiten älterer Menschen.76 Durch Einzelfallentscheidungen, den Grundsatz der Erforderlichkeit77 und das Subsidiaritätsprinzip,78 trägt es der Selbstbestimmung des Betreuten so weit wie möglich Rechnung und reduziert die staatliche Fürsorge auf das notwendige Maß.79 Der Gegenauffassung liegt ein einseitiges Altersbild zu Grunde, dass die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten sehr alter Menschen nicht ausreichend anerkennt und die historische Entwicklung80 und Bedeutung der Betreuung und (Vorsorge-)Bevollmächtigung in Gesundheitsangelegenheiten als differen-

70

So auch Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 413 f.; zust. Damm, MedR 2015, 775, 778. Igl/Klie, in: dies. (Hrsg.), Recht der älteren Menschen, 2007, § 1 Rn. 6; Zenz, ebenda, § 5 Rn. 4, 18 und 51. Krit. hierzu Igl/Klie, ebenda, § 1 Rn. 1 f. 72 Vgl. Zenz, in: Igl/Klie (Hrsg.), Recht der älteren Menschen, 2007, § 5 Rn. 4 f. Das zeigen auch die durch das Gesetzgebungsverfahren zum Betreuungsgesetz angestoßenen Debatten über die spezifischen Interessen alter Menschen, vgl. BT-Drs. 11/4528 S. 61, S. 82 f., S. 89 und S. 91. 73 Vgl. Kap. 5 B I 1 b). 74 Lipp, MedR 2016, 843, 846; ders., Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 16 und S. 85; Bienwald, in: ders. u.a., BetR-K, Einf. Rn. 10. 75 Vgl. Kap. 5 B I 1 b). 76 Vgl. ISG (Hrsg.), Zweiter Zwischenbericht Qualität in der rechtlichen Betreuung, 2017, S. 2. In diese Richtung bereits Pawlowski, JZ 2004, 13, 14 und 18. 77 Bienwald, in: ders. u.a., BetR-K, Einf. Rn. 9 f. und § 1896 Rn. 24; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 361; MüKoBGB/Schwab, Vor §§ 1896 ff. Rn. 7. Näher hierzu Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 15 f. 78 Bienwald, in: ders. u.a., BetR-K, Einf. Rn. 10; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 75. 79 Zenz, in: Igl/Klie (Hrsg.), Recht der älteren Menschen, 2007, § 5 Rn. 6; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 60 und S. 75. Der Erforderlichkeitsgrundsatz gebietet es, bei der Feststellung der Betreuungsbedürftigkeit Schwankungen im Krankheitsbild dynamisch zu berücksichtigen, vgl. Bienwald, in: ders. u.a., BetR-K, § 1896 Rn. 24 f. 80 Die Reform des Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts wurde u.a. deshalb gefordert, weil das Rechtsinstitut der Entmündigung für die im Zuge des demographischen Wandels stark zunehmende Zahl „altersbedingt geistig Gebrechlicher“ eine Diskriminierung bedeutete, näher hierzu Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 12 m.w.N.

71

B. Altersbezogene Differenzierungen

165

zierte und moderne Instrumente des Erwachsenenschutzes verkennt.81 Auch rechtstatsächliche Überlegungen, die belegen, dass nur ein Teil der Personen mit tatsächlichem Betreuungsbedarf unter rechtlicher Betreuung steht,82 gebieten keine andere Wertung. Vielmehr illustrieren sie den bestehenden Informationsbedarf zum Rechtsinstitut der Betreuung in der Praxis.83 Schließlich werden auch in der Medizin Zweifel am rein altersbezogenen Abbau kognitiver Fähigkeiten laut. So wird prominent vertreten, dass sich, sofern man klar pathologische Ursachen wie etwa demenzielle Syndrome beiseite lässt, „auch bei Hochbetagten bemerkenswert wenig kognitive Veränderungen“ medizinisch belegen lassen, die allein dem normalen Alterungsprozess zugeschrieben werden können.84 c) Keine Vermutung der Einwilligungsunfähigkeit Betreuter Auch die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung indiziert nicht die Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen.85 Die Betreuung lässt die Rechtsstellung des Betreuten unberührt und trifft keine Aussage über seine Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall.86 Die Frage, ob der Betreute situativ einwilligungsfähig ist oder nicht, macht vielmehr eine gesonderte Entscheidung der Rechtsordnung erforderlich.87 Zwar können aus tatsächlichen Gründen geminderte Fähigkeiten des Betreuten Zweifel an dessen Einwilligungsfähigkeit auslösen.88 Diese Zweifel knüpfen jedoch nicht 81

So auch Zenz, in: Igl/Klie (Hrsg.), Recht der älteren Menschen, 2007, § 5 Rn. 18 und Rn. 51. Zum Problem der Altersstereotype: Zenz, ebenda, Rn. 56 m.w.N.; ganz ähnlich auch Igl/Klie, in: dies. (Hrsg.), Recht der älteren Menschen, 2007, § 1 Rn. 41 und Rn. 47. 82 Die Dunkelziffer wird zum Teil sehr hoch angesetzt und bei ca. 5 Millionen Menschen verortet, vgl. Igl/Klie, in: dies. (Hrsg.), Recht der älteren Menschen, 2007, § 1 Rn. 7 m.w.N. 83 Betreute sind bezogen auf die Gesamtbevölkerung auch im sehr hohen Alter noch immer in der Minderheit, Zenz, in: Igl/Klie (Hrsg.), Recht der älteren Menschen, 2007, § 5 Rn. 4. Insgesamt werden für 1,8 % der Bevölkerung ab 18 Jahren Betreuungen geführt, ISG (Hrsg.), Zweiter Zwischenbericht Qualität in der rechtlichen Betreuung, 2017, S. 2. 38 % der Betreuten sind 60 Jahre oder älter, vgl. ISG (Hrsg.), ebenda, S. 24. Der tatsächliche Anteil der über 60-Jährigen in der Bevölkerung beträgt 35 %. Damit ist die Altersgruppe der über 60-Jährigen bei den Betreuten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung nur leicht überrepräsentiert, ISG (Hrsg.), ebenda, S. 25. Die Zahl der Betreuten über 60 hat entgegen allgemeiner Erwartungen in den letzten Jahren auch nicht wesentlich zugenommen, vgl. ISG (Hrsg.), ebenda, S. 24. 84 Cording, Fortschr Neurol Psychiat 72 (2004), 147, 153. Näher hierzu Kap. 5 D IV 4. 85 Vgl. NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 24; Bienwald, in: ders. u.a., BetR-K, § 1896 Rn. 164; Spickhoff, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, 2013, § 6 Rn. 30; Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung 2017, S. 157 f. A.A. MükoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 15; Gründel, NJW 2002, 2987, 2989; Ganner, Selbstbestimmung im Alter, 2005, S. 240 (bei Bestellung eines Gesundheitsbetreuers); Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 118; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 49 ff. 86 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 51: Als „Handlungsorganisation“ zur Unterstützung des Betroffenen im Rechtsverkehr sagt sie (die Betreuung, Anm. d. Verf.) nichts darüber aus, „ob sein mit der Mündigkeit vollständig eröffneter Zugang zum Rechtsverkehr ganz oder teilweise, punktuell oder generell beschränkt ist“, Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 53; vgl. a. BT-Drs. 11/4528, S. 227. 87 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 51. 88 Der Betreuungsbedürftige ist ein aus tatsächlichen Gründen „in seiner Eigenverantwortlichkeit beschränkter Mündiger“, vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 171.

166

5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

an die Betreuung, sondern an die bestehende Grunderkrankung oder Behinderung an, die den Grund für die Betreuung bildet. Diese Differenzierung ist schon deshalb geboten, weil auch rein körperliche Behinderungen einen rechtlichen Betreuungsbedarf auslösen können.89 Etwas anderes gilt auch nicht für die Einrichtung einer Betreuung in Gesundheitsangelegenheiten,90 selbst wenn diese häufig dann erfolgt, wenn der Betroffene im Einzelfall nicht (mehr) einwilligungsfähig ist. 91 d) Ergebnis Auch bei sehr alten Menschen wird die Einwilligungsfähigkeit kraft ihrer Mündigkeit vermutet. Es kommt somit darauf an, ob sie ausnahmsweise einwilligungsunfähig sind. Alterstypische Defizite des psychischen, neurologischen oder physischen Allgemeinzustands wirken sich – ebenso wie andere Defizite – ausschließlich auf Ebene der Handlungsfähigkeit aus, indem sie die auf der Mündigkeit beruhende Vermutungswirkung erschüttern können. Die Einwilligungsfähigkeit ist dann zu überprüfen. Ziel ist es, herauszufinden, ob die Person bezogen auf die anstehende Behandlungsentscheidung einwilligungsunfähig ist. Der Arzt, der die Einwilligungsunfähigkeit in diesen Fällen vor der Behandlung prüft, hat bei nicht behebbaren Zweifeln ein psychiatrisches Konsil einzuberufen.92 Sollte auch das Konsil zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen, ist ihm anzuraten, ein Betreuungsverfahren anzuregen.93 Hierdurch kann sichergestellt werden, dass bei Bestehen eines tatsächlichen Unterstützungsbedarfs die erforderliche rechtliche Fürsorge geleistet wird.

II. Gleiche Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger, volljähriger und alter Menschen Ein Teil der Literatur fordert besonders hohe Anforderungen für die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten.94 Begründet wird das Bedürfnis strenger Kriterien in dieser Altersgruppe mit der Relativität der Einwilligungsfähigkeit,95 der 89

Vgl. § 1896 Abs. 1 BGB. So aber Ganner, Selbstbestimmung im Alter, 2005, S. 240, der vertritt, dass der Arzt die Einwilligungsfähigkeit vor jeder Behandlung zu prüfen hat, wenn eine Betreuung in Gesundheitsangelegenheiten angeordnet ist; zurückhaltender BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 11, die in der Betreuerbestellung in Gesundheitsangelegenheiten nur ein „gewisses Indiz“ für das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit sieht. 91 Spickhoff, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, 2013, § 6 Rn. 43; Kap. 5 D III 2. 92 Ganz h.M., vgl. nur Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. des ArztR, 2019, Kap. XXII § 138 Rn. 17; Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 86; Nebendahl, in: Igl/Weltli, Gesundheitsrecht, 3. Aufl. 2018, Kap. XI § 49 Rn. 55; so aus medizinischer Sicht auch Lamont et al., J Clin Nurs, 2013, 2387, 2388 m.w.N. 93 Besteht ein rechtlicher Unterstützungsbedarf, der im Alter zunehmend wahrscheinlich ist, kann sowohl der Betroffene selbst als auch jeder Dritte (Angehörige, Ärzte) die Einrichtung einer Betreuung beantragen, vgl. § 1896 Abs. 1 BGB. 94 Vgl. MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 42; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 41 f. m.w.N.; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28 m.w.N.; Hau, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1023; J. Prütting/Merrem, in: Prütting, MedR-K, BGB § 630d Rn. 27. 95 MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 42.

90

B. Altersbezogene Differenzierungen

167

fehlenden Mündigkeit Minderjähriger und einem hiermit einhergehenden, erhöhten Schutzbedürfnis.96 Vertreter einer Alleinentscheidungsbefugnis des einwilligungsfähigen Minderjährigen führen zudem die potentiell „weitreichenden Folgen“ einer Bejahung der Einwilligungsfähigkeit ins Feld, da hiermit eine autonome Entscheidungsbefugnis des minderjähriger Patienten begründet wird.97 Dass die Rechtsordnung nicht von einer autonomen Gestaltungsbefugnis des noch in der Entwicklung befindlichen Minderjährigen ausgeht, schlägt sich bereits darin ausreichend nieder, dass die Einwilligungsfähigkeit positiv festzustellen ist und nicht wie bei volljährigen Patienten vermutet wird.98 Auch der Verweis auf die Relativität der Einwilligungsfähigkeit überzeugt nur eingeschränkt.99 Er wird jedenfalls dann unzulässig überdehnt, wenn bestimmte Entscheidungsbereiche ohne Rücksicht auf die individuellen Fähigkeiten von vornherein vollständig ausgenommen werden oder die Anforderungen im Vergleich zu volljährigen Patienten unverhältnismäßig hoch angesetzt sind.100 Auch die Rechtsbeziehung zwischen Eltern und Kind rechtfertigt keine inhaltlichen Unterschiede zwischen Volljährigen und Minderjährigen in den tatbestandlichen Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit. Zwar unterliegen Minderjährige aufgrund ihrer Unmündigkeit und ihrer entwicklungsbedingt erhöhten Schutz- und Erziehungsbedürftigkeit anderen regulativen Normprinzipien als Volljährige.101 Das zeigt sich darin, dass sie sich in einem erzieherischen Rahmen befinden, der grundsätzlich den personensorgeberechtigten Eltern die Entscheidungsbefugnis über sämtliche Belange des Kindes zuweist.102 Behandlungsentscheidungen Minderjähriger betreffen damit nicht nur ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre körperliche und seelische Integrität, sondern zusätzlich auch die elterliche Sorge, §§ 1626 Abs. 1, 1629 BGB, Art. 6 Abs. 1 GG, das hiermit korrespondierende Recht des Kindes auf elterliche Entscheidung und den in § 1666 BGB gewährleisteten Schutzanspruch vor den Eltern.103 Die Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger – und damit ihre gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsfähigkeit – steht durch ihre vom elterlichen Sorgerecht „gerahmte“ Rechtsposition 104 unter einem deutlich geringeren Legitimationsdruck als bei Volljährigen.105 Das wirkt sich jedoch nur auf Ebene der hiermit verbundenen Folgen aus; etwa im Rahmen der Einwilligungszuständigkeit und der Vertragsschlusskompetenz.106 96

NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28 m.w.N. J. Prütting/Merrem, in: Prütting, MedR-K, BGB § 630d Rn. 27; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 42; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 41 f. m.w.N.; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28 m.w.N. 98 Ausführlich hierzu Kap. 5 B I. 99 Vgl. hierzu Kap. 4 B I. 100 So etwa MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 42 und J. Prütting/Merrem, in: Prütting, MedR-K, BGB § 630d Rn. 29, die die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger für Tätowierungen und andere wunschmedizinische Maßnahmen generell verneinen. 101 Lorenz, NZFam 2017, 782, 785 ff. m.w.N.; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28 m.w.N. 102 MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 32; Lorenz, NZFam 2017, 782. 103 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 988; Lorenz, NZFam 2017, 782, 785. Näher zum kindl Schutzanspruch Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl. 2010, § 57 Rn. 100 ff. 104 Lorenz, NZFam 2017, 782, 784. 105 Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 186. 106 So auch Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 187; Lorenz, NZFam 2017, 782, 785 f. Näher hierzu Kap. 8 A II 2 a) und B II. 97

168

5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

Die gleichen Erwägungen gelten auch für sehr alte Menschen. Das BGB orientiert sich bei Erwachsenen aus guten Gründen nicht an statistischen Altersnormen.107 Weder legt es andere Kriterien zu Grunde, noch stellt es bei älteren Menschen niedrigere Anforderungen an die Handlungsfähigkeit als bei jüngeren.108 Entsprechend lassen sich auch für die Einwilligungsfähigkeit keine Abweichungen vom Regelmaßstab legitimieren.

C. Inhaltliche Differenzierungen C. Inhaltliche Differenzierungen

Neben dem Alter, werden auch Inhalt und Umstände der Behandlungsentscheidung als maßgebliche Einflussgrößen der Einwilligungsfähigkeit diskutiert.

I. Inhalt der Entscheidung: Partielle Einwilligungsunfähigkeit Wie gezeigt wirkt sich der Entscheidungsinhalt, d.h. die Frage, ob die zu behandelnde Person der Behandlung zustimmt oder die Behandlung ablehnt, nicht auf die Anforderungen aus, die im Einzelfall an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen sind. Ebenso wenig ist maßgeblich, ob die Entscheidung des Patienten objektiv vernünftig ist oder nicht.109 Denkbar ist aber eine partielle, auf einen bestimmten Lebensbereich begrenzte Einwilligungsunfähigkeit. Eine partielle Einwilligungsunfähigkeit wird in Rechtsprechung und Schrifttum analog zur Geschäftsfähigkeit erwogen.110 Anerkannt ist dies etwa für psychische Erkrankungen. Ist die Einwilligungsfähigkeit des Patienten für Entscheidungen, die mit einer psychischen Erkrankung zusammenhängen, vollständig aufgehoben, etwa weil dem Patienten die Krankheits- oder Behandlungseinsicht fehlt, ist hiermit noch nichts über die Fähigkeit, sonstige Gesundheitsentscheidungen zu treffen, gesagt. Der für die psychiatrische Grunderkrankung konkret einwilligungsunfähige Patient kann für Entscheidungen, auf die sich die fehlende Krankheitseinsicht nicht erstreckt, im Einzelfall einwilligungsfähig sein; beispielsweise, wenn es darum geht über eine Behandlung für eine somatische Erkrankung zu entscheiden.111 Das folgt schon aus der Einzelfallbezogenheit der Einwilligungsfähigkeit. Die Rechtsfigur der partiellen Einwilligungsunfähigkeit hat somit anders als bei der Geschäftsfähigkeit nur eine klarstellende Funktion.112 Diese ist aber in Anbetracht der noch immer verbreiteten Gleichsetzung von Einwilligungsunfähigkeit und Unmündigkeit nicht zu unterschätzen.

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Cording, Fortschr Neurol Psychiat 72 (2004), 147, 153. Cording, Fortschr Neurol Psychiat 72 (2004), 147, 153. 109 Ausführlich hierzu Kap. 4 A II. 110 Vgl. etwa OLG Zweibrücken, NStZ 2011, 707, 708; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 44 m.w.N. Grundlegend zum Ganzen Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 64 f. m.w.N.; Lipp, in: ders. (Hrsg), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 16. 111 Vgl. nur OLG Zweibrücken, NStZ 2011, 707, 708. Krit. hierzu Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 65 m.w.N. 112 Ähnlich auch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit 2004, S. 63 f.; vgl. a. unten Kap. 5 A. 108

D. Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit und zweistufige Prüfung

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II. Charakteristika des Eingriffs: Relativität des Beurteilungsmaßstabs Ungleich relevanter für den Maßstab der Einwilligungsfähigkeit sind die Umstände der Entscheidung. Wie gezeigt werden konnte, beeinflussen Schwere, Risiken und Indiziertheit des geplanten Eingriffs den Beurteilungsmaßstab (sog. Relativität der Einwilligungsfähigkeit).113 Welche Umstände hierfür heranzuziehen sind, ergibt sich aus dem Wesen der Einwilligung als Dispositionsbefugnis über die eigenen Rechtsgüter.114 Aus dem Dispositionscharakter der Einwilligung folgt, dass nur solche Umstände einzubeziehen sind, die im Zusammenhang mit dem preiszugebenden Rechtsgut stehen. Sonstige Umstände wie etwa die Höhe der Behandlungskosten, die wirtschaftliche Schwierigkeit oder die Vernünftigkeit der Entscheidung haben hingegen außer Betracht zu bleiben.115

D. Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit und Erfordernis einer zweistufigen Prüfung D. Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit und zweistufige Prüfung

Nicht nur die Rolle des Alters, der Entscheidungsinhalt und die Umstände der Entscheidung werfen komplexe Rechtsfragen auf. Auch die Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit werden kontrovers diskutiert. Gleiches gilt für die vor allem im Strafrecht geforderte zweistufige Beurteilung der Einwilligungs(un)fähigkeit.116

I. Die traditionelle Auffassung zur zweistufigen Prüfung der Einwilligungsfähigkeit Die Befürworter einer zweistufigen Prüfung der Einwilligungsfähigkeit greifen auf den Standard zur Beurteilung der Schuldfähigkeit zurück. Hiernach ist auf der ersten Stufe zu ermitteln, ob ein „psychischer Defekt (vorliegt), der den Betroffenen von einem gesunden Erwachsenen unterscheidet“ und „Krankheitswert“ hat.117 Auf der zweiten Stufe schließt sich die eigentliche Prüfung an. Hier wird beurteilt, welche Fähigkeiten in welchem Ausmaß konkret beeinträchtigt sind.118 Der ersten Stufe 113

Ausführlich hierzu Kap. 4 B I. Näher zur Einwilligung als Dispositions- und Preisgabemöglichkeit oben Kap. 1 B I 1. 115 Näher hierzu oben Kap. 4 B I. 116 Vgl. etwa Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 558; ders., ZStW 104 (1992), 821, 823 f.; ders., in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 27 und S. 33; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 3 und S. 166 ff., insbes. S. 184 ff.; ähnlich für das Zivilrecht auch Zimmermann, Auswirkungen des Betreuungsrechts, 1997, S. 176. 117 Vgl. Amelung, in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 33; zust. Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 168. Amelung bezeichnet dies als „biologische(s) Erfordernis“, vgl. ders., ebenda, S. 33. Die Rechtsprechung hat sich, soweit ersichtlich, bisher nicht mit der Frage befasst, ob die Prüfung der Einwilligungsfähigkeit an Eingangskriterien gebunden sein soll. Krit. zum Kriterium des Krankheitswerts bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit Fischer, StGB, § 20 Rn. 38 f. 118 Nach Amelung, in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 33 sind auf der zweiten Stufe analog zur Schuldunfähigkeit die „psychologischen 114

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5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

kommt damit eine Art Filterfunktion zu, mit der bestimmte Abweichungen von der Norm von vornherein von der Überprüfung der Einwilligungsunfähigkeit ausgeklammert werden.119 Eine Überprüfung der Einwilligungsunfähigkeit soll nach Amelung vor allem dann ausgeschlossen sein, wenn ein (psychisch) gesunder Volljähriger lediglich eine aus medizinischer Sicht unvernünftige Einwilligungsentscheidung trifft, ohne dass Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner tatsächlichen Fähigkeiten vorliegen.120

II. Stellungnahme: Keine inhaltliche Engführung auf bestimmte Defekte Diese Argumentation überzeugt nur eingeschränkt. Die inhaltliche Engführung auf Defekte einer besonderen Qualität liegt in den Besonderheiten der Schuldfähigkeit begründet.121 Historisch ging es bei der Regelung des § 20 StGB darum, alle nicht „krankhaften“ Defekte von vornherein aus der „Bewertung für die Frage der Schuldfähigkeit aus(zunehmen)“.122 Die erste Stufe wurde gewissermaßen als „Nadelöhr“ konzipiert, mit der bestimmte Fälle tatsächlicher Schuldunfähigkeit ausgeschlossen werden sollten, wenn sie nicht durch „biologische“ Defekte verursacht wurden.123 Diese Engführung ist bereits für die Schuldfähigkeit stark umstritten. 124 Für die Einwilligungsfähigkeit kann sie noch weniger überzeugen. Neben den zahlreichen Abgrenzungsschwierigkeiten, die die in der Literatur vorgeschlagene Ausklammerung von physischen Defekten und psychischen Defekten ohne Krankheitswert aufwirft,125 berücksichtigt sie den Fürsorgeaspekt der Beurteilung der EinwilAuswirkungen (des) biologischen Befundes“ zu prüfen, etwa „verzerrte Wertungen, unzureichende Erfassung von Tatsachen, Folgen oder Alternativen“ oder die „Unfähigkeit zur einsichtsgemäßen Selbstbestimmung“. 119 So vertritt etwa Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 824, dass „nur psychische Defekte“ mit Krankheitswert die Einwilligungsfähigkeit ausschließen könnten und physische Defekte „ohne Belang“ seien; zust. Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 167 f. und S. 183 ff., der befürchtet, dass die Einwilligungsfähigkeit anderenfalls ihre „autonomiesichernde Funktion“ einbüßt. 120 Amelung, in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 26 f. 121 Näher hierzu NK-StGB/Schild, § 20 Rn. 21 ff., 33 m.w.N. 122 NK-StGB/Schild, § 20 Rn. 23. Hierbei wurde ein somatischer Krankheitsbegriff zu Grunde gelegt. Der somatische Krankheitsbegriff geht davon aus, dass jede psychische Erkrankung ein biologisches bzw. körperliches Substrat hat, was sich noch heute in der Bezeichnung der ersten Prüfungsebene des § 20 StGB als „biologischer“ Stufe niederschlägt, vgl. NK-StGB/Schild, § 20 Rn. 33 m.w.N. 123 Vgl. NK-StGB/Schild, § 20 Rn. 33 m.w.N. Krit. zur Übertragbarkeit der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB auf die Einwilligungsfähigkeit Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 170 ff., insbes. S. 182 f. 124 Vgl. statt vieler MüKoStGB/Streng, § 20 Rn. 12 ff. sowie NK-StGB/Schild, § 20 Rn. 21 ff. und Rn. 33, jeweils m.w.N. zum Diskussionsstand und zur Normgeschichte. 125 Auch physische Ursachen wie beispielsweise starke Schmerzen, ein besonders schlechter Gesundheitszustand oder pathologische Stressreaktionen können die für die Einwilligungsfähigkeit erforderlichen Fähigkeiten beeinträchtigen. Soweit es darum geht, nur solche Ursachen auszuschließen, die keinen Krankheitswert haben, stößt dieser Ansatz dort an seine Grenzen, wo die Einwilligungsfähigkeit wegen starker emotionaler Belastungen ohne

D. Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit und zweistufige Prüfung

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ligungsunfähigkeit nicht ausreichend.126 Anders als bei der Schuldunfähigkeit geht es bei der Einwilligungsunfähigkeit nicht darum, den Zurechnungszusammenhang fremdschädigender Handlungen aufzuheben, sondern selbstschädigenden Verhaltensweisen des Betroffenen entgegenzuwirken, die nicht von Selbstbestimmung getragen sind. Maßgeblich ist damit allein, ob die erforderlichen Fähigkeiten tatsächlich in einem solchen Ausmaß beeinträchtigt sind, dass das Verdikt der Einwilligungsunfähigkeit gerechtfertigt ist und zum Schutz des Betroffenen vor selbstschädigenden Einwilligungsentscheidungen geboten erscheint.127

III. Das Erfordernis tatsächlicher Defizite in der Willensbildung 1. Keine Überprüfung bei bloßer Unvernünftigkeit der Entscheidung Zuzustimmen ist hingegen der Forderung, dass die Einwilligungsfähigkeit (psychisch) gesunder Volljähriger, die sich gegen medizinischen Rat und damit aus medizinischer Sicht unvernünftig entschieden haben, nicht ohne weitere Anhaltspunkte überprüft werden darf.128 Hierfür ist aber keine verengende erste Stufe notwendig. Das Verbot folgt vielmehr aus der Natur der Einwilligungsfähigkeit selbst. Grundvoraussetzung für eine Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit bei volljährigen Patienten ist, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Fähigkeiten des Betroffenen aus tatsächlichen Gründen gemindert oder aufgehoben sein könnten.129 Die bloße Unvernünftigkeit der Entscheidung kann die tatsächlichen Fähigkeiten

eigenen Krankheitswert tatsächlich aufgehoben ist, näher hierzu unten Kap. 5 D IV 5 a). Zusätzlich ist die Abgrenzung von Gesundheit und Krankheit v.a. bei psychischen Erkrankungen mit besonderen Herausforderungen verbunden. Grundlegend hierzu Friedrich/Schleidgen, in: Beck (Hrsg.), Krankheit und Recht, 2017, S. 25 ff. Krit. zur Verkürzung der Eingangsmerkmale auf Minderjährigkeit, psychische Erkrankung und geistige Behinderung auch Tenthoff, Tötung auf Verlangen, 2008, S. 104. 126 So nimmt etwa Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 167, allein die „autonomiesichernde Funktion“ der Einwilligungsfähigkeit in den Blick. Amelung setzt sich mit ihrer fürsorgerischen Funktion auseinander, plädiert aber dennoch für eine verengende erste Stufe, vgl. ders., NJW 1996, 2393, 2396 f. Näher hierzu oben Kap. 2 B III. 127 So auch Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 68 m.w.N.; weitergehend Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 827 f. und NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 24, die fordern, dass die tatsächlichen Einschränkungen so erheblich sein müssen, dass sie einem selbstständigen menschenwürdigen Dasein entgegenstehen; krit. hierzu Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 184. 128 BGHSt 11, 111, 114 = NJW 1958, 267, 268; OLG München, NJW-RR 2002, 811 = MedR 2003, 174, 176; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 547 und 551; ders., JR 1999, 45, 46; ders./Eymann, JuS 2001, 937, 942; Amelung., in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 26 f.; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 69 m.w.N.; ders., in: Lipp (Hrsg), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 2 Rn. 13; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419; vgl. a. Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257, 258 und BT-Drs. 16/8442, S. 7 f. A.A. Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 26; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 57; Heide, Zwangsbehandlung, 2001, S. 156 und Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 71. 129 So auch Amelung, NJW 1996, 2393, 2396 f.

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5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

des Betroffenen aus sich heraus weder beeinträchtigen noch aufheben. 130 Eine unvernünftige Einwilligungsentscheidung kann ein Indiz für geminderte tatsächliche Fähigkeiten sein.131 Das ist aber keinesfalls zwingend.132 In der Konsequenz ist damit auch in lebensbedrohlichen Situationen eine Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit verwehrt, wenn die objektiv unvernünftige Entscheidung nicht auf einem Fähigkeitsdefizit beruht, sondern beispielsweise religiös motiviert ist oder auf den individuellen Wertvorstellungen und Präferenzen des Entscheidenden beruht. 133 Das gilt selbst dann, wenn der Patient aufgrund seines Glaubens vital indizierte Maßnahmen ablehnt, die medizinisch gesehen weitgehend unbedenklich sind, wie etwa Bluttransfusionen.134 2. Keine Indizwirkung der Betreuerbestellung Gleiches gilt für die Betreuerbestellung. Der Umstand, dass ein Patient unter rechtlicher Betreuung steht, ist entgegen einer früher weit verbreiteten und auch heute noch vereinzelt vertretenen Literaturansicht, kein Indiz für die Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen. Eine Indizwirkung kann nur der Grunderkrankung oder Behinderung zukommen, die den Betreuungsbedarf begründet, was im Einzelfall zu prüfen ist.135 Folglich hat der Arzt auch bei Anordnung einer Betreuung in Gesundheitsangelegenheiten nicht bei jeder medizinischen Maßnahme verdachtsunabhängig zu prüfen, ob der Betreute einwilligungsunfähig ist, sondern nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Einschränkung der tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen vorliegen. Das ist häufig aber eben nicht immer wegen der den Betreuungsbedarf begründenden Umstände der Fall.136

IV. Die verbleibende Bedeutung der Eingangsmerkmale Auf der ersten „Stufe“ ist damit lediglich zu prüfen, ob Anhaltspunkte für das Vorhandensein solcher Umstände vorliegen, die die Einwilligungsfähigkeit des Betrof130

Maßgeblich für die Einwilligungsunfähigkeit ist wie gezeigt gerade nicht der Entscheidungsinhalt, sondern das Maß der tatsächlich vorhandenen Fähigkeitsdefizite beim Betroffenen; so auch Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 68 m.w.N. 131 Vgl. Kap. 4 A II; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 68; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419. Das deutet Amelung schließlich auch selbst an, freilich ohne hieraus Konsequenzen für die erste Stufe der Prüfung zu ziehen, vgl. ders., ZStW 104 (1992), 525, 553 m.w.N. 132 Näher zur Ambivalenz objektiv unvernünftiger Entscheidung oben Kap. 4 A II 2 a). 133 OLG München, NJW-RR 2002, 811 = MedR 2003, 174, 176 m. insoweit zust., ansonsten aber krit. Anm. Bender; Ulsenheimer, in: FS Eser, 2005, S. 1235 f.; NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 35a. A.A. noch BGH, NJW 1978, 1206. Näher hierzu Kap. 4 A II 2. 134 OLG München, NJW-RR 2002, 811 = MedR 2003, 174, 176; Bender, MedR 1999, 260; Hessler/Glockentin, MedR 2000, 419 und Bender, MedR 2000, 422. A.A. Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 26. 135 Vgl. Kap. 5 B I 3 b). 136 Beispielsweise können auch körperliche Behinderungen einen Betreuungsbedarf begründen, ohne dass hiermit Einschränkungen der kognitiven oder voluntativen Fähigkeiten des Betroffenen verbunden sind. A.A. wohl Kern, NJW 1994, 753, 755, der die Betreuerbestellung generell als Indiz für die Einwilligungsunfähigkeit wertet. So wie hier NK-StGB/Merkel, § 218a Rn 24.

D. Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit und zweistufige Prüfung

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fenen in einer Weise beeinträchtigen können, dass ihm seine Einwilligungsentscheidung nicht mehr als eigenverantwortliche Erklärung zugerechnet werden kann. Hierbei ist maßgeblich, ob solche „einwilligungsrelevanten Störungen“ vorliegen, die sich einem behandelnden Arzt unmittelbar „oder wenigstens im Verlauf des Aufklärungsgespräches aufdrängen müssen.“137 Die zweite „Stufe“ beinhaltet die Prüfung der Einwilligungsfähigkeit im konkreten Fall.138 Einer zusätzlichen Erheblichkeitsschwelle, wie sie in der Literatur mitunter gefordert wird, bedarf es wie gezeigt nicht.139 Den Eingangsmerkmalen kommt damit in erster Linie eine klarstellende Funktion zu. Durch die Zweistufigkeit der Prüfung wird zudem sichergestellt, dass nicht automatisch vom Vorliegen einer bestimmten Erkrankung, einer Behinderung, eines bestimmten Zustandes oder eines gewissen Alters auf das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit geschlossen werden kann.140 1. Klassische Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit: Junges Alter, psychische Krankheit und geistige Behinderung Die geforderte Verengung auf psychische Defekte mit Krankheitswert und die Abweichung vom gesunden Volljährigen spiegelt sich auch in der Rechtsprechung wider. Hier werden klassischerweise Minderjährigkeit (altersbezogen), psychische Erkrankungen und geistige Behinderungen als Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit genannt.141 Zum Teil findet sich noch der Verweis auf die akute Alkohol- oder Drogenintoxikation (zustandsbezogen), wobei beides häufig als Ausprägung einer

137

Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 34; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn 24. 138 Vgl. Gründel, NJW 2002, 2987, 2988 m.w.N. Diese Wertung deckt sich auch mit der herrschenden Auslegung zu §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB, vgl. nur Zimmermann, BWNotZ 2000, 97, 98 m.w.N.; BeckOK-BGB/Wendtlandt, § 104 Rn. 9 f. m.w.N. 139 So aber Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 829; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 24, die fordern, dass die Schwächen der Einsichts-, Urteils- und Selbstbestimmungsfähigkeit bei volljährigen Personen „generell so erheblich sein müssen, dass sie als Hindernisse eines selbstständigen menschenwürdigen Daseins erscheinen“. Krit. hierzu bereits Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 184. 140 Ganz h.M., vgl. nur BGH, NJW 1959, 811, 812 f. m.w.N.; OLG Zweibrücken, NStZ 2011, 707, 708; BVerfG, NJW 2011, 3571, 3572; Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 27 f.; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 553; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 175 m.w.N.; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 42 und S. 47 m.w.N.; Damm, MedR 2015, 775, 777 und 781 m.w.N.; ders., MedR 2010, 451, 460; sowie aus med. Sicht Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 971 m.w.N.; Okai et al., BJPsych 2007, 291, 296, die in einer systematischen Übersicht zeigen, dass mehrere empirische Studien zur Einwilligungsfähigkeit von psychiatrisch untergebrachten Patienten zu dem Schluss kommen, dass die überwiegende Zahl der Betroffenen in der Lage ist wichtige Behandlungsentscheidungen selbst zu treffen; zu weitgehend daher BVerfG, NJW 1982, 691, 693 und BayVerfGH, NJW 1993, 1520, 1521, die davon ausgehen, dass bei psychischer Erkrankung „die Fähigkeit zur Selbstbestimmung häufig erheblich beeinträchtigt sein (wird)“. 141 Zimmermann, Auswirkungen des Betreuungsrechts, 1997, S. 176; Amelung, in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 33. Ähnlich Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 18, der zusätzlich die Bewusstlosigkeit nennt, geistige Behinderungen jedoch im Wesentlichen ausklammert.

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5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

Suchterkrankung und damit als psychische Erkrankung subsummiert wird.142 Bei den psychischen Erkrankungen hat sich ein juristischer Krankheitsbegriff etabliert, der mit den medizinischen Klassifikationen nicht deckungsgleich ist.143 Im juristischen Schrifttum unterscheidet die herrschende Meinung psychische, neurologische und neuropsychiatrische Erkrankungen nicht, sondern fasst diese einheitlich unter dem Begriff der psychischen Krankheit zusammen.144 Psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen kommt nach einhelliger Meinung nur eine Indizwirkung zu. Ihr Vorliegen kann zu einer entsprechenden Beeinträchtigung der erforderlichen Fähigkeiten führen. Sie haben jedoch nicht per se die Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen zur Folge.145 Eine genuin andere Fallgruppe bilden die minderjährigen Patienten. Die fehlende Volljährigkeit entkräftet nicht die in Vermutung der Einwilligungsfähigkeit. Die Unmündigkeit des Minderjährigen indiziert vielmehr dessen Einwilligungsunfähigkeit, so dass im Einzelfall positiv geprüft werden muss, ob der minderjährige Patient bezogen auf die anstehende Entscheidung bereits einwilligungsfähig ist.146 Alle drei Merkmale (Alter, Krankheit und Behinderung) beeinflussen sehr verschiedene Aspekte der Einwilligungsfähigkeit.147 Das gilt vor allem für die relevanten psychischen Erkrankungen.148 Hierbei ist zu beachten, dass nicht jede psychische Krankheit Anlass zur Prüfung der Einwilligungsfähigkeit bietet, sondern nur solche, die die rechtlich relevanten tatsächlichen Fähigkeiten potentiell beeinträchtigen können.149 Bei diesen Krankheitsbildern lassen sich empirisch keine bestimmten Krankheitswerte ausmachen, die die Grenze zur Einwilligungsunfähigkeit im konkreten Fall markieren.150 Dennoch legen bestimmte Krankheitsbilder wegen ihres 142

Vgl. Amelung, in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 33; ders., NJW 1996, 2393, 2395 f. Krit. hierzu Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 184. Die Rechtsprechung ordnet die Alkoholintoxikation keiner Kategorie zu, vgl. RGSt 41, 392, 395; BGHSt 4, 88, 90 ff. = NJW 1953, 912; NStZ 2000, 87, 88. Näher zur Wechselwirkung von Alkohol- und Drogenintoxikation und Einwilligungsfähigkeit, Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 172 f. m.w.N. und Metz, NStZ-RR 2014, 329, 330 sowie aus medizinischer Sicht Wetterling/Junghanns, Med Klin Intensivmed Notfmed 2018, doi: 10.1007/s00063018-0404-3. 143 Vgl. Amelung, NJW 1996, 2393, 2396 f.; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 68; Nedopil, Nervenarzt 2009, 611, 612. 144 Vgl. Amelung, in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, S. 33; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 185 f. 145 Ganz h.M., vgl. nur BVerfG, NJW 2011, 3571, 3572; BGH, NJW 1959, 811, 812 f. m.w.N.; OLG Zweibrücken, NStZ 2011, 707, 708; Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 27 f.; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 175 m.w.N.; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 42 und S. 47 m.w.N.; Damm, MedR 2015, 775, 777 und 781 m.w.N.; ders., MedR 2010, 451, 460; sowie aus medizinischer Sicht Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 971 m.w.N.; Okai et al., BJPsych 2007, 291, 296. 146 Näher hierzu oben Kap. 5 B I 2. 147 DGPPN, Nervenarzt 2014, 1419, 1421 (S. 3). 148 Ausführlich hierzu Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006) 1054, 1069; Vollmann, Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 105 ff.; Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 971. 149 Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 34. 150 Gründel, NJW 2002, 2987, 2988; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 184. Ausführlich zur Prävalenz der Einwilligungsunfähigkeit bei verschiedenen Krankheitsbildern Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 971 m.w.N.; Okai et al., BJPsych 2007, 291, 293.

D. Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit und zweistufige Prüfung

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typischen Verlaufs das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit nahe.151 So kann etwa eine fortgeschrittene Demenz mehr oder weniger stark das Informationsverständnis und die Urteilsfähigkeit beeinträchtigen.152 Wahnvorstellungen, wie etwa in psychotischen Phasen einer Schizophrenie, können hingegen die Fähigkeit zur Krankheitseinsicht vermindern oder sogar aufheben.153 Schwere Depressionen wiederum können die Fähigkeit, eine Entscheidung zu treffen und zu äußern einschränken.154 2. Einwilligungsunfähigkeit als Folge physischer Erkrankungen Während der überwiegende Teil des Schrifttums die krankheitsbedingte Einwilligungsunfähigkeit auf psychische Ursachen verengt, setzt sich die Rechtsprechung auch mit verschiedenen körperlichen Erkrankungen und Symptomen auseinander, die die Einwilligungsfähigkeit beeinträchtigen können. Im Schrifttum hingegen werden körperliche Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit bisher, trotz ihrer hohen praktischen Bedeutung155, nur selten thematisiert.156 a) Schlechter Allgemeinzustand Einhellig anerkannt ist, dass bei körperlichen Erkrankungen das Kranksein an sich in der Regel nicht die Einwilligungsfähigkeit beeinträchtigt.157 Der Patient ist zwar typischerweise durch seine Erkrankung geschwächt, vulnerabel und belastet.158 Insbesondere schwerere Erkrankungen können dem Betroffenen zudem eine erhebliche Entscheidungslast auferlegen und das Wertesystem – wie auch bei sonstigen schweren Schicksalsschlägen – verändern. Diese Umstände sind schwierigen Entscheidungssituationen aber generell eigen und wirken sich in der Regel nicht negativ auf die tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen aus. 159 Das kann anders zu 151

Dennoch muss die Einwilligungsunfähigkeit auch hier jeweils konkret festgestellt werden, vgl. Gründel, NJW 2002, 2987, 2988 m.w.N. 152 Die Äußerungsfähigkeit und auch die Krankheits- und Behandlungseinsicht bleiben hingegen relativ lange erhalten, vgl. Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 22 m.w.N. 153 Wegen der unterschiedlichen Ausprägungen lassen sich v.a. bei psychotischen Erkrankungen keine generellen Rückschlüsse auf die Einwilligungsfähigkeit der Betroffenen ziehen, vgl. Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 165 m.w.N. Das belegen auch Studien, denen zufolge ein erheblicher Teil der Schizophrenie-Patienten in der psychiatrischen Unterbringung konkret einwilligungsfähig ist, siehe Grisso/Appelbaum, Law & Human Behavior 1995, 149, 158 ff., insbes. S. 168; Wong et al., Psychol Med 2000, 295, 301. 154 Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 165 m.w.N.; weitere Bsp. bei Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 21 ff. und S. 42 ff.; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 175; Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 971 m.w.N.; Kröber, Rechtsmedizin 1998, 41, 43 ff.; ABA/APA, Assessment of Older Adults, 2008, S. 183 ff. 155 Vgl. nur Lamont et al., J Clin Nurs, 2013, 2387, 2388; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006) 1054, 1063; Damm, MedR 2002, 375, 381 und Aebi-Müller, MedR 2018, 785, 787. 156 Etwa bei Kothe, AcP 185 (1985), 105, 150; Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 340 ff; Laufs, Anm. zu BGH, NJW 1992, 2372, 2373; Kern, NJW 1994, 753, 755 f.; Damm, MedR 2002, 375, 381; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 167; Aebi-Müller, MedR 2018, 785, 787. 157 BGHZ 29, 46, 49 = NJW 1959, 811, 812; Bichler, GesR 2014, 208, 209 m.w.N. Näher hierzu Damm, MedR 2002, 375, 381 m.w.N. 158 Bichler, GesR 2014, 208, 209. 159 Bichler, GesR 2014, 208, 209.

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5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

beurteilen sein, wenn der gesundheitliche Allgemeinzustand des Erkrankten besonders schlecht ist. Eine stark beeinträchtigte körperliche Verfassung kann im Einzelfall derart negativ auf den psychischen Zustand des Betroffenen zurückwirken, dass dieser konkret einwilligungsunfähig ist.160 Das gilt etwa im fortgeschrittenen Stadium schwerer Erkrankungen, wo es durch Medikamente, zusätzliche Infektionen, Ungleichgewichte im Wasserhaushalt und Elektrolytstörungen zu Verwirrtheitszuständen kommen kann, die die tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen stark vermindern.161 Ob die tatsächlichen Defizite im konkreten Fall ein solches Ausmaß erreichen, muss sorgfältig geprüft werden. Keinesfalls erlaubt eine schlechte gesundheitliche Verfassung allgemeine Schlüsse auf die Einwilligungsunfähigkeit des betroffenen Patienten.162 b) Bewusstlosigkeit und starke Schmerzen Bei Bewusstlosigkeit ist die Einwilligungsfähigkeit vollständig aufgehoben, so dass es keiner Prüfung im Einzelfall bedarf.163 Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, unter welchen Umständen starke Schmerzen die Einwilligungsfähigkeit aufheben.164 Wegen der subjektiv stark variierenden Schmerzwahrnehmung kann sich die Einschätzung der Einwilligungsunfähigkeit hier nicht an typischen Verläufen orientieren. Vielmehr muss jeweils genau geprüft werden, ob und in welchem Maß die tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen schmerzbedingt beeinträchtigt sind. In Betracht kommt dies etwa bei Notfallpatienten mit einem akuten Magendurchbruch165 aber auch bei Geburtsschmerzen. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass früher oder später jede gebärende Frau in einen Zustand gelangt, in dem sie durch die psychischen und physischen Belastungen des Geburtsvorganges, die starken Schmerzen und die Einwirkung verabreichter Schmerzmittel, jedenfalls bezogen auf folgenreiche Entscheidungen einwilligungsunfähig ist. 166 Da der konkrete Zeitpunkt von Frau zu Frau variiert und einfachere Entscheidungen hiervon regelmäßig nicht betroffen sind, muss im Einzelfall zumindest kursorisch geprüft werden, ob die Patientin noch in der Lage ist, selbst zu entscheiden oder nicht. Einen allge160

BGH, NJW 1987, 2291; vgl. a. ABA/APA, Assessment of Older Adults, 2008, S. 182 und Lamont et al., J Clin Nurs, 2013, 2387, 2388. Krit. zu neueren, an die „imperfekte Autonomie“ Schwerstkranker anknüpfenden, paternalistischen Tendenzen Damm, MedR 2002, 375, 381 m.w.N. 161 Kusch et al., Klinische Psychoonkologie, 2013, S. 18 f.; Kern, NJW 1994, 753, 756. Näher zur Frage, inwieweit ein chronischer Leidensdruck die Einwilligungsfähigkeit beeinträchtigen kann Groß/Joschko, GuP 2019, 91, 93 f. 162 Damm, MedR 2002, 375, 381. 163 Kern, NJW 1994, 753, 755. 164 Vgl. hierzu BGH, NJW 1993, 2372, 2373; OLG Saarbrücken, VersR 88, 95; OLG Frankfurt a.M., MedR 1984, 194, 196 = VersR 1984, 289; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 65; vgl. a. Kern, NJW 1994, 753, 757; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 27; näher zur Auswirkung von Schmerzen auf die Einwilligungsfähigkeit bei fortgeschrittenen onkologischen Erkrankungen Kusch et al., Klinische Psychoonkologie, 2013, S. 19. 165 OLG Saarbrücken, VersR 88, 95; angedeutet auch in BGH, NJW 1978, 1206 für besonders starke chronische Kopfschmerzen. 166 BGH, NJW 1993, 2372, 2373 m. Anm. Laufs zur Entscheidung zwischen vaginaler Geburt und Kaiserschnittentbindung.

D. Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit und zweistufige Prüfung

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meinen Erfahrungssatz, dass starke Schmerzen die Einwilligungsfähigkeit immer einschränken oder gar aufheben, gibt es nach der Rechtsprechung nicht. 167 3. Einwilligungsunfähigkeit als Folge der Behandlung Schließlich kann der Patient oder die Patientin die Einwilligungsfähigkeit auch in Folge der Behandlung verlieren. Das kommt vor allem als unerwünschte Wirkung einer medikamentösen Therapie in Betracht, etwa bei sedierenden oder schmerzstillenden Medikamenten.168 Entsprechend hat die Rechtsprechung die Einwilligungsfähigkeit einer Patientin verneint, die unmittelbar vor einer Operation „unter der Einwirkung von Spritzen stand, die sich in einer Teilnahmslosigkeit gegenüber der Umwelt bemerkbar machten“, wodurch ihre „innere Widerstandskraft und die Urteilsfähigkeit (…) wesentlich gemindert“ waren.169 Möglich sind überdies kognitive Beeinträchtigungen nach Chemotherapie oder Bestrahlung in der Onkologie, die die Informationsverarbeitung, die Aufmerksamkeit und das Kurzzeitgedächtnis betreffen können.170 Es erscheint aber zweifelhaft, ob diese vorwiegend leicht bis mittelgradigen Defizite die Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall ausschließen können. 4. Einwilligungsunfähigkeit als Folge hohen Alters Auch das hohe Alter wird, wie gezeigt, als eigenständige Ursache der Einwilligungsunfähigkeit thematisiert.171 Jedoch ist nach aktuellem Forschungsstand unklar, ob rein altersbedingte Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten im Einzelfall zur Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen führen können.172 Zwar steigt die Prävalenz der situationsbezogenen Einwilligungsunfähigkeit mit zunehmendem Alter.173 Die Gründe hierfür sind indes nicht abschließend bekannt. So lässt sich insbesondere nicht sicher feststellen, ob die Zunahme des Anteils einwilligungsunfähiger Personen im Alter auch auf den natürlichen Altersprozess zurückzuführen ist oder ob dies allein dem Umstand geschuldet ist, dass psychische und neurologische Erkrankungen im Alter stark zunehmen.174 Hohes Alter allein sollte deshalb nicht als Indiz für die Einwilligungsunfähigkeit herangezogen werden, sofern nicht weitere Anhaltspunkte für eine Einschränkung der kognitiven und voluntativen Fähigkeiten vorliegen.

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OLG Koblenz, NJW 2015, 79 = MedR 2015, 422, 424. Näher zur Frage auch Groß/Joschko, GuP 2019, 91, 93 f. 168 BGH, NJW 1974, 1422, 1423; OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1679, 1680; OLG München, Urt. v. 10.02.2011 – 1 U 2382/10; OLG Koblenz, MedR 2016, 535 m. Anm. Janda (EWF trotz Schmerzmittel bejaht); Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 174 m.w.N. 169 OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1679, 1680; vgl. a. BGH, NJW 1974, 1422, 1423. 170 Kusch et al., Klinische Psychoonkologie, 2013, S. 18. 171 Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006) 1054, 1064; Okai et al., BJPsych 2007, 291, 295. 172 Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 167; Cording, Fortschr Neurol Psychiat 72 (2004), 147, 153 m.w.N. 173 Okai et al., BJPsych 2007, 291, 295. 174 Okai et al., BJPsych 2007, 291, 295; Cording, Fortschr Neurol Psych 72 (2004), 147, 153.

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5. Kapitel: Konzeptionelle Aspekte der Einwilligungsfähigkeit

5. Weitere potentielle Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit Im medizinischen, ethischen und psychologischen Schrifttum werden weitere Ursachen für den situativen Verlust der Einwilligungsfähigkeit thematisiert. a) Starke Emotionen und starke Müdigkeit So können etwa starke Emotionen und starke Müdigkeit die zur Einwilligung erforderlichen Fähigkeiten vermindern.175 Hierbei muss die Beeinträchtigung im Einzelfall so stark sein, dass es gerechtfertigt erscheint, nicht mehr von einer eigenverantwortlichen Entscheidung des Betroffenen auszugehen. Dies wurde von der Rechtsprechung bisher nur im Zusammenspiel mit anderen Faktoren wie etwa einer nicht unerheblichen Alkoholisierung bejaht.176 b) Optimistische Fehlannahme und therapeutisches Missverständnis Im Forschungskontext werden daneben die psychologischen Phänomene der optimistischen Verzerrung („optimistic bias“) und des therapeutischen Missverständnisses („therapeutic misconception“) als Herausforderung für die Einwilligungsfähigkeit von Probanden in klinischen Studien genannt.177 Während die optimistische Verzerrung die Fehleinschätzung des eigenen Nutzens der Studienteilnahme sowie der hiermit verbundenen Risiken beschreibt, missverstehen die Probanden beim therapeutischen Missverständnis, dass es sich um eine klinische Studie und nicht um eine indizierte Behandlung handelt.178 Insbesondere bei austherapierten schwerstkranken Patienten, die an klinischen Studien zur Erforschung neuer Therapien teilnehmen, wurden diese Phänomene nachgewiesen.179 Die Ursachen für die fehlerhafte Risiko-Nutzen-Bewertung sind jedoch vielfältig und lassen sich nicht allein auf mögliche, durch die Ausweglosigkeit der eigenen Erkrankung verursachte Einschränkungen der Urteilsfähigkeit zurückführen.180 Zudem legen Studien nahe, dass beide Fehleinschätzungen durch gezielte Informationsangebote deutlich reduziert werden können und die Phänomene isoliert betrachtet kein Indiz für das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit für die Studienteilnahme darstellen.181

175 Feinberg, Harm to Self, 1986, S. 340 f.; Charland, Kennedy Inst Ethics J 1998, 359; Berghmans et al., AJOB Neuroscience 2011, 66; Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 84; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 20; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 228 Rn. 13. 176 Vgl. BGH, NStZ 2000, 87, 90; s.a. NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 20; BeckOKStGB/Eschelbach, § 228 Rn. 13. 177 Vgl. Christopher et al., PLoS One 2017, e0184224; McConville, Bioethics 2017, 711; Jansen, J Med Philos 2018, 342; Shepperd/Plogge/Howell, Consciousness and Cognition 2017, 69; Appelbaum/Lidz, in: Emanuel et al. (Hrsg.), Clinical Research Ethics, 2008, S. 633 ff. 178 McConville, Bioethics 2017, 711; Appelbaum/Lidz, in: Emanuel et al. (Hrsg.), Clinical Research Ethics, 2008, S. 633 m.w.N. 179 Ausführlich hierzu Agrawal/Emanuel, JAMA 2003, 1075, 1079 ff. m.w.N. 180 Agrawal/Emanuel, JAMA 2003, 1075, 1080. 181 Vgl. Christopher et al., PLoS One 2017, e0184224.

E. Fazit

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E. Fazit E. Fazit

Die Einwilligungsunfähigkeit beschreibt den punktuellen Ausschluss der bereichsspezifischen, für die Erteilung der Einwilligung erforderlichen, Handlungsfähigkeit. Hiervon zu unterscheiden ist die Mündigkeit des Patienten. Diese ist formal an die Vollendung des 18. Lebensjahres geknüpft und begründet die grundsätzliche Vermutung der Einwilligungsfähigkeit des volljährigen Patienten. Mangels eines vergleichbaren Vermutungstatbestands ist die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten als bereichsspezifische Zulassung zum Rechtsverkehr in jedem Einzelfall positiv festzustellen. Eine vergleichbare, altersbedingte Vermutungsumkehr für hochaltrige Menschen kennt das deutsche Recht nicht. Die Mündigkeit und mit ihr die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit bleibt vielmehr bis zum Lebensende unabhängig von etwaigen tatsächlichen Fähigkeitsdefiziten des Patienten bestehen. Bestimmte Umstände können die Vermutungswirkung der Mündigkeit erschüttern. Hierzu zählen psychische Erkrankungen und geistige Behinderungen, die die die Einsichts-, Urteils- Steuerungs- und Äußerungsfähigkeit beeinträchtigen können ebenso wie ein besonders schlechter Gesundheitszustand, Bewusstlosigkeit und starke Schmerzen. Die situative Einwilligungsunfähigkeit des Patienten kann auch durch bewusstseinsbeeinflussende Medikamente verursacht werden sowie durch Intoxikationen, Alkohol und/oder Drogen. Auch starke Emotionen und erhebliche Müdigkeit können die Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall einschränken. Demgegenüber fehlen bislang hinreichende Belege für vergleichbare Beeinträchtigungen durch den natürlichen Alterungsprozess. Ebenfalls keine „Ursache“ der Einwilligungsunfähigkeit ist die Minderjährigkeit. Die Unmündigkeit minderjähriger Patienten führt vielmehr dazu, dass ihre Einwilligungsunfähigkeit widerleglich vermutet wird. Der Entscheidungsinhalt wirkt sich nicht auf die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit aus. Die Umstände, v.a. Risiken, Schwere und Indiziertheit des Eingriffs beeinflussen hingegen das Maß der erforderlichen Fähigkeiten (Relativität). Strukturell ist eine zweistufige Prüfung der Einwilligungs(un)fähigkeit geboten. Eine verengende erste Stufe ist demgegenüber abzulehnen. Maßgeblich ist vielmehr, ob konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Fähigkeiten des Betroffenen aus tatsächlichen Gründen gemindert oder aufgehoben sein könnten. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Einwilligungsfähigkeit volljähriger Patienten nur bei Bestehen tatsächlicher Defizite überprüft wird und nicht auch bei (medizinisch) unvernünftigen Behandlungsentscheidungen oder einer bestehenden Betreuung. Zudem kann durch die zweistufige Prüfung vorschnellen Schlüssen vom Vorliegen eines bestimmten Krankheits- oder Zustandsbildes auf das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit entgegengewirkt werden.

Kapitel 6: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit 6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

Die Einwilligungsfähigkeit berührt verschiedenste Disziplinen. Für die rechtliche Auseinandersetzung sind vor allem die Diskurse in der Psychologie und Medizin, den Gesundheits- und Verhaltenswissenschaften sowie der Medizinethik relevant.1 Während sich erstere primär mit der Operationalisierung und Messung der Einwilligungsfähigkeit befassen, widmet sich die Medizinethik vor allem konzeptionellen Fragen.

A. Die Einwilligungsfähigkeit aus medizinischer und psychologischer Sicht A. Die Einwilligungsfähigkeit aus Sicht der Medizin und Psychologie

Die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit wird – vorangetrieben durch die ethisch-rechtliche Debatte zur Patientenautonomie – nicht nur in der klinischen Praxis immer bedeutsamer.2 Auch die medizinische und psychologische Forschung3 nehmen sich der Einwilligungsfähigkeit zunehmend an, so dass die Thematik auch in den empirischen Fächern in jüngerer Zeit an Relevanz gewonnen hat.4 Zwar ist die Einwilligungsfähigkeit als Voraussetzung der informierten Einwilligung kein originär empirisches Kriterium.5 Psychologische Forschung und klinische Praxis leisten jedoch einen wesentlichen Beitrag dazu, sie innerhalb des durch das Recht gezogenen Handlungsrahmens praktisch wirksam werden zu lassen. 6

I. Herausforderungen des Zusammenwirkens von Recht, Medizin und Psychologie Durch die unterschiedlichen disziplinären Logiken von Recht, Medizin und Psychologie ergeben sich Reibungspunkte. Während die rechtliche Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit jeweils innerhalb einer konkreten Rechtsordnung erfolgt und damit von Land zu Land variieren kann,7 ist die Diskussion zur Einwilligungsfähigkeit in der Psychologie und Medizin international ausgerichtet. Hierdurch 1

Näher zur Relevanz außerrechtlicher Befunde für das Recht oben Kap. 1 C I 1 b). Vgl. Okai et al., BJPsych 2007, 291; Helmchen, Nervenarzt 2015, 1040 f. 3 Vgl. Moye et al., American Psychologist 2013, 158. 4 Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1324; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054; Helmchen, Nervenarzt 2015, 1040 f.; Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 22. Die psychologische Forschung zur Einwilligungsfähigkeit reicht zwar schon 40 Jahre zurück, Moye et al., American Psychologist 2013, 158. Sie stellt jedoch erst seit den 1990er Jahren ein eigenes Forschungsfeld dar. Näher zur Entwicklung, Moye et al., ebenda, 166. 5 Vgl. Kap. 2 A. 6 Vgl. Berg et al., Informed Consent. 2001, S. 96. 7 Näher hierzu Markus, Einwilligungsfähigkeit im amerik. Recht 1995, S. 147 ff.; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 110 ff.; Gleixner-Eberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 298 ff., insbes. S. 300 ff. 2

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Genske, Gesundheit und Selbstbestimmung, Kölner Schriften zum Medizinrecht 23, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1_6

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6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

kommt es zu Spannungen und Widersprüchen zwischen den Operationalisierungen und den länderspezifischen rechtlichen Vorgaben.8 Hinzu kommt, dass in der Medizin überwiegend krankheitsbezogen geforscht wird, was sich in der sehr feingliedrigen Ausgestaltung der Messinstrumente zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit widerspiegelt.9 Diese variieren nicht nur hinsichtlich der betroffenen Personengruppe und des Krankheitsbildes, sondern auch im Hinblick auf die erfassten Entscheidungssituationen und die zugrunde liegenden normativen Grundannahmen. 10 Eine der größten Herausforderungen besteht somit darin, die Operationalisierungen mit den jeweils geltenden Vorgaben des nationalen Rechts in Einklang zu bringen.11 Ziel dieses Abschnitts ist es daher, den empirischen Standard zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit aufzuarbeiten und zu prüfen, inwieweit dieser den rechtlichen Vorgaben in Deutschland entspricht. Hierzu werden neben der wissenschaftlichen Literatur auch Studien zur ärztlichen Beurteilung im Behandlungsalltag sowie Leitlinien, Empfehlungen und Stellungnahmen der medizinischen Fachgesellschaften herangezogen.12

II. Empirische Modelle der Einwilligungsfähigkeit und ihre Operationalisierung Die wissenschaftliche Forschung fokussiert sich primär auf die Entwicklung und Validierung zuverlässiger Verfahren zur Messung der Einwilligungs(un)fähigkeit. In den vergangenen Jahren wurden vor allem in der psychologischen Forschung zahlreiche Testverfahren entwickelt.13 Medizin und Psychologie widmen sich darüber hinaus auch den zu Grunde liegenden theoretischen Modellen sowie dem Zusammenspiel zwischen klinischer Erfahrung und strukturierter Erhebung. 1. Beurteilung mithilfe strukturierter Beurteilungsinstrumente Bis in die 2000er Jahre galt in der Medizin die informelle Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit durch den behandelnden Arzt auf Basis von Gesprächen mit dem Patienten und der Anamnese als Goldstandard.14 Empirisch wurde dieses Vorgehen

8 Näher hierzu Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2388 m.w.N.; Okai et al., BJPsych 2007, 291, 295; Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1325 m.w.N., Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 971. Die rechtliche Vielfalt trägt ihrerseits zur Vielfalt an Operationalisierungen der Einwilligungsfähigkeit bei, vgl. Ruhe et al., Eur J Pediatr 2015, 775, 777 f. 9 Für einen Überblick S. Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387 und Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954. 10 Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2398; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054; Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1330. Näher hierzu unten Kap. 6 A II 2 c) bb). 11 Vgl. Berghmans et al., Health Care Analysis 12 (2004), 251, 254. 12 Näher zum Begriff des Standards oben Kap. 1 B I 3 a). 13 Vgl. etwa die Übersichten bei Okai et al., BJPsych 2007, 291; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054 und Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954. 14 Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1055 m.w.N.

A. Die Einwilligungsfähigkeit aus Sicht der Medizin und Psychologie

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jedoch wiederholt als unzuverlässig beschrieben.15 Ärzte, die die Einwilligungsfähigkeit informell beurteilten, tendierten dazu, die Einwilligungsfähigkeit im Vergleich zur strukturierten Erfassung zu überschätzen, wenn die Patienten der vorgeschlagenen Behandlung zustimmten,16 während sie die Einwilligungsfähigkeit derjenigen Patienten, die eine Behandlung ablehnten, tendenziell eher unterschätzten.17 Beobachtet wurde auch, dass bei der informellen Beurteilung, jeweils unterschiedliche Fähigkeiten für besonders wichtig erachtetet wurden18 und die Einschätzungen auch je nach fachärztlicher Ausrichtung des beurteilenden Arztes signifikant voneinander abwichen.19 In der überwiegenden Zahl der Studien ließ sich durch die Verwendung einheitlicher Beurteilungsinstrumente eine höhere Übereinstimmung der Beurteilungsergebnisse erzielen,20 was nicht nur aus Gründen der Rechtssicherheit zu begrüßen ist, sondern auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten geboten erscheint. Ein strukturiertes Vorgehen erscheint daher im Ergebnis vorzugswürdig. Hierbei ist zu beachten, dass strukturierte Testverfahren nach einhelliger Meinung die Beurteilung durch den Arzt nicht ersetzen können,21 sondern diese lediglich informieren sollen.22 Entsprechend sind die meisten Instrumente als Orientierungshilfen konzipiert, die sicherstellen sollen, dass die Einschätzung des beurteilenden Arztes auf den rechtlich relevanten Kriterien basiert.23 2. „Vier-Fähigkeiten-Modell“24 der Einwilligungsfähigkeit In Medizin und Psychologie wird inzwischen mehrheitlich ein Vier-FähigkeitenModell vertreten, das die Teilaspekte Understanding, Approximation, Reasoning 15

Vgl. Okai et al., BJPsych 2007, 291, 292; Vollmann et al., Psychological Medicine 2003, 1463 sowie die die Nachw. bei Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1330 m.w.N. 16 Vgl. Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 25; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387 und 2398 m.w.N.; Okai et al., BJPsych 2007, 291, 296; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1063 und 1069; Marson et al., J Am Geriatrics Society, 453, 454 f. 17 Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1064 m.w.N.; Bean et al., Canadian Journal of Psychiatry 41 (1996), 85, 88 f.; vgl. a. die Studie von Hermann et al., Swiss Med Wkly 2014, w14039 zur Beurteilungspraxis der Einwilligungsfähigkeit von Schweizer Ärzten, bei der mit 242 Personen gut ein Drittel der Befragten (31,7 %) strengere Kriterien anlegte, wenn der Patient die Therapie verweigerte oder einen Therapieabbruch begehrte. 18 Etwa die Fähigkeit Informationen möglichst exakt wiederzugeben, das Denk- oder das Erinnerungsvermögen, vgl. Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 165 m.w.N. 19 Vgl. Marson et al., J Am Geriatrics Society, 453 zum Vergleich zwischen Psychiatern, Neurologen und Geriatern. 20 Okai et al., BJPsych 2007, 291, 292. Die klinische Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit verbessert sich signifikant, wenn standardisierte Verfahren verwendet werden, Appelbaum, Curr Neurol Neurosci Rep. 2010, 367 m.w.N.; Cairns et al., BJPsych 2005, 372, 374. 21 So konnte wiederholt gezeigt werden, dass häufig zu hohe Anforderungen an die Fähigkeiten der Patienten gestellt werden, wenn die Einwilligungsfähigkeit ausschließlich mit strukturierten Tests beurteilt wird, vgl. Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 25 m.w.N. 22 Grisso et al., Psychiatr Serv, 1997, 1415, 1416; Appelbaum, Curr Neurol Neurosci Rep. 2010, 367; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2398 ff. m.w.N.; Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 27. 23 Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2398; Berg et al., Informed Consent, 2nd Ed. 2001, S. 96; Grisso et al., Psychiatr Serv, 1997, 1415, 1418. 24 Okai et al., BJPsych 2007, 291; Appelbaum, N Engl J Med 2007, 1834.

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6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

und Evidencing a Choice umfasst.25 Dieses erstmals von Appelbaum und Roth26 in den 1980er Jahren beschriebene Modell bildet heute den konzeptionellen Ausgangspunkt für die meisten Beurteilungsinstrumente.27 Der Patient ist hiernach einwilligungsfähig, wenn er in der Lage ist, die für die anstehende Entscheidung relevanten Informationen zu verstehen, sie auf die eigene Situation zu beziehen, sie im Prozess der Entscheidungsfindung gegeneinander abzuwägen und eine klare Entscheidung zu kommunizieren.28 Appelbaum und Roth führen diese grundlegenden Kriterien auf ausgewählte Präzedenzfälle und gesetzliche Regelungen des US-amerikanischen Rechts zurück.29 Die Anknüpfung an das amerikanische Recht erscheint aber eher lose, da die Rechtslage zur Einwilligungsfähigkeit in den USA zu diesem Zeitpunkt, ähnlich wie in Deutschland, noch recht vage und wenig einheitlich war.30 Über die vier genannten Fähigkeiten besteht in der medizinisch-psychologischen Literatur heute mehrheitlich Konsens.31 Sie werden in den einzelnen Messinstrumenten jedoch sehr unterschiedlich ausgestaltet und operationalisiert. 32

25 Grisso et al., Psychiatr Serv, 1997, 1415; Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1055 f.; Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323; Okai et al., BJPsych 2007, 291; Appelbaum, Curr Neurol Neurosci Rep. 2010, 367; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2388 und 2396. Weitere Modelle bei Helmchen, Nervenarzt 2015, 1140, 1142, der die Dimensionen Tatsachenverständnis, vernünftige Begründung und Würdigung vorschlägt und Soriano/Lagman, Am J Hosp & Palliative Med 2012, 401, 402, die folgende Aspekte prüfen: 1) Informationsverständnis, Abwesenheit von Falschannahmen, Krankheits- und Behandlungseinsicht, 2) das Vorhandensein eines konkreten Ziels des Patienten und der Wunsch es zu erreichen und 3) die Fähigkeit über verschiedene Optionen und ihre Konsequenzen kraft des eigenen Vorstellungsvermögens nachzudenken. Daneben wurden früher der Outcome-Approach, der Therapeutic Alliance Approach und das Authentizitätskriterium (Different Person Approach) genannt, näher hierzu Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 49 und Markus, Einwilligungsfähigkeit im amerik. Recht, 1995, S. 73 f. 26 Vgl. Appelbaum/Roth, Arch Gen Psychiatry 1982, 951. Die Kriterien wurden zunächst für die Einwilligung in die Teilnahme an klinischen Studien entwickelt und später auf den Behandlungskontext angepasst, vgl. Grisso et al., Psychiatr Serv, 1997, 1415 f. 27 Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2388; Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 971, jeweils m.w.N. Insofern erscheint die Kritik, dem überwiegenden Teil der empirischen Arbeiten liege kein ausgearbeitetes normatives Konzept zu Grunde, heute kaum mehr berechtigt; so noch Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 184; Vollmann, Nervenarzt 2000, 709, 711. 28 Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323; Gurrera et al., Neurology 2006, 1367 und Okai et al., BJPsych 2007, 291. 29 Appelbaum/Grisso, Law & Human Behavior 1995, 105, 108 f. m.w.N. zum US-amerikanischen Case Law. 30 Vgl. Appelbaum/Grisso, Law & Human Behavior 1995, 105, 108 f.; Markus, Einwilligungsfähigkeit im amerik. Recht 1995, S. 75 ff. 31 Vgl. nur Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2388 und 2396; Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323 und Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 971 jeweils m.w.N. 32 Näher hierzu Moye et al., Gerontologist 2004, 166, 169 f. und 173; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006),1054, 169 und 173; Gurrera et al., Am J Geriatr Psychiatry 2007, 168, 172; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2396 m.w.N.

A. Die Einwilligungsfähigkeit aus Sicht der Medizin und Psychologie

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a) Inhaltliche Ausgestaltung der einzelnen Kriterien in den Operationalisierungen des Vier-Fähigkeiten-Modells aa) Understanding Understanding wird überwiegend als Fähigkeit definiert, die für die Behandlung wesentlichen diagnostischen und therapeutischen Informationen zu verstehen.33 Gemessen wird aber ausnahmslos das tatsächliche Informationsverständnis; üblicherweise, indem der Patient aufgefordert wird, die mitgeteilten Informationen zu wiederholen oder zu paraphrasieren.34 Mitunter wird auch ein tiefergehendes Verständnis oder die Fähigkeit, Informationen längerfristig behalten zu können, gefordert.35 Zwischen den verschiedenen Instrumenten konnten wiederholt hohe Übereinstimmungsquoten erzielt werden.36 Beim Vergleich zwischen informellem klinischen Assessment, der Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit mittels des MacArthur Competence Assessment Tool for Treatment (MacCAT-T) und einem interdisziplinären Assessment bei Demenzpatienten zeigten sich jedoch signifikante Unterschiede, was darauf zurückgeführt wurde, dass der MacCAT-T im Bereich Understanding sehr hohe Anforderungen an die Fähigkeiten des Patienten stellt. 37 bb) Appreciation Am häufigsten werden in der Literatur Abweichungen bei der Beurteilung des Kriteriums Appreciation beschrieben.38 Nach überwiegender Ansicht wird hiermit gemessen, inwieweit die betroffene Person in der Lage ist, die durch die Aufklärung vermittelten Informationen auf sich selbst und ihre Lebensumstände zu beziehen.39 Hierzu muss der Patient, einer Ansicht nach, fähig sein, Informationen mit den eigenen Werten, Hoffnungen und Erwartungen abzugleichen,40 was einem Aspekt der Urteilsfähigkeit im deutschen Recht entspräche.41 Demgegenüber wird Appreciation im MacArthur Competence Assessment Tool for Treatment (MacCAT-T) in erster Linie als Krankheits- und Behandlungseinsicht gemessen,42 was nach 33

Vgl. Grisso/Appelbaum, Assessing Competence, 1998, S. 37 f.; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054. 1056. 34 Vgl. Grisso et al., Psychiatr Serv, 1997, 1415, 1416. 35 Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1331. 36 Vgl. Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2396; Gurrera et al., Am J Geriatr Psychiatry 2007, 168, 170 und 172. Zur Unterscheidung von „reinem Verstehen (Pure Understanding)“, „modifiziertem Verstehen (Modified Understanding)“ und „Verstehen und Glauben (Understanding and Belief)“ im amerikanischen Kontext, vgl. Markus, Einwilligungsfähigkeit im amerik. Recht 1995, S. 79 ff. 37 Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 25 f. Näher hierzu unten Kap. 6 A II 2 c) bb). 38 Vgl. Moye et al., Clin Gerontologist 2007, 37, 41 f. m.w.N.; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2396. Keine signifikanten Abweichungen hingegen bei Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 25 f. 39 Vgl. Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2396; Moye et al., Clin Gerontologist 2007, 37, 41. 40 Gurrera et al., Neurology 2006, 1367 m.w.N. 41 Siehe Kap. 4 A II. 42 Vgl. Grisso/Appelbaum, Assessing Competence, 1998, S. 42 f. Maßgeblich soll hiernach sein, ob der Patient von der Behandlung einen Nutzen erwartet und ob es für ihn einen Anlass

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6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

deutschem Recht einen Teil der Einsichtsfähigkeit betrifft.43 Die Autoren des Competency to Consent to Treatment Instruments (CCTI)44 operationalisieren das Appreciation-Kriterium demgegenüber als Fähigkeit, die mittelfristigen Behandlungsfolgen für sich einschätzen zu können und fragen den Patienten, wie er glaubt, dass sein Leben ein Jahr nach der Behandlung aussehen wird.45 Im Hopemont Capacity Assessment Interview (HCAI)46 wird der Patient schließlich gefragt, warum der Arzt eine bestimmte Behandlung vorschlägt,47 was weitestgehend dem Informationsverständnis entspricht. cc) Reasoning Auch beim Reasoning-Kriterium haben vergleichende Studien signifikante Abweichungen festgestellt.48 Hierfür ist nach dem MacCAT-T die Fähigkeit maßgeblich, verschiedene Entscheidungsoptionen im Hinblick auf ihre Konsequenzen (Risiken und Nutzen) in logisch konsistenter Weise vergleichen zu können, was gemessen wird, indem die Gründe, die der Patient für seine Entscheidung angibt, genauer abgefragt werden.49 Das HCAI misst an dieser Stelle hingegen allgemeiner die Fähigkeit, Risiken und Nutzen gegeneinander abwägen zu können. 50 Das Assessment of Capacity to Consent to Treatment-Instrument (ACCT) ermittelt schließlich die der Entscheidung zu Grunde liegenden Werte des Patienten.51 dd) Evidencing a choice Relativ einheitliche Ergebnisse wurden hingegen bei der Messung der Fähigkeit eine Behandlungsentscheidung mitzuteilen (evidencing a choice) erzielt.52 Hierfür ist nach überwiegender Ansicht maßgeblich, ob der Patient in der Lage ist, eine klare Entscheidung zu treffen und diese zu äußern.53 Neben der Äußerungsfähigkeit gibt, die Informationen zu seiner Erkrankung anzuzweifeln, Grisso et al., Psychiatr Serv 1997, 1415, 1416; 43 Siehe Kap. 4 A I. Die Autoren der MacCAT-T-Studie sprechen sich bewusst für eine Trennung beider Aspekte aus, Grisso/Appelbaum, Assessing Competence, 1998, S. 43 f. 44 Marson et al., Arch Neurol. 1995, 949. 45 Marson et al., Arch Neurol. 1995, 949; so auch Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1331; Gurrera et al., Am J Geriatr Psychiatry 2007, 168, 172; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2396. Näher hierzu Moye et al., Gerontologist 2004, 166, 169 und 173. 46 Edelstein, Hopemont Capacity Assessment Interview manual and scoring guide, 1999; ders., Journal of Aging Studies 2000, 423. 47 Vgl. Edelstein, Journal of Aging Studies 2000, 423. 48 Moye et al., Clin Gerontologist 2007, 37, 42; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2396. 49 Hierbei wird u.a. abgefragt, ob der Patient Behandlungsalternativen und ihre Konsequenzen nennt (consequential thinking), ob er Alternativen vergleicht (comparative thinking), ob er nicht-medizinische Folgen seiner Entscheidung nennt, die ihm nicht in der Aufklärung vermittelt wurden (generating consequences), und ob die Entscheidung des Patienten logisch auf den genannten Gründen aufbaut, vgl. Grisso et al., Psychiatr Serv, 1997, 1415, 1416. 50 Edelstein, Journal of Aging Studies 2000, 423. 51 Moye et al., Clin Gerontologist 2007, 37, 41 f. 52 Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 25; Gurrera et al., Am J Geriatr Psych 2007, 168. 53 Vgl. statt vieler Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2396 m.w.N.

A. Die Einwilligungsfähigkeit aus Sicht der Medizin und Psychologie

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wird damit auch die Entscheidungsfähigkeit ausgestaltet, die insbesondere beeinträchtigt sein kann, wenn der Patient einer Behandlung gegenüber ambivalent ist und krankheitsbedingt außer Stande ist, eine finale Entscheidung zu treffen.54 Zum Teil wird für schwerwiegende Entscheidungen wie die Therapieverweigerung oder den Therapieabbruch bei vitaler Indikation zusätzlich die Fähigkeit gefordert, eine konsistente Entscheidung treffen zu können,55 wofür zusätzlich etwa eine bestehende Patientenverfügung, frühere Entscheidungen und Willensäußerungen des Patienten und die Dauer der Erkrankung herangezogen werden sollen. 56 Das Erfordernis der Konsistenz der Entscheidung steht in engem Zusammenhang mit dem Authentizitätskriterium, das in Kapitel 6 C diskutiert wird.57 b) Unterschiede der auf dem Vier-Fähigkeiten-Modell basierenden Testverfahren Die bestehenden Testverfahren und Handlungsempfehlungen die das Vier-Fähigkeiten-Modell operationalisieren, unterscheiden sich auch strukturell. Die Vielfalt reicht von einfachen Formularen und Interviewleitfragen bis hin zu wissenschaftlich validierten psychiatrischen Tests von unterschiedlicher methodischer Qualität.58 Wesentliche Unterschiede bestehen zudem hinsichtlich der zu beurteilenden Personengruppen, der erfassten Entscheidungssituation und der Anwendungsdauer aa) Testpopulation Auffällig ist, dass die Beurteilungsinstrumente fast ausschließlich für Volljährige konzipiert sind.59 Die größte Instrumentenvielfalt besteht im Bereich der psychischen Erkrankungen.60 Auch Demenzpatienten rücken zunehmend in den Fokus.61 Kaum untersucht ist demgegenüber die Messung der Einwilligungsfähigkeit bei geistig behinderten Personen.62 Gleiches gilt für ältere Patienten63 oder Krankenhauspatienten mit schlechtem Gesundheitszustand.64 Ein validiertes Instrument zur Messung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger fehlt bisher vollständig.65 54 Vgl. a. DGPPN, Nervenarzt 2014, 1419, 1424. Näher hierzu Jacob/Fistein, in: Jacob et al. (Hrsg.), Mental Capacity Legislation, 2013, S. 97 ff. 55 Soriano/Lagman, Am J Hosp & Palliative Med 2012, 401, 402; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1056. 56 So etwa Soriano/Lagman, Am J Hosp & Palliative Med 2012, 401, 402. 57 Zu weiteren Unterschieden, vgl. Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2388 und S. 2399 f.; Bauer, Empirische Untersuchungen zur Einwilligungsfähigkeit, 2004, passim. 58 Vgl. Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387 und 2397, Okai et al., BJPsych 2007, 291, 292 ff. insbes. S. 296 und Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 966. 59 Vgl. Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387; Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323 und Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954. 60 Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 967 m.w.N.; Okai et al., BJPsych 2007, 291. 61 Marson et al., Arch Neurol. 1995, 949 (CCTI) und Edelstein, Journal of Aging Studies 2000, 423 (HCAI) sowie die Übersicht bei Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 968. 62 Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 167. 63 Carney et al., J Clin Ethics 2001, 17. 64 Etchells, Gen Intern Med 1999, 27. 65 Vollmann, in: Wiesemann u.a. (Hrsg.), Das Kind als Patient, 2003, S. 51; Hein et al., BMC Pediatr 2012, 156, 157 f.; Ruhe et al., Eur J Pediatr 2015, 775, 778. Auch die

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6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

bb) Erfasste Behandlungssituationen und zeitliche Anforderungen Auch hinsichtlich des Anwendungskontextes variieren die Instrumente stark. Das Angebot reicht von Fallvignetten, die den Patienten mit hypothetischen Entscheidungssituationen konfrontieren (sog. Vignetten-Methode),66 über Instrumente, die für die Einwilligung in spezifische medizinische Eingriffe entwickelt wurden,67 bis hin zu Fragebögen, die für alle Behandlungsentscheidungen nutzbar sind.68 Die hypothetischen Fallvignetten sind mit dem rechtlichen Erfordernis, die Einwilligungsfähigkeit in Bezug auf eine konkrete Maßnahme zu prüfen, unvereinbar.69 Vorzugswürdig sind die situationsunabhängig einsetzbaren Instrumente. Schließlich dauern die Testverfahren auch unterschiedlich lange. Die Beurteilungszeit schwankt hierbei von unter zehn Minuten für Instrumente, die eine schnelle Überprüfung, beispielsweise in Notfallsituationen ermöglichen, bis zu 90 Minuten für Tests, die eine vertiefte Messung ermöglichen. 70 cc) Konzeptionelle Ausgestaltung und Anforderungen an den Nutzer In konzeptioneller Hinsicht lassen sich binäre Instrumente, die feststellen, ob der Betroffene konkret einwilligungsfähig ist oder nicht, von graduell angelegten Erfassungsinstrumenten unterscheiden.71 Die Einschätzung wird im letzteren Fall bewusst der Interpretation des Arztes überlassen.72 Auch die Anforderungen an die Kenntnisse und Fertigkeiten der beurteilenden Ärzte schwanken.73 Die Testinstrumente sind überwiegend als strukturierte oder semi-strukturierte Interviewleitfäden ausgestaltet, die ein konkretes Set von mit Punkten verknüpften Fragen enthalten, die vom Behandler vorzulesen und zu bewerten sind.74 Daneben gibt es auch Fragebögen, die vom Betroffenen selbst auszufüllen sind.75 Die Rolle des beurteilenden Arztes beschränkt sich hier auf die Auswertung sowie das Stellen weiterführender Fragen.76 Wieder andere Instrumente enthalten statt eines strukturierten Fragebogens mit Punktevergabe lediglich allgemeine Handlungsempfehlungen.77

Studienlage ist vergleichsweise dürftig, vgl. Miller et al., Ethic Behav 2004, 255; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 156 f. 66 Vellinga et al., Int J Geriatric Psychiatry 2004, 645; Schmand, Alzheimer Dis Assoc Dis 1999, 80. 67 Vgl. Okai et al., BJPsych 2007, 291, 292 m.w.N. 68 Okai et al., BJPsych 2007, 291, 292 m.w.N. 69 Vgl. Kap. 5 A. 70 Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1330 m.w.N.; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2397. Der MacCAT-T liegt mit einer Anwendungszeit von durchschnittlich etwa 20 Minuten (vgl. Grisso et al., Psychiatr Serv, 1997, 1415, 1418; Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 24) im unteren Mittelfeld. 71 Okai et al., BJPsych 2007, 291, 292; Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 24 und 27. 72 So ausdrücklich für den MacCAT-T, Grisso et al., Psychiatr Serv, 1997, 1415, 1416. 73 Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2397 m.w.N. 74 Vgl. Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2397 f. 75 Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2397 m.w.N. 76 Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2397. 77 Newberry/Pachet, Psychol Health Med 2008, 438; Chow et al., Chest 2010, 421.

A. Die Einwilligungsfähigkeit aus Sicht der Medizin und Psychologie

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dd) Kumulative Prüfung und Gewichtung der einzelnen Aspekte Uneinheitlich wird beurteilt, ob alle Fähigkeiten in Bezug auf jede Behandlungsentscheidung kumulativ vorliegen müssen oder ob relativ zu Schwere, Risiko und Indiziertheit des Eingriffs unterschiedliche Fähigkeiten zu Grunde gelegt werden können. Vertreten wird beispielsweise, bei geringfügigen Eingriffen nur die Äußerungs- und Entscheidungsfähigkeit sowie das Informationsverständnis zu prüfen und nur bei schwerwiegenderen Maßnahmen alle vier Fähigkeiten abzufragen.78 Die wohl überwiegende Meinung lehnt dies ab.79 Gleiches gilt für den Vorschlag die verschiedenen Dimensionen der Einwilligungsfähigkeit je nach Entscheidungskontext anders zu gewichten.80 Auch feste Schwellenwerte werden überwiegend abgelehnt.81 ee) Normative Grundannahmen und Qualität der Instrumente Nicht nur die oben gezeigten inhaltlichen Unterschiede, auch die Tatsache, dass einige Instrumente nur Teilaspekte des Vier-Fähigkeiten-Modells prüfen,82 spiegeln jeweils unterschiedliche normative Grundannahmen wider.83 Problematisch ist auch die unzureichende Qualität vieler Tests. 84 Kaum erforscht ist bisher auch, wie die kognitiven Fähigkeiten gesunder Personen über den Zeitverlauf schwanken und wie sich der normale Alterungsprozess auf die Einwilligungsfähigkeit auswirkt, so dass wichtige Vergleichswerte fehlen.85 c) Diskussion aa) Fehlender Standard Inzwischen besteht eine kaum noch überschaubare Anzahl von Messinstrumenten zur Beurteilung der Einwilligungs(un)fähigkeit. Studien haben wiederholt gezeigt, dass, wenn der beurteilende Arzt die Einwilligungsfähigkeit einer Person mit unterschiedlichen Instrumenten bewertet, mitunter sehr unterschiedliche Ergebnisse bei

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Vgl. Helmchen, Nervenarzt 2015, 1040, 1042 m.w.N.; Drane, Hastings Center Report 15 (1985), 17, 18 ff.; Hermann et al., Swiss Med Wkly 2014, w14039. 79 Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 22; so aus rechtlicher Sicht auch Amelung, in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 33; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 23. 80 So etwa Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1325 und 1331. 81 Grisso/Appelbaum, Assessing Competence, 1998, S. 31 ff. A.A. Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1325; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 156 f. 82 So prüfen jeweils zwei der insg. 15 im Rahmen einer systematischen Übersicht verglichenen Beurteilungsinstrumenten nur das „Understanding“, nur „Understanding und Appreciation“ oder nur „Understanding und Reasoning“, vgl. Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1329. 83 Vgl. Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323, 1329; Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 967. 84 Näher hierzu Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1069. 85 Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1069; Cording, Fortschr Neurol Psychiat 72 (2004), 147, 153 m.w.N.; Moye et al., Amercian Psychologist 2013, 158, 167.

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6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

ein und derselben Person erzielt werden.86 Eine vergleichende Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit mithilfe des CCTI, des HCAI und des MacCAT-T bei Demenzpatienten ergab jüngst eine Übereinstimmung, die kaum größer war als Zufall.87 Dies verdeutlicht einmal mehr, dass die Konkretisierung der relevanten Kriterien normative Grundentscheidungen voraussetzt.88 Zwar wurde die Übereinstimmung der Testergebnisse in den letzten Jahren erheblich verbessert; ein Konsens hat sich jedoch nach wie vor nicht herausgebildet, so dass nach überwiegender Meinung bisher kein Erhebungsstandard existiert.89 Das derzeit bewährteste Verfahren (best clinical practice) ist nach überwiegender Auffassung der MacCAT-T.90 bb) Vergleich der MacCAT-T-Kriterien mit den rechtlichen Anforderungen Klärungsbedürftig ist, inwieweit der MacCAT-T den in den vorhergehenden Kapiteln herausgearbeiteten rechtlichen Anforderungen entspricht. (1) Informationsverständnis statt Einsichtsfähigkeit und Krankheits- und Behandlungseinsicht Der MacCAT-T bildet, wie die Mehrheit der genannten Instrumente, die Einsichtsfähigkeit durch Fragen zum Informationsverständnis ab. Der Umstand, dass der Patient die für seine Einwilligungsentscheidung wesentlichen Informationen nicht oder nur fehlerhaft wiedergeben kann, kann jedoch verschiedene Ursachen haben.91 86

So erstmals Grisso/Appelbaum, Am J Psychiatry 1995, 1033, 1035. Die MacArthur Treatment Competence Study war der bis dahin erste systematische Versuch, das Konzept der Einwilligungsfähigkeit empirisch zu erfassen, vgl. http://www.macarthur.virginia.edu/ treatment.html, letzter Zugriff: 16.10.2019; vgl. auch die Befunde von Vollmann et al., Psychological Medicine 2003, 1463, 1467 ff.; ders., Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 142 f.; Moye et al., Gerontologist 2004, 166, 173; Okai et al., BJPsych 2007, 291, 293 f. 87 Gurrera et al., Am J Geriatr Psychiatry 2007, 168, 170. 88 Vgl. Buchanan/Brock, Deciding for others, 1990, S. 17; Berghmans et al., Health Care Analysis 12 (2004), 251, 254; Okai et al., BJPsych 2007, 291, 295; Hermann et al., J Med Ethics 2015, 739; Helmchen, Nervenarzt 2015, 1040, 1042; Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 111. 89 Snellgrove/Steinert, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2017, 234, 239; Hermann et al., Frontiers in Psychology 2016, 765; Helmchen, Nervenarzt 2015, 1140 f. m.w.N.; Hein et al., BMC Pediatr 2012, 156, 162; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1069; Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323 f. und 1326 m.w.N.; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2388; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054. A.A. Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 966 und Breden/Vollmann, Health Care Analyis 2004, 273, 274. 90 Vgl. Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2398; Vollmann, Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 75; Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323; so für den MacCAT-CR (Forschung) auch Hein et al., BMC Pediatr 2012, 156, 162. Vorgeschlagen wird zum Teil auch, je nach Anwendungssituation und Patientengruppe das jeweils am besten validierte Instrument zu verwenden, etwa den MacCAT-T für psychiatrische Patienten, den CCTI für Demenzpatienten und für allgemeinmedizinische Patienten den CAT, vgl. Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2398 m.w.N. Das erscheint jedoch wegen der fehlenden Vergleichbarkeit rechtlich bedenklich. 91 Neben der Beeinträchtigung der für das Verständnis erforderlichen Einsichtsfähigkeit, kommen auch sprachliche und kulturelle Barrieren, eine fehlerhafte Aufklärung durch den Arzt, wozu auch die Aufklärung in einer nicht dem Verständnishorizont angepassten

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Ist nur das Informationsverständnis beeinträchtigt und zeigen sich in den anderen Dimensionen keinerlei Auffälligkeiten, müssen die Gründe hierfür genau ermittelt werden. Ein vorschneller Schluss auf die Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen sollte vermieden werden, um zu verhindern, dass die betroffene Person wegen eines korrigierbaren Missverständnisses als einwilligungsunfähig eingestuft wird.92 Vielmehr ist durch erneute Aufklärung in möglichst einfacher Sprache auf ein verbessertes Verständnis hinzuwirken.93 Auch das Kriterium „Appreciation“ im MacCAT-T, das die Krankheits- und Behandlungseinsicht misst,94 kann aus den genannten Gründen beeinträchtigt sein, was bei der Beurteilung ebenfalls entsprechend berücksichtigt werden sollte.95 (2) Hohe Anforderungen an das Understanding und das Reasoning Die Anforderungen des MacCAT-T an das Informationsverständnis erscheinen im Vergleich zum rechtlichen Standard recht hoch. Hierauf deutet auch eine jüngere Studie mit Demenzpatienten hin. Die Autoren haben gezeigt, dass das Informationsverständnis wesentlich eher als ausreichend eingestuft wurde, wenn es informell durch einen Mediziner oder interdisziplinär durch einen Arzt und einen geschulten Psychologen beurteilt wurde, als bei der Messung mithilfe des MacCAT-T.96 Ein überhöhter Standard bei der Beurteilung des Informationsverständnisses erscheint vor allem bei älteren Patienten problematisch, da neuere entscheidungstheoretische Untersuchungen zeigen, dass ältere Menschen dazu tendieren, Entscheidungen verstärkt auf Basis ihres Erfahrungswissens und ihrer Emotionen zu treffen und weniger auf Basis neutraler Fakten, wie der im Rahmen der ärztlichen Aufklärung vermittelten Informationen.97 Auch die Ausgestaltung des Reasoning im MacCAT-T, als Fähigkeit, rationale Gründe für die eigene Entscheidung anzuführen, erscheint sehr anspruchsvoll. 98 Im Wesentlichen entspricht das Reasoning der Urteilsfähigkeit im deutschen Recht, wonach erforderlich ist, dass der Patient die durch die Aufklärung vermittelten Informationen zu seiner Situation und seinen individuellen Werten in Beziehung setzen kann, um in der Abwägung des Für und Wider zu einer Entscheidung zu gelanFachsprache zählt, aber auch Fehlvorstellungen des Patienten in Betracht, Markus, Einwilligungsfähigkeit im amerik. Recht 1995, S. 78; näher hierzu oben Kap. 4 A II 1 c). 92 So auch Markus, Einwilligungsfähigkeit im amerik. Recht 1995, S. 78. 93 Vgl. Markus, Einwilligungsfähigkeit im amerik. Recht 1995, S. 78; vgl. a. Kap. 6 C III. Die Test-Ergebnisse können auch beeinträchtigt sein, wenn der Patient unaufmerksam oder misstrauisch ist, etwa weil er die Tragweite der Prüfung nicht erkennt. Auch diese Aspekte sollte der beurteilende Arzt bei seiner Einschätzung berücksichtigen, Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 966. 94 Grisso et al., Psychiatr Serv, 1997, 1415, 1416; Grisso/Appelbaum, Assessing Competence, 1998, S. 42 ff. 95 Ausführlich zur Einsichtsfähigkeit oben Kap. 4 A I. 96 Vgl. Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 25 ff. und 27. Krit. zur kognitiven Ausrichtung des MacCAT-T auch Vollmann et al., Psychological Medicine 2003, 1463, 1469. 97 Löckenhoff et al., Psychology and Aging 2011, 274, 275; Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 167. 98 So bereits unter ethischen und methodischen Gesichtspunkten Breden/Vollmann, Health Care Analysis 12 (2004), 273, 276 f.

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6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

gen.99 Der MacCAT-T geht darüber hinaus, indem er eine logisch begründete Abwägung von Nutzen und Risiken fordert und die Gründe, die der Patient für seine Entscheidung angibt, genauer hinterfragt.100 Auch die implizit erforderliche Bewertung der Gründe als „logisch“ und nachvollziehbar durch den beurteilenden Arzt erscheint in einer weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft problematisch. 101 (3) Evidencing a Choice und Steuerungsfähigkeit Schließlich enthält der MacCAT-T keine direkte Entsprechung zur Steuerungsfähigkeit. Das Kriterium „Evidencing a Choice“ betrifft die zeitlich vorgelagerte, auch rechtlich mitunter geforderte, Äußerungs- und Entscheidungsfähigkeit. d) Ergebnis Inhaltlich bildet der MacCAT-T die nach dem deutschen Recht maßgeblichen kognitiven Fähigkeiten ab, geht aber in seinen Anforderungen sowohl im Bereich des Informationsverständnisses als auch der Urteilsfähigkeit darüber hinaus. Er erscheint dennoch geeignet, um die Einschätzung durch den behandelnden Arzt zu informieren. Dieser hat jedoch zusätzlich, vor allem bei psychisch erkrankten Patienten, das voluntative Element der Steuerungsfähigkeit mit zu berücksichtigen und sollte die oben beschriebenen Einschränkungen bei der Beurteilung der Einsichtsund Urteilsfähigkeit beachten.102 3. Vorschläge für das Beurteilungsverfahren Neben den inhaltlichen Kriterien finden sich vereinzelt auch Vorgaben für die Beurteilung selbst. Beispielsweise wird in der medizinischen Fachliteratur angeregt, die Beurteilung vor allem dann, wenn die Fähigkeiten des Patienten stark schwanken kontinuierlich durchzuführen und zusätzlich andere Quellen einzubeziehen, etwa Gespräche mit den Pflegekräften und den Eltern sowie die vollständige Diagnose.103 Einige Autoren empfehlen auch die Hinzuziehung eines unabhängigen Arztes.104 De lege lata ist dies ausschließlich bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit im Rahmen von Zwangsmaßnahmen erforderlich.105 Im alltäglichen Behandlungskontext erscheint eine solche zusätzliche Absicherung nicht unbedingt erforderlich, obgleich eine unabhängige Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit im Prozess, außerhalb des Betreuungsrechts nur ex post durch die sachverständig beratenen Gerichte erfolgt.106 Vereinzelt werden auch Festlegungen zum Zeitpunkt 99

Ausführlich hierzu Kap. 4 A II. Grisso et al., Psychiatr Serv, 1997, 1415, 1416. 101 Vgl. Kap. 2 B IV, Kap. 4 A II 2 a). Krit. zu den hohen Standards des MacCAT-T aus ethischer Sicht auch, Vollmann, Nervenarzt 2000, 709, 710 f. 102 Vgl. a. ABA/APA, Assessment of Older Adults, 2008, S. 182. 103 Ruhe et al., Eur J Pediatr 2015, 775, 779; Hein et al., BMC Pediatr 2012, 156, 158 m.w.N.; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 107; vgl. a. ABA/APA, Assessment of Older Adults, 2008, S. 55. 104 Vgl. Helmchen/Lauter, Mit Demenzkranken forschen?, 1995, S. 42 und DGPPN, Nervenarzt 2014, 1419, 1428 f. 105 Vgl. §§ 321 Abs. 1, 331 S. 1 Nr. 2 FamFG. Näher hierzu Kap. 9 D II 2. 106 Ausführlich hierzu Kap. 10 B. 100

A. Die Einwilligungsfähigkeit aus Sicht der Medizin und Psychologie

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der Beurteilung gefordert,107 was sich jedoch weitgehend mit der viel diskutierten Frage des Aufklärungszeitpunktes decken dürfte.

III. Vorgaben der medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland Die dargestellten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Messung der Einwilligungsfähigkeit haben bisher, anders als in anderen Ländern,108 kaum Eingang in die Leitlinien, Empfehlungen und Stellungnahmen der deutschen medizinischen Fachgesellschaften gefunden.109 Aufklärung, Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit werden hierin nur vereinzelt erwähnt110 und noch seltener inhaltlich ausgestaltet.111 Zwar bezwecken medizinische Leitlinien in erster Linie, dem behandelnden Arzt systematisch entwickelte Entscheidungshilfen für spezielle Gesundheitsprobleme an die Hand zu geben und weniger die juristischen Rahmenbedingungen aufzuzeigen.112 Insbesondere im psychiatrischen Kontext ist jedoch das rechtlich Geforderte bezogen auf Aufklärung, Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit von der gesundheitlichen Versorgung kaum zu trennen.113 Leitliniengestützte Handlungsempfehlungen zur Einwilligungsfähigkeit erleichtern daher nicht nur die komplexe Entscheidung, ob ein Patient in einer bestimmten Situation einwilligungsfähig ist oder nicht, sondern tragen letztlich auch dazu bei, die ärztliche Behandlung zu verbessern, was ausgewiesenes Ziel medizinischer Leitlinien ist.114 Dass die Einwilligungsfähigkeit nur in einem Bruchteil der insgesamt 765 aktuell in-Kraft befindlichen AWMF-Leitlinien115 näher beschrieben wird, ist vor allem für den psychiatrischen Bereich erstaunlich. Nicht nur ist der Zusammenhang zwischen Einwilligungsunfähigkeit und zahlreichen psychischen, neurologischen und neuropsychiatrischen Erkrankungen hinlänglich bekannt und beschrieben.116 In ihrer ethischen Stellungnahme zur Zwangsbehandlung psychisch erkrankter Personen räumt die 107

Duttge, in: Schicktanz/Schweda (Hrsg.), Pro Age oder Anti-Aging?, 2012, S. 103. Vgl. etwa ABA/APA, Assessment of Older Adults, 2008, S. 55. 109 Den Bedarf, die Einwilligungsfähigkeit stärker in Leitlinien zu verankern, unterstreicht auch Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 156 ff., insbes. S. 158. 110 Vgl. beispielsweise DGPPN/DGN (Hrsg.), S3-Leitlinie Demenzen, 2016, S. 28; DEGEAM (Hrsg.), Hausärztliche Beratung, 2013, S. 3 und 5 f. 111 Näher hierzu sogleich. 112 Vgl. BÄK/KBV, DÄBl. 1997, A-2154; Semlitsch et al., DÄBl. Int. 2015, 471. 113 Verschiedene Leitlinien empfehlen die Aufklärung über Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten von psychischen kranken Patienten in Maßnahmen der Psychoedukation zu integrieren, die die Mitwirkung des Patienten verbessern, die Therapieadhärenz steigern und der Rückfallprävention dienen sollen, vgl. DGPPN (Hrsg.), Schizophrenie, 2019, S. 47 f. und S. 120 ff.; DGPPN (Hrsg.), Zwangsstörungen, 2013, S. 87 f.; DGPPN u.a. (Hrsg.), Unipolare Depression, 2015, S. 45; DGPPN (Hrsg.), Persönlichkeitsstörungen, 2009, S. 46 f.; Ebert/Krause/Roth-Sackenheim, Nervenarzt 2003, 939, 941. Auch das Gebot der schonenden Aufklärung trägt nicht nur dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten Rechnung, sondern hilft auch Suizidalität und Stigmatisierung entgegenzuwirken, realistische Behandlungserfolge zu vermitteln und den Patienten zu entlasten, ebenda, 941. 114 BÄK/KBV, DÄBl. 1997, A-2154; Semlitsch et al., DÄBl. Int. 2015, 471. 115 Vgl. http://www.awmf.org/leitlinien/aktuelle-leitlinien.html, letzter Zugriff: 16.10.2019. 116 Vgl. Moye et al., Amercian Psychologist 2013, 158, 165 m.w.N. und Kap. 5 D III. 108

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6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) auch ein, dass in der Psychiatrie einer klaren Konzeption und einer professionell kompetenten Feststellung der Einwilligungsfähigkeit von Patienten eine besondere Relevanz und hohe praktische Bedeutung zukommt.117 Dennoch beschränken sich die wenigen Leitlinien, in denen die Einwilligungsfähigkeit erwähnt wird, mehrheitlich darauf, rechtliche Kriterien, wie etwa die Formel der Rechtsprechung oder spezialgesetzliche Formulierungen,118 wiederzugeben, ohne diese näher auszugestalten.119 Andere Leitlinien verweisen auf Studien oder internationale Leitlinien.120 Ausgestaltete Kriterien finden sich bisher nur in einer Leitlinie.121 Vor diesem Hintergrund erscheint das für Ende 2019 gemeinsam von der DGGG, der DGPPN und der DGN angekündigte Leitlinienvorhaben zur Einwilligung von Menschen mit Demenz umso bedeutsamer.122 Erklärtes Ziel dieser Leitlinie ist es, strukturierte Empfehlungen zur Sicherung der Handlungsfähigkeit von Menschen mit Demenz bei Entscheidungen über medizinische Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, die nicht nur rechtliche, sondern auch medizinische, ethische und gerontopsychologische Anforderungen erfüllen.123 Anlass des Leitlinienvorhabens ist laut den anmeldenden Autoren die bestehende Unsicherheit in der medizinischen und rechtlichen Praxis u.a. bei der Frage welches Prozedere beim Einholen einer informierten Einwilligung zu durchlaufen ist, wie die Einwilligungsfähigkeit von Menschen mit Demenz valide beurteilt werden kann und wie die Einwilligungsfähigkeit ggf. im Sinne einer assistierten Entscheidungsfindung (wieder)hergestellt werden kann.124 1. Kriterien der bestehenden Leitlinien Von den bereits in-Kraft-getretenen Leitlinien enthält nur die S2k-Leitlinie Intelligenzminderung125 ausgestaltete Kriterien zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit. Die Leitlinie legt die Definition von Helmchen und Lauter zur Einwilligungsfähigkeit von Demenzpatienten im Forschungskontext zu Grunde,126 die diese in

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DGPPN, Nervenarzt 2014, 1419, 1424. Vgl. hierzu Kap. 3 A II und B. 119 Vgl. etwa DGGG (Hrsg.), Entbindungen, 2012, S. 13; DGH/BVDH, medgen 2018, 469, 477; vgl. a. DGGG/AG MedR (Hrsg.), Ärztliche Aufklärung, 2010, S. 5. 120 DGKJP (Hrsg.), Depressive Störungen, 2013, S. 19; DGKJP (Hrsg.), Intelligenzminderung, 2014, S. 148; DGPPN (Hrsg.), Psychosoziale Therapien, 2013, S. 164. 121 DGKJP (Hrsg.), Intelligenzminderung, 2014, S. 148. 122 DGGG/DGPPN/DGN (Hrsg.), Angemeldetes Leitlinienvorhaben S2k-Leitlinie „Einwilligung von Menschen mit Demenz in medizinische Maßnahmen“, AWMF-Reg.-Nr. 108 – 001, geplante Fertigstellung: 31.12.2019, abrufbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/108-001.html, . 123 Vgl. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/108-001.html, . 124 Vgl. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/108-001.html, . 125 DGKJP (Hrsg.), Intelligenzminderung, 2014, S. 148. 126 Helmchen/Lauter, Mit Demenzkranken forschen?, 1995, S. 38 ff. 118

A. Die Einwilligungsfähigkeit aus Sicht der Medizin und Psychologie

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Anlehnung an Amelung127 entwickelt haben. Hiernach muss der Patient verstehen, „um welche Tatsachen es sich bei der Entscheidung handelt, welche Folgen oder Risiken sich aus der Einwilligungsentscheidung ergeben, welche Mittel es zur Erreichung der mit der Einwilligung verbundenen Ziele gibt und welchen Wert oder welchen Rang die von der Einwilligungsentscheidung berührten Güter oder Interessen für die eigene Person besitzen.“128 Maßgeblich seien hierfür die Fähigkeiten zum Informationsverständnis, zur Informationsverarbeitung, zur Urteilsfähigkeit, zur Willensbestimmung und zur Willensäußerung.129 Daneben gestalten auch zwei fachgesellschaftliche Stellungnahmen die Einwilligungsfähigkeit aus. Nach der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht (AG MedR) zu Rechtsfragen bei der Behandlung Minderjähriger130 soll es für die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten maßgeblich sein, dass sie in der Lage sind, dem Aufklärungsgespräch zu folgen, sie die Antriebskraft besitzen, weiterführende Fragen zu stellen oder den Arzt auf Besonderheiten ihrer Lebensumstände hinzuweisen. Darüber hinaus sollen sie die empfangenen Informationen verarbeiten und in einem Abwägungsprozess für ihre Entscheidung berücksichtigen können.131 Die DGPPN veröffentlichte anlässlich der jüngsten Rechtsprechungsänderung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesgerichtshofs zur Zwangsbehandlung freiheitsentziehend untergebrachter Patienten eine ethische Stellungnahme,132 in der sie die Einwilligungsfähigkeit (dort: Selbstbestimmungsfähigkeit) als Konglomerat aus Informationsverständnis, Urteilsvermögen, Einsichtsfähigkeit und Ausdrucksfähigkeit der Entscheidung definiert, was im Wesentlichen den Kriterien des MacCAT-T entspricht.133 Schließlich ist auf die Leitlinie des Arbeitskreises Patientenverfügungen am Universitätsklinikum München zur Therapiezieländerung bei schwerstkranken Patienten hinzuweisen,134 die nicht den AWMF-Standards entspricht,135 in der Praxis aber überregionale Verbreitung gefunden hat. Hiernach ist die Einwilligungsfähigkeit des Patienten beeinträchtigt, wenn er oder sie krankheits-, zustands- oder altersbedingt außer Stande ist, bestimmte entscheidungsrelevante Sachverhalte zu verstehen, Folgen und Risiken der verschiedenen Handlungsalternativen in Beziehung zu seiner individuellen Situation zu setzen, diese Handlungsalternativen im Lichte seines Wertesystems zu bewerten, daraus einen Willensentschluss abzuleiten oder diesen zu kommunizieren.136

127 128 129 130 131 132 133 134 135 136

Vgl. Kap. 3 C I 2 a). DGKJP (Hrsg.), Intelligenzminderung, 2014, S. 148. DGKJP (Hrsg.), Intelligenzminderung, 2014, S. 148. DGGG/AG MedR (Hrsg.), Behandlung Minderjähriger, 2011, S. 5. Vgl. DGGG/AG MedR (Hrsg.), Behandlung Minderjähriger, 2011, S. 5. DGPPN, Nervenarzt 2014, 1419, 1422. DGPPN, Nervenarzt 2014, 1419, 1422. Vgl. Kap. 6 A II 2. AK PV (Hrsg.), Therapiezieländerung, 2013. Vgl. Müller u.a., Empfehlungen für Leitlinien, 2004, S. 1. AK PV (Hrsg.), Therapiezieländerung, 2013, S. 6.

196

6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

2. Diskussion Diese Kurzzusammenstellung zeigt bereits zahlreiche Abweichungen. Inhaltlich finden sich in allen vier Texten Entsprechungen zur Einsichts-, Urteils- und Äußerungsfähigkeit. Die Steuerungsfähigkeit wird hingegen nur in der Stellungnahme zur Behandlung Minderjähriger erwähnt.137 Diese geht an anderer Stelle über das rechtlich Geforderte hinaus, indem sie vom minderjährigen Patienten zusätzlich die Antriebskraft für Nachfragen fordert.138 Dieser Punkt bleibt insgesamt recht vage und setzt die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten vergleichsweise hoch.139 Auch die Ausgestaltung der einzelnen Teilfähigkeiten ergibt ein sehr uneinheitliche Bild, was nicht zuletzt auf die unterschiedlichen zu Grunde liegenden theoretischen Modelle zurückzuführen ist. Während sich etwa die Leitlinie zur Intelligenzminderung für den Behandlungskontext auf eine Definition, die zur Forschung mit Demenzkranken entwickelt wurde, bezieht, bleiben die Bezugspunkte bei der Leitlinie zur Therapiezieländerung und der Stellungnahme zur Behandlung Minderjähriger unklar. Die Kriterien der Einwilligungsfähigkeit in der Stellungnahme zur Zwangsbehandlung entsprechen den oben ausführlich dargestellten Kriterien Understanding, Appreciation, Reasoning und Expressing a Choice.140 Hinweise wie die Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall zu beurteilen ist, ob durch klinische Beurteilung oder mithilfe strukturierter oder semi-strukturierter Interviews, finden sich bisher gar nicht.141 Dieser Befund steht im starken Kontrast zur Leitlinienlage in den USA. Hier haben die Fachgesellschaften ausführliche Praxishilfen zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit in der klinischen Praxis und im Prozess entwickelt.142

137

DGGG/AG MedR (Hrsg.), Behandlung Minderjähriger, 2011, S. 5. DGGG/AG MedR (Hrsg.), Behandlung Minderjähriger, 2011, S. 5. 139 Näher zur Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten oben Kap. 5 B. 140 Ausführlich hierzu oben Kap. 6 A II 2. 141 Zwar werden an einigen Stellen allgemeine Modalitäten der Prüfung beschrieben, wie das Erfordernis den aktuellen pathologischen Zustand zu beurteilen und nicht die Diagnose als Richtwert zu verwenden, vgl. DGPPN (Hrsg.), Psychosoziale Therapien, 2013, S. 164, oder die Empfehlung, die Einwilligungsfähigkeit über den Behandlungsverlauf hinweg wiederholt zu beurteilen, da diese wegen starker Fluktuationen des psychischen Zustands und Ambivalenzen in der Willensbildung des Patienten schwanken kann, vgl. DGPPN, Nervenarzt 2014, 1419, 1424. Die DGPPN hält die behandelnden Ärzte auch für verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Einwilligungsfähigkeit zu fördern und wiederherzustellen, ebenda. Eine Handlungsempfehlung zur Beurteilung der EWF im klinischen Alltag fehlt aber bislang. 142 Vgl. etwa ABA/APA (Hrsg.), Assessment of Older Adults, 2008, S. 55. 138

A. Die Einwilligungsfähigkeit aus Sicht der Medizin und Psychologie

Kriterien der EWF

Definition als…

Einsichtsfähigkeit

Verständnisfähigkeit

Urteilsfähigkeit

Fähigkeit zur Informationsverarbeitung Fakten auf die ind. Situation beziehen können Abwägung des Für und Wider

Leitlinie Intelligenzminderung Nein

Leitlinie Thera- Stellungnahme piezieländerung Behandlung Minderjähriger Ja Ja

Stellungnahme Zwangsbehandlung Krankheits- und Behandlungseinsicht

Ja

Nein

Ja

Nein

Ja

Ja

Nein

Ja

Ja

Ja (Bewertung im Licht des eigenen Wertesystems) Ja

Ja (Informationsabwägung)

Ja (Urteilsvermögen)

Nein

Ja

Äußerungsfähigkeit

Ja (Willensäußerung)

Steuerungsfähigkeit

Nein

Nein

Ja

Nein

Ja (Willensbestimmung) Ja

Ja (Willensentschluss treffen) Nein

Ja

Ja

Nein

Ja

Nein

Nein

Ja

Nein

Zusätzliche Kriterien

Entscheidungsfähigkeit Informationsverständnis Antriebskraft für Nachfragen

197

Schaubild 1: Kriterien der Einwilligungsfähigkeit in medizinischen Leitlinien und Stellungnahmen der Fachgesellschaften

3. Ergebnis Trotz des hohen Stellenwertes der Einwilligungsfähigkeit, den die Fachgesellschaften insbesondere für die Behandlung minderjähriger und psychisch kranker Patienten sowie medizinische Entscheidungen am Lebensende anerkennen, spiegeln die Leitlinien den aktuellen Forschungsstand zur Einwilligungsfähigkeit kaum wider.

IV. Klinische Praxis Die fehlende Anleitung durch die Fachgesellschaften trägt zur bestehenden Verunsicherung der klinischen Praxis bei. Hier stellen sich neben praktischen Herausforderungen, die die Qualifikation der beurteilenden Ärzte und die erforderlichen Ressourcen betreffen, vor allem Abrechnungsfragen. 1. Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit als ärztliche Aufgabe Im klinischen Alltag obliegt die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit grundsätzlich dem behandelnden Arzt,143 der die Prüfung in Einzelfällen an entsprechend qua143 Ganz h.M., vgl. statt vieler OLG Hamm, NJW 1982, 2095; Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 141; Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 42; Ganner, Selbstbestimmung im Alter, 2005, S. 242; Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 1983, S. 29; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. des ArztR, 2019, Kap. XXII § 138 Rn. 17; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 22; Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.),

198

6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

lifizierte Mitarbeiter delegieren kann.144 Bei Zweifeln, die der beurteilende Arzt aus eigener Sachkunde nicht beheben kann, sollte er ein psychologisches Konsil anfragen, auf dessen Einschätzung er sich im Regelfall verlassen darf.145 Ist die Einwilligungsfähigkeit sehr fraglich, erscheint zusätzlich die Einleitung eines Betreuungsverfahrens ratsam.146 2. Praktische Herausforderungen a) Anforderungen an die Qualifikation der beurteilenden Ärzte Die Prüfung der Einwilligungsfähigkeit kann in Zweifelsfällen hohe fachliche Anforderungen an die beurteilenden Ärzte stellen, da hierfür, wie gezeigt, neben medizinischem Wissen zu den möglichen Ursachen der Einwilligungsfähigkeit147 auch die Kenntnis der verschiedenen Beurteilungsverfahren und ihrer normativen Grundlagen erforderlich ist.148 Zwar erreichen die Einschätzungen erfahrener Ärzte in der Regel eine gute Übereinstimmungsquote.149 Die überwiegende Zahl der Beurteilungen liegt im Behandlungsalltag jedoch in der Händen von Ärzten, denen die hierfür erforderliche Ausbildung und Erfahrung fehlt.150 So hat eine Befragung von Hausärzten in der Schweiz jüngst gezeigt, dass die Einwilligungsfähigkeit, anders als es die zahlreichen wissenschaftlichen Studien zum Thema nahelegen, im Behandlungsalltag lediglich implizit geprüft wird.151 Der geringe Teil der Befragungsteilnehmer, der angab, die Einwilligungsfähigkeit nicht im Rahmen der allgemeinen Arzt-Patient-Kommunikation, sondern gezielt zu beurteilen, tat dies zudem nicht Patientenautonomie, 2013, S. 86; Diederichsen, in: FS Hirsch, 2008, S. 362; aus medizinischer Sicht Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2388 m.w.N. Krit. hierzu unter Qualifikationsgesichtspunkten Lorenz, NZFam 2017, 782, 785; vgl. a. die in den 1970er Jahren vertretene h.M., dass „keinem Arzt die Aufgabe zukommen kann, vor der Behandlung festzustellen, ob der zu behandelnde Minderjährige“ einwilligungsfähig ist, Peschel-Gutzeit, in: Coester-Waltjen u.a. (Hrsg.), Neues elterliches Sorgerecht, 1977, S. 105 m.w.N. Zum Teil wird vertreten, dass neben dem Arzt auch der Betreuer die Einwilligungsfähigkeit zu prüfen hat, Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 147 f. 144 Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. des ArztR, 2019, Kap. XXII § 138 Rn. 17. Näher zu den Voraussetzungen einer solchen Delegation Achterfeld, Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen, 2014, S. 40 ff. 145 Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. des ArztR, 2019, Kap. XXII § 138 Rn. 17. Anders mögen Fälle zu beurteilen sein, in denen ein externer Psychiater zugezogen werden muss. 146 Vgl. § 1896 Abs. 1 BGB. Näher hierzu Kap. 8 A III. 147 Vgl. Kap. 5 D III. 148 Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387 f.; Marson et al., J Am Geriatrics Society, 453, 454; Sturman, Clin Psychol Rev 25 (2005), 954, 963. 149 Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2400 m.w.N. 150 Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2400; Moye et al., Amercian Psychologist 2013, 158, 168. Einige Instrumente setzen viel Vorwissen voraus und sind deshalb ungeeignet für Ärzte, die nicht hinreichend geschult sind, vgl. ebenda, S. 2400; vgl. a. Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1069, die zeigen, dass die Forschergruppen mit ihren selbst entwickelten Instrumenten i.d.R. gute Ergebnisse erzielen, Kliniker hingegen nur sehr eingeschränkt. 151 Hermann et al., Swiss Med Wkly 2014, w14039. Näher hierzu Kap. 6 A II 1.

A. Die Einwilligungsfähigkeit aus Sicht der Medizin und Psychologie

199

mithilfe eines strukturierten Messinstruments, sondern fragte einzelne Aspekte der Einwilligungsfähigkeit unstrukturiert ab.152 Der empirische Forschungsstand zur Einwilligungsfähigkeit wird damit in der klinischen Praxis bisher kaum rezipiert.153 Das ist problematisch, weil die informelle klinische Beurteilung wie gezeigt sehr unzuverlässig ist.154 Entsprechend bekräftigen die medizinischen Fachgesellschaften und Teile der Literatur den bestehenden Bedarf an Aus-, Weiter- und Fortbildungsangeboten zur Einwilligungsfähigkeit.155 b) Unsicherheiten bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit In verschiedenen Ärztebefragungen zeigte sich zudem eine erhebliche Unsicherheit bei der Beurteilung der Einwilligungs(un)fähigkeit im Behandlungsalltag.156 In einer Studie mit 656 Hausärzten und Internisten in Norwegen, der Schweiz, Italien und Großbritannien zu ethischen Problemen in der klinischen Praxis bezeichneten 13,1 % der norwegischen, 12,5 % der britischen und 10,3 % der befragten Schweizer Ärzte die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit als das für sie schwierigste ethische Problem überhaupt.157 Andere Studien haben gezeigt, dass zu dieser Frage in der klinischen Praxis ein großer Unterstützungsbedarf besteht, der sich etwa darin äußert, dass Ärzte bei zweifelhafter Einwilligungsfähigkeit vor allem im US-amerikanischen Raum, häufig eine klinische Ethikberatung in Anspruch nehmen. 158 c) Zeit- und ressourcenintensives Verfahren Die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit kann schon aus diesem Grund sehr zeitund ressourcenintensiv sein. Hinzu kommt, dass die Einschätzung mittels strukturierter Fragebögen häufig langwierig ist.159 Gerade bei Patienten, deren kognitive Fähigkeiten über den Zeitverlauf stark schwanken, ist zudem ein kontinuierliches Assessment notwendig, das für die beurteilenden Ärzte eine zusätzliche zeitliche Belastung bedeuten kann.160 Praxistaugliche Beurteilungsinstrumente sollten daher so einfach wie möglich und gleichzeitig sensitiv genug sein, um die Einwilligungsfähigkeit situationsspezifisch so genau wie möglich bestimmen zu können, ohne den Anwender zu überfordern.161 152

Hermann et al., Swiss Med Wkly 2014, w14039 m.w.N. So für den US-amerik. Raum auch Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 168. 154 Vgl. Kap. 6 A II 1. 155 Vgl. DGPPN, Nervenarzt 2014, 1419, 1423; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2400; Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 168; Hermann et al., Swiss Med Wkly 2014, w14039; Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 28. 156 Hurst et al., J Med Ethics 2007, 51, 54 f. Näher hierzu Kap. 1 A III. 157 Hurst et al., J Med Ethics 2007, 51, 54 f. 158 Moeller et al., HEC Forum 2012, 99, 106 f.; Swetz et al., Mayo Clin Proc 2007, 686; Hurst et al., J Med Ethics 2007, 51, 54. 159 Vgl. Kap. 6 A II 2 b) bb). 160 Starke Schwankungen kommen beispielsweise bei der Lewy Body Demenz vor, aber auch bei anderen psychischen Erkrankungen insbes. in Kombination mit Alkohol- und Drogenkonsum, vgl. Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2400; Kitamura et al., Int J of Law & Psych 1998, 223, 230; Appelbaum, N Engl J Med 2007, 1834, 1838. 161 Müller et al., GeroPsych, 28 (2015), 21, 22; Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 166; Kitamura et al., Int J of Law & Psych 1998, 223, 230. 153

200

6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

3. Abrechnungsfragen Die mitunter ressourcenintensive Beurteilung steht im Kontrast zu bisher kaum geklärten Vergütungs- und Abrechnungsfragen. Weder der für die Behandlung gesetzlich versicherter Patienten maßgebliche Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM),162 noch die im Verhältnis zu privatversicherten Patienten geltende Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)163 enthalten entsprechende Vergütungsregelungen. Bei privatversicherten Patienten erscheint auch eine Abrechnung als selbständige, nicht im Gebührenverzeichnis gelistete ärztliche Leistung nach § 6 Abs. 2 GOÄ kaum aussichtsreich, da die von den ärztlichen Berufsverbänden, insbesondere der BÄK, veröffentlichten Auslegungshilfen164 die Prüfung der Einwilligungsfähigkeit ebenfalls nicht enthalten. Zwar sind diese nicht verbindlich.165 Die Praxis orientiert sich jedoch eng hieran, so dass den Auslegungshilfen jedenfalls eine faktische Verbindlichkeit zukommt.166 In Betracht käme bei privat versicherten Patienten eine Abrechnung mit der jeweils erbrachten Behandlungsleistung unter Zugrundelegung eines erhöhten Gebührensatzes. Das würde aber einen erhöhten, gerichtlich voll überprüfbaren Begründungsaufwand bedeuten167 und ist auch nur dann möglich, wenn der Patient – oder im Fall der Einwilligungsunfähigkeit, dessen Vertreter – der Behandlung zustimmt. Generell werden beide Gebührensysteme dem normativen Stellenwert der informierten Einwilligung des Patienten nicht hinreichend gerecht.168 Wird der Arzt hingegen als gerichtlicher oder behördlicher Sachverständiger 169 tätig, steht ihm nach § 9 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Anlage 1 JVEG170 ein Honoraranspruch 162

Im Behandlungsverhältnis zu gesetzlich versicherten Patienten wird der Ärztliche Honoraranspruch per Verwaltungsakt (Honorarbescheid) auf Grundlage des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) festgesetzt. Näher hierzu Clemens, in: Quaas/Zuck/Clemens, § 22 Rn. 7 ff. 163 Die GOÄ wurde als Rechtsverordnung auf Grundlage der Ermächtigung in § 11 BÄO durch die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen, vgl. Spickhoff/Spickhoff, GOÄ Vor §§ 1 ff. Rn. 1; Miebach, in: Uleer/Miebach/Patt, 2006, Teil 1 Rn. B 12. 164 Sog. Analoglisten, vgl. Hess/Klakow-Franck, GOÄ, 2015, S. 287 ff. 165 Spickhoff/Spickhoff, GOÄ § 6 Rn. 4. 166 Spickhoff/Spickhoff, GOÄ § 6 Rn. 4; Quaas, in: ders./Zuck/Clemens, § 14 Rn. 55. 167 § 5 Abs. 1, Abs. 2 GOÄ. Näher hierzu Quaas, in: ders./Zuck/Clemens, § 14 Rn. 53 f. 168 Während die GOÄ die Aufklärung und Einwilligung des Patienten gar nicht erwähnt, regeln einige Abrechnungsziffern des EBM die Aufklärung des Patienten als obligatorischen Leistungsinhalt, vgl. etwa Nr. 01702-01709 (Neugeborenen-Screenings: Aufklärung der Eltern), Nr. 01741 (Aufklärung über Koloskopie zur Krebsfrüherkennung) und Nr. 01751 (Aufklärungsgespräch zum Mammographie-Screening). Die Pflicht zur Einholung der Einwilligung des Patienten wird hingegen ausschließlich im datenschutzrechtlichen Kontext erwähnt, vgl. Nr. 01439 und 01450 (Videosprechstunde), Nr. 01640 (Anlegung eines Notfalldatensatzes), Nr. 34800 (Telekonsiliarische Befundbeurteilung von Röntgen- und/oder CTAufnahmen). Krit. zum Problem der geringen Vergütung der sprechenden Medizin Schimmelpfennig-Schütte, MedR 2002, 286, 290; Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM), RDG 2017, 65. 169 Vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 JVEG. 170 Anders als die Schuld-, Prozess-, Geschäfts- und Testierfähigkeit wird die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit in der Anlage 1 zum JVEG nicht explizit genannt. Es spricht jedoch einiges dafür, sie wie die Geschäfts-, und Testierfähigkeit der Kategorie M3 zuzuordnen.

B. Forschung zur Gesundheitskompetenz

201

zuzüglich weiterer Aufwandsentschädigungen zu.171 Schon um die mitunter aufwändige Begutachtung auch in der klinischen Praxis sicherzustellen, erscheint die Schaffung eines entsprechenden Gebührentatbestandes de lege ferenda unerlässlich.172

V. Zusammenfassung und Fazit Die durch den MacCAT-T informierte Einschätzung des behandelnden Arztes sollte als best practice Standard durch entsprechende Schulungsangebote stärker in der Praxis implementiert werden. Hierbei sind die genannten Einschränkungen zum Informationsverständnis und zum Urteilsvermögen zu berücksichtigen. Die Steuerungsfähigkeit sollte situations- und bedarfsspezifisch mit geeigneten Verfahren beurteilt werden. Um eine detaillierte Prüfung in Zweifelsfällen und bei fluktuierenden Fähigkeiten des Patienten sicherzustellen, ist die Schaffung eines entsprechenden Gebührentatbestandes geboten. Bei der Beurteilung ist sicherzustellen, dass bei Volljährigen nur zu prüfen ist, ob sie ausnahmsweise konkret einwilligungsunfähig sind, während bei minderjährigen Patienten die situative Einwilligungsfähigkeit positiv festzustellen ist.173

B. Forschung zur Gesundheitskompetenz B. Forschung zur Gesundheitskompetenz

In der Medizin und den Gesundheitswissenschaften ist in den letzten Jahren ein Anstieg an Studien zur Gesundheitskompetenz (GK) zu beobachten, der auch gesundheitspolitisch rezipiert wird.174 Anders als die Einwilligungsfähigkeit, die sich auf eine konkrete medizinische Behandlung bezieht, erfasst die Gesundheitskompetenz allgemein das Wissen, die Motivation und die Fähigkeiten, die erforderlich sind, um relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden.175 Laut einer jüngst vom BMJV in Auftrag gegebenen repräsentativen Befragung in Deutschland wiesen 54,3 % der Befragten eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz auf,176 wobei abzuwarten bleibt, ob dieses Ergebnis in Folge171

Vgl. § 8 Abs. 1 JVEG. Möglich ist auch eine von § 9 JVEG abweichende Honorarvereinbarung nach §§ 13 f. JVEG. 172 Für die letzte Lebensphase ermächtigt bereits heute § 132g Abs. 3 SGB V den GKV-SV mit den Trägern der betroffenen Einrichtungen die Grundsätze der von den Krankenversicherungen zu erstattenden Versorgungsplanung zu konkretisieren. Hiervon ist auch die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit umfasst, vgl. Rixen u.a., NJW 2016, 125, 128. Das betrifft jedoch nur einen kleinen Ausschnitt der Anwendungsfälle. 173 Näher hierzu Kap. 5 B I. 174 Vgl. Schaeffer et al., DÄBl. Int. 2017, 53 (HLS-GER: BMJV-Studie zur GK in Deutschland); Sørensen et al., Eur J Public Health 2015, 1053 (HLS-EU-Studie: Zahlen zur GK in NRW); Osborne et al., BMC Public Health 2013, 658 (HLQ-Studie) aber auch Schaeffer u.a. (Hrsg.), Nationaler Aktionsplan GK, 2018, abrufbar unter: https://www.nap-gesundheitskompetenz.de/aktionsplan.html . 175 Vgl. Sørensen et al., BMC Public Health 12 (2012), 80 in d. Übersetzung v. Schaeffer et al., DÄBl. Int. 2017, 53, 54; vgl. a. Woopen, in: Sturma/Heinrichs (Hrsg.), Hdb. d. Bioethik, 2014, S. 281 ff. zu den versch. Definitionen und Modellen von Gesundheitskompetenz. 176 Schaeffer et al., DÄBl. Int. 2017, 53, 55.

202

6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

studien repliziert werden kann. Der empirische Zusammenhang zwischen Gesundheitskompetenz und Einwilligungsfähigkeit ist bisher nicht hinreichend erforscht. Während die Gesundheitskompetenz die Fähigkeit misst, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden und sich selbst Zugang zu relevanten Gesundheitsinformationen zu verschaffen, erhält der Patient, wenn es um seine Einwilligung und seine Einwilligungsfähigkeit geht, Zugang zu den wesentlichen maßnahmenbezogenen Informationen durch die ärztliche Aufklärung.177 Eine niedrige Gesundheitskompetenz kann sich jedoch im Behandlungsalltag negativ auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient auswirken.178 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ältere Menschen (ab 65 Jahren) möglicherweise mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sind. Erste Ergebnisse zur selbsteingeschätzten Gesundheitskompetenz in Deutschland lassen vermuten, dass diese Gruppe größere Schwierigkeiten hat, sich im Hinblick auf gesundheitsbezogene Informationen zu orientieren.179 Diese Gruppe stellt schon heute einen großen Anteil der Patienten in der ärztlichen Versorgung dar, der perspektivisch weiter zunehmen wird. Ältere Patienten sind überdies häufiger mit komplexen, chronischen Krankheitsverläufen konfrontiert.180 Die Ergebnisse der Studie unterstreichen einmal mehr das Erfordernis, Gesundheitsinformationen verständlicher zu gestalten und durch entsprechende Aus-, Fortbildungs- und Weiterbildungsangebote noch stärker auf eine adressatengerechte Aufklärung in verständlicher Sprache im Behandlungsalltag hinzuwirken.181

C. Neurowissenschaftliche und entscheidungstheoretische Ansätze C. Neurowissenschaftliche und entscheidungstheoretische Ansätze

Die Entscheidungstheorie analysiert das Entscheidungsverhalten von Personen. Eine ihrer Teildisziplinen, die Verhaltensökonomie, wird verstärkt auch von den Rechtswissenschaften rezipiert.182 Während in den ebenfalls von der Rechtswissenschaft rezipierten Wirtschaftswissenschaften und in der Spieltheorie lange Zeit das rationalistische Modell des homo oeconomicus die Diskussion beherrschte, legen neuere verhaltensökonomische und spieltheoretische Erkenntnisse nahe, dass Menschen nur begrenzt rational handeln (sog. Bounded Rationality, vgl. Abschnitt II). Ähnliche Befunde wurden auch für das Entscheidungsverhalten von Patienten generiert (III.). Fraglich ist, welche Folgerungen hieraus für die rechtliche

177

Vgl. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB. Schaeffer et al., DÄBl. Int. 2017, 53. 179 Schaeffer et al., DÄBl. Int. 2017, 53, 56. 180 Robert Koch Institut (Hrsg.), Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 2012, S. 7 ff., insbes. S. 9; Schaeffer et al., DÄBl. Int. 2017, 53, 57 m.w.N. 181 Schaeffer et al., DÄBl. Int. 2017, 53, 59. Näher hierzu Kap. 6 C II. Zum Zusammenhang von Selbstbestimmung und Gesundheitskompetenz vgl. Woopen, in: Sturma/Heinrichs (Hrsg.), Hdb. d. Bioethik, 2014, S. 284 f. 182 Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 98; van Aaken, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 109 f. Näher hierzu Kap. 2 B IV. 178

C. Neurowissenschaftliche und entscheidungstheoretische Ansätze

203

Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit zu ziehen sind (IV.). Eine grundlegendere Herausforderung betrifft schließlich die Frage nach dem freien Willen (I.).183

I. Physiologische und neurowissenschaftliche Erkenntnisse zur menschlichen Willensfreiheit Die Debatte zur Willensfreiheit des Menschen reicht bereits mehrere Jahrtausende zurück.184 Das auf die Steuerung des Verhaltens des Einzelnen gerichtete Recht geht hierbei von einem indeterministischen Freiheitsverständnis aus. Die deterministische Gegenansicht, nach der menschliches Handeln durch bestimmte Vorbedingungen eindeutig festgelegt ist, erfuhr in den 1980er Jahren, vorangetrieben durch neue physiologische Erkenntnisse, Aufschwung.185 Um die Jahrtausendwende wurde auf Basis dieser empirischen Befunde die Idee des freien Willens aus neurowissenschaftlicher Sicht prominent in Frage gestellt.186 Die Grundsatzdiskussion zum freien Willen in den Rechtswissenschaften wurde nun unter den geänderten Vorzeichen einer den Determinismus möglicherweise belegenden, empirischen Evidenzlage neu belebt. Vor allem das Konzept der strafrechtlichen Verantwortlichkeit stand im Zentrum der Auseinandersetzung und zwang die Strafrechtswissenschaft sich zu positionieren.187 Laufs hat die Bedeutung der Frage auch für das Privatrecht hervorgehoben und den freien Wille über das Haftungsrecht hinaus als Prämisse der verfassungsrechtlich verbürgten Privatautonomie in der Rechtsgeschäftslehre verortet.188 In gleicher Weise setzt auch die Dispositionsbefugnis des Patienten über den eigenen Körper und die eigene Gesundheit die grundsätzliche Möglichkeit zum freien Entscheiden voraus. Die Frage geht weit über die Definition und Rolle der Einwilligungsfähigkeit hinaus, indem sie das grundsätzliche Problem aufwirft, ob und inwieweit der Einzelne für sein Verhalten verantwortlich ist. Nach dem aktuellen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand gilt nach wie vor weder die Freiheit, noch die Unfreiheit des menschlichen Willens als belegt.189 Das entbindet die Rechtswissenschaft nicht davon, sich mit möglichen Folgen eines tatsächlichen Willensdeterminismus auseinanderzusetzen.190 Es handelt sich jedoch um ein 183

Instruktiv hierzu Schreiber, in: FS Laufs, 2006, S. 1069 ff. Zur Bedeutung der Debatte für das Zivilrecht siehe Laufs, in: FS Fischer, 2010, S. 229 ff. und ders., MedR 2011, 1, 4 ff. 184 Ein historischer Überblick findet sich bei Laufs, MedR 2011, 1, 3 ff. 185 Allen voran sind hier die Experimente des US-amerikanischen Physiologen Benjamin Libet zu nennen. Die Ergebnisse seiner Studien sind zusammengefasst in Libet, Mind Time, 2004. Schlussfolgerungen für den freien Willen finden sich auf S. 123 ff., insbes. S. 140 ff. 186 Gefordert wird insbes. eine Distanzierung vom Schuldstrafrecht, vgl. Roth/Lück/Strüber, in: Lampe u.a. (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, 2008, S. 126 ff.; Roth, Information Philosophie 2004, 14, 19 ff.; weitere Nachw. bei Laufs, MedR 2011, 1, 6. 187 Vgl. hierzu etwa Schreiber, in: FS Laufs, 2006, S. 1069 ff. sowie die Nachw. bei Lackner/Kühl/Heger, Vor §§ 13 ff. Rn. 23 und NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 Rn. 227 ff.; grundlegend zur Frage Merkel, Willensfreiheit, 2. Aufl. 2014, S. 110 ff. 188 Vgl. Laufs, in: FS Fischer, 2010, S. 231 ff.; ders., MedR 2011, 1, 4 ff. 189 So ausdrücklich Libet, Mind Time, 2004, S. 151 ff., insbes. S. 153. Laufs, MedR 2011, 1, 4 geht insoweit treffend von einem „non liquet“ aus, wobei die Beweislast letztlich bei den Vertretern des Determinismus liegen dürfte, vgl. ebenda. 190 So zutreffend Laufs, MedR 2011, 1, 4.

204

6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

themenübergreifendes Problem, das die bestehenden Konzepte von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung nur scheinbar im Kern angreift, in erster Linie aber begründungstheoretischer Natur zu sein scheint. Das illustriert etwa die Diskussion im Strafrecht, die nach wie vor am Schuldkonzept festhält, aber zunehmend von einem sozialen Schuldbegriff ausgeht, der die Willensfreiheit nicht zwingend voraussetzt.191 Auch für die Einwilligungsfähigkeit wurde vorgeschlagen, an das „Freiheitsempfinden“ mündiger Rechtspersonen anzuknüpfen.192 Indeterminiertheit ist damit nicht zwangsläufig Voraussetzung für Selbstbestimmung. Das zeigt sich im medizinischen Bereich besonders deutlich, da Patienten gesundheitsbezogene Entscheidungen in der Regel schon situationsbedingt nicht völlig unbeeinflusst von äußeren Faktoren treffen.193

II. Empirische Befunde zur begrenzten Rationalität Eine klarere Relevanz für die Einwilligungsfähigkeit haben die verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnisse zur begrenzten Rationalität (Bounded Rationality).194 Die Rationalitätskriterien, von denen die Rational-Choice-Theorie ausgeht, werden empirisch zunehmend angezweifelt. Prämisse des Rational-Choice-Ansatzes ist, dass Menschen in der Regel rational handeln. Das ist der Fall, wenn sie vollständig informiert sind, fehlerfrei kalkulieren und logische Regeln auf der Grundlage stabiler Präferenzen richtig befolgen.195 Neben der Prämisse, der vollständigen Informiertheit hat insbesondere die Annahme, dass die Präferenzen rationaler Menschen „konsistent und kohärent“ seien,196 Eingang in die medizinrechtliche Diskussion zur ärztlichen Aufklärungspflicht197 und zur Einwilligungsfähigkeit198 gefunden. Die entscheidungstheoretische Forschung hat wiederholt gezeigt, das Menschen diese Rationalitätsstandards nur eingeschränkt erfüllen.199 So wurden verschiedenste Belege dafür gefunden, dass Personen Risiken und Nutzen konkreter Entscheidungen systematisch fehleinschätzen, etwa weil sie den Nutzen überbewerten (Überoptimismus),200 ihren Entscheidungsrahmen an einen vorgegebenen Rahmen anpassen (sog. adaptive Präferenzen201) oder den Rahmen auf eine konkrete Entscheidung 191

Näher hierzu mit umfangreichen Nachw. Lackner/Kühl/Heger, Vor §§ 13 ff. Rn. 23. So etwa Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 104 f. 193 Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 105. Zur Bedeutung „legitimer“ sozialer Zwänge für die Wirksamkeit der Einwilligung siehe auch Rönnau, Willensmängel, 2001, S. 228 ff. 194 Übersetzung nach van Aaken, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 112. 195 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 75 f. 196 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 78. 197 Das Ideal des vollinformierten Entscheiders scheint auch der stark ausdifferenzierten Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht zu Grunde zu liegen. Krit. zu den Anforderungen der Rechtsprechung Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 350 ff. m.w.N. 198 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 544 ff. 199 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 76; Eidenmüller, JZ 2011, 814, 816 f. m.w.N. 200 Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 95 f. und Kap. 5 D IV 5. 201 Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 76 m.w.N.; Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 94 f. 192

C. Neurowissenschaftliche und entscheidungstheoretische Ansätze

205

reduzieren, indem sie sich weitgehend losgelöst vom tatsächlichen Risiko-NutzenProfil für die jeweilige Standard-Option entscheiden (sog. Default-Option).202 Hinzu kommen verschiedene Framing-Effekte, die zeigen, dass auch die Informationsaufbereitung und -vermittlung das Entscheidungsverhalten beeinflussen. So ändert sich etwa das Entscheidungsverhalten trotz unveränderter Faktenlage drastisch, je nachdem ob Risiken und Nutzen positiv oder negativ formuliert werden.203 Im medizinischen Kontext lässt sich das besonders eindrücklich veranschaulichen, wenn man sich den Unterschied zwischen der Darstellung eines Sterberisikos bei einem Eingriff von drei Prozent vor Augen führt: Eine 97-prozentige Überlebenschance ist deutlich anders konnotiert als ein dreiprozentiges Risiko an den Folgen des Eingriffs zu versterben. All diese Befunde deuten an, dass Rationalität bei der Entscheidungsfindung nur eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint.204 Auch die Existenz eines stabilen, entscheidungsleitenden Wertesystems lässt sich empirisch nicht belegen.205 Selbst wenn ein solches im Einzelfall vorliegen sollte, werden Entscheidungen nur begrenzt im Einklang hiermit getroffen.206 All das bedeutet jedoch nicht, dass Menschen grundsätzlich irrational handeln, sondern nur, dass ihr Verhalten in der Regel nicht im Einklang mit den Annahmen der Rational-Choice-Theorie steht.207

III. Einfluss von Informationsumfang und -kontext auf die Einwilligungsfähigkeit Die genannten entscheidungstheoretischen Erkenntnisse wurden auch im Gesundheitskontext reproduziert. Es konnte wiederholt gezeigt werden, dass sowohl der Aufklärungsumfang208 als auch die Art der Informationsvermittlung das Verständnis und die Informationsverarbeitung beeinflussen.209 Diese Effekte werden verstärkt, wenn die kognitiven Fähigkeiten der Betroffenen krankheitsbedingt beeinträchtigt sind.210 Auch Umgebungs- und Kontextfaktoren spielen eine entscheidende Rolle. Für die Einwilligungsfähigkeit von Kindern werden hier u.a. die Einstellung des Arztes, die Erziehung aber auch die gewährte Entscheidungszeit genannt.211

202

Gutwald, in: Fateh-Moghadam u.a. (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, 2010, S. 76. van Aaken, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 115 ff. 204 Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 92 ff. und Kap. 6 C II. 205 Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 77 ff., v.a. S. 89 m.w.N. 206 Vgl. Eidenmüller, JZ 2011, 814, 817; van Aaken, in: Anderheiden u.a. (Hrsg.), Paternalismus und Recht, 2006, S. 120 ff. 207 Englerth, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 101. 208 Kitamura et al., Int J of Law & Psych 1998, 223, 238. 209 Vgl. Dunn et al., Am J Psychiatry 2006, 1323 m.w.N.; Hein et al., BMC Pediatr 2012, 156, 159 m.w.N.; Lamont et al., J Clin Nurs 2013, 2387, 2400; Haberstroh et al., GeroPsych 27 (2014), 151; Schatz et al., GeroPsych 30 (2017), 97, 104 f.; zu den rechtlichen Implikationen S. Spiecker/Kurzenhäuser, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 152 ff. 210 Zamarian et al., J Neurol Sci 2010, 46 ff. 211 Ruhe et al., Eur J Pediatr 2015, 775, 779 m.w.N.; Alderson, in: Wiesemann u.a. (Hrsg.), Das Kind als Patient, 2003, S. 32 und S. 38; Hein et al., BMC Pediatr 2012, 156, 158. 203

206

6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

IV. Folgerungen für das Recht Welche normativen Schlüsse aus diesen empirischen Erkenntnissen für das Recht zu ziehen sind, wird nicht einheitlich beurteilt. Während zum Teil ein stärker paternalistisches Eingreifen des Staates gefordert wird, um systematische Verzerrungen im Entscheidungsverhalten auszugleichen, beispielsweise indem stärkere Anreize für die „objektiv“ richtige Entscheidung, etwa gesünderes Ess- oder Bewegungsverhalten, gesetzt werden (sog. Nudging), werden für das Arzt-Patient-Verhältnis vor allem Schlüsse in Bezug auf die ärztliche Aufklärungspflicht gezogen: So wird zunehmend gefordert, den Patient nicht durch Überinformation zu überfordern, sondern die Aufklärung auf die tatsächlich entscheidungsrelevanten Umstände zu beschränken.212 Darüber hinaus hebt die Rechtsprechung die Bedeutung der frühzeitigen Aufklärung hervor, mit der dem Patienten, sofern es medizinisch möglich ist, ausreichend Bedenkzeit einzuräumen ist.213 Der Arzt ist zudem rechtlich verpflichtet, den Patienten auch über Behandlungsalternativen aufzuklären, sofern eine echte Wahlmöglichkeit besteht.214 Er hat also den tatsächlich bestehenden Entscheidungsrahmen in Gänze darzustellen. Auch das Erfordernis einer empfängerorientierten Aufklärung ist nunmehr in § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 BGB gesetzlich normiert.215 Das ist auch für die Einwilligungsfähigkeit bedeutsam. Denn ob ein Patient im konkreten Fall für einwilligungsfähig befunden wird oder nicht, hängt nicht nur von dessen Fähigkeiten ab, sondern auch von situativen Faktoren wie der Art und Weise der Informationsaufbereitung und -mitteilung.216 Das psychologische Schrifttum verweist auf Studien, die belegen, dass strukturierte, kurze und übersichtliche Informationen, die Verwendung einfacher Sprache und Illustrationen die Einwilligungsfähigkeit steigern.217 Näher zu liegen scheint, dass gezielte und verständliche Informationsangebote Verständnis- und Rationalitätsdefizite ausgleichen und hierdurch die Beurteilungspraxis zur Einwilligungsfähigkeit verbessert wird.218 Der beurteilende Arzt oder Psychologe hat vor diesem Hintergrund besonders sorgfältig zu prüfen und sicherzustellen, dass der Patient nicht wegen eines korrigierbaren Fehlverständnisses für einwilligungsunfähig befunden wird.219 Weniger zwingend, aber nach der hier vertretenen Ansicht vorzugswürdig, erscheint es in Anbetracht der entscheidungstheoretischen Befunde auch die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit nicht zu hoch zu setzen. Vor allem, was das gebotene Maß an Rationalität angeht, sollte angesichts der klaren Befunde eher eine 212

Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 351; Giebel u.a., NJW 2001, 863, 866 ff.; Picker, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2013, 2014, S. 162 f.; Eberbach, MedR 2019, 111, 116 f.; Dorneck et al., MedR 2019, 431, 435 f.; so für den datenschutzrechtlichen Kontext auch Spiecker/Kurzenhäuser, in: Engel u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 144 ff. 213 Vgl. Kap. 9 B I 1. 214 § 630e Abs. 1 S. 3 BGB. Näher hierzu BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 25 ff. 215 Näher hierzu BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 49 f.; vgl. a. Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 146 f. 216 Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1067; Damm, MedR 2015, 775, 777; Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 146 f. m.w.N. 217 Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1067 f. 218 Entsprechend fordert Rothärmel, Einwilligung, Veto, 2004, S. 117„Entscheidungsumstände, die den Fähigkeiten des Patienten entsprechen“; zust. Damm, MedR 2015, 775, 777. 219 Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1070; vgl. a. Kap. 4 A II 1 c).

D. Einwilligungsfähigkeit in der Philosophie und Medizinethik

207

Minimalkonzeption zu Grunde gelegt werden.220 Denn es lässt sich kaum rechtfertigen, bei erkrankten Personen einen Maßstab anzulegen, den schon gesunde Personen im Regelfall nicht erfüllen können.221

D. Einwilligungsfähigkeit in der Philosophie und Medizinethik D. Einwilligungsfähigkeit in der Philosophie und Medizinethik

Auch in der medizinethischen und philosophischen Debatte erfährt die Einwilligungsfähigkeit derzeit einen Bedeutungsaufschwung. Die ethischen Modelle zur Patientenautonomie als Grundlage der Einwilligungsfähigkeit wurden bereits in Kapitel 2 B ausführlich dargestellt. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den zahlreichen ethischen Definitionen der Einwilligungsfähigkeit würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen.222 Auf drei wesentliche Punkte der medizinethischen Debatte soll jedoch in gebotener Kürze eingegangen werden: Die Frage, ob die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit in Abhängigkeit vom Risiko-Nutzenprofil der konkreten Entscheidung zu bestimmen sind (Risikorelativität) (I.), die Kritik, das herrschende Modell der Einwilligungsfähigkeit sei zu einseitig kognitivistisch ausgestaltet (sog. „cognitive bias“-Einwand)223 (II.) und der vor allem bei schwerwiegenden Behandlungsentscheidungen diskutierte Vorschlag, zusätzlich zu den klassischen Kriterien der Einwilligungsfähigkeit, ein gewisses Maß an Authentizität zu fordern (III.).

I. Risikorelativität Die Debatte zur relativen Einwilligungsfähigkeit wird in der Medizinethik vorwiegend unter dem Stichwort „Risikorelativität“ geführt.224 Die Befürworter einer risikorelativen Betrachtungsweise stellen, anknüpfend an das Risiko-Nutzen-Profil der konkreten Patientenentscheidung, unterschiedlich strenge Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit.225 Hierdurch kann es für ein und dieselbe medizinische Maßnahme zu unterschiedlichen Beurteilungsmaßstäben kommen, je nachdem, ob

220

Vgl. oben Kap. 2 B IV 3. So zutreffend bereits Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 141. 222 Vgl. hierzu Beauchamp/Childress, Biomedical Ethics, 7th Ed. 2013, S. 115 ff.; Vollmann, Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 54 ff.; Scholten/Vollmann, in: Vollmann (Hrsg.), Ethik in der Psychiatrie, 2017, S. 26 ff.; Maio, Mittelpunkt Mensch, 2. Aufl. 2017, S. 202 ff. 223 So etwa Charland, Kennedy Inst Ethics J 1998, 359, 370 ff.; Breden/Vollmann, Health Care Analysis 12 (2004), 273, 275 ff. m.w.N. 224 Hermann et al., Swiss Med Wkly 2014, w14039. 225 Vgl. Drane, Hastings Center Report 15 (1985), 17, 18 ff.; Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 51 ff.; Brock, Bioethics 1991, 105, 108 ff.; Wilks, Bioethics 1997, 413, 414 ff.; Vollmann, Nervenarzt 2000, 709, 711; ders., Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 64 ff.; Helmchen/Lauter, Mit Demenkranken forschen?, 1995, S. 48 f.; zurückhaltender Buchanan, J. Royal Soc. Med. 97 (2004), 415, 417 f. Krit. zum Ganzen Hermann et al., Swiss Med Wkly 2014, w14039; Hermann et al., Front. Psychol. 2016, 765. 221

208

6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

der Patient der Maßnahme zustimmt oder nicht.226 Die Gegenauffassung plädiert hingegen für eine einheitliche Betrachtung der Entscheidung und lehnt eine Aufspaltung von Zustimmung und Ablehnung ab.227 1. Theoretische Vorannahmen Beide Ansichten gehen von unterschiedlichen Prämissen aus. Die Vertreter des Internalismus lehnen eine risikorelative Betrachtung mit der Begründung ab, die Einwilligungsfähigkeit sei als operationalisierte Selbstbestimmung ausschließlich autonomiebezogen zu definieren.228 Fürsorgeerwägungen, die nach der Gegenansicht ein höheres Level an Fähigkeiten bei risikoreicheren Maßnahmen rechtfertigen, seien bei der Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit außer Acht zu lassen. Das erforderliche Level an Fähigkeiten richte sich vielmehr nach der Komplexität der Entscheidung, die nicht von äußeren Faktoren abhängt, sondern in erster Linie von den Werten des Patienten bestimmt wird.229 Erst in einem zweiten Schritt sei abzuwägen, ob fürsorgerische Erwägungen dazu führen können, die autonome Entscheidung des nach diesen Kriterien einwilligungsfähigen Patienten zu übergehen, um sein objektives Wohl zu schützen (sog. harter Paternalismus).230 Nach der Gegenauffassung, dem Externalismus, fließen fürsorgerische Erwägungen hingegen schon in die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit ein. Je höher die Risiken des Eingriffs oder einer Therapieablehnung sind, desto schutzwürdiger ist der Patient mit der Folge, dass höhere Anforderungen an seine Fähigkeiten zu stellen sind. Der konkrete Beurteilungsmaßstab richtet sich damit im Wesentlichen nach äußeren Umständen.231 Weil fürsorgerische Erwägungen bereits in die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit einfließen, kann die Entscheidung eines nach diesen Maßstäben für einwilligungsfähig erachteten Patienten nicht unter Berufung auf das Patientenwohl übergangen werden.232 Medizinische Maßnahmen zum Wohl des Patienten, die seinem aktuellen Willen widersprechen, setzen vielmehr voraus, dass der Patient konkret einwilligungsunfähig ist (sog. weicher Paternalismus).233

226

Beispielsweise, wenn der Patient eine vital indizierte Maßnahme verweigert (Risiken der Ablehnung höher als Risiken der Zustimmung) oder eine besonders risikoreiche, nur relativ indizierte Maßnahme wünscht (Risiken der Zustimmung zur Behandlung höher als bei der Ablehnung), vgl. Drane, Hastings Center Report 15 (1985), 17, 18 ff.; Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 51 ff.; Brock, Bioethics 1991, 105, 108 ff. 227 Vgl. Wicclair, Bioethics 1991, 91, 94 ff.; ders., Bioethics 1991, 118 ff.; ders., Bioethics 1999, 149, 150 ff.; Cale, Bioethics 1999, 131, 132 ff., 134 ff. 228 Vgl. Wicclair, Bioethics 1999, 149, 150 ff.; Cale, Bioethics 1999, 131, 132 ff., 134 ff. 229 So etwa Buller, Bioethics 2001, 93, 99 f.; näher hierzu Kap. 4 B II. 230 Cale, Bioethics 1999, 131, 147; Buller, Bioethics 2001, 93, 104. Näher zur Unterscheidung von hartem und weichem Paternalismus oben Kap. 2 B III 2. 231 Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, 51 ff.; Brock, Bioethics 1991, 105, 108 ff.; Wilks, Bioethics 1997, 413, 414 ff.; ders., Bioethics 1999, 154, 156 ff.; Buchanan, J. Royal Soc. Med. 97 (2004), 415, 416. Krit. hierzu Wicclair, Bioethics, 1991, 91, 98. 232 Vgl. Buchanan/Brock, Deciding for Others, 1990, S. 26 f.; Buchanan, J. Royal Soc. Med. 97 (2004), 415 m.w.N.; Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 114. Näher hierzu Kap. 2 B III 2, Kap. 4 C und Kap. 9 B III 2, C und D. 233 Vgl. hierzu auch Kap. 2 B III 2.

D. Einwilligungsfähigkeit in der Philosophie und Medizinethik

209

2. Diskussion und Folgerungen für das Recht Rechtlich sind die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit im Einklang mit dem externalistischen Ansatz durch Austarieren von Autonomie- und Fürsorgeerwägungen zu ermitteln.234 Hierbei ist vor allem das Risiko-Nutzen-Profil der geplanten Maßnahme zu berücksichtigen, indem die potentiellen Gefahren des Eingriffs der Indikation und damit dem erwarteten Nutzen gegenüber gestellt werden.235 In der Folge sind medizinische Maßnahmen gegen den Willen des Patienten, nur dann legitimierbar, wenn der Betroffene einwilligungsunfähig ist. 236 Die aus der risikorelativen Beurteilung gefolgerte Aufspaltung der Entscheidung in Zustimmung und Ablehnung ist hingegen aus rechtlicher Sicht weder erforderlich noch geboten. Zwar wird auch im Recht bei bestimmten Behandlungsentscheidungen für die Zustimmung ein niedrigeres Maß an Kompetenzen für ausreichend erachtet als für deren Ablehnung. Das bedeutet jedoch nicht, dass unterschiedlichen Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen sind. Die Privilegierung der Zustimmung liegt aus rechtlicher Sicht vielmehr darin begründet, dass neben der Einwilligung weitere Rechtfertigungsgründe, die das ärztliche Handeln legitimieren in Betracht kommen, wenn der Patient mit der Maßnahme einverstanden ist. Diese knüpfen nicht an die Einwilligungsfähigkeit an, sondern an den mutmaßlichen oder natürlichen Willen des Patienten. Die Anforderungen an die aktuellen Fähigkeiten des Patienten zur Willensbildung liegen deshalb niedriger.237 Ob solche, von der Einwilligung unabhängigen Rechtfertigungsgründe zu Gunsten des behandelnden Arztes greifen, richtet sich primär danach wie sehr die geplante Maßnahme indiziert ist. Je mehr ein Eingriff medizinisch geboten ist, desto eher kann die Maßnahme, unabhängig von der Einwilligung gerechtfertigt sein. 238 Durch die Verbindung zur Indikation kann im Umkehrschluss auch die Ablehnung einer medizinischen Maßnahme privilegiert sein, wenn sie – wie etwa die Teilnahme an klinischen Studien ohne Nutzen für den Probanden oder die Lebendorganspende – nicht oder nur schwach indiziert ist. Lehnt der Betroffene eine solche Maßnahme ab, ist hierfür in der Regel ausreichend, dass er einen natürlichen Willen bilden kann.239 Eine nach Zustimmung und Ablehnung differenzierende Betrachtung der Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit ist damit aus rechtlicher Sicht nicht erforderlich. Die Anforderungen werden vielmehr einheitlich für die anstehende Entscheidung bestimmt und damit unabhängig davon, wie sich der Patient konkret entscheidet. Hierbei sind sowohl die Risiken, Indikation und Schwere des geplanten Eingriffs und etwaiger Therapiealternativen als auch die Folgen der Nichtvornahme einzubeziehen.240

234 235 236 237 238 239 240

Vgl. Kap. 4 B I 1. Vgl. Kap. 4 B II. Vgl. Kap. 2 B III 2 und Kap. 9 B und D. Vgl. Kap. 4 C II 1. Vgl. Kap. 4 C. Vgl. Kap. 4 C II 2. Ausführlich zum Ganzen Kap. 4 B II, C I, II.

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6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

II. Kritik an der kognitivistischen Definition der Einwilligungsfähigkeit Eine in der Medizinethik wiederholt geäußerte Kritik betrifft die einseitige Ausrichtung der Einwilligungsfähigkeit auf kognitive Fähigkeiten, genauer das logisch-rationale Denk- und Entscheidungsvermögen.241 Da neuere verhaltenswissenschaftliche Studien belegen, dass Entscheidungen nicht ausschließlich logisch-rational gefällt werden, sondern auch Emotionen, Intuition und Heuristiken eine entscheidende Funktion zukommt,242 wird empfohlen, den traditionell kognitiven Ansatz zu ergänzen; etwa indem emotionale Fähigkeiten und emotionale Intelligenz 243 aber auch der biographische Kontext des Patienten, seine persönlichen Konstrukt- und Wertsysteme bei der Beurteilung der kognitiven Komponenten der Einwilligungsfähigkeit stärker einbezogen werden.244 Die genaue Bedeutung emotionaler und intentionaler Fähigkeiten für die Einwilligungsfähigkeit ist bisher jedoch noch nicht hinreichend erforscht.245 Die Berücksichtigung biographischer und sozialer Aspekte bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit bedeutet eine Orientierung am subjektiven Werte- und Glaubenssystem des Patienten.246 Die Kognitivismuskritiker lehnen einen objektiven Vernunftmaßstab ebenso ab, wie eine Orientierung am Wertesystem des beurteilenden Arztes247 und gehen von einem subjektiven Beurteilungsmaßstab aus. Dieser ist, wie oben ausgeführt, auch rechtlich geboten.248 Ungeklärt ist bisher, wie weit die Pflicht des Arztes zur Ermittlung der Werte des Patienten geht und inwieweit er im Rahmen der Beurteilung überhaupt hierzu in der Lage ist.249 Auch die mit diesem Maßstab verbundenen Rechtfertigungs- und Begründungslasten, die dem objektiv unvernünftig handelnden Patienten auferlegt werden, sind rechtfertigungsbedürf241 Charland, Kennedy Inst Ethics J 1998, 359, 370 ff.; Vollmann, Nervenarzt 2000, 709; ders., Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 73 ff.; Breden/Vollmann, Health Care Analysis 12 (2004), 273, 275 ff. m.w.N.; Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 167; für einen Überblick S. Hermann et al., Front. Psychol. 2016, 765. 242 Charland, Kennedy Inst Ethics J 1998, 359, 360 f. m.w.N.; Betsch/Glöckner, Psychological Inquiry 2010, 279 ff.; Gigerenzer/Gaissmaier, Annual Rev Psychology 2011, 451 ff. Nachw. zur neueren Literatur bei Moye et al., American Psychologist 2013, 158, 167. Grundlegend zum Ganzen Gigerenzer/Todd (Hrsg.), Simple Heuristics That Make Us Smart, 1999. 243 Berghmans et al., AJOB Neuroscience 2011, 66; Charland, Kennedy Inst Ethics J 1998, 359, 360; Breden/Vollmann, Health Care Analysis 12 (2004), 273, 279 f.; ähnlich bereits Buchanan/Brock, Deciding for others, 1990, S. 56. 244 Charland, Kennedy Inst Ethics J 1998, 359, 360; Breden/Vollmann, Health Care Analysis 12 (2004), 273, 279 f.; Berghmans et al., AJOB Neuroscience 2011, 66. 245 Vgl. Helmchen, Nervenarzt 2015, 1040, 1042. 246 Breden/Vollmann, Health Care Analysis 12 (2004), 273, 281 f.; Vollmann, Patientenselbstbestimmung, 2008, S. 79. 247 Entsprechend hat der Arzt die genannten Aspekte möglichst wertfrei zu ermitteln, Breden/Vollmann, Health Care Analysis 12 (2004), 273, 281 f. Zum Einfluss individueller Wertvorstellungen des Arztes auf die Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit, vgl. Breden/Vollmann, ebenda, S. 278; Hermann et al., J Med Ethics 2015, 739 ff. 248 Vgl. Kap. 4 A II. 249 Steinfath/Pindur, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 30 halten ein Beurteilung der Lebensführung des Patienten durch den Arzt generell für ausgeschlossen.

D. Einwilligungsfähigkeit in der Philosophie und Medizinethik

211

tig.250 Die Kritiker des kognitivistischen Ansatzes fordern in der Regel keine Ersetzung der kognitiven Kriterien (wie beispielsweise der Fähigkeit, Informationen zu erfassen) durch emotionale oder intuitive Kriterien. Befürwortet wird lediglich eine ergänzende Berücksichtigung dieser Faktoren. Wie sich dies auf die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall auswirken soll, ist bisher jedoch nicht abschließend geklärt.

III. Authentizität Eng verbunden mit der Forderung, die Werte und persönlichen Konstrukte des Patienten bei der Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit stärker zu berücksichtigen, ist die Forderung, der Patient müsse zusätzlich zu den bestehenden, konsentierten Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit, in der Lage sein, eine authentische Entscheidung zu treffen.251 Das Authentizitätskriterium wird insbesondere im Zusammenhang mit Entscheidungen von Anorexia nervosa Patienten, 252 im Kontext der Einwilligung in die Tiefe Hirnstimulation (THS)253 sowie bei Therapieabbruchentscheidungen am Lebensende diskutiert.254 Authentizität ist überdies Bestandteil einiger (schwach) substantieller Autonomiemodelle.255 Eine authentische und damit autonome Entscheidung setzt hiernach voraus, dass der Betroffene in der Lage ist, in einer Weise zu entscheiden, die seiner Identität, seinen Werten und Zielen, seiner Selbstwahrnehmung und Lebenseinstellung entspricht.256 Sie wird typischerweise abgegrenzt von Entscheidungen, die auf einer Erkrankung beruhen.257 Das Problem wird in der Ethik thematisiert, weil die klassischen Kriterien und Messverfahren Wünsche, Werte und Ziele des Patienten unberücksichtigt lassen, so dass sich krankheitsbedingte Veränderungen des Wertesystems und der Persönlichkeit des Patienten nicht als Beeinträchtigungen der Einwilligungsfähigkeit erfassen lassen. In der Folge müsste man ihnen die volle Entscheidungskompetenz zusprechen, was 250

Zur Äußerungslast des objektiv unvernünftig Handelnden im Kontext der mutmaßlichen Einwilligung, Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 41 ff. 251 So etwa Vollmann, Philos Psychiatr Psychol 2006, 289, 290; Maio, Mittelpunkt Mensch, 2. Aufl. 2017, S. 205 ff.; krit. hierzu bereits Faden/Beauchamp, Informed Consent, 1986, S. 262 ff. In eine ähnliche Richtung weisen die Ansätze der Behavioral Law and EconomicsForschung, die darauf gerichtet sind, objektiv nicht vollkommen rationale Entscheidungen im Hinblick auf den „wahren“ Willen des Betroffenen zu optimieren, ausführlich hierzu oben Kap. 2 B IV. 252 Tan et al., Philos Psychiatr Psychol 2006, 267, 277 ff.; Vollmann, Philos Psychiatr Psychol 2006, 289, 290; Draper, Bioethics 2000, 120, 128 ff.; Charland et al., Philos, Psychiatr Psychol 2013, 375, 377 f. 253 Witt/Woopen, in: Kuhn/Gaebel (Hrsg.), Therapeut Stimulationsverfahren, 2014, S. 197 f. 254 Soriano/Lagman, Am J Hosp & Palliative Med 2012, 401, 402; Moye et al., Clin Psychol Rev 26 (2006), 1054, 1056: „consistent-choice“-Kriterium, vgl. Kap. 6 A II 2 a) dd); vgl. a. Cabrera, AJOB Neuroscience 2011, 41, 42, zur Authentizität bei Depression. 255 Vgl. Buchanan, J. Royal Soc. Med. 97 (2004), 415, 416 m.w.N.; ähnlich a. Quante, Personales Leben, 2002, S. 174 ff., der Kohärenz und das Reflexivität der eigenen Wünsche jedoch nur in einem minimalen Maß fordert. 256 Berghmans, AJOB 2011, 23, 24. 257 Vgl. Tan et al., Philos Psychiatr Psychol 2006, 267, 277 f.; diff. Vollmann, Philos Psychiatr Psychol 2006, 289, 290 f.

212

6. Kapitel: Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit

problematisch erscheint, wenn die Entscheidungen krankheitsbedingt verzerrt erscheinen.258 Das Authentizitätskriterium wird auch in der ethischen Literatur kritisiert.259 Die Argumente entsprechen weitgehend den Einwänden gegen den in der juristischen Literatur vertretenen Ansatz der defektbedingt verzerrten Werte. 260 So setzt eine Abgrenzung krankheitsbedingter, nicht-authentischer Werte von gesunden, authentischen Werten zwangsläufig normative Entscheidungen voraus. Vor allem bei chronischen Verläufen ist umstritten, ob eine solche Abgrenzung überhaupt möglich ist.261 Unklar ist weiterhin wie lange eine Wertvorstellung bestehen muss, damit eine hierauf beruhende Entscheidung als authentisch gelten kann.262 Ein strenges Authentizitätskriterium droht überdies den Betroffenen vor allem in existentiellen Krankheitssituationen, die typischerweise mit einem Wandel an Wertvorstellungen einhergehen, auf den status quo festzuschreiben.263 Zum Teil wird deshalb vorgeschlagen, Selbstbestimmungsfähigkeit und Autonomie stärker zu entkoppeln und das Urteil der Einwilligungsunfähigkeit an eine ausgewogene, breit konsensfähige Begründung statt an standardisierte Kriterien zu binden.264 Hierdurch wird das Problem aber letztlich nur verlagert. Statt auf der Prinzipienebene (wertneutrales oder (schwach) substantielles Autonomieverständnis) wird die Frage wie die Einwilligungsfähigkeit von Personen, deren Wertesystem vom „Normalen“ abweicht, zu beurteilen ist, direkt auf die Beurteilungsebene verschoben, was die Gefahr einer willkürlichen Begutachtung noch zu erhöhen droht.

IV. Folgerungen für das Recht Ethisch wie rechtlich muss die Einwilligungsfähigkeit bezogen auf die Entscheidung über eine konkret in Frage stehende Maßnahme vorliegen. Die von Teilen des 258

Vollmann, Philos Psychiatr Psychol 2006, 289, 290; Breden/Vollmann, Health Care Analysis 12 (2004), 273, 277 f. So sind etwa Anorexia Nervosa Patienten auch mit kritischem BMI häufig noch in der Lage die vorgeschlagene Behandlung zu verstehen, Risiken und den Nutzen der geringen Nahrungszufuhr zu bewerten und eine Entscheidung zu treffen, vgl. Tan et al., Philos Psychiatr Psychol 2006, 267, 269 f.; vgl. a. Elzakkers et al., BJPsych Open 2016, 147, 149 ff., wobei in dieser Studie etwa ein Drittel der Probanden wegen Beeinträchtigung der Krankheits- und Behandlungseinsicht (appreciation) für einwilligungsunfähig befunden wurde. 259 Vgl. Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 112 und 115 f.; Faden/Beauchamp, Informed Consent, 1986, S. 262 ff.; angedeutet auch bei Witt/Woopen, in: Kuhn/Gaebel (Hrsg.), Therapeut. Stimulationsverfahren, 2014, S. 197 ff. m.w.N., die die Frage aber letztlich offenlassen; gegen das Authentizitätskriterium auch NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 40 Fn. 147, die die EWF bei Anorexia Nervosa Patienten, die die klass. Kriterien erfüllen, im Bewusstsein der Problemlage bejahen. 260 Vgl. Kap. 4 A II. 261 Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 115; vgl. auch Charland et al., Philos Psychiatr Psychol 2013, 375, 377 f., die eindrücklich beschreiben, dass bei Anorexia Nervosa Patienten die Erkrankung maßgeblich die Identität und Persönlichkeit der Betroffenen bestimmt. 262 Vgl. Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 112 mit Beispielen. 263 Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, 112. 264 So etwa Hermann et al., Ethik Med 2016, 107, und 115 f. Für eine stärkere Entkoppelung von Autonomie und Informierter Einwilligung auch Stoljar, J Med Philos 2011, 375, 381 f.

D. Einwilligungsfähigkeit in der Philosophie und Medizinethik

213

ethischen Schrifttums geforderte Unterscheidung von Zustimmung und Ablehnung des Eingriffs bei der Bestimmung der Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit ist rechtlich nicht geboten. Die einer solchen Differenzierung zu Grunde liegenden Wertungen werden durch das Recht in Form verschiedener Privilegierungen berücksichtigt. Zustimmende Entscheidungen zu absolut indizierten Eingriffen sind regelmäßig durch den Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung legitimiert. Bei nicht indizierten Eingriffen stehen auch einwilligungsunfähigen Patienten niedrigschwellige und weitreichende Vetobefugnisse zu. In beiden Fällen kommt es damit auf die Einwilligungsfähigkeit nicht entscheidend an.265 Die subjektiven Ziele und Werte des Patienten, deren Bedeutung für die Einwilligungsfähigkeit aus ethischer Sicht wiederholt besonders hervorgehoben wurde, sind auch für die rechtliche Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit maßgeblich.266 Ob zusätzlich emotionale und intuitive Fähigkeiten in die Definition der Einwilligungsfähigkeit einfließen sollten, ist auch aus ethischer Sicht noch nicht abschließend geklärt. Eine dahingehende Erweiterung des rechtlichen Prüfmaßstab erscheint damit vorerst nicht geboten. Gegen das in der medizinethischen Literatur vertretene Authentizitätskriterium bestehen gewichtige Bedenken, so dass eine Erweiterung des bestehenden rechtlichen Maßstabs der Einwilligungsfähigkeit in dieser Hinsicht ebenfalls nicht angezeigt erscheint.

265 266

Vgl. Kap. 4 C II. Ausführlich hierzu oben Kap. 4 A II 2 a).

Kapitel 7: Vorschlag zur Regelung der Einwilligungsfähigkeit im Medizinrecht 7. Kapitel: Regelungsvorschlag

Die Ergebnisse des ersten und zweiten Teils werden im Folgenden in einem Regelungsvorschlag zusammengeführt (A.), der anschließend näher erläutert wird (B.). Vor allem die anhaltende Diskussion um eine mögliche Altersgrenze und die hiermit verbundenen Rechtsunsicherheiten bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit minderjähriger und sehr alter Patienten 1 unterstreichen den bestehenden Normierungsbedarf.2 Der Gesetzgeber selbst hat den Regelungsbedarf für minderjährige und betreute Patienten wiederholt bekräftigt.3 Verstärkt wird dieser Befund durch die Definitionsvielfalt zur Einwilligungsfähigkeit in der Spruchpraxis der Gerichte. Die überwiegend vage gehaltenen Umschreibungen in Rechtswissenschaft und -praxis begünstigen nicht zuletzt auch eine zum Teil stark divergierende und widersprüchliche Beurteilungspraxis. Die vom Staatshaftungssenat des BGH herausgearbeitete Trias aus Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit, die auch im Schrifttum mehrheitlich auf Zustimmung trifft, findet sich bisher in der Rechtspraxis nur selten.4 Problematisch erscheint zudem der vor allem im Strafrecht wiederholt bekräftigte Vernunftmaßstab und die Verkürzung der Einwilligungsfähigkeit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit im Betreuungs- und Minderjährigenrecht. Beides lässt sich wie gezeigt nicht tragfähig begründen.5 Eine gesetzliche Regelung erscheint schließlich geboten, um die bestehenden Unklarheiten im Beweisrecht beizulegen6 und den beurteilenden Arzt oder Psychologen auch haftungsrechtlich zu entlasten.7 Die Forderung, die Einwilligungsfähigkeit im Rahmen der §§ 630a ff. BGB ausdrücklich zu normieren, reiht sich ein in fortwährende Regulierungstendenzen. Eine zu starke Verrechtlichung des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient wurde zurecht wiederholt kritisiert.8 Eine das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gefährdende Regelung ist dennoch nicht zu befürchten. Angesicht der bestehenden Unsicherheiten in der medizinischen Beurteilungspraxis und dem wiederholt bekräftigten Bedürfnis nach klareren normativen Kriterien,9 erscheint eine Normierung vielmehr auch aus ärztlicher Sicht geboten.

1

Vgl. Kap. 3 C II, Kap. 5 B I 3 und Kap. 8 A II 2. Der Regelungsbedarf wird auch im Schrifttum bekräftigt, so etwa Taupitz, MedR 2012, 583, 585; Katzenmeier, MedR 2012, 576, 581 (krit. zur Nichtregelung der Einwilligungsfähigkeit im Rahmen des PatRG); Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 120 ff.; Spickhoff, FamRZ 2018, 412. Zu den nach wie vor bestehenden Rechtsunsicherheiten in der Praxis S. Loos u.a., Wirkungen des Patientenrechtegesetzes, 2016, S. 142 f. 3 Näher hierzu oben Kap. 3 A I 2 b). 4 Vgl. zum Ganzen Kap. 3 B. 5 Vgl. Kap. 4 A II 2 a) und Kap. 5 B II. 6 Ausführlich hierzu Kap. 10 A III. 7 Vgl. Kap. 10 B I 3. 8 Katzenmeier, in: ders./Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S. 46 und S. 49 f.; ders., MedR 2012, 576, 577 ff. m.w.N. 9 Näher hierzu Kap. 1 A III. 2

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Genske, Gesundheit und Selbstbestimmung, Kölner Schriften zum Medizinrecht 23, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1_7

215

216

7. Kapitel: Regelungsvorschlag

A. Regelungsvorschlag A. Regelungsvorschlag

In § 630d BGB sind nach Absatz 3 die folgenden Absätze 4 und 5 einzufügen: (4) Einwilligungsunfähig ist: 1. wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, 2. wer wegen Minderjährigkeit, psychischer Krankheit, geistiger oder seelischer Behinderung, Bewusstlosigkeit, vorübergehender Störung der Geistestätigkeit10 oder eines vergleichbaren Zustandes außer Stande ist, a) den Zweck, die Notwendigkeit und die Dringlichkeit, den voraussichtlichen Verlauf, die möglichen Folgen, die potentiellen Risiken und den potentiellen Nutzen des Eingriffs und seiner Nichtvornahme zu verstehen, b) zu erfassen, welchen Wert die betroffenen Rechtsgüter für ihn haben und unter welchen Alternativen er wählen kann, c) das Für und Wider abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen, d) diese Entscheidung zu äußern und e) seiner Entscheidung gemäß zu handeln. (5) Ab Vollendung des 14. Lebensjahres wird die Einwilligungsfähigkeit vermutet.

B. Erläuterungen I. Ort der Regelung im Behandlungsvertragsrecht B. Erläuterungen

Die Regelung wurde bewusst nicht im allgemeinen Teil des BGB oder – wie ursprünglich vom Gesetzgeber des BGB intendiert11 – im Deliktsrecht verortet, sondern im Behandlungsvertragsrecht. Eine umfassende Regelung, die auch den nichtmedizinischen Bereich einschließt, wäre langfristig wünschenswert. Da der Schwerpunkt der Diskussion um die Einwilligungsfähigkeit aber im Medizinrecht liegt12 und durch die Parallelisierung von Einwilligungsfähigkeit und Selbstbestimmungsaufklärung13 medizinrechtliche Besonderheiten zu berücksichtigen sind, erscheint eine Regelung im Rahmen von § 630d BGB folgerichtig. Den §§ 630a ff. BGB liegt ein weiter Behandlungsbegriff zu Grunde, der auch nicht indizierte Maßnahmen umfasst.14 Entsprechend weit ist der Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Regelung. Das Behandlungsvertragsrecht ist auch für Behandlungsentscheidungen des Gesundheitsbevollmächtigten und des Betreuers maßgeblich, sofern das Behandlungsverhältnis nicht, wie im Rahmen der freiheits10

Etwa in Folge einer Intoxikation, erheblicher Schmerzen oder eines besonders schlechten gesundheitlichen Allgemeinzustandes. 11 Vgl. Motive, Bd. II, S. 407 f., Protokolle, Bd. II, S. 1080. Näher hierzu Kap. 3 A I 2 a). Näher hierzu Kap. 3 A I 2 a). 12 Vgl. Kap. 1 A I. 13 Vgl. Kap. 4 A II 1. 14 Ganz h.M., vgl. hierzu Kap. 1 B I 3 b).

B. Erläuterungen

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entziehenden Unterbringung nach den PsychKG der Länder, öffentlich-rechtlich zu charakterisieren ist.15 Insbesondere die betreuungs- und familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalte modifizieren die allgemeine Regelung der Behandlungseinwilligung, vgl. § 630d Abs. 1 S. 3 BGB. Das gilt auch für die Umschreibung der Einwilligungsfähigkeit im Betreuungsrecht als Einsichts- und Steuerungsfähigkeit.16 Die damit verbundene Verkürzung der Kriterien auf die Krankheits- und Behandlungseinsicht und die Fähigkeit zum einsichtsgemäßen Handeln lässt die Urteilsfähigkeit unberücksichtigt und umschreibt nur einen Teilaspekt der Einsichtsfähigkeit. Diese Verkürzung ist nicht durch besondere Erfordernisse des Betreuungsrechts gerechtfertigt.17 Vielmehr droht hierdurch eine Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts Betreuter im Vergleich zu nicht betreuten Patienten, die sich weder verfassungsrechtlich rechtfertigen lässt, noch mit den Vorgaben der UNBehindertenkonvention in Einklang zu bringen ist. 18 Erwogen werden sollte eine Angleichung der betreuungsrechtlichen Definitionen an die hier vorgeschlagene allgemeine Umschreibung im Behandlungsvertragsrecht. Gleiches gilt für die divergierenden Vorgaben des Transplantations-, Gendiagnostik-, und Forschungsrechts.

II. Einsichts-, Urteils-, Steuerungs- und Äußerungsfähigkeit Die vorgeschlagene Regelung definiert die klassische Trias aus Einsichts-, Urteilsund Steuerungsfähigkeit und ergänzt sie um die Äußerungsfähigkeit. 1. Kein Verweis auf die Regelung der Selbstbestimmungsaufklärung Die Einsichtsfähigkeit wird in § 630d Abs. 4 Nr. 2 lit. a BGB-E parallel zur Selbstbestimmungsaufklärung ausgestaltet. Die Anforderungen an die Einsichtsfähigkeit und die Selbstbestimmungsaufklärung werden über das Selbstbestimmungsrecht vermittelt.19 Die Intensität, mit der die jeweilige Behandlungsentscheidung das Selbstbestimmungsrecht des Patienten berührt, bestimmt Zeitpunkt, Inhalt und Umfang der Selbstbestimmungsaufklärung ebenso wie die eingriffsbezogen variierenden Anforderungen an die Einsichtsfähigkeit.20 Selbstbestimmungsaufklärung und Einsichtsfähigkeit stehen hierbei nicht in unmittelbarer Wechselwirkung zueinander. So wirkt sich beispielsweise der Wegfall der Aufklärungspflicht nicht auf die Anforderungen an die Einsichtsfähigkeit aus. Das gilt vor allem dann, wenn der Patient wirksam auf die Aufklärung verzichtet hat, vgl. § 630e Abs. 3 Alt. 2 BGB, oder er die wesentlichen Informationen bereits kennt.21 Deshalb wurde auf den an

15

BGHZ 38, 49, 55 = NJW 1963, 40 f.; BGH, NJW 2008, 1444, 1445 = FamRZ 2008, 782 (Ls.); VGH Mannheim, NJW 1991, 2986 = MedR 1992, 119; näher hierzu Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 1 Fn. 2. 16 §§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 und 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB. 17 Vgl. Kap. 3 D I. 18 Näher hierzu Kap. 9 C V. 19 Vgl. Kap. 4 A 1 und Kap. 4 B II 2. 20 Vgl. Kap. 4 B II 2. 21 Näher hierzu BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 54 ff. und oben Kap. 4 A II 1 a).

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7. Kapitel: Regelungsvorschlag

sich nahe liegenden Verweis auf den Inhalt der Selbstbestimmungsaufklärung nach § 630e Abs. 1 BGB verzichtet. 2. Die Ausgestaltung der Urteilsfähigkeit Die Urteilsfähigkeit wird in § 630d Abs. 4 Nr. 2 lit. b) und c) BGB-E definiert. Hiernach muss der Patient zum einen erfassen können, welchen Wert die betroffenen Rechtsgüter für ihn haben und unter welchen Alternativen er wählen kann, § 630d Abs. 4 Nr. 2 lit. b) BGB-E. Zudem muss er in der Lage sein, das Für und Wider abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen, § 630d Abs. 4 Nr. 2 lit. c) BGB-E. Auf diese Weise wird der Bezug zum Wertesystem des Patienten sichergestellt und zugleich eine Minimalkonzeption von Rationalität realisiert: Erforderlich ist lediglich die Fähigkeit zur Abwägung der für und gegen die verschiedenen Entscheidungsalternativen sprechenden Gründe. Eine darüber hinaus gehende Fähigkeit zur vernünftigen Wertung vor dem Hintergrund eines bestimmten Wertesystems lässt sich weder objektiviert, noch in gemischt subjektiv-objektiver Form mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten in Einklang bringen.22 Entsprechend ist das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht nach dem herrschenden liberalen Grundrechtsverständnis nicht substantiell, sondern prozedural auszulegen.23 Maßgeblich ist damit allein, ob die Entscheidung auf einem intakten Willensbildungsprozess beruht.24 Das entspricht auch der Rechtslage zur Geschäftsfähigkeit und zu anderen Formen der Handlungsfähigkeit. Eine andere Wertung gebietet auch nicht das in der Medizinethik diskutierte Authentizitätserfordernis. Dieser Ansatz sieht sich ähnlichen Einwänden ausgesetzt wie die Forderung eines Vernunftkriteriums in der Rechtswissenschaft.25 Der Umgang mit der Ambivalenz objektiv unvernünftiger Entscheidungen, die sowohl Ausdruck von Autonomie als auch ein Symptom defizitärer Autonomie sein können, bleibt damit eine weiter zu diskutierende Herausforderung für das Recht und seine Nachbardisziplinen. 3. Steuerungsfähigkeit und Äußerungsfähigkeit Schließlich normiert § 630d Abs. 4 Nr. 2 BGB-E auch die Steuerungsfähigkeit und die Äußerungsfähigkeit.26 Anders als im Betreuungsrecht wurde die Steuerungsfähigkeit nicht als „Fähigkeit zum einsichtsgemäßen Verhalten“ definiert,27 sondern als Fähigkeit, der eigenen Entscheidung gemäß zu handeln. Hierdurch wird berücksichtigt, dass sich die Behandlungsentscheidung des Patienten im Regelfall nicht auf die Einsicht in das medizinisch Notwendige und dessen Umsetzung beschränkt, sondern vor allem bei nur relativ indizierten Maßnahmen die Fähigkeit beinhaltet, sich bewusst für oder gegen eine Behandlung und etwaige bestehende Alternativen zu entscheiden.28

22 23 24 25 26 27 28

Kap. 4 A II 2 a). Vgl. Kap. 2 B IV und Kap. 2 C II 4. Grundlegend hierzu Kap. 2 B. Vgl. Kap. 6 D III. Vgl. § 630d Abs. 4 Nr. 2 lit. d) und e) BGB-E. Näher hierzu oben Kap. 4 A II 3 und 4. Vgl. §§ 1906 Abs. 1 Nr. 2, 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB. Vgl. hierzu a. Alderson, in: Wiesemann u.a. (Hrsg.), Das Kind als Patient, 2003, S. 28 ff.

B. Erläuterungen

219

III. Einzelfallbezug und Eingangsmerkmale Durch die Bezugnahme auf die konkreten Umstände des jeweiligen Eingriffs in § 630e Abs. 4 Nr. 2 lit. a)-c) BGB-E wird der Einzelfallbezug der Einwilligungs(un)fähigkeit verdeutlicht.29 Diese ist anders als die Geschäftsunfähigkeit nicht global zu prüfen, sondern immer bezogen auf eine konkrete medizinische Maßnahme. Schließlich nennt § 630d Abs. 4 Nr. 2 BGB-E auch die Eingangsmerkmale, die eine Prüfung der Einwilligungsunfähigkeit erst ermöglichen. Über die Auffangregelung am Ende („oder eines vergleichbaren Zustandes“) werden auch physische Ursachen wie starke Schmerzen oder ein schlechter gesundheitlicher Allgemeinzustand erfasst. Liegt keines der genannten Merkmale vor, ist eine Überprüfung der Fähigkeiten des Patienten verwehrt. Dieser zweistufige Beurteilungsansatz gewährleistet, dass die Einwilligungsfähigkeit nicht allein deshalb in Frage gestellt werden kann, weil der Patient eine objektiv unvernünftige Entscheidung trifft oder eine Betreuung eingerichtet ist. Fasst man das Bestehen einer rechtlichen Betreuung als Eingangskriterium, das die Vermutungswirkung zu Gunsten der Einwilligungsfähigkeit volljähriger Patienten erschüttert, käme es vor allem bei Betreuten, die ausschließlich körperlich behindert sind zu einer unsachgerechten Prüfung. Bei Personen, die wegen einer geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung unter Betreuung stehen, kommt es hingegen maßgeblich auf die jeweilige Erkrankung oder Behinderung an und nicht auf den Umstand, dass der Betroffene betreut ist. 30

IV. Ober- und Untergrenzen des relativen Beurteilungsmaßstabs und Vermutungsregelung ab Vollendung des 14. Lebensjahres Schließlich wird über § 630d Abs. 4 Nr. 1 und § 630d Abs. 5 BGB-E ein Alterspannenmodell implementiert. Nach der hier vertretenen Ansicht sind die an die Einwilligungsfähigkeit zu stellenden Anforderungen relativ zur Indiziertheit und Schwere des Eingriffs und seiner Alternativen sowie zu den Risiken des Eingriffs und seiner Nichtvornahme zu bestimmen. Maßgeblich sind allein die genannten Umstände der Entscheidung, nicht aber der konkrete Entscheidungsinhalt. Die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit variieren entsprechend nicht danach, ob der Patient die Maßnahme befürwortet oder ablehnt. Sie sind vielmehr einheitlich für die jeweilige Entscheidungssituation zu bestimmen. Um die hiermit verbundenen Rechtsunsicherheiten abzumildern, wird eine Ober- und eine Untergrenze vorgeschlagen, die jeweils den Übergang zur absoluten Einwilligungsunfähigkeit und zur generellen Einwilligungsfähigkeit markiert. Im Einklang mit den sonstigen Regelungen zur Handlungsfähigkeit wird die Untergrenze bei Vollendung des 7. Lebensjahres angesetzt, vgl. § 630d Abs. 4 Nr. 1 BGB-E.31 Die Obergrenze entspricht den durchschnittlichen Fähigkeiten eines psychisch gesunden, volljährigen Patienten.32

29 30 31 32

Vgl. Kap. 5 A. Ausführlich zum Ganzen Kap. 5 D. Vgl. §§ 104 Nr. 1, 276 Abs. 1 S. 2 und 828 Abs. 2 BGB. Näher hierzu Kap. 5 B I 3 a). Vgl. Kap. 5 B I 3 a).

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7. Kapitel: Regelungsvorschlag

Um die bestehenden Unsicherheiten bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten zu mindern, wird im Einklang mit entwicklungspsychologischen Erkenntnissen und der herrschenden Literatur eine Vermutungsregel vorgeschlagen, § 630d Abs. 5 BGB-E. De lege lata ist die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten vor jeder Behandlung positiv festzustellen. Die Regelvermutung der Einwilligungsfähigkeit ab Vollendung des 14. Lebensjahres bewirkt schon vor Eintritt der Volljährigkeit eine Umkehr der durch die Unmündigkeit begründeten Vermutung der Einwilligungsunfähigkeit minderjähriger Patienten; mit dem Ergebnis, dass auch bei älteren Minderjährigen die Einwilligungsfähigkeit zu vermuten ist. Entscheidend ist damit, ob ausnahmsweise Anhaltspunkte für das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit vorliegen. Ist dies nicht der Fall, ist ihre Einwilligungsfähigkeit zu unterstellen. Hierdurch können auch die bestehenden beweisrechtlichen Unklarheiten aufgelöst werden.33 Darüber hinaus ist eine Entlastung der Praxis wahrscheinlich.

C. Fazit C. Fazit

Der Regelungsvorschlag fügt sich in die Diskussionen zum Patientenrechtegesetz ein. Er normiert die Einwilligungsfähigkeit erstmals für einen weiten Anwendungsbereich im BGB und berücksichtigt die zurecht vielfach geforderte Differenzierung zwischen minderjährigen und volljährigen Patienten.34 Die Regelung erscheint schließlich angesichts der noch immer bestehenden Unklarheiten und Kontroversen und vor dem Hintergrund des hohen Stellenwertes des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts zur Erhöhung der Rechtssicherheit und Klarheit dringend geboten.

33

Vgl. Kap. 10 A III. § 630d BGB gilt in seiner momentanen Fassung altersunabhängig und berücksichtigt die Besonderheiten des Minderjährigenrechts nur unzureichend, vgl. Kap. 8 A und Kap. 10 A III. 34

3. Teil: Rechtsfolgen der Einwilligungs(un)fähigkeit und praktische Implikationen

Die Einwilligungs(un)fähigkeit ist stark kontextgebunden, was sich vor allem auf der Rechtsfolgenseite auswirkt. Die Rechtsfolgen variieren je nach Ausprägung1 und Ursachen2 der Einwilligungs(un)fähigkeit im konkreten Fall. Das gilt nicht nur für die Frage, welche rechtlichen Maßnahmen beim Fehlen der Einwilligungsfähigkeit zu ergreifen sind (s. Kapitel 9), sondern auch für die Entscheidungsbefugnisse minderjähriger und betreuter Patienten, die im konkreten Fall schon oder noch einwilligungsfähig sind (vgl. Kapitel 8).

1

Zu unterscheiden sind insbes. Art, Dauer und Reversibilität der Einwilligungs(un)fähigkeit, vgl. Kap. 1 B III 2. 2 Die Einwilligungsunfähigkeit kann alters-, krankheits-, behinderungs- oder zustandsbedingt verursacht sein. Bei der Einwilligungsfähigkeit ist es demgegenüber wenig zielführend nach „Ursachen“ zu differenzieren. Sie lässt sich sinnvoller fallgruppenbezogen beschreiben: Neben gesunden Volljährigen können auch minderjährige Patienten konkret einwilligungsfähig sein. Nach einer umstrittenen Literaturansicht soll das auch für absolut einwilligungsunfähige Volljährige im Rahmen eines „lichten Moments“ gelten, vgl. Kap. 1 B III 2, Kap. 5 D und Kap. 8 A III 3.

Kapitel 8: Rechtsfolgen bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit 8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

Betrachtet man die rechtlichen Folgen der Einwilligungsfähigkeit, bestehen die dogmatisch und praktisch größten Herausforderungen in der Gruppe der relativ einwilligungsfähigen Personen. Neben Minderjährigen, die noch nicht generell einwilligungsfähig sind, es aber zukünftig sein werden, zählen hierzu auch volljährige Personen mit vorübergehend oder dauerhaft geminderten Fähigkeiten.1 Da bei Volljährigen maßgeblich ist, ob ihnen die Einwilligungsfähigkeit bezogen auf eine konkrete Maßnahme ausnahmsweise fehlt, knüpfen die speziellen Rechtsfolgenfragen in dieser Gruppe regelmäßig an den Befund der Einwilligungsunfähigkeit an. Dieser wird in Kapitel 9 vertieft. Bei Minderjährigen greift hingegen kein der Mündigkeit vergleichbarer Vermutungstatbestand, so dass ihre Einwilligungsfähigkeit jeweils positiv festzustellen ist.2 Den Schwerpunkt dieses Kapitels bildet folglich das Minderjährigenrecht. Sind minderjährige Patienten einwilligungsfähig stellt sich auf Einwilligungsebene die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sie eine medizinische Maßnahme selbstständig autorisieren können (A.). Daneben ist ihre Kompetenz zum Abschluss des Behandlungsvertrages klärungsbedürftig (B.).

A. Einwilligungsebene: Die Einwilligungszuständigkeit I. Grundsatz A. Einwilligungsebene

Grundsätzlich ist die Einwilligung des zu Behandelnden einzuholen, vgl. § 630d Abs. 1 S. 1 BGB. Das folgt aus der verfassungsrechtlichen Verankerung der Dispositionsbefugnis über die eigenen Rechtsgüter in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG.3 Ist die Person im konkreten Fall ausnahmsweise einwilligungsunfähig und liegt auch keine antizipierte Einwilligung4 vor, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, der wiederum selbst einwilligungsfähig sein muss, § 630d Abs. 1 S. 2 BGB.5 Die Einwilligungsbefugnis ist damit im Behandlungsvertragsrecht grundsätzlich an die Einwilligungsfähigkeit gebunden. 1

Bei diesen Personen ist regelmäßig gemäß § 1896 Abs. 1 BGB von einem Betreuungsbedarf auszugehen. Aus verschiedenen Gründen führt dieser Bedarf aber nicht immer zur Bestellung eines Betreuers. Während die Zahl der eingerichteten Betreuungen mit rund 1.242.000 am Jahresende 2015 seit Jahren relativ konstant ist, ISG (Hrsg.), Zweiter Zwischenbericht Qualität in der rechtlichen Betreuung, 2017, S. 2, liegt die Dunkelziffer des tatsächlichen Betreuungsbedarfs Schätzungen zufolge erheblich höher. 2007 wurde sie bei ca. 5 Millionen angesetzt; mit demographisch bedingt steigender Tendenz, vgl. Igl/Klie, in: dies. (Hrsg.), Das Recht der älteren Menschen, 1. Aufl. 2007, § 1 Rn. 7 m.w.N. 2 Ausführlich hierzu Kap. 5 B I. 3 Vgl. Kap. 2 C II 1. 4 § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB. Näher hierzu Kap. 9 B II. 5 Vgl. Kreße, MedR 2015, 91, 92. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Genske, Gesundheit und Selbstbestimmung, Kölner Schriften zum Medizinrecht 23, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1_8

223

224

8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

II. Minderjährige Patienten § 630d BGB enthält keine altersbezogenen Differenzierungen und insbesondere keine eigenständige Regelung für minderjährige Patienten.6 Die Einwilligungsbefugnis Minderjähriger richtet sich damit im Grundsatz ebenfalls nach § 630d Abs. 1 BGB. Nach dem klaren gesetzgeberischen Willen soll es auch bei ihnen auf die Einwilligung des zu Behandelnden und nicht des Patienten i.S.v. § 630a Abs. 1 BGB ankommen.7 Vage führt die Gesetzesbegründung aus, dass sich die Einwilligungszuständigkeit bei Minderjährigen nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt.8 Hiernach soll wahlweise die Einwilligung der Eltern,9 diejenige des Minderjährigen allein oder die Einwilligung des Minderjährigen und seiner Eltern gemeinsam erforderlich sein.10 Zur Beschaffenheit der Umstände schweigt die Gesetzesbegründung.11 Hierdurch wird nicht nur die insoweit klare Regelungslage des § 630d Abs. 1 BGB verwässert. Der Gesetzgeber hat auch die Chance versäumt, die Einwilligungszuständigkeit Minderjähriger für medizinische Maßnahmen zu regeln und damit klärend auf die nach wie vor umstrittene Rechtslage einzuwirken. Der genannte Problemkreis wirft zwei Fragen auf: Primär ist zu klären, ob und unter welchen Umständen es überhaupt auf die Einwilligung der minderjährigen Patientin oder des minderjährigen Patienten selbst ankommt (sog. Einwilligungsbefugnis). Ist der Minderjährige einwilligungsbefugt, ist zu klären, ob er sein Einwil6

Krit. hierzu Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 67 f. m.w.N., die zutreffend daraufhin weist, dass der Gesetzgeber § 630 Abs. 1 BGB allein am Regelfall des volljährigen Patienten ausgerichtet hat. Das belegt auch der Verweis der Gesetzesbegründung auf den Gesetzesentwurf zum 3. BtÄndG (vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 23), der ausschließlich Einwilligungsfähigkeit volljähriger Betreuter betraf, vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 12. 7 Vgl. BT-Dr. 17/10488, S. 23. Der Wortlaut von § 630a Abs. 1 BGB ist insofern missverständlich, da bei wortlautgetreuer Auslegung im Regelfall die Eltern Patient im Sinne der Vorschrift wären. Dieser Befund läuft nicht nur dem allgemeinen Sprachempfinden zuwider, sondern auch der Rechtsprechung (vgl. nur BGH, NJW 1984, 1400; BGHZ 163, 42, 46 = NJW 2005, 2069, 2070 = JZ 2005, 949, 950 m. Anm. Katzenmeier), deren Kodifikation ausdrücklich Anliegen des Gesetzgebers war, vgl. BT-Dr. 17/10488, S. 9 und 23 ff.; näher zum Ganzen NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 9 und Hebecker/Lutzi, MedR 2015, 17, 19 m.w.N. 8 BT-Drs. 17/10488, S. 23. 9 Grundsätzlich obliegt die Vertretung des Minderjährigen als Teil der elterlichen Sorge den Eltern, vgl. §§ 1626 Abs. 1, 1629 BGB. Sind die Eltern ausnahmsweise in einer bestimmten Angelegenheit nicht zur Vertretung berechtigt oder steht der Minderjährige insgesamt nicht unter elterlicher Sorge, ist ein Vormund zu bestellen, dem in diesem Fall die gesetzliche Vertretung obliegt, §§ 1773 ff. BGB. Subsidiär obliegt die gesetzliche Vertretung dem Pfleger, der zu bestellen ist, sofern Eltern oder Vormund an der Besorgung einer Angelegenheit gehindert sind, §§ 1909 ff. BGB, näher hierzu MüKoBGB/Spickhoff, § 107 Rn. 17 und Kap. 9 B III 1 b) aa). 10 BT-Drs. 16/10488, S. 23; vgl. a. NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 110 m.w.N. Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 101 und Kreße, MedR 2015, 91, 92 sehen in dieser Formulierung eine Anknüpfung an die bisherige Rechtsprechung. Krit. zum Ganzen Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 68 ff. 11 BT-Drs. 16/10488, S. 23 verweist insoweit auf Nebendahl, MedR 2009, 197 ff. Nebendahl geht jedoch anders als die Gesetzesbegründung von einer generellen Doppelzuständigkeit aus, die sich gerade nicht nach den Umständen des Einzelfalles richtet, vgl. ebenda, 205. So bereits Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 68 ff.

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ligungsrecht allein oder nur gemeinsam mit seinem gesetzlichen Vertreter ausüben kann. 1. Maßgeblichkeit der Einwilligung des Minderjährigen selbst a) Meinungsspektrum Die zivilrechtliche Rechtsprechung zur Einwilligungsbefugnis minderjähriger Patienten ist sehr heterogen.12 Als Tendenz lässt sich ausmachen, dass der Arzthaftungssenat des BGH, entgegen zahlreicher instanzgerichtlicher Urteile,13 das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger zunehmend restriktiv auslegt und die Einwilligungsbefugnis minderjähriger Patienten nicht an die Einwilligungsfähigkeit bindet.14 Eine noch immer vereinzelt vertretene Literaturmeinung stützt diese Rechtsprechungslinie und geht von einer generellen Alleinzuständigkeit des gesetzlichen Vertreters aus.15 Hierdurch wird die Einwilligungsbefugnis im Ergebnis an das Volljährigkeitsalter geknüpft. Dem konkret einwilligungsfähigen Minderjährigen erkennt sie allenfalls eine Vetobefugnis zu, nicht aber ein eigenes Einwilligungsrecht.16 Die überwiegende Auffassung vertritt hingegen, dass Minderjährige, wenn sie bezogen auf eine konkrete medizinische Maßnahme einsichts-, urteils- und steuerungsfähig sind, auch befugt sind, in die Behandlung einzuwilligen oder ihre Einwilligung zu verweigern.17 Hiernach hätte sich der Arzt in jedem Fall 12

Vgl. nur BGHZ 26, 33, 36 = NJW 1959, 811; LG München I, NJW 1980, 646; AG Schlüchtern, NJW 1998, 832, 832 f. (für Alleinzuständigkeit des ewf. Minderj.); BGH, NJW 1972, 335, 337; NJW 1991, 2344, 2345 (für Doppelzuständigkeit bei relativ indizierten Eingriffen); BGH, NJW 1970, 511; OLG Hamm NJW 1998, 2324, 2325 (für generelle Doppelzuständigkeit); BGH, NJW 2007, 217, 218 (bloße Vetobefugnis und damit Alleinentscheidungsbefugnis der Eltern auch bei EWF des Minderj.); vgl. a. OLG Hamm, NJW 1998, 3424 (keine Einwilligungsbefugnis einer unter 18-Jährigen in einen Schwangerschaftsabbruch); ähnlich restriktiv auch angedeutet in OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 747, 748. 13 Vgl. nur OLG Frankfurt a.M., NJW 2007, 3580, 3581; OLG Koblenz, GesR 2014, 280, 281 = MedR 2014, 487 (Ls.); LG München I, NJW 1980, 646; AG Schlüchtern, NJW 1998, 832 f. 14 Nachdem der Arzthaftungssenat vereinzelt auch einwilligungsfähige, minderjährige Patienten für einwilligungsbefugt hielt (vgl. BGHZ 29, 33, 36 = NJW 1959, 811; NJW 1972, 335, 337; vgl. a. OLG München NJW 1958, 633 f.) ließ er die Frage in mehreren Urteilen zu relativ indizierten Eingriffen ausdrücklich offen, was faktisch zu einer Alleinentscheidungsbefugnis der gesetzlichen Vertreter führte, vgl. BGH, NJW 1971, 1887, 1887; NJW 1974, 1947, 1950. In seinem jüngsten Urteil befürwortete der VI. Zivilsenat die Alleinzuständigkeit der Eltern bei relativer Indikation nun auch ausdrücklich, indem er einer minderjährigen Patientin trotz Einwilligungsfähigkeit ein bloßes Vetorecht, zuerkannte, BGH, NJW 2007, 217, 218 = MedR 2008, 289, 290 m. zust. Anm. Lipp. Vgl. a. die Rechtsprechungsnachweise in Kap. 3 B IV 3. 15 Vgl. MüKoBGB/Schmitt, 7. Aufl. 2015, § 107 Rn. 11 m.w.N. 16 Vgl. BGH, NJW 2007, 217, 218; zust. MüKoBGB/Schmitt, 7. Aufl. 2015, § 107 Rn. 11 m.w.N. 17 Lesch, NJW 1989, 2309, 2310; Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 14; HkBGB/Dörner, § 106 Rn. 10; BeckOGK/ Spindler, § 823 Rn. 83; Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986; Kreße, MedR 2015, 91, 92; Hebecker/Lutzi, MedR 2015, 17, 19 m.w.N.; Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 3; Palandt/Weidenkaff, § 630d Rn. 3; Spickhoff/Spickhoff, § 630d

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

zumindest auch der Einwilligung des konkret einwilligungsfähigen Minderjährigen zu versichern.18 b) Stellungnahme Die Rechtsprechungsansicht ist mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht des minderjährigen Patienten unvereinbar. Dieses beschränkt das pflichtgebundene elterliche Sorgerecht im Einzelfall verfassungsimmanent.19 Auch die konkrete Ausgestaltung der Vetobefugnis durch den BGH schwächt die Rechtsposition des Minderjährigen über Gebühr. Zwar bekräftigt der Arzthaftungssenat im Grundsatz auch eine Aufklärungspflicht des Arztes dem minderjährigen Patienten gegenüber, um ihm einen sinnvollen Gebrauch seines Vetorechts zu ermöglichen.20 Diesen nunmehr auch in § 630e Abs. 5 BGB normierten Grundsatz relativiert er jedoch erheblich, indem er dem Arzt zubilligt, im Allgemeinen darauf vertrauen zu können, dass die Aufklärung und Einwilligung der Eltern genüge, was faktisch auf ein Alleinentscheidungsrecht des Sorgeberechtigten hinausläuft.21 Eine bloße Vetobefugnis des einwilligungsfähigen Minderjährigen widerspräche auch dem klaren Wortlaut des § 630d Abs. 1 BGB.22 Hiernach geht die Entscheidungszuständigkeit nur für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit auf einen Dritten über und nicht auch dann, wenn der Betroffene nicht voll geschäftsfähig ist.23 Schließlich lässt sich eine bloße Vetobefugnis kaum mit der Rechtsprechung zur hypothetischen Einwilligung in Einklang bringen. Beruft sich der Arzt darauf, der Patient hätte auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, obliegt es dem Patienten, wenn seine Entscheidung medizinisch unvernünftig gewesen wäre, zu plausibilisieren, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in

BGB, Rn. 8; MüKoBGB/Spickhoff, § 107 Rn. 15; so vor Inkrafttreten des PatRG bereits Nebendahl, MedR 2009, 297, 300 ff.; Soergel/Spickhoff, Anh. I § 823 Rn. 106 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 339 f.; Belling u.a., Selbstbestimmungsrecht, 1994, S. 127 ff., insbes. S. 135 f.; Kern, NJW 1994, 753, 755; Kothe, AcP 185 (1985), 105, 150 f.; zum Meinungsspektrum vor Inkrafttreten des § 630d BGB vgl. Coester-Waltjen, MedR 2012, 553, 555 ff. 18 Staudinger/Klumpp, 2017, § 107 Rn. 3, Vor §§ 104 ff. Rn. 99 ff. m.w.N.; Hk-BGB/Dörner, § 106 Rn. 10; vgl. a. § 20 Abs. 4 Nr. 4 MPG und § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG. Näher zum Ganzen Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 58 m.w.N.; 19 Vgl. Kap. 2 C II 2 b) bb). Das erkennt auch Lipp, Anm. zu BGH, MedR 2008, 289, 293 an, der hieraus jedoch keine Einwilligungsbefugnis des Minderjährigen, sondern ein bloßes Vetorecht folgert. A.A. Wendtland, der entgegen der st. Rspr. des BVerfG von einer grundsätzlichen Überlagerung des Selbstbestimmungsrechts des Minderjährigen durch das Personensorgerecht des gesetzlichen Vertreters ausgeht, vgl. BeckOK-BGB/Wendtland, § 107 Rn. 2. 20 BGH, NJW 2007, 217, 218. 21 BGH, NJW 2007, 217, 218 m.w.N. (16-Jährige); so bereits BGH, NJW 1970, 511 (16-Jährige). Krit. hierzu auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 422 und Kern, LMK 2007, 220412. 22 MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 36; Kreße, MedR 2015, 91, 92; Staudinger/Klumpp, 2017, § 107 Rn. 3 und Vor §§ 104 ff. Rn. 99 ff. 23 MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 36; Kreße, MedR 2015, 91, 92; Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 101.

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einem Entscheidungskonflikt befunden hätte.24 Für den Entscheidungskonflikt stellt die Rechtsprechung nicht allein auf die Sicht des Personensorgeberechtigten ab, sondern prüft zusätzlich, wie sich der einwilligungsfähige Minderjährige selbst entschieden hätte, wenn er vollumfänglich aufgeklärt worden wäre.25 Kommt es aber im Rahmen der hypothetischen Einwilligung maßgeblich auf die Sicht des betroffenen Minderjährigen an, muss ihm konsequenterweise auch im Zeitpunkt vor der Behandlung eine eigene Entscheidungsbefugnis zugestanden werden. c) Fazit Im Ergebnis hat damit der vom Minderjährigen geäußerte Wille, vorbehaltlich spezialgesetzlicher Ausnahmen,26 immer dann konstitutive Bedeutung, wenn der Betroffene einwilligungsfähig ist. In diesem Fall hat der Arzt zumindest auch dessen Einwilligung einzuholen. Eine Alleinzuständigkeit der Eltern besteht im Einklang mit § 630d Abs. 1 BGB hingegen nur dann, wenn der Minderjährige konkret einwilligungsunfähig ist.27 Lässt sich die Einwilligungsfähigkeit im konkreten Fall nicht zweifelsfrei feststellen, ist dem Arzt anzuraten, neben der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters auch die Zustimmung des Minderjährigen selbst einzuholen.28 Da der Arzt nach § 630e BGB Abs. 5 BGB ohnehin verpflichtet ist, auch den konkret einwilligungsunfähigen Minderjährigen über die wesentlichen Behandlungsschritte zu informieren, beschränkt sich der etwaige hierfür erforderliche Mehraufwand regelmäßig auf die Einholung der Zustimmung.29 2. Mitwirkungsbefugnisse der Sorgeberechtigten und Vorgehen im Konfliktfall Ist der Minderjährige einwilligungsbefugt, kann es zu Spannungen mit dem elterlichen Sorgerecht kommen.30 Das BGB weist den Eltern im Rahmen der Personensorge die Entscheidungsbefugnis über sämtliche Belange des Kindes zu, wovon auch medizinische Eingriffe umfasst sind.31 Zugleich ist das elterliche Sorgerecht

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St. Rspr., vgl. nur BGH, NJW 1974, 1422, 1423; NJW 1980, 1333, 1334; NJW 1991, 2344, 2345; NJW 2007, 2767; näher hierzu Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 99 ff. 25 BGH, NJW 1991, 2344, 2345; NJW 2007, 217, 218; OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 747, 748. 26 Vgl. etwa § 1631c S. 2 BGB und §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 4 Abs. 3 S. 1 KastrG, näher hierzu Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 103 m.w.N. 27 Vgl. OLG Koblenz, GesR 2014, 280 = MedR 2014, 487 (Ls.) m.w.N.; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 36; Kreße, MedR 2015, 91, 92. Richtigerweise kommt dem einwilligungsunfähigen Minderjährigen unter bestimmten Voraussetzungen ein Vetorecht gegen die Entscheidung des gesetzlichen Vertreters zu, vgl. Kap. 4 C II und Kap. 9 C I 2 b) und D. 28 Vgl. a. Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 14. 29 Vgl. Kap. 9 C II. Das scheint BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 123 zu verkennen, die die Auswahl des richtigen Aufklärungsadressaten als gewichtiges haftungsrechtliches Risiko für den Arzt einstuft. 30 § 1626 Abs. 1 i.V.m. §§ 1629 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB. Näher hierzu Kap. 8 A II 2 c). 31 BGHZ 105, 45, 47 = NJW 1988, 2946, 2947 = MedR 1989, 81; BeckOK-BGB/Veit, § 1631d Rn. 7; Rixen, NJW 2013, 257, 258 f.; Lorenz, NZFam 2017, 782; MüKoBGB/Huber,

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

durch das sich entwickelnde Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen begrenzt.32 Ob hieraus eine Alleinentscheidungsbefugnis des einwilligungsfähigen Minderjährigen folgen kann, ist umstritten.33 a) Teilmündigkeit des Minderjährigen Die vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes vor allem in der Literatur vertretene Auffassung, nach der Minderjährige grundsätzlich der Einwilligung ihrer Sorgeberechtigten bedürften (sog. kumulative Einwilligungszuständigkeit, auch Doppelzuständigkeit),34 ist weder mit § 630d Abs. 1 BGB noch mit dem Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen vereinbar.35 Soweit sie auf eine analoge Anwendung der §§ 107, 111 BGB und auf Rechtssicherheitserwägungen gestützt wird,36 ist dies besonders rechtfertigungsbedürftig.37 Da gesundheitsbezogene Eingriffe das Persönlichkeitsrecht des Betroffene in der Regel in besonderem Maße betreffen, lassen sich hierfür, anders als bei der Geschäftsfähigkeit, nicht die Interessen des Rechtsverkehrs rechtfertigend anführen.38 Soweit angeführt wird, dass eine gene§ 1626 Rn. 32; entsprechend umfasst das Sorgerecht auch den Abschluss des Behandlungsvertrages, vgl. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 15 m.w.N. 32 Vgl. Kap. 2 C II 2 b) bb). 33 Ausführlich zum Meinungsstand Götz, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 92 ff. 34 So etwa OLG Hamm, NJW 1998, 3424, 3425; Palandt/Götz, § 1626 Rn. 10; Nebendahl, MedR 2009, 197, 205; ders., in: Igl/Weltli, Gesundheitsrecht, 3. Aufl. 2018, Kap. XI § 49 Rn. 56; MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 76 und Rn. 79; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 116; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 19; Lauf/Birck, NJW 2018, 2230, 2235 sowie Lorenz, NZFam 2017, 782, 786, die eine Alleinentscheidungsbefugnis des einwilligungsfähigen Minderjährigen ausschließt, weil die Eltern ansonsten ihre erzieherische Aufgabe nicht mehr ausreichend wahrnehmen können. Weitere Nachweise aus dem familienrechtlichen Schrifttum bei Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 422 f. Mitunter wird die generelle Doppelzuständigkeit zwischen dem ewf. Minderj. und seinem gesetzlichen Vertreter aus einer Analogie zu § 40b Abs. 3 S. S. 1 AMG und § 20 Abs. 4 Nr. 4 MPG abgeleitet, so etwa Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 33 f. m.w.N. Dagegen spricht, dass die die Normen aufgrund ihrer Spezialität nicht analogiefähig sind, ganz h.M., vgl. nur Laufs, VersR 1978, 385 ff.; Holzhauer, NJW 1992, 2330; Deutsch, NJW 1995, 3019, 3022; Osieka, Recht der Humanforschung, 2006, S. 323; Ratzel/Lippert/Lippert, MBO § 15 Rn. 3. Auch die Vergleichbarkeit der Sachverhalte erscheint zweifelhaft, da sich die Regelungen auf klinische Studien und nicht auf die Behandlung beziehen, ähnlich a. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423. 35 Vgl. MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 36 und 41; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 43 ff.; Kreße, MedR 2015, 91, 92 und 96; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 58; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 422 f.; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 65; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 29. 36 So etwa Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 97 m.w.N. aber auch Gernhuber/CoesterWaltjen, Familienrecht, 6. Aufl. 2010, § 57 Rn. 79. Ausführlich zur Frage der analogen Anwendbarkeit des § 107 BGB auf die Behandlungseinwilligung MüKoBGB/Spickhoff, § 107 Rn. 8 ff. 37 Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 101 m.w.N.; Götz, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 89; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 57. 38 So bereits BGHZ 29, 33, 36 = NJW 1959, 811; NJW 1974, 1947, 1949 f.; zust. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 30. Die gegenteilige Annahme, der Patient verfüge mittels seiner Einwilligung über einen Vermögenswert in Gestalt seines vertrags- und deliktsrecht-

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relle Doppelzuständigkeit geboten sei, weil Minderjährige unabhängig von ihrer Einwilligungsfähigkeit allgemein schutzbedürftig seien, wird ihre entwicklungsbedingt zunehmende Selbstbestimmungsfähigkeit verkannt.39 Auch die Gegenansicht, die von einer grundsätzlichen Alleinzuständigkeit des einwilligungsfähigen Minderjährigen ausgeht,40 sieht sich durchgreifenden Bedenken ausgesetzt. aa) De lege lata keine generelle Alleinzuständigkeit des einwilligungsfähigen Minderjährigen Die Befürworter einer generellen Alleinzuständigkeit des konkret einwilligungsfähigen minderjährigen Patienten stützen sich auf das obiter dictum des Arzthaftungssenats des BGH in seinem Urteil vom 5.12.195841 sowie auf § 1626 Abs. 2 BGB, den höchstpersönlichen Charakter der Behandlungseinwilligung42 und den Wortlaut des § 630d Abs. 1 BGB.43 Die hieraus gefolgerte Teilmündigkeit des Minderjährigen für den Behandlungsbereich wird dabei regelmäßig mit der Forderung verbunden, im Einzelfall hohe Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit des betroflichen Schadensersatzanspruches (so noch MüKoBGB/Schmitt, BGB, 6. Aufl. 2012 § 107 Rn. 10 und Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 97 m.w.N.), verkennt, dass der Wille des Einwilligenden allenfalls mittelbar auf sein Vermögen, primär jedoch auf die Legitimation eines spezifischen Eingriffs in die betroffenen persönlichen Rechtsgüter gerichtet ist, so auch Staudinger/Klumpp, 2009, Vor §§ 104 ff. Rn. 101; näher zum Ganzen Kap. 2 D II. 39 Ein generelles elterliches Zustimmungserfordernis überdehnt das Prinzip der Schutzbedürftigkeit unter 18-jähriger Personen im rechtlichen Bereich. Zwar durchzieht dieser Gedanke die gesamte Privatrechtrechtsordnung, wie insbes. die §§ 104 ff. BGB, § 828 Abs. 2 BGB und das Institut der Personensorge für unter 18-Jährige nach §§ 1626 Abs. 1, 1629 BGB belegen. Zugleich finden sich jedoch auch zahlreiche gesetzliche Alleinentscheidungsbefugnisse des Minderjährigen, etwa in §§ 112, 113 BGB sowie §§ 1747, 1750 Abs. 3 S. 3 BGB und §§ 2229 Abs. 1, 2, 2247 Abs. 4 BGB. Außerhalb des BGB bestimmt etwa § 5 RelKErzG die Teilmündigkeit für den Bekenntniswechsel ab Vollendung des 14. Lebensjahres. Näher hierzu MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 30. Demgegenüber folgert Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 33 f. m.w.N., aus der grundsätzlichen Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen eine generelle Doppelzuständigkeit; so auch Nebendahl, MedR 2009, 197, 200 f.; Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 97; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl. 2010, § 57 Rn. 79 f.; Dorneck et al., MedR 2019, 431, 433. MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 76 hält ein Alleinentscheidungsrecht des Minderjährigen vor Vollendung des 18. Lebensjahres gar für systemwidrig. 40 Vgl. MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 43 ff.; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 36 und Rn. 41; Kreße, MedR 2015, 91, 92 und 96; BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 120; Spickhoff/Spickhoff, § 630d Rn. 8; ders., FamRZ 2018, 412, 422 f.; Kern, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XI § 65 Rn. 3 sowie aus strafrechtlicher Sicht NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 65 und Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 80. So bereits vor Inkrafttreten des PatRG: LG München I, NJW 1980, 646; AG Schlüchtern, NJW 1998, 832, 832 f.; Rouka, Selbstbestimmungsrecht, 1996, S. 164 ff.; Kern, NJW 1994, 753, 755; ders., LMK 2007, 220412. 41 BGHZ 29, 33, 36 f. = BGH, NJW 1959, 811. 42 Kern, NJW 1994, 753, 755 führt zusätzlich die ärztliche Schweigepflicht an, die auch gegenüber den Personensorgeberechtigten zu gelten habe. Die Schweigepflicht setzt aber gerade eine Teilmündigkeit des Minderjährigen voraus und kann schwerlich zu deren Begründung dienen. 43 Kreße, MedR 2015, 91, 96. A.A. Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 101.

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

fenen Minderjährigen zu stellen.44 Das hätte zur Folge, dass minderjährige Patienten – wenn überhaupt – nur in Ausnahmefällen als einwilligungsfähig anzusehen wären. Hierdurch würde ihr Selbstbestimmungsrecht im Ergebnis stärker eingeschränkt als durch eine kumulative Einwilligungszuständigkeit, bei der die Einwilligungsfähigkeit nach überwiegender Ansicht weniger streng zu beurteilen ist.45 Denn ist der Minderjährige einwilligungsunfähig, kommen ihm de lege lata, anders als etwa im amerikanischen Recht,46 keinerlei positive Mitwirkungsbefugnisse zu.47 Dieser Befund kann auch durch die in § 630e Abs. 5 BGB normierte ärztliche Pflicht zur informatorischen Einbeziehung in die Behandlungsaufklärung bestenfalls abgemildert werden.48 In negativer Hinsicht wird einwilligungsunfähigen Minderjährigen zwar zum Teil ein Vetorecht gegenüber den Entscheidungen ihrer Personensorgeberechtigten zuerkannt.49 Dieses ist jedoch in seinen Voraussetzungen und Folgen stark umstritten.50 Beurteilt man die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten hingegen nach den gleichen Grundsätzen wie diejenige Volljähriger und geht zur Absicherung etwaiger Schutzbedürfnisse des Minderjährigen von einer kumulativen Einwilligungszuständigkeit in besonderen Fällen aus, kann dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen im Ergebnis stärker Rechnung getragen werden; nicht zuletzt deshalb, weil medizinische Maßnahmen gegen den Willen des einwilligungsfähigen Minderjährigen nicht legitimiert werden können, sondern zu jeder Behandlung dessen positive Zustimmung zwingend erforderlich wäre.51 bb) Einzelfallbezogene Doppelzuständigkeit Um zu hohe Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit zu vermeiden, die dazu führen, dass das Selbstbestimmungsrecht minderjähriger Patienten weitgehend leer läuft, sollte einzelfallbezogen bestimmt werden, ob der oder die Betroffene allein einwilligen kann oder ausnahmsweise zusätzlich der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bedarf.52 Hierbei ist auf das konkrete Schutzbedürfnis des Minderjähr-

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So etwa MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 42; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 41 f. m.w.N.; J. Prütting/Merrem, in: Prütting, MedR-K, BGB § 630d Rn. 27 sowie aus strafrechtlicher Sicht NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28 m.w.N. 45 So etwa BGH, NJW 2007, 217, 218 = MedR 2008, 289, 290 m. Anm. Lipp: Bejahung der Einwilligungsfähigkeit einer 15-Jährigen Patientin trotz relativer Indikation und erheblicher Eingriffsrisiken bei gemeinsamer Entscheidung mit den Eltern. 46 Vgl. Kap. 1 B I 2 b) und Kap. 9 C IV. 47 Vgl. Kap. 9 C. Krit. hierzu auch Ruhe et al., Eur J Pediatr 2015, 775, 779 m.w.N. 48 Näher hierzu Kap. 9 C I. 49 Vgl. BGH, NJW 2007, 217, 218; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 44 m.w.N.; BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 121; näher zum Diskussionsstand Gleixner-Eberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 315 ff. 50 Vgl. Kap. 4 C IV 1 und Kap. 9 C I 2 b), D I 2 b) und D III. 51 Näher hierzu Kap. 8 A II 2 b). 52 So auch BGH, NJW 1972, 335, 337; Lorenz, NZFam 2017, 782, 785 f.; für einzelfallbezogene Doppelzuständigkeit auch Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 66; Hau, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1022 m.w.N. und Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 3, jedoch ohne die maßgeblichen Kriterien zu konkretisieren. Für eine Differenzierung nach Fallgruppen Ohly, „Volenti non fit iniuria“, 2002, S. 321 ff.

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igen abzustellen.53 Im Gegensatz zu Erwachsenen befinden sich minderjährige Patienten in der Entwicklung. Das gilt nicht nur für ihre emotionalen, affektiven und kognitiven Fähigkeiten, die in die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit zum Teil mit einfließen, sondern auch für Faktoren, die von vornherein nicht Gegenstand der Beurteilung sind; etwa die individuelle Lebens- und Krankheitserfahrung. Vor allem Defizite im Erfahrungswissen können eine besondere Schutzbedürftigkeit und eine hieran anknüpfende Doppelzuständigkeit im Einzelfall auch dann begründen, wenn der oder die Minderjährige bezogen auf eine konkret anstehende Maßnahme bereits einwilligungsfähig ist.54 Das gilt vor allem dann, wenn infolge einer medizinischen Maßnahme tiefgreifende und irreversible Beeinträchtigungen der Persönlichkeit zu befürchten sind55 oder die Maßnahme nur relativ oder gar nicht indiziert ist aber mit einer Gefahr für das Leben des Minderjährigen einher geht.56 Je stärker eine Maßnahme das Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen berührt, desto größere Zurückhaltung ist jedoch geboten.57 Keinesfalls kann die elterliche Wertung in diesen Fällen, mag sie noch so sehr von Lebenserfahrung getragen sein, aus sich heraus in jedem Fall als überlegen gelten. 58 Bei chronisch kranken Minderjährigen ist überdies die eigene Krankheitserfahrung und die hiermit gewonnene Lebenserfahrung in Rechnung zu stellen.59 Eine solche einzelfallbezogene Betrachtung trägt auch der flexiblen Beschränkung des Personensorgerechts der Eltern durch die rechtlich anerkannten Eigenzuständigkeiten des Heranwachsenden in § 1626 Abs. 2 BGB Rechnung.60 Schließlich wird diese Ansicht auch von § 630d Abs. 1 S. 3 BGB getragen. Hiernach bleiben weitergehende Anforderungen an die Behandlungseinwilligung explizit unberührt; das gilt auch für sorgerechtliche, am individuellen Schutz- und Erziehungsbedarf des Minderjährigen ausgerichtete Erwägungen.61 53

So bereits BGHZ 29, 33, 36 = NJW 1959, 811; BVerfGE 24, 119, 144 = NJW 1968, 2233, 2235; vgl. a. Ohly, „Volenti non fit inuiria“, 2002, S. 321. In ähnlicher Weise geht Coester-Waltjen, MedR 2012, 553, 559 von einem gestuften System der Selbstbestimmung Minderjähriger aus. 54 Vgl. a. Lorenz, NZFam 2017, 782, 785. 55 Beispielhaft wäre hier die Tiefe Hirnstimulation zu nennen, näher zu Rechtsfragen der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger in diesem Bereich, Katzenmeier/Schmitz-Luhn, in: FS Fischer, 2010, S. 121 f.; Schmitz-Luhn u.a., Int J Law and Psychiatry 35 (2012), 130, 135. 56 Ähnlich auch § 173 Abs. 1 AGBG. Krit. hierzu Gleixner-Eberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 350 f., die jedoch verkennt, dass die Einwilligungsfähigkeit nicht die Grenze zwischen genereller Selbstbestimmung und absoluter Fremdbestimmung markiert, näher hierzu Kap. 2 B III 2 a). 57 Dethloff, Familienrecht, 32. Aufl. 2018, § 13 Rn. 61. 58 So aber BGH, NJW 1972, 335, 337; zust. Lorenz, NZFam 2017, 782, 784. Wie hier Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423 und Dethloff, Familienrecht, 32. Aufl. 2018, § 13 Rn. 61. Die besondere Bedeutung des Persönlichkeitsrechts unterstreicht auch die Rechtsprechung, vgl. nur BGH, NJW 1974, 1947, 1950; LG München I, NJW 1980, 646; AG Schlüchtern, NJW 1998, 832, 833. Darüber hinaus spiegelt sich der Bezug zum Persönlichkeit auch in den gesetzlichen Teilmündigkeiten des Familien- und Erbrechts sowie der ebenfalls abweichend von den §§ 104 ff. BGB geregelten Religionsmündigkeit wider, vgl. § 5 S. 1 RelKErzG, vgl. Schmid, RelKErzG § 5 Rn. 1 m.w.N.; näher hierzu Kap. 4 B II 1. 59 Näher hierzu Alderson et al., Arch Dis Child 2006, 300, 302 m.w.N. 60 MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 29 und 38 ff.; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 29. 61 So auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423, der aber trotz der sorgerechtlichen Besonderheiten von einer generellen Alleinentscheidungsbefugnis des ewf. Minderjährigen ausgeht.

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

Der konkrete Maßstab für die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit ist im Ausgangspunkt wie bei Volljährigen in Abhängigkeit von der Schwere, dem Risiko, der Indiziertheit und den Erfolgsaussichten des Eingriffs zu ermitteln, wobei zusätzlich auch das Alter des Minderjährigen zu berücksichtigen ist.62 Ob im Einzelfall kumulativ die Einwilligung der Sorgeberechtigten erforderlich ist, richtet sich nach dem konkreten Schutzbedarf des Minderjährigen, der gegen den Persönlichkeitsbezug der Maßnahme abzuwägen ist. Eine in dieser Weise einzelfallbezogen zu ermittelnde Doppelzuständigkeit trüge nicht nur den Anforderungen der Praxis,63 sondern auch den noch in der entwicklungsbedingten Bedürfnissen minderjähriger Patienten stärker Rechnung. Die Möglichkeit der Doppelzuständigkeit zwischen Minderjährigem und gesetzlichem Vertreter sollte auch im Wortlaut des § 630d Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommen, der in seiner momentanen Fassung den Besonderheiten des Minderjährigenrechts nur indirekt Rechnung trägt.64 Die in der Folge der hier vertretenen Ansicht notwendige Kasuistik ist auf Grundlage des geltenden Rechts, das keine hinreichenden Mitwirkungsbefugnisse des einwilligungsunfähigen Minderjährigen, etwa in Form eines informed assent oder eines hinreichend klar normierten Vetorechts vorsieht, wegen der gewichtigen, verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen beider Parteien in Kauf zu nehmen.65 Richtigerweise stellt die im Einzelfall mögliche Alleinzuständigkeit des Minderjährigen bereits heute vor dem Hintergrund des § 1626 Abs. 2 BGB keinen Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes dar.66 Vielmehr ermöglicht § 1626 Abs. 2 BGB die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des minderjährigen, einwilligungsfähigen Patienten und dem elterlichen Sorgerecht im konkreten Fall.67 Eine klarstellende Regelung in § 630d Abs. 1 BGB wäre de lege ferenda dennoch zu begrüßen. cc) Kasuistik Hieraus ergibt sich, dass der einwilligungsfähige Minderjährige in alltägliche Eingriffe grundsätzlich allein einwilligen kann, wohingegen sich der Arzt zumindest bei schwerwiegenden medizinischen Entscheidungen stets auch der Einwilligung 62

Vgl. Kap. 3 B IV 3 b), C II und Kap. 5 B II. So ist etwa die Prüfung der Einwilligungsfähigkeit regelmäßig entbehrlich, wenn Eltern und Kind gemeinsam einstimmig entscheiden. Bei schwerwiegenderen Entscheidungen wird durch die einzelfallbezogene Doppelzuständigkeit zudem sichergestellt, dass der Minderjährige nicht allein die Konsequenzen der Entscheidung zu tragen hat und eine etwaige positive Falscheinschätzung seiner Einwilligungsfähigkeit nicht zu seinen Lasten geht. So auch Lorenz, NZFam 2017, 782, 786, die jedoch anders als hier vertreten eine generelle Doppelzuständigkeit befürwortet. 64 Vgl. § 630d Abs. 1 S. 3 BGB. So auch MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 41. 65 Vgl. etwa die Auflistung bei MüKoBGB/Schmitt, 7. Aufl. 2015, § 107 Rn. 12. Ähnlich wie hier auch Ohly, „Volenti non fit inuiria“, 2002, S. 321. 66 A.A. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 33 f.; ders., Anm. zu BGH, MedR 2008, 289, 293; Pawlowski, in: FS Hagen, 1999, S. 13 ff. Wie hier i. Erg. a. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 424, der zutreffend darauf hinweist, dass ansonsten auch die Einräumung des von der Gegenansicht befürworteten Vetorechts des einwilligungsfähigen Minderjährigen unter Gesetzesvorbehalt stehen müsste. 67 So auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 424. Ausführlich hierzu unten Kap. 2 B II. 63

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der Personensorgeberechtigten versichern sollte.68 Das gilt umso mehr, wenn eine besonders risikoreiche Behandlung aus medizinischer Sicht aufschiebbar oder, wie etwa bei kosmetischen Eingriffen, gar nicht indiziert ist.69 In diesen Fällen bedürfen zumindest jüngere Minderjährige trotz der im Einzelfall möglicherweise vorhandenen Einwilligungsfähigkeit regelmäßig der Unterstützung und Beratung durch die Eltern.70 Je stärker sich der Betroffene der Volljährigkeit nähert, desto umfassender werden seine Alleinentscheidungsbefugnisse.71 Das ergibt sich bereits aus der in § 1626 Abs. 2 BGB flexibel ausgestalteten Grenze zwischen elterlichem Erziehungsrecht und dem Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen, die sich mit Annäherung des Minderjährigen an das Volljährigkeitsalter immer stärker zugunsten des Selbstbestimmungsrechts verschiebt.72 Gleiches gilt für Maßnahmen, die den Persönlichkeitsbereich des Minderjährigen besonders stark berühren.73 Das gilt auch für den besonders umstrittenen Fall des Schwangerschaftsabbruchs. Zutreffend räumt die überwiegende Ansicht der einwilligungsfähigen Schwangeren trotz der Erheblichkeit der Entscheidung eine Alleinentscheidungsbefugnis ein.74 Da die mit einer ungewollten Schwangerschaft einhergehende höchstpersönliche Konfliktsituation zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und dem Leben des Ungeborenen das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen in seinem Kern berührt, erscheint es kaum vertretbar deren Auflösung nicht allein der Schwangeren selbst,

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BGHSt 12, 379, 382 f. = NJW 1959, 825 f.; NJW 1972, 335, 337; Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 101; BeckOGK/Spindler, § 823 Rn. 83; Katzenmeier, in: HKAKM, Nr. 1570 Rn. 14; Ulsenheimer, in: ders./Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XXIV § 149 Rn. 67; Lipp, Freiheit und Fürsorge 2000, 33 f.; enger Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 66: Doppelzuständigkeit nur bei begründeter Gefahr des Todes oder erheblichen Gesundheitsschäden. 69 BGHSt 12, 379, 382 f. = NJW 1959, 825 f. (Blinddarm OP StrafR); BGH, NJW 1972, 335, 337 (in erster Linie kosmetisch motivierter Eingriff); BeckOGK/Spindler, § 823 Rn. 83; Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 14. Für eine restriktive Annahme bereits der Einwilligungsfähigkeit in diesen Fällen hingegen Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 424 m.w.N. 70 BGH, NJW 1972, 335, 337. So auch Lorenz, NZFam 2017, 782, 784. 71 BGHZ 29, 33, 37 = NJW 1959, 811; Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 97 m.w.N. So aus strafrechtlicher Sicht auch NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 29. 72 NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 29. A.A. MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 82 und Lorenz, NZFam 2017, 782, 784 f., die darauf hinweisen, dass der Gesetzgeber Minderjährigen auch in anderen Zusammenhängen eine eigene Handlungsfähigkeit grundsätzlich nur unter Einbindung der Personensorgeberechtigten einräumt (etwa im Rahmen von §§ 1596 Abs. 1, 1626 Abs. 1, 2, 1746 Abs. 1, 3, 1617a ff. BGB). 73 Wie etwa der Schwangerschaftsabbruch, die Beschneidung oder die Verschreibung von Kontrazeptiva. Ausführlich hierzu sogleich. 74 Zumindest ab einem Alter von 15 Jahren, vgl. LG München I, NJW 1980, 646 (16-Jährige); AG Schlüchtern, NJW 1998, 832, 833 (16-Jährige); LG Köln, Urt. v. 17.09.2008 – 25 O 35/08 (15-Jährige); Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 14; NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28 m.w.N.; Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 97; Amend-Traut/Bongartz, FamRZ 2016, 5, 6 ff.; BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 127; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 44; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 91 ff. m.w.N.; Staudinger/Peschel-Gutzeit, 2017, § 1626 Rn. 101; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423; vgl. a. LG Köln, GesR 2009, 43 ff.: keine Mitteilungspflicht des Arztes über Schwangerschaft an gesetzlichen Vertreter bei Einwilligungsfähigkeit der minderjährigen Schwangeren.

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

sondern zusätzlich ihren Eltern zu überlassen.75 Diesem Umstand trägt auch § 6 Abs. 3 Nr. 3 SchwangerschaftsKG Rechnung, wonach die Eltern als nahe Angehörige nur im Einvernehmen mit der Minderjährigen zum Beratungsgespräch nach §§ 218a, 219 StGB hinzuzuziehen sind.76 Aus ähnlichen Erwägungen ergibt sich eine Alleinentscheidungsbefugnis minderjähriger Patienten bei der Verschreibung oder Durchführung kontrazeptiver Maßnahmen sowie bei der Behandlung das Persönlichkeitsrecht besonders berührenden Erkrankungen wie etwa einer Drogenabhängigkeit oder einer HIV-Infektion.77 Richtigerweise ist der Minderjährige auch im Notfall alleinentscheidungsbefugt,78 wobei hier zu Gunsten des Arztes regelmäßig weitere Rechtfertigungsgründe eingreifen werden.79 Bei Zweifeln an der Einwilligungsfähigkeit des minderjährigen Patienten ist der Arzt somit haftungsrechtlich abgesichert. Liegt kein Notfall vor und bestehen Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit des minderjährigen Patienten, sollte der Arzt sowohl die Einwilligung des Minderjährigen selbst als auch diejenige des gesetzlichen Vertreters einholen.80 dd) Informationsrechte der Sorgeberechtigten trotz Alleinentscheidungsbefugnis des Minderjährigen Fraglich ist, inwieweit den sorgeberechtigten Eltern Informations- und Aufklärungsrechte gegenüber dem Arzt zukommen, wenn ihr minderjähriges Kind alleinentscheidungsbefugt ist.81 Zwar besteht grundsätzlich keine ärztliche Schweigepflicht gegenüber den sorgeberechtigten Eltern. Es sprechen jedoch gute Gründe dafür eine Schweigepflicht zumindest dann anzunehmen, wenn der Minderjährige über die Behandlung allein entscheiden kann.82 Zum einen ist nach der Gesetzeskonzeption des § 630e Abs. 1 BGB allein die einwilligungsfähige zu behandelnde Person Adressat der Aufklärung.83 Zum anderen spricht der Persönlichkeitsbezug derartiger Informationen gegen ein elterliches Informations- und Aufklärungsrecht.84 Richtigerweise muss der betroffene Minderjährige den Arzt in diesen Fällen 75 Katzenmeier, HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 14; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 44; so bereits Rouka, Selbstbestimmungsrecht, 1996, S. 164 ff.; J. Prütting/Merrem, in: Prütting, MedR-K, BGB § 630d Rn. 28. Zurückhaltender NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 28, der den Wertungen der Personensorgeberechtigten einen gewissen Vorrang einräumt. 76 Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423. 77 Vgl. KassKomm/Seewald, SGB I § 36 Rn. 6c m.w.N.; zurückhaltender Mrozynski, SGB I § 36 Rn. 19; Krahmer/Krahmer, SGB I, § 36 Rn. 11. 78 Vgl. BGHZ 26, 33, 36 = NJW 1959, 811; BGHSt 12, 379, 382 = NJW 1959, 825, 826; BeckOGK/Spindler, § 823 Rn. 83; Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 101. 79 Vgl. Kap. 4 C II 1 und Kap. 9 B II und III. 80 Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 14. Das ist regelmäßig unproblematisch, wenn Eltern und Kind gemeinsam einstimmig entscheiden, vgl. Lorenz, NZFam 2017, 782, 786. 81 Bejahend etwa Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423. Grundlegend Schröder, Auskunftsansprüche, 2011, S. 11 ff. 82 So auch Ludyga, NZFam 2017, 1121, 1122. 83 Vgl. BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 40; NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 9 und Hebecker/Lutzi, MedR 2015, 17, 19. 84 MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 46; so auch KassKomm/Seewald, SGB I § 36 Rn. 6b f.; Mrozynski, SGB I § 36 Rn. 19 m.w.N. und Krahmer/Krahmer, SGB I § 36 Rn. 12 für den sozialrechtlichen Informationsanspruch der Eltern aus § 36 Abs. 1 S. 2 SGB I.

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von seiner Schweigepflicht entbinden, da hier regelmäßig der Schutz der Vertrauenssphäre das elterliche Sorgerecht überwiegen dürfte.85 Das gilt auch dann, wenn der gesetzliche Vertreter den Behandlungsvertrag für den Minderjährigen abschließt, der Minderjährige die Behandlung in der Folge aber allein in Anspruch nimmt. In dieser Konstellation ist der Arzt nicht verpflichtet, die Eltern gegen den Willen des einwilligungsfähigen Minderjährigen über die einzelnen Behandlungsschritte aktiv in Kenntnis zu setzen.86 b) Konflikt zwischen einwilligungsfähigem Minderjährigen und gesetzlichem Vertreter Da das elterliche Sorgerecht wie gezeigt immanent durch das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen beschränkt ist, § 1626 Abs. 2 BGB, ist im Konfliktfall zunächst zu prüfen, ob überhaupt eine Entscheidungsbefugnis der Eltern besteht.87 Ist dies zu bejahen, sind bei der Ausübung der Personensorge die gesetzlichen Vorgaben zu beachten, wie insbesondere die Bindung an das Kindeswohl. 88 Ist der Minderjährige nach der hier vertretenen Einzelfalllösung alleinentscheidungsbefugt, kann sich die gegenteilige Ansicht der Eltern allenfalls auf der Ebene des Vertragsschlusses auswirken.89 Für die Entscheidung über die Zustimmung oder Ablehnung einer Maßnahme ist der elterliche Wille hingegen unbeachtlich.90 Eine echte Konfliktlage liegt folglich nur dann vor, wenn der situativ einwilligungsfähige Minderjährige und seine Personensorgeberechtigten im Einzelfall kumulativ entscheidungsbefugt sind. Hierbei ist es zweckmäßig danach zu differenzieren, ob der Minderjährige die medizinische Maßnahme ablehnt oder befürwortet. aa) Behandlungsablehnung durch den einwilligungsfähigen Minderjährigen Lehnt der einwilligungsfähige Minderjährige eine Behandlung ab, ist diese auch wenn sie indiziert ist, nicht gegen seinen Willen legitimierbar.91 Denn der Arzt ist 85 Vgl. Gaidzik, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, StGB § 205 Rn. 9 f.; so auch Kern, NJW 1994, 753, 755. 86 Vgl. LG Köln, Urt. v. 17.09.2008 – 25 O 35/08. 87 Die Frage ist wie gezeigt einzelfallbezogen zu beurteilen, vgl. Kap. 8 A II 2 a) bb). A.A. Lorenz, NZFam 2017, 782, 786, die die Eltern grundsätzlich für (mit-)entscheidungsbefugt hält und den Konflikt zwischen Eltern und Kind als Frage des Verhältnisses von Wille und Wohl des Kindes formuliert. Anders als bei Volljährigen sei die Selbstbestimmung über die eigene körperliche Integrität (Wille) einer Abwägung mit seinem „wohlverständlichen Interesse“ (Wohl) zugänglich, wobei sowohl zivil- als auch verfassungsrechtlich ein genereller Vorrang des Kindeswohls im Konflikt mit seinem Willen bestehe, ebenda, S. 785 f. 88 Näher hierzu sogleich sowie Kap. 9 B III 2. 89 BeckOK-BGB/Veit, § 1626 Rn. 45.1. Das gilt jedoch nur, sofern keine eigenständige Vertragsschlusskompetenz des Minderjährigen besteht und/oder die fehlende Zustimmung der Eltern zum Vertragsschluss nicht nach § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB ersetzt wurde. Ausführlich hierzu sogleich. 90 Vgl. a. Belling u.a., Selbstbestimmungsrecht, 1994, S. 127 ff., insbes. S. 135 f.; Kern, NJW 1994, 753, 755; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423 sowie aus strafrechtlicher Sicht NKStGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 65. 91 Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 16; Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986; Nebendahl, MedR 2009, 197, 201 ff.

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

wie gezeigt verpflichtet, neben der Einwilligung der Personensorgeberechtigten auch diejenige des einwilligungsfähigen Minderjährigen einzuholen.92 Äußert sich der Minderjährige nicht oder verhält er sich lediglich neutral, reicht das regelmäßig nicht aus. Vielmehr muss der minderjährige Patient seinen positiven Behandlungswillen zumindest konkludent zum Ausdruck bringen. Hierbei gelten die gleichen Anforderungen wie bei volljährigen Patienten.93 Das gilt erst recht bei nur relativ oder gar nicht indizierten Eingriffen.94 In letzter Konsequenz bedeutet das, dass eine Therapieverweigerung des einwilligungsfähigen Minderjährigen von den Eltern nicht übergangen werden kann.95 Gleiches gilt auch für den Behandlungsabbruch. Verweigert der insoweit einwilligungsfähige Minderjährige seine Einwilligung, kann die elterliche Einwilligung die Fortsetzung der Behandlung nicht legitimieren. Zwar werden vor allem bei vitaler Indikation regelmäßig hohe Anforderungen an die Fähigkeiten des Minderjährigen zu stellen sein.96 Diese dürfen jedoch nicht in einer Weise überhöht werden, dass minderjährige Patienten diese von vornherein nicht erreichen können.97 bb) Behandlungswunsch des einwilligungsfähigen Minderjährigen Versagen die Eltern ihre Einwilligung bei einem bestehendem Behandlungswunsch des Minderjährigen, ist zu prüfen, ob die Versagung dem Kindeswohl hinreichend Rechnung trägt, § 1627 S. 1 BGB.98 Die Bindung an das Kindeswohl trägt der Fremdnützigkeit des elterlichen Sorgerechts Rechnung und hat zur Folge, dass den Eltern im Vergleich zum Selbstbestimmungsrecht über ihre eigenen Rechtsgüter nur eine eingeschränkte Entscheidungsbefugnis zukommt.99 Insbesondere ermög92

A.A. Lorenz, NZFam 2017, 782, 787, die jedoch zugesteht, dass die Missachtung der Behandlungsablehnung eines einwilligungsfähigen Minderjährigen im Regelfall eine Kindeswohlgefährdung darstellen wird, § 1666 Abs. 3 BGB. 93 Vgl. Kap. 2 C II und Kap. 5 B II. 94 Insbes. können die Eltern keinen Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der ewf. Schwangeren erwirken, Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 102 m.w.N., oder gegen den Willen des Minderjährigen eine Lebendorganspende legitimieren, vgl. MüKoBGB/ Olzen, § 1666 Rn. 81 m.w.N.; Walter, FamRZ 1998, 201, 203 Fn. 20. Letzteres ergibt sich bereits aus dem Volljährigkeitserfordernis in § 8 Abs. 1 Nr. 1 lit. a TPG. In beiden Fällen liegt eine klare Kindeswohlgefährdung vor, MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 81 m.w.N. 95 So bereits Wiss. Beirat der BÄK, DÄBl. 1994, A-3204, A-3207. 96 Vgl. hierzu Kap. 4 B II. 97 So nachdrücklich Bichler, GesR 2014, 208, 210 m.w.N.; vgl. a. die progressive Rechtsprechung des schweizerischen Obergerichts Luzern, das einen 17-jährigen Patienten für fähig hielt eine vital indizierte Therapie gegen den Willen der Eltern zu verweigern (hier: dritter Chemotherapiezyklus bei infauster Hirnkrebsdiagnose), vgl. Obergericht Luzern, Entscheid v. 3.12.2007 – 30 07 22 – E.4.4.; näher hierzu Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 61 f. 98 Das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen ist gegenüber den Sorgeberechtigten nur indirekt nach § 1666 Abs. 3 BGB geschützt. Die Missachtung des Willens des Minderjährigen selbst ist nicht unmittelbar sanktioniert, Lorenz, NZFam 2017, 782, 783. 99 Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl. 2010, § 57 Rn. 25 ff.; Dethloff, Familienrecht, 32. Aufl. 2018, § 9 Rn. 3; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 32 f. und S. 38 f.; so für den Behandlungskontext auch Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 17. Näher zur Fremdnützigkeit des elterlichen Sorgerechts Kap. 2 C II 2 b) bb).

A. Einwilligungsebene

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licht das Sorgerecht keine unvernünftigen Entscheidungen zu Lasten des Minderjährigen.100 Im medizinischen Bereich ist das Kindeswohl in engem Zusammenhang mit der Indiziertheit der jeweiligen Maßnahme zu bestimmen.101 Verweigert der Personensorgeberechtigte seine Einwilligung zu einem vom Minderjährigen gewünschten absolut indizierten Eingriff, ist in jedem Fall eine gerichtliche Klärung herbeizuführen, da hier regelmäßig eine Kindeswohlgefährdung vorliegen wird.102 Das Familiengericht kann in diesem Fall den Eltern das Sorgerecht für diese Frage entziehen und einen Pfleger bestellen, § 1666 Abs. 1, 3 Nr. 6, § 1909 Abs. 1 BGB, oder die gebotene Einwilligung der Eltern nach § 1666 Abs. 1. 3 Nr. 5 BGB ersetzen.103 In Notfällen kann die fehlende Einwilligung der Eltern oder der anderweitig Sorgeberechtigten zudem durch § 34 StGB überwunden werden, sofern der Eingriff zweifelsfrei dringend gebotenen ist.104 Bei lediglich relativ indizierten Eingriffen kommt es auf die mit dem Eingriff verbundenen Erfolgschancen und Risiken an. 105 Während vereinzelt vertreten wird, der Entscheidungsspielraum der Sorgeberechtigten sei auf die Wahl zwischen gleichwertigen Behandlungsalternativen verengt,106 steht diesen richtigerweise ein gewisser Spielraum bei der Abwägung der Heilungschancen und Belastungen der jeweiligen Behandlung zu, der jedoch mit zunehmendem Alter des Minderjährigen abnimmt.107 Versagt der Sorgerechtsinhaber gegen den Willen des einwilligungsfähigen Minderjährigen seine Einwilligung zu einem nur relativ indizierten Eingriff, der mit erheblichen Risiken aber nur geringen Heilungschancen einhergeht, wird hierin regelmäßig keine Kindeswohlgefährdung gesehen werden können.108 100

Vgl. OLG Celle, NJW 1995, 792, 793; OLG Hamm, NJW 1968, 212, 213; LG Frankenthal, MedR 2005, 243, 244; Kern, NJW 1994, 753, 756; Bender, MedR 2000, 422, 423; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d Rn. 16; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 38 m.w.N.; MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 81 m.w.N.; Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl. 2018, Rn. 477. 101 So bereits Kern, NJW 1994, 753, 756. 102 Hierunter fällt beispielsweise die Verweigerung der elterlichen Einwilligung in eine indizierte stationäre Behandlung des psychisch kranken Kindes (BayObLG, Beschl. v. 14.2.1984 – 1 Z 94/83, BeckRS 2009, 87944; MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 83), die Ablehnung einer Bluttransfusion aus religiösen Gründen (OLG Celle, NJW 1995, 792 f.; OLG Hamm, NJW 1968, 212, 213) sowie die Verweigerung indizierter diagnostischer Maßnahmen, MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 81 f.; Tiedemann, NJW 1988, 729, 735; vgl. a. MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 38 m.w.N.; enger Lorenz, NZFam 2017, 782, 786, die eine klare Kindeswohlgefährdung nur bei der Ablehnung risikoloser, medizinisch indizierter Eingriffe durch die Eltern annimmt und ansonsten eine Einzelfallabwägung befürwortet. 103 Vgl. Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 3; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 71; zur Ersetzung der elterlichen Einwilligung in med. Eingriffe S. OLG Hamm, NJW 2007, 2704, 2705 m. Anm. Balloff; BVerfG, FamRZ 2007, 2046 m. Anm. Spickhoff. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Sorgeberechtigten ist § 1628 BGB zu beachten, MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 80. 104 AG Nordenham, MedR 2008, 225; Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 17. Näher hierzu Kap. 9 B V 3. 105 Lorenz, NZFam 2017, 782, 786. 106 So etwa Kern, NJW 1994, 753, 756. 107 MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 82 m.w.N.; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423 f. 108 Lorenz, NZFam 2017, 782, 786. Zweifelhaft ist hingegen, ob die Eltern ihre Einwilligung zu einer vom Minderjährigen gewünschten gesetzlich vorgeschriebenen Impfung verweigern

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, inwieweit die Eltern verpflichtet sind, auch nicht medizinisch indizierten Maßnahmen zuzustimmen, die der Minderjährige wünscht. Beispiele sind der Schwangerschaftsabbruch, kontrazeptive Maßnahmen, die rituelle Knabenbeschneidung (§ 1631d BGB), Impfungen, die Teilnahme an klinischen Forschungsvorhaben, Transplantatentnahmen aber auch kosmetische Operationen.109 Nach der hier vertretenen Ansicht ist die einwilligungsfähige Minderjährige aufgrund des Persönlichkeitsbezugs sowohl für den Schwangerschaftsabbruch als auch für die Verschreibung von Kontrazeptiva sowie die hiermit zusammenhängenden Eingriffe alleinentscheidungsbefugt, so dass es auf die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters insoweit nicht ankommt.110 Verweigern die Sorgeberechtigten ihre Einwilligung zu klinischen Forschungsvorhaben oder zur Entnahme von Organen im Rahmen der Lebendspende, wird mangels Indiziertheit regelmäßig keine Kindeswohlgefährdung angenommen werden können. In Zweifelsfällen sollte auf eine Klärung durch das Familiengericht hingewirkt werden, das im Falle einer Kindeswohlgefährdung die genannten Maßnahmen erlassen kann. Auch die Ablehnung kosmetischer Eingriffe wird das Wohl des Minderjährigen regelmäßig nicht gefährden, so lange diese nicht auf die Beseitigung einer den Minderjährigen besonders stark seelisch belastenden Zustandes gerichtet sind. 111 Die hiermit verbundene Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Minderjährigen zum Schutz seiner körperlichen Integrität ist in diesen Fällen nicht zuletzt deshalb hinnehmbar, weil er sich in einem noch nicht abgeschlossenen Entwicklungsprozess befindet und die genannten Eingriffe regelmäßig auch noch später möglich sein werden, so dass eine selbstbestimmte Entscheidung nicht generell aufgehoben, sondern nur vertagt wird.112 cc) Ergebnis Während die Sorgeberechtigten regelmäßig keine Maßnahmen gegen den Willen des konkret einwilligungsfähigen Minderjährigen legitimieren können, ist der Minderjährige, wenn er eine Behandlung wünscht, die dem Willen seiner Eltern widerspricht, regelmäßig auf die familiengerichtliche Ersetzung der Elterlichen Einwilligung oder eine Pflegerbestellung nach § 1666 BGB angewiesen. Diese Maßnahmen setzen voraus, dass die Weigerung der Eltern das Kindeswohl verletzt, § 1666 Abs. 1 BGB. Das ist regelmäßig der Fall, wenn die Eltern eine absolut indizierte Maßnahme ablehnen. Demgegenüber kommt den Sorgerechtsinhabern bei können (dafür Staudinger/Coester, 2016, § 1666 Rn. 104; MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 85; dagegen AG Nordenham, MedR 2008, 225). 109 Vgl. Dörries, in: dies./Lipp (Hrsg.), Medizinische Indikation, 2015, S. 16; Hauck, NJW 2013, 3334 f. Beim Schwangerschaftsabbruch sind die strafrechtliche Indikation nach § 218a StGB und die Behandlungsindikation nicht deckungsgleich, so dass auch der nach § 218a StGB straflose Schwangerschaftsabbruch medizinisch regelmäßig nicht indiziert ist, näher hierzu Hauck, NJW 2013, 3334 f. 110 Nach der Gegenauffassung ist auf eine gerichtliche Klärung hinzuwirken, wobei im Fall des Schwangerschaftsabbruchs bei Versagung der elterlichen Einwilligung, obwohl die Voraussetzungen der Straflosigkeit vorliegen zum Teil von einer Kindeswohlgefährdung ausgegangen wird, vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl. 2010, § 57 Rn. 111. 111 MükoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 85; Staudinger/Coester, 2016, § 1666 Rn. 102. 112 Lorenz, NZFam 2017, 782, 786.

A. Einwilligungsebene

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relativ und nicht medizinisch indizierten Maßnahmen ein gewisser Entscheidungsspielraum zu, weshalb der Minderjährige seine Wünsche in diesen Fällen nur selten gerichtlich umsetzen können wird. Auch bei medizinisch nicht indizierten Maßnahmen wird nur in Ausnahmefällen eine Kindeswohlgefährdung angenommen werden können. Der Weg über das Familiengericht erscheint schließlich auch dann wenig geeignet, wenn der einwilligungsfähige Minderjährige seine Eltern über seine Krankheit oder Behandlung nicht informieren möchte.113 c) Anforderungen an die Einwilligung der Personensorgeberechtigten Da die Entscheidung über die medizinische Behandlung des Kindes von der Personensorge umfasst wird, hat der Arzt grundsätzlich die Einwilligung beider Elternteile einzuholen.114 Die Rechtsprechung trägt dem Umstand, dass regelmäßig nur ein Elternteil das Kind zum Arzt begleitet, dadurch Rechnung, dass sie je nach Schwere des Eingriffs von abgestuften Anforderungen ausgeht. 115 Gleiches gilt richtigerweise auch bei geteilter elterlicher Sorge.116 Dogmatisch beruft sich der BGH hierbei auf die Grundsätze zur Anscheinsvollmacht.117 Im Schrifttum wird hingegen vereinzelt eine Einzelvertretungsmacht des erschienenen Elternteils bei einfachen Geschäften oder Eingriffen angenommen.118 Eine solche Einzelvertretungsmacht setzt jedoch eine zumindest konkludent erklärte Bevollmächtigung durch den anderen Elternteil voraus, so dass die Ansicht des BGH vorzugswürdig erscheint. Ist ein Elternteil alleinsorgeberechtigt kommt es allein auf dessen Entscheidung an.119 Gleiches gilt, wenn einem Elternteil die Entscheidung nach § 1628 BGB vom Familiengericht übertragen worden ist.120 113

Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423. §§ 630 Abs. 1 BGB i.V.m. 1626 f., 1629 Abs. 1 S. 1, 2 BGB; st. Rspr., vgl. nur BGH, NJW 2010, 2430, 2431; NJW 2007, 217, 218; NJW 2000, 1784, 1785; NJW 1988, 2946 f.; vgl. a. NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 110 m.w.N.; Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 98; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 37 m.w.N. 115 St. Rspr., vgl. BGHZ 105, 45, 49 ff. = NJW 1988, 2946 f.; NJW 2000, 1784, 1785; NJW 2010, 2430, 2431; OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 747, 748 (sog. Dreistufen-Theorie): Bei leichteren Maßnahmen und in Routinefällen darf der Arzt, solange ihm keine entgegenstehenden Umstände bekannt sind, darauf vertrauen, dass der erschienene Elternteil ermächtigt ist, die Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den abwesenden Elternteil mitzuerteilen. Bei schweren Fällen hat er sich durch Nachfragen zu vergewissern, ob der erschienene Elternteil vertretungsbefugt ist, wobei er sich mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auf die Auskunft des anwesenden Elternteils verlassen darf. Im Einzelfall kann es dennoch angebracht sein, dass der Arzt den erschienenen Elternteil darum bittet, die vorgesehenen ärztlichen Eingriffe mit dem anderen Elternteil zu besprechen. Bei schwierigen und weitreichenden Behandlungsentscheidungen, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden sind, muss sich der Arzt Gewissheit verschaffen, dass auch der nicht anwesende Elternteil seine Zustimmung erklärt hat. Näher hierzu Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 101; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 340; ders., in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 15; Nebendahl, in: Igl/Weltli, Gesundheitsrecht, Kap. XI § 49 Rn. 51 ff.; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 37. 116 BeckOGK/Spindler, § 823 Rn. 83 m.w.N. 117 BGHZ 105, 45, 48 = NJW 1988, 2946, 2947. 118 Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 98. 119 MüKoBGB/Spickhoff, § 107 Rn. 17. 120 MüKoBGB/Spickhoff, § 107 Rn. 17. 114

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

III. Relativ einwilligungsfähige Volljährige mit und ohne Betreuer 1. Grundsatz: Alleinentscheidungsbefugnis des Betreuten Anders als Minderjährige sind betreute Patienten soweit sie einwilligungsfähig sind, nach einhelliger Meinung allein zur Entscheidung über medizinische Maßnahmen befugt.121 Das gilt unabhängig vom Stadium der Erkrankung und unabhängig davon, ob die Entscheidung des einwilligungsfähigen Betreuten aus medizinischer Sicht vernünftig erscheint.122 Auch konkret einwilligungsfähige Volljährige, deren Fähigkeiten aus tatsächlichen Gründen gemindert sind, ohne dass bisher eine Betreuung eingerichtet wurde, bedürfen zur Entscheidung über eine medizinische Behandlung keines Vertreters. Auch sie sind alleinentscheidungsbefugt, § 630d Abs. 1 BGB. Die unterschiedliche Behandlung volljähriger und minderjähriger Patienten im Hinblick auf die Einwilligungszuständigkeit liegt in der Mündigkeit begründet. Das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht ist bei Volljährigen wegen ihrer Mündigkeit stärker zu gewichten als beim noch in der Entwicklung befindlichen, unmündigen Minderjährigen. Diesem Umstand trägt auch die gesetzlich verankerte Subsidiarität der rechtlichen Betreuung Rechnung, vgl. § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB. Hiernach ist der Betreuer im Innenverhältnis zum Betreuten nur dann entscheidungsbefugt, wenn und soweit dies erforderlich ist.123 Im Außenverhältnis zum Arzt sind hingegen sowohl der einwilligungsfähige Betreute selbst als auch der Betreuer im Rahmen seines Aufgabenkreises zur Erteilung der Behandlungseinwilligung legitimiert, vgl. § 1902 BGB.124 Nach einhelliger Ansicht verdrängt und überlagert die Einwilligung des einwilligungsfähigen Betreuten indes etwaige abweichende Entscheidungen des Betreuers,125 so dass es insoweit zu einem Gleichlauf von Innen- und Außenverhältnis kommt.126 An der Alleinzuständigkeit ändert richtigerweise auch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für den Bereich der Gesundheitssorge nichts, da dieser nach herrschender und zu befürwortender Auffas121

OLG Hamm, NJWE-FER 1997, 178, 179; LG Kassel, FamRZ 1996, 1501; BT-Drs. 11/4528, S. 141; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 8; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 10 und Rn. 16; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 179 m.w.N.; Spickhoff/Spickhoff, § 1904 Rn. 4; ders., FamRZ 2018, 412, 420; Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 3; Staudinger/ Bienwald, 2017, § 1904 Rn. 45; Coester-Waltjen, MedR 2012, 553, 554; Voll, Einwilligung, 1996, S. 310. 122 Vgl. § 1901a Abs. 3 BGB; Lipp, MedR 2016, 843, 845 m.w.N.; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 420. Näher zum Ganzen Kap. 2 B IV und Kap. 4 A II. 123 OLG Hamm, NJWE-FER 1997, 178 f.; BT-Drs. 11/4528, S. 141; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 75 m.w.N.; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 10 und Rn. 16; BeckOKBGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 8; Palandt/Götz, § 1904 Rn. 9 ff.; Jürgens/Marschner, § 1904 Rn. 6. 124 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 1; Bienwald, in: ders. u.a., § 1896 Rn. 162. Bei der Bevollmächtigung in Gesundheitsangelegenheiten gibt es keinen vergleichbaren Konflikt, weil der Bevollmächtigte auch im Außenverhältnis nur für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit handlungsbefugt ist. A.A. BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1896 Rn. 27 m.w.N. 125 Vgl. nur BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 8; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 10 und Rn. 16; Klüsener/Rausch, NJW 1993, 617, 619. 126 MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 10 m.w.N. Näher hierzu Kap. 9 B III 2 a) dd).

A. Einwilligungsebene

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sung nur für Rechtsgeschäfte gilt und sich nicht auf die Behandlungseinwilligung erstreckt.127 2. Vorgehen bei Zweifeln an der Einwilligungsfähigkeit Wenig einheitlich wird die Frage beantwortet, wie bei Zweifeln an der Einwilligungsfähigkeit des betreuten Patienten zu verfahren ist. Lässt sich im konkreten Fall nicht zweifelsfrei feststellen, ob der Betreute bezogen auf die geplante Maßnahme noch einwilligungsfähig ist, oder ob ihm diese wegen seiner tatsächlichen Defizite bereits fehlt, wird in der Literatur mitunter vertreten, dass die Betreuerentscheidung Vorrang haben soll.128 Diese Ansicht ist mit der aus der Mündigkeit des volljährigen Betreutem folgenden Vermutung der Einwilligungsfähigkeit unvereinbar. Hiernach ist, solange sich die Einwilligungsunfähigkeit des Betreuten nicht definitiv feststellen lässt, von dessen Einwilligungsfähigkeit auszugehen, mit der Folge, dass die Entscheidungskompetenzen des Betreuers verdrängt werden.129 Der Arzt ist jedoch in Zweifelsfällen gut beraten, zusätzlich die Einwilligung des Betreuers einholen.130 Das bedeutet zwar faktisch eine Doppelzuständigkeit von Betreuer und Betreutem. Soweit sich beide einig sind, ist der hiermit verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betreuten aber allenfalls marginal und aus Gründen des tatsächlichen Unterstützungsbedarfs des Betreuten rechtfertigbar.131 Zugleich ist sichergestellt, dass die Behandlungseinwilligung rechtlich wirksam und der Arzt von haftungsrechtlichen Risiken befreit ist.132 Widersprechen sich Patient und Betreuer hingegen, sind die konkreten Fähigkeiten des Betreuten vertieft zu prüfen, gegebenenfalls mithilfe eines psychiatrischen Konsils.133 Lässt sich die Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen auch nach rigoroser Prüfung nicht definitiv feststellen, ist von dessen Einwilligungsfähigkeit auszugehen mit der Folge, dass allein die Entscheidung des Betreuten maßgeblich ist.134 Der Arzt trägt in diesem Fall gerade nicht das Risiko der Einwilligungsunfähigkeit.135 Führt die Prüfung hingegen zur Einwilligungsunfähigkeit, ist der Betreuer bei seiner Entscheidung an das Wohl und die 127

BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1903 Rn. 15; MüKoBGB/Schwab, § 1903 Rn. 24; Voll, Einwilligung, 1996, S. 310. 128 Staudinger/Bienwald, 2017, § 1904 Rn. 48; weitergehend Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 181 und S. 189 f.: generelle Doppelzuständigkeit von Betreuer und Betreutem. 129 BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 12; Palandt/Götz, § 1904 Rn. 9 ff. Ausführlich hierzu oben Kap. 5 C I. 130 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 180 f. und BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 12, jeweils m.w.N. 131 In diesem Fall kommt es auf die Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen nicht entscheidend an, so dass diese schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht aufwändig festgestellt zu werden braucht, Lipp, Freiheit und Fürsorge 2000, S. 180 f. m.w.N. 132 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 189 f. 133 So auch Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 180 f. und BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 12, jeweils m.w.N. 134 BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 12; Palandt/Götz, § 1904 Rn. 11. Krit. hierzu Duttge, in: Wiesemann/Simon (Hrsg.), Patientenautonomie, 2013, S. 85; ders., in: Schicktanz/Schweda (Hrsg.), Pro Age oder Anti-Aging?, 2012, S. 103. Näher hierzu Kap. 5 B I 3 c). 135 A.A. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 190.

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

Wünsche des Betreuten gebunden.136 Bestehen erhebliche Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit eines volljährigen Patienten, der nicht unter Betreuung steht und ist dieser Zustand voraussichtlich länger andauernd, hat der Arzt, wenn keine Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten vorhanden ist, auf die Bestellung eines Betreuers hinzuwirken, vgl. § 1896 Abs. 1 BGB. 3. Sonderfall: Lucidum intervallum Ist der volljährige Patient über längere Zeiträume absolut einwilligungsunfähig und fluktuieren seine Fähigkeiten stark, stellt sich die Frage, ob er im Rahmen eines sogenannten lucidum intervallum kurzzeitig einwilligungsfähig sein kann.137 Die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum geht davon aus, dass ein lichter Moment zur vorübergehenden Einwilligungs-, Geschäfts- oder Testierfähigkeit bei Personen führen kann, die ansonsten generell handlungsunfähig sind.138 Das Problem wurde in jüngerer Zeit, nachdem das OLG München kritische Stimmen aus der medizinischen Fachliteratur139 rezipiert hatte, wieder neu belebt.140 In seiner Entscheidung schloss sich das Gericht der in der Medizin vertretenen Auffassung an, dass die Annahme eines luziden Intervalls bei chronisch-progredienter Demenz „praktisch ausgeschlossen“ sei.141 Zum einen gehe der Verlauf typischerweise nicht mit Phasen oder kurzen Momenten erheblicher Besserung der geistigen Fähigkeiten einher.142 Zum anderen sei zu berücksichtigen, dass demenzielle Syndrome und ähnliche Erkrankungen die Informationsverarbeitung erheblich beeinträchtigen, mit der Folge, dass zahlreiche Informationen entweder gar nicht oder nicht realitätsgerecht aufgenommen, verarbeitet und abgespeichert werden.143 Selbst für den seltenen Fall, 136

Ausführlich hierzu Kap. 9 B II. Ursprünglich wurden die langen symptomfreien Intervalle bei phasenhaft verlaufenden psychotischen Erkrankungen als lichte Momente bezeichnet. Seit dem 19. Jh. erfasst der Begriff auch kurzdauernde Zustandsbesserungen innerhalb eines chronischen Krankheitsverlaufs, vgl. OLG München, ZEV 2013, 504, 506 und Schmoeckel, NJW 2016, 433, 437. 138 Vgl. BayObLGZ 1979, 256, 266; 1982, 309, 315; OLG Karlsruhe, OLGZ 1982, 280, 281 f.; OLG Köln, NJW-RR 1991, 1412; Schünemann, VersR 1981, 306, 307; Zimmermann, BWNotZ 2000, 97, 99; Burandt/Rojahn/Lauck, BGB § 2229 Rn. 17 m.w.N.; Hk-BGB/Dörner, § 104 Rn. 5; Bergmann, in: ders./Pauge/ Steinmeyer, BGB § 104 Rn. 5; Schmoeckel, NJW 2016, 433, 437. Prozessual kommt es auf das Vorliegen eines luziden Intervalls an, wenn feststeht, dass der Betroffene vor und nach der relevanten Willensäußerung handlungsunfähig war. Der Vermutung der Handlungsfähigkeit Volljähriger steht in diesem Fall der Anscheinsbeweis der Handlungsunfähigkeit entgegen. Um den Gegenbeweis führen zu können, muss die betroffene Partei durch ein Sachverständigengutachten belegen, dass bei der konkreten Erkrankung ein lichter Moment möglich ist. Zur Entkräftung des Anscheinsbeweises genügt dann der Nachweis, dass die ernsthafte Möglichkeit einer vorübergehenden Besserung des Geisteszustands bestand, vgl. OLG Köln, NJW-RR 1991, 1412; Zimmermann, BWNotZ 2000, 97, 101; Burandt/Rojahn/Lauck, BGB § 2229 Rn. 17 und Rn. 25; MüKoBGB/Hagenau, § 2229 Rn. 62. 139 Cording, Fortschr Neurol Psychiat 72 (2004), 147, 156 f.; ders., ZEV 2010, 115, 120. 140 Vgl. OLG München, ZEV 2013, 504, 506 = FamRZ 2014, 246, 247 f. 141 OLG München, ZEV 2013, 504, 506 = FamRZ 2014, 246, 247; krit. hierzu Schmoeckel, NJW 2016, 433, 437. 142 OLG München, ZEV 2013, 504, 506 = FamRZ 2014, 246, 247. 143 OLG München, ZEV 2013, 504, 506 = FamRZ 2014, 246, 247. 137

B. Vertragsebene

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dass sich die geistigen Fähigkeiten weitgehend bessern sollten, sei es nach Ansicht des Gerichts erforderlich, die „Lücke (…) relevanter Umweltinformationen und der eigenen Biografie“ zunächst adäquat mit Informationen zu füllen, „bevor die persönliche Sinnkontinuität des eigenen Lebens wieder hergestellt sei“. 144 In der Literatur ist diese Auffassung zurecht auf Kritik gestoßen.145 Zwar mag ein „kurzes Aufflackern des Verstandes“ für die Bejahung der Handlungsfähigkeit nicht ausreichen, da nicht ausgeschlossen werden kann, das Überzeugungen aus der Zeit der starken Beeinträchtigung noch nachwirken.146 Aus § 104 Nr. 2 BGB folgt jedoch, dass allein maßgeblich ist, ob der Betroffene gegenwärtig zu einer freien Entscheidung in der Lage ist.147 Das gilt erst recht für die einzelfallbezogen zu beurteilende Einwilligungsfähigkeit. Anders als das OLG München annimmt, kann auch bei einer Demenzerkrankung nicht von vornherein ausgeschlossen werden, „dass sich in Situationen größerer Ausgeglichenheit, in der Sicherheit der Familie und nach einer Phase der Erholung der Verstand wacher, aufnahmefähiger und eloquenter zeigt als in einem Zustand des Stresses, eines Tests durch eine fremde Person oder nach langer Beanspruchung.“148

B. Vertragsebene: Auswirkungen der Einwilligungsfähigkeit auf die Fähigkeit zum Abschluss des Behandlungsvertrages B. Vertragsebene

Rechtsgrundlage des Arzt-Patient-Verhältnisses ist im Regelfall der privatrechtliche Behandlungsvertrag, § 630a Abs. 1 BGB.149 Das gilt unabhängig vom Versichertenstatus des Behandelten.150 Der Behandlungsvertrag wird in aller Regel konkludent durch Inanspruchnahme einer ärztlichen Leistung geschlossen, etwa in Form von Beratung, Diagnostik, Therapie oder rehabilitativen Maßnahmen. 151

144

OLG München, ZEV 2013, 504, 506 = FamRZ 2014, 246, 247. Schmoeckel, NJW 2016, 433, 437. 146 Schmoeckel, NJW 2016, 433, 437. 147 Schmoeckel, NJW 2016, 433, 437. 148 Schmoeckel, NJW 2016, 433, 437 m.w.N.; Konrad/Rasch, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl. 2014, S. 413 ff. 149 Lipp, MedR 2016, 843, 844; Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 14; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 20. 150 Vgl. § 630a Abs. 1 BGB; vgl. Kap. 2 C II 1 Fn. 196. 151 Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 14; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 20. Hierbei ist nach der Gesetzesbegründung ein weiter Behandlungsbegriff zu Grunde zu legen, der sämtliche Maßnahmen und Eingriffe am Körper eines Menschen erfasst, die darauf abzielen Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern, unabhängig davon, ob diese medizinisch indiziert sind oder nicht, vgl. Kap. 1 B I 3 b). 145

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

I. Grundsätze 1. Abschluss des Behandlungsvertrags Für den Abschluss des Behandlungsvertrages kommt es auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen an.152 Zwar sind Geschäfts- und Einwilligungsfähigkeit auch außerhalb des Minderjährigenrechts nicht deckungsgleich.153 Im Regelfall wird der konkret einwilligungsfähige Volljährige aber auch geschäftsfähig sein. Sofern keine Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt angeordnet wurde, § 1903 BGB, kann er in diesem Fall den Behandlungsvertrag unproblematisch allein abschließen.154 Demgegenüber sind Minderjährige, auch wenn sie einwilligungsfähig sind, ab Vollendung des siebten Lebensjahres lediglich beschränkt geschäftsfähig, so dass sich der Vertragsschluss, vorbehaltlich gesetzlicher Ausnahmevorschriften, grundsätzlich nach den §§ 106 ff. BGB bestimmt. Hierdurch kann es zum Auseinanderfallen von Vertrags- und Einwilligungsebene kommen, wenn der Minderjährige im konkreten Fall aufgrund seiner Einwilligungsfähigkeit alleinentscheidungsbefugt ist. 155 Ist der konkret einwilligungsfähige Patient ausnahmsweise geschäftsunfähig, § 104 Nr. 2 BGB, kann der Behandlungsvertrag nur durch einen Vertreter geschlossen werden.156 Auch in Notfällen bei vorübergehender Bewusstlosigkeit oder anderer Störung der Geistestätigkeit des Betroffenen, wird ein Behandlungsvertrag altersunabhängig regelmäßig an § 105 Abs. 2 BGB scheitern. In diesen Fällen richtet sich das ärztliche Tätigwerden, soweit die Voraussetzungen vorliegen, nach den Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677 ff. BGB.157 2. Ausstellung einer Vollmacht in Gesundheitsangelegenheiten Anders als beim Behandlungsvertrag wird die Frage, ob es für die Erteilung und den Widerruf einer Vollmacht in Gesundheitsangelegenheiten auf die Geschäftsoder die Einwilligungsfähigkeit des Vollmachtgebers ankommt, nicht einheitlich

152

BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 4. Prinz von Sachsen Gessaphe, Der Betreuer, 1999, S. 337 und S. 347; NK-StGB/Paeffgen, § 228 Rn. 14; Kolz, Einwilligung und Richtervorbehalt, 2006, S.123; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 529; ders., in: Kopetzki (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, 2002, S. 28; Schünemann, VersR 1981, 306, 307. A.A. Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung des Patienten, 2009, S. 208. 154 BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 4. 155 Ausführlich hierzu sogleich. 156 Bei volljährigen Geschäftsunfähigen sind der Betreuer, § 1902 BGB, oder ein wirksam Bevollmächtigter, soweit der Abschluss des Behandlungsvertrages von seiner Vertretungsmacht umfasst ist, vertretungsbefugt, vgl. BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 4. Bei minderjährigen Patienten, die altersbedingt oder aus tatsächlichen Gründen geschäftsunfähig sein können, § 104 Nr. 1 und 2 BGB, kommt es auf den Vertragsschluss durch die gesetzlichen Vertreter – regelmäßig die Eltern – an, §§ 1626 Abs. 1, 1629 BGB, vgl. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 19; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 9 f. 157 Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 14; Jauernig/Mansel, § 630a Rn. 1; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 36; ausführlich Brennecke, Ärztliche GoA, 2010, S. 97 ff.

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beurteilt.158 Im Schrifttum wird mitunter vorgeschlagen, nach dem Inhalt der Vollmacht zu differenzieren. Soweit die Vollmachterteilung gesundheitsbezogene Einwilligungen betrifft, soll die Einwilligungsfähigkeit des Bevollmächtigenden im Zeitpunkt der Vollmachterteilung maßgeblich sein.159 Soweit sie auch den Abschluss von Rechtsgeschäften betreffe, sei zusätzlich die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers erforderlich.160 Dieser differenzierenden Lösung ist zuzugestehen, dass sie dem starken Persönlichkeitsbezug von Behandlungsentscheidungen Rechnung trägt. Hieraus folgt, dass die Vorschriften über Willenserklärungen überwiegend weder direkt noch analog Anwendung finden, was insbesondere auch für die §§ 164 ff. BGB gilt.161 Da die Vorsorgevollmacht im Gesundheitsbereich regelmäßig auch den Abschluss des Behandlungsvertrages umfasst, würde eine Differenzierung, wenn man überhaupt eine getrennte Betrachtung der Einzelbestimmungen für möglich erachtet, jedoch kaum zu praktikablen Lösungen führen. War der Bevollmächtigende im Zeitpunkt der Vollmachterteilung zwar einwilligungs- aber nicht geschäftsfähig, wäre die Gesundheitsbevollmächtigung für die Erteilung der Behandlungseinwilligung wirksam, für den Abschluss des Behandlungsvertrages hingegen nicht. Soll der Betroffene behandelt werden, müsste deshalb trotz Vorsorgevollmacht ein Betreuer bestellt werden, um den Vertragsschluss durchführen zu können. In der Praxis wird sich die Frage bei volljährigen Patienten im Regelfall nicht auswirken, da das Gericht, sofern nicht gewichtige Gründe entgegenstehen,162 regelmäßig den Bevollmächtigten zum Betreuer bestellen wird. Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung die Anforderungen an die Geschäftsfähigkeit im Rahmen der Bevollmächtigung an die Einwilligungsfähigkeit angenähert hat, so dass beide in der Regel nicht auseinander fallen werden. Erforderlich ist hiernach, dass der Vollmachtgeber in den Grundzügen verstanden hat, für welche Angelegenheiten er einen Bevollmächtigten einsetzt und es sich um eine bewusst ausgewählte Vertrauensperson handelt, er also das Wesen seiner Erklärung verstanden hat und die Erklärung in Ausübung freier Willensentschließung abgibt.163 Auswirkungen hätte die differenzierende Ansicht vor allem bei minderjährigen Patienten. Theoretisch könnte der konkret einwilligungsfähige Minderjährige für den Fall einer später eintretenden Einwilligungsunfähigkeit wirksam einen vom gesetzlichen Vertreter abweichenden Dritten zu Behandlungsentscheidungen ermächtigen, so dass eine zusätzliche Entscheidungsbefugnis des Bevollmächtigten neben dem gesetzlichen Vertreter für die konkrete 158

Grundsätzlich setzt eine wirksame Vollmacht als rechtsgeschäftliche Willenserklärung, § 166 Abs. 2 S. 1 BGB, die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers im Zeitpunkt der Vollmachterteilung voraus, vgl. Jauernig/Mansel, § 164 Rn. 6 und § 167 Rn. 1. 159 Die EWF muss sich hierbei auf die Übertragung der konkreten Entscheidungsbefugnisse beziehen, vgl. Staudinger/Bienwald, 2017, § 1901a und b Rn. 23 m.w.N.; Berger, JZ 2000, 797, 803; Palandt/Götz, Einf. Vor § 1896 Rn. 5 und § 1904 Rn. 26. 160 Vgl. Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und § 1906a Rn. 115. 161 Vgl. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419 m.w.N. Näher hierzu Kap. 2 D II. 162 St. Rspr., vgl. nur BGH, NJW 2011, 2135, 2136 m.w.N.; NJW-RR 2013, 1473 f.; NJW 2014, 1733, 1734 f.; FamRZ 2018, 1770, 1772; NJW 2019, 237, 238. Näher hierzu BeckOKBGB/Müller-Engels, § 1896 Rn. 30. 163 OLG München, NJW-RR 2009, 1599, 1601 f.; MüKoBGB/Schwab, § 1896 Rn. 52 m.w.N.

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

Behandlungsentscheidung begründet wäre.164 Für die Bevollmächtigung zum Abschluss des Behandlungsvertrages käme es hingegen darauf an, ob die Bevollmächtigung lediglich rechtlich vorteilhaft ist, vgl. § 107 BGB. Da der Vertragsschluss im Regelfall rechtlich nachteilhaft für den Minderjährigen ist,165 stünde die Bevollmächtigung regelmäßig unter dem Vorbehalt der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Lehnt dieser die Bevollmächtigung für den Abschluss des Behandlungsvertrages ab, wäre er hierfür alleinzuständig. Diese Konsequenz wird in der Literatur bisher nicht gezogen. Unklar ist auch wie bei Differenzen zwischen Bevollmächtigtem und gesetzlichem Vertreter zu verfahren wäre166 und ob der Minderjährige das elterliche Sorgerecht überhaupt in dieser Form einschränken kann. Im Ergebnis ist es ohnehin aus dogmatischen Gründen vorzugswürdig, die Vollmachterteilung einheitlich und unabhängig vom Inhalt als Rechtsgeschäft anzusehen, für das die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers erforderlich ist. Denn die Vorsorgevollmacht zielt auf die Einräumung rechtlicher Handlungsmacht im eigenen Rechtskreis ab und ist damit von der Behandlungseinwilligung grundlegend zu trennen.167

II. Minderjährige Patienten 1. Vertragsschluss durch die Eltern In der überwiegenden Zahl der Fälle wird der Behandlungsvertrag zwischen den sorgeberechtigten Eltern und der Behandlerseite als Vertrag zugunsten des minderjährigen Kindes geschlossen, § 328 BGB.168 Gemäß § 1629 Abs. 1 BGB haben die Eltern das Kind hierbei grundsätzlich gemeinschaftlich zu vertreten. Begleitet den Minderjährigen, wie es in Praxis regelmäßig der Fall ist, trotz gemeinsamen oder geteilten Sorgerechts169 nur ein Elternteil zum Arzt, geht die Rechtsprechung wie auch bei der Einwilligung nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht von einer nach der Schwere des geplanten Eingriffs differenzierten Vertretungsmacht des erschienenen Elternteils aus.170 Ist ein Elternteil allein sorgeberechtigt kommt es allein auf dessen Entscheidung an.171 Gleiches gilt, wenn einem Elternteil die Entscheidung nach § 1628 BGB vom Familiengericht übertragen worden ist.172 Sucht der Minderjährige den Arzt mit Zustimmung der Eltern allein auf, überbringt er nach 164

Vgl. §§ 1626, 1629 Abs. 1 BGB. Vgl. Kap. 8 B II 2 c). 166 Insbes. kennt das Kindschaftsrecht keine § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB vergleichbare Regelung. 167 MüKoBGB/Schwab, § 1896 Rn. 54; BtKomm/Roth, Rn. C 15; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 102. 168 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 15 m.w.N.; BeckOKBGB/Veit, § 1626 Rn. 45; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 47; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 4; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 56. Näher zum Streitstand Hebecker/Lutzi, MedR 2015, 17, 19. 169 BeckOGK/Spindler, § 823 Rn. 83 m.w.N. 170 Vgl. BGHZ 105, 45, 48 ff. = NJW 1988, 2946 f. Näher hierzu Kap. 8 A II 2 c). 171 Vgl. MüKoBGB/Spickhoff, § 107 Rn. 17. 172 Näher zum Ganzen Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 16 ff. m.w.N. 165

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überwiegender Ansicht die auf den Abschluss des Behandlungsvertrages gerichtete Willenserklärung der Eltern als Bote oder Stellvertreter, vgl. § 165 BGB.173 2. Eigene Vertragsschlusskompetenz des Minderjährigen Ob und unter welchen Voraussetzungen ein im konkreten Fall alleinentscheidungsbefugter Minderjähriger den Behandlungsvertrag ohne seine gesetzlichen Vertreter abschließen kann, wird nicht einheitlich beurteilt. Die Frage stellt sich vor allem, wenn die Wünsche des Minderjährigen mit denen seiner Eltern 174 konfligieren. Zwar wird der Vertragsschluss aufgrund des weitgehenden Gleichlaufs von vertraglicher und deliktischer Haftung, der auch durch das Patientenrechtegesetz aufrecht erhalten werden sollte,175 für den Arzt haftungsrechtlich regelmäßig nicht relevant.176 Ohne wirksamen Behandlungsvertrag erlangt er jedoch keinen Vergütungsanspruch, sondern nur einen Aufwendungsersatzanspruch,177 so dass für ihn in der Regel ein geringerer finanzieller Anreiz bestehen wird, den minderjährigen Patienten zu behandeln.178 a) Grundsätze Ist der Minderjährige alters- oder zustandsbedingt (§ 104 Nr. 2 BGB) geschäftsunfähig, kann er auch keinen Behandlungsvertrag schließen.179 Häufig wird ihm in diesen Fällen auch die Einwilligungsfähigkeit fehlen.180 Im Regelfall wird der einwilligungsfähige minderjährige Patient hingegen beschränkt geschäftsfähig sein. Ob seine auf den Abschluss des Behandlungsvertrages gerichtete Willenserklärung wirksam ist, richtet sich in diesem Fall nach den §§ 107 ff. BGB.181 Eine Teilgeschäftsfähigkeit für medizinische Maßnahmen ist in den §§ 110-113 BGB nicht normiert.182 Richtigerweise folgt eine solche auch nicht aus § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I, der

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Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 19; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 4; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415. 174 Oder den Wünschen seiner anderweitig Sorgeberechtigten, vgl. Kap. 9 B III 1 b) aa). 175 Vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 17 f.; NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 340 m.w.N.; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 910 und Rn. 920 sowie Vor § 630a Rn. 25 ff.; Jauernig/Mansel, Vor § 630a Rn. 10; Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 7. 176 Vgl. BGH, NJW 1989, 767, 768; Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 47; Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 7. Näher zum Ganzen Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 7 ff. 177 §§ 683 S. 1, 677, 670, 1835 Abs. 2 BGB; näher hierzu Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415. 178 BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 124; insbes. entsteht der Vergütungsanspruch des Arztes nicht vertragsunabhängig aus dem Sozialrecht, vgl. Kap. 2 C II 1 Fn. 196. 179 Näher hierzu MüKoBGB/Spickhoff, § 106 Rn. 8. 180 Näher zur Abgrenzung Kap. 2 D II 1 und 2. 181 BGHZ 29, 33, 37 = NJW 1959, 811; LG München I, NJW 1980, 646; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 46. 182 Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 55. Anders als etwa das österreichische, das in § 173 Abs. 1 AGBGB eine entsprechende Teilmündigkeitsregelung enthält. Eine solche Teilmündigkeit begründet richtigerweise auch § 110 BGB nicht, Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 19 m.w.N.

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

die Sozialmündigkeit des gesetzlich versicherten Minderjährigen regelt.183 Soweit der Behandlungsvertrag nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist, steht die Willenserklärung des Minderjährigen deshalb grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters, vgl. § 107 BGB.184 Verweigert dieser die im Einzelfall erforderliche Zustimmung in kindeswohlgefährdender Weise, können sowohl der Arzt als auch der minderjährige Patient das Familiengericht anrufen und auf die Bestellung eines Pflegers hinwirken, §§ 1666 Abs. 3 Nr. 6, 1909 Abs. 1 S. 1 BGB, oder die verweigerte Zustimmung gemäß § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB ersetzen lassen.185 Das ist wie bei der Einwilligung regelmäßig dann der Fall, wenn die Eltern ihre Zustimmung zu einem Behandlungsvertrag verweigern, der eine indizierte Behandlung zum Gegenstand hat.186 Bei relativ indizierten Behandlungen steht den Eltern jedoch wie gezeigt in den Grenzen des Vertretbaren ein Entscheidungsspielraum zu.187 Innerhalb dieses Spielraums läuft die Alleinentscheidungsbefugnis des Minderjährigen mangels Teilgeschäftsfähigkeit deshalb weitgehend leer.188 In Einzelfällen kann der minderjährige Patient den Behandlungsvertrag dennoch ohne Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters schließen. Maßgeblich hierfür sind die Art des Versicherungsverhältnisses und die Art der vom Minderjährigen in Anspruch genommenen Leistung.

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Amend-Traut/Bongartz, FamRZ 2016, 5, 10; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415 f.; Lauf/Birck, NJW 2018, 2230, 2231. Näher hierzu sogleich. 184 So die ganz h.M., vgl. nur BGHZ 29, 33, 37 = NJW 1959, 811; LG München I, NJW 1980, 646; AG Celle, NJW 1987, 2307, 2308; AG Schlüchtern, NJW 1998, 832, 833; BeckOK-BGB/Veit, § 1626 Rn. 45; BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 124; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 55; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 54; Amend-Traut/Bongartz, FamRZ 2016, 5, 10. A.A. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415 ff.; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 14 ff.; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 46. 185 Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 11; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415. Mrozynski, SGB I § 36 Rn. 21 f. hält im Rahmen des § 36 Abs. 1 SGB I auch die Krankenkassen für antragsbefugt, etwa dann, wenn die Personensorgeberechtigten einer indizierten Bluttransfusion nicht zustimmen. Ausführlich zum Ganzen MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 78 ff. (medizinische Maßnahmen) und Rn. 68 ff. (Schwangerschaftsabbruch) sowie Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 68 f. (verfahrensrechtliche Aspekte). 186 Näher hierzu, insbes. zur geringen praktischen Relevanz familiengerichtlicher Maßnahmen nach § 1666 Abs. 3 BGB im Rahmen von Therapieentscheidungen, Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 68 f. m.w.N. 187 MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 82; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423. 188 Etwa, wenn eine minderjährige Schwangere ihre Schwangerschaft gegen den Willen der Eltern abbrechen möchte. Aus der gesetzgeberischen Wertung, die den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich als Unrecht einstuft und dem verfassungsrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens folgt, dass die Versagung der Zustimmung zu einem Behandlungsvertrag mit entsprechendem Inhalt nur in Ausnahmsfällen als Gefährdung des Wohls der Minderjährigen gesehen werden kann, näher hierzu BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 131 m.w.N.

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b) Privat versicherte Patienten und GKV-Patienten, die Leistungen in Anspruch nehmen, die nicht vom Katalog der GKV umfasst sind Für privat versicherte Patienten und gesetzlich versicherte Minderjährige, die Leistungen in Anspruch nehmen, die nicht vom Katalog der GKV umfasst sind, 189 kommt ein Vertragsschluss ohne elterliche Zustimmung grundsätzlich schon wegen der aus dem Behandlungsvertrag folgenden, rechtlich nachteilhaften Zahlungsverpflichtung nicht in Betracht.190 Zwar ist ein Vertragsschluss nach § 110 BGB grundsätzlich denkbar.191 Hiervon dürften jedoch nur seltene Ausnahmekonstellationen erfasst sein.192 Bejaht man die Anwendung von § 110 BGB entgegen der herrschenden Meinung auch bei kostenintensiveren Maßnahmen193 und vereinbart der Arzt mit seinem minderjährigen Patienten einen Honorarvorschuss, der richtigerweise auch nicht per se gegen ärztliches Berufs- oder Gebührenrecht verstößt,194 dürften diese Fälle schon deshalb praktisch kaum bedeutsam sein, weil Minderjährige regelmäßig nicht über erhebliches Vermögen verfügen, das ihnen zur freien Verfügung oder zum Zweck der medizinischen Behandlung überlassen wurde.195 Darüber hinaus ist ein solches Vorgehen in der Praxis auch eher unüblich und belastet den minderjährigen Patienten über Gebühr. Denn ihm entginge bei indizierten und vom Leistungskatalog der Kassen umfassten Maßnahmen sein Leistungs- bzw. Kostenübernahmeanspruch gegenüber der Versicherung.196 Bei weniger kostenintensiven Maßnahmen und widmungsfreier Überlassung des Geldes ist ein Zustandekommen des Behandlungsvertrages nach § 110 BGB ohne Mitwirkung der gesetzlichen Vertreter jedoch grundsätzlich denkbar.197 Vereinzelt wird daneben auch eine Vertragsschlusskompetenz nach §§ 112, 113 BGB bejaht.198 Im Ergebnis wird man aber weder dem privat noch dem gesetzlich versicherten Minderjährigen, der privatärztliche Leistungen in Anspruch nimmt, außerhalb der genannten Ausnahmefälle eine eigenständige Kompetenz zum Abschluss des Behandlungsvertrages zuerkennen können.

189

Sog. individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), grundlegend hierzu Voigt, IGeL, 2013. Vgl. § 107 BGB; s.a. BGHZ 29, 33, 37 = BGH, NJW 1959, 811; LG München I, NJW 1980, 646; Staudinger/Klumpp, 2017, § 107 Rn. 28; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 14; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415 m.w.N. 191 Vgl. Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 12 f. 192 So auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415 m.w.N.; näher zum Ganzen Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 19. 193 So etwa AG München, NJW 2012, 2452; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 12; MüKoBGB/Spickhoff, § 110 Rn. 31. 194 Vgl. Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 12. 195 So im Erg. a. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415; ausführlich zum Merkmal der widmungsgemäßen Verwendung MüKoBGB/Spickhoff, § 110 Rn. 27 ff. 196 Während in der GKV grundsätzlich ein Leistungsanspruch besteht, der den Katalog nach §§ 27 ff. SGB V umfasst, gilt in der PKV das Prinzip der Kostenerstattung. 197 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 19. So für den Tätowierungsvertrag auch AG München, NJW 2012, 2452. Krit. hierzu MüKoBGB/Spickhoff, § 110 Rn. 31. 198 Kern, in: Laufs/Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. VII § 39 Rn. 24 m.w.N.; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415. 190

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

c) Gesetzlich versicherte Patienten, die GKV-Leistungen in Anspruch nehmen Bei einem gesetzlichen Versicherungsverhältnis trifft den Patienten, soweit nicht ausnahmsweise Kostenerstattung vereinbart ist,199 aufgrund des Sachleistungsprinzips (§ 2 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 SGB V) keine Vergütungspflicht.200 Der gesetzlich versicherte Minderjährige kann ab Vollendung des 15. Lebensjahres nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I unter den dort bezeichneten Voraussetzungen eigenständig Sozialleistungen beantragen (sog. Sozialmündigkeit). Hierzu zählen auch ärztliche Leistungen. Richtigerweise erweitert § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I den Anwendungsbereich der §§ 104 ff. BGB aber nicht, indem er unabhängig von der Geschäftsfähigkeit eine eigenständige Vertragsschlusskompetenz des sozialmündigen Minderjährigen begründet.201 § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I ermöglicht es dem Minderjährigen ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters lediglich Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu beantragen mit der Folge, dass er bei Bewilligung eines entsprechenden Leistungsantrages von seiner rechtlich nachteilhaften Vergütungspflicht aus dem Behandlungsvertrag befreit ist.202 Das kann zu einem nach § 107 BGB zustimmungsfreien Vertragsschluss führen, sofern keine rechtlich nachteilhaften vertraglichen Nebenpflichten vereinbart wurden und den Minderjährigen auch nicht aus anderen Gründen eine Vergütungspflicht trifft. 203 Auch hierbei handelt es sich jedoch entgegen einer verbreiteten Annahme um Einzelfälle: Da der gesetzliche Vertreter die Handlungsfähigkeit des Minderjährigen nach § 36 Abs. 1 1 S. 2 SGB I auch für den laufenden Antrag beschränken kann und hierzu sowohl über die Antragsstellung als auch über die konkret erbrachten Sozialleistungen zu informieren ist,204 wird § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I dem Minderjährigen selten einen Nutzen bringen, wenn die Eltern mit einer bestimmten Behandlung nicht einverstanden sind.205 Die Informationspflicht des Leistungsträgers gegenüber 199

Vgl. §§ 13 Abs. 2 SGB V, 18 Abs. 8 S. 1 BMV-Ä. In diesen Fällen wird der Behandlungsvertrag einseitig verpflichtend geschlossen, vgl. § 630a Abs. 1 BGB, vgl. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415; Lauf/Birck, NJW 2018, 2230, 2232. 201 So auch Bender, MedR 1997, 7, 9; Lauf/Birck, NJW 2018, 2230, 2231. A.A. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 19; Quaas, in: ders./Zuck, Medizinrecht, 3. Aufl. 2014, § 14 Rn. 21; Staudinger/Coester, 2016, § 1666 Rn. 153; ders., FamRZ 1985, 982, 986 f.; zurückhaltender Staudinger/Peschel-Gutzeit, 2015, § 1626 Rn. 106; wie hier im Erg. a. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417. 202 MüKoBGB/Wagner, § 630a Rn. 21; BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 125; MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 75; Staudinger/Coester, 2016, § 1666 Rn. 153; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 14. Der Vergütungsanspruch des Arztes richtet sich in diesem Fall direkt gegen die Krankenkasse, MüKoBGB/Wagner, § 630a Rn. 21. 203 Etwa nach § 64 Abs. 4 SGB V oder wenn der Minderjährige Kostenerstattung vereinbart, vgl. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 415. 204 KassKomm/Seewald, SGB I § 36 Rn. 6 ff.; BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 125. 205 BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 125. Näher zur Reichweite der Befugnisse des gesetzlichen Vertreters im Rahmen von § 36 Abs. 2 S. 1 SGB I, KassKomm/Seewald, SGB I § 36 Rn. 4 ff., insbes. Rn. 6a. Eine Behandlung ohne Wissen der Personensorgeberechtigten ist damit i. Erg. kaum möglich, BeckOK-BGB/Veit, § 1626 Rn. 46.1; Amend-Traut/ Bongartz, FamRZ 2016, 5, 10; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III 200

B. Vertragsebene

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den Personensorgeberechtigten kann ausnahmsweise entfallen, wenn die Gefahr besteht, dass die gesetzlich vorgesehene Leistung und das damit verfolgte Sicherungsziel bei Unterrichtung des gesetzlichen Vertreters nicht erreicht wird.206 Eine solche Ausnahme ist etwa bei ungewollter Schwangerschaft, beim Schwangerschaftsabbruch mit Inanspruchnahme von Leistungen nach § 24b SGB V aber auch bei der Behandlung einer Drogenabhängigkeit anerkannt.207 Entsprechend ist in diesen Fällen eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit des Minderjährigen durch den gesetzlichen Vertreter aus § 36 Abs. 2 S. 1 SGB I unzulässig.208 Unabhängig davon dürfen die Eltern die Sozialmündigkeit ihres Kindes auch nicht willkürlich beschränken.209 Auch beim möglichen Wegfall der Vergütungspflicht nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I stehen dem Vertragsschluss des Minderjährigen aber regelmäßig vertragliche Nebenpflichten entgegen; etwa die schadensersatzbewehrte Pflicht zum Einhalten eines vereinbarten Behandlungstermins210 aber auch die Obliegenheit zur rechtzeitigen Vorlage der Versichertenkarte.211 Verstößt der Minderjährige hiergegen ist er zur Leistung der vereinbarten Vergütung bzw. zum Schadensersatz verpflichtet.212 Ein eigenständiger Vertragsschluss des gesetzlich versicherten Patienten nach Rn. 19. Denkbar ist aber, dass der gesetzliche Vertreter den Behandlungsvertrag für den Minderjährigen abschließt und der Minderjährige die Behandlung in der Folge allein in Anspruch nimmt. In dieser Konstellation ist der Arzt nicht verpflichtet, die Eltern gegen den Willen des einwilligungsfähigen Minderjährigen über die einzelnen Behandlungsschritte aktiv in Kenntnis zu setzen, LG Köln, Urt. v. 17.09.2008 – 25 O 35/08. 206 Die Ausnahmebefugnis ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm (Soll-Vorschrift) und liegt im Ermessen des Leistungsträgers, vgl. KassKomm/Seewald, SGB I § 36 Rn. 6b m.w.N. Die sozialrechtliche, am Sicherungsziel orientierte Ausnahmebefugnis ist nicht mit den familienrechtlichen, am Kindeswohl orientierten Beschränkungen im Innenverhältnis zwischen gesetzlichem Vertreter und Minderjährigem (§§ 1626 ff. BGB) deckungsgleich; beide sollten jedoch „harmonisierend“ zusammengeführt werden, KassKomm/Seewald, SGB I § 36 Rn. 8b. 207 KassKomm/Seewald, SGB I § 36 Rn. 6c m.w.N. 208 Enger Mrozynski, SGB I § 36 Rn. 19 und 22, der eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit in diesen Fällen nur dann für unzulässig erachtet, wenn sie i.S.d. § 1666 BGB kindeswohlgefährdend ist; weitergehend KassKomm/Seewald, SGB I § 36 Rn. 6c ff., der die Ausübung der Beschränkungsbefugnis bereits dann für unzulässig hält, wenn hierdurch die mit der Leistung verbundenen sozialrechtlichen Ziele vereitelt werden. 209 Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 416 m.w.N. Den Eltern steht aufgrund ihres Erziehungsrechts aber ein gewisser Entscheidungsspielraum zu, vgl. MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 82. 210 Palandt/Weidenkaff, § 630a Rn. 23 m.w.N. Zumindest bei zeitaufwändiger Behandlung führt das grundlose Nichteinhalten von Bestellterminen zudem in den Annahmeverzug, vgl. §§ 630b, 615 BGB, mit der Folge, dass der Arzt die vereinbarte Vergütung verlangen kann, Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 416. 211 § 18 Abs. 8 S. 3 Nr. 1 BMV-Ä. Die Vorlage ist Voraussetzung der Kostenübernahme durch die GKV. Richtigerweise kommt es im Rahmen von § 107 BGB hingegen nicht auf sonstige gesetzlich verankerten Mitwirkungsobliegenheiten und Schutzpflichten an (etwa aus §§ 630c Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB aber auch §§ 60 ff. SGB I), vgl. Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 14; Schröder, Auskunftsansprüche, 2011, S. 34 f. m.w.N.; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 56; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 416 und Lauf/Birck, NJW 2018, 2230, 2232 f. 212 BeckOK-BGB/Veit, § 1626 Rn. 46; BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 125; dies./ Bongartz, FamRZ 2016, 5, 10; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 56;

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

§ 107 BGB ist daher auch im Rahmen des § 36 Abs. 1 SGB I in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht möglich.213 Soweit mitunter vertreten wird, dem Minderjährigen käme bei schadensersatzbewehrten Nebenpflichten und Vergütungsansprüchen des Arztes ein Freistellungsanspruch gegenüber den Eltern zu, ist dies weder dogmatisch überzeugend, noch praktisch relevant, da der Arzt im Regelfall schon aus Eigeninteresse eine verbindliche Kostenzusage vor Beginn der Behandlung fordern wird.214 Die eigenständige Vertragsschlusskompetenz des Minderjährigen beschränkt sich damit für privat versicherte Minderjährige auf wenige Ausnahmefälle im Rahmen von § 110 BGB sowie für gesetzlich versicherte Minderjährige auf die genannten Konstellationen im Rahmen von § 107 BGB i.V.m. § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I, soweit keine rechtlich nachteilhaften Nebenpflichten vereinbart wurden.215 Dieser Befund wird zum Teil dadurch relativiert, dass Behandlungsverträge in der Regel auf Dauer geschlossen werden und meist eine Vielzahl medizinischer Maßnahmen umfassen. Begleiten die Eltern den Minderjährigen zu Beginn des Behandlungsverhältnisses zum Arzt und wirken so am Vertragsschluss mit, ist der Behandlungsvertrag damit in der Regel für die Dauer des Behandlungsverhältnisses wirksam begründet.216 Zu beachten ist weiterhin, dass es, soweit im Rahmen der Bewilligung nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I eine Kostenzusage der Krankenkasse vorliegt, auf den Vertragsschluss regelmäßig nicht ankommen wird. 217 Der Minderjährige ist in diesem Fall hinreichend über den deliktischen Haftungsanspruch geschützt, der sich nach der Rechtsprechung im weitgehenden Gleichlauf mit den vertraglichen Schadensersatzansprüchen befindet.218

Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 416. A.A. Staudinger/Klumpp, § 107 Rn. 28 m.w.N., der einen rechtlichen Nachteil nur bei der Vereinbarung von Kostenerstattung nach § 13 SGB V annimmt, den Behandlungsvertrag ansonsten aber für rechtlich vorteilhaft hält. Ausführlich zum Ganzen Reuter, Abschluss des Arztvertrages, 2018, S. 144 ff. (PKV-Patienten) und S 173 ff. (GKV-Patienten) 213 Das verkennt etwa MüKoBGB/Wagner, § 630a Rn. 21, der die eigenständige Vertragsschlusskompetenz im Rahmen des § 36 Abs. 1 SGB I für unproblematisch hält. In Betracht käme auch eine teleologische Reduktion der §§ 107 f. BGB für Maßnahmen, die das Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen im Kern betreffen und mit einem überschaubaren finanziellen Risiko einhergehen, krit. hierzu bereits BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 132. 214 BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 132. 215 Damit sind minderjährige Kassenpatienten gegenüber Privatpatienten weit weniger privilegiert als mitunter vertreten, anders etwa Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417 m.w.N. 216 So geschehen etwa im vom LG Köln zu entscheidenden Fall über Schadensersatzansprüche einer minderjährigen Schwangeren wegen Nichteinbeziehung der Eltern in den Fortlauf der Behandlung, LG Köln, Urt. v. 17.09.2008 – 25 O 35/08. Insoweit wirkt sich die uneinheitliche Verwendung des Behandlungsbegriffes in den §§ 630a ff. BGB positiv für den Minderjährigen aus, da das Gesetz in § 630a Abs. 1 BGB anders als in §§ 630a Abs. 2, 630d und 630e BGB auf die Behandlung insgesamt abstellt. Gemeint ist das gesamte Behandlungsverhältnis und nicht die einzelne Maßnahme, vgl. Taupitz, GesR 2015, 65, 67; NK-BGB/Voigt, § 630c Rn. 5. 217 Vgl. etwa AG Schlüchtern, NJW 1998, 832, 833. 218 Vgl. Kap. 8 B II 2 Fn. 183.

B. Vertragsebene

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d) Ergebnis Unabhängig vom Versichertenstatus kommt für Minderjährige ein eigenständiger Vertragsschluss nur in den genannten Ausnahmefällen in Betracht. Sofern die Behandlung nicht vollständig vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen umfasst ist oder der Minderjährige privat versichert ist, kann ein Vertragsschluss in seltenen Fällen über § 110 BGB erfolgen. Gesetzlich versicherte Minderjährige können daneben nach Maßgabe der §§ 107 BGB i.V.m. § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I den Behandlungsvertrag wirksam begründen, sofern der gesetzliche Vertreter die Handlungsfähigkeit des Minderjährigen nicht beschränkt hat, § 36 Abs. 2 S. 1 SGB. Außerhalb dessen ist der minderjährige Patient auf die Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters angewiesen. Zwar kommen bei kindeswohlgefährdender Verweigerung der erforderlichen Zustimmung die familiengerichtlichen Maßnahmen nach §§ 1666 Abs. 3 Nr. 5 bzw. Nr. 6 i.V.m. 1909 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Richtigerweise unterliegen diese aber, nicht zuletzt wegen des aus dem Erziehungsrecht folgenden Entscheidungsspielraums des gesetzlichen Vertreters, strengen Anforderungen, so dass sie praktisch zu selten und nicht immer im erforderlichen Maß helfen.219 Eine interessengerechte Lösung scheitert in diesen Fällen de lege lata daran, dass das Behandlungsvertragsrecht neben der Personensorge, auch die Vermögenssorge betrifft und damit den in diesem Bereich gesetzlich stärker ausgestalteten Minderjährigenschutz auslöst.220 Hierdurch läuft die durch die Einwilligungsfähigkeit erreichte Stärkung des Selbstbestimmungsrecht minderjähriger Patienten weitgehend leer.221 Zur Lösung dieses Problems wird teilweise ein aus der elterlichen Unterhaltspflicht folgender Freistellungsanspruch des Minderjährigen von den mit der Behandlung verbundenen Kostenfolgen vertreten. Diese Lösung entspricht jedoch weder der objektiven Interessenlage – denn die Eltern würden auf diesem Weg von der in Anspruch genommenen Behandlung des Minderjährigen in Kenntnis gesetzt – noch der Erwartungshaltung der Parteien.222 3. Weitergehende Reformvorschläge Im Schrifttum wurden daher zahlreiche weitergehende Reformvorschläge entwickelt.223 Neben einer speziellen Kinderversicherung224 und der Erstreckung der Sozialmündigkeit auf privat versicherte Minderjährige,225 wird eine gesetzlich zu 219

So auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417 und BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 126. Das scheint Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 71 ff. zu verkennen, die aus der grundsätzlichen Möglichkeit die Weigerung der Eltern zum Vertragsabschluss nach § 1666 Abs. 3 BGB zu überwinden folgert, dass dem Minderjährigen „der Zugang zu ärztlicher Behandlung im Ergebnis schon dann eröffnet sei, wenn er einwilligungsfähig ist.“ 220 BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 124. 221 Vgl. nur MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 46; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417; zur Rechtslage in der Schweiz S. Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 43 ff. 222 So zutreffend Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417. 223 Vgl. die Übersichten bei Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417; BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 126 und Reuter, Abschluss des Arztvertrages, 2018, S. 283 ff. und S. 316 ff. 224 Staudinger/Peschel-Gutzeit, 2016, § 1626 Rn. 104 m.w.N.; krit. hierzu Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417. 225 So etwa Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417.

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8. Kapitel: Rechtsfolgen bei Einwilligungsfähigkeit

normierende Teilmündigkeit im Bereich der ärztlichen Behandlung gefordert, die den Minderjährigen dazu berechtigt, die zur Behandlung erforderlichen Verträge eigenständig abzuschließen.226 Andere Teile des Schrifttums fordern die Einführung einer Regelung, mit der durch den Vertragsschluss des Minderjährigen eine gesamtschuldnerische Haftung zwischen Eltern und Kind nach dem Vorbild des § 1357 BGB begründet wird.227 Gegen eine gesamtschuldnerische Haftung spricht nicht zuletzt, dass hierdurch die in Einzelfällen gebotene Vertraulichkeit und das Geheimhaltungsinteresse des Minderjährigen gegenüber den Eltern konterkariert würde.228 Erstrebenswert erscheint daher eine gesetzliche Teilmündigkeitsregelung. Hierdurch könnte der bestehenden Benachteiligung privatversicherter Patienten aufgrund ihres Versicherungsverhältnisses entgegen gewirkt und die Rechtssicherheit für alle Beteiligten erhöht werden.

III. Relativ einwilligungsfähige Volljährige mit und ohne Betreuung Die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung beeinträchtigt, anders als die frühere Entmündigung, die Handlungsfähigkeit des Betreuten nicht. Sie führt insbesondere nicht zur Geschäftsunfähigkeit.229 Soweit der betreute Patient geschäftsfähig ist und kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist, § 1903 BGB, kann er deshalb den Behandlungsvertrag ohne Mitwirkung des Betreuers schließen.230 Ein Widerspruch des Betreuers zum Abschluss des Behandlungsvertrages ist trotz § 1902 BGB unbeachtlich, da die Willenserklärung des geschäftsfähigen Betreuten die Erklärung des Betreuers im Verhältnis zu Dritten verdrängt.231 Entsprechend kann der Betreuer keinen Behandlungsvertrag gegen den Willen des geschäftsfähigen Betreuten schließen.232 Ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet,233 bedarf der Betreute zum Abschluss eines nicht lediglich vorteilhaften Behandlungsvertrages der Zustimmung 226

Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl. 2010, § 57 Rn. 80 und BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 126; zust. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417. 227 BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 126 in Anlehnung an den Entwurf des Juristinnenbundes aus den 1970er Jahren zur Neufassung des § 1628 BGB, abgedruckt in Coester-Waltjen u.a., Neues elterliches Sorgerecht, 1977, S. 14 (Begründung auf S. 36 ff.); vgl. a. Staudinger/Peschel-Gutzeit, 2016, § 1626 Rn. 104. Zu weitergehenden Reformvorschlägen, bspw. einer gesonderten Kinderversicherung S. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417 m.w.N. 228 Die Eltern würden spätestens mit Erhalt der Rechnung von der Behandlung erfahren, Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417. 229 BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1896 Rn. 40 ff.; MüKoBGB/Schwab, Vor §§ 1896 Rn. 4 und § 1903 Rn. 1; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 14. 230 BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 4. Das folgt aus dem Erforderlichkeitsgrundsatz, vgl. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 14 m.w.N. 231 Vgl. § 1903 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 108 BGB. Näher hierzu Kap. 8 A III 1. 232 Vgl. Kap. 9 B III 2 a) dd). A.A. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 189: Vertrag bleibt wirksam, der Betreute hat aber einen Schadensersatzanspruch gegen den Betreuer wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht. Ähnlich auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 420. 233 Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes setzt voraus, dass konkrete Anhaltspunkte für eine erhebliche Vermögensgefährdung vorliegen; bloße Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Betreuten reichen hierfür nicht aus, vgl. BGH, NJW 2018, 1255, 1256 A.A. MüKoBGB/Schwab, § 1903 Rn. 1.

C. Weitere Folgen

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des Betreuers, § 1903 Abs. 3 S. 1 BGB.234 Das gilt nicht, wenn der Betreute die Leistung mit eigenen Mitteln bewirkt, § 1903 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 110 BGB. Ähnlich wie im Minderjährigenrecht dürfte dies aber auch bei betreuten Patienten praktisch kaum relevant werden. Auch die Geringfügigkeitsklausel in § 1903 Abs. 3 S. 2 BGB wird dem Betreuten bei bestehendem Einwilligungsvorbehalt nur in seltenen Ausnahmefällen den Abschluss des Behandlungsvertrags ermöglichen. Wünscht der einwilligungsfähige Betreute eine medizinische Behandlung und verweigert der Betreuer die erforderliche Zustimmung zum Behandlungsvertrag, muss sich der Betreute deshalb außerhalb von Eilfällen an das Betreuungsgericht wenden. Das Gericht kann den Betreuer abberufen oder dessen Entscheidung ersetzen.235 Die Eingriffsschwelle des Betreuungsgerichts liegt niedriger als die des Familiengerichts nach § 1666 BGB, so dass der Betreute seine Wünsche regelmäßig einfacherer wird durchsetzen können als der Minderjährige.236 Ist der Betreute geschäftsunfähig, kommt es für den Abschluss des Behandlungsvertrags auf die Erklärung des Bevollmächtigten oder Betreuers an.237

C. Weitere Folgen C. Weitere Folgen

Aus der Alleinentscheidungsbefugnis des situativ einwilligungsfähigen Betreuten folgt, dass medizinische Maßnahmen bei bloßer Eigengefährdung nicht gegen den Willen des Betreuten vorgenommen werden können, vgl. § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB.238 Das gilt selbst dann, wenn bei Nichtbehandlung des Betroffenen ein erheblicher gesundheitlicher Schaden droht.239 Das generelle Verbot fürsorgerisch motivierten ärztlichen Zwangs bei konkret einwilligungsfähigen Volljährigen folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen und gilt für die Behandlung psychischer und somatischer Erkrankungen gleichermaßen. Im Minderjährigenrecht fehlt eine § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB vergleichbare Regelung. Nach überwiegender Meinung ist jedoch auch bei unter 18-Jährigen eine Behandlung gegen den Willen unzulässig, wenn diese konkret einwilligungsfähig sind.240 Situativ einwilligungsfähigen und volljährigen Betroffenen steht es zudem frei, für den Fall der eigenen Einwilligungsunfähigkeit eine Patientenverfügung zu verfassen, § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB. Hierauf hat, soweit der Betroffene unter Betreuung steht, nunmehr auch der Betreuer hinzuweisen und den Betroffenen entsprechend zu unterstützen.241 Für die Betreuungsverfügung ist die auf dem natürlichen Willen beruhende Wunschfähigkeit des Betroffenen ausreichend;242 eine wirksame Vorsorgevollmacht setzt auch im Gesundheitsbereich voraus, dass der Vollmachtgeber geschäftsfähig ist.243 234

Ausführlich hierzu oben Kap. 8 B II 2 c). Vgl. §§ 1908b, 1908i Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 1846 BGB. 236 Ausführlich hierzu Kap. 9 B II. 237 BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 4. 238 So schon 57. DJT, Mainz, 1988, Bd. II, S. K 254, Beschl. III 2 lit. a; s.a. Kap. 9 D II 1. 239 Vgl. § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB. 240 Vgl. Kap. 9 D III 2 a). 241 Vgl. § 1901a Abs. 4 BGB. Näher hierzu Kap. 9 B II. 242 Vgl. §§ 1901c S. 1 BGB, 1901 Abs. 3 S. 2 BGB, näher hierzu Kap. 9 C I 2 a). 243 Vgl. oben Kap. 8 B I 2. 235

Kapitel 9: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit 9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

Ist eine Person bezogen auf einen konkreten Eingriff einwilligungsunfähig, ist häufig auch der Abschluss des Behandlungsvertrages problematisch (A.). Zugleich stellt sich die Frage, inwieweit medizinische Maßnahmen auch ohne Einwilligung des Betroffenen legitimiert werden können (B.) und welche Partizipations- und Informationsrechte des Patienten hierbei zu beachten sind (C.). Besonders grundrechtssensibel ist schließlich der Themenkomplex des ärztlichen Zwangs. Aus den Zulässigkeitsvoraussetzungen ärztlicher Zwangsmaßnahmen ergibt sich im Umkehrschluss wann ein situativ einwilligungsunfähiger Patient eine Behandlung verbindlich ablehnen kann (D.). All diese Aspekte machen eine differenzierende Betrachtung erforderlich, die sowohl die Ursache als auch das Ausmaß der Einwilligungsunfähigkeit im konkreten Fall berücksichtigt.1 So kommt eine fortwirkende Selbstbestimmung von vornherein nur in Betracht, wenn der Patient früher einmal einwilligungsfähig war. 2 Sie ist ausgeschlossen, wenn die betroffene Person im konkreten Fall altersbedingt noch nicht situativ einwilligungsfähig ist oder es niemals sein wird.3 Das Maß der Beeinträchtigung der tatsächlichen Fähigkeiten ist schließlich entscheidend für den Umfang der Einbeziehungs- und Mitwirkungsrechte sowie etwaiger Vetobefugnisse des Patienten.4

A. Vertragsebene: Auswirkungen der Einwilligungsunfähigkeit auf die Fähigkeit zum Abschluss des Behandlungsvertrages I. Volljährige Patienten A. Vertragsebene

Um den Behandlungsvertrag abschließen zu können, muss der situativ einwilligungsunfähige Patient geschäftsfähig sein. Geschäfts- und Einwilligungsfähigkeit sind auch außerhalb des Minderjährigenrechts nicht deckungsgleich.5 In aller Regel werden die verminderten tatsächlichen Fähigkeiten, die bei volljährigen Patienten zum Fehlen der konkreten Einwilligungsfähigkeit führen, aber auch zur Geschäfts1

Entsprechend empfiehlt der Lenkungsausschuss für Bioethik des Europarates (CDBI) die ethische Bewertung von Forschungsvorhaben an den Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit der Probanden auszurichten, CDBI, Leitfaden für Mitglieder Medizinischer Ethikkommissionen, 2010, S. 48. 2 Etwa in Form antizipierter Behandlungsentscheidungen, § 1901 a Abs. 1 S. 1 BGB (Patientenverfügungen), Vorsorgevollmachten sowie im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung, § 630 Abs. 1 S. 4 BGB. 3 Ausführlich zu den verschiedenen Formen der Einwilligungs(un)fähigkeit Kap. 1 B II 2. 4 So setzt etwa die Aufklärung des einwilligungsunfähigen Patienten nach § 630e Abs. 5 S. 1 BGB voraus, dass er einfachen Ausführungen folgen kann; näher hierzu Kap. 9 C I. 5 Vgl. Kap. 2 D II 3 und Kap. 8 B I 1. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Genske, Gesundheit und Selbstbestimmung, Kölner Schriften zum Medizinrecht 23, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1_9

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

unfähigkeit oder zumindest einem vorübergehenden Ausschluss der freien Willensbestimmung nach § 105 Abs. 2 BGB führen, mit der Folge, dass die auf den Vertragsschuss gerichtete Willenserklärung des Betroffenen nichtig wäre. Zum Abschluss des Behandlungsvertrages bedarf der Patient in diesen Fällen der Mitwirkung eines Gesundheitsbevollmächtigten oder eines gerichtlich bestellten Betreuers. Nur durch diese kann der Betroffene wirksam in den Vertrag einbezogen werden, sei es als Vertragspartner oder als Dritter im Rahmen von § 328 BGB.6 Zwar gewährt im Eherecht auch die eheliche Schlüsselgewalt (§ 1357 BGB) in gewissem Umfang eine gesetzliche Vertretungsbefugnis für Alltagsgeschäfte. Hierunter fallen nach herrschender Meinung auch Behandlungsverträge.7 Die Norm führt jedoch lediglich zu einer gesamtschuldnerischen Haftung beider Ehegatten für Behandlungsverträge, die ein Ehegatte im eigenen Namen schließt.8 Sie ermöglicht dem gesunden Ehegatten hingegen nicht den Abschluss eines Behandlungsvertrages für den geschäftsunfähigen Ehepartner. Eine über § 1357 BGB hinausgehende Beistandschaft in Gesundheitsangelegenheiten unter Ehegatten und Lebenspartnern wird zwar seit 2015 wieder intensiv diskutiert, ist aber bisher nicht Gesetz geworden.9 Hat der Betroffene weder einen Dritten zur Wahrnehmung seiner gesundheitsbezogenen Angelegenheiten bevollmächtigt, noch einen Betreuer, ist daher – von Notfällen abgesehen – regelmäßig ein Betreuungsverfahren einzuleiten; entweder durch den Betroffenen selbst, § 1896 Abs 1 S. 2 BGB, oder auf Anregung eines Dritten,10 wobei das Gericht in diesem Fall von Amts wegen über die Betreuerbestellung entscheidet, vgl. § 1896 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.11 Soweit der Patient im Einzelfall trotz Einwilligungsunfähigkeit geschäftsfähig ist, kann er zwar, soweit keine Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt in Gesundheitsangelegenheiten eingerichtet wurde den Behandlungsvertrag selbst schließen. Da er mangels Einwilligungsfähigkeit die notwendige Behandlungseinwilligung nicht selbst erteilen kann, vgl. § 630d Abs.1 S. 2 BGB, wird eine etwaige Vertragsschlusskompetenz im Konfliktfall aber regelmäßig leerlaufen. 12

II. Minderjährige Patienten Auch Minderjährige, denen im Einzelfall die Einwilligungsfähigkeit fehlt, bedürfen zum Abschluss des Behandlungsvertrages grundsätzlich der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters, im Regelfall der Eltern.13 Ist der situativ einwilligungsunfähige 6

Ausführlich hierzu Kap. 8 B. Zumindest dann, wenn die ärztlichen Maßnahmen indiziert sind, BGHZ 47, 75, 81 f. = NJW 1967, 673, 674; NJW 1985, 1394, 1395; NJW 1992, 909, 910; KG, NJW 1985, 682; OLG Schleswig, NJW 1993, 2996, 2997; MüKoBGB/Roth, § 1357 Rn. 35 m.w.N.; näher zum Ganzen Peter, NJW 1993, 1949, 1950 und Sieper, MedR 2006, 638 ff. 8 MüKoBGB/Roth, § 1357 Rn. 35 f.; Peter, NJW 1993, 1949, 1950; Sieper, MedR 2006, 638. 9 Ausführlich hierzu Kap. 9 B III 1 b) bb). 10 Etwa durch den Arzt/die Angehörigen, BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1896 Rn. 35. 11 Näher hierzu Staudinger/Klumpp, 2017, Vor §§ 104 ff. Rn. 54 m.w.N. 12 Ausführlich zu familien- und betreuungsgerichtlichen Zuständigkeit bei Konflikten zwischen Patient und (gesetzlichem) Vertreter Kap. 9 B III 2 d) und Kap. 9 D. 13 §§ 1626 Abs. 1, 1629 BGB, näher hierzu Kap. 8 A und Kap. 9 B III 1 b) aa). 7

B. Einwilligungsebene

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Minderjährige zugleich geschäftsunfähig,14 haben die Eltern den Behandlungsvertrag allein zu schließen. Ist der Minderjährige lediglich in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt, richtet sich der Vertragsschluss nach §§ 107 ff. BGB, so dass eine eigenständige Vertragsschlusskompetenz des Minderjährigen in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich ist.15 Hierbei gelten prinzipiell die gleichen Erwägungen wie für einwilligungsfähige Minderjährige, mit der Besonderheit, dass beim Fehlen der Einwilligungsfähigkeit in jedem Fall die informierte Einwilligung der Eltern in die Behandlung erforderlich ist, § 630d Abs. 1 S. 2 BGB.16 Eine etwaige eigenständige Vertragsschlusskompetenz des einwilligungsunfähigen Minderjährigen wird daher im Konfliktfall mit den Sorgeberechtigten wie beim einwilligungsunfähigen Betreuten in der Regel leer laufen.

III. Behandlung in Notfallsituationen Hat der einwilligungs- und geschäftsunfähige bzw. beschränkt geschäftsfähige Patient keinen Stellvertreter oder ist dieser im Notfall nicht erreichbar, kann der Arzt auch ohne Behandlungsvertrag im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen nach §§ 677 ff. BGB erlangen.17 Die Haftung des Arztes bzw. des anstellenden Krankenhauses richtet sich in diesem Fall nach allgemeinem Deliktsrecht. Insbesondere kann sich der geschäftsführende Arzt nicht auf die Haftungsprivilegierung nach § 680 BGB berufen, da die Norm zumindest für den professionellen ärztlichen Nothelfer nach umstrittener, aber vorzugswürdiger Ansicht teleologisch zu reduzieren ist.18

B. Einwilligungsebene B. Einwilligungsebene

Da das ärztliche Tätigwerden die persönlichkeitsrechtliche Sphäre des Patienten in besonderem Maße berührt, sind medizinische Eingriffe nicht schon durch den Behandlungsvertrag gerechtfertigt. Darüber hinaus ist grundsätzlich erforderlich, dass der Eingriff indiziert ist, der Patient seine Informierte Einwilligung erteilt hat und die Behandlung lege artis durchgeführt wird.19 Ist der Patient einwilligungsunfähig 14

Möglich ist hierbei neben dem Regelfall der altersbedingten Geschäftsunfähigkeit, § 104 Nr. 1 BGB, auch eine zustandsbedingte Geschäftsunfähigkeit des Minderjährigen nach § 104 Nr. 2 BGB. 15 Etwa nach § 110 BGB. Ausführlich hierzu Kap. 8 B II. 16 Ausführlich hierzu Kap. 8 A. 17 Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 14; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 36 ff.; Jauernig/Mansel, BGB § 630 a Rn. 1; Kern, NJW 1994, 753, 756. Näher zu den versch. Fallkonstellationen Brennecke, Ärztliche GoA, 2010, S. 56 ff., S. 113 ff. und S. 121 ff. 18 Die Anreizfunktion der Haftungsprivilegierung zum Handeln ist bei Ärzten entbehrlich, da diese in der Regel durch anderweitig normierte Handlungspflichten zum Tätigwerden verpflichtet sind, vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 110; Kern, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. VIII § 47 Rn. 15 m.w.N.; Brennecke, Ärztliche GoA, 2010, S. 131 f. 19 Vgl. Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. II § 6 Rn. 1 ff. und Kap. 1 B I 2 b).

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

und damit außer Stande seine Einwilligung selbst zu erteilen, stellt sich die Legitimationsfrage grundlegend neu. Denkbar ist neben antizipierten Behandlungsentscheidungen des Betroffenen (II.)20 auch die stellvertretende Einwilligung eines hierzu Berechtigten (III.). Kann keine stellvertretende Einwilligung erlangt werden, kommt es auf die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung an (IV.). 21 Zudem können unter bestimmten Voraussetzungen willensunabhängige Rechtfertigungsgründe eingreifen, die jedoch schon, um das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen hinreichend zu wahren, gegenüber den rechtlich relevanten Willensäußerungen des Betroffenen subsidiär sind (V.). Zu beachten ist in jedem Fall der grundsätzliche Vorrang der Einwilligung des Patienten selbst (I.). Das gilt vor allem dann, wenn der Betroffene nur vorübergehend einwilligungsunfähig ist.

I. Vorrang der Einwilligung des Patienten Das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht des Patienten verpflichtet den Arzt so weit wie möglich die Einwilligung des Patienten einzuholen.22 Zu diesem Zweck ist der Patient zu einem Zeitpunkt aufzuklären, zu dem er die an ihn herangetragenen Informationen (schon oder noch) hinreichend würdigen kann. 23 Vor allem wenn der Verlust der Einwilligungsfähigkeit absehbar ist, gilt nach der Rechtsprechung das Gebot der frühzeitigen Aufklärung, (1.). In ähnlicher Weise kann der Arzt verpflichtet sein mit einem lediglich relativ indizierten Eingriff zuzuwarten, wenn der Patient konkret zur Erteilung der Einwilligung außerstande ist, die Wiedererlangung seiner Einwilligungsfähigkeit aber unmittelbar bevorsteht (2.). 1. Gebot der frühzeitigen Aufklärung bei absehbarem Verlust der Einwilligungsfähigkeit Grundsätzlich ist der Patient so früh aufzuklären, dass ihm noch genügend Bedenkzeit bleibt, um das Für und Wider der verschiedenen Entscheidungsalternativen für sich abzuwägen und seine Entscheidung wohlüberlegt zu treffen.24 Eine generelle Festlegung des Aufklärungszeitpunktes ist schon angesichts der Variationsbreite an Eingriffen nicht sinnvoll möglich.25 Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalles.26 Eine Aufklärung gilt aber jedenfalls dann als verspätet, wenn der 20

§ 1901a Abs. 1 S. 1 BGB. § 630 Abs. 1 S. 4 BGB. 22 § 630 Abs. 1 S. 1 BGB, sog. Regel-Ausnahme-Verhältnis von Selbstbestimmung und Stellvertretung, Kern, NJW 1994, 753. Im Betreuungsrecht folgt dies zusätzlich aus dem in § 1896 Abs. 2 BGB verankerten Subsidiaritätsgrundsatz. Näher hierzu Kap. 5 B. 23 BGH, NJW 1993, 2372, 2373 m. Anm. Laufs/Hirsche; NJW 1998, 1784, 1785; OLG Frankfurt a.M., MedR 1984, 194, 196. 24 Vgl. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB. So zuvor bereits BGH, NJW 1985, 1399, 1400; NJW 1993, 2372, 2373 m. Anm. Laufs/Hirsche; Staudinger/Hager, BGB, § 823 Rn. I 106 m.w.N.; vgl. a. OLG Naumburg, Urt. v. 6.2.2014 – 1 U 45/13. 25 Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 42. 26 BT-Drs. 17/10488, S. 25; Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 42; Jauernig/Mansel, § 630e Rn. 5; Hk-BGB/Schreiber, § 630e Rn. 4; ähnlich auch Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 106 sowie aus strafrechtl. Sicht NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 82. 21

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Patient oder die Patientin bereits unter dem Einfluss einer operationsvorbereitenden Beruhigungsspritze steht27 oder wenn der Geburtsvorgang bereits so weit fortgeschritten ist, dass der Grad der Belastungen und Schmerzen ein Maß erreicht hat, das es der Patientin unmöglich macht einem Aufklärungsgespräch zu folgen und eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen.28 Hieraus leitet der BGH eine vorgezogene Aufklärungspflicht gegenüber der (noch) einwilligungsfähigen Patientin ab.29 Gleiches gilt richtigerweise auch dann, wenn der Arzt bei hinreichender Diagnostik und genauer Operationsplanung bereits vor Durchführung des Eingriffs hätte erkennen müssen, dass eine Erweiterung oder Änderung des geplanten und konsentierten Eingriffs notwendig werden würde.30 2. Zeitlich nach hinten verlagerte Aufklärungspflicht bei absehbarer Wiedererlangung der Einwilligungsfähigkeit War eine notwendige Operationserweiterung hingegen vor Operationsbeginn unvorhersehbar gilt Folgendes: Kann die Operation ohne ernste Gesundheitsgefahren aufgeschoben werden, hat der Arzt den konsentierten Eingriff abzubrechen und den Patienten, nachdem dieser aus der Narkose erwacht ist, über die notwendige Folgeoperation aufzuklären.31 Die Rechtsprechung geht in diesen Fällen von einer Verlagerung der ärztlichen Aufklärungspflicht auf den Zeitpunkt der Wiedererlangung der Einwilligungsfähigkeit aus.32 Eine solche zeitliche Verlagerung wird von der Rechtsprechung auch gegenüber Patienten angenommen, die mit starken Schmerzen beim Arzt erscheinen, sofern eine Schmerzstillung möglich ist, bevor die

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Vgl. BGH, NJW 1998, 1784, 1785. BGH, NJW 1993, 2372, 2373 m. Anm. Laufs/Hirsche; OLG Naumburg, Urt. v. 6.2.2014 – 1 U 45/13. 29 BGH, NJW 1993, 2372, 2373 m. Anm. Laufs/Hirsche. 30 BGH, NJW 1989, 1541 f.; vgl. a. Geiß/Greiner, Rn. C 20 und Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl. 2018, Rn. 458, jeweils m.w.N. In der Folge kann sich der Arzt während der Operation nicht ohne Weiteres auf die mutmaßliche Einwilligung des Patienten berufen, BGHSt 11, 111, 114 f. = NJW 1958, 267, 268; BGH, NJW 1988, 2310 sowie aus zivilrechtlicher Sicht BGH, NJW 1989, 1541 f.; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d Rn. 24 f. In Betracht kommt in diesen Fällen noch der Einwand des pflichtgemäßen Alternativverhaltens (sog. hypothetische Einwilligung), vgl. § 630h Abs. 2 S. 2 BGB, vgl. BGH, NJW 2005, 2072, 2073; OLG Köln, Urt. v. 11.1.2017 – 5 U 46/16. Näher zur Rechtzeitigkeit der Aufklärung bei einer medizinisch notwendigen Operation jüngst OLG MDR 2019, 671. 31 BGH, NJW 2000, 885, 886 f. = MedR 2000, 231, 232; OLG Koblenz, MedR 2009, 93, 94; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d Rn. 25 m.w.N.; Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 60 Rn. 14; Geiß/Greiner, Rn. C 102; Wever, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, § 630d Rn. 11. Ist die Operationserweiterung hingegen absolut oder indiziert, ist der Arzt, sofern keine Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Patientenwillen bestehen, verpflichtet, die Operation unter dem Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung fortzuführen, vgl. BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d Rn. 25 m.w.N.; vgl. a. OLG Koblenz, NJWRR 1994, 1370 = MedR 1995, 364 (Ls.). Näher zu den schwierigen Abwägungsfragen, wenn eine Operationsunterbrechung mit gewissen Risiken einhergeht, die Erweiterung aber nicht unaufschiebbar ist, Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 60 Rn. 14 m.w.N. 32 BGH, NJW 2000, 885, 886 f. = MedR 2000, 231, 232; OLG Koblenz, MedR 2009, 93, 94. 28

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

Schmerzursache, etwa durch einen operativen Eingriff, behandelt werden muss.33 Jedenfalls dann, wenn der notwendige Eingriff zur Behebung der Schmerzursache lediglich relativ indiziert ist, mit nicht unerheblichen Risiken verbunden ist und kein dringender Handlungsbedarf besteht, hat der Arzt mit der Aufklärung des Patienten bis zur Schmerzlinderung zuzuwarten.34 Das gilt umso mehr, wenn es um Eingriffe mit möglicherweise erheblichen Folgen für die Lebensführung des Betroffenen geht und auf Behandlerseite lediglich organisatorische Belange entgegen stehen.35

II. Antizipierte Behandlungsentscheidungen Ist der Patient nicht nur kurzzeitig einwilligungsunfähig, ist zu ermitteln, ob die konkrete Behandlungssituation von einer wirksamen Patientenverfügung erfasst wird.36 Nach § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB können (noch) einwilligungsfähige Volljährige37 für den Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit antizipierte Behandlungsentscheidungen in Form von Patientenverfügungen treffen, § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB.38 Eine Patientenverfügung kann neben konkreten Einwilligungen auch Behandlungsverbote enthalten, wobei die positiv erklärte Vorab-Einwilligung im Gegensatz zur Nicht-Einwilligung richtigerweise eine ärztliche Aufklärung oder einen wirksamen Aufklärungsverzicht voraussetzt.39 Die Beschränkung auf einwilligungsfähige 33

Vgl. BGH, NJW 1994, 799. BGH, NJW 1994, 799, 801; Genske, MedR 2016, 173, 176; zurückhaltender Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, 2015, S. 71; wie hier aus ethischer Sicht auch Soriano/ Lagman, Am J Hosp/Palliative Med 2012, 401, 403 und Schöne-Seifert, Grundlagen der Medizinethik, 2007, S. 44. Das gilt jedoch nicht, wenn ein akuter Notfallpatient mit schwersten Schmerzen ins Krankenhaus kommt und die Gefahr besteht, dass durch eine Verzögerung des erforderlichen Eingriffs ein lebensbedrohlicher Zustand eintritt, vgl. OLG Saarbrücken, VersR 1988, 95. Ausführlich zur Aufklärung von Schmerzpatienten in Notfallsituationen ebenda. 35 Genske, MedR 2016, 173, 176. 36 Vgl. § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB. 37 Der Patient muss richtigerweise bezogen auf diejenigen ärztlichen Maßnahmen einwilligungsfähig sein, die von der Patientenverfügung umfasst sein sollen, Jürgens/Jürgens, BGB § 1901a Rn. 5. 38 Eine Patientenverfügung enthält nach ganz h.M. antizipierte Einwilligungen und/oder Nichteinwilligungen, vgl. nur BGH, NJW 2003, 1588, 1589 = MedR 2003, 512, 514; NJW 2014, 3572, 3574; Bienwald, C., in: Bienwald u.a., BetR-K, § 1901a Rn. 39; Lipp, in: ders., Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 123; MüKoBGB/Schwab, § 1901a Rn. 16 m.w.N.; Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 20 f.; NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 11; Spickhoff/Spickhoff, § 1901a Rn. 4 m.w.N.; ders., AcP 208 (2008), 345, 404; BT-Drs. 16/8442, S. 14. Dem Betreuer kommt entsprechend keine eigene Entscheidungs-, sondern lediglich eine Auslegungsbefugnis zu, vgl. § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB: „prüft der Betreuer“, näher hierzu Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 183. A.A. Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2009, 426, 427 f.; Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326, 327 f., die die Festlegungen in der Patientenverfügung als Weisung des Betroffenen an den Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigten qualifizieren, der nach Auslegung der Verfügung die Einwilligung stellvertretend erteilt. Ausführlich zum Streitstand Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, 2005, S. 50 ff. 39 Vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 23 f.; krit. hierzu Deutsch/Spickhoff, Rn. 430. Näher zu den Voraussetzungen der antizipierten Einwilligung Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2015, 110 34

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Volljährige bedeutet vor allem für konkret einwilligungsfähige Minderjährige, deren Fähigkeiten durch eine fortschreitende Krankheit gemindert zu werden drohen, eine empfindliche Beschränkung ihres gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts.40 Zwar ist die praktische Wirksamkeit antizipierter Behandlungsentscheidungen in Deutschland begrenzt, weil Patientenverfügungen die konkrete Entscheidungssituation oft nicht spezifisch genug erfassen.41 Sind bei zunehmend schlechter werdenden Fähigkeiten aber konkrete Behandlungsentscheidungen absehbar, sollte in jedem Fall auf die Errichtung einer Patientenverfügung hingewirkt werden. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber Rechnung getragen und in § 1901a Abs. 4 BGB nunmehr die Pflicht des Betreuers normiert, den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und ihn, soweit er dies wünscht, bei der Errichtung einer Patientenverfügung zu unterstützen. 42 De lege ferenda wird in der Literatur eine entsprechende Verpflichtung im psychiatrischen Bereich auch für Ärzte gefordert.43 Erfasst die Patientenverfügung die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation nicht oder sind die Festlegungen aus anderen Gründen unwirksam, ist sie als Anhaltspunkt für den mutmaßlichen Willen des Patienten heranzuziehen, an dem sich stellvertretende Behandlungsentscheidungen des Betreuers und des Bevollmächtigten zu orientieren haben.44

ff. und MüKoBGB/Schwab, 1901a Rn. 7 ff. und § 1906 Rn. 46 ff.; sowie zum Aufklärungserfordernis Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 164 ff. Zur Verbindlichkeit von Behandlungsverboten im Rahmen von Patientenverfügungen siehe Kap. 9 D. 40 Minderjährigen bleibt die gesetzliche Regelvertretung durch die Personensorgeberechtigten, was jedoch bei Konflikten im Innenverhältnis problematisch sein kann. Krit. zur Volljährigkeitsgrenze des § 1901a Abs. 1 BGB deshalb Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1950 f.; Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257, 260; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901a Rn. 20; MüKoBGB/Schwab, § 1901a Rn. 10. 41 Klie et al., Informationsdienst Altersfragen, 2014, 5, 11 m.w.N. Vor allem im US-amerikanischen Raum aber auch in einigen Modellregionen in Deutschland hat sich stattdessen eine umfassendere Form der Vorsorgeplanung, das sog. Advance Care Planning (ACP) bzw. die deutsche Entsprechung des Behandlung im Voraus Planen (BVP) etabliert, vgl. hierzu statt vieler Lipp, MedR 2018, 754, 762 f. und In der Schmitten/Nauck/Marckmann, MMW Fortschr Med. 2019, 38. Vgl. a. die erhöhten Konkretisierungsanforderungen an Patientenverfügungen in der jüngeren Rechtsprechung des BGH in BGHZ 214, 62 = NJW 2017, 1737, 1739 = FamRZ 2017, 748 und NJW 2019, 600, 602 = MedR 2019, 565 m. Anm. Schlich. 42 Die Norm wurde eingeführt durch das Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten v. 17.7.2017, BGBl. I, 2017, S. 2426 ff., das u.a. das gesundheitsbezogene Selbstbestimmungsrecht von Betreuten durch Förderung der Verbreitung von Patientenverfügungen und Behandlungsvereinbarungen stärken wollte, vgl. BT-Drs. 18/11240, S. 14. Für den Bevollmächtigten gilt die in § 1901a Abs. 4 BGB n.F. normierte Regelverpflichtung nicht entsprechend, vgl. BT-Drs. 18/11240, S. 18. Krit. hierzu Götz, FamRZ 2017, 413, 414. 43 So etwa BGT (Hrsg.), Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240, S. 3. 44 Vgl. § 1901a Abs. 2 S. 1 BGB. Näher hierzu BGH, NJW 2016, 3297, 3302.

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

III. Stellvertretende Behandlungseinwilligung Fehlt es an einem verbindlichen, vorab geäußerten Willen und kann die Einwilligung des Patienten auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt eingeholt werden, hat der Arzt die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, § 630d Abs. 1 S. 2 BGB.45 Weil sich die Behandlungseinwilligung auf höchstpersönliche Rechtsgüter des Betroffenen bezieht, sind die §§ 164 ff. BGB nach überwiegender Meinung weder direkt noch analog, sondern allenfalls in abgewandelter Form anwendbar.46 Das Betreuungs- und Kindschaftsrecht enthält zudem besondere Vorgaben für stellvertretende Behandlungsentscheidungen.47 1. Arten der Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten a) Gewillkürt (Vorsorgevollmacht) Zur Vermeidung einer Betreuerbestellung können volljährige Patienten einen Dritten zur Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten bevollmächtigen.48 Die Möglichkeit der gewillkürten Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten war wegen des starken persönlichkeitsrechtlichen Bezugs medizinischer Entscheidungen lange umstritten.49 Seit Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes am 1.1.199250 sieht das BGB in §§ 1901 ff. die Möglichkeit der Gesundheitsbevollmächtigung ausdrücklich vor,51 so dass sich dieser Grundsatzstreit inzwischen weitgehend erledigt hat.52 Der 45

Gemeint sind der Personensorgeberechtigte, der Betreuer in Gesundheitsangelegenheiten und der Gesundheitsbevollmächtigte, vgl. Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 37; HkBGB/Schreiber, § 630d Rn. 3; NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 11. Näher hierzu sogleich. 46 Vgl. Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, 2005, S. 117 ff., insbes. S. 122 f.; MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 89; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 417 f. m.w.N.; Eine früher vertretene Auffassung hielt die Stellvertretung hingegen mit dem Wesen der Einwilligung im Bereich höchstpersönlicher Rechtsgüter generell für unvereinbar, vgl. Geerds, Einwilligung und Einverständnis, 1953, S. 69 und S. 83 f. Ähnlich auch Kern, NJW 1994, 753, der die Einwilligung in ärztliche Maßnahmen grundsätzlich für „stellvertretungsfeindlich“ hält; zust. Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 402; ders., FamRZ 2018, 412, 419. Diese Ansicht überzeugt nicht. Zwar verfügt der Betroffene mit der Behandlungseinwilligung über ein höchstpersönliches Rechtsgut, vgl. Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn 51; Damm, MedR 2015, 775, 776. Hieraus folgt jedoch nicht zwangsläufig die Höchstpersönlichkeit der Rechtsausübung. Die gesundheitsbezogene Einwilligung stellt richtigerweise gerade keine schlechthin unvertretbare, ausschließlich dem Rechteinhaber vorbehaltene Entscheidung dar, grundlegend hierzu Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 48 ff. 47 Vgl. §§ 1904, 1905 Abs. 2 S. 1, 1906 Abs. 2 S. 1 und 1906a Abs. 2 BGB; vgl. a. § 1631b Abs. 1 und 2 BGB. Näher hierzu Kap. 9 B III 2. 48 Vgl. § 1901c S. 2 BGB; zur Frage, ob die Bevollmächtigung in Gesundheitsangelegenheiten Geschäfts- oder Einwilligungsfähigkeit voraussetzt und zur Möglichkeit einer Gesundheitsbevollmächtigung durch Minderjährige vgl. Kap. 8 B I 2. 49 Näher zum damaligen Streitstand Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, 2005, S. 107 f. 50 Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz, BtG) v. 12.9.1990, BGBl. I, 1990, S. 2002. 51 Vgl. § 1901c S. 2 BGB und §§ 1904 Abs. 5, 1906 Abs. 5 BGB und § 1906a Abs. 5 BGB. 52 Vgl. BGHZ 154, 205, 213 f. = NJW 2003, 1588, 1589 = MedR 2003, 512, 514; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 81; MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 29; MüKoBGB/

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Bezug der Behandlungseinwilligung zu verschiedenen höchstpersönlichen Rechtsgütern des Betroffen gebietet jedoch Einschränkungen im Bereich der Stellvertretung. So kann ein Dritter nach herrschender Ansicht nur im Hinblick auf die zukünftige Einwilligungsunfähigkeit, genauer: in Bezug auf die hiermit verbundene Betreuungsbedürftigkeit, zu stellvertretenden Behandlungsentscheidungen bevollmächtigt werden.53 § 630d Abs. 1 BGB steht folglich nicht zur Disposition des Patienten. Vollmachten zur Einwilligung in Zwangsmaßnahmen und in Maßnahmen, die mit einer schweren Gesundheitsschädigung oder dem Tod einhergehen können, bedürfen zudem der Schriftform.54 Gleiches gilt im Fall des §1904 Abs. 5 S. 1 BGB für den Behandlungsverzicht. Wird die Vollmacht in Gesundheitsangelegenheiten mit vermögensbezogenen Bestimmungen verbunden, kann zusätzlich eine notarielle Beurkundungspflicht entstehen.55 In der Praxis empfiehlt sich die Beurkundung schon wegen der hiermit einhergehenden notariellen Prüf- und Beratungspflichten, auch für die Gesundheitsbevollmächtigung.56 Um die Auffindbarkeit der Vollmacht im Bedarfsfall zu erleichtern, besteht die Möglichkeit, diese im Zentralen Vorsorgeregister zu registrieren.57 b) Gesetzlich aa) Eltern, Vormund, Pfleger und Betreuer Aufgrund ihrer fehlenden Mündigkeit, unterstehen Minderjährige der elterlichen Personen- und Vermögenssorge, vgl. § 1626 Abs. 1 S. 2 BGB.58 Diese umfasst auch die gesetzliche Vertretung des Kindes,59 die sich in den gesetzlichen Grenzen auch auf die Erteilung der Einwilligung erstreckt.60 Sind beide Eltern verstorben oder wurde ihnen das Sorgerecht ganz oder teilweise bezogen auf die erforderliche Behandlungseinwilligung und/oder den Abschluss des Behandlungsvertrages entzogen,61 ist ein Vormund zu bestellen, der den Minderjährigen bei der Erklärung seiner Schubert, § 164 Rn. 89. Im Erg. ebenso Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 402; ders., FamRZ 2018, 412, 419, der die Behandlungseinwilligung zwar für „stellvertretungsfeindlich“ hält, eine Stellvertretung aber innerhalb der gesetzlich geregelten Ausnahmen anerkennt. 53 Vgl. BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1896 Rn. 27; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 386; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 67. 54 §§ 1904 Abs. 5 S. 2, 1906 Abs. 5 S. 1, 1906a Abs. 5 S. 1 BGB. 55 Ausführlich hierzu Jauernig/Mansel, § 167 Rn. 10; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1896 Rn. 28. 56 Vgl. §§ 11 und 17 BeurkG. Näher hierzu BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1896 Rn. 28. 57 http://www.vorsorgeregister.de, . Hiermit korrespondieren entsprechende Hinweispflichten des beurkundenden Notares, vgl. § 20a BeurkG. Näher zum Ganzen Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 399 f. 58 Ausführlich hierzu Kap. 5 B. 59 Vgl. § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB. 60 Ganz h.M., vgl. BGHZ 105, 45, 47 = NJW 1988, 2946, 2947 = MedR 1989, 81; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 53 m.w.N.; BeckOK-BGB/Veit, § 1631d Rn. 7; Rixen, NJW 2013, 257, 258 f.; Lorenz, NZFam 2017, 782; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 32; entsprechend umfasst das Sorgerecht auch den Abschluss des Behandlungsvertrages, vgl. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 15 m.w.N. 61 Vgl. § 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB.

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

Einwilligung gesetzlich vertritt, § 1773 BGB. Ist auch dieser verhindert, kommt es auf die Einwilligung des für diesen Fall zu bestellenden Pflegers an, § 1909 BGB.62 Für volljährige Personen besteht wegen ihrer Mündigkeit keine gesetzliche Regelvertretung.63 § 1357 BGB ist auf die Behandlungseinwilligung nicht anwendbar, da sich die eheliche Schlüsselgewalt richtigerweise nur auf Rechtsgeschäfte bezieht.64 Ist der Betroffene aus tatsächlichen Gründen nicht mehr in der Lage seine gesundheitsbezogenen Angelegenheiten ganz oder teilweise zu besorgen, § 1896 Abs. 1 BGB, kann eine gesetzliche Vertretung de lege lata nur durch die gerichtliche Bestellung eines Betreuers erreicht werden, vgl. §§ 1896, 1902 BGB.65 In dringlichen Fällen kommen neben der Bestellung eines Eilbetreuers,66 auch eigene Einwilligungsbefugnisse der Familien- und Betreuungsgerichte in Betracht.67 bb) Gesetzliche Vertretungsmacht des Ehegatten und des Lebenspartners Der Gesetzgeber hat bereits wiederholt die Normierung einer gesetzlichen Vertretung für die Gesundheitssorge innerhalb von Ehe und Lebenspartnerschaft erwogen, die auch Behandlungsentscheidungen umfassen soll.68 Bereits der Gesetzentwurf zum Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz69 sah ein solches gesetzliches Vertretungsrecht unter Ehegatten für den Fall vor, dass der Betroffene bei krankheitsoder behinderungsbedingter Geschäfts- und/oder Einwilligungsunfähigkeit weder über einen Bevollmächtigten, noch einen Betreuer verfügt.70 Hierin war neben der Stellvertretung im Bereich der Gesundheitssorge, auch eine Vertretung für die Vermögenssorge sowie eine subsidiäre Vertretungsregelung der Eltern für ihre volljährigen Kinder vorgesehen.71 Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken sind die Regelungen im Jahr 2005 nicht vom Bundestag verabschiedet geworden. 72 In jüngerer Zeit wurde die Diskussion um die Ehegattenbeistandschaft wieder neu entfacht.

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Näher hierzu MüKoBGB/Spickhoff, § 107 Rn. 17. Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 53. 64 Zum Anwendungsbereich der Norm beim Abschluss von Krankenhaus- und Behandlungsverträgen vgl. Peter, NJW 1993, 1949, 1950 ff. und Sieper, MedR 2006, 638 ff. 65 Die Bestellung kann auf Antrag oder von Amts wegen erfolgen und ist begrenzt auf den aus Betroffenensicht zu bestimmenden erforderlichen Umfang, Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 53. Das Gericht ist hierbei an die Wünsche des Betroffenen gebunden, vgl. §§ 1897 Abs. 4 S. 1 BGB, vgl. BGH, NJW-RR 2016, 1156; MüKoBGB/Schwab, § 1897 Rn. 24. 66 § 300 FamFG. 67 Vgl. §§ 1908i, 1846 BGB. 68 Der Gesetzesvorschlag ergänzt damit § 1357 BGB und § 8 Abs. 2 LPartG. 69 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts (2. BtÄndG), BT-Drs. 15/2494. 70 Vgl. §§ 1358 Abs. 1 S. 1, 1358a Abs. 1 BGB-E; BT-Drs. 15/2494, S. 5 f. Näher hierzu Strätling u.a., MedR 2003, 372, 373 m.w.N. 71 Vgl. § 1618b Abs. 1 BGB-E. Diese sollte greifen, wenn kein erklärungsbefugter Eheoder Lebenspartner nach §§ 1358, 1358a BGB-E vorhanden war, BT-Drs. 15/2494, S. 5 f. 72 Vgl. BT-Drs. 15/4874, S. 26. Krit. zum damaligen Entwurf Strätling u.a., MedR 2003, 372, 373 ff. und Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 396, der v.a. die geplante feste Reihenfolge der Angehörigen und ihre Ausstattung mit verbindlicher Entscheidungsmacht für bedenklich hielt. 63

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Anlass war ein Beschluss der 86. Justizministerkonferenz,73 der den Bundesrat veranlasste 2016 einen neuen und verschlankten Entwurf in den Bundestag einzubringen,74 wo dieser 2017 mit großer Mehrheit beschlossen wurde.75 Das Verfahren konnte jedoch nicht rechtzeitig vor den Wahlen zum 19. Deutschen Bundestag abgeschlossen werden.76 Es bleibt abzuwarten, ob die Vorlage erneut eingereicht wird. In der Literatur wird das Gesetzesvorhaben kritisch beurteilt. 77 Die erwartete Erleichterung für die Praxis sollte im Wege der retrospektiven Gesetzesfolgenabschätzung überprüft werden. 2. Umfang der Vertretungsmacht Der starke persönlichkeitsrechtliche Bezug der Behandlungseinwilligung gebietet nicht nur bei der Bevollmächtigung, sondern auch bei der stellvertretenden Rechtsausübung verschiedene Einschränkungen.78 Das gilt neben der Einwilligungszuständigkeit auch für Inhalt und Grenzen der Stellvertretung sowie Verfahrensvorschriften in Gestalt gerichtlicher Genehmigungserfordernisse. a) Grundsätze aa) Einwilligungszuständigkeit des Vertreters Nach einhelliger Meinung ist der Betreuer nur dann einwilligungszuständig, wenn der Betreute einwilligungsunfähig ist.79 Gleiches gilt für das Verhältnis von Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem. Demgegenüber können den Sorgerechtsinhabern in Einzelfällen auch dann Entscheidungsbefugnisse zukommen, wenn der Minderjährige konkret einwilligungsfähig ist.80 Beschluss v. 17.6.2015 zur „Beistandschaft für Ehegatten und Lebenspartner“, näher hierzu https://bdb-ev.de/module/datei_upload/download.php?file_id=879, . 74 Gesetz zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten v. 30.11.2016, BT-Drs. 18/10485. Die gesetzliche Vertretung sollte u.a. beim Abschluss des Behandlungsvertrages und bei der Behandlungseinwilligung greifen, soweit der Partner wegen einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Gesundheitssorge nicht mehr selbst besorgen kann und kein Bevollmächtigter oder Betreuer vorhanden ist, vgl. § 1358 BGB-E, § 11 Abs. 3 LPartG-E. 75 Vgl. Plenarprotokoll 18/234, S. 23746 v. 18.5.2017. 76 Die nach Art. 104a Abs. 4 GG erforderliche Zustimmung des Bundesrates konnte nicht rechtzeitig eingeholt werden, vgl. Plenarprotokoll 959, S. 325 v. 7.7.2017. 77 Vgl. etwa Grziwotz, ZRP 2017, 88, 89 ff.; vgl. a. die krit. Anm. bei Brauer, Autonomie und Familie, 2013, S. 197 ff. zur Einführung einer gesetzl. Vertretungsmacht naher Angehöriger. 78 Näher zum persönlichkeitsrechtlichen Bezug der Einwilligung Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 51; Damm, MedR 2015, 775, 776; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 420. 79 Vgl. BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1904 Rn. 8; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 386; Jürgens/Marschner, BGB § 1904 Rn. 6; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 67. 80 Ausführlich hierzu Kap. 8 A II 2 a). 73

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

bb) Bindung an den Inhalt der Vollmacht Maßgeblich für die Vertretungsbefugnisse des Bevollmächtigten ist, wie in Vermögensangelegenheiten auch, der konkrete Inhalt der Vollmacht. 81 Der Bevollmächtigte ist darüber hinaus an den mutmaßlichen Willen des Betroffenen gebunden.82 Da die Reichweite der Vollmacht im Ermessen des Vollmachtgebers steht, ist vor dem Eingriff zu prüfen, ob die die infragestehende Maßnahme auch erfasst wird.83 cc) Bindung an das Wohl des Betroffenen Demgegenüber sind der Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs und die Eltern als gesetzliche Vertreter84 im Rahmen ihrer Sorgerechtsausübung an das Wohl des Betroffenen gebunden. Dieses wird damit zum Ziel und zum Maßstab ihrer Tätigkeit.85 Der Betreuer des volljährigen betreuten Patienten ist zusätzlich an den mutmaßlichen Willen des Betreuten gebunden.86 Die Ausrichtung auf das Betroffenenwohl gebietet nicht nur der starke Persönlichkeitsbezug von Betreuer- und Personensorgeentscheidungen, sondern auch die Fremdnützigkeit beider Rechtsinstitute. Hauptfunktion der Betreuung und der elterlichen Sorge ist es, die Rechtsperson des Betroffenen (wieder)herzustellen und den Betreuten so vor möglichen Nachteilen solcher Entscheidungen zu schützen, die er im Zustand der eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit trifft.87 Das Wohl ist hierbei nicht ausschließlich objektiv zu bestimmen.88 Vielmehr haben der Betreuer und die Sorgeberechtigten die (schon 81 Lipp, MedR 2018, 754, 761. Im Verhältnis zum Betreuer unterliegt der Bevollmächtigte geringeren gesetzlichen Beschränkungen. Er ist insbes. nicht an § 1901 BGB gebunden, BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1896 Rn. 27. Der Vorrang der Vollmacht wird durch § 1901a Abs. 6 BGB klargestellt, vgl. BT-Drs. 16/13314, S. 20; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901a Rn. 37. 82 Vgl. §§ 1901a Abs. 6 i.V.m. Abs. 2, 1901b BGB. Ausführlich hierzu Lipp, MedR 2018, 754, 761 f. 83 Das gilt v.a. für den Behandlungsverzicht, die freiheitsentziehende Unterbringung, freiheitsentziehende Maßnahmen und ärztliche Zwangsmaßnahmen, da das Gesetz hier erhöhte Anforderungen an die Bestimmtheit und Form der Vollmacht stellt, vgl. §§ 1904 Abs. 5 S. 2, 1906 Abs. 5 S. 1, 1906a Abs. 5 S. 1 BGB. Näher zu den Voraussetzungen einer Bevollmächtigung zum Behandlungsverzicht BGH, NJW 2016, 3297, 3298 f. = FamRZ 2016, 1671, 1673 f. m. Anm. Dodegge = MedR 2017, 36 ff. m. Anm. Sternberg-Lieben. 84 Näher hierzu Kap. 9 B III 1 b) aa). 85 Vgl. § 1901 Abs. 2 S. 1 BGB und § 1627 S. 1 BGB. Näher hierzu BeckOK-BGB/MüllerEngels, § 1901 Rn. 4 ff.; Schwab, Familienrecht, 27. Aufl. 2019, § 66 Rn. 798 und MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 7 und Rn. 28 m.w.N. Die Reichweite der Fremdbestimmungsbefugnisse des gesetzlichen Vertreters ist damit geringer als die der Selbstbestimmung des Patienten, Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl. 2018, Rn. 477 m.w.N. 86 Vgl. §§ 1901a Abs. 2, 1901b BGB. Ausführlich hierzu Lipp, MedR 2018, 754, 761 f. 87 BGH, NJW 2006, 1277, 1280; NJW 2003, 1588, 1589 = MedR 2003, 512, 514; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 171; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 53. Grundlegend zur Funktion der rechtlichen Betreuung und zu Unterschieden gegenüber der elterlichen Sorge, Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 22 ff. 88 Das ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, vgl. § 1901 Abs. 2 S. 2 BGB; näher hierzu BGHZ 154, 205, 216 ff. = NJW 2003, 1588, 1590 = MedR 2003, 512, 514; MüKoBGB/Schwab, § 1901 Rn. 10 f. sowie aus ethischer Sicht Frahm et al., MedR 2018, 447, 448 f. m.w.N. und Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Patientenwohl als ethischer Maßstab für

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oder noch) vorhandene Selbstbestimmungsfähigkeit des Vertretenen zu berücksichtigen.89 Der (natürliche) Wille des Betroffenen90 fließt damit in gewissem Umfang in die Bestimmung seines Wohls mit ein.91 Wohl und Wünsche des Betreuten sowie Wohl und Wille des Kindes stehen nach der Gesetzeskonzeption damit in keinem grundsätzlichen Gegensatz zueinander; vielmehr ist die Beachtung zumindest solcher Willensäußerungen, die von Selbstbestimmung getragen sind, gerade Teil des Wohls.92 dd) Keine Unterscheidung von Innen- und Außenverhältnis Im Stellvertretungsrecht gebietet das Abstraktionsprinzip eine getrennte Betrachtung von Innen- und Außenverhältnis.93 Grundsätzlich ist auch im Rahmen der Betreuung, der Bevollmächtigung und der elterlichen Sorge die Bindung des Vertreters an das Wohl des Betroffenen im Innenverhältnis zum Vertretenen von der Wirksamkeit stellvertretender Erklärungen im Verhältnis zu Dritten zu unterscheiden.94 Wegen der Grundrechtsrelevanz der Einwilligung in medizinische Maßnahmen ist das Abstraktionsprinzip für die durch den Vertreter erteilte Behandlungseinwilligung gleichwohl nicht interessengerecht.95 Die Wirksamkeit stellvertretender Behandlungsentscheidungen im Außenverhältnis richtet sich deshalb nach zutreffender Ansicht nach dem Innenverhältnis. Damit schlägt bei stellvertretenden

das Krankenhaus, 2016, S. 37 ff. Nicht nur der Betreuer, auch die Gerichte sind im Rahmen ihrer Beratungs-, Überwachungs- und Genehmigungstätigkeit an die subjektive Auslegung des Betreutenwohls gebunden, vgl. BT-Drs. 11/4528, S. 133; BGH, NJW-RR 2017, 324 f.; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 5. 89 Vgl. zum Kindeswohl § 1626 Abs. 2 BGB und zum Betreutenwohl BGHZ 182, 116, 123 ff. = NJW 2009, 2814, 2817; BT-Drs. 11/4528, S. 133; MüKoBGB/Schwab, § 1901 Rn. 11; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 5 und HK-BUR/Bauer, § 1901 Rn. 25 ff. 90 Das Betreuungsrecht spricht insoweit auch von Wünschen, vgl. § 1901 Abs. 2 BGB. Gemeint sind hiermit natürliche, von Selbstbestimmung getragene Willensäußerungen. Näher hierzu BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 6 und Kap. 9 C I 2. 91 Allgemeine Meinung, vgl. für das Kindeswohl MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 28 und für das Betreutenwohl (§ 1901 Abs. 2, 3 BGB) BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 5 ff., jeweils m.w.N. Das Verhältnis von Wohl und Wille des Vertretenen ist weder im Rahmen der elterlichen Sorge noch für die rechtliche Betreuung abschließend geklärt. Unstreitig ist aber, dass das Wohl gemischt subjektiv-objektiv zu ermitteln ist. Die Sicht des verständigen Dritten ist ggü. dem Betroffenenwillen nachrangig, §§ 1901 Abs. 3 S. 1, 1626 Abs. 2 BGB. 92 So zum Betreuungsrecht bereits BT-Drs. 11/4528, S. 67; vgl. a. BGHZ 182, 116, 125 ff. = NJW 2009, 2814, 2817; Kierig, FPR 2009, 470, 476; BeckOK-BGB/Müller-Engels, 1901 Rn. 8; MüKoBGB/Schwab, § 1901 Rn. 11. Näher zum Verhältnis von Wünschen und Wohl des Betreuten auch Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 164 ff. Grundlegend zum Zusammenspiel von Kindeswohl und Kindeswille Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 4. Aufl. 2014. 93 Vgl. statt vieler MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 21 ff. m.w.N. 94 MüKoBGB/Schwab, § 1901 Rn. 21 f. und § 1902 Rn. 16 m.w.N.; vgl. a. BeckOKBGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 10 und Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 184 f. m.w.N. 95 Demgegenüber haben Verkehrsschutzinteressen regelmäßig zurückzutreten, vgl. Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, 2005, S. 116 ff., insbes. S. 122 f. So im Erg. a. MüKoBGB/Schwab, § 1901a Rn. 39 ff., insbes. Rn. 42 f. A.A. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 420; anders noch ders., AcP 208 (2008), 345, 403.

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

Behandlungsentscheidungen die Unwirksamkeit im Verhältnis zum Vertretenen ausnahmsweise auf das Außenverhältnis zum Behandler durch.96 Überschreitet der Vertreter seine Befugnisse im Innenverhältnis ist damit auch automatisch die Behandlungseinwilligung im Verhältnis zum Arzt unwirksam.97 Zu beachten ist hierbei, dass dem Vertreter im Innenverhältnis bei der Abwägung zwischen Wohl und Wille des Kindes bzw. Wünschen und Wohl des Betreuten ein gewisser Beurteilungsspielraum zukommt.98 Die Gegenauffassung, die die Wirksamkeit stellvertretend erteilter medizinischer Einwilligungen im Außenverhältnis nach den Regeln über den Missbrauch der Vertretungsmacht beurteilt wissen will,99 trägt den Besonderheiten der Behandlungseinwilligung hingegen nicht hinreichend Rechnung.100 Durch die Gleichsetzung von Innen- und Außenverhältnis wird auch die Behandlerseite nicht über Gebühr belastet. Ist die Pflichtwidrigkeit der stellvertretenden Behandlungsentscheidung und damit ihre Unwirksamkeit im Außenverhältnis für den Arzt nicht erkennbar, ist seine Haftung mangels Verschulden regelmäßig ausgeschlossen.101 Hat der Arzt Zweifel an der Pflichtwidrigkeit, sollte er eine gerichtliche Klärung herbeiführen. Damit kommt eine Haftung der Behandlerseite nach der hier vertretenen Ansicht allenfalls dann in Betracht, wenn der Arzt gewichtige Zweifel übergeht oder er die Pflichtwidrigkeit der Stellvertreterentscheidung kennt.102 b) Besonderheiten bei volljährigen Patienten aa) Ausdrücklich normierter Willensvorrang des Betreuten Der grundsätzliche Vorrang des Betreutenwillens ist im Betreuungsrecht ausdrücklich normiert.103 Dieser Vorrang gilt zwar nicht unbegrenzt;104 dennoch hat der 96 Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, 2005, S. 116 ff., insbes. S. 122 f.; so auch angedeutet bei Damm, MedR 2015, 775, 784. 97 So noch Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 403. 98 Der Beurteilungsspielraum des Betreuers ist wegen der fortbestehenden Mündigkeit des Betreuten kleiner als der der Sorgeberechtigten im Kindschaftsrecht. 99 Vgl. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 420; ders., FamRZ 2013, 335, 340; so zuvor bereits angedeutet bei Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 184 ff. m.w.N. und Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 395 und 399. An der Gefahr eines Missbrauchs der Vertretungsmacht zeigt sich bereits, dass Gesundheitsbevollmächtigung und Betreuung kein Garant für die Sicherung der Selbstbestimmung sind, Klie et al., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5, 11. 100 Denn hierdurch wird der Betroffene im Bereich höchstpersönlicher Angelegenheiten nicht hinreichend geschützt, vgl. zum Ganzen Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, 2005, S. 116 ff. 101 Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, 2005, S. 121; so auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 420; ders., AcP 208 (2008), 345, 403. 102 So auch Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, 2005, S. 121. 103 § 1901 Abs. 2 S. 2 BGB. Näher hierzu BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 6 ff. m.w.N. 104 Der natürliche Wille und die Wünsche des Betreuten sind dann nicht maßgeblich, wenn sie seinem Wohl zuwiderlaufen oder die Befolgung der Wünsche dem Betreuer unzumutbar ist. Zudem gilt die Wunschbefolgungspflicht grds. nur im Innenverhältnis zum Betreuten. Näher zur Zumutbarkeit BT-Drs. 11/4528, S. 134 und BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 9 m.w.N.

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Betreuer den Willen des volljährigen Betreuten schon von Gesetzeswegen wesentlich stärker zu berücksichtigen als die Eltern den Kindeswillen.105 Grund hierfür ist die fortbestehende Mündigkeit des Betreuten,106 die insbesondere einem Erziehungsrecht des Betreuers entgegensteht.107 Anders als den Sorgerechtsinhabern, kommt dem Betreuer deshalb auch nur ein eingeschränkter Spielraum bei der Auslegung des Betreutenwohls zu.108 Insbesondere ist es dem Betreuer verwehrt, eine nach den Maßstäben des Betreuten vertretbare Güterabwägung, durch seine eigene, objektiv vernünftigere Sicht, zu ersetzen.109 Denn die fortbestehende Mündigkeit des Betreuten gebietet es, nicht bereits dann von einer Gefährdung des Betreutenwohls auszugehen, wenn die Erfüllung bestimmter Wünsche des Betroffenen seinen Interessen objektiv zuwider läuft, sondern erst, wenn seine höherrangigen Rechtsgüter gefährdet sind oder sich seine Lebenslage insgesamt erheblich zu verschlechtern droht.110 Der Betreuer hat damit in gewissem Umfang auch selbstschädigendes Verhalten des Betreuten hinzunehmen.111 Die Eingriffsschwelle des Betreuungsgerichts für die Beratung, Überwachung und Genehmigung der Tätigkeit des Betreuers ist entsprechend niedriger als die des Familiengerichts nach § 1666 BGB.112 Um dem grundsätzlichen Willensvorrang des Betreuten Rechnung zu tragen, haben Betreuer und Gesundheitsbevollmächtigter im Rahmen ihrer Zuständigkeit zunächst die Behandlungswünsche des Betroffenen festzustellen.113 Zu berücksichtigen sind hierbei sowohl Wünsche, die der Betreute vor der Betreuung geäußert hat als auch aktuell, im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit getätigte Willensäußerungen.114 Ist der Betreute hingegen situativ einwilligungsfähig, sind seine Willensäußerungen unmittelbar verbindlich; dem Betreuer bzw. Gesundheitsbevollmächtigten kommt insoweit keine eigenständige Entscheidungskompetenz zu.115 Hat der Betreuer die Wünsche und/oder den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ermittelt, entscheidet er auf dieser Grundlage – d.h. aus Sicht des Betreuten – ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt. 116 Der Betreuer, sowie in Eilfällen das nach §§ 1908i Abs. 1, 1846 BGB unmittelbar zuständige 105

Im Kindschaftsrecht fehlen Regelungen, die den §§ 1901 ff. BGB vergleichbar sind. Näher hierzu Kap. 9 B III 2 c) aa). 106 Ausführlich hierzu Kap. 5 B I 3 b) und c). 107 MüKoBGB/Schwab, § 1901 Rn. 10. 108 Vgl. BGHZ 182, 116, 125 ff. = NJW 2009, 2814, 2817; MüKoBGB/Schwab, § 1901 Rn. 10 f. m.w.N. 109 Ein bloßer Verstoß gegen die objektiven Interessen des Betreuten reicht nicht aus, vgl. BGHZ 182, 116, 125 = NJW 2009, 2814, 2817. 110 Vgl. § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB; BGHZ 182, 116, 125 = NJW 2009, 2814, 2817 m.w.N.; MüKoBGB/Schwab, § 1901 Rn. 11 m.w.N. 111 Das gilt insbes. im Vermögensbereich BGHZ 182, 116, 126 = NJW 2009, 2814, 2817. 112 Vgl. § 1908i Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 1837 Abs. 2 und 3 BGB; MüKoBGB/Schwab, § 1901 Rn. 10 und Rn. 21. In beiden Fällen bildet das Wohl die Eingriffsgrundlage. Zu den konkreten Anforderungen an die Kindeswohlgefährdung i.S.v. § 1666 Abs. 1 BGB siehe BGH, FamRZ 2019, 598, 600 ff. = NJW 2019, 1435, 1436 ff. 113 §§ 1901a Abs. 2, 1901b Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB. 114 Früher geäußerte Wünsche treten zurück, wenn der Betreute hieran erkennbar nicht festhalten will, vgl. § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB. 115 Näher hierzu Kap. 8 A III. 116 §§ 1901a Abs. 2, 1901b Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB.

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

Betreuungsgericht, ist damit in den gesetzlichen Grenzen117 an die Wünsche des Betreuten gebunden.118 § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB verpflichtet den Betreuer zudem wichtige Angelegenheiten, wie etwa ärztliche Maßnahmen, vorab mit dem Betreuten zu besprechen, sofern nicht dessen Wohl entgegensteht. 119 bb) Gerichtliche Genehmigungsvorbehalte Eine weitere Besonderheit des Betreuungsrechts bilden die zahlreichen gesetzlich vorgesehenen gerichtlichen Genehmigungserfordernisse. Hiernach bedürfen die Einwilligung sowie in einigen Fällen auch die Nicht-Einwilligung des Betreuers und des Vorsorgebevollmächtigten der Zustimmung des Betreuungsgerichts. 120 Das gilt außerhalb von Notfallsituationen vor allem, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme, in die der Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigte eingewilligt hat, stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.121 Gleiches gilt für die Einwilligung des Betreuers in den Therapieabbruch und -verzicht. 122 Die Zustimmung des Betreuungsgerichts ist auch für die Sterilisation einer bezogen auf die Unfruchtbarmachung dauerhaft einwilligungsunfähigen Person einzuholen123 sowie für die freiheitsentziehende Unterbringung, freiheitsentziehende Maßnahmen und ärztliche Zwangsmaßnahmen.124 cc) Grenzen der Vertretungsbefugnis Grundsätzlich ist der Betreuer, schon wegen der Bindung an das Wohl des Betreuten, nur zur stellvertretenden Einwilligung in medizinisch indizierte Maßnahmen befugt. Den Gesundheitsbevollmächtigten kann der Patient hingegen in gewissem Umfang auch zur Einwilligung in nicht indizierte Maßnahmen ermächtigen. Das gilt nicht für die stellvertretende Einwilligung in rein fremdnützige Forschungsvorhaben125 und die Einwilligung des Vertreters in eine Organlebendspende.126 117

Zu den gesetzlichen Grenzen zählt insbes. § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB. Die mutmaßliche Einwilligung ist insoweit gegenüber der Betreuung subsidiär, vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 215 m.w.N.; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 395. Der Wille des Betroffenen ist auch maßgeblich für die Genehmigung des Betreuungsgerichts nach § 1904 Abs. 1 und 2 BGB, vgl. § 1904 Abs. 3 BGB. 119 Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 53; Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 1 Rn. 6 m.w.N.; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 12. Näher zur Reichweite und zu den Grenzen der Informationspflichten des Betreuers bei ärztlichen Maßnahmen, Hoffmann, R&P 2005, 52. 120 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 13 m.w.N. 121 § 1904 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 BGB, Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. III Rn. 13. 122 Vgl. § 1904 Abs. 4 BGB. Krit. zum hierin vorgesehenen Wegfall der Genehmigungspflicht bei Einigkeit von Arzt und Betreuer, Spickhoff/Spickhoff, § 1904 Rn. 15 f. 123 Vgl. § 1905 Abs. 2 S. 1 BGB. 124 §§ 1906 Abs. 2 und 4, Abs. 5, 1906a Abs. 2, Abs. 5 BGB. Näher hierzu Kap. 9 D. 125 Nach § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 AMG müssen Forschungsvorhaben mit einwilligungsunfähigen Probanden mindestens Gruppennutzen aufweisen. 126 § 8 Abs. 1 Nr. 1a TPG setzt voraus, dass der Betroffene volljährig und einwilligungsfähig ist, näher hierzu Damm, MedR 2015, 775, 779 m.w.N.

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Einschränkungen gelten auch für die stellvertretende Einwilligung in eine Sterilisation127 oder Kastration,128 die stellvertretende Einwilligung oder Ablehnung medizinisch indizierter Eingriffe, die mit der Gefahr irreversibler, schwerer Schäden einhergehen129 sowie die stellvertretende Einwilligung in Zwangsmaßnahmen130 und genetische Untersuchungen.131 c) Besonderheiten bei minderjährigen Patienten aa) Wohl und Wille: Einbeziehungsrechte des Minderjährigen Auch im Kindschaftsrecht ist eine subjektivierte Auslegung des Kindeswohls angelegt, wenn auch weniger deutlich als im Betreuungsrecht.132 § 1627 S. 1 BGB normiert die Bindung der elterlichen Sorge an das körperliche, geistige und seelische Wohl des Kindes. Die Bindung an das Kindeswohl beinhaltet nach überwiegender Ansicht auch die Pflicht der Eltern, die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen und ihr Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, in Fragen der elterlichen Sorge einzubeziehen und mit ihm Einvernehmen anzustreben, § 1626 Abs. 2 BGB.133 § 1626 Abs. 2 BGB ist hierbei als Pflichtrecht ausgestaltet.134 Anders als im Betreuungsrecht ist die Missachtung des Kindeswillens aber nur indirekt über § 1666 BGB sanktioniert. Den Eltern kommt aufgrund ihres Erziehungsrechts bei relativ indizierten Eingriffen und Eingriffen ohne Indikation zudem ein gewisser Beurteilungsspielraum bei der Ausübung ihres Sorgerechts zu.135 Familiengerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB kommen daher regelmäßig nur bei schwerwiegenden oder dauerhaften Verstößen gegen das Kindeswohl in Betracht.136 Das Kindschaftsrecht enthält auch keine den §§ 1901 ff. BGB vergleich127

Vgl. § 1905 BGB. Hierfür ist die Bestellung eines gesonderten Betreuers erforderlich, vgl. § 1899 Abs. 2 BGB. Eine Bevollmächtigung für die Entscheidung über diese Frage ist nach h.M. ausgeschlossen, BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1905 Rn. 3. 128 Die Kastration ist ausgeschlossen, wenn der Betroffene das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, er trotz Einwilligungsunfähigkeit die unmittelbaren Folgen des Eingriffs verstehen kann und der Eingriff nicht angezeigt ist, um eine lebensbedrohende Krankheit des Betroffenen zu verhüten, zu heilen oder zu lindern, vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 KastrG. Auch hier bedarf es einer expliziten gerichtlichen Ermächtigung des Betreuers, vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 2 KastrG. Eine Bevollmächtigung ist gesetzlich nicht vorgesehen. 129 Vgl. § 1904 BGB. 130 Vgl. §§ 1906 f. BGB. Ausführlich hierzu Kap. 9 D. 131 Vgl. § 14 GenDG. Grundlegend hierzu Meyer, Genetische Untersuchungen an nicht einwilligungsfähigen Personen, 2016, S. 181 ff. (Behandlung) und S. 344 ff. (Forschung). Näher zum Ganzen mit weiteren Beispielen Kern, NJW 1994, 753, 754 und 758. 132 So auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419. 133 OLG Hamm, NJW 2013, 3662, 3663; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 28; so für Behandlungsentscheidungen auch Dorneck et al., MedR 2019, 431, 434. 134 Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 62. 135 Vgl. Kap. 8 A II 2 b) bb). 136 MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 63. Allgemein zu den Anforderungen an die Kindeswohlgefährdung i.S.v. § 1666 Abs. 1 BGB: BGH, FamRZ 2019, 598, 600 ff. = NJW 2019, 1435, 1436 ff.

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baren Regelungen. Insbesondere fehlt eine ausdrückliche Verpflichtung der Personensorgeberechtigten auf der Grundlage des mutmaßlichen Willens ihres zuvor bereits einmal konkret einwilligungsfähig gewesenen Kindes zu entscheiden.137 bb) Gerichtliche Genehmigungsvorbehalte Im Vergleich zu den betreuungsrechtlichen Genehmigungsvorbehalten, sind die kindschaftsrechtlichen Genehmigungsvorbehalte des Familiengerichts rar gesät. Sie betreffen ausschließliche die freiheitsentziehende Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen.138 Der hierin normierte Schutzstandard ist zudem geringer als der betreuungsrechtliche nach § 1906 BGB.139 Weitere gesundheitsbezogene Genehmigungsvorbehalte kennt das Kindschaftsrecht nicht. Eine gerichtliche Kontrolle existiert damit insbesondere nicht für lebensbeendende Therapieabbruchentscheidungen der Sorgeberechtigten sowie für die Einwilligung in medizinische Maßnahmen, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des minderjährigen Patienten einhergehen. Auch ärztliche Zwangsmaßnahmen unterliegen nur indirekt der Kontrolle durch das Familiengericht, wenn sie im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung durchgeführt werden sollen.140 cc) Grenzen elterlicher Entscheidungsbefugnisse im Gesundheitsbereich Einige besonders grundrechtssensible Maßnahmen sind der Entscheidung durch die Personensorgeberechtigten von vornherein gesetzlich entzogen, etwa die Einwilligung in eine Sterilisation,141 aber auch die Einwilligung in die noch schwerer wiegende Kastration nach § 3 KastrG142 sowie die Lebendorganspende.143 Die elterliche Bindung an das Kindeswohl gebietet es darüber hinaus medizinisch nicht indizierte oder risikoreiche Eingriffe wie die Entnahme von Knochenmark,144 die Teilnahme an eigennützigen klinischen Studien145 sowie die religiös motivierte Beschneidung des männlichen, einwilligungsunfähigen Kindes146 nur unter engen Voraussetzungen zu ermöglichen. Die stellvertretende Einwilligung in genetische Untersuchungen ist, selbst wenn sie indiziert ist, wegen ihrer Tragweite nur unter den Voraussetzungen des § 14 GenDG zulässig.147 Rechtliche Beschränkungen gelten aus den gleichen Gründen für ärztliche Zwangsmaßnahmen.148 137

Eine solche Pflicht ergibt sich allenfalls indirekt aus § 1626 Abs. 2 BGB. Vgl. § 1631b Abs. 1 und 2 BGB. 139 Vgl. Kap. 9 D III. 140 § 1631b Abs. 1 BGB. Näher hierzu Kap. 9 D. 141 § 1631c BGB. Die Norm gilt für weibliche und männliche Kinder gleichermaßen, BT-Drs. 11/4528, S. 107 und S. 143; MüKoBGB/Huber, § 1631c Rn. 1 ff. Auch der ewf. Minderjährige selbst kann die Sterilisation nicht wirksam autorisieren, § 1631c S. 2 BGB. 142 § 2 Abs. 1 Nr. 3 KastrG, wobei § 3 Abs. 4 S. 2 KastrG eine Ausnahmeregelung enthält. 143 Arg. e con § 8 Abs. 1 Nr. 1a TPG. Näher hierzu Damm, MedR 2015, 775, 779 m.w.N. 144 Vgl. § 8a TPG. 145 § 40 Abs. 4 AMG; § 20 Abs. 4 MPG. 146 Vgl. § 1631d Abs. 1 BGB. Ausführlich hierzu MüKoBGB/Huber, § 1631d Rn. 19 ff. 147 § 14 Abs. 1 Nr. 1 GenDG. Näher hierzu Keil, Individualisierte Medizin, 2015, S. 155 ff.; Damm, MedR 2015, 775, 779 f. und Erbs/Kohlhaas/Häberle, § 14 GenDG Rn. 2. 148 Siehe hierzu Kap. 9 D III. 138

B. Einwilligungsebene

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d) Handeln mit, ohne oder gegen den Willen des Betroffenen Handelt ein Vertreter für den einwilligungsunfähigen Betroffenen, ist grundlegend zu unterscheiden, ob der Vertretene trotz Einwilligungsunfähigkeit in der Lage ist einen natürlichen Willen zu bilden und zu äußern oder nicht. Bei betreuten Patienten hat der Betreuer zudem den mutmaßlichen Willen des Betreuten vor jeder Behandlungsentscheidung zu ermitteln.149 aa) Handeln ohne den Willen des Betroffenen Das Handeln ohne den Willen des Betroffenen, etwa bei nicht willensgetragenen Abwehrbewegungen, stellt keine Zwangsmaßnahme dar. Auf die Voraussetzungen der §§ 1631b, 1906 und 1906a BGB und die entsprechenden Regelungen in den PsychKG der Länder kommt es damit nicht an. Ist der Betroffene hingegen in der Lage einen natürlichen Willen zu äußern und verhält er sich neutral, führt auch ein Einverständnismangel zur Anwendung der §§ 1906, 1906a BGB.150 Liegen Anhaltspunkte für einen mutmaßlichen Willen des Betroffenen vor, der die aktuelle Entscheidungssituation erfasst, hat der Betreuer diesem Rechnung zu tragen.151 Tut er dies nicht, ist die von ihm erteilte Einwilligung ipso iure unwirksam.152 Bei Minderjährigen besteht eine entsprechende Pflicht, wie gezeigt, hingegen nicht. Verweigern die Sorgeberechtigten ihre Einwilligung zu einem indizierten Eingriff in kindeswohlgefährdender Weise, hat der Arzt jedoch auf eine familiengerichtliche Maßnahme nach § 1666 Abs. 3 BGB hinzuwirken.153 Gleiches gilt, wenn der Betreuer durch seine Entscheidung dem Wohl des Betreuten nicht hinreichend Rechnung trägt.154 bb) Handeln gegen den Willen des Betroffenen Ist der Betreute in der Lage einen natürlichen Willen bilden, hat der Betreuer diesen grundsätzlich zu berücksichtigen, vgl. § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB.155 Für die Eltern gilt dies nur eingeschränkt im Rahmen von § 1626 Abs. 2 BGB. Dennoch stellt sich in beiden Fällen die Frage, wie bei Konflikten zwischen Patient und Stellvertreter zu entscheiden ist. Hierbei sind zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden: Denkbar ist einerseits, dass der konkret einwilligungsunfähige Patient einen medizinischen Eingriff wünscht, den der Vertreter ablehnt. Andererseits kann der Betroffene eine medizinische Maßnahme ablehnen, die der Vertreter befürwortet (sog. ärztliche 149

Vgl. §§ 1901a Abs. 2, 1901b BGB. Ausführlich hierzu Lipp, MedR 2018, 754, 761 f. Vgl. BT-Drs. 11/4528, S. 146; BVerfG, NJW 2011, 2113, 2114; Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906a Rn. 29 ff.; BtKomm/Dodegge, Rn. G 13. Das gilt folgerichtig auch für § 1631b BGB. 151 §§ 1901a Abs. 2 und 6, 1901b BGB. 152 So etwa Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 403. 153 MüKoBGB/Wagner, § 630d Rn. 38 m.w.N. Zur familiengerichtlichen Überprüfbarkeit der stellvertretenden Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch s. ebenda, Rn. 44. 154 In diesem Fall hat das Gericht dem Betreuer die pflichtgemäße Entscheidung zu gebieten und ggfs. durch eine eigene, subsidiäre Maßnahme zu ersetzen, vgl. §§ 1908i, 1837 BGB, NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 26. 155 Zum Konflikt zwischen natürlichem Willen und dem zuvor geäußerten mutmaßlichen Willen siehe Kap. 9 C I 2 und Kap. 4 C IV.

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Zwangsmaßnahme). Ärztliche Zwangsmaßnahmen sind aufgrund ihrer Eingriffsintensität nach inzwischen nahezu einhelliger Ansicht nur ausnahmsweise und unter strengen Voraussetzungen legitimierbar.156 Die hiermit verbundenen Fragen sind komplex und vor allem im Minderjährigenrecht noch immer stark umstritten. Sie werden ausführlich in Abschnitt D dargestellt. Wünscht der situativ einwilligungsunfähige Patient hingegen einen Eingriff, den der Vertreter ablehnt, ist wie folgt zu verfahren. (1) Minderjährige Versagen die Eltern die Einwilligung gegen den Willen ihres situativ einwilligungsunfähigen Kindes, ist maßgeblich, ob ihre Entscheidung das Kindeswohl gefährdet, §§ 1627 S. 1, 1666 Abs. 1 BGB.157 Das richtet sich nach der Indiziertheit und dem Risiko-Chancen-Profil der geplanten Maßnahme.158 Ist der Minderjährige einwilligungsunfähig, kommt den Sorgerechtsinhabern nach § 1626 Abs. 2 BGB bei Eingriffen, die nicht absolut indiziert sind, ein erheblicher Entscheidungsspielraum zu, so dass eine Kindeswohlgefährdung bei der Ablehnung lediglich relativ indizierter Eingriffe mit nicht unerheblichen Risiken regelmäßig ausscheiden wird.159 Gleiches gilt grundsätzlich auch für die Ablehnung nicht indizierter Maßnahmen.160 Verweigern die Eltern ihre Zustimmung hingegen zu absolut indizierten Maßnahmen wird hierin regelmäßig eine Kindeswohlgefährdung zu sehen sein.161 In Zweifelsfällen sollte hier, wie im Betreuungsrecht, auf eine familiengerichtliche Klärung hingewirkt werden.162 (2) Volljährige Während die Einwilligung des konkret einwilligungsfähigen Betreute abweichende Entscheidungen des Betreuers verdrängt,163 kann es, wenn der Betreute einwilligungsunfähig ist, zu echten Entscheidungskonflikten zwischen Betreuer und Betreutem kommen. Die Behandlungswünsche des einwilligungsunfähigen Betreuten sind für den Betreuer verbindlich, wenn sie dessen Wohl nicht zuwiderlaufen und

156

Vgl. § 1906a BGB, ausführlich hierzu Kap. 9 D. Näher zur Rechtslage vor Neufassung der §§ 1906, 1906a BGB Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 191 ff. m.w.N. 157 Insoweit besteht kein Unterschied zur Rechtslage bei Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen, vgl. Kap. 8 B II 2 c). 158 So bereits Kern, NJW 1994, 753, 756. Ausführlich hierzu Kap. 8 B II 2 c). 159 Lorenz, NZFam 2017, 782, 786; MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 81. Umstritten ist hingegen, ob die Eltern ihre Einwilligung zu einer vom Minderjährigen gewünschten gesetzlich vorgeschriebenen Impfung verweigern können (dafür: Staudinger/Coester, 2016, § 1666 Rn. 104; MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 85; dagegen: AG Nordenham, MedR 2008, 225). 160 Kern, NJW 1994, 753, 756. 161 Ausführlich hierzu Kap. 8 B II 2 c) und Kap. 9 B V 3. 162 Das Gericht kann im Fall einer kindeswohlgefährdenden Einwilligungsverweigerung den Eltern das Sorgerecht für diese Frage entziehen, einen Pfleger bestellen, § 1666 Abs. 1, 3 Nr. 6, § 1909 Abs. 1 BGB, oder die gebotene Einwilligung der Eltern nach § 1666 Abs. 1, 3 Nr. 5 BGB ersetzen, vgl. Kap. 8 B II 2 c). 163 Ausführlich hierzu Kap. 8 A III.

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dem Betreuer zumutbar sind.164 Analog zum Kindeswohl ist auch bei der Bestimmung des Betreutenwohls nach dem Grad der Indiziertheit der Maßnahme zu differenzieren.165 Dem Betreuer kommt wie gezeigt bei der Auslegung des Wohls nur ein eingeschränkter Beurteilungsspielraum zu, weshalb die Eingriffsschwelle des Betreuungsgerichts nach § 1908i Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 1837 Abs. 2, 3 BGB niedriger liegt als die des Familiengerichts nach § 1666 BGB.166 Ist die vom Betreuten gewünschte Behandlung medizinisch geboten oder zumindest vertretbar, wird sich der Wunsch des Betreuten regelmäßig schon deshalb gegenüber einer ablehnenden Haltung des Betreuers durchsetzen, weil er nicht auf Selbstschädigung, sondern auf Heilung oder Besserung gerichtet ist.167 Zumindest bei relativ indizierten Eingriffen mit gewissen Erfolgsaussichten hat auch eine etwaige mit dem Eingriff verbundene Vermögensminderung grundsätzlich außer Acht zu bleiben.168 Das gilt erst Recht, wenn eine Maßnahme absolut indiziert und zeitlich nicht aufschiebbar ist. Hier wird zugunsten des Arztes beim behandlungswilligen Betroffenen zusätzlich regelmäßig die mutmaßliche Einwilligung greifen.169 Bei nicht indizierten Maßnahmen kommt es auf die mit dem Eingriff verbundenen Risiken an.170 In Zweifelsfällen haben die Beteiligten auch hier außerhalb von Notfällen auf eine Klärung durch das Betreuungsgericht hinzuwirken.171

IV. Mutmaßliche Einwilligung Fehlt es an einer antizipierten Willensäußerung des situativ einwilligungsunfähigen Patienten und ist auch keine Stellvertreterentscheidung zu erlangen, kann der medizinisch gebotene Eingriffs unter dem Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung gerechtfertigt sein. Die mutmaßliche Einwilligung unterliegt wegen des hiermit verbunden Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht des Patienten strengen Voraussetzungen.172 Sie wirkt nur dann legitimierend, wenn die Maßnahme zeitlich dringend indiziert ist,173 die Einwilligung des Berechtigten, § 630d Abs. 1 BGB, 164 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 190. Weitergehend Spickhoff/Spickhoff, § 1904 Rn. 5; ders., in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, 2013, § 6 Rn. 45. 165 Kern, NJW 1994, 753 f.; Spickhoff, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, 2013, § 6 Rn. 45. 166 Vgl. Kap. 9 B III 2 b) aa). 167 Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 420. 168 Spickhoff, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, 2013, § 6 Rn. 45 m.w.N. 169 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 190 m.w.N. 170 Insoweit zu kurz gegriffen Spickhoff, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, 2013, § 6 Rn. 45, der das ärztliche Tätigwerden auf Wunsch des Betreuten nur bei Indiziertheit der Maßnahme für maßgeblich hält. 171 Zurückhaltender Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 190, der es dem Arzt freistellt, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Ebenso für den Schwangerschaftsabbruch einer einwilligungsunfähigen Schwangeren, NK-StGB/Merkel, § 218a Rn. 25. 172 Vgl. Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 41. Grundlegend hierzu Roxin, in: FS Welzel, 1974, S. 450 ff. 173 Die mutmaßliche Einwilligung kommt nicht nur bei vitaler Indikation, sondern auch bei weniger schweren Eingriffen in Betracht, die wegen drohender Gesundheitsschäden nicht aufschiebbar sind, vgl. BGH, NStZ 2012, 205, 206; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 228 Rn. 28.

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nicht rechtzeitig eingeholt werden kann und die Maßnahme dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen oder, subsidiär, seinem objektiven Interesse entspricht. 174 Aus dem Dringlichkeitserfordernis folgt, dass eine Behandlung auf Grundlage der mutmaßlichen Einwilligung allenfalls für wenige Tage in Betracht kommt.175 Außerhalb dringlicher Entscheidungssituationen hat der Behandler bei volljährigen, konkret einwilligungsunfähigen Patienten, die nicht unter Betreuung stehen, auf die Bestellung eines vorläufigen Betreuers oder Verfahrenspflegers im Eilverfahren hinzuwirken176 oder eine ersetzende Entscheidung des Betreuungsgerichts nach §§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1846 BGB einzuholen.177 Sind bei minderjährigen Patienten die Sorgeberechtigten an der Entscheidung gehindert, ist im Eilverfahren ein Pfleger zu bestellen.178 Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens hat der Arzt prognostisch zu beurteilen, ob der Betroffene dem geplanten Eingriff, wenn er einwilligungsfähig wäre, zustimmen würde.179 Maßgeblich ist damit der Wille, den der Patient in Kenntnis aller entscheidungserheblichen Umstände geäußert hätte, „wenn er sich hätte entschließen und mitteilen können.“180 Das setzt voraus, dass der Betroffene zuvor schon einmal, wenigstens kurzzeitig, einwilligungsfähig war und in sich diesem Zustand entsprechend geäußert hat.181 Das gilt auch für minderjährige Patienten. Maßgeblich ist insoweit ihr eigener Willen und nicht derjenige ihres gesetzlichen Vertreters.182 Lässt sich aus den individuellen Faktoren im Einzelfall ein mutmaßlicher Wille nicht hinreichend klar ermitteln oder war der Betroffene zuvor nie einwilligungsfähig, kommt es auf die objektive Interessenlage an.183 Maßstab ist insoweit, wie ein verständiger Patient in der Lage des Betroffenen üblicherweise entschieden hätte.184 174

BGH, NJW 2000, 885, 886 = MedR 2000, 231; NJW 1993, 2372, 2374 m. Anm. Laufs = MedR 1993, 388; NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 115 m.w.N.; ders., in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 25 m.w.N.; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 39; Brennecke, Ärztliche GoA, 2010, S. 22; vgl. a. § 630d Abs. 1 S. 4 BGB. 175 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 167; Kern, MedR 1993, 245, 247. 176 Vgl. § 300 FamFG, näher hierzu Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 25. 177 Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 40. 178 § 1909 Abs. 1 BGB i.V.m. § 49 Abs. 1 FamFG; das Gericht kann die elterliche Entscheidung auch nach § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB ersetzen. 179 Vgl. nur BGHZ 202, 226 = NJW 2014, 3572; NJW 2016, 3297, 3302; so aus strafrechtlicher Sicht auch BeckOK-StGB/Eschelbach, § 228 Rn. 28 m.w.N. 180 Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 25; Kern, NJW 1994, 753, 756; vgl. a. RegE Ärztl. Zwang, BT-Drs. 18/11240, S. 19 f. 181 Anderenfalls kommt es allein auf das objektive Interesse an. Näher zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens BGH, NJW 1988, 2310 f.; NJW 1995, 204, 205; NJW 2000, 885, 886; NJW 2016, 3297, 3302; Jauernig/Mansel, § 630d Rn. 6; Hk-BGB/Schreiber, § 630d Rn. 5. 182 So auch Brennecke, Ärztliche GoA, 2010, S. 237 f. m.w.N. 183 BGH, NJW 2000, 885, 886; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 44; BeckOKStGB/Eschelbach, § 228 Rn. 29. 184 Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 1570 Rn. 25; NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 7; BeckOKStGB/Eschelbach, § 228 Rn. 29. Der aus dem Selbstbestimmungsrecht folgende unbedingte Vorrang der subjektiven Willenslage vor dem objektiven Interesse wird sich in der Praxis nicht immer streng durchhalten lassen, da wegen der zeitlichen Dringlichkeit regelmäßig nicht genügend Zeit bleibt, um Anhaltspunkte für einen vom objektiven Interesse abweichenden mutmaßlichen Willen zu ermitteln, der nicht offen zu Tage liegt, Brennecke, Ärztliche

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V. Willensunabhängige Rechtfertigungsgründe Neben der mutmaßlichen Einwilligung werden im Arzthaftungsrecht als subsidiäre Rechtfertigungsgründe insbesondere die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA),185 der rechtfertigende Notstand und – bei minderjährigen Patienten – der Rechtfertigungsgrund der ärztlichen Fürsorge diskutiert. Daneben enthalten zahlreiche öffentlich-rechtliche Eingriffsgrundlagen Duldungspflichten. 1. Spezialgesetzliche Eingriffsermächtigungen Unabhängig vom Willen des Betroffenen ermöglichen öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlagen ärztliche Maßnahmen zu Beweissicherungszwecken186 und zur Gefahrenabwehr bei Fremd- und erheblicher Eigengefährdung.187 So ist etwa nach § 18 Abs. 4 PsychKG NRW eine Behandlung gegen den natürlichen Willen der betroffenen Person möglich, wenn sie psychisch erkrankt ist und von ihr erhebliche Gefahren für Dritte ausgehen oder eine erhebliche Gefahr für ihre eigene Gesundheit besteht.188 Ähnliche Regelungen enthalten die Maßregelvollzugsgesetze der Länder sowie das Strafvollzugsgesetz, das weitergehende medizinische Untersuchungen und Behandlungen gegen den Willen von Strafgefangenen auch unabhängig von einer psychischen Grunderkrankung ermöglicht.189 All diese Normen sind verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie nur bei Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen greifen.190 Daneben enthält auch das öffentliche Gesundheitsrecht willensunabhängige Eingriffsgrundlagen. So sieht etwa § 20 Abs. 6 S. 1 IfSG die Möglichkeit vor, per Rechtsverordnung Impfpflichten zur normieren, wovon der Gesetzgeber bisher aber keinen Gebrauch gemacht hat.191 Um die Verbreitung bestimmter Erkrankungen zu verhindern, sind daneben in den §§ 29 ff. GoA, 2010, S. 235. In nicht dringlichen Fällen wird die Pflicht des Betreuers und des Vorsorgebevollmächtigten zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens regelmäßig weitergehen als die des Arztes nach § 630 Abs. 1 S. 4 BGB, vgl. Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 45 m.w.N. Wie weit diese Pflicht im Einzelfall reicht ist bisher nicht abschließend geklärt, näher Taupitz, ebenda, S. A 37 f. m.w.N. und Laufs, NJW 1998, 3399, 3400. Vor diesem Hintergrund sollte bei der Ermittlung des im Einzelfall anzuwendenden Maßstabs zunächst die objektive Interessenlage festgestellt werden, um auf dieser Grundlage in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob genügend Hinweise für einen hiervon abweichenden Willen vorliegen (sog. „objektive Interessenabwägung unter subjektivem Korrekturvorbehalt“), Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 41 ff.; zust. Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 395. 185 Vgl. a. Brennecke, Ärztliche GoA, 2010, S. 225. 186 Vgl. etwa §§ 81a und 81c StPO, näher hierzu Kern, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XIII § 75 Rn. 6 ff. 187 §§ 11, 18 Abs. 4-6 PsychKG NRW und § 17 MRVG NRW. Die §§ 1906 f. BGB stellen demgegenüber einen Sonderfall der stellvertretenden Einwilligung dar. Ausführlich zu den div. öffentlich-rechtlichen Eingriffsgrundlagen Kern, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XIII § 75 Rn. 6 ff. und Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 86 ff. 188 Vgl. auch §§ 11, 18 Abs. 4-6 PsychKG NRW. 189 Vgl. beispielsweise § 17 MRVG NRW und § 101 StVollzG. 190 So auch BeckOK-StrafvollzugBund/Wachs, § 101 Rn. 3 m.w.N.; vgl. a. Kap. 9 D I 2. 191 Zuck, ZRP 2017, 118, 119.

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IfSG Duldungspflichten für Personen normiert, die an übertragbaren Krankheiten leiden, krankheitsverdächtig sind oder Krankheitserreger ausscheiden.192 2. Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag Der Rechtfertigungsgrund der berechtigten GoA wird von Teilen der Literatur v.a. in Fällen der unvorhersehbaren Operationserweiterung in Betracht gezogen.193 Die Frage, ob hierin ein gesetzliches Schuldverhältnis zu sehen ist, das nicht nur bereicherungsrechtlich einen Rechtsgrund für Leistungen oder Eingriffe darstellt, sondern zugleich auch einen deliktischen Rechtfertigungsgrund für Eingriffe in den Rechtskreis des Geschäftsherren bildet,194 kann jedoch dahinstehen, da der berechtigten GoA wegen des Gleichlaufs mit der mutmaßlichen Einwilligung jedenfalls für die medizinische Behandlung kein eigenständiger Anwendungsbereich zukommt.195 3. Rechtfertigender Notstand in Notfallsituationen, § 34 StGB Ungleich relevanter ist die Frage, inwieweit ärztliches Handeln in Notfallsituationen über die Grundsätze des rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB legitimierbar ist.196 Die Einzelheiten sind stark umstritten. Das betrifft vor allem die Reichweite der Sperrwirkung willensabhängiger Rechtfertigungsgründe, insbesondere der Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung.197 Richtigerweise kann § 34 StGB nicht, wie mitunter vertreten wird, zur Legitimation medizinischer Eingriffe herangezogen werden, wenn der Betroffene einen entgegenstehenden Willen geäußert hat und sich dieser ermitteln lässt.198 In diesem Fall kollidieren widerstreitende Interessen ein und derselben Person, so dass der rechtfertigende Notstand zur Legitimation eines Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht von vornherein ausscheidet. 192

Vgl. § 1 Abs. 1 IfSG. Nach § 28 Abs. 2 S. 3 IfSG besteht aber keine Pflicht zur Duldung einer Heilbehandlung; vgl. a. § 29 Abs. 2 IfSG. Näher hierzu Zuck, ZRP 2017, 118, 119. 193 Berechtigt ist die GoA, wenn sie dem Willen des Geschäftsherrn bzw. subsidiär seinem objektiven Interesse entspricht, § 683 S. 1 BGB, BeckOK-BGB/Gehrlein, § 677 Rn. 3 m.w.N. 194 So etwa Zittelmann, AcP 99 (1906), 1, 104 ff.; Kothe, AcP 185 (1985), 105, 122 f.; zust. OLG Hamburg, VersR 1984, 758, 759; BeckOK-BGB/Gehrlein, § 677 Rn. 4. Näher zum Ganzen Brennecke, Ärztliche GoA, 2010, S. 230. 195 Ausführlich zu den Gründen der geringen rechtspraktischen Relevanz des Streits MüKoBGB/Seiler, 5. Aufl. 2009, Vor § 677 Rn. 17; vgl. a. Brennecke, Ärztliche GoA, 2010, S. 237 f. Außerhalb der Behandlungseinwilligung decken sich die Voraussetzungen nicht; vorsichtiger deshalb Deutsch/Spickhoff, Rn. 200, die die §§ 677 ff. BGB lediglich als „Richtschnur“ für die mutmaßliche Einwilligung sehen. 196 Vgl. MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 53 ff. Vereinzelt wird auch eine Rechtfertigung über § 32 StGB für möglich gehalten, vgl. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 420. 197 Für eine umfassende Sperrwirkung MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 30 m.w.N. 198 So die ganz h.M. im Strafrecht, vgl. nur NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 14 und Rn. 19; S/S/Perron, § 34 Rn. 8a, jeweils m.w.N. A.A. Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 403, der § 34 StGB etwa beim Abbruch medizinischer Maßnahmen oder der Durchführung eines Eingriffs, der mit dem mutmaßlichen oder tatsächlichen Willen des Betroffenen in Widerspruch steht, erwägt. Weitergehend als die h.M. hält MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 30 m.w.N. § 34 StGB in lebensbedrohlichen Situationen generell für unanwendbar.

B. Einwilligungsebene

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Denn § 34 StGB beruht auf dem Gedanken zwischenmenschlicher Solidarität und kann deshalb einen rein intrapersonalen Rechtsgutskonflikt nicht sinnvoll auflösen.199 Mit der Idee der generellen Zulassung des volljährigen Patienten zum Rechtsverkehr wäre es zudem unvereinbar, wenn die Rechtsordnung dem Einzelnen über § 34 StGB vorschreiben könnte, wie er seine unterschiedlichen Interessen zu gewichten hat.200 Eine Eingriffsbefugnis kann in derartigen Fällen grundsätzlich nur mit dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen begründet werden.201 Das gilt auch und vor allem dann, wenn der Betroffene aus objektiver Sicht unvernünftig entscheidet, etwa wenn er eine lebensrettende Operation aus persönlichen Gründen ablehnt oder aus religiösen Gründen einer vital indizierten und kaum risikobehafteten Bluttransfusion widerspricht.202 Eine solche Entscheidung darf, soweit sie von Selbstbestimmung getragen ist, gerade nicht über die Regeln des rechtfertigenden Notstands umgangen werden.203 Den Vorrang des mutmaßlichen Willen im Außenverhältnis stellt nicht zuletzt § 1901a Abs. 3 BGB unmissverständlich klar;204 und zwar unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung.205 Raum für eine Eingriffsrechtfertigung über § 34 StGB besteht richtigerweise nur, wenn weitere Rechtsgüter außerhalb der Rechtssphäre des Betroffenen berührt sind206 oder ein zur stellvertretenden Einwilligung Berechtigter seine Einwilligung pflichtwidrig verweigert.207 Denn wie gezeigt sind die Befugnisse des Stellvertreters aufgrund der fremd199 So die überwiegende Meinung im Strafrecht, vgl. nur MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 30 ff., insbes. Rn. 37; NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 14 und S/S/Perron, § 34 Rn. 8a, jeweils m.w.N. Der Konflikt besteht hier zwischen der Selbstbestimmung und der Erhaltung des Lebens oder der körperlichen Integrität. 200 Vgl. Klie et al., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5, 11; NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 14. 201 Vgl. MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 30 ff., insbes. Rn. 35 m.w.N.; S/S/Perron, § 34 Rn. 8a; NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 14. 202 MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 35; NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 35a. Näher zu zivilrechtlichen Fragen der religiös motivierten Verweigerung einer Bluttransfusion Bender, MedR 1999, 260, 261 ff. Ausführlich zum Ganzen Kap. 4 A II 1. Auf die fehlende Dispositionsbefugnis bezüglich des eigenen Lebens, § 216 StGB oder der Gesundheit jenseits der durch § 228 StGB gesetzten Grenzen kommt es bei der Therapieverweigerung schon deshalb nicht an, weil kein Eingriff zu legitimieren ist, sondern der Betroffene seiner Erkrankung ihren Lauf lassen möchte, vgl. NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 35; MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 35. 203 MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 35. Abzulehnen ist insbes. ein eigenständiges, aus ärztlicher Ethik motiviertes Zwangsbehandlungsrecht, NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 35a. 204 St. Rspr., vgl. BGHSt 40, 257 = NJW 1995, 204 f.; BGH, NJW 2003, 1588, 1589 = MedR 2003, 512, 514; NJW 2010, 2963, 2966; NJW 2011, 161, 162 = FamRZ 2011, 108, 109; OLG Karlsruhe, NJW 2004, 1882, 1883; OLG München, NJW 2007, 3506, 3507; LG Waldshut-Tiengen, NJW 2006, 2270, 2271 f.; LG Essen, NJW 2008, 1170, 1172. 205 Vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 16 ff. Ausführlich zum Ganzen Lipp, in: Lipp/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. VI Rn. 112 f. m.w.N. 206 S/S/Perron, § 34 Rn. 8a m.w.N. Etwa im Rahmen der Sterbehilfe (Tötungstabu) oder auch bei fremdaggressivem Verhalten psychisch Kranker. Näher hierzu sogleich. 207 Denkbar ist dies etwa, wenn der Berechtigte seine Einwilligung zu einer dringend gebotenen Tetanusimpfung (vgl. AG Nordenham, MedR 2008, 225) oder einer akut notwendigen Bluttransfusion des Vertretenen verweigert. Weitere Beispiele bei Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 42; vgl. a. MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 36 m.w.N.; S/S/Perron, § 34 Rn. 8a m.w.N. und NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 15.

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

nützigen Natur der stellvertretenden Rechtsausübung begrenzt. Anders als bei der Rechtsausübung im eigenen Interesse, räumt das Recht dem Stellvertreter gerade kein „Recht zur Unvernunft“ ein,208 sondern erhebt das Wohl des Betroffenen zur Richtschnur des Vertreterhandelns.209 Verweigert der Stellvertreter die Einwilligung pflichtwidrig, d.h. unter Verletzung des Wohls des Betroffenen210 geht der Rechtsgutskonflikt über die Person des Vertretenen hinaus, so dass § 34 StGB zur Anwendung kommen kann. Für einen Rückgriff auf den rechtfertigenden Notstand besteht aber auch in diesen Fällen nur dann Raum, wenn sich eine Entscheidung des Familien- oder des Betreuungsgerichts211 nicht rechtzeitig herbeiführen lässt.212 Ein Rückgriff auf § 34 StGB zum Schutz der Rechtsgüter Dritter oder von Interessen der Allgemeinheit213 kommt beispielsweise bei der Sterbehilfe in Betracht. Die unterschiedlichen Formen des assistierten Sterbens betreffen nicht nur das Leben und das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen, sondern in jeweils unterschiedlichem Maße auch das Tötungstabu, das entsprechend in die Abwägung einzustellen ist.214 Bei fremdaggressivem Verhalten psychisch Kranker sperren die öffentlich-rechtlichen Eingriffsermächtigungen der PsychKG 215 hingegen den Rückgriff auf § 34 StGB aus Gründen der Spezialität.216 Ebenso ist ein Rückgriff auf § 34 StGB dogmatisch verwehrt, wenn der Patient in Notfallsituationen nicht in der Lage ist seinen Willen zu äußern, eine stellvertretende Entscheidung nicht rechtzeitig erlangt werden kann und sich auch kein mutmaßlicher Wille des Patienten

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Vgl. Kap. 8 A II 2 b) bb). Bei der gewillkürten Stellvertretung kommt es hingegen auf den Inhalt der Vollmacht an, vgl. Kap. 9 B III 2 a) bb). 210 Ausführlich hierzu Kap. 9 B III 2. 211 Vgl. §§ 1666, 1909 BGB bzw. §§ 1908i, 1846 BGB. 212 Ganz h.M., vgl. MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 36 und S/S/Perron, § 34 Rn. 8a, jeweils m.w.N. 213 S/S/Perron, § 34 Rn. 8a m.w.N. 214 Näher hierzu MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 33 f. m.w.N. Richtigerweise basiert die Rechtfertigung, soweit man diese für möglich hält, in den Fällen der indirekten Sterbehilfe auf einem Zusammenspiel zwischen der (mutmaßlichen) Einwilligung des Betroffenen, und dem rechtfertigenden Notstand. Letzterer bezieht sich auf den gesellschaftsbezogenen Teil der Problematik, vgl. MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 34 m.w.N.; ähnlich auch Göbel, Einwilligung im Strafrecht, 1992, S. 44 f. A.A. NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 37 m.w.N. Ausführlich zu den unterschiedlichen Formen der Sterbehilfe Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. VI Rn. 98 ff. und NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 34 ff. 215 So etwa § 18 Abs. 4 PsychKG NRW bei Gefahren für die körperliche Integrität des Dritter im Rahmen der Unterbringung, insbes. für Mitpatienten, Ärzte und das Pflegepersonal. 216 Zum Vorrang öffentlich-rechtlicher Eingriffsermächtigungen allgemein siehe S/S/Perron, § 34 Rn. 7 m.w.N.; näher zur begrenzten Zulässigkeit hoheitlichen Eingriffshandelns auf Grundlage von § 34 StGB, MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 46 m.w.N.; S/S/Perron, § 34 Rn. 7 ff. Schon wegen der hiermit verbundenen Relativierung rechtsstaatlicher Garantien sollte § 34 StGB nicht als Auffangregelung für „Lücken im System der öffentlich-rechtlichen Eingriffsermächtigungen“ genutzt werden, MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 48; Henking, in: dies./Vollmann (Hrsg.), Gewalt und Psyche, 2014, S. 115. Zu weitgehend daher Götz, Grenzen der Patientenautonomie, 2013, S. 88, der einen Rückgriff auf § 34 StGB generell für möglich hält, wenn keine spezielle öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlage vorliegt und der Rechtsgutskonflikt nicht rein intrapersonal ist. 209

B. Einwilligungsebene

283

ermitteln lässt.217 Maßgeblich ist in diesen Fällen allein das im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung zu bestimmende objektive Interesse des Betroffenen.218 4. Ärztliche Fürsorge als Rechtfertigungsgrund bei der Behandlung minderjähriger Patienten In der Vergangenheit wurde verschiedentlich erwogen, medizinisch indizierte Eingriffe, denen der allein beim Arzt erschienene minderjährige Patient zustimmt, über das Fürsorgeprinzip zu rechtfertigen.219 Diese Ansicht ist eng verbunden mit der Forderung, die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger bei absolut indizierten, zeitlich dringlichen medizinischen Maßnahmen herabzusetzen.220 Das elterliche Sorgerecht wird in diesen Fällen für nachrangig gehalten, weil der Betroffene nicht über das Rechtsgut Gesundheit disponiert, sondern lediglich einen erforderlichen Eingriff zur Besserung oder Aufrechterhaltung seines Gesundheitszustandes autorisiert. Das Sorgerecht solle deshalb hinter dem Schutz der Gesundheit des Minderjährigen zumindest bei dringend notwendigen ärztlichen Behandlungen zurücktreten.221 Dieses Ergebnis entspricht den oben dargestellten Grundsätzen der mutmaßlichen Einwilligung.222 Eine ausdrückliche Regelung, wie in den Niederlanden,223 nach der Minderjährige ab Vollendung des 12. Lebensjahres einer dringend indizierten Behandlung, die zur Abwendung eines ernsthaften Schadens erforderlich ist, allein zustimmen können, hätte in Deutschland deshalb nur klarstellende Funktion.224 217

Vgl. MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 30 ff., insbes. Rn. 37 m.w.N.; Engländer, GA 2010, 15, 24 f.; diff. NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 15 und Roxin, AT I, 2006, § 13 Rn. 92, die § 34 StGB zumindest dann für anwendbar halten, wenn die stellvertretende Einwilligung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Eine Lösung über die mutmaßliche Einwilligung halten beide jedoch nicht zuletzt deshalb für vorzugswürdig, weil die mutmaßliche Einwilligung anders als § 34 StGB den Vorrang des mutmaßlichen Willens des Betroffenen sicherstellt, vgl. NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 20; so auch S/S/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 54a. 218 MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 37 m.w.N.; NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 20 und Rn. 36; ähnlich auch S/S/Perron, § 34 Rn. 8a, der jedoch in krassen Ausnahmefällen, bei denen eine Rechtfertigung über die mutmaßliche Einwilligung unter dem Gesichtspunkt des objektiven Interesses allein nicht ausreichend erscheint, zusätzlich § 34 StGB heranzieht. Merkel hält in Situationen, in denen mit einer Widererlangung der Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen nicht zu rechnen ist, eine rechtfertigende mutmaßliche Einwilligung für ausgeschlossen, so dass eine Rechtfertigung allein über den rechtfertigenden Notstand (34 StGB) in Betracht komme, vgl. Merkel, Früheuthanasie, 2001, S. 157 ff., S. 321 ff. und S. 340 ff. und ZStW 107 (1995), 545, 565 ff., insbes. 568 f. Näher zur Abgrenzung zwischen mutmaßlicher Einwilligung und rechtfertigendem Notstand, Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 115 ff. 219 In diese Richtung wies auch § 1628 BGB-E des Alternativ-Entwurfs des Deutschen Juristinnenbundes zur Neuregelung der elterlichen Sorge, vgl. Kap. 3 A I 2 a). Näher zu dieser Frage Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 101 ff. 220 Näher hierzu Kap. 4 B II 4. 221 Vgl. Coester-Waltjen u.a., Neues elterliches Sorgerecht, 1977, S. 38. 222 Ausführlich hierzu Kap. 9 B IV. 223 Vgl. Art. 450.2 S. 2 Wgbo (Wet op de geneeskundige behandelngsvereenkomst/Gesetz über den ärztlichen Behandlungsvertrag), zit. nach Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 102 f. 224 Ausführlich hierzu bereits Kap. 4 C II 1.

284

9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

C. Partizipationsrechte konkret einwilligungsunfähiger Patienten C. Partizipationsrechte konkret einwilligungsunfähiger Patienten

Wie gezeigt können konkret einwilligungsunfähige Patienten nicht eigenverantwortlich über ihre Behandlung entscheiden. Dennoch stehen ihnen zumindest, wenn sie äußerungsfähig sind in gewissem Umfang Partizipationsrechte in Form von Aufklärungs-, Anhörungs- und Mitsprachebefugnissen zu.225

I. Gestufte Willensäußerungen Ob dem Patienten lediglich Informationsrechte oder darüber hinaus auch Mitwirkungs- oder gar Entscheidungsbefugnisse zukommen, richtet sich danach, zu welcher Art von Willensäußerungen er in der Lage ist. Während Willensäußerungen des konkret einwilligungsfähigen Patienten für den Arzt grundsätzlich verbindlich sind226 und in Form des mutmaßlichen Willens auch bei später eintretender Einwilligungsunfähigkeit fortwirken,227 kommt dem natürlichen Willen des konkret einwilligungsunfähigen Patienten nur ein begrenzter Vorrang zu.228 Im Betreuungsrecht setzen die Wünsche des Betreuten deshalb die Wunschfähigkeit voraus. In ähnlicher Weise wird im Minderjährigenrecht die Vetofähigkeit diskutiert. Im Betreuungsrecht bildet schließlich der freie Wille des Betreuten eine weitere rechtlich relevante Willensart. 1. Grundsatz: Mutmaßlicher und natürlicher Wille a) Mutmaßlicher Wille Der mutmaßliche Wille ist Richtschnur für das Handeln des Betreuers und des Vorsorgebevollmächtigten.229 Das gilt für alle stellvertretenden Behandlungsentscheidungen im Betreuungsrecht, einschließlich der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme, vgl. § 1906a Abs. 1 Nr. 3 BGB. Im Kindschaftsrecht erlangt der mutmaßliche Wille des Minderjährigen demgegenüber nur indirekt im Rahmen von § 1626 Abs. 2 BGB Bedeutung für die elterliche Sorgerechtsausübung.230 Altersunabhängig kann er unter den zusätzlichen Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung ärztliches Eingriffshandeln legitimieren.231 Das Gesetz gewährleistet damit vor allem für volljährige Patienten eine weitreichende Fortwirkung der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung. Bei der Bestimmung des mutmaßlichen Willens haben der Arzt und der Betreuer oder Gesundheitsbevollmächtigte prognostisch zu 225

Damm, MedR 2015, 775, 777, näher zur Unterscheidung von Entscheidungs- und Partizipationsrechten Damm, MedR 2013, 201, 207 f. und ders., MedR 2015, 231, 233. 226 Näher zur Situation bei minderjährigen Patienten Kap. 8 A II 2 a). 227 Vgl. etwa §§ 1901a, 1901b, 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB aber auch § 630 Abs. 1 S. 4 BGB. Näher hierzu Kap. 9 B IV. 228 MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 45. 229 Vgl. §§ 1901a Abs. 2 und 6, 1901b BGB. Näher hierzu Kap. 9 B III 2 b) aa). 230 Ausführlich hierzu Kap. 9 B II. 231 Vgl. hierzu Kap. 9 B III.

C. Partizipationsrechte konkret einwilligungsunfähiger Patienten

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beurteilen, ob der Betroffene dem geplanten Eingriff in Kenntnis aller entscheidungserheblichen Umstände zustimmen würde, wenn er konkret einwilligungsfähig wäre.232 b) Natürlicher Wille Ist der Patient konkret einwilligungsunfähig, kann er allenfalls einen natürlichen Willen bilden und äußern.233 Voraussetzung ist, dass der Betroffene noch zur Willensbildung in der Lage ist, d.h. entsprechende Äußerungen bewusst tätigen kann.234 Das ist nicht der Fall, wenn es sich um bloß reflexartiges, nicht willensgetragenes Verhalten handelt, wie beispielsweise Körperbewegungen im Zustand der Bewusstlosigkeit.235 Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Betroffene die Bedeutung und Tragweite der Maßnahme versteht.236 Auch non-verbale Äußerungen können Ausdruck des natürlichen Willens sein.237 Wie alle Willensäußerungen kann der natürliche Wille positiv auf die Vornahme eines bestimmten Eingriffs gerichtet sein 238 oder einer medizinischen Maßnahme entgegenstehen.239 Mutmaßlicher und natürlicher Wille können sich im Einzelfall widersprechen, wobei das Verhältnis der beiden zueinander umstritten ist.240 Richtigerweise kann es keinen unbedingten Vorrang des mutmaßlichen vor dem natürlichen Willen geben. Vielmehr ist die Frage einzelfallbezogen, insbesondere auch unter Einbeziehung der Indiziertheit der geplanten Maßnahme zu beurteilen.241

232

Vgl. Kap. 9 B IV; vgl. a. Reg-E Ärztl. Zwang, BT-Drs. 18/11240, S. 19 f. Näher zu den hiermit verbundenen Herausforderungen HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 182 ff. 233 MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 45 und Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986. Krit. zum Begriff des natürlichen Willens Beckmann, JZ 2013, 604, 606 ff.; zust. Schmidt-Recla, in: Moos/Rehmann-Sutter/Schües (Hrsg.), Randzonen des Willens, 2016, S. 147, 159 ff. 234 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986 und Lipp, FamRZ 2013, 913, 920. 235 MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 45; Lipp, FamRZ 2013, 913, 920; Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986. Maßnahmen, die hiergegen gerichtet sind, sind solche ohne den Willen des Betroffenen, vgl. hierzu Kap. 9 B III 2 d). 236 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986. Diese Anforderungen gelten für minderjährige und volljährige Patienten gleichermaßen und sind damit altersunabhängig, vgl. Hoffmann, ebenda; Kreße, MedR 2015, 91, 92; Nebendahl, MedR 2009, 297, 300 ff. 237 Staudinger/Bienwald, 2017, § 1905 Rn. 78; näher zum Ganzen HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 117 ff. m.w.N. 238 Im Betreuungsrecht kann der natürliche Wille auch auf die Bestellung einer bestimmten Person zum Betreuer gerichtet sein, vgl. § 1897 Abs. 4 BGB. S. hierzu a. BGH, NJW-RR 2011, 723, 724; NJW-RR 2011, 1507, 1509; NJW 2011, 925; 2011, 2135, 2137. 239 Ausführlich hierzu Kap. 9 D. 240 Vgl. Kap. 4 C IV 2. 241 So auch angedeutet bei Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 43 f. A.A. HK-BUR/ Bauer, § 1901 Rn. 40, der einen weitgehenden Vorrang des aktuellen Willen des Betreuten annimmt; vgl. hierzu auch Kap. 4 C IV.

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

2. Qualifizierter natürlicher Wille a) Wunschfähigkeit des Betreuten Das Betreuungsrecht verwendet prominent den Begriff der Wünsche und trifft Regelungen zur Frage, unter welchen Voraussetzungen diese für den Betreuer und das Betreuungsgericht verbindlich sind.242 Wegen des hohen Stellenwerts der von der Gesundheitsfürsorge betroffenen Rechtsgüter Körper, Leben, Gesundheit und Selbstbestimmung sind Wünsche des Betreuten insbesondere in diesem Rahmen relevant.243 Grundsätzlich sind nur solche Wünsche beachtlich, die dem Wohl des Betreuten nicht widersprechen244 und die von einer hinreichenden „Wunschfähigkeit“ des Betroffenen getragen sind. Die Fähigkeit Wünsche äußern zu können setzt voraus, dass der Betroffene zur Bildung eines natürlichen Willens in der Lage ist. 245 Die Rechtsprechung fordert zusätzlich, dass die Wünsche in gewissem Rahmen Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten sind.246 Das wiederum setzt voraus, dass die Betreutenwünsche auf einer ausreichenden Tatsachenkenntnis beruhen.247 Den Betreuer treffen entsprechende Informations- und Aufklärungspflichten zur Sicherstellung selbstbestimmter Betreutenwünsche.248 Am erforderlichen Selbstbestimmungsbezug fehlt es etwa dann, wenn die Wünsche lediglich Ausdruck der Erkrankung des Betreuten sind oder es sich um bloße Zweckmäßigkeitserwägungen handelt.249 Gemäß § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB gilt der Willensvorrang auch für solche Wünsche, die der Betreute vor Einrichtung der Betreuung geäußert hat, etwa bezogen auf die Person des Betreuers oder auf die Art und Weise der Betreuung. Da Wünsche immer auf dem von Selbstbestimmung getragenen, natürlichen Willen beruhen, gehen im Konfliktfall aktuelle Wünsche des Betreuten vor.250 b) Vetofähigkeit Minderjähriger Im Minderjährigenrecht gibt es kein den Wünschen des Betreuungsrechts vergleichbares Konstrukt. Aber auch hier wird ein qualifizierter natürlicher Wille gefordert; allerdings nur für die Ablehnung einer medizinisch indizierten Behandlung (sog. Vetofähigkeit).251 Die Vetofähigkeit ist von der Frage, inwieweit die Behandlungs242

Vgl. nur §§ 1901 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, 1901a Abs. 2 S. 1 und 1901b Abs. 2 Alt. 2 BGB. Näher hierzu BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 7 m.w.N. 244 Ein bloßer Widerspruch zu den objektiven Interessen des Betreuten reicht insoweit nicht aus. Vielmehr müssen höherrangige Rechtsgüter des Betreuten gefährdet sein, vgl. BGHZ 182, 116, 125 f. = NJW 2009, 2814, 2817. Näher hierzu Kap. 9 B III 2 b) aa). 245 Ganz h.M., vgl. nur BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 6; BT-Drs. 11/4528, S. 133. 246 BGHZ 182, 116, 127 = NJW 2009, 2814, 2817; näher hierzu BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 6. 247 BGHZ 182, 116, 127 ff. = NJW 2009, 2814, 2817; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 6. 248 Vgl. a. § 1901 Abs. 3 S. 3 BGB. Näher hierzu Kierig, FPR 2009, 470, 477. 249 BGHZ 182, 116, 127 = NJW 2009, 2814, 2817. Krit. zur Kategorie der Zweckmäßigkeitserwägungen Kierig, FPR 2009, 470, 476; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 6. 250 BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901 Rn. 7. 251 So etwa Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 421; Staudinger/Salgo, 2015, § 1631d Rn. 35; BeckOK-BGB/Veit, § 1626 Rn. 52.1 und BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 121. 243

C. Partizipationsrechte konkret einwilligungsunfähiger Patienten

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ablehnung oder der Behandlungsabbruch verbindlich ist, zu trennen. Nach der Vetofähigkeit bestimmt sich, ob bei minderjährigen Patienten, die eine Behandlung ablehnen, eine Zwangsmaßnahme vorliegt, mit der Folge, dass qualifizierte Schutzanforderungen für die elterliche Einwilligung in Gang gesetzt werden.252 Richtigerweise reicht hierfür, anders als bei volljährigen Patienten, die Fähigkeit, einen natürlichen Abwehrwillen zu bilden allein nicht aus, da sonst schon jede Unwilligkeit auch des Kleinstkindes die hohen Schutzanforderungen ärztlicher Zwangsmaßnahmen in Gang setzen würde.253 Ähnlich wie im Betreuungsrecht für die Wunschfähigkeit, wird deshalb im Minderjährigenrecht zurecht gefordert, dass der ablehnende Wille des Kindes von einem Minimum an Selbstbestimmung getragen sein muss.254 Das setzt voraus, dass das betroffene Kind nach gebotener Information über die wesentlichen Umstände der geplanten Maßnahme255 in der Lage ist, zumindest die unmittelbaren Folgen des Eingriffs zu erkennen und einen entsprechend informierten Willen zu bilden.256 In der Praxis werden familiengerichtliche Unterbringungsentscheidungen in nicht geringer Zahl auch für Kinder unter 12 Jahren getroffen,257 was die Frage nach altersbezogenen Orientierungswerten aufwirft. Im Kontext der Zirkumzision erwägt die Rechtsprechung Vetobefugnisse bereits bei Kindern ab 10 Jahren.258 Insgesamt wird man die Anforderungen nicht zu hoch ansetzen dürfen.259 Neben dem Alter ist die Indiziertheit der Maßnahme, ihre Schwere und ihr Persönlichkeitsbezug in die gebotene Einzelfallabwägung einzustellen.

252

Ausführlich hierzu Kap. 9 D III. So auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 421. 254 Vgl. etwa Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 421; Staudinger/Salgo, § 1631d Rn. 35; zu restriktiv demgegenüber BeckOK-BGB/Veit, § 1626 Rn. 52.1 und BeckOGK/Amend-Traut, § 1626 Rn. 121, die Vetobefugnisse nur bei Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen annehmen. Näher hierzu Kap. 4 C IV 1. 255 Vgl. § 630e Abs. 5 BGB und § 1626 Abs. 2 BGB. Näher hierzu Kap. 9 C II. 256 Vgl. a. § 3 Abs. 3 Nr. 1 KastrG, dessen Grundgedanke auch auf minderjährige Patienten übertragbar erscheint. Weitergehend Golbs, Vetorecht, 2006, S. 198 f., die neben einer „gewisse(n) Vorstellung hinsichtlich der Folgen“ der Entscheidung auch eine „gewisse Ernsthaftigkeit und Kontinuität der Entscheidung sowie eine gewisse Nachvollziehbarkeit aus der subjektiven Sicht des Einwilligungsunfähigen“ fordert. So auch Spickhoff/Spickhoff, § 630d Rn. 7; ders., FamRZ 2018, 412, 421; zust. J. Prütting/Merrem, in: Prütting, MedR-K, BGB § 630d Rn. 34. Zur Kritik hieran siehe Kap. 4 A II 2 a). 257 Antw. d. BReg auf die kleine Anfrage der BT-Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Zwangsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen, BT-Drs. 18/11741, S. 5, wonach 2015 insgesamt 385 Kinder unter 12 Jahren im Verfahren nach § 1631b BGB in Heimen untergebracht wurden (§ 34 SGB VIII). Eine entsprechende Aufschlüsselung für die psychiatrische Unterbringung existiert nicht. Auch Anzahl und Alter der Minderjährigen, bei denen eine ärztliche Zwangsmaßnahme durchgeführt wurde, sind nicht bekannt, vgl. ebenda, S.10 ff. 258 OLG Hamm, NJW 2013, 3662, 3663. 259 Zu weitgehend daher Golbs, Vetorecht, 2006, S. 198 f., die nicht nur für minderjährige, sondern auch für volljährige Patienten fordert, dass die Behandlungsablehnung aus Sicht des Einwilligungsunfähigen nachvollziehbar und aus der konkreten Situation heraus vertretbar ist und sich insbesondere mit der bisherigen Lebensauffassung und -gestaltung sowie den Wertvorstellen des Betroffenen deckt. 253

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

3. Freier Wille des Betreuten, § 1896 Abs. 1 a BGB Schließlich ermöglicht das Betreuungsrecht dem Betroffenen auch die Mitwirkung an der Entscheidung über die Einrichtung einer Betreuung, indem es die Zwangsbetreuung gegen den freien Willen des Betroffenen untersagt, § 1896 Abs. 1a BGB.260 Nach überwiegender Ansicht entspricht der freie Wille nach § 1896 Abs. 1a BGB der freien Willensbestimmung in § 104 Nr. 2 BGB.261 Zwar können Einwilligungs- und Geschäftsfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB auseinander fallen.262 Im Regelfall wird der Betroffene, der bezogen auf eine konkret erforderliche medizinische Maßnahme einwilligungsunfähig ist, aber auch keinen freien Willen zur Entscheidung über die Notwendigkeit einer hierfür erforderlichen Betreuung bilden können.

II. Informationsrechte konkret einwilligungsunfähiger Patienten Weitgehend unabhängig vom Maß der schon oder noch vorhandenen Willensbildungsfähigkeit stehen auch dem konkret einwilligungsunfähigen Patienten Informationsrechte zu. Informationspflichtig sind der Vertreter und der Arzt des Patienten. Voraussetzung ist, dass der Betroffene einem einfachen Gespräch folgen kann. 1. Ärztliche Informationspflicht, § 630e Abs. 5 BGB Aufzuklären ist gemäß § 630e Abs. 4 BGB der zur Erteilung der Einwilligung Berechtigte, also der Personensorgeberechtigte, Vormund, Pfleger, Betreuer oder Gesundheitsbevollmächtigte. Daneben hat der Arzt auch dem konkret einwilligungsunfähigen Patienten selbst die wesentlichen Umstände der Behandlung angepasst an dessen Verständnismöglichkeiten zu erläutern.263 Gleiches gilt im Rahmen arzneimittel-rechtlicher Studien auch für Probanden.264 Damit hat der Gesetzgeber die von Teilen der Literatur265 und vom Bundesverfassungsgericht für volljährige einwilligungsunfähige Patienten ausdrücklich geforderte266 informatorische Einbeziehung konkret einwilligungsunfähiger Patienten gesetzlich im Behandlungsvertragsrecht verankert.267 Die Regelung gilt altersunabhängig sowohl für minderjährige als auch für volljährige Patienten, denen die Einwilligungsfähigkeit situationsbezogen

260

Ausführlich hierzu Dodegge, FPR 2008, 591. Vgl. Kap. 3 A I 1 b). 262 Vgl. Kap. 2 D II 3. 263 § 630e Abs. 5 BGB; vgl. hierzu BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 63; NKBGB/Voigt, § 630e Rn. 13; Spickhoff/Spickhoff, § 630e Rn. 14 und Kreße, MedR 2015, 91, 93 ff. 264 Vgl. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 2 AMG. 265 So vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes bereits Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 59 f.; Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 229 f.; Damm, MedR 2010, 451, 460. 266 BVerfG, NJW 2011, 2113, 2116 m.w.N. 267 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e Rn. 63; ders., in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2013, 2014, S. 38 f.; ausführlich hierzu Damm, MedR 2015, 775, 777 f. m.w.N. 261

C. Partizipationsrechte konkret einwilligungsunfähiger Patienten

289

fehlt.268 Ein Verstoß des Arztes gegen § 630e Abs. 5 BGB ist nach geltendem Recht nur unzureichend sanktioniert.269 Der Arzt setzt sich, wenn er den äußerungsfähigen aber für einwilligungsunfähig befundenen Patienten nicht ausreichend informiert, jedoch Haftungsrisiken wegen fehlerhafter Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit aus.270 Die informatorische Einbeziehung ist zudem wie gezeigt auch verfassungsrechtlich geboten. 2. Einbeziehung in die Entscheidungsfindung Neben dem Arzt treffen auch den Betreuer und den Personensorgeberechtigten Informations- und Einbeziehungspflichten.271 Die Einzelheiten sind umstritten. Richtigerweise steht die Einbeziehung bei Minderjährigen in gewissem Rahmen im Ermessen der Sorgeberechtigten, das sich je nach Entwicklungsstand und Alter des Minderjährigen sowie Indiziertheit und Persönlichkeitsbezug der Maßnahme auf Null reduzieren kann.272 Darüber hinaus ist der Betroffene auch in die gerichtliche Entscheidungsfindung einzubeziehen.273

III. Spezialgesetzlich verankerte Partizipationsrechte Bisher weitgehend ungeklärt ist, inwieweit dem situativ einwilligungsunfähigen Patienten über die Informationsrechte hinaus positive Mitwirkungsrechte zustehen. Die Mitwirkungsrechte konkret einwilligungsunfähiger Personen sind in den spezialgesetzlichen Regelungen zur Einwilligungsfähigkeit sehr divers ausgestaltet. Die Regelungen betreffen überwiegend medizinisch nicht indizierte (fehlender Nutzen) oder besonders tiefgreifende Eingriffe (hohes Risiko/hohe Belastung). Während im Arzneimittelrecht die Teilnahme an gruppennützigen Studien auch bei minderjährigen Probanden ihrem mutmaßlichen Willen entsprechen muss,274 finden sich ansonsten überwiegend reine Vetobefugnisse des Betroffenen.275 Eine Ausnahme enthält § 3 Abs. 3 Nr. 1 KastrG. Hiernach ist der Arzt verpflichtet, die informierte Zustimmung des konkret einwilligungsunfähigen Betroffenen einzuholen soweit er nach einer seinem Zustand entsprechenden Aufklärung „wenigstens verstanden hat, 268

Damm, MedR 2015, 775, 778. Näher zur Bedeutung der Regelung für minderjährige Patienten, Gleixner-Eberle, Behandlung Minderjähriger, 2014, S. 455. 269 Vgl. Kap. 10 B II. 270 Näher hierzu Kap. 10 B II. 271 Für den Betreuer: § 1901 Abs. 3 S. 3 BGB; vgl. hierzu Kap. 9 B III 2 a) cc) und b). Für die Sorgeberechtigten gilt § 1626 Abs. 2 S. 2 BGB (s. Kap. 9 B III 2 c). Ausführlich OLG Hamm, NJW 2013, 3662, 3663 zur Zirkumzision; bestätigt von OLG Hamm, Urt. vom 21.11.2017 – 5 RVs 125/17. Im Schrifttum wird vereinzelt ein generelles Mitspracherecht des einwilligungsunfähigen Patienten angenommen, vgl. Damm, MedR 2015, 775, 779. 272 Ausführlich zum Ganzen Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 231 ff. 273 Vgl. für das Kindschaftsrecht (§ 159 FamFG) OLG Hamm, NJW 2013, 3662, 3663; für Betreuungs- und Unterbringungssachen §§ 278, 297 Abs. 1 S. 1, 298 Abs. 1 S. 1, 319 FamFG. 274 § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG (Minderjährige). Für volljährige Probanden gilt diese Regelung (§ 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG) entsprechend, vgl. § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 AMG. 275 Vgl. § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 i.V.m. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG; § 8a S. 1 Nr. 4 S. 4 TPG.

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

welche unmittelbaren Folgen eine Kastration hat.“ Ist der Betroffene hierzu außer Stande, kann die Einwilligung in eine Kastration nur dann stellvertretende erteilt werden, wenn der Eingriff indiziert ist, um eine lebensbedrohende Krankheit des Betroffenen zu verhüten, zu heilen oder zu lindern.276 Für die Sterilisation wird demgegenüber negativ gefordert, dass sie dem natürlichen Willen des Betreuten nicht widersprechen darf, § 1905 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB. Die spezialgesetzlichen Partizipationsrechte konkret einwilligungsunfähiger Personen sind damit insgesamt wenig einheitlich formuliert; eine Systematik lässt sich kaum ausmachen. Während zum Teil der mutmaßliche Wille maßgeblich sein soll, wird überwiegend auf den natürlichen Willen abgestellt, ohne diesen zu konkretisieren. In der Regel werden Ablehnungsrechte gewähr. Nur in einem Fall (§ 3 KastrG) wird ein Zustimmungserfordernis normiert. Das wirft die Frage auf, ob positive Zustimmungserfordernisse auch über § 3 KastrG hinaus geboten sind.

IV. Informierte Zustimmung des einwilligungsunfähigen Patienten, sog. Informed Assent Anders als das US-amerikanische Recht kennt das deutsche Recht, von wenigen Spezialfällen abgesehen,277 keine allgemeine Pflicht, zusätzlich zur Einwilligung des Vertreters auch die (informierte) Zustimmung des aktuell einwilligungsunfähigen Patienten einzuholen (sog. Informed Assent).278 Im US-amerikanischen Recht ist ein informed assent der konkret einwilligungsunfähigen Person insbesondere für medizinisch nicht indizierte Maßnahmen wie die Teilnahme an gruppen- oder fremdnützigen klinischen Studien erforderlich. Hiernach muss der konkret einwilligungsunfähige Proband der Studienteilnahme ausdrücklich zustimmen; ein neutrales Verhalten darf nicht als Zustimmung gewertet werden. 279 Das deutsche Recht spricht im Forschungskontext nur negativen Willensäußerungen des Betroffenen Bedeutung zu.280 Zusätzlich ist erforderlich, dass die Studienteilnahme dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht281 und der einwilligungsunfähige Proband seinen Verständnismöglichkeiten entsprechend über die wesentlichen Folgen der Studienteilnahme informiert wurde.282 Auch der ausdrücklich normierte Willensvorrang des Betreuten, § 1901 Abs. 3 BGB, verpflichtet den Betreuer nicht die positive Zustimmung des Betroffenen einzuholen. § 1901 Abs. 3 BGB normiert lediglich eine Wunschberücksichtigungspflicht und das Erfordernis den Betreuten in die Entscheidungsfindung einzube276

§ 3 Abs. 4 S. 1 KastrG. Vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 1 KastrG. Näher hierzu Kap. 9 C III. 278 Vgl. etwa §§ 46.402 ff. CFR (Title 45 des US-amerikanischen Code of Federal Regulations, Part 46, Subsection D): informed assent des minderjährigen Probanden. Näher zum Begriff und zur Abgrenzung, Heinrichs, in: Sturma/Heinrichs (Hrsg.), Hdb. d. Bioethik, 2015, S. 60. 279 Vgl. § 46.402 lit. b CFR: “Assent means a child's affirmative agreement to participate in research. Mere failure to object should not (…) be construed as assent.” 280 Vgl. § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 i.V.m. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG, vgl. hierzu Kap. 4 C II 2. 281 Vgl. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 2 AMG, § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 i.V.m. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG. 282 § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 2 AMG. 277

C. Partizipationsrechte konkret einwilligungsunfähiger Patienten

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ziehen. Damit können in Deutschland konkret einwilligungsunfähige Personen auch dann in fremdnützige Forschungsvorhaben eingeschlossen werden, wenn sie sich lediglich neutral verhalten und keine Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden mutmaßlichen Willen bestehen.283 In der Literatur wird ein positives Zustimmungserfordernis für die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen nach § 1631d BGB diskutiert.284 Die Rechtsprechung hält einwilligungsunfähige Kinder hingegen nach §§ 1626 Abs. 2 S. 2, 1631 Abs. 2 BGB lediglich für vetobefugt.285 Teile des Schrifttums gehen weitergehend von einem generellen Zustimmungserfordernis des einwilligungsunfähigen, minderjährigen Patienten auch im Behandlungskontext aus, ohne dies gesetzlich zu verorten.286 Ein positives Zustimmungserfordernis minderjähriger Patienten ist zumindest für nicht indizierte Eingriffe zu befürworten. Die im Betreuungsrecht normierte Pflicht, den mutmaßlichen Willens des Betreuten zu berücksichtigen, hat im Minderjährigenrecht wie gezeigt, kaum eine Entsprechung. Das Selbstbestimmungsrecht einwilligungsunfähiger Minderjähriger wird damit einfachrechtlich nicht ausreichend gewährleistet. Eine Ausdehnung der Willensberücksichtigungspflicht auf minderjährige Patienten würde das Problem nicht lösen. Denn vor allem bei jüngeren Minderjährigen wird häufig kein mutmaßlicher Wille feststellbar sein, da dieser voraussetzt, dass der Betroffene früher schon einmal konkret einwilligungsfähig war.

V. Gebot der rechtlichen Assistenz bei volljährigen Personen Neben positiven Zustimmungserfordernissen konkret einwilligungsunfähiger Patienten, wird in jüngerer Zeit verstärkt das Konzept der rechtlichen Assistenz diskutiert, das in Art. 12 der 2009 von Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) normiert ist.287 1. Konzept und Rechtsgrundlagen Nach Art. 12 Abs. 2 UN-BRK erkennen die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderungen auf gleiche Rechts- und Handlungsfähigkeit in allen 283

Vgl. § 40b AMG. So etwa Staudinger/Salgo, 2015, § 1631d Rn. 38 m.w.N. 285 OLG Hamm, NJW 2013, 3662, 3663. 286 Vgl. etwa Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 99. So auch angedeutet bei Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 421. Das steht im Kontrast zur von der h.M. angenommenen bloßen Vetobefugnis des Minderjährigen. 287 Convention on the Rights of Persons with Disabilities v. 13.12.2006, abrufbar unter: https://www.un.org/development/desa/disabilities/convention-on-the-rights-of-personswith-disabilities.html, , umgesetzt durch das Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen v. 21.12.2008, BGBl. II, 2008, S. 1420; vgl. hierzu etwa Damm, MedR 2015, 775, 783 ff.; ders., Bundesgesundheitsbl 59 (2016), 1075, 1081 f.; Lipp, MedR 2016, 843, 844 und Klie et al., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5 ff. 284

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

Lebensbereichen an.288 Um zu verhindern, dass diese Rechte wirkungslos bleiben, wenn der Betroffene außerstande ist, sie wegen einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung selbst auszuüben, verpflichtet Art. 12 Abs. 3 UN-BRK die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen zu treffen, die im Bedarfsfall eine Unterstützung bei der Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit sicherstellen (sog. Recht auf Assistenz in der Ausübung).289 Die Vertragsstaaten haben ein umfassendes Unterstützungssystem einzurichten, das neben der tatsächlichen Assistenz in Form von Beratung und Begleitung auch eine rechtliche Assistenz mit dem Ziel einer weitreichenden Ermöglichung von Selbstbestimmung umfasst.290 Das von den Vertragsstaaten anerkannte Recht auf gleiche Rechts- und Handlungsfähigkeit beinhaltet damit nicht nur ein Achtungs- und Schutzgebot, sondern auch ein Gewährleistungsgebot.291 Bei der Ausgestaltung und Wahl des Unterstützungssystems sind die Staaten im Wesentlichen frei, sofern sichergestellt ist, dass das System den Willen des Betroffenen tatsächlich rechtlich wirksam werden lässt.292 Art. 12 UN-BRK gewährleistet damit nicht nur das Fortbestehen der Handlungsfähigkeit bei psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen,293 sondern auch ihre Ermöglichung294 und geht insoweit über die grundrechtliche Gewährleistung der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung hinaus.295 2. Umsetzung im deutschen Recht durch das Betreuungsrecht Im Gesundheitsbereich wird die von Art. 12 UN-BRK geforderte bedarfsorientierte Assistenz vor allem durch die Instrumente der Betreuung und Gesundheitsbevoll-

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Das gilt insbes. auch für den Zugang zu Gesundheitsleistungen, vgl. Art. 12 UN-Sozialpakt und Art. 25 UN-BRK, näher hierzu Lipp, MedR 2016, 843, 844. Art. 7 Abs. 1 UN-BRK erstreckt das Gleichbehandlungsverbot auch auf Minderjährige mit Behinderungen. 289 Damm, MedR 2015, 775, 783; Lipp, MedR 2016, 843, 844. 290 Vgl. Art. 12 Abs. 3 UN-BRK. Näher hierzu Aichele/v. Bernstorff, BtPrax 2010, 199, 202. Die UN-BRK vollzieht damit einen Paradigmenwechsel von einem medizinisch geprägten zu einem menschenrechtlichen Modell von Behinderung, das nicht vordergründig defizitorientiert ist, sondern die Umstände einbezieht, auf die Menschen mit Behinderungen im Alltag treffen, Klie et al., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5, 9; Lipp, BtPrax 2010, 263, 264; ders., MedR 2016, 843, 844. Näher hierzu Damm, MedR 2015, 775, 782 f. Zum Assistenzgebot aus ethischer Sicht S. Deutscher Ethikrat, Demenz und Selbstbestimmung, 2012, S. 49 ff. Ähnliche Grundsätze fordert für minderjährige Patienten Alderson, in: Wiesemann/Dörries/Wolfslast/Simon (Hrsg.), Das Kind als Patient, 2003, S. 35 ff. 291 Lipp, MedR 2016, 843, 844 m.w.N. 292 Art. 12 Abs. 4 UN-BRK, vgl. hierzu a. Lipp, MedR 2016, 843, 844 und Damm, MedR 2015, 775, 783 m.w.N. 293 Anders noch das alte Entmündigungsrecht, das zum vollständigen Verlust der rechtlichen Handlungsfähigkeit des Betroffenen führte, vgl. § 6 BGB a.F. Näher hierzu Kap. 5 B 3 b). 294 Das Ermöglichungsgebot erweitert den Entscheidungsspielraum des Betroffenen jedoch nicht. Insbesondere bleibt es auch im Rahmen der rechtlichen Assistenz bei der Ausgestaltung der Patientenautonomie als Abwehrrecht, ohne dass dem Patienten hieraus ein Anspruch auf eine bestimmte Behandlung erwächst, vgl. Lipp, MedR 2016, 843, 845 m.w.N. Zur fehlenden Anspruchskomponente der Patientenautonomie S. Birnbacher, MedR 2012, 560, 563 f. und Lipp, MedR 2015, 762, 763. 295 Vgl. Kap. 2 C II 4. Näher hierzu Damm, MedR 2015, 775, 784.

C. Partizipationsrechte konkret einwilligungsunfähiger Patienten

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mächtigung verwirklicht.296 Ziel des Betreuungsrechts ist es, die noch vorhandenen Möglichkeiten des Betreuten zur Selbstbestimmung so weit wie möglich zu erhalten.297 Stellvertretende Entscheidungen des Betreuers und des Gesundheitsbevollmächtigten sind entsprechend auf das notwendige Mindestmaß begrenzt.298 Die Auslegung des Betreuungsrechts im Lichte der UN-BRK gebietet zudem, dass Betreuer und Gesundheitsbevollmächtigte zusätzlich durch Unterstützungsangebote auf die Herstellung der Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen hinwirken.299 Statt substituierenden Entscheidungen verlangt die UN-BRK gerade, wenn die Einwilligungsfähigkeit im konkreten Fall zweifelhaft ist, den Betroffenen zu befähigen, seine Rechte so weit wie möglich selbst auszuüben und zu einer eigenen, wenn auch durch den Betreuer oder Bevollmächtigten assistierten Entscheidung zu gelangen.300 Diese Unterstützung bei der Entscheidungsfindung hat der Betreuer insbesondere durch Beratung und Information des Betreuten zu gewährleisten. 301 Im Gesundheitsbereich tritt diese Beratungspflicht neben die Aufklärungspflicht des Arztes, der den konkret einwilligungsunfähigen aber noch äußerungsfähigen Patienten angepasst an dessen Verständnismöglichkeiten über den wesentlichen Inhalt der geplanten Behandlung zu informieren hat.302 Vor allem bei Konflikten zwischen Betreutem und Betreuer kann es erforderlich sein, das Betreuungsgericht einzubeziehen.303 Ist der Betreute im konkreten Fall einwilligungsunfähig wird über die §§ 1901 ff. BGB und die mutmaßliche Einwilligung sowohl eine weitreichende Fortwirkung der Selbstbestimmung des ehemals Einwilligungsfähigen als auch der grundsätzliche Willensvorrang des aktuell einwilligungsunfähigen Betreuten gewährleistet.304 Prozessual gilt der Betroffene ohne Rücksicht auf seinen Zustand auch bei konkreter Einwilligungsunfähigkeit im Beschwerdeverfahren in Unterbringungssachen als verfahrensfähig.305 Hierdurch wird der Betroffene auch verfahrensrechtlich befähigt, seinen Willen selbst zu vertreten, ohne auf Dritte ange-

296

Lipp, FamRZ 2012, 669, 673; ders., MedR 2016, 843, 844. Ausführlich hierzu Kap. 5 B I 3 b). 298 Vgl. §§ 1896 Abs. 2, 1901 ff. BGB. Lipp, MedR 2016, 843; vgl. a. oben Kap. 5 B I 3 b). 299 Damm, MedR 2015, 775, 782 f. 300 Sog. Postulat der „Assistenz vor Stellvertretung“, vgl. Damm, MedR 2015, 775, 783 m.w.N.; Klie et al., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5, 8 f. Hiernach darf der Betreuer das Mittel der gesetzlichen Vertretung nur einsetzen, wenn dies erforderlich ist. Innerhalb seines Aufgabenkreises kommt ihm ansonsten eine beratende und unterstützende Funktion zu, vgl. Damm, MedR 2015, 775, 784. 301 Vgl. § 1901 Abs. 3 S. 3 BGB. Klie et al., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5, 11. Näher zu den Informations- und Aufklärungspflichten des Betreuers Kierig, FPR 2009, 470, 477. Zusätzlich hat der Betreuer seine Unterstützungsfunktion auch durch Kontextgestaltung, Begleitung und Einbeziehung von Vertrauenslösungen wahrzunehmen, vgl. Klie et al., Informationsdienst Altersfragen 2014, 5, 11. Ausführlich zu Kostenfragen dieses Verständnisses betreuungsrechtlicher Assistenz, Damm, MedR 2015, 775, 784. 302 Vgl. § 630e Abs. 5 BGB. Ausführlich hierzu Kap. 9 C II. 303 Vgl. hierzu bereits Kap. 9 B III 2 d). 304 Ausführlich hierzu oben Kap. 9 B IV. 305 Vgl. §§ 316, 167 Abs. 3 FamFG. Hiervon ist auch die ärztliche Zwangsmaßnahme umfasst, 312 FamFG. Näher hierzu Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und § 1906a Rn. 129. 297

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

wiesen zu sein.306 Soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist, hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen.307

D. Zulässigkeit medizinischer Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen D. Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen

Die Mitwirkungsbefugnisse konkret einwilligungsunfähiger Patienten beinhalten richtigerweise auch Vetorechte.308 Voraussetzungen und Reichweite der Vetobefugnisse werden relevant, wenn der Betreuer, Vorsorgebevollmächtigte oder Personensorgeberechtigte in medizinische Maßnahmen einwilligt, denen der natürliche Willen des Vertretenen entgegensteht (sog. Zwangsmaßnahmen). 309 Art. 12 UN-BRK steht Zwangsmaßnahmen gegenüber Volljährigen nicht grundsätzlich entgegen, wenn diese krankheitsbedingt nur eingeschränkt selbstbestimmungsfähig sind.310 Wegen ihrer hohen Eingriffsintensität sind Zwangsmaßnahmen aber nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen legitimierbar. Das gilt für volljährige und minderjährige Patienten gleichermaßen. Erstaunlich ist insoweit die lange gesetzgeberische Zurückhaltung, was die Konkretisierung der Zulässigkeitsvoraussetzungen ärztlicher Zwangsmaßnahmen auf Bundes- und Landesebene angeht.

I. Allgemeine Systematik Zwangsmaßnahmen im Gesundheitsbereich können die Freiheit und die körperliche Integrität betreffen; zusätzlich stellen sie einen schweren Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen dar.311 Neben der freiheitsentziehenden Unter-

306

Vgl. RegBegr. zum BtG, BT-Drs. 11/4528, S. 89; Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und § 1906a Rn. 136 f.; ders., in: Bienwald u.a., BetR-K, Einf. Rn. 22. 307 § 317 Abs. 1 FamFG. Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme ist die Bestellung zwingend, vgl. § 317 Abs. 1 S. 3 FamFG. Auch hierdurch wird das Assistenzkonzept umgesetzt, denn der Verfahrenspfleger soll den Betroffenen gerade nicht „verdrängen“ oder „ersetzen“, sondern ihm die Wahrnehmung seiner Interessen ermöglichen, vgl. RegBegr. zum BtG, BT-Drs. 11/4528, S. 89 Bienwald, in: ders. u.a., Einf. Rn. 22; näher hierzu HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 58 ff. 308 A.A. Kreße, MedR 2015, 91, 94, der ein Vetorecht generell abzulehnen scheint. 309 Vgl. § 1906a Abs. 1 S. 1 BGB; so bereits BGH, NJW-RR 2012, 1281, 1282. Für minderjährige Patienten kommt es auf den qualifizierten natürlichen Willen an (sog. Vetofähigkeit), vgl. Kap. 9 C I 2 b). Medizinische Eingriffe gegen den Willen des konkret einwilligungsfähigen Patienten sind hingegen unabhängig vom Alter rechtlich nicht legitimierbar, vgl. Kap. 8 und 4 A II 2 a). 310 Art. 12 Abs. 4 UN-BRK sieht Maßnahmen, die den Betroffenen in der Ausübung seiner Rechts- und Handlungsfähigkeit beschränken ausdrücklich vor und hält diese unter den dort genannten Voraussetzungen für zulässig, näher hierzu BVerfGE 128, 282, 286 f. = NJW 2011, 2113, 2115 f.; s.a. HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 17. 311 Richtigerweise ist der persönliche Schutzbereich der gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung auch bei nicht-einwilligungsfähigen Patienten eröffnet, vgl. Kap. 2 C II 3.

D. Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen

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bringung312 und sonstigen freiheitsentziehenden Maßnahmen313 zählt hierzu auch die nunmehr in § 1906a BGB geregelte ärztliche Zwangsmaßnahme.314 Die ärztliche Zwangsmaßnahme war in jüngerer Zeit verstärkt Gegenstand rechtlicher und rechtspolitischer Auseinandersetzungen.315 Alle drei Maßnahmenarten sind sowohl öffentlich-rechtlich (in den PsychKG der Länder) als auch privatrechtlich (im BGB) normiert.316 Während die Mehrzahl der PsychKG Zwangsmaßnahmen sowohl für volljährige als auch für minderjährige Betroffene regelt, enthält das BGB bislang nur für volljährige Patienten umfassende Regelungen in §§ 1906 f. BGB. Im Kindschaftsrecht war lange Zeit nur ein gerichtlicher Genehmigungsvorbehalt für die freiheitsentziehende Unterbringung geregelt. Seit Oktober 2017 bedürfen auch freiheitsentziehende Maßnahmen einer gerichtlichen Genehmigung, vgl. § 1631b Abs. 2 BGB n.F.317 Die Voraussetzungen ärztlicher Zwangsmaßnahmen bei Minderjährigen sind im BGB hingegen noch immer nicht normiert. Die Regelungen der PsychKG der Länder und des BGB stehen in einem Ergänzungsverhältnis zueinander, wobei sich ihre Anwendungsbereiche teilweise überschneiden. Aus der Zugehörigkeit der PsychKG zum besonderen Gefahrenabwehrrecht folgt die Beschränkung auf Fälle erheblicher Fremd- und Eigengefährdung. Im BGB stehen hingegen die Interessen des Betroffenen im Vordergrund, so dass privatrechtliche Zwangsmaßnahmen ausschließlich zum Wohl des Betroffenen zulässig sind.318 Eingriffe bei rein fremdaggressivem Verhalten können damit nicht 312

§ 1906 Abs. 1-3 BGB, § 10 Abs. 2 i.V.m. §§ 11 und 14 PsychKG NRW. § 1906 Abs. 4 BGB und § 20 PsychKG NRW. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an landesrechtliche Ermächtigungsgrundlagen für die Vornahme sonstiger freiheitsentziehender Maßnahmen im Rahmen einer psychiatrischen Unterbringung S. BVerfG, NJW 2018, 2619, 2620 ff. = MedR 2019, 45, 48 ff. m. Anm. Nenadić/Schmidt-Recla. Diese Feststellungen sind sinngemäß auch auf die freiheitsentziehenden Maßnahmen nach dem BGB zu übertragen, näher hierzu Schneider, FamRZ 2019, 89, 90 ff., insbes. 94. 314 Ärztliche Zwangsmaßnahme sind Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe, die dem natürlichen Willen des Betroffenen widersprechen, vgl. § 1906a Abs. 1 S. 1 BGB; s.a. § 18 Abs. 5 PsychKG NRW. 315 Ausführlich hierzu Henking/Vollmann (Hrsg.), Gewalt und Psyche, 2014. Weitere Zwangsmaßnahmen und Duldungspflichten normieren etwa §§ 101, 178 StVollZG und § 17 MRVG NRW, näher hierzu oben Kap. 9 B V 1. 316 Vgl. § 10 Abs. 2 i.V.m. §§ 11 und 14 PsychKG NRW (freiheitsentziehende Unterbringung), § 18 Abs. 5 PsychKG (ärztliche Zwangsbehandlung), §§ 1906, 1906 a BGB (freiheitsentziehende Unterbringung, freiheitsentziehende Maßnahmen und ärztliche Zwangsmaßnahmen bei Betreuten) sowie § 1631b BGB (freiheitsentziehende Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen bei Minderjährigen). 317 § 1631b Abs. 2 BGB wurde neu gefasst durch das Gesetz zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern v. 17.7.2017, BGBl. 2017 I, 2424. Die Regelung bleibt jedoch vom materiellen Regelungsgehalt deutlich hinter § 1906a BGB zurück. Ausführlich hierzu unten III. 318 Das Betreutenwohl ( § 1901 Abs. 1 S. 2 BGB) wird in § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB und § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB konkretisiert und ist regelmäßig betroffen, wenn eine konkrete und erhebliche gesundheitliche Selbstgefährdung droht; entweder, weil der Betroffene sich selbst aktiv schädigt oder zu erwarten ist, dass er dies tut oder, weil er im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit eine indizierte Behandlung verweigert und deshalb die Gefahr eines erheblichen Gesundheitsschadens besteht, vgl. BtKomm/Dodegge, Rn. G 17 ff. Diese Erwägungen gelten für Minderjährige entsprechend. 313

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

auf das BGB gestützt werden, sondern sind nur unter den jeweiligen Voraussetzungen des jeweils geltenden PsychKG möglich.319 Im Bereich der Selbstgefährdung sind PsychKG und BGB hingegen nebeneinander anwendbar.320 1. Einwilligungsunfähigkeit als Voraussetzung ärztlichen Zwangs und Gesetzgebungsgeschichte des § 1906a BGB Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs setzen ärztliche Zwangsmaßnahmen bei volljährigen Patienten voraus, dass die betroffene Person situationsbezogen einwilligungsunfähig ist.321 Die Rechtslage war bis zu den Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011 unklar.322 Das Gericht befasste sich in den genannten Entscheidungen mit zwei landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen zur Legitimation ärztlicher Zwangsmaßnahmen im Maßregelvollzug und hob die betroffenen Regelungen wegen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot auf.323 In der Folge änderte auch der BGH seine Rechtsprechung. Der bis dahin von der Rechtsprechung zur Legitimation privatrechtlicher Zwangsbehandlungen herangezogene § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB324 genügte nach Ansicht des Betreuungssenats den neuen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.325 Der hierdurch ausgelöste akute gesetzgeberische Handlungsbedarf führte 2013 schließlich zur Normierung der ärztlichen Zwangsbehandlung im Kontext der freiheits-entziehenden Unterbringung.326 Nach einer weiteren bundesverfassungsgerichtlichen Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2016327 löste der Gesetzgeber im Juli 2017 die ärztliche Zwangsmaßnahme schließlich von der freiheitsentziehenden Unterbringung und regelte sie eigen319

OLG Hamm, BtPrax 2001, 40, 41; OLG Schleswig, FGPrax 2008, 180 f.; BtKomm/ Dodegge, Rn. G 17; Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906 a Rn. 19. In der Praxis sind die Betreuungsgerichte sowohl für Maßnahmen nach dem PsychKG als auch für solche nach dem BGB zuständig, vgl. § 312 FamFG. 320 Näher hierzu HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 28 ff. 321 BVerfGE 128, 282, 307 = NJW 2011, 2113, 2115; NJW 2011, 3571, 3572; NJW 2013, 2337, 2338; NJW 2017, 2982, BGH, NJW 2012, 2967; vgl. a. HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 16; so zuvor bereits BGH, NJW 2006, 1277, 1278; Heide, Zwangsbehandlung, 2001, S. 157. 322 Näher zur Rechtslage vor 2011, Heide, Zwangsbehandlung, 2001, S. 156 ff. 323 BVerfGE 128, 282, 299 f. = NJW 2011, 2113, 2114; NJW 2011, 3571, 3572. Mit Beschluss vom 19.7.2017 entschied das BVerfG, dass die zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entwickelten Maßgaben auf die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlichrechtlichen Unterbringung übertragbar sind, vgl. BVerfG, NJW 2017, 2982. 324 So etwa BGHZ 166, 141, 148 ff. = NJW 2006, 1277, 1278 f.; BGH, FamRZ 2008, 866, 867; NJW 2010, 3718. 325 Vgl. BGH, NJW 2012, 2967. Ärztliche Zwangsmaßnahmen waren in der Folge ausschließlich bei erheblicher Eigen- oder Fremdgefährdung nach den PsychKG der Länder möglich, näher hierzu Spickhoff, FamRZ 2017, 1633 m.w.N. 326 § 1906 Abs. 3 und 3a BGB a.F., eingeführt durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18.02.2013, BGBl. I, S. 266 f. In der Folge wurden auch einige PsychKG geändert. Näher zu den mit der Neuregelung einhergehenden Praxisproblemen Zimmermann, NJW 2014, 2479 ff. 327 BVerfGE 142, 313 = NJW 2017, 53 m. Anm. Dodegge = MedR 2017, 122. Krit. hierzu Schmidt-Recla, MedR 2017, 92 ff.

D. Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen

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ständig in § 1906a BGB n.F.,328 so dass nunmehr auch Personen zwangsbehandelt werden können, die mangels Erforderlichkeit nicht freiheitsentziehend untergebracht werden können.329 Die seit 2011 intensivierte Diskussion zu den rechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen ärztlichen Zwangs betrifft ausschließlich volljährige Patienten. Entsprechend gilt auch der hohe Schutzstandard des neu eingeführten § 1906a BGB ausschließlich für erwachsene Betroffene. Eine entsprechende Regelung im Kindschaftsrecht wurde wiederholt gefordert.330 Dem ist der Gesetzgeber bisher jedoch nicht nachgekommen.331 2. Natürlicher Wille und Veto Wie gezeigt, setzt eine ärztliche Zwangsmaßnahme voraus, dass dem betroffenen Patienten die Einwilligungsfähigkeit fehlt, er aber noch in der Lage ist einen Willen zu äußern, mit dem er die Behandlungsablehnung zum Ausdruck bringen kann.332 Anders als bei Willensäußerungen situativ einwilligungsfähiger Patienten, sind Reichweite und Grenzen der Beachtlichkeit des Willens bei fehlender Einwilligungsfähigkeit umstritten. Inwiefern auch ein konkret einwilligungsunfähiger Patient eine Maßnahme mit verbindlicher Wirkung ablehnen kann wird unter dem Begriff der Vetobefugnis diskutiert.333 a) Weitreichende Vetobefugnis volljähriger Patienten Die neue Regelungssystematik des § 1906a BGB zeigt, dass ärztliche Eingriffe gegen den natürlichen Willen des volljährigen aber konkret einwilligungsunfähigen 328

Vgl. Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 17. Juli 2017, BGBl. I, S. 2426. Die nunmehr erreichte eigenständige Regelung der ärztlichen Zwangsbehandlung war bereits im Entwurf zum 2. BtÄndG vorgesehen, der jedoch so nicht in Kraft trat, vgl. § 1906 a BGB-E, BT-Drs.15/2494, S. 7. Im Zuge der Neuregelung wurde auch das Erfordernis der Übereinstimmung mit dem nach § 1901a BGB beachtlichen Willen des Betroffenen normiert, § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB, und die Maßnahme an einen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus gebunden, das die medizinisch gebotene Versorgung des Betreuten gewährleistet, § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB, näher hierzu Kap. 9 D II 3. Krit. zur Neuregelung Spickhoff, FamRZ 2017, 1633 und Götz, FamRZ 2017, 413. 329 Etwa weil sie sich einer Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind, vgl. BVerfGE 142, 313 = NJW 2017, 53, 55 ff. m. Anm. Dodegge = MedR 2017, 122. Ausführlich zur früheren Rechtslage Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 191 ff. m.w.N. 330 Vgl. MüKoBGB/Huber, § 1631b Rn. 8; Staudinger/Salgo, 2015, § 1631b Rn. 4; Hoffmann, NZFam 2015, 985, 987 ff.; Lorenz, NZFam 2017, 782, 787 f.; Götz, FamRZ 2017, 1289, 1290. 331 Ausführlich hierzu Kap. 9 D III. 332 Vgl. § 1906a Abs. 1 S. 1 BGB; BT-Drs. 17/11513, S. 5; Jurgeleit/Kieß, § 1906a Rn. 10. Bei der freiheitsentziehenden Unterbringung zur Durchführung eines ärztlichen Eingriffs führt hingegen schon ein Einverständnismangel zur Anwendung von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906 a Rn. 29 ff.; BtKomm/Dodegge, Rn. G 13. 333 So die ganz h.M., vgl. nur Staudinger/Salgo, 2015, § 1631d Rn. 35 und Kap. 4 C IV 1.

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

Patienten grundsätzlich unzulässig sind. Sie können nur unter engen Voraussetzungen legitimiert werden, wenn der Betreuer oder Bevollmächtigte einwilligt, die übrigen Voraussetzungen des § 1906a Abs. 1 S. 1 BGB erfüllt sind und das Betreuungsgericht die Einwilligung genehmigt, § 1906a Abs. 2 BGB.334 § 1906a BGB gilt nach dem Willen des Gesetzgebers nicht nur für die Behandlung psychischer Erkrankungen, sondern auch für die Therapie somatischer Erkrankungen gegen den natürlichen Willen des Betroffenen.335 Die Debatte zur Reichweite der Vetobefugnis volljähriger, konkret einwilligungsunfähiger Patienten, dürfte sich daher mit Einführung des § 1906a BGB und der parallelen Ausgestaltung ärztlicher Zwangsmaßnahmen in den PsychKG der Länder weitgehend erledigt haben.336 § 1906a BGB gewährt dem einwilligungsunfähigen, volljährigen Patienten kraft seines natürlichen Willens ein verbindliches Vetorecht auch gegenüber indizierten medizinischen Maßnahmen, sofern kein erheblicher Gesundheitsschaden droht. Ist die Behandlungsverweigerung oder der Behandlungsabbruch lebensbedrohlich, kommt es zusätzlich auf die Voraussetzungen von § 1904 BGB an.337 Bei nicht indizierten Maßnahmen kann ein Veto des Patienten in keinem Fall übergangen werden.338 b) Umstrittene Vetobefugnis des minderjährigen Patienten Im Gegensatz zur inzwischen weitgehend geklärten Rechtslage bei volljährigen Patienten, sind Anforderungen und Reichweite einer etwaigen Vetobefugnis des einwilligungsunfähigen Minderjährigen nach wie vor stark umstritten.339 Nach der hier vertretenen Ansicht richten sich sowohl das Maß der erforderlichen Fähigkeiten als auch die Verbindlichkeit des Vetos nach der Indiziertheit der Maßnahme. 340 Während bei nicht indizierten Maßnahmen spezialgesetzlich sehr niedrigschwellige, verbindliche Vetobefugnisse normiert sind,341 ist für die Ablehnung indizierter Maßnahmen ein qualifizierter natürlicher Wille zu fordern.342 Dieser setzt voraus, dass das betroffene Kind, nachdem es vom Arzt über die wesentlichen Umstände der geplanten Maßnahme informiert wurde, in der Lage ist, zumindest die unmittelbaren Folgen der Maßnahme zu erkennen und einen entsprechend informierten Willen zu bilden.343 Anders als bei Volljährigen, bei denen eine Behandlungsablehnung

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Die (noch verbliebene) gesundheitsbezogene Selbstbestimmung einwilligungsunfähiger Betreuter ist damit weitgehend zu achten vgl. Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 420 und Lanzrath, MedR 2017, 102, 107; ähnlich Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 166 f. m.w.N. 335 BGT (Hrsg.), Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240, S. 1. 336 Vgl. §§ 11 Abs. 1-2, 18 Abs. 5-8 PsychKG NRW. Ähnlich auch NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 15 m.w.N. 337 MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 66. A.A. Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1637. 338 So auch Lanzrath, MedR 2017, 102, 107. Das folgt aus der Fremdnützigkeit der Rechtsausübung und der Bindung an das Betreutenwohl, vgl. Kap. 9 B III 2 a) cc). 339 Näher hierzu Kap. 4 C IV 1 und Kap. 9 C I 2 b). 340 So auch angedeutet bei Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 421 (Fn. 109). 341 § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 i.V.m. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG und § 8a S. 1 Nr. 4 S. 4 TPG. Ähnlich auch Staudinger/Salgo, 2015, § 1631d Rn. 35 für die Vetobefugnis des einwilligungsunfähigen Kindes im Rahmen von § 1631d BGB. Näher hierzu oben Kap. 4 B III 2 b). 342 Vgl. Kap. 9 C I 2 b). 343 Vgl. Kap. 9 C I 2 b).

D. Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen

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kraft ihres natürlichen Willens genügt, sind damit bei Minderjährigen bei indizierten Maßnahmen qualifizierte Anforderungen an die Vetofähigkeit zu stellen.344 Aus der Vetofähigkeit folgt nicht die Verbindlichkeit der ablehnenden Entscheidung des Minderjährigen. Vielmehr können die Personensorgeberechtigten unter bestimmten Voraussetzungen den die Behandlung ablehnenden Willen des vetofähigen Minderjährigen „überstimmen“. Die Vetofähigkeit führt lediglich dazu, dass Maßnahmen gegen den Willen des betroffenen Minderjährigen als Zwangsmaßnahme zu charakterisieren sind, mit der Folge, dass erhöhte rechtliche Anforderungen für eine Überwindung des entgegenstehenden Willens des Minderjährigen bestehen. Diese werden in Abschnitt III vertieft. Ist der betroffene Minderjährige hingegen zur Bildung eines von einem Mindestmaß an Selbstbestimmung getragenen Willens noch nicht in der Lage, obliegt die Entscheidung über die Durchführung der Behandlung nach allgemeinen Regeln den Personensorgeberechtigten allein.

II. Voraussetzungen ärztlicher Zwangsmaßnahmen bei Volljährigen 1. Anwendungsbereich des § 1906a BGB § 1906a BGB erfasst neben der ärztlichen Zwangsmaßnahme auch die zur Durchführung unmittelbar erforderlichen, freiheitsentziehenden Maßnahmen, sofern sie nicht wiederholt und über einen längeren Zeitraum notwendig sind.345 § 1906a BGB unterscheidet zudem nicht zwischen der Behandlung psychischer und der Behandlung somatischer Erkrankungen.346 Der Gesetzgeber ging damit über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus, das sich in seinen Grundsatzentscheidungen nur auf die Behandlung psychischer Erkrankungen bezogen hatte. Damit sind einmalige Eingriffe wie Zahnbehandlungen oder Operationen gegen den Willen des Betroffenen an dieselben rechtlichen Voraussetzungen gebunden wie die wiederholt notwendige medikamentöse Behandlung mit einem Neuroleptikum. Literatur und Rechtspraxis haben im Gesetzgebungsverfahren angeregt, eine differenzierende Regelung zu schaffen.347 Dieser Forderung kam der Gesetzgeber nicht nach. Das ist misslich und hat zu Regelungslücken geführt. So ist verfahrensrechtlich zur Feststellung der Einwilligungsunfähigkeit und der Behandlungsnotwendigkeit nur die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens vorgeschrieben.348 Das überzeugt bei psychischen Erkrankungen. Bei somatischen Erkrankungen wird ein psychiatrischer Gutachter im Regelfall aber nicht zur Einschätzung der klinischen Situation und Behandlungsnotwendigkeit qualifiziert sein. Die Einholung eines entsprechenden Fachgutachtens steht de lege lata im Ermessen des Betreuungsgerichts.349 344

So auch Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 421. Vgl. BGH, NJW 2015, 865; BT-Drs. 18/11240, S. 19; Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1636. 346 HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 7 und Rn. 140; BGT (Hrsg.), Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240, S. 1. 347 BGT (Hrsg.), Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240, S. 1. 348 Vgl. §§ 321 Abs. 1, 331 S. 1 Nr. 2 FamFG. 349 § 26 FamFG. Krit. hierzu Lipp, Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240 und zu BT-Drs. 18/11617, S. 6 und BGT (Hrsg.), Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240, S. 5. 345

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

2. Einwilligung des Gesundheitsbevollmächtigten oder des Betreuers Ärztliche Zwangsmaßnahmen setzen wie alle Behandlungen des situativ einwilligungsunfähigen Patienten voraus, dass ein hierzu Berechtigter seine Einwilligung erteilt hat.350 § 1906a BGB knüpft die Einwilligungsbefugnis des Stellvertreters an besondere Voraussetzungen:351 Der Betroffene muss den Bevollmächtigten ausdrücklich und schriftlich, § 126 BGB, hierzu ermächtigen; in ähnlicher Weise muss auch der Betreuer die Entscheidung über ärztliche Zwangsmaßnahmen ausdrücklich bestellt worden sein.352 Fehlt es hieran, ist eine ärztliche Behandlung gegen den Willen des einwilligungsunfähigen Patienten nicht möglich. Insbesondere kann das Familiengericht die erforderliche Einwilligung des Bevollmächtigten oder Betreuers nicht nach § 1846 BGB ersetzen, vgl. § 1906a Abs. 1 S. 2 BGB.353 Bei vertreterlosen Patienten ist daher zwingend ein Betreuungsverfahren anzuregen. Die stellvertretende Einwilligung muss vor Beginn der Zwangsmaßnahme erteilt werden354 und der Bevollmächtigte oder Betreuer entsprechend aufgeklärt worden sein. 355 3. Voraussetzungen des § 1906a Abs. 1 S. 1 BGB Die Einwilligung des Betreuers oder des Bevollmächtigten ist nur wirksam, wenn kumulativ die Voraussetzungen des § 1906a Abs. 1 S. 1 BGB erfüllt sind.356 Hiernach muss der Betroffene einwilligungsunfähig sein, vgl. § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB.357 Entgegen des missverständlichen Wortlauts kommt es auch im Rahmen von § 1906a BGB auf die Einschränkung der Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit des Betroffenen an.358 Die Einwilligungsfähigkeit muss krankheits- oder behinderungsbedingt fehlen. Das ergibt sich aus dem betreuungsrechtlichen Kontext der Norm.359 Nicht erfasst ist damit die vorübergehende Einwilligungsunfähigkeit etwa wegen übermäßigen Alkohol- oder Drogenkonsums oder starker Schmerzen. In diesen Fällen dürften die vom einwilligungsunfähigen Patienten abgelehnten 350

Vgl. § 630d Abs. 1 S. 2 BGB. Diese modifizieren auch die Standardanforderungen an die Behandlungseinwilligung, § 630d Abs. 1 S. 3 BGB, vgl. BT-Drs. 18/11240, S. 20. A.A. NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 12: Einwilligung nach § 1906a BGB als eigenständige Einwilligung, die in ihren Rechtsfolgen von § 630d BGB unabhängig ist. 352 Vgl. § 1906a Abs. 1 S. 1, 2 und Abs. 5 S. 1 BGB. Näher zu den Anforderungen an die Bestimmtheit der Vollmacht und der gerichtlichen Aufgabenzuweisung MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 50 und Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1637 m.w.N. 353 §§ 1906a Abs. 1 S. 2, 1846 BGB setzen voraus, dass ein Betreuer bestellt ist. Das folgt aus dem Gesetzeswortlaut, vgl. HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 4; Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1636. A.A. MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 64. 354 Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906 a Rn. 249. 355 Vgl. § 630e Abs. 4 BGB. 356 BT-Drs. 18/11240, S. 19; Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1636. 357 Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1636. 358 § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB enthält eine auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit verkürzte Definition der Einwilligungsunfähigkeit, näher hierzu Kap. 3 A II 1. 359 § 1906a BGB knüpft an die Voraussetzungen der Betreuung an und ermöglicht ärztliche Zwangsmaßnahmen nur dann, wenn der betroffene Patient auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung einwilligungsunfähig ist, Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1636; HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 151. 351

D. Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen

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Maßnahmen außerhalb von Notfällen auch regelmäßig aufschiebbar sein. Ebenfalls nicht von § 1906a BGB erfasst sind Situationen, in denen sich der konkret einwilligungsunfähige Betroffene, nicht äußert, obwohl er könnte.360 Des Weiteren muss die geplante ärztliche Zwangsmaßnahme erforderlich sein. Das setzt voraus, dass sie zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden, § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB.361 Hierbei ist das Wohl nach allgemeinen Regeln aus Sicht des Betreuten, die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zur Abwehr der Gesundheitsgefahr hingegen objektiv vom behandelnden Arzt und vom sachverständigen Gutachter zu beurteilen.362 Die geplante Zwangsmaßnahme muss schließlich dem nach § 1901a BGB beachtlichen Willen des Betreuten entsprechen.363 Hierfür prüft der Gesundheitsbevollmächtigte oder Betreuer nach Indikationsstellung durch den Arzt,364 ob eine Patientenverfügung vorhanden ist, die die geplante Maßnahme erfasst.365 Falls nicht, hat der Vertreter zu prüfen, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der mutmaßliche Wille des Betroffenen vom objektiven Behandlungsinteresse abweicht.366 Damit ist nunmehr – wie bei allen medizinischen Maßnahmen an einwilligungsunfähigen Betreuten – positiv festzustellen, ob die geplante Zwangsmaßnahme dem nach § 1901a BGB festzustellenden antizipierten (Abs. 1) oder dem mutmaßlichen (Abs. 2) Willen des Betroffenen entspricht.367 Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen des Betroffenen können sich nach der Gesetzesbegründung bei psychiatrischen Patienten auch aus einer Behandlungsvereinbarung ergeben.368 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Behandlungsvereinbarungen aus medizinischer Sicht primär errichtet werden, um das Vertrauen des Patienten in die Behandlung zu stärken oder neu aufzubauen

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MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 45; BT-Drs. 17/11513, 7. MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 56; Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1636. 362 Im Gesetzgebungsverfahren wurde angeregt, die Voraussetzungen im Einklang mit § 1906 BGB zu formulieren und den Perspektivenwechsel im Wortlaut der Norm klarer herauszustellen, vgl. Lipp, Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240 und zu BT-Drs. 18/11617, S. 6; weitergehend BGT (Hrsg.), Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240, S. 2 f. 363 §§ 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 1901a BGB. 364 Das gilt sowohl für die Maßnahme an sich als auch für die Anwendung ärztlichen Zwangs. Letzterer kann wegen etwaiger negativer Auswirkungen auf den Heilungsverlauf kontraindiziert sein, vgl. BGT (Hrsg.), Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240, S. 3 f. 365 Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1636. 366 § 1901a Abs. 2 BGB; Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1636; vgl. a. Kap. 9 B IV. 367 So bereits angedeutet in BVerfGE 142, 313 = NJW 2017, 53, 57 Tz. 82 m. Anm. Dodegge = MedR 2017, 122; Lipp, FamRZ 2013, 913, 921; Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1636; vgl. a. BT-Drs. 18/12842, S. 8. Krit. hierzu MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 49. Zu den Herausforderungen für die medizinische Praxis S. Snellgrove/Steinert, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2017, 234, 237 f. 368 BT-Drs. 18/11240, S. 14. Hierbei handelt es sich um eine Absprache zwischen dem Behandlungsteam, dem Betroffenen und dem Betreuer, in der der Betroffene, nach Beratung auf Grundlage seiner zurückliegenden Behandlungserfahrung festlegt, welchen medizinischen Maßnahmen er im Falle einer künftigen stationären Behandlung zustimmt und welchen nicht. Näher hierzu Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 26 ff.

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

und auf eine verbesserte Therapietreue hinzuwirken.369 Die Absprachen enthalten daher häufig Kompromisse der Beteiligten. Dies ist bei der Bestimmung des mutmaßlichen Willens zu berücksichtigen.370 Insgesamt wurde der Anwendungsbereich der ärztlichen Zwangsmaßnahme durch die Neuregelung verengt; die Auswirkungen auf die medizinische Praxis bleiben abzuwarten.371 Ist ein mutmaßlicher Wille nicht feststellbar, kann der Stellvertreter in die geplante Maßnahme einwilligen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen des § 1906a Abs. 1 S. 1 BGB erfüllt sind.372 Um die Ermittlung des mutmaßlichen Willens zu erleichtern, hat der Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung des § 1906a BGB zugleich die Pflicht des Betreuers normiert, beim Betreuten auf die Erstellung einer Patientenverfügung hinzuwirken.373 Vor der Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme muss zudem im Rahmen eines ernsthaften und schonenden Überzeugungsversuch auf das Einvernehmen mit dem Betroffenen hingewirkt werden.374 Hierfür sind ihm die wesentlichen Umstände und die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu erläutern.375 Weiterhin darf keine andere, den Betreuten weniger belastende Maßnahme in Betracht kommen; der Nutzen der ärztlichen Maßnahme muss die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen, § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 5 und Nr. 6 BGB. 376 Beide Merkmale sind aus Betreutensicht auszulegen.377 Schließlich ist die Anwendung ärztlichen Zwangs an einen stationären Aufenthalt des Betreuten gebunden, vgl. § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB.378 369

Vgl. die Nachweise bei Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 28 aber auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/11240, S. 14 und S. 18, und die Stellungnahme der BReg zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates, BT-Drs. 18/11617, S. 2. 370 Näher zum Potential psychiatrischer Patientenverfügungen zur Reduktion ärztlicher Zwangsmaßahmen Hornung, Die psychiatrische Patientenverfügung, 2017, S. 28 f. m.w.N. und Gehring/Rohner/Eusterschule, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2018, 149 ff. 371 Krit. zum Ganzen MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 49 und HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 168 f. und Rn. 183 ff. 372 BT-Drs. 18/12842, S. 8. 373 § 1901a Abs. 4 BGB; vgl. a. Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1636; Götz, FamRZ 2017, 413, 414. Näher hierzu oben Kap. 9 B II. 374 § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB. Ausführlich hierzu Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906 a Rn. 71 m.w.N. und MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 52 ff. 375 Hierdurch wird § 630e Abs. 5 BGB ergänzt, vgl. Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1636 f. Ob ein ernsthafter Überzeugungsversuch stattgefunden hat, ist vom Gericht einzelfallbezogen festzustellen und in nachprüfbarer Weise darzulegen, vgl. BGH, FamRZ 2018, 1947 f. 376 Näher hierzu Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1637. 377 Vgl. BT-Drs. 18/11240, S. 20; Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1637. Im Gesetzgebungsverfahren wurde angeregt, dies auch im Gesetzestext zum Ausdruck zu bringen, was jedoch nicht umgesetzt wurde, vgl. BGT (Hrsg.), Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240, S. 4 und Lipp, Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240 und zu BT-Drs. 18/11617, S. 6. 378 Die Regelung wurde vielfach kritisiert, vgl. Stellungnahme des Bundesrates; Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1637 ff.; ders./Spickhoff, § 1906a Rn. 13 ff. Zwar mögen mit der Verbringung des Betroffenen in ein entsprechendes Krankenhaus im Einzelfall höhere Belastungen einhergehen. Die Einschränkung ist jedoch geboten, weil die mit einer ambulanten Zwangsbehandlung oder einer Zwangsbehandlung im Zuhause des Betroffenen verbundenen Gefahren die Vorteile überwiegen. Insbes. sollte das Zuhause der Betroffenen als sicherer Ort frei von Zwang bleiben, vgl. BT-Drs. 18/11240, S. 15 und BGT (Hrsg.), Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240, S. 1.

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4. Genehmigung des Betreuungsgerichts, § 1906a Abs. 2 BGB Die unter diesen Voraussetzungen erteilte Einwilligung des Gesundheitsbevollmächtigten oder Betreuers ist vor Beginn der geplanten Maßnahme durch das Betreuungsgericht zu genehmigen, § 1906a Abs. 2 BGB.379 Das Gericht prüft hierbei die Voraussetzungen der Nr. 1-7, vor allem, ob der Betroffene einwilligungsunfähig ist.380 Liegen zusätzlich die Voraussetzungen des § 1904 BGB vor, prüft das Gericht auch diese.381 Gleiches gilt für § 1906 BGB, wenn die Zwangsmaßnahme im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung durchgeführt werden soll oder erheblichere freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB erforderlich macht. Das gebieten die unterschiedlichen Schutzrichtungen der verschiedenen Genehmigungsvorbehalte.382 Entsprechend ist auch die Ausnahmevorschrift des § 1904 Abs. 4 BGB, die das Genehmigungserfordernis bei ärztlichen Maßnahmen entfallen lässt, wenn Einvernehmen zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt über den Willen des Patienten besteht, im Rahmen des § 1906a BGB nicht anwendbar.383 Das Genehmigungsverfahren richtet sich nach den Vorschriften über Unterbringungssachen, § 312 S. 1 Nr. 3 FamFG,384 wobei dem von der ärztlichen Zwangsmaßnahme Betroffenen zwingend ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist.385 Der Betroffene ist gemäß § 319 Abs. 1 S. 1 FamFG durch den Richter und den Verfahrenspfleger persönlich anzuhören.386 Es ist ein auf der persönlichen Untersuchung und Befragung des Betroffenen beruhendes Sachverständigengutachten, § 321 Abs. 1 FamFG, über die medizinische Notwendigkeit der beabsichtigten Zwangsmaßnahme einzuholen, wobei als Gutachter nicht der zwangsbehandelnde Arzt bestellt werden soll.387 Die gerichtliche Beschlussformel bei Genehmigung der Einwilligung hat Angaben zur Durchführung und Dokumentation der Zwangsmaßnahme in der Verantwortung eines Arztes zu enthalten, § 323 Abs. 2 FamFG.388 Damit ist das Verfahren weitgehend analog zum Verfahren über die freiheitsentziehende Unterbringung ausgestaltet. Nur die Fristen sind wegen der erhöhten Eingriffsintensität abweichend geregelt. Während die freiheitsentziehende Unterbringung bis zu einem Jahr und in Ausnahmefällen bis zu zwei Jahren mit anschließender Verlängerungsmöglichkeit genehmigungsfähig ist, wurde die Höchstdauer für ärztliche Zwangs-

379

Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906 a Rn. 249. Zur Prüfungskompetenz des Gerichts S. Kap. 10 A II: 381 MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 66; HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 26 f. A.A. Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1637: § 1906a BGB als lex specialis zu § 1904 BGB. 382 MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 66. 383 BT-Drs. 18/11240, S. 20; vgl. a. MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 66; so auch Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1637. 384 Bienwald, FamRZ 2016, 1730, 1731. 385 § 317 Abs. 1 S. 3 FamFG. Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906 a Rn. 251; näher hierzu HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 57 ff. 386 Bienwald, FamRZ 2016, 1730, 1731; näher zum Anhörungserfordernis Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906 a Rn. 147 ff. und 251. 387 § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG; Bienwald, FamRZ 2016, 1730, 1731; ausführlich hierzu Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906 a Rn. 168 ff. und 251. 388 Bienwald, FamRZ 2016, 1730, 1731; Staudinger/Bienwald, § 1906 und 1906 a Rn. 251. 380

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

maßnahmen auf 6 Wochen festgelegt. Eine Verlängerung ist möglich, § 329 Abs. 1 S. 2 FamFG.389 5. Weitere Voraussetzungen a) Rechtzeitige Ankündigung In seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2011 hatte das BVerfG über den Wortlaut des § 1906a BGB n.F. gefordert, dass die medizinische Zwangsmaßnahme dem Betroffenen hinreichend konkret angekündigt werden muss, damit dieser rechtzeitig Rechtsschutz suchen kann.390 Die Entscheidung betraf allerdings eine ärztliche Zwangsbehandlung im Rahmen des Maßregelvollzugs und ist nicht auf die ärztliche Zwangsbehandlung nach § 1906a BGB übertragbar.391 b) Widerruf der Einwilligung und Anzeige beim Betreuungsgericht Der Bevollmächtigte und der Betreuer sind verpflichtet die Einwilligung zu widerrufen, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Der Widerruf ist dem Betreuungsgericht anzuzeigen.392 Beim Widerruf der Einwilligung kann sich eine Genehmigungspflicht nach § 1904 Abs. 2 BGB ergeben, wenn wegen des Abbruchs der Zwangsmaßnahme die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute verstirbt.393 c) Notfälle Umstritten ist, ob in Notfällen bei schwerer Eigengefährdung eine genehmigungsfreie ärztliche Behandlung möglich ist. Zum Teil wird dies bei akuter Lebens- oder Gesundheitsgefahr befürwortet, wenn der Patient „Anzeichen des Widerstrebens erkennen lässt“ aber zugleich einwilligungsunfähig ist und kein Betreuer bestellt ist.394

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Für die Verlängerung gelten die Vorgaben der erstmaligen Beantragung entsprechend, vgl. § 329 Abs. 2 S. 1 FamFG, also insbes. die 6-Wochenfrist nach § 329 Abs. 1 S. 2 FamFG, Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906 a Rn. 251 f. Bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen, die im Wege einer einstweiligen Anordnung beantragt werden, ist die Dauer auf 2 Wochen begrenzt, vgl. § 333 Abs. 2 S. 1 FamFG, wobei durch Verlängerungen eine Dauer von insges. 6 Wochen nicht überschritten werden darf, § 333 Abs. 2 S. 2 FamFG, Bienwald, FamRZ 2016, 1730, 1731; vgl. a. BVerfG, FamRZ 2015, 1589, 1592 f. Krit. zum abweichenden Fristenlauf, Bienwald, FamRZ 2016, 1730, 1731 f. m.w.N. 390 BVerfGE 128, 282, 311 = NJW 2011, 2113, 2117; BVerfGE 133, 112, 140 = NJW 2013, 2337, 2340. 391 MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 62. 392 § 1906a Abs. 3 BGB Staudinger/Bienwald, 2017, § 1906 und 1906 a Rn. 71. Zu den zeitlichen Voraussetzungen des Widerrufs und zur Haftung des Betreuers siehe Spickhoff, FamRZ 2017, 1633, 1635 m.w.N. 393 MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 63. 394 MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 65.

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6. Rechtsfolgen bei Verstößen Genügt die stellvertretende Einwilligung den Voraussetzungen des § 1906a BGB nicht, ist sie unwirksam mit der Folge, dass die Maßnahme rechtswidrig ist.395 Der behandelnde Arzt ist durch den Genehmigungsvorbehalt hinreichend geschützt, da das Gericht die Voraussetzungen des § 1906a BGB verbindlich prüft.396 Erkennt der behandelnde Arzt nicht, dass die vom Betreuer autorisierte Maßnahme dem natürlichen Willen des Betreuten widerspricht, etwa weil sich dieser nur gegenüber dem Betreuer und nicht gegenüber dem Arzt äußert und keine Abwehrreaktionen zeigt, wird die Haftung regelmäßig mangels Verschulden zu verneinen sein.397

III. Voraussetzungen ärztlicher Zwangsmaßnahmen bei Minderjährigen 1. Fehlende gesetzliche Regelung Anders als im Betreuungsrecht sind die Voraussetzungen ärztlicher Zwangsmaßnahmen bei Minderjährigen kaum gesetzlich geregelt. De lege lata bestehen Vorgaben nur für Zwangsmaßnahmen, die im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1631b BGB durchgeführt werden sollen, wobei selbst dort keine materiellen Voraussetzungen normiert sind, sondern lediglich ein mittelbarer familiengerichtlicher Prüfungsvorbehalt.398 Ärztliche Zwangsmaßnahmen an Minderjährigen, die nicht freiheitsentziehend untergebracht sind, sind damit außerhalb der PsychKG der Länder399 weder materiell- noch verfahrensrechtlich explizit normiert.400 2. Allgemeine Voraussetzungen Allgemeine Vorgaben für ärztliche Zwangsmaßnahmen bei Minderjährigen ergeben sich aus den Regelungen des Kindschaftsrechts, wie etwa §§ 1626 Abs. 1 und Abs. 2, 1631 Abs. 2 und 1666 Abs. 1 BGB sowie aus dem Behandlungsvertragsrecht, § 630d Abs. 1 S. 2 BGB.401 Eine Analogie zu den betreuungsrechtlichen Regelungen der §§ 1904, 1906 f. BGB wird demgegenüber zurecht überwiegend abgelehnt.402

395

So zur alten Rechtslage bereits Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 403. Näher hierzu Kap. 10 B I 3. 397 Näher hierzu Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 403. 398 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 987. Ausführlich hierzu sogleich Kap. 9 D III 2 f). 399 Vgl. etwa § 18 Abs. 7 i.V.m. Abs. 4, 5 PsychKG NRW. 400 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 985 und 987. 401 Vgl. BGH, NJW 2013, 2969, 2970 = FamRZ 2013, 1646, 1647 f.; näher hierzu Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986 f. m.w.N. 402 Vgl. BGH, NJW 2013, 2969, 2970 f. = FamRZ 2013, 1646, 1647 f.; Hoffmann, NZFam 2015, 985, 987. 396

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a) Einwilligungsunfähigkeit des Minderjährigen Auch bei Minderjährigen kommt eine ärztliche Zwangsbehandlung nur in Betracht, wenn sie bezogen auf die jeweilige Maßnahme einwilligungsunfähig sind.403 Anderenfalls hat der Arzt zwingend auch ihre Einwilligung einzuholen.404 Eine Maßnahme gegen den Willen des einwilligungsfähigen Minderjährigen ist damit nach geltendem Recht nicht legitimierbar.405 Der ablehnende Wille des Kindes muss hierbei von einem Minimum an Selbstbestimmung getragen sein, was voraussetzt, dass das betroffene Kind nach gebotener Information über die wesentlichen Umstände der geplanten Maßnahme in der Lage ist, zumindest die unmittelbaren Folgen zu erkennen und einen entsprechend informierten Willen zu bilden.406 Ist der betroffene Minderjährige hierzu nicht in der Lage, obliegt die Entscheidung über die Durchführung der Behandlung im Rahmen des Vertretbaren den Personensorgeberechtigten. Die im Folgenden dargestellten weitergehenden Schutzanforderungen greifen in diesem Fall nicht. b) Einwilligung des Sorgerechtsinhabers Gemäß § 630d Abs. 1 S. 2 BGB ist bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen wie bei allen medizinischen Maßnahmen die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen. Als Teil der elterlichen Sorge obliegt die Einwilligung grundsätzlich den Eltern, §§ 1626 Abs. 1, 1629 BGB, und ausnahmsweise dem gerichtlich bestellten Vormund oder Pfleger, vgl. §§ 1800, 1915 BGB. Vormund und Pfleger sind wie der Betreuer und der Bevollmächtigte nur einwilligungsbefugt, wenn die Zwangsmaßnahme von ihrem Aufgabenkreis umfasst ist. c) Geeignetheit, Erforderlichkeit und überwiegender Nutzen der Zwangsmaßnahme Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird abgeleitet, dass die geplante Zwangsmaßnahme erforderlich sein muss, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden vom Minderjährigen abzuwenden. 407 Die bloße Indiziertheit der 403

Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986; Nebendahl, MedR 2009, 297, 300 ff.; Kreße, MedR 2015, 91, 92; vgl. a. § 1631d Abs. 1. S. 1 BGB. A.A. Lorenz, NZFam 2017, 782, 787, die eine Zwangsbehandlung kraft Verfassungsrechts entgegen § 630d Abs. 1 S. 2 BGB auch bei einwilligungsfähigen Minderjährigen für möglich hält, wenn sie zum Wohl des Betroffenen erforderlich ist. Gegen diese Ansicht spricht – neben rechtssystematischen Gründen –, dass die Eltern eine solche Entscheidung rechtlich nicht durchsetzen können, wenn der Arzt sich weigert den Eingriff vorzunehmen. Näher hierzu Kap. 8 A II 2. 404 Vgl. § 630d Abs. 1 S. 2 BGB. Näher hierzu Kap. 8 A II 2. 405 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986. A.A. Lorenz, NZFam 2017, 782, 787; diff. Staudinger/Peschel-Gutzeit, 2015, § 1626 Rn. 96 und Nebendahl, MedR 2009, 197, 201 f., die eine Behandlung gegen den Willen des einwilligungsfähigen Minderjährigen jedenfalls dann für möglich halten, wenn der Eingriff aus medizinischer Sicht absolut indiziert ist; zust. BT-Drs. 18/11741, S. 14 ff. und Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 210. Schon diese uneinheitliche Beurteilung durch das Schrifttum unterstreicht den Regelungsbedarf der Zwangsmaßnahme im Minderjährigenrecht. 406 Vgl. Kap. 9 C I 2 b). 407 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986.

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Maßnahme soll hingegen nicht ausreichen.408 Das entspricht weitestgehend dem Schutzstandard des § 1906a Abs. 1 Nr. 1 BGB. Darüber hinaus muss die vorgesehene Maßnahme geeignet sein, den gewünschten Behandlungserfolg herbeizuführen. Der damit verfolgte Nutzen muss die Nachteile der Zwangsanwendung im Einzelfall überwiegen,409 was sich im Wesentlichen mit den Vorgaben der § 1906 a Abs. 1 Nr. 5 und 6 BGB deckt. d) Vergeblicher Überzeugungsversuch, § 1626 Abs. 2 BGB Aus § 1626 Abs. 2 BGB wird die Pflicht des Sorgerechtsinhabers abgeleitet, die geplante Zwangsbehandlung zuvor mit dem Minderjährigen zu besprechen und auf ein Einvernehmen hinzuwirken.410 Anders als im Rahmen von § 1906a Abs. 1 BGB ist der auf § 1626 Abs. 2 BGB gestützte Überzeugungsversuch keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Zwangsmaßnahme, so dass ein Verstoß nicht zur Unwirksamkeit der Einwilligung führt.411 Auch die Verletzung der ärztlichen Informationspflicht gegenüber dem einwilligungsunfähigen Minderjährigen aus § 630e Abs. 5 BGB ist nur unzureichend sanktioniert.412 Anders als das Betreuungsrecht setzt das Kindschaftsrecht auch nicht voraus, dass die geplante Maßnahme dem mutmaßlichen Willen des Minderjährigen entsprechen muss. Das ist vor allem bei älteren Minderjährigen misslich, die bezogen auf die geplante ärztliche Maßnahme bereits einmal einwilligungsfähig waren und einen entsprechenden Willen geäußert haben. Da minderjährige Patienten auch keine Patientenverfügung errichten können,413 führt dies im Ergebnis zu einer kaum vertretbaren Verkürzung ihres Selbstbestimmungsrechts. Der Schutzstandard bleibt damit bezüglich der Einbeziehung des betroffenen Minderjährigen in die Behandlungsentscheidung de lege lata deutlich hinter demjenigen für erwachsene Patienten zurück. e) Keine Begrenzung auf den stationären Aufenthalt Mangels Normierung sind ärztliche Zwangsmaßnahmen bei Minderjährigen auch nicht auf den stationären Aufenthalt des Betroffenen in einer entsprechend ausgestatteten Einrichtungen begrenzt.414

OLG Naumburg, Beschluss vom 06.06.2002 – 14 UF 78/02; Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986. 409 Bejaht wird das etwa in Fällen, in denen der einwilligungsunfähige Minderjährige die Einnahme lebenswichtiger Medikamente oder Nahrung verweigert (OLG Brandenburg, FamRZ 2004, 815 = BeckRS 2003, 30329332) oder wenn ohne Behandlung die Gefahr einer Chronifizierung besteht, Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986. 410 Das gilt grundsätzlich für jede Behandlung, vgl. Hoffmann, NZFam 2015, 985, 986 f.; Kreße, MedR 2015, 91; Lorenz, NZFam 2017, 782, 783. 411 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 987; MüKoBGB/Huber, § 1626 Rn. 63. 412 Vgl. Kap. 10 B II. 413 § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB setzt Volljährigkeit voraus. 414 Vgl. Hoffmann, Personensorge, 3. Aufl. 2018, § 10 Rn. 65 ff.; dies., NZFam 2015, 985, 987; Lorenz, NZFam 2017, 782, 783. 408

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f) Familiengerichtlicher Genehmigungsvorbehalt Außerhalb des § 1631b BGB, der die freiheitsentziehende Unterbringung und seit Oktober 2017 auch freiheitsentziehende Maßnahmen bei Minderjährigen umfasst, sind im Kindschaftsrecht keine gerichtlichen Genehmigungsvorbehalte normiert. Die Rechtsprechung lehnt eine analoge Anwendung der betreuungsrechtlichen Genehmigungsvorbehalte ab, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle, die Situation im Kindschaftsrecht nicht mit derjenigen im Betreuungsrecht vergleichbar sei415 und das elterliche Sorgerecht nur durch ein formelles Gesetz eingeschränkt werden könne.416 Daneben beruft sich der BGH auf die unterschiedlichen Schutzrichtungen der Genehmigungsvorbehalte im Familien- und Betreuungsrecht. Während letztere die Rechte des Betreuten schützen, gehe es bei § 1631b BGB primär um die Gewährleistung einer sinnvollen Ausübung des Sorgerechts.417 Im Schrifttum wird vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung die Normierung eines Genehmigungsvorbehalts für ärztliche Zwangsmaßnahmen im Kindschaftsrecht gefordert.418 Diese Forderung ist zu begrüßen. Sie berücksichtigt die gesellschaftlich gewandelten Vorstellungen der Eltern-Kind-Beziehung419 sowie die jüngeren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Fremdunterbringung, in denen auch das Verhältnis der Grundrechte von Eltern und Kindern konkretisiert wurde.420 Das 415

Denn die Eltern handeln, anders als der Betreuer, nicht aufgrund staatlicher Bestellung, sondern in Ausübung ihres verfassungsrechtlich geschützten Elterngrundrechts, Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, vgl. BGH, NJW 2013, 2969, 2971 m.w.N. Näher hierzu Kap. 2 C II 2 b) bb). 416 BGH, NJW 2013, 2969, 2970 = FamRZ 2013, 1646, 1647 f. m.w.N.; OLG Frankfurt a. M., FamRZ 2013, 1225, 1226 f.; OLG Brandenburg, NJW 2000, 2361 f.; LG Essen, FamRZ 1993, 1347, 1348; AG Hamburg-Barmbek, NJOZ 2009, 51, 53; zust. Hoffmann, NZFam 2015, 985, 987 m.w.N.; so auch die Gesetzesbegründung zum Betreuungsgesetz, BT-Drs. 11/4528, S. 82 f. Die Frage wurde vor der Grundsatzentscheidung des BGH v. 7.8.2013 (BGH, NJW 2013, 2969) von den Gerichten unterschiedlich beantwortet (Nachweise bei Palandt/Götz, 72. Aufl. 2013, § 1631b Rn. 2), was dazu führte, dass es für die Genehmigungsbedürftigkeit auf den Gerichtsbezirk ankam, in dem sich der Minderjährige aufhielt, Götz, FamRZ 2017, 1289, 1290. Krit. zum Ganzen MüKoBGB/Huber, § 1631b Rn. 8. 417 BGH, NJW 2013, 2969 = FamRZ 2013, 1646, 1647; AG Hamburg-Barmbek, NJOZ 2009, 51, 53; so auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/6815, S. 8. 418 Vgl. etwa MüKoBGB/Huber, § 1631b Rn. 8; Hoffmann, NZFam 2015, 985, 987; dies., ZRP 2016, 242, 243 f.; Staudinger/Salgo, 2015, § 1631b Rn. 4; Lorenz NZFam 2017, 782, 787 f. Götz, FamRZ 2017, 1289, 1290 betont zutreffend, dass die Argumentation des BGH bereits zur Schaffung eines Genehmigungserfordernisses für Vormund und Pfleger hätte führen müssen, da diese nicht Träger des Elterngrundrechtes sind. 419 Ausdruck dieser geänderten Vorstellungen sind zahlreiche gesetzliche Einschränkungen des elterlichen Sorgerechts wie etwa das 1979 eingeführte Verbot der Sterilisation Minderjähriger in § 1631c BGB, der 2000 neu gefasste § 1631 Abs. 2 BGB sowie der 1980 in Kraft getretene familiengerichtliche Genehmigungsvorbehalt für die freiheitsentziehende Unterbringung, § 1631b BGB, vgl. Hoffmann, NZFam 2015, 985, 988. Auch die jüngste Änderung, die den familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalt auf unterbringungsähnliche Maßnahmen erstreckte, § 1631b Abs. 2 BGB n.F., weist in diese Richtung. 420 BVerfG, FamRZ 2014, 907, 908 ff.; FamRZ 2014, 1005 Ls.; vgl. auch die weiteren im Kontext der Fremdunterbringung ergangenen Entscheidungen des BVerfG in FamRZ 2014, 1177; FamRZ 2014, 1266; FamRZ 2014, 1270; FamRZ 2014, 1772; NJW 2014, 2936 und

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Bundesverfassungsgericht bekräftigte in seinen Entscheidungen den fremdnützigen Charakter des Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, das von den Eltern im Dienst des Kindes auszuüben ist.421 Dem Kind kommt demgegenüber aus Art. 2 Abs 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ein Recht auf Schutz „vor den Eltern“ sowie aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ein Recht auf Achtung seines Interesses an den Eltern zu, das vom Gehalt her weitgehend dem Elterngrundrecht entspricht.422 Bei der Zwangsbehandlung sind zusätzlich das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen sowie sein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betroffen.423 All diese Grundrechtsausprägungen sind im Konfliktfall gegeneinander abzuwägen und auszugleichen.424 Insbesondere das Recht älterer Minderjähriger auf Schutz vor den Eltern sowie ihr Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit sind bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen stark betroffen. Vor diesem Hintergrund erscheinen materiell-rechtliche Vorgaben für die Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern sowie ein familiengerichtlicher Genehmigungsvorbehalt de lege ferenda verfassungsrechtlich geboten.425 Das Recht des Kindes auf eine elterliche Entscheidung sowie die damit verbundenen Elternrechte treten entsprechend zurück.426 Gegen diese Ansicht spricht auch nicht die aus dem elterlichen Sorgerecht folgende, primäre Entscheidungsverantwortung der Eltern und die damit korrespondierende eingeschränkte Rolle des staatlichen Wächteramtes, das staatliches Eingriffshandeln in die Elterngrundrechte erst dann legitimiert, wenn dies zur Abwehr konkreter Gefahren für das Kindeswohl erforderlich ist.427 Vielmehr bringt auch das BGB in §§ 1631 Abs. 2 und 1631b zum Ausdruck, dass elterlicher Zwang nur in Ausnahmefällen verhältnismäßig ist. 428 NJW 2015, 223. Entscheidungsbesprechungen u.a. bei Heilmann, NJW 2014, 2904; Heiß, NZFam 2015, 491; ders., NZFam 2015, 532 und Riegner, NZFam 2014, 625. Die Ansicht, das BVerfG habe in diesen Entscheidungen die Elterngrundrechte einseitig zu Lasten der Kindesgrundrechte gestärkt (Heilmann, NJW 2014, 2904, 2909) findet in den Urteilen keine verlässliche Stütze. Vielmehr hat das Gericht die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Fremdunterbringung unter Entziehung des elterlichen Aufenthaltsbestimmungsrechts der hohen Eingriffsintensität entsprechend konkretisiert, so a. Heiß, NZFam 2015, 532, 536 f. 421 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 988; Heiß, NZFam 2015, 491, 492. 422 BVerfG, FamRZ 2014, 907, 909; Britz, FamRZ 2015, 793, 794 ff.; Heiß, NZFam 2015, 491, 492; Heilmann, NJW 2014, 2904, 2907; Hoffmann, NZFam 2015, 985, 988. Grundlegend zum Schutzanspruch des Kindes BVerfGE 24, 119, 144 f. = NJW 1968, 2233, 2235 f. 423 Lorenz, NZFam 2017, 782, 785; so auch BT-Drs. 18/11278, S. 10. 424 Britz, FamRZ 2015, 793, 795; dies., JZ 2014, 1069, 1072; ähnlich Heiß, NZFam 2015, 492 und Vogel, FamRZ 2015, 1, 5 f. Krit. hierzu Heilmann, NJW 2014, 2904, 2909. 425 Götz, FamRZ 2017, 1289, 1294 f. m.w.N.; Lorenz, NZFam 2017, 782, 787 f.; Hoffmann, NZFam 2015, 985, 988 f.; dies., ZRP 2016, 242, 243 f. Auch das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt die hohe Eingriffsintensität ärztlicher Zwangsmaßnahmen betont, vgl. BVerfGE 58, 208, 224 = NJW 1982, 691, 692; BVerfGE 128, 282, 300 ff. = NJW 2011, 2113, 2114; BVerfGE 133, 112, 114 = NJW 2013, 2337 = MedR 2013, 596; vgl. a. BGT (Hrsg.), Stellungnahme zum RegE BT-Drs. 18/11240, S. 1. 426 Vgl. a. Hoffmann, NZFam 2015, 985, 988. 427 Vgl. hierzu Hoffmann, NZFam 2015, 985, 988; Heiß, NZFam 2015, 491, 492 f. Auch die Gesetzesbegründung zu § 1631b Abs. 2 BGB n.F. erkennt an, dass das Schutzbedürfnis des Kindes bei freiheitsentziehenden Maßnahmen gegenüber allen gesetzlichen Vertretern dasselbe ist, vgl. BT-Drs. 18/1127, S. 17. Krit. hierzu Bruckermann, SRa 2017, 124, 125 f. 428 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 989. Krit. hierzu Lorenz, NZFam 2017, 782, 783 m.w.N.

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9. Kapitel: Rechtsfolgen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

Auch die Erweiterung des familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts auf freiheitsentziehende Maßnahmen im Juli 2017 weist in diese Richtung.429 Der Gesetzgeber schloss sich damit der überwiegenden Ansicht im Schrifttum an.430 Inhaltlich bezweckte der Gesetzgeber mit der Anpassung einen Gleichlauf mit dem Betreuungsrecht, das in § 1906 Abs. 4 BGB bereits seit 1992431 einen gerichtlichen Genehmigungsvorbehalt für die Einwilligung des Betreuers in freiheitsentziehende Maßnahmen vorsieht.432 Zwar erfasst der Gesetzestext ausschließlich Maßnahmen zur Freiheitsentziehung, nicht solche zu therapeutischen oder medizinischen Zwecken, so dass ärztliche Zwangsmaßnahmen auch nach Einführung der Norm weiterhin genehmigungsfrei sind.433 Durch die Neufassung des § 1631b Abs. 2 BGB hat der Gesetzgeber aber den Regelungsbedarf von Maßnahmen mit besonders hoher Eingriffsintensität ein weiteres Mal bekräftigt. Schließlich könnte ein gerichtliches Genehmigungserfordernis einen „Ort zur Klärung“ der Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten schaffen und die Praxis der Kinder- und Jugendpsychiatrie transparenter machen.434 3. Weitergehende Anforderungen nach § 1631b BGB Erfolgt die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung sind zusätzlich die materiell- und verfahrensrechtlichen Vorgaben der § 1631b BGB und §§ 151 Nr. 6, 167 Abs. 1 S. 1, 312 Abs. 1 Nr. 1, 321 FamFG zu beachten.435 Das Familiengericht prüft in diesem Fall im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für die Unterbringung auch die Voraussetzungen der Zwangsbehandlung. Liegen diese nicht vor, ist auch die freiheitsentziehende Unterbringung nicht genehmigungsfähig.436 Entsprechend muss auch das nach §§ 167 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 321 FamFG erforderliche Sachverständigengutachten zu den geplanten Zwangsmaßnahmen Stellung nehmen.437 Im Tenor der Entscheidung, mit der eine freiheitsentziehende Unterbringung zur Zwangsbehandlung genehmigt wird, hat das Familiengericht zudem die Art und Weise der erlaubten Behandlung näher 429

Vgl. § 1631b Abs. 2 BGB n.F., eingeführt durch das Gesetz zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern vom 17. Juli 2017, BGBl. 2017 I, 2424. Zu den freiheitsentziehenden Maßnahmen gehören etwa die mechanische Fixierung, Einschluss im Zimmer oder medikamentöse Sedierung, vgl. Götz, FamRZ 2017, 1289. Weitere Beispiele bei Kirsch, FamRZ 2019, 933, 935. Näher zur praktischen Relevanz der Regelung ebenda, S. 933. 430 BT-Drs. 18/1127, S. 10. Der BGH hat wiederholt festgestellt, dass freiheitsentziehende Maßnahmen für untergebrachte Betreute häufig wesentlich weitgehender Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit bedeuten als die Unterbringung selbst, BGH, NJW 2012, 3728, 3729; NJW-RR 2015, 1347, 1348 (allerdings im Zusammenhang mit § 1906 Abs. 4 BGB a.F.). Krit. zum Gesetzentwurf Bruckermann, SRa 2017, 124 ff. 431 § 1906 BGB wurde durch das Betreuungsgesetz v. 12.9.1990, BGBl. I, 2002 neu gefasst. 432 BT-Drs. 18/1127, S. 10 und S. 17. 433 So auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/1127, S. 17. 434 Lorenz, NZFam 2017, 782, 788. 435 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 987. § 167 Abs. 1 S. 1 FamFG verweist auf die für Unterbringungssachen geltenden Verfahrensregeln, so dass insoweit ein verfahrensrechtlicher Gleichlauf mit dem Betreuungsrecht besteht, MüKoBGB/Schwab, § 1906 Rn. 2. 436 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 987. 437 Hoffmann, NZFam 2015, 985, 987.

D. Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen

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festzulegen, vgl. §§ 167 Abs. 1 i.V.m. 323 FamFG.438 Nach wie vor umstritten ist, ob das Einverständnis des Kindes zur freiheitsentziehenden Unterbringung oder Maßnahme das Genehmigungserfordernis entfallen lassen kann.439 4. Fazit Im Kindschaftsrecht ist der Schutzstandard de lege lata deutlich niedriger als im Betreuungsrecht. So ist vor allem kein verpflichtender Überzeugungsversuch normiert. Ärztliche Zwangsmaßnahmen bei Minderjährigen sind zudem weder auf die stationäre Unterbringung begrenzt noch an eine familiengerichtlichen Genehmigung gebunden. Der geringere Schutzstandard lässt sich nicht mit den Besonderheiten des Eltern-Kind-Verhältnisses legitimieren. In diesem besonders grundrechtssensiblen Bereich lassen sich für Minderjährige keine anderen materiell-rechtlichen Maßstäbe rechtfertigen als für Volljährige. Eine ausdrückliche Regelung der materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Zwangsbehandlung Minderjähriger, inklusive eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes, ist aufgrund der hohen Eingriffsintensität ärztlicher Zwangsmaßnahmen verfassungsrechtlich geboten. Das gilt vor allem für psychisch kranke Minderjährige, die sich dem Volljährigkeitsalter nähern. In diese Richtung weist auch die Einführung des Genehmigungsvorbehalts für freiheitsentziehende Maßnahmen in § 1631b Abs. 2 BGB, mit der der Gesetzgeber das Schutzbedürfnis Minderjähriger auch gegenüber den Eltern ausdrücklich anerkannt hat.

438

BVerfG, NJW 2007, 3560, 3562 = FamRZ 2007, 1627, 1629; vgl. a. Hoffmann, NZFam 2015, 985, 987. 439 Näher zum Meinungsstand Götz, FamRZ 2017, 1289, 1293 f. m.w.N.; vgl. a. Kirsch, FamRZ 2019, 933, 936.

4. Teil: Anschlussfragen und wesentliche Ergebnisse

Kapitel 10: Arzthaftungsrechtliche und prozessuale Anschlussfragen 10. Kapitel: Anschlussfragen

Die Einwilligungsfähigkeit wirft nicht nur komplexe prozessrechtliche Fragen auf (A.). Beurteilt der Arzt sie fehlerhaft, sind auch haftungsrechtliche Aspekte berührt (B.).

A. Prozessuale Fragen A. Prozessuale Fragen

In der Literatur wird mit Blick auf die noch immer bestehenden Rechtsunsicherheiten bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit 1 vereinzelt vertreten, dass dem behandelnden Arzt ein gerichtlich nur ein eingeschränkt überprüfbarer Einschätzungsspielraum zukomme.2 Auch die Kompetenzen des gerichtlichen Sachverständigen werden mitunter sehr weit gefasst. Weitgehend ungeklärte Fragen bestehen überdies im Zusammenhang mit der Beweislast.

I. Zur Rolle der Einwilligungsfähigkeit im Prozess Ob ein Patient bezogen auf eine konkrete Behandlungsentscheidung hinreichend einwilligungsfähig (gewesen) ist, kann in unterschiedlichen prozessualen Konstellationen relevant werden.3 Im Arzthaftungsprozess entscheidet die Einwilligungsfähigkeit mit darüber, ob eine bereits verwirklichte Behandlungseinwilligung des Patienten oder seines Stellvertreters wirksam war.4 In betreuungsrechtlichen Genehmigungsverfahren wird sie als Voraussetzung der Behandlungsentscheidung des Betreuers vor Beginn einer ärztlichen Maßnahme vorausschauend geprüft.5 Das gilt auch für die familiengerichtliche Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung Minderjähriger,6 sofern die Unterbringung ärztliche Zwangsmaßnahmen ermöglichen soll.7 Auch im Rahmen von Verfahren zur Begrenzung der elterlichen

1

Ausführlich hierzu oben Kap. 3. Näher zum Begriff Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 113 m.w.N. 3 Vgl. hierzu Kap. 3 B I. 4 Weitergehend wird vereinzelt vertreten, dass der nach § 630 Abs. 1 S. 2 BGB Berechtigte unter Berufung auf die Einwilligungsunfähigkeit des Patienten gegen den Behandelnden auf Unterlassung oder Feststellung klagen kann, wenn der Arzt seine Maßnahme allein auf die Einwilligung des Patienten stützt, NK-BGB/Voigt, § 630h Rn. 12. Ebenso soll sich der Patient per Feststellungs- oder Unterlassungsklage gegen eine unzulässigerweise nach § 630d Abs. 1 S. 2 BGB beim Stellvertreter eingeholte Einwilligung wenden können, NK-BGB/ Voigt, ebenda. 5 HK-BUR/Bauer/Braun, § 1906a Rn. 36. 6 Vgl. §§ 111 Nr. 2 FamFG i.V.m. § 151 Nr. 6 und 7 FamFG. Näher hierzu Kap. 9 D III 2 a). 7 Vgl. Kap. 9 D III. 2

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Genske, Gesundheit und Selbstbestimmung, Kölner Schriften zum Medizinrecht 23, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1_10

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316

10. Kapitel: Anschlussfragen

Sorge nach § 1666 BGB hat das Familiengericht die Einwilligungsfähigkeit als Vorfrage zu prüfen.8 Unabhängig davon, ob die Einwilligungsfähigkeit von den Gerichten vorausschauend oder rückblickend bewertet wird, ist sie am Maßstab ex ante zu beurteilen. Der vom Gericht anzulegende Sorgfaltsmaßstab umfasst damit die objektiv erkennbaren Umstände im Zeitpunkt der ärztlichen Beurteilung. Vor allem im Arzthaftungsprozess ist die Sicht des beurteilenden Arztes zu Grunde zu legen und keine ex post Betrachtung vorzunehmen.9 Wird die ärztliche Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit vom Gericht rückblickend überprüft, stellt sich die Frage, inwieweit medizinisch-psychologische Beurteilungskompetenzen angesichts der unklaren Rechtslage einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum des Arztes bei der Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit im klinischen Alltag begründen können.

II. Prüfungsumfang der Gerichte und Kompetenzen des gerichtlichen Sachverständigen Medizinisch-psychologischer Sachverstand fließt an verschiedenen Stellen in die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit ein. Im klinischen Alltag prüft der behandelnde Arzt, ein Konsiliararzt oder ein Psychologe die Einwilligungsfähigkeit und stellt ihr Vorhandensein oder ihr Fehlen verbindlich fest. Mediziner und Psychologen beraten zudem die Gerichte als Sachverständige im Prozess. In beiden Fällen stellt sich die Frage, inwieweit die fachliche Einschätzung des beurteilenden Psychologen oder Mediziners gerichtlich überprüfbar ist. 1. Stellungnahme: Keine Einschätzungsprärogative des Arztes Richtigerweise ist die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit als Rechtsfrage in allen prozessualen Konstellationen gerichtlich voll überprüfbar.10 Die Gerichte sind auch im Arzthaftungsprozess nicht an das Urteil des beurteilenden Arztes gebunden. Den prüfenden Medizinern und konsiliarisch hinzugezogenen Psychologen kommt bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit im Behandlungsalltag auch keine Einschätzungsprärogative zu.11 Die Forderung, die Beurteilung der Einwilli8

Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 423. Daneben sollen die Eltern nach einer vereinzelten Literaturauffassung das Familiengericht auch nach § 1631 Abs 3 BGB anrufen können, um die Einwilligungsunfähigkeit des Kindes zu klären und sich der eigenen Alleinzuständigkeit zur Erteilung der Einwilligung zu versichern, vgl. Hau, in FS: Coester-Waltjen, 2015, S. 1023. 9 Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 115; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419. 10 So auch MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 22; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 114; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 167; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 45 f.; ähnlich bereits Schünemann, VersR 1981, 306, 307. Näher zur Rolle des Rechts bei der Konkretisierung und Beurteilung der Einwilligung(un)fähigkeit, Kap. 2 A. 11 MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 22; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 114; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 167; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 45. Ähnlich bereits Schünemann, VersR 1981, 306, 307.

A. Prozessuale Fragen

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gungsfähigkeit wegen der vagen juristischen Kriterien, der hiermit verbundenen Beweisschwierigkeiten und komplexen Abgrenzungsfragen ins ärztliche Ermessen zu stellen,12 ist mit wesentlichen Grundsätzen des Zivilprozessrechts unvereinbar. Das betrifft in erster Linie den Grundsatz der Waffengleichheit.13 Ist der Arzt beweisbelastet, wäre letztlich die Einschätzung der beweispflichtigen Partei selbst entscheidend, wodurch der Patient prozessual unangemessen benachteiligt würde.14 Auch ein Vergleich mit parallel gelagerten Fällen wie der Beurteilung der Testier(un)fähigkeit durch den Notar, dem anerkannterweise ebenfalls keine Einschätzungsprärogative zukommt, stützt dieses Ergebnis.15 Rumetsch weist zudem auf jüngere Entwicklungen im Sozialrecht hin.16 Im Rahmen von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V stellt sich die Frage, ob dem Arzt für die Einschätzung der Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung ein Einschätzungsspielraum mit verminderter gerichtlicher Kontrolldichte zukommt.17 Während der 3. Senat des Bundessozialgerichts dies bejahte, entschied der Große Senat des Bundessozialgerichts entgegengesetzt und hielt die ärztliche Einschätzung für gerichtlich voll überprüfbar.18 Kommt dem Arzt im sozialrechtlichen Verfahren schon bei rein medizinischen Fragen kein Beurteilungsspielraum zu, kann für die zivilprozessuale Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit, die sich primär nach rechtlichen Kriterien richtet, nichts anderes gelten. Beruht die Fehleinschätzung des Arztes nicht auf einem Sorgfaltsverstoß, wird regelmäßig das Verschulden zu verneinen sein.19 Die Ebene der Rechtswidrigkeit erscheint demgegenüber aus den genannten Gründen zur Entlastung des Arztes nicht sachgerecht.20 2. Eigenständige Prüfpflicht der Gerichte Richtigerweise dürfen sich die Gerichte nicht ohne eigenständige Prüfung auf die Einschätzung des behandelnden Arztes verlassen. Sie sind nach allgemeinen Regeln verpflichtet, selbständig festzustellen, ob der Patient im maßgeblichen Zeitpunkt

12

Vgl. Neyen, Einwilligungsfähigkeit, 1991, S. 77 f.; Voll, Einwilligung im Arztrecht, 1996, S. 64; Nebendahl, MedR 2009, 197, 202; Lesch, NJW 1989, 2309, 2310; Kreße, MedR 2015, 91, 93 sowie jüngst Lipp, in: Beck (Hrsg.), Gesundheit und Krankheit, 2017, S. 186 f. Diff. J. Prütting/Merrem, in: Prütting, MedR-K, BGB § 630d Rn. 35. 13 Der zivilprozessuale Grundsatz der Waffengleichheit gebietet, dass beiden Prozessparteien der Raum gewährt wird, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen, vgl. MüKoZPO/Rauscher, Bd. 1, Einl. Rn. 258 ff. Näher zur Waffengleichheit im Arzthaftungsprozess BVerfGE 52, 131, 155 ff. = NJW 1979, 1925 f.; Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 43; NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 416 m.w.N.; ders., Arzthaftung, 2002, S. 378 ff. 14 So zutreffend Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 113; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419. 15 Vgl. § 28 BeurkG; Schmoeckel, NJW 2016, 433, 436. 16 Vgl. Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 113 f. 17 BSG, NZS 2008, 419, 423 f. Näher hierzu Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 113 f. 18 Vgl. BSG, NZS 2008, 419, 423 f., seither st. Rspr, vgl. nur BSG, NJOZ 2009, 1310, 1313; NZS 2010, 387, 388. Krit. hierzu Rumetsch, Med. Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 114. 19 Vgl. Kap. 10 B I 1 b). 20 Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 114; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419.

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10. Kapitel: Anschlussfragen

konkret einwilligungsfähig war oder nicht.21 In der Regel werden die Gerichte hierzu einen unabhängigen Sachverständigen hinzuziehen.22 3. Rolle des Sachverständigen Bei der gerichtlichen Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit wirken Richter, Betroffener und medizinischer Sachverständiger zusammen.23 Hierbei kommt auch dem Sachverständigen richtigerweise kein Beurteilungsspielraum zu.24 Denn nicht nur definiert der Richter die Kriterien, nach denen die Einwilligungsfähigkeit rechtlich zu beurteilen ist.25 Er würdigt auch das Gutachten eigenständig und entscheidet über die Frage der Einwilligungsfähigkeit letztverbindlich selbst.26

III. Prozessuale Bedeutung der aus der Mündigkeit folgenden Vermutungsregeln Anders als der gerichtliche Prüfungsumfang wurde die Frage, wer die Einwilligungsfähigkeit im Arzthaftungsprozess zu beweisen hat, bisher wissenschaftlich kaum aufgearbeitet.27 In der Regel wird eher vage auf „allgemeine Beweislastgrundsätze“28 oder das regelhafte Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit Volljähriger verwiesen.29 Anliegen des folgenden Abschnitts ist es, die beweisrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Einwilligungsfähigkeit zu vertiefen. Problematisch erscheint vor allem, dass die Einwilligungsfähigkeit nur spezialgesetzlich geregelt ist. Die herrschende Meinung geht zurecht von ungeschriebenen materiell-rechtlichen Vermutungsregeln aus (1.). Diese weichen jedoch von der gesetzlichen Regelbeweislastverteilung ab (2.). Eine entsprechende Beweislastumkehr ist dem Gesetzgeber sowie in Ausnahmefällen den Gerichten im Wege richterlicher Rechtsfort21

So bereits BGH, NJW 1959, 811, 814; VerwRspr 1962, 70, 72; vgl. a. Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 113 ff.; Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 46. Das gilt sowohl für die Beurteilung der EWF als Rechtsfrage als auch für die hierfür notw. Tatsachenfeststellungen, Katzenmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Vor §§ 402 ff. Rn. 3 f. 22 Diederichsen, in: FS Hirsch, 2008, S. 362; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 167. 23 Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 87; Katzenmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 404a Rn. 1 und Rn. 3 ff. 24 A.A. Kreße, MedR 2015, 91, 93; Ganner, Selbstbestimmung im Alter, 2005, S. 242. 25 Vgl. §§ 403, 404a ZPO; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 115; Diederichsen, in: FS Hirsch, 2008, S. 362; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 87. 26 BGH, NJW 1959, 811, 812; Katzenmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Vor §§ 402 ff., Rn. 3 f.; Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl. 2018, Rn. 655 ff.; Lipp, in: Beck (Hrsg.), Gesundheit und Krankheit, 2017, S. 185; Geiß/Greiner, Rn. E 15; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 167; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 115; Schmoeckel, NJW 2016, 433, 434 m.w.N.; vgl. a. Kap. 2 A II 3 und Kap. 10 A I. Näher zur Rolle des Sachverständigen im Arzthaftungsprozess Katzenmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Vor §§ 402 ff. Rn. 1 ff. und § 404a Rn. 1 ff. 27 Eine Ausnahme stellt die ausführliche Betrachtung von Kreße, MedR 2015, 90, 92 f. dar. 28 Bergmann, VersR 2017, 661, 664. 29 OLG Koblenz, MedR 2015, 422; OLG Dresden, RDG 2019, 135; Spickhoff, NJW 2015, 1728, 1732.

A. Prozessuale Fragen

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bildung vorbehalten (3.). Fehlt es an einer gesetzlichen Anordnung oder einer entsprechenden Rechtsfortbildung durch die Gerichte, muss geklärt werden, wie den zu befürwortenden materiell-rechtlichen Vermutungsregeln auf anderem Wege prozessual Rechnung getragen werden kann. 1. Materiell-rechtliche Vermutungsregeln Nach h.M. ist die Einwilligungsfähigkeit Volljähriger unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten zu vermuten.30 Entsprechend ist bei Volljährigen zu prüfen, ob sie ausnahmsweise einwilligungsunfähig sind. Umgekehrt ist bei minderjährigen Patienten in Ermangelung eines vergleichbaren Vermutungstatbestandes zu prüfen, ob sie trotz ihrer Unmündigkeit nach ihrem individuellen Entwicklungsstand im Einzelfall bereits einwilligungsfähig sind. Während bei minderjährigen Patienten damit die Einwilligungsunfähigkeit maßgeblich ist, streitet bei volljährigen Patienten eine „widerlegliche Vermutung“ für die Fähigkeit zur Einwilligung.31 Erkrankungen, Zustände32 und Behinderungen, die die für die Einwilligungsfähigkeit erforderlichen Fähigkeiten potentiell beeinträchtigen können, können diese „Vermutungswirkung“ erschüttern und eine Überprüfung erforderlich machen. Unklar ist bislang welche Bedeutung diese nach dem Alter differenzierenden, ungeschriebenen „Vermutungsregeln“ für die Beweislast der Parteien im Prozess haben.33 2. Allgemeine Beweislastgrundsätze und Korrekturbedarf Grundsätzlich hat jede Partei die tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtsnorm zu beweisen.34 Macht der Patient, gestützt auf die eigene Einwilligungsunfähigkeit, wegen eines ärztlichen Eingriffs Schadensersatzansprüche gegen die Behandlerseite geltend, begünstigt das Vorliegen der wirksamen Einwilligung deliktsrechtlich gesehen den Arzt.35 Denn die Rechtsprechung qualifiziert jeden medizinischen Eingriff als tatbestandsmäßige Körperverletzung, die die Rechtswidrig30

Vgl. Kap. 5 B I. Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, 2004, S. 118. Näher hierzu Kap. 5 B I. 32 Gemeint sind alkohol- und drogenbedingte Rauschzustände aber auch starke Schmerzen. Näher hierzu Kap. 5 D. 33 Grundsätzlich bewirken materiell-rechtliche Vermutungsregeln eine Beweislastumkehr, S. § 292 S. 1 ZPO, Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl. 2016, § 7 Rn. 36 f. Erforderlich ist hierfür aber eine gesetzliche Grundlage, die bei der Einwilligungsfähigkeit weitgehend fehlt, S. oben Kap. 3 A. Näher zu den Voraussetzungen Musielak/Voit, GK ZPO, 14. Aufl. 2018, Rn. 862 ff. 34 Vgl. nur BGH, NJW 1970, 946, 947; BGHZ 113, 222, 224 = NJW 1991, 1052, 1053 m.w.N.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 18. Aufl. 2018, § 116 Rn. 7 und Rn. 9; Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Hdb. d. Beweislast, Bd. 1, Kap. 2 Rn. 3 und Kap. 9 Rn. 10. Das gilt auch im Arzthaftungsprozess: Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. XI Rn. 49 f.; ders., in: Prütting, MedR-K, ZPO § 286 Rn. 8 f.; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 128; Kern, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XIX § 106 Rn. 3. 35 NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 446 m.w.N.; NK-BGB/Voigt, § 630h Rn. 9. Folglich ist der Arzt für das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung beweisbelastet, NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 446 m.w.N.; NK-BGB/Voigt, § 630h Rn. 9; Kern, in: Laufs/Kern/Rehborn, Hdb. d. ArztR, 2019, Kap. XIX § 106 Rn. 6. 31

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10. Kapitel: Anschlussfragen

keit indiziert (sog. Körperverletzungsdoktrin).36 Die Beweislast der Behandlerseite erstreckt sich hierbei auf sämtliche Tatsachen, die für eine wirksame Einwilligung streiten.37 Das gilt auch für die Einwilligungsfähigkeit des Patienten38 und zwar unabhängig davon, ob dieser minderjährig oder volljährig ist. Der Arzt hätte damit sowohl bei minderjährigen als auch bei volljährigen Patienten positiv die Einwilligungsfähigkeit zu beweisen. Der Patient wiederum ist hinsichtlich Rechtsgutsverletzung, Schaden, haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität beweisbelastet.39 Vertragsrechtlich hingegen ist die Nichteinholung der Einwilligung eine Pflichtverletzung, die nach der Regelbeweislastverteilung – erneut altersunabhängig – vom Anspruchsteller zu beweisen ist. Die von der herrschenden Meinung zurecht befürwortete Differenzierung zwischen minderjährigen und volljährigen Patienten lässt sich damit nicht über die Regelbeweislastverteilung erreichen. 3. Mögliche Lösungsansätze und eigene Würdigung Um die gebotene Differenzierung auch prozessrechtlich erreichen zu können, kommen verschiedene Wege in Betracht: Möglich erscheint etwa eine „echte“ widerlegliche Vermutung der Einwilligungsfähigkeit volljähriger Patienten, die zur Folge hätte, dass es auf den (Haupt-)beweis der Einwilligungsunfähigkeit ankäme – und nicht wie bei Minderjährigen auf den der Einwilligungsfähigkeit.40 Eine solche Umkehr der Beweislast, mit der Folge, dass nicht der Arzt die Einwilligungsfähigkeit zu beweisen hätte, sondern der Patient die eigenen Einwilligungsunfähigkeit, bedarf im Regelfall einer gesetzlichen Grundlage oder richterlicher Rechtsfortbildung.41 Ein ähnliches Ergebnis lässt sich erreichen, wenn man die Einwilligungsunfähigkeit wie die Gesetzesbegründung als rechtshindernde Einwendung charakterisiert.42 Auch hiernach wäre die Partei beweisbelastet, die sich auf das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit beruft; allerdings erneut altersunabhängig. Eine dritte und vorzugswürdige Ansicht beruft sich hingegen auf die Regeln des Anscheinsbeweises. 43 36

Vgl. nur RGZ 68, 431, 433 f.; RGZ, 168, 206, 210; BGHZ 29, 176, 179 f. = NJW 1959, 814; BGHZ 192, 298, 299 f. = NJW 2012, 850 f.; sowie aus strafrechtlicher Sicht RGSt 25, 375; RGSt 38, 34, 35; RGSt 74, 91, 95 f.; BGH, NJW 1958, 267, 268; NJW 1981, 351, 351; MedR 2008, 158, 159; zust. Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 1; Fischer, StGB § 223 Rn. 20. A.A. LK-StGB/Lilie, Vor § 223 Rn. 3 ff.; Lackner/Kühl, § 223 Rn. 8; Larenz/Canaris, Schuldrecht, II/2, 13. Aufl. 1994, § 76 II, S. 383 f.; Laufs, NJW 1969, 529, 531 f.; ders., NJW 1974, 2025, 2028; Taupitz, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. A 15 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 118 ff.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kap. V Rn. 13 f. 37 Vgl. BGH, NJW 1998, 1784, 1785; NJW 1992, 2354, 2354; NJW 1990, 2928. Näher hierzu Geiß/Greiner, Rn. C 131 und Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. XI Rn. 148, jeweils mit umfangreichen Nachw. aus der Rspr. 38 Kreße, MedR 2015, 91, 92 f.; NK-BGB/Voigt, § 630h Rn. 12; Genske, MedR 2016, 173, 174. 39 NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 447 m.w.N. 40 Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl. 2016, § 7 Rn. 36 f. 41 Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Hdb. d. Beweislast, Kap. 9 Rn. 20 ff.; Musielak/Voit, GK ZPO, 14. Aufl. 2018, Rn. 861 ff. 42 BT-Drs. 17/10488, S. 23. 43 NK-BGB/Voigt, BGB, § 630h Rn. 12; angedeutet auch bei Spickhoff, NJW 2015, 1728, 1732.

A. Prozessuale Fragen

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a) Keine rechtshindernde Einwendung Die Einwilligungsunfähigkeit ist keine rechtshindernde Einwendung, denn anders als die Geschäftsunfähigkeit hindert sie kein Recht am Entstehen.44 Eine „existenzleugnende Wirkung“45 kommt dem Einwand der Einwilligungsunfähigkeit nur bezogen auf die Einwilligung zu, nicht in Bezug auf ein Recht. Insbesondere begründet die Einwilligung des Patienten kein Behandlungsrecht des Arztes, was schon ihre jederzeitige Widerrufbarkeit belegt, die Ausfluss des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist.46 Das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit kann umgekehrt zur Entstehung eines Schadensersatzanspruches führen, sofern der Arzt nicht die Einwilligung eines hierzu Berechtigten eingeholt hat47 und die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. b) Keine gesetzliche oder richterrechtliche Beweislastumkehr Komplexer stellt sich die Frage einer möglichen gesetzlichen oder richterrechtlichen Beweislastumkehr dar.48 Hierbei ist es zweckmäßig zwischen Delikts- und Vertragsrecht zu differenzieren. aa) Deliktsrecht Wie gezeigt ist der Arzt im deliktsrechtlichen Schadensersatzprozess altersunabhängig bezüglich Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit beweisbelastet. Eine gesetzliche Beweislastumkehr lässt sich schon deshalb kaum begründen, weil die Einwilligungsfähigkeit bisher nicht allgemein geregelt ist.49 Zwar ergibt sich aus einigen spezialgesetzlichen Regelungen der gesundheitsbezogenen Einwilligung eine sekundäre Darlegungslast des volljährigen Patienten, soweit hierin die Einwilligungsfähigkeit als negatives Tatbestandsmerkmal ausgestaltet ist.50 Die Analogiefähigkeit dieser Normen wird allerdings zu Recht überwiegend abgelehnt.51 Auch eine isolierte Bezugnahme auf die in den spezialgesetzlichen Regelungen enthaltenen beweisrechtlichen Grundsätze kommt wegen ihres uneinheitlichen Regelungs44

Näher zu den Vss. rechtshindernder Einwendungen Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl. 2016, Rn. 94 ff. und Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl. 2016, § 21 Rn. 12 ff. 45 Vgl. Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl. 2016, § 21 Rn. 12. 46 Vgl. BGHZ 163, 195, 199 f. = MedR 2005, 719, 721 und unten Kap. 2 D I 5. Auch die Konstruktion eines durch den Widerruf des Patienten auflösend bedingten Eingriffsrechts würde dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht gerecht. Grundlegend zum Ganzen BGHZ 163, 195, 199 f. = MedR 2005, 719, 721. 47 Vgl. § 630 Abs. 1 S. 2 BGB. Näher hierzu Kap. 9 B III. 48 Näher zu den Voraussetzungen Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 116 Rn. 10 ff. und Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Hdb. d. Beweislast, Kap. 9 Rn. 20 ff. 49 Vgl. Kap. 3 A I. 50 So etwa §§ 1905 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 1906 Abs. 1, 1906a BGB, §§ 14, 17 Abs. 3 GenDG, § 41 Abs. 3 AMG, § 3 Abs. 3 KastrG, § 18 Abs. 3 S. 2 PsychKG NRW. Anders jedoch §§ 28d Abs. 4 S. 1 Nr. 3, 28c Abs. 1 S. 3 RöV, §§ 87 Abs. 1 S. 3, 88 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 StrSchV, § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 AMG, § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 MPG, §§ 8c Abs. 1 Nr. 1 lit. a, 8b Abs. 1 S. 1 TPG, § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB und § 13 Abs. 1 PsychothBO NRW. Die EWF Minderjähriger ist demgegenüber ausnahmslos positiv geregelt, vgl. Kap. 5 B I 2 Fn. 57. 51 Näher hierzu Kap. 3 C II 3 a).

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10. Kapitel: Anschlussfragen

gehalts bei Volljährigen kaum in Betracht.52 In der Rechtsprechung der Obergerichte finden sich aber Anhaltspunkte für eine richterrechtliche Rechtsfortbildung.53 So hat etwa das OLG Koblenz jüngst mit Hinweis auf die „gleichgelagerte Problematik bei der Geschäftsfähigkeit“ gefolgert, dass bei der Einwilligungsfähigkeit volljähriger Patienten, derjenige beweisbelastet sei, der sich auf ihr Fehlen beruft.54 Zwar ist die Begründung ungenau.55 Im Ergebnis ist das Urteil jedoch zu begrüßen. bb) Vertragsrecht (1) Rechtslage vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes56 Im Vertragsrecht war nach allgemeinen Grundsätzen bis zum Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes die Anspruchstellerseite und damit der Patient für die Unwirksamkeit der Einwilligung und die fehlerhafte Aufklärung als Pflichtverletzungen beweisbelastet.57 Dieser hatte, wenn er sein vertragsrechtliches Schadensersatzbegehren auf die Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht und die Pflicht zur Einholung der Einwilligung in Folge der eigenen Einwilligungsunfähigkeit stützte, zu beweisen, dass er im relevanten Zeitpunkt konkret einwilligungsunfähig war. Diese Regelbeweislastverteilung galt im Ausgangspunkt altersunabhängig und damit auch für minderjährige Patienten. Die Frage ist prozessrechtlich nicht relevant geworden, da die Gerichte sich regelmäßig auf das Deliktsrecht stützten.58 Die spezialgesetzlichen Regelungen normieren die Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten, Probanden und Spender zudem ausnahmslos als positives Tatbestands-

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So setzen etwa §§ 28d Abs. 4 S. 1 Nr. 3, 28c Abs. 1 S. 3 RöV, §§ 87 Abs. 1 S. 3, 88 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 StrSchV, § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 AMG, § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 MPG, §§ 8c Abs. 1 Nr. 1 lit. a, 8b Abs. 1 S. 1 TPG, § 13 Abs. 1 PsychothBO NRW aber auch § 1901a Abs. 1 BGB die Einwilligungsfähigkeit auch bei volljährigen Personen positiv voraus. Krit. hierzu a. Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 17 Rn. 127. 53 Näher zu den Voraussetzungen Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Hdb. d. Beweislast, Kap. 9 Rn. 22; Musielak/Voit, GK ZPO, 14. Aufl. 2018, Rn. 867. 54 OLG Koblenz, MedR 2015, 422, 424; so auch OLG Dresden, RDG 2019, 135, 136; zust. Lipp, in: Beck (Hrsg.), Gesundheit und Krankheit, 2017, S. 185. 55 Ausführlich hierzu Kap. 5 B I. 56 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten v. 20.02.2012, BGBl. I, S. 277. 57 Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800, Rn. 52; NK-BGB/Voigt, § 630h Rn. 9; HkBGB/Schreiber, § 630h Rn. 4. A.A. Spickhoff/Spickhoff, § 630h Rn. 7; ders., NJW 2002, 1758, 1763, der Einwilligung und Aufklärung auch im Vertragsrecht als Rechtfertigungsgründe und nicht als Pflichten interpretiert und deshalb die deliktsrechtliche Beweislastverteilung für maßgeblich hält. Richtigerweise war jedoch auch vor Regelung des Behandlungsvertrages die Pflichtverletzung in der fehlerhaften Aufklärung bzw. Nichteinholung der wirksamen Einwilligung zu sehen, vgl. MüKoBGB/Wagner, 6. Aufl. 2012, § 823 Rn. 867; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2009, Kap. III Rn. 32; Katzenmeier, ebenda, Kap. V Rn. 5 ff. Näher hierzu Genske, MedR 2016, 173, 174 f. 58 Vgl. nur BGHZ 29, 33, 36 f. = NJW 1959, 811; NJW 1970, 511, 512; NJW 2007, 217, 218; OLG München, NJW 1958, 633; OLG Hamm, NJW 1983, 2095, 2095; LG München I, NJW 1980, 646; AG Schlüchtern, NJW 1998, 832; so auch Diederichsen, in: FS Hirsch, 2008, S. 363; MüKoBGB/Olzen, § 1666 Rn. 79; Rothärmel u.a., MedR 1999, 293, 294 f.

A. Prozessuale Fragen

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merkmal.59 Der hierin zum Ausdruck kommende allgemeine Grundsatz lässt sich – auch in der Zusammenschau mit anderen Regelungen der Handlungsfähigkeit60 –, trotz der fehlenden Analogiefähigkeit der Normen insgesamt, anders als bei Volljährigen, auf die nicht geregelten Fälle entsprechend anwenden. (2) Rechtslage nach Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes Durch das Patientenrechtegesetz wurde die Beweislast im Rahmen der vertragsrechtlichen Haftung dem Deliktsrecht angeglichen.61 § 630h Abs. 2 S. 1 BGB enthält seither spezielle Regeln für Einwilligung und Aufklärung.62 Hiernach hat der Behandelnde wie im Deliktsrecht zu beweisen, dass er die Einwilligung des Patienten gemäß § 630d BGB eingeholt und ihn entsprechend § 630e BGB aufgeklärt hat.63 § 630h Abs. 2 S. 1 BGB erfasst auch die Voraussetzungen der Einwilligung.64 Die vom OLG Koblenz vorgenommene Rückausnahme65 von der Beweislastregel des § 630h Abs. 2 S. 1 BGB erscheint vom Willen des Gesetzgebers gedeckt, der die Einwilligungsunfähigkeit – wenn auch unzutreffend – als rechtshindernde Einwendung qualifiziert und damit ebenfalls denjenigen, der sich auf das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit beruft als beweisbelastet sieht. c) Anscheinsbeweis Angesichts dieser Unwägbarkeiten ist eine Lösung über die Regeln des Anscheinsbeweises dogmatisch vorzugswürdig.66 Hiernach hat die Behandlerseite sowohl im Deliktsrecht als auch im Vertragsrecht nach § 630h Abs. 2 S. 2 BGB den Hauptbeweis zu führen, dass der Patient in Bezug auf die konkrete Maßnahme einwilligungsfähig war. Ist der Patient volljährig und bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dessen Fähigkeiten aus tatsächlichen Gründen eingeschränkt sein könnten, streitet zu Gunsten des Arztes jedoch ein prima facie Beweis,67 den der Patient zu 59

Vgl. Kap. 5 B I 2 Fn. 57. So etwa §§ 2, 104 Nr. 1, 106 BGB und § 828 BGB. 61 Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800, Rn. 52; NK-BGB/Voigt, § 630h Rn. 9; HkBGB/Schreiber, § 630h Rn. 1; Jauerning/Mansel, § 630h Rn. 5 f.; Spickhoff, VersR 2013, 267, 278. Ausdrückliches Anliegen des Gesetzgebers war es in § 630h Abs. 2 S. 1 BGB die bisherige Rechtsprechung zur deliktsrechtlichen Haftung des Arztes zu kodifizieren, vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 27. 62 Entgegen der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/10488, S. 27) handelt es sich nicht um bloße Beweiserleichterungen, sondern um gesetzliche Tatsachenvermutungen, gegen die der Beweis des Gegenteils zulässig ist, vgl. Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800, Rn. 49; ders., NJW 2013, 817, 821. 63 Vgl. § 630h Abs. 2 S. 1 BGB. Hk-BGB/Schreiber, § 630h Rn. 4. 64 Kreße, MedR 2015, 91, 92; NK-BGB/Voigt, § 630h Rn. 12; Genske, MedR 2016, 173, 174 f. 65 Vgl. Kap. 10 A III 3 b) aa). 66 Grundlegend hierzu Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Hdb. d. Beweislast, Kap. 17 Rn. 10 ff.: Schluss von typischen Sachverhalten auf ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal. Eine Beweisnot der beweisbelasteten Partei ist hierfür richtigerweise nicht erforderlich, vgl. ebenda Rn. 30. 67 Vgl. NK-BGB/Voigt, § 630h Rn. 12 und Spickhoff, NJW 2015, 1728, 1732; so wohl auch Bergmann, VersR 2017, 661, 665. 60

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10. Kapitel: Anschlussfragen

entkräften hat.68 Der Arzt wird seiner Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des Anscheinsbeweises regelmäßig bereits dann genügen, wenn er mithilfe der Behandlungsdokumentation belegt, dass der Patient volljährig war und keine Anhaltspunkte für eine Einschränkung seiner Fähigkeiten vorlagen. aa) Erkennbarkeit etwaiger Einschränkungen für den Arzt Anders als teilweise vertreten, ist es für den vom Patienten zu führenden Gegenbeweis nicht erforderlich, dass etwaige Einschränkungen für den Arzt ex ante erkennbar sind.69 Um die auf dem Anscheinsbeweis gründende Überzeugung des Gerichts zu erschüttern, reicht es aus, dass der Patient Tatsachen vorträgt, die in objektiver Hinsicht die „ernsthafte Möglichkeit eines von der Lebenserfahrung abweichenden Geschehensablaufs“ begründen.70 Einen beweisrechtlichen Grundsatz dahingehend, dass sich der Patient prozessual nur dann auf die eigene Einwilligungsunfähigkeit berufen kann, wenn die maßgeblichen Tatsachen für den Arzt wahrnehmbar waren, gibt es nicht. Richtig ist, dass es bei fehlender Erkennbarkeit eine Haftung des Arztes regelmäßig ausscheiden wird. Die Erkennbarkeit etwaiger Einschränkungen ist jedoch nicht auf der Rechtfertigungsebene, sondern beim Verschulden zu verorten.71 bb) Gesetzliche Anhaltspunkte für das dem Anscheinsbeweis zu Grunde liegende Regel-Ausnahme-Verhältnis Dass die Einwilligungsfähigkeit bei volljährigen Patienten als regelhaft vorausgesetzt wird,72 folgt aus § 2 BGB und wird von der Gesetzesbegründung zum Patientenrechtegesetz bekräftigt.73 Auch im Gesetz ist ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten der Einwilligungsfähigkeit angelegt, vgl. § 630d Abs. 1 BGB. Die Norm unterscheidet indes nicht zwischen minderjährigen und volljährigen Patienten, sondern geht offenbar stillschweigend davon aus, dass dieser Grundsatz erst ab Eintritt der Mündigkeit gilt.74 Insoweit besteht ein gesetzgeberischer Anpassungsbedarf.75 cc) Praktische Relevanz der Frage Der Meinungsstreit wirkt sich auch praktisch aus. Während dem Patienten nach den ersten beiden Ansichten der Beweis der Einwilligungsunfähigkeit als Hauptbeweis obliegt, bleibt nach der hier vertretenen Ansicht die Behandlerseite beweis68

Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Hdb. d. Beweislast, Kap. 17 Rn. 36. So aber Bergmann, VersR 2017, 661, 665. Wie hier Lipp, in: Beck (Hrsg.), Gesundheit und Krankheit, 2017, S. 185: Kein Schutz des guten Glaubens des Eingreifenden an die Einwilligungsfähigkeit des Einwilligenden. 70 St. Rspr., vgl. nur BGH, GRUR 1987, 630, 631; NJW 1991, 230, 231 m.w.N. sowie die Nachw. bei Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Hdb. d. Beweislast, Kap. 17 Rn. 36. 71 Vgl. Spickhoff/Spickhoff, § 640d Rn. 5; Genske, MedR 2016, 173, 175; Lipp, in: Beck (Hrsg.), Gesundheit und Krankheit, 2017, S. 187; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 113. 72 Spickhoff, NJW 2015, 1728, 1732. 73 Vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 23. 74 So bereits Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 115 f. 75 Vgl. auch Kap. 8 A II 1 und Kap. 11. 69

A. Prozessuale Fragen

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belastet.76 Diese hat zunächst sämtliche Voraussetzungen des Anscheinsbeweises darzulegen und zu beweisen.77 Gelingt dies dem Arzt, obliegt dem Patienten der Gegenbeweis, bei dem aber ein geringeres Beweismaß gilt.78 dd) Fazit Die materiell-rechtlich als „widerlegliche Vermutung“ bezeichnete Einwilligungsfähigkeit Volljähriger stellt sich prozessrechtlich als Beweiserleichterung in Gestalt eines auf einem Erfahrungsgrundsatz79 beruhenden Prima-facie-Beweises dar. d) Weitere vertragsrechtliche Besonderheiten Im Gegensatz zu § 630d Abs. 1 BGB, enthält § 630h Abs. 3 BGB eine echte Beweislastumkehr. Gemäß § 630f BGB hat der beurteilende Arzt die konkreten Anhaltspunkte zu dokumentieren, auf die er seine Einschätzung der Einwilligungs(un)fähigkeit des Patienten stützt.80 Verstößt der Arzt gegen die Dokumentationspflicht, folgt hieraus eine Beweislastumkehr für die nicht oder fehlerhaft dokumentierten Gesichtspunkte, vgl. § 630h Abs. 3 BGB.81 In diesem Fall wäre zu Lasten des Arztes von der Einwilligungs(un)fähigkeit des Patienten auszugehen. Misslingt dem Arzt der Hauptbeweis der Einwilligungsfähigkeit aus einem der genannten Gründe (Erschütterung des Anscheinsbeweises durch den Patienten, Beweislastumkehr wegen fehlender Dokumentation) bedeutet dies nicht zwangsläufig einen Prozessverlust, da der Arzt noch den Einwand der hypothetischen Einwilligung erheben kann, vgl. § 630h Abs. 2 S. 2 BGB, und sich in der Regel auf der Verschuldensebene wird entlasten können.82 Die genannten Grundsätze gelten auch für antizipierte Behandlungsentscheidungen im Rahmen von Patientenverfügungen.83 4. Fazit Sowohl im Deliktsrecht als auch im Vertragsrecht ist bei minderjährigen Patienten vom jeweils Begünstigten die Einwilligungsfähigkeit zu beweisen. Auch bei Volljährigen kommt es auf den Beweis der Einwilligungsfähigkeit an, wobei jedoch zu 76

Der Anscheinsbeweis bewirkt keine Beweislastumkehr, sondern lediglich eine Beweiserleichterung, vgl. BGH, GRUR 1987, 630, 631 m.w.N.; Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Hdb. d. Beweislast, Kap. 17 Rn. 4 ff. und 33 ff. m. Nachw. zur Gegenansicht. 77 Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Hdb. d. Beweislast, Kap. 17 Rn. 31. 78 Siehe oben Kap. 10 A III 3 c). 79 Vgl. Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Hdb. d. Beweislast, Kap. 17 Rn. 25 ff. 80 Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 115; zurückhaltender Diederichsen, in: FS Hirsch, 2008, S. 362, die die Dokumentation lediglich als „hilfreich“ betrachtet aber nicht von einer entsprechenden Pflicht des Arztes auszugehen scheint. Für eine Dokumentationspflicht bereits Schünemann, VersR 1981, 306, 307 und 309 m.w.N. 81 NK-BGB/Voigt, § 630f Rn. 9. A.A. Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 152: Beweislastumkehr erstreckt sich nur auf die Frage nach einem Behandlungsfehler. 82 Näher hierzu Genske, MedR 2016, 173, 176 f. m.w.N. 83 Das kommt in § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB, der die Einwilligungsfähigkeit als positive Voraussetzung normiert, nicht hinreichend zum Ausdruck. Krit. hierzu a. Lipp, in: ders. (Hrsg.), Hdb. d. Vorsorgeverfügungen, 2009, § 17 Rn. 127.

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10. Kapitel: Anschlussfragen

Gunsten des insoweit beweisbelasteten Arztes der Anscheinsbeweis streitet. Entgegen der Gesetzesbegründung ist die Einwilligungsunfähigkeit keine rechtshindernde Einwendung, da sie kein Recht am Entstehen hindert. Die eingangs dargestellten Vermutungsregeln, die zwischen minderjährigen und volljährigen Patienten unterscheiden, wurden im Deliktsrecht vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes zum Teil durch die Gerichte angedeutet. Eine richterliche Rechtsfortbildung fehlt bisher. Dogmatisch plausibler erscheint angesichts der fehlenden Regelung der Einwilligungsfähigkeit eine Beweiserleichterung zu Gunsten des Arztes in Form des Anscheinsbeweises. Diesem Umstand trägt auch § 630d Abs. 1 BGB Rechnung, der regelhaft von der Einwilligungsfähigkeit des Patienten ausgeht, seinem Wortlaut nach aber altersunabhängig gilt. Eine klare gesetzliche Grundlage in Gestalt einer altersbezogen differenzierenden Regelung erscheint de lege ferenda vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Verhältnisses zwischen minderjährigem Patienten, Arzt und gesetzlichem Vertreter allerdings dringend geboten;84 nicht zuletzt, um den materiell-rechtlichen Vermutungen auch prozessual zur Wirksamkeit zu verhelfen. Eine echte Beweislastumkehr greift schließlich bei Dokumentationsfehlern nach § 630h Abs. 3 BGB.

B. Arzthaftungsrechtliche Erwägungen B. Arzthaftungsrechtliche Erwägungen

Die prozessualen Fragen im Gefolge der Einwilligungsfähigkeit betreffen ausschließlich die Rechtswidrigkeitsebene. Haftungsrechtlich kommt hingegen dem Verschulden eine besondere Rolle zu. Im Fokus des folgenden Abschnitts steht die Verantwortlichkeit des die Einwilligungsfähigkeit beurteilenden Arztes.85 Inwieweit dieser für etwaige Beurteilungsfehler einzustehen hat, ist bisher nicht abschließend geklärt (I.). Gleiches gilt für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arzt für eine Verletzung seiner Informationspflichten aus § 630e Abs. 5 BGB gegenüber dem situativ einwilligungsunfähigen Patienten haftet (II.). Mit besonderer Intensität stellen sich Haftungsfragen, die in der fehlerhaften Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit begründet liegen, im Rahmen ärztlicher Zwangsmaßnahmen (III.). Schließlich ist die Passivlegitimation klärungsbedürftig (IV.).

84

So auch Bergmann, VersR 2017, 661, 664; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 66 ff. Näher zu den Besonderheiten bei der Behandlung Minderjähriger oben Kap. 2 C II 2 b) bb), Kap. 5 B I 2, Kap. 8 A II, B II sowie Kap. 9 A II, B III, V 4, D III. 85 Daneben trifft auch den Betreuer und den gesetzlichen Vertreter minderjähriger Patienten ein umfangreiches Pflichtenprogramm, vgl. §§ 1908i I, 1833 BGB und §§ 1627 S. 1, 1664, 1666 BGB. Näher zur Betreuerhaftung BGHZ 182, 116 ff. = NJW 2009, 2814 ff.; Dethloff, Familienrecht, 32. Aufl. 2018, § 18 Rn. 33 und § 16 Rn. 65 f.; weitergehend Kuhlmann, Heilbehandlung alter Menschen, 1996, S. 147. Zur Haftung der Sorgerechtsinhaber vgl. MüKoBGB/Huber, § 1664 Rn. 3 ff. und Dethloff, Familienrecht, 32. Aufl. 2018, § 13 Rn. 7 f.; zur Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen siehe Katzenmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Vor §§ 402 ff. Rn. 16 ff. und § 411a Rn. 12.

B. Arzthaftungsrechtliche Erwägungen

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I. Haftung des Arztes bei Falschbeurteilung der Einwilligungsfähigkeit Im Rahmen des klassischerweise zweispurig angelegten Systems der Arzthaftung stellt sich die fehlerhafte Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit des Patienten als Unterfall der Aufklärungsrüge dar.86 Wurde der irrtümlich für einwilligungsfähig befundene Patient anstelle eines hierzu Berechtigten87 aufgeklärt, ist die Aufklärung fehlerhaft. Gleiches gilt, wenn der Patient zu Unrecht für einwilligungsunfähig befunden wird, der Arzt an seiner Stelle den hierzu Berechtigten aufklärt und sich dem Patienten gegenüber auf die Information über die wesentlichen Umstände nach § 630e Abs. 5 BGB beschränkt. Daneben kommt ein vertraglicher Schadensersatzanspruch des Patienten wegen der Verletzung nebenvertraglicher Pflichten aus dem Behandlungsvertrag in Betracht.88 Nimmt man das Pflichtensystem der §§ 630a ff. BGB zum Ausgangspunkt, erscheint es plausibel die vertragliche Haftung des Arztes89 zusätzlich auf die Verletzung der Pflicht zur Einholung der Einwilligung des Patienten zu stützen, die als Nebenpflicht ausgestaltet ist.90 Hält der Arzt den Patienten fehlerhaft für einwilligungsfähig und holt allein dessen Einwilligung ein, fehlt es an einer wirksamen Einwilligung. Das Gleiche gilt auch im umgekehrten Fall, da die Einwilligung des nach § 630d Abs. 1 S. 2 BGB Berechtigten wegen des unbedingten Vorrangs selbstbestimmter Patientenentscheidungen eine medizinische Maßnahme bei einem einwilligungsfähigen Patienten nicht legitimieren kann.91 Eine isolierte Haftung für die fehlerhafte Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit scheidet in der Regel aus (1.). Komplexer stellt sich die Situation dar, wenn der Arzt den fehlerhaft für einwilligungs(un)fähig erachteten Patienten behandelt (2.). Einen Sonderfall bildet die (Zwangs-)Behandlung gegen den Willen des Patienten (3.). Trotz des durch die §§ 630a ff. BGB intendierten weitgehenden Haftungsgleichlaufs erscheint es zweckmäßig zwischen Vertrags- und Deliktsrecht92 zu differenzieren, soweit sich Unterschiede ergeben.93 86

Vgl. Kap. 3 B I. Grundlegend zur Haftung bei Verletzung der ärztl. Aufklärungspflicht Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 322 ff.; s.a. MüKoBGB/Wagner, § 630e Rn. 62 ff. 87 Vgl. § 630e Abs. 4 i.V.m. § 630 Abs. 1 S. 2 BGB. 88 Vgl. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Enger MüKoBGB/Wagner, BGB Vor § 630a Rn. 19; ders., VersR 2012, 789, 791, der auch nach Normierung der §§ 630a ff. BGB an der Zweispurigkeit der Arzthaftung festhält, wonach nur Behandlungs- und Aufklärungsfehler einen Anspruch auf Schadensersatz begründen sollen. Ein Verstoß gegen den Pflichtenkatalog der §§ 630a ff. BGB soll erst dann zur Einstandspflicht der Behandlerseite führen, „wenn der Patient infolge der Pflichtverletzung einen Körper- oder Gesundheitsschaden erleidet“. 89 Mangels spezieller Haftungsnorm in §§ 630a ff. BGB richtet sich die Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB, vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 11 und S. 27; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630a Rn. 7; ders., in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 2; MüKoBGB/Wagner, Vor § 630a Rn. 9; näher hierzu NK-BGB/Voigt, § 630a Rn. 50. 90 NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 1; unklar insoweit BT-Drs. 17/10488, S. 23. 91 Ausführlich hierzu Kap. 9 B. 92 Vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 28 f.; MüKoBGB/Wagner, Vor § 630a Rn. 16; so zuvor bereits Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 7. 93 Das betrifft insbes. die isolierte vertragliche Haftung für Nebenpflichtverletzungen. Ansonsten besteht zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen Anspruchskonkurrenz, vgl. statt vieler BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630a Rn. 11 ff. m.w.N.

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10. Kapitel: Anschlussfragen

1. Haftung des beurteilenden Arztes für die fehlerhafte Beurteilung selbst a) Fehlerhafte Beurteilung als vertragliche Nebenpflichtverletzung Die fehlerhafte Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit stellt eine Nebenpflichtverletzung dar, für die der Arzt vertraglich nach § 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB einzustehen hat, sofern die weiteren Haftungsvoraussetzungen vorliegen. Ein isolierter deliktsrechtlicher Schadensersatzanspruch scheidet hingegen im Regelfall aus, wenn sich keine Behandlung anschließt. Wird der Arzt ohne wirksame vertragliche Grundlage tätig, ist eine Haftung nach §§ 280 Abs. 1 i.V.m. 677, 681 BGB denkbar.94 b) Verschulden Der Arzt wird sich in Anbetracht der zahlreichen rechtlichen Unklarheiten im Regelfall nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren können. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ist nach zutreffender und vorzugswürdiger Ansicht auch auf Behandlungsverträge anwendbar.95 Die von der Rechtsprechung vor der Schuldrechtsreform vielfach bekräftigte und vom überwiegenden Teil des Schrifttums befürwortete Ansicht, dass Behandlungsverträge von der Verschuldensvermutung ausgenommen seien96 sieht sich angesichts des klaren Gesetzeswortlauts und der deutlichen Positionierung des Gesetzgebers in der Gesetzesbegründung zum Patientenrechtegesetz97 hohen Rechtfertigungslasten ausgesetzt. Denn die vertragliche Arzthaftung richtet sich mangels speziell normierter Haftungstatbestände im Gefolge der §§ 630a ff. BGB unstreitig nach § 280 Abs. 1 BGB.98 Da die überwiegende Zahl der Behandlungsverträge als Dienstvertrag zu klassifizieren ist, schuldet der Arzt zwar in der Regel keinen Erfolg, sondern lediglich das pflichtgemäße Tätigwerden.99 Hieraus folgt jedoch nicht, dass Pflichtverletzung und Vertreten müssen weitgehend zusammenfallen und § 280 Abs. 1 S. 2 BGB kaum noch ein Anwendungsbereich zukommt.100 Vielmehr ist auch im Behandlungsvertrag sorgfältig zwischen Pflichtverletzung und Verschulden zu differenzieren.101

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NK-BGB/Schwab, § 681 Rn. 13; Spickhoff/Spickhoff, § 680 Rn. 9; ders., NJW 2002, 2530, 2532. BT-Drs. 14/6040 S. 135; A.A. Jauernig/Mansel, BGB § 677 Rn. 9: nur §§ 677, 681. Eine Haftungsprivilegierung nach § 680 BGB kommt von vornherein nicht in Betracht, weil die Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit nicht der Gefahrenabwehr dient. 95 Vgl. nur Katzenmeier, in: Prütting, MedR-K, ZPO § 286 Rn. 75 ff.; MüKoZPO/Prütting, § 286 Rn. 144; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 129. 96 So etwa BGH, NJW 1991, 1541; NJW 1999, 860 und NJW 2007, 1682, jeweils zum alten Schuldrecht; weitere Nachw. bei Katzenmeier, in: Prütting, MedR-K, ZPO § 286 Rn. 72 ff. und Staudinger/Hager, 2009, § 823 Rn. I 45. 97 BT-Drs. 17/10488, S. 28. Krit. hierzu MüKoBGB/Wagner, Vor § 630a Rn. 22. 98 Vgl. statt vieler NK-BGB/Voigt, § 630a Rn. 50 m.w.N. 99 MüKoBGB/Wagner, Vor § 630a Rn. 20. 100 So aber MüKoBGB/Wagner, Vor § 630a Rn. 20 m.w.N. 101 Katzenmeier, in: Prütting, MedR-K, ZPO § 286 Rn. 77; Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 38 f.; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 129.

B. Arzthaftungsrechtliche Erwägungen

329

War das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit oder umgekehrt ihr Vorhandensein für den Arzt nicht erkennbar und liegt auch ansonsten kein Sorgfaltsverstoß vor, kann der Arzt die Verschuldensvermutung entkräften.102 Gleiches gilt für den konsiliarisch hinzugezogenen Psychiater oder Psychologen. Handelt der Konsilarzt oder -psychologe vorsätzlich oder fahrlässig, muss sich der behandelnde Arzt dessen Verschulden gemäß § 278 BGB zurechnen lassen, sofern kein eigen-ständiges Vertragsverhältnis zwischen Patient und Konsilarzt begründet wurde.103 c) Schaden Betrachtet man die Falschbeurteilung der Einwilligungsfähigkeit isoliert, kommt in der Regel nur ein immaterieller Schaden in Betracht, der nur nach Maßgabe des § 253 BGB ersatzfähig ist. Im Deliktsrecht bejaht die Rechtsprechung einen unmittelbar auf Verfassungsrecht gestützten Anspruch aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 2 GG, bei schwerwiegenden Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die nicht auf anderem Wege befriedigend aufgefangen werden können.104 2. Behandlung des fehlerhaft für einwilligungs(un)fähig befundenen Patienten Weitreichendere haftungsrechtliche Konsequenzen sind denkbar, wenn der beurteilende Arzt den Patienten, dessen Einwilligungsfähigkeit er fehlerhaft eingeschätzt hat, behandelt, da es in diesem Fall an einer wirksamen Behandlungseinwilligung fehlt. a) Fallkonstellationen Hierbei sind drei Konstellationen zu unterscheiden: Der Arzt hält den Patienten fälschlicherweise für einwilligungsfähig und der Patient stimmt der Behandlung zu (1). Lehnt der für einwilligungsfähig gehaltene Patient hingegen die Behandlung ab, ist dies für den Arzt mit Ausnahme von Sonderkonstellationen, die vorliegend nicht vertieft werden sollen, verbindlich.105 Der Arzt hat die Behandlung entsprechend zu unterlassen (2). Hiervon zu unterscheiden sind 102

RGZ 68, 431, 437 f.; Wölk, MedR 2001, 80, 86; Nebendahl, MedR 2009, 197, 199 ff.; BeckOK-BGB/Förster, § 823 Rn. 890; Wölk, MedR 2001, 80, 82; Kreße, MedR 2015, 91, 93; Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 419; weitergehend Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 210, die eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arztes bereits dann verneinen, wenn die Fehleinschätzung „nachvollziehbar“ ist und dokumentiert wurde. Strafrechtlich führt der Irrtum über die Wirksamkeitsvoraussetzungen zum Entfallen des Vorsatzes, näher hierzu Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 403; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 115; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 191 f. m.w.N.; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 69. 103 Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 18 und Rn. 57 ff.; vgl. a. Kap. 10 B III. 104 St. Rspr., vgl. aus jüngerer Zeit BGHZ 199, 237, 256 f. = NJW 2014, 2029, 2031 ff.; NJW 2016, 789, 790 ff. m. zust. Anm. Stender-Vorwachs; BVerfGE 34, 269, 281 ff. = NJW 1973, 1221, 1223 ff.; NVwZ 2017, 317, 318 f. = VersR 2016, 1322; weitere Nachweise bei Jauernig/Teichmann, § 253 Rn. 10. 105 Vgl. Kap. 9 B IV und Kap. 9 D.

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10. Kapitel: Anschlussfragen

die Fälle, in denen der Arzt den Patienten zu Unrecht für einwilligungsunfähig hält und die Einwilligung des hierzu Berechtigten einholt (3). Da die Behandlungsablehnung des einwilligungsunfähigen Patienten nicht in jedem Fall verbindlich ist, kann der Arzt unter Umständen auch gegen den natürlichen Willen des Betroffenen behandeln. Eine Haftung kommt damit sowohl in Betracht, wenn der zu Unrecht für einwilligungsunfähig befundene Patient der Behandlung zustimmt als auch – wenngleich unter engeren Voraussetzungen – wenn er die Behandlung ablehnt. b) Fehlen einer wirksamen Einwilligung in allen Fällen Unabhängig davon, ob der Arzt den Patienten fälschlicherweise für einwilligungsfähig hält und auf die Aufklärung und Einwilligung eines hierzu Berechtigten verzichtet, oder er den Patienten irrtümlich für einwilligungsunfähig hält und sich allein an den Berechtigten wendet, wird es regelmäßig an einer wirksamen Einwilligung fehlen: Vertragsrechtlich liegt in Fall (1) und (3) sowohl ein Aufklärungsfehler als auch eine Verletzung der Hauptflicht zur Einholung der Einwilligung aus § 280 Abs. 1 i.V.m. § 630d Abs. 1 BGB vor.106 Daneben kommt auch eine Verletzung der ärztlichen Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf Körper und Gesundheit des Patienten in Betracht, vgl. § 241 Abs. 2 BGB.107 Deliktsrechtlich stellt die Behandlung ohne wirksame Einwilligung nach überwiegender Ansicht eine rechtswidrige Körperund/oder Gesundheitsverletzung dar.108 Diese Ansicht ist auch vorzugswürdig, wenn der unerkannt einwilligungsunfähige Patient der Behandlung zustimmt, da der Patient mangels Einwilligungsfähigkeit schlicht nicht einschätzen kann, worüber er mit seiner Zustimmung disponiert.109 Ist der Betroffene hingegen tatsächlich einwilligungsfähig, kommt es darauf an, ob der Arzt ihn umfassend aufgeklärt hat. Schon vor diesem Hintergrund ist es für den Arzt ratsam auch den vermeintlich einwilligungsunfähigen Patienten über die Grundzüge der Behandlung zu informieren, was auch in § 630e Abs. 5 BGB zum Ausdruck kommt. Wendet sich der Arzt anstelle des Patienten an einen hierzu Berechtigten ist deliktsrechtlich zudem das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Patienten betroffen, das als Rahmenrecht in § 823 Abs. 1 BGB mitgeschützt ist. Hält der Arzt den Patienten fälschlicherweise für einwilligungsfähig kommt in zeitlich dringlichen Fällen eine Eingriffsrechtfertigung über die mutmaßliche Einwilligung in Betracht, § 630d Abs. 1 S. 4 BGB.110 In diesem Fall sind sowohl vertragsrechtliche als auch deliktsrechtliche Ansprüche des Patienten ausgeschlossen. Das ist bei einer Zustimmung des Patienten in Notfall- und dringenden Behandlungssituationen regelmäßig zu bejahen.111 Zudem wird es, wenn die Fehlannahme nicht auf Fahrlässigkeit beruht, regelmäßig am Verschulden des Arztes fehlen,

106

Einschränkend NK-BGB/Voigt, § 630e Rn. 14. NK-BGB/Voigt, § 630e Rn. 14. 108 Vgl. Kap. 10 A III 2. 109 Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, 2004, S. 116; vgl. a. Kitamura et al., Int J of Law & Psych 1998, 223, 232 f.; Okai et al., BJPsych 2007, 291, 296 m.w.N. 110 Ausführlich hierzu Kap. 9 B IV. 111 Vgl. Kap. 4 C und Kap. 9 B IV.

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B. Arzthaftungsrechtliche Erwägungen

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wofür er jedoch beweisbelastet ist.112 Schließlich kommt der Einwand der hypothetischen Einwilligung in Betracht, vgl. § 630h Abs. 2 S. 2 BGB.113 Hiernach kann der wegen Verletzung der Aufklärungspflicht und/oder der Pflicht zur Einholung der wirksamen Einwilligung des Patienten auf Schadensersatz in Anspruch genommene Arzt oder Krankenhausträger geltend machen, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung ebenfalls in den Eingriff eingewilligt hätte. 114 Als Unterfall des fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhangs lässt dieser Einwand des pflichtgemäßen Alternativverhaltens die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden entfallen.115 Der BGH stellt hieran strenge Anforderungen. Anders als bei der mutmaßlichen Einwilligung, bei der subsidiär das objektive Interesse des Patienten zum Tragen kommt, ist die Sicht des vernünftigen Patienten im Rahmen der hypothetischen Einwilligung nicht entscheidend. Vielmehr kommt es darauf an, ob gerade der betroffene Patient mit seinen Besonder- und Eigenheiten in der konkreten Situation in den Eingriff eingewilligt hätte, wenn er ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre.116 Zur Entlastung des Arztes trifft den Patienten eine Plausibilisierungspflicht, wenn die Behandlungsablehnung medizinisch unvernünftig gewesen wäre.117 Hierbei ist schutzgutorientiert zu differenzieren. Der Einwand der hypothetischen Einwilligung kann richtigerweise nur den Kausalitätszusammenhang zwischen Aufklärungsverletzung und Körperverletzungsschaden entfallen lassen. Für die immateriellen Schäden infolge der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts ist der Einwand hingegen unerheblich, sofern man von einer schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzung ausgeht, die zur Ersatzfähigkeit des immateriellen Schadens führt.118

112

RGZ 68, 431, 437 f.; BGH, NJW 1988, 2946, 2947 f.; NJW-RR 2007, 310, 311; BeckOK-BGB/Förster, § 823 Rn. 890; Rumetsch, Medizinische Eingriffe bei Minderjährigen, 2013, S. 115; Wölk, MedR 2001, 80, 86; Stief, Einwilligungsfähigkeit, 2012, S. 191 f. m.w.N. 113 Laufs/Kern/Rehborn, in: dies., Hdb. d. ArztR, Kap. XIX § 107 Rn. 21; Katzenmeier, in: Prütting, MedR-K, ZPO § 286 Rn. 86; NK-BGB/Voigt, § 630d Rn. 21. 114 Vgl. nur BGH, NJW 1974, 1422, 1423; NJW 1976, 1790, 1791; NJW 1980, 1333, 1334; NJW 1991, 2344, 2345; weitere Nachweise bei BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630h Rn. 38 und Katzenmeier, in: Prütting, MedR-K, ZPO § 286 Rn. 86. 115 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630h Rn. 36; Nebendahl, in: Igl/Weltli, Gesundheitsrecht, 3. Aufl. 2018, Kap. XI § 49 Rn. 102; zu den strafrechtlichen Wirkungen vgl. Hoyer, ebenda, Kap. XII § 54 Rn. 18 ff. 116 St. Rspr. vgl. nur BGHZ 90, 103, 111 f. = NJW 1984, 1397, 1399 m. Anm. Deutsch; NJW 1991, 2344, 2345; NJW 2005, 1718, 1719 = MedR 2005, 599, 600; NJW 2010, 3230, 3232 = MedR 2011, 242, 243; NJW 2015, 75, 76. Weitere Nachw. bei Laufs, in: ders./Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XI § 63 Rn. 3; Katzenmeier, in: Prütting, MedR-K, ZPO § 286 Rn. 87 f.; vgl. a. oben Kap. 4 A II 2 a) bb) (3). 117 In diesem Rahmen muss der Patient plausibel machen, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte, st. Rspr. vgl. nur BGH, NJW 1991, 2342, 2343 = MedR 1991, 200 sowie die Nachweise in Fn. 116. Näher hierzu BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630h Rn. 38. 118 Näher zum Ganzen Katzenmeier, in Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, 2015, Kap. V Rn. 99 ff.

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10. Kapitel: Anschlussfragen

3. Haftung im Rahmen ärztlicher Zwangsmaßnahmen Hält der Arzt den Patienten für einwilligungsfähig, sind Maßnahmen gegen dessen Willen ausgeschlossen. Das gilt für minderjährige und volljährige Patienten gleichermaßen.119 Maßnahmen gegen den Willen des Patienten sind damit ausschließlich dann zulässig, wenn dem Betroffenen die Einwilligungsfähigkeit fehlt. Geht der behandelnde Arzt fälschlicherweise davon aus, der Patient sei einwilligungsunfähig, kommt eine Haftung zwar grundsätzlich in Betracht, wenn daraufhin eine ärztliche Zwangsmaßnahme erfolgt. Da ärztlicher Zwang in all seinen gesetzlichen Ausprägungen bei volljährigen Patienten einem zwingenden betreuungsrechtlichen Genehmigungsvorbehalt unterliegt,120 wird das Verschulden des beurteilenden Arztes jedoch zu verneinen sein, wenn das Betreuungsgericht die Einschätzung des Arztes bestätigt. Basiert die Einschätzung des Betreuungsgerichts auf einem pflichtwidrig erstellten Gutachten oder auf sachfremden Erwägungen, kommen Amtshaftungsansprüche in Betracht. Eine Haftung des beurteilenden Arztes ist vor allem bei der Zwangsbehandlung minderjähriger Patienten denkbar, da diese keinem gerichtlichen Genehmigungsvorbehalt unterliegt. Ein Genehmigungsvorbehalt für ärztliche Zwangsmaßnahmen an minderjährigen Patienten erscheint damit auch zur haftungsrechtlichen Entlastung des Arztes de lege ferenda geboten. Für das Verschulden gilt das oben Gesagte. Beim Schaden ist zu berücksichtigen, dass Behandlungen gegen den natürlichen Willen des Patienten eine schwere Grundrechtsverletzung bedeuten. Dies ist bei der Bemessung des immateriellen Schadensersatzes entsprechend zu gewichten. 4. Fazit De lege lata ist das Haftungsrisiko für den Arzt bei Beurteilungsfehlern begrenzt. Eine isolierte Haftung für die Fehlbeurteilung scheidet in der Regel aus. Behandelt der Arzt den fälschlicherweise für einwilligungsfähig oder -unfähig gehaltenen Patienten mit dessen Zustimmung sieht er sich ähnlichen Risiken ausgesetzt wie bei der Haftung für Aufklärungsfehler im Allgemeinen. Gerade, wenn er den Patienten im konkreten Fall für einwilligungsunfähig erachtet, obwohl dieser zu einer grundlegenden Willensbildung in der Lage ist, erscheint es zur haftungsrechtlichen Absicherung des Arztes ratsam, nicht nur den hierzu Berechtigten, sondern auch den Patienten selbst umfassend aufzuklären und sich dessen Einwilligung zu versichern. Der Mehraufwand dürfte sich angesichts der bestehenden Informationspflichten gegenüber einwilligungsunfähigen Patienten in Grenzen halten. 121 Problematisch bleibt damit allein die Gruppe der fälschlicherweise für einwilligungsfähig gehaltenen Patienten. Da dem Arzt bei volljährigen Patienten, sofern keine offensichtlichen Anhaltspunkte für ein Fehlen der Einwilligungsfähigkeit vorliegen, eine Beweiserleichterung in Gestalt des Anscheinsbeweises zu Gute kommt und er sich, sofern er die Beurteilung sorgfaltsgemäß durchführt, regelmäßig exkulpieren kann, besteht auch in dieser Fallkonstellation kein erhebliches Haftungsrisiko. Behandelt der Arzt 119

Vgl. Kap. 9 D III 2 a). Vgl. §§ 1906, 1906a BGB und § 10 Abs. 2 i.V.m. §§ 11 und 14 PsychKG NRW, § 18 Abs. 5 PsychKG. Näher hierzu Kap. 9 D II 4. 121 Vgl. § 630e Abs. 5 BGB. Näher hierzu Kap. 9 C II 1. 120

B. Arzthaftungsrechtliche Erwägungen

333

den fälschlicherweise für einwilligungsunfähig erachteten Patienten gegen dessen Willen (ärztliche Zwangsmaßnahme) wird ein Verschulden aufgrund der gerichtlichen Überprüfung seiner Einschätzung durch das Betreuungsgericht regelmäßig zu verneinen sein. In Betracht kommen in diesem Fall Amtshaftungsansprüche, wenn die gerichtliche Einschätzung sachwidrig erfolgt. Zur Entlastung des Arztes erscheint ein gerichtlicher Genehmigungsvorbehalt auch bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen im Kindschaftsrecht de lege ferenda dringend geboten.

II. Verletzung der Informationspflichten gegenüber situativ einwilligungsunfähigen Patienten Der Verstoß des Arztes gegen die Informationspflichten gegenüber dem situativ einwilligungsunfähigen Patienten aus § 630e Abs. 5 BGB ist de lege lata nur unzureichend sanktioniert.122 Insbesondere ist die Information des einwilligungsunfähigen Patienten keine Wirksamkeitsvoraussetzung der stellvertretend erteilten Einwilligung.123 Eine Ausnahme gilt für die Einwilligung des Betreuers oder Gesundheitsbevollmächtigten in ärztliche Zwangsmaßnahmen. Diese ist unwirksam, wenn nicht versucht wurde, den Betroffenen ernsthaft und ohne Zeitdruck von der Notwendigkeit der Maßnahme zu überzeugen, § 1906a Abs. 1 Nr. 4 BGB, was eine Information über die wesentlichen Aspekte der Maßnahme zwangsläufig voraussetzt. Eine Haftung kommt auch außerhalb ärztlicher Zwangsmaßnahmen nach § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. Ein auf der Pflichtverletzung beruhender Schaden kann hierbei insbesondere in Form der Nichtausübung eines dem Betroffenen im Einzelfall zustehenden Vetorechts bestehen.124 Demgegenüber ist die die im Schrifttum vereinzelt erwogene Sanktionierung als Persönlichkeitsverletzung mit der Folge immateriellen Schadensersatzes,125 wenn überhaupt nur über Umwege mit § 253 Abs. 2 BGB in Einklang zu bringen.126 Wie gezeigt erscheint eine umfassende Information bei äußerungsfähigen für einwilligungsunfähig befundenen Patienten dennoch ratsam, um etwaige Haftungsrisiken wegen Beurteilungsfehlern zu minimieren.

III. Passivlegitimation Zu klären ist schließlich, wer im Verhältnis zum Patienten haftet. Dies richtet sich für den vertragsrechtlichen Schadensersatzanspruch danach, ob zwischen dem beur122

NK-BGB/Voigt, § 630e Rn. 17; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 15. Ausführlich hierzu Kreße, MedR 2015, 91, 93 ff. 123 Vgl. Kreße, MedR 2015, 91, 93; MüKoBGB/Schwab, § 1904 Rn. 15. 124 So auch Kreße, MedR 2015, 91, 94, der jedoch entgegen der inzwischen gefestigten Rechtsprechung zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen und der insoweit eindeutigen Gesetzeslage ein Vetorecht des Betroffenen gegen medizinische Behandlungen ablehnt. Ausführlich hierzu unten Kap. 9 D. Weitergehend hält Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 421 Schadensersatzansprüche für denkbar, wenn die Sorgeberechtigten sich unter dem Eindruck des Willens ihres aufgeklärten Kindes erkennbar anders entschieden hätten. 125 Vgl. Kreße, MedR 2015, 91, 95. 126 Krit. auch MüKoBGB/Wagner, § 630e Rn. 53 und NK-BGB/Voigt, § 630e Rn. 17.

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10. Kapitel: Anschlussfragen

teilenden Arzt und dem Patienten ein Vertragsverhältnis besteht. Beurteilt der behandelnde, niedergelassene Arzt die Einwilligungsfähigkeit selbst, ist dies im Regelfall unproblematisch zu bejahen.127 Zieht der behandelnde Arzt einen Konsilarzt hinzu, kommt in Ausnahmefällen eine eigenständige Haftung des Konsilsarztes in Betracht. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich um ein externes Konsil handelt, da nur in diesem Fall ein eigenes Vertragsverhältnis zwischen Patient und Konsilarzt entsteht.128 Bei einem internen Konsil haftet hingegen ausschließlich der behandelnde Arzt. Im Innenverhältnis zum Konsiliararzt kommt diesem aber ein Freistellungsanspruch zu.129 Bei angestellten Krankenhausärzten haftet in der Regel das anstellende Krankenhaus. Insofern ist die uneinheitliche Begriffsverwendung in §§ 630a ff. BGB äußerst misslich, die mit „Behandelndem“ in einigen Normen den Vertragspartner meint und in anderen den tatsächlich handelnden Arzt.130

127

Näher zum Vertragsschluss beim Arztvertrag Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 13 f. 128 BGHZ 142, 126, 132 = NJW 1999, 2731; NJW 1989, 2943; NJW 1992, 2962; Schinnenburg, MedR 2000, 311, 315; Katzenmeier, in: HK-AKM, Nr. 800 Rn. 11; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 17 f. 129 Dieser ist regelmäßig auf die Hälfte des Schadensbetrages begrenzt, Schlund, in: Laufs/Kern, Hdb. d. ArztR, 2010, Kap. XX § 115 Rn. 17. 130 Näher hierzu Rehborn, in: FS Bergmann, 2016, S. 210 ff.

Kapitel 11: Zusammenfassung und Ausblick A. Wesentliche Ergebnisse 11. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick

I. Grundlagen A. Wesentliche Ergebnisse

1. Erfordernis einer einheitlichen Begriffssprache Die Debatte zur Einwilligungs(un)fähigkeit leidet unter einer sehr uneinheitlichen Begriffssprache. Hierdurch wird nicht nur die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern auch die Beurteilungspraxis erheblich erschwert. Auf abweichende Bezeichnungen sollte daher – soweit möglich – verzichtet werden.1 2. Die Konkretisierung und letztverbindliche Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit obliegt dem Recht und der Rechtspraxis Die Einwilligungsfähigkeit ist Gegenstand verschiedener empirischer, evaluativer und normativer Disziplinen. Anders als zum Teil angenommen, ist sie keine empirische menschliche Eigenschaft, sondern ein originär normatives Kriterium, das im Zuge der Aufwertung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten über das Einwilligungserfordernis von außen an die Medizin herangetragen wurde.2 Aufgabe des Rechts ist es, die Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit zu konkretisieren und sie in der Praxis letztverbindlich durch die Gerichte zu beurteilen. Innerhalb des vom Recht gezogenen Rahmens wirken v.a. Medizin und Psychologie bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit intensiv mit dem Recht zusammen.3 3. Selbstbestimmung und Fürsorge als rechtsethische Grundlagen Rechtsethisch beruht die Einwilligungsfähigkeit auf dem Zusammenwirken von Selbstbestimmung und Fürsorge.4 Die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung lässt sich in Anlehnung an Feinberg als Recht, Ideal, Fähigkeit und Zustand beschreiben. Selbstbestimmung als Recht ist nach dem herrschenden Grundrechtsverständnis nicht an Selbstbestimmung im Fähigkeitssinne gebunden. Hieraus folgt, dass antizipierte Behandlungsentscheidungen im Rahmen von Patientenverfügungen auch dann beachtlich sind, wenn die Verfasser einwilligungsunfähig geworden sind. Beachtlich ist in gewissem Rahmen auch die noch verbleibenden und schon vorhandenen Selbstbestimmungsfähigkeit einwilligungsunfähiger Patienten.5 Der Aspekt der Selbstbestimmung im Fähigkeitssinne wurde von Beauchamp und Childress unter Zugrundelegung eines prozeduralen Autonomieverständnisses weiter ausdifferenziert. Entscheidend für Selbstbestimmung im Fähigkeitssinne ist 1 2 3 4 5

Vgl. Kap. 1 B II 1, S. 17 ff. Vgl. Kap. 2 A, S. 29 ff. Vgl. Kap. 2 A II 3, S. 32 f. und Kap. 6 A I, S. 181 ff. Vgl. Kap. 2 B, S. 33 ff. Vgl. Kap. 2 B II 2, S. 37 ff., insbes. S. 43.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Genske, Gesundheit und Selbstbestimmung, Kölner Schriften zum Medizinrecht 23, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61140-1_11

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11. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick

hiernach nicht, wie sich Patienten entscheiden, sondern, ob ihre Entscheidungen auf einem intakten Willensbildungsprozess beruhen. Dieser Ansatz ist auch für das Recht maßgeblich. Rationalität als Voraussetzung der Einwilligungsfähigkeit lässt sich hiernach nur in einem minimalen, auf den Prozess der Willensbildung bezogenen Sinne legitimieren.6 Abzulehnen ist damit das Verständnis der Selbstbestimmungsfähigkeit als Fähigkeit zum vernunftgemäßem Handeln. Grundlegend für die Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit im einfachen Recht ist ein Schwellenwertkonzept von Selbstbestimmung. Hiernach werden nur die Anforderungen festgelegt, die die Fähigkeiten des Patienten im konkreten Fall (im Sinne einer Eingangsschwelle) mindestens erreichen müssen, damit eine Behandlungsentscheidung als selbstbestimmt zu achten ist.7 4. Maßgaben des internationalen Rechts und des Grundgesetzes Die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung wird europarechtlich über Art. 3 Abs. 2 EUGrCH gewährleistet. Zusätzlich sind der Gesetzgeber und die Gerichte an die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention und des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens gebunden.8 Verfassungsrechtlich ist das Selbstbestimmungsrecht in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu verorten. Durch diese „doppelte“ Verankerung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht und im Recht auf körperliche Unversehrtheit wird der Bezug zur Gesundheit und zur Psyche des Betroffenen unterstrichen, der sich im Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht widerspiegelt.9 Ist eine gesundheitsbezogene Entscheidung religiös motiviert, wird das Selbstbestimmungsrecht des Entscheidenden zusätzlich über Art. 4 Abs. 1 GG geschützt.10 Die gesundheitsbezogene Selbstbestimmung ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern fürsorgerisch begrenzt durch die objektive Schutzpflichten des Staates aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.11 Bei minderjährigen Patienten bildet das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG eine weitere Schranke. Das Elterngrundrecht und die elterliche Sorge treten hierbei mit zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit des Minderjährigen und der hiermit einhergehenden abnehmenden Pflege- und Erziehungsbedürftigkeit mehr und mehr hinter den Grundrechten des Kindes zurück. 12 Eine Begrenzung des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts volljähriger Patienten aus Art. 6 Abs. 1 GG findet nicht statt.13 Auch das vor allem im Zivilrecht befürwortete, das Selbstbestimmungsrecht einschränkende Verständnis der Grundrechtsmündigkeit als Grundrechtsausübungsfähigkeit ist abzulehnen.14 Wichtigste Ausprägung des gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrechts ist die Dispositionsbefugnis des Patienten über die eigenen Rechtsgüter, die dem 6

Vgl. Kap. 2 B II 2 c), S. 39 ff., und IV., S. 47 ff. Vgl. Kap. 2 B II 2 d) bb), S. 42 f. 8 Art. 12 und 25 lit. d) UN-BRK und Art. 1 Abs. 1 Haager Abkommen; vgl. Kap. 2 C I, S. 54 f. 9 Vgl. Kap. 2 C II 2 a) aa), S. 56 f. 10 Vgl. Kap. 2 C II 2 a) bb), S. 57. 11 Vgl. Kap. 2 C II 2 b) aa), S. 59. 12 Vgl. Kap. 2 C II 2 b) bb), S. 59 f. 13 Vgl. Kap. 2 C II 2 c), S. 60 f. 14 Vgl. Kap. 2 C II 3, S. 61 f. 7

A. Wesentliche Ergebnisse

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Einzelnen in den Grenzen der Rechtsordnung ein Letztentscheidungsrecht über seine körperliche und seelische Integrität gewährt.15 Hiervon umfasst ist nicht nur die positive Freiheit, sich nach gebotener Aufklärung für einen medizinischen Eingriff zu entscheiden, selbst wenn dieser nur schwach oder gar nicht indiziert ist. Als negative Freiheit folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht auch ein „Recht zur Krankheit“, das es dem Patienten grundsätzlich ermöglicht, auch dringend gebotene Heilbehandlungen verbindlich abzulehnen.16 Dies gilt auch für betreute und minderjährige Patienten, wenngleich weniger stark.17 Die Einwilligungsfähigkeit markiert damit nicht die Grenze zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, sondern dient vielmehr der Abgrenzung von generell unzulässigem, hartem Paternalismus und weichem Paternalismus beim Handeln gegen den Willen des Patienten.18 Einfachrechtlich wird die Dispositionsbefugnis des Patienten über das Einwilligungserfordernis gewährleistet.19 5. Abgrenzung zur Geschäftsfähigkeit Grundlegend für ein besseres Verständnis der Einwilligungs(un)fähigkeit ist ihr Verhältnis zur Geschäfts(un)fähigkeit. Anders als zum Teil angenommen, bildet die Einwilligungsfähigkeit kein „Minus“ zur Geschäftsfähigkeit. Beide Fähigkeiten unterscheiden sich vielmehr strukturell. Während die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB voraussetzt, dass die Fähigkeit des Betroffenen zur freien Willensbildung vollständig aufgehoben ist, sind die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit situativ und maßnahmenbezogen zu bestimmen. Sie können im Vergleich zur Geschäftsfähigkeit sowohl niedriger als auch höher liegen.20 6. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf Trotz einiger Regelungsanläufe und der wiederholten Bekräftigung des Regelungsbedarfs durch den Gesetzgeber, existiert nach wie vor keine allgemeine Regelung der Einwilligungsfähigkeit im Medizin- und Gesundheitsrecht.21 Die bestehenden spezialgesetzlichen Regelungen betreffen überwiegend besonders tiefgreifende oder medizinisch nicht oder nur relativ indizierte Maßnahmen an vulnerablen Personengruppen. Die Regelungen unterscheiden sich zudem inhaltlich und hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit, Hierarchie und Spezialität. Allgemein übertragbare Grundsätze lassen sich hieraus kaum ableiten.22 Gleiches gilt für die Definitionsansätze der Rechtsprechung. Die scheinbare Beliebigkeit der Formulierungen und eine weitgehend fehlende Subsumtion in den Leitentscheidungen führen dazu, dass die Rechtsprechung bisher nur wenig zur Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit beigetragen hat. Die Gerichtsentscheidungen haben zudem überwiegend schwerwiegende Einzelschicksale zum 15 16 17 18 19 20 21 22

Vgl. Kap. 2 C II 4, S. 62 f. Vgl. Kap. 2 C II 4, S. 62 f. Vgl. Kap. 9 B III 2, S. 267 ff., und Kap. 9 D, S. 294 ff. Vgl. Kap. 2 B III 2 b), S. 45 f. Vgl. Kap. 2 D, S. 64 ff. Vgl. Kap. 2 D II, S. 70 ff. Vgl. Kap. 3 A I, S. 75 ff. Vgl. Kap. 3 A II, S. 80 ff.

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11. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick

Gegenstand. Dieser Umstand hat bei minderjährigen Patienten zu einer restriktiven, die elterliche Sorge und das staatliche Fürsorgegebot überbetonenden Spruchpraxis geführt, deren Grundsätze sich nicht auf alltägliche Behandlungsfälle in der medizinischen Praxis übertragen lassen. Das gilt für das Zivilrecht und das Strafrecht gleichermaßen. Der in der Literatur wiederholt bekräftigte kategorische Unterschied zwischen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit bei der Beurteilung der Einwilligungsbefugnis minderjähriger Patienten lässt sich empirisch kaum belegen.23 Die an die Rechtsprechung anknüpfenden, ausdifferenzierteren Definitionsansätze der Strafrechtswissenschaft bilden eine solide Ausgangsbasis für die Weiterentwicklung der Einwilligungsfähigkeit. Die Weiterentwicklung beschäftigt das Schrifttum jedoch nur am Rande.24 Intensiver wird diskutiert, welche Relevanz Altersgrenzen bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten zukommt. De lege lata ist weder eine feste Altersgrenze noch eine altersbezogene Regelvermutung zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger schlüssig begründbar. Der hohe Stellenwert des Selbstbestimmungsrechts und die bestehenden empirischen Befunde zur Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger lassen eine gesetzliche Regelung, die klarstellt, dass die Einwilligungsfähigkeit ab dem 14. Lebensjahr zu vermuten ist, de lege ferenda geboten erscheinen.25

II. Befunde zum Tatbestand der Einwilligungsfähigkeit 1. Ableitung der Teilfähigkeiten der Einwilligungsfähigkeit aus den Charakteristika der gesundheitsbezogenen Einwilligung Die gesundheitsbezogene Einwilligung fungiert als Instrument der Disposition und Interessenwahrnehmung. Die Einwilligungsentscheidung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sowohl tatsächliche als auch wertende Elemente enthält. Im Gesundheitsbereich wird die Wahrnehmung der eigenen Interessen dadurch erschwert, dass der Behandlungsentscheidung in der Regel ein Güterkonflikt zu Grunde liegt. Ist eine medizinische Behandlung geboten, sieht sich der Erkrankte regelmäßig dem Dilemma ausgesetzt, entscheiden zu müssen, ob er einen ärztlichen Eingriff in seine körperliche oder seelische Integrität, um seiner Gesundheit – oder gar des eigenen Lebens – willen, gestattet.26 Hieraus folgt für die Einwilligungsfähigkeit, dass der Patient in der Lage sein muss, die für seine Entscheidung wesentlichen Tatsachen und Kausalverläufe zu erfassen (Einsichtsfähigkeit), die für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe zu bewerten, gegeneinander abzuwägen und zu einer Entscheidung zu gelangen (Urteilsfähigkeit), diese Entscheidung zu äußern (Äußerungsfähigkeit) und sich hiernach zu verhalten (Steuerungsfähigkeit).27

23 24 25 26 27

Vgl. Kap. 3 B IV, S. 94 ff. Vgl. Kap. 3 C I, S. 100 ff. Vgl. Kap. 3 C II, S. 106 ff. Vgl. Kap. 4 A I, S. 117 ff. Vgl. Kap. 4 A II, S. 119 ff.

A. Wesentliche Ergebnisse

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a) Verhältnis zwischen Einsichtsfähigkeit und Selbstbestimmungsaufklärung Eine weitere medizinrechtliche Besonderheit bildet die Parallelität von Einsichtsfähigkeit und Selbstbestimmungsaufklärung.28 Die Anforderungen an beide werden vom Selbstbestimmungsrecht bestimmt. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Selbstbestimmungsaufklärung und Einsichtsfähigkeit besteht hingegen nicht. Die Anforderungen an die Einsichtsfähigkeit hängen insbesondere nicht vom Umfang der Selbstbestimmungsaufklärung ab. Verzichtet der Patient auf die Aufklärung oder ist er bereits vorinformiert, muss er – wie außerhalb des Medizinrechts auch – gleichwohl in der Lage sein, die für ihn wesentlichen Informationen zu erfassen und als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen.29 b) Kein Vernunftkriterium zur Beurteilung der Urteilsfähigkeit Die Urteilsfähigkeit umfasst die Fähigkeit zur Bewertung der entscheidungserheblichen Tatsachen, die Fähigkeit zur Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe und die Fähigkeit, eine Entscheidung zu treffen.30 Nicht umfasst ist die Fähigkeit zur objektiv vernünftigen Wertung. Die Schwierigkeit im Umgang mit unvernünftigen Patientenentscheidungen liegt in ihrer Ambivalenz begründet. Aus objektiver Sicht unvernünftige Gesundheitsentscheidungen können sowohl Ausdruck einer defizitären als auch einer starken Autonomie des Patienten sein. Dieser Ambivalenz lässt sich nicht durch äußere Vernunftanforderungen begegnen, die die Einwilligungsfähigkeit an ein vom Patienten unabhängiges objektives Wertesystem koppeln.31 Auch stärker subjektivierte Ansätze, die darauf abstellen, ob die Entscheidung vor dem Hintergrund der Werte des Patienten kohärent ist, sehen sich durchgreifenden Bedenken ausgesetzt. Das Dilemma ist vielmehr mithilfe des Prozessmodells der Einwilligungsfähigkeit aufzulösen. Stellt man für die Einwilligungsunfähigkeit allein darauf ab, ob der Willensbildungsprozess aus tatsächlichen Gründen beeinträchtigt ist oder nicht, ist es rechtlich nicht relevant, ob die Entscheidung des Patienten unvernünftig oder vernünftig erscheint.32 c) Steuerungsfähigkeit als genuin psychologisch-psychiatrisches Kriterium; Äußerungsfähigkeit und Kundgabeerfordernis Anders als die Einsichts- und Urteilsfähigkeit, fällt die Ausgestaltung der Steuerungsfähigkeit weitgehend in das Gebiet der Psychologie. Die Äußerungsfähigkeit ist eng mit dem Erfordernis die Einwilligung kundzugeben verbunden.33

28 29 30 31 32 33

Vgl. Kap. 4 A I, S. 117 ff. Vgl. Kap. 4 A II 1, S. 119 ff. Vgl. Kap. 4 A II 2, S. 125 ff. Vgl. Kap. 4 A II 2 a) aa), S. 126 ff. Vgl. Kap. 4 A II 2 a) bb), S. 129 ff. Vgl. § 630d Abs. 1 S. 1 BGB. Näher hierzu Kap. 4 A II 3 und 4, S. 137 f.

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11. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick

2. Relativität der Einwilligungsfähigkeit und einheitliche Beurteilung Aus dem Bezug der Einwilligungsfähigkeit zu den verfassungsrechtlich gewährleisteten Prinzipien Selbstbestimmung und Fürsorge folgt, dass der Beurteilungsmaßstab der Einwilligungs(un)fähigkeit relativ zu den Umständen der Entscheidung zu bestimmen ist. Angesprochen ist hiermit das jeweils erforderliche Mindestmaß, in dem die tatsächlichen Fähigkeiten des Patienten im Einzelfall vorliegen müssen. Dieses Mindestmaß hängt ab von der Indikation, der Schwere und den Risiken des Eingriffs und seiner Nichtvornahme sowie dem Bestehen etwaiger Behandlungsalternativen.34 Ein Zusammenhang zur Dringlichkeit der medizinischen Maßnahme besteht hingegen nicht.35 Das konkret erforderliche Maß der Einwilligungsfähigkeit wird auch nicht vom Inhalt der Entscheidung beeinflusst. Zwar sind bestimmte zustimmende und bestimmte ablehnende Behandlungsentscheidungen rechtlich privilegiert. Diese Privilegierungen beruhen jedoch auf Rechtfertigungsgründen und Erwägungen, die von der informierten Einwilligung verschieden sind. Kommt es auf die Einwilligung des Patienten nicht an, ist auch die Frage der Einwilligungsfähigkeit nicht entscheidungserheblich. Ein variierender Beurteilungsmaßstab der Einwilligungsfähigkeit, der nach Ablehnung und Zustimmung zum Eingriff differenziert, ist damit rechtlich weder erforderlich noch geboten.36 3. Die Mündigkeit als Grundlage der Vermutung der Einwilligungsfähigkeit Volljähriger Für die Ausgestaltung der Einwilligungsfähigkeit ist schließlich die Unterscheidung zwischen Mündigkeit und Handlungsfähigkeit grundlegend. Während die Mündigkeit die generelle Zulassung des Einzelnen zum Rechtsverkehr und damit global den Status der Person beschreibt, ist die Handlungsfähigkeit einzelfallbezogen im Hinblick auf eine konkrete Rechtshandlung zu ermitteln. Der Status der Mündigkeit volljähriger Personen bildet die Grundlage für die (widerlegliche) Vermutung der Einwilligungsfähigkeit Volljähriger. Da es bei Minderjährigen an einem vergleichbaren Vermutungstatbestand fehlt, ist bei ihnen die Einwilligungsfähigkeit für jede Behandlungsentscheidung positiv festzustellen.37 Die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit tritt unabhängig von den individuellen Fähigkeiten des Betroffenen mit Erreichen des Volljährigkeitsalters ein. Sie besteht auch bei erheblichen Fähigkeitsdefiziten bis zum Lebensende fort. Selbst schwere geistige Behinderungen und psychische Erkrankungen bewirken keine Umkehr der an die Mündigkeit anknüpfenden Vermutungsregel. Das gilt erst recht für das hohe Alter oder die Einrichtung einer Betreuung. In nicht behebbaren Zweifelsfällen ist damit de lege lata bei volljährigen Patienten unabhängig von etwaigen Defiziten von deren Einwilligungsfähigkeit auszugehen.38

34 35 36 37 38

Vgl. Kap. 4 B I, S. 139 ff. Vgl. Kap. 4 B II 4, S. 146 f. Vgl. Kap. 4 C I und II, S. 147 ff. Vgl. Kap. 5 B I, S. 157 ff. Vgl. Kap. 5 B I 3, S. 162 ff.

A. Wesentliche Ergebnisse

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4. Keine Engführung der ersten Stufe im Rahmen der gebotenen zweistufigen Prüfung der Einwilligungsfähigkeit Strukturell ist die Einwilligungsfähigkeit zweistufig zu prüfen. Auf der ersten Stufe ist zu ermitteln, ob Anhaltspunkte für etwaige Fähigkeitsdefizite beim Patienten bestehen. Auf der zweiten Stufe ist die eigentliche Beurteilung durchzuführen. Hierdurch wird sichergestellt, dass nicht vom Vorliegen einer Erkrankung, Behinderung, Intoxikation oder eines vergleichbaren Umstandes auf die Einwilligungsunfähigkeit des Patienten geschlossen wird.39 Die traditionelle Engführung der ersten Stufe auf die Trias aus Minderjährigkeit, psychischer Erkrankung und geistiger Behinderung ist hingegen abzulehnen. Sie ist sowohl zu weit, weil sich nicht jede psychische Erkrankung auf die für die Einwilligungsfähigkeit erforderlichen Fähigkeiten auswirkt, als auch zu eng, weil sie physische Ursachen der Einwilligungsunfähigkeit, wie etwa starke Schmerzen, einen besonders schlechten gesundheitlichen Allgemeinzustand oder die sedierende Wirkung schmerzstillender Medikamente nicht erfasst. Maßgeblich ist vielmehr, ob Anhaltspunkte für einen Zustand40 vorliegen, der die für die Einwilligungsfähigkeit relevanten Fähigkeiten des Betroffenen potentiell beeinträchtigen kann. Nur in diesem Fall ist eine Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall legitimierbar. Ist der Patient betreut, kommt es deshalb auf die jeweilige Grunderkrankung an. Ist die Entscheidung unvernünftig, ohne dass Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Fähigkeiten des Betroffenen vorliegen, ist eine Überprüfung von vornherein verwehrt.41 5. Außerrechtliche Befunde zur Einwilligungsfähigkeit Die Befunde zur Einwilligungsfähigkeit außerhalb des Rechts decken sich im Wesentlichen mit den genannten Kriterien.42 a) Medizin und Psychologie Medizin und Psychologie befassen sich primär mit der Operationalisierung der Einwilligungsfähigkeit, wobei es bisher keinen Beurteilungsstandard gibt. Als best practice Vorgabe gilt das MacArthur Competence Assessment Tool for Treatment (MacCAT-T), das aber noch nicht für alle Patientengruppen validiert ist.43 Die Anforderungen des MacCAT-T liegen zum Teil über dem rechtlichen Standard in Deutschland, was sich jedoch durch eine rechtlich geschulte Anwendung beheben lässt. Bedenklicher erscheint, dass der MacCAT-T das Kriterium der Steuerungsfähigkeit nicht abbildet.44 Für die medizinische Praxis kommt erschwerend hinzu, dass der psychiatrisch-psychologische Forschungsstand sowie die Rechtslage zur Einwilligungsfähigkeit bisher von keiner medizinischen Leitlinie abgebildet 39

Kap. 5 D IV, S. 172 ff. Beispielsweise eine Erkrankung, Behinderung, Intoxikation oder eine noch nicht ausreichende Entwicklungsreife. 41 Vgl. Kap. 5 D II und III, S. 170 ff. 42 Vgl. Kap. 6, S. 181 ff. 43 Das gilt etwa für minderjährige Patienten, vgl. Kap. 6 A II 2 b) aa), S. 187 f. 44 Vgl. Kap. 6 A II 2 c), S. 189 ff. 40

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11. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick

werden. Die bestehenden Leitlinien thematisieren die Einwilligungsfähigkeit entweder gar nicht oder nur auf widersprüchliche Weise. Das wird besonders deutlich, wenn man vergleichend die Leitlinienlage in den USA betrachtet. 45 Umso bedeutsamer erscheint das für Ende 2019 angekündigte Leitlinienvorhaben zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit bei Demenz.46 Rechtlich unklar ist schließlich, ob und wie die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit zu vergüten ist. Dieser Befund steht im Kontrast zur – vor allem bei minderjährigen und neuropsychiatrisch erkrankten Patienten – häufig zeit- und ressourcenaufwändigen Beurteilung.47 b) Forschung zur Gesundheitskompetenz und zum Entscheidungsverhalten Studien zur Gesundheitskompetenz und zum Entscheidungsverhalten verdeutlichen die Bedeutung einer adressatenangepassten Aufklärung des Patienten. Durch eine auf die Fähigkeiten des Empfängers der Aufklärung abgestimmte Aufklärung kann die Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall verbessert werden. Der in § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB normierten Pflicht des Arztes zur adressatengerechten Aufklärung kommt somit eine besondere Relevanz für die Einwilligungsfähigkeit zu.48 c) Medizinethik Die medizinethischen Diskurse zur Relativität der Einwilligungsfähigkeit und zur Authentizität als Kriterium der Einwilligungsfähigkeit decken sich im Wesentlichen mit den oben genannten rechtlichen Ausführungen.49 Ein Alleinstellungsmerkmal der ethischen Debatte bildet die Kritik an der primär kognitivistischen Ausrichtung der Einwilligungsfähigkeit. Wiederholt hat ein Teil des ethischen Schrifttums für eine stärkere Einbindung emotionaler Kompetenzen in die Beurteilungspraxis plädiert. Ein klares, bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit zu berücksichtigendes Kriterium, das über den bestehenden rechtlichen Standard hinausgeht, wurde jedoch bisher nicht formuliert, so dass eine potentielle Erweiterung des rechtlichen Kriterienkatalogs momentan nicht angezeigt erscheint.50

45

Vgl. die Leitlinie der ABA/APA, Assessment of Older Adults, 2008. Näher hierzu Kap. 6 A III, S. 193 ff. 46 DGGG/DGPPN/DGN (Hrsg.), Angemeldetes Leitlinienvorhaben S2k-Leitlinie „Einwilligung von Menschen mit Demenz in medizinische Maßnahmen“, AWMF-Reg.-Nr. 108 – 001, geplante Fertigstellung: 31.12.2019, abrufbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/108-001.html, . 47 Vgl. Kap. 6 A IV, S. 197 ff. 48 Vgl. Kap. 6 B und C, S. 201 ff. 49 Vgl. Kap. 6 D I und III, S. 207 ff. und 211 ff. 50 Vgl. Kap. 6 D II, S. 210 f.

A. Wesentliche Ergebnisse

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III. Befunde zur Rechtsfolgenseite 1. Rechtsfolgen der Einwilligungsfähigkeit Auf Rechtsfolgenseite stellen sich im Zusammenhang mit der positiv vorhandenen Einwilligungsfähigkeit vor allem Rechtsfragen bei der Behandlung minderjähriger Patienten. Diese betreffen den Vertragsschluss und die Behandlungseinwilligung.51 Für den Abschluss des Behandlungsvertrages kommt es auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen an. Bei beschränkt geschäftsfähigen Patienten kann es deshalb zu einem Auseinanderfallen von Einwilligungsbefugnis und Vertragsschlusskompetenz kommen. Das gilt für privat und gesetzlich versicherte Minderjährige gleichermaßen.52 Um dem gesundheitsbezogenen Selbstbestimmungsrecht einwilligungsfähiger minderjähriger Patienten praktisch zur Wirksamkeit zu verhelfen, sollte de lege ferenda eine Teilmündigkeitsregelung erlassen werden, um einen Gleichlauf von Einwilligungs- und Geschäftsfähigkeit zum Abschluss des Behandlungsvertrages sicherzustellen, wenn der Minderjährige bezüglich der Behandlung alleinentscheidungsbefugt ist.53 Die Einwilligungsbefugnis ist in § 630d Abs. 1 S. 1 BGB geregelt. Hiernach ist der Patient – unabhängig vom Alter – für die Erteilung der Behandlungseinwilligung allein zuständig, wenn er einwilligungsfähig ist.54 Diese Regelung berücksichtigt den alters- und entwicklungsabhängigen Erziehungs- und Schutzbedarf minderjähriger Patienten nicht hinreichend. Anders als bei Volljährigen kann bei Minderjährigen nicht ohne Weiteres von der Einwilligungsfähigkeit auf die Alleinzuständigkeit zur Erteilung der Einwilligung geschlossen werden. Denn die Anforderungen, die im Einzelfall an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen sind, bilden die noch in der Entwicklung befindliche Lebenserfahrung Minderjähriger und ihren etwaigen, hierauf beruhenden Unterstützungs- und Schutzbedarf nicht ausreichend ab. Im Einzelfall kann deshalb bei einwilligungsfähigen Minderjährigen zusätzlich die Einwilligung des Personensorgeberechtigten erforderlich sein (sog. einzelfallbezogene Doppelzuständigkeit).55 Das gilt vor allem für nur relativ oder gar nicht indizierte Maßnahmen, die mit schwerwiegenden Risiken verbunden sind. Diese Ausnahme vom Grundsatz des § 630d Abs. 1 S. 1 BGB lässt sich de lege lata nicht über § 630d Abs. 1 S. 3 BGB erreichen, der u.a. Regelungen aus dem Bereich der elterlichen Sorge einen Vorrang einräumt. Denn die Einwilligungszuständigkeit ist bislang auch im Familienrecht nicht klar gesetzlich geregelt, sondern wird unter Verweis auf § 1626 Abs. 2 BGB sehr unterschiedlich ausgelegt. Eine spezifische Regelung für minderjährige Patienten erscheint deshalb de lege ferenda aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit geboten. Die Regelung sollte sowohl am individuellen Schutz- und Erziehungsbedürfnis des Minderjährigen ausgerichtet sein als auch seinen höchstpersönlichen Entscheidungsspielraum hinreichend berücksichtigen.56 Da bei einer Doppelzuständigkeit zwei Einwilligungen erforderlich sind, 51

Vgl. Kap. 8, S. 223 ff.

52

Ausführlich hierzu Kap. 8 B II 2, S. 247 ff.

53

Vgl. Kap. 8 B, S. 243 ff. Siehe auch § 630d Abs. 6 BGB-E in Abschnitt B. Vgl. Kap. 8 A II 1, S. 225 ff. Vgl. Kap. 8 A II 2 a), S. 228 ff. Vgl. Kap. 8 A II 2 a) bb), S. 230 ff. und § 630d Abs. 1 S. 3 BGB-E in Abschnitt B.

54 55 56

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11. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick

wirkt sich das Modell im Konfliktfall nur auf positiv formulierte Behandlungswünsche des einwilligungsfähigen Minderjährigen aus. Eine vom einwilligungsfähigen minderjährigen Patienten erklärte Therapieablehnung (Nicht-Einwilligung) kann hingegen nicht überwunden werden. Die hiervon abweichende BGH-Rechtsprechung, die dem Minderjährigen in solchen Fällen lediglich eine überwindbare Vetobefugnis für relativ indizierte Maßnahmen zuerkennt, ist weder mit § 630d Abs. 1 S. 1 BGB, noch mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen in Einklang zu bringen.57 2. Rechtsfolgen der Einwilligungsunfähigkeit Die Rechtsfolgenfragen im Zusammenhang mit der Einwilligungsunfähigkeit betreffen in erster Linie volljährige Patienten. Im Regelfall sind einwilligungsunfähige Patienten auch geschäftsunfähig, so dass der Behandlungsvertrag durch einen Stellvertreter abzuschließen ist.58 Komplexere Fragen stellen sich auf der Einwilligungsebene. Der starke persönlichkeitsrechtliche Bezug der Behandlungseinwilligung gebietet einen generellen Vorrang der Einwilligung des Patienten. Hieraus folgt sowohl das Gebot der frühzeitigen Aufklärung und Einwilligung bei einem absehbaren Verlust der Einwilligungsfähigkeit als auch das Gebot des Zuwartens mit einem nicht dringlichen Eingriff, wenn die Wiedererlangung der Einwilligungsfähigkeit absehbar ist.59 Außerhalb wirksamer Patientenverfügungen kommt es auf die stellvertretende Einwilligung eines hierzu Berechtigten an.60 Für die stellvertretende Behandlungseinwilligung gelten verschiedene Grenzen und Zusatzanforderungen, etwa in Form gerichtlicher Genehmigungserfordernisse. Wesentlich ist hierbei die Ausrichtung am Wohl des Betroffenen, die bewirkt, dass die Vertretungsbefugnisse gegenüber den Entscheidungsbefugnissen in eigener Sache eingeschränkt sind.61 Im Betreuungsrecht ist zusätzlich eine weitreichende Bindung des Betreuers an die Wünsche auch des einwilligungsunfähigen Betreuten normiert. Diese sind für den Betreuer zu beachten, sofern sie nicht dem Betreutenwohl zuwiderlaufen. Das Wohl ist hierbei gemischt subjektiv-objektiv unter Einbeziehung der Wünsche des Betroffenen zu bestimmen. Eine selbstschädigende Handlung, die objektiv die Interessen des Betroffenen verletzt, ist hiernach nicht zwangsläufig mit dem Wohl des Betreuten unvereinbar und kann daher für den Betreuer verbindlich sein.62 Ist eine stellvertretende Entscheidung nicht zu erlangen, kommt es maßgeblich auf die mutmaßliche Einwilligung des Betroffenen an. Ein Rückgriff auf den rechtfertigenden Notstand kommt nur in Betracht, wenn Rechte Dritter oder Allgemeininteressen berührt sind. Hierbei sind die spezialgesetzlichen Regelungen der PsychKG und des Betreuungsrechts vorrangig.63

57 58 59 60 61 62 63

Vgl. Kap. 8 A II 2 a) aa), S. 229 ff. und Kap. 9 D III, S. 305 ff. Vgl. Kap. 9 A, S. 257 ff. Vgl. Kap. 9 B I, S. 260 ff. § 630d Abs. 1 S. 2 BGB, vgl. Kap. 9 B II, S. 262 f. Vgl. Kap. 9 B III 2, S. 267 ff. Vgl. Kap. 9 B III, S. 264 ff., und Kap. 9 C, S. 284 ff. Vgl. Kap. 9 B IV, S. 277 f. und V 3, S. 280 ff.

A. Wesentliche Ergebnisse

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3. Informations- und Partizipationsrechte einwilligungsunfähiger Patienten Nach § 630e Abs. 5 BGB hat der Arzt auch den einwilligungsunfähigen Betroffenen aufzuklären. Ein Verstoß gegen diese Informationspflichten ist schadensersatzrechtlich bisher nur unzureichend sanktioniert. Ärzte sind gleichwohl gut beraten, den für einwilligungsunfähig befundenen Patient hinreichend aufzuklären, um das Haftungsrisiko bei einer fehlerhaften Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit weiter zu minimieren. Der gesetzliche Vertreter, § 1626 Abs. 2 BGB, und der Betreuer, § 1901 BGB, haben den Betroffenen überdies in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Sowohl die Informations- als auch die Einbeziehungsrechte betreuter Patienten sind im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention auszulegen.64 4. Legitimation ärztlichen Zwangs Auch die gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für die Ausübung ärztlichen Zwangs sind unter Berücksichtigung der wesentlichen Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention anzuwenden. Ärztliche Maßnahmen gegen den Willen des Patienten sind grundsätzlich nur legitimierbar, wenn der Betroffene einwilligungsunfähig ist. Das gilt nicht nur für volljährige, sondern auch für minderjährige Patienten. Auch bei Einwilligungsunfähigkeit des Patienten sind ärztlichen Zwangsmaßnahmen enge Grenzen gesetzt, vgl. § 1906a BGB. Sie sind nur zulässig, wenn dem Betreuten ein erheblicher gesundheitlicher Schaden droht. Das gilt sowohl für die psychische Grunderkrankung als auch für die Behandlung hiervon verschiedener somatischer Erkrankungen. Unterhalb dieser Schwelle kann eine Behandlungsablehnung des Betreuten, sofern sie von einem natürlichen Willen getragen ist, nicht übergangen werden. Auf diese Weise wird auch dem situativ einwilligungsunfähigen Kranken eine weitreichende „Freiheit zur Krankheit“ in Gestalt eines umfangreichen Vetorechts gewährt.65 Bei minderjährigen Patienten bedarf dieser Grundsatz einer Modifikation. Da auch Kleinkinder in der Lage sind, einen natürlichen Willen zu bilden, erscheinen die hohen Zulässigkeitshürden ärztlichen Zwangs nicht in jedem Fall sachgerecht. Zu fordern ist deshalb ein qualifizierter natürlicher Wille: die Vetofähigkeit. Diese ist entgegen der Rechtsprechung des Arzthaftungssenats und Teilen des Schrifttums nicht mit der Einwilligungsfähigkeit identisch. Ausreichend ist, dass der ablehnende Wille von einem Minimum an Selbstbestimmung getragen ist. Das setzt voraus, dass das Kind nach gebotener Information über die wesentlichen Umstände der geplanten Maßnahme in der Lage ist, zumindest die unmittelbaren Folgen des Eingriffs zu erkennen und einen entsprechend informierten Willen zu bilden.66 Insbesondere weil die ärztliche Zwangsmaßnahme im Kindschaftsrecht bislang nicht geregelt ist, ist der Schutzstandard im Minderjährigenrecht de lege lata deutlich niedriger als im Betreuungsrecht. Eine gesetzliche Regelung könnte nicht nur zur Vereinheitlichung des Schutzstandards beitragen, sondern auch zur Entlastung von Eltern und Ärzten. Begrüßenswert erscheint zudem die Normierung eines 64 65 66

Vgl. Kap. 9 C II und V, S. 288 ff. und S. 291 ff., und Kap. 10 B I 3, S. 332. Vgl. Kap. 9 D I 2, S. 297 ff. und Kap. 9 D II, S. 299 ff. Vgl. Kap. 9 C II, S. 288 ff., und Kap. 9 D III, S. 305 ff.

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11. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick

familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalt. Hierdurch ließe sich nicht zuletzt auch das bestehende (wenn auch geringe) Haftungsrisiko des die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen beurteilenden Arztes minimieren.67

IV. Arzthaftungsrechtliche und zivilprozessuale Anschlussfragen 1. Keine Einschätzungsprärogative des Arztes im Zivilprozess Das Vorliegen der Einwilligungs(un)fähigkeit ist im Prozess vollständig gerichtlich überprüfbar; dem Arzt, der die Einwilligungsfähigkeit im Behandlungsalltag prüft, kommt prozessual kein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. Etwaige Beurteilungsschwierigkeiten sind haftungsrechtlich auf der Verschuldensebene zu berücksichtigen.68 2. Vermutung der Einwilligungsfähigkeit Volljähriger als Anscheinsbeweis Umstritten ist nach wie vor wer bezüglich der Einwilligungs(un)fähigkeit beweisbelastet ist. Entgegen der Gesetzesbegründung ist die Einwilligungsunfähigkeit keine rechtshindernde Einwendung. Auch die Anwendung der allgemeinen Beweislastregeln führt zu keinem befriedigendem Ergebnis, weil sie altersunspezifisch zur selben Beweislast für minderjährige und volljährige Patienten führt. Die aus der Mündigkeit folgende Vermutung der Einwilligungsfähigkeit Volljähriger lässt sich damit prozessual am klarsten über den Anscheinsbeweis umsetzen. Hiernach hat die Behandlerseite den Hauptbeweis zu führen, dass der Patient in Bezug auf die konkrete Maßnahme einwilligungsfähig war. Ist der Patient volljährig und bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass seine Fähigkeiten eingeschränkt sein könnten, streitet zu Gunsten des Arztes ein prima facie Beweis, den der Patient zu entkräften hat. Um die Beweislage transparenter zu gestalten ist eine gesetzliche Regelung erforderlich.69 3. Geringe haftungsrechtliche Risiken der Fehlbeurteilung Die haftungsrechtlichen Risiken einer Fehlbeurteilung der Einwilligungsfähigkeit sind gering. Schon mit Verweis auf die unklare und in Teilen widersprüchliche Rechtslage wird sich der Arzt im Regelfall exkulpieren können. Das gilt nicht, wenn der Arzt die schon vorhandene Einwilligungsfähigkeit eines minderjährigen Patienten im Einzelfall bewusst außer Acht lässt oder wenn er die Einwilligungsfähigkeit eines erwachsenen Patienten trotz gravierender und erkennbarer Defizite nicht überprüft.70

67 68 69 70

Vgl. Kap. 9 D III, S. 305 ff. Vgl. Kap. 10 A II, S. 316 ff. Vgl. Kap. 10 A III, S. 318 ff. Vgl. Kap. 10 B, S. 326 ff.

B. Finaler Regelungsvorschlag

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B. Finaler Regelungsvorschlag B. Finaler Regelungsvorschlag

Vor allem die Analyse zur Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten hat ergeben, dass die bestehende Regelungslage unzureichend ist. Das betrifft zum einen die Einwilligungszuständigkeit, die nach der hier vertretenen Ansicht als einzelfallbezogene Doppelzuständigkeit auszugestalten ist. Zum anderen ist die Vertragsschlusskompetenz des alleinzuständigen Minderjährigen regelungsbedürftig. Hieraus ergibt sich folgender, modifizierter Regelungsvorschlag: § 630d BGB-E Einwilligung71 (1) 1Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. 2Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 Satz 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt. 3Willigt ein nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 einwilligungsfähiger, minderjähriger Patient in eine nur relativ oder gar nicht indizierte Behandlung ein, bei der die begründete Gefahr besteht, dass er auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden oder eine nachhaltige Beeinträchtigung seiner Persönlichkeit erleidet, bedarf es zusätzlich der Einwilligung des Personensorgeberechtigten, sofern die Maßnahme nicht sein Persönlichkeitsrecht in besonderem Maße berührt.72 (2)-(3) (...). (4) Einwilligungsunfähig ist: 1. wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, 2. wer wegen Minderjährigkeit, psychischer Krankheit, geistiger oder seelischer Behinderung, Bewusstlosigkeit, vorübergehender Störung der Geistestätigkeit73 oder eines vergleichbaren Zustandes außer Stande ist, a) den Zweck, die Notwendigkeit und die Dringlichkeit, den voraussichtlichen Verlauf, die möglichen Folgen, die potentiellen Risiken und den potentiellen Nutzen des Eingriffs und seiner Nichtvornahme zu verstehen, b) zu erfassen, welchen Wert die betroffenen Rechtsgüter für ihn haben und unter welchen Alternativen er wählen kann, c) das Für und Wider abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen, d) diese Entscheidung zu äußern und e) seiner Entscheidung gemäß zu handeln. 71

Der geltende Gesetzestext wurde kursiv dargestellt. Die Regelung ist an § 1904 Abs. 1 BGB angelehnt, der für schwerwiegende Maßnahmen mit nicht nur vorübergehenden Folgen einen betreuungsgerichtlichen Genehmigungsvorbehalt normiert. Zusätzlich wurde berücksichtigt, dass die Persönlichkeitsentwicklung bei Minderjährigen noch nicht abgeschlossen ist, woraus sich im Einzelfall ein besonderes Schutzbedürfnis ergeben kann. 73 Etwa in Folge einer Intoxikation, erheblicher Schmerzen oder eines besonders schlechten gesundheitlichen Allgemeinzustandes. 72

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11. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick

(5) Ab Vollendung des 14. Lebensjahres wird die Einwilligungsfähigkeit vermutet. (6) Ist der Minderjährige nach Maßgabe des Absatzes 1 alleinentscheidungsbefugt, ist er für Rechtsgeschäfte, die die konkrete medizinische Behandlung betreffen, unbeschränkt geschäftsfähig.

C. Ausblick C. Ausblick

Die vorliegende Untersuchung hat vor allem den umfangreichen gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Kindschaftsrecht deutlich gemacht. Über § 630d BGB hinaus, erscheint eine Regelung der ärztlichen Zwangsmaßnahme im Rahmen der §§ 1631 ff. BGB dringend geboten. Gleiches gilt für die mit der Einwilligungsfähigkeit verbundenen gebührenrechtlichen Fragen. Eine stärkere Priorisierung der Thematik durch den Bundesgesetzgeber erscheint für die Zukunft wünschenswert.

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