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German Pages 342 Year 2022
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 545
Gesetzlich pauschalierter Schadensersatz im geltenden Schuldrecht und als gesetzgeberisches Instrument
Von
Johannes Ungerer
Duncker & Humblot · Berlin
JOHANNES UNGERER
Gesetzlich pauschalierter Schadensersatz im geltenden Schuldrecht und als gesetzgeberisches Instrument
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 545
Gesetzlich pauschalierter Schadensersatz im geltenden Schuldrecht und als gesetzgeberisches Instrument
Von
Johannes Ungerer
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.
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© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-18580-1 (Print) ISBN 978-3-428-58580-9 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2021 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand vom 1. Januar 2022. Großer Dank gebührt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Matthias Lehmann, für die Betreuung der Arbeit, die Erstellung des Erstgutachtens und die inspirierende Zeit, die ich als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl verbringen durfte. Seinen fachlichen Rat und Weitblick schätze ich ungemein. Herrn Prof. Dr. Matthias Weller danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Prof. Dr. Rainer Hüttemann für die Übernahme des Vorsitzes der Disputation. Die Fertigstellung und Drucklegung der Arbeit erfolgte nach Aufnahme meiner Tätigkeit als Lecturer in German Law and EU Law an der Universität Oxford. Am hiesigen Institute of European and Comparative Law bin ich Prof. Dr. Birke Häcker ausgesprochen dankbar. Der juristischen Fakultät danke ich für die Gewährung der Fördermittel zur Deckung des Druckkostenzuschusses. Besonders danken möchte ich meinen Eltern und meiner Partnerin für ihre stete Unterstützung. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Oxford, Januar 2022
Johannes Ungerer
Inhaltsübersicht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 C. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 D. Ziele der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 E. Gang und Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Teil I Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung im geltenden Schuldrecht Erstes Kapitel Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden in Form von Verzugszinsen und Beitreibungskostenbetrag
29
A. Entwicklung zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung beim Zahlungsverzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . 59 D. Tatbestand: Verzugsvoraussetzung und Exkulpationsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 76 E. Gesetzliche Pauschalierung der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 F. Privatautonome Modifikation der gesetzlichen Pauschalierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 G. Weitergehender Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschalen . . . . . . . . . . . . . 99 H. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Zweites Kapitel Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste bei Nichtbeförderung und ähnlichen Fällen
104
A. Schaffung eines pauschalierten Schadensersatzanspruchs durch den Unionsgesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
8
Inhaltsübersicht
B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung als gesetzlich pauschalierter Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes durch gesetzliche Gestaltung und richterliche Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 D. Tatbestandsvoraussetzungen und Exkulpationsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 E. Gesetzlich pauschalierte Rechtsfolge des „Ausgleichsanspruchs“ . . . . . . . . . . . . . . . . 155 F. Informationspflichten der Fluggesellschaft über den Anspruch auf die gesetzliche Schadensersatzpauschale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 G. Privatautonome Modifikation der gesetzlichen Pauschale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 H. Weitergehender Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschale . . . . . . . . . . . . . . 166 I. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Teil II Schadensersatzpauschalierung als gesetzgeberisches Instrument Drittes Kapitel Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung und Abgrenzung zu gerichtlichen Aufgaben
175
A. Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung als gemäßigter Paternalismus . . . . . . . . . . 175 B. Gesetzgeberischer Spielraum bei der Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . . . . . . . . 176 C. Gebotenheit der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 D. Realpolitischer Kontext der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . . . . . 184 E. Abgrenzung gesetzgeberischer zu gerichtlichen Aufgaben im Schadensersatzrecht . . 186 F. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Viertes Kapitel Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
194
A. Gesetzlich pauschalierte Haftungsverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 B. Gesetzlich pauschalierte Haftungsausfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
Inhaltsübersicht
9
Fünftes Kapitel Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
221
A. Vereinfachung der Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 B. Außergerichtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 C. Gerichtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 D. Digitale „smarte“ Möglichkeiten durch legal tech . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Sechstes Kapitel Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
256
A. Umstrittener Zweck im Schadensersatzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 C. Wirkung auf das Verhalten des Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Siebentes Kapitel Weitergehendes Potenzial für gesetzliche Schadensersatzpauschalierungen
289
A. Maßgaben für weitere gesetzliche Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . . . . . . . . . . 289 B. Beispiele weiterer gesetzlicher Schadensersatzpauschalierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 A. Zentrale Ergebnisse in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 B. Zusammenfassung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 C. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 D. Ziele der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 E. Gang und Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Teil I Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung im geltenden Schuldrecht Erstes Kapitel Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden in Form von Verzugszinsen und Beitreibungskostenbetrag
29
A. Entwicklung zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Von prozessualer Sanktion zum materiellen Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Vom allgemein anerkannten Verzugszins zur gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. Entwicklung zum kreditmarktabhängig gesetzlich pauschalierten Schadensersatz 34 IV. Einführung des Beitreibungskostenbetrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung beim Zahlungsverzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Zahlungsverzug als gleich- und massenartige Leistungsstörung . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Gleichartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Massenartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Staatliche Regelung wegen Versagens privater Vertrags- und Marktmechanismen 41 1. Mikroökonomische Opportunitäts- und Transaktionskosten der Zwangskreditgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Makroökonomische Lähmung des Zahlungsverkehrs, ineffiziente Ressourcenallokation und Wohlfahrtsverluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Vertrags- und markttheoretisches Dilemma der externen Kosten . . . . . . . . . . . . 45 4. Ausgleich durch staatliches Eingreifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
12
Inhaltsverzeichnis III. Qualifikation als Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz . . . . . . . 50 1. Verzugszinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Schadensersatz statt Abschöpfung ungerechtfertigter Bereicherung . . . . . . . 50 b) Schadensersatz in gesetzlich pauschaliertem Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Beitreibungskostenbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Schadensersatz in gesetzlich pauschaliertem Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Strafschadensersatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . 59 I. Räumlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Sachlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Verzugszinsen für Geldschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Verzugszinsen für Entgeltforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Beitreibungskostenbetrag nur für Entgeltforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 III. Persönlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Grundsätze für Verzugszinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Differenzierung für Verzugszinsen nach Verbraucherbeteiligung . . . . . . . . . . . 68 3. Beitreibungskostenbetrag nur von unternehmerischen Schuldnern . . . . . . . . . . 69 4. Sonderfall: Arbeitsvertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Welche Verzugszinsen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Beitreibungskostenbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 D. Tatbestand: Verzugsvoraussetzung und Exkulpationsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 76 E. Gesetzliche Pauschalierung der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 I. Verzugszinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Ausgangspunkt: Basiszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Sonderproblem: negativer Basiszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Aufschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Fünf Prozentpunkte und ausnahmsweise zweieinhalb Prozentpunkte . . . . . . 83 b) Neun Prozentpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4. Andere Zinssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Höhere Zinsen aus anderem Rechtsgrund zugunsten des Gläubigers . . . . . . 85 b) Keine niedrigeren Zinsen zugunsten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Beitreibungskostenbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Allgemeiner Fixbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3. Bezugspunkt „eine Entgeltforderung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 F. Privatautonome Modifikation der gesetzlichen Pauschalierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 I. Abbedingung der Verzugszinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Bei anderen Geldschulden als Entgeltforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Bei Entgeltforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
Inhaltsverzeichnis
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II. Abbedingung des Beitreibungskostenbetrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Keine vollständige Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Reduzierung des Betrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 G. Weitergehender Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschalen . . . . . . . . . . . . . 99 I. Anspruchsgrundlage und ihre Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Anrechnung auf den Beitreibungskostenbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 H. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Zweites Kapitel Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste bei Nichtbeförderung und ähnlichen Fällen
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A. Schaffung eines pauschalierten Schadensersatzanspruchs durch den Unionsgesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung in der Überbuchungs-Verordnung als Gegenstück zur Luftverkehrsliberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Ausbau der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung durch die FluggastrechteVerordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 III. Weitere Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung als gesetzlich pauschalierter Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 I. Nichtbeförderung und ähnliche Fälle als gleich- und massenartige Leistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Gleichartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Massenartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Staatliche Regelung wegen Versagens privater Vertrags- und Marktmechanismen 115 1. Mikroökonomische Opportunitätskosten und andere individuelle Nachteile der Nichtbeförderung etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsverluste und Störung des Luftverkehrs . . . . . 118 3. Vertrags- und markttheoretisches Dilemma der externen negativen Effekte . . . 118 4. Ausgleich durch staatliches Eingreifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 III. Qualifikation als Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz . . . . . . . 122 1. Schadensersatz in gesetzlich pauschaliertem Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Verhältnis zum Schadensersatzanspruch nach dem Montrealer Übereinkommen über die Beförderung im internationalen Luftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Abgrenzung zu „Entschädigungen“ bei Beförderung mit anderen Verkehrsmitteln de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes durch gesetzliche Gestaltung und richterliche Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Räumlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
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Inhaltsverzeichnis II. Sachlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Nichtbeförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Annullierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Kraft richterrechtlicher Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Große Ankunftsverspätung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Erhebliche Abflugvorverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 III. Persönlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Aktivlegitimierter Fluggast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Zessionsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Passivlegitimierte ausführende Fluggesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4. Regressmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
D. Tatbestandsvoraussetzungen und Exkulpationsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung nur auf privater Vertragsgrundlage . . . 147 II. Ausnahmen für Abweichungen von der Gleich- und Massenartigkeit bzw. vom Versagen privater Vertrags- und Marktmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 III. Möglichkeit der Fluggesellschaft zur Enthaftung aufgrund außergewöhnlicher Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 E. Gesetzlich pauschalierte Rechtsfolge des „Ausgleichsanspruchs“ . . . . . . . . . . . . . . . . 155 I. Höhe der Pauschale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Keine Relation zum Ticketpreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Relation zur Verspätung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Pauschalbetrag einmal pro Ticket („Reise“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. Zahlungsmodalitäten und Verjährung des Anspruchs auf die Pauschale . . . . . . . . 161 F. Informationspflichten der Fluggesellschaft über den Anspruch auf die gesetzliche Schadensersatzpauschale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 G. Privatautonome Modifikation der gesetzlichen Pauschale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 H. Weitergehender Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschale . . . . . . . . . . . . . . 166 I. Anspruchsgrundlagen und ihre Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 II. Anrechnung auf die gesetzliche Pauschale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Teil II Schadensersatzpauschalierung als gesetzgeberisches Instrument Drittes Kapitel Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung und Abgrenzung zu gerichtlichen Aufgaben
175
A. Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung als gemäßigter Paternalismus . . . . . . . . . . 175
Inhaltsverzeichnis
15
B. Gesetzgeberischer Spielraum bei der Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . . . . . . . . 176 I. Zulässigkeit im Licht der Freiheitsrechte und Verfahrensgarantien . . . . . . . . . . . . 177 II. Schranke des Übermaßverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 C. Gebotenheit der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 I. Keine generelle gesetzliche Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 II. Widerspruchsfreiheit und Systemgerechtigkeit des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Anforderungen der Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Kohärenz . . . . . . . . . . . 182 2. Schlussfolgerungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . 183 D. Realpolitischer Kontext der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . . . . . 184 E. Abgrenzung gesetzgeberischer zu gerichtlichen Aufgaben im Schadensersatzrecht . . 186 I. Konkret-individuelle Schadensbemessung als richterliche Aufgabe . . . . . . . . . . . 186 II. „Kfz-Unfallpauschale“ und „Schmerzensgeldtabelle“ als Behelfsmittel bei der Schadensbemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 III. Richterliche Rechtsfortbildung gesetzlicher Schadensersatzpauschalen . . . . . . . . 190 F. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Viertes Kapitel Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
194
A. Gesetzlich pauschalierte Haftungsverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 I. Pauschalierte Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Pauschalierte Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Verschuldensunabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Exkulpation nur bei außergewöhnlichen Umständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3. Mitverschuldensunabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 III. Privatautonome Möglichkeiten und Grenzen der Abweichung vom gesetzgeberischen Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Konsensuale Modifikation und Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Haftungsabwendung durch Regress oder Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 B. Gesetzlich pauschalierte Haftungsausfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I. Funktionen gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Ausgleichsfunktion und Präventionsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Abgrenzung zur Straffunktion und zu punitive damages . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 II. Abweichung von natürlichem Schadensbegriff und Differenzhypothese zugunsten überwiegend normativer Schadensbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Grundlagen des Schadensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
16
Inhaltsverzeichnis 2. Verhältnis der gesetzlichen Pauschalierung zu natürlichem Schadensbegriff und Differenzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 3. Normative Schadensbestimmung durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 4. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 III. Abweichungen von schadensrechtlichen Prinzipien im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . 211 1. Schadenskompensation statt Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Keine Differenzierung materieller und immaterieller Schäden . . . . . . . . . . . . . 214 3. Keine Totalreparation (aber auch keine Verschuldensabhängigkeit) . . . . . . . . . 216 4. Keine Wahrung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots . . . . . . . . . . . . 217
C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
Fünftes Kapitel Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
221
A. Vereinfachung der Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 I. Modifikation der Darlegungs- und Beweislast durch die gesetzliche Pauschalierung und Abgrenzung von Anscheinsbeweis und § 287 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 II. Entbehrlichkeit des Beweises von Anspruchsvoraussetzungen durch den Geschädigten nach Beweis der Anwendungsbereichseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 III. Ausnahmsweiser Exkulpationsbeweis durch den Schädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 IV. Auskunftsanspruch bezüglich der Tatbestandsmerkmale? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 B. Außergerichtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 I. Durchführung eines Schlichtungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Prozessökonomie von verpflichtender alternative dispute resolution . . . . . . . . 232 2. Vorgaben der ADR-Richtlinie, des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes und des Luftverkehrsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 3. Beispiel der „SÖP“-Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 4. Vor- und Nachteile der Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 II. Beauftragung eines kommerziellen Dienstleisters (Factoring/Inkasso) . . . . . . . . . 235 1. Geschäftsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Besondere Geeignetheit des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes für das Factoring/Inkasso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3. Vereinbarkeit mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4. Wirksamkeit eines vertraglichen Abtretungsverbots bezüglich gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 III. Abgrenzung zu den Aufgaben nationaler Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 C. Gerichtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 I. Inanspruchnahme staatlicher Gerichte zur Durchsetzung gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 II. Gerichtsstand und Verfahrensbündelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Inhaltsverzeichnis
17
III. Individuelle Erkenntnis-, Mahn- und Bagatellverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 IV. Kollektivverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Deutsche Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Europäische Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Abgrenzung zu class actions nach US-amerikanischem Vorbild . . . . . . . . . . . . 250 V. Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 D. Digitale „smarte“ Möglichkeiten durch legal tech . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 I. Existierende und konkret geplante Lösungen: von Smartphone-App zu smart contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 II. Weitergehendes Potenzial von legal tech . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Sechstes Kapitel Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
256
A. Umstrittener Zweck im Schadensersatzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 I. Traditionelle ablehnende Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II. Zunehmende Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 III. Abgrenzung zur Strafprävention durch punitive damages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I. Prävention durch Abschreckung aufgrund des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. General- und Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Gezielte gesetzgeberische Intention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 II. Prävention durch Rationalität der Schadens- und Leistungsstörungsvermeidung aufgrund des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1. Grundzüge der rechtsökonomischen Analyse und der behavioral economics 263 2. Rechtsökonomisches Modell der effizienzorientierten Abwägung von Schadenskosten und Schadensvermeidungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3. Adaption des Modells für Leistungsstörungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 4. Rentabilität größerer Leistungsanstrengung für den cheapest cost avoider infolge der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 5. Verstärkung durch Skaleneffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 6. Verhinderung des „effizienten Rechtsbruchs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 III. Abwendung der Gefahr einer Präventionswirkungsvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Umgehung des Anwendungsbereichs oder Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Überlange Zahlungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 b) Schedule padding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Versicherung und andere Abwendungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 IV. Adverse Effekte zulasten des Geschädigten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
18
Inhaltsverzeichnis
C. Wirkung auf das Verhalten des Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 I. Motivation zur Geltendmachung zum eigenen Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 1. Befähigung und Anreizwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 2. Windfall profit bei Überkompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 II. Motivation zur gemeinnützigen Geltendmachung in der Rolle eines private attorney general . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
Siebentes Kapitel Weitergehendes Potenzial für gesetzliche Schadensersatzpauschalierungen
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A. Maßgaben für weitere gesetzliche Schadensersatzpauschalierung . . . . . . . . . . . . . . . . 289 B. Beispiele weiterer gesetzlicher Schadensersatzpauschalierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 I. Entschädigung bei Internetanschlussstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 II. Passagierentschädigung bei Beförderungsausfall und -verspätung . . . . . . . . . . . . . 294 III. Entschädigung für Datenschutzverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 A. Zentrale Ergebnisse in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 B. Zusammenfassung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
Einführung Pauschalierter Schadensersatz stellt im deutschen Schuldrecht eine Besonderheit dar: Es handelt sich um Ersatz in Geld, der vor Schadenseintritt festgelegt ist. Insofern divergieren Schadensersatzpauschalen vom allgemeinen Schadensersatzrecht, dem es um einen Ersatz des konkret eingetretenen Schadens geht. Gelegentlich begegnet man Pauschalierungen von Schadensersatz in vertraglichen Vereinbarungen, sei es individualvertraglich oder – wie in der Vertragspraxis üblich und innerhalb gewisser Grenzen zulässig – in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Seltener, aber juristisch interessanter und bisher kaum untersucht sind gesetzliche Normen, die einen Anspruch auf Schadensersatz insgesamt pauschalieren, und zwar sowohl einschließlich der Haftungsbegründung als auch der Schadensbemessung. Sie sind der Gegenstand der vorliegenden Arbeit, die kurz gesagt danach fragt: Wo, wie und warum pauschaliert der Gesetzgeber Schadensersatz? Die Arbeit nimmt zwei Regelungen des in Deutschland geltenden Schuldrechts, deren Qualität als gesetzlich pauschalierter Schadensersatz darzulegen sein wird, zum Anlass für eine erstmalig grundlegendere Untersuchung des Themas. Betrachtet werden zum einen der Schadensersatz bei Zahlungsverzug und zum anderen die Fluggastentschädigung bei Nichtbeförderung und ähnlichen Fällen. Diese beiden Pauschalierungen von Schadensersatz mögen auf den ersten Blick sehr verschiedenartige Fälle der Leistungsstörung betreffen, weisen aber bei näherer Betrachtung doch ganz wesentliche Gemeinsamkeiten auf, die für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung als typisch anzusehen sind. Auf dieser Basis möchte die Arbeit induktiv zeigen, wie man die Pauschalierung von Schadensersatz als begründbare gesetzgeberische Entscheidung verstehen kann, und somit der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung dazu verhelfen, dass sie in der juristischen Diskussion und künftigen Rechtsetzung als gesetzgeberisches Instrument mit besonderen Eigenschaften und Wirkungen wahrgenommen wird.
A. Problemaufriss Ein gewöhnlicher Anspruch auf Schadensersatz ist darauf gerichtet, Ersatz für die konkrete unfreiwillige Vermögenseinbuße zu gewähren, die der Geschädigte aufgrund des schädigenden Ereignisses erlitten hat. Unter welchen Tatbestandsvoraussetzungen eine Haftung dem Grund nach besteht, bestimmt die zum Schadensersatz verpflichtende Anspruchsgrundlage des Haftungsrechts, d. h. eine gesetzliche
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Norm ohne Aussage zum Schadensersatzumfang wie z. B. § 280 oder § 823 BGB. Das allgemeine gesetzliche Schadensrecht der §§ 249 ff. BGB bestimmt sodann, welcher konkrete Schaden rechtsfolgenseitig ersatzfähig ist und auf welche Weise. Besteht immerhin eine Pauschalierung der Schadensersatzrechtsfolge, ist für den Anspruch nur noch entscheidend, dass ein Haftungsfall vorliegt, also dem Grunde nach der Anspruch auf den pauschalierten Schadensersatz besteht. Dann haftet der Schädiger in der festgelegten Form und Höhe, also regelmäßig mit einem vorab bestimmten Geldbetrag. Dem potenziell Geschädigten steht zwar theoretisch eine vorausschauende Schadensersatzpauschalierung per Vertrag oder durch AGB offen.1 Praktisch kann er dies aber nur realisieren, soweit er über eine entsprechende Verhandlungsposition oder Marktmacht verfügt; ansonsten ließe sich der potenzielle Schädiger nicht darauf ein. Außerdem pauschaliert eine vertragliche Regelung nur den rechtsfolgenseitigen Ersatzbetrag, nicht auch den haftungsbegründenden Tatbestand. Gerade bei häufig auftretenden Haftungskonstellationen, die zudem sehr ähnlich sind, besteht jedoch die Möglichkeit zu einer Pauschalierung des gesamten Schadensersatzanspruchs, also sowohl tatbestands- als auch rechtsfolgenseitig. Diese scheint vor allem nötig, soweit eine Pauschalierung mit privatautonomen Mitteln nicht gelingen kann, aber eine gesamtgesellschaftliche und nationalökonomische Relevanz der Schäden und ihres Ersatzes festzustellen ist. Für solche problematischen Konstellationen stellt sich die Frage nach einer Schadensersatzpauschalierung durch den Gesetzgeber, die innerhalb der zulässigen Grenzen des höherrangigen Rechts von der etablierten Haftungs- und Schadensdogmatik abweichen kann und sowohl zu einer einfacheren Anspruchsdurchsetzung als auch zur besseren Schadensvermeidung verhelfen kann.
B. Gegenstand der Untersuchung Untersucht werden zunächst die beiden benannten Regelungen des in Deutschland geltenden Schuldrechts, Zahlungsverzugsschadensersatz und Fluggastentschädigung, die jeweils für brisante Haftungskonstellationen gesetzlich pauschaliert sind. Beim massenartig auftretenden Problem des Zahlungsverzugs werden Gläubigern entsprechend der Geldmarktlage gleichartige Refinanzierungskosten aufgezwungen und es entgehen ihnen Anlageerträge. Ohne gesetzliche Regelung dürfte zu bezweifeln sein, dass die Vertragsparteien oder der Markt Zahlungsverzug effektiv kompensieren oder unterbinden würden. Dafür ordnet § 288 BGB in Umsetzung der 1 Bei AGB in den Grenzen von § 309 Nr. 5 BGB. Vgl. Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe – Vertragsstrafe, Schadensersatzpauschalierung und schlichter Schadensbeweisvertrag; Birkenfeld-Pfeiffer, Schadensersatzpauschalen zwischen legitimer Rationalisierung des Geschäftsverkehrs und einseitiger Selbstbevorzugung des Verwenders.
B. Gegenstand der Untersuchung
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europäischen Zahlungsverzugs-Richtlinien von 20002 und 20113 einen pauschalierten Verzugszins in Abs. 1 und 2 an, heute in Höhe von jährlich fünf bzw. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz,4 sowie in Abs. 5 einen zusätzlichen Anspruch auf eine Beitreibungskostenpauschale von 40 Euro für Gläubiger von Entgeltforderungen gegenüber ihren unternehmerischen Schuldnern. Eine ganz andere Leistungs- und Haftungsbeziehung betrifft die europäische Verordnung 261/2004 für die Fluggastbeförderung (im Folgenden: FluggastrechteVerordnung).5 Im heutigen Flugverkehr – von temporären Krisenzeiten abgesehen ebenfalls ein Massenphänomen – bereitet es den Fluggästen vergleichbare Unannehmlichkeiten, wenn sie nicht oder nur unpünktlich von A nach B kommen, doch weder per Vertrag noch am Markt lässt sich eine adäquate Entschädigung oder Vermeidung sicherstellen. Darauf reagiert Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung: Den Fluggästen wird ein pauschalierter „Ausgleichsanspruch“ in Höhe von 250, 400 bzw. 600 Euro gegenüber der Fluggesellschaft bei Nichtbeförderung, Flugannullierung, großer Ankunftsverspätung und neuerdings erheblicher Abflugvorverlegung gewährt. Schon aufgrund dieser ersten knappen Beschreibungen kann man die Vermutung aufstellen, dass der Zahlungsverzugsschadensersatz und die Fluggastentschädigung auf gemeinsamen Kriterien beruhen, die typisch für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung sind: Es könnte sich – trotz der recht unterschiedlichen Lebenssachverhalte – um Fälle der Leistungsstörung handeln, in denen es massenhaft zu gleichförmig konkreten Schäden kommt und bei denen der Gesetzgeber zur Pauschalierung des Schadensersatzanspruchs berufen ist, weil die privaten Vertragsund Marktmechanismen bei der Folgenbewältigung dieser Leistungsstörungen versagen. Damit eröffnet sich auch der Zugang zum allgemeineren und umfassenderen Gegenstand der weiteren Untersuchung. Der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz könnte als ein gesetzgeberisches Instrument zu betrachten sein, das besondere Eigenschaften und Wirkungen hat. Verfassungs- und Unionsprimärrecht könnten dahingehend zu verstehen sein, dass sie dem einfachen Gesetzgeber den Spielraum geben, Schadensersatz zu pauschalieren, sie könnten die gesetzliche Pauschalierung womöglich aber auch gebieten. Die Erfassung gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes als eigenständiges gesetzgeberisches Instrument könnte in privat2 Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 6. 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. L200/35). 3 Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 2. 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. L48/1). 4 § 288 Abs. 1 und 2 BGB i. d. F. des Gesetzes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr […] vom 22. 7. 2014 (BGBl. I 1218), in Kraft getreten am 29. 7. 2014. 5 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L46/1).
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rechtsdogmatischer Hinsicht der Bedeutung eines neuen Paradigmas gleichkommen, soweit Abweichungen von herkömmlichen haftungs- und schadensrechtlichen Prinzipien festzustellen sind. So steht zu vermuten, dass gesetzlich pauschalierter Schadensersatz nicht nur tatbestandsseitig Kausalitäts- und Verschuldenserfordernisse entbehrt, sondern ein erweitertes Funktionsverständnis (Ausgleich und Prävention), einen anderen Schadensbegriff (normativer statt natürlicher) und weitere Divergenzen ohne Rücksicht auf Totalreparation und das schadensrechtliche Bereicherungsverbot rechtsfolgenseitig mit sich bringt. Die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung scheint außerdem besondere Wirkungen sowohl für die Prozessökonomie als auch die Verhaltenssteuerung zu entfalten. Die Vereinfachung der Anspruchsgeltendmachung aufgrund der Modifikation der Darlegungs- und Beweislast im Vergleich zur Lage bei herkömmlichen Schadensersatzansprüchen ist sowohl im außergerichtlichen Bereich bedeutsam, etwa im Rahmen von Schlichtungsverfahren oder bei der Beauftragung kommerzieller Inkassodienstleister, als auch bei der gerichtlichen Durchsetzung, insbesondere in Kollektivverfahren; außerdem ergibt sich eine besondere Eignung zur Geltendmachung der gesetzlich pauschalierten Schadensersatzansprüche mithilfe von legal tech. Die Idee der Verhaltenssteuerung, die traditionell als Zweck des Schadensersatzes abgelehnt wurde, kann beim gesetzlich pauschalierten Schadensersatz den deutlichen Paradigmenwechsel unterstreichen. Neben Abschreckung durch die gesetzliche Regelung besteht vor allem Grund zur Annahme, dass es dem Gesetzgeber mittels seiner Schadensersatzpauschalierung gelingt, den potenziellen Schädiger präventiv zur Schadens- und Leistungsstörungsvermeidung zu bewegen und den Geschädigten zur Geltendmachung seines – unter Umständen überkompensatorischen – Anspruchs zu motivieren. In Anbetracht dieser Eigenschaften und Wirkungen kann die Untersuchung abschließend einen Ausblick auf das weitergehende Potenzial für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung geben. Dafür wird zum einen die Entschädigung bei Internetanschlussstörungen betrachtet, die der Gesetzgeber jüngst im Zuge der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) pauschaliert hat, wobei allerdings die konkrete Ausgestaltung zu hinterfragen ist. Zum anderen ist die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung in anderen Bereichen zu erwägen, namentlich für die Entschädigung von Bahn- und Buspassagieren sowie für die Entschädigung bei Datenschutzverstößen.
C. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands In anderen Rechtsbereichen gibt es zwar Konzepte, die der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung, so wie sie hier verstanden wird, ähneln, aber höchstens im weiteren Sinn. Sie bleiben hier ausgeklammert, weil keine vollständige gesetzliche Pauschalierung eines schuldrechtlichen Anspruchs auf Schadensersatz vorliegt.
C. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands
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Ein Beispiel dafür ist das Konzept, dass man den Schaden bei der Verletzung von Schutzrechten des geistigen Eigentums pauschal nach der fiktiven Lizenzgebühr bemessen kann,6 als eine der drei Varianten der sog. „dreifachen“ Schadensberechnung.7 Allerdings ist die Höhe der Lizenzgebühr keineswegs gesetzlich, sondern privat- und marktautonom determiniert. Zudem handelt es sich lediglich um eine rechtsfolgenseitige Schadenspauschalierung, die sich anders als gesetzliche Schadensersatzpauschalierungen nicht auf den Haftungstatbestand erstreckt. Im HGB gibt es eine Regelung einer – allerdings nur vermeintlich – gesetzlichen Schadensersatzpauschale: die Fautfracht (Fehlfracht).8 Der Frachtführer kann ein Drittel des Frachtpreises vom Absender verlangen, wenn dieser kündigt. Maßgeblich für die Höhe der Fautfracht als Kündigungsentschädigung bleibt aber die vertraglich vereinbarte Fracht(entlohnung), die lediglich auf ein Drittel gemindert wird; nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers macht sie das nicht zum Schadensersatz.9 Auch im Staatshaftungsrecht gibt es eine Regelung, die man auf den ersten Blick für eine „echte“ gesetzliche Schadensersatzpauschalierung halten könnte:10 Wer als Gerichtsverfahrensbeteiligter einen immateriellen Nachteil infolge unangemessener Verfahrensdauer erleidet, hat Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 1.200 Euro pro Verzögerungsjahr.11 Dieser Anspruch ist in der Höhe aber variabel,12 also nicht fest pauschaliert, und wird ohnehin nur gewährt, soweit nicht Wiedergutmachung durch die bloße Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, oder auf andere Weise ausreichend ist.13 Eine weitere öffentlich-rechtliche Regelung findet sich im Steuerrecht zu den gesetzlichen Zinsen i. H. v. 6 % p. a. für Steuernachzahlungen und -erstattungen.14 Diese Regelung außerhalb des Schuldrechts bezweckt statt Schadensersatz einen Ausgleich des abzuschöpfenden Vorteils bei Steuerfestsetzungen, welche erst nach der im Gesetz bislang benannten 15-monatigen Karenzzeit erfolgen; die damit eingehergehende und als unverhältnismäßig angesehene Ungleichbehandlung ge6 Art. 13 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2004/48/EG, umgesetzt in Deutschland in § 97 Abs. 3 S. 2 UrhG, § 139 Abs. 2 S. 3 PatG, § 14 Abs. 6 S. 3 MarkenG, § 24 Abs. 2 S. 3 GebrMG, § 42 Abs. 2 S. 3 GeschmMG, § 37 Abs. 2 S. 3 SortG. 7 Ernicke, Die dreifache Schadensberechnung; Raue, Die dreifache Schadensberechnung. 8 § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB. 9 So ausdrücklich im Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drs. 368/97, S. 44 li.Sp.; ebenso BFHE 231, 248 Rn. 20; Schmidt, in: Staub, HGB, § 415 Rn. 20; MüKo-HGB/Thume, § 415 Rn. 18. 10 Dazu BGH, Urt. v. 7. 11. 2019 – III ZR 17/19, Rn. 20 ff. (juris). 11 § 198 Abs. 2 S. 3 GVG; ähnlich § 97a Abs. S. 3 BVerfGG. Eingeführt 2011 infolge von EGMR-Urteilen gegen Deutschland (u. a. EGMR (Große Kammer), Urt. v. 8. 6. 2006 – 75529/ 01, Sürmeli/Deutschland, Rn. 99). 12 § 198 Abs. 2 S. 4 GVG. 13 § 198 Abs. 2 S. 2 Hs. 2, Abs. 4 GVG. 14 § 233a Abs. 1 S. 1, § 238 Abs. 1 S. 1 AO.
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genüber Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit festgesetzt wird, hat das BVerfG jüngst dazu veranlasst, die Regelung wegen Verletzung des Gleichheitssatzes für verfassungswidrig zu erklären.15 Auf daraus zu ziehende Folgerungen für gesetzliche Schadensersatzpauschalierung im Schuldrecht wird noch einzugehen sein.
D. Ziele der Untersuchung Die Untersuchung strebt nach einer möglichst umfassenden Analyse der ausgewählten gesetzlichen Pauschalierungen von Schadensersatz einerseits und der Erfassung als ein gesetzgeberisches Instrument andererseits.16 Dafür grundlegend ist die Untersuchung der beiden ausgewählten Regelungen spezifisch unter dem Blickwinkel der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung, also warum und nach welchen Maßgaben in den beiden Fällen der Gesetzgeber den pauschalierten Ausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem anordnet. Es soll dabei geprüft werden, ob sich die oben formulierte Vermutung als vertretbar erweist, dass der Schadensersatz bei unpünktlicher Geldzahlung und Fluggastbeförderung deshalb gesetzlich pauschaliert wird, weil es sich um Leistungsbeziehungen handelt, die besonders stark von gleich- und massenartigen Störungen betroffen sind, und der Gesetzgeber die abstrakt-generelle Schadensersatzpauschalierung übernimmt, weil die Störungsfolgen für die Betroffenen und gesamtgesellschaftlich besonders kritisch und privat nicht mit Vertrags- und Marktmechanismen beherrschbar sind. Die weitere, induktive Untersuchung zielt auf die abstrahierte Betrachtung ab und soll zeigen, wie sich die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung als gesetzgeberisches Instrument verstehen lässt. Es soll geklärt werden, welche Rahmenbedingungen des höherrangigen Rechts bestehen und wie sich – in privatrechtlich dogmatischer Sicht – ihr Verhältnis zu den haftungs- und schadensrechtlichen Grundprinzipien gestaltet, d. h. welche Modifikationen durch die gesetzliche Pauschalierung erfolgen. Sodann sollen die spezifischen Wirkungen der gesetzlichen Pauschalierung für Prozessrecht und -praxis dargelegt werden und es soll ergründet werden, inwiefern die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung eine Wirkung auf das Verhalten potenzieller Schädiger und Geschädigter entfaltet. Diese beiden Aspekte sind neben der Gewährleistung des Schadensausgleichs von besonderer Bedeutung, weil sie die 15 BVerfG, Beschl. v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 in Abkehr von der vorherigen Ansicht von BVerfG, NVwZ 2010, 902 und BFHE 260, 9. 16 Aus der privatrechtswissenschaftlichen Perspektive auf die Gesetzgebung vgl. ausführlich Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 564 ff.; ferner Tröger, in: Hopt/Tzouganatos, Wirtschaftsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 297 ff. Auch kontrastierend Möslein, Dispositives Recht, S. 335 ff. und Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 47 ff. und insbes. S. 331 ff.
E. Gang und Methodik der Untersuchung
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Entscheidung zur weiteren Schadensersatzpauschalierung beeinflussen dürften, wie abschließend aufgezeigt werden soll.
E. Gang und Methodik der Untersuchung Die Zielsetzung der Arbeit wird im Anschluss an diese Einführung in einer Zweiteilung realisiert. Die Arbeit verfolgt dabei die induktive Methode: die Einzelbetrachtungen der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierungen im geltenden Schuldrecht in Teil I bilden die notwendige Grundlage, auf der die allgemeineren Untersuchungen der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung als gesetzgeberisches Instrument und ihrer besonderen Eigenschaften und Wirkungen in Teil II vorgenommen werden. In Teil I werden die beiden in Deutschland geltenden Regelungen des positiven Rechts zu Zahlungsverzugsschadensersatz (Kapitel 1) und Fluggastentschädigung (Kapitel 2) separat eingehend analysiert. Beide Kapitel nutzen die rechtshistorische Methodik zur Vergewisserung über die Normentstehung, um sodann mithilfe rechtsdogmatischer und vor allem rechtsökonomischer Methoden die Einordnung als gesetzliche Schadensersatzpauschalen zu prüfen, d. h. ob die vermuteten Kriterien der gleich- und massenartigen Leistungsstörung und der unzureichenden Bewältigung durch die versagenden privaten Vertrags- und Marktmechanismen ihre Bestätigung finden. Um die dafür erforderlichen Differenzierungen und Abgrenzungen offenlegen zu können, wird anschließend analysiert, wie der Anwendungsbereich der jeweiligen gesetzlichen Schadensersatzpauschale gestaltet ist. Auf Rechtsfolgenseite bedarf es einer Dekonstruktion der vom Gesetz vorgesehenen Pauschalen, um ihre Bemessung nachvollziehen zu können. Darüber hinaus ist zu untersuchen, welche privatautonomen Möglichkeiten zur Modifikation und Abbedingung der gesetzlichen Pauschalen bestehen. Diese Analyse wird abgerundet durch einen Blick auf die Geltendmachung weiteren Schadensersatzes unter Anrechnung auf die Pauschalen. Teil II unternimmt die abstrahierende Betrachtung von gesetzlich pauschaliertem Schadensersatz als besonderem gesetzgeberischen Instrument. Die Betrachtung gründet sich soweit möglich auf die rechtsvergleichende Synopse des einschlägigen deutschen und Unionsrechts. Zunächst werden in Kapitel 3 die rahmengebenden Vorgaben des höherrangigen Verfassungs- und Unionsprimärrechts für den einfachen Gesetzgeber bei der Schadensersatzpauschalierung dargelegt, welche für ihn möglich oder gar geboten ist; zu bedenken ist dabei auch der realpolitische Kontext. Außerdem sind die gesetzgeberischen von den gerichtlichen Aufgaben im Schadensersatzrecht abzugrenzen. Die in Kapitel 4 folgende dogmatische Analyse setzt den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch in Relation zu den privatrechtlichen Grundprinzipien, die sich im deutschen und Unionsrecht etabliert haben, um die signifikanten Abweichungen durch die gesetzliche Pauschalierung heraus-
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zustellen. Dabei ist nicht nur das Haftungsrecht zu betrachten, sondern vor allem das Schadensrecht. Mit Blick auf die besonderen Wirkungen des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalen wird in Kapitel 5 die Prozessökonomie untersucht, wobei zunächst die grundlegenden prozessökonomischen Effekte, die sich spezifisch aus dem gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch ergeben, und dann die rechtspraktischen Dimensionen sowohl der außergerichtlichen als auch der gerichtlichen Durchsetzung im Einzelnen diskutiert werden, einschließlich digitaler „smarter“ Möglichkeiten. Darüber hinaus wird als besonderer Schwerpunkt der Arbeit in Kapitel 6 mit Mitteln der rechtsökonomischen Analyse und behavioral economics untersucht, inwiefern der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung verhaltenssteuernde Wirkung zukommt. Es wird analysiert, inwiefern durch die gesetzliche Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen eine Prävention von leistungsstörendem Verhalten und eine Motivation zur Anspruchsgeltendmachung erreicht werden können. Kapitel 7 schließt den Kreis mit einer Aufstellung von abstrakten Maßgaben und konkreten Betrachtungen zu weiteren Schadensersatzpauschalierungen durch den Gesetzgeber. Als konkretes Beispiel jüngster Gesetzgebung ist die Schadensersatzpauschalierung im novellierten Telekommunikationsgesetz zu reflektieren; Kritik an ihrer Ausgestaltung unterstreicht den Bedarf an künftiger Nachbesserung. Darüber hinaus ist die gesetzlich pauschalierte Entschädigung von Passagieren anderer Verkehrsmittel de lege ferenda zu erwägen, aber auch die gesetzliche Pauschalierung ganz anderer Schadensersatzansprüche, wie in Fällen von Datenschutzverstößen. Das abschließende Fazit benennt die zentralen Ergebnisse in Thesenform und fasst die Untersuchung zusammen.
Teil I Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung im geltenden Schuldrecht
Erstes Kapitel
Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden in Form von Verzugszinsen und Beitreibungskostenbetrag Beim Verzug mit Geldzahlungen – anders als bei der Spätleistung anderer Güter – ordnet § 288 BGB in Übereinstimmung mit europäischem ZahlungsverzugsRichtlinienrecht an, dass der Gläubiger Verzugszinsen und einen Beitreibungskostenbetrag in gesetzlich bestimmter Höhe verlangen kann. Zu späte Zahlung unter Privaten scheint für den Staat von so herausgehobener wirtschaftlicher Bedeutung zu sein, dass er einen speziell dagegen gerichteten Entschädigungsanspruch nicht nur dem Grunde nach schafft, sondern auch der Höhe nach im Gesetz festlegt und dadurch vom herkömmlichen Schadensersatzrecht abweicht. Wie in der Einführung angekündigt, kann dies daran liegen, dass beim Zahlungsverzug gleich- und massenartige Schäden entstehen, derer die Vertrags- und Marktmechanismen nicht Herr werden, sodass der Gesetzgeber wegen der besonderen Brisanz eingreifen muss. Aus dieser Perspektive wird das Regime des gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatzes untersucht: Ist pünktliche Zahlung von Geld derart wichtig und wie sichert der Gesetzgeber dies mithilfe eines Anspruchs auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz? Welche tatbestandlichen Voraussetzungen bestehen für den pauschalierten Anspruch und wie ist dessen Umfang gestaltet? Inwiefern kann die gesetzliche Anspruchspauschalierung konsensual abbedungen werden? Zum Einstieg ist rechtshistorisch zu zeigen, wie sich die Schadensersatzpauschalierung durch den Gesetzgeber beim Zahlungsverzug herausgebildet hat. Sodann ist im Einzelnen zu ergründen, inwiefern die angeführten Kriterien zutreffen, es sich also beim Zahlungsverzug zum einen um eine gleich- und massenartige Leistungsstörung handelt. Zum anderen ist mit rechtsökonomischen Mitteln analytisch zu zeigen,1 dass die staatliche Regelung wegen Versagens privater Vertrags- und Marktmechanismen erforderlich ist; die Rechtsökonomie dient insofern zu analytischen Zwecken, ohne damit Effizienz als normatives Rechtsprinzip propagieren zu wollen. Rechtsdogmatisch ist die Qualifikation von Verzugszinsen und Beitreibungskostenbetrag als gesetzlich pauschalierter Schadensersatz darzulegen. Um die beim Zahlungsverzugsschadensersatz erforderlichen Differenzierungen und Abgrenzungen nachvollziehen zu können, die der Gesetzgeber bei seiner Pauschalie1 Zu den Grundlagen der rechtsökonomischen Analyse vgl. etwa Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 17 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 45 ff.; Posner, Economic Analysis of Law, S. 3 ff. Ausführlicher dazu unten, Kap. 6 B. II. 1.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
rung vorgenommen hat, wird anschließend die Gestaltung des Anwendungsbereichs in räumlicher, sachlicher und persönlicher Hinsicht untersucht. Vergleichsweise kurz sind die folgenden Ausführungen zum Tatbestand, also zu Verzugsvoraussetzungen und Exkulpationsmöglichkeit. Rechtsfolgenseitig sind ausführlich die Bemessung der gesetzlichen Pauschalierungen in Form der Verzugszinsen und des Beitreibungskostenbetrags zu untersuchen, um ihre Konzeption nachvollziehen zu können und die Abweichungen vom herkömmlichen Verständnis der Schadensdogmatik offenzulegen. Abschließend ist auf die vom Gesetzgeber vorgegebenen Grenzen zur privatautonomen Modifikation und Abbedingung einzugehen, mit denen er sein Regime schützt. Berücksichtigt werden muss, dass weitergehender Schadensersatz vom Gläubiger geltend gemacht werden kann, aber problematisch ist und außerdem angerechnet werden muss. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei vorab darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen Verzugszinsen des § 288 BGB, die auf dem Basiszinssatz des § 247 BGB beruhen,2 nicht zu verwechseln sind mit dem starren gesetzlichen Zinssatz in § 246 BGB. Dem gesetzlichen Zinssatz kommt nur eine subsidiäre Lückenfüllungsfunktion zu,3 z. B. für den Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 256 S. 1 BGB. Er selbst stellt aber keinen Schadensersatz(anspruch) dar.
A. Entwicklung zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatz Verzugszinsen bei zu später Geldzahlung gibt es zwar schon seit über 2000 Jahren, aber nicht aufgrund eines Schadensersatzanspruchs pauschaliert durch Gesetz. Der Beitreibungskostenbetrag in Höhe von 40 Euro in § 288 Abs. 5 BGB ist ohnehin ein absolutes Novum. Nachgezeichnet werden soll deshalb, in welchen Etappen sich die Entwicklung zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatz für Zahlungsverzug vollzogen hat.
I. Von prozessualer Sanktion zum materiellen Schadensersatz Im römischen Recht dienten Verzugszinsen – soweit lässt sich ihre Entwicklung mit Relevanz für das heutige Recht jedenfalls zurückverfolgen4 – nicht dem Schadensausgleich auf Gläubigerseite, sondern allein der Prävention und Strafe auf Schuldnerseite.5 Daher wurden Verzugszinsen auch nur aufgrund richterlichen Er2
Dazu unten ausführlich, E. I. 1. Vgl. MüKo-BGB/Grundmann, § 246 Rn. 1 ff.; Staudinger/Omlor, § 246 BGB Rn. 3 ff. und 12 ff. 4 Vgl. Balogh, Verzugszinsen, S. 134 ff. 5 Vgl. D 22.1.17.3 (Paul 1 usur) a. E.: „[…] usurae enim non propter lucrum petentium, sed propter moram solventium infliguntur“ („denn die Zinsen werden nicht wegen des Gewinns 3
A. Entwicklung zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
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messens zuerkannt,6 ohne gesetzlich bestimmt zu sein.7 Sie konnten dem säumigen Schuldner auferlegt werden, wenn er die Hauptforderung zum Zeitpunkt des Prozesses, in dem der Gläubiger seine Hauptforderung geltend machte, nicht erfüllt hatte.8 Der für das heutige Rechtsverständnis entscheidende Wandel hin zum Zahlungsverzugsschadensersatz erfolgte im Zuge der Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter. Allerdings ist noch kein Verständnis einer Spätzahlung als Leistungsstörung zu beobachten, derentwegen Schadensersatz zu gewähren ist; immerhin vollzog sich der Verständniswandel aber soweit, dass Verzugszinsen als Schadensersatz betrachtet wurden. Dies lag – aus heutiger Sicht kurioserweise – am damals wichtig gewordenen christlichen Zinsverbot.9 Zwecks Vermeidung verbotener Zinsgewinne nahm man an, es handle sich bei den Verzugszinsen um erlaubten Verzugsschadensersatz.10
II. Vom allgemein anerkannten Verzugszins zur gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung im BGB Die Basis für das moderne Verständnis der Verzugs- als Leistungsstörungshaftung im naturrechtlichen Vernunftrecht wurde von den französischen Humanisten geschaffen, die den Verzug als Obligationsverletzung betrachteten.11 Außerdem setzte sich im Vernunftrecht die Einsicht durch, dass die späte Geldzahlung einen gleichartigen konkreten Schaden verursacht, weil der Gläubiger zu einem Darlehen gezwungen wird. So begründete Grotius den Kompensationscharakter der Ver-
derer, welche fordern, sondern wegen des Verzugs derer, welche zahlen, auferlegt“); ferner Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, S. 244 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 790 ff. 6 D 19.1.49.1 (Herm 2 iur epit): „Pretii, sorte licet post moram soluta, usurae peti non possunt, cum hae non sint in obligatione, sed officio iudicis praestentur.“ („Wenn die Summe, obgleich erst nach einem Verzug, gezahlt wurde, können keine Zinsen gefordert werden, da diese nicht Teil der Verbindlichkeit, sondern kraft richterlichen Ermessens zu leisten sind.“). 7 Grundlegend Billeter, Geschichte des Zinsfusses. 8 Harke, Mora debitoris, S. 43 ff.; ders. Schuldnerverzug, S. 11 f. 9 Vgl. aus dem Alten Testament Levitikus 25,36 – 37 und Deuteronomium 23,20 – 21 (siehe allerdings im Neuen Testament Matthäus 25,27). Siehe dazu Dilcher, Theorie der Leistungsstörung, S. 151 ff.; Lohsse, in: HKK-BGB, §§ 286 – 292 Rn. 22; Reichert, in: Schefold, Darstellung der Wirtschaft und der Wirtschaftswissenschaften, S. 91 ff. Ausführlich Endemann, Studien der romanisch-kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre I, S. 9 ff. 10 Vgl. Azo, Lectura super Codicem zu CJ 4.32.2, S. 321 der Ausgabe Turin 1577 (Nachdruck 1966), zitiert nach Harke, Schuldnerverzug, S. 31. Siehe ferner Otte, Privatrecht bei Francisco de Vitoria, S. 101; Dilcher, Theorie der Leistungsstörung, S. 151 und 155 f. 11 Harke, Schuldnerverzug, S. 46 ff. Ausführlich Heymann, Verschulden beim Erfüllungsverzug, S. 107 ff.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
zugszinsen durch den Vergleich mit Kreditzinsen für die Entbehrung von Kapital.12 Gewonnen war damit ein Verständnis, welches dem heutigen insofern bereits nahekommt, dass die gleich- und massenartige Leistungsstörung infolge verspäteter Geldzahlung besonders zu entschädigen ist. Die darauf aufbauende legislative Entwicklung, die Entschädigung für unpünktliche Geldzahlung im Gesetz zu pauschalieren, vollzog Kreittmayr in seinem bayerischen Codex Maximilianeus Civilis von 1756.13 Er stützte sich dabei auf den Reichsabschied von 1600, also einen förmlichen Beschluss der Reichsdeputation im Heiligen Römischen Reich.14 Hervorzuheben ist unter dem Gesichtspunkt der wohl erstmalig gesetzlichen Pauschalierung des Zahlungsverzugsschadensersatzes, dass der Reichsabschied die Zinshöhe auf pauschal mindestens 5 % festlegte: „[…] So ordnen und wollen wir nachmals, daß solch interesse a tempore morae erstattet, und derentwegen den Creditoren fünff Gülden vom hundert bezahlt werden […]“.15 Wie zur Begründung ausdrücklich angeführt wurde, bestehe die so pauschalierte Zinspflicht „[…] der vermuthung halben, daß der Creditor sein Geldt, von solcher zeit an, anlegen und zugelassener weise von hundert fünff wol haben möge […]“.16 Kreittmayr ergänzte dazu, dass ein Beweis der pauschalierten „ordinari Zinsen“ nicht mehr nötig sei, sondern nur noch ein darüber hinausgehender Verzugsschadensersatz beweisbedürftig wäre.17 Die unpünktliche Erfüllung von Geldschulden wurde also als der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung zugänglich angesehen, weil Geld stets gewinnbringend verwendet werden kann, jedenfalls in Höhe der normierten Zinsen. Im preußischen Allgemeinen Landrecht kam eine Pauschalierung des Verzugszinses dadurch zum Ausdruck, dass Anspruch auf „Zögerungszinsen“ in regulärer Höhe von 5 % bestand.18 Wie in Preußen betrug der gesetzliche Zinssatz zu dieser Zeit in Sachsen, Bayern und anderorts 5 %.19 Dies entsprach dem höchsten ver-
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Grotius, De iure belli ac pacis 2.12.22 sowie auch Wolff, Jus naturae methodo scientifica pretractatum, 3.627, 3.655 und 4.1428, zitiert nach Harke, Schuldnerverzug, S. 65 und 69. 13 § 21 II 3 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis. Zustimmung durch Styrk, Usus modernus pandectarum, zu D 22.1, n. 5 und Lauterbach, Collegium theoretico-practicum, zu D 22.1, n. 18 sowie in Holland Voet, Commentarius ad Pandectas, zu D 22.1, n. 11, alle zitiert nach Harke, Schuldnerverzug, S. 72. 14 § 139 des Reichsdeputationsabschieds von 1600. Siehe dazu (bezeichnet als „Reichspolizeiordnung“) Wieling, Interesse und Privatstrafe, S. 207. 15 Senckenberg/Schmauß, Neue und vollständige Sammlung der Reichs-Abschiede III, S. 494, zitiert nach Lohsse, in: HKK-BGB, §§ 286 – 292 Rn. 30 Fn. 195. 16 Ebd. 17 Kreittmayr, Anmerkungen über den Codicem Maximilianeum Bavaricum Civilem II, § 21 II 3, Nr. 8. 18 § 830 I 11 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten: „Als Zögerungszinsen können in der Regel Fünf vom Hundert gefordert werden.“ 19 Vgl. die Beobachtung des Redaktors v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen, S. 803 f.
A. Entwicklung zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
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traglich zulässigen Zinssatz gemäß dem Jüngsten Reichsabschied von 1654,20 also dem für die Verzugsschadensberechnung höchstmöglichen Zinssatz, zu dem der Gläubiger das ausstehende Kapital hätte anlegen können21 – zumindest bevor 1867 die vertragliche Zinsfreiheit durch Gesetz eingeführt wurde.22 Dies belegt historisch, dass Verzugszinsen pauschalierter Schadensersatz sind.23 Einen einheitlichen gesetzlich pauschalierten Verzugszinssatz in Höhe von 6 % für Handelsgeschäfte enthielt das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB 1861 – 1899),24 basierend auf dem preußischen HGB-Entwurf von 1857.25 Vorbild für den pauschalierten Zinssatz war der entsprechende „allgemeine Gebrauch im kaufmännischen Verkehr“, z. B. im Wechselverkehr.26 In den Beratungen der Reichstagskommission für das BGB war zunächst ein gesetzlicher Verzugszinssatz von pauschal 5 % für den Zahlungsverzugsschadensersatz entsprechend den Partikularrechten angedacht gewesen. Es wurde hervorgehoben, „[d]as Gesetz kann nur einen festen Zinssatz aufstellen, der für alle in Betracht kommenden Fälle gilt“.27 Festgesetzt wurden in § 288 BGB letztlich 4 % p. a. als Mindestverzugsschadensersatz.28 Hinter der Absenkung des pauschalierten Zinssatzes auf diesen Zinssatz stand die Erwägung, dass man vom Handelsrecht abweichend29 eine Annäherung an die Ende des 19. Jahrhunderts üblichen Anla20 § 174 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654: „Anreichend die künfftige Zinß und Interesse, sollen von nun an dieselbe, sie seyn aus wiederkaufflichen Zinsen, oder vorgestreckten Anlehn, herrührig und versprochen, jedoch nach Ausweisung der Reichs-Constitutionen, und weiter nicht als fünff pro Cento alle und jede Jahren, in verglichenen Terminen unfehlbar bezahlet […]“. 21 Vgl. Roll, DRiZ 1973, 341. 22 § 1 Gesetz vom 14. 11. 1867, betreffend die vertragsmäßigen Zinsen (BGBl. des Norddeutschen Bundes Nr. 11 S. 159); ebenso Art. 1 Gesetz vom 5. 12. 1867, die Abänderung der gesetzlichen Bestimmungen über die Zinsen betr. (GBl. für das Königreich Bayern Nr. 17, S. 249). 23 So ausdrücklich Lohsse, in: HKK-BGB, §§ 286 – 292 Rn. 44. 24 Art. 287 Abs. 1 ADHGB: „Die Höhe der gesetzlichen Zinsen, insbesondere auch der Verzugszinsen, ist bei Handelsgeschäften sechs vom Hundert jährlich.“ 25 Art. 221 Abs. 1 des Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten: „Das Maaß der gesetzlichen Zinsen, welche wegen Verzugs der Erfüllung oder aus andern rechtlichen Gründen bei Handelsgeschäften zu zahlen sind, ist jährlich Sechs vom Hundert.“ 26 Vgl. Art. 50 f. Allgemeine Deutsche Wechselordnung, die für den Regress eine Zinspflicht in Höhe von 6 % vorsah. 27 Mot. bei Mugdan II, S. 9. 28 § 288 BGB i. d. F. vom 18. August 1896 lautete: „(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs mit vier vom Hundert für das Jahr zu verzinsen. Kann der Gläubiger aus einem anderen Rechtsgrunde höhere Zinsen verlangen, so sind diese fortzuentrichten. (2) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.“ 29 Anders noch die ursprünglichen Pläne, vgl. Denkschrift zum Entwurf (des Reichsjustizamts) eines Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich (RJA-E I), in: Schubert, Quellen zum Handelsgesetzbuch II/1, S. 181.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
gezinssätze vollziehen wollte.30 Es war anerkannt, dass es sich um eine gesetzliche Pauschalierung des Schadensersatzes in dieser Höhe handelte.31 Bei Mugdan ist insofern sehr Aufschlussreiches zu lesen: „Wenn der Schaden des Gläubigers darin besteht, daß er zeitweise eine Geldsumme nicht hat, so erheischt in der That das praktische Bedürfniß, daß das Gesetz dem Gläubiger zu Hülfe kommt und einen Durchschnittsbetrag feststellt, von dem angenommen wird, daß ihn der Gläubiger jedenfalls hätte ziehen können, und den er fordern darf, ohne eine Zinseinbuße oder einen sonstigen Schaden beweisen zu müssen.“32
III. Entwicklung zum kreditmarktabhängig gesetzlich pauschalierten Schadensersatz Nach Inkrafttreten des BGB wurde in der Literatur bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – angesichts der Hyperinflation in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg – gefordert, dass der Gesetzgeber die Zinssätze für den Zahlungsverzugsschadensersatz kreditmarktabhängig umgestalten solle,33 so wie er es im Wechsel- und Scheckrecht für verbriefte Forderungen zum Zweck der Verzugsprävention 1925 tat.34 Für den allgemeinen Zahlungs- und Wirtschaftsverkehr gewährte aber zunächst nur die Judikative Abhilfe: Vom Reichsgericht wurde für den Verzugsschaden ohne besonderen Nachweis ein Zinssatz von 2 % über dem Reichsbankdiskontsatz akzeptiert.35 Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Währungsreform vollzog die (westdeutsche) Rechtsprechung dann zwar zunächst wieder eine „Kehrtwende“,36 dass nämlich höhere als die gesetzlichen Verzugszinsen nur bei entsprechendem Nachweis geschuldet seien.37 Zum Ende des 20. Jahrhunderts kam aber auch der BGH in
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Vgl. Kommissionsbericht bei Mugdan II, S. 1271. Zum damaligen Zinsniveau vgl. Conrad, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 65 (1895), 906 ff.; ferner Homer/Sylla, History of Interest Rates, S. 250 ff. Ebenso Kindler, Gesetzliche Zinsansprüche, S. 206 f.; Schmitz, Zinsrecht, S. 124. 31 Siehe Peters, ZRP 1980, 90 f. m. w. N. 32 Mot. bei Mugdan II, S. 34. 33 Grundlegend Staub, DJZ 1900, 64 f. Daran anschließend Crisolli, DJZ 1926, 167 f.; Goltermann, JW 1926, 1791; Lemberg, JW 1923, 215; Mannhardt, JW 1926, 1790. 34 § 1 Gesetz über die Wechsel- und Scheckzinsen vom 3. 7. 1925 (RGBl. I 93): „Der Zinssatz der nach Art 50, 51 der WO und § 17 des Scheckges zu entrichtenden Zinsen beträgt für die Zeit von dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ab bis auf weiteres zwei vom Hundert über dem jeweiligen Reichsbankdiskontsatz, mindestens aber sechs vom Hundert.“ 35 Vgl. RG, LZ 1927, 463; SeuffA 82 Nr. 69 S. 117 (119); WarnRspr. 1930 Nr. 790 S. 231; WarnRspr. 1935 Nr. 32, S. 65 (70); WarnRspr. 1935 Nr. 136 S. 281 (283 f.). 36 Basedow, ZHR 143 (1979), 317 (336). Dazu auch Honsell, FS Lange, S. 511. 37 BGH, NJW 1953, 337.
A. Entwicklung zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
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Anlehnung an das zwischenzeitlich erlassene Verbraucherkreditgesetz38 zu der Ansicht, dass Verzugszinsen allgemein in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Diskontsatz ohne weiteren Nachweis gefordert werden dürften.39 Die gesetzliche Regelung in § 288 Abs. 1 BGB40 überdauerte jedoch die wechselvollen 100 Jahre seit ihrem Inkrafttreten unverändert.41 Dass der gesetzlich pauschalierte Verzugszins als Zahlungsverzugsschadensersatz die Veränderungen am Kapitalmarkt berücksichtigt, wurde erst durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen eingeführt, das den § 288 Abs. 1 S. 1 BGB im Jahr 2000 reformiert und damit die Rechtsprechungsentwicklung im BGB festgeschrieben hat. Damit einher ging ein ganz erheblicher Paradigmenwechsel: Der gesetzlich pauschalierte Verzugszinssatz soll dem Marktzinsniveau in Gestalt des Basiszinssatzes entsprechen, auf den allerdings weitere Prozentpunkte aufgeschlagen werden. Dieser Teil der Reform sollte die Zahlungsverzögerung für den Schuldner wirtschaftlich unattraktiv machen,42 also über die reine Kompensation des Gläubigers hinausgehen. § 288 Abs. 1 S. 1 BGB wurde wie folgt gefasst: „Eine Geldschuld ist während des Verzugs für das Jahr mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz […] zu verzinsen.“43 Europäischer Impuls für das deutsche Gesetz war das Vorhaben der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments, den Zahlungsverzug im unternehmerischen Rechtsverkehr – nach skandinavischem Vorbild – binnenmarktweit durch Mindestharmonisierung zu bekämpfen.44 Es war eine zunehmende „Unkultur“ des 38 § 11 Abs. 1 VerbrKrG (BGBl. 1990 I 2840): „Soweit der Verbraucher mit Zahlungen, die er auf Grund des Kreditvertrags schuldet, in Verzug kommt, ist der geschuldete Betrag mit 5 vom Hundert über dem jeweiligen [Basiszinssatz] zu verzinsen, wenn nicht im Einzelfall der Kreditgeber einen höheren oder der Verbraucher einen niedrigeren Schaden nachweist.“ 39 BGHZ 115, 268 (273 f.) zum VerbrKrG noch vor dessen Inkrafttreten; BGH, NJW 1995, 1954. Dies wurde zuvor auch schon ähnlich in der Literatur gefordert, vgl. nur Gelhaar, NJW 1980, 1372; ders., NJW 1981, 859; kritisch etwa Gottwald, JA 1997, 800 ff. 40 Ebenso das ostdeutsche Äquivalent in § 86 Abs. 3 Zivilgesetzbuch der DDR seit der separaten Regelung vom BGB von 1975 bis zum Außerkrafttreten des Zivilgesetzbuchs 1990. 41 In anderen, zwischenzeitlich erlassenen, speziellen Gesetzen fanden sich sogar diskontsatzabhängige Zinsregelungen, vgl. dazu Kindler, Gesetzliche Zinsansprüche, S. 215 ff. m. w. N. 42 Siehe Gesetzentwurf vom 23. 6. 1999, BT-Drs. 14/1246, S. 1 und 5. Ferner etwa Fabis, ZIP 2000, 865 (870); Hök, ZfBR 2000, 513 ff.; Kiesel, NJW 2000, 1673 ff.; Möllers, WM 2000, 2284 (2292 ff.); kritisch Schach, Grundeigentum 2002, 452 ff. und Trimbach/Webert, NJ 1998, 342 ff. 43 Art. 1 Nr. 2 Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30. 3. 2000 (BGBl. I 330), in Kraft getreten am 1. 5. 2000. 44 Vgl. Vorschlag der Europäischen Kommission vom 25. 3. 1998 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Handelsverkehr, KOM(1998)126 endg.; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. 7. 1996, A4 – 0161/96 (ABl. C211/43). Siehe dazu aus deutscher Sicht Gsell, ZIP 1998, 1569 (insbes. 1573 f.); aus europäischer Sicht Schmidt-Kessel, JZ 1998, 1135 ff. Ferner Freitag, EuZW 1998, 559 ff.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
systematischen Zahlungsverzugs im europäischen Binnenmarkt zu beobachten.45 Die dagegen gerichtete europäische Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG wurde kurz nach Inkrafttreten des deutschen Gesetzes verabschiedet und schrieb allen Mitgliedstaaten vor, dass für B2B-Entgeltzahlungen gesetzliche Verzugszinsen in Höhe von sieben Prozentpunkten über dem Bezugszinssatz vorzusehen sind.46 Die Richtlinie zielte darauf, dass der Anspruch auf gesetzliche Verzugszinsen abschreckend wirkt und eine ausreichende (Mindest-)Schadensersatzhöhe gewährleistet wird.47 So sollten die meist starren, niedrigen Zinssätze beseitigt werden, die zuvor in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vorzufinden waren und Anreize zu Verzugsspekulationen setzten.48 Umgesetzt wurde die Richtlinie 2000/35/EG in Deutschland im Zuge des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zum 1. Januar 2002. Es hat den ersten vier Absätzen des § 288 BGB den heutigen Aufbau und wesentlichen Inhalt gegeben.49 Dies hat auch zu einer Spaltung der deutschen/europäischen von der schweizerischen Verzugszinsregelung geführt; Letztere bestimmt im Obligationenrecht nach wie vor grundsätzlich fünf Prozent pro Jahr als gesetzlich pauschalierten Verzugszinssatz.50 Die Schweiz hat sich also in diesem Fall nicht für einen autonomen Nachvollzug europäischen Sekundärrechts entschieden.51
IV. Einführung des Beitreibungskostenbetrags Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr von 2014 wurde, neben einer leichten Anhebung des B2B-Aufschlags in Abs. 2 auf neun Prozentpunkte, eine weitere gesetzliche Schadensersatzpauschalierung in 45 Vgl. Knapp, RabelsZ 63 (1999), 295 (296 ff.) m. w. N. zu entsprechenden Studien. Zum europäisch-legislativen Handlungsbedarf vgl. ebd. 321 ff. 46 Art. 1, 3 Abs. 1 lit. a und d Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 6. 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. L200/ 35): 7 Prozentpunkte über dem Zinssatz, der von der Europäischen Zentralbank auf ihre jüngste Hauptrefinanzierungsoperation, die vor dem ersten Kalendertag des betreffenden Halbjahres durchgeführt wurde, angewendet wurde. Dazu ausführlich Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 723 f.; ferner Hänlein, EuZW 2000, 680 ff. Zur Entstehungsgeschichte der Richtlinie Schmidt-Kessel, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Rn. 5 ff. 47 Vorschlag der Europäischen Kommission vom 25. 3. 1998, KOM(1998)126 endg., S. 7 f. Siehe auch, insbesondere zur Zinshöhe, Kieninger, WM 1998, 2213 (2216 ff.). 48 Vgl. Erwgr. 16 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG & Erwgr. 12 ZahlungsverzugsRichtlinie 2011/7/EU; Lein, Verzögerung der Leistung, S. 229. 49 Art. 1 Nr. 9 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. 11. 2001 (BGBl. I 3138). 50 Art. 104 Abs. 1 OR. Dazu kritisch Weber, FS Keller, S. 329 f. 51 Vgl. zu diesem Konzept Amgwerd, Autonomer Nachvollzug von EU-Recht durch die Schweiz, S. 15 ff.
A. Entwicklung zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
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§ 288 BGB aufgenommen: für Beitreibungskosten.52 Damit pauschalierte der Gesetzgeber eine gleich- und massenartige Schadensposition des Zahlungsverzugs zwischen Unternehmen und setzte die entsprechenden Vorgaben der neuen europäischen Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU53 (verspätet54) um, die die Richtlinie 2000/35/EG ablöste und ein verbessertes „Umfeld für mehr Zahlungsdisziplin im Geschäftsleben“ schaffen soll.55 Die Richtlinie enthält die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung einer Pauschale in Höhe von mindestens 40 Euro, auf die ein Entgeltforderungsgläubiger als Entschädigung für seine Beitreibungskosten – neben den Verzugszinsen – im B2B-Verhältnis Anspruch hat.56 Die Kommission hatte in ihrem Vorschlag für die neue Zahlungsverzugs-Richtlinie noch weitergehende Regelungen vorgesehen, u. a. gestaffelte Pauschalen (40 Euro für Hauptforderungen < 1.000 Euro; 70 Euro für 1.000 – 10.000 Euro; 1 % höherer Hauptforderungen);57 im Europäischen Parlament stießen sie allerdings nicht auf Zustimmung,58 sodass sie keinen Eingang in den verabschiedeten Rechtsakt fanden. Gegenüber der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG, die bereits einen individuell nachzuweisenden Anspruch auf Ersatz der Beitreibungskosten neben dem Verzugszinsanspruch vorsah,59 hat die Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU trotzdem und gerade die gesetzliche Pauschalierung als Neuerung gebracht. Zuvor war es verbreitete Ansicht im deutschen Recht, dass Beitreibungskosten im Rahmen der üblichen Eigenbemühung des Gläubigers nicht ersatzfähig sind.60 52 Art. 1 Nr. 3 Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr und zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vom 22. 7. 2014 (BGBl. I 1218). Siehe dazu u. a. Spitzer, MDR 2014, 933 ff. Noch zum Gesetzentwurf Klose, NJ 2014, 272 ff. sowie Weller/ Harms, WM 2012, 2305 ff. 53 Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 2. 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. L48/1). 54 Dazu Oelsner, NJW 2013, 2469 (insbes. 2470). 55 Erwgr. 6 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. Siehe zu den Neuerungen durch diese Richtlinie Oelsner, EuZW 2011, 940 (insbes. 491 f.). Der Richtlinienteil, der sich auf die Verzugszinserhöhung und die Einführung des Beitreibungskostenbetrags bezieht, war nicht Gegenstand der scharfen Richtlinienkritik bei v. Westphalen, ZRP 2013, 5 ff. 56 Art. 1 Abs. 2, 6 Abs. 1 und 2 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 57 Vgl. Art. 4 Abs. 1 i. d. F. des Vorschlags der Europäischen Kommission vom 8. 4. 2009 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, KOM(2009)126 endg. 58 Vgl. Änderungsanträge 25 ff. im Bericht des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz sowie Stellungnahmen des Rechtsausschusses und des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie des Europäischen Parlaments vom 4. 5. 2010, A7 – 0136/2010. Dem entsprechend: Legislative Entschließung und Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 20. 10. 2010, P7_TA(2010)0374 und P7_TC1-COD(2009)0054. 59 Art. 3 Abs. 1 lit. e Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG. Dazu Schmidt-Kessel, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Rn. 43. 60 Jäckle, NJW 2013, 1393 (1394 f.); Röhl, MDR 2008, 664 (665). Zum „Novum“ durch die Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU vgl. Dornis, WM 2014, 677 (680 f.).
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
Der deutsche Gesetzgeber hat den gesetzlich pauschalierten Zahlungsanspruch in § 288 Abs. 5 BGB in der Mindestbetragshöhe von 40 Euro umgesetzt. Außerdem wurde als § 288 Abs. 6 BGB die Vorgabe der Richtlinie umgesetzt, sicherzustellen, dass eine Vertragsklausel oder Praxis, die die gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen oder die 40 Euro-Pauschale ausschließt, als grob nachteilig anzusehen und folglich unwirksam ist.61
B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung beim Zahlungsverzug Die Entwicklung zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatz für den Zahlungsverzug lässt sich, wie gezeigt, historisch nachvollziehen. Es steht aber noch die spezifische Begründung aus, dass der Gesetzgeber einen Schadensersatzanspruch für eine volkswirtschaftlich herausgehobene, besonders kritische Leistungsstörung pauschaliert, die gleich- und massenartig ist, aber nicht durch Vertrags- und Marktmechanismen beherrschbar.
I. Zahlungsverzug als gleich- und massenartige Leistungsstörung Der Zahlungsverzugsschadensersatz ist der gesetzlichen, d. h. abstrakt-generellen Pauschalierung zugänglich, wenn sich die Spätleistung einer Geldzahlung als gleichund massenartige Leistungsstörung darstellt. 1. Gleichartigkeit Die besondere konkrete Gleichartigkeit ergibt sich aus folgender Überlegung: Zahlt der Schuldner (endlich), liegt also kein Fall der Nichtleistung (mehr) vor, kann eine Leistungsstörung lediglich in einer Spätleistung bestehen. Wegen dieser Leistungsstörung verlangt der Gläubiger Schadensersatz neben der Leistung.62 Eine andere Form der Leistungsstörung ist bei der Geldzahlung nicht denkbar,63 weil Geld, sofern es denn gezahlt wird, nicht „mangelhaft“ geleistet werden kann. Selbst die Zahlung mit gestohlenem Geld ist – anders als bei der Erfüllung mit sonstigem Diebesgut – wirksam, sofern der Gläubiger nicht bösgläubig ist.64 Damit unterscheidet sich die Geldzahlung von der Übergabe und Übereignung anderer Güter und der Erbringung von Dienstleistungen (im weitesten Sinn), bei denen die Leistung 61 62 63 64
Vgl. Art. 7 Abs. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. § 280 Abs. 1 und 2 BGB. So auch Basedow, ZHR 143 (1979), 317 (326); Weber, FS Keller, S. 323 f. §§ 932 ff. i. V. m. der Gegenausnahme in § 935 Abs. 2 BGB.
B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Pauschalisierung
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mannigfaltig mangelhaft sein kann.65 Die Leistungsstörung einer erfolgten Geldzahlung ist hingegen immer gleichartig: es kann sich nur um Zahlungsverzug handeln. Der Fall der Nichtzahlung muss dabei außer Betracht bleiben, weil der Gläubiger dann nach wie vor seinen Erfüllungsanspruch auf Zahlung – ggf. nun gerichtlich – geltend macht,66 sofern für ihn nicht Rücktritt und Rückabwicklung rechtlich und tatsächlich möglich und vorzugswürdig sind.67 Der Sekundäranspruch auf Schadensersatz statt der Leistung ist aussichtslos, weil Geld für die Nichtzahlung von Geld gefordert würde.68 Nichtzahlung liegt beispielsweise auch dann vor, wenn das Geld bei der Zahlung verloren geht, weil der Schuldner das Verlustrisiko trägt.69 Eine Falschgeldbarzahlung würde gar nicht zur Erfüllung taugen, weil keine Bewirkung mit den erforderlichen gesetzlichen Zahlungsmitteln erfolgen würde.70 Eine nur teilweise Zahlung wäre eine Teilleistung, zu der der Schuldner nicht berechtigt ist,71 die also vom Gläubiger zurückgewiesen werden darf und die unveränderte Nichterfüllung zur Folge hat.72 Auf Unmöglichkeit kann sich der Geldschuldner nicht berufen, denn „Geld hat man zu haben“.73 Bei der Geldzahlung ist mithin allein Schadensersatz für die Leistungsstörung der Spätleistung von Relevanz. Diese Leistungsstörung führt – bei Geld – außerdem stets zu gleichartigen konkreten Schäden. Denn im Zivilrecht ist ein bestimmter Geldbetrag nicht für eine Person mehr oder weniger wert, sondern Geld hat einen Nominalwert.74 Daher ist Geld auch das am leichtesten übertrag- und handelbare Gut;75
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Vgl. nur die umfangreiche „Mängelliste“ für Sachmängel in § 434 und Rechtsmängel in § 435 BGB. 66 Beispielsweise aus § 433 Abs. 2 oder § 611 Abs. 1 BGB. 67 Dies gilt nur für gegenseitige Verträge gemäß § 323 Abs. 1, § 346 Abs. 1 BGB. 68 § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 281, §§ 249 ff. BGB. 69 § 270 Abs. 1 BGB; näher MüKo-BGB/Krüger, § 270 Rn. 12 ff. 70 § 362 Abs. 1 BGB; BGHZ 87, 156 (163); MüKo-BGB/Fetzer, § 362 Rn. 19. 71 § 266 BGB. 72 Grüneberg/Grüneberg, § 266 BGB Rn. 10. 73 So wörtlich OLG München Urt. v. 25. 7. 2002 – 19 U 1819/02, Rn. 16 (juris); SchleswigHolsteinisches OLG, Urt. 14. 12. 2015 – 5 W 65/15, Rn. 19 (juris) sowie Urt. v. 8. 9. 2017 – 3 U 16/17, Rn. 77 (juris). Dieser Ausspruch kommt durch die Existenz des Zwangsvollstreckungsund Insolvenzrechts, wie es der Rechts- und Wirtschaftsordnung zugrunde liegt, sowie das Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung (BGHZ 204, 134 (140 f.)) zum Ausdruck. Zu Ausnahmen vgl. aber OLG Köln, Urt. v. 28. 7. 2006 – 20 U 66/05, Rn. 105 ff. (juris), allerdings aufgehoben durch BGH, Beschl. v. 7. 1. 2008 – II ZR 204/06; Brandenburgisches OLG, Urt. v. 19. 11. 2014 – 13 U 18/11, Rn. 59 (juris). Zustimmung im Kern erklärt selbst Kähler, AcP 206 (2006), 805 (806 f.). 74 Vgl. zum Nominalismus des Geldes BGHZ 61, 31 (38); 79, 187 (194); ferner BVerfGE 50, 57 zur Nominalwertbesteuerung. 75 Vgl. MüKo-BGB/Grundmann, § 245 Rn. 113; Heermann, Geld und Geldgeschäfte, S. 13 f.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
Bargeld ist Musterbeispiel einer vertretbaren Sache,76 Buchgeld besitzt die höchste Fungibilität.77 Es ist schlichtweg eine abstrakte, unkörperliche Vermögensmacht, die in Währungseinheiten rechnerisch bestimmter Größe ausgedrückt ist.78 Dies hat zur Folge, dass der Schaden einer Spätleistung für alle Zahlungsgläubiger in der gleichartig schädigenden, zeitweiligen Vorenthaltung des Gelds besteht, dem „gezwungenen Kreditieren“.79 Dem Gläubiger entstehen Kosten am Finanzmarkt für die eigene Zwischenfinanzierung bzw. es entgehen ihm Erträge für die Anlage des ausstehenden Kapitals.80 Zusammengenommen bilden diese Beträge, wie die Rechtsprechung im 20. Jahrhundert schon vor der Einführung des marktabhängigen gesetzlich pauschalierten Verzugszinssatzes anerkannt hat,81 den (Mindest-)Schaden für jeden Zahlungsgläubiger infolge der Spätleistung.
2. Massenartigkeit Die neben der festgestellten Gleichartigkeit zu beobachtende Massenartigkeit der Leistungsstörung lässt sich für den Zahlungsverzug statistisch belegen. Von Interesse sind insofern die Zahlen vor Umsetzung der ersten Zahlungsverzugs-Richtlinie aus dem Jahr 2000, d. h. in Deutschland vor dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen, das den § 288 Abs. 1 S. 1 BGB im Jahr 2000 reformierte und den gesetzlich pauschalierten Verzugszinssatz mit Berücksichtigung der Kapitalmarktzinssätze einführte. Ende der 1990er Jahre wurden vor allem Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) in Europa durchschnittlich erst 54 – 61 Tagen nach den von ihnen erbrachten Leistungen bezahlt und bei durchschnittlichen Zahlungsfristen von bis zu 39 Tagen mindestens 15 Tage zu spät.82 In Deutschland lag der Zahlungsverzug bei durchschnittlich 11 – 21 Tagen.83 Mehr als die Hälfte der KMU vermuteten, dass ihre Geschäftspartner zu spät zahlten, um die eigene Liquidität nicht zu gefährden.84 76 Zu der Einordnung von Geld (zumindest Bargeld) als vertretbare Sache siehe MüKoBGB/Stresemann, § 91 Rn. 3 BGB. 77 So auch Glick/Kearl/Sinclair, Utah Law Review OnLaw 2013, 63 (67). 78 Zu der zugrundeliegenden Definition der Geldschuld vgl. BeckOK-BGB/Grothe, § 244 Rn. 9; Heermann, Geld und Geldgeschäfte, S. 21 ff.; v. Maydell, Geldschuld und Geldwert, S. 8 ff.; Omlor, Geldprivatrecht, S. 257 ff.; Erman/Martens, § 244 BGB Rn. 9 ff. 79 Vgl. so schon Prot. bei Mugdan II, S. 509. 80 Knoll, Texas Law Review 75 (1996), 293 (296). 81 Siehe oben, A. II. 82 Vgl. Mitteilung der Kommission, Bericht über Zahlungsverzug im Handelsverkehr (97/C 216/07), ABl. 1997 C216/10, mit Verweis auf die European Business Survey (Grant Thronton International, London 1997) und die Payment Habits Survey (Intrum Justitia, Amsterdam 1997). 83 Ebd. unter Verweis auf die Payment Habits Survey (Intrum Justitia, Amsterdam 1997) und die Studie „Insolvenzen und Zahlungsverhalten in Europa“ (Creditreform 1997). 84 Ebd.
B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Pauschalisierung
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Bereits in ihrem Vorschlag für die erste Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG hatte die Kommission darauf hingewiesen, dass Zahlungsverzug sogar die Ursache für ein Viertel aller Insolvenzen ist und im Schnitt ein Drittel aller Unternehmen Zahlungsverzug ihrer Geschäftspartner als existenzbedrohend einschätzen.85 Zusammengefasst ist der Zahlungsverzugsschadensersatz der abstrakt-generellen Pauschalierung zugänglich, weil es sich bei der Spätleistung einer Geldzahlung um eine gleich- und massenartige Leistungsstörung handelt, die sich von Leistungsstörungen bei anderen Gütern oder Dienstleistungen signifikant unterscheidet. Die quantitativ beachtliche Situation des Zahlungsverzugs und des daraus erwachsenden Schadens begründet aber noch nicht allein den Bedarf nach gesetzlichem Einschreiten, etwa im Sinne von zweifelhafter governance by numbers.86
II. Staatliche Regelung wegen Versagens privater Vertrags- und Marktmechanismen Eine Pauschalierung des Zahlungsverzugsschadensersatzes durch den Gesetzgeber – statt durch privatautonome Regelung – ist in einer grundsätzlich die Privatautonomie und Marktwirtschaft fördernden Rechtsordnung wie in Deutschland erforderlich, sofern die privaten Vertrags- und Marktmechanismen versagen. Nur in solchen Fällen kann es rechtsethisch unter Wertungsgesichtspunkten begründbar sein, dass die ansonsten angesichts des „ethischen Personalismus“87 vorrangige Privatautonomie eingeschränkt wird und der Gesetzgeber durch Schadensersatzpauschalierungen eingreift. Die Motivation des Gesetzgebers kann sich daraus erklären, dass Zahlungsverzug unter Privaten eine volkswirtschaftlich besonders kritische Leistungsstörung darstellt und eine pauschalierte Kompensation erfordert. Mithilfe rechtsökonomischer Analysemethodik lässt sich zeigen, wie im Folgenden ausgeführt wird, dass der Gesetzgeber gefordert ist, pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatz beim Versagen von Vertrags- und Marktmechanismen zu regeln. Dass sich der einfache Gesetzgeber dabei in dem Spielraum bewegt, den ihm das höherrangige Verfassungsrecht einräumt, kann hier unterstellt werden; kritisch werden die beschränkenden Rahmenbedingungen im 3. Kapitel untersucht. Gegenstand der ökonomischen Analyse des Rechts war gesetzlich pauschalierter Zahlungsverzugsschadensersatz bisher nur bedingt, immerhin aber seit der zweiten 85 Vorschlag der Europäischen Kommission vom 25. 3. 1998 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Handelsverkehr, KOM(1998)126 endg., S. 2 m. w. N. Ähnlich Kommission, Ex-Post Evaluation of Late Payment Directive, November 2015, ENTR/172/PP/2012/FC – LOT 4, S. 23. 86 Dazu kritisch Supiot, Governance by numbers, S. 98 ff. und ferner 167 ff.; Voßkuhle, in: Schuppert/Voßkuhle, Governance von und durch Wissen, insbes. S. 23 f. 87 Vgl. Neuner, BGB AT, § 10 Rn. 3 f. und 27 ff. im Anschluss an Larenz, Richtiges Recht, S. 45 ff.; aufbauend auf Kant (insbesondere Die Metaphysik der Sitten, 2. Teil § 38).
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
Hälfte des 20. Jahrhundert in der anglo-amerikanischen Rechtswissenschaft. Im USamerikanischen Bundesrecht gibt es zwar nach wie vor keine gesetzlichen Verzugszinsen (prejudgment interest),88 aber ins Gesetz mancher US-Bundesstaaten wurden Verzugszinsen für bestimmte oder sogar für die meisten Forderungen aufgenommen.89 Im englischen Common Law wurden Verzugszinsen zunächst nur richterrechtlich anerkannt,90 dann aber vereinzelt in englische Gesetze aufgenommen.91 Auf die anglo-amerikanische Motivation zur gesetzlich pauschalierten Regelung von Verzugszinsen wird noch zurückzukommen sein. 1. Mikroökonomische Opportunitäts- und Transaktionskosten der Zwangskreditgewährung Bis zur Zahlung gewährt der Gläubiger seinem säumigen Schuldner unfreiwillig Kredit (in der anglo-amerikanischen ökonomischen Analyse des Rechts bezeichnet als „coerced loan theory“92). Dafür fallen – über die üblichen primären Kosten hinaus, die bereits für das Zustandekommen des Schuldverhältnisses entstanden sind – sekundäre Kosten beim Gläubiger an: Hauptsächlich ist es das zu entbehrende bzw. selbst aufzubringende Nutzungsentgelt für das zeitweilig ausstehende Kapital, daneben sind aber auch Kosten für eine potenzielle Schuldnerinsolvenz und Geldinflation zu bedenken.93 In den sekundären Kosten enthalten sind nach der ökonomischen Theorie der Opportunitätskosten („Verzichtskosten“) die entgangenen Gewinne aus Anlage- und Investitionsgelegenheiten des vorenthaltenen Kapitals, denn es ist grundsätzlich anzunehmen, dass mit Geld gewinnbringend gewirtschaftet 88 Colón/Knoll, in: Weil/Lentz/Hoffman, Litigation Services Handbook, Kap. 15.1; Phillips/Freeman, in: Weil/Wagner/Frank, Litigation Services Handbook, Kap. 9.2. Zum Konzept Dobbs, Law of remedies, § 3.5; McCormick, Damages, § 50; Williams, Cumberland Law Review 8 (1977), 521 ff. 89 Erstmalig im Staat New York im sog. „Field Code“, der 1848 als Gesetz erlassen wurde und in §§ 1835 f. pauschalierte Verzugszinsen vorsah; die Vorarbeiten leistete David Dudley Field II, inspiriert durch seine Europareise. In der Folge übernahmen bzw. adaptierten weitere Bundesstaaten die Regelung aus New York, vgl. Oyos, South Dakota Law Review 33 (1988), 484 (487 f.). Einen Überblick zur Gesetzeslage in den Bundesstaaten geben Phillips/Freeman, in: Weil/Wagner/Frank, Litigation Services Handbook, Anhang zu Kap. 9 sowie Rothschild, Northwestern University Law Review 77 (1982), 192 (193 und 209 ff.). Wie weit die Spannbreite der Regelungen ist, verdeutlicht das Beispiel Illinois, wo die gesetzliche Verzugszinsregelung auf bestimmte Forderungen aus Finanzinstrumenten beschränkt ist (Act of May 24, 1879, § 2, Ill. Rev. Stat. ch. 74); dazu Knoll, Texas Law Review 75 (1996), 293 (297). 90 Page v Newman (1829) 9 B&C 378 (KB); London Chatham and Dover Railway Co v South Eastern Rly Co [1893] AC 429 (HL); Westdeutsche Landesbank Girozentrale v Islington Borough Council [1996] AC 669 (HL), 682. 91 Vgl. Senior Courts Act 1981, section 35 A, und County Court Act 1984, section 69. Es folgte später der Late Payment of Commercial Debts (Interest) Act 1998. Siehe auch Ostendorf, RIW 2020, 93 (94 f.). 92 Zurückgehend auf Patell/Weil/Wolfson, Journal of Legal Studies 11 (1982), 341 ff. Siehe auch Knoll, Texas Law Review 75 (1996), 293 (327 und 368). 93 Kindler, Gesetzliche Zinsansprüche, S. 108; ferner Waddams, Damages, Rn. 7.330.
B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Pauschalisierung
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werden kann.94 Aus dem Zahlungsverzug des Schuldners als Zwangskredit des Gläubigers folgt für Letzteren, dass seine Liquidität, Refinanzierungs- und Investitionsfähigkeit gemindert werden.95 Dies kann man auch anhand der Transaktionskostenmethode nach Coase und Williamson, wie sie als Teil der Neuen Institutionenökonomik praktiziert wird, nachvollziehen:96 Es erhöht die Kosten des Gläubigers, die bei ihm für die Durchführung der Transaktion ex ante ohnehin anfallen und eingepreist sind, wenn er für die Bezahlung Mehrkosten ex post hat, ohne dass sie eingepreist werden könnten oder ihm sonst irgendeinen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen würden. Der Schuldner zwingt seinem Gläubiger also diese Transaktionsmehrkosten einseitig auf, entgegen der rechtlichen Absprache aus dem Schuldverhältnis und der zugrundeliegenden ökonomischen Kalkulation. Hinzu kommt im äußersten Fall, in dem die Zahlung wegen Insolvenz des säumigen Schuldners weitgehend (von der insolvenzquotalen Befriedigung absehend) ausfällt, dass der Gläubiger nicht nur eine deutliche Schmälerung einer etwaigen Gewinnmarge erleidet, sondern dass die Produktions- und weiteren Wertschöpfungskosten verloren sind.97 Letztlich kann Zahlungsverzug sogar den Gläubiger wirtschaftlich so schwer treffen, dass er selbst Gefahr läuft, in die Insolvenz zu geraten.98 Dies ist besonders problematisch, weil der wirtschaftlich erfolgreiche Gläubiger, der regelmäßig seine eigene Leistung bereits erbracht hat, aufgrund von Zahlungsverzögerung seiner Kunden zum Marktaustritt gezwungen wird. 2. Makroökonomische Lähmung des Zahlungsverkehrs, ineffiziente Ressourcenallokation und Wohlfahrtsverluste Bei aggregierter Betrachtung der mikroökonomischen Erkenntnisse wird die volkswirtschaftliche Problematik bei der Beherrschung der Folgen von Zahlungsverzug deutlich. Während es bereits für jedes einzelne Rechtssubjekt als Wirtschaftsteilnehmer nachteilig ist, wenn fällige Forderungen über gewisse Zeit un94
Keir/Keir, Business Lawyer 39 (1983), 129 (insbes. 129, 136 und 146 ff.); Rothschild, Northwestern University Law Review 77 (1982), 192; Senechal/Gotanda, Columbia Journal of Transnational Law 47 (2009), 491 (495 und 526 ff.); Sergesketter, Houston Law Review 32 (1995), 231 (239); Wong, UCLA Alaska Law Review 10 (1981), 219 (229). 95 So auch Bilotta, Brooklyn Journal of International Law 38 (2013), 699 (700). 96 Coase, Economica 4 (1937), 386 ff. (insbes. S. 390 ff.); ders., Journal of Law and Economics 3 (1960), 1 (15 ff.); Williamson, Economic Institutions of Capitalism, S. 15 ff. Ferner etwa Saalbach, Transaktionskosten in der neuen Institutionenökonomik, passim; Richter/ Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 53 ff. 97 Colón/Knoll, in: Weil/Lentz/Hoffman, Litigation Services Handbook, Kap. 15.3. 98 So die Feststellungen im Vorschlag der Europäischen Kommission vom 25. 3. 1998 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Handelsverkehr, KOM(1998)126 endg., S. 2 m. w. N. Ebenso Kommission, Ex-Post Evaluation of Late Payment Directive, November 2015, ENTR/172/PP/2012/FC – LOT 4, S. 23.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
beglichen bleiben und Investitionsgewinne entgehen bzw. Kosten für den vorübergehenden Zwangskredit entstehen, führt dies in der Gesamtwirtschaft zu einer Lähmung des höchstliquiden und vernetzten Kapitalverkehrs im Wirtschaftskreislauf. Denn der einzelne Gläubiger, der auf die Erfüllung seiner überfälligen Forderung warten muss und keine ungenutzten Barreserven hat, erfüllt als Schuldner wiederum nur verspätet die Forderungen seiner Gläubiger. Aufgrund der wirtschaftlichen Vernetzung der Wirtschaftsbeziehung der Individuen stellt die „Kettenverschleppung“ von Zahlungen ein volkswirtschaftliches Problem des Kapitalmarkts dar, mittelbar auch ein Problem für die Produktion und den Handel der Waren und Dienstleistungen.99 Besonders deutlich werden die negativen makroökonomischen Effekte dieser Kettenverschleppung, wenn man sie im Wirtschaftskreislauf des Kapitals zwischen Haushalten und Unternehmen betrachtet.100 Zu den Gläubigern von Unternehmen gehören die Arbeitnehmer, die ihren Lohn für geleistete Arbeit pünktlich erwarten. Verzögert sich die Lohnzahlung, steht dem Haushalt des Arbeitnehmers nur verspätet das Kapital zur Verfügung, das er für seine Konsumausgaben benötigt. Der Konsum, also der Waren- und Dienstleistungserwerb wiederum bei den Unternehmen, wird gebremst bzw. verspätet bezahlt. In diesem Kreislauf führt eine Liquiditätsverzögerung beim Kapital folglich zu einer Erlahmung der produzierten/konsumierten Leistungen. Weil bei verspäteter Zahlung die unproduktiven Marktteilnehmer, die sich nicht an ihre rechtliche Verpflichtung zur pünktlichen Zahlung halten, Geldkapital denjenigen produktiven Marktteilnehmern vorenthalten, die ihre Leistung in der Regel bereits erbracht haben und das ausstehende Kapital zur Refinanzierung bzw. Investition nutzen möchten, ergibt sich makroökonomisch eine – jedenfalls temporär – ineffiziente Allokation des Kapitals.101 Dies ist, wenn man nach einer möglichst (Pareto-)effizienten Ressourcenallokation wie in jeder Marktwirtschaft strebt,102 ein zu beseitigendes Problem. Durch die Lähmung der Produktivität wird das Wirtschaftswachstum verzögert oder gar behindert; Investition, Innovationen und Fortentwicklungen in der Volkswirtschaft werden retardiert.103 Vor allem verursachen die aggregierten Transaktionsmehrkosten, die den produktiven Marktteilnehmern durch die Zwangskreditgewährung aufgenötigt werden, 99 Vgl. Business-to-business transactions: a comparative analysis of legal measures vs. softlaw instruments for improving payment behaviour (erstellt für die Europäische Kommission, Juni 2018), S. 22 ff., https://op.europa.eu/s/nH9g. 100 Zum makroökonomischen Kreislaufmodell vgl. Hewel/Neubäumer, in: Neubäumer/ Hewel/Lenk, Volkswirtschaftslehre, S. 161 ff.; Lachmann, Volkswirtschaftslehre, S. 13 ff. 101 Brand, Internationale Zinsrecht, S. 20; Keir/Keir, Business Lawyer 39 (1983), 129 (131). 102 Vgl. Cezanne, Volkswirtschaftslehre, S. 202 ff.; Mankiw/Taylor, Volkswirtschaftslehre, S. 239 ff.; Samuelson, Volkswirtschaftslehre, S. 461 ff. 103 Deshalb verlangt auch die Weltbank im Rahmen eines Report on the Observance of Standard and Codes (ROSC) on Insolvency and Creditor Right Systems, dass eine gesetzliche Verzugszinsregelung besteht, vgl. Paulus, JuS 2017, 103 (104) m. w. N.
B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Pauschalisierung
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volkswirtschaftlich ineffiziente „Reibungsverluste“ im Sinne von Wohlfahrtsverlusten,104 die gänzlich unwiederbringlich sind und zu einer – obgleich prozentual geringen – zwecklosen Kapitalvernichtung im Wirtschaftssystem führen. Zugespitzt könnte man sagen, dass ohne zwingend vorgegebenen Ausgleich für Zahlungsverzögerung ein gewisser Anteil von Geld schlichtweg sinnlos vernichtet wird. Die Nachteile werden besonders im internationalen Vergleich und Wettbewerb deutlich, denn in anderen Ländern – insbesondere in Nordeuropa105 – herrscht ein pünktlicherer und damit effizienterer Zahlungsverkehr zwischen Unternehmen, sodass zügiger reinvestiert und expandiert werden kann und geringere Verluste im Zahlungsverkehr entstehen. Im ungünstigsten Fall treibt Zahlungsverzug manche Gläubiger, die eigentlich produktiv waren, aber keine Möglichkeit zur Abfederung der durch ihre Schuldner veranlasste Zwangskreditgewährung haben, in die Insolvenz. Volkswirtschaftlich betrachtet werden also gesunde Unternehmen und ihre entsprechende Unternehmenskultur gefährdet oder zum Marktaustritt bewogen, wenn in der Gesamtwirtschaft Zahlungsverzug überhandnimmt. Angesichts der Vernetzung der Wirtschaftsteilnehmer sind Ketteneffekte auch hier nicht ausgeschlossen. Dies wirkt sich auch auf die Haushalte/Konsumenten aus, wenn es infolge von Unternehmensinsolvenzen zu Arbeitsplatzverlusten kommt.106 3. Vertrags- und markttheoretisches Dilemma der externen Kosten Dem individuellen Gläubiger fehlt es bei einem vertraglichen Schuldverhältnis an einem Druckmittel, um den Schuldner zur fälligen Zahlung zu bewegen, soweit der Gläubiger seine noch zu vergütende Primär- als Vorleistung erbracht hat oder er zumindest kein Zurückbehaltungsrecht mehr ausüben kann, das ihn zur vorübergehenden Verweigerung seiner Leistung berechtigen würde.107 Zwar hätte es der Zahlungsgläubiger bei den vorangegangenen Vertragsverhandlungen zur Bedingung machen können, dass eine Schadensersatzpauschalierung für den Fall des Zahlungsverzugs vereinbart wird. Dies hätte aber entweder rechtliche oder praktische Probleme nach sich gezogen: Zahlungsverzugspauschalen in AGB, beispielsweise als „Mahnpauschalen“, sind keine Lösung, denn sie sind meist rechtlich unwirksam; der Gläubiger als beweisbelasteter AGB-Verwender würde nicht den Beweis zu 104
Vgl. Mankiw/Taylor, Volkswirtschaftslehre, S. 327 ff. Vgl. die Zahlen der jährlichen Statistiken zum Zahlungsverzug in den skandinavischen Ländern: Intrum Justitia führt Finnland, Norwegen, Schweden und Dänemark immer in Spitzenpositionen als die Länder mit sehr geringem Zahlungsverzug im European Payment Index. 106 Bilotta, Brooklyn Journal of International Law 38 (2013), 699 (700 ff.); vgl. auch Business-to-business transactions: a comparative analysis of legal measures vs. soft-law instruments for improving payment behaviour (erstellt für die Europäische Kommission, Juni 2018), S. 24, https://op.europa.eu/s/nH9g. 107 Vgl. BGHZ 196, 1 (7). 105
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
erbringen vermögen, dass die Pauschale für den Zahlungsverzugsschadensersatz mit dem einschlägigen Klauselverbot des § 309 Nr. 5 BGB (und dem Umgehungsverbot des § 306a BGB) vereinbar ist.108 Eine entsprechende Klausel hingegen individualvertraglich auszuhandeln, sofern überhaupt rechtlich möglich, wäre für den künftigen Zahlungsgläubiger marktwirtschaftlich ineffizient; sein Verhandlungspartner würde den Vertrag mit ihm nur abschließen, sofern er in Kenntnis aller notwendigen Informationen die Pauschale positiv beurteilt, was praktisch aufgrund bestehender Informationsasymmetrie nicht der Fall sein kann, und sofern alle Konkurrenten nicht mindestens die gleiche Pauschale verlangen.109 Die Konsequenz wäre, dass der künftige Gläubiger entweder gar keinen Vertrag oder keinen Vertrag mit wirksamer Schadensersatzpauschalierung abschließt, sondern ihm stattdessen entsprechende Opportunitätskosten für die verpasste Gelegenheit entstehen.110 Da es branchenüblich ist oder eine Gefahr für die Handelsbeziehung befürchtet wird, verzichten Gläubiger auf die Vereinbarung von Maßnahmen, die eine pünktliche Zahlung sicherstellen oder für den Zahlungsverzug entschädigen.111 Um konkurrenzfähig zu bleiben, sehen Waren- und Dienstleistungsanbieter also keine oder nur möglichst geringe Schadensersatzpauschalen vor.112 Die Folge ist ein race to the bottom als Ausdruck des Versagens der Vertrags- und Marktmechanismen.113 Im Nachhinein einseitig einen Schadensersatzbetrag festzulegen,114 vermag der Gläubiger nicht, denn damit müsste er seinem Vertragspartner eine für diesen nachteilige Regelung oktroyieren können. Noch schlechter stellt sich die Lage für das Wirken von Vertrags- und Marktmechanismen in deliktischen und ähnlich „ungewollten“ Schuldverhältnissen dar. Bei einem außervertraglichen Schuldverhältnis hatte der Gläubiger ohnehin nicht die Möglichkeit, im Voraus eine Vereinbarung zu treffen und etwa Schadensersatzpauschalen festzulegen. Denn der unfreiwillig zum Zahlungsgläubiger Gewordene hatte nicht die Intention, dass eine Forderung zwischen ihm und dem Schuldner 108
Siehe beispielsweise OLG Brandenburg, MDR 2012, 391 f.; OLG Schleswig, NJW-RR 2013, 496 (500 ff.); OLG Düsseldorf, NJW-RR 2014, 729 ff.; GRUR-RR 2017, 331 (335); OLG Hamburg, NJW 2015, 85 ff. Ferner BGH, Beschl. v. 20. 9. 2016 – VIII ZR 239/15 (juris) m. w. N. zu ähnlichen Fällen aus der BGH-Rechtsprechung. 109 Vgl. zur Markteffizienz Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 41 ff. und 79 ff.; Mankiw/Taylor, Volkswirtschaftslehre, S. 335 ff. 110 Zur Begründung gesetzlich pauschalierter Verzugszinsen als Ausgleich der Opportunitätskosten für die Zwangskreditierung oben, B. II. 111 Vgl. Business-to-business transactions: a comparative analysis of legal measures vs. soft-law instruments for improving payment behaviour (erstellt für die Europäische Kommission, Juni 2018), S. 14 ff., https://op.europa.eu/s/nH9g. 112 Dieses Problem wird auch zum Ausdruck gebracht von der Law Commission (England and Wales), Report on Interest, Nr. 88, 1978, Rn. 96. 113 Vgl. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 409 ff. und 540 ff.; Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 542 ff. Zurückgehend auf Akerlof, Quaterly Journal of Economics 84 (1970), 488 ff. 114 So Paulus, JuS 2017, 103 (104).
B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Pauschalisierung
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entsteht, vielmehr beruht die Forderungsentstehung allein auf einem (Fehl-)Verhalten des Schuldners. Zwar schreibt das Gesetz die Kompensation der verschuldeten Rechtsgutsverletzung vor (§ 823 Abs. 1 BGB), aber bei Verzug mit der Kompensationszahlung gäbe es ohne § 288 BGB keine pauschalierte Entschädigung für den Zahlungsverzug.115 Wie gesehen kann der Gläubiger die mikroökonomischen Nachteile, die bei makroökonomischer Betrachtung ein erhebliches Problem darstellen, weder durch sein privatautonomes Verhalten beim Eingehen einer Vertragsbeziehung noch durch sein Verhalten am Markt effektiv abwenden. Umgekehrt hat der säumige Schuldner – ohne gesetzliche Pauschalierung des Zahlungsverzugsschadensersatzes – kaum oder keine Kosten seines selbstverschafften Kredits beim Gläubiger zu tragen, dem ein konkreter Schadensnachweis nicht möglich ist oder nicht gelingt. Mit anderen Worten handelt es sich für den Schuldner um externe Kosten, an denen er nicht beteiligt ist. Für den Gläubiger handelt es sich um einen negativen externen Effekt, weil er bei fehlender Nachweisbarkeit der Kosten keinen Ausgleich erhält.116 Mit privaten Mitteln gelingt es ihm nicht, die auf seiner Seite anfallenden Opportunitätsbzw. Transaktionsmehrkosten aufseiten des Schuldners zu internalisieren („einzupreisen“). Angesichts des negativen externen Effekts und der daraus resultierenden Fehlallokation lässt sich ein Versagen der Vertrags- und Marktmechanismen bejahen.117 4. Ausgleich durch staatliches Eingreifen Die mikro- wie makroökonomisch besonders kritische Leistungsstörung des Zahlungsverzugs erfordert ein Eingreifen des Staats, das dem Gläubiger eine Kompensation für den Zahlungsverzug verschafft und den Zahlungsverzug nach Möglichkeit verhindert. Rechtsethisch betrachtet übernimmt der Gesetzgeber den Ausgleich und die Prävention, wenn und soweit die privaten Vertrags- und Marktmechanismen versagen, die ansonsten aufgrund des Prinzips der Privatautonomie vorrangig sind. Die so genannte Institutional Choice fällt auf den Gesetzgeber, um den Ausgleich im individuellen Schuldverhältnis und die Allokationseffizienz in der Volkswirtschaft sicherzustellen;118 dazu ist der Gesetzgeber innerhalb der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen befugt.119 Erst durch die Verpflichtung, Zinsen als Kapitalvergütung pro Zeiteinheit auf den ausstehenden Geldbetrag zahlen zu müssen, und zwar in einem hoheitlich vorge115
Zur Verzinsung gem. § 849 BGB siehe unten, C. II. 1. Vgl. Mankiw/Taylor, Volkswirtschaftslehre, S. 324. 117 Vgl. Fritsch, Marktversagen, S. 83 ff.; Mankiw/Taylor, Volkswirtschaftslehre, S. 323 ff. 118 Vgl. den Überblick zur Rolle des Staats aus ökonomischer Sicht Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 519 ff. Konkret zur Verzugszinsen Keir/Keir, Business Lawyer 39 (1983), 129 (131). 119 Dazu ausführlich unten, Kap. 3 B. 116
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
schriebenen (Mindest-)Umfang, wird dem Gläubiger Ersatz seines Erfüllungs- oder positiven Interesses für den Zwangskredit gewährt, wodurch der Zahlungsverzug für den Schuldner effektiv unrentabel wird.120 Der Staat kann durch eine Regelung, die die jedenfalls entstehenden Zwangskreditkosten des Gläubigers pauschaliert kompensationsfähig macht, den säumigen Schuldner zur Erstattung dieser Kosten zwingen. Zahlungsverzug wird dadurch mit einem allgemeinverbindlichen Preis versehen.121 Der Staat bestimmt also eine Kompensation für den abgetrotzten Zeitvorteil im Sinne einer makroökonomischen Liquiditätspräferenz („Liquiditätsprämie“).122 Damit werden die externen Kosten des Zahlungsverzugs, gegen die sich der Gläubiger nicht effektiv mit privatautonomen Vertrags- oder Marktmechanismen wehren kann, aufseiten des Schuldners internalisiert. Der Verzugszins entspricht den Kosten der pünktlichen Zahlung, d. h. dem Aufpreis für heutige Zahlung einer gestern fälligen Schuld.123 Die Universalität der Erkenntnis, dass der Staat Schadensersatz zwecks Kompensation von Zahlungsverzug pauschaliert vorschreibt, weil eine Zahlungsverzugskompensation privat nicht zustande kommt, aber öffentlich geboten ist, kann dadurch unterstrichen werden, dass sie traditionelle Gegner von Verzugszinsen letztlich dazu bewogen hat, hoheitlich determinierte Verzugszinsen als Schadensersatz zuzusprechen. Um auf das englische Recht zurückzukommen, so lässt sich der Wandel hin zur justiziellen und später legislativen Anerkennung von statutory interests nachvollziehen:124 Ein säumiger Geldschuldner habe Verzugszinsen als Schadensersatz von Rechts wegen in Höhe der gewöhnlichen Kreditkosten des Gläubigers zu leisten, um die Zwangskreditierung zu kompensieren.125 Sinnbildlich ist davon die Rede, dass mit der staatlich vorgegebenen (Mindest-)Entschädigung des Zahlungsgläubigers eine „Vervollkommnung“ der Reaktion der Rechtsordnung auf die Leistungsstörungen des Schuldners bewirkt werde.126 Dieselben Erwägungen werden in den USA angeführt, um die Gewährung von gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen zu begründen.127 Der US-amerikanische Supreme Court bekräftigte bereits 1933 ausdrücklich, dass es dem Gesetzgeber zustehe und obliege, Verzugs120 Vgl. BeckOGK-BGB/Dornis, § 288 BGB Rn. 3 m. w. N.; auch Wolf, NJW 2015, 1656 (1658). International vgl. Flessner, Mélanges Sturm II, S. 1165 m. w. N. 121 Brand, Internationale Zinsrecht, S. 20. 122 Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Kap. 22. 123 Issing, Geldtheorie, S. 93 ff.; Seckelmann, Zinsrecht, S. 19 ff., 41 ff., 64 ff. 124 Dazu Burrows, in: Virgo/Worthington, Commercial Remedies, S. 253 ff. Zum ähnlichen australischen Recht Edelman/Cassidy, Interest Awards in Australia, S. 128 f. 125 Vgl. Tate and Lyle Food and Distribution Ltd v Greater London Council [1982] 1 WLR 149 (QB), 154 per Forbes J; zuvor schon ähnlich BP Exploration v Hunt [1979] 1 WLR 783 (QB) per Goff J. Ebenso Law Commission (England and Wales), Report on Interest, Nr. 88, 1978, Rn. 46 und zuvor schon Law Reform Commission of British Columbia, Report on PreJudgment Interest, Nr. 12, 1973, S. 19 ff., insbes. 24. 126 So zum ähnlichen australischen Recht Edelman/Cassidy, Interest Awards in Australia, S. 12. 127 Colón/Knoll, in: Weil/Lentz/Hoffman, Litigation Services Handbook, Kap. 15.1.
B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Pauschalisierung
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zinsen als prozentualen Aufschlag zwecks Sicherung einer adäquaten Kompensation für die Schäden durch Zahlungsverzug vorzusehen.128 Die Universalität des Bedarfs gesetzlich pauschalierter Verzugszinsen lässt sich auch über den anglo-amerikanischen Rechtskreis hinaus im globalen Rechtsvergleich beobachten,129 insbesondere durch entsprechende Regelungen in internationalen soft law-Kodifikationen.130 Für die deutsche Rechtssetzung bedeutet dies, dass es nur der Staat als Gesetzgeber vermag und er deshalb gefordert ist, angesichts des Versagens der Vertragsund Marktmechanismen und angesichts der gleich- und massenartigen Leistungsstörung von volkswirtschaftlich kritischem Ausmaß den Zahlungsverzugsschadensersatz zu pauschalieren. Der Gesetzgeber dringt nicht nur in die Bereiche eines Vertrags- und Marktvakuums vor, sondern gestaltet hoheitlich anstelle einer fehlenden „privaten Rechtsetzung“ (private governance)131 aktiv die Kompensation und Abwehr von Zahlungsverzugsschäden unter Privaten. Dabei ist Grundvoraussetzung für die Geeignetheit jedweder Schadensersatzpauschalierung erfüllt, dass die festgestellte konkrete Gleichartigkeit der Schäden besteht. Darüber hinaus ist in der sozialen Marktwirtschaft abweichend von der Privatautonomie aber die Notwendigkeit des staatlichen Eingreifens hier zu bejahen, weil die Bewältigung der massenhaft auftretenden Leistungsstörungsfolgen so brisant ist, dass eine Nichtbewältigung für den Einzelnen und vor allem aggregiert für die Rechtsgemeinschaft nahezu unabwendbar und zudem schwerwiegend wäre. Umgekehrt kann und muss der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch zurückweichen, also die privatautonome Gestaltung wieder aufleben, sofern die Parteien des Schuldverhältnisses eine eigene, wirksame Regelung zum Verzugsschadensersatz treffen, mit der sie das gesetzliche Regime verdrängen. Davon darf aber kein volkswirtschaftlich besonders kritischer Bereich betroffen sein, der eine Disposition der Schuldverhältnisparteien in Anbetracht weitergehender externer Effekte nicht gestatten würde.132 Die besonderen Wirkungen, die sich aus der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung ergeben, werden ausführlich in den Kapiteln 5 und 6 untersucht. Gemeinsam mit der Fluggastentschädigung sind dort für den Zahlungsverzugsscha128 Funkhouser v. J. B. Preston Co., Inc., 290 U.S. 163 (1933), 168; dazu Williams, Cumberland Law Review 8 (1977), 521 (530). 129 Vgl. die rechtsvergleichenden Überblicke bei Gotanda, Recueil des cours 326 (2007), 73 (193 ff.) und Senechal/Gotanda, Columbia Journal of Transnational Law 47 (2009), 491 (496 ff.). Anders ist es in manchen Ländern, die der islamischen Scharia folgen, vgl. ebd. S. 500. 130 International Institute for the Unification of Private Law (Unidroit), Principles of International Commercial Contracts, 2004 und 2010, Art. 7.4.9; zuvor schon Lando/Beale (Hrsg.), Principles of European Contract Law, Art. 9:508. 131 Vgl. schon Kirchhof, Private Rechtsetzung, insbes. S. 98 ff.; ferner Bachmann, Private Ordnung, insbes. S. 41 ff.; Köndgen, AcP 206 (2006), 477 ff. (insbes. 508 ff.); aus politikwissenschaftlicher Perspektive Wolf, in: Bumke/Röthel, Privates Recht, S. 187 ff. 132 Die privatautonome Modifikation der gesetzlichen Pauschalen wird daher am Ende des Kapitels besonders behandelt, F.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
densersatz die Vorteile der gesetzlichen Pauschalierung für die Prozessökonomie sowie die Prävention der Leistungsstörung zu erörtern.
III. Qualifikation als Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz Im Anschluss an die Erkenntnis, dass Zahlungsverzug eine mit gesetzlichen Mitteln zu kompensierende Leistungsstörung darstellt, die gleich- und massenartig ist und nicht durch Vertrags- oder Marktmechanismen beherrschbar ist, verbleibt noch die Annahme zu begründen, dass der Gesetzgeber für diese Leistungsstörungskompensierung durch die Verzugszinsen und den Beitreibungskostenbetrag tatsächlich pauschalierten Schadensersatz anordnet. Dies wurde bisher implizit angenommen, muss sich aber noch als zutreffend erweisen und ist von erheblicher materiell-rechtlicher Bedeutung für die Rechtsfolgen des § 288 BGB. Die infolge der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung zu beobachtenden Divergenzen gegenüber herkömmlichen Prinzipien des Haftungs- und Schadensrechts werden hingegen im 4. Kapitel untersucht. 1. Verzugszinsen a) Schadensersatz statt Abschöpfung ungerechtfertigter Bereicherung Man könnte angesichts der Tatsache, dass der Gläubiger beim Zahlungsverzug von seinem Schuldner genötigt wird, Kredit in Höhe der ausstehenden Forderung zu gewähren, annehmen, die gesetzlichen Verzugszinsen würden einen Ausgleich nach Prinzipien über die ungerechtfertigte Bereicherung gewähren. Dies hätte zur Folge, dass man Verzugszinsen nicht als Schadenskompensation anzusehen hätte, sondern als Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen. Immerhin verschafft sich der Schuldner ohne rechtlichen Grund Gewinnmöglichkeiten auf Kosten des Gläubigers, die er „herauszugeben“ hat. Dies könnte durchaus eine Nichtleistungskondiktion in Gestalt einer Eingriffskondiktion vermuten lassen. So wird erwogen, dass die geltenden Verzugszinsregelungen auch der Abschöpfung ungerechtfertigter Bereicherung dienen.133 Im Bereicherungsausgleich kann man durchaus auch eine Restitutionsfunktion sehen,134 zumal bereicherungsrechtliche Ansprüche ohnehin neben anderen, beispielsweise schadensersatzrechtlichen Ansprüchen bestehen.135 133
Rn. 5. 134
Vgl. BeckOGK-BGB/Dornis, § 288 BGB Rn. 2 a. E.; MüKo-BGB/Ernst, § 288 BGB
Siehe nur Grüneberg/Sprau, Einf v § 812 BGB Rn. 1. Siehe BeckOK-BGB/Wendehorst, § 812 Rn. 3. Vgl. auch v. Caemmerer, FS Rabel I, S. 334 f. 135
B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Pauschalisierung
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Gewichtige Gründe sprechen allerdings dafür, im Verzugszinsanspruch hauptsächlich einen Schadensersatzanspruch zu sehen. In der historischen Entwicklung, die oben nachgezeichnet wurde, hat man den Verzugszinsen seit dem naturrechtlichen Vernunftrecht Kompensationscharakter attestiert.136 Den Motiven zum BGB ist deutlich zu entnehmen, wie oben zitiert, dass mit der Verzugszinsregelung ein gesetzlicher Ausgleich für die Einbuße auf Gläubigerseite wegen der Kapitalnutzungsentziehung geschaffen wird; es wird die unfreiwillige Zinseinbuße des Gläubigers entsprechend der gesetzlichen Regelung kompensiert, ohne dass es auf den Nachweis seines konkreten Schadens ankäme.137 Auch die Neuerungen im BGB um und nach der Jahrtausendwende, vor allem motiviert durch europäisches Richtlinienrecht, sehen Verzugszinsen als (Mindest-)Schadensersatz an, um den Zahlungsverzug in der Volkswirtschaft zu bekämpfen.138 Daraus folgt, dass man Verzugszinsen grundsätzlich als Kompensation von Einbußen aus der Vorenthaltung von Geld ansieht. Die deutliche Erhöhung der Verzugszinsen durch den Gesetzgeber kann aber durchaus so verstanden werden, dass es nicht mehr ausschließlich um die Kompensation der Einbußen des Gläubigers geht, sondern die Regelung bewusst abschreckend auf den Schuldner wirken, d. h. ihn präventiv von der Leistungsstörung des Zahlungsverzugs abhalten soll.139 Dass der Gesetzgeber mit den Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 und 2 BGB Schadensersatz pauschaliert hat, bestätigt auch der Umkehrschluss aus der grammatikalischen und systematischen Auslegung des Abs. 4. Dort hat der Gesetzgeber ausdrücklich geregelt, dass die Geltendmachung eines „weiteren Schadens“ unbenommen ist. Bestätigung erfährt diese Einordnung des § 288 BGB durch seine – seit dem Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr geltende – amtliche Überschrift „Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden“.140 Prägend für die Qualifikation als Schadensersatzanspruch in Abgrenzung zum Bereicherungsrecht sind zudem die schadensersatzrechtlichen Voraussetzungen und Folgen der Verzugszinsregelungen, die in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels noch im Einzelnen untersucht werden. So ist u. a. Voraussetzung für den Verzugszinsanspruch, dass überhaupt ein Fall des Schuldnerverzugs vorliegt, wofür es wiederum auf das (vermutete) Verschulden des Schuldners ankommt.141 Das Verschuldenserfordernis ist – außerhalb der Gefährdungshaftung – ein Grundprinzip des 136
Siehe oben, A. I. Mot. bei Mugdan II, S. 34; außerdem oben, A. II. 138 Vgl. Gesetzesbegründung (zum Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen), BTDrs. 14/1246, S. 5; „Entschädigung“ in Erwgr. 16 f. Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG; Vorschlag der Europäischen Kommission vom 25. 3. 1998 (zur Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG), KOM(1998)126 endg., S. 7 f. 139 Zu diesen verhaltenssteuernden Wirkungen von gesetzlich pauschaliertem Schadensersatz siehe im Einzelnen in Kap. 6 B. 140 Art. 1 Nr. 3 lit. a Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. 141 §§ 286 Abs. 4, 288 Abs. 1 S. 1 BGB. Zum Verschuldenserfordernis unten ausführlicher, D. 137
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
deutschen Schadensersatzrechts;142 im Bereicherungsrecht kommt es grundsätzlich nicht auf Verschulden an.143 Dies belegt auf Tatbestandsseite die Zugehörigkeit des Verzugszinsanspruchs nach § 288 BGB (übrigens im Unterschied zum verschuldensunabhängigen Fälligkeitszinsanspruch wie im Handelsrecht144) zum Schadensersatzrecht.145 Umgekehrt können keine Einwendungen, die spezifischen Zwecken des Bereicherungsrechts dienen,146 die Entstehung des Anspruchs aus § 288 BGB verhindern. Auf Rechtsfolgenseite lässt sich besonders deutlich erkennen, dass sich der Anspruch auf Verzugszinsen nicht nach bereicherungsrechtlichen Prinzipien richtet. Die Entreicherungseinwendung,147 die wesentlicher Bestandteil des bereicherungsrechtlichen Systems zur Korrektur irregulärer Vermögenszuordnungen ist,148 kann nicht vom säumigen Schuldner hinsichtlich des pauschalierten Verzugsschadens erhoben werden. Umgekehrt kommt es für seine Schadensersatzhaftung beispielsweise nicht auf Kenntnis eines „Gesetzes- oder Sittenverstoßes“ an, was im Bereicherungsrecht zu einer verschärften Haftung führen würde.149 Die Rechtsfolgen des § 288 BGB liegen daher fernab des Bereicherungsrechts. Es geht vielmehr um den Ausgleich der unfreiwilligen Vermögenseinbuße, die der Gläubiger erlitten hat, weil ihm die Möglichkeit zur Kapitalnutzung vom Schuldner zeitweilig vorenthalten wurde. Darüber hinaus können die hohen gesetzlichen Verzugszinssätze, die mit fünf bzw. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz pauschaliert sind, so verstanden werden, dass der Gesetzgeber eine bewusste Prävention des Zahlungsverzugs bezweckt. Die Einordnung als Schadensersatz bringt auch der BGH in seiner ständigen Rechtsprechung zum Ausdruck, sowohl vor als auch nach den europarechtlich bedingten Reformen des BGB: Mit § 288 Abs. 1 BGB trage das Gesetz in typisierender Betrachtungsweise der Tatsache Rechnung, dass die mit dem Besitz von Geld verbundene Nutzungsmöglichkeit in aller Regel – unabhängig von der konkreten Verwendung – geldwerte Vorteile biete, deren Vorenthaltung rechtlich als Schaden
142 BT-Drs. 14/6040, S. 131; BGHZ 164, 196 (211) m. w. N.; Deutsch, AcP 202 (2002), 889 (892 ff.); BeckOGK-BGB/Riehm, § 280 Rn. 171; vgl. ferner Canaris, JZ 2001, 499 (506); Riehm, FS Canaris I, S. 1092 ff. 143 Vgl. etwa BGHZ 68, 90 (91 ff., insbes. 94: „verschuldensunabhängige Bereicherungsnormen“); BGH, NJW 1989, 389 (391: „im Falle einer Rechtsverletzung neben dem Schadensersatzanspruch ein verschuldensunabhängiger Bereicherungsanspruch“); Staudinger/ Lorenz, Vorbem zu §§ 812 ff. BGB Rn. 1 a. E. 144 § 353 HGB; siehe Kindler, Gesetzliche Zinsansprüche, S. 120. 145 So auch Flessner, Mélanges Sturm II, S. 1176 f. auf rechtsvergleichender Grundlage. 146 §§ 814 f., 817 S. 2 BGB. 147 § 818 Abs. 3 BGB. 148 Vgl. MüKo-BGB/Schwab, § 818 Rn. 130 f. m. w. N.; ferner Flessner, Wegfall der Bereicherung, insbes. S. 102 f. 149 § 819 BGB.
B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Pauschalisierung
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anzusehen sei.150 Der BGH betont, dass es sich – unbeschadet eines weitergehenden Schadensersatzes gemäß § 288 Abs. 4 BGB – beim gesetzlichen Verzugszins um einen Mindestersatz handelt, den der Gläubiger unabhängig von einem Schadensund Kausalitätsnachweis beanspruchen kann.151 Dies stößt in der Literatur ganz überwiegend auf Zustimmung; es handle sich beim Anspruch auf den Verzugszins um einen (Mindest-)Schadensersatz.152 Es werde die Grundwertung der Privatrechtsordnung zum Ausdruck gebracht, dass niemand aus seinem Zahlungsverzug einen Vorteil erlangen darf, sondern der Säumige die Pflicht zum Ersatz des entstandenen Schadens habe.153 b) Schadensersatz in gesetzlich pauschaliertem Umfang Verstehen lässt sich der gesetzliche Verzugszins in § 288 BGB des Weiteren als pauschalierter Schadensersatz, durch den der Gläubiger für den infolge verzögerter Zahlung entgangenen Kapitalertrag von Gesetzes wegen entschädigt wird. Dass es sich dabei um eine Selbstverständlichkeit handelt, widerlegt folgendes internationales Gesetzesbeispiel: Kein gesetzlich pauschalierter Ersatz für Verzugsschäden besteht für Kaufpreisforderungen aus Warenkaufverträgen, auf die das UN-Kaufrecht (CISG) Anwendung findet.154 Das UN-Kaufrecht enthält zwar in Art. 78 eine Vorschrift über Verzugszinsen dem Grunde nach, aber es pauschaliert oder bestimmt sie nicht näher.155 Eine weitergehende Einigung der Staaten, die das völkerrechtliche Übereinkommen geschlossen haben, konnte nämlich nicht erzielt werden.156 150 BGHZ 74, 231 (234 f.); 77, 60 (62 f.); 94, 330 (332); 196, 1 (6 f.). Siehe auch schon BGH, NJW 1979, 540. 151 Siehe BGHZ 74, 231 (234 f.); 77, 60 (62 f.); 94, 330 (332); 196, 1 (6 f.); BGH, NJW 1953, 337; 2006, 2398 Rn. 9; 2011, 3648 Rn. 16; NJW-RR 2012, 373 Rn. 12. So auch schon RGZ 92, 283 (284). 152 Dafür Brox/Walker, SchuldR AT, § 23 Rn. 32 f.; BeckOGK-BGB/Dornis, § 288 BGB Rn. 2 und 24; Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, § 17 II 2; MüKo-BGB/Ernst, § 288 Rn. 5; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 473; Grüneberg/Grüneberg, § 288 BGB Rn. 4; Haas et al., Das neue Schuldrecht, S. 102 ff.; Erman/Hager, § 288 BGB Rn. 5; Harke, SchuldR AT, § 8 Rn. 189; Kniffka, ZfBR 2000, 227 (229); Latzel, Verhaltenssteuerung, S. 457; Looschelders, SchuldR AT, § 26 Rn. 18 ff.; Staudinger/Feldmann, § 288 BGB Rn. 1; Mankowski, WM 2009, 921; Schimmel/Buhlmann, MDR 2002, 609 (614 f.); Schlobach, Präventionsprinzip, S. 169 f.; NK-BGB/Schulte-Nölke, § 288 BGB Rn. 3; Schulze/Schulze, § 288 BGB Rn. 1; Jauernig/Stadler, § 288 BGB Rn. 2; Weiler, SchuldR AT, § 24 Rn. 30; PWW/Kramme, § 288 Rn. 1. Rechtsvergleichend Flessner, Mélanges Sturm II, S. 1171. 153 Vgl. Basedow, ZHR 143 (1979), 317 (323). 154 Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. 4. 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf (UNTS, Bd. 1489, S. 3; BGBl. 1989 II 586). Zur Anwendbarkeit siehe Art. 1 ff. UN-Kaufrecht. 155 Art. 78 UN-Kaufrecht: „Versäumt eine Partei, den Kaufpreis oder einen anderen fälligen Betrag zu zahlen, so hat die andere Partei für diese Beträge Anspruch auf Zinsen, unbeschadet eines Schadenersatzanspruchs nach Artikel 74.“ Zum Verhältnis vom UN-Kaufrecht zu den Vorgaben der europäischen Zahlungsverzugs-Richtlinien vgl. MüKo-BGB/Ernst, § 286 Rn. 16.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
Im deutschen Recht hat sich der Gesetzgeber hingegen für eine Pauschalierung des Zahlungsverzugsschadensersatzes entschieden. Für die Bemessung des Verzugsschadensersatzes ordnet das Gesetz in § 288 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 2 BGB an, dass der Verzugszinssatz für das Jahr fünf bzw. neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz liegt. Ohne an dieser Stelle die Einzelheiten der Rechtsfolgenuntersuchung – insbesondere zur Höhe des Verzugsschadensersatzes – vorwegzunehmen,157 lässt sich feststellen, dass eine gesetzliche Pauschalierung des Schadensersatzes besteht,158 weil sich die (Mindest-)Kompensation der zeitweiligen Kapitalnutzungsentziehung durch Verzugszinsen allein nach dem Gesetz richtet.159 Das Gesetz ordnet nicht nur an, dass Verzugszinsen zu zahlen sind, § 288 Abs. 1 S. 1 BGB. Es ist weiterhin gesetzlich pauschal festgelegt, welcher Zinssatz mindestens geschuldet ist, § 288 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 BGB. Da Zinsen – im Gegensatz zum Zinssatz – zeitabhängig sind, pauschaliert das Gesetz den Verzugsschadensersatzanspruch nicht in absoluten Geldbeträgen, sondern prozentual im Verhältnis zum entzogenen Kapitalbetrag pro rata temporis, in der Regel pro anno, also bezogen auf ein Jahr.160 Unschädlich ist für die Bejahung der gesetzlichen Pauschalierung des (Mindest-) Schadensersatzes, dass sich der Verzugszinssatz seit der Reform durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen aus einem fixen Aufschlag (fünf bzw. neun Prozentpunkte161) zu einem variablen Grundbetrag (Basiszinssatz162) berechnet, weil sowohl Aufschlag als auch Grundbetrag grundsätzlich hoheitlich und nicht privatautonom bestimmt sind.163 Damit fügt sich das deutsche Recht in das Gesamtbild der kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen ein, die die Verzugszinsen als gesetzlich pauschalierte Reaktion auf Nichtzahlung kennen.164
156 Vgl. Bacher, in: Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 78 CISG Rn. 2 f.; Cohen, University of Pennsylvania Law Review 26 (2005), 601 (614); Schlechtriem, JZ 1988, 1037 (1047). 157 Dazu unten, E. 158 Vgl. Lein, Verzögerung der Leistung, S. 357; Schlobach, Präventionsprinzip, S. 169 f. 159 Zu demselben Ergebnis ist auch der Große Senat des BAG gekommen, BAGE (GS) 97, 150 Rn. 29 ff. 160 Zinsen sind nach allgemeiner Definition des BGH und der Rechtswissenschaft die laufzeitabhängige, gewinn- und umsatzunabhängige, in Geld oder anderen vertretbaren Sachen zu entrichtende Vergütung für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen Kapitals; Zinsen müssen weder fortlaufend entrichtet werden noch vor Entrichtung betragsmäßig bestimmt sein (BGH, NJW-RR 1992, 592; NJW 1979, 806 (541); Grüneberg/Grüneberg, § 246 BGB Rn. 2). 161 § 288 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 2 BGB. 162 § 247 BGB. 163 Zur Geltendmachung eines höheren Zinssatzes aufgrund privatautonomer Vereinbarung (§ 288 Abs. 3 BGB) siehe unten, E. I. 4. a). Zur Variabilität des Basiszinssatzes (§ 247 BGB) siehe unten, E. I. 1. 164 Siehe Flessner, Mélanges Sturm II, S. 1167. Inzwischen ist dies auch etwa im englischen Recht anerkannt, vgl. McGregor, Damages, Rn. 19 – 001 ff., insbes. Rn. 19 – 043 und sodann 19 – 058 ff.
B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Pauschalisierung
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2. Beitreibungskostenbetrag a) Schadensersatz in gesetzlich pauschaliertem Umfang Die Einführung eines Beitreibungskostenbetrags von 40 Euro bei Zahlungsverzug eines Unternehmers mit einer Entgeltforderung (§ 288 Abs. 5 BGB) wurde – gerade in Bezug auf das deutsche Recht165 – als „systemwidrig“166 bezeichnet und damit die Systemkohärenz in Frage gestellt.167 Begründungsbedürftig ist mit Blick auf die Umsetzung im BGB in der Tat, ob dieser Beitreibungskostenbetrag neben den Verzugszinsen als gesetzlich pauschalierter Schadensersatz eingeordnet werden kann. Für die Qualifikation als gesetzlich pauschalierter Verzugsschadensersatz168 spricht zunächst das grammatikalische Argument auf Sekundärrechtsebene, denn in der maßgeblichen Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU lautet die amtliche Überschrift des entsprechenden Artikels „Entschädigung für Beitreibungskosten“169 und dieselbe Formulierung findet sich im einschlägigen Erwägungsgrund zur „Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags“.170 Aber auch unabhängig von unionsrechtlich autonomer Terminologie, die nicht zwangsläufig mit der deutschen koinzidieren muss, kann man auf nationaler Ebene auf das historische legislatorische Argument zurückgreifen: der deutsche Gesetzgeber hat bei der Umsetzung der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU eine „weitere gesetzliche Form des Verzugsschadens neben den Verzugszinsen“171 schaffen wollen. Entsprechend den deutschen Grundprinzipien des Schadensersatzrechts ist es für den Beitreibungs165 In anderen Mitgliedstaaten hielt man sich insofern mit Kritik zurück, vgl. etwa Bilotta, Brooklyn Journal of International Law 38 (2013), 699 ff.; Ene, Juridical Tribune 5 (2015), 291 ff.; Gongeta, in: Kandzˇ ija/Kumar, Economic Integrations, S. 116 ff.; Shopovski, European Journal of Scientific Research 140 (2016), 436 ff. 166 Oelsner, NJW 2013, 2469 (2471). Allerdings führt er an, das deutsche Schadensersatzrecht kenne solche „Kostenpauschalen“ bereits in Form von pauschalierten Gebühren für Mahnschreiben und für Post- und Telekommunikation i. S. d. Nr. 7002 VV-RVG. Dabei handelt es sich im ersten Fall aber um vertraglich vereinbarte Beträge und nicht um gesetzlich pauschalierten Schadensersatz; im zweiten Fall handelt es sich um Aufwendungs- und nicht um Schadensersatz. 167 Weller/Harms, WM 2012, 2305 (2312); Schleswig-Holsteinischer Richterverband, Stellungnahme 14/2012, S. 2 f. Beispielsweise auch in Österreich spricht Frizberg, ÖJZ 2011, 629 (631) von der „Systemwidrigkeit zum österreichischen Schadenersatzrecht“. 168 Vgl. dafür Brox/Walker, SchuldR AT, § 23 Rn. 33a; Dornis, ZIP 2014, 2427 (2429); ders., WM 2014, 677 (678 f.); ders./Kessenich, JURA 2015, 887 (890); Grüneberg/Grüneberg, § 288 BGB Rn. 15; NK-BGB/Schulte-Nölke, § 288 Rn. 16; Spitzer, MDR 2014, 933 (938 f.); Weiler, SchuldR AT, § 24 Rn. 33. Staudinger/Feldmann, § 288 BGB Rn. 61 ff. und PWW/ Kramme, § 288 Rn. 9, ordnen die Pauschale auch als Ersatz für besondere Verzögerungsschäden ein. 169 Art. 6 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. Die Formulierungen auf Englisch („compensation“) und Französisch („indemnisation“) sind entsprechend. 170 Erwgr. 19 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 171 BT-Drs. 18/1309, S. 19.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
kostenbetrag außerdem erforderlich, dass sich der Schuldner im Verzug befindet und diesen verschuldet hat.172 Dem wird § 288 Abs. 5 S. 1 i. V. m. § 286 Abs. 4 BGB gerecht. Dass die Pauschale im Verzugsfall unabhängig vom Eintritt eines Schadens gefordert werden kann,173 erzeugt keinen grundsätzlichen Widerspruch. Dass der Gesetzgeber Schadensersatz für die Leistungsstörung des Zahlungsverzugs mit dem Beitreibungskostenbetrag pauschaliert, kommt letztlich dadurch zum Ausdruck, dass es um den Ersatz von Kosten der gläubigereigenen Mühewaltung geht, also nach deutschem Begriffsverständnis um den Ersatz von unfreiwilligen Aufwendungen in Form von Rechtsverfolgungskosten.174 Bereits unter der ursprünglichen Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG war in Deutschland anerkannt, dass ein Schadensersatzanspruch für Rechtsverfolgungskosten – nur in damals noch nicht gesetzlich pauschalierter Form – gemäß §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB bestanden hat.175 Die neue Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU hat dafür die Pauschale eingeführt, die gerade die „aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Verwaltungskosten und die internen Kosten“ des Gläubigers kompensieren soll.176 Dies belegt die Qualifikation als gesetzlich pauschalierter Schadensersatz, trotz Andersartigkeit im Vergleich zum traditionellen Gefüge des deutschen Schadensersatzrechts. b) Strafschadensersatz? Ein häufiger Kritikpunkt ist allerdings die Höhe des Pauschalbetrags für die Beitreibungskosten. So wird dieser absoluten Pauschale ein pönaler Charakter attestiert, zumal sie auch dann fällig ist, wenn dem Gläubiger gar keine oder nur deutlich geringere Beitreibungskosten entstanden sind.177 Dies kann praktisch durchaus relevant werden, wenn der Gläubiger beispielsweise noch keine Beitreibungsmaßnahmen unternommen hat oder die Beitreibung überwiegend durch automatisierte Forderungsmanagementsoftware und mithin äußerst kostensparsam erfolgt.178 Man wirft § 288 Abs. 5 BGB letztlich vor, es würde sich bei den 40 Euro um einen gesetzlich pauschalierten Strafschadensersatz handeln.179
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So auch Sujecki, AnwBl. 2012, 602 f. BT-Drs. 17/10491, S. 9 li.Sp. und S. 13 re.Sp.; Frizberg, ÖJZ 2011, 629 (635); Schimanski/Sturm, JurBüro 2013, 287 (288); Staudinger/Feldmann, § 288 BGB Rn. 69; BeckOGKBGB/Dornis, § 288 Rn. 65. Siehe auch Oelsner, GPR 2013, 182 (187 f.). 174 Vgl. schon Oelsner, EuZW 2011, 940 (942); Weller/Harms, WM 2012, 2305 (2312). 175 Vgl. Freitag, EuZW 1998, 559 (561); Gsell, ZIP 2000, 1861 (1867); Schmidt-Kessel, NJW 2001, 97 (100). 176 Erwgr. 19 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 177 Weller/Harms, WM 2012, 2305 (2312). 178 Schleswig-Holsteinischer Richterverband, Stellungnahme 14/2012, S. 3. 179 MüKo-BGB/Ernst, § 288 Rn. 30. 173
B. Erfordernis und Verständnis der gesetzlichen Pauschalisierung
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Es mag durchaus sein, dass dem deutschen Schadensersatzrecht pönale Elemente, die nicht auf eine reine schadensersatzrechtliche Ausgleichsfunktion beschränkt sind, traditionell fremd waren.180 Allerdings ist das europäische Sekundärrecht, das hier durch die Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU die entscheidenden Vorgaben macht, nicht an der deutschen Rechtsordnung und ihren tradierten Prinzipien zu messen. Und selbst die deutschen Kritiker des Beitreibungskostenbetrags erkennen an, dass die Zahl an Schadensersatzansprüchen mit bewusstem Präventionscharakter – aufgrund entsprechenden europäischen Einflusses – steigt, also keine Unbekannten mehr sind.181 Die Beispiele aus der EuGH-Rechtsprechung reichen vom Schadensersatz im Antidiskriminierungsrecht182 bis hin zum Schadensersatz im Wettbewerbsrecht;183 darüber hinaus bedenkt auch die deutsche Rechtsprechung die Präventionsfunktion bei Schadensersatz für Persönlichkeitsrechtsverletzung.184 Musterbeispiel im Sekundärrecht für gesetzlich pauschalierten Schadensersatz mit Fixbeträgen und unionsweit unmittelbarer Wirkung ist die Entschädigung von Fluggästen gemäß der Fluggastrechte-Verordnung 261/2004; sie bildet den Gegenstand des folgenden 2. Kapitels. Insofern darf es nicht verwundern, wenn die 40 Euro-Pauschale präventiv wirken soll und trotzdem im Kern Schadensersatzqualität besitzt. Die ZahlungsverzugsRichtlinie 2011/7/EU richtet sich (ebenso wie ihre Vorgängerin) ganz gezielt mit der Entschädigungspauschale gegen die ebenso mikro- wie makroökonomisch schädigende „Unkultur“ des Zahlungsverzugs. Weil sich Letztere schlechterdings konkret nicht beziffern lässt, legt das dagegen gerichtete Gesetz eine Schadensersatzpauschale fest. Dementsprechend hat der Unionsgesetzgeber sich von folgenden Erwägungsgründen der Zahlungsverzugs-Richtlinie leiten lassen: „Ein durchgreifender Wandel hin zu einer Kultur der unverzüglichen Zahlung […] ist erforderlich, um diese Entwicklung [Zahlungsverzug] umzukehren und von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. Dieser Wandel sollte auch die Einführung besonderer Bestimmungen […] zur Entschädigung der Gläubiger für die ihnen entstandenen Kosten einschließen […]“.185 „Eine gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten ist erforderlich, um von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken.“186
180
Zum zivilrechtlichen Strafbegriff insofern Schäfer, AcP 202 (2002), 397 (405 f.). Vgl. Schäfer, AcP 202 (2002), 397 (414 ff. und 419 ff.) und daran anschließend Weller/ Harms, WM 2012, 2305 (2312). Grundsätzlich kritisch zur „Erosion des Privatrechts durch das Europarecht“ auch hinsichtlich des Zahlungsverzugsrechts Honsell, ZIP 2008, 621 (627). 182 EuGH, Urt. v. 10. 4. 1984, 14/83 – Colson und Kamann. 183 EuGH, Urt. v. 13. 6. 2006, C-295/04 – Manfredi u. a. 184 BGHZ 128, 1 (14 ff.) – Caroline I. 185 Erwgr. 12 S. 2 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 186 Erwgr. 19 S. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 181
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
Es lässt sich daher als Konsequenz und Beleg der Effektivität verstehen, dass die 40 Euro-Pauschale die Schmerzgrenze mancher erreicht und sie in ihren Augen eine gesetzliche Schadensersatzpauschale mit präventivem Charakter darstellt. Deswegen ist der Pauschale aber nicht die Qualifikation als Schadensersatz abzusprechen. Der Argwohn gegenüber der 40 Euro-Pauschale mag sich aber daraus erklären, dass man den schleichenden Einzug von Strafschadensersatz fürchtet, der zukünftig einmal die Größenordnung von US-amerikanischen punitive damages erreichen könnte. Die 40 Euro tun dies bisher sicher nicht. Ganz fern aber liegt die Grundidee der punitive damages, überhöhten „Schadensersatz“ zu Zwecken der Spezial- und Generalprävention zu gewähren,187 dennoch nicht, was das Befremden in Deutschland erklärt.188 Bei Schadensersatzbeträgen von 40 Euro nach § 288 Abs. 5 BGB wäre dieselbe Furcht aber maßlos übertrieben, wenn man sich beispielsweise den Betrag von 2,7 Millionen US-Dollar vor Augen führt, welcher Stella Liebeck erstinstanzlich als punitive damages gegen McDonald’s wegen eines zu heiß servierten und von ihr verschütteten Kaffees zugesprochen wurde (der Betrag wurde später auf 480.000 US-Dollar reduziert).189 Vor allem aber spricht folgender, konzeptioneller Unterschied gegen die Annahme von Strafschadensersatz beim Beitreibungskostenbetrag: Der Betrag von 40 Euro ist gesetzlich fixiert, im Common Law dagegen zeichnen sich punitive damages dadurch aus, dass die Höhe des strafenden Ersatzbetrages ins Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt ist, also von der Einzelfallentscheidung der jury abhängt.190 Dies ist beim gesetzlich pauschalierten Schadensersatz wie der 40 EuroPauschale nicht der Fall – die Furcht, dass zürnende Laienrichter ausufernde Beträge zuerkennen, sollte damit gebannt sein.
187
Zu punitive damages vgl. die Rechtsprechung des US-amerikanischen Supreme Court: BMW of North America. v. Gore, 517 U.S. 559 (1996); Cooper Industries, Inc. v. Leatherman Tool Group, Inc, 532 U.S. 424 (2001); State Farm Mutual Automobile Insurance Company v. Campbell et al., 538 U.S. 408 (2003); Philip Morris USA v. Williams, 549 U.S. 346 (2007); Exxon Shipping Co.v. Baker, 554 U.S. 471 (2008). Ferner Colby, Minnesota Law Review 87 (2003), 583 ff.; Owen, Villanova Legal Review 39 (1994), 363 (373 f.); Sebok, Chicago-Kent Law Review 78 (2003), 163 ff.; ausführlich Sunstein et al., Punitive Damages. 188 Daher wird in Deutschland auch ein Verstoß gegen den nationalen ordre public angenommen und man verweigert die Anerkennung von punitive damages-Urteilen, BGHZ 118, 312; Koch, NJW 1992, 3073 ff.; Mörsdorf-Schulte, Funktion und Dogmatik US-amerikanischer punitive damages, passim; Schack, ZZP 106 (1993), 104 ff. 189 Stella Liebeck v. McDonald’s Restaurants, P.T.S., Inc. and McDonald’s International, Inc. (N.M. Dist. Ct. Aug. 18, 1994). 190 Meurkens, Punitive damages, S. 65 ff.; Sunstein, Punitive damages, insbes. S. 109 ff.
C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
59
C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes Die bisherige Untersuchung vermochte grundsätzlich zu zeigen, dass der Gesetzgeber mit dem Verzugszins und dem Beitreibungskostenbetrag Schadensersatz für die gleich- und massenartige Leistungsstörung des Zahlungsverzugs, die nicht von Vertrags- und Marktmechanismen beherrschbar ist, pauschaliert. Jedoch ist noch offen und näher zu bestimmen, wie der Gesetzgeber den Zuschnitt bzw. Anwendungsbereich der Pauschalierung in Form des § 288 BGB gestaltet hat. Es ist dabei nicht nur zu fragen, welche Fälle von der Pauschalierung tatsächlich abgedeckt werden und welche nicht, sondern vor allem warum dies so ist. Hinterfragt werden soll, ob die Gestaltung des Anwendungsbereichs widerspruchsfrei ist, und außerdem, wie mit der besonderen Situation im Arbeitsvertragsrecht umgegangen wird. Diese Untersuchung des Anwendungsbereichs der Pauschalierung ist deshalb so essenziell, weil die pauschalierende Wirkung faktisch über den Anwendungsbereich gesteuert wird – die pauschalierte Rechtsfolge kommt innerhalb des Anwendungsbereichs zum Zuge, ohne dass es auf erhebliche weitere Tatbestandsmerkmale ankäme. Die Gestaltung der praktischen Bedeutung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung beim Zahlungsverzug wird anhand des Anwendungsbereichs im Folgenden in räumlicher, sachlicher und persönlicher Hinsicht untersucht und berücksichtigt die einschlägige Rechtsprechung, die die gesetzgeberische Gestaltung weiter ausgeformt hat.
I. Räumlich In räumlicher Hinsicht steht bei grenzüberschreitenden Sachverhalten der Anwendungsbereich der Schadensersatzpauschalierung durch den deutschen Gesetzgeber zur Debatte, weil dessen Verzugsregime im internationalen Wettbewerb der Rechtsordnungen und somit in Konkurrenz zu anderen nationalen Regelungen für Zahlungsverzugsschadensersatz steht. Je nach anzuwendendem Recht kann es innerhalb der Europäischen Union – trotz der europäischen Harmonisierung des Zahlungsverzugsrechts – und erst recht im Verhältnis zu Drittstaaten materiellrechtliche Abweichungen geben. Ein dem deutschen Recht vergleichbarer gesetzlicher Beitreibungskostenbetrag ist zwar aufgrund der europäischen Richtlinien auch in den Rechtsordnungen der anderen EU-Mitgliedstaaten zu finden, aber im Rest der Welt unbekannt. Die beiden Richtlinien 2000/35/EG und 2011/7/EU machen auch nur Mindestvorgaben und diese ohnehin nur für den Geschäftsverkehr. Die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung des § 288 BGB vermag ihren räumlichen Anwendungsbereich nicht selbst zu bestimmen, sondern ist wie alle Rechtsnormen des Sachrechts auf das Internationale Privatrecht angewiesen: Deutsche Gerichte wenden bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die deutsche gesetzliche Pauschalierung des Verzugsschadensersatzes gemäß § 288 BGB an,
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
wenn es sich nach Maßgabe des europäischen Kollisionsrechts der Rom I- bzw. Rom II-Verordnungen191 beim Vertragsstatut192 bzw. Deliktsstatut193 der Hauptforderung um deutsches Recht handelt.194 Für den räumlichen Anwendungsbereich der gesetzlichen Pauschalierung folgt also, dass er vom Kollisionsrecht bestimmt wird und sich daraus eine Akzessorietät zum Statut der von der Leistungsstörung betroffenen Geldforderung ergibt. Dies bedeutet, dass der deutsche Staat mit seinem pauschalierten Zahlungsverzugsregime privates Regelungsvakuum nur ausfüllt, soweit seine Rechtsordnung parteiautonom gewählt wurde oder aufgrund objektiver Anknüpfungsmomente Anwendung findet. Rechtsökonomisch betrachtet reguliert der deutsche Staat bei Versagen von Vertrags- und Marktmechanismen Zahlungsverzugsfolgen nur innerhalb seiner Rechts- und Wirtschaftsordnung. Soweit deutsches Recht im Inland ausnahmsweise keine Anwendung findet, etwa aufgrund entsprechender vertraglicher Wahl eines ausländischen Statuts,195 unterwerfen sich die Parteien bewusst einem anderen staatlichen Zahlungsverzugsregime; für den deutschen Staat besteht insofern weder die Möglichkeit noch der Bedarf des Eingreifens.
II. Sachlich Innerhalb der deutschen Schadensersatzpauschalierung des § 288 BGB unterscheidet der Gesetzgeber hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs zwischen der „Geldschuld“ in § 288 Abs. 1 S. 1 BGB und der „Entgeltforderung“ in Abs. 2. Diese gesetzgeberische Unterscheidung zu hinterfragen ist wichtig, weil § 288 Abs. 1 und 2 BGB den Zahlungsverzugsschadensersatz in unterschiedlichen Höhen pauschalieren, weil der Beitreibungskostenbetrag nach Abs. 5 nur für Entgeltforderungen gilt und auch weil diese Unterscheidung international nicht selbstverständlich ist – beispielsweise differenziert das schweizerische Recht nicht.196
191 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 6. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L177/ 6); Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 7. 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) (ABl. L199/ 40). 192 Vgl. Art. 12 Abs. 1 Rom I-Verordnung. 193 Vgl. Art. 15 Rom II-Verordnung. 194 Heute allgemeine Meinung, siehe nur Rauscher/Freitag, Art. 12 Rom I-VO Rn. 24; Staudinger/Magnus, Art. 12 Rom I-VO Rn. 57 m. w. N.; Erman/Stürner, Art. 15 Rom II-VO Rn. 14. 195 Typischerweise gemäß Art. 3 ff. Rom I-Verordnung oder gemäß Art. 14 Rom II-Verordnung. 196 Art. 104 OR spricht nur von „Geldschuld“.
C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
61
1. Verzugszinsen für Geldschulden § 288 Abs. 1 S. 1 BGB verlangt für den Verzugszinsanspruch i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz eine Geldschuld als Hauptforderung; Entsprechendes gilt für die Prozess- als Verzugszinsen ab Rechtshängigkeit der Hauptforderung, § 291 S. 1 Hs. 1 BGB. Es handelt sich um den „Grundtatbestand“ der Pauschalierung von Schadensersatz für die Leistungsstörung bei der Geldzahlung. Zwar betont der BGH beim Merkmal „Geldschuld“ die Notwendigkeit einer engen Auslegung und verlangt, dass es sich um eine Hauptforderung handelt, die unmittelbar darauf gerichtet ist, dem Gläubiger einen Geldbetrag zu verschaffen.197 Mit anderen Worten soll es darauf ankommen, ob die Forderung bei ihrer gedachten Erfüllung unmittelbar zu einer Mehrung der Geldmittel – nicht bloß an Geldeswert198 – aufseiten des Gläubigers führt und ob Nichtleistung unmittelbar mit einer Nutzungseinbuße am Kapitalbetrag verbunden ist.199 Dies leuchtet angesichts der rechtsökonomischen Erkenntnisse zum Zahlungsverzugsregime ein, denn der Gesetzgeber pauschaliert Schadensersatz für den Verzug bei der Erfüllung von Geldschulden gerade deswegen, weil einerseits Zahlungsverzug eine besonders gleichund massenartige Leistungsstörung darstellt und andererseits die pünktliche Zahlung von besonderer mikro- und makroökonomischer Brisanz ist. Unter die Geldschuld-Definition lassen sich dementsprechend nahezu alle Ansprüche auf Geldzahlung subsumieren. Betrachtet man die einschlägige Rechtsprechung, lässt sich auch nachweisen, dass keine allzu enge Auslegung praktiziert wird und der sachliche Anwendungsbereich der Pauschalierung für den Grundtatbestand der „Geldschuld“ weit verstanden wird. Als für die Bemessung des Anwendungsbereichs ausschlaggebend tritt hervor, dass die gesetzliche Zahlungsverzugskompensation in solchen Fällen zum Zuge kommen soll, in denen der Zahlungsgläubiger seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit und Dispositionsmöglichkeit während des Verzugs eingebüßt hat. Beispiele aus der Rechtsprechung zeigen, dass es nicht auf die Verwendung der (verspätet) erhaltenen Geldzahlung ankommt. So wurde für eine Forderung auf einen Kostenvorschuss für eine Werkmängelbeseitigung, die letztlich auf eine Nichtgeldleistung gerichtet ist, die Eigenschaft der Geldschuld bejaht: Der BGH befand, dass es für die gesetzliche Verzugsschadenspauschalierung gleichgültig sei, „ob der Gläubiger das Geld verzinslich hätte anlegen können oder ob er – wie hier – verpflichtet ist, das Geld für einen bestimmten Zweck (die Mängelbeseitigung) zu verwenden.“200 Die Finanzierung der Mängelbeseitigung sei für den Auftraggeber ein geldwerter Vorteil, der ihm in der Wertsteigerung des nachgebesserten Werks erhalten bleiben würde, sodass gesetzlich pauschalierter Schadensersatz für den 197
BGH, NJW 2013, 859 (861). RGZ 19, 432 (434 f.); v. Savigny, System VI, S. 136 ff. 199 Vgl. BeckOGK-BGB/Dornis, § 288 Rn. 32. 200 BGHZ 77, 60 (62 f.). Bekräftigt in BGH, NJW 1983, 2191 unter Zurückweisung der Kritik von Kniestedt, DRiZ 1982, 230 (231). 198
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
Vorschussverzug zu leisten sei. Ähnliche Erwägungen haben den BGH auch veranlasst, in einem ganz anderen Fall bei Unterhaltsansprüchen die Anwendung von § 288 Abs. 1 BGB zu bejahen, obgleich Unterhaltsforderungen nicht zur verzinslichen Anlage, sondern zur Deckung des aktuellen Lebensbedarfs bestimmt sind.201 Auch wenn kein Anspruch auf unmittelbare Verschaffung einer Geldschuld vorliegt, wendet der BGH die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung des § 288 Abs. 1 BGB analog auf Fälle verzögerter Freigabe eines (bei einer Hinterlegungsstelle wie dem Amtsgericht202) hinterlegten Geldbetrags an.203 Damit folgt er einer Analogieerwägung, die schon in den Motiven zum BGB für einen privatrechtlichen Verwahrvertrag204 angestellt wurde.205 Der Geldfreigabeanspruch ist schließlich materiell auf die Bewirkung der Zahlung einer Geldschuld gerichtet; rechtsökonomisch soll die mikro- wie makroökonomisch brisante Zahlungspünktlichkeit gewährleistet werden. Entsprechendes gilt für einen auf die Herausgabe von Geld gerichteten Anspruch aus § 667 Alt. 2 BGB in einem Auftragsverhältnis,206 ebenso i. V. m. § 681 S. 2 BGB bei einer Geschäftsführung ohne Auftrag. Ferner kommt eine analoge Anwendung der gesetzlichen Schadensersatzpauschale gemäß § 288 Abs. 1 BGB nach Ansicht der Rechtsprechung bei schuldhafter Nichtverschaffung eines langfristigen zinslosen Darlehens in Betracht und bestätigt damit nochmal, dass der Gesetzgeber in der Vorenthaltung eines Geldbetrags und dessen wirtschaftlicher Nutzungsmöglichkeit einen Schaden sieht.207 Zur Begründung der Analogie führt der BGH an, dass es keinen Unterschied mache, ob dem Gläubiger geschuldetes Geld vorenthalten oder ob er um ein zinsloses Darlehen, auf das er an sich Anspruch habe, gebracht werde.208 Ohne das in Aussicht stehende Darlehenskapital würden beim Darlehensnehmer Opportunitätskosten für die entgehende Nutzungsmöglichkeit anfallen. Hingegen verneinte der BGH das Vorliegen einer Geldschuld und die Anwendung von § 288 Abs. 1 BGB – auch analog – für den Zeitraum, in dem der Vermieter eine Betriebskostenabrechnung zu erstellen hat,209 also solange noch kein womöglich 201
BGH, NJW 2008, 2710 Rn. 22 f. Vgl. §§ 372 ff. BGB i. V. m. dem landesrechtlichen Hinterlegungsrecht, z. B. HintG NRW vom 16. 3. 2010 (GV NRW S. 192); zur Freigabeerklärung siehe §§ 22 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 23 HintG NRW. 203 BGHZ 167, 268 (270 ff.); BGH, WM 2017, 2324 Rn. 11 ff. 204 §§ 688 ff. BGB. 205 Mot. bei Mugdan II, S. 34: „Dieselben praktischen Gründe, auf welchen die Zulassung des Anspruches auf Verzugszinsen bei einer eigentlichen Geldschuld beruht, treffen in gleicher Weise zu, wenn dem Gläubiger durch den Verzug individuell bestimmtes Geld, zB. eine deponirte Menge Geldes vorenthalten wird.“ 206 BGH, NJW 2005, 3709 Rn. 9 f. 207 BGHZ 74, 231 (234 f.). Für einen Fall des Darlehensversprechens vgl. schon RGZ 92, 283 (284). 208 BGHZ 74, 231 (235). 209 BGHZ 196, 1 ff. 202
C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
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resultierender und fälliger Anspruch des Mieters auf Erstattung eines Betriebskostenguthabens besteht, denn der Mieter habe nur Anspruch auf eine fristgerechte Betriebskostenabrechnung.210 Bis dahin greift die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung für die Leistungsstörung des Zahlungsverzugs noch nicht. Mit Betriebskostenrückzahlungen wirtschaftet man in der Regel auch nicht; es besteht keine staatliche Regulierungsnotwendigkeit, eine besonders pünktliche Rückzahlung dieses Ausgleichs durch Abrechnung sicherzustellen. Abschließend sei noch im Unterschied zur bisher erörterten richterrechtlichen Ausformung des sachlichen Anwendungsbereichs auf eine gesetzliche Anwendungsbereichserweiterung kraft Rechtsfolgenverweisung aus §§ 290 und 849 BGB hingewiesen. Diese beiden Regelungen ordnen die Verzinsungspflicht als gesetzlich pauschalierten Mindestschadensersatz211 durch denjenigen an, der Wertersatz für eine Sache zu leisten hat; Verzinsungsbeginn ist bereits der Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses.212 Für § 290 BGB ist allgemein anerkannt, dass er auf die Verzinsung gemäß § 288 BGB verweist.213 Bei § 849 BGB bestreitet dies zwar die überwiegende Ansicht, die einen Verweis auf den gesetzlichen Zinssatz gemäß § 246 BGB annimmt,214 jedoch ist die Gegenansicht überzeugender, der zufolge § 849 BGB wie § 290 BGB den Ausfall der Kapitalnutzungsmöglichkeit kompensieren soll.215 Mit den beiden gesetzlichen Anwendungsbereichserweiterungen zugunsten § 288 BGB wird mithin Wertersatz mit sonstigen Geldzahlungen hinsichtlich der Bedeutung pünktlicher Erfüllung gleichgesetzt, um eine umfassende Schadenskompensation einschließlich dilatorisch begründeter Opportunitätskosten gerade im Fall des pekuniären Wertersatzes nach Beschädigung oder Zerstörung einer Sache sicherzustellen. 2. Verzugszinsen für Entgeltforderungen Nach § 288 Abs. 2 BGB gilt für „Entgeltforderungen“ die höhere gesetzliche Verzugszinspauschale von neun statt fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (außer es ist ein Verbraucher beteiligt, worauf unten beim persönlichen Anwen210 211
Rn. 1.
§ 556 Abs. 3 BGB. Vgl. MüKo-BGB/Wagner, § 849 Rn. 2; ebenso etwa Schulze/Staudinger, § 849 BGB
212 § 290 BGB verlangt zusätzlich, dass bei Untergang oder Verschlechterung der Sache Verzug bestand, wohingegen § 849 BGB für den Fall der deliktischen Sachentziehung bzw. -verschlechterung gilt, ohne Verzug vorauszusetzen. 213 MüKo-BGB/Ernst, § 290 Rn. 4; Grüneberg/Grüneberg, § 290 Rn. 2; Staudinger/Feldmann, § 290 Rn. 4. 214 BGH, NJW 2008, 1084 ohne jede Begründung; daran anschließend und allein auf den Wortlaut abstellend NZKart 2017, 242 (245). Erman/Wilhelmi, § 849 BGB Rn. 1; BeckOKBGB/Spindler, § 849 Rn. 4; Grüneberg/Sprau, § 849 Rn. 1; Staudinger/Vieweg, § 849 Rn. 8. 215 MüKo-BGB/Wagner, § 849 Rn. 7. Dafür plädiert auch Schiemann, LMK 2008, 254103. BGH, NJW 2008, 1084 erkennt dieses Telos ausdrücklich an.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
dungsbereich einzugehen sein wird216). Wegen dieser deutlich höheren gesetzlichen Pauschale in § 288 Abs. 2 BGB ist der Unterschied im sachlichen Anwendungsbereich zwischen § 288 Abs. 1 und 2 und damit zwischen Geldschuld und Entgeltforderung bedeutsam.217 Klarzustellen ist zum einen, inwiefern und wodurch sich die Entgeltforderung von der Geldschuld abhebt. Zum anderen ist zu hinterfragen, warum der Gesetzgeber den Schadensersatz für die Leistungsstörung bei einer Geldzahlung, die in Erfüllung einer Entgeltforderung erfolgt, abweichend pauschaliert. Eine Entgeltforderung ist begrifflich enger konzipiert als eine Geldschuld und kann folglich als „Qualifikation“ verstanden werden. Es handelt sich um denselben Begriff wie in § 286 Abs. 3 BGB,218 der den Schuldnerverzug bei einer Entgeltforderung besonders regelt. Das begriffliche Konzept der Entgeltforderung (engl. „remuneration“, frz. „rémunération“) geht auf die Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG zurück, die die nationalen Verzugsregelungen für „Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind,“219 harmonisierte und dafür höhere gesetzliche Pauschalen vorschrieb. Die Beschränkung des § 288 Abs. 2 BGB auf Entgeltforderungen war noch nicht im Entwurf der Bundesregierung für das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, das die Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/ EG letztlich umsetzte, vorgesehen,220 sondern wurde erst vom Bundesrat mit der Begründung ergänzt, die höheren gesetzlichen Verzugszinsen der ZahlungsverzugsRichtlinie 2000/35/EG sollten nicht über deren mindestharmonisierenden Geltungsbereich hinaus umgesetzt werden.221 Indem der Gesetzgeber höhere Verzugszinsen für den Zahlungsverzug mit einer Entgeltforderung vorschreibt, verstärkt er die Wirkung seiner Pauschalierung für die Leistungsstörung bei jenen Geldzahlungen, die für eine Gegenleistung geschuldet sind. Nach der allgemein anerkannten Definition handelt es sich bei einer Entgeltforderung um eine „Forderung auf die Zahlung eines Entgelts als Gegenleistung für eine vom Gläubiger erbrachte oder zu erbringende Leistung […], die in der Lieferung von Gütern oder der Erbringung von Dienstleistungen besteht“.222 Mit dieser Gegenleistung ist der Entgeltzahlungsgläubiger freiwillig in Vorleistung gegangen, weil er auf pünktliche Zahlung seines Geschäftspartners vertraute – sonst wäre er das Geschäft mit diesem Partner nicht eingegangen oder zumindest nicht zu den ver216
Siehe unten, III. 2. Außerdem wird auf Entgeltforderungen abgestellt in § 288 Abs. 5 BGB, der im nachfolgenden Abschnitt behandelt wird, und in § 288 Abs. 6 BGB, dessen Regelungen für die Abbedingung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung weiter unten analysiert wird, F. 218 BGH, NJW 2010, 3226 f. 219 Art. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG; entspricht Art. 1 Abs. 2 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 220 Vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 8. 221 BT-Drs. 14/6857, S. 14 sowie S. 51 zur heutigen Formulierung. Vgl. auch Schermaier, NJW 2004, 2501. 222 BGH, NJW 2010, 1872 Rn. 23; WM 2014, 759 Rn. 70 m. w. N. 217
C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
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einbarten Konditionen. Die höheren gesetzlichen Verzugszinsen für Entgeltforderungen können daher so verstanden werden, dass sie die Enttäuschung eines besonders schutzwürdigen Vertrauens kompensieren. Die Schadensersatzpauschalierung erfolgt hier – trotz des willentlich begründeten Geschäftsverhältnisses zwischen Gläubiger und Schuldner – durch den Gesetzgeber, weil Vertrags- und Marktmechanismen in besonders kritischer Weise versagen: sie verhinderten weder die Leistungsstörung als solche noch gelingt es ihnen, eine angemessene kompensatorische Reaktion zu gewährleisten. Anders als der Gläubiger einer einfachen Geldschuld, der keine eigene Leistung in Erwartung einer Geldzahlung erbracht hat, sondern nur Anspruch auf eine Geldzahlung aus anderem Grund hat, verdient der Entgeltgläubiger im Verzugsfall höher pauschalierten Schadensersatz. So nachteilig es für den Gläubiger einer einfachen Geldschuld sein mag, zu spät die Geldzahlung zu erhalten, umso bedenklicher ist es mikro- und makroökonomisch für den Handel mit Gütern und Dienstleistungen, wenn die vereinbarten Entgeltforderungen allzu zögerlich erfüllt werden; die höheren Transaktionsmehrkosten des einzelnen Produzenten und Dienstleisters sind zu kompensieren und volkswirtschaftlich ist eine Lähmung des Kapitalverkehrs und folglich der Produktivität und Wohlfahrt zu verhindern. Dies spiegelt sich in den höheren pauschalierten gesetzlichen Verzugszinsen für Entgeltforderungen wider. Dies lässt sich auch an konkreten Beispielen belegen. Typische Entgeltforderungen sind die Kaufpreisforderung nach § 433 Abs. 2 BGB oder der Werklohn gemäß § 631 Abs. 1 BGB.223 Aber auch eine Mietforderung gemäß § 535 Abs. 2 BGB stellt eine Entgeltforderung dar,224 weil der Vermieter von seinem Gewerbemieter erwarten darf, für die zur Verfügung gestellte Mietsache pünktlich bezahlt und ansonsten besonders entschädigt zu werden. Andernfalls entstehen ihm höhere Transaktionskosten, die für den säumigen Mieter nur externe Kosten wären und für den Vermieter nicht eingepreist werden könnten. Nur konsequent ist es im Sinne der Opportunitätskosten, den substituierenden Zahlungsanspruch bei verspäteter Rückgabe der Mietsache gemäß § 546a Abs. 1 BGB als Gegenleistung für die entgehende anderweitige, gewinnbringende Nutzung und mithin als Entgeltforderung anzusehen.225 Da für die Bejahung der Qualität einer Entgeltforderung kein synallagmatisches Vertragsverhältnis Voraussetzung ist, stellt z. B. auch der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b HGB eine Entgeltforderung dar.226 An dem für Entgeltforderungen nötigen Gegenleistungscharakter und mithin an einer „Qualifikationsberechtigung“ für den gesetzlich höher pauschalierten Verzugszinssatz fehlt es hingegen etwa bei einem auf Geldzahlung gerichteten Rück-
223
Vgl. die ausführliche Auflistung von BeckOGK-BGB/Dornis, § 286 Rn. 202 m. w. N. Ebd. 225 OLG Rostock, Beschl. v. 9. 7. 2004 – 3 U 91/04, Rn. 13 (juris); OLG Köln, Urt. v. 23. 5. 2006 – 3 U 203/05, Rn. 13 (juris). 226 BGH, NJW 2010, 3226 Rn. 12 f. 224
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
gewähranspruch nach insolvenzrechtlicher Anfechtung (§ 143 InsO),227 bei einem Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben infolge des Ausscheidens aus einer Gesellschaft, das lediglich an die Stelle des Kapitalanteils tritt (§ 738 Abs. 1 S. 2 BGB, § 105 Abs. 3 HGB, § 161 Abs. 2 HGB),228 oder bei einem Anspruch des Leasinggebers auf Minderwertausgleich wegen einer über normale Verschleißerscheinungen hinausgehenden Verschlechterung.229 In all diesen Fällen besteht keine besondere mikro- und makroökonomische Brisanz, die über die Kompensationsnotwendigkeit wie bei allen anderen Geldschulden hinausgehen würde. Auch bei Kondiktionsansprüchen230 fehlt es regelmäßig am qualifizierenden Gegenleistungscharakter. Ob der Rückerstattungsanspruch nach Verbraucherwiderruf (§ 355 Abs. 3 S. 1 BGB) eine Entgeltforderung darstellt, wird nicht im Rahmen des § 288 Abs. 2 BGB relevant, da er keine Verbraucherbeteiligung erlaubt, sondern erst bei der 40 Euro-Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB.231 Schadensersatzzahlungen sind in richtlinienkonformer Auslegung der Zahlungsverzugs-Richtlinie232 grundsätzlich keine Entgeltforderungen i. S. d. § 288 Abs. 2 BGB,233 sondern einfache Geldschulden. Der Gläubiger ist nicht „in Vorleistung“ gegangen und es gibt keinen besonderen volkswirtschaftlichen Grund, dass ihm das Gesetz die erhöhten Verzugszinsen zusprechen sollte. Eine Gegenausnahme ist nach Ansicht des BGH lediglich der Kartellschadensersatz infolge Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmers bezüglich einer Entgeltforderung: Beispielsweise in Fällen „systematisch verzögerte[r] Bezahlung fälliger Forderungen“ oder „missbräuchliche[r] Erzwingung zu niedriger Entgelte, etwa durch hohe Bezugsrabatte oder anderweitige Durchsetzung ungerechtfertigt günstiger Einkaufspreise,“ handle es sich beim Anspruch aus § 19 Abs. 1, § 33 Abs. 1 und 2 GWB a. F. um eine Entgeltforderung, für die kraft Verweis aus § 33 Abs. 3 S. 5 GWB a. F. der gesetzlich pauschalierte Verzugszinssatz gemäß § 288 Abs. 2 BGB gelte.234 Dies leuchtet ein, weil der Staat ein besonderes Interesse an der zügigen Kompensation wettbewerbswidrigen und marktschädigenden Verhaltens hat und dafür alle zur Verfügung stehenden und verhältnismäßigen Mittel eingesetzt werden 227
BGH, NJW-RR 2018, 947 (951). OLG Karlsruhe, Urt. v. 23. 3. 2005 – 7 U 23/04, Rn. 10 ff. (juris). 229 BGH, NJW 2014, 1171 Rn. 13. 230 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 21. 9. 2010 – 18 U 18/10, Rn. 48 (juris). 231 Dazu unten, III. 3. 232 Erwgr. 8 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU nimmt Schadensersatzzahlungen vom „Entgelt“-Begriff i. S. d. Richtlinie aus (so auch schon Erwgr. 13 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG). 233 OLG Karlsruhe, Urt. v. 24. 3. 2011 – 9 U 81/10, Rn. 32 (juris); OLG Düsseldorf, Urt. v. 22. 11. 2013 – I-22 U 32/13, Rn. 164 (juris); OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 13. 11. 2014 – 2 U 236/ 13, Rn. 36 (juris). 234 BGHZ 199, 1 (16); dazu Braun/Raff, GPR 2014, 146 (148). § 33 GWB a. F. entspricht §§ 33, 33a GWB i. d. F. des Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 1. 6. 2017 (BGBl. I 1416); siehe insbesondere § 33a Abs. 4 S. 2 wegen des erhalten gebliebenen Verweises auf § 288 BGB. 228
C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
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können, einschließlich der Verpflichtung zu höheren Verzugszinsen für verspätete Kartellschadensersatzzahlungen. 3. Beitreibungskostenbetrag nur für Entgeltforderungen Der Beitreibungskostenbetrag des § 288 Abs. 5 BGB ist sachlich auf Hauptforderungen beschränkt, welche die Qualität einer Entgeltforderung erfüllen, sodass die dazu gemachten Ausführungen entsprechend gelten.235 Der Gesetzgeber verstärkt dadurch also seine Maßnahme der Schadensersatzpauschalierung, wenn sich die Leistungsstörung auf eine Geldzahlung bezieht, die für eine freiwillige Leistung des Zahlungsgläubigers zu erbringen ist.
III. Persönlich 1. Grundsätze für Verzugszinsen Wer persönlich vom gesetzlich pauschalierten Verzugszinsanspruch betroffen ist, bestimmt sich akzessorisch nach der Hauptforderung: § 288 BGB wirkt zugunsten des aktivlegitimierten Forderungsgläubigers gegenüber dem passivlegitimierten Forderungsschuldner; Entsprechendes gilt für den Anspruch auf Prozess- als Verzugszinsen ab Rechtshängigkeit. Änderungen in der Person des Gläubigers können sich durch Zession gemäß § 398 BGB ergeben, wobei es auf den konkreten Zessionsvertrag für die Frage ankommt, ob bereits fällige Zinsansprüche mit der zedierten Forderung übergehen sollen, da dies im Zweifel nicht anzunehmen ist;236 gleichermaßen auslegungsbedürftig ist auch eine Legalzession nach § 412 BGB.237 Durch Schuldübernahme (§§ 414 f. BGB) oder Schuldbeitritt kann die Passivlegitimation wechseln oder erweitert werden, sodass der Neuschuldner (ebenfalls) für Verzugszinsen nach § 288 BGB (mit-)haftet.238 Diese Grundsätze kann man als universell bezeichnen; sie finden auch im anglo-amerikanischen Rechtskreis Anwendung, wenn es um die „Überleitung“ von Forderungen geht, die mit gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen behaftet sind.239 235
Ergänzend stellt § 288 Abs. 5 S. 2 BGB insofern klar, dass der Beitreibungskostenbetrag auch für eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung gilt. In Art. 5 ZahlungsverzugsRichtlinie 2011/7/EU heißt es dazu, dass die Richtlinie Ratenzahlungsvereinbarungen im Grundsatz zwar unberührt lässt, aber bei Ratenzahlungsverzug Zinsen und Entschädigung [gemäß der Richtlinie, d. h. einschließlich des Beitreibungskostenbetrags,] auf Grundlage der rückständigen Beträge zu berechnen sind. 236 BGH, WM 1972, 560 (562); MüKo-BGB/G. Roth/Kieninger, § 401 Rn. 11. Ausführlich zum alten Verzugszinsrecht Schopp, MDR 1990, 11 ff. 237 Vgl. BGHZ 35, 172 (173). 238 MüKo-BGB/Heinemeyer, § 414 Rn. 7. Nur im Zweifelsfall kann es Auslegungsbedarf geben, vgl. OLG Köln, NJW 1960, 2148. 239 Vgl. Law Commission (England and Wales), Report on Interest, Nr. 88, 1978, Rn. 55.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
2. Differenzierung für Verzugszinsen nach Verbraucherbeteiligung Während der gesetzlich pauschalierte Verzugszins nach § 288 Abs. 1 BGB unabhängig von Verbraucher- (§ 13 BGB) bzw. Unternehmerstatus (§ 14 BGB) des Gläubigers und Schuldners gilt, sieht der Gesetzgeber den höher pauschalierten Verzugszinssatz gemäß § 288 Abs. 2 BGB nur dann vor, wenn kein Verbraucher beteiligt ist (und der sachliche Anwendungsbereich von § 288 Abs. 2 BGB eröffnet ist, es sich also bei der Geldschuld um eine Entgeltforderung handelt). Gesetzgebungstechnisch liegt die Beschränkung des erhöhten Verzugszinssatzes auf B2BVerhältnisse darin begründet, dass der europäische Gesetzgeber in seinen insofern maßgeblichen Zahlungsverzugs-Richtlinien den Mitgliedstaaten einen höheren Verzugszinssatz nur für Entgeltforderungen im Geschäftsverkehr vorschreibt, der besonders empfindlich auf Zahlungsverzögerung reagiert.240 Dass unter Kaufleuten höhere Zinsen bei Verzug gefordert werden dürfen, galt auch schon vor den Reformen durch das europäische Richtlinienrecht und gilt nach wie vor außerhalb der EU in der Schweiz.241 Rechtspolitisch motiviert und ökonomisch fundiert ist die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers zur Schaffung erhöhter Pauschalen für den Zahlungsverzugsschadensersatz im unternehmerischen Rechtsverkehr dadurch, dass Zahlungsverzug gerade im Geschäftsverkehr massenartig auftritt, ohne dass es den privaten Akteuren am Markt gelänge, die für manche von ihnen existenzbedrohenden Zustände zu beheben. Dies schwächt nicht nur einzelne betroffene Unternehmen, die mit dem ausstehenden Kapital nicht wirtschaften können und Finanzierungskosten tragen müssen, statt Rendite zu erzielen, sondern beeinträchtigt in der Gesamtheit das Funktionieren des (Binnen-)Markts. Im Geschäftsverkehr potenziert sich der Schaden von Zahlungsverzug entlang von Produktions- und Lieferketten, anders als bei Verbrauchern als Zahlungsgläubigern. Zahlungsverzug hindert Unternehmen anders als Verbraucher außerdem daran, Entgeltforderungen als Wirtschaftsgut zu nutzen, z. B. als Kreditsicherheit.242 Dies erschwert die Refinanzierung gesunder Unternehmen und damit eine sinnvolle Ausweitung wirtschaftlicher Tätigkeit. Der Gesetzgeber ist daher besonders gefordert, Abhilfe für die volkswirtschaftsschädigende „Unkultur“ des B2B-Zahlungsverzugs zu schaffen. Umgekehrt wird es zwar auch viele säumige Zahlungsschuldner geben, die Verbraucher sind – sei es als Endkunden gegenüber unternehmerischen Gläubigern aus einem B2C-Geschäft oder gegenüber anderen Verbrauchern in einem C2C240 Art. 1 Abs. 1 und 2, Art. 2 Nr. 1 – 3 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU (so auch schon Art. 1, Art. 2 Nr. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG). Vgl. ferner SchmidtKessel, JZ 1998, 1135 (1139 ff.). 241 Art. 104 Abs. 3 OR gestattet Verzugszinsen in Höhe vom „üblichen Bankdiskonto“, also dem Privatdiskontsatz, den private Bankinstitute Kunden berechnen, wenn sie bei ihnen erstklassige Wechsel diskontieren (BGE 116 II 140); Widmer Lüchinger/Wiegand, in: Basler Kommentar, Art. 104 OR Rn. 6. 242 Beispielsweise durch Sicherungszession, vgl. Brinkmann, Kreditsicherheiten, S. 43.
C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
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Geschäft. In diesen Fällen pauschaliert der Gesetzgeber den Zahlungsverzugsschadensersatz nur mit dem niedrigeren Verzugszinssatz des § 288 Abs. 1 BGB. Dies ist aber angemessen, da hier ein gesetzgeberischer Eingriff zugunsten der meist unternehmerischen Gläubiger gegen den Verbraucherschutz abzuwägen ist und Letzterem der Vorzug zu geben ist. Gegenüber Verbraucherschuldnern darf der Staat nicht den Markt dadurch „verbessern“ wollen, indem er größere Allokationseffizienz herstellt, sondern muss Verteilungsgerechtigkeit durch den Schutz wirtschaftlich Schwächerer gewährleisten. Unter den Anwendungsbereich der höheren gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung fällt – nach dem Gesetzeswortlaut – auch kein Verbrauchergläubiger, dem gegenüber ein Unternehmen in Zahlungsverzug geraten ist. Die Konsequenz ist, dass ein Verbraucher für Ersatz des Schadens, der die für ihn geltende Schadensersatzpauschale des § 288 Abs. 1 BGB übersteigt, den herkömmlichen Nachweis nach Abs. 4 führen muss, obgleich ihm dies schwerfallen dürfte. Verständlich ist daher die rechtswissenschaftliche Forderung, durch teleologische Reduktion des Verbraucherbegriffs auf Verbraucherschuldner den Anwendungsbereich des § 288 Abs. 2 BGB auszudehnen, sodass dieser Abs. 2 generell gelten würde, solange nur der Schuldner kein Verbraucher ist.243 Ökonomisch geboten erscheint dies zwar nicht für alle denkbaren Forderungen, beispielsweise nicht unbedingt für Kaufpreisrückerstattungen, obgleich der Konsument mit seinem Haushalt am Wirtschaftskreislauf beteiligt ist und von pünktlicher (Rück-)Zahlung unweigerlich profitiert. Auf wirklich pünktliche Zahlung ist er – auch mit gewisser volkswirtschaftlicher Systemrelevanz – aber nur angewiesen, wenn es um das Haushaltseinkommen geht. Hinsichtlich der Lohnforderung ist eine gesonderte, detaillierte Betrachtung erforderlich, die unten zum Sonderfall Arbeitsvertragsparteien erfolgt.244 Im Übrigen genügt aber die gesetzliche Regelung dem Erfordernis, nur in besonders kritischen Konstellationen der Leistungsstörung mit dem erhöhten Verzugszinssatz einzugreifen; eine teleologische Reduktion des Wortlauts ist jedenfalls für andere als Lohnforderungen nicht geboten. 3. Beitreibungskostenbetrag nur von unternehmerischen Schuldnern Der Beitreibungskostenbetrag von 40 Euro nach § 288 Abs. 5 BGB weicht im persönlichen Anwendungsbereich von den Verzugszinsen insofern ab, als er nur auf Forderungen Anwendung findet, die gegenüber einem Unternehmer i. S. d. § 14 BGB als Schuldner bestehen. Beim Gläubiger kann es sich – anders als beim erhöhten B2B-Verzugszinssatz nach § 288 Abs. 2 BGB – um ein Unternehmen oder einen Verbraucher i. S. d. § 13 BGB handeln. Der deutsche Gesetzgeber hat sich hier für eine überschießende Umsetzung der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU ent-
243 244
Mankowski, ZGS 2002, 177 (178). Siehe unten, 4.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
schieden,245 die nur den Geschäftsverkehr im Blick hat und nicht für Geschäfte mit Verbrauchern gilt.246 Dieser weite persönliche Anwendungsbereich des § 288 Abs. 5 BGB mag zunächst überraschen, insbesondere wenn man die relativ ausgefeilte Differenzierung je nach Verbraucherbeteiligung zwischen § 288 Abs. 1 und Abs. 2 BGB vor Augen hat.247 Allerdings darf man die weitaus größere Bedeutung pünktlicher Entgeltzahlung im B2B-Geschäftsverkehr und umgekehrt das Ausmaß resultierender Zahlungsverzugsschäden für unternehmerische Gläubiger, die mit der Forderung wirtschaften, im Vergleich zur Erfüllung von Entgeltforderungen eines Verbrauchers nicht unterschätzen. Diese Unterschiede sprechen für die Differenzierung der Verzugszinssätze und die gesetzlich weitere Pauschalierung in § 288 Abs. 2 BGB. Worin sich Unternehmer und Verbraucher als Zahlungsgläubiger aber gleichen, sind die Beitreibungskosten, die bei ausbleibender Entgeltzahlung entstehen (wenn nicht Verbraucher sogar noch höhere Beitreibungskosten haben, weil Zahlungsbeitreibung für sie keine Routine ist). Verbraucher wie Unternehmer, die als Entgeltgläubiger freiwillig in Vorleistung gegangen sind, erleiden bei Zahlungsverzug unterschiedslos unfreiwillig die Einbußen der Beitreibungskosten. Daher ist es angemessen, wenn der deutsche Gesetzgeber dem Entgeltgläubiger statusunabhängig den Beitreibungskostenbetrag des § 288 Abs. 5 BGB als pauschalierten Schadensersatz gewährt. Dass dies nicht bereits der europäische Gesetzgeber in der Zahlungsverzugs-Richtlinie getan hat, darf nicht zu der Fehlinterpretation verleiten, er würde diesen weiten persönlichen Anwendungsbereich und die dahinterstehenden Erwägungen ablehnen. Die überschießende Umsetzung hat die Richtlinie gläubigerbegünstigend ausdrücklich zugelassen,248 da sie insofern nur mindestharmonisierend ist. Auf Schuldnerseite ist jedoch notwendig, dass es sich um einen Unternehmer handelt. Der Gesetzgeber verlangt nur von professionellen Schuldnern, dass sie für empfangene Gegenleistungen pünktlich das Entgelt entrichten und andernfalls pauschaliert Schadensersatz für die Beitreibungsbemühungen ihrer Gläubiger leisten. Gegenüber einem Verbraucher als Zahlungsschuldner, wie beim typischen B2CGeschäft, kann vom unternehmerischen Waren-/Dienstleistungsanbieter erwartet werden, dass er sich Vertrags- und Marktmechanismen bedient, um die Kosten einer eventuell notwendig werdenden Zahlungsbeitreibung zu decken; der Gesetzgeber muss gegenüber Verbraucherschuldnern keine Schadensersatzpauschalierung vorsehen. Der Unternehmer kann einerseits seine Endkundenpreise so gestalten, dass er Beitreibungskosten einpreist, also potenzielle Transaktionsmehrkosten bereits internalisiert, und kann andererseits Bonitätsprüfungen im Vorfeld durchführen und mit Inkasso- und Factoringunternehmen im Nachgang zusammenarbeiten. 245 246 247 248
Vgl. BT-Drs. 18/1309, S. 19. Erwgr. 8 S. 2 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. Siehe oben, 2. Art. 12 Abs. 3 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU.
C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
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Abschließend sei noch eine Frage angesprochen, die sich als Konsequenz der deutschen überschießenden Umsetzung des persönlichen Anwendungsbereichs ergibt: Anders als bei den Verzugszinsen könnte man beim Beitreibungskostenbetrag annehmen, dass eine gegen einen Unternehmer gerichtete Rückzahlungsforderung im Rückgewährschuldverhältnis nach Verbraucherwiderruf (§§ 312g Abs. 1, 355 Abs. 3 BGB) eine Entgeltforderung darstellt, für die man als Verbraucher bei Säumigkeit des Unternehmers den Beitreibungskostenbetrag gemäß § 288 Abs. 5 BGB verlangen kann. Beim sachlichen Anwendungsbereich des erhöhten Verzugszinssatzes nach § 288 Abs. 2 BGB stellte sich diese Frage noch nicht, weil dessen persönlicher Anwendungsbereich nur eröffnet ist, wenn es sich – anders als bei Abs. 5 – auch beim Gläubiger um einen Unternehmer handelt. Allerdings ist die Frage nicht erst im persönlichen Anwendungsbereich zu entscheiden, sondern bereits wegen des fehlenden Entgeltcharakters der Rückzahlungsforderung zu verneinen.249 Denn der Verbraucher beansprucht die Rückzahlung nicht als Gegenleistung für eine von ihm erbrachte oder zu erbringende Leistung, „die in der Lieferung von Gütern oder der Erbringung von Dienstleistungen besteht“.250 Daraus zu entnehmen ist für den persönlichen Anwendungsbereich des § 288 Abs. 5 BGB, dass die deutsche überschießende Umsetzung der Zahlungsverzugs-Richtlinie nicht dazu führen darf, Verbraucherschutz sachlich exorbitant zu betreiben. Ganz im Gegenteil ist sekundärrechtlich zu bedenken, dass die EU mit der Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83/EU eine Vollharmonisierung für den Verbraucherwiderruf und seine Rechtsfolgen vorgibt, über die die Mitgliedstaaten nicht hinausgehen dürfen,251 etwa durch eine überschießende Anwendung der Zahlungsverzugs-Richtlinie.252 4. Sonderfall: Arbeitsvertragsparteien Die gesetzgeberische Differenzierung im persönlichen Anwendungsbereich der unterschiedlich hohen Pauschalen von § 288 Abs. 1 und Abs. 2 BGB sowie des Beitreibungskostenbetrags gemäß Abs. 5 ist für das Arbeitsvertragsrecht als Sonderprivatrecht in besonderem Maße Gegenstand kontroverser Debatte und zugleich von großer wirtschaftlicher Relevanz. Fraglich ist, ob die schärferen Pauschalierungsregelungen des § 288 Abs. 2 und 5 BGB, die vom Gesetzgeber für den Geschäftsverkehr gedacht sind, bei Zahlungsverzug zwischen den Arbeitsvertragsparteien angewandt werden können oder ob es bei der Pauschale des § 288 Abs. 1 BGB bleibt und der Arbeitnehmer wie ein Verbraucher zu behandeln ist.
249 250 251 252
Korch, NJW 2015, 2212 (2214). BGH, NJW 2010, 1872 Rn. 23; WM 2014, 759 Rn. 70 m. w. N. Art. 4, 9 Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83/EU. Vgl. so auch Korch, NJW 2015, 2212 (2214).
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
a) Welche Verzugszinsen? Seit der Reform des § 288 BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wird in der arbeitsrechtlichen Literatur darüber gestritten,253 welche gesetzliche Verzugszinspauschalierung bei Verzug im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gilt. Zugunsten von § 288 Abs. 1 BGB – und zum vermeintlichen Schutz des Arbeitnehmers – wird vorgebracht, der Arbeitnehmer dürfe nicht dem höheren, „unangemessenen“ Zinssatz nach § 288 Abs. 2 BGB ausgesetzt werden; er könne beispielsweise in Verzug geraten mit der Bezahlung von vertraglichen Schadensersatzansprüchen oder von Rückzahlungsansprüchen infolge von Lohnüberzahlung.254 Allerdings sind dies keine Entgeltforderungen, fallen also bereits aus dem sachlichen Anwendungsbereich des § 288 Abs. 2 BGB heraus. Wenn man den persönlichen Anwendungsbereich von § 288 BGB mit Blick auf die Arbeitsvertragsparteien ernsthaft diskutiert, muss man allerdings die Entgeltforderung par excellence benennen: das Arbeitsentgelt, das der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer pünktlich schuldet. Von einer Verschließung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 288 Abs. 2 BGB zwischen Arbeitsvertragsparteien profitieren also maßgeblich die Arbeitgeber, wenn sie in Verzug mit den Lohnzahlungen geraten. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung über die für die Arbeitsvertragsparteien gesetzlich unklare Differenzierung des persönlichen Anwendungsbereichs von § 288 BGB zu sehen. Höchstrichterlich ist sowohl vom BAG (allerdings in einem Fall betreffend das AGB-Recht, § 310 Abs. 3 BGB)255 als auch im Anschluss daran vom BVerfG (begründeter Nichtannahmebeschluss in einem ähnlichen Fall)256 entschieden worden, dass ein Arbeitnehmer noch als Verbraucher anzusehen sei.257 Nach der negativen Formulierung des § 13 BGB ist Verbraucher, wer ein Rechtsgeschäft weder zu gewerblichen noch selbstständig beruflichen Zwecken abschließt, wohingegen ein Arbeitsvertrag zwar der beruflichen, aber gerade der unselbstständigen Tätigkeit des Arbeitnehmers zuzuordnen sei, argumentiert das BAG.258 Der deutsche Verbraucherbegriff ist insofern enger, als es das europäische Verbraucherschutz-Richtlinienrecht verlangt.259 253 254 255 256
dung.
Vgl. Löwisch, NZA 2001, 465 f.; Mauer, NZA 2000, 983 ff.; Treber, NZA 2001, 187. Löwisch, NZA 2001, 465 (466). BAGE 115, 19. BVerfG, NJW 2007, 286 (287 f.) unter Bezugnahme auf vorgenannte BAG-Entschei-
257 Vgl. davor im Kontext der gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen insbesondere Boemke, BB 2002, 96 f.: Hümmerich/Holthausen, NZA 2002, 173 ff.; Joussen, NZA 2001, 745 (749). 258 BAGE 115, 19 Rn. 41 ff. 259 Vgl. Mohr, AcP 204 (2004), 660 (671 ff.). Nach Art. 2 Nr. 1 der vollharmonisierende Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83/EU wäre dies nicht zulässig, jedoch ist diese für das Arbeitsvertragsrecht nicht einschlägig, siehe ihren Erwgr. 8.
C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
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Diese sehr rechtstechnische Begründung befriedigt hinsichtlich § 288 BGB und der Weichenstellung zwischen den unterschiedlichen gesetzlichen Schadensersatzpauschalen beim Zahlungsverzug nur bedingt. Sie kann aber hinsichtlich § 288 BGB durch die Einsicht gestützt werden, dass der Arbeitnehmer zwar auch stark, aber nicht im gleichen Maß wie ein Unternehmer auf pünktliche Zahlung angewiesen ist und daher vom persönlichen Anwendungsbereich des § 288 Abs. 2 BGB auszunehmen ist. Für den Arbeitnehmer ist vor allem das regelmäßige und stabile Einkommen wichtig, was der Gesetzgeber auch an anderen Stellen spezialgesetzlich schützt.260 Es muss dem Gesetzgeber ein Spielraum bei der Wahl seiner Wege und Mittel zugebilligt werden, mit denen er regulierend in Privatrechtsverhältnisse eingreift; die Absicherung der Lohnzahlung muss nicht zwingend durch das gesetzliche Zahlungsverzugsregime gewährleistet werden. Zuzugestehen ist vor allem, ohne die volkswirtschaftliche Relevanz von pünktlichem Haushaltseinkommen zu verkennen, dass der Gesetzgeber für den unselbständigen Arbeitnehmer die Pünktlichkeit der einzelnen Entgeltforderung nicht mit der schärfsten Pauschale des Zahlungsverzugsrechts sichern muss. Der Arbeitnehmer steht meist am Anfang einer wertschöpfenden Produktions-/Dienstleistungskette und somit umgekehrt am Ende der Zahlungskette. An dieser Position muss er zwar beispielsweise pünktlich ein Darlehen für seine Wohnimmobilie oder sein Kfz bedienen, aber er wirtschaftet nicht wie ein Unternehmer mit der Entgeltforderung, z. B. durch Factoring261 oder Securitization,262 und muss dementsprechend nicht mit den Pünktlichkeitsstandards des Geschäftsverkehrs vom Gesetz geschützt werden. Es genügt daher, dass der persönliche Anwendungsbereich des § 288 Abs. 1 BGB für verspätete Lohnzahlung eröffnet ist. Diese Beurteilung deckt sich auch mit der Einschätzung des BAG, dass im Arbeitsvertragsrecht nicht der höher pauschalierte Verzugszinssatz Anwendung findet, weil er aus der Umsetzung der Zahlungsverzugs-Richtlinie stammt, welche auf den „Geschäftsverkehr“ gerichtet ist.263 Zwar sind mit „Geschäftsverkehr“ seit der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG „Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen“ gemeint und ein „Unternehmen“ wird definiert als „jede im Rahmen ihrer unabhängigen wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit handelnde Organisation, auch wenn die Tätigkeit von einer einzelnen Person ausgeübt wird.“264 Der Arbeitnehmer als Berufstätiger wäre somit rechtstechnisch nicht von vornherein vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen. 260 Beispielsweise die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aufgrund des EFZG oder den Kündigungsschutz durch das KSchG. 261 Vgl. dazu MüKo-BGB/Roth/Kieninger, § 398 Rn. 158 ff. 262 Durch securitization ko¨ nnen Forderungen als Wertpapiere verbrieft und damit leichter handelbar gemacht werden (sog. asset backed securities, ABS); vgl. dazu etwa Benjamin, Financial Law, Rn. 18.01 ff. 263 BAGE 114, 13 Rn. 32. 264 Art. 2 Nr. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG; entspricht im Wesentlichen Art. 2 Nr. 1 und 3 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU (Hervorhebung durch Verf.).
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
Aber hier wirkt sich letztlich wiederum die zur Stellung des Arbeitnehmers gewonnene Erkenntnis aus: Der weisungsabhängige Arbeitnehmer, der sich nicht den Chancen und vor allem dem Risiko der freien Wirtschaft aussetzt, ist gerade nicht unabhängig in Wirtschaft oder Beruf tätig. Er bedarf aus mikro- und makroökonomischen Gründen nicht der stärksten gesetzlichen Schadensersatzpauschale beim Zahlungsverzug. b) Beitreibungskostenbetrag Der Beitreibungskostenbetrag in Höhe von 40 Euro gemäß § 288 Abs. 5 BGB soll wie die höheren Verzugszinsen gemäß § 288 Abs. 2 BGB nach höchstrichterlicher Ansicht des BAG keine Anwendung auf den Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber finden.265 Allerdings greifen hierfür nicht die Argumente, die das BAG in seiner oben diskutierten Entscheidung überzeugt haben, die Anwendbarkeit der erhöhten Verzugszinsen nach § 288 Abs. 2 BGB für die Arbeitsvertragsparteien zu verneinen:266 Wegen der – gesetzgeberisch bewusst – überschießenden Richtlinienumsetzung kommt es beim Beitreibungskostenbetrag weder auf die Verbraucher-/ Unternehmereigenschaft des Gläubigers noch auf die Anwendungsbereichsbeschränkung „Geschäftsverkehr“ an. Das BAG verwehrt dem Arbeitnehmer die Pauschale von 40 Euro für dessen Beitreibungsbemühungen, wenn sein Arbeitgeber mit der Entgeltzahlung in Verzug gerät, unter Verweis auf die Regelung des § 12a Abs. 1 S. 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), die es als spezieller und daher vorrangig gegenüber § 288 Abs. 5 BGB ansieht.267 Gemäß § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG steht der obsiegenden Partei ein Anspruch auf Entschädigung wegen Zeitversäumnisses im erstinstanzlichen Urteilsverfahren nicht zu. Nach Ansicht des BAG werde nicht nur ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch durch das ArbGG ausgeschlossen, sondern auch ein materiell-rechtlicher für Beitreibungskosten nach § 288 Abs. 5 S. 1 BGB.268 Dem erstinstanzlichen Arbeitsgerichtsprozess sei seit Erlass des vom Reichstag beschlossenen Vorgängergesetzes des ArbGG das Prinzip immanent, dass außergerichtliche Kosten so gut wie niemals erstattet würden.269 Viele Stimmen in Rechtsprechung und Literatur haben vor der BAG-Entscheidung jedoch die andere Ansicht vertreten und klagenden Arbeitnehmern den Bei265
BAGE 163, 309; zustimmend Ulrici, NZA 2019, 143 ff. Zuvor schon ebenso ArbG Düsseldorf, Urt. v. 12. 5. 2016 – 2 Ca 5416/15; Urt. v. 13. 1. 2017 – 14 Ca 3558/16; ArbG Nürnberg, NZA-RR 2017, 185 (187 f.); Diller, NZA 2015, 1095 ff.; ErfK/Koch, § 12a ArbGG Rn. 1. 266 Vgl. BAGE 115, 19 Rn. 45; 267 BAGE 163, 309 Rn. 8 und 23 ff. 268 Insofern beruft sich das BAG auf seine st.Rspr., BAGE 10, 39 Rn. 12; 21, 1 Rn. 9; 24, 486; 29, 426 Rn. 11 f.; 70, 191 Rn. 16; 73, 314 Rn. 18 ff.; 77, 273 Rn. 19; 124, 175 Rn. 22. 269 Vgl. so zur Vorgängervorschrift des heutigen ArbGG: Dersch/Volkmar, ArbGG, § 61 Rn. 3.
C. Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
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treibungskostenbetrag zugebilligt.270 Dem ist nach wie vor beizupflichten. Es ist nämlich nicht überzeugend, die Geltungsreduktion des § 288 Abs. 5 BGB durch § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG damit zu begründen, dass sie wegen der Besonderheiten des Arbeitsgerichtsprozesses geboten wäre.271 Gegen den Beitreibungskostenbetrag führt das BAG zwar die Verbilligung des Arbeitsgerichtsprozesses zum Schutz des in der Regel sozial schwächeren Arbeitnehmers an; diese Verbilligung müsse wegen des Paritätserfordernisses gleichermaßen dem Arbeitgeber zugutekommen.272 Der 8. BAG-Senat, der hier entschieden hat, widerspricht mit dieser Begründung aber der Logik des Großen Senats, der schließlich nicht unter Verweis auf § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG den Verzugszinsanspruch aus § 288 Abs. 1 BGB verneint, sondern gewährt hat.273 Inzwischen haben sich jedoch andere BAG-Senate dem 8. Senat angeschlossen,274 ohne weitergehende oder ganz ohne Begründung. Nur wenige Instanzgerichte widersetzten sich und sprachen Arbeitnehmern, die ihre Arbeitgeber wegen verspäteter Lohn- oder Abfindungszahlung verklagten, weiterhin den Beitreibungskostenbetrag zu.275 In der Revisionsinstanz beharrt der 8. BAG-Senat aber auf seiner Rechtsansicht.276 Würde man zugunsten des 8. Senats auf die Disparität im § 288 Abs. 5 BGB als entscheidenden Unterschied zu § 288 Abs. 1 BGB abstellen, würde man aber immer noch verkennen, dass der Gesetzgeber bewusst überschießend/weitreichend eine Regelung zum Zahlungsverzugsschadensersatz eingeführt hat, die im persönlichen Anwendungsbereich Verbraucher (Arbeitnehmer) gegenüber Unternehmern (Arbeitgebern) in nicht paritätischer Weise privilegiert.277 Das Argument für § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG – der Schutz des schwächeren Arbeitnehmers – verliert in seiner schon fast perfiden paritätischen Spiegelung zugunsten des Arbeitgebers jedenfalls
270 LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 13. 10. 2016 – 3 Sa 34/16, Rn. 80 ff. (juris); Urt. v. 9. 10. 2017 – 4 Sa 8/17, Rn. 64 (juris); LAG Köln, Urt. v. 22. 11. 2016 – 12 Sa 524/16, Rn. 55 ff. (juris); LAG Niedersachsen, Urt. v. 20. 04. 2017 – 5 Sa 1263/16, Rn. 22 ff. (juris); Sächsisches LAG, Beschl. v. 18. 10. 2017 – 4 Ta 149/17 (3), Rn. 11 ff. (juris); LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14. 11. 2017 – 11 Sa 1102/17, Rn. 134 ff. (juris); LAG München, Urt. v. 18. 04. 2018 – 11 Sa 42/18, Rn. 77 (juris); Färber/Pipoh, DB 2017, 67 ff.; Hülsemann, ArbRAktuell 2015, 146 (147 f.); Lembke, FA 2014, 357 (358); ders., NZA 2016, 1501 (1503 ff.); Richter, ArbRAktuell 2016, 229 ff.; Tiedemann, ArbRB 2015, 312 (313 ff.); Tonikidis, FA 2017, 8 ff.; Weigert, NZARR 2017, 337 (340 ff.). Eingeschränkt auch Witschen/Röleke, NJW 2017, 1702 ff. 271 So auch bezogen auf die BAG-Entscheidung MüKo-BGB/Ernst, § 288 Rn. 31. Ähnlich kritisch Fuhlrott, ZIP 2019, 404 (406); Jesgarzewski, BB 2019, 960. 272 BAGE 163, 309 Rn. 30. 273 BAGE (GS) 97, 150 ff. 274 BAG, NZA 2019, 775, Rn. 46 ff.; Beschl. v. 23. 7. 2019 – 9 AZN 252/19, Rn. 26 (juris); BAGE 165, 1, Rn. 75; Urt. v. 30. 1. 2019 – 10 AZR 596/17, Rn. 40 (juris). 275 Siehe etwa LAG Sachsen, Urt. v. 17. 7. 2019 – 2 Sa 364/18, Rn. 30 (juris); ArbG BremenBremerhaven, Urt. v. 5. 3. 2019 – 6 Ca 6294/18, Rn. 29 ff. (juris). 276 BAG, NZA 2021, 127 und Abänderung des vorbenannten Urteils des LAG Sachsen. 277 Ähnliche Zweifel äußert auch Fuhlrott, ZIP 2019, 404 (406).
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
dort seine Geltung, wo der Gesetzgeber eine einseitig abweichende Regelung erlassen hat, die den Arbeitnehmer viel besser zu schützen vermag. Auch ist rechtsökonomisch nicht begründbar, warum unterschiedliche Zivilrechtswege innerhalb derselben Rechtsordnung bei der Behandlung des volkswirtschaftlich gleichermaßen kritischen Zahlungsverzugs divergieren sollten. Der Gesetzgeber hat keine Bereichs- oder Rechtswegausnahme vorgesehen.278 Der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch in Gestalt des Beitreibungskostenbetrags wird nicht hinfällig zur Kompensation und Bekämpfung von Zahlungsverzug, bloß weil der Kläger gezwungen ist, seinen – bis dahin unstreitig bestehenden – Anspruch auf Hauptforderung nebst Beitreibungskostenbetrag vor dem Arbeitsgericht durchzusetzen. Es ist widersinnig und mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht zu vereinbaren, dass sich der Arbeitgeber in den Arbeitsrechtsstreit flüchten kann, um sich dem Anspruch aus § 288 Abs. 5 BGB aufgrund einer Vorschrift des Arbeitsprozessrechts zu entziehen.
D. Tatbestand: Verzugsvoraussetzung und Exkulpationsmöglichkeit Im Vergleich zur Bestimmung des Anwendungsbereichs nehmen die weiteren tatbestandlichen Anforderungen an den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz beim Zahlungsverzug eine deutlich geringere Bedeutung ein. Für § 288 BGB ist tatbestandsseitig festzustellen, dass der Gesetzgeber den Schadensersatz unter keinen strengeren Anspruchsvoraussetzungen pauschaliert hat als für einen herkömmlichen Schadensersatzanspruch wegen Spätleistung nach § 280 Abs. 1 und 2 BGB. Es kommt auch für den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch auf Verzugszinsen bzw. den Beitreibungskostenbetrag – soweit die wesentlich entscheidenderen Anwendungsbereiche eröffnet sind – lediglich darauf an, dass sich der Schuldner gemäß § 286 BGB in Verzug befindet.279 Für den Verzug bestehen gemäß § 286 Abs. 1 – 3 BGB die allgemeinen und bekannten Voraussetzungen, dass die bislang unerfüllt gebliebene, aber noch erfüllbare Hauptforderung durchsetzbar und fällig ist und eine Mahnung erfolgte, sofern kein Fall vorliegt, in dem sie entbehrlich ist. Den Gesetzgeber muss es für seine Schadensersatzpauschalierung hingegen nicht interessieren, ob und in welchem Umfang vor Verzugseintritt eine Verzinsungs278
Vgl. ebenso MüKo-BGB/Ernst, § 288 Rn. 31. Bloße Fälligkeit (vgl. § 271 BGB) genügt für bürgerlich-rechtliche Verzugszinsen grundsätzlich nicht. Zwar ist gemäß § 641 Abs. 4 BGB der Werklohn mit Abnahme zu verzinsen, allerdings nicht nach § 288 BGB (Verzugszinsen), sondern nach § 246 BGB (gesetzlicher Zinssatz). Im Handelsrecht sind Forderungen von Kaufleuten aus beiderseitigen Handelsgeschäften gemäß §§ 352, 353 S. 1 HGB zu verzinsen. Auf den Verzug kommt es nicht, soweit § 288 BGB kraft Rechtsfolgenverweisung aus §§ 290 bzw. 849 BGB gilt, siehe oben C. II. 1. 279
D. Tatbestand: Verzugsvoraussetzung und Exkulpationsmöglichkeit
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pflicht bestanden hat oder nicht.280 Dass dem Gläubiger tatsächlich Kosten für Beitreibungsbemühungen entstanden sind, ist auch keine Voraussetzung.281 Die entscheidende Besonderheit der gesetzgeberischen Gestaltung der Schadensersatzpauschalierung beim Zahlungsverzug ist, dass sich der Schuldner in diesem spezifischen Leistungsstörungsfall nur höchst ausnahmsweise exkulpieren kann. Nicht in den Verzug kommt ein Schuldner nur, wie es der Gesetzgeber in § 286 Abs. 4 BGB vorschreibt, „solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.“ Die Verantwortlichkeit des Schuldners wird also grundsätzlich vom Gesetz vermutet (widerlegbare Legalfiktion); sein Verschulden bemisst sich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 276 – 278 BGB. Beim Zahlungsverzug wird dem Schuldner die zugelassene Exkulpation aber nur sehr selten gelingen, denn „Geld hat man zu haben“.282 Weder die finanzielle Leistungsunfähigkeit noch das Versagen bei finanziellen Dispositionen im eigenen Risikobereich genügen zur Exkulpation.283 Somit entkommt der Zahlungsschuldner dem gesetzlich pauschalierten Schadensersatz in aller Regel nicht, höchstens in Fällen wie schwerer Krankheit, höherer Gewalt oder internationaler Zahlungsverkehrsbeschränkung.284 Solche Ausnahmefälle können beispielsweise auch in Zeiten der CoronavirusPandemie vorliegen: Die medizinisch und wirtschaftlich angespannte Gesamtsituation hat den Gesetzgeber zwar nicht zur Einführung einer allgemeinen Exkulpationsregelung veranlasst, jedoch hat er ein zeitlich befristetes Leistungsverweigerungsrecht („Moratorium“) geschaffen,285 auf das sich ein Verbraucher- oder Kleinstunternehmer-Zahlungsschuldner im Zusammenhang mit einem „wesentlichen“ Dauerschuldverhältnis berufen kann; es hindert die Durchsetzbarkeit der Hauptforderung und lässt mithin die Säumnis temporär entfallen.286 280
Vgl. RGZ 92, 283 (284 f.); BGHZ 74, 231 (234 f.). MüKo-BGB/Ernst, § 288 Rn. 35; Grüneberg/Grüneberg, § 288 Rn. 15; a. A. Diller, NZA 2015, 1095 (1097). 282 So wörtlich OLG München Urt. v. 25. 7. 2002 – 19 U 1819/02, Rn. 16 (juris); SchleswigHolsteinisches OLG, Urt. 14. 12. 2015 – 5 W 65/15, Rn. 19 (juris) sowie Urt. v. 8. 9. 2017 – 3 U 16/17, Rn. 77 (juris). Dieser Ausspruch kommt durch die Existenz des Zwangsvollstreckungsund Insolvenzrechts, wie es der Rechts- und Wirtschaftsordnung zugrunde liegt, sowie das Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung (BGHZ 204, 134 (140 f.)) zum Ausdruck. Zu Ausnahmen vgl. aber OLG Köln, Urt. v. 28. 7. 2006 – 20 U 66/05, Rn. 105 ff. (juris), allerdings aufgehoben durch BGH, Beschl. v. 7. 1. 2008 – II ZR 204/06; Brandenburgisches OLG, Urt. v. 19. 11. 2014 – 13 U 18/11, Rn. 59 (juris). Ein weiterer Grund ist, dass die Geldschuld ihrer Natur nach eine Gattungsschuld ist. Zustimmung im Kern erklärt selbst Kähler, AcP 206 (2006), 805 (806 f.). 283 BGHZ 107, 92 (102); 197, 21 (42 f.); 204, 134 (140 f.); BGH, WM 1982, 399 (400). Siehe auch die Gesetzesbegründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drs. 14/ 6040, S. 132 re.Sp. 284 Vgl. etwa MüKo-BGB/Ernst, § 286 Rn. 113 ff.; Grüneberg/Grüneberg, § 286 Rn. 33 f.; Staudinger/Feldmann, § 288 BGB Rn. 141 ff.; jeweils m. w. N. 285 Art. 240 § 1 EGBGB i. d. F. des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. 3. 2020 (BGBl. I 569). 286 Dazu ausführlich Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, 1103 (insbes. 1105). 281
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
Den gemäß § 288 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB gesetzlich pauschalierten Schadensersatz in Form der Verzugszinsen hat ein Schuldner aber nicht nur im Verzugsfall zu erbringen, wie § 291 BGB zeigt. Noch schwerer als Zahlungsverzug wiegt es, wenn der Schuldner erst verklagt werden muss, um sich zur Zahlung bereitzufinden. Auf Vertrags- oder Marktmechanismen kann der Gläubiger in einer solchen Situation überhaupt nicht mehr hoffen, sodass der Gesetzgeber dazu berufen ist, auf diese gesteigerte Form der gleich- und massenartigen Leistungsstörung der Geldzahlung zu reagieren. Dies vermag er durch Modifikation der Anspruchsvoraussetzungen für die gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen umzusetzen: Kraft Verweisung aus § 291 S. 1 und 2 BGB muss der Schuldner Verzugszinsen als Prozesszinsen ab dem Zeitpunkt leisten, zu dem die gegen ihn gerichtete Klage auf die Forderung, sofern sie fällig ist, rechtshängig ist.287 Da es dann auf den Verzug i. S. d. § 286 BGB nicht mehr ankommt, entfällt auch die Exkulpationsmöglichkeit des § 286 Abs. 4 BGB; Prozesszinsen werden verschuldensunabhängig in der gesetzlich pauschalierten Höhe geschuldet. Der Beitreibungskostenbetrag steht dem Gläubiger gegenüber dem lediglich verklagten und nicht in Verzug befindlichen Schuldner aber nicht zu;288 dies leuchtet ein, weil der Gesetzgeber die (ohnehin weitaus höheren) Prozesskosten und ihren Ersatz spezialgesetzlich regelt.289 Zusammengefasst besteht im Fall des Schuldnerverzugs – außer bei praktisch kaum möglicher Exkulpation – bzw. im Fall der Rechtshängigkeit der fälligen Hauptforderung Anspruch auf die gesetzlich pauschalierten Verzugs- bzw. Prozesszinsen, deren Bemessung im folgenden Abschnitt noch näher diskutiert wird. Das deutsche Recht fügt sich damit in das internationale Bild der Verzugszinsvoraussetzungen ein; andere Rechtsordnungen sehen zwar überwiegend eine verschuldensunabhängige Haftung auf Verzugszinsen vor, beispielsweise das schweizerische Obligationenrecht,290 aber bei funktional-praktischer Betrachtung entspricht auch die deutsche Rechtslage nahezu stets diesem Bild, denn dem Schuldner wird in aller Regel die theoretisch vorgesehene Exkulpation nicht gelingen.291
E. Gesetzliche Pauschalierung der Rechtsfolgen Ist der Anwendungsbereich eröffnet und liegen die Voraussetzungen im Einzelnen vor, ohne dass eine Möglichkeit zur Exkulpation besteht, so hat der Zahlungsgläu287
Rechtshängigkeit siehe §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO. Auf § 288 Abs. 5 BGB wird in der Regelung zu den Prozesszinsen (§ 291 S. 2 BGB) nicht verwiesen. 289 Vgl. GKG und RVG mit den entsprechenden Gebührensätzen, die vom beklagten Schuldner im Fall seines Unterliegens zu tragen sind, § 91 ZPO. 290 Art. 104 – 106 OR, siehe Widmer Lüchinger/Wiegand, in: Basler Kommentar, Art. 104 OR Rn. 1. 291 Vgl. Flessner, Mélanges Sturm II, S. 1170. 288
E. Gesetzliche Pauschalierung der Rechtsfolgen
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biger Anspruch auf Verzugszinsen und ggf. den Beitreibungskostenbetrag als Schadensersatz in gesetzlich pauschalierter Höhe. Zu hinterfragen ist hier, wie der Gesetzgeber den Schadensersatz für die Leistungsstörung des Zahlungsverzugs im Einzelnen pauschaliert hat, losgelöst von der etablierten Schadensdogmatik. Rechtsfolgenseitig ist außerdem zu zeigen, dass es sich um Kompensation der Opportunitätskosten für die zeitweilige Kapitalentziehung infolge der Zwangskreditierung handelt und darüber hinausgeht. Daran wird im 4. Kapitel angeknüpft, in dem die Divergenzen zu den herkömmlichen Prinzipien des Haftungs- und Schadensrechts ausführlich untersucht werden; die besonderen prozessökonomischen und verhaltenssteuernden Wirkungen werden näher in Kapiteln 5 und 6 betrachtet.
I. Verzugszinsen Die gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen orientieren sich, wie im Folgenden darzulegen sein wird, grundsätzlich zwar durchaus an der typisierten Vermögensdifferenz infolge der schädigenden Zwangskreditgewährung, wie es die Ausgleichsfunktion erfordert. Sie gehen aber darüber hinaus, um die Präventionsfunktion zu erfüllen. Dass die gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen nicht auf den Ausgleich der natürlichen Differenz durch den Zahlungsverzug als Schadensereignis beschränkt sind, sondern auch normativ geprägt sind, um darüber hinausgehende Wirkung zu entfalten, lässt sich anhand der vom deutschen Gesetzgeber gewählten Konstruktion verdeutlichen, eine relative Pauschalierung pro Jahr vorzugeben, die den Basiszinssatz gemäß § 247 BGB zum Ausgangspunkt hat und sodann um fünf bzw. neun Prozentpunkte erhöht wird,292 mithin deutlich oberhalb des Marktzinsniveaus liegt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den gesetzlich pauschalierten Verzugszinssätzen von § 288 Abs. 1 und 2 BGB nur um Mindestzinssätze handelt; der Gesetzgeber lässt zu, dass der Gläubiger höhere Zinsen aus anderem Rechtsgrund verlangt.293 1. Ausgangspunkt: Basiszinssatz Der Basiszinssatz gemäß § 247 Abs. 1 BGB bildet den Grundstock des gesetzlich pauschalierten Verzugszinssatzes, weil er die Berücksichtigung von Marktschwankungen für Refinanzierungskosten ermöglicht, die den Geschäftsbanken entstehen, also für kurz- statt langfristige Kredite.294 Muss sich ein privater Gläubiger wiederum 292 Diese Konstruktion unterscheidet sich beispielsweise von der schweizerischen Fixierung des gesetzlichen Verzugszinses in Art. 104 Abs. 1 OR. Dazu Weber, FS Keller, S. 329 f. 293 § 288 Abs. 3 BGB. 294 Typischerweise beträgt der Zahlungsverzug wenige Tage bis Wochen und nicht Monate. Angemessen sind daher die short-term Zinssätze, Knoll, Texas Law Review 75 (1996), 293 (318 f.); demgegenüber kritisch Losey/Mass/Li, Journal of Forensic Economics 15 (2002), 57 (62 ff.).
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
bei seiner Geschäftsbank refinanzieren, weil sein Schuldner nicht pünktlich zahlt, orientiert sich sein Zahlungsverzugsschaden ebenfalls daran, zuzüglich eines Aufschlags der Bank für dieses Kundengeschäft.295 Die gesetzliche Verzugszinspauschalierung gemäß § 288 BGB gewährleistet somit durch die Bezugnahme auf den Basiszinssatz (nebst Aufschlag) einen kompensatorischen Schadensersatz, also zum Ausgleich der Kosten, die beim Gläubiger infolge der Zwangskreditgewährung an seinen säumigen Schuldner jedenfalls anfallen. Eine entsprechende Regelung der gesetzlichen Pauschalierung der Verzugszinsen findet sich nicht nur im deutschen Recht, sondern ist beispielsweise auch in der soft law-Kodifikation von UNIDROIT enthalten.296 Der in § 247 Abs. 1 BGB geregelte Basiszinssatz richtet sich nach dem so genannten HRG-Zinssatz: Das ist der Zinssatz, zu dem die Geschäftsbanken bei der Europäischen Zentralbank (EZB) bei deren letztem Hauptrefinanzierungsgeschäft (HRG) Kredit für eine Woche gegen Sicherheiten aufnehmen konnten.297 Beim Hauptrefinanzierungsgeschäft handelt es sich um das wesentliche Instrument der Offenmarktpolitik298 der EZB, mit dem sie (zusammen mit den nationalen Zentralbanken im Europäischen System der Zentralbanken) ihre geldpolitischen Aufgaben als „Hüterin der Unionswährung“ im Eurosystem erfüllt.299 Über den von ihr unabhängig festgelegten HRG-Satz als Leitzinssatz kann die EZB mittelbar das Zinsniveau bestimmen, zu dem die Geschäftsbanken Kredite an ihre Kunden vergeben (sog. geldpolitischer Transmissionsmechanismus).300 Indem der Basiszinssatz dem HRG-Satz folgt, bildet er das geldpolitisch gesetzte Marktzinsniveau des Interbankengeschäfts ab. Die Bezugnahme auf den HRG-Satz der EZB wurde mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in Umsetzung der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG ins BGB eingeführt. Schon zwei Jahre zuvor waren aber die absolut pauschalierten Verzugszinsen des BGB von 1900, die für die Zwecke des gesetzlich pauschalierten Verzugsschadensersatzes als unbefriedigend empfunden wurden,301 mit dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen durch eine Bezugnahme auf den Basis295
Vgl. aus bankbetriebswirtschaftlicher Sicht auch Steiner, Bemessung des Verzugsschadens, S. 39 ff. und 83 ff. 296 International Institute for the Unification of Private Law (Unidroit), Principles of International Commercial Contracts, 2004 und 2010, Art. 7.4.9; zuvor schon vergleichbar Lando et al., Principles of European Contract Law, 2000, Art. 9:508. 297 § 247 Abs. 1 S. 3 BGB verwendet den ansonsten unüblichen Terminus „Hauptrefinanzierungsoperation“, womit aber das Hauptrefinanzierungsgeschäft gemeint ist. Zum Hauptrefinanzierungsgeschäft vgl. Europäische Zentralbank, Geldpolitik der EZB (2011), S. 113 (abrufbar unter www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/monetarypolicy2011de.pdf); ferner Borchert, Geld und Kredit, S. 266 ff.; Scheller, Europäische Zentralbank, S. 95 ff. 298 D. h. auf allen Geld- und Kapitalmärkten. 299 Vgl. Art. 127 ff., 282 ff. AEUV. Dazu Borchert, Geld und Kredit, S. 289 ff.; Scheller, Europäische Zentralbank, S. 45 ff.; Stober, Öffentliches Wirtschaftsrecht AT, S. 87 f. 300 Vgl. Görgens/Ruckriegel/Seitz, Europäische Geldpolitik, S. 271 ff. 301 Basedow, ZHR 143 (1979), 317 (324 f.).
E. Gesetzliche Pauschalierung der Rechtsfolgen
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zinssatz gemäß dem Diskontsatz-Überleitungs-Gesetz (DÜG) ersetzt worden.302 Der letzte gemäß DÜG bestimmte Basiszinssatz betrug 3,62 % und wurde festgeschrieben als S. 1 des § 247 Abs. 1 BGB i. d. F. des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, das insoweit zum 1. 1. 2002 in Kraft trat. Seit dem 1. 1. 2002 wird der Basiszinssatz halbjährlich um die Änderung des HRG-Satzes angepasst, § 247 Abs. 1 S. 2 BGB. Er wird sodann von der Deutschen Bundesbank im Bundesanzeiger deklaratorisch bekanntgemacht, § 247 Abs. 2 BGB. Dass die Höhe des Basiszinssatzes nicht vom Gesetzgeber selbst bestimmt wird, steht nicht im Widerspruch dazu, die abstrakt-generelle Gesetzeswirkung der Pauschale zu bejahen; die Bestimmbarkeit genügt. Denn der deutsche Gesetzgeber hat aufgrund der Richtlinienvorgabe des europäischen Gesetzgebers die Anordnung getroffen, dass es auf einen Zinssatz der EZB ankommt; die Legislative hat also die Eckpunkte der Pauschale gesetzlich bestimmt und lediglich die Bestimmung der jeweiligen Höhe der Pauschale delegiert.303 Dies ist wirtschaftlich nötig, um an die Marktkonditionen anzuknüpfen. Der Gesetzgeber sieht allerdings deutliche Aufschläge von fünf bzw. neun Prozentpunkten vor, deren Berechtigung im übernächsten Abschnitt thematisiert wird. Zuvor zu betrachten sind die Auswirkungen der Tatsache, dass der Basiszinssatz – aufgrund der derzeitigen Marktlage – negativ ist. 2. Sonderproblem: negativer Basiszinssatz Infolge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise liegt der Basiszinssatz seit dem 1. 1. 2013 unter 0 %: zunächst sank er auf -0,13 % und Mitte 2016 bis auf -0,88 %. Der Basiszinssatz kann negativ sein, weil es sich bei ihm um eine bloße Rechengröße handelt; seine Negativität ist mithin für sich genommen unschädlich.304 Es ist genauso unschädlich, dass die gesetzlichen Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 BGB aufgrund des leicht negativen Basiszinssatzes weniger als die Aufschläge betragen, denn weder der deutsche Gesetzgeber noch europäisches Richtlinienrecht verlangen einen bestimmten Mindestverzugszinssatz für die Pauschale.305 Die Wirkungen der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung bestehen auch bei 302 Das DÜG wurde geschaffen durch Art. 1 des Gesetzes vom 9. 6. 1998 zur Einführung des Euro (BGBl. I 1242). Die Bezugnahme von § 288 BGB auf § 1 DÜG schuf das Gesetz vom 30. 5. 2000 zur Beschleunigung fälliger Zahlungen (BGBl. I 330). „Übergeleitet“ wurde vom Diskontsatz der Deutschen Bundesbank (für den Ankauf von Wechseln von Geschäftsbanken als Instrument der Geldpolitik), an dem man sich bis zur Einführung des Euro für vertragliche Verzugszinsvereinbarungen orientiert hatte. 303 Vgl. zum Basiszinssatz als „Rechengröße“ Staudinger/Omlor, § 247 BGB Rn. 24. 304 Kollmann, Negative Zinsen, S. 96 ff. 305 Vgl. Coen, NJW 2012, 3329 (3331 f.); MüKo-BGB/Ernst, § 288 Rn. 4; ders., ZfPW 2015, 250 (254); Staudinger/Feldmann, § 288 BGB Rn. 15; Lesch, Negative Zinsen, S. 99. Kollmann, Negative Zinsen, S. 108 ff. ist a. A., weil er den Telos des § 288 Abs. 1 BGB gefährdet sieht (aber nicht den des § 288 Abs. 2 BGB und der Zahlungsverzugs-Richtlinien).
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
einem Verzugszinssatz von 4,12 % bzw. 8,12 % nach § 288 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 BGB, wenn das übrige Marktzinsniveau bei (nahezu) 0 % liegt. Eine weitere Absenkung des Basiszinssatzes, insbesondere bis auf einen Wert, den selbst die Aufschläge nach § 288 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 2 BGB um fünf bzw. neun Prozentpunkte nicht mehr ausgleichen könnten, ist aber nicht möglich. Dies liegt daran, dass sich die Veränderung des Basiszinssatzes nach der Veränderung des HRG-Satzes der EZB richtet (§ 247 Abs. 1 S. 2 BGB). Der HRG-Satz wird von der EZB aber nicht auf unter 0 % gesenkt werden, denn: Mit der Festlegung des HRGSatzes nimmt die EZB ihre geldpolitische Steuerungsfunktion wahr und sie würde bei einer Festlegung unter 0 % Kredit an Geschäftsbanken nebst einer „Entlohnung“ geben, wodurch sie sich und damit die Geldpolitik zugrunde richten würde.306 Als der DÜG-Basiszinssatz 3,62 % betrug (und zum 1. 1. 2002 als Startwert für den Basiszinssatz gemäß § 247 Abs. 1 S. 1 BGB festgeschrieben wurde), betrug der HRGSatz 4,5 %. Ausweislich der Differenz zwischen den beiden Prozentsätzen kann der Basiszinssatz auf höchstens -0,88 % fallen. Auf diesem tiefstmöglichen Niveau liegt er seit 1. 1. 2013,307 da die EZB seitdem von den Geschäftsbanken beim HRG keinen Zins verlangt und auf eine Erholung und Stabilisierung der Märkte hofft. Könnte der Basiszinssatz unter -5 % fallen, was jedoch aufgrund der Abhängigkeit von den Veränderungen des geldpolitisch gesteuerten HRG-Satzes der EZB praktisch ausgeschlossen ist, betrüge der Verzugszins nach § 288 Abs. 1 S. 2 BGB minimal 0 % und nicht weniger. Denn negative Zinsen im Rechtssinn kann es – als Vergütung für die Kreditgewährung, sei es beim vertraglichen Darlehen oder beim Zahlungsverzug – nicht geben.308 Dann wäre eine Aussetzung der Verzugsverzinsung geboten, denn ein Schuldner soll nicht insgesamt weniger zahlen müssen, wenn er die Zahlung hinauszögert.309 3. Aufschlag Der Gesetzgeber schreibt in § 288 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 BGB für den Verzugszins pauschal vor, dass – je nach eröffnetem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Absätze – ein Aufschlag auf den Basiszinssatz von fünf bzw. neun Prozentpunkten erfolgt.310 Diese Aufschläge sind vor dem Hintergrund der 306
Nicht zu verwechseln ist der HRG-Satz mit dem – seit Ende 2013 in der Tat negativen – Zinssatz für die Einlagefazilität (deposit facility), d. h. der Möglichkeit für Geschäftsbanken, nicht benötigtes Geld kurzfristig bei EZB zu diesem Zinssatz anzulegen; derzeit müssen die Geschäftsbanken dafür also zahlen. 307 Bis Stand 1. Januar 2022. 308 Ernst, ZfPW 2015, 250 (251); Kollmann, Negative Zinsen, S. 77 ff. 309 MüKo-BGB/Ernst, § 288 Rn. 4. 310 Zu beachten ist hinsichtlich der Methodik der gesetzlichen Pauschale, dass der Aufschlag eine Addition der fünf bzw. neun Prozentpunkte zum Basiszinssatz bedeutet und keine Multiplikation von fünf bzw. neun Prozent mit dem Basiszinssatz stattfindet. Wird dies
E. Gesetzliche Pauschalierung der Rechtsfolgen
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Ausgleichs- und Präventionsfunktion des Schadensersatzrechts erklärungsbedürftig, insbesondere der hohe Aufschlag von neun Prozentpunkten. a) Fünf Prozentpunkte und ausnahmsweise zweieinhalb Prozentpunkte Der Aufschlag von fünf Prozentpunkten im § 288 Abs. 1 S. 2 BGB gilt für Geldschulden, an denen ein Verbraucher beteiligt ist, und für Geldschulden, die keine Entgeltforderungen sind (Umkehrschluss aus § 288 Abs. 2 BGB). Dieser Aufschlag wurde – bereits vor dem Inkrafttreten der ersten Zahlungsverzugs-Richtlinie – durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen 2000 eingeführt, das sich an der Rechtsprechungspraxis zum allgemeinen Zahlungsverzug orientierte, die sich auf die spezielle Regelung im Verbraucherkreditgesetz stützte.311 Das Verbraucherkreditgesetz beruhte zwar zu großen Teilen auf der europäischen VerbraucherkreditRichtlinie 87/102/EWG,312 allerdings nicht hinsichtlich der (in der Richtlinie nicht geregelten) Verzugszinsen und ihrer Pauschalierung. Der deutsche Gesetzgeber hatte beim Verbraucherkreditgesetz vielmehr vor Augen, dass die fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz als gesetzlich pauschalierter Schadensersatz die „gewöhnlich anfallenden Refinanzierungskosten [3 Prozentpunkte] sowie den Bearbeitungsaufwand der Bank [weitere 2 Prozentpunkte] ausgleichen“ sollen.313 Diese gesetzliche Pauschalierung ist auf Zustimmung gestoßen, weil sie eine Annäherung an die tatsächlichen Gegebenheiten des Zahlungsverzugsschadens gebracht hat.314 Fünf Prozentpunkte (fix, nicht als Aufschlag) betragen auch die Verzugszinsen in der Schweiz heute noch.315 Dem Verzugszinssatz nach § 288 Abs. 1 BGB in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, d. h. derzeit insgesamt 4,12 %, kann man daher überwiegend kompensatorischen Charakter attestieren. Die einzige gesetzliche Ausnahme vom fünf Prozentpunkte-Aufschlag findet sich in § 497 Abs. 4 S. 1 BGB, der für den Verzug des Darlehensnehmers bei ImmobiliarVerbraucherdarlehensverträgen lediglich einen Aufschlag von 2,5 Prozentpunkten vorsieht. Insgesamt führt auch dieser Aufschlag noch zu einem Verzugszins, der bei negativem Basiszinssatz positiv ausfällt, nämlich insgesamt mindestens 1,62 %. Der halbierte Aufschlag gilt seit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, das zur Begründung die niedrigeren Refinanzierungskosten der grundpfandrechtlich gesicherten Gläubiger anführte,316 und nimmt wiederum auf den vertraglich vereinbarten missachtet, sei es im Klageantrag oder sogar im Urteilstenor, ist die Formulierung korrigierend auszulegen, BGH, NJW-RR 2013, 511. 311 Siehe oben, A. II. 312 Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. 12. 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (ABl. 1987 L42/48). 313 BT-Drs. 11/5462, S. 26. 314 Vgl. Gsell, NotBZ 2000, 178 (184); Medicus, DNotZ 2000, 256 (259). 315 Art. 104 Abs. 1 OR. 316 BT-Drs. 14/6040, S. 256.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
Zins keine Rücksicht.317 Der Gesetzgeber hat sich also zugunsten des Verbraucherschutzes in der Situation, dass eine Immobiliarsicherheit besteht, für eine Reduzierung seiner Schadensersatzpauschale entschieden. Dies ist nicht unbedingt mit der Gewährleistung von Allokationseffizienz zu erklären, aber aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit rechtspolitisch nachvollziehbar: Der Staat privilegiert den sicherungsgebenden „Häuslebauer“, wenn er in Zahlungsverzug gerät, und verweist den unternehmerischen Darlehensgeber darauf, einen höheren Verzugsschaden konkret nachzuweisen (§ 288 Abs. 4 BGB). b) Neun Prozentpunkte Der höhere Aufschlag gemäß § 288 Abs. 2 BGB wurde ebenfalls mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz eingeführt und belief sich auf zunächst acht Prozentpunkte; das Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr brachte 2014 die Erhöhung auf neun Prozentpunkte. Der Aufschlag in § 288 Abs. 2 BGB beruht(e) jeweils auf den Mindestvorgaben für die Aufschläge in den beiden europäischen Zahlungsverzugs-Richtlinien, die eine entsprechende Motivation bzw. Umsetzungsnotwendigkeit mit Blick auf den Geschäftsverkehr mit sich brachten.318 Neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz ergeben derzeit einen Verzugszinssatz für B2B-Entgeltforderungen von insgesamt 8,12 %. Angesichts des niedrigen Marktzinsniveaus ist dies ein beachtlicher Zinssatz, den der Gesetzgeber Zahlungsgläubigern im Geschäftsverkehr zubilligt. Diese Schadensersatzpauschale kann nicht mehr allein mit kompensatorischen Zwecken erklärt werden. Vielmehr bezweckt der Gesetzgeber mit der Bemessung dieser Pauschale ganz bewusst, Zahlungsschuldner vom Verzug abzuschrecken, um die Pünktlichkeit von Entgeltzahlungen im Geschäftsverkehr zu steigern.319 Im Geschäftsverkehr wiegt es besonders schwer, dass Vertrags- und Marktmechanismen versagen, wenn auf die Leistungsstörung bei Entgeltzahlungen angemessen und effektiv reagiert werden muss. Denn es geht um Geldzahlungen für bereits erbrachte Leistungen, die der Zahlungsgläubiger als der Warenlieferant/Dienstleister gegenüber seinen Zulieferern entlang der Produktions- und Leistungskette wieder bezahlen muss. Zahlungsverzug kann sich entlang solcher Ketten oder in Handelsnetzen sehr schnell potenzieren. Um die Ineffizienz, die Gefahr für die Existenz der einzelnen Unternehmen und mithin den volkswirtschaftlichen Schaden zumindest zu minimieren, ist der Gesetzgeber als Institution gefragt, Schadensersatz für den Verzug mit einer Entgeltzahlung so zu pauschalieren, dass gläubigerseitig kompensiert und schuldnerseitig abgeschreckt wird. Die Zahlungsverzugs-Richtlinien wenden sich gegen die „Unkultur“ des teilweise sogar systematischen Zahlungsverzugs im europäischen 317
Vgl. Bülow, NJW 2002, 1145 (1147). Art. 3 Abs. 1 lit. d Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG; Art. 2 Nr. 6 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 319 Vgl. Vorschlag der Europäischen Kommission vom 25. 3. 1998, KOM(1998)126 endg., S. 7 f. Siehe auch (insbesondere zur Zinshöhe) Kieninger, WM 1998, 2213 (2216 ff.). 318
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Binnenmarkt.320 Der europäische Gesetzgeber hat sich dabei am skandinavischen Vorbild für eine hohe Zahlungsdisziplin dank hoher Verzugszinssätze orientiert.321 Die Richtlinien zielen darauf ab, dass der Anspruch auf gesetzliche Verzugszinsen abschreckend wirkt und eine ausreichende (Mindest-)Schadensersatzhöhe gewährleistet wird. Die meist starren, niedrigen Zinssätze wurden beseitigt, die zuvor in Deutschland und vielen anderen Mitgliedstaaten galten und Anreize zu Verzugsspekulationen setzten.322 4. Andere Zinssätze Zum Abschluss der Diskussion der gesetzlichen Verzugszinsbemessung ist zu klären, inwiefern Anspruch auf höhere oder niedrigere Zinssätze bestehen kann. Dies ist von besonderer Relevanz, weil die gesetzlich vorgegebene Zusammensetzung des Verzugszinssatzes (trotz Variabilität des Basiszinssatzes) grundsätzlich keine Abweichung im Einzelfall zulässt. In den USA wird am gesetzlich vergleichsweise starr pauschalierten Verzugszinssatz für den Delaware Court of Chancery (in Höhe von Bundesbanksatz plus fünf Prozentpunkte)323 kritisiert, dass er zu unflexibel sei und zu ungerechten/unerwünschten Ergebnissen führe. Den im Einzelfall zutreffenden Zinssatz nicht zu treffen, habe zur Folge, dass die eine oder die andere Partei von diesem Umstand profitieren werde, also Interesse an weiterer Verzögerung habe, der der Verzugszins aber gerade entgegenwirken solle.324 Die Möglichkeit, von den gesetzlichen Zinssätzen abweichende fordern zu können, hilft bei der Verhinderung dieses Missbrauchs. a) Höhere Zinsen aus anderem Rechtsgrund zugunsten des Gläubigers Der deutsche Gesetzgeber schreibt mit seinen pauschalierten Zinssätzen nur einen Mindestschadensersatz für die Leistungsstörung des Zahlungsverzugs vor. Dies zeigt sich nicht nur an § 288 Abs. 4 BGB, der die Geltendmachung eines weiteren 320 Vgl. Knapp, RabelsZ 63 (1999), 295 (296 ff.) m. w. N. zu entsprechenden Studien. Zum europäisch-legislativen Handlungsbedarf vgl. ebd. 321 ff. 321 Vgl. Vorschlag der Europäischen Kommission vom 25. 3. 1998 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Handelsverkehr, KOM(1998)126 endg.; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. 7. 1996, A4 – 0161/96 (ABl. C 211/43). Siehe dazu aus deutscher Sicht Gsell, ZIP 1998, 1569 (insbes. 1573 f.); aus europäischer Sicht Schmidt-Kessel, JZ 1998, 1135 (1139 f.). 322 Vgl. Erwgr. 16 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG & Erwgr. 12 ZahlungsverzugsRichtlinie 2011/7/EU; Lein, Verzögerung der Leistung, S. 229. 323 Del Code Ann. tit. 8, § 262(h). Vorausgingen auch dort entsprechende Forderungen in der Rechtsprechung, vgl. Andaloro v. PFPC Worldwide, Inc., Nos. Civ. A. 20336, Civ. A. 20289, 2005 WL 2045640, 11 (Del. Ch. Aug. 19, 2005). 324 Siehe nur Colón/Knoll, in: Weil/Lentz/Hoffman, Litigation Services Handbook, Kap. 15.7.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
Schadens zulässt und der noch gesondert zu betrachten ist,325 sondern bereits am vorhergehenden § 288 Abs. 3 BGB. Demnach kann der Gläubiger höhere als die gesetzlich pauschalierten Zinssätze verlangen, wenn ein „anderer Rechtsgrund“ dafür besteht. Ein solcher Rechtsgrund kann sich aus Vertrag ergeben, d. h. der Gesetzgeber tritt zurück, soweit die Leistungsstörung durch Vereinbarungen und mithin von Vertragsund Marktmechanismen besser beherrscht werden kann.326 Anders als beispielsweise in der Schweiz, wo es gesetzlich ausdrücklich anerkannt ist,327 verlangt die deutsche Rechtsprechung bezüglich § 288 Abs. 3 BGB allerdings,328 dass sich die vertragliche Zinsvereinbarung ausdrücklich (auch) auf den Fall des Verzugs bezieht. Der BGH hat angenommen (bezogen auf das alte Schuldrecht, zum neuen hat es diesbezüglich noch keine Klarstellung gegeben), dass eine allgemeine vertragliche Zinsvereinbarung mit dem Eintritt des Verzugs ende und durch das gesetzliche Verzugsregime einschließlich des gesetzlich pauschalierten Verzugsschadensersatzes verdrängt werde.329 Eine besondere vertragliche Zinsvereinbarung, die auch die Verzugsfolge des Schadensersatzes umfasse, habe jedoch regelmäßig nur bei individualvertraglicher Vereinbarung Bestand, weil eine formularmäßige Vereinbarung an den Klauselverboten für die Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen und für die Vertragsstrafe scheitere,330 so der BGH.331 Gelten ließ er eine vertragliche Zinsvereinbarung als „anderen Rechtsgrund“ praktisch nur in Analogie zum darlehensvertraglichen Schadensersatzanspruch bei fristloser Kündigung wegen vertragswidrigen Verhaltens des anderen Teils (§ 628 Abs. 2 BGB).332 Dagegen wird in der Literatur die Ansicht vertreten, dass eine allgemeine vertragliche Zinsvereinbarung genügt, um auch nach § 288 Abs. 3 BGB höhere Verzugszinsen verlangen zu können.333 Dafür wurde vor allem der Wortlaut des § 288 BGB vor der Schuldrechtsreform angeführt, der lautete: „Kann der Gläubiger aus einem anderen Rechtsgrunde höhere Zinsen verlangen, so sind diese fortzuent325
Siehe unten, G. Dieser Gedanke kommt auch und besonders im anglo-amerikanischen Recht entsprechend dem liberaleren Wirtschaftsverständnis zum Tragen; vgl. nur Law Commission (England and Wales), Report on Interest, Nr. 88, 1978, Rn. 46. 327 Art. 104 Abs. 2 OR: „Sind durch Vertrag höhere Zinse als fünf vom Hundert, sei es direkt, sei es durch Verabredung einer periodischen Bankprovision, ausbedungen worden, so können sie auch während des Verzuges gefordert werden.“ 328 Siehe die Entscheidungen in den Folgefußnoten. Die BGH-Ansicht unterstützen Grüneberg/Grüneberg, § 288 Rn. 11; Erman/Hager, § 288 BGB Rn. 12; NK-BGB/Schulte-Nölke, § 288 Rn. 13. 329 BGHZ 104, 337 (338 ff.); 115, 268 (269 f.); 154, 230 (235 f.). 330 § 11 Nr. 5 und 6 AGBG & § 309 Nr. 5und 6 BGB. 331 BGHZ 104, 337 (339 f.). 332 BGHZ 104, 337 (341 f.); BGH, NJW 2000, 1408 (1409). 333 BeckOGK-BGB/Dornis, § 288 Rn. 50; MüKo-BGB/Ernst, § 288 Rn. 24 ff.; BeckOKBGB/Lorenz, § 288 Rn. 6; Staudinger/Feldmann, § 288 BGB Rn. 21; Nassall, WM 1989, 705 f.; Rieble, ZIP 1988, 1027 ff.; Schulze, in: Schulze, § 288 BGB Rn. 4. 326
E. Gesetzliche Pauschalierung der Rechtsfolgen
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richten.“334 Es wurde argumentiert, auch nach Verzugseintritt seien Zinsen weiterhin gemäß der vertraglichen Vereinbarung zu zahlen gewesen. Dieses Wortlautargument kann unter dem heutigen, reformierten Schuldrecht aber keine Geltung mehr beanspruchen. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum dem Schuldner, der sich (allgemein wirksam) zu höheren vertraglichen Zinsen verpflichtet hat, ein Vorteil in Form der Geltung des gesetzlich niedriger pauschalierten Verzugsschadensregimes daraus erwachsen soll, dass er in Verzug kommt. Dies wäre nicht im Sinne des Gesetzgebers und seiner Pauschalierung des Schadensersatzes, mit der er einer Leistungsstörung Herr zu werden sucht, bei der die privaten Vertrags- und Marktmechanismen versagen. Telos des gesetzlich pauschalierten (Mindest-)Verzugsschadensersatzes ist, wie gesehen, den Schuldnerverzug zu kompensieren und ihm entgegenzuwirken. Dementsprechend ist es dem gesetzlich pauschalierten Verzugsschadensregime nicht abträglich, höhere vertragliche Zinsen auch dann zuzulassen, wenn sie nicht ausdrücklich für den Verzugsfall vereinbart wurden. § 288 Abs. 3 BGB ist mithin im Sinne der überwiegenden Literaturmeinung – aber aus teleologischem Grund – dahingehend auszulegen, dass eine wirksame allgemeine vertragliche Zinsvereinbarung einen „anderen Rechtsgrund“ darstellen kann, aus dem höhere als die gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen verlangt werden können. Der Gesetzgeber sieht höhere Verzugszinssätze nur in bestimmten Ausnahmefällen vor, beispielsweise wenn entsprechende Vorgaben des internationalen Einheitsrechts bestehen: Obgleich ihnen keine große Praxisrelevanz mehr zukommt, sind insofern Art. 48 Abs. 1 Nr. 2 des Wechselgesetzes und Art. 45 Nr. 2 des Scheckgesetzes zu nennen, die jeweils für den Rückgriff des Protestierenden (und beim Scheck außerdem für den Rückgriff des Einlösers) besondere Verzugszinsregelungen enthalten.335 Auf sie kann sich der Gläubiger berufen, soweit sein Verzugszinsanspruch nicht bereits aufgrund der gesetzlichen Pauschalierung gemäß § 288 Abs. 1 und 2 BGB abgedeckt ist, etwa zurzeit angesichts des negativen Basiszinssatzes. Die deutschen Wechsel- und Scheckverzugszinsen und ihre Sonderstellung folgen aus den völkerrechtlichen Übereinkommen für ein einheitliches Wechselgesetz bzw. Scheckgesetz; diese Übereinkommen wurden Anfang der 1930er Jahre geschlossen und verpflichten die Vertragsstaaten zum Erlass von
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§ 288 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. (Hervorhebung durch Verf.). Art. 48 Abs. 1 Nr. 2 WG lautet: „Der Inhaber kann im Wege des Rückgriffs verlangen: […] Zinsen zu sechs vom Hundert seit dem Verfalltag. Bei einem Wechsel, der im Inland sowohl ausgestellt als auch zahlbar ist, beträgt der Zinssatz zwei vom Hundert über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, mindestens aber sechs vom Hundert.“ Entsprechende Regelungen enthalten Art. 45 Nr. 2 ScheckG („Der Inhaber kann im Wege des Rückgriffs verlangen: … seit dem Tage der Vorlegung …“) und Art. 46 Nr. 2 ScheckG („Wer den Scheck eingelöst hat, kann von seinen Vormännern verlangen: … seit dem Tag der Einlösung …“). 335
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
entsprechendem Einheitsrecht.336 Ihnen kommt heute aber keine praktische Bedeutung mehr zu, weil Schecks und Wechsel anderen Zahlungs- und Kreditmitteln gewichen sind, insbesondere Maestro- und Kreditkarte.337 Das bedeutet umgekehrt, dass der Gesetzgeber keine nennenswerten Abweichungen von seinem Verzugsregime des § 288 BGB mehr vorsieht. b) Keine niedrigeren Zinsen zugunsten des Schuldners Im Zusammenhang mit § 288 Abs. 3 BGB, der aus anderem Rechtsgrund höhere Zinssätze zulässt, ist umgekehrt noch auf folgende wichtige Besonderheit hinzuweisen, die durch den deutschen Gesetzgeber keine explizite Regelung im § 288 BGB erfahren hat, aber allgemein anerkannt und beispielsweise in der Schweiz338 ausdrücklich ins Gesetz geschrieben ist: Es ist dem Schuldner im Fall seines Zahlungsverzugs grundsätzlich nicht gestattet, dem Gläubiger nachzuweisen, es sei nur ein geringerer Schaden entstanden.339 So kann der Schuldner weder einwenden, dass dem Gläubiger überhaupt kein Schaden entstanden sei, weil der Gläubiger keinen anderweitigen Kredit aufnehmen musste, noch kann der Schuldner einwenden, dass der tatsächlich eingetretene Verzugsschaden beim Gläubiger den gesetzlich pauschalierten Verzugszins der Höhe nach unterschreite. Im Rahmen des deutschen Gesetzgebungsverfahrens zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurde zwar erwogen, angesichts der zuvor erfolgten Erhöhung der Verzugszinsen für den Schuldner die Möglichkeit vorzusehen, den Nachweis zu führen, dem Gläubiger sei nur ein geringerer Schaden entstanden.340 Ausweislich der Gesetzbegründung hat man sich aber bewusst dagegen entschieden, weil man hinsichtlich der Wirkungen einseitige Nachteile für Verbraucher befürchtete, denen als Schuldner der Nachweis gegenüber Unternehmern praktisch kaum gelingen würde, während den Unternehmern gegenüber Verbrauchern der Nachweis fast immer möglich wäre.341 Es ist daher durchaus als konsequent anzusehen, dass der Gesetzgeber zwecks Gewährleistung von Zahlungspünktlichkeit und Verbraucherschutz davon abgesehen hat, seine gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen durch den säumigen Schuldner einseitig reduzieren zu lassen. Es ist den Parteien unbe336 Genfer Abkommen über ein einheitliches Wechselgesetz vom 7. 6. 1930 (RGBl. 1933 II 377) sowie Genfer Abkommen über ein einheitliches Scheckgesetz vom 19. 3. 1931 (RGBl. 1933 II 537). 337 Vgl. Lehmann, Finanzinstrumente, S. 16 ff. 338 Art. 104 Abs. 1 OR a. E. 339 Allgemeine Meinung, siehe etwa BAG, NJW 2001, 3570 (3573); Schimmel/Buhlmann, MDR 2002, 609 (614 f.). 340 Siehe § 285 Abs. 1 S. 2 i. d. F. des Diskussionsentwurfs eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, Bundesministerium der Justiz (Stand 4. 8. 2000): „Der Nachweis eines geringeren Schadens ist zulässig.“ Zurückgenommen in der konsolidierten Fassung vom 6. 3. 2001. Kritik übten etwa Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389 (1391 f.). 341 BT-Drs. 14/6040, S. 148 re.Sp.
E. Gesetzliche Pauschalierung der Rechtsfolgen
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nommen, gemeinsam das gesetzliche Verzugsregime zu modifizieren, soweit es disponibel ist.342 Der Gesetzgeber sieht nur eine Ausnahme in § 497 Abs. 1 S. 2 BGB vor:343 So darf der Verbraucherdarlehensnehmer den Nachweis führen, seinem Darlehensgeber sei ein geringerer Schaden daraus entstanden, dass er mit der Darlehensrückzahlung in Verzug geraten ist. Der deutsche Gesetzgeber hat hier – da die europäische Verbraucherkredit-Richtlinie 2008/48/EG keine diesbezüglichen Vorgaben macht – eine bewusste, abweichende Wertungsentscheidung getroffen und dem Verbraucherschutz den Vorzug gegenüber dem Effizienzgedanken der Zahlungspünktlichkeit gegeben, der sonst mit dem gesetzlichen Verzugsregime hauptsächlich verfolgt wird. Dem unternehmerischen Darlehensgeber mutet der Gesetzgeber zu, sich bei Zahlungsverzug des Verbraucherdarlehensnehmers mit weniger als den gesetzlichen Pauschalen zufrieden zu geben, wenn der Unternehmer zuvor nicht selbst die Initiative ergriffen und in den Verbraucherdarlehensvertrag ausdrückliche Verzugszinsregelungen aufgenommen hat.344 Den Unternehmer muss der Gesetzgeber hier nicht vor dem Versagen von Vertrags- und Marktmechanismen schützen. Außerdem ist zu bedenken, dass der Gesetzgeber dem Verbraucher nur die Nachweismöglichkeit einräumt. Dem Verbraucher wird der Nachweis gegenüber dem unternehmerischen Darlehensgeber praktisch aber nur selten gelingen, weil die genauen Refinanzierungskosten des Unternehmers regelmäßig unbekannt sein und sich im Zweifel in Höhe des gesetzlich pauschalierten Zinssatzes des § 288 Abs. 1 BGB bewegen dürften.345
II. Beitreibungskostenbetrag Sofern für § 288 Abs. 5 BGB der Anwendungsbereich eröffnet und die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind, besteht Anspruch auf die Zahlung eines Pauschalbetrags von derzeit 40 Euro als Verzugsschadensersatz für Beitreibungskosten neben den Verzugszinsen.346 Anders als die hauptforderungsakzessorischen 342
Zur privatautonomen Modifikation des gesetzlichen Regimes unten, F. § 497 findet gemäß § 506 Abs. 1 S. 1 BGB allerdings entsprechende Anwendung auf Verträge, „durch die ein Unternehmer einem Verbraucher einen entgeltlichen Zahlungsaufschub oder eine sonstige entgeltliche Finanzierungshilfe gewährt.“ Dies gilt auch für Immobiliar-Zahlungsaufschub und sonstige Finanzierungshilfen gemäß S. 2. Die Notwendigkeit der Gleichbehandlung von Darlehensverträgen mit entgeltlichem Zahlungsaufschub und ähnlichen Finanzierungshilfen folgt aus der Verbraucherkredit-Richtlinie 2008/48/EG. 344 Über den Verzugszinssatz muss der Darlehensgeber den Verbraucher ohnehin vor Vertragsschluss informieren und ihm eine entsprechende Erläuterung geben, § 491a Abs. 1 und Abs. 3 S. 2 BGB i. V. m. Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB. 345 Vgl. Staudinger/Kessal-Wulf, § 497 BGB Rn. 17; MüKo-BGB/Schürnbrand/Weber, § 497 Rn. 17. 346 Der Fall, dass kein Anspruch auf Verzugszinsen, aber Anspruch auf den Beitreibungskostenbetrag besteht, ist unmöglich, weil § 288 Abs. 5 S. 1 BGB enger ist als Abs. 1 S. 1. 343
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
und zeitabhängigen Verzugszinsen ist die gesetzliche Pauschalierung in § 288 Abs. 5 S. 1 BGB ein absoluter Fixbetrag. Entscheidend und diskussionsbedürftig ist daher die Bemessungsgrundlage dieses Beitreibungskostenbetrags im Licht der schadensrechtlichen Kompensations- und Präventionsfunktion. Problematisch ist außerdem die Vorgabe des Gesetzgebers, dass der Gläubiger „einer“ Entgeltforderung im Verzugsfall 40 Euro fordern kann, ohne diesen Bezugspunkt näher zu definieren. Die weitergehende Frage, inwiefern die Pauschale auf Ersatz für – insbesondere externe – Kosten der Rechtsverfolgung nach § 288 Abs. 5 S. 3 BGB anzurechnen ist, wird unten im Rahmen des Abschnitts zum Schadensersatz jenseits der Pauschale behandelt werden. 1. Allgemeiner Fixbetrag Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung der ZahlungsverzugsRichtlinie 2011/7/EU dafür entschieden, die Pauschale auf den Richtlinienmindestbetrag von 40 Euro festzusetzen. Dieser Fixbetrag gilt allgemein und absolut – unabhängig von der Höhe der Entgeltforderung oder der Verzugsdauer. Demgegenüber hat beispielsweise das Vereinigte Königreich – als es noch Mitgliedstaat der EU war – die Zahlungsverzugs-Richtlinien so umgesetzt, dass die Höhe der Pauschale gestaffelt ist und es auf den Betrag der Entgeltforderung ankommt: die Pauschale beläuft sich auf £ 40 für Forderungen bis £ 1.000, auf £ 70 für höhere Forderungen bis £ 10.000 und schließlich auf £ 100 für darüber hinausgehende Forderungen.347 Die britische Lösung scheint höhere Einzelfallgerechtigkeit zu gewähren, sofern denn die Annahme zutrifft, dass höhere Beitreibungskosten anfallen, wenn eine höhere Forderung eingetrieben wird. Da sich ein Mahnschreiben und eine außergerichtliche Geltendmachung nicht aufwendiger gestalten, wenn es um tausend Euro statt eines Euros geht, dürfte die Annahme aber regelmäßig zu bezweifeln sein. Die deutsche Regelung eines allgemeinen Fixbetrags ist daher durchaus praxisgerecht. Der Gesetzgeber hätte von dem nach der Richtlinie bestehenden Spielraum keinen weitergehenden Gebrauch machen müssen, um den Zielen der Zahlungsverzugskompensation und -prävention zu genügen. 2. Höhe Problematisch ist es aber nachzuvollziehen, warum der Fixbetrag auf 40 Euro festgesetzt worden ist. Man sollte annehmen, es handle sich um einen statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag, den der Gesetzgeber in Anlehnung an den natürlichen Schadensbegriff und die übliche Differenzhypothese zugrunde gelegt hat. Für den deutschen Gesetzgeber gab es bei der Richtlinienumsetzung keinen Spielraum „nach unten“, weil der Unionsgesetzgeber den Mindestbetrag von 347
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E. Gesetzliche Pauschalierung der Rechtsfolgen
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40 Euro in der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU festgelegt hatte.348 Warum aber die Richtlinie mindestens 40 Euro vorschreibt, lässt sich der europäischen Gesetzgebung nicht entnehmen. In den Erwägungsgründen der ZahlungsverzugsRichtlinie 2011/7/EU wird nur dargelegt, dass „ein pauschaler Mindestbetrag vorgesehen“ werde.349 Der Kommissionsvorschlag für die Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU gibt keine Begründung des Betrags.350 Auch der Bericht der vorab durchgeführten Folgenabschätzung nennt keinen bestimmten Betrag, der europaweit angemessen und festzusetzen wäre.351 Allerdings gab es im Vereinigten Königreich (und ebenso in Irland) schon vor Erlass der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU den oben genannten Beitreibungskostenbetrag in Höhe von mindestens £ 40 (bzw. 40 Euro), wie im Folgenabschätzungsbericht angeführt wird.352 In der Tat wurde dieser Betrag bereits 2002 ins britische Recht eingefügt, merkwürdigerweise kraft übertragener Rechtssetzungskompetenz durch ein schottisches statutory instrument,353 das ungefähr mit einer deutschen Rechtsverordnung vergleichbar ist.354 Damit wurde die erste Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG, die zwar eine Erstattung von Beitreibungskosten, aber keinen bestimmten Betrag vorsah,355 überschießend umgesetzt. Die britische Betragsbemessung wurde aber nicht begründet;356 es gab diesbezüglich keine parlamentarische Debatte oder Einwendung.357 Daher ist zu vermuten, dass der Betrag im Vereinigten Königreich relativ frei auf dieser untersten, delegierten Stufe der Rechtssetzung erstmals festgelegt und seitdem nicht ernsthaft in Frage gestellt wurde. Die EU hat den Betrag wohl schlichtweg übernommen. Die fehlende ökonomische bzw. empirische Grundlage, die sich auch nicht aus anderen Quellen ergibt, ist zwar durchaus bedenklich. Gerade vonseiten der mittelständischen Wirtschaft wird aber zum Ausdruck gebracht, dass ein Beitrei-
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Art. 6 Abs. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. Erwgr. 19 S. 2 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU (Hervorhebung durch Verf.). 350 Vgl. Vorschlag der Europäischen Kommission vom 8. 4. 2009 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, KOM(2009)126 endg. 351 Vgl. Commission Staff Working Document to the Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Combating Late Payment in Commercial Transactions (Recast), Impact Assessment, SEC(2009)316, Ziff. 5.8. 352 Ebd. 353 Scottish Statutory Instruments 2002/335, Late Payment of Commercial Debts (Scotland) Regulations 2002, sec. 2(5). 354 Dazu ausführlich Vagt, Rechtsverordnung und Statutory Instrument, insbes. S. 44 ff. und 114 ff. 355 Art. 3 Abs. 1 lit. e Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG. 356 Vgl. Scottish Statutory Instruments 2002/335, Explanatory Note. 357 Vgl. Scottish Parliament, Enterprise and Lifelong Learning Committee, 24th & 27th Meeting 2002, 3rd Meeting 2003, https://archive.parliament.scot/business/committees/historic/ x-enterprise/. 349
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
bungsaufwand durch Kommunikations- und Personalkosten im Wert von 40 Euro ohne Weiteres entsteht, wenn ein Schuldner in Verzug gerät.358 Die Legitimationsbedenken sind jedoch ohnehin letztlich unerheblich, soweit man § 288 Abs. 6 S. 2 und 3 BGB im Sinne der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/ EU dahingehend auslegen kann, dass eine Beschränkung der Pauschale gestattet ist. Wie noch zu zeigen sein wird,359 handelt es sich bei der absoluten Fixierung des Beitreibungskostenbetrags auf 40 Euro um eine lediglich dispositive Regelung, sodass die Parteien gemeinsam einen geringeren Betrag festlegen können, was die Pauschalierung durch den Gesetzgeber weniger harsch und willkürlich erscheinen lässt. 40 Euro ist dann nur ein Betrag, der „im Zweifel“ gilt. Aufgrund der Tatsache, dass die Regelung im britischen Recht von Anfang an ähnlich disponibel gestaltet war,360 dürfte auch verständlich sein, dass der Gesetzgeber keinen Bedarf sah, den gesetzlich festgeschriebenen Betrag als „Auffangbetrag“ besonders zu begründen. 3. Bezugspunkt „eine Entgeltforderung“ Anders als bei den Verzugszinsen kommt es für den Beitreibungskostenbetrag weder auf die Höhe der Hauptforderung noch auf den Verzugszeitraum an. Fraglich ist für den Beitreibungskostenbetrag hingegen, ob der Schuldner einmal für jede Forderung, die mit einer eigenen Rechnung geltend gemacht wird, die 40 Euro im Verzugsfall zahlen muss (sog. belegorientierter Ansatz) oder ob auf eine zeitlich oder anderweitig begründete Saldierung abzustellen ist (sog. prozessorientierter Ansatz).361 Dies ist praktisch wichtig, weil die einzelne Entgeltforderung sehr gering sein kann, z. B. nur einige Eurocents für eine elektronisch erbrachte Massendienstleistung wie eine SMS-Nachricht. Würde man bei Verzug mit der Begleichung der Monatsrechnung auf jede Einzelforderung in Höhe weniger Eurocents jedoch 40 Euro aufschlagen, ergäbe sich ein horrend hoher SMS-Preis. Umgekehrt würde der Schuldner, der sich über einen langen Zeitraum mit einer Vielzahl von Forderungen beispielsweise gegenüber einem Teilezulieferer in Verzug befindet, für seine insgesamt schlechte Zahlungsmoral „belohnt“, wenn er nur ein einziges Mal die 40 Euro-Pauschale erbringen müsste. Die Lösung kann aber anhand des gesetzgeberischen Zwecks des § 288 Abs. 5 BGB unter Beachtung der europäischen Zahlungsverzugs-Richtlinienvorgaben gefunden werden. Zwar müssen dem Gläubiger keine Beitreibungskosten entstanden 358 Vgl. so ausdrücklich die Stellungnahme des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft – Unternehmerverband Deutschland e. V. (BVMW) zum Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, 11. 3. 2014, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Ge setzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2014/Downloads/03112014_Stellungnahme_BVMW_ RefE_Bekaempfung_Zahlungsverzug_Geschaeftsverkehr.pdf. 359 Siehe unten, F. II. 2. 360 Late Payment of Commercial Debts (Interest) Act 1998, sec. 8. 361 Vgl. Dornis, ZIP 2014, 2427 (2428 f.); Schimanski/Sturm, JurBüro 2013, 287 (289).
F. Privatautonome Modifikation der gesetzlichen Pauschalierung
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sein, um Anspruch auf die pauschalierten 40 Euro zu haben, aber der Verzug des Schuldners wird sich aus einer Handlung des Gläubigers ergeben. Dies kann eine Mahnung sein,362 sodass man auf die Gesamtheit der angemahnten Entgeltforderungen abstellen kann; aber auch schon eine Rechnung oder gleichwertige Zahlungsaufstellung des Gläubigers löst nach 30 Tagen den Verzug aus,363 sodass man auf die Gesamtheit der in Rechnung gestellten Entgeltforderungen abstellen kann. Dadurch lassen sich sowohl die Nachteile des Zahlungsverzugs für den Gläubiger als auch die Nachteile eines zu kleinteiligen Anfalls der 40 Euro-Pauschale für den Schuldner abwenden. Es liegt letztlich nicht am Gesetzgeber, hier in die privaten Geschäftsverhältnisse einzugreifen; der gesetzlich pauschalierte Beitreibungskostenbetrag sekundiert nur dem Entgeltgläubiger bei der Forderungsdurchsetzung gegenüber dem unternehmerischen Schuldner.
F. Privatautonome Modifikation der gesetzlichen Pauschalierung Um die Bedeutung und Stärke der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung in Form der Verzugszinsen und des Beitreibungskostenbetrags praktisch einschätzen zu können, ist zu ergründen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Maß der Gesetzgeber ihre privatautonome konsensuale Abbedingung erlaubt, also Räume für private Regelung belassen hat oder aber aus volkswirtschaftlichen Gründen keine Abweichung gestattet. Wie in der ökonomischen Betrachtung des gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatzes festgestellt wurde, ist das gesetzliche Verzugsregime nicht zwingend, soweit Vertrags- und Marktmechanismen wirken und keine volkswirtschaftliche Brisanz der Zahlungspünktlichkeit besteht.
I. Abbedingung der Verzugszinsen 1. Bei anderen Geldschulden als Entgeltforderungen Im Grundsatz erlaubt der Gesetzgeber die Abbedingung seiner Verzugszinsen bei Geldschulden, die keine Entgeltforderungen sind, innerhalb der allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grenzen. Das heißt, die am Schuldverhältnis Beteiligten können durch (Individual-)Vertrag als konsensuales Rechtsgeschäft eine andere Regelung treffen oder auch nur die gesetzlichen Verzugszinsen für Geldschulden ausschließen, sofern dies nicht gegen andere gesetzliche Verbote verstößt.364 Ebenso gilt, da sich die Verweisungsregelung für die Prozesszinsen in § 291 S. 2 nicht auf § 288 Abs. 6 BGB erstreckt, dass Prozesszinsen (unabhängig von der Entgeltforderungs362
§ 286 Abs. 1 S. 1 BGB. § 286 Abs. 3 S. 1 BGB. Dies ist nötig aufgrund Art. 6 Abs. 2 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU, wonach eine Mahnung keine Voraussetzung für den Pauschalbetrag sein darf. 364 Zu beachten sind u. a. auch § 276 Abs. 3 und § 309 Nr. 7 lit. b BGB. 363
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
qualität der Klageforderung) innerhalb der allgemeinen rechtsgeschäftlichen und zivilprozessualen Grenzen abbedungen werden können. Vor der privatautonomen Abbedingung schützt der Gesetzgeber nämlich nur seine Verzugsschadensersatzpauschalierung bei Entgeltforderungen.365 Das gesetzliche Regime der Kompensation von Verzugsschäden bei einfachen Geldschulden ist mithin dispositiv und verdrängt Vertrags- und Marktmechanismen nicht unausweichlich. Soweit sich die Parteien des Schuldverhältnisses über die Verzugsfolgen einigen, also kein privates Regelungsvakuum besteht und Dritte nicht (stark) betroffen sind, können privatautonom bessere Regelung getroffen werden, hinter die der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch zurücktritt. 2. Bei Entgeltforderungen Handelt es sich um eine Entgeltforderung, ist die Abbedingung der gesetzlichen Verzugszinspauschalierung insbesondere an den differenzierenden Schranken von § 288 Abs. 6 Sätze 1, 2 und 4 BGB zu messen, die im Folgenden analysiert werden (Satz 3 bezieht sich hauptsächlich auf die 40 Euro-Pauschale des § 288 Abs. 5 BGB und wird mit ihr noch gesondert unten behandelt366). Der Gesetzgeber schränkt damit die Disponibilität seines Verzugsregimes ein, um in der Volkswirtschaft die pünktliche Vergütung für Waren- und Dienstleistungen zu sichern. Zunächst ist innerhalb von § 288 Abs. 6 BGB die Differenzierung nach der Person des Schuldners der Entgeltforderung zu beachten. Dies liegt darin begründet, dass die Vorgaben aus der europäischen Zahlungsverzugs-Richtlinie auf B2B-Entgeltforderungen ausgerichtet sind.367 Die Zahlungsverzugs-Richtlinie schreibt nicht nur höhere Verzugszinssätze für B2B-Entgeltforderung vor, sondern protegiert diese Kompensation und Prävention durch besonderen Abbedingungsschutz. Der europäische Gesetzgeber nimmt sich also nicht nur anstelle der Parteien der Leistungsstörung bei der Bezahlung erbrachter Leistungen an, sondern untersagt es dem Geschäftsverkehr außerdem, zum Nachteil aller Teilnehmer des Wirtschaftskreislaufs seine Vorgaben zu manipulieren. Er schließt damit zwar das Wirken von Vertrags- und Marktmechanismen gemäß den nachfolgend genannten Schranken aus, tut dies aber zum Zweck wohlfahrtsfördernder Regelungen. Nur wenn es sich beim Schuldner um einen Verbraucher handelt, ist eine Abbedingung des § 288 Abs. 1 BGB368 zulässig, denn die Richtlinie reglementiert Verbraucherschuldner nicht. Im deutschen Recht schlägt sich dies nieder im vierten 365 Vgl. Art. 1 Abs. 2 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU (so auch schon Art. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG). 366 Siehe unten, II. 367 Entgeltforderungen „im Geschäftsverkehr“, Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Nr. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU (so auch schon Art. 1, Art. 2 Nr. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG). 368 § 288 Abs. 1 statt Abs. 2 BGB ist trotz Entgeltforderung einschlägig.
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und letzten Satz von § 288 Abs. 6 BGB, der die Anwendbarkeit der Abbedingungsschranken in den ersten beiden Sätzen für Verbraucherschuldner ausschließt. Die Abbedingung des gesetzlich pauschalierten Verzugsschadensersatzes in Form der Verzugszinsen erlaubt der Gesetzgeber zugunsten von Verbrauchern, denn er gibt damit dem Verbraucherschutz den Vorzug gegenüber einer allokationseffizienten pünktlichen Zahlung. Auch in AGB ist die Abbedingung innerhalb der allgemeinen Grenzen der §§ 305 ff. BGB möglich; in der Praxis wird allerdings selten ein Klauselverwender – regelmäßig ein Unternehmer, mit dem der Verbraucher kontrahiert – in seinen AGB die gesetzliche Pauschalierung zu seinem Nachteil abbedingen. Der Vertragspartner des Verbrauchers ist, sofern er sich auf die Abbedingung eingelassen hat, gezwungen, einen konkreten Verzugsschadensnachweis zu führen.369 Wenn der Schuldner der Entgeltforderung kein Verbraucher, sondern Unternehmer ist, greifen die auf dem Richtlinienrecht beruhenden Abbedingungsschranken der ersten beiden Sätze von § 288 Abs. 6 BGB. Mit ihnen differenziert der Gesetzgeber nach dem Zeitpunkt und nach der Intensität der privatautonomen Modifikation seiner Schadensersatzpauschalierung. Dies kann als Feinjustierung verstanden werden, um Vertrags- und Marktmechanismen nicht undifferenziert vorzugreifen, sondern Spielräume zu belassen, in denen keine negativen externen Effekte für den Kapitalfluss im Handel zu befürchten sind. „Im Voraus“ darf keine vollständige Abbedingung erfolgen (§ 288 Abs. 6 S. 1 BGB). Das Verbot der vollständigen Abbedingung ist eine Maßgabe, die in der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU besonderen Ausdruck gefunden hat.370 Damit stellt der Gesetzgeber sicher, dass seine Pauschalierung nicht plump umgangen werden kann. Bei der Richtlinienumsetzung hat der deutsche Gesetzgeber aber bedacht, dass ein Abbedingungsverbot einer Einigung zwischen den Parteien im Nachhinein – etwa im Rahmen eines Vergleichs, der zur Beilegung eines Rechtsstreits geschlossen wird – nicht im Wege stehen soll.371 Daraus erklärt sich die Einschränkung des Verbots vollständiger Abbedingung „im Voraus“ in § 288 Abs. 6 S. 1 BGB. Denn wenn sich die am Schuldverhältnis beteiligten Parteien einigen, wie sie den eingetreten Verzugsschaden kompensieren wollen, besteht durch die private Regelung keine Gefahr der Benachteiligung anderer Teilnehmer des Wirtschaftskreislaufs – für sie spielt es keine Rolle (mehr), ob das gesetzliche oder ein privates Regime greift. So hat auch der EuGH in der Rechtssache IOS Finance EFC bestätigt, dass es richtlinienkonform ist, wenn der Gläubiger freiwillig auf die gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen (und auf die 40 Euro-Pauschale) verzichtet.372 Schutz vor Missbrauch würde dadurch gewährleistet, dass jedenfalls zum Vertragsschlusszeit369 370 371 372
§ 280 Abs. 2, § 286, § 288 Abs. 4 BGB. Art. 7 Abs. 2 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. BT-Drs. 18/1309, S. 19 f. Dazu kritisch Dornis, ZIP 2014, 2427 (2432). EuGH, Urt. v. 16. 2. 2017, C-555/14 – IOS Finance EFC.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
punkt keine vollständige Abbedingung statthaft sei.373 Ein späterer Verzicht, sofern er freiwillig erklärt werde und ansonsten ein effektiver Rechtsweg zur Durchsetzung zur Verfügung stehe, sei möglich.374 Offengeblieben ist aber die Frage, welcher Zeitpunkt genau unter „im Voraus“ zu verstehen ist, also wie die zeitliche Abgrenzung zu erfolgen hat. Dem gesetzgeberischen Telos der Zahlungsverzugs-Richtlinie entspräche ein spät gelegener Zeitpunkt, um eine vollständige Abbedingung längstmöglich zu unterbinden. Erwogen wird daher, dass Abreden zur Abbedingung, die zwar nach Vertragsschluss, aber vor Verzugseintritt geschlossen werden, unwirksam sind.375 Geeignet scheint jedoch, die Abgrenzung am Fälligkeitszeitpunkt festzumachen,376 weil es dem Schuldner ab Klagbarkeit der Forderung gestattet sein sollte, gemeinsam mit dem Gläubiger privatautonom disponieren zu dürfen. Der Staat muss sich dann nicht mehr vordrängen, sondern kann es den Parteien des Schuldverhältnisses überlassen, eine Regelung zu treffen. Selbst „im Voraus“ darf aber eine teilweise Abbedingung erfolgen, die den gesetzlich pauschalierten Verzugsschadensersatzanspruch beschränkt.377 Dafür und ebenso für eine teilweise oder auch vollständige Abbedingung im Nachhinein macht es der Gesetzgeber zur Bedingung, dass die Abbedingung „im Hinblick auf die Belange des Gläubigers“ nicht „grob unbillig“ ist, wie es § 288 Abs. 6 S. 2 a. E. BGB formuliert.378 Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass einerseits die auf Primärrechtsebene stehende EU-Grundrechte-Charta verlangt, die Unternehmensfreiheit (beiderseits) zu schützen,379 andererseits die Zahlungsverzugs-Richtlinie als Sekundärrecht vom (unternehmerischen) Schuldner verlangt, dass ein „objektiver Grund für die Abweichung vom gesetzlichen Zinssatz bei Zahlungsverzug“ besteht.380 Anhaltspunkt für die Abwägung ist ganz im Sinne der Zwecke der gesetz373
Ebd., Rn. 30. Ebd., Rn. 34 f. 375 Faust, DNotZ 2015, 644 (659); Verse, ZIP 2014, 1809 (1817). 376 Staudinger/Feldmann, § 288 BGB Rn. 75 f. 377 In AGB gelten außerdem die Grenzen der §§ 305 ff. BGB – nach Maßstab für den unternehmerischen Rechtsverkehr gemäß § 310 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB, weil hier B2B-Entgeltforderungen in Rede stehen. 378 Streng genommen stellt Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU (wie schon zuvor Art. 3 Abs. 3 S. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG) nicht darauf ab, ob eine Vertragsklausel für den Gläubiger „grob unbillig ist“, wie es die deutsche Umsetzung formuliert, sondern ob sie „grob nachteilig ist“, wie es im deutschen Wortlaut der Richtlinie heißt. Die bewusst abweichende Umsetzung des deutschen Gesetzgebers erlaube eine Interessenabwägung, die auch die Interessen des Schuldners einbeziehen könne, BT-Drs. 18/1309, S. 14. 379 Art. 16 EU-Grundrechte-Charta. Darauf hinweisend Staudinger/Feldmann, § 288 BGB Rn. 76. 380 Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 lit. c Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. BeckOGK-BGB/ Dornis, § 286 BGB Rn. 61 nennt als Beispiele die Insolvenzabsicherung und die langfristige Vertragssicherheit. 374
F. Privatautonome Modifikation der gesetzlichen Pauschalierung
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lichen Verzugsschadensersatzpauschalierung, dass kein Missbrauch der Abbedingungsfreiheit zum Nachteil des Gläubigers oder Dritter erfolgt, indem dem Schuldner Liquidität auf Gläubigerkosten und auf Kosten des Kapitalverkehrs gewährt wird.381 Soweit die privatautonome Abbedingung nicht gegen die gesetzgeberischen Ziele der Schadensersatzpauschalierung verstößt, ist nichts gegen das Wirken der Vertrags- und Marktmechanismen einzuwenden. Im einzelnen Streitfall liegt es an den Gerichten zu entscheiden, ob die konkrete Abbedingung an diesen Maßstäben gemessen „grob unbillig“ ist oder nicht.382
II. Abbedingung des Beitreibungskostenbetrags Grundsätzlich richtet sich die Abbedingung des Beitreibungskostenbetrags für Entgeltforderungen (und des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist383) so wie bei Verzugszinsen für Entgeltforderungen nach den Schranken des § 288 Abs. 6 BGB; einschlägig sind die Sätze 2 bis 4.384 Da allerdings der Beitreibungskostenbetrag stets nur gegenüber einem unternehmerischen Schuldner geltend gemacht werden kann, ist die Differenzierung nach der Person des Schuldners der Entgeltforderung in § 288 Abs. 6 S. 4 BGB ohne Relevanz; umgekehrt heißt das, dass die Schranken der Sätze 2 und 3 stets für die Abbedingung der 40 Euro-Pauschale gelten. Anders als für die Abbedingung von Verzugszinsen (vgl. Satz 1) kommt es beim Beitreibungskostenbetrag auch nicht auf den Zeitpunkt der Abbedingung oder Reduzierung an, sodass eine privatautonome Modifikation auch im Voraus – etwa in AGB385 – vereinbart werden kann; denn die beiden Anfangsworte des § 288 Abs. 6 S. 2 („Gleiches gilt…“) beziehen sich nur auf die Rechtsfolge der beiden letzten Worte des vorherigen Satzes 1 („…ist unwirksam“) und nicht auf den gesamten ersten Satz und sein Tatbestandsmerkmal „im Voraus“.386 Allein entscheidend für die (Un-)Wirksamkeit ist nach der gesetzlichen Schranke die Intensität. Eine vollständige oder teilweise Abbedingung des Beitreibungskostenbetrags ist nach § 288 Abs. 6 S. 2 BGB unwirksam, „wenn sie im Hinblick auf die 381 Vgl. Erwgr. 28 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU; Dornis, ZIP 2014, 2427 (2432 f.); NK-BGB/Schulte-Nölke, § 288 BGB Rn. 25. 382 Rechtsprechung ist dazu bisher, soweit ersichtlich, nicht veröffentlich. Dies überrascht aber nicht, denn es wird kaum ein Entgeltforderungsgläubiger vor Gericht ziehen und ein Urteil erstreiten, der sich zuvor auf eine Abbedingung des gesetzlich pauschalierten Verzugsschadensersatzes geeignet hat und davon keine Nachteile im Sinne einer groben Unbilligkeit erfährt – „wo kein Kläger, da kein Richter“. 383 Dieser Zusatz beruht auf Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU, der für das Abbedingungsregime für den Beitreibungskostenschadensersatz nicht zwischen dem gesetzlich pauschalierten und dem konkret nachzuweisenden Anspruch unterscheidet. 384 Siehe dazu auch BeckOGK-BGB/Dornis, § 288 BGB Rn. 12 ff.; Verse, ZIP 2014, 1809 (1817). 385 Vgl. BeckOGK-BGB/Dornis, § 288 BGB Rn. 20; Verse, ZIP 2014, 1809 (1817). 386 So auch BeckOGK-BGB/Dornis, § 288 BGB Rn. 13 m. w. N.
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
Belange des Gläubigers grob unbillig ist.“ Grundsätzlich kann wegen dieses Tatbestands auf obige Ausführungen verwiesen werden,387 jedoch sind folgende Besonderheiten beachtlich. 1. Keine vollständige Abbedingung In § 288 Abs. 6 BGB schreibt der Gesetzgeber mit Satz 3 weiter vor, dass die vollständige Abbedingung der 40 Euro-Pauschale „im Zweifel als grob unbillig anzusehen“ ist.388 Diese gesetzliche Vermutung zulasten des Schuldners resultiert in einer Darlegungs- und Beweislastumkehr389 und stellt eine Besonderheit des Abbedingungsregimes des Beitreibungskostenbetrags gegenüber den Verzugszinsen dar. Der Schuldner muss nachweisen, dass die vollständige Abbedingung der 40 Euro-Pauschale ausnahmsweise nicht grob unbillig ist; dies wird ihm praktisch selten bis nie gelingen.390 Somit kann die Pauschale in der Praxis nie auf 0 Euro reduziert werden. Der Gesetzgeber nimmt hier nicht hin, dass der Geschäftsverkehr seine Pauschalierung des Schadensersatzes für Beitreibungskosten umgeht;391 er überlässt es nicht privaten Vertrags- und Marktmechanismen, eine vergleichbar effektive Regelung zur Absicherung pünktlicher und Kompensation unpünktlicher Zahlungen für Waren und Dienstleistungen zu finden. 2. Reduzierung des Betrags Eine teilweise Abbedingung der 40 Euro-Pauschale kann zulässig sein. Eine Reduzierung des Betrags ist zwar von § 288 BGB nicht vorgesehen.392 Nach der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU, die den Mindestpauschalbetrag von 40 Euro in Art. 6 Abs. 1 vorgibt, ist die teilweise Abbedingung aber zulässig, wenn der Schuldner „einen objektiven Grund für die Abweichung […] von dem Pauschalbetrag gemäß Art. 6 Abs. 1 hat.“393 Daher kann man das Merkmal der groben Unbilligkeit in § 288 Abs. 6 BGB,394 an dem die Wirksamkeit einer Reduzierung der Pauschale im Sinne einer teilweisen Abbedingung zu messen ist, richtlinienkonform wie folgt auslegen: Eine Reduzierung ist soweit zulässig, wie sie durch einen objektiven Grund gerechtfertigt ist. Die nationalen Gerichte haben zu entscheiden, ob im konkreten Einzelfall ein objektiver Grund besteht, der es rechtfertigt, dass die Pauschale durch Vereinbarung 387 388 389 390 391 392 393 394
Siehe oben, I. 2. Vgl. Art. 7 Abs. 3 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. Vgl. BT-Drs. 18/1309, S. 20. Grüneberg/Grüneberg, § 288 BGB Rn. 16; NK-BGB/Schulte-Nölke, § 288 BGB Rn. 24. Diese Befürchtung hat auch Hirsch, SchuldR AT, Rn. 524. Andere „Beschränkungen“ der absolut fixierten Pauschale sind nicht denkbar. Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 lit. c Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. „Grob unbillig“ entspricht im Richtlinienwortlaut „grob nachteilig“.
G. Weitergehender Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschalen
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reduziert wird. Nicht der Gesetzgeber bestimmt also abstrakt-generell anstelle von Vertragsparteien und Marktakteuren, welcher Beitreibungskostenbetrag angemessen ist; er überlässt es ihnen. Ihre Betragsbemessung ist allerdings der richterlichen Kontrolle unterworfen – dieselbe Absicherung wie für AGB-Schadensersatzpauschalen.395 Beispielsweise kann man daran denken, dass die Parteien die 40 Euro auf einen Pauschalbetrag reduzieren, der den typischen internen Beitreibungskosten ihrer Branche und Geschäftsbeziehung entspricht.396 Der Gesetzgeber hat, wie oben dargelegt, schließlich auch keinen besonderen Sachgrund gehabt, gerade 40 Euro als Beitreibungskostenbetrag festzuschreiben; es handelt sich vielmehr um eine Zweifelsregelung.397 Während eine privatautonome Reduzierung auf 0 Euro nicht zulässig wäre, kämen aber durchaus auch Beträge von weniger als 10 Euro in Betracht, wenn sie die im konkreten Fall typischerweise zu erwartenden Beitreibungskosten beim Zahlungsverzug widerspiegeln. Auch in AGB würde eine privatautonome Reduzierung der gesetzlichen Pauschale von 40 Euro keine unwirksame Klausel i. S. d. § 309 Nr. 5 lit. a BGB darstellen. Denn diesem Klauselverbot kommt hier im unternehmerischen Geschäftsverkehr nur Indizwirkung zu,398 es ist schuldnerschützend zu verstehen399 und es verbietet keine schuldnerbegünstigende Reduzierung einer gesetzlichen Schadensersatzpauschale.
G. Weitergehender Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschalen Die gesetzliche Pauschalierung des Schadensersatzes für die Leistungsstörung bei der Geldzahlung hindert den geschädigten Gläubiger nicht daran, einen weitergehenden Verzugsschadensersatz geltend zu machen (§ 288 Abs. 4 BGB). Zu untersuchen ist, was es heißt, dass der Gesetzgeber nur einen Mindestersatz pauschaliert und es dem Zahlungsgläubiger darüber hinaus gestattet, den Nachweis eines Verzugsschadens jenseits der Pauschale nach den allgemeinen Regeln des Schadensersatzrechts zu führen. Dass überhaupt ein weitergehender als der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz für Zahlungsverzug gefordert werden kann, erkennen nicht alle Staaten in ihren Rechtsordnungen an.400 In der Schweiz sieht es der Gesetzgeber zwar genauso wie in Deutschland,401 doch unterscheidet sich das deutsche Recht von einigen an395
§ 309 Nr. 5 BGB. Weitere Beispiele gibt Dornis, ZIP 2014, 2427 (2433). 397 Siehe oben, E. II. 2. 398 § 310 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB. 399 Birkenfeld-Pfeiffer, Schadensersatzpauschalen, S. 71; Lindacher, FS Birk, S. 515 ff. 400 Zum Rechtsvergleich siehe Flessner, Mélanges Sturm II, S. 1172 f.; Mankowski, WM 2009, 921 (923). 401 Art. 106 Abs. 1 OR. 396
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
deren gesetzlichen Verzugsregimen, in denen der Schadensersatz grundsätzlich auf die gesetzlichen Pauschalen begrenzt ist, wie beispielsweise in Spanien,402 Frankreich403 oder in den Niederlanden.404 Damit erspart man Parteien und Gerichten zwar den komplizierten Streit um einen über den gesetzlich pauschalierten Verzugszins hinausgehenden Schadensersatz.405 Sogar ohne gesetzliche Beschränkung hält man sich in der Rechtspraxis im skandinavischen Rechtskreis aus ebendiesem Grund mit der Geltendmachung weitergehenden Schadensersatzes zurück.406 Damit verwehren diese Staaten Zahlungsgläubigern, denen höhere individuelle Verzugsschäden entstanden sind, jede Möglichkeit des Ersatzes. Eine Begründung für diese Deckelung bzw. Ausschließlichkeit der Pauschalierung folgt nicht mehr daraus, dass der Gesetzgeber bei einer gleich- und massenartigen Leistungsstörung eingreift, die nicht durch Vertrags- und Marktmechanismen beherrschbar ist. Vielmehr ist ein Überschießen der Regulierung zu erkennen, wenn der Gesetzgeber „besserwisserisch“ nicht daran glaubt, dass ein höherer Schadensnachweis gelingen wird, und daher paternalistisch einen solchen Nachweis prinzipiell verbietet. Hier schwingt liberaler Paternalismus, dem eine Mindestpauschalierung nicht fremd ist, in schädlichen autoritären Paternalismus um.407 Praktisch relevant kann Verzugsschadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschalen – obwohl sie in Deutschland auch nicht gerade gering bemessen sind, um abzuschrecken – sehr wohl für einen Gläubiger werden, dem besonders hohe Kreditzinsen infolge des Zahlungsausstands entstanden sind. Dies kann darin begründet liegen, dass er selbst keine hohe Kreditwürdigkeit genießt und seinen Überbrückungskredit nur gegen Risikoaufschläge erhält oder dass er mit der ausstehenden Zahlung langfristige Kredite ablösen wollte und nun einen kurzfristigen Überbrückungskredit zu hohem Zins in Anspruch nehmen muss. Diesem schutzwürdigen Gläubiger, der sich selbst bereits in einem finanziellen Engpass befindet, aber zum legalen Mittel der Kreditaufnahme statt der illegalen Krediterzwingung durch seinerseitigen Zahlungsverzug greift, räumt der deutsche Gesetzgeber immerhin die Chance auf weitergehenden Verzugsschadensersatz ein und beschränkt den Ersatz seiner Schäden nicht paternalistisch auf die Pauschalen. Problematisch ist allerdings, wie dem Zahlungsgläubiger der Nachweis eines Verzugsschadensersatzes jenseits der gesetzlichen Pauschalen des § 288 Abs. 1, 2 und 5 BGB gelingen kann. Es muss überhaupt eine Anspruchsgrundlage bestehen, deren Voraussetzungen vom Gläubiger nachzuweisen sind. Das dürfte häufig schwerfallen und kann im Ergebnis von geringem Erfolg sein, wie im Folgenden dargelegt wird. 402
Art. 1108 spanischer Código civil. Art. 1153 französischer Code civil bis zur Reform 2016; materiell unverändert nun in Art. 1231 – 6. 404 Art. 6:119 niederländisches Burgerlijk Wetboek. 405 Flessner, Mélanges Sturm II, S. 1173. 406 Ebd. 407 Vgl. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 133 f. 403
G. Weitergehender Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschalen
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Insofern bewahrheitet sich – im Ansatz – die Überzeugung der Staaten, die die Nachweisbarkeit gänzlich bezweifeln und infolgedessen – allerdings übertrieben – den Nachweis prinzipiell ausschließen.
I. Anspruchsgrundlage und ihre Probleme Anspruchsgrundlage für den Ersatz von Zahlungsverzugsschäden des Gläubigers jenseits der Pauschalen ist regelmäßig der Grundtatbestand des § 280 Abs. 1 BGB. Gemäß dessen Abs. 2 müssen auch die Voraussetzungen des § 286 BGB vorliegen, ebenso wie für die Pauschalen nach § 288 Abs. 1, 2 und 5 BGB. Während dem Gläubiger für § 280 Abs. 1 BGB zwar eine abstrakte Schadensberechnung hinsichtlich eines entgangenen Anlagegewinns gestattet ist (§ 252 S. 2 BGB),408 trifft dies auf den häufigeren Fall des Kreditkostenersatzes nur zu, wenn der Gläubiger während des Verzugs selbst tatsächlich Kredit in Anspruch genommen hat und wenn er als Teilnehmer am Handelsverkehr seine Kosten typisierend berechnen kann, die ihm nachweislich für den Kredit entstanden sind.409 Bedeutsam dafür ist nicht zuletzt die Person des Gläubigers, weil man die Schäden (und ihre Beweisbarkeit) unterscheiden kann, die Privatanlegern im Vergleich etwa zu Banken, Investmentgesellschaften und Versicherungen üblicherweise entstehen.410 Zu bedenken ist, dass dem Schuldner der Gegenbeweis eines tatsächlich geringeren Schadens unbenommen ist,411 anders als beim gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch. Nachteilig für den Gläubiger, dem der Nachweis gelungen ist, wirkt sich die Anrechnung des gesetzlich pauschalierten Verzugsschadensersatzes auf den konkret nachgewiesenen aus. Die Anrechnung ist hinsichtlich der Verzugszinsen zwar nicht gesetzlich in § 288 BGB geregelt, aber richterrechtlich anerkannt.412 Für den Beitreibungskostenbetrag besteht in Umsetzung der Zahlungsverzugs-Richtlinienvorgaben eine gesetzliche Regelung zur Anrechnung. Allerdings ist die deutsche Umsetzung nicht unproblematisch und verdient daher nähere Betrachtung.
408 In st.Rspr. anerkannt: BGHZ 62, 103 (105); 104, 337 (344 ff.); BGH, NJW 1984, 371 (372). Dem Gläubiger eröffnet dies sogar gewisse Spekulationsmöglichkeiten (hypothetisches Investment), siehe Mankowski, WM 2009, 921 ff. 409 BGH, NJW-RR 1991, 793 f.; 1991, 1406 f.; NJW 1992, 109 f. Vgl. auch BeckOGKBGB/Dornis, § 286 Rn. 317 f.; Grüneberg/Grünberger, § 288 Rn. 13 f.; ausführlicher Staudinger/Feldmann, § 288 BGB Rn. 49 f.; Repgen, in: Handbuch der Beweislast, § 288 BGB Rn. 5 ff. Zu den Beweisproblemen unter dem § 288 in ursprünglicher Fassung Belke, JZ 1969, 586 ff. 410 Staudinger/Feldmann, § 288 BGB Rn. 50 ff. 411 Ebd., Rn. 54. 412 KG, JurBüro 2014, 315 f. Vgl. auch BGH, NJW 2002, 2553 (2556).
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1. Kap.: Gesetzlich pauschalierter Ersatz für Zahlungsverzugsschäden
II. Anrechnung auf den Beitreibungskostenbetrag Der konkret nachgewiesene weitergehende Schadensersatz für Kosten der Rechtsverfolgung ist gemäß § 288 Abs. 5 S. 3 BGB auf den Beitreibungskostenbetrag nach S. 1 anzurechnen. Diese Anrechnungsvorschrift schließt sowohl interne als auch externe Beitreibungskosten ein. Externe Kosten entstehen dem Gläubiger beispielsweise für die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Forderungsbeitreibung. Nach deutschem Gebührenrecht kostet den Gläubiger allein schon die Summe aus Mindestgeschäftsgebühr und Postund Telekommunikationsgebühr des mit der Beitreibung mandatierten Rechtsanwalts mehr als 40 Euro netto,413 sodass die Pauschale aus § 288 Abs. 5 S. 1 BGB stets aufgezehrt wird.414 Dies schafft für den säumigen Schuldner allerdings ungewollte Anreize: Die Pauschale ist für ihn irrelevant, wenn er es ohnehin auf einen Rechtsstreit ankommen lässt, in dem sich der Gläubiger anwaltlich vertreten lassen muss. Für eine Auslegung, nach der keine externen Beitreibungskosten angerechnet würden,415 spricht zwar Erwägungsgrund 20 der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/ EU, in dem es heißt: „Neben einem Anspruch auf Zahlung eines Pauschbetrags für interne Beitreibungskosten sollte der Gläubiger auch Anspruch auf Ersatz der übrigen, durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten haben. Zu diesen Kosten sollten insbesondere Kosten zählen, die dem Gläubiger durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens entstehen.“416
Obwohl man diesen Erwägungen durchaus entnehmen könnte, dass externe Beitreibungskosten neben der Pauschale geltend gemacht werden dürften und keine Anrechnung auf die Pauschale stattfinden würde,417 hat der EuGH anders entschieden.418 Nach seiner Auslegung könne aus den Erwägungsgründen „nämlich nicht abgeleitet werden, dass die ,internen‘ Beitreibungskosten nur durch den Pauschalbetrag von 40 Euro ersetzt werden könnten, während die übrigen Beitreibungskosten Gegenstand eines eigenständigen Ersatzes nach Art. 6 Abs. 3 […] sein sollten.“419 Daher dürfen nationale Gerichte Beitreibungskosten nur zusprechen,
413
Vgl. Gebühren 2300 und 7002 i. V. m. Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG. Diese Gefahr sieht auch NK-BGB/Schulte-Nölke, § 288 Rn. 20. 415 Färber/Pipoh, DB 2017, 67 (69 ff.); Stöber/Petanidis, AGS 2017, 1 (4). 416 Hervorhebungen durch Verf. 417 Dafür plädierte auch Dornis, JZ 2018, 327 (330 ff.) in der Anm. zur EuGH-Vorlage BGH, Beschl. v. 18. 1. 2018 – III ZR 174/17. 418 EuGH, Beschl. v. 11. 4. 2019, C-131/18 – Gambietz. 419 ˇ eská pojisˇˇtovna, Ebd., Rn. 27 unter Verweis auf Urt. v. 13. 9. 2018, C-287/17 – C Rn. 34 ff. 414
H. Zwischenergebnis
103
soweit sie den Pauschalbetrag von 40 Euro übersteigen, also nachdem auf sie der Pauschalbetrag angerechnet worden ist.420
H. Zwischenergebnis Die Untersuchung des § 288 BGB hat ergeben, dass der Gesetzgeber bei Zahlungsverzug, der sich von der Spätleistung anderer Güter unterscheidet, Schadensersatz in Form der Verzugszinsen (§ 288 Abs. 1 und 2) und des Beitreibungskostenbetrags (§ 288 Abs. 5 BGB) in Umsetzung der europäischen ZahlungsverzugsRichtlinien 2000/35/EG und 2011/7/EU pauschaliert, weil den Folgen des Zahlungsverzugs als gleich- und massenartiger Leistungsstörung, die nicht durch private Vertrags- und Marktmechanismen beherrschbar ist, nur durch hoheitliches Eingreifen begegnet werden kann. Dieses Verständnis der Verzugszinsen lässt sich bis zum naturrechtlichen Vernunftrecht zurückverfolgen. Durch den gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatz werden einerseits die durch die Zwangskreditgewährung anfallenden Opportunitätskosten und Transaktionsmehrkosten des individuellen Gläubigers erstattet, indem die für den säumigen Schuldner externen Kosten internalisiert werden; andererseits wird die Gefahr einer volkswirtschaftlich bedenklichen Lähmung des Kapital- und Wirtschaftskreislaufs vermindert. Damit einhergehende Wohlfahrtsverluste werden weitgehend abgewendet. Mit den gesetzlich gestaffelt pauschalierten Verzugszinsen und dem speziellen Beitreibungskostenbetrag reagiert der Gesetzgeber differenziert auf das mikro- wie makroökonomische Schädigungspotenzial des Zahlungsverzugs, das besonders hoch ist für den Geschäftsverkehr. Abweichende Wertungsentscheidungen hat der Gesetzgeber zugunsten des Verbraucherschutzes dort getroffen, wo die Allokationseffizienz pünktlicher Zahlung hinter der Verteilungsgerechtigkeit zurückstehen muss. Liegt die Tatbestandsvoraussetzung des Verzugs vor, von dem in aller Regel keine Exkulpation möglich ist, fällt der gesetzlich pauschalierte Zahlungsverzugsschadensersatz an, dessen Bemessung sich als kreditmarktorientierte und kostentypisierende Kompensation für die zeitweilige Kapitalentziehung infolge der Zwangskreditierung nachvollziehen lässt; sie wird durch Aufschläge überkompensatorisch soweit erhöht, dass eine Zahlungsverzugsprävention erreicht werden kann. Soweit private Vertrags- und Marktmechanismen wirken und den Zahlungsgläubiger ebenso wie Dritte nicht benachteiligen, greift ihnen das gesetzlich pauschalierte Zahlungsverzugsschadensersatzregime aber nicht vor und gestattet sowohl begrenzte privatautonome Modifikation als auch weitergehenden Schadensersatz.
420
EuGH, Beschl. v. 11. 4. 2019, C-131/18 – Gambietz, Rn. 25.
Zweites Kapitel
Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste bei Nichtbeförderung und ähnlichen Fällen Für die gegenüber dem Zahlungsverzug recht andersartig scheinende Leistungsstörung, dass Fluggäste überhaupt nicht oder nicht pünktlich befördert werden, hat sich der Unionsgesetzgeber dazu entschlossen, einen „Ausgleichsanspruch“ vorzuschreiben. Dieser Anspruch besteht gemäß Art. 7 der europäischen Fluggastrechte-Verordnung (EG) Nr. 261/2004 gegenüber der ausführenden Fluggesellschaft1 in Fällen der Nichtbeförderung und Flugannullierung und gilt ebenso – kraft richterrechtlicher Erweiterungen – bei großer Ankunftsverspätung und neuerdings erheblicher Abflugvorverlegung. Der pünktlichen Beförderung gerade von Fluggästen – anders als von Passagieren anderer Massentransportmittel – scheint eine ganz besondere Bedeutung beigemessen worden zu sein. Es steht zu vermuten, dass die gesetzgeberische Motivation ähnlich wie beim Zahlungsverzugsschadensersatz daher rührt, dass es um Fälle gleich- und massenartiger Leistungsstörungen geht und Vertrags- und Marktmechanismen bei der Folgenbewältigung versagen, sodass der Gesetzgeber berufen ist, in diesen brisanten Fällen mit seinem pauschalierten Schadensersatzanspruch einzugreifen. Der Unionsgesetzgeber hat nicht nur einen eigenen zivilrechtlichen Anspruch des individuell betroffenen Fluggasts gegen die ausführende Fluggesellschaft geschaffen, sondern zugleich die Anspruchshöhe mit festen Beträgen in Höhe von 250, 400 bzw. 600 Euro vorherbestimmt. Damit divergiert Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung von allgemeinen Anspruchsgrundlagen im nationalen Leistungsstörungsrecht der Mitgliedstaaten und im Völkerrecht, die vom Fluggast den Nachweis seines konkreten Schadens und der Kausalität verlangen, den er nur selten führen kann. Zu ergründen ist, warum es für den Gesetzgeber so wichtig ist, dass Fluggäste pünktlich befördert werden, und wie er versucht, dies durch einen pauschalierten Schadensersatzanspruch sowohl kompensatorisch als auch präventiv abzusichern. Dafür soll zunächst der Genese des vergleichsweise jungen „Ausgleichsanspruchs“ nachgespürt werden, bevor ausführlich das Erfordernis der Fluggastentschädigung und ihr Verständnis als gesetzlich pauschalierter Schadensersatz diskutiert werden. Die Gestaltung des Anwendungsbereichs zu untersuchen ist besonders interessant, weil der gesetzgeberische Zuschnitt von der Rechtsprechung erweitert worden ist. Auf Tatbestandsseite ist vor allem die Beschränkung der Exkulpation auf außergewöhnliche Umstände näher zu betrachten, bevor rechtsfolgenseitig die Bemessung 1
„Luftfahrtunternehmen“ in der Verordnungsterminologie.
A. Schaffung eines pauschalierten Schadensersatzanspruchs
105
der gesetzlichen Pauschalbeträge hinterfragt werden kann. Zu bedenken sind außerdem die gesetzlichen Vorschriften zu besonderen Informationspflichten und zum strengen Abbedingungsschutz, die das pauschalierte Schadensersatzregime flankieren. Abschließend ist auf die Möglichkeit zu weitergehendem Schadensersatz des Fluggasts einzugehen, wobei dies aber nicht ohne Probleme und nur unter Anrechnung auf die Pauschale möglich ist.
A. Schaffung eines pauschalierten Schadensersatzanspruchs durch den Unionsgesetzgeber Die Erwägungen und Entwicklungsschritte in der modernen gesetzgeberischen Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene hin zu einer gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung für die Fluggastentschädigung sollen im Folgenden nachvollzogen werden. Im Vergleich zu den gesetzlichen Verzugszinsen stellen die Fluggastrechte historisch gesehen eine sehr viel jüngere Entwicklung dar, die sich zudem schneller vollzogen hat.
I. Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung in der Überbuchungs-Verordnung als Gegenstück zur Luftverkehrsliberalisierung Dass Fluggäste einen gesetzlich pauschalierten „Ausgleichsanspruch“ haben, ist eine Errungenschaft, die mit der 1991 erlassenen Vorgängerverordnung der heutigen Fluggastrechte-Verordnung 261/2004 erzielt wurde, zumindest für Fälle der Nichtbeförderung. Im Kontext der allgemeinen Liberalisierung des Flugverkehrs in Europa ab Ende der 1980er Jahre sollte sich, gemäß dem US-amerikanischen Deregulierungsvorbild,2 ein wettbewerbsorientierter europäischer Luftverkehrsbinnenmarkt herausbilden,3 in dem der Gesetzgeber aber auch die Rechte der Kunden in Form von Fluggastrechten zu sichern suchte. So erließ der europäische Gesetzgeber bereits 1991 die „Verordnung über eine gemeinsame Regelung für ein System von
2 Vgl. „Airline Deregulation Act of 1978“ (An Act to amend the Federal Aviation Act of 1958, to encourage, develop, and attain an air transportation system which relies on competitive market forces to determine the quality, variety, and price of air services, and for other purposes, Pub.L. 95 – 504). 3 Auf die Einheitliche Europäische Akte im Jahr 1986 folgten mehrere „Liberalisierungspakete“ für die Luftfahrt 1987, 1990 und 1992: zuletzt die Verordnungen (EWG) Nr. 2407/92 des Rates (für Betriebsgenehmigungen), Nr. 2408/92 (für Streckengenehmigungen) und Nr. 2409/92 (für Flugreise), die mittlerweile allesamt durch die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (für Durchführung von Luftverkehrsdiensten; ABl. L293/3) ersetzt wurden.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr“.4 Diese im Deutschen sog. Überbuchungs-Verordnung5 richtete sich speziell gegen das Problem der Überbuchung,6 also dass bezogen auf einen bestimmten Flug mehr Tickets verkauft werden, als Sitzplätze vorhanden sind, weil die Fluggesellschaft davon ausgeht, dass einige Fluggäste nicht zum Abflug erscheinen („no-shows“). Indem dem Fluggast, für den aufgrund der Spekulation der Fluggesellschaft kein Platz mehr frei ist, ein zivilrechtlicher Anspruch auf eine „Mindestausgleichsleistung“ zuerkannt wird, sollte es nach der Intention des Verordnungsgebers ermöglicht werden, dass trotz des zunehmenden Wettbewerbs im Luftverkehr die Qualität der Leistung beibehalten werden kann.7 In den USA hatte man bereits 1967 eine Regelung in den Code of Federal Regulations (Aeronautics and Space – Economic Regulations) aufgenommen, die eine gesetzlich pauschalierte Zahlung an Fluggäste vorsah, denen die Beförderung wegen Überbuchung verweigert wurde.8 Im europäischen Gesetzgebungsverfahren wurden verschiedenste Gestaltungsmöglichkeiten für den Anspruch diskutiert. Die Europäische Kommission hatte in ihrem Vorschlag für die Überbuchungs-Verordnung eine Entschädigungsregelung vorgesehen, die sich prozentual am günstigsten Preis für flexible Tickets orientieren sollte,9 vergleichbar mit der US-amerikanischen Regelung. Dagegen hatte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss allerdings in seiner Stellungnahme die Befürchtung geäußert, dass die Ermittlung der Entschädigung in der Praxis zu kompliziert sei, und hatte sich daher grundsätzlich für pauschale Entschädigungsbeträge ausgesprochen.10 Das (seinerzeit lediglich zu konsultierende11) Europäische Parlament hatte vorgeschlagen, die Abhängigkeit vom Ticketpreis beizubehalten und zusätzlich Höchstbeträge vorzusehen.12 4 Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. 2. 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr (ABl. L36/5). 5 Vgl. u. a. Führich, NJW 1997, 1044; Hausmann, Fluggastrechte, S. 41. 6 Erwgr. 5 und 6 Überbuchungs-Verordnung. 7 Erwgr. 4 Überbuchungs-Verordnung. 8 Vgl. 14 CFR Code of Federal Regulations (Aeronautics and Space), Chapter II, Subchapter A – Economic Regulations, § 250, abrufbar unter www.ecfr.gov. Ursprünglicher Erlass ER–503, 32 FR 11942, 18. 8. 1967. 9 Art. 4 des Vorschlags vom 3. 5. 1990 für eine Verordnung (EWG) des Rates über eine gemeinsame Regelung für Entschädigungsleistungen bei Nichtbeförderung im Fluglinienverkehr, KOM(90)99 endg. 10 Stellungnahme vom 18. 10. 1990 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über eine gemeinsame Regelung für Entschädigungsleistungen bei Nichtbeförderung im Fluglinienverkehr (ABl. 1991 C31/28), Ziff. 2.4.2. 11 Vgl. Art. 84 Abs. 2 EWG-Vertrag, wonach der Rat darüber entscheiden konnte, ob, inwieweit und nach welchem Verfahren geeignete Vorschriften für die Luftfahrt zu erlassen sind. 12 Vgl. Änderung Nr. 15 der Legislativen Entschließung vom 14. 12. 1990 zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über eine gemeinsame Regelung für Entschädigungsleistungen bei Nichtbeförderung im Fluglinienverkehr (ABl. C19/652).
A. Schaffung eines pauschalierten Schadensersatzanspruchs
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Die im Rat erfolgte politische Einigung ging dahin,13 dass mit Art. 4 Abs. 2 Überbuchungs-Verordnung eine Regelung erlassen wurde, die einen Zahlungsanspruch im Fall der Nichtbeförderung vorsah, der gesetzlich absolut pauschaliert war. Bei Nichtbeförderung bis zu einem 3.500 km entfernten Flugendziel betrug die Entschädigung 150 ECU und zu einem entfernteren Endziel 300 ECU (European Currency Unit, entspricht dem heutigen Euro14), wobei sich die Beträge halbierten, wenn die Fluggesellschaft eine Beförderung mit einem anderen Flug anbot, der höchstens zwei bzw. vier Stunden verspätet am Endziel ankam.15 D. h. es bestand Anspruch auf 75 ECU bei einer um höchsten zwei Stunden verspäteten Ankunft mit einem Alternativflug zum Endziel in bis zu 3.500 km Entfernung und Anspruch auf 150 ECU bei keiner oder späterer Ankunft dort; für weiter entfernte Endziele bestand Anspruch auf 150 ECU bei einer um bis zur vier Stunden verspäteten Ankunft mit einem Alternativflug und auf 300 ECU bei keiner oder späterer Ankunft. Dieser Anspruch der Überbuchungs-Verordnung wurde in der Rechtsprechung und Literatur als ein Schadensersatzanspruch in gesetzlich pauschalierter Form angesehen, weil die Ausgleichsleistung – als Sekundärleistung – ausdrücklich neben der vollständigen Erstattung des Flugtickets bzw. der schnellstmöglichen oder späteren Beförderung zum Endziel – also als Ersatz für die eigentlich geschuldete Primärleistung – zu erbringen war.16 Die nicht allzu hoch bemessenen Schadensersatzpauschalen der ÜberbuchungsVerordnung führten in den Augen der Europäischen Kommission jedoch nicht in ausreichendem Maß zu der gewünschten Wirkung, nämlich Fluggesellschaften davon abzuhalten, Fluggästen übermäßig oft die Beförderung zu verweigern oder ganze Flüge zu annullieren.17 Eine Besonderheit der Überbuchungs-Verordnung stellte zudem die „Deckelung“ der gesetzlich vorgesehenen Pauschalen dar, denn die Fluggesellschaften durften eine Begrenzung auf den Ticketpreis vorsehen.18
13
Vgl. Verordnungsentwurf des Ausschusses der Ständigen Vertreter, Anlage I zum Ratsdokument vom 12. 12. 1990, 10826/90 AER 104 (restreint). 14 Basierend u. a. auf der Entschließung des Europäischen Rates vom 5. 12. 1978 über die Errichtung des Europäischen Währungssystems. Ablösung durch den Euro zum 1. 1. 1999 durch Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1103/97 des Rates vom 17. 6. 1997 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro (ABl. L162/1). 15 Art. 4 Abs. 3 Überbuchungs-Verordnung. Vgl. Giemulla, EuZW 1991, 367 ff. 16 Vgl. LG Frankfurt a. M., RRa 1998, 125 (126 f.); AG Frankfurt a. M., RRa 2003, 87 (88); Führich, NJW 1997, 1044 (1046); Hausmann, Fluggastrechte, S. 41. Vgl. auch Art. 9 Abs. 1 Überbuchungs-Verordnung, demzufolge eine „Klage auf zusätzliche Entschädigung“ unberührt blieb. 17 Vgl. Vorschlag vom 21. 12. 2001 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen, KOM(2001)784 endg., Ziff. 5. 18 Art. 4 Abs. 4 Überbuchungs-Verordnung.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
II. Ausbau der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung durch die Fluggastrechte-Verordnung Mit einem Vorschlag zur Verordnungsreform, der zunächst eine moderate Erhöhung der Pauschalen und die Möglichkeit zur weiteren Erhöhung entsprechend der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorsah,19 scheiterte die Kommission jedoch – aus geopolitischen Gründen.20 Nimmermüde schlug die Kommission in einem neuen Anlauf kurz darauf aber eine ganz erhebliche Erhöhung der Pauschalen auf 750 und 1.500 Euro vor, nämlich auf das Doppelte des durchschnittlichen innereuropäischen Ticketpreises für die Business Class.21 Angedacht war außerdem eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Verordnung auf Fälle der Annullierung,22 um nicht nur die Nichtbeförderung individueller Fluggäste mit den Schadensersatzpauschalen zu bewehren.23 Allerdings begegnete dieser Vorschlag für eine Verordnung für stärkere Fluggastrechte – nicht zuletzt wegen der Erhöhung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes – Bedenken des Wirtschafts- und Sozialausschusses.24 Das Parlament schlug eine Abänderung vor, die nahezu den letztlich verabschiedeten Pauschalbeträgen in Art. 7 Abs. 1, gestaffelt in drei Kategorien, entspricht.25 Dahinter stand die 19 Art. 1 Nr. 2 des Vorschlags vom 30. 1. 1998 für eine Verordnung (EG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr, KOM(1998)41 endg. 20 Grund war die Uneinigkeit zwischen Spanien und dem Vereinigten Königreich über die Einbeziehung des Flughafens von Gibraltar (so auch für die heute geltende FluggastrechteVerordnung, vgl. deren Erwgr. 24 und Art. 1 Abs. 3). 21 Art. 7 Abs. 1 S. 1 des Vorschlags vom 21. 12. 2001, KOM(2001)784 endg. Vgl. zur Begründung des Vorschlags insofern Ziff. 14. 22 Art. 10 Abs. 3 des Vorschlags vom 21. 12. 2001, KOM(2001)784 endg. 23 Diese Idee geht zurück auf die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zum gescheiterten Vorschlag vom 30. 1. 1998, die ihren Niederschlag fand im ebenso erfolglos gebliebenen geänderten Vorschlag der Kommission vom 19. 10. 1998 für eine Verordnung (EG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr, KOM(1998) 580 endg. 24 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 17. 7. 2002 zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen“ (ABl. C241/29), Ziff. 4.1. 25 Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in erster Lesung am 24. 10. 2002 im Hinblick auf den Erlass der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (ABl. 2003 C 300E/557), Art. 7 Abs. 1 S. 1: „Bei Nichtbeförderung erhalten Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe: a) 200 EUR bei Flügen über eine Entfernung von weniger als 1 000 km; b) 400 EUR bei Flügen über eine Entfernung zwischen 1 000 km und 3 500 km; c) 600 EUR bei Flügen über eine Entfernung von mehr als 3 500 km.“
A. Schaffung eines pauschalierten Schadensersatzanspruchs
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Erwägung, dass zu hohe Entschädigungszahlungen in einer allgemeinen Anhebung der Ticketpreise resultieren würden und sich somit reflexartig größere Nachteile für die eigentlich zu schützenden Fluggäste ergeben könnten.26 Außerdem gälten die Pauschalen für unterschiedlichste Gründe der Nichtbeförderung und für unterschiedlichste Fluggesellschaften, einschließlich von Regionalfluggesellschaften als schützenswerten Kleineren und Mittleren Unternehmen (KMU).27 Die Kommission verwahrte sich zwar insbesondere gegen diese Änderungen der Pauschalbeträge, denn sie würden keine ausreichende Wirkung auf die beanstandete Praxis der Fluggesellschaften entfalten,28 jedoch wurden sie in der politischen Einigung des Rates auf einen gemeinsamen Standpunkt manifestiert,29 dem die Kommission sodann auch zustimmte.30 Gegenüber der Überbuchungs-Verordnung weggefallen ist die Deckelung der Ersatzansprüche auf den Ticketpreis, während die Halbierung der Pauschalen bei Alternativbeförderung erhalten blieb. Die 2004 verabschiedete Fluggastrechte-Verordnung etablierte mithin den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch des Fluggasts bei Nichtbeförderung und Annullierung; sie gilt seit ihrem Inkrafttreten 2005 im Wortlaut unverändert.31 Eine drittstaatliche Rezeption der europäischen Regelung erfolgte beispielsweise in Israel, wo ein strukturell recht ähnliches Gesetz 2012 von der Knesset verabschiedet wurde, das u. a. auch gesetzlich pauschalierte Schadensersatzzahlungen wie die Fluggastrechte-Verordnung vorsieht.32 26
Begründung zu Änderungsantrag Nr. 23 aus dem Bericht vom 12. 9. 2002 des Ausschusses für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr des Parlaments, A5/2002/298; angenommen vom Parlament am 24. 10. 2002. 27 Ebd. 28 Vgl. Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen, KOM(2002)717 endg., S. 5 f. 29 Vgl. Politische Einigung des Rates auf einen Gemeinsamen Standpunkt vom 5. 12. 2002, Bulletin EU 12/2002, Ziff. 1.4.79; Annahme durch den Rat vom 18. 3. 2003 (ABl. C125E/63), Begründung Ziff. II.1; beschlossen mit qualifizierter Mehrheit, gegen die Stimme des Vereinigten Königreichs und bei Stimmenthaltung Portugals. 30 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Art. 251 Abs. 2 UAbs. 2 EGV betreffend den vom Rat angenommenen gemeinsamen Standpunkt im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen, SEK(2003)361 endg., Punkte 3 und 5. Zum Vermittlungsverfahren vgl. auch Janköster, Fluggastrechte im internationalen Luftverkehr, S. 10. 31 Zum zehnjährigen Jubiläum der Fluggastrechte-Verordnung ist der Sammelband Bobek/ Prassl (Hrsg.), Air Passenger Rights erschienen, der sich allgemeinen Fragen zur Verordnung auf europäischer und mitgliedstaatlicher Ebene widmet. 32 Vgl. in englischer Übersetzung: Aviation Services Law (Compensation and Assistance for Flights Cancellation or Change of Conditions), abrufbar unter www.tourism-law.co.il/pdf/ AviationServicesLawENG.pdf.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
III. Weitere Rechtsentwicklung Im Jahr 2013 haben in Europa Reformüberlegungen zur Fluggastrechte-Verordnung begonnen, von denen die Regelung zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatz teilweise betroffen ist.33 Von der Kommission wird neben der Klarstellung einiger wichtiger Modalitäten des Schadensersatzanspruchs insbesondere erwogen, die Abbedingung der gesetzlichen Pauschalen zuzulassen.34 Zum Kommissionsvorschlag haben bereits der Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie das Parlament Stellung genommen, jedoch hat es in den letzten Jahren keinen nennenswerten Fortgang gegeben.35 Die Kommission hat 2016 zu Informationszwecken immerhin „Leitlinien für die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004“ veröffentlicht,36 die neben einer Zusammenfassung der Verordnung und der dazu ergangenen EuGHRechtsprechung eine Übersicht über die Praktiken der Fluggesellschaften enthalten.37
B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung als gesetzlich pauschalierter Schadensersatz Für den „Ausgleichsanspruch“ nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung bedarf es nach erfolgter Vergewisserung über seine historische Entstehung noch der spezifischen Begründung, dass es sich dabei um einen gesetzlichen Schadensersatzanspruch in pauschalierter Form für eine besonders kritische Leistungsstörung handelt,
33
Zehn offene Fragen fasst Schmid, NJW 2015, 513 ff. zusammen. Art. 7 Abs. 5 i. d. F. des Vorschlags vom 13. 3. 2013 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr, KOM(2013)130 endg. Zur Abbedingung de lege lata/ferenda siehe unten, G. 35 Stand 1. Januar 2022. Vgl. das Gesetzgebungsvorhaben 2013/72(COD) unter http://www. europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?reference=2013/0072(OLP). Zur Kritik der Reform siehe u. a. Keiler, RRa 2013, 163 ff.; Schindler/Bues, ZLW 2014, 188 ff.; Schmitt, VuR 2013, 277 ff. Ein Scheitern der Reform konstatierte schon Tonner, VuR 2014, 285. 36 Bekanntmachung der Kommission vom 10. 6. 2016, Leitlinien für die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates, C(2016)3502 endg. 37 Kritik wegen dieser „Selbstdeutung“ anstelle der judikativen Entscheidung bzw. legislativen Reform übt Führich, NJW-aktuell 29/2016, 15. 34
B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung
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die gleich- und massenartig ist und auf die der Gesetzgeber reagiert, weil die Folgen nicht durch private Vertrags- und Marktmechanismen beherrschbar sind. Vorauszuschicken ist, dass der „Ausgleichsanspruch“ einer EU-Verordnung und damit einem supranationalen Rechtsakt der Europäischen Union entspringt,38 der in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Sekundärrecht ist.39 Der Anspruch, gerichtet auf Zahlung zwischen zwei Privaten, stellt mithin einen gesetzlichen Anspruch dar,40 der dem Zivilrecht zuzuordnen ist41 und auf der vertraglichen Grundlage des Luftbeförderungsvertrags beruht.42 Es ist eine Besonderheit, dass ein europäischer Rechtsakt Leistungsstörungsregelungen mit unmittelbarer Wirkung vorsieht – zu seinem Erlasszeitpunkt war es der erste Akt dieser Art.43 Aufgrund des supranationalen Sekundärrechtscharakters der Norm ist sie nicht aus nationaler Perspektive zu beurteilen. Dies hat auch der EuGH von Anfang an deutlich gemacht: Bereits nach dem Erlass der Fluggastrechte-Verordnung, noch vor ihrem Inkrafttreten, musste sie sich dem Angriff der Luftfahrtindustrie stellen, mit dem die Verletzung primärrechtlicher Grundsätze des europäischen Rechts gerügt wurde.44 Der EuGH entschied aber, dass die Verordnung – insbesondere die Regelung über den Ausgleichsanspruch – primärrechtskonform sei.45 Dass die Fluggastrechte-Verordnung und insbesondere der von ihr vorgesehene Ausgleichsanspruch einen „Fremdkörper“ aus Sicht der nationalen Zivilrechtsordnungen der Mitgliedstaaten darstelle, wie in der Literatur kritisiert wird,46 ist angesichts des Unionsrechtscharakters eigentlich wenig überraschend. Unbestritten handelt es sich bei Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung aber um eine besondere Regelung, die hinsichtlich ihrer rechtsökonomischen Notwendigkeit und ihrer Rechtsnatur der eingehenden Untersuchung bedarf. 38 Als Rechtsnachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft, die die Verordnung erlassen hat; vgl. Art. 1 UAbs. 3 S. 3 EUV. 39 Art. 288 UAbs. 2 AEUV. Vgl. dazu Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 4. 40 BGHZ 188, 85 (91 f.); BGH, WM 2016, 1200 (1201) Rn. 9 (die dem EuGH vorgelegte Rs. C-533/15 wurde wieder gestrichen). 41 Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 5. Für die Einordnung ins öffentliche Recht votierte GA Geelhoed, Schlussanträge v. 8. 9. 2005, C-344/04 – IATA und ELFAA, Rn. 52, abgeleitet aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Beschwerdestellen nach Art. 16 Fluggastrechte-Verordnung; seine diesbezüglichen Ausführungen blieben im Urteil des EuGH aber unberücksichtigt. 42 EuGH, Urt. v. 7. 3. 2018, C-274/16, C-447/16 – flightright u. a., Rn. 56 ff. Vgl. zuvor schon EuGH, Urt. v. 9. 7. 2009, C-204/08 – Rehder, Rn. 44. 43 Lienhard, GPR 2004, 259 (260). 44 Es sei eine „Katastrophe“ über die Fluggesellschaften hereingebrochen, hieß es, vgl. Tonner, RRa 2004, 59 (60). 45 EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006, C-344/04 – IATA und ELFAA, insbes. Rn. 91. 46 Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897 (1899); Staudinger, NJW 2007, 3392 (3393); ebenso Schmid, ZLW 2005, 373 (379). Daran anschließend Müller-Rostin, euvr 2013, 138 (146). Vgl. für die Schweiz: Marti, Fluggastrechte, S. 382 f.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
I. Nichtbeförderung und ähnliche Fälle als gleich- und massenartige Leistungsstörungen Der Ausgleichsanspruch ist der abstrakt-generellen Pauschalierung zugänglich, wenn sich die Fälle der Nichtbeförderung, Flugannullierung, großen Ankunftsverspätung und erheblichen Abflugvorverlegung als gleich- und massenartige Leistungsstörungen darstellen. 1. Gleichartigkeit Anders als bei der Analyse von Zahlungsverzug ist es hinsichtlich der Nicht- oder unpünktlichen Beförderung von Fluggästen nicht möglich, eine Gleichartigkeit der Leistungsstörung aus rein rechtlicher Sicht zu begründen. Dabei bliebe unberücksichtigt, wie differenziert die Lage in tatsächlicher Hinsicht ist. Neben der Nichtbeförderung, Annullierung, großen Ankunftsverspätung und erheblichen Abflugvorverlegung kommt es zu den verschiedensten weiteren Fällen der mangelhaften Beförderung; denkbar sind Leistungsstörungen vor, bei und nach der Durchführung des Flugs, die den Aufenthalt und die Leistungen am Boden und an Bord betreffen, sodass es im Gegensatz zur Schlechtleistung von Geld bei der Fluggastbeförderung nicht nur eine einzige, beachtliche Leistungsstörung gibt. Daher muss die Gleichartigkeit der von Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung umfassten Leistungsstörungen besonders im Tatsächlichen begründet sein. Sieht man von Flugunfällen und Gepäckverlust ab, für die vor allem die Sonderregeln des unten noch zu behandelnden Montrealer Übereinkommens einschlägig sind,47 mögen zwar auch andere Störungen während der Reise unangenehm sein, aber für den Fluggast ist vor allem entscheidend, dass er „zur rechten Zeit am rechten Ort ankommt“ – entsprechend dem Hauptzweck seiner Reise.48 Dabei ist es für den Einzelnen irrelevant, ob nur er nicht befördert wird, weil das gebuchte Transportmittel über keine ausreichenden Plätze verfügt, oder ob sein gebuchtes Transportmittel nicht (wenigstens einigermaßen pünktlich) verkehrt. Insofern besteht für den 47 Montrealer Übereinkommen über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (BGBl. 2004 II 458); dazu unten III. 2. Daneben gelten zwar die Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. 10. 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr (ABl. L285/1), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 5. 2002, sowie nationales Umsetzungsrecht, in Deutschland insbesondere das Luftverkehrsgesetz (§§ 44 ff. LuftVG), jedoch ergibt sich daraus praktisch keine weitergehende Haftung mehr. 48 Denn ein Beförderungsvertrag ist zumindest nach deutscher Qualifikation ein Werkvertrag (RGZ 126, 329 (330); 126, 137 (141); 66, 12 (15); BGHZ 27, 236 (238); 8, 239 (241); BGH, NJW 1959, 1366; AG Bremen, NJW-RR 2014, 1142 insbesondere zur Flugreise; MüKoBGB/Busche, § 631 BGB Rn. 136 f.; BeckOGK-BGB/Merkle, § 631 BGB Rn. 184), für den es auf den Erfolg ankommt (§ 631 Abs. 1 Hs.1 BGB; BGHZ 151, 330 (332); 54, 106 (107); 31, 224 (226 ff.); BGH, NJW 2013, 3022 Rn. 9 ff.; BeckOGK-BGB/Merkle, Rn. 351), also das pünktliche Erreichen des Ziels. Eine evtl. abweichende europäische Qualifikation würde nicht in Abrede stellen, dass der Erfolg der Beförderung in pünktlicher Ankunft am Ziel liegt.
B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung
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Fluggast kein Unterschied zwischen individueller Nichtbeförderung und Flugannullierung. Auch bei einer starken Verspätung erreicht der Fluggast sein Ziel nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt.49 Umgekehrt – bei erheblicher Abflugvorverlegung – kann es sein, dass der Fluggast deutlich früher aufbrechen muss, um den Flug noch zu erreichen, oder aber den Flug versäumt und sein Ziel ebenfalls nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt erreicht. Das heißt, in allen diesen Fällen misslingt die vorgesehene Beförderung zur richtigen Zeit. Auch der EuGH geht von einer Gleichartigkeit dieser Leistungsstörungsfälle unter dem Gesichtspunkt der Unpünktlichkeit aus;50 dadurch unterscheiden sie sich auch von vielfältigen anderen Schlechtleistungen rund um die Beförderung. Dem Gedanken folgend, dass für den pauschalierten Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung vom Gesetzgeber Leistungsstörungen der nicht einigermaßen pünktlichen Leistungserbringung ausgewählt sind, wird auch die Parallelität zum Zahlungsverzug deutlich, bei dem der Gesetzgeber ebenfalls diese gleichartige Form der Leistungsstörung für seine Schadensersatzpauschalierung erwählt hat.51 Für den gesetzlich pauschalierten Ersatz eignet sich der Schaden der Fluggäste infolge von Nichtbeförderung etc., weil nicht zur richtigen Zeit befördert zu werden jedenfalls im Grundsatz zu einem solch gleichartigen konkreten Schaden bei einem jeden Fluggast führt. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, hat anders als Geld zwar keinen Nominalwert.52 Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, ist aber eine weitaus größere und abstraktere „Vermögensmacht“ als Geld, nämlich die Befähigung zur selbstbestimmten Disposition über die Verwendung der eigenen Lebenszeit, d. h. von der (allgemeinen Handlungs-)Freiheit in der Welt als eigenverantwortliches Subjekt Gebrauch machen zu können.53 Die individuelle Disponibilität über jedermanns begrenzte Lebenszeit ist gleichermaßen wertvoll:54 Der Gesetzgeber darf sich insofern keine Differenzierung anmaßen, indem er der unpünktlichen 49 Vgl. insofern auch die deutsche Regelung im Reisevertragsrecht des § 651i Abs. 2 S. 3 BGB, die die Fälle der Nichtleistung und der unangemessenen Verspätung von Reiseleistungen gleichstellt; dazu BeckOGK-BGB/Sorge, § 651i Rn. 201. 50 Vgl. EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon, insbes. Rn. 53 f.; EuGH, Urt. v. 21. 12. 2021, C-146/20 – Azurair, Rn. 76. 51 Siehe Kap. 1 B. I. 1. 52 Vgl. zum Nominalismus des Geldes BGHZ 61, 31 (38); 79, 187 (194). 53 Art. 6 GRCh, obgleich umstritten ist, ob eine allgemeine Handlungsfreiheit auf europäischer Grundrechtsebene geschützt ist, vgl. Ogorek, in: Stern/Sachs, GRCh, Art. 6 Rn. 4; darauf deuten aber die Erwähnungen in EuGH, Urt. v. 21. 5. 1987, C-133/85 – Rau, Rn. 15 und 19; siehe auch Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 6 GRCh Rn. 12. Vgl. aber jedenfalls Art. 2 Abs. 1 GG in der Lesart einer allgemeinen Handlungsfreiheit im umfassenden Sinn schon seit BVerfG, 6, 32 (36) – Elfes; Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 12 m. w. N. 54 Vgl. im deutschen Recht die Erwägungen zur Gleichwertigkeit von Lebenszeit im Extremfall eines Abschusses von entführten Passagiermaschinen nach dem LuftSiG, dessen Regelung daher für verfassungswidrig erklärt wurde: BVerfGE 115, 118 (139).
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
Beförderung des Millionärs einen größeren Mindestschaden beimisst im Vergleich zur unpünktlichen Beförderung eines Armen; dasselbe gilt für andere Vergleichspaare wie Berufstätige und Arbeitslose, Erwachsene und Kinder oder Inländer und Ausländer. Beeinträchtigung der Lebenszeitdisponibilität entgegen einem privaten Flugbeförderungsvertrag ist daher der pauschalierten Mindestentschädigung durch den Gesetzgeber, vor dem alle Menschen gleich sind,55 zugänglich. 2. Massenartigkeit Die Leistungsstörungen der Nichtbeförderung etc. betreffen – abgesehen von Krisenzeiten – eine Vielzahl von Fluggästen, sodass durchaus von einer Massenartigkeit gesprochen werden kann. Zu vermehrten Fällen der Nichtbeförderung führten die Zunahme der Fluggastzahlen einerseits und die – oftmals wirtschaftlich motivierte – Überbuchungspraxis der Fluggesellschaften andererseits seit dem Beginn der Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs ab Ende der 1980er Jahre.56 Durch die Coronavirus-Pandemie sind die Fluggastzahlen 2020 zwar erheblich eingebrochen, jedoch ist der Wiederanstieg auf das bisherige Niveau innerhalb weniger Jahre zu erwarten. Der enorme Zuwachs an Fluggästen gerade in den letzten Jahrzehnten lässt sich anhand der Statistiken für Deutschland verdeutlichen:57 Flogen Anfang der 1990er Jahre bereits mehr als 50 Mio. Menschen pro Jahr, so verdoppelte sich die Zahl schon 1998 auf 100 Mio. und verdoppelte sich erneut acht Jahre später im Jahr 2016 auf 200 Mio.58 Auch die Zahl der Flüge, die im Jahr 2018 in Deutschland nicht wie geplant stattfanden, ist auf knapp 30.000 angestiegen und die Zahl der Flüge, die im Jahr 2018 in Deutschland mit mehr als drei Stunden Verspätung gelandet sind, worauf es für den Ausgleichsanspruch wegen großer Verspätung ankommt, hat sich auf über 8.000 erhöht.59 Diejenigen Amtsgerichte, die für die 15 größten deutschen Flughäfen zuständig sind, haben nach Schätzungen des Deutschen Richterbunds 2019 ungefähr 90.000 Fluggastsachen bearbeitet, davon allein das AG Düsseldorf ca. 20.000 Sachen.60 55 Art. 20 GRCh. Zur Gleichheit vor dem Gesetzgeber siehe insbesondere Hölscheidt, in: Meyer, Charta der Grundrechte, Art. 20 Rn. 17; Sachs, in: Stern/Sachs, GRCh, Art. 20 Rn. 6. 56 Vgl. dazu Führich, NJW 1997, 1044. 57 Auf die (heutige) EU abzustellen ist nicht sinnvoll, weil in den letzten knapp 30 Jahren neue Mitgliedstaaten aufgenommen wurden und für sie keine vergleichbaren Statistiken vorliegen. 58 Eurostat, Air passenger transport by reporting country 1993 – 2018, Germany. 59 EUclaim Deutschland GmbH, Pressemitteilung v. 4. 1. 2019, auf die auch die Berichterstattungen in den überregionalen Tageszeitungen abstellen. Aussagekräftige amtliche Statistiken sind, soweit ersichtlich, nicht verfügbar (auch nicht auf Anfrage des Verf. bei Eurostat und Destatis). 60 Siehe https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/richterbund-zahl-der-fluggast-klagen-deutlichgestiegen.
B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung
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II. Staatliche Regelung wegen Versagens privater Vertrags- und Marktmechanismen Eine Reaktion auf die somit gleich- und massenartigen Leistungsstörungen der Nichtbeförderung etc. in Form des gesetzlich pauschalierten „Ausgleichsanspruchs“ – anstelle privatautonomer Regelung etwa in den AGB der Fluggesellschaften – ist aber nur erforderlich, sofern die privaten Vertrags- und Marktmechanismen versagen. Die Motivation des europäischen Verordnungsgebers zum regulierenden Eingreifen kann sich daraus erklären, dass eine nicht wenigstens einigermaßen pünktliche Beförderung von Fluggästen eine besonders kritische Leistungsstörung darstellt und einen pauschalierten Ausgleich erfordert. Basis für die Begründung dieser Aussage ist, dass sich Fluggesellschaften im Wettbewerb aufgrund einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung entscheiden, ob sich (weitere) Kosten für (bessere) Maßnahmen lohnen, mit denen eine Nichtbeförderung etc. effektiv verhindert werden kann (sog. Grenzkostenmethode).61 Auch die Nachteile, die der individuelle Fluggast in Form der Beeinträchtigung der Disponibilität über seine Lebenszeit infolge einer Nichtbeförderung etc. erleidet, und darüber hinaus die Nachteile für die Allgemeinheit sind ökonomisch und soziologisch immerhin qualitativ erfassbar und bedingt auch quantifizierbar. Zurückgegriffen werden kann auf rechtsökonomische und auch -soziologische Erkenntnisse zur Inanspruchnahme der wertvollen Zeit der Passagiere („value of time“).62 Dabei können insbesondere US-amerikanische Erkenntnisquellen genutzt werden, denn es gibt – obwohl in den USA nach wie vor nur ein Ausgleich für Überbuchung gewährt wird63 – vereinzelt auch spezielle Untersuchungen zur Ökonomik von Fluggastverspätung,64 die auf Studien seit den 1960er Jahren zurückgehen, vor allem von Becker.65 In den folgenden Abschnitten soll dargelegt werden, wie das staatliche Eingreifen in Form der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung aufgrund des festzustellenden Versagens privater Vertrags- und Marktmechanismen zu begründen ist. Zu erörtern sind dabei die mikroökonomischen Opportunitätskosten und andere individuelle Nachteile, die sich aus der Nichtbeförderung etc. ergeben, sowie die gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverluste und Störungen des Luftverkehrs, die damit einhergehen. Dass sich der Unionsgesetzgeber dabei in dem Spielraum bewegt, den 61 Vgl. zu Grenzkosten Pindyck/Rubinfeld, Mikroökonomie, S. 332 ff. Zur Methodik bei der Berechnung von Verspätungskosten für Fluggesellschaften siehe etwa Cook/Tanner, Report „European airline delay cost“. 62 Vgl. U.S. Department of Transportation, Departmental Guidance on Valuation of Travel Time in Economic Analysis (2016); Small, Economics of Transportation 1 (2012), S. 2 ff. Ferner Cook/Tanner, Report „European airline delay cost“, S. 62 f. 63 Vgl. 14 CFR Code of Federal Regulations (Aeronautics and Space), Chapter II, Subchapter A – Economic Regulations, § 250. 64 Siehe etwa U.S. Congress, Joint Economic Committee, Report „Flight delays cost passengers, airlines, and the U.S. economy billions“ (2008). 65 Becker, Economic Journal 75 (1965), 493 ff.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
ihm das Primärrecht einräumt, kann hier unterstellt werden; kritisch werden die beschränkenden Rahmenbedingungen im 3. Kapitel untersucht.
1. Mikroökonomische Opportunitätskosten und andere individuelle Nachteile der Nichtbeförderung etc. In der gleichartig schädigenden, zeitweiligen Vorenthaltung der wenigstens einigermaßen pünktlichen Beförderung zum Zielort kann für alle Fluggäste – ähnlich wie für Zahlungsgläubiger, die auf die Begleichung ihrer überfälligen Forderung warten müssen – ein „gezwungenes Kreditieren“ gesehen werden,66 wobei Fluggäste allerdings kein erstattungsfähiges Gelddarlehen gewähren, sondern mit der Disponibilität über ihre unwiederbringliche Lebenszeit bezahlen.67 Auch der EuGH spricht hinsichtlich Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung in ähnlicher Weise davon, dass ein Ausgleich für einen Zeitverlust der betroffenen Fluggäste gewährt wird, der irreversibel ist.68 Ähnlich formuliert es der BGH, dass Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung dem Fluggast eine pauschale Entschädigung dafür biete, weil der mit der geschuldeten Beförderungsleistung angestrebte Zweck nicht erreicht wurde und der Fluggast daher seine Zeit nicht wie geplant verbringen konnte.69 Denn die Fluggesellschaft, die den Fluggast entgegen der getroffenen Absprache bei der Flugbuchung nicht pünktlich zum Ziel befördert, trotzt ihm die Disponibilität über die Zeit ab, die er mehr aufwenden muss, um doch noch anderweitig zum Ziel zu gelangen. Dies kann die Zeit sein, die man vorzeitig zum vorverlegten Flug aufbrechen muss, oder die Wartezeit im Flughafen bis zur um einige Stunden verzögerten Beförderung. Die Einbußen sind noch größer, wenn der Flug überhaupt nicht stattfindet oder man keinen Sitzplatz mehr erhält oder man den erheblich vorverlegten Flug nicht erreicht, sodass der Fluggast eine Alternativbeförderung zu einem späteren Zeitpunkt wahrnehmen oder sogar von seinen Reiseplänen ganz Abstand nehmen muss. In allen Fällen ist es dem Fluggast benommen, seine bereits terminierten, in aller Regel entgeltlichen Leistungen am Abflug- bzw. Zielort wahrzunehmen oder zu erbringen. Dies führt beim Fluggast nicht nur zu Ärger und anderen „emotionalen“ Nachteilen, die von wirtschaftlich kaum messbarer Natur sind.70 Gemäß dem Konzept der Opportunitätskosten („Verzichtskosten“)71 lässt sich begründen, dass dem Fluggast 66
Siehe Kap. 1 B. I. 1. und II. 4. Vgl. U.S. Department of Transportation, Departmental Guidance on Valuation of Travel Time in Economic Analysis, S. 2. 68 EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon, insbes. Rn. 52. 69 BGH, Urt. v. 1. 6. 2021 – X ZR 8/20, Rn. 19 (juris). 70 Vgl. zu emotionalen Folgen von Flugverspätung im Rahmen der verhaltensökonomischen Forschung Kim/Park, Journal of Air Transport Management 57 (2016), 19 ff. 71 Vgl. allgemein zu Opportunitätskosten Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 58 f. Konkret bezogen auf Fluggäste siehe Cook/Tanner, Report „European airline delay cost“, S. 62; U.S. Congress, Joint Economic Committee, Report „Flight delays cost passengers, airlines, and the U.S. economy billions“, S. A13. 67
B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung
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mikroökonomische Nachteile dadurch entstehen, dass er am Abflug- oder Zielort nicht den geplanten und in der einen oder anderen Weise für ihn gewinnbringenden Tätigkeiten nachgehen kann bzw. seine geplante Weiterreise nicht wahrnehmen kann.72 Auch nach der Grundidee der Transaktionskostenmethode nach Coase und Williamson73 zeigt sich, dass sich der vom Fluggast zu tragende Aufwand für die Beförderung von A nach B erhöht, wenn er nicht bzw. stark verspätet sein Ziel erreicht; den Mehraufwand in Form von Lebenszeit für den Ortswechsel von A nach B und in Form von Leistungsversäumnissen am Abflug- bzw. Zielort trägt einseitig der Fluggast, weil unmittelbar die Dispositionen über die Verwendung seiner Lebenszeit beeinträchtigt sind. Konkrete ökonomische Nachteile, die sich in Opportunitätskosten beziffern lassen, entstehen insbesondere solchen Fluggästen, die aufgrund der nicht wenigstens einigermaßen pünktlichen Beförderung besondere Ausgaben tätigen müssen oder nicht den geplanten Geschäften nachgehen bzw. nicht die gebuchten Urlaubsleistungen in Anspruch nehmen können;74 Urlaubszeit kann in geldwerte Arbeitszeit umgerechnet werden, weil man Urlaub mit Arbeit erwirtschaftet. Die Opportunitätskosten entsprechen im Grundsatz dem Wert der verlorenen bzw. zusätzlich aufzuwendenden Zeit.75 In diversen ökonomischen Studien wurde versucht, konkrete Werte zu errechnen;76 fasst man sie zusammen, wird heutzutage in der EU und den USA eine Stunde Verspätung pro Fluggast mit gut 60 Euro als value of time zu bewerten sein.77 Auf diesen Wert wird bei der Untersuchung der Bemessung der Pauschalen von Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung noch zurückzukommen sein. Zu bedenken ist, dass darüber hinaus höchst individuelle Nachteile und Zeitverlustwerte vorliegen können, die sich daher nicht für eine abstrakt-generelle Pauschalierung eignen. Die Pauschalierung ist und kann nur Mindestausgleich sein; weitergehender Ausgleich für darüber hinaus konkret-individuell erlittene Nachteile jenseits der „gewöhnlichen“ Beeinträchtigung der Disponibilität über die Lebenszeit ist dem Fluggast zuzuerkennen, sofern er konkrete Schäden nachweisen kann und entsprechende Anspruchsgrundlagen außerhalb der Fluggastrechte-Verordnung bestehen.
72 Mackie/Jara-Díaz/Fowkes, Transportation Research (Part E) 37 (2001), 91 (92); U.S. Congress, Joint Economic Committee, Report „Flight delays cost passengers, airlines, and the U.S. economy billions“, S. 4 und A13. 73 Coase, Economica 4 (1937), 386 ff. und Williamson, Economic Institutions of Capitalism, S. 15 ff. 74 Lubbe/Victor, Journal of Air Transport Management 19 (2012), 9. 75 Vgl. Cook/Tanner, Report „European airline delay cost“, S. 62 f. 76 Siehe nur Shires/de Jong, Evaluation and Program Planning 32 (2009), 315 ff.; Small, Economics of Transportation 1 (2012), 2 ff.; jeweils m. w. N. 77 Cook/Tanner, Report „European airline delay cost“, S. 63; U.S. Department of Transportation, Departmental Guidance on Valuation of Travel Time in Economic Analysis, S. 19; Wardman/Chintakayala/de Jong, Transportation research (Part A) 94 (2016), 93 (106).
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
2. Gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsverluste und Störung des Luftverkehrs Die reine Aggregation beeinträchtigter Lebenszeitdisponibilität und verlorener Vorausdispositionen von Fluggästen durch Nichtbeförderung etc. mag zwar die gesellschaftliche Bedeutung des Problems unterstreichen, die ein staatliches Eingreifen zwecks Verbesserung der Lebensqualität der Bürger begründen kann. Zudem entstehen durch verlorene Vorausdispositionen Störungen in Leistungsketten – kann der Fluggast seine Leistung am Abflug- bzw. Zielort nicht erbringen, stört dies womöglich die Produktivität anderer, soweit eine Interdependenz in der Wertschöpfungskette besteht. Makroökonomisch deutlich konkretere Nachteile liegen aber in dem Umstand, dass durch die unpünktliche oder Nichtbeförderung von Flugpassagieren diese nicht an dem Ort wertschöpfend tätig sein können, an dem sie für ihre Tätigkeiten sein sollten; auch im Fall der Urlaubsreise können sich Flugpassagiere nicht erholen und nach Rückkehr zum Arbeitsplatz wieder wertschöpfend tätig sein, wenn ihr Flug in den Urlaub nicht oder nur unpünktlich stattfindet. Bei streng ökonomischer Betrachtung lässt sich daher konstatieren, dass die verzögerte oder Fehlallokation von Humankapital infolge von Nichtbeförderung etc. nachteilig ist für die Gesamtproduktivität;78 durch die Ineffizienz entstehen unwiederbringliche Wohlfahrtsverluste.79 Mit anderen Worten entspricht dem individuell verlustigen value of time in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung ein Wohlfahrts- und Bruttoinlandsproduktanteil,80 der der Volkswirtschaft infolge von Nichtbeförderung etc. entgeht. Darüber hinaus wirkt sich eine unpünktliche Flugdurchführung für den Luftverkehr nachteilig aus. Zwar ist der Luftraum sehr groß, aber im wirtschaftlich nutzbaren Bereich doch begrenzt. Abweichungen vom Flugplan führen zu einem Mehraufwand bei der öffentlichen Verwaltung des Luftraums durch Fluglotsen und bei anderen privaten Nutzern des Luftraums in Gestalt der konkurrierenden Fluggesellschaften, auf deren Pünktlichkeit sich ad hoc-Flugplanänderungen nachteilig auswirken und womöglich Ketteneffekte erzeugen können.81 3. Vertrags- und markttheoretisches Dilemma der externen negativen Effekte Diese mikro- wie makroökonomischen Nachteile lassen sich, wie im Folgenden gezeigt wird, nicht mit privaten Vertrags- und Marktmechanismen ausgleichen. Die Bedingungen des Vertragsverhältnisses von Fluggesellschaft zu Fluggast werden, soweit keine gesetzlichen Vorgaben bestehen, faktisch einseitig von der Fluggesellschaft vorgegeben, und zwar durch ihre Allgemeinen Beförderungsbe78 U.S. Department of Transportation, Departmental Guidance on Valuation of Travel Time in Economic Analysis, S. 2. 79 U.S. Congress, Joint Economic Committee, Report „Flight delays cost passengers, airlines, and the U.S. economy billions“, S. 4. 80 Mackie/Jara-Díaz/Fowkes, Transportation Research (Part E) 37 (2001), 91 (95). 81 Vgl. U.S. Congress, Joint Economic Committee, Report „Flight delays cost passengers, airlines, and the U.S. economy billions“, S. 4.
B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung
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dingungen (conditions of carriage) oder ähnliche AGB.82 Zwar herrscht im liberalisierten Luftverkehr ein erheblicher Preis-Leistungs-Wettbewerb zwischen den Fluggesellschaften; es herrscht Preiskonkurrenz hinsichtlich der Beförderung auf einer bestimmten Strecke verbunden mit Nebenleistungen am Boden und an Bord.83 Jedoch konkurrieren die Fluggesellschaften untereinander nicht mit ihren Beförderungsbedingungen – ganz im Gegenteil orientieren sich die meisten Fluggesellschaften an den Musterbedingungen ihres weltweit größten Branchenverbands IATA.84 In diesen Musterbedingungen finden sich ebenso wie in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen von ehemals staatlichen Fluggesellschaften und von Low Cost-Fluggesellschaften keine Regelungen, die zugunsten des Fluggasts einen Ausgleich bei Nichtbeförderung etc. vorsehen würden, der über das gesetzliche Mindestmaß hinausgeht.85 Dem Passagier fehlt es – noch weitaus dramatischer als dem Zahlungsgläubiger – an einer geeigneten Verhandlungsposition oder einem Anreiz- bzw. Druckmittel gegenüber der Fluggesellschaft, um diese zur Aufnahme einer individualvertraglichen Vereinbarung im Beförderungsvertrag zu signifikanten Ausgleichsansprüchen bei Nichtbeförderung etc. zu bewegen.86 Angesichts des bestehenden faktischen Macht- und Informationsgefälles der Fluggesellschaft gegenüber dem Fluggast besteht für ihn keine Möglichkeit, über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen zu verhandeln: Die Fluggesellschaft hat ihr Preis-Leistungs-Angebot aufgrund ihrer Vertragsbedingungen kalkuliert und ist an einer Abänderung, die mit Kosten ihrerseits und unabsehbaren potenziellen Ansprüchen ihr gegenüber verbunden wäre, nicht interessiert. Sie ist dazu auch nicht genötigt, da ihre Konkurrenten keine besseren Bedingungen anbieten. Dem Fluggast bleibt nichts anderes übrig, als die vorgegebenen Bedingungen zu akzeptieren, wenn er einen Vertrag über eine bestimmte Luftbeförderung abschließen möchte („contract of adhesion“).87 Freiwillige Initiativen der Luftfahrtindustrie, in ihren Beförderungsbedingungen Ausgleichsleistungen für Fluggäste bei Nichtbeförderung etc. vorzusehen, sind wirkungslos geblieben. Vor Inkrafttreten der Überbuchungs-Verordnung konnte 82 Siehe beispielsweise die „Allgemeinen Beförderungsbedingungen (ABB) der Deutschen Lufthansa AG“, http://www.lufthansa.com/de/de/common/terms-and-conditions/terms-of-ser vice; „Allgemeine Beförderungsbedingungen von Ryanair DAC“, https://www.ryanair.com/de/ de/nutzliche-infos/service-center/allgemeine-geschaftsbedingungen. 83 Vgl. Bailey/Graham/Kaplan, Deregulating the airlines, S. 41 ff.; Call/Keeler, in: Daughety, Analytical Studies of Transport Economics, S. 221 ff.; Graham/Kaplan/Sibley, Bell Journal of Economics 14 (1983), 118 ff. 84 IATA (International Air Transport Association), General Conditions of Carriage (Passengers and Baggage). 85 Ziff. 10.3 IATA; Art. 14 Lufthansa; Art. 9.4 Ryanair. 86 Vgl. zu Ungleichgewichtslagen und der Notwendigkeit von gesetzlichen Sonderregeln im Transportsrecht Basedow, Transportvertrag, S. 26 ff. Allgemein zum Verhandeln im Transportrecht Pfeiffer, Aushandeln im Transportrecht, §§ 9 ff. Ferner Latzel, Verhaltenssteuerung, S. 408. 87 Davison/Solomon, Journal of Air Law and Commerce 49 (1983), 31 (67 f.).
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
etwa der Überbuchungspraxis auch mithilfe der freiwillig erklärten Selbstverpflichtung der europäischen Fluggesellschaften zur Zahlung einer Entschädigung88 nicht wirksam begegnet werden. Entschädigungen in Fällen der Nichtbeförderung wurden von Fluggästen sehr unterschiedlich gehandhabt.89 Den Fluggästen war zudem oftmals nicht bewusst, dass ihnen Ausgleichsleistungen zustanden.90 Auch heute würden Fluggesellschaften ohne gesetzlichen Zwang wohl keinen monetären Ausgleich denjenigen Fluggästen gewähren, deren Flug vorverlegt oder annulliert wird oder nur mit großer Verspätung ankommt; auch im Fall der Überbuchung würden Fluggesellschaften ohne staatlichen Zwang wohl nur den Ticketpreis oder weniger erstatten. Zu diesen Einschätzungen gelangt eine Untersuchung im Auftrag der EU-Kommission für den hypothetischen Fall, dass es die Fluggastrechte-Verordnung nicht gäbe.91 Weder durch sein privatautonomes Verhalten bei der Flugbuchung noch durch sein Verhalten als Marktteilnehmer bei der Auswahl der Fluggesellschaft vermag der Fluggast mithin, einen (im Voraus) pauschalierten Ausgleich für (potenzielle) Leistungsstörungsfälle der Nichtbeförderung etc. sicherzustellen. Umgekehrt hat die Fluggesellschaft in einem Fall dieser Leistungsstörungen – ohne gesetzliche Pauschalierung – kaum oder keine Kosten zu tragen, die dem Fluggast infolge der beeinträchtigten Lebenszeitdisponibilität und anfallenden Opportunitäts- bzw. Transaktionsmehrkosten entstehen. Es handelt es sich um externe negative Effekte bzw. Kosten aufseiten des Fluggasts, an denen die Fluggesellschaft nicht beteiligt ist, weil der Fluggast bei – typischerweise – fehlender Nachweisbarkeit der Nachteile und Kosten kaum einen Ausgleich erhält.92 Mit privaten Mitteln gelingt es dem Fluggast nicht, die auf seiner Seite anfallenden Opportunitäts- bzw. Transaktionsmehrkosten auf der Seite der Fluggesellschaft als seiner Primärleistungsschuldnerin, in deren Pflichtenkreis die Leistungsstörung auftritt, zu internalisieren („einzupreisen“). Angesichts des negativen externen Effekts und der daraus resultierenden Fehlallokation lässt sich, wie in der vergleichbaren Konstellation des Zahlungsverzugs,93 ein Versagen der Vertrags- und Marktmechanismen bejahen.94
88 Association of European Airlines (AEA), „Air Passenger’s Commitments“ mit freiwilligen Entschädigungsleistungen von 60 bis 600 DM. 89 Erwgr. 3 Überbuchungs-Verordnung. 90 Vgl. Beobachtung der mitgliedstaatlichen Delegationen in der Gruppe „Verkehrsfragen“ (Luftverkehr) des Rats, Beratungsergebnis vom 11. 9. 1990, Ratsdokument 6506/90 (restreint) AER 75, S. 2. 91 Exploratory study on the application and possible revision of Regulation 261/2004, Final report, 2012, https://ec.europa.eu/transport/sites/transport/files/themes/passengers/studies/doc/2 012-07-exploratory-study-on-the-application-and-possible-revision-of-regulation-261-2004.pdf, insbes. Rn. 4.24. 92 Vgl. Mankiw/Taylor, Volkswirtschaftslehre, S. 324. 93 Siehe oben, Kap. 1 B. II. 3. 94 Vgl. Fritsch, Marktversagen, S. 83 ff.; Mankiw/Taylor, Volkswirtschaftslehre, S. 323 ff.
B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung
121
4. Ausgleich durch staatliches Eingreifen Die Leistungsstörungen der Nichtbeförderung etc., die nicht mit privaten Mitteln oder Marktkräften vermieden werden können, sind mikro- wie makroökonomisch so bedenklich, dass sie ein Eingreifen des Staats erfordern, um dem Fluggast als Gläubiger eine Kompensation zu verschaffen und die Leistungsstörungen nach Möglichkeit auszugleichen. Wie bei der Kompensierung des Zahlungsverzugs ist aus rechtsethischer Perspektive festzustellen, dass der Gesetzgeber den Ausgleich und die Prävention übernimmt, wenn und soweit die privaten Vertrags- und Marktmechanismen versagen, die ansonsten aufgrund des Prinzips der Privatautonomie vorrangig sind. Abweichend von der Privatautonomie besteht in der sozialen Marktwirtschaft des Binnenmarkts95 die Notwendigkeit eines hoheitlichen Eingreifens nämlich, wenn – wie hier – die Bewältigung massenhaft auftretender Leistungsstörungsfolgen brisant ist, weil eine Nichtbewältigung für den einzelnen Fluggast nahezu unabwendbar wäre und faktisch unkompensiert bliebe. Daher fällt die Institutional Choice auf den Gesetzgeber, um in diesen Leistungsstörungsfällen einen Ausgleich im individuellen Beförderungsverhältnis sicherzustellen und die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsbeeinträchtigung zu minimieren.96 Entgegen dem allgemeinen Trend zur Deregulierung des Luftverkehrs ist hier staatliches Eingreifen erforderlich, wozu der Unionsgesetzgeber innerhalb der primärrechtlichen Rahmenbedingungen auch befugt ist.97 Aufgrund der Verpflichtung der Fluggesellschaft, einen monetären Ausgleich für die Beeinträchtigung der Disponibilität über die Lebenszeit des Fluggasts und für dessen Opportunitätskosten zu zahlen, und zwar in einer hoheitlich vorgeschriebenen (Mindest-)Höhe, wird dem Fluggast Ersatz seines Erfüllungs- oder positiven Interesses gewährt und wird die Nichtbeförderung etc. für die Fluggesellschaft effektiv unrentabler. Dementsprechend hat auch der EuGH mit Blick auf den gesetzlich pauschalierten Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechte-Verordnung konstatiert: Ziel der Verordnung sei der Schutz der Fluggäste,98 sodass vom Unionsgesetzgeber „standardisierte wirksame Maßnahmen zur Wiedergutmachung ergriffen werden [durften], die zum maßgeblichen Zeitpunkt außer Streit stehen müssen […]“.99 Der Gesetzgeber zwingt die Fluggesellschaft durch den Ausgleichsanspruch in vorgegebener Höhe dazu, die jedenfalls entstehenden Nachteile und Kosten des Gläubigers pauschaliert zu kompensieren; diesen Nachteilen und Kosten wird durch die gesetzliche Regelung mithin ein allgemeinverbindlicher Preis beigemessen. Der Gesetzgeber bemisst also den abgetrotzten Zeitvorteil und typisiert verlorene Vor-
95 96 97 98 99
Art. 3 Abs. 3 S. 2 EUV. Vgl. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 519 ff. Dazu ausführlich unten, Kap. 3 B. Erwgr. 1 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung. EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006, C-344/04 – IATA und ELFAA, Rn. 72.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
ausdispositionen mit einer ökonomischen Liquiditätsprämie.100 Damit werden die negativen externen Effekte und Kosten der Nichtbeförderung etc., gegen die sich der Fluggast nicht effektiv mit privatautonomen Vertrags- oder Marktmechanismen wehren kann, aufseiten der Fluggesellschaft internalisiert. Der Ausgleichsbetrag entspricht den entgangenen Vorteilen und Vorzügen der pünktlichen und ordnungsgemäßen Beförderung. Diese rechtsethische, -ökonomische und -soziologische Betrachtung erfährt Bestätigung in den Erwägungsgründen der Fluggastrechte-Verordnung und in der Rechtsprechung des EuGH. Der EuGH hat unter Berufung auf Erwägungsgrund 2 der Fluggastrechte-Verordnung herausgestellt, dass Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung auf einen Ausgleich des irreversiblen Zeitverlusts und der erlittenen Ärgernisse und Unannehmlichkeiten zielt,101 die der betroffene Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder Annullierung erleidet. Entsprechendes gilt für den Fall der erheblichen Abflugvorverlegung.102
III. Qualifikation als Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz Es ist im Anschluss an die Feststellung, dass die Nichtbeförderung etc. eine mit gesetzlichen Mitteln zu kompensierende Leistungsstörung darstellt, die gleich- und massenartig ist und nicht durch Vertrags- oder Marktmechanismen beherrschbar, noch zu begründen, dass der Gesetzgeber für diese Leistungsstörungskompensierung durch den „Ausgleichsanspruch“ tatsächlich pauschalierten Schadensersatz anordnet. Es ist von materiell-rechtlicher Bedeutung für die Rechtsfolge des Anspruchs, dass diese Annahme über seine Qualifikation zutrifft. In diesem Zusammenhang ist auch das Verhältnis des unionsrechtlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs zum völkerrechtlich vorgesehenen Anspruch nach dem Montrealer Übereinkommen zu klären. Die infolge der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung zu beobachtenden Divergenzen gegenüber herkömmlichen Prinzipien des Haftungs- und Schadensrechts werden hingegen im 4. Kapitel ausführlich und zusammen mit dem Zahlungsverzugsschadensersatz untersucht. 1. Schadensersatz in gesetzlich pauschaliertem Umfang In der deutschen Sprachfassung des Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung kommt durch die amtliche Bezeichnung als so genannter „Ausgleichsanspruch“ nicht eindeutig zum Ausdruck, ob es sich um einen (gesetzlich pauschalierten) Schadens100
Vgl. oben, Kap. 1 B. II. 4. Erwgr. 2 Fluggastrechte-VO; EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon, insbes. Rn. 52 und 65. 102 EuGH, Urt. v. 21. 12. 2021, C-146/20 – Azurair, Rn. 75 f. 101
B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung
123
ersatzanspruch handelt. Diese Bezeichnung in Art. 7 geht auf eine Abänderung des Kommissionsvorschlags zurück: Ursprünglich war zwar als Überschrift für die Vorschrift „Entschädigungszahlungen“ vorgesehen,103 jedoch erfolgte im Europäischen Parlament die Umformulierung zur wenig aufschlussreichen Bezeichnung.104 Auch aus anderen Sprachfassungen (beispielsweise in der englischen heißt es „compensation“ und in der französischen „indemnisation“) ergibt sich keine Klarheit. Historische Gründe für diese Benennung sind, soweit ersichtlich, nicht dokumentiert, sodass die grammatikalische Auslegung nicht weiterhilft. Deutlich erhellender ist die systematische Auslegung: Der Anspruch gemäß Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung zielt auf einen Ausgleich in Geld, der über die Erbringung der eigentlichen bzw. einer Alternativbeförderung (oder nach Wahl des Fluggasts Erstattung des Ticketpreises) hinausgeht.105 Art. 7 sieht also eine monetäre Sekundärpflicht vor, die in Ergänzung zur Ersatzerfüllung oder Erstattung der Primärleistung besteht. Denn Art. 8 Fluggastrechte-Verordnung, der die Ansprüche auf anderweitige Beförderung als eine Form der Unterstützungsleistungen bzw. auf Erstattung regelt, gilt kumulativ zu Art. 7, also neben dem Anspruch auf Ausgleichszahlung, wie es ausdrücklich bestimmt ist.106 Ein sekundärer Zahlungsanspruch kann sich systematisch mithin nur als Schadensersatzanspruch darstellen. In der Sache verlangt Art. 7 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung als Voraussetzung der Ausgleichszahlung zwar keinen Schadens- und Kausalitätsnachweis,107 sodass es keiner Darlegung und Begründung seitens des zu spät oder nicht beförderten Fluggasts bedarf, ein konkreter Schaden sei ihm entstanden, der auf der spezifischen Pflichtverletzung der Fluggesellschaft beruhe. Dies stellt aber nicht in Abrede, dass Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung einen Schadensersatzanspruch zum Gegenstand hat – nur eben in bereits gesetzlich pauschaliertem Umfang. Dass die FluggastrechteVerordnung „darauf abzielt, Schäden standardisiert und sofort zu beheben“, bekräftigte der EuGH ausdrücklich in seiner Entscheidung in der Rechtssache Sturgeon.108 103
KOM(2001)784 endg. Vgl. ABl. 2003 C 300E/557, Art. 7 Abs. 1 S. 1. 105 Art. 4 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 lit. a und c i. V. m. Art. 7 und 8 Fluggastrechte-Verordnung. Vgl. auch Lienhard, GPR 2004, 259 (263). 106 Art. 4 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung: „Wird Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigert, so erbringt das ausführende Luftfahrtunternehmen diesen unverzüglich die Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 und die Unterstützungsleistungen gemäß den Artikeln 8 und 9.“; Art. 5 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung: „Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen […] vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 […und] 9 angeboten und […] vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn, […]“ (Hervorhebungen durch Verf.). 107 Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897 (1899); ebenso Führich, MDR-Sonderbeilage 2007, S. 8; Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 13; Schmid, ZLW 2005, 373 (380). 108 EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon, Rn. 51 und ebenso in Rn. 65 (Hervorhebung durch Verf.). 104
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
In der Literatur sind sich die meisten Stimmen auch darin einig, dass es sich bei Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung um einen pauschalierten Schadensersatzanspruch handelt.109 Derselben Ansicht sind auch die allermeisten deutschen Instanzgerichte, soweit sie sich zur Rechtsnatur geäußert haben.110 Vom EuGH wurde bisher keine eindeutige Qualifizierung vorgenommen. Wie es Staudinger und Schmidt-Bendun111 überzeugend für die Fluggastentschädigung dargelegt haben, handelt es sich bei Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung – trotz der im Vergleich zum Beitreibungskostenbetrag von 40 Euro deutlich höheren Beträge von 250, 400 und 600 Euro – nicht um einen Anspruch auf Strafschadensersatz nach US-amerikanischem Vorbild.112 Punitive damages sind deutlich überhöhter Schadensersatz zu Zwecken der Spezial- und Generalprävention. Dafür ist nach den im Common Law anerkannten Voraussetzungen erforderlich, dass die Höhe des strafenden Ersatzbetrages ins Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt wird, also von der Einzelfallentscheidung der jury abhängt.113 Dies ist bei gesetzlich pauschaliertem Schadensersatz gerade nicht der Fall. Außerdem sind nach der Vorstellung der Fluggastrechte-Verordnung abschreckende Sanktionen von den Mitgliedstaaten öffentlich-rechtlich gegenüber den Fluggesellschaften zu verhängen,114 sodass im Umkehrschluss dem privaten Schadensersatzanspruch keine Strafwirkung mehr zukommt, wie es ursprünglich im Kommissionsentwurf vorgesehen war. Aufgrund der gesetzlichen Pauschalierung liegt es auch fern, in Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung eine Vertragsstrafe zu sehen.115 109
Führich, MDR-Sonderbeilage 2007, S. 8; Hausmann, Fluggastrechte, S. 357 ff.; Krüger, Passagierrechte, S. 150 ff., insbes. S. 166 ff.; Lein, Verzögerung der Leistung, S. 221; Marti, Fluggastrechte, S. 292 ff.; Müller-Rostin, euvr 2013, 138 (143); Schmid, RRa 2004, 198 (203); Schmid, ZLW 2005, 373 (380); Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897 (1899); Staudinger, NJW 2007, 3392 (3393); Tonner, NJW 2006, 1854 (1856); ähnlich Lienhard, GPR 2004, 259 (264); Peterhoff, TranspR 2007, 103 (106); Weise/Schubert, TranspR 2006, 340 (343). Aufner, ZVR 229 (233) spricht letztlich auch von einem „pauschalierten Schadensersatz“. Von einem Anspruch sui generis spricht BeckOGK-Fluggastrechte/Steinrötter, Art. 7 Rn. 59 ff. 110 OLG Brandenburg, RRa 2014, 81 (82); LG Frankfurt a. M., RRa 2007, 81 (83); LG Köln, Urt. v. 4. 11. 2008 – 11 S 506/07, Rn. 13 (juris); AG Erding, RRa 2007, 85 und RRa 2017, 127 (129); AG Dortmund, RRa 2008, 188 (189) und Urt. v. 20. 11. 2012 – 29 C 9789/12, Rn. 11 (juris); AG Frankfurt a. M., RRa 2011, 140 (142) und RRa 2017, 81 (83); AG Bremen, Urt. v. 21. 2. 2014 – 25 C 388/13, Rn. 16 (juris). Der BGH hat lediglich festgestellt, dass „der Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der [Fluggastrechte-]Verordnung […] nicht als Schadensersatzanspruch im Sinne der Art. 19, 29 Montrealer Übereinkommen anzusehen“ sei (BGH, NJW 2010, 1526 Rn. 12, Hervorhebung durch Verf.). 111 Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897 (1899). 112 A. A. war Führich, der sie sodann aber aufgegeben hat: ders., MDR-Sonderbeilage 2007, 8. 113 Meurkens, Punitive damages, S. 65 ff.; Sunstein et al., Punitive damages, insbes. S. 109 ff. 114 Vgl. Erwgr. 21 und Art. 16 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung. Dazu Schmid, ZLW 2005, 373 (379). 115 Diese Vokabel verwendet Aufner, ZVR 2005, 229 (233).
B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung
125
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Art. 7 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung einen gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch des unmittelbar geltenden europäischen Sekundärrechts darstellt. 2. Verhältnis zum Schadensersatzanspruch nach dem Montrealer Übereinkommen über die Beförderung im internationalen Luftverkehr Mit der Bejahung der schadensersatzrechtlichen Qualifikation des „Ausgleichsanspruchs“ in der europäischen Fluggastrechte-Verordnung stellt sich die Frage seines Verhältnisses zum konkurrierenden, aber nicht pauschalierten Schadensersatzanspruch in dem Montrealer „Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr“ von 1999, das wie die Fluggastrechte-Verordnung im Jahr 2004 in Kraft getreten ist.116 Dieses Montrealer Übereinkommen, das das Warschauer Übereinkommen117 abgelöst hat, überlagert die europäische Fluggastrechte-Verordnung als internationales Einheitsrecht; dem Übereinkommen kommt völkerrechtlicher Vorrang gegenüber dem Recht der EU und der EU-Mitgliedstaaten zu.118 Das Übereinkommen sieht unter anderem – eine Seltenheit im Völkerrecht – Regelungen über die zivilrechtliche Haftung vor und enthält dafür Schadensersatzsprüche für vermutetes Verschulden, die aber einen herkömmlichen Schadens- und Kausalitätsnachweis erfordern.119 Weil das Montrealer Übereinkommen innerhalb seines Anwendungsbereichs Exklusivität seiner Regelungen beansprucht,120 ist die Klärung des Verhältnisses des europäischen zum völkerrechtlichen Schadensersatzanspruch bedeutsam.121 Soweit sich die Schadensersatzansprüche des Montrealer Übereinkommens auf die Fälle der Verletzung von Leib, Leben und Gepäck des Fluggasts beziehen,122 116 BGBl. 2004 II 458 sowie ABl. 2001 L194/39, vgl. dazu den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. 4. 2001 über den Abschluss des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Übereinkommen von Montreal) durch die Europäische Gemeinschaft (ABl. L194/38). 117 Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 12. 10. 1929 (RGBl. 1933 II S. 1039). 118 Vgl. Art. 216 Abs. 2 AEUV &Art. 300 Abs. 7 EGV. Dazu näher Tonner, VuR 2011, 203. 119 Kapitel III des Montrealer Übereinkommens (Art. 17 ff.). Ergänzend ist im Zweifel subsidiäres nationales Haftungsrecht anzuwenden, Reuschle, Montrealer Übereinkommen, Art. 19 Rn. 52. 120 Art. 29 S. 1 Hs. 1 Montrealer Übereinkommen. 121 Die räumlichen Anwendungsbereiche decken sich weitgehend, vgl. näher Hausmann, Fluggastrechte, S. 426 f. unter Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 1 Montrealer Übereinkommen sowie die Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen (i. d. F. Verordnung (EG) Nr. 889/2002). 122 Art. 17 f. Montrealer Übereinkommen.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
besteht allerdings kein echter Konflikt mit dem Schadensersatzanspruch nach der Fluggastrechte-Verordnung, der auf Kompensation für Nachteile aufgrund Nichtbeförderung oder Annullierung gerichtet ist.123 Durch die Ausdehnung der Haftung nach der Fluggastrechte-Verordnung auf Fälle der großen Ankunftsverspätung durch den EuGH in der Rechtssache Sturgeon,124 die unten noch genauer betrachtet wird,125 scheint aber ein Konflikt mit der Verspätungshaftung nach Art. 19 Montrealer Übereinkommen zu bestehen.126 Der EuGH ist in der Rechtssache Nelson zu der Überzeugung gelangt, dass die beiden Haftungsregime nicht miteinander konfligieren, sondern nebeneinander bestehen.127 Scheint dies im Ergebnis zutreffend, so überzeugt doch die Begründung des EuGH im Lichte seiner späteren Entscheidung in der Rechtssache Sturgeon nicht gänzlich. Kritikwürdig ist die in Nelson angebrachte Erwägung, dass es sich beim infolge einer Verspätung erlittenen Zeitverlust nur um eine „Unannehmlichkeit“ und nicht um einen Schaden handle,128 der grundsätzlich von Art. 19 Montrealer Übereinkommen erfasst wäre. Würde es sich tatsächlich nur um eine Unannehmlichkeit handeln, bestünde aber auch kein Schadensersatzanspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung, den der EuGH in Sturgeon ausdrücklich im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung bejaht hat. Den Schaden gegenüber der Unannehmlichkeit abgrenzen zu wollen, ist also in der Gesamtschau selbstwidersprüchlich.129 Überzeugend und von besonderer Relevanz für den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz ist aber die weitere Begründung des EuGH in seiner Nelson-Entscheidung: Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung sei geprägt vom standardisierten Ausgleich, ohne dass es auf einen „Kausalzusammenhang zwischen der tatsächlichen Verspätung und dem Zeitverlust, der für die Feststellung eines [Anspruchs nach der Fluggastrechte-Verordnung] oder für die Berechnung der Höhe dieses Anspruchs als maßgeblich angesehen“ werden kann, ankomme.130 Dem stehe nicht entgegen, dass der einzelne von der Verspätung betroffene Fluggast zusätzlich seine individuellen Schäden geltend machen kann, und zwar unter den im Montrealer Über-
123
Tonner, NJW 2006, 1854 (1856); ders., VuR 2011, 203 (204). Ähnlich Schmid, RRa 2004, 198 (202); mit Einschränkungen Hausmann, Fluggastrechte, S. 427 ff., insbes. 434 ff. 124 EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon. 125 Siehe unten, C. II. 3. a). 126 Siehe insbesondere die Kritik von Hobe/Müller-Rostin/Recker, ZLW 2010, 149 (156 ff.). 127 EuGH, Urt. v. 23. 10. 2012, C-581/10 – Nelson. Daran anschließend Hausmann, Fluggastrechte, S. 437 ff.; Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 12; MüllerRostin, euvr 2013, 138 (139 f.). 128 EuGH, Urt. v. 23. 10. 2012, C-581/10 – Nelson, Rn. 49 ff. unter Berufung auf Urt. v. 10. 1. 2006, C-344/04 – IATA und ELFAA, das allerdings zeitlich vor der Sturgeon-Entscheidung und damit vor der Ausdehnung der Haftung auf Verspätungen ergangen ist. 129 Vgl. auch die Kritik von Staudinger, RRa 2012, 261. 130 EuGH, Urt. v. 23. 10. 2012, C-581/10 – Nelson, Rn. 52 ff.
B. Erfordernis und Verständnis der Fluggastentschädigung
127
einkommen vorgesehenen Voraussetzungen für eine individuelle Wiedergutmachung.131 Ähnlich hatte schon zuvor der BGH die Rechtslage beurteilt.132 Somit harmoniert der Schadensersatzanspruch nach der Fluggastrechte-Verordnung mit dem abgrenzbaren völkerrechtlichen Schadensersatzregime des Montrealer Übereinkommens, gerade weil sich die gesetzliche pauschalierte Schadensersatzhaftung von der Haftung auf den konkreten Schaden wesentlich unterscheidet. 3. Abgrenzung zu „Entschädigungen“ bei Beförderung mit anderen Verkehrsmitteln de lege lata Die Qualifikation des Ausgleichsanspruchs für Fluggäste als gesetzlich pauschalierter Schadensersatzanspruch stellt einen signifikanten Unterschied im Vergleich zu den „Entschädigungen“ von Passagieren anderer Verkehrsmittel dar. Auch für Letztere hat die EU zwar ähnliche Verordnungen erlassen, namentlich im Bahn-,133 Bus-134 und Schiffsverkehr.135 Anders als die Fluggastrechte-Verordnung sehen diese Fahrgastrechte-Verordnungen allerdings de lege lata keine echten Schadensersatzansprüche in den Fällen der Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung vor, sodass insofern die Unterschiede herauszustellen sind.136 Inwiefern de lege ferenda die Schaffung eines gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs wie für Fluggäste auch für andere Passagiere in Betracht kommt oder geboten ist, bleibt dem letzten Kapitel 7 der Arbeit vorbehalten. Bahnreisende erhalten bei hinreichender Verspätung eine „Fahrpreisentschädigung“ nur anstelle der Erstattung ihres Tickets,137 sodass es sich nicht um Schadensersatz wie für Fluggäste handelt, sondern um eine bloße Minderung des entrichteten Entgelts.138 Zudem ist die Minderung nicht durch Gesetz absolut pauschaliert, sondern beträgt 25 bzw. 50 % des Ticketpreises (je nach Ausmaß der 131
Ebd., Rn. 58. Vgl. ferner Urt. v. 22. 12. 2008, C-549/07 – Wallentin-Hermann, Rn. 32. BGH, NJW 2010, 1526 Rn. 10 ff.; ferner BGH, NJW 2010, 2281 Rn. 20. 133 Verordnung (EG) Nr. 371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 10. 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. L315/14). 134 Verordnung (EU) Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 2. 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. L55/1). 135 Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. L334/1). 136 Diese Differenzierung vermissen lässt hingegen Aliende Rodríguez, in: Oritz Blanco/van Houtte, EU Regulation in the Transport Sector, Rn. 4.27 ff. 137 Art. 17 Abs. 1 S. 1 a. E. Verordnung 1371/2007. Im Umkehrschluss könnte die Entschädigung nur neben der weiteren/späteren Beförderung geltend gemacht werden. 138 So auch die ausführliche und vergleichende Untersuchung von Krüger, Passagierrechte, S. 187 ff., insbes. S. 202 ff.; a. A. Lein, Verzögerung der Leistung, S. 224 f., obwohl sie zutreffend hervorhebt, dass die „Entschädigung“ nur anteilig im Verhältnis zum Ticketpreis berechnet wird. 132
128
2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
Verspätung) und kann diesen mithin nie übersteigen. Nicht geregelt ist von der Verordnung über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr, dass diese Verspätungsregelung zugunsten der Bahnreisenden auf Fälle der Nichtbeförderung und Annullierung etwa bei Zugausfall oder Anschlussversäumnis anwendbar ist.139 Schadensersatz können Bahnreisende im Rahmen des Schadensersatzregimes nach den einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck nur bei entsprechendem Nachweis beanspruchen.140 Auch nach Ansicht des EuGH ist letztere Schadensersatzhaftung von der Ticketermäßigung nach der Verordnung zu unterscheiden.141 Busreisende sind in schadensersatzrechtlicher Hinsicht noch schlechter gestellt, weil für sie im europäischen Recht gar kein Anspruch bei Verspätung vorgesehen ist, abgesehen von der Erstattung des Ticketpreises anstelle der Beförderung.142 Eine zusätzliche „Entschädigung“ in Höhe von 50 % des Ticketpreises erhalten Fahrgäste nur, sofern ihnen noch nicht einmal diese Erstattung angeboten wird.143 Dies stellt aber keinen Schadensersatz als Kompensation für die Schlecht-/Nichterfüllung der Primärleistung dar, sondern lediglich eine Überhöhung der sekundären Ticketerstattung auf das anderthalbfache.144 Schiffspassagiere haben neben einem Erstattungsanspruch anstelle der Beförderung bei Annullierung oder Verspätung145 wie Busreisende immerhin auch einen Anspruch auf Minderung wie Bahnreisende,146 der allerdings nur neben der verspäteten Beförderung und nicht als echter Schadensersatz neben der Erstattung besteht.147 Der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz für Fluggäste bei Nichtbeförderung etc. ist somit ein Alleinstellungsmerkmal der Fluggastrechte-Verordnung im Vergleich zu den Verordnungen für die anderen Verkehrsmittel. Zur Rechtfertigung hat der EuGH bereits in der Rechtssache IATA und ELFAA zum Ausdruck gebracht, dass bei der Beförderung mit anderen Verkehrsmitteln als dem Flugzeug eine „objektiv andere Situation“ bestehe;148 nur bei Flugreisen wiege die Nichtbeförderung etc. so 139
Vgl. Bollweg, RRa 2010, 106 (113). Art. 32 der einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck (CIV), Anhang A zum Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9. 5. 1980, geändert durch das Protokoll vom 3. 6. 1999 betreffend die Änderung des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr; abgedruckt als Anhang I zur Verordnung 1371/2007. 141 EuGH, Urt. v. 26. 9. 2013, C-509/11 – ÖBB-Personenverkehr, Rn. 38. 142 Art. 19 Abs. 1 lit. b Verordnung 181/2011. 143 Erwgr. 16 S. 4 und Art. 19 Abs. 2 Verordnung 181/2011. 144 Krüger, Passagierrechte, S. 247 ff. spricht daher auch von einer „Sanktion“ im Anschluss an Keiler, in: Binder/Eichel, Internationale Dimensionen des Wirtschaftsrechts, S. 177. 145 Art. 18 Abs. 1 lit. b Verordnung 1177/2010. 146 Ebenso Krüger, Passagierrechte, S. 211 ff., inbes. S. 223 f. 147 Art. 19 Abs. 1 Verordnung 1177/2010. 148 EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006, C-344/04 – IATA und ELFAA, Rn. 97. 140
C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes
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schwer, dass sie einen Anspruch auf Schadensersatz erfordern würden. Ob dem tatsächlich so ist,149 kann hier noch dahinstehen, da im geltenden Recht jedenfalls nur für Fluggäste der Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz vorgesehen ist und eine verkehrsmittelübergreifende Analogie ausscheidet.150 Eine gesetzgeberische Angleichung de lege ferenda wird in Kapitel 7 vorgeschlagen.
C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes durch gesetzliche Gestaltung und richterliche Erweiterung Die bisherige Untersuchung des Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung hat ergeben, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Ausgleichsanspruch einen Schadensersatzanspruch für die gleich- und massenartige Leistungsstörung der Nichtbeförderung etc., die nicht von Vertrags- und Marktmechanismen beherrschbar ist, pauschaliert hat. Jedoch ist für diese gesetzliche Schadensersatzpauschalierung noch offen und näher zu bestimmen, wie und aufgrund welcher Erwägungen der Zuschnitt bzw. Anwendungsbereich der Pauschalierung gestaltet worden ist. Wie schon für die Schadensersatzpauschalierung beim Zahlungsverzug festgestellt, ist diese Bestimmung so wichtig, weil die pauschalierende Wirkung des Schadensersatzes faktisch weitestgehend über den Anwendungsbereich in räumlicher, sachlicher und persönlicher Hinsicht gesteuert wird. Anders als bei der ausschließlich gesetzlichen Regelung zum Zahlungsverzugsschadensersatz ist als Besonderheit der Fluggastentschädigung zu betrachten, dass eine Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs durch richterliche Rechtsfortbildungen geschehen ist.
I. Räumlich In räumlicher Hinsicht steht der Anwendungsbereich der Schadensersatzpauschalierung durch den europäischen Gesetzgeber zur Debatte, wenn dessen Regelung im internationalen Wettbewerb der Rechtsordnungen und somit in Konkurrenz zu anderen nationalen Regelungen (oder Regelungslücken) für Nichtbeförderungsschäden etc. steht. Der Unionsgesetzgeber hat für den räumlichen Anwendungsbereich eine eigenständige, positive Regelung durch Art. 3 Fluggastrechte-Verordnung getroffen, die insofern als eine spezielle Kollisionsnorm des europäischen IPR fungiert,151 welche den Rom-Verordnungen mithin vorgeht und Rechtswahl aus-
149
Zur Kritik siehe ausführlich Krüger, Passagierrechte, S. 257 ff. Vgl. EuGH, Urt. v. 26. 9. 2013, C-509/11 – ÖBB-Personenverkehr, Rn. 47. 151 Für die kollisionsrechtliche Einordnung auch Schaub, JZ 2005, 328 (329 f.); Staudinger, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 23 Rn. 120; zur Vorgängernorm Art. 1 Überbuchungs-Verordnung 295/91 siehe LG Fankfurt a. M., NJW-RR 1998, 1589 f. 150
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
schließt.152 Als europäische Kollisionsnorm ist sie nach dem lex fori-Prinzip von Gerichten im Geltungsbereich der Fluggastrechte-Verordnung zu befolgen, d. h. von den nationalen Gerichten der EU-Mitgliedstaaten,153 nicht aber von Gerichten in Drittstaaten wie den USA.154 Bezüglich der Schweiz besteht die Besonderheit, dass die Fluggastrechte-Verordnung dort aufgrund des Luftverkehrsabkommens, das die EG als Rechtsvorgängerin der EU155 und die Schweiz geschlossen haben,156 seit 2006 gilt.157 Art. 3 Fluggastrechte-Verordnung gebietet eine personal-geografische Anknüpfung: Es kommt grundsätzlich allein darauf an, dass der Fluggast den Flug innerhalb der Europäischen Union antritt.158 Umfasst sind also Flüge innerhalb der EU, auch reine Inlandsflüge innerhalb eines Mitgliedstaats,159 sowie Flüge aus der EU in Drittstaaten, unabhängig von Sitz und Zulassung der Fluggesellschaft. Bei einem Flug aus einem Drittstaat in die EU kommt die subsidiäre personale Anknüpfung zum Zuge. Die Fluggastrechte-Verordnung gilt dann, wenn die ausführende Fluggesellschaft ein „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ ist,160 d. h. die Betriebserlaubnis von einem EU-Mitgliedstaat erteilt wurde.161 Dies hat zur Folge, dass der Unionsgesetzgeber mit seinem pauschalierten Schadensersatzanspruch andere Regelungen verdrängt bzw. ein Vakuum ausfüllt, soweit die gestörte Flugbeförderungsleistung von Unionsgebiet ausgeht oder von „Unionsluftfahrtunternehmen“ dorthin führt. Die EU greift mithin ein, wenn sich das 152
Siehe Mankowski, RRa 2014, 118 (123); ders., IPRax 2019, 208 (211 f.). Darüber hinaus gilt die Verordnung und bindet Gerichte in den EFTA-Mitgliedstaaten Island, Liechtenstein und Norwegen und in der europäischen Common Aviation Area (ECAA) Drittstaaten-Nachbarn wie Albanien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien sowie Montenegro. 154 In Volodarskiy v. Delta Airlines, 784 F.3d 349 (7th Cir. 2015) entschied der US-amerikanische Court of Appeal über eine Klage von Fluggästen, mit der sie den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung geltend machten. Ihr Rückflug in die USA war erheblich verspätet gewesen. Abgewiesen wurde die Klage aufgrund der im Common Law etablierten forum non conveniens-Doktrin als Teil des dortigen IPR/IZVR. 155 Art. 1 UAbs. 3 S. 3 Hs. 2 EUV. 156 Abkommen vom 21. 6. 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr, ABl. 2002 L 114/6. 157 ABl. 2006 L298/23. Vgl. näher Hochstrasser, RRa 2017, 58 ff.; Marti, Fluggastrechte, S. 50 ff. 158 Art. 3 Abs. 1 lit. a Fluggastrechte-Verordnung. Genau genommen heißt es „Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des [AEUV] unterliegt“; dies ist bei Übersee-Gebieten fraglich, z. B. Frankreichs. 159 So auch Staudinger, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 23 Rn. 120. 160 Art. 3 Abs. 1 lit. b Fluggastrechte-Verordnung. 161 Art. 2 lit. c Fluggastrechte-Verordnung. Die dort in Bezug genommene Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates vom 23. 7. 1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen wurde ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 9. 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (Neufassung) (ABl. L293/3). 153
C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes
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Versagen von Vertrags- und Marktmechanismen objektiv auf ihr Gebiet bezieht – bei Abflug stets, bei Ankunft eingeschränkt, denn dies vermeidet eine Kollision mit womöglich abweichenden, ausländischen (Betriebszulassungs-)Regimen. Gänzlich ausgeschlossen ist hingegen, das EU-Regime durch Rechtswahl abzubedingen.
II. Sachlich In sachlicher Hinsicht sieht der gesetzliche Wortlaut der Fluggastrechte-Verordnung in den Fällen der Nichtbeförderung (Art. 4) und der Annullierung (Art. 5) den in Art. 7 pauschalierten Schadensersatz vor, jedoch nicht bei Verspätung (Art. 6) oder erheblicher Abflugvorverlegung. Erst im Wege richterrechtlicher Rechtsfortbildungen durch den EuGH wurde der sachliche Anwendungsbereich auf die Fälle der großen Ankunftsverspätung und erheblichen Abflugvorverlegung in Analogie zur Annullierung erweitert. Im Folgenden sind sowohl der gesetzlich beschränkte Zuschnitt als auch die richterrechtlichen Erweiterungen des sachlichen Anwendungsbereichs vor dem oben dargelegten rechtsökonomischen Hintergrund zu erörtern und auf ihre Widerspruchsfreiheit hin zu überprüfen. 1. Nichtbeförderung Die Nichtbeförderung ist durch die Fluggastrechte-Verordnung legaldefiniert als „die Weigerung [der Fluggesellschaft], Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich [rechtzeitig und mit ihrem Ticket] am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen“.162 Zwar hat der EuGH klargestellt, dass – anders als noch nach der Überbuchungs-Verordnung – eine Nichtbeförderung auf unterschiedlichen Ursachen beruhen kann;163 denkbar sind Streik, Fehlorganisation oder andere betriebliche Umstände. In den meisten Fällen wird die Beförderungsverweigerung aber auf eine bewusste Überbuchung eines Flugs durch die Fluggesellschaft zurückzuführen sein, mit der sie eigentlich bezweckt, den ihr durch ausbleibende Fluggäste („no-shows“) entstehenden Nachteil bei der Auslastung des Flugzeugs gering zu halten.164 Geht die Prognose der Fluggesellschaft allerdings fehl und erscheinen mehr Fluggäste zum Boarding, als Plätze an Bord vorhanden sind, wird sie überzähligen Fluggästen das Boarding verweigern, sofern sie sie nicht mit 162
Art. 2 lit. j Fluggastrechte-Verordnung. EuGH, Urt. v. 4. 10. 2012, C-22/11 – Finnair, Rn. 18 ff.; Urt. v. 4. 10. 2012, C-321/11 – Rodríguez Cachafeiro, Rn. 23 ff. 164 Vgl. dazu die grundlegenden transportökonomischen Untersuchungen von Rothstein, Transportation Science 5 (1971), 180 ff.; Shlifer/Vardi, Transportation Science 9 (1975), 101 ff.; Subramanian/Stidham/Lautenbacher, Transportation Science 33 (1999), 147 ff. Vgl. ferner Hausmann, Fluggastrechte, S. 160 ff.; Marti, Fluggastrechte, S. 130 ff. 163
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
Erfolg zum freiwilligen Verzicht durch eine angemessene Gegenleistung bewegen kann.165 Mithin wird die Nichtbeförderung einzelner Fluggäste oftmals auf ein ökonomisches (Miss-)Kalkül der Fluggesellschaft zurückzuführen sein. Im Fall der Nichtbeförderung hat der Fluggast Anspruch auf Beförderung mit einem Alternativflug zum Endziel (oder nach seiner Wahl Ticketpreiserstattung).166 Aber erst die daneben bestehende gesetzliche Schadensersatzpauschalierung in Form des Ausgleichsbetrags zwingt die Fluggesellschaft dazu,167 die Nachteile des Fluggasts in ihre Kalkulation einzubeziehen, die sich als negative externe Effekte ihres Handelns aufseiten des Fluggasts wegen der verspäteten Ankunft am Endziel ergeben und aufseiten der Fluggesellschaft zu internalisieren sind. Der Gesetzgeber ist andererseits nicht paternalistisch überregulierend tätig geworden, sondern belässt Vertrags- und Marktmechanismen angemessenen Raum, indem er vorsieht, dass überzählige Fluggäste zunächst zum freiwilligen Verzicht durch eine Gegenleistung der Fluggesellschaft bewogen werden sollen.168 Wenn der Fluggast über den ihm ansonsten zustehenden gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch informiert ist, was also von besonderer Bedeutung ist und daher unten gesondert diskutiert wird,169 ist er zur Verhandlung auf Augenhöhe mit der Fluggesellschaft befähigt. Er wird keinen geringen Betrag akzeptieren, sondern sich an dem gesetzlich pauschalierten Betrag des Ausgleichsanspruchs als benchmark orientieren.170 Indem der Gesetzgeber diesen Schadensersatzanspruch pauschaliert, beeinflusst er also mittelbar auch die Höhe der Gegenleistung, zu der – gut informierte – Freiwillige zum Verzicht bereit sein werden,171 und schafft ein faires level playing field für das Wirken privater Gestaltung.172 2. Annullierung Anders als die individuelle Nichtbeförderung betrifft eine Annullierung alle gebuchten Fluggäste eines Flugs. Eine Flugannullierung stellt für den individuell betroffenen Fluggast dennoch dieselbe Leistungsstörung wie eine Nichtbeförderung dar, denn es spielt für den Einzelnen keine Rolle, ob nur er nicht befördert wird oder ob alle Passagiere seines Flugs nicht befördert werden. Der Gesetzgeber hat daher konsequent den sachlichen Anwendungsbereich seiner Schadensersatzpauschalierung in der Überbuchungs-Verordnung mit der Fluggastrechte-Verordnung auf Fälle der Annullierung ausgedehnt, um den gehäuften mikro- und gesteigerten makro165 166 167 168 169 170 171 172
Vgl. Art. 4 Abs. 1 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung. Art. 4 Abs. 3 a. E., Art. 8 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung. Kraft Verweisung aus Art. 4 Abs. 3 auf Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung. Art. 4 Abs. 1 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung. Siehe unten, F. Vgl. zum benchmarking etwa Böhnert, Benchmarking, insbes. S. 15 ff. und 55 ff. Vgl. BeckOK-Fluggastrechte/Degott, Art. 4 Rn. 44. Vgl. zum level playing field grundlegend Roemer, Equality of Opportunity, S. 5 ff.
C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes
133
ökonomischen Nachteilen und Opportunitätskosten bzw. Wohlfahrtsverlusten einer mehr oder minder überraschenden Flugannullierung zu begegnen und Kompensation für die getroffenen Vorausdispositionen zu schaffen. Nach der geltenden Legaldefinition handelt es sich um eine Annullierung, wenn ein geplanter Flug, für den zumindest ein Platz reserviert war, (gar) nicht durchgeführt wird.173 Wichtig ist insofern, dass es nicht auf die Bezeichnung „Annullierung“ durch die Fluggesellschaft ankommt.174 Denn sie – als Schuldnerin des Schadensersatzanspruchs – kann es nicht in der Hand haben zu bestimmen, wann dessen Anwendungsbereich eröffnet ist und wann nicht. Vielmehr kommt es auf die objektiven Umstände an. Bei Annullierung ihres Flugs haben Fluggäste Anspruch auf Beförderung mit einem anderen Flug (oder nach ihrer Wahl Ticketpreiserstattung).175 Daneben steht den Fluggästen der Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung zu, außer sie wurden sehr rechtzeitig über einen geeigneten Ersatzflug informiert.176 Es ist ausdrücklich von der Fluggastrechte-Verordnung geregelt, dass die ausführende Fluggesellschaft die Beweislast für die rechtzeitige Mitteilung an die Fluggäste trägt;177 dies stärkt die Position der Fluggäste bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung. Rechtzeitigkeit bedeutet im Grundsatz eine Mitteilung zwei Wochen vor dem geplanten Abflug.178 Dann kann der Fluggast in der Regel seine Vorausdispositionen noch anpassen und Opportunitätskosten vermeiden, sodass es keinen Grund für den Gesetzgeber gibt, eine pauschalierte Kompensation vorzusehen.179 Die Mitteilungsfrist verkürzt sich auf sieben Tage, wenn der Alternativflug höchstens zwei Stunden früher startet und vier Stunden nach der geplanten Ankunftszeit landet,180 also eine entsprechend geringere Anpassung der getroffenen Dispositionen mit geringerer Vorwarnzeit zumutbar ist. Die Fluggastrechte-Verordnung lässt selbst eine noch knappere Mitteilung genügen, sofern der Alternativflug höchstens eine Stunde früher startet und zwei Stunden nach der geplanten Ankunft ankommt.181 Dies ist allerdings im Gesamtsystem nicht einleuchtend, denn nach den Regelungen in Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 lit. a Fluggastrechte-Verordnung, die im Rechtsfolgenabschnitt unten noch eingehend betrachtet werden,182 scheint ein Ausgleichsan173
Art. 2 lit. l Fluggastrechte-Verordnung. BeckOK-Fluggastrechte/Schmid, Art. 5 Rn. 1 ff. 175 Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 8 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung. 176 Art. 5 Abs. 1 lit. c. 177 Art. 5 Abs. 4 Fluggastrechte-Verordnung. 178 Art. 5 Abs. 1 lit. c Ziff. i Fluggastrechte-Verordnung. 179 Vgl. GA Sharpston, Schlussanträge v. 27. 9. 2007, C-396/06 – Kramme, Rn. 36; es erging nach Streichung der Rechtssache keine Entscheidung des EuGH. 180 Art. 5 Abs. 1 lit. c Ziff. ii Fluggastrechte-Verordnung. 181 Art. 5 Abs. 1 lit. c Ziff. iii Fluggastrechte-Verordnung. 182 Siehe unten E. I. 2. 174
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
spruch auch bei Alternativbeförderung mit einer Ankunft am Endziel innerhalb von zwei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit vorgesehen zu sein. Im Fall der Annullierung ist zu bedenken, dass sich die gesetzliche Schadensersatzpauschale durch die Zahl der Fluggäste potenziert. Auf die Fluggesellschaft kommt ein Vielfaches der gesetzlichen Schadensersatzpauschalen zu – der Faktor kann die Zahl der auf den annullierten Flug gebuchten Fluggäste erreichen.183 Dies ist aber nicht unangemessen, denn die Fluggesellschaft kann durch ihr privatautonomes Verhalten eine Annullierung im Normalfall vermeiden. Im ordnungsgemäßen Betrieb sollte es keine Annullierung geben und bei außergewöhnlichen Umständen muss die Fluggesellschaft nicht haften.184 Selbst bei unvermeidbarer Annullierung kann die Fluggesellschaft ihrer Haftung zumindest noch durch ordnungsgemäße Benachrichtigung und Umbuchung der betroffenen Fluggäste entgehen, denn der Gesetzgeber ordnet für sie nicht unausweichlich in pauschalierter Form die Sekundärpflicht an, soweit eine Primärpflichterfüllung noch in angemessenem Rahmen möglich ist. 3. Kraft richterrechtlicher Erweiterungen Kraft richterlicher Rechtsfortbildungen durch den EuGH wurde der sachliche Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes der Fluggastrechte-Verordnung erweitert. Im Jahr 2009 erfolgte die Ausweitung auf den Fall der großen Ankunftsverspätung und im Jahr 2021 sodann auf den Fall der erheblichen Abflugvorverlegung. Inwiefern damit durch Analogiebildung zur Annullierung Regelungslücken geschlossen werden konnten, wird im Folgenden erörtert. a) Große Ankunftsverspätung Bei Verspätung hat der Unionsgesetzgeber bewusst keinen pauschalierten Schadensersatz vorgesehen. Dies entspricht etwa der (ohnehin aus Sicht der Fluggäste restriktiven) Rechtslage in den USA.185 Im Unterschied zur Situation bei der Nichtbeförderung und Annullierung sei eine Verspätung nicht regelmäßig auf die Fluggesellschaft zurückzuführen, sondern könne beispielsweise im Flughafen- oder Luftraummanagement begründet sein.186 Das trifft aber auch auf die Annullierung zu und ist daher eine zur differenzierenden Behandlung ungeeignete Begründung. Die EuGH-Generalanwältin Sharpston hat darin auch eine widersprüchliche Ungleichbehandlung erkannt, aber keine Möglichkeit gesehen, die Fluggastrechte-Verord183
Zu den daraus erwachsenden Skaleneffekten im Rahmen der Verhaltenssteuerung unten, Kap. 6 B. II. 5. 184 Vgl. Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung. 185 Vgl. 14 CFR Code of Federal Regulations (Aeronautics and Space), Chapter II, Subchapter A – Economic Regulations. Siehe auch Maruhn, RRa 2018, 15. 186 KOM(2000)784 endg., S. 8 Ziff. 23.
C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes
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nung korrigierend auszulegen, ohne Rechtsunsicherheit zu schaffen.187 In der Literatur wurde die Schutzlücke für Fluggäste gleichermaßen kritisiert.188 Das Hauptproblem der Regelungslage ist aber folgendes Dilemma: Haben Fluggäste einen staatlich pauschalierten Schadensersatzanspruch bei Annullierungen, nicht aber für Verspätungen, dürfte zu befürchten sein, dass eine Fluggesellschaft – entsprechend ihrem Bestreben, keinen Schadensersatz leisten zu müssen – eine eigentlich notwendige Annullierung eines Flugs so lange hinauszögern würde, bis er durchgeführt werden kann.189 Mit anderen Worten ergäben sich in dieser Situation für alle Fluggäste des Flugs vergleichbare Nachteile wie bei einer Annullierung, jedoch stünden ihnen für die mitunter besonders große Verspätung keine Ansprüche auf den pauschalierten Ersatz ihrer Schäden zu.190 Sie wären der Verzögerungstaktik der Fluggesellschaft ausgeliefert; das gesetzliche Schadensersatzregime würde unterlaufen. Es bestünde nicht nur ein bloßes Versagen von Vertragsund Marktmechanismen, sondern darüber hinaus noch eine schädigende Ausnutzung von Regelungslücken. Der EuGH hat in der Rechtssache Sturgeon – europaweit überraschend191 – diese Regelungslücke zugunsten der Fluggäste geschlossen und zur Herstellung widerspruchsfreier Systemgerechtigkeit entschieden, dass der sachliche Anwendungsbereich des Ausgleichsanspruchs auf große Ankunftsverspätungen zu erstrecken sei.192 Dabei stützten sich die Richter auf die Systematik und Ziele der Fluggastrechte-Verordnung und vor allem auf den Grundsatz effet utile,193 der die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts gebietet und dementsprechend eine Umgehung durch künstliche Verzögerungen verbietet. In Analogie zu den Rechtsfolgen der Annullierung bestehe Anspruch auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung, wenn die Verspätung am Endziel mindestens drei Stunden betrage. Diametral anders gesehen wird dies interessanterweise von der Exekutive und Judikative in der Schweiz.194 Dort wird zwar grundsätzlich die Fluggastrechte187
GA Sharpston, Schlussanträge v. 2. 7. 2009, C-402/07 – Sturgeon, Rn. 61 und 96. Staudinger, DAR 2007, 477 f. 189 Vgl. KOM(2007)168 endg., S. 5 Ziff. 4.1.2. 190 Dies übergeht die Entscheidungskritik von Riesenhuber, in: Karakostas/Riesenhuber, Methoden- und Verfassungsfragen der Europäischen Rechtsangleichung, S. 50 f. 191 Vgl. GA Sharpston, Schlussanträge v. 2. 7. 2009, C-402/07 – Sturgeon, Rn. 97; Balfour, Air and Space Law 35 (2010), 71; Gogl, ZLW 2010, 82 (83); Lilleholt, European Review of Contract Law 6 (2010), 184 (188). 192 EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon, Rn. 41 ff., insbes. 50 ff. Bestätigt im Urt. v. 23. 10. 2012, C-581/10 – Nelson, Rn. 28 ff. 193 Vgl. grundlegend EuGH, Urt. v. 4. 7. 1963, 24/62 – Kommission/Deutschland. Ausführlich Seyr, Der effet utile; ferner Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der Europäischen Union, Art. 19 EUV Rn. 57 f. m. w. N. 194 Dazu Hochstrasser, RRa 2017, 58 (63). 188
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
Verordnung angewandt,195 aber es besteht keine formale Bindung an die EuGHEntscheidung.196 Daher ist es der Schweiz möglich, die Ansicht zu vertreten, dass der Verordnungswortlaut strikt befolgt werden müsse, wenn der Verordnungsgeber Fälle der Verspätung nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Ausgleichsanspruchs aufgenommen habe.197 Angesichts der besonderen Situation, dass die richterliche Rechtsfortbildung einen gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch betrifft, ist die EuGHEntscheidung methodisch auch keine Selbstverständlichkeit. Der EuGH differenzierte nicht zwischen analoger Auslegung einerseits, die nach deutschem Verständnis durch den Zivilrichter erfolgen darf, und Rechtsfortbildung andererseits, die wegen der potenziellen Usurpation legislativer Gewalt durch die Judikative problematisch sein kann.198 Im Ergebnis ist die vom EuGH vorgenommene Rechtsfortbildung aber nicht zu beanstanden.199 Sein Vorgehen, das hier wie häufig in französischer Rechtsprechungstradition steht,200 ist nicht an deutschen Maßstäben zu messen und selbst nach diesen Maßstäben ist nicht zu leugnen, dass sich richterliche Auslegung und Rechtsfortbildung methodisch gleichen.201 Hinzu kommt unter kompetenziellen Gesichtspunkten, dass die sekundärrechtliche Rechtsfortbildung dem EuGH als supranationalem Gericht gemäß dem insofern maßgeblichen Primärrecht zusteht, sodass er seine Entscheidung nicht ultra vires, sondern innerhalb seiner Kompetenz traf.202 In der Sache bewirkt die Entscheidung des EuGH, die auch in der Literatur auf Zustimmung gestoßen ist,203 dass Fluggäste bei Verspätung nicht darauf verwiesen 195
Aufgrund des Abkommens vom 21. 6. 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr. Siehe zum entsprechenden räumlichen Anwendungsbereich oben, I. 196 Art. 1 Abs. 2 des Abkommens vom 21. 6. 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr. 197 Bezirksgericht Bülach, Entscheid v. 2. 2. 2016 – FV150044-C, zitiert nach Hochstrasser, RRa 2017, 58 (61). Ebenso das Schweizerische Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL), https: //www.bazl.admin.ch/bazl/de/home/gutzuwissen/fluggastrechte/nichtbefoerderung-annullie rung-und-grosse-verspaetungen/grosse-verspaetungen.html. 198 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 369. 199 Abgesehen von der kritisierten „Methoden(un)ehrlichkeit“ so auch Riesenhuber, in: Karakostas/Riesenhuber, Methoden- und Verfassungsfragen der Europäischen Rechtsangleichung, S. 52 ff. 200 Vgl. zur richterlichen Rechtsfortbildung Calliess, NJW 2005, 929 (933); zum Auslegungsverständnis der französischen Rechtsprechung Vogenauer, Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent I, S. 289 ff. m. w. N. 201 Larenz, Methodenlehre, S. 366 ff. 202 Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV. Vgl. Calliess, NJW 2005, 929 ff.; Everling, JZ 2000, 217 ff.; Walter, Rechtsfortbildung durch den EuGH, insbes. S. 54 ff. und 161 ff.; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Kommentar, Art. 19 EUV Rn. 18 ff. 203 Zustimmend auch Hausmann, Fluggastrechte, S. 304 ff. Ähnlich Richter/Fernanda Monteiro, GPR 2012, 199 (200 ff.).
C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes
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sind, ihren konkreten Schaden nachzuweisen. Vielmehr können sie entsprechend dem Gesamtzweck der Fluggastrechte-Verordnung den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz – wie im Fall der Annullierung – geltend machen. Rechtsökonomisch können dem einzelnen Fluggast und der Volkswirtschaft durchaus vergleichbare Nachteile und Kosten im Fall der großen Ankunftsverspätung wie im Fall der Annullierung entstehen. Als Gemeinsamkeit der Nichtbeförderung, Annullierung und großen Ankunftsverspätung wurde für die rechtsökonomische Betrachtung ausdrücklich darauf abgehoben, dass es sich um Leistungsstörungsfälle handelt, in denen die Disponibilität über die Lebenszeit des Fluggasts beeinträchtigt wird und ihm Opportunitätskosten entstehen, weil er sein Ziel nur noch verspätet erreichen kann. Angesichts des Versagens privater Vertrags- und Marktmechanismen besteht auch vergleichbarer Bedarf an hoheitlichem Eingreifen im Fall der großen Ankunftsverspätung wie im Fall der Annullierung, ohne dass es auf die gewaltenteilende Differenzierung zwischen Legislative und Judikative ankäme. Dass die Ausweitung des Anwendungsbereichs durch die Judikative statt Legislative erfolgte, hat der Gerichtshof in einem anschließenden Verfahren verteidigt, in dem er auf das institutionelle Gleichgewicht der Organe auf europäischer Ebene abgestellt hat, „gestützt auf die Analyse des Kontexts der ausgelegten Vorschriften sowie des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels unter gleichzeitiger Berücksichtigung des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung“.204 Dies ist im Ergebnis nicht zu kritisieren, obgleich die Begründungsformulierung durchaus präziser und substanzieller hätte sein können. Gesetzlich pauschalierter Schadensersatz ist wie angeführt hoheitliches Eingreifen in Fällen besonders kritischer Leistungsstörungen, das zwar regelmäßig durch den Gesetzgeber erfolgen wird; dies ist aber nicht zwingend und kann ausnahmsweise auch durch die Rechtsprechung erfolgen, soweit dem keine besonderen Gründe entgegenstehen.205 Die einzige potenzielle Gefahr einer richterlichen Rechtsfortbildung des Anwendungsbereichs einer gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung dürfte darin bestehen, dass es zu ungewollten Friktionen im gesetzlichen Systemgefüge kommen könnte, insbesondere unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Rahmenbedingungen. Dass das Montrealer Übereinkommen über eine exklusive Verspätungsregelung verfügt, steht der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Fluggastrechte-Verordnung, wie oben gezeigt,206 aber im konkreten Rechtsfortbildungsfall nicht entgegen. Die Exklusivität gilt nur für den Anspruch auf individuellen Schadensersatz, den das Montrealer Übereinkommen regelt, und gerade nicht für den Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz. Somit gab es vorliegend keine besonderen Gründe, die gegen die ausnahmsweise richterliche Rechtsfortbildung sprachen.
204
EuGH, Urt. v. 18. 4. 2013, C-413/11 – Germanwings, Rn. 20. Zur Abgrenzung der legislativen und judikativen Aufgaben bei der Schadensersatzpauschalierung unten ausführlich Kap. 3 E. 206 Siehe oben, B. III. 2. 205
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
Die Rezeption der europäischen richterlichen Rechtsfortbildung hat beispielsweise in Israel dazu geführt, dass ein strukturell recht ähnlich ausgestalteter, gesetzlich pauschalierter Schadensersatzanspruch für (Ankunfts-)Verspätung ins Gesetzesrecht aufgenommen worden ist.207 Auch Kanada hat die Fluggastrechte in jüngerer Zeit ganz erheblich gestärkt208 und nach europäischem Vorbild gesetzlich pauschalierte Schadensersatzansprüche eingeführt,209 wobei große Ankunftsverspätung und Annullierung bei der gesetzlich pauschalierten Entschädigung gleich behandelt werden.210 De lege ferenda sieht auch der europäische Kommissionsvorschlag für die Reform der Fluggastrechte-Verordnung vor, dass eine eigenständige Regelung zur Entschädigung bei großer Verspätung aufgenommen wird.211 b) Erhebliche Abflugvorverlegung Der EuGH hat den sachlichen Anwendungsbereich der gesetzlich pauschalierten Fluggastentschädigung mit seinem Urteil in der Rechtssache Azurair Ende 2021 außerdem auf den Fall der erheblichen Abflugvorverlegung ausgedehnt.212 Anders als für die Ankunftsverspätung, für die immerhin eine – obgleich unzureichende – Regelung in der Fluggastrechte-Verordnung vorgesehen ist, die vom EuGH in der oben diskutierten Rechtssache Sturgeon richterrechtlich erweitert wurde, war für die Abflugvorverlegung vom Unionsgesetzgeber gar keine explizite Regelung zu den Rechtsfolgen in der Fluggastrechte-Verordnung getroffen worden.213 Dabei besteht bei erheblicher Abflugvorverlegung ein vergleichbares Dilemma wie bei der Ankunftsverspätung und mithin wie bei der Annullierung: Haben Fluggäste einen staatlich pauschalierten Schadensersatzanspruch bei Annullierungen, nicht aber für Abflugvorverlegungen, ist zu befürchten, dass eine Fluggesellschaft – entsprechend ihrem Bestreben, keinen Schadensersatz leisten zu müssen – die eigentlich notwendige Annullierung eines zur regulären Zeit nicht durchführbaren Flugs dadurch vermeidet, dass sie den Flug erheblich vorzieht und zu einer Zeit durchführt, zu der ihr die Durchführung noch möglich ist. In dieser Situation können sich für alle Fluggäste des Flugs vergleichbare Nachteile wie bei einer Annullierung ergeben: Die Disponibilität über ihre Lebenszeit wird beeinträchtigt, entweder weil sie erheblich früher zum Flughafen aufbrechen müssen, um den vorverlegten Flug doch noch zu 207 Aviation Services Law (Compensation and Assistance for Flights Cancellation or Change of Conditions), Art. 8(b)(1) & First Schedule sec. 6(e)(1)&(2). Vgl. auch Naumann, RRa 2013, 6 (8 f.). 208 Siehe den kanadischen Transportation Modernization Act, der am 23. 5. 2018 in Kraft getreten ist. 209 Air Passenger Protection Regulations, sec. 19 f. Zum Hintergrund siehe Canadian Transportation Authority, Consultation Paper on Air Passenger Protection Regulations (2018). 210 Air Passenger Protection Regulations, sec. 19(1). 211 Art. 6 i. d. F. des Vorschlags der Kommission vom 13. 3. 2013, KOM(2013)130 endg. 212 EuGH, Urt. v. 21. 12. 2021, C-146/20 – Azurair, Rn. 69. 213 Vgl. GA Pikamäe, Schlussanträge v. 23. 9. 2021, C-146/20 – Azurair, Rn. 84.
C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes
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erreichen, oder weil sie den vorverlegten Flug versäumen und erst mit einem späteren Alternativflug ihr Endziel erreichen. Jedoch standen den Fluggästen bislang für die mitunter erhebliche Abflugvorverlegung keine Ansprüche auf die gesetzlich pauschalierte Entschädigung zu. Es bestand nicht nur ein bloßes Versagen von Vertragsund Marktmechanismen, sondern darüber hinaus ebenso die schädigende Ausnutzung dieser Regelungslücke. Dies wiegt, wie der EuGH-Generalanwalt Pikamäe hervorgehoben hat, gerade deswegen besonders schwer, weil im Gegensatz zur Ankunftsverspätung, die von der Fluggesellschaft in aller Regel unbeabsichtigt ist, eine Abflugvorverlegung in der Regel aufgrund aktiver Planung und einseitiger, bewusster Entscheidung der Fluggesellschaft erfolgt.214 Zur Schließung der Regelungslücke legte der EuGH in seiner Entscheidung in der Rechtssache Azurair den Begriff „Annullierung“ dahin aus, dass der Begriff – neben der großen Ankunftsverspätung – auch die erhebliche Abflugvorverlegung erfasse.215 Die richterrechtliche Anwendungsbereichserweiterung im Wege der analogen Auslegung, die auch der Generalanwalt zuvor schon vorgeschlagen hatte,216 konnte der EuGH darauf stützen,217 dass der Unionsgesetzgeber in Art. 5 Abs. 1 lit. c Ziff. ii und iii Fluggastrechte-Verordnung immerhin implizit die Vorverlegung im Rahmen der bereits erläuterten Regelung zur rechtzeitigen Mitteilung über einen Ersatzflug für einen annullierten Flug bedacht hat.218 Art. 5 Fluggastrechte-Verordnung verweist auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz bei Annullierung, es sei denn, der Fluggast wurde rechtzeitig über die Annullierung informiert und ihm wurde eine anderweitige Beförderung angeboten, mit der er sein Ziel erreicht, ohne mehr als eine bzw. zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abfliegen zu müssen (und sein Ziel mit höchstens vier bzw. zwei Stunden Verspätung erreicht). Daraus hat der EuGH im Umkehrschluss gefolgert, dass eine erhebliche Abflugvorverlegung vorliege, wenn der Abflug um eine Stunde vorverlegt werde, und dass dies wie eine Annullierung zur gesetzlich pauschalierten Entschädigung verpflichte.219 Diese sachliche Anwendungsbereichserweiterung auf Fälle der erheblichen Abflugvorverlegung ist im Grundsatz zu begrüßen, da sie die aufgezeigte Regelungslücke schließt. Kritisch zu sehen und gesonderter Diskussion bedürftig ist allerdings, dass die maßgebliche Zeit stets eine Stunde betragen soll und wie sich die gebildete Analogie rechtsfolgenseitig ausnimmt.220 214
GA Pikamäe, Schlussanträge v. 23. 9. 2021, C-146/20 – Azurair, Rn. 91. EuGH, Urt. v. 21. 12. 2021, C-146/20 – Azurair, Rn. 80. 216 GA Pikamäe, Schlussanträge v. 23. 9. 2021, C-146/20 – Azurair, Rn. 92 unter Bezugnahme auf die Rechtssache Sousa Rodríguez, worin (Urt. v. 13. 10. 2011, C-83/10, Rn. 30) wiederum auf die Entscheidung in der Rechtssache Sturgeon Bezug genommen wurde. 217 EuGH, Urt. v. 21. 12. 2021, C-146/20 – Azurair, Rn. 75 f. 218 Siehe oben, 2. 219 EuGH, Urt. v. 21. 12. 2021, C-146/20 – Azurair, Rn. 84 und 87. 220 Dazu Ungerer, Fluggast-Entschädigung für erhebliche Abflugvorverlegung, JZ (im Erscheinen). 215
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
III. Persönlich Unter der Perspektive des persönlichen Anwendungsbereichs von Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung soll die Aktiv- und Passivlegitimation untersucht werden. Die Frage, wer anspruchsberechtigt und -verpflichtet ist, unter Beachtung etwaiger Veränderung auf der einen oder anderen Seite, hat große Bedeutung dafür, wen die Wirkungen der gesetzlichen Pauschalierung treffen. 1. Aktivlegitimierter Fluggast Die Aktivlegitimation lässt sich dem Telos der Fluggastrechte-Verordnung entnehmen: Der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch steht dem Fluggast zu, der nicht befördert wurde, dessen Flug annulliert wurde, dessen Flug vorverlegt wurde oder dessen Flug nur mit großer Verspätung ankam. Schutz erfahren die Fluggäste in diesen spezifischen Situationen nicht deswegen, weil es sich bei ihnen um eine defizitäre Personengruppe handeln würde.221 Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass es sich beim Fluggast um einen Verbraucher handelt.222 Die Fluggastrechte-Verordnung wurde von der EU auch nicht auf verbraucherrechtlicher Kompetenzgrundlage, sondern gestützt auf ihre besondere Luftfahrtkompetenz erlassen.223 Unerheblich ist außerdem, wer den Flug gebucht und/oder bezahlt hat, beispielsweise ein anderes Familienmitglied oder der Arbeitgeber.224 Schlicht und allein der betroffene Fluggast ist aktivlegitimiert.225 Diese etablierte und teleologisch fundierte Bestimmung der Aktivlegitimation deckt sich mit der rechtsökonomisch verstandenen Begründung des Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung. Dem betroffenen Fluggast steht der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch zu, weil er die negativen externen Effekte und Kosten der Nichtbeförderung etc. erleidet, also ihm die staatlich vorgesehene Kompensation gebührt, mit der die externen Effekte aufseiten der verursachenden Fluggesellschaft internalisiert werden. Keine Rolle spielt es für den gesetzlich pauschalierten (Mindest-)Ausgleichsbetrag, ob die Disponibilität über die Lebenszeit des Fluggasts bei einer geschäftlich oder privat motivierten Beförderung beeinträchtigt wird; mithin sind Urlauber genauso aktivlegitimiert wie Geschäftsreisende. Lebenszeit
221
Lienhard, GPR 2004, 259 (260). Erwgr. 1 S. 1 und 2 Fluggastrechte-Verordnung. Führich, MDR-Sonderbeilage 2007, S. 3; Hausmann, Fluggastrechte, S. 52 ff.; Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897. 223 Art. 80 Abs. 2 EG-Vertrag (& Art. 100 Abs. 2 AEUV). 224 Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 5; BeckOK-Fluggastrechte/Maruhn, Art. 7 Rn. 50 ff.; Müller-Rostin, euvr 2013, 138 (140); Rodegra, MDR 2013, 373; Schilling, Transportverträge, S. 269 f. Fn. 1011. A. A. AG Emden, RRa 2010, 135 (in der Berufungsinstanz vor dem LG Aurich wurde der Rechtsstreit durch Vergleich beigelegt, so Brecke, ZLW 2012, 358 (362)); Lienhard, GPR 2004, 259 (262) ohne nähere Begründung. 225 So auch Aufner, ZVR 2005, 229 (231). 222
C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes
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besitzen aber nur natürliche Personen, sodass es sich beim „Fluggast“ nicht um eine hinter ihm stehende juristische Person handeln kann.226 2. Zessionsmöglichkeit Der aktivlegitimierte Fluggast kann seinen Anspruch grundsätzlich abtreten.227 Der Unionsgesetzgeber verbietet es dem Fluggast nicht, frei über seinen entstandenen monetären Anspruch zu verfügen, denn dies beeinträchtigt nicht die Verordnungsziele. Der Verordnungsgeber regelt anstelle privater Vertrags- und Marktmechanismen nur soweit, wie diese bei der Kompensation und Prävention gleichund massenartiger Leistungsstörung versagen, und lässt darüber hinausgehende oder daran anschließende private Verfügungsmöglichkeiten unberührt. Durch den Gläubigerwechsel kann beispielsweise der Arbeitgeber, der die Buchung für den Fluggast vorgenommen und bezahlt hat, aktivlegitimiert werden, wenn dies im Rahmen des Arbeitsverhältnisses vorgesehen oder anderweitig privatautonom motiviert ist.228 Tritt der einzelne Fluggast – und dies ist gerade unter dem Gesichtspunkt der Pauschalierung interessant – seinen Anspruch an einen Inkassodienstleister ab, so kann dieser eine Bündelung von gleichartigen Ansprüchen vieler Passagiere eines bestimmten Flugs oder sogar mehrerer Flüge einer bestimmten Fluggesellschaft erreichen. Damit wird die Wirkung der gesetzlichen Pauschalierung des Schadensersatzes in der Rechtsdurchsetzung gegenüber der passivlegitimierten Fluggesellschaft verstärkt.229 Der Zedierbarkeit des Anspruchs könnte nur ein privatautonom begründetes Abtretungsverbot nach subsidiär anwendbarem nationalen Forderungsstatut entgegenstehen – im deutschen Recht gemäß § 399 Alt. 2 BGB aufgrund vertraglicher Vereinbarung. Ob deutsches oder ein anderes Recht anzuwenden ist, bestimmt bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt das europäische Internationale Schuldvertragsrecht in Gestalt der Rom I-Verordnung,230 weil es um eine kollisionsrechtliche Frage des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs auf vertraglicher Grundlage geht.231 Der Ausschluss der Abtretbarkeit durch Vereinbarung setzt aber 226
Brecke, ZLW 2012, 358 (359 ff.). So auch Hausmann, Fluggastrechte, S. 59 f und 524 f. 228 Vgl. Schönhöft/Röpke, BB 2021, 2420 (2422 f.), die außerdem auf § 667 Alt. 2 BGB abstellen. 229 Dazu unten ausführlich, Kap. 5 B. II. 230 Siehe Art. 14 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 6. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L177/6). Vgl. den gescheiterten Versuch Ryanairs, durch Rechtswahl irisches Recht zu vereinbaren: OLG Köln, RRa 2021, 79. 231 Zur insofern vertraglichen Einordnung vgl. EuGH, Urt. v. 9. 6. 2009, C-204/08 – Rehder, Rn. 44 (bezogen auf den internationalen Gerichtsstand für vertragliche Schuldverhältnisse im europäischen Internationalen Zivilverfahrensrecht gemäß Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-Verordnung Nr. (EG) 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die 227
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
voraus, dass Fluggast und Fluggesellschaft überhaupt durch einen Vertrag verbunden sind, was nicht notwendigerweise der Fall ist; ein Abtretungsverbot in einem Vertrag der Fluggesellschaft mit einem Dritten ist für die Zedierbarkeit des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs des Fluggasts für diesen irrelevant, weil Dritte zu seinen Lasten keinen Vertrag schließen können. Besteht jedoch wie häufig ein Vertrag zwischen Fluggesellschaft und Fluggast, wird sich ein beachtenswertes Abtretungsverbot typischerweise aus den einbezogenen Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Fluggesellschaft ergeben. Eine AGB-Klausel, die die Abtretbarkeit für einen auf Geld gerichteten Anspruch des Vertragspartners (Fluggast) gegen den Verwender (Fluggesellschaft) ausschließt, ist nach deutschem Recht gemäß dem jüngst verabschiedeten „Gesetz für faire Verbraucherverträge“232 allerdings unwirksam. Die gesetzliche Neuregelung ergänzt § 308 BGB um eine Nr. 9 mit entsprechender Regelung.233 Schon zuvor durfte eine solche AGB-Klausel mit dem BGH234 regelmäßig als unwirksam gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB anzusehen gewesen sein, da es an einem schutzwürdigen Interesse der Fluggesellschaft fehlen dürfte oder zumindest berechtigte Belange des Fluggasts entgegenstehen dürften.235 Somit kann der Fluggast seinen Anspruch auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz abtreten.236 Hinzuweisen ist noch darauf, dass anstelle einer Abtretung auch die Erteilung einer Einziehungsermächtigung durch den Fluggast in Betracht kommt. Prozessrechtlich kann beispielsweise der Reiseveranstalter, bei dem der Fluggast gebucht hat, im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft kraft erteilter Einziehungsermächtigung den Anspruch des Fluggasts auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz gegen die Fluggesellschaft durchsetzen, wenn er ein schutzwürdiges Eigeninteresse verfolgt.237
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) m. Anm. Lehmann, NJW 2010, 655 ff. Siehe auch Staudinger, jM 2016, 448 f. Bestätigung hat diese Einordnung erfahren in EuGH, Urt. v. 7. 3. 2018, C-274/16 – flightright, Rn. 56 ff.; Urt. v. 26. 3. 2020, C-215/18 – Králová, Rn. 25 ff. 232 Art. 1 Nr. 1 lit. b des Gesetzes für faire Verbraucherverträge vom 10. 8. 2021 (BGBl. I 3433). 233 § 308 Nr. 9 lit. a BGB n. F. 234 BGHZ 108, 52 ff. 235 Ebenso, bezogen auf die Fluggastrechte-VO LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 30. 7. 2018 – 5 S 8340/17, Rn. 18 ff. (juris); AG Hannover, Urt. v. 8. 2. 2012 – 531 C 10491/11, Rn. 11 (juris); AG Köln, Beschl. v. 11. 10. 2016 – 113 C 381/16 (juris); AG Nürnberg, Urt. v. 9. 6. 2017 – 18 C 1869/17, Rn. 36 (juris); Durchlaub/Beckmann, MDR 2017, 63 (65 ff.); BeckOK-Fluggastrechte/Maruhn, Art. 7 Rn. 60. 236 Die Bedeutung der Zedierbarkeit wird unten nochmal aufgegriffen, Kap. 5 B. II. 4. 237 Beispielsweise kann sich das Eigeninteresse des Reiseveranstalters daraus ergeben, dass er einer Haftung gegenüber dem Fluggast wegen der Leistungsstörung entgehen möchte. Siehe LG Frankfurt a. M., RRa 2007, 81 (82 f.); Hausmann, Fluggastrechte, S. 525 f.
C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes
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3. Passivlegitimierte ausführende Fluggesellschaft Bei der Bestimmung der Passivlegitimation ist im Ausgangspunkt zu beachten, dass sich der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch nicht notwendigerweise gegen den Vertragspartner des Fluggasts richtet.238 Erfolgte beispielsweise die Flugbuchung, wie häufig, bei einem Reiseveranstalter, haftet nicht dieser nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung;239 die Verordnung definiert „Reiseunternehmen“ separat,240 ohne deren Haftung anzuordnen. Die Fluggastrechte-Verordnung sieht aus Effektivitätsgründen vielmehr vor, dass das „ausführende Luftfahrtunternehmen“ verpflichtet ist, also die Fluggesellschaft, die den Flug im eigenen oder fremden Namen durchgeführt bzw. durchzuführen beabsichtigt hat.241 Diese Fluggesellschaft ist in der faktisch besten Position, für die ordnungsgemäße Leistungserbringung zu sorgen und Leistungsstörungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Misslingt ihr dies, schuldet konsequenterweise sie den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz, der dem Fluggast nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung zusteht. Die negativen externen Effekte und Kosten aufseiten des von der Nichtbeförderung etc. betroffenen Fluggasts werden also durch den Unionsgesetzgeber bei der ausführenden Fluggesellschaft internalisiert. Bei Kooperationen von Fluggesellschaften, etwa beim code sharing als Marketingmaßnahme von Partner-Fluggesellschaften, haftet konsequenterweise die letztlich ausführende Fluggesellschaft.242 Anderes gilt ausnahmsweise nur in Konstellationen, in denen eine Fluggesellschaft eines ihrer Flugzeuge ohne/mit Besatzung an eine andere Fluggesellschaft durch Leasing überlassen hat („dry/wet lease“); Risiko und Verantwortung des Flugbetriebs, obgleich er vom Leasinggeber ausgeführt wird, trägt dann der Leasingnehmer, der nach außen auftritt und mithin auch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung haftet.243 Dies hat der EuGH in der Rechtssache Wirth, die eine wet lease-Vermietung mit Besatzung betraf, ausdrücklich bekräftigt und sich darauf gestützt, dass das mietende „Unternehmen die Verantwortung für die Durchführung des Fluges, einschließlich insbesondere seiner etwaigen Annullierung oder einer etwaigen großen Verspätung bei seiner Ankunft, übernimmt.“244 238
BGHZ 188, 85 (91 f.) m. w. N. So auch schon Aufner, ZVR 2005, 229 (231). BGH, NJW 2008, 2119 Rn. 10; 2009, 287 Rn. 12. 240 Art. 2 lit. d Fluggastrechte-Verordnung unter Verweis auf die Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. 6. 1990 über Pauschalreisen (ABl. L58/59), aufgehoben zum 1. 7. 2018 durch die Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 11. 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen … (ABl. L326/1). 241 Erwgr. 7 und Art. 2 lit. b, Art. 3 Abs. 5 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung. 242 BGH, NJW 2010, 1522 Rn. 7 ff. 243 AG Frankfurt a. M., RRa 2012, 235 Rn. 47 f.; ausführlich AG Köln, Urt. v. 7. 8. 2017 – 142 C 511/16, Rn. 18 (juris); so auch das österreichische Landesgericht Korneuburg, RRa 2017, 158 f.; ebenso Hausmann, Fluggastrechte, S. 92 f. 244 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2018, C-532/17 – Wirth, Rn. 20 mit zustimmender Anm. Goumas, NJW 2018, 2382 f. 239
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
De lege ferenda hat die Kommission vorgeschlagen, dass in die FluggastrechteVerordnung eine Bestimmung aufgenommen wird, die speziell die Passivlegitimation bei verpassten Anschlussflügen regelt.245 Der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch wegen der Verspätung am Endziel würde sich demnach nicht gegen die letzte Fluggesellschaft richten, sondern allein gegen die Fluggesellschaft des verspäteten Zubringerflugs. Dies hatte der EuGH in der Rechtssache Folkerts unter der geltenden Fluggastrechte-Verordnung ganz ähnlich entschieden.246 Damit wird der Fluggesellschaft des Zubringerflugs zwar eine Haftung aufgebürdet, die sie hart trifft, weil sie wenig Einfluss auf die maßgebliche Ankunftsverspätung am Endziel hat, aber den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz vollumfänglich leisten muss.247 Allerdings trifft die Fluggesellschaft des Anschlussflugs keinerlei Schuld und die Nachteile und Kosten, die der Fluggast erleidet, sind allein oder überwiegend auf die Fluggesellschaft des Zubringerflugs zurückzuführen. Es erscheint daher als angemessener hoheitlicher Ausgleich, die Fluggesellschaft des Zubringerflugs für die Internalisierung der negativen externen Effekte und Kosten des Fluggasts ausschließlich heranzuziehen. Als zu weitgehend muss man aber die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache ˇ eské aerolinie bezeichnen, in der er die Haftung der Fluggesellschaft des pünktC lichen Zubringerflugs gemäß Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung bejaht, obwohl es erst bei einer Flugverbindung nach Umsteigen in einem Drittstaat zu einer großen Ankunftsverspätung des Anschlussflugs kam, der von einer anderen Fluggesellschaft von außerhalb der EU durchgeführt wurde.248 Der EuGH hat darauf abgestellt, dass es sich um eine einzige Buchung gehandelt hat – für den Anschlussflug bestand ein code sharing.249 Damit wird der europäischen Fluggesellschaft allerdings eine Haftung aufgebürdet, die auf keinerlei Leistungsstörung ihrerseits beruht und die sie im konkreten Fall auch nicht durch größere eigene Anstrengungen hätte vermeiden können, denn dies ist im Rahmen des reinen code sharing unmöglich. Ein weiterer Aspekt, den man bei der künftigen Verordnungsreform bedenken könnte, ist eine Differenzierung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung in persönlicher Hinsicht danach, ob es sich bei der ausführenden und damit haftungsverantwortlichen Fluggesellschaft um einen Großkonzern oder um eine kleine Regionalfluggesellschaft handelt. Zwar wurde bei der Bemessung der Pauschalen im Rahmen der Gesetzgebung Rücksicht darauf genommen,250 dass auch Kleine und 245
endg. 246
Art. 6a Abs. 2 i. d. F. des Vorschlags der Kommission vom 13. 3. 2013, KOM(2013)130
EuGH, Urt. v. 26. 2. 2013, C-11/11 – Folkerts, Rn. 25 ff. Siehe die Kritik von Keiler, RRa 2013, 163 (167 f.). 248 ˇ eské aerolinie. Dazu Flöthmann, EuZW 2019, EuGH, Urt. v. 11. 7. 2019, C-502/18 – C 745 f.; Möllring, NJW 2019, 2597. 249 ˇ eské aerolinie, Rn. 29 ff. EuGH, Urt. v. 11. 7. 2019, C-502/18 – C 250 Vgl. Begründung zu Änderungsantrag Nr. 23 aus dem Bericht vom 12. 9. 2002 des Ausschusses für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr des Parlaments, A5/2002/298; angenommen vom Parlament am 24. 10. 2002. 247
C. Anwendungsbereich des pauschalierten Schadensersatzes
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Mittlere Unternehmen (KMU) betroffen sein können. Jedoch zeigt das kanadische Beispiel der gesetzlich pauschalierten Fluggastentschädigung, dass man zumindest zwei Gruppen von gestaffelten Entschädigungsbeträgen bei Annullierung und großer Ankunftsverspätung vorgeben kann: Kleine und mittlere Fluggesellschaften haften nur in Höhe von umgerechnet ca. 85, 170 bzw. 345 Euro, wohingegen Fluggesellschaften, die mehr als 2 Mio. Passagiere pro Jahr befördern, die mindestens doppelt so hohen Pauschalen von umgerechnet ca. 275, 480 bzw. 690 Euro zahlen müssen.251 4. Regressmöglichkeit Die Passivlegitimation kann allerdings nicht isoliert betrachtet werden, weil die Fluggastrechte-Verordnung den Regress der ausführenden Fluggesellschaft unberührt lässt.252 Das heißt, die Fluggesellschaft, die für den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung einzustehen hat, kann unter Umständen die Haftung abwälzen, indem sie Regress nimmt: z. B. bei einer anderen Fluggesellschaft, einem Reiseveranstalter oder sonstigen Dienstleistern, soweit deren Verantwortung gegeben ist. Die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung beschränkt nicht das Wirken privater Vertrags- und Marktmechanismen „hinter den Kulissen“, soweit es also nicht mehr darum geht, dass der Fluggast für erlittene Nachteile und Opportunitätskosten von der Fluggesellschaft entschädigt wird. Wenn zugunsten der ausführenden Fluggesellschaft Regressanspruchsgrundlagen aufgrund eines Vertrags, den sie mit einem Dritten geschlossen hat, der für die Leistungsstörung eigentlich verantwortlich ist, oder aufgrund eines gesetzlichen Schuldverhältnisses nach dem anzuwendenden Deliktsstatut bestehen, werden sie durch die europäische FluggastrechteVerordnung nicht beeinträchtigt. Die Haftung kann allerdings auch nicht direkt in Höhe des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes „weitergegeben“ werden, sondern es kommt auf die Voraussetzungen des einschlägigen Regressanspruchs an; im Zweifel handelt es sich um eine Verschuldenshaftung, für die der konkrete Schaden und die Kausalität, ggf. umgekehrt auch ein Mitverschulden der ausführenden Fluggesellschaft, darzulegen und zu beweisen sind. Denn die Fluggesellschaft muss in diesem nicht gleich- und massenartigen Fall der Haftungsweiterleitung im Einzelnen begründen und nachweisen können, warum die Internalisierung der externen Effekte und Kosten eine andere Person treffen sollen. Die Fluggastrechte-Verordnung legt lediglich nahe, dass ein Regress nach den (europaweit verbreiteten253) Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag be-
251
Kanadische Air Passenger Protection Regulations, sec. 19(1). Art. 13 Fluggastrechte-Verordnung. 253 Dazu ausführlich v. Bar (Hrsg.), Principles of European Law: Benevolent intervention in another’s affairs; Deppenkemper, Negotiorum gestio; Dornis, Restitution Law Review 2015, 73 ff. 252
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
steht,254 wenn der Fluggast und die von ihm in Haftung genommene ausführende Fluggesellschaft in keiner vertraglichen Beziehung stehen, also Vertrags- und Marktmechanismen im Verhältnis zum Fluggast völlig fernliegen. Für diesen Fall äußert die Fluggastrechte-Verordnung die Vermutung, dass die ausführende Fluggesellschaft die Haftung gegenüber dem Fluggast im Namen von dessen Vertragspartner erfüllt,255 z. B. im Namen des Reiseveranstalters, bei dem der Fluggast gebucht hat. Grund zum Regress kann bestehen, wenn beispielsweise die haftungsauslösende Überbuchung auf einem Fehler des Reiseveranstalters beruht. Sofern der Reiseveranstalter und die ausführende Fluggesellschaft aber in einem Vertragsverhältnis stehen, können sie durch Vereinbarungen den Regress konstituieren und mithin Vertragsmechanismen wirken lassen; sie können freilich ihre Vereinbarung am gesetzlich pauschalierten Schadensersatz ausrichten, um ökonomische Divergenzen zu verhindern.256 Im Normalfall wird die ausführende Fluggesellschaft jedoch den Umstand, der zur gleich- und massenartigen Leistungsstörungshaftung nach Art. 7 FluggastrechteVerordnung geführt hat, selbst zu verantworten haben. Dementsprechend hat sie den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch direkt im Zuwendungsverhältnis zum Fluggast zu erfüllen, sodass es nur im Ausnahmefall überhaupt einen Regressgrund im Deckungsverhältnis zwischen der ausführenden Fluggesellschaft und dem Vertragspartner des Fluggasts geben wird. Auch in einem solchen Ausnahmefall bleibt es dabei, dass sich der gesetzlich pauschalierte Anspruch des Fluggasts gegen die ausführende Fluggesellschaft richtet und der Fluggast somit nur ihr Insolvenzrisiko trägt; nicht der Fluggast, sondern die ausführende Fluggesellschaft trägt das Insolvenzrisiko ihres Regressanspruchsgegners. Mit anderen Worten kann der Fluggast seinen gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch gegenüber der ausführenden Fluggesellschaft durchsetzen, ohne Rücksicht sowohl auf die Solvenz des eigentlichen Verursachers der Nichtbeförderung als auch auf die Nachweis- und Durchsetzbarkeit eines Anspruchs diesem gegenüber. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass es der Unionsgesetzgeber dem Fluggast unbenommen lässt, (zusätzlich) eine von der ausführenden Fluggesellschaft verschiedene Person, zu der aufgrund privatautonomer Begründung ein Schuldverhältnis besteht, in Haftung zu nehmen – dann nach allgemeinen privatrechtlichen Haftungsgrundsätzen des jeweils anzuwendenden Rechts, nicht besonders pauschaliert. Der Fluggast ist nicht verpflichtet, die Pauschale nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung in Anspruch zu nehmen, wird dies aber in der Regel tun, da die Durchsetzung viel einfacher ist als nach dem im Übrigen anzuwendenden allgemeinen Haftungsregime. Interessant ist eine weitere Haftung eines Dritten für den Fluggast nur soweit, wie der Schaden die Pauschale (deutlich) übersteigt. Die
254 255 256
Vgl. Lienhard, GPR 2004, 259 (265 f.). Art. 3 Abs. 5 S. 2 Fluggastrechte-Verordnung. Vgl. Tonner, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Rn. 137.
D. Tatbestandsvoraussetzungen und Exkulpationsmöglichkeit
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Geltendmachung ist dem Fluggast dann aber auch bei Beanspruchung der Pauschale, die u. U. anzurechnen ist, unbenommen.257
D. Tatbestandsvoraussetzungen und Exkulpationsmöglichkeit Innerhalb des räumlichen, sachlichen und persönlichen Anwendungsbereichs spezifizieren der Gesetzgeber und vor allem die Rechtsprechung tatbestandlich die näheren Voraussetzungen für den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung. Darauf ist näher einzugehen, denn liegen die Anspruchsvoraussetzungen vor und besteht keine Möglichkeit zur Enthaftung, so führt auf Rechtsfolgenseite kein Weg mehr an der Pauschale vorbei und Varianzen des Einzelfalls können von der Fluggesellschaft nicht eingewandt werden.
I. Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung nur auf privater Vertragsgrundlage Basale Anspruchsvoraussetzung für den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch, der auf vertraglicher Grundlage beruht,258 ist das Bestehen eines Luftbeförderungsvertrags für den Fluggast, den er aber – wie ausgeführt – nicht notwendigerweise selbst abgeschlossen haben muss.259 Der Gesetzgeber greift nur in die Leistungsstörungsregulierung ein, bei der private Vertrags- und Marktmechanismen versagen; die zugrundeliegende Leistungsverpflichtung erfordert den privatautonomen Vertragsschluss. Technisch betrachtet muss der Fluggast über ein Flugticket verfügen, also eine sog. bestätigte Buchung; er muss sich – außer es liegt eine Umbuchung vor260 – rechtzeitig zur Abfertigung des gebuchten Flugs eingefunden haben.261 Der Gesetzgeber gewährt umgekehrt keinen Anspruch auf den pauschalierten Schadensersatz bei Flugreisen mit kostenlosen/reduzierten Tickets, die für die Öffentlichkeit nicht verfügbar sind, außer es handelt sich um Prämienleistungen aus Kundenbindungsprogrammen („eingelöste Meilen“).262 Obgleich der Gesetzgeber 257
Art. 12 Abs. 1 S. 1 und 2 Fluggastrechte-Verordnung. EuGH, Urt. v. 7. 3. 2018, C-274/16 – flightright u. a., Rn. 56 ff. Vgl. zuvor schon EuGH, Urt. v. 9. 7. 2009, C-204/08 – Rehder, Rn. 44. 259 Vgl. Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 5; BeckOK-Fluggastrechte/Maruhn, Art. 7 Rn. 50 ff.; Müller-Rostin, euvr 2013, 138 (140); Rodegra, MDR 2013, 373; Schilling, Transportverträge, S. 269 f. Fn. 1011. 260 So auch BGHZ 204, 291 ff. 261 Art. 3 Abs. 2 lit. a und b Fluggastrechte-Verordnung. 262 Art. 3 Abs. 3 S. 1 (Ausnahme) und S. 2 (Gegenausnahme) Fluggastrechte-Verordnung. Vgl. auch BGH, RRa 2015, 182 ff.: 100 % Kinderermäßigung. 258
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
bei seiner Schadensersatzpauschalierung nicht auf den Ticketpreis abstellt, macht er es zumindest zur Voraussetzung, dass eine entgeltliche Leistungsbeziehung zu Marktkonditionen zwischen den Parteien zustande gekommen ist und dass eine gleich- und massenartig gelagerte Konstellation gegeben ist. Daher ist es nur konsequent, Fluggäste mit besonderen Freiflugscheinen im Fall der Leistungsstörung auf das allgemeine Haftungsregime und den Nachweis eines konkreten Schadens zu verweisen und vom gesetzlich pauschalierten Schadensersatzregime auszunehmen. Die bestehende Rückausnahme für mit „Meilen“ erworbenen Prämientickets ist gleichermaßen schlüssig: „Kostenlose“ Prämienleistungen der ökonomisch determinierten Fluggesellschaft beruhen nämlich nicht auf altruistischer Schenkungsabsicht, sondern werden durch die allgemeinen Ticketpreise, die der Fluggast zahlt, (vor-)finanziert.263 Der meilensammelnde Fluggast erwirbt käuflich gewissermaßen ein Guthaben in der Meilen-Währung, und zwar zu den Marktkonditionen des Prämienprogramms. Hat er das Meilen-Guthaben zum Erwerb eines Tickets eingesetzt und kommt es zum Leistungsstörungsfall wie der Nichtbeförderung etc., gibt es keinen Grund, ihn anders zu behandeln, als hätte er sein Ticket mit Euro erworben.
II. Ausnahmen für Abweichungen von der Gleich- und Massenartigkeit bzw. vom Versagen privater Vertrags- und Marktmechanismen Für die vom sachlichen Anwendungsbereich umfassten Konstellationen bestehen jeweils spezifische Ausnahmen für Situationen, in denen entweder keine gleich- und massenartigen Leistungsstörungen vorliegen oder in denen der Gesetzgeber nicht berufen ist, anstelle privater Vertrags- und Marktmechanismen regulierend einzugreifen. Beruht die Nichtbeförderung auf einem vertretbaren Grund bezüglich des konkreten Fluggasts,264 z. B. auf gesundheitlichen oder sicherheitstechnischen Gründen,265 so liegt keine gleich- und massenartige Konstellation vor, auf die die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung zugeschnitten ist; mithin besteht tatbestandlich kein Anspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung.266 Der Gesetzgeber muss und soll kein besonderes abstrakt-generelles Leistungsstörungsregime vorschreiben, wenn die privat begründete Leistungspflicht aus individuellen Gründen beschränkt ist oder ganz entfällt. Nicht zu verwechseln sind die vertretbaren Gründe 263 Vgl. zum sog. „Frequent Flyer Programme Award Accounting“ Morrell, Airline Finance, S. 57 ff. 264 D. h. der Verweigerungsgrund muss in der Person des Fluggasts liegen, vgl. auch die englische Sprachfassung: „…reasonable grounds to deny them boarding, …“ (Hervorhebung durch Verf.). 265 Art. 2 lit. j Fluggastrechte-Verordnung. 266 Dies folgt aus Art. 2 lit. j („…, sofern keine…“) i. V. m. Art. 4 Abs. 3 und Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung.
D. Tatbestandsvoraussetzungen und Exkulpationsmöglichkeit
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allerdings mit außergewöhnlichen Umständen,267 die – in sehr engen Grenzen – zur Enthaftung der Fluggesellschaft im Fall der Annullierung führen können und unten ausführlich besprochen werden.268 Wichtig ist diese Abgrenzung für den Zuschnitt der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung, weil ihr nicht dadurch entgangen werden darf, dass eine vermeintlich berechtigte, tatbestandslose Beförderungsverweigerung aus einem „vertretbaren Grund“ in einer Situation von der Fluggesellschaft eingewandt wird, in der eigentlich ein ungenügender „außergewöhnlicher Umstand“ vorliegt, der der Fluggesellschaft keine Enthaftung gewähren würde. Gerade in einer Überbuchungssituation, die zur Nichtbeförderung der überzähligen Fluggäste führt, hat die Fluggesellschaft ein Interesse daran, bevorzugt solche Fluggäste zu befördern, die auch künftig gewinnbringend scheinen und z. B. an ihrem Kundenbindungsprogramm teilnehmen („Statusmeilen/-kunden“);269 umgekehrt hat diese Präferenz der Fluggesellschaft zur Konsequenz, dass sie anderen Fluggästen die Beförderung unter Verweis auf „außergewöhnliche Umstände“ zu verweigern suchen könnte, obwohl dafür kein Grund in deren Person besteht. Im Fall der Annullierung ist Voraussetzung der gesetzlichen Schadensersatzpauschale, dass keine rechtzeitige Information mit einem Angebot zur geeigneten Alternativbeförderung erfolgte.270 Welche Zeitfenster für eine rechtzeitige Mitteilung und Alternativbeförderung im Einzelnen vorgeschrieben sind, wurde bereits oben bei der Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs diskutiert271 und soll hier nur in Erinnerung gerufen werden, da man die Anwendungsbereichsbeschränkung auch als Tatbestandsausschluss verstehen kann. Tatbestandlich betrachtet besteht nicht die Voraussetzung für hoheitliches Eingreifen in Form eines Anspruchs auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz, wenn die Leistungsstörung durch private Mittel wie die rechtzeitige Alternativbeförderung behoben und dabei entstehende Verspätungen kompensiert werden können. Im Fall der großen Ankunftsverspätung, die auf der richterrechtlichen Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs von Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung kraft faktischer Vergleichbarkeit mit der Annullierung beruht, kommt es auf die tatsächliche, nicht nur hypothetisch berechnete Verspätung am Endziel gegenüber der vertraglich vereinbarten Zeit an;272 eine Abflugverspätung, die für die Unterstützung- und Betreuungsleistungen maßgebend ist,273 ist für den Schadensersatz-
267
Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung. Siehe unten, III. 269 Vgl. auch das Beispiel von Hausmann, Fluggastrechte, S. 177 in Fn. 88. 270 Dies folgt aus Art. 5 Abs. 1 lit. c („…, es sei denn, …“) i. V. m. Art. 7 FluggastrechteVerordnung. 271 Siehe oben, C. II. 2. 272 Siehe insbesondere EuGH, Urt. v. 4. 9. 2014, C-452/13 – Germanwings, Rn. 12 ff., mit Anm. Keiler, GPR 2014, 258 ff. 273 Art. 6 Fluggastrechte-Verordnung. 268
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
anspruch irrelevant.274 Auch nach der rechtsökonomischen Betrachtung der gesetzlichen Schadensersatzpauschale zielt Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung auf die Kompensation der verlorenen Zeit am Zielort infolge der dortigen verspäteten Ankunft. Abschließend ist zu betonen, dass es für den Anspruch nach Art. 7 FluggastrechteVerordnung tatbestandlich in keiner Konstellation auf ein Verschulden der ausführenden Fluggesellschaft ankommt – ebenso wenig wie auf den Eintritt eines konkreten Schadens oder den Nachweis der Kausalität.275 Die Haftung ist nicht nur in der Rechtsfolge gesetzlich pauschaliert, sondern auch dem Grunde nach verschuldensunabhängig ausgestaltet (Garantiehaftung).
III. Möglichkeit der Fluggesellschaft zur Enthaftung aufgrund außergewöhnlicher Umstände Es gibt nur einen Grund, aus dem sich die Fluggesellschaft der im Übrigen begründeten Haftung auf den gesetzlichen pauschalierten Schadensersatz entziehen kann: Die Erwägungsgründe der Fluggastrechte-Verordnung nennen „außergewöhnliche Umstände…, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“276 Zunächst ist diese Möglichkeit der Enthaftung hinsichtlich ihrer Konzeptionierung zu betrachten, um sodann zu klären, für welche Leistungsstörungsfälle der Nichtbeförderung, Annullierung, großen Ankunftsverspätung und erheblichen Abflugvorverlegung sie tatsächlich gilt. Der EuGH hat die Möglichkeit der Enthaftung in der Rechtssache WallentinHermann präzisiert und versteht seither in ständiger Rechtsprechung unter den außergewöhnlichen, unvermeidbaren Umständen solche Vorkommnisse, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der betroffenen Fluggesellschaft und von ihr nicht tatsächlich beherrschbar sind.277 Als Beispiele nennt die Fluggastrechte-Verordnung unter anderem politische Instabilität, flughinderliche Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken und Flugsicherheitsmängel.278 Konzeptionell lässt sich die Enthaftungsmöglichkeit daher wie folgt verstehen: Greift der Gesetzgeber mit seinem pauschalierten Schadensersatzanspruch grundsätzlich zugunsten des Fluggasts dort ein, wo private Mittel zur Kompensation und Prävention gleich- und massenartiger Leistungsstörung versagen, so macht er 274
EuGH, Urt. v. 26. 2. 2013, C-11/11 – Folkerts, Rn. 36 f. Dazu im Einzelnen Heinze, Schadensersatz, S. 464 ff., 472 f., 477 f. und 481. 276 Erwgr. 14 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung. 277 EuGH, Urt. v. 22. 12. 2008, C-549/07 – Wallentin-Hermann, Rn. 23; Urt. v. 31. 1. 2013, C-12/11 – McDonagh, Rn. 29; Urt. v. 17. 9. 2015, C-257/14 – van der Lans, Rn. 36; Urt. v. 4. 5. 2017, C-315/15 – Pesˇková, Rn. 22. Ausführlich Hausmann, Fluggastrechte, S. 247 ff. 278 Erwgr. 14 S. 2 Fluggastrechte-Verordnung. Vgl. ferner Blankenburg, RRa 2015, 162 ff.; Rodegra, MDR 2013, 373 (375 ff.). 275
D. Tatbestandsvoraussetzungen und Exkulpationsmöglichkeit
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davon umgekehrt eine korrigierende Ausnahme zugunsten der Fluggesellschaft, wenn es ihr mit zumutbaren privaten Anstrengungen im Einzelfall nicht möglich war, die Leistungsstörung zu verhindern. In diesem Ausnahmefall kann sich die Fluggesellschaft daher insoweit einer Haftung wegen der Leistungsstörung entziehen, als der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVerordnung tatbestandlich ausgeschlossen ist. Um dem Ausnahmecharakter des Enthaftungstatbestands in der FluggastrechteVerordnung gerecht zu werden, sind hohe Anforderungen an die Unzumutbarkeit privater Leistungsstörungsvermeidungsmaßnahmen der Fluggesellschaft zu stellen. In der Rechtssache Wallentin-Hermann befasste sich der EuGH mit dem Grenzfall der Enthaftung einer Fluggesellschaft wegen technischer Probleme, die trotz erfolgter, regelmäßiger Wartung aufgetreten sind. Diese Tatsache allein reiche, so die Richter, aber nicht aus, um außergewöhnliche Umstände zu begründen.279 Dies bedeutet in Konsequenz für die Enthaftung von der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung, dass eine Fluggesellschaft Nachweis über Maßnahmen erbringen muss, die sie über die regelmäßige Wartung hinaus vorgenommen hat, um das Auftreten solcher Probleme zu vermeiden.280 Weil aber gerade die Wartung zu Letzterem dient, wird eine Enthaftung wegen technischer Probleme praktisch nur selten gelingen, z. B. wenn die betreffenden Probleme auf Fabrikationsfehlern oder Sabotageakten beruhen.281 Ob ein Streik, der zwar als Grund für außergewöhnliche Umstände in den Erwägungsgründen der Fluggastrechte-Verordnung genannt ist,282 für die ausführende Fluggesellschaft stets unvermeidbar ist, steht bisher nicht eindeutig fest. Angesichts der restriktiven Auslegung scheint es überzeugend anzunehmen, dass ein betriebseigener Streik für die Fluggesellschaft regelmäßig vermeidbar ist, sodass nur ein betriebsfremder Streik – beispielsweise beim Flughafenbetreiber oder seitens der Fluglotsen283 – einen außergewöhnlichen Umstand begründen kann.284 Auch der EuGH hat jedenfalls einen „wilden Streik“ bei der Fluggesellschaft nicht als außergewöhnlichen Umstand gelten lassen, weil die „spontane Abwesenheit eines erheblichen Teils des Flugpersonals […] nicht unter den Begriff ,außergewöhnliche Umstände‘ […] fällt“ und die im entschiedenen Fall streikauslösende betriebliche Umorganisation ein normaler betriebswirtschaftlicher Vorgang sei, den die Flug279 EuGH, Urt. v. 22. 12. 2008, C-549/07 – Wallentin-Hermann, Rn. 24 f. m. Anm. Balfour, ZLW 2009, 224 (228 ff.); Bartlik, RRa 2009, 272 ff.; Croon, ZLW 2012, 609 (insbes. 614 f.). 280 Tonner, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Rn. 79. 281 Vgl. EuGH, Urt. v. 22. 12. 2008, C-549/07 – Wallentin-Hermann, Rn. 26 a. E. 282 Erwgr. 14 a. E. Fluggastrechte-Verordnung. 283 EuGH, Urt. v. 23. 3. 2021, C-28/20 – Airhelp, Rn. 42; ebenso BGH, MDR 2021, 860, Rn. 16. 284 Ebenso Bartlik, RRa 2009, 272 (278); Schmid, NJW 2006, 1841 (1843); Staudinger, RRa 2006, 254; ders./Schürmann, NJW 2010, 2771 (2775 f.); BeckOGK-Fluggastrechte/ Steinrötter, Art. 5 Rn. 68 ff.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
gesellschaft samt Konsequenzen selbst zu verantworten habe.285 Fraglich ist angesichts dieser EuGH-Entscheidung, ob die bisherige BGH-Rechtsprechung, wonach sich Fluggesellschaften bei Streiks grundsätzlich auf außergewöhnliche Umstände berufen können,286 Fortbestand haben kann. Wenn schon wilde Streiks keine außergewöhnlichen Umstände sind, darf bezweifelt werden, dass rechtmäßige Streiks als außergewöhnlich anzusehen sind, denn sie treten regelmäßig bei Tarifverhandlungen auf und überraschen die daran teilnehmende Fluggesellschaft nicht.287 Jedenfalls handle es sich nach einer jüngst ergangenen EuGH-Entscheidung bei einem Streik, dessen Ziel sich darauf beschränkt, gegenüber der Fluggesellschaft eine Gehaltserhöhung sowie eine Verbesserung und größere Planbarkeit der Arbeitszeiten durchzusetzen, um ein für die Fluggesellschaft vorhersehbares internes Vorkommnis, insbesondere wenn ein solcher Streik rechtmäßig organisiert worden ist.288 Zu den internen, selbst zu verantwortenden betriebswirtschaftlichen Entscheidungen der Fluggesellschaft, die keine außergewöhnlichen Umstände darstellen, dürften auch die Flugannullierungen zu zählen sein, die eine Fluggesellschaft mangels Auslastung vornimmt. Aufgrund der sich zunächst nur langsam ausbreitenden Epidemie durch das neue Coronavirus sank die Nachfrage nach Flügen Anfang 2020; soweit sich Fluggesellschaften zu dieser Zeit zwecks Kostensenkung dazu entschlossen hatten, Flüge zusammenzulegen und andere zu streichen, besteht grundsätzlich Anspruch der betroffenen Fluggäste auf die gesetzlich pauschalierte Fluggastentschädigung in Abhängigkeit von einer etwaigen angebotenen Alternativbeförderung. Sofern hingegen ein Flug aufgrund staatlicher Reise- und Flugbeschränkungen nicht stattfinden kann, wie sie im weiteren Verlauf des Jahres 2020 erlassen worden sind, ist von außergewöhnlichen Umständen auszugehen, die eine Enthaftung rechtfertigen.289 Diese Ansicht vertritt auch die Europäische Kommission in (rechtlich allerdings unverbindlichen) „Auslegungsleitlinien“,290 die sie anlässlich der Coronavirus-Pandemie herausgegeben hat.291 In einem ersten Urteil zu dieser Frage hat sich das OLG Köln der Ansicht angeschlossen, dass die Annullierung der verfahrensgegenständlichen Flüge aufgrund der Coronavirus-Pandemie auf außer285
EuGH, Urt. v. 17. 4. 2018, C-195/17 u. a. – Krüsemann, Rn. 40 f. und 48. BGH, NJW 2013, 374 ff.; BGH, Urt. v. 21. 8. 2012 – X ZR 146/11 (juris); ebenso Hausmann, Fluggastrechte, S. 284 ff. 287 Vgl. Bosch/Lorz, NZV 2013, 105 (107). 288 EuGH, Urt. v. 23. 3. 2021, C-28/20 – Airhelp, Rn. 28 ff., insbes. Rn. 30; zustimmend BeckOK-Fluggastrechte/Schmid, Art. 5 Rn. 161. 289 Ebenso Staudinger/Ruks, DAR 2020, 314 (319); Tonner, MDR 2020, 519 (522 und 526). 290 Bekanntmachung der Kommission v. 18. 3. 2020, Auslegungsleitlinien zu den EUVerordnungen über Passagierrechte vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Situation im Zusammenhang mit Covid-19, C(2020)1830 final. 291 Dort heißt es auf S. 5 f.: „Diese Bedingung [d. h. Annullierung aufgrund außergewöhnlicher Umstände] sollte als erfüllt gelten, wenn Behörden bestimmte Flüge entweder von Rechts wegen verbieten oder den Personenverkehr in einer Weise untersagen, die de facto die Durchführung des betreffenden Flugs ausschließt.“ Zustimmend Führich, MDR 2021, 909 (910). 286
D. Tatbestandsvoraussetzungen und Exkulpationsmöglichkeit
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gewöhnliche Umstände zurückging.292 Allerdings hat das AG Köln im Nachgang in mehreren Entscheidungen einschränkend betont, dass der pauschale Verweis auf die Coronavirus-Pandemie kein „Freifahrtschein“ im Sinne von stets vorliegenden außergewöhnlichen Umständen sei; vielmehr obliege der Fluggesellschaft weiterhin die Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf den konkreten Einzelfall.293 Über die Einordnung solcher spezifischen Situationen hinaus ist klärungsbedürftig, für welche Leistungsstörungsfälle es der Fluggesellschaft überhaupt gestattet ist, bestehende außergewöhnliche Umstände zwecks Enthaftung geltend zu machen. Denn insofern gleichen sich die Leistungsstörungsfälle, auf die die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung sachlich Anwendung findet, hinsichtlich ihrer Ursachen und der Verantwortlichkeit der Fluggesellschaft nicht unbedingt. Im operativen Teil der Fluggastrechte-Verordnung ist die Enthaftung nämlich nur für den Leistungsstörungsfall der Annullierungen geregelt,294 also wenn ein Flug insgesamt nicht stattfinden kann. Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt Entsprechendes immerhin für die (Ent-)Haftung bei großer Ankunftsverspätung eines Flugs;295 dies ist auch im Wortlaut der Erwägungsgründe angelegt.296 Es ist konsequent im Sinne obigen konzeptionellen Verständnisses der Enthaftungsmöglichkeit, dass der Gesetzgeber zugunsten der Fluggesellschaft eine Ausnahme von seiner Schadensersatzpauschalierung macht, wenn ein Flug insgesamt nicht oder nur stark verspätet durchgeführt werden kann, weil es trotz Einsatz aller der Fluggesellschaft zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel nicht möglich gewesen war, die Leistungsstörung zu verhindern.297 Entsprechendes sollte theoretisch für eine erhebliche Abflugvorverlegung gelten; allerdings wird es der Fluggesellschaft praktisch wohl höchst selten gelingen nachzuweisen, dass es ihr trotz Einsatz aller Mittel nicht möglich war, die von ihr bewusst vorgenommene erhebliche Flugvorverlegung zu verhindern. Problematisch ist hingegen, ob im Umkehrschluss eine Enthaftung im Fall der Nichtbeförderung kategorisch verwehrt ist, also eine unbedingte Haftung auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen der Nichtbeförderung besteht. In die Fluggastrechte-Verordnung hat letztlich keine gesetzliche Regelung Eingang gefunden, die abweichend von der Überbuchungs-Verordnung die Haftung der Fluggesellschaft bei individueller Beförderungsverweigerung aufgrund des Bestehens angeblich „außergewöhnlicher“ Umstände, die etwa zur Überbuchung geführt haben, entfallen lassen würde. Auch die 292
OLG Köln, NJW 2021, 1248 (1249). AG Köln, Urt. v. 11. 3. 2021 – 162 C 187/20, Rn. 11 f. (juris); Urt. v. 8. 6. 2021 – 163 C 108/20, Rn. 15 (juris). 294 Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung. 295 EuGH, Urt. v. 4. 5. 2017, C-315/15 – Pesˇková, Rn. 20. 296 Vgl. Erwgr. 15 Fluggastrechte-Verordnung, der die außergewöhnlichen Umstände im Zusammenhang mit großer Verspätung thematisiert. 297 EuGH, Urt. v. 4. 5. 2017, C-315/15 – Pesˇková, Rn. 29. 293
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
Erwägungsgründe beziehen die Enthaftung wegen außergewöhnlicher Umstände bei systematischer Lesart nur auf Fälle der Annullierung (große Ankunftsverspätung und erhebliche Abflugvorverlegung analog dazu), nicht aber auf die Nichtbeförderung.298 Zu erinnern ist daran, dass außergewöhnliche Umstände, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der betroffenen Fluggesellschaft und von ihr nicht tatsächlich beherrschbar sind, nicht mit dem Tatbestandsausschluss zu vermischen sind,299 der bei Nichtbeförderung aufgrund vertretbarer Umstände in der Person des Fluggasts greift,300 wie es der EuGH bestätigt hat.301 Ist beispielsweise ein Fluggast mit einer hochansteckenden Krankheit infiziert, wie dem Coronavirus, kann (und muss) die Fluggesellschaft ihm die Beförderung verweigern; in diesem Fall greift der Tatbestandsausschluss,302 sodass es nicht auf die Enthaftung aufgrund außergewöhnlicher Umstände ankommt. Die Leistungsstörung der Nichtbeförderung wird für die Fluggesellschaft allerdings zu verhindern sein, weil eine Überbuchung oder andere Ursache der Nichtbeförderung eines einzelnen Fluggasts auf einem ansonsten stattfindenden Flug immer in der Verantwortung der Fluggesellschaft liegen und sie nicht alles zur Abhilfe unternommen haben wird (nochmal: ausgenommen ist die Nichtbeförderung wegen in der Person des Fluggasts bestehender vertretbarer Umstände). Der EuGH hat in der Rechtssache Finnair auch klargestellt, dass außergewöhnliche Umstände, die eine Fluggesellschaft zur Umorganisation von Flügen veranlassen, weder die Nichtbeförderung auf einem nachfolgenden Flug rechtfertigen noch die Fluggesellschaft von ihrer gesetzlich pauschalierten Schadensersatzpflicht gegenüber dem Fluggast, dem die Beförderung auf dem nachfolgenden Fluge verweigert wird, befreien können.303 Anders als bei der haftungsausweitenden, fluggastfreundlichen Analogie zwischen Annullierung und großer Ankunftsverspätung sah der EuGH hier keine Möglichkeit zur haftungseinschränkenden, fluggesellschaftsfreundlichen Analogie geboten, weil Ausnahmen von den Fluggastrechten eng auszulegen seien und die betroffene Fluggesellschaft auf den Regress bei anderen verwiesen werden könne.304
298 Vgl. Erwgr. 12, 13 und 15 um 14 Fluggastrechte-Verordnung; ebenso Hausmann, Fluggastrechte, S. 174 f.; Staudinger/Schmidt-Bendun, VersR 2004, 971 (972). 299 So aber AG Köln, ZLW 2008, 695. 300 Art. 2 lit. j Fluggastrechte-Verordnung. Zur Abgrenzung siehe oben, II. 301 EuGH, Urt. v. 4. 10. 2012, C-22/11 – Finnair, Rn. 28 ff. 302 Art. 2 lit. j Fluggastrechte-Verordnung nennt ausdrücklich als Beispiel die Nichtbeförderung aus Gründen im Zusammenhang mit der Gesundheit. 303 EuGH, Urt. v. 4. 10. 2012, C-22/11 – Finnair, Rn. 35 ff. 304 Ebd., Rn. 38 f.
E. Gesetzlich pauschalierte Rechtsfolge des „Ausgleichsanspruchs“
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E. Gesetzlich pauschalierte Rechtsfolge des „Ausgleichsanspruchs“ Liegen die Anspruchsvoraussetzungen vor und kann sich die Fluggesellschaft nicht der Haftung entziehen, steht dem Fluggast der gesetzlich in Fixbeträgen pauschalierte „Ausgleichsanspruch“ gegenüber der Fluggesellschaft zu. Wie und aufgrund welcher Erwägungen der Gesetzgeber die Pauschalierung dieses Schadensersatzes im Einzelnen rechtsfolgenseitig vorgenommen hat, soll im Folgenden untersucht werden. Dabei soll insbesondere gezeigt werden, wie sich die gesetzliche Pauschalierung als Kompensation der beeinträchtigten Lebenszeitdisponibilität und negativen externen Effekte und Opportunitätskosten der Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung etc. verstehen lässt und dass die gesetzliche Pauschalierung zu Präventionszwecken sogar darüber hinausgeht. Welche Divergenzen sich dadurch zu herkömmlichen Prinzipien des Haftungs- und Schadensrechts ergeben, wird ausführlich im 4. Kapitel untersucht; die besonderen prozessökonomischen und verhaltenssteuernden Wirkungen werden noch eingehend in Kapiteln 5 und 6 betrachtet.
I. Höhe der Pauschale So wie Verzugszinsen als Prozentsatz pro Jahr von der ausstehenden Geldschuld gestaltet sind, braucht auch die vom Gesetzgeber vorgenommene Schadensersatzpauschalierung für die Fluggastentschädigung einen Bezugs- bzw. Anknüpfungspunkt zur privatautonom begründeten Primärleistung, welche von der gleich- und massenartigen Leistungsstörung betroffen ist, auf die der Gesetzgeber anstelle privater Vertrags- und Marktmechanismen reagiert. Als Anknüpfungspunkt geeignet ist nicht der Ticketpreis, sondern die Verspätung am Zielort der Flugreise, wie es der Gesetzgeber in Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Fluggastrechte-Verordnung umgesetzt hat. Es soll gezeigt werden, dass sich die einschlägige Höhe des gestaffelten Ausgleichsbetrags als entsprechende value of time-Entschädigung verstehen lässt, also von der Zeitdauer bis zur verspäteten Ankunft am Endziel mit dem anzubietenden Alternativflug abhängt (und es zu einer Betragsverdopplung kommt, wenn ein angemessenes Alternativbeförderungsangebot ausbleibt). 1. Keine Relation zum Ticketpreis Der konkrete Ticketpreis ist im Rahmen von Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung unerheblich. Ursprünglich war zwar eine Ticketpreisrelation im Kommissionsvorschlag für die Überbuchungs-Verordnung vorgesehen;305 auch bei der Vorbereitung der Fluggastrechte-Verordnung versuchte die Kommission wiederum, höhere Pauschalen mit einer Relation zum innereuropäischen Ticketpreis für die Business Class 305
Art. 4 Überbuchungs-Verordnung (Entwurf), KOM(90) 99 endg.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
zu begründen.306 Im geltenden Recht der USA für den Schadensersatz des Fluggasts infolge von Nichtbeförderung besteht tatsächlich eine Anknüpfung an den Ticketpreis.307 Die letztlich getroffene Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, keine Relation zum Preis heranzuziehen, ist aber aufgrund folgender Erwägungen nachvollziehbar: Der Ticketpreis ist im liberalisierten Luftverkehrsmarkt zwar ein Marktpreis, der sich im Rahmen der Preisbildung als Schnittpunkt (Marktgleichgewicht) zwischen Angebot der Fluggesellschaften und Nachfrage der Fluggäste bezogen auf eine bestimmte Flugstrecke ergibt.308 Er drückt aber nur den Wert dieser Primärleistung aus und enthält keine Aussage über die Folgen und Schwere der Leistungsstörung, um deren Kompensation es beim Schadensersatzanspruch jedoch geht. Für die Schadensersatzpauschalierung als besondere Leistungsstörungskompensation ist die Anknüpfung an den Flugticketpreis daher ungeeignet. Die Luftfahrtindustrie (in Gestalt des Branchenverbands IATA und vor allem des Verbands der Billigfluggesellschaften ELFAA309) hat in einem EuGH-Verfahren gegen die Unabhängigkeit der Pauschalierung vom Ticketpreis eingewandt, dass die Pauschalierungskonstruktion ungerecht sei, weil sie Billigfluggesellschaften und Linienfluggesellschaften gleichbehandle, obwohl deren Geschäftsmodelle und Preispolitik ungleich seien.310 Der Generalanwalt Geelhoed entgegnete dem, billige Preise würden keine privilegierte Stellung vor dem Gesetz gewähren.311 Treffender lässt sich aber argumentieren, dass es beim Vergleich gar nicht auf den Ticketpreis ankommt, weil er nicht tertium comparationis ist. Vergleichsmaßstab sind gewissermaßen die rechtsökonomischen Gründe für den Schadensersatzanspruch, also die negativen externen Effekte und Kosten des Fluggasts, die sich aus der Nichtbeförderung etc. ergeben. Diese Einbußen sind unabhängig vom Ticketpreis vergleichbar,312 denn es geht um das Bemühen, die Beeinträchtigung der Disponibilität über die Lebenszeit zu kompensieren. Dem europäischen Modell, die Entschädigung unabhängig vom Ticketpreis zu gestalten, ist auch die kanadische FluggastrechteRegulierung gefolgt.313 Die Erwägung, dass es nicht auf den Preis ankommen kann, wird auch bekräftigt durch Vergleich zur intuitiv verständlicheren Schadensersatzpauschalierung in Form 306
Art. 7 Abs. 1 S. 1 des Vorschlags vom 21. 12. 2001, KOM(2001)784 endg. Vgl. zur Begründung des Vorschlags insofern Ziff. 14. 307 Siehe 14 CFR § 250.5 Code of Federal Regulations (Aeronautics and Space). Dazu auch Maruhn, RRa 2018, 15. 308 Vgl. Mankiw/Taylor, Volkswirtschaftslehre, S. 76 ff. 309 European Low Fares Airline Association. 310 EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006, C-344/04 – IATA und ELFAA, Rn. 94; siehe ferner Haanappel, ZLW 2005, 22 (30). 311 GA Geelhoed, Schlussanträge v. 8. 9. 2015, C-344/04 – IATA und ELFAA, Rn. 137. 312 Ähnlich EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006, C-344/04 – IATA und ELFAA, Rn. 98. 313 Air Passenger Protection Regulations, sec. 19 f.
E. Gesetzlich pauschalierte Rechtsfolge des „Ausgleichsanspruchs“
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der Verzugszinsen beim Zahlungsverzug, die in Kapitel 1 ausführlich behandelt worden ist. Die Verzugszinsen sind zwar als prozentualer Anteil gesetzlich pauschaliert, also in einer Relation. Die Relation besteht jedoch nicht zum Preis für die Primärleistung, beispielsweise dem Darlehenszinssatz eines längst zurückzuzahlenden Darlehens; die Relation besteht vielmehr zur verspäteten Leistung selbst, nämlich zur Valuta des überfälligen Darlehens. Denn die Verzugszinsen kompensieren die Zwangskreditierung, d. h. die Opportunitätskosten infolge der zeitweiligen Kapitalentziehung.314 2. Relation zur Verspätung Dass sich die gesetzliche Pauschalierung der Fluggastentschädigung – entsprechend der rechtsökonomischen Betrachtung – nach gestaffelter Ankunftsverspätung am Zielort im Vergleich zur privatautonom determinierten planmäßigen Ankunft richtet und somit die Beeinträchtigung der Disponibilität über die Lebenszeit der Fluggäste mit einem Mindestbetrag kompensiert wird und bisweilen darüber hinausgeht, lässt sich zeigen, wenn man Art. 7 Abs. 1 und 2 der Fluggastrechte-Verordnung zusammen betrachtet. Rechtsökonomisch wurde die pauschalierte Kompensation schließlich dadurch verständlich, dass die negativen externen Effekte und Opportunitätskosten des Fluggasts ausgeglichen werden, die sich aus der nicht einigermaßen pünktlichen Beförderung zum Zielort ergeben, also aus der Beeinträchtigung seiner Lebenszeitdisponibilität. Liest man zunächst nur Art. 7 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung isoliert, sieht es so aus, als ob die Staffelung der Ausgleichsbeträge in Höhe von 250, 400 und 600 Euro allein in Abhängigkeit von der Flugstrecke statt der Verspätung erfolgen würde. In Abs. 1 ist geregelt, dass der Fluggast Anspruch auf eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250 Euro hat, wenn das Endziel seines „Kurzstreckenflugs“ in bis zu 1.500 km Entfernung liegt,315 ansonsten 400 Euro für jeden längeren innereuropäischen Flug316 oder für einen „Mittelstreckenflug“, der über die Union hinaus zu einem Endziel in bis zu 3.500 km Entfernung geht.317 Für weitere außereuropäische „Langstreckenflüge“ beträgt die Pauschale 600 Euro.318 314
Siehe dazu oben, Kap. 1 B. II. Art. 7 Abs. 1 lit. a Fluggastrechte-Verordnung. 316 Zur Frage der Erstreckung auf die EFTA-Staaten Liechtenstein, Island und Norwegen sowie auf die Schweiz vgl. Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 16 m. w. N. 317 Art. 7 Abs. 1 lit. b Fluggastrechte-Verordnung. 318 Art. 7 Abs. 1 lit. c Fluggastrechte-Verordnung. Ein Problem besteht allerdings, wenn man innerhalb der Union über Strecken von mehr als 3.500 km fliegt, etwa von Irland nach Zypern oder von Finnland nach Portugal. Dann erhält man nach Art. 7 Abs. 1 lit. b und c Fluggastrechte-Verordnung nie eine höhere Entschädigung als 400 Euro; einen „Wertungswiderspruch“ sieht daher Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 20. Während zumindest Langstreckenflüge vom europäischen Kontinent zu Überseegebieten wie 315
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
Diese vermeintlich allein maßgebliche Relation der Kompensationshöhe zur Flugstrecke erscheint auf den ersten Blick auch nicht abwegig, denn sie lässt sich immerhin auf den Gedanken stützen, dass eine höhere Entschädigung für einen Flug zu einer weiter entfernten Destination deswegen angemessen sein könnte, weil Fluggäste für größere Reisen wohl oft größere Vorausdispositionen treffen, die im Fall der Nichtbeförderung oder Annullierung verloren und daher zu kompensieren sind. Allerdings lassen sich diese Vorausdispositionen nicht einmal im Ansatz abstrakt-generell beziffern, denn sie sind von Fall zu Fall stark unterschiedlich, je nach Zweck der Reise und Finanzlage des Reisenden, sodass eine gesetzliche Pauschalierung darauf rationalerweise nicht gestützt werden kann. Die vollen Pauschalen in Höhen von 250, 400 und 600 Euro nach Abs. 1 stehen dem Fluggast allerdings nur zu, wenn ihm die Fluggesellschaft keinen Alternativflug anbietet,319 mit dem er sein Endziel innerhalb von in Abs. 2 definierten Verspätungszeitfenstern, die dann die Bemessungsgrundlage für die Kompensation mit halben Pauschalen in Höhen von 125, 200 und 300 Euro bilden,320 doch noch erreichen kann. Als maximale Verspätungszeiten sind für die Ankunft des Fluggasts am Endziel vorgesehen: für Kurzstreckenflüge darf die Verspätung zwei Stunden nicht überschreiten,321 für längere Flüge oder außereuropäische Mittelstreckenflüge drei Stunden322 und für außereuropäische Langstreckenflüge vier Stunden.323 Trotz Nichtbeförderung oder Annullierung (bzw. Flugversäumnis wegen erheblicher Abflugvorverlegung324) kann an diese in Abs. 2 festgelegten Zeiten bis zur verspäteten Ankunft am Endziel angeknüpft werden, weil der Fluggast Anspruch auf Ausgleich nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung neben der anderweitigen Beförderung zum Zielort hat325 (und ebenso im komplementären Fall,326 dass er von seinen den französischen Überseedepartements (DOM-ROM) beim Downgrading über eine Gegenausnahme privilegiert werden und eine Minderung entsprechend der höchsten Pauschale erfolgt (Art. 10 Abs. 2 lit. b und c Fluggastrechte-Verordnung; ausführlich Heile, NJW 2018, 1053 ff.), ist Abhilfe für den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz nur dadurch zu erlangen, dass man die Schadensersatz- analog zur Downgrading-Regelung auslegt und teleologisch reduziert. 319 Seitens der beweisbelasteten Fluggesellschaft genügt ein entsprechendes Alternativflugangebot, siehe Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 27; BeckOKFluggastrechte/Maruhn, Art. 7 Rn. 32. Auf die Angebotsannahme durch den Fluggast kommt es nicht an, Aufner, ZVR 2005, 229 (232 f.); Führich, MDR-Sonderbeilage 2007, S. 9; Hausmann, Fluggastrechte, S. 377 f.; Lienhard, GPR 2004, 259 (265). 320 Prozessual handelt es sich um eine Einwendung der Fluggesellschaft zur Anspruchskürzung, siehe nur BeckOGK-Fluggastrechte/Steinrötter, Art. 7 Rn. 23. 321 Art. 7 Abs. 2 lit. a Fluggastrechte-Verordnung. 322 Art. 7 Abs. 2 lit. b Fluggastrechte-Verordnung. 323 Art. 7 Abs. 2 lit. c Fluggastrechte-Verordnung. 324 Dazu Ungerer, Fluggast-Entschädigung bei erheblicher Abflugvorverlegung, JZ (im Erscheinen) entgegen EuGH, Urt. v. 21. 12. 2021, C-146/20 – Azurair, Rn. 88 ff. 325 Vgl. Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 1 lit. a und c i. V. m. Art. 7 und 8 Abs. 1 lit. b Fluggastrechte-Verordnung. 326 Wie vor, aber i. V. m. Art. 7 und 8 Abs. 1 lit. a Fluggastrechte-Verordnung.
E. Gesetzlich pauschalierte Rechtsfolge des „Ausgleichsanspruchs“
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Reiseplänen Abstand nimmt und sich stattdessen das Flugticket erstatten lässt).327 Abs. 2 macht deutlich, dass der Ausgleichsanspruch ein als Schadensersatz zu qualifizierender Sekundäranspruch ist, der die beeinträchtigte Disponibilität über die Zeit bis zur verspätet erfolgenden Ersatzerfüllung der Primärleistung (oder Erstattung) mit einer Mindestpauschale kompensiert.328 Durch die „Halbierungskonstruktion“ ändert sich an der Qualifikation als gesetzlich pauschalierter Schadensersatz nichts, da auch eine von Gesetzes wegen halbierte Pauschale eine gesetzliche Pauschale darstellt und insbesondere nicht zu einem Minderungsrecht wird – auch die halbierte Pauschale ist als Schadensersatz neben der Leistung zu erbringen.329 Betrachtet man nun Art. 7 Abs. 1 und 2 Fluggastrechte-Verordnung zusammen und dabei Abs. 2 als die Grundregel und Abs. 1 als deren Ergänzung, so ergibt sich im Gesamtbild folgende Regelung, in der sich die rechtsökonomisch begründete Kompensation der beeinträchtigten Lebenszeitdisponibilität und Prävention der Leistungsstörung klar erkennen lassen: Der Fluggast hat Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz in Höhe von 125 Euro bei einer Nichtbeförderung etc. auf einem Kurzstreckenflug, wenn ihm die Fluggesellschaft das Erreichen des Ziels mittels Alternativflug mit höchstens zwei Stunden Verspätung ermöglicht. Die Pauschale beträgt dementsprechend 200 Euro bei einem Alternativflug mit maximal drei Stunden Verspätung auf der Mittel- und innereuropäischen Langstrecke und 300 Euro bei einem Alternativflug mit maximal vier Stunden Verspätung auf der außereuropäischen Langstrecke. Nur wenn die Fluggesellschaft im Leistungsstörungsfall keinen Alternativflug anbietet oder der angebotene Alternativflug eine Ankunftsverspätung jenseits der in Abs. 2 pauschalierten Staffelungen hat, muss sie auch die weitere Beeinträchtigung der Lebenszeitdisponibilität und weiteren Opportunitätskosten des Fluggasts nach Abs. 1 ersetzen. Für diese hat der Gesetzgeber keine weitere Staffelung in Abhängigkeit von der (weiteren) Verspätung vorgenommen, sondern verdoppelt die Beträge aus Abs. 2 schlichtweg in Abs. 1. So betrachtet lässt sich verstehen, dass der Gesetzgeber mit dem Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung die externen negativen Effekte und Opportunitätskosten des Fluggasts aufgrund der Verspätung 327 Einzig im Fall der Flugannullierung entfällt die Entschädigung kraft oben angesprochener, zweifelhafter Anwendungsbereichsbeschränkung, wenn die Fluggäste ihr Endziel doch noch innerhalb von höchstens zwei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen können; Art. 5 Abs. 1 lit. c Ziff. iii Fluggastrechte-Verordnung. 328 Insofern unterscheidet sich der pauschalierte Schadensersatzanspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung auch vom pauschalierten Anspruch auf Minderung beim Downgrading nach Art. 10 Abs. 2; so auch Hausmann, Fluggastrechte, S. 340; Lienhard, GPR 2004, 259 (265); Tonner, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Rn. 119. 329 Etwas anderes gilt nur im vom Anwendungsbereich einzig und zweifelhaft ausgenommenen Fall der Annullierung und Alternativbeförderung innerhalb von zwei Stunden nach geplanter Ankunftszeit, siehe oben C. II. 2. zu Art. 5 Abs. 1 lit. c Ziff. iii Fluggastrechte-Verordnung.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
für die Zeitdauer bis zum Erreichen des Zielorts bezweckt.330 Wird der Fluggast trotz Leistungsstörung doch noch anderweitig zum Endziel geflogen, muss die Fluggesellschaft pauschaliert nur diese Verspätungszeit kompensieren. Betrachtet man die Regelung für die Kurzstrecke, ist für bis zu zwei Stunden Verspätung die nach Abs. 2 vorgesehene Mindestpauschale von 125 Euro angemessen, wenn man als value of time wie oben festgestellt gut 60 Euro pro Stunde ansetzt.331 In Abs. 1 sieht der Gesetzgeber eine Mindestpauschale in Höhe von 250 Euro vor, die im Prinzip eine Entschädigung von value of time für insgesamt vier Stunden abdeckt, wenn ein Alternativflug nicht angeboten wird oder deutlich später ankommt. Im Rahmen der festgestellten Relation der Schadensersatzpauschalierung zur Verspätung lässt sich auch die Differenzierung nach Kurz-, Mittel- und Langstrecke nachvollziehen. Zwar wäre es ein Trugschluss anzunehmen, dass diese Staffelung deswegen eine Rolle spielt, weil die Flugzeit zum weiter entfernten Endziel länger ist. Darauf kommt es nämlich gar nicht an, sondern auf die Verspätung von bis zu zwei oder mehr Stunden im Vergleich zur ursprünglich geplanten Ankunftszeit; dafür spielt es keine Rolle, ob der Flug eine oder zehn Stunden dauert. Vielmehr ist die Staffelung berechtigt, weil es dem Fluggast bei Flügen zu weiter entfernten Zielen eher zuzumuten ist, etwas größere Verspätungen in Kauf zu nehmen (längere Reisen erfordern üblicherweise größere Zeitpuffer), und weil es für die Fluggesellschaft etwas länger dauern kann, Kapazitäten auf einem Alternativflug zu einem weiter entfernten Endziel zu organisieren (angesichts üblicherweise geringerer Flugfrequenz bzw. höherer Flugauslastung zwecks ökonomischer Effizienz des Flugangebots).
II. Pauschalbetrag einmal pro Ticket („Reise“) Die einschlägige gesetzliche Schadensersatzpauschale kann nur einmal pro Ticket anfallen, also einmal pro privatautonom begründeter Leistungsbeziehung. Das ergibt sich schon daraus, dass auf dem Ticket das Endziel der Flugreise angegeben ist,332 auf dessen Erreichen es dem Fluggast ankommt.333 Auch bei Umsteigeverbindungen kommt es nur auf die Entfernung zwischen dem ersten Abflugort und dem
330 Vgl. auch EuGH, Urt. v. 30. 4. 2020, C-191/19 – Air Nostrum, Rn. 30 f., wo ausdrücklich auf die Verspätung als Grundlage für den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz abgestellt wird. 331 Cook/Tanner, Report „European airline delay cost“, S. 63; U.S. Department of Transportation, Departmental Guidance on Valuation of Travel Time in Economic Analysis, S. 19; Wardman/Chintakayala/de Jong, Transportation research (Part A) 94 (2016), 93 (106). 332 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 7. 2008, C-173/07 – Emirates Airlines, Rn. 33; daran anschließend BGH, NJW-RR 2011, 355 Rn. 34. 333 Art. 2 lit. h Fluggastrechte-Verordnung. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 26. 2. 2013, C-11/11 – Folkerts, Rn. 34 f.; Blankenburg, RRa 2013, 61 (68).
E. Gesetzlich pauschalierte Rechtsfolge des „Ausgleichsanspruchs“
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letzten Zielort an.334 Teilstrecken sind für den Schadensersatzanspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung ohne Bedeutung; höchstens Betreuungsleistungen335 können aufgrund ihres abweichenden Zwecks auch auf Teilstrecken zu erbringen sein. Für die gesetzlich pauschaliert zu kompensierenden externen negativen Effekte und Opportunitätskosten des Fluggasts und die zu verhindernde Leistungsstörung bedeutet das Ticket als Bezugspunkt somit, dass die Pauschale nur einmal pro gebuchter Reise zum Endziel beansprucht werden kann, um dortige Nachteile der Leistungsstörung auszugleichen oder gänzlich abzuwenden. De lege ferenda schlägt die Kommission eine Definition der „Reise“ als Beförderungsvorgang im Luftverkehr zwischen zwei bestimmten Flughäfen vor.336 Darauf soll Art. 7 künftig Bezug nehmen.337 Ob dies dazu führen wird, dass die Schadensersatzpauschale häufiger als bislang anfällt, ist unklar. Denn die vorgeschlagene Legaldefinition kann auch dahingehend verstanden werden, dass die bisherige Rechtsprechung festgeschrieben werden soll. Eine solche Auslegung empfiehlt sich jedenfalls.
III. Zahlungsmodalitäten und Verjährung des Anspruchs auf die Pauschale Die Regelung zur gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung schränkt die private Freiheit zur Wahl des Zahlungsmittels nicht ein. Der Unionsgesetzgeber lässt grundsätzlich die Zahlung des Ausgleichsbetrags in bar, per Überweisung oder Scheck zu.338 Zugunsten des Fluggasts dürfte analog zulässig sein, ihm den Schadensersatz auf das Kreditkarten- oder Paypal-Konto zu überweisen, über das er die Buchung vorgenommen hat.339 Auch die Verjährung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs wird nicht von der Fluggastrechte-Verordnung geregelt,340 obgleich dieser Frage größere praktische Bedeutung zukommt. Die Antwort darauf entscheidet insbesondere darüber, wie nachhaltig die gesetzlich pauschalierte Kompensation der externen negativen Effekte und Opportunitätskosten des Fluggasts ist und ob es der Fluggesellschaft länger verwehrt bleibt, sich der Haftung zu entziehen. Die Fluggastrechte334 335 336
endg. 337
endg. 338
EuGH, Urt. v. 7. 9. 2017, C-559/16 – Bossen. Art. 9 Fluggastrechte-Verordnung. Art. 2 lit n. i. d. F. des Vorschlags der Kommission vom 13. 3. 2013, KOM(2013)130 Art. 7 Abs. 1 i. d. F. des Vorschlags der Kommission vom 13. 3. 2013, KOM(2013)130
Art. 7 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung. Vgl. Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 28. 340 Dies wird auch anerkannt vom EuGH, Urt. v. 22. 11. 2012, C-139/11 – Cuadrench Moré, Rn. 24. 339
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
Verordnung selbst verbietet zwar jede Einschränkung der Fluggastrechte,341 aber aus der Nichtreglung der Verjährung in der Verordnung kann trotzdem nicht der Umkehrschluss gezogen werden, der Anspruch würde nie verjähren. Denn auch für den Anspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung besteht zugunsten der Fluggesellschaft ein Bedürfnis nach Rechtsfrieden und Rechtssicherheit durch zeitliche Beschränkung, sprich Verjährung.342 Damit stellt sich die Frage, welchem Verjährungsregime der Anspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung zu unterstellen ist. Eine allgemeine gesetzliche Verjährungsregelung existiert auf Unionsrechtsebene nicht.343 Eine vertragliche Verjährungsregelung, etwa in den Allgemeinen Geschäfts-/Beförderungsbedingungen der Fluggesellschaft, wäre prinzipiell unwirksam.344 Durch eine solche Regelung würde die Fluggesellschaft Vertragsmechanismen doch noch zum Nachteil des Fluggasts instrumentalisieren; die Schadensersatzpauschalierung richtet sich aber gerade gegen das einseitige Versagen der privaten Vertrags- und Marktmechanismen im faktischen Macht- und Informationsgefälle zum Nachteil des Fluggasts. In Betracht kommt somit nur, entweder auf Völkerrecht oder auf nationales Recht zurückzugreifen. Das völkerrechtliche Montrealer Übereinkommen, das durch die Ratifikation der EU zum Bestandteil des Unionsrechts geworden ist,345 sieht für Schadensersatzklagen eine Ausschlussfrist von zwei Jahren vor.346 Allerdings fällt der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVerordnung gerade nicht in den Anwendungsbereich des Montrealer Übereinkommens, das anderweitige Schadensersatzansprüche vorsieht.347 Das Regime des Montrealer Übereinkommens steht daher neben der Fluggastrechte-Verordnung, sodass auch seine Ausschlussfrist nicht auf Ansprüche nach der FluggastrechteVerordnung angewandt werden kann.348 Somit verbleibt nur noch das mitgliedstaatliche Recht, um über die Verjährung des Anspruchs aus Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung zu entscheiden. Der EuGH hat sich bezüglich Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung auf den Standpunkt gestellt, dass die Verjährung eine Frage der Verfahrensmodalitäten für Klagen sei, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sol-
341
Art. 15 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung. Vgl. Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897 (1900). 343 Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 618 ff. 344 Wegen Art. 15 Abs. 2 Fluggastrechte-Verordnung. 345 Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. 4. 2001 über den Abschluss des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Übereinkommen von Montreal) durch die Europäische Gemeinschaft (ABl. L194/38). 346 Art. 35 Montrealer Übereinkommen. 347 Siehe oben, B. III. 2. 348 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2012, C-139/11 – Cuadrench Moré, Rn. 27 ff. 342
F. Informationspflichten der Fluggesellschaft
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len.349 Dann gilt nach seiner ständigen Rechtsprechung in Ermangelung einer entsprechenden unionsrechtlichen Regelung mitgliedstaatliches Recht für die Verfahrensmodalitäten unter Wahrung des unionsrechtlichen Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes.350 Dass es für die Verjährung für Schadensersatzklagen nach der Fluggastrechte-Verordnung auf das nationale Recht ankommen soll, sieht der Kommissionsvorschlag für die Verordnungsreform unter Berufung auf den EuGHStandpunkt in einem neuen Erwägungsgrund vor.351 Nach deutschem Recht gilt die regelmäßige Verjährung von drei Jahren gemäß §§ 195, 199 BGB;352 ob deutsches oder ein anderes nationales Recht anzuwenden ist, bestimmt sich kollisionsrechtlich nach der Rom I-Verordnung.353
F. Informationspflichten der Fluggesellschaft über den Anspruch auf die gesetzliche Schadensersatzpauschale Anders als bei Verzugszinsen, die seit Langem gemeinhin bekannt und gebräuchlich sind, bedarf es bei dem deutlich jüngeren und unbekannteren Ausgleichsanspruch für Fluggäste eines zusätzlichen „Ausgleichs“ für das faktisch bestehende Informationsgefälle aufseiten der Fluggäste. Daher ist es konsequent, dass die Fluggastrechte-Verordnung der besser unterrichteten Fluggesellschaft Informationspflichten bezüglich der gesetzlichen Rechte des Fluggasts vorschreibt,354 ähnlich wie sie aus dem europäischen Verbraucherschutzrecht bekannt sind,355 obwohl sich der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch nach der Fluggastrechte-Verordnung nicht nur an Verbraucher richtet.356 So muss die Fluggesellschaft gemäß Art. 14 Fluggastrechte-Verordnung ihren (potenziellen) Anspruchsgegner allgemein durch Aushang bei der Abfertigung und im konkreten Fall der Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung durch Aushändigung eines Informationsblatts unter anderem über das Recht auf Ausgleichszahlung informieren. Der Fall der erheblichen Abflugvorverlegung ist in Art. 14 Fluggastrechte-Verordnung freilich nicht aufgeführt; es wäre jedoch naheliegend, dass auch in diesem Fall über die 349
Ebd., Rn. 25. Ebenso schon im Ergebnis Staudinger, NJW 2007, 3392 (3393). EuGH, Urt. v. 22. 11. 2012, C-139/11 – Cuadrench Moré, Rn. 25 f. m. w. N. 351 Erwgr. 23 i. d. F. des Vorschlags der Kommission vom 13. 3. 2013, KOM(2013)130 endg. 352 Umstritten ist, ob im Rahmen einer Pauschalreise die kürze Verjährungsfrist von § 651j BGB (vormals § 651g Abs. 2 BGB) gilt; siehe Meinungsstand bei BeckOK-Fluggastrechte/ Maruhn, Art. 7 Rn. 43 ff. 353 Siehe Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-Verordnung. 354 Art. 14 Fluggastrechte-Verordnung. 355 Beispielsweise nach Art. 5 f. Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 10. 2011 über die Rechte der Verbraucher… (ABl. L304/64); vgl. ferner Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, § 2 Rn. 28 ff. 356 Erwgr. 1 S. 1 und 2 Fluggastrechte-Verordnung. Führich, MDR-Sonderbeilage 2007, S. 3; Hausmann, Fluggastrechte, S. 52 ff.; Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897. 350
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
Rechte informiert werden muss. Über die Identität der passivlegitimierten ausführenden Fluggesellschaft ist der Fluggast bei Buchung bzw. unverzüglich nach Bekanntwerden gemäß einer speziellen EU-Verordnung zu informieren.357 Richterrechtlich wurden die Pflichten der Fluggesellschaft sogar dahingehend erweitert, dass ihr vergleichbar einem Berater die Verantwortung für eine informierte und zweckdienliche Wahl des Fluggasts unter den möglichen Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 Fluggastrechte-Verordnung obliegt, auf die der Fluggast neben dem gesetzlich pauschalierten Schadensersatz Anspruch hat.358 Der Fluggast profitiert mithin nicht nur von der Schadensersatzpauschalierung durch das Gesetz, sondern ist von Gesetzes wegen auch noch unaufgefordert zu informieren (und weitergehend zu beraten). Es ist aufgrund der gezielten Information aber auch nicht zu befürchten, dass es zu einem information overload kommt.359 Die Nichtbeachtung der Informationspflicht kann öffentlich-rechtlich sanktioniert werden,360 d. h. es ist ein hoheitliches Einschreiten im Subordinationsverhältnis gegenüber der Fluggesellschaft zur Absicherung dafür vorgesehen, dass der Fluggast kognitiv befähigt wird, privatautonom den für ihn gesetzlich pauschalierten Schadensersatz geltend zu machen. Daneben kann auch ein herkömmlicher zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch des Fluggasts auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten bestehen;361 der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz der Fluggastrechte-Verordnung ist darauf nicht gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 anzurechnen.362 Nicht zu den gesetzlichen Informationspflichten gehört es, dass die ausführende Fluggesellschaft den Grund für die Nichtbeförderung etc. mitteilt.363 Allerdings ist eine solche Pflicht auch nicht zwingend nötig, da die Fluggesellschaft ein Eigeninteresse daran hat, den Fluggästen den Grund mitzuteilen, um sich der Haftung auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz zu entziehen (soweit dies überhaupt möglich ist364). Ist der Anwendungsbereich von Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung 357
Art. 11 Verordnung (EG) Nr. 2111/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 12. 2005 über die Erstellung einer gemeinschaftlichen Liste der Luftfahrtunternehmen, gegen die in der Gemeinschaft eine Betriebsuntersagung ergangen ist, sowie über die Unterrichtung von Fluggästen über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens und zur Aufhebung des Artikels 9 der Richtlinie 2004/36/EG (ABl. L344/15), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 596/2009. 358 EuGH, Urt. v. 29. 7. 2019, C-354/18 – Rusu. Dazu Ungerer, GPR 2020, 42 (45). 359 Vgl. zu diesem Risiko im Kontext der Verbraucherverhaltensforschung etwa Kind, Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information, S. 442 ff. 360 Gemäß Art. 16 Fluggastrechte-Verordnung; vgl. dazu EuGH, Urt. v. 14. 6. 2007, C-333/ 06 – Kommission/Schweden. 361 BGH, Urt. v. 1. 9. 2020 – X ZR 97/19, Rn. 20 ff. (juris). 362 BGH, MDR 2021, 1381. 363 Dies bedauert BeckOK-Fluggastrechte/Schmid, Art. 14 Rn. 2. 364 Siehe zum vertretbaren Grund der Nichtbeförderung Art. 2 lit. j sowie zu den außergewöhnlichen Umständen der Annullierung Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung.
G. Privatautonome Modifikation der gesetzlichen Pauschale
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eröffnet, dürfen Fluggästen ansonsten davon ausgehen, dass es keinen Grund gibt, der ihrem gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch entgegenstünde.365
G. Privatautonome Modifikation der gesetzlichen Pauschale Eine privatautonome, konsensuale Modifikation der gesetzlichen Pauschale käme nur in Betracht, soweit private Vertrags- und Marktmechanismen gewährleisten würden, dass es keine Verschiebung des gesetzlichen Ausgleichs zulasten des Fluggasts aufgrund der faktischen Markt- und Informationsüberlegenheit der Fluggesellschaft gibt. Dies ist allerdings kaum vorstellbar – daher erlaubt die geltende Fluggastrechte-Verordnung auch nur zwei eng umgrenzte privatautonome Modifikationen. Die erste Modifikation betrifft die Erfüllung des Ausgleichsanspruchs in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen statt in einer Auszahlung, sofern der Fluggast sein schriftliches Einverständnis dazu erklärt.366 Das Einverständnis kann zeitlich nur nach Anfall der Pauschale aufgrund Nichtbeförderung etc. erklärt werden, nicht vorab, etwa im Rahmen der Anerkennung von Allgemeinen Beförderungsbedingungen.367 Fluggäste werden nur einverstanden sein, wenn sich daraus auch für sie ein Vorteil gegenüber dem gesetzlich monetär pauschalierten Schadensersatz ergibt. Damit beeinflusst die gesetzliche Pauschalierung indirekt das alternative Entschädigungsangebot der Fluggesellschaft an den Fluggast. Dies erinnert an den benchmarking-Einfluss der gesetzlichen Pauschalierung auf die Höhe der Gegenleistung, die eine Fluggesellschaft vor einer Beförderungsverweigerung ausrufen wird, um überzählige Fluggäste zum freiwilligen Verzicht auf die Beförderung zu bewegen.368 In diesem „golden handshake“ ist die zweite Modifikation zu erblicken, die zwar zu einem vollständigen Entfall des Ausgleichsanspruchs führt, aber auf der privatautonomen Eigeninitiative des Fluggasts im speziellen Fall der Nichtbeförderung beruht: Das Recht auf den pauschalierten (sowie auf evtl. weitergehenden) Schadensersatz verwirkt derjenige Fluggast gänzlich,369 der freiwillig auf die Beförderung mit dem überbuchten Flug verzichtet und dafür eine angebotene Gegenleistung der Fluggesellschaft akzeptiert.370 Diese Gegenleistung, deren Bedingungen konsensual „zwischen dem betreffenden Fluggast und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen 365 Zur Frage, ob Gläubiger eines gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs ein Auskunftsanspruch zuzubilligen ist, siehe unten Kap. 5 A. IV. 366 Art. 7 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung. 367 Tonner, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Rn. 101. 368 Art. 4 Abs. 1 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung; dazu auch Hausmann, Fluggastrechte, S. 378. 369 Art. 12 Abs. 2 Fluggastrechte-Verordnung. 370 Siehe Art. 4 Abs. 1 S. 1.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
zu vereinbaren sind“,371 soll dann alle Einbußen des Fluggasts abdecken. Die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung kann hinter das Ergebnis dieses Wirkens privater Vertragsmechanismen zurücktreten. Denn eine Gefahr, dass der Fluggast hierbei „über den Tisch“ des Abfertigungsschalters gezogen werden könnte, dürfte in der spezifischen Situation gering sein, weil sich der Fluggast selbständig und eigenverantwortlich bei der Fluggesellschaft melden muss, um in Verhandlung über das von ihr ausgerufene Angebot zu treten; tut er dies nicht oder kommt keine Einigung zustande, steht ihm der gesetzliche Ausgleichsanspruch zu, sodass er nichts zu verlieren hat und keinem Angebotsannahmedruck ausgesetzt werden kann. Die Gegenleistung muss die Fluggesellschaft nach ausdrücklichem Gesetzeswortlaut zudem neben der Alternativbeförderung/Erstattung erbringen.372 Im Übrigen, d. h. im Wesentlichen, gestattet die geltende Fluggastrechte-Verordnung aber keine privatautonome Modifikation, Reduktion oder gar Abbedingung der gesetzlichen Pauschale. Zum Nachteil des Fluggasts dürfen die Fluggastrechte nicht eingeschränkt werden.373 Ändern will dies allerdings die Kommission mit ihrem Vorschlag für die Reform der Fluggastrechte-Verordnung. De lege ferenda soll eine Abbedingung möglich sein:374 „Das Luftfahrtunternehmen kann mit dem Fluggast eine freiwillige Vereinbarung treffen, die die Ausgleichs[zahlung …] ersetzt, sofern diese Vereinbarung durch ein vom Fluggast unterzeichnetes Dokument bestätigt wird, in dem er auf die ihm nach der vorliegenden Verordnung zustehende Ausgleichs[zahlung] hingewiesen wird.“ Diesen Vorschlag billigte das Parlament in seiner 1. Lesung jedoch nicht.375 Er ist auch rechtspolitisch fragwürdigen Ursprungs und praktisch insofern bedenklich, als kaum anzunehmen ist, dass private Vertragsund Marktmechanismen einen angemessenen Ausgleich bewirken könnten und dass eine Fluggesellschaft ernsthaft zur individuellen Verhandlung mit jedem einzelnen Passagier eines annullierten Flugs bereit wäre, um mit jedem sodann individuelle Vertragsurkunden zu unterzeichnen.
H. Weitergehender Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschale Aus Sicht des Fluggasts kann die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung für die Leistungsstörung der Nichtbeförderung etc. nur Mindestschadensersatz sein, 371 372 373 374
endg.
Art. 4 Abs. 1 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung. Art. 4 Abs. 1 S. 2 Hs. 2, Art. 8 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung. Art. 15 Fluggastrechte-Verordnung. Art. 7 Abs. 5 i. d. F. des Vorschlags der Kommission vom 13. 3. 2013, KOM(2013)130
375 Siehe die Legislative Entschließung sowie den Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 5. 2. 2014, P7_TA(2014)0092 sowie P7_TC1-COD(2013)0072, Art. 1 Nr. 7 lit. b (Änderung zu Art. 7 Abs. 5 n. F.).
H. Weitergehender Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschale
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nämlich als Kompensation für die Folgen der gleich- und massenartigen Leistungsstörung, auf die der Gesetzgeber anstelle privater Vertrags- und Marktmechanismen reagiert. Soweit es um den Ersatz darüber hinausgehender, individueller Schäden geht, bleibt es dem Fluggast daher grundsätzlich unbenommen, einen weitergehenden Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschale geltend zu machen, wie die Fluggastrechte-Verordnung klarstellt.376 Denn nach dem ausdrücklichen in Art. 1 Abs. 1 genannten Telos der Fluggastrechte-Verordnung legt sie nur „Mindestrechte für Fluggäste“ fest.377
I. Anspruchsgrundlagen und ihre Probleme Ansprüche auf weitergehenden Schadensersatz können sich im sachlichen Anwendungsbereich der Fluggastrechte-Verordnung – abgesehen von besonderen vertraglichen Anspruchsgrundlagen – aus zwei gesetzlichen Anspruchsgrundlagen ergeben: einerseits aus Art. 19 Montrealer Übereinkommen für Verspätungsschäden und andererseits aus dem anzuwendenden nationalen Recht,378 soweit dieses Schadensersatzpflichten allgemeiner/deliktischer Art oder spezifisch für Beförderungsverträge vorsieht. Art. 19 Montrealer Übereinkommen konfligiert nicht mit dem gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch der Fluggastrechte-Verordnung, sondern kommt gerade zum Zuge, wie obige Abgrenzung ergeben hat,379 wenn Fluggäste ihre individuellen Schäden geltend machen, und zwar unter den im Montrealer Übereinkommen vorgesehenen Voraussetzungen für individuelle Wiedergutmachung.380 Von Art. 19 Montrealer Übereinkommen wird praktisch der Anspruch wegen Verspätungsschäden nach § 46 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) bzw. äquivalenten Vorschriften anderer Rechtsordnungen abgedeckt.381 Ein subsidiär anwendbares mitgliedstaatliches oder drittstaatliches Statut kann für alle anderen Schäden herangezogen werden, die nicht durch spezifisch luftfahrtrechtliche Leistungsstörungen bedingt sind, sofern entsprechende vertragliche bzw. außervertragliche Anspruchsgrundlagen dem betroffenen Fluggast Ersatz gewähren. Welches Statut bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt anwendbar ist, muss für eine Klage vor einem deutschen Gericht erst nach dem europäischen Kollisionsrecht für vertragliche bzw. für außervertragliche Schuldverhältnisse ermittelt werden, d. h. nach der Rom I-Verordnung oder nach der Rom II-Verord376
Art. 12 Abs. 1 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung. Dazu Tonner, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Rn. 23. 378 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 7. 2019, C-354/18 – Rusu, Rn. 36; Beschl. v. 28. 5. 2020, C-153/ 19 – DER Touristik, Rn. 32. 379 Siehe oben, B. III. 2. 380 EuGH, Urt. v. 23. 10. 2012, C-581/10 – Nelson, Rn. 58. 381 Staudinger/Schmidt-Bendun, VersR 2004, 971 (972). 377
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
nung.382 Hier zeigt sich der Vorteil des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung als unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltende Anspruchsgrundlage. Die kollisionsrechtliche Bestimmung des ansonsten anwendbaren nationalen Rechts ist für den Fluggast nämlich oftmals kein Leichtes. Zu beachten ist zunächst die nach der Rom I-Verordnung nur eingeschränkt zulässige Rechtswahl im Personenbeförderungsvertrag.383 Mangels (zulässiger) Rechtswahl gilt das Recht des Staats, in dem der Fluggast – egal, ob er Verbraucher ist,384 außer bei einer Pauschalreise385 – seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern sich in diesem Staat auch der Abgangsort oder der Bestimmungsort befindet; andernfalls gilt das Recht des Staats, in dem der Beförderer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.386 Im außervertraglichen Bereich gilt für Schäden aus unerlaubter Handlung gemäß Rom II-Verordnung das Recht des Staats, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind – sofern keine Ausnahmevorschriften greifen.387 Spezielle Kollisionsnormen gelten für die Haftung aus ungerechtfertigter Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag etc.388 Eine Rechtswahl wäre (außer individualvertraglich mit Geschäftsreisenden) nur im Nachgang denkbar.389 Zusätzlich zu berücksichtigen sind jedenfalls Sicherheits- und Verhaltensregeln, die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind.390 Findet deutsches Schuldrecht gemäß der kollisionsrechtlichen Prüfung Anwendung, kann der Fluggast vertragliche Schadensersatzansprüche – gegen seinen Vertragspartner – grundsätzlich aus dem Beförderungs- als Werkvertrag gemäß §§ 280 ff., 631, 633, 634, 636 BGB geltend machen, sofern nicht ein Reisevertrag 382 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 6. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L177/ 6); Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 7. 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) (ABl. L199/ 40). 383 Siehe Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 Rom I-Verordnung: wählbar sind nur das Recht des Staats, in dem die zu befördernde Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, in dem der Beförderer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, in dem der Beförderer seine Hauptverwaltung hat, in dem sich der Abgangsort befindet oder in dem sich der Bestimmungsort befindet. 384 Siehe die Ausnahme in Art. 6 Abs. 4 lit. b Rom I-Verordnung. 385 Siehe die Gegenausnahme in Art. 6 Abs. 4 lit. b Rom I-Verordnung. Dann gilt bei Vorliegen der situativen Anwendungsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 das Verbraucherstatut (sonst allgemeine Anknüpfung) oder nach Maßgabe des Abs. 2 ein gewähltes Statut. 386 Art. 5 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 und 2 Rom I-Verordnung. 387 Art. 4 Abs. 1 mit Ausnahmen in Abs. 2 und 3 Rom II-Verordnung. 388 Art. 10 ff. Rom II-Verordnung. 389 Art. 14 Abs. 1 Rom II-Verordnung. 390 Art. 17 Rom II-Verordnung.
H. Weitergehender Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschale
169
(„Pauschalreise“) vorliegt und die Spezialhaftung nach §§ 651a, 651i ff. BGB391 einschlägig ist.392 Außervertragliche Schadensersatzansprüche können gegen Schädiger gemäß §§ 677 f., §§ 823 ff. und/oder §§ 812 ff. BGB bestehen. Dem Fluggast als Geschädigtem obliegt dafür grundsätzlich nicht nur Darlegung und Beweis der Haftungsvoraussetzungen,393 sondern vor allem der konkrete Schadensnachweis im Rahmen der §§ 249 ff. BGB.394 Hier zeigt sich besonders deutlich der Unterschied zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatz nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung. Bei den Ansprüchen nach nationalem Recht muss sich der Fluggast – sofern er selbst überhaupt aktivlegitimiert ist – möglicherweise auch an einen anderen Anspruchsgegner als die ausführende Fluggesellschaft halten, weil die Aktiv- und Passivlegitimation von der jeweiligen Anspruchsgrundlage abhängt. Es muss sich nicht notwendigerweise um die ausführende Fluggesellschaft handeln, die für den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung haftet, sondern es kann auch der Reiseveranstalter passivlegitimiert sein, mit dem der Buchende kontrahiert hat. Es können sich bei Personenverschiedenheit von Fluggast und Buchendem aber aus dem (echten) Vertrag zugunsten Dritter auch Sekundäransprüche des Fluggasts, z. B. auf Schadensersatz, im Vollzugsverhältnis ergeben.395 Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Fluggast zwar durchaus Möglichkeiten hat, Schadensersatz jenseits der Pauschale nach Völker- oder nationalem Recht geltend zu machen. Dabei wird er aber auf teilweise erhebliche Rechtsermittlungs-, Darlegungs- und Beweisprobleme stoßen, insbesondere im Vergleich zum gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVerordnung und dessen einfacher Durchsetzbarkeit.
II. Anrechnung auf die gesetzliche Pauschale Die Geltendmachung eines weitergehenden Schadensersatzanspruchs lohnt sich für den Fluggast nur, sofern dieser Anspruch deutlich höher ist als der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung. Auf ihn wird die Pauschale nämlich angerechnet, wie die Fluggastrechte-Verordnung ausdrücklich vorschreibt.396 Denn insofern besteht kein Versagen privater Vertrags391 I. d. F. des Dritten Gesetzes zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften vom 17. 7. 2017 (BGBl. I S. 2394), in Kraft getreten am 1. 7. 2018. 392 Zum Ganzen ausführlich Hausmann, Fluggastrechte, S. 444 ff. (noch zur a. F.). 393 Ausnahme: das Verschulden des Schädigers wird nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. 394 Siehe die Kommentierung bei Repgen, in: Handbuch der Beweislast, § 280 BGB Rn. 213 zum Schadensnachweis bei Leistungsstörungen in Luftverkehrsbeförderungsverträgen. 395 § 328 BGB; vgl. zu Sekundäransprüchen im Vollzugsverhältnis, Staudinger/Klumpp, § 328 BGB Rn. 81. 396 Art. 12 Abs. 1 S. 2 Fluggastrechte-Verordnung.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
und Marktmechanismen. Die Anrechnung muss der Anspruchsgegner des Fluggasts einwenden.397 Die Fluggastrechte-Verordnung bezweckt mit der Anrechnung, dass der Fluggast keine doppelten Vorteile aus pauschaliertem und konkretem Schadensersatz erlangt, soweit sie sich sachlich und hinsichtlich der Aktivlegitimation decken (Prinzip der Vorteilsanrechnung).398 Es kann aber nicht die Pauschale gekürzt werden,399 denn sie bleibt als „Mindestschadensersatz“ unberührt. Zu kürzen sind die anderen Ansprüche auf Schadensersatz (und auch ein reisevertraglicher Minderungsanspruch400). Mangels sachlicher Deckung würde aber beispielsweise keine Anrechnung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes nach Art. 7 FluggastrechteVerordnung auf solche Schadensersatzansprüche erfolgen, die gemäß nationalem Recht wegen mangelnder Unterstützungs- und Betreuungsleistungen nach Art. 8 f. Fluggastrechte-Verordnung erhoben würden.401 Ungeklärt geblieben ist bisher die Frage,402 ob Ansprüche, die auf den Ersatz materieller Schäden infolge der Nichtbeförderung etc. gerichtet sind, überhaupt auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung angerechnet werden können.403 Man kann Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung ganz streng so verstehen, dass danach nur immaterielle Schäden ersetzt werden, sodass auch nur eine Anrechnung auf diesbezüglich weitergehende Schadensersatzansprüche in Betracht käme, soweit sie dem Grunde nach bestehen können – im deutschen Recht also innerhalb der Grenzen des § 253 BGB (oder speziell § 651n Abs. 2 BGB bei nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit404). Eine besondere Vorschrift der Fluggastrechte-Verordnung regelt die Vorteilsanrechnung hinsichtlich „Ausgleichsleistungen“ aus Drittstaaten, die Fluggäste erhalten haben, die vom Flughafen eines Drittstaats aus in den Geltungsbereich der Fluggastrechte-Verordnung fliegen.405 Diese Vorschrift über den geografischen
397
Vgl. Führich, MDR-Sonderbeilage 2007, S. 11. Dies bestätigt sich auch aus der Sicht des nationalen Rechts, siehe für das deutsche Recht jüngst BGH, NJW 2020, 40 f. 399 So auch Wagner, VuR 2006, 337 (339); differenzierend Bollweg, RRa 2009, 10 (11 f.). 400 Für eine Minderung nach § 651d BGB a. F. (jetzt § 651m BGB) vgl. BGH, Urt. v. 30. 9. 2014 – X ZR 126/13, Rn. 10 ff. mit Anm. Kotzur/Krauß, GPR 2015, 72 ff. 401 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 10. 2011, C-83/10 – Sousa Rodríguez, Rn. 42 ff. 402 Entsprechende Vorlagen des BGH, Beschl. v. 30. 7. 2013 – X ZR 111/12, Rn. 37 ff., und Beschl. v. 30. 7. 2013 – X ZR 113/12, Rn. 35 ff., mündeten in Verfahren vor dem EuGH, C-475/ 13 und C-476/13, die jedoch aufgrund von Anerkenntnissen vor dem BGH beim EuGH wieder gestrichen werden mussten. 403 Vgl. dazu Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 13; BeckOKFluggastrechte/Maruhn, Art. 7 Rn. 8; BeckOGK-Fluggastrechte/Steinrötter, Art. 7 Rn. 54. 404 Dazu in Bezug auf die Vorgängervorschrift § 651f Abs. 2 BGB a. F. (bis 2018): BGH, Urt. v. 1. 6. 2021 – X ZR 8/20 (juris). 405 Abs. 1 lit. b a. E. Fluggastrechte-Verordnung. 398
I. Zwischenergebnis
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Anwendungsbereich ist als Anrechnungsvorschrift zu verstehen.406 Ausnahmsweise ist dann die im Drittstaat erhaltene „Ausgleichsleistung“ auf die Pauschale nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung anzurechnen, also nicht – wie oben für den innereuropäischen Fall dargestellt – andersherum. Problematisch ist im Einzelfall, wann überhaupt eine gesetzliche und daher beachtenswerte Ausgleichsleistung des Drittstaats vorliegt, mit der hoheitlich in die Regulierung einer Leistungsstörung eingegriffen wird, um anstelle versagender privater Vertrags- und Marktmechanismen eine angemessene Kompensation zu schaffen. Fraglich ist dabei insbesondere, wofür Ausgleich im Drittstaat geleistet wurde, also ob sachlich eine Deckung festzustellen ist, die die Vorteilsanrechnung gebieten würde. Dies ist besonders relevant im Hinblick auf die Pauschale nach Art. 7 Abs. 1 lit. c Fluggastrechte-Verordnung in Höhe von 600 Euro für Langstrecken-Drittstaatenflüge. Anrechenbarkeit anzunehmen wäre beispielsweise bei den Zahlungen, die nach US-amerikanischem, kanadischem oder israelischem Recht erfolgen, da sie Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVerordnung ähneln. Dies muss bei Regelungen anderer Drittstaaten aber nicht gleichermaßen der Fall sein. Der rechtspraktischen Probleme der Anrechnung, die zur Anspruchsminderung führen würde, muss sich aber die Fluggesellschaft, nicht der Fluggast annehmen, der den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch nach europäischem Recht zunächst vollumfänglich gegen sie geltend macht.
I. Zwischenergebnis Mit dem „Ausgleichsanspruch“ nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung reagiert der Unionsgesetzgeber auf die gleich- und massenartigen Leistungsstörungsfälle der Nichtbeförderung und Annullierung, die nicht durch private Vertrags- und Marktmechanismen beherrschbar sind, um die externen negativen Effekte und Nachteile des Fluggasts aufgrund der Beeinträchtigung der Disponibilität über seine Lebenszeit zu kompensieren und den Leistungsstörungen präventiv entgegenzuwirken. Kraft richterrechtlicher Erweiterungen des sachlichen Anwendungsbereichs durch den EuGH sind auch Fälle der großen Ankunftsverspätung und der erheblichen Abflugvorverlegung erfasst, denn die Leistungsstörungsfälle sind unter dem Gesichtspunkt der nicht einigermaßen pünktlichen Beförderung vergleichbar. Durch den gesetzlich pauschalierten Mindestschadensersatz, für den es keines Schadensoder Kausalitätsnachweises bedarf, werden einerseits die anfallenden Opportunitätskosten und Transaktionsmehrkosten des Fluggasts erstattet, die ihm am Abflugbzw. Zielort aufgrund der nicht einigermaßen pünktlichen Beförderung entstehen, indem die externen Kosten des Fluggasts aufseiten der ausführenden Fluggesellschaft internalisiert werden. Andererseits werden die volkswirtschaftlich bedenklichen Wohlfahrtsverluste und die Störung des Luftverkehrs vermindert. Liegen die 406 Wie hier Aufner, ZVR 2005, 229 (231); Hausmann, Fluggastrechte, S. 413. Ferner Zandke-Schaffhäuser, RRa 2008, 168 ff.
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2. Kap.: Gesetzlich pauschalierte Entschädigung für Fluggäste
Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen vor und kann sich die Fluggesellschaft nicht ausnahmsweise aufgrund außergewöhnlicher Umstände exkulpieren, ist Schadensersatz in Höhe eines absoluten Betrags zu zahlen: Nach hier vertretener Lesart der Regelung hängt die einschlägige Höhe des gestaffelten Ausgleichsbetrags von der Zeitdauer bis zur verspäteten Ankunft am Endziel mit dem anzubietenden Alternativflug ab und lässt sich als entsprechende value of time-Entschädigung verstehen; bleibt ein angemessenes Alternativbeförderungsangebot aus, so verdoppeln sich die Beträge. Über den Anspruch auf Ausgleichszahlung hat die Fluggesellschaft den Fluggast zu informieren, um dem Informationsgefälle entgegenzuwirken. Umgekehrt ist eine privatautonome Abbedingung der gesetzlichen Pauschale weitestgehend gesetzlich verboten. Der Fluggast kann Schadensersatz jenseits der gesetzlichen Pauschale auf anderer Anspruchsgrundlage geltend machen, wobei er dann mit den allgemeinen Problemen des Schadens- und Kausalitätsnachweises konfrontiert ist und eine Anrechnung auf die Pauschale erfolgt.
Teil II Schadensersatzpauschalierung als gesetzgeberisches Instrument
Drittes Kapitel
Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung und Abgrenzung zu gerichtlichen Aufgaben An die Analyse der ausgewählten Regelungen zur gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung des geltenden Schuldrechts in Teil I schließt sich nun – wie eingangs angekündigt entsprechend der induktiven Methode – eine abstrahierende Untersuchung im vorliegenden Teil II an, die der Frage nachgeht, inwiefern man die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung als gesetzgeberisches Instrument mit besonderen Eigenschaften und Wirkungen verstehen kann. Diese Betrachtungen sollen insbesondere verdeutlichen, mit welchen Charakteristika und Konsequenzen die Pauschalierung von Schadensersatz als begründbare gesetzgeberische Entscheidung verbunden ist. Die Normhierarchie gebietet es, dass in diesem 3. Kapitel zunächst die normativen Rahmenbedingungen in den Blick genommen werden, die seitens des höherrangigen Verfassungs- und Unionsprimärrechts für die Schadensersatzpauschalierung durch den Staat anstelle Privater bestehen. Zu klären ist nämlich einerseits, über welchen Spielraum der einfache Gesetzgeber bei der Schadensersatzpauschalierung verfügt, und andererseits, unter welchen Umständen eine gesetzliche Schadensersatzpauschalierung in Erwägung zu ziehen ist und sogar geboten sein kann. Zu bedenken sind dabei auch die Hürden im realpolitischen Kontext, die sich bei der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung stellen. Außerdem ist die dem Gesetzgeber zufallende Schadensersatzpauschalierung gegenüber den richterlichen Aufgaben im Schadensersatzrecht abzugrenzen. Als Kernaufgabe der Gerichte ist die Einzelfallentscheidung darzulegen, d. h. ersatzfähige Schadensbeträge konkret zu beurteilen, auch wenn vereinzelt auf „Pauschalen“ aus Praktikabilitätsgründen zurückgegriffen wird; erheblichen Einfluss können Gerichte aber im Wege der richterrechtlichen Fortbildung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalen nehmen.
A. Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung als gemäßigter Paternalismus Das Verfassungs- und Unionsprimärrecht bestimmt die Schranken für das Instrument der Schadensersatzpauschalierung durch den einfachen Gesetzgeber, der es
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3. Kap.: Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung
auf nationaler bzw. Unionsebene einsetzt. Bedeutsam sind diese Schranken, weil sie Garanten für den Schutz privater Freiheit vor übermäßigem hoheitlichen Eingriff sind. In Bezug auf Schadensersatz schreibt der Gesetzgeber für gewöhnlich nur vor, dass eine Schadenskompensation zu erfolgen hat (im Zweifel unter Inanspruchnahme der Gerichte, angesichts des staatlichen Gewaltmonopols); im Übrigen überlässt er es aber den Privaten, ob und wie sie Schadensersatz pauschalieren. Demgegenüber stellt die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung einen deutlich stärker freiheitsbeschränkenden, hoheitlichen Eingriff dar. Dies kann man als eine Form von Paternalismus des Gesetzgebers verstehen. Damit ist im Prinzip das Bestreben des Staats gemeint, den Einzelnen zu bevormunden.1 Als Form eines vergleichsweise gemäßigten, libertären Paternalismus kann gesetzliche Schadensersatzpauschalierung durchaus ihre Berechtigung in der sozialen Marktwirtschaft haben. Denn libertär bedeutet insofern, dass das staatliche Einwirken die Grenzen menschlicher Rationalität überwindet, um gesamtgesellschaftlich wünschenswerte Entwicklungen zu begünstigen, ohne die Freiheitsrechte der Einzelnen übermäßig zu beschränken.2 Innerhalb der Schranken, die für den libertär paternalistischen Gesetzgeber seitens des höherrangigen Rechts bestehen, kann oder muss er mithin die privaten Individuen mit seiner Schadensersatzpauschalierung vor den Folgen ihrer eigenen Unfähigkeit bei der Bewältigung von Leistungsstörungsfolgen schützen.3
B. Gesetzgeberischer Spielraum bei der Schadensersatzpauschalierung Der Gesetzgeber verfügt beim Instrument der Schadensersatzpauschalierung ähnlich wie bei jeder anderen Rechtsetzung im Privatrecht über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum. Dies gilt in besonderem Maße hinsichtlich seiner Einschätzungsprärogative, ob aufgrund privater, wirtschaftlicher oder sozialer Machtgefälle Asymmetrien bestehen, die sein Eingreifen erforderlich machen.4 Weder der grundrechtliche Schutz privater Freiheit noch prozessuale Verfahrensgarantien, die das Grundgesetz oder die Grundrechte-Charta gewähren, stehen einer 1
Dworkin, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy, sub Paternalism. Daran anknüpfend und zum deutschen Privatrecht Neuner, JZ 2020, 269 ff. 2 Vgl. zu gemäßigtem/libertärem Paternalismus Neumann, Libertärer Paternalismus; Sunstein/Thaler, University of Chicago Law Review 70 (2003), 1159 ff. Dazu ferner Eidenmüller, JZ 2011, 814 (817 ff.); Kirchgässner, European Journal of Law and Economics 43 (2017), 125 ff.; Neuner, JZ 2020, 269 (270 ff.). 3 Vgl. zum Paternalismusverständnis in Bezug auf den (Privatrechts-)Gesetzgeber Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 358 ff.; Möller, Paternalismus, S. 134 ff., 140 ff. und 216 ff.; Neuner, JZ 2020, 269 (273 ff.). Siehe auch Wendehorst, in: Schumann, Das erziehende Gesetz, S. 119. 4 BVerfGE 81, 242 (255); Hillgruber, AcP 191 (1991), 69 (76).
B. Gesetzgeberischer Spielraum bei der Schadensersatzpauschalierung
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Schadensersatzpauschalierung durch den Gesetzgeber entgegen. Die einzige und zugleich entscheidende Schranke stellt, wie zu zeigen sein wird, das Übermaßverbot dar.
I. Zulässigkeit im Licht der Freiheitsrechte und Verfahrensgarantien Die Abwehrfunktion der Grundrechte im Sinne des status negativus,5 sei es aufgrund der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG oder eines spezielleren Freiheitsrechts, und das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG, insbesondere mit Blick auf seine Regelung der Wirtschaftsverfassung, werden nicht dadurch verletzt, dass es der Gesetzgeber anstelle Privater übernimmt, die Haftungsrechtsfolge zu pauschalieren. Der Gesetzgeber hat es daher nicht prinzipiell zum Schutz der Freiheitsrechte oder des Sozialstaatsprinzips zu unterlassen, Schadensersatz zu pauschalieren. Auch nach modernem, von der Statuslehre losgelöstem Verständnis der Grundrechtsfunktionen wird der staatliche Handlungs- und Entscheidungsspielraum hier nicht durch Grundrechte im Sinne negativer Kompetenznormen derart beschränkt, dass eine Schadensersatzpauschalierung durch die Verfassung ausgeschlossen wäre.6 Dies gilt gleichermaßen aus der Perspektive der europäischen Grundrechte.7 Einen instruktiven Vergleich bietet auch die jüngst ergangene Entscheidung des BVerfG zu den gesetzlich pauschalierten Zinsen für Steuernachzahlungen und -erstattungen. Obwohl die Entscheidung keinen schuldrechtlichen Schadensersatzanspruch betrifft, sondern die steuerrechtlichen §§ 233a, 238 AO, können die grundlegenden Ausführungen des BVerfG zur gesetzlichen Pauschalierung hier zur Orientierung herangezogen werden:8 Demzufolge sei die Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 GG durch die staatlich vorgeschriebene Verzinsung von vornherein nicht betroffen, weil deren Auferlegung die Vermögensverhältnisse der Betroffenen nicht so grundlegend beeinträchtige, dass sie eine erdrosselnde Wirkung entfalten würde.9 Demgegenüber schütze die subsidiär heranzuziehende allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG zwar den Anspruch, durch die Staatsgewalt nicht mit einer
5 BVerfGE 7, 198 ff. Grundlegend Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 87 und 94 ff. Ferner Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, passim; Schlink, EuGRZ 1984, 457 ff. 6 Zu diesem modernen Grundrechtsverständnis BVerfGE 4, 7 (15); 55, 274 (302); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 291; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 107 ff.; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 48 Rn. 37; kritisch hingegen Gärditz, in: HdB StR IX, § 189 Rn. 23 ff. 7 Vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 23 f. 8 Siehe auch Mankowski, ZIP 2021, 1787 und 1939. 9 BVerfG, Beschl. v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, Rn. 117 unter Bezugnahme auf seine st.Rspr BVerfGE 95, 267 (300); 96, 375 (397).
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3. Kap.: Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung
unverhältnismäßigen Geldleistungspflicht belegt zu werden;10 jedoch liege in der gesetzlich pauschalierten Verzinsung keine erhebliche Beeinträchtigung von Freiheitsrechten wie der allgemeinen Handlungsfreiheit.11 Das BVerfG hat die steuerrechtliche Regelung letztlich allein deswegen für verfassungswidrig befunden, weil sie in unverhältnismäßiger Weise differenziere und mithin das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verletze, indem die Zinspauschale nur auf Steuerfestsetzungen nach der im Gesetz bislang benannten 15-monatigen Karenzzeit zutrifft und Steuerfestsetzungen im Karenzzeitraum unverzinslich geblieben sind;12 auf die Bedeutung des Gleichbehandlungsgebots für die Schadensersatzpauschalierung wird noch gesondert einzugehen sein.13 Die im Grundgesetz vorgegebenen strafrechtlichen und strafprozessualen Garantien sind für den im Schuldrecht gesetzlich pauschalierten Schadensersatz – selbst bei Anerkennung einer Präventionswirkung14 – nicht einschlägig, da es sich um keine Strafsanktion handelt.15 Das bedeutet, dass sich der deutsche Privatrechtsgesetzgeber nicht an die strengen Vorgaben halten muss, die für die Strafbemessung bestehen, wenn er Schadensersatz pauschaliert. Wiederum entsprechend gilt dies mit Blick auf die (straf-)prozessualen Garantien in der Grundrechte-Charta,16 die auf die Schadensersatzpauschalierung durch den Unionsgesetzgeber keine Anwendung finden.
II. Schranke des Übermaßverbots Für Schadensersatzansprüche, die der deutsche Gesetzgeber pauschaliert, ist allerdings nach dem Grundgesetz das Übermaßverbot als Verhältnismäßigkeitsprinzip und Willkürverbot maßgebend.17 Insofern gilt im Kern nichts anderes als für jeden anderen staatlichen Eingriff in Grundrechte, etwa Zinspauschalierungen im Steuerrecht wie oben ausgeführt. Es muss prinzipiell sichergestellt sein, dass das gesetzgeberische Instrument nicht unbegrenzt und unbegründet ist, sondern seine Rechtfertigung in einem bestimmten legitimen Zweck hat; an diesem Zweck ist es in 10 BVerfG, Beschl. v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, Rn. 117 unter Bezugnahme auf BVerfGE 19, 206 (215 f.); 48, 102 (115 f.); 96, 375 (397 f.); 97, 332 (340 f.). 11 BVerfG, Beschl. v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, Rn. 117 unter Bezugnahme auf BVerfGE 148, 217 (248) Rn. 116. 12 BVerfG, Beschl. v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, Rn. 100 ff. 13 Siehe unten, C. II. 14 Dazu unten Kap. 4 B. I. 1. sowie Kap. 6 B. I. und II. 15 Art. 103 f. GG; BVerfGE 34, 269 (293); Schlobach, Präventionsprinzip, S. 417 ff., insbes. S. 424 ff.; Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, S. A80; ders., AcP 206 (2006), 352 (433). 16 Insbesondere Art. 49 GRCh. 17 Art. 20 Abs. 3 GG; zuletzt etwa BVerfG, NJW 2020, 905 (913) m. w. N., Rn. 265. Dazu Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 GG, Abschnitt VII Rn. 107 ff.; Isensee, in: HdB StR IX, § 191 Rn. 136; Starck, in: HdB StR XII, § 271 Rn. 51. Ausführlich Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht.
B. Gesetzgeberischer Spielraum bei der Schadensersatzpauschalierung
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seinem Umfang und Ausmaß zu messen.18 Im europäischen Primärrecht, auf das es für Schadensersatzpauschalierungen des Unionsgesetzgebers und bei der Durchführung von Unionsrecht im nationalen Recht ankommt, findet sich eine vergleichbare Schranke im Verhältnismäßigkeitsprinzip,19 das insofern über seine kompetenzrechtliche Funktion in Art. 5 Abs. 4 EUV hinausgeht20 und von der europäischen Grundrechte-Charta explizit gewährleistet wird.21 Bezogen auf die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung im Privatrecht bedeutet das Übermaßverbot bzw. Verhältnismäßigkeitsprinzip, dass der Gesetzgeber beim Schadensausgleich unter den Privaten zwar den Schädiger im Verhältnis zum Geschädigten nicht übermäßig in seiner Handlungsfreiheit belasten darf, sofern der Geschädigte nicht darauf angewiesen ist.22 Bis zur Grenze des Übermaßverbots darf der Gesetzgeber seinen Spielraum aber ausschöpfen.23 So muss es innerhalb des gesetzgeberischen Spielraums liegen, pauschalierten Schadensersatz für gleich- und massenartig auftretende Leistungsstörungen anstelle der versagenden privaten Vertrags- und Marktmechanismen entsprechend hoch zu bemessen, dass eine – mit Blick auf alle Schadensersatzfunktionen – zwecktaugliche und effektive Reaktion statuiert werden kann, die die mikro- und makroökonomischen Nachteile ausgleicht und abwehrt. Dies darf dann insbesondere zum Zweck der Vereinfachung der Durchsetzung von Schadensersatz und der Abschreckung von Verhaltensweisen, die solchen Leistungsstörungen zugrunde liegen, geschehen.24 Die verfassungs- bzw. unionsprimärrechtliche Grenze für den Gesetzgeber wäre erst überschritten, wenn er exorbitante und ruinöse Pauschalbeträge festlegen würde, die den Schädiger im Haftungsfall existenziell belasteten.25 Dies entspricht der Formulierung des BVerfG, dass die pauschalierten Zinsen im Steuerrecht keine „erdrosselnde“ Wirkung entfalten dürfen.26 Im Schadensersatzrecht ist es auch für den privaten Geschädigten innerhalb dieser Grenzen sodann stets zulässig, also nicht rechtsmissbräuchlich infolge einer mittelbaren Wirkung der verfassungsrechtlichen 18
Kirchhof, in: HdB StR XII, § 273 Rn. 76 f. EuGH, Urt. v. 9. 11. 2010, C-92/09 – Schecke, Rn. 65 und 74; Urt. v. 6. 3. 2014, C-206/ 13 – Siragusa, Rn. 34. 20 BVerfGE 89, 155 (212); Brigola, in: Dauses/Ludwigs, EU-Wirtschaftsrecht, C. I., Rn. 314 ff.; Streinz, in: ders., EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 44 f. 21 Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRCh. Zuvor schon EuGH, Urt. v. 9. 9. 2004, C-184/02 @ Spanien/ Parlament, Rn. 52; Urt. v. 6. 12. 2005, C-453/03 @ Fratelli, Rn. 87; Urt. v. 15. 6. 2006, C-28/05 – Dokter, Rn. 75. 22 Vgl. zum verfassungsrechtlich determinierten Schutz des Schädigers im Schadensersatzrecht Canaris, JZ 1987, 993 (995 f. und 1001 f.). Ferner Schlobach, Präventionsprinzip, S. 450 f. 23 Hilgruber, in: HdB StR IX, § 201 Rn. 94. 24 Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, S. A23. 25 Diese Kriterien nennt Canaris, JZ 1987, 993 (995 und 1001). 26 BVerfG, Beschl. v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, Rn. 117. Siehe auch Mankowski, ZIP 2021, 1787. 19
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3. Kap.: Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung
Schranken, Schadensersatz in gesetzlich pauschalierter Höhe zu fordern, auch wenn der Anspruch über die tatsächlichen Einbußen hinausgeht.
C. Gebotenheit der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung Gemäßigt paternalistische Intervention in Form des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung kann aus vorstehenden Erwägungen nicht nur erlaubt sein, sondern unter Umständen sogar geboten bei der Bewältigung gleichund massenartiger Leistungsstörung im Angesicht des Versagens privater Vertragsund Marktmechanismen.27 Die Bindungswirkung der Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG gebietet es, dass die Pauschalierung von Schadensersatz auf einer Achtung sowie einer Abwägung und praktischen Konkordanz der gegensätzlichen Grundrechtspositionen basiert,28 selbst unter Berücksichtigung des breiten staatlichen Gestaltungsspielraums.29 In diesem Sinn hat das BVerfG befunden, dass die Zivilrechtsordnung in typisierbaren Fallgestaltungen, die eine strukturelle Unterlegenheit eines Vertragsteils erkennen lassen, insbesondere wenn eine erheblich ungleiche Verhandlungsposition der Vertragspartner vorliege,30 korrigierend einzugreifen hat.31 Das Privatrecht erfüllt damit seine Aufgabe des gesetzesmediatisierten Interessenausgleichs im mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnis, das zwischen den betroffenen Privaten und dem Staat besteht,32 und wendet zudem die Gefahren und Einbußen ab, die für die Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft bestehen. Inwiefern dies eine Gebotenheit für den Einsatz des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung bedeuten kann, soll im Folgenden untersucht werden.
I. Keine generelle gesetzliche Schadensersatzpauschalierung Eine allgemeine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Pauschalierung aller denkbaren Schadensersatzansprüche liegt fern. Das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung gleicht weder einer Walze, die in voller Breite die Feinheiten des herkömmlichen Schadensersatzrechts einebnen soll, noch einer Gießkanne, mit der die pauschalierten Beträge undifferenziert ausgebracht werden sollen. Die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung ist in dafür geeigneten Fällen 27
Vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 46, 124 ff.; Singer, JZ 1995, 1133 (1139). Vgl. BVerfGE 7, 198; 96, 375 (393 ff.); Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff. (insbes. 229 ff.); ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 11 ff. und 16 ff.; Engel, JZ 1995, 213 (217 f.). 29 Medicus, AcP 192 (1992), 35 (55 ff.). 30 BVerfGE 103, 89 (100 f.). 31 BVerfGE 89, 214 (232). 32 Calliess, in: HdB Grundrechte II, § 44 Rn. 20; Canaris, JuS 1989, 161 (163 f.); Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 74. 28
C. Gebotenheit der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung
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ein zweckdienliches, zielgerichtetes Instrument, um bei gleich- und massenartigen Leistungsstörungsfällen anstelle versagender privater Vertrags- und Marktmechanismen einzugreifen und die mikro- und makroökonomisch brisanten Folgen dieser Leistungsstörungen abzuwenden. Dies hat sich in Bezug auf die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung im geltenden Schuldrecht für Zahlungsverzugsschadensersatz und Fluggastentschädigung bestätigt, die in Teil I untersucht wurden; Möglichkeiten für weitere Schadensersatzpauschalierungen durch den Gesetzgeber werden im letzten Kapitel 7 diskutiert. Eine explizite Handlungspflicht des Gesetzgebers kennt das Grundgesetz ohnehin nur in wenigen Ausnahmefällen, die hier nicht einschlägig sind.33 Auch implizit ist es zum Schutz von Freiheitsrechten nicht geboten, dass der Gesetzgeber vom Instrument der Schadensersatzpauschalierung in jedem tauglichen Fall Gebrauch macht, um dem status positivus der Grundrechte entsprechend einen Schadensausgleich durch Anspruchspauschalierung originär zu gewähren, der ohne seinen staatlichen Eingriff in die Privatautonomie nicht realisierbar wäre.34 Umgekehrt besteht keine objektive Pflicht des Gesetzgebers, wie bei einer Institutsgarantie im Sinne einer Einrichtungsgarantie,35 sicherzustellen, dass eine Pauschalierung herkömmlicher Schadensersatzansprüche erfolgt, bloß weil er über das Instrument der Schadensersatzpauschalierung verfügt und man das Instrument mit einem Institut vergleichen könnte.
II. Widerspruchsfreiheit und Systemgerechtigkeit des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes Soweit sich der Gesetzgeber jedoch zur Schadensersatzpauschalierung in einem bestimmten Bereich entschieden hat, muss gewährleistet sein, dass keine Friktionen und Inkonsistenzen bestehen. Die Einheit der Rechtsordnung erfordert ihre Widerspruchsfreiheit.36 Damit ist nach modernem Methodenverständnis – im Gegensatz zur Begriffsjurisprudenz – eine wertungsmäßige Einheit des Rechtssystems und seiner Teile gemeint; systemwidrig sind demnach Wertungs- und Prinzipienwidersprüche.37 33
Beispielsweise in Art. 3 Abs. 2 S. 2, Art. 6 Abs. 5 und Art. 20a GG. Vgl. zum statutus positivus Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 97; zur originären/derivativen Differenzierung Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 48 III 2 und 3. 35 Zu Einrichtungsgarantien grundlegend Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien; zum GG Mager, Einrichtungsgarantien; Maurer, Staatsrecht I, § 6 Rn. 21. 36 Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 142 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 42 f.; historisch-kritisch Baldus, Einheit der Rechtsordnung, S. 24 ff. 37 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, insbes. S. 71 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 13 ff und 112 ff.; auch Höpfner, Systemkonforme Auslegung, S. 12 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 432 ff. 34
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3. Kap.: Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung
1. Anforderungen der Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Kohärenz Eine Systemwidrigkeit in Form von Selbstwidersprüchlichkeit kann ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz sein.38 Die Gleichheitsrechte, die das Grundgesetz und das Unionsprimärrecht vorgeben,39 können so verstanden werden, dass sie eine Systemgerechtigkeit der Rechtsordnung erfordern und damit den Gesetzgeber binden.40 Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann eine Systemwidrigkeit einen Verfassungsverstoß indizieren,41 denn es kann „ein Indiz für Willkür sein […], wenn das System des Gesetzes ohne zureichende sachliche Gründe verlassen wird“.42 Der Gesetzgeber habe Entscheidungen im Sinn der Gleichheit umzusetzen,43 also konsequent und nicht willkürlich. So hat das BVerfG in seiner bereits benannten Entscheidung zu der pauschalierten Verzinsung im Steuerrecht auch gerade deshalb die Verfassungswidrigkeit der Regelung festgestellt, weil sie in unverhältnismäßiger Weise differenziere und mithin das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verletze, indem die Zinspauschale nur auf Steuerfestsetzungen nach der im Gesetz bislang benannten 15-monatigen Karenzzeit zutrifft und Steuerfestsetzungen im Karenzzeitraum unverzinslich geblieben sind.44 Das Erfordernis einer solchen Widerspruchslosigkeit im Sinne von Folgerichtigkeit kann man zudem auf das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG zurückführen.45 Insofern ist die Systemgerechtigkeit als objektives Konzept Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, das den Gesetzgeber von Verfassungs wegen zur Systemkonformität verpflichtet.46 Das Unionsprimärrecht kennt neben dem allgemeinen Gleichheitsprinzip47 außerdem das Kohärenzprinzip,48 das eine konzeptionelle und inhaltliche Kohärenz von Rechtssätzen und ihr Zusammenfügen in einen sinnbildenden Zusammenhang
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So insbesondere Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 16 und 125 ff. Jedenfalls gemäß den allgemeinen Gleichheitssätzen in Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 GRCh. 40 Vgl. für das Verfassungsrecht Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung, passim; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, S. 172 ff.; a. A. Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 ff. Ferner Battis, FS Ipsen, S. 11 ff. 41 BVerfGE 34, 103 (115). 42 BVerfGE 18, 315 (334) unter Bezugnahme auf BVerfGE 12, 151 (164). 43 BVerfGE 84, 239 (271). 44 BVerfG, Beschl. v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, Rn. 100 ff. 45 BVerfGE 98, 106 (118 f.). 46 Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 300 ff., der dies sehr ausführlich und kritisch untersucht, attestiert der Rechtsfigur der Systemgerechtigkeit zumindest eine „dogmatische Hilfsfunktion“, gestützt auf Rechtsstaatsprinzip und Gleichheitssatz. 47 Art. 2 S. 1 EUV. 48 Art. 13 Abs. 1 EUV; Art. 7 AEUV. Dazu ausführlich Schuster, Kohärenzprinzip in der Europäischen Union, insbes. S. 43 ff. und 79 ff. 39
C. Gebotenheit der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung
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erfordert;49 Friktionen und Zielkonflikte müssen vermieden werden.50 Demgegenüber spielt das Äquivalenzprinzip, das eine Diskriminierung beim Vollzug von Unionsrecht im nationalen Recht trotz nationaler Verfahrensautonomie verbietet,51 für die hier relevante materielle Dimension der Systemgerechtigkeit keine entscheidende Rolle, zumal die Wirksamkeit des Unionsrechts im Sinne des Effizienzprinzips nicht in Frage steht.52
2. Schlussfolgerungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung Daraus folgt zum einen, dass der Gesetzgeber bei den Binnendifferenzierungen seiner Schadensersatzpauschalen den Gleichheits- und Rechtsstaatlichkeitsanforderungen entsprechen und die Vorgaben der Widerspruchsfreiheit und Systemgerechtigkeit wahren muss. Umgekehrt formuliert bedeutet dies, dass eine differenzierte Pauschalierung einer Leistungsstörungskonstellation auf sachlichen Gründen beruhen muss, die sich aus den Umständen der Gleich- und Massenartigkeit der Leistungsstörung und dem Versagen der Beherrschung der Leistungsstörungsfolgen mit privatautonomen Mitteln ergeben. Dass der Gesetzgeber beispielsweise die pauschalierten Verzugszinssätze in § 288 Abs. 1 und Abs. 2 BGB verschieden hoch bemisst, stellt eine solche Binnendifferenzierung für den gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatz dar. Ihre Widerspruchsfreiheit und Systemgerechtigkeit sind – anders als beispielsweise im Fall der für unverhältnismäßig differenzierend befundenen Steuerverzinsung – dennoch gegeben, denn es besteht ein gesteigertes mikro- wie makroökonomisches Schädigungspotenzial des Zahlungsverzugs von B2B-Entgeltforderungen, für die mithin ein höherer Verzugszinssatz gesetzlich vorgegeben wird, gegenüber Geldschulden. Abweichende Wertungsentscheidungen hat der Gesetzgeber zudem zugunsten des Verbraucherschutzes umgekehrt dort getroffen, wo die Allokationseffizienz pünktlicher Zahlung hinter der Verteilungsgerechtigkeit zurückstehen muss. Sachgerecht erscheint es auch, dass der Gesetzgeber die pauschalierte Fluggastentschädigung gestaffelt hat, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Ausgleich für die Zeitdauer bis zur verspäteten Ankunft am Endziel mit dem anzubietenden Alternativflug als entsprechende value of time-Entschädigung gewährt werden soll. Zum anderen muss der Gesetzgeber die Abgrenzung des Anwendungsbereichs seiner Schadensersatzpauschalierung gegenüber nicht pauschalierten Leistungsstö49
Schorkopf, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 7 AEUV Rn. 11. Ferner Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 559 ff.; Schmidt-Aßmann, FS Wahl, S. 825 ff. 50 Streinz, in ders., EUV/AEUV, Art. 7 AEUV Rn. 4. 51 Vgl. zum Äquivalenzprinzip EuGH, Urt. v. 21. 9. 1983, C-205/82 – Deutsche Milchkontor GmbH, Rn. 23. 52 Vgl. EuGH, Urt. v. 6. 10. 2009, C-40/08 – Asturcom Telecomunicaciones, Rn. 38; König, Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, S. 92 ff. Zum Effektivitätsprinzip EuGH, Urt. v. 21. 9. 1983, C-205/82 – Deutsche Milchkontor GmbH, Rn. 22; Kulms, Effektivitätsgrundsatz, S. 21 ff.
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3. Kap.: Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung
rungskonstellationen widerspruchsfrei gestalten. Er ist zwar beispielsweise nicht gehalten, den Verzugsschadensersatz für die Spätleistung jedweden Guts gesetzlich zu pauschalieren, bloß weil er den Zahlungsverzugsschadensersatz gesetzlich pauschaliert hat; denn nicht jede Spätleistung eignet sich überhaupt zur Pauschalierung und nicht jeder geeignete Fall erfordert eine Bevormundung privatautonomer Regulierung durch hoheitliche Pauschalierung. Jedoch ist es mehr als bedenklich, wenn sich der Gesetzgeber zur Pauschalierung der Fluggastentschädigung entscheidet, aber zugunsten der Passagiere anderer Beförderungsmittel, die mit vergleichbaren Leistungsstörungen und damit einhergehenden Problemen der Kompensation und Prävention konfrontiert sind, keine vergleichbare gesetzliche Schadensersatzpauschalierung vornimmt. Der EuGH hat zwar vor mehr als zehn Jahren auf die Differenzen zwischen der Beförderung per Flugzeug einerseits und Bahn, Bus und Schiff andererseits abgehoben, um die damals neu geschaffenen Fluggastrechte gegen die Luftfahrtindustrie(verbände) zu verteidigen.53 Diese Argumentation schließt aber umgekehrt nicht aus, dass die Beförderung durch andere Verkehrsträger auf das gleiche hohe Niveau anzuheben und ein level playing field für die Passagierrechte und den Wettbewerb der verschiedenen Beförderungsarten in der Personenmobilität zu schaffen ist. Ansonsten sieht sich die sektorale gesetzliche Schadensersatzpauschalierung den Vorwürfen des Selbstwiderspruchs und der Systeminkohärenz ausgesetzt. Insofern ist die Schaffung einer sektorübergreifenden gesetzlichen Fahrgastentschädigung bei Beförderungsausfall und Verspätung unter Einschluss von Bahn-, Bus- und Schiffsreisen geboten und in Kapitel 7 noch näher auszuführen.
D. Realpolitischer Kontext der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung Vorhaben zum Einsatz des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung, sei es zur Ausweitung auf andere geeignete Leistungsstörungsfälle oder zur Herstellung von widerspruchsfreier Systemgerechtigkeit, können allerdings Bedenken und Hürden im politischen Prozess begegnen. Dieser realpolitische Kontext betrifft andere Anforderungen der verschiedenen stakeholder als die juristischen Vorgaben, die normativ-theoretisch vom höherrangigen Verfassungs- und Unionsprimärrecht postuliert werden, jedoch sind die praktischen Umstände für die Machbarkeit von Vorhaben der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung nicht zu vernachlässigen. Insofern sind rechtspolitische und -soziologische Hemmnisse aus zwei unterschiedlichen Perspektiven zu bedenken, denen aber durchsetzungsstarke Akteure begegnen können. Zunächst kann keine gesetzliche Schadensersatzpauschalierung gelingen, wenn die dafür erforderliche politische Willensüberzeugung der erforderlichen Mehrheit 53
EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006, C-344/04 – IATA und ELFAA, Rn. 97.
D. Realpolitischer Kontext der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung
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der Abgeordneten im Parlament gehemmt ist. Dies steht insbesondere dann zu befürchten, wenn Haftungsnormen für Leistungsstörungen von (privatisierten) Staatsunternehmen durch Pauschalierung zu verschärfen sind. Denn der Fiskus wird sich in seiner Doppelrolle als Rechtsetzer nicht sprichwörtlich ins eigene Fleisch schneiden wollen, indem er sich für ihn unvorteilhaften Pauschalierungen aussetzt.54 Dies belegt die Rechtslage bei Bahn- und Busunternehmen,55 welche sich nach wie vor häufig im staatlichen bzw. kommunalen Betrieb oder Eigentum befinden, im Gegensatz zu privaten Fluggesellschaften. Besonders deutlich und dreist wird es sogar bei der Neufassung der Bahn-Passagierrechte, die ab Mitte 2023 gilt: Einerseits haben sich die Mitgliedstaaten erfolgreich dagegen gewehrt, dass zu Lasten ihrer Staatsbahnen eine echte gesetzliche Schadensersatzpauschalierung wie in der Fluggastrechte-Verordnung vorgenommen wird (es bleibt beim Minderungsrecht),56 jedoch wird zu ihren Gunsten – aufgrund der Ergänzung im Rat57 – eine Exkulpationsvorschrift hinsichtlich außergewöhnlicher Umstände ähnlich zur Fluggastrechte-Verordnung aufgenommen.58 Darüber hinaus kann selbst ein bestehender politischer Wille zur gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung von Interessenvertretern der privaten Wirtschaftsunternehmen und -verbände geschwächt werden, die sich gegen Haftungsverschärfungen zu ihren Lasten und höhere Investitionskosten für eine bessere Leistungserbringung sträuben.59 Nicht nur die letztlich passivlegitimierten Wirtschaftsteilnehmer – die betroffenen Bürger und Unternehmen – würden sich gegen eine als nachteilig empfundene gesetzliche Schadensersatzpauschalierung zu wehren suchen, sondern auch die Versicherungswirtschaft, soweit sie höhere Schadensbeträge und Durchsetzungsquoten befürchten muss. Immerhin stehen auf der anderen Seite des politischen Diskurses nicht nur die Verbraucherschutzorganisationen, die die Interessen vieler Bürger und damit Wähler bündeln können.60 Vor allem die EU-Institutionen, insbesondere die EU-Kommission als Impulsgeber, besitzen oftmals die nötige Durchsetzungskraft und größere 54
Siehe F.A.Z. Einspruch, „Die Bahn soll nicht mehr zahlen, wenn es stürmt“, 25. 5. 2019. Dazu oben, Kap. 2 B. III. 3. 56 Art. 19 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2021/782 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2021 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (Neufassung) entspricht insofern der Vorgängerregelung in Art. 17 Abs. 1 Verordnung 1371/ 2007, die oben besprochen wurde, Kap. 2 B. III. 3. 57 Siehe Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (Neufassung) – Begründung des Rates, 25. 1. 2021, 12262/1/20 REV 1 ADD 1, Ziff. 13. 58 Art. 19 Abs. 10 Verordnung 2021/782. 59 Vgl. ausführlich Arnaud, Mitwirkung privater Interessengruppen an der europäischen Gesetzgebung, S. 90 ff.; Buholzer, Legislatives Lobbying, S. 133 ff.; ferner Lejeune (Hrsg.), Interessengeleitete Gesetzgebung. 60 Vgl. zur Integration privat organisierter Interessen bei der Gesetzgebung Dederer, Korporative Staatsgewalt, insbes. S. 490 ff. und 577 ff. 55
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3. Kap.: Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung
Distanz gegenüber den nationalen Wirtschaftsinteressen und -vertretern, um Vorhaben zur gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung zum Erfolg verhelfen zu können. Ihre intrinsische Motivation zur Überwindung der Widerstände kann als darin begründet gesehen werden, dass sie mit der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung auch Zwecke des Verbraucherschutzes61 oder des Wettbewerbsschutzes62 zur Wohlfahrtssteigerung und Stärkung des europäischen Binnenmarkts verfolgen können.63
E. Abgrenzung gesetzgeberischer zu gerichtlichen Aufgaben im Schadensersatzrecht Die Pauschalierung von Ansprüchen auf Schadensersatz durch den Staat anstelle Privater kann im Prinzip nicht nur durch den Gesetzgeber erfolgen, sondern auch durch die Rechtsprechung. Dies ist im Licht der Gewaltenteilung aber kritisch zu betrachten und ins Verhältnis zur richterlichen Aufgabe der konkret-individuellen Schadensbemessung zu setzen. Als Phänomen zu beobachten ist jedoch, dass sich Gerichte bei der Schadensbemessung – d. h. lediglich rechtsfolgenseitig – vereinzelt Pauschalierungen bedienen. Auf die gesetzlichen Schadensersatzpauschalierungen nehmen Gerichte aber Einfluss durch deren richterliche Rechtsfortbildung.
I. Konkret-individuelle Schadensbemessung als richterliche Aufgabe Infolge der staatlichen Gewaltenteilung, wie grundlegend von Montesquieu beschrieben,64 ist die Judikative damit befasst, Recht und Gesetz anzuwenden.65 Recht ist dabei das legitim gesetzte Recht, also das Gesetzesrecht der Legislativen.66 Mit anderen Worten bedeutet die Bindung des Richters an das Gesetz, die das Grundgesetz in Art. 97 anordnet, eine Bindung an die Vorgaben, die der Gesetzgeber in der legitimierten Weise gemacht hat.67 Erst dadurch wird die rechtsprechende Gewalt zum verbindlich entscheidenden Garanten des Rechtsstaats im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG.68 Die Kernaufgabe der Rechtsprechung liegt in der konkret-individuellen
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Vgl. Art. 169 AEUV. Vgl. Art. 101 ff. AEUV. 63 Vgl. Micklitz, Yearbook of European Law 28 (2009), 3 (9 ff.). 64 Montesquieu, De l’Esprit des Lois, Buch XI, Kap. 6. 65 Art. 20 Abs. 3 Hs. 2 GG; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 GG VI Rn. 71; zum Rechtsprechungsbegriff des Grundgesetzes Maurer, StaatsR I, § 19 Rn. 3 ff. 66 Di Fabio, in: HdB StR II, § 27 Rn. 26. 67 Ebd. 68 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 548. 62
E. Abgrenzung gesetzgeberischer zu gerichtlichen Aufgaben
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Beurteilung und Entscheidung streitiger Einzelfälle.69 Der Rechtsprechung obliegt nicht die originäre Rechtsetzung;70 Gerichte dürfen sich nicht „aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben“.71 In Bezug auf das Schadensersatzrecht folgt aus diesen Grundsätzen, dass es nicht der Rechtsprechung obliegt, originäre abstrakt-generelle Schadensersatzpauschalierungen vorzunehmen. Insbesondere sollen Gerichte im Zuge von Pauschalierung keine neuen Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach schaffen. Vielmehr sollen die Gerichte anhand des Gesetzesrechts, dass die Anspruchsgrundlagen vorgibt, und anhand der etablierten Grundprinzipien des Schadensrechts zur Bemessung des Ersatzes Entscheidungen treffen, um für den im Einzelfall angemessenen Ausgleich der unfreiwillig erlittenen Einbußen des Geschädigten zu sorgen.72 Einerseits ist der Geschädigte angesichts des staatlichen Gewaltmonopols auf die Gerichte angewiesen, um seinen Anspruch gegenüber dem Schädiger durchzusetzen. Umgekehrt sollen Gerichte keinen wesentlich überkompensierenden Betrag als Schadensersatz zusprechen, der über den gerechten und nachweisbaren Ausgleich hinausginge.73 Würde die Rechtsprechung das Instrument der Schadensersatzpauschalierung ernsthaft und konsequent ergreifen, dann müsste es auch Richtlinien für den einzelnen Richter geben, um den geltenden Rahmenbedingungen des höherrangigen Verfassungsrechts zu entsprechen, die die Systemgerechtigkeit und Widerspruchsfreiheit erfordern.74 Zwar könnten diese harmonisierenden Richtlinien letztinstanzlich durch Höchstgerichte wie den BGH oder EuGH gesetzt werden, wie es für Gerichte in den Rechtsordnungen in der Tradition des Common Law durch verbindliche Präzedenzentscheidungen (stare decisis-Doktrin) ohnehin der Fall ist.75 Für die deutsche wie andere kontinentaleuropäische Rechtsordnungen in der Tradition des Civil Law, die keine bindenden Präjudizien kennen,76 verdeutlicht dies aber, dass die abstrakt-generelle Bestimmung von Richtlinien in die Zuständigkeit des Gesetzgebers und nicht in den Aufgabenbereich der Rechtsprechung fällt.77 Das Instrument der Pauschalierung von Schadensersatz steht dem Gesetzgeber zu, zu 69 Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 12; Lüke, Zivilprozessrecht I, § 1 Rn. 1 ff.; Wank, Rechtsfortbildung, S. 113 ff. 70 Vgl. zu den Grenzen des Richterrechts Badura, in: Rechtsfortbildung, S. 42; Classen, JZ 2003, 693 (699 f.); Hillgruber, JZ 1996, 118 ff.; Ipsen, Richterrecht, S. 117 ff.; Kirchhof, NJW 1986, 2275 ff. 71 BVerfGE 87, 273 (280); 96, 375 (394). 72 Vgl. allgemein Wilke, in: HdB StR V, § 112 Rn. 32. 73 Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, S. 7 f. 74 Siehe oben, C. II. 1. 75 Vgl. jüngst Lord Hodge (Justice of the Supreme Court of the United Kingdom), RabelsZ 84 (2020), 211 ff. Siehe ferner etwa Komarek, Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2008/2009, 399 ff. 76 Für Deutschland siehe BVerfGE 84, 212 (227); Wilke, in: HdB StR V, § 112 Rn. 32. Eine Ausnahme bildet § 31 BVerfGG. 77 Wilke, in: HdB StR V, § 112 Rn. 32.
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3. Kap.: Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung
dessen Gunsten der Vorrang des Gesetzes78 im Sinne der Wesentlichkeitstheorie greift.79
II. „Kfz-Unfallpauschale“ und „Schmerzensgeldtabelle“ als Behelfsmittel bei der Schadensbemessung Zivilgerichte können sich einer eigenen „Schadenspauschalierung“ überhaupt nur im Rahmen von § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO bedienen, d. h. als Ausdruck der richterlichen Schadensschätzung. Der Vorteil von herkömmlichen richterlichen Schätzungen ist zwar, dass sie Flexibilität und Einzelfallgerechtigkeit bieten können, aber mit Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit für die beteiligten Parteien einhergehen. Die pauschalierte Beurteilung bestimmter Schäden durch den Richter stellt in diesem Zusammenhang nur ein Behelfsmittel der Rechtspraxis dar. Jedoch kann und soll richterliche, allein rechtsfolgenseitige Schadensschätzung und -pauschalierung keine Pauschalierung der tatbestandsseitigen Haftungsvoraussetzungen erzielen. Vor allem vermag die richterliche Schätzung nicht wie die gesetzliche Regelung Rechtssicherheit zu gewähren, die Prozessökonomie zu steigern oder sogar den Bedarf des Prozessierens ganz zu vermeiden und letztlich verhaltenssteuernd zu bewirken, dass potenzielle Schädiger zu größerer Anstrengung bei der Leistungsstörungsvermeidung angehalten werden, woraus sich somit das Bedürfnis nach gesetzlicher Schadensersatzpauschalierung gegenüber richterlichen Schadensschätzung und -pauschalierung ergibt. Außerdem verringert die gesetzliche Pauschalierung den Arbeitsaufwand für die Gerichte, wie es selbst mit dem Behelfsmittel der richterlichen Schadensschätzung unerreichbar wäre. Es handelt sich bei der richterlichen Schadensschätzung folglich nicht um ein eigenständiges Instrument mit den besonderen Eigenschaften und Wirkungen wie die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung. Dies belegen besonders deutlich die zwei bekanntesten Beispiele der richterlichen Schadensersatzpauschalierung für materielle und immaterielle Schäden. Mit der so genannten „Kfz-Unfallpauschale“ in Höhe von ungefähr 20 oder 25 Euro sollen Auslagen für Telefonate, Schriftverkehr oder Fahrtkosten abgedeckt werden, die ein Verkehrsunfall-Geschädigter typischerweise bei der Unfallregulierung im Rahmen seines Schadensersatzanspruchs (in aller Regel gemäß § 7 Abs. 1 StVG gegen den Halter und/oder § 18 Abs. 1 StVG gegen den Fahrer des gegnerischen Fahrzeugs) geltend macht.80 Dass die Gerichte eine solche Auslagenpauschale 78 Gusy, JuS 1983, 189 (191 und 193 f.); Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 316 ff.; Ossenbühl, in: HdB StR V, § 101 Rn. 1 ff.; Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 104 ff. 79 BVerfGE 49, 89 (126 f.); 83, 130 (142); 98, 218 (251 f.); 101, 1 (34); Ossenbühl, in: HdB StR V, § 101 Rn. 52 ff.; Schmidt-Aßmann, in: HdB StR II, § 26 Rn. 64. 80 Siehe beispielsweise OLG Düsseldorf, Urt. v. 2. 1. 2019 – 1 U 158/16, Rn. 47 (juris); KG, Urt. v. 18. 2. 2019 – 22 U 138/17, Rn. 41 (juris). Siehe auch Grüneberg/Grüneberg, § 249 BGB Rn. 79; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 XIV 5 b.
E. Abgrenzung gesetzgeberischer zu gerichtlichen Aufgaben
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regelmäßig ohne näheren Parteivortrag zuerkennen, also keine Anknüpfungstatsachen dafür im konkreten Einzelfall dargetan werden müssen, sei nach Auffassung des BGH „dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der Regulierung von Verkehrsunfällen um ein Massengeschäft handelt, bei dem dem Gesichtspunkt der Praktikabilität besonderes Gewicht zukommt.“81 Es ist allerdings keine sonderlich überzeugende Begründung für die richterliche rechtsfolgenseitige „Pauschalierung“, selbst im Rahmen der richterlichen Schadensschätzung gemäß § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO, lediglich auf die Praktikabilität – sprich die Arbeitsreduzierung für die Beteiligten – abzustellen. Sachliche Gründe in Bezug auf das schuldrechtliche Verhältnis der Unfallparteien und deren Schadensausgleich gibt es in der Tat nicht, zumal es an Anknüpfungsmomenten für die richterliche Schadensschätzung fehlt.82 Die Idee der richterlichen Schadenspauschale sei, so warnt auch der BGH, nicht verallgemeinerungsfähig, denn „eine generelle Anerkennung einer solchen Pauschale für sämtliche Schadensfälle ohne nähere Darlegung der getätigten Aufwendungen – etwa auch im Rahmen der vertraglichen Haftung – gibt es in der Rechtsprechung nicht und ist angesichts der unterschiedlichen Abläufe bei der jeweiligen Schadensabwicklung auch nicht gerechtfertigt“.83 Als weiteres Beispiel der richterlichen Schadenspauschalierung kann man anführen, dass sich Gerichte bei der rechtsfolgenseitigen Beurteilung immaterieller Schäden für das so genannte Schmerzensgeld häufig Tabellen bedienen, in denen Fixbeträge oder zumindest Spannen für bestimmte Schädigungen aufgelistet sind.84 Die „ADAC-Schmerzensgeldtabelle“85 oder die „Beck’sche Schmerzensgeldtabelle“86 fassen typische Beträge aus ergangenen Gerichtsentscheidungen zu immateriellem Schadensersatz zusammen und bieten damit die Grundlage für die pauschalierte Beurteilung in künftigen Gerichtsverfahren. Der BGH bemüht sich, klarzustellen, dass diese nicht-amtlichen Tabellen wiederum nur „Anhaltspunkte für die richterliche Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO“ seien.87 „Entscheidungen in vergleichbaren Fällen, wie sie insbesondere in Form von Schmerzensgeldtabellen veröffentlicht werden, können im Vorfeld der Entscheidungsfindung als grobe Orientierungshilfe herangezogen werden, dienen jedoch nicht als (bindende)
81 BGH, Urt. v. 8. 5. 2012 – VI ZR 37/11, Rn. 11 (juris) unter Bezugnahme auf BGHZ 178, 338 (345); BGH, VersR 1978, 278 (280). 82 Vgl. Woitkewitsch, MDR 2019, 1093 (1094 und 1099). 83 BGH, Urt. v. 8. 5. 2012 – VI ZR 37/11, Rn. 11 (juris) unter Bezugnahme auf OLG Düsseldorf, Urt. v. 21. 12. 2005 – I-15 U 44/05 Rn. 26 f. (juris). 84 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 7 V. Auch Grüneberg/Grüneberg, § 253 BGB Rn. 15. 85 Hrsg. v. Hacks/Ring/Böhm. 86 Bearb. v. Slizyk. 87 BGH, Urt. v. 3. 2. 2009 – VI ZR 183/08, Rn. 5 (juris); Urt. v. 17. 11. 2009 – VI ZR 64/08, Rn. 21 (juris); Urt. v. 12. 4. 2011 – VI ZR 300/09, Rn. 17 (juris).
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3. Kap.: Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung
Grundlage der Schmerzensgeldbemessung.“88 Denn erfasst seien, so der BGH, lediglich Vergleichsfälle, die „nur in der Regel den Ausgangspunkt für die tatrichterlichen Erwägungen zur Schmerzensgeldbemessung“89 bilden würden und nur im Rahmen des zu beachtenden Gleichheitsgrundsatzes als Orientierungsrahmen zu berücksichtigen seien.90 Diese Pauschalen sind gerade keine verbindlichen Präjudizien. Diese Ansicht wird auch von den Oberlandesgerichten in ständiger Rechtsprechung geteilt.91
III. Richterliche Rechtsfortbildung gesetzlicher Schadensersatzpauschalen Die Rechtsprechung verfügt allerdings über die Möglichkeit, auf die Anwendung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalen Einfluss zu nehmen. Im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung können insbesondere die Anwendungsbereiche erweiternd oder beschränkend ausgelegt werden. Dies wird grundsätzlich als zulässig angesehen,92 jedenfalls zur „gesetzesvertretenden“ Lückenfüllung (wobei sich daran freilich das Problem der Lückenfeststellung anschließt).93 Auch auf der Ebene des Unionsrechts ist die richterliche Rechtsfortbildung anerkannt,94 insbesondere durch Analogiebildung.95 Hervorzuheben sind insofern die oben benannten Beispiele des EuGH, der im Wege richterlicher Rechtsfortbildung in den Rechtssachen Sturgeon und Azurair zur gesetzlich pauschalierten Fluggastentschädigung entschieden hat, dass Fälle der großen Ankunftsverspätung bzw. der erheblichen Abflugvorverlegung analog zum
88 So ausdrücklich KG, Urt. v. 9. 9. 2019 – 22 U 35/18, Rn. 26 (juris) unter Verweis auf KG, Urt. v. 16. 2. 2012 – 20 U 157/10, Rn. 56 (juris) und OLG München, Urt. v. 21. 3. 2014 – 10 U 1750/13, Rn. 24 (juris). 89 BGH, VersR 1970, 134. 90 BGH, VersR 1961, 460 (461); 1964, 842 (843); 1967, 256 (257). 91 OLG Oldenburg, Urt. v. 22. 7. 2016 – 6 U 30/16, Rn. 78 (juris); OLG Frankfurt, Urt. v. 31. 1. 2017 – 8 U 155/16, Rn. 35 (juris); OLG Köln, Beschl. v. 28. 7. 2017 – 19 U 50/17, Rn. 6 (juris); OLG Saarbrücken, Urt. v. 1. 3. 2018 – 4 U 143/13, Rn. 210 (juris); OLG Düsseldorf, Urt. v. 15. 3. 2018 – I-1 U 57/17, Rn. 67 (juris); OLG Dresden, Beschl. v. 1. 6. 2018 – 4 W 448/18, Rn. 6 (juris); OLG Rostock, Beschl. v. 12. 7. 2018 – 5 U 86/16, Rn. 35 (juris). 92 Ipsen, Richterrecht, S. 188 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 366 ff.; Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 319 ff.; Ulber, EuGRZ 2012, 365 (367); Wank, Rechtsfortbildung, S. 119 ff. Zurückhaltender Mayer-Maly, JZ 1986, 557 ff. 93 BVerfGE 34, 269 (287 f.); 65, 182 (190 f.); 69, 315 (371 f.); 95, 48 (62); Ossenbühl, in: HdB StR V, § 100 Rn. 51 ff. 94 Dafür ausdrücklich auch BVerfGE 75, 223 (243 f.); 126, 286 (305). Ferner Grosche, Rechtsfortbildung im Unionsrecht, passim; Mittmann, Rechtsfortbildung, S. 7 ff. und 183 ff.; Walter, Rechtsfortbildung durch den EuGH, insbes. S. 54 ff. und 161 ff. 95 Ahmling, Analogiebildung durch den EuGH, S. 138 ff.
E. Abgrenzung gesetzgeberischer zu gerichtlichen Aufgaben
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gesetzlich geregelten Fall der Annullierung zu behandeln sind.96 Der EuGH hat damit praktisch den sachlichen Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes in Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung ausgeweitet, welchen der Unionsgesetzgeber nur für die Nichtbeförderung und Annullierung vorgesehen hatte. Die richterlichen Lückenfüllungen kann man deshalb als geboten ansehen, weil sie die Systemgerechtigkeit und Widerspruchsfreiheit hergestellt haben:97 Denn Fluggästen, denen ein hoheitlich pauschalierter Schadensersatzanspruch bei Annullierung, nicht aber bei großer Ankunftsverspätung bzw. erheblicher Abflugvorverlegung zusteht, entstehen vergleichbare Nachteile wie bei einer Annullierung, wenn eine Fluggesellschaft einen Flug so lange hinauszögert bzw. vorzieht, bis er – womöglich um Tage oder Wochen von der geplanten Zeit abweichend – durchgeführt werden kann.98 Anstelle der Erweiterung lässt sich der richterrechtliche Einfluss auch umgekehrt in Gestalt der Beschränkung des Anwendungsbereichs gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes feststellen. Ein im Sinne von Systemgerechtigkeit und Widerspruchsfreiheit negatives Beispiel dieses Einflusses ist die oben benannte BAGRechtsprechung zum gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatz im Arbeitsvertragsrecht.99 Das BAG hat nicht nur entschieden, dass Arbeitnehmer im Fall der verspäteten Zahlung ihres Arbeitslohns als Entgeltforderung keinen Anspruch auf den höheren gesetzlich pauschalierten Verzugszinssatz des § 288 Abs. 2 BGB haben,100 sondern dass ihnen auch kein Anspruch auf den Beitreibungskostenbetrag des § 288 Abs. 5 S. 1 BGB zusteht.101 Hinsichtlich der Verzugszinssätze ist dies zwar noch verständlich, wenn man mit der Rechtsprechung Arbeitnehmer als Verbraucher ansieht.102 Für den Beitreibungskostenbetrag nach § 288 Abs. 5 S. 1 BGB verlangt der Gesetzgeber aber lediglich, dass der Schuldner kein Verbraucher ist, sodass der unternehmerische Arbeitgeber bei Verzug mit dem Arbeitslohn als Entgeltforderung eigentlich zur Leistung des Beitreibungskostenbetrags verpflichtet sein müsste. Das BAG beruft sich recht formalistisch auf die Spezialität einer arbeitsgerichtlichen Verfahrensvorschrift über die Kosten, § 12a Abs. 1 S. 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG),103 was wenig überzeugend ist.104 Diese Entscheidung des 96 Zur großen Ankunftsverspätung: EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon, Rn. 41 ff., insbes. 50 ff.; bestätigt im Urt. v. 23. 10. 2012, C-581/10 – Nelson, Rn. 28 ff. Zur erheblichen Abflugvorverlegung: Urt. v. 21. 12. 2021, C-146/20 – Azurair, Rn. 69 ff. Zu beiden oben Kap. 2 C. II. 3. 97 Dazu als Erfordernis des Verfassungs- und Unionsprimärrechts oben, C. II. 1. 98 Vgl. KOM(2007)168 endg., S. 5 Ziff. 4.1.2. 99 Siehe Kap. 1 C. III. 4. 100 Vgl. BAGE 115, 19. 101 BAGE 163, 309. 102 Vgl. BVerfG, NJW 2007, 286 (287 f.) unter Bezugnahme auf BAGE 115, 19. 103 BAGE 163, 309 Rn. 8 und 23 ff. 104 Ausführlich siehe oben, Kap. 1 C. III. 4. b). Vgl. ebenso LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 13. 10. 2016 – 3 Sa 34/16, Rn. 80 ff. (juris); Urt. v. 9. 10. 2017 – 4 Sa 8/17, Rn. 64 (juris); LAG
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3. Kap.: Rahmenbedingungen für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung
8. BAG-Senats widerspricht nicht nur der Logik des Großen Senats, der nicht unter Verweis auf § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG den Verzugszinsanspruch aus § 288 Abs. 1 BGB verneint, sondern gewährt hat.105 Darüber hinaus werden Arbeitnehmer ohne materiellen sachlichen Grund anders behandelt als andere Entgeltforderungsgläubiger unternehmerischer Schuldner. Gegen eine solche Systeminkohärenz und Widersprüchlichkeit wäre ein bereinigendes Einschreiten des Gesetzgebers geboten, um die richterrechtliche Abweichung zu korrigieren. Gerade dafür dürften die realpolitischen Hürden allerdings hoch sein, bedenkt man die gegenläufigen Arbeitgeber- und damit Wirtschaftsinteressen.
F. Zwischenergebnis Das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung ist Ausdruck eines gemäßigten, libertären Paternalismus, der in der sozialen Marktwirtschaft seine Berechtigung hat. Innerhalb des weiten Spielraums, den das höherrangige Verfassungs- und Unionsprimärrecht gewährt, kann der einfache Gesetzgeber Schadensersatzpauschalierung vornehmen, ohne dass Freiheitsrechte oder Verfahrensgarantien verletzt werden. Maßgebliche Schranken sind das Übermaßverbot bzw. Verhältnismäßigkeitsprinzip, die aber nur die gesetzliche Anordnung exorbitanter und ruinöser Pauschalbeträge verbieten. Umgekehrt betrachtet besteht für den Gesetzgeber keine generelle Pflicht seitens des höherrangigen Rechts, Schadensersatzansprüche zu pauschalieren. Jedoch kann die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung aus Gründen der Widerspruchsfreiheit und Systemgerechtigkeit der Rechtsordnung geboten sein, namentlich aufgrund Gleichheits-, Rechtsstaatlichkeits- und Kohärenzanforderungen des Verfassungs- und Unionsprimärrechts. Neben diesen normativ-theoretischen Vorgaben stößt der Gesetzgeber bei der Schadensersatzpauschalierung im realpolitischen Kontext auf Hürden, aber auch Unterstützung durch die verschiedenen stakeholder im demokratischen Rechtssetzungsprozess. Gegenüber den gesetzgeberischen Aufgaben bei der Schadensersatzpauschalierung bestehen die gerichtlichen Aufgaben im gewaltengeteilten Staat in der konkret-individuellen Schadensbemessung bei der Entscheidung von streitigen Einzelfällen. Der Rechtsprechung fällt im Civil Law nicht die Kompetenz zur abstrakt-generellen Köln, Urt. v. 22. 11. 2016 – 12 Sa 524/16, Rn. 55 ff. (juris); LAG Niedersachsen, Urt. v. 20. 04. 2017 – 5 Sa 1263/16, Rn. 22 ff. (juris); Sächsisches LAG, Beschl. v. 18. 10. 2017 – 4 Ta 149/17 (3), Rn. 11 ff. (juris); LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14. 11. 2017 – 11 Sa 1102/17, Rn. 134 ff. (juris); LAG München, Urt. v. 18. 04. 2018 – 11 Sa 42/18, Rn. 77 (juris); Färber/Pipoh, DB 2017, 67 ff.; Hülsemann, ArbRAktuell 2015, 146 (147 f.); Lembke, FA 2014, 357 (358); ders., NZA 2016, 1501 (1503 ff.); Richter, ArbRAktuell 2016, 229 ff.; Tiedemann, ArbRB 2015, 312 (313 ff.); Tonikidis, FA 2017, 8 ff.; Weigert, NZA-RR 2017, 337 (340 ff.). Eingeschränkt auch Witschen/Röleke, NJW 2017, 1702 ff. Auch nach der BAG-Entscheidung: LAG Sachsen, Urt. v. 17. 7. 2019 – 2 Sa 364/18, Rn. 30 (juris); ArbG Bremen-Bremerhaven, Urt. v. 5. 3. 2019 – 6 Ca 6294/18, Rn. 29 ff. (juris). 105 BAGE (GS) 97, 150 ff.
F. Zwischenergebnis
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Pauschalierung zu; in der Rechtspraxis gebrauchte „Kfz-Unfallpauschalen“ oder „Schmerzensgeldtabellen“ sind bloße Behelfsmittel der Schadensbemessung im Rahmen von § 287 ZPO. Allerdings kann die Rechtsprechung durch richterliche Fortbildung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalen Einfluss nehmen, um nach Möglichkeit die Widerspruchsfreiheit und Systemgerechtigkeit zu stärken.
Viertes Kapitel
Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes Auf der Basis der dargelegten Rahmenbedingungen kann im Folgenden die Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes untersucht werden. Es sollen die Charakteristika und mithin die deutlichen Divergenzen von den Prinzipien des Haftungs- und Schadensrechts, wie sie im deutschen Recht und Unionsrecht etabliert sind, durch das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung identifiziert und analysiert werden. Dabei sind sowohl die tatbestandsseitigen Abweichungen bei den Haftungsvoraussetzungen als auch die rechtsfolgenseitigen Besonderheiten bei der Bestimmung des ersatzfähigen Schadens zu betrachten, die sich aufgrund der gesetzlichen Pauschalierung des Schadensersatzanspruchs ergeben. Die festzustellenden Divergenzen legen nahe, dass die Bedeutung des gesetzgeberischen Instruments in privatrechtsdogmatischer Hinsicht einem neuen Paradigma gleichzukommen vermag. Das Ziel der Untersuchung ist zunächst der rechtswissenschaftliche Erkenntnisgewinn zur Dogmatik der existierenden gesetzlichen Schadensersatzpauschalierungen. Darüber hinaus ist die dogmatische Untersuchung grundlegend sowohl für die rechtspraktische Auslegung und Anwendung der bestehenden Normen, mit denen der Gesetzgeber Schadensersatz pauschaliert hat, als auch für die besonderen Wirkungen von gesetzlich pauschaliertem Schadensersatz, die in den beiden nächsten Kapiteln 5 und 6 beleuchtet werden. Auf den dogmatischen Einsichten fußen auch die Erwägungen zur künftigen, bewussten Pauschalierung bzw. NichtPauschalierung von Schadensersatzansprüchen durch den Gesetzgeber, die in Kapitel 7 behandelt werden. Im Folgenden soll zunächst die haftungsverantwortungsrechtliche Seite der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung in den Blick genommen werden. Anschließend werden die schadensrechtlichen Charakteristika im Sinne der gesetzlich pauschalierten Haftungsausfüllung beleuchtet, bei denen sich besonders deutlich zeigt, wie die gesetzliche Pauschalierung rechtsfolgenseitig vom herkömmlichen Schadensrecht abweicht.
A. Gesetzlich pauschalierte Haftungsverantwortlichkeit Hinsichtlich der Haftungsverantwortlichkeit ist vor allem bedeutsam, welche Auswirkung die Schadensersatzpauschalierung als gesetzgeberisches Instrument auf
A. Gesetzlich pauschalierte Haftungsverantwortlichkeit
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die Tatbestandsvoraussetzungen der Kausalität und des Verschuldens hat. Beides sind wesentliche anspruchsbegründende Strukturmerkmale eines Schadensersatzanspruchs,1 die herkömmlicherweise vom Geschädigten (wenn nicht ausnahmsweise eine Beweislastumkehr besteht2) konkret nachzuweisen sind.3 Soweit dies dem Geschädigten ganz erlassen wird, ist dies in prinzipieller Hinsicht von herausragender Bedeutung für das Verständnis des Schadensersatzes; daraus ergeben sich prozessökonomische Vorteile.4 Andererseits ist problematisch, inwiefern sich der Schädiger den Folgen seiner Haftungsverantwortlichkeit entziehen kann. Zu denken ist außerdem an privatautonome Modifikation des gesetzlichen Haftungsregimes, an Regress und an Versicherungen.
I. Pauschalierte Kausalität Auch wenn die Kausalitätsbegriffe und -strukturen im deutschen Recht und im Unionsrecht nicht übereinstimmen,5 lässt sich als basale Gemeinsamkeit zumindest feststellen, dass ein Schadensersatzanspruch herkömmlicherweise stets voraussetzt, dass der „Erfolg“ des schädigenden Ereignisses die conditio sine qua non gewesen sein muss für den eingetretenen Schaden (naturwissenschaftliche Kausalität i. S. d. Äquivalenztheorie).6 Selbst den Nachweis dieses Minimalerfordernisses macht die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung entbehrlich, indem sie mittelbar im Zuge der Pauschalierung eine unwiderlegliche Legalfiktion hinsichtlich der Kausalität aufstellt. Diese Entbehrlichkeit des Kausalitätsnachweises ist für die beiden bestehenden gesetzlichen Schadensersatzpauschalierungen anerkannt, sowohl für den Zahlungsverzugsschadensersatz7 als auch für die Fluggastentschädigung,8 und stellt mithin ein Charakteristikum des gesetzgeberischen Instruments dar. Durch die gesetzliche Pauschalierung kommt es ferner nicht darauf an, dass die sonst im deutschen Recht vorherrschende Differenzierung zwischen haftungsbe1
Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, S. 371 ff. Insbesondere § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zulasten des Schädigers. 3 Aus der Perspektive des deutschen Rechts siehe zum Beweis der Kausalität BGH, NJW 1988, 200 ff.; 1991, 1540 f.; zum Beweis des Verschuldens etwa BeckOK-BGB/Förster, § 823 BGB Rn. 264. 4 Ausführlich dazu unten, Kap. 5. 5 Heinze, Schadensersatz, S. 603; Kleinschmidt, in: HWB-EuP, sub Kausalität; Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, S. 176 f. 6 Zum deutschen Recht siehe nur Grüneberg/Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 24 f.; Looschelders, SchuldR AT, § 45 Rn. 6 f.; MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 103. Zum Unionsrecht siehe Wilman, EU law before national courts, Rn. 7.10 ff. (insbes. 7.13); Weitenberg, Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte, S. 815 ff.; Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, S. 177 f. 7 BeckOGK-BGB/Dornis, § 288 Rn. 2; MüKoBGB/Ernst, § 288 BGB Rn. 5; NK-BGB/ Schulte-Nölke, § 288 Rn. 3. 8 Heinze, Schadensersatz, S. 481; BeckOGK-Fluggastrechte/Steinrötter, Art. 7 Rn. 5. 2
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
gründender und haftungsausfüllender Kausalität, wie sie insbesondere im Deliktsrecht zur Haftungseinschränkung zu finden ist,9 beachtet wird. Des Weiteren werden infolge der gesetzlichen Pauschalierung normative Einschränkungen der Haftungsverantwortlichkeit belanglos, beispielsweise durch die Adäquanztheorie.10 Pauschalierung tritt insofern an die Stelle der – im Zweifel durch den Richter erfolgenden – wertenden Beurteilung der Ursachenzusammenhänge, aufgrund derer die Abgrenzung von zurechenbaren zu nicht mehr zurechenbaren Schäden sonst erfolgt.11 Umgekehrt ausgedrückt besteht für den Schädiger in den gleich- und massenartigen Fällen der Leistungsstörung, für die der Gesetzgeber angesichts des Versagens privater Vertrags- und Marktmechanismen den Schadensersatz pauschaliert, unter keinem Gesichtspunkt die Möglichkeit, seiner Haftungsverantwortung unter Verweis auf fehlende Zurechenbarkeit zu entkommen. Allein die gesetzliche Gestaltung der Haftungsverantwortlichkeit im Rahmen der Pauschalierung ist maßgebend.
II. Pauschalierte Verantwortlichkeit 1. Verschuldensunabhängigkeit Nicht nur die objektiven Voraussetzungen und Beschränkungen der Haftungsverantwortlichkeit durch die Kausalitätsprüfung sind für den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz irrelevant, vielmehr trifft dies weitgehend auch das subjektive Erfordernis des Verschuldens. Dies gilt jedenfalls für die Fluggastentschädigung, die gänzlich verschuldensunabhängig zu leisten ist, wenn die übrigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.12 Trotz § 286 Abs. 4 BGB ist aber auch der Zahlungsverzugsschadensersatz – effektiv betrachtet – nahezu stets verschuldensunabhängig, weil sich der säumige Schuldner in aller Regel nicht für seine Zahlungsunwilligkeit oder -unfähigkeit entschuldigen kann.13 Damit liegt eine erhebliche Divergenz zum Verschuldensgrundsatz vor, der das deutsche Schadensersatzrecht beherrscht, demzufolge ein Schadensersatzanspruch gegenüber dem Schädiger nur besteht, sofern er für die Schädigung verantwortlich 9
Siehe Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 3; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 I und II; MüKo-BGB/Wagner, § 823 BGB Rn. 70. 10 Zurückgehend auf v. Kries, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 12 (1888), 179 ff., 287 ff. und 393 ff. Im bundesdeutschen Recht BGHZ 3, 261 (266 f.); Lange/ Schiemann, Schadensersatz, § 3 VI; Grüneberg/Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 26 ff. 11 St.Rspr., BGHZ 3, 261 (267); 18, 286 (288); 30, 154 (157); 58, 162 (167). 12 BGH, NJW 2010, 1526 Rn. 12; Heinze, Schadensersatz, S. 464; Keiler, in: Staudinger/ Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 13; BeckOGK-Fluggastrechte/Steinrötter, Art. 7 Rn. 5. 13 „Geld hat man zu haben“, vgl. OLG München Urt. v. 25. 7. 2002 – 19 U 1819/02, Rn. 16 (juris); Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. 14. 12. 2015 – 5 W 65/15, Rn. 19 (juris) sowie Urt. v. 8. 9. 2017 – 3 U 16/17, Rn. 77 (juris). Ferner BGHZ 36, 345; 107, 92 (102); 204, 134 (140 f.); BGH, WM 1982, 400; NJW 2013, 3437.
A. Gesetzlich pauschalierte Haftungsverantwortlichkeit
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ist.14 Im Unionsprivatrecht ist das Bild des Verschuldensprinzips zwar fragmentarisch, aber es gilt immerhin teilweise,15 ähnlich zu den Traditionen anderer nationaler Rechtsordnungen.16 Vom Verschuldensprinzip wird im deutschen Recht für gewöhnlich nur bei der Gefährdungshaftung aufgrund des Umstands abgewichen, dass dem Schädiger zwar die Nutzung einer Gefahrenquelle gestattet ist, er aber dafür verschuldensunabhängig einstehen muss, wenn sich die Gefahr realisiert.17 Davon kann aber weder bei der Geldzahlung noch Fluggastbeförderung die Rede sein. Dass es für gesetzlich pauschalierten Schadensersatz nicht auf das Verschulden des Schädigers ankommt, kann man einerseits in der Strenge der staatlichen Reaktion auf die mikro- und vor allem auch makroökonomischen Nachteile der regelungsgegenständlichen Leistungsstörungen begründet sehen. Der Gesetzgeber verpflichtet den Schädiger zur Internalisierung der aus der Leistungsstörung resultierenden Kosten des Geschädigten ohne Rücksicht darauf, ob der Schädiger die Leistungsstörung vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt und daher zu verantworten hat. Andererseits kann individuelle Vorwerfbarkeit im Rahmen einer abstrakt-generellen Regelung, die für gleich- und massenartige Leistungsstörungen eine pauschale Rechtsfolge vorsieht, keine Anspruchsvoraussetzung sein. Dies ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass der Gesetzgeber zur Schadensersatzpauschalierung in brisanten Leistungsstörungsfällen greift, in denen privatautonome Mechanismen bei der Folgenbewältigung versagen und in denen daher umgekehrt die Einzelverantwortung nicht konstitutiv ist. 2. Exkulpation nur bei außergewöhnlichen Umständen Selbst in den Fällen, die den Gegenstand von gesetzlicher Schadensersatzpauschalierung bilden, muss aber die Verantwortlichkeit höchst ausnahmsweise verneint werden, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Enthaftung erfordern. Unabhängig davon, ob der Schädiger den beim Geschädigten eingetretenen Schaden zu vertreten hat, wäre eine pauschale Haftung in gesetzlich fixierter Höhe unangemessen, wenn feststeht, dass es dem Schädiger trotz Ergreifens aller zumutbaren Maßnahmen nicht möglich war, den Eintritt des Schadens zu vermeiden.18 Auf diese 14
Siehe schon v. Jhering, Schuldmoment im römischen Recht (1876), zitiert aus dems., Vermischte Schriften juristischen Inhalts, S. 199; zum heutigen Recht siehe etwa Brüggemeier, Haftungsrecht, § 1; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, S. 374; Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 614 und insbes. 620 f. 15 Beispielsweise Art. 35a Abs. 1 Rating-VO 1060/2009; dazu Gietzelt/Ungerer, GPR 2013, 333 (341). Übergreifend Heinze, Schadensersatz, S. 573 ff.; Lukas, in: Koziol/Schulze, Tort Law of the European Community, Rn. 4/6 ff. und 4/53. 16 Vgl. v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5 ff. 17 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 1684 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 84 I. 18 Vgl. den Maßstab in Erwgr. 14 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung, konkretisiert durch EuGH, Urt. v. 22. 12. 2008, C-549/07 – Wallentin-Hermann, Rn. 23; Urt. v. 31. 1. 2013, C-12/
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
Weise vermag das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung auf Ausnahmesituationen zu reagieren, seien sie den außerordentlichen Umständen des vom Gewöhnlichen stark abweichenden Einzelfalls geschuldet oder durch eine globale Ausnahmesituation wie die Coronavirus-Pandemie bedingt. Dementsprechend kann sich die ausführende Fluggesellschaft von der Fluggastentschädigung im Fall der Annullierung (und analog bei großer Ankunftsverspätung19 bzw. erheblicher Abflugvorverlegung) exkulpieren, wenn sie berechtigterweise außergewöhnliche Umstände geltend machen kann;20 für den Fall der Nichtbeförderung gilt dies aber nicht analog, denn eine Überbuchung wird die Fluggesellschaft immer vermeiden können.21 Auch der Zahlungsschuldner kann sich höchst ausnahmsweise dann von der gesetzlich pauschalierten Verzugshaftung exkulpieren, wenn er die Legalfiktion des § 286 Abs. 4 BGB zu widerlegen vermag und somit die Verzugsvoraussetzung nicht gegeben ist, beispielsweise in Fällen wie schwerer Krankheit, höherer Gewalt oder internationaler Zahlungsverkehrsbeschränkung;22 ungenügend wäre ein allgemeiner Verweis des Schuldners auf seine finanzielle Leistungsunfähigkeit, insbesondere infolge misslungener Dispositionen in seinem eigenen Risikobereich.23 3. Mitverschuldensunabhängigkeit Ergänzend ist festzuhalten, dass ein Mitverschulden des Geschädigten, das herkömmlicherweise im Schadensersatzrecht sonst zur Anspruchsminderung führen kann,24 im Rahmen seines Anspruchs auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz unbeachtlich ist.25 Insofern pauschaliert der Gesetzgeber die Haftungsverantwortlichkeit des Schädigers weitestgehend ohne Rücksicht auf das Verhalten des Geschädigten im Einzelfall. Insbesondere wird dem Geschädigten, dem schon von vornherein keine Beherrschung der Leistungsstörungsfolgen mit privaten Vertrags11 – McDonagh, Rn. 29; Urt. v. 17. 9. 2015, C-257/14 – van der Lans, Rn. 36; Urt. v. 4. 5. 2017, C-315/15 – Pesˇková, Rn. 22. Ausführlich Hausmann, Fluggastrechte, S. 247 ff. 19 EuGH, Urt. v. 4. 5. 2017, C-315/15 – Pesˇková, Rn. 20. 20 Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung. 21 Vgl. auch Hausmann, Fluggastrechte, S. 174 f.; Staudinger/Schmidt-Bendun, VersR 2004, 971 (972). 22 Vgl. etwa MüKo-BGB/Ernst, § 286 Rn. 107 ff.; Grüneberg/Grüneberg, § 286 Rn. 33 f.; Staudinger/Feldmann, § 288 BGB Rn. 141 ff.; jeweils m. w. N. 23 BGHZ 107, 92 (101 f.); 197, 21 (42 f.); 204, 134 (140 f.); BGH, WM 1982, 399 (400). Siehe auch die Gesetzesbegründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drs. 14/ 6040, S. 132 re.Sp. 24 Für das deutsche Rechte siehe § 254 BGB; ausführlich Looschelders, Mitverantwortlichkeit des Geschädigten, S. 29 ff. und 116 ff.; zum Unionsrecht Heinze, Schadensersatz, S. 609 ff. 25 Siehe etwa für den Beitreibungskostenbetrag Dornis, ZIP 2014, 2427 (2429 f.); BeckOGK-BGB/ders., § 288 Rn. 81 f.
A. Gesetzlich pauschalierte Haftungsverantwortlichkeit
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oder Marktmitteln in den gesetzlich pauschalierten Fällen zugemutet werden kann, keine Pflicht zur Schadensverhinderung oder -vermeidung auferlegt, die er erst recht nicht erfüllen könnte. Für die Mitverschuldensunabhängigkeit spricht mithin das argumentum a maiore ad minus. Einzige tatbestandliche Einschränkung davon ist bei der Fluggastentschädigung, dass kein Anspruch des Fluggasts auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz besteht, wenn die Leistungsstörung – seine Nichtbeförderung – auf Umständen beruht, die in seiner Person begründet liegen.26 Es handelt sich allerdings um kein Mitverschulden im technischen Sinn. Vielmehr ist dieser Tatbestandsausschluss beispielsweise bei gesundheitlichen oder sicherheitstechnischen Gründen einschlägig, denn dann liegt keine gleich- und massenartige Konstellation vor, auf die die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung zugeschnitten ist. In dieser Konstellation hilft der Staat nicht, denn es liegt kein Versagen privater Vertrags- und Marktmechanismen vor.
III. Privatautonome Möglichkeiten und Grenzen der Abweichung vom gesetzgeberischen Instrument Die Untersuchung zur strengen Haftungsverantwortlichkeit bei gesetzlich pauschaliertem Schadensersatz muss allerdings berücksichtigen, inwiefern es dem Schädiger möglich ist, seine Haftung durch privatautonome Modifikation, durch Regress oder durch Versicherung abzuwenden. Denn soweit ihm dies gelingt, vermindert oder wandelt sich der Pauschalierungseffekt des gesetzgeberischen Instruments. 1. Konsensuale Modifikation und Abbedingung Eine privatautonome Modifikation kann zunächst darin bestehen, dass der Schädiger mit dem Geschädigten vereinbart, zu seinen Gunsten die Höhe der gesetzlich pauschalierten Beträge zu reduzieren, womöglich bis auf null. Dies ist bedenklich, sofern der Schädiger dazu seine Verhandlungs- oder Marktmacht ausnutzt, also dem Gläubiger eine Zustimmung zur Abweichung vom gesetzlichen Regime abnötigt, das den Gläubiger eigentlich schützen sollte. Soweit der Gesetzgeber keine Modifikation oder gar Abbedingung verbietet, ist von der grundsätzlichen Disponibilität der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung im Rahmen der Vertragsfreiheit auszugehen, so wie es etwa bei den §§ 249 ff. BGB anerkanntermaßen der Fall ist.27 Die Zulässigkeit einer solchen Disponibilität kann und muss das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung daher reglementieren. Umgekehrt betrachtet ist es aber den Parteien zu überlassen, ihre Leistungsbezie26 27
Art. 2 lit. j Fluggastrechte-Verordnung. Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. I. 5.; MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 6.
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
hungen und deren Störungen konsensual abweichend zu regeln,28 soweit Vertragsund Marktmechanismen wirken und keine mikro- oder makroökonomische Brisanz der Leistungsstörung besteht. Die Abwägung dieser gegenläufigen Wertungen und Interessen kann dem Gesetzgeber nur mit einem differenzierenden Regime gelingen, wie sich anhand des Leistungsstörungsfalls des Zahlungsverzugs verdeutlichen lässt. Um die gesamtwirtschaftlich wichtige pünktliche Vergütung für Waren- und Dienstleistungen sicherzustellen, beschränkt der Gesetzgeber die Möglichkeit, von seinem Instrument des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes abzuweichen.29 Dies bewirkt insbesondere das oben ausführlich erörterte Abbedingungsverbot des § 288 Abs. 6 S. 1 BGB für die gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen in Bezug auf Entgeltforderung.30 Der Gesetzgeber differenziert nach Zeitpunkt und nach Intensität der Abbedingung, um Vertrags- und Marktmechanismen nicht undifferenziert vorzugreifen, sondern Spielräume zu belassen, in denen keine negativen externen Effekte für den Kapitalfluss im Handel zu befürchten sind. Während „im Voraus“ eine vollständige Abbedingung ausgeschlossen ist, darf „im Nachhinein“ – etwa im Rahmen eines Vergleichs – eine Abweichung vom gesetzlichen Regime erfolgen, da dann Gefahren, die von einer privaten statt hoheitlichen Bewältigung der Leistungsstörungsfolgen ausgehen können, für Dritte und den Wirtschaftskreislauf gering sind. „Im Voraus“ kann das gesetzliche Regime teilweise abbedungen werden, sofern die Abbedingung „im Hinblick auf die Belange des Gläubigers“ nicht „grob unbillig“ ist.31 Denn soweit die privatautonome Abbedingung nicht gegen die gesetzgeberischen Ziele der Schadensersatzpauschalierung verstößt, ist nichts gegen das Wirken der Vertrags- und Marktmechanismen einzuwenden. Schließlich lässt der Gesetzgeber eine Abbedingung der gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen auch zu, wenn es sich um einen Verbraucher-Schuldner handelt;32 dem Verbraucherschutz ist Vorzug gegenüber einer allokationseffizienten pünktlichen Zahlung zu geben. Ein „pauschales“, nicht differenzierendes Verbot der Abbedingung der gesetzlichen Schadensersatzpauschale findet sich hingegen bei der Fluggastentschädigung. Da private Vertrags- und Marktmechanismen aufgrund der faktischen Markt- und Informationsüberlegenheit der Fluggesellschaft praktisch nicht frei zwischen Fluggast und Fluggesellschaft wirken können, erlaubt die geltende FluggastrechteVerordnung so gut wie keine privatautonome Modifikation.33 Daraus erklärt sich das
28
§ 311 Abs. 1 BGB. § 288 Abs. 6 BGB. 30 Siehe Kap. 1 F. I. 2. 31 § 288 Abs. 6 S. 2 a. E. BGB. 32 § 288 Abs. 6 S. 4 BGB. 33 Zur Modifikation der Art und Weise der Erfüllung sowie zum „golden handshake“ bei freiwilligem Nichtantritt eines überbuchten Flugs siehe oben, Kap. 2 G. 29
A. Gesetzlich pauschalierte Haftungsverantwortlichkeit
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gesetzliche Verbot, dass die Fluggastrechte zum Nachteil des Fluggasts nicht eingeschränkt werden dürfen.34 2. Haftungsabwendung durch Regress oder Versicherung Einen ganz anderen Ansatz zur Haftungsabwendung würde die Möglichkeit des Schädigers betreffen, Regress bei Dritten zu nehmen, d. h. dass der gesetzlich Verpflichtete, der an den Geschädigten den Pauschalbetrag leisten musste, Rückforderung beim eigentlich Verantwortlichen nimmt. Sowohl bei der Leistungsstörung des Zahlungsverzugs als auch der Nichtbeförderung etc. ist es sehr wohl denkbar und in der Praxis nicht selten der Fall, dass die Leistungsstörung auf Fehlverhalten Dritter beruht: Beispielsweise kann der Schuldner nicht zahlen, weil er selbst auf ausstehende Zahlungen seiner Kunden wartet, oder die Flugannullierung ist nötig geworden, weil die Angestellten in einem „wilden Streik“ ihre Arbeit niedergelegt haben. In solchen Konstellationen liegt der Gedanke nahe, die eigentlich verantwortlichen Dritten (Kunden oder Angestellte) in Regress zu nehmen.35 Allerdings erwächst aus dem Regime des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes keine Anspruchsgrundlage, mit deren Hilfe die möglichen Drittschuldner in Regress genommen werden könnten, ganz abgesehen von einer Pauschalierung dieser Rückgriffshaftung. Dies gilt selbst im Fall der Fluggastrechte-Verordnung, die nur klarstellt, dass die Fluggesellschaft Regress nehmen kann,36 also ihr diese Möglichkeit unbenommen bleibt – sofern sie gemäß einer anderweitigen Anspruchsgrundlage besteht.37 Der Gesetzgeber pauschaliert jedoch nur den Schadensersatz für die Leistungsstörung, die erhebliche mikro- und makroökonomische Nachteile mit sich bringt und mit privaten Vertrags- und Marktmechanismen unbeherrschbar ist, am Ende einer Leistungskette. Innerhalb der Leistungskette bleibt es privaten Vertragsund Marktmechanismen überlassen, die individuell-konkreten Schäden nach herkömmlichem Schadensersatzrecht auszugleichen. Die einzig andere verbleibende Möglichkeit für den Schädiger, seine gesetzlich pauschalierte Haftung abzuwenden oder zumindest abzumildern, könnte darin gesehen werden, dass er sich dagegen versichert. Eine Versicherung wird als Mechanismus des kollektiven Schadensausgleichs gesehen,38 d. h. der Schädiger würde gegen eine Prämie den Pauschalbetrag auf viele Schultern abwälzen. Zu denken ist hier nicht etwa an Kredit-/Zahlungsausfallversicherung des Zahlungsgläubigers oder Reiseversicherungen des Fluggasts, sondern schlichtweg an die allgemeine 34
Art. 15 Fluggastrechte-Verordnung. Grundsätzlich zu Regresskonstellationen vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 10. 36 Art. 13 Fluggastrechte-Verordnung. 37 Beispielsweise nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag; vgl. Lienhard, GPR 2004, 259 (265 f.). Siehe oben, Kap. 2 C. III. 4. 38 Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385 (402 ff.); Katzenmeier, VersR 2002, 1449 ff.; Mohr, JURA 2010, 168 (170); MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 10; Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, S. 108 ff. 35
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
(Betriebs-)Haftpflichtversicherung des schädigenden Schuldners. Insofern stellt aber die Erbringung von gesetzlich pauschaliertem Schadensersatz durch den Versicherungsnehmer keine Besonderheit im versicherungsrechtlichen Sinn dar, denn es kommt vielmehr auf die Versicherungs(vertrags)bedingungen an, nach denen sich die Deckung bzw. Ausschlüsse sowie die entsprechend hoch bemessene Versicherungsprämie richten. Die Höhe der Prämie richtet sich nach der Inanspruchnahme der Versicherung durch den Schädiger, also mittelbar nach dessen schädigendem Verhalten und der – gesetzlich pauschalierten – Leistungshöhe, die die Versicherung im Schadensfall erbringen muss. Die gesetzliche Pauschalierung wirkt also auch im Versicherungsvertragsverhältnis, das dem Schädiger mithin keine echte Haftungsabwendung gewährt.39
B. Gesetzlich pauschalierte Haftungsausfüllung Schadensersatzpauschalierung wirft unter den Gesichtspunkten der Haftungsausfüllung, d. h. der Bemessungen und Formen des ersatzfähigen Schadens, zuvörderst die Frage danach auf, welche Funktionen pauschalierter Schadensersatz erfüllt. Denn die schadensrechtlichen Prinzipien, die es in den folgenden Abschnitten in Bezug auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz zu prüfen gilt, lassen sich nur vor dem Hintergrund der Funktionen des Schadensersatzes als den übergeordneten normativen Zwecksetzungen verstehen. Wie sodann im Einzelnen zu zeigen sein wird, divergiert das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung sehr deutlich von diesen Prinzipien des herkömmlichen Schadensrechts. Aus der Gesamtheit der Betrachtungen ergibt sich eine weitere Bestätigung der besonderen Bedeutung des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung, dessen Erfassung und Verwendung vergleichbar zu einem Paradigmenwechsel gesehen werden kann.
I. Funktionen gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes Dass das Instrument des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes primär dem Ausgleich dient, wie es bei herkömmlichen Schadensersatzansprüchen der Fall ist, steht zu vermuten; angesichts der Pauschalierung ist es aber auch keine Selbstverständlichkeit und bedarf eines genaueren Blickes. Zu zeigen ist auch, dass dem gesetzlich pauschalierten Schadensersatz trotzdem ebenso wenig eine Straffunktion innewohnt wie anderen Schadensersatzansprüchen. Hervorzuheben ist aber die deutliche Besonderheit, dass der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz aufgrund
39 Zum Einfluss der Versicherung auf die Präventionswirkung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes siehe unten Kap. 6 B. III. 2.
B. Gesetzlich pauschalierte Haftungsausfüllung
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seiner Art und Höhe über den bloßen Ausgleich im Schadensfall hinausgeht, was eine abstrakt-generelle Präventionsfunktion nahelegt. 1. Ausgleichsfunktion und Präventionsfunktion Sowohl im deutschen als auch im europäischen Schadensrecht steht die Ausgleichsfunktion (Kompensationsfunktion) von Schadensersatz an erster Stelle, d. h. die vom Geschädigten erlittenen Einbußen sollen ausgeglichen werden.40 Der Umfang des im konkreten Einzelfall zu leistenden Ausgleichs hängt gewöhnlich von der Haftungsnorm ab, die den Schadensersatzanspruch begründet, da die auszugleichenden Einbußen dadurch bestimmt werden.41 Denn Schadensausgleich im Sinne der Restitutionslehre der Schule von Salamanca42 ist Ausfluss des Privatrechtsprinzips der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa), wie sie grundlegend von Aristoteles als dikaion epanorthotikon beschrieben wurde.43 Bezogen auf gesetzliche Haftungsnormen, die zugleich den Schadensbetrag pauschaliert vorgeben, lässt sich diese Ausgleichsfunktion bejahen – dies gilt sowohl hinsichtlich des gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatzes44 als auch hinsichtlich der Fluggastentschädigung.45 Ausgeglichen werden durch § 288 BGB und Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung die negativen externen Effekte in Form der Opportunitätskosten und Transaktionsmehrkosten, die beim Zahlungsgläubiger bzw. Fluggast infolge der unpünktlichen Zahlung bzw. Flugbeförderung typischerweise anfallen. Wichtig zu bedenken ist dabei zum einen, dass es sich bei den gesetzlichen Schadensersatzpauschalierungen nur um Mindestbeträge handelt und weitergehen-
40 Für das deutsche Schadensrecht siehe Mot. bei Mugdan II, S. 17 f.; Esser/Schmidt, SchuldR AT I/2, § 30 II; Jansen, JZ 2005, 160 (162); Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III 2; Larenz, Schuldrecht I, § 27 I; MüKoBGB/Oetker, § 249 BGB Rn. 8; Thüsing, Schadensberechnung, S. 15 f. Für das Unionsrecht siehe EuGH, Urt. v. 3. 2. 1994, C-308/87 – Grifoni, Rn. 40; Heinze, Schadensersatz, S. 539 ff.; Jansen, JZ 2005, 160 (163); Magnus, in: Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles), Contract II, Art. 8:402 Rn. 5; Wissink, in: Koziol/Schulze, Tort Law of the European Community, Rn. 15/13; Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, S. 95 f.; ders./Heinze, in: Schulze, Compensation of Private Losses, S. 53 ff. 41 Vgl. Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 36 f. 42 Siehe dazu HKK-BGB/Jansen, §§ 249 – 253 BGB Rn. 17 ff. 43 Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 118 f. m. w. N. 44 Zum heutigen Recht siehe BT-Drs. 14/1246, S. 10 f.; BGH, Urt. v. 26. 6. 2019 – VIII ZR 95/18, Rn. 34 (juris); BeckOK-BGB/Lorenz, § 288 Rn. 1. Grundlegend schon Grotius, De iure belli ac pacis 2.12.22, S. 353 f., Ausgabe Leiden 1939 (Nachdruck Aalen 1993), zitiert nach Harke, Schuldnerverzug, S. 65 und 69. 45 EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon, Rn. 52; Urt. v. 23. 10. 2012, C-581/10 – Nelson, Rn. 74; BeckOK-Fluggastrechte/Maruhn, Art. 7 Rn. 1 ff.; BeckOGK-Fluggastrechte/ Steinrötter, Art. 7 Rn. 65 und 71.
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
der Schadensersatz zum vollständigen Ausgleich geltend gemacht werden kann.46 Das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung kann und soll nur die typischen Einbußen ausgleichen, die unabhängig von der Person des Geschädigten anzunehmen sind. Die dafür gesetzlich pauschalierten Beträge orientieren sich, wie gezeigt werden konnte,47 quantitativ an den üblicherweise entstehenden Einbußen: die Einbußen der Zwangskreditgewährung (bemessen durch das Marktniveau für Kreditzinsen) und der Beeinträchtigung der Disponibilität über die Lebenszeit des Fluggasts (bemessen durch value of time). Bei diesen abstrakt-generellen Mindestpauschalbeträgen des Gesetzgebers können und müssen solche Umstände unberücksichtigt bleiben, die beispielsweise mit dem Beruf des Geschädigten zusammenhängen. Es ist für die beeinträchtigte Disponibilität über die Lebenszeit (nicht Arbeitszeit!) des Fluggasts unerheblich, ob er Schüler oder Unternehmensberater ist; ebenso ist es für die Verzugszinsbemessung auf Grundlage des Marktzinsniveaus (nicht auf Basis der persönlichen Kreditwürdigkeit!) unerheblich, ob der Zahlungsgläubiger ein Sozialhilfeempfänger ist oder ob es sich um einen solventen Großkonzern handelt. Aufgrund dieser „Mindest-Konstruktion“ kann es dem gesetzgeberischen Instrument der Schadensersatzpauschalierung überhaupt gelingen, nachvollziehbare Fixbeträge für die Kompensation in den gleich- und massenartigen Leistungsstörungsfällen vorzugeben, für die es gedacht ist. Es ist sozusagen eine „Minimallösung“, nur Mindestbeträge gesetzlich zu pauschalieren. Zum anderen ist nicht zu verkennen, dass die gesetzlich pauschalierten Beträge im Einzelfall auch überkompensatorisch sein können. Selbst die Mindestbeträge sind „mehr als genug“, wenn der im Einzelfall konkret eingetretene und auszugleichende Schaden geringer ist. Nehmen Private eine solch überkompensatorische Pauschalierung in AGB vor, erklärt sie der Gesetzgeber für unwirksam.48 Soweit aber der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz über den bloßen Ausgleich hinausgeht, ist dies kein Zeichen einer fehlerhaften, selbstwidersprüchlichen Bemessung durch den Gesetzgeber. Vielmehr wird deutlich, dass der Gesetzgeber mit seinem Instrument der Schadensersatzpauschalierung auch andere Funktionen erfüllt als den reinen Ausgleich: Mit dem gesetzgeberischen Instrument kann die Präventionsfunktion des Schadensersatzes gezielt eingesetzt werden, um den Ursachen und Folgen der Leistungsstörung entgegenzuwirken, die gleich- und massenartig auftritt und mit privaten Mitteln nicht beherrschbar ist. Mit Blick auf die Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes wird die Ausgleichsfunktion um die Präventionsfunktion zum Zweck der Vermeidung der mikro- und makroökonomisch signifikanten Nachteile ergänzt. Dass es dem Gesetzgeber tatsächlich gelingt, in diesem präventiven Sinn auf das Verhalten des potenziellen Schädigers (und auch des Geschädigten bei der Anspruchsdurchsetzung) einzuwirken, wird im Kapitel 6 eingehend mit rechtsökonomischer Methodik dargelegt werden. 46 47 48
§ 288 Abs. 4 BGB; Art. 12 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung. Siehe oben, Kap. 1 E. I. 1. und 3. sowie Kap. 2 E. I. 2. § 309 Nr. 5 lit. a BGB.
B. Gesetzlich pauschalierte Haftungsausfüllung
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2. Abgrenzung zur Straffunktion und zu punitive damages Trotz gelegentlicher Überkompensation zwecks Prävention kann dem gesetzlich pauschalierten Schadensersatz aber keine Straffunktion attestiert werden. Dies gilt auch, soweit die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung auf Unionsrecht beruht, das nicht nach Strafe, sondern nur nach Abschreckung strebt.49 Bloß weil jeder (effektiven) Strafe auch Abschreckung zukommt, kann man umgekehrt nicht von Abschreckung auf Strafe schließen. Auch liegt es fern anzunehmen, es handle sich um gesetzlich vorgegebene Privatstrafen.50 Gerade dem Gesetzgeber stehen die Mittel des Straf- und öffentlichen Rechts für nötige Sanktionen zur Verfügung, die vom Schadensersatz zu unterscheiden sind.51 Letztlich sind gesetzliche Schadensersatzpauschalen auch nicht derart hoch bemessen, dass man annehmen könnte, sie würden sämtliche makroökonomischen Kosten der Allgemeinheit abdecken und auf den Schädiger erdrückend wirken, wie es von Strafschadensersatz zu erwarten wäre;52 vielmehr steht der Ausgleich der mikroökonomischen Kosten des Geschädigten im Vordergrund und bezweckt eine Internalisierung aufseiten des Schädigers („Einpreisung“) der negativen externen Effekte, die der Geschädigte typischerweise erleidet.53 Anders als Strafe wird Schadensersatz – auch in gesetzlich pauschalierter Form – von Privaten gegenüber Privaten geltend gemacht, nicht vom Staat, nicht unter Berufung auf das staatliche Strafmonopol und nicht, wie im Fall von Geldstrafen, zugunsten der Staatskasse. Sofern man diese Argumente noch nicht hinreichend überzeugend finden würde, lohnt es sich, auf einer tieferen Ebene zu hinterfragen, warum Strafschadensersatz abgelehnt wird. Wenn man sagt, dem deutschen Recht ist Strafschadensersatz fremd,54 meint man im Kern normativ, deutsche Gerichte sollen keinen Strafschadensersatz zusprechen. Dafür sprechen gute Gründen, jedoch treffen sie nicht auf die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung zu, denn es ist wie folgt zu differenzieren:
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Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, S. 104 ff. Ferner Wagner, AcP 206 (2006), 352 (402); Wurmnest/Heinze, in: Schulze, Compensation of Private Losses, S. 58 f. Vgl. auch Remien, in: ders., Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 370. Rechtsvergleichend v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, Rn. 608 ff. 50 Zur Unterscheidung von Schadensersatzpauschalen und Vertragsstrafen schon BGHZ 49, 84 (89); BGH, NJW 1970, 29 (31 f.). Siehe auch Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, S. 55 ff., 63 ff. und 145 ff. sowie insbes. S. 179 ff. Ferner Beuthien, in: FS Larenz, S. 495 ff. 51 Dies wird auch im Common Law betont, vgl. Burrows, in: Birks, Wrongs and Remedies, S. 160 ff. 52 Vgl. Coffee, Yale Law Journal 101 (1992), 1875 (1884). 53 Für den Zahlungsverzugsschadensersatz vgl. Brand, Internationale Zinsrecht, S. 20. Für die Fluggastentschädigung vgl. Erwgr. 2 Fluggastrechte-VO; EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C402/07 – Sturgeon, insbes. Rn. 52 und 65. 54 Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III 2 d; Thüsing, Schadensberechnung, S. 18 ff. Ferner Göthel, AcP 205 (2005), 36 ff. bezogen auf das Schmerzensgeld; Hoeren, MMR 2003, 299 (301) für das Immaterialgüterrecht.
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
Historisch wird Strafschadensersatz als Relikt des Gradationssystems abgelehnt,55 demzufolge bei der Haftungsausfüllung der zu ersetzende Betrag von der Schuld des Schädigers abhing. Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung ist jedoch das genaue Gegenteil des Gradationssystems, denn der gesetzlich vorherbestimmte zu ersetzende Betrag hängt überhaupt nicht vom Einzelfall ab, geschweige denn von der Schuld des Schädigers. Zweitens spricht gegen zivilgerichtlich zuerkannten Strafschadensersatz, dass die strafprozessualen Verfahrensgarantien übergangen würden, insbesondere der Grundsatz nulla poene sine lege scripta et certa.56 Auch diese Sorge trifft auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz aber nicht zu, denn die gesetzliche Pauschalierung genügt mustergültig dem Gesetzesvorbehalt im Sinne von lex scripta und die gesetzliche Pauschalierung stellt größtmögliche Bestimmtheit im Sinne von lex certa sicher. Damit erledigt sich drittens auch die Befürchtung, namentlich Franz Bydlinskis,57 es gebe keine Beschränkungen für Strafschadensersatz, denn dies mag zwar bei der gerichtlichen Einzelfallentscheidung zu fürchten sein, jedoch nicht beim gesetzlich pauschalierten Schadensersatz. Viertens und letztens bleibt damit nur die rechtspolitische Besorgnis, jedwede Annäherung an Strafschadensersatz im deutschen Recht würden den Dammbruch bedeuten, weil dann die Anerkennung US-amerikanischer strafender Schadensersatzurteile, in denen punitive damages zuerkannt werden,58 nicht mehr aus Gründen des ordre public abgelehnt werden könnte.59 Die Grundidee der punitive damages liegt wie oben benannt zwar darin, überhöhten „Schadensersatz“ zu Zwecken der Spezial- und Generalprävention zu gewähren.60 Allerdings wird die Höhe des strafenden Ersatzbetrages ins Ermessen des jeweils erkennenden Gerichts gestellt, d. h. sie hängt von der Einzelfallentscheidung der jury ab.61 Die US-amerikanischen Zivilgerichte können durch diese drastisch, individuell und weit über den zum Ausgleich erforderlichen Bedarf hinaus bemessenen Beträge schädigendes Verhalten abstrafen. Dies ist beim gesetzlich pauschalierten Schadensersatz gerade nicht 55
Mot. bei Mugdan II, S. 17 f.; siehe ferner oben, Kap 4. B. III. 3. Art. 103 Abs. 2 GG. 57 Bydlinski, AcP 204 (2004), 309 (345). 58 Zu punitive damages vgl. die Rechtsprechung des US-amerikanischen Supreme Court: BMW of North America. v. Gore, 517 U.S. 559 (1996); Cooper Industries, Inc. v. Leatherman Tool Group, Inc, 532 U.S. 424 (2001); State Farm Mutual Automobile Insurance Company v. Campbell et al., 538 U.S. 408 (2003); Philip Morris USA v. Williams, 549 U.S. 346 (2007); Exxon Shipping Co.v. Baker, 554 U.S. 471 (2008). 59 Vgl. BGHZ 118, 312; Koch, NJW 1992, 3073 ff.; Mörsdorf-Schulte, Funktion und Dogmatik US-amerikanischer punitive damages. S. 13 ff.; Schack, ZZP 106 (1993), 104 ff. 60 Vgl. Colby, Minnesota Law Review 87 (2003), 583 ff.; Owen, Villanova Legal Review 39 (1994), 363 (373 f.); Sebok, Chicago-Kent Law Review 78 (2003), 163 ff.; ausführlich Sunstein et al., Punitive Damages. 61 Meurkens, Punitive damages, S. 65 ff.; Sunstein et al., Punitive damages, S. 109 ff. 56
B. Gesetzlich pauschalierte Haftungsausfüllung
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der Fall, denn die Beträge sind im Voraus und allgemeingültig festgelegt und orientieren sich grundsätzlich an den typischen Einbußen, die es auszugleichen gilt. Besonders deutlich wird der Unterschied mit Blick auf die Höhe der Beträge, die die schlichte Präventionsfunktion des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes einerseits und die Straffunktion der punitive damages andererseits belegen: Die vom deutschen und europäischen Gesetzgeber vorgegebenen Schadensersatzpauschalen von 40 Euro für die Beitreibungskosten oder bis zu 600 Euro für die Fluggastentschädigung sind so fernab vom oben angeführten Beispiel der beispielsweise 2,7 Millionen US-Dollar, welche als punitive damages gegen McDonald’s wegen eines zu heiß servierten und von der Kundin verschütteten Kaffees verhängt wurden.62 Daher unterminiert gesetzliche Schadensersatzpauschalierung keineswegs den deutschen ordre public, der zurecht vor gerichtlich exorbitant bemessenem Strafschadensersatz schützen soll. 3. Schlussfolgerungen Mithin lässt sich sowohl mit Blick auf die beiden untersuchten Vorschriften des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes als auch abstrahierend für gesetzlich pauschalierten Schadensersatz als gesetzgeberisches Instrument festhalten, dass an erster Stelle die Ausgleichsfunktion steht. Gesetzlich pauschalierte Schadensersatzbeträge orientieren sich am Mindestmaß der auszugleichenden Einbußen, die im normativen Kontext ersatzfähig sein sollen. Andererseits kann gesetzliche Schadensersatzpauschalierung ihre Hauptfunktion des Ausgleichs übererfüllen und aus dem bestehenden Funktionsgefüge des Schadensrechts ausbrechen. Soweit die vorhandenen Regelungen wie auch künftige Neuregelungen über den Ausgleich hinausgehen und damit eine Präventivfunktion erfüllen, ist dies ein besonderes Charakteristikum gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes gegenüber gewöhnlichen Schadensersatz-Anspruchsgrundlagen, das sich der Gesetzgeber bei der Wahl dieses Instruments bewusst zu Nutze machen kann und sollte. Dabei handelt es sich nicht um Strafschadensersatz; jedenfalls aber treffen die Befürchtungen, die gegenüber gerichtlich zuerkanntem Strafschadensersatz bestehen, nicht auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz zu.
II. Abweichung von natürlichem Schadensbegriff und Differenzhypothese zugunsten überwiegend normativer Schadensbestimmung Bezugspunkt der Ausgleichs- und Präventionsfunktionen ist der Schadensbegriff, d. h. das grundlegende Verständnis davon, was unter dem ersatzfähigen Schaden zu 62 Stella Liebeck v. McDonald’s Restaurants, P.T.S., Inc. and McDonald’s International, Inc. (N.M. Dist. Ct. Aug. 18, 1994).
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
verstehen ist. Während es für gewöhnlichen Schadensersatz daher entscheidend auf die Frage ankommt, wie der ersatzfähige Schaden nach etabliertem Begriffsverständnis zu bestimmen ist, auf dessen Ersatz sodann Anspruch besteht, stellt sich beim Instrument der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung, das bereits eine eindeutige Bezifferung vornimmt, hingegen die hier zu beleuchtende Frage, inwiefern die Bezifferung dem etablierten Schadensbegriff entspricht oder von ihm divergiert. 1. Grundlagen des Schadensbegriffs Obwohl und auch weil dem Schadensbegriff eine so starke konstitutive Bedeutung im herkömmlichen Schadensersatzrecht zukommt, fehlt es an einer allgemeinen gesetzlichen Bestimmung im deutschen Recht.63 Für den Schaden (oder das „verletzte Interesse“ in gemeinrechtlicher Terminologie64) hat sich in Ermangelung der gesetzlichen Regelung ein dualistisches Begriffsverständnis herausgebildet: natürlich und normativ.65 Schaden ist zunächst jede unfreiwillige Einbuße an materiellen oder immateriellen Gütern infolge eines bestimmten Ereignisses (natürlicher Schadensbegriff).66 Auch auf Ebene des Unionsrechts wird, soweit dort Versuche einer autonomen Definition unternommen werden, ein ähnlicher und grundsätzlich weiter natürlicher Schadensbegriff angenommen.67 Der natürliche Schaden wird mittels der Differenzhypothese, die auf Mommsen zurückgeht und auch im Unionsrecht herangezogen werden kann, ermittelt: miteinander verglichen werden die beiden Lagen, in denen sich die Güter des Geschädigten nach dem Eintritt des schädigenden Ereignisses tatsächlich befinden bzw. hypothetisch befunden hätten, wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten.68 Dieses noch wertneutrale Verständnis wird sodann eingeschränkt oder erweitert, um aufgrund normativer Wertungsentscheidungen Schäden für (nicht) ersatzfähig zu
63 Vgl. dazu Mot. bei Mugdan II, S. 19. Anders etwa in Österreich, siehe die Legaldefinition in Art. 1293 S. 1 ABGB: „Schade heißt jeder Nachtheil, welcher jemanden an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefüget worden ist.“ Siehe auch Schlechtriem, ZEuP 1997, 232 ff. 64 Vgl. Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 11 Nr. 5a. 65 Siehe etwa Brand, Schadensersatzrecht, § 2 Rn. 1 und 8 ff.; Brüggemeier, Haftungsrecht, § 9 II 1 und 2; Honsell/Harrer, JuS 1991, 441 (442 f.). 66 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 1 I und III 1; Larenz, Schuldrecht I, § 27 II a; MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 17. 67 Heinze, Schadensersatz, S. 127 ff.; Oskierski, Schadensersatz im Europäischen Recht, S. 74 ff. und 84; Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, S. 224 ff. 68 Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht, 2. Abteilung, S. 3; dazu Honsell, JuS 1973, 69 ff. Siehe heute etwa Grüneberg/Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 9 f.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 1 III 4 und § 6 I; MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 18 f.
B. Gesetzlich pauschalierte Haftungsausfüllung
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erklären (normativer Schadensbegriff).69 Ähnliches gilt wiederum für das Unionsrecht, das entsprechende Begrenzungen des Schadensbegriffs kennt.70 2. Verhältnis der gesetzlichen Pauschalierung zu natürlichem Schadensbegriff und Differenzhypothese Bezogen auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz ist es zwar nicht nötig, konstitutiv den grundsätzlich ersatzfähigen Schaden als Differenz der Güterlagen zu ermitteln. Es gelingt dennoch, die gesetzlichen Pauschalen für den (Mindest-) Schadensersatz zu den typischen Differenzen der Güterlagen ins Verhältnis zu setzen, die in den Fällen der gleich- und massenartigen Leistungsstörung vorliegen; betragsmäßig kommen die typischen Differenzen der Güterlagen den gesetzlichen Pauschalen nahe. Damit lässt sich zeigen, dass sich der Gesetzgeber mit seinem Instrument der Schadensersatzpauschalierung im Ergebnis nicht grundsätzlich vom etablierten Schadensbegriff entfernt, sondern ihn durchaus zu wahren sucht. Mithin ist das gesetzgeberische Instrument weitaus weniger disruptiv für das herkömmliche Schadensrecht, als man es ihm unterstellen könnte. Bei Zahlungsverzug ist der Vergleich zwischen pünktlicher und unpünktlicher Zahlung zu ziehen, d. h. die zu ersetzende Differenz beziffert die Opportunitätskosten der Zwangskreditgewährung für die Zwischenzeit.71 Diese Opportunitätskosten sollen mit dem Verzugszins und ggf. Beitreibungskostenbetrag kompensiert werden, wie es ausdrücklich in der Gesetzesbegründung angeführt ist, die die „gewöhnlich anfallenden Refinanzierungskosten sowie den Bearbeitungsaufwand der Bank“ als Grundlage für den Aufschlag auf den Basiszinssatz sieht.72 Dies ist auch nach allgemeiner Einschätzung eine angemessene Bezifferung der Differenz, weil es eine weitgehende Annäherung an die tatsächlichen Gegebenheiten des Zahlungsverzugsschadens darstellt.73 Gleichermaßen wird hinsichtlich des Beitreibungskostenbetrags vonseiten der mittelständischen Wirtschaft bestätigt, dass sich eine Differenz durch den Beitreibungsaufwand in Form von Kommunikations- und Personalkosten im Wert von 40 Euro ergibt, wenn ein Schuldner in Verzug gerät.74 69 BGHZ (GS) 98, 212 (217 f.); BGH, VersR 2013, 1181 (1182 f.); Dreier, Kompensation und Prävention, S. 31 m. w. N.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 1 I 9. 70 Heinze, Schadensersatz, S. 128. 71 Vgl. zu den Verzugszinsen BAGE 97, 150 Rn. 29 ff., Lein, Verzögerung der Leistung, S. 357 ff. Entsprechend zum Beitreibungskostenbetrag Dornis, ZIP 2014, 2427 (2429); NKBGB/Schulte-Nölke, § 288 Rn. 16; Spitzer, MDR 2014, 933 (938 f.). PWW/Kramme, § 288 Rn. 9. 72 BT-Drs. 11/5462, S. 26. 73 Vgl. Gsell, NotBZ 2000, 178 (184); Medicus, DNotZ 2000, 256 (259). 74 Vgl. so ausdrücklich die Stellungnahme des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft – Unternehmerverband Deutschland e. V. (BVMW) zum Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, 11. 3. 2014, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Ge setzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2014/Downloads/03112014_Stellungnahme_BVMW_ RefE_Bekaempfung_Zahlungsverzug_Geschaeftsverkehr.pdf.
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
Bei der Fluggastentschädigung ist der Vergleich zwischen der „Lebenslage“ bei (einigermaßen pünktlicher) Beförderung gegenüber Nichtbeförderung etc. vorzunehmen.75 In diesen Leistungsstörungsfällen auf der Kurzstrecke sind für bis zu zwei Stunden Verspätung die nach Art. 7 Abs. 2 lit. a Fluggastrechte-Verordnung vorgesehenen 125 Euro angemessen, wenn man als value of time angemessene 60 Euro pro Stunde für die Differenzberechnung zugrunde legt.76 Sowohl beim Zahlungsverzugsschadensersatz als auch bei der Fluggastentschädigung kann und soll die gesetzliche Pauschale nur Mindestschadensersatz sein, wie oben erörtert. Nur in diesem Umfang kann es dem Gesetzgeber mithin gelingen, die typischen Differenzen der Güterlagen zur Grundlage seiner abstrakt-generellen Pauschalierungen zu machen. 3. Normative Schadensbestimmung durch den Gesetzgeber Die gesetzlichen Schadenspauschalen weichen vom natürlichen Schadensbegriff und seiner Differenzhypothese allerdings insofern normativ ab, als die gesetzlichen Pauschalen die typischerweise erwartbaren Schadensbeträge übersteigen. Zum einem kann (und muss) nicht mit Gewissheit festgestellt werden, dass die Pauschalen den typischen Differenzen stets und tatsächlich entsprechen, und zum anderen gehen die Pauschalen auch bewusst über die Differenzen hinaus, wie die höheren Beträge beim Zahlungsverzugsschadensersatz77 und bei der Fluggastentschädigung78 belegen. Jedenfalls insofern handelt es sich um Beträge, die als normativer Schaden zu verstehen sind. Ein normativer Schaden wird traditionell im Schadensrecht dort als ersatzfähiger Schaden anerkannt, wo jemand die ökonomischen Folgen eines widerrechtlichen Handelns erleidet, die er billigerweise nicht hinzunehmen hat.79 Dies entspricht der hier vertretenen Erklärung für das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung, dass es nämlich vom Gesetzgeber für Fälle der Leistungsbeziehungen eingesetzt wird, die besonders anfällig für gleich- und massenartige Störungen sind, und dass der Gesetzgeber zu diesem Instrument greift, weil die Folgen besonders kritisch und nicht mit privaten Vertrags- und Marktmechanismen beherrschbar sind. Gleichermaßen lässt sich dies auch mit den Mitteln der ökonomischen Analyse des Rechts so formulieren, dass gesetzlich pauschalierter Schadensersatz dazu dient, aufseiten des Schädigers die negativen externen Effekte der 75
Vgl. EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon, insbes. Rn. 52 ff. und 65 ff. Cook/Tanner, Report „European airline delay cost“, S. 63; U.S. Department of Transportation, Departmental Guidance on Valuation of Travel Time in Economic Analysis, S. 19; Wardman/Chintakayala/de Jong, Transportation research (Part A) 94 (2016), 93 (106). 77 § 288 Abs. 2 BGB (neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz). 78 Art. 7 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung (keine Halbierung der Beträge des Abs. 2). 79 Vgl. BGHZ (GS) 98, 212 (217 f.); BGH, VersR 2013, 1181 (1182 f.); Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 1 II 9. Ferner Thüsing, Schadensberechnung, S. 12 f. 76
B. Gesetzlich pauschalierte Haftungsausfüllung
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Leistungsstörung zu internalisieren, die der Geschädigte erleidet und anderweitig nicht vermeiden oder abwenden kann. 4. Schlussfolgerungen Gesetzlich pauschalierter Schadensersatz ist mithin so zu verstehen, dass er vom natürlichen Schadensbegriff zugunsten eines überwiegend normativen Schadensbegriffs abweicht. Darin kommt zum Ausdruck, dass sich die gesetzliche Schadensersatzpauschale im Grundsatz zwar durchaus an der typisierten Vermögensdifferenz orientiert, wie es die Ausgleichsfunktion erfordert, aber dass der Ersatz darüber hinaus normativ erweitert wird. Somit lässt sich der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz durchaus mit dem etablierten Verständnis des Schadensbegriffs fassen und zugleich seine Besonderheit erkennen, dass er entsprechend seiner Ausgleichs- und Präventionsfunktionen nicht auf den Ausgleich der natürlichen Differenz durch die Leistungsstörung als Schadensereignis beschränkt ist, sondern in der Tat gerade auch normativ geprägt ist, um darüber hinausgehende Wirkung zu entfalten.
III. Abweichungen von schadensrechtlichen Prinzipien im Einzelnen Ausgehend von den gewonnenen Erkenntnissen zum schadensrechtlichen Funktions- und Begriffsverständnis kann im Folgenden untersucht werden, wie sich gesetzlich pauschalierter Schadensersatz im Einzelnen von den hergebrachten Prinzipien des Schadensrechts abhebt. Zu klären ist, welche Auswirkungen der Einsatz des Instruments der gesetzlichen Pauschalierung von Schadensersatz hat mit Blick auf die Prinzipien der Naturalrestitution/Schadenskompensation, der Differenzierung materieller und immaterieller Schäden, der Totalreparation und des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots. 1. Schadenskompensation statt Naturalrestitution Streng zwischen Naturalrestitution und Schadenskompensation zu unterscheiden, ist ein Sonderweg, den das deutsche Schadensrecht in den §§ 249 ff. BGB eingeschlagen hat.80 Die Konsequenz ist, dass es den Vorrang der Naturalrestitution betont81 (obgleich sich dieser Vorrang in der Praxis nicht immer durchhalten lässt). Im europäischen Rechtsvergleich82 und vor allem im Unionsrecht spielen diese Diffe-
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So bereits Degenkolb, AcP 76 (1890), 1 (5 ff.); ebenso Jansen, JZ 2005, 160 (172). Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 I 2; Larenz, Schuldrecht I, § 28 I; Schiemann, Fortbildung des Schadensrechts, S. 205 ff. 82 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 131 ff. 81
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
renzierung und Priorisierung für gewöhnlich keine Rolle.83 Bedenkt man aber die Bedeutung und die Gründe für die Differenzierung und Priorisierung im deutschen Recht, so ergeben sich daraus Erkenntnisse zur Qualität des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes. Der Vorzug von §§ 249, 250 und 252 BGB besteht darin, dass dem Geschädigten gemäß dem Herstellungsprinzip Naturalrestitution zu gewähren ist, d. h. der entstandene Schaden ist zum Schutz des Erhaltungsinteresses (Integritätsinteresses) zu beheben.84 Die Pflicht zur Naturalrestitution schützt den Geschädigten vor Beeinträchtigung seiner Ressourcenverwendungsplanung.85 Es soll in natura ein (wirtschaftlich) gleichwertiger Zustand zu dem hypothetischen Zustand hergestellt werden, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde.86 Mit seiner Pauschalierung von Schadensersatz in Geld wendet sich der Gesetzgeber aber von einer Schadensrestitution in diesem Sinne ab. Eine Herstellung des Zustands, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses bestünde, ist in den Fällen, in denen der Gesetzgeber sich zur Schadensersatzpauschalierung entschließt, allerdings auch nicht nötig und nicht denkbar. Bei der nicht einigermaßen pünktlichen Zahlung oder Fluggastbeförderung ist die verlorene Zeit unwiederbringlich und sind die damit einhergehenden wirtschaftlichen Nachteile nicht in natura ersetzbar.87 Der Gesetzgeber weicht daher vom Grundprinzip der Naturalrestitution ab und ordnet die Schadenskompensation an, die im deutschen Recht herkömmlicherweise nur nachrangig gilt. Er gewährt dem Geschädigten einen Pauschalbetrag in Geld zum Schutz dessen Wertinteresses.88 Man könnte die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung höchstens insofern noch im Einklang mit der Schadensersatzdogmatik der §§ 249 ff. BGB sehen, als nach § 251 Abs. 1 BGB Schadensersatz in Geld zu leisten ist, „soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist“, wie es in den Fällen des gesetzlichen pauschalierten Schadensersatzes zutrifft. Subsidiär kann man, wenn keine Unmöglichkeit oder kein Ungenügen der Naturalrestitution anzunehmen ist, im gesetzlich pauschalierten Geldersatz immerhin eine Restitution wegen „Verletzung einer Person oder Beschädigung einer Sache“ i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sehen;89 der Gesetzgeber „pauschaliert“ in diesem Sinne also anstelle des
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Heinze, Schadensersatz, S. 583; Oliphant, in: Koziol/Schulze, Tort Law of the European Community, Rn. 11/29. 84 § 249 Abs. 1 BGB; BGH, NJW 1997, 520 f.; Wolter, Prinzip der Naturalrestitution 1985, S. 82. 85 Dazu Brinker, Vermögensschadensersatz, S. 224 ff. 86 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 II 1; Pöggeler, JA 1999, 505 (506). 87 Heinze, Schadensersatz, S. 469 zur Fluggastentschädigung. 88 Vgl. dazu MüKo-BGG/Oetker, § 251 Rn. 4. 89 Vgl. zu § 249 Abs. 2 BGB Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 I 3; ferner Köhler, FS Larenz, S. 349 ff.; ausführlich Picker, Naturalrestitution, S. 9 ff.
B. Gesetzlich pauschalierte Haftungsausfüllung
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Geschädigten dessen Ersetzungsbefugnis90 (bzw. Wahlrecht91) zugunsten einer Schadensersatzart, die jedenfalls funktional der Schadenskompensation entspricht. Anders als die Naturalrestitution ist die Schadenskompensation in Geld aber die einzige Form, die der Gesetzgeber abstrakt-generell im Rahmen seiner Pauschalierung vorschreiben kann, ohne auf individuelle Besonderheiten im Einzelfall eingehen zu müssen. Mit anderen Worten ist nur die Schadenskompensation die taugliche Art des Schadensersatzes für eine gesetzliche Pauschalierung, während die Naturalrestitution nur richterlich angeordnet (oder womöglich von den Parteien für einen konkreten Einzelfall vertraglich pauschaliert) werden kann. Nur eine Kompensation in Geld, d. h. durch Gewährung einer abstrakten, unkörperlichen Vermögensmacht,92 schützt das Wertinteresse für jeden Geschädigten, der von einer Leistungsstörung, für die der Gesetzgeber den Schadensersatz pauschaliert hat, betroffen ist. Geld ist nicht nur das am leichtesten übertrag- und handelbare Gut,93 das jedermann akzeptieren kann, sondern bei der Schadensersatzpauschalierung in Geld baut der Gesetzgeber auf den Nominalwert,94 wenn er Schäden durch einen bestimmten Geldbetrag kompensiert. Die Schadenskompensation erfolgt (jedenfalls) in Höhe der Summe, um die das Vermögen des Geschädigten typischerweise durch das Schadensereignis verringert ist.95 Beim Zahlungsverzugsschadensersatz sind es Zins und Beitreibungskosten für den zwangsweise gewährten Kredit;96 bei der Fluggastentschädigung eine Kompensation der beeinträchtigten Disponibilität über die Lebenszeit.97 Vom Vorrang und Vorzug der Naturalrestitution abzuweichen bedeutet, dass es dem Gesetzgeber mit seiner Pauschalierung von Schadensersatz in bestimmten Leistungsstörungsfällen nicht mehr an erster Stelle um den Ausgleichsgedanken geht, der historisch dem deutschen Schadensersatzrecht zugrunde liegt.98 Zwar mag 90 St.Rspr., BGHZ 5, 105 (109 f.); 63, 182 (184); 121, 22 (26); 154, 395 (397 f.); 169, 263 (268). Ebenso Grüneberg/Grüneberg, § 249 Rn. 5; Staudinger/Höpfner, § 249 BGB Rn. 220; MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 357. 91 So überraschend BGH, NJW 2008, 2430 (2431). 92 Vgl. v. Maydell, Geldschuld und Geldwert, S. 8 ff.; Omlor, Geldprivatrecht, S. 257 ff. 93 Vgl. MüKo-BGB/Grundmann, § 245 Rn. 113. 94 Vgl. BGHZ 61, 31 (38); 79, 187 (194). 95 Brand, Schadensersatzrecht, § 2 Rn. 31 und § 6 Rn. 1 ff. 96 Vgl. Brand, Internationale Zinsrecht, S. 20; BeckOGK-BGB/Dornis, § 288 BGB Rn. 2 f. m. w. N.; auch Wolf, NJW 2015, 1656 (1658). International vgl. Flessner, Mélanges Sturm II, S. 1165 m. w. N. 97 Vgl. EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon, insbes. Rn. 52. Ferner Cook/ Tanner, Report „European airline delay cost“, S. 62; Mackie/Jara-Díaz/Fowkes, Transportation Research (Part E) 37 (2001), 91 (92); U.S. Congress, Joint Economic Committee, Report „Flight delays cost passengers, airlines, and the U.S. economy billions“, S. 4 und A13; U.S. Department of Transportation, Departmental Guidance on Valuation of Travel Time in Economic Analysis, S. 2. 98 Jansen, in: HKK-BGB, §§ 249 - 253, 255 Rn. 19 und 23.
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
die Naturalrestitution oft praktikabler und daher vorzugswürdig sein;99 dies gilt aber gerade nicht für Schadensersatz, der abstrakt-generell pauschaliert ist und sich als prozessökonomisch effizient erweisen soll. Auch nur im Rahmen einer pauschalierten Schadenskompensation ist es vorstellbar und akzeptabel, dass der Gesetzgeber eine Überkompensation vornimmt, um über den Ausgleich hinaus eine Präventivwirkung zu erzeugen. Naturalrestitution wäre hier auch nicht für den Schutz des Geschädigten geeignet, um zu verhindern, dass man sich von ihm „zwangsweise verschafft“, was man haben möchte und freiwillig nicht erhält, und man für den ihm dadurch zugefügten Schaden lediglich kompensationspflichtig wird.100 Denn der Gesetzgeber pauschaliert gerade Schadensersatz für Leistungsstörungsfälle, in denen sich der Geschädigte faktisch eine Schädigung gefallen lassen musste; d. h. Fälle, in denen der Geschädigte keine Wahl und keine Möglichkeit zur Vermeidung oder Verteidigung hatte und in denen die Naturalrestitution eines konkret zu beziffernden Schadens nicht gelingt oder nicht genügt. So handelt es sich bei Zahlungsverzug um „gezwungenes Kreditieren“101 und die Nicht- oder Spätbeförderung wird dem Fluggast aufgezwungen, weil er keine reale Möglichkeit hat, die große Flugdistanz anderweitig rechtzeitig zu überwinden oder – angesichts der faktischen Überlegenheit der Fluggesellschaft – auf eine pünktliche Beförderung mit privaten Mitteln zu drängen. Der Gesetzgeber reagiert in diesen Fällen durch Anordnung der Schadenskompensation und bewirkt damit den Schutz, den die Naturalrestitution nicht leisten könnte. Besonders unrentabel macht er die Leistungsstörung dadurch, dass er die Kompensation übermäßig bemisst, was mit der Naturalrestitution nicht möglich wäre. Mit der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung in Geld kann also mehr für den Schutz des potenziell Geschädigten getan werden und von einer Schädigung abgeschreckt werden. 2. Keine Differenzierung materieller und immaterieller Schäden Klarzustellen ist ferner, wie sich das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung zur Differenzierung von materiellen und immateriellen Schäden (Vermögens- und Nichtvermögensschäden) verhält. Jedenfalls nach deutschem Dogmatikverständnis der Schadenskompensation wäre diese Einordnung wichtig,102 weil immaterielle Schäden herkömmlicherweise nur ersatzfähig sind, soweit dies gesetzlich ausdrücklich bestimmt ist.103 Diese deutsche Zurückhaltung, 99
Brand, Schadensersatzrecht, § 2 Rn. 38. Zu diesem Argument für die Naturalrestitution Brand, Schadensersatzrecht, § 2 Rn. 38 a. E.; ausführlicher HKK-BGB/Jansen, §§ 249 – 253, Rn. 19 und 23. 101 Prot. bei Mugdan II, S. 509. 102 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 I; Schubert, Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 11 ff. 103 § 253 Abs. 1 BGB. 100
B. Gesetzlich pauschalierte Haftungsausfüllung
215
die in Europa und im Unionsrecht104 nicht geteilt wird,105 beruht auf historischen Gründen106 und wird heute als abzuschaffender Anachronismus angesehen.107 Insbesondere auch aus Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts ist es geboten, materielle und immaterielle Schäden gleichermaßen für ersatzfähig zu befinden.108 Dem gesetzgeberischen Instrument der Schadensersatzpauschalierung gelingt die Überwindung dieser mehr problematischen als zweckdienlichen Unterscheidung von materiellen und immateriellen Schäden. Man kann durchaus sagen, es ist gesetzlich bestimmt, dass immaterielle wie materielle Schäden ersetzt werden, soweit sie von der Pauschale erfasst sind.109 Dies lässt sich mit Blick auf die beiden näher untersuchten Regelungen verdeutlichen: Zwar gibt es beim Zahlungsverzug typischerweise nur Vermögensschäden, sieht man von Freizeiteinbußen des Geschädigten infolge der Forderungsbeitreibung ab,110 jedoch dient die Fluggastentschädigung gerade auch der Entschädigung für immaterielle Ärgernisse und Unannehmlichkeiten,111 die mithin für ersatzfähig befunden werden. Darüber hinaus führt die Pauschalierung dazu, dass das naturgemäße Bemessungsproblem beim Ersatz für immaterielle Schäden wegfällt.112 Damit erfüllt das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung die rechtsökonomische Gebotenheit, materielle und immaterielle Schäden unterschiedslos zu ersetzen.
104 Heinze, Schadensersatz, S. 585 ff.; Schubert, Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 424 ff. 105 Vgl. Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, S. 345 ff.; Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, S. 287 ff. 106 Dies waren aristokratische und großbürgerliche Vorbehalte gegen immateriellen Schadensersatz, richterliches Ermessen und Missbrauchspotential; vgl. Mot. bei Mugdan II, S. 22 f.; Prot. II, S. 1247; dazu Katzenmeier, JZ 2002, 1029 (1030); Thüsing, VersR 2001, 285 (286). § 253 Abs. 2 BGB wurde erst durch die Schuldrechtsreform 2002 geschaffen. 107 So ausdrücklich Brand, Schadensersatzrecht, § 7 Rn. 3; ähnlich kritisch Staudinger/ Höpfner, § 253 BGB Rn. 2; Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, S. A65 ff. Siehe schon Stoll, Gutachten zum 45. DJT 1964, S. 125 ff. („legislative Fehlleistung“). 108 Shavell, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics I, S. 173. 109 Erst bei weitergehendem Schadensersatz jenseits der Pauschale (§ 288 Abs. 4 BGB; Art. 12 Abs. 1 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung) kommt es sodann auf die unterschiedliche Ersatzfähigkeit an. 110 Dazu Dornis, WM 2014, 677 (680). 111 Erwgr. 2 Fluggastrechte-VO; EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon, insbes. Rn. 52 und 65; Heinze, Schadensersatz, S. 596 f. Vgl. im Übrigen zum Übereinkommen von Montreal auch EuGH, Urt. v. 6. 5. 2009, C-63/09 – Walz, Rn. 29. 112 Vgl. EuGH, Urt. v. 23. 10. 2012, C-581/10 – Nelson, Rn. 52; Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, S. A66.
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
3. Keine Totalreparation (aber auch keine Verschuldensabhängigkeit) Trotz dieses „ganzheitlichen“ Ersatzes ist fraglich, ob gesetzlich pauschalierter Schadensersatz auf Totalreparation zielt („full/perfect compensation“113). Keine Totalreparation zu gewähren, wäre eine signifikante Abweichung gegenüber den Maßgaben für herkömmlichen Schadensersatz im deutschen Recht,114 aber auch im Unionsrecht,115 wonach der Schadensersatz sämtliche Einbußen des Geschädigten ausgleichen soll, die sich in zurechenbarer Weise aus dem schädigenden Ereignis ergeben haben.116 Gesetzlich pauschalierter Schadensersatz dient zwar dazu, die Folgen des schädigenden Ereignisses aus der Sphäre des Geschädigten (negative externe Effekte) zu tilgen und in diejenige des Schädigers zu überführen (Internalisierung),117 allerdings wird keine vollständige Tilgung und Überführung angestrebt. Dass die gesetzlichen Schadensersatzpauschalen hinter der vollständigen Kompensation zurückbleiben (können), hat jedoch einen guten Grund, denn bei ihnen handelt es sich bewusst nur um Mindestbeträge der Kompensation. Nur Beträge im Umfang typischer Einbußen lassen sich abstrakt-generell pauschalieren; nur insofern vermag pauschalierter Schadensersatz also die Ausgleichsfunktion (teilweise) zu erfüllen, der die Totalreparation dient. Umgekehrt betrachtet ist gesetzlich pauschalierter Schadensersatz allerdings ein wichtiger Beitrag zum Erreichen der Totalreparation, gerade in den einschlägigen Leistungsstörungsfällen, die gleich- und massenartig auftreten, aber mit privaten Vertrags- und Marktmechanismen nicht beherrschbar sind.118 Außerdem versperrt es gesetzlich pauschalierter Schadensersatz nicht, Totalreparation zu erzielen, denn weitergehenden Schadensersatz bis zur Totalreparation kann der Geschädigte mittels anderer Anspruchsgrundlagen erlangen.119 Gesetzlich pauschalierter Schadensersatz kennt auch keine Haftungshöchstsummen, wie sie für Gefährdungshaftungsregelungen üblich sind.120 113 Rothschild, Northwestern University Law Review 77 (1982), 192 ff.; ferner Cooter/ Ulen, Law and Economics, S. 192 und 319. 114 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 818; Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, S. 179. Zur historischen Entwicklung ausführlich Gisawi, Totalreparation, passim. 115 Den Ausgleich in vollem Umfang betonen EuGH, Urt. v. 2. 8. 1993, C-271/91 – Marshall, Rn. 26 und 31 (unter Betonung der Zinsen); Urt. v. 17. 12. 2015, C-407/14 – Camacho, Rn. 33 und 37; Heinze, Schadensersatz, S. 585; Remien, in: ders., Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 370 f. 116 So die Modellvorstellung, vgl. Thüsing, Schadensberechnung, S. 360 ff. 117 Zu dieser Formulierung des Prinzips der Totalreparation siehe Brand, Schadensersatzrecht, § 2 Rn. 32. 118 Vgl. bezogen auf die gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen Rothschild, Northwestern University Law Review 77 (1982), 192 (196 f.), u. a. mit Verweis auf die Leitentscheidung des US-Supreme Court in Miller v. Robertson, 266 U.S. 243, 258 (1924). 119 Zu § 288 Abs. 4 BGB und Art. 12 Abs. 1 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung sowie den Anspruchsgrundlagen siehe oben, Kap. 1 G. und Kap. 2 H. 120 Zu denken ist insbesondere an die Höchstbeträge nach §§ 11 ff. StVG oder § 10 ProdHaftG; zu deren Abgrenzung siehe schon oben im Einführungskapitel, C.
B. Gesetzlich pauschalierte Haftungsausfüllung
217
Obgleich durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz keine Totalreparation angestrebt ist, wahrt gesetzlich pauschalierter Schadensersatz dennoch eine sehr wesentliche, im Prinzip der Totalreparation verdeckt enthaltene Maxime des deutschen und unionalen Schadensrechts. Das Prinzip der Totalreparation liegt historisch darin begründet, dass keine Begrenzung auf die (Schadensersatz-)Leistungsfähigkeit des Schädigers erfolgen soll und keine Rücksicht auf seinen Verschuldensgrad bei der Bemessung der Ersatzleistung zu nehmen ist,121 wie es beispielsweise noch heute im österreichischen ABGB der Fall ist, das dem Gradationssystem folgt.122 Im BGB und Unionsprivatrecht ist ohne Rücksicht auf den Verschuldensgrad Schadensersatz zu leisten.123 Insofern folgt gesetzlich pauschalierter Schadensersatz dem Prinzip der Totalreparation, als es auch für die gesetzliche Pauschalierung den verschuldensgradunabhängigen Haftungsumfang zu begründen vermag. Ganz im Sinne dieser Facette des deutschen Prinzips der Totalreparation, die im Ausland keine Selbstverständlichkeit ist,124 bringt die gesetzliche Pauschalierung besonders deutlich zum Ausdruck, dass der Schädiger für nicht von ihm individuell-konkret vorhergesehene Schäden haftet.125 4. Keine Wahrung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots Spiegelbildlich zum Umstand, dass gesetzlich pauschalierte Schadensersatzbeträge hinter den Beträgen für eine Totalreparation zurückbleiben (können), kann es auch der Fall sein, dass die pauschalierten Beträge das schadensrechtliche Bereicherungsverbot nicht wahren. Das schadensrechtliche Bereicherungsverbot wohnt nicht nur den §§ 249 ff. BGB inne126 und gilt gleichermaßen für die Naturalrestitution wie für die hier vorliegende Schadenskompensation,127 sondern ist auch dem Unionsprivatrecht nicht fremd.128 121
Mot. bei Mugdan II, S. 17 f.; Staudinger/Höpfner, § 249 BGB Rn. 3. Art. 1324 ABGB. 123 Zum deutschen Recht etwa Dreier, Kompensation und Prävention, S. 47 f. Im Unionsrecht beinhaltet ausnahmsweise – soweit ersichtlich – nur die Sortenschutz-Verordnung 2100/94 eine schadensrechtliche Verschuldensabhängigkeit (Art. 94 Abs. 2). 124 Beispielsweise in Frankreich kommt es gem. Art. 1149 ff. Code Civil auf die Vorhersehbarkeit an; vgl. die zugrunde liegenden Theorie von Pothier, Traité des obligations I, Kap. II, Art. III, Rn. 159 ff., aufbauend auf Molinaeus, Tractatus de eo quod interest, in: Opera Omnia, S. 815 ff. Im Common Law siehe Hadley v Baxendale (1854) 9 Ex 341; Czarnikow v Koufos [1969] 1 AC 350. Ausführlicher Lein, Verzögerung der Leistung, S. 427 ff. m. w. N. 125 Vgl. zur Haftung für nicht vorhersehbare Schäden aufgrund des Prinzips der Totalreparation BeckOGK-BGB/Brand, § 249 Rn. 63. 126 Jedenfalls als „Leitprinzip“, vgl. BGH, NJW 2004, 2526 (2529); Staudinger/Höpfner, Vor § 249 Rn. 2; Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III 2 a; MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 20. 127 Brand, Schadensersatzrecht, § 2 Rn. 37. 128 Vgl. Heinze, Schadensersatz, S. 616 f.; Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, S. 242. 122
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
Es postuliert, dass der Ersatz auf die tatsächlich erlittene Einbuße beschränkt sein muss, also entsprechend der Ausgleichsfunktion nicht darüber hinausgehen darf.129 Denn der Geschädigte soll infolge des schädigenden Ereignisses (und dessen Ausgleichs) nicht besser gestellt werden, als er ohne es stünde.130 Beim gesetzlich pauschalierten Schadensersatz bleibt aber der konkrete Umfang der Leistungsstörung und Schädigung außer Betracht, denn sie werden nur in ihrer gleich- und massenartigen Ausprägung betrachtet, sodass im Einzelfall die pauschalierten Ausgleichsbeträge höher sein können als die erlittenen Einbußen. Der Schädiger kann sich auch nicht anderweitig auf das Bereicherungsverbot berufen: Die Entschädigung des Fluggasts darf überhaupt nicht zu dessen Nachteil eingeschränkt werden, da die Fluggastrechte insofern indisponibel sind.131 Auch dem säumigen Zahlungsschuldner ist es nicht gestattet, dem Gläubiger nachzuweisen, es sei nur ein geringerer Schaden entstanden;132 er kann höchstens – in engen Grenzen – eine privatautonome Modifikation der gesetzlichen Pauschalen konsensual mit dem Geschädigten vereinbaren.133 Damit unterscheidet sich der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz erheblich von den gesetzlichen Vorgaben der AGB-Kontrolle, derzufolge eine Schadensersatzpauschalierung von Privaten in AGB unzulässig ist, wenn „dem anderen Vertragsteil nicht ausdrücklich der Nachweis gestattet wird, ein Schaden […] sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale“.134 Das schadensrechtliche Bereicherungsverbot findet im Zusammenhang mit gesetzlich pauschaliertem Schadensersatz nur insofern Beachtung, als bei der Geltendmachung weitergehenden Schadensersatzes eine Anrechnung der Pauschale erfolgt, um weitere übermäßige Vorteile beim Geschädigten zu verhindern.135 Abgesehen von dieser Form der Vorteilsanrechnung setzt sich der Gesetzgeber aber mit seiner Pauschalierung über das Prinzip des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots hinweg. Bleibt im Einzelfall die tatsächliche Einbuße hinter der gesetzlichen Schadensersatzpauschale zurück, liegt eine Überkompensation (Suprakompensation) vor, die für den Geschädigten regelmäßig einen windfall profit/gain im Sinn eines uner-
129
Gregor, Bereicherungsverbot, S. 1 ff. BGHZ 124, 86 (95); 163, 180 (184); 173, 83 (87); BGH, NJW 2001, 673 (674); 2004, 3324 (3325); 2012, 50 Rn. 6; 2014, 535 Rn. 11; 2015, 468 Rn. 20; MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 20. 131 Art. 15 Fluggastrechte-Verordnung. 132 Vgl. BAG, NJW 2001, 3570 (3573); Schimmel/Buhlmann, MDR 2002, 609 (614 f.). 133 Zu § 288 Abs. 6 BGB siehe oben, Kap. 1 F. I. 2. 134 § 309 Nr. 5 lit. b BGB. 135 Für Verzugszinsen vgl. KG, JurBüro 2014, 315 f.; ferner BGH, NJW 2002, 2553 (2556). Für den Beitreibungskostenbetrag siehe § 288 Abs. 5 S. 3 BGB. Für die Fluggastentschädigung siehe Art. 12 Abs. 1 S. 2 Fluggastrechte-Verordnung; dazu ausführlich Heinze, Schadensersatz, S. 486 ff. 130
C. Zwischenergebnis
219
warteten Gewinns darstellt.136 Dies kann allerdings zu Zwecken der präventiven Verhaltenssteuerung geboten sein, denn nur so wird für den potenziellen Schädiger ein Anreiz geschaffen,137 nicht nur nach schädigendem Verhalten genau ausgleichend zu kompensieren, sondern sich von vornherein nicht schädigend zu verhalten, weil dies für ihn signifikant unrentabel wäre – nämlich in Höhe der Überkompensation. Es lohnt sich umgekehrt für den potenziellen Schädiger, diesen Mehrbetrag in zusätzliche Sorgfalt zu investieren, sofern er individuell nicht ausschließen kann, dass sein Verhalten schädigend sein wird.
C. Zwischenergebnis In dogmatischer Hinsicht führt die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung zu erheblichen Abweichungen gegenüber den herkömmlichen Prinzipien des Haftungsund Schadensrechts, sodass man die Qualität und Bedeutung dieses gesetzgeberischen Instruments durchaus mit einem Paradigmenwechsel vergleichen kann. Mit Blick auf die Haftungsverantwortlichkeit ist zusammenfassend festzustellen, dass das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung dazu führt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Kausalität stets und des Verschuldens regelmäßig als gegeben anzusehen sind. Somit wird der Geschädigte davon befreit, einen entsprechenden Nachweis zu erbringen; nur ausnahmsweise kann sich der Schädiger ggf. exkulpieren. Dies sind bereits ganz signifikante Abweichungen vom herkömmlichen deutschen und europäischen Haftungsrecht. Die sich daraus ergebende prozessökonomische Effizienz des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes wird im folgenden 5. Kapitel näher zu untersuchen sein. Möglichkeiten, sich seiner Haftungsverantwortlichkeit zu entziehen, hat der Schädiger in eingeschränktem Maße durch privatautonome Modifikation des gesetzlichen Regimes, soweit es dies zulässt und eine konsensuale Einigung mit dem Geschädigten erfolgt; im Übrigen verbleiben nur Regress- und Versicherungsmöglichkeiten, die von den Besonderheiten der Schadensersatzpauschalierung aber nicht unbeeinflusst sind. Zur rechtsfolgenseitigen Haftungsausfüllung lässt sich konstatieren, dass das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung neben der primären Ausgleichsfunktionen auch der Präventionsfunktion dient, die unten im übernächsten Kapitel 6 noch eingehend zu betrachten sein wird; eine Straffunktion besitzt gesetzlich pauschalierter Schadensersatz, der sich deutlich von US-amerikanischen punitive damages unterscheidet, hingegen nicht. Die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung ist – abweichend vom sonst vorherrschenden natürlichen Schadensbegriff und der Differenzhypothese – geprägt von einer überwiegend 136
Vgl. Dictionary of Economics, 5. Aufl., Oxford 2017, sub windfall gain. Zum windfallProblem von Pauschal(schadensersatz)beträgen vgl. Rea, Journal of Legal Studies 10 (1981), 131 (143); Sharkey, Yale Law Journal 113 (2003), 347 (370 f.). 137 Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, S. A83.
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4. Kapitel: Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
normativen Schadensbestimmung. Dementsprechend sind deutliche Divergenzen von den schadensrechtlichen Prinzipien festzustellen: Anstelle der herkömmlich vorrangigen Naturalrestitution stellt gesetzlich pauschalierter Schadensersatz eine Schadenskompensation dar, aber ohne dass die Ersatzfähigkeit materieller und immaterieller Schäden unterschieden würde. Der Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz zielt zwar nicht auf Totalreparation; die pauschalierte Haftungsausfüllung ist dennoch unabhängig vom Verschuldensgrad. Gesetzlich pauschalierter Schadensersatz wahrt jedoch umgekehrt auch nicht das schadensrechtliche Bereicherungsverbot.
Fünftes Kapitel
Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes Im Anschluss an die gewonnenen materiell-rechtlichen Erkenntnisse zur Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes können im Folgenden die besonderen Wirkungen dieses gesetzgeberischen Instruments analysiert werden. Angesichts der festgestellten Modifikationen der haftungs- und schadensrechtlichen Prinzipien untersucht das vorliegende 5. Kapitel, wie die Geltendmachung und Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, die der Gesetzgeber für bestimmte gleich- und massenartige Leistungsstörungsfälle pauschaliert hat, vereinfacht wird, also der Einsatz dieses gesetzgeberischen Instruments eine prozessökonomische Effizienz bewirkt.1 Das nachfolgende 6. Kapitel wird sich der verhaltenssteuernden Wirkung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes widmen. Die Analyse beginnt mit einer Betrachtung der prozessualen Situation und prozessökonomischen Wirkung gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes in Bezug auf die Darlegungs- und Beweislast. An diese Erkenntnisse knüpfen anschließend sowohl die Untersuchung der besonderen bzw. besonders geeigneten Möglichkeiten zur außergerichtlichen Geltendmachung von gesetzlich pauschalierten Schadensersatzansprüchen sowie die Diskussion ausgewählter Probleme bei der gerichtlichen Durchsetzung mithilfe verschiedener einschlägiger Verfahrensarten an. Abschließend wird auf digitale „smarte“ Möglichkeiten durch legal tech eingegangen, von denen die Geltendmachung gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes im Sinne noch größerer Prozessökonomie profitieren könnte.
A. Vereinfachung der Geltendmachung Als Fundament der prozessökonomischen Wirkung des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung können die für den geschädigten Gläubiger positiven Auswirkungen auf Darlegungs- und Beweislastsituation, die ihm üblicherweise Probleme bereiten können, ausgemacht werden; insofern ist die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung aber auch von dem Anscheinsbeweis und der richterlichen Schadensschätzung abzugrenzen. Die prozessökonomische Effi1 Vgl. etwa Knoll, Texas Law Review 75 (1996), 293 (296); Senechal/Gotanda, Columbia Journal of Transnational Law 47 (2009), 491 (496).
222
5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
zienz, die dem gesetzlich pauschalierten Schadensersatz innewohnt, zeigt sich in besonderem Maße darin, dass es für den Gläubiger genügt, die Eröffnung des Anwendungsbereichs des von ihm beanspruchten gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes darzulegen und ggf. zu beweisen, wohingegen dem Schuldner abverlangt wird, die Darlegung und ggf. den Beweis seiner äußerst beschränkt zugelassenen Exkulpation zu führen. Für den Grad der Prozessökonomie ist darüber hinaus relevant, ob und inwiefern dem Gläubiger ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Schuldner zuzubilligen ist, mithilfe dessen er Klarheit über das (Nicht-)Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen erlangen kann, bevor er den Anspruch rechtshängig macht.
I. Modifikation der Darlegungs- und Beweislast durch die gesetzliche Pauschalierung und Abgrenzung von Anscheinsbeweis und § 287 ZPO Für herkömmliche Ansprüche auf Schadensersatz gilt nach der Rosenberg’schen Formel2 der allgemeine Darlegungs- und Beweislast-Grundsatz, dass der anspruchsstellende Geschädigte als Kläger im Bestreitensfall das Vorliegen der für ihn positiven Anspruchsvoraussetzungen beweisen muss.3 Dies bedeutet, dass er nicht nur das tatbestandliche schädigende Verhalten nachweisen muss, sondern grundsätzlich auch all diejenigen Tatsachen, aus denen sich der Schadenserfolg und der Bedingungszusammenhang sowie die Verantwortlichkeit ergeben.4 Erforderlich ist das hohe Nachweisniveau der überzeugenden Wahrscheinlichkeit, nicht nur der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, welche in manchen ausländischen Prozessordnungen für Schadensersatzklagen genügt.5 Mit der gesetzlichen Pauschalierung von Schadensersatz geht eine weitreichende Modifikation der Darlegungs- und Beweislast zugunsten des Klägers einher. Damit ist allerdings keine Beweislastumkehrung, d. h. die Herbeiführung einer Beweisbedürftigkeit seitens des beklagten Schädigers gemeint.6 Vielmehr entfällt die Beweisbedürftigkeit völlig, sodass vom Kläger kein Beweis erbracht werden muss (vom Beklagten aber auch nicht).7 2
Rosenberg, Beweislast, S. 98 ff. Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 XIII 1; Luckey, in: Handbuch der Beweislast, § 249 BGB Rn. 4; Schmidt, in: Geigel, Haftpflichtprozess, Kap. 36 Rn. 65. 4 Brand, Schadensersatzrecht, § 11 Rn. 12; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 XIII 1; MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 480. 5 Thüsing, ZRP 2001, 126 (129) 6 Beispielsweise wie die Beweislastumkehr nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB; für weitere Beispiele siehe Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 XIII 2. 7 Vgl. zur Beweisbedürftigkeit Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 113 V; Greger, in: Zöller, ZPO, vor § 284 Rn. 10. 3
A. Vereinfachung der Geltendmachung
223
Inwiefern dem Kläger im Einzelnen der Nachweis von Anspruchsvoraussetzungen abgenommen wird und dem Beklagten der „Gegenbeweis“ gestattet wird, soll in den folgenden beiden Abschnitten (II. und III.) beleuchtet werden. Vorwegzunehmen sind zwei Abgrenzungen der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierungswirkung gegenüber Konstellationen, in denen zwar gleichfalls die Beweisbedürftigkeit wegfällt, aber keine gleichermaßen prozessökonomische Effizienz erzielt wird. So gehen die prozessualen Wirkungen der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung zum einen deutlich über die Wirkungen des Beweises des ersten Anscheins (prima facie) hinaus, wie er für bestimmte typische Geschehensabläufe gewohnheits- bzw. richterrechtlich anerkannt ist.8 Zwar gleichen sich gesetzliche Schadensersatzpauschalierung und der Anscheinsbeweis darin, dass in typisierender Weise – beim Anscheinsbeweis mittels eines Erfahrungssatzes9 anstelle eines Rechtssatzes – von einer feststehenden Tatsache auf das Vorliegen einer anderen Tatsache geschlossen wird.10 Allerdings dient der Anscheinsbeweis bei Schadensersatzklagen vor allem dazu, auf das Vorliegen einer Pflichtverletzung zu schließen.11 Der Anscheinsbeweis beschränkt insofern die freie richterliche Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO.12 Hingegen gibt die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung sowohl die haftungsbegründenden Umstände als auch die Kompensationsfolge einer bestimmten Leistungsstörung vor und es verbleibt kein Raum für die richterliche Beweiserhebung und -würdigung im Einzelfall. Der wesentliche Unterschied ist in prozessökonomischer Hinsicht letztlich darin zu sehen, dass der Beklagte den Anscheinsbeweis widerlegen kann, sei es durch Nachweis des Umstands, dass nicht die typische Situation vorgelegen hat, für die der Erfahrungssatz geltend würde, oder dadurch, dass die zwar typische Situation ausnahmsweise einen atypischen Verlauf genommen hat.13 Dies ist dem Beklagten beim gesetzlich pau-
8
BGH, NJW 1997, 528 (529); 2004, 3623 ff.; Greger, VersR 1980, 1091 ff.; ders., in: Zöller, ZPO, vor § 284 Rn. 29 ff.; Hainmüller, Anscheinsbeweis, S. 13 ff.; Kolhosser, AcP 165 (1965), 46 ff.; Luckey, in: Handbuch der Beweislast, § 249 BGB Rn. 5 f.; Walter, ZZP 90 (1977), 270 ff. Ausführlich vgl. etwa Pawlowski, Prima-facie-Beweis bei Schadensersatzansprüchen, S. 4 ff.; Rommé, Anscheinsbeweis, passim. 9 Vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, vor § 284 Rn. 29; Hainmüller, Anscheinsbeweis, S. 13 ff.; Kolhosser, AcP 165 (1965), 46 (47); Rommé, Anscheinsbeweis, S. 7 ff. 10 Vgl. nur Luckey, in: Handbuch der Beweislast, § 249 BGB Rn. 5; MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 492. 11 MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 492; ähnlich Grüneberg/Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 130. 12 BGHZ 100, 31 (34); Greger, in: Zöller, ZPO, vor § 284 Rn. 29a; MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 498; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114 III 3. 13 Vgl. BGHZ 100, 31 (34); BGH, VersR 1995, 723; NJW 2017, 1177 Rn. 11; Greger, in: Zöller, ZPO, vor § 284 Rn. 29; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 XIII 3; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114 III 4.
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
schalierten Schadensersatz nicht möglich, denn die Regelungen sehen nicht die Widerlegung bzw. den Gegenbeweis vor.14 Zum anderen hebt sich die vom Gesetzgeber vorgenommene Schadensersatzpauschalierung deutlich von einer Schadensschätzung durch den Richter gemäß § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO ab, die oben schon in anderem Zusammenhang angesprochen worden ist.15 Mit der richterlichen Schadensschätzung wird zwar aus prozessökonomischen Gründen die Beweislast für den rechtsfolgenseitigen Schadensnachweis soweit ermäßigt,16 dass faktisch die Beweisbedürftigkeit entfällt (jedenfalls sofern nicht nach richterlichem Ermessen eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen ist, § 287 Abs. 1 S. 2 ZPO).17 Denn wie häufig bei den Leistungsstörungsfällen, für die der Gesetzgeber den Schadensersatz pauschaliert, soll auch § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO über prozessuale Probleme hinweghelfen, wenn sich der Schaden nicht exakt ermitteln und berechnen lässt.18 Allerdings mildert § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO die Probleme nur ab und erlaubt, dass ex post im Einzelfall ein Schadensbetrag vom Richter bestimmt wird,19 der vom Kläger substantiiert vorgetragen worden ist20 und den konkreten Umständen angemessen ist;21 eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Schätzung ist unabdinglich.22 Hingegen pauschaliert der Gesetzgeber in Regelungen wie § 288 BGB und Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung die Ersatzbeträge ex ante und abstrakt-generell, ohne dass es auf das Vorliegen eines konkreten Schadens und seine Höhe ankäme.23 Damit erübrigt sich der Schadensnachweis und auch der Richter kann aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls keinen abweichenden Schadensbetrag zusprechen.24 Darüber hinaus besteht ein entscheidender Unterschied darin, dass ge14 Vgl. zum Gegenbeweis Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 111 II 4. Eine Gegenausnahme im Recht des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes bildet insofern § 497 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB aus Verbraucherschutzgründen; dazu oben, Kap. 1 E. I. 4. b). 15 Siehe Kap. 3 E. II. 16 MüKo-ZPO/Prütting, § 287 Rn. 1; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 287 Rn. 1. Zum historischen Hintergrund siehe Gottwald, Schadensschätzung, S. 1 ff. und 37 ff. 17 Vgl. zur Senkung des Beweismaßes Greger, in: Zöller, ZPO, § 287 Rn. 1; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 115 I; Saenger, in: ders., ZPO, § 287 Rn. 14. 18 Zum Telos des § 287 Abs. 1 ZPO vgl. BVerfG NJW 2010, 1870 (1871); Luckey, in: Handbuch der Beweislast, § 249 BGB Rn. 7. 19 Brand, Schadensersatzrecht, § 11 Rn. 19. 20 BGH, NJW 1981, 1454; 2007, 1806 (1808); 2012, 2267 Rn. 9. 21 Vgl. Wortlaut des § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO sowie Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 XIII 4 b. 22 BGHZ 149, 63 (66); BGH, NJW-RR 2002, 166 (167). 23 Siehe nur BeckOGK-BGB/Dornis, § 288 Rn. 1; MüKo-BGB/Ernst, § 288 Rn. 5; Keiler, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 7 Rn. 13; BeckOGK-Fluggastrechte/Steinrötter, Art. 7 Rn. 72. 24 Abgesehen von weitergehendem Schadensersatz jenseits der Pauschalen, § 288 Abs. 4 BGB bzw. Art. 12 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung, dann allerdings aufgrund anderer Anspruchsgrundlage.
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setzliche Schadensersatzpauschalierung zu einer Pauschalierung des gesamten Anspruchs führt, einschließlich der tatbestandsseitigen Haftungsvoraussetzungen.
II. Entbehrlichkeit des Beweises von Anspruchsvoraussetzungen durch den Geschädigten nach Beweis der Anwendungsbereichseröffnung Die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung führt dazu, dass der geschädigte Gläubiger als Kläger keine Beweislast hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen von Schadenshöhe und Kausalität trägt, wie es sonst bei § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB der Fall wäre.25 Um in den Genuss dieser Vorteile der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung zu kommen, muss der Kläger im Bestreitensfall lediglich beweisen, dass die Umstände vorliegen, die für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung nötig sind. Wie oben für die Regelungen zum gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatz und zur Fluggastentschädigung materiell-rechtlich dargelegt, wirkt sich insofern prozessual aus, dass die pauschalierende Wirkung faktisch über den Anwendungsbereich gesteuert wird;26 es kommt also die pauschalierte Rechtsfolge innerhalb des Anwendungsbereichs zum Zuge, ohne dass es auf erhebliche weitere Tatbestandsmerkmale ankäme. Folglich ist im Zweifel in räumlicher, sachlicher und persönlicher Hinsicht seitens des Klägers zu beweisen, dass ein Anwendungsfall des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes vorliegt. Am Beispiel des gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatzes gemäß § 288 Abs. 1 BGB lässt sich sehr gut illustrieren, dass der Beweis der Anwendungsbereichseröffnung in den allermeisten Fällen kein Problem für den Gläubiger darstellen oder sogar unnötig sein wird, weil insofern kein Streit besteht. Macht der Kläger neben seiner Hauptforderung den gesetzlich pauschalierten Verzugsschadensersatz geltend, so muss er nur dann die Tatsachen beweisen können, aus denen sich ergibt, dass die Hauptforderung deutschem Recht unterliegt,27 wenn dies im Einzelfall mit Auslandsbezug fraglich ist. Dass es sich bei der Forderung sachlich um eine Geldschuld handelt, dürfte praktisch nur selten streitig und beweisbedürftig sein;28 gelegentlich schwieriger wäre nur der Nachweis des Entgeltcharakters für § 288 Abs. 2 und 5 BGB.29 In persönlicher Hinsicht bedarf es für § 288 Abs. 1 BGB nur des Nachweises der Hauptforderungsinhaberschaft, sollte dies tatsächlich einmal 25
BeckOGK-BGB/Dornis, § 286 Rn. 373 ff.; MüKo-BGB/Ernst, § 286 Rn. 180. Kap. 1 C. und Kap. 2 C. 27 Rauscher/Freitag, Art. 12 Rom I-VO Rn. 24; Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art. 12 Rom I-VO Rn. 57 m. w. N.; Erman/Stürner, Art. 15 Rom II-VO Rn. 14. 28 Zur Definition der Geldschuld siehe BGH, NJW 2013, 859 (861). 29 Zur Definition der Entgeltforderung siehe BGH, NJW 2010, 1872 Rn. 23; WM 2014, 759 Rn. 70 m. w. N. 26
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
streitig sein, etwa im Sonderfall eines Prätendentenstreits.30 Etwas problematischer kann für § 288 Abs. 2 und 5 BGB der Nachweis der (Nicht-)Beteiligung einer Person mit Verbraucherstatus sein.31 Steht fest, dass der Anwendungsbereich eröffnet ist, hat der Gläubiger als Kläger nur einen einzigen Umstand als Voraussetzung für seinen Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatz zu beweisen, nämlich dass sich der Schuldner tatsächlich in Zahlungsverzug mit der fälligen Schuld befindet, z. B. aufgrund einer Mahnung,32 wenn dies – hinreichend substantiiert33 – bestritten wird.34 Selbstverschuldeten Problemen des Gläubigers, die sich aus einer seinerseits vergessenen oder fehlerhaften Mahnungen ergeben, muss der Gesetzgeber mit seiner Schadensersatzpauschalierung nicht abhelfen. Dem Gläubiger bleibt insbesondere erspart, dass er zu Zwecken des Beweises der Schadenshöhe seine eigenen finanziellen Verhältnisse (und Probleme) offenlegen muss, womöglich in öffentlicher Gerichtsverhandlung.35 Darin offenbart sich die extrem hohe prozessökonomische Wirkung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung, von der nicht zuletzt auch der Richter profitiert, dem die ansonsten aufwendige Berechnung des konkreten Schadens erspart bleibt.36 Bei der gesetzlich pauschalierten Fluggastentschädigung, deren Anwendungsbereich eröffnet ist,37 hat der Fluggast als Kläger sogar keinerlei weitere Voraussetzungen zu beweisen, um seinen Anspruch gemäß Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung durchzusetzen. Umgekehrt ist zu bedenken, dass dem Beklagten die Möglichkeit des Gegenbeweises hinsichtlich Schaden und Kausalität genommen ist. Damit weicht der Gesetzgeber bei seiner Schadensersatzpauschalierung von seinen Vorgaben für die Schadensersatzpauschalierung durch Private in AGB ab, für deren Wirksamkeit es erforderlich ist, dass dem Vertragspartner des AGB-Verwenders ausdrücklich der Nachweis gestattet wird, ein Schaden sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale.38
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§ 75 ZPO. §§ 13 f. BGB. Zum Beweis der Verbrauchereigenschaft Bülow, WM 2011, 1349 ff. 32 § 286 Abs. 1 S. 1 BGB. Dazu Repgen, in: Handbuch der Beweislast, § 286 BGB Rn. 2 ff. 33 Zum Erfordernis des substantiierten Bestreitens § 138 Abs. 3 ZPO; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 113 II 1. 34 Vgl. BeckOK-BGB/Lorenz, § 286 Rn. 85. 35 Vgl. Keir/Keir, Business Lawyer 39 (1983), 129 (150). 36 Vgl. zu den Problemen der konkreten Verzugsschadensersatzberechnung durch das Gericht Keir/Keir, Business Lawyer 39 (1983), 129 (150). 37 Zur diesbezüglichen Beweislast des Fluggasts siehe die Kommentierung bei Repgen, in: Handbuch der Beweislast, § 280 BGB Rn. 218. 38 § 309 Nr. 5 lit. b BGB. 31
A. Vereinfachung der Geltendmachung
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III. Ausnahmsweiser Exkulpationsbeweis durch den Schädiger Die prozessökonomische Wirkung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung wird dadurch gestärkt, aber auch im Sinne eines Korrektivs begrenzt, dass der Schädiger als Beklagter beim Beweis des Vorliegens bestimmter außergewöhnlicher Umstände von der Haftung befreit ist (anspruchshindernde Einwendung39). Wie oben im Einzelnen beleuchtet,40 ist dies explizit für den Fall der Annullierung in der Fluggastrechte-Verordnung vorgesehen;41 analog gilt es für die Fälle der großen Ankunftsverspätung42 und der erheblichen Abflugvorverlegung. Die Fluggesellschaft muss darlegen und beweisen, dass ein außergewöhnlicher Umstand vorlag und sich konkret ausgewirkt hat.43 Auch beim gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatz besteht für den Zahlungsschuldner nur eine einzige Möglichkeit der Exkulpation, und zwar durch von ihm zu erbringenden Beweis,44 dass er unverschuldet in Verzug geraten ist.45 Aufgrund des engen Zuschnitts des jeweiligen Ausnahmetatbestands wird die Wirkung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs nicht geschmälert; vor allem wird nicht dem Geschädigten abverlangt, außergewöhnliche Umstände in der Sphäre des Schädigers in Erfahrung zu bringen.46 Sofern es jedoch dem Schädiger gelingt, die für die Ausnahme erforderlichen Tatsachen zu beweisen, kann kein Anspruch des Geschädigten auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch bestehen (und es ist dann höchst unwahrscheinlich, dass irgendein Schadensersatz auf anderer Anspruchsgrundlage besteht, von dem sich der Schädiger nicht gleichfalls exkulpieren könnte). Der Schädiger trägt dabei das volle Beweisrisiko und kann sich ihm nicht entziehen, etwa durch einen bloßen Ausforschungsbeweis.47
39 BeckOK-BGB/Lorenz, § 286 Rn. 86 in Bezug auf § 286 Abs. 4 BGB beim Zahlungsverzugsschadensersatz. 40 Kap. 2 D. III. 41 Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung. 42 EuGH, Urt. v. 4. 5. 2017, C-315/15 – Pesˇková, Rn. 20. 43 EuGH, Urt. v. 4. 4. 2019, C-501/17 – Germanwings, Rn. 24; Geier, RRa 2016, 218 (219); Maruhn, in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 5 Rn. 33 ff.; Repgen, in: Handbuch der Beweislast, § 280 BGB Rn. 218; BeckOK-Fluggastrechte/Schmid, Art. 5 Rn. 347 ff. 44 BGH, NJW 2011, 2120 (2121); MüKo-BGB/Ernst, § 286 Rn. 124; Grüneberg/Grüneberg, § 286 Rn. 49; Staudinger/Feldmann, § 286 Rn. 179; Repgen, in: Handbuch der Beweislast, § 286 BGB Rn. 10. 45 § 286 Abs. 4 BGB. 46 Vgl. BeckOK-BGB/Lorenz, § 286 Rn. 54. 47 Vgl. BeckOK-Fluggastrechte/Schmid, Art. 5 Rn. 348 unter Verweis auf eine Entscheidung des österreichischen Bezirksgerichts Schwechat vom 28. 2. 2017 – 16 C 415/16z.
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
IV. Auskunftsanspruch bezüglich der Tatbestandsmerkmale? Über das Vorliegen der wenigen darlegungs- und beweisbedürftigen Tatbestandsmerkmale Bescheid zu wissen, kann für den Geschädigten in einer Gesamtbetrachtung praktisch wichtig sein, gerade vor einer Entscheidung, seinen „wohl bestehenden“ gesetzlich pauschalierten Schadensersatz vor Gericht einzuklagen.48 Unsicherheit und Kostenrisiko können vor allem dann bestehen, wenn der Geschädigte seinen Anspruch rechtshängig macht, ohne dass sich der Schädiger zum Nichtvorliegen außergewöhnlicher Umstände verbindlich geäußert hätte, sondern nur ebensolche angedeutet oder pauschal behauptet hat.49 In prozessökonomischer Hinsicht würde es dem individuellen Geschädigten Abhilfe verschaffen, wenn er vorab in Erfahrung bringen könnte, ob ein bestimmtes anspruchsbegründendes oder anspruchshinderndes Tatbestandsmerkmal vorliegt oder nicht. Prozessual bietet sich ihm dafür das Mittel der Stufenklage,50 womit zudem die Verjährung des auf zweiter Stufe rechtshängig zu machenden gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs gehemmt wird.51 Materiell-rechtlich bedürfte er dafür aber eines entsprechenden Auskunftsanspruchs gegenüber dem Schädiger für den Auskunftsantrag auf erster Stufe. Ein solcher ist – anders als eine bloße Aufklärungspflicht – auch einklagbar.52 Allerdings kennt das bürgerliche Recht keine allgemeine Auskunftspflicht.53 Der Kläger hat sich grundsätzlich selbst über das Bestehen seines vermeintlichen Anspruchs zu informieren.54 Eine Auskunftspflicht des Prozessgegners kann sich eigentlich nur als vertragliche Nebenpflicht55 oder aus dem Gesetz ergeben, wofür aber weder bei den Konstellationen des Zahlungsverzugsschadensersatzes noch denen der Fluggastentschädigung Anhaltspunkte bestehen. Gerade bei Schadensersatzansprüchen kann sich aber subsidiär ein Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben ergeben.56 Dafür muss zumindest eine rechtliche Sonderverbindung bestehen;57 danach richtet sich der Umfang der Auskunftspflicht, denn sie besteht nur, soweit es zur Durchsetzung von darauf beruhenden Ansprüchen
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Zur gerichtlichen Durchsetzung siehe unten ausführlich C. Bleckat, NZV 2017, 209. 50 § 254 ZPO. 51 Vgl. BGH, NJW-RR 1995, 513. 52 Vgl. MüKo-BGB/Bachmann, § 241 Rn. 125; HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 19. 53 BGH, NJW 1980, 2463 f. m. w. N.; Brand, Schadensersatzrecht, § 11 Rn. 2; Geier, RRa 2016, 218 (219). 54 BeckOK-BGB/Lorenz, § 260 Rn. 9. 55 § 241 Abs. 2 BGB. 56 § 242 BGB; BGHZ 10, 385 (387); 55, 201 (203); 126, 109 (113); BGH, NJW 2007, 1806 (1807); Grüneberg/Grüneberg, § 260 Rn. 4 ff.; Haeffs, Auskunftsanspruch, S. 125 ff.; MüKoBGB/Krüger, § 259 Rn. 6 f. 57 BGHZ 149, 165 (174 f.); BGH, NJW 1980, 2463; Grüneberg/Grüneberg, § 260 Rn. 5. 49
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erforderlich ist.58 Eine Sonderverbindung ist sowohl im Schuldverhältnis von Zahlungsgläubiger zu Zahlungsschuldner zu sehen als auch im Schuldverhältnis zwischen Fluggast und Fluggesellschaft.59 Allerdings handelt es sich bei beiden Schuldverhältnissen nicht um solche mit Auskunftspflichten verbundene Rechtsverhältnisse, bei denen die Parteien eine nicht nur einmalige Interessengemeinschaft mit wechselseitiger Verpflichtung zur Interessenwahrung bilden. Insbesondere liegt bei der Geldzahlung oder Fluggastbeförderung keine treuhänderische oder verwalterähnliche Situation vor, bei der teilweise gleichgerichtete ökonomische Interessen verwirklicht werden.60 Bereits aus diesen Gründen kann man an einem Auskunftsanspruch aus § 242 BGB zweifeln. Für einen auf Treu und Glauben gestützten Auskunftsanspruch ist des Weiteren erforderlich, dass sich einerseits der Gläubiger unverschuldet im Ungewissen über den Umstand befindet, über den er Auskunft begehrt; d. h. es muss ihm unmöglich oder zumindest unzumutbar sein, sich Kenntnis über den Umstand selbst zu verschaffen.61 Andererseits muss es dem Schuldner unschwer möglich sein, die begehrte Auskunft zu erteilen;62 d. h. die Auskunft darf ihm angesichts des Arbeitsaufwands, seiner Geheimhaltungsinteressen und den Folgen einer möglichen Selbstbezichtigung zumindest nicht unzumutbar sein.63 Diese beiden Erfordernisse lassen sich hingegen sowohl bei der Geldzahlung als auch der Fluggastbeförderung bejahen, sofern nicht im Einzelfall Besonderheiten bestehen (z. B. Geschäftsgeheimnisse betreffend den außergewöhnlichen Umstand). Umstritten in Rechtsprechung und Literatur ist vor allem das Bestehen eines Auskunftsanspruchs des Fluggasts gegenüber der Fluggesellschaft über das (Nicht-) Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands, der zu einer Exkulpation der Fluggesellschaft bei Annullierung und analog bei großer Ankunftsverspätung und erheblicher Abflugvorverlegung führen würde. So wird von manchen vertreten, dass ein Auskunftsanspruch jedenfalls dann bestehe, wenn sich eine Fluggesellschaft auf einen außergewöhnlichen Umstand beruft, ohne diesen jedoch konkret zu benennen, denn dann sei es dem Fluggast unmöglich, sich auf andere Weise über den rein abstrakt behaupteten außergewöhnlichen Umstand zu informieren.64 Dem wird von anderen allerdings entgegengehalten, dass die Auskunft nicht nötig sei, um eine schlüssige Klage auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz zu erheben, und nur dafür bestehe im Rahmen der rechtlichen Sonderverbindung eine aus Treu und 58
NK-BGB/Knöfler, § 259 Rn. 5; MüKo-BGB/Krüger, § 259 Rn. 6. So selbst Geier, RRa 2016, 218 (219) in Bezug auf die Fluggastbeförderung. 60 Vgl. MüKo-BGB/Krüger, § 259 Rn. 7. 61 BGH, NJW 1980, 2463 (2464); Köhler, NJW 1992, 1477 (1481). 62 BGHZ 10, 385 (387); 95, 285 (288). 63 Brand, Schadensersatzrecht, § 11 Rn. 3. 64 AG Rüsselsheim, Urt. v. 20. 1. 2015 – 3 C 3644/14 (31), Rn. 6 (juris); Besold/Wahl, RRa 2017, 106 (109 ff.); Bleckat, NZV 2017, 209 (212 f.); BeckOK-Fluggastrechte/Schmid, Art. 5 Rn. 251. 59
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
Glauben erwachsende Auskunftspflicht.65 Überzeugend ist an der letztgenannten Ansicht, dass die Begründung eines Auskunftsanspruchs aus Treu und Glauben nicht zu einer Verlagerung des Rest-Prozessrisikos führen darf, dem der geschädigte Gläubiger des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs, der ihn im Übrigen und damit im ganz Wesentlichen privilegiert, ausgesetzt ist. Dies wäre gänzlich unverhältnismäßig und ist auch unnötig, denn der Gesetzgeber hat materiell-rechtlich die Enthaftungsmöglichkeit des Schädigers schon weitgehend eingeschränkt, sodass kein Raum verbleibt für Korrekturen nach Treu und Glauben sowie prozessuale Begünstigungen.66 Ein gewisses Restrisiko ist auch und gerade dem geschädigten Gläubiger des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs zuzumuten. Die üblichen prozessualen Reaktionsmöglichkeiten auf eine Klage, die sich überraschenderweise als unbegründet nach Rechtshängigkeit herausstellt (Erledigungserklärung67 oder Klagerücknahme68), genügen und erlauben zudem als richterliche Billigkeitsentscheidungen über die Kosten eine angemessene Lösung im Einzelfall. Trotzdem ist zu erwägen, dass der Gesetzgeber einen expliziten und spezifischen Auskunftsanspruch de lege ferenda schafft, um die materielle Anspruchspauschalierung mit einer solchen vorprozessualen Regelung zu komplementieren. Dies würde die Prozessökonomie weiter stärken. Beispielsweise käme bei einer künftigen Reform der Fluggastrechte-Verordnung in Betracht, entweder die Vorschriften über die Unterrichtungspflicht bei Annullierung (Art. 5 Abs. 2) aufgrund außergewöhnlicher Umstände (Art. 5 Abs. 3) oder die Vorschriften über die Informationspflichten der Fluggesellschaft unter anderem über den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch (Art. 14 Abs. 2) dahingehend zu erweitern, dass sie einen Auskunftsanspruch über von der Fluggesellschaft behauptete Tatsachen zum Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands einschließen.
B. Außergerichtlich Von prozessökonomischer Effizienz im weiteren Sinn kann beim gesetzgeberischen Instrument der Schadensersatzpauschalierung insbesondere dann gesprochen werden, wenn der Schadensersatzanspruch ohne die Inanspruchnahme staatlicher 65 AG Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 17. 12. 2015 – 218 C 234/15, Rn. 18 (juris); Steppler/ Stroka, jurisPR-TranspR 2/2016 Anm. 4; Geier, RRa 2016, 218 (220 f.). 66 Der Gesetzgeber hat in der Fluggastrechte-Verordnung zudem nur eine Informationspflicht der Fluggesellschaft gegenüber dem Fluggast in rechtlicher Hinsicht vorgesehen (Art. 14 Abs. 2), nicht hinsichtlich der tatsächlichen Umstände; vgl. Geier, RRa 2016, 218 (220). 67 Vgl. § 91a Abs. 1 ZPO bzw. bei einseitig bleibender Erledigungserklärung eine entsprechende Erledigungsfeststellungs- und Kostenentscheidung (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 132 III). 68 Vgl. § 269 Abs. 3 S. 2 Var. 3 ZPO.
B. Außergerichtlich
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Instanzen außergerichtlich geltend gemacht und möglichst unkompliziert durchgesetzt werden kann. Dies kann für alle Beteiligten (und die Staatskasse) kosten- und zeiteffizienter sein, mithin vorzugswürdig und erstrebenswert gegenüber der gerichtlichen/zwangsweisen Durchsetzung.69 Näher zu diskutieren sind diesbezüglich zwei außergerichtliche Vorgehensweisen: die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens und die Beauftragung eines kommerziellen Inkassodienstleisters. Abzugrenzen ist von den Aufgaben nationaler Aufsichts- und Administrativbehörden (Durchsetzungsstellen).
I. Durchführung eines Schlichtungsverfahrens Bei Uneinigkeit zwischen Gläubiger und Schuldner über den Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz kann es sich anbieten, anstelle eines Gerichtsverfahrens zunächst ein Streitbeilegungsverfahren wie insbesondere ein Schlichtungsverfahren durchzuführen.70 Dieses gestaltet sich aufgrund der gesetzlichen Pauschalierung besonders einfach und stellt zugleich für beide Seite sicher, dass eine – möglichst justizähnliche71 – faire und unabhängige Prüfung des Einzelfalls erfolgt.72 Idealziel ist, bereits außergerichtlich Gerechtigkeit zu schaffen (access to justice73), gerade in den Fällen der Leistungsstörung, die einen geringen Gegenstandswert aufweisen und in denen daher eine Schadensersatzforderung eher selten vor staatliche Gerichte gebracht wird.74 Da der Weg zu den Gerichten unversperrt bleibt, wird keine Zwei-Klassen-Justiz etabliert,75 vielmehr lassen sich außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren als sinnvolle Ergänzung der Gerichtsverfahren verstehen,76 wie auch BVerfG- und BGH-Richter befinden.77 69 Vgl. in diesem Sinne auch EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006, C-344/04 – IATA und ELFAA, Rn. 45 („Mühen gerichtlicher Geltendmachung“). 70 Vgl. nur Greger, MDR 2016, 365 ff. Kritisch unter Effizienzgesichtspunkten und mit Blick auf die Parallelität zu staatlichen Gerichtsverfahren Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 (1708). 71 So selbst – trotz aller Kritik – Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 (38); Roth, DRiZ 2015, 24 f. Umgekehrt ist die Tätigkeit von Einigungs- und Schlichtungsstellen sowie Schiedsrichtern keine Rechtsdienstleistung, § 2 Abs. 3 Nr. 2 RDG. 72 Vgl. Hess, JZ 2015, 548 (549 ff.); Stadler, ZZP 2015, 165 (168 ff.). 73 So schon zu den frühen Bestrebungen hinsichtlich außergerichtlicher Justizgewährmechanismen Cappelletti, RabelsZ 40 (1976), 669 (713); ders./Garth, Buffalo Law Review 27 (1978), 181 (insbes. 232 ff.); Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 (12). 74 Vgl. Gössl, NJW 2016, 838; ebenso selbst Engel, NJW 2015, 1633 a. E. 75 So der Vorwurf von Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 (38); Roth, JZ 2013, 637 (642). Ferner Stürner, ZZP 127 (2014), 271 (330 f.). 76 Berlin, RRa 2014, 210 (214); Braun, VuR 2019, 130 (131); Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 252 ff.; Kotzur, Außergerichtliche Realisierung, S. 33 ff.; Riehm, JZ 2016, 866 (867). Ähnlich Prütting, jM 2019, 217 (218). 77 Gaier, NJW 2016, 1367 (1370 f.); Hirsch, NJW 2013, 2088 (2094); ders., FS Lorenz, S. 162 ff.
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
1. Prozessökonomie von verpflichtender alternative dispute resolution Der Staat kann, indem er solche Verfahren der alternative dispute resolution (ADR) außerhalb seiner Gerichte gestattet und die Beteiligung daran für den Schädiger zwingend vorschreibt, seine materiell-rechtliche Pauschalierung um ein Prozedere ergänzen, dass im Sinne prozessökonomischer Effizienz erheblich zur schnellen und kostengünstigen Streiterledigung beiträgt. Davon können sowohl der Geschädigte als auch der Schädiger profitieren.78 Allerdings ist wie im materiellen Recht eine staatliche Verpflichtung des Schädigers nur insoweit geboten, als sie einerseits für die Rechtsdurchsetzung des Geschädigten geeignet und erforderlich ist und andererseits nicht privatautonomer Klärung unangemessen vorgreift,79 denn ein überbordender Paternalismus ist im grundsätzlich marktwirtschaftlichen Rechts- und Wirtschaftssystem zu vermeiden.80 Dementsprechend bedarf es solch zwingender ADR-Verfahren in Bezug auf gesetzlich pauschalierte Schadensersatzansprüche nur für besonders schutzbedürftige Anwendungsfälle. Um solche kann es sich etwa bei der Durchsetzung von Ansprüchen von Verbrauchern gegenüber Unternehmern handeln (consumer to business, C2B),81 sofern im Rahmen einer Grundrechteabwägung die Freiheit unternehmerischer Selbstbestimmung nicht unverhältnismäßig beschränkt wird;82 materiell-rechtlich müssen die Verfahrensgegenstände allerdings nicht auf Verbraucherrecht beschränkt sein.83 2. Vorgaben der ADR-Richtlinie, des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes und des Luftverkehrsgesetzes In Umsetzung der europäischen ADR-Richtlinie84 hat der deutsche Gesetzgeber das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz85 erlassen, das die allgemeinen Anforderun78
Bezogen auf die Schlichtung im Luftverkehr Bollweg, NZV 2015, 361; a. A. MüllerRostin, RRa 2007, 256 (258). 79 Siehe zu konkreten Bedenken Eidenmüller, JZ 2015, 539 (541 ff.) 80 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 133 f. 81 Gössl, ZKM 2020, 55 (57 ff.); ausführlich zur Verbraucher-Konstellation Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 187 ff. Kritisch hingegen 82 Kritisch Eidenmüller/Engel, ZZP 2015, 149 (155 f.) insbesondere unter Bezugnahme auf die Spezialregelung in § 111b Abs. 1 S. 2 EnWG. 83 Riehm, JZ 2016, 866 (867). 84 Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 5. 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (ADR-Richtlinie) (ABl. L165/ 63). Siehe dazu kritisch Wagner, Common Market Law Review 51 (2014), 165 ff. 85 Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen vom 19. 2. 2016 (BGBl. I 254). Zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze
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gen an die Fachkompetenz, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Transparenz im Rahmen von C2B-Schlichtungsverfahren bestimmt. Allerdings wird erst durch spezialgesetzliche Anordnungen bestimmt, für welche – besonders heiklen – Rechtsbereiche eine Schlichtungsbeteiligung obligatorisch ist. Dies hat der Gesetzgeber insbesondere in §§ 57 ff. des Luftverkehrsgesetzes für die gesetzlich pauschalierten Schadensersatzansprüche von Verbraucher-Fluggästen wegen Nichtbeförderung etc. getan86 und wirkt damit der prozessualen Unterlegenheit der Fluggäste gegenüber der Fluggesellschaft und den Problemen bei der Konfliktbeilegung entgegen.87 Auf dieses Schlichtungsverfahren soll in den folgenden beiden Abschnitten näher eingegangen werden. Ein ADR-Verfahren käme theoretisch zwar auch für den gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatz (im Zusammenhang mit der Streitentscheidung über die Hauptforderung) in Frage;88 jedoch lässt sich prozessual keine typischerweise besondere Schutzbedürftigkeit von Verbrauchern gegenüber Unternehmern beim Zahlungsverzug feststellen, die eine Verpflichtung des Zahlungsschuldners zur ADR-Teilnahme rechtfertigen würde,89 und im eigentlich kritischen B2B-Zahlungsverkehr stehen andere Verfahren zur Verfügung, bis hin zur Schiedsgerichtsbarkeit.90 Für weitere, künftig zu schaffende Ansprüche auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz wäre ADR mit obligatorischer Beteiligung des Schuldners aber durchaus vom Gesetzgeber zu erwägen.91
3. Beispiel der „SÖP“-Schlichtung Hinsichtlich der Passagierrechte (Flug, Bahn, Bus und Schiff) existiert für die Durchführung der Schlichtung bereits eine privatrechtliche Stelle, „SÖP“,92 an deren Verfahren teilzunehmen sich 370 Verkehrsunternehmen bereiterklärt haben, einvom 30. 11. 2019 (BGBl. I 1942) sowie nicht substanziell durch das Gesetz zur Änderung des EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetzes vom 25. 6. 2020 (BGBl. I 1474). 86 § 57b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 LuftVG. Weitere Beispiele sind § 111b EnWG und § 214 VVG. 87 Vgl. Berlin, Alternative Streitbeilegung, S. 45; Riehm, JZ 2016, 866 (868). 88 Etwa vor der residualzuständigen Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle am Zentrum für Schlichtung e. V. mit Sitz in Kehl als Universalschlichtungsstelle gem. § 29 VSBG. 89 Dies käme höchstens im Verhältnis Arbeitnehmer–Arbeitgeber in Betracht, da der Arbeitnehmer im Rahmen von § 288 BGB als Verbraucher angesehen wird; BAGE 114, 13 (20 f.); 115, 19 Rn. 41 ff. Allerdings sind arbeitsrechtliche Streitigkeiten von der Schlichtung prinzipiell ausgenommen, § 4 Abs. 1 Hs. 2, Abs. 3 Hs. 2 VSBG, entsprechend den Vorgaben der ADR-Richtlinie, Art. 4 Abs. 1 lit. a RL 2013/11/EU; vgl. BT-Drs. 18/5089, S. 52. 90 Siehe etwa die Rules of Arbitration of Factors Chain International (FCI Rules). 91 Ohne staatlichen Zwang besteht eine nur sehr beschränkte Teilnahmebereitschaft von Unternehmern, vgl. den Zwischenbericht der Bundesregierung zur Funktionsweise der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle, BT-Drs. 19/6890, S. 1, Ziff. 4. Ferner Greger, VuR 2019, 43 ff. 92 „SÖP Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V.“ mit Sitz in Berlin, https://soep-online.de/; Einzelheiten siehe Isermann, RRa 2016, 106 ff.
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
schließlich aller großen in- und ausländischen Fluggesellschaften.93 Wenn eine Fluggesellschaft an der SÖP-Schlichtung teilnimmt, hat sie dies online und/oder in ihren AGB anzugeben.94 Für alle anderen Fluggesellschaften ist subsidiär eine behördliche Stelle zuständig,95 um Wettbewerbsverzerrungen und Verbraucherschutzlücken zu vermeiden.96 Bei der SÖP-Schlichtungsstelle, die im Jahr 2018 insgesamt rund 28.000 Verfahren in Bezug auf Fluggastrechte bearbeitete,97 können Fluggäste u. a. ihre Ansprüche auf Ausgleichszahlung durch einen einfachen Online-Antrag geltend machen,98 wenn die Fluggesellschaft sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Aufforderung erfüllt hat.99 Die Schlichter, die jeden Einzelfall unabhängig prüfen,100 richten ihren Vorschlag am geltenden Recht aus.101 In über 85 % der FluggastrechteVerfahren konnte die Schlichtungsstelle Lösungen zur Streitbeilegung empfehlen, die von beiden Seiten angenommen wurden.102 Unberührt bleibt in jedem Fall die (anschließende) Möglichkeit für den Fluggast, seinen Anspruch gerichtlich einzuklagen.103 Materiell-rechtlich wird zudem die Anspruchsverjährung gehemmt.104 4. Vor- und Nachteile der Schlichtung Das Schlichtungsverfahren hat für den Fluggast die Vorteile, dass es niederschwellig und ohne besondere Rechtskenntnisse zugänglich ist;105 dass es für ihn kostenlos ist;106 dass die Schlichtungsstelle keine Provision nimmt; und dass auch und gerade in schwierigen Fällen – trotz der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung, z. B. bei Einwand außergewöhnlicher Umstände – eine Prüfung und Empfehlung erfolgt und keine Abweisung.107 Fast spiegelbildlich lassen sich die Vorteile für die Fluggesellschaft zusammenfassen, denn sie profitiert davon, dass Konflikte 93
Stand 2019, siehe Berlin, RRa 2019, 50 f. § 36 VSBG i. V. m. § 57d LuftVG. Beispielsweise Ryanair kommt dieser Pflicht in Ziff. 15.3 seiner Allgemeinen Beförderungsbedingungen nach. 95 Das Bundesamt für Justiz in Bonn gem. § 57a LuftVG. 96 Vgl. BT-Drs. 17/11210, S. 17. 97 Berlin, RRa 2019, 50 (52). 98 § 57b Abs. 1 LuftVG. 99 § 57b Abs. 2 Nr. 5 LuftVG. 100 § 7 Abs. 1 S. 1 VSBG; § 6 Abs. 1 S. 1 söp-Verfahrensordnung. 101 § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG; § 6 Abs. 1 S. 2 söp-Verfahrensordnung. 102 SÖP-Evaluationsbericht 2018, S. 16. 103 § 57b Abs. 4 LuftVG. 104 § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB. 105 Berlin, RRa 2019, 50 (55). 106 Abgesehen von einer Missbrauchsgebühr in Höhe von höchstens 30 Euro, § 57 Abs. 4 S. 2, Abs. 5 LuftVG. 107 Isermann, RRa 2016, 106 (111 f.). 94
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mit Kunden möglichst einfach und unkompliziert beigelegt werden, um sie im starken Wettbewerb künftig nicht an die Konkurrenz zu verlieren und um den Kunden eine externe, unabhängige Prüfung ihrer Forderungen zu ermöglichen;108 dass sich durch die geringen Gebühren der Schlichtungsstelle die Kosten der Fluggesellschaft für Rechtsverteidigung in Grenzen halten;109 und dass gerade trotz gesetzlicher Anspruchspauschalierung die (zulässigen) Einwände geprüft werden. Diese positiven Synergien spiegeln sich auch in der hohen Akzeptanzquote der Schlichtung wider.110 Demgegenüber birgt das Schlichtungsverfahren an sich praktisch keine Nachteile oder Risiken. Gerade wegen seiner Einfachheit und Unverbindlichkeit mündet der angenommene Schlichtungsvorschlag allerdings nicht in einer Titulierung, sodass es an der Vollstreckbarkeit der Einigung fehlt.111 Dem beiderseits angenommenen Schlichtungsergebnis kommt bei der SÖP nur die Wirkung eines (Vergleichs-)Vertrags zu.112 Darin liegt die größte und entscheidende Schwäche der Schlichtung. Selbst wenn die Fluggesellschaft die Forderung unmittelbar anerkennt, aber danach doch nicht zahlt, ist der Fluggast darauf angewiesen, seine Forderung anderweitig geltend zu machen – sei es durch Inanspruchnahme kommerzieller Inkassodienstleister oder staatlicher Gerichte und Vollstreckungsorgane. Insofern bewahrheitet sich, dass mit der Schlichtung letztlich keine Verdrängung der staatlichen Justiz zu befürchten ist, sondern die Schlichtung (lediglich) einen Beitrag zur Prozessökonomie bei der Geltendmachung gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes darstellen kann.
II. Beauftragung eines kommerziellen Dienstleisters (Factoring/Inkasso) Obgleich mit Einbußen verbunden, kann der geschädigte Gläubiger Risiko und Aufwand der Durchsetzung seines gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes von sich mehr oder minder abwenden, indem er seine Forderung an einen Dienstleister überträgt: Dies kann entweder dem Vorgehen und den Vorteilen beim geschäftsmäßigen Factoring113 ähneln oder lediglich eine Inkassobeauftragung darstellen.
108 Berlin, Alternative Streitbeilegung, S. 159 ff.; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung, S. 25. 109 Konkrete Zahlen sind nicht öffentlich, aber die SÖP-Schlichtungsstelle hat die Kosten pro Fall immerhin um 75 % seit ihrer Gründung senken können; vgl. Jahresbericht 2018, S. 5. 110 Vgl. Creutzfeldt, ZKM 2016, 12 (13 ff.); sowie den SÖP-Evaluationsbericht 2018. Ineffizienzen bemängelt jedoch Hess, JZ 2015, 548 (552). 111 Dazu Kotzur, VuR 2015, 243 (250 f.). 112 Isermann, RRa 2016, 106 (111). 113 Dazu überblicksartig etwa Grundmann, Leasing und Factoring, S. 117 ff.; Looschelders, SchuldR BT, § 12 Rn. 8 ff.; Moseschus/Wessel, in: Krüger, Handbuch Factoringrecht, § 1.
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
1. Geschäftsmodell Der Gläubiger macht sich insofern zunutze, dass gesetzliche Schadensersatzpauschalen eine Kompensation in Geld gewähren und mithin grundsätzlich veräußerbare Geldforderungen sind. Wenn der Gläubiger seine Forderung verkauft und abtritt,114 wird er zeitnah bezahlt, allerdings wird sich dies der Dienstleister durch eine entsprechend hohe Diskontierung vom Nominalbetrag der gesetzlichen Schadensersatzpauschale vergüten lassen (vgl. echtes Factoring115). Valutierung und Service erkauft sich der Gläubiger also zu einem vergleichsweise hohen Preis.116 Dazu sind Menschen aber aufgrund des Framing-Effekts bereit, wenn es sich – wie hier – um etwas noch zu Erlangendes handelt und nicht um etwas bereits Erlangtes.117 Hinzu kommt bei der überkompensatorisch bemessenen gesetzlichen Schadensersatzpauschale, dass eine Schmälerung vom Gläubiger eher hingenommen wird, soweit sein konkreter Schaden niedriger ist.118 Als Alternative zur Veräußerung seiner Forderung kann der Gläubiger lediglich die Einziehung seiner Forderung beauftragen, sodass er dem Inkassodienstleister eine geringere Provision zahlen muss, aber wie beim unechten Factoring das Delkredererisiko seines Schuldners behält.119 Sofern nicht abweichend geregelt,120 verbleibt beim Gläubiger allerdings in beiden Konstellationen auch das Veritätsrisiko, dass der Anspruch auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz rechtlich ausnahmsweise doch nicht besteht.121 2. Besondere Geeignetheit des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes für das Factoring/Inkasso Für kommerzielle Factoring- und Inkassodienstleister sind gerade gesetzlich pauschalierte Forderungen wie Schadensersatzansprüche interessant, weil ihr Wert 114 Forderungsverkauf gem. § 453 Abs. 1 BGB (dazu ausführlich BeckOGK-BGB/Wilhelmi, § 453 Rn. 946 ff.) und Forderungsabtretung gem. § 398 S. 1 BGB (dazu MüKo-BGB/ Roth/Kieninger, § 398 Rn. 158 ff.). 115 BeckOGK-BGB/Wilhelmi, § 453 Rn. 963 ff.; Moseschus/Wessel, in: Krüger, Handbuch Factoringrecht, § 1 Rn. 25; MüKo-BGB/Roth/Kieninger, § 398 Rn. 158. 116 Vgl. zur Liquiditäts- und Dienstleistungsfunktion des Factorings Staudinger/Busche, Einl. §§ 398 Rn. 162 f.; Martinek/Omlor, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, § 102 Rn. 2 f.; jeweils m. w. N. 117 Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, S. 43 f.; grundlegend Tversky/Kahneman, Science 211 (1981), 453 ff. 118 Vgl. Rott, European Review of Private Law 24 (2016), 143 (153). 119 Moseschus/Wessel, in: Krüger, Handbuch Factoringrecht, § 1 Rn. 26; MüKo-BGB/Roth/ Kieninger, § 398 Rn. 158; BeckOGK-BGB/Wilhelmi, § 453 Rn. 986 ff. 120 Krüger, in: ders., Handbuch Factoringrecht § 3 B V. 121 Jauernig/Berger, § 453 BGB Rn. 4 (kaufrechtlicher Mangel) bzw. BeckOK-BGB/Faust, § 453 Rn. 16 (Nichterfüllung). Ferner Martinek/Omlor, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 102 Rn. 4; E. Wagner, in: Ebenroth et al., HGB II, Bank- und Börsenrecht Rn. V8.
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als gesetzliche Rechtsfolge feststeht,122 sodass sich das Ertragsrisiko auf das Vorliegen sehr weniger und klar bestimmbarer Anspruchsvoraussetzungen beschränkt (und dieses Veritätsrisiko wie angeführt grundsätzlich beim Gläubiger verbleibt). Die Ertragsmöglichkeiten des Dienstleisters steigern sich gerade bei gesetzlich pauschalierten Forderungen durch Skaleneffekte,123 d. h. die kostengünstige Verwertung einer Vielzahl äußerst homogener Forderungen, die kaum Einzelfallabweichungen mit sich bringen. Durch den Einsatz speziell gestalteter Computersoftware, die eine routinemäßige Prüfung und Bearbeitung erlaubt, vereinfacht sich die Forderungsdurchsetzung und reduzieren sich die Kosten noch weiter.124 Die aus dem Zahlungsverzug resultierenden gesetzlich pauschalierten Schadensersatzbeträge können sich gerade im geschäftsmäßigen Rechtsverkehr auf Beträge summieren, die sich für separat von oder zusammen mit der ausstehenden Hauptforderung lohnenswerter Weise an einen Dienstleister im Wege des (un)echten Factorings übertragen lassen.125 Dies können unternehmerische Gläubiger einfach im Rahmen ihres betrieblichen Forderungsmanagements bewerkstelligen.126 Die gesetzlich pauschalierte Fluggastentschädigung zur Durchsetzung an einen kommerziellen Dienstleister zu übertragen, ist für jeden Fluggast attraktiv, wenn er sich das trotz materiell-rechtlicher Schadensersatzpauschalierung verbleibende Maß an prozessualem Aufwand und Risiko ersparen will. Da diese hoch pauschalierten Forderungen auch für Dienstleister(provisionen) lukrativ sind, hat sich ein ganzer Geschäftszweig auf Durchsetzung der Fluggastentschädigungen spezialisiert.127 Sucht man im Internet nach Schlichtungsmöglichkeiten, erhält man stattdessen zahlreiche Werbeanzeigen für kommerzielle Dienstleister.128 Je nach Geschäftsmodell, das aber meist dem unechten Factoring ähnelt, macht der Dienstleister, den der Fluggast mit der Durchsetzung beauftragt hat, die Forderung gegenüber der Fluggesellschaft geltend, wofür er – aber nur bei Erfolg – eine Provision von etwa 25 – 35 % berechnet.129 Eine gerichtliche Geltendmachung der Forderung kann der
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Scale. 124
Diesen Anreiz betont auch Greger, AnwBl 2017, 932 (933). Vgl. New Palgrave Dictionary of Economics, sub Economies and Diseconomies of
Vgl. Hartung, BB 2017, 2825 (2826). Ebenso Greger, AnwBl 2017, 932 (933) zur Parallele zwischen gesetzlicher Anspruchspauschalierung und Eignung zum Factoring. 126 Vgl. Kokalj/Paffenholz/Schröer, Zahlungsverzug und Forderungsmanagement, S. 163 ff. 127 BeckOK-Fluggastrechte/Maruhn, Art. 7 Rn. 81; Rott, European Review of Private Law 24 (2016), 143 (145 ff.); ferner Hipp, in: Bilgin et al., Eurasian Business Perspectives, S. 342 und 346 ff. Beispielhaft zu nennen sind die Webseiten der Anbieter claimflights.de, euclaim.de, fairplane.de, flightright.de und flugrecht.de. 128 Dies beklagt Hess, JZ 2015, 548 (552). 129 Greger, AnwBl 2017, 932 f.; Hartung, BB 2017, 2825 (2826); Hess, JZ 2015, 548 (552), der die Erfolgshonorare kritisch sieht. 125
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
Fluggast allerdings nicht vom Dienstleister verlangen; Letzterer wird sie von sich aus nur bei sehr hoher Erfolgsaussicht vornehmen lassen.130 3. Vereinbarkeit mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz Die Vorschriften des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG),131 die rechtliche Einzelfallprüfungen den Rechtsanwälten vorbehalten,132 stehen solchen Inkassodienstleistungen nicht entgegen, sofern die Anbieter über entsprechende Sachkunde und eine behördliche Registrierung verfügen.133 Dies hat der BGH mit Blick auf das vergleichbare Internetportal „wenigermiete.de“ bestätigt, mit dessen Hilfe Verbraucher mietrechtliche Ansprüche ohne eigenes Kostenrisiko vom registrierten Inkassodienstleister LexFox durchsetzen lassen können.134 Maßgebend für diese Beurteilung sei insbesondere die durch den Gesetzgeber mit dem RDG verfolgte Neugestaltung der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen im Rahmen der Deregulierung und Liberalisierung;135 dabei werde dem Schutzzweck des RDG Rechnung getragen, dass die Rechtsuchenden, der Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen sind.136 4. Wirksamkeit eines vertraglichen Abtretungsverbots bezüglich gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes? Einer Abtretung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs an einen kommerziellen Dienstleister und somit einer effektiven Anspruchsdurchsetzung könnte entgegenstehen, dass ein wirksames Abtretungsverbot vertraglich vereinbart ist.137 Der Gesetzgeber schließt Abtretungsverbote prinzipiell nur im Handelsrecht
130 Greger, AnwBl 2017, 932; Rott, European Review of Private Law 24 (2016), 143 (157 f.). 131 Zuletzt geändert durch Art. 3 des am 1. 10. 2021 in Kraft getretenen Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt v. 10. 8. 2021 (BGBl. I S. 3415). 132 § 2 Abs. 1, § 3 RDG und § 3 Abs. 1 BRAO. 133 § 2 Abs. 2, § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG. Kritisch sehen dies Greger, AnwBl 2017, 932 (934) und vor allem Valdini, BB 2017, 1609 ff. wegen der Nähe zu Prozessfinanzierern, die ein eigenes wirtschaftliches Interesse verfolgen, was mit Blick auf § 4 RDG problematisch ist; dazu auch Deckenbrock/Henssler, in: dens., RDG, § 2 Rn. 29. Dagegen Hartung, BB 2017, 2825 (2827). 134 BGH, NJW 2020, 208 Rn. 38 ff., insbes. Rn. 95 ff. Zustimmend Fries, NJW 2020, 193 ff.; Stadler, JZ 2020, 321 ff. Kritisch Prütting, ZIP 2020, 49 ff. wiederum wegen der Prozessfinanzierung. 135 BGH, NJW 2020, 208 Rn. 99. 136 § 1 Abs. 1 Satz 2 RDG; BGH, NJW 2020, 208 insbes. Rn. 110 ff. 137 § 399 Alt. 2 BGB.
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aus.138 Außerhalb des Handelsrechts ist die Vereinbarung eines Abtretungsverbots zwischen Schädiger und Geschädigtem möglich, wenn zwischen ihnen ein vertragliches Schuldverhältnis besteht, sei es ein Flugbeförderungsvertrag oder ein beliebig anderer Vertrag, der eine Zahlungspflicht vorsieht. Insbesondere ist an Abtretungsverbote zu denken, die in den AGB von Fluggesellschaften oder Zahlungsschuldnern enthalten sind. Ein Abtretungsverbot in AGB, das die Abtretbarkeit für einen auf Geld gerichteten Anspruch des Vertragspartners (Fluggast/Zahlungsgläubiger) gegen den Verwender (Fluggesellschaft/Zahlungsschuldner) ausschließt, ist nun gemäß dem „Gesetz für faire Verbraucherverträge“139 prinzipiell unwirksam. Die gesetzliche Neuregelung ergänzt § 308 BGB um eine Nr. 9 mit entsprechender Regelung.140 Schon zuvor war eine solche AGB-Klausel gemessen an § 307 Abs. 1 S. 1 BGB als unwirksam angesehen worden, wenn ein schützenswertes Interesse des Verwenders (Fluggesellschaft/Zahlungsschuldner) an dem Abtretungsverbot nicht bestand oder die berechtigten Belange des Vertragspartners (Fluggast/Zahlungsgläubiger) an der freien Abtretbarkeit vertraglicher Ansprüche das entgegenstehende Interesse des Verwenders überwogen.141 Ebendiese Wertungsgesichtspunkte wurden nun in der neugeschaffenen Regelung festgeschrieben. Kein schützenswertes Interesse einer Fluggesellschaft ist dabei der Umstand, dass die Zulassung der Abtretung zu einer verstärkten Durchsetzung der gesetzlichen Schadensersatzansprüche ihr gegenüber führt.142 Darin offenbart sich nämlich ein Aspekt der prozessökonomischen Effizienz des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes. Es überwiegen die Interessen der Fluggäste an einer ungehinderten Anspruchsdurchsetzung.143 Vor allem würde die Anerkennung eines vertraglichen Abtretungsverbots das Konzept des gesetzgeberischen Instruments unterlaufen, Schadensersatzansprüche in solchen gleich- und massenartigen Leistungsstörungsfällen zu pauschalieren, in denen private Vertragsund Marktmechanismen versagen; das Abtretungsverbot zugunsten des AGB-Verwenders beruht im Zweifel auf Ausnutzung seiner faktisch stärkeren Verhandlungsposition und Marktmacht, gegen die sich die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung gerade richtet.144 Daher waren Abtretungsverbote in AGB schon nach 138 § 354a Abs. 1 S. 1 HGB mit Ausnahme der Darlehensforderungen von Kreditinstituten gem. Abs. 2. 139 Art. 1 Nr. 1 lit. b des Gesetzes für faire Verbraucherverträge vom 10. 8. 2021 (BGBl. I 3433). 140 § 308 Nr. 9 lit. a BGB n. F. 141 BGH, NJW 2006, 3486 Rn. 14; 2012, 2107 Rn. 9. 142 A. A. ist nur AG Bremen, Urt. v. 1. 6. 2017 – 9 C 63/17, Rn. 24 (juris). 143 So schon LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 30. 7. 2018 – 5 S 8340/17, Rn. 18 ff. (juris); AG Hannover, Urt. v. 8. 2. 2012 – 531 C 10491/11, Rn. 11 (juris); AG Köln, Beschl. v. 11. 10. 2016 – 113 C 381/16; AG Nürnberg, Urt. v. 9. 6. 2017 – 18 C 1869/17, Rn. 36 (juris). Ebenso Durchlaub/Beckmann, MDR 2017, 63 (65 ff.). 144 Vgl. die ähnliche Stoßrichtung bei BT-Drs. 12/7912, S. 24 re.Sp.; Berger, Rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen, S. 232; Durchlaub/Beckmann, MDR 2017, 63 (67); Demgegenüber kritisch Eidenmüller, AcP 204 (2004), 457 (467 f.).
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§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB als unwirksam anzusehen;145 mit der expliziten Regelung in § 308 Nr. 9 BGB n. F. bekräftigt dies der Gesetzgeber und bestärkt seine Regelungen des gesetzlich pekuniär pauschalierten Schadensersatzes.
III. Abgrenzung zu den Aufgaben nationaler Behörden Bevor im nächsten Abschnitt auf die Durchsetzung mittels staatlicher Justizorgane eingegangen werden soll, ist für den außergerichtlichen Bereich klarzustellen, dass es nicht zu den Aufgaben nationaler Aufsichts- und Administrativbehörden gehört, den einzelnen geschädigten Gläubiger eines gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs bei seiner Anspruchsdurchsetzung zu unterstützen. Die Durchsetzung im Einzelfall der – obwohl vom Staat in Gesetzesform pauschalierten – privaten Schadensersatzansprüche obliegt in der sozialen Marktwirtschaft nicht den Stellen der Exekutive. So besteht beispielsweise nach der Fluggastrechte-Verordnung zwar eine Beschwerdemöglichkeit des Fluggasts gegenüber nationalen Durchsetzungsstellen (national enforcement bodies),146 in Deutschland gegenüber dem Luftfahrt-Bundesamt, jedoch dient diese Aufsicht nicht der unmittelbaren Durchsetzung von Individualansprüchen.147 Dies hat auch der EuGH bekräftigt.148 Jedoch kann der Staat durch seine öffentliche Aufsicht immerhin gewährleisten, dass sich Schädiger nicht systematisch berechtigten Ansprüchen auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz verwehren und damit der Rechtsgemeinschaft und Volkswirtschaft entgegen der Pauschalierungsintention makroökonomische Nachteile zufügen. Beispielsweise können die nationalen Durchsetzungsstellen Missstände bei einer Fluggesellschaft beanstanden, denn sie sollen die generelle Einhaltung der Fluggastrechte-Verordnung überwachen.149 Wenn eine Fluggesellschaft häufig oder in einer Vielzahl von Fällen ihrer Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes nicht nachkommt und damit in schwerwiegender Weise gegen ihre Pflichten aus der Fluggastrechte-Verordnung verstößt, kann die Aufsicht Sanktionen verhängen und durchsetzen.150 Das Luftfahrt-Bundesamt kann bei Ordnungswidrigkeiten Bußgelder verhängen.151
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So auch BeckOK-Fluggastrechte/Maruhn, Art. 7 Rn. 60. Art. 16 Abs. 2 Fluggastrechte-Verordnung. 147 Bollweg, NZV 2015, 361 (362). 148 EuGH, Urt. v. 17. 3. 2016, C-145 – Ruijssenaars und Jansen, Rn. 31. 149 BeckOK-FluggastrechteVO/Maruhn, Art. 7 Rn. 83. 150 Erwgr. 21 und Art. 16 Abs. 1 und 3 Fluggastrechte-Verordnung; EuGH, Urt. v. 17. 3. 2016, C-145 – Ruijssenaars und Jansen, Rn. 32. 151 § 58 Abs. 1 Nr. 13 i. V. m. § 32 Abs. 5a LuftVG i. V. m. § 108 Abs. 2 Nr. 1 – 9 LuftVZO. 146
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C. Gerichtlich Die Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes beschränkt sich jedoch nicht auf die außergerichtlichen Möglichkeiten, sondern wird auch bei der gerichtlichen Geltendmachung deutlich, die in der Titulierung und ggf. zwangsweisen Durchsetzung unter Inanspruchnahme staatlicher Justizinstitutionen mündet. Im Folgenden sollen zunächst das Erfordernis der gerichtlichen Durchsetzung sowie die Fragen des Gerichtsstands und der Verfahrensbündelung erörtert werden, bevor die verschiedenen Verfahrensoptionen diskutiert werden: Der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz kann nicht nur im individuellen Erkenntnisverfahren prozessökonomisch effizient durchgesetzt werden, sondern auch im (vorgeschalteten) Mahnverfahren und – soweit verfügbar – in einem Verfahren über geringfügige Forderungen (Bagatellverfahren). Wichtig dabei und allen diesen gerichtlichen Verfahren gemein ist die im Fall des klägerischen Obsiegens erzielte Anspruchstitulierung. Darüber hinaus werden Möglichkeiten für Erkenntnisverfahren diskutiert, die kollektiv betrieben werden können. Abschließend wird auf die Zwangsvollstreckung titulierter, gesetzlich pauschalierter Schadensersatzansprüche unter prozessökonomischen Gesichtspunkten eingegangen.
I. Inanspruchnahme staatlicher Gerichte zur Durchsetzung gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes Dass die Inanspruchnahme staatlicher Gerichte notwendig ist, um den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch durchzusetzen, zeigt sich in den letzten Jahren besonders deutlich am Beispiel der Fluggastentschädigung: Einerseits ist sicherlich das Anspruchsbewusstsein der Fluggäste gestiegen, andererseits ist eine zunehmend zögerliche Anspruchserfüllung bis hin zur grundsätzlichen Anspruchszurückweisung durch die Fluggesellschaften zu beobachten.152 Anders als beispielsweise die Deutsche Bahn, die als (privatisiertes) Staatsunternehmen den Erstattungsansprüchen ihrer Kunden immerhin meist anstandslos nachkommt, sofern die Kunden das bürokratische Antragsverfahren gemeistert haben, lassen es die privaten Fluggesellschaften häufiger auf den Streit vor Gericht ankommen.153 Daraus erklärt sich die Zunahme an gerichtlichen Klageverfahren gerade bei den (Amts-) Gerichten, die mit den Klagen auf die gesetzlich pauschalierte Fluggastentschädigung befasst sind.154 152
Bollweg, NZV 2015, 361 (362). Vgl. Tonner, VuR 2014, 285 (286). 154 Vgl. dazu näher Blankenburg, DAR 2012, 536; Isermann/Berlin, RRa 2010, 207; Bollweg, NZV 2015, 361 (362); Geier, EuZW 2016, 773; Rebehn, DRiZ 2020, 82; Schindler/ Bues, ZLW 2014, 188 (189). 153
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Auch wenn die Pauschalierung keine unmittelbare Abhilfe gegen die Masse der geführten Parallelverfahren verschaffen kann, insbesondere wenn beispielsweise ein Flug annulliert wird und alle Fluggäste/Reisegruppen einzeln klagen müssen,155 bedeutet die gesetzliche Anspruchspauschalierung doch auch eine Erleichterung für die Gerichte im Vergleich zu der Situation, dass die Gerichte bei gleicher Verfahrenszahl in jedem Einzelverfahren die Anspruchsvoraussetzung und vor allem Schadenshöhe beurteilen müssten. Möchte sich der Geschädigte beim Amtsgericht oder muss er sich beim Landgericht anwaltlich im erstinstanzlichen Erkenntnisverfahren vertreten lassen,156 ist das Einklagen der gesetzlich pauschalierten Schadensersatzansprüche jedenfalls bei der Fluggastentschädigung und auch bei Zahlungsverzugsschadensersatz für eine hohe und/oder lang ausstehende Hauptforderung für Anwälte durchaus interessant,157 da die Prozessführung vergleichsweise einfach ist und die Streitwerte dafür relativ hoch sind. Hinzu kommt, dass die Zusage der Kostenübernahme durch – in Deutschland weit verbreitete158 – Rechtsschutzversicherungen leichtfällt, denn ihre Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage wird durch die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung gleichermaßen vereinfacht.159
II. Gerichtsstand und Verfahrensbündelung Für die Bestimmung des international, örtlich und sachlich zuständigen Gerichts sind grundsätzlich die allgemeinen Regelungen des (Internationalen160) Zivilverfahrensrechts anzuwenden.161 Allerdings sind im Zusammenhang mit der gesetzlichen Pauschalierung folgende bestehende Besonderheiten zu bedenken. Aufgrund spezialgesetzlicher Regelung, die zur prozessökonomischen Effizienz des gesetzlichen pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatzes beiträgt, besteht eine Besonderheit bei der Streitwertbestimmung für die sachliche Zuständigkeit162 (und ebenso für die Gerichtsgebühren163 und Anwaltsvergütung164). So ist zu be155
Geier, EuZW 2016, 773 (774). § 78 Abs. 1 S. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 ZPO. 157 So auch Tonner, VuR 2014, 285 (286). 158 Im Jahr 2018 bestanden über 22 Millionen Rechtsschutzversicherungspolicen in Deutschland, vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/6599/umfrage/vertragsbestandder-rechtsschutzversicherung-seit-1990/. 159 Vgl. zur Erfolgsaussichtsprüfung Ziff. 3.4.1.1 der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2012). 160 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L351/1 („Brüssel Ia-VO“). 161 §§ 1 ff., 12 ff. ZPO; § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG. 162 § 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO. 163 § 43 Abs. 1 GKG. 156
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rücksichtigen, dass sich der Zahlungsverzugsschadensersatz nicht streitwerterhöhend auswirkt, sofern die Verzugszinsen165 und der Beitreibungskostenbetrag166 nur als Nebenforderungen neben der ausstehenden Hauptforderung geltend gemacht werden. Keine Streitwertprivilegierung besteht allerdings für die Forderungen auf Fluggastentschädigung und auf den Zahlungsverzugsschadensersatz, wenn sie isoliert als Hauptforderungen geltend gemacht werden.167 Die internationale und örtliche Gerichtszuständigkeit besteht, wie gewöhnlich, jedenfalls am Sitz des schädigenden Schuldners.168 Der geschädigte Gläubiger kann den Schuldner aber auch am Erfüllungsort der gestörten und gesetzlich pauschaliert zu kompensierenden Leistung verklagen, sofern die Leistung auf einer vertraglichen Grundlage beruht.169 Dafür kann der Fluggast zwischen Abflug- und Zielort wählen.170 Erfüllungsort für den vertraglichen Zahlungsgläubiger bleibt allerdings der Schuldnersitz.171 Ist die Hauptforderung hingegen deliktisch, kann der Zahlungsgläubiger sowohl am Handlungs- als auch Erfolgsort klagen.172 Der geschädigte Gläubiger als Kläger kann mithin seine Wahl des Gerichtsstands173 unter Effizienzgesichtspunkten treffen. Für die verschiedenen Gerichte kann sich, da die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung Fälle gleich- und massenartiger Leistungsstörung betrifft, eine Häufung von sehr ähnlich gelagerten Klagen ergeben, beispielsweise bei der Annullierung eines Fluges mit mehreren hunderten Fluggästen, die sodann an den unterschiedlichen Orten klagen. Denkbar wäre es zur Kostensenkung aufseiten der Justiz, de lege ferenda die gerichtliche Durchsetzung eines bestimmten gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs bei einem national ausschließlich zuständigen Gericht zu bündeln, beispielsweise für Fluggäste entweder am Abflug- oder Zielort.174 Allerdings würde dies zulasten der Geschädigten und der Prozessöko164
§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG. BGH, MDR 2013, 1316; Herget, in: Zöller, ZPO, § 4 Rn. 11. 166 BAG, NJW 2019, 2420 Rn. 14 ff. 167 Arg. e contr. § 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO; § 43 Abs. 2 GKG. 168 §§ 12, 17 ZPO bzw. Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Allerdings besteht kein Gerichtsstand am Ort einer unbeteiligten Zweigniederlassung, vgl. EuGH, Urt. v. 11. 4. 2019, C-464/18 – Ryanair, Rn. 32 ff. 169 § 29 ZPO bzw. Art. 7 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO. 170 Zu insofern vertraglichen Qualifikation der Fluggastentschädigung siehe EuGH, Urt. v. 7. 3. 2018, C-274/16 – flightright u. a., Rn. 56 ff.; vgl. zuvor schon EuGH, Urt. v. 9. 7. 2009, C204/08 – Rehder, Rn. 44. Siehe ausführlich Lehmann, NJW 2007, 1500 ff.; ders., NJW 2010, 655 ff.; ders./Wancke, BRJ 2017, 107 (109 ff.). Ferner Lobach, IPRax 2019, 391 ff. 171 § 270 Abs. 4 BGB; BGH, NJW 1989, 1356; NJW-RR 2007, 777 Rn. 13; Beschl. v. 21. 1. 2009 – Xa ARZ 273/08 Rn. 17 (juris). 172 § 32 ZPO. 173 § 35 ZPO, der doppel-funktional auch für die internationale Zuständigkeit gilt; siehe BeckOK-ZPO/Toussaint, § 35 ZPO Rn. 13. 174 Vgl. den Vorschlag von Geier, EuZW 2016, 773 (777). 165
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
nomie ihrer Anspruchsdurchsetzung gehen. Gerade zugunsten der Geschädigten schafft der Gesetzgeber aber materiell-rechtlich pauschalierte Schadensersatzansprüche, sodass es widersinnig wäre, sie prozessual auf einen für sie nachteiligen, ausschließlichen Gerichtsstand zu beschränken. Dass es zahlreiche Klagen aufgrund gesetzlich pauschalierter Schadensersatzansprüche gibt, betont lediglich ihre Bedeutung und Notwendigkeit, rechtfertigt aber keine Abwälzung durch die Justiz auf ein zentrales Sondergericht. Bei jedem Gericht besteht jetzt schon die Möglichkeit zur Prozessverbindung,175 bei Parteizustimmung sogar spruchkörperübergreifend;176 die Voraussetzungen der subjektiven und objektiven Klagehäufung bei Geltendmachung des gleichgelagerten gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs aus ein und demselben Leistungsstörungsfall liegen nämlich vor.177
III. Individuelle Erkenntnis-, Mahn- und Bagatellverfahren Aufgrund der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung und ihrer oben aufgezeigten Vereinfachung der Geltendmachung, insbesondere durch die Entbehrlichkeit des Beweises entscheidender anspruchsbegründender Tatsachen wie der Schadenshöhe, Kausalität und Verantwortlichkeit,178 kann sie der individuelle Geschädigte einfach, günstig und schnell in einem gerichtlichen Erkenntnisverfahren geltend machen.179 Gerade bei geringen oder schwer bestimmbaren Schadensersatzbeträgen führt die gesetzliche Pauschalierung dazu, dass Klagen von Geschädigten eher erhoben werden und der Schädiger dadurch gezwungen wird, die von ihm zu verantwortende Leistungsstörung zu kompensieren.180 Außerdem wird eine verbreitet zu beobachtende „Hemmschwelle“ überwunden, die für Verbraucher in Anbetracht einer gerichtlichen Geltendmachung bei derzeit gut 1.800 Euro liegt,181 denn unterhalb dieses Streitwerts werden die Kosten und Mühen einer Klage auf herkömmliche, nicht pauschalierte Ansprüche gescheut; darüber kann die Pauschalierung hinweghelfen und die Schwelle gewissermaßen senken, indem sie die gerichtliche Anspruchsdurchsetzung vereinfacht und die Mühen und Scheu reduziert, kleine Beträge gerichtlich tatsächlich geltend zu machen.
175
§ 147 ZPO. Dazu auch Geier, EuZW 2016, 773 (776). Vgl. BAG, NZA 2002, 1349 (1352); siehe aber zum Erfordernis der Regelung im Geschäftsverteilungsplan BAGE 156, 359 Rn. 22 ff. 177 §§ 59 f., 260 ZPO. 178 Oben A. 179 Vgl. Law Commission (England and Wales), Report on Interest, Nr. 88, 1978, Rn. 38 zu den gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen. 180 Vgl. zu dieser Wirkung von statutory damages insbesondere Perrone v. Gen. Motors Acceptance Corp., 232 F.3d 433 (5th Cir. 2000), 436. 181 Allensbacher IfD-Umfrage 12012 (November 2019), wiedergegeben in RolandRechtsreport 2020, Teil A, S. 24. 176
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Im Klageverfahren gestalten sich sowohl die Antragsstellung als auch die Klagebegründung für den klagenden Geschädigten äußerst einfach, zumal es am beklagten Schädiger liegt, anspruchshindernde Tatsachen in seiner Klageerwiderung sodann darzulegen und ggf. zu beweisen.182 Für den Beklagten ist es aufgrund der Anspruchspauschalierung umgekehrt unattraktiv bis unmöglich, den Rechtsstreit zu verkomplizieren und damit die für ihn nachteilhafte Entscheidung taktisch hinauszuzögern.183 Der Kläger muss nur darauf achten, die gesetzliche Pauschale zutreffend zu bezeichnen,184 um einerseits seinen Anspruch vollständig durchzusetzen, denn trotz Pauschalierung seitens des Gesetzgebers gilt für den Zivilrichter unverändert das Prinzip ne ultra petita,185 und um andererseits eine teilweise, kostenpflichtige Klageabweisung wegen Unbegründetheit eines überschießenden Antrags zu vermeiden.186 Bei den Fixbeträgen der Fluggastentschädigung dürfte dies praktisch kein Problem sein, außer es wird die Halbierung der Pauschalen übersehen,187 aber beim gesetzlich pauschalierten Verzugszinssatz misslingt die korrekte Antragsstellung gelegentlich, wenn versehentlich fünf oder neun Prozent statt Prozentpunkten über dem Basiszinssatz beantragt werden.188 Ein solcher Antrag ist aber in aller Regel korrigierend auszulegen,189 sodass er im Sinne des gesetzlichen Pauschalbetrags verstanden wird. Um zunächst Kosten zu sparen, kann der Geschädigte vor Einleitung eines streitigen Verfahrens versuchen, seinen gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch im Wege des gerichtlichen Mahnverfahrens durchzusetzen.190 Da die Pauschalierung in Geld besteht und von keiner Gegenleistung mehr abhängt,191 kann das Verfahren gegen inländische Beklagte ganz einfach online bei Zentralen Mahngerichten eingeleitet werden.192 Auch die oben benannten Inkassodienstleister können ein Mahnverfahren selbst betreiben.193 Für Beklagte in einem anderen EU182
Etwa gem. § 286 Abs. 4 BGB oder Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung. Vgl. in Bezug auf die Zahlungsverzugsschadensersatzpauschalierung Knoll, Texas Law Review 75 (1996), 293 (297). 184 In Gemäßheit des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. 185 § 308 Abs. 1 ZPO mit besonderer Betonung der Geltung dieses Prinzips für Nebenforderungen wie (Verzugs-)Zinsen, siehe S. 2. 186 Vgl. § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. 187 Art. 7 Abs. 2 Fluggastrechte-Verordnung. 188 Bei einer juris-Stichprobe (1. 9. 2019) fanden sich mehr als 4.000 Treffer in erst- und zweitinstanzlichen Entscheidungen, die im Klageantrag (und/oder sogar im Tenor) eine Formulierung wie „5 % Zinsen über dem Basiszinssatz“ enthielten. 189 Vgl. Weidlich, DNotZ 2004, 820 ff.; ferner Führ, JuS 2005, 1095 ff.; a. A. Hartmann, NJW 2004, 1358 ff. 190 §§ 688 ff. ZPO. 191 § 688 Abs. 1, 2 Nr. 2 ZPO. 192 Vgl. § 689 Abs. 1 S. 2 und 4, Abs. 3 ZPO, in NRW beispielsweise bei den Amtsgerichten Euskirchen und Hagen. 193 Wohingegen sie sich bei einem Klageverfahren (auch vor den Amtsgerichten) anwaltlich vertreten lassen müssen, § 79 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO. 183
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
Mitgliedstaat steht praktischerweise das Europäische Mahnverfahren zur Verfügung, das in Deutschland zentral beim AG Berlin-Wedding einzuleiten ist.194 Legt der Antragsgegner im Mahnverfahren Widerspruch ein, kann sich der Gläubiger dazu entscheiden, seinen Anspruch wie oben dargelegt in einem gerichtlichen Erkenntnisverfahren einzuklagen.195 Da die gesetzlichen Schadensersatzpauschalen den Streitwert von 5.000 Euro in aller Regel nicht überschreiten, steht bei grenzüberschreitenden Fällen innerhalb der EU auch noch das besonders einfache und kostengünstige „Bagatellverfahren“ (small claims procedure) zur Verfügung.196 Dies vereinfacht nicht nur die Durchsetzung von Zahlungsverzugsschadensersatz gegen ausländische Gläubiger bei internationalen Rechts- und Geschäftsbeziehungen,197 sondern gerade auch die Durchsetzung der Fluggastentschädigung gegen Fluggesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat.198 Vorteilhaft am Bagatellverfahren ist, dass es durch Formulare eingeleitet wird199 und kurze Verfahrensfristen für ein zügiges Urteil vorgegeben sind.200 Das Verfahren soll grundsätzlich nur schriftlich geführt werden;201 eine etwaige mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme können mittels Videokonferenz erfolgen.202 Zudem soll sich das Gericht bei Notwendigkeit einer Beweisaufnahme – beispielsweise über außergewöhnliche Umstände – für das einfachste und kostengünstigste Beweismittel entscheiden.203 Für rein inländische Sachverhalte existiert zwar kein Pendant zum unionsrechtlich geschaffenen Bagatellverfahren, allerdings kann bei den Amtsgerichten immerhin ein „Verfahren nach billigem Ermessen“ durchgeführt werden, wenn der Streitwert 600 Euro nicht übersteigt,204 wie es etwa bei individuellen Klagen von Fluggästen regelmäßig der Fall sein dürfte.205
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Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. L399/1); §§ 1087 ff. ZPO. 195 §§ 696 f. ZPO. Beim Europäischen Mahnverfahren gilt Entsprechendes nach Einspruch gegen den Europäischen Zahlungsbefehl, §§ 1090 f. ZPO. 196 Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 7. 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (ABl. L199/ 1) („Bagatell-Verordnung“). 197 Die Verordnung ist im Anwendungsbereich weder auf B2B noch auf B2C beschränkt, vgl. Art. 2 Bagatell-Verordnung. 198 Vgl. Mayer/Lindemann, NJW 2012, 2317 (2319 ff.). 199 Art. 4 Abs. 1 Bagatell-Verordnung. 200 Siehe insbes. Art. 7 und 14 Bagatell-Verordnung. 201 Art. 5 Abs. 1 Bagatell-Verordnung. 202 Art. 8, 9 Abs. 1 S. 3 Bagatell-Verordnung. 203 Erwgr. 20 S. 2 Bagatell-Verordnung. 204 § 495a ZPO. 205 Art. 7 Abs. 1 lit. c Fluggastrechte-Verordnung sieht als Höchstsatz genau 600 Euro vor.
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IV. Kollektivverfahren Soweit sich gesetzliche Schadensersatzpauschalen in kollektiven Erkenntnisverfahren geltend machen lassen, kann es zu einer ganz erheblichen Steigerung ihrer Bedeutung kommen. Klein(pauschal)beträge können durch prozessuale Kollektivierung der Ansprüche einer Vielzahl von Klägern eine überwältigende Wirkung entfalten,206 wie es insbesondere das Beispiel der US-amerikanischen class actions zeigt.207 Umgekehrt kann sich der eine in Anspruch genommene Schädiger aggregierten Forderungen gegenübersehen, die absurde Höhe erreichen.208 Vor- und Nachteile einer kollektiven Geltendmachung sind also nicht zu unterschätzen. Dabei sind allerdings auch Schwächen der prozessualen Mittel zur kollektiven Geltendmachung zu bedenken.
1. Deutsche Musterfeststellungsklage In Deutschland bestanden lange Zeit keine prozessualen Mechanismen, die eine auch nur annähernd so effektive und zugleich bedrohliche Kollektivierung gestatten würden.209 Zwar können Gläubiger ähnlicher Forderungen als Streitgenossen klagen oder es können ihre Verfahren bei demselben Gericht verbunden werden,210 sofern es nicht einfacher ist, dass mehrere Gläubiger eine Person mit der Durchsetzung ihrer gleichgelagerten Forderungen beauftragen oder ihr die Forderungen abtreten.211 Allerdings bündelt dies die Wirkungen der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung nicht wirklich, etwa bei der Fluggastentschädigung eines annullierten Flugs.212 Seit 2018 besteht in Deutschland immerhin die Möglichkeit, in einer Musterfeststellungsklage „die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungsziele) zwischen Verbrau206 Vgl. Frank/Henke/Singbartl, VuR 2016, 333 (334); Wagner, Neue Perspektiven im Schadensrecht, S. A107 ff.; ders., Common Market Law Review 51 (2014), 165 (189 ff.). 207 Amchem Prods. Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591 (1997), 617; Dam, Journal of Legal Studies 4 (1975), 47 (49); Epstein, University of Chicago Legal Forum 2003, 475 ff. (insbes. 490); Hensler et al., Class action dilemmas, S. 69 ff.; Leslie, Florida Law Review 59 (2007), 72 (74 ff.). Zuvor schon Kalven/Rosenfield, University of Chicago Law Review 8 (1941) 684 ff. Aus deutscher Sicht Hopt/Kulms/v. Hein, Rechtshilfe und Rechtsstaat, S. 6 f. und 12 ff. 208 Scheuerman, Missouri Law Review 74 (2009), 103 (104); Thelen, ZVglRWiss 117 (2018), 156 (161). Hinzu kommt der Effekt, dass der Schuldner auf einen Schlag gegenüber vielen Gläubigern unterliegen würden und nicht nur in einem von mehreren Fällen („amplification effect“, vgl. Epstein, University of Chicago Legal Forum 2003, 475 ff. (insbes. 500 ff.); Nagareda, Columbia Law Review 106 (2006), 1872 (1881)). 209 Vgl. zur Fluggastentschädigung etwa Röckrath, RRa 2004, 146 (151). 210 § 147 ZPO und §§ 59 f., 260 ZPO. 211 Gewillkürte Prozessstandschaft bzw. § 398 BGB. 212 Vgl. zu den Möglichkeiten Hausmann, Fluggastrechte, S. 523 ff.
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
chern und einem Unternehmer“ treffen zu lassen.213 Einschränkend zu beachten ist allerdings, dass nur etablierte Verbraucherschutzverbände und ähnliche „qualifizierte Einrichtungen“ i. S. d. UKlaG, die die restriktiven Anforderungen der neuen ZPO-Regelung erfüllen, eine solche Musterfeststellungsklage initiieren können,214 welche zudem die angemeldeten Ansprüche von letztlich mindestens 50 Verbrauchern betreffen muss.215 In einem Musterfeststellungsklageverfahren kann aber beispielsweise das (Nicht-) Bestehen außergewöhnlicher Umstände in Bezug auf die Annullierung eines bestimmten Flugs mit mehreren hundert Fluggästen geklärt werden. In anschließenden individuellen Erkenntnisverfahren können die Fluggäste dann sehr viel einfacher einen Titel über ihren jeweiligen Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch durchsetzen, wenn sich die Fluggesellschaft nicht mehr exkulpieren kann und weitere Anspruchsvoraussetzungen aufgrund der Pauschalierung nicht beweisbedürftig sind. Unter Umständen ist die Fluggesellschaft nach Abschluss des Verfahrens über die Musterfeststellungsklage und Klärung der maßgeblich streitigen Frage auch bereit, die berechtigten gesetzlich pauschalierten Schadensersatzansprüche zu erfüllen. Somit kann das Musterfeststellungsverfahren eine prozessökonomische Effizienzsteigerung, die über die Vorzüge der (kollektivierenden) Inkassodienstleistung hinausgeht,216 in geeigneten Fällen bieten, sofern sich eine dafür geeignete qualifizierte Einrichtung findet und einsetzt; dies dürfte derzeit zumindest noch das Hauptproblem sein,217 zumal eine ad hoc-Gründung und Registrierung einer solchen Einrichtung am gesetzlichen Bestandsdauererfordernis scheitert.218 Durch die materiell-rechtliche Schadensersatzpauschalierung, die sich jedenfalls in den anschließenden individuellen Erkenntnisverfahren sehr positiv auswirkt, wird die wesentliche Schwachstelle des Musterfeststellungsverfahrens vermieden, nämlich dass die effiziente kollektivierte Betrachtung ins Wanken gerät, sobald es auf individuelle Schäden ankommt.219 Trotz der bestehenden Hürden, die sich aufgrund der Regelungen zur Musterfeststellungsklage für die kollektive Geltendmachung ergeben, kann mithin festgestellt werden, dass sich der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz besonders dafür eignet, neben Individualverfahren auch in solchen Kollektivverfahren durch-
213
§ 606 Abs. 1 S. 1 ZPO. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG i. V. m. § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO. 215 § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO. 216 Diese betonen aber Habbe/Gieseler, BB 2017, 2188 (2190 f.). 217 Vgl. beispielsweise die vom BGH verneinte Klagebefugnis des Vereins „Schutzgemeinschaft für Bankkunden“ (Urt. v. 17. 11. 2020 – XI ZR 171/19). 218 § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO. 219 Vgl. Schneider, BB 2018, 1986 (1995) am Beispiel der Schäden durch Kfz-Abgasmanipulation. 214
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gesetzt zu werden, soweit dies eben möglich ist, und dass gesetzliche Anspruchspauschalierung solchen Kollektivverfahren zupasskommt. 2. Europäische Verbandsklage Auf europäischer Ebene wurde Ende 2020 eine Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher verabschiedet,220 die Mindestvorgaben für die Harmonisierung solcher Kollektivverfahren macht.221 Die Richtlinie ist bis Ende 2022 in nationales Recht umzusetzen, das dann ab Mitte 2023 gelten soll.222 Zu den abschließend aufgeführten materiell-rechtlichen Vorschriften, die von der europäischen Verbandsklage umfasst sind,223 gehört insbesondere die Fluggastrechte-Verordnung.224 Hingegen werden Ansprüche, die auf den ZahlungsverzugsRichtlinien und ihrer Umsetzung im nationalen Recht beruhen, nicht mit der europäischen Verbandsklage verfolgbar sein, weil der Zahlungsverzugsschadensersatz auf der Ebene des europäischen Rechts nur auf den Geschäftsverkehr zugeschnitten ist;225 das insofern überschießende deutsche Recht könnte aber bei der Richtlinienumsetzung die Verbandsklage auch für den Zahlungsverzugsschadensersatz öffnen. Innerstaatliche wie grenzüberschreitende Verbandsklagen sollen auf den Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (allgemeine Interessen und gruppenbezogene Abhilfemaßnahmen)226 gerichtet und von einer qualifizierten Einrichtung (z. B. Verbraucherorganisation) zu erheben sein,227 um eine Unterlassungsentscheidung und/oder eine Abhilfeentscheidung zugunsten des Verbraucherkollektivs zu erwirken.228 Für die kollektive gerichtliche Durchsetzung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes ist insofern die sog. Abhilfeentscheidung relevant: Dadurch soll der beklagte Unternehmer verpflichtet werden, den betroffenen Verbrauchern die angemessene und (unions)rechtlich vorgesehene Entschädigung zu leisten,229 beispielsweise gemäß Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung.
220 Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. L409/1). 221 Art. 1 Abs. 1 Verbandsklagen-Richtlinie. 222 Art. 24 Abs. 1 Verbandsklagen-Richtlinie. 223 Art. 2 Abs. 1 S. 1 Verbandsklagen-Richtlinie. 224 Anhang I, Ziff. 13 Verbandsklagen-Richtlinie. Siehe auch Lühmann, NJW 2019, 570. 225 Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Nr. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 226 Art. 3 Nr. 3 Verbandsklagen-Richtlinie. 227 Art. 4 ff. Verbandsklagen-Richtlinie. Basedow, EuZW 2018, 609 (611 f.). 228 Art. 8 f. Verbandsklagen-Richtlinie. 229 Art. 9 Verbandsklagen-Richtlinie.
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5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
Eine Besonderheit der europäischen Verbandsklage im Vergleich zur deutschen Musterfeststellungsklage (mit ggf. anschließenden Individualverfahren) ist, dass die Mitgliedstaaten ausdrücklich sicherzustellen haben, dass die Verbraucher durch die Abhilfeentscheidung Anspruch auf Schadensersatz haben, ohne eine gesonderte Klage erheben zu müssen.230 Dies mag bei gesetzlich pauschaliertem Schadensersatz weitgehend gelingen. Die Praktikabilität und damit die realisierbare Effektivität der europäischen Verbandsklage darf aber im Übrigen durchaus bezweifelt werden.231 Somit bestehen zwar ähnlich wie bei der deutschen Musterfeststellungsklage gewisse Einschränkungen der Möglichkeit zur kollektiven Durchsetzung von Ansprüchen mithilfe der europäischen Verbandsklage, jedoch eignet sich und begünstigt die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung solche Kollektivverfahren entscheidend. 3. Abgrenzung zu class actions nach US-amerikanischem Vorbild Für die Geschädigten deutlich effektivere Kollektivverfahren zur gerichtlichen Geltendmachung gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes sind aber nicht unbedingt wünschenswert, weil sie unangemessene Nachteile für den Schädiger mit sich bringen würden. So lassen sich in den USA statutory damages, die meist dem Verbraucherschutz dienen,232 mittels der oben erwähnten class actions, in denen ein Vertreter ein Verfahren für eine bestimmte Gruppe führt,233 geltend machen. Durch diese Kombination kann der Schädiger bis in die Insolvenz getrieben werden, worunter wiederum alle Geschädigten und die meisten weiteren Gläubiger des Schädigers zu leiden haben, weil sie dann höchstens noch quotal befriedigt werden. Jedenfalls wird der Schädiger durch die Kombination von statutory damages mit class actions übermäßig abgeschreckt und im Zweifel in einen Vergleich gezwungen,234 der keinen angemessenen Ausgleich und damit Rechtsfrieden schafft. In den USA werden diese Folgen vom Supreme Court seit inzwischen einhundert Jahren gebilligt, soweit sie nicht enteignungsähnlich „extrem exzessiv“235 sind und die fair trial-Verfassungsgrundsätze verletzen;236 anders als in Deutschland soll gesetzlich pauschalierter
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Art. 9 Abs. 6 Verbandsklagen-Richtlinie. Siehe nur die Kritik von Basedow, EuZW 2018, 609 (614); Lühmann, NJW 2019, 570 (572). Ferner Domej, ZEuP 2019, 446 (469 ff.). 232 Siehe etwa Buhai, Kansas Law Review 66 (2018), 523 (528 ff.). 233 US Federal Rules of Civil Procedure, Rule 23; dazu Hopt/Kulms/v. Hein, Rechtshilfe und Rechtsstaat, S. 27 ff. 234 Scheuerman, Missouri Law Review 74 (2009), 103 (104 und 111). 235 Waters-Pierce Oil Co. v. Texas, 212 U.S. 86 (1909), S. 111. 236 5th & 14th Amendments, Due Process. 231
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Schadensersatz in den USA aber auch eine im Grunde genommen pönale Wirkung haben und Strafzwecken dienen.237 In Deutschland und Europa sollten daher keine Verfahren wie class actions nach US-amerikanischem Vorbild zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, die der nationale oder Unionsgesetzgeber zu lediglich kompensatorisch und präventiv wirkenden Zwecken pauschaliert,238 geschaffen werden.
V. Vollstreckungsverfahren Mündet ein gerichtliches Verfahren in einem titulierten Anspruch auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz, kann der Gläubiger sehr einfach in das Vermögen des Schuldners vollstrecken, d. h. in dessen bewegliche und unbewegliche Sachen sowie Forderungen und andere Vermögensrechte.239 Dank Schadenskompensation statt Naturalrestitution handelt es sich beim titulierten Schadensersatz stets um eine Geldforderung. Die Vollstreckbarkeit mithilfe staatlicher Stellen wie Gerichtsvollzieher240 und Vollstreckungsgericht,241 die die Forderung zwangsweise durchsetzen können, ist der größte Vorzug im Anschluss an die gerichtliche Geltendmachung gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes – insbesondere im Vergleich zur außergerichtlichen Geltendmachung im Schlichtungsverfahren. Dabei dient nicht nur ein Endurteil eines Erkenntnisverfahrens (u. U. im Nachgang zu einem Musterfeststellungsurteil) als Vollstreckungstitel,242 sondern auch ein Vollstreckungsbescheid,243 der dem Gläubiger erteilt wird, wenn der Schuldner keinen Widerspruch gegen den Mahnbescheid eingelegt hat.244 In grenzüberschreitenden EU-Bagatellverfahren kann ferner direkt aus der Entscheidung vollstreckt werden, ohne dass es eines Anerkennungs- und Vollstreckbarkeitsverfahrens in Deutschland bedürfte.245 Die Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes, trotz eines zunächst unabkömmlichen, zeit- und kostenaufwendigen Erkenntnisverfahrens, bewahrheitet sich also wiederum in der einfachen Vollstreckbarkeit. In Bezug auf die gesetzliche Pauschalierung besteht dabei ein besonderer Vorteil darin, dass verse237
Waters-Pierce Oil Co. v. Texas, 212 U.S. 86, S. 112. Die spätere Leitentscheidung BMW of North America, Inc. v. Gore, 517 U.S. 559 (1996) hat insofern keine für statutory damages relevanten Neuerungen gebracht, obgleich dies nicht einleuchtend ist, vgl. Evanson, Georgetown Journal of Law & Public Policy 3 (2005), 601 (617 ff.). 238 Zu den Funktionen ausführlich oben, Kap. 4 B. I. 239 §§ 802a ff. ZPO. 240 § 753 Abs. 1 ZPO. 241 Für die Vollstreckung in Forderungen und andere Vermögensgegenstände, § 828 ZPO. 242 § 704 ZPO. 243 § 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. 244 § 699 ZPO. 245 Art. 20 Abs. 1 Bagatell-Verordnung; vgl. Mayer/Lindemann, NJW 2012, 2317 (2320 f.).
252
5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
hentlich abweichende Titulierungen von den Vollstreckungsorganen korrigierend auszulegen sind, wie der BGH klargestellt hat.246
D. Digitale „smarte“ Möglichkeiten durch legal tech Die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung ist geradezu prädestiniert dazu, dass die ganz weitgehend rechtlich unproblematischen Ansprüche mittels digitaler Mittel durchgesetzt werden. Angesichts der trotz Pauschalierung bestehenden Hürden bei der außergerichtlichen Durchsetzung sowie der Überlastung der Gerichte gibt es dafür auch einen realen Bedarf. Die bisher existierenden und konkret geplanten Lösungen versuchen, über die oben diskutierten Möglichkeiten der Anspruchsdurchsetzung hinauszugehen; dafür besteht aber ein noch weitaus größeres Potenzial, das es künftig auszuschöpfen gilt.
I. Existierende und konkret geplante Lösungen: von Smartphone-App zu smart contracts Derzeit gibt es immerhin für den außergerichtlichen Bereich eine SmartphoneApp „Flugärger“, die die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen erstellt hat und kostenlos zur Verfügung stellt.247 Es handelt sich um ein „Selbsthilfe-Tool“ für Fluggäste, um ihre Ansprüche nach der Fluggastrechte-Verordnung einfacher zu berechnen, indem die App neben Angaben des Nutzers auch Flugdatenbankabfragen vornimmt und um ihre Ansprüche bei der Fluggesellschaft per E-Mail geltend zu machen.248 Wenn die Fluggesellschaft die Ansprüche ablehnt, kann die zuständige Schlichtungsstelle kontaktiert werden. Die App hilft dabei mit einem „Fristenwecker“, und in einer sog. Historien-Ansicht lässt sich die weitere Anspruchsverfolgung in der App organisieren. Die gesetzlich pauschalierte Fluggastentschädigung (und künftige Entschädigung anderer Passagiere) eignet sich darüber hinaus dazu, ein vollständig digitales und automatisiertes Verfahren für deren Geltendmachung einzuführen. Wie schon die CDU, CSU und SPD als Regierungsparteien der 19. Legislaturperiode des Bundestags in ihrem Koalitionsvertrag 2018 vereinbart hatten, die Rechtsdurchsetzung durch Digitalisierung, insbesondere durch smart contracts zu verbessern, will auch die Nachfolgeregierung von SPD, Grünen und FDP in der 20. Legislaturperiode
246
BGH, NJW-RR 2013, 511 Rn. 12. Abrufbar für Apple iOS und Google Android Smartphones, beispielsweise unter https: //play.google.com/store/apps/details?id=de.verbraucherzentralenrw.flugaerger. 248 Siehe die Beschreibung auf https://www.verbraucherzentrale.de/unterwegs-sein/flugaer ger-mit-app-entschaedigung-berechnen-40119. 247
D. Digitale „smarte“ Möglichkeiten durch legal tech
253
Schadensersatz(pauschalen) bei allen Verkehrsträgern automatisieren.249 Auch die Länder haben sich in einer Entschließung des Bundesrates ähnlich positioniert: Über freiwillige Selbstverpflichtungen der Branche hinaus werden gesetzliche Maßnahmen – etwa hinsichtlich der Automatisierung des Entschädigungsverfahrens – als echte Verbesserungen des Verbraucherschutzes bei den Fahrgastrechten angedacht.250 Zur Begründung wird angeführt, dass es das Ziel sein solle, „durch gesetzliche Maßnahmen ein antragsloses und automatisiertes Entschädigungsverfahren für die Transportunternehmen verpflichtend zu machen.“251 Ähnlich hat sich auch die Justizministerkonferenz positioniert, „den Unternehmen verbindlich Legal-TechAnwendungen für die Abwicklung von Fahrgastansprüchen … vorzuschreiben.“252 Für eine weitere Automatisierung der Durchsetzung der Fluggastentschädigung sind insbesondere die politisch schon diskutierten, aber nicht unumstrittenen smart contracts zu erwägen.253
II. Weitergehendes Potenzial von legal tech In der Zukunft sind weitere, effektivere Umsetzungen durch legal tech zu erwarten, die etwa auch über maschinelle Assistenz beim Forderungsmanagement im Zahlungsverkehr hinausgehen.254 Dabei darf die (jedenfalls zwangsweise) Rechtsdurchsetzung aber nicht von staatlichen Justizorganen, in denen Einzelfallentscheidungen durch Menschen abgewogen und getroffen werden, vollständig in Automatismen verlagert werden, ohne dass es menschliche Kontrollinstanzen gäbe.255 In Kombination mit der materiell-rechtlichen Pauschalierung könnte man sich eine weitergehende prozessuale „Pauschalierung“ im Sinne einer Automatisierung vorstellen, in der grundsätzlich eine Durchsetzung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs nach entsprechend ordnungsgemäßer Beantragung und maschineller Prüfung der Anwendungsbereichseröffnung erfolgt, aber dem Schädiger die Möglichkeit eingeräumt wird, dagegen im Einzelfall ein staatliches Gericht 249 Koalitionsvertrag 2018, „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“, S. 124, Zeilen 5825 ff.; Koalitionsvertrag 2021, „Mehr Fortschritt wagen: Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“, S. 113. 250 Entschließung des Bundesrates „Fahrgastrechte stärken – Entschädigungsansprüche der Verbraucherinnen und Verbraucher bei Verspätungen und Ausfällen im Flug- und Bahnverkehr automatisieren“, 14. 12. 2018, BR-Drs. 571/18, Ziff. 4. 251 BR-Drs. 571/18, S. 2. 252 Beschluss der 91. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister, 26./27. 11. 2020, TOP I 9 „Fahrgastrechte durch Legal-Tech Anwendungen stärken“, Ziff. 3. 253 Tavakoli, ZRP 2020, 46 (48 f.); a. A. Steinrötter, RRa 2020, 259 (261). 254 Dazu und den zu den bestehenden Problemen (auf der Basis empirischer Daten) Kokalj/ Paffenholz/Schröer, Zahlungsverzug und Forderungsmanagement, S. 144 ff. 255 Vgl. Djazayeri, jurisPR-BKR 12/2016 Anm. 1 a. E.
254
5. Kap.: Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes
anzurufen, das eine abweichende Einzelfallentscheidung treffen kann – etwa bei Nachweis außergewöhnlicher Umstände.256 Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis würde sich gerade in gleich- und massenartigen Leistungsstörungskonstellationen bewähren, die wie bei der Fluggastentschädigung typisierbar sind.257 Damit würde nicht nur die Initiativlast von den einzelnen Kunden auf die unternehmerischen Schuldner (z. B. Fluggesellschaften) verlagert und das prozessuale Hauptproblem bei der Durchsetzung gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes behoben.258 Auch im unternehmerischen Rechtsverkehr könnten smart contracts mindestens genauso nützlich sein, gerade für automatischen Zahlungsverzugsschadensersatz.259
E. Zwischenergebnis Das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung vereinfacht die Geltendmachung und Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs für den Geschädigten derart, dass sich die prozessökonomische Wirkung eindeutig bejahen lässt. Sofern der Kläger die Eröffnung des Anwendungsbereichs des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes darlegen und beweisen kann, was in aller Regel einfach gelingt, entfällt die Beweisbedürftigkeit hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen wie Schaden und Kausalität, deren Nachweis gewöhnlich Schwierigkeiten bereitet. Damit geht die Effizienzwirkung des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung deutlich über die herkömmlichen Möglichkeiten des Anscheinsbeweises und der richterlichen Schadensschätzung hinaus. Dem Schädiger ist es lediglich gestattet, ausnahmsweise seine Exkulpation in den engen materiell-rechtlichen Grenzen nachzuweisen. Allerdings ist dem Geschädigten nicht auch noch ein Auskunftsanspruch hinsichtlich des (Nicht-)Vorliegens bestimmter Tatbestandsmerkmale zuzubilligen. Durch die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung wird die außergerichtliche Durchsetzung erheblich vereinfacht. Vor allem die Möglichkeit, den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens geltend machen zu können, trägt maßgeblich zur Zeit- und Kosteneffizienz bei. Der Geschädigte kann alternativ oder anschließend auch einen kommerziellen Dienstleister beauftragen, da sich der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz besonders für ein Vorgehen wie beim (un)echten Factoring anbietet. Hingegen ist es nicht die 256
Zu einer solchen „Justizschnittstelle“ vgl. Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618 (624); Simmchen, MMR 2017, 162 (164). Allgemein zum Potenzial digitaler Justiz Rühl, JZ 2020, 809 (811 ff.). 257 Fries, NJW 2019, 901 (904); Hofmann, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 129; Latzel, Verhaltenssteuerung, S. 467. 258 Fries, AnwBl 2018, 86 (88); ders., NJW 2019, 901 (904); Hofmann, in: Fries/Paal, Smart Contracts, S. 129. 259 Zu Schadensersatz für Leistungsstörung in smart contracts siehe Fries, NJW 2019, 901 (902).
E. Zwischenergebnis
255
Aufgabe staatlicher Aufsichts- und Durchsetzungsstellen, sich um die Individualansprüche auf gesetzlich pauschalierten Schadensersatz zu kümmern. Dafür steht die gerichtliche Geltendmachung zur Verfügung, die im Fall des klägerischen Obsiegens in der Titulierung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs mündet. Effizienzvorteile bestehen bereits bezüglich der Gerichtszuständigkeit und der Möglichkeit zur Verfahrensbündelung. Der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz kann nicht nur in einem gewöhnlichen Erkenntnisverfahren eingeklagt werden, sondern mithilfe eines Mahnverfahrens oder europäischen Bagatellverfahrens gerade in grenzüberschreitenden Fällen besonders einfach geltend gemacht werden. Für die kollektive Geltendmachung, mit der sich die Effizienzwirkung vervielfachen lässt, kann sich in Deutschland die Musterfeststellungsklage eignen und künftig auch die europäische Verbandsklage. Einfach gelingt die Vollstreckung des titulierten, gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs. Legal tech kann künftig die Prozessökonomie des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes weiter stärken. Digitale Möglichkeiten bestünden insbesondere mit Blick auf automatisierte Vertragsentschädigungen in smart contracts.
Sechstes Kapitel
Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz Neben der prozessökonomischen Effizienzwirkung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes stellt sich die weitaus kritischere Frage, inwiefern der Gesetzgeber mit seinem Instrument eine gezielte Verhaltenssteuerung bewirkt.1 Die Verhaltenssteuerung im Privatrecht – sei es zur Prävention oder Motivation eines bestimmten Verhaltens Privater – ist nicht unumstritten. Akzeptiert man sie, können darauf aufbauend die Wirkungen des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes sowohl auf das Verhalten des potenziellen Schädigers als auch auf das Verhalten des Geschädigten analysiert werden. Verhaltenssteuerung könnte in diesem Kontext sogar als ein neues Paradigma des modernen Privatrechts anzusehen sein. Zunächst ist allein angesichts des Umstands, dass die Schadensersatzpauschalierung durch eine gesetzliche Regelung erfolgt, aufgrund dessen nach einer Präventionswirkung gegenüber dem potenziellen Schädiger zu fragen. Vor allem ist aber zu untersuchen, inwiefern die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung eine Präventionswirkung gegenüber dem potenziellen Schädiger aufgrund ökonomischer Rationalität entfaltet, warum es sich also für den potenziellen Schädiger lohnt, größere Anstrengungen zu unternehmen, um eine Leistungsstörung und den dafür gesetzlich pauschalierten Schadensersatz zu vermeiden. Dafür kann auf das klassische Modell der ökonomischen Analyse des Schadensersatzrechts zurückgegriffen werden, das für die Leistungsstörungskonstellationen zu adaptieren ist. Diskussionswürdige Besonderheiten des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes ergeben sich daraus, dass die Leistungsstörungsfälle massenhaft auftreten und mit der gesetzlichen Pauschalierung Skaleneffekte einhergehen können; dass die gesetzlichen Pauschalen nur Mindestbeträge darstellen und daher ein Anreiz zum „effizienten Rechtsbruch“ vermieden werden kann; und dass die gesetzliche Pauschalierung zu einer Internalisierung der externen Kosten des Geschädigten aufseiten des cheapest cost avoider führt. Kritisch zu bedenken ist, dass die präventiv verhaltenssteuernde Wirkung allerdings durch manipulative Maßnahmen des potenziellen Schädigers zur Umgehung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes oder durch Abwendung der Haftungsfolgen vermindert werden könnte. Außerdem ist zur Befürchtung von 1 Verhaltenssteuerung soll im Folgenden als die zielgerichtete Steuerung menschlichen Verhaltens verstanden werden, allerdings beschränkt auf Steuerung durch (Gesetzes-)Recht; vgl. die Definition von Arnold, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 41 f.
A. Umstrittener Zweck im Schadensersatzrecht
257
adversen Effekten Stellung zu nehmen, dass nämlich Schädiger – insbesondere Fluggesellschaften – ihr Verhalten auf die gesetzlichen Schadensersatzpauschalen ausrichten und die dafür anfallenden Kosten in Form von Preiserhöhungen auf die Fluggäste umlegen. Hinsichtlich der Steuerung des Verhaltens des Geschädigten ist zu untersuchen, inwiefern ihn die gesetzliche Pauschalierung dazu motiviert, seinen Schadensersatzanspruch tatsächlich geltend zu machen. Der individuelle Vorteil, durch den er motiviert wird, kann allerdings auch übermäßig sein (windfall profit), was unter dem Gesichtspunkt ausgleichender Kompensation bedenklich und daher zu hinterfragen ist. Zu diskutieren ist außerdem, welche überindividuelle Wirkung der Geltendmachung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs durch den Geschädigten zukommt, ob also der Geschädigte dazu motiviert wird, gewissermaßen in eine Rolle zu schlüpfen, die der eines private attorney general vergleichbar ist.
A. Umstrittener Zweck im Schadensersatzrecht Verhaltenssteuerung – insbesondere in der Form der Prävention – als einen Zweck des allgemeinen, gesetzlich nicht pauschalierenden Schadensersatzrechts anzuerkennen, wurde traditionell abgelehnt und hat erst in jüngerer Zeit Anerkennung erfahren. Bevor auf die Wirkung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung für die Verhaltenssteuerung eingegangen werden kann, die sich in diesem Kontext als neues Paradigma erweisen könnte, bedarf es zunächst einer klärenden Einordnung der bisherigen Ansichten.
I. Traditionelle ablehnende Haltung Wie auch in anderen Rechtsbereichen2 wird es von traditionsbewussten Vertretern des Zivilrechts abgelehnt, Verhaltenssteuerung als Regelungszweck zuzulassen oder gar anzuerkennen. Dabei wird Prävention und Verhaltenssteuerung oft mit dem Gedanken des Strafens gleichgesetzt (oder verwechselt), der im Zivilrecht ein „Atavismus“ sei.3 Nur ein „voreilige[r] und schlecht informierte[r]“ Gesetzgeber würde Präventionszwecke verfolgen, etwa gegen den Zahlungsverzug;4 die diesbezügliche Schadensersatzpauschalierung offenbare „primitives Sanktionsdenken“ des Gesetzgebers.5 Puristisch definiert diene Zivilrecht lediglich dem gerechten 2
Vgl. beispielsweise Hassemer, ZRP 1992, 378 ff. für das Strafrecht und Di Fabio, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 143 ff. für das öffentliche Recht. 3 Honsell, in: FS Westermann, S. 315 ff. m. w. N. 4 Ebd., S. 331. 5 Ebd., S. 330.
258
6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
Ausgleich zwischen Privaten und erfülle keine darüber hinausgehende soziologische oder ökonomische Funktion.6 Aus dieser Perspektive wird Verhaltenssteuerung in besonderem Maß als Fremdkörper im Schadensersatzrecht angeprangert. Der pönale Zweck, der der Verhaltenssteuerung angeblich innewohne, erinnere an überwundene primitive Rechtsordnungen, wohingegen einer „entwickelte[n] Rechtskultur“ der Bußgedanke im Schadensersatz fremd sei.7 Man rühmt sich einer errungenen „rechtskulturelle[n] Ausdifferenzierung von Strafe und Schadensersatz“.8 Als Begründungen für diese traditionelle ablehnende Haltung gegenüber der Verhaltenssteuerung wird die Verteidigung der Privatautonomie angeführt,9 die als institutioneller und rechtsstaatlicher Kern des Zivilrechts angesehen werden kann.10
II. Zunehmende Anerkennung Vor allem die ökonomische Analyse des Rechts (economic analysis of law, ergänzt um die modernen behavioral economics) hat offengelegt, dass dem Zivilrecht auch eine verhaltenssteuernde Funktion innewohnen bzw. zukommen kann.11 Gerade das Schadensersatzrecht kann und soll nach zunehmend in der Rechtswissenschaft verbreiteter Ansicht potenzielle Schädiger dergestalt beeinflussen, dass sie ein schädigendes Verhalten vermeiden,12 wie insbesondere Wagner dargelegt hat.13 Zumindest als sekundäre oder mittelbare Funktion wird dies inzwischen allgemein 6 Rödl, Gerechtigkeit unter freien Gleichen, insbes. S. 71 ff. im Anschluss an Weinrib, Idea of Private Law (1995); ders., Corrective Justice (2012). Ferner Picker, in: Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft, S. 209 ff. 7 Honsell, Römisches Recht, S. 88. 8 Bydlinski, AcP 204 (2004), 309 (345). 9 Vgl. die Würdigung bei Wagner, AcP 206 (2006), 352 (358 ff.). 10 Vgl. Flume, BGB AT II, § 1 S. 7 ff. 11 Siehe etwa Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, insbes. S. 171 ff.; Zamir/Teichman, Behavioral Law and Economics, S. 201 ff., insbes. S. 341 ff. Ausführlich Latzel, Verhaltenssteuerung, S. 157 ff. Ebenso unter rechtsethischen Gesichtspunkten Arnold, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 39 ff., insbes. S. 54 ff. 12 Brand, Schadensersatzrecht, § 2 Rn. 26; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 18; Dreier, Kompensation und Prävention, S. 132 ff.; Franck, Marktordnung durch Haftung, S. 86 ff.; Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 138; Medicus, JZ 2006, 805 (809 f.); Möller, Präventionsprinzip des Schadensersatzrechts, S. 238 ff.; Sailer, Prävention im Haftungsrecht, S. 21 ff. sowie insbes. S. 151 ff.; Schlobach, Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, insbes. S. 474 ff.; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 16; ders., ZRP 2001, 126 (127). Weitergehend etwa Kletecˇ ka, JBl 2018, 497 (500 ff.). 13 Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, insbes. S. A20 ff. und A78 ff.; ders., AcP 206 (2006), 352 (451 ff.); MüKo-BGB/ders., Vor § 823 Rn. 45 ff. Ebenso Wagner, Deliktsrecht, S. 26 ff.
A. Umstrittener Zweck im Schadensersatzrecht
259
anerkannt.14 Dies gilt auch für das europäische Privatrecht.15 Die Meinungsdifferenzen beschränken sich im Wesentlichen darauf,16 ob der Präventionsfunktion konstitutives Gewicht zukommt oder nicht,17 wobei nicht in Abrede gestellt wird, dass „Schadensverhütung besser ist als Schadensvergütung“.18 Auch der BGH erkennt in Bezug auf den gesetzlich pauschalierten Verzugsschadensersatz inzwischen an, dass ihm neben dem Ausgleichszweck zugunsten des Zahlungsgläubigers eine mittelbar verhaltenssteuernde Prävention gegen den schuldnerischen Zahlungsverzug zukommt.19
III. Abgrenzung zur Strafprävention durch punitive damages Ressentiments gegen die Verhaltenssteuerung, die sich vor allem auf die Ablehnung des Gedankens von Strafe im Zivilrecht gründen, insbesondere in der Form von US-amerikanischen punitive damages,20 ist zweierlei entgegenzuhalten. Einerseits sind Vertragsstrafen dem BGB nicht fremd,21 d. h. selbst der Strafgedanke hat im Privatrecht durchaus seinen Platz. Andererseits muss Verhaltenssteuerung durch Schadensersatz – auch in Form der Prävention schädigenden Verhaltens – nicht „unzulässig“ strafend wirken, bloß weil umgekehrt von einer Strafe in aller Regel auch Präventionswirkung gegenüber dem strafbaren Verhalten ausgeht.22
14 Zusätzlich zu den Nachweisen der beiden vorherigen Fußnoten: Staudinger/Hager, Vor § 823 Rn. 10; Lange/Schiemann, Schadensersatz Einl. III 2 b; Löwe, Prävention im deutschen Schadensersatzrecht, S. 102 ff.; NK-BGB/Magnus, Vor §§ 249 – 255 Rn. 11; Mertens, Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, S. 109 f.; MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 9; Roussos, Schaden und Folgeschaden, S. 9 ff.; Schäfer, AcP 202 (2002), 397 (399 ff.); Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S. 64 f. Siehe sogar Esser/Schmidt, SchuldR AT I/2, § 30 II a. E.; Larenz, SchuldR AT, § 27 I a. E. 15 Heinze, Schadensersatz, S. 542 ff. Vgl. auch Art. 10:101 S. 2 Principles of European Tort Law; dazu Magnus, in: European Group on Tort Law, Art. 10:101 Rn. 13. Rechtsvergleichend ders., in: ders., Unification of Tort Law: Damages, S. 185 f.; ferner Auszüge bei van Gerven, Tort Law, S. 25 f. 16 Vgl. Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 16 f. 17 BGHZ 165, 203 (207 f.). 18 MüKo-BGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 46; Kötz/Schäfer, AcP 189 (1989), 501 (502). 19 BGH, WM 2019, 2269 ff. 20 Vgl. Canaris, FS Deutsch, S. 107; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 525 ff.; Müller, DB 2001, 83 ff.; Rosengarten, NJW 1996, 1935 ff.; Schäfer, AcP 202 (2002), 397 (398 und 429 f.); Seitz, NJW 1996, 2848 f.; Stürner, FS Großfeld, S. 1201 ff. 21 §§ 339 ff. BGB. Ausführlich Brockmeier, Punitive damages, S. 46 ff.; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 247 ff.; Müller, Punitive damages und deutsches Schadensersatzrecht, S. 101 ff. 22 Vgl. Wagner, AcP 206 (2006), 352 (360 ff.); ähnlich auch Müller, Punitive damages, S. 48. Siehe ferner Rohe, AcP 201 (2001), 112 (125).
260
6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
Verhaltenssteuerung soll im Schadensersatzrecht auch nicht der alleinige Zweck sein, sondern kann die Kompensation ergänzen.23 Insofern kann das Schadensersatzrecht über den naturalistischen Ausgleich hinausgehen (bzw. auch dahinter zurückbleiben), weil es normativ über den Ausgleich infolge einer Rechtsverletzung entscheidet, wobei dieser Ausgleich auch der Prävention und weiteren verhaltenssteuernden Zwecken dienen kann.24
B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers Aufbauend auf die grundsätzliche Akzeptanz, dass dem Schadensersatzrecht eine verhaltenssteuernde Wirkung zukommen kann, soll im Folgenden analysiert werden, welche präventive Wirkung sich aus der gesetzlichen Anspruchspauschalierung für den potenziellen Schädiger ergibt. Eine erheblich verhaltenssteuernde Wirkung durch das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung würde ein neues Paradigma begründen. Die Analyse der Präventionswirkung betrachtet dafür zunächst die allgemeine Abschreckung, wie sie von der gesetzlichen Regelung ausgeht, und sodann spezifisch die ökonomische Rationalität der Schadens- und Leistungsstörungsvermeidung, die aus der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung resultiert. Zu bedenken ist aber auch, wie es dem Gesetzgeber gelingt, die Gefahr einer Präventionswirkungsvereitelung durch den potenziellen Schädiger abzuwenden, und inwiefern die Befürchtung zutrifft, dass die verhaltenssteuernde Wirkung gegenüber potenziellen Schädigern zu adversen Effekten zulasten der Geschädigten führen kann.
I. Prävention durch Abschreckung aufgrund des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung Kenntnis vom gesetzlich pauschalierten Schadensersatz ist die Grundlage einer präventionsorientierten Steuerung menschlichen Verhaltens.25 Zum einen setzt Verhaltenssteuerung durch eine Schadensersatzpflicht voraus, dass die Pflicht dem potenziellen Schädiger bekannt ist. Zum anderen bringt die Kenntnis selbst bereits eine Warnung vor der Schadensersatzrechtsfolge mit sich, ohne dass es auf ein ökonomisches Kalkül ankäme. Mithin erzeugt die Bekanntheit und Verbindlichkeit eines Schadensersatzanspruchs, den der Gesetzgeber fest vorgibt, bereits eine gewisse Präventionswirkung. 23
Dazu oben, Kap. 4 B. I. Vgl. zu den Defiziten der Totalreparation Wagner, AcP 206 (2006), 352 (459 ff.). 24 Siehe insbesondere Kletecˇ ka, ÖJZ 2008, 785 (787 f.) und ders., JBl 2018, 497 (500 ff.), der allerdings mit Blick auf punitive damages noch deutlich weitergehende Forderungen erhebt. 25 Vgl. allgemein für das Haftungsrecht Schlobach, Präventionsprinzip, S. 312.
B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers
261
1. General- und Spezialprävention Dies gilt in besonderem Maß für das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung, dessen Wirkung infolge Kenntnis über eine Warnung hinausgeht: Gegenüber dem passivlegitimierten Normadressaten erzeugt der Erlass einer Norm, die einen gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch vorsieht, eine Abschreckungswirkung in zweierlei Hinsicht. Einerseits führt eine solche Rechtsnorm, die in einem öffentlichen Rechtssetzungsverfahren auf deutscher oder europäischer Ebene zustande gekommen und zwecks Inkraftsetzung hoheitlich verkündet worden ist,26 zu einer Generalprävention. Der Umstand, dass die Pauschalierung durch den Gesetzgeber abstrakt-generell erfolgt, hilft, das ansonsten jedem Präventionsziel entgegenstehende Normvermittlungsproblem zu überwinden.27 Die gesetzliche Norm, die allgemein bestimmt, welche konkret bezifferte Haftungsfolge in einem bestimmten Leistungsstörungsfall droht, erfüllt zudem in besonderem Maße die Luhmann’sche Idee von der soziologischen Funktion des Rechts, Erwartungen zu stabilisieren.28 Andererseits entfaltet das gesetzgeberische Instrument der Pauschalierung eine besondere Abschreckungswirkung hinsichtlich der Individual-/Spezialprävention. Für den potenziellen Schädiger verbleiben durch die gesetzliche Pauschalierung keine Zweifel mehr, sodass die Vorhersehbarkeit der Schadensersatzrechtsfolge im Sinne von Evidenz absolut gegeben ist. Sofern innerhalb des Anwendungsbereichs eines gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes die sehr überschaubaren Tatbestandsvoraussetzungen zu bejahen sind, ist der als Schadensersatz bestimmte Geldbetrag zu zahlen. Es verbleiben weder Beurteilungs- noch Ermessensspielräume, die die Parteien nutzen oder fürchten könnten und über die vom Richter zu entscheiden wäre.29 Damit überwindet die Pauschalierung das ansonsten bestehende Problem der Vorhersehbarkeit im Einzelfall.30 Anders als Strafe, die zumindest nach deutschem Verständnis nur gegenüber einer natürlichen Person aufgrund ihrer Schuld verhängt werden kann,31 kann präventiv und kompensierend wirkender
26 Für die die Allgemeinverbindlichkeit begründende Veröffentlichung siehe Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG (dazu BVerfGE 7, 330 (337); 16, 6 (16 f.); 34, 9 (22 f.); 42, 263 (283)) sowie Art. 297 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV (dazu EuGH, Urt. v. 21. 6. 2007, C-158/06 – ROM projekten, Rn. 25; Urt. v. 10. 3. 2009, C-345/06 – Heinrich, Rn. 44). 27 Dazu Schlobach, Präventionsprinzip, S. 312 f. 28 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 94 ff.; ders., Recht der Gesellschaft, S. 131 ff. 29 Vgl. Schlobach, Präventionsprinzip, S. 317 f. 30 Dazu Möller, Präventionsprinzip, S. 261 f. Vgl. ferner Law Commission (England and Wales), Report on Interest, Nr. 88, 1978, Rn. 39; Keir/Keir, Business Lawyer 39 (1983), 129 (150). 31 Zum Grundsatz des Schuldstrafrechts BVerfGE 20, 323 (331); 50, 205 (214 f.); 95, 96 (140); 105, 135 (154); 109, 133 (171); 123, 267 (413); 128, 326 (376); Kaufmann, Schuldprinzip, passim; Roxin, FS Kaufmann, S. 519 ff. Gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen können nur Sanktionen verhängt werden, vgl. Geldbuße gem. § 30 OWiG.
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6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
Schadensersatz außerdem sowohl von natürlichen als auch juristischen Personen unabhängig von einem Schulderfordernis verlangt werden.32 2. Gezielte gesetzgeberische Intention Die Abschreckungsintention des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes, dessen ökonomische Wirkung im nächsten Abschnitt noch eingehend betrachtet wird, lässt sich bei den untersuchten Regelungen bereits anhand des Regelungswortlauts und -telos belegen. Der gesetzlich pauschalierte Zahlungsverzugsschadensersatz im nationalen Recht33 beruht auf den europäischen Zahlungsverzugs-Richtlinien, deren ausdrücklich erklärtes Ziel es ist, durch Verschärfung der „Folgen des Zahlungsverzugs von der Überschreitung der Zahlungsfristen ab[zu]schrecken.“34 Die neuere Zahlungsverzugs-Richtlinie mit strengeren B2B-Vorgaben beruht ausdrücklich auf dem feststellbaren Bedarf, „ergänzende Bestimmungen festzulegen, um von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr abzuschrecken.“35 Die Abschreckung soll einen „durchgreifende[n] Wandel hin zu einer Kultur der unverzüglichen Zahlung“ bewirken.36 Unter Verweis auf die Abschreckung wird es als erforderlich erachtet, neben dem Verzugszinsregime „eine gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten“ gesetzlich vorzusehen.37 Bei der Fluggastrechte-Verordnung finden sich im verabschiedeten Text zwar keine ausdrücklichen Verweise mehr auf die Abschreckungswirkung der Schadensersatzpauschalen,38 jedoch sind die Beträge so bemessen und der gesamte Anspruch in Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung so gestaltet, dass der Präventions-
32 Vgl. Wagner, AcP 206 (2006), 352 (363 f.). Ferner Schlobach, Präventionsprinzip, S. 319 ff. 33 Dazu unter den Gesichtspunkten von Prävention und Abschreckung BeckOGK-BGB/ Dornis, § 288 Rn. 3. Vgl. grundlegende Gedanken bei Kindler, Gesetzliche Zinsansprüche, S. 172 ff. und 308 ff. 34 Erwgr. 16 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG. 35 Erwgr. 4 S. 2 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 36 Erwgr. 12 S. 2 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 37 Erwgr. 19 S. 1 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 38 Ausdrücklich abschreckend sollen nur noch die mitgliedstaatlichen Regeln für Sanktionen bei Verstößen gegen die Verordnung wirken (Erwgr. 21 S. 2 und Art. 16 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung). Ursprünglich waren im Verordnungsentwurf „exemplarisch hohe Ausgleichszahlungen“ zu Abschreckungszwecken vorgesehen (vgl. Erwgr. 4 des Verordnungsentwurfs KOM(2001)784 endg.).
B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers
263
charakter unbestreitbar ist – die Fluggesellschaft soll von Nichtbeförderungen etc. abgeschreckt werden.39
II. Prävention durch Rationalität der Schadens- und Leistungsstörungsvermeidung aufgrund des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes Eine eingehendere Analyse der verhaltenssteuernden Wirkung von gesetzlicher Schadensersatzpauschalierung wird im Folgenden mithilfe der Methodik der ökonomischen Analyse des Rechts unternommen, die bisher zwar schon verschiedentlich herangezogen wurde, aber für ihren nunmehrigen Einsatz einer expliziten Klarstellung ihrer Grundzüge und Abwandlung durch behavioral economics erfordert. Auf dieser Basis lässt sich sodann das rechtsökonomische Modell einer effizienzorientierten Abwägung von Schadenskosten und Schadensvermeidungskosten beschreiben. Adaptiert man dieses Modell für die Leistungsstörungsfälle, wie sie der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung zugrunde liegen, lässt sich zeigen, wie die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung zu einer Rentabilität größerer Leistungsanstrengung für den potenziellen Schädiger als cheapest cost avoider führt. Darzulegen ist außerdem, wie diese Wirkung einerseits von zu beobachtenden Skaleneffekten profitiert und wie andererseits ein „effizienter Rechtsbruch“ verhindert wird. 1. Grundzüge der rechtsökonomischen Analyse und der behavioral economics Mit der ökonomischen Analyse des Rechts werden Wirkungszusammenhänge modellhaft unter Effizienzgesichtspunkten betrachtet und dies erlaubt es, Aussagen über das rechtlich bedingte Verhalten von ökonomisch handelnden Personen abzuleiten.40 Die Prämisse ist, dass sich Personen rational entscheiden, also in finanzieller Hinsicht nach einer Gewinnmaximierung und einer Kostenminimierung streben.41
39 Vgl. ebenso Heinze, Schadensersatz, S. 450 ff.; Schmid, RRa 2004, 198 (203); ders., in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 329. Auch GA Sharpston, Schlussanträge v. 2. 7. 2009, C-402/97 – Sturgeon, Rn. 34. 40 Zu den Grundlagen der rechtsökonomischen Analyse vgl. etwa Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 17 ff.; Franck, Marktordnung durch Haftung, S. 105 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 49 ff.; Posner, Economic Analysis of Law, S. 3 ff.; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 334 ff. 41 Bowles, Law and Economy, S. 4 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 28 ff. und 41 ff.; Kirchgässner, Homo oeconomicus, S. 11 ff. und 119 ff.; Posner, Economic Analysis of Law, S. 3 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 107 ff.; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 350 ff.
264
6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
Obgleich dies in der Realität nicht ausnahmslos gilt,42 eignet sich gerade das Schadensersatzrecht für eine derart modellierte ökonomische Analyse unter Effizienzgesichtspunkten.43 Schadensersatzrecht wirkt im rechtsökonomischen Sinn verhaltenssteuernd, wenn sich zeigen lässt, dass es den potenziellen Schädiger aufgrund seines Strebens nach höchstmöglicher Effizienz dazu bewegen kann, größere Sorgfalt walten zu lassen und in die ordnungsgemäße Leistungserbringung bzw. Schadensvermeidung zu investieren, um dadurch eine Leistungsstörung und einen Schadensfall zu vermeiden, der die drohende Schadensersatzpflicht nach sich zöge.44 Das vorausgesetzte Effizienzstreben kann dabei jedenfalls für das Leistungs(störungs)verhalten im Geschäftsverkehr erwartet werden:45 Eine Fluggesellschaft trifft effizienzorientierte Rationalitätsentscheidungen ebenso wie ein unternehmerischer Zahlungsschuldner, denn dazu werden sie vom Markt und dem Wettbewerb mit ihren Konkurrenten gezwungen.46 Die Rationalitätsprämisse des klassischen Modells wird von der modernen Verhaltensökonomik (behavioral economics)47 zu einer bounded rationality abgewandelt.48 Die damit einhergehende Kritik an der Modellierung beschränkt sich für das 42
Fezer, JZ 1986, 817 (insbes. 823); ders., 1988, 223 (224); Huber, Schadensberechnung, S. 32 ff. Dem homo oeconomicus wird beispielsweise der homo constitutionis nach dem Menschenbild des Grundgesetzes gegenübergestellt, siehe Fezer, JuS 1991, 889 (894). 43 Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 36 ff.; Cooter/Ulen, Law & Economics, S. 187 ff.; Endres, Ökonomische Grundlagen des Haftungsrechts, S. 14 ff.; Engert, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 95 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 463 ff.; Korch, Haftung und Verhalten, S. 7 ff.; Kötz, FS Steindorff, S. 646 ff.; ders./Schäfer, AcP 189 (1989), 501 ff.; Posner, Economic Analysis of Law, S. 191 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 161 ff.; Shavell, Economic Analysis of Accident Law, S. 5 ff.; ders., Foundations of Economic Analysis of Law, S. 175 ff.; Taupitz, AcP 196 (1996), 114 (137 ff.); Thüsing, Wertende Schadensberechnung, § 6; MüKo-BGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 53 ff.; ders., Deliktsrecht, S. 26 ff. 44 Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 120 ff.; Calabresi, Harvard Law Review 78 (1965), 713 ff.; Engert, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 98 ff.; Kötz/Schäfer, AcP 189 (1989), 501 ff.; Sailer, Prävention im Haftungsrecht, S. 151 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 171 ff.; Wagner, Deliktsrecht, S. 26 ff. 45 Vgl. Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 64; MüKo-BGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 69. 46 Vgl. Bailey/Graham/Kaplan, Deregulating the airlines, S. 41 ff.; Call/Keeler, in: Daughety, Analytical Studies of Transport Economics, S. 221 ff.; Graham/Kaplan/Sibley, Bell Journal of Economics 14 (1983), 118 ff. 47 Siehe Fleischer/Schmolke/Zimmer, in: Fleischer/Zimmer, Verhaltensökonomie, S. 9 ff.; Jolls/Sunstein/Thaler, Stanford Law Review 50 (1998), 471 ff.; Jolls, Behavioral Economics and the Law, passim; Korobkin/Ulen, California Law Review 88 (2000), 1051 ff.; Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 157 ff.; Sunstein, Behavioral Law and Economics, passim. Ferner auch Korch, Haftung und Verhalten, S. 29 ff.; Wiedemann/ Wank, JZ 2013, 340 ff. 48 Grundlegend Simon, Quarterly Journal of Economics 69 (1955), 99 ff. Siehe ferner Hacker, Verhaltensökonomik, S. 71 ff.; Kahneman, American Economic Review 93 (2003),
B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers
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Schadensersatzrecht aber auf menschliche Schwächen (z. B. hindsight bias und overoptimism bias bei der Fahrlässigkeits-/Risikobeurteilung),49 die für die Analyse der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung ohne signifikante Bedeutung sind; insbesondere sind Probleme der Schadensberechnung irrelevant, die für den Richter bei der Schadensersatzbemessung im Einzelfall bestehen können (z. B. framing und hedonic adaptation beim immateriellen Schadensersatz).50 Die Verhaltensökonomie trägt mit ihrem Modell jedoch die zutreffende Erwägung bei, dass sich die meisten Menschen auch ohne rechnerische Kalkulation durch staatliche Anstöße im Sinne von nudging zu dem rational lohnenswerten Verhalten bewegen lassen.51 2. Rechtsökonomisches Modell der effizienzorientierten Abwägung von Schadenskosten und Schadensvermeidungskosten Das rechtsökonomische Modell der Verhaltenssteuerung durch Schadensersatz gründet sich darauf, dass ein (potenzieller) Schädiger danach strebt, insgesamt möglichst geringe Kosten tragen zu müssen – sowohl vor als auch in einem Schadensfall. Der Grundgedanke ist, dass das Schadensersatzrecht indirekt über die entscheidende Stellschraube der Verhaltenssteuerung zur präventiven Schadensvermeidung verfügt, weil es die zu ersetzenden Schadenkosten festlegt und dadurch mittelbar die Anreize für den rational handelnden potenziellen Schädiger zur Investition in Vorsorgeaufwendungen setzt, denn dieser möchte möglichst kostengünstig vermeidbaren Haftungsfolgen entgehen.52 Entwickelt wurde das Modell mit Blick auf das Verhalten von Fahrzeugführern im Straßenverkehr und auf ihre Haftung für von ihnen verursachte Verkehrsunfälle, als man sich in den 1960er und 1970er in den USA damit eingehender und unter 1449 ff.; Latzel, Verhaltenssteuerung, S. 51 ff.; Rubinstein, Modeling bounded rationality, passim; Sent, European Journal of the History of Economic Thought 25 (2018), 1370 ff. 49 Zu diesen Rückschau-, Überoptimismus- und weiteren Fehlern bei der Einschätzung Risken und Schäden siehe Halbersberg/Guttel, in: Zamir/Teichman, Oxford Handbook of Behavioral Economics and the Law, S. 410 ff.; Zamir/Teichman, Behavioral Law and Economics, S. 330 ff.; jeweils m. w. N. 50 Zum Problem, wie man Schmerzen und verlorene Lebensqualität tariffieren kann, Halbersberg/Guttel, in: Zamir/Teichman, Oxford Handbook of Behavioral Economics and the Law, S. 421 ff.; Zamir/Teichman, Behavioral Law and Economics, S. 342 ff. 51 Diese Idee von Nudging (wörtlich: Anstupsen) geht zurück auf Thaler/Sunstein, Nudge, passim. Siehe auch Sunstein, in: Zamir/Tecihman, Oxford Handbook of Behavioral Economics and the Law, S. 719 ff. m. w. N. Ferner Gerg, Nudging, S. 35 ff.; Latzel, Verhaltenssteuerung, S. 80 ff.; Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 160 f.; dies., Austrian Law Journal 2014, 20 ff. Aus verfassungsrechtlicher Sicht Alemanno/Spina, International Journal of Constitutional Law 12 (2014), 429 ff. 52 Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 120 ff.; Kötz/Schäfer, AcP 189 (1989), 501 ff.; Schlobach, Präventionsprinzip, S. 383 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 172 f., ferner S. 216 ff.; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 360 f.; Wagner, Deliktsrecht, S. 27 ff.
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6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
rechtsökonomischen Gesichtspunkten befasste;53 es berücksichtigt daher nur zwei Kostenarten, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Zum einen wird berücksichtigt, dass dem Schädiger Kosten entstehen, wenn es zum Schadensfall kommt und er Ersatz leisten muss. Zum anderen kann er aber zur Vermeidung eines Unfalls in Maßnahmen investieren, wodurch ihm zwar sog. Sorgfaltskosten entstehen, er aber keine oder geringere Schadenskosten haben wird. Der ökonomischrational handelnde Mensch möchte die Summe der von ihm zu tragenden Sorgfaltskosten zur Schadensvermeidung und der bei einem dennoch eintretenden Schadensfall entstehenden Schadenskosten weitestgehend minimieren.54 Es wird dabei angenommen,55 dass die Schadensvermeidungskosten zunehmen, je größer die beobachtete Sorgfalt ist, d. h. die Schadensvermeidungskosten steigen proportional mit dem Maß der Sorgfaltsbemühungen an. Das Maß des Kostenanstiegs, also gewissermaßen den Kostenzuwachs bei zunehmender Sorgfalt, bezeichnet man als Grenzkosten (marginal cost); damit ist gemeint, wie viel kostenintensiver es ist, die Sorgfalt um eine (gedachte) Einheit zu erhöhen.56 Des Weiteren wird angenommen, dass sich die Schadenskosten indirekt proportional zum Maß der Sorgfaltsbemühungen verhalten, also die Schadenskosten höher sind, wenn die beobachtete Sorgfalt geringer gewesen ist. Dies kann man als Grenzkosten der abnehmenden Sorgfalt bezeichnen. Zu berücksichtigen ist, dass die Schadensvermeidungskosten stets anfallen, wohingegen die Schadenskosten von der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit abhängen, es sich bei den Schadenskosten also um einen Erwartungswert handelt. Ein potenzieller Schädiger wird nur einen gewissen Vorsorgeaufwand betreiben und im Übrigen eine Schädigung hinnehmen, für die er im Fall ihres Eintritts haften muss.57 Das optimale Sorgfaltsniveau erreicht der potenzielle Schädiger am Punkt der niedrigsten Gesamtkosten. Dieses Optimum an Sorgfalt resultiert – je nach Entwicklung der beiden Kostenarten im Verhältnis zur beobachteten Sorgfalt – in einem gewissen (tendenziell fallenden) Kostenbetrag für Schäden und in einem gewissen (tendenziell steigenden) Kostenbetrag für Vorsorgeaufwendungen. Würde 53
Siehe nur Calabresi, Costs of Accidents, insbesondere S. 24 ff., dessen Analyse allgemein anerkannt ist (vgl. nur Halbersberg/Guttel, in: Zamir/Teichman, Oxford Handbook of Behavioral Economics and the Law, S. 407 f.). Ferner etwa Shavell, Economic Analysis of Accident Law, S. 5 ff. 54 Vgl. die US-amerikanische Entscheidung in United States v. Caroll Towing Co., 159 F.2d 169, 173 (2 Cir. 1947); Endres, Ökonomische Grundlagen des Haftungsrechts, S. 17 ff.; Kötz, FS Steindorff 1990, S. 646 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 172 f.; Schlobach, Präventionsprinzip, S. 360 ff. 55 Bost, Effiziente Verhaltenssteuerung, S. 96 ff.; Engert, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 98 ff.; Franck, Marktordnung durch Haftung, S. 110 ff.; Korch, Haftung und Verhalten, S. 7 ff.; Schlobach, Präventionsprinzip, S. 360 ff.; jeweils m. w. N. 56 Zu Grenzkosten vgl. Cooter/Ulen, Law & Economics, S. 201 ff. Ferner Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 36 ff., insbes. 42 ff.; allgemein Pindyck/Rubinfeld, Mikroökonomie, S. 332 ff. 57 Vgl. Schlobach, Präventionsprinzip, S. 368 ff.
B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers
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der potenzielle Schädiger von diesem optimalen Punkt abweichen, also weniger oder mehr Sorgfalt walten lassen, wären die Gesamtkosten höher als am optimalen Punkt: Entweder würden sich die geringen Vorsorgeaufwendungen rächen, weil die Schadenskosten unverhältnismäßig hoch ausfielen, oder die zu hohen Vorsorgeaufwendung würden sich nicht lohnen, weil sie unverhältnismäßig wären für die verbleibenden geringen Schadenskosten. Zieht man die Grenzkostenbetrachtung zur Beschreibung dieses optimalen Punkts heran, so würden die Grenzkosten für eine höhere Sorgfalt nicht den resultierenden Grenznutzen aus den geringeren Schadenskosten aufwiegen und umgekehrt würde der Grenznutzen für eine geringere Sorgfalt auch nicht die resultierenden Grenzschadenskosten ausgleichen.58 Der optimale Zustand erfüllt das rechtsökonomisch weithin akzeptierte Kaldor-HicksKriterium,59 das einen vom Optimum abweichenden Zustand als ineffizient beschreiben würde, wenn sich ein Beteiligter zum eigenen Vorteil auch anders verhalten könnte (hier: Verringerung der Vorsorgekosten seitens des potenziellen Schädigers), weil es sich für ihn lohnen würde, andere für deren Schlechterstellung zu entschädigen (hier: Erhöhung der Schadenskosten, die der Schädiger zu ersetzen hat). 3. Adaption des Modells für Leistungsstörungsfälle Das vorgestellte rechtsökonomische Modell des allgemeinen Schadensersatzrechts eignet sich dazu, den Einfluss des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung und seine besondere verhaltenssteuernde Wirkung offenzulegen. Dafür muss das Modell, das auf das Verkehrsunfallrecht gemünzt ist, auf die Leistungsstörungskonstellationen übertragen werden, für die der Gesetzgeber den Schadensersatz pauschaliert hat, um zeigen zu können, wie sich das optimale Sorgfaltsniveau aufgrund der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung verschiebt, also das Verhalten des Schuldners als potenziellen Schädigers zugunsten größerer Sorgfaltsbemühungen positiv beeinflusst. Anders als bei in aller Regel deliktischen Verkehrsunfällen liegen den Fällen der Leistungsstörungen, für die der Gesetzgeber den Schadensersatz pauschaliert hat, häufig Leistungspflichten zugrunde, die sich aus Vertrag oder einer anderen Sonderbeziehung der Parteien ergeben. Deshalb ist es angebracht, nicht allgemein von Vorsorgeaufwendungen und Schadensvermeidungskosten zu sprechen, sondern von den Aufwendungen und Kosten für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung. So muss der Zahlungsschuldner sich darum bemühen, über genügend Geldmittel zu verfügen, um seine Schuld pünktlich zahlen zu können; beispielsweise muss er seinerseits Forderungen gegenüber seinen Schuldnern eintreiben (Inkassokosten) oder aber einen Kredit aufnehmen (Darlehenskosten). Auch die Fluggesellschaft 58
Siehe schon Brown, Journal of Legal Studies 2 (1973), 323 (324 ff.). Hicks, Economic Journal 49 (1939), 696 ff.; Kaldor, Economic Journal 49 (1939), 549 ff. Dazu etwa Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit, S. 62 ff. 59
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6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
muss zur einigermaßen pünktlichen Beförderung an den Zielort Maßnahmen ergreifen, die zusätzliche Kosten verursachen, um eine Nichtbeförderung, Annullierung, große Ankunftsverspätung oder erhebliche Abflugvorverlegung zu verhindern; beispielsweise kann es nötig sein, zusätzliches Personal zu beauftragen (Lohnkosten), schneller zu fliegen (Kerosinkosten) oder Umbuchungen auf Konkurrenzgesellschaften vorzunehmen (Deckungskosten). Wie „sorgfältig“ sich ein Zahlungsschuldner oder eine Fluggesellschaft verhält, meint mithin den Grad der Leistungsanstrengung. Insofern erfordert die absolut pünktliche Zahlung oder Fluggastbeförderung ein gewisses Maß an Anstrengung und führt zu damit einhergehenden Kosten. Nachlässigkeit und Kostenersparnis führen zu einer Verzögerung, die sich in Schäden des Zahlungsgläubigers oder Fluggasts niederschlagen. 4. Rentabilität größerer Leistungsanstrengung für den cheapest cost avoider infolge der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung Zunächst abstrakt betrachtet führt die gesetzliche Pauschalierung der Schadenskosten dazu, dass sie schlagartig und in der festgelegten Höhe anfallen, sobald der Anwendungsbereich der Pauschalierung eröffnet ist, d. h. ein gewisses Niveau der Leistungsanstrengung unterschritten wird und es zur Leistungsstörung kommt. Ab dieser Schwelle muss der Schädiger (mindestens) in der gesetzlich fixierten Höhe ohne Rücksicht auf die geringeren, tatsächlichen Schadenskosten haften und kann sich in aller Regel von seiner Haftung auch nicht exkulpieren. Zwar sind seine Kosten für die Leistungsanstrengung aufgrund der Nachlässigkeit geringer, jedoch ist dieser Vorteil nur so groß, dass er den Anstieg an Schadenskosten ausgleichen würde, die herkömmlicherweise – ohne Pauschalierung – anfallen würden. Den Sprung auf den pauschalierten Betrag für den Schadensersatz auszugleichen, gelingt dem Schädiger nicht mehr, sodass seine effizienzorientierte Abwägung dementsprechend fehlschlägt. Es rentiert sich daher für den potenziellen Schädiger, etwas größere Leistungsanstrengungen zu unternehmen und dafür die Mehrkosten in Kauf zu nehmen, um zu vermeiden, auf das Leistungsniveau abzusinken, bei dem der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz im Leistungsstörungsfall zu erbringen ist. Das Optimum der Sorgfaltsbemühungen bzw. Leistungsanstrengung liegt infolge der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung an einem Punkt jenseits dieser kritischen Schwelle; an diesem Punkt lohnen sich in der effizienzorientierten Abwägung der Gesamtkosten die etwas größeren Aufwendungen für die Leistungsanstrengung deswegen, weil zu ihnen nur sehr geringe tatsächliche Schadenskosten hinzukämen, sofern sie anfallen und gegenüber dem Schädiger geltend gemacht werden sollten. Die Grenzkosten für die etwas höhere Leistungsanstrengung sind mithin geringer als die Grenzkosten, die durch die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung erzeugt werden; mit anderen Worten gleicht der Grenznutzen aus der Vermeidung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes die Grenzkosten für die etwas größere Leistungsanstrengung aus. Die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung macht
B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers
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somit ein grob leistungsstörendes Verhalten des Schädigers für diesen ökonomisch unattraktiv und erzeugt stattdessen eine Rentabilität für ein stärker schadenspräventives Verhalten. Dies ist eine erhebliche Abweichung vom herkömmlichen Schadensersatzrecht und stellt das entscheidende paradigmatische Novum dar. Veranschaulichen lässt sich diese besondere Präventionswirkung zunächst anhand des gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatzes: Ein Zahlungsschuldner kann den Fälligkeitstermin seiner Schuld zwar meist um eine kurze Zeitdauer überschreiten, ohne dass dies nennenswerte Nachteile mit sich brächte, jedoch muss er als Schadenskosten jedenfalls den gesetzlichen Zahlungsverzugsschadensersatz in Form der Verzugszinsen und ggf. des Beitreibungskostenbetrags tragen, sobald er in Verzug gerät.60 Ab der Schwelle des Verzugszeitpunkts, d. h. ab Unterschreitung dieses Niveaus der Leistungsanstrengung, greift die gesetzliche Pauschalierung und erhöht die Schadenskosten des Schuldners schlagartig. Damit erhöhen sich die Gesamtkosten entsprechend, die sich aus Schadens- und Vorsorgekosten zusammensetzen. Für den rational handelnden Schuldner ist es zur Vermeidung dieses erheblichen Gesamtkostenanstiegs also rentabel, eine hinreichend höhere Anstrengung walten zu lassen und sich stärker um eine ordnungsgemäße Leistungserfüllung zu bemühen, die zwar etwas höhere Kosten mit sich bringt, ihm aber erspart, die gesetzliche Schadensersatzpauschale zahlen zu müssen.61 In diesem kritischen Bereich um den Verzugszeitpunkt wirkt der gesetzlich pauschalierte Zahlungsverzugsschadensersatz verhaltenssteuernd dahingehend, dass er den Schuldner zur pünktlicheren Zahlung anhält, sofern dieser das ökonomische Kalkül versteht und nach dieser Einsicht zu handeln vermag.62 Die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung der Fluggastrechte-Verordnung entfaltet auf Fluggesellschaften verhaltenssteuernde Wirkung zur pünktlicheren Beförderung dadurch, dass sich die von der Fluggesellschaft zu tragenden Schadenskosten bei Unterschreitung einer gewissen Leistungsanstrengung schlagartig erhöhen und damit die Gesamtkosten gleichfalls steigen.63 Für die Fluggesellschaft lohnt es sich zur Senkung der Gesamtkosten, in diesem kritischen Bereich in größere Leistungsanstrengung zu investieren, denn obwohl dies etwas höhere Kosten verursacht, vermeidet sie damit die gesetzliche Schadensersatzpauschale. Die Grenzkosten für die etwas höhere Anstrengung bei der einigermaßen pünktlichen Leistungserbringung sind durch den Grenznutzen gerechtfertigt, der sich aus der Vermeidung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes ergibt; dieser würde sonst zu solch hohen Grenzkosten auf der Schadensseite führen, dass er nicht vom Grenznutzen der Nachlässigkeit aufgewogen würde. So bringt zwar eine geringe Verspätung noch keine nennenswerten Schadenskosten mit sich, die deutlich höhere Vorsorgekosten ökonomisch rechtfertigen würden. Allerdings ist die Fluggesell60 61 62 63
§ 286 Abs. 1 – 3, § 288 Abs. 1, 2 und 5 BGB. Vgl. Knoll, Texas Law Review 75 (1996), 293 (296). Vgl. auch Schlobach, Präventionsprinzip, S. 170 ff. Vgl. ebenso Heinze, Schadensersatz, S. 452 f.
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6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
schaft mit den (halbierten) Beträgen von 125, 200 und 300 Euro konfrontiert, sobald sie Fluggäste, die nicht einigermaßen wie gebucht befördert wurden, nicht doch noch zumindest innerhalb der vorgegebenen zwei, drei oder vier Stunden nach planmäßiger Ankunftszeit ans Ziel bringen kann.64 Die Beträge in doppelter Höhe (d. h. die vollen Pauschalen) von 250, 400 und 600 Euro fallen an, wenn das Niveau der Leistungsanstrengungen noch dahinter zurückbleibt.65 Die von der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung vorgenommene Kosteninternalisierung aufseiten des schädigenden Schuldners stellt außerdem sicher, dass diejenige Partei des Schuldverhältnisses ihr Verhalten ändert und die Leistungsstörung vermeidet, die dies mit dem geringsten Kostenaufwand tun kann (cheapest cost avoider).66 Der Zahlungsschuldner bzw. die Fluggesellschaft sind wie gezeigt in der besten Position, durch Maßnahmen im eigenen Herrschafts- und Betriebsbereich eine einigermaßen pünktliche und ordnungsgemäße Leistungserbringung sicherzustellen. Abstrakt formuliert handelt es sich mithin beim potenziellen Schädiger um den cheapest cost avoider. Dies bestätigt auch die Überlegung, dass unter idealen Bedingungen – also wenn private Vertrags- und Marktmechanismen nicht versagen würden – die Parteien selbst eine angemessene Schadensersatzregelung treffen würden, die den Gläubiger für Leistungsstörungen des Schuldners so entschädigen würde, dass dieser die Leistungsstörung unter Aufwendung geringster Kosten vermeiden würde67. Unter realen Bedingungen – also wenn Transaktionsmehrkosten infolge des Versagens privater Vertrags- und Marktmechanismen nach dem Coase-Theorem anfallen68 – vermag nur die gesetzliche Pauschalierung des Schadensersatzes eine Kosteninternalisierung aufseiten des potenziellen Schädigers als cheapest cost avoider sicherzustellen und ihn damit zu schadensvermeidendem Verhalten anzuhalten.69 Wie noch darzulegen sein wird,70 entstehen umgekehrt keine adversen Effekte zulasten der Geschädigten, auf die der potenzielle Schädiger seine Kosten umzulegen versuchen könnte.
64
Art. 7 Abs. 2 Fluggastrechte-Verordnung. Art. 7 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung. 66 Calabresi, Costs of Accidents, S. 135 ff. Ferner Demsetz, Journal of Legal Studies 1 (1972), 13 (27 f.); Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 402 f.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 279 f. Kritisch Brown, Journal of Legal Studies 2 (1973), 323 (326 f.). 67 Vgl. auch Engert, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 105. 68 Coase, Journal of Law & Economics 3 (1960), 1 ff. Vgl. auch Bowles, Law and the Economy, S. 29 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 59 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 78 ff. 69 Vgl. zum cheapest cost avoider und der verhaltenssteuernden Wirkung auch Franck, Marktordnung durch Haftung, S. 114 ff.; Schlobach, Präventionsprinzip, S. 380 ff. 70 Siehe unten, IV. 65
B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers
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5. Verstärkung durch Skaleneffekte Diese ökonomisch Präventionswirkung wird in bestimmten Konstellationen, auf die die gesetzliche Schadensersatzpauschalen Anwendung finden, sogar noch durch Skaleneffekte71 verstärkt, denn die verhaltenssteuernde Wirkung der Pauschalierung wird bei der Betrachtung der „gesamten Gesamtkosten“ für den potenziellen Schädiger in diesen Konstellationen vervielfacht. Dies ist der Fall, wenn eine Leistungsstörung eines Schädigers mehrere Personen betrifft. Der Grenznutzen aus der Nachlässigkeit wird dann von den Grenzkosten, die sich aus der Störung zahlreicher Leistungsverhältnisse und den dafür anfallenden gesetzlichen Schadensersatzpauschalen ergeben, um das Vielfache übertroffen. Insbesondere wenn den vielen individuell Geschädigten nur ein sehr geringer Schaden entstanden ist, aber trotzdem die Vielzahl an gesetzlichen Schadensersatzpauschalen anfällt, kommt es zu einer ganz erheblichen Wirkungsverstärkung des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung durch die Skaleneffekte. Sprichwörtlich könnte man sagen, dass es sich für den Schädiger in solchen Konstellationen noch nie weniger gelohnt hat, nachlässig zu sein. Infolgedessen wird der potenzielle Schädiger seine Leistungsanstrengungen um ein Vielfaches verstärken, um das hinreichende Niveau ordnungsgemäßer Leistungserbringungen zu erreichen, das dem Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes nicht mehr unterfällt. Hierin ist eine weitere Besonderheit des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung zu sehen, die seine paradigmatische Bedeutung unterstreicht. Vermag beispielsweise ein Zahlungsschuldner mangels eigener Einnahmen seine Gläubiger nicht einigermaßen pünktlich zu bezahlen (ohne gleich überschuldet zu sein), sieht er sich mit Ansprüchen auf den gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatz von einer Mehrzahl von Personen konfrontiert. Die pauschalierten Schadenskosten vervielfachen sich entsprechend der Anzahl der Gläubiger und erhöhen damit die Gesamtkosten des Schuldners ganz beträchtlich. Er hätte den Zahlungsverzug als kritisches Niveau der Leistungserbringung für das Einsetzen der gesetzlichen Schadensersatzpauschale aber womöglich mit recht geringfügig höheren Kosten für die Leistungsanstrengung dadurch vermeiden können, dass er eine große Forderung von einem seiner eigenen Schuldner eingezogen oder einen großen Kredit aufgenommen hätte. Denn die einfachen Grenzkosten zur Schadensvermeidung stehen einem vervielfachten Grenznutzen gegenüber, der sich aus der Vermeidung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes multipliziert mit dem Faktor der Gläubigerzahl ergibt. Zu bedenken ist dabei, dass die Skaleneffekte den Zahlungsschuldner nicht überraschend treffen, sondern er sich sehr wohl rational und vorausschauend verhalten kann, wozu ihn der Gesetzgeber mit seinem Instrument der Schadensersatzpauschalierung schließlich anhalten möchte: Der Zahlungsschuldner kennt seine Schulden und Gläubiger, sodass er seinen Umgang mit fi71
Scale.
New Palgrave Dictionary of Economics (2018), sub Economies and Diseconomies of
272
6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
nanziellen Mitteln entsprechend ausrichten kann, d. h. entweder seine Passiva pünktlich durch Tilgung reduziert oder seine Aktiva erforderlichenfalls durch Forderungseintreibung oder Kreditaufnahme erhöht. Eine Fluggesellschaft kommt eine Flugannullierung, eine große Ankunftsverspätung oder eine erhebliche Abflugvorverlegung eines Flugs – anders als eine individuelle Nichtbeförderung – ganz beträchtlich teurer zu stehen, weil sämtliche Fluggäste des annullierten oder erheblich vorverlegten bzw. verspäteten Flugs Anspruch auf die gesetzlichen Schadensersatzpauschalen haben. Die Gesamtkosten der Fluggesellschaft erhöhen sich im Leistungsstörungsfall damit schlagartig ganz erheblich. Es wäre ihr aber umgekehrt möglich gewesen, mit deutlich geringeren Kosten für eine leicht größere Leistungsanstrengung eine noch einigermaßen pünktliche Beförderung durchzuführen (sofern keine exkulpierenden außergewöhnlichen Umstände vorliegen). Die einfachen Grenzkosten wären dann durch den vervielfachten Grenznutzen ausgeglichen worden. Konnte der Flug mit 500 Passagieren nicht bzw. nicht hinreichend pünktlich stattfinden, weil beispielsweise eines der Besatzungsmitglieder fehlte, hätte es sich für die Fluggesellschaft insgesamt lohnen können, zusätzliche Lohnkosten für mehr Personal in Kauf zu nehmen und damit einen einigermaßen pünktlichen Abflug sicherzustellen. Auch hier bestätigt sich, dass die Skaleneffekte lediglich zu einer Verstärkung der positiv verhaltenssteuernden Wirkungen führen und keine schädigenden Nebenwirkungen entfalten: Die Fluggesellschaft hat allen Fluggästen wissentlich und willentlich ihre Beförderungsleistung verkauft und so liegt es in ihrer Hand, die Kosten für die nötigen (Zusatz-)Maßnahmen zu tragen, um eine (hinreichend) ordnungsgemäße Beförderung sicherzustellen. 6. Verhinderung des „effizienten Rechtsbruchs“ Kontraproduktiv für den Zweck der präventiven Verhaltenssteuerung wäre es, wenn sich die Schadensersatzpflicht des Schädigers auf die gesetzliche Schadensersatzpauschale beschränken würde. Dann könnte es für ihn effizient sein, rechtsbrüchig zu werden,72 also die bestehende Leistungspflicht bewusst zu verletzen. Dies würde sich für ihn lohnen, wenn allein der pauschale Schadensersatzbetrag neben den ganz erheblich geringeren Kosten für die völlig unzulängliche Leistungsanstrengung anfallen würde und der darüber hinausgehende Schaden nicht von ihm zu ersetzen wäre.73 Ab diesem Punkt der unzureichenden Leistungsanstrengung bestünde die Gefahr, ein besonders unerwünschtes Verhalten des schädigenden Schuldners zu privilegieren, also den Pauschalierungstelos ad absurdum zu führen.
72
Mit dem „effizienten Rechtsbruch“ und seiner Verhinderung durch verhaltenssteuernden Schadensersatz befasst sich ausführlicher Engert, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 95 ff. 73 Zur Unterkompensation siehe Schlobach, Präventionsprinzip, S. 385 ff.
B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers
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Diese Gefahr wendet das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung dadurch ab, dass es nur einen Mindestbetrag festlegt,74 den der Schuldner im Leistungsstörungsfall ab Unterschreitung eines bestimmten Niveaus der Leistungsanstrengung zu erbringen hat. Die gesetzliche Pauschalierung entbindet den Schuldner nicht davon, einen weitergehenden Schaden nach herkömmlichem Schadensersatzrecht kompensieren zu müssen.75 Der Ersatz dieses die Pauschale übersteigenden Schadensbetrags im konkreten Einzelfall ist mithin nicht nur unter dogmatischen Gesichtspunkten relevant, um den Weg zur Totalreparation nicht zu versperren,76 sondern stellt sicher, dass die Regelungswirkung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung nicht aus ökonomischen Effizienzgründen korrumpiert wird. Dieser Effekt wird auch nicht durch die Anrechnung der Pauschale auf den weitergehenden Schadensersatz zunichte gemacht.77 Mit Blick auf das ökonomische Modell der Schadenskosten und Schadensvermeidungskosten wirkt sich die Mindestpauschalierung wie folgt aus: Die Gesamtkosten steigen mit (tendenziell weiter) abfallender Leistungsanstrengung so stark an, dass die (zunehmende) Nachlässigkeit für den Schuldner ineffizient(er) wird. Denn die (tendenziell ansteigenden) Schadensgrenzkosten oberhalb des pauschalierten Schadensersatzbetrages, die vom Schuldner im Rahmen der Inanspruchnahme auf den weitergehenden Schadensersatz zu tragen sind, übersteigen den Grenznutzen bei Weitem, der dem Schuldner aus der Nachlässigkeit zugute kommt.
III. Abwendung der Gefahr einer Präventionswirkungsvereitelung Seine präventiv verhaltenssteuernde Wirkung kann das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung nur voll entfalten, wenn sie vom Schädiger nicht vereitelt oder beeinträchtigt wird. Um diese potenziellen Wirkungseinbußen des pauschalierten Schadensersatzes einschätzen zu können, werden im Folgenden zwei Arten der einseitigen Einflussnahme durch den Schädiger besprochen: Zum einen kann der Schädiger versuchen, sich dem Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes zu entziehen, indem er geeignete Maßnahmen zur Manipulation auf Tatbestandsseite ergreift. Zum anderen kann sich der Schädiger den ökonomischen Folgen zu entziehen suchen, wie es häufig als
74
§ 288 Abs. 4 BGB und Art. 12 Abs. 1 S. 1 Fluggastrechte-Verordnung. Zu den jeweiligen Anspruchsgrundlagen § 280 Abs. 1, 2 § 286 BGB sowie Art. 19 Montrealer Übereinkommen, § 46 LuftVG und §§ 280 ff., 631, 633, 634, 636 bzw. §§ 651a, 651i ff. BGB nebst den §§ 677 f., §§ 823 ff. und/oder §§ 812 ff. siehe oben Kap. 1 G. und Kap. 2 H. 76 Siehe oben, Kap. 4 B. III. 3. 77 Zur Anrechnung BGH, NJW 2002, 2553 (2556); KG, JurBüro 2014, 315 f.; § 288 Abs. 5 S. 3; Art. 12 Abs. 1 S. 2 Fluggastrechte-Verordnung. 75
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6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
Problem der Verhaltenssteuerung durch Privatrecht diskutiert wird,78 indem er eine Versicherung abschließt oder andere Abwendungsmöglichkeiten ergreift. 1. Umgehung des Anwendungsbereichs oder Tatbestands Soweit dem Schädiger aufgrund der gesetzlichen Pauschalierung keine Möglichkeit verbleibt, seine Haftung rechtlich abzuwenden oder zu beschränken, muss er, wenn er seiner Haftung dennoch entgehen möchte, auf tatsächliche Maßnahmen zurückgreifen. Dies wird er allerdings in aller Regel mit der Absicht tun, sich dem gesetzlichen Regime in illegitimer Weise zu entziehen, sodass von Manipulationsmaßnahmen tatsächlicher Art gesprochen werden muss. Für solche Manipulationsmaßnahmen können sowohl die Eröffnung des Anwendungsbereichs als auch der Tatbestand der jeweiligen gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung anfällig sein. a) Überlange Zahlungsfristen Beim Zahlungsverzug besteht die einfachste Möglichkeit zur Vermeidung des gesetzlich pauschalierten Zahlungsverzugsschadensersatzes darin, sich eine möglichst lange Zahlungsfrist auszubedingen und mithin zu vermeiden, dass das Tatbestandsmerkmal des Verzugs erfüllt wird,79 das die Fälligkeit der Schuld voraussetzt.80 Die vertragliche „Einräumung“ überlanger Zahlungsfristen im Geschäftsverkehr, wo dies für den Liquiditätsfluss besonders kritisch ist, hat der Gesetzgeber auch als Problem für den Zahlungsverzug und die Umgehung seiner Schadensersatzpauschalierung erkannt. Allerdings ist das Problem auf europäischer Ebene bisher nur ungenügend gelöst; das deutsche Recht ist insofern deutlich konsequenter. Die zwingenden europäischen Vorgaben der Zahlungsverzugs-Richtlinien beschränken sich darauf, über das Verzugserfordernis der Mahnung hinwegzuhelfen, nicht aber über das der Fälligkeit.81 Die neue Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU verlangt zwar von den Mitgliedstaaten, für den Geschäftsverkehr sicherzustellen, dass eine „vertraglich festgelegte Zahlungsfrist 60 Kalendertage nicht überschreitet“, jedoch wird sogleich als Ausnahme zugelassen, dass im Vertrag etwas anderes „ausdrücklich … vereinbart“ werden kann.82 Dies ist kein effektiver Schutz vor Manipulationsmaßnahmen der Schadensersatzpauschale, die vom Gesetzgeber für Fälle geschaffen ist, in denen private Vertrags- und Marktmechanismen versagen, also keine faire Vertragsregelung zur Zahlungsfrist erwartet werden kann. Die ein78
Schlobach, Präventionsprinzip, S. 318 f. und 413 ff. § 286 BGB. 80 § 286 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BGB. Zur Fälligkeit vgl. § 271 Abs. 2 BGB. 81 Art. 3 Abs. 1 lit. b Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG; Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 lit. b Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 82 Art. 3 Abs. 5 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. Dazu etwa Oelsner, EuZW 2011, 940 (942 ff.). 79
B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers
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zige und insofern unzureichende Beschränkung der Zahlungsverzugs-Richtlinie für diese Vertragsvereinbarung ist, dass die Vereinbarung für den Zahlungsgläubiger „nicht grob nachteilig“ sein darf.83 Maßstab dafür sind gemäß der ZahlungsverzugsRichtlinie „alle Umstände des Einzelfalls“.84 Die Notwendigkeit, den Einzelfall zu beurteilen, steht aber der Idee und den Zielen des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes entgegen und beeinträchtigt seine prozessökonomische Effizienz erheblich. Des Weiteren hilft es der Bekämpfung etablierter Praktiken des Zahlungsverzugs nicht, dass die Zahlungsverzugs-Richtlinie darauf abstellt, ob die Zahlungsfristvereinbarung der Handelspraxis entspricht und mit dem Grundsatz des guten Glaubens (gemeint ist wohl der Grundsatz von Treu und Glauben) sowie mit der Redlichkeit vereinbar ist.85 Auch dass die Art der Ware bzw. Dienstleistung eine Rolle spielen soll,86 widerspricht dem Pauschalierungsgedanken; ob der potenzielle Schädiger (einseitig!) einen „objektiven Grund“ für die Abweichung hat,87 vermag das Manipulationsrisiko nicht einzudämmen. Der deutsche Gesetzgeber hat das europäische Richtlinienrecht allerdings bewusst und zulässigerweise überschießend umgesetzt,88 da die Richtlinie nur Mindeststandards vorgibt.89 Strengere Restriktionen für die Vereinbarung von überlangen Zahlungsfristen bei Entgeltforderungen wurden zwar nicht ins deutsche Verzugsrecht,90 aber ins AGB-Recht aufgenommen.91 Damit gelingt eine weitgehend effektive Verhinderung der Unkultur des Zahlungsverzugs,92 wozu das Problem der überlangen Zahlungsfristen zählt: Da die allermeisten Zahlungsfristvereinbarungen als AGB anzusehen sein dürften,93 jedenfalls wenn man die BGH-Rechtsprechung zur weitgreifenden AGB-Qualifikation bedenkt,94 und die meisten AGB von Unternehmern gestellt werden, sind damit praktisch alle relevanten Fälle erfasst.95 Gemäß diesen Regelungen zur AGB-Kontrolle im BGB ist die Vereinbarung einer Zahlungsfrist für Entgeltforderungen von mehr als 30 Tagen nach Leistungser83
Letzter Hs. des Art. 3 Abs. 5 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. Art. 7Abs. 1 UAbs. 2 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 85 Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 86 Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 lit. b Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 87 Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 lit. c Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 88 BT-Drs. 18/1309, S. 21. So auch MüKo-BGB/Wurmnest, § 308 Nr. 1a Rn. 5. Zur Verschärfung vgl. Haspl, BB 2014, 771 (777); Spitzer, MDR 2014, 933 (939); Verse, ZIP 2014, 1809 (1814). 89 Art. 12 Abs. 3 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 90 Etwa bei § 286 Abs. 2 und 3 BGB. 91 § 308 Nr. 1a BGB. 92 Vgl. Erwgr. 12 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU. 93 § 305 Abs. 1 BGB. 94 Siehe etwa zum Merkmal der Vorformulierung BGHZ 200, 326 (334 ff.); BGH, NJW 2013, 856 ff.; 2016, 1230 ff. 95 Ausgenommen sind jedoch die in § 310 Abs. 2, Abs. 4 S. 1 BGB benannten Vertragstypen sowie ggf. VOB/B-Verträge. 84
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6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
bringung oder anschließender Rechnung im Zweifel unwirksam.96 Damit halbiert das deutsche Recht nicht nur die maximale Zahlungsfrist im Vergleich zur Zahlungsverzugs-Richtlinie, sondern gestattet anders als die Zahlungsverzugs-Richtlinie in der Regel auch keine Ausnahme zu dieser Vorgabe. Die Bedeutung der zusätzlich ins deutsche Recht eingeführten speziellen Regelung des § 271a BGB, die u. a. die Vereinbarungen über Zahlungsfristen von Entgeltforderungen im Sinne der Zahlungsverzugs-Richtlinie reglementiert, tritt hinter die AGB-Restriktion zurück.97 b) Schedule padding Der gesetzlich pauschalierte Schadensersatzanspruch der Fluggastrechte-Verordnung ist einer ähnlichen Umgehungsgefahr durch Fluggesellschaften ausgesetzt. Eine Fluggesellschaft kann eine spätere Ankunftszeit für einen Flug angeben und sich damit einen übermäßigen Zeitpuffer verschaffen, um ihr Risiko zu vermeiden oder zumindest zu verringern, dass die Anwendungsbereichsvoraussetzungen für die große Ankunftsverspätung98 oder auch die Voraussetzungen für den Anspruch des Fluggasts auf die volle statt halbierte Pauschale99 erfüllt werden. Dauert beispielsweise die Flugzeit, einschließlich den Zeiten für die Flugzeugbewegungen am Boden,100 eigentlich eine Stunde, und beträgt die durchschnittliche Verspätung, die sich aufgrund von Verzögerungen am Boden und im Luftverkehr ergibt, 10 Minuten, müsste die Ankunftszeit rund eine Stunde und 10 Minuten nach der Abflugzeit liegen.101 Gibt die Fluggesellschaft allerdings eine Ankunftszeit an, die etwa bei einer Stunde und 40 Minuten nach der Abflugzeit liegt, hat sie einen Puffer von 30 Minuten, um weitere Verspätungen aufzufangen. Dieses Polster im Flugplan wird als schedule padding bezeichnet.102 30 Minuten sind keine sehr lange Zeitspanne, aber im Beispiel entsprechen sie der Hälfte der eigentlichen Flugzeit. Eine Verspätung von 30 Minuten an sich führt auch noch nicht zu einem Fall der großen Ankunfts96 Vgl. § 308 Nr. 1a BGB. Zuvor schon ähnlich, allerdings hinsichtlich längerer Frist OLG Köln, NJW-RR 2006, 670 f. 97 Vgl. BT-Drs. 18/1309, S. 20; Haspl, BB 2014, 771 (777). Gem. § 271a Abs. 6 bleibt § 308 Nr. 1a BGB unberührt. 98 Mindestens drei Stunden gem. EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, C-402/07 – Sturgeon, Rn. 41 ff., insbes. 50 ff. Bestätigt im Urt. v. 23. 10. 2012, C-581/10 – Nelson, Rn. 28 ff. 99 Art. 7 Abs. 1 statt Abs. 2 Fluggastrechte-Verordnung. 100 Gemeint ist die sog. Blockzeit, d. h. die Zeit zwischen dem erstmaligen Abrollen eines Flugzeugs aus seiner Parkposition (off block) zum Zweck des Startens bis zum Abstellen aller Triebwerke auf der zugewiesenen Parkposition (on block), vgl. § 2 Abs. 4 S. 1 Zweite Durchführungsverordnung zur Betriebsordnung für Luftfahrtgerät, ferner Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. 11. 2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008, Anhang I A, FCL.010. 101 Sofern keine Zeitzonenunterschiede für den Flug zu berücksichtigen sind. 102 Fan, Transportation Research Part A 121 (2019), 192 (212). Eingehend dazu Skaltsas, Analysis of Airline Schedule Padding on U.S. Domestic Routes, Massachusetts Institute of Technology, http://hdl.handle.net/1721.1/66870.
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verspätung, aber diese 30 Minuten mehr oder weniger werden ab einer Verspätung von drei Stunden gegenüber der angegebenen Ankunftszeit höchst relevant. Ohne den Puffer wäre die Fluggesellschaft dann hinreichend verspätet, um von allen Fluggästen dieses Flugs auf den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz in Anspruch genommen werden; aufgrund des Puffers von 30 Minuten, der sich nun als Zünglein an der Waage bemerkbar macht, ist der Flug noch hinreichend „pünktlich“, um der vielfachen, pauschalierten Haftung zu entgehen.103 Dass Fluggesellschaften solche Manipulationen der Flugzeit in Bezug auf die Ankunftszeit vornehmen, um der Haftung nach der Fluggastrechte-Verordnung zu entgehen, hat in den letzten Jahren zunehmend internationale Aufmerksamkeit und Kritik erfahren.104 Die größte britische Verbraucherorganisation hat 2018 festgestellt, dass angegebene Flugzeiten durchschnittlich 35 Minuten länger sind als noch vor zehn Jahren.105 Bereits aufgrund der (allerdings nicht pauschalierten) Verspätungshaftung unter dem Warschauer Übereinkommen,106 dem Vorgänger des Montrealer Übereinkommens,107 haben sich Flugzeitverlängerungen zur Haftungsumgehung bemerkbar gemacht.108 Bezogen auf das ökonomische Modell des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes bedeutet diese Praxis jedoch, dass die Fluggesellschaft trotz einer größeren Nachlässigkeit, die im Beispiel in einer Verspätung von (weiteren) 30 Minuten resultiert, das Maß der Leistungsanstrengung noch nicht so weit unterschreitet, dass die Wirkung der gesetzlichen Schadensersatzpauschale einsetzen würde. Es lohnt sich für die Fluggesellschaft in diesem kritischen Bereich, dass sie die Kosten für eine höhere, hinreichende Sorgfalt bzw. Leistungsanstrengung einspart, woraus sich für sie ein erheblicher Grenznutzen ergibt. Sie kann die geringfügig höheren Schadenskosten in Kauf nehmen, die als Grenzkosten den Grenznutzen nicht übersteigen (sofern die Schadenskosten überhaupt gegenüber der Fluggesellschaft geltend gemacht werden und nicht allein am Fluggast hängen bleiben). Die ökonomisch kalkulierende Fluggesellschaft vermag sich mithin gesamtkosteneffizient der Steue103
Die Haftungsvermeidung aufgrund des schedule padding bestätigen auch Baik/Li/ Chintapudi, Transportation Research Record Nr. 2177 (2010), 49; Fan, Transportation Research Part A 121 (2019), 192 (212). 104 Vgl. BBC, „Why airlines make flights longer on purpose“, 9. 4. 2019; Financial Times, „Airlines on the line over delays and disruption: Groups aim to boost punctuality and deny surreptitiously increasing flight times“, 6. 9. 2018; The Guardian, „Flight times extended by major airlines“, 27. 8. 2018; Aviation ADR UK, „Airlines ,fiddling with flight times‘ to avoid paying passengers compensation for delays investigation claims“, 2018; BBC News, „Ryanair: Is it really Europe’s most punctual airline?“, 26. 5. 2013. 105 Which?, „Schedule padding: Is this why air travel is getting slower?“, 27. 8. 2018. 106 Art. 19 des Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 12. 10. 1929 (RGBl. 1933 II S. 1039). 107 Zum Verhältnis der Haftungsvorschriften des Übereinkommens zu denen der Fluggastrechte-Verordnung siehe oben, Kap. 2 B. III. 2. 108 Goedhuis, National Airlegislations and the Warsaw Convention, S. 208; Schmid, TranspR 1985, 369 (370).
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6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
rungswirkung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung zu schadenspräventivem Verhalten ein Stück weit zu entziehen, weil sie es in der Hand hat, die Flugzeit zu bestimmen.109 Weder der europäische noch der deutsche Gesetzgeber haben bisher Maßnahmen gegen missbräuchliches schedule padding unternommen. Dies ist allerdings auch kaum allein mit Mitteln der Privatgesetzgebung möglich, weil der Gesetzgeber im liberalisierten Flugverkehr keine Vorschriften hinsichtlich der Bemessung der zu erbringenden Primärleistungen machen kann; der Privatrechtsgesetzgeber muss sich auf die Vorgabe von Sekundärpflichten wie den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz und seine Anspruchsvoraussetzungen beschränken.110 Es wäre Aufgabe des Markts, durch Wettbewerb eine Primärleistungsoptimierung im Sinne kürzerer, realer Flugzeiten herbeizuführen. Der Staat kann das primärseitig zu beobachtende Marktversagen durch die sekundärseitige, gesetzliche Schadensersatzpauschalierung nicht wirkungsvoll auffangen. Allerdings stünden ihm über die reine Privatrechtssetzung hinaus am Schnittpunkt mit dem öffentlichen Recht Mittel zur Regulierung und Sanktionierung zur Verfügung, insbesondere gemäß Art. 16 Fluggastrechte-Verordnung, d. h. in Deutschland die Überprüfung auf Ordnungswidrigkeiten und ggf. die Verhängung von Bußgeldern durch das Luftfahrt-Bundesamt.111 Daneben wäre ein weiterer denkbarer Ansatzpunkt die öffentliche Vergabe von Startund Landezeitfenstern (slots) auf den Verkehrsflughäfen, die sich nach der europäischen Slotzuweisungs-Verordnung richtet.112 Als Koordinierungsparameter gemäß der Slotzuweisungs-Verordnung könnte Berücksichtigung finden, inwiefern die antragstellende Fluggesellschaft mit dem Zeitfenster von der eigentlichen Flugdauer übermäßig abweicht.113
2. Versicherung und andere Abwendungsmöglichkeiten Dass der verhaltenssteuernde Effekt von gesetzlich pauschaliertem Schadensersatz verloren geht oder abgeschwächt wird, weil er nicht mehr den einzelnen Verantwortlichen trifft, sondern von ihm nur noch anteilhaft verspürt wird, könnte drohen, wenn sich der Schädiger versichert. Durch eine Versicherung, die einen Mechanismus zum kollektiven Schadensausgleich darstellt,114 kann ein Schädiger 109
Vgl. auch Janköster, Fluggastrechte, S. 125. Zum Vergleich: Der Privatgesetzgeber gibt zwar Zahlungsfristen für Entgeltforderungen vor, jedoch ist dies nicht für den Primär-, sondern nur für den Sekundäranspruch relevant. 111 § 58 Abs. 1 Nr. 13 i. V. m. § 32 Abs. 5a LuftVG i. V. m. § 108 Abs. 2 Nr. 1 – 9 LuftVZO. 112 Gemäß Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates vom 18. 1. 1993 über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft (ABl. L14/1), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 545/2009 vom 18. 6. 2009 (ABl. L167/24). 113 Vgl. Art. 6 Slotzuweisungs-Verordnung. 114 Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385 (402 ff.); Katzenmeier, VersR 2002, 1449 ff.; Mohr, JURA 2010, 168 (170); MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 10; Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, S. 108 ff. 110
B. Wirkung auf das Verhalten des potenziellen Schädigers
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gegen eine Prämie seine Haftung auf viele Schultern verteilen (collective loss redistribution).115 Allerdings muss der potenzielle Schädiger eine Versicherungsprämie bezahlen, deren Höhe sich nach seiner Inanspruchnahme der Versicherung richtet, also mittelbar nach seinem schädigenden Verhalten. Anstelle der direkten Präventionswirkung des Schadensersatzrechts tritt das Versicherungsvertragsverhältnis, das mit seiner Prämiendifferenzierung, den Schadensfreiheitsrabatten und den Selbstbeteiligungsbeträgen sicherstellt, dass sich ein schadensvermeidendes Verhalten für den potenziellen Schädiger als Versicherungsnehmer ökonomisch lohnt.116 Das Bonus-Malus-System der Versicherung vermittelt mithin die verhaltenssteuernde Wirkung des Schadensersatzrechts in indirekter Form.117 Keine Vereitelung oder Beeinträchtigung der präventiv verhaltenssteuernden Wirkung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes ist hingegen in zwei anderen Situationen zu sehen. Wenn sich die Parteien über die Abbedingung der gesetzlichen Pauschalierung privatautonom und konsensual verständigen, also innerhalb der (strikten) gesetzlichen Grenzen eine vertragliche Regelung finden,118 wirken Vertragsmechanismen und es besteht kein Bedarf zur Verhaltenssteuerung durch gesetzliche Schadensersatzpauschalierung. Zum anderen wird die verhaltenssteuernde Wirkung gegenüber dem vom gesetzlich pauschalierten Schadensersatz zunächst betroffenen Schädiger nicht geschmälert, wenn er im Nachgang Regress beim wahren Verantwortlichen nimmt,119 sofern er einen solchen Regressanspruch auf herkömmlicher Anspruchsgrundlage überhaupt vollumfänglich erfolgreich durchsetzen kann.120
IV. Adverse Effekte zulasten des Geschädigten? Die positive Präventionswirkung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes gegenüber einem potenziellen Schädiger könnte kritisch gesehen und daher angezweifelt werden, wenn zu befürchten wäre, sie könne sprichwörtlich „nach hinten losgehen“, indem sie „unterm Strich“ den Geschädigten nachteilhaft treffen würde. So wird beispielsweise der gesetzlich pauschalierten Fluggastentschädigung entgegengehalten, sie treffe letztlich die Fluggäste, weil sie die Fluggesellschaften zu 115
Siehe auch oben, Kap. 4 A. III. 2. Brand, Schadensersatzrecht, § 2 Rn. 26; Möller, Präventionsprinzip, S. 267; Wagner, AcP 206 (2006), 352 (364 und 455); ders., Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, S. A78; ders., Deliktsrecht, S. 35 ff. 117 Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 18; Wagner, Deliktsrecht, S. 36. Auch Lange/Schiemann Schadensersatz Einl. III 2 b. 118 § 288 Abs. 6 BGB für den Zahlungsverzugsschadensersatz. Hingegen verbietet Art. 15 Fluggastrechte-Verordnung jede Abweichung zum Nachteil des Fluggasts. 119 Siehe insbesondere Art. 13 Fluggastrechte-Verordnung. 120 Zur privatautonomen Modifikation und zur Regressmöglichkeit siehe oben, Kap. 1 F. sowie Kap. 2 C. III. 4. und G. 116
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6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
Ticketpreiserhöhungen zwinge.121 Dieses Problem ist hier zum Abschluss des Abschnitts zur Wirkung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes auf das Verhalten des potenziellen Schädigers zu diskutieren, bevor im nächsten Abschnitt auf die positiven Wirkungen für den Geschädigten eingegangen werden kann. Die Befürchtung von adversen Effekten zulasten des Geschädigten beruht darauf, dass der potenzielle Schädiger, der sich (wahrscheinlich) mit gesetzlich pauschalierten Schadensersatzansprüchen konfrontiert sieht, sein Vertrags- und Marktverhalten darauf ausrichtet. Der potenzielle Schädiger würde im Voraus versuchen, eine Erhöhung der ihm gegenüber zu erbringenden Gegenleistung durchzusetzen, womit für ihn die von ihm zu leistende gesetzliche Schadensersatzpauschale (unter Berücksichtigung der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit) neutralisiert würde. Dies suggeriert das benannte Beispiel der Ticketpreiserhöhung durch die Fluggesellschaft zulasten aller Fluggäste. Der potenzielle Schädiger könnte folglich durch vorausschauende Preisgestaltung seiner eigenen Leistung dafür sorgen, dass die (wahrscheinlichkeitsanteilige) Schadensersatzpauschale letztlich vom Geschädigten im Rahmen von dessen Ticketpreisbezahlung zu tragen wäre. Alternativ könnte der potenzielle Schädiger im Voraus ganz davon absehen, eine zu schadensanfällige Leistung zu erbringen, weil sie sich für ihn nicht mehr rentieren würde. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn sich eine Fluggesellschaft entscheiden würde, einen Flughafen nicht mehr anzufliegen, an dem es chronisch zu erheblichen Verspätungen kommt. Die adversen Effekte bestünden mithin in der Verteuerung oder im gänzlichen Wegfall des Leistungsangebots des potenziellen Schädigers. Solche adversen Effekte können allerdings überhaupt nur in Leistungsstörungsfällen auftreten, denen ein vertragliches Schuldverhältnis im Gegensatz zu einem deliktischen Schuldverhältnis zugrunde liegt. Denn nur durch ein entsprechendes Vorgehen beim Vertragsschluss kann es dem potenziellen Schädiger als Leistungsschuldner gelingen, auf den Preis als Gegenleistung Einfluss zu nehmen oder sich bewusst für bzw. gegen das Leistungsangebot zu entscheiden – sei es durch entsprechende Wahl des Vertragspartners oder durch Verhandlung bzw. Vorgabe der Vertragskonditionen. Bei einem deliktischen Schuldverhältnis müssen die Parteien die gegebenen Konditionen hinnehmen; der Schädiger hat keine Einflussnahmemöglichkeit. Selbst innerhalb eines vertraglichen Schuldverhältnisses sind die adversen Effekte aber äußerst gering. Dies lässt sich am Beispiel der Fluggastentschädigung belegen: Während die Fluggesellschaft Ryanair zwar behauptet, sie müsse 2 bis
121
Vgl. insbesondere die entsprechende Medienberichterstattung in Großbritannien: The Guardian, „Ryanair adds E2 levy to cover EU rules on compensation“, 30. 3. 2011; Aviator, „Ryanair to increase EU261 compensation levy to E2.50 following EU court ruling“, 11. 2. 2013; Travel Weekly, „Cost Implications of Jet2 Case will be borne by Passengers“, 16. 6. 2014. Dazu Prassl, Air and Space Law 39 (2014), 365 (372 f.).
C. Wirkung auf das Verhalten des Geschädigten
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2,50 Euro auf den Ticketpreis aufschlagen,122 um die durchschnittlich anfallenden Zahlungen aufgrund der Fluggastrechte-Verordnung zu neutralisieren, hat eine Untersuchung im Auftrag der Europäischen Kommission ergeben, dass Fluggesellschaften im europäischen Branchendurchschnitt mit höchstens 1,63 Euro pro Fluggast für Erfüllung von Ansprüchen nach der Fluggastrechte-Verordnung konfrontiert sind und dies zu einer Ticketpreiserhöhung von 0,24 % führe.123 Von diesen Zahlen ausgehend legen Fluggesellschaften nur 0,27 bis 1 % der gesetzlich pauschalierten Fluggastentschädigungen auf die Fluggäste in Form von Ticketpreisaufschlägen um. Dies ist selbst für Vielflieger vernachlässigbar wenig. Bei den genannten Zahlen sind bereits die Skaleneffekte berücksichtigt, sodass auch insofern keine Überabschreckung der Fluggesellschaften und eine übermäßige Umlage der Kosten in Form von vervielfachten Ticketpreiserhöhungen zu befürchten sind. Hinzu kommt, dass der Auswirkung adverser Effekte auf Fluggäste die Marktkräfte entgegentreten. Fluggesellschaften agieren in einem hochkompetitiven Marktumfeld,124 sodass es sich für sie nicht rentiert, infolge von signifikanten Preisaufschlägen oder von der Nichtbedienung bestimmter Routen Kunden an die Konkurrenz zu verlieren. Dies muss auch eine gegen die Fluggastrechte-Verordnung gerichtete Studie des Luftfahrtbranchenverbands ERA (European Regions Airline Association) eingestehen.125 Die Marktkräfte bestärken indirekt also vielmehr die verhaltenssteuernde Wirkung auf die Fluggesellschaften zu höherer Leistungsanstrengung: Jede Fluggesellschaft muss sich bemühen, Leistungsstörungen so gering wie möglich zu halten, um den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz zu umgehen, weil sie sich im Wettbewerb mit Konkurrenten, denen dies gelingt, nicht mit höheren Preisen für eine schlechtere Leistung oder überhaupt gar keiner Leistung behaupten kann.
C. Wirkung auf das Verhalten des Geschädigten Wendet man sich der Wirkung des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung auf das Verhalten des Geschädigten zu, so lassen sich Effekte der Motivation zur Anspruchsgeltendmachung sowohl in Hinsicht auf dessen 122
Siehe The Guardian, „Ryanair adds E2 levy to cover EU rules on compensation“, 30. 3. 2011; Aviator, „Ryanair to increase EU261 compensation levy to E2.50 following EU court ruling“, 11. 2. 2013. 123 Steer Davies Gleave, Exploratory study on the application and possible revision of Regulation 261/2004, Final Report, Juli 2012 (im Auftrag der Europäischen Kommission), Rn. 7.90. 124 Vgl. Bailey/Graham/Kaplan, Deregulating the airlines, S. 41 ff.; Call/Keeler, in: Daughety, Analytical Studies of Transport Economics, S. 221 ff.; Graham/Kaplan/Sibley, Bell Journal of Economics 14 (1983), 118 ff. 125 ERA study into Regulation EU261: passenger compensation for delayed or cancelled flights, September 2019, S. 41.
282
6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
eigenen Vorteil als auch zugunsten der Rechtsgemeinschaft/Volkswirtschaft feststellen. Dies ist als weitere Facette des neuen Paradigmas im Schadensersatzrecht anzusehen. Zu zeigen ist unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus den vorangegangenen Ausführungen, wie die gesetzliche Pauschalierung den Geschädigten dazu befähigt und ihm einen Anreiz verschafft, seinen Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Kritisch ist aus juristischer Sicht allerdings eine eventuelle Überkompensation zu hinterfragen, die man als windfall profit bezeichnen könnte. Zum überindividuellen Vorteil könnte in der Geltendmachung des Schadensersatzes durch den Geschädigten (private enforcement) zugleich eine Rechtsdurchsetzung zugunsten der Allgemeinheit (public enforcement) zu sehen sein, für die sich der Geschädigte mehr oder minder bewusst sozusagen in der Rolle eines private attorney general einsetzt.126
I. Motivation zur Geltendmachung zum eigenen Vorteil 1. Befähigung und Anreizwirkung Das gesetzgeberische Instrument der Pauschalierung eines Schadensersatzanspruchs und die damit einhergehende Etablierung eines standardisierten Anspruchs abstrakt-genereller Natur lässt vermuten, dass sich potenziell aktivlegitimierte Normadressaten ihres Anspruchs mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit bewusst sind.127 Diesen Effekt könnte man als „Generalmotivation“ im Sinne eines Gegenstücks zur Generalprävention bezeichnen. Die Kenntnis der Geschädigten vom gesetzlich pauschalierten Schadensersatz ist nämlich wiederum die Grundlage einer Motivation menschlichen Verhaltens,128 in diesem Fall die Befähigung zur Geltendmachung des Anspruchs gegenüber dem Schädiger. Die Existenz einer gesetzlichen Regelung in pauschalierter Form hilft in verhaltenssteuernder Hinsicht, die sich aus der bestehenden Informationsasymmetrie ergebenden Probleme bei der Willensbildung und -befolgung von Handlungsoptionen zu überwinden, indem sich
126
Vgl. auch Stadler, FS H. Roth, S. 540. Dies ist im Vergleich zu gesetzlich nicht pauschalierten Schadensersatzansprüchen gemeint und verkennt nicht, dass nicht jedem Fluggast bekannt sein wird, dass er bei Nichtbeförderung etc. mehr als eine Erstattung des Ticketpreises fordern kann (Hess, JZ 2015, 548 [551]). So bemängelt der Europäische Rechnungshof fehlende Information über Passagierrechte vor allem bei anderen Beförderungsmitteln (vgl. Sonderbericht Nr. 30, 2018, insbes. S. 24, wobei an den dortigen rechtlichen Einschätzungen Zweifel bestehen dürften). 128 Vgl. allgemein für das Haftungsrecht Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, S. 652; Schlobach, Präventionsprinzip, S. 312. Siehe auch Latzel, Verhaltenssteuerung, S. 478 f. 127
C. Wirkung auf das Verhalten des Geschädigten
283
der Geschädigte unabhängig von seiner persönlichen Kenntnis über das konkrete Schuldverhältnis auf die gesetzliche Regelung verlassen kann.129 So ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich nahezu jeder Zahlungsgläubiger – jedenfalls im Grundsatz – bewusst ist, dass er im Fall des Zahlungsverzugs Anspruch auf die gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen hat.130 Im geschäftlichen Zahlungsverkehr dürfte es zudem mittlerweile weitgehend bekannt sein, dass Anspruch auf höhere Verzugszinsen besteht und beim Verzug mit einer Entgeltforderung auch ein Beitreibungskostenbetrag gefordert werden kann.131 Diese „Individual-/Spezialmotivation“ schließt nicht zwingend die genaue Kenntnis des Zinssatzes ein, dessen Berechnung für Laien ungewohnt sein kann;132 unter verhaltenssteuernden Gesichtspunkten wird man die grundlegende Information, dass ein Anspruch auf einen gesetzlich pauschalierten Mindestverzugszins besteht, als ausreichend ansehen können. Auch den meisten Fluggästen ist inzwischen bekannt, jedenfalls aus der häufigen Berichterstattung in den Medien,133 dass sie gesetzlich pauschalierte Schadensersatzansprüche in Fällen der Nichtbeförderung etc. haben. Darüber hinaus muss jede Fluggesellschaft ihre Fluggäste bei der Abfertigung abstrakt und im Leistungsstörungsfall konkret über die Fluggastrechte informieren.134 Indem der Anspruchsgegner (Fluggesellschaft) über den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch gegenüber dem Anspruchsberechtigten (Fluggast) zu informieren hat, wird im individuellen Schuldverhältnis sichergestellt, dass eine tatsächliche Befähigung zur Geltendmachung erfolgt. Nach der EuGH-Rechtsprechung geht die Informationspflicht der Fluggesellschaft sogar so weit,135 dass sie dem Fluggast „eine zweckdienliche und informierte Wahl“ ermöglichen muss,136 was einer Beratungspflicht gleichkommt.137 Abgesehen vom Wissen über den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzspruch wird der Geschädigte zur Geltendmachung des Anspruchs erheblich dadurch mo129 Sofern sie nicht (innerhalb der gesetzlich zugelassenen Grenzen) konsensual abbedungen worden ist, wovon der Gläubiger hinreichende Kenntnis erlangt haben dürfte, da ansonsten die Abbedingung in Zweifel zu ziehen wäre. 130 § 288 Abs. 1 BGB. 131 § 288 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 und Abs. 5 S. 1 BGB. 132 §§ 247, 288 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 2 BGB. Dazu oben Kap. 1 E. I. 133 Siehe nur aus der jüngeren Zeit FAZ, „EuGH stärkt Fluggastrechte bei Umsteigeflügen“, 7. 3. 2018; Die Zeit, „Wer kommt für ausgefallene Flüge auf?“, 4. 9. 2018; SZ, „Flug gestrichen, und nun?“, 26. 12. 2018; Bild, „Insider-Strategie bei Flugärger: So kassieren Sie die maximale Entschädigung!“, 4. 8. 2019; Die Welt, „Wie weit gehen Fluggastrechte bei Ausfall oder Verspätung?“, 6. 8. 2019. 134 Art. 14 Fluggastrechte-Verordnung. 135 Merkwürdigerweise basierend auf Art. 4 Abs. 3 i. V. m. Art. 8 Abs. 1 FluggastrechteVerordnung, siehe EuGH, Urt. v. 29. 7. 2019, C-354/18 – Rusu, Rn. 49 ff. 136 EuGH, Urt. v. 29 Juli 2019, C-354/18 – Rusu, Rn. 54 f. 137 Ungerer, GPR 2020, 42 (45).
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6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
tiviert, dass die Durchsetzung wesentlich einfacher und effizienter ist als bei einem anderweitigen, nicht-pauschalierten Schadensersatzanspruch. Motivierend wirkt die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung also bereits dadurch, dass sie das allgemein bestehende Desinteresse an der Durchsetzung herkömmlicher Schadensersatzansprüche zu überwinden vermag.138 Die oben ausführlich erörterte Prozessökonomie entfaltet außerdem verhaltenssteuernde Wirkung,139 indem sie das Prozessrisiko für den Geschädigten deutlich verringert und insbesondere seine Darlegungs- und Beweislast ganz erheblich reduziert. Der entsprechend informierte oder beratene Gläubiger muss daher auch nicht das Kostenrisiko der Rechtsdurchsetzung scheuen,140 das ansonsten häufig als prohibitiv hoch und abschreckend empfunden wird.141 Außerdem muss der Gläubiger eines gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs den Konflikt mit dem Schuldner, der ansonsten häufig gescheut wird, weil er eine zähe und mühsame Auseinandersetzung darstellen kann,142 kaum fürchten, weil aufgrund der gesetzlichen Regelung der Pauschalierung viel weniger Punkte begründeten Anlass zu Meinungsverschiedenheit und Streit bieten können. Bereits im außergerichtlichen Bereich kann man beispielsweise in der Existenz der Schlichtungsverfahren einen Anreiz für die niederschwellige und auch für den Geschädigten „unverbindliche“ Geltendmachung erkennen.143 Effiziente gerichtliche Verfahren stellen sodann eine Motivation dar, die gesetzlich pauschalierte Schadensersatzforderung unter Inanspruchnahme des staatlichen Gewaltmonopols weiterzuverfolgen und durchzusetzen.144 Künftige „smarte“ digitale Lösungen würden die Geltendmachung weiter vereinfachen:145 So wie es heute häufig zu beobachten ist, dass leichtfertig die Zustimmung zu AGB per Klick erklärt wird,146 könnte umgekehrt die Einforderung gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes im Fall der einschlägigen Leistungsstörung ebenso einfach gestaltet werden. 138
Vgl. Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung, S. 19. Zur „rationalen Apathie“ siehe auch Kletecˇ ka, JBl 2018, 497 (498). 139 Siehe oben, Kap. 5. 140 Insbesondere bedenkend, dass – im Gegensatz zur American Rule, wonach grundsätzlich jede Partei ihre Rechtsanwaltskosten selbst trägt (siehe Alyeska Pipeline Service Co. v. Wilderness Society, 421 U.S. 240 (1975); Federal Rules of Civil Procedure, Rule 54(d)(2)) – in Deutschland die unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens und des Gegners tragen muss, § 91 ZPO. 141 Vgl. Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 (1705 f). 142 Cappelletti, RabelsZ 40 (1976), 669 (678 f.); Neumann, Vertragsabschluss, S. 100. 143 Vgl. Hess, ZZP 124 (2011), 137 (147 ff.); ders., JZ 2015, 548 ff. Im Einzelnen Berlin, RRa 2019, 50 (55) und Isermann, RRa 2016, 106 (111 f.) für die Schlichtung im Luftverkehr. 144 Vgl. Law Commission (England and Wales), Report on Interest, Nr. 88, 1978, Rn. 38 zu den gesetzlich pauschalierten Verzugszinsen. 145 Siehe auch oben, Kap. 5 D. II. 146 Siehe Loos, Journal of European Consumer and Market Law 2016, 10 (11 f.) m. w. N.; Momberg, in: de Franceschi, European Contract Law and the Digital Single Market, S. 192.
C. Wirkung auf das Verhalten des Geschädigten
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2. Windfall profit bei Überkompensation Zur Geltendmachung und Durchsetzung seines Anspruchs kann der Geschädigte besonders motiviert werden, soweit er aufgrund der gesetzlichen Schadenspauschalierung einen Betrag erhält, der seine tatsächlichen Schadenskosten im Einzelfall übersteigt.147 Bezogen auf das ökonomische Modell kommt es durch die Schadensersatzpauschalierung dann zu einer Überkompensation, wenn der Schädiger zwar eine Sorgfalt bzw. Leistungsanstrengung wahrt, die herkömmlicherweise zu geringeren als den pauschalierten Schadenskosten führen würde, die aber dennoch so unzureichend ist, dass sie unterhalb des gesetzlich geforderten Mindestmaßes liegt und deshalb in den Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes fällt. Die mit der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung unter diesen Umständen einhergehende Überkompensation ist besonders stark verhaltenssteuernd, weil sie den Geschädigten dazu anregt, einen gesetzlich gewährten Zufallsgewinn (windfall profit) zu erlangen, welchen er nicht rechtfertigen, sondern nur einfordern muss.148 Dieses Novum verdeutlicht erneut den Paradigmenwechsel, der vom Einsatz des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung ausgeht. Abgesehen vom Vorteil für den Geschädigten, der gewissermaßen besonderes „Glück im Unglück“ hat, bringt ein windfall profit allerdings den Nachteil für den potenziellen Schädiger mit sich, dass ihm ein Übermaß an Sorgfaltsaufwendungen bzw. deutlich höhere Leistungsanstrengungen abverlangt werden.149 Denn um nicht in den Anwendungsbereich des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes zu geraten, also um nur mit den erheblich geringeren tatsächlichen Schadenskosten statt mit der Pauschale belastet zu werden, muss der potenziell schädigende Schuldner seine Leistungsanstrengungen so weit steigern, dass er seine Leistung deutlich pünktlicher erbringt – beispielsweise dass die Fluggesellschaft die Ankunftsverspätung weit genug unter drei Stunden hält. Dies scheint allerdings nicht zu viel verlangt und erfordert nicht, den gesetzlich bescherten windfall profit unbedingt abzubauen. Der weitere, bei einem windfall profit infolge pauschalierten Schadensersatzes mitschwingende Vorwurf, dass die gesetzliche Regelung eine unberechtigte, einseitige Verzerrung der Leistungsstörungsregulierung bewirke und mithin zu sehr über die Erfüllung der Ausgleichsfunktion hinausschieße, ist bei der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung ebenfalls unbegründet. Vielmehr belegt dies gerade, dass durch die Erzeugung von Überkompensation eine Verhaltenssteuerung bewirkt 147
Zur Lenkungswirkungen finanzieller Anreize siehe Latzel, Verhaltenssteuerung, S. 551. Dreier, Kompensation und Prävention, S. 549 ff.; Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 152 ff. Vgl. näher erläuternd auch Dictionary of Economics, sub windfall gain. Zum windfall-Problem von Pauschal(schadensersatz)beträgen vgl. Rea, Journal of Legal Studies 10 (1981), 131 (143); Sharkey, Yale Law Journal 113 (2003), 347 (370 f.). 149 Vgl. Sharkey, Yale Law Journal 113 (2003), 347 (371); ferner Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, S. A82. 148
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6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
wird, also eine Präventionsfunktion erfüllt wird. Denn nur so wird für den potenziellen Schädiger ein Anreiz geschaffen,150 nicht nur nach schädigendem Verhalten genau ausgleichend zu kompensieren, sondern sich von vornherein nicht schädigend zu verhalten, weil dies für ihn signifikant unrentabel wäre – nämlich in Höhe der Überkompensation. Andernfalls bestünde selbst im Rahmen der (Mindest-)Schadensersatzpauschalierung die Gefahr des „effizienten Rechtsbruchs“.151 Umgekehrt gesehen lohnt es sich für den potenziellen Schädiger, diesen Mehrbetrag in zusätzliche Sorgfalt zu investieren, sofern er individuell nicht ausschließen kann, dass sein Verhalten schädigend sein wird. Beispielsweise rentiert es sich für eine Fluggesellschaft von vornherein, in etwas mehr Personal zu investieren, um zu verhindern, dass es wegen des Ausfalls eines Besatzungsmitglieds zu einer Ankunftsverspätung von knapp über drei Stunden kommt und auf einen Schlag alle Fluggäste des betroffenen Flugs Anspruch auf Schadensersatz in der gesetzlich pauschalierten Höhe haben und nicht nur Anspruch auf die höchstwahrscheinlich geringeren realen Schadenskosten. Die Fluggesellschaft wird sich daher generell um eine einigermaßen pünktlichere Beförderung bemühen – aufgrund der verhaltenssteuernden Wirkung des gesetzlich gegebenenfalls überkompensatorisch pauschalierten Schadensersatzes, selbst wenn er letztlich gar nicht anfällt, weil es der Fluggesellschaft gelingt, die Verspätung ausreichend klein zu halten.152 Eine vergleichbar verhaltenssteuernde Wirkung folgt auch aus den windfall profits, die sich infolge des besonders hohen Verzugszinssatzaufschlags ergeben,153 wie er gesetzlich für den Verzug mit Entgeltforderungen im geschäftlichen Zahlungsverkehr vorgegeben ist.154
II. Motivation zur gemeinnützigen Geltendmachung in der Rolle eines private attorney general Als Ausfluss der direkten verhaltenssteuernden Wirkung, die vom gesetzlich pauschalierten Schadensersatz auf den individuellen Geschädigten ausgeht, kann ein weiterer, indirekter Effekt festgestellt werden, der eine überindividuelle Dimension hat. Bereits für jedes einzelne Rechtssubjekt ist es als Wirtschaftsteilnehmer nachteilig, wenn Leistungen nicht einigermaßen pünktlich und ordnungsgemäß erbracht werden, weil Transaktionsmehrkosten und Opportunitätskosten entstehen; makroökonomisch führen diese aggregierten mikroökonomischen Defizite jedoch zu einer Lähmung des liquiden und vernetzten Wirtschaftsverkehrs und Wirtschaftskreis150
Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 152; Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, S. A83. 151 So auch Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 157. 152 Zur verhaltenssteuernden Wirkung der windfall profits unter Art. 7 FluggastrechteVerordnung Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 154 f. 153 Ebenso Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 155. 154 § 288 Abs. 2 BGB.
C. Wirkung auf das Verhalten des Geschädigten
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laufs. Indem der Geschädigte zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs motiviert wird, sorgt der Gesetzgeber nicht nur dafür, dass in solchen Fällen, die typischerweise massenartig auftreten bzw. viele Personen betreffen, die versagenden privaten Mechanismen überwunden und Schäden ausgeglichen werden. In verhaltenssteuernder Hinsicht besteht darüber hinaus eine gewisse „Breitenwirkung“ der gesetzlichen Regelung darin, dass wegen der potenziellen Geltendmachung des pauschalierten Schadensersatzanspruchs durch eine Vielzahl von Betroffenen eine generelle Verhaltenssteuerung gegen diese Leistungsstörungsfälle herbeigeführt wird und die gesamtwirtschaftlichen Nachteile verringert werden.155 Dass der Einzelne nicht nur seinen eigenen Schaden pauschaliert ersetzt erhalten und im konkreten Leistungsstörungsfall auch prozessökonomisch effizient im Sinne von private enforcement durchsetzen kann, sondern dass er damit zugleich zugunsten der Allgemeinheit bewirkt, dass Leistungen ordnungs- und rechtmäßig erbracht werden, lässt sich als public enforcement qualifizieren.156 Die Symbiose aus privater Durchsetzung mit öffentlicher Regulierung, wie sie insbesondere aus dem (europäischen) Wettbewerbs- und Finanzmarktrecht bekannt ist,157 wird auch in den Konstellationen der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung ermöglicht, weil jeder Geschädigte mit seiner Kompensationsforderung das Fehlverhalten von schädigenden Schuldnern sanktioniert, das in seiner Gesamtheit aus volkswirtschaftlicher Sicht wohlfahrtsmindernd ist. Damit wird zudem das Vollzugsdefizit bekämpft, das heute in vielen Bereichen des öffentlichen Rechts bzw. in Rechtsbereichen, in denen keine öffentliche Regulierung möglich oder zweckdienlich ist, zu beobachten ist.158 Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung kann man daher, wie es insbesondere in den USA hinsichtlich verbraucherschützender statutory damages getan wird,159 als ein staatliches Mittel sehen, das die Rechtsdurchsetzung durch Privatpersonen mithilfe staatlicher Institutionen stärkt, sodass der Bürger gleichsam zum private attorney general wird.160 155 Schon v. Savigny hat gefordert, „Geldgewinn sollte dem Verletzten den Antrieb geben, die Klage anzustellen, und so die Strafe im öffentlichen Interesse der Gerechtigkeit zu bewirken“ (Obligationenrecht als Theil des heutigen Römischen Rechts II, S. 303). 156 Vgl. Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, S. 165 und 172 ff. 157 Siehe etwa Drexl, in: Micklitz/Wechsler, Transformation of Enforcement, S. 135 ff.; Micklitz, Yearbook of European Law 28 (2009), 3 ff.; ders., European Review of Contract Law 2014, 473 ff.; ders., European Review of Private Law 2015, 491 ff. Überblicksartig auch Cherednychenko, European Review of Private Law 2015, 481 ff. 158 Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 11 f.; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (224 f.); Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, S. A79 f.; ders., AcP 206 (2006), 355 ff. und 434 ff. 159 Parker v. Time Warner Entm’t Co., 331 F.3d 13, 22 (2d Cir. 2003); Schwartz/Silverman, University of Kansas Law Review 54 (2005), 1 (61). 160 Vgl. Perrone v. Gen. Motors Acceptance Corp., 232 F.3d 433, 436 (5th Cir. 2000) zu statutory damages. Ebenso Scheuerman, Missouri Law Review 74 (2009), 103 (111). Siehe grundlegend Rubenstein, Vanderbilt Law Review 57 (2004), 2129 ff. Zuvor schon Garth/Nagel/
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6. Kap.: Verhaltenssteuerung durch gesetzlich pauschalierten Schadensersatz
D. Zwischenergebnis Das gesetzgeberische Instrument der Schadensersatzpauschalierung belegt, dass heutzutage mit dem Privatrecht gezielte Verhaltenssteuerung betrieben werden kann, sowohl in Bezug auf potenzielle Schädiger als auch Geschädigte. Die verhaltenssteuernde Wirkung durch die gesetzliche Pauschalierung von Schadensersatz stellt mithin ein neues Paradigma im Privatrecht dar. Die präventive Wirkung gegenüber dem potenziellen Schädiger besteht zunächst darin, dass ihn die Pauschalierung von Schadensersatz durch die gesetzliche Regelung vom schädigenden Leistungsstörungsverhalten abschreckt. Rechtsökonomisch betrachtet wirkt gesetzlich pauschalierter Schadensersatz präventiv verhaltenssteuernd, weil der Gesetzgeber eine ökonomische Rentabilität für den rationalen potenziellen Schädiger erzeugt, größere Anstrengungen zu unternehmen, um eine Leistungsstörung und den dafür gesetzlich pauschalierten Schadensersatz zu vermeiden. Der potenzielle Schädiger wird seine Aufwendungen und Kosten der Leistungsanstrengung erhöhen, um den ihn als cheapest cost avoider treffenden gesetzlich pauschalierten Schadenskosten zu entgehen. Diese Präventionswirkung wird durch Skaleneffekte, die mit dem gesetzlich pauschalierten Schadensersatz in den gleich- und massenartigen Leistungsstörungsfällen einhergehen, verstärkt. Aufgrund der Tatsache, dass die gesetzliche Pauschalierung nur Mindestbeträge vorgibt, besteht keine Gefahr eines Anreizes zum „effizienten Rechtsbruch“. Der Gesetzgeber stellt sicher, dass manipulative Maßnahmen des Schädigers zur Umgehung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes oder zur Abwendung der Haftungsfolgen unterbunden werden, die sonst die Präventionswirkung vereiteln könnten. Außerdem konnte die Befürchtung widerlegt werden, dass von der Präventionswirkung gegenüber dem potenziellen Schädiger nennenswerte adverse Effekte zulasten der Geschädigten ausgehen würden. Der Geschädigte wird durch die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung stärker dazu motiviert, seinen Schadensersatzanspruch tatsächlich geltend zu machen. Ein besonderer Anreiz kann ein überkompensatorischer windfall profit sein, wodurch umgekehrt der Schädiger besonders zu einem Verhalten der Leistungsstörungsvermeidung bewegt werden kann. Mit der Geltendmachung seines eigenen Anspruchs wird der Geschädigte außerdem wie ein private attorney general tätig, der die wohlfahrtsmindernden Verhaltensweisen der Leistungsstörungen sanktioniert, für die der Gesetzgeber den Schadensersatz pauschaliert hat.
Plager, Southern California Law Review 61 (1988), 353 ff.; Rabkin, Law and Contemporary Problems 61 (1988), 179 ff.
Siebentes Kapitel
Weitergehendes Potenzial für gesetzliche Schadensersatzpauschalierungen Dass gesetzlich pauschalierter Schadensersatz als gesetzgeberisches Instrument mit besonderen Wirkungen das Potenzial besitzt, bei bestimmten weiteren Leistungsstörungskonstellationen eingesetzt zu werden, soll in diesem letzten Kapitel aufgezeigt werden. Dazu werden zunächst abstrakt die Maßgaben benannt, die sich aufgrund der Untersuchung als essenziell für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung erwiesen haben. Daran anknüpfend wird die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung für den Fall der Internetanschlussstörung als ein Beispiel der jüngsten Gesetzgebung vorgestellt, das das Potenzial dieses gesetzgeberischen Instruments für Bereiche über Zahlungsverzug und Fluggastentschädigung hinaus bereits konkret belegt. Des Weiteren werden zwei beispielhafte Konstellationen diskutiert, die sich künftig zur gesetzlichen Pauschalierung des Schadensersatzes eignen bzw. diese sogar erfordern könnten: die Entschädigung für Passagiere anderer Beförderungsmittel bei Ausfall und Verspätung sowie die Entschädigung bei Datenschutzverstößen.
A. Maßgaben für weitere gesetzliche Schadensersatzpauschalierung Auf der Basis der Erkenntnisse zur Schadensersatzpauschalierung, die in den vorangegangenen Kapiteln gewonnen wurden, sollten bei der Ausweitung der Pauschalierung auf andere Bereiche zumindest die folgenden Maßgaben Berücksichtigung finden. Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung soll auf Leistungsstörungsfälle reagieren, in denen es massenhaft zu gleichförmig konkreten Schäden kommt und die von besonderer mikro- und makroökonomischer Relevanz sind. Ungeeignet sind hingegen Leistungsstörungen, die zwar schwer zu fassen und bemessen sind und häufiger vorkommen, aber doch zu höchst individuellen Schäden führen. Pauschalierungsfähigkeit erfordert ein Mindestmaß an antizipationsfähiger Schadenstypizität, die verallgemeinerungsfähig ist, weil sie von der Person des konkret Geschädigten und ihren individuellen Charakteristika und Dispositionen unabhängig beurteilt und im Voraus festgesetzt werden kann.
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7. Kap.: Weitergehendes Potenzial
Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung ist angebracht, wenn die Leistungsstörung besonders kritisch ist und ihre Folgen nicht mit privaten Vertrags- und Marktmechanismen beherrschbar sind, weil diese aufgrund von gestörter Verhandlungsparität oder anderen Asymmetrien versagen. Dann ist es vertretbar, dass das Gesetz nicht nur einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach vorsieht und die konkrete Bemessung des ersatzfähigen Schadens der privaten und im Zweifel richterlichen Bewältigung des Einzelfalls überlässt, sondern selbst einen bestimmten Betrag allgemeinverbindlich vorgibt. Die Pauschalierung durch den einfachen Gesetzgeber muss so gestaltet sein, dass sie die Vorgaben des höherrangigen Verfassungs- und Unionsprimärrechts wahrt; soweit der Gesetzgeber Schadensersatzansprüche pauschaliert, muss dies widerspruchsfrei und systemkohärent erfolgen. Gesetzliche Schadenspauschalierung soll primär die (Mindest-)Kompensation des typischerweise erwartbaren Schadens gewährleisten, sie soll aber auch eine prozessökonomische und verhaltenssteuernde Wirkung erzielen. Dafür müssen die Pauschalen nachvollziehbar und begründbar bemessen sein, können aber in der Höhe über das kompensatorisch erforderliche Maß zu Präventions- und Motivationszwecken hinausgehen. Die Akzeptanz und Effektivität der gesetzlichen Pauschalierung und ihrer Wirkungen basieren auf einer verhältnismäßigen Bemessung, primär zur Kompensation. Die prozessökonomische Wirkung der Pauschalierung äußert sich vor allem in der Vereinfachung der Anspruchsdurchsetzung, weil es dem Geschädigten abgenommen wird, (Mindest-)Schaden und Kausalität darzulegen und zu beweisen. Verhaltenssteuernd kann die Pauschalierung vornehmlich präventiv auf den Schädiger einwirken, indem sie ihn zu größeren Anstrengungen zur Leistungsstörungsvermeidung veranlasst, und außerdem motivierend auf den Geschädigten, seinen Schadensersatzanspruch geltend zu machen; dafür kann die Pauschale leicht überkompensatorisch bemessen sein.
B. Beispiele weiterer gesetzlicher Schadensersatzpauschalierungen Diesen Maßgaben entsprechend kann bzw. sollte der Gesetzgeber weitere Schadensersatzansprüche pauschalieren. Das Potenzial des gesetzgeberischen Instruments soll im Folgenden anhand von drei beispielhaften Konstellationen für den Erlass und die künftige Ausweitung bzw. Gestaltung von gesetzlich pauschaliertem Schadensersatz verdeutlich werden. Betrachtet werden sowohl der Fall, in dem die Ausweitung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung jüngst im Telekommunikationsgesetz (TKG) erfolgt ist, aber einiger Nachbesserungen bedarf, als auch zwei Fälle, in denen man eine grundlegend neue gesetzliche Schadensersatzpauschalierung de lege ferenda erwägen sollte.
B. Beispiele weiterer gesetzlicher Schadensersatzpauschalierungen
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I. Entschädigung bei Internetanschlussstörungen Auf den ersten Blick scheint sich die Entschädigung für Internetanschlussstörungen fundamental von den Konstellationen des Zahlungsverzugs und der Fluggastentschädigung zu unterscheiden. Vergleichbar sind die Situationen jedoch zumindest insofern, als dass zuverlässige „Mobilität“ in der heutigen Informationsgesellschaft nicht mehr nur im finanziellen Sinn der pekuniären Fungibilität und im physischen Sinn des Transports von Personen und Gütern eine bedeutende Rolle spielt. Vielmehr sind die Telekommunikation und die „digitale Mobilität“ von herausgehobener Bedeutung für das Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialleben bis hin zum „Internet der Dinge“ und zur „Industrie 4.0“. All diese Aspekte unserer digitalen Welt heutzutage setzen insbesondere eine stabile und schnelle Internetverbindung voraus,1 wie es alle Nutzer in Zeiten einer globalen Pandemie besonders zu spüren bekommen haben. Allerdings kommt es beim Tarif- oder Anbieterwechsel oder infolge von Netzüberlastungen zu Ausfällen, zu länger andauernden Geschwindigkeitsreduzierungen oder ähnlichen Leistungsminderungen, die aufgrund der Störungsinvarianz (Internetzugang funktioniert oder er funktioniert nicht ordnungsgemäß) und der großen Nutzerzahlen (heutzutage nahezu alle Haushalte und Betriebe) als gleich- und massenartiges Phänomen zu betrachten sind. Beispielsweise hat die Bundesnetzagentur festgestellt, dass bei rund 30 % aller stationären Breitbandinternetanschlüsse und bei sogar rund 85 % aller mobilen Breitbandinternetanschlüsse nicht einmal die Hälfte der vertraglich vereinbarten Internetgeschwindigkeit erreicht wird.2 Infolge der Störung des Internetanschlusses entstehen dem einzelnen Nutzer im Grundsatz sehr ähnliche, konkrete Nachteile, die sich aber nur schwer beziffern lassen und in den seltensten Fällen auch tatsächlich gegenüber dem Anbieter geltend gemacht werden.3 Hinzu kommen die erheblichen Probleme des Schadensnachweises für den beweisbelasteten Nutzer.4 Für den Nutzer besteht keine Möglichkeit, gegenüber dem Anbieter – meistens einem Großkonzern – individuelle Vertragsregelungen zur Leistungsstörungsregelung in Abweichung von dessen AGB durchzusetzen. Zudem herrscht auf dem Telekommunikationsmarkt kein echter Wettbewerb bezüglich der Störungsvermeidung und Entschädigung. So forderte auch die Bundesnetzagentur, dass eine Verbesserung der seit Jahren von Wettbewerbern kritisierten Bestell- und Bereitstellungsqualität der Deutschen Telekom als privatisiertes Staatsunternehmen nötig sei 1
Vgl. BGHZ 196, 101 (108 f.). Vgl. Bundesnetzagentur, 3. Jahresbericht der Breitbandmessung 2017/2018, 13. 3. 2019. 3 Schadensersatzanspruch u. a. gemäß § 44 Abs. 1 S. 3 TKG a. F. Der BGH erkennt in Bezug auf § 280 BGB ausdrücklich an, dass ein Vermögensschaden entsteht, wenn dem Inhaber eines Internetanschlusses die Möglichkeit genommen wird, seinen Zugang zum Internet zu nutzen, selbst wenn ihm hierdurch keine Mehraufwendungen entstanden und keine Einnahmen entgangen sind, BGHZ 196, 101 (105 f. und 108 f.). 4 Siehe Ditscheid/Rudloff, in: Geppert/Schütz, TKG, § 44 [a. F.] Rn. 46. 2
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7. Kap.: Weitergehendes Potenzial
und man dafür die Einführung von pauschaliertem Schadensersatz erwägen solle.5 Das mithin zu beobachtende Versagen von Vertrags- und Marktmechanismen bei der Leistungsstörungsbewältigung rechtfertigt den staatlichen Eingriff in Form von gesetzlich pauschaliertem (Mindest-)Schadensersatz. Eine derartige gesetzliche Schadensersatzpauschalierung für Internetanschlussstörungen hat der deutsche Gesetzgeber nun im Zuge der Richtlinienumsetzung des „Europäischen Kodex für elektronische Kommunikation“6 im TKG mit dem Telekommunikationsmodernisierungsgesetz7 Mitte 2021 vorgenommen. Damit wurden für Fälle der Anschlussstörung/-unterbrechungen und bei Terminversäumnissen seitens der Anbieter gesetzlich pauschalierte Schadensersatzansprüche eingeführt, die ab Dezember 2021 gelten.8 Zwar ist es begrüßenswert, dass der deutsche Gesetzgeber dafür das Instrument der Schadensersatzpauschalierung gewählt hat, ohne dass es zwingend durch das Richtlinienrecht im „Europäischen Kodex“ vorgegeben worden wäre. Wie eine nähere Betrachtung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung für Internetanschlussstörungen ergibt,9 bestehen jedoch einige Unzulänglichkeiten, die eine gesetzgeberische Nachbesserung erfordern. Dies betrifft zunächst Probleme des sachlichen Anwendungsbereichszuschnitts des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes, insbesondere in Abgrenzung gegenüber der Leistungsstörungskonstellation der bloßen Geschwindigkeitsabweichung, für die kein gesetzlicher Schadensersatzanspruch besteht, sondern nur ein Minderungsrecht in nicht pauschalierter Form vorgesehen ist.10 Die fragwürdige Anwendungsbereichsbemessung schmälert die Prozessökonomie und die verhaltenssteuernde Wirkung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung, weil sie eine Umgehung ermöglicht, die von Gerichten nur mühsam verhindert werden kann. Das Ziel der Verbesserung der di5 Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur – Telekommunikation 2018/2019 vom 3. 12. 2019, BT-Drs. 19/15851, S. 113 f. 6 Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 12. 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (Neufassung) (ABl. L321/ 36). Einen Überblick gibt beispielsweise Kiparski, CR 2019, 179 ff. 7 Gesetz vom 23. 6. 2021 zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 12. 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (Neufassung) und zur Modernisierung des Telekommunikationsrechts (BGBl. I 1858, abrufbar unter https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzei ger_BGBl&start=//*%5b@attr_id=%27bgbl121s1858.pdf%27%5d). 8 Gesetzliche Schadensersatzpauschalierungen für vollständige Störung des Anschlusses (§ 58 Abs. 3 TKG n. F.) und Anschlussunterbrechung infolge Anbieterwechsel (§ 59 Abs. 4 S. 1 TKG n. F.), beides insbesondere bei Anschlussmitnahme infolge Umzugs (§ 60 Abs. 3 S. 2 TKG n. F.), sowie für Versäumnis eines Installations- oder Kundendiensttermins seitens des Anbieters (§ 58 Abs. 4 TKG n. F.), ggf. infolge eines Anbieterwechsels (§ 59 Abs. 4 S. 2 TKG n. F.). 9 Ausführlicher Ungerer, Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung für Internetanschlussstörungen im novellierten TKG, ZIP (im Erscheinen). 10 § 57 Abs. 4 TKG n. F.
B. Beispiele weiterer gesetzlicher Schadensersatzpauschalierungen
293
gitalen Mobilität gerade für die Wirtschaft und den eCommerce spricht außerdem dafür, beim persönlichen Anwendungsbereich die Aktivlegitimation von gewerblichen Endnutzern und von Nutzern mit Verbraucherstatus nicht zu differenzieren; dies würde zudem die Komplexität der Regelungen reduzieren. Verbesserungsbedarf besteht ebenso hinsichtlich der Passivlegitimation in Fällen wie Anbieterwechseln, in denen mehrere Anbieter beteiligt sind. Zu vermeiden sind Prinzipienkollisionen zwischen der Verantwortung für die Primär- und für die Sekundärpflichten, also zwischen der Leitung des Wechsels und der Haftung für ein Misslingen, da ansonsten wiederum die verhaltenssteuernde Wirkung geschmälert wird.11 Tatbestandlich besonders überraschend und unpassend ist, dass ein Mitverschulden des geschädigten Nutzers für den gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruch relevant sein soll. Dies widerspricht der Konzeption und Intention dieses gesetzgeberischen Instruments,12 sowohl materiellrechtlich als auch unter den Gesichtspunkten der (faktischen) Darlegungs- und Beweislastverteilung, und führt zu schwer auflösbaren Folgeproblemen, ob und wie ein Pauschalbetrag zuzusprechen bzw. herabzusetzen ist, wenn ein teilweises Mitverschulden festzustellen ist. Sinnvoller und stimmiger wäre es, die Mitverschuldensregelung durch eine Regelung über einen Tatbestandsausschluss wie bei der Fluggastentschädigung13 zu ersetzen für den Fall, dass die Internetanschlussstörung auf vertretbaren Gründen in der Person des Nutzers oder seiner Bedienung des Anschlusses beruht. Zugunsten der Anbieter ist in Zuge dessen außerdem die Exkulpation wegen höherer Gewalt auf alle Leistungsstörungsfälle auszudehnen, für die eine gesetzliche Schadensersatzpauschalierung besteht. Die rechtsfolgenseitige Ausgestaltung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalen ist, obwohl eher ungewöhnlich und nicht besonders prozessökonomisch, wegen der sowohl absoluten als auch relativen Bemessung nicht zu beanstanden: beispielsweise kann der Nutzer 10 Euro oder 20 % des Monatsentgelts pro Terminversäumnis des Anbieters fordern. Jedoch mangelt es an einer nachvollziehbaren Begründung der jeweiligen Höhen, was die Akzeptanz der gesetzlichen Schadensersatzpauschalen schwächt. Hinzu kommt die Diskrepanz, dass Anbieter zu ihren Gunsten in ihren AGB deutlich höhere Beträge vorsehen. Darüber hinaus wird die verhaltenssteuernde Wirkung, Anbieter zur Investition in die Leistungsstörungsvermeidung anzuhalten, dadurch gemindert, dass eine Haftungsbegrenzung auf Gesamthöchstsummen besteht,14 wie es nicht einmal bei der (gesetzlich nicht pauschalierten) Gefährdungshaftung im StVG und ProdHaftG vorzufinden ist.
11 12 13 14
Siehe zur Verhaltenssteuerung gegenüber dem cheapest cost avoider oben, Kap. 6 B. II. 4. Siehe zur Mitverschuldensunabhängig oben, Kap. 4 A. III. 2. Siehe oben, Kap. 2 D. II. § 70 TKG n. F.
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7. Kap.: Weitergehendes Potenzial
II. Passagierentschädigung bei Beförderungsausfall und -verspätung Die gesetzliche Pauschalierung von Schadensersatz, d. h. die Kompensation von Einbußen infolge der Leistungsstörung, bietet sich nach dem Vorbild der Fluggastentschädigung auch für Fälle der Nichtbeförderung oder verspäteten Beförderung von Passagieren anderer Verkehrsmittel an. Gemessen an den Erfordernissen der Widerspruchsfreiheit und Systemgerechtigkeit, die das höherrangige Verfassungs- und Unionsprimärrecht vorgeben, kann man es als geboten erachten, dass auch zugunsten der Bahn-, Bus- und Schiffspassagiere eine Regelung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes geschaffen wird. Bisher sieht das geltende (Unions-)Recht für die Beförderung per Bahn,15 Bus16 und Schiff17 im Fall der Leistungsstörung lediglich ein Minderungsrecht der Passagiere unter bestimmten Umständen vor: Es wird ihnen nur ein Anspruch auf Fahrpreisreduzierung oder -erstattung für die gestörte Leistung gewährt, nicht aber ein Anspruch auf pauschalierte Kompensation der Leistungsstörungsfolgen.18 Auch in der ab Mitte 2023 geltenden Neufassung der europäischen Passagierrechte für Bahnreisende ist keine gesetzliche Schadensersatzpauschalierung wie in der Fluggastrechte-Verordnung vorgesehen.19 Die Gebotenheit der Schadensersatzpauschalierung für die anderen Beförderungsarten ergibt sich zum einen daraus, dass sich die existierenden Rechte von Bahnreisenden etc. als unzureichend erwiesen haben, um Störungen bei der Beförderung entgegenzuwirken und die Passagiere zu entschädigen sowie die Beförderungsunternehmen zu einer pünktlicheren und ordnungsgemäßeren Beförderung 15 Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 10. 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. L315/14). 16 Verordnung (EU) Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 2. 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. L55/1). 17 Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. L334/1). 18 Bahn: Art. 17 Abs. 1 S. 1 a. E. Verordnung 1371/2007; im Umkehrschluss könnte die Entschädigung nur neben der weiteren/späteren Beförderung geltend gemacht werden. So auch die ausführliche und vergleichende Untersuchung von Krüger, Passagierrechte, S. 187 ff., insbes. S. 202 ff. Bus: Erwgr. 16 S. 4 und Art. 19 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 Verordnung 181/2011. Dazu Krüger, Passagierrechte, S. 247 ff. Schiff: Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 19 Abs. 1 1177/2010. Dazu Krüger, Passagierrechte, S. 211 ff., insbes. S. 223 f. 19 Art. 19 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2021/782 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2021 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (Neufassung) entspricht insofern der Vorgängerregelung in Art. 17 Abs. 1 Verordnung 1371/ 2007, die oben besprochen wurde, Kap. 2 B. III. 3. Vielmehr geht mit der Neufassung eine Verschlechterung für die Situation der Passagiere einher, weil aus der Fluggastrechte-Verordnung die Möglichkeit zur Exkulpation bei außergewöhnlichen Umständen übernommen wurde, Art. 19 Abs. 10 Verordnung 2021/782.
B. Beispiele weiterer gesetzlicher Schadensersatzpauschalierungen
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anzuhalten.20 Diese Leistungsstörungen sind nicht nur für den einzelnen Passagier nachteilig, sondern bei aggregierter Betrachtung für die Volkswirtschaft wohlfahrtsmindernd. Verhandlungsmöglichkeiten oder Wettbewerbseffekte bestehen gegenüber (privatisierten) Staatsbahnen oder Kommunalbusunternehmen praktisch nicht und es fehlt auch oftmals an Wettbewerb in Bezug auf Angebote für die befahrenen Linien. Angesichts des dadurch gegebenen nahezu völligen Versagens privater Vertrags- und Marktmechanismen ist deshalb die Schaffung eines echten und zugleich pauschalierten Entschädigungsanspruchs durch den Gesetzgeber nötig. Zum anderen sind keine sachlichen Gründe ersichtlich, die eine differenzierte Behandlung hinsichtlich der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung für die Leistungsstörung bei Bahn-, Bus- und Schiffsreisen im Vergleich zu Flugreisen rechtfertigen würde. Wie benannt, hat der EuGH zwar auf die Differenzen zwischen der Beförderung per Flugzeug einerseits und Bahn, Bus und Schiff andererseits abgestellt, um eine Rechtfertigung der erstmalig gesetzlich pauschalierten Entschädigung für Passagiere überhaupt zu geben.21 Dies begründet aber keine isolierende Exklusivität für die Leistungsstörung bei der Beförderung per Flugzeug. Ganz im Gegenteil ist die Fluggastentschädigung als Grundstein für die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung zugunsten der Bahn-, Bus- und Schiffspassagiere zu sehen. Eine limitiert sektorale gesetzliche Schadensersatzpauschalierung ist selbstwidersprüchlich und systeminkohärent. Bei der Bemessung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalen für die Passagiere der anderen Beförderungsarten kann dementsprechend an die value of time-Beträge angeknüpft werden, die sich als nachvollziehbar und angemessen für die Fluggastentschädigung erwiesen haben. Im Sinne einer Binnendifferenzierung bei der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung für Passagiere ist allerdings Rücksicht darauf zu nehmen, dass es bei den Beförderungsmitteln Unterschiede hinsichtlich der gestaffelten Vorgaben für Verspätungszeiten und (im Fall von Ausfällen) Ersatzbeförderungen geben kann. Bloß weil eine gesetzliche Schadensersatzpauschalierung auch für die anderen Beförderungsarten geboten ist, heißt dies nicht, dass die Pauschalierung in Verkennung faktisch bedingter Differenzen pauschalisierend sein soll. Vielmehr sind die gesetzlichen Schadensersatzpauschalierungen entsprechend den spezifischen Gegebenheiten der einzelnen Verkehrsmittel zu gestalten.
III. Entschädigung für Datenschutzverstöße Eine dritte, wiederum andersartige Möglichkeit für die Schaffung von gesetzlich pauschaliertem Schadensersatz könnte bei Datenschutzverstößen bestehen. Zwar 20
Vgl. etwa zu der sich verschlechternden Pünktlichkeitsstatistik der Deutschen Bahn: FAZ, „Die Pünktlichkeit nimmt ab“, 12. 4. 2019. 21 EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006, C-344/04 – IATA und ELFAA, Rn. 97. Siehe oben Kap. 2 B. III. 3.
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7. Kap.: Weitergehendes Potenzial
sollen sensible Zahlungsmitteldaten oder Bonitätsinformationen bis hin zu Gesundheitsdaten und Daten über Aufenthaltsorte und Lebensgewohnheiten bei der Erhebung, Verarbeitung und Verwendung geschützt werden. Dafür machen die europäische Datenschutz-Grundverordnung22 und das deutsche Bundesdatenschutzgesetz23 klare und strenge Vorgaben. Jedoch kommt es allzu häufig zu Datenlecks und -pannen, bei denen diese Daten von Online-Händlern und anderen Unternehmen in unbefugte Hände geraten, ganz zu schweigen von der unbefugten Verwendung durch die verantwortlichen datenspeichernden Unternehmen selbst.24 Die bisher erfolgten Meldungen von Datenschutzverstößen allein gegenüber dem deutschen Bundesbeauftragten für den Datenschutz, wie sie die Datenschutz-Grundverordnung nunmehr vorschreibt,25 legen offen, dass es jährlich weit mehr als 12.000 Fälle gibt26. Mit jedem Datenverlust geht für die Betroffenen ein Mindestmaß an Schädigung einher und insofern sind die zu ersetzenden Einbußen vergleichbar und vom Einzelfall unabhängig.27 Diese gleich- und massenartigen Schadensfälle könnten sich daher für eine kompensierend und präventiv wirkende (Mindest-)Pauschalierung eignen. Wegen der Verletzung des Datenschutzrechts kann zwar Schadensersatz bereits gemäß den geltenden Spezialgesetzen gefordert werden.28 Allerdings dürfte es den meisten Betroffenen äußerst schwerfallen, einen konkreten Betrag für den materiellen und/oder immateriellen Schaden zu beziffern und im sehr wahrscheinlichen Bestreitensfall auch zu beweisen.29 Die wenigsten Betroffenen werden daher einen Schadensersatzanspruch mit Erfolg geltend machen können.30 Soweit datenverarbeitende Unternehmen aber nicht zur Kompensation der Folgen ihrer Datenschutzverstöße gezwungen werden, funktioniert auch die gerade angesichts der Sensibilität der Daten nötige Prävention nicht;31 vielmehr verzichten die Unter22 Verordnung (EU) Nr. 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 4. 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO) (ABl. L119/1). 23 BDSG, Neufassung vom 30. 6. 2017 (BGBl. I S. 2097). 24 Vgl. Haller/Lutz, BB 2014, 1993 ff. 25 Art. 33, 55 DSGVO. 26 Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, 27. Tätigkeitsbericht 2017/2018, 8. 5. 2019, S. 17 (hochgerechnet auf das Jahr). 27 Vgl. in diesem Sinne auch die Einschätzung des britischen Court of Appeal, Lloyd v Google [2019] EWCA Civ 1599, insbes. Rn. 75 ff. 28 Anspruch u. a. nach Art. 82 DSGVO, § 83 BDSG. Vgl. dazu Frenzel, in: Paal/Pauly, DSGVO, Art. 82 Rn. 10; Jacquemain, Schadensersatz im europäischen Datenschutzprivatrecht, S. 131 ff.; Wytibul/Haß/Albrecht, NJW 2018, 113 (114 ff.). 29 Jacquemain, Schadensersatz im europäischen Datenschutzprivatrecht, S. 295 ff.; zu den Problemen der Berechnung siehe insbes. Strittmatter/Treiterer/Harnos, CR 2019, 789 (791 ff.). Vgl. auch Stadler, FS H. Roth, S. 542. 30 Ebd., S. 300 f.; Lindhorst, Sanktionsdefizite im Datenschutzrecht, S. 65 ff. 31 Vgl. auch Stadler, FS H. Roth, S. 546.
B. Beispiele weiterer gesetzlicher Schadensersatzpauschalierungen
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nehmen auf Investitionen in bessere Schutzmaßnahmen mangels eines effektiven Haftungsregimes. Erst recht unmöglich ist es für die Betroffenen, durch Vereinbarung oder Anbieterwahl einen besseren Datenschutz effektiv sicherzustellen, solange die externen Kosten der Verstöße letztlich an ihnen hängen bleiben und nicht aufseiten der datenverarbeitenden Unternehmen internalisiert werden, d. h. die privaten Vertrags- und Marktmechanismen versagen auch hier auf eklatante Weise.32 Auf diese Probleme und Unzulänglichkeiten könnte die gesetzliche Pauschalierung eines Mindestschadensersatzes zumindest in den Fällen reagieren, in denen ein Vertragsverhältnis oder eine andere schuldrechtliche Sonderbeziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem besteht. Datenschutzverstöße stellen zwar in aller Regel keine Verletzung einer Hauptleistungspflicht dar, sondern nur eine Nebenpflicht-/Schutzpflichtverletzung. Aber auch für diese Form des Fehlverhaltens in einer schuldrechtlichen Sonderbeziehung eignet sich die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung. So wie es für den herkömmlichen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB keinen Unterschied macht, ob es sich um eine Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB handelt,33 kann die Art der Pflichtverletzung auch für die Pauschalierung des Schadensersatzanspruchs dahinstehen. Entscheidend ist, dass ein gesetzliches Eingreifen zugunsten aller Bürger und Unternehmen und damit zugunsten der Rechtsgemeinschaft bei brisanten Daten erforderlich ist, um anstelle der versagenden Vertrags- und Marktmechanismen eine Mindestkompensation der Schäden und eine Prävention der Datenschutzverstöße zu erzielen. Solche gesetzlich pauschalierten Mindestbeträge sollten sich in der Höhe an typisierbaren Schäden orientieren, aber ohne exorbitant bemessen zu sein und eine Strafwirkung wie punitive damages anzustreben.34 Das Bedürfnis einer solchen materiell-gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung besteht gerade auch angesichts der nur sehr beschränkten prozessualen Möglichkeit, mittels der richterlichen Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO eine einfache und zugleich effektive Schadensersatzdurchsetzung im Datenschutzbereich zu ermöglichen.35 Gesetzliche Schadensersatzpauschalierung durch Mindestbeträge ist außerdem der Einführung bloßer Richtwerte vorzuziehen, auf die die Gerichte zurückgreifen könnten, wenn eine konkret-individuelle Schadensbezifferung unmöglich oder zu aufwendig wäre,36 denn sie gewährleisten ebenfalls nicht die nötige Prozessökonomie. Eine weitere prozessökonomische Verschlechterung und zudem ein Entfall der Präventionswirkung träte ein, wenn lediglich Richtwerte festgelegt würden, die dem Schädiger den 32 Zu den praktischen Unzulänglichkeiten siehe Jacquemain, Schadensersatz im europäischen Datenschutzprivatrecht, S. 354 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung. 33 BT-Drs. 14/6040, S. 93 und 134; NK-BGB/Dauner-Lieb, § 280 BGB Rn. 27; MüKoBGB/Ernst, § 280 Rn. 13 f.; Stadler, in: Jauernig, BGB, § 280 Rn. 8. 34 Im Unterschied zu Stadler, FS H. Roth, S. 543 und 551 ff., die die Einführung von statutory damages nach US-amerikanischem Vorbild diskutiert, d. h. die Vorgabe einer Betragsspanne für Gerichtsentscheidungen, auch und gerade mit Blick auf class actions. 35 Dazu ausführlich Stadler, FS H. Roth, S. 547 f. 36 Stadler, FS H. Roth, S. 554.
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7. Kap.: Weitergehendes Potenzial
Gegenbeweis eines geringeren Schadens gestatten würde;37 dann würde der Schädiger nicht wirkungsvoll dazu angehalten, in die Vermeidung von Pflichtverletzungen zu investieren statt solche Verletzungen lediglich günstig zu kompensieren.
C. Zwischenergebnis Schadensersatz für Leistungsstörungskonstellationen in anderen Bereichen, die den entwickelten Maßgaben entsprechen, eignen sich zur gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung. Das Potenzial für den weitergehenden Einsatz dieses gesetzgeberischen Instruments konnte an drei Beispielen illustriert werden. Zunächst konnte anhand der jüngst erfolgten Schadensersatzpauschalierung im novellierten Telekommunikationsgesetz konkret belegt werden, wie der Gesetzgeber für Internetanschlussstörungen die schwer bezifferbaren Nachteile von Leistungsstörungen für die einzelnen Nutzer und die Informationsgesellschaft abwenden bzw. minimieren kann. Die grundsätzlich zu begrüßende gesetzliche Pauschalierung fördert zugunsten der digitalen Mobilität die Prozessökonomie bei der Anspruchsdurchsetzung und bewirkt damit eine Verhaltenssteuerung zur Steigerung der Leistungsstörungsvermeidung. Allerdings wurden einige Schwachstellen bei der konkreten Gestaltung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung festgestellt, die es zu beheben gilt, damit das gesetzgeberische Instrument seine Wirkungen voll entfalten kann. Künftig sollte der Gesetzgeber die Schadensersatzpauschalierung auch in weiteren Bereichen bewusst erwägen. Es scheint einerseits aus Gründen der Widerspruchsfreiheit und Systemkohärenz geboten, die gesetzlich pauschalierte Passagierentschädigung nach dem Vorbild der Fluggastentschädigung auf andere Verkehrsmittel auszudehnen. Bahn-, Bus- und Schiffspassagiere bedürfen gegenüber den (ehemals) staatlichen Verkehrsunternehmen einer pauschalierten value of timeEntschädigung, die sie mit privatautonomen Mitteln nicht erlangen können. Aber auch für andere Leistungsstörungskonstellationen, die gleich- und massenartig auftreten, empfiehlt sich die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung, um anstelle der versagenden Vertrags- und Marktmechanismen für eine Kompensation und Prävention zu sorgen und Wohlfahrtsverluste abzuwenden. So kann sich gesetzlich pauschalierter Schadensersatz selbst für Nebenpflichtverletzungen wie Datenschutzverstöße anbieten. Dafür den Schadensersatz gesetzlich zu pauschalieren hilft, um eine (Mindest-)Kompensation und Prävention von andernfalls kaum durchsetzbaren Pflichtverletzungen zu erzielen, die von individueller und gesellschaftlicher Brisanz sind.
37
Ebd.
Fazit Das Fazit der Arbeit stellt zunächst die zentralen Ergebnisse in Thesenform vor. Daran schließt sich die Zusammenfassung der Erkenntnisse aus den einzelnen Teilen der Untersuchung an.
A. Zentrale Ergebnisse in Thesenform Die vorliegende Arbeit hat erstmals eine eigenständige, zusammenhängende Untersuchung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes als besonderes gesetzgeberisches Instrument im Schuldrecht vorgenommen, dessen Erfassung und Bedeutung vergleichbar zu einem neuen Paradigma ist. Aufgrund der Untersuchung haben sich die nachfolgenden Thesen als vertretbar erwiesen: - Die Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen durch den Gesetzgeber kann nicht als opportunistische Verlegenheitslösung abgetan, sondern kann als eine gezielte Entscheidung in bestimmten, geeigneten Fällen verstanden werden. - Der Gesetzgeber pauschaliert Schadensersatzansprüche für Leistungsstörungsfälle, in denen es massenhaft zu gleichförmig konkreten Schäden kommt, bei deren Bewältigung private Vertrags- und Marktmechanismen versagen. - Diese Kriterien treffen für so unterschiedliche Leistungsstörungsfälle wie den Verzug von Zahlungsschuldnern und die Nichtbeförderung etc. von Fluggästen zu; in den gesetzlich jeweils bestimmten Anwendungsbereichen vermag der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz die mikro- und makroökonomischen Einbußen der Geschädigten durch Internalisierung der negativen externen Effekte der Leistungsstörung aufseiten der Schädiger auszugleichen. - Das höherrangige Verfassungs- und Unionsprimärrecht gestattet die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung, solange sie nicht unverhältnismäßig ist, und gebietet sie, sofern dies zur Wahrung der Widerspruchsfreiheit und Systemgerechtigkeit der Rechtsordnung erforderlich ist. - Der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz divergiert erheblich von herkömmlichen Grundsätzen des Haftungs- und Schadensrechts: Kausalität und Verschulden sind weitgehend unbeachtlich; es gilt ein normativer Schadensbegriff für die indifferente Schadenskompensation; es wird weder eine Totalreparation angestrebt noch eine schadensrechtliche Bereicherung verhindert. Strafschadensersatz liegt jedoch nicht vor.
300
Fazit
- Die gesetzliche Pauschalierung fördert die Prozessökonomie, indem sie die Beurteilung und die außergerichtliche wie auch gerichtliche Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erheblich vereinfacht. Es besteht eine besondere Eignung zur Durchsetzung mittels Kollektivverfahren sowie mithilfe von legal tech. - Gesetzlich pauschalierter Schadensersatz besitzt außerdem eine besondere verhaltenssteuernde Wirkung, und zwar vor allem durch Prävention des leistungsstörenden Verhaltens potenzieller Schädiger sowie durch Motivation von Geschädigten zur Anspruchsgeltendmachung. - Das weitergehende Potenzial der gesetzlichen Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen belegen die jüngst erfolgte, aber nachzubessernde Regelung zu Internetanschlussstörungen sowie die Erwägungen zur künftigen gesetzlichen Pauschalierung der Entschädigung von Passagieren aller Beförderungsmittel oder der Entschädigung bei Datenschutzverstößen.
B. Zusammenfassung der Untersuchung Entsprechend der induktiven Vorgehensweise haben die Analyse der beiden ausgewählten gesetzlichen Schadensersatzpauschalierungen einerseits und die Erfassung als ein gesetzgeberisches Instrument mit besonderen Eigenschaften und Wirkungen andererseits folgende Erkenntnisse gebracht.
Teil I Teil I der Arbeit umfasste die Detailuntersuchungen zum Zahlungsverzugsschadensersatz (Kapitel 1) und zur Fluggastentschädigung (Kapitel 2), die vom Gesetzgeber für Leistungsstörungsfälle pauschaliert sind, die gleich- und massenartig auftreten und bei deren Folgenbewältigung private Vertrags- und Marktmechanismen versagen. Die Idee, Schadensersatz für Zahlungsverzug anders als bei der Spätleistung anderer Güter gesetzlich zu pauschalieren, konnte die Arbeit einerseits rechtshistorisch bis zu den naturrechtlichen Regelungen des Verzugszinses im Vernunftrecht zurückverfolgen und die Entwicklung dieses gesetzgeberischen Mittels bis zur Manifestation im BGB und der Ergänzung um den Beitreibungskostenbetrag herausstellen. Andererseits ließ sich für den modernen Unionsgesetzgeber zeigen, dass er die Schadensersatzpauschalierung in der FluggastrechteVerordnung ganz gezielt als gegensteuernde Maßnahme im Kontext der Luftverkehrsliberalisierung eingesetzt hat. Für beide Regelungen des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes hat die Arbeit unter Anwendung rechtsökonomischer Methodik dargelegt, dass die hoheitlich vorgegebenen Pauschalen sowohl die Opportunitäts- und Transaktionsmehrkosten des einzelnen Geschädigten kompensieren sollen, indem sie die für den Schädiger externen Kosten auf dessen Seite internalisieren, als auch die volkswirtschaftlich bedenklichen Wohlfahrtsverluste und die Störung des Zahlungs- bzw.
B. Zusammenfassung der Untersuchung
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Luftverkehrs mindern sollen. In neuem Licht ließ dies die zugrunde liegenden Kosten der Zwangskreditgewährung bzw. die Beeinträchtigung der Disponibilität über die wertvolle Lebenszeit des Fluggasts (value of time) erscheinen, deren Kompensation erst mithilfe der Schadensersatzpauschalierung durch den Gesetzgeber gelingt. Unter Bezugnahme auf diese Kriterien der gesetzlichen Schadensersatzpauschalierung hat die Untersuchung zu den Anwendungsbereichen des Zahlungsverzugsschadensersatzes und der Fluggastentschädigung gezeigt, dass die Pauschalierungen und ihre Wirkungen faktisch darüber gesteuert werden, da es ansonsten auf keine nennenswerten weiteren Tatbestandsmerkmale ankommt. Die Festlegung des Anwendungsbereichs für die gesetzlichen Schadensersatzpauschalierungen und deren Binnendifferenzierung können als gesetzgeberische Wertungsentscheidungen verstanden werden, die in Abhängigkeit vom mikro- und makroökonomischen Schädigungspotenzial der jeweiligen Leistungsstörung und vom dabei zu beobachtenden Versagen privatautonomer Bewältigung erfolgen. Hinsichtlich der Bemessung der gesetzlichen Schadensersatzpauschalen konnte die Arbeit zeigen, dass sich die Pauschalbeträge in ihrer Höhe und Zusammensetzung begründet nachvollziehen lassen. Der Gesetzgeber gibt nur Mindestentschädigungen vor und lässt die Geltendmachung eines weitergehenden Schadensersatzes unter Anrechnung auf die Pauschale zu; dies belegt, dass das staatlich korrigierende Eingreifen nur erforderlich ist, um auf die gleich- und massenartige Leistungsstörung zu reagieren, soweit private Vertrags- und Marktmechanismen versagen. Aus dieser Perspektive ist auch die Konsequenz verständlich geworden, dass der Gesetzgeber eine privatautonome Abbedingung seiner Pauschale weitestgehend verboten hat und eine konsensuale Modifikation nur restriktiv für bestimmte Bereiche zulässt.
Teil II Gegenstand der übergreifenden und abstrahierenden Untersuchung in Teil II war die Erfassung der Schadensersatzpauschalierung als besonderes gesetzgeberisches Instrument. Die Rahmenbedingungen (Kapitel 3), die das höherrangige Verfassungs- und Unionsprimärrecht vorgeben, gewähren dem einfachen Gesetzgeber einen weiten Spielraum zur Schadensersatzpauschalierung als Ausdruck eines gemäßigten Paternalismus, ohne dass Freiheitsrechte oder Verfahrensgarantien verletzt werden; die entscheidende Schranke stellt das Übermaßverbot als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips dar. Ein genereller Bedarf zur Schadensersatzpauschalierung durch den Gesetzgeber liegt fern, sie kann aber unter spezifischen Umständen geboten sein, nämlich aus Gründen der Widerspruchsfreiheit und Systemkohärenz. Hinsichtlich der Schadensersatzpauschalierung sind die gesetzgeberischen von der gerichtlichen Aufgabe dadurch abzugrenzen, dass Gerichte konkrete Schadensbeträge in streitigen Einzelfällen zu beurteilen und keine originäre abstrakt-generelle Anspruchspauschalierung vorzunehmen haben, jedoch im Wege richterlicher Rechtsfortbildung
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Fazit
auf die Anwendungsbereiche gesetzlicher Schadensersatzpauschalierungen Einfluss nehmen können. Die Untersuchung zur Dogmatik des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes (Kapitel 4) hat gezeigt, dass signifikante Divergenzen von den herkömmlichen Prinzipien des Haftungs- und Schadensrechts bestehen, sodass sich die Bedeutung dieses gesetzgeberischen Instruments mit einem Paradigmenwechsel vergleichen lässt. Für den gesetzlich pauschalierten Schadensersatz sind die etablierten Kausalitäts- und Verschuldenserfordernisse weitestgehend unerheblich. Über die Ausgleichsfunktion hinaus erfüllt der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz eine Präventionsfunktion, anders als punitive damages aber ohne Strafintention. Der Gesetzgeber weicht vom üblichen natürlichen zugunsten eines normativen Schadensbegriffs ab und zielt mit seiner Schadensersatzpauschalierung anstelle einer Naturalrestitution auf die Schadenskompensation, jedoch ohne zwischen materiellen und immateriellen Schäden zu differenzieren. Weder wahren die Mindestbeträge der gesetzlichen Pauschalen das Prinzip der Totalreparation noch wird eine gesetzliche Überkompensation durch das schadensrechtliche Bereicherungsverbot begrenzt. Besonders ertragreich war die Analyse der Wirkungen des gesetzgeberischen Instruments der Schadensersatzpauschalierung. Wie in Kapitel 5 gezeigt, besteht ein prozessökonomischer Vorteil zunächst darin, dass dem Geschädigten die schwierige Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich von Schaden und Kausalität abgenommen wird und dem Schädiger lediglich ein eng umgrenzter Exkulpationsbeweis belassen ist. Dies erleichtert die außergerichtliche Durchsetzung, insbesondere mithilfe von Schlichtungsverfahren oder kommerziellen Inkassodienstleistern. Die gerichtliche Geltendmachung zwecks Titulierung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzanspruchs wird nicht nur für das Klageverfahren, sondern schon im Mahnverfahren oder auch im europäischen Bagatellverfahren vereinfacht, was sich bis in die Vollstreckung prozessökonomisch vorteilhaft auswirkt. Besonders wirkungsvoll ist der gesetzlich pauschalierte Schadensersatz in der kollektiven Geltendmachung, sei es mithilfe der Musterfeststellungsklage oder der künftigen europäischen Verbandsklage. Darüber hinaus bietet er sich für digitale „smarte“ Lösungen an, etwa Mechanismen einer automatisierten Vertragsentschädigung. Als neues Paradigma hat sich die in Kapitel 6 untersuchte verhaltenssteuernde Wirkung des gesetzlich pauschalierten Schadensersatzes erwiesen. Mithilfe von Rechtsökonomie und behavioral economics konnte die Leistungsstörungsprävention gegenüber dem potenziellen Schädiger verdeutlicht werden: Die gesetzliche Regelung der Schadensersatzpauschalierung schrecken ihn nicht nur von der Leistungsstörung ab, sondern bewegen den potenziellen Schädiger aufgrund ökonomischer Anreize dazu, größere Anstrengungen zu unternehmen, um eine Leistungsstörung und die Schadenskosten zu vermeiden, die auf seiner Seite in der gesetzlich pauschalierten Höhe internalisiert würden. Die gesetzliche Schadensersatzpauschalierung profitiert von den mit ihr einhergehenden Skaleneffekten und kann die Effizienz eines Rechtsbruchs verhindern; das Gesetz muss nur sicherstellen, dass
B. Zusammenfassung der Untersuchung
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dem Schädiger keine manipulative Umgehung gelingt. Der Geschädigte wird umgekehrt motiviert, seinen Schadensersatzanspruch tatsächlich geltend zu machen, insbesondere bei Erzielung eines überkompensatorischen windfall profit. Damit dient er zugleich wie ein private attorney general dem Anliegen der Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft, gegen die Leistungsstörungen vorzugehen, für die der Gesetzgeber den Schadensersatz pauschaliert hat. Kapitel 7 hat das weitergehende Potenzial gezeigt, dass dem gesetzgeberischen Instrument der Schadensersatzpauschalierung innewohnt. Von ihm ist bewusster Gebrauch zu machen, um seine besonderen Eigenschaften und Wirkungen einzusetzen. Dies ist bisher nur bedingt gelungen bei der jüngst erfolgten gesetzlichen Pauschalierung der Entschädigung bei Internetanschlussstörungen im novellierten Telekommunikationsgesetz, deren Ausgestaltung noch einiger Nachbesserung bedarf. Geboten erscheint es außerdem de lege ferenda, die Entschädigung von Fluggästen auf Fälle von Beförderungsausfall und -verspätung anderer Verkehrsmittel auszudehnen. In Betracht kommt aber auch, andere Schadensersatzansprüche zu pauschalieren, nämlich beispielsweise für Nebenpflichtverletzungen wie Datenschutzverstöße.
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Sachwortverzeichnis Abbedingung siehe privatautonome Modifikation Abflugverspätung 149 Abflugvorverlegung 138, 153, 190, 272 Abschreckung 84, 260 Abtretung – Fluggastentschädigung 141 – Verzugszinsen 67 Abtretungsverbot 141, 238 Adäquanztheorie 196 ADR-Richtlinie 232 adverse Effekte 279 Aktivlegitimation – Fluggastentschädigung 140 – Internetanschlussstörung 293 – Zahlungsverzug 67 Allgemeine Geschäftsbedingungen 20, 45, 95, 99, 119, 142, 204, 218, 226, 239, 275, 284, 291, 293 Alternativbeförderung 107, 123, 132 f., 158 f. alternative dispute resolution 232 Anbieterwechsel 291 Ankunftsverspätung 134, 149, 153, 190, 272 Annullierung 132, 149, 153, 158, 191, 272 Anrechnung – Fluggastentschädigung 169 – Zahlungsverzug 102 Anscheinsbeweis 223 Anschlussstörung 292 Anwendungsbereich – Fluggastentschädigung 129 – Internetanschlussstörung 292 – Zahlungsverzug 59 Äquivalenzprinzip 183 Äquivalenztheorie 195 Arbeitsgerichtsgesetz 74, 191 Arbeitsvertragsrecht 71, 191 Aufklärungspflicht 228
Aufschlag 82 – 2,5 Prozentpunkte 83 – 5 Prozentpunkte 83 – 9 Prozentpunkte 84 außergerichtliche Geltendmachung 230 außergewöhnliche Umstände siehe Exkulpation Ausgleichsanspruch 104 Ausgleichsfunktion 31, 47, 50, 79, 83, 90, 121, 123, 155, 167, 203, 213, 258, 290 Auskunftsanspruch 228 Auslagenpauschale 188 Auslegungsleitlinien siehe Leitlinien für die Auslegung der Fluggastrechte-Verordnung Bagatellverfahren 246 Bahnverkehr 127, 185, 294 Basiszinssatz 79 – negativer 81 behavioral economics 258, 264 Beitreibungskostenbetrag 55, 67, 69, 74, 89, 97, 191, 207, 209 Bereicherungsverbot siehe schadensrechtliches Bereicherungsverbot Beurteilungsspielraum 176 Beweislast siehe Darlegungs- und Beweislast Beweiswürdigung siehe freie richterliche Beweiswürdigung Binnendifferenzierung 183, 295 Breitbandinternet 291 Bundesdatenschutzgesetz 296 Busverkehr 128, 294 cheapest cost avoider 270 CISG siehe UN-Kaufrecht class action 250 code sharing 143 f. Codex Maximilianeus Civilis coerced loan theory 42
32
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Sachwortverzeichnis
conditio sine qua non 195 Coronavirus 77, 152, 154, 198 Darlegungs- und Beweislast 32, 98, 133, 153, 195, 221 f., 225, 227 f., 244, 284, 290 f., 293, 296 Datenschutz-Grundverordnung 296 Datenschutzverstoß 295 Differenzhypothese 209 Differenzierung materieller und immaterieller Schäden 214 Diskontsatz-Überleitungs-Gesetz 81 Dogmatik 194 Drittstaat 59, 130, 144, 170 economic analysis of law 258 effizienter Rechtsbruch 272, 286 Effizienz 221, 264 Eigentumsfreiheit 177 Einpreisung siehe Internalisierung Einschätzungsprärogative 176 Entgeltforderung 63, 67, 84, 94 Enthaftung siehe Exkulpation Erhaltungsinteresse 212 Erkenntnisverfahren 244 Europäische Zentralbank 80 Europäischer Kodex für elektronische Kommunikation 292 europäisches Mahnverfahren 246 Exkulpation 76, 150, 185, 197, 227, 293 externe Effekte 45, 48, 118, 122, 132, 140, 143, 145, 157, 159, 161, 200, 203, 205, 216, 297 Factoring 235 Fälligkeitszins 52 Fautfracht 23 Fluggast 140 Fluggastentschädigung 183, 190, 196, 198 – 200, 203, 210, 213, 215, 225, 227 f., 233, 237, 239 – 241, 243, 246 f., 249, 252, 254, 262, 269, 272, 276, 279, 283 Fluggastrechte-Verordnung 104, 109 Fluggesellschaft 143 Flugticket 147, 160 Flugzeit 276 freie richterliche Beweiswürdigung 223 Freiheitsrecht 177
Gebotenheit 180 Gefährdungshaftung 51, 197, 216, 293 Gegenbeweis 101, 224, 226, 298 Geldschuld 61, 83, 93 gemeinnützige Geltendmachung 286 Generalprävention 261 generelle gesetzliche Schadensersatzpauschalierung 180 Gerechtigkeit 203 gerichtliche Aufgaben im Schadensersatzrecht 186 gerichtliche Geltendmachung 241 Gerichtsstand 242 Gerichtsverfassungsgesetz – Entschädigung 23 Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr 36 gesetzlicher Zinssatz 63 Gestaltungsspielraum 176 gezwungenes Kreditieren 40, 42, 214 gleich- und massenartige Leistungsstörung 289 – Nichtbeförderung etc. 112 – Zahlungsverzug 38 Gleichbehandlungsgebot 178, 182 Gradationssystem 206, 217 Grenzkosten 115, 266, 268, 271, 273 große Ankunftsverspätung siehe Ankunftsverspätung Grundrecht 177 Grundrechte-Charta 96, 178 f. Haftungsausfüllung 202 Haftungsverantwortlichkeit 194 Halbierung 107, 109, 159, 245 Handlungsfreiheit 177 Handlungspflicht des Gesetzgebers Herstellungsprinzip 212 HRG-Zinssatz 80
181
immaterieller Schadensersatz 170, 189, 214 Immobiliarsicherheit 84 Informationsgesellschaft 291 Informationspflicht 163, 283 Inkasso 235 Institutsgarantie 181 Integritätsinteresse 212 Internalisierung 47, 205, 216
Sachwortverzeichnis Internetanschlussstörung 291 israelisches Recht 109, 138 iustitia commutativa 203 Judikative
186
Kaldor-Hicks-Kriterium 267 kanadisches Recht 138, 145, 156 Kartellschadensersatz 66 Kausalität 195, 290 Kfz-Unfallpauschale 188 Klageflut 241 Klageverfahren 244 Kleine und Mittlere Unternehmen 40, 109, 145 Kohärenz 182 Kollektivverfahren 247 Kollisionsrecht 60, 167 – in der Fluggastrechte-Verordnung 129 Kompensation siehe Ausgleichsfunktion Kreditieren siehe gezwungenes Kreditieren lease 143 legal tech 252 Leitlinien für die Auslegung der Fluggastrechte-Verordnung 110, 152 Liquiditätsprämie 48 Lizenzgebühr 23 Lohnverzug siehe Arbeitsvertragsrecht Luftfahrt-Bundesamt 240, 278 Luftfahrtunternehmen siehe Fluggesellschaft Luftverkehrsgesetz 232 Mahnverfahren 245 Marktversagen siehe Versagen privater Vertrags- und Marktmechanismen Maßgaben für gesetzliche Schadensersatzpauschalierung 289 Massenklage 247 Meilen 147 Minderungsrecht 127, 159, 170, 185, 292, 294 Mindestschadensersatz 33, 36, 40, 48, 51, 53, 85, 99, 106, 114, 121, 157, 166, 203, 210, 216, 273, 290, 297 Mitverschulden 198, 293
339
Montrealer Übereinkommen 112, 125, 137, 162, 167, 277 Moratorium 77 Motivation zur Anspruchsgeltendmachung 282 Musterfeststellungsklage 247 nationale Durchsetzungsstelle 240 Naturalrestitution 211 negative externe Effekte siehe externe Effekte Negativzins 81 Netzüberlastung 291 Nichtbeförderung 131, 148, 153, 158 no-show 131 Opportunitätskosten 42, 79, 116, 120 f., 137, 157, 159, 161, 203, 209, 286 ordre public 206 Pandemie siehe Coronavirus Passagierentschädigung 294 Passivlegitimation – Fluggastentschädigung 143 – Internetanschlussstörung 293 – Zahlungsverzug 67 Paternalismus 175, 180 Politik 184 Potenzial 289 praktische Konkordanz 180 Präventionsfunktion 47, 52, 57, 83, 90, 121, 155, 178, 203, 214, 219, 256 f., 260, 269, 286, 290, 296 Präventionswirkungsvereitelung 273 prejudgment interest 42 prima facie 223 Prinzipien – des Haftungsrechts 194 – des Schadensrechts 202 privatautonome Modifikation 199, 218 – Fluggastentschädigung 165 – Zahlungsverzug 93 private attorney general 286 Prozessökonomie 221, 290 Prozessverbindung 244 Prozesszinsen 78 punitive damages siehe Strafschadensersatz
340 Qualifikation – Fluggastentschädigung 122 – Zahlungsverzugsschadensersatz
Sachwortverzeichnis
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race to the bottom 46 realpolitischer Kontext 184 Rechtsdienstleistungsgesetz 238 Rechtsfolge – Fluggastentschädigung 155 – Internetanschlussstörung 293 – Zahlungsverzug 78 Rechtsökonomie 258, 263 Rechtsstaatsprinzip 182, 186 Reduzierung siehe privatautonome Modifikation Regress 145, 201 Rentabilität 268 Ressourcenallokation 43 richterliche Rechtsfortbildung 71, 134, 190 Rom-Verordnungen 60, 167 ruinöser Pauschalbetrag 179 Schadensbegriff 208 – natürlicher 209 – normativer 210 Schadensberechnung – dreifache 23 – richterliche 186 Schadensersatzfunktionen 202 Schadenskompensation 211 schadensrechtliches Bereicherungsverbot 217 Schadensschätzung 224 schedule padding 276 Schiedsgerichtsbarkeit 233 Schienenverkehr siehe Bahnverkehr Schiffsverkehr 128, 294 Schlichtungsverfahren 231 Schmerzensgeldtabelle 189 Schuldbeitritt 67 Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 36, 81, 83 f. Schuldübernahme 67 schweizerisches Recht 36, 60, 78, 83, 86, 88, 130, 135 Skaleneffekt 271 Slotzuweisungs-Verordnung 278 smart contract 252
Smartphone 252 SÖP-Schlichtung 233 Sozialstaatsprinzip 177 Spezialprävention 261 Staatshaftung 23 Staatsunternehmen 185, 241, 295 stakeholder 184 status negativus 177 status positivus 181 statutory damages 250 statutory interests 48 Steuernachzahlung 23, 177 strafrechtliche Garantien des GG 178 Strafschadensersatz 56, 205, 259 Straßenverkehrsgesetz 188, 293 Stufenklage 228 Systemgerechtigkeit 181, 191, 294 Tatbestand – Fluggastentschädigung 147 – Internetanschlussstörung 293 – Zahlungsverzug 76 Telekommunikationsgesetz 292 Terminversäumnis 292 Ticketpreis 155 Totalreparation 216, 273 Transaktionskosten 43 f., 117, 120, 203, 270, 286 Treu und Glauben 228, 275 Überbuchungs-Verordnung 106 Überkompensation 84, 204 f., 210, 214, 218, 285, 290 Übermaßverbot 178 Umgehung 274 UN-Kaufrecht 53 Unfallpauschale 188 ungerechtfertigte Bereicherung 50 US-amerikanisches Recht 42, 48, 58, 105, 134, 206, 250, 259 value of time 117, 160, 204, 210, 295 Verbandsklage 249 Verbraucher 68, 71 f., 83, 140, 183, 185, 191, 233, 249 Verbraucherkreditgesetz 35, 83 Verbraucherstreitbeilegungsgesetz 232 Verfahrensbündelung 242
Sachwortverzeichnis Verfahrensgarantien 177 Verhaltenssteuerung 256, 290, 293 Verhältnismäßigkeitsprinzip 178 Verjährung 161 Versagen privater Vertrags- und Marktmechanismen 290, 292, 295, 297 – Fluggastentschädigung 115 – Zahlungsverzug 41 Verschuldensunabhängigkeit 196, 216 Verschuldensvermutung 77 Versicherung 185, 201, 278 Verzicht 165 Verzinsung der Ersatzsumme 63 Verzinsung des Wertersatzes 63 Verzug 76 Verzugszins 50, 61, 67 f., 72, 79, 93, 183, 191, 200, 209, 245 – historische Entwicklung 30 Vollstreckungsverfahren 251 Vorbehalt des Gesetzes 206 Vorrang des Gesetzes 188 Vorverlegung siehe Abflugvorverlegung weitergehender Schadensersatz – Nichtbeförderung etc. 166 – Zahlungsverzug 99
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Wesentlichkeitstheorie 188 Widerspruchsfreiheit 181, 191, 294 Willkürverbot 178 windfall profit 218, 285 Wirkungseinbuße 273 Wohlfahrtsverluste 43, 118, 287 Zahlungsfrist 274 Zahlungsmodalitäten 161 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/35/EG 36, 56, 64, 73 Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU 37, 55, 57, 69, 90, 274 Zahlungsverzugsschadensersatz 29, 183, 191, 196, 198, 200 f., 203, 209 f., 213, 215, 225, 227, 233, 237, 242, 246, 249, 259, 262, 269, 271, 274, 283 Zession siehe Abtretung Zinsaufschlag siehe Aufschlag Zinssatz – gesetzlicher 30 – HRG 80 Zinsvereinbarung 86 Zurechenbarkeit siehe Kausalität Zuständigkeit 242 Zwangsvollstreckung 251