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German Pages [237] Year 2021
Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 162
Heinz-Dieter Neef
Geschichte, Schuld und Rettung Studien zur Redaktion, Komposition und Theologie von Ri 1,1–3,30
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Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament
Begründet von Günther Bornkamm und Gerhard von Rad Herausgegeben von David S. du Toit, Martin Leuenberger, Johannes Schnocks und Michael Tilly 162. Band
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Heinz-Dieter Neef
Geschichte, Schuld und Rettung Studien zur Redaktion, Komposition und Theologie von Ri 1,1–3,30
Vandenhoeck & Ruprecht
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2567-9694 ISBN 978-3-7887-3523-4
Meinem Hebräischlehrer
Herrn Pfarrer Dr. Joachim Ufer Worms
in großer Dankbarkeit gewidmet
Vorwort Die Richterbuchforschung hat in den letzten vier Jahrzehnten einen enormen Aufschwung erlebt. Konnte E. Jenni in seinem Forschungsbericht 1961 noch davon ausgehen, dass in den Jahren 1941–1961 keine umstürzenden Neuerungen bezüglich der Einleitungswissenschaft zu verzeichnen seien, schreibt R. Bartelmus in seinem Forschungsbericht 1991 von einer enorm gewachsenen Literatur zu diesem Buch. Dabei beobachtet er eine große Distanz gegenüber dem Richterbuch, da sich eine Auseinandersetzung mit ihm theologisch nicht lohne. In einem neueren Kommentar wird sogar behauptet, dass man das Richterbuch kaum vermissen würde, wenn es zwischen Josua 24 und 1Sam 1 fehlen würde. Die vorliegende Monographie möchte hier anknüpfen und zeigen, dass das Buch in theologischer Hinsicht sehr wohl viel zu sagen hat. In der aktuellen Forschung wird Ri 1-3 vor allem auf dem Hintergrund des Buchübergangs von Josua zu Richter untersucht. Man bemüht sich höchst engagiert um die Frage nach der literarischen Gestalt von Ri 1,1-3,30. Die Fragen nach dem Wachstum dieser Kapitel, den Anknüpfungspunkten der Richtertexte zu Josuatexten sowie der Funktion des deuteronomistischen Geschichtswerkes spielen dabei eine gewichtige Rolle. Ein Forschungskonsens ist hier freilich noch nicht erreicht. Die theologische Frage steht erst an zweiter Stelle. Es besteht m.E. kein Zweifel daran, dass in den ersten Kapiteln des Richterbuches eine höchst differenzierte und gut durchdachte Theologie vorliegt. Diese lässt sich mit den Theologumena „Geschichte, Schuld und Rettung“ auf den Punkt bringen. Diese Trias spiegelt eine Grundthematik biblischer Theologie wider. Die Studie hat zum Ziel, anhand dieser Theologumena das theologische Profil von 1,1-3,30 herauszuarbeiten. Dies kann freilich ohne einen Blick auf die Komposition und Redaktion dieser Kapitel nicht gelingen. Kompositorisch übernimmt Ri 1 eine Scharnierfunktion zwischen Josua und Richter ein. Ri 2,1-5 lässt sich als eine theologische Interpretation von Ri 1 verstehen. In Ri 2,6-10 geht es um die Darstellung der Richterzeit als der Zeit des Bruches der Gemeinschaft von Gott und Volk. In Ri 2,11-3,6 werden anhand des Rahmens der Richtererzählungen die Hintergründe für den Bruch der Gemeinschaft erläutert und zugleich eine Rettungsperspektive aufgezeigt. In der Othniel-Erzählung 3,7-11 wird das Rahmenschema an einem Beispiel
VIII
Vorwort
expliziert. Die Erzählung von Ehud und Eglon 3,12-30 ist dann wie alle Richtererzählungen als Heldensage stilisiert. Redaktionell verdankt sich die Entstehung von 1,1-3,30 vor allem dem Deuteronomisten, der m.E. in 1,1-4.8.9.18-20; 2,1-5.6-10; 2,113,6.7-11; 3,12-15aα.b.27-30 greifbar ist. Der Deuteronomist hat bei der Gestaltung dieser drei Kapitel eine große Zahl von Überlieferungen, Traditionen und Listen übernommen. Theologisch ist 1,1-3,30 durch drei grundlegende Aussagen gekennzeichnet: Geschichte, Schuld, Rettung. Der Bezug zur Geschichte zeigt sich in einer Fülle von geographischen, topographischen und religiösen Vorstellungen aus der Umwelt. Die Schuld besteht in dem Nichthören auf die Stimme Jahwes. Das Erwecken eines Richters leitet die Befreiung aus der Umklammerung durch die Feinde ein. Unausgesprochen steht das 1. Gebot im Hintergrund von Ri 1-3. Ri 1,1-3,30 lassen sich durchaus als „kleines Richterbuch“ verstehen. Die vorliegende Monographie ist in den letzten vier Jahren ausgearbeitet worden. Die Ergebnisse wurden in zahlreichen Vorträgen an der Humboldt-Universität Berlin, der Universität Osnabrück, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn, der Technischen Universität Dortmund sowie in Vorlesungen und Seminaren an der evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen vorgetragen und diskutiert. Ich danke allen Teilnehmern für konstruktive Gespräche und Rückmeldungen. – Herzlich danke ich den beiden Herausgebern der „Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament/ Altes Testament“ Herrn Professor Dr. Martin Leuenberger und Herrn Professor Dr. Johannes Schnocks für die bereitwillige Aufnahme des Manuskriptes in diese renommierte Reihe. – Mein großer Dank geht auch an Herrn stud. phil. et theol. Michael Bock, Frau stud. theol. Lilian Bronner und Herrn stud. theol. Meinhard Schwarz für die engagierte Mithilfe bei der Vorbereitung der Drucklegung und der Korrektur des Manuskripts. Ebenso danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, für alle Unterstützung. Ich widme dieses Buch meinem verehrten Hebräischlehrer Herrn Pfarrer i.R. Dr. Joachim Ufer, der in den Jahren 1972–74 einer kleinen Arbeitsgruppe von Gymnasiasten der beiden Wormser Gymnasien, dem naturwissenschaftlich-neusprachlichen Gauß-Gymnasium und dem altsprachlichen Rudi-Stephan-Gymnasium engagiert und kompetent die althebräische Sprache gelehrt hat. Tübingen, den 17.8.2020
Heinz-Dieter Neef
Inhalt VORWORT ............................................................................................................. VII HINFÜHRUNG ........................................................................................................... 1 § 1 NEUERE TENDENZEN DER RICHTERBUCHFORSCHUNG ................. 3
1. ZWEI FORSCHUNGSBERICHTE: 1961 UND 1991 .................................... 3 a) Ernst Jenni: 1961............................................................................... 3 b) Rüdiger Bartelmus: 1991................................................................... 4 c) Fazit ................................................................................................... 5 2. KOMMENTARE ..................................................................................... 6 a) Manfred Görg 1993 ........................................................................... 6 b) Daniel Block 1999 ............................................................................. 7 c) J. Clinton McCann 2002 .................................................................... 8 d) Susan Niditch 2008 ............................................................................ 9 e) Walter Groß 2009 ............................................................................ 11 f) Jack M. Sasson 2014 ........................................................................ 13 g) Ernst Axel Knauf 2016 ..................................................................... 14 h) Fazit ................................................................................................. 15 3. GESAMTDARSTELLUNGEN .................................................................. 16 a) Barry G. Webb 1987 ........................................................................ 16 b) Uwe Becker 1990 ............................................................................. 17 c) Robert H.O’Connell 1996 ................................................................ 18 d) Susan Ackerman 1998 ..................................................................... 19 e) Reinhard Gregor Kratz 2000 ........................................................... 21 f) Philippe Guillaume 2004 .................................................................. 22 g) Andreas Scherer 2005 ..................................................................... 23 h) Erasmus Gass 2005 ......................................................................... 24 i) Corinne Lanoir 2005 ........................................................................ 25 j) Cheryl Exum 2007 ............................................................................ 26 k) Matthias Ederer 2011 ...................................................................... 26 l) Erasmus Gass 2012 .......................................................................... 28 m) Susanne Gillmayr-Bucher 2013 ................................................. 30 n) Robin Baker 2016 ............................................................................ 32 o) Cynthia Edenburg 2019 ................................................................... 33 p) Fazit ................................................................................................. 34 4. DIE THEOLOGISCHE FRAGE ................................................................ 36 a) Isaac Leo Seeligmann ...................................................................... 36
X
Inhalt b) Walter Groß ..................................................................................... 37 c) Das Richterbuch und die Monarchie ............................................... 38 d) Die feministisch geprägte Literatur ................................................. 38 5. DAS RICHTERBUCH UND DIE SEPTUAGINTA ....................................... 40 6. DAS RICHTERBUCH UND SEINE WIRKUNGSGESCHICHTE .................... 43 7. AUFGABE UND METHODE .................................................................. 45 a) Aufgabe ............................................................................................ 45 b) Methode ........................................................................................... 46
§ 2 SIEGE UND NIEDERLAGEN DER STÄMME ISRAELS: 1,1-36............ 49
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
ÜBERSETZUNG UND TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN ....................... 49 PHILOLOGISCHE ANMERKUNGEN ....................................................... 55 FORSCHUNGSGESCHICHTLICHE ORIENTIERUNG ................................. 58 EINZELEXEGESE ................................................................................. 63 GLIEDERUNG ...................................................................................... 77 DER LITERARISCHE ORT ..................................................................... 80 ÜBERLIEFERUNGS- UND FORMKRITISCHE BEOBACHTUNGEN ............ 83 RI 1 ALS SCHARNIER ZWISCHEN DEM JOSUA- UND RICHTERBUCH ... 89 ZUSAMMENFASSUNG.......................................................................... 91
§ 3 DAS VERSAGEN ISRAELS: 2,1-5................................................................ 94
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
ÜBERSETZUNG UND TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN ....................... 94 PHILOLOGISCHE ANMERKUNG ........................................................... 96 FORSCHUNGSGESCHICHTLICHE ORIENTIERUNG ................................. 97 GLIEDERUNG .................................................................................... 102 EINZELEXEGESE ............................................................................... 103 ZUM VERHÄLTNIS VON RI 1 UND RI 2,1-5 ....................................... 106 DER LITERARISCHE ORT VON 2,1-5 .................................................. 107
§ 4 JOSUAZEIT UND RICHTERZEIT: 2,6-10 ............................................... 112
1. 2. 3. 4. 5.
ÜBERSETZUNG UND TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN ..................... 112 FORSCHUNGSGESCHICHTLICHE ORIENTIERUNG ............................... 113 EXEGESE VON RI 2,6-10 ................................................................... 120 RI 2,6-10 IM VERGLEICH MIT JOS 24,28-31...................................... 123 JOSUAZEIT UND RICHTERZEIT .......................................................... 127
§ 5 DER RAHMEN DER RICHTERERZÄHLUNGEN: 2,11-3,6 .................. 129
1. 2. 3. 4.
ÜBERSETZUNG UND TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN ..................... 129 PHILOLOGISCHE ANMERKUNGEN ..................................................... 132 ASPEKTE DER FORSCHUNG .............................................................. 133 BEOBACHTUNGEN ZUM AUFBAU VON 2,11-3,6 ................................ 137
Inhalt
5. 6. 7. 8.
XI
a) V.11-13 Israels Abfall ................................................................ 137 b) V.14-15 Jahwes Zorn und Israels Not ....................................... 139 c) V.16-19 Richter als Retter ......................................................... 139 d) V.20-22 Jahwes Zorn ................................................................. 142 e) 2,23-3,6 Die Völker Kanaans ........................................................ 143 DIE ELEMENTE DES RICHTERBUCHRAHMENS .................................. 145 DER LITERARISCHE ORT DER RAHMENELEMENTE ........................... 154 DAS LITERARISCHE UND THEOLOGISCHE PROFIL DES RAHMENS ..... 157 SCHLUSS .......................................................................................... 160
§ 6 OTHNIEL: 3,7-11 .......................................................................................... 161
1. ÜBERSETZUNG UND TEXTKRITISCHE ANMERKUNG ....................... 161 2. POSITIONEN DER FORSCHUNG .......................................................... 162 3. EXEGESE VON 3,7-11 ....................................................................... 165 4. ZUSAMMENFASSUNG........................................................................ 167 § 7 EHUD UND EGLON: 3,12-30 ...................................................................... 168
1. 2. 3. 4. 5.
ÜBERSETZUNG ................................................................................. 168 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN ..................................................... 170 PHILOLOGISCHE ANMERKUNGEN ..................................................... 172 EINZELEXEGESE ............................................................................... 176 DIE LITERARISCHE GESTALT UND DER THEOLOGISCHE GEHALT ...... 189
§ 8 GESCHICHTE, SCHULD UND RETTUNG.............................................. 192
1. 2. 3. 4. 5. 6.
GLIEDERUNG UND FORSCHUNG ....................................................... 192 PHILOLOGIE ..................................................................................... 195 REDAKTION ...................................................................................... 197 ÜBERLIEFERUNG UND TRADITION .................................................... 198 KOMPOSITION .................................................................................. 199 THEOLOGIE: GESCHICHTE, SCHULD UND RETTUNG ......................... 200
ANHÄNGE .............................................................................................................. 202 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................... 206 STELLENREGISTER (AUSWAHL) ................................................................... 220 SACHREGISTER ................................................................................................... 222
Hinführung Das Richterbuch ist fest in der biblischen Überlieferung verankert. So werden Sir 46,11f. die Richter als demütige und treue Diener Gottes, deren Handeln bis in die Gegenwart zum Segen gereichen könne, gelobt. Ihr Name sollte deshalb unbedingt in Erinnerung bleiben:1 καὶ οἱ κριταὶ ἕκαστος τῷ αὐτοῦ ὀνόµατι, ὅσων οὐκ ἐξεπόρνευσεν ἡ καρδία καὶ ὅσοι οὐκ ἀπεστράφησαν ἀπὸ κυρίου, εἲη τὸ µνηµόσυνον αὐτῶν ἐν εὐλογίαις. τὰ ὀστᾶ αὐτῶν ὰναθάλοι ἐκ τοῦ τόπου αὐτῶν καὶ τὸ ὂνοµα αὐτῶν ἀντικαταλλασσόµενον ἐφ᾽ υἱοῖς δεδοξασµένων αὐτῶν. In Hebr 11,32f.39f. werden die Richter in einer Reihe mit David, Samuel und den Propheten genannt.2 Sie werden aufgrund ihrer Heldentaten gerühmt. Auch hier werden sie als Diener Gottes gesehen, die durch den Glauben das Zeugnis Gottes empfangen hätten. Dadurch seien sie kräftig geworden und hätten so in Gerechtigkeit wirken können: Καὶ τὶ ἒτι λέγω; ἒπιλείψει µε γὰρ διηγούµενον ὁ χρόνος περὶ Γεδεών, Βαράκ, Σαµψών, Ίεφθάε, Δαυίδ τε καὶ Σαµουὴλ καὶ τῶν προφητῶν, οἵ διὰ πίστεως κατηγωνίσαντο βασιλείας, ἠργάσαντο δικαιοσύνην, ἐπέτυχον ἐπαγγελιῶν, ἒφραξαν στόµατα λεόντων … Καὶ οὓτοι πάντες µαρτυρηθέντες διὰ τῆς πίστεως οὐκ ἐκοµισαντο τὴν ἐπαγελίαν, τοῦ θεοῦ περὶ ἡµῶν κρεῖτόν τι προβλεψαµένου, ἵνα µὴ χωρὶς ἡµῶν τελειωθῶσιν. Das Richterbuch erzählt von diesen Richtern in klarer Komposition. Es wird in 1,1-2,5 mit den Hinweisen auf die Eroberungen der Südstämme (1,1-21), dem Haus Joseph (1,22-26), dem sog. Negativen Besitzverzeichnis (1,27-36) sowie der Anklage Israels durch den Engel des Herrn eingeleitet (2,1-5). Der Hauptteil besteht aus den Richtererzählungen 2,6 [-3,6] -16,31. Diese werden mit Othniel aus Juda (3,71
Vgl. zu dieser Stelle SAUER, Jesus Sirach, 316f. – SAUER fragt zurecht, warum Ben Sira die wichtigen Ereignisse, die ja mit der Richterzeit mit bedeutenden Namen verbunden seien, in 46,11f so summarisch übergehe. 2 Zu dieser Stelle vgl. u.a. MICHEL, Hebräer, 277–280; STROBEL, Hebräer, 138f.; GRÄSSER, Hebräer, 189–192; KARRER, Hebräer, 293f.
2
Hinführung
11) eröffnet, mit Ehud aus Benjamin (3,12-30), Debora aus Ephraim (4f.), Gideon aus Manasse (6-8), Jephta aus Gilead (10,6-12,7) weiter und mit Simson aus Dan (13-16) zu Ende geführt. Die Richtererzählungen nennen zudem die zu bekämpfenden Feinde. Sie werden durch Rahmenelemente jeweils ein- und ausgeleitet. In 3,31 werden die Erzählungen durch die Notiz zu Samgar sowie zu dem gescheiterten Versuch der Königwerdung Abimelechs unterbrochen (9). Der Schlussteil umfasst Ri 17-21, die nicht zu Unrecht als Anhänge zum Richterbuch bezeichnet werden, denn in ihnen ist von Richtern nicht mehr die Rede. Ri 17f handeln vom Stamm Dan und dessen illegitimer Priesterschaft und Ri 19-21 berichten vom schandhaften Vergehen des Stammes Benjamin. Ri 17-21 qualifizieren die Richterzeit als eine Epoche ohne Recht und Gottesgehorsam. Sie führen dies auf den fehlenden König zurück (17,1; 18,1; 19,1; 21,25). Die Anhänge zeigen deutlich Bezüge zu Ri 1: 1,1; 17,6 (königsfreundlich); 1,21ff.; 20,26ff. (Bethel); 1; 17f. (Dan).3
3
Zur Gliederung und zu Einleitungsfragen zum Richterbuch vgl. u.a. die älteren und neueren Einleitungen: FOHRER, Einleitung, 223–233; KAISER, Grundriss 1, 107–115; SCHMITT, Arbeitsbuch, 254f.; DIETRICH u.a., Entstehung, 206–231; ZENGER u.a., Einleitung, 213–222; RÖMER u.a., Einleitung, 312–333; – Die von GERTZ herausgegebene „Grundinformation“ widmet dem Richterbuch nur wenige Seiten: 285–287. – Eine gute Einführung in Inhalt, Gliederung und Theologie des Richterbuches gibt SCHMID, Literaturgeschichte, 85f.; BOWMAN, Criticism, 19–45 – Zur Komposition des Richterbuches vgl. die Tabelle im Anhang.
§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
1. Zwei Forschungsberichte: 1961 und 1991 a) Ernst Jenni: 1961 In seinem informativen Forschungsbericht aus dem Jahr 1961 hält Jenni fest, dass an ausführlichen, wissenschaftlichen Kommentaren zu den Büchern Josua bis Könige in den vergangenen Jahren wenige erschienen seien. Dies treffe auch für das Richterbuch zu. Er konstatiert, dass bezüglich des Richterbuchs „in den letzten zwanzig Jahren keine umstürzenden Neuerungen auf dem Gebiet der Einleitungswissenschaft zu verzeichnen“1 seien. Jenni beobachtet zunächst eine rückläufige Bewegung in der Frage der Quellenscheidung. Im Vordergrund stehe eine größere Anzahl von Publikationen zum Richterbuch, die sich vor allem mit historischen und religionsgeschichtlichen Problemen beschäftigten. Die Frage der Literarkritik trete dagegen in den Hintergrund. Jenni nennt dabei die beiden Studien von M. Buber, Königtum Gottes2 und das Buch von E. Täubler, Biblische Studien.3 Jenni nennt bezüglich der Einzelforschungen zum Richterbuch vor allem diejenige von O. Grether zum Deboralied.4 Der Vorzug dieser Arbeit liege vor allem in der stilistischen Untersuchung des Liedes. Grether stelle schön dem logisch-syntaktischen Prosabericht in Kap. 4 den parataktisch-atomisierenden, mit impressionistischen Schnappschüssen arbeitenden Stil des Liedes gegenüber. Schön werden die Kunstmittel des Kontrastes und der leidenschaftlichen, monoton-emphatischen Wiederholung dargestellt. Daneben nennt Jenni noch die Deutung des Deboraliedes durch A. Weiser.5 Weiser deutet das Lied weder als Siegeslied noch als eine epische Dichtung, sondern als eine mehrstimmige liturgische 1
JENNI, Forschung, 130. BUBER, Königtum Gottes. 3 TÄUBLER, Biblische Studien. 4 GRETHER, Deboralied. 5 WEISER, Deboralied. 2
4
§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
Komposition zu einer Jahwe-Feier des sakralen (Zehn-) StämmeVerbandes. Hier gehe es nicht nur um den Sieg über die kanaanäischen Feinde, sondern auch um die „Bundeserneuerung“ der Zugehörigkeit Israels zu Jahwe. Jenni bleibt gegenüber dieser neuen Sicht des Liedes eher skeptisch, da aufgrund der Ungewissheiten der altisraelitischen Kultgeschichte vieles hypothetisch bleiben müsse. Neben den Hinweisen zum Deboralied listet Jenni noch Untersuchungen zur Gideon-Überlieferung (Ri 6-8) und zu den kleinen Richtern (10,1-5 und 12,8-15) auf. In dem Forschungsbericht von Jenni fällt das gänzliche Fehlen von Untersuchungen zu Ri 1-3 und 19-21 auf. Diese Kapitel werden ja gegenwärtig vor allem auf dem Hintergrund der Verbindungen zum Josuabuch und zum deuteronomistischen Geschichtswerk intensiv diskutiert.6 b) Rüdiger Bartelmus: 1991 In seinem Forschungsbericht zum Richterbuch aus dem Jahr 1991 bemerkt Bartelmus aufgrund der enorm gewachsenen Literatur zu diesem Buch: „Ein Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit der Information besteht weder im Blick auf Titel noch auf Themen. Dessen ungeachtet soll immerhin versucht werden, die wichtigsten Themen und Titel … so umfassend zu berücksichtigen, dass nicht nur einige wenige wissenschaftliche Kommentare und Monographien verhandelt werden, die sich unmittelbar bzw. ausschließlich auf das Richterbuch bzw. auf Teile davon beziehen.“7 Er beobachtet eine große Distanz gegenüber dem Richterbuch, da eine Auseinandersetzung mit ihm sich theologisch nicht lohne. Er wählt als Ausgangspunkt seiner Darstellung das Jahr 1950, das mit Martin Noths Aufsatz „Das Amt des ‚Richters Israels‘“8 verbunden ist. Der Ansatz Noths sei dann in den Arbeiten von Wolfgang Richter aufgenommen und weitergeführt worden. Dieser habe die Diskussion um das Richterbuch seit 1963/64 bestimmt. Als Fazit seines Referates der Richterbuchforschung in den Jahren 1950 bis ca. 1990 kommt Bartelmus zu dem Ergebnis, dass bezüglich der Entstehung des Buches ein gewisser Konsens bestehe.9 Im Richterbuch lassen sich im Wesentlichen fünf unterschiedliche Strata identifizieren: „drei ‚quellenhafte‘ und zwei redaktionelle. Daraus ergibt 6
Siehe dazu vor allem §§ 2–5. BARTELMUS, Forschung, 229f. 8 NOTH, Amt. 9 BARTELMUS, Forschung, 259 7
1. Zwei Forschungsberichte: 1961 und 1991
5
sich folgendes … Bild der Genese des Richterbuches: Den Nucleus bilden die ursprünglich mündlich tradierten Stammessagen in Ri 3-9, die vom Autor des Retterbuches in königskritischer Absicht zusammengefasst wurden; daneben stehen die in einem losen Zusammenhang mit der Jephta-Erzählung stehende Liste der ‚Kleinen Richter‘ und die ursprünglich völlig eigenständige Simson-Tradition. Bei der Zusammenfügung dieser Grundelemente durch einen ersten Deuteronomisten oder Deuteronomiker dürfte dann der Terminus ‚Richter‘ zum Leitbegriff geworden sein und könnten die Kap. 17-21 als Beispielerzählungen für die anarchischen Zustände im vorstaatlichen Israel ausformuliert worden sein, während ein zweiter Redaktor aus dieser Schule dann das Richterbuch in seine heutige Gestalt brachte.“10 c) Fazit Der Vergleich der beiden Forschungsberichte aus den Jahren 1961 und 1991 zeigt deutlich, dass das Richterbuch innerhalb von dreißig Jahren aus seinem Schattendasein herausgetreten ist. Bartelmus weist gleich zu Beginn seines Referates auf die Schwierigkeit hin, der Flut neuer Publikationen auch nur annähernd gerecht zu werden. Allerdings hält er fest, dass immer noch eine große Distanz gegenüber dem Richterbuch zu beobachten sei, da der theologische Ertrag des Buches doch als eher gering eingeschätzt werde. Die Frage der Entstehung des Buches wird differenzierter als noch 1961 gesehen, bei dieser Frage zeigt sich deutlich der Einfluss der These vom sog. Retterbuch durch W. Richter. Noch 1991 geht man von mündlich tradierten Stammessagen aus, die vom Autor in königskritischer Absicht zusammengefasst worden seien.
10
BARTELMUS, Forschung, 259.
6
§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
2. Kommentare In diesem Abschnitt sollen einige ausgewählte Kommentare zum Richterbuch der jüngeren Forschung vorgestellt und besprochen werden.1 a) Manfred Görg 1993 Görg setzt in seinem Kommentar in der Reihe „Die Neue Echter Bibel“ mit der Bemerkung ein, dass wir im Richterbuch kein getreues Bild historischer Prozesse vor uns haben, „so als könnte man mit dem Richterbuch in der Hand den Wegen der Stämme Israels folgen, bis sie schließlich in dem vorläufig einigenden System der Königsherrschaft einmünden.“2 Im Richterbuch gehe es darum, Israel einen Spiegel der geschichtlichen „Auseinandersetzungen und Ineinandersetzungen“3 zur eigenen Identitätsfindung vorzuhalten. Es gehe in dem Buch „um eine Begegnung mit einem Spektrum eigenwilliger und dennoch exemplarischer Gestalten in der Sukzession des Josua, zugleich um ein Kräftespiel im Pro und Contra der Auseinandersetzungen um das nationale Israel.“4 Görg sieht im Richterbuch drei Textzusammenhänge: 1,1-2,5: Das Ende und Ergebnis der Landnahme; 2,6-16,31: Die Präsentation der großen und kleinen Richter; 17-21: zwei Anhänge zum Schicksal zweier extremer Stammesfälle. Er sieht eine dreiphasige Entwicklung bis hin zur jetzigen Textgestalt: dtr Redaktionsarbeit; vordtr Bestand und Material und nachdtr Erweiterungen.
1
In seinem Kommentar aus dem Jahr 2009 nennt W. GROSS, Richter, 17–22 insgesamt 160 Kommentare zum Richterbuch. 2 GÖRG, Richter, 5. 3 GÖRG, Richter, 5. 4 GÖRG, Richter, 5.
2. Kommentare
7
1,1-18: nachdtr Autor 1,27-36: Aufstellung nichteroberter Gebiete; kein frühes Dokument, sondern in Verbindung mit 2,1-5 ein Konstrukt 2,6-9: die ältere Überleitung von Jos zu Ri 2,10-19: Damit wird der Kernbereich des Richterbuches eröffnet: Konzentrat dtr Geschichtsschau. Görg rechnet bei Ehud, Debora/Barak, Gideon, Abimelech, Jephta und Simson mit einem vordtr und nebendtr Anekdotenschatz. Die individuellen Heroengeschichten seien vielfach zunächst ohne heilstheologische Ambitionen überliefert worden und erst im Zuge der dtr Geschichtsschau pointiert auf eine gesamtisraelitische Ebene gehoben worden. Die Botschaft des Richterbuches sieht Görg in drei Stichworten konzentriert: Gewalt (unter Menschen: Ri 19; die Tragik der Unausweichlichkeit: Ri 11; Leiden an göttlicher Gewalt: 2,4f.); Herrschaft: 9,8-15; 8,23; Rettung: Die Rettung aus dem Desaster, aus der Verstrickung von Schuld und Sünde werde der Hand Jahwes übereignet. Er sei der eigentliche Retter und Heilsbringer. b) Daniel Block 1999 Der Kommentar bietet eine ausführliche Einleitung in das Richterbuch sowie eine inhaltsreiche Vers-für-Vers Auslegung des Buches. Bezüglich des historischen und religiösen Hintergrundes des Richterbuches verweist Vf. auf das Buch selbst. „The Book of Judges itself is obviously the most helpful source for reconstructing the history of this period. Even scholars who date the book late accept that the stories of the deliverers are rooted in historical reality.“5 Die Fragen nach der Autorschaft und der Datierung des Buches sind nach Ansicht des Vf.s schwer zu beantworten. Allerdings sieht er Hinweise darauf im Buch selbst. Hier nennt er zum einen die „series of explanatory parenthetical notes“6, zu denen er 1,11.23; 3,1-2; 19,10; 20,27-28 zählt. Zum anderen greift er auf die „chronological notes“7 zurück: 1,21; 19,30; 6,24; 5
BLOCK, Judges, 26. BLOCK, Judges, 64. 7 BLOCK, Judges, 64. 6
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
1,26; 10,4; 15,19; 18,12. Zudem warnt er davor, die Notiz „in diesen Tagen gab es keinen König“ (17,6; 18,1; 19,1; 21,25) zu sehr in die Richtung einer „promonarchic significance“8 zu pressen. Aus dieser Notiz zieht er die Schlussfolgerung, dass ein „exilic author would hardly have looked upon the monarchy as an institution to be the solution for the problems reflected in the book.“9 Auch das Thema der Kanaanisierung Israels ziele kaum auf die exilische oder nachexilische Zeit. Aus diesem Grund datiert er das Buch in die Zeit des Königs Manasse (2Kön 21,1-18). Von ihm heißt es in 2Kön 21,2, „er habe das Böse in den Augen des Herrn“ getan. Er sieht viele Parallelen zwischen den Richtern und Manasse: u.a. kultische Verfehlungen (2Kön 21,35.7), Kinderopfer (2Kön 21,6). – Bei der Frage nach der Autorschaft des Buches ist Vf. vorsichtig. Er sieht im Autor eine prophetische Gestalt aus dem Umfeld des Deuteronomiums. „The phraseology and style of the book suggest an author schooled in the Torah of Moses, particularly in the Book of Deuteronomy. The book’s hortatory nature and agenda points to a prophetic figure.“10 c) J. Clinton McCann 2002 Das Ziel der Kommentarreihe besteht darin, „to provide a third kind of resource, a commentary that presents the integrated result of historical and theological word with the biblical text.“11 Die Ausleger der Kommentarreihe „seek to create an interpretation that is both faithful to the text and useful for the church.“12 Das Richterbuch möchte zeigen, dass im privaten Raum, im Raum der Kirche und der ganzen Welt nichts in Ordnung ist, „unless we are faithful to the covenant between God and ourselves…“13 Insofern liege das Buch durchaus in der Nähe der Evangeliumsbotschaft.14 Vf. versteht die „Richter“ nicht in erster Linie in einem juristischen Sinn, sondern im Sinne von „Herrscher“. Insofern deutet er sie als die „bringer of justice“. Er sieht sie in der Nachfolge von Mose und Josua und als Vorbereiter von Samuel und den Königen. Diese Einordnung sei wahrscheinlich den „deuteronomistischen Historikern“ zu 8
BLOCK, Judges, 65. BLOCK, Judges, 66. 10 BLOCK, Judges, 67. 11 McCANN, Judges, V. 12 McCANN, Judges, V. 13 McCANN, Judges, 2f. – vgl. auch 24f. 14 McCANN, Judges, 4. 9
2. Kommentare
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verdanken. Dies sei in erster Linie in 2,6-3,6 deutlich erkennbar. Die sog. „Periode der Richter“ sei eine Schöpfung der Deuteronomisten. Diese Deuteronomisten hätten sich zweifellos auf älteres Material bezogen. „… it is likely that the stories found in the book of Judges originated well before the establishment of the monarchy in 1020.“15 Vf. geht davon aus, dass die Richter lokale Herrscher gewesen seien, allerdings sei es unwahrscheinlich, dass sie über ganz Israel geherrscht hätten. Der vorliegende Kommentar möchte von der Endgestalt des Richterbuches ausgehen. Vf. geht davon aus, dass dem Richterbuch älteres Material zugrunde liegt. Dies wurde aber bereits früh bearbeitet. So spiele die Dominanz von Juda in 1,1-2,5 möglicherweise als eine Art politische Propaganda auf den Konflikt zwischen David und Saul an. Theologisch sieht Vf. im Richterbuch und auch im Josuabuch eine Widerspiegelung der im Exodusbuch geschilderten Ereignisse. Der Wechsel von göttlicher Zusage und menschlichem Ungehorsam sei das Grundprinzip in der Tora ebenso wie im Richterbuch. Thematisch stehe im Richterbuch folgendes im Vordergrund: die Rolle des Landes; die Kanaanäer; Gewalt und Rache; die Rolle der Frauen; der Humor. d) Susan Niditch 2008 Niditch geht in ihrem Kommentar der Frage nach der im Richterbuch greifbaren mündlichen Tradition nach. „The present commentary on the book of Judges offers an exciting opportunity to study closely one rich collection of biblical tales from the perspective of the field of early and oral literatures. The conviction that Judges reflects a traditionalstyle culture has important implications for the way one goes about doing a commentary…“16 Das Richterbuch sei ein typisches Buch mit Geschichten „about conflict, containing themes that are typical of the foundation tales of many cultures.“17 Vf.in nennt die Richter „swashbuckling, charismatic military leaders.“18 Ihre Bezeichung als „Richter“ führt sie auf die Bedeutung der Wurzel špṭ zurück, denn diese habe nicht nur eine juridische Bedeutung, sondern sie meine auch „decision making in its narrative 15
McCANN, Judges, 6. NIDITCH, Judges, VII. 17 NIDITCH, Judges, 1. 18 NIDITCH, Judges, 1. 16
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
and religious contexts.“19 Der Richter sei in der Lage „to lead and make decisions not because of legal wisdom but because of a divinatory capacity, spirit critical to the conduct of war.“20 Vf.in nimmt die These von Richard Dorson auf, nach der die Richter als „epic heroes“21 angesehen werden können. Helden seien tapfer und hätten Kraft. Zudem sieht sie in den Richtern „social bandits“22, weil sie für das Recht der Schwachen gegen die Starken eintreten.23 Das zentrale Thema des Richterbuches sei „der Richter und der Krieg“. „Warring in tales of the early Israelite heroes, including the biblical judges and the early kings, is characterized by a specific bardic ideology, by certain roles played by women, and by the juxtaposition of themes of eroticism and death.“ Vf.in rechnet durchaus damit, dass das Richterbuch für die Geschichte Israels in vorköniglicher Zeit von Bedeutung sein könne. „… I offer a theoretical approach that is interested in history and takes seriously the idea that Judges includes material that would have been meaningful in some form to Israelite audiences before there were kings in Israel…“24 Die Schreiber des Richterbuches seien eher in Königskreisen zu suchen. Vf.in unterscheidet im Richterbuch drei Stimmen. 1. The EpicBardic Voice: „The epic-bardic voice may be as old as the stories themselves and as old as Israel’s origins in the latter part of the second millennium B.C.E.“25 2. The Voice of the Theologian: Vf.in sieht den deuteronomistischen Stil des Richterbuches „holistically under the heading of the ‚voice of the theologian.‘“26 Vf.in möchte nicht unter mehreren Theologen differenzieren. Die Stimme des Theologen sieht im Richterbuch die Geschichte abhängig von der Beziehung zu Jahwe. Diese Theologen könnten durchaus in konservativen levitischen nordisraelitischen Kreisen im Umfeld der Propheten Elia und Elisa zu suchen sein. 3. The Voice of the Humanist: Diese Stimme sei in Ri 1 und Ri 17-21 greifbar. „Messages about the ways in which power comes and goes are, of course, thematically important in many epic traditions and make for powerful stories about heroic human beings. 19
NIDITCH, Judges, 1. NIDITCH, Judges, 2f. 21 NIDITCH, Judges, 3. 22 NIDITCH, Judges, 3. 23 NIDITCH, Judges, 4 24 NIDITCH, Judges, 8. 25 NIDITCH, Judges, 9. 26 NIDITCH, Judges, 10. 20
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The third voice of Judges embraces and intensifies such messages.“27 Vf.in nimmt zudem an, dass die Erzählungen des Richterbuches nur einen kleinen Ausschnitt aus einem größeren Schatz von Erzählungen bildeten. Die Richtererzählungen „reveal a rich literature that was at home in a world dominated by oral-world assumptions about the workings of traditional narratives.“28 e) Walter Groß 2009 Wie entstand das Richterbuch? Diese einfache, aber dennoch schwer zu beantwortende Frage steht im Zentrum des ausführlichen und herausragenden Kommentars von Walter Groß. Er geht davon aus, dass am Anfang „unverbundene Fragmente“ gestanden hätten, worunter er nicht vollständig erhaltene Erzählungen versteht, die in ihrem Grundbestand noch frei von Bearbeitungen gewesen seien. Sie hätten sich noch nicht aufeinander bezogen und im Gebiet des späteren Nordreiches gespielt. Folgende Texte rechnet er dazu: 3,15b-26*; 4,17-21*; 5,1-30; 6,11a-bR2.17b.18-24; 8,59*.12C.13-21; 11,1-11.30-40. Diese Erzählungen schilderten rein profane Episoden, Jahwe sei in die Geschehnisse nicht verwickelt. „Unbeschadet möglichen höheren Alters der Erzählstoffe stammen die Texte in ihrer jetzigen Form überwiegend aus dem 10.-8. Jh. und setzen Verhältnisse der frühen Königszeit voraus, ohne aber (vom Deboralied abgesehen) ein Gesamtisrael zu erwähnen oder die Institution des israelitischen Königtums zu kennen. Es sind Erzählungen aus der Welt der Stämme, geprägt von plastischer Erzählkunst, die auf mündliche Formung hinweisen könnte, derbem Witz, Herabwürdigung und Verachtung des Feindes (Ehud und Jael) und amoralischer Freude an der Selbstbehauptung der eigenen Gruppe und den Heldentaten der Protagonisten, die als Linkshänder, Nomadenfrau, Bauer aus kleiner Sippe und Sohn einer Prostituierten eher unwahrscheinliche Helden und Anführer sind.“29 Die Fremdgötterproblematik fehle hier noch ganz. Die zweite Stufe der Entstehung sieht Groß in der vordtr Bearbeitung der Heldenerzählungen. „Ein Autor oder mehrere Autoren haben Jahrhunderte später diese Erzählungen gesammelt und, ohne sie untereinander zu verbinden, jeweils ausgebaut.“30 Diese Bearbeitung 27
NIDITCH, Judges, 12. NIDITCH, Judges, 18. 29 GROSS, Richter, 83f. 30 GROSS, Richter, 84. 28
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zeige die Tendenz, die Ereignisse auf ganz Israel (= Nordreich) zu beziehen, Jahwe als Hauptakteur zu etablieren, Motive des Jahwekrieges einzuarbeiten sowie vollständige Siege mit unrealistischen hohen Zahlen zu schildern. „Diese theologische Bearbeitung stammt frühestens vom Ende des 7. Jh.s, könnte … auch erst im 6. Jh. formuliert sein, vielleicht im Siedlungsgebiet Benjamins…“31 Die dritte Stufe bestehe aus zwei dtr Editionen des Buches. Der erste deuteronomistische Redaktor DtrR bringe die unverbundenen Heldenerzählungen in eine zeitliche Abfolge, integriere in zwei Teilen Fragmente der Liste Israel in Sukzession regierender Männer und stelle den Helden aus dem Bereich des Nordstaates Israel einen Helden aus Juda voran. Dadurch wandle sich das Israel des Nordstaates unmerklich in das 12-Stämme-Israel. Erst DtrR lasse so „die Heldenkämpfe explizit in der vorstaatlichen Zeit spielen. Als Regenten tun die Helden nun … genau das, was Gideon in 8,23 abgelehnt hatte.“32 Dieser DtrR „ist entweder identisch mit dem Verfasser der Erstausgabe eines ‚Deuteronomistischen Geschichtswerks‘ Dtn – 2Kön, oder, wohl eher, ist er ein jüngerer Autor, der die heilvolle Gründungsgeschichte Israels Ex-Jos mit der von den Königebüchern nach vorn gewachsenen dtr gestalteten Geschichte von Israels Staatlichkeit Sam – Kön zu einer umfassenden Geschichtserzählung verbindet.“33 Er setze zwischen der Zeit Josuas und der Zeit der Richter einen scharfen Trennungsstrich, indem er einen religiösen Traditionsbruch behauptete (2,7-10). Der Rahmen erwecke den Eindruck einer zyklischen Szenenfolge, in der es nicht vorangehe. DtrR lege ein einheitliches Muster über die unterschiedlichen Episoden und „zwängt die dafür gar nicht geeigneten Heldenerzählungen in das Prokrustesbett seiner Geschichtstheologie: Sie läuft nach dem Schuld-Strafe-Schema ab, und einziges Schuldkriterium ist der Fremdgötterkult, von dem aber außerhalb seiner Formeln nirgends die Rede ist.“34 Der zweite jüngere sekundäre deuteronomistische Redaktor DtrS habe Jos 23 und damit aus nachexilischer Perspektive das Problem der „übrig gebliebenen Völker“ eingeführt. Da das von Josua entlassene
31
GROSS, Richter, 85. GROSS, Richter, 85f. 33 GROSS, Richter, 86. 34 GROSS, Richter, 86. 32
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Volk nun entgegen DtrR erst seine Stammesgebiete noch erobern muss, werden die Zusätze in 2,6.17.20f. notwendig. In 2,1-5 erkennt Groß einen jungen Autor, der hier den Jahwe-Boten von Ex 23,20-25 auftreten lasse. Er möchte zeigen, dass die Richter „nur für ihre kurze Lebenszeit das notorisch JHWH ungehorsame Volk vor dem Schicksal bewahren“ konnten, „dem es als Strafe seit dem Abbruch nach Josuas Tod verfallen war.“35 So sieht Groß die Herausbildung des Richterbuches als einen langen und vielschichtigen Prozess an. „Die alten von Witz und stolzem Selbstbewusstsein strotzenden Episoden werden immer stärker überlagert. Die großflächigen Bearbeitungen erwachsen aus der Erfahrung des Scheiterns zuerst des Nordreichs, dann des Südreichs, dann der als beengend und unbefriedigend bewerteten nachexilischen Zustände…“36 f) Jack M. Sasson 2014 Der Kommentar von Jack M. S asson steht ganz in der Tradition der Reihe „Anchor Bible“. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, den biblischen Text möglichst genau und umfassend zu beschreiben. Im Vorwort dieses Kommentars schreibt der Herausgeber John J. Collins: „Sasson’s commentary on Judges is … a plea for recognition of the importance of the literary and historical context from which the biblical text emerged.“37 Diesem Programm weiss sich Sasson verpflichtet. Entsprechend beschreibt er das Ziel seiner Kommentierung wie folgt: „I try to fulfill goals as developed above: to expand comprehension of the Hebrew text by explaining its meaning, exploring its context, and charting its effect over time.“38 S asson weiss sich dem masoretischen Text verpflichtet. „ … I take it as my task to comment on the Hebrew Judges that has survived the centuries rather than the better text that ought to have reached us.“39 Seine Kommentierung zeigt eine Fülle von Angaben zum Text, zur Semantik bestimmter Begriffe, Ausführungen zu Ortsnamen und sonstigen Realien sowie Hinweise auf vergleichbare Texte aus „Near Eastern documents“.40 Im Unterschied zu anderen modernen Kommentaren findet man bei 35
GROSS, Richter, 91. GROSS, Richter, 93. 37 SASSON, Judges, XII. 38 SASSON, Judges, 28. 39 SASSON, Judges, 28f. 40 SASSON, Judges, 29. 36
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Sasson kaum Ausführungen zu besonderen Schichten innerhalb des Richterbuches. Die redaktionellen und literarkritischen Fragestellungen treten bei ihm deutlich in den Hintergrund. g) Ernst Axel Knauf 2016 Vf. betont gleich zu Anfang, dass er den Kommentar in seinem Kontext verstehen möchte und dieser sei derjenige von „Tora und Propheten“.41 Sein primäres Auditorium seien die Kollegen und Schüler der Schriftgelehrten gewesen, die es an der Schule des zweiten Tempels verfasst hätten. Dem Richterbuch korrespondiere als zweiterstem Buch der Vorderen Propheten das zweitletzte Buch des Prophetenkanons, nämlich Ezechiel. Beide Bücher verbinden eine ausgesprochen drastische Sprache und Bildwelt, „die bisweilen karnevalesk“42 anmute. Vf. lehnt die These eines „deuteronomistischen Geschichtswerkes“ aufgrund seines kanon- und buchtheologischen Ansatzes ab. Für diesen Ansatz sei diese weit verbreitete These irrelevant. Die GeschichtswerkHypothese verkenne, dass sich Josua und Richter auf ganz andere Weise auf die gleiche Vergangenheit und Gegenwart beziehen als Samuel und Könige. Wenn Richter zwischen Jos 24 und 1Sam 1 fehlen würde, würde man es kaum vermissen. Das Buch sei ein Beispiel für nicht-lineares Erzählen: das Buch in seiner Endgestalt setze Jos 1-12 weniger voraus als fort, als dass es diese Erzählung ersetze. Dies zeige deutlich Ri 1. Dass das Richterbuch den Eindruck vermittle, ein Geschichtsbuch zu sein, führt er auf die durchgehende Chronologie zurück. Diese habe drei Quellen: die Regierungsdaten der Könige von Israel und Juda aus den Königsbüchern, die theologisch konstruierte Chronologie von Tora und Josua und die von Richter hergestellte Brücke zwischen beiden. In einer ausführlichen Tabelle versucht Vf. die Jahreszahlen in Richter in die 480 Jahre vom Exodus bis zum Baubeginn des Ersten Tempels einzutragen.43 Das Richterbuch deutet Vf. in dreifacher Hinsicht: Richter als Prophetenbuch: 4,4; 6,8; 13 – Richter als Tragikomödie: Der Humor sei grob, Ri 3 sei ein Toiletten-Witz, in 14-16 und 19 sei Sadismus erkennbar. – Richter als Auslegung der Tora: Das Buch demonstriere die Tora-Vergessenheit und ihre Folgen in aller Drastik. Einem Israel, 41
Siehe dazu ausführlicher H.-D. NEEF, Rezension Knauf. KNAUF, Richter, 10. 43 KNAUF, Richter, 12f. 42
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das seine Tora vergessen habe, helfen auf Dauer weder Könige noch Propheten noch andere politische Anführer. Von daher sieht Vf. das Buch der Richter als eines der anti-messianischsten Bücher des Taanach. Die Botschaft des Buches sei klar: Israel und die Welt brauchten keine Heilande und Retter, sondern die Tora und Menschen, die im Rahmen der Schöpfungsordnung ihre Pflicht tun. Vf. geht beim Richterbuch von einem Kern von „Rettergeschichten“ aus, die mit Ehud beginnen und mit Gideon oder Jephta enden. Diesen Erzählungen gehen Einleitungen in 1,1-2,5; 2,6-3,6 voraus. Sehe ich recht, so übernimmt Vf. die These eines „Retterbuches“ von W. Richter. In dieses Retterbuch hätten sich freilich weitere Schichten vor-, ein- und nachgelagert. Juda komme im Horizont dieser Sammlung nicht vor. Das Retterbuch repräsentiere die nordisraelitischen Tra-ditionen und verarbeite den Untergang des israelitischen Königtums und die Annexion durch Assyrien 724–720. Vf. erkennt im Richterbuch vier Redaktionen: Die Josua-RichterRedaktion; die Josua-Richter-Samuel-Könige-Redaktion; die Propheten-Redaktionen und die Buchredaktion; die Tora-ProphetenRedaktion. h) Fazit Der Durchgang durch ausgewählte Richterbuchkommentare dokumentiert die in der Forschung unterschiedliche Sicht des Buches. So wird auf der einen Seite betont, dass das Richterbuch kein getreues Bild historischer Prozesse biete (Grg, Knauf u.a.), auf der anderen Seite werden in ihm alte mündlich tradierte Erzählungen erkannt (Niditch). Die im Buch genannten Richter werden als lokale Herrscher, charismatische Führer und „epic heroes“ (Niditch) gedeutet. Der Autor des Buches wird sowohl als prophetische Gestalt im Umfeld des Deuteronomiums als auch ein in Königskreisen zu suchender Mann gesehen. Die Entstehung des Buches wird meist in mehreren Stufen angenommen, wobei der/die Deuteronomist/ Deuteronomisten als die treibende Kraft dieses Entstehungsprozesses angenommen wird/werden (Groß u.a.). Das Buch wird mit unterschiedlichen Botschaften verbunden. Sehen Block u.a. die Botschaft in dem Dreiklang von „Gewalt, Herrschaft und Rettung“, sehen andere in der Darstellung starker Frauen (McCann) oder im Humor ein Charakteristikum des Buches (Knauf u.a.).
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3. Gesamtdarstellungen Der folgende Abschnitt stellt ausgewählte neuere Gesamtdarstellungen zum Richterbuch vor. a) Barry G. Webb 1987 Webb möchte mit seiner Studie das Richterbuch als Ganzes besprechen. In dem ersten Kapitel (S.13–40) gibt er einen berblick über das Richterbuch in der deuterokanonischen und jüdischen Literatur (S.13–19), er zeigt bisherige Forschungslinien (S.19–36) auf und beschreibt sein eigenes methodisches Vorgehen für die Exegese des Richterbuches (S.36–40). Er möchte das Richterbuch als eine Erzähleinheit „a narrative whole“1 deuten. Er fragt nicht nach älteren und jüngeren Teilen, für ihn steht die synchrone Analyse des Textes im Vordergrund. Die diachronen Studien sieht er eher kritisch, er unterteilt sie in diejenigen mit „sensitive“2 und diejenigen ohne „sensitive“ im Umgang mit dem Text. Es geht ihm vor allem um die Deutung des Endtextes des Richterbuches. „What it seeks to demonstrate is that the work in its final form is a more meaningful narrative word that has generally been recognized.“3 Webb geht von der Einheit des Richterbuches in seiner letzten Form aus. „… the book of Judges in its finished form is far more coherent and meaningful than had hitherto been recognized.“4 Die theologischen Grundlinien des Buches findet Webb in „the non-fulfilment of Yahweh’s oath sworn to the patriarchs (to give Israel the whole land)“5 sowie in „Israel’s persistent apostacy.“6 Die Dramatik des Richter-buches bestehe zum einen in Jahwes Zorn über Israels Abfall und zum anderen in der Entscheidung Jahwes, Israel trotz dieses Vorgehens nicht zu vernichten.
1
WEBB, Judges, 38. WEBB, Judges, 39. 3 WEBB, Judges, 39. 4 WEBB, Judges, 207. 5 WEBB, Judges, 208. 6 WEBB, Judges, 208. 2
3. Gesamtdarstellungen
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b) Uwe Becker 1990 Die Frage nach dem Werden und dem Wachstum des Richterbuches stand in den letzten zwei Jahrzehnten im Zentrum gewichtiger Monographien und Studien zum Richterbuch. 1990 veröffentlichte U. Becker seine – einflussreichen – redaktionsgeschichtlichen Studien zum Richterbuch.7 Er geht davon aus, dass DtrH aus einigen älteren, mehr oder weniger anekdotischen und sagenhaften Heldenerzählungen sowie anderen Überlieferungsfragmenten eine zusammenhängende Darstellung der Richterzeit geschaffen habe. Diese Textfragmente erkennt Becker in 3,16-26*; 5* (Grundstock); 6,11aα.18-24a*; 7,11b.13.14a.15*.16-22*; 8,5-21*; 9,25-41.50-54; 9,8-15a; 10,1-5; 12,8-15; 11,1-11a*; 13-16*. Anzeichen für eine vordeuteronomistische Sammlung können nach Becker nicht festgestellt werden. Die verbindenden Elemente zwischen den älteren Erzählungen verdanken sich sämtlich der Kompositionstätigkeit von DtrH: 2,11.12*14b-16a.18 als programmatische Einleitung; 3,7-11 Othnielepisode als Beispielstück; 6,1-6*; 9,42-45*; 10,17f*; 4*. DtrH hätte aus den Heldengestalten zum Jahwekrieg berufene Retter und Richter gemacht und sich durch eine dezidiert antikönigliche Haltung ausgezeichnet. DtrH sei kein wirklicher Autor gewesen. Die Richterdarstellung des DtrH sei mit einer Fülle von kleineren und größeren Ergänzungen erweitert worden. Diese Stücke enthielten nicht selten „altes Gut“: 6,33f.35; 7,1*-7; 6,36-40; 7,24-8,3; 11,12-28; 11,30f.34-40; 12,1-6. Eine wichtige Gruppe von Ergänzungen könne auf spät-dtr Redaktoren zurückgeführt werden. Hier gehe es um den Ungehorsam des Volkes: 2,12aα.13.14a.16b.17.18aα.19-21; 3,5f; 8,24-27; 9,16b19a.24.56f. Hier müsse man aufgrund der Sprache und des Inhalts an DtrN denken: so auch 1,21.27ff; 2,1-5; 17f. Schließlich habe ein im Stil und im Sinne von P schreibender und im Umkreis des Pentateuch-Redaktors (RP) wirkender Autor die Abschnitte 1,1-18.22-26; 19-21* geschaffen. Kennzeichnend sei hier eine Kombination von dtr und priesterlicher Sprache. Nach Becker übt DtrH eine grundsätzliche theologische Kritik an der Institution des Königtums: 6-9; 8,22f; 9,8-15a.8 DtrH konzipiere seine Rettergeschichten als Gegenentwurf zum Königtum. Ihm liege daran, die vorstaatliche Richterzeit als idealen Gegenentwurf zum Königtum 7 8
BECKER, Richterzeit, passim. BECKER, Richterzeit, 304.
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zu zeichnen. DtrN teile die Kritik von DtrH, aber nicht mehr so scharf. So hebe DtrN in 9,16b-19a.24.56f die moralische Verwerflichkeit des Königtums hervor und betone in 8,33-35 die Schuld des Volkes. Darüber hinaus erkennt Becker in 1,1-18.22-26; 19-21* einen Pentateuch-Redaktor, der die dtr Konzeption der Richterzeit umgestalte. Die vorkönigliche Richterzeit werde als eine gescheiterte und nur durch das Königtum zu überwindenden Epoche des heillosen Chaos bewertet. Wirkliche Umkehr sei erst unter der heilvollen Macht des Gottes wohlgefälligen Königs möglich. Die Redaktionsgeschichte des Richterbuches spiegele somit völlig unterschiedliche und z.T. einander ausschließende Konzeptionen der vorstaatlichen Zeit wider. Gemeinsam sei allen Anschauungen, dass sie die Aufeinanderfolge von Richterzeit und Königtum kaum nur als geschichtliches Nacheinander begreifen, sondern ein dezidiertes Gegenwartsinteresse verfolgen. DtrH entwickelte eine Alternative zum Königtum, die freilich aufgrund der bleibenden Unbußfertigkeit des Volkes nicht funktionieren konnte. DtrN sah dieses Problem stärker. Der Pentateuch-Redaktor zeigte das völlige Scheitern der Herrschaftsform der Richter auf. c) Robert H.O’Connell 1996 Vf. fragt in seiner umfangreichen Monographie nach der Rhetorik des Richterbuches.9 Darunter versteht er die Suche „to the ideological purpose or agenda of the Judges compiler/redactor with respect to the implied readers of the book.“10 Er fragt nicht zuallererst nach der Entstehung des Buches, sondern vielmehr nach seinem Sinn und Zweck. Hierbei setzt er bei der Redaktion an und möchte die These entfalten „that Judges was designed to enjoin its readers to endorse a divinely appointed Judahite king, who … exemplified loyalty to the deuteronomic ideals of expelling foreigners from the land and maintaining intertribal loyalty to YHWH’s covenant, cult and social order.“11 Der Redaktor habe ein großes Interesse daran, Juda positiv hervorzuheben. Durch 17,6; 18,1; 19,1a; 21,25 sieht O’Connell seine These bestätigt, dass es im Richterbuch um das Gutheißen eines judäischen
9
O´CONNELL, Rhetoric, passim. O´CONNELL, Rhetoric, 1. 11 O´CONNELL, Rhetoric, 10. 10
3. Gesamtdarstellungen
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Königs gehe. Das Richterbuch ziele auf die Monarchie. Er spricht von einer „monarchical idealization“12. Der positiven Sicht von Juda in 1,1f; 20,18 stehe die negative Sicht von Benjamin gegenüber (1,1-21; 19-21). Dies zeige, „that the books have been composed to endorse implicity a divinely elected Judahite as the ideal king of Israel.“13 Der König werde als Kriegsherr par excellence, als Garant für Bundesloyalität unter den Stämmen und als oberster Kultherr gesehen. d) Susan Ackerman 1998 Das Richterbuch wird geprägt durch die Darstellungen von Frauen. Es gibt nur wenige Bücher der Bibel, in denen sich so viele Darstellungen finden wie in Richter. S usan Ackerman nennt noch die Bücher Genesis, Exodus und Ruth. Vf.in hebt die Unterschiede der Richter-Frauen zu denen der anderen biblischen Bücher hervor. „Ethnically, they are a mixed lot: most are Israelite, but Jael is a Kenite, Sisera’s mother is a Canaanite, and the Timnite woman is Philistine. In terms of social status, they also run the gamut, from virtual chattel – the Levit’s concubine of Judges 19 – to nobles and aristocrats – the chieftain’s daughter Achsah in Judges 1.“14 Vf.in hebt hervor, dass einige Frauen des Richterbuches in einem für Frauen untypischen Umfeld beschrieben werden. Sie nennt Debora und Jael im Umfeld des Krieges. Debora werde zudem noch als Prophetin und Richterin beschrieben. „Elsewhere in biblical tradition, these offices are occupied almost exclusively by men.“15 Debora:16 Bezüglich der Deutung der Richterin Debora ist die These der Vf.in, Debora mit der kanaanäischen Kriegsgöttin Anat in Verbindung zu bringen. „… those in Israelite culture responsible for the text of Judges 5 adopted older Canaanite mythological traditions concerning Baal and Anat and adopted them in describing the holy war Israel waged against Sisera.“17 „ … several pieces of evidence suggest the dependency of this text on the Canaanite myths of Baal and Anat.“18 Vf.in listet dann chronologische und geographische Angaben auf: Ri 12
O´CONNELL, Rhetoric, 266. O´CONNELL, Rhetoric, 270. 14 ACKERMAN, Warrior, 5. 15 ACKERMAN, Warrior, 5. 16 ACKERMAN, Warrior, 27–88. 17 ACKERMAN, Warrior, 56. 18 ACKERMAN, Warrior, 56. 13
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5,6 „Samgar ben Anat“; Anat und Debora werden als Kriegerinnen dargestellt. Jael:19 Vf.in betont vor allem Jaels Verbindung mit den Kenitern. „But because the poetic tradition ascribes to Jael the typical Kenite associations with tenting, herding, and smithing, I believe the poem also intends for us to envision Jael as sharing the characteristic Kenite association with music … as well as the Kenite association with the religious arts. If the latter is so, then …Sisera’s reason for coming to Jael’s tent in Judges 5 is the same as the explanation offered in Judges 4: the Canaanite war leader perceives Jael to be some sort of cultic functionary. He therefore seeks with her divine sanctuary from the enemies who pursue him.“20 Jephtas Tochter:21 Vf.in deutet Jephtas Tochter als Gegenpol zu ihrem Vater. Bei Jephta sei deutlich „a lack of faith in Yahweh’s faith“22 erkennbar, während seine Tochter im Unterschied dazu „a paragon of faithfulness“23 sei. Das Erinnerungsfest an Jephtas Tochter deutet sie als ein Frauenritual. Leider sage der biblische Text wenig über dieses Ritual aus. Doch sie übernimmt die These, dass es sich dabei um „female rite of passage commemorating a young woman’s onset of menstruation“24 handele. „What the participants in this ritual are lamenting, then, is the ‚death‘ of their childhood as they prepare to leave girlhood behind and enter into the adult stage of their lives.“25 Siseras Mutter:26 Vf.in erkennt bei Sisera einen „kingly status“.27 Von daher versteht sie auch seine Mutter als „royal“. Sie stehe in „a political continuum with the Ugaritic and Israelite representations of queen mothers...“28 Manoahs Frau: Vf.in handelt von Manoahs Frau im Kontext der Rede von der unfruchtbaren Frau. Hier sieht sie in den Erzählungen zwei immer wiederkehrende Momente: die Geburt des verheißenen Kindes und der Anspruch Jahwes auf dieses Kind. Vf.in betont gerade den
19
ACKERMAN, Warrior, 89–102. ACKERMAN, Warrior, 102. 21 ACKERMAN, Warrior, 109–111. 22 ACKERMAN, Warrior, 110. 23 ACKERMAN, Warrior, 110. 24 ACKERMAN, Warrior, 111. 25 ACKERMAN, Warrior, 111. 26 ACKERMAN, Warrior, 131–133. 27 ACKERMAN, Warrior, 133. 28 ACKERMAN, Warrior, 155. 20
3. Gesamtdarstellungen
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letzten Aspekt sehr stark. „The God who fills a woman’s womb has the right to demand, in some fashion, the life that comes forth from it.“29 Vf.in weist zudem auf weitere Frauen im Richterbuch „identified as prostitutes.“30 Sie meint damit die Mutter Jephtas in Ri 11,1 sowie die Gazatiterin aus Ri 16,1-3. – Zudem werde von Simsons timnitischer Ehefrau gesprochen (Ri 14,1-20) sowie von Delila in 16,4-22. Zu Delila schreibt sie: „Delilah is a woman who is not defined by a relationship to a man. Instead, Delilah has her own name and, consequently, an independent identity.“31 Abschließend kommt Vf.in zu dem Schluss, dass es schwer sei, das Richterbuch zu kategorisieren. „It is neither a handbook of patriarchy nor a celebration of matriarchy; it can neither be condemned as a remorseless portrait of unrelenting misogyny nor be heralded as an archaic precursor of twentieth-century feminism. It paints no picture of a world of men alone, but it portrays no women’s garden of paradise instead.“32 Das Richterbuch sei in dieser Hinsicht multidimensional. Es gehe darum, den enormen theologischen Reichtum der Erzählungen der Richterfrauen zu erkennen. e) Reinhard Gregor Kratz 2000 R.G. Kratz sieht in der Epoche der Richter kein geschichtliches Faktum, sondern eine redaktionelle Komposition bzw. Konstruktion.33 Die Helden des Richterbuches seien erst sekundär zu Richtern Israels und Rettern aus der selbstverschuldeten Not gemacht worden. Die Redaktion erkennt Kratz in 2,6-3,6; 3,7-11; 3,12-15.30; 3,31; 4,1-3.2324; 5,31b; 6,1-6; 8,28 (8,29ff + 9); 10,1-5.6-18; 12,7; 12,8-15; 13,1; 15,20; 16,31. Das Formelwerk im Richterschema erinnere an das Königsschema in Sam – Reg. Es sei daher nur allzu verständlich, dass man überall dieselbe Bearbeitung am Werk sehe und sie mit deuteronomistischer Redaktion identifiziere. Aber diese Identifikation sei nur bedingt richtig. Für Kratz ist die Bearbeitung aufgrund der fehlenden Idee der Kultzentralisation jünger als die deuteronomistische Grundschrift in Sam – Reg (DtrG). Sie betone anders als in Sam – Reg stark die Einzigkeit und Ausschließlichkeit Jahwes. Die Bearbeitung 29
ACKERMAN, Warrior, 193. ACKERMAN, Warrior, 230. 31 ACKERMAN, Warrior, 231. 32 ACKERMAN, Warrior, 292. 33 KRATZ, Komposition, 193–218. 30
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
diene dazu, die bereits vom Gesetz dominierte Geschichte des Volkes Israels im Hexateuch mit der deuteronomistischen Geschichte des Königtums literarisch und theologisch zu verbinden. Die deuteronomistische Redaktion in Jos und Ri sei ihrerseits überaus komplex. Die These eines vordeuteronomistischen Retterbuches lehnt Kratz ab. In Ri 3-8; 9-16 erkennt er Bezüge zu Ex 3; 14; 19-24; Dtn 5-30 „und das Erste Gebot sind dabei der Sache nach längst vorausgesetzt.“34 Ri 1; 17-18; 19-21 versteht er als Fortführungen der Landnahmeerzählungen von Num; Dtn 1-3; Jos 1; 13-22. Er erkennt in Ri 1; 17-21 „priesterschriftlichen Einfluss.“35 f) Philippe Guillaume 2004 Die Monographie ist aus der Dissertation des Vf.s an der Universität Genf erwachsen. Vf. verfolgt das Ziel, „to read the book of Judges outside the framework of Noth’s Deuteronomistic History.”36 Vf. benennt gleich zu Anfang seine These: „ … Judges was inserted between Joshua and I S amuel during the early Persian period rather than during the exile as Noth’s partisans are still claiming.“37 Im ersten Teil untersucht Vf. das von W. Richter so genannte „Retterbuch“ Ri 3-9. Er kommt dabei im Anschluss an die Beobachtungen Walter Beyerlins zu dem Ergebnis, dass „the whole composition can be read as a pre-Deuteronomistic, that is a pre-Josianic work.“38 Vf. rekonstruiert von dieser These ausgehend die – mögliche – Entstehung des Richterbuches. Er geht zunächst vom „Bethel’s Book of S aviours“ (720 v.Chr.) aus, wozu er Ri 3*-9 rechnet.39 „Richter’s Retterbuch remains a most valid starting point if the aim is to identify the beginning of the editorial process that led to the canonical book of Judges…“40 Nach Guillaume fügt sich das Retterbuch geschichtlich sehr gut in diese Epoche um 720 v.Chr. ein. Damit rückt er von Richters Datierung des Retterbuches in die Zeit Jehus ab. – Den zweiten Schritt der Entstehungsgeschichte sieht Vf. in „Manasseh’s Book of Saviours (700-642 BCE)“.41 Hierzu rechnet er Ri 1*; 9-11. 34
KRATZ, Komposition, 202. KRATZ, Komposition, 203. 36 GUILLAUME, Josiah, 1. 37 GUILLAUME, Josiah, 1. 38 GUILLAUME, Josiah, 74. 39 GUILLAUME, Josiah, 255f (Tabelle). 40 GUILLAUME, Josiah, 254. 41 GUILLAUME, Josiah, 257. 35
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„The blockade of Jerusalem and the loss of the Shephelah in 701 BCE forced Juda into closer re-operation with the Empire. The Assyrians favoured the city and its elite over the conservative tribal elite.”42 – Den dritten Schritt sieht er in „Josia’s Book of Judges (640-609 BCE): Judges 2.1-5, 11-19; 6.7-10; 10,1-3; 12.9-15; 17-18.“ – Im vierten Schritt erkennt Guillaume eine „Demythization in Babylonian Bethel (586-515 BCE): Judges 10.6-11.11; 11.29-16.31.”43 – Der fünfte Schritt: „Jerusalem versus Benjamin (515-450 BCE): Judges 1.22-26; 19-21*.“44 – Der sechste Schritt: „Period of the Judges and Greek Historiography (200 BCE): Judges 1.1-3, 19-21, 36; 2.6-10; 4.5; 21.25.“45 – Der letzte Schritt: Hier vermutet Vf. makkabäische und hasmonäische Hinzufügungen (um 150 BCE), wozu er folgende Texte rechnet: 2.20-3.6; 4.11,17,21; 5,24; 11.12-28. Abschließend fasst er noch einmal seine Ergebnisse zusammen: Das Deboralied bleibt einer der ältesten biblischen Texte; die RetterbuchHypothese behält weiterhin ihre Bedeutung; 701 sei eines der entscheidenden Wendepunkte in der Geschichte Judas sowie im Entstehungsprozess des Richterbuches; das 7. Jh. v. Chr. sei eines der entscheidenden Jahrhunderte in der literarischen Aktivität in Juda; der Prozess der Demythisierung sei der Schlüssel für das Verständnis der Erzählungen von Jephta und Simson; die Geschichten Israels dürften niemals die Epoche der Richter als eine Ära aus Israels Vergangenheit darstellen; Noth’s These vom deuteronomistischen Geschichtswerk sollte aufgegeben werden. g) Andreas Scherer 2005 Die Frage nach dem Werden des Richterbuches steht auch im Zentrum der gewichtigen Monographie von A. Scherer.46 Er untersucht nicht nur die Genese von Ri 3-8, sondern arbeitet auch die religiösen Aspekte der einzelnen Stimmen heraus. Dabei stelle die Affinität von Krieg und Religion ein nicht zu vernachlässigendes theologisches Problem dar. Es sei theologisch nicht leicht zu verarbeiten, dass im Alten Testament die Kriegserfahrung religiös positiv interpretiert und als Akt der Parteinahme Jahwes für die israelitischen Stämme gedeutet worden sei. 42
GUILLAUME, Josiah, 257. GUILLAUME, Josiah, 259. 44 GUILLAUME, Josiah, 259. 45 GUILLAUME, Josiah, 260. 46 SCHERER, Überlieferungen, passim. 43
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
Scherers wichtigste These besteht in der Annahme, dass die Deuteronomisten das von ihnen bereits vorgefundene Material durch Auswahl, Verknüpfung und Erweiterungen geprägt hätten. Sie seien jedoch nicht die Schriftsteller, denen die einzelnen Darstellungszusammenhänge ihre wesentliche Kontur verdankten. Schon im vordeuteronomistischen Stadium geben sich die Erzählkontexte aus 3,12-30; 4; 6-8 als literarisch geprägte Größen zu erkennen. Sie seien von der Motivik des Jahwekrieges durchdrungen. Dieser sei das tragende Moment der Komposition. Charakteristisch für die JahweKriegskonzeption des Verfassers sei die Überzeugung vom katastrophalen Ausmaß der Niederlage des jeweiligen Gegners. Die Verfasser hätten die Bedeutung Jahwes für den Sieg stark hervorgehoben, zugleich sei es zu einer Marginalisierung der menschlichen Mithilfe beim Sieg gekommen. Scherer datiert diese Verfasser in die jehudische Ära, denn in dieser Epoche habe die israelitische Kriegsprophetie im Nordreich ihren Höhepunkt erreicht. Als religionsgeschichtliches Ergebnis hält Scherer fest, dass es bereits in der Frühzeit Israels eine starke Affinität zwischen Jahwe und dem Krieg gegeben hätte. Damals sei das Kriegsgeschehen als ein Zusammenwirken von Jahwe und seinen Kriegern gesehen worden. Im Nordreich hätten dann insbesondere zur Zeit der Jehu-Dynastie Vertreter der sog. vorklassischen Prophetie eine Renaissance des Jahwe-Krieges angestrebt.47 h) Erasmus Gass 2005 Im Kontext der Ausarbeitung des großen Richterbuchkommentars von W. Groß entstand die nicht minder beeindruckende Monographie von E. Gass, in der er auf 683 Seiten die im Richterbuch genannten Ortslagen identifiziert und diese in den literarischen Kontext der Erzählungen einordnet.48 Er geht dabei methodisch folgendermaßen vor: Er analysiert den Namen, die Entwicklung und Überlieferung der Orte bis in die heutige Zeit und untersucht die schriftlichen Quellen zur Topographie und Geschichte der Ortslage. Er vergleicht den archäologischen Befund mit den übrigen Daten, beobachtet dabei ein Ungleichgewicht zwischen den Orten im Westjordanland und denen im Ostjordanland und geht dabei davon aus, dass den biblischen
47 48
Zu Scherers Monographie vgl. die Rezension von M. PIETSCH, 728–731. GASS, Ortsnamen, passim.
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Schriftstellern die Geographie und die Topographie des Ostjordanlandes nicht bekannt gewesen sei. E. Gass hat mit dieser Monographie ein Handbuch zur Topographie des Richterbuches geschaffen, an dem keiner, der sich mit diesem Buch beschäftigt, vorbeigehen kann.49 i) Corinne Lanoir 2005 Die umfangreiche und sorgfältig gearbeitete Monographie geht von einer exilischen oder nachexilischen Ausarbeitung des Richterbuches aus. Die Existenz einer historischen Epoche der Richter lehnt Vf.in ab. Sie rechnet zudem mit markanten deuteronomistischen Einträgen in das Richterbuch. Hierzu rechnet sie folgende Einträge: der Kampf gegen den Abfall von Jahwe (vgl. etwa 2,12.19); die Polemik gegen den Götzendienst (2,11-19); der Exodus (2,1); Untreue gegenüber Jahwe (2,11 u.ö.); das Land als Erbe (2,6; 18,9); - darüber hinaus beobachtet sie das Fehlen folgender Themen: die Botschaft der Propheten; paränetische Wendungen wie „höre Israel“. Bezüglich der Entstehung des Richterbuches geht sie von einem langen Entstehungsprozess aus. Hier sieht sie drei Etappen: 1. Am Anfang der Entwicklung standen „récits populaires“.50 Im Unterschied zu W. Richter geht sie zwar nicht von einem Retterbuch aus, sie findet jedoch die Idee einer „collection nordiste“51 in Ri 4-11 durchaus für realistisch. 2. Der Deuteronomist habe eine „Periode der Richter“ erfunden, die er als ein Chaos beschrieben habe, um die Notwendigkeit der davidischen Monarchie zu betonen. 3. Nach der Rückkehr aus dem Exil sei das Richterbuch erneut bearbeitet worden. Vf.in spricht davon, dass die Erweiterung in der Form von „Midraschim“ geschehen sei. So sieht sie etwa die Jephtaerzählung als Midrasch zu Gen 22 und Ri 1921 als Midrasch zu Gen 19. In dieser Zeit sei auch die Verbindung von Richter und Ruth hergestellt worden. „Jg 19-21 se prolonge en Ruth et traite des relations avec Moab, le récit de la fille de Jephté s‘insère dans un context où il est question des realitions avec les Ammonites.”52 Die Richtererzählungen berichten von der dritten Generation nach der Landnahme Kanaans und sie zeigen die Probleme mit Edom, Moab und Ammon auf. In Wirklichkeit aber gehe es um die Probleme der dritten Generation nach der Rückkehr aus dem Exil. „ … c’est de la 49
Vgl. Zu dieser Monographie die Rezension von NEEF, 255–258. LANOIR, Femmes, 308. 51 LANOIR, Femmes, 308. 52 LANOIR, Femmes, 309. 50
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
troisième génération après le retour d’exil et de la place des femmes calébites ou édomites (comme Achsa), Moabites (comme Ruth), galadites (comme la fille de Jephté ou de celles de Yabesch et cananéennes (comme les filles de Silo).”53 Es gehe letztlich um die Frage der eigenen Identität. „Le livre des Juges est une réflexion sur la perte. Perte des leaders, perte de frontières, de nom, de généalogies, de femmes, d’identité, de mémoire.“54 j) Cheryl Exum 2007 Cheryl Exum versteht ihre Studie als „A Feminist Approach to Judges“.55 Sie beschäftigt sich dabei mit Debora (Ri 4-5),56 Bat-Jiftah (Ri 11),57 Simsons Frauen (Ri 13-16)58 und Bat-Shever (Ri 19)59 – Sie fragt nach den Gemeinsamkeiten dieser Erzählungen. Dabei hält sie fest „that they all betray a fear of women and of women’s sexuality, and they are all aimed at circumscribing and controlling women’s behavior.”60 In biblischer Zeit habe die Frau unter der Kontrolle von Männern gestanden, lediglich die “Mutter” sei aus dieser Kontrolle herausgefallen. „The power of the mother is patriarchy’s Achilles‘ heel.“61 Zum anderen führe die Angst vor der weiblichen Sexualität zur Gewalt gegen Frauen. „Attension to the gender politics of Judges enables us to expose the phenomenon of scapegoating women for what it is: a strategy used to avoid facing and having to deal with its own violent legacy.”62 k) Matthias Ederer 2011 In jüngster Zeit hat M. Ederer einen methodisch neuen Weg des Zugangs zum Richterbuch gewählt.63 Im Unterschied zur klassischen historisch-kritischen Exegese und den oben dargestellten redaktionsgeschichtlichen Zugängen zum Richterbuch fragt Ederer nicht in erster 53
LANOIR, Femmes, 309. LANOIR, Femmes, 311. 55 EXUM, Criticism, 70. 56 EXUM, Criticism, 70–74. 57 EXUM, Criticism, 74–77. 58 EXUM, Criticism, 77–82. 59 EXUM, Criticism, 82–86. 60 EXUM, Criticism, 86. 61 EXUM, Criticism, 86. 62 EXUM, Criticism, 86. 63 EDERER, Ende, passim. – vgl. zu diesem Ansatz STEINS, Kanonisch lesen, 45–54. 54
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Linie nach der Genese des Textes, vielmehr möchte er die Wahrnehmungsseite des Textes, d.h. die Interaktion zwischen dem Text und dem Rezipienten, d.h. Leser, darstellen. Das konstituierende „Element“ eines Textes sei ein Verweissystem, das auf andere Texte hin offen sei. Textualität sei als Inter-Textualität zu begreifen. Es gehe um den Textsinn, bei dem der Leser das textkonstitutive Verweissystem mit seinen inner- und intertextuellen Verknüpfungen im Leseprozess aktiviere und diese Verknüpfungen nachvollziehe. Jede Lektüre und Kontextualisierung des Textes werde so zur Entdeckung neuer Sinnpotentiale. „Den (einen) – ‚begrenzten‘ und zur Gänze beschreibbaren Textsinn kann es also nicht geben: Texte sind polyvalent, haben eine unauslotbare Fülle an Sinnpotenzialen.“64 Das Ziel der „Biblischen Auslegung“ bestehe in dem Ausloten des Sinnpotentials der Texte. Eine weitere Grundannahme der „Biblischen Auslegung“ bestehe in der Tatsache, dass es sich um einen biblischen und damit um einen kanonischen Text handele. Der Kanon werde dabei in erster Linie als sinn- und identitätsstiftende Basisurkunde einer Glaubensgemeinschaft verstanden. Es werde vorausgesetzt, „dass die später formell kanonisierten Texte gleichsam als kanonische Texte entstehen – in einem Prozess, in dem ihre Relevanz für die Glaubensgemeinschaft bereits die Art und Weise ihrer (Aus- und Um-) Gestaltung bzw. ihre Fortschreibung bestimmt.“65 Der Blick auf die Textualität bedinge auch den Blick auf die intertextuellen Bezüge. Diese werden durch Ähnlichkeiten zwischen Texten evoziert und konstituiert: Stichwortbezüge, Signalwörter, inhaltliche Schlüsselmotive. Die dabei eingespielten Texte werden vom Vf. als „Hypotexte“ bezeichnet. Der Hypertext dagegen ist Ri 1,13,6. „Einer intertextuellen Lektüre ist es vor allem aufgegeben, zunächst die Beziehung zwischen Hypertext und Hypotext(en) zu schreiben, davon ausgehend aber nach dem interpretatorischen Wert der Intertextualität zu fragen.“66 Aufgrund dieses Zugangs vermisst man auch im Buch die Zuordnung des Textes zu einer Grundschicht bzw. zum Deuteronomisten. Für Ederer ist Ri 2,1-3 der Schlüsseltext des Richterprologes.67 Alle Textabschnitte des Prologs nehmen auf Ri 2,1-3 Bezug und sind von 64
EDERER, Ende, 12. EDERER, Ende, 13. 66 EDERER, Ende, 15. – Vgl. noch STEINS, Kanonisch lesen, 58–60. 67 EDERER, Ende, 415ff. 65
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den Inhalten der Rede des Engels her zu interpretieren. Er sieht Ri 2,2021 als Abschluss der in 2,1-3 beginnenden Erzählsequenz. „Diese beiden eng aufeinander bezogenen Reden umrahmen und interpretieren die Darstellung des Abfalls Israels in der dritten Generation und beleuchten dessen (theologische) Hintergründe.“68 Auch das in Ri 1 Erzählte müsse im Licht der Vorgaben von Ri 2,1-3 gelesen werden. „Unter dieser Perspektive kann die in den Berichten über die Kriegszüge der Stämme greifbare Angleichung Israels an die Kanaanäer und das sich zunehmend etablierende Nebeneinander von Israel und Kanaan als Folge und Ausdruck der in Ri 2,2 beklagten Missachtung der „Abgrenzungsgebote“ verstanden werden.“69 In Ri 1,27-36 werde erkennbar, dass die in Ri 2,3 angedrohte Sanktion beginnt, wirksam zu werden. Ebenso bieten die Abschlusstexte Ri 2,22-3,4 und Ri 3,5-6 eine Vertiefung der Aussagen von Ri 2,1-3. Nach Ri 2,22-3,4 geht es, angesichts der nach der Landnahme übrig gebliebenen Völker, um eine Erprobung Israels. Ri 3,5-6 illustriere, inwiefern und auf welche Weise die Völker und ihre Götter für Israel zur Falle werden. Als Hypotexte seien dabei Ex 34,10-17 und Dtn 7,1-6 erkennbar. l) Erasmus Gass 2012 In dem Aufsatzband zum Richterbuch bietet E. Gass eine umfangreiche und höchst nützliche Zusammenstellung, der auch im Richterbuch vorkommenden nichtisraelitischen Völker und Gruppen. Er geht dabei so vor, dass er auf den Namen, den literarischen und archäologischen Befund eingeht, um dann abschließend ein kurzes Fazit zu ziehen. Die Amalekiter – Erbfeinde Israels:70 Gass hält es für unwahrscheinlich, dass es eine ethnisch abgrenzbare Bevölkerung im Negeb gegeben hat, mit der Israel in der vor- und frühstaatlichen Zeit im Dauerkonflikt gelegen haben soll. Amalek sei bestenfalls eine allgemeine Bezeichnung für feindlich gesinnte arabische Bevölkerungselemente im Süden des Kulturlandes gewesen, die vielleicht schon im 10. Jh. v. Chr. ins Kulturland eingefallen seien. Er hält als Fazit fest: „Aus alledem folgt, dass es die Amalekiter so, wie sie das Alte Testament beschreibt, wahrscheinlich nie gegeben hat.“71 Seit der 68
EDERER, Ende, 415. EDERER, Ende, 416. 70 GASS, Studien, 189–228. 71 GASS, Studien, 222. 69
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frühjüdischen Traditionsbildung habe Amalek jeglichen Bezug zu historischen Realitäten verloren. Es werde seitdem als das archetypische Böse und als mythische Gestalt der Vorzeit immer wieder mit aktuellem Unrecht gleichgesetzt. „Vermutlich war Amalek aber nie etwas anderes als eine Chiffre.“72 Die Keniter – Stamm oder Berufsstand?73 Vielleicht stammen die Keniter aus dem südpalästinischen Kulturland und waren im 13./12. Jh. v. Chr. als Metallarbeiter in der Araba beschäftigt. Ab dem 11./10. Jh. v. Chr. wurde diese Gruppe in den Zentralnegeb abgedrängt. Die Außenseiterposition am Rand der städtisch verfassten Gesellschaft zwang sie zu symbiotischen Schutzbündnissen mit den jeweiligen Machthabern. Das sogenannte „Kainsmal“ könnte nach Gass auf den Umstand verweisen, dass der Berufsstand der Metallhandwerker eine hohe gesellschaftliche Reputation besaß. Maon – Meuniter – Meïniter – Minäer:74 Vf. vermutet, dass in den biblischen Erzählungen der Chronikbücher die auffallende Präsenz der Minäer in Gaza und Petra widergespiegelt werden. „In diesem Fall böten diese Erzählungen Einblicke vor allen in die Ereignisse aus der Zeit ihrer Verfasser, also dem 4. und 3. Jh. v. Chr. Die realen Auseinandersetzungen mit den Meunitern/Meïnitern/Minäern in der spätpersischen und frühhellenistischen Zeit wären dann in den Chronikbüchern in archaisierender Weise als weit zurückliegender Kampf einzelner Stämme um Weideland dargestellt worden.“75 Die Midianiter – Feinde und Freunde Israels:76 Nach dem archäologischen Befund bildeten die Midianiter verschiedene Stammessysteme, die als Bauern und Viehzüchter hervorgetreten sind. Als räuberische Kamelnomaden sind sie wohl kaum aufgetreten. Die biblischen Belege für die Midianiter weisen hinsichtlich der erzählten Zeit durchweg in die Übergangszeit von der Spätbronzezeit zur Eisenzeit I. Die Erzählungen im Alten Testament unterscheiden zwischen einem positiven und einem negativen Bild der Midianiter. Sie sind maßgeblich an der Heilsgeschichte Israels beteiligt: Josephsgeschichte, Mose, Exodus, Gotteserfahrung mit Jahwe; Jahwe könnte ursprünglich eine midianitische Berggottheit gewesen sein. Umso unverständlicher ist das negative Bild der Midianiter in Ri 6-8. 72
GASS, Studien, 223. GASS, Studien, 229–256. 74 GASS, Studien, 257–286. 75 GASS, Studien, 281. 76 GASS, Studien, 287–322. 73
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
Perisiter – Hiwitter – Jebusiter- Gentilicia in Zentral- und Nordpalästina:77 Perisiter: Sie werden im Buch Genesis vor allem mit den Kanaanitern zusammengestellt. Beide Gruppen werden als Bewohner des Landes bezeichnet. Nach Gen 13,7 werden sie auf dem ephraimitischen Gebirge zwischen Bethel und Ai verortet. – Hiwitter: Sie waren wohl in erster Linie in der nördlichen Beqac-Ebene angesiedelt. Für eine südliche Lokalisierung gibt es nur schwache Hinweise. Möglicherweise handelt es sich bei ihnen um eine kleinasiatische Bevölkerungsgruppe. – Jebusiter: Sie werden in der Regel auf dem zentralpalästinischen Gebirge verortet, vor allem im Grenzbereich zwischen den beiden Stämmen Juda und Benjamin. m) Susanne Gillmayr-Bucher 2013 Methodisch geht die Monographie von S. Gillmayr-Bucher in eine ähnliche Richtung wie die Beobachtungen von M. Ederer. Sie verfolgt in ihrer Arbeit das Ziel, „die verschiedenen im Richterbuch entworfenen Welten in ihrem literarischen Diskurs zu beschreiben. Im Zentrum steht die Vielstimmigkeit jenes Textes, der am Ende einer langen Überlieferungs- und Wachstumsgeschichte als (hebräisches) Richterbuch tradiert wird.“78 Vf.in qualifiziert das Richterbuch als eines der interessantesten Bücher alttestamentlicher Geschichtsdarstellung. Sie begründet diese These mit der Darstellung der Richterzeit als chaotisch und ständig in der Gefahr, sich vollständig aufzulösen. Sie möchte mit ihrer Monographie einen narratologischen Zugang zum Richterbuch verfolgen. Sie geht dabei von der Überzeugung aus, dass literarische Texte keine genauen Abbildungen der Wirklichkeit seien, vielmehr entwerfe jeder Text eine alternative Welt, die ihrerseits wiederum aus verschiedenen subjektiven Wirklichkeitsmodellen bestehe. Das Richterbuch schwanke zwischen der Vorstellung eines Volkes und eines Zusammenschlusses einzelner Stämme. Wie sich die beiden Größen zueinander verhalten, werde jedoch nicht eindeutig geklärt. Den größten Teil des Richterbuches dominierten einzelne Führungspersönlichkeiten, die den Mittelpunkt der Erzählungen bildeten. Sie werden als Einzelgestalten hervorgehoben, jedoch werde ihnen weder eine Wirksamkeit über ihr Leben hinaus zugesprochen noch werde ihre 77
GASS, Studien, 323–362. GILLMAYR-BUCHER, Welten, 8 – zu diesem Buch vgl. die Rezension von NEEF, 144–146. 78
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Tätigkeit als ein nachahmenswertes Handlungsschema vorgestellt. Zu den wesentlichen Textwelten des Richterbuches zähle darüber hinaus das Thema „Fremde Völker und ihre Herrscher“. Die fremden Herrscher würden trotz ihrer Machtfülle als verletzbar dargestellt; dies liege nicht zuletzt daran, dass sie in den Richtererzählungen als einfache bis einfältige Männer porträtiert würden.79 Ri 1,1-3,6 beurteilt S. Gillmayr-Bucher in höchst eigenständiger Weise. Mit Ri 1 werde eine neue Textwelt eingeführt. Ri 1 werde als ein alternativer Entwurf zum Buch Josua neugestaltet. Damit werde gleich zu Anfang klargemacht, dass sich die folgenden Erzählungen auf einem anderen Hintergrund entfalten. Von einer Zeit der Ruhe in einem eroberten Land könne keine Rede sein, vielmehr werde eine sehr labile Zeit beschrieben, in der Stabilität und Sicherheit nur Zwischenphasen darstellten. Drei große Konflikte bestimmen von nun an die Darstellung: die Eroberung des Landes, die Vertreibung der im Land ansässigen Völker; Freiheitskämpfe gegen die Unterdrückung durch fremde Völker und ebenso bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen unter den israelitischen Stämmen.80 Ri 1,1-3,6 bilde eine mehrstimmige Einführung in die Welt des Richterbuches. Dabei werde sowohl der Zusammenhang mit den Ereignissen hergestellt, von denen die Bücher Exodus bis Josua erzählen, als auch die Eigenständigkeit der im Richterbuch dargestellten Textwelten grundgelegt. Ab Ri 2 nehme die Perspektive Gottes eine zentrale Stellung ein. Der auslösende Konflikt bestehe zwischen den Anforderungen Gottes und dem Handeln der Israeliten. Ri 1: Die Erzählstimme präge die Darstellung in Ri 1 und biete eine zusammenfassende und stark strukturierte Schilderung der Ereignisse. Der Fokus liege auf den einzelnen Stämmen. Ri 1 entwerfe gleich zu Beginn des Buches das Bild einer Vielfalt und Diversität. „Es gibt nicht ein Israel, sondern einzelne Stämme, die jeder für sich agieren und nur sehr eingeschränkt miteinander kooperieren.“81 In Ri 1 bilde die Schilderung des Raumes einen zentralen Aspekt. Als zentrale „Figurenwelten“ nennt Gillmayr-Bucher: Israel, Juda, Adoni-Bezek. Ri 2,1-3,6: Dieser Textabschnitt erlaube fast ausschließlich Einblicke in die Figurenwelt Jahwes sowie seines Boten. Dazu zählt sie auch das Richterschema (Ri 2,11-19) und die Rahmenerzählung. Das in diesem Schema entworfene Gesamtbild der Epoche sei eindeutig negativ. Die 79
Ähnliche Fragen finden sich bei GALE A. YEE, Why Judges?, 1–18. GILLMAYR-BUCHER, Welten, 37. 81 GILLMAYR-BUCHER, Welten, 42. 80
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Richter/Retter würden als göttliches Werkzeug geschildert, das eine temporäre Rettung bewirke. Eine bleibende Wirkung werde ihnen nicht zugesprochen. Diese Monographie bietet einen eigenständigen und originellen Zugang zum Richterbuch. Dieser weicht nicht unwesentlich von den gängigen Auslegungen ab. So findet man weder ausführliche Textexegesen mit Übersetzung noch werden literar- und redaktionsgeschichtliche Überlegungen dargeboten. Es fehlen auch formgeschichtliche Erwägungen sowie Hinweise auf mögliche Datierungen der Texte. Diese Abweichungen werden jedoch durch den methodisch klaren literaturwissenschaftlichen Zugang zum Richterbuch kompensiert. n) Robin Baker 2016 Baker weist zunächst auf die Vielzahl der Publikationen zum Richterbuch hin. Hier habe sich ein enormer Wandel vollzogen. „Each year seems to bring a new commentary on it, not to mention numerous learned papers and monographs.“82 Vf. möchte sich auf wenig beachtete Spezialfragen zum Buch der Richter konzentrieren. Das Buch ist in 8 Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt gibt eine Einführung in das Richterbuch mit vielen Hinweisen auf Forschungspositionen zu diesem Buch.83 Worum geht es in diesem Buch? Vf. nennt folgende Themen und Thesen: Es geht um „life in a liminal space, in the marches of geography, history and identity.“84 Es geht um den Übergang von der Spätbronzezeit in die Eisenzeit, vom Nomadentum in die Sesshaftigkeit. – Das Richterbuch ist für Baker „an integrated work with a defined purpose rather than a collection of stories that are only loosely connected to one another.“85 Es dürfe auf keinen Fall als eine Chronik der Frühgeschichte Israels verstanden werden. Den Kern des Buches sieht Vf. in der Beziehung zwischen den Israeliten und Jahwe. – Terminus post quem für die Komposition des Buches sei der Untergang des Nordreiches 722 v.Chr. Deshalb müssen im Richterbuch auch die literarischen Traditionen Mesopotamiens greifbar sein. – Im zweiten umfangreichen Abschnitt „‘O Mirror of Our
82
BAKER, Hollow Men, IX. BAKER, Hollow Men, 1–40. 84 BAKER, Hollow Men, 4f. 85 BAKER, Hollow Men, 9. 83
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Fickle State‘: Riddles, Words and Other Instruments of Illusion“86 beschreibt Vf. anhand der Richtererzählungen den Kontrast zwischen „Yahweh’s purpose for his people … and Israel’s irrepressible aspiration for an existence in all that asymmetry …“87 Hierin sieht er „the ontological landscape of Judges.“88 – Im dritten Kapitel fragt Vf. nach der Geographie des Richterbuches.89 – In Kapitel 4 geht es um die Rhetorik des Richterbuches. Hier entwickelt er die These, dass das Buch in der Zeit zwischen dem Untergang des Nordreiches und den Anfängen des Exils entstanden sein müsse.90 – In Kapitel 5 versucht Vf. den Einfluss Ägyptens und Mesopotamiens auf das Richterbuch darzustellen.91 Im Abschnitt 6 steht die Frage nach der Datierung des Richterbuches im Vordergrund. Vf. datiert die Niederschrift des Buches in die Zeit Manasses und die Entstehung lokalisiert er in Juda, wahrscheinlich in Jerusalem.92 – Der vorletzte Abschnitt widmet Vf. der Theologie des Buches. Er betont den starken Einfluss der Prophetie auf das Buch. – Im Schlussabschnitt geht es noch einmal um die Frage der Zuweisung des Richterbuches zum deuteronomistischen Geschichtswerk, was Vf. zurückweist.93 o) Cynthia Edenburg 2019 Einen neuen Zugang zum Richterbuch hat in jüngster Zeit C. Edenburg in die Diskussion eingebracht.94 „... I propose a different approach that starts by taking into consideration the nature of the scribal medium, which was the scroll.“95 Sie geht von einer Komposition des deuteronomistischen Geschichtswerkes von insgesamt fünf Rollen aus: Deuteronomium, Josua, Richter, Samuel und Könige. Dies erkläre „why each of the different scrolls has a distinctiv character even though they all share narrative, thematic and editiorial continiuity.“96 Das Medium „Schriftrolle“ sei nicht für umfangreiche Revisionen der Rolle 86
BAKER, Hollow Men, 41–93. BAKER, Hollow Men, 93. 88 BAKER; Hollow Men, 93. 89 BAKER, Hollow Men, 94–120. 90 BAKER, Hollow Men, 121–156. 91 BAKER, Hollow Men, 157–215. 92 BAKER; Hollow Men, 216–243. 93 BAKER, Hollow Men, 244–292 und 293–299. 94 EDENBURG, Envelopes, 353–369. 95 EDENBURG, Envelopes, 354. 96 EDENBURG, Envelopes, 354. 87
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
geeignet. Dies sei ohne „rewriting or recopying“97 unmöglich. So deutet sie die Doppelüberlieferung in Jos 24,28-31 und Ri 2,6-10 nicht als Wiederaufnahme, sondern unter dem Blickwinkel der Schriftrollen als inclusio. Die Überlappung des Endes und des Anfangs der Rollen „served as a means to indicate continuity within the scroll medium.“98 Von hier ausgehend sieht sie das Ende der Josuaerzählung in Jos 24,30. Dieses Ende sei dann in Ri 2,6-9 redupliziert und mit V.10 ergänzt worden.99 p) Fazit Versucht man, die referierten Gesamtdarstellungen zum Richterbuch zu bündeln, so lassen sich m.E. fünf unterschiedliche Zugänge zu diesem Buch unterscheiden: Zugang 1: Hier setzen die Ausleger die Existenz des deuteronomistischen Geschichtswerkes voraus. Sie gehen von einem mehrstufigen Wachstum des Buches aus. Als Anfang dieses Prozesses werden anekdotische und sagenhafte Heldengeschichten vermutet. Diese seien dann mit anderen Überlieferungsfragmenten verbunden worden (DtrH). Die Existenz einer vordeuteronomistischen Sammlung wird dabei abgelehnt. Am Ende dieses Prozesses hätten dann spätdeuteronomistische Redaktoren (DtrN; DtrP) wichtige theologische Akzente gesetzt: etwa Ungehorsam des Volkes. Vertreter dieser Sicht zur Entstehung des Richterbuches sind, jedoch mit zahlreichen und recht unterschiedlichen Modifikationen, u.a. U. Becker, R.G. Kratz, A. Scherer und C. Lanoir. Zugang 2: Die Entstehung des Richterbuches wird hier unter Absehung der These eines deuteronomistischen Geschichtswerkes erklärt. Man greift auf die von Wolfgang Richter entwickelte These eines „Retterbuches“ zurück und modifiziert diese. So spricht man nicht mehr von einem „Retterbuch“, sondern vom „Bethel’s Book of Saviours“ (720 v.Chr.), dem das sog. „Manasseh’s Book of Saviours“ (ca. 700–642 v.Chr.) folge. Diese Entwicklung ende nach weiteren Schritten um 150 v.Chr.; in dieser letzten Epoche vermutet man makkabäische und hasmonäische Hinzufügungen (u.a. Ri 2,20-3,6).100 Wichtigster 97
EDENBURG, Envelopes, 354. EDENBURG, Envelopes, 366. 99 Zu dieser These vgl. die Anmerkungen von P. PORZIG, Judges, 378–380. 100 Eine gewisse Nähe zu dieser Position findet sich in dem Kommentar von KNAUF, Richter, passim. 98
3. Gesamtdarstellungen
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Vertreter dieser Sicht ist P. Guillaume. Ihm folgt im Grundansatz R. Baker, der auch die These eines deuteronomistischen Geschichtswerkes ablehnt. Für ihn ist das Richterbuch im Wesentlichen in der Zeit zwischen dem Untergang des Nordreiches und den Anfängen des Exils entstanden. Zugang 3: Der Ausgangspunkt dieses Zugangs ist die Beobachtung, dass das Richterbuch durch die Darstellung von Frauen geprägt werde. Deshalb werden deren Rollen und Aufgaben ausführlich beschrieben: Debora, Siseras Mutter, Jael, Jephtas Tochter, Manoahs Frau, die Frauen Simsons. Redaktions- und literarische Fragen spielen hier keine besondere Rolle. Herausragende Vertreterinnen dieser Position sind u.a. Susan Ackerman und J. Cheryl Exum. Zugang 4: Dieser Zugang steht im Zusammenhang einer neuen methodischen Herangehensweise an die biblischen Texte. Diese kann als „Biblische Auslegung“ im weitesten Sinne bezeichnet werden. Hier geht es nicht in erster Linie um die Frage nach der Genese des Textes, im Vordergrund steht vielmehr diejenige nach der Interaktion zwischen Text und Leser, es geht um das Ausloten des Sinnpotentials der Texte. Zudem geht man von der Annahme eines kanonischen Textes aus, der in einem engen Beziehungsgefüge zu anderen Texten stehe. Darüber hinaus möchte man die im Richterbuch entworfenen Welten in ihrem literarischen Diskurs beschreiben. Herausragende Vertreter sind hier M. Ederer und S. Gillmayr-Bucher. Zugang 5: Hier sind wichtige Spezialuntersuchungen zum Richterbuch zu nennen wie etwa diejenigen von E. Gass zu den Ortslagen des Richterbuches sowie den hier genannten nichtisraelitischen Völkern und Smeliks Untersuchungen zum „Targum of Judges“.101 Hierzu ist auch der interessante neuste Versuch von C. Edenburg zu zählen, das Problem des Endes des Josuabuch und des Anfangs des Richterbuches mit Hilfe der Schriftrollen zu erklären.
101
SMELIK, Targum of Judges.
36
§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
4. Die theologische Frage a) Isaac Leo Seeligmann Die Frage nach der Theologie des Richterbuches wird in der Forschung eher selten gestellt. Hier hat J.L. Seeligmann in einem weithin unbeachteten Aufsatz das Problem auf den Punkt gebracht.1 Er geht von der Geschichte als Denkform des Glaubens aus. Gott sei für den alttestamentlichen Menschen vor allem der Herr der Geschichte, was geschehe, gelte als von Gott gewirkt, Geschichte sei Handeln Gottes. Dennoch sei der menschliche Faktor nicht aus dem Geschichtsprozess herausgenommen. Seeligmann fragt nach dem Verhältnis von göttlicher Allmacht und menschlicher Tat und spricht deshalb von einer „doppelten Kausalität.“2 Er ist von der Existenz hebräischer Heldenpoesie in der Bibel überzeugt und nennt als Beispiele Gen 49; Ri 20,43. Das Deboralied Ri 5 ist für ihn das berühmteste Stück althebräischer Heldenpoesie. Heroisch seien auch die fünf Erzählungen über die großen Richter Ehud, Debora/Barak, Gideon, Jephta, Simson. Hier könne es heißen, dass Gott selbst den siegessicheren Helden als „Retter“ aufstehen lasse (Ri 3,15; 3,9), es könne aber auch davon die Rede sein, dass Gott selber als „Retter“ gelte (Ri 6,36; 14,15). Spuren menschlichen Heldentums seien auch in 3,15f.; 20,16; 8,21; 11,29; 4,9 greifbar. Dies sei ein Problem von großer Tragweite: Haben rein menschlich motivierte Darstellungen als ältere, ursprünglichere Schicht zu gelten? Sind solche profanen Darstellungen die Vorstufe unserer Texte? Im israelitischen Denken werde der göttliche und menschliche Faktor der Geschehnisse nicht auseinandergehalten, deren Vermischung könne keinen Anlass bilden, eine Verquickung zweier verschiedener Quellen anzunehmen.3 Seeligmann geht davon aus, dass die außergewöhnliche menschliche Leistung auch in der Bibel ins rechte Licht gerückt werde (vgl. Ri 3). Die religiöse Sprache der Bibel enthalte in ihrer Entwicklung eine nachdrückliche Polemik gegen die Auffassung, dass menschliche Hilfe ohne die göttliche oder auch nur neben der göttlichen bestehe könne. Er unterscheidet in dieser Sache drei Textebenen:
1
SEELIGMANN, Heldentum, 137–159. Als Beispiele nennt er Ps 105; Ex 1,8-10; 1Kön 2,15. 3 SEELIGMANN, Heldentum, 146–150. 2
4. Die theologische Frage
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1. Eine solche Polemik ist nach Seeligmann nur unter der Voraussetzung denkbar, dass im alten Israel der Gedanke des menschlichen Helfers wirklich vertreten gewesen ist (vgl. Ri 3,31; 12,3). 2. Es gebe aber auch Stellen, wo die Abhängigkeit des menschlichen Helfers von Gott zum Ausdruck komme: Ri 15,18. „Der menschliche Helfer ist, so weiß man wohl, nur ein Werkzeug Gottes.“4 3. Hier werde die Ausschließlichkeit der Hilfe Gottes betont. Dabei sei vor allem an die Klagelieder des Einzelnen und des Volkes zu denken. „Gott ist der Helfer und die Hilfe ist Gott.“5 Seeligmann warnt zurecht davor, ein konstruiertes Schema biblischen Geschichtsdenkens zu entwickeln. Es gebe unterschiedliche Bilder nebeneinander: das Bild des tapferen Helden; das Bild der Hilfe Gottes, die sich menschlicher Helfer bediene, das Bild von Gott als dem einzigen Retter. Die von ihm genannten Textebenen dürften der Frage ihres Aufkommens im israelitischen Denken entsprechen.6 b) Walter Groß In jüngster Zeit hat W. Groß Seeligmanns Gedanken aufgenommen, weitergeführt und auf die Frage zugespitzt: „Wer rettet Israel? JHWH oder der von ihm bestellte Held/Regent oder das Volk selbst?“7 Groß fragt dabei vor allem nach der literarischen Vermittlung des Prinzips der doppelten Kausalität. Wie wird der Terminus ישׁעHif. „retten“ verwendet? Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass im Richterbuch nur zwei Textschichten das Prinzip der doppelten Kausalität vertreten, nämlich die vordtr Gideonerzählung sowie DtrR. Den anderen im Richterbuch zu Wort kommenden Autoren dürfe man dieses Prinzip nicht einfach unterstellen. Das Prinzip der doppelten Kausalität erlaube es, den handelnden Menschen nach seinen Motiven und seiner Verantwortung stärker zu konturieren. Der Prominenz des Prinzips der doppelten Kausalität in der Gideon-Erzählung entspreche „auf der anderen Seite, dass im Gegensatz zu den anderen Heldenerzählungen
4
SEELIGMANN, Heldentum, 155. SEELIGMANN, Heldentum, 157. 6 SEELIGMANN, Heldentum, 159. 7 GROSS, Israel, 105. 5
38
§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
Gott sich um Gideon in außergewöhnlicher Weise“ bemühe (6,12.1417.36-40; 7,2-8.9-14). c) Das Richterbuch und die Monarchie In jüngster Zeit hat U. Becker verstärkt die Frage nach den theologischen Zielen des Richterbuches gestellt.8 Seine These lautet: „The book of Judges indeed originated as a bridge and is at its core oriented against the monarchy.“9 Diese antimonarchische Tendenz erkennt er bereits in Ri 2,11 „Und die Israeliten taten das Böse in den Augen des Herrn und dienten den Baalim.“ Hier werde die negative Bewertung der Könige auf das Volk übertragen. Er sieht in der theologischen Einleitung in Ri 2,11-19 die Frage nach der rechten Art und Weise der Führerschaft gestellt. „The era of the judges is depicted as a positive precursor to the time of the kings.“10 d) Die feministisch geprägte Literatur Sehe ich recht, so spielt die Frage der „doppelten Kausalität“ in der feministisch geprägten Literatur zum Richterbuch keine Rolle. Hier geht es in erster Linie um das Verhältnis von Mann und Frau. So vertritt etwa C. Exum die Meinung, „dass eine der Funktionen der Geschichten im Richterbuch darin besteht, Frauen in ihrer gesellschaftlichen Stellung unter der Kontrolle von Männern zu halten…“11 Differenzierter urteilt R. Jost. Nach ihr wird gerade im Richterbuch das Geschlechterverhältnis auf ungewöhnliche Weise reflektiert. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass im Richterbuch die Richterzeit so beschrieben werde, „dass sie in der gegenwärtigen anthropologischen Terminologie als egalitäre, geschlechtssymmetrische Gesellschaft verstanden werden kann. An einigen Stellen wird sie als goldenes Zeitalter und als Ideal für die Gegenwart der Königs- bzw. exilisch/nachexilischen Zeit propagiert.“12 Nach Jost verbinden sich im Richterbuch Texte, „die Frauenmacht auf unterschiedlichen Ebenen 8
BECKER, Place, 339–351. BECKER, Place, 350. 10 BECKER; Place, 349. 11 EXUM, Richterbuch, 10. 12 JOST, Gender, 325. – Diese Monographie kann als die ausführlichste Studie zum Richterbuch aus feministischer Perspektive gesehen werden. Sie beschäftigt sich vor allem mit Ri 4;5; 11,1-12,7; 13; 16,4-31; 19 und arbeitet die feministische Literatur zum Richterbuch umfassend auf. 9
4. Die theologische Frage
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beschreiben, mit einem königs- und damit hierarchiekritischen Plädoyer für die “Wildnis“. Im Gegensatz dazu polemisieren königsfreundliche Texte, indem sie sie als den Ort größter Frauenohnmacht beschreiben. In der damit verbundenen Demonstration von Macht im Sinne von Herrschaft spielt die Verfügung über die Sexualität eines/einer anderen eine wichtige Rolle.“13 Jost arbeitet dabei mit dem – m.E. merkwürdigen und mir schwer verständlichen – Begriff der „Wildnis“, der den Lebensraum außerhalb der Städte beschreibe und die Orte der Gotteserfahrung und utopischer und realer sozialer Gleichheit benennen soll.14
13
JOST, Gender, 19. JOST, Gender, 17; 40ff. – Vgl. zur feministischen Sicht des Richterbuches noch BAL, Death, passim; EXUM, Criticism, 65–89 (mit weiterer Literatur); dies., Richterbuch, passim – Zu weiteren Perspektiven vgl. JOST, Feministisch-exegetische Hermeneutiken, 255–273. 14
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
5. Das Richterbuch und die Septuaginta Der Aufschwung der Septuaginta-Forschung ist vor allem in den letzten 20 Jahren auch am Richterbuch nicht spurlos vorübergegangen.1 Zur Septuagintafassung des Richterbuches lässt sich folgendes festhalten: Die Stellung des griechischen Richterbuches ist dieselbe wie im masoretischen Text. Im Unterschied zum hebräischen Kanon folgen jedoch nicht unmittelbar die Samuelbücher, sondern das Buch Ruth. Das Buch Ruth kann man gewissermaßen als externen Anhang zum Richterbuch ansehen. Der Grund für diese Zuordnung ist in Ruth 1,1 zu sehen, wo es heißt: „Als die Richter richteten…“. Der Umfang des Buches ist mit den hebräischen Texten praktisch identisch. Es gibt lediglich eine Reihe kleinerer Unterschiede, meist kleine Erklärungen oder Ergänzungen (z. Bsp. 18,9; 19,30b). Der kompositorische und thematische Aufriss des Buches ist identisch mit dem hebräischen Richterbuch. Der Text des Buches Richter ist im Codex Vaticanus (B), im Codex Alexandrinus (A) sowie im Codex Marchalianus (M) und im Codex Venetus (V) überliefert. Dazu kommen einzelne Fragmente aus Codex Sarravianus-Colbertinus (G), Codex Tischendorf II (K) sowie aus Teilen des Codex Zuqninensis rescriptus (ZI und ZII). Die Textform A folgt weithin dem Codex Alexandrinus, ist aber mit diesem nicht identisch, sondern bietet einen kritisch rekonstruierten Text. Dagegen ist die Textform B praktisch identisch mit Codex Vaticanus B. Die Handausgabe der LXX von Rahlfs druckt den A-Text und den BText in den jeweils oberen bzw. unteren Bereich der Seite. Der A-Text ist ein kritischer Text, basierend auf dem Codex Alexandrinus und Gruppen von Handschriften bzw. Rezensionen: O (hexaplarisch) und L (lukianisch bzw. antiochenisch); der B-Text ist faktisch identisch mit Codex Vaticanus. Viele Passagen aus A und B sind sehr ähnlich. Marcos2 verweist auf eine Studie von Lee3, nach der der von A bezeugte Text älter sei als der von B bezeugte Text. 1975 wurden im 1 Vgl. dazu die Literaturliste in: KREUZER (Hg.), LXX.H Band 1, 188f. sowie in: Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare Band I, 657–700. 2 MARCOS, Richter, 188–198. 3 LEE, Study.
5. Das Richterbuch und die Septuaginta
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St. Katharinenkloster auf dem Sinai Fragmente des Codex Sinaiticus gefunden, die aus dem Richterbuch die Abschnitte 2,20; 4,6 sowie 4,711,12 umfassen. Obwohl die Textgeschichte des Richterbuches extrem kompliziert ist, kann es auf eine einfache bzw. einmalige Übersetzung zurückgeführt werden. Die Autoren des Kommentarbandes zur „Septuaginta Deutsch“ weisen darauf hin, dass bei allen Differenzen im Einzelnen weitgehender Konsens darüber besteht, „dass die B-Gruppe einen hebraisierend auf den protomasoretischen Text hin revidierten Text darstellt.“4 Zur Übersetzungstechnik ist festzustellen, dass die Übersetzer ihrer hebräischen Vorlage relativ eng folgten. Sie bemühten sich um ein gut verständliches Griechisch, wobei sie gleichzeitig eng dem hebräischen Text folgten. Schwierigkeiten gab es beim Übersetzen, vor allem beim schwer verständlichen Deboralied (Ri 5). Bezüglich der Übersetzungstechnik muss man zwischen dem A-Text und dem B-Text unterscheiden. Im Allgemeinen wurde der hebräische Text des Richterbuches sorgfältig überliefert. Das Minus des hebräischen Textes in 16,13-14 und 19,30 ist wohl als Ausfall von Homoioteleuton zu erklären. Marcos spricht bei der Übersetzung von einem Wort-für-Wort-Muster, welches die Struktur des Hebräischen ins Griechische überträgt.5 Er bezeichnet den ursprünglichen Übersetzer als kreativen Schreiber, „der ein reiches Vokabular mit einem hohen Grad an hapax legomenon verwendete.“6 Er nennt als einen auffälligen Charakterzug des griechischen Textes des Richterbuches die große Anzahl von Transliterationen. Diese stehen nicht nur anstelle von hapax legomena oder anderen schwierigen Wörtern, sondern können auch als bewusstes Stilmittel gesehen werden.7 Bezüglich der Zeit und dem Ort der Übersetzung gibt es keine externe Evidenz, sie müssen durch innere und äußere Kriterien erschlossen werden. Nach Lee kann man anhand der Sprache feststellen, dass das Vokabular des A-Textes älter ist als das des B-Textes. Nach Marcos ist es möglich, die ursprüngliche Übersetzung des Richterbuches im ersten Teil des 2. Jh.s v. Chr. in Alexandrien zu verorten.8 4 KARRER, M./KRAUS, W., Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare Band I, 661. 5 Siehe die Beispiele in LXX.H Band 1, 192 unten. 6 LXX.H Band 1, 193. 7 LXX.H Band 1, 193f. 8 LEE, Lexical Study, passim.
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
Der griechische Übersetzer bearbeitet eine letzte Redaktion des Buches, die einen strukturierten und einheitlichen Text präsentiert. Die griechischen Texte folgen der Struktur des masoretischen Hebräisch sehr eng.
6. Das Richterbuch und seine Wirkungsgeschichte
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6. Das Richterbuch und seine Wirkungsgeschichte Die Studien zur Wirkungsgeschichte des Richterbuches sind bis heute nicht sehr zahlreich, sie stecken immer noch in den Anfängen.1 Eine wichtige Studie hat in jüngster Zeit A. Feldman vorgelegt, in der er den Beitrag der Qumrantexte zum Richterbuch genauer untersucht hat. In Qumran wurden drei und an einem unbekannten Ort ein Manuskript zu Richter gefunden. 1Q6 (1QJudg), datiert in die Zeit zwischen 50 – 25 v.Chr., enthält 40 Fragmente, die folgende Texte enthalten: 1,12f; 3,8; 5,15f; 6,15f. 20-22.2526.39-40 (?); 8,21-23; 9,1-6.28-33.34-35.38-44.48f; 10,7-9; 11,9-22.2425.26-27.36f; 12,15-13,1; 17,3-4; 21,7-8. 4Q49 (4QJudga): 6,2-13; hier fehlen u.a. V.7-10, „a passage frequently viewed as deuteronomistic.“2 4QJudgb (4Q50), datiert in die Zeit von 30-1 v.Chr., enthält 19,5-7; 21,12-25. XJudg enthält 1,10-13a; 3,22b-24a; 4,5b-9a. Der Text ist identisch mit dem von MT. In einem nichtbiblischen Kontext wird Ri 8,9 bei Philo im „Book of Judgements“ zitiert. Hier identifiziert er den Turm von Pnuel mit dem von Babel in Gen 11. Bezüge zu Richter finden sich zudem in 1Makk 9,73; 5,62. 4Q522: Ri 1,1-19. Lukas 1,42 und 2Bar 54,10: Ri 5,24. 1QM 11,17: Ri 5,20; 1QM 12,10-11: Ri 5,22; CD 3,6: Ri 17,6; 4Q559: Ri 3,31;
1 2
Siehe dazu FELDMAN, Judges, 77–94. FELDMAN, Judges, 79.
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
Bezüge zu Richter: Hebr 11; CD 2,17f.; 3,5; 3,9-12; Sir 46,11f; 1En 93,3-17; Jdt 5,17-18; Acts 7,45; 1 En 85-90; Jos. Antiqutates 5.120-317; Pseudo-Philo, Biblical Antiquities 25-48. 4Q522: Ri 1,18 (?).19.34.27.31; 4Q551: Ri 19,22-24.
Fazit: In der Literatur des Zweiten Tempels begegnet das Richterbuch mit wenigen Ausnahmen eher selten. Feldman sieht den Grund dafür in „the moral and exegetical challenges that this book presented to its readers.“3
3
FELDMAN, Judges, 94.
7. Aufgabe und Methode
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7. Aufgabe und Methode a) Aufgabe Der Hinweis auf ausgewählte und markante Positionen der neueren Forschung zeigt die aktuellen Brennpunkte der Diskussion um das Richterbuch. Der klare Aufbau des Buches provoziert die Fragen nach den dahinterstehenden Personen oder Gruppen und deren leitenden Interessen. Das Buch verdankt seine Entstehung einem starken kompositorischen Willen. Wer sind die im Hintergrund wirkenden Theologen? Ist es richtig, von DtrR, DtrS, DtrH, DtrN und RP zu sprechen? Ist es richtig, mit einer sehr großen Zahl von Redaktoren zu rechnen? Ist die deuteronomistische Redaktion wirklich so komplex? Wenn diese grundsätzliche Beobachtung zum Aufbau richtig sein sollte, stellt sich unmittelbar die Frage nach der Entstehung des Buches. Gehen die im Buch erzählten Geschichten auf einen Kern zurück und wenn ja, ist dieser Kern noch erkennbar? Wie ist dieser Kern gewachsen? Lassen sich Wachstumsspuren erkennen? Können diese zeitlich und literarisch genauer bestimmt werden? Dabei muss nach dem Verhältnis zwischen dem Kern der Episode und deren Bearbeitungen gefragt werden. Kann es sein, dass mehr als 500 Jahre zwischen beiden liegen? Für das Verständnis des Richterbuches ist die Frage nach der Rolle Jahwes entscheidend. Hier gilt es, eine Antwort auf die Frage nach der Profanität der Episoden zu finden. Ist Jahwe bereits in der frühesten Form der Erzählungen erkennbar oder spiegeln sie im Erststadium wirklich nur profane Episoden wider? Kann man wirklich behaupten, dass der Deuteronomist die Heldenerzählungen in das Prokrustesbett seiner Geschichtstheologie gezwungen habe? Ist es richtig zu sagen, das Schuld-Strafe-Prinzip zeige, dass dessen einziges Schuldkriterium der Fremdgötterkult sei, von dem aber außerhalb der Rahmenformeln nicht die Rede sei? Der Unhold und Wegelagerer Prokrustes hat immerhin die zu großen Füße und Glieder abgehackt und die zu kleinen streckte er unerbittlich. Werden die Episoden wirklich in etwas gänzlich anderes hineingezwungen, das eigentlich nicht hineinpasst? Schließen sich gar die hier vorliegenden Konzepte gegenseitig aus? Die Fragen zeigen die Vielfalt der Probleme, die das Richterbuch – immer noch! – aufwirft. Ihnen soll in der vorliegenden Untersuchung nachgegangen und wenn möglich eine Antwort zugeführt werden.
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
Dabei beschränkt sich die Untersuchung auf Ri 1,1-3,30. Man kann die ersten drei Kapitel durchaus als ein „kleines Richterbuch“ bezeichnen, denn in ihm werden zum einen die Voraussetzungen der Richterzeit beschrieben und zum anderen werden diese theologisch gewertet. Zudem finden sich in Ri 3 mit Othniel und Ehud die beiden ersten Richtererzählungen. Der Durchgang durch die neuere Literatur zeigt deutlich als Schwergewicht der Forschung das Bemühen um die literarische Gestalt von 1,1-3,30: Wie ist das Wachstum dieser Kapitel zu bestimmen? Welche Rolle spielt das deuteronomistische Geschichtswerk dabei? Gibt es Zugänge zu 1,1-3,30 unter Absehung des DtrG? Es fällt auf, dass die theologische Frage erst an zweiter Stelle gestellt wird. Es besteht m.E. kein Zweifel daran, dass in den ersten Kapiteln des Richterbuches eine höchst differenzierte und gut durchdachte Theologie vorliegt. Diese lässt sich mit den drei Schlagworten „Geschichte, Schuld und Rettung“ auf den Punkt bringen. Es ist das Ziel der Studie, anhand dieser Begriffe das theologische Profil von 1,1-3,30 herauszuarbeiten und zu profilieren.1 b) Methode Die vorliegende Studie arbeitet auf der Grundlage historisch-kritischer Textexegese. Sie legt dabei ein Schwergewicht auf die Fragen der Philologie, des Textwachstums, der Komposition und Redaktion sowie der Theologie. Sie setzt jeweils mit einer möglichst wortgetreuen Übersetzung des betreffenden Textabschnittes ein. Diese bleibt nahe am Text, um so das sprachliche Eigenprofil der Perikopen wenigstens andeutungsweise wiederzugeben. In einem weiteren Schritt werden textkritische Fragen diskutiert, um so zum einen den ursprünglichen Text zu erheben und zum anderen das Profil der Versionen, vor allem von LXX, herauszuarbeiten. Darüber hinaus bemüht sich die Studie darum, sprachliche Besonderheiten des hebräischen Textes herauszustellen und zu diskutieren. Dies dient sowohl der Rechtfertigung der Übersetzung als auch der Darstellung der Syntax des Richterbuches. Die philologischen Beobachtungen können u.U. auch Auswirkungen auf die literarische Beurteilung eines Verses oder Abschnittes haben. 1
Auf diese Aufgabe weist auch P. PORZIG, Judges, 379 hin: „Furthermore, the question of which theological standard is applied in these verses (the centralization of the cult, the first commandment etc.) would still need to be addressed.“
7. Aufgabe und Methode
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Die Mehrzahl der Textexegesen wird mit einem Forschungsüberblick eingeleitet, um so auf diesem Hintergrund die eigene Position besser profilieren zu können. Der Text wird in einem ersten Schritt anhand einer Vers-für-Vers Exegese ausgelegt. Dabei wird sowohl nach geprägten Wendungen und geprägter Sprache2 als auch der Konnotation zentraler Begriffe gefragt. Dabei darf das Textganze, d.h. die Komposition des Textes nicht außer Acht geraten. In einem weiteren Schritt wird nach Brüchen, Formulierungsdifferenzen oder Widersprüchen im Text, aber auch nach Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Texte gefragt.3 Wie sind diese literarisch und chronologisch zu deuten? Lässt sich im Text eine theologische Aussage erkennen? Wie werden die Personen charakterisiert? Wie geschieht die Interaktion zwischen Gott und dem Menschen? Hierzu gehört die Frage nach der Gattung der Texte.4 Liegen Prosa oder Poesie, Erzählung oder wörtliche Rede vor? Aus welcher Perspektive schreibt und berichtet der Erzähler? Was steht überlieferungsgeschichtlich hinter dem Text? Schließlich wird der Versuch unternommen, den Text historisch einzuordnen. Lässt sich die Genese des Textes rekonstruieren? Die Studie geht als Arbeitsgrundlage von der Existenz eines deuteronomistischen Geschichtswerkes aus. Die Existenz eines solches Werkes ist in jüngerer Zeit u.a. von C. Westermann bezweifelt worden. Nach ihm lässt sich in den Geschichtsbüchern von Dtn bis 2Kön keine einheitliche Sprache beobachten. Das Werk umfasse nicht die ganze Geschichte Israels, zudem zeigten die Geschichtsbücher eine außerordentliche Vielgestaltigkeit! Jedes Buch sei auf eigene Weise entstanden! Die Datierung eines solchen Werkes in die Zeit um 550 v.Chr. sei unwahrscheinlich, da sich in dieser Periode die literarische Arbeit nicht den geschichtlichen Tatsachen zugewandt habe, sondern
2
Hier sind vor allem die Rahmenbemerkungen der Erzählungen zu nennen, die aufgrund gleicher Wendungen und Aussagen offenkundig zusammengehören. 3 So lässt sich etwa die enge Parallele von Ri 2,6-10 mit Jos 24,28-31 beobachten, die zu einem Vergleich beider Texte reizt. 4 Zur Notwendigkeit der Gattungsforschung für eine „am historischen Eigenverständnis der Überlieferung orientierte Exegese“ vgl. BLUM, „Formgeschichte“ - ein irreführender Begriff?, in: UTZSCHNEIDER/BLUM, Lesarten, 85–96, Zitat 95.
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§ 1 Neuere Tendenzen der Richterbuchforschung
sie nur noch von den praktischen Bedürfnissen des religiösen Lebens her bewertet habe.5 In diesen Kontext gehört auch die in jüngster Zeit aufgeworfene Frage nach dem Ort des Richterbuches im Hexateuch. Nach E. Würthwein ist Ri 2,11-12,6 sekundär zu den Büchern Samuel und Könige hinzugefügt worden.6 Hier wird das Richterbuch als ein Buch des Übergangs zwischen Hexateuch und Samuel/Königebücher gedeutet.7 Die damit verbundenen Fragen und Probleme können nicht beantwortet werden, da dies eine umfassende Exegese des ganzen Richterbuches und eigentlich auch der Samuel- und Königebücher voraussetzt, was hier nicht geleistet werden kann.
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WESTERMANN, Geschichtsbücher. WÜRTHWEIN, E., Erwägungen, 1–11. 7 Vgl. dazu die informative Zusammenfassung wichtiger neuerer Forschungen zu dieser Frage durch U. BECKER, Place, 339–351. 6
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
1. Übersetzung und textkritische Anmerkungen 1 Nach dem Tod Josuas befragten die Israeliten den Herrn: „Wer soll für uns zuerst gegen den Kanaanäera hinaufziehen, um gegen ihn zu kämpfen?“ 2 Und der Herr antwortete: „Juda soll hinaufziehen, siehe, ich gebe hiermit das Land in seine Hand.“ 3 Da sprach Juda zu seinem Bruder Simeon: „Ziehe mit mir hinauf in meinen Losanteil, damit wir gegen den Kanaanäer kämpfen und auch ich mit dir in deinen Losanteil gehen kann.“ Und Simeon ging mit ihm. 4 Und Juda zog hinauf und der Herr gab den Kanaanäer und Perizziter in ihre Handb und sie schlugen sie bei Bezek 10 000 Mann. 5 Und sie fanden Adoni-Bezek und kämpften gegen ihn. Und sie schlugen den Kanaanäer und Perizziter. 6 Und Adoni-Bezek floh und sie jagten hinter ihm her, ergriffen ihn und schlugen ihm die Daumen und die großen Zehen ab. 7 Da sprach Adoni-Bezek: „Siebzig Könige mit ihren abgeschlagenen Daumen und großen Zehen pflegten unter meinem Tisch aufzulesen. Wie ich getan habe, so hat Gott mir vergolten.“ Und sie brachten ihn nach Jerusalem, wo er starb. 8 Und die Judäer kämpften gegen Jerusalem, eroberten es und schlugen es mit der Schärfe des Schwertes, die Stadt aber brannten sie nieder. 9 Darnach aber zogen die Judäer hinunter, um gegen den Kanaanäer zu kämpfen, der das Gebirge, den Negeb und die Schephela bewohnte. 10 Und Juda zog gegen den Kanaanäer, der in Hebron wohntec – der Name Hebrons war früher Qirjat-Arbad – und sie schlugen Scheschaj, Ahiman und Talmai.e 11 Und er zog von dort zu den Einwohnern von Debir – und der Name von Debir war früher Qirjat-Sepher.d 12 Und Kaleb sprach: „Wer Qirjat-Sepher schlagen und es einnehmen wird, dem werde ich meine Tochter Achsa zur Frau geben.“ 13 Und Othniel, der Sohn des Kenaz, der jüngere Bruder Kalebs, eroberte es. Und er gab ihm seine Tochter Achsa zur Frau. 14 Als sie kam, stachelte sie ihn an,f von ihrem Vater das Feldstück zu verlangen.g Und sie stieg
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§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
vom Esel und Kaleb sagte zu ihr: „Was hast du?“ 15 Sie antwortete ihmh: „Gib mir bitte ein Geschenk! Denn das Negebland hast du mir bereits gegeben und gib mir auch Wasserquelleni.“ Und Kalebj gab ihr die oberen und die unteren Wasserquellen. 16 Und die Söhne Hobabsk des Keniters, des Schwiegervaters Moses waren heraufgezogen aus der Palmenstadt mitl den Judäern in die Wüste Juda, die im Negeb bei dem Abhang von Aradm liegt. Und er ging und blieb bei dem Volk. 17 Juda ging mit seinem Bruder Simeon und sie schlugen den Kananäer, der in Zephat wohnte und vollzogen den Bann an ihmn. Und deshalb nennt man den Namen der Stadt Horma. 18 Und Juda eroberteo Gaza und sein Gebiet und Askalon und sein Gebiet und Ekron und sein Gebietp. 19 Und Jahwe war mit Juda und es eroberte das Gebirge, aber die Bewohner der Ebene konnten sie nicht erobern, denn sie hatten eiserne Streitwagenq. 20 Und sie gaben Kaleb Hebron wie Mose gesagt hatte. Und er vernichtete von dortr die drei Anakiter. 21 Und den Jebusiter, der in Jerusalem wohnte, haben die Benjaminiter nicht vernichtet. Und der Jebusiter wohnte bei den Benjaminitern in Jerusalems bis zu diesem Tag. 22 Und auch das Haus Josepht zog hinauf nach Bethel und Jahweu war mit ihm. 23 Und das Haus Joseph ließ Bethel auskundschaften. Früher war der Name der Stadt Luz. 24 Und die Späher sahen einen Mann, der aus der Stadt kamv und sie fragten ihn: „Zeige uns bitte den Eingang zur Stadt und wir wollen dir Güte zeigen!“ 25 Und er zeigte ihnen den Eingang der Stadt und sie schlugen die Stadt mit der Schärfe des Schwertes, den Mann und seine ganze Sippe aber ließen sie gehen. 26 Und der Mann ging in das Land der Hethiter und bautew eine Stadt und nannte ihren Namen Luz. Dies ist ihr Name bis zu diesem Tag. 27 Manasse hat nicht vernichtet Beth-Sheanx und seine Nebenorte, Thaanach und seine Nebenorte und die Bewohner von Dor und seine Nebenorte und die Bewohner von Jibleam und seine Nebenorte und die Bewohner von Megiddo und seine Nebenortey. Und der Kanaanäer erreichte es, in diesem Land zu bleiben. 28 Und es geschah, als Israel stark wurde, machte es den Kanaanäer fronpflichtig, aber es konnte ihn nicht vernichten. 29 Ephraim vernichtete nicht den Kanaanäer, der in Geser wohnte. Und der Kanaanäer wohnte in seiner Mitte, in Geserz. 30 Sebulon vernichtete nicht die Bewohner von Qitron und die Bewohner von Nahalol. Und der Kanaanäer wohnte in seiner Mitte und sie wurden fronpflichtig. 31 Asser vernichtete nicht die Bewohner von Akkoa1 und die Bewohner von Sidon und Achlab und Achzib und
1. Übersetzung und textkritische Anmerkungen
51
Chälba und Aphik und Rehob. 32 Und der Asserite wohnte inmitten der Kanaanäer, den Bewohnern des Landes, denn er hat ihn nicht vernichtet. 33 Naphtali vernichtete nicht die Bewohner von Beth-Anat. Und er wohnte inmitten der Kanaanäer, den Bewohnern des Landes. Und die Bewohner von Beth-Shemesh und Beth-Anat wurden ihnen fronpflichtig. 34 Aber der Amoriter bedrängte die Daniten in das Gebirge, denn er ließ ihn nicht in die Ebene steigen. 35 Und der Amoriter erreichte es, in Har-Heres zu wohnen, in Ajjalon und Schaalbim.b1 Und die Hand des Hauses Joseph lastete schwer und sie wurden fronpflichtig. 36 Und das Gebiet des Amoritersc1 reichte vom Skorpionensteg bis nach Selad1 und weiter hinauf. Textkritische Anmerkungen
1 2
a
LXXA
liest Singular: τὸν Χαναναῖον ; LXXB liest Plural: τοὺς Χαναναίους.
b
LXXA
liest: ἐν χειρὶ αὐτοῦ (Sg.); LXXB liest: εἰς τὰς χεῖρας αὐτῶν (Pl.).
c
LXXA+B
bieten einen erweiterten Text: „und Hebron zog (ihm) entgegen“ – diese Lesart ist vielleicht durch לפניםbedingt, das als „ לפניvor/entgegen“ heißt.
d
LXX
liest Καριαθαρβοκσεφερ und verbindet die beiden Namen Kirjat-Arba und Kirjat-Sepher (V.11).
e
LXX
bietet einen erweiterten Text: γεννήµατα τοῦ Ενακ – vgl. dazu Jos 15,14.
f
LXX
liest: „ ויסיתהer bedrängte sie“. LXX verlagert die Initiative von Achsa auf Othniel. Bei LXX „il s’agissait sans doute de préserver la dignité de celui qui allait être le premier grand juge en ne le faisant pas dépendre d’une volonté féminine…“1; MT „est sans doute le trait original du texte“2; vgl. auch Jos 15,8.
La Bible d’Alexandrie, 76. La Bible d’Alexandrie, 76f.
52
3
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
g
LXX
bietet einen längeren Text: „ ... so murrte sie auf ihrem Reittier und rief“; Die Problematik des Abschnitts liegt in der unsicheren Bedeutung von „ צנחeindringen“? ; das Verb begegnet im Alten Testament nur noch in Jos 15,18; Ri 4,21; nach P. Harlé3 lasen die LXX-Versionen צוחQal „laut schreien“ und „ont traduit en conséquence, leur embarras se manifeste par une double traduction du verbe hébreu…ils ajoutent un énoncé anticipé du v.15…“
h
LXXA+B :
Ασχα.
i
LXXA+B :
λύτρωσιν „Ausgleich“; LXXA+B lesen offenbar ְגֻּאַלּתanstelle von גלות
j
LXXA+B :
„entsprechend ihrem Herzen“ = ; כלבהּhier liegt vielleicht eine Dittographie mit כלבvor!
k
LXXA :
Ιωβαβ ; LXXB : die Problematik von MT liegt in der Wendung „die Söhne Kenis“ bzw. „die Söhne eines Keniters“; beide Übersetzungen ergeben jedoch keinen Sinn, denn ein „Keni“ ist unbekannt und „die Söhne eines Keniters“ ergäbe eine Sippe ohne einen richtigen pater eponymos; der Vorschlag von BHS „die Söhne der Keniter“ ist wegen des folgenden „des Schwiegervaters Moses“ nicht möglich; zudem wäre בניwegen des kollektiven Verständnisses von הקיניals nomen regens überflüssig! M.E. hilft hier Ri 4,11 weiter, wo vor „der Schwiegervater Moses“ ein gewisser „Hobab“ genannt wird; aufgrund der sachlichen Übereinstimmung von Ri 1,16 und 4,11 legt sich die Einfügung von „Hobab“ hier nahe: lies: „die Söhne Hobabs, des Keniters, des Schwiegervater Moses!“4
La Bible d‘Alexandrie, 77. Vgl. dazu MITTMANN, Ri 1,16f., 213f.; HARLÉ, Juges, 78. – Anders GROSS, Richter, 103, der in קיניeinen Eigennamen sieht; die Nisbeform sei zu einem „QuasiEigennamen“ transferiert worden; – Wer aber sollte dieser „Keni“ sein? Kain? Warum wurde aus „Kain“ dann „Keni“? 4
1. Übersetzung und textkritische Anmerkungen l
LXXA
Liest πρὸϛ.
m
LXXA+B :
ἐπὶ καταβάσεως Αραδ = במורד/ ;עלdas Nomen kann durch einen Lesefehler aus dem Text gefallen sein; lies: „auf dem Abhang von Arad“5
n
LXXA
bietet einen erweiterten Text: „zerstörten sie…“; „Horma“ wird mit „Zerstörung“ wiedergegeben; LXXA verdoppelt offenbar die Übersetzung von חרםHif.6
o
LXXA+B
καὶ οὐκ ἐκληρονόµησεν; LXXA+B gleichen V.18+V.19 einander an; LXX möchte den kaum lösbaren Widerspruch zwischen V.18 und V.19 auflösen; diese Lesart ist jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit als lectio facilior anzusehen.
p
LXXA+B
bieten einen Zusatz: „und Azotos und ihr Umland“; der Zusatz lehnt sich an Jos 15,46 an.
q
LXXA+B
verstehen Ρηχαβ als Eigenname und nicht als „Streitwagen“רכב
r
LXXA+B
bieten einen erweiterten Text: „und er nahm von dort aus die drei Städte in Besitz“ – vgl. Jos 11,21. „in Jerusalem“ fehlt in LXXA.
s t
5
LXXA+B: A
οἱ υἱοὶ Ιωσηφ.
u
LXX
liest „Juda“ anstelle von „Jahwe“; ob die Lesart von LXXA ohne Zweifel primär und Zeuge eines vormasoretischen Textes sein soll,7 ist mehr als fraglich.
v
LXXA+B
bieten einen erweiterten Text: „und sie ergriffen ihn“.
w
LXXA+B
bieten einen erweiterten Text: „dort“.
x
LXXA+B
ergänzen „Beth-Shean“ mit: ἥ ἔστιν Σκυθῶν πόλις sie spielen damit auf den hellenistisch-römischen Namen „Skythopolis“ an.
Vgl. MITTMANN, Ri 1,16f., 214f. HARLÉ, Juges, 79. 7 So HARLÉ, 81. 6
53
54
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
y
LXXA
bietet einen erweiterten Text: „auch nicht die Bewohner von Jeblaam und nicht seine Tochterstädte“
z
LXXA+B
erklären zu Geser: καὶ ἐγένετο εἰς φόρον - vgl. V.30.
a1
LXXA+B
bieten einen erweiterten Text: „doch es wurde ihm tributpflichtig, und die Bewohner von Dor … und die Bewohner von …“
b1
LXXA+B :
„wo die Bären und Füchse (leben)“; LXXA+B deuten die Ortsnamen als Tiernamen.
c1
LXXA
erklärt: ὁ Ιδουµαῖος.
d1
A+B
LXX
lesen Πέτρος statt „Sela“.
2. Philologische Anmerkungen
55
2. Philologische Anmerkungen V.1: Das Richterbuch wird mit „ ויהיund es war“ + adverbielle Bestimmung der Zeit eingeleitet und in V.1aß mit einem Imperfekt consecutivum weitergeführt.1 Das Verb „ שׁאלfragen, bitten“ in Verbindung mit „ לאמרfolgendermaßen“ lässt „auf eine Verwendung des explikativen לאמרals ausdrücklicher (wörtlicher) Zitat-Einleitung schließen.“2 Es geht in V.1 um die Einholung eines Gottesbescheides.3 Der Fragesatz „Wer wird für uns … hinaufziehen?“ begegnet in gleicher Weise noch in Ri 20,18aγ. Es handelt sich hier um eine Umschreibung des Genitivs mit der Präposition le: „periphrastic genitive.“4 Bei „zuerst“ ( )בתחלהhandelt es sich um eine adverbielle Wendung, „die als eine Art passe-partout für eine Vielzahl von bestimmten relativen Zeitbestimmungen stehen kann.“5 In V.1b ist sie mit „zuerst“6 zu übersetzen. V.2: Die Antwort auf die Frage aus V.1b wird – wie üblich – mit der Wiederholung der bzw. des wichtigsten Worte/es zum Ausdruck gebracht: „(Juda) soll hinaufziehen.“7 Die Perfektform „Ich gebe hiermit/jetzt“ ( )נתתיwird für eine Handlung in der Zukunft verwendet, wobei diese gleichsam vorweggenommen wird: Perfekt declarativum – „hiermit“.8 V.3: In Ri 1 wird das Wort „sprechen“ ( )אמרdurchweg mit der Präposition le konstruiert: 1,3.14.15.24. Bei dieser Verbindung wird „der Hörer nicht primär als Adressat einer an ihn gerichteten Rede, sondern stärker als Empfänger eines bestimmten Wortinhalts hervorgehoben.“9 – E. Jenni rechnet den Imperativ „Ziehe …hinauf“ ( )עלהunter die Rubrik „Vorschläge“, weil „der Sprechende an seine Adressaten keine Befehle oder direkten Aufforderungen richtet, sondern für die Befolgung seines Ansinnens einen gewissen Spielraum
1
Vgl. dazu WALTKE/O’CONNOR, 554; JOÜON/MURAOKA, §§ 118c; 133d. JENNI, Präpositionen 3, 175 (7173). 3 Vgl. Ri 20,23.28. 4 GESENIUS/KAUTZSCH, § 129; JENNI, Präpositionen 3, 65f. 5 JENNI, Präpositionen 3, 307. 6 Vgl. Ri 20,18. 7 JOÜON/MURAOKA, §§ 154 nh; 161 l. 8 GESENIUS/KAUTZSCH, § 106mn; JOÜON/MURAOKA, § 112 g. 9 JENNI, Studien II, 50f.; – vgl. auch 59f. 2
56
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
offen lässt…“10 – Der Kohortativ Plural „damit wir kämpfen“ ()ונלחמה gehört nach E. Jenni in die Gruppe der inklusiv-pluralischen Kohortative mit dem Muster ICH + DU = WIR(Juda – Simeon).11 – In V.3b steht die suffigierte Präposition hinter dem Verb und vor dem Subjekt.12 V.4f: Hier fällt die Verwendung der nota accusativi auf. Während sie in V.4a vor den beiden Gentilicia nur einmal steht, begegnet sie in V.5b sowohl vor „Kanaanäer“ als auch „Perizziter“.13 V.6f: Ungewöhnlich ist die Pluralbildung von „ בהןZehe“; das Nomen wird hier umgebildet: בהון.14 Es wird als feminines Nomen behandelt, von daher kann es nicht das Subjekt zum Partizip masc. מקצצים „abgeschlagen“ sein.15 V.7: In V.7aδ liegt ein Vergleichssatz vor, der mit den beiden Verben שׁלםPi. „vergelten“ und „ עשׂהtun, machen“ gebildet ist. „ … in Ri 1,7 bezeichnet שׁלםD „vergelten“ die spiegelbildliche Reaktion auf ein mit עשׂהzusammengefaßtes Tun.“16 V.14: In V.14b handelt es sich um einen Fragesatz ohne Verb. Das Fragewort „was“ wird hier mit einem „lamed of interest“17 gebildet. „… the question concerns the object … in a loosely or elliptically defined way.“18 – Trotz vorangehendem vokalischen Auslaut wird in „ בבואהּals sie kam“ (V.14aα) ein Daggesch lene gesetzt; offenbar will man die Spirantisierung zweier gleicher unmittelbar hintereinander stehender Konsonanten vermeiden.19 V.15: In V.15b ist der fehlende Artikel bei „den oberen und unteren Wasserquellen“ auffallend. Die adverbielle Bestimmung gilt offenbar als logisch determiniert. Zudem fällt die Hinzufügung der nota accusativi auf.20
10
JENNI, Studien II, 260f. JENNI, Studien II, 193. 12 JOÜON/MURAOKA, § 155 t – Vgl. auch Ri 3,16a. 13 WALTKE/O’CONNOR, 179. 14 GESENIUS/KAUTZSCH, § 93 r. 15 JOÜON/MURAOKA, § 121 o. 16 JENNI, Präpositionen 2, 97. – JOÜON/MURAOKA, § 174b. 17 WALTKE/O’CONNOR, 323. 18 WALTKE/O’CONNOR, 323. 19 JOÜON/MURAOKA, § 19 e. 20 GESENIUS/KAUTZSCH, § 126 y. 11
2. Philologische Anmerkungen
57
V.19: In V.19b fungiert der Infinitiv constructus als finites Verb: „Sie vermochten nämlich nicht…“21 Von daher ist die Einfügung von יכלו nicht notwendig.22 V.25: In V.25aß und V.25b ist die chiastische Wortstellung auffallend: Verb – Objekt (V.25aß) und Objekt – Verb (V.25b).23 V.28: In V.28a wird „ כיals“ in einem temporalen Sinn verwendet.24 V.35: In V.35b versteht sich „sie lastete schwer“ ותכבדals „a summary remark…“25 V.36: In V.36b wird das die genauere Richtung angebende Adverb mit we beigeordnet: „oberhalb des Felsens.“26
21
MEYER, Grammatik, § 102 5a. Siehe BHS App. z.St. – Vgl. noch Am 6,10; 2Chr 28,21; BROCKELMANN, Syntax, § 47; JENNI, Präpositionen 3, 233 Nr. 7693. 23 JOÜON/MURAOKA, § 155 oa. 24 GESENIUS/KAUTZSCH, § 164d; JOÜON/MURAOKA, § 166 o. 25 WALTKE/O’CONNOR, 550. 26 BROCKELMANN, Syntax, § 120b; vgl. noch 1Sam 10,23; 16,13; 20,21f. 22
58
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
3. Forschungsgeschichtliche Orientierung Die Einleitung in das Richterbuch in 1,1-36 wird in der alttestamentlichen Wissenschaft intensiv diskutiert. Dabei steht die redaktionsgeschichtliche Fragestellung im Vordergrund. Galt Ri,1,136 den älteren Auslegern noch als wichtige historische Quelle zur Frühgeschichte Israels1, so geht heute die Mehrzahl der Ausleger davon aus, dass Ri 1,1-36 kein „early historical narrative“2, sondern im Gegenteil „a late composition“3 sei. Die jüngste Diskussion wurde u.a. durch die Studien von R. Smend4 angestoßen. Er rechnet Ri 1,1-36 einer nomistisch orientierten deuteronomistischen Redaktion (DtrN) zu. Für DtrN stehe das bedrängende Problem des nicht vollständig eroberten Landes im Vordergrund. Ri 1,1-2,5 sei wohl von DtrN in das Werk von DtrH eingeschoben worden, wobei nicht sicher sei, ob ihm Ri 1,1-2,5 als Einzelstück oder als Bestandteil eines umfassenden Literaturwerkes vorgelegen habe. Im Unterschied zu Smend rechnet U. Becker Ri 1,1-36 nicht einer nomistisch orientierten Redaktion, sondern einem spätdeuteronomistischen Juda-Redaktor zu. Dieser betone vor allem das Zusammenleben der israelitischen Stämme mit den kanaanäischen Landesbewohnern. Nach dem Redaktor bestehe gerade hierin die schuldhafte Verstrickung, in die Israel geraten sei. Nach Becker ist es nicht ausgeschlossen, dass der Juda-Redaktor Promonarchist war (1,28) und in Nähe zur Pentateuch-Redaktion stand.5 In jüngster Zeit hat E. Blum der Deutung Beckers widersprochen. Nach Blum geht es in Ri 1 auf keinen Fall um die Darstellung der schuldhaften Verstrickung Israels mit Kanaan. In Ri 1 seien keine ausdrücklich theologischen Deutungen erkennbar. Blum rechnet Ri 1 bezüglich der Landnahme-Konzeption der sog. „RichterbuchFortschreibung“ zu, die er aus Gründen der relativen Chronologie in das 5. Jh. v.Chr. datiert.6 1 So etwa bei SCHMITT, Frieden, 46–80; – vgl. NEEF, Ephraim, 206–209; einen ausführlichen Forschungsüberblick bieten RAKE, „Juda…“, 1–20; GROSS, Richter, 104–108. 2 AULD, Judges I, 276. – Anders N.NA‘AMAN, Borders, 55–59.96, der in Ri 1 durchaus historisch verwertbares Material findet. 3 AULD, Judges I, 276. 4 SMEND, Gesetz, 124–137; ders., Land, 217–228. 5 BECKER, Richterzeit, 57–61. – Vgl. ähnlich MULLEN, Judges 1:1-36, 33–54. 6 BLUM, Knoten, 274–276.
3. Forschungsgeschichtliche Orientierung
59
Neben der redaktionsgeschichtlichen Fragestellung wird intensiv die Beziehung von Ri 1 zum Josuabuch diskutiert. So sprechen nach M.Z. Brettler die Wiederaufnahme von Jos 24,28-31 in Ri 2,6-9 sowie der Kontext von 1,1-2,5 dafür, Ri 1,1-2,10 ursprünglich als einen Appendix zum Josuabuch zu deuten.7 Nach K. L. Younger Jr ist Ri 1 in seinen Grundstrukturen von Jos 13-19 abhängig.8 Er nimmt damit eine These auf, die A.G. Auld bereits aufgestellt hatte. Nach Auld sind vor allem 1,20.21.34f. „of the same basic type and function as their parallels in Josua…“9 Zu einer konträren Sicht der Dinge kommt U. Becker. Nach ihm ist Ri 1,27-35 gegenüber den Josua-Parallelen die literarische Priorität zuzuerkennen. Dies zeige sich etwa an dem Verhältnis von Jos 17,1113 und Ri 1,27f. Für Becker ist es von vornherein unwahrscheinlich, „dass eindeutig sekundäre, nachhinkende Verse, wie sie in Jos 17,1113 vorliegen, gegenüber der in einem literarisch (weitgehend) einheitlichen Abschnitt fest verankerten Parallelversion (Ri 1,27f) die Priorität haben sollen.“10 V. Fritz sieht in Ri 1 „ein Konglomerat verschiedener Überlieferungsstücke.“11 Diese sollen den Bericht über die Landnahme im Buch Josua ergänzen und teilweise berichtigen. Fritz sieht in Ri 1 einen Nachtrag, der die Aufteilung des Stoffes aus dem deuteronomistischen Geschichtswerk (DtrG) in einzelne Bücher bereits voraussetzt. Die starke Zersplitterung lasse auf eine Tätigkeit eines Redaktors schließen. In Ri 1 sieht er „ein spätes Geschichtsbild und keine eigenständige Quelle über die Ereignisse der Landnahme…“12 Wahrscheinlich sei Ri 1 für die Eröffnung des gesamten Richterbuches erst nachträglich geschaffen worden, „um die Erzählung von der Einnahme und Verteilung des Landes in Jos 2-19 zu ergänzen und zu berichtigen.“13 Bezüglich des Abschnittes V.27-33 hält er fest, dass es sich keineswegs um ein vom Redaktor übernommenes Dokument in Form einer alten Liste handele. Dafür sprechen nach Fritz die Unterschiede in den Formulierungen zu den einzelnen Stämmen. „Wegen der Disparität ist nicht mit der Übernahme eines 7
BRETTLER, Judg. 1,1-2,10, 433–435. YOUNGER, Configuring, 75–92; ders., Judges 1, 207–227. 9 AULD, Judges 1, 285. 10 BECKER, Richterzeit, 28; – vgl. noch WEINFELD, Judges 1.1-2.5, 388–400. 11 FRITZ, Judicum 1, 375. 12 FRITZ, Judicum 1, 375. 13 FRITZ, Judicum 1, 376. 8
60
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
geschlossenen Überlieferungselementes zu rechnen.“14 Als Verfasser dieses aus verschiedenen Stücken zusammengestellten Abschnittes kommt für Fritz am ehesten RedD = DtrN in Frage. Dieser Redaktor habe die Reihenfolge der Bücher Josua und Richter vorgefunden Er wollte die Aussage beider dahingehend korrigieren, dass eroberte und nicht eroberte Gebiete in verschiedenen Landesteilen wenigstens benannt werden. In 1,1b greife er dabei auf die Bundeszusage an die Väter zurück. W. Oswald deutet Ri 1 als postjosuanisch-judäische Ergänzung zur josuanisch-benjaminitischen Landnahme. Ri 1 kongruiere in dieser Hinsicht mit den scharfen anti-benjaminitischen Polemiken in Ri 1921.15 In jüngster Zeit hat Mareike Rake Ri 1 eine umfangreiche und detaillierte Untersuchung gewidmet.16 Bezüglich der Verse 21.27-35 geht sie davon aus, dass hier mehrheitlich weder registriert noch aufgezählt, sondern erzählt werde. Es gehe nicht um Personen, Orte, Sachen an sich, sondern um geschichtliche Ereignisse. Sie vergleicht die Richterverse genau mit den entsprechenden Josuaversen und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass beide Versionen nur als das Ergebnis mehrfacher Bearbeitung zu begreifen seien.17 V.35 interpretiert sie als Notiz über die Nachlässigkeit und das damit verbundene schuldhafte Verhalten des Hauses Joseph durch allzu große Passivität bei der Landeroberung. In 1,1-21 arbeitet sie einen Grundbestand heraus, für den der Primat Judas kennzeichnend sei. Diese Grundschicht datiert sie in das perserzeitliche Juda. W. Groß geht in seinem Richterbuch-Kommentar von einer höchst komplizierten Entstehung von Ri 1 aus und zeigt große Zurückhaltung gegenüber der Annahme eines alten und historisch verwertbaren Textes. Im Einzelnen erkennt er in 1,5ab.6-7d ein Traditionsstück, das in 1,4.5c.7ef.8 bearbeitet worden sei. Zudem habe der Verfasser von Ri 1 Jos 15,13-19 in Ri 1,10-15.20 verarbeitet. Eine Überlieferung unbekannter Herkunft sei in 1,16 erkennbar, Num 21,3b-c sei in 1,17 verarbeitet worden, Ri 1,36 sei eine Glosse. Die Annahme eines negativen Besitzverzeichnisses in 21.27-35 lehnt er aufgrund der Uneinheitlichkeit des Abschnittes vehement ab. Der nachexilische Verfasser verwende Texte aus dem Josuabuch, anderweitige Über14
FRITZ, Judicum 1, 385. OSWALD, Staatstheorie, 212. 16 RAKE, „Juda…“; vgl. dazu die Rezension von GROSS, „Juda…“, 377–379. 17 RAKE, „Juda…“, 53.59. 15
3. Forschungsgeschichtliche Orientierung
61
lieferungen (Besek, Keniter) und forme sie ohne Scheu vor Widersprüchen um. „Angesichts der Quellen, deren er sich bedient, der Art, wie er mit ihnen umgeht, und seiner durchgängig projudäischen Tendenz erübrigen sich Versuche historischer Rückfragen.“18 M. Ederer hat Ri 1 eine umfangreiche Untersuchung gewidmet.19 Dabei behandelt er Ri 1 im Kontext von Ri 1,1-3,6 und betont für diesen Abschnitt die ausführlichen Bezugnahmen auf Texte aus der Tora und dem Josuabuch. Dabei geht es ihm in erster Linie um das Beschreiben und Interpretieren dieser Bezüge. Ri 1 liest er aus drei Blickwinkeln: 1. Ri 1,1-36 sei als Fortsetzung des Josuabuches zu lesen; 2. Für die theologische Deutung von Ri 1 sei die Rede des Engels 2,1-3 maßgebend; 3. Bei der Auslegung sei die „Parallelität“ der beiden Erzählstränge 1,1-36 und 2,11-21 zu berücksichtigen. – Inhaltlich drehe sich Ri 1 um Landnahme-Versuche der einzelnen Stämme, „die in einer Volksversammlung ganz Israels nach Josuas Tod (Ri 1,1-3) ihren Ausgangspunkt nehmen. Als Ziel dieser Unternehmungen kann die Komplettierung der unter Josua unvollendet gebliebenen Landnahme bestimmt werden.“20 Als Endresultat dieser Bemühungen kristallisiere sich allerdings heraus, dass sich seit Josuas Tod nahezu nichts zum Positiven verändert habe. Ederer spricht in diesem Zusammenhang von einer „Stagnation.“21 Inhaltlich werde in 1,27-33 „das Scheitern der Landnahme des Hauses Josef entfaltet…“22 In der Zusammenschau von Ri 1,21.27-35 ergebe sich „ein desaströses Bild des ganzen Volkes.“23 Ederer berührt sich in dieser Einschätzung von Ri mit R.O‘Connell24, der eine enge Verbindung von Ri 1 zur deuteronomischen Bundestheologie sieht. „It should be evident that, in both parts of the double prologue, the language and standards by which the tribes are measured resemble the language and standards of YHWH’s convenant with Israel as set forth in the book of Deuteronomy […] The rhetorical function of Judges‘ double prologue, therefore, is to expose the problematic character of Israel’s indolence toward YHWH’s
18
GROSS, Richter, 154. EDERER, Ende, 1–3.18–24.295–387. 20 EDERER, Ende, 386. 21 EDERER, Ende, 386. 22 EDERER, Ende, 366. 23 EDERER, Ende, 383. 24 O’CONNELL, Rhetoric, 58–72. 19
62
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
commission to expel the Canaanites from the land and the problem of their propensity to relapse into idolatry.“25
25
O’CONNELL, Rhetoric, 50f.
4. Einzelexegese
63
4. Einzelexegese Das Richterbuch wird in 1,1 mit der Nachricht vom Tod Josuas sowie der Frage der Israeliten an Jahwe, wer die Nachfolge Josuas antreten soll, eröffnet. V.1 knüpft damit an Jos 24,29 an, wo der Tod Josuas im Alter von 110 Jahren notiert ist. V.1 steht jedoch in Spannung zu Ri 2,6, wo vom Handeln Josuas am Volk berichtet wird.1 In 2,8 wird dann zum zweiten Mal sein Tod berichtet.2 Der Anfang des Richterbuches in V.1aα entspricht in Form und Wortwahl dem Anfang des Josuabuches in Jos 1,1a. So wie Josua legitimer Nachfolger von Mose wird, so wird in Ri 1,1 nach dem legitimen Nachfolger Josuas gefragt. Die Frage der Israeliten3 in V.1b enthält mit dem Hinweis auf den Kampf gegen die Kanaanäer4 das den Abschnitt dominierende Element. V.1 muss somit als Vorbereitung der folgenden Verse gelesen werden5. Der Kampf der Israeliten gegen die Kanaanäer ist das beherrschende Thema von 1,1-36.6 Juda soll „für uns“, d.h. im Gesamtinteresse Israels gegen die Kanaanäer vorgehen. In V.1 wird keine Antwort auf die Fragen nach dem Ort der Versammlung der Israeliten sowie dem genauen Zeitpunkt nach dem Tod Josuas gegeben7. Der Verfasser ist offenkundig daran uninteressiert, sein Blick richtet sich konzentriert auf den Umgang mit den Kanaanäern.8 V.2 ist untrennbar mit V.1 verbunden, denn jetzt gibt der Autor die Antwort Jahwes auf die Frage der Israeliten wieder. Juda soll nach dem Willen Jahwes Israel anführen und auf diese Weise an die Stelle des verstorbenen Josua treten. Sowohl V.1 als auch V.2 sprechen dafür, die adverbielle Bestimmung בתחלהin V.1b nicht in einem zeitlichen Sinne, sondern vorordnend im Sinne von „an erster, d.h. leitender
1
Zu diesem Problem siehe unten. Jos 24,29 und Ri 2,8 stimmen in der Wortwahl völlig überein. 3 Zur Einleitung der Frage in V.1a vgl. man Ri 20,27, wo die gleiche Wendung begegnet. 4 Vgl. 1,3.4.5.9.10.27-30.32f. und 3,1.3.5. 5 Zur Einleitung der Frage in V.1aγ vgl. SASSON, Judges, 121–123. 6 So auch RAKE, „Juda…“, 75f. 7 Zur „commodi – Deutung“ von „für uns“ vgl. GROSS, Richter, 119. 8 Nach E.A. KNAUF, Richter, 41 handelt es sich in V.1 um ein „Kriegsorakel“; er übersetzt deshalb das Verb עלהnicht mit „hinaufziehen“, sondern mit „(gegen einen Feind) ausziehen.“ 2
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Stelle“ zu verstehen.9 Die Vorordnung Judas muss sich nach V.1f auf alle Stämme, also auch auf das Haus Joseph beziehen (V.27ff). Die Antwort Jahwes ist auffallend, denn zum einen soll Juda die Israeliten beim Zug ins Land anführen, zum anderen ist dieses Land bereits durch Jahwe Juda übereignet worden (V.2b). Mit dem „Land“ muss vom Verständnis der Einleitungsverse her das ganze Land Palästina und nicht nur das judäische Land gemeint sein, wobei das Ostjordanland offenbar ausgeklammert ist. Die sog. Übergabeformel wird hier gleich zu Beginn des Richterbuches angeführt, um die Landgabe als Geschenk Jahwes an Israel zu deuten.10 Die Fortführung der Handlung in V.3 überrascht, denn man würde im Anschluss an V.2 den Bericht über den Zug Judas nach Kanaan erwarten. Dieser wird erst in V.4 berichtet, so dass V.3 den offenkundigen Zusammenhang von V.2 und V.4 unterbricht. V.3 muss dennoch nicht als spätere sekundäre Hinzufügung gedeutet werden,11 denn sein jetziger Ort kann kompositionelle Gründe haben. Er soll im jetzigen Kontext die Zusammengehörigkeit von Juda und Simeon betonen und somit V.17 vorbereiten.12 Mit der Bezeichnung Simeons als „Bruder Judas“ setzt Ri 1,3 die in Gen 29, 33.35; 35,23; Jos 19,1-9 berichteten Umstände voraus, wonach Simeon und Juda als Brüder zu den Leasöhnen gehören (Gen 35,23) und Simeon Anteil am judäischen Stammesgebiet hat (Jos 19,1-9).13 Wenn in V.4 dann wieder von „Juda“ die Rede ist, so soll man hier „Simeon“ gleichsam mitlesen.14 Mit V.4 beginnt ein bis V.7 reichender Abschnitt, in dem der Sieg Judas über Adoni-Bezek beschrieben wird. Die Wortwahl von V.4 zeigt die unmittelbare Anknüpfung an V.1f: „hinaufziehen“ (V.1b.2a.4a); „Juda“ (V.2a.4a); Übergabe durch Jahwe: „ נתןgeben“ + Jahwe (V.2b.4a); „Kanaanäer“ (V.1b.4a); „in die Hand“ (V.2b mit Suffix 3.Sg.m.; V.4a mit Suffix 3.Pl.m.). Lediglich die Nennung der 9
So auch BECKER, Richterzeit, 36; vgl. noch RAKE, „Juda…“, 76. – Dass es in 1,1f um die Führung Judas geht, hat EDERER, Ende, 305–308 herausgearbeitet; er verortet die hier geschilderte Orakelszene an einem Heiligtum bzw. in einem kultischen Kontext. 10 Die Übergabeformel „geben“ נתן+ Subjekt Jahwe begegnet im Richterbuch mit wechselnden Objekten: 1,4.15; 3,10.28; 4,14; 7,9.14f; 11,21; 16,23f; 18,10. – Inhaltlich und sprachlich entsprechen sich Ri 1,1 und Ri 20,18. 11 So BECKER, Richterzeit, 37; zur Nennung von Juda und Simeon vgl. RAKE, „Juda..“, 76f. 12 So auch GROSS, Richter, 120; EDERER, Ende, 308–310. 13 Ebenso wie in Ri 1,3 ist in Jos 19,1 vom „Los“ גורלdie Rede; die Anlehnung an Jos 19,1 kann der Grund für die Rede vom גורלim Unterschied zu der von „Land“ ארץin V.2.4 sein. 14 Anders RAKE, Juda, 77.
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Perizziter in V.4a ist gegenüber V.1b neu. Auffallend ist, dass der Sieg über die Kanaanäer und Perizziter in V.5b ein zweites Mal berichtet wird, wobei hier das Handeln Judas stärker als in V.4a betont wird. Im Unterschied zu V.4a wird zudem in V.5b die Pluralform des Verbs verwendet. G. Schmitt sieht zwischen V.4 und V.5 einen harten Anstoß, denn V.4 nehme größtenteils V.5 vorweg.15 Diese Doppelung kann jedoch kompositionelle Gründe haben, denn V.4 und V.5 stehen deutlich in Entsprechung zueinander. Ebenso wie V.4a und V.5b stehen V.4b und V.5a in Entsprechung zueinander, denn in beiden Versen geht es um einen Sieg Judas über die Kanaanäer und Perizziter16 bei Bezek. Die Nennung von Bezek überrascht, denn es werden keine Gründe angegeben, wieso gerade an diesem Ort gekämpft wird. Zudem bleibt seine Lokalisierung offen. In der Regel wird Bezek mit Ḫirbet Ibzīq nordöstlich von Sichem identifiziert, doch lässt der Kontext von 1,3-7 auch an einen Ort in Juda-Simeon denken.17 Die Identifikation von Bezek mit Ḫirbet Ibzīq ist freilich die prominenteste. Der Sieg wird in V.4b mit der stereotypten Wendung „10 000 Mann“18 beschrieben. In V.5a dagegen erscheint der Kampf als Schlacht gegen Adoni-Bezek, wobei die Frage nach dessen Identität unbeantwortet bleibt.19 War er König oder Fürst oder Heerführer der Kanaanäer? Gehörte er zu den Perizzitern oder zu den Kanaanäern?20 Die Einführung von Adoni-Bezek hier ist überraschend.21 Überlieferungsgeschichtlich sind in V.4f offenbar zwei Linien miteinander verknüpft worden: die erste Linie berichtet von einem Sieg Judas über die Kanaanäer und die Perizziter (V.4a.5b); die zweite Linie hat den Sieg Judas über Adoni-Bezek als Thema (V.4b.5a). Groß sieht in „die Kanaanäer und die Perizziter“ „junge Zutaten“.22 Dies ist möglich, angesichts des fragmentarischen Charakters von V.4-8 bleibt hier jedoch vieles offen.23 15
SCHMITT, Frieden, 49. Zu den Perizzitern vgl. GROSS, Richter, 122f. 17 Zu Bezeq vgl. WELTEN, Bezeq, 138–165; GÖRG, Besek, 279. 18 Vgl. noch 4,6.10; 20,34. 19 Zu dem Namen „Adoni-Bezek“ vgl. GROSS, Richter, 121f. 20 M.E. ist die These BECKERS, Richterzeit, 37f., wonach der Redaktor Adoni-Bezek „eindeutig“ als König von Jerusalem auffasse nicht zutreffend. BECKER deutet „Bezek“ nicht als Heimat des Königs, sondern als Schlachtort. 21 Vgl. SCHMITT, Frieden, 49. 22 GROSS, Richter, 123; zu den Perizzitern vgl. GASS, in: GROSS/GASS, Studien, 322– 326. 23 Hypothetisch bleibt die Vermutung von E.A. KNAUF, Richter, 41, wonach der Sieg Judas und Simeons bei Bezek als „Revanche“ Judas für die Dominanz Israels in 1Sam 16
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Das Schicksal Adoni-Bezeks steht im Zentrum von V.6f. In V.6 wird in einem Dreischritt von seiner Flucht, seiner Verfolgung und seiner Ergreifung berichtet.24 Bei seiner Ergreifung werden ihm die Finger und zehn Zehen als Zeichen seiner Machtlosigkeit und Demütigung abgeschlagen.25 Unklar bleibt der Adressat der Worte Adoni-Bezeks. Redet er zu denen, die ihn verfolgt und gefangen haben? Redet er zu den Judäern? Ebenso bleibt offen, wo er dies gesprochen hat. Inhaltlich handelt es sich um ein Eingeständnis seines Fehlverhaltens. Das, was Adoni-Bezek anderen getan hat, muss er jetzt selbst erleiden. Mit seinem Eingeständnis „wie ich getan habe, so hat Gott mir vergolten“ formuliert er eine für das Richterbuch entscheidende Erkenntnis: Gott vergilt falsches Tun.26 Israel musste Gottes Vergeltungshandeln erfahren, als es das tat, was in den Augen Jahwes falsch war (2,11ff) und die Völker mussten dies erfahren, als sie über die Stämme Israels herfielen.27 Auch Abimelech machte diese Erfahrung, denn Gott lies dessen Bosheit auf ihn selbst zurückfallen (9,56).28 Im Anschluss an seine Gefangennahme wird Adoni-Bezek nach Jerusalem gebracht, wo er auch stirbt. Das Subjekt zu „und sie brachten ihn“ ist wohl „Juda“29, denn in V.5f sind es die Judäer, die handeln. Es ist m.E. nicht möglich, hier die Gefolgsleute des Königs als Subjekt anzunehmen, weil dieser Subjektswechsel hätte angezeigt werden müssen. Die Adoni-Bezek - Anekdote ist ganz ohne Querverbindungen zu den übrigen Teilen von Ri 1. Von daher scheint mir die alte These, wonach es sich hier um ein „Überlieferungsfragment“ handelt, immer noch am wahrscheinlichsten zu sein.30 V.8 ist mit V.7 durch das Stichwort „Jerusalem“ verknüpft. Es ist davon die Rede, dass Jerusalem von den Judäern erobert wurde, mit der Schärfe des Schwertes geschlagen und mit Feuer verbrannt wurde. Die beiden letzten Angaben sind geprägte Wendungen, die oft im Josua-31 als auch im Richterbuch32 vorkommen. Nach dem Josuabuch Forts. FN 23:11 zu verstehen sei und einen judäischen Alleinvertretungsanspruch für „Israel“ seit dem 4./3. Jh. andeute. 24 Eine ähnliche Schilderung findet sich bei Sisera in Ri 4. 25 Zur Verstümmelung von Kriegsgefangenen im Alten Orient vgl. GROSS, Richter, 132f. 26 Zum Tun-Ergehen-Zusammenhang an dieser Stelle vgl. auch E.A. KNAUF, Richter. 27 In diese Richtung gehen auch die Überlegungen von SASSON, Judges, 136. 28 Vgl. Dtn 7,10; Ri 5,31. 29 So auch BECKER, Richterzeit, 38. 30 Siehe dazu SCHMITT, Frieden, 51. 31 Jos 10,28.30.32.35.37.39; 6,24; 7,25; 8,8.19; 11,11. 32 Ri 9,49.52; 18,27.
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ist es Josua, der Städte schlägt und niederbrennt, in Ri 1 übernimmt Juda diese Aufgabe. Ebenso wie in der Einleitung in V.1f. soll gezeigt werden, dass Juda so erfolgreich wie Josua handelt und somit legitimer Nachfolger Josuas ist. Von daher entspringt V.8 eher einem ideellen Bedürfnis als der historischen Realität. Jerusalem ist nach alttestamentlicher Auffassung erst von David in der Königszeit erobert und nicht bereits in der Richterzeit erobert worden. Ri 1,21 kommt dabei der historischen Wirklichkeit sehr viel näher als V.8.33 V.8 steht in Spannung zu V.4.7. V.4 redet pauschal davon, dass Jahwe die Kanaanäer in die Hände Judas gegeben habe. In V.8ff werden die Einzeleroberungen aber erst geschildert. V.8 berichtet von der Eroberung Jerusalems. Nach V.7 scheint jedoch Jerusalem bereits erobert zu sein, da die Judäer Adoni-Bezek nach Jerusalem bringen.34 M. Ederer deutet V.4-8 in enger Anlehnung an Jos 10. Er sieht beide Texte „durch markante Stichwortbezüge untereinander verbunden.“35 Das Zusammentreffen von Kanaanäern und Perizzitern auf der einen und Juda auf der anderen Seite (Ri 1,4-5) „reinszeniere“ die Schlacht bei Gibeon. Wenn in Ri 1,8 gerade der Stamm Juda die Stadt einnehme, trage dies der „Rüge“ aus Jos 15,63 Rechnung, die Juda für den Verbleib der Kanaanäer in Jerusalem verantwortlich mache.36 Gegenüber Jos 10 weise Ri 1,8 jedoch eine deutliche Leerstelle auf, da die Vernichtungsweihe offensichtlich nicht vollstreckt werde. Hierin erkennt Ederer eine klare Kritik an Juda, das den „Sinngehalt“ der Kriegsgebote nicht umsetze.37 Ederers Sicht bleibt insofern unbestimmt, da er nicht recht deutlich macht, auf welche Weise sich Ri 1,4-8 an Jos 10 anlehnt: literarisch? formgeschichtlich? V.8 steht mit V.9 in enger Verbindung, da im Anschluss an den Sieg über Jerusalem der Sieg über die großen Gebiete auf dem Gebirge, im Süden und im Küstenbereich berichtet werden. Es geht hier wie in den vorangegangenen Versen darum zu zeigen, dass Juda so erfolgreich wie Josua handelt, von dem es in Jos 10,40 heißt, er habe das ganze Land auf dem Gebirge, im Süden, im Hügelland und an den Abhängen geschlagen.38 In formaler Hinsicht wird V.9 ebenso wie V.8 von dem 33
Vgl. auch Jos 15,63. Zur – möglichen – Verbindung von Adoni-Bezek und Adoni-Zedek (Jos 10,1-15) vgl. die Ausführungen von GROSS, Richter, 125. 35 EDERER, Ende, 321. 36 EDERER, Ende, 322. 37 EDERER, Ende, 325. 38 Eine gewisse Spannung besteht zwischen der Verwendung des Verbs ירד „hinuntergehen“ in V.9a und dem Hinweis auf das Gebirge in V.9b. 34
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Hinweis auf den Kampf gegen bestimmte Gegner bestimmt ( לחםNi. „kämpfen“). Mit V.10 beginnt ein bis V.15 reichender Abschnitt, in dem der Kampf Judas gegen Hebron (V.10), Debir (V.11) sowie die Verhandlungen zwischen Kaleb und Othniel beschrieben werden (V.12-15). In V.10 wird zunächst von dem Kampf der Judäer gegen die kanaanäische Bevölkerung von Hebron berichtet, wobei der alte Name von Hebron – Kirjat Arba – noch erläuternd hinzugefügt wird.39 Es heißt, dass die Judäer Scheschai, Ahiman und Thalmai schlugen. V.10 hat eine Entsprechung in Jos 15,14, wo es jedoch im Unterschied zu Ri 1,10 heißt, dass Kaleb die drei Enakitersöhne Scheschai, Ahiman und Thalmai aus Hebron vertrieben habe. 40 Die Priorität scheint hier Jos 15,14 zuzukommen, denn Ri 1 ist aus judäischer Perspektive gesehen und von daher ist die Auswechslung eines ursprünglichen Kaleb durch Juda gut denkbar. Zudem werden in Ri 1,10 die drei Söhne nicht erklärt, offenbar wird ihr Bekanntsein vorausgesetzt.41 In V.11 ist zunächst von dem Zug gegen die Bewohner von Debir die Rede. Die entsprechende Notiz in Jos 15,15 stimmt mit 1,11 völlig überein.42 In V.12-15 finden sich Erläuterungen zur Eroberung der Stadt Debir. Zunächst legt Kaleb ein Versprechen ab. Derjenige, der Debir erobert, wird seine Tochter Achsa zur Frau bekommen. Die Notiz in V.12 ist identisch mit derjenigen von Jos 15,16. Da Othniel, der Sohn des Kenaz, der Bruder Kalebs, die Stadt erobert, erhält er Achsa zur Frau.43 Auch diese Notiz stimmt mit Jos 15,17 überein, lediglich „der jüngste von ihm“ ist gegenüber Jos 15,17 Zusatz. In V.14f geht es dann um die Bitte Othniels an Achsa, ein Stück Land von ihrem Vater zu fordern. Die beiden Verse entsprechen bis auf wenige kleinere Abweichungen Jos 15,18f. Die Abweichungen im Einzelnen sind: in V.14 ist im Unterschied zu Jos 15,18 das Nomen „Feld“ mit Artikel versehen; V.15 לי הבה- Jos 15,19 „ תנה ליgib mir!“; V.15aß „du hast mir gegeben“ – Jos 15,19 fügt noch hinzu: „du sollst mir
39 V.10LXX hat hier noch: „…und Hebron zog (ihm) entgegen…“ Zu Hebron vgl. GROSS; Richter, 129. 40 Zu den „Anakiter/ Kaleb/Otniel und Debir“ vgl. GROSS, Richter, 127–132. 41 So auch BECKER, Richterzeit, 40f.; zu den „Anakitern, Hebron und Kaleb“ vgl. GROSS, Richter, 127–130. 42 Tg liest anstelle von Kirjat Sephär: Kirjat Arke. 43 Zu Ri 1,10-15 vgl. die feministisch-sozialgeschichtlichen Überlegungen von JOST, in: FS GERSTENBERGER, 110-125; – vgl. noch GROSS, Richter, 132-135; SASSON, Judges 1-12, 137f.
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geben“; V.15b nennt noch im Unterschied zu Jos 15,19 das Subjekt „Kaleb“.44 V.16 fällt aus Ri 1 insofern heraus, als er von keinerlei Eroberungen berichtet. In textlicher Hinsicht bereitet er zudem einige Schwierigkeiten. So fällt gleich zu Anfang in V.16a die Wendung „die Söhne eines Keniters“ auf. Von der Konstruktion her würde man vor dem Gentilizium den Artikel erwarten „die Söhne des Keniters“, was in der Tat in der Textauslegung auch immer wieder durchgeführt wird.45 Man beruft sich dabei auf Ri 4,11, wo von Heber „dem Keniter“ die Rede ist. Bei dieser Textüberlieferung bleibt aber dennoch zu fragen, warum der Name dieses Keniters nicht genannt wird. Wäre er nicht eigentlich zu erwarten? Hier kann ebenfalls Ri 4,11aß weiterhelfen, wo die Wendung „von den Söhnen Hobabs…“ begegnet. Von daher bleibt zu fragen, ob man in V.16a nicht „Hobab“ einfügen sollte. Diese Hinzufügung findet sich auch in LXXA.46 Schwierigkeiten bereitet zudem die Fortsetzung „mit den Judäern, die im Negeb liegt nach (?) Arad.“ Die Notiz „mit den Judäern“ steht im Verdacht einer späteren Hinzufügung, die gemacht wurde, um auch V.16 wie bereits den vorangehenden Versen eine judäische Perspektive zu geben. In diesem Zusammenhang könnten dann auch die geographischen Angaben „Wüste Juda“ und „Negeb“ in den Text gekommen sein. Hier kann die Angabe in LXXA weiterhelfen, die vor Arad ἐπὶ καταβάσεως „Abstieg/Abhang“ liest, was hebräisch במורד „Berghang“ entspricht. Das graphisch ähnlich wie „ ערדArad“ aussehende מורדkann durch einen Lesefehler aus dem Text gefallen sein. מורדheißt so viel wie „Abhang, Abstieg“, was zu „Arad“ sehr gut passt. So kann man mit Hilfe dieser Konjekturen als – denkbaren – ursprünglichen Text rekonstruieren: „Und die Söhne des Keniters Hobab zogen von der Palmenstadt hinauf auf den Abhang/Abstieg von Arad.“47 Schwierigkeiten bereitet auch V.16b: „Und es ging und wohnte bei dem Volk.“ Auffallend ist hier zunächst die Verwendung von Singularformen bei den Verben, nachdem im ersten Teil die Pluralform 44
Zum Vergleich von Ri 1,12-15 mit Jos 15,15-19 vgl. EDERER, Ende, 344–348; er sieht in Kaleb, Achsa und Othniel „eine überbrückende Funktion“ (362) nach dem Tod Josuas; siehe zudem die Gegenüberstellung von Jos 15 und Ri 1 bei GROSS, Richter, 127. – Zu „Achsa“ vgl.FEWELL, Deconstructive, 115–137. 45 Siehe BHS zur Stelle. 46 Siehe dazu LINDARS, Judges 1-5, 35. 47 In den Grundzügen folge ich der – überzeugenden – Argumentation von MITMANN, Siedlungsgebiet, 213–219; so auch BECKER, Richterzeit, 42f.
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verwendet wird. Inhaltlich bleibt zu fragen, wer mit „dem Volk“ denn gemeint sein könnte? Man ändert dann gerne den Text ab und liest im Anschluss an einige LXX- Handschriften „ העמלקיAmalekiter“.48 Diese Änderung beruht auf geographischen Überlegungen, denn die Amalekiter siedelten nach Gen 14,7; Num 13,29 im Südland bei Kades-Barnea. Von hier aus unternahmen sie gelegentlich Raubzüge gegen das Kulturland (1Sam 30,1.18), weshalb sie das Alte Testament als die Feinde Israels (Ri 3,13; 6,3.33; 7,12; 10,12) bezeichnet (vgl. auch Dtn 25,17.19). In 1Sam 15,6 werden die Keniter mit den Amalekitern zusammen genannt. Saul fordert die Keniter auf, von den Amalekitern wegzuziehen. Es ist von hier aus nicht ausgeschlossen, dass in V.16b eine spätere von 1Sam 15,6 beeinflusste ergänzende Notiz vorliegt.49 Was die Frage nach der Lokalisierung der in V.16 genannten Regionen betrifft, so hat hier S. Mittmann wertvolle Überlegungen vorgetragen. So hat er vorgeschlagen, die „Palmenstadt“ aufgrund des sonstigen Vorkommens im Alten Testament (vgl. etwa Ri 3,13) sowie siedlungsarchäologischer Überlegungen ca. 10 km südsüdöstlich des Toten Meeres bei dem Ruinenkomplex von cAin el-cArus zu suchen. In der weiteren Umgebung von dort seien keine nennenswerten eisenzeitlichen Fundstätten bekannt. Dagegen seien ca. 150 m von der Quelle cAin el-cArus Scherben aus der Eisenzeit gefunden worden.50 Der „Abstieg von Arad“ ist nach Mittmann mit der Landbucht bei Tell Arad zu identifizieren. Tell Arad (= Arad) liege im inneren Winkel dieser Landbucht, die sich zwischen dem Keil des hier auslaufenden Gebirges und dem leicht überhöhten Grat der vom Toten Meer aufsteigenden Grabenflanke nach Süden öffne. „In flacher Neigung, die durch die Kuppe von el-Kusēfe und zwei sich weiter östlich anreihende Hügel partiell unterbrochen ist, fällt ihr Gelände nach Südwesten ab, zum Kopf des Wādī el-Milḥ, in dessen Zentrum sich, etwa 12 km Luftlinie südwestlich-westsüdwestlich von Tell cArād, der Tell el-Milḥ erhebt. In seinem südöstlichen Umkreis begrenzen die ersten, noch sanften Negeb-Höhen die Bucht.“51 Wenn die oben rekonstruierte ursprüngliche Gestalt von V.16 zutrifft, so ist V.17b gut als Fortsetzung von V.16 denkbar. Die Söhne 48 Siehe BHS zur Stelle; dieser Vorschlag wird von LINDARS, Judges, 39f. energisch zurückgewiesen. 49 Zu „Amalek“ vgl. GÖRG, Amalek, 83; NEEF, Ephraim, 171f. 50 MITTMANN; Siedlungsgebiet, 220–234; vgl. auch die informative Kartenskizze 220; – anders LINDARS, Judges, 39, der die „Palmenstadt“ mit Jericho identifiziert. 51 MITTMANN, Siedlungsgebiet, 221.
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Hobabs zogen von der Palmenstadt hinauf auf den Abhang von Arad und schlugen die Kanaaniter, die in Zephat wohnten, was sie in Horma umbenannten. Damit wäre V.17a ein Zusatz, der bei der Einarbeitung von V.16f* in den Kontext von Ri 1,1-21 entstand, um - wie bereits in V.1f angezeigt - die Landnahme unter judäischer Führung zu kennzeichnen. Nach M. Ederer zeigt das Suffix der 3.Sg.f. der nota accusativi in V.17b, dass die Vernichtungsreihe allein der Bausubstanz der Stadt gelte, während die kanaanäischen Bewohner offensichtlich ausgespart blieben. Damit werde unterschwellig auf Defizite hingewiesen, wodurch sublim ein Schatten auf den Feldzug der Stämme gelegt werde. M.E. ist diese Deutung des Suffixes nicht gerechtfertigt, eine Trennung von Einwohnerschaft und der Bausubstanz der Stadt ist kaum möglich. Eine Konstructus-Verbindung bildet immer eine Einheit.52 Die in V.17 genannte Stadt Horma ist möglicherweise mit dem südwestlich von Tell cArād gelegenen Tell el-Milḥ zu identifizieren.53 V.18 bereitet nicht wenige Probleme, denn seine Aussage, dass Juda Gaza, Askalon und Ekron mitsamt ihren Gebieten erobert habe, steht im Widerspruch zu V.19b, wo es heißt, dass Juda die Ebene nicht erobern konnte, weil die dortigen Bewohner eiserne Streitwagen besaßen. Aufgrund dieses Widerspruches wird gerne im Anschluss an LXX ein „nicht“ eingefügt.54 Der Einfügung von „nicht“ hat vor allem U. Becker mit Recht heftig widersprochen.55 Nach ihm ist diese Einfügung textkritisch nicht gerechtfertigt, da MT die lectio difficilior biete,56 V.18 sei mit der vermutlich ursprünglichen Fassung von V.21, die „Juda“ statt „Benjamin“ las, kaum in Einklang zu bringen, die Verwendung des Verbs „erobern“ לכדsei charakteristisch für die Juda-Redaktion (V.8.12f) und füge sich auch gut in die Tendenz der Juda-Redaktion ein. V.18 rühre von der Juda -freundlichen Überarbeitung von Kap. 1 her.57 G. Schmitt sieht in V.18 eine gewisse Nähe zu V.27ff. Er fragt deshalb, 52
EDERER, Ende, 366; – zur Konstructus-Verbindung vgl. jetzt KARTVEIT, Rejoice, passim. 53 So MITTMANN, Siedlungsgebiet, 220–234; diese Identifizierung wird abgelehnt von FRITZ, Horma, 195f. 54 Siehe BHS z.St. und BHQ z.St. 55 So auch RAKE, Juda, 83. 56 So auch SCHMITT, Juda, 57. 57 BECKER, Richterzeit, 44f.; so auch RAKE, „Juda…“, 83; LINDARS, Judges 43f. sieht in V.18 eine spätere Hinzufügung. – Die Frage der Hinzufügung von „nicht“ lässt GROSS, Richter, 137f. offen.
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ob es nicht möglich wäre, „daß der jüngere Bearbeiter in v.18 eine ursprüngliche Notiz des ‚negativen Besitzverzeichnisses‘ einfach auf den Kopf gestellt hätte?“58 - Die Komposition von V.1-21 zeigt m.E. nach V.17 einen Einschnitt, mit der Nennung von Juda und Simeon ist ein Abschluss und mit V.18 ein Neueinsatz gegeben. Nicht auszuschließen ist, dass der judäische Verfasser in V.18 zum Ruhm Judas dieses Gebiet erobert sein lässt.59 V.19 wird mit der Notiz, dass Jahwe mit Juda gewesen sei, eröffnet. Der Vers formuliert, was faktisch bisher schon feststand: Jahwe steht zu Juda. Juda ist von ihm als Nachfolger Josuas bestimmt (V.1f) und es erobert deshalb erfolgreich kanaanäische Orte mitsamt der Stadt Jerusalem. Die Darstellung in 1,1-17 lässt an dem Mitwirken Jahwes keinen Zweifel. In V.4aß heißt es, dass Jahwe die Kanaanäer und Perizziter in die Hand Judas ausgeliefert habe. Von daher ist es nicht zwingend, V.19 als Einfügung anzusehen.60 Die Aussage von V.19aßb erinnert inhaltlich an V.9, wo davon die Rede ist, dass Juda gegen die Kanaanäer auf dem Gebirge, im Süden und in der Schephela gekämpft habe. V.19aßb liest sich wie die abschließende Notiz zu V.9.61 Die Wendung „die Bewohner von…“ erinnert sehr an V.11.27.3033, so dass von der sprachlichen Seite her der Vers nicht aus den übrigen Versen herausfällt. Von daher ist V.19aßb auch in einer Liste nicht eroberter Orte und Gebiete wie in V.27ff denkbar.62 Die militärische Übermacht der Bewohner in der Ebene wird ähnlich wie in 4,3.13 mit dem Hinweis auf deren Wagen aus Eisen begründet. V.20 muss als Korrektur von V.10 verstanden werden. Nach V.10 war es der Stamm Juda, der Hebron erobert hat. V.20 bringt demgegenüber die ältere Tradition zur Geltung, nach der Hebron der Besitz von Kaleb ist (Jos 14,13). Ebenso wie V.20 als Korrektur zu V.10 gelesen werden muss, muss V.21 als Korrektur von V.8 verstanden werden. Nach V.8 haben die Judäer Jerusalem mit der Schärfe des Schwertes geschlagen und die Stadt mit Feuer verbrannt. Diese Aussage steht in Widerspruch zu Jos 58
G. SCHMITT, Frieden, 58. Vgl. dazu noch GROSS, Richter, 138. 60 So BECKER, Richterzeit, 45f.; – zu V.19 vgl EDERER, Ende, 297–304, der V.19 als Schlüssel zur Interpretation von 1,1-36 ansieht. Er zeigt sehr schön, die Verbindungen von V.19 nach vorne und hinten ins Josua- bzw. Richterbuch auf. 61 Wie kann es sein, dass trotz der Unterstützung durch Jahwe Juda die Bewohner der Ebene nicht eroberte? Tg fügt deshalb „die Sünde Judas“ ein. 62 Anders BECKER, Richterzeit, 45f.; GROSS, Richter, 140. 59
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15,63,63 wonach die Judäer die Jebusiter nicht aus Jerusalem vertreiben konnten. Aufgrund der Juda-freundlichen Tendenz von Ri 1,1-21 wurde „Juda“ durch „Benjaminiten“ ersetzt, in deren Territorium Jerusalem nach Jos 18,28 lag.64 Mit V.22-26 wird die judäische Perspektive von V.1-21 verlassen und das „Haus Joseph“ in den Blick genommen. Mit dem „Haus Joseph“ sind im engeren Sinn die beiden Stämme Manasse (V.27) und Ephraim (V.29) sowie im weiteren Sinn die Nordstämme bezeichnet (V.30-36). Die Eroberung Bethels durch das Haus Joseph ist in bewusster Entsprechung zur Eroberung Judas formuliert: „hinaufziehen“: V.22 + V.1-4; das Mit-Sein bzw. Mitwirken Jahwes: V.22b + V.2b.4a.65 Mit „auch sie/es“ (V.22a) wird der Abschnitt mit V.1-21 verklammert. In der Beschreibung der Eroberung Bethels steht unausgesprochen das verborgene Handeln Jahwes im Hintergrund. Wie von Jahwe gewirkt kommt den Spähern ein Mann aus Bethel entgegen (V.24), um ihnen trotz der drohenden Gefahr bereitwillig den Eingang zur Stadt zu zeigen (V.25). Es bleibt offen, warum der Mann den Spähern des Hauses Joseph so entgegenkommt.66 Es ist davon die Rede, dass die Stadt mit der Schärfe des Schwertes geschlagen wird. Das weitere Schicksal Bethels bleibt ungenannt. So wird die Episode von der Eroberung Bethels eigentlich nur im Kontext von Ri 1 verständlich. Die Frage, ob wir es hier mit einer alten, historisch durchaus glaubwürdigen Erzählung67 oder mit einer unhistorischen Anekdote68 zu tun haben, ist wohl eher im letzteren Sinn zu entscheiden. Überlieferungsgeschichtlich knüpft die Episode an Gen 28,19; 35,6 an, wo von der Identifikation von Bethel mit Luz die Rede ist. Nach Gen 28,19 geht die Umbenennung von „Luz“ in „Bethel“ auf Jakob im Anschluss an dessen Gotteserscheinung zurück. In Gen 35,6 wird diese Identifikation als bekannt vorausgesetzt. Ebenso deutlich ist die thematische und motivische Nähe zu Jos 2; 6. Eine literarische Abhängigkeit von Jos 2 und 6 ist jedoch kaum wahrscheinlich!69 In Ri 63
Zum Verhältnis von Ri 1,21 und Jos 15,63 vgl. GROSS, Richter, 140. So auch GROSS, Richter, 140. 65 In V.22b sind Textänderungen m.E. nicht berechtigt; vgl. dazu NEEF, Ephraim, 210f; – zu V.22 vgl. RAKE, „Juda…“, 92; EDERER, Ende, 326–329. 66 Zur Parallelität von V.22-26 zu Jos 2; 6; 7; 8 vgl. RAKE, „Juda…“; GROSS, Richter, 142f; EDERER, Ende, 330–338. 67 MOORE, Judges, 40ff. 68 HERTZBERG, Josua, 152; GROSS, Richter, 142 u.a. 69 Vgl. dazu BECKER, Richterzeit, 47. 64
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1,22-26 liegt das Schwergewicht der Aussage auf der Gründung eines zweiten israelitischen Ortes „Luz“ im Land der Hethiter. Mit V.27 wird die in V.19.21 begonnene Aufzählung der Gebiete bzw. Ortschaften, die von den israelitischen Stämmen nicht in Besitz genommen wurden, fortgesetzt. Diese sind bei Manasse die Städte Bethsean, Thaanach, Dor, Jibleam und Megiddo mitsamt ihren Nebenorten.70 Von hier konnten die Kanaanäer nicht vertrieben werden. Dadurch war das Haus Joseph von den in Galiläa siedelnden Stämmen getrennt. Diese Orte decken mit Ausnahme von Dor die Jesreelebene in wesentlichen Teilen ab. Die Aufzählung der Orte hat eine Parallele in Jos 17,11f., wobei jedoch einige Abweichungen festzustellen sind71: Jos 17,11 und Ri 1,27 unterscheiden sich in der unterschiedlichen Reihenfolge von Thaanach und Jibleam und durch den Ort En-Dor, der in Ri 1,27 fehlt; Dor in Jos 17,11 wurde wohl aus Ri 1,27 eingetragen, da bei Dor in Jos 17,11 als einziger Stelle die nota accusativi gesetzt ist, die in Ri 1,27 sonst vor jeder Ortslage erscheint; in Jos 17,12 wird im Unterschied zu Ri 1,27 die Nichtvertreibung der Kanaanäer mit der Wendung „sie konnten nicht…“ wiedergegeben. Als Schlussfolgerung des Vergleichs von Jos 17,11 mit Ri 1,27 muss man m.E. festhalten, dass beide Stellen von einer gemeinsamen Grundlage ausgehen, da die Grundübereinstimmungen offenkundig sind: Die Liste der Orte ist bis auf die Nennung von En-Dor identisch; die Kanaanäer können nicht vertrieben werden. Von dieser gemeinsamen Grundlage ausgehend wurden beide Stellen leicht verändert und dem Kontext angepasst.72 Nach M. Rake sind die deutlichen Unterschiede zwischen den Städtelisten in Jos 17,11 und Ri 1,27 das Ergebnis mehrfacher Bearbeitung auf beiden Seiten. Die deutlichen Übereinstimmungen seien dagegen mit wechselseitiger nachträglicher Angleichung zu erklären.73 V.28 fällt aus V.27.29-35 insofern heraus, als hier nicht der Einzelstamm, sondern Israel insgesamt im Blick ist. Hier ist davon die Rede, dass Israel trotz seiner Stärke die Kanaanäer nicht vertreiben konnte. In seiner inhaltlichen Aussage sowie in seinem Aufbau ist der 70
Zur Identifikation diese Orte vgl. NEEF, Ephraim, 213. Siehe dazu die Tabelle bei NEEF, Ephraim, 212. 72 Nach RAKE, „Juda…“, 56 ist das Verhältnis von Jos 17,11 und Ri 1,27 insofern kompliziert, als „die deutlichen Übereinstimmungen … nicht mit prinzipieller literarischer Abhängigkeit, sondern vielmehr mit wechselseitiger nachträglicher Angleichung zu erklären sind.“ 73 RAKE, Juda, 53.56. 71
4. Einzelexegese
75
Vers mit Jos 17,13 identisch, lediglich in der Wortwahl unterscheiden sich beide Verse.74 In V.29 geht es um den Stamm Ephraim, der die Kanaanäer nicht aus Gezer vertreiben konnte. Sprachlich ist in diesem Vers „in Gezer“ (V.29b) auffallend. Diese adverbielle Bestimmung des Ortes dient zur Verdeutlichung des Suffixes der 3.Sg.m. bei „in seiner Mitte“, sie sollte offenbar einen Bezug zu „Ephraim“ ausschließen. Ursprünglich bezog sich das Suffix auf „Ephraim“, was aus dem Paralleltext in Jos 16,10 hervorgeht, wo es „in der Mitte Ephraims“ heißt. Die Frage nach der Priorität der beiden Stellen ist schwer zu entscheiden.75 Die in Jos 16,10 etwas längere Form kann durchaus für eine Erweiterung von Ri 1,29 gedeutet werden.76 Im Gebiet des Stammes Sebulon (V.30) gelang es nicht, die Bewohner von Kitron und Nahalol77 zu vertreiben. Der Vergleich mit Jos 19,15 zeigt deutliche Unterschiede, denn an Stelle von Kitron steht in Jos 19,15 Kattath.78 Ob damit ein- und derselbe oder verschiedene Orte gemeint sind, ist kaum noch entscheidbar. Im Gebiet von Asser (V.31f.) konnten die Kanaanäer nicht aus Akko, Sidon, Achlab, Achsib, Helba, Aphik und Rehob vertrieben werden.79 Im Josuabuch wird das Siedlungsgebiet von Asser in 19,24-31 beschrieben, wo in V.29f. mit einigen Abweichungen die gleichen Orte begegnen. In Jos 19,29f fehlt Akko und Sidon wird an anderer Stelle genannt. In Ri 1,31 steht es zwischen Akko und Achlab und in Jos 19,28 steht es am Ende der Reihe Ebron – Kana.80 Der Stamm Naphtali konnte die Kanaanäer nicht aus den Orten BethŠemeš und Beth-Anath vertreiben.81 In V.34f. weicht das in V.29ff erkennbare Schema ab. Hier wird aus der Sicht der Amoriter formuliert, von ihnen heisst es, sie hätten die Daniten aufs Gebirge gedrängt und nicht zugelassen, dass sie herunter in die Ebene kämen. Die Amoriter konnten in einigen Städten wohnen bleiben. Abgeschlossen werden beide Verse mit dem Hinweis auf das „Haus Joseph“, dessen Hand auf den Amoritern lastete. Die Nennung von 74
Siehe dazu NEEF, Ephraim, 214. BECKER, Richterzeit, 28f.; – Jos 16,10bß ist jedoch als spätere Hinzufügung gut denkbar. 76 BECKER, Richterzeit, 29; RAKE, 57–59. 77 Zur Identifikation dieser Orte vgl. NEEF, Ephraim, 216f. 78 Vgl. die Tabelle bei NEEF, Ephraim, 218. 79 Zur Identifikation dieser Orte vgl. NEEF, Ephraim, 218f. 80 Vgl. die Tabelle bei NEEF, Ephraim, 220. 81 Vgl. NEEF, Ephraim, 220f. 75
76
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„Haus Joseph“ scheint kompositorische Gründe zu haben, denn es eröffnet in V.22 den Abschnitt und beschließt ihn in V.35.82 Recht unvermittelt wird in V.36 das Gebiet der Amoriter beschrieben. Sachlich gehört er zu V.9-21, nach K. Budde83 stand er ursprünglich hinter V.16 oder V.17. Es ist schwer zu entscheiden, ob er aus einer Grenzbeschreibung Israels und seiner Nachbarn stammt. Deutlich ist jedoch, dass er ursprünglich nicht zu V.27-35 gehörte.
82 83
Zu V.34f. vgl. ausführlicher NIEMANN, Daniten, 26–35; NEEF, Ephraim, 221–225. BUDDE, Richter, 19.
5. Gliederung
77
5. Gliederung Ri 1,1-36 lässt sich in drei sich entsprechende Abschnitte untergliedern: A + B + C ║ A‘ + B‘ + C‘.1 Im ersten Abschnitt A V.118 geht es um die Siege Judas: V.1f Juda als Führer Israels; V.3 Juda und sein Bruder Simeon; V.4-7 der Sieg Judas über Adoni-Bezek; V.811 die Siege über Jerusalem, die Kanaanäer, Hebron und Debir; V.1215 Kaleb und Othniel; V.16 Juda und die Keniter; V.17 Juda und Simeon. In diesem Abschnitt fällt zudem die Umklammerung durch die Nennung von Juda und Simeon auf: V.3 + V.17. V.18 Juda und Gaza, Aschkalon und Ekron. Diesem ersten Abschnitt entspricht in V.22-26 (A‘) die Darstellung des Sieges des Hauses Joseph über Bethel. Beide Teile stehen in Entsprechung zueinander, was sich vor allem an der Verwendung des Verbs ( עלהV.1.2.3.4. + V.22) „hinaufgehen“ zeigt. Beide Stämme stehen zudem unter der Verheißung des Beistandes Jahwes (V.2b + V.22b). Zudem sind V.1-17 + V.22-26 durch „auch sie“ (V.22a) miteinander verknüpft. Im zweiten Abschnitt B V.19 geht es um die von Juda eroberten und nicht eroberten Regionen. Diesem Abschnitt entspricht das sog. negative Besitzverzeichnis in V.27-33 (B‘).2 Als dritter Abschnitt lassen sich V.20f (C) und V.34-36 (C‘) abtrennen. Diese Verse heben sich von ihrer Umgebung ab. V.20 will als Korrektur zu V.10 und V.21 als Korrektur von V.8 verstanden werden. Ebenso fallen V.34-36 aus dem listenartigen Verzeichnis der nichteroberten Orte (V.27-33) heraus: V.34: Vertreibung Dans; V.35: Amoriter; V.36: das Amoritergebiet.
1
Zur Gliederung von Ri 1 vgl. GROSS, Richter, 107f. Zum Begriff und der möglichen Herkunft „negatives Besitzverzeichnis“ vgl. HERMANN, FS Boecker, 93–100.
2
78
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
So lässt sich schematisch die Gliederung von 1,1-36 wie folgt darstellen: A 1,1-18
A‘ 1,22-26
Judas Siege
Der Sieg des Hauses Joseph
B 1,19
B‘ 1,27-33
Die von Juda nicht eroberten Gebiete
Die von den Nordstämmen nicht eroberten Gebiete
C 1,20f
C‘ 1,34-36
Ergänzung: Hebron und Jerusalem
Ergänzung: Dan und die Amoriter
Die Gliederung zeigt deutlich den Kompositionswillen des Autors bzw. Redaktors. Ein wesentliches Aussageziel von Ri 1 ist der Hinweis auf das Mitsein Jahwes mit Juda und dem Haus Joseph (V.2b + V.22b). Zudem geht es um das Aufzählen eroberter und nicht eroberter Gebiete. Die Aussage vom Mitsein Jahwes und die Hinweise auf nicht eroberte Städte und Gebiete werden offenkundig nicht als Widerspruch empfunden. Das in Ri 1 verarbeitete Material könnte unterschiedlicher nicht sein. W. Groß hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Widersprüche und Formulierungsdifferenzen in Ri 1 nicht auf Wachstumsprozesse hinweisen. Man wird ihm in diesem Punkt zustimmen müssen, man muss ihm allerdings widersprechen, wenn er von der mangelnden Fähigkeit des Verfassers spricht, das disparate Material stärker auszugleichen.3 Es geht hier keineswegs um die 3
GROSS, Richter, 108.
5. Gliederung
79
mangelnde Fähigkeit des Verfassers, sondern um seinen Respekt vor dem ihm vorliegenden Material.
80
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
6. Der literarische Ort a) Positionen der Forschung Der literarische Ort wird in der Forschung unterschiedlich bestimmt!1 G. Schmitt geht in seiner Beurteilung von Ri 1 nicht von einem einheitlichen Kapitel aus. Als ursprüngliche Gestalt vermutet er folgende Verse: Ri 1,3.4.8 ?.19.17.20 (= 10).11-16.36.22-35. Recht einfühlsam erkennt Schmitt in Ri 1 das besondere Tempo der Erzählung. Es werde sehr knapp, ja dürftig erzählt. Die Achsa-Episode sei belanglos, die Erfüllung der Verheißung an Kaleb werde nur in äußerster Kürze angedeutet (Ri 1,20a). Ri 1 fehle zudem ein angemessener Schluss, „der die Bewegung zur Ruhe kommen läßt, die Inbesitznahme des verheißenen Erbes, die Erfüllung des gnädigen Wortes Jahwes ausspricht.“2 U. Becker führt Ri 1,1-18 sowie 1,22-26 auf einen von ihm so genannten „Juda-Redaktor“ zurück, dem der spät-dtr Bestand des Kapitels (1,21.27ff) bereits vorgelegen habe. Als ursprünglichen Umfang des sog. negativen Besitzverzeichnisses sieht er V.21.27-35 (abzüglich der Notizen über die Fronpflicht der Kanaanäer) an. In dem schwierigen V.21 vermutet Becker als ursprüngliche Schreibung „Judäer“.3 So rechnet U. Becker als ursprünglichen Umfang des negativen Besitzverzeichnisses die Verse 21.27-35. Er warnt jedoch davor, diese Verse mit einem amtlichen Dokument gleichzusetzen. In dem umstrittenen V.21 rechnet er mit einem ursprünglichen „Judäer“, woraus er schließt, dass der Südstamm Juda in dem Verzeichnis nichteroberter Orte enthalten war. – Er rechnet damit, dass die Liste von einem spät-dtr Redaktor (DtrN ?) formuliert worden sei, auf den auch die Engelrede in 2,1-5 zurückgehe.4 Becker führt den Abschnitt 1,1-18 sowie 1,22-26 auf einen von ihm so genannten „Juda-Redaktor“ zurück, dem der spätdtr Bestand des Kapitels (1,21.27ff; 2,1-5) bereits vorgelegen habe.5
1
Zu älteren Forschungspositionen vgl. SCHMITT, Frieden, 48f. SCHMITT, Frieden, 52. – Er setzt sich hier zudem mit der These auseinander, nach der Ri 1 die Landnahmegeschichte des Jahwisten repräsentiere. 3 BECKER, Richterzeit, 34f. 4 BECKER, Richterzeit, 34f. 5 BECKER, Richterzeit, 48. 2
6. Der literarische Ort
81
Mareike Rake geht von folgendem Grundbestand in Ri 1,1-21 aus: V.1.2a.4a.5.6.8b.10a.11.19.21. Charakteristisch für diese rekonstruierte Landnahme-Darstellung sei der Primat Judas einerseits und die programmatische Beschränkung der judäischen Erfolge auf das Bergland andererseits.6 – Den Grundbestand für die Bethelepisode bestimmt sie folgendermaßen: V.22.23a.24.25.26. Thematisch sei sie durch Jos 2;6 inspiriert. Sie wolle in erster Linie auf ihre negativen Implikationen hin gelesen werden.7 W. Groß sieht die Textentstehung von Ri 1 wie folgt: V.5ab.6-7d: Traditionsstück, das mit V.4.5c.7ef.8 bearbeitet wurde; 1,9; 1,1015.20: projudäische Bearbeitung der Vorlage Jos 15,13-19; BethelEpisode 1,22-26 – sie stammt vom Autor von Ri 1; 1,21.27-35 – keine amtliche Liste; wegen der Disparatheit des Materials sei nicht mit der Übernahme eines geschlossenen Überlieferungselementes zu rechnen. E.A. Knauf datiert Ri 1 in die Zeit Nehemias 445/44. Die Verhältnisse der damaligen Zeit würden sich in Ri 1 widerspiegeln, denn das sowohl judäische (V.8) wie benjaminitische (V.21) Jerusalem reflektiere die geschichtliche Realität in der Mitte des 5. Jh.s. v.Chr. Der Bericht V.22-26 stehe den realen Vorgängen um 500 – 450 v.Chr. am Ende des Tempels von Bethel näher als 2Kön 23,15-18.8 b) Eigene Sicht Bei der Lektüre von Ri 1,1-36 springen an vielen Stellen Wendungen und Begriffe ins Auge, die in den Kontext der deuteronomistischen Sprache gehören. So ist die Einleitung in V.1aα wie die Einleitungen in Jos 1,1; 2Sam 1,1; 2Kön 1,1; 14,17 formuliert. In V.1aß wird mit „ שׁאלfragen, bitten“ ein Verb verwendet, das sich in erster Linie in den Geschichtsbüchern findet.9 Die Wortwahl in V.1b und V.3a ist für das Richterbuch insgesamt charakteristisch: עלה10 „hinaufgehen“, „die Kanaanäer“11, לחםNif.12 „kämpfen“. Das Verb ( נתןV.2+4) „geben“ mit Subjekt „Jahwe“ und folgendem Objekt wird ebenfalls gerne im
6
RAKE, Juda, 89f. RAKE, Juda, 95. 8 E.A. KNAUF, Richter, 45f. 9 Vgl. Ri 1,14; 4,20; 5,25; 8,24.26 u.ö.; zur Verwendung des Verbs in den Geschichtsbüchern vgl. THAT II z.St. 10 Das Verb findet sich über 50x im Richterbuch. 11 „Die Kanaanäer“ werden 13x im Richterbuch genannt. 12 Das Verb findet sich über 20x im Richterbuch. 7
82
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Richterbuch verwendet.13 In V.3a wird mit dem Nomen גורל „Losanteil“ ein wichtiges Wort des Josuabuches aufgenommen.14 Das Verb „ נכהschlagen“ + Objekt (V.4f.) gehört ebenso in den Kontext des Richterbuches15 wie die beiden Verben „ נוסfliehen“ und רדף „verfolgen“.16 Ein fester Topos im Richterbuch ist die Rede vom Schlagen „mit der Schärfe des Schwertes“ (V.8b), die hier ca. 18x begegnet.17 Die Wendung „im/mit Feuer“ (V.8) wird oft im Richterbuch verwendet.18 Eine Konzentration der Belege in den Geschichtsbüchern lässt sich für das Verb ירשׁHif.19 „in Besitz nehmen“ und das Nomen „ מסFrondienst“ (V.28ff) beobachten.20 Als Fazit des Durchgangs durch 1,1-36 lässt sich festhalten, dass in einigen Versen aufgrund der Sprache ein deuteronomistischer Autor vorausgesetzt werden muss: V.1-4.8.9.18.19.20. Ri 1 sollte deshalb im Kontext des deuteronomistischen Geschichtswerkes gedeutet und beurteilt werden. Doch um hier genauer urteilen zu können, müssen der überlieferungsgeschichtliche Hintergrund, die Beziehung zum Josuabuch sowie die Gesamtkomposition des Richterbuches untersucht werden.
13
3,28; 4,14; 7,14f; 8,3; 16,23f. u.ö.; vgl. WEINFELD, Deuteronomy, 341f. Ca. 25x im Josuabuch. 15 Ca. 18x im Richterbuch. 16 Ri 4,15; 7,21f.; 8,12; 9,21.40.51; 20,45.47 und Ri 3,28; 4,22; 8,4f. 17 Vgl. nur Ri 1,8; 4,15f.; 18,27; 20,37 u.ö. 18 Vgl. nur Ri 9,49.52; 12,1; 14,15; 15,6.14; 18,27; 20,48. 19 Das Verb begegnet vor allem im Josua- und Richterbuch. 20 Jos 16,10; 17,13; 1Kön 4,6; 5,27f.; 9,15; 12,18 u.ö. 14
7. Überlieferungs- und formkritische Beobachtungen
83
7. Überlieferungs- und formkritische Beobachtungen In Ri 1,1-36 finden sich unterschiedliche Informationen, Nachrichten, Erzählungen und Begebenheiten über die Eroberungen Judas und die weniger erfolgreichen Eroberungen der Stämme Israels. An erster Stelle im Duktus von Ri 1 fällt das Miteinander von Juda und Simeon auf. Nach dem Autor muss Simeon unbedingt berücksichtigt werden (V.3.17) Der Autor steht hier überlieferungsgeschichtlich auf gleicher Linie mit Gen 35,23; Jos 19,1-9. Als Anekdote kann der in V.4-7 beschriebene Sieg über AdoniBezek bezeichnet werden. „Der Anekdote geht es, anders als der Sage und der Geschichtsschreibung nicht mehr um die Darstellung des großen Volksschicksals, sondern um einzelne, bezeichnende Züge eines großen Mannes.“1 Adoni-Bezek wird offenbar als König bzw. Fürst von Bezek angesehen, dem auf seiner Flucht vor Juda Finger und Fußzehen abgeschlagen werden. Ein gewisses Schwergewicht wird dabei auf seine in V.7a formulierte Selbsterkenntnis gelegt. Diese Anekdote bleibt in vielerlei Hinsicht rätselhaft. Zahlreiche Fragen drängen sich auf: Wer ist das Subjekt von „Und sie schlugen sie“ (V.4b)? Warum wird gerade „Bezek“ an erster Stelle genannt? Ist der Sieg über „10 000 Mann“ realistisch? Sind damit die Kanaanäer und Perizziter gemeint (V.4)? Wer ist Adoni-Bezek? Worin liegt seine Schuld gegenüber Juda, dass er überhaupt bekämpft wird? Warum wird er gefoltert (V.6)? In welchem Kontext steht die kurze Rede Adoni-Bezeks in V.7? Warum wird er nach Jerusalem gebracht (V.7)? Ist der in V.7a genannt „Gott“ mit Jahwe identisch? Die Mehrzahl dieser Fragen muss unbeantwortet bleiben. Dennoch lässt sich folgendes sagen: V.4 versteht sich deutlich als Übergangsvers zur Anekdote. B. Lindars spricht zurecht von V.4 als einer „editorial introduction to Judah’s conquests…“2 In V.4 und 5 finden sich jeweils die gleichen Angaben: „Kanaanäer und Perizziter“; „sie schlugen sie“. So bleiben V.5-7 für die Anekdote reserviert, die möglicherweise ihren Sitz im Leben in einem der Stämme Israels (Manasse?) hatte. M.E. kann V.7b durchaus noch zur Anekdote gerechnet werden. Die Notiz von der Überführung Adoni-Bezeks nach Jerusalem ist zwar auffällig, sie kann aber durchaus zur Anekdote 1 2
KAISER, Einleitung, 59. LINDARS, Judges, 16; so auch GROSS, Richter, 109f.
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§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
gehören3 und wegen der Nennung Jerusalems mit ein Grund für ihre Aufnahme in Ri 1 sein. Im Zentrum der Anekdote steht die Rede Adoni-Bezeks, die wie ein theologisches Programm das Richterbuch einleitet. Ihre Bestimmung als „moralisierendes Zentrum“4 trifft m.E. ihr theologisches Gewicht nicht. Im Anschluss an die Anekdote werden die Orte und Gebiete aufgeführt, die Juda erobern konnte: Jerusalem (V.8) - V.8 gehört wohl wie V.4 aufgrund seiner Sprache zur deuteronomistischen Bearbeitung. Er wird wegen der Nennung Jerusalems in V.7 an dieser Stelle platziert worden sein, wobei es ungewöhnlich ist, dass erst jetzt Jerusalem erobert wird. Man fragt sich, wie die Judäer Adoni-Bezek überhaupt nach Jerusalem bringen konnten.5 Ungewöhnlich ist der Inhalt von V.8, denn die gänzliche Zerstörung Jerusalems durch die Judäer ist doch höchst unrealistisch. Offenbar geht es hier um die Darstellung eines Ideals zum Ruhm der Judäer. Die Nennung des Gebirges, des Südens, der Schephela (V.9), Hebron (V.10), Debir (V.11.13), Horma (V.17) entsprechen wohl auch diesem Bedürfnis. Dabei werden in V.20f. Korrekturen zu V.8 und V.10 vorgenommen. Dadurch wird deutlich, dass die Aussagen in V.8 und V.10 eher einem ideellen Bedürfnis als der historischen Wahrscheinlich entsprechen. Bei der Auflistung der eroberten Orte und Gebiete knüpft Ri 1 beständig an die Überlieferungen in Jos 10-19 an. V.9 knüpft unmittelbar an V.8 an. Er benennt drei Gebiete, in denen die Judäer kämpfen: das judäische Gebirge, der Negeb und die Schephela. Ebenso wie V.8 dürfte V.9 auf die Redaktion zurückgehen, er dient als Einleitung für die in V.10ff. beschriebenen Eroberungen. In V.10 wird vom Sieg über Hebron sowie Scheschai, Achimaz und Talmaj berichtet. Der Vers nimmt das gleiche Thema wie in Jos 15,13f auf. Allerdings ergeben sich kleinere Abweichungen: in Jos 15,13 ist von „Kaleb“ anstatt von „Juda“ die Rede; „Hebron“ bleibt in Jos 15,13 ungenannt bzw. wird als „Kirjat-Arba“ eingeführt. In Jos 15,14 vertreibt Kaleb und nicht Juda Scheschaj, Achimaz und Talmaj; in Ri 1,10 fehlt die Angabe „die Söhne Enaks“. Diese Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass wir in Ri 1,10 eine projudäische Bearbeitung von Jos 15,13f vorliegen haben.
3
Anders GROSS, Richter, 108f. So GROSS, Richter, 109. 5 Nach EDERER, Ende, 323 wurde Adoni-Bezek von seiner eigenen Anhängerschaft nach Jerusalem gebracht. 4
7. Überlieferungs- und formkritische Beobachtungen
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V.11 berichtet vom Zug Judas gegen Debir. Ähnlich wie in V.10 wird in V.11 das gleiche Thema wie in Jos 15,15 aufgenommen, wieder mit dem Unterschied, dass in Jos 15,15 von Kaleb als Subjekt und nicht von „Juda“ die Rede ist. Die Episode mit Kaleb, Achsa und Othniel (V.12-15) stimmt fast wörtlich mit Jos 15,16-19 überein. In Ri 1,13 findet sich noch ממנו „ הקטןjünger als er“ in V.14 ist „das Feld“ mit Artikel versehen und in V.15a steht „ הבהauf“ anstelle von „ תנהgib doch“ (Jos 15,19). Kaleb verspricht demjenigen seine Tochter Achsa zur Frau, der Kirjat-Sepher einnehmen wird. Dies wird von Othniel vollbracht. Die Aufnahme dieser Episode soll zum einen Judas Eroberung von Hebron rühmen und zum anderen den Richter Othniel (3,7-11) vorbereitend einführen.6 V.16 stimmt in einigen Punkten mit 4,11 überein: es geht um „Keniter“; „Hobab“; Schwiegervater von Mose. In V.16 und 4,11 soll die Verbundenheit der Keniter mit Juda bzw. Israel ausgesagt werden. In V.18.21 werden dann Orte und Gebiete genannt, die von Juda und Benjamin nicht erobert wurden.7 In V.22-26 wird von der Eroberung Bethels durch das Haus Joseph erzählt. Ähnlich wie in V.4-7 kann hier von einer Anekdote gesprochen werden, denn es geht lediglich um die durch Jahwe unterstützte Eroberung der Stadt, das weitere Schicksal Bethels liegt für den Autor außerhalb des Interesses. V.22 ist ähnlich wie V.4 formuliert. Er markiert den Übergang von Juda zum Haus Joseph. Er ist deshalb ebenso wie V.4 als Übergangsvers zu deuten und somit auf den Redaktor von Ri 1 zurückzuführen. In formaler Hinsicht fallen V.21.27-35 aufgrund des aus drei Elementen sich zusammensetzenden Schemas auf. Hier wird erstens die Nichtinbesitznahme des Stammes, dann zweitens die Nichtinbesitznahme des Ortes und drittens das Verbleiben der Kanaanäer im Land als Konsequenz dieses Unvermögens genannt. Das in diesen Versen erkennbare Schema und die besondere Form von V.21.27-35 sprechen m.E. dafür, hier eine zugrundliegende Ortsliste anzunehmen. Man kann hier wohl kaum von einer gänzlichen Neuschaffung sprechen, da dann das erkennbare Schema noch konsequenter vereinheitlicht worden wäre.8 Lediglich bei der Fronnotiz kann man vermuten, dass sie auf den Deuteronomisten zurückgeht. Das Nomen
6
Vgl. dazu näher RICHTER, Untersuchungen, 110f. Zur Einführung von „nicht“ in V.18 vgl. oben die Einzelauslegung. 8 NEEF, Ephraim, 226f. 7
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„ מסFrondienst“ begegnet vor allem in Jos und 1Kön.9 Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine Liste aus davidischer Zeit handelt. Die Liste könnte die Orte aufgelistet haben, die die Israeliten in vorstaatlicher Zeit nicht erobert hätten, die dann aber von David erfolgreich eingenommen werden konnten.10 Folgende Orte werden genannt: 1,27: Manasse: Bethsean11: Tell el-Ḥuṣn 1925.2123; Thaanach12: Tell Tacannek 1709.2142; Dor13: Ḫirbet el-Burǧ 142.224; Jibleam14: Ḫirbet Belcame 1777.2085; Megiddo15: Tell el-Mutesellim 167.221 1,29: Ephraim: Geser: Tell Ğeser 142.140 1,30: Sebulon: Kitron 16: Tell el-Fār 160.241 (?); Nahalol: Tell en-Naḥl 1569.2450 (?) 1,31f: Asser: Akko17: Tell el-Fuḫḫar 1586.2586; Sidon18: Ṣēda 184.329; Achlab19: Ḫirbet el-Maḥālib 172.303 ?; Achsib20: ez-Zīb 159.272 ?; Helba21 ?; Aphik22: Tell Kerdāne 1606.2500; Rehob23: Tell Birwa 1662.2563 1,33 Naphtali: Beth-Semes24: Tell es-Ruwāsi 181.271 ?; Beth-Anath25: Ṣafed el-Baṭṭīḫ 190.289 ?
9
Jos 16,10; 17,13; 1Kön 4,6; 5,27.28; 9,15; 12,18. So im Anschluss an G. SCHMITT, Du sollst, 53–80, vor allem 76–78; NA’AMAN, Borders, 55–59.96. 11 GASS, Ortsnamen, 82–90. 12 GASS, Ortsnamen, 90–93. 13 GASS, Ortsnamen, 100–106 14 GASS, Ortsnamen, 106–108. 15 GASS, Ortsnamen, 93–100. 16 GASS, Ortsnamen, 117–119. 17 GASS, Ortsnamen, 121–125. 18 GASS, Ortsnamen, 125–128. 19 GASS, Ortsnamen, 128f. 20 GASS, Ortsnamen, 129–131. 21 GASS, Ortsnamen, 135–137. 22 GASS, Ortsnamen, 138–141. 23 GASS, Ortsnamen, 151–158. 24 GASS, Ortsnamen, 158–163. 25 GASS, Ortsnamen: 166–169. 10
7. Überlieferungs- und formkritische Beobachtungen
87
In jüngeren Publikationen zu V.21.27-35 wird die Existenz einer alten vorgegebenen Liste nicht eroberter kanaanäischer Städte meist bezweifelt.26 Man begründet dies mit den divergierenden Angaben in Ri und Jos MT und LXX sowie der formalen Unterschiede in V.21.2735. Dazu ist folgendes zu sagen: Trotz der im Detail sich zeigenden Unterschiede in V.21.27-35 sind die oben genannten drei Elemente bei allen Stämmen zu beobachten. Von daher bleibt zu fragen, ob man nicht doch mit einer Vorlage rechnen sollte, in der die nicht eroberten Städte aufgelistet waren. Das Wissen um diese Orte könnte seinen Sitz im Leben in den Stämmen haben. Von hier aus konnten sie gegen Ende der Richterzeit oder auch zu Beginn der Königszeit zusammengetragen worden sein. Es ist doch kaum möglich, in diesen Versen eine gänzliche Neuschaffung des Redaktors zu sehen, da dann das erkennbare Schema doch noch weit konsequenter vereinheitlicht worden wäre. Eine Neuschaffung durch den Redaktor dürfte jedoch V.28 wegen der Rede von (Gesamt-) Israel sein.27 In V.21.27-35 geht es um nicht eroberte Orte. Damit wird in Ri 1 auf das vorbereitet, was das Thema der einzelnen Richtererzählungen ist: die Auseinandersetzung der Stämme mit Fremdvölkern. Im weiteren Kontext dieser Auseinandersetzungen könnte die Liste ihren Sitz im Leben haben. Dies scheint mir plausibler als die Datierung in die nachexilische Zeit, denn hierbei hängt die Liste historisch gänzlich in der Luft und es bleiben mehr Fragen ungelöst als gelöst. So weist E.A. Knauf darauf hin, dass die nicht-eroberten Orte außerhalb der persischen Provinzen Samaria und Judäa liegen. Die Jos-Ri-Redaktion habe in Josua „negativen Besitz“ nur für Juda und das „Haus Joseph“ verzeichnet, d.h. für Judäa und Samaria, das Israel der Perserzeit. Hier werde das System auf die Galiläer ausgeweitet, „doch mit dem Unterschied, dass nicht Kanaanäer unter Ascher und Naftali leben, sondern Ascheriten und Naftaliter unter ‚Kanaanäern“, d.h. Phöniziern im Westen, Aramäern im Osten und Arabern dazwischen.“28 Dies
26
Vgl. dazu GROSS, Richter, 111–118. In diese Richtung gehen auch die Überlegungen von BLUM, Knot, 230: „Against a trend in recent publications, however, I cannot see either a decisive pro-Judean (antiJosephite) Tendenz or a setting specifically fitting Persian-period Yehud. The elements traditionally assigned to a „negatives Besitzverzeichnis“ rather belong to ‚scholarly‘ traditions from the early monarchic period.“ 28 KNAUF, Richter, 46. 27
88
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
entspreche den Verhältnissen seit dem beginnenden 4. Jh., als die judäische Kolonisation Galiläas eingesetzt habe. Im Unterschied zur Position von Knauf bleibt zu fragen, ob man nicht die in 1,21.27-35 genannten Orte mit den im Deboralied verzeichneten Lokalitäten verbinden könnte? So werden Thaanach (Tacanek) und Megiddo (Tell el-Mutesellim) sowohl in Ri 1,27 als auch in 5,19 genannt. Haroseth ha-Gojim (4,2.13.16 Tell cAmr ?) liegt ca. 4.9 km südlich von Kitron (1,30; Tell el-Fār), ca 17,5 km westlich von Megiddo, ca. 14 km westlich von Nahalol (1,30 Tell en-Naḥl) und knapp 13 km südlich von Aphik (1,31 Tell Kerdāne ?). Kedes Naphthali (4,6 Ḫirbet el-Qadȋš ?) liegt etwa 18,4 km nordöstlich von En-Dor (Jos 17,11 MT Ḫirbet es-Safṣāfe ?) und 25,7 km nördlich von Bethsan (1,27 Tell el-Ḥuṣn). Kedes (4,9-11 Tell Abū Qudēs ?) liegt nur ca. 4 km nordwestlich von Megiddo und ca. 4,2 km nördlich von Thaanach entfernt. Der Thabor (4,6.12.14) liegt ca. 22,3 km nordwestlich von Bethsan und der Kison (4,7.13) durchfließt die Jesreelebene, die sowohl in Ri 4f. als auch in 1,27-35 eine wichtige Rolle spielt. So zeigt sich, dass die Mehrzahl der in Ri 1,27-35 und in Ri 4f genannten Orte in einem Umkreis von ca. 20 km liegen.29 Die Auseinandersetzung mit den Kanaanäern spielt sowohl in Ri 1,27-35 als auch in Ri 4f. eine zentrale Rolle. Ri 4f. stellt den Sieg über die Kanaanäer dar und rühmt ihn als Sieg Gottes. Ri 1,27-35 listet die Orte auf, aus denen die kanaanäische Bevölkerung trotz des Sieges der israelitischen Stämme nicht vertrieben werden konnte. An beiden Stellen bleiben die Philister ungenannt. So könnte als terminus ad quem das verstärkte Auftreten der Philister in Palästina angesehen werden. Diese spielten vor allem in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts v.Chr. eine entscheidende Rolle in Palästina, die erst durch die Siege Davids ein Ende fand. Man könnte deshalb die Liste zeitlich um 1050 v.Chr. ansetzten. Für diese Datierung spricht auch die Betonung des Handelns des Einzelstammes. Israel als Einheit ist hier noch ganz aus dem Blick.
29
Vgl. G. SCHMITT, Frieden, 69.
8. Ri 1 als Scharnier zwischen dem Josua- und Richterbuch
89
8. Ri 1 als Scharnier zwischen dem Josua- und Richterbuch Ri 1 kann als Scharnier zwischen dem Josua- und dem Richterbuch gesehen werden. Hier wird zum einen auf das Josuabuch zurückgegriffen, zum anderen werden aber auch Themen des Richterbuches vorbereitet. So erinnert die grundsätzliche Aussage in 1,7aδε „wie ich getan habe, so hat Gott mir vergolten“ sehr an diejenigen von 5,31; 9,56; 15,11. Die Aussage erinnert zudem sehr an Dtn 7,10; 32,41. An diesen Stellen geht es um das Thema der Vergeltung. In 1,16 wird mit der Nennung der Keniter Ri 4,11.17; 5,24 vorbereitet. Ebenso finden sich innerhalb von Kapitel 1 mehrfach Bezüge, wie die folgende Skizze zeigt:
Jos 1,1; 24,29
Ri 1,1f.
→ Ri 1,2-36; 2,8
Jos 15,1-63; 19,1-9
Ri 1,3
→ Ri 1,17
Dtn 7,10; 32,41
Ri 1,4-7
→ Ri 5,31; 9,57; 15,11
Jos 15,8.63
Ri 1,8
→ Ri 1,21
Jos 10,40
Ri 1,9
Jos 11,21; 14,6-15; 15,13f;
Ri 1,10
Dtn 1,36 Jos 15,15 Jos 15,16
Ri 1,11 Ri 1,12
Jos 15,17
Ri 1,13
Jos 15,18
Ri 1,14
Jos 15,19
Ri 1,15
→ Ri 3,7-11
90
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36 Ri 1,16
→ Ri 4,11.17; 5,24
Ri 1,17
→ Ri 1,3
Jos 14,13
Ri 1,20
Jos 15,63
Ri 1,21
Gen 28,19; 35,6
Ri 1,22-26
Jos 17,11f
Ri 1,27f
Jos 17,13
Ri 1,28
Jos 16,10
Ri 1,29
Jos 19,24-31
Ri 1,31f
Jos 19,32-39
Ri 1,33
Jos 19,41-48
Ri 1,34f
→ Ri 5; 13-16; 17f
9. Zusammenfassung
91
9. Zusammenfassung Die Exegese von Ri 1 nötigt zu einer höchst differenzierten Sicht des Kapitels, Pauschalurteile lassen sich über Ri 1 nicht fällen. Bezüglich des Aufbaus von Ri 1,1-36 lassen sich deutlich sich entsprechende Teile beobachten: Die Siege Judas (V.1-18) + der Sieg des Hauses Joseph (V.22-26); die von Juda nicht eroberten Gebiete (V.19) + die von den Nordstämmen nicht eroberten Gebiete (V.27-33); Ergänzungen zu Hebron und Jerusalem (V.20f) + Dan und die Amoriter (V.34-36). Dieser Aufbau zeigt klar den Kompositionswillen des Autors bzw. Redaktors. In folgenden Versen lässt sich eine deuteronomistische Sprache beobachten: V.1-4.8.9.18.19.20. Wenn diese Beobachtung richtig ist, so lässt sich als terminus ad quem für die Entstehung von Ri 1 die Mitte des 6. Jahrhunderts v.Chr. annehmen. V.4
redaktionelle Überleitung (Dtr)
V.5-7
Anekdote
V.8
Redaktion
(Dtr)
V.9
Redaktion
(Dtr)
V.10-17
→ Jos 15,13-19
V.18
Redaktion
(Dtr)
V.19
Redaktion
(Dtr)
V.20
Redaktion
(Dtr)
V.22-26
Anekdote
V.27-36
negatives Besitzverzeichnis
92
§ 2 Siege und Niederlagen der Stämme Israels: 1,1-36
Wesentliches Kennzeichen von Ri 1 ist die Wiederaufnahme bzw. Bezugnahme zu Überlieferungen aus dem Pentateuch und dem Josuabuch. Ri 1,1 knüpft an Jos 24,29 an. Mit der Bezeichnung Simeons als „Bruder Judas“ setzt Ri 1,3 die in Gen 35,23; Jos 19,1-9 berichteten Umstände voraus. V.8f schließen an Jos 10,40, V.10 an Jos 15,14, V.11 an Jos 15,15, V.12f an Jos 15,16f, V.14 an Jos 15,18f an. V.22-26 knüpfen überlieferungsgeschichtlich an Gen 28,19; 35,6 an, V.27-36 berühren sich mit Texten aus Jos 17,11-13; 16,10; 19,10-26.24-31.3239.41-48. Ri 1 und das Josuabuch greifen somit auf die gleichen Überlieferungen zurück, wobei sich beobachten lässt, dass diese in Ri 1 der judäischen Sichtweise angepasst werden. Hierin liegt wohl auch der Grund für die zahlreichen Spannungen innerhalb von Ri 1: vgl. nur V.4.7 in Spannung zu V.8 und V.10 in Spannung zu V.20. Ri 1 übernimmt eine Scharnierfunktion zwischen dem Josua- und Richterbuch. Das Kapitel greift auf das Josuabuch zurück und bereitet zugleich das Richterbuch vor.1 Es zeigt deutlich den Sammelcharakter unterschiedlicher Informationen, Nachrichten, Erzählungen und Begebenheiten. Theologische Aussagen finden sich in der Zusage des Mitseins Jahwes sowie in dem Eingeständnis Adoni-Bezeks „wie ich getan habe, so hat Gott mir vergolten!“ Die listenartige Aufzählung der nicht eroberten Orte enthält m.E. keine theologische Botschaft. Von daher sollte man diese Listen nicht als Kritik am Volk verstehen. Die Rede von „Stagnation“ bzw. dem „desaströsen Bild des ganzen Volkes“ ist kaum gerechtfertigt.2 Ebenso überinterpretiert G. Schmitt die theologische Bedeutung von Ri 1, wenn er davon ausgeht, dass der Verfasser von Ri 1 die Wirklichkeit samt ihrem Widerspruch zu Gottes Wort und Gebot angenommen habe. „Und gerade damit verdiente dieser scheinbar so nüchterne Text so gut wie einer im Alten Testament ein Glaubenszeugnis genannt zu werden…“3 Eine dezidiert theologische Kritik am Verhalten des Volkes findet sich erst in 2,1-5. Der Kompilator und Verfasser von Ri 1, der m.E. mit dem Deuteronomisten identisch ist, stellt positiv den Vorrang von Juda vor allen 1
Siehe oben Abschnitt Nr. 8; – In diese Richtung gehen auch die Überlegungen von C. FREVEL, Response, 293: „Judg 1 is an exposition on his own, and it is highly unlikely that it would have been read as a continuation of the book of Joshua, although … the authors knew the book of Joshua very well.“ – Vgl. dazu noch OSWALD, Staatstheorie, 212ff, der in Ri 1 keinen Niederschlag unterschiedlicher Überlieferungen findet, sondern Ri 1 als literarische Auseinandersetzung mit Positionen der Landnahme-Erzählung deutet. 2 So EDERER, Ende und Anfang. 3 SCHMITT, Frieden, 79.
9. Zusammenfassung
93
anderen Stämmen heraus. Er ist fest davon überzeugt, dass Juda der legitime Nachfolger von Josua ist. Juda soll nach dem Willen Jahwes Israel anführen und so an die Stelle von Josua treten. Diese Vorordnung Judas bezieht sich auch auf das Haus Joseph.
§ 3 Das Versagen Israels: 2,1-5
1. Übersetzung und textkritische Anmerkungen 1. Und der Bote des Herrn kam herauf von Gilgal nach Bochima und sprachb: „Ich führtec euch aus Ägypten herauf und brachte euch in das Land, das ich euren Vätern zugeschworen hatte und sprach: ‚Ich werde meinen Bund mit euch niemals brechen! 2 Ihr aber sollt keinen Bund mit den Bewohnern dieses Landes schließend, ihre Altäre sollt ihr niederreißen! Aber ihr habt nicht auf meine Stimme gehört! Was habt ihr nur getan! 3 Und ich sage hiermite: Ich werde sie nicht vor euch vertreiben, sie sollen für euch zu Nachstellernf und ihre Götter sollen für euch zur Falle werden.“ 4 Nachdem der Engel des Herrn diese Worte zu allen Israeliten gesagt hatte, erhob das Volk seine Stimme und weinte. 5 Und man nannte jenen Ort ‚Bochim’a und sie opferten dort dem Herrn. a
LXX
liest „Klauthmon“ und übersetzt damit den Ortsnamen: κλαυθµός „das Weinen“. – LXX bietet einen erweiterten Text: „und nach Bethel und zum Haus Israel“.
b
LXXA+B bieten einen erweiterten Text: „zu ihnen“.
c
LXXA+B geben MT unterschiedlich wieder: LXXA: κύριος κύριος ἀνεβίβασεν…; LXXB : Τάδε λέγει κύριος… LXX betont im Unterschied zu MT die Herausführung Israels aus Ägypten durch den Herrn. Offenbar empfindet sie die Vorstellung der Herausführung durch einen Engel als anstößig. Zu LXXA vgl. Jos 22,22; zu LXXB vgl. Jos 6,8.
1. Übersetzung und textkritische Anmerkungen
1
d
LXX
bietet einen erweiterten Text, der folgendes betont: 1. Israel soll die Götter des Landes nicht verehren; 2. Es soll die Steinbilder vernichten: vgl. Ex 23,24.
e
LXXA
spricht von „dem Volk (τὸν λαόν), das er vor euch her zu vernichten versprach…“
f
LXXA+B geben das schwierige „ לצדיםzu Seiten“ mit συνοχάς „Angst, Bedrängnis“ wieder; im Gefolge von LXX wird gerne „ לצריםzu Feinden“ konjiziert.1 Diese Konjektur ist jedoch fraglich, denn συνοχή gibt מצור bzw. שׁואהwieder. B. Lindars2 vermutet den Wegfall eines Wortes und liest aufgrund der Parallelität mit Num 33,55; Jos 23,13 לצננים בצדים: „für Dornen an den Seiten.“ Denkbar ist auch לצדיםals Partizip Qal von צדהI zu deuten und „ לצֺדיםAuflauernde“ zu vokalisieren. Diese Lesart passt gut zu למוקשׁ.3
HARLÉ, Les Juges, 86; LINDARS, Judges, 79. LINDARS, Judges, 79. 3 Vgl. HALAT, 939; EDERER, Ende, 39. 2
95
96
§ 3 Das Versagen Israels: 2,1-5
2. Philologische Anmerkung V.1: אעלה: Die 1.Sg.com. Impf. Hif. von „ עלהhinaufziehen“ bereitet der Exegese Probleme. Ist es möglich, diese Verbform als Zeitstufe der Vergangenheit zu übersetzen? Wie lässt es sich erklären, dass die Verbform mit einem Imperfekt consecutivum „ ואביאUnd ich brachte“ weitergeführt wird? – BHS löst das Problem durch die Textänderung in ָואעלה. – B. Lindars geht davon aus, dass das „imperfect ʼaʽăleh cannot be right, being followed by waw cons. waʼabiʼ…“1 Die Versionen könnten in diesem Fall auch keine Hilfe sein, da sie eine „dogmatic correction“2 bieten. Er vermutet den Wegfall einiger Worte: „Ich habe gesagt“ (?); „ich bin der Herr, der herausführte“ (Ex 6,2) (?) Doch sei diese Annahme ebenfalls höchst unsicher und so kommt er zu der Schlussfolgerung: „However, in view of the uncertainty, it seems best to translate ʼaʽăleh simply by a past tense as in all the versions.“3 – In die gleiche Richtung gehen die Überlegungen von F. Matheus: „In seltenen Fällen können wir – wie in der erzählten Welt – beobachten, dass die PK in der Lage ist, vergangene Sachverhalte abzubilden; sie verhält sich wie dort die waw-PK. Wahrscheinlich handelt es sich bei solchen Realisierungen um stilistische bzw. rhetorische Mittel, denn, ohne den weiteren Verlauf des Satzes zu kennen, würde man die einleitende Sinneinheit auf die Zukunft beziehen.“4 – Eine differenzierte und m.E. durchaus mögliche Lösung des Problems hat in jüngster Zeit E. Blum vorgetragen. Er rechnet mit der relativen Gleichzeitigkeit von „ אעלהich führte heraus“ und ָואביא „ich ließ kommen“. Die Herausführung aus Ägypten und die Hineinführung in das Land seien hier rückblickend in der Perspektive des Führungsengels als zwei Aspekte des einen heilsgeschichtlichen Handelns gezeichnet. Sprachlich werde dies durch die Zeitstruktur unterstrichen: „Als/indem ich euch aus Ägypten herausführte, brachte ich euch in das Land…“5 – Joüon/Muraoka deuten אעלהin einem durativen Sinn und übersetzen: „I was making you go up.“6
1
LINDARS, Judges, 77. LINDARS, Judges, 77. 3 LINDARS, Judges, 78; – so auch SOGGIN, Judges, 20.25, der den Wegfall einiger Worte annimmt. 4 MATHEUS, Tempus, 350; – WALTKE/O’CONNOR, Syntax, 498; GK § 107b. 5 BLUM, Verbalsystem, 128. – Ihm folgt auch GROSS, Richter, 156. 6 JOÜON/MURAOKA, Grammar, § 113g. 2
3. Forschungsgeschichtliche Orientierung
97
3. Forschungsgeschichtliche Orientierung Das Urteil der alttestamentlichen Wissenschaft über Ri 2,1-5 könnte kaum extremer sein. So geht K. Budde davon aus, dass diese Rede aufgrund von Redaktionsarbeit entstanden sei. Sie sei aus einer Reihe von Stellen des Pentateuchs zusammengesucht: Ex 3,17; 34,10-13; 23,21-24.33; Num 33,55; Dtn 31,16.20. Diese Redaktionsarbeit sei jedoch so minderwertig, „dass man fragen muss, ob man den mehrfach geradezu unverständlichen Wortlaut nach jenen Stellen … herstellen darf, oder ob die Mängel auf Flüchtigkeit des Verfassers beruhen.“1 In ähnlicher Weise beurteilt W. Nowack Ri 2,1-5 als einen aus Phrasen des Pentateuchs zusammengesetzten Abschnitt. Ebenso wie Budde sieht er V.1b-5a als einen Einschub zwischen den ursprünglich zusammengehörigen Versen 1a und 5b an.2 Bezüglich der Datierung des Abschnittes reichen die Vorschläge von der vorstaatlichen bis zur spätexilischen Zeit. J. Halbe erkennt den Sitz im Leben von 2,1-5 in den Klage- und Bußfeiern der vorstaatlichen Zeit am Heiligtum Bochim. Der Jahweengel trete hier in sehr urtümlicher Weise als charismatischer Sprecher auf. Er sei die integrierende Größe des Ganzen. R2,1-5 müsse älter sein als die Verbindung der Lade nach Jerusalem (2Sam 6) und sogar älter als ihr Aufenthalt in Silo (1Sam 1ff.).3 J. Harvey4 und G. Schmitt5 beurteilen Ri 2,1-5 in literarischer Hinsicht als vordeuteronomistisch, denn außer „ihre Altäre sollt ihr zerbrechen“ sei nichts spezifisch Deuteronomistisches an dem Abschnitt.6 Am ehesten könne man dem Text Jos 24 und Ri 6,7-10; 10,6-16; 1Sam 7-12 an die Seite stellen. Hier werde alles auf die Verantwortung der Israeliten gelegt, das Verbleiben der Kanaanäer werde als Schuld Israels gedeutet. Nach U. Becker ist 2,1-5 als ein geschlossenes, literarisch einheitliches und spätdeuteronomistischen Kreisen entstammendes Ganzes zu verstehen und zu interpretieren. Für diese Ansetzung spreche vor allem die Rolle von Bochim = Bethel als bevorzugter Ort 1
BUDDE, Richter, 17. NOWACK, Richter, 13f. 3 HALBE, Privilegrecht, 346ff.358ff.367ff. 4 HARVEY, Israël, 67–71. 5 SCHMITT, Frieden, 39–41. 6 Vgl. die Auflistung der Argumente gegen eine deuteronomistische Verfasserschaft bei HARVEY, Israël, 69f. 2
98
§ 3 Das Versagen Israels: 2,1-5
von Klagefeiern in exilisch-nachexilischer Zeit sowie die Vorstellung, dass Jahwe seinen Bund nicht brechen werde.7 E. Blum8 deutet Ri 2,1-5 in enger Verbindung mit Ex 23,20-23; 33,16; 34,11-26 und Jos 23,12f. „Reading Judg 2:1-5 as a Fortschreibung of Josh 23:1-16(a) (+ Judg 2:6) in fact points to the raison d’être of the mal’ak-episode in its given shape. Both the angel’s speech and Josh 23 … deal with issues concerning the incomplete conquest of the land and the relationship between Israelites and the people of the land.“9 Ri 2,1b-3 nehme die von Josua in Jos 23,12f vorgestellte Alternative auf, wende sie aber gegen die Josua-Generation selbst: bereits die von Josua festgestellte Unabgeschlossenheit der Landnahme gehöre zur Strafe für die Übertretung des Bündnisverbotes. Dabei sei das Thema von Jos 23 im Lichte von Jos 9 zu lesen. Nach der Meinung des Engels (2,2f.) seien schon die Restvölker Josuas nichts anderes als eine Konsequenz des Bundesbruches (Jos 23,12f; Ri 2,21) von Jos 9. Ri 2,1-5 ist in jüngster Zeit Gegenstand weiterer gewichtiger Beiträge geworden. Sie beginnen mit der Monographie von Mareike Rake zu Ri 1.10 Sie lehnt einen gemeinsamen Verfasser von Ri 1 und 2,1-5 ab. Sprachliche und sachliche Abweichungen sprechen dafür. Ebenso wenig sei denkbar, dass Ri 1 einmal ohne 2,1-5 als notwendige theologische Brücke zum Richterrahmen am Übergang vom Josuaund Richterbuch gestanden haben könnte. Allerdings seien die Bezüge von Ri 1 und 2,1-5 eher sporadisch. Gilgal in 2,1-5 bringe den Text weniger mit Ri 1 als vielmehr mit der Landnahmevorstellung des Josuabuches in Verbindung. Dies lasse die Vermutung zu, dass ein literarischer Zusammenhang zwischen Ri 2,1 und Jos 1-11* über Ri 1 hinweg bestanden habe. Rake listet die Querbezüge des „Engels des Herrn“ auf, ebenso diejenigen zum Bündnisverbot in Ex 23,20-33; 34,10-26; Dtn 7,1-6. Dabei kommt sie zu der Beobachtung, dass das Bündnisverbot im vorliegenden Textzusammenhang von Ri 2,1-5 nicht die Aufgabe habe, eine Mahnung für die Zukunft auszusprechen, sondern sein Zitat rufe den Israeliten in Erinnerung, dass ihnen die Absonderung von den Bewohnern des Landes bereits in der Vergangenheit geboten war. Dass sie diese Weisung jedoch unbeachtet ließen, stelle V.2b fest.11 7
BECKER, Richterzeit, 50f. BLUM, Knoten, 249–280. 9 BLUM, Knot, 226. 10 RAKE, Juda, 102–124. 11 RAKE, Juda, 115f. 8
3. Forschungsgeschichtliche Orientierung
99
Sie geht davon aus, dass der Auftritt des Engels in Ri 2,1-5 sich ursprünglich auf V.1a.bα.2a beschränkte. Sie rekonstruiert einen komplizierten Weg des Bündnisverbotes: 1. Ri 2,1a.bα.2a; 2. Von Ri 2,2 aus habe das Bündnisverbot seinen Weg nach Dtn 7,1-3a.6 gefunden; 3. Dtn 7,1ff habe Ex 34,2aßb.14 beeinflusst; 4. Den Zusammenhang zwischen Verschwägerungs- und Fremdgötterverbot vollziehe Dtn 7,3b.4a; 5. Eine verkürzte Neufassung der vorangehenden Ausführungen zum Bündnisverbot bieten Ex 23,32f.; 6. Die zweite Textstufe sei in Ri 2,1bß.2b.4b erkennbar. 7. Auf der dritten Textstufe werde die Sünde schließlich zur Sünde Sold: V.1a.3.4a.5. Die dritte und letzte Textstufe setze den Bericht von der unvollständigen Landnahme in Ri 1 dann vermutlich bereits voraus. In der Bilanz von Ri 1 erscheine der Verbleib der Vorbewohner im Land als dauerhafter Zustand und als solcher ließ er sich nunmehr als fortwirkende göttliche Strafe interpretieren. Nach Ri 1 und mit dem letzten Auftritt des Engels des Herrn sei die Landnahme im derzeitigen status quo abgeschlossen. Danach vertrieb auch Jahwe die übrig gebliebenen Einwohner nicht mehr vor Israel (1,21.27ff). So sei die Koexistenz mit der Vorbevölkerung am Ende Israels Schuld und Jahwes Strafe in eins.12 Nach Hans Ausloos ist der „Engel“ in Ri 2 zweifellos der Engel des Herrn und kein Mensch. Ausloos geht davon aus, dass der Autor bzw. Redaktor von 2,1-5 verschiedene Traditionen miteinander kombiniert habe: das Thema des Exodus und das Thema des Weges, wie es sich in den Büchern Exodus und Numeri findet. Das Thema des Engels, der die Israeliten aus Ägypten führt und sie ins verheißene Land bringt, sei das verbindende Element zwischen Exodus-Numeri und Richter. Er sieht den Abschnitt in der Linie des deuteronomistischen Denkens. Dies begründet er mit der Nähe zur Rede vom Land in Ri 2,1-5.13 Groß geht in seinem Richterbuchkommentar davon aus, dass sich Ri 1 und 2,1-5 weder sachlich noch terminologisch explizit aufeinander beziehen. Ri 2,1-5 sei wahrscheinlich nicht nur unabhängig, sondern auch vor diesem Kapitel eingesetzt. Der Endtextleser dagegen lese 2,15 als theologische Be- und Verurteilung der in Kap. 1 geschilderten Vorgänge und betrachte diese im Licht von 2,1-5. Er datiert diesen Abschnitt in die nachexilische Zeit, eine Beziehung zur Priesterschrift lehnt er allerdings ab. Eine inhaltliche Bezugnahme zum Patriarchenund Sinai-Bund sieht er nicht. Groß arbeitet zudem die vielerlei 12 13
Zur Monographie von RAKE vgl. die kritische Rezension von GROSS. AUSLOOS, Angel, 1–12.
100
§ 3 Das Versagen Israels: 2,1-5
Bezugnahmen von Ri 2,1-5 zu anderen Texten des Alten Testaments heraus: 1. Die übrig gebliebenen Landesbewohner: Ri 2,1-5 und Jos 23 + Ri 1 + 2,6-3,6; 2. Heraufführung aus Ägypten – Ungehorsam Israels - Weigerung Jahwes, weiterhin zu helfen; Ri 2,1-3; 6,8-10; 10,11-13; 3. Der Israel führende Jahwe-Bote: Ri 2,1; Ex 14,9; 23,20.23; 32,34; 33,2; Num 20,16; 4. Jahwes Versicherung, er werde seinen Bund mit dem Volk nicht brechen: Ri 2,1 – Lev 26,44; 5. Das Bundesschlussverbot: Ri 2,2; Ex 23,32; 34,12.15; Dtn 7,2; 6. Das Gebot, die Kultgegenstände der Vorbewohner zu zerstören: Ri 2,2b; Ex 23,24; 34,13; Dtn 7,5; 12,2-3; 7. Jahwes Weigerung, die Vorbewohner sofort gänzlich zu vertreiben: Ri 2,3; Ex 23,29f.; Dtn 7,22f; Jos 23,5.12f; Ri 2,21-23; 3,1; 8. Jäger und Fallen: Ri 2,3; Ex 23,33; 34,12; Num 33,55; Dtn 7,16.25; Jos 23,13.14 Einen methodisch neuen Ansatz bietet M. Ederer in seiner Monographie zu Ri 1,1-3,6.15 Er geht von der Eigenart von 1,1-3,6 aus, die darin bestehe, dass diese Kapitel sich durch ausführliche Bezugnahmen auf Texte aus der Tora und dem Josuabuch auszeichneten. Er möchte diese Bezugnahmen untersuchen und auswerten. „Da die im Richterprolog zentrale Deutung wesentlich durch die ausführliche Bezugnahme auf das (im Kanon) Vorangehende bestimmt ist, soll das Beschreiben und Interpretieren dieser Bezüge zwischen dem Richterprolog einerseits und den unterschiedlichsten Texten aus Tora und Josuabuch andererseits im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, zumal eine Auseinandersetzung mit dem Richterprolog aus dieser Perspektive ein Forschungsdesiderat darstellt.“16 In Ri 2,1-3 erkennt Ederer Bezüge zu Ex 23,20-23; 32,33-33,2; Dtn 7. Er bestimmt diese Texte als sog. „Hypotexte“.17 Ri 2,2ab greife die appellativ-direktiven Passagen der Hypotexte auf und ziehe letztlich alle drei Texte heran. Ri 2,3b-d spiele die Zusage der sukzessiven Vertreibung der Völker aus Ex 23,29 ein, er transformiere diese allerdings in eine Warnung. Als zentraler Hypotext erweise sich Ex 23,20-33. Nahezu alle anderen angesprochenen Intertexte würden ihrerseits auf Ex 23,20-33 bzw. auf einzelnen Textabschnitte Bezug nehmen. Als weiteren Hypotext zu Ri 2,1 sieht er Lev 26,44 an. Ri 2,1-5 sei nicht der Endpunkt, sondern der Anfang eines Geschehens. Dies zeige sich schon in der syntaktischen Einbettung. Ri 14
GROSS, Richter, z.St. EDERER, Ende. 16 EDERER, Ende, 3. 17 EDERER, Ende, 99. 15
3. Forschungsgeschichtliche Orientierung
101
2,1-5 eröffne eine Narrativreihe, die nicht mit der „Epochenwende“ in Ri 2,8-10 ende, sondern bis in die Zeit der dritten Generation hineinreiche und letztlich noch die Berichte vom Abfall Israels von Jahwe und von der darauf bezogenen Reaktion Jahwes umfasse (Ri 2,11-13). Von hier aus würden Bögen weit in die Zukunft eröffnet, die letztlich die gesamte Geschichte Israels im Land bis zum Beginn des Exils umspannten. Der eigentliche Anfang dieser Geschichte Israels im Land sei somit der Abfall der dritten Generation; dieser selbst aber sei die unmittelbare Folge des in Ri 2,1-10 Erzählten. Ri 2,1-5 stehe Jos 23-24 gegenüber. Beide Texte markierten den Übergang „zwischen ‚Heilszeit‘ und ‚Geschichte Israels im Land‘ dergestalt, dass einerseits die Kontinuität zwischen den beiden ‚Erscheinungsformen‘ von Geschichte gewahrt bleibt. Dies ist vor allem die ‚Leistung‘ von Ri 2,1-5. Die durch Jos 24 generierte Zäsur hilft andererseits dabei, eine ‚Kontaminierung‘ der positiven Grundlegungen der paradigmatischen Anfänge durch die negative Geschichte Israels im Land zu vermeiden, also die beiden ‚Formen‘ der Geschichte klar zu trennen.“18 Nach Sara Schulz verbindet sich 2,1-5 sowohl mit Jos 23 als auch Ri 1 aufgrund der Vorstellung der unvollständigen Landnahme. Sie sieht einen engen Zusammenhang zwischen Ri 1 und 2,1-5, allerdings sei es möglich, die Zusammenstellung beider Texte auf zwei Redaktoren zurückzuführen. In Ri 1 fehle die Vorstellung eines Jahwebotens, „and Judg 2:1-2,4-5 are also more theologically nuanced than Judg 1.“19 Nach Schulz sei Ri 1 älter als Ri 2,1-2.4-5, denn dieser Abschnitt interpretiere Ri 1 ex post facto als ein sündhaftes Verhalten. Dies ist für sie auch der Grund für die Trennung des Abschnittes von Jos 23. Sie präsentiert folgende Chronologie der Texte: 1. [Jos 11,23a] + Jos 23,2.4a.5b.14 + Ri 1; 2. + Ri 2,1-2.4-5; 3. + Jos 23,5a.6.12-13; 4. + Jos 23,7-11.15-16 + Ri 2,3 (?). Den Übergang vom Josua- zum Richterbuch erkennt Schulz in zwei Linien: auf der einen Seite stehe Jos 11,23b; 24,1-27; Ri 2,6-31 und auf der andere Seite stehe Jos 13ff.; 23; 24,28-33; Ri 1,1-2,5; 17-21.
18 19
EDERER, Ende, 238f. SCHULZ, Literary Transition, 261.
102
§ 3 Das Versagen Israels: 2,1-5
4. Gliederung Ri 2,1-5 gliedert sich in vier Teile. Der erste und vierte Teil V.1a und V.4f umrahmen den Kern in V.1b-3. Die Einleitung berichtet in V.1a von dem Zug des Jahweengels von Gilgal nach Bochim (1. Teil). In den Schlussversen (V.4f.) wird auf die Einleitung insofern zurückgegriffen, als der Name des Ortes Bochim mit dem Weinen des Volkes ( )בכהerklärt wird (4. Teil). Der Mittelteil besteht aus dem Hinweis des Jahweengels auf die Taten der Herausführung aus Ägypten und der Hineinführung nach Palästina sowie aus der Zusage der Verlässlichkeit des Bundes und der Forderung nach der Zerstörung kanaanäischer Altäre (2. Teil V.1b-2a). Da Israel aber die Forderung missachtet und nicht auf die Stimme des Engels gehört hat, wird es als Strafe durch die Kanaanäer bedrängt werden (3. Teil V.3).1
1
HARVEY, Israël, 67-71. – MARX, Forme, 341–350.
5. Einzelexegese
103
5. Einzelexegese V.1 wird mit dem Hinweis auf das Hinaufziehen des Jahweengels von Gilgal nach Bochim eingeleitet. Mit der Verwendung des Verbs עלה „hinaufziehen“ wird eine – wohl beabsichtigte – Verbindung zu 1,14.22 hergestellt. In 1,1-4 geht es um die Frage, wer die Israeliten nach dem Tod Josuas in das verheißene Land führt und in 1,22 ist von dem Hinaufziehen des Hauses Joseph nach Bethel die Rede. In beiden Fällen ist das Hinaufziehen von Erfolg gekrönt, denn Juda kann die Mehrzahl der Orte erobern und auch dem Haus Joseph gelingt die Einnahme Bethels. V.1 zeigt nun, wie sehr das Hinaufziehen des Jahweengels in Kontrast zu dem in 1,1-4.22 berichteten Geschehen steht, denn der Engel muss Israel aufgrund seines Versagens anklagen. Die Nennung von Gilgal führt direkt zurück ins Josuabuch, denn dort steht Gilgal als Sinnbild für die erfolgreiche Landnahme des Westjordanlandes: Jos 4,19f.; 5,10; 9,6; 10,6.7.15.42; 15,7. Von Gilgal aus siegt Josua über eine Koalition kanaanäischer Könige (Jos 10). Der Engel ahmt diese Landnahme unter umgekehrten Vorzeichen nach, denn er erinnert Israel an die erfahrenen Heilstaten sowie an das Versagen des Gottesvolkes. Als erste Heilstat wird an die Herausführung aus Ägypten erinnert (V.1bα). Hierbei ist nicht recht deutlich, wer der Sprechende ist. Ist es Jahwe oder der Jahweengel?1 In der Wortwahl erinnert V.1bα an 6,8.13, denn auch dort begegnet das Verb עלהHif. „hinaufführen“ in Verbindung mit „Ägypten“. In 2,12 dagegen wird die Erinnerung an den Exodus mit dem Verb יצאHif. „herausziehen“ ausgedrückt, zudem wird vor „Ägypten“ noch das Nomen „Land“ ergänzt. Als zweite Heilstat wird an die den Vätern zugesagte Hineinführung in das verheißene Land erinnert (V.1bß). Eine sprachlich und inhaltlich ähnliche Aussage findet sich in der Einleitung zum Lied des Mose in Dtn 31,20f.
1
Nach LXXA+B redet Gott: Κύριος.
104
§ 3 Das Versagen Israels: 2,1-5
An dritter Stelle steht die Zusage des redenden Engels, dass er den Bund mit Israel keinesfalls brechen werde. Hier wird auf ein deuteronomisches Theologumenon zurückgegriffen: Dtn 4,23; 5,2f.; 9,9; 28,69.2 In V.2 wird die Rede des Jahweengels mit der Erinnerung an die Mahnung, keine Bündnisse mit den Bewohnern des Landes zu schließen, fortgesetzt. Diese Mahnung hat enge sprachliche und inhaltliche Parallelen in Ex 23,32; 34,12.15; Dtn 7,2. Nicht auszuschließen ist auch die von E. Blum vorgeschlagene Verbindung zu dem Bundesschluss mit den Gibeoniten in Jos 9.3 Hier treten die Gibeoniten mit der Bitte „Schließt mit uns einen Bund“ (Jos 9,6) an Israel heran. Der Vertreter Israels antwortet darauf in dem Wissen um das Bundesschlussverbot mit anderen Völkern mit „Wie sollte ich mit dir einen Bund schließen?“ (Jos 9,7) Die zweite Mahnung bezieht sich auf das Niederreißen der Altäre der Völker. Diese Forderung findet sich oft im Kontext der Geschichtsbücher (vgl. Ri 6,30-32; 2Kön 23,12.15), aber auch in Ex 34,13. In V.2b fasst der Jahweengel das Fehlverhalten Israels in die Aussage „aber ihr habt nicht auf meine Stimme gehört“ und den Ausruf „Was habt ihr nur getan!“ Der Vorwurf des Nichthörens Israels begegnet oft im Deuteronomium zusammen mit dem Vorwurf der Widerspenstigkeit (vgl. Dtn 1,43; 9,23). In V.3 formuliert der Jahweengel die Strafe für Israel. Die Völker werden nicht vertrieben werden, damit sie Israel zur Falle werden.4 Inhaltlich und sprachlich ähnliche Aussagen finden sich in Ex 23,29f.33; 34,12; Jos 23,13; Ri 8,27. Gegen das Verständnis von V.3 als „Strafe“ hat sich in jüngster Zeit A. van der Kooij ausgesprochen.5 „Scholars agree … that Judg. ii 3 should be considered God’s reaction to the disobedience of his people (vs. 2), that is to say, an announcement of punishment. The question, however, is whether this is as clear and convincing as it is supposed to be.“6 Er lehnt aufgrund der Parallelität von ( ואמרV.1b) und אמרתי (V.3a) die Übersetzung von אמרתיmit „und ich sage hiermit“
2
EDERER, Ende, 100–105 sieht in V.1b einen Bezug zu Lev 26,44. BLUM, Knoten, 256f. 4 BLUM, Knoten, 188 Anm. 28. 5 Van der KOOIJ, I said, 294–306, bes. 297f. 6 Van der KOOIJ, I said, 296. 3
5. Einzelexegese
105
vehement ab.7 Beide Verbformen seien „part of the speech in which attention is drawn to what has been said by YHWH in the past.“8 Neben diesem philologischen Argument begründet van der Kooij seine Ablehnung von V.3 als Strafankündigung mit der inhaltlichen Nähe von 2,3 zum Epilog des Bundesbuches (Ex 21-23). „ … it reminds Israel of the warnings given in this Epilogue, namely that, since God will not drive out the inhabitants of the land in a short period of time, but only in the long run, one must realize that the inhabitants will be present with all the dangers involved.“9 Van der Kooij interpretiert das Verhältnis von 2,1-5 zu Kap. 1 so, „that ch. ii 1-5 does not support the idea that Israel should be blamed for not having driven out all the inhabitants of the land in ch. i.“10 Insofern könne 2,1-5 nicht als theologische Interpretation von Kap. 1 verstanden werden. Bei dieser Deutung von V.3 bleiben m.E. einige Fragen offen: Wie ist der Bezug von V.2 und V.3 zu deuten? In V.2 ist davon die Rede „Ihr habt nicht auf meine Stimme gehört!“ Zu dieser Festlegung der Schuld fügt sich V.3 als Strafankündigung gut. Wie ist der Bezug von 2,1-5 zu Kap. 1? Wenn 2,1-5 nicht als theologische Interpretation zu Kap.1 zu verstehen ist, welche Interpretation bleibt dann noch? M.E. spricht die Partikel „ גםauch“ nicht gegen ein folgendes Perfekt declarativum,11 denn sie kann als Element der Betonung dienen.12
7
Van der KOOIJ, I said, 297f.; – so auch EDERER, Ende, 38f. Van der KOOIJ, I said, 297. 9 Van der KOOIJ, I said, 303f. 10 Van der KOOIJ, I said, 305. 11 So BLUM, Textgestalt, 299 Anm. 45. 12 BROCKELMANN, Syntax, § 130b; zum Perfekt declarativum an dieser Stelle vgl. noch GROSS, Richter, 159; GES18, 221 (Nr.6.„daher, deshalb“). 8
106
§ 3 Das Versagen Israels: 2,1-5
6. Zum Verhältnis von Ri 1 und Ri 2,1-5 Nach U. Becker stehen Ri 1* und 2,1-5 in engster Beziehung zueinander. Nach ihm bezieht sich das durch den Jahweengel mahnend-anklagende Wort in 2,1b-3 auf die in 1,32f. genannten „Bewohner des Landes“. Zudem werde 2,1-5 mit dem Thema des „Nichtvertreibens“ mit Kap. 1* verklammert. In Ri 1,21.27ff komme es jedoch primär nicht auf den Vorgang des Nichtvertreibens an, sondern auf das Resultat, dass nämlich Kanaanäer und Israeliten im Land zusammenleben. Dies sei die eigentliche Schuld Israels. Jahwes Strafe bestehe nun darin, die Völker nicht zu vertreiben, Israel also gar nicht aus dieser Schuld zu entlassen. Beides füge sich also gut zusammen.1 M.E. ist eine enge Verknüpfung von Ri 2,1-5 mit Kap.1 in dieser Weise schwerlich möglich, auch wenn es hier wie dort um das Nebeneinander von Israeliten und den Bewohnern des Landes geht. Inhaltlich sind die Gewichte jedoch grundsätzlich verschieden, denn nach Kap. 1 konnte Israel die Kanaanäer unverschuldet wegen deren Stärke nicht gänzlich aus dem Land vertreiben (V.19.21.27.29-34), nach 2,3 bleiben sie im Land als Strafe für Israel wohnen, weil Israel schuldhaft mit ihnen Bündnisse geschlossen und ihre Altäre nicht niedergerissen hatte. Ungewöhnlich im Vergleich mit Kap. 1 sind in 2,1-5 das Auftreten des Jahweengels, die Rede des Engels zu ganz Israel sowie die Nennung von Bochim, das sonst im Alten Testament keine Rolle mehr spielt. Zudem handelt in 2,1-5 das Gottesvolk als Einheit und nicht wie in Kap. 1 in Einzelstämmen. So muss man in Ri 1 und 2,1-5 von unterschiedlichen theologischen Gewichtungen ausgehen und 2,1-5 als eine theologische Interpretation zu Kap. 1 deuten.2
1 2
BECKER, Richterzeit, 49–57. So auch BLUM, Pentateuch, 367; ders., BEThL, 187f.
7. Der literarische Ort von 2,1-5
107
7. Der literarische Ort von 2,1-5 Ri 2,1-5 knüpft inhaltlich an das Auftreten des Engels des Herrn in Ex 23,20a.23a; 32,34; 33,2a an.1 Ex 23,20-22: Es handelt sich hier um den Beginn des Schlussabschnittes (Ex 23,20-33) des sog. Bundesbuches Ex 20,22-23,33. Er kann als eine Verheißungen und Mahnungen enthaltende Entlassungsrede charakterisiert werden, denn Jahwe gebietet dem Volk, auf seinem Weg durch die Wüste seinem Engel gehorsam zu sein und im Kulturland nicht die Götter der Amoriter und der anderen kanaanäischen Völker zu verehren, damit dies dem Volk nicht zum Fallstrick werde: V.20-22: die Sendung des Engels; V.2326: Israel in Kanaan; V.27-33: die Vertreibung der Kanaanäer.2 Traditionsgeschichtlich fällt in Ex 23,20-33 die Nähe zu Aussagen und Formulierungen von Dtn 7 auf: Ex 23,23.28b; Dtn 7,1b
: Aufzählung der nichtisraelitischen Völker
Ex 23,24b; Dtn 7,5b
: Zerstörung der Mazzeben
Ex 23,24; Dtn 4,16
: Keine Anbetung der kanaanäischen Götter
1 2
Ex 22,25a; Dtn 7,13
: Segnen von Brot und Wasser
Ex 23,25b; Dtn 7,15
: Keine Krankheit
Ex 23,26a; Dtn 7,13b.14b
: Keine Unfruchtbarkeit
Ex 23,27; Dtn 7,23f
: Vernichtung der Völker
Ex 23,28a; Dtn 7,20
: Hornissen (?)
Vgl. dazu ausführlicher NEEF, Engel, 54–75. NEEF, Engel, 60.
108 Ex 23,29f; Dtn 7,22
§ 3 Das Versagen Israels: 2,1-5 : allmähliche Vertreibung der Urbevölkerung
Ex 23,31; Dtn 7,2
: Auslieferung der Völker in die Hand Israels
Ex 23,33b; Dtn 7,4.16
: Die Völker als mögliche Falle
Die inhaltlichen und stilistischen Berührungen zwischen Ex 23,20-33 und Dtn 7,1-26 bezeugen den engen Zusammenhang beider Kapitel. Die Frage der genaueren Beziehung beider Kapitel zueinander hat m.E. G. Schmitt überzeugend so gelöst, indem er Ex 23,20ff als vordeuteronomistisch einstuft und als unmittelbare Vorlage von Dtn 7 ansieht.3 Er verteidigt diese These mit folgenden gewichtigen Argumenten: 1. Die typisch deuteronomistischen Wendungen von Dtn 7 fehlen in Ex 23. So werde in Ex 23,28-31 das den Kanaanäern zugedachte Schicksal viermal mit dem Verb „ גרשׁvertreiben“ bezeichnet, das im Dtn und im deuteronomistischen Geschichtswerk für diesen Tatbestand gerade nicht verwendet werde. 2. Die Erklärung, warum die Eroberung des Landes nicht auf einen Schlag geschehe, sei in Ex 23,29f ausführlicher als in Dtn 7,22. Wäre Ex 23,20ff ein Auszug von Dtn 7, so könnte man nicht einsehen, warum er gerade hier breiter werde.4 3. Ex 23,20ff könne nicht als Ganzes deuteronomistisch sein, da der „Engel“ von V.20f.23 in der ganzen deuteronomistischen Literatur nicht vorkomme. Nach Schmitt sind V.20-22 vom Deuteronomium unabhängig und wahrscheinlich älter.5 Ex 32,34; 33,2: Im weiteren Verlauf der Erzählungen über die Wüstenwanderung erscheint der Engel des Herrn in Ex 32,34; 33,2. Nach Ex 32,34 verspricht Jahwe Mose das Geleit durch den Engel:
3
SCHMITT, Frieden, 13–24. SCHMITT, Frieden, 20. 5 SCHMITT, Frieden, 15. – Zu Ex 23,21 und der Rolle des Engels vgl. NEEF, Engel, 61– 65. 4
7. Der literarische Ort von 2,1-5
109
„So gehe nun und führe das Volk dorthin, wohin ich dir gesagt habe. Siehe, mein Engel soll vor dir hergehen. Aber zu meiner Zeit will ich ihre Sünde an ihnen heimsuchen.“ Ebenso in Ex 33,2:, „… und ich will einen Engel vor dir her senden und die Kanaaniter, Amoriter, Hethiter Pheresiter, Hewiter und Jebusiter vertreiben…“ Es besteht in der Forschung eine weitgehende Übereinstimmung darin, dass an diesen beiden Stellen der „Engel des Herrn“ nicht zum ursprünglichen Bestand zu zählen ist, sondern später hinzugefügt wurde. Dies lässt sich folgendermaßen begründen: a. V.2 stört den syntaktischen Zusammenhang von V.1 und V.3. Der Anfang von V.3 „in ein Land…“ nimmt V.1b wieder auf, um die Aussage mit „in ein Land, das von Milch und Honig fließt“ (V.3a) fortzuführen. b. In V.2 wechselt überraschend der Adressat der Gottesrede von Mose (V.1a) zum Volk (V.2f.) insgesamt. c. Nach Ex 33,12 beschwert sich Mose bei Jahwe, weil er ihn noch nicht habe wissen lassen, wen er mit ihm senden wolle. Diese Beschwerde überrascht, denn nach V.2 hätte Mose wissen müssen, dass Jahwe seinen Engel als Begleiter schicken will. So ist deutlich, dass V.2 nicht zum ursprünglichen Bestand der Erzählung zu zählen ist. Das gleiche muss damit auch von 32,34aß gesagt werden. Inhaltlich bleibt zwischen der Verweigerung des persönlichen Mitgehens Jahwes (V.3) und der Sendung des Engels (32,34aß; 33,2) vor allem deshalb eine Spannung, weil wie in Ex 23,20.23 der Engel ja Gottes Mit-Sein mit dem Volk repräsentiert. Man wird kaum sagen können, dass der Engel hier „auf das bestimmteste von Jahwes persönlicher Gegenwart unterschieden“6 sei und als ein von Jahwe Gesandter, unterjochter Bote erscheine, denn immerhin tritt er an die Stelle Jahwes selbst. Man kann allenfalls beobachten, dass das Auftreten des Engels den Bruch von Jahwes unmittelbarstem Kontakt zu seinem Volk verdeutlicht. Die Hinzufügung des Engels hat offenbar theologische Gründe. Sie soll deutlich machen, dass trotz der Anfertigung und Verehrung des goldenen Kalbes und des damit erfolgten Bruches zwischen Gott und seinem Volk Gott dennoch sein Volk auf seinem gefahrvollen Weg durch die Wüste nicht im Stich 6
BAENTSCH, Exodus, 209.
110
§ 3 Das Versagen Israels: 2,1-5
lässt. Ebenso wie in Ex 23,20-22 tritt der Engel hier als Gesandter Gottes auf, der schützend das Volk Israel ins gelobte Land führen soll. In Ex 23,23.32f; 34,12.15 wird zudem das Verbot des Bundschließens mit anderen Völkern betont. Israel darf keinesfalls die Götter der Amoriter, Hethiter, Pheresiter, Kanaaniter, Hewiter und Jebusiter verehren. Mit ihnen und ihren Göttern darf kein Abkommen getroffen werden, da sie sonst zum Fallstrick für Israel werden. Neben dem Verbot des Bundesschlusses wird von der Vertreibung dieser Völker geredet (Ex 23,28-31; 33,2) und das Gebot aufgestellt, die Götter dieser Völker zu entfernen und ihre Malsteine zu zerstören (Ex 23,24; 34,12). Theologisch stimmt Ri 2,1-5 mit diesen Texten in der Darstellung der Rolle des Engels überein. Der Engel ist hier nicht mit Jahwe austauschbar, vielmehr tritt er neben Jahwe und übernimmt in Jahwes Auftrag und mit göttlicher Autorität eine Gesandten- und Führerrolle. Der Engel wird zum Repräsentanten der Hilfe und Gegenwart Jahwes. Er repräsentiert ihn und seinen Beistand für sein Volk trotz Schuld und Abfall. Der Engel wird zum Bürgen der Gegenwart Jahwes. Überlieferungsgeschichtlich bleibt zu fragen, ob diese „Engeltexte“ nicht zu einer besonderen Bearbeitung der Bücher Genesis bis Numeri zu zählen sind.7 Geschichtlich ist dies die Zeit nach dem Fall von Samaria 722 v.Chr., des Unterganges des Nordreiches mit der Wegführung der Oberschicht und der Ansiedlung einer Fremdbevölkerung in Palästina. Es ist denkbar, dass in diesen Texten diese für Israel ungemein schwere Zeit theologisch verarbeitet worden ist.8 Es ist m.E. gut vorstellbar, dass diese Überlieferung in Ri 2,2f; 5,23 aufgenommen und die Aufgabe des Engels noch um die des Anklägers erweitert worden ist. Weil Israel nicht auf die Anweisungen des Engels gehört hat, werden die Bewohner des Landes nicht vertrieben werden, damit sie Israel bedrängen und ihre Götter ihnen zum Fallstrick werden können. Wenn man versucht, 2,1-5 literarisch und zeitlich genauer zuzuordnen, so lässt sich folgendes sagen: Ri 2,1-5 steht literarisch und inhaltlich in enger Verbindung zu Ex 23,20-22; 32,34; 33,2. Ist es richtig, diese Texte als protodeuteronomisch zu charakterisieren, so dürfte dies auch von 2,1-5 angenommen werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich stoffgeschichtlich um eine alte Ortsüberlieferung handelt, die in späterer Zeit mit der Erscheinung des 7 8
Die ältere Forschung hätte hier von einer „jehovistischen Bearbeitung“ gesprochen. NEEF, Engel, 73f.
7. Der literarische Ort von 2,1-5
111
Jahweengels verknüpft wurde.9 2,1-5 wurde vom Deuteronomisten aufgenommen und zusammen mit dem insgesamt jüngeren Abschnitt Ri 1,1-36 an den Anfang des Richterbuches gesetzt. Das Auftreten des Engels des Herrn in 2,1-5 ist kein Zufall, denn so wie er in Ex 23,20-33 am Anfang der Wanderung durch die Wüste mit dem Ziel der Landnahme ins gelobte Land steht, so steht er jetzt bei deren Abschluss. Mit dem Erreichen des gelobten Landes ist der Auftrag des Engels beendet. Sein Fazit ist jedoch enttäuschend, denn Israel hat nicht auf dessen Stimme gehört. Der Engel muss Israel ein Strafgericht ankündigen. Das Volk erkennt viel zu spät seine Schuld, die in dem mangelnden Gehorsam gegen den Engel des Herrn besteht. So wird mit 2,1-5 ähnlich wie mit Kap. 1 mit dem Hinweis auf die Fremdvölker inmitten Kanaans und dem Ungehorsam des Volkes zugleich die Thematik des Richterbuches eingeführt.10
9
Von RAD, Theologie I, 299. So auch C. FREVEL, Response, 287: „If this is accepted, the insertion of Judg 2:1-5 before Judg 2:11-3,6* requires an explanation. The insertion was not possible at any other place in the book of Judges but an an introductory passage and hermeneutical key to the book“ und GROSS, Richter, 159: „Der kurze Text Ri 2,1-5 spielt für das Richterbuch in seiner Endgestalt eine wichtige Rolle, da er mit vielen Themensträngen innerhalb und außerhalb dieses Buches vernetzt ist und so ganz am Beginn wichtige Interpretationsanweisungen für das Buch als Ganzes gibt.“ 10
§ 4 Josuazeit und Richterzeit: 2,6-10
1. Übersetzung und textkritische Anmerkungen 6 Josua entließ das Volk und die Israeliten gingen, jedera in seinen Erbbesitz, um das Land in Besitz zu nehmen. 7 Und das Volk diente Jahwe alle Tage Josuas und alle Tage der Ältesten, die nach Josuab lange lebten, die das ganze große Werk Jahwes gesehen hatten, das er für Israel getan hatte. 8 Und Josua, der Sohn Nuns, der Diener Jahwes, starb im Alter von 110 Jahren. 9 Und sie begruben ihn im Gebiet seines Erbbesitzes in Timnat-Heres, im Gebirge Ephraim, nördlich vom Berg Gaasch. 10 Und auch jene ganze Generation wurde zu ihren Vätern versammelt und es stand eine andere Generation nach ihnen auf, die Jahwe nicht kannte und auch nicht das Werk, das er an Israel getan hatte. a
LXXA
bietet einen längeren Text: εἰς τὸν οἶκον αὐτοῦ καὶ = „ לביתוzu seinem Haus und“; im Vergleich zu MT liegt hier ein verdeutlichender und damit jüngerer Text als bei MT vor; LXXB entspricht MT.
b
LXXB
gibt „ אחרי יהושׁועhinter Josua“ mit µετὰ ’Ιησοῦ wieder, wodurch die Verbundenheit des Volkes stark hervorgehoben wird.
Fazit: LXXA+B entsprechen MT im Wesentlichen. Sie bieten, anders als im Fall von Jos 24,28-32, keine größeren Abweichungen.
2. Forschungsgeschichtliche Orientierung
113
2. Forschungsgeschichtliche Orientierung Schon in der älteren Forschung wird Ri 2,6-10 in redaktionskritischer Hinsicht höchst unterschiedlich bewertet. So rechnet H. Gressmann den Abschnitt zu 2,11-3,6 hinzu und erkennt in 2,6-3,6 die Einleitung in den Hauptteil des Richterbuches.1 W. Rudolph dagegen sieht in Ri 2,6-10 zusammen mit Jos 23 den Schluss der deuteronomischen JosuaGeschichte. Die deuteronomische Einleitung des Richterbuches erkennt er in 1,1-2,5.23; 3,5; 2,11.12.14-16.18.19. Das jetzige Ineinanderschieben der beiden deuteronomischen Stücke sei erst das Werk späterer Redaktion, die die beiden Bücher enger verknüpfen wollte.2 Jos 24,31 sei in diesem Prozess aus Ri 2,7 nachträglich eingetragen worden. Nach M. Noth schließt sich Ri 2,6 unmittelbar und eng an Jos 23 an. Zu Dtr sei innerhalb des glatten Zusammenhangs Ri 2,6-10 auch die Angabe über Josuas Lebensalter und seine Grabstätte zu rechnen. Da Dtr ähnliche Angaben beispielsweise über die „Kleinen Richter“ im Richterbuch zu machen imstande sei, seien wir nicht berechtigt, Ri 2,8.9 aus einer im Alten Testament erhaltenen „Quelle“ abzuleiten. Aus literarischen Gründen müsse man vielmehr annehmen, „dass diese Angaben sekundär aus Ri 2 nach Jos 24,29-31 übernommen wurden, als das Buch Josua als selbständige literarische Einheit konstituiert war und eine abschließende Bemerkung über den Tod Josuas erhalten sollte.“3 Dabei sei Ri 2,7 (= Jos 24,31) hinter 2,8.9 (= Jos 24,29.30) gestellt worden, um dem Ganzen einen volltönenden Abschluss zu geben. Später seien dann noch die Bemerkungen Jos 24,31 + Jos 24,33 angefügt worden. W. Richter geht bei seinen Beobachtungen von der fast wörtlichen Übereinstimmung von Jos 24,28-31 und Ri 2,6-10 aus. Diese lasse nur eine literarische Deutung zu. Aufgrund eines detaillierten Vergleichs kommt er zu dem Ergebnis, dass die Grabtradition ursprünglich hinter Jos 24,28 gestanden habe. „Eine jüngere Hand fuhr mit Ri 2,7.10 fort. Diese wird man Dtr zurechnen können … Die Tendenz der Wiederaufnahme zeigen die Zusätze in V.6, die besonders Ri 1,27ff.,
1
GRESSMANN, Anfänge, 15.140. RUDOLPH, „Elohist“, 240–244. 3 NOTH, Studien, 8f. 2
114
§ 4 Josuazeit und Richterzeit: 2,6-10
also wohl 1-2,5 im Auge haben.“4 Ri 2,7 setze Jos 24,28-30 voraus. V.7.10 verlangten eine Fortführung, die in 2,11 vorliege. R.G. Boling nimmt in seinem Kommentar an, dass eine alte JosuaRichter Erzählung aufgebrochen worden sei, um die Geschichte Israels besser periodisieren zu können. „Joshua’s death was the end of one era and the beginning of another. The report of the death and burial of Joshua was left intact at the end of Joshua but revised by more transposition of sentences to be more appropriate as introduction in Judg. 2:6-10, which he then expanded.“5 H.N. Rösel und E.Th. Mullen6 sprechen jeweils von zwei parallelen Überleitungen vom Josua- ins Richterbuch. Rösel erkennt in Jos 24; Ri 1,1-2,5 eine ältere und in Jos 23; Ri 2,6ff eine jüngere Überleitung. Auszugehen sei von der Tatsache der Doppelüberlieferungen am Ende des Josua- und am Anfang des Richterbuches: Jos 23+24; Jos 24+Ri 2,6-9 Josuas Tod; Ri 1,1-2,5+2,6ff doppelter Eingang des Richterbuches. Die einfachste Erklärung für diese Doppelungen bestehe in der Annahme zweier paralleler Erzählfäden.7 J.A. Soggin geht von folgender ursprünglicher Reihenfolge aus: Jos 24,28-30; Ri 2,7+10. Diese Texte seien durch die Einfügung von 1,12,6 getrennt worden. Ri 2,6b.8.9 sieht er als spätere Hinzufügungen an, weil „they do not introduce new elements.“8 U. Becker formuliert aufgrund eines detaillierten Vergleichs zwischen Jos 24,28-31 und Ri 2,6-9 eine höchst komplizierte These.9 Ri 2,6-9 führt er auf zwei verschiedene deuteronomistische Hände zurück: in 2,6f liege eine Wiederaufnahme aus spätdeuteronomistischer Feder (DtrN) vor, während der erste dtr Historiograph für 2,8-10.11ff verantwortlich sei.10 E. Noort sieht in Ri 2,6ff eine Fortschreibung von Jos 24,28-31. Die Varianten seien durch eine Abhängigkeit von Jdc 2,6ff von Jos 24,28ff gut zu erklären, „während das Umgekehrte nicht der Fall ist.“11 Jdc 2,6ff akzentuiere eine scharfe Trennung zwischen der goldenen Zeit
4
RICHTER, Bearbeitungen, 44–50. BOLING, Judges, 36; ähnlich AULD, Joshua, 66. 6 RÖSEL, Überleitungen, 342–350; ders., Josua, 49-58 und MULLEN, Judges, 33–54. 7 RÖSEL, Überleitungen.; MULLEN, Judges, 38f. 8 SOGGIN, Judges, 42. 9 BECKER, Richterzeit, 68. 10 BECKER, Richterzeit, 72. 11 NOORT, Jos 24,28-31, 113. 5
2. Forschungsgeschichtliche Orientierung
115
Josuas und den Ältesten „und der Zeit danach, die durch das übriggebliebene Land mit den übriggebliebenen Völkern gekennzeichnet wird.“12 Nach B. Lindars bildet 2,11-19 die Einleitung in das Richterbuch. Den Abschnitt 2,6-10 versteht er als Erklärung der vorangegangenen Situation. 2,6-10 sei die Ausarbeitung eines kürzeren Originals. Ursprünglich hätten nur V.7 und V.10 das Richterbuch eröffnet, „and the rest was added as a consequence of the addition of the prelude in 1.1-2.5.“13 Einen eigenständigen Weg geht D. Jericke14, der aufgrund einer Exegese von Jos 24, 28-31 und Ri 2,6-9 zu dem Ergebnis kommt, dass in Jos 24,28-31 das Thema „Gehorsam gegen Jahwe“ im Vordergrund stehe. Ri 2,6-9 betone dagegen die historische Dimension. Jos 24,2831 ordnet er deshalb DtrN und Ri 2,6-9 DtrH zu. Ri 2,6-9 stelle die ursprüngliche Brücke zwischen der Darstellung der Landnahme und der Richterzeit im dtr. Geschichtswerk dar. Ri 2,6-9 stelle im Vergleich zu Jos 24,28-31 die ältere Version dar.15 Ri 2,6a.7a.8aαb.9 rechnet er einer vordeuteronomistischen Überlieferung und 2,6b.7b8aß DtrH zu.16 Einen methodisch neuen Ansatz bietet E. Blum, indem er nach dem kontextuellen Verweisprofil von Jos 24,28-31 und Ri 2,6-9 sowie deren kompositionellen Konnexionen und Brüchen fragt.17 Für ihn bildet Jos 24,28ff. keine Prolepse zu Ri 2, sondern den Abschluss und Ausklang eines großen Werkes. Umgekehrt sei damit die frühere Fortführung als Anfang eines neuen Werkes festgeschrieben: Ri 2,1ff. Ri 2 lasse sich gut als Eröffnung einer Darstellung der Richterzeit lesen, man müsse nur hinzufügen: „Es geschah in den Tagen…“ Der ursprüngliche Abschluss der Josuazeit (2,1-5) mit Entlassung und Tod Josuas (2,6ff) diene darin als Rückblende und zugleich als Auftakt zur Richterzeit.18 E. Blum hat 2018 diese Studie durch neue Beobachtungen ergänzt.19 Er entfaltet hier die These, dass Ri 2,6ff „primarily functioned as the 12
NOORT, Jos 24,28-31, 115; – in die gleiche Richtung gehen die Überlegungen von FRITZ, Josua, 246-250. 13 LINDARS, Judges, 91. 14 JERICKE, Josuas Tod, 347–361. 15 So mit anderer Begründung auch GROSS, Richter, 182f.209. 16 JERICKE, Josuas Tod, 357.360. 17 BLUM, Knoten, 249–280. 18 BLUM, Knoten, 274; – Zur Position von BLUM siehe GROSS, Richter, 18. 19 BLUM, Once Again, 221–240.
116
§ 4 Josuazeit und Richterzeit: 2,6-10
conclusion to Josh 23*.“20 Er lehnt die These, dass Ri 2,6 Wiederaufnahme von Jos 24,28-31 sei vehement ab und bestimmt Ri 2,6-10 als „a textual fragment enclosed within the final text of Judges.“21 Den ursprünglichen Kontext von Ri 2,6-10 erkennt er in Jos 23. Er begründet dies mit zwei Argumenten: 1. Das „open ending“22 von Jos 23 passe sehr gut zu Ri 2,6. 2. Die Annahme, Jos 24 sei gegenüber Jos 23 der ältere Text ist zweifelhaft. Blum verbindet nicht nur Ri 2,6, sondern auch 2,1-5 mit Jos 23. Eine Verbindung von Ri 2,1-5 mit Ri 1 sei aufgrund der unterschiedlichen Erzählformen und des Fehlens jeglicher theologischer Aspekte in Ri 1 nicht möglich. Demgegenüber sieht er in Ri 2,1-5 eine Fortschreibung von Jos 23,1-16(a). In beiden Texten gehe es um die unvollständige Landnahme sowie um die Beziehung der Israeliten zu den Bewohnern des Landes. Sehe ich recht, stellt sich der Übergang vom Josua- zum Richterbuch nach Blum wie folgt dar: 1. Die erste Verbindung liegt in Jos 23* + Ri 2,6ff vor. Blum folgt hier den Beobachtungen von Martin Noth. Allerdings weist er darauf hin, dass Jos 23 in zwei unterschiedliche Schichten geteilt werden müsse: Grundschicht mit der Betonung des ersten Gebotes (23,1-3.6.11.14-16a) und zweite Schicht mit Betonung der im Land verbliebenen Völker. - 2. Eine erste Erweiterung findet er in der zweiten Schicht von Jos 23 sowie in Ri 2,20f.23; 3,1aα.3. - 3. Ri 2,1-5 sei „the direct continuation of Josh 23…“23 Die Perikope enthalte „an authoritative interpretation of the still incomplete conquest by taking up the pentateuchal tradition of a guiding angel.“24 Diese Tradition knüpfe an das Konzept eines „Greater Israel“25 an (Ex 23,31a). – 4. Das „grand finale of a hexateuchal work in Jos 24 … then shifted Judg 2:1-6 ‚beyond‘ the newly created „Torah-book of God“…“26 - 5. Ri 1 sieht er als das letzte Bindeglied im Übergang von Josua zu Richter und als den ersten Teil eines von Josua getrennten Richterbuches. R.G. Kratz27 fragt auf sehr detaillierte Weise nach dem Übergang von Jos zu Ri. Dabei knüpft er an Blum an, nennt aber deutlich Unterschiede zu ihm. So sieht er anders als Blum durchaus eine 20
BLUM, Once Again, 240. BLUM, Once Again, 224. 22 BLUM, Once Again, 224. 23 BLUM, Once Again, 239. 24 BLUM, Once Again, 239. 25 BLUM, Once Again, 239. 26 BLUM, Once Again, 240. 27 KRATZ, Transition, 241–256. 21
2. Forschungsgeschichtliche Orientierung
117
Verbindung von Ri 1 und 2,1-5. Er deutet Ri 2,1-5 als eine theologische Erklärung und Interpretation der in Ri 1 beschriebenen Situation. Allerdings geht er davon aus, dass beide Abschnitte auf unterschiedliche Autoren zurückgehen. Die von Blum geforderte Verbindung von Jos 23 und Ri 2 hinterfragt er ebenfalls. „What is the narrative connection to Josh 23, and why is the people’s dismissal delayed, even though Joshua plays no role in 2:1-5?“28 Nach Kratz ist das Wachstum von Jos 23 – Ri 2 auf folgende Weise denkbar: 1. Jos 11,16.23 (oder 21,43-45) + Ri 2,8-9.11ff. Er sieht in Jos 11,16.23 bzw. 21,43-45 einen früheren Abschluss des Josuabuches, an den Ri 2,8-9.11ff angeknüpft hätten. – 2. Jos (23-) 24* genauer 24,14-28* + Ri 2,7.10. – 3. Jos 23 und Ri 2,1-5 + 6 – 4. Jos 23f (Hinzufügungen), Prolepse von Ri 2,7-9 in Jos 24,29-31 + Ri 1; - 5. Weitere Hinzufügungen in Jos 24,31-33 MT und LXX. In jüngster Zeit hat sich F.-E. Focken im Rahmen einer Exegese von 2,6-3,6 mit dem Abschnitt 2,6-10 beschäftigt.29 Er vergleicht 2,6-9 genau mit Jos 24,28-31 und kommt mit E. Blum zu dem Schluss, dass sich nicht nachweisen lasse, welcher Text bzw. welche Teile dieser Texte jeweils die älteren seien.30 Die Unterschiede zwischen beiden Texten zeigten, dass sowohl Jos 24,28-31 für den Abschluss des Josuabuches als auch Ri 2,6-9 auf seine Fortsetzung in Ri 2,10ff hin konzipiert seien. Da die Unterschiede beider Texte mit der Funktion der Texte in ihren jeweiligen literarischen Kontexten erklärt werden können, würden die Unterschiede keinen Anlass für eine literarkritische Differenzierung innerhalb von Ri 2,6-9 bieten. Focken ordnet 2,6-9 daher der von ihm so bestimmten Grundschicht DtrR zu. Daraus folgert er, dass auf der literargeschichtlichen Ebene des DtrR das Richterbuch von Beginn an als Fortsetzung des Josuabuches geschrieben worden sei. Er geht noch einen Schritt weiter und folgert, dass das Richterbuch „auf der Ebene des DtrR als Fortsetzung der bereits von der Priesterschrift geprägten Bücher Gen-Jos* verfasst worden“31 sei. Das Vorkommen der beiden Texte Jos 24,28-31 und Ri 2,6(?).7-9 führt Focken auf zwei verschiedene Schriftrollen zurück. Die Wiederholung habe die Funktion, die betreffenden Schriftrollen
28
KRATZ, Transition, 253. FOCKEN, Landnahme, 64–72. 30 FOCKEN, Landnahme, 65. 31 FOCKEN, Landnahme, 68. 29
118
§ 4 Josuazeit und Richterzeit: 2,6-10
miteinander zu verknüpfen.32 Die formale Gestaltung von Ri 2,6 bzw. 2,7 als Schriftrollen- und Teilwerkanfang sei nicht ungewöhnlich. In jüngster Zeit hat H. Samuel eine überaus nützliche synoptische Übersicht zu Jos 24,28-31; Ri 1,1; 2,6-10 zusammengestellt: MT/LXX/Reconstructed LXX-Vorlage/MT/LXXA/LXXB. Sie bildet eine gute Grundlage für die exegetische Arbeit.33 Eine ausführliche Problemgeschichte des Verhältnisses von Ri 2,6-10 und Jos 24,28-31 hat Erasmus Gass vorgelegt.34 Er stellt in seinem materialreichen Beitrag die wichtigsten Thesen zu dem Verhältnis beider Stellen ausführlich vor. In einem ersten Schritt fragt er nach „Incoherent Passages in Josh 24 and Judg 2“.35 Er findet es äußerst schwierig, Ri 2,6-10 in zwei oder sogar mehrere dtr Editionen aufzuteilen, da klare literarkritisch fassbare Spannungen schwer feststellbar seien. Ebenso sei es schwierig, die zeitliche Folge der Abschnitte zu bestimmen.36 Bei diesen Fragen könne auch die LXX nicht weiterhelfen, da diese „reflects the theological agenda of the LXX translator.“37 Bezüglich der Frage nach der Priorität von „Timnath-Heres“ bzw. „Timnath-Serah“ neigt er derjenigen von „Timnath-Serah“ (Jos 24,30) zu. Bezüglich der redaktionsgeschichtlichen Fragestellung trage diese Beobachtung jedoch wenig aus.38 Gass referiert ausführlich das Pro und Contra für die zeitliche Priorität von Jos 24,28-31 und Ri 2,6-10 in einigen ausgewählten neueren Publikationen. Abschließend hält Gass fest: Der Vers für Vers- Vergleich zwischen Jos 24 und Ri 2 sei nicht ohne Probleme, ebenso die Aufteilung der beiden Texte in mehrere Schichten, da dazu klare Argumente fehlten. Dies sei alles höchst hypothetisch. Der Knoten zwischen dem Josuaund Richterbuch sei immer noch nicht überzeugend entwirrt worden. Die unterschiedlichen Argumente könnten in alle Richtungen verwendet werden. Als minimaler Konsens hält er fest, dass am ehesten das Modell einer Fortschreibung den Knoten zwischen dem 32
FOCKEN, Landnahme, 70 verweist in diesem Zusammenhang auf 2Chr 36,22f; Esr 1,1-3 die zeigen, „dass eine Verknüpfung zweier Teilwerke durch die Wiederaufnahme der letzten Sätze des vorherigen Teilwerkes zu Beginn des folgenden Teilwerks grundsätzlich möglich ist.“ 33 SAMUEL, Attestation, 188f.192f. 34 GASS, Joshua’s Death, 199–219. 35 GASS, Joshua’s Death, 200–202. 36 GASS, Joshua’s Death, 202–205. 37 GASS, Joshua’s Death, 207. 38 GASS, Joshua’s Death, 207f.
2. Forschungsgeschichtliche Orientierung
119
Ende des Josua- (Jos 23) und dem Anfang des Richterbuches (Ri 2) entwirren könne. Fazit: Der kurze Blick in die Forschung zeigt deutlich die sich mit Ri 2,6-10 verbindenden Probleme: Wie ist 2,6-10 in den Kontext einzuordnen? Wie ist das Verhältnis von 2,6-10 und Jos 24,28-31 zu bestimmen? Ist 2,6-10 als einheitlicher Abschnitt zu deuten? Wie ist 2,6-10 literarisch zuzuordnen?
120
§ 4 Josuazeit und Richterzeit: 2,6-10
3. Exegese von Ri 2,6-10 Der Text setzt ein bei der Notiz der Entlassung und Inbesitznahme des Landes durch die Israeliten (V.6) und er endet mit dem Hinweis auf die neue Generation, „die Jahwe nicht kannte“ (V.10b). Dazwischen findet sich eine Bilanz der Josuazeit, in der das Volk Jahwe diente (V.7). Aufgrund dieser Notiz muss diejenige in V.10b in einem negativen Licht gelesen werden, denn ohne Jahwekenntnis kann es keinen Jahwedienst geben. Josuas Tod und sein Begräbnis markieren klar den Abschluss einer Epoche. Die Gliederung zeigt, dass in V.6-10 eine Übergangszeit beschrieben wird. 2,6a
:
Die Entlassung des Volkes durch Josua
2,6b
:
Die Inbesitznahme des Landes durch die Israeliten
2,7abα
:
Jahwedienst
2,7bß
:
Jahwehandeln
2,8
:
Josuas Tod
2,9
:
Josuas Begräbnis
2,10a
:
Die alte Generation
2,10b
:
Die neue Generation ( → V.11ff.)
Die Entlassung des Volkes durch Josua wird in V.6a mit dem Verb שׁלחPi. „entlassen“ zum Ausdruck gebracht. Eine ähnliche Wendung findet sich in der Ehuderzählung, wo davon die Rede ist, dass Ehud „das Volk entließ“ (3,18). Die von R.G. Boling geäußerte Vermutung, mit „Volk“ seien die Truppen Josuas gemeint, trifft aufgrund der Nennung der „Israeliten“ in V.6b sicherlich nicht zu.1 Das Verb שׁלח Pi. begegnet gerne in den Büchern Jos (1x), Ri (3x), Sam (5x) und Kön (4x) im Sinne von „entlassen“2. In V.6b wird von den „Israeliten“ gesprochen, die in ihr Erbteil aufbrechen, um das Land in Besitz zu 1 2
BOLING, Judges, 71f. Vgl. vor allem 1Sam 10,25; 2Sam 18,2; Jos 22,6.
3. Exegese von Ri 2,6-10
121
nehmen. Die Nennung der „Israeliten“ begegnet im Richterbuch vor allem in den Rahmenbemerkungen 2,11; 3,2.7.8.9.14.15; 6,6; 10,10. Mit den drei Elementen „ נחלהErbbesitz“, „ ירשׁin Besitz nehmen“, ארץ „Land“ werden Theologumena aufgenommen, die im Deuteronomium ihr Hauptvorkommen haben: vgl. etwa Dtn 8,1; 9,4f; 11,8.31; 15,4; 25,19. Man kann hier von einer formelhaften deuteronomisch-deuteronomistischen Darstellung der Landnahme sprechen.3 V.7 rühmt den Jahwedienst des Volkes (V.7a) zur Zeit Josuas und der Ältesten nach Josua, die Jahwes Werk für Israel4 gesehen hatten (V.7b). Die Rede vom Dienst für Jahwe (Subjekt „Israel“ + עבד+ Objekt )יהוהbegegnet im Richterbuch noch in 10,16. Der Vers zählt zu dem Abschnitt V. 6-16, in dem es um das Ringen zwischen dem Rettungshandeln Jahwes und dem Pseudo-Rettungshandeln der Fremdgötter geht. Israel wird vor diese scheinbare Alternative gestellt. Aufgrund des Schuldbekenntnisses Israels und der Absage an die Fremdgötter erbarmt sich Jahwe Israel. Israels Rettung ist also keine billige Rettung, es muss die eigene Schuld erkennen, Reue zeigen und sein falsches Handeln ablegen. Der Misserfolg Israels wird ausdrücklich thematisiert und sogar theologisch positiv bestimmt. Bis es zu diesem Schuldbekenntnis kommt, wird die nachjosuanische Generation den Baalim dienen: Ri 2,11.13; 3,6f.; 10,6. Die sprachlichen Wendungen in V.7f. erinnern sehr an das Deuteronomium. So findet sich das Verb ארךHif. „lang machen“ + „ יוםTag“ in Dtn 11,9; 4,26; 25,15; 30,18; 32,47. Die Rede vom „großen Werk Jahwes“ hat eine enge Parallele in Dtn 11,7: „ … eure Augen sind es, die die große Tat Jahwes gesehen haben…“5 Diese Rede bezieht sich offenkundig auf Gottes Heilshandeln an seinem Volk in der Geschichte. Aus Dtn 11,2-9 kann geschlossen werden, dass damit die Herausführung aus Ägypten (Dtn 11,3f) sowie die Wanderung durch die Wüste (Dtn 11,5) gemeint sind. Die Titulierung von Mose als „Diener des Herrn“ in V.8 steht noch in Dtn 34,5.6 Josua stirbt im hohen Alter von 110 Jahren. Dieses Alter erreichte auch Joseph (Gen 50,22), Mose starb sogar erst mit 120 Jahren (Dtn 34,7). Josuas Ehrentitel als „Knecht Jahwes“ und sein hohes Alter 3 SCHMID, Art.: ירשׁ, THAT I, 2. Auflage 1975, 781; vgl. dazu noch LOHFINK, FS Wolff, 87-100, vor allem 92. 4 Der Vorschlag LINDARS, Judges, 95f, wie in 2,11; 3,7.12 u.ö. „Israeliten“ anstelle von „Israel“ zu lesen, ist abzulehnen. 5 Vgl. noch Ex 34,10. 6 Im Josuabuch findet sie sich in 1,2.7.13.15; 8,31.33; 9,24; 11,12.15; 12,6; 13,8; 14,7; 18,7; 22,2.4.5.
122
§ 4 Josuazeit und Richterzeit: 2,6-10
stehen in unmittelbarer Beziehung zueinander (V.8). Er wird in Timnat-Heres auf dem Gebirge Ephraim begraben. Dieser Ort ist wohl mit Ḫirbet Tibne (1603.1573) südwestlich von Silo zu identifizieren. Südlich dieser Ortschaft ist der nicht mehr exakt lokalisierbare Berg Gaasch zu suchen.7 Der Abschnitt wird mit dem Hinweis auf eine neue Generation, „die Jahwe nicht kannte“8 abgeschlossen (V.10). Dabei wird in V.10b die Aussage und Begrifflichkeit von V.7b aufgenommen. Fazit: Die exegetischen Beobachtungen zu V. 6-10 erlauben folgende Schlussfolgerungen; 1. Der klare Aufbau sowie die Struktur der Perikope sprechen für deren Einheit: V. 6+7: „das Volk“; V. 6.7.10: „die Israeliten“ bzw. „Israel“; V.6.7.8: „Josua“; V.7b + 10b; V.7 (bis).8.10: Jahwe.9 2. Die sprachliche und inhaltliche Nähe zu Texten aus dem Deuteronomium (V.7f) und dem deuteronomistischen Geschichtswerk (V.6) sprechen für die literarische Zuordnung von V. 6-10 zum Deuteronomisten.10
7
GASS, Ortsnamen, 196–200. Die gleiche Wendung findet sich in Hos 5,4. 9 Anders BECKER, Richterzeit, 72, der zwei deuteronomistische Hände in 2,6-10 sieht. 10 So auch NOTH, Studien, 8; MULLEN, Jr, Judges, 39; BECKER, Richterzeit, 72 (DtrN); BLUM, Textgestalt, 252-255 (DtrG2 = DtrG Fortschreibung); GROSS, Richter, 188f (Dtr + DtrS = jüngere Deuteronomisten). 8
4. Ri 2,6-10 im Vergleich mit Jos 24, 28-31
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4. Ri 2,6-10 im Vergleich mit Jos 24,28-31 Die enge Parallele von Ri 2,6-10 zu Jos 24,28-31 reizt zweifellos zu einem Vergleich beider Texte.1 Jdc 2,6: וישׁלח יהושׁע את העם וילכו בני ישׂראל אישׁ לנחלתו לרשׁת את הארץ Jos 24,28: וישׁלח יהושׁע את העם אישׁ לנחלתו Jos 24,28 und Ri 2,6 stimmen in dem Hinweis überein, dass Josua das Volk entlassen habe, jeder in seinen Erbbesitz. Ri 2,6 bietet mit der Notiz, dass die Israeliten sich aufmachten, um das Land in Besitz zu nehmen, einen erweiterten Text. Diese Aussage ist nur nach 1,1-2,5 möglich, wo im Unterschied zu Jos 24 die Landnahme noch als unabgeschlossen gedacht wird.2 Ri 2,6b setzt 1,1-2,5 voraus.3 Ist diese Beobachtung richtig, dann muss 2,6 zugleich als Korrektur der Aussage von 1,1, nach der die Verteilung der Stämme erst nach Josuas Tod begonnen habe, verstanden werden. Ri 2,7: ויעבדו העם את יהוה כל ימי יהושׁע וכל ימי חזקים אשׁר האריכו ימים אחרי יהושׁע אשׁר ראו את כל מעשׂה יהוה הגדול אשׁר עשׂה לישׂראל 24,31 ויעבד ישׂראל את יהוה כל ימי יהושׁוע וכל ימי חזקנים אשׁר האריכו ימים אחרי יהושׁע ואשׁר ידעו את כל מעשׂה יהוה אשׁר עשׂה לישׂראל Beide Verse stimmen mehrheitlich überein. Unterschiede bestehen bei der Verwendung von „Israel“ (24,31) anstelle von „das Volk“ (Ri 2,7), in der Verwendung von ( ידעוsie kannten; 24,31) anstelle von ( ראוsie sahen; Ri 2,7) sowie in dem Adjektiv ( הגדולgroß; Jdc 2,7), das in Jos 24,31 fehlt.
1 M.E. sollte man diesen Vergleich nicht vorschnell zurückweisen; so BLUM, Knoten, 250. 2 RICHTER, Bearbeitungen, 47. 3 SOGGIN, Judges, 41.
124
§ 4 Josuazeit und Richterzeit: 2,6-10
Nach B. Lindars stammt das Subjekt von Ri 2,7aα „ העםdas Volk“ von einem späteren Herausgeber, der es an V.6 und Jos 24,28 angleichen wollte. Ursprünglich habe hier wie in Ri 2,11; 3,7.12 „die Israeliten“ gestanden.4 Diese Annahme ist jedoch höchst unsicher, denn dann wäre auch der gleiche Vorgang in V.6aα zu erwarten gewesen. Nach D. Jericke zeigt die unterschiedliche Verwendung der Verben „ ראוsie sahen“ in Ri 2,7 und „ ידעוsie kannten“ in Jos 24,31, dass in Jos 24,28-31 stärker das Thema „Gehorsam gegen Jahwe“ und in Ri 2,6-9 dagegen „die historische Grundlinie“ betont werde. Hier bleibt zu fragen, ob die Verwendung unterschiedlicher Verben nicht überinterpretiert wird. Das Verb ראוbeschreibt in 2,7 sicherlich mehr als einen „objektorientierten Erkenntnisvorgang.“5 Es geht auch hier um das richtige Verhalten gegenüber Jahwe. Beide Verben ergänzen sich in ihrer Bedeutung und betonen das Wahrnehmen des Werkes des Herrn. Das Verb „ ראהsehen“ betont dabei stärker als „ ידעkennen“ die „Augenzeugenschaft.“6 Im Unterschied zu Jos 24,31 wird in 2,7 das Werk Jahwes mit dem Adjektiv „groß“ charakterisiert. Es liegt auf der Hand, hier eine Steigerung von Jos 24,31 zu sehen. Ri 2,8: וימת יהושׁע בן נון עבד יהוה בן מאה ועשׂר שׁנים Jos 24,29: ויהי אחרי הדברים האלה וימת יהושׁע בן נון עבד יהוה בן מאה ועשׂר שׁנים Die Todesnotiz Josuas stimmt in beiden Texten überein. In Jos 24,29 wird sie anders als in Ri 2,8 mit der Überleitungsformel eingeleitet.7 Der Sinn dieser Formel besteht darin, den Tod Josuas in den größeren Zusammenhang der Landnahme einzuordnen. Mit seinem Tod ist die Epoche der Landnahme definitiv abgeschlossen. In Ri 2,8 ist die Verwendung der Formel undenkbar. Ri 2,9: ויקברו אותו בגבול נחלתו בתמנת חרס בהר אפרים מצפון להר גאשׁ
4
LINDARS, Judges, 95f. JERICKE, Josuas Tod, 355. 6 So die treffende Wendung von BECKER, Richterzeit, 67. 7 Gen 15,1; 22,1.22; 39,7 u.ö. 5
4. Ri 2,6-10 im Vergleich mit Jos 24, 28-31
125
Jos 24,30: ויקברו אתו בגבול נחלתו בתמנת סרח אשׁר בהר אפרים מצפן געשׁ Die beiden Verse unterscheiden sich nur in der unterschiedlichen Wiedergabe des Ortsnamens ( תמנת חרסRi 2,9)8 und ( תמנת סרחJos 24,30). Hierbei sticht die umgekehrte Reihenfolge der Konsonanten im nomen rectum ins Auge: ח ר סund ס ר ח. Diese Umkehrung ist kaum auf einen Schreibfehler zurückzuführen, sondern beruht offenkundig auf einer bewussten Umstellung der Buchstaben. Viele Ausleger erklären dies als eine theologische Korrektur, „um den Beigeschmack der Sonnenverehrung zu vermeiden…9, da חרסals „Sonne“ übersetzt werden muss.10 Diese Deutung ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, doch scheint hier die Annahme eines Bezuges zu Jos 10,12ff nahe liegender zu sein. Hier ist davon die Rede, dass Josua in einer großen Notsituation sein Sonnenwort an Jahwe gerichtet und so wesentlich zum Sieg über die Amoriter beigetragen habe. 14 „Sonne, in Gibeon, bleib stehen, und Mond in der Ebene von Ajalon. 15 Da blieb die Sonne stehen und der Mond bis er sich am Volk seiner Feinde gerächt hatte.“11 In Jos 10,14 wird betont, dass Jahwe noch nie so auf die Stimme eines Menschen gehört hätte wie bei Josua. Damit fügt sich dieses Sonnenwort sehr gut in das Rühmen der herausragenden Josuazeit von Ri 2,610 ein. Der Name seines Begräbnisortes soll daran erinnern.12Am Ende des Vergleichs zwischen Ri 2,6-10 und Jos 24,28-31 soll noch die unterschiedliche Reihenfolge der Verse angesprochen werden: 2,6 + 24,28; 2,7 + 24,31; 2,8 + 24,29; 2,9 + 24,30; 2,10. Hierbei fällt auf, dass die Aussage von 2,7 in Jos 24,31 am Ende steht. Der Grund dürfte
8
Vgl. noch Ri 1,35. So bereits BUDDE, Richter, 21; so auch GASS, Ortsnamen, 196f. und in seinem Gefolge GROSS, Richter, 200; einen guten Überblick über die Forschung gibt NOORT, Josua 24,28-31, 109–111. 10 GESENIUS18, 399 mit Verweis auf Hi 9,7; HALAT, 341. 11 In Sir 46,4-6 wird Jos 10,12-14 aufgenommen. 12 NOORT, Josua 24,28-31, 128f.; zu Jos 10,12-14 vgl. NOTH, Josua, 64f.; FRITZ, Josua, 111f.; die Übersetzung von V.13b durch FRITZ trifft m.E. die Aussage nicht ganz: „… bis ein Volk seinen Feinden vergolten hatte“; das Verb nqm Nif. heißt „sich rächen“; zu Jos 10,12-14 vgl. zudem MARGALIT, Day, 466–491; er sieht Jos 10,12-14 als „poetic fragment“ an. 9
126
§ 4 Josuazeit und Richterzeit: 2,6-10
hierbei im Josuabuch die Betonung des guten Abschlusses der Josuazeit bezüglich des Jahwedienstes sein. In 2,7 ist solch eine Schlussnotiz kaum möglich, denn die nachjosuanische Geschichte Gottes mit seinem Volk geht in unguter Weise weiter. V.10 bereitet die Schilderung des Abfalls des Volkes von Jahwe vor (V.11ff.). V.7 kann zudem wegen V.10a nicht hinter V.9 stehen. V.10 und V.11 sind mit dem Verb עשׂהeng miteinander verknüpft. V.10 wird durch den Gegensatz von „jener ganzen Generation“ und „einer Generation, die Jahwe nicht kannte“ zusammengehalten. Fazit: Der Vergleich von Ri 2,6-10 mit Jos 24,28-31 legt die These der Priorität von Jos 24,28-31 gegenüber Ri 2,6-10 nahe. Die Aussage von Ri 2,6 ist nur nach 1,1-2,5 möglich, in Ri 2,7 liegt eine Steigerung gegenüber Jos 24,31 vor und auch die Änderung von Timna-Serach (Jos 24,30) zu Timnat-Heres (Ri 2,9) spricht für eine Abhängigkeit des Richtertextes von Jos 24,28-31.13
13
Ganz anders ist das Ergebnis des Vergleichs bei BECKER, Richterzeit, 68-71; er sieht einen ersten Textabschnitt in Jos 21,43-45 → Jos 24,31 → Ri 2,8-10.11ff; dieser sei spätdeuteronomistisch erweitert worden: Jos 22,1-6; 23; Ri 1,12.27ff; 2,1-5.6-7 (DtrN); dieser wiederum sei durch Jos 22,9-34; 24,28-20.32-33; Ri 1,1-18.22-26 (RP) ergänzt worden; für ihn „ergibt sich so ein vielschichtiges, fast unübersichtliches Bild“ (68) – M.E. ist es nicht möglich, 2,1-5 + 2,6-7 miteinander zu verbinden. – Jos 24,31 LXX hat gegenüber MT einen umfangreicheren Text; LXX greift auf Jos 5,2-9; 21,42 zurück.
5. Josuazeit und Richterzeit
127
5. Josuazeit und Richterzeit Ri 2,6-10 ist aufgrund seines klaren Aufbaus als literarisch einheitlicher Textabschnitt anzusehen. Da er eine große Nähe zu Texten aus dem Deuteronomium (V.7f) und dem deuteronomistischen Geschichtswerk (V.6f) zeigt, liegt die Zuordnung zum Deuteronomisten nahe. Der Vergleich mit Jos 24,28-31 zeigt, dass Ri 2,6-10 den Abschnitt Jos 24,28-31 voraussetzt. Ist diese Annahme richtig, so muss die Wiederaufnahme und Weiterführung von Jos 24,28-31 mit Ri 1,1-36 und 2,1-5 erklärt werden. Mit Jos 24,28-31 wird das Ende einer Epoche markiert. Israel hat das ganze Land eingenommen und während der Josuazeit in treuem Dienst zu Jahwe gestanden. Die Josuazeit ist die Zeit der idealen Gemeinschaft zwischen Gott und Volk. Demgegenüber wird die Richterzeit als die Zeit des Bruches dieser Gemeinschaft gesehen. Der Grund hierfür liegt darin, dass entgegen der Aussage von Jos 24 doch nicht alle Gebiete erobert und besiedelt werden konnten. Dieser historisch naheliegende Befund wird in Ri 1 verarbeitet. Die Informationen dazu lagen dem Deuteronomisten vor, dieser nahm sie auf und komponierte sie in Ri 1 zu einem faszinierenden Kapitel. Ri 2,1-5 lieferte dazu die theologische Interpretation.1 Die Kanaanäer bleiben als Strafe für Israel im Land wohnen, weil Israel schuldhaft mit ihnen Bündnisse geschlossen und ihre Altäre nicht niedergerissen hatte. Die Geschichte des Abschlusses der Landnahme und die des Beginns des Wohnens im Land werden in V.6-10 noch einmal aufgenommen und zusammengefasst, womit V.11ff vorbereitet werden. Literarisch und inhaltlich gehört 2,6-10 zu 2,11-3,6 und damit zur Einleitung in den Hauptteil des Richterbuches. Treffen diese Beobachtungen zu, so lässt sich vermuten, dass der Beginn des Richterbuches im Gefolge der Hinzufügung von 1,1-2,5 entstanden ist. Davor gab es vielleicht einen fließenden Übergang. Durch die Hinzufügung von 1,1-2,5 wurde 2,6-10 notwendig. Deshalb wurde Jos 24,28-31 aufgenommen. Der Widerspruch bezüglich des Todes Josuas (1,1 ↔ 2,6) wurde in Kauf genommen, weil die Beschreibung der Idealzeit der Gemeinschaft zwischen Gott und seinem Volk in der Josuazeit alles überstrahlen sollte. Ohne Ri 1,1-2,5 1
So auch C. FREVEL, Response, 291: „The passage placed between the repetitions is secondary to the repetition; it goes beyond the context and establishes a new context. This is prececily the function of Judg 1:1-2,5. However Judg 1 and Judg 2:1-5 do not belong to the same compositional level but do have the same function: to open a new context.“
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§ 4 Josuazeit und Richterzeit: 2,6-10
bliebe Ri 2,6ff unverständlich. Die Darstellung der Josuazeit als Zeit der idealen Gottesgemeinschaft hat die Darstellung der Richterzeit als Zeit der Gottvergessenheit provoziert. Historisch dürfte dagegen die Darstellung der Richterzeit als Zeit der unvollendeten Landnahme im Vergleich mit derjenigen des Josuabuches als Zeit der vollkommenen Landnahme weitaus wahrscheinlicher sein.2
2
Diese Beobachtungen lassen sich auf die redaktionelle Ebene übertragen und 2,6-9 und Jos 24,28-31 als Hinweis auf die Teilung des Josua- und Richterbuches deuten; vgl. dazu C. FREVEL, Response, 290: „However, on the whole, the evidence does not rule out the priority of Josh 24:28-31. Be that as it may, the doublet must have something to do with the seperation of the two books.“ Siehe auch 294.
§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen: 2,11-3,6
1. Übersetzung und textkritische Anmerkungen 2,11 Und die Israeliten taten das Böse in den Augen des Herrn und dientena den Baalim. 12 Sie verließen den Herrn, den Gott ihrer Väter, der sie aus dem Land Ägypten geführt hatte und folgten anderen Göttern nach von den Göttern der Völker, die um sie her wohnten, und beteten sie an, und erzürnten so den Herrn. 13 Sie verließen den Herrn und dienten dem Baalb und den Astarten. 14 Und es entbrannte der Zorn Jahwes über Israel und er gab sie in die Gewaltc von Räubern ringsum und sie waren nicht in der Lage, vor ihren Feinden zu bestehen. 15 So oft sie auszogend, war die Hand des Herrn gegen sie zum Unheil, wie der Herr gesagt hatte und wie der Herr ihnen geschworen hatte. Und sie gerieten in große Not. 16 Und der Herr berief Richter und sie rettetene sie aus der Hand ihrer Bedrücker. 17 Aber auch auf ihre Richter hörten sie nicht, sondern sie gaben sich untreu anderen Göttern hin und beteten sie an. Sie wichen schnell von dem Weg ab, den ihre Väter gegangen waren, indem sie auf die Gebote des Herrn hörten; sie aber handelten nicht so. 18 Und wenn der Herr für sie Richter berief, war der Herr mit dem Richter und errettete sie aus der Gewalt ihrer Feinde, solange der Richter lebte; denn der Herr hatte Erbarmen wegen ihrer Klage über ihre Bedränger und Bedrücker. 19 Sobald aber der Richter gestorben war, handelten sie noch schlimmer als ihre Väter, indem sie hinter anderen Göttern hergingen, um ihnen zu dienen und sie anzubeten. Sie ließen nicht ab von ihrem Tun und ihrem halsstarrigen Wandel. 20 Da entbrannte der Zorn des Herrn über Israel und er sagte: „Weil dieses Volk meinen Bund, den ich ihren Vätern geboten hatte, übertreten und nicht auf meine Stimme gehört hat, 21 werde ich wiederum kein einziges von den Völkern vor ihnen verdrängen, die Josua übriggelassen hatte, als er starbf, 22 um durch sie Israel zu prüfen, ob sie den Weg des Herrn treu gehen wie es ihre Väter getan haben oder nicht.
130
§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
23 Und der Herr ließ diese Völker im Land, ohne sie rasch zu vertreiben und gab sie nicht in die Gewalt Josuas. 3,1 Dies sind die Völker, die der Herrg im Land ließ, um durch sie Israel zu prüfen, alle diejenigen, die alle Kriege Kanaans nicht kennengelernt hatten – 2 nur damit die Geschlechter der Israeliten es erkennen sollten, sie Krieg zu lehren, nur die, die ihn früher nicht kennengelernt hatten – 3 die fünf Fürsten der Philisterh und alle Kanaanäer, die Sidonier, die Hiwiteri, die das Libanongebirge bewohnten, vom Berg Baal-Hermon bis dahin, wo man nach Hamath gehtj. 4 Sie waren es, durch die Israel geprüft werden sollte, um zu erkennen, ob sie auf die Gebote des Herrn, die er ihren Vätern durch die Hand des Mose befohlen hatte, hören. 5 Und die Israeliten wohnten inmitten der Kanaanäer, Hethiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiteri und Jebusiter. 6 Und sie nahmen sich ihre Töchter zu Frauen und ihre Töchter gaben sie ihren Söhnen und dienten ihren Göttern. LXXA
liest Imperfekt iterativum ἐλάτρευον „und dienten (immer wieder)…“1
b LXXA
liest τῇ Bααλ; dies wird so gedeutet werden können, dass statt „Baal“ αἰσχύνη verstanden werden soll.2
a
c
LXXB:
d LXXA
1 2
Plural εἰς χεῖρας. liest ἐπόρνευον „sie trieben Unzucht“
e
LXXA+B
lesen Singular καὶ ἔσωσεν „und er (= der Herr) rettete“
f
LXXA+B
lesen anstelle von וימתκαὶ ἀφῆκεν „er hat in Ruhe gelassen“ (vgl. 2,23)
g LXXA
liest Ὶησοῦς „Josua“ anstelle von „JHWH“. LXXA verknüpft offenkundig V.1 mit 2,23b.
h LXXA+B
lesen „die fünf Satrapien der Andersstämmigen“; mit den „Andersstämmigen“ sind die Philister gemeint.
Septuaginta Deutsch Erläuterungen I, 672. Septuaginta Deutsch Erläuterungen I, 672.
1. Übersetzung und textkritische Anmerkungen i
LXXA+B: καὶ τὸν Συαῖον.
j
LXXA+B
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deuten „ לבואum zu gehen“ als Bestandteil des Ortsnamens.
132
§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
2. Philologische Anmerkungen 2,14: Der Infinitiv constructus in V.14bß ist eng mit dem Modalverb „ יכלkönnen“ verbunden.1 2,15: In V.15b ist die unpersönlich formulierte Wendung ויצר להם מאד „und sie gerieten in Not“ auffallend. Bei solchen Wendungen ist die Verwendung der 3.Sg. m häufiger als diejenige der 3.Sg.f. (wie in Ri 10,9).2 Die Präposition לvor רעהin V.15aß dient der Beschreibung eines Ziels.3 2,18: Die Konjunktion כיsteht hier in Verbindung mit einem frequentativ verwendeten Perfekt consecutivum.4 2,19: Die Präposition מןdient zur Angabe des Abstandes und führt zur Aussage des qualitativen und quantitativen Unterschiedes zwischen den Vätern und Söhnen.5 2,21: Das Iterationsverb יסףkann am besten mit „wiederum“ übersetzt werden.6 3,4: In V.4bαß liegt eine indirekte Frage vor.7
1
JENNI, Studien II, 25.35. MEYER, Grammatik, § 94,8b; JOÜON/MURAOKA, Grammar, § 152d. 3 JENNI, Studien I, 133f. 4 GK, Grammatik § 112 e.ee.hh; J./M., Grammar § 166 o. 5 BROCKELMANN, Syntax, § 111g. 6 JENNI, Studien II, 20. 7 BROCKELMANN, Syntax, § 143c. 2
3. Aspekte der Forschung
133
3. Aspekte der Forschung Die alttestamentliche Wissenschaft erkannte bereits sehr früh, dass die Richtererzählungen durch einen besonderen Rahmen ein- und ausgeleitet werden. So wird in den Einleitungen in das Alte Testament und in den Kommentaren zum Richterbuch aus dem 19. Jahrhundert von einem „religiös-pragmatischen“1 bzw. „chronologischreligiösem“2 Schema gesprochen. Zu diesem werden dann sechs Bestandteile gezählt: Nr. 1 Der Hinweis auf das Tun des Bösen; Nr. 2 Das Auftreten des Zornes Jahwes; Nr. 3 Die Auslieferung Israels an Fremdvölker; Nr. 4 Israels Schreien um Hilfe; Nr. 5 Die Berufung eines Retters durch Jahwe; Nr. 6 Die Befreiung Israels und die sich anschließende Ruhezeit. Zudem wird vermerkt, dass dieser religiöse Pragmatismus in Ri 2,6-3,6 und 10,6-16 zu prinzipieller Ausführlichkeit erweitert worden sei.3 Diese Sicht des Rahmens der Richtererzählungen wurde dann in den Kommentaren aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend und mit wenigen Änderungen rezipiert.4 Erst M. Noth widmete 1943 dem Rahmen dann wieder verstärkte Aufmerksamkeit. Er arbeitete heraus, dass der Rahmen überlieferungsgeschichtlich zum einen aus den Richtererzählungen und zum anderen aus der kleinen Richterliste geschöpft habe. Beide Überlieferungen hätten sich in der Person Jephtas überschnitten. Der Deuteronomist habe aufgrund eines Analogieschlusses von Jephta aus „die anderen Helden“ zu „Richtern“ gemacht. Zudem habe er den großen Richtern eine gesamtisraelitische Bedeutung gegeben.5 20 Jahre später wurde dem Rahmen der Richtererzählungen eine umfassende Untersuchung durch Wolfgang Richter6 und Walter Beyerlin7 zuteil. Beide Autoren rechnen mit einer mehrphasigen Redaktionsarbeit bei den Rahmentexten. So geht W. Richter von einer doppelten unter dem Einfluss des Deuteronomiums stehenden Bearbeitung des alten nordisraelitischen Retterbuches in Kapitel 3-9 1
So OETTLI, Deuteronomium 227. WELLHAUSEN, Composition, 213. 3 WELLHAUSEN, Composition, 231f. 4 Vgl. etwa BUDDE, Das Buch der Richter, passim. 5 NOTH, Studien, 47ff. 6 RICHTER, Bearbeitungen. 7 BEYERLIN, Gattung; in diese Richtung gehen auch die Überlegungen von GREENSPAHN, Theology, 385–396. 2
134
§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
aus. In einem ersten Schritt sei das Retterbuch durch eine deuteronomische Redaktion (Rdt1) erweitert worden, zu der er folgende Rahmenstücke zählt: 3,12abα.14.15aα.30; 4,1a.2.3a.23f; 5,31b; 6,1.2a; 8,28; 9,16b-19a.22.55. Als zweite deuteronomistische Redaktion (Rdt2) sei das Beispielstück über Othniel 3,7-11aα (ohne Zahl in 3,8.11; ohne Richterformel in 3,10; ohne Todesnotiz in 3,11) hinzugekommen. Mit diesen beiden Bearbeitungen sei das immer noch isolierte Retterbuch in das deuteronomistische Geschichtswerk hinein komponiert und so erst die Möglichkeit für die Schaffung eines Richterbuches gegeben worden. Der Deuteronomist (DtrG) habe schließlich eine geschichtstheologische Abhandlung in 2,11-19 voranund einen geschichtstheologischen Dialog in 10,6-16 an das Ende gestellt.8 W. Beyerlin betont in seiner Studie zum Richterbuchrahmen vor allem den Unterschied zwischen 2,11-19 und den die einzelnen Richterüberlieferungen umklammernden Rahmenstücken. Da in 2,1119 ein genauer Tun-Ergehens-Zusammenhang sowie die Elemente der Umkehr und des Schreiens fehlten sowie in 2,18 der Umschwung zu Rettung und Hilfe nicht vom Volk, sondern allein von Jahwes Erbarmen ausgehe, könne 2,11-19 zeitlich erst im Anschluss an die Umrahmungen der einzelnen Richtererzählungen entstanden sein. Er gehöre demselben relativ späten Sprachbereich an, der sich auch im Deuteronomium, im Jeremiabuch und in den deuteronomistischen Königsbüchern ausgewirkt habe.9 Diese in der bisherigen Forschung neue Sicht Richters und Beyerlins hatte auf den Gang der Forschung wesentlichen Einfluss. Ihre Beobachtungen wurden von vielen Kommentaren und Spezialstudien zum Richterbuch aufgenommen.10 In jüngster Zeit werden ihre Ergebnisse jedoch kritischer beurteilt. So wird grundsätzlich bezweifelt, ob bei dem Rahmen eine mehrfach fortschreitende redaktionelle Bearbeitung mitsamt einer Einfügung neuer Erweiterungselemente vorliege. Hans-Detlef Hoffmann11, E. Blum12 und U. Becker13 verteidigen dagegen die redaktionsgeschichtliche Einheitlichkeit des Rahmens. Dies schließt für sie die Möglichkeit von kleineren Zusätzen jedoch nicht aus. So nimmt U. Becker DtrN als Überarbeiter der 8
RICHTER, Bearbeitungen, passim. BEYERLIN, Gattung, 1–29. 10 Vgl. nur SOGGIN, Judges, passim. 11 HOFFMANN, Reform, passim. 12 BLUM, Vätergeschichte, passim. 13 BECKER, Richterzeit, passim. 9
3. Aspekte der Forschung
135
Grundschrift an und rechnet ihm folgende Abschnitte zu: V.12aα.13.14a.16b.17.18aα*.19.14 Zudem lehnen sie eine vordeuteronomistische Entstehung des Rahmens ab. Sie haben damit die schon abgeschlossen geglaubte Diskussion um den Rahmen der Richtererzählungen neu angestoßen. Da sie ihre Beobachtungen eher als Anmerkungen en passent gemacht haben15, lohnt es sich, die Diskussion aufzunehmen. In allerjüngster Zeit haben sich vor allem katholische Alttestamentler zu dem Rahmen des Richterbuches geäußert. W. Groß knüpft in seinem Kommentar vor allem an die Beobachtungen W. Richters an und führt diese eigenständig weiter.16 Er unterscheidet in 2,6-3,6 insgesamt sechs Wachstumsstufen: 1. In 2,7-10.11-12a.14-16.18-19 erkennt er den ältesten dtr Textteil. 2,7-10 diene der Überleitung von der Erzählung der Landnahme unter Josua (11,23; 21,43-45) in die Zeit der Richter. 2,11-12a.14-16.18-19 schildere das dtr Programm der Richterzeit. Er bezeichnet diese deuteronomistische Schicht als DtrR. – 2. 2,6.17.2021; 3,1*.3 ordnet er einem jüngeren, auf DtrR folgenden Deuteronomisten (DtrS) zu. Diese Verse beziehen sich nach Groß auf Jos 13,1f-6; 23. – 3. In 2,22; 3,4 erkennt er eine Liste der nicht vernichteten Völker, die ein jüngerer Theologe durch sein Prüfungsmotiv umrahme. – 4. Der Autor von 2,23; 3,5-6 orientiere sich an Dtn 7,1-3 und Ex 23,23-24.31b-33. – 5. In 3,1a*-2 werde die bereits vorliegende Prüfungseinschreibung abgewandelt, indem Jahwes Sorge um die Kriegstüchtigkeit Israels eingeführt werde. Groß spricht in Anlehnung an N. Lohfink von ein „unbeholfenen Spätglossierung“. – 6. 2,12b.13 seien ein „nicht zugeordneter Zusatz.“17 Als Elemente des Richterbuchrahmens erkennt Groß folgende: Auslösung – Jahwes schädigende Reaktion – Folgen für Israel – Reaktion Israels – Hilfreiche Reaktion Jahwes – Tat des Helden – Folgen für die Feinde und für Israel - Tod und Begräbnis des Helden Dauerangaben. DtrR kämpfe dabei unübersehbar mit widerborstigen Textvorlagen und zwinge diesen „nur in mehreren Anläufen das
14
BECKER, Richterzeit, 82. HOFFMANN, Reform, ist vor allem an der Frage nach der „Kultreform“ als Grundthema der deuteronomistischen Geschichtsschreibung interessiert; BLUM, Vätergeschichte, behandelt den Richterbuchrahmen als Exkurs zur Untersuchung der Komposition der Vätergeschichte und BECKER, Richterzeit, ist primär an der Frage nach dem Verhältnis der Begriffe und Funktionen „Retter“ und „Richter“ interessiert. 16 GROSS, Richter, 182–195. 17 GROSS, Richter, 189. 15
136
§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
Konzept einer Regenten–Zeit auf.“18 Die Rahmenformeln der Heldenerzählungen seien der literarisch einheitliche dtr Leseschlüssel für die Heldengeschichten. Ri 2,7-10.11-12a.14-16.18-19; 3,7-11 rechnet er zusammen mit den dtr Rahmenformeln bei den Heldenerzählungen Ehud – Jephta DtrR zu. Ähnlich wie Groß geht F.-E. Focken in 2,6-3,6 von einer Grundschicht aus, die in mehreren Arbeitsgängen ergänzt worden sei. Die Grundschicht erkennt er in 2,6(?).7-12.14-18.19a. Diese Grundschicht sei mit 2,20f.23aαb; 3,1aα.3 ergänzt worden. Hier seien verschiedene Elemente aus Jos 13; 23 aufgenommen worden. Anschließend seien 2,17.19b.22.23aß; 3,1aß.4-6 ergänzt worden. Diese Verse seien durch Dtn 7-9 geprägt worden. Schließlich findet er noch in 2,13 und 3,1b.2 zwei weitere kleinere Ergänzungen.19 Gänzlich neue Aspekte trägt M. Ederer in die Forschungsdiskussion ein.20 Er verzichtet sowohl auf die Darstellung und Wertung einzelner Rahmenelemente als auch auf die Zuordnung des Rahmens des Richterbuches zu bestimmten literarischen Schichten. Sehe ich recht, so spielt die Rede vom Deuteronomisten keine Rolle. Im Unterschied dazu beschreibt er anschaulich die Bezüge der Abschnitte von Ri 1-3 untereinander sowie deren Bezüge zu anderen Überlieferungen. Nach Ederer geht es in Ri 1-3 im Wesentlichen um zwei Fragen: die Frage nach der „Kanaanisierung“ und diejenige nach dem „Amt“. Ri 2,1-3 sieht er dabei als Schlüsseltext des Prologs an. Diesen sieht er in engem Bezug zu Ri 2,20-21. Mit der „Kanaanisierung“ Israels meint er den Umstand, „dass Israel in seinem Handeln, aber auch in seiner grundsätzlichen Verfasstheit und ‚Erscheinung‘ den Völkern Kanaans immer ähnlicher wird.“21 Diese Kanaanisierung deutet er als Preisgabe israelitischer Identität. Die Problematik von „Führung, Amt und Leitung“ sieht er vor allem in Ri 1,1-2 und Ri 1,10-15.20 und Ri 2,7 und Ri 2,16.17-19 zur Sprache gebracht.22
18
GROSS, Richter, 195. FOCKEN, Landnahme, 72. 20 EDERER, Ende, 415–435. 21 EDERER, Ende, 418. 22 Zum Rahmen aus methodischer Sicht vgl. aus jüngster Zeit JOBLING, Criticism, 90– 114. 19
4. Beobachtungen zum Aufbau von 2,11-3,6
137
4. Beobachtungen zum Aufbau von 2,11-3,6 a) V.11-13 Israels Abfall V.11 führt V.10 unmittelbar weiter und knüpft vielfach an 2,6-10 an: 1. V.10b eröffnet mit „ ויקםund es stand auf“ eine bis V.18 sich erstreckende Narrativkette; 2. V.11ff berichten vom bösen Tun der „Israeliten“, womit V.11a kontrastierend an V.6b anknüpft; 3. V.10 führt eine neue Generation ein, die weder Jahwe noch sein Tun für Israel kennt; diese Generation steht in stärkstem Kontrast zur JosuaGeneration, die Jahwe treu gedient hatte (2,6). Traditionsgeschichtlich knüpft V.11 an Dtn 6,13 an, wo dazu aufgerufen wird, Jahwe zu fürchten und ihm zu dienen. Der Aufruf, Jahwe zu fürchten, wird nach 2,11 durch das Tun des Bösen und das Dienen der Baalim missachtet. Es ist sicher nicht falsch, V.11a als eine Art Mottosatz zu interpretieren.1 V.12 konkretisiert das böse Tun der Israeliten mit vier Narrativen: 1. Sie haben Jahwe, den Gott ihrer Väter, verlassen. Dessen heilvolles Handeln an Israel wird mit dem Hinweis auf die Herausführung aus dem Land Ägypten betont. Mit diesem Thema wird zugleich ein Rückbezug zu 2,1 hergestellt. 2. Sie gingen hinter den Göttern der umliegenden Völker her. Dieses Vergehen ist die unmittelbare Folge des Verlassens Jahwes. 3. Sie beteten diese Götter an. 4. Sie ließen so den Zorn Jahwes emporsteigen.2 U. Becker sieht in den vier Narrativen eine starke Überfüllung des Verses, weshalb er hier Erweiterungen einer späteren Hand vermutet.3 „In v.12aßb dürfte … eine Ergänzung durch DtrN vorliegen, die den Abfall Israels unterstreichen soll.“4 Hier bleibt kritisch zu fragen, wie die Vermutung einer „Überfüllung“ genauer zu fassen ist. Die vier Narrative ergeben eine in sich logische Handlungsfolge: Verlassen – Hinterherlaufen – Anbetung – Jahwes Zorn. Am Ende der Kette steht der von Israel provozierte und verschuldete Zorn Jahwes. Inhaltlich zeigt sich eine Nähe zu Dtn 6,12-15.5 1
So EDERER, Ende, 244. Zu כעסHif. „zum Zorn reizen“ vgl. GROSS, Richter, 202. 3 BECKER, Richterzeit, 74; auch GROSS, Richter, 189 erkennt in V.12b einen nicht zugeordneten Zusatz. 4 BECKER, Richterzeit, 75. 5 Von einem Zitat aus Dtn 6,12-15 (so GROSS, Richter, 201) sollte man m.E. nicht sprechen. 2
138
§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
V.13 wird ebenso wie V.12 mit dem Vorwurf des Verlassens Jahwes eröffnet. Insofern bilden V.13a und V.12a eine inclusio. In gleicher Weise bezieht sich V.13b mit dem Hinweis des Dienens Baals auf V.11b zurück. Die Verwendung des Singulars anstelle des Plurals wie in V.11b dürfte mit der zusätzlichen Nennung der „Astarten“ (V.13b) zusammenhängen. V.13 wird von nicht wenigen Auslegern aufgrund seiner Parallelität mit V.11-12 als Einschub betrachtet.6 Es gehe in V.13 darum, „den Vorwurf des Fremdgötterdienstes noch einmal resümierend und pointiert der Zornesformel voranzustellen…“7 Mit dem Gedanken des Zornes komme zudem ein neues Motiv in den Handlungsablauf. V.1214* könne man auch ohne die Zornesformel lesen. Mit ihrer Hinzufügung werde der Abschnitt durch ein weiteres Element, „nämlich den Gedanken des unberechenbaren göttlichen Gerichts, weiter theologisiert.“8 Für den sekundären Charakter der Zornesformel spreche zudem, dass die Formel auch in 3,8aα und 10,7a auf DtrN zurückgehen dürfte.9 Die Argumente für V.13 als Einschub sind m.E. wenig überzeugend. Die Beziehungen von V.13 zu V.11f sollten als Zeichen der Einheit und formalen Geschlossenheit gedeutet werden. Der Hinweis auf Gottes Zorn ist in V.11-13 so zwingend, dass man sich diese Verse ohne diese Rede vom Zorn schwerlich vorstellen kann. Ist es zudem sachlich korrekt, von dem Gedanken des unberechenbaren (!) göttlichen Zornes zu sprechen und ihn deshalb als eine jüngere Ergänzung zu deuten?10 Zusammenfassung: V.11-13 sind inhaltlich und formal eng aufeinander bezogen: mit acht Narrativsätzen wird das schlimme Tun der Israeliten beschrieben, wobei V.11a als Motto gelten kann. Dieses besteht in dem Abfall von Jahwe, dem Hinterherlaufen hinter anderen Göttern sowie deren Verehrung. Mit diesem Tun reizen die Israeliten Jahwe zum Zorn. In formaler Hinsicht sind V.11-13 mit einem doppelten Rahmen verklammert: V.12aα und V.13a; V.11b und V.13b. V.11-13 sind zudem mit 2,1-10 verknüpft. Die neue Generation (2,10) ist der Auslöser für die Abkehr von Jahwe und die Hinwendung zu anderen Göttern. Das Verb „ עבדdienen“ verbindet 2,6-13: V.7.11.13. 6
So u.a. BECKER, Richterzeit, 75; GROSS, Richter, 189 spricht von einem nicht zugeordneten Zusatz. 7 BECKER, Richterzeit, 75. 8 BECKER, Richterzeit, 75. 9 BECKER, Richterzeit, 75 10 So BECKER, Richterzeit, 75.
4. Beobachtungen zum Aufbau von 2,11-3,6
139
Der Hinweis auf die Herausführung aus Ägypten verbindet 2,12 mit 2,1. – Traditionsgeschichtlich stehen V.11-13 in großer Näher zu Dtn 6,13f; 29,24-26. b) V.14-15 Jahwes Zorn und Israels Not Die beiden Verse beschreiben Jahwes Reaktion auf den Abfall der Israeliten. Im Unterschied zu V.11-13 sind jetzt nicht mehr „die Israeliten“ Subjekt. Von nun an handelt Jahwe. Die Kette der Narrative in V.11-13 wird in V.14ff mit Jahwe als Subjekt weitergeführt. Der Hinweis auf den Zorn Jahwes knüpft an V.12b an und bereitet V.20 vor. Israel erleidet diesen Zorn durch die Übergabe in die Gewalt von Räubern sowie die Auslieferung an die Feinde ringsum. Nach U. Becker liegt in dem Hinweis auf die „Räuber“ eine Erweiterung vor. Mit den „Feinden“ sei ursprünglich der von außen kommende Angreifer gemeint, mit dem „Räuber“ sei jedoch die innere Bedrängnis im Land angesprochen. Er rechnet deshalb V.14aß der Hand des DtrN zu.11 Die ursprüngliche Fortsetzung von V.11-12abα sieht er deshalb in V.14b. Man sollte dem Gestalter des Rahmens des Richterbuches jedoch eine gewisse Freiheit im Umgang mit Themen und Formulierungen zugestehen. Nicht jede Abweichung vom Schema oder ein neuer theologischer Aspekt sollte als verdächtiger Zusatz angesehen werden. V.15b fasst die Situation Israels prägnant zusammen: „Sie gerieten in große Not.“ V.14f gehören inhaltlich zusammen, denn es geht um Israels selbst verschuldete Not. Im Hintergrund steht wie in 1,7aγ der Tun-ErgehensZusammenhang. Darüber hinaus geht es hier um den Landverlust.12 c) V.16-19 Richter als Retter Mit V.16 wird ein neues Thema angesprochen: die Berufung von Richtern als Retter. Ihre Einsetzung wird mit dem Verb קוםHif. „und er berief“ zum Ausdruck gebracht. Es ist Jahwe, der die Einsetzung vollzieht. Das Richteramt besteht offenbar auf Lebenszeit. Die Aufgabe als Richter bezieht sich konkret auf die Befreiung Israels aus der Gewalt der Feinde. Mit der Nennung der Feinde knüpft V.16 an V.14 an. Da in V.16b ebenso wie in V.14a die „Räuber“ genannt 11
BECKER, Richterzeit, 75–77. Vgl. dazu GROSS, Richter, 203f.; EDERER, Ende, 258–268. – Zu V.14bf vgl. noch Jos 21,44-45, wo es anders als in Ri 2,14b.15 um die Ruhe vor den Feinden im Land geht.
12
140
§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
werden, sieht U. Becker V.16b als späteren Zusatz durch DtrN an.13 Dazu ist das Gleiche wie zu V.14a zu sagen. Die „Richter“ werden im Kontext des Richterbuches in V.16 zum ersten Mal genannt. Damit wird die mit Othniel (3,7ff) beginnende Reihe der Richter vorbereitet. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde die Bezeichnung „ שׁפטrichten/Richter“ aus der sog. Kleinen Richterliste 10,1-5; 12,8-15 übernommen. Die Funktionsbestimmung „Retter“ ( )מושׁיעdagegen stammt wohl aus der vordeuteronomistischen Gideonerzählung (6,14f.; 7,7).14 Mit V.17 wird die Kette der Narrativformen unterbrochen, an ihre Stelle treten fünf Perfektformen. Diese beschreiben mit Ausnahme von „ הלכוsie gingen“ (V.17bß) das unheilvolle Tun der Israeliten. So wie sie sich gegenüber Jahwe verhalten, so verhalten sie sich auch gegenüber den berufenen Richtern: -
-
-
13
Sie hören nicht auf sie! Mit dem Verb „ שׁמעhören“ ist in diesem Kontext der Aspekt des Gehorsams verbunden. V.17aα knüpft hier an 2,2b an, wo die Israeliten angeklagt werden, nicht auf Jahwes Stimme gehört zu haben. Zudem verbindet sich V.17 mit der Nennung der „Richter“ mit V.16. Sie wenden sich ebenso wie von Jahwe so auch von den Richtern ab. V.17 ist in Parallele zu V.12 gebildet. Im Unterschied zu V.12 wird jedoch das Verb „ הלךgehen“ verschärfend durch „ זנהuntreu sein“ ersetzt. Das Hinterherlaufen hinter fremden Göttern hat deren Anbetung zur Folge: V.17aδ (vgl. V.12aε). Israels schlimmes Tun bedeutet ein Abweichen vom Weg seiner Väter. Damit missachtet es Jahwes Tun für sein Volk. Es steht so in schärfstem Kontrast zur Josua-Generation (2,7.12) und auch zu den Vätergenerationen (2,12).15 W. Groß hat darauf verwiesen, dass das Adverb מהרin V.17bα beschreibe, dass Israel „rasch“, d.h. sofort nach erfolgreicher Rettung durch den jeweiligen Richter, zu fremden Göttern abgefallen sei. Deshalb könne der Autor auch auf die „Verfallstheorie“ verzichten. Von daher entstehe ein direkter Widerspruch zu V.19. Nach Groß soll in V.17 ein jüngerer Autor greifbar sein (DtrS). M. Ederer hat dieser These
BECKER, Richterzeit, 79. So auch GROSS, Richter, 204f. 15 Siehe dazu auch GROSS, Richter, 207. 14
4. Beobachtungen zum Aufbau von 2,11-3,6
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überzeugend widersprochen und zwischen V.17 und V.19 Beziehungen erkannt. „So betont V.17 die ‚Qualität‘ Israels, die in der gesamten Richterzeit durchgehaltenen Abkehr von YHWH besteht. V.19 aber beschreibt einen von Generation zu Generation fortschreitenden Prozess einer „quantitativen“ Vertiefung dieser Abkehr von YHWH.“16 Wenn diese Beobachtung richtig ist, bleibt zu fragen, ob es richtig ist, V.17 einem jüngeren dtr Autor (DtrS) zuzuordnen.17 Nach V.17 haben die Richter nicht nur die Aufgabe, das Volk aus Bedrängnissen zu retten, sie sollen darüber hinaus die Gebote des Herrn zu Gehör bringen. Traditionsgeschichtlich zeigen die Aussagen von V.17 eine große Nähe zu Ex 32,8; Dtn 31,16.20.29.
V.18 knüpft unmittelbar an V.16 an, um die dort genannte Berufung von Richtern zu präzisieren. Diese Präzisierung bezieht sich auf das Verhalten Jahwes gegenüber den Richtern. Der Vers betont die stete Begleitung der Richter durch Jahwe während ihrer Regentschaft. Die Betonung des Mit-Seins Jahwes findet sich u.a. bei Gideon in 6,16 sowie in Kapitel 1, wo das Mit-Sein Jahwes mit Juda (1,19) und dem Haus Joseph (1,22) hervorgehoben wird. V.18a rühmt so das enge Miteinander von Jahwe und den Richtern. V.18b begründet Jahwes Mit-Sein und Rettung mit dessen Mitleid angesichts der Klage des Volkes vor seinen Bedrängern und Bedrückern.18 V.18b mit dem Hinweis auf Israels Bedrängt-Sein ist mit V.15b und seinem Hinweis auf die Not Israels vergleichbar. Beide Aussagen stimmen in dem Hinweis auf die ausweglose Situation Israels überein. Israels Rettung kann nur von außen kommen. V.19 wird mit einem iterativen Perfekt consecutivum in der Vergangenheit eingeleitet: „Es war jedes Mal so…“ Der Tod des Richters zieht eine Veränderung des Verhaltens Israels nach sich. Sie fallen wieder von Jahwe ab, und folgen anderen Göttern. Es ist davon die Rede, dass sie noch schlimmer als ihre Väter handelten. Mit den „Vätern“ können hier nur die unmittelbar vorangehenden Generationen gemeint sein, es ist m.E. nicht möglich, die „Väter“ auf die
16
EDERER, Ende, 271 Anm. 56. So GROSS, Richter, 189. 18 Zu „ לחץbedrücken“ und „ דחקbedrängen“ in V.18b vgl. LINDARS, Judges, 107. 17
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§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
Generationen von „Abraham, Isaak und Jakob“ zu beziehen.19 Damit knüpft V.19aδ an V.11-13 und V.17 an: „ עבדdienen“ V.11.13 – חוה „anbeten“ V.12.17. Im Unterschied zu V.11-13.17 bietet V.19b neue Beschreibungen des Abfalls und steigert so das schlimme Verhalten Israels. Zusammenfassung: Der Abschnitt V.16-19 beschreibt einen starken Kontrast: auf der einen Seite steht Jahwe, der mit der Berufung von Richtern alles tut, um sein Volk zu befreien; auf der anderen Seite steht das unbelehrbare gegenwärtige Volk, das weder auf die Richter noch auf Jahwe hört, sondern weiterhin fremden Göttern hinterherläuft. V.16-19 sind eng untereinander sowie auf vorangehende Verse bezogen: V.17 → V.12; V.18 → V.16; V.19 → V.17.11-13. d) V.20-22 Jahwes Zorn Mit V.20 setzt ein neuer Abschnitt ein, wie seine Eröffnung mit einem Narrativ zeigt. Er versteht sich als Wiedergabe des Zornes Jahwes über das Verhalten Israels. Formal und inhaltlich knüpft V.20a an V.14aα an und führt das in V.14-15 und V.16-19 beschriebene Fehlverhalten Israels an. Im Unterschied zu V.14-15 handelt es sich in V.20-22 um eine Jahwe-Rede, die Israels Bundesbruch beklagt. Die Gottesrede setzt mit dem Hinweis auf den Bundesbruch „dieses Volkes“ ein. Im Unterschied zu 2,6f. wird der positiv konnotierte Begriff „Volk“ ( )עםdurch גויersetzt. Der Bund Gottes wird als der mit den Vätern geschlossene bestimmt. Damit sind hier offenkundig nicht wie in V.19 die Väter der unmittelbar vorangehenden Generationen gemeint, sondern es sind wie in V.12.17 die Väter der Gründungsgeneration gemeint. Mit der Rede vom „Bund“ verbindet sich V.20 mit 2,1b und mit derjenigen vom Ungehorsam in V.20b mit 2,2b. Die Gottesrede in V.20-22 steht also in deutlicher Entsprechung zur Gottes-Engelrede in 2,1-4.20 Man kann hier durchaus von einem Rahmen sprechen: 2,20-23 zu 2,1-21.21 Jahwe kündigt das Nichtvertreiben der von Josua übrig gelassenen Völker an (V.21; Jos 23,13). Auf diese Weise soll Israel geprüft werden, ob es noch zu einer Gottesbeziehung fähig ist (V.22). Die Gottesrede endet mit dem Hinweis auf das Vorbild der Väter (V.22b). 19
Anders dazu EDERER, Ende, 278: Wegen des Bezugs von V.19 zur Erzählung vom goldenen Kalb seien die „Väter“ in 2,19 nicht völlig von den in 2,17 genannten Vätern abzutrennen. 20 Darüber hinaus steht V.20 mit Jos 23,16 in Entsprechung. 21 Ähnlich EDERER, Ende, 291.
4. Beobachtungen zum Aufbau von 2,11-3,6
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Die Väter, d.h. die Gründergeneration Israels dienen als Vorbild und Maßstab der Treue gegenüber Jahwe. M. Ederer ordnet V.22 nicht mehr der Gottesrede zu: „Interpretiert man Ri 2,22 als Teil der Gottesrede und damit als Finalsatz zu V.21aaI, so führt dies zu der schlichtweg widersinnigen Argumentation, dass JHWH angesichts der schon erwiesenen Untreue Israels beschließt, die verbliebenen Völker Kanaans an ihrem Ort zu belassen, mit der Absicht, die verbliebenen Völker durch deren Anwesenheit auf die Probe zu stellen, um zu sehen, ob es YHWH nun untreu werden wird, oder nicht…“.22 Diese Deutung ist nicht unbedingt zwingend, denn bei dem mit נסהPi. „prüfen“ ausgedrückten Geschehen geht es nicht um einen logisch zu definierenden Vorgang, sondern um das lebendige Geschehen der Wechselbeziehung zwischen Jahwe und seinem Volk. Es geht um die Frage, ob diese Beziehung weiterhin eine tragfähige Grundlage besitzt.23 Es erscheint mir zudem syntaktisch nicht möglich zu sein, V.22 „auf den ersten Hauptsatz des nachfolgenden Verses Ri 2,23 (Ri 2,23a) zu beziehen und somit nicht als Teil der Gottesrede anzusehen, sondern der Erzählstimme zuzuschreiben.“24 V.23 ist doch auch durch נוחHif. „bestehen lassen“ eng mit 3,1 verbunden. Gliederung der Gottesrede: V.20: Beschreibung des Vergehens: Bundübertretung V.21: Konsequenz: Nichtvertreiben der Völker V.22: Ziel: Prüfung Israels: Hat die Beziehung zu Jahwe noch eine Grundlage? e) 2,23-3,6 Die Völker Kanaans Mit V.23 beginnt der bis 3,6 sich erstreckende Schlussabschnitt von Ri 1-3. Sein bestimmendes Thema ist die noch unter Josua zu datierende unvollständige Vertreibung der Völker Kanaans. Damit verweist 2,233,6 zurück auf Jos 13,1-7; Ri; 2,3. Der Abschnitt möchte eine Antwort
22
EDERER, Ende, 283. Vgl. dazu STOEBE, Überlegungen, 92. 24 So EDERER, Ende, 283. 23
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§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
darauf geben, warum die Völker nicht vertrieben wurden: es geht um die Prüfung Israels (2,22; 3,1.4)25 3,1 ist mehrfach mit 2,23 verbunden: נוחHif. „bestehen lassen“. Nach V.1f. hat Jahwe “Völker“ im Land gelassen, um durch sie Israel zu prüfen und sie zu lehren die Kriege Kanaans. Es geht dabei um die scharfe Abgrenzung Israels gegenüber diesen Völkern.26 Folgende Völker werden dabei aufgelistet: die Philister, d.h. die Bewohner der südlichen Küstenebene;27 die Kanaanäer, d.h. – vielleicht – die Bewohner in ganz Palästina; die Sidonier, d.h. die Bewohner der phönizischen Küstenebene; die Hewiter, d.h. – vielleicht – die über ganz Palästina verstreuten Bewohner (V.3). V.4 betont noch einmal wie 2,22; 3,1 die Aufgabe der Prüfung Israels durch diese Völker. Dabei geht es um die Erkenntnis, ob Israel auf die den „Vätern“ (2,20f.22) geoffenbarten Gebote hört. Mit den „Vätern“ ist hier die Gründergeneration Israels angesprochen, die als Vorbild für die Toratreue steht. Mit dem Hinweis, dass Israel inmitten der Völker Kanaans wohne, wird das Aussageziel des Richterprologs noch einmal zusammengefasst. Mit den in V.5 genannten Völkern wird auf Ri 1 zurückgeblickt: Kanaanäer: 15x in Ri 1; Hethiter: 1,26; Amoriter: 1,36; Perizziter: 1,4f; Hiwwiter: 3,3; Jebusiter: 1,21. Ebenso wird in V.6b noch einmal der schwere Vorwurf gegen Israel wiederholt: sie dienen den kanaanäischen Göttern: 2,11b.13b.17.19. Die falsche religiöse Praxis der Israeliten wird mit dem neuen Hinweis auf deren Heirat mit Kanaanäern scharf verurteilt (vgl. 2,2).
25
EDERER, Ende, 368 spricht bei 2,22 (!) – 3,4 von einem auf den gesamten Richterprolog bezogenen Metatext. 26 Vgl. dazu Dtn 20,18. 27 Vgl. Ri 10,6; 13-16.
5. Die Elemente des Richterbuchrahmens
145
5. Die Elemente des Richterbuchrahmens Mit dem „Rahmen“ des Richterbuches bezeichnet die Forschung traditionell die Textstücke, die am Anfang bzw. am Ende der Richtererzählungen stehen.1 Zum Rahmen werden konkret folgende Textstücke gerechnet: 2,1119* im Kontext der Einleitung 2,6-3,6; 3,7-11 im Kontext der Othnielerzählung; 3,12-15a.30 (Ehud), 4,1-3.23f (Debora), 6,1-6; 8,28.32 (Gideon), 10,6-16; 12,6 (Jephta) und 13,1; 15,20; 16,31 (Simson). Insgesamt lassen sich in diesem Rahmen 12 Elemente unterscheiden, wobei die Elemente Nr. 1-8 jeweils vor und Nr. 9-12 am Ende der eigentlichen Richtererzählungen stehen. Der Blick auf die Tabelle zeigt zudem, dass nicht alle Elemente in allen Rahmenstücken begegnen. Bei näherer Untersuchung der Elemente lassen sich folgende Beobachtungen machen: Das Element Nr.1 beschreibt das Tun des Bösen der Israeliten. Es fehlt in keinem der Rahmenstücke (2,11; 3,7.12; 4,1; 6,1; 10,6; 13,1) und zeigt einen gleichen formelhaften Aufbau mit den drei Konstanten „die Israeliten“, „das Tun des Bösen“ und „im Angesicht Jahwes“. In 3,12; 4,1; 10,6; 13,1 wird das Schema durch die Ersetzung des Verbs עשׂהdurch das Modalverb יסף+ Inf. constr. von עשׂהleicht abgeändert. 2,11; 3,7; 6,1: Da taten die Israeliten, was dem Herrn missfiel 3,12; 4,1; 10,6; 13,1: Die Israeliten taten wiederum, was dem Herrn missfiel Im Element Nr.2 wird das „Tun des Bösen“ konkretisiert (2,11-13; 3,7; 10,6). Dieses besteht in dem Dienst für die Baalim (2,11b; 10,6), in dem Hinterhergehen hinter den Göttern der Völker ringsum (2,12; 10,6) sowie in dem Verlassen (2,11; 10,6) und Vergessen (3,7) Jahwes als dem Väter- und Exodus-Gott. Dieses Element begegnet nur am Anfang (2,11-13; 3,7) und am Ende (10,6) des Rahmens. Es fehlt als Einleitung in den Erzählungen von Ehud, Debora, Gideon und Simson. Fragt man nach den Gründen des Fehlens, so kann man anführen, dass mit dem Vorwurf des Abfalls von Jahwe am Anfang und Schluss bereits alles gesagt ist und es bei den restlichen Rahmenstücken mitgelesen werden muss. Anfang und Schluss entsprechen sich, sie 1
Zu den Elementen des Richterbuchrahmes vgl. die Skizze 2 im Anhang.
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§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
bilden gleichsam den Rahmen des Rahmens. Im Rahmenstück zur Ehud-Überlieferung wird das „Tun des Bösen“ zweifach in V.12 genannt und das Stichwort „ עשׂהtun, machen“ begegnet in V.14, so dass die ausführliche Nennung der Verehrung der Fremdgötter unnötig ist. In Ri 4 steht an der Stelle des 2. Elements die Todesnotiz über Ehud. Das Fehlen dieses Elements bei Simson dürfte mit der Sonderstellung der Simson-Erzählungen zusammenhängen. 2,11-13: Sie dienten den Baalim 12 und verließen den Herrn, den Gott ihrer Väter, der sie aus dem Land Ägypten geführt hatte und folgten anderen Göttern nach von den Göttern der Völker, die um sie her wohnten, und beteten sie an, und erzürnten den Herrn. 13 Und sie verließen den Herrn und dienten dem Baal und den Astarten. 3,7: Und sie vergaßen den Herrn ihren Gott, und dienten den Baalim und den Ascheren. 10,6: Und sie dienten den Baalim und den Astarten und den Göttern Arams und den Göttern Sidons und den Göttern Moabs und den Göttern der Ammoniter und den Göttern der Philister. Und sie verließen Jahwe und dienten ihm nicht. In engster Verbindung zu Element Nr. 2 steht das Element Nr. 3, in dem von dem „Zorn Jahwes“ die Rede ist (2,14; 3,8; 10,7). Es steht in unmittelbarem Anschluss an die Rede von der Fremdgötterverehrung und ebenso wie sie fehlt es bei Ehud, Debora, Gideon und Simson. So gilt hier das Gleiche wie beim Element Nr. 2, dass die Tatsache des Zornes Jahwes bei den restlichen Rahmenstücken mitgelesen werden muss. 2,14: Und es entbrannte der Zorn Jahwes über Israel. Ebenso wie das Element Nr.1 begegnet Nr.4 in allen Rahmenerzählungen. Hier wird mit unterschiedlichem Vokabular die Auslieferung Israels in die Gewalt der Feinde beschrieben ( נתן2,14; 6,1; 13,1; מכר2,14; 3,8; 4,2; 10,7; חזק3,12). Subjekt des Auslieferns ist an allen Stellen Jahwe. Mit der Präposition ב+ „ ידin die Hand“ wird dann der König bzw. das Volk genannt, an das Israel ausgeliefert wird. Lediglich in der Ehuderzählung wird „Eglon, der König von Moab“ mit nota accusativi eingeleitet.
5. Die Elemente des Richterbuchrahmens
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2,14: Und er gab sie in die Hand von Räubern, die sie beraubten. Und er verkaufte sie in die Gewalt ihrer Feinde ringsum. 3,8: Und er verkaufte sie in die Gewalt von Kuschan- Rischatajim, dem König von Aram Naharajim. 3,12: Und der Herr machte Eglon, den König von Moab stark über Israel, weil sie Böses in den Augen Jahwes getan hatten. 4,2: Und Jahwe verkaufte sie in die Gewalt von Jabin, dem König von Kanaan, der König in Hazor war. 6,1: Und Jahwe gab sie in die Hand Midians. 10,7: Und er verkaufte sie in die Gewalt der Philister und in die Gewalt der Ammoniter. 13,1: Und der Herr gab sie in die Gewalt der Philister. Die Folge der Übereignung an die Feinde ist das Ausgeliefertsein Israels für eine bestimmte Zeit. Dies ist das Thema des Elementes Nr. 5. Hier werden jeweils als fester Bestandteil die Jahre des Ausgeliefertseins genannt: 3,8 8 Jahre; 3,14 18 Jahre; 4,3 20 Jahre; 6,1 7 Jahre; 10,8 18 Jahre; 13,1 40 Jahre. Dieses Element wird in allen Richtererzählungen mit Ausnahme des Einleitungsabschnittes in 2,14 genannt. Das Fehlen in 2,14 kann leicht mit der besonderen Situation des Einleitungskapitels erklärt werden. Die Tatsache der Übereignung Israels an die Feinde ist hinreichend für die Beschreibung der Notsituation Israels. In enger Verbindung mit den beiden letztgenannten Elementen steht das Element Nr. 6, in dem die Not Israels beschrieben ist. Mit Ausnahme der Othniel- und Simsonerzählung begegnet es bei allen Richtererzählungen: 2,14f; 3,12f; 4,2.3; 6,2-6; 10,9. In dem Einleitungskapitel wird in 2,14f. betont, dass aufgrund des Handelns Jahwes Israel den Feinden widerstandslos ausgeliefert ist. „Es geriet dadurch in große Not“ ist das schlimme Fazit, das aus dieser Situation gezogen wird (2,15). Nach dem Rahmen der Ehuderzählung besteht die Not für Israel in dem Bündnis, das Eglon von Moab mit Ammonitern und Amalekitern einging. Dieses Bündnis eroberte sogar die „Palmenstadt“ (3,13). In der Deboraerzählung entsteht die Not Israels aufgrund der militärischen Übermacht des Gegners Sisera, der
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§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
mit 600 eisernen Streitwagen Israel unterdrückt (4,2f). Am anschaulichsten wird die Not im Rahmen der Gideonerzählung beschrieben. Israel ist angesichts der midianitischen Übermacht gezwungen, in Höhlen zu fliehen (6,2). Es muss zudem erleben, wie Midian zusammen mit Amalek und den Ostsöhnen die eingesäten Felder und damit die Existenzgrundlage Israels vernichtet (6,3-5). Schließlich wird im Rahmen der Jephtaerzählung die Bedrohung Judas, Benjamins und Ephraims durch die Ammoniter beschrieben (10,9). Ebenso wie in 2,15 lautet hier das Fazit: „Und Israel geriet dadurch in große Not!“ 2,14f.: Und sie konnten nicht mehr ihren Feinden widerstehen. 15 Sooft sie auszogen, war die Hand des Herrn gegen sie zum Unheil, wie der Herr ihnen gesagt und geschworen hatte. Und sie gerieten in große Bedrängnis. 3,13: Und er sammelte zu sich die Ammoniter und die Amalekiter, und er ging hin und schlug Israel, und sie nahmen die Palmenstadt ein. 4,2f.: Sein Feldhauptmann war Sisera, er wohnte in Haroschet Gojim. 3 Und die Israeliten schrien zum Herrn, denn er hatte 900 eiserne Streitwagen, und er unterdrückte die Israeliten mit Macht. 6,2-6: Und die Hand Midians war zu stark für Israel und deshalb machten sich die Israeliten Schluchten in den Bergen und Höhlen und Festungen. 3 Und immer, wenn Israel gesät hatte, zogen Midian und Amalek und die Ostsöhne heran gegen es 4 und lagerten sich gegen sie und vernichteten den Ertrag des Landes bis nach Gaza hin und ließen nichts übrig an Nahrung Israel, weder Schafe noch Rinder noch Esel. 5 Denn sie zogen herauf mit ihrem Vieh und ihren Zelten wie eine große Menge Heuschrecken. Sowohl sie als auch ihre Kamele waren nicht zu zählen. Und sie kamen in das Land, um es zu vernichten. 6 So wurde Israel sehr schwach vor Midian. 10,8f.: Und sie zertraten und zerschlugen Israel in jener Zeit 18 Jahre lang, nämlich ganz Israel jenseits des Jordans im Land der Amoriter, das in Gilead liegt. 9 Dazu zogen die Ammoniter über den Jordan, um auch gegen Juda und Benjamin und das Haus Ephraim zu kämpfen. Und Israel geriet in große Bedrängnis.
5. Die Elemente des Richterbuchrahmens
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Die Not Israels hat das Schreien Israels zu Jahwe zur Folge, was sich als Element Nr. 7 anschließt. Es hat an allen Stellen die feste Form זעק + Subjekt Israel + Jahwe als Zielangabe. Dieses Element fehlt lediglich im Eingangskapitel, wo man es im Anschluss an 2,15 erwarten würde. Das Fehlen wird jedoch durch die Rede von Israels Wehklage in 2,18 kompensiert. Manche Exegeten vermuten aber auch einen Textfehler und fügen das Element Nr. 7 vor 2,16 ein (siehe BHS).2 Das Fehlen im Simson-Rahmen erklärt sich wieder aus der Sonderstellung der Simson-Erzählungen. 3,9.15; 4,3; 6,6; 10,10: Die Israeliten schrien zu dem Herrn. Das letzte Element vor den eigentlichen Richtererzählungen ist das Erwecken eines Richters (Nr. 8). Dabei fällt in 2,16 zum einen die Rede von „Richtern“ (Plural) sowie ihre Charakterisierung als „Retter“ (Hif. „ ישׁעretten“) auf. Als „Retter“ werden dabei Othniel (3,9) und Ehud (3,15) angesehen. In den restlichen Rahmennotizen fehlt das Element Nr. 8, was jedoch leicht erklärbar ist. In Ri 4,4 setzt die DeboraErzählung mit der Nennung von Debora als „Prophetin“ und „Richterin“ ein. Bei Gideon tritt der Bericht von seiner Berufung an die Stelle des Elementes Nr.8 und bei Jephta muss dieses Element dem Sündenbekenntnis Israels weichen (10,10). Nach Ri 10,10-16 kommt Jahwe selbst als Retter in den Blick (V.12). 2,16: Und der Herr berief Richter und sie retteten sie aus der Hand ihrer Bedrücker. 3,9: Und der Herr berief einen Retter für die Israeliten und er rettete sie: Othniel, der Sohn des Kenas, der jüngste Bruder von Kaleb. 3,15: Und Jahwe berief einen Richter für sie: Ehud, der Sohn von Gera, der Benjaminit, der war linkshändig. Am Ende der Richtererzählungen begegnen als Rahmenelemente die Nummern 9-12, wozu im Einzelnen zählen: die Beugenotiz (Nr. 9), die mit Ausnahme von 2,11-19 und Ri 13 bei allen Rahmungen begegnet, wobei viermal das Verb „( כנעsich beugen“; 3x Nif. 3,30; 8,28; 11,33; 1x Hif. mit Jahwe als Subjekt 4,23f) und einmal das Verb „( עזזstark sein“; 3,10) steht; an diese Notiz schließt unmittelbar die Ruhenotiz als 2
BARTELMUS, Mißerfolg, 34.
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§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
Element Nr. 10 an; sie hat an allen Stellen die feste Form שׁקט+ Subjekt הארץ+ die Dauer der Ruhezeit. Das Fehlen der beiden Elemente 9 + 10 im Anschluss an 2,16 dürfte mit dem Hinweis auf die Rettung vor den Feinden „solange der Richter lebte“ (2,18) kompensiert sein. Das Fehlen der Notiz am Ende der Jephtaerzählung dürfte mit der Episode von Jephtas Tochter zusammenhängen (11,3440), die unmittelbar an die Beugenotiz in 11,33 anschließt; als vorletztes Element findet sich die Richternotiz, die freilich bei Ehud, Debora und Gideon fehlt; dies lässt sich jedoch damit erklären, dass Ehud und Deboras Richtertätigkeit bereits am Anfang hervorgehoben wird (3,15; 4,4f.); in der Gideon-Überlieferung dagegen ist man mit Titulierungen Gideons überhaupt vorsichtig und zudem findet sich zwischen den Elementen 10 und 11 bei Gideon die Vorbereitungsnotiz zur Abimelech-Überlieferung (8,29-31); das letzte Element des Rahmens (Nr. 12) ist die Notiz vom Tod des Richters, wobei bei Gideon (8,32) und Jephta noch der Begräbnisort genannt werden; die Todesnotiz fehlt bei Debora und Simson. Element Nr. 9: 3,10: Und seine Hand war stark über Kuschan-Rischatajim. 3,30: Und Moab wurde zu jener Zeit unter der Hand Israels gedemütigt. 4,23f.: Und Gott demütigte zu jener Zeit Jabin, den König von Kanaan vor den Israeliten. 24 Und die Hand der Israeliten lastete hart auf Jabin, dem König Kanaans bis sie Jabin, den König Kanaans vernichtet hatten. 8,28: Und Midian wurde von den Israeliten gedemütigt und sie hoben ihren Kopf nicht mehr empor. 11,33: Und die Ammoniter wurden von den Israeliten gedemütigt. Element Nr. 10: 3,11; 5,31; 8,28: Das Land hatte vierzig Jahre Ruhe. 3,30: Das Land hatte achtzig Jahre Ruhe.
5. Die Elemente des Richterbuchrahmens
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Element Nr. 11: 3,10: Und er richtete Israel. 12,7: Und Jephta richtete Israel sechs Jahre lang. 15,20: Und er richtete Israel in den Tagen der Philister zwanzig Jahre lang. 16,33: Er richtete Israel zwanzig Jahre lang. Element Nr. 12: 2,19: Und es war, wenn der Richter starb… 3,11: Und Othniel, der Sohn des Kenas starb. 4,1: Und Ehud starb. 8,32: Und Gideon, der Sohn des Joasch, starb im hohen Alter. Und er wurde im Grab des Joasch begraben, seinem Vater, in Ophra, der Stadt der Abiesriter. 12,7: Und Jephta starb, der Gileadite. Und er wurde in den Städten Gileads begraben. Der Rahmen wird in 2,19 abgeschlossen. Ri 2,19 knüpft mit der Nennung des „Richters“ an V.18 an. Mit dem Tod des Richters beginnt der unheilvolle Kreislauf von neuem. Sprachlich schließt V.19aα mit einem Perfekt consecutivum an dasjenige von V.18a an, wobei diese Zeitstufe hier in einem iterativen Sinn verwendet wird: „Es war jedes Mal so, wenn der Richter starb…“ V.19aß betont, dass die Israeliten schlimmer als „ihre Väter“ handelten. Mit den „Vätern“ ist hier offenbar die Vorgängerin der gegenwärtigen Generation gemeint. Es ist unwahrscheinlich, dass damit Abraham, Isaak und die nachfolgenden Generationen gemeint sein könnten, denn ihnen wird im Richterbuch nie vorgeworfen, hinter fremden Göttern herzulaufen. Die hier genannte Verfehlung ist deshalb so schlimm, weil es eine sich wiederholende ist. V.19 steht in enger
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§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
inhaltlicher Beziehung zu 2,11-13 (E 1+ 2). V.19a ist in weiten Teilen identisch mit V.12f, neu ist die Aussage in V.19b, wonach Israel nicht von seinen schlimmen Taten ließ und auch seinen bösen Weg weiterging. Das hier verwendete Nomen für „Handlungen“ begegnet vor allem in der Prophetie (Jer 7,3; 26,13; Ez 36,31; Sach 1,4 u.ö.). Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Beobachtungen ziehen? Der Blick auf die Tabelle zeigt die Sonderstellung der SimsonErzählungen. Die Rahmenbemerkungen in 13,1; 15,20; 16,31 sind äußerst knapp, sie tragen kaum zum Verständnis der Erzählungen von Simson bei. Im Unterschied zu den anderen Richtern ist Simson nie Führer eines Heeres gewesen, er ist Individualist, Einzelkämpfer und Kraftprotz. Zudem beginnt Simson erst mit der Befreiung von den Philistern, er löst sie nicht wie es die anderen Richter in Auseinandersetzung mit ihren Feinden tun. So spricht vieles dafür, die Simson-Erzählungen nicht zu den eigentlichen Richtererzählungen zu zählen, sondern diese mit Jephta enden zu lassen. Bestätigt wird diese Sicht durch das Fehlen Simsons in der Richterliste im Kontext der Abschiedsrede Samuels in 1Sam 12,11, wo nur Jerubbaal-Gideon, Barak, Jephta und Samuel genannt werden. Der Rahmen der Richtererzählungen zeigt eine große Variabilität hinsichtlich der formalen Gestaltung. Nur wenige Elemente begegnen bei allen Richtererzählungen (Nr. 1; 4), die Reihenfolge der Elemente ist ebenso wenig starr (Nr. 7 vor Nr. 5 in Ri 4,2-3) wie die sprachlichen Formulierungen (vor allem Nr. 4) es sind. Hier lässt sich ein Wechsel von Elementen mit formelhafter Sprache (1; 3; 7; 8-12) und solchen mit freien (4) Formulierungen beobachten. Vor allem im Debora- und Gideon-Rahmen fehlen zahlreiche Elemente. Soll man nun aus diesen Beobachtungen schließen, dass der Rahmen des Richterbuches „keineswegs aus einem Gusse ist, sondern durch sukzessive Erweiterungen zu seiner jetzigen komplexen Gestalt herangewachsen ist?“3 Soll man aufgrund der ungleichförmigen Bildung der Rahmenstücke eine literarische Bearbeitung ausschließen und eher an eine lebendig-mündliche Gestaltung denken? Kann man hier eine Art Grundrahmen herausarbeiten, der zunächst ohne jegliche Verbindung mit dem Richteramt gestanden haben soll? M.E. muss man bei der Bejahung dieser Fragen vorsichtig sein, denn so eindeutig ist der Befund nicht. Die Skizze zeigt, dass das Fehlen von 3
BEYERLIN, Gattung, 9.
5. Die Elemente des Richterbuchrahmens
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Elementen in der Mehrzahl der Fälle aus der Komposition des Rahmens selbst und der Einbindung der Elemente in die Richtererzählungen erklärt werden kann. Doch bevor hier ein Urteil gefällt werden kann, soll in einem weiteren Schritt nach dem literarischen Ort des Rahmens und seiner Elemente gefragt werden.
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§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
6. Der literarische Ort der Rahmenelemente Das Element Nr.1 hat sein Hauptvorkommen im Königebuch, wo es über 30x dazu dient, das Handeln der israelitischen und judäischen Könige in rechter Weise zu beurteilen. Es begegnet in der überwiegenden Zahl der Fälle in deuteronomistischen und nachdeuteronomistischen Texten. Der Vorwurf vom Hinterherlaufen hinter anderen Göttern (Nr. 2) findet sich vor allem im Deuteronomium und Deuteronomistischen Geschichtswerk: 18x Dtn; 20x Jos – Kön. Das 3. Element ist literarisch schwer einzuordnen, denn die Rede vom „Zorn Jahwes“ findet sich breit gestreut in vielen Büchern des Alten Testaments. Das Gleiche gilt auch für das Element Nr. 4 mit seinem Vokabular, das in vielen Bereichen des Alten Testaments belegt ist. Als ursprünglicher Sitz im Leben ist bei diesem Element der Jahwekrieg anzunehmen, wo es stereotyp heißt: „Jahwe hat die (Feinde) … in eure Hand gegeben;“ die Formulierung findet vor allem im Kontext des deuteronomistischen Geschichtswerkes Verwendung (mehr als 20x in Jos – Kön). Zu beachten ist freilich, dass im Richterbuchrahmen die Aussagerichtung eine andere ist, denn sie richtet sich nicht mehr gegen Israels Feinde, sondern nun gegen Israel selbst. So spiegelt dieses Element ein traditionsgeschichtlich jüngeres Stadium wider, das wohl kaum vordeuteronomistisch sein kann. Das Element Nr. 5, das die Dauer des Ausgeliefertseins an die Feinde beschreibt, steht in enger Verbindung mit den chronologischen Angaben des Deuteronomistischen Geschichtswerkes: 1Sam 4,18 Eli; 13,1 Saul; 1Kön 2,11 David. Das Element Nr. 6 bezieht sich mit seinen Angaben im Vergleich mit allen anderen Elementen am engsten auf die eigentliche Richtererzählung, es geht inhaltlich jedoch oft genug über sie hinaus. So heißt es in 3,13, dass Eglon im Bündnis mit Ammonitern und Amalek Israel geschlagen und die Palmenstadt erobert habe. Im Korpus fehlt die Nennung der Ammoniter und Amaleks ebenso wie der Hinweis auf die Eroberung der Palmenstadt. Möglicherweise bezieht sich hier die Rahmennotiz auf 1,16, wo die Palmenstadt und die Amalekiter im Kontext des Zuges der Söhne Hobabs in die Wüste von Arad genannt werden. – Der Rahmen zur Debora-Erzählung nimmt die Nennung von Jabin und Sisera im Korpus der Erzählung auf (4,7.13), wobei Jabin neu als in Hazor regierender „König von Kanaan“
6. Der literarische Ort der Rahmenelemente
155
eingeführt wird: 4,2.23f. – Der Rahmen der Gideon-Erzählung ist mit der eigentlichen Erzählung nur durch die Nennung von „Gideon“ und „Midian“ verknüpft. Im Korpus der Erzählung fehlen die Angaben zur Flucht Israels vor den Midianitern und die Zerstörung der Nahrungsgrundlage Israels durch die Midianiter: 6,2-6. In der Othniel-Erzählung ist das Verhältnis von Rahmenangaben und dem Korpus der Erzählung auffallend, denn die Erzählung besteht faktisch nur aus den beiden Hauptpersonen „Othniel“ und „KuschanRischatajim“, der König von Aram-Naharajim: V.8f. Hier soll offenbar das Rahmenschema an einem Beispiel expliziert werden. Mit „Othniel, dem Sohn des Kenaz, des Bruders von Kaleb“, soll den israelitischen Richtern ein judäischer an die Seite gestellt werden. Aus diesen beiden Gründen steht die Othniel-Erzählung an erster Stelle der Richtererzählungen. So zeigt sich beim Element Nr. 6, dass der Verfasser des Rahmens in eigenständiger und freier Weise formuliert, um die eigentliche Erzählung vorzubereiten. Inwieweit er dabei auf ihm vorgegebenes Gut zurückgreift bzw. frei von Tradition formuliert, ist wohl kaum zu entscheiden. Literarisch schwer einzuordnen ist das Element Nr. 7, da das Schreien Israels zu Jahwe als Grundhaltung der Jahwegemeinde nicht nur im Richterbuch, sondern auch im Exodus-, Numeri-, 1Samuelbuch und bei Hosea und in den Psalmen belegt ist. Kennzeichnend für die deuteronomisch-deuteronomistische Theologie ist dagegen das Hifʽil von קוםbeim Element Nr. 8, womit das Erwecken von Propheten (Dtn 18,18), Richtern, Priestern (1Sam 2,35) und Königen (1Kön 9,5) beschrieben wird, die dann im Auftrag Jahwes eine Aufgabe an Israel zu erfüllen haben. Ähnliche Beobachtungen lassen sich bei der Beuge- und Ruhenotiz (Elemente Nr. 9 + 10) machen. Das Verb כנעNif. + Hif. hat sein Hauptvorkommen im deuteronomistischen und chronistischen Geschichtswerk (ca. 15x in 1+2Chr.). Die Ruhenotiz ist in dieser Form nur im Rahmen des Richterbuches belegt. Die beiden letzten Elemente Nr. 11 + 12 zeigen eine große Nähe zu dem Schema der Kleinen Richter (10,1-5; 12,8-15). Die Notiz über das Richten und die Todesnotiz gehören hier zum festen Bestandteil der Angaben. Mit M. Noth u.a. ist es wahrscheinlich, dass sie von hier aus in das Rahmenschema der Großen Richter übertragen wurden. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Beobachtungen ziehen? Der Durchgang zeigt, dass bei der überwiegenden Mehrzahl der Rahmenelemente ein deuteronomistischer Entstehungsgrund
156
§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
vorausgesetzt werden muss. Lediglich bei den Elementen 3 und 7 muss dies offenbleiben. Von daher ist die These W. Richters von einem vordeuteronomistischen Rahmen, der dem Bearbeiter vorgelegen habe, nicht haltbar. Nach W. Richter ist deuteronomistische Mentalität nur im ersten Element erkennbar und spürbar. Richter unterschätzt hier m.E. den deuteronomistischen Hintergrund der anderen Rahmenelemente. Dieses Ergebnis hat nun zur Folge, dass die Rahmenelemente enger zusammenrücken und die Aufteilung in Rahmen (Rdtr1), Beispielstück (Rdtr2) sowie geschichtstheologische Abhandlung (2,11-19) und geschichtstheologischer Dialog (10,6-16) nicht durchführbar ist. Der Rahmen muss in redaktionsgeschichtlicher, sachlicher und inhaltlicher Hinsicht stärker als Einheit gesehen werden. Dies schließt kleine Hinzufügungen wie etwa 2,17 nicht aus, aber so wie die Elemente 112 uns vorliegen, stammen sie von einem deuteronomistischen Verfasser. Dieser hat mit Hilfe deuteronomistischer Theologumena, Notizen aus den Richtererzählungen und dem Schema der Kleinen Richter sowie eigenen Formulierungen den für die ursprünglich wohl selbständigen Heldenüberlieferungen verbindenden Rahmen geschaffen. Der Deuteronomist hat darüber hinaus im Rahmen die für das Verständnis der Heldenerzählungen notwendigen Hintergrundinformationen notiert. Diese beziehen sich zum einen auf die Frage nach den Ursachen des Ausgeliefertseins Israels an die Fremdmächte (E 1-5). Zum anderen werden im Rahmen die Aktionen der Feinde mitsamt der sich daraus ergebenden Not Israels beschrieben (E 6). Hier werden zum Teil detailliertere Angaben als in den eigentlichen Heldenerzählungen gemacht. So ist nach 3,12f. Eglon zusammen mit Ammon und Amalek gegen Israel und speziell die Palmenstadt vorgegangen. Jabin wird in 4,1 als in Hazor regierender König von Kanaan tituliert und in 6,2-6 werden die Fluchtorte Israels und die Aktionen Midians im westjordanischen Gebiet genannt. Diese Angaben sind für das Verständnis des Rahmens und der Richtererzählung letztlich unverzichtbar, auch wenn sie historisch kaum verifizierbar sind. Ohne die durch den Rahmen vorgegebenen Informationen blieben sowohl Teile des Rahmens selbst als auch die Erzählungen schwer verständlich. Von daher sollte das Element Nr. 6 redaktionsgeschichtlich nicht isoliert werden. Das Gleiche gilt für das Element Nr. 2 in 2,11-13; 10,6, das mit dem Hinweis auf die Fremdgötterverehrung das 1. Element präzisiert.
7. Das literarische und theologische Profil des Rahmens
157
7. Das literarische und theologische Profil des Rahmens Der Rahmen des Richterbuches wird selbst von zwei in enger Beziehung zueinanderstehenden Abschnitten umrahmt: 2,11-16.18f und 10,6-16. Die Skizze zeigt diese Beziehung deutlich.1 In beiden Texten geht es um den Abfall Israels an die Baalim (2,11b; 10,6a), was gleichbedeutend ist mit der Abkehr von Jahwe: עזב2,12a; 10,6b. In 2,12a ist davon die Rede, dass Israel „anderen Göttern“ hinterhergelaufen sei. In 10,6 werden diese beim Namen genannt: die Götter Arams (→ 3,7), Sidons, Moabs (→ 3,12-30; 11f), Ammons (→ 3,12-30; 11f) und der Philister (→ 3,31; 13-16). In beiden Abschnitten ist vom Zorn Jahwes die Rede (2,14a; 10,7a) und von der daraus resultierenden Übergabe an die Feinde (2,14f; 10,7-9). Diese beiden letzten Abschnitte werden jeweils mit der gleichen Formulierung abgeschlossen: 2,15: ויצר להם מאד10,9: „ ותצר לישׂראל מאדUnd sie bzw. Israel geriet(en) in Bedrängnis.“ Interessant ist nun der Unterschied zwischen beiden Rahmungen. In 2,16.18 ist von Richtern die Rede, die von Jahwe als Retter eingesetzt werden. Es heißt, dass Jahwe mit diesen Rettern war (2,18), so dass Israel während der Richterzeit von Feinden frei war. In 10,11-14 bleiben diese Retter ungenannt, denn an ihre Stelle tritt Jahwe als Retter. Er war es, der Israel aus Feindeshand errettete und hier wird auf Ägypten als den Beginn dieses Rettungshandelns verwiesen (10,12). Da Israel aber Jahwe verließ, hielt er sein Rettungshandeln zurück (10,13). Aus dieser für Israel nun hoffnungslosen Situation heraus erwächst das Schuldbekenntnis Israels, das sogar zweimal jeweils mit dem Verb „ חטאsündigen“ erscheint: 10,10.15. Dieses Sündenbekenntnis rahmt die Jahwerede in 10,11-14. Aufgrund dieses Sündenbekenntnisses und dem Entfernen der fremden Götter erbarmt sich Jahwe Israel, in V.16b ist davon die Rede, dass Jahwe die Mühsal Israels jammerte.2 In 10,6-16 geht es um das Ringen zwischen dem Rettungshandeln Jahwes auf der einen und dem „Rettungshandeln“ der Fremdgötter auf der anderen Seite. Israel wird vor diese scheinbare Alternative gestellt. Aufgrund des Schuldbekenntnisses Israels und der Absage an die Fremdgötter erbarmt sich Jahwe Israel. Israels Rettung ist also keine 1 2
Siehe dazu die Skizze Nr. 3 im Anhang. Siehe dazu die Skizze Nr. 3 im Anhang.
158
§ 5 Der Rahmen der Richtererzählungen
billige Rettung, es muss die eigene Schuld erkennen, Reue zeigen und sein falsches Handeln ablegen. Der Misserfolg Israels wird ausdrücklich thematisiert und sogar theologisch positiv bestimmt.3 Auffallend ist nun der Fortgang in 10,17ff. Man würde im Anschluss an die Notiz vom Erbarmen Jahwes in 10,16 erwarten: Jetzt wurde Israel gerettet und von jetzt an hatte Israel Ruhe. Diese Notiz fehlt jedoch und in 10,17ff wird sofort zur Jephta-Überlieferung übergegangen. Diese tritt stellvertretend für die fehlende Rettungsnotiz und Ruhenotiz ein. Damit wird der gute Ausgang von Jephtas Auseinandersetzung mit Ammon gleichsam vorweggenommen. So zeigt sich mit 10,6-16 eine deutliche Zäsur im Ablauf der bisherigen Richtergeschichten. Dieser Abschnitt ist als Paralleltext zu Ri 2,11-19 komponiert. Der Deuteronomist will hier auf das Ende des Kreislaufs von Abfall, Not, Rettung und wiederum Abfall, Not und Rettung hinweisen. Mit 10,6-16 wird mit dem Schuldbekenntnis und der Reue Israels sowie Jahwes Erbarmen der Höhepunkt der Rahmenelemente erreicht. Man kann also durchaus von einem klimaktischen Aufbau des Rahmens sprechen. Der Rahmen setzt ein mit der Schilderung des Abfalls Israels von Jahwe, er setzt sich fort mit der Beschreibung der Not des Volkes und er endet in dem Schuldbekenntnis. Bei der Beschreibung der Not in Ri 3-6 lässt sich ebenfalls die Tendenz zur Steigerung, ja Übertreibung beobachten. In 3,12 wird vom Tun des Schlimmen Israels zweifach gesprochen, in 3,13 sind es drei Völker, die Israel bedrängen, in 4,3 heißt es, dass Israel „mit Macht“ bedrängt wird und in 6,3 soll die Verwüstung des Landes durch die Midianiter bis Gaza gereicht haben, die Midianiter sollen wie „Heuschrecken“ eingefallen sein und alle (!) pflanzlichen und tierischen Nahrungsquellen zerstört haben. Der Deuteronomist hat hier bewusst überzeichnet, um die Rettung durch die jeweiligen Richter und schließlich durch Jahwe selbst umso strahlender erscheinen zu lassen. Der Rahmen ist auf Steigerung hin komponiert. Von hier aus lässt sich m.E. auch die Frage nach dem rechten Verständnis von זעק „schreien“ beantworten. Hier stehen sich in der Forschung zwei Auffassungen gegenüber. Nach H.-D. Hoffmann ist das „Schreien zu Jahwe“ (E 7) mehr als ein Hilfeschrei des Volkes aus äußerster Bedrängnis. „Es ist ein Signal der kultpolitischen Umkehr zu Jahwe und schließt somit den Akt der Kultreform, auch wenn dies nicht ausdrücklich erwähnt wird, stets ein. Die Richterzeit ist daher in der Konzeption der dtr Geschichtsdarstellung durch ständigen Wechsel 3
So im Anschluss an BARTELMUS, Mißerfolg, 28–47.
7. Das literarische und theologische Profil des Rahmens
159
von Kultreform und Gegenreform, d.h. Rückfall ins Heidentum gekennzeichnet.“4 Dem steht die Deutung von זעקals bloßes Schreien um Hilfe ohne das Element der Reue gegenüber.5 Von der Semantik her ist das Verb זעקin der Tat nur in 10,10 mit der Erkenntnis der Sünde verbunden. Die Not ist jetzt so groß und die Geduld Jahwes so strapaziert, dass das Volk seine letzte Chance zur Umkehr ergreifen muss, um nicht gänzlich vernichtet zu werden. Auch wenn bis auf Kap. 10 das Element der Reue fehlt, schwingt es m.E. doch zumindest unausgesprochen mit. Das flehentliche Schreien zu Jahwe setzt ja die Erkenntnis der eigenen Ohnmacht und der alleinigen Macht Jahwes voraus. Somit ist bei dem Element Nr. 7 in Ri 3-10 der allmähliche Weg zur Reue eingeschlossen. Der Rahmen wird zudem zusammengehalten durch die Sicht des Bösen (E 1). Von diesem Bösen heißt es, dass es getan wird ()עשׂה. Das Böse ist nach der Vorstellung des Deuteronomisten also kein unheilvolles Schicksal, sondern eine Frage des Handelns. Im ersten Element werden vor allem durch das Verb יסףHif. „hinzufügen“ Handlungsketten aneinandergereiht. Israel reiht Böses an Böses. Israel und nicht Jahwe oder eine numinose Macht ist das Subjekt des Bösen. Traditionsgeschichtlich haben wir hier eine große Nähe zu Dtn 13,2-6; 17,2-7, aber auch zum Bundesbuch, Mi 2,1-5; 3,4; 7,2f.; Hos 7,13-16; Am 5,13-16. An diesen Stellen ist vom „Bösen“, das Israel tut, die Rede. Dieses schlimme Tun Israels beleidigt Jahwe (Hos 7,13-16), es zersetzt die menschliche Gemeinschaft (Mi 7,2f) und führt Israel ins Verderben. Anstatt das Gute zu suchen (Am 5,13-16), läuft Israel dem Bösen hinterher.6 Was das Böse ist, wird durch das zweite Element definiert: Israels Abfall zu anderen Göttern, d.h. das Verlassen Jahwes. Mit diesem zweiten Element wird deutlich, dass es dem Deuteronomisten letztlich um die Gültigkeit des ersten Gebots geht. Das erste Gebot steht hier im Brennpunkt und verbindet letztlich die Rahmenelemente. Nach 10,616 wird durch das Schuldbekenntnis Israels das erste Gebot wieder eingesetzt und damit das Böse aus der Welt geschafft, so wie es das Deuteronomium fordert: „Du sollst das Böse aus deiner Mitte ausrotten.“ (12,7)
4
HOFFMANN, Reform, 274. BARTELMUS, Mißerfolg, 28–47; BRÜGGEMANN, Criticism, 110. 6 RÜTERSWÖRDEN, Das Böse, 223–241. 5
160
8. Schluss
8. Schluss Im Anschluss an neuere Beobachtungen zum Richterbuchrahmen sollte folgendes gezeigt werden: Die Rahmentexte bilden eine redaktionsgeschichtliche Einheit. Dafür sprechen sachliche Gründe, denn die Variabilität des Rahmens kann in der überwiegenden Zahl der Fälle aus der Anlage des Rahmens erklärt werden, die Elemente stützen sich gegenseitig, der Rahmen zeigt ein Gefälle hin zu Kapitel 10 und die Mehrzahl der Elemente hat einen deuteronomistischen Hintergrund. Als Quellen hat der Deuteronomist deuteronomisches Gedankengut, die Kleine Richterliste sowie die Überlieferungen zu den Richtern verarbeitet. Der Rahmen zeigt deutlich die Geschichtstheologie des Deuteronomisten: Er will zeigen, dass Israel durch die Not hindurch zur Erkenntnis der Schuld kommt. Mit dieser Erkenntnis wird der Wechsel von Schuld und Strafe durchbrochen. Unausgesprochen steht das 1. Gebot im Hintergrund der Rahmenelemente. Der Deuteronomist hat in sachlicher und theologischer Hinsicht ein höchst kunstvolles und nicht zu unterschätzendes Gebilde geschaffen, das geradezu den Schlüssel zum Verständnis des gesamten Richterbuches bildet.
§ 6 Othniel: 3,7-11
1.
Übersetzung und textkritische Anmerkung
7 Und die Israeliten taten das Böse in den Augena des Herrn und vergaßen den Herrn, ihren Gott und dienten den Baalim und Ascherenb. 8 Und es entbrannte der Zorn des Herrnc über Israel und er verkaufte sie in die Gewalt von Kuschan-Rischatajim, den König von AramNaharjimd. Und die Israeliten dienten Kuschan-Rischatajime acht Jahre lang. 9 Und die Israeliten riefen zu dem Herrn und der Herr berief einen Retter für die Israeliten und er rettete sie – Othniel, den Sohn des Kenaz, den jüngeren Bruder von Kalebf. 10 Und der Geist des Herrn kam über ihn und er richtete Israel und zog in den Krieg. Der Herr gab in seine Gewalt Kuschan-Rischatajim, den König von Aram. Und seine Hand wurde stark gegen Kuschan-Rischatajim. 11 Und das Land hatte vierzig Jahre Ruhe, dann starb Othniel, der Sohn des Kenaz. a
LXXA:
ἒναντι
b
LXXA+B:
καὶ τοῖς ἄλσεσιν . – Mit τὰ ἄλση sind die heiligen Haine der Ascheren bzw. Astarten gemeint; damit sind die phönizisch-kanaanäischen Göttinnen selbst gemeint. Es ist zu vermuten, dass mit „den Hainen“ die Aussprache des Namens der heidnischen Göttin vermieden werden sollte.1
c
LXXA+B:
„da ergrimmte der Herr im Zorn“
d
LXXA+B:
βασιλέως Συρίας ποταµῶν – LXX hat hier offenbar Obermesopotamien vor Augen.
e
LXXA:
αὐτῷ.
f
1
A
LXX :
LXXB:
ἐναντίον
καὶ εἰσήκουσεν αὐτοῦ
Siehe dazu LXX Deutsch, 250 + Erläuterungen, 673.
162
§ 6 Othniel: 3,7-11
2. Positionen der Forschung Die Notiz vom Kampf Othniels gegen Kuschan-Rischathajim in 3,711 hat die Phantasie der Ausleger immer wieder beflügelt, weil sich außer mit den Namen der Kontrahenten keine weiteren Angaben zum Kampf finden. Wo fand der Kampf statt? Wie besiegte Othniel den König Kuschan-Rischathajim? Wann regierte dieser König? Alle diese Fragen bleiben in 3,7-11 unbeantwortet. C.J. Ball1 brachte „Kuschan-Rischathajim“ mit den „Kassiten“ in Verbindung, da der Name „Kash“ (akk. kaššȗ) zusammen mit (Aram) Naharajim in einem Brief aus dem Amarna-Archiv genannt wird. Ball ging davon aus, dass zur Zeit der Richter im 12.Jh.v.Chr. die Kassiten in Palästina die bestimmende Macht gewesen seien. Nach Ball war „Kusch“ für den Herausgeber des Richterbuches identisch mit „Nichtisraelit/Heide“ (vgl. Am 9,7), so dass dieser die Dualendung „Mohr des Doppelfrevels“ angehängt habe. Diese Sicht der Dinge wurde dann von C.F. Burney übernommen2 E. Täubler widersprach der Position von C.J. Ball heftig, da es nie historische Beziehungen zwischen Juda und den Kassiten gegeben habe. In Ri 3,7-11 spiegele sich die Situation wider, in der Kaleb, Othniel und Jerachmeel mit ihren Gruppen von den Edomitern in das Gebiet von Bethlehem und Jerusalem abgedrängt worden waren. Auf der literarischen Ebene des Deuteronomisten habe sich dann in exilisch-nachexilischer Situation unter dem Einfluss der Notiz in Gen 10,8 der Übergang vom midianitischen „Kuschan“ zu einem „Kuschiten“ vollzogen. Als Vorbild für die Bildung von „Rischathajim“ habe das in Jer 50,21 genannte „Marathaim“ gedient.3. In die ähnliche Richtung geht die Position von J. Garstang, der anstelle von „Aram“ in 3,8 „Edom“ liest. Kushan sei ein midianitischer Stamm oder Führer gewesen.4 A. Malamat identifizierte Kuschan-Rischathajim mit dem syrischen Herrscher Irsu. Dieser habe für eine kurze Zeit den ägyptischen Thron besessen und in dieser Zeit sei er zugleich Herrscher über Palästina gewesen. Malamat datiert diese Herrschaft in die Zeit zwischen Merenptah (1224 v.Chr.) und Set-nakht (1198 v.Chr.). Es sei kaum 1
BALL, Kushan-rishathaim, 192. BURNEY, Judges, 64. 3 TÄUBLER, Cushan-Rishathaim, 137–142. 4 GARSTANG, Joshua, 263f. 2
2. Positionen der Forschung
163
wahrscheinlich, dass Kuschan-Rischathajim von so weit hergezogen sei, nur um ein paar Stämme im Süden Palästinas zu erobern.5 O. Fischer sieht im Unterschied zu J. Ball und A. Malamat in Kuschan-Rischathajim ein Abbild des Antiochus Epiphanes, was zur Konsequenz hat, dass die Perikope 3,7-11 „der Makkabäerzeit ihre Entstehung verdankt.“6 Antiochus werde in 1Makk 1,10 als „frevelhafter Spross“ bezeichnet. Dabei sei ἁµαρτωλός in LXX meist Wiedergabe von רשׁע,womit der Name „Rischathajim“ zusammenhänge. O. Fischer versucht mit Belegen aus der zwischentestamentlichen Literatur das negative Bild von Antiochus Epiphanes zu verdeutlichen.7 Ein weiterer Vorschlag kam von J.W. Jack,8, der Aram-Naharaim mit Mitanni und Kuschan-Rischathajim mit dem Mitanni-König Tushratta (ca. 1380 v.Chr.) identifiziert. „… Cushan-rishathaim must be none other than Tushratta, who would be king of Mitanni at the time when the Israelites were settling in Canaan.“9 Die Wahl des Namens in der Verbindung mit רשׁעsei ganz bewusst vollzogen worden: Tushrithatha → Cush-rishatha (ṯ → ḵ ; ṯ → š). Diese Deutung von 3,8-11 durch J.W. Jack wird von H. Hänsler10 übernommen, da der geographische Begriff „Aram Naharaim“ sich in der Epoche der Richter fast völlig mit dem Umfang des damaligen Mitannistaates deckte. Er verbindet die Gleichsetzung von Kuschan-Rischathajim mit Tuschratta von Naharina, d.i. Mitanni mit einem ausführlichen Exkurs über die Geschichte von Mitanni. Im Unterschied zu den oben genannten Positionen wagt R.T. O’Callaghan keine Identifizierung von Kuschan-Rischathajim mit einem König der vorstaatlichen Umwelt, denn dazu bleibe die Notiz in Ri 3 zu dunkel. Er ordnet sie lediglich zeitlich ein, wobei er konkret an die Zeit nach der Invasion der Seevölker in Palästina denkt. In dieser Zeit sei in Palästina aufgrund der Schwäche der ägyptischen Großmacht ein Machtvakuum entstanden, in der das Eindringen eines halbnomadischen syrischen Führers wie Kuschan-Rischathajim sehr gut denkbar sei.11 In der neueren Diskussion um 3,8-11 wird übereinstimmend betont, dass hier weder vorhandene Überlieferung entstellt worden sei noch 5
MALAMAT, Cushan Rishathaim, 231–242. FISCHER, Studien, 49. 7 FISCHER, Studien, 49f. Anm. 3. 8 JACK, Cushan=Rishathaim, 426–428. 9 JACK, Cushan=Rishathaim, 426. 10 HÄNSLER, H., Hintergrund, passim. 11 O’CALLAGHAN, Aram Naharaim, 123. 6
164
§ 6 Othniel: 3,7-11
historisches Material vorliege. Es handele sich vielmehr um eine unhistorische Erfindung des Redaktors. Der in 3,8 genannte KuschanRischathajim sei ein fiktiver König. Der Redaktor habe ihn mit einem Beinamen versehen, „der den fiktiven König weiter charakterisieren und in seiner Gefährlichkeit unterstreichen sollte.“12 Ähnlich urteilt H. Donner, der 3,7-11 als eine deuteronomistisch formulierte Notiz deutet. Der Kenizziter Othniel aus der Gegend von Hebron sei keine historische Figur, sondern der Heros eponymos der Othnieliter.13 „Der Abschnitt über Othniel ist dunkel, rätselhaft und historisch unbrauchbar.“14
12
HECKE, Juda, 122f. – Vgl. auch WALLIS, Geschichte, 38f. DONNER, Geschichte, 157f; – in die gleiche Richtung gehen die Überlegungen von GÖRG, Kuschan-Rischatajim, 568f. 14 DONNER, Geschichte, 157. 13
3. Exegese von 3,7-11
165
3. Exegese von 3,7-11 Bei der Behandlung der Rahmenelemente des Richterbuches war bereits das ungleiche Verhältnis von Rahmenangaben und dem Korpus der Erzählung aufgefallen1 , denn die Erzählung besteht mit Ausnahme der beiden Akteure „Othniel“ und „Kuschan-Rischathajim“ ausschließlich aus Rahmenelementen: V.7aα Das Tun des Bösen (E 1); V.7aß.b Fremdgötterverehrung (E 2); V.8aα Jahwes Zorn (E 3); V.8aßγ Übergabe an die Feinde (E 4); V.8b Die Dauer der Übergabe (E 5); V.9aα Das Schreien Israels (E 7); V.9aß Erweckung eines Richters (E 8); V.10b Beugenotiz (E 9); V.11a Ruhenotiz (E 10); V.10aß Richternotiz (E 11); V.11b Todesnotiz (E 12). Innerhalb der Rahmenelemente fällt auf, dass das Element Nr. 6 „Darstellung der Not Israels“ fehlt und E 9 mit dem Kontext von V.10 sehr ausführlich gestaltet ist. Das Fehlen von E 6 ist jedoch in gewisser Weise durch den Namen des Feindes „Kuschan-Rischathajim“, d.h. „Doppelbosheit“ kompensiert. Möglicherweise hängt das Schweigen über die Not Israels damit zusammen, dass dem Deuteronomisten hierbei überhaupt keine Angaben vorlagen. Dies könnte in der Tat mit der in der Forschung oft geäußerten Vermutung zusammenhängen, dass der König „Kuschan-Rischathajim“ eine fiktive Gestalt ist. Auffallend ist die Alliteration des Namens „Rischathajim“ mit der Nennung seiner Herkunft „Naharajim“.2 Nach Hab 3,7 wird „Kuschan“ mit Midian in Verbindung gebracht. Die Tradition von Aram-Naharajim in V.7-11 lässt sich vielleicht „als Theorie einer noch weiter in die Urzeit zurückverlegten Auseinandersetzung verstehen.“3 Es ist von daher nicht verwunderlich, dass das Rahmenelement Nr. 9 so ausführlich beschrieben wird, denn mit den Nennungen von Gottes Geist auf Othniel und der Auslieferung Kuschan-Rischathajims an Othniel durch Jahwe wird zum einen die von dem Feind ausgehende Bedrohung hervorgehoben, aber zum anderen auch die durch Jahwe ermöglichte Überlegenheit Othniels betont. Der Retter „Othniel“ in 3,9b dürfte aus Ri 1,13 bzw. Jos 15,13-17 übernommen worden sein. Dort wird er sehr ausführlich vorgestellt, weshalb sich in V.9b eine erneute Vorstellung erübrigt. In Ri 1 hat er insofern eine herausragende Stellung, als nur er als Eroberer 1
Vgl. oben § 5. GROSS, Richter, 220. 3 GESE, Studien, 50 Anm. 55. 2
166
§ 6 Othniel: 3,7-11
namentlich genannt wird, ansonsten ist in V.1-21 meist von „Juda“ als Eroberer die Rede (V. 2.3.4.8.9.10 u.ö.). Othniel gehört genealogisch in die Linie „Kenaz und Kaleb“ und somit in das judäische Gebiet.4 So steht kompositorisch Othniel jeweils am Anfang der Berichte über die Eroberung des Landes (Ri 1) und am Anfang des Kampfes gegen die Feinde Israels (3,7-11). Schwer zu bestimmen ist die Bedeutung des Namens „Othniel“. Der Name scheint mit „El“ ein theophores Element zu enthalten, allerdings bleibt die Wurzel ‘tn nicht bestimmbar. Auch andere semitische Sprachen können zur Erhellung nichts beitragen.5 Das Referat der Forschungspositionen zu „Kuschan-Rischathajim“ zeigt, wie schwierig in historischer und literarischer Hinsicht diese Gestalt zu fassen ist. Man kann wohl nicht umhin, in ihm einen fiktiven König zu sehen, der mit seinem Namen eine Feindgestalt aus dem Osten symbolisieren soll.6 Mit seinem Namen „Doppelbosheit“ soll m.E. zum einen die von ihm ausgehende Bedrohung und zum anderen seine Niederlage durch die Israeliten aufgrund seiner Bosheit zum Ausdruck gebracht werden. Das dem Namen zugrundeliegend. Nomen „ רשׁעהFrevel, Gottlosigkeit“ begegnet in Prov 11,5, wo davon die Rede ist, dass der Böse durch seine Bosheit zu Fall kommt. So könnte mit dem Namen „Rischathajim“ durchaus ein theologischer Akzent gesetzt sein. Das Schicksal Kuschan-Rischathajims ist somit dem Adoni-Bezeks (1,6f) vergleichbar, der eine für das Richterbuch entscheidende Erkenntnis formuliert: Gott vergilt boshaftes Tun (1,6f).7 Ob mit dem Zusatz „Aram-Naharajim“8 eine Assoziation an das Land der übermächtigen Besatzer Palästinas im 8.-6. Jh.v.Chr. oder an das Land Abrahams gegeben ist, ist schwer entscheidbar. Auch bleibt der Name „Kuschan“9 rätselhaft. Ob hier wie in Hab 3,7 an ein Gebiet in der Nähe von Midian gedacht ist?
4
BELTZ, Kaleb-Traditionen, 71–73. WENINGER, Deutung, 21–29. 6 So sich GÖRG, Kuschan-Rischathajim, 568f. 7 Siehe dazu oben die Auslegung zu Ri 1. 8 Vgl. noch Gen 24,10; Dtn 23,5; Ps 60,2; 1Chr 19,6. 9 Zur Endung – ȃn als Afformativ bzw. als Lokalendung vgl. MEYER; Grammatik, § 41; VON SODEN, Grundriss, § 56r. 5
4. Zusammenfassung
167
4. Zusammenfassung Die erste Richtererzählung in 3,7-11 ist einheitlich1 und eine deuteronomistische Bildung, wobei der Deuteronomist Othniel aus Ri 1,13 bzw. Jos 15,13-17 und Kuschan-Rischathajim fiktiv entnommen hat. Wären diese beiden Gestalten mit einer Heldengeschichte wie bei Ehud und den anderen Richtern überliefert worden, hätte Dtr diese sicherlich aufgenommen. Es ist kaum wahrscheinlich, dass er aus einer möglichen Heldenüberlieferung nur die Namen herausgenommen hätte. In der Othniel-Erzählung wird das Rahmenschema an einem Beispiel expliziert. Mit „Othniel“ wird den israelitischen Richtern ein judäischer an die Seite gestellt. Die Stellung des Judäers Othniel an erster Stelle der Richtererzählungen spiegelt deutlich die judäische Redaktion von 1,1-3,11 wider.2
1
Anders RICHTER, Bearbeitungen, 23–26 und BECKER, Richterzeit, 104–106, die mit Zusätzen und Erweiterungen rechnen. 2 Siehe dazu oben § 5.
§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30
1. Übersetzung 12 Die Israeliten fuhren fort, das Böse in den Augen des Herrn zu tun. Und der Herr machte Eglon, den König von Moab stark über Israel, weil sie das Böse in den Augen des Herrn getan hatten. 13 Und er sammelte die Ammoniter und Amalek zu sich, machte sich auf und schlug Israel und sie nahmen die Palmenstadt in Besitz. 14 Und die Israeliten dienten Eglon, dem König von Moab, 18 Jahre lang. 15 Und die Israeliten schrien zu dem Herrn und er setzte einen Retter für sie ein, Ehud, der Sohn des Gera, der Benjaminit, der ungeschickt an seiner rechten Hand war. Und die Israeliten schickten durch seine Hand einen Tribut zu Eglon, dem König von Moab. 16 Und Ehud machte sich einen Dolch und er hatte zwei Klingen, seine Länge betrug eine kurze Elle. Und er gürtete ihn unter seine Kleider an seine rechte Hüfte. 17 Und er brachte den Tribut zu Eglon, dem König von Moab. Eglon aber war ein sehr beleibter Mann. 18 Als er den Tribut vollständig überbracht hatte, entließ er die Leute, die den Tribut getragen hatten. 19 Und er selbst kehrte von den Steinbildern bei Gilgal zurück und sagte: „Ein vertrauliches Wort habe ich für dich, König!“ Und er antwortete: „Psst!“ Und alle, die bei ihm standen, gingen von ihm hinaus. 20 Und Ehud ging zu ihm hinein, als er gerade im kühlen Oberzimmer saß, das ihm allein vorbehalten war. Und Ehud sagte: „Ein Wort Gottes habe ich für dich!“ Und er stand von dem Thronsessel auf. 21 Und Ehud streckte seine linke Hand aus und nahm den Dolch von seiner rechten Hüfte und stieß ihn in seinen Bauch. 22 Und auch der Griff drang nach der Klinge ein und das Fett umschloss die Klinge, denn er hatte den Dolch nicht aus seinem Bauch gezogen. […..] 23 Und Ehud ging zum Aufenthaltszimmer und schloss die Türen des Oberzimmers hinter ihm ab, indem er sie verriegelte. 24 Und er ging hinaus und seine Diener kamen und sie stellten fest, dass die Türen des Oberzimmers verschlossen waren. Und sie sagten: „Gewiss salbt er seine Füße im kühlen Zimmer!“ 25 Und sie warteten bis zum
1. Übersetzung
169
Überdruss; doch siehe, er öffnete nicht die Türen des Oberzimmers. Und sie nahmen den Schlüssel und öffneten sie. Und siehe, ihr Herr lag tot auf der Erde. 26 Und Ehud rettete sich, solange sie zögerten. Und er kam an den Steinbildern vorbei und rettete sich nach Seir. 27 Als er angekommen war, stieß er in das Horn auf dem Gebirge Ephraim. Und die Israeliten zogen mit ihm vom Gebirge herunter und er ging vor ihnen her. 28 Und er sagte zu ihnen: „Folgt mir nach, denn Jahwe hat eure Feinde, Moab, in eure Hand gegeben!“ Und sie zogen hinter ihm hinunter und besetzten die Jordanfurten für Moab, so dass niemand hindurchgehen konnte. 29 Und sie schlugen Moab zu jener Zeit, etwa 10 000 Mann, alles stramme und alles kräftige Männer und keiner rettete sich. 30 Und Moab wurde an jenem Tag unter die Hand Israels gebeugt. Und das Land hatte 80 Jahre Ruhe.
170
§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30
2. Textkritische Anmerkungen V.12: LXXA+B unterscheiden sich nur durch die Präposition ἔναντι (A) bzw. ἐνώπιον (B). V.13: LXXA+B geben ויאסףmit καὶ προσήγαγεν πρὸς αὐτὸν (LXXA) bzw. συνήγαγεν ἑαυτόν (LXXB) wieder; in V.13bγ lesen LXX,V. Sg. ( ויירשׁκαὶ ἐκληρονόµησεν). V.15: Die Versionen unterscheiden sich von MT in der Wiedergabe von „ungeschickt an seiner rechten Hand.“ LXXA+B geben den Ausdruck mit ἄνδρα ἀµφοτεροδέξιον wieder und bescheinigen Ehud damit offenbar einen beidseitig geschickten Umgang mit der rechten und der linken Hand. Ähnlich V: qui utraque manu pro dextra utebatur. Auch V geht davon aus, dass Ehud an beiden Händen gleich geschickt war. Anders Tg und Peschitta: „verkrüppelt an der rechten Hand.“1 V.16: LXXA+B lassen das Suffix der 3.Sg.m. bei למדיוunübersetzt: ὑπὸ τὸν µανδύαν. V.17: LXXB leitet im Unterschied zu LXXA den Vers mit καὶ ἐπορεύθη ein. Dies ist wohl als „doublet stylistique du verbe suivant“2 καὶ προσήνεγκεν zu verstehen. – LXXA+B geben den Singular המנחה pluralisch mit τὰ δῶρα wieder. – LXXA+B übersetzen בריאmit ἀστεῖος „städtisch, fein“; nach P. Harlé soll hier ein Euphemismus vorliegen.3 Sie übersetzen V.17b mit „… et Églôm était un homme très plantureux.“4 V.18: LXXA+B ergänzen Aôd als Subjekt; העםfehlt in LXXA+B. V.19: Nach LXXA ist es „Eglon“, der von den Steinbildern zurückkehrt. – in V.19b weicht LXXA von MT ab; – in V.19bß liest LXXB καὶ ἐξαπέστειλεν und setzt damit Hif. von יצאvoraus; – TgJ gibt
1
JUGEL/NEEF, Ehud, 45f. La Bible d’Alexandrie. Les Juges, 96. 3 La Bible d’Alexandrie. Les Juges, 97. 4 La Bible d’Alexandrie. Les Juges, 96. 2
2. Textkritische Anmerkungen
171
פסיליםmit „ מחצביאSteinbrüche“ wieder; TgJ deutet die Pesillim als geographischen Begriff (vgl. auch V.26)5 V.20: LXXA liest anders als MT: βασιλεῡ. Damit gleicht sie offenbar V.20 an V.19 an. Sie liest zudem am Versende noch: ἐγγὺαὐτοῠ. V.21: LXXA bietet gegenüber MT am Versanfang einen erweiterten Text; sie knüpft damit an das Ende von V.20 an und gestaltet mit V.21 Anfang den Übergang zur Tötungsszene. LXXA setzt damit offenbar ein ויהי בקומוvoraus. Es bleibt allerdings fraglich, ob dies der ursprüngliche Text ist.6 Im Vergleich mit MT ist er als lectio facilior anzusehen. V.22: LXXA+B geben V.22aα mit καὶ ἐπεισήνεγκε καί γε τὴν λαβήν wieder und lesen ויבאHif. und machen das Subjekt zum Objekt. – V.22b ist und bleibt eine crux interpretum. LXXA gibt V.22b in der Übersetzung nicht wieder.7 V.23: LXXA+B geben המסדרונהunterschiedlich wieder:8 LXXA εἰς τὴν προστάδα; LXXB τοὺς διατεταγµένους. V.26: LXXA+B haben gegenüber MT einen erweiterten Text: „Und es gab niemanden, der auf ihn achtete.“ Im Vergleich zu MT ist dies eine Verdeutlichung, die kaum als der ursprüngliche Text angesehen werden kann. V.30: LXXA+B beschließen den Abschnitt anders als MT mit „und Aod richtete sie, bis er starb.“ Dies fehlt in MT. In Ri 4,1 MT wird jedoch die Todesnotiz zu Ehud über den Kapitelanfang nachgetragen.9
5
SMELIK, Targum, 372f. Vgl. dazu die Erwägungen von LINDARS, Judges, 145. 7 Zu dem schwierigen V.22b vgl. unten die Einzelauslegung. 8 Vgl. dazu unten die Einzelauslegung. 9 NEEF, Deboraerzählung, 122.125. 6
172
§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30
3. Philologische Anmerkungen V.12 besteht aus zwei Verbalsätzen, die beide mit Imperfekt consecutivum + Subjekt eingeleitet werden. Der mit „ על כיweil“ eingeleitete Begründungssatz muss mit Plusquamperfekt übersetzt werden. V.12bß darf keineswegs wegen seines wiederholenden Charakters als sekundär ausgeschieden werden.1 Das Tun des Bösen soll betont werden. In V.13 ist sprachlich folgendes auffallend: In V.13aα fehlt das Subjekt, das freilich nach V.12 nur „Eglon“ sein kann.2 Möglicherweise wurde es wegen dieser Eindeutigkeit weggelassen. – In V.13aß steht die nota accusativi nur vor dem ersten Akkusativobjekt „Ammoniter“. M.E. ist dies so zu erklären, dass die „Ammoniter“ und „Amalek“ als Einheit gesehen werden, wofür das Waw copulativum vor „Amalek“ spricht. – In V.13bγ ist der Gebrauch der 3. Plural m. Impf. cons. Qal von „ ירשׁin Besitz nehmen“ höchst auffallend, nachdem die vorausgehenden Verbformen alle im Singular stehen. Einige Ausleger führen die Pluralform auf eine „dtr Bearbeitung“3 zurück. So sieht U. Becker V.13abα als von DtrH formuliert. „Mit der Übertragung des zunächst nur Benjamin betreffenden Geschehens auf ganz Israel hätte DtrH auch die Seite der Feinde ‚verstärkt‘ und die Nachbarn Moab, Ammon und Amalek, miteinbezogen.“4 A. Scherer nimmt an, dass das Verb ursprünglich im Singular gestanden hätte und dann bei dem Hinzutreten Ammons und Amaleks in den Plural umgewandelt wurde.5 Kritisch bleibt zu diesen Versuchen zu fragen, ob die Pluralform allein als Ausgangspunkt literarkritischer Überlegungen dienen kann. Zudem ist zu fragen, warum die Verbform nicht in den Singular umgewandelt wurde. Die Verse 12-15 sind doch wohl durchweg Schöpfung des Deuteronomisten. Von daher könnte die Verwendung der Pluralform einfach auch als Stilmittel angesehen werden: „… und sie nahmen (gemeinsam) die Palmenstadt in Besitz.“ V.14 ist in seiner Satzstruktur klar aufgebaut: Prädikat – Subjekt – Objekt – adverbielle Bestimmung der Zeit. Es fällt hier und in V.13 folgendes auf: Wenn „Israel“ Subjekt ist, heißt es „die Israeliten“, 1
Vgl. dazu die Erwägung von BECKER, Richterzeit, 109. Dies wird auch von BECKER, Richterzeit, 109 gesehen. 3 RICHTER, Untersuchungen, 4. 4 BECKER, Richterzeit, 110. 5 SCHERER, Überlieferungen, 48. 2
3. Philologische Anmerkungen
173
wenn „Israel“ Objekt ist, heißt es „Israel“. Offenbar wird damit stärker als bei „Israel“ das Handeln der Einzelpersonen betont. V.15 wird mit zwei Verbalsätzen (V.15aα+ V.15aß) eingeleitet, die beide jeweils mit einer Narrativform + Subjekt („Israeliten“ bzw. „Jahwe“) beginnen. Der in V.15aß genannte „Retter“ wird durch drei Appositionen näher bestimmt: 1. Name; 2. Die genealogische Herkunft; 3. Die körperliche Besonderheit. In V.15b wird die Erzählung weitergeführt. Es wird zum dritten Mal „Eglon, der König von Moab“ (V.12bα.14) genannt. In V.16 wechselt das Subjekt der Handlung zum ersten Mal zu „Ehud“. In zwei Verbalsätzen wird Ehuds Handeln beschrieben: V.16a+b. – In V.16aß ist die Vokalisation des Nomens ֵפּיוֹתauffallend. Es ist von „ פהMund“ abzuleiten und bildet in V.16aß seinen Plural mit Waw: ֵפּיווֹת. In Prov 5.4 lautet der Plural ִפּיּוֹת. In Ps 146,9 begegnet es als „ ִפּיִפיּוֹתein zweischneidiges (Schwert)“; hier fällt die Reduplikation von פהals Ausdruck des Plurals auf. Das Hebräische kennt solche Plurale nur noch in Verbindung mit äußeren Endungen, die an die Form antraten, als die Doppelung als Zeichen des Plurals nicht mehr genügte.6 Es bleibt deshalb zu fragen, ob nicht פיותals Kurzform von פיפיותanzusehen ist. Aufgrund der Ableitung des Nomens von פהmasc. erklärt sich die Verwendung des mask. Zahlworts „ שׁניzwei“. In V.17 erscheint „Eglon“ zum vierten Mal mit der Apposition „König von Moab“ (V.12.14.15). In V.17b steht „Eglon“ betont am Satzanfang. In V.18 bleibt das Subjekt ungenannt. Aufgrund der Beziehung von V.18 zu V.15b.17a sowie V.19 kann jedoch nur „Ehud“ Subjekt beider Verben sein.7 V.19 wird mit einem invertierten Verbalsatz eingeleitet; durch das selbständige Personalpronomen der 3.Sg.m. wird das Subjekt betont; das Subjekt selbst kann eigentlich nur „Ehud“ sein, der in V.16-18 die handelnde Person ist. Ebenso wie V.19 wird V.20 mit einem invertierten Verbalsatz eingeleitet. Das Subjekt zum Partizip ישׁבist „Eglon“. V.21 setzt sich aus drei Verbalsätzen zusammen, die jeweils mit einem Imperfekt consecutivum eingeleitet werden. Die Wortfolge besteht aus Verb + Subjekt + Objekt + adverbieller Bestimmung.
6 7
BROCKELMANN, Grundriss, 439f. Vgl. dazu GROSS, Satzteilfolge, 15.
174
§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30
V.22a besteht aus zwei mit Imperfekt consecutivum eingeleiteten Verbalsätzen. In V.22aα wird das Subjekt durch die Partikel גם hervorgehoben. Der mit כיeingeleitete Kausalsatz setzt sich aus Verb + Subjekt Ehud + Akkusativobjekt + adverbieller Bestimmung zusammen. In V.23b ist bei בעדוder Bezug des Suffixes nicht klar. Man kann es übersetzen mit „hinter sich“, d.h. Ehud bzw. mit „hinter ihm“, d.h. Eglon. Eine Entscheidung fällt schwer. Im Kontext von V.23 geht es um das Verriegeln der Türen, damit der Leichnam Eglons nicht allzu schnell entdeckt wird. Von daher scheint mir die Übersetzung „hinter ihm“ sachgemäß zu sein.8 Ungewöhnlich ist in V.23 die Verwendung der 3.Sg.m.Perf. cons. „ ונעלverschließen“. Da hier eher ein Imperfekt consecutivum zu erwarten wäre, wird die Form gerne in וינעלabgeändert und der Wegfall von Jod vorausgesetzt.9 Andere ändern die Vokalisation in ְו ָנעֺלals Infinitiv absolutus. Solche Änderungen sind m.E. unnötig, denn die Verwendung des Perfekt consecutivum anstelle von Imperfekt consecutivum kann zum Ausdruck des Umstands gedeutet werden. Die Handlung der Verriegelung der Tür wird damit pointiert abgeschlossen.10 Die beiden invertierten Verbalsätze in V.24aα sind wohl so zu verstehen, dass sich die Wege Ehuds und der Diener kreuzen. Mit der Aufmerkpartikel והנהin V.24aγ wird das Überraschtwerden der Diener des Königs beschrieben, die offenbar nicht mit verriegelten Türen gerechnet hatten. Die durch die Abfolge Partikel – Partizip – Subjekt in V.24bß zum Ausdruck gebrachte Zeitstufe bezeichnet J. Joosten als „factual present.“11 Darunter versteht er „the expression of an action as present but not actually going on…“12 Dies sieht er in 3,24 gegeben, denn: “The utterance does not describe an ongoing action but a (supposed) fact.”13 In V.25 ist die zweimalige Verwendung von „ והנהund siehe“ im Anschluss an ein Imperfekt consecutivum auffallend. In beiden Fällen folgt jeweils ein Partizip. 8
Die Übersetzung „hinter ihm“ findet sich u.a. bei LINDARS, Judges, 148; anders SCHERER, Überlieferungen, 39. 9 Siehe BHS zur Stelle und SCHERER, Überlieferungen, 39 Anm. 84. 10 Vgl. dazu die Auslegung von V.23. 11 J. JOOSTEN, Participle, 128–159; Zitat S. 130.150. 12 J. JOOSTEN, Participle, 130. 13 J. JOOSTEN, Participle, 150.
3. Philologische Anmerkungen
175
In V.26abα sind die beiden invertierten Verbalsätze mit der zweifachen Wiedergabe des Subjekts „Ehud“ bzw. „er“ auffallend. Sie betonen „Ehud“ stark. In V.28 wird „Moab“ nicht als „euer Feind“ (Singular), sondern als „eure Feinde“ (Plural) eingeführt. – In V.28f ist das viermalige Vorkommen des Nomens „ אישׁMann“ auffallend.
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§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30
4. Einzelexegese V.12 wird mit der deuteronomistischen Rahmenformel eingeleitet, die das Tun des Bösen (Element Nr. 1) durch die Israeliten beschreibt.1 In V.12bα wird dann sofort die Übergabe an den Feind Eglon, den König von Moab, genannt (E 4). Die beiden Rahmenelemente „Fremdgötterverehrung“ (E 2) und „Zorn Jahwes“ (E 3) fehlen hier ebenso wie in den Erzählungen von Debora, Gideon und Simson. Im Unterschied zu den übrigen Richtererzählungen fällt in V.12bß die Wiederholung des Rahmenelementes Nr. 1 auf. Dies hat viele Ausleger zu der Annahme einer sekundärdeuteronomistischen Glosse geführt, „die das Ziel verfolgt, Schuld und Verantwortung Israels sowie die Legitimität des Gerichts zu unterstreichen.“2 Nach U. Becker sollte „noch einmal – sekundär – der Zusammenhang von Tun und Ergehen hervorgehoben werden.“3 Die Annahme einer Glosse birgt allerdings die Schwierigkeit in sich zu erklären, welcher Redaktor die Glosse eingefügt und vor allem aus welchem Grund er dies getan hat. Noch schwieriger ist dagegen die Annahme, V.12bß sei „a further relic of the original opening, which specified some transgression against Eglon which was the cause of reparations, but has been adapted to the historic framework.”4 M.E. kann man die Wiederholung in V.12bß durchaus auf den gleichen Verfasser wie V.12abα zurückführen. Er wollte damit zweifellos die Schwere der Schuld der Israeliten betonen. Die Wiederholung lässt sich m.E. am besten als Kompensation der fehlenden Elemente Nr. 2 und 3 erklären. V.13 zählt ebenso wie V.12 zum deuteronomistischen Rahmen der Ehuderzählung. Hier begegnet die Notiz über die Not Israels (E 6). Sie besteht in dem Bündnis, das Eglon von Moab mit Ammonitern und Amalekitern einging. Beide Volksgruppen werden in der Ehuderzählung nur hier genannt, sie spielen im Korpus der Erzählung keine Rolle mehr. Nach U. Becker erhebt sich hier „sofort der Verdacht einer späteren Ausweitung des Geschehens über die Grenzen Moabs hinaus.“5 Die Annahme einer späteren Ausweitung ist jedoch nicht
1
Siehe oben § 5. SCHERER, Überlieferung, 46. 3 BECKER, Richterzeit, 109. 4 LINDARS, Judges, 138. 5 BECKER, Richterzeit, 109. 2
4. Einzelexegese
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zwingend, denn das Rahmenelement Nr. 4 geht inhaltlich meist über die eigentliche Richtererzählung hinaus.6 Die Zuordnung von V.13bß als eines sekundären Elementes ist ebenfalls nicht zwingend. Die pluralische Verbform „sie nahmen in Besitz“ reicht wohl kaum zu dieser Annahme aus. Warum stehen die beiden Verbformen „Er machte sich auf und schlug“ im Singular? Hätte man sie nicht in die 3.Pl.m. umwandeln müssen? Die Identifikation der Palmenstadt mit Jericho (Tell es-Sulṭan) scheint im Kontext der Ehud-Erzählung am passendsten zu sein, denn „die übrigen topographischen Hinweise der Erzählung weisen ins Westjordanland. Außerdem vermeidet man auf diese Weise, daß Ehud viermal den Jordan überquert hätte.“7 V.14: Die Niederlage der Israeliten hat zur Folge, dass sie dem Moabiterkönig Eglon 18 Jahre lang dienen müssen (Element 5). Im Unterschied zu den Richtererzählungen über Gideon und Jephta begegnet bei Ehud dieses Element erst nach der Notschilderung (V.13). V.15 enthält die beiden Rahmenelemente “Das Schreien Israels” (E 7) sowie „Die Erweckung von Richtern“ (E 8). Ebenso wie Othniel (3,9) wird Ehud als „Retter“ tituliert. Ehud wird in der Erzählung an dieser Stelle zum ersten Mal genannt. Sein Name ist wohl mit dem Nomen „ הודPracht, Herrlichkeit“ in Verbindung zu bringen und möglicherweise aus אי+ הודentstanden oder als Kurzform von אביהוד bzw. אחיהודzu deuten. Manche Kommentatoren schließen von dem Namen der beiden Hauptakteure Ehud und Eglon auf die Erzählung insgesamt. „Thus Ehud, the warrior who reflects the divine splendour, is contrasted with the fatted calf fit only for slaughter.“8 In ähnlicher Weise deutet J.A. Soggin den Namen des Moabiterkönigs. „ ‚Kälblein‘ zu heißen und gleichzeitig fett und schwerfällig zu sein versetzt den Träger sofort in ein lächerliches Licht.“9 Man sollte bei diesen Interpretationen allerdings vorsichtig sein, denn die Bedeutung der Namen spielt im Duktus der Erzählung keinerlei Rolle. Zudem wird sie in eine Richtung gelenkt, die der Erzählung vielleicht nicht angemessen ist.10 In der biblischen Überlieferung ist der Name „Ehud“ fest mit dem Stamm Benjamin verbunden: 1Chr 7,10. Darauf weist auch die 6
Vgl. untern § 5. GASS, Ortsnamen, 223; so auch RÖSEL, Topographie I, 187; LINDARS, Judges, 139; SCHERER, Überlieferungen, 40f. 8 LINDARS, Judges, 140. 9 SOGGIN, Ehud, 96. 10 JUGEL/NEEF, Ehud, 45f.; NEEF, Eglon, 284–294; RÖSEL, Ehud, 232. 7
178
§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30
Apposition „der Sohn von Gera“. So erscheint „Gera“ als „Sohn Benjamins“ (Gen 46,21) sowie als Enkel Benjamins (1Chr 8,3). Nach der Nennung von Ehuds Familien- und Stammeszugehörigkeit wird als körperliche Besonderheit seine Linkshändigkeit angesprochen (V.15aδ). Diese ist für das Verständnis der Erzählung von grundlegender Bedeutung. Targum Jonathan, Peschitta und viele moderne Ausleger übersetzen die Beschreibung in V.15aδ mit „verkrüppelt an der rechten Hand“.11 Doch sollte man bei dieser Übersetzung vorsichtig sein, denn nach V.16 fertigte sich Ehud selbst einen zweischneidigen Dolch an und gürtete ihn um seine rechte Hüfte. Ehud wäre dazu wohl bei einer Verkrüppelung seiner rechten Hand kaum in der Lage gewesen.12 Linkshändigkeit kann mit einem großen manuellen Geschick verbunden sein (vgl. V.16). Ehuds Linkshändigkeit geht keineswegs mit der Verkrüppelung der rechten Hand einher. Von daher sollte man V.15aδ mit „ungeschickt, wenig(er) geschickt (an der rechten Hand)“ übersetzen.13 V.15b beschreibt den Auftrag, den die Israeliten Ehud übertragen. Er soll Eglon einen „Tribut“ übergeben. Das dafür verwendete Nomen מנחהkann auch mit „Geschenk“ übersetzt werden. Aufgrund der politischen Unterwerfung Israels unter Eglon spricht alles für eine Tributabgabe. Diese scheint einmalig zu sein, wofür die Verwendung des Imperfekt consecutivum spricht. V.15b sagt nichts über den Zeitpunkt der Übergabe aus. Man würde gerne eine adverbielle Bestimmung „eines Tages“, „nach einiger Zeit“ o.ä. erwarten. Es wird auch nichts darüber ausgesagt, worin der Tribut bestand. Aus V.18 kann nur geschlossen werden, dass es nicht wenig war, was Ehud überbrachte. Eglon jedenfalls scheint damit zufrieden gewesen zu sein. Diese offenen Fragen zeigen, wie die Erzählung streng und zielgerichtet auf den einen Punkt zusteuert: die Tötung Eglons durch Ehud. V.15 leitet in seiner jetzigen Form deutlich zu der eigentlichen Erzählung mit deren Kern der Tötung Eglons über. Allerdings ist er noch zum einleitenden deuteronomistischen Rahmen zu zählen. Dies ist nicht nur an den beiden Rahmenelementen Nr. 7+8, sondern auch an der gesamtisraelitischen Perspektive zu erkennen, die ab V.16ff ganz in den Hintergrund rückt und erst wieder in V.27 greifbar wird. So hat m.E. der Deuteronomist V.15 mit den ihm vorgegebenen
11
JUGEL/NEEF, Ehud, 45f.; RÖSEL, Ehud, 232. Siehe auch die Verwendung des Adjektivs אטרin Ri 20,16a. 13 JUGEL/NEEF, Ehud, 54. 12
4. Einzelexegese
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Informationen des Erzählkerns V.16ff. gestaltet: Ehud: V.16ff; Linkshänder: V.21; Tributabgabe: V.17.14 Mit V.16 wird die Kernerzählung eingeleitet. Die Notiz vom Anfertigen eines Dolches durch Ehud überrascht an dieser Stelle, denn nach V.15b soll sich Ehud ja bereits auf dem Weg zu Eglon befinden. Diese literarische Spannung zeigt wieder, dass mit V.15 die Rahmenbemerkungen enden und mit V.16ff die eigentliche Erzählung beginnt. Ehud fertigt sich einen Dolch an. Das dafür verwendete Nomen חרב wird im Alten Testament sowohl für „Dolch“ als auch „Schwert“ verwendet. In Ri 3,16 muss es wohl mit „Dolch“, d.h. Kurzschwert, übersetzt werden, denn das Verbergen eines Langschwertes unter dem Gewand Ehuds wäre kaum möglich gewesen.15 Als Länge dieses Dolches wird das Maß „Gomäd“ angegeben, das im Alten Testament nur an dieser Stelle begegnet. Geht man davon aus, dass „Gomäd“ kürzer als die „Elle“ ist und eine Elle ca. 45 cm umfasst, so könnte mit „Gomäd“ eine Länge von ca. 30 cm gemeint sein. Ein Dolch von dieser Länge konnte sicherlich unter den Kleidern versteckt werden.16 Ehud gürtet den Dolch unter seinen Gewändern. Das dazu verwendete Verb „ חגרgürten“ ist hier wie in Ri 18,11.16.17; 1Sam 17,39; 25,13 als militärischer Terminus zu verstehen. Eine ähnliche Szene wird in 2Sam 20,8 beschrieben, wo es von Joab heißt, er sei mit seinem Waffenrock bekleidet gewesen und darüber (!) habe er ein Schwert gegürtet, das mit seiner Scheide an seiner Hüfte festgemacht war.17 V.17 berichtet in V.a von der Übergabe an Eglon. Der Vers nimmt damit den in V.15b genannten Faden wieder auf. Im Unterschied zu V.15 wird jedoch die Tributübergabe nicht mit dem Verb שׁלחQal „senden“, sondern mit קרבHif. „nahebringen“ zum Ausdruck gebracht. Da dieses Verb oft in Verbindung mit der Darbringung kultischer Opfer erscheint,18 hat man in Ri 3,17f „eher an eine Art kultischer Darbringung gedacht,“19 die Ehud zugunsten Eglons 14
SCHERER, Überlieferungen, 48f. hat versucht, den ursprünglichen Erzählanfang zu rekonstruieren. Dies muss allerding trotz aller Mühen eine Hypothese bleiben. Dabei geht er davon aus, dass die vorgegebene Überlieferung zum Zeitpunkt ihrer Adaption bereits verschriftet gewesen sei; – siehe auch BECKER, Richterzeit, 111. 15 BRL2, 57–62 (mit Abbildungen). 16 Zur „Elle“ vgl. BRL2, 204–206; NBL II, 731f.; Ges18, 221 bestimmt „Gomäd“ als 2/3 Elle; LINDARS, Judges, 142. 17 Vgl. zu dieser Stelle STOEBE, KAT VIII/2, 433.435f. 18 Lev 2,1.4.11.14; Num 15,9; 28,26; Ez 43ff. 19 BECKER, Richterzeit, 112.
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§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30
vollziehe. Man hat von daher die Vermutung ausgesprochen, „daß Ehud nach der Darstellung der älteren Erzählung die Götterbilder im Palast des Eglon aufsucht, um vor ihnen und in Gegenwart des Königs eine … kultische Unterwerfungsgeste zu vollziehen.“20 Diese Deutung bleibt jedoch höchst unbestimmt, denn das Thema „Kult“ spielt in der Ehuderzählung keinerlei Rolle.21 Eglon wird in V.17b als ein „sehr beleibter Mann“ charakterisiert. V.17b knüpft damit an die Charakterisierung Ehuds als ein Mann, „der ungeschickt an seiner rechten Hand“ war, an (V.15aδ). Damit wird die Ausgangsposition für das Aufeinandertreffen beider Männer beschrieben. Eglons Charakterisierung als „sehr beleibter Mann“ wird in der Literatur fast durchweg in negativer Weise charakterisiert.22 So schreibt etwa L. Alonso-Schökel: „Eglon war furchtbar dick … diese Einführung des Königs … köstlich und maliziös zugleich. Der König ist ein fettes, rundes Rind. Hier wird nicht mehr gelächelt, sondern gelacht…“23 In ähnlicher Weise urteilt J.A. Soggin.24 M.E. wird hier das Adjektiv בריאin falscher Weise gedeutet, denn es ist im Alten Testament in keinerlei Weise negativ konnotiert. Es bedeutet vielmehr „gesund, wohlgenährt“ (Ps 73,4; Dan 1,15), „fett“ (Gen 41) bzw. „gemästet“ (1Kön 5,3; Ez 34,3). LXXA+B übersetzen es mit ἀσεῖος, was in Ex 2,2 zur Wiedergabe von „ טובkräftig, gesund“ dient. Die Charakterisierung Eglons als „beleibt“ soll ihn weder der Lächerlichkeit preisgeben noch seine Unbeweglichkeit noch seinen gutmütigen Charakter beschreiben. Sein beleibter Körper ist vielmehr die Voraussetzung für Ehuds Tat der Tötung Eglons. V.18: Nach Abschluss der Tributübergabe entlässt Ehud die Träger. Offenbar war der Tribut so umfangreich, dass er von vielen getragen werden musste. Das Subjekt in V.18 kann nur „Ehud“ sein, denn er ist der Verantwortliche dafür. Zudem knüpft V.18 deutlich an V.17 und V.15 an. Die Bezeichnungen „Volk“ und „Träger des Tributs“ beziehen sich auf die Begleiter Ehuds. Nicht zwingend ist dabei die
20 BECKER, Richterzeit, 113; siehe auch die Erwägungen von BRETTLER, Ehud, 285– 304. 21 Man kann von daher auch Ehuds Linkshändigkeit keinesfalls als Behinderung deuten, die Ehuds Untauglichkeit zum Opfern meine. Siehe NBL II, 731f. 22 Vgl. NEEF, Eglon, 284–294. 23 ALONSO-SCHÖKEL, Erzählkunst, 150. 24 SOGGIN, Judges, 50.
4. Einzelexegese
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Annahme einer sekundären Charakterisierung von V.18aß,25 da die Apposition außerhalb des kultischen Kontextes stehe. In V.19 wird die zweite Begegnung zwischen Ehud und Eglon beschrieben. Dabei ergibt sich vor allem hinsichtlich der geographischen Angaben eine Reihe von schwer zu lösenden Problemen.26 M.E. fügen sich die geographischen Angaben dann am besten in den Duktus der Erzählung ein, wenn sie im unteren Teil des Jordantales lokalisiert werden. Der Ort der Tributübergabe und der Palast des Moabiterkönigs wären dann am besten in der „Palmenstadt“ (V.13) zu suchen. Ist es richtig, die „Palmenstadt“ (V.13) mit Jericho (Tell esSulṭȃn 1921.1420) zu identifizieren, dann muss „Gilgal“ unmittelbar nördlich davon gesucht werden. Dann legt es sich nahe, die „Pesilim“ ebenfalls in unmittelbarer Nachbarschaft in der Jordansenke zu lokalisieren. Bei dieser Lokalisierung entfällt eine Reihe von Schwierigkeiten der Interpretation: 1. Lokalisiert man den Ort der Tributübergabe und damit den Palast Eglons im moabitischen Kernland oder nördlichen Moab, dann hätte Ehud mehrfach im Gang der Erzählung den Jordan überqueren müssen. Zudem hätte Ehud mit den Trägern der offenbar sehr umfangreichen Tributgabe einen nicht gerade kurzen Weg aus dem benjaminitischen Gebiet nach Moab zurücklegen müssen. Dies trifft auch bei der Identifizierung der Palmenstadt mit dem südlichen Tamar (῾Ēn Ḥoṣb 1732.0244) zu. Bei diesen Lokalisierungen müssten Gilgal und die Pesilim als „Heiligtumskomplex im moabitischen Palast oder in dessen Nähe gedeutet werden.“27 2. Bei der Lokalisierung des Geschehens in der unteren Jordansenke muss die adverbielle Näherbestimmung „bei Gilgal“ auch nicht als eine „sekundäre Lokalisierung“28 der Pesilim ausgeschieden werden. Nach U. Becker kann die spätere Hinzufügung der Angabe „bei Gilgal“ als eine Verknüpfung mit den „zwölf Steinen“ (Jos 4,8.20), die nach dem Jordandurchzug in Gilgal aufgestellt wurden, angesehen werden. Durch die Ergänzung sei sichergestellt worden, dass 25
So BECKER, Richterzeit, 111f. Vgl. ausführlich dazu GASS, Ortsnamen, 223–228; vgl. die Skizze bei RÖSEL, Studien, 189. 27 GASS, Ortsnamen, 225. 28 So BECKER, Richterzeit, 115. 26
182
§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30 es Jahwe-Steine und keine heidnischen Kultobjekte gewesen waren, „vor denen der israelitische Retter Ehud ein Opfer darbrachte.29 Durch die Identifikation der negativ konnotierten Pesilim mit den Jahwe-Steinen seien diese gleichsam neutralisiert worden. Hier bleibt kritisch zu fragen, ob solche weitreichenden religionsgeschichtlichen Überlegungen überhaupt aus der Nennung der Pesilim gezogen werden dürfen. Sind die Pesilim hier nicht einfach als markanter Ort notiert? Von daher bleibt kritisch zu fragen, ob die Pesilim als ein kultischer Ort angesehen werden dürfen, wo sich Ehud ein Kriegsorakel geben ließ.30
Nach der Rückkehr Ehuds zu Eglon strebt die Erzählung direkt dem Gespräch zwischen beiden zu. Ehud spricht davon, dass er ein „vertrauliches Wort“31 für Eglon habe (V.19aßγ). Daraufhin antwortet Eglon: „Psst!“ Es ist das einzige Worte, das er im Verlauf der Erzählung spricht. Das Wort richtet sich an Ehud. Es ist hier kaum als „Gebot sakralen Schweigens“32 zu verstehen. E. Täubler hatte die Interjektion33 einst so gedeutet, weil diese immer im Alten Testament eine sakrale Bezogenheit habe (Am 6,10; Hab 2,20 u.ö.). Da die Interjektion allerdings nur an sieben Stellen im Alten Testament vorkommt, muss man bei der sakralen Deutung vorsichtig sein. Dass hier nicht berichtet wird, wie Eglon seine Hofleute zum Hinausgehen aufgefordert hat, gehört zum Erzählstil von Ri 3. In V.20 steht ebenso wie in V.19 die Begegnung zwischen Ehud und Eglon im Vordergrund. Vergleicht man beide Verse miteinander, ergibt sich eine Reihe von Fragen: Warum heißt es in V.20aα „Und Ehud ging zu ihm hinein?“ Nach V.19 befinden sie sich doch offenbar bereits in ein- und demselbem Raum. Warum wiederholt Ehud das Anliegen gegenüber Eglon? Die Spannung zwischen V.19 und V.20 ist möglicherweise ein Indiz für die spätere Ausgestaltung (V.20) älterer Überlieferung (V.19).34 Doch man wird hier über Vermutungen nicht hinauskommen. Zweifellos ist mit dem עלית המקרהdas kühle Oberzimmer im Palast gemeint. B. Lindars beschreibt es als „ … a 29
BECKER, Richterzeit, 115. So SCHERER, Überlieferungen, 44f. 31 Die Wendung begegnet im Alten Testament nur hier. 32 So TÄUBLER, Studien, 37. 33 Zur Funktion der Interjektion als „desemantisierter Imperativ“ vgl. DIEHL, „Steh auf…“, 101–132; JENNI, Studien II, 241–246. 34 So auch SCHERER, Überlieferung, 52. 30
4. Einzelexegese
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room on the flat roof of the main building with lattice windows for fresh air.“35 Das Nomen העליהbezeichnet im gesamten Alten Testament das „Obergemach” eines Hauses.36 In seiner einfachsten Ausführung bestand es in einer Hütte aus Reisig, die durch eine Leiter über das Dach zugänglich war. Die aufwendigere Ausführung, die man in Ri 3 voraussetzen muss, bestand aus Lehmwänden (2Kön 4,10). Nach 1Kön 1,2 gab es in den Obergemächern zugleich Gitterfenster.37 Das Nomen המקרהist von der Wurzel I קררabzuleiten, womit wiederum das Nomen „ קרהKälte“38 in Verbindung steht. Das „kühle Obergemach“ ist in unserer Erzählung offenkundig als ein Privatzimmer zu verstehen, in das sich der König zurückziehen konnte. V.20aγ gibt Ehuds Rede an Eglon wieder: „Ein Wort Gottes habe ich für dich!“ Der Versteil ist gegenüber V.19aδ durch den Hinweis auf Gott gesteigert. Ehud gibt vor, Eglon ein Gottesorakel übermitteln zu wollen. Es fällt auf, dass als nomen rectum hier „Gott“ und nicht „JHWH“ erscheint. Dennoch muss bei Eglon vorausgesetzt werden, dass Ehud ihm eine Nachricht von dessen Gott, d.h. dem israelitischen Gott, zu überbringen hat. Eglon geht sofort auf Ehuds Rede ein, er steht von seinem Thronstuhl auf und geht Ehud entgegen. Der Moabiterkönig wird hier keineswegs in einem negativen Licht gesehen. Ehud ergreift nun die Gelegenheit, den Moabiterkönig zu töten, indem er den Dolch in dessen Bauch stößt (V.21). Der Vers nimmt in jedem seiner Abschnitte die vorausgegangenen Aussagen über Ehud auf: V.21aα bezieht sich zurück auf V.15aδ; V.21aßγ nimmt V.16aα + V.16bß auf: in V.16aα ist noch von „einem Dolch“ die Rede, in V.21abγ wird dann von „dem Dolch“ mit Artikel gesprochen; V.21b nimmt V.17b auf: in V.21b muss בטןals „Bauch (des Mannes)“ übersetzt werden.39 Das Hineinstoßen des Dolches in den Bauch Eglons wird hier wie in der Erzählung der Tötung Siseras durch Jael mit dem Verb תקעzum Ausdruck gebracht,40 das ansonsten für das Blasen des Schopharhornes verwendet wird.41 Die Beschreibung der Tötung Eglons wird in V.22 fortgeführt. Der Erzähler berichtet, dass auch der Griff des Dolches in den Bauch Eglons drang und das Fett die Klinge fest umschloss. Die 35
LINDARS, Judges, 144. 1Kön 17,19.23; 2Kön 4,10f; 23,12 u.ö.; Plural: Jer 22,14; vgl. auch Ps 104,3.13. 37 RÖSEL, „Haus“, 138–141. 38 Ps 147,17; Hi 24,7; 37,9; Nah 3,17; Prov 25,20 (textlich umstritten). 39 Siehe z.St. GESENIUS; HAL z.St. 40 Vgl. auch Ri 16,14. 41 Vgl. Ri 3,27; 6,34; 7,18-22. 36
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§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30
Formulierungen in V.22aα und V.22aß zeigen die strenge Bezogenheit beiden Verbalsätze aufeinander: 2x הלהב. V.22aγ wiederum nimmt Bezug auf V.21b, so dass eine Verbindungslinie von V.17b zu V.21b und zu V.22aγ entsteht. M.E. wird die Tötung des Moabiterkönigs in nüchterner und eben nicht „in geradezu genüsslicher“ 42 Weise beschrieben. Allerdings fällt auf, dass der Erzähler keine Antwort auf die Frage nach der realen Möglichkeit des Verschwindens des Dolches im Bauch des Königs gibt. Nach menschlichem und d.h. medizinischem Ermessen ist dies ohne das Fließen von Blut und einer offenen Wunde unmöglich! Dies weiß auch der Erzähler, weshalb das in V.22 beschriebenen Geschehen nur als Wunder angesehen werden kann. V.22b ist in der Auslegung höchst umstritten, wie die unterschiedlichen Übersetzungen zeigen: „… und der Inhalt des Darms austrat.“ (Neues Leben Die Bibel, 2005) „.. denn er hatte das Schwert nicht wieder aus seinem Leibe herausgezogen, so dass es ihm hinten hinausging.“ (Menge Bibel, 1927) „Then Ehud went out by one of the [courtyards]?“ (Soggin, Judges, 49) „… und der ‘ Stuhlgang ‘ trat aus.“ (Scherer, Überlieferungen, 38) → ohne Übersetzung: Luther Bibel, 1967; Züricher Bibel, 1966; Lindars, Judges, 127; Groß, Richter, 226) Wer ist das Subjekt des Verbs und was versteht man unter dem Hapaxlegommenon ? הפרשׁדנהNach LXXB ist unter הפרשׁדנהein Zimmer des Palastes zu verstehen. Sie gibt das Nomen mit προτάς „Vorzimmer“ wieder. In einer Linie der Auslegungstradition seit Th. Nöldeke43 wird V.22b immer wieder mit „Und der Kot trat aus“ übersetzt. In jüngster Zeit wurde diese Sicht von M.L. Barré erneuert.44 Er leitet das Nomen von dem akkadischen Verb pršd ab. Dieses Verb sei in der akkadischen Literatur gut bezeugt. Es sei ein Verb „of motion, basically expressing 42
So BECKER, Richterzeit, 116. NOELDEKE, Untersuchungen, 173–198. 44 BARRE, Meaning, 1–11. 43
4. Einzelexegese
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the idea of ‚going out‘ …in other words, ‚to escape, flee.‘”45 Er verweist dabei auf einen medizinischen Text und deutet das Verb mit “that which ‘escapes’ (from the body) – i.e. excrement.”46 Dies überträgt er nun auf Ri 3,22b und übersetzt den Versteil „… and (as a result) the/his excrement came out (of the wound).“47 Dies würde genau zu einer Erzählung wie Ri 3 passen. “Such a grotesque occurence would have been precisely the kind of detail that a story of this sort could have delighted in recounting and would be unlikely to omit.”48 Mit dieser Notiz werde der Moabiterkönig extrem gedemütigt.49 An diese Deutung hat in jüngster Zeit A. Scherer angeknüpft. Er korrigiert M.L. Barré allerdings dahingehend, „daß die Ausscheidung auf natürlichem Wege erfolgte. Prinzipiell paßt das Vorhandensein von Fäkalien allerdings sehr gut zu den sonst geschilderten Vorgängen.“50 Er übersetzt dann V.22b mit „ … und der ‚Stuhlgang‘ trat aus.“51 M.E. können diese Deutungen von V.22b nicht befriedigen. Die Textüberlieferung ist zu ungewiss, die Rückführung von הפרשׁדנה bleibt unsicher, die Endung â , die doch als He-locale interpretiert werden muss, kann nicht hinreichend erklärt werden und die Übersetzung „Stuhlgang trat aus“ nimmt der Erzählung geradezu die Spitze, die doch darin besteht, dass die Tötung Eglons mit dem Schwert und dessen Verschwinden im Bauch Eglons keinerlei (!) Spuren hinterließ. Deshalb sollte man V.22b als Dittographie zu V.23a ansehen und unübersetzt lassen. Nach V.23 verlässt Ehud unbemerkt das Oberzimmer, das er abschließt und versiegelt, er geht dann am Vorzimmer vorbei und gelangt so aus dem Palast. Ebenso wie in V.22 bietet V.23 eine Reihe von Fragen und schwer zu lösenden Problemen. Warum wird in V.23a „Ehud“ als Subjekt genannt, wo er es doch nur sein kann, der das Obergemach verlässt? Welches Zimmer meint המסדרונהgenau? Wie hat Ehud das Obergemach verriegelt? Hatte er einen Schlüssel o.ä. parat? Wie ist die schwierige Form ונעלin V.23b zu verstehen? Bezüglich des „Zimmers“ unterscheiden sich die Versionen deutlich. LXXA liest εἰς τὴν προστάδα „Vorzimmer“. LXXB bietet die Version 45
BARRE, Meaning, 4. BARRE, Meaning, 6. 47 BARRE, Meaning, 11. 48 BARRE, Meaning, 9. 49 BARRE, Meaning, 10. 50 SCHERER, Überlieferung, 43. 51 SCHERER, Überlieferung, 38. 46
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§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30
τοὺς διατεταγµένους, abgeleitet von διατάσσω „befehlen“; V gibt das Nomen mit posticum wieder. TgJ überträgt מסדרןmit לאכסדרא. B. Halpern versteht darunter „the loggia streching around the upper part of the throne hall.“52 M.E. scheint die Übersetzung mit “Vorzimmer (des Königs)” der Örtlichkeit im Palast noch am besten zu entsprechen. Der Vorgang des Verschließens der Tür wird immer wieder mit dem Verweis auf die sog. „Homerische Tür“ bzw. das „Ägyptische Schloss“ erklärt. Beiden Verschlusstechniken ist das Öffnen und Verschließen der Tür von innen und außen gemeinsam.53 Es ist gut denkbar, dass ein solches Prinzip auch im Hintergrund von V.23 steht. Zu dieser Sicht der Türverriegelung passt gut die Übersetzung von V.23b: „ … und schloss die Türen des Oberzimmers hinter ihm ab, indem er sie verriegelte.“54 Nach dem Weggang Ehuds kommen die Diener Eglons und stehen nun vor verschlossenen Türen (V.24). Das Suffix der 3.Sg.m. bei עבדיו kann sich nur auf die Diener Eglons beziehen, da Ehuds Begleiter zum einen nicht als „Knechte“ bezeichnet werden und zum anderen haben sie den Palast Eglons ja bereits verlassen (V.18). Da sie vor verschlossenen Türen stehen, mutmaßen sie, dass der König gerade dabei sei, „seine Füße zu salben.“ Was ist damit gemeint? In der Regel versteht man die Wendung im Sinne von „seine Notdurft verrichten.“55 Man verweist dabei auf 1Sam 24,4, wo von Saul berichtet wird, dass er seine Notdurft in einer Höhle verrichtet habe. Doch diese Deutung stößt auf zwei Schwierigkeiten: 1. Im Unterschied zu Ri 3,24 wird in 1Sam 24,4 das Verb סכךverwendet. In Ri 3,24 aber begegnet die Wurzel סוךQ/Hif., die im Alten Testament durchweg mit „salben“ zu übersetzen ist. Dabei findet sich gerne die Wendung „waschen und salben“ (Ruth 3,3; Ez 16,9; 2Sam 12,20 Hif.) sowie die Beschreibung „mit Öl salben“ (Dtn 28,40; Mi 6,15; 2Sam 14,2). 2. Die Übersetzung mit „seine Notdurft verrichten“ setzt das Vorhandensein einer Toilettenanlage im Obergeschoß des Hauses voraus. Dies widerspricht jedoch dem archäologischen Befund, nach dem Toilettenanlagen im bronze- und eisenzeitlichen Palästina ausschließlich im Erdgeschoß 52
HALPERN, Historians, 57. Eine Beschreibung dieser Vorrichtung findet sich bei SCHERER, Überlieferung, 44f. 54 Diese Übersetzung übernimmt den Vorschlag BLUMS, Verbalsystem, passim, das Perfekt consecutivum ונעלals Umstandssatz zu deuten; zu dem Verb „verriegeln“ vgl. 2Sam 13,17f; Ez 16,10; Cant 4,12. 55 Vgl. u.a. HÜBNER, Mord, 130–140; BECKER, Richterzeit, 116; SCHERER, Überlieferungen, 43f; SCHORCH, Euphemismen. 53
4. Einzelexegese
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installiert waren.56 Von daher bleibt zu fragen, ob die Wendung in V.24b nicht so zu verstehen ist, dass Eglon sich im Obergeschoß seines Hauses zur – intimen – Körperpflege und Erholung zurückgezogen hat. Diese Erklärung würde auch zur Lokalität „kühles Zimmer“ passen.57 Auf diese Weise würde auch die für einen Königspalast eher befremdliche Deutung, nach der man „in diesem Zusammenhang auch an eine Art Nachtgeschirr denken“ könne, „als das jeder größere Topf dienen konnte,“ überflüssig.58 In V.25aα befremdet die Wendung „Und sie erbebten bis aufs äußerste.“ Das Verb „ חילerbeben“ übertreibt m.E. das Gefühl der Diener Eglons. Von daher scheint mir die Vokalisation „ ַויִֺּחילוּund sie warteten“ der Situation weit angemessener.59 Während der Zeit, in der die Diener warten und dann endlich die Tür zum Königsgemach öffnen, hat Ehud genügend Zeit zur Flucht.60 Er passiert die „Steinbilder“, womit auf V.19 zurückgegriffen wird. Die in V.19 begegnende Zusatzbemerkung „bei Gilgal“ ist jetzt nicht mehr notwendig. Ehud flieht nach Seir (V.26bß). „Seir“ begegnet im Richterbuch nur hier! Dem Kontext nach liegt es auf dem Gebirge Ephraim. E. Gaß vermutet mit Recht, dass „Seir“ kein Ortsname, sondern eine Bezeichnung für eine bestimmte Region sei. Ehud sei in eine bewaldete Gebirgsregion Ephraims geflohen. Ob dagegen „Seir“ eine Gegend bezeichne, die von Dämonen bewohnt werde, muss m.E. mit Vorsicht gesehen werden, dies hat keinen Anhalt im Text.61 Von Seir aus organisiert er den Krieg gegen Eglon, der in folgenden Schritten verläuft: 1. Er stößt in die Posaune als Aufruf zum Krieg (V.27).62 2. Die Israeliten folgen ihm und ziehen hinter ihm her (V.27b).63 3. Ehud ruft zum Gefolge hinter sich auf, denn der Herr habe Moab in die Hand Israels gegeben (V.28).64 4. Die Israeliten nehmen die Verfolgung Moabs auf und besetzen dafür die Jordanfurten 56
HÜBNER, Mord, 135–140; KRAFELD-DAUGHERTY, Wohnen, 89.118f.121f.122f. Zur großen Bedeutung des Salbens im ganzen Orient vgl. KRAUSS, Archäologie, 233–237. – Man salbte mit einer Mischung aus Öl und Salz den ganzen Körper. Von hier aus könnte man spekulieren, dass Ehuds Tribut an Eglon u.a. aus Oliven und/bzw. Olivenöl bestand. 58 SCHERER, Überlieferungen, 44. – Zur Vorsicht gegenüber der Deutung „seine Notdurft verrichten“ rät auch LINDARS, Judges, 149f. 59 Siehe auch BHS z.St.; LINDARS, Judges 1-5, 150f. 60 Das Hitpalpel von מההּbegegnet noch in Ri 19,8. 61 GASS, Ortsnamen, 220-223; RÖSEL, Studien, 190. 62 Vgl. noch Ri 6,34; 7,18-20.22. 63 Vgl. noch Ri 1,9; 4,14; 5,11.14; 7,9f.24. 64 Vgl. Ri 1,6; 4,16; 7,23; 8,5,12. 57
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§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30
(V.28).65 5. Israel schlägt ca. 10 000 Mann Moabs (V.29).66 6. Fazit: Moab wird Israel untertan und das Land hatte 80 Jahre Ruhe (V.30).
65 66
Vgl. 1,8.12f.18; 7,24f; 8,12.14; 9,45.50. Vgl. Ri 1,5.10.17.25; 12,4; 18,27; 20,45.
5. Die literarische Gestalt und der theologische Gehalt
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5. Die literarische Gestalt und der theologische Gehalt Es ist deutlich, dass in V.12-30 zwischen einem Kern sowie späteren Hinzufügungen unterschieden werden kann. Zum Kern gehören V.15aß.16-26, die späteren Hinzufügungen finden sich in V.1215aαb.27-30. Die letzteren sind vor allem durch ihre deuteronomische Sprache, ihre gesamtisraelitische Sicht sowie ihre Einbettung in das Schema des Richterbuchrahmens erkennbar.1 Ob man wie U. Becker noch eine dritte Wachstumsphase, die die Ereignisse im Westjordanland lokalisiert habe, annehmen soll, bleibt ungewiss.2 Becker rechnet V.13bß.19 „Gilgal“.28 diesem zeitlich nach DtrH anzusetzenden Redaktor zu. Die Ortsangaben seien deshalb am wenigsten zuverlässig, wenn es um die Rekonstruktion der Historie gehe.3 M.E. sollten auch V.27-29 zum deuteronomistischen Rahmen gezählt werden, sie zeigen sprachlich viele Übereinstimmungen mit DtrG sowie eine gesamtisraelitische Sicht.4 Die Aufteilung von V.12-30 in Rahmen und Kern rechtfertigt durchaus von einer Ringstruktur zu sprechen: A V.12-15aαb B V.15aß.16-26 A‘V.27-305 A und A‘ werden bestimmt durch die Hinweise auf Jahwe und Israel. „In A unterdrückt Moab Israel, und in A‘ besiegt Israel Moab…“6 „Die Ausgangssituation … wird transformiert in die Zielsituation…“7 Diese von U. Bauer herausgearbeitete Struktur von V.12-30 ist freilich schon im Kern V.15aß.16-26 angelegt. Bezüglich des theologischen Gehaltes der Erzählung findet sich in der Literatur weitgehend eine negative Sicht, die vor allem mit der Einschätzung Eglons zusammenhängt. So sprach bereits E. Täubler von Eglon als dem fetten, körperlich und geistig schwerfälligen
1
Siehe dazu oben § 5. BECKER, Richterzeit, 120f. 3 BECKER, Richterzeit, 122. 4 SCHERER, Überlieferungen, 46ff rechnet nur V.12-15.30 zum deuteronomistischen Rahmen; außerhalb dieser Verse „ergeben sich … keine stichhaltigen Indizien für Spuren dtr. Tätigkeit…“ (50). 5 Siehe dazu die guten Beobachtungen von BAUER, Struktur, 171–181; Bauer unterteilt jedoch anders: A 12–17 B 18–26 C 27–30. 6 BAUER, Struktur, 175. 7 BAUER, Struktur, 175. 2
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§ 7 Ehud und Eglon: 3,12-30
„Kälbermann“, der dem leichtfüßigen Ehud gegenübergestellt werde.8 In die gleiche Richtung gehen die Aussagen von L. Alonso-Schökel. „… diese Einführung des Königs … köstlich und maliziös zugleich. Der König ist ein fettes, rundes Rind. Hier wird nicht mehr gelächelt, sondern gelacht…“9 Auch J.A. Soggin liegt auf dieser Linie der Deutung. „‘Kälblein‘ zu heißen und gleichzeitig fett und schwerfällig zu sein versetzt den Träger sofort in ein lächerliches Licht.“10 Nach U. Hübner liegt der theologische Gehalt der Erzählung in ihrer therapeutischen Funktion. Ehud werde als Vorbild israelitischen Selbstbehauptungswillens und Werkzeug göttlicher Führung geschildert. Die unterhaltsame Schilderung des heimtückischen Mordes löse bei Hörern und Lesern Lachen aus. Lachen sei bekanntlich nicht nur gesund, sondern auch hochgradig ansteckend. Lachen und theologische Nachdenklichkeit sollten sich nicht ausschließen, dies zeige die Ehud-Geschichte deutlich. Solches Lachen sei eine Frucht des Glaubens und insofern erbaulich.11 Die oben dargelegte Exegese von V.12-30 verzichtet bewusst auf diese Deutung der Gestalt Eglons. Sein Name „Eglon“ sollte nicht im Sinne eines „Kälbermannes“ gesehen werden. Sie ist in der Erzählung selbst so nicht angelegt. Zudem bleibt zu fragen, ob hier nicht eine moderne Sicht der Dinge auf Eglon übertragen wird. Weder der Name „Eglon“ noch seine Fettleibigkeit (V.17) sind in der Erzählung negativ konnotiert. Dies gilt auch für die Bemerkungen in V.22 und V.24. Wird mit dieser negativen Sicht Eglons nicht auch die Tat Ehuds diskreditiert? Ist es nicht leicht für Ehud, einen körperlich und geistig schwerfälligen „Kälbermann“ zu töten? Aus der Sicht der Erzählung ist Eglon jedoch ein Ehud überlegener Gegner. Ehud ist zu einer List gezwungen, um Eglon zu töten. Seine Linkshändigkeit ist Nachteil und Vorteil zugleich. Eglon hat als König von Moab einen großen Kreis von Bediensteten, Bewachern und Soldaten um sich. Aufgrund dieser Sicht der Erzählung bleibt zu fragen, ob sie der Gattung nach wirklich als „humerous political satire“12 oder „Groteske“13 bestimmt werden kann. Die Erzählung von Ehud und Eglon ist in ihrem Kern wie alle Richtererzählungen eine Heldensage bzw. Retter-Erzählung, die ihren 8
TÄUBLER, Studien, 35. ALONSO-SCHÖKEL, Erzählkunst, 150. 10 SOGGIN, Ehud, 96. 11 HÜBNER, Mord, 134f. 12 BRETTLER, Ehud-Story, 297. 13 SCHERER, Überlieferungen, 53. 9
5. Die literarische Gestalt und der theologische Gehalt
191
Ort mit großer Wahrscheinlichkeit im Stamm Benjamin hat. Sie erzählt von der geglückten Tötung des übermächtigen Moabiterkönigs Eglon durch den scheinbar ohnmächtigen und chancenlosen Ehud. Hierin liegt der Kern der Aussage. Die Erzählung lässt in ihrer ursprünglichen Form „Jahwe“ ungenannt, aber durch den Hinweis auf die wundersame, keinerlei Spuren hinterlassende (V.22) Tötung des Feindes liegt m.E. ein versteckter Hinweis auf Jahwes Wirken zugunsten Ehuds.
§ 8 Geschichte, Schuld und Rettung Ergebnisse zur Exegese von Ri 1,1-3,30
1. Gliederung und Forschung Die Gliederung des Richterbuches ist klar und überschaubar. Es wird in 1,1-3,6 mit einem theologischen Prolog eingeleitet, der inhaltlich durch drei Konstituenten gekennzeichnet ist: Geschichte – Ri 1 beschreibt die Auseinandersetzungen Judas und Israels nach dem Tod Josuas mit den Kanaanäern bei der Einwanderung in das verheißene Land. Schuld und Rettung: Ri 2f benennen konkret die Schuld Israels nach der Landnahme, die im Wesentlichen in dem Abfall von Jahwe und der Zuwendung gegenüber den Göttern des Landes besteht. Die Strafe besteht darin, dass der Herr fremde Völker über sein Volk kommen lässt; zugleich beruft er nach einer bestimmten Zeit Richter, die das Volk aus der Umklammerung des Besatzervolkes retten. – Dem Prolog folgt dann der Kern des Richterbuches in 3,7-16,31 mit seinen Erzählungen von den Richtern: Othniel (3,7-11); Ehud (3,12-30); Schamgar (3,31); Debora und Barak (4,1-5,31); Gideon (6,1-8,35); Abimelech-Episode (9,1-57); die Kleinen Richter (10,1-5; 12,8-15); Jephta (10,17-12,7); Simson (13,1-16,31). – Darauf folgen die Erzählungen vom Gottesbild Michas in 17f sowie der Schandtat von Gibea in Benjamin (19-21). Die moderne Erforschung des Richterbuches setzt in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein. Sie ist u.a. eng mit dem Namen von Wolfgang Richter verbunden. Bis in die sechziger Jahre hinein war die Forschung vor allem durch Einzeluntersuchungen geprägt, bei denen historische und religionsgeschichtliche Fragestellungen im Vordergrund standen. Wolfgang Richters traditions- und formgeschichtliche Untersuchungen prägten den weiteren Verlauf der Forschung bis in die unmittelbare Gegenwart. In den neueren Kommentaren zeigen sich deutliche Unterschiede in den Fragen nach dem historischen Gehalt der im Buch beschriebenen Erzählungen, nach der Entstehung sowie der Theologie des Buches.
1. Gliederung und Forschung
193
Historischer Gehalt: Die Kommentare von Görg und Knauf sind bezüglich des historischen Gehalts des Buches darin einig, dass man aus dem Richterbuch keine „Geschichte der Richterzeit“ konstruieren könne. Es zeige kein getreues Bild historischer Prozesse. – Im Unterschied dazu wollen eine Reihe von Kommentatoren durchaus historische Spuren im Buch entdecken. So bildet für D. Block die historische Realität die Grundlage des Buches. In ähnlicher Weise sieht es J. McCann in seinem Kommentar. Differenzierter und etwas vorsichtiger sprechen S. Niditch von mündlichen Erzählungen bzw. W. Groß von unverbundenen Fragmenten profaner Geschichten als denkbare historische Grundlage. Unsere eigenen Beobachtungen gehen in letztere Richtung. Es liegt nahe, in den Kapiteln 1-3 die Erinnerung und Verarbeitung einer Epoche der Geschichte Israels zu sehen, in der es um die Sesshaftwerdung der israelitischen Stämme in Palästina ging. Dass es dabei zu Auseinandersetzungen mit der kanaanäischen Bevölkerung gekommen war, liegt sehr im Bereich des Wahrscheinlichen. Dies muss als Hintergrund des im Richterbuch Erzählten gesehen werden. Die Darstellung des Geschehenen zielt freilich nicht auf die „historische Realität“, sondern auf die Verbindung der Trias „Geschichte, Schuld und Rettung.“1 Das Richterbuch gehört zu den sog. Geschichtsbüchern. Die in diesem Buch erzählte „Geschichte“ wird deshalb erzählt, weil Israel in ihrem Verlauf Gott begegnet ist, in dem es den Herrn und Schöpfer der Welt und der Menschheit erkennt. Israels Geschichte wird überliefert, weil in ihr Gott erfahren wurde. Gott und Geschichte, Gott und Richterzeit gehören zusammen, weil er sich in den Richtern als Retter erwiesen hat. Entstehung: Bei der Frage nach der Entstehung des Richterbuches lassen sich zwei Grundpositionen unterscheiden: die eine rechnet mit einer Entstehung im Umfeld des deuteronomistischen Geschichtswerks, die andere lehnt diese Konstruktion ab.
1 Vgl. dazu die wichtigen Überlegungen von BLUM, Notwendigkeit, 18, der hier zwischen fiktiv und fiktional unterscheidet: „Als fiktiv hat ein Text zu gelten, wenn wesentliche der in ihm bezeichneten Sachverhalte in der Referenzwelt nicht existieren. Fiktional ist ein Text, der – unabhängig davon, ob oder wie viele seiner Aussagen fiktiv sind – gar nicht den Anspruch erhebt, ein reales Weltgeschehen abzubilden, oder der in diesem Sinne rezipiert wird. Ein solcher Text konstituiert eine eigene „poetische“ Welt. (Ungeachtet dessen können natürlich zugleich hochkomplexe und – bedeutsame Bezüge zur Lebenswelt von Autor und Adressaten bestehen.)“ – In diesem Sinne lassen sich m.E. die Mehrzahl der Richterbuchtexte als fiktional verstehen.
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§ 8 Geschichte, Schuld und Rettung
Die erste Position findet sich bei der Mehrzahl der Kommentatoren: So geht Görg von einem vordtr Bestand und nachdtr Erweiterungen aus; Block will in dem Autor des Richterbuches eine prophetische Gestalt aus dem Umfeld des Deuteronomiums erkennen; McCann ordnet die Entstehung des Richterbuches dem Deuteronomisten zu; Susan Niditch unterscheidet zwischen alten Erzählungen, Bearbeitungen durch Männer aus dem Umkreis der Propheten Elia und Elisa sowie weiteren jüngeren Stimmen; sie erkennt zudem den deuteronomistischen Stil des Richterbuches; W. Groß differenziert sehr genau und sieht mehrere Entstehungsstufen: unverbundene Fragmente; vordtr Bearbeitung der Heldenerzählungen; zwei deuteronomistische Editionen des Buches: DtrR und DtrS. Die zweite Position findet sich vor allem in dem Kommentar von E.A. Knauf, der die These eines deuteronomistischen Geschichtswerkes ablehnt und anstelle dessen vier Redaktionen unterscheidet: Josua-Richter Redaktion; Josua-Richter-Samuel-Könige Redaktion; Propheten-Redaktion; Tora-Propheten Redaktion. Die hier vertretene Position arbeitet mit der These eines deuteronomistischen Geschichtswerkes. Dieses Geschichtswerk lässt sich recht deutlich aufgrund gemeinsamer sprachlicher Merkmale erheben. Dabei unterbleibt eine Differenzierung in mehrere Deuteronomisten, da dies zu sehr in den Bereich der Vermutungen führt. In den neueren Einzeluntersuchungen zeigen sich deutlich methodisch unterschiedliche Zugänge zum Richterbuch. Die Mehrzahl der Ausleger deutet das Buch auf dem Hintergrund einer diachronen Analyse, wobei die Existenz eines deuteronomistischen Geschichtswerkes vorausgesetzt wird (u.a. Becker, Kratz, Scherer, Lanoir). Im Unterschied dazu gibt es Ausleger, die das Richterbuch unter Absehung der These eines deuteronomistischen Geschichtswerkes deuten (u.a. Guillaume). Synchrone Untersuchungen sind bemüht, formale und theologische Grundlinien des Buches herauszuarbeiten (u.a. Webb; O’Connell). Ebenso wird das Buch aus feministischtheologischer Sicht als Buch über und von Frauen gedeutet (u.a. Ackerman, Exum, Jost). Zur besseren Deutung des Buches tragen auch die Untersuchungen zu Sachfragen, wie die Ortslagen und die Nennung der nichtisraelitischen Völker, bei (Gaß). Neuere Beiträge lassen sich unter den Stichworten „Biblische Auslegung“ (Ederer) und literaturwissenschaftlicher Zugang (Gillmayr-Bucher) beobachten.
2. Philologie
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2. Philologie Folgende sprachliche Besonderheiten fallen in Ri 1 auf: Frage und Antwort: 1,1 wird mit einer Frage eröffnet, die in 1,2 umgehend beantwortet wird. Bei V.1b handelt es sich um eine Umschreibung des Genetivs mit der Präposition ל, die als „periphrastic genetive“ bezeichnet wird. Die Frage in V.1b hat eine Parallele in Ri 20,18. – In V.14b liegt ein Fragesatz ohne finites Verb vor; das Fragewort „ מהwas?“ wird mit einem „lamed of interest“ verbunden. – Eine mit He interrogativum eingeleitete indirekte Frage liegt in 2,22; 3,4 vor. – „periphrastic genetive“: → siehe „Frage und Antwort“. Adverb: Die adverbielle Bestimmung der Zeit בתחלהin 1,1b ist hier mit „zuerst“ zu übersetzen; 3,14: „18 Jahre“. Zeitstufen: Perfekt declarativum: הנה+ Perfekt von נתןin 1. Sg. com.. 1,2; Perfekt 1. Sg. com + Partikel גםin 2,3aα. – Imperativ und inklusivpluralischer Kohortativ: 1,3. – Imperfekt consecutivum: In 1,1-3,31 findet sich 155x diese Zeitstufe. – Imperfekt und folgendes Imperfekt consecutivum: 2,1; Perfekt consecutivum: 3,23. Vergleichssatz : 1,7 כאשׁר+ Verb und כ+ Verb + Subjekt Begründungssatz: כי+ Verb + Objekt: 3,12; vgl. noch 3,22. Personenwechsel: 3,13 Infinitiv constructus: 1,19 – Der Infinitiv constructus fungiert hier als Stellvertreter für ein finites Verb; 2,14 Inf.cs. verbunden mit Modalverb. Modalverb: 2,21; 3,12 יסףHif. „wiederum“ „actual present“: 3,24 Übergabeformel: Sie besteht aus dem Verb „ נתןgeben“ + Subjekt Jahwe und begegnet in Ri 1,2.4 sowie an vielen Stellen im Richterbuch. – Siegesnotiz: Sie besteht aus dem Verb נכהHif. „schlagen“ sowie einem Akkusativobjekt: 1,4.5. – Zahlenangabe: „10 000 Mann“ 1,4. –
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Kriegsvokabular: „Schärfe des Schwertes“ 1,8; „im Feuer verbrennen“ 1,8. – Notnotiz: Die Notiz „Und sie gerieten in Bedrängnis“ in 2,15b wird wie in der Mehrzahl der Fälle mit der 3.Sg.m. konstruiert. – Geistbegabung: 3,10. Vernetzungen: Innerhalb von Ri 1 finden sich zahlreiche Textbezüge untereinander: 1,1: Mit der Nennung der Kanaanäer wird das Hauptthema von Ri 1 gleich zu Beginn angesprochen: 1,3.4.5.9.10.17.27-30.32f. – 1,3: „Simeon“ spielt in V.3 und V.17 eine wichtige Rolle. – 1,4: Der Vers ist sprachlich und inhaltlich eng mit V.1f verbunden: „hinaufgehen“ → V.1b.2a.4a; „Juda“ → V.2a.4a; Übergabeformel →V.2b.4ab. – 1,8: inhaltliche Bezüge zu V.4.7.21. – 1,19: inhaltliche Bezüge zu V.1f.9. – 1,20: inhaltlicher Bezug zu V.10 – 1,21: inhaltlicher Bezug zu V.8 – 1,22: inhaltlicher Bezug zu V.1-4, vor allem V.2b.4a. – 1,27: inhaltlicher Bezug zu V.19.21 – Ri 1 zeigt viele Bezüge zu Genesis und Josuabuch. – 2,1 weist mit עלה „heraufführen“ zurück auf 1,1-4.22. – 2,1 Gilgal → Jos 4 u.ö. Gilgal als Sinnbild für die erfolgreiche Landnahme. – 2,1 Herausführung aus Ägypten: Exodustradition; siehe auch Ri 6,8.13. – 2,1 Landnahme und Väterverheißung: → Dtn 31,20f. – 2,1f. Bund: Dtn 4 u.ö; Ex 23,32; 34,12.15; Dtn 7,2. – 2,2 Niederreißen der Altäre: Ri 6,30-32; 2Kön 23; Ex 34,13 – 2,3 Kanaanäer als Fallstrick: Ex 23,29f.33; 34,12; Jos 23,13; Ri 8,27 Formen und Gattungen: Anekdote: 1,5-7.22-26; – Ortsliste: 1,27-36; – Ätiologie des Namens: 2,1.4f „Bochim“; – Mahnungen: 2,2; – „summary remark“: 1,35b – Chiasmus: 1,25: Verb – Objekt (V.25aß) und Objekt – Verb (V.25b); – Apposition: 3,15.17 Fazit: In philologischer Sicht bietet Ri 1,1-3,31 wenig Probleme. Es sind einige Verse, deren Übersetzung schwierig ist: 2,1b. In dem Textkomplex kommt ca. 155x das Imperfekt consecutivum vor, worauf der narrative Stil dieser drei Kapitel beruht. Dieser wird durch Fragen (1,1.14; 3,4) sowie wörtliche Rede unterbrochen (1,2b). Als Besonderheiten sind zu nennen: Perfekt declarativum (1,2b), „summary remark“ (1,35); – „actual present“ (3,24); – 3,1-3,30 zeigt viele Vernetzungen vor allem mit Genesis, Exodus, Deuteronomium und Josua. – Auffallend sind die beiden Anekdoten in 1, 5-7.22-27.
3. Redaktion
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3. Redaktion Der Kompilator und Verfasser von Ri 1 ist mit dem Deuteronomisten identisch. Der Deuteronomist ist aufgrund der Sprache in 1,14.8.9.18.19.20 greifbar; das Kapitel ist das Produkt deuteronomistischer Arbeit, wobei der Deuteronomist unterschiedliche Informationen, Daten, Erzählungen und Besonderheiten der Orte und Stämme aufgenommen und verarbeitet hat. Ri 2,1-5 zeigt stilistisch und inhaltlich eine große Nähe zu Ex 23,2033; Dtn 7; da in diesen Texten keine spezifisch deuteronomistische Sprache erkennbar ist, können diese beiden Texte zusammen mit Ri 2,1-5 als protodeuteronomistisch angesehen werden. Ri 2,6-10 zeigt eine große Nähe zu Texten aus dem Deuteronomium (V.7f.) und dem deuteronomistischen Geschichtswerk (V.6f). Von daher liegt die Zuordnung zum Deuteronomisten nahe. Die Untersuchung der Rahmenelemente in Ri 2,11-3,6 zeigt, dass diese von einem deuteronomistischen Verfasser stammen. Dieser hat mit Hilfe deuteronomistischer Theologumena, Notizen aus den Richtererzählungen und dem Schema der Kleinen Richter sowie eigenen Formulierungen den Rahmen geschaffen. Die erste Richtererzählung in 3,7-11 ist einheitlich und eine deuteronomistische Bildung. In der Ehud-Erzählung in 3,12-30 ist zwischen einem Kern sowie späteren Hinzufügungen zu unterscheiden. Zum Kern gehören V.15aß.16-26. Die späteren Hinzufügungen finden sich in V.1215aαb.27-30, die als das Werk des Deuteronomisten angesehen werden können. These: In seiner jetzigen Form ist 1,1-3,30 das Werk des Deuteronomisten.
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4. Überlieferung und Tradition Der Deuteronomist hat bei der Gestaltung der Eingangskapitel des Richterbuches eine große Zahl von Überlieferungen und Traditionen übernommen und diese bearbeitet: Adoni-Bezek Anekdote (1, 5-7); Bethel-Anekdote (1, 22-26); Josua-Überlieferung (1,1; 2,6.8); Pentateuch-Überlieferung: deuteronomisches Gedankengut; Exodus aus Ägypten (2,1); Landnahme (2,1.6); Engelthematik (2,2); Fremdvölkerthematik (2,2.11ff); Ortsliste(n) (1,21.27-35); kleine Richterliste. Der Reichtum der übernommenen Überlieferungen, Listen und Traditionen ist überwältigend. Der Deuteronomist konnte auf einen reichen Schatz von Traditionen zurückgreifen und diese ergänzen und in seinem Sinn formen.
5. Komposition
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5. Komposition Die Frage nach der Komposition von 1,1-3,30 hängt sehr eng mit derjenigen der Redaktion zusammen. Der Blick auf die Forschung zeigt, dass diese weit von einem Konsens entfernt ist. M.E. lassen sich auf diesem Hintergrund dennoch folgende grundlegende Aussagen machen: Ri 1,1-3,30 steht in Verbindung mit dem Josuabuch, wie die Doppelung von Jos 24,28-31 und Ri 2,6-10 zeigt. Treibende Kraft für die jetzige Komposition war die Frage nach dem Verhältnis von Josuazeit und Richterzeit. Während die Josuazeit als die Zeit der idealen Gottesgemeinschaft gesehen wird, steht die Richterzeit dieser als die Zeit der Gottvergessenheit diametral gegenüber. Historisch geht es dabei um das Problem des Miteinanders mit den nichtisraelitischen Einwohnern Palästinas. Ri 1 kommt bezüglich der Komposition der Abschnitte eine Scharnierfunktion zwischen dem Josua- und Richterbuch zu. Das Kapitel verbindet diese beiden Epochen. Ri 2,1-5 lässt sich als die theologische Interpretation von Kapitel 1 verstehen. Beide Abschnitte setzen den Abschluss des Josuabuches voraus. Ri 2,6-10.11-3,6 thematisieren anhand eines klaren Schemas das Mit- bzw. Gegeneinander Israels mit den Kanaanäern. Die erste Richtergeschichte in 3,7-11 ist eine deuteronomistische Bildung, sie expliziert das Rahmenschema am Beispiel Othniels. Die Ehud-Erzählung 3,12-20 ist dann die erste klassische Richtererzählung, bei der deutlich zwischen einem Rahmen und einem Kern unterschieden werden kann.
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6. Theologie: Geschichte, Schuld und Rettung In theologischer Sicht ist Ri 1,1-3,30 durch drei grundlegende Aussagen gekennzeichnet: Geschichte: Der Bereich der Geschichte – im weitesten Sinn – wird in 1,1-3,30 durch folgende Hinweise konstituiert: Josua (1,1); Israel (1,1); Kanaan (1,1); Juda (1,2); Simeon (1,3; Bezek (1,4) ; Jerusalem (1,8); Gebirge, Negeb, Schephela (1,9); Ortsnamen Palästinas (1,10ff); Haus Joseph (1,22); Stämme (1,27ff); Exodus aus Ägypen (2,1); Berg Gaasch (2,9); nichtisraelitische Götter (2,11ff); Moab (3,12); Othniel (3,9); Ehud und Eglon (3,12ff). – Die in 1,1-3,30 genannten Namen, die geographischen, topographischen und religionsgeschichtlichen Begriffe sagen natürlich über den tatsächlichen Verlauf der Geschichte sehr wenig aus, aber sie zeigen zumindest an, welchen Raum und welche Zeit der Verfasser bzw. Redaktor dieses Abschnittes vor sich hat. Schuld: Die Schuld Israels wird darin gesehen, dass es nicht auf Jahwes Stimme gehört hat (2,2). Es hat die Mahnung missachtet, keine Bündnisse mit den Bewohnern des Landes zu schließen und die Aufforderung, die Altäre der Völker nieder zu reißen, nicht befolgt. Traditionsgeschichtlich steht dies in enger Parallele zu Ex 23,32; 34,12f.15; Dtn 7,2. Ebenso knüpft dies eng an das Deuteronomium an, denn dort findet sich oft der Vorwurf des Nichthörens und der Widerspenstigkeit (vgl. nur Dtn 1,43; 9,23). Damit wurde ein Bruch mit Jahwe vollzogen und die einst gute Zeit der idealen Gemeinschaft zwischen Gott und Volk zerschlagen. (2,6-10) In 2,12ff wird dieses Verhalten Israels als „das Tun des Bösen“ charakterisiert und auf vier Weisen präzisiert: 1. Israel hat Jahwe als den Gott ihrer Väter verlassen (2,12) und damit dessen heilvolles Handeln bei der Herausführung aus Ägypten geringgeschätzt. 2. Sie gingen hinter den Göttern der umliegenden Völker her. 3. Sie beteten diese Götter an. 4. Sie ließen so den Zorn Jahwes emporsteigen. Die Folge dieser Schuld liegt in der Auslieferung Israels in die Gewalt der Feinde für eine bestimmte Zeit (2,14 u.ö.). So geriet Israel in große Not (2,15). Rettung: Das Erwecken eines Richters leitet die Befreiung aus der Umklammerung durch die Feinde ein (2,16). Dieser führt den
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jeweiligen Stamm sein Leben lang. Mit dem Tod des Richters beginnt der unheilvolle Kreislauf von Geschichte, Schuld und Rettung von neuem (2,19f). In dieser für Israel hoffnungslosen Situation bekennt sich das Volk zu seiner Schuld (10,10.15). In 10,6-16 geht es um das Ringen zwischen dem Rettungshandeln Jahwes auf der einen und dem „Rettungshandeln“ der Fremdgötter auf der anderen Seite. Israel wird vor diese Alternative gestellt. Es erkennt seine Situation und bekennt seine Schuld. Jahwe erbarmt sich deshalb seines Volkes. Es entfernt die fremden Götter und dient Jahwe. Der Dreischritt von „Geschichte, Schuld und Rettung“ ist der Schlüssel zum Verständnis der Richtererzählungen. Der Deuteronomist hat auf diese Weise mit einer Fülle von Überlieferungen, Traditionen und Informationen die Richterzeit geformt und charakterisiert. Dass hinter dieser Schöpfung durchaus historische Erfahrungen stehen können, sollte nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Der Deuteronomist möchte zeigen, dass Israel durch die Not hindurch zur Erkenntnis der Schuld kommt. Mit dieser Erkenntnis wird der Wechsel von Schuld und Strafe durchbrochen. Unausgesprochen steht das 1. Gebot im Hintergrund nicht nur von Ri 1-3, sondern des ganzen Richterbuches. Der Deuteronomist hat auf diese Weise das theologische Profil dieses Buches enorm geschärft. Insofern muss der These, wonach Richter durchaus zwischen Josua und Samuel fehlen könnte, heftig widersprochen werden.
Anhänge
Nr. 1
:
Die Komposition des Richterbuches
Nr. 2
:
Der Rahmen der Richtererzählungen
Nr. 3
:
Ri 2,11-16.18 und 10,6-16 im Vergleich
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Anhänge
Anhänge
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Stellenregister (Auswahl)
Ex 23 13, 95, 98–100, 104, 107– 111, 116, 135, 196–197, 200, 215 Ex 32,34 108 Ex 33,2 109 Ex 33,12 109 Dtn 6,12-15 137 Dtn 7 28, 66, 89, 98–100, 104, 107–108, 135–136, 196– 197, 200 Jos 1,1 63, 81, 89 Jos 15 51–53, 60, 67–69, 73, 81, 84–85, 89–92, 165, 167 Jos 23 12, 95, 98, 100–101, 104, 113–114, 116–117, 119, 142, 196 Jos 24 14, 34, 59, 63, 92, 97, 101, 112–119, 123–127, 199 Jos 24,28-31 34, 47, 59, 113–119, 123– 128, 199 Ri 1,1-3,30 VII–VIII, 46, 192, 197, 199–200 Ri 1 10, 14, 22, 28, 31, 55, 58– 61, 66–67, 69, 73, 77–78, 80–85, 87, 89, 91–92, 98–
99, 101, 106, 116–117, 144, 166, 192, 195–197, 199 Ri 1,1f 19, 64, 67, 71–72, 77, 89 Ri 1,3 64, 80, 89, 92 Ri 1,4 67, 89 Ri 1,8 67, 82, 89 Ri 1,9 187 Ri 1,10 60, 68, 84, 136 Ri 1,11 89 Ri 1,12 69, 126 Ri 1,13 85, 165, 167 Ri 1,14 81 Ri 1,16 52, 53 Ri 1,19 141, 195, 196 Ri 1,20 80 Ri 1,21 61, 67, 73, 106 Ri 1,22-26 1, 74, 80, 81 Ri 1,27-33 61 Ri 1,27f 59, 113 Ri 1,29 75 Ri 1,31f 90 Ri 1,27-36 1, 7, 28, 196 Ri 1,1-18 7, 17, 18, 80, 126 Ri 1,1-21 1, 19, 60, 71, 73, 81 Ri 1,1-36 49, 58, 61, 63, 72, 77, 81– 83, 91, 111, 127 Ri 1,2-36 89 Ri 2,1-5 VII–VIII, 1, 7, 13, 17, 80, 92, 94, 97–102, 105–107, 110–111, 115–117, 126– 127, 159, 197, 199, 214–215
Stellenregister Ri 2,6-9 59, 114–115, 117, 124 Ri 2,6-10 VII, 34, 47, 113, 116, 118– 120, 123, 125–127, 197, 199 Ri 2,11 VII, 31, 38, 48, 101, 124, 158, 197, 202 Ri 2,11-19 25, 31, 38, 115, 134, 149, 156, 158 Ri 2,6-3,6 9, 15, 21, 100, 113, 117, 133, 135–136, 145 Ri 2,11-3,6 VII–VIII, 113, 127, 129, 137, 197 Ri 3,6 111, 143, 199 Ri 3,7-11 VII, 2, 17, 21, 85, 136, 145, 161–167, 192, 197, 199
221 Ri 3,9 36, 149, 177, 200 Ri 3,12-30 VIII, 2, 24, 157, 168, 192, 197, 206, 212 Ri 10,1-5 4, 17, 21, 140, 155, 192 Ri 10,6-16 97, 133–134, 145, 156–159, 201–202 Ri 10,17-12,7 192 Ri 12,8-15 4, 17, 21, 140, 155, 192 Ri 13,1-16,31 192 Ri 17f 2 Ri 17-21 2, 10 Ri 19-21 2, 25, 60 Ps 146,9 173 Sir 46,11f 1, 44 Hebr 11,32f.39f 1
Sachregister
Achsa 26, 49, 51, 68–69, 80, 85 Adoni-Bezek 49, 64–67, 77, 83–84, 198 Adoni-Zedek 67 Amalekiter 28, 70, 148, 154 Anekdote 66, 73, 83–85, 196, 198 Arad 53, 69–71, 154 Baal 19, 130, 146 Baalim 38, 121, 129, 137, 145–146, 157, 161 Benjamin 2, 19, 23, 30, 71, 85, 148, 172, 177, 191–192 Bethel 2, 22, 30, 34, 50, 73, 77, 81, 94, 97, 103, 198 Beugenotiz 149, 165 Bezek 49, 65–66, 83, 200 Biblische Auslegung 35, 194 Bochim 97, 102–103, 106, 196 Böse 8, 29, 38, 129, 159, 161, 166, 168, 216 Debora 2, 7, 19, 26, 35–36, 145– 146, 149–150, 152, 176, 192 Deboralied 3–4, 11, 23, 36, 41, 88, 210, 214, 218
Deuteronomist VIII, 15, 25, 45, 133–134, 156, 158, 160, 167, 178, 197–198, 201 Eglon VIII, 146–147, 154, 156, 168, 170, 172–174, 176– 183, 187, 189–200, 214, 217 Ehud VIII, 2, 7, 11, 15, 36, 46, 120, 136, 145–146, 149– 151, 167–168, 170–171, 173–175, 177–185, 187, 190, 192, 197, 199–200, 208, 210, 212, 216–217 Engel 1, 94, 99, 103, 107–111, 215 Exodusbuch 9 Feind 63, 165, 175–176 Geschichte VII–VIII, 10, 12, 22–24, 36, 46–47, 101, 113–114, 121, 126–127, 163–164, 192– 193, 200–201, 207, 209, 210–211, 214–215, 217– 218 Geschichtstheologie 12, 45, 160 Gewalt 7, 9, 15, 26, 129–130, 139, 146–147, 161, 200
Sachregister Gideon 2, 4, 7, 12, 15, 36–37, 141, 145–146, 149–152, 155, 176–177, 192, 206–207, 211, 217 Gilgal 94, 98, 102–103, 168, 181, 187, 189, 196 Gomäd 179 Hiwitter 30 Hobab 52, 69, 85, 214 Horma 50, 53, 71, 84, 210 Jabin 147, 150, 154, 156 Jael 11, 19–20, 35, 183 Jahweengel 97, 103–104, 106 Jahwekrieg 17, 154 Jebusiter 30, 50, 73, 109–110, 130, 144 Jephta 2, 5, 7, 15, 20, 23, 36, 133, 136, 145, 149–152, 177, 192 Josuabuch 4, 9, 35, 59–61, 66, 75, 82, 89, 92, 100, 103, 121, 126, 196, 199 Josuazeit 112, 115, 120, 125–127, 199, 215 Juda 1, 9, 12, 14–15, 18–19, 23, 30–31, 33, 49–50, 53, 55– 56, 58, 60, 63–69, 71–74, 77–78, 80–81, 83–85, 87, 91–92, 98, 103, 141, 148, 162, 164, 166, 196, 200, 211, 216, 218
223 Kanaan 28, 58, 64, 107, 147, 150, 154, 156, 200 Kanaanäer 9, 28, 49–50, 56, 63–65, 67, 72, 74–75, 77, 80–81, 83, 85, 87–88, 97, 102, 106– 107, 127, 130, 144, 196 Kanaanisierung 8, 136 Keniter 29, 52, 61, 69–70, 77, 85, 89 Kuschan-Rischatajim 150, 155, 161, 164–165, 210 Luz 50, 73 Maon 29 Midianiter 29, 155, 158 Negatives Besitzverzeichnis 211 Othniel VII, 1, 46, 49, 51, 68–69, 77, 85, 134, 140, 147, 149, 151, 155, 161–162, 164–165, 167, 177, 192, 200 Palmenstadt 50, 69–71, 147–148, 154, 156, 168, 172, 177, 181 Rahmen 12, 15, 117, 129, 133, 134, 135, 136, 138, 142, 145, 146, 147, 151, 152, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 176, 178, 189, 197, 199, 202, 214, 215 Rahmentexte 160 Regent 37 Retter 7, 15, 17, 32, 36–37, 135, 139, 149, 157, 161, 165, 168, 173, 177, 182, 193
224 Retterbuch 5, 15, 22–23, 25, 34, 134 Rettergeschichten 15, 17 Rettung VII–VIII, 7, 15, 32, 46, 121, 134, 140–141, 150, 157– 158, 192–193, 200–201 Richter VII, 1, 4–6, 8–15, 17–19, 21–23, 25, 32–34, 36, 40– 41, 43–44, 52, 58, 60–61, 63–69, 71–73, 76–78, 81, 83–85, 87, 96–97, 99–100, 105, 111, 113–116, 122– 123, 125, 129, 133–142, 149–152, 155–156, 158, 162–163, 165, 167, 172, 184, 192, 194, 197, 201, 206–208, 210–211, 213– 219 Richterbuch VII–VIII, 1–11, 14–19, 21, 24–26, 28, 30–35, 37–41, 43–45, 48, 55, 58, 60, 63– 64, 66, 72, 81–82, 84, 89, 92, 98, 101, 111, 113–118, 121, 133–134, 151, 155, 166, 187, 193–195, 199, 206–207, 209–211, 215– 216
Sachregister Richterliste 133, 140, 152, 160, 198 Richterzeit VII, 1–2, 17, 30, 38, 46, 58– 59, 64–69, 71–73, 75, 80, 87, 98, 106, 112, 114–115, 122, 124, 126–128, 134– 135, 137–141, 157–158, 167, 172, 176, 179–182, 184, 186, 189, 193, 199, 201, 207, 215 Ruhenotiz 149, 155, 158, 165 Samgar 2, 20 Schreien 133, 149, 155, 158–159, 165, 177 Schuld VII–VIII, 7, 12, 18, 45–46, 83, 97, 99, 105, 106, 110– 111, 121, 158, 160, 176, 192–193, 200–201 Seir 169, 187 Sisera 19, 20, 66, 147–148, 154 Strafe 12, 13, 45, 98–99, 102, 104, 106, 127, 160, 192, 201 Sündenbekenntnis 149, 157 Übergabeformel 64, 195–196 Zorn 16, 129, 137–139, 142, 146, 154, 157, 161, 165, 176, 200