Behemot und Leviathan: Studien zur Komposition und Theologie von Hiob 38,1-42,6 [1 ed.] 9783788731793, 9783788730536, 9783788730543


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German Pages [375] Year 2016

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Behemot und Leviathan: Studien zur Komposition und Theologie von Hiob 38,1-42,6 [1 ed.]
 9783788731793, 9783788730536, 9783788730543

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© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Begründet von Günther Bornkamm und Gerhard von Rad Herausgegeben von Cilliers Breytenbach, Martin Leuenberger, Johannes Schnocks und Michael Tilly

149. Band Chol-Gu Kang Behemot und Leviathan

Vandenhoeck & Ruprecht © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Chol-Gu Kang

Behemot und Leviathan Studien zur Komposition und Theologie von Hiob 38,1 – 42,6

2017

Vandenhoeck & Ruprecht © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7887-3054-3 Weitere Angaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D – 37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.sonnhueter.com Satz: Chol-Gu Kan © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Für meine Frau (Sung-Ae Choi) und unsere Tochter (Soyun Kang)

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Vorwort

Die vorliegende Untersuchung, die ich im April 2013 fertiggestellt habe, wurde im Wintersemester 2013/14 an der Evangelischtheologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Ich habe sie für den Druck überarbeitet. Viele Menschen haben die Entstehung dieser Arbeit unterstützt und begleitet. An erster Stelle möchte ich natürlich Doktorvater Herrn Prof. Dr. em. Bernd Janowski danken, der während meiner Promotion mein Interesse am Alten Testament neu geweckt hat und jederzeit bereit war, mit mir Probleme dieser Untersuchung zu diskutieren, und mit Sorgfalt und Geduld den ganzen Arbeitsprozess über den Abschluss hinaus bis hin zur Ü berarbeitung ermutigt und betreut hat. In seinem Doktorandenkolloquium ergab sich hilfreicher Austausch. Den Herren Prof. em. Dr. Bernd Janowski und Prof. Dr. Johannes Schnocks danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament“ (WMANT). Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. Martin Leuenberger für die Erstellung des Zweitgutachtens und dessen Hinweise für die Erstellung der Druckvorlage. Herrn Dr. Volker Hampel vom Neukirchener Verlag danke ich für die freundliche Betreuung der Drucklegung und die gute Zusammenarbeit. Während des Studiums in Tübingen habe ich auch vielen anderen zu danken, vor allem der Evangelisch-koreanischen Nambugemeinde, in der ich vier Jahre lang als zweiter Pfarrer die Teilgemeinde in Trossingen begleiten durfte. Während meines langjährigen Studiums war Herr Helmut Waldhof (Münster) mir ein guter Freund, der mich von Anfang an unterstützt hat. Ich danke nicht nur Herrn Dr.med. Hans-Joachim Bügler und seiner Frau Hisa Trapp.-Bügler (Pfullingen), sondern auch Frau Diplom-Psychologin Dorothea Olivos Blomberg (Reutlingen) für das Korrekturlesen meiner Arbeit und die Verbesserung der deutschen Sprache. Sie und ihr Mann Jorge sind mir stets mit offenem Herzen entgegengekommen und waren in verschiedenen Situationen eine große Stütze und Hilfe. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

VIII

Vorwort

Danken will ich nicht nur meinen Eltern und Schwiegereltern, sondern auch allen Familienmitgliedern. Ohne ihre Hilfe und Unterstütze wäre diese Arbeit nie zustande gekommen. Mehr als allen anderen möchte ich meiner Frau Sung-Ae Choi und unserer Tochter Soyun Kang danken. Sie haben mich während des Aufenthaltes in Deutschland mit großer Geduld und anhaltendem Verständnis unterstützt. Ihnen sei deshalb dieses Buch gewidmet. Incheon, im Oktober 2016

Chol-Gu Kang

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Inhalt

Vorwort

VII

Erster Teil: Einleitung A) Zum Thema der Arbeit B) Zur Forschungsgeschichte I. Formale und inhaltliche Analyse von Hi 38,1-42,6 II. Formgeschichte von Hi 38,1-42,6 III. Einzelthemen von Hi 38,1-42,6 IV. Zeit und Ort der Hiobdichtung C) Zur Methode der Arbeit

1 1 3 4 10 13 15 17

Zweiter Teil: Text und Textkritik A) Text und Ü bersetzung B) Textkritische und sprachliche Bemerkungen I. Kap. 38 II. Kap. 39 III. Kap. 40 IV. Kap. 41 V. Kap. 42,1-6 C) Zusammenfassung

20 20 29 29 36 40 43 47 50

Dritter Teil: Komposition A) Vorbemerkung B) Ü berblick über die Gottesreden und die Antworten Hiobs C) Beschreibung und Deutung der Komposition

52 52 53

Vierter Teil: Textanalyse A) Erste Gottesrede und erste Antwort Hiobs (38,1-40,5) I. Einleitung – Gottes Auftreten und Herausforderung (38,1-3) II. Schöpfung und Erhaltung der Schöpfungswelt (38,4-39,30) 1. JHWH als Schöpfer der Welt (Hi 38,4-18)

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57

64 69 69

X

Inhalt

a) Gründung der Erde und Begrenzung des Meeres (V. 4-11) b) Morgenröte und Tagesanbruch (V. 12-15) Exkurs 1: Zur Ikonographie des Sonnengottes im Alten Orient c) Meerestiefen, Tore des Todes / der Finsternis und Weite der Erde (V.16-18) 2. Wettererscheinungen und ihr Urheber (38,19-38) a) Licht und Finsternis, Schnee, Hagel, Blitz und Ostwind (V. 19-24) b) Weg des Regens in der Wüste, Ursprung von Regen, Tau, Eis und Reif (V. 25-30) c) Bewegung der Gestirne und Senden des Regens und Blitzes (V. 31-35) d) Die Zeit des Regens (V. 36-38) 3. JHWH und die Welt der Tiere (38,39-39,30) Exkurs 2: Zu O. Keels These vom „Herrn der Tiere“ a) Löwe und Rabe (38,39-41) b) Steinbock und Hirschkuh (39,1-4) c) Wildesel und Wildstier (V. 5-12) d) Straußenhenne und Kriegspferd (V. 13-25) e) Falke und Gänsegeier (V. 26-30) 4. Die Tiere im Hiobbuch außerhalb von Hi 38,1-42,6 a) Prolog (1,1-2,13) α) Kleinvieh / Kamel / Rind / Eselin β) Fazit b) Dialogteil (3,1-42,6 ) α) Hiobs Klage (3,1-26) β) Erster Redegang (4,1-14,22) γ) Zweiter Redegang (15,1-21,34) δ) Dritter Redegang (22,1-28,28) ε) Hiobs Monolog (29,1-31,40) δ) Elihus Rede (32,1-37,24) c) Epilog (42,7-17) α) Stier / Widder (42,8) β) Kleinvieh / Kamel / Rind / Eselin (42,12) γ) Fazit d) Zusammenfassung α) Vergleich zwischen den Tieren in den Hiobreden und den Tieren in den Freundesreden β) Vergleich mit den Tieren in 38,1-42,6 III. Schluss – Herausforderung (40,1-2) IV. Hiobs erste Antwort (40,3-5) © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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XI

Inhaltt

B) Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs (40,6-42,6) I. Einleitung – Herausforderung (40,6-7) II. Recht und Macht des Schöpfergottes (40,8-41,26) 1. JHWH als Gott der Gerechtigkeit (40,8-14) 2. Behemot (40,15-24) a) Behemot und Hiob (40,15a) b) Die körperliche Gestalt Behemots (40,15b-18) c) Die Stärke Behemots (40,19-20) d) Der Lebensraum Behemots (40,21-22) e) Die Jagd auf Behemot (40,23-24) 3. Leviathan (40,25-41,26) a) Die Jagd auf Leviathan und seine Nutzung (40,25-41,3) b) Die körperliche Gestalt Leviathans (41,4-16) c) Die Widerstandsfähigkeit Leviathans (41,17-21) d) Der Lebensraum Leviathans (41,22-24) e) Der König aller stolzen Tiere (41,25-26) Exkurs 3: Zur altorientalischen Ikonographie von Behemot und Leviathan III. Hiobs zweite Antwort (42,1-6) 1. Erkenntnis (42,2-3) 2. Erfahrung (42,4-5) 3. Konklusion (42,6) C) Zusammenfassung Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik A) Gattungskritik I. Rahmengattung: Streitgespräch II. Gliedgattungen 1. Weisheitliche Gattungen a) Weisheitliche Sprachformen α) Fragestil β) Listenwissenschaft b) Weisheitliche Lehre 2. Psalmengattungen a) Klage b) Hymnus 3. Gattungen des Rechts a) Juridische Sprachformen b) Struktur (Rechtsvorgang) α) Hiobs Herausforderung zum Rechtsstreit β) Selbstverteidigung Gottes © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

160 162 162 163 166 168 169 170 171 171 172 174 176 178 179 180 181 186 187 189 190 195 201 202 205 206 206 207 207 210 211 213 214 215 216 217 219 220 221

XII

Inhalt

γ) Gott als Richter III. Fazit B) Traditionskritik I. Charakter der Traditionen in den Gottesreden II. Einzelne Traditionen und Motive 1. Schöpfung a) Hiobs Vorstellungen von der Schöpfung b) Die Schöpfung Gottes im Gegensatz zu Hiobs Vorstellungen 2. Chaoskampf a) Hiobs Vorstellungen vom Chaoskampf b) Der Chaoskampf in den Gottesreden α) Wildtiere β) Behemot und Leviathan 3. Theophanie 4. Weisheit III. Fazit C) Zusammenfassung Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden A) Weltbild I. Hiobs Vorstellung von der Welt II. Schöpfungswelt Gottes 1. Stabilität der Welt 2. Lenkung und Bewahrung der Welt 3. Ambivalenz(en) der Welt III. Fazit B) Gottesbild I. Hiobs Vorstellung von Gott 1. Gott als Gewalttäter a) Der mächtige Krieger b) Der wilde Jäger c) Der ungerechte Richter d) Der willkürliche Schöpfer 2. Die Ambivalenz des Gottesbildes Hiobs II. Die Selbstdarstellung Gottes 1. Monotheismus a) Gott als Schöpfer der Welt b) Der Bewahrer der Schöpfungswelt α) Der Herr des Himmels β) Der Beschützer und Versorger der Tiere γ) Die Gerechtigkeit Gottes 2. Die Freiheit Gottes © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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XIII

Inhaltt

3. Der antwortende Gott 4. Der transzendente Gott III. Fazit C) Menschenbild I. Hiobs Vorstellungen vom Menschen 1. Gerechtigkeit 2. Geschöpflichkeit 3. Endlichkeit II. Aussagen über den Menschen 1. Der Mensch als Geschöpf 2. Keine Anthropozentrik 3. Der klagende Mensch III. Fazit D) Zusammenfassung

287 289 291 294 295 299 302 304 306 307 309 312 312 315

Anhang 1. Tabelle über die Tiere im Hiobbuch außerhalb von Hi 38,1-42,6 2. Einteilung der Tiere

321

Abbildungsnachweis

325

Literatur

327

Sachregister (Auswahl)

349

Stellenregister (Auswahl)

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Erster Teil: Einleitung

A)

Zum Thema der Arbeit

Das Hiobbuch gilt als eines der schwierigsten Bücher im Alten Testament. Die Interpretationsschwierigkeiten liegen auf zwei Ebenen, und zwar auf der literarisch-kompositorischen und der theologischthematischen Ebene1. Das Hiobbuch besteht aus einem in der Rahmenerzählung in Prosa abgefassten Prolog (Hi 1-2) und Epilog (Hi 42,7-17) sowie einem Dialogteil in Poesie (Hi 3-42,6). Der Dialogteil untergliedert sich in den Monolog Hiobs (Hi 3), in das Streitgespräch zwischen Hiob und seinen Freunden (Hi 4-27; 2 oder 3 Redegänge), in das Weisheitslied (Hi 28), in den Monolog Hiobs (Hi 29-31), in die Elihureden (Hi 32-37) und in zwei Gottesreden mit je einer kurzen Antwort Hiobs (Hi 38,1-42,6). Die Poesie beginnt also mit dem Monolog Hiobs (Hi 3) und endet mit seinen neuen, im Dialog mit Gott gewonnenen Erkenntnissen (Hi 42,6). Bei diesen verschiedenen Teilen der Hiobdichtung (Hi 3-31) geht es um Fragen nach Grund und Ziel des Leidens Hiobs und der göttlichen Gerechtigkeit. Deshalb erwartet man die Lösung dafür in den Gottesreden (Hi 38-42,6) zu finden. In diesem Zusammenhang bilden die Gottesreden den Höhepunkt der Hiobdichtung und werden als Schlüssel zu ihrem Gesamtverständnis betrachtet2. In der Tat unterscheidet sich der Hiob des Dialogs mit seinen Freunden (Hi 3-31) vom Hiob nach dem Treffen mit Gott in Hi 38,1-42,6. Vor allem bis Hi 31,40, der Schlussrede Hiobs in den Gesprächen mit den Freunden, ändert Hiob seine Meinung nicht. Nach den Gottesreden wendet sich aber Hiob neuen theologischen Positionen zu, durch die Gottesreden erhält er neue Einsichten (Hi 42,1-6)3. Auch wenn die Gottesreden als ein Schlüssel des Hiobproblems betrachtet werden können, werden die Leser enttäuscht, denn sie finden keine befriedigende Antwort auf die im Dialogteil mit seinen Freunden gestellten Fragen nach der menschlichen Existenz im 1 2 3

Vgl. Ha, Frage und Antwort, 10ff und Köhlmoos, Auge Gottes, 10. Vgl. Kubina, Gottesreden, 15. Vgl. Köhlmoos, aaO 344 und Kegler, Gürte wie ein Mann, 231f. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

2

Erster Teil: Einleitung

Leiden und der göttlichen Gerechtigkeit4. In der Tat thematisieren die Gottesreden „an keiner Stelle explizit die Frage nach Grund und Ziel seines Leidens“5 und die Gerechtigkeit Gottes: „Es ist nun oft darüber spekuliert worden, ob das, was Gott Hiob in den Gottesreden als Antworten gibt, eigentlich treffend auf die von Hiob erhobenen Vorwürfe reagiert. Mitunter wird eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen der Erwartung und dem Inhalt der Gottesrede festgestellt. Hier stellt sich die Frage, wie eigentlich eine suffiziente Antwort aussehen sollte, die Hiob gegeben werden könnte.“6

In der Forschungsgeschichte sahen viele Ausleger in den Gottesreden einen geradezu brutalen Affront Gottes gegen seinen treuen Knecht, den leidenden Gerechten. Wie die Freunde mit ihren Reden von Gott an Hiob vorbei geredet haben, so redet Gott selbst auch an ihm vorbei7. Weder die Gottesreden noch die ‚Wiederherstellung‘ Hiobs im Epilog (Hi 42,7-17) geben eine Antwort auf die Frage nach dem Leiden Hiobs und der Gerechtigkeit Gottes 8 . Deshalb behaupten viele Kommentatoren, die Tatsache, dass Gott zu Hiob geredet hat, sei wichtiger als das, was Gott zu Hiob geredet hat9. In der Tat redet Gott nur von der Natur, den Tieren und den zwei mythischen Ungeheuern Behemot und Leviathan. Aus diesem Grund hält L. Steiger, wie auch andere, die Gottesreden für drei Stunden Naturkunde, die Hiob zuteil wird 10 . In der Forschungsgeschichte suchen jedoch viele Exegeten immer wieder den Grund des Leidens des Gerechten und die Erklärung der Gerechtigkeit Gottes in den Gottesreden. „Dabei bleibt weiter das Problem zu diskutieren, wie die Gottesreden sich inhaltlich überhaupt als Problemlösung verstehen lassen.“11 In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu beachten, wie Gott auf die Anklage Hiobs reagiert und was Hiob antwortet. Welche Beziehung besteht zwischen den Gottesreden und den Antworten Hiobs? Welche Bedeutungen haben sie? Aus welchem Grund hat

4

Vgl. Remus, Menschenbildvorstellung, 8. Witte, Hiobbuch, 439. 6 Heckl, Hiob, 189f. 7 Vgl. Lux, Narratio-Distputatio-Acclamatio, 98, s. dazu Ritter-Müller, Kennst du die Welt, 279: „Gott antwortet und spricht zu Ijob. Die große Bedeutung dieses Faktums ist immer wieder von Exegeten betont worden, auch von denjenigen, die der Ansicht waren, Gott rede an Ijob vorbei oder der Inhalt der Reden sei unwichtig.“ 8 Vgl. Müllner, Erkenntnis im Gespräch, 180. 9 Vgl. Oeming, Begegnung mit Gott, 100f. 10 Vgl. Steiger, Wirklichkeit Gottes, 160. 11 Heckl, aaO 192. 5

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Zur Forschungsgeschichte

3

Hiob letztendlich in Hi 42,1-6 die Gottesreden akzeptiert und dadurch neue Einsicht erhalten? Um diese Fragen zu beantworten, ist es nötig, der Argumentationsstruktur und den Themen in den Reden Hiobs und den Gottesreden nachzugehen. Wenn man keine Lösung des Problems in den Gottesreden finden kann, sollte man zuerst den Hintergrund der Vorwürfe Hiobs berücksichtigen, warum Hiob Gott angeklagt hat. Im Hintergrund stehen Hiobs Vorstellungen von der Welt, Gott und dem Menschen. Durch die Erfahrung des Leides stellt Hiob diese Vorstellungen in Frage. Dazu äußert sich Gott in den Gottesreden. Damit entsprechen die Reden Hiobs im Dialogteil mit seinen Freunden den Gottesreden in der Gotteserscheinung12. Es geht um die gemeinsamen Themen zwischen dem Dialog Hiobs mit seinen Freunden (Hi 3-31) und dem Dialog Gottes mit Hiob (Hi 38-42,6). Deshalb handelt es sich keineswegs um bloße drei Stunden Naturkunde für Hiob13. Die oben genannten Fragen und Themen sind der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit, nicht nur in Bezug auf die literarische, sondern auch in Bezug auf die sachliche Problematik. Dabei liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit mehr auf den inhaltlich-theologischen als auf den literarisch-redaktionellen Aspekten. B)

Zur Forschungsgeschichte14

Durch die Gottesreden ist Hiobs Wunsch „die unmittelbare Begegnung mit Gott“ (Hi 31,35ff) erfüllt, ohne dass sich eine direkte Antwort auf die Fragen, die er gestellt hat, in den Gottesreden finden lässt. An keiner Stelle werden die Fragen Hiobs nach Grund und Ziel seines Leidens und die göttliche Gerechtigkeit thematisiert 15. In der Forschungsgeschichte stellen die Gottesreden aufgrund der literarischen Gestalt und thematischen Ebene zwei Probleme dar16:

12

Vgl. Ritter-Müller, Kennst du die Welt, 279. Vgl. Wehrle, Der leidende Mensch, 179. 14 Zu den Forschungsüberblicken s. Kuhl, Literarkritik, 163ff. 257ff; ders., Hiobbuch, 261ff; Ebach, Hiob / Hiobbuch, 360ff; Müller, Hiobproblem, 101ff; van Oorschot, Gott als Grenze, 1ff; ders., Tendenzen der Hiobforschung, 351ff; ders., Entstehung des Hiobbuches, 165ff; Kaiser, Grundriss der Einleitung 3, 76ff; Wanke, Praesentia Dei, 340-370; Oeming, Paul Ricoeur, 253ff; Janowski, Ein Gott, 205ff. 15 Vgl. Witte, Hiobbuch, 438f, s. dazu van Oorschot, Tendenzen der Hiobforschung, 368. 16 Vgl. van Oorschot, Tendenzen der Hiobforschung, 368. 13

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4

Erster Teil: Einleitung

1. Es scheint, dass die Fragen Hiobs im Dialogteil mit seinen Freunden und die Antworten Gottes nicht zueinander passen. Daher bleiben die beiden Antworten Hiobs ohne Klärung17. 2. Der Text kann aufgrund der Literarkritik offenbar nicht als Einheit angesehen werden18.

Wie sind die Gottesreden im ganzen Hiobbuch zu verstehen? In der Forschungsgeschichte gibt es dafür zahlreiche Versuche, einerseits die Ursprünglichkeit und Einheitlichkeit der Gottesreden zu problematisieren, andererseits die Gottesreden neu zu verstehen und theologisch zu interpretieren, ohne Veränderung des Textes. Die literarische und die inhaltliche Problematik ist dabei miteinander eng verbunden19. Deshalb wird zuerst der Forschungsstand der Arbeiten zur formalen und inhaltlichen Analyse der Gottesreden behandelt. Dazu gibt es Versuche, die Gottesreden im Rahmen der Formgeschichte zu verstehen. Wegen der Schwierigkeit der literarischen Analysen „wirkt sich die Bestimmung der literarischen Zugehörigkeit entscheidend auf die Auslegung des Buches aus“20. Darüber hinaus werden einige einzelne wichtige Themen der Gottesreden in der Forschung behandelt. Es gibt aber bis heute keinen allgemeinen anerkannten Konsens über das Problem der Gottesreden 21 . Im Folgenden geht es um den Forschungsstand in Bezug auf die formale und inhaltliche Analyse, die Formgeschichte und die Einzelthemen der Gottesreden. I.

Formale und inhaltliche Analyse von Hi 38,1-42,6

Wegen der Schwierigkeit der Auslegung der Gottesreden werden in der Forschungsgeschichte ihre Ursprünglichkeit und ihr Umfang sehr verschieden beurteilt22: „Die angeblich fehlende gedankliche Logik in Verbindung mit zahlreichen sprachlichen und textkritischen Schwierigkeiten haben in der Forschung die Literarkritik 17

S. dazu Müllner, Das hörende Herz, 60f und Gradl, NSK.AT 12, 19. S. dazu van Oorschot, Gott als Grenze, 10ff und Gradl, ebd. 19 Dazu s. Köhlmoos, Auge Gottes, 10. 20 Ha, Frage und Antwort, 15. 21 Vgl. Remus, Menschenbildvorstellung, 7: In vielen Fragen, die das Hiobbuch betreffen, beherrscht „mehr oder weniger Uneinigkeit, ob das nun die Frage der Textbeschaffenheit, der Ursprünglichkeit einzelner Teile, der formgeschichtlichen Analyse, der Entstehungszeit, des Entstehungsortes, der Traditionsgeschichte, der religionsgeschichtlichen Vergleichsmöglichkeiten oder der theologischen Interpretation betrifft“. 22 Vgl. Fohrer, KAT XVI, 36. 18

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Zur Forschungsgeschichte

5

sehr bewegt, so dass kaum ein Weg neben der traditionsreichen literarkritischen Auslegung gegangen worden ist.“23

Es handelt sich konkret um die Frage, ob die beiden Gottesreden in 38,1-40,2 und 40,6-41,26 samt den dazu gehörenden Antworten Hiobs in 40,3-5 und 42,1-6 als ursprünglich oder als Folge redaktioneller Eingriffe zu bewerten sind24. Hinzukommt die Frage, ob Hi 40,1 zur ersten Rede Gottes gehört25, und ob die Gottesreden einheitlich sind. Dabei ist vor allem umstritten, dass das Gedicht über die Straußenhenne (39,13-18) und die beiden Gedichte über den Behemot (40,1524) und den Leviathan (40,25-41,26) ursprünglich sind26. Viele Kommentatoren sehen den Abschnitt über Behemot und Leviathan als überflüssig an. Denn Hiob hat seine Niederlage schon zugegeben (40,3-5), nachdem Gott in der ersten Gottesrede gesprochen hatte27. Daher erscheint dieser Abschnitt nicht als ein ergänzender Beitrag zur Lösung des Hiobproblems über die erste Gottesrede (Hi 38f) hinaus28. Im Blick auf die Interpretationen der Gottesreden gibt es viele verschiedene Meinungen. Dahinter stehen inhaltlich drei Kriterien, wie M. Oeming anhand der Forschungsgeschichte feststellt 29 : 1. Haben die Reden inhaltlich eine Bedeutung oder ist nur allein die Theophanie entscheidend? 2. Sind die Reden positiv zu verstehen als Erweis des Heilswillens und der Heilsmacht Gottes oder sind sie negativ zu deuten als Verschleierung der Schwäche Gottes oder als eine ironisierende Persiflage auf religionskritischem Hintergrund? 3. Sind die Fragen Gottes zynisch oder gar brutal oder sind sie auf Ü berzeugung und Zustimmung von Hiob angelegt? Im Gegensatz zum Ansatz M. Oemings hat J. van Oorschot die Forschungsgeschichte der Gottesreden auf der literarischen und redaktionskritischen Ebene erforscht. Nach van Oorschot können die zahlreichen literarkritischen Analysen auf fünf Erklärungsmodelle reduziert werden. In der Forschungsgeschichte beziehen sich diese Modelle aber nicht nur auf die rein literarkritische Analyse, sondern

23

Klinger, Im und durch das Leiden, 14. Vgl. Kaiser, Grundriss der Einleitung 3, 77. 25 Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Ijob, 423. 26 Vgl. Gradl, NSK.AT 12, 19; Remus, Menschenbildvorstellungen, 82 und van Oorschot, Entstehung des Hiobbuches, 168. 27 Vgl. Loader, Hiob, 120. 28 Vgl. Kubina, Gottesreden, 14. 29 Vgl. Oeming, Begegnung mit Gott, 103. 24

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Erster Teil: Einleitung

auch auf den inhaltlichen Ansatz (Auslegungen) der Gottesreden, wie M. Oeming vorgeschlagen hat30: 1. Die Gottesreden gehören nicht zur ursprünglichen Hiobdichtung. Das Buch endet mit der letzten Rede Hiobs (Hi 29-31) ohne Theophanie (Paul Volz31, Curt Kuhl32 und Franz Hesse33). Dieses Modell erklärt, warum die jetzigen Gottesreden weder auf Hiobs Klagen und Anklagen noch auf seine Herausforderung eingehen. Die Gottesreden machen keinen Unterschied zu den Reden der drei Freunde und Elihus. Denn sie zielen auf die Unterwerfung Hiobs und auf seine Reue34. 2. Der überlieferte Text gilt als ursprünglicher Abschluss der Dichtung (Artur Weiser 35 , Samuel Terrien 36 , Robert Gordis 37 , Veronika Kubina38, Norman C. Habel39 und John E. Hartley40). Die Vertreter dieses Modells bemühen sich mehr um die exegetische und theologische Ebene als um die literakritische Ebene. In den Gottesreden finden sie keinen zwingenden Grund gegen die Ursprünglichkeit der vorliegenden Ü berlieferung 41. Nach V. Kubina führen die Gottesreden „aus Verzweiflung, Krise über Gottesferne, Anmaßung, Sünde und Gericht zur Gottesgemeinschaft“42. Während die erste Gottesrede sich auf das Handeln Gottes in der Natur bezieht, geht es in der zweiten Gottesrede um sein Walten in der Geschichte 43. 3. Die zwei Gottesreden und die beiden Antworten Hiobs gelten als primäre Konzeption, die sich nur durch eine oder mehrere geringfügige Erweiterungen vom jetzigen Text unterscheidet (Fridolin 30

Vgl. van Oorschot, Gott als Grenze, 2f; ders., Tendenzen der Hiobforschung, 370 Anm. 40; Kaiser, Grundriss der Einleitung 3, 76ff und SchwienhorstSchönberger, Ijob, 423. 31 S. dazu Volz, Weisheit. SAT III / 2, Göttingen 21921. 32 S. dazu Kuhl, Literarkritik, 264 Anm.3. 33 S. dazu Hesse, Hiob. ZBK.AT 14, Zürich 21992. 34 Vgl. van Oorschot, Gott als Grenze, 24. 35 S. dazu Weiser, Das Buch Hiob, ATD 13, Göttingen 61974. 36 S. dazu Terrien, Job, CAT XIII, Neuchâtel 1963. 37 S. dazu Gordis, The Book Job, New York 1978. 38 S. dazu Kubina, Die Gottesreden im Buche Hiob, FThSt 115, Freiburg 1978. 39 S. dazu Habel, The Book of Job (OTL), London 1985. 40 S. dazu Hartley, The Book of Job (NICOT), Grand Rapids 1988. 41 Vgl. van Oorschot, Gott als Grenze, 58ff. 42 Ders., aaO 253. 43 Vgl. ders., Tendenzen der Hiobforschung, 369. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zur Forschungsgeschichte

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Stier 44 , Othmar Keel 45 oder Claus Westermann 46 , Eberhard Ruprecht47). Während F. Stier und O. Keel nur mit Ausnahme von Hi 40,1 dem 2. Modell entsprechen, halten C. Westermann und E. Ruprecht auf Grund formgeschichtlicher Bestimmungen viele Abschnitte für sekundär (C. Westermann: 39,9-12; 39,13-30 (?); 40,15-24; 41,4-26 / E. Ruprecht: 40,1; 40,3-5; 40,15; 41,4-26)48. Nach O. Keel bezieht sich die erste Gottesrede auf Hi 3, die zweite Gottesrede auf Hi 9,24 49 . Die Gottesreden sind Antworten Gottes auf die Fragen Hiobs50. Aus ganz anderen Gründen behauptet C. Westermann, dass die beiden Gottesreden zusammen eine ursprüngliche Ganzheit darstellen. „Er hat gezeigt, dass sie den beiden Teilen des Lobpsalmes entsprechen, dem Lob des Schöpfers und dem Lob des Herrn der Geschichte, und dass andererseits das Gotteslob als Antithese zur Klage für das ganze Hiobbuch bestimmende Deutung hat.“51 4. Die ursprüngliche Dichtung endet mit einer Gottesrede ohne verbale Reaktion Hiobs (Hans Heinrich Schmid 52 und Victor Maag53). In einem historischen und theologiegeschichtlichen Zusammenhang vermutet V. Maag, dass die Dichtung nur eine Gottesrede ohne Antwort Hiobs hat, auch wenn er die literarkritischen Ergebnisse abgewiesen hat54. Die Gottesrede zielt darauf, Hiob von der Sinnlosigkeit seiner Existenz wegzuführen und sein Gesichtsfeld zu erweitern. Ohne eine explizite Antwort zu geben, wird Hiob zum Vertrauen gegenüber dem Schöpfer Gott geführt55.

44

S. dazu Stier, Ijob, 348f. S. dazu Keel, Jahwes Entgegnung, 35ff. 46 S. dazu Westermann, Aufbau, 108ff. 47 S. dazu Ruprecht, Nilpferd, 209ff. 48 Vgl. van Oorschot, Gott als Grenze, 78. 49 Vgl. Keel, aaO 156f. 50 Vgl. ders., aaO 156. 51 Ruprecht, Nilpferd, 210f. 52 S. dazu Schmid, Wesen und Geschichte der Weisheit (BZAW 101), Berlin 1966. 53 S. dazu Maag, Hiob (FRLANT 128), Göttingen 1982. 54 Vgl. van Oorschot, Gott als Grenze, 102ff. 55 Vgl. ders., aaO 255. 45

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Erster Teil: Einleitung

5. Die ursprüngliche Dichtung hat eine Gottesrede mit einer Antwort Hiobs (Karl Budde56, A.de Wilde57; Samuel R. Driver und G. Buchanan Gray 58 ; Bernhard Duhm 59 , Ernst Würthwein 60 , Gustav Hölscher61, Georg Fohrer62, Jürgen van Oorschot63). In diesem Modell gibt es viele verschiedene Varianten, „die jeweils von einem anderen ursprünglichen Textbestand ausgehen“ 64 . Trotzdem behaupten die Vertreter dieses Modell meistens, dass die zwei Gottesreden so wie die beiden Antworten Hiobs thematisch identisch sind oder einander inhaltlich und strukturell ergänzen65. J. van Oorschot stellt Vermutungen zum Ziel der Gottesrede und Antwort Hiobs an: „In der ursprünglichen Gottesrede, 38,1-18.21-27.29-39,12.19-27*.28*.29f; 40,2.814 verteidigt Gott seine Freiheit und Unverfügbarkeit sowohl gegen die durch die Freunde repräsentierte Tendenz damaliger Weisheitstheologie, die undialektisch das Weltgeschehen und Gottes Willen gleichsetze, als auch gegen den Protest Hiobs, der die eigenen Erfahrungen zum Maßstab der Bewertung des Handeln Gottes mache. In dieser Frontstellung markiere die Reaktion Gottes die notwendige Grenze zwischen dem Menschen als Geschöpf und Gott als dem Schöpfer. Dabei anerkennt die Antwort Hiobs in 40,3-5; 42,2.3a*.b.5f die Verborgenheit Gottes, die sich ihm erst in der Begegnung mit diesem erschloß. Der durchschaute Gott Hiobs und der Freunde war der notbringende Gott.“66

Erneut weist M. Witte den Gottesreden verschiedene Textschichten zu. Nach Niedrigkeits-, Majestäts- und Gerechtigkeitsredaktion rekonstruiert er die Hiobdichtung. Die ursprüngliche Gottesrede ist eine Gottesrede ohne Antwort Hiobs wie bei V. Maag67. Durch den Hintergrund der kreatürlichen Sündhaftigkeit des Menschen behauptet M. Witte, dass der „Niedrigkeitsbearbeiter“ die Aussage Hiobs in 40,3-5 und 42,2-3*.5f formuliert. Der „Gerechtigkeitsbearbeiter“ fügt die Rechtsthematik in 40,7-14 ein und gestaltet die Gottesrede zu zwei Gottesreden und zwei Antworten Hiobs um. Nach ihm „unter56

S. dazu Budde, Das Buch Hiob (HKAT II/1), Göttingen 21913. S. dazu de Wilde, Das Buch Hiob (OT Studien XXII), Leiden 1981. 58 S. dazu Driver und Gray, Job (ICC), Edinburgh 1921. 59 S. dazu Duhm, Das Buch Hiob (KHC XVI), Freiburg 1897. 60 S. dazu Würthwein, Gott und Mensch in Dialog und Gottesreden des Buches Hiob (1938), 217ff. 61 S. dazu Hölscher, Das Buch Hiob (HAT I/17), Tübingen 21952. 62 S. dazu Fohrer, Das Buch Hiob (KAT 16), Gütersloh 21989. 63 S. dazu van Oorschot, Gott als Grenze (BZAW 170), Berlin 1987. 64 Ders., aaO 133. 65 Vgl. ders., Tendenzen der Hiobforschung, 370f. 66 Ders., ebd. 67 Vgl. ders., aaO 361. 57

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Zur Forschungsgeschichte

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wirft sich Hiob in 42,1-6 der gerechten Schöpfermacht Gottes.“68 Auch W.D. Syring hält nur die erste Gottesrede für ursprünglich69. In der Hiobforschung wird die Diskussion über diese fünf Modelle weiter gehen70. Trotz wichtiger Erträge dieses Ansatzes bleibt das Problem der Gestalt und des Gehaltes der Gottesreden jedoch bestehen71. J. Ebach kritisiert: „Eine literarische Reduktion auf eine Gottesrede und eine Antwort Hiobs vermittels der Streichung etlicher Passagen verfehlt die differenzierte Textstruktur.“72 Auch wenn J. van Oorschot die literarkritisch-redaktionsgeschichtliche Methode der Tendenz der Forschung zu den Gottesreden betont73, ist es immer noch nötig, die Gottesreden als Einheit zu erforschen und zu interpretieren. Neuerdings versuchen D.J.A. Clines74, J. Ebach75, K. Engljähringer76, K.-T. Ha77 und R. Heckl78, die Gottesreden in der vorliegenden Endgestalt auszulegen. Weiter wird darüber debattiert, ob die Rahmenerzählung des Hiobbuches zur Hiobdichtung gehören kann oder nicht. Neuerdings vermutet auch M. Köhlmoos, dass die beiden Passagen Hi 1-2; 42,717 sich als Fortschreibung der Novelle durch den Dialogverfasser wahrscheinlich machen lassen79. Im Gegensatz dazu behaupten R. Lux und R. Heckl, „dass die ältere Dialogdichtung nachträglich durch die Erzählung gerahmt worden sei“80. Auch wenn es weiter 68

Ders., aaO 372f. Vgl. Syring, Hiob, 172 macht die Gottesreden drei Schichten (eine Grundsicht mit 38-39; eine Bearbeitungsschicht 40,3-5; 42,2-6; eine weitere Bearbeitungsschicht mit 40,1f.6-41,26; 42,1). 70 S. dazu de Wilde, Hiob, 358. 71 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 10f. 72 Ebach, Streiten mit Gott 2, 154. 73 Vgl. van Oorschot, Entstehung des Hiobbuches, 168. Zur neuen redaktionskritischen Arbeit s. M. Witte, Vom Leiden, 191 bezieht die Gottesreden auf eine sogenannte Niedrigkeitsredaktion, welche die Abschnitte 40,3-5 und 42,2.3aβb.5-6 verfasst. Köhlmoos, aaO 67 vermutet, „dass der Schlussdialog zwischen JHWH und Hiob nur eine Rede JHWHs und eine Antwort Hiobs enthielt“. 74 S. dazu Clines, WBC 17, xxxiv und ders., WBC 18B, 1048ff . 75 S. dazu Ebach, aaO 118ff. 76 S. dazu Engljähringer, Theologie, 11.157ff. Nach Schwienhorst-Schönberger, Ijob: Vier Modelle, 26 lässt Engeljähringer „die Frage der Entstehungsgeschichte des Ijobbuches im Grund offen und zeigt, dass man das Buch verstehen kann, ohne seine Entstehungsgeschichte zu kennen“. 77 S. dazu Ha, Frage und Antwort, 10ff. 78 S. dazu Heckl, Hiob, 189ff. 79 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 75f. 345ff. Auch sie behauptet, „dass die Dialogdichtung niemals ohne ihren erzählenden Rahmen vorgelegen hat“ (dies., aaO 48). 80 Lux, Hiob, 60.63ff, vgl. Heckl, Hiob, 25ff: Die Rahmenerzählung als eine sekundäre Umschließung der vorgegebenen Dichtung wäre in ihrer Bezogenheit auf die Dichtung zu verstehen (vgl. ders., aaO 25). 69

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Erster Teil: Einleitung

Auseinandersetzungen darüber gibt, sind die Rahmenerzählung und der Dialogteil voneinander abhängig. Seit langen sehen einige Exegeten das Verhältnis der Rahmenerzählung zur Dichtung als ursprünglich einheitlich 81. Erneut behauptet K. Schmid, dass die Rahmenerzählung von der Dichtung nicht getrennt werden könne82. „Die Annahme einer eigenständigen Novelle ignoriert s. E. zentrale Aspekte der Intention des Rahmens.“83 In Bezug auf die Gottesreden setzt Hiob 42,7-9 im Epilog „eine Verknüpfung von Hioberzählung und -dichtung voraus“ 84 . Auch J. Ebach bestätigt: „Unabhängig von der Bestimmung des genetischen Verhältnisses von Rahmenerzählung und Reden ist die Verbindung beider nicht nur im Blick auf das so entstandene Buch von Belang, sondern auch im Blick auf das im Hiobbuch verhandelte Problem.“85

Es ist schwer, die Hiobdichtung ohne Rahmenerzählung zu verstehen, und umgekehrt auch. So gibt es in der Forschungsgeschichte viele Vorschläge, aber keine endgültig anerkannte Lösung. II.

Formgeschichte von Hi 38,1-42,6

Neben den literarkritischen Analysen der Gottesreden gibt es einen formgeschichtlichen Zugang zum Verständnis der Gottesrede (des Hiobuches) 86. Das Problem, zu welcher Gattung die Gottesreden gehören, ist häufig diskutiert worden87. In der Forschung sind meistens drei Gattungen genannt worden: Bildungsweisheit, Psalmen (Kult) und Recht88. Dass der Dialogteil zwischen Hiob und seinen Freunden zur Weisheit gehört, ist Forschungskonsens, weil dieser Teil ein oder mehrere weisheitliche Probleme behandelt 89 . Doch in den Gottesreden kommen diese Themen nicht vor90. Trotzdem hat G. von Rad die Gottesreden mit 81

Vgl. van Oorschot, Tendenzen der Hiobforschung, 356 und Schmid, Hiob als biblisches und antikes Buch, 8ff. Als Vertreter werden Hölscher, HAT I/17, 4f; de Wilde, Hiob, 8 u.a. genannt. 82 S. dazu Schmid, Hiobproblem, 9ff und ders., Hiob, 8ff. 83 Heckl, aaO 4, vgl. Schmid, Hiobproblem, 19f. 84 van Oorschot, Entstehung des Hiobbuches, 175. 85 Ebach, Hiob / Hiobbuch, 364. 86 Vgl. ders., ebd., s. dazu auch Müller, Hiobproblem, 101ff. 87 Vgl. de Wilde, Hiob, 60. 88 Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 24. 89 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 11. 90 Vgl. Müller, aaO 102. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zur Forschungsgeschichte

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der ägyptischen Weisheit verbunden 91 . Einerseits hat er zu den Gottesreden festgestellt, dass ägyptische Listenweisheit in die Gottesreden eingeflossen ist. Andererseits weist er darauf hin, dass der Aufbau der Streitreden in Papyrus Anastasi und in Hiob 38f identisch ist, unter der Voraussetzung, dass die Fragen der Gottesreden und die des Papyrus echte Schulfragen sind 92. H.H. Schmid beobachtet, dass das Thema „Ordnung“ in den Gottesreden eines der urtümlichsten Anliegen der Weisheit ist93. Im Gegensatz dazu behauptet C. Westermann, dass es in den Gottesreden zwei Linien, den Rechtsvorgang und die Klage, gibt. Während der Rechtsvorgang schnell vergessen wird, steht die Antwort Gottes an Hiob an der Stelle des Heilsorakels in den Klagepsalmen 94 . Deshalb haben die Gottesreden „einen dem psalmistischen Charakter der Klage Hiobs entsprechenden Platz“95. Darüber hinaus stellt H.P. Müller fest, dass das Selbstlob Gottes in den Gottesreden herrscht96. Für H. Richter hängen die Gottesreden mit dem Rechtsleben zusammen. Denn die Gottesreden enthalten das Gottesurteilsverfahren, das sich analog dem weltlichen Rechtsverfahren vollzieht97: „Richter sieht im Hiobdialog (3,1-42,6) die Darstellung eines Rechtsstreites zwischen Menschen und Gott. Die Dialoge stellen die verschiedenen Verfahren des israelitischen Prozessrechtes dar: das vorgerichtliche Schlichtungsverfahren, das gerichtliche Schlichtungsverfahren und das Gottesurteilsverfahren in der Form, in der es in weltlichen Prozessverfahren durchgeführt wurde.“98

Darüber hinaus versucht man, durch juridisches Vokabular wie byrI, xky, jPvm und qdc die Gottesreden als Recht zu kategorisieren99. Neben diesen drei wesentlichen Gattungen hält V. Kubina die Gottesreden für eine prophetische Gattung. Im Hinblick auf den prophetisch-juridischen Rahmen bezeichnet Kubina die Gottesreden als „nachgeahmten prophetischen Rechtsstreit“100. In der Forschungsgeschichte gibt es viele Auseinandersetzungen. „Das Vorkommen einzelner formaler oder inhaltlicher Elemente aus den genannten Bereichen berechtigt doch nicht dazu, die Gottesreden

91 92 93 94 95 96 97 98 99 100

Vgl. ders., aaO 110. Vgl. Keel, aaO 26 und Müller, ebd. Vgl. Schmid, Wesen und Geschichte, 180. Vgl. Keel, aaO 25. Müller, aaO 115. Vgl. ders., aaO 112. Vgl. Richter, Erwägungen zum Hiob-Problem, 309. Kegler, Hauptlinien der Hiobforschung, 9. Vgl. Müller, Hiobproblem, 120. Kubina, Gottesreden, 142, s. dazu auch Gross, NEB.AT 13, 8. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Erster Teil: Einleitung

als ganze einem solchen zuzuschreiben.“ 101 Die Vertreter dieser Gattungen bestreiten aber nicht, dass die Gottesreden diese Elemente enthalten102. Aber es gibt keine dominanten Gattungen. Dabei haben die unterschiedlichen Gattungen jeweilige eigenen Funktionen in den Gottesreden103. Deshalb wird „eine Bestimmung einer übereinstimmenden Gattung dem Gegenstand nicht gerecht“104. In der Tat sind die Gattungen der Gottesreden verbunden mit der Weisheit, den Psalmen und dem Recht105. Daher gibt es Versuche, ein neues Model zu finden. Wegen des Problems, die Gottesreden einer Gattung zuzuschreiben, hält M.H. Pope die Gattung des Hiobbuches für sui generis106. Aber G. Fohrer107 und M. Köhlmoos108 sehen die Redeformen der Hiobdichtung als „Gattungsmischung“. Die drei Gattungen Psalmen, Weisheit und Recht sind miteinander vermischt und füreinander in einem neuen Sitz im Leben bestimmt109. Neben dieser Behauptung gibt es den Versuch, die Gattung der Gottesreden als „Streitrede“ zu sehen. O. Keel behauptet, dass die Gottesreden das Element „Streit“, bzw. „Streitgespräch“, „Streitrede“ enthalten 110 . Auch für A. de Wilde eignet sich die Qualifikation „Streitgespräch“ am besten, das Ganze zu definieren111. Nach dem Vorbild der Ä gyptologie betrachtet O. Kaiser die Hiobdichtung als Gattung der „Auseinandersetzungsliteratur“112. Darüber hinaus stellt H. Strauß eine neue Tendenz über die Forschung der Gottesreden dar: „Zu einer Antwort für Hiob 38ff verhilft zunächst eine ganz allgemein literaturwissenschaftliche Ü berlegung. Sie geht aus von dem ebenfalls noch in der neueren Hiobauslegung zu beobachtenden Tatbestand, dass die Begriffe Satire, Ironie, auch Krisenhaftigkeit (der Weisheit) und Skepsis zur Charakteristik des Hiobschlusses relativ undifferenziert und ziemlich beliebig gebraucht werden.“113

101

Keel, Jahwes Entgegnung, 27. S. dazu ders., aaO 24ff. 103 Vgl. Heckl, Hiob, 19. 104 Ders., ebd. 105 Vgl. Ebach, Hiob / Hiobbuch, 364. 106 Vgl. Pope, AncB 15, 30 und Habel, OTL, 45. 107 S. dazu Fohrer, KAT XVI, 50. 498. 108 S. dazu Köhlmoos, Auge Gottes, 20f. 109 Vgl. dies., aaO 122ff und Witte, Weisheit, 1171. 110 Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 28. Aber O. Keel versteht „Streitrede nicht als eine präzise Gattung mit einem bestimmten Sitz im Leben. Streitreden sind nicht nur im Kult, in der Schule oder vor Gericht, sondern noch in vielen andern Zusammenhängen zu finden“ (ders., ebd.). 111 Vgl. de Wilde, Hiob, 61. 112 Kaiser, Einleitung, 392, vgl. Witte, Hiobbuch, 443. 113 Strauß, BK XVI/2, 351f, vgl. Witte, ebd. 102

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Zur Forschungsgeschichte

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Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wird „vornehmlich im englischsprachigen Raum die Beziehung des Buches Ijob zum Drama heftig diskutiert“114. Nach K. Dell ist das Buch Hiob gegen einen dogmatisierten Vergeltungsglauben gerichtet, der in der Weisheit beheimatet ist. Für K. Dell ist das Hiobbuch nicht weisheitlich, sondern skeptisch. Die Gottesreden geben keine Lösung der im Dialogteil aufgeworfenen Fragen. In diesem Zusammenhang bezeichnet K. Dell das Buch Hiob als eine „Parodie“115. Neuerdings versucht B. Klinger zu zeigen, „dass mit der Annahme einer gewissen Affinität zu den griechischen Tragödien das Buch Ijob im Endtext als Drama zu lesen und zu verstehen ist“116. Er betrachtet Hi 29,1-42,17 als Tragödienschluss (Exodos) innerhalb der attischen Tragödie117. III.

Einzelthemen von Hi 38,1-42,6

Neben literakritischen und formkritischen Versuchen gibt es Einzelthemen zu den Gottesreden, mit denen man die Probleme der Gottesreden lösen will. Wie beziehen sich die Gottesreden auf Hiobs Antworten entsprechend der Theologie der Endgestalt? Für das Verständnis und die Bedeutung von Gottes Erscheinung ist es notwendig, die zahlreichen Motive und Symbole in den Gottesreden zu beobachten. Zuerst geht es um die Tiere in der ersten Gottesrede und dann um die beiden Ungeheuer Behemot und Leviathan in der zweiten Gottesrede. Auf dem Hintergrund der altorientalischen Bildkunst leistet die Monographie „Jahwes Entgegnung an Ijob“ von O. Keel einen wesentlichen Beitrag zur Deutung der Gottesreden118. Keel hat in seiner Monographie versucht, Gott als „Herrn der Tiere“ darzustellen. Aber nach M. Oemings Kritik passt dieses nicht zur Gottesvorstellung in den Gottesreden, in denen Gott als Schöpfer und Welterhalter vorkommt. Ebenso wie Oeming kritisiert U. NeumannGorsolke in ihrer Monographie „Wer ist der Herr der Tiere“ Keels Begriff vom „Herrn der Tiere“119. In der langen Geschichte im Alten Orient stellt der Herr der Tiere immer denjenigen dar, der die Tiere 114

Klinger, Im und durch das Leiden, 18. Zur forschungsgeschichtlichen Ü berblick s. ders., aaO 18ff und van Oorschot, Tendenzen der Hiobforschung, 377ff. 115 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 21 Anm. 3. 116 Klinger, aaO 333f. 117 Vgl. ders., aaO 122. 118 Vgl. van Oorschot, Tendenzen der Hiobforschung, 373. 119 S. dazu Neumann-Gorsolke, Herr der Tiere, 96ff. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Erster Teil: Einleitung

niederhält120. Nach B. Lang herrscht aber der Herr der Tiere über die Tiere, meistens indem er für sie sorgt und sie sogar rettet121. Im Blick auf die zweite Gottesrede zeigt O. Keel, wie Hiob zu einem neuen Denken geführt wird: „In der zweiten Gottesrede sieht K. eine Reaktion auf die Anfrage nach der Gerechtigkeit Gottes. Ihr begegnet der Dichter durch den Verweis auf Jahwes immer wieder zu erringenden Sieg über Behemot und Leviathan, die als Nilpferd und Krokodil (127ff.) die Chaosmächte (155ff.) repräsentieren. Als Hintergrund dieser Darstellung macht K. die ägyptische Tradition der Nilpferd- und Krokodiljagd durch den göttlichen König und den Königsgott Horus plausibel.“122

Während O. Keel in den beiden Ungeheuern die zwei Tiere Nilpferd und Krokodil sieht, bezweifelt E. Ruprecht dieses und behauptet, dass es sich hier nur um ein Tier Behemot (Nilpferd) handelt. Ruprecht behauptet, dass Behemot und Leviathan nur das Nilpferd zeigen. Nach seiner Meinung ist Leviathan ein weiterer Beiname des Nilpferdes123. G. Fuchs interpretiert das Hiobbuch im Rahmen der altorientalischen Chaoskampftraditionen. Sie behauptet, dass die Gottesreden die Spannung des Konfliktes durch eine spezifische Umformung der Chaoskampftraditionen auflösen. Im Gegensatz zu Keel behauptet sie, dass Gott in den Gottesreden kein Chaoskämpfer, sondern der fürsorgliche Schöpfer sei 124 . Es geht um eine „Umkehrung mythischer Intentionen“. Für sie ist „Behemot und Leviathan“ ein auf zweierlei Weise beschriebenes Wesen, das „zugleich als Tier und als mythische Gestalt aufgefasst werden soll“125. Auch F. Ahuis behauptet, dass die Gottesreden von zwei verschiedenen Tieren sprechen. „Deutlichstes Unterscheidungsmerkmal ist der Plural bei Behemot und der Singular bei Leviathan. So ist das Nilpferd in der Gruppe denn auch eine Gefährdung für die Ernährung des Menschen, während das Krokodil als Einzelnes das Leben des Menschen gefährdet.“126 Er verbindet das Nilpferd mit der Ernährung des Menschen, das Krokodil mit der Rettung des Menschen in Bezug auf die Anklage Hiobs (Hi 3; 29-31), wo Hiob von den beiden Themen Rettung und Versorgung redet. In den Gottesreden stellt sich 120

Vgl. Oeming, Begegnung mit Gott, 114: „Das altorientalische Bildmaterial, das das Motiv vom Herrn der Tiere eng mit Jagen und Töten zusammenrückt, erschließt den Sinn der Gottesrede gerade nicht.“ 121 Vgl. Lang, Jahwe, 100ff. 122 van Oorschot, Tendenzen der Hiobforschung, 373. 123 Vgl. Ruprecht, Nilpferd, 222. 124 Vgl. van Oorschot, aaO 385. 125 Ders., aaO 386, vgl. auch Mathis, Behemot, 83. 126 Ahuis, Behemot, Leviathan und der Mensch,85. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zur Forschungsgeschichte

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Gott dar, als der Gnädige, der den Menschen nähren und retten kann127. In der Forschungsgeschichte gibt es zahlreiche verschiedene Meinungen. Trotzdem eröffnet der Ansatz von O. Keel eine Möglichkeit, Hiobs Klage mit den Gottesreden zu verbinden. Die Gottesreden sind keine drei Stunden Naturkunde, sondern Antworten auf die (An)Klage bzw. Frage Hiobs. IV.

Zeit und Ort der Hiobdichtung

Es ist schwierig, die Entstehungszeit des Hiobbuches genau festzulegen 128, weil „das Hiobbuch eine Fülle sehr unterschiedlicher Textgattungen, Stoffe und Materialien aus verschiedenen Zeiten enthält“ 129 und es kaum Anspielungen oder Erwähnungen historischer Begebenheiten gibt130. Dazu ist das Hiobbuch ein literarisches Werk mit der Unterscheidung von erzählter Zeit und Zeit des Erzählers131. Aus diesem Grund ist es „schwierig, seine sozialgeschichtlichen Hintergründe zu eruieren“132. Trotzdem kann man vermuten, dass das Hiobbuch zwischen etwa 500 bis spätestens 200 v. Chr. verfasst ist 133. Viele Kommentatoren halten die Grundschicht der Hiob-Erzählung für ein vorexilisches oder frühnachexilisches Werk. Aber die Hiobdichtung, zu dem die Gottesreden gehören, weist aufgrund der kritischen Auseinandersetzung mit einer traditionellen weisheitlichen Theologie auf die nachexilische Zeit wie Kohelet hin134. Dazu sprechen Vokabular, Anklänge an die persische Staatsverwaltung (3,14f) und weisheitskritische Gedanken für eine nachexilische Entstehung135. Im Grundsatz ist unbestritten, dass die Theologie des Hiobbuches wie die des Koheletbuches die traditionelle Weisheit voraussetzt und deren kritische Transformation (Krise der Weisheit) dokumentiert. Durch die Reflexion des kollektiven Exilgeschicks prägt die Theologie des Hiobbuches die alte Weisheitstradition „in eine grund127 128 129 130 131 132 133 134

373. 135

Vgl. ders., aaO 83ff. Vgl. Fohrer, KAT XVI, 42 und de Wilde, Hiob, 53. Ha, Frage und Antwort, 11. Vgl. Ritter-Müller, Kennst du die Welt, 17. 19. Vgl. Gross, NEB.AT 13, 8. Ebach, Hiob / Hiobbuch, 366. Vgl. Kaiser, Hiob, 6; Gross, aaO 8 und Witte, Hiobbuch, 440. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Ijob, 424 und Crüsemann, Hiob und Kohelet, Vgl. Ritter-Müller, aaO 20. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Erster Teil: Einleitung

sätzliche Krise, die zentrale weisheitstheologische Elemente wie den Tun-Ergehen-Zusammenhang (TEZ), die Gottesfurcht oder das Verständnis von Weisheit (bes. im Verhältnis zur Gottesfurcht) betrifft“136. Nach M. Köhlmoos scheint das Hiobbuch aufgrund der internen Differenzierung und der Intertextualität ein nachexilisches Werk zu sein137. Im Hiobbuch klingen Texte aus verschiedenen Bereichen des Alten Testaments an138. Daneben weist der Monotheismus im Hiobbuch auf die Literatur der Perserzeit hin139. Aus diesem Grund kann man schließen, dass das Hiobbuch in der nachexilischen Zeit in Palästina verfasst ist: „Da ein solches Werk angesichts der in ihm verarbeiteten Traditionen nicht an einem entlegenen Ort entstanden sein dürfte, kommt Jerusalem mit seiner nächsten Umgebung der (späten) persischen Zeit am ersten in Frage …“140

Auch wenn der Hiobdichter nicht nur ägyptisches, sondern auch mesopotamisches Material verarbeitet141, ist es wahrscheinlich, dass das Hiobbuch aufgrund seiner hohen Schriftgelehrsamkeit „nicht gut in allzu großer Distanz zu ihm (sc. dem Jerusalemer Tempel) entstanden sein kann“142.

136

Leuenberger, Konsequente Erfahrungstheologien, 37, s. dazu Ebach, aaO 361: „Sie (sc. Datierung) legt sich aber vor allem von der Problemgeschichte her nahe, da die im Hiobbuch thematisierte Krise der Weisheit und ihrer Auffassung vom Zusammenhang zwischen dem Tun eines Menschen und seinem Ergehen nicht nur die ältere Weisheit voraussetzt, sondern auch die Individualisierung des TunErgehen-Zusammenhangs (…), wie sie durch Ez 18 und andere exilische Texte repräsentiert ist (…). Von daher wird man an eine Entstehungszeit zwischen dem 5. Und 3. Jh. Denken können.“ 137 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 1ff und Witte, Hiobbuch, 440 betont, dass aufgrund des Phänomens der Gattungsmischung und Gattungsverfremdung das Hiobbuch ein beispielhaft intertextuelles Werk bildet. 138 Vgl. Schmid, Hiob als biblisches und antikes Buch, 54 und Köhlmoos, aaO 2. 139 Vgl. Schmid, Literaturgeschichte, 144. Zum Monotheismus s. de Wilde, Hiob, 29f: „Die Spannung im Buch Hiob rührt von der theologischen Anschauung her, dass ein einziger Gott hinter allem Geschehen steht. (…) Alle Sprecher gehen von der festen Ü berzeugung aus, dass nur Einer den Weltenlauf und das Schicksal der Menschen regiert.“ 140 Nõmmik, Freundesreden, 300. 141 Vgl. Fohrer, KAT XVI, 42f. 142 Schmid, aaO 153. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zur Methode der Arbeit

C)

17

Zur Methode der Arbeit

Das Hauptziel der vorliegenden Arbeit ist die Beantwortung der in der Forschungsgeschichte aufgeworfenen Fragen: Was antwortet Gott aus dem Sturmwind? Worin liegt eine mögliche Interpretation der Reden Gottes und der Antworten Hiobs? Was geschieht zwischen Gott und Hiob im Dialog? Es geht nicht um den Werdegang des Textes, sondern um die Bedeutung und die Theologie der Gottesreden. Zur Beantwortung dieser Fragen gibt es zwei Wege: Die synchrone und die diachrone Methode. Bei der diachronen Methode untersucht man vor allem die Redaktionsgeschichte, den Werdegang von der Entstehung bis zur Endgestaltung und die Theologie der Redaktoren aus verschiedenen Zeiten. Es ist aber schwierig, jede Redaktionsschicht genau zu bestimmen und ihre jeweilige theologische Bedeutung herauszufinden. Bei dieser Untersuchung bleibt jede Rekonstruktion von Vorstufen spekulativ143. Die Frage des literarischen Wachstums kann man nicht mehr beantworten. Dazu sind die Argumente, die gegen die Einheitlichkeit vorgebracht wurden, nicht schlüssig144. Im Gegensatz dazu ist es günstig, den Inhalt des Textes als Einheit zu sehen und die Theologie des Verfassers darzustellen, denn der jetzt vorhandene Text ist der einzig sicher greifbare: „So wenig man angesichts dieser Spannungen das Hiobbuch als Produkt des einheitlichen Gestaltungsweillens eines Autors und als literarische Einheit ansehen darf und so sehr sich von daher die Frage nach seiner (im einzelnen schwer rekonstruierbaren) Genese stellt, so deutlich muss doch sein, dass die Rekonstruktion der Genese seiner Schichten nicht die Interpretation des jetzt vorliegenden Hiobbuches ersetzen kann.“145

In der vorliegenden Arbeit beschränke ich mich auf die Feststellung, dass der jetzige Text als Endtext auch der ursprüngliche sein könnte, abgesehen von kleineren Veränderungen. Trotz ihrer sprachlichen und motivischen Unterschiede stellen die beide Gottesreden mit den zwei Antworten Hiobs eine Einheit dar. In diesem Zusammenhang analysiert die vorliegende Arbeit die innere Struktur, Komposition,

143

Vgl. Clines, WBC 17, xxxiv. Vgl. Andersen, Job, 55, s. dazu Kaiser, Hiob, 6: „die historisch-kritische Bibelwissenschaft hat große Energie auf die Klärung der Entstehungsgeschichte des Buches ‚Hiob‘ verwandt. Trotzdem sind die Ergebnisse im Hinblick auf die Textkonstitution kontrovers und auf die Datierung vage.“ 145 Ebach, Hiob / Hiobbuch, 362. 144

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Erster Teil: Einleitung

Intention und Theologie der Gottesreden unter der Voraussetzung des abgeschlossenen Kanons146. Dabei ist es nötig, die Gattungs- und Traditionsgeschichte (Motive) der Gottesreden zu behandeln. In dieser Studie soll ein besonderer Fokus darauf gelegt werden, welche Bedeutung den Motiven, Symbolen der Natur und der Tiere zukommt. In der Forschung wird bestätigt, dass viele Motive und Traditionen in den Gottesreden aus dem alten Orient stammen. Aus diesem Grund werden Text- und Bildtraditionen Mesopotamiens und Ä gyptens herangezogen und mit den Gottesreden verglichen. Dieser Vergleich kann helfen, das Verständnis des Textes zu klären und zu präzisieren. Insbesondere sollen die Abschnitte „Zehn Tiere“ in der ersten Gottesrede und „Behemot und Leviathan“ in der zweiten Gottesrede genauer untersucht werden. Ein Teil der Forschung sieht Behemot und Leviathan als eine zusätzliche Erzählung, die sich nicht wesentlich von der ersten Gottesrede unterscheidet, der andere Teil betrachtet sie als die geschichtlichen Chaos-Mächte als Gegensatz zur ersten Gottesrede. Obwohl dieser Abschnitt als sekundär angesehen werden könnte, ist er doch für das Verständnis des Hiobbuches in der heute vorliegenden kanonischen Endgestalt wichtig. Darüber hinaus werden die Intention und Theologie der Gottesreden in Bezug auf das ganze Hiobbuch untersucht. „Nur im Zusammenhang einer Gesamtinterpretation des Buches kann über die Funktion und die Ursprünglichkeit der beiden Gottesreden geurteilt werden.“147 Die Gottesreden lassen sich nicht aufgrund von isolierten Einzeltexten untersuchen, sondern werden immer im Ablauf des gesamten Hiobbuches betrachtet148: „Daraus ergibt sich auch, dass die Gottesrede nicht allein und isoliert für sich zu betrachten ist. Sie ist ein Pol des Dialogs zwischen Gott und Ijob, der nicht ohne den anderen Pol, also Ijobs vorangegangene Reden gesehen werden kann. Die gegenseitige Aufeinanderbezogenheit zeigt sich eben in den sprachlichen Anspielungen und den sich daraus ergebenden gegensätzlichen Auffassungen. Insofern ist das Buch Ijob ein literarisch durchkomponiertes Kunstwerk.“149

146

Zur Intention des Textes in Bezug auf Kanonhermeneutik s. Janowski, Die kontrastive Einheit, 42f: „Entscheidend für die Auslegung des biblischen Kanons als eines kohärenten Sinngefüges ist die Ermittlung der intentio operis, d.h. die Ermittlung des im vorliegenden Text mitgeteilten Sinns – und zwar im Kontext des Kanons.“ 147 Ebach, Hiob / Hiobbuch, 363f. 148 Vgl. Schmid, Literaturgeschichte, 152. 149 Ritter-Müller, Kennst du die Welt, 280. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zur Methode der Arbeit

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In diesem Zusammenhang sind die Gottesreden notwendig150. Auf die Reden der Freunde wird in der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen, auch wenn sie nicht unwesentlich zu dem Sinneswandel Hiobs im Dialogteil mit den Freunden beitragen. Die Arbeit konzentriert sich auf die Gottesreden und Hiobs Antworten sowie die Klage Hiobs gegen Gott im Dialogteil. Während die Hiobreden im Dialogteil als Frage gelten, können die Gottesreden Antworten sein151. M.E. haben die Hiobreden im Dialogteil und die Gottesreden in Hi 38,1-42,6 gemeinsame Themen. Es geht um das Welt-, das Gottesund das Menschenbild. Dabei unterscheiden sich aber das Welt-, das Gottes- und das Menschenbild Hiobs im Dialogteil von der Vorstellung Gottes in den Gottesreden. Dieser Unterschied ist zur Auseinandersetzung zwischen Hiob und Gott geworden. Durch die gegensätzlichen Vorstellungen der Dialoge und der Gottesreden werden in der Hiobdichtung theologische Aussagen deutlich152. Diese Themen können ein Schlüssel zur Interpretation des Hiobbuches und zur Lösung des Hiobproblems sein. In dieser Gesamtperspektive werden Bedeutung und Theologie der Gottesreden untersucht.

150 151 152

Vgl. Fohrer, KAT XVI, 37. Zum Frage-und-Antwort-Struktur s. Ha, Frage und Antwort, 25ff. Vgl. Ritter-Müller, Kennst du die Welt, 279. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zweiter Teil: Text und Textkritik

A)

Text und Ü bersetzung K.38

nmi bAYai-âta, hw"åhy>-![;Y:)w: `rm:)aYOw: hr"[ª'S.h; hc'î[e %yviÞx.m; hzBi tyviyª"÷-apoWï 11b

Gürte doch wie ein Manna deine Lenden! unda ich will dich fragen, und du lehre mich! Wo warst du, als ich die Erde gründete? Erzähle es mir, wenn du die Einsicht weißt! Wer setzte ihre Maße, du weißt es doch! oder wer spannte über ihr die Maßschnur aus? Worauf sind ihre Pfeiler eingesenkt? oder wer hat ihren Eckstein gelegt, als die Sterne des Morgens miteinander jauchzten und alle Gottes Söhnea jubelten? und ‚wer„ hat mit Toren das Meer verschlossena, als es hervorbrechend aus dem Mutterschoß trat, als ich Wolke zu seinem Kleid machte und Wolkendunkel zu seinem Windel, und ich zerbracha über ihm meine Bestimmungb, und setzte ihm Riegel und Tor und ich sprach, „Bis hierher kannst du kommen und nicht weiter!“? und hiera stelltb es sich beim Ü bermut deiner Wellen entgegen!

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21

Text und Ü bersetzung

rq,B+o t'yWIcåi ^ym,Ym" ih.(â 12a `Am*qom. rx;V;äh;T[' .D:yI 12b #rkB; . zxoa/l,â 13a `hN"M÷ 14b ~r"_Aa ~y[ivä'r>me [n:å M'yIw> 15a `rbEV) T' i hm'rª"÷[;Arï z>W 15b ~y"+-ykeb.nI-d[; t'ab'h]â 16a `T'k.L'h( ;th. i ~Ahª T.÷rq,xî be .W

16b

tw 17b #rn:Bto .hiâ 18a `HL'(ku T'[.d:yî"-~ai dGEh©;÷ 18b rAa=-!K'v.yI %r 20b dle_W"Ti za'-äyKi T'[.d:y"â 21a `~yBir( : ^ym,äy" rP:sß.miW 21b gl,v'_ tArå c.a-o la, t'ab'h] 22a `ha,(r>Ti dr"Bä' tArß c.awo > 22b rc"-+ t[,l. yTik.f;xî-' rv,a] 23a `hm'x( l' .miW br"ªq.÷~Ayð l. 23b rAa= ql,xäy' E %r ymiä~yIm;v'÷rpoð k.W 29b WaB'x_ ;t.yI ~yIm:å!b,a,K'â `WdK'l( ;t.yI ~Ahª t.÷ynEpï.W hm'y_ Ki tANæd:[]m; rVeq;t.h;â `x;T(pe ;T. lysiKä. tAkß v.mo-Aa)

um regnen zu lassen auf Land, wo kein Mann ist, auf Steppe, in der kein Mensch ist,

AT=[iB. tAråZ"m; aycitäoh] 32a `~xe(n>t; h'yn 37b

Wer zählt die Wolken mit Weisheit ab, und die Krüge des Himmels – wer schüttet sie aus, wenn sich der Erdstaub zum Gußwerk ergießt und Erdschollen zusammenkleben?

qc'_WMl; rp'['âtq,cä B, . 38a `WqB'(dyU > ~ybiî g"r>W 38b @rmi ~yrIhå' rWtå y> `vAr)dy> I qArå y"-lK' rx:aß;w>

8a 8b

Er erkundeta die Berge als seine Weide, und hinter allem Grün sucht er her.

^d 11b ^[z: bwviyä"-yKi ABß!ymiäa]t;h] 12a `@so*a/y< ^ï n>r>g"w>) 12b hs'l_[' /n< ~ynIïn"r>-@n:K. 13a

14a 14b

Der Flügel der Straußenhenne bewegt sich lebhaft, ist ihre Schwinge so wie die des Storches oder des Falken? Sie überlässt doch ihre Eier der Erde und lässt sie auf dem Staub warm werden.

15a 15b

und sie vergisst, dass ein Fuß sie zerdrückt und Wildgetier des Feldes sie zertritt.

`hc'(nOw> hd"yîsix] hr"bª.a-,÷~ai 13b h'yc,_Be #r 17b ayrIm+ .T; ~Arå M'B; t[eK'â 18a `Ab*k.ro)l.W sWSªl;÷qx;fîT. i( 18b hr"_WbG> sWSål; !TEtåih] 19a `hm'[( .r: Arå aW"c; vyBiÞ l.t;h] 19b hB,r_ >a;K' WNv,y[ir>th; (.â 20a `hm'y( ae Arå x.n: dAhß 20b x:kB+o . fyfiäyw" > qm,[be 'âWrå Px. y. : 21a `qv,n")-tar:q.li aceyªE÷ 21b

Siea behandelt ihre Jungen hart, als wären es nicht ihre, um vergebliche Mühe unbekümmert. Denn Gott ließ sie Weisheit vergessen und gab ihr keinen Anteil an Einsicht. In dem Moment, da sie in die Höhe schnellt, verlacht sie das Pferd und seinen Reiter. Gibst du dem Pferd Stärke, bekleidest du seinen Hals mit einer Mähne? lässt du es springena wie eine Heuschrecke? Die Hoheit seines Schnaubens ist Schrecken. Es scharrta im Tal und freut sichb, mit Kraft zieht es dem Kampf entgegen.

tx'_yE al{wå> dx;pl; .âqx;fäy. I 22a `br tynIxå] bh;l;Þ 23b

Auf ihm klirrt der Köcher, die Flamme des Speers und der Wurfspieß.

#ry: ^yPiâ-l[;-~ai 27a `AN*qi ~yrIyï" ykiwª>÷ 27b !n"+l{ty. Iw> !Kov.yIâ[l;s,ä 28a `hd"W( cm.W [l;s÷,-©!v,-l[;( 28b lk,a-o+ rp;x(' ~V'î mi `WjyBi(y: wyn"yï[e qAxª r"mel.÷ ~d"-_ W[l.[;y> wx'î rop.a,w> p `aWh) ~v'ä~ylilª'x÷] rvBD; Iâtx;aä; 5a p `@ysi(Aa al{wå> ~yIT;vª.W÷ 5b nmi bAYai-âta, hw"åhy>-![;Y:)w: 6 `rm:)aYOw: hr"[ª's. ^yc,_lx' ] rb,gåk< . an"-årz"a/ 7a `ynI[E)ydIAhw> ^ªl.a'v.a,÷ 7b yji_P'v.mi rpEåT' @a;h;â 8a `qD"(c.Ti ![;m;äl. ynI[eª yvir>T÷; 8b %l"+ laeîK' [;Arßz>-~aiw> 9a `~[e(r>t; WhmoKï' lAqªb.W÷ 9b Hb;gO=w" !Aaåg") an"åhdE[î] 10a `vB'(l.Ti rd"hå'w> dAhß w> 10b ^PW 11b Wh[e_ynIkh. ; ha,G-Eâlk' haeä r> 12a `~T'(x.T; ~y[ivä'r> %dohà]w: 12b dx;y"+ rp"å['B, ~nEmå.j' 13a `!Wm)J'B; vboxå] ~h,yªnEP.÷ 13b &'dA 14a `^n ^ål. [;viAÞt-yKi( 14b ytiyfi[ä'-rv,a] tAmhebâ. an"å-hNEhi %M"+[i `lkea( yO rq"ïBK' ; rycixª÷' wyn"+t.mb' . Axå ko an"-åhNEhi `An*j.bi yrEyîrIv.Bi An© aow>÷

15a 15b 16a 16b

Will der Tadler mit dem Allmächtigen streiten? Wer Gott zurechtweisen will, soll antworten! Da antwortete Hiob JHWH und sprach: Siehe, ich bin zu gering. Was kann ich dir erwidern? Ich lege meine Hand auf meinen Mund. Einmal habe ich geredet, und ich antwortea nicht mehr und ein zweites Mal, und ich füge nichts hinzu. Da antwortete JHWH Hiob aus dem Wettersturm und sprach: Gürte doch wie ein Mann deine Lenden! Ich will dich fragen, und du lehre mich! Willst du wirklich mein Recht zerbrechen, mich zum Frevler machen, damit du im Recht bist? Oder hast du einen Arm wie Gott, und donnerst du mit einer Stimme wie er? Schmücke dich doch mit Hoheit und Erhabenheit, und Pracht und Glanz zieh an! Laß die Ausbrüche deines Wutschnaubens sich ergießen, und blicke alles Hohe an und erniedrige es, schau alles Hochmütige an unda demütige es, und zertritt die Frevler an ihrem Ort! Verbirg sie im Staub alle zusammen, schließ ein ihre Gesichter am verborgenen Ort! Dann werde auch ich dich lobpreisen, dass dir deine Rechte half. Sieh doch den Behemota, den ich geschaffen habe mit dir! Gras frisst er wie das Rind. Sieh doch seine Kraft in seinen Lenden und seine Stärke in den Muskeln seines Bauches!

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Zweiter Teil: Text und Textkritik

zr yqEyåpia] wym'c[' ]â 18a `lzB; lyjimî.Ki wym'rª"G÷> 18b lae_-yker>D: tyviaärE aWhß 19a `AB*r>x; vGEyï: Af[oh'÷ 19b Al=-Waf.yI ~yrIhå' lWbâ-yKi( 20a (`~v'-Wqx]f;(y> hd) 20b

Er streckt seinen Schwanz wie eine Zeder, die Sehnen seiner Schenkel sind verflochten. Seine Knochen sind Röhren von Bronze, seine Gebeine wie Stangen von Eisen. Er ist der Anfang der Wege Gottes, der ihn gemacht hata, reichte ihm sein Schwert. Auch die Berge tragen ihm Holza herzu, und alle Tiere des Feldes, die dort spielen.

bK'_v.yI ~yliaî/c,-tx;T(; 21a `hC'(bWi hnyI ~yviqª.Am)B.÷ 24b hK'_xB; . !t"yå"w>li %vomæ.Ti 25a `An*vol. [:yqIvï.T; lb,x,bª.W÷ 25b AP+a;B. !Amåg>a; ~yfitäh' ] 26a `Ayx/l,( bAQïTi x:Axª b.W÷ 26b ~ynI+Wnx]T; ^yl,aeâhB,rä>y:h] 27a `tAK)r: ^yl,aäe rBEdß:y-> ~ai 27b %M"+[i tyrIBå. trokå.yIh] 28a `~l'A( [ db,[,äl. WNx,Qª'Ti÷ 28b rAP=CKi ; ABß -qx,f;th. ;¥ 29a `^yt,A( r[]n:l. WNr÷ 29b ~yrIB+ x' ; wyl'[â' Wrå k.yI 30a `~ynI)[]n:K)> !yBeäWhWcª x/ym-; la, ~g:hß] WNr yKiärz"k.a-;âal{

1b

`bC'(y:t.yI yn:ïpl' . aWh÷ ªymiî W

2b

2a

~Le_v;a]w: ynIm;yDIq.hiâymiä 3a `aWh)-yli ~yIm:åVh' ;-lK' tx;TÞ; 3b wyD"_B; vyrIxï]a;-{ al{.

4a

`AK*r>[, !yxiäw> tArª WbG>-÷rb;d>W

4b

Av+Wbl. ynEåP. hL'g-Iâymi( `aAb)y" ymiäAn© s.rI÷lp,kî B, .

5a 5b

x:Te_pi ymiäwyn"pâ' ytelä.D: `hm'y( ae wyN"åvi tAbß ybis.

6a 6b

~yNI+gmI ") yqEyåpia] hw"a]G:â 7a `rc") ~t'îAx rWg© s'÷ 7b WvG:y+ I dx'äa,B. dx'aä, 8a `~h,(ynEybe( aAbïy"-al{ x:Wrª w>÷ 8b WqB'_dyU > Whyxiîa'B.-vyai 9a `Wdr"(P't.yI al{wå> WdªK.l;t.yI÷ 9b rAa= lh,Tä' wyt'voyji[] 10a `rx;v'(-yPe[;p.[;K. wyn"© y[ew>÷ 10b Wkl{+h]y: ~ydIäyPil; wyPimiâ `WjL'(m;t.yI vae÷ªydEAdï yKi !v"+[' aceyäE wyr"yxiN>miâ `!mo*g>a;w> x:Wpån" dWdß K.

11a 11b 12a 12b

jhe_l;T. ~ylixäG' < Avp.n:â 13a `ace(yE wyPimîi bh;l;ª w>÷ 13b z[o+ !yliyä" AraW"c;B.(â 14a

Siehe, die Hoffnunga auf ihn wird enttäuscht, schonb sein Anblick bringt zu Fall. Niemand ist so tollkühn, dass er ihn wecktea. und wer ist es, der sich vor meinb Angesicht stellt? Wer stellt sich mir entgegen, dass ich es ihm vergelte? unter dem ganzen Himmel gehört alles mir! Nichta werde ich schweigen von seinen Gliedernb und dem Wort der Heldentaten und der Anmutc seiner Rüstung. Wer entbarg die Vorderseite seines Kleides, in sein doppeltes Gebißa – wer kam da hinein? Die Tore seines Gesichtes – wer öffnet sie? Rings um seine Zähne ist Schrecken. Sein Rückena sind Reihen von Schilden, geschlossen mit Siegeln aus Stein. Eines reiht sich an das andere, kein Lufthaucha kommt zwischen ihnen durch. Einer haftet fest an seinem Bruder, sie greifen ineinander und lassen sich nicht trennen. Sein Niesen strahlt Licht aus, und seine Augen sind wie Wimpern des Morgenrots, aus seinem Rachen gehen Fackeln hervor, Feuerfunken sprühen heraus. Aus seinen Nüstern kommt Rauch hervor wie aus einem angeheizten und brodelndena Topf. Sein Atem setzt Kohlen in Brand, und eine Flamme geht aus einem Maul hervor. Auf seinem Nacken nächtigt Stärke,

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Zweiter Teil: Text und Textkritik

`hb'(a'D> #WdïT' wyn"p©'l.W÷ 14b Wqbed_ " Aråfb' . ylePä.m; 15a

vor ihm hüpft Angst umher.

`jAM)yI-lB; wyl'[ª'÷qWcï y" 15b

Die Wampen seines Fleisches kleben zusammen, ihm angegossen, wackeln nicht.

!b,a'-_ AmK. qWcå y" ABliâ 16a `tyTi(xT. ; xl;pK,ä. qWcª y"w>÷ 16b

Sein Herz ist fest gegossen wie Stein und fest gegossen wie der untere Mühlstein.

~yli_ae WrWgæy" AtFemiâ 17a

Vor seinem Auffahrena erschrecken die Widderb, unter Brüche verfehlen sie sich. Triffta man ihn mit Schwert, hält nichts stand, noch Lanze, Wurfgeschoßb oder Pfeil. Für Häcksel hält er Eisen, für morsches Holz Erz.

`WaJ'x( ;t.yI ~yrIbªV' .m÷i 17b ~Wq+t' yliäB. br ^ªl.a'v.a,÷ 4b ^yTi_[.m;v. !z÷ 5b

B) I.

yTim.x_n; Iw> sa;äm.a, !Keâ-l[;

6a

p `rp,ae(w" rp"[ï'-l[;

6b

29

Wer ist es, der den Plan verfinstert ohne Erkenntnis?a So habe ich erzählt und nichts verstanden zu Wunderbares für mich und erkannte nicht. Höre doch, und ich will reden, ich will dich fragen, lehre du mich! Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut. Darum liegta mir nichts mehr daran und ich bin umgestimmtb, auf Staub und Asche.

Textkritische und sprachliche Bemerkungen Kap. 38

V. 1 (a) nmi Das Ketib nmi erklärt sich als Schreibfehler. Der Fehler könnte durch die Trennung des zunächst in einem Wort geschriebenen -shnm entstanden sein oder aus ursprünglichem ynm1. Als Qere ist !mi zu schreiben. V. 3 (a) rb,gk< . Nach einer hebräischen Handschrift, Syr und Targ schlägt der App. der BHK / BHS vor, rb,gk< . als rwbgk oder rwbygk („wie ein Held, Krieger oder Starker“) zu lesen. Außerdem unterstützen 11QtgJob, LXX, und Vulg die Schreibweise von MT rbgk („wie ein Mann“2). Sie kann somit beibehalten werden. Sinngemäß gibt es keinen großen Bedeutungsunterschied zwischen rwbgk /rwbygk und rbgk3.

1

Vgl. Fohrer, KAT XVI, 491, s. dazu Strauß, BK XVI/2, 336f: „Ketib (- oder y) nm hängt zusammen mit der im Hiobbuch relativ häufigen poetischen Nebenform (BL 643v) …“ 2 Ges18, 197: hier beinhaltet ein Mann ein tapferer Mann, vgl. HAL3, 168. 3 Vgl. Gordis, Job, 442. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

30

Zweiter Teil: Text und Textkritik

(b) (^l.a'v.a,)w> Syr, Vulg und einige hebräische Handschriften streichen w („und“), auch kommt es im inneren Parallelsatz Hi 40,7b nicht vor. LXX, 11QtgJob und Targ stützen die Schreibweise von MT. V. 7 (a) ~yhil{a/ ynEB-. lK' In 11QtgJob steht ahla ykalm lk („alle Engel Gottes“) anstatt ~yhil{a/ ynEB-. lK', in Targ aykalm ytk lk („alle Gruppen von Engeln“) und in der LXX a;ggeloi („Engel“). Aber in der Vulg omnes filii Dei („alle Söhne Gottes“) wird die MT-Ü berlieferung abgebildet. Bis auf die Vulg zeigen diese Ü berlieferungen die Absicht der Tradenten, ~yhil{a/ ynEB-. lK' zu emendieren, da dieser Wortlaut wegen ihres monotheistischen Glaubens als anstößig empfunden wurde4. V. 8 (a) %s,Y"w: %s,Y"w: scheint 3.m.Sg.Impf.cons. zu sein. Es ist entweder als Aktiv von b $ws ($ks) oder als reflexive (passivische) Form von $sn abzuleiten5. Es ist in diesem Vers jedoch umstritten, welches Wort das Subjekt ist. In der Textüberlieferung wurde versucht, dieses Problem auf zwei Arten zu lösen: einmal durch die Verwendung der 1.Sg., wie in Targ @ygaw („und ich verschloss“), in der LXX e;fraxa („ich verschloss“) und in der an sie gelehnte Versio antiqua conclusi („ich sperrte ab“), die zweite Möglichkeit ist die Umgestaltung in eine Frage, wie es bereits 11QtgJob gwsth („zäunst du … ein?“), aber auch Vulg quis conclusit („wer sperrte ab?“) überlieferten6. Mit Vulg quis conclusit schlägt G. Foher vor, %s,Y"w: in $s ym zu emendieren. Aber nach H. Strauß bieten alle weiteren Konjekturvorschläge, die diesen Vers als ein Selbsthymnus ansehen, keinen Anhalt in Text und Kontext7. Wegen dieser vielen Variationen ist es schwer eine eindeutige Lesart zu bestimmen. Nach R. Gordis könnte dieses Verb einen engen Zusammenhang mit dem Interrogativpronomen -ymi in V.5 haben8. Dann ist die Schreibweise von MT beizubehalten.

4

Vgl. Ritter-Müller, Kennst du die Welt, 22. Vgl. Strauß, BK XVI/2, 337. 6 Vgl. Ritter-Müller, aaO 23. 7 Vgl. Strauß, ebd. Anders als Kommentatoren und Exegeten sieht Strauß Subjekt dieses Verbs als das Meer (~y"): „Als (das) Meer (jam) (sich) Türflügel stieß (ergoß) …“ (ders., aaO 331). 8 Vgl. Gordis, aaO 443. 5

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Textkritische und sprachliche Bemerkungen

31

V. 10 (a) rBov.a,w" In der Ü berlieferungsgeschichte wird rBov.a,w" sinngemäß emendiert9. LXX liest evqe,mhn de. („und ich legte“) als tyvaw („und ich setzte ein; legte“) wie 11QtgJob es als hwXtw („und ich setzte“) und die Vulg es als circumdedi („ich legte um“) liest. G. Fohrer schlägt vor rgsaw („als ich es einschloss“) zu lesen, statt rBov.a,w" („als ich zerbrach“)10. „Hier ist MT im Sinne der lectio difficilior den Vorrang zu geben, weil der Sinn zwar schwierig, aber nicht völlig unklar ist.“11 (b) yQIxu Ebenso ist yQIxu sinngemäß in verschiedenen Schreibweisen tradiert. MT liest yQIxu mit dem Suffix der 1.Sg. wie Targ und Vulg. LXX hingegen liest es ohne Suffix. Darüber hinaus gibt es noch eine Möglichkeit. Nach G. Fohrer ist es AQxu in 3.Sg. zu lesen12. Aber nach der lectio difficilior ist yQIxu „meine Bestimmung“ zu lesen, wie MT. V. 11 (a) -apoW Nur hier im Alten Testament wird aPo statt hPo geschrieben. Diese Schreibweise aPo gilt als das alte Demonstrativ und ist hPo zu lesen13. (b) !Aag>Bi tyviy" !Aag>Bi tyviy" wird in der Ü berlieferungsgeschichte unterschiedlich übersetzt: 11QtgJob @swt („du wirst hinzufügen“), LXX suntribh,setai, („Es wird stehen bleiben“, „aufhören“) und Vulg confringes („du zerbrichst“). Der App. der BHS schlägt vor, hier -g tbvy zu lesen, ohne es durch Manuskripte mit der Schreibweise der Basis tbv („aufhören“) zu belegen14. Aus diesem Grund kann die MT-Lesart beibehalten werden. V. 12 (a) (^ym,Ym" i)h. -h ist das Interrogativum, das zur Einleitung von Satzfragen dient. Nach der Logik der masoretischen Punktation müsste -h. in -h] geändert werden15. 9 10 11 12 13 14 15

Vgl. Strauß, BK XVI/2, 337. Vgl. Fohrer, KAT XVI, 491. Ritter-Müller, Kennst du die Welt, 24. Vgl. Fohrer, ebd. Vgl. Strauß, aaO 337 und Ges18, 1041. Vgl. Ritter-Müller, aaO 25. Vgl. Gese-K §100k-n. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

32

Zweiter Teil: Text und Textkritik

(b) rx;V; h;T[' .D:yI Der App. der BHS schlägt rx;V;h; T'[.D:yI als Qere vor. G. Fohrer entscheidet sich für das Ketib, welches er „vielleicht“ für eine „mater lectionis“ hält16. Die Piel-Form von [dy kommt in der Bibel nicht vor. Lediglich in 2 Sam 2,26 wird die Qal-Form hT'[.D:yI verwendet. Der Artikel h wird in der Poesie meistens nicht verwendet17. Aus diesem Grund soll MT beibehalten werden. V. 14 (a) WbC.y:t.yIw> „Die in MT verwendete Verbform ist unklar, weil das zu der 3.m.Pl. gehörige Bezugswort nicht eindeutig festzustellen ist.“18 Der App. BHS schlägt vor, es mit „[bctw“ (Nif.f.Sg. „sich färben“) oder „[bjctw“ (Hitp.Sg. „sich gefärbt zeigen“) zu übersetzen19. Die beiden Formen werden aus der aus dem Altaramäischen erschlossenen Wurzel [bc („gefärbt“) angenommen20. Aber das Problem über den Numerus des Subjekts wird durch den Vorschlag nicht gelöst. Wegen der Schwierigkeiten der Ü bersetzung wird das Verb in der Ü berlieferungsgeschichte verschieden dargestellt. Trotzdem bestätigen die alten Übersetzungen, nach H. Strauß, zumindest „die Verbwurzel bcy / bcn (Hitp. ‚sich fest hinstellen„)“21. Wenn ~t'Ax rm,xoK. („wie Ton eines Siegels“) mit der Erde zusammenhängt, dann bezieht sich vWbl. („Kleid“) auf Menschen. Wenn das Subjekt von %Peh;tT. i („sich verwandeln“) die Erde wäre, könnte das Subjekt von WbC.y:t.yI (Hitp. Pl.von bcy: „hinzutreten, sich hinstellen, stehen“) nicht #rth; .( Viele hebräischen Handschriften lesen WNv,y[ir>tx; ] statt WNv,y[ir>th; .(â, indem -h] zu vokalisieren ist. Es ist möglich aus den gleichen Gründen wie in 38,12a69. V. 21 (a) WrP.xy. : Wie der Vorschlag der App. BHS und BHK, LXX, Vulg und Syr ist rAPxy in 3.m.Sg. zu lesen. Es ist eine Vertauschung von Wr- mit rw- mit anzunehmen70. Aus diesem Grund ist MT in rAPxy zu emendieren. (b) fyfiy"w> Der App. der BHS und BHK macht den Vorschlag, Atnach unter fyfyw einzufügen, damit xkoB zum Verb acy im zweiten Halbvers zieht. In LXX ist es in getrennten Halbversen übersetzt. G. Fohrer71und G. Hölscher72 lesen es auch in dieser Weise. Im Gegensatz dazu folgt Vulg der Schreibweise von MT, ebenso wie H. Strauß 73 . Unter Berücksichtigung des Sinnes des Verses und der Metrik (3+3 statt 4+2) ist es in fyfy_w zu emendieren (vgl. V.12).

67

Vgl. Fohrer, KAT XVI, 493 und Strauß, aaO 341. Vgl. Würthwein, Text des Alten Testaments, 119. 69 Vgl. Strauß, ebd. 70 Vgl. ders., ebd. 71 S. dazu Fohrer, KAT XVI, 490. 72 S. dazu Hölscher, HAT I/17, 92. 73 Nach Strauß, BK XVI/2, 341 ist es nicht nötig, aus dem metrischen Grund zu emendieren. 68

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40

Zweiter Teil: Text und Textkritik

V. 30 (a) W[l.[;y> Das Verb W[l.[;y> findet sich im MT nur an dieser Stelle. Seine Derivation ist unklar74. Deshalb ist es wahrscheinlicher W[l.[.l;y> zu lesen, statt der Missbildung von unbekanntem [l[ 75 . In diesem Zusammenhang wird [[l II („schlürfen“, „gierig lecken“) als Wurzel genannt76. III.

Kap. 40

V. 1 In einem Ms fehlt dieser Vers, ebenso wie in LXX77. G. Fohrer sieht den Vers als redaktionelle Glosse und macht den Vorschlag, ihn zu streichen. Targ, Syr und Vulg78 überliefern jedoch wie MT79. Aus diesem Grund ist der Vers 1 beizubehalten. V. 5 (a) hnli) ist ein mythisches Ungeheuer, die personifizierte Chaosmacht des Wassers, das die widermenschliche und widergöttliche Gegenwelt manifestiert426. Bei den alten Israeliten ist dieses Ungeheuer ein Symbol für böse Mächte427. Zusammen mit

422

S. dazu Ha, Frage und Antwort, 93: „Fragt man nach dem Stellenwert von Hi 3 innerhalb der Reden Hiobs, fällt auf, dass das Kapitel nicht isoliert steht, sondern ein Echo im ganzen Hiobbuch hat.“ 423 Vgl. Schönemann, Der untreue Gott, 385. 424 Vgl. Witte, Hiobbuch, 435. 425 S. dazu Ebach, Leviathan und Behemoth, 26; Keel / Schroer, Schöpfung, 131 und Keel, Jahwes Entgegnung, 141ff. 426 Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 1, 51 und Berlejung, Meer/ Flut/ Urflut, 314: „Die lebensfeindlichen Aspekte des oberen und unteren Wassers kommen atl. in der Personifikation als diverse Wassermonster zum Aufdruck (Behemot, Rahab, Leviathan, Tannin; Mischwesen), die Ordnung der Schöpfung bedrohen.“ 427 Vgl. Lipiński, !t'y"w>li, 527. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Vierter Teil: Textanalyse

Tannin, Rahab, Jam und der flüchtigen Schlange ist der Leviathan das mythische Chaoswesen428. Trotzdem wünscht Hiob, dass die Schöpfungswelt wieder ins Chaos zurückfällt. Dazu ruft Hiob, dass die Mächtigen, die bereit sind, den Leviathan zu reizen, die Nacht verwünschen sollen (V. 8). Hiob verwünscht die Nacht seiner Empfängnis und den Tag seiner Geburt. Mit dieser Beschreibung deutet Hiob an, dass es eine Welt gibt, wohin die Macht Gottes nicht reicht. Von diesem Gedanken geht die Klage Hiobs aus. Im Gegensatz dazu wird in Hi 40 der Leviathan als Geschöpf Gottes wie Hiob beschrieben. Der Leviathan ist nicht mehr eine widergöttliche Macht, sondern steht unter der Macht Gottes als Schöpfer429. In Bezug auf die Gottesrede gibt es nur eine Welt, über die nur Gott herrscht. β) Erster Redegang (4,1-14,22) Im ersten Redegang suchen Hiob und seine drei Freunde gemeinsam nach einem angemessenen Grund seiner Lage und nach einer Möglichkeit, Gott zu begegnen430. In diesem langen Prozess werden die Entfaltung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs, Gerechtigkeit Gottes, Leiden als die zeitlich befristete Strafe Gottes und Verhältnis im Leiden thematisiert. Dadurch wird die Auseinandersetzung zwischen Hiob und seinen drei Freunden entfaltet. Im Gegensatz zu seinen Freuden zweifelt Hiob an der Vorstellung des gerechten Gottes und der gerechten Weltordnung431. • Löwe432 / Löwin: Elifas 10 11

Das Brüllen des Löwen, die Stimme des Löwen und die Zähne der Junglöwen sind ausgeschlagen. Der Löwe geht zugrunde aus Mangel an Beute, und die Jungen der Löwin werden zerstreut. (Hi 4,10f)

Das Hebräisch kennt 7 Bezeichnungen für den Löwen: yrIa] (Löwe), hyEra> ; (Löwe), rWG (Löwenjunge), rypiK. (junge Löwe), aybil' (Löwin), vyIl; (Löwe), lx;v; (Junglöwe)433. Darunter werden hier fünf verschiedene Worte für Löwen verwendet434. Der Löwe ist der Held unter den 428

Vgl. Keel / Schroer, aaO 44f, s dazu Berlejung, aaO 314f. S. dazu unten 180f. 430 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 147. 431 S. dazu Witte, Hiobbuch, 435. 432 S. dazu oben 103ff. 433 Vgl. Botterweck, yrIa], 404f. 434 Durch die Vielzahl des Löwen wird die Bedrohung betont, vgl. Riede, Spinnenhaus, 136. 429

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Erste Gottesrede und erste Antwort Hiobs (38,1-40,5)

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Tieren (Spr 30,30). Er charakterisiert Stärke (2 Sam 1,23) und Mut (2 Sam 17,10)435. Häufig wird er zum majestätischen Identifikationssymbol436. Aber dieses Bild deutet darauf hin, dass auch der Löwe auf die Versorgung durch Gott angewiesen ist und seine Stärke nicht nutzen kann437. Zugleich ist zu sehen, dass Elifas den Gottlosen mit dem Löwen vergleicht, der wie Hiob einst stark war. Mit einem eindrucksvollen Bild aus dem Tierreich wird der Tun-Ergehen-Zusammenhang veranschaulicht und abgesichert (V. 10f)438. Elifas greift auf den Erfahrungsschatz der Weisheit zurück und spricht den Tun-Ergehen-Zusammenhang an. Er zeigt, „dass die Gottlosen trotz ihres zeitweiligen Erfolges dem sicheren Untergang verfallen sind“439. Das ist der abschließende Beweis für die Aussage des Elifas über den Frevler (Hi 4,7ff)440. Mit diesem Bild tadelt Elifas indirekt Hiob, weil er Schuld auf sich geladen hat441. In diesem Kontext repräsentiert der Löwe den gewalttätigen und gottlosen Menschen442. Hier wird Hiob mit dem Löwen als Frevler identifiziert. Damit gilt dieses Bild als Warnung oder Mahnung des Elifas davor, dass Hiob von seiner bisherigen Frömmigkeit lässt und die Schöpfung Gottes verwünscht443. In der Rede Gottes (vgl. Hi 38,39) ist Gott aber für den Löwen nicht als Feind, sondern als Fürsorger zu sehen444. Löwen stehen unter der Fürsorge Gottes. • Motte: Elifas 19

Ja, die in Lehmhäusern wohnen, die ihren Grund im Staub haben, man zertritt sie445 vor Motte. (Hi 4,19)

Die Motte (v[') richtet große Schäden an, weil ihre Larve Textilien, Pelze und fauliges Holz zernagt. „In der Bibel steht sie bildlich für zerstörerische Kräfte, die die Hinfälligkeit des Menschen und die Nichtigkeit seiner Güter bewirken.“446 Der Vers findet sich in der 435 436 437 438 439 440 441 442 443 444 445 446

Vgl. Botterweck, aaO 411. Vgl. Schroer, Tiere, 94. Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 1, 61. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 33. Nõmmik, Freundesreden, 171f. Vgl. Riede, Spinnenhaus, 136. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, aaO 32f. Vgl. Scherer, Lästiger Trost, 38. Vgl. Fohrer, KAT XVI, 139. S. dazu oben 103ff. Zu dieser Ü bersetzung, s. Riede, aaO 150 Anm. 106. Diebner, Motte, 849. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Vierter Teil: Textanalyse

Vision des Elifas (4,12-21), in der es um die Unreinlichkeit des Menschen gegenüber Gott geht. Nach Elifas ist der Mensch, der aus Lehm geschaffen ist und auf Staub gegründet ist, dem Tode verfallen (vgl. Gen 2,7). Elifas vergleicht den Menschen mit einer Motte, die leicht und plötzlich zertreten werden kann447. Aber der Mensch wird noch schneller als die Motte zerdrückt448. Mit diesem Bild bezeichnet Elifas den Charakter des Menschenlebens449. Der Mensch ist vor Gott ein unbedeutendes Wesen, wird zerschlagen, schneller als eine Motte, die ein hinfälliges Geschöpf symbolisiert450. Damit zeigt Elifas Hiob, dass solch ein Mensch vor Gott niemals gerecht und rein ist451. Hiob soll seine Schuld zugeben und wieder zu Gott zurückkehren. • Tiere der Erde / Tiere des Feldes: Elifas 22 23

Verwüstung und Hunger kannst du verlachen und vor dem Wildtier der Erde brauchst du dich nicht zu fürchten. Denn du hast mit den Steinen des Feldes ein Bündnis, und das Wildtier des Feldes ist mit dir im Frieden. (Hi 5,22f)

In Hi 5,17-27 geht es um die Theorie des Eilifas über das Erziehungsleiden, das eine pädagogische Funktion hat. Nach Elifas in 5,22f braucht sich Hiob vor den wilden Tieren der Erde (#rli, 521. 759 Vgl. Ebach, aaO 150, s. dazu de Wilde, Hiob, 385. 760 Vgl. Keel / Schroer, Schöpfung, 44f, s dazu Berlejung, Meer/ Flut/ Urflut, 314f. 761 Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 143. 762 S. dazu ders., aaO 141ff. 763 Vgl. Ebach, aaO 150. 757

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Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs (40,6-42,6)

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Gott Horus zugetraut, die Bedrohung der Weltordnung durch die Chaosmächte, vor allem Nilpferd und Krokodil, abwehren zu können. In den Gottesreden wird die Rolle des Gottes Horus auf JHWH übertragen764. Darüber hinaus stellt die Nennung des Namens Leviathan eine Verbindung mit dem syrisch-mesopotamischen Mythenkreis um den Chaosdrachen in seinen verschiedenen Ausprägungen her765. Bei der Schöpfung hat Gott Leviathan unschädlich gemacht, der eine ständige Gefahr für die Erde und ihre Bewohner bleibt 766. In diesem Punkt bezieht sich Leviathan in der zweiten Gottesrede auf Ps 104: „Leviathan ist ein Geschöpf JHWHs insofern aufs engste mit ihm verbunden, ja abhängig. Und auch das Weltbild ist ein radikal anders: Von einer dualistischen Vorstellung des Chaos auf der einen und den gegen es ankämpfenden Gott ist hier nicht (mehr) die Rede. Die V. 26 zugrundeligende Vorstellung ist vielmehr: JHWH steht der Welt als ihr Schöpfer gegenüber, das ursprüngliche chaotische Element ist so stark depotenziert, dass es in seiner Passivität kaum mehr zu überbieten ist – es ist nur noch ein Geschöpf. Der Herrschaftsbereich JHWHs hat, insofern die ursprüngliche Chaosmacht in die Schöpfung integriert wurde, eine maximale Ausweitung erfahren. JHWH umfasst nun alles, es gibt nichts mehr außerhalb seines Herrschaftsraumes.“767

Im Vergleich zum Behemot nimmt die Beschreibung Leviathans einen mehr als dreimal so großen Umfang ein768. Darüber hinaus erscheint Leviathan als viel aggressiver und stärker. In den biblischen Ü berlieferungen verbindet sich der Aspekt der Chaosmacht mit Leviathan deutlicher als mit dem Behemot769. Obwohl Leviathan eine chaotische Macht ist, wird er als Geschöpf Gottes dargestellt wie Behemot. Im Unterschied zum Abschnitt „Behemot“ werden in 40,25-32 die an Hiob gerichteten Fragen gestellt. Sie beziehen sich auf die Unüberwindlichkeit dieses Tieres770. Hiob ist aber wie bei dem Behemot nicht in der Lage, Leviathan zu fangen, zu beherrschen und zu töten. Es folgen fünf kleine Abschnitte, die Leviathan beschreiben: Die Jagd des Leviathan und seine Nutzung (40,25-41,3), die körperliche Gestalt (41,4-16), die Widerstandsfähigkeit (41,17-21), der Lebens764

Vgl. ders., ebd. Vgl. ders., Leviathan und Behemoth, 26 und Krüger, Lob des Schöpfers, 317ff. 766 Vgl. Berlejung, Meer/ Flut/ Urflut, 314. 767 Krüger, aaO 323. 768 Während die Verse über Behemot 10 Verse sind, hat die Beschreibung Leviathans 34 Verse. Anders Fohrer, KAT XVI, 528 sieht es „32 gegenüber 10 Langversen“, weil er zwei Verse (9; 16) als Glosse streicht. 769 Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 2, 151. 770 Vgl. Ruprecht, Nilpferd, 220. 765

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Vierter Teil: Textanalyse

raum des Leviathan (41,22-24) und der König aller stolzen Tiere (41,25-26)771. a)

Die Jagd auf Leviathan und seine Nutzung (40,25-41,3) 25 26 27 28 29 30 31 32 1 2 3

Ziehst du den Leviathan an der Angel heran und hältst du mit dem Seil seine Zunge nieder? Legst du ein Binsenseil ihm um die Nase, und durchstichst du mit einem Haken seine Kinnlade? Bittet er dich immer wieder um Gnade, oder spricht er zu dir sanfte Worte? Schließt er einen Bund mit dir, nimmst du ihn zum Sklaven auf Lebenszeit? Kannst du mit ihm spielen wie mit einem Vogel, und ihn für deine Mädchen anbinden? Feilschen Genossen um ihn, verteilen sie ihn unter die Kaufleute? Kannst du füllen mit Spießen seine Haut und mit der Fischharpune seinen Kopf? Lege deine Hand an ihn, denk an Kampf – das tust du nicht wieder! (Hi 40,25-32) Siehe, die Hoffnung auf ihn wird enttäuscht, schon sein Anblick bringt zu Fall. Niemand ist so tollkühn, dass er ihn weckte. und wer ist es, der sich vor mein Angesicht stellt? Wer stellt sich mir entgegen, dass ich es ihm vergelte? unter dem ganzen Himmel gehört alles mir! (Hi 41,1-3)

In diesem Abschnitt wird mit rhetorischen Fragen (‫־‬h]) die Unmöglichkeit der Jagd Leviathans und seiner Nutzung festgestellt. Während in V. 25-32 (Ausnahme von V. 30) sich Gott direkt an Hiob in der 2. Person wendet, wird in 41,1-2a in der 3. Person und in 2a-3 in der 1. Person geredet. Das weist darauf hin, dass weder Hiob (in der 2. Person) noch ein anderer Mensch (in der 3. Person) Leviathan bezwingen kann. Nur Gott selber (in der 1. Person) kann Leviathan besiegen. Im Gegensatz zur Darstellung der Krokodiljagd in Ä gypten wird in V. 25ff die Jagd Leviathans als unmöglich geschildert, obwohl er mit dem Krokodil identifiziert wird. Denn in der ägyptischen Tradition

771

Anders Fohrer, KAT XVI, 528ff, der folgendermaßen gliedert: Nutzung des Krokodils (25-30), Ü bermacht des Krokodils (40,31-41,4), erste körperliche Erscheinung des Krokodils (5-10), zweite körperliche Erscheinung des Krokodils (11-13), erste Wirkung des Auftretens des Krokodils (17-21) und zweite Wirkung des Auftretens des Krokodils (22-26). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs (40,6-42,6)

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ist die Jagd auf das Krokodil nicht eine menschliche, sondern eine göttlich-königliche Aufgabe772. In V. 25f und 31f geht es um den Kampf oder die Jagd auf Leviathan als gewaltiges Wassertier. Die beiden Textstellen bilden eine Inclusio um den Abschnitt V. 27-30, bei der es um die Nutzung Leviathans geht. In V. 25f fragt Gott Hiob, ob Hiob mit Angel (hK'x;), Seil (lb,x), , Binsenseil (!Amg>a;) und Haken (x;Ax) Leviathan erlegen kann. Mit all diesen Waffen kann es Hiob unmöglich. Die rhetorische Frage stellt Gott, dass Leviathan Hiob nicht um Gnade bittet (V. 27) und Hiob ihn nicht zu seinen Sklaven auf Dauer verpflichten kann (V. 28). Ebenso wenig kann Hiob Leviathan als Spielzeug für sich selbst und sein Mädchen verwenden (V. 29) 773 . Dazu gibt es auch keine Möglichkeit, ihn als Ware zu behandeln (V. 30). V. 31f gehen wieder auf die Jagd oder den Kampf gegen Leviathan zurück. Gott fragt Hiob, ob er mit Spießen (hK'f)u und Fischharpune (lc'l.c)i Leviathan durchbohren kann. Wenn Hiob mit seiner Hand Leviathan berührt, kann Hiob nicht an Kampf denken (V. 32). Hiob, nur ein Mensch, kann sich den Kampf gegen Leviathan nicht vorstellen, geschweige gewinnen. In V. 32 kommt die rhetorische Frage nicht vor, sondern der Imperativ. Mit dem Imperativ wird die Stärke Leviathans betont. Gleichzeitig warnt er Hiob vor dem Kampf (hm'x'l.m)i gegen Leviathan774. Anschließend werden Hi 41,1-3 stilistisch anders dargestellt. Dieser Abschnitt stellt ein kompositorisches Zwischenstück zwischen 40,2532 und 41,4ff dar775. Bis zum Vers 32 fragt Gott direkt Hiob. Von V. 32 an wird Leviathan ohne direkte Einbeziehung Hiobs geschildert776. In V. 1 und V. 2a wird die unvergleichbare Mächtigkeit Leviathans nochmals betont. Wie in Hi 40,15f wird in V. 1 mit der Partikel !he die Aufmerksamkeit des Hörers angesprochen777. Allein durch seinen Anblick wird man zu Fall gebracht. Niemand kann gegen Leviathan gewinnen. In V. 2bf ergibt sich ein textliches und sachliches Problem. In V. 2b und V. 3 kommt plötzlich das Subjekt in der 1. Person mit der rhetorischen Frage (ymi) vor. Es ist nicht klar, wen „mein (wer ist es, 772

152.

Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 253 und Ebach, Streiten mit Gott 2,

773

Im Gegensatz zu Hiob spielt Gott in Ps 104,26 mit Leviathan. Vor Gott wird der Chaosungeheuer damit zum zahmen, friedlich spielenden Haustier, vgl. Fuchs, Mythos, 249 und Krüger, Lob des Schöpfers, 323. 774 Vgl. Fuchs, Mythos, 251. 775 Anders Strauß, BK XVI/2, 380, der Hi 41,1-4 als ein Zwischenstück zwischen 40,25-32 und 41,5ff sieht. 776 Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 2, 153. 777 Vgl. Fuchs, aaO 252. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Vierter Teil: Textanalyse

der sich vor mein Angesicht stellt?)“ und „mir (wer stellt sich mir entgegen; unter dem ganzen Himmel gehört alles mir)“ meinen, ob Gott oder Leviathan778. Wie auch immer sind diese Verse als Gotteslob zu verstehen und mit Hilfe von Bildern aus dem Chaoskampf zu erklären. „Gott hat die traditionelle Rolle des siegreichen Einzelkämpfers im Chaoskampf angenommen, um damit seinen unvergleichlichen, über alle Götter und Menschen erhaben Anspruch herauszustellen.“779 In V. 2b und V. 3 wird die Ü berlegenheit Gottes geschildert. Niemand kann sich vor Gottes Angesicht gegen ihn stellen. Unter dem ganzen Himmel (~yIm;Vh' ;-lK' tx;T;) gehört alles Gott. Nach der Vorstellung des Alten Orients gehört dem Schöpfer alles, was er geschaffen hat780. Aus diesem Grund weist V. 3 darauf hin, dass Gott die ganze Welt geschaffen hat. Dazu gehört auch Leviathan als sein Geschöpf. Nur ein Einziger, nämlich Gott, kann das Ungeheuer beherrschen. Damit wird Gottes Verhältnis zu Leviathan schöpfungstheologisch beschrieben781. b)

Die körperliche Gestalt Leviathans (41,4-16) 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

778 779 780 781

Nicht werde ich schweigen von seinen Gliedern und dem Wort der Heldentaten und der Anmut seiner Rüstung. Wer entbarg die Vorderseite seines Kleides, in sein doppeltes Gebiß – wer kam da hinein? Die Tore seines Gesichtes – wer öffnet sie? Rings um seine Zähne ist Schrecken. Sein Rücken sind Reihen von Schilden, geschlossen mit Siegeln aus Stein. Eines reiht sich an das andere, kein Lufthauch kommt zwischen ihnen durch. Einer haftet fest an seinem Bruder, sie greifen ineinander und lassen sich nicht trennen. Sein Niesen strahlt Licht aus, und seine Augen sind wie Wimpern des Morgenrots, aus seinem Rachen gehen Fackeln hervor, Feuerfunken sprühen heraus. Aus seinen Nüstern kommt Rauch hervor wie aus einem angeheizten und brodelnden Topf. Sein Atem setzt Kohlen in Brand, und eine Flamme geht aus einem Maul hervor. Auf seinem Nacken nächtigt Stärke, vor ihm hüpft Angst umher. Die Wampen seines Fleisches kleben zusammen,

S. dazu Ebach, ebd. Fuchs, aaO 254. Vgl. Strauß, aaO 380f. Vgl. ders., aaO 380. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs (40,6-42,6)

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ihm angegossen, wackeln nicht. 16 Sein Herz ist fest gegossen wie Stein und fest gegossen wie der untere Mühlstein. (Hi 41,4-16)

In diesem Abschnitt handelt es sich um die körperliche Gestalt Leviathans und seine Kraft. V. 4 ist eine Einleitung nicht nur dieses Abschnittes782, sondern auch aller Beschreibungen Leviathans (V. 526)783. Dabei ist die Darstellung Leviathans ähnlich wie die des Behemot (40,15b-18). Manche Kommentatoren sehen in V. 5 die Beschreibung des schuppenbewehrten Panzers (vgl. V. 7f), der als Charakteristikum eines Krokodils gelten kann784. Darüber hinaus werden in V. 5f die furchtbaren Zahnreihen Leviathans785, die den Menschen schrecken, in einer rhetorischen Frage (ymi) dargestellt. In V. 7-9 wird der undurchdringliche Schuppenpanzer mit seinen wehrhaften Zacken geschildert786. Das Kleid Leviathans (Krokodil) ist dicht und unzerstörbar. Das bedeutet, dass Leviathan einer der eindrucksvollsten Werke des Schöpfers ist787. In V. 10-13 wird das erschreckende Gesicht (Augen, Rachen, Nüstern, Maul) Leviathans mit mythologischen Motiven dargestellt, die fest mit dem Kampfthema verbunden sind788. Hier wird „ein drachengestaltiges, feuerspeiendes Monstrum“ 789 geschildert. In diesem Abschnitt beziehen sich „Feuer“ und „Rauch“ auf ein Theophaniemotiv (vgl. Ps 18,9)790. Im Gegensatz zu den anderen Abschnitten tritt die zoologische Beschreibung ganz zurück791. Anschließend wendet sich die Beschreibung den anderen Körperteilen zu. Der Abschnitt V. 14-16 betont mit der Beschreibung von Nacken, Wampen und Herz die unbändige Kraft. Während der Nacken der Tiere die Kraft zeigt792, gehören Wampen und Herz zu 782

Vgl. Strauß, BK XVI/2, 380. Vgl. Fuchs, Mythos, 254. 784 S. dazu Keel, Jahwes Entgegnung, 143 und Fohrer, KAT XVI, 529: „5-8 Die Beschreibung setzt mit den auffälligsten Merkmalen ein: dem undurchdringlichen Schuppenpanzer und dem schrecklichen Rachen. Der Panzer liegt wie ein Kleide um den Leib und ist infolge der Schuppen und der dicken Haut eigentlich zweifach“, vgl. auch Strauß, aaO 381. 785 Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 2, 153 und Kubina, Gottesreden, 99. 786 Kubina, ebd. sieht, dass diese Darstellung besser auf das Gebiß als auf den Schuppenpanzer passt, s. dazu Torczyner, Job, 569 und Pope, AncB 15, 284. 787 Vgl. Strauß, aaO 382. 788 S. dazu Kubina, aaO 99f. 789 Vgl. Ruprecht, Nilpferd, 223. 790 S. dazu Strauß, aaO 383; Gradl, NSK.AT 12, 333 und Kubina, aaO 100. 791 Vgl. Fuchs, Mythos, 255. 792 Vgl. Pope, AncB 15, 285. 783

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Vierter Teil: Textanalyse

den Weichteilen der Tiere793, diese sind festgegossen und hart wie der untere Mühlstein, der als der unbewegliche Teil der Mühle ist und dadurch besondere Stabilität repräsentiert794. Wer kann gegen diesen Leviathan kämpfen? c)

Die Widerstandsfähigkeit Leviathans (Hi 41,17-21) 17 18 19 20 21

Vor seinem Auffahren erschrecken die Widder, unter Brüche verfehlen sie sich. Trifft man ihn mit Schwert, hält nichts stand, noch Lanze, Wurfgeschoß oder Pfeil. Für Häcksel hält er Eisen, für morsches Holz Erz. Nicht kann ihn vertreiben der Sohn des Bogens, in Halme verwandeln sich für ihn Schleudersteine. Wie Halme erscheinen ihm Knüppel, und er verlacht das Rasseln des Spießes. (Hi 41,17-21)

Die Bedeutung von V. 17 ist umstritten. Fraglich ist, wer die ~yliae als Subjekt des Verses sind795. Es gibt zwei Deutungen. Einerseits kann man es als einen Plural (~yliae: „Götter“, „Engel“) von lae („Gott“) verstehen. Man kann es anderseits aber auch als Plural (~yliyae: „Widder“) von lyIa; („Widder“) verstehen. Im Kontext dieses Abschnittes wird das Wort ~yliae mit „Widder“ übersetzt, wie „Mächtiger“ andeutet (vgl. Ex 36,19)796. Nach G. Fohrer797 und H. Strauß798 weisen die Mächtigen auf die Mächte des unbezwinglichen Meeres hin. Auch diese Mächtigen erschrecken, wenn sich Leviathan bewegt. Er ist unangreifbar799. Anschließend handelt es sich in V. 18-21 um die Jagd auf Leviathan. Aber die hier genannten Jagdwaffen (Schwert, Lanze, Wurfgeschoß, Pfeil, Bogenpfeil, Schleuderstein, Knüppel und Spieß) sind als Jagdmethoden umstritten800. Nach V. Kubina gehören alle genannten Waffen zu den Landwaffen. V. Kubina sieht Leviathan nicht nur als die gottfeindliche Urmacht, sondern auch als geschichtliche

793

S. dazu Strauß, BK XVI/2, 383 Vgl. Gradl, NSK.AT 12, 333. 795 Vgl. Strauß, aaO 384. 796 S. dazu oben 151. 797 Vgl. Fohrer, KAT XVI, 530. 798 Vgl. Strauß, aaO 384. 799 Vgl. Gradl, aaO 333f. 800 S. dazu Ruprecht, Nilpferd, 221f sieht die hier genannten Waffen als dieses Jagdmittel nicht für das Krokodil, sondern für das Nilpferd. Dagegen behauptet Keel, Jahwes Entgegnung, 141ff dass diese Jagdmethoden auf die Jagd auf das Krokodil passen. 794

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Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs (40,6-42,6)

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Feinde 801 . Wichtig ist, dass die Jagdgeräte des Menschen nichts ausrichten können802. Die oben genannten Jagdwaffen des Menschen dienen der Ü berwältigung gefährlicher Tiere, aber keine dieser Waffe vermag Leviathan zu erlegen. „Die übliche Fern- und Nahwaffen für die Jagd (…) erweisen sich als wirkungslos“803. Deshalb verlacht (qxf) Leviathan „alle menschliche Anstrengung (vgl. V.21).“804 d)

Der Lebensraum Leviathans (Hi 41,22-24) 22 23 24

Unter sich hat er Scherbenspitzen, einen Dreschschlitten breitet er auf dem Schlamm aus. Er lässt die Tiefe brodeln wie einen Kessel, das Meer macht er wie einen Salbentopf. Hinter sich erleuchtet er den Pfad, man hält die Urflut für Greisenhaar. (Hi 41,22-24)

Die Wörter „Schlamm“ (jyji), „Tiefe“ (hl'Acm.), „Meer“ (~y") und „Urflut“ (~AhT.) beziehen sich auf das Ambiente Leviathans, welches das Chaos symbolisiert805. Ä hnlich wie die Darstellung Behemots (40,21ff) schildert dieser Abschnitt den ins Wasser gleitenden Leviathan806. In V. 22 wird die Unterseite Leviathans entsprechend seiner Oberseite (V. 5ff) dargestellt. Seine Unterseite, vor allem seine untere Haut, hat sehr spitze Scherben. Wegen seiner Spuren im Schlamm wird Leviathan mit dem Dreschschlitten (#Wrx') verglichen807. Dieses Gerät wird in Am 1,3 und Jes 41,15 als ein schreckenerregendes Instrument des göttlichen Gerichtes verwendet808. Damit wird die ungreifbare Macht Leviathans symbolisiert.

801 802 803 804 805 806 807 808

Vgl. Kubina, Gottesreden, 101f. S. dazu Gradl, NSK.AT 12, 334. Fohrer, KAT XVI, 530. Strauß, BK XVI/2, 384, vgl. Gradl, ebd. Vgl. Gradl, ebd. Vgl. ders., ebd. Vgl. Strauß, aaO 384f. Vgl. Kubina, aaO 102. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Vierter Teil: Textanalyse

Abb. 10: Dreschen und Worfeln: Ober- und Unterseite eines arabischen Dreschschlittens

V. 23f schildern das gleiche Motiv mit anderen Bildern809. Es handelt sich um Bewegungen Leviathans im Wasser810. Er bringt das Wasser zum Brodeln, wenn er sich hineinstürzt. Es sieht wie ein brodelnder Salbentopf aus (V. 23)811. Die von Leviathan aufgestiegenen Blasen des Wassers bewerken einen silbergrauen Streifen812. Dieses schäumende Wasser wird mit dem silbernen Haar des Greises verglichen813. Damit soll die absolute Unbezwingbarkeit Leviathans demonstriert werden814. e)

Der König aller stolzen Tiere (Hi 41,25-26) 25 26

Nichts gibt es auf dem Erdenstaub, das ihm gleicht, dazu gemacht, ohne Furcht zu sein. Auf alles Hohe blickt er, er ist der König über alle Söhne des Stolzes. (Hi 41,25-26)

Schließlich bringen diese Verse eine Zusammenfassung der Schilderung Leviathans. Auf dem Erdenstaub (rp'['-l[;) hat Leviathan niemanden, der ihm gleicht (lv,mo). Alle Wesen fürchten sich vor ihm. Nur er selbst ist furchtlos. Mit dem Ausdruck (rp'['-l[;) werden aber die Macht und der Stolz Leviathans begrenzt. Nach V. Kubina bezeichnet rp'['-l[; die Sphäre 809

Vgl. dies., aaO 102f. Vgl. dies., aaO 102 sieht, dass sich diese Schilderung auf den Chaoskampf bezieht. Das vom Kampf aufgewühlten Wasser verursacht das brodelnde Wasser, s. dazu Fuchs, Mythos, 255. 811 Vgl. Fohrer, KAT XVI, 530. 812 Vgl. Gradl, NSK.AT 12, 334. 813 Vgl. Fohrer, ebd. 814 S. dazu Kubina, Gottesreden, 102; Fuchs, ebd. und Schwienhorst-Schönberger, Weg, 257. 810

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des Staubes im Unterschied zur himmlisch-göttlichen Dimension, wobei das Moment der Vergänglichkeit, Hinfälligkeit einen besonderen Akzent setzt815. Darüber hinaus weist die Aussage wf[h in V. 25b auf die Geschöpflichkeit Leviathans hin816. Trotz dieser Geschöpflichkeit ist er der König über alle Söhne des Stolzes. Er sieht auf alles Hohe (H;bGo )" herab wie der Schöpfer selbst (V. 26)817. Eine ähnliche Formulierung wie in V. 26a (ha,r>yI H:boG"-lK'-tae) findet sich in 40,11b (ha,GE-lk' haer>) und 12a (ha,G-E lk' haer>). Die Bedeutungen der beiden Wörter H:boG" und ha,GE ist nicht identisch, sondern ähnlich. H;boG" wird aber häufig gleichbedeutend mit ha,GE verwendet. In 40,11bf fordert Gott Hiob auf, Hochmütige anzusehen und zu erniedrigen. Aber hier wird Leviathan als Ü berlegener über allen Hochmütigen dargestellt818. Er ist der König der Stolzen (#x;v'ynEB). . Die gleiche Wendung (#x;v'-ynEB). findet sich in Hi 28,8, wobei der Löwe als Chaostier die stolzen Tiere symbolisiert. Hier ist Leviathan als der König der Stolzen solchen Chaoswesen überlegen819. Wenn Hiob Hochmütige nicht erniedrigen kann (40,11f), dann ist es unmöglich, den König der Stolzen niederzuwerfen. Nur Gott kann diesen König der Stolzen, Leviathan, beherrschen und erniedrigen820. Damit scheitert Hiobs Anspruch, die Frevler von der Erde zu vertilgen (Hi 40,11ff)821. Exkurs 3: Zur altorientalischen Ikonographie von Behemot und Leviathan In der Zusammenstellung von Behemot und Leviathan hat sich der Hiobdichter von ägyptischen Vorbildern leiten lassen822. Während Behemot mit dem Nilpferd identifiziert ist, repräsentiert Leviathan das Krokodil – auch wenn es umstritten ist, welche Tiere sich konkret hinter diesen Bezeichnungen verbergen. Die in der realen Welt als Nilpferd und Krokodil identifizierten Tiere repräsentieren auf der symbolisch-mythologischen Ebene gleichzeitig die Chaos815

Vgl. Kubina, aaO 103. Vgl. Gradl, aaO 335 und Kubina, ebd. Dagegen betont Fuchs, aaO 256 und 194ff (zu Hi 38,8) dass Leviathan kein Geschöpf JHWHs ist. Diese Wendung bezieht sich auf den mythischen Hintergrund, nach dem Leviathan (wie Behemot) von der Mutter Erde stammt. 817 S. dazu Strauß, BK XVI/2, 385 und Fohrer, aaO 531: Das Krokodil gibt in Ä gypten ein geläufiges Bild für königliche Macht und Größe ab. 818 Vgl. Kubina, Gottesreden, 104f. 819 Vgl. Fuchs, Mythos, 257. 820 Vgl. Kubina, aaO 105. 821 S. dazu Ebach, Streiten mit Gott 2, 154. 822 Vgl. Lux, Hiob, 250. 816

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Vierter Teil: Textanalyse

tiere im Alten Ä gypten823. Die Chaosmächte als Verkörperungen des ägyptischen Gottes Seth müssen gejagt, gebändigt und vernichtet werden824. Nach der ägyptischen Tradition war die Jagd beide Tiere eine göttlich-königliche Aufgabe825. Der Gott Horus, der Königs-, Himmels- und Lichtgott, kämpft gegen Nilpferd und Krokodil 826. Gegebenenfalls assistiert der ägyptische König bei der Tötung der beiden Tiere dem Gott Horus. Diese Jagd gilt als ein ritueller Akt der Sicherung der Weltordnung gegen die Chaosmächte827. 1. Behemot (Nilpferd) Im Alten Ä gypten wurde das männliche rote Nilpferd als Chaostier gejagt und getötet828. Das konkrete Nilpferd als Symbol des Bösen zu jagen und zu überwinden ist dem Menschen nicht möglich. Zu allen Zeiten war es Aufgabe des göttlichen Königs und des Königsgottes Horus829. Schon in der 1. Dynastie findet sich in Königsgräbern die Darstellung, wie der König ein Nilpferd überwindet bzw. jagt. Darüber hinaus wird die Nilpferdjagd auch in den Privatgräbern dargestellt.

Abb. 11: Nilpferdjagd aus dem Grab des Antef in Theben, 18. Dynastie 823

S. dazu Ebach, Streiten mit Gott 2, 146f; ders., Leviathan und Behemoth, 26; Keel, aaO 127ff und Mathis, Behemot, 82. 824 Vgl. Keel, aaO 126ff. 825 Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 250. 253. 826 Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 127. 827 S. dazu ders., aaO 127ff und Ebach, Streiten mit Gott 2, 146f. 828 Zum Unterschied zwischen männlichem Nilpferd und weiblichem Nilpferd s. oben 167f. Anders Ahuis, Behemot, Leviathan und der Mensch, 75f Anm. 21: Die Unterscheidung zwischen rotem und weißem Nilpferd ist unhaltbar, denn das weiße Nilpferd in der Gruppe frisst Getreide und trampelt Getreidefelder nieder mehr als das männliche, rote als Einzelgänger auftretende Nilpferd. 829 Vgl. Keel, aaO 132. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs (40,6-42,6)

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Diese Darstellung stammt aus einem Privatgrab der 18. Dynastie in Theben. Der König, der übergroß dargestellt ist830, steht im Papyrusboot und hält in seiner linken Hand mit Seilen das Nilpferd fest. „In seiner Rechten hat er einen langen Speer und setzt gerade dazu an, dem Tier durch den geöffneten Rachen den Fangstoß zu geben.“831 Im Gegensatz zu den Königsgräbern wird die Tätigkeit mehrerer Jagdhelfer bei der Nilpferdjagd dargestellt832. In der ägyptischen Spätzeit (664-332 v. Chr.), in die das Hiobbuch gehört, bekämpft der Gott Horus meistens allein das Nilpferd. Gelegentlich assistiert aber der König dem Gott Horus 833. Im Lauf der Zeit wird die Nilpferdjagd des Königs vom Gott Horus übernommen.

Abb. 12: Relief in der Tempelanlage von Edfu 3./2. Jh.v.Chr.

Der Gott Horus steht auf der Barke und jagt das Nilpferd. Dabei assistiert ihm der König, der am Ufer steht. Mit der Tötung des Nilpferds wird die chaotische Macht vernichtet834. Damit erhält der Gott Horus die Ordnung der Welt835.

830

Vgl. Ruprecht, Nilpferd, 212. Ruprecht, aaO 211ff. 832 In Königsgräbern findet sich „die Darstellung, wie der König allein das Nilpferd erlegt“, ders., aaO 211. 833 Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 136f. 834 Vgl. Ebach, Leviathan und Behemoth, 24. 835 Vgl. ders., Streiten mit Gott 2, 147. 831

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Vierter Teil: Textanalyse

2. Leviathan (Krokodil) Leviathan wird im ugaritischen Mythos mit dem Krokodil oder mit dem Chaosdrachen („geringelte Schlange“) identifiziert836. Im Alten Testament wie in Ugarit bezeichnet Leviathan ein Chaosungeheuer in Schlangen- oder Drachengestalt837. Nach O. Keel weist aber die Beschreibung Leviathans in der zweiten Gottesrede auf die Identifizierung Leviathan – Krokodil hin838. Die Beschreibungen der Zähne (41,5f), des Schuppenpanzers (41,7ff) und der von ihm verursachte Wasserstrudel (41,23f) erinnern an das Krokodil839. Dazu sind die Darstellung der Jagd Leviathans in der Gottesrede und die des Krokodils im Bericht von Herodot ähnlich840.

Abb. 13: Vignette aus dem Totenpapyrus des Cha aus der 18. Dyn. (1530-1292 v. Chr.)

Die Jagd auf das Krokodil ist hier auf einer Vignette aus einem Totenbuchpapyrus dargestellt. Das Abbild zeigt, wie man das Krokodil mit einem Strick fängt und sein Messer gegen es erhebt841. Ä hnlich wie bei der Nilpferdjagd ist das Krokodil in Ä gypten gejagt und getötet worden. Ebenso wie das Nilpferd ist auch das Krokodil als Repräsentant des Bösen zu verstehen842. Auf Skarabäen der 2. Zwischenzeit aus Palästina wird der Gott Horus häufig als Sieger über das Krokodil dargestellt843. Zwischen dem Neuem Reich und der griechisch-römischen Zeit sind viele Dokumente zu finden, in 836

Vgl. ders., Leviathan und Behemoth, 25, ders., Streiten mit Gott 2, 150 und Gradl, NSK.AT 12, 330. 837 Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 143. 838 Vgl. ders., ebd. und Ebach, ebd. 839 Vgl. Ebach, ebd. 840 Vgl. Keel, aaO 142. 841 Vgl. ders. / Schroer, Schöpfung, 210. 842 Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 144. 843 Vgl. ders., aaO 144. 151. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs (40,6-42,6)

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denen der Gott Horus das Krokodil jagt und tötet844. Gelegentlich kommt der König als Priester zusammen mit dem Gott Horus vor. Der König ersticht mit einer langen Lanze das Krokodil, das Seth verkörpert. Daneben steht der Königsgott Horus mit einer langen Lanze in seiner rechten Hand.

Abb. 14: Relief aus römischer Zeit im Tempel von Dendera (100 n. Chr.)

Im Alten Ä gypten werden die beiden Tiere Nilpferd und Krokodil sehr häufig als Chaosmächte und Götterfeinde zusammen erwähnt845. Ein König sticht das Krokodil bzw. das Nilpferd vor dem Gott Horus nieder. Bei der Tötung stehen die beiden gelegentlich symmetrisch nebeneinander846. Diese Jagd gilt als ein ritueller Akt der Sicherung der Weltordnung gegen die Chaosmächte847. Damit erhält der Gott Horus die Ordnung der Welt848.

Abb. 15: Relief in der Tempelanlage von Edfu 3./2. Jh.v.Chr. 844 845 846 847 848

Vgl. ders., aaO 151. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 252. Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 154. S. dazu ders., aaO 127ff und Ebach, Streiten mit Gott 2, 146f. 150f. Vgl. Ebach, aaO 147. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Vierter Teil: Textanalyse

In der zweiten Gottesrede wird das Bild des ägyptischen Gottes Horus auf JHWH übertragen849. In der Gestalt des ägyptischen Horus stellt sich JHWH „in der Tradition des Chaoskampfes als derjenige vor, der als Einziger gegen diese Mächte kämpft und in der Lage ist, sie zu dominieren“850. Trotzdem hat die zweite Gottesrede (Hi 40f) einen anderen Akzent als bei dem ägyptischen Gott Horus. Behemot und Leviathan werden nicht als Feinde Gottes, sondern als mythische Tiere im Herrschaftsbereich Gottes dargestellt851. III.

Hiobs zweite Antwort (Hi 42,1-6)

Nach der zweiten Gottesrede fängt Hiob an zu reden. V. 1 bietet die traditionelle Dialogeinleitungsformel für Hiobs zweites Gespräch 852. Im Vergleich zur ersten Rede Gottes gibt es keine Forderung wie in Hi 40,2, in der Gott von Hiob eine Antwort verlangt: „Wer Gott zurechtweisen will, soll antworten!“853. Darauf antwortet Hiob unaufgefordert nur mit einer kurzen Rede (V. 4-5). Seine eigentliche Antwort steht in 42,2-6854. Hier ist man gespannt, wie er auf die zweite Rede Gottes reagiert. Man wird sehen, dass die zweite Gottesrede die positive Antwort Hiobs enthält. In der Tat weist diese auf die Ä nderung seiner Meinung nach der zweiten Rede Gottes hin. In diesem Sinn stellt die zweite Rede Hiobs gegenüber der ersten Antwort einen Fortschritt dar855. Durch die Antwort und die Struktur der Rede Hiobs wird seine Absicht bekannt gegeben. Die Antwort Hiobs besteht aus zwei Teilen (V. 2-3; V. 4-5), die in V. 6 einen gemeinsamen Abschluss haben.

849 850 851 852 853 854 855

Vgl. Keel, aaO 157. Ders./ Schroer, Schöpfung, 208f. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 250 und Ebach, aaO 148. Vgl. Strauß, BK XVI/2, 386. S. dazu Engljähringer, Theologie, 182. Vgl. Miller, Mensch, 34. S. dazu Schwienhorst-Scönberger, aaO 259. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs (40,6-42,6)

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• Struktur der Hiobrede (Hi 42,1-6)856 1 Da antwortete Hiob JHWH und sprach: Erkenntnis (2-3) 2a Ich weiß (Ti[.d:y"), dass du alles vermagst, b und kein Vorhaben ist dir verwehrt. 3aα Wer ist es, der den Plan verfinstert ohne Erkenntnis? (Zitat 38,2) aβ So habe ich erzählt und nichts verstanden b zu Wunderbares für mich und erkannte nicht ([d"ae). Erfahrung (4-5) 4a Höre ([m;v.) doch, und ich will reden, b ich will dich fragen, lehre du mich! (Zitat 38,3b; 40,7b) 5a Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, b jetzt aber hat mein Auge dich geschaut (^t.a'r"). Konklusion (6) 6a Darum liegt mir nichts mehr daran und ich bin umgestimmt, b auf Staub und Asche.

1.

Erkenntnis (42,2-3)

In V. 1 antwortet Hiob ohne Aufforderung Gottes. Aus diesem Grund kommt das Leitwort [dy in V. 2 vor. Danach scheint es, dass die zwei Gottesreden Hiob zu einer neuen Erkenntnis führen. „Wenn man für [dy in V. 2 seinen resultativen Bedeutungskern ansetzt, dann drückt dieses Verb den Abschluss eines Erfahrungsprozesses aus, der nach V. 5 die Folge einer Sinneswahrnehmung, nämlich der in den Gottesreden gesehenen Welt und ihres Schöpfers ist.“857 In V. 6 findet sich der Abschluss der Erkenntnis Hiobs. Hier wird durch Ti[.dy: " in Beginn von V. 2 und [d"ae am Ende von V. 3 eine Inclusio gebildet. Während das Wort [dy in V. 2 als positiv dargestellt wird, drücken V. 3a und b das Wort [dy als negativ aus. Dabei thematisieren die Termini t[d, [dy und !yb in 3aα das Phänomen der Erkenntnis bzw. des Wissens. In 42,2 wird das Wort hM'zIm.858 als Synonym zu hc'[e in 42,3 verwendet859. Interessanterweise wird das Leitwort jP'v.mi nicht zitiert.

856

335f.

Zur Struktur s. Janowski, Hand eines Frevlers, 11 und Gradl, NSK.AT 12,

857

Janowski, ebd., s. dazu Willi-Plein, Ein untadeliger Mensch, 555 Anm. 16: „Nach I.L. Seeligmann (…) ist biblisches ‚Erkenntnis„ der ‚Abschluss eines Prozesses der Erfahrung„, die sich primär aus einem als ‚Sehen„ beschriebenen Erleben ergebe, demgegenüber mit dem Hören ‚eine Vorstellung der Ferne„ verbunden sei. Demnach kann das in Hi 42,5 Beschriebene als ein Prozess der nunmehr abgeschlossenen Gotteserkenntnis verstanden werden.“ 858 Nach Ges18 bedeutet hM'zIm. den Plan oder Absicht von Gottes Plänen. 859 Vgl. Ritter-Müller, Kennst du die Welt, 154. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Vierter Teil: Textanalyse

Wie schon gesagt860, enthält hc'[e oder hM'zIm. bereits den Begriff von jP'v.mi. Hiob erkennt, dass er nichts über Gott und sein Vorhaben weiß. Das zeigen die Gottesreden, denn Hiob konnte Gott keine Antwort auf seine Fragen geben. Da hätte es nur ein „Nein“ gegeben861. Jetzt gibt Hiob zu, dass Gott alles vermag (lkoy"). Das Wort lkoy" bezieht sich auf den allmächtigen Gott862. Nur Gott vermag seinen Plan (dazu seine Gerechtigkeit) nicht nur in der Naturwelt, sondern auch im menschlichen Bereich durchführen. In der Welt gibt es Bereiche, die Hiob nicht erreichen kann. Durch die Gottesreden erkennt Hiob seine Grenzen. Nur Gott kennt keine Grenzen (V. 2). Mit dem Unglück bricht eine andere Seite in sein Leben ein. Gott bestätigt Hiobs Erfahrung. Zugleich führt Gott ihn einen entscheidenden Schritt darüber hinaus. Weder Chaos noch Behemot und Leviathan sind die Mächte, die alles vermögen. Hiob selbst hat erkannt, dass nur Gott alles vermag (Hi 42,2) 863. Hiob bringt seine Auffassung zum Ausdruck, wie und wer Gott ist 864. In diesem Zusammenhang ist 42,2 als eine Ergänzung zu Hiobs Einsicht über sich selbst aus 40,4 zu sehen865. Jetzt erkennt Hiob, dass es einen Plan Gottes für die Welt gibt und Gott die Macht zum Durchführen seines Plans in Bezug auf die Gerechtigkeit hat. Die chaotischen Mächte, Behemot und Leviathan, stehen unter der Kontrolle Gottes. Endgültig bestätigt Hiob, dass Gott Gott ist866. In V. 3 gesteht Hiob sein Unwissen und seine Grenzen ein. Angesichts der Begegnung mit Gott ist Hiobs Schlussfolgerung ein Eingeständnis seiner eingeschränkten Wahrnehmung867. In V. 3aα findet sich das Zitat aus der vergangenen Gottesrede in Hi 38,2 („Wer ist es, der den Plan verfinstert ohne Erkenntnis?“). Das Zitat zeigt, dass die beiden Rechtsgegner aufeinander eingehen und hinhören, was der jeweils andere sagt868. Das ist ein erster Schritt, einander zu verstehen. Hier bezieht sich das Zitat auf die Rede Hiobs in den Dialogen, in denen Hiob seine Sicht der Welt und Gottes zu verstehen versucht. Deshalb hat Hiob von sich auf den chaotischen Zustand der Welt und auf den dafür verantwortlichen Frevlergott geschlossen. Im Gegensatz dazu fordert Gott in seinen Reden Hiob 860 861 862 863 864 865 866 867 868

S. dazu oben 164. S. dazu Köhlmoos, Auge Gottes, 343. S. dazu Soggin, lkoy", 631. S. dazu Schwienhorst-Scönberger, Weg, 260. Vgl. Engljähringer, Theologie, 182. Vgl. dies., ebd. S. dazu Kubina, Gottesreden, 138. Vgl. Köhlmoos, ebd. Vgl. Engljähringer, Theologie, 187 Anm. 33. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs (40,6-42,6)

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auf, dass er von der Welt und ihrer Ordnung auf sein individuelles Schicksal schließt – „die Wirklichkeit also anders wahrzunehmen und sich neu im Gesamtgefüge der Schöpfung zu orientieren“869. Damit kann Hiob sich von seinen engen Kategorien befreien und die Welt, die Menschheit und Gott als ihren Schöpfer und Erhalter wahrnehmen. Jetzt kann Hiob erkennen, dass es einen großen Unterschied zwischen Gott und ihm selbst gibt. Er erkennt seine Grenzen. Für den Menschen wird die Berechenbarkeit der Welt aufgehoben870, denn die Welt ist zu wunderbar, um sie zu verstehen. Aus diesem Grund gesteht Hiob sich ein, dass er ohne Einsicht über Dinge geredet hat, die zu wunderbar für ihn sind, und über solche, die er nicht erkennen kann871. 2.

Erfahrung (Hi 42,4-5)

In diesem Abschnitt geht es um den Ursprung der Erkenntnis Hiobs. Hiob sagt, dass seine Erkenntnis aus der Entgegnung Gottes stammt. Er hat nicht nur durch „Hören“, sondern auch durch „Sehen“ eine neue Erfahrung gemacht872. In V. 4a will Hiob darauf antworten, dass Gott in 38,3b und 40,7b von Hiob gefordert hat, ihn zu belehren, wie in 4b. Das Zitat in 4b bezieht sich auf die beiden Gottesreden und verbindet sich in 4a mit der neuen Meinung Hiobs nach den Gottesreden873. Jetzt will Hiob seinerseits auf die Aufforderung Gottes antworten. In V. 5 redet Hiob von den neuen Erfahrungen, die er durch „Hören“ ([mv) und „Sehen“ (har) erhalten hat. Beide Möglichkeiten von „Hören“ und „Sehen“ gehören zum Menschen in seiner Geschöpflichkeit 874 . Während das Hörensagen sich auf die Vergangenheit bezieht, wird im Sehen durch hT'[; („Jetzt“) „die Wende

869

Janowski, Hand eines Frevlers, 11. Vgl. Gradl, NSK.AT 12, 337. 871 Vgl. ders., aaO 336. 872 Vgl. Engljähringer, aaO 184 Anm. 26: „Umstritten ist, ob mit v5 ein Gegensatz zwischen Tradition (v5a) und persönlicher Gotteserfahrung (v5b) ausgesagt werden soll, oder ob eine ergänzende Ü bereinstimmung und Fortführung zwischen beiden gemeint ist.“ 873 Zur Struktur des V.4 s, Strauß, BK XVI/2, 387. Aber H. Strauß sieht, dass V.4 zum Wort Gottes gehört: „Ähnlich sich im Gesamtzusammenhang der Komposition gleichsam selbst vergewissernd zitiert auch V.4 mit 38,3b; 40,7b den ganzen voraufgehenden Kontext in seinen beiden großen Teilen und verbindet dies in V.4a nun mit einer (fiktiven) göttlichen Höraufforderung nach dem Muster von 33,31 (Elihu, ähnlich auch Hi 21,2f).“ 874 Vgl. Willi-Plein, Ein untadeliger Mensch, 555. 870

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Vierter Teil: Textanalyse

zur aktuellen Gegenwart und Begegnung“875 betont. Das Hörensagen bezieht sich auf die indirekte Erfahrung. Im Gegensatz dazu weist das Sehen auf die direkte Erfahrung hin, die durch eine unmittelbare persönliche Begegnung mit Gott gemacht werden kann 876 . Die Wahrnehmung der Gottesnähe ist ein regelrechter Sehvorgang877. Das direkte Sehen Gottes führt Hiob zu der neuen Einstellung zu Gott, zur Welt und zu sich selbst. „Sehen und Hören – keine der beiden Fähigkeiten des Menschen hat einen Vorrang vor der anderen.“878 Wenn beide zusammenkommen, ist die Wahrnehmung vollständig. Durch „Hören“ und „Sehen“ ist Hiob die Gotteserfahrung zuteil geworden879. Dies geschieht als Synthese aus den beiden Wahrnehmungen880: „Der Sinn dieser Aussage ergibt sich aus der Gegenüberstellung von ‚einst„ (…) und ‚jetzt„, von ‚hören„ und ‚schauen„. Dabei bezieht sich ‚hören„ auf etwas Äußerliches, ‚schauen„ auf etwas Innerliches.“881

Durch diese Begegnung mit Gott gesteht sich Hiob seine eingeschränkte Wahrnehmung ein882, er wird sich bewusst, dass er auch ein Geschöpf Gottes ist 883 . Dadurch bildet sich eine vertraute Gemeinschaft zwischen Hiob (Geschöpf) und Gott (Schöpfer)884. Die Hoffnung Hiobs in Hi 19,25ff („Gott zu schauen“) hat sich durch die Begegnung mit Gott erfüllt885. 3.

Konklusion (42,6)

Die durch die Gottesbegegnung erworbene neue Erkenntnis führt zu der Konklusion V. 6, mit der Hiob seine Rede beendet. Deshalb ist dieser Vers zusammen mit 42,7 eine Schlüsselstelle für die Interpretation des Hiobbuches, im engeren Sinn in den Reden Gottes mit

875

Engljähringer, Theologie, 184. Vgl. Fohrer, KAT XVI, 534, s. dazu ders., Studien, 145. 877 Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 94. 878 Ders., aaO 96. 879 Vgl. Willi-Plein, ebd. 880 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 344. 881 Schwienhorst-Schönberger, Ijob, 1034, s. dazu Klinger, Im und durch das Leiden, 312. 882 Vgl. Köhlmoos, aaO 343. 883 Vgl. Kubina, Gottesreden, 158, ferner Köhlmoos, Auge Gottes, 344: „Wie von JHWH beabsichtigt, ist die neue Selbstwahrnehmung Hiobs seine Neuinterpretation seiner Geschöpflichkeit.“ 884 Vgl. Fohrer, KAT XVI, 535. 885 S. dazu Gradl, NSK.AT 12, 338; Fohrer, ebd. und Strauß, BK XVI/2, 387. 876

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Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs (40,6-42,6)

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Hiob, im weiteren Sinn im gesamten Buch Hiob. Wie kommt es zu dieser Wende im Geschick Hiobs? Ein wichtiges Problem ist zunächst die Frage, wie Hi 42,6 überhaupt zu übersetzen ist. Denn nur durch eine sachgemäße Ü bersetzung ist es möglich den Text richtig zu erfassen. Das Problem liegt in der Bedeutung der beiden Wörter: sam und ~xn. sam ist ein transitives Verb und wird in der Regel mit einem Objekt kombiniert 886 . Aber in V. 6a ist kein Objekt vorhanden. Viele Exegeten versuchten dennoch bei „ich verwerfe“ ein Objekt hinzuzufügen, z.B. „meine Worte“887, „sich selbst (himself)“888, „die Anklage gegen Gott“889, „das, was in V. 5 nahe legt“ 890 oder „Staub und Asche“891. Aber nach I. Willi-Plein ist eine andere Bedeutung von sam anzunehmen, nämlich „das Interesse an etwas verlieren“. Damit kann sa;m.a, mit „darum liegt mir nichts mehr daran“ (oder „ich interessiere mich nicht dafür“) übersetzt werden 892 . Welches Interesse Hiob verloren hat, ergibt sich aus dem vorangehenden Kontext, vor allem aus den Klagen und Vorwürfen893, die er im Dialogteil geäußert hat (Leiden, Gerechtigkeit). Alle diese Klagen und Vorwürfe beziehen sich auf seinen Zweifel an Gott. Seine eigene Leidenserfahrung führt ihn auf der einen Seite zum Zweifel nicht nur an der traditionellen Lehre, sondern auch an Gott. Sogar als Feind Gottes hat Hiob die Pfeile Gottes in sich stecken (Hi 6,4). Auf der anderen Seite bewahrt Hiob immer Gottesfurcht. Seine Gottesfurcht bewährt sich auch in 886

Außer Hi 42,6 ist der absolute Gebrauch im Hiobbuch belegt. z.B: Hi 7,16. Aber hier ist die Bedeutung von sam II (ssm, zerfließen, vergehen) anzusetzen (s. dazu HAL3, 513). Anders Willi-Plein, Hiobs Widerruf, 144: „Von der intransitiven Konstruktion her überrascht der absolute Gebrauch nicht. Er ist außer 42,6 mindestens zweimal im Hiobbuch belegt“ (Hi 34,33 und 7,16). 887 Kuyper, The Repentance of Job, 94. 888 Luther, KJV, RSV, NIV, LXX und Vulgata u.a. übersetzen ins „reflexive Pronomen“. 889 Habel, OTL, 578: „Therefore (!Keâ-l[;) I withdraw my case and leave my ashes.“ 890 Morrow, Consolation, Rejection, and Repentance in Job 42:6, 225. 891 Vgl. van Wolde, Job 42,1-6, 249: ytmxn in we-qatal wirkt weiter ein auf die Aktion des ersten Verbs sam in yiqtol und das Objekt der beiden Verben ist miteinander verbunden. Diese Möglichkeit wird dadurch unterstützt, dass das ganze Syntagma als direktes Objekt von sam und l[ ytmxn fungiert. Hierzu wird auf den Athnach hingewiesen. Der Athnach trennt den Vers 6 in zwei Teile, und zwar einen Teil mit zwei Verben, und einen anderen Teil ohne Verb. Dadurch könnten „Staub und Asche“ zum Objekt nicht nur von ~xn, sondern auch von sam werden. Deshalb kann man „rpaw rp[ + sam “ in „Ich verwerfe Staub und Asche“ übersetzen. 892 Zur Ü bersetzung des Verses 6 s. Willi-Plein, Hiobs Widerruf, 143ff ; dies., Ein untadeliger Mensch, 557ff ; Janowski, Hand eines Frevlers, 13 Anm. 55, s. dazu oben 48f Anm. 142 und 187. 893 S. dazu Heckl, Hiob, 199. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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der eigenen Klage vor Gott894. Aber nach der Begegnung mit Gott erreicht Hiob eine neue Einstellung zu Gott, die auf Vertrauen beruht. Er konnte erfahren, wie Gott als Schöpfer seine Schöpfung und Geschöpfe betrachtet und sich um sie kümmert: „Indem Hiob derart, mit Gottes Augen, auf die Schöpfung blicken konnte, hat er erfahren, dass auch er, Hiob, sich jenen Geschöpfen zugehörig fühlen darf und zwar gerade den widerständigsten, eigenartigsten und Größten unter ihnen. Indem Gott ihn nicht nur seine eigene Macht als Schöpfer, sondern auch die Eigenmacht und den Eigensinn der anderen Geschöpfe hat sehen lassen, hat er auch Hiob in seinem Eigensinn anerkannt.“895

Damit verzichtet Hiob auf solche Fragen und Zweifel und interessiert sich nicht dafür896. Der Gotteszweifel wird in Gottesfurcht umgewandelt897. Die Bedeutung des zweiten Verbs ~xn ist ebenso vieldeutig. Hier steht ~xn im Nif„al. Zuerst muss man sich entscheiden, ob das Verb alleinstehend verwendet wird oder mit der Präposition l[ verbunden wird. M.E sind ~xn und l[ im Hiobbuch nie miteinander verbunden. Nach C. Muenchow ist es wahrscheinlicher, dass l[ kein Objekt, sondern eine Lokalpräposition ist. Nach seiner Auffassung sind l[ und ~xn kein Idiom für die beiden Wörter, sondern etwas, das mit einer lokalen Angabe zu tun hat. Er behauptet, dass ein Objekt des Idioms l[ ~xn mit einem mentalen („thought, plan, idea“), nicht mit einem physischen Charakter („even a physical object employed as a metaphor“) zu tun haben, wenn ein Objekt zusammen mit dem Idiom l[ ~xn im Alten Testament vorkommt. So sei es besser, l[ als Lokalangabe zu verstehen: „By placing the athnach where they did, the Masoretes clearly did not see in 42,6 an instance of the nhm ‛l idiom, and the judgment of the Masoretes on this point is sound.“ 898 So kann hier das Verb ~xn ohne l[ erklärt werden. Das Wort ~xn im Nif„al könnte mit „bereuen“, „es reut einen“, „sich trösten“, „Mitleid haben“, „sich erbarmen“, „es sich leid tun lassen“, „Reue empfinden“, „sich etwas beruhigen“, „Rache üben“ übersetzt

894

Vgl. Willi-Plein, Ein untadeliger Mensch, 563. Utzschneider, Hiobbuch, 335f. 896 S. dazu Maier / Schroer, Ijob, 200: „Von dem, was er vorher gesagt hat, will er nun nichts mehr wissen, weil er umgestimmt, getröstet (nicht vertröstet!) ist.“ 897 S. dazu Janowski, Hand eines Frevlers, 13. 898 Muenchow, Dust and Dirt in Job 42:6, 609f. 895

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Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs (40,6-42,6)

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werden899. Aber nach I. Willi-Plein ist diese Deutung von ~xn in Bezug auf „Reue“ bzw. „bereuen“ nicht haltbar900: „Diese Konnotation hat hebr. ~xn sicher nicht. Ein Trauernder kann nicht den seine Trauer auslösenden Todesfall ‚bereuen„. Wohl aber er Trost erfahren und damit vorwärtsgewandt zu einem Neuansatz seines Denkens geführt werden. Das ‚Umdenken„ Gottes betrifft ebenso Vorsätze und Beschlüsse, die er danach nicht ausführt, sondern durch neue, andere Pläne ersetzt. Auch dieser Sinneswandel ist jeweils zukunftsgerichtet, so dass auch hier der Begriff ‚Reue„ leicht problematisch bleibt. ~xn zeigt also einen Vorgang des Umdenkens an …“901

Auch nach J. Ebach dürfte die Grundbedeutung von ~xn „eine Einstellung oder einen Plan ändern“ 902 sein. Der von ~xn Betroffene sieht einen Sachverhalt neu, unter einem anderen Aspekt903. Aber ~xn verändert Situationen nicht, sondern ermöglicht dem von Not Betreffenden eine andere Sichtweise904. Aus diesem Grund kann ~xn mit „umstimmen, umdenken“ übersetzt werden905. In diesem Zusammenhang ist ~xn hier als der von Hiob vollzogene Wille zur Ä nderung seiner Einstellung mit dem Gefühl des Trostes zu verstehen. Im Zusammenhang mit sam verliert Hiob sein Interesse daran und gelangt zu einer Erkenntnis durch die Begegnung mit Gott906. Endlich findet er auch Trost907. Diesen Trost hat Hiob von dem Blick auf die den Schöpfer spiegelnde Schöpfungswelt (Natur und Geschichte) erhalten, die als eine bewundernde Beschreibung des Geschöpfes Mensch gesehen werden könnte908. Hiob wurde hier S. dazu Ges18, 804ff; HAL3, 650f; Simian-Yofre, ~xn, 368ff; Stoebe, ~xn, 59ff; Apfelbacher, Ijobs letztes Wort.153ff; Willi-Plein, Hiobs Widerruf. 137ff und Seifert, Metaphorisches Reden, 220ff. 900 In 42,7 hat Gott zu den drei Freunden geredet, dass Hiob richtig zu Gott geredet hat. Aus diesem Grund gibt es kein Anlass, ~xn mit Reue oder Buße zu übersetzen, s. dazu Willi-Plein, Ein untadeliger Mensch, 558 und Seifert, aaO 221 sieht, dass ~xn zwei Bedeutungsaspekte hat: „trösten“ und „über etwas Leid empfinden“. Nach ihr meint ~xn weder Reue noch Selbstbeherrschung. Anders Jeremias, Reue Gottes, 15ff.124ff. 901 Willi-Plein, aaO 557. 902 Ebach, Streiten mit Gott 2,157. 903 Vgl. Willi-Plein, Hiobs Widerruf. 142. 904 Vgl. Seifert, Metaphorisches Reden, 222. 905 Vgl. Willi-Plein, ebd.: „Zusammenfassend darf gesagt werden, dass sich die Hypothese einer Grundbedeutung von ‚Umbesinnung, Umdenken, Stimmungsumschwung„ für die hebräische Wurzel ~xn an allem Belegen bewährt.“ 906 S. dazu Janowski, Hand eines Frevlers, 13. 907 S. dazu Simian-Yofre, ~xn, 376: „~xn schließt einen Stimmungswandel ein: auf den Schmerz folgt die Ergebung und die innere Ruhe“, vgl. Krüger, Gott und das Leid, 225. Anders Oeming, Begegnung mit Gott, 117: „Gott vertröstet nicht, sondern korrigiert Hiob hart.“ 908 S. dazu Utzschneider, Hiobbuch, 336. 899

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Vierter Teil: Textanalyse

nicht einfach überwältigt und überredet, sondern überzeugt909. Das heißt aber nicht, dass Hiob die inneren Zusammenhänge des Kosmos verstanden hat910. Die Fragen, die Hiob gestellt hat, bleiben offen. In der Tat wollte er nicht die Lösung der Fragen wissen, „sondern hören, dass er selbst im Recht ist“911. Das wird in 42,7f erfüllt. Obwohl Hiob immer noch auf Staub (rp'[') und Asche (rp,ae) sitzt, wie in Hi 2,8 (‚mitten in der Asche„), ändert er seine Haltung. Im Hiobbuch wird rp[ als „Staub“ oder „Erde“ verwendet. rpa bedeutet „Asche“912. Außer in 42,6 kommt die Wendung auch in Gen 18,27 und Hi 30,19 („rp[ und rpa“) vor. Zum theologischen Gebrauch im weiteren Sinne ist die Verwendung von rp[ und rpa zu den Trauer-, Buß- und Selbstminderungsriten zu rechnen913. N.C. Habel behauptet, dass „Staub und Asche“ sich auf das Ergebnis im Prolog bezieht, wo Hiob die Gemeinschaft verlässt und sich auf den Aschehaufen (Hi 2,8) setzt, und seine Freunde ihm ihre Sympathie bekunden, indem sie Staub in die Luft werfen. Also stellen Staub und Asche wirklich die Situation und Rolle Hiobs als eines einsam Leidenden und eines gedemütigten Streitenden dar. Damit setzt diese literarische Technik des Verfassers die erzählerischen Züge zu Beginn und zum Schluss des Buches miteinander in Verbindung914. Gleichzeitig weist das Hiobbuch darauf hin, dass Hiobs neue Erkenntnis, die ihn nach den Gottesreden zu dieser Ä nderung bewegt, nicht die Folge einer Ä nderung seiner Lage ist915. Nicht durch die Heilung und die Erstattung seiner Güter mit deren Verdoppelung, sondern durch die Begegnung mit Gott wird die gestörte Beziehung zwischen Gott und Hiob wiederhergestellt916. Damit endet nicht nur die zweite und letzte Antwort Hiobs, sondern auch der ganze Dialogteil des Hiobbuches917.

909 Vgl. Maier / Schroer, Ijob, 200, s. dazu Scherer, Lästiger Trost, 5f: Hiob wird von JHWH nicht rückhaltlos bestätigt, sondern zum Umdenken bewegt. 910 Vgl. Willi-Plein, Ein untadeliger Mensch, 564. 911 Dies., ebd. 912 de Wilde, Hiob, 400, s. dazu Fohrer, KAT XVI, 536: „Wie der bildlich verwendete Ausdruck ‚in Staub und Asche„ (vgl. Jes 58,5;Jon3,6) und voll Trauer (vgl. Hi 2,8.12; Ez 27,3; Est 4,1.3) wegen des Früheren.“ 913 Vgl. Wanke, rp[, 356. 914 Vgl. Habel, OTL, 583. 915 Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 2, 159, s. dazu Fuchs, Klage, 491: In diesem Sinn hat Hiobbuch das Charakter der Klage. In der biblischen Klage ist Resultat nicht wichtig, ob die Not beseitigt ist, sondern dass die Vertrauenskrise überwunden wurde, die die Noterfahrung provoziert. 916 Vgl. Heckl, Hiob, 203. 917 S. dazu Engljähringer, Theologie, 181.

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Zusammenfassung

C)

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Zusammenfassung

In den Gottesreden und Hiobs Antworten erreicht das Hiobbuch seinen Höhepunkt. Im Verlauf des Dialogs mit den drei Freunden wird immer deutlicher, dass der eigentliche Ansprechpartner Hiobs Gott ist918. „JHWH gibt seine räumliche Trennung von Hiob auf und ermöglicht so die Wahrnehmung des ganzen Gottes.“919 Das sagt aber nicht, dass im vorangehenden Dialogteil Gott abwesend war. Gott schweigt im Gespräch mit den drei Freunden, aber man muss sich ihn immer als gegenwärtig vorstellen920. Es dauert lange, bis Gott ‚aus dem Wettersturm„ antwortet (Hi 38,142,6)921. Auf Hiobs Frage nach Gerechtigkeit und Ursprung seines Leidens hat Gott aber nicht geantwortet. Gott beschuldigt Hiob auch nicht. Hiob hat auch in seiner letzten Antwort niemals davon geredet. Eher fragt Gott Hiob über die Welt und ihre Bewohner. Er fordert Hiob auf, seinen Blick von seinem eigenen Leid abzuwenden und zur Wahrnehmung der Welt hinzulenken922. Aus diesem Grund gibt es in der Forschung „immer wieder die Ansicht, dass die Gottesreden des Hiobbuchs ‚drei Stunden Naturkunde„ beinhalten oder Gott mit seinen Reden Hiob einfach niederdonnert, bis dieser seinen Widerstand aufgibt“923. Es ist aber zu beachten, dass die Gottesreden selbst zuallererst die Antwort Gottes auf die Aufforderung Hiobs sind, ihm gegenüberzutreten924. Die Gottesbegegnung ist der wichtigste Trost. Trotzdem müssen die Gottesreden inhaltlich verstanden werden: „Das Antworten betont die Beziehungshaftigkeit des Redens und die Rückbezüglichkeit zu bereits vom Gegenüber Gesagtem. Gott antwortet Ijob, und er bezieht sich damit auf das, was Ijob zuvor gesagt hat – auch wenn uns diese Bezüge nicht sofort ins Auge springen mögen.“925

Die beiden Gottesreden reagieren auf zwei Vorwürfe Hiobs, erstens den Vorwurf, dass die Schöpfung vom Chaos bestimmt sei und Gott den Frommen in diesem Chaos leiden lasse, und zweitens den

918

Vgl. Müllner, Ijob, 59. Köhlmoos, Auge Gottes, 344f. 920 Vgl. Utzschneider, Hiobbuch, 324. 921 Vgl. Janowski, Hand eines Frevlers, 10. 922 Vgl. ders., aaO 10f, s. dazu Heckl, Hiob, 200. 923 Janowski, aaO 10. 924 Vgl. Heckl, aaO 191 und Remus, Menschenbildvorstellungen, 82: „Wichtig ist in erster Linie, dass Ijobs Herausforderung, seine Fragen und Klagen nicht ohne eine göttliche Antwort bleiben.“ 925 Müllner, Das hörende Herz, 60. 919

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Vierter Teil: Textanalyse

Vorwurf, dass Gott selbst ein Frevler sei. In diesem Zusammenhang beziehen sie sich auf Hi 3 und Hi 9926. In der ersten Gottesrede fragt Gott Hiob, ob er die Welt verstehen und lenken könne. Es handelt sich um die Schöpfungswelt (38,4-38) und die Tierwelt (38,39-39,30), die der Mensch nicht erreichen kann und die dem Menschen unbekannt sind. Gott weist Hiob auf die Größe und Weite der Schöpfungswelt hin, die menschlichem Verstehen unzugänglich und unbegreiflich bleibt. Die Gottesrede ist aber beeindruckend und regt zum Staunen an. Hiob, ein Geschöpf, kann sich vor dem Schöpfer nur in Ehrfurcht verneigen927. Auf der Erde gibt es außerhalb des menschlichen Lebensbereichs eine andauernde Wechselbeziehung der Kreaturen zu Gott. Hiob muss auch als Geschöpf wie alle Kreaturen den ihm von Gott zugewiesenen Platz im Gesamtzusammenhang der Schöpfung einnehmen 928 . Gott bleibt als Schöpfer jeder Kreatur gegenüber transzendent929, aber gleichzeitig der Fürsorger, der die Welt lenkt und sich um ihre Bewohner kümmert. Damit wird der Plan Gottes (hc'[e) erfüllt. Nach der kurzen, aber suffizienten Antwort 930 Hiobs folgt anschließend eine zweite Gottesrede, die sich Hiobs Anklage zuwendet, „dass Gott die Frevler in der Welt herrschen lasse und dass er selbst im Unrecht, ja ein Frevler sei (vor allem in Kap. 9)“ 931. In der zweiten Gottesrede wird „vom gegenwärtig wirksamen Handeln Gottes in der Geschichte“932 in Bezug auf die Gerechtigkeit / das Recht Gottes (jP'v.mi) gesprochen. Behemot (Nilpferd) und Leviathan (Krokodil) repräsentieren, wie oben ausgeführt, die chaotische Welt im kosmischen Bereich auf der Erde. Im Erfahrungshorizont des Menschen beziehen sich die beiden auf den Frevler als den konkreten Repräsentanten der chaotischen Welt. Aber auch die beiden Untiere wurden von Gott, ebenso wie Hiob geschaffen. Gott ist sowohl für den kosmischen Bereich, als auch für den chaotischen zuständig933. Die Welt bleibt ambivalent. In der Tat gibt es die chaotische Seite der Schöpfungswelt. Gott hält sie aber in Grenzen, und die Schöpfung kann von ihr nicht verschlungen werden934. Nur Gott vermag diese

926 927 928 929 930 931 932 933 934

Vgl. Heckl, aaO 204. Vgl. Gross, NEB.AT 13, 7. Vgl. ders., aaO 134. Vgl. ders., ebd. Vgl. Heckl, Hiob, 298. Rendtorff, Theologie des Alten Testaments, 327. Kubina, Gottesreden, 106. S. dazu Gradl, NSK.AT 12, 335. Vgl. Janowski, Hand eines Frevlers, 12. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zusammenfassung

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Chaoswesen zurückzudrängen 935 und damit sein Gottsein zu demonstrieren. Dies führt Hiob zu seiner zweiten Antwort mit der kurzen, aber wichtigsten Rede, die als letzte Rede Höhepunkt und Abschluss des Dialogs zwischen Gott und Hiob ist936. Trotz aller Schwierigkeiten der Ü bersetzung und Interpretation ist für Hiob klar, dass er umgestimmt wird in Bezug auf seine Weltsicht und Trost erhält. Während die erste Antwort Hiobs auf seine Kleinheit (ytiL{q; !he) gerichtet wird, bringt seine zweite Antwort die Größe und Allmacht Gottes (hM'zIm. ^M.mi rceB'y-I al{w> lk'WT lko-yKi) als Gesprächpartner zum Ausdruck937. „Gottes Gerechtigkeit kann nicht in Absehung vor Gottes Allmacht beurteilt werden, denn sie wird in eben dieser Macht ausgeübt.“938 Daran zeigt sich, dass Hiob nicht nur seinen Platz als Geschöpf auf der Welt findet, sondern auch bestätigt, dass Gott Gott ist. Durch die Begegnung mit Gott erreicht Hiob eine neue Erkenntnis von der Welt, Gott und dem Menschen 939 . Zusammenfassend können die Gottesreden und Hiobs Antworten folgendermaßen interpretiert werden: 1) Gott reagiert auf die Klage Hiobs. Am wichtigsten ist die Erscheinung Gottes, in der er auf die Klagen und Fragen Hiobs antwortet. Das ist der größte Trost Hiobs. 2) Die Welt wird nicht nach der Kategorie der Kausalität, der Gesetzmäßigkeit von Ursache und Wirkung bewegt. Weit über den menschlichen und menschenfeindlichen Lebensbereich hinaus kümmert sich Gott um die Welt und alles Leben in ihr. Gott hält auch ihre abgründigen und für den Menschen lebensgefährlichen Kräfte im Zaum940. Gott steht nicht einfach außerhalb der Welt, sondern hat immer eine Beziehung zu der von ihm geschaffenen Welt und seinen Geschöpfen: „Gottes Schaffen ist also keineswegs durchgängig als Ordnungsschaffen, als Bewahrung des Kosmos zu interpretieren, sondern Gott versteht sich als Schöpfer

935

S. dazu Ebach, Leviathan und Behemoth, 74. Vgl. Heckl, Hiob, 202. 937 S. dazu Engljähringer, Theologie, 182f. 938 Michel, Hiob, 273. 939 Vgl. Engljähringer, aaO 186: „sie (sc. die Begegnung mit Gott) macht den realistischen und zugleich versöhnten Blick zurück möglich. Ihr verdankt Ijob ein neues Wissen um sich selber und um Gott“ und Müllner, Erkenntnis im Gespräch, 180: Die Gottesbegegnung führt dazu, „dass Ijob seine Weltsicht und seine Einstellung ändert (42,6).“ 940 Vgl. Engljähringer, aaO 165. 936

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Vierter Teil: Textanalyse

dergestalt, dass die Schöpfung über eine gewisse innere Freiheit verfügt, die zwar von Gott reguliert, aber nicht eliminiert wird.“941

3) Die Welt ist ambivalent. Es gibt in der Welt Chaos und Ordnung, Dunkel und Licht, nützliche und wilde Tiere942. „Auch die Elemente, die die Schöpfung in Frage stellen, sie bedrohen, ihr feindlich sind, sind Bestandteile der Schöpfung.“943 In der zweiten Gottesrede hat Gott seinen Plan und führt ihn aus, obwohl es die chaotischen Mächte auf der Erde gibt. Von solchen Chaoswesen „Behemot und Leviathan“ wird die Welt nicht verschlungen. Im Gegenteil verwirklicht Gott seinen Plan und seine Gerechtigkeit in der Welt. Für Gott sind diese Ungeheuer Geschöpfe wie alle anderen Tiere. Damit wird der Vorwurf Hiobs in Hi 9 entkräftet. Gegenüber Gott wird dem Bösen nur eine begrenzte Macht und Realität in der Welt zugestanden944. Gott ist die allein souveräne Macht. In der Welt gibt es immer eine Ordnung, obwohl sie für Hiob verborgen bleibt945. 4) Das Ergebnis der Gottesreden ist, dass der Mensch nicht die Krone der Geschöpfe ist946. Der Mensch steht nicht mehr im Zentrum, und die Natur ist nicht mehr nur ein Beiwerk. Hiob erfährt seine Begrenztheit durch die Gottesbegegnung. Diese Erfahrung bedeutet für ihn aber Trost947. Hiob kann weder die Welt regieren noch die Chaosmächte bändigen. Er muss bestätigen, dass Gott die Welt in seiner Hand hält, obwohl es auf der Welt die Chaosmächte gibt948. Gott „verweist auf seinen tatsächlichen Umgang mit der Welt und seine Stellung zum Bösen“949. Nach der Begegnung mit Gott hat Hiob ein neues Verhältnis zu Gott gewonnen950. „Die Gott – Menschen – Beziehung ist in erster Linie durch die Relation Schöpfer – Geschöpf bestimmt, nicht durch kultisches Wohlverhalten, Gerechtigkeit oder auch Bedürftigkeit.“ 951 Durch die Gottesreden wird 941

Schmid, Hiob als biblisches und antikes Buch, 75. S. dazu Ravasi, Hiob, 123. 943 Ebach, Streiten mit Gott 2, 148. 944 Vgl. Heckl, Hiob, 201. 945 Vgl. Schmid, aaO 25. 946 Vgl. Lang, Tiere, Herr der, 868. In diesem Punkt geht Menschenbild zwischen Gottesreden im Buch Hiob und in Ps 8 auseinander. In Ps 8, 6.8f erhielt der Mensch Recht, über Tiere zu herrschen. Der Mensch ist nur wenig geringer als Gott geschaffen. 947 S. dazu Müllner, Das hörende Herz, 64: „Gott ist groß – und Ijob ganz klein: Das ist keine Demütigung des Leidenden, sondern Erlösung durch Annahme der eigenen Grenzen und durch Zurechtrücken der Maßstäbe.“ 948 S. dazu Müllner, Das hörende Herz, 64. 949 Heckl, Hiob, 192. 950 Vgl. Strauß, BK XVI/2, 386. 951 Schmid, Hiob als biblisches und antikes Buch, 79. 942

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Zusammenfassung

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Hiobs Haltung vom Gotteszweifel zur Gottesfurcht umgewandelt 952. Gottesfurcht ist kein absoluter Glaubensgehorsam, sondern „eigentlich Gottvertrauen, nämlich das Vertrauen auf Gott als den, der allen Störungen und Gefährdungen zum Trotz das Ganze durchwaltet und den Lebensweg der Menschen gelingen lässt, die die Lebensordnungen suchen, ihnen entsprechend handeln und sie weitergeben“953.

So gibt Hiob seine bisherigen Gedanken in Bezug auf den TunErgehen-Zusammenhang und seine anthropozentrische Weltsicht auf. Hiob ist nicht mehr derselbe, der vor den Gottesreden und in Kapitel 1f existierte. Er ist neu geboren, „auf“ Staub und Asche: „Äußerlich ändert sich nichts, aber innerlich hat sich eine grundlegende Wandlung vollzogen. In der vorbehaltlosen Hingabe an Gott und der persönlichen Gemeinschaft mit ihm trägt und erträgt Hiob sein Geschick.“954

Anschließend ergreift Gott noch einmal das Wort in 42,7-9 und erkennt an, dass Hiob richtig zu Gott gesprochen hat: 7

8

9

Und es geschah, nachdem JHWH diese Worte zu Hiob geredet hatte, sprach JHWH zu Elifas, dem Temaniter: Entbrannt ist mein Zorn gegen dich und deine beiden Freunde, denn ihr habt nicht richtig (hn"Akn>) zu mir (yl;ae) geredet wie mein Knecht Hiob. Und nun nehmt euch sieben Jungstiere und sieben Widder und geht zu meinem Knecht Hiob und bringt ein Brandopfer für euch dar, und Hiob, mein Knecht, soll für euch Fürbitte tun. Ja, sein Angesicht will ich erheben, um euch nichts Schimpfliches anzutun, denn ihr habt nicht richtig zu mir geredet wie mein Knecht Hiob. Da gingen Elifas, der Temaniter, und Bildad, der Schuachiter, und Zofar, der Naamaiter, und taten, wie JHWH ihnen gesagt hatte, und JHWH erhob das Angesicht Hiobs. (Hi 42,7-9)

Weil Hiob Richtiges (hn"Akn>)955 zu (la,)956 Gott geredet hat, gibt es keinen Anlass für irgendeine Reue oder einen Widerruf. Im Gegensatz dazu haben seine Freunde nicht zu Gott, sondern über Gott geredet957. Damit bestätigt Gott Hiobs Anklage, die für Men952

S. dazu Janowski, Hand eines Frevlers, 13. Zenger, Bücher der Weisheit, 407. 954 Fohrer, KAT XVI, 558. 955 Ges18: Im Pt. F. bedeutet der Begriff hn"Akn> etwas Richtiges, Rechtes oder Verläßliches. 956 Mit Oeming, Ziel, 120ff wird hier die Präposition la, mit „zu“ statt „von (über)“ übersetzt. Nach dem alten und dem neuen Gesenius ist die Grundbedeutung der Präposition la, „in Richtung auf“ (Ges18); „Bewegung“, „Streben“, „bloße Richtung nach einem Orte“ (Ges17). Daher kennzeichnet sie hier den Adressaten der Rede (vgl. Willi-Plein, Ein untadeliger Mensch, 558). 957 Vgl. Janowski, Hand eines Frevlers, 14. 953

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Vierter Teil: Textanalyse

schen stimmig ist958. Nicht nur das, sondern auch mit dem Leiden Hiobs macht Gott ein Ende und stellt sein Eigentum wieder her, und Hiob bekommt auch Kinder. Am Ende des Hiobbuches wird die Schönheit der Töchter Hiobs erwähnt (Hi 42,14f). Darin zeigt sich, dass diese Welt nicht mehr geschlossen und chaotisch ist, sondern harmonisch959. Denn Hiob erkennt, dass Gott als Schöpfer der Welt diese nach seinem Plan erhält und lenkt. Es ist ein Symbol dafür, dass er sich mit Gott, der Welt und sich selber versöhnt hat.

958 959

S. dazu ders., aaO 15. Vgl. Ebach, Hiobs Töchter, 67ff. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

„Es gibt vielfältige Versuche, das Hiobbuch formal und / oder inhaltlich im Rahmen theologisch-literarischer Gattungen des Alten Testaments zu erklären.“1 Es ist aber umstritten, zu welcher Gattung das Hiobbuch gehört. In der Forschungsgeschichte gibt es drei Thesen zur Gattungsfrage: es gehört zur Weisheit, zu den Psalmen und zum Recht2. Sich auf eine Gattung für das Hiobbuch festzulegen, ist aber problematisch, denn das Hiobbuch enthält weisheitliche, psalmitische und juridische Gattungselemente3. In diesem Zusammenhang soll versucht werden, die Gattung der Gottesreden zu bestimmen. Die Gattungsbestimmung der Gottesreden (Hi 38,1-42,6) geschieht durchweg in Verbindung mit der gattungsmäßigen Einordnung des gesamten Hiobbuches 4 . Durch diese Bestimmung der Gattung „ergeben sich für das Verständnis des Textes wichtige Hinweise auf seine Intention und Begrenzung angesichts bestimmter Hörer und Sprecher sowie angesichts von Einrichtungen bestimmter sozialer und kultureller Entwicklungsstufen“5. Unter dem Blickwinkel der Traditionskritik enthält das Hiobbuch viele verschiedene einzelne Traditionen und Motive 6 aus den 1

Köhlmoos, Auge Gottes, 5. S. dazu Fohrer, Studien, 62: „Der Dichter hat die Redeformen in einer sehr mannigfaltigen und bunten Weise den Bereichen der Weisheitslehre, des Rechtslebens und der Psalmen entnommen“, vgl. Ebach, Hiob / Hiobbuch, 364. Darüber hinaus gibt es auch den Versuch, das Hiobbuch der Gattung des Prophetischen zuzuordnen: „Die von Hans Bardtke (1967:1-10) und S. Terrien (1966:295-310; vgl. Crenshaw 1970: 388f) gemachten Versuche, prophetisches Material als Schlüssel zum Hiobbuch zu verwenden, hinterließen wenig Eindruck und versagten in der Ausweitung der Interpretation auf die Bedeutung des ganzen Buches“, vgl. auch Loader, Hiob, 125 und Witte, Hiobbuch, 440. 3 S. dazu Dell, Job, 214: „Deliberate concentration on small passages in Job revealed a striking variety of different genres not only from ‚wisdom‘, but from ‚legal‘ and ‚psalmic‘ or ‚hymnic‘ origins too.“ 4 S. dazu Kubina, Gottesreden, 125. 5 Steck, Exegese des Alten Testaments, 122. 6 „Häufig sind Traditionen thematisch komplex, d.h. ihr Hauptthema ist aus einzelnen thematischen oder bildhaften Bausteinen kombiniert, die man ‚Motive‘ nennen kann“, Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 190. 2

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Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Bereichen nicht nur des Alten Testaments, sondern auch der Umwelt Israels. Diese Motive helfen in den Gottesreden den Charakter der Gottesrede, ihr Welt-, Gottes- und Menschenbild zu formen. Durch diese Traditionskritik kann die Funktion oder die Aussage einzelner Motive innerhalb des Kontextes der Gottesreden erläutert werden. A)

Gattungskritik

Wie schon gesagt, gibt es in der Forschungsgeschichte des Hiobbuches viele Versuche die Gattung des Hiobbuches zu bestimmen. Wegen der Vielfältigkeit der Gattungen definieren einige Kommentatoren das Hiobbuch neu, wie M.H. Pope: „there is no single classification appropriate to the literary form of the Book of Job. It shares something of the characteristics of all the literary forms that have been ascribed to it, but it is impossible to classify it exclusively as didactic, dramatic, epic or anything else. The book viewed as a unit is sui generis and no single term or combination of terms is adequate to describe it.“7

Im Alten Testament liegen nicht selten auch Verschränkungen oder Mischungen von Gattungen vor8. Nach G. Fohrer „zeigt die formkritische Untersuchung, dass die Rede der Hiobdichtung nach dem Grundsatz der Gattungsmischung komponiert sind“ 9 . „Zu dem Phänomen der Gattungsmischung und Gattungsverfremdung kommt in der Hiobdichtung eine explizite oder implizite Bezugnahme auf andere, der Hiobdichtung vorausgehende Texte.“10 Dabei fällt die Redeform des „Streitgesprächs“ auf. Diese Form kommt im Hiobbuch am häufigsten vor11. Dabei ist zu sehen, dass die verschiedenen Gattungsbereiche von dem Streitgespräch oder der Streitrede eingeschlossen werden12. Durch das Streitgespräch erfährt man, dass es eine Auseinandersetzung zwischen Menschen oder zwi-

7

Pope, AncB 15, 30, s. dazu Habel, OTL, 45: „The creative literary work of Job, however, does not conform to any single traditional genre structure. Traditional forms are incorporated, adapted, and transcended through the integration of curses, disputation, lament, trial speeches, wisdom poems, and hymnic materials into an underlying narrative plot.“ 8 Vgl. Steck, Exegese des Alten Testaments, 113. 9 Fohrer, Studien, 62, s. dazu ders, KAT XVI, 50; Köhlmoos, Auge Gottes, 20 und Dell, Job, 104. 10 Witte, aaO 440. 11 Vgl. de Wilde, Hiob, 61. 12 Vgl. Fohrer, KAT XVI, 51. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Gattungskritik

schen Gott und Menschen gibt. Es könnte weisheitlicher Streit, Klage in den Psalmen oder Rechtsstreit sein13. Die Form des Streitgespräches zieht sich durch das gesamte Hiobbuch14. Außer dieser Form ist kein dominantes Element im Hiobbuch zu sehen15. Manche Kommentatoren halten aber die Streitrede oder das Streitgespräch nicht für eine Gattung, sondern nur für eine Redeform der Sprache16. Es ist aber immer noch umstritten, eine Definition zwischen Gattung und Form zu treffen17. Wenn man diese „Redeform“ mit Gattung im weiteren Sinn gleichsetzen kann, wird das Hiobbuch, vor allem der Dialogteil (3,1-42,6), der Hauptgattung Streitgespräche zugeordnet18. Das Streitgespräch ist eine Redeform, die einen „Sitz im Leben“ hat und auf eine heftige Auseinandersetzung in einer Gesellschaft schließen lässt. Sowohl im Dialog mit den Freunden, als auch in den Gottesreden ist das „Streitgespräch“ ein grundlegendes rhetorisches Element. Der ganze Dialogteil ist unter diesem Aspekt zu verstehen. In den Gottesreden handelt es sich um ein Streitgespräch in zweifachem Wechsel 19 . Dabei kann man durch die Redeform von Einleitungs- und Schlussteil feststellen, dass die Gottesreden Streitgespräch oder Streitrede sind20. Innerhalb dieser Gattung „Streitgespräch“ oder „Streitrede“ werden die beiden Gottesreden (38,1-42,6) in erster Linie als Streitreden eingeführt21. „Häufig wird auf die Vielfalt der verwendeten Gattungselemente in Kapitel 38ff verwiesen, wobei nur selten eine klare Ü berordnung eines der Elemente geschieht. Zahlreiche Ausleger kommen darin überein, dass es sich um die Gattung ‚Streitrede‘ handelt (Fohrer, Leveque, Müller, Westermann).“22

13

S. dazu Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 141: „Das ‚Disputationswort‘, auch Diskussionswort oder Streitgespräch genannt, (…) ist ebenfalls eine entliehene Gattung, entweder aus dem Sitz im Leben des ‚weisheitlichen Lehrgesprächs‘ oder der ‚rechtlichen Auseinandersetzung‘ in der Torgerichtsbarkeit oder anderen Gerichtssituationen.“ 14 S. dazu Kaiser, Grundriß der Einleitung, 59. 15 Nach K. Dell, aaO 73ff ist im Hiobbuch die dominante Gattung nicht festzustellen, s. dazu Köhlmoos, aaO 20f. 16 H.P. Müller, Hiob und seine Freunde, 38f vertritt die Auffassung, dass die Gottesreden theologische Streitreden unter dem Gattungsbereich der Weisheit sind. 17 S. dazu Kubina, Gottesreden, 124ff. 18 S. dazu Westermann, Aufbau, 29ff; Kaiser, Einleitung, 392; Crenshaw, Popular Questioning, 389 und Keel, Jahwes Entgegnung, 28. 19 Vgl. Kubina, Gottesreden, 131. 20 Vgl. Fohrer, Studien, 122 und Westermann, aaO 30: Die Gottesrede ist die Antwort Gottes an Hiob (38ff), jedenfalls teilweise, deutlich den Charakter des Streitgespräches. 21 S. dazu Maier / Schroer, Ijob, 199 und Fohrer, KAT XVI, 51. 22 Kubina, Gottesreden, 131. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Solche Streitgespräche haben in Ä gypten und in Mesopotamien eine lange Tradition. Das Hiobbuch kann auf die Gattung der altorientalischen Auseinandersetzungen („Vorwurf gegen Gott“ 23 ) zurückgreifen24. Es stellt aber in verschiedener Hinsicht etwas Neues und Eigenes dar25. Interessanterweise können die Gottesreden ein „Streitgespräch Gottes mit Hiob“ sein. In den Gottesreden fragt meistens Gott, darauf reagiert Hiob. Während im Dialogteil mit den Freunden Hiob das Gespräch führt, dominiert Gott in den Gottesreden den Dialog. In diesem Sinn können die Gottesreden als Gottes Streitgespräch mit Hiob in Bezug auf eine Verteidigungsrede des von Hiob angeklagten Gottes gelesen werden26. Offensichtlich handelt es sich um eine vom Verfasser vorgenommene selbstständige Verarbeitung einzelner Gattungselemente innerhalb des Streitgesprächs27. Es geht um Rahmen- und Gliedgattungen. Das Streitgespräch ist eine Rahmengattung und die dazu gehörenden kleineren Gattungen sind Gliedgattungen 28 . Ü ber Rahmen- und Gliedgattungen schreibt K. Koch: „Es gibt also in Schrift und Rede Gliedgattungen, die in umfassendere Rahmengattungen eingebaut sind. Insbesondere sind Formeln, die kleinsten Ausprägungen sprachlicher Einheiten, fast stets größeren Gattungen zu- oder eingeordnet. (…) Das Jahwistische oder das priesterschriftliche Erzählwerk sind solche Rahmengattungen, durch die eine Vielzahl ursprünglich selbständiger Einheiten mehr oder weniger geschickt zusammenkomponiert worden sind. In solches Werk ist eines Tages auch der Dekalog von Ex. 20 als Untergattung eingegangen, während er Dtn. 5 in ein Gesetzbuch eingebaut wurde…“29

23

Zur Formulierung des Vorwurf gegen Gott s. Sitzler, Vorwurf gegen Gott, XIIf: Der Ausdruck „Vorwurf gegen Gott“ wird herangezogen, „weil er betont, dass es um ein Fehlverhalten der Gottheit geht, das in ganz verschiedenen Dichtungen im Bereich des Alten Orientes thematisch in den Mittelpunkt gestellt worden ist. Zum zentralen Motiv ‚Vorwurf gegen Gott‘ gehören zwei unabdingbare Elemente: die Benennung eines göttlichen Adressaten der Vorwürfe und die Thematisierung eines Fehlverhaltens dieser Gottheit“. 24 S. dazu Kaiser, Grundriß der Einleitung, 53, vgl. Fohrer, KAT XVI, 43ff. 25 Vgl. Keel / Schroer, Schöpfung, 198, s. dazu Sitzler, aaO 233 und Heckl, Hiob, 471. 26 S. dazu Engljähringer, Theologie, 162. Zur Verteidigungsrede s. Boecker, Redeformen des Rechtslebens, 95: Die Verteidigungsrede bestreitet den Tatbestand nicht, der dem Vorwurf zugrunde liegt, sondern interpretiert diesen Tatbestand anders als die Anklage. Damit entzieht der Anklage die Voraussetzung. 27 S. dazu Kubina, aaO 140. 28 Vgl. Steck, Exegese des Alten Testaments, 113. 121. Während ein größerer Textabschnitt sich auf die Rahmengattung bezieht, wird dessen Teilstück die Gliedgattung genannt. 29 Koch, Formgeschichte, 29f. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Gattungskritik

Hier wird zunächst das Streitgespräch als Rahmengattung dargestellt. Danach werden die Elemente der verschiedenen Gattungen als Gliedgattungen beschrieben. I.

Rahmengattung: Streitgespräch

Im Dialogteil streitet Hiob heftig mit seinen Freunden. Im Fortgang des Dialogs richtet sich Hiobs Rede an Gott. Dann fängt Gott an zu reden und fordert Hiob zum Sprechen auf 30. In den Gottesreden wandelt sich Hiob vom Subjekt der Rede zum Hörer. Obwohl er passiv bleibt, gelten die Gottesreden als Streitgespräch. Denn auf die Gottesreden oder Fragen antwortet Hiob ausdrücklich, aber nur mit wenigen Worten. In den Streitgesprächen dienen die rhetorische Frage und der Imperativ Gottes der Bestreitung der gegnerischen Position und sein Eigenlob dient der Darstellung und Verteidigung der eigenen Position31. In diesem Sinn sind die Gottesreden dem Streitgespräch oder der Streitrede zugeordnet. „Dass es sich wirklich um Streitreden handelt, wird an den beiden Kernsätzen sichtbar, die 38,2 und 40,8 die Gottesreden (38,2-40,2; 40,7-14) einleiten.“ 32 Das Streitgespräch zieht sich als Rahmengattung durch die Gottesreden. Von dieser Rahmengattung werden die Gliedgattungen der Gottesreden eingeschlossen, die aus verschiedenen Gattungen bestehen33. Dabei sind die verschiedenen Gattungselemente ineinander verwoben34. Unter dieser Rahmengattung lägen Gliedgattungen aus verschiedenen Sitzen im Leben, Bereichen der Weisheit, der Psalmen und des Rechts35.

30

Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 135. Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 32. 32 Müller, Hiob und seine Freunde, 38, s. dazu Westermann, Aufbau, 108f: „Die Gottesrede bzw. die Antwort Gottes ist der Form nach Streitrede. (…) An der Form des Streitgespräches haben alle Personen des Dramas teil, die Freunde, Hiob und Gott.“ 33 S. dazu Kubina, Gottesreden, 131. 34 Vgl. Fohrer, KAT XVI, 496ff. 35 Zu den Gliedgattungen s. Kegler, Gürte wie ein Mann, 218ff und Loader, Hiob, 122ff. 31

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Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

II.

Gliedgattungen

1.

Weisheitliche Gattungen

In der Forschungsgeschichte wird darauf hingewiesen, dass das Hiobbuch Elemente der Weisheitsliteratur enthält36. In den Gottesreden gibt es viele Elemente der Weisheit37, nicht nur in Bezug auf die Form der Sprache, sondern auch auf den Inhalt der Rede 38 . Meistens werden die beiden, Form und Inhalt, miteinander verbunden und sind nicht voneinander zu trennen. Die Sprachform wird als Stilmittel in den weisheitlichen Reden verwendet 39 . In den verschiedensten Literaturformen äußert sich weisheitliches Denken40. Wie in anderen weisheitlichen Texten im Alten Testament, spielt die rhetorische Frage in den Gottesreden eine wichtige Rolle zu Lehrund Lernvorgängen41. Diese Frageform macht den Gefragten auf die Antwort aufmerksam, die er schon weiß und als evident betrachtet. Damit zwingt sie ihn, diese Evidenz zur Kenntnis zu nehmen42. In diesem Sinn kann man sagen, dass die rhetorische Frage eine indirekte Behauptung ist43. Die rhetorischen Fragen sind ein Merkmal der weisheitlichen Literatur im Alten Testament44. Sie beziehen sich auf den Rätselspruch der Weisheit Israels45. 36

Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 135, s. dazu Kegler, Hauptlinien der Hiobsforschung, 15 und Maier / Schroer, Ijob, 193. 37 S. dazu Fohrer, KAT XVI, 50ff: Nach G. Fohrer werden die Gottesreden als weisheitliche Streitrede gehalten; Müller, Hiob und seine Freunde, 38ff ordnet die Gottesreden dem Gattungsbereich der Weisheit zu, in dem er die Gottesreden als theologische Streitreden kategorisiert und nach E. Zenger, Bücher der Weisheit, 412 können die Gottesreden als Lehrrede „zum kunstvollen Dialog ausgeformt werden, zu einer Art weisheitlichem Lehr- und Streitgespräch“. 38 Zur Definition der Weisheitsliteratur s. Witte, Weisheit, 1159ff: Das Vorhandensein eines die Bereiche von Erkennen, Verstehen, Wahrnehmen und Unterscheiden abdeckenden Wortfeldes bildet einen entscheidenden Ausgangspunkt zur Einordnung eines Textes in die Gruppe weisheitlicher Texte (vgl. 1161). 39 Vgl. Kaiser, Grundriss der Einleitung, 58. 40 Vgl. Schmid, Wesen und Geschichte, 185. 41 S. dazu Ha, Frage und Antwort, 26. 42 Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 29f. 43 Vgl. Ritter-Müller, Kennst du die Welt, 266. 44 Vgl. Müller, Proverbien 1-9, 131. 45 S. dazu Zenger, Bücher der Weisheit, 411: „Mit seiner Frageform, die sich als eine Art pädagogisches Rätsel präsentiert, will der Rätselspruch zum Nachdenken anregen, um so zu dem angezielten Verhalten zu motivieren. In seiner kunstvollen Sprachgestalt, aber auch in den Lebensfeldern, auf die er sich bezieht, zeigt der Rätselspruch, dass er aus dem Milieu der Oberschicht stammt und vermutlich in der schulischen Beamtenausbildung seinen ‚Sitz im Leben‘ par excellence hatte. Beispiele: Spr 23,29-35; 30,4-5.“ © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Gattungskritik

In diesem Zusammenhang geht es innerhalb des Alten Vorderen Orients um die kosmisch ausgerichtete Naturweisheit, die überwiegend als Listenwissenschaft formuliert wurde46. Schon hat G. von Rad gezeigt, dass Hi 38 sich auf kosmologische Onomastika aus dem Bereich der ägyptischen Weisheit bezieht47. Dazu gibt es das weisheitliche Denken48. Es geht um die Gerechtigkeit Gottes, die die Grundstruktur des weisheitlichen Denkens ist. Gott übt seine Gerechtigkeit aus, indem er den Tun-Ergehen-Zusammenhang garantiert und in Kraft setzt49. In den Gottesreden wird diese Problematik indirekt behandelt, indem Gott stattdessen die Schöpfungsordnung einführt. Gott versucht mit allen Mitteln, Hiobs Vorstellungen über die Welt, Gott und den Menschen zu ändern. Deshalb haben die Gottesreden eine pädagogische Funktion50. Damit wird die Beziehung zwischen Gott und Geschöpf in der Schöpfungstheologie festgelegt. a)

Weisheitliche Sprachformen

In den Gottesreden kommen viele weisheitliche Sprachformen vor. Aber interessanterweise beziehen sie sich meistens auf die Naturweisheit. Dabei erscheinen viele weisheitliche Topoi und Motive: Einsicht, Weisheit, Erkenntnis und Weg51. Damit versucht der Hiobdichter zu zeigen, dass Gott der Urheber der Weisheit ist. Unter den weisheitlichen Sprachformen gibt es zwei wichtige Elemente: die Frage und die Listenwissenschaft. α) Fragestil Der Fragestil in den Gottesreden ist auffällig. Die Grundform ist dabei die rhetorische Frage52:

46

Vgl. Preuß, Einführung, 92f. Vgl. Müller, Hiob und seine Freunde, 38f. 48 S. dazu Otto, Theologische Ethik, 153: „Weisheitliches Denken deduziert Ordnungen aus empirischer Beobachtung. Abläufe, in denen sich konstant ein Zusammenhang von Ursache und Wirkung einstellt, vermitteln den Eindruck einer geordneten Lebenswelt.“ 49 Gott ist der Stifter und Erhalter des Tun-Ergehen-Zusammenhangs, s. dazu Preuß, aaO 51f. 50 S. dazu Köhlmoos, Weisheit / Weisheitsliteratur II , 490. 51 S. dazu Schmid, Wesen und Geschichte, 180 und Preuß, Jahwes Antwort, 341: „In diesen genannten Gegenfragen Jahwes taucht dann sogar weisheitliche Terminologie auf, und es ist von Plan, Ratschluss, Erkenntnis, Verstand, Wissen usw. die Rede, wie ja die Jahwerede auch sonst die Thesen des Dialogs, Jahwes Unnahbarkeit betreffend, aufnehmen kann.“ 52 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 328. 47

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Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Die rhetorische Frage erwartet vom dem Gefragten keine Antwort und drückt mit der Frage auch nicht sein Unwissen in Bezug auf den gefragten Sachverhalt. Damit zielt sie darauf ab, den Gefragten zum kognitiven Handeln anzuregen und ihn zur mentalen Beantwortung der Frage in Bezug auf den intendierten Sinn des Fragenden zu leiten. In diesem Zusammenhang ist die rhetorische Frage eine indirekte Form der Behauptung und hat die Funktion Wahrheitsanspruch zu verstärken 53. Gleichzeitig bewirkt die Form der rhetorischen Frage „eine besondere Form der Hörerbeteiligung und impliziert eine emphatische Form der Bejahung. Sie ruft Selbstverständliches in Erinnerung, was beim Adressaten vergessen zu sein schien“54. In der weisheitlichen Ausbildung mag sie besonders gepflegt worden sein55.

Die Gottesrede ist „in die Nähe weisheitlichen Sprechens gerückt, obwohl sich der Anwendungsbereich rhetorischer Fragen nicht auf die Weisheit beschränkt“56. Nach G. von Rad ist die rhetorische Frage die Methode zur Ausbildung für Beamten im alten Ä gypten57. Als Schulfrage bezieht sich die rhetorische Frage auf die Streitschrift des Papyrus Anastasi I58. „Bei einer rhetorischen Frage kommt es (es sei wiederholt) nicht auf die offenkundige Antwort an, sondern auf die Konsequenzen, die aus der offenkundigen Antwort zu ziehen sind.“59 Die rhetorische Frage in den Gottesreden besteht aus zwei Arten von Fragen: der direkten Wortfrage und der direkten Satzfrage. Während die Antwort auf eine Wortfrage (Wer-Frage) „Du“ (Gott) intendiert, lautet die Antwort auf eine Satzfrage „Nein“. Diese Fragen bringen Hiob zu mentalen Antworten: „Nicht ich, sondern du“ (Wortfrage), „Nein, ich kann es nicht, aber du kannst es“ (Satzfrage)60, z.B. in der ersten Gottesrede:

53

Vgl. Polenz, Deutsche Satzsemantik, 201f. Zur rhetorischen Frage in den Gottesreden s. Keel, Jahwes Entgegnung, 29f und Preuß, aaO 339. Diese rhetorische Frage gehört zum indirekten Sprechakt, dazu s. Luchsinger, Poetik der alttestamentlichen Spruchweisheit, 304: „Sprechakte, in denen sich Form und Aussage nicht treffen, heissen ‚indirekte Sprechakte‘: ‚Nicht – direkt ist ein Sprechakt, wenn eine Dissoziation zwischen der intendierten kommunikativen Funktion und dem Satztyp der Äusserung (…) besteht‘.“ 54 Schwienhorst-Schönberger, Ijob, 1030. 55 Vgl. Müller, Proverbien 1-9, 131. 56 Köhlmoos, Auge Gottes, 135. 57 Vgl. von Rad, Hiob 38, 293ff und ders., Weisheit in Israel, 32. Anders Keel, Jahwes Entgegnung, 26: „Hier ist die Stilform wie im Buch Ijob zwar ‚eine rein literarische Erscheinung‘. Aber bei den Fragen Hori’s ist die Herkunft von echten Schulfragen noch deutlich zu erkennen.“ 58 Vgl. Müller, Hiobproblem, 110. 59 Ebach, Streiten mit Gott 2, 125. 60 Vgl. Köhlmoos, aaO 328 Anm. 4. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Gattungskritik • Wortfrage: ym-Frage Frage: 5 Wer (ymi) setzte ihre Maße, du weißt es doch! oder wer (ymi) spannte über ihr die Maßschnur aus? (Hi 38,5) Antwort: Nicht ich, sondern du (Gott). • Satzfrage: h-Frage Frage: 12 Hast du an einem deiner Tage dem Morgen befohlen, der Morgenröte ihren Ort angezeigt? (Hi 38,12) Antwort: Nein, ich kann es nicht, aber du kannst es.

Gottes Fragen bezwecken nicht nur die Verteidigung Gottes, sondern auch Hiobs Bestätigung der Gottesreden. Mit den anderen Sätzen der Gottesreden bringen sie Hiob Gott und seine Welt zur Kenntnis 61. Hiob wird mit den Geheimnissen der Schöpfung konfrontiert und zur Einsicht in sein Unvermögen gegenüber dem Schöpfergott geführt62. Damit bewirken die Fragen Gottes, dass Hiob Gott als Schöpfer anerkennt und die Grenzen und Aporien seiner Weisheit kennenlernt63. Schließlich führen die rhetorischen Fragen Hiob durch die Erkenntnis der Schöpfungsaussage zum Vertrauen in seinen Schöpfer64. „Inhaltlich geht es in diesem Teil der Rede um die Kernaussage: JWHW ist Schöpfer der Welt – nicht Ijob.“65 Dazu enthalten die Fragen Gottes den Rätselcharakter, der Elemente der Weisheitsliteratur zeigt (Hi 38f)66. Bei der Rätselrede steht ein Fragender „einem Gefragten gegenüber, die Situation ist dialogisch und gleichzeitig hierarchisch, die Sprache ist konsequent metaphorisch, fast eine Allegorie“67. Während des Vorgangs des Lösens wird aber die hierarchische Beziehung zu einer gleichberechtigten, indem Hiob in kommunikativer Hinsicht die Fragen Gottes beantworten 61

Vgl. dies., ebd., s. dazu Albertz, Weltschöpfung und Menschenschöpfung, 141: „Die Satzfragen zielen auf das Eingeständnis der eigenen Ohnmacht, die Wer-Fragen auf das Bekenntnis der Macht Gottes.“ 62 Vgl. Freuling, Tun-Ergehen-Zusammenhang, 225f. 63 S. dazu Müller, Hiobproblem, 108 und Kegler, Gürte wie ein Mann, 218. 64 Vgl. Maag, Hiob, 117. Zu solcher rhetorischer Frage s. Am 3,3-8: In Am 3,3-8 wird die rhetorische Frage verwendet. Diese Frage setzt als Lehrsatz auch nicht die Antwort darauf voraus. Vielmehr erwartet Amos durch diese Frage einen beharrlichen Willen zum Ü berführen. Die lange Reihe der rhetorischen Frage „zeigt stoffliche und stilistische Steigerungen (…), die die Spannung noch ständig erhöhen und schrittweise lehrhaft überzeugen“, Wolff, BK XIV/2, 220. 65 Schwienhorst-Schönberger, Ijob, 1030. 66 Vgl. Müller, aaO 111. 67 Köhlmoos, Auge Gottes, 330. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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kann. Damit zielt das Rätsel darauf, auf der einen Seite zu einer neuen Wahrnehmung der Welt und zu einer neuen Beziehung mit Gott zu kommen, auf der anderen Seite Hiobs Nicht-Wissen und Nicht-Können zu zeigen68. β) Listenwissenschaft Die Gottesreden gehören zur Weisheitsliteratur. Die Listenwissenschaft in den Gottesreden zeigt Elemente weisheitlicher Literatur 69. Nicht nur im alten Ä gypten, sondern auch in Mesopotamien war diese Form sehr bekannt: Im alten Ä gypten gab es „die sog. Onomastica oder (Namen-) Listen. In diesen Listen wurde alles zu erfassen und ordnen gesucht, was man damals kannte. Es war also auch hier ein Streben nach Ordnung, nach Erfassen und Beherrschen durch Sprache und Erkenntnis, das zu diesen Listen führte (...). Man spricht hier meist von der Naturweisheit dieser Listen neben der Lebensweisheit der Lehren“70. „Die mesopotamische Weisheitliteratur kannte (wie die ägyptische) zunächst auch Weisheit in Listenform. Diese Listen waren zuerst Zeichenlisten, dann Wortlisten, dann Sachlisten.“71

Für Israel ist die vom Alten Orient beeinflusste Listenwissenschaft maßgeblich geworden 72 . Im Alten Testament kommen indirekte Zeugnisse als Belege für die Listen in Bezug auf die Naturweisheit vor: z. B Gen 1; 1 Kön 5,12f; Hi 38; Ps 104 und Ps 14873. In den Gottesreden wird dieses Phänomen intensiv und häufig verstreut. Es ist die enzyklopädische Aufzählung der Schöpfungswerke, die in der altorientalischen Listenwissenschaft verankert ist74. Zeigen Hi 38,421 das starke naturkundliche Interesse, wird in Hi 38,22-38 eine Liste meteorologischer Phänomene dargestellt. In Hi 38,39-39,30 gibt es eine zoologische Aufzählung75, in Hi 40,15-24; 40,25-41,26 listenartige Kompendien nach Art der Onomastika (vgl. Hi 24,5-

68

S. dazu Köhlmoos, aaO 330f. Vgl. Fohrer, KAT XVI, 51f. 496f sieht die Listenwissenschaft als die Bildungsweiseheit, s. dazu ders., Studien, 126f und Hermisson, Schöpfungstheologie der Weisheit, 281. 70 Preuß, Einführung, 20. 71 Ders.,aaO 24. 72 Vgl. Fohrer, Studien, 127f. 73 Vgl. Kaiser, Grundriß der Einleitung 3, 51; Preuß, aaO 20 und Fohrer, aaO 128f. 74 Vgl. Witte, Hiobbuch, 439, s. dazu Müller, Hiobproblem, 110: Die sapientielle Beschreibung von Naturphänomenen (Hi 39ff) erinnere an enzyklopädische Onomastiken wie die des Amenemopet. 75 Vgl. Müller, Hiob und seine Freunde, 39. 69

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8.14-16a; 28. 30,2-8; 36,27-37,13; 37,15-18) 76 . Die Onomastika folgen aber nicht dem ägyptischen bzw. mesopotamischen Schema, sondern lassen sich von Weltbild, landschaftlichen, klimatischen und zoologischen Bedingtheiten Palästinas leiten. Die Auswahl der Beispiele in den Gottesreden entspricht dem palästinischen Raum77. Die Absicht dieser Listenwissenschaft besteht darin, die dem menschlichen Verstehen zugänglichen und fassbaren Naturerscheinungen zu sammeln, zu ordnen und dadurch zu verstehen. In den Gottesreden jedoch weist sie Hiob darauf hin, dass all die Beispiele die menschliche Einsicht und das menschliche Können übersteigen78. Damit dient diese Weisheit hauptsächlich dem Lob JWHWs79. b)

Weisheitliche Lehre

In Israel und seiner Umwelt sucht die Weisheit „nach einer verlässlichen Basis für die Erkenntnis und damit für ein entsprechendes Handeln des Menschen“80. Es ist der Tun-Ergehen-Zusammenhang als eine Hauptregel der weisheitlichen Themen81. In der Hiobdichtung ist der Tun-Ergehen-Zusammenhang ein Hauptthema. Während es sich im Dialog mit den Freunden um die Auseinandersetzung mit dem Tun-Ergehen-Zusammenhang handelt, kommt dies in den Gottesreden nicht vor. Dieses hängt mit der Krise der Weisheit 82 zusammen. Das bedeutet, dass der Tun-ErgehenZusammenhang zusammengebrochen ist. Die Krise der Weisheit ist die Konfrontation der Weisheit mit der Welt, wie sie sich darbietet 83. Trotzdem braucht die Welt eine Ordnung, die Welt zu lenken und bewahren. Sonst fällt die Erde wieder ins Chaos zurück, wie Hiob es in Hi 3 gewünscht hat. Deshalb versucht der Hiobdichter, sich eine übergeordnete Ordnung über dem Tun-Ergehen-Zusammenhang vorzustellen. In der ersten Gottesrede wird der Plan Gottes (hc'[e) dargestellt, in der zweiten Gottesrede das Recht (jP'v.mi). Anstelle des Tun-Ergehen-Zusammen76

Vgl. Fohrer, aaO 128, dazu s. Staubli, Tiere, 7ff: In der biblischen Zeit war die Fauna Israels noch wesentlich artenreicher als heute (z.B: Nilpferd und Krokodil in den Sümpfen/ Bären und Hirsche in den Wäldern/ Löwe und Onager in der Steppe). 77 Vgl. Fohrer, ebd. 78 Vgl. ders., aaO 76. 79 Vgl. Köhlmoss, Weisheit / Weisehitsliteratur II, 489. 80 Hermisson, Schöpfungstheologie der Weisheit, 267. 81 S. dazu Lux, Weisen Israels, 72ff. 82 Nach M. Millard, Hiobbuch, 33f wird mit dem Begriff der Krise der Weisheit „eine Haltung gekennzeichnet, in der die Differenz zwischen der Norm – der positiven Entsprechung zwischen Tun und Ergehen – und der Wirklichkeit zu einer Haltung prinzipieller theologischer Skepsis durchdringt“. 83 Vgl. Millard, aaO 34. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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hangs werden die beiden Begriffe von Gott eingeführt84. Es geht um die Schöpfungsordnung85. Damit lenkt Gott nicht nur die Naturwelt, sondern auch die Menschenwelt. Die Behauptung, dass es eine Ordnung gibt, ist Grundvoraussetzung weisheitlichen Denkens86. Neben diesen Begriffen kommen einige Wörter in Bezug auf die Ordnung Gottes vor. Termini qxo und hQ'xu haben die gemeinsame Wurzel qqx und treten für Rechtsätze oder Gesetzvorschriften auf 87. Der Terminus rj'v.mi als Nomen hat die Grundbedeutung „Schrift“. Hier bezieht es sich auf die von Gott gegebene Ordnung des Himmels88: 10

und ich zerbrach über ihm meine Bestimmung (yQIxu), und setzte ihm Riegel und Tor. (Hi 38,10)

33

Kennst du die Ordnungen (tAQxu) des Himmels, oder legst du auf die Erde seine Vorschrift (Arj'v.mi) nieder? (Hi 38,33)

Mit allen diesen Termini behauptet Gott, dass es eine Ordnung in der Welt gibt, anders als Hiob mit seiner Klage, die Welt sei in die Hand eines Frevlers gegeben (Hi 9,24), behauptet. Obwohl es die trotz ihrer Gerechtigkeit Leidenden gibt, wird die Welt nicht ins Chaos zurückfallen. Denn Gott als Schöpfer und Erhalter tut das Seine für die Welt. Die Gottesreden zielen darauf, Hiob zu neuer Erkenntnis kommen zu lassen. Dazu enthalten sie eine didaktische Absicht. Der Gefragte, Hiob, soll zur Erkenntnis bewegt werden89. Deshalb kommen die Substantive „Einsicht“ (hn"yBi) und „Erkenntnis“ (t[;D;) sowie die dazugehörigen Verben „Einsicht haben“ (!yb) und „wissen“ ([dy) vor, die Worte ureigenster Anliegen der Weisheit sind90. In den Gottesreden wird die Weisheit Hiobs bestritten, „wie sie in den zurückweisenden Worten des Rahmens der Gottesrede Hi 38,2f; 40,2.7f.14 und in ihrer 84

Zu hc[ s. oben 66 und zu jpvm s. oben 164 und Niehr, Herrschen und Richten, 370: „Beim Terminus jpvm zeigt sich ebenfalls der Unterschied zum Tun-ErgehenZusammenhang, da der jpvm im Sinne des Schicksals von JHWH kommt“ (Spr 16,33). 85 S. dazu Dell, Job, 77f und Niehr, aaO 352. 86 Vgl. Schmid, Wesen und Geschichte, 181. 87 Vgl. Ringgren, qqx, 149ff, zur Ü bersetzung s. Ges18, 388f: Qxo 1.etw. Festgesetzes, Bestimmtes 2. Grenze, Schrank, Ziel 3. bestimmte Zeit 4. Entschließung, Bestimmung 5. Gewohnheit, Sitte, Brauch 6. Gesetz, Satzung, Bestimmung, Verpflichtung und hQ'xu 1. etw. Festgesetzes, Bestimmtes 2. bestimmte Zeit 3. Pl. Sitte, Bräuche 4. Gesetz, Satzung, Vorschrift. 88 S. dazu Schunck, rjv, 1255ff. 89 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 135. 90 Vgl. Müller, Hiobproblem, 108, s. dazu Schmid, Wesen und Geschichte, 180 und Preuß, Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur, 11. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Stilisierung als Fragenreihe realisiert wird“91. Trotzdem führen die Gottesreden Hiob zu neuer Erkenntnis, wie Hiob in seiner zweiten Antwort sagt (42,1-6). Damit wird das Verhältnis zwischen Menschen und Gott in der Schöpfungswelt Hiob von neuem vor Augen geführt. In den Gottesreden ist Gott „der Urheber und Erhalter des Kosmos, wie ihn die Theologie der Weisheit kennt“92. 2.

Psalmengattungen

Neben der Weisheit gelten die Psalmen als für die Gottesreden prägende Gattung93. Der Psalter „spiegelt als ganzer mit dem Übergewicht von Klagen des Einzelnen am Anfang und imperativen, pluralischen Hymnen am Schluß den Gang des Klageliedes von der Klage hin zur Erhörungsgewissheit wider“94. Das Hiobbuch folgt „dem Vorbild der Klagepsalmen, in denen der Beter oft die ‚Erzählung‘ seiner Not und die endliche Beteuerung seiner Unschuld vorbringt“95. Aber die Gottesreden erfüllen nicht alle Gattungsmerkmale der Psalmen. Vor allem fehlt ein Lobpreis des Beters96. Meistens bewegt sich die Struktur der Psalmen von der Klage zum Lob97. Der Dichter des Hiobbuches aber hat sich nicht allzu eng an diese Schemata gehalten. Trotzdem entsprechen im Rahmen der Klagepsalmen die Gottesantworten nach der Erzählung der Not und der eidlichen Beteuerung Hiobs dem anschließend ergehenden JHWH-Orakel98. Auch die folgenden Antworten Hiobs (Hi 40,3-5; 42,1-6) haben ihre „formale Parallele in den Schlussworten der Psalmen, die dem Dank oder der Gewissheit der Erhörung Ausdruck geben“99. In diesem Zusammenhang entsprechen die Gottesreden (auch Hiobs Antworten) den Klagepsalmen. 91

Müller, aaO 121. Ders., Hiob und seine Freunde, 39. Nach W. Zimmerli, Ort und Grenze, 302 ist Theologie der Weisheit Schöpfungstheologie, s. dazu auch Hermisson, Schöpfungstheologie der Weisheit, 269ff. 93 S. dazu Preuß, Einführung, 99. 94 Millard, Hiobbuch, 28, s. dazu Gese, Lehre und Wirklichkeit, 63: „Absicht der Geschichte [des „Hiobthemas“ in akkadisch-sumerischen Gedichte] ist, beispielhaft von der Not, die einen Menschen ungerechtfertig überfiel, und ihre Ü berwindung durch eine um so vertrauensvollere Hinwendung zu Gott zu erzählen, also von der Erhörung einer berechtigten Klage Gott gegenüber. Wir geben dieser Gattung den Namen Klageerhörungsparadigma.“ 95 Fohrer, Studien, 115. 96 Vgl. Millard, ebd. 97 Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 42 und ders., Klage, 1390. 98 Vgl. Fohrer, aaO 116. 99 Ders., ebd. 92

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Darüber hinaus enthalten die Gottesreden den Hymnus als ein psalmistisches Element. Obwohl H.-P. Müller die Gottesreden als Weisheitsgattung sieht, behauptet er, dass innerhalb der weisheitlichen Rahmenstücke umfangreiche Abschnitte stehen, die thematisch Strukturen des Hymnus aufweisen: 38,4-39,30; 40,9-13100. Die Abschnitte, die aus den Frageketten bestehen, bedienen sich des Lobpreis Gottes durch Israel und zeigen das Selbstlob101. a)

Klage

Die psalmistische Dimension erstreckt sich auf die Dialoge und auf die Gottesreden. Die Gottesantworten auf die Klage Hiobs können wie eine psalmistische Klageerhörung verstanden werden102. Nach C. Westermann ist in der Klage der Punkt erreicht, an dem in den Klagepsalmen die Antwort Gottes erwartet wird. Als Heilsorakel bekommt das Faktum der Antwort Gottes an Hiob die Bedeutung, welche die Gottesantwort in den Klagepsalmen, d.h. dem Anrufen Gottes aus einer Not, ist103. „Dass Gott zu Hiob gesprochen hat, ist der Schluss des Dramas.“104 Aus diesem Grund sieht C. Westermann das Hiobbuch als „dramatisierte Klage.“105 Dazu entspricht das Bekenntnis Hiobs in 40,3-5; 42,1-6 „dem ursprünglich dritten Teil des Klagepsalms, in dem der Beter nach Klage und positivem Orakel seinen Dank oder die Gewissheit seiner Erhörung ausdrückte…“106. In diesem Bezug sind die Gottesreden Antwort auf die Klage107. Darüber hinaus kann man die Gottesreden auch als die Gegenklage Gottes (38,2; 40,8ff) sehen 108 . In den Gottesreden kommt keine Klage von Hiob vor, sondern die Klage Gottes.

100

Vgl. Müller, Hiob und seine Freunde, 39, s. dazu ders., Hiobproblem, 121 und Westermann, Aufbau, 85ff. 101 Vgl. Strauß, BK XVI/2, 350. Aber H. Strauß hält die Gottesreden nicht durchgängig für hymnisch. 102 Vgl. Ebach, Hiob / Hiobbuch, 364. Anders Gese, Lehre und Wirklichkeit, 74ff: Trotz der äußerlichen Ä hnlichkeit der Formen Klage und Antwort kehrt der Hiobdichter den Sinn, den diese Formen im Klageerhörungsparadigma haben, vollständig um. Denn Hiob bittet um den Tod oder fordert Rechtsstreit mit Gott statt der Erbarmung Gottes wie im Klageerhörungsparadigma. 103 Vgl. Westermann, aaO 109. 104 Ders., aaO 110. 105 Vgl. ders., aaO 11. 37. 106 Fohrer, Studien, 76. 107 Vgl. Westermann, Aufbau, 83. 109, s. dazu Kutsch, Unschuldsbekenntnis und Gottesbegegnung, 324. 108 Vgl. Kubina, Gottesreden, 137, vgl. Jes 43,24.27; 50,1. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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b)

Hymnus

Die Gottesreden werden auch als Hymnus bezeichnet109. In der ersten Gottesrede (Hi 38,4-39,30) wird die Größe Gottes in der Schöpfungswelt, in der zweiten Gottesrede (40,9-41,26) seine Herrschaft über die Geschichte thematisiert 110 . „Die Struktur dieses großen Komplexes müsste dann von der Struktur des Psalmmotivs ‚Lob des Schöpfers‘ zu erklären sein.“111 Aber im Verglich zu den Klagepsalmen lobt hier der Beter (Kläger) Gott nicht, sondern Gott sich selbst112. Dieses Eigenlob, in dem Götter oder Könige sich selbst preisen, ist nicht nur im Alten Testament, sondern auch in der Umwelt des alten Israels bekannt: „…im sumerisch-akkadischen Raum sind es häufig Göttinnen, im sumerischen vor allem auch Könige, die sich auf diese Weise selber erhöhen. Die Funktion des Selbsthymnus eines Gottes wird dabei auf dem Hintergrund des Polytheismus verständlich: Macht und Taten kommen zur Sprache, die geeignet sind, seine überragende Stellung im Pantheon zu erweisen. Bei den wohl im höfischen Zeremoniell beheimateten Selbsthymnen des Königs mag eines der Hauptanliegen ‚die Legitimation des Herrscher‘ gewesen sein, ‚die durch die Beauftragung durch die Gottheit erwiesen wird‘.“113

In den Gottesreden wird eine hymnische Thematik im Rahmen der Frageformen gefunden (vgl. Jes 40,12-31)114. Die Frageformen sind rhetorische Fragen, die Hiob den Mund verschließen und seine Ohnmacht verdeutlichen wollen. Aber die rhetorische Frage dient gleichzeitig dem Eigenlob Gottes115. Hymnische Elemente werden von Gott selbst dargestellt116. In der Tat dient die rhetorische Frage sehr häufig dem Eigenlob117. Dazu gibt es auch den Befehl Gottes an Hiob. Durch den Imperativsatz (Hi 38,3-4.18; 40,10-12.32) werden die Ohnmacht Hiobs und 109

Nach H. P. Müller, Altes und Neues, 294f dominert das hymnische Element in den Gottesreden. So deuten sie eine Selbsterhörung Gottes. 110 S. dazu Müller, Hiob und seine Freunde, 40. 111 Vgl. Preuß, Einführung, 91. 112 Aus diesem Grund sieht Millard, Hiobbuch, 30 dass das Hiobbuch als Buchkomposition eine besondere Entsprechung zur Psalmenkomposition und weniger zum Klagelied des Einzelnen hat. 113 Müller, Altes und Neues, 295f; vgl. Fohrer, KAT XVI, 498; Westermann, Sprache und Struktur, 61ff; Richter, Hauptlinien der Deuterojesajaforschung, 99ff und Strauß, BK XVI/2, 350, vgl. Jes 41,4b; 42,8; 43,10b-13; 44,24b.25.27; 45,6b.7.12.18b.21b; 46,9b.10; 48,12b.13; 50,2b.3; 51,13.15f; Prov 8,4-36; Sir 24,334. 114 Vgl. Müller, Hiob und seine Freunde, 42 und Preuß, Einführung, 91. 115 Vgl. Preuß, ebd. 116 S. dazu Witte, Hiobbuch, 439 und Westermann, Aufbau, 115. 117 Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 31 Anm. 88. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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gleichzeitig die Stärke Gottes betont118. In diesem Zusammenhang behauptet O. Keel, dass die beiden das Eigenlob Gottes darstellen119. Damit werden die Erhabenheit und die Kraft Gottes betont120. Darüber hinaus entspricht die zweite Antwort Hiobs (Hi 42,1-6) der Antwort des Beters im berichtenden Lob121. Vor allem in V. 2 hat Hiob Gottes Macht und Majestät anerkannt, dass Gott sie in seinen zwei Reden dargestellt hat. 3.

Gattungen des Rechts

Neben Formen der Weisheit und der Psalmen finden sich im Hiobbuch Anspielungen auf das israelitische Rechtsleben122. So hat L. Köhler das Hiobbuch als Debatte charakterisiert, die auf Diskursen in altisraelitischen Rechtsdisputen gründet123. Auch H. Richter sieht im Hiobdialog (3,1-42,6) die Darstellung eines Rechtsstreites zwischen dem Menschen Hiob und seinem Gott124. Dabei versteht er die Gottesreden „als Gottesurteilsverfahren in der Form des weltichen Gerichtsverfahrens, wobei an Stelle menschlicher Kontrahenten sich hier Gott und Hiob gegenüberstehen, das Verfahren sich also zwischen Gott und Hiob abspielt“125. Die Gottesreden ordnen die Theophanie von Hi 38,1-42,6 in den von Hiob gewünschten und angekündigten Rechtsstreit mit Gott ein126. Die juridischen Elemente scheinen stärker hervor als im Dialog zwischen Hiob und seinen Freunden127. Im Dialog mit den Freunden findet sich der Rechtsanspruch Hiobs auf Gott. Anschließend kann man in den Antworten Gottes den zum Rechtsstreit mit Hiob herausgeforderten Gott sehen128. Wie es in den Gottesreden geschieht, ist die Herausforderung zum Rechtsstreit in den Wunsch Hiobs gefasst, dass Gott antworten möge129:

118

Vgl. ders., aaO 30. Vgl. ders., aaO 32. Nach Keel dienen sie gleichzeitig der Bestreitung einer gegnerischen Frage, die mit ‚Wer‘ eingeleitet wird. 120 S. dazu Fohrer, Studien, 131. 121 Köhlmoos, Auge Gottes, 17. 122 Zur rechtlichen Sicht des Hiobbuches als Prozess s. Loretz, Götter –Ahnen – Könige, 178ff. 123 Vgl. Loader, Hiob, 124. 124 Vgl. Richter, Studien zu Hiob, 59ff, s. dazu Kegler, Hauptlinien der Hiobforschung, 9, Kubina, Gottesreden, 141 und Schneider, Hiob 38, 111. 125 Kegler, ebd. 126 Vgl. Kubina, aaO 129. 127 Vgl. Köhlmoos, aaO 20. 128 S. dazu Stier, Prozess, 224ff . 129 Vgl. Müller, Hiobproblem, 112. 119

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„Bei der Untersuchung der Dichtung sind immer wieder Begriffe und Vorstellungen aufgetaucht, die in den juridischen Bereich gehören. Dies hatte H. Richter dazu bewogen, die Hiobdichtung vor dem Hintergrund des ‚israelitischen Rechtslebens‘ zu sehen.“130 Nach H. Richter gehören die Abschnitte 38,2-4; 40,2.8-14; 40,4-5; 42,2-6 zu den Gattungen des Rechtslebens131.

Nach H. Richter hat die Klage ihren „Sitz im Leben“ nicht nur im Kultus, sondern auch im Rechtsverfahren132. Auch G. Fohrer gibt den juridischen Kategorien den Vorzug133. Darüber hinaus werden die Gottesreden als „prophetische Gerichtsreden“ bezeichnet134. Aber die prophetischen Gerichtsreden beziehen sich eben auch auf die Rechtsebene135. Für den, der die Gottesreden mit juridischen Kategorien interpretieren will, sind Erscheinung und Rede Gottes als ein Gottesurteil zu sehen136, obwohl in der Tat das Urteil Gottes als Richter in Hiob 42,7-9 deutlicher ist. In den Gottesreden (38,1-42,6) tritt Gott als Richter in den Rechtsstreit ein. In diesem Zusammenhang sieht L.H.K. Bleeker die Gottesreden als Freispruch Hiobs137. Die Urteilsfunktion müsste den Gottesreden bei einem konsequent juridischen Ansatz zukommen138. Diese Auffassung wird durch vielen Termini des Rechtslebens und Anspielungen auf rechtliche Vorgänge in den Gottesreden gestützt139. a)

Juridische Sprachformen

Man könnte die Gottesreden der Sprachform nach für einen Teil des von Hiob gewünschten und angekündigten Rechtsstreits mit Gott halten140. Gleichzeitig sind sie auch eine Herausforderung Gottes zum Rechtstreit mit Hiob. Hi 38,2f zeigt die Charakter der Herauf-

130

Heckl, Hiob, 208. Vgl. Richter, Studien zu Hiob, 121. 132 Vgl. ders., Erwägungen, 309. 133 Vgl. Müller, aaO 120, s. dazu Fohrer, KAT XVI, 486. 134 Vgl. Kubina, Gottesreden, 141. Anders Loader, Hiob, 125: Diese Versuche hinterliessen wenig Eindruck und versagten in der Ausweitung der Interpretation auf die Bedeutung des ganzen Buches. 135 S. dazu Kubina, aaO 133: „Der Ausdruck ‚prophetische Gerichtsrede‘ darf nur ‚als eine allerdings sehr brauchbare Sammelbezeichnung‘ genommen werden, die verschiedene Gattungen umfasst, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie sich in irgendeiner Form auf ein Rechtsverfahren beziehen.“ 136 Vgl. Müller, Hiobproblem, 118. 137 Vgl. ders., ebd. 138 Vgl. Ebach, Hiob / Hiobbuch, 364. 139 S. dazu Kegler, Hauptlinien der Hiobforschung, 9. 140 S. dazu Many, Rechtsstreit mit Gott, 159ff. 131

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forderung Gottes zum Rechtsstreit141. Dazu dürfte, G. Fohrer zufolge, die Form von Verhörfragen vor der Rechtsgemeinde bestimmt sein142: 2 3

Wer ist es, der den Plan verdunkelt mit Worten ohne Erkenntnis? Gürte doch wie ein Mann deine Lenden! Und ich will dich fragen, und du lehre mich! (Hi 38,2f)

Dazu verwendet Gott in Hi 40,2.8 direkt einige Rechtsformen, um Hiob seine Grenzen vor Augen zu führen und um auf eine Weiterführung des Streits zu verzichten143: 2

Will der Tadler mit dem Allmächtigen streiten (broh])? Wer Gott zurechtweisen (x:ykiAm) will, soll antworten! (Hi 40,2)

8

Willst du wirklich mein Recht (jP'v.mi) zerbrechen, mich zum Frevler machen, damit du im Recht (qdc qal.) bist? (Hi 40,8)

In der oben genannten Gottesrede kommt mit byrI, xky, jP'v.mi und qdc juridisches Vokabular vor. Bei dem Wort byrI handelt es sich meist „um einen Rechtsstreit oder eine Rechtssache, konkret oder übertragen, daneben aber auch um einzelne Elemente des eigentlichen Gerichtsverfahrens“144. Auch das Verb xky hif. hat seinen Ort im Rechtsverfahren (Jes 29,21; Am 5,10). Vor allem x:ykiAm (Hi 9,33; 40,2) kann gleichermaßen als Richter bzw. Schlichter und Partei bedeuten145. Das Wort jP'v.mi hat seinen Schwerpunkt innerhalb des Bereiches „Rechtsprechung, Gericht, Recht“ und bedeutet „Entscheidung, Beschluss, Feststellen“. In diesem Zusammenhang kann diese Entscheidung in die Richtung von „Rechtsprechen“ und „Urteil, Gerichtsentscheidung“ präzisiert werden. Im Alten Testament steht jP'v.mi oft für das richterliche Verfahren146. Darüber hinaus kommt das Wort jP'v.mi oft zusammen mit dem Wort qdc („gerecht sein“) vor (vgl.

141

Vgl. Hölscher, HAT I/17, 91: Obwohl er das Buch Hiob mit weisheitlichen Kategorien interpretieren möchte, findet er in Hi 38,2f eine Herausforderung zum Rechtsstreit und Richter, Studien zu Hiob, 122: „Jahwh tritt nun als Richter in den von Hiob geforderten Rechtstreit ein.“ 142 Vgl. Fohrer, Studien, 128f. 143 S. dazu Fohrer, Studien, 131 und ders., KAT XVI, 519. 144 Ringgren, byrI, 498, s. dazu Many, Rechtsstreit mit Gott, 161f sieht, „dass RIB von Haus aus ein juristischer Begriff ist“. 145 Vgl. Mayer, xky, 621f. Das Wort wird nicht nur im juridischen Bereich, sondern auch im pädagogischen verwendet, s. dazu ders., aaO 620ff. 146 Vgl. Johnson, jP'v.mi, 95ff, zum Verb s. Niehr, jpv, 427. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Gattungskritik

Hi 29,14) 147 . qdc wird wie die Termini byrI, xky, jpvm auch im juridischen Bereich verwendet148. b)

Struktur (Rechtsvorgang)

Nach der Struktur des Hiobuches kann man von einem „Prozess“ Hiobs gegen Gott reden. Im Dialog wird Hiob von seinen Freunden beschuldigt, Frevler zu sein. Darüber hinaus sieht Hiob „sich von Gott ungerecht behandelt und zweifelt daran, dass Gott gerecht ist (9,22-24.28b-33; 10,6f; 16,9.12-17; 19,6f)“149. Um seine Unschuld zu beweisen, ruft Hiob die höhere Instanz an. Diese Herausforderung zum Rechtsstreit ist in den Wunsch gefasst, dass Gott antworten möge. In den Gottesreden wird Hiobs Wunsch erfüllt150, aber die Instanz ist gleichzeitig sein Gegner Gott 151. Hier kann Gott nicht nur Verteidiger gegen Hiob (der Ankläger), sondern auch Richter Hiobs sein152. In diesem Zusammenhang stammt die gesamte Struktur aus dem juridischen Bereich, sie hat „einen Rechtsstreit zum Inhalt, der in der Form eines Rechtsverfahrens begonnen, durchgeführt und beendet wird“153. In diesem Rechtsfall fungiert Hiob als Ankläger und Gott als Angeklagter und Richter. Dann kann man Hiobs Freunde als Anwälte Gottes sehen154. Hiob versucht, durch diesen Prozess sein Recht zu bekommen.

147

Vgl. Johnson, qd;c,' 907f, Niehr, Herrschen und Richten, 284. 358ff und Strauß, BK XVI/2, 376. 148 Vgl. Johnson, aaO 903. Der Stamm qdc wird nicht nur juristisch, sondern auch weisheitlich verwendet, s. dazu Schmid, Gerechtigkeit als Weltordnung, 163. 149 Kutsch, Unschuldsbekenntnis und Gottesbegegnung, 310. 150 Vgl. Westermann, Aufbau, 109, s. dazu Müller, Hiobproblem, 112. 151 Vgl. Westermann, ebd. 152 S. dazu Boecker, Redeformen des Rechtslebens, 98 Anm. 3. 153 Richter, Studien zu Hiob, 17, s. dazu Fohrer, KAT XVI, 486: „Im Rahmen des Rechtsverfahren hat der als Frevler beschuldigte Hiob nach seinem Reinigungseid die rechtliche Herausforderung an Gott gerichtet, der nunmehr das Gottesurteil folgen müsste; diesem entspricht die Gottesrede, während die Wende Hiobs wiederum die Aneignung durch den Rechtsuchenden darstellt.“ 154 Vgl. Loretz, Götter – Ahnen – Könige, 179 und Ha, Frage und Antwort, 29ff. Ferner erscheint Gott in Hi 16,19-21 sogar noch als „Zeuge im Himmel“ und „Fürsprecher“. In diesem Zusammenhang spielen die Freunde Hiobs eine Rolle als Anwälte Gottes. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

220

Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik Gott (Richter) klagen

Hiob ([An]Kläger)

Gott (Angeklagter) anklagen

α) Hiobs Herausforderung zum Rechtsstreit Im Dialog mit den Freunden greift Hiob aber nicht nur die Freunde an, sondern versucht auch, Gott mit einzubeziehen und ihn zu einem Rechtsstreit herauszufordern (Hi 13,3.15 und Hi 23,3-7)155: 3

Aber ich will zum Allmächtigen reden, und mit Gott zu rechten habe ich Lust. (Hi 13,3)

15 Siehe, er wird mich töten, ich will nicht darauf warten, nur will ich vor seinem Angesicht meine Wege darlegen. (Hi 13,15) 3 4 5 6 7

Wer gäbe? Ich weiß und ich finde ihn, ich komme zu seiner Stätte! Ich wollte vor seinem Angesicht die Rechtssache vorbringen und meinen Mund mit Beweisen füllen. Ich will die Worte wissen, die er mir antwortet, und verstehen, was er zu mir sagt. Würde er mit großer Kraft gegen mich streiten? Nein, nur er wird auf mich achten. Dort würde ein Aufrechter mit ihm eine Auseinandersetzung eintreten, und ich würde für immer meinem Richter entkommen. (Hi 23,3-7)

Nach diesen Aufforderungen erreicht das Hiobbuch in Hi 29-31 seinen Höhepunkt mit dem zusammenfassenden Abschluss156. Vor allem in Hi 31,35-37 fordert „Hiob Gott auf, ihm kundzutun, welche Vorwürfe gegen ihn vorliegen, was also der Grund für sein schweres Leiden ist“157:

155

Vgl. Müllner, Das hörende Herz, 52 und Kutsch, Unschuldsbekenntnis und Gottesbegegnung, 310: „Hiob (…) wünscht mit wachsendem Ungestüm ein Gespräch mit Gott, einen Rechtsstreit, in dem er diesem seinen Rechtsfall vorbringen und von ihm den gegen ihn erhobenen Vorwurf erfahren will (10,2; 13,3.18-27; 23,3-6; 31,35-37).“ 156 Vgl. Strauß, BK XVI/2, 174. 157 Kutsch, aaO 335. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

221

Gattungskritik 35 36 37

Wer gäbe es mir, einer, der auf mich hörte, sieh mein Zeichen! Der Allmächtige antworte mir! Eine Schrift schrieb mein Rechtsgegner. Wenn ich sie nicht auf meine Schultern hebe, umbinden sie mir als Kranz, die Zahl meiner Schritte melde ich ihm, wie ein Fürst bin ich ihm nahe. (Hi 31,35-37)

Hier äußert Hiob zum wiederholten und letzten Mal seinen Wunsch nach einer unmittelbaren Begegnung mit Gott, um sich direkt mit ihm auseinanderzusetzen158. Diese Herausforderung gehört zum Reinigungseid (Hi 31,5-34), wo Hiob seine Lebensethik vorführt159. Es geht um die Sexualität, die Fürsorge für die Armen (personae miserae) und das Verhältnis zur unmittelbaren Nachbarkeit 160 . Dieser Reinigungseid dient dazu, Hiobs Unschuld zu erweisen und Gott dazu zu bringen, Hiobs Integrität anerkennen zu müssen161. Dabei bezweckt das Ritual des Bekenntnisses der Unschuld im Rechtsverfahren ein Gottesurteil herbeizuführen162: „Im Rahmen des Rechtsverfahrens hat der als Frevler beschuldigte Hiob nach seinem Reinigungseid die rechtliche Herausforderung an Gott gerichtet, dem nunmehr das Gottesurteil folgen müsste. Diesem entspricht die Antwort Gottes, während das Schlusswort Hiobs wiederum die Aneignung durch den Rechtsuchenden darstellt.“163 In der Tat galt ein solcher Reinigungseid „als Beweismittel, wenn ein strittiger Tatbestand nicht durch den Zeugenbeweis aufgeklärt werden konnte“164.

Dieser Zusammenhang zwischen Untadeligkeit und Gottesbegegnung ist im Alten Testament öfter belegt (vgl. Ps 15; 24; Jes 33,10-16; Mi 6,6-8 und Jes 6)165. In diesem Sinn ist der Unschuldsbekenntnis als Vorbereitung der Gottesreden zu verstehen166. Dann soll Gott zu Hiob kommen und darauf reagieren. β) Selbstverteidigung Gottes Im Dialogteil mit den Freunden fordert Hiob Gott immer wieder zum Rechtsstreit auf. Jetzt soll Gott darauf reagieren. In Hi 38ff antwortet Gott auf die Herausforderung Hiobs. Vor dem Urteil Gottes soll sich 158 159 160 161 162 163 164 165 166

Vgl. Opel, Hiobs Anspruch, 3. Vgl. Strauß, BK XVI/2, 175. Vgl. Kunz-Lübcke, Hiob, 269 und Otto, Theologische Ethik, 168ff. Vgl. Opel, ebd. Vgl. Fohrer, Studien, 115 und Richter, Studien zu Hiob, 105. Fohrer, aaO 116. Otto, aaO 168. Vgl. Kutsch, Unschuldsbekenntnis und Gottesbegegnung, 335. S. dazu Strauß, BK XVI/2, 175f. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Gott gegen Vorwürfe und Herausforderung Hiobs verteidigen. Aus diesem Grund könnten die Gottesreden zunächst eine Selbstverteidigung Gottes sein: „Ijob hatte sich von JHWH ungerechtfertigerweise in einen Rechtsstreit verwickelt geglaubt; als Reaktion darauf brach er seinerseits einen solchen mit JHWH vom Zaun. – In diesem Deutungsmuster könnten die Gottesreden in c 38-39 sowie 40,6 – 41,26 als ‚protestation of innocence‘, als Verteidigungsrede des von Ijob angeklagten JHWH, gelesen werden.“167

Gott hält zwei Reden. Anschließend antwortet Hiob auch zweimal. In Hi 40,2.8-10 stellt sich die Frage, ob Hiob wirklich mit Gott den Rechtsstreit weiterführen kann168. In seiner ersten Antwort sagt Hiob, dass er nicht im Stande ist, den Rechtsstreit weiterzuführen. Seine Antwort bedeutet aber nicht, dass er das Urteil Gottes akzeptiert und seine Schuld bekennt. Nach der zweiten Gottesrede verzichtet Hiob auf die Weiterführung des Rechtsstreits (Hi 42,1-6)169. Die zwei Antworten Hiobs in 40,3-5 und 42,1-6 entsprechen „der Aneignung des Urteils durch den Rechtsuchenden im Gerichtsverfahren“170. In diesem Zusammenhang sind die Gottesreden nicht nur Selbstverteidigung, sondern auch Urteil Gottes. Sie sind als das Gottesurteilsverfahren in Formen des weltlichen Prozessverfahrens zwischen Gott und Hiob zu verstehen171. Gott spielt als Richter eine Rolle. γ) Gott als Richter In den Gottesreden verteidigt sich Gott gegen die Anklage Hiobs. Gleichzeitig tritt Gott als Richter in den von Hiob geforderten Rechtsstreit ein172. Wenn man die Gottesreden als ein Urteil Gottes betrachtet173, kann die zweite Antwort Hiobs ein Zurückziehen seiner Anklage sein174. Das endgültige Urteil Gottes kommt aber nicht in den Gottesreden vor, sondern in 42,7-9 in Epilog. Gott fällt das Urteil, wer richtig zu Gott geredet hat, über Hiob und die Freunde. Hiob erhält wieder den 167

Engljähringer, Theologie, 162. Anders Köhlmoos, Auge Gottes, 327, „Gott verteidigt sich nicht gegen die Anklagen Hiobs oder verhört Hiob.“ 168 Vgl. Fohrer, Studien, 131. 169 S. dazu Richter, Studien zu Hiob, 125f sieht Hiobs Antworten (40,4-5; 42,2-6) als eine Streitverzichterklärung. 170 Fohrer, aaO 76. 171 Vgl. Ha, Frage und Antwort, 20. 172 Vgl. Richter, Studien zu Hiob, 122. 173 S. dazu Fohrer, Studien, 122; ders., KAT XVI, 496 und Richter, aaO 119ff. 174 Vgl. Richter, aaO 125f und Kutsch, Unschuldsbekenntnis und Gottesbegegnung, 326f. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Gattungskritik

Titel „Mein Knecht“ (ydb[)175. In diesem Zusammenhang sind die Verse 42,7-9 nicht vom Dialogteil isoliert, sondern es bestehen Beziehungen zum Dialogteil. Ohne die vorausgehenden Reden sind sie nicht verständlich176. III.

Fazit

Das Hiobbuch verzichtet auf einen alternativen Gebrauch der Gattungen, eher ist eine Gattungsmischung anzunehmen. Trotzdem fällt auf, dass das Streitgespräch sich als die Rahmengattung durch das Hiobbuch zieht. Von diesem Streitgespräch werden die Gliedgattungen des Buches Hiob eingeschlossen. Das gilt auch für die Gottesreden. Das Streitgespräch als Rahmengattung bedeutet, dass es zur Zeit des Verfassers des Hiobbuches in Israel heftige Auseinandersetzungen gab und Versuche, entsprechende Lösungen zu finden. Durch Verbindung des Streitgesprächs mit den Gliedgattungen wird der Horizont der Interpretationsmöglichkeiten erweitert. Unter den Gliedgattungen gibt es weisheitliche Gattungen, Psalmengattungen und Gattungen des Rechts. Die Gottesreden (Hiobbuch) lassen sich nur als Mischform verschiedener Gattungen erklären. Die Vermischung der Gliedgattungen führt zu einer gegenseitigen Konturierung und einem kritischen Spannungsverhältnis. Während es bei den weisheitlichen Elementen um die Schöpfungswelt, die Gott lenkt, im Gegensatz zu der existenziellen Lage Hiobs als einzelner Person geht, betonen die psalmistischen Elemente, dass die existenzielle Betroffenheit des einzelnen nicht länger in ein allgemeines Deutungsschema aufgelöst werden kann. Darüber hinaus verweisen die juridischen Elemente darauf, dass es in den Gottesreden um den Streit zwischen Gott und Hiob um Gerechtigkeit geht177. Aufgrund dieses Charakters der Gattungen ist das Hiobbuch für mehre Interpretationsmöglichkeiten offen. Alle Gattungen sind gezielt und planvoll miteinander verbunden. Damit kann der Leser die Gottesreden in ihrer Vielfältigkeit verstehen.

175

S. dazu Köhlmoos, Auge Gottes, 322. Vgl. Engljähringer, Theologie, 18, s. dazu Baumann, Gottesbilder der Gewalt, 152: „Im Epilog kommt der Satan nicht vor. So betrachtet, sollte der Schluß des Hiobbuches nicht strikt von den Gottesreden abgetrennt werden. Beide Texte können – auch in einer historischen Auslegungsperspektive – gemeinsam interpretiert werden.“ 177 S. dazu Ebach, Hiob / Hiobbuch, 365. 176

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224 B)

Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Traditionskritik

In den Gottesreden kommen viele Traditionen und Motive vor. Die Traditionskritik handelt von den sinnpräzisierenden Einflüssen auf die Formulierung der Gottesreden und auf ihre ursprüngliche Verstehbarkeit178. Wenn man in den Gottesreden eine Antwort auf Hiobs Fragen sieht, muss die Traditionskritik auch den Zusammenhang der von Hiob verwendeten Traditionen und Motive im Dialogteil mit den Freunden berücksichtigen. In den Gottesreden gibt es viele Fälle, in denen Gott dieselben Traditionen und Motive in anderen Bedeutungen benutzt. Damit wird der Sinn der Gottesreden vertieft. Zuerst ist der Charakter der Traditionen zu beachten, danach sollen die Traditionen und ihre kleinere Themen und Erzählelemente, d.h. Motive behandelt werden179. Im Folgenden werden nicht alle Traditionen und Motive, sondern nur die wichtigen behandelt, die als Grundmotive das gesamte Hiobbuch durchziehen. Meistens beziehen sie sich auf die Reden Hiobs. Im Rahmen der Relation zwischen Hiobs Frage und Gottes Antwort (Frage-und-Antwort-Struktur 180 ) werden die gemeinsamen Traditionen und Motive verwendet. Durch Vergleiche zwischen den Reden Hiobs und den Gottesreden kann man die Traditionen und Motive in den Gottesreden verstehen. I.

Charakter der Traditionen in den Gottesreden

Viele verschiedene Traditionen und Motive der Gottesreden sind nicht nur vom Alten Testament, sondern auch vom Alten Orient beeinflusst181. Die heterogenen Traditionen (Motive) werden in den Gottesreden in Bezug auf die Hiobreden zusammengestellt 182. So präsentieren sie ein Gesamtbild der Gottesreden.

178

Zur Aufgabe der Traditionskritik s. Steck, Exegese des Alten Testaments, 127. Vgl. Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 209: „Motive: Kleinere Themen und Erzählelemente, die als Bausteine für Traditionen dienen können (z.B. das Schilfmeermotiv als Teil der Exodustradition).“ 180 S. dazu Ha, Frage und Antwort, 163. 181 S. dazu Fohrer, KAT XVI, 494ff; Strauß, BK XVI/2, 348ff; Müller, Hiob und seine Freunde, 38ff; ders., Hiobbproblem, 101ff; Kubina, Gottesreden, 43ff; de Wilde, Hiob, 19ff; Fuchs, Mythos, 11ff und Newsom, Job, 234ff. 182 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 327: „Die kontextuelle Verankerung der einzelnen Motive in der Gottesrede ist umstritten und teilweise unsicher. Lassen sich die meisten Motive aus Kap. 38 noch als Anthologie kulttheologischer Schöpfungsaussagen identifizieren, so ist die genaue Herkunft der Tiermotive nicht mehr aufzuhellen; in Hi 38f. werden Motive heterogener Herkunft in einem neuen Grundentwurf zusammengestellt.“ 179

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Traditionskritik

Darunter gibt es zwei Arten von Traditionen (Motiven): alte und neue Traditionen. Neue Traditionen sind durch Umdeutung (Umkehrung) der traditionell geprägten Vorstellungen (Traditionen) entstanden. Es geht, nach O.H. Steck, um den traditionsfortbildenden Text und den traditionsverändernden Text: Der traditionsfortbildende Text: „Der Verfasser äußert sich im Rahmen und in Anknüpfung bezüglich der Tradition, gehört wohl auch demselben oder einem nahverwandten (Weisheit - Tempel) Traditionsbereich an, wie die tg.e Untersuchung ergibt, bildet aber die Tradition eigenständig fort (z.B. die Hiob – Dialoge oder Qohelet die Weisheitstradition) oder verschränkt sie reflexiv mit einem anderen Traditionsbereich (z.B. nachexilische Gebete mit Weisheitseinfluß in den Psalmen). Hier ist das Traditionsgeleitete wie das Traditionsüberschreitende im konkreten Textstück herausarbeiten.“183 Der traditionsverändernde Text: „Der Verfasser benutzt ausweislich seiner Textformulierungen Tradition, entstammt aber nicht mehr einfach diesem Traditionsbereich, sondern verändert traditionelle Vorstellungen oder Vorstellungszusammenhänge durch abweichende Akzente, Formulierungen, verändertes Aussaggefälle bis hin zur Umkehrung von Tradition.“184

Durch diese veränderte Tradition (Motive) werden die Intentionen des Hiobbuches noch stärker betont. Traditionelle Vorgaben werden aufgenommen und mit neuen Erfahrungen Hiobs in Verbindung gebracht. Die Erkenntnisse der theologischen Tradition sind im Hiobbuch immer wieder neu zu aktualisieren und zu kontextualisieren 185 . J. Jeremias erklärt die Umkehrung in Bezug auf die Heilstradition: „Keiner der Belege im Alten Testament, die auf eine vorgegebene Heilstradition Bezug nehmen und sie umkehren, will einfach das Gegenteil dieser Tradition sagen, schon gar nicht ihre Aussage bestreiten. Vielmehr ist gerade umgekehrt die Intention vieler Belegstellen, den Wert und die Gültigkeit der überkommenen Tradition dadurch herauszustellen, dass sie bis in ihr sachliches Gegenteil weitergedacht wird.“186

183

Steck, Exegese des Alten Testaments, 146. Ders., ebd., s. dazu Jeremias, Umkehrung, 309: „Es gehört zu den Eigenarten der Schriftensammlung des Alten Testaments, dass in ihr erstaunlich häufig in der Weise auf ein älteres Wort oder auf eine vorgegebene Tradition Bezug genommen wird, dass dieses Wort bzw. diese Tradition mit einer Verneinung versehen bzw. in das Gegenteil verkehrt wird.“ 185 Vgl. Müllner, Das hörende Herz, 65f. 186 Jeremias, aaO 319. 184

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Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Vor allem im Dialog der Hiobreden kann man die Umdeutung oder die Umkehrung der Traditionen und Motive beobachten. So zeigt die parodistische Veränderung von Psalmen, dass Gottes Nähe für Hiob ein Grund seiner Anklage Gottes ist, im Gegensatz zum Preisen in den Psalmen (vgl. Ps 8,5f). Hiob fühlt, dass Gott dem Menschen keine Ruhe lässt und ihn ständig überwacht 187 . In diesem Zusammenhang ist auf Ps 8,5f und Hi 7,17f hinzuweisen188: Ps 8,5f Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich um ihn kümmerst (dqp)? Du hast ihn wenig geringer gemacht als Engel, mit Ehre und Hoheit hast du ihn gekrönt.

Hi 7,17f Was ist der Mensch, dass du ihn groß achtest, dass du auf ihn dein Herz richtest? Dass du ihn heimsuchst (dqp) Morgen für Morgen, ihn ständig prüfst?

Die Tradition (Motiv) der Psalmen wird im Hiobbuch bis zur Umkehrung verändert. „Die Anspielungen von Ijob 7,17-21 auf Ps 8 sind deutlich gegeben: die V. 17 eröffnende Frage vAna/-hm', die syntaktische Fortführung mit kî + PK + ePP in V. 17, das Verb tyv in V. 17b und das Verb dqp in V. 18a in PK + ePP.“189 Aber während in Ps 8 Gott sich des Menschen annimmt und für ihn sorgt, klagt Hiob in Hi 7 über die unablässige Zuwendung Gottes. Hiob argumentiert mit dem Psalter gegen den Psalter. Der oben genannte Terminus (dqp pqd) kann sowohl positiv „sich kümmern“ als auch negativ „heimsuchen“ bedeuten190. In diesen veränderten Traditionen (Motiven) werden auch Hiobs Klage und Anklage dargestellt. „Die Anklänge an Jer 20 in Hiob 3 dienen nun wahrscheinlich dazu, ein innerbiblisches Motiv für die Umkehrung von Gen 1 für den Geburtstag Hiobs zu gewinnen.“191 Hiob versucht immer wieder mit veränderten Traditionen (Motiven) gegen Gott zu klagen und ihn anzuklagen. Diese Tendenz ist nicht mit den Hiobs Reden beendet. Die neuen Traditionen sind wichtig, um nicht nur Reden Hiobs, sondern auch die Gottesreden zu verstehen. Denn die Gottesreden sollen auf diese von Hiob ver187

Vgl. ders., aaO 309. S. dazu Schmid, Hiob als biblisches und antikes Buch, 52f; ders., Innerbiblische Schriftdiskussion, 259f; ders., Literaturgeschichte, 153 und Sedlmeier, Mutterschoß, 302ff. 189 Sedlmeier, Mutterschoß, 303. 190 Vgl. Schmid, Innerbiblische Schriftdiskussion, 259f, ders., Literaturgeschichte, 153 und Sedlmeier, Mutterschoß her, 305. 191 Ders., Innerbiblische Schriftdiskussion, 247. 188

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Traditionskritik

wendeten Traditionen antworten. Darüber hinaus benutzt Gott selbst nicht nur die alten Traditionen, sondern auch die neuen Traditionen wie Hiob. Die Umdeutung oder Umkehrung der Traditionen (Motive) ist auch in den Gottesreden zu beobachten. Vor allem in der Struktur der Gottesreden kann man dieses Phänomen erkennen. In umgekehrter Weise wird der Fragende (Hiob) im Dialog in den Gottesreden zum Gefragten (Hiob)192. Dann wird Gott vom Gefragten zum Fragenden verändert. Darüber hinaus gibt es ein weiteres Element. Es handelt sich um Lob-Preis Gottes. In der Psalmentradition preist der Beter Gott. Aber in den Gottesreden wird Gott nicht von Hiob (Menschen), sondern von Gott selbst gepriesen (vgl. Jes 44,24)193. Auch in einzelnen Traditionen kann man dieses Phänomen finden: z.B. Schöpfungs-, Chaoskampf-, Theophanie- und Weisheitstradition. Der Dichter der Gottesreden greift prominente theologische Positionen des Alten Testaments auf, kritisiert sie und setzt sie in höherem Sinne dadurch wieder in Kraft194. Nicht nur mit den alten Traditionen, sondern auch mit dieser Umkehrung oder Umdeutung der Traditionen (Motive) der Gottesreden soll Hiob Gott und sein Tun, die Welt und sich selbst kennenlernen und auch die Begrenztheit seines eigenen Wissens anerkennen 195 . In Bezug auf diese Voraussetzung kann man die Bedeutung und den Sinn der Gottesreden verstehen. II.

Einzelne Traditionen und Motive

Wie oben dargestellt werden viele Traditionen und Motive im Rahmen der Umdeutung oder der Umkehrung umgeprägt. Dazu gehören Schöpfung, Chaoskampf, Theophanie und Weisheit. 1.

Schöpfung

Die Gottesreden geben der Natur eine Schlüsselrolle für ihre Botschaft und deren Interpretation. Es handelt sich um die Schöpfung Gottes, in der mit ihren Wundern und Geheimnissen etwas von Gott selbst sichtbar wird. Gott stellt sich mit ihr vor und schildert sie 192

Vgl. Kubina, Gottesreden, 80. Vgl. Westermann, Aufbau, 115: „Das Besondere und Einmalige dieser Gottesrede besteht in der Umwandlung des Gotteslobes (Rede der Menschen) in Gottesrede.“ Meisten wird Gott von den Menschen gepriesen. 194 S. dazu Schmid, Innerbiblische Schriftdiskussion, 260. 195 Vgl. Engljähringer, Theologie, 170. 193

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Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

ausführlich und feinfühlig. In den Gottesreden bekommt die Schöpfung die höchste Beachtung196. Um die Schöpfung Gottes in den Gottesreden zu verstehen, muss man davon ausgehen, dass die Schöpfung in altorientalischen Vorstellungen bisweilen aus einem Kampf von Urgewalten oder nach einer Folge von mörderischen Kämpfen zwischen verschiedenen Gottheiten entsteht197. Zudem ist die Schöpfung weder abgeschlossen noch gesichert, sondern es „befindet sich alles Geschaffene vom Moment seiner Entstehung an in ständiger Gefahr, von chaotischen Mächten wieder vernichtet zu werden“198. In den Gottesreden fängt Gott an, von der Schöpfung zu reden. Er bezieht sich auf Hiobs Aussage im Dialog, auf Hi 3, die der Ausgangspunkt des Streitgesprächs mit den Freunden und später mit Gott ist 199 . Deshalb wird die Schöpfung der Welt im gesamten Dialogteil des Hiobbuches als ein Hauptmotiv dargestellt. In der Frage-und-Antwort-Struktur wird die Relation zwischen den Reden Hiobs und den Gottesreden mit der Schöpfung erfasst, die als ein Grundmotiv das gesamte Hiobbuch durchzieht200. Aus diesem Grund soll zuerst die Vorstellung von der Schöpfung in den Reden Hiobs dargestellt werden. a)

Hiobs Vorstellungen von der Schöpfung

Der Hiobdichter versucht in den Gottesreden die von Hiob aufgeworfenen Klage (Fragen) zu beantworten. Vor allem in Hi 3 klagt Hiob, dass die Welt von chaotischen Elementen durchsetzt sei. Gleichzeitig hofft er, dass sie ganz ins Chaos zurückkehren möge: „Offenbar ist für Hiob die Ordnung der Schöpfung so verkehrt, dass er selber für den Tag seiner Geburt die Aufhebung der Schöpfungsordnung fordert, damit die Störung, die sein Leben darstellt, aus der Wirklichkeit eliminiert wird. (….) Damit die Stabilität der Welt erhalten bleibt, soll der Tag seiner Geburt gestrichen werden.“ 201

Um seine Unschuld zu betonen, sucht Hiob den Grund seines Leidens nicht bei sich selbst, sondern darin, dass die Schöpfungswelt nicht in Ordnung ist und der Tun-Ergehen-Zusammenhang nicht funktioniert. Die individuelle Problematik Hiobs wird auf die uni-

196 197 198 199 200 201

Vgl. Fischer, Spuren des Schöpfers, 165. Vgl. Keel / Schroer, Schöpfung, 123. Ders. / dies., aaO 124. S. dazu Ha, Frage und Antwort, 1. Vgl. ders., aaO 163. Schmid, Innerbiblische Schriftdiskussion, 245. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Traditionskritik

versale Ebene ausgeweitet202. Aus diesem Grund beginnt Hiob seine Rede mit dem Schöpfungsmotiv. In seiner Klage (Hi 3) wird eine Umkehrung der Schöpfung in Gen 1 dargestellt. Dieser Fluchwunsch insistiert darauf, dass es keinen sinnvollen Plan auf der Erde gibt. Das Schöpfungsmotiv wird bei Hiob in einen Grund für die Klage verwandelt203. Im Verlauf seiner Reden verbindet Hiob sein persönliches Schicksal mit einem allgemeinen menschlichen Problem im Horizont der Weltschöpfung. Die Rede Hiobs in Hi 3 wird in der Auseinandersetzung mit Freunden immer wieder aufgenommen und entfaltet. Aus diesem Grund wird die Schöpfungstradition in den Reden Hiobs zu einem Hauptmotiv (vgl. Hi 9,5-10; 10,8-12; 26,5-14)204. Hat das Weltschöpfungsmotiv einen engen Zusammenhang mit der allgemeinmenschlichen Ebene (Hi 9,5-10), so verbindet Hiob das Menschenschöpfungsmotiv mit der Frage nach dem Sinn seiner individuellen Existenz (Hi 10,8-12) 205 . In Hi 26,5-14 findet sich wieder das Schöpfungsmotiv, in dem die Schöpfungsmacht Gottes betont dargestellt wird. Dabei handelt es sich nicht um ein Lob Gottes, sondern um Klage und Anklage. Für die Interpretation dieses Abschnittes ist V. 14 ein Schlüsselvers. Hiob klagt, „dass der Mensch Gottes Handeln letztlich nicht durchschauen könne und es daher aus der Perspektive des Menschen willkürlich ist“206. Zusammenfassend ist das Schöpfungsmotiv in den Aussagen Hiobs kein Grund zum Lob, sondern zur Klage. „Mit dem Schöpfungsmotiv stellt Hiob sein Problem in kosmologischer Perspektive dar. Wie an Hi 3 gezeigt, verbindet er das Problem seines individuellen Geschicks mit der Frage nach der Weltordnung.“207 Der Vorwurf Hiobs richtet sich gegen Gott. Dennoch ist er immer verbunden mit der Hoffnung auf Gott und sein Handeln und zielt daher immer wieder auf die direkte Kommunikation mit Gott208. Auf diesen Vorwurf soll Gott antworten. Dementsprechend findet man vor allem in der ersten Gottesrede ein Bild von Gott als Schöpfer, der den Kosmos erschaffen hat (Hi 38,4-38)209.

202 203

135. 204 205 206 207 208 209

Vgl. Ha, aaO 93. S. dazu ders., aaO 197f und Albertz, Weltschöpfung und Menschenschöpfung, S. dazu Ha, Frage und Antwort, 89. S. dazu ders., ebd. Heckl, Hiob, 147, s. dazu Ha, aaO 89. Ha, aaO 107. Vgl. Heckl, ebd. Vgl. Keel, Jahwes Entgegnung, 156. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

230 b)

Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Die Schöpfung Gottes im Gegensatz zu Hiobs Vorstellungen

So wie Hiob beginnt Gott seine Rede, indem er auf die Schöpfung hinweist. Die Gottesreden thematisieren das Verhältnis von bedrohlicher Welt und Gottes Werk in besonderer Weise210. Im Gegensatz zu den Hiobreden im Dialogteil ist auffällig, dass die Schöpfung in den Gottesreden ausführlich und in einer systematischen Vollständigkeit dargestellt wird 211 , obwohl das Menschenschöpfungsmotiv nicht vorkommt212. Anders als in den Reden Hiobs vor allem in Hi 3 wird die Erde zum geschützten Raum. Das Meer wird von Gott ausgeschlossen (Hi 38,8). In der ersten Gottesrede stellt Gott mit den vierzig Fragen über zehn kosmische Themen fest, dass der Erdkreis auf Pfeilern fest gebaut wurde und nicht wankt213. Dabei lenkt Gott mit seinem Plan die Schöpfungswelt. Mit den Fragen zeigt Gott, dass er Schöpfer und Erhalter der Welt ist. Mit den Geräten des Baumeisters hat Gott die Erde genau und sicher gegründet: 5 6

Wer hat ihre Maße bestimmt, wenn du es kennst? Oder wer hat über ihr die Meßschnur ausgespannt? Worauf sind ihre Sockel eingesenkt? Oder wer hat ihren Eckstein gelegt. (Hi 38,5f)

In der Gottesrede wird die Schöpfung in Ausgestaltung des traditionellen Bildes vom ‚Bau‘ der Erde durch JHWH dargestellt. Die Erde erscheint wie ein Gebäude (vgl. Ps 24,2; 89,12; 90,2; 96,10; 102,26; 104,5; 136,6; Am 9,6)214. Sie ist stabil und wankt nicht vor den Gefahren des Meeres. Immer wieder fragt Gott nach einer räumlichen Anordnung der Schöpfung. Durch eine konsequente Metaphorik und Semantik wird dieses Ziel verfolgt. Die Gottesrede verläuft vom Bau der Erde bis zu ihrer räumlichen Strukturierung (38,4-38) und ihrer Qualität als Haus und Heimat für ihre Bewohner, vor allem für die Tiere (38,3939,30)215. Die Schöpfung und ihre Erhaltung sind von Gott geschaffen und gelenkt. Dabei gibt es keine Gefahr, dass die Welt ins Chaos zurückfällt. 210

Vgl. Bauks, Der eine Schöpfer, 100. Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 135. 212 Vgl. Albertz, Weltschöpfung und Menschenschöpfung, 145 und Müller, Altes und Neues, 301. 213 Zu den Fragen s. Ritter-Müller, Kennst du die Welt, 62: In Hi 38 erscheinen 29 Fragesätze und in Hi 39 11Fragesätze. 214 Vgl. Köhlmoos, aaO 135f, s. zur Stellen der Bibel, Ebach, Streiten mit Gott 2, 125. 215 Vgl. Köhlmoos, aaO 329. 211

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231

Traditionskritik

Die Schöpfungswelt, die Gott selbst geschaffen hat, wurde nicht nur von Gott, sondern auch von Himmelswesen bestätigt und gelobt. Was im Schöpfungsmotiv der Gottesreden auffällig ist, ist das Lob des Schöpfers216. Im Vergleich zur Rede Hiobs im Dialog wird die Intention Gottes betont. Gott verneint Hiobs Vorstellungen von der Schöpfung und vom Handeln Gottes. Für Hiob ist die Schöpfung nur die Negativfolie für Gottes Handeln217. Das Motiv „Schöpfung“ ist kein Thema zum Lob Gottes, sondern ein Grund zur Klage 218 . Dagegen ist die Schöpfung für Gott und die Himmelswesen ein Grund zum Lobpreis. Bei der Gründung der Erde jubelten und jauchzten sie: 7

Als die Morgensterne miteinander jubelten und alle Söhne Gottes jauchzten? (Hi 38,7)

Dieses Lob weist auf die Vollständigkeit und Kohärenz der Schöpfung hin. In diesem Punkt werden Hiobs Klage und das Lob der Himmelswesen über die Schöpfung Gottes verglichen. Hiobs Vorstellungen über die Schöpfung werden durch die Gottesreden umgekehrt. Das Schöpfungsmotiv in den Gottesreden wird, wie in den Hiobsreden, mit dem Chaoskampfmotiv und dem Theophaniemotiv eng verbunden219. Die Schöpfungswelt, die Gott geschaffen hat, wird nach Gottes Plan gut gelenkt und nicht von der Macht des Chaos verschlungen. Damit werden die Vorwürfe Hiobs, Gott sei verantwortlich für die böse Macht in der Erde und kümmere sich nicht um seine Schöpfungswelt, zurückgewiesen220. In diesem Sinn hat das Schöpfungsmotiv eine verbindende Funktion, d.h., wenn das unmittelbare positive Verhältnis zum Schöpfer zerbrochen ist, kann es durch das Schöpfungsmotiv mit dem Beweis göttlicher Weisheit und Einsicht wiederhergestellt werden 221 . Gleichzeitig dient die Weltschöpfung dazu, den unüberbrückbaren Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf zu markieren222.

216 217 218 219 220 221 222

Vgl. Westermann, Aufbau, 111. Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 218. Vgl. Ha, Frage und Antwort, 169f. Vgl. ders., aaO 106. Vgl. Heckl, Hiob, 470. Vgl. Keel / Schroer, Schöpfung, 199. Vgl. Albertz, Weltschöpfung und Menschenschöpfung, 145. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

232 2.

Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Chaoskampf

Die Gottesreden nehmen das Motiv des Chaoskampfes auf. „Der Chaoskampf wird zum Prototyp für den Konflikt Hiob-Gott. Das reale, menschliche Unglück erlebt Hiob offenbar als Abbild und konkrete Erscheinungsform jenes Geschehens in der Urzeit.“ 223 Nach altorientalischer Vorstellung entsteht die Schöpfung aus einem Kampf von Urgewalten und ist weder abgeschlossen noch gesichert. Ständig sollen die Chaosmächte bekämpft und vernichtet werden224. In den Hiobreden ist aber der Chaoskampf nicht ein Grund zum Lob Gottes, sondern zur Klage, so wie das Schöpfungsmotiv. In Hi 3 wünscht Hiob, dass die Erde wieder ins Chaos zurückfällt, wie die Gegner Gottes. In diesem Punkt kann Hiob mit den Chaosmächten verglichen werden, denn die Hoffnungen Hiobs und der Chaosmächte sind identisch. In den Reden Hiobs wird Gott als derjenige dargestellt, der selber Chaosmacht (Frevler) oder Unterstützer der Chaosmächte ist. Auf diese Vorstellung Hiobs soll Gott in den Gottesreden reagieren. In diesem Zusammenhang fordert Gott in den zwei Einleitungen der Gottesreden (Hi 38,3; 40,7) Hiob zum Kampf auf225. Dieser Kampf ist aber nicht ein Kampf wie in der Urzeit, sondern ein Kampf mit Worten um Erkenntnis. Damit hat Hiob die Chance, die Welt, Gott und sich selbst zu reflektieren. So wie das Schöpfungsmotiv findet sich das Chaoskampfmotiv in den Reden Hiobs und in den Gottesreden. „Neu in der bisherigen Auslegung ist auch die übergreifende Bedeutung der Chaosthematik, die Dialog und Gottesreden verbindet und aufeinander bezieht.“226 Im Folgenden werden zunächst die Rolle der Chaosmächte in den Hiobreden und ihr Verhältnis zu Gott hinterfragt. a)

Hiobs Vorstellungen vom Chaoskampf

In der Klage von Hi 3 geht es nicht nur um die Schöpfung, sondern auch um den Chaoskampf. Nach altorientalischer Vorstellung ist die Schöpfung die Kehrseite des Chaoskampfes 227. In Hi 3 (vgl. Jer 20,14-18) wird für Hiob die Schöpfungswelt zu einer chaotischen Welt, Hiob hofft, dass sie besser ganz ins Chaos zurücksinken möge, weil die Welt von chaotischen Elementen dermaßen durchsetzt sei228. 223 224 225 226 227 228

Fuchs, Mythos, 284. Vgl. Keel / Schroer, Schöpfung, 123f. Vgl. Fuchs, aaO 288. Dies., aaO 24. S. dazu dies., aaO 11und Keel / Schroer, Schöpfung, 123. S. dazu Fuchs, Mythos, 65ff und Köhlmoos, Auge Gottes, 148. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

233

Traditionskritik

Im Verlauf der Reden Hiobs taucht dieses Thema immer wieder auf229. In Hi 3,8 klingt die Chaoskampftradition an. Hiob ruft die mythischen Verflucher zur Hilfe, die als personifizierte, Unheil schaffende Mächte gedacht werden könnten 230 . Durch die besondere Kräfte und Verwünschungen „wird die Schöpfungsordnung zerbrochen, und die Nacht kehrt wieder unter die Herrschaft der urzeitlichen Abwesenheit („primordial absence“) zurück“231. In den weiteren Hiobreden werden die Vorwürfe gegen Gott gestreut vorgetragen. Hiob nennt Gott den Urheber seiner Leiden und fragt nach deren Grund. Dazu verwendet er verschiedene Motive in Bezug auf die Chaoskampftradition, die an anderen Stellen im Alten Testament Grund zum Lob Gottes ist. In Hiobs Vorstellung über den Chaoskampf wird Hiob selbst als derjenige dargestellt, der ebenso wie die Chaosmächte von Gott verfolgt wird232. Hiobs Rede Erster Redegang

Zweiter Redegang Dritter Redegang Hiobs Monolog

Stelle 6,4

Gott

7,12-20

Angreifer (Angriff und Schrecken Gottes) Wächter der Menschen

9,5-24 13,23-27 16,9-14 19,6-12 26,11-13

Angreifer (Angriff Gottes) Verfolger Angreifer (Angriff Gottes) Jäger Chaoskämpfer

30,18-23

Angreifer (Angriff Gottes)

Hiob Jagdtier Meer oder Meeresdrache / Zielscheibe Ein leidender Gerechter Feind Gottes Zielscheibe Feind Gottes Gott, den man nicht verstehen kann. Staub und Asche

Wie oben dargestellt, ist Gott für Hiob Jäger, Angreifer, Menschenwächter, Verfolger und Chaoskämpfer. Gott hält Hiob für seinen Feind. Im Gegensatz dazu fühlt sich Hiob als Jagdtier, Chaosungeheuer, Zielscheibe, Staub und Asche, Feind Gottes und leiden229

S. dazu Ebach, Streiten mit Gott 1, 46: „Mit dieser ersten Rede Hiobs beginnen die den Hauptteil des Hiobbuches ausmachenden Dialog, in denen Hiob in langen, sein Leiden und dessen Grund immer wieder und immer neu thematisierenden Redegängen mit seinen Freunden ringt, um sich schließlich an Gott selbst zu wenden und von ihm Antwort zu bekommen.“ 230 Vgl. Gradl, NSK.AT 12, 66. 231 Ha, Frage und Antwort, 69. 232 S. dazu ders., aaO 121. Aus diesem Grund nennt Ha dieses Motiv das „Gottesverfolgungsmotiv“. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

234

Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

der Gerechter, der als Unschuldiger von Gott verfolgt wird. Bei Hiob ist der Frevler nicht der Gejagte, sondern der Jäger, der ihn als seinen Feind verfolgt233. „Die Gleichsetzung der Chaoswesen mit Hiob suggeriert, dass Gott das Negativ-Gefährliche und seine Person analog behandelt. Hiobs Ergehen gleicht somit de facto dem eines Frevlers als einer Personifizierung des Chaos in der Weltordnung.“234 In den Feindklagen der Klagepsalmen finden sich zahlreiche Tierbilder, die die Frommen angreifen (Löwen Ps 7,3; 10,9f; 17,12; 22,14.22; 35,17; 57,5; 58,7; Stiere Ps 22,13f.22; Hunde Ps 22,17; 59,7.15; Schlangen Ps 58,5; 140,4)235. In diesen Fällen sind die Angreifer nicht Gott selbst, sondern Frevler oder Feinde des Frommen. Aber in Hiobs Klagen wird Gott als Chaosmacht und Frevler bezeichnet, der den Frommen verfolgt236. Der Chaoskampf im Alten Testament (Jes 51,9f; Ps 74,13f) ist ein Motiv zum Lob Gottes237. Mit dem Chaoskampf beklagt aber Hiob seine Unschuld und klagt Gott an. Für Hiob ist diese Tradition also ein Motiv zur Klage. Damit wird eine Heilstradition umgekehrt238. b)

Der Chaoskampf in den Gottesreden

In diesem Abschnitt werden die Gottesreden untersucht, wie sie auf die Vorwürfe Hiobs antworten und wie die Chaosmächte dargestellt werden. Das Chaoskampfmotiv kommt nicht nur im Tierkatalog und im Abschnitt über Behemot-Leviathan, sondern auch in den ganzen Gottesreden vor239. Bei der Gründung der Erde in der Urzeit (Hi 38,4-7) und bei der Geburt und Abgrenzung des Meeres (Hi 38,8-11) wird der Chaoskampf so dargestellt, dass mit diesem Meisterwerk Gottes das Chaos überwunden ist. Auch in der Gegenwart werden die Frevler ständig jeden Morgen vom Morgenrot (rx;v;) von der Erde abgeschüttelt (38,12-15)240. Der Chaoskampf wird aber in den Gottesreden oft umgedeutet oder umgekehrt. z.B.: „In Hi 38,11 oder 8.10 kann vom Kampf schon gar keine Rede mehr sein. Es scheint die Gründung der Erde etwas von

233

Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 236f. Bauks, Der eine Schöpfung, 115. 235 Vgl. Riede, Im Netz, 150. 236 Vgl. Bauks, aaO 117. 237 S. dazu Fuchs, Mythos, 11. Der urzeitliche Sieg über die Chaosmacht ist meist Ausdruck des Gotteslobs und dient der Verherrlichung des Schöpfers. 238 Köhlmoos, Auge Gottes, 236f. 239 S. dazu Fuchs, Mythos, 25. 240 S. dazu dies., ebd. 234

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Traditionskritik

der Meeresbegrenzung Unabhängiges zu sein.“ 241 Das chaotische Meer, das als Säugling dargestellt und von Gott in Windeln gehüllt wird, ist durch Tore und Riegel abgeschlossen. Darüber hinaus ist das irdische Meer auch durch die Küstenlinien begrenzt. Darin ist das Meer nicht mehr als Gegner Gottes zu sehen, obwohl in den Gottesreden das Chaoskampfmotiv anklingt. In der Tat verlieren diese Chaosmächte vor Gott ihre Macht: sie werden entkräftet und kontrolliert. Das Meer ist für Gott ein Säugling. In diesem Teil (Hi 38,8-15) wird Gott als Frau dargestellt, die das Meer als Säugling behandelt und die Frevler von der Erde ausschüttelt, so wie die Hausfrau Staub aus der Decke schüttelt. „Die Chaoskampfmetaphorik wird in Setzungs- und Fürsorgemetaphorik verwandelt.“242 Im Gegensatz zum Chaoskampf in den Reden Hiobs wird das Gottesbild in den Gottesreden anders dargestellt: Nicht als Angreifer, Ü berwacher oder Jäger zeigt sich Gott, sondern als Kümmerer oder Geburtshelfer, und als Herrscher über alle Tiere, nicht nur über die realen, sondern auch die mythischen Tiere. In diesem Zusammenhang werden wichtige Repräsentanten der Chaostradition dargestellt. Es geht um die Wildtiere (38,39-39,30) und um Behemot-Leviathan (40,15-41,26). α) Wildtiere Im zweiten Teil der ersten Gottesrede (38,39-39,30) werden zehn Tiere, jeweils in Paaren vorgestellt: Löwe und Rabe, Steinbock und Hirschkuh, Wildesel und Wildstier, Straußenhenne und Pferd, Falke und Geier243. Die Jagdtiere, die im Alten Orient von königlichen Herrschern gejagt wurden, sind nach O. Keel der gemeinsame Nenner der Tierreihe: „Eine der wesentlichen Aufgaben dieser Herrscher war es, menschliche und tierische Feinde von ihrem Volk fernzuhalten, den Kosmos der eigenen Lebenswelt gegen das andrängende Chaos zu verteidigen. Krieg und Jagd werden in diesem Sinn streng parallelisiert. Besonders der Löwe, der Menschen und Haustieren gefährlich werden konnte, war das primäre Ziel königlicher Jagd. Aber auch Wildstier und Onager, die beträchtlichen Schaden an den Feldern anrichten konnten, tauchen immer wieder in diesem Zusammenhang auf. Hirsch, Steinbock und Strauß sind nicht Objekt königlicher Jagd, weil sie die menschliche Zivilisation gefährden, sondern weil sie Bereiche verkörpern, die dem altorientalischen Menschen unbeherrschbar, wenn nicht unzugänglich erschienen. Besonders nordsyrische Könige und Prinzen liebten es zu zeigen, dass sie auch diese schwer zugänglichen Bereiche kontrollieren.“244 241 242 243 244

Vgl. Hermisson, Schöpfungstheologie der Weisheit, 282. Bauks, Der eine Schöpfer, 123. Vgl. Keel / Schroer, Schöpfung, 200. ders. / dies., ebd. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Die Tiere sind chaotische Elemente, die die Ordnung gefährden245. Sie sind Wüstenbewohner, die ihre ungeordnet-unbezähmbare Seite repräsentieren. Nur ein einziges Tier „Pferd“ gehört nicht zu ihnen, trotzdem steht es im Alten Testament gewöhnlich für den frevlerischen Ü bermut246, denn es war als teure Prestigewaffe typisch für die altorientalischen Reiche, unter deren Gewalt Israel leiden musste247. Dazu gibt es nach O. Keel noch das Motiv des ‚Herrn der Tiere‘. Im Gegensatz zur Jagd ist der ‚Herr der Tiere‘ auf Vorderasien beschränkt248: „Eine numinose Gestalt, manchmal mit zwei Gesichtern, häufig mit Flügeln ausgestattet, steht zwischen zwei Löwen, Hirschen, Steinböcken, Wildstieren, Onagern, Straußen, Greifvögeln oder Mischwesen, die er mit bloßen Händen bändigt.“249

In Hi 39 wird der ‚Herr der Tiere‘ ins Literarische übersetzt und auf JHWH angewendet. Im Gegensatz zum Großteil des vorderasiatischen Herrn der Tiere erscheint JHWH als Herr, der die genannten Tiere als gegenmenschlich empfundene Welt initiiert hat und schützt250. Gott stellt sich in den Gottesreden betont als fürsorgender Hüter dieser Tierwelt dar, die die bedrohliche Welt repräsentiert251. Das vorderasiatische Bild Gottes als des Herrn der Tiere, von dem Hiob auch im Dialogteil geredet hat, wird in den Gottesreden von Gott umgekehrt. Es ist zu beachten, dass der Verfasser des Hiobbuches das Motiv vom ‚Herrn der Tiere‘ im Alten Orient verändert und auf Gott in den Gottesreden bezieht252. Im Dialog verwendet Hiob zahlreiche Tierbilder in Bezug auf die chaotische Mächtigkeit und Vitalität der Feinde wie in den Feindklagen der Klagepsalmen253. Im Gegensatz dazu ist Gott nicht Verfolger oder Jäger, sondern Schützer und Betreuer der Geschöpfe254. Alle Tiere in den Gottes245

Vgl. Kegler, Gürte wie ein Mann, 227. Anders Neumann-Gorsolke, Herr der Tiere, 148, s. dazu oben 99ff. 246 Vgl. Fuchs, Mythos, 219. 247 Vgl. Keel / Schroer, Schöpfung, 204. 248 Vgl. ders./ dies., ebd. 249 Ders. / dies., aaO 200, zur Abbildung s. oben 100. Abb. 7. 250 Ders. / dies., aaO 204 behaupten, dass die Rolle des Herrn der Tiere nicht nur die des Bezwingers, sondern auch die des Hüters der Tiere ist. Trotzdem beherrscht die Rolle des Herrn der Tiere in Vorderasien die des Bezwingers. 251 Vgl. Maierl / Schroer, Ijob, 200. 252 Zum traditionsveränderten Text s. oben 225. 253 S. dazu Bauks, Der eine Schöpfer, 115. 254 S. dazu Kegler, Gürte wie ein Mann, 227f. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Traditionskritik

reden sind Geschöpfe Gottes. In den Gottesreden hat Gott jedem Tier seine Eigenschaft verliehen und in der von dem Menschen entfernten Welt seinen Kosmos geschaffen. Mit dem umgekehrten Motiv des Herrn der Tiere korrigiert Gott Hiobs Vorstellungen vom Schöpfer und seiner Schöpfungswelt. Gott ist nicht brutal und zwingt nicht, sondern verleiht den Tieren Freiheit und Nahrung. „Aus ihrer eigenen und der Sicht Gottes sind sie ebenso daseinsberechtigt wie der Mensch. Gott verteidigt das Recht der Wildnis auf ihr eigenes Leben und stellt so den Anthropozentrismus Ijobs und seiner Freunde infrage.“255 Dabei stellt der zweite Teil der ersten Gottesrede Gott auch mit weiblichen Eigenschaften dar, indem er allen Tieren Nahrung gibt und sie beschützt. Die Rolle des Herrn der Tiere als des Bezwingers nach dem Verständnis von O. Keel passt nicht zum Gottesbild in der ersten Rede Gottes. Eher passt diese Rolle zum Gottesbild in den Klagen Hiobs. Im Gegensatz dazu zeigt sich Gott als der Herr, der sich um die Tiere kümmert. Das Bild vom ‚Herrn der Tiere‘ als Bezwinger oder Bedränger wird in den Gottesreden umgekehrt256. Mit der Umkehrung des Chaoskampfmotives zeigt sich Gott als Schöpfer und Beschützer der Tiere: „Wenn alte Chaoswesen zu Geschöpfen werden, die den Stolz und die Freude ihres Schöpfers ausmachen, ist auch dem Chaoskampf, wie ihn die Ü berlieferungen beschreiben, die Basis entzogen. So deutet der Tierkatalog an, wie durch die Sorge Gottes um seine ‚Geschöpfe‘ der Konflikt der Urzeit aufgehoben ist.“257

β) Behemot und Leviathan In der zweiten Gottesrede (40,15-41,26) kommen Behemot und Leviathan vor. Sie verkörpern Chaosmächte und die Götterfeinde im Alten Ä gypten, die von Horus gejagt und bekämpft wurden. Die Rolle des Gottes Horus wird in der Tradition des Chaoskampfmotives JHWH übertragen258. Vor allem Leviathan wird im Alten Testament als das bedeutende Chaoswesen dargestellt259. Nur Gott hat die Fähigkeit, Leviathan zu bändigen. In den Gottesreden erscheint Gott als derjenige, der als Einziger gegen diese Ungeheuer 255

Keel / Schroer, Schöpfung, 204. Zur Umkehrung der Tradition s. oben 225f. 257 Fuchs, Mythos, 220. 258 S. dazu Keel, Jahwes Entgegnung, 126ff und ders. / Schroer, Schöpfung, 208ff. 259 Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 2, 150: „Der mythologische Hintergrund ist beim Leviathan (heb. Liwjātān, möglicherweise zu übersetzen als der ‚SichWindende‘) noch deutlicher als beim Behemoth, da auch außerhalb von Hi 40f. ein als liwjātān bezeichnetes mythisches Ungeheuer im Alten Testament genannt ist und auch im Hiobbuch selbst (3,8) vom Leviathan in einem mythologisch-kosmologischen Zusammenhang die Rede ist.“ 256

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Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

kämpft und sie unter Kontrolle bringt. Direkt werden die beiden Tiere nicht als Gegner Gottes dargestellt, sondern als Geschöpfe Gottes. Vor Gott verlieren sie ihre Kraft und Stärke260: „In diesem eindrucksvollen Gedicht sind zwar die klassische Abfolge des urzeitlichen Kampfes und viele bekannte Einzelzüge aus der Tradition des Alten Orients bewahrt. Aber die Ironie Gottes hebt die mythische Intention auf und deutet sie um, wenn etwas das gefährliche, urtümliche Chaoswesen um ‚Gunst fleht‘ oder gar ‚zärtliche Worte flüstert‘ (40,27f), mehr noch, wenn es wie ein Haustier mit den Kindern seines Herrn spielt, der es zur Vorsicht (!) angebunden hat (V. 29).“ 261

Damit wird die traditionale Bedeutung der Chaoskampftradition umgekehrt. Die Klage oder Anklage Hiobs verliert in der Darstellung der Chaosmächte ihre Kraft. Die Welt ist nicht, wie Hiob behauptet, in die Hand eines Frevlers gegeben worden. Mit seinem Plan bewahrt Gott die Welt vor Gefahren. Nur Gott ist Schöpfer und Herrscher der Welt. Zwischen Gott und den Chaosmächten gibt es keinen Kampf. Es gibt nur einen Kampf zwischen Gott und Hiob262. Damit ist in den Gottesreden die Schöpfungswelt einheitlich, obwohl es Ambivalenzen in der Welt gibt. 3.

Theophanie263

Gott spricht aus dem Wettersturm (hr'[s' .) zu Hiob. Gottes Erscheinung ist mit dem Motiv des Sturmes in die folgenden Reden eingebettet264: 1

Da antwortet JHWH Hiob aus dem Wettersturm und sprach. (Hi 38,1, vgl. 40,6)

Der Wettersturm als Element der Theophanie signalisiert traditionell „die Unnahbarkeit und Größe, letztlich die Unbeschreibbarkeit der Gegenwart Gottes“ 265 . In diesem Zusammenhang erscheint der Wettersturm als ein markantes Gütesiegel für Gottes mächtige 260

S. dazu Bauks, Der eine Schöpfung, 120: „Behemot und Leviathan sind hier nicht als Chaosmächte geschildert, sondern als das – nur für die menschliche Welt gefährliche – göttlich Anfangswerk (V. 19) bzw. als Knecht Gottes (V. 28).“ 261 Fuchs, Mythos, 289. 262 Vgl. dies., ebd. und dies., aaO 291. 263 S. dazu oben 65f. Anders Albertz, Weltschöpfung und Menschenschöpfung, 145, sieht, dass die Erscheinung Gottes keine Offenbarung, sondern eine Bestreitung ist. 264 Vgl. Ritter-Müller, Welt, 144. Nach Fabry, r[s, 897 ist die Schilderung der Theophanie mit der Sturm – und Gewitter – Metaphorik eine verbreitete Form in Israel und hat vielleicht schon früh Eingang in den Kult gefunden. 265 Gradl, NSK.AT 12, 311, s. dazu Köhlmoos, Auge Gottes, 352. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Traditionskritik

Gegenwart 266 . Gleichzeitig weist das Wort „aus dem Sturmwind“ darauf hin, dass Gott als Krieger kommt. In poetischen, vorwiegend hymnischen Texten des Alten Testaments wird Gott als Krieger unter der erschrockenen Reaktion der Natur (Beben der Berge oder Erde, Aufruhr des Himmels etc.) dargestellt267. Mit der Theophanie wird die Herausforderung Hiobs erfüllt. Hiob wünschte sich, dass seine Klage oder Anklage von Gott beantwortet wird (vgl. 19,7f; 30,20). Im Gegensatz dazu soll Hiob ab jetzt Gottes Herausforderung treffen. Hiob muss mit Gott als mächtigem Krieger kämpfen (vgl. Hi 38,3a: „Gürte doch wie ein Mann deine Lenden!“). Aber dieser Kampf zwischen Gott und Hiob ist kein echter Kampf, sondern ein Wortkampf. Auf die Frage oder Klage Hiobs soll Gott antworten. Aber „Gott gibt aus dem Sturmwind Antwort, nicht auf Hiobs Frage nach dem Recht, nach der Anerkennung seiner Unschuld, nicht auf Hiobs Frage, ob es gut für Gott sei, dass er solcherart Gewalt übe und das Werk seiner Hände verachte (vgl. 10,3)“268. In umgekehrter Weise stellt Gott Hiob die Gegenfrage, auf die Hiob nicht antworten kann. Es geht um die Frage nach der Erkenntnis und der Macht, ob Hiob sie zur Verfügung stellen kann. Gott nähert sich nicht nur dem Klagenden und Anklagenden und spricht nicht nur zu Hiob, sondern begibt sich mit Hiob in eine echte Auseinandersetzung (Hi 38,3a; 40,7a). In diesem Sinn ist die traditionelle Theophanie im Alten Testament umgedeutet 269. In der Theophanie scheitert die Herausforderung Hiobs aber vor der großen Macht Gottes. Hiob konnte nicht auf eine einzige Forderung Gottes antworten. Gleichzeitig bedeutet die Theophanie die persönliche Begegnung, die Hiob Heil bringen kann270. Hiob hofft auf eine direkte Gottesschau (Hi 19,27) und erfährt sie (Hi 42,5)271. Damit wird Hiobs Hoffnung in Bezug auf Gott erfüllt. Das Theophaniemotiv wird Träger der

266 Vgl. Strauß, BK XVI/2, 356. Nach L. Schwienhorst-Schönberger signalisiert ‚aus dem Wettersturm‘ im Grund nur, „dass das Sprechen JHWHs nicht auf gleicher Ebene wie das Sprechens Ijobs und seiner Freunde anzusiedeln ist“, vgl. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 222f. 267 Vgl. Jeremias, Theophanie, 337. 268 Spieckermann, Satanisierung Gottes, 442. 269 Vgl. Heckl, Hiob, 191. Hi 38,3a und 40,7a („Gürte doch wie ein Mann deine Lenden!“) zeigen, dass es um ein gleichberechtigtes Streitgespräch gibt, zu dem Hiob aufgefordert wird. 270 Vgl. ders., aaO 205. Der persönliche Gott tritt „in eine direkte Kommunikation mit dem klagenden und anklagenden Hiob ein und nimmt damit seine eingeklagte Rolle dem frommen Hiob gegenüber (wieder) ein, für den dies offenbar Heil gedeutet“. 271 Vgl. Preuß, Offenbarung II, 121.

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Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Kommunikation Gottes mit Hiob272. Die Theophanie ermöglicht es, dass Hiob weiter redet, der schon aufgehört hat, mit Gott zu reden (Hi 31,40b: „Zu Ende sind die Worte Hiobs“)273. Hiob sieht Gott von Angesicht zu Angesicht. Dadurch wird die räumliche Trennung zwischen ihm und Gott aufgegeben 274. Hiob und Gott sind jetzt wirkliche Gesprächspartner275. Gott gibt sich als der von Hiob angesprochene persönliche Gott zu erkennen276. In diesem Zusammenhang zeigt die Theophanie auf der einen Seite die große Macht Gottes, auf der anderen Seite die wiederhergestellte Beziehung Hiobs mit Gott277. In der zweiten Antwort Hiobs auf die Fragen Gottes zeigt Hiob über seine Ohnmacht hinaus Gottes Macht und wird getröstet. Mit dem Theophaniemotiv sind Hiob und Gott verbunden, im weiteren Sinn zwischen der Frage Hiobs und der Antwort Gottes (Hi 3,1-31,40), im engeren Sinn zwischen der Frage Gottes und der Antwort Hiobs (Hi 38,1-42,6). Darüber hinaus lassen die Gottesreden als Theophanie eine Verbundenheit nicht nur zwischen Gott und Hiob, sondern auch zwischen der Welt, Gott und dem Menschen erkennen278. 4.

Weisheit

Dass die Gottesreden wesentlich von weisheitlichen Gedanken geprägt sind, kann nicht geleugnet werden 279 . Das Spezifikum des weisheitlichen Denkens ist die Frage nach den „Ordnungen“, die den Dingen zugrunde liegen, und nach den „Regeln“, nach denen sie sich vollziehen280. Die Grundstruktur des älteren weisheitlichen Denkens im Alten Testament (vgl. Prov 10-29) ist der konstitutive Zusammenhang zwischen dem Tun und dem Ergehen der Menschen281. „Wer 272

Vgl. Loader, Hiob und die Natur, 109, s. dazu Preuß, Jahwes Antwort, 339. Vgl. Heckl, Hiob, 471. Trotzdem wünscht Hiob immer wieder das Gespräch mit Gott. Für Hiob sind die Freunde gar nicht die eigentlichen Ansprechpartner. 274 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 109. 275 Vgl. Ha, Frage und Antwort, 168. 276 Vgl. Heckl, aaO 192. 277 Nach Preuß, Offenbarung II, 118, erschließt sich Gott in der Theophanie einem Menschen, einer Gruppe, seinem Volk oder gar den Völkern zur richtenden oder vor allem helfenden Gemeinschaft. Die Theophanie zielt auf ein Du. 278 S. dazu ders., aaO 127. 279 Zu diesem Problem s. Köhlmoos, Auge Gottes, 11ff. 280 Vgl. Rendtorff, Geschichtliches und weisheitliches Denken, 345, s. dazu Gese, Lehre und Wirklichkeit, 38: Nach Gese bildet Erkenntnis der Ordnung der Welt die Grundlage der Weisheit. 281 Vgl. Saur, Sapientia discursiva, 245, s. dazu Köhlmoos, Weisheit / Weisheitsliteratur II, 491: Die Weisheit bezeugt das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit vor dem Hintergrund eines Zusammenhangs von Tun und 273

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Traditionskritik

Gutes tut, dem ergeht es gut, wer Schlechtes tut, dem ergeht es schlecht (vgl. Prov 1,20-33; 10,2; 11,25; 12,3.14.21; 14,11; 21,21; 22,8).“282 Nach der Tradition des Tun-Ergehen-Zusammenhangs ist es Gott, der diese Regel und somit eine gerechte Weltordnung garantiert283: „Dieser weisheitliche commonsense hatte das Potential, aus der Idee einer göttlichen Ordnung in der Schöpfung ein gänzlich immanentes Gotteskonzept zu entwickeln. Allerdings geschah das Gegenteil, und es entwickelte sich ein rigides System, das Gott aus der Welt verbannte. Die Tun-Ergehen-Idee wurde unantastbare Doktrin, und dementsprechend musste der Gott dieser Doktrin ihr unerschütterlicher Garant werden.“284

Dieses Denkmuster ist charakteristisch nicht nur für Hiobs Freunde, sondern auch für Hiob selbst285. Der ganze Dialogteil problematisiert und reflektiert die traditionelle Anschauung vom Tun-ErgehenZusammenhang 286 . Trotzdem gibt es einen großen Unterschied zwischen Hiob und seinen Freunden. Während Hiob wegen der Diskrepanz von Tun und Ergehen klagt, halten die Freunde daran fest, dass diese Regel funktioniert. Hiob klagt, dass diese Regel durchbrochen ist, und behauptet, dass Gott dafür verantwortlich ist. Wenn Hiob trotz seiner Gerechtigkeit leiden muss, dann beweise das nichts anderes, als dass Gott ungerecht sei. Hiobs Ausgangspunkt ist, dass Gott den Tun-ErgehenZusammenhang wahren müsste 287 und die Welt danach regiert werden soll: 7 8 9

Warum bleiben die Frevler am Leben, werden alt und nehmen an Vermögen noch zu? Ihr eigener Same steht vor ihnen so gut wie sie fest und ihre Sprößlinge vor ihren Augen. Ihre Häuser haben Frieden (~Alv') ohne Schrecken, und der Stock Gottes ist nicht über ihnen. (Hi 21,7-9)

31 Wer sagt ihm seinen Weg ins Gesicht? und hat er getan, wer zahlt es ihm heim? Ergehen; Fischer, Tod und Jenseits, 150; Ha, Frage und Antwort, 6f und Gese, aaO 33ff. 282 Ha, aaO 7. 283 Vgl. Grund, Tun-Ergehen-Zusammenhang, 656. Zum Tun-Ergehen-Zusammenhang s. Janowski, Tat, 247ff, Rösel, Tun-Ergehen-Zusammenhang, 931ff, Grund, aaO 654ff und Schwienhorst-Schönberger, Vergeltung, 654ff. 284 Loader, Hiob und die Natur, 101. 285 So wie seine Freunde, fordert Hiob auch den zur Doktrin gewordenen TunErgehen-Zusammenhang ein, s. dazu Ebach, Hiob / Hiobbuch, 367. 286 Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Ijob, 424. 287 S. dazu Hermisson, Notizen zu Hiob, 135. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik 32 Er aber, er wird zu den Gräbern gebracht, und über den Grabhügel wacht man. 33 Süß sind ihm die Schollen des Schachts, hinter ihm ziehen alle Menschen, und vor ihm ohne Zahl. (Hi 21,31-33)

In Hi 21,7 wird die Grundfrage des Hiobbuches nach der Lehre von Gerechtigkeit und Ethik gestellt. Danach argumentiert Hiob, dass es den Frevlern gut geht (8f). Das Glück der Frevler ist nicht kurzzeitig und rasch vorübergehend, sondern dauerhaft für ihr ganzes Leben und reicht noch über ihren Tod hinaus (Hi 21,31ff)288. „Damit geht es um ein weisheitliches Thema und Buch, genauer um die Krise der Weisheit, die nicht theoretisch diskutiert, sondern um die existentiell erfahren und zu Gott hin geklagt wird.“289 In den Gottesreden schweigt aber Gott zu diesem Problem, das im Dialog zwischen Hiob und den Freunden das Hauptthema ist. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang findet in den Gottesreden keinen Platz. Gott geht weder auf die Theologie der Freunde noch auf das Leiden Hiobs ein. Stattdessen wird auf den Gottesplan (hc'[e) 290 und das Gottesrecht (jP'v.mi)291 rekurriert. Damit bestätigt Gott, dass der TunErgehen-Zusammenhang problematisch ist, wie Hiob im Dialog klagt. Für Hiob ist die Erfüllung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs ein Maß dafür, ob Gott die Welt gut regiert oder nicht. Das Gott-sein Gottes hängt vom Funktionieren dieses Denkmusters ab. Dieser Wunsch reflektiert Hiobs Hoffnung. Während der Tun-ErgehenZusammenhang für Menschen eine Hoffnung ist 292 , gilt in den Gottesreden der Plan (hc'[e) als eine Weltordnung, mit der Gott die Welt lenkt und bewahrt.

288

Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 2, 5. Preuß, Jahwes Antwort, 329. Anders Heckl, Hiob, 215: „Diese (sc. Hiobdichtung) ist nicht Ausdruck einer ‚Krise der Weisheit‘. Eine solche ist auch im Hiobbuch nicht im Blick, denn es geht dort nicht um die grundsätzliche Infragestellung des Tun-Ergehen-Zusammenhanges. Sowohl die Freunde als auch Hiob vertreten ihn, wenn auch mit einer auf das Gegenüber der Gottheit bezogenen entgegengesetzten Konsequenz. Was die Hiobdichtung wie die Vorwurfsdichtung überhaupt bearbeitet, ist stattdessen eine ‚Krise‘ der persönlichen Frömmigkeit.“ 290 S. dazu oben 66f. 291 Zur Bedeutung des Terminus jpv im G-Stamm in nachexilischer Zeit s. Niehr, Herrschen und Richten, 113ff. In der nachexilischen Zeit sowie in der exilischen Zeit wird jpv in seiner forensischen Bedeutung verwendet, vgl. ders., aaO 126 und s. oben 164. 292 S. dazu Ebach, Hiob / Hiobbuch, 367: „So ist der Tun-Ergehen-Zusammenhang in Israel zuerst Ausdruck nicht der Empirie, sondern der Hoffnung: Es möge so sein, dass der Guttäter die Früchte seiner guten Taten genießen kann – es möge so sein, dass der Übeltäter von den Folgen seiner bösen Taten getroffen wird.“ 289

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Traditionskritik

Gott präsentiert sich nicht als Garant des Tun-Ergehen-Zusammenhangs, sondern als Schöpfer und Erhalter der Schöpfungswelt293. Mit dem Verschwinden dieser Regel gibt es kein Maß, mit dem Hiob Gott verurteilen kann. Für Hiob ist Gott nicht mehr ein Feind. Obwohl die Gottesreden keine Lösung des von Hiob aufgeworfenen Problems („Warum leidet der Gerechte?“) enthalten, lässt Gott Hiob sich neu vor Gott als seinem Schöpfer einfinden294. Gott hat die Welt mit seinem göttlichen Plan erschaffen und lenkt damit die Schöpfungswelt und ihre Bewohner. Nach Gottes Plan lässt Gott es auf die Wüste regnen, in der kein Mensch wohnt (38,26). Gott gebietet täglich der Morgenröte, dass sie die Säume der Erde erfasse und die Verbrecher von ihr abschüttele (38,12-15). Die Tiere, die in der menschenfernen Welt wohnen, stehen unter der Herrschaft Gottes und werden von Gott versorgt. Auch in Hi 40,10-13 zeigt Gott indirekt, dass nur er die menschliche Gewalttäter demütigen und nieder treten kann295. Dazu werden die beiden mythisch-realen Tiere Behemot und Leviathan genannt. Auch über diese menschenfeindliche Welt übt Gott seinen Plan und sein Recht aus. Damit können die Chaoswesen Behemot und Leviathan die Gotteswelt nicht ins Chaos stürzen. Obwohl Gottes Ordnung der menschlichen Einsicht überlegen ist, erkennt am Ende Hiob Gottes Plan (hM'zIm). 296 und Souveränität an (42,2-6). „Der Hiob, der Gottes Antwort verstanden und akzeptiert hat, sitzt noch immer auf seinem Aschenhaufen: Der Dichter hält daran fest, dass die Lösung auch unabhängig von Hiobs Wiederherstellung gilt.“297 Wie die Gottesreden zeigen, kann Hiob seine Gedanken in Bezug auf den Tun-Ergehen-Zusammenhang überwinden. Damit kann er nicht an der Regel Tun-Ergehen-Zusammenhang festhalten, sondern an Gott selbst. Ohne die Vermittlung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs stellt Hiob eine neue Beziehung zu Gott her.

293

In der alten Weisheit kann der Weise, der um das unsichtbare Wirken Gottes weiß, Gott, dem Schöpfer und Erhalter der Ordnung, vertrauensvoll die Durchsetzung der Ordnung überlassen (vgl. Prov 20,22), vgl. Gese, Lehre und Wirklichkeit, 40. 294 Vgl. Freuling, Tun-Ergehen-Zusammenhang, 230. 295 S. dazu Kessler, Welt aus den Fugen, 646. 296 S. dazu oben 187f. Nach Ges18 bedeutet hM'zIm. den Plan oder Absicht Gottes. 297 Hermisson, Notizen zu Hiob, 138. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

244 III.

Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Fazit

Mit den untersuchten Traditionen oder Motiven werden die Gottesreden mit der Klage Hiobs verbunden. Die Gottesreden sind keine vom Dialog zwischen Hiob und seinen Freunden isolierten Reden Gottes. In den Gottesreden erfolgt tatsächlich eine Antwort auf das Hiobproblem298. Zuerst werden mit der Umkehrungstradition Gottes die Intention der Aussage Gottes und der Rolle Gottes in der Schöpfung betont. Im Schöpfungsmotiv der Gottesreden wird die Erde wie ein Tempel oder ein Haus festgestellt. Auch die Chaoskampftradition bezieht sich auf die Klagen Hiobs, in denen Gott für die chaotische Welt verantwortlich ist. Hiob stellt Gott sogar als Verfolger, Jäger und Frevler dar. In den Klagen Hiobs ist die Welt zweigeteilt: auf der einen Seite ist die Welt, die zu Gott gehört, auf der anderen Seite ist die Welt, die zu den chaotischen Wesen gehört. In den Gottesreden aber ist die Welt nicht geteilt, sondern einheitlich. Es gibt keinen Chaoskampf. Gott beherrscht die Welt, obwohl die dunkle Seite der Welt existiert. Mit den Tierbildern wird ein weiterer Aspekt dieser dynamischen Ordnung entfaltet. Es gibt in der Welt chaotische Wesen und ihre Wohnorte, aber diese Welt wird durch den Plan und die Ordnung Gottes beherrscht. Gott als Versorger der Tiere kümmert sich um sie und versorgt sie. Gottes Fürsorge erreicht nicht nur die Menschenwelt, sondern auch die Welt, zu der der Mensch keinen Zugang hat299. Die Herrschaft Gottes über die Welt wird in der Darstellung der beiden mythischen Tiere Behemot und Leviathan stark betont. Behemot und Leviathan sind als Verkörperungen der Chaoswesen zu verstehen. Gott fordert Hiob zu Unrecht auf, Behemot und Leviathan so zu bekämpfen, wie er es tat, denn nur Gott kann die Ü berwindung der diabolischen Wesen leisten und immer neu leisten300. Für Gott sind die beiden mythischen Tiere seine Geschöpfe. Vor ihm verlieren sie ihre chaotische Kraft und helfen ihm (vor allem Behemot, vgl. Hi 40,19). Durch die Schöpfungs- und Chaoskampftradition versucht Gott, Hiobs Vorstellungen über die Schöpfungswelt Gottes und sein Bild zu korrigieren. Es geht um die Welt, die von Gott geschaffen und beherrscht wird, und um Gott, der sich um die Welt und ihre Bewohner kümmert. „Für die Auswahl der Chaoskampfmotive in den 298 299 300

Vgl. Kessler, aaO 645. Vgl. Kegler, Gürte wie ein Mann, 228f. Vgl. ders.,aaO 230f. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Traditionskritik

Gottesreden ist der Glaube an Gott als Schöpfer maßgebend; auch das Unheimliche und Bedrohliche ist Teil der guten Schöpfung. Es gibt keinen selbstmächtigen, antigöttlichen Bereich.“301 In der Regel dient das Chaoskampfmotiv dazu, „die unermeßliche Macht Gottes, die er in diesem Kampf gezeigt hat, zu unterstreichen und die Legitimität seines Gottkönigtums sowie die Notwendigkeit seines anhaltenden Handelns in der Welt, um die Schöpfung zu bewahren, hervorzuheben“302. Darüber hinaus zeigen die Gottesreden einen Charakter, der eine Erfüllung von Hiobs Wunsch und einen dialogischen Aspekt hat. Aus dem Wettersturm kommt Gott zu Hiob, nicht um ihn zu unterdrücken, sondern um mit ihm zu streiten. Es geht um die Theophanie. Mit dem Theophaniemotiv zeigt sich Gott als der, der auf die Klage Hiobs reagiert. Die Gottesreden sind kein Monolog Gottes. „Ganz entsprechend hängt die Antwort Gottes an Hiob mit dessen Herausforderungsreden zusammen.“303 Zum Schluss handelt es sich um die Weisheitstradition. In dieser Tradition ist der Gedanke des Tun-Ergehen-Zusammenhangs wichtig. Mit dem Tun-Ergehen-Zusammenhang sind die Klage Hiobs und die Antwort Gottes verbunden. Gott bestreitet Hiobs Behauptung und Klage (Anklage) im Dialog mit den Freunden. Gegen Hiobs Vorstellungen von Schöpfung und Schöpfungswelt argumentiert Gott. Gott sagt nicht direkt, beispielsweise, dass Regen fallen lässt, wo kein Mensch wohnt, damit zeigt er, dass sein Plan nicht von den Menschen und dem Gedanken des Menschen (vgl. Tun-ErgehenZusammenhang) abhängig ist304. Mit den genannten Traditionen (Motiven) werden Hiob und Gott verbunden. Für Hiob ist Gott nicht mehr derjenige, der fern von Hiob bleibt. Gott ist auch kein Feind, sondern Schöpfer und Erhalter. Obwohl es die chaotischen Wesen in der Welt gibt, bewahrt Gott die Welt vor den Mächten des Chaos. So haben die Gottesreden Hiob ein neues Verständnis über die Welt, Gott und sich selbst gegeben. Damit wird die Beziehung zwischen Gott und Hiob neu hergestellt und Hiob getröstet.

301

Fuchs, Mythos, 291. Bauks, Chaos, 450. 303 Fohrer, Gottes Antwort, 3. 304 S. dazu Ebach, Streiten mit Gott 2, 130: Die Tatsache, dass Gott auch da regen lasse, wo kein Mensch ist, enthält einen explizit nicht-anthropozentrischen Ton. 302

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246 C)

Fünfter Teil: Gattungs- und Traditionskritik

Zusammenfassung

Die Darstellung über die Gattungen und Traditionen (Motive) ermöglicht es, die Intention der Gottesreden zu verstehen. Vor allem Hiobs Frage, Klage und Anklage erreichen ihr Ziel. In der Wechselbeziehung zwischen Hiobs Frage und Gottes Antwort wird das Verhältnis Hiobs zu Gott neu hergestellt, indem Hiob in den Gottesreden Trost erfährt. 1. Gattungen Die Zuordnung der verschiedenen Gattungselemente ermöglicht dem Autor ein Werk von unerschöpflicher Fülle und Tiefe305. Mit der Bestimmung der Gattungen wird der Sitz im Leben der Gottesreden gezeigt. Mit der Gattung des Streitgesprächs zwischen Gott und Hiob, die die Gliedgattungen einschließt, zeigen die Gottesreden, dass es die Auseinandersetzung mit den Grundfragen menschlicher und göttlicher Existenz gibt, die gelöst werden muss306. Bei dem Versuch, den Streit auszutragen, verwendet der Hiobdichter viele verschiedene Rahmengattungen. Die wichtigsten Elemente der Gliedgattungen sind Weisheit, Psalmen und Recht. Jedes hat seinen Sitz im Leben in einem bestimmten Milieu: die Weisheit gehört in den Bereich von Lehre und Forschung der israelitischen Lehrhäuser, die Psalmen in Bereich des Kultes bzw. der persönlichen Frömmigkeit und das Recht in den des Gerichts 307 . „Durch die Übertragung einzelner Gattungen aus einem bestimmten Sitz im Leben in die Dichtung haben diese einen Sitz im Buch erhalten. Mitunter haben einzelne Gattungen in ihrem neuen Kontext der Hiobdichtung eine andere als ihre angestammte Funktion erhalten.“308 2. Traditionen / Motive Die Traditionen (Motive) werden als Vermittler zwischen Dialogteil und Gottesreden verwendet. Auf indirekte Weise versucht der Hiobdichter, die von Hiob aufgeworfenen Fragen und Klagen zu beantworten. Während die Traditionen (Motive), die von Hiob verwendet werden, sich meistens auf die Klage Hiobs beziehen und Gott als den, der für sein Leiden verantwortlich ist, sehen, zeigen die Gottesreden Gott als Schöpfer der Welt und als ihren Erhalter. Obwohl der Abstand zwischen Hiob und Gott sehr groß ist, wird er 305

Vgl. Kubina, Gottesreden, 142. Vgl. Witte, Hiobbuch, 444. Zum Sitz im Leben der Vorwurfdichtungen im Alten Orient als der parallelen Texte des Hiobbuches s. Sitzler, Vorwurf gegen Gott, 133ff. 307 Vgl. Gradl, NSK.AT 12, 26. 308 Witte, aaO 440. 306

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Zusammenfassung

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durch die Gottesreden aufgehoben. Hiob versucht, sich von seiner Situation ab- und Gott zuzuwenden. Durch die Gottesreden kann Hiob, der als der leidende Gerechte die Welt, Gott und den Menschen gesehen hat, alles aus Gottes Sicht neu sehen. Damit kann Hiob seine Position als Geschöpf in der Schöpfungswelt finden und Trost gewinnen.

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

Der Ausgangspunkt zum Verstehen der Gottesreden ist Hiobs Monolog (Hi 3) 1 . Hiob bemerkt durch sein Leiden, dass seine Vorstellungen über die Welt, Gott und die Menschen brüchig geworden sind. Im Gegensatz dazu denken seine Freunde, dass die Schöpfungswelt reibungslos gut läuft. Dadurch werden die Dialoge zwischen Hiob und seinen Freunden ausgelöst. Im Verlauf des Dialoges mit seinen Freunden klagt Hiob Gott immer weiter an. Während Hiobs Freunde nur über Gott reden, wendet sich Hiob an Gott2. Angesichts des erfahrenen Leids stellt Hiob die Schöpfungsordnung an sich in Frage und reagiert mit scharfen Angriffen auf den Schöpfergott (Hi 9,24)3. Hiob klagt nicht nur über die Welt, sondern auch über Gott selbst. Dazu spielt im Hiobbuch die Schöpfungstheologie in unterschiedlicher Ausprägung eine große Rolle, aber stets wird sie antithetisch ins Feld geführt. Während das Schöpfungsmotiv in den Gottesreden ein Motiv zum eigen Lob Gottes ist, wird es für Hiob als Basis oder Beweggrund für (An)Klage gebraucht4. Darüber hinaus wird Schöpfung im Hiobbuch „primär nicht als eine ferne Vergangenheit wahrgenommen, sondern als sich gegenwärtig wiederholendes Geschehen“5. Für Hiob droht jetzt die Erde, ins Chaos zu sinken: „Die gesamte Weltordnung ist in Ijobs Augen in Wahrheit eine Weltunordnung. In ihr herrscht nicht Gerechtigkeit und waltet kein erkennbarer Plan, sondern in ihr herrschen Willkür und Machtmißbrauch, Ungerechtigkeit und Gewalt – bewirkt oder zumindest nicht verhindert von Gott.“6

1

Nach Witte, Hiobbuch, 435 thematisiert Hi 3 „das theologische Zentrum der Hiobdichtung, die in der Selbstdarstellung des Schöpfers in den Gottesreden zum Ziel kommen wird“. 2 Vgl. Preuß, Jahwes Antwort, 341. 3 Vgl. Bauks, Der eine Schöpfer, 101. 4 S. dazu Ha, Frage und Antwort, 106. 5 Hermisson, Schöpfungstheologie der Weisheit, 279. 6 Kegler, Gürte wie ein Mann, 217. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Weltbild

In Hiobs Klage erkennt man seine Vorstellung von der Welt und von Gott. Diese Klage bezieht sich auf die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes. Hiob zweifelt an Gott und an der Welt, die Gott geschaffen hat. Darüber hinaus erkennt man auch Hiobs Vorstellung von sich selbst. Hiob betrachtet alles nur in Bezug auf sein persönliches Leiden. Deshalb klagt er nicht nur über Gott und die Welt, sondern auch über das Schicksal des Menschen. In der Fortsetzung des Dialogs wendet sich Hiob immer wieder an Gott und klagt ihn an. Hiobs Klage richtet sich „immer ausschließlicher darauf, dass Gott endlich von seiner Vernichtung ablassen sollte, damit er aufatmen und zu seiner Verteidigung reden kann; sein einziger Wunsch ist es nun, gegen die Aufhebung seines Rechts einen Anwalt zu finden oder Gott als seinem Ankläger nur einmal in Person zu begegnen“7. Nach dem Wunsch Hiobs antwortet Gott auf seine Fragen8. In diesen Sinne ist die gesamte Hiobdichtung „also von einem dialogischen Konzept geprägt. Alles läuft auf die Begegnung und direkte Kommunikation zwischen Jhwh und Hiob in Hi 38,1-42,6 zu“9. Aber Gott antwortet nicht direkt auf die von Hiob aufgeworfenen Fragen10. Obwohl die Gottesreden radikal zwischen Gott und den von Menschen entwickelten Vorstellungen trennen, schließen sie diese Fragen ein: „In den Gottesreden findet der Dialog zwischen Gott und Hiob statt, der in der Herausforderung durch Hiob vorbereitet wurde. Gleichzeitig stellen sie eine Antwort auf die Angriffe Hiobs gegen Gott dar.“11

Es ist der Ziel der Gottesreden, Hiobs Vorstellung zu ändern und ihm eine neue Einsicht zu geben. In den Gottesreden „werden die grundlegenden Koordinaten des neuen Verhältnisses zwischen der Welt, Gott und Mensch festgelegt“12.

7

Müller, Altes und Neues, 293. Vgl. Heckl, Hiob, 206. 9 Ders., aaO 205. 10 Vgl. Lux, Hiob, 240. 11 Heckl, aaO 203. 12 Köhlmoos, Auge Gottes, 332. Nach M. Leuenberger, Konsequente Erfahrungstheologien, 34 bringt die alttestamentliche Weisheitsliteratur Mensch, Welt und Gott auf ganz bestimmte, eben weisheitliche Weisen zur Sprache und bespricht sie. 8

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250 A)

Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

Weltbild

Im Alten Testament findet man keinen abstrakten Oberbegriff für „Welt“. Trotzdem hat das Alte Testament ein „Weltbild“13. Zuerst kann das Wort Weltbild wie im Folgenden verstanden werden: „Unter einem ‚Weltbild‘ versteht man in der Regel das Zusammenspiel der für eine bestimmte Kultur leitenden Anschauungen und Deutungsmuster über den Aufbau des Kosmos, die Natur der Dinge und das Zusammenleben der Menschen, durch die sowohl die Struktur des Ganzen als auch die Funktion seiner Teile organisiert wird und in Erscheinung tritt.“14

Für das Weltbild des Alten Testaments ist der enge Konnex zwischen natürlicher Lebenswelt und religiösem Symbolsystem charakteristisch15. Das alte Israel wie der Alte Orient haben „eigene, auf die spezifischen Erfahrungen von Raum und Zeit abgestimmte Konzepte ihrer natürlichen Lebenswelt entwickelt, denen zufolge der Mensch seine Umwelt zergliedert in Raum und Zeit, Ursache und Wirkung (Kausalität) erfährt“16. Nach O. Keel findet „eine ständige Osmose zwischen Tatsächlichem und Symbolischem, und umgekehrt auch zwischen Symbolischem und Tatsächlichem statt“17. Daher kommt es zur Auseinandersetzung zwischen Hiob und seinen Freunden, Hiob und Gott. Um diesen Streit zu verstehen, muss man die Vorstellungen Hiobs und Gottes über die Schöpfungswelt und die Anschauungen über den Aufbau des Kosmos beachten. Das Weltbild der Gottesreden und der Reden Hiobs folgt Vorstellungen, wie sie im Alten Orient herrschen18. Die Grundstruktur des Weltbildes zwischen Hiobreden und Gottesreden ist gleich. Dagegen sind die Vorstellungen (Wahrnehmung) darüber unterschiedlich. Der Unterschied ergibt sich aus den Erfahrungen Hiobs, die sich auf den Tun-Ergehen-Zusammenhang beziehen. Durch den Tun-Ergehen-Zusammenhang erhält die Welt eine universale Einsichtigkeit19. Durch Hiobs Erfahrungen hat sich Hiobs Wahrnehmung von der Welt geändert. In den Augen Hiobs ist die 13

Janowski, Weltbild, 1410 weist darauf hin, dass das Alte Testament den gemeinten Sachverhalt durch den Merismus ‚Himmel und Erde‘ oder durch mehrgliedrige Formen ausdrücken kann, vgl. Oeming, Welt/ Weltanschauung/ Weltbild IV/ 2, 569 und Houtman, Himmel, 283ff. 14 Janowski, Das biblische Weltbild, 4. Zum Weltbild des Alten Orients und des Alten Testaments s. ders., Weltbild, 1409ff. 15 S. dazu ders., Weltbild, 1409, vgl. Houtman, aaO 301f. 16 Janowski, Weltbild, 1409. 17 Keel, Bildsymbolik, 47. 18 Vgl. Fohrer, KAT XVI, 517. 19 Vgl. Oeming, Welt / Weltanschauung / Weltbild IV / 2, 571. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

251

Weltbild

Welt nicht mehr stabil. Dadurch wird der Streit zwischen Hiob und Gott ausgelöst. Im Folgenden soll untersucht werden, welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten es zwischen Hiobs und Gottes Vorstellung von der Welt gibt. I.

Hiobs Vorstellung von der Welt

Vor der Leiderfahrung Hiobs gab es im Prinzip keine Unterschiede im Weltbild zwischen Hiob und seinen Freunden. Aber durch das Leiden Hiobs hat sich sein Weltbild geändert. Aus dem Streit zwischen Hiob und seinen Freunden kann man das alte Weltbild Hiobs erschließen. Wie für seine Freunde war die Schöpfungswelt für Hiob die Welt, in der der Tun-Ergehen-Zusammenhang herrschte und die damit stabil war. Durch Hiobs Wahrnehmung dieses Urprinzips der Ethik erhielt sein Weltbild einen inneren stringenten Zusammenhang und eine universale Einsichtigkeit20. Für Hiob gab es keinen Grund, an der Gültigkeit dieses Prinzips zu zweifeln21. Aber durch seine Erfahrungen hat er sein altes Weltbild verloren und streitet mit seinen Freunden und Gott. Nun zweifelt er an der Existenz und der Gültigkeit des Tun-Ergehen-Zusammenhangs22: „Er beharrt auf der Inkongruenz zwischen seinem Tun und seinem Ergehen, zwischen dem Handeln und dem Schicksal eines Menschen und zerbricht auf diese Weise eine der zentralen Ordnungskategorien weisheitlichen Denkens. Seine Erfahrung treibt ihn aus dem Konsensus mit den Freunden hinaus.“23

Ü ber die Inkongruenz des Tun-Ergehen-Zusammenhangs klagt er im Dialogteil und klagt damit Gott an. Gleichzeitig fordert Hiob von Gott, sich entsprechend dieser Ordnung zu verhalten, indem er ihm auffordert, gerecht zu sein. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Hiob „trotz aller Unterschiede doch auf einer ähnlichen Ebene wie seine Freunde“24 steht. So geht es im Streit zwischen Hiob und Elifas nicht um die theoretischen Fragen des Tun-Ergehen-Zusam20

S. dazu ders, aaO 571. Vgl. Remus, Menschenbildvorstellung, 44. 22 S. dazu Pola, Gotteserfahrung, 119f: „Das Hiobbuch reflektiert in seinen Dialogen die Auseinandersetzung zwischen der älteren Stufe der Weisheit (repräsentiert durch die Freunde Hiobs, die schließlich zu seinen anklagenden Feinden werden) und der Infragestellung des aufgrund gegenteiliger Erfahrung nicht mehr ideal aufgefassten Tun-Ergehen-Zusammenhanges und damit der TheodizeeFrage.“ 23 Müllner, Das hörende Herz, 58. 24 Remus, aaO 52. 21

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

menhangs und der Gerechtigkeit, sondern um die praktische Frage der Verantwortung und des angemessenen Verhaltens im Leiden. Keiner von beiden bestreitet den Grundsatz des Tun-Ergehen-Zusammenhangs25. Daran zeigt sich, dass Hiob am Tun-Ergehen-Zusammenhang festhält26. In den Gottesreden stellt Gott zuerst die Schöpfungswelt dar. Es geht um die Erde, die vom Schöpfer gegründet ist. Hiobs Klage bezieht sich darauf, dass die Erde ins Chaos zurückgefallen (Hi 3) und in die Hand der Frevler geraten ist (Hi 9). Für Hiob ist die Schöpfungswelt Gottes keine gute Welt, wie sie Gott nach Gen 1 geschaffen hat. Während seines Leidens klagt Hiob, dass die Welt nicht in Ordnung ist. Deshalb möchte er in die Totenwelt (Scheol) fliehen: 17 18 19 20 21 22

Dort hören die Frevler mit Toben auf; dort ruhen die, deren Kraft erschöpft ist. Allesamt sind die Gefangenen sorglos, und hören nicht mehr die Stimme des Treibers. Klein und groß sind da dasselbe, und der Knecht ist frei von seinem Herrn. Warum gibt er Licht den Mühseligen und Leben denen, deren Kehle voller Bitterkeit ist, die auf den Tod warten, und er kommt nicht, die nach ihm graben mehr als nach Schätzen, die sich über einen Steinhaufen27 freuten, die froh wären, wenn sie ein Grab fänden? (Hi 3,17-22)

Mit seiner Aussage bringt Hiob zur Sprache, dass das Totenreich besser als die elende Welt sei. Mindestens kann er in der Totenwelt von Gott, dem Urheber seines Leidens, frei sein. Im Lauf des Dialoges mit seinen Freunden wird diese Meinung in den Todeswünschen (z.B. 7,16; 10,20) deutlicher28. Nach Hi 9 ist die Welt „in der Gewalt eines Kriminellen, dessen Herrschaft zynisch und sadistisch sei (Kap. 9,22ff)“29: 24

Die Erde ist in die Hand eines Frevlers gegebendas Gesicht ihrer Richter verhüllt er -, wenn (es) nicht so (ist), wer (ist) er?30 (Hi 9,24)

25

Vgl. Nõmmik, Freundesreden, 281. Vgl. Remus, Menschenbildvorstellung, 52. 27 Der App. der BHS schlägt vor, lg („Steinhaufe“) statt lyg („Jauchzen“) zu lesen. Das entspricht auch dem Wort rbq („Grab“). 28 Vgl. Ha, Frage und Antwort, 81. 29 Keel, Weltbilder, 43. 30 Zur Ü bersetzung s. Janowski, Hand eines Frevlers, 7. 26

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Weltbild

Dieser Vers ist der Höhepunkt von Hiobs Anklage31. Damit steht „nicht nur die Moral des Menschen zur Debatte, sondern ebenso die Moral Gottes“32. Wenn Gott selbst den Frevler zu verkörpern scheint, macht Gott menschliche Gerechtigkeit unmöglich. Damit verliert Gott seine Rolle als die letzte Instanz33. Hiobs Klage bedeutet die Abkehr von der Schöpfungswelt und sein Schreien nach Gerechtigkeit erreicht kosmische Dimensionen34. In der Welt funktioniert der Tun-Ergehen-Zusammenhang nicht, denn Gott wacht nicht mehr über die Weltordnung und vergilt Böses nicht mit Bösem und Gutes nicht mit Gutem35. Die Welt, in der diese Regel nicht gilt, verliert ihren Sinn, sie ist aus den Fugen geraten36. Durch seine Erfahrung erlebt Hiob, dass die Welt nicht stabil ist. Aus diesem Grund fragt er: „Was ist die Welt?“ Für Hiob ist die Welt durch Gottes satanische Gegenwart unbewohnbar geworden, vor der er ins Totenreich flüchten möchte (3,21f)37. Aus diesem Grund ist in den Reden Hiobs das Lob der Schöpfung zur Klage oder Anklage des Schöpfers geworden38. Was setzt Gott, der Schöpfer, dieser Anklage entgegen? II.

Die Schöpfungswelt Gottes

Die Gottesreden antworten auf die von Hiob erhobenen (An)Klagen: Die Welt sei willkürlich und chaotisch 39 . Die Frage nach der Schöpfung der Welt umfasst die Frage nach ihrem Anfang und nach der fortwährenden Geltung dieses Anfangs40. Gleichzeitig geht es um den Raum und die Zeit Gottes: die Maße der Erde, die Tiefe des Meeres und die Höhe des Himmels, die Gesetze von Licht und Finsternis und den Lauf der Sterne. Der Raum und die Zeit Gottes übersteigen die Räume und die Zeiten des Menschen 41 . Gott beherrscht die Welt nicht mit dem Tun-Ergehen-Zusammenhang, sondern er leitet die Welt nach seinem Plan und Recht (hc'[e und jP'v.m)i . 31 Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 1, 98f, Egger-Wenzel, Freiheit Gottes, 227 und Lux, Hiob, 172ff. 32 Lux, aaO 172. 33 Vgl. Egger-Wenzel, aaO 228. 34 Vgl. Fuchs, Mythos, 68f. 35 Vgl. Lux, ebd. 36 Vgl. Kessler, Welt aus den Fugen, 643. 37 S. dazu Fohrer, KAT XVI, 125 und Köhlmoos, Auge Gottes, 361. 38 Vgl. Keel, Weltbilder, 43. 39 Vgl. Krüger, Himmel – Erde – Unterwelt, 81. 40 Vgl. Janowski, Schöpfung, 970. 41 S. dazu Lux, Hiob, 235.

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

Es ist auffällig, dass es in den Gottesreden nicht um die Menschenwelt geht, sondern nur um die Naturwelt. Aber im alten Israel ist das nicht ungewöhnlich. In der Sicht des Hiobdichters waren Gesellschaft und Natur weitgehend integriert als wir denken42. Obwohl in den Gottesreden die Menschenwelt nicht behandelt wird, kann man erschließen, wie Gott sie behandelt. Im Gegensatz zur Hiobs Vorstellung ist die Erde (Welt) nicht ins Chaos zurückgefallen und nicht in die Hand eines Frevlers gegeben. Nach den Gottesreden ist die Welt als Schöpfung Gottes stabil und fest (1), und wird von Gott geleitet und versorgt (2). Trotzdem gibt es in der Welt Gottes weiterhin Ambivalenzen (3). 1.

Stabilität der Welt

Unter kosmologischem Aspekt wird in den Gottesreden Gott als Schöpfer und Erhalter dargestellt. Dabei wird vor allem von der großen Struktur des Kosmos geredet43. Nach der ersten Gottesrede besteht die Welt aus drei Ebenen (Hi 38,4-18): „Die obere Welt, der Himmel, in dem die höheren Wesen wohnten; die mittlere, die Erde, umgeben vom Ozean und darauf schwimmend; und die Unterwelt, das Reich der Toten.“44 Die Erde steht in der Mitte der Schöpfung, obwohl sie der vom Himmel abhängige Partner ist 45 . Nach den kosmologischen Vorstellungen der Gottesreden liegt die Unterwelt in der äußersten, unerreichbaren Tiefe (Hi 38,16-18)46. Statt des Himmels selbst werden die Himmelswesen (38,7) und die Erscheinung des Morgenrotes (38,12ff) angeführt. Die Schöpfung der Erde wird in Ausgestaltung des traditionellen Bildes vom ‚Bau‘ durch Gott dargestellt. Damit erscheint die Erde als ein stabiles Gebäude47. Gott hat sie fest gegründet in den Fluten 42

Vgl. Keel, ebd. Vgl. Ravasi, Hiob, 110. 44 de Wilde, Hiob, 19, s. dazu Fohrer, KAT XVI, 517; Bartelmus, Himmel, 94. Aber nach Krüger, Himmel – Erde – Unterwelt, 79 hat die Unterwelt hier kein eigenes Gewicht, sondern wird mit zur „Erde“ gerechnet, weil die Toten im Innern der Erde beigesetzt werden, s. dazu Houtman, Himmel, 285. 45 Der Himmel spendet der Erde den Regen, der zur richtigen Zeit kommt und gleichmäßig und in ausreichender Menge niederströmt. Der Himmel galt für die alten Israeliten als Spender des Lebens an die Erde, s. dazu Houtman, aaO 182f. 46 Vgl. Janowski, Unterscheiden – Ü berschreiten – Entgrenzen, 43, s. dazu Liess, Tore der Finsternis, 400. 47 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 136 und Perdue, Wisdom Literature, 119: „Yahweh is first described as the divine builder who constructs the cosmos much like a house. The poet employs images of house building, including Yahweh ‚establishing‘ (yāsad, dsy) the foundations of the earth, the setting of ‚measurements‘ (měmaddêhā, hydmm), the stretching out (nā†a‘, hjn) of a measuring line (qāw, 43

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Weltbild

des Chaosmeeres und weist das Meer in die Schranken, damit es die Erde nicht zerstören kann48. Gott hat die räumlichen Grenzen49 der Erde abgesteckt. Damit ist die Erde ein besonders gut aufgebautes Ganzes und stellt ein solide gebautes Haus dar50. Gott verschloss das Meer mit Toren und setzte seine Bestimmung über es. Jeden Morgen lässt er die Frevler von der Erde vertreiben, indem er das Licht der Sonne (Morgenröte) scheinen lässt (Hi 38,1215)51. Gott setzt die Grenzen nicht nur zwischen der Erde und dem Meer, sondern auch zwischen dem Tag und der Nacht, in der die Frevler das Böse treiben. Gleichzeitig setzt er die Grenzen zwischen der Welt des Lebens und der Welt des Todes (Hi 38,17). Die Tore des Todes und der Finsternis bezeichnen den Eingang in die Unterwelt52. Damit hat die Schöpfungswelt (Himmel, Erde und Unterwelt) einen eigenen Platz: „Himmel, Erde und Unterwelt werden anstelle von disparaten Räumen zu einem kohärenten Welt-Bild mit erkennbaren Grenzen.“53

Alle Elemente der Welt haben nun getrennte Räume: „Diesen Grenzen sind keine Barrieren oder Mauern, sondern Grundbestimmungen des Lebens, die gleichsam natural vorgegeben und (…) vom Schöpfergott inauguriert sind: Oben – Unten (Himmel / Erde, Gott / Mensch), Innen – Außen (Erde / Meer, Bereich des Menschen / Bereich der Tiere)…“54

Dabei ist die Erde ein Raum, in dem alle Geschöpfe zusammen leben können. Im Gegensatz zur Klage Hiobs ist die Welt von Gott in Vernunft und Weisheit geschaffen55. Die Darstellung der Erde in vollkommener

wq), the sinking (ho††ěhā’û, w[bjh) of pillars or capitals (’ădānêhā, hynda) of the dwelling, and the laying (yārâ, hry) of a cornerstone (’eben pinnātāh, htnp !ba).“ 48 Vgl. Kegler, Gürte wie ein Mann, 228. 49 „Das Wort ‚Grenze‘ bezeichnet ursprünglich eine räumliche Trennung, die den eigenen Bereich von den Bereichen anderer unterscheidet und gegebenenfalls mit wertenden Markierungen versieht.“, Janowski, Unterscheiden – Ü berschreiten – Entgrenzen, 33. 50 S. dazu Houtman, Himmel, 306. 51 Vgl. Kegler, aaO 226. Zum Morgenmotiv im Alten Testament s. Janowski, Rettungsgewissheit und Epiphanie des Heils, 180ff und ders., Konfliktgespräche, 154ff. 52 Vgl. Liess, Tore der Finsternis, 400. Zum Motiv des Meereingrenzens s. Krüger, Lob des Schöpfers, 156ff. 53 Köhlmoos, Auge Gottes, 326. 54 Janowski, Unterscheiden – Ü berschreiten – Entgrenzen, 37. 55 Vgl. Keel, Weltbilder, 43. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

Form entspricht dem vernünftigen Plan Gottes (hc'[e)56. Dazu kommt noch der Begriff jP'v.mi in der zweiten Gottesrede (40,8) vor. Während hc'[e nicht nur für die Natur, sondern auch für die Menschenwelt gilt, bezieht sich jP'v.mi auf die Menschenwelt57. Mit diesen Ordnungen leitet Gott die ganze Welt, ohne dass sie untergeht. Auch wenn Hiob den Unterschied des Geschicks von Frommen und Frevlern im Dialogteil (z.B.: Hi 9,22; 10,3 u.a.) bestreitet, behauptet er wie seine Freunde, dass Gott den Tun-Ergehen-Zusammenhang wahren müsste 58 . Während Hiobs Freunde von der prinzipiellen Gültigkeit und dem Funktionieren des göttlich gewirkten Tun-Ergehen-Zusammenhangs überzeugt sind, und von dieser Position aus das menschliche Leben erklären wollen59, bemerkt Hiob durch sein Leiden, dass diese Regel in der Welt nicht funktioniert 60. Hiob zweifelt an Gott, der diese Regel garantieren müsste. Die Welt ist für ihn nicht stabil. Hiob „hat nach neuen, besseren Regeln verlangt, mit denen er seine eigene Lebens- und Leidenswirklichkeit deuten könnte“61. Gott stellt Hiob eine Welt vor Augen, in der keine blinde, absurde Unverständlichkeit herrscht, sondern eine Ordnung, die man nicht durchschauen kann62. Die Gottesreden formulieren „autoritativ ihre Antwort, die Hiob schließlich auch akzeptiert. Diese Antwort lautet: ‚Es gibt eine Ordnung‘ in der Welt, wenn sie auch für Hiob verborgen bleibt. Gott ist der weise Schöpfer seiner Welt, die er kultiviert und lenkt, und zwar auch dort, wo es der Mensch nicht erkennen kann“63.

In der ersten Gottesrede hat alles eine höchste Logik (hc'[e), die alles Sein und die ganze Geschichte in einem Projekt zusammenbindet. Das, was Hiob unverständlich erscheint, ordnet sich darin ein64. Die Gottesrede zeigt Hiob einen wunderbaren Plan, der sich der menschlichen Kontrolle entzieht65. Die von Gott geschaffene Welt „ist kein Gegenstand, wird vielmehr wahrgenommen in einer Vielzahl sinnvoller Zuordnungen, durch die ‚Welt‘ als Lebensraum Bestand hat und heiles Leben in der Welt ermöglicht wird“66. 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66

Ha, Frage und Antwort, 173. S. dazu oben 164. Vgl. Hermisson, Notizen zu Hiob, 135. Vgl. Remus, Menschenbildvorstellungen, 112. Rendtorff, Theologie, 330f. Vgl. ders., aaO 331. S. dazu Ravasi, Hiob, 116f. Schmid, Hiob, 25. Vgl. Ravasi, Hiob, 109. S. dazu ders., aaO 115. Hermission, Notizen zu Hiob, 132. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Weltbild

Dazu fordert Gott Hiob auf, seine eigene Welt zu verlassen und die Schöpfungswelt Gottes zu schauen. Die von Gott gesetzte und beherrschte Ordnung der Schöpfung umfasst viel mehr als das einzelne menschliche Schicksal 67 . Auf der Ebene des individuellen Geschicks ist die generelle Plausibilität dieser guten Schöpfungsordnung nicht zu begründen68. Dabei beherrscht die Weltordnung aber nicht Gott, sondern Gott kontrolliert die Weltordnung. In der zweiten Gottesrede betont Gott seine Allmacht zur Durchsetzung seines Rechts (jP'v.mi) in Bezug auf die Menschenwelt. In seiner Allmacht hat Gott „die Möglichkeit eines Handelns, das der Mensch in das ihm vertraute Schema von Weltordnung und Kausalität von Tun und Wirkung nicht mehr einzuordnen vermag“69. Die Welt bewegt sich nicht automatisch. Nur durch die Sorge und Bewahrung Gottes stürzt die Welt nicht ins Chaos. 2.

Lenkung und Bewahrung der Welt

Gott hat die Erde festgestellt und die Grenze zwischen Lebenswelt und Chaoswelt festgesetzt. Damit werden die Lebewesen der Erde vor Gefahren geschützt. In Hi 38,19-38 geht es um die Lenkung der Welt: die Erscheinungen des Wetters und ihren Urheber70. Nur Gott weiß, wo Licht und Finsternis herkommen und wie man ihre Orte erreichen kann (Hi 38,1921). Gott als Urheber von allen Dingen lenkt das Wetter am Himmel, von den Kammern angefangen, in denen Schnee, Hagel, Regen, Donner, Blitz und Eis gespeichert sind, über den Wind bis zu den Gestirnen. Damit macht er die Erde zu einem bewohnbaren Raum. Es ist auffällig, dass in diesem Teil die Vielfältigkeit des Wassers vorkommt. Gott kontrolliert das Regenwasser für die Erde. In Palästina wurde die Wasserversorgung meistens durch Regen gewährleistet71. Gott macht aus dem Luftraum einen großen Bewässerungskanal für die Erde und lässt das Regenwasser so niederströmen, dass es das Land erquickt und nicht zerstört (Hi 38,25)72:

67

Vgl. Rendtorff, Theologie, 331. Vgl. Schmid, Hiob, 77. 69 Schneider, Hiob 38, 123f. 70 S. dazu oben 88ff. 71 Vgl. Krüger, Lob des Schöpfers, 172. Zum Regen in Palästina s. Keel u.a, OLB 1, 41: „Viel wichtiger als das Absinken der Temperatur ist aber der im Winter auftretende Regen, ohne den in Palästina – im Gegensatz zu Ä gypten und zu Mesopotamien mit ihren Kanalsystem – kein Ackerbau möglich wäre.“ 72 Vgl. Houtman, Himmel, 264. 68

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden 25 26 27

Wer hat der Regenflut einen Kanal (hl'['T.) gegraben und einen Weg (%r,D,) wie der Wind, und wie eine Wolke zog mein Heil (yti['vuy>) vorüber.

19

Er warf mich in den Lehm, ich werde wie Staub und Asche. (Hi 30,15.19)

In V. 15 geht es um die Klage Hiobs, dass ihm Gott seine Würde und Heil (Hilfe bzw. Rettung) entzog. Das Wort hb'ydIn> bezieht sich auf „das Edle (Jes 32,8), das den Menschen in besonderer Weise unter seinesgleichen hervorhebt. Es geht also bei diesem Begriff der Menschenwürde nicht um das, was das Menschliche im Unterschied zu anderen Lebewesen auszeichnet. Vielmehr wird die dignitas, der besondere Rang einer Person innerhalb der menschlichen Gesellschaft, betont“307. Die Würde des Menschen wird vom Elend zerstört. Dazu verzichtet Gott auf die Rettung Hiobs, die sich auf sein auf dem göttlichen Schutz und Segen beruhendes Lebensglück bezieht308. Der Verlust der beiden macht Hiob zu einem Nichtigen, wie Wind und Wolke. In V. 19 stellt Hiob dar, dass Gott ihn angriff und in den Lehm warf. Dadurch wird er der menschlichen Würde von Gott beraubt und entehrt309. Alles, was Hiob über seine Menschenwürde klagt, geht davon aus, dass durch die Leiderfahrung seine Menschenwürde verletzt ist: „Menschenwürde ist etwas, das verletzt wird, wenn eine Person erniedrigt wird. (…) Dabei wird eine Person dann erniedrigt, wenn sie nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zu achten.“310

In den Hiobreden versucht Hiob immer wieder, durch die Klage über die verletzte Menschenwürde „das Verständnis der Würde des 305 306 307 308 309 310

Vgl. Frevel, aaO 265. Krüger, Elend und Würde, 275. van Oorschot, Menschenbild, 330. Vgl. Fohrer, KAT XVI, 419. Vgl. van Oorschot, Menschenbild, 330. Balzer / Rippe / Schaber, Menschenwürde, 31. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Menschenbild

Menschen auf eine neue Basis zu stellen“ 311 . Hinter der Argumentation Hiobs steht die Hoffnung auf die Restitution der Beziehung mit Gott und damit der Menschenwürde312. Durch sein Leiden hat Hiob eine Wandlung seines Menschenbildes erfahren. Trotzdem bleibt er dabei, dass er ein Geschöpf Gottes im Sinn von Ps 8 ist. Durch die Klage verlangt Hiob „nach seiner Würde und ruft zugleich Gott zurück in dessen Verantwortung“313. Er kämpft darum, die verlorene Würde auf beiden Ebenen (persönlich und sozial) zurückzugewinnen314. Wie B. Janowski zeigt, kann der Mensch nach Hiobs Vorstellung neben allgemeinen anthropologischen Begriffen wie ‚Körper‘, ‚Geschlecht‘, ‚Leben‘ oder ‚Tod‘ auch in Bezug auf die spezifisch biblischen Begriffe „Gerechtigkeit“, „Geschöpflichkeit“ und „Endlichkeit“ des Menschen vor Gott verstanden werden315. Aber wegen der Leiderfahrungen sind, wie im Folgenden zu zeigen ist, diese Elemente des Menschen der Grund der (An)Klage Hiobs geworden. 1.

Gerechtigkeit

Eine von Hiobs Hauptfragen ist „Woher kommt mein Leiden?“ Diese Frage bezieht sich auf die Gerechtigkeit. Die Erfahrung des Leides wirft die Frage nach der Gerechtigkeit auf316. Hiob fühlt sich von Gott ungerecht behandelt und will mit ihm ins Gericht gehen. Er klagt darüber, dass Gott den unschuldigen Menschen leiden lässt, und beharrt auf seiner Unschuld. Allerdings: Wer ist schuldig, Gott oder Hiob? Für Hiob ist es Gott, der den Gerechten nicht in seiner Not verlässt, sondern als „soziale Instanz“ gegen Ungerechte und Frevler einschreitet und sich des Verfolgten und Unterdrückten erbarmt317. In einer wechselseitigen Beziehung soll Gott „die Fürsorgepflicht gegenüber seinem Diener erfüllen, der seinerseits alle ihm aufgetragenen Leistungen erbracht hat“ 318 . Aber nach der Meinung Hiobs hat Gott diese Pflicht nicht erfüllt, im Gegenteil: Gott ist der 311

Sedlmeier, Mutterschoß, 310. Vgl. Frevel, Menschenwürde, 266. 313 van Oorschot, aaO 331. 314 Vgl. Sedlmeier, aaO 311. 315 Nach B. Janowski, „Anthropologie des Alten Testaments“ vor und nach H. W. Wolff, 401 sind das Axiom der Geschöpflichkeit, das Prinzip der Gerechtigkeit und die Erfahrung der Endlichkeit für Auffassung(en) des Alten Testament vom Menschen zentral. 316 Vgl. van Oorschot, Gottes Gerechtigkeit, 203. 317 Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 137. 318 van Oorschot, Menschenbild, 325. 312

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

Verursacher des menschlichen Elends. Dafür verneint Hiob die allgemeine Sündhaftigkeit des Menschen nicht: 2

Wahrlich, ich weiß, dass es so ist: Wie kann ein Mensch gegenüber Gott gerecht sein? (Hi 9,2)

In der Tat will Hiob seine Sündhaftigkeit vor Gott nicht thematisieren, sondern die Gerechtigkeit Gottes. Hiob weiß von der Sündhaftigkeit des Menschen vor Gott, aber dieses Wissen führt nicht zum Vertrauen in die Gerechtigkeit Gottes. Hinter seiner Aussage „steht vielmehr die Auflehnung dagegen, dass bei Gott Macht vor Recht ergeht. Für Hiob hat der Mensch vor Gott kein Recht, weil Gott die Macht hat“ 319. In diesem Sinn verliert das Recht seine eigene Bedeutung, wenn das Recht in der Macht aufgeht320. Im Folgenden geht Hiob noch einen Schritt weiter. Er klagt Gott an, weil er selbst ein Frevler sei: 21 22 23 24

Untadelig bin ich! Ich kümmere mich nicht um meine Lebenskraft, ich habe kein Interesse (sama)321 an meinem Leben. Es ist eins! Deshalb sage ich: Untadelig (~T') und gottlos ([v'r") – vernichtet er. Wenn die Geißel plötzlich tötet, verhöhnt er die Verzweiflung der Unschuldigen. Die Erde ist in die Hand eines Frevlers ([v'r"-dy:b.) gegeben, – das Gesicht ihrer Richter (h'yj,p.vo-ynEP.) verhüllt er –, wenn (es) nicht so (ist), wer (ist) er? (Hi 9,21-24)

In V. 21f bekräftigt Hiob seine Unschuld. In der Tat will Hiob keine Schuldlosigkeit des Menschen vor Gott behaupten, sondern er sagt, dass sein „Tun im Vergleich mit demjenigen anderer Gerechter oder eben auch Frevler, denen es gut geht, nicht schuldhafter ist“ 322. Im Rahmen des Tun-Ergehen-Zusammenhangs handelt Gott keineswegs gerecht. In diesem Sinn ist Gott schuldig. Gott ist ein Feind des Menschen, Frevler und Übeltäter (Hi 9,24), „der seine Macht missbrauche und mit den Frevlern gemeinsame Sache mache“323. Als Frevler beugt Gott die Rechtsordnung und vertilgt Gerechte und Unschuldige gleichermaßen. „Es ist eine letzte, zugespitzte Zusammenfassung.“324

319 320 321 322 323 324

Schmid, Gerechtigkeit als Weltordnung, 161. Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 1, 94. Zur Ü bersetzung s. oben 48f.190ff. Leuenberger, Konsequente Erfahrungstheologien, 44 Sedlmeier, Mutterschoß, 311. Fohrer, KAT XVI, 210. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Menschenbild

Im Vergleich mit der Aussage von der Gerechtigkeit Gottes bekräftigt Hiob seine Unschuld immer wieder: 23

Wie viele sind meine Verschuldungen und Sünden? Mein Vergehen und meine Sünde lass mich wissen! (Hi 13,23)

In V. 23 geht es um die Vergehen, die der menschlichen natürlichen Schwachheit einspringen (vgl. V. 26). Obwohl Hiob der Sündhaftigkeit des Menschen vor Gott zustimmt, ist eine solche schwere Strafe Gottes ihm gegenüber nicht gerechtfertigt325. Wenn Gott Recht haben will, muss er Hiobs Verfehlung mit bestimmten Kategorien beweisen. Trotz der Verdächtigungen und Beschuldigungen hält Hiob an seiner Unschuld fest: 2

So wahr Gott lebt, der mir mein Recht entzogen, und der Allmächtige, der meine Kehle verbittert hat. (Hi 27,2)

Mit der gewöhnlichen Schwurformel zeigt Hiob, dass er sich selbst im Recht sieht326. Im Gegensatz dazu betont er die Ungerechtigkeit Gottes: ohne Grund verbittert ihn Gott. Damit stellt Hiob seine Unschuld dar. Hiob klagt nicht über die Sündhaftigkeit des Menschen, sondern über die Ungerechtigkeit Gottes. Denn der Tun-Ergehen-Zusammenhang, den Gott garantieren sollte, funktionierte einfach nicht mehr 327 . „Gottes Gerechtigkeit erweist sich in der Segnung des frommen und gemeinschaftstreuen Menschen ebenso wie in der Strafe für den Frevler.“328 Aber Hiob kann keine Gerechtigkeit Gottes in seinem Leben und in seiner Umgebung finden. Als Strafe Gottes war Hiobs Leiden nicht zu verstehen, denn er hat sich gemeinschaftreu verhalten. Trotzdem wird er „so behandelt, als hätte er es nicht getan“ 329. Er lehnt sich nicht gegen die Geschöpflichkeit und die Endlichkeit auf. „Nicht die im Vergleich mit Gott deutlich zutage tretende Niedrigkeit und Nichtigkeit des Menschen an sich wird von Ijob beklagt; sie wird vielmehr akzeptiert als anthropologische Grundgegebenheit (9,15b).“330 Deshalb werden in den Reden Hiobs die Grundbedingungen menschlicher Existenz, ihrer Geschöpflichkeit und ihrer Endlichkeit, immer wieder negativ konstruiert. 325 326 327 328 329 330

Vgl. ders., aaO 252. Vgl. ders., aaO 379. Vgl. Remus, Menschenbildvorstellung, 44. Ders., ebd. Ders., aaO 48. Ders., aaO 49. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

302 2.

Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

Geschöpflichkeit

Der Mensch ist ein Geschöpf Gottes. Diese Geschöpflichkeit bezieht sich nicht nur auf ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf, sondern auch auf ein Fürsorgeverhältnis. Der Schöpfer Gott hat eine besondere Verantwortung für sein Geschöpf331. Aus diesem Grund ist die Geschöpflichkeit des Menschen ein Grund zum Klagen, wenn man meint, dass er von Gott schlecht behandelt wird. Die Zerstörung der Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf führt für Hiob zur Mühseligkeit und Hoffnungslosigkeit des menschlichen Lebens: 3

Ist das gut für dich, dass du ungerecht tuest, dass du kein Interesse an der Arbeit deiner Hände hast, und du beim Plan der Frevler strahlst? (Hi 10,3)

8

Deine Hände haben mich gebildet, mich gemacht, allesamt und ringsum – und du verschlingst mich. 9 Bedenke doch, dass du mich wie Lehm gemacht hast und zum Staub lässt du mich zurückkehren. 10 Hast du mich nicht wie Milch hingegossen und wie Käse mich gerinnen lassen? 11 Mit Haut (rA[) und Fleisch (rf'b'W) hast du mich umkleidet, mit Knochen (tAmc'[]b;W) und Sehnen (~ydIygIw>) mich durchflochten. 12 Leben und Treue hast du mir gewährt, und deine Obhut hat meinen Atem bewahrt. (Hi 10,8-12)

In diesem Abschnitt wird nicht nur die Schöpfung der Menschheit insgesamt, sondern auch die Entstehungsgeschichte des eigenen Lebens dargestellt, das auf Gott als Kunstwerk seiner Hände zurückgeführt wird332. In Hi 10,3 klagt Hiob Gott an, dass Gott den Frommen und den Frevler ungerecht behandelt und ein Leben vernichtet, das Gott sich selbst geschaffen hat333. Das Wort „Arbeit“ ([;ygIy>)334 zeigt, dass der Mensch ein mit Mühe geschaffenes Werk ist. Das betont die enge Beziehung des Schöpfers zum Geschöpf Menschen335. Durch seine Vernichtung wird diese Beziehung zerstört. Damit wird die Geschöpflichkeit ein Grund zur Klage. In Hi 10,8-12 findet sich ein persönlicher Schöpfungsvorgang und dessen Vernichtung. Gott hat den Menschen aus Ton gebildet – wie ein Kunstwerk – und wendet ihn wieder zurück zu Staub (V. 8f; vgl. 331

Vgl. Frevel, Menschsein, 18. Vgl. Wolff, Anthropologie, 151. 333 Vgl. Fohrer, KAT XVI, 214. 334 Ges18, 436: 1. Mühe, Arbeit 2. Ertrag der Arbeit, Erwerb a) von Ackerbau, b) von Gottes Schöpfung, c) Besitz, Vermögen. 335 Vgl. Fohrer, ebd. 332

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Menschenbild

Gen 2,7 und 3,19). In V. 10 wird Gott als Käsemacher dargestellt. Er lässt aus Flüssigkeit (Samen?) Festes (Menschen) werden (wie Milch zu Käse gerinnt)336. Mit der Käseallegorie bekräftigt Hiob, dass Gott vom Anfang an schon im Mutterleib den Menschen bildet337. Es geht „um die Unverfügbarkeit und die Herkunft des Lebens wie die Abhängigkeit vom Schöpfer“338. Danach hat Gott ihn mit Haut und Fleisch versehen und mit Konchen und Sehnen durchflochten (V. 11; vgl. Ps 139,13.15). Darüber hinaus hat er seinem Geschöpf Leben und Treue (Solidarität) gewährt, über ihn gewacht und ihn in seine Obhut genommen (V. 12). Mit diesem Vergleich wird vom absoluten Beginn an ein unlösbares personales Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf begründet339. Trotzdem vernichtet Gott sein Werk. Ist Gott nicht von Anfang an der mächtigste und grausamste Feind des Menschen? Hiob kann einen solchen Gott nicht verstehen. Dieser Gedanke führt zum Streit zwischen Mensch und Gott340. Hiob klagt darüber, warum Gott Hiob so schlecht behandelt, obwohl er den Menschen geschaffen hat. Gleichzeitig appelliert er an das Mitgefühl des Menschenschöpfers 341. Denn der Mensch als Geschöpf kann durch seinen Schöpfer am Leben bleiben. Diese Abhängigkeit setzt das Bild eines fürsorglich zugewandten Schöpfergottes voraus342. Drüber hinaus kommt die Geschöpflichkeit des Menschen in den anderen Klagen Hiobs (Hi 14,15; 31,15) vor. Da die Geschöpflichkeit des Menschen sich auf die Abhängigkeit und Niedrigkeit des Menschen bezieht, verwendet Hiob meistens die Geschöpflichkeit des Menschen vor Gott als Grund zur Klage. Gott hat die Kraft und die Macht, damit kann er das Recht diktieren. Aber der Mensch kann sein Recht nicht durchsetzen, denn im Vergleich mit Gott ist der Mensch viel zu niedrig und zu schwach (vgl. 9,2-4.15-20.22f.29-31; 10,15-17).343 Hiob bezeichnet sein Leben als x;Wr (Hi 7,7) und seine Tage als lb,h, (Hi 7,16). In Hi 13,25 wird Gott mit dem Menschen verglichen. Hiob ist ein Nichts und wankt und fällt beim kleinsten Windstoß um. Der Mensch ist als begrenztes Wesen geschaffen. Hiob wird als ein Mensch gezeichnet, „der bis zuletzt zwischen Verzweiflung und Hoffnung, zwischen Resignation und Aufbegehren 336

Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 1, 101. Zum Vergleich der Menschenwerdung mit der Käseherstellung, s. Frevel, Die Entstehung des Menschen, 45ff. 337 Vgl. Frevel, Entstehung des Menschen, 54. 338 ders., aaO 46f. 339 Vgl. ders., aaO 54. 340 Vgl. Wolff, Anthropologie, 151. 341 Vgl. Albertz, Weltschöpfung und Menschenschöpfung, 136. 342 Vgl. Irsigler, Interdependenz von Gottes- und Menschenbild, 360. 343 Vgl. Remus, Menschenbildvorstellung, 49. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

hin- und hergeworfen wird“344. Bei dieser Bewegung versucht er „nicht um Leben, Besitz und Wohlergehen, sondern um den, der dies alles nehmen oder geben kann: um Gott“ 345 zu ringen. Denn Hiob selbst erkennt, dass der Mensch von Anfang an (10,8-11.18) bis zum Ende (6,9; 14,5.20) in Gottes Hand (10,7) ist346. 3.

Endlichkeit

Die Erfahrung der Endlichkeit im Sinne von Sterblichkeit und Vergänglichkeit des Lebens stellt eine der Grundbedingungen menschlicher Existenz „vor Gott“ (coram Deo) dar. Das Wissen um diese Endlichkeit lässt einerseits verzweifeln, anderseits treibt sie dazu an, die noch verbleibende Zeit zu genießen. Der letzte Gedanke bietet eine Perspektive über die Endlichkeit hinaus und kann helfen, die eigene begrenzte Lebenssituation immer wieder neu anzunehmen, die gegebene Zeit trotz der Begrenztheit dankbar zu formen und sein Leben immer wieder als eines zu begreifen, das im Werden ist. Im Gegensatz dazu führt die Leiblichkeit Hiob zum Klagen. Denn im zeitlich begrenzten Leben des Menschen wird der Mensch von Gott gequält und verfolgt: 20 21 22 23 24 25 26

Warum gibt er Licht den Mühseligen und Leben denen, deren Kehle voller Bitterkeit ist, die auf den Tod warten, und er kommt nicht, die nach ihm graben mehr als nach Schätzen, die sich über einen Steinhaufen freuten, die froh wären, wenn sie ein Grab fänden? (Warum) dem Mann, dem sein Weg verborgen ist, und den Gott umklammert hat? Ja, vor meinem Brot kommt mein Stöhnen, und wie Wasser ergießen sich meine Schreie. Ja, einen Schrecken fürchtete ich, und das traf mich, und wovor ich mich fürchtete, das kam über mich. Ich hatte keine Rast und keine Stille, ich konnte nicht ausruhen, es kam eine Unruhe. (Hi 3,20-26)

In Hi 3,20-26 geht es „über sein Schicksal hinaus um die grundsätzliche Frage der menschlichen Existenz angesichts aller Mühsal und allen Leides“347. Während in V. 20-23 die sich nach dem Tod sehnende Situation der Mühseligen in der dritten Person dargestellt wird, wird in V. 24-26 die persönliche verbitterte und heillose Lage 344 345 346 347

Ders., aaO 54. Ders., aaO 58. Vgl. ders., aaO 42f. Gradl, NSK.AT 12, 64. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Menschenbild

Hiobs thematisiert348. Hiob klagt darüber, dass Gott Menschen das Leben schenkt, wo Menschen nichts als Elend und Bitterkeit erleben. Deshalb verwünscht er sein eigenes Leben und ersehnt den Tod. Die einzige Hoffnung, die Rettung aus der Not, ist nicht Gott, sondern der Tod, der nicht kommt349. In Hi 7 bringt Hiob in sehr grundsätzlicher Weise die Mühsal des menschlichen Lebens zur Sprache: 1

Ist nicht Frondienst (ab'c') dem Menschen auf Erden, und sind seine Tage nicht wie die Tage des Lohnknechts (rykif')? Wie ein Knecht (db,[,K.), der nach Schatten lechzt, und wie ein Lohnknecht (rykif'k.W), der auf seinen Lohn wartet? So habe ich zum Erbteil bekommen Monate des Gehaltlosen (aw>v"-yxer>y:), und Nächte der Mühsal (lm'[') sind mir zugeteilt. (Hi 7,1-3)

2 3

Hier wird das Leben des Menschen mit dem Frondienst (ab'c)' , der Welt der Söldner und Tagelöhner verglichen (7,1f). „Der Sklave hofft nicht auf sinnvolle Arbeit, sondern nur auf gelegentliche Erholung von der Arbeit; der Söldner dient nicht für einen guten Zweck, sondern wartet, hofft (V. 3, dazu u. zu 7,6) allein auf Lohn.“350 Dieses unerträgliche Sklaven- und Knechtsleben trifft auch für Hiob zu. Der Erbteil, der von der mühseligen Arbeit geprägt ist, „besteht aus aw>v"-yxer>y: ‚Monden der Wertlosigkeit‘ und lm'[' tAlylew>‚ Nächten der Mühsal‘ (V. 3)“351. Alles Leben des Menschen ist nur mühselig und beladen352. Im Folgenden beklagt Hiob die Kürze und Schnelligkeit des Lebens ohne Ruhe und Hoffnung mit verschiedenen Bildern: 6 7

Meine Tage sind schneller als ein Weberschiffchen, und schwinden ohne Hoffnung. Bedenke, dass mein Leben ein Hauch ist, mein Auge nie zurückkommen wird, Gutes zu sehen. (Hi 7,6-7)

25 und meine Tage sind schneller als ein Läufer, sie sind geflohen, sie haben nichts Gutes gesehen, 26 Sie gleiten vorbei wie Kähne aus Schilf, wie ein Geier, der auf seinen Fraß stößt. (Hi 9,25-26) 19 Wie wenn ich nicht gewesen wäre, so wäre ich, vom Mutterleib wäre ich zum Grab gebracht. 20 Sind nicht nur wenige meine Tage? Hör auf! Lass ab von mir, dass ich ein wenig fröhlich werde. (Hi 10,19-20) 348 349 350 351 352

Vgl. Ha, Frage und Antwort, 55f.82ff. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 30. Ebach, Streiten mit Gott 1, 75. Sedlmeier, Mutterschoß, 302. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 47. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden 1 2

Der Mensch, geboren von der Frau, ist kurz an Tagen und satt an Unrast. Wie eine Blume geht er auf und verwelkt, und er flieht wie ein Schatten und hat keinen Bestand. (Hi 14,1-2)

Das Leben des Menschen bewegt sich rasch wie der Weberschiffchen, Läufer, Kähne und Geier. In diesem schnellen und kurzen Leben findet der Mensch keine Ruhe und Hoffnung. Das Leben ist nur ein Hauch. Die einzige bleibende Erwartung ist nur der von Gott verfügte Tod (vgl. Hi 6,8)353. Daneben werden die mit Grab und Tod assoziierten Maden und Würmer als Bildspender für die Vergänglichkeit heranzogen (Hi 7,5; 17,14)354. Trotzdem gibt Hiob seine menschliche Würde nicht auf und hält an Gott fest, der ihm seine verlorene Würde wiedergeben möge. In diesem Zusammenhang überrascht die Klage Hiobs und die indirekte Aufforderung, dass Gott der Vergänglichkeit des Menschen gedenken soll, nicht 355 . Der Wert des Lebens hängt von der Beziehung zu Gott ab. Deshalb hofft Hiob, dass Gott Hiob doch beisteht und ihn noch vor dem Tod rettet356. Im Alten Israel wie im Alten Orient fungieren solche Klagen über die Vergänglichkeit des Menschen als indirekter Appell an die göttliche Barmherzigkeit357. II.

Die Aussagen über den Menschen

Auf den ersten Blick ist in den Gottesreden über den Menschen und das Menschsein kaum etwas zu finden358. Angesichts dessen, dass Hiob in seinen Reden sehr häufig vom Menschen spricht, ist das sehr ungewöhnlich. In den Gottesreden wird nicht die Schöpfungsgeschichte des Menschen, sondern der Welt dargestellt. In der Weltschöpfung fehlt die Menschenschöpfung. Darüber hinaus kommen keine Aussagen über den menschlichen Lebensraum vor359. Trotzdem sind in den Gottesreden wichtige Aussagen über den Menschen enthalten360. Gott antwortet ganz anders, als Hiob es erwartet. Seine Antwort beginnt mit einer gewaltigen Wettererscheinung und dann folgen 353 354 355 356 357 358 359 360

Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 1, 77. Vgl. Klingler, Jägern und Gejagten, 148 und s. dazu oben 128.135. Vgl. van Oorschot, Menschenbild, 327. Vgl. Sedlmeier, Mutterschoß, 302. Vgl. van Oorschot, aaO 327. Vgl. Remus, Menschenbildvorstellung, 84. Bauks, Mensch, 4. S. dazu Remus, Menschenbildvorstellungen, 86. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Menschenbild

Fragen: „Wer ist es? (hz< ymi)“. Die erste Frage führt Hiob dazu, sich zu überlegen, wer der Mensch ist, der Gott in Frage stellt361. In Form der rhetorischen Frage stellt Gott dem ihn anklagenden Hiob eine Frage, wer der Mensch ist. Auf dieser Frage folgt das Thema vom Menschen 362 . Obwohl die Fragen Gottes scheinbar auf ein Nicht-Wissen Hiobs zielen, soll Hiob dieses Gesamtbild Stück für Stück entdecken363. 1.

Der Mensch als Geschöpf

Die Gottesreden enthalten eine regelrechte Schöpfungstheologie364. Trotzdem gibt es keine direkte Schöpfungsgeschichte des Menschen. Nur in der zweiten Gottesrede kommt die Menschenschöpfung indirekt vor: 15

Sieh doch den Behemot, den ich geschaffen habe mit dir! Gras frisst er wie das Rind. (Hi 40,15)

Hier wird gesagt, dass Gott den Behemot mit Hiob geschaffen hat. Hiob ist auch ein Geschöpf Gottes wie Behemot. Beide gehören zu Gottes Welt 365 . Obwohl Gott hier über die Geschöpflichkeit des Behemots sagen will, wird Hiob (der Mensch) als Geschöpf Gottes einmalig in den Gottesreden dargestellt. Dass der Mensch ein Geschöpf des Schöpfers ist, kann man auch in der ersten Frage Gottes an Hiob im Rahmen der Weltschöpfung finden: 4 5 6

Wo warst du, als ich die Erde gründete? Erzähle es mir, wenn du die Einsicht weißt! Wer setzte ihre Maße, du weißt es doch! oder wer spannte über ihr die Maßschnur aus? Worauf sind ihre Pfeiler eingesenkt? oder wer hat ihren Eckstein gelegt? (Hi 38,4-6)

In diesen Versen fragt Gott Hiob, ob er vor der Schöpfung existiert hätte. Diese Frage weist darauf hin, dass Gott den Menschen (Hiob) 361

S. dazu ders., aaO 87. Vgl. ders., ebd.: „Dieses hz< ymi ist gleichsam das Thema für die Ausführungen, die auf 38,2 folgen. Immer wieder geht es letztlich um die Frage: Wer ist der Mensch, dass er solche Vorwürfe gegen Gott vorzubringen wagt? Und indem Gott diese Frage an den Menschen richtet, fordert er ihn auf, sich seiner eigenen Situation bewusst zu werden: Wer bist du, dass du dich mir gegenüberstellst?“ 363 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 329f. 364 Vgl. Keel / Schroer, Schöpfung, 198ff. 365 Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 2, 148. 362

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

geschaffen hat. Denn bei der Gründung der Erde existierte kein Mensch. Danach wurde der Mensch von Gott geschaffen. Diese Frage Gottes zielt darauf, dass Hiob selbst die Standortbestimmung seiner selbst als Geschöpf vornehmen muss, weil die Schöpfung der Gott-Mensch-Beziehung vorausgeht und auch nicht darauf zuläuft366. In den beiden Gottesreden handelt es also sich um die Macht und die Einsicht Gottes in Bezug auf das Schaffen und Bewahren der Welt und ihrer Bewohner. Deshalb redet Gott von seiner Welt und seinen Geschöpfen. Bestimmte Tiere mit außerordentlichen Eigenschaften sind dem Menschen überlegen. Dies gilt unter den wild lebenden Tieren für den Löwen und den Adler. Vor allem durch die Aussage über die Tiere in der ersten Gottesrede stellt sich Gott als derjenige dar, der sich um seine Geschöpfe (Tiere) kümmert und für sie sorgt. Dazu wird in der zweiten Rede Gottes seine Freude über die beiden Ungeheuer (Behemot und Leviathan) dargestellt: „Die Beschreibung der Straußenhenne und des Rosses (Hi 39,13ff), des Nilpferds (behemot: 40,15ff) und des Krokodils (liwyatan: 41,4ff) vermitteln einen Eindruck von der eigenen Würde dieser Kreaturen. Damit deutet sich in den Gottesreden die Möglichkeit an, die Würde des Menschen noch umfassender zu konzipieren (…) als Würde der Geschöpflichkeit, die der Mensch grundsätzlich mit allen anderen Geschöpfen Gottes teilt.“367

Die Fürsorge Gottes für die Tiere kann Hiob zur Erkenntnis führen, dass Gott sich um den Menschen Hiob kümmert, weil er auch ein Geschöpf Gottes ist. Darüber hinaus ist Hiob ein Gesprächspartner Gottes. Die Aufmerksamkeit Gottes richtet sich auf Hiob, obwohl er als Mensch klein und hinfällig ist 368 . Gott hat die Würde des Menschen nicht weggenommen, wie Hiob in seinen Reden behauptet hat. Durch die Darstellungen der Tiere weist Gott darauf hin, dass er nicht nur die Würde der Tiere, sondern auch die Würde des Menschen bewahrt. Diese Schöpfungswelt Gottes zeigt die Niedrigkeit und Nichtigkeit des Menschen369. Als Geschöpf muss Hiob seine Grenze akzeptieren. Durch diese Erkenntnis kann er erreichen, dass der Mensch vor Gott klein und winzig ist. „Die Bilder zu Schöpfung und Weltordnung dienen dazu, das Nicht-Wissen Hiobs zu unterstreichen.“370 Hiob hat keine Einsicht und Macht wie Gott. Durch den Abstand zwischen 366

Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 352f. Krüger, Elend und Würde, 278. 368 Nach H. Schnieringer, Psalm 8, 233 ist es die „Gnade, die darin besteht, dass dieser so große Gott sich dem so klein / hinfälligen Menschen zuneigt“. 369 Vgl. Remus, Menschenbildvorstellung, 91. 370 Bauks, Der eine Schöpfung, 109. 367

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Menschenbild

Gott als dem Schöpfer und dem Menschen als Geschöpf wird die Beziehung der beiden herausgestellt371. Die rhetorischen Fragen Gottes in den Gottesreden führen Hiob an die Grenzen seiner Fähigkeit und Erkenntnismöglichkeiten372. Auf die Fragen Gottes kann Hiob nicht antworten und auch die Aufforderung Gottes kann er nicht erfüllen. Die rhetorischen Fragen und der Imperativ zeigen Hiob, „dass er als Mensch in die Schranken der Schöpfer gewiesen ist, und führt ihm Gottes Macht vor Augen“373. Es gibt die Grenze von Gott und Menschen und auch die zwischen Menschen und anderen Kreaturen. Im Gegensatz zum souveränen Schöpfer, der Allmacht und Allwissenheit hat, zeugen die Gottesreden von der Ohnmacht und Unwissenheit des Menschen374. Durch die Erkenntnis des Menschen von der Geschöpflichkeit vor dem Schöpfer entsteht die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf375. Nach langen Fragen kann Hiob bestätigen, dass Gott als Schöpfer und Lenker seine Geschöpfe (einschließlich des Menschen) gut behandelt. Damit kann er seine Identität und Würde vor Gott in Bezug auf die gesamte Schöpfung wiederfinden. 2.

Keine Anthropozentrik

In den Gottesreden wird nicht explizit vom Menschen gesprochen. Vielmehr werden Tiere genannt, die von der Menschenwelt entfernt und nach menschlichem Nützlichkeitsmaßstab nicht bewertbar sind 376. Das weist darauf hin, dass Hiob und damit der Mensch schlechthin aus ihrer Mittelpunktstellung herausgestoßen werden. Damit versucht Gott, Hiob von seinem Leiden in den Horizont der kosmischen Ordnung zu lenken. Denn Hiob „hat sein eigenes Geschick zum Maßstab gemacht und hat damit den Plan, der das Ganze durchwaltet und zusammenhält, verdunkelt“377. Hiob muss bestätigen, dass Gott nicht nur Gott für den Menschen, sondern auch für andere Geschöpfe (z.B. Tiere) ist. Durch Nicht-Anthropozentrik kann Hiob Gott, seine Schöpfungswelt und den Menschen (Hiob selbst) genauer verstehen378. In Hi 38,25-27 wird auf den anthropozentrische Gedanken verzichtet: 371

Vgl. Preuß, Einführung, 91. Vgl. Remus, Menschenbildvorstellungen, 88. 373 Heckl, Hiob, 192. 374 Vgl. Remus, aaO 113. 375 „Schöpfer und Geschöpf sind diesem theologischen Konzept nach miteinander nicht ohne weiteres kompatibel“, Bauks, Der eine Schöpfung, 105. 376 Vgl. Preuß, Einführung, 91. 377 Rendtorff, Theologie, 326. 378 Vgl. Jones, Corporeal Discourse, 854. 372

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden 25 26 27

Wer hat der Regenflut einen Kanal gegraben und einen Weg für die Gewitterwolke, um regnen zu lassen auf Land, wo kein Mann ist, auf Steppe, in der kein Mensch ist, um Verwüstung und Zerstörung zu sättigen und um frisches Gras sprießen zu lassen? (38,25-27)

In diesem Abschnitt geht es um den Weg des Regens in die Wüste379. Gott lässt da regnen, wo kein Mensch ist. Dieses Bild enthält einen nicht-anthropozentrischen Ton 380 . „Die menschenleere und doch blühende Wüste ist Bild einer Schöpfung, die nicht dem Kriterium des Nutzens für die Menschen folgt.“381 Durch den Regen in der Wüste wachsen die Pflanzen und dienen sie wilden Tieren als Nahrung. Die Welt ist nicht nur für Menschen, sondern auch für andere Geschöpfe geschaffen. Die Welt geht nicht auf in ihrer Zweckbestimmung für den Menschen382. Der Mensch ist auch Teil der Welt. In der ersten Gottesrede geht es um die Tiere, die eine Welt repräsentieren, die nicht anthropozentrisch ist383. „Gottes Fürsorge und überlegene Macht erstreckt sich auch und gerade auf diese menschlicher Macht entzogenen Bereiche.“ 384 Die anthropozentrischen Positionen Hiobs und seiner Freunde werden zugunsten einer durchaus souveränen und vernünftigen Sorge in den Hintergrund gestellt, „die sich nicht nur auf den Menschen, sondern auf die ganze Schöpfung erstreckt“385. Gott macht Hiob deutlich, dass er sich nicht nur um die Menschen, sondern auch um andere Geschöpfe kümmert, die von der Menschenwelt entfernt und gefährlich sind 386 , aber auch zu dem Kosmos, den Gott will, gehören 387 . In der Welt gibt es ganz andere Dimensionen von Ordnung, Sinn und Schönheit, auf die Hiob und seine Freunde in ihrer Diskussion fixiert waren388. So muss Hiob „lernen, dass die Schöpfungsordnung nicht allein auf menschliche Bedürfnisse hin zugeschnitten ist“389. 379

Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 232. Vgl. Ebach, Streiten mit Gott 2, 130 und Jones, Corporeal Discourse, 856. 381 Ders, ebd. 382 Vgl. Kessler, Welt aus den Fugen, 645. 383 Vgl. Ebach, Leviathan und Behemoth, 68: „Sind jene 10 die Repräsentanten einer nichtantropozentrischen Welt, so stehen die beiden der zweiten Gottesrede für die gegenmenschliche.“ 384 Oeming, Begegnung mit Gott, 97. 385 Keel, Weltbilder, 43. 386 Vgl. Krüger, Gott und das Leid, 220. 387 Vgl. Oeming, Begegnung mit Gott, 115. 388 Vgl. Krüger, Hiob, 1141f. 389 Keel / Schroer, Schöpfung, 211. 380

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Menschenbild

Darüber hinaus ist der nicht anthropozentrische Aspekt in den Darstellungen der einzelnen Tiere präsentiert: 7

Er (sc. Wildesel) verlacht das Gewühl der Stadt, das Geschrei des Treibers hört er nicht. (Hi 39,7)

18 In dem Moment, da sie (sc. Straußenhenne) in die Höhe schnellt, verlacht sie das Pferd und seinen Reiter. (Hi 39,18) 21 Wie Halme erscheinen ihm (sc. Leviathan) Knüppel, und er verlacht das Rasseln des Spießes. (Hi 41,21)

Die oben genannten Tiere (Wildesel und Straußenhenne) spotten und verlachen die Welt der Menschen (39,7.18). In der zweiten Gottesrede verlacht auch der Leviathan die Waffentechnik des Menschen (41,21) 390 . In diesen Aussagen wird die Anthropozentrismus in Frage gestellt. Jedes Geschöpf hat seinen eigenen Platz in der Schöpfungswelt. Der Mensch steht nicht im Zentrum der Schöpfungswelt und ist nicht das Maß aller Dinge391. Die Botschaft der Gottesreden ist, dass der Mensch nicht der Maßstab für Gottes Ordnung ist, sondern dass er unter Gott steht, neben den anderen Geschöpfen (einschließlich ihrer chaotischen Mächte)392. Die menschliche Existenz wird als eine Daseinsform unter vielen verstanden393: „Ijob soll von seinem einseitig anthropozentrischen Standpunkt, bei dem er sich als Haupt und Ziel der Schöpfung gefühlt hat, abgebracht und von seiner Anmaßung, in der er sich rebellierend vor Gott aufgepflanzt hat, in seine Kreatürlichkeit zurückgeführt werden.“394

Die Begegnung mit JHWH öffnet gleichsam einen weiteren Horizont. Hiob findet sich nicht im Zentrum seiner Erfahrung und Weltdeutung, sondern in einem größeren Zusammenhang mit der ganzen Schöpfung395. Der Mensch muss seine Grenzen erkennen und anerkennen. Dass Hiob, als der im Selbst gefangene Mensch, von sich weg auf ein anderes verwiesen wird, kann auch ein Trost sein396. 390

Vgl. Oeming, aaO 100. Vgl. Krüger, Gott und das Leid, 220. 392 Vgl. Oeming, Begegnung mit Gott, 116f. 393 Vgl. Bauks, Mensch, 4f, s. dazu dies, Der eine Schöpfer, 109. 394 Keel, Jahwes Entgegnung, 45. 395 Vgl. Engljähringer, Theologie, 181 und Neumann-Gorsolke, Herr der Tiere, 147: „Die Perspektive des Schöpfers hat die gesamte Schöpfung im Blick und geht außerdem über die menschlichen Sicht Hiobs und seiner Freude hinaus.“ 396 Vgl. Lux, Narratio – Disputatio – Acclamatio, 98 und Bauks, Der eine Schöpfer, 112: „Die Botschaft der Gottesreden ist eigentlich eine den Menschen 391

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312 3.

Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

Der klagende Mensch

Im Alten Testament kommt der Mensch als Gott preisender Mensch und gleichzeitig als klagender Mensch vor. Obwohl in den Gottesreden Gott nicht vom Menschen geredet hat, reagiert Gott auf den klagenden Menschen Hiob. Gott beantwortet auf der Beziehungsebene positiv die Klage Hiobs, die Hiob gegen Gott gerichtet hat397. Die Klage Hiobs gehört zum Dialogcharakter, durch den im Alten Testament das Fehlen eines einheitlichen Menschenbildes aufgewogen wird. Dabei gibt es den Dialog des Menschen mit Gott (Klage- und Danklieder) und Gottes mit dem Menschen (JHWHs Entgegnung an Hiob in Hi 38-41)398. Gott bestätigt die Klage des Menschen als Recht vom vollkommenen Menschsein. Hiob darf zu Gott über Gott klagen. Aus diesem Grund sagt Gott, dass Hiob richtig zu Gott geredet hat (Hi 42,7). Im Gegensatz zu Hiob werden die Freunde Hiobs von Gott getadelt. Insofern wird Hiobs Klage „als eine dem Leid angemessene menschliche Verhaltensweise legitimiert“399. Hiob wird in dem ganzen undurchschaubaren Universum als klagende Person vom Herrn des Universums ernstgenommen400. Die Gottesreden bringen eine direkte Kommunikation zwischen Gott und dem klagenden und anklagenden Hiob zum Ausdruck. Dabei nimmt der persönliche Gott eine Rolle als Angeklagter Hiobs ein. Niemals steht Gott auf der Seite des Satans und der Freunde Hiobs, sondern auf der Seite Hiobs401. Das ist für Hiob offenbar ein Trost402. Durch die Zuwendung Gottes, der Hiobs Klage anerkannt hat, kann Hiob seine verlorene Würde wieder finden403. III.

Fazit

Wie in den anderen Stellen des Alten Testaments weist das Menschenbild des Hiobbuches „auf ein Menschenverständnis, in dem geistige, emotionale und körperliche Funktionen des Menschen unlösbar zusammengehören“ 404 . Darüber hinaus ist das Sein des entlastende, weil er nicht Dreh- und Angelpunkt der ganzen Welt zu sein braucht, und damit ist es eine tröstliche Botschaft.“ 397 Vgl. Heckl, Hiob, 203f. 398 Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 10 und ders., Mensch, 1057. 399 Schwienhorst-Schönberger, Ijob, 991. 400 Vgl. Willi-Plein, Ein untadeliger Mensch, 564, 401 Vgl. Lux, Weisen Israels, 108. 402 Vgl. Heckl, Hiob, 205. 403 Vgl. Krüger, Elend und Würde, 278. 404 Albertz, Mensch II, 466. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Menschenbild

Menschen ohne den Gemeinschafts- und den Gottesbezug nicht denkbar405. Jeder Mensch gehört einer Gemeinschaft an. Vor allem die Gottesbeziehung des Menschen ist wesentlich. „Die GottMensch-Beziehung ist in erster Line durch die Relation SchöpferGeschöpf bestimmt, nicht durch kultisches Wohlverhalten, Gerechtigkeit oder auch Bedürftigkeit.“406 Im Rahmen der Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf führt die Geschöpflichkeit zur Größe und Herrlichkeit des Schöpfers. Die Reden Hiobs vom Menschen geht von der Lebensminderung aus: „Das Ijob-Buch steht in seiner anthropologischen Aussage an einem dramatischen Wendepunkt. Gerade das Leid wird zum Vehikel, um die Frage nach dem Wert des menschlichen Lebens grundlegender anzugehen und das Verständnis der Würde des Menschen auf eine neue Basis zu stellen.“407

Die Ursache für die Lebensminderung bezieht sich auf das Gottesbild, das Hiob im Leiden erfahren hat408. Für Hiob scheint Gott die Welt- und Lebensordnung nicht zu garantieren. Vielmehr agiert er ohne Grund als Feind gegen Hiob. Damit soll Hiob als Unschuldiger durch Gott leiden. Die Verwendung von menschlichen Merkmalen rXb, Xpn oder xwr zeigt das ganze Elend Hiobs (Hi 7,5; 10,1; 17,1) 409 . Aus diesem Grund verliert er seine menschliche Würde vor Gott. Damit führt diese Lebensminderung Hiob zu (An)Klagen. Trotzdem hält Hiob daran fest, dass ein Leben im Vollsinn nicht durch Mühsal, Krankheit, Einsamkeit, Trauer, Seufzen, Weinen, Unruhe, Finsternis, Dunkel usw. belastet und beschwert, sondern durch Kraft, Gesundheit, Freude, Gemeinschaft, Lachen, Ruhe, Frieden, Sorglosigkeit, Wohlergehen und vor allem durch eine geklärte, intakte Gottesbeziehung gekennzeichnet sein soll410. Durch Streiten mit Gott versucht Hiob seine verlorene Würde wiederzufinden. Hiob appelliert in seiner Todesbedrohung an seinen Schöpfer, um ihn zu bewegen, sein liebevoll geschaffenes und behütetes Geschöpf nicht preiszugeben. Denn er ist sich dessen bewusst, dass die Vertrauensbeziehung zu Gott jedem Menschen bei der Geburt mit dem Leben selbst gegeben ist411. Hiobs Klage verbindet sich „mit einer letzten Hoffnung, dass sich Gott am Ende erneut als gerecht 405 406 407 408 409 410 411

S. dazu Janowski, Mensch, 1058. Schmid, Hiob, 79. Sedlmeier, Mutterschoß, 310. Vgl. van Oorschot, Menschenbild, 323f. Vgl. ders., aaO 329f. Vgl. Remus, Menschenbildvorstellung, 60. Vgl. Albertz, Mensch II, 471. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

und weise erzeige“412 und ihm seine Menschenwürde wieder verleihe. In den Gottesreden wird kaum vom Menschen geredet. Vielmehr werden Natur und Tiere in Frageformen dargestellt. Mit seinen Fragen verweist Gott Hiob auf seine Stelle, was oder wer er als Mensch in Bezug auf Gott und seine Schöpfungswelt ist. Von Anfang an setzen die Gottesreden voraus, dass Gott der Schöpfer und der Mensch das Geschöpf ist. Sie beziehen sich aber auf die „Ohnmacht und Unwissenheit des Menschen im Gegensatz zur Allmacht, Allwissenheit und souveränen Schöpfergröße Gottes und wollen den Blick frei machen für eine realistische Sicht des Menschen und seiner Situation“413. Damit kann der Mensch seine Grenzen erkennen und anerkennen. Gott verweist den Menschen in seine Grenzen und führt ihm seine menschliche Existenz vor Augen. Wie in Ps 8 geht es in den Gottesreden nicht um den Menschen an sich, sondern um die Relation von Schöpfer und Geschöpf414. Dazu wird Hiob von Gott über seine eigene Erfahrung und Leiden hinaus in die gesamte Schöpfungswelt eingeordnet. Die Erde ist nicht nur für den Menschen, sondern auch für die Tiere da. In den Gottesreden gibt es keinen anthropozentrischen Bereich. Der Mensch muss seinen Platz neben den Tieren in der ganzen Schöpfung finden. Angesichts der Gottesreden, in denen es keine direkte Antwort auf Hiobs Fragen gibt, braucht Hiob (der Mensch) nicht zu verzweifeln. Er kann die Hoffnung und den Trost in der Tatsache finden, dass sich der große Gott ihm zuwendet und ihn in seiner Klage akzeptiert. Gott legitimiert Hiobs Klage als eine dem Leid angemessene menschliche Verhaltensweise415. Damit wird der Sinn des Lebens für Hiob wieder hergestellt. In den Hiobreden und Gottesreden wird keine dem Psalm 8 widerstreitende negative oder pessimistische Anthropologie entwickelt. Vielmehr wird der Mensch als der in Ps 8 geschilderte gezeichnet416. Ps 8 wird als anthropologischer Grundlagentext im Hiobbuch bestätigt 417 . In diesem Zusammenhang zeigt Gott Hiob durch die Behandlung seiner Geschöpfe, dass er für diese sorgt. Das deutet darauf hin, dass Gott auch den Menschen, sein Geschöpf, nicht im Stich lässt. 412 413 414 415 416 417

van Oorschot, Gottes Gerechtigkeit, 208. Remus, aaO 113. S. dazu Janowski, Mensch, 9. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Ijob, 991. Vgl. Frevel, Menschenwürde, 269. Vgl. ders., aaO 268. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

Zusammenfassung

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Die Gottesreden führen Hiob dazu, dass der Mensch (Hiob) auch in seinem Leiden (im Staub und in der Asche) getröstet werden kann (Hi 42,6). In Leid und Elend kann Hiob seine menschliche Würde behalten 418 . Die Menschenwürde wird nicht durch das Leid zerbrochen. Denn sie ist nicht auf die Situation des Menschen, sondern auf die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen zurückzuführen. Die Würde des Menschen gründet in der Zuwendung Gottes419. D)

Zusammenfassung

Was ist der Zweck der Gottesreden? Ab Hi 38 hat Gott angefangen, zu Hiob zu reden. Das ist die Antwort Gottes auf die Klage Hiobs. Seit Hi 3 sucht Hiob den persönlichen Gott, der ihm schließlich antwortet und der nach ihm fragt 420 . Aber es scheint, dass die Antwort Gottes anders ausfällt, als Hiob und auch seine Freunde erwartet haben421. In den Gottesreden wird das Leiden nicht erklärt und nicht begründet, sondern in eine neue Perspektive gerückt422. 1. Als Hauptthema der Hiobreden steht das Problem der menschlichen Existenz im Leiden423. Nach der Leiderfahrung sieht Hiob nur im Rahmen des Leides die Welt, Gott und sich selbst. In diesem Punkt ist die Auseinandersetzung zwischen der alten und neuen Theologie entstanden. Es sind lange „Gespräche, Diskussionen und Debatten über theologische Problemstellungen“ 424 . Das Hiobbuch versucht Welt-, Menschen- und Gottesbilder radikal infrage zu stellen und damit zu korrigieren425. Die Leiderfahrung Hiobs führt ihn dazu, dass die Ordnung der Welt nicht mehr stabil, Gott kein guter Schöpfer und das Menschsein des Menschen sinnlos ist. Hiob konnte seine alten Gedanken, anders als seine Freunde, nicht beibehalten, als ob er kein Leid erfahren hätte. Die Dinge, die vor dem Leid gepriesen werden konnten, sind jetzt 418

Vgl. Krüger, Elend und Würde, 278f. Vgl. van Oorschot, Menschenbild, 320. 420 Vgl. Hermisson, Notizen zu Hiob, 135. 421 Vgl. Fohrer, Gottes Antwort, 11. 422 Vgl. Ebach, Hiob / Hiobbuch, 370. 423 S. dazu Fohrer, KAT XVI, 549: „Als Hauptthema ergab sich sowohl für die als Rahmenerzählung verwendete Hioblegende als auch für die Hiobdichtung selbst das Problem der menschlichen Existenz im Leide. Es geht in erster Linie nicht um die Frage nach Ursprung, Grund und Berechtigung des Leides, sondern um die Frage, wie man sich in ihm verhalten soll. Das existentielle Problem ist die Frage nach dem rechten Verhalten im Leide.“ 424 Leuenberger, Konsequente Erfahrungstheologien, 35. 425 Vgl. Lux, Hiob, 16. 419

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

der Gegenstand der (An)Klagen geworden. Für Hiob ist Gott ein himmlischer Tyrann, der die Welt willkürlich beherrscht und die Krone auf dem Haupt des Menschen entfernt hat. Trotzdem gibt Hiob das Vertrauen zu Gott nicht auf, sondern hält weiter an ihm fest. Auch seine Menschenwürde legt er nicht ab, obwohl seine Lage ähnlich wie die der Maden und Würmer ist. Hiob klagt über seine Situation und fordert Gott auf, die verlorene Menschenwürde wieder herzustellen. Als Hiob die Begegnung mit Gott wünscht, fängt Gott an, zu ihm aus dem Wettersturm zu sprechen. Aber die „Gottesreden bieten keine ‚Lösung‘ der aufgeworfenen Diskrepanz, sie schreiten über das Problem hinweg“426. Auf die (An)Klage Hiobs gehen die beiden Gottesreden nicht ein: „Die Gottesreden zeigen weder den Grund noch den Zweck noch die Notwendigkeit von Hiobs Leiden auf. Wohl aber stellen sie Hiobs Geschick in eine neue Perspektive, die die Grenze der Frage nach Grund, Zweck und Notwendigkeit bezeichnet.“427

2. Auch wenn es keine Antwort auf die Ursache des Leidens gibt, konnte das Leiden zu ganz neuen Erkenntnissen und Einsichten führen428. Gott führt Hiob die Schöpfungswelt, ihre Erscheinungen und die Tierwelt vor Augen. Die Gottesrede beginnt mit dem Verweis, d.h. Hiob hat „ohne Einsicht“ gesprochen (Hi 38,2). Diese Rede Gottes weist darauf hin, dass Gott durch seine Reden Hiob Einsicht geben will. Hinter dieser Einsicht steht das Problem der Beziehung Hiobs zu Gott und Welt. Die Gottesreden fordern Hiob dazu auf, „sich in dieser Welt und im Gegenüber Gottes neu zu positionieren“429. Damit kann Hiob eine neue Vorstellung von der Welt, von Gott und von sich selbst bekommen. a) Weltbild Gegen Hiobs Vorwurf, es gebe keinen Plan Gottes für die Welt, argumentiert Gott in der ersten Rede, dass er selbst nach seinem Plan die Welt verwaltet und für die Lebewesen auf der Erde sorgt. In der zweiten Rede bestreitet Gott Hiobs Klage, dass die Welt ins Chaos gesunken und in die Hand eines Frevlers gegeben sei. Aber die Gottesreden sagen nicht, dass die Chaosmächte endgültig vernichtet sind. In der Tat gibt es chaotische Mächte auf der Erde. Sie werden von Gott nicht einfach beseitigt, sondern eingegrenzt 430. Man muss 426 427 428 429 430

Freuling, Tun-Ergehen-Zusammenhang, 274. Ebach, Hiob / Hiobbuch, 370. Vgl. Wehrle, Der leidende Mensch, 182. Müllner, Erkenntnis im Gespräch, 177. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 149. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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hinnehmen, dass das Böse ein Teil der dynamischen Welt ist und damit der Chaoskampf ein ständiger Prozess ist431. Trotzdem bleibt die Welt in der Herrschaft Gottes weiterhin bestehen. Das ist ein Rätsel der dynamischen Welt. b) Gottesbild Gott ist für Hiob ein Gewalttäter, der willkürlich seine Geschöpfe behandelt, indem er den Gerechten verfolgt, jagt und tötet. In Hi 9,21 behauptet er, „dass Gott im Prinzip selbst ein Frevler sei“432. Hinter dieser Klage steht die Voraussetzung, dass Gott Schöpfer und Hiob Geschöpf ist. Auf die Frage Hiobs „Wer ist Gott?“, antwortet Gott zuerst als Schöpfer und Erhalter. Damit wird die monotheistische Tendenz der Hiobdichtung unterstrichen433. Dabei offenbart er sich als Herr des Himmels und der Tiere, der den ganzen Kosmos nach seinem Plan lenkt und für Nahrung seiner Bewohner sorgt. Im Vordergrund der Gottesreden steht „die Verteidigung der Freiheit und Unverfügbarkeit Gottes und damit des Gottseins Gottes und des Menschseins des Menschen“434. Gott ist es, der den Menschen übersteigt und sich denen Fähigkeiten entzieht. Dennoch kommt er als persönlicher Gott zu Hiob, der sich immer wieder Gott als Retter, Zeuge und Bürge gewünscht hat. Gottes rhetorische Frage wecken die Unwissenheit Hiobs und gleichzeitig das Vertrauen Hiobs als des Geschöpfes zu seinem Schöpfer435. Damit bestreitet Gott den Vorwurf Hiobs, dass er ein Gewalttäter oder Frevler ist436. c) Menschenbild In Hi 7,17f fragt Hiob „Was ist der Mensch?“ Im Gegensatz zu Ps 8 drückt diese Frage ein skeptisches Menschenbild aus. Anstatt auf die Frage Hiobs zu antworten, fragt Gott Hiob in rhetorischer Frageform, ob er Einsicht und Macht wie Gott über die Natur und die Tiere habe. Auf diese Frage konnte Hiob nur mit „Nein“ bzw. mit „nur Gott“ antworten oder wie bei der ersten Antwort Hiobs, nur stumm bleiben (40,4f). Vor Gott ist er nur ein Geschöpf. Durch das Bild des „Beschützers und Versorgers der Tiere“ zeigt Gott, dass die Welt nicht nur für den Menschen, sondern auch für die anderen Geschöpfe geschaffen ist. Damit bestreitet Gott den Anthropozentrismus. Trotzdem wendet er sich als Schöpfer Hiob 431 432 433 434 435 436

Vgl. Kegler, Gürte wie ein Mann, 231. Heckl, Hiob, 200f. Vgl. ders., aaO 368. van Oorschot, Gott als Grenze, 209. Vgl. Lux, Weisen Israels, 116. S. dazu Hermisson, Notizen zu Hiob, 137f. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730536 — ISBN E-Book: 9783788730543

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

zu und akzeptiert den Menschen als einen klagenden. Die Klage ist eine dem Leid angemessene menschliche Verhaltensweise. Damit wird die Menschenwürde Hiobs wieder hergestellt. So zeigen die Gottesreden, dass der Mensch in seiner Beziehung zu Gott seine Identität bewahren kann437. 3. Nach der ersten Gottesrede verzichtet Hiob auf die weitere Rede mit Gott, „weil er einsieht, dass er Gott weit unterlegen ist (40,3-5). Gott aber will nicht, dass sich Hiob seiner Ü bermacht unterwirft. Hiob soll zur Einsicht kommen, dass er bei seinen Anklagen gegen Gott von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Deshalb fordert JHWH ihn erneut dazu auf, sich der Auseinandersetzung zu stellen (40,67)“438.

In der zweiten Antwort Hiobs (Hi 42,1-6) auf die zweite Rede Gottes reagiert Hiob endgültig. Diese zweite Antwort Hiobs zeigt, dass er die Gottesreden akzeptiert: „Die letzte Rede ist somit der Höhepunkt und Abschluss des Dialoges zwischen Gott und Hiob, wo sich die Veränderung, die die Gottesreden bei Hiob bewirkt haben, zeigen.“439

Bei dem zentralen Thema der Gottesreden geht es um die neue Erkenntnis Hiobs über die Welt, Gott und den Menschen. Nach den langen (An)Klagen begegnet er Gott und hat eine neue Wahrnehmung gefunden. Damit erkennt er Gott als Schöpfer an und steht sich selbst als Geschöpf 440 . Während früher Hiob Gott nur im Zusammenhang des Tun-Ergehen-Zusammenhangs sah, kehrt er nun zu dem wahren Gott um (42,5-6)441. Die Gottesbegegnung bzw. die Gottesschau führt dazu, dass Hiob seine Weltsicht, seine Gottesbeziehung und seine Einstellung zum Menschen ändert und durch eine neue Vorstellung ersetzt442. 4. In den Antworten Hiobs (40,3-5; 42,1-6) übt Hiob nicht nur einen Streitverzicht, sondern er ist getröstet, obwohl die Fragen nach dem Grund des menschlichen Leidens und der Ungerechtigkeit der Welt in den Gottesreden tatsächlich keine Lösung finden. Für Hiob 437

Vgl. Gradl, NSK.AT 12, 362. Krüger, Hiob, 1142. 439 Heckl, Hiob, 202, vgl. auch van Wolde, Job 42,1-6, 248ff und Kaiser, Leiden und Gott, 61. 440 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 326. 441 Vgl. Fohrer, Studien, 134. 442 Vgl. Müllner, Erkenntnis im Gespräch, 180. 438

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sind diese Fragen nicht mehr wichtig (42,6a: „Darum liegt mir nichts mehr daran und ich bin umgestimmt“). Denn die Gottesreden öffnen Hiob den Blick auf das Ganze der Welt. Durch die wiederhergestellte Beziehung zu Gott hat er eine neue Einsicht gewonnen, die sich auf die Dynamik der Welt und den barmherzigen Gott bezieht. 5. Trotzdem bleiben die Probleme, die Hiob gestellt wurden, offen443. Hiob findet die Antwort auf die in seinem Herzen brennende Frage in der vertrauensvollen Gemeinschaft mit Gott444. Er erkennt, dass die Welt, Gott und der Mensch nicht an seinem eigenen, sondern nur am Maßstab Gottes gemessen werden können. Damit kommt er von seinem Anspruchsdenken weg 445 . Obwohl Hiobs Lage sich äußerlich nicht geändert hat (Hi 42,6b), hat sich innerlich eine grundlegende Wandlung vollzogen. Weil er die persönliche Gemeinschaft mit Gott in sich trägt, kann er sein Geschick ertragen446. In der Tat wird Hiob von Gott positiv beurteilt. Weil die drei Freunde zu Gott nicht Richtiges wie Hiob geredet haben, gibt Gott Hiob Recht (Hi 42,7f). Dabei erhält er wieder den Titel „mein Knecht“ (Hi 42,7f), dessen Gebrauch die enge Beziehung zwischen Gott und Hiob unterstreicht447. Das bedeutet, dass Gott die (An)Klage Hiobs als „eine menschliche legitime Haltung“ anerkennt448. Die Beziehung Hiobs zu Gott ist damit wieder hergestellt. 6. Das Opfer der Freunde und die Fürbitte Hiobs für seine Freunde symbolisieren nicht nur Hiobs Recht, sondern auch die Wiederherstellung der Beziehung zwischen Hiob, den Freunden und Gott449. Gleichzeitig weisen sie auf die Versöhnung mit Hiob selbst hin. Denn Hiob hatte auch früher den gleichen Gedanken wie seine Freunde. Darüber hinaus besuchen alle Brüder, Schwestern, und Bekannte Hiob, um ihn zu trösten (Hi 42,11). Damit werden alle Beziehungen zwischen Hiob und seiner Umgebung neu hergestellt. Die Gottesreden führen Hiob zum Trost in Bezug auf Gott und zur Wiederherstellung seiner Beziehung mit Freunden und Verwandten450.

443

Vgl. Krüger, Gott und das Leid, 224. Vgl. Fohrer, KAT XVI, 558. 445 S. dazu Schwienhorst-Schönberger, Weg, 231f 446 Vgl. Fohrer, ebd. 447 Vgl. Baumann, Gottesbilder der Gewalt, 139. 448 Vgl. Ha, Frage und Antwort, 194. 449 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 350. Zum Opfer Hiobs im Hiobbuch s. Oeming, Opfer und Nicht-Opfer, 49ff. 450 Baumann, ebd. 444

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Sechster Teil: Kosmologie, Theologie und Anthropologie der Gottesreden

7. Die neue Einsicht in die Welt wird in der Darstellung der drei Töchter anders als bei den Kindern im Prolog mit einem konkreten Beispiel geschildert. In Hi 42,13-15 tragen die drei schönen Töchter Hiobs die Namen (Jemina [hm'ymiy>] „Täubchen“, Kezia [h['yciq.] „Zimtblüte“ und Keren-Happuch [%WPh; !r,q,] „Schminkhörnchen“) 451, die auch auf ihre Schönheit hinweisen. Die Schönheit der Töchter Hiobs scheint als die Segen Gottes452. In diesem Zusammenhang gibt Hiob ihnen Erbbesitz genauso wie seinen Söhnen453. In der Aufwertung der Töchter manifestiert sich die Veränderung Hiobs454. Alle Geschöpfe so wie die Tiere haben ihr eigenes Recht, das Gott ihnen verleiht. Wie die Tiere in den Gottesreden von Gott versorgt werden, müssen Frauen als Symbol der Schwachen in Israel ihr eigenes Recht und ihren eigenen Raum bekommen. Dieses Recht gilt selbstverständlich für Hiobs Töchter. Wie die Schönheit seiner drei Töchter zeigt, ist die Welt für Hiob harmonisch und schön, obwohl es Finsternis in der Welt gibt.

451

Vgl. Ebach, Hiobs Töchter, 72. Vgl. Loader, Schönheit, 177f: Wenn im Alten Testament die Schönheit des Menschen positiv dargestellt wird, bezieht sie sich auf die beiden Motive „Segen“ und „Errettung“. 453 Vgl. Müllner, Das hörende Herz, 56f. Im gesamten Alten Orient können Töchter nur erben, wenn keine männlichen Erben vorhanden sind (vgl. Num 27,1-8), vgl. Strauß, BK XVI/2, 401, Gradl, NSK.AT 12, 343f und Clines, WBC. 18B, 1238. 454 Vgl. Ebach, aaO 68. 452

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Anhang

1. Tabelle über die Tiere im Hiobbuch außerhalb von Hi 38,1-42,6 Ort innerhalb des Hiobuchs

Sprecher

Belegstellen

Hebräischer Name

Hiobs Glück und Unglück

Erzähler

Hiobs Klage Erster Redegang

Deutsche Ü bersetzung

Klassifikation1

1,3

!aco / lm'G"

Kleinvieh/ Kamel Rind / Eselin Rind / Eselin Kleinvieh Kamel

Tiere des Landes (Haustiere)

1,14 1,16 1,17

rq'B' / !Ata' rq'B' /!Ata' !aco lm'G" Dialogteil

Hiob

3,8

!t'y"w>li

Leviathan

4,19

hyEr>a; lx;v; rypiK. vyIl; aybil' v['

Löwe Löwe Löwe Löwe Löwe (Löwin) Motte

Wassertier (Mythisches Tier) Tiere des Landes (Wildtiere)

Elifas

4,10

5,22

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