Geschichte/n zwischen den Zeilen: Nationale Identität in Geschichtsbüchern für deutsche und französische Volksschulen (1900-1960). Dissertationsschrift 9783412222772, 3412222771

Geschichtsbücher dokumentieren und transportieren wie kaum eine andere Quelle nationale Identität. Vor diesem Hintergrun

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German Pages 382 [384] Year 2015

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Geschichte/n zwischen den Zeilen: Nationale Identität in Geschichtsbüchern für deutsche und französische Volksschulen (1900-1960). Dissertationsschrift
 9783412222772, 3412222771

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Christian Weiß Geschichte/n zwischen den Zeilen

Beiträge zur Geschichtskultur Band 37

herausgegeben von Jörn Rüsen

Christian Weiß

Geschichte/n zwischen den Zeilen Nationale Identität in Geschichtsbüchern für deutsche und französische Volksschulen (1900–1960)

2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Aus: Scherl, Josef, Geschichte unseres Volkes, III. Teil, 7. Schuljahr, München ca. 1963 © 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D–50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Frank Schneider, Wuppertal Druck und Bindung: Prime Rate, Budapest Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-22277-2

Meiner Schwester Ariane

Inhalt Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

1.1 Fragestellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Stand der Forschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Methoden und Gliederung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Auswahl der Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 20 26 34

2 Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

2.1 Die Volksschule als Teil eines gegliederten Schulsystems. . . . . . . . . . . . . 41 2.2 Die Ausbildung der Volksschullehrer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.3 Das Prestige der Volksschule und das Selbstbewusstsein ihrer Lehrer. 52 2.4 Die Position des Geschichtsunterrichts innerhalb des Fächerkanons. . 59 2.5 Der Einfluss der Religion auf den Geschichtsunterricht . . . . . . . . . . . . . 63 2.6 Der Geschichtsunterricht und die politischen Rahmenbedingungen. 67 2.6.1. Die staatliche Kontrolle des Geschichtsunterrichts. . . . . . . . . . . .67 2.6.2. Der Geschichtsunterricht und der Wandel der politischen Rahmenbedingungen in Frankreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2.6.3. Die Auswirkungen der politischen Umbrüche der deutschen Geschichte auf den Geschichtsunterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2.7 Der Einfluss des pädagogischen Denkens auf den Geschichtsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2.8 Das Verhältnis des Geschichtsunterrichts zur universitären Geschichtswissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.9 Die Bücher des Geschichtsunterrichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2.10 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3 Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte . . . . . . . . . . 109

3.1 Theoretische Vorüberlegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Mittel zur Bestimmung der Distanz in historiographischen Texten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Die explizite Thematisierung der Distanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Die Herstellung von Mittelbarkeit durch die Wahl des Erzählmodus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Die Perspektivierung der Erzählung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4. Der Zeitpunkt des Erzählens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109 110 110 111 115 118

8

Inhalt

3.2.5. Die Identität von Erzähler und historischem Akteur. . . . . . . . . 3.3 Die fünf Typen historischer Erzähler im Schulbuch. . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Die Sicht aus der Froschperspektive: Der bezeugende Erzähler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Geschichtsschreibung mit Ausrufezeichen: Der betroffene Erzähler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4. Geschichte aus der Sicht des Chronisten: Der berichtende Erzähler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5. Der Blick aus der Vogelperspektive: Der kommentierende Erzähler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6. Geschichtsschreibung mit Fragezeichen: Der moderierende Erzähler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die Ausgestaltung der Erzähler in den untersuchten Büchern. . . . . . 3.4.1. Die Dominanz des berichtenden Erzählers zu Beginn des 20. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2. Das Hervortreten des kommentierenden Erzählers . . . . . . . . . . 3.4.3. Die Konjunktur des bezeugenden Erzählers in Deutschland. . 3.4.4. Die Herausbildung eines betroffenen Erzählers. . . . . . . . . . . . . . 3.4.5. Ansätze eines moderierenden Erzählers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120 120 120 123 126 128 129 133 134 134 138 143 152 156 158

4 Das historische Geschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

4.1 Die Betrachtungsebenen der Geschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4.1.1. Die Dominanz von Politik- und Militärgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4.1.2. Der Aufstieg der Wirtschafts-, Kultur- und Sozialgeschichte. . 163 4.1.3. Die Ausgestaltung der schulischen Wirtschafts-, Kultur- und Sozialgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4.2 Die Akteure der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4.2.1. Der Rückgang der personalisierenden Geschichtsschreibung. 170 4.2.2. Das Auftreten von Kollektivakteuren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4.2.3. Die Konjunktur außerweltlicher Akteure. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4.3 Die Definition und Darstellung der eigenen Nation. . . . . . . . . . . . . . . 187 4.3.1. Die zentrale Rolle der Nationalgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 4.3.2. Die französische Nationalgeschichte zwischen ethnischer und politischer Definition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4.3.3. Die deutsche Nationalgeschichte zwischen ethnischer und politischer Definition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Inhalt 9

4.3.4. Das Verhältnis von französischer, regionaler und lokaler Geschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4.3.5. Das Verhältnis von deutscher, partikularstaatlicher und lokaler Geschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 4.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5 Die Formen historischer Sinnbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

5.1 Die Sinnbildung durch Metaerzählungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 5.1.1. Theoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 5.1.2. Einheitserzählungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 5.1.2.1 Die französische Geschichte als Einheitserzählung . . . . . . . . . 220 5.1.2.2 Die deutsche Geschichte als Einheitserzählung. . . . . . . . . . . . . 224 5.1.2.3 Die Helden und Schurken der Einheitserzählung. . . . . . . . . . . 229 5.1.2.4 Einheitserzählungen jenseits der Nation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 5.1.3. Zivilisierungserzählungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 5.1.3.1 Die Dominanz der Zivilisierungserzählung in den französischen Geschichtsbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 5.1.3.2 Der statische Kulturbegriff der deutschen Geschichtsbücher. 243 5.1.4. Freiheitserzählungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5.1.4.1 Die demokratische Freiheitserzählung in den französischen Geschichtsbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5.1.4.2 Die nationalistische Freiheitserzählung in den deutschen Geschichtsbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 5.1.5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 5.2 Die Sinnbildung durch Zeitverlaufsvorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 259 5.2.1. Theoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 5.2.2. Die Reste traditionaler Sinnbildung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 5.2.3. Die Beharrungskräfte exemplarischer Sinnbildung in den deutschen Volksschulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 5.2.4. Der Siegeszug des genetischen Sinnbildungstyps in den französischen Lehrwerken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 5.2.5. Die Schwäche des genetischen Erzählens in den deutschen Volksschulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 5.2.6. Die Konjunktur mythischen Erzählens in deutschen und französischen Schulbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 5.2.7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 5.3 Die Sinnbildung durch Gattungsschemata. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 5.3.1. Theoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294

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Inhalt

5.3.2. Die epische Strukturierung als Randerscheinung in deutschen und französischen Schulbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3. Die Versöhnung als Grundmotiv der französischen Geschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4. Die Katastrophe als Grundmotiv der deutschen Geschichte. . 5.3.5. Frankreich als geachtetes Mitglied der Weltgemeinschaft. . . . . 5.3.6. Deutschland als Außenseiter unter den Nationen. . . . . . . . . . . . 5.3.7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299 302 307 322 325 331

6 Schlussbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 7 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

7.1 Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 7.2 Darstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 8 Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

Vorwort

Diese Darstellung ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, deren Disputation an der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin am 14. Mai 2013 stattgefunden hat. Das Gelingen dieser Arbeit verdanke ich einer ganzen Reihe von Menschen und Institutionen. Ich danke an erster Stelle meiner Schwester Ariane Weiß, die den Druck dieses Buches nicht mehr erleben durfte. Ich danke ihr für all die Unterstützung, Inspiration und Motivation, die sie mir im Laufe meiner Promotion geschenkt hat, und für das Verständnis, das sie mir entgegenbrachte, als die Schlussphase dieser Dissertation in die letzten Monate ihrer Krankheit fiel. Ohne dieses Verständnis hätte ich diese Arbeit nicht vollenden können. Ein ganz besonderer Dank gebührt auch meinem Doktorvater Prof. Wolfgang Hardtwig. Viele Ideen entstammen den Gesprächen, die Prof. Hardtwig in Berlin und in München mit mir führte, und den diskussionsfreudigen Kolloquien, die er an der Humboldt-Universität leitete. Ich bewundere seine Arbeit und hatte das Glück, ihn über lange Jahre hinweg als akademischen Lehrer und Chef zu haben. Ich verdanke ihm den wichtigsten Teil meiner universitären und wissenschaftlichen Ausbildung. Er hat mich stets intellektuell und praktisch unterstützt, mir neue Zugänge zu vergangenen und gegenwärtigen Welten eröffnet sowie Denkanstöße gegeben, die die Grenzen der Geschichtswissenschaft weit überschritten haben. Mein Dank gilt weiterhin der Studienstiftung des deutschen Volkes, die meine Promotion durch ein Stipendium finanzierte und mich in zahlreichen anregenden Seminaren in Kontakt mit anderen Promovierenden brachte. Ich bedanke mich außerdem beim Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung. Seine einzigartige Schulbuchsammlung, die ich auch dank eines seiner Forschungsstipendien nutzen konnte, war eine entscheidende Grundlage und Inspirationsquelle dieser Arbeit. Ferner möchte ich dem Deutschen Historischen Institut Paris meinen Dank dafür ausdrücken, dass es mir einen längeren Forschungsaufenthalt beim Institut national de recherche pédagogique in Lyon und im Musée national de l’Éducation in Rouen ermöglichte. Ich danke zudem Prof. Thomas Sandkühler für seine Arbeit als Zweitgutachter. Eine große Unterstützung boten auch die Kolloquien und Konferenzen, in denen ich wertvolle Hinweise für die weitere Arbeit erhielt. Ich bedanke mich daher für die Einladungen, die ich von Prof. Heinrich August Winkler, Prof.

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Vorwort

Wolfgang Jacobmeyer, der Université du Québec à Montréal, der Konferenz für Geschichtsdidaktik und dem Deutschen Historischen Institut erhalten habe. Mindestens ebenso wertvoll war der persönliche und fachliche Austausch mit meinen Mitpromovenden, vor allem mit Stefan Ihrig, Felix Koch und Deborah Mohr. Für Hilfe bei sprachlichen Überarbeitungen und Korrekturen danke ich Julia Brigasky, Stephanie von Gaertner, Stefan Ihrig, Cosima Kießling, Sandra Preschl, Ulrike Reichel, Eveline Weiß, Peter Weiß und Veronika Weiß.

1 Einleitung

1.1 Fragestellung

Die Bilder, die Menschen von der Vergangenheit haben, steuern die Art und Weise, in der sie ihre Gegenwart wahrnehmen. Zwei kurze Begebenheiten aus den Nachkriegsjahrzehnten sollen diese Aussagen illustrieren. In den Jahren 1944 und 1945 reiste der amerikanische Nachrichtendienst-Offizier Saul Padover durch das besiegte Deutschland. Er hatte die Aufgabe, Einheimische zu interviewen und auszukundschaften, was die Deutschen angesichts ihrer Niederlage dachten. Völlig überrascht stellte er fest, dass er nicht die stolzen „Herrenmenschen“ traf, die Goebbels’ Propaganda erwarten ließ. Ganz im Gegenteil: Die Menschen, denen er begegnete, waren larmoyant und kleinlaut. Seine Interviewpartner zeichneten überwiegend das Bild eines armen, ohnmächtigen Landes, das in der Welt stets zu kurz gekommen war. Eine Volksschullehrerin antwortete auf die Frage, warum ihr Land den Krieg verloren habe, dass das „arme Deutschland […] immer auf sich selbst gestellt“ sei.1 Mit diesem Bild der eigenen Nation entschuldigten Padovers Interviewpartner die deutsche Aggression, die Europa in den Zweiten Weltkrieg gestürzt hatte. Ein völlig anderes Bild der eigenen Nation findet sich in den Berichten aus dem Algerienkrieg, auf die die Historikerin Georgette Elgey bei ihren Recherchen gestoßen ist. Sie beschreibt, dass viele Soldaten nicht glauben konnten, dass die französische Armee, eine der Säulen der Republik, zu den Verbrechen fähig war, die sie in Algerien verübt hat. Elgey zitiert das Beispiel eines Wehrpflichtigen, der an Weihnachten 1958 grausam behandelte Algerier sah und spontan ausrief: « Non, ce n’est pas la France ! » Die Historikerin erklärt dieses Unverständnis mit der Tatsache, dass die Generation des Algerienkrieges im Kult der Nation und der Armee aufgewachsen ist. Dieser Kult transportierte die Idee, dass die französische Republik stets die Werte der Französischen Revolution vertreten hatte.2 Die Aggressionen, die Frankreich beging, übersahen die Zeitzeugen oder sie rechtfertigten sie mit dem Anspruch, Kämpfer der guten Sache zu sein. 1 Padover, Saul K., Lügendetektor. Vernehmungen im besiegten Deutschland 1944/45, übers. v. Matthias Fienbork, Frankfurt a. M. 1999, S. 75. 2 „Nein, das ist nicht Frankreich!“ Elgey, Georgette, Crimes de la guerre d’Algérie. Divulguer pour ne pas répéter, in: Le Monde, Jg. 57 (2001), 5.5.2001, S. 1 u. S. 16.

14

Einleitung

Die Bilder von der eigenen Nation, die die Berichte zeichnen, sind beide affirmativ und rechtfertigen, wenn auch auf andere Weise, das gewaltsame Vorgehen des eigenen Landes. Betrachtet man, welche Vorstellungen von nationaler Geschichte deutsche und französische Schulen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermittelten, erkennt man, dass beide Sichtweisen eng in ein bestimmtes Geschichtsbild eingebunden sind. Während sich mit den Aussagen der Deutschen die Idee verbindet, dass Deutschland in der Geschichte die Rolle des Opfers einnahm, steckt hinter der Wahrnehmung der Franzosen die Gewissheit, dass das republikanische Frankreich in der Vergangenheit stets ein Vorkämpfer für die Werte der Demokratie und der Menschlichkeit war. Die Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten 20 Jahren intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Geschichtsbilder Gesellschaften prägen und prägten. Meist beschränken sich diese Untersuchungen auf den Diskurs von Intellektuellen und von politischen Verantwortungsträgern. Oft hat die Forschung dabei aus dem Blick verloren, dass Geschichtsbilder nicht nur das Denken und Handeln einer politischen und intellektuellen Oberschicht beeinflussen. In modernen Gesellschaften gibt die Geschichte Menschen aller Schichten Anhaltspunkte zur Orientierung und hilft ihnen, ihre Identität zu bestimmen. Sie beeinflusst, wie die obigen Beispiele andeuten, die Handlungen der Menschen, wenn sie Geschichtsbilder heranziehen, um Aktionen in der Gegenwart zu legitimieren oder zumindest zu erklären. Die folgende Untersuchung soll beleuchten, über welche historischen Deutungsangebote die breite Masse der Menschen im frühen 20. Jahrhundert verfügte. Sie wird Geschichtsbücher analysieren, die deutsche und französische Volksschulen in der bewegten Zeit zwischen 1900 und 1960 einsetzten. Dabei verfolgt sie die Frage, in welcher Weise die Geschichtsbilder, die die Bücher vermittelten, die nationale Identität der Deutschen und Franzosen prägten. Obwohl die Nationalismusforschung oft unterstrichen hat, wie wichtig Geschichtsbilder bei der Nationsbildung sind, liegen bislang nur wenige Studien vor, die den Zusammenhang von Schulhistoriographie und nationaler Identität explizit untersuchen.3 Der Geschichtsunterricht war im Untersuchungszeitraum der wichtigste Ort, der Geschichte und ihre Deutungen vermittelte. Die schulische Geschichtsvermittlung hatte deutlich weniger Konkurrenz als heute. Neben der mündlichen Geschichtsdeutung in Familie, Freundeskreis und sozialem Milieu war die Schule 3 Ihrig, Stefan, Wer sind die Moldawier? Rumänismus versus Moldowanismus in Historiographie und Schulbüchern der Republik Moldova (1991–2006), Stuttgart 2008, S. 75/6.

Fragestellung 15

für die Jugendlichen um 1900 meist der einzige Ort, an dem sie Zugang zu historischem Wissen hatten.4 Andere Instanzen der Vermittlung wie das Kino, der Jugendroman oder das Fernsehen gewannen erst im Laufe des 20. Jahrhunderts an Bedeutung. Der Unterricht erreichte die heranwachsenden Deutschen und Franzosen in einem besonders bildungsfähigen Alter, in dem sich Deutungsmuster herausbilden, die ein ganzes Leben lang prägend bleiben. Die Schule trat zudem mit dem Anspruch auf, eine besonders wertvolle Darstellung von Geschichte zu bieten, die – überwiegend – wissenschaftlich abgesichert und staatlich geprüft war. Die Schüler mussten dieses Wissen über die Vergangenheit nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auswendig lernen und in mitunter lebensentscheidenden Prüfungen reproduzieren. Es ist für die moderne Forschung nicht leicht zu ermitteln, wie der Geschichtsunterricht in den ersten sechs Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts aussah. Der Lehrervortrag, der den Schulalltag prägte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Staatliche Richtlinien blieben meist kursorisch. Visitationsmitschriften, Prüfungsprotokolle und -aufgaben sind nur lückenhaft überliefert.5 Auch wenn das Geschichtsbuch keine sicheren Auskünfte darüber gibt, wie der tatsächliche Unterricht aussah, so erlaubt es doch weitgehende Rückschlüsse auf die Art, in der Geschichte gelehrt und gelernt wurde. Da es kaum andere Materialien in der Schule gab, war das Schulbuch mindestens zwischen 1900 und 1960 das Leitmedium des Unterrichts. Es bot den Schülern ein Kompendium des Wissens an, das für die Schule „Geschichte“ ausmachte. Wahrscheinlich haben auch die Lehrer ihren Unterricht überwiegend auf der Grundlage der Lehrwerke vorbereitet.6 Zusätzliche Bedeutung gewinnt das schulische Lehrwerk dadurch, dass es während des

4 Schallenberger, Heinrich, Untersuchungen zum Geschichtsbild der Wilhelminischen Ära und der Weimarer Zeit. Eine vergleichende Schulbuchanalyse deutscher Schulgeschichtsbücher aus der Zeit von 1888 bis 1933, Ratingen 1964, Diss. Köln, S. 18; Bendick, Rainer, Kriegserwartung und Kriegserfahrung. Der Erste Weltkrieg in deutschen und französischen Schulgeschichtsbüchern (1900–1939/45), Pfaffenweiler 1999, S. 17. 5 Beispiele für Studien auf der Grundlage von Unterrichts- und Prüfungsprotokollen: Zimmermann, Hannah, Geschichte ohne Zeitgeschichte? Eine Untersuchung von zwei Jahren Geschichtsunterricht in den frühen 1960er Jahren, München 2012; Dancel, Brigitte, Enseigner l’histoire à l’école primaire de la IIIe République, Paris 1996. 6 Becher, Ursula A. J., Schulbuch, in: Hans-Jürgen Pandel  / Gerhard Schneider (Hg.), Handbuch Medien im Geschichtsunterricht, 5. Aufl., Schwalbach i. Ts. 2010, S. 45–68, hier S. 45; Ogier, Angélina, Le rôle du manuel dans la leçon d’histoire à l’école primaire (1870–1969), in: Histoire de l’éducation (2007), H. 114, S. 87–119, hier S. 100 u. 118.

16

Einleitung

Untersuchungszeitraumes in vielen Haushalten das einzige Buch war, das die Menschen konsultierten, wenn Fragen zur Vergangenheit auftauchten. Wenn man das Geschichtsbild der breiten Masse rekonstruiert, sollte man eher die Bücher der Volksschulen konsultieren als die Lehrwerke der höheren Schulen. Nur eine Minderheit der Schüler besuchte im Untersuchungszeitraum Gymnasien und Realschulen bzw. collèges und lycées. Um 1900 gingen über 90% der Schüler auf Volksschulen. Um 1960 waren es in Deutschland immer noch 70%, in Frankreich dürfte sich die Zahl der Volksschüler in etwa gehalten haben.7 Daher galten die Volksschulen der Zeit anders als etwa die heutigen Hauptschulen mitnichten als „Restschulen“ für weniger begabte Kinder. Man muss sie sich eher als eine Art Gesamtschulen vorstellen, die lediglich die Kinder der oberen Schichten nicht integrierten. Die französische Geschichtswissenschaft hat sich vornehmlich für den Unterricht und die Bücher der niederen Schulen interessiert,8 da sie diese für die wichtigsten Vermittlungsinstanzen des republikanischen Weltbildes hielt. Demgegenüber richtete sich der Fokus der deutschen Forschung bislang auf die höheren Schulen. Dieses Desinteresse erklärt sich zum Teil damit, dass gymnasiale Lehrwerke aus universitärer Perspektive oft interessanter erscheinen, da sie bessere Rückschlüsse darauf bieten, wie universitäres Wissen verbreitet wurde.9 Hinzu kommt vermutlich eine gewisse Überheblichkeit gegenüber der geringeren Komplexität des Unterrichts an den Volksschulen. Seine Inhalte galten oft als „gesunkenes Kulturgut“, das lediglich eine didaktisch reduzierte Version des universitären und gymnasialen Wissenskanons darstellte.10 Da diese Untersuchung gerade auf die populäre Deutung von Geschichte zielt, eignen sich hier Volksschulbücher in besonderem Maße. Sie sind nicht nur aufschlussreich, weil sie quantitativ mehr Schüler erreichten als die gymnasialen Lehrwerke. Sie waren die Institution, die „im Parterre

7 S. unten, Kap. 2.1. 8 Man denke nur an den bedeutendsten Schulbuchforscher Amalvi, dessen Essays sich vorwiegend auf Volksschulbücher stützen: Amalvi, Christian, De l’art et la manière d’accommoder les héros de l’histoire de France. Essais de mythologie nationale, Paris 1988. 9 Koppetsch, Axel, 1789 aus zweierlei Sicht. Die Französische Revolution als Gegenstand nationaler Rezeptionsgeschichten in der französischen und deutschen Schulbuchhistoriographie seit 1870, Frankfurt a. M. 1993, Diss. Münster 1992/1993, S. 45. 10 Der Ausdruck findet sich bei: Graff, K.H., Über die Umlaufgeschwindigkeit von der Wissenschaft zur Schule, in: GWU, Jg. 2 (1951), S. 235–240, hier S. 235.

Fragestellung 17

der Gesellschaft“11 einen nationalen Konsens stiften sollte. Sie erlauben außerdem Einblicke in das Geschichtsbild ihrer Verfasser, die meist nicht akademisch als Fachlehrer gebildet waren. Sie hatten weniger einen fachlichen Bezug zur Geschichte, sondern näherten sich ihr aus einem populären Interesse. Gelegentlich wurde gewarnt, dass eine Schulbuchanalyse, die nur eine Schulform untersucht, verzerrte Ergebnisse produzieren müsse.12 Dies gilt allerdings nur, wenn man Geschichtsbücher als Vermittler „nationaler Autobiographien“13 begreift, die Rückschlüsse auf eine nationale Deutung der Geschichte erlauben. Die hier vorliegende Untersuchung baut auf der Überzeugung auf, dass innerhalb einer Nation die verschiedensten Deutungen der Geschichte kursieren und sich in halboffiziellen Darstellungen wie Schulbüchern niederschlagen. Sie erhebt daher nicht den Anspruch, diese alle umfassend zu beleuchten, sondern sie untersucht die Geschichtsdeutungen, die sich in den Volksschulen manifestierten, und erklärt diese mit den besonderen institutionellen Bedingungen und dem besonderen Bildungsanspruch dieses Teils des Bildungssystems. Ländervergleiche sind in der Schulbuchforschung beliebt, da sie es erlauben, nationale Besonderheiten herauszuarbeiten oder zu relativieren. Der Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich nimmt hier eine herausragende Rolle ein. Dies liegt einerseits daran, dass es sich bei den beiden Ländern um zwei führende europäische Mächte handelt. Die vergleichende deutsch-französische Perspektive erscheint andererseits lohnend, da es hier bereits zahlreiche Arbeiten zum unterschiedlichen Geschichts- und Nationsverständnis gibt, und zwar sowohl in der Schulbuchforschung14 als auch auf zahlreichen anderen Feldern der Geschichtswissenschaft. Die vorliegende Untersuchung knüpft an diese Vorleistungen an und wird einen eigenen Beitrag zu der Diskussion leisten, wie sich Geschichts- und Nationsverständnis in den beiden Ländern unterscheiden. Ein besonderer Reiz 11 Weichlein, Siegfried, Nation und Region. Integrationsprozesse im Bismarckreich, Düsseldorf 2004, S. 34. 12 Schallenberger, Geschichtsbild der Wilhelminischen Ära und der Weimarer Zeit, S. 46. 13 Der Ausdruck stammt von: Jacobmeyer, Wolfgang, Konditionierung von Geschichtsbewusstsein. Schulgeschichtsbücher als nationale Autobiographien, in: Gruppendynamik, Jg. 23 (1992), H. 4, S. 375–388, hier S. 376. 14 Koppetsch, 1789 aus zweierlei Sicht; Zum deutsch-französischen Vergleich s.  außerdem: Erdmann, Elisabeth, Die Römerzeit im Selbstverständnis der Franzosen und Deutschen. Lehrpläne und Schulbücher aus der Zeit zwischen 1850 und 1918, 2 Bde., Bochum 1992; Bendick, Kriegserwartung und Kriegserfahrung; Bauvois-Cauchepin, Jeannie, Enseignement de l’histoire et mythologie nationale. Allemagne-France du début du XXe siècle aux années 1950, Bern u.a. 2002.

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Einleitung

dieses Vergleichs liegt zudem darin, dass es in beiden Ländern Tendenzen gibt, dem eigenen Land eine ganz besondere Rolle in Geschichte und Gegenwart zuzuschreiben. Während die deutsche Sonderwegsthese davon ausgeht, dass Deutschlands historische Entwicklung sich grundsätzlich von derjenigen der westeuropäischen Länder unterscheidet, gibt es in Frankreich die Tendenz, eine „französische Sonderstellung“ („exception française“) zu postulieren. Da es in der europäischen und globalen Geschichte keinen „normalen Weg“ der Nationen gibt, kann es in dieser Untersuchung nicht darum gehen, diese Thesen zu be- oder zu widerlegen. Wohl aber soll sie nationale Besonderheiten herausarbeiten und Anregungen geben für weitere komparative Studien, deren Zusammenschau es ermöglichen wird, die Selbstbilder der verschiedenen Nationen genauer zu vergleichen. Der Untersuchungszeitraum von 1900 bis 1960 umfasst eine der bewegtesten Epochen der jüngeren Geschichte. Die bürgerlich geprägten Nationen des 19. Jahrhunderts wandelten sich zu Massengesellschaften, deren Eliten oft verstört auf die Veränderungen reagierten. Neue politische Ideologien wie der Kommunismus und der Faschismus gestalteten die Kräfteverhältnisse im Inneren wie im Äußeren neu und polarisierten die Öffentlichkeiten. Eine zentrale Herausforderung für die Forschung ist und bleibt die Frage, wie es dazu kam, dass gerade in Deutschland 1933 ein Regime die Macht ergriffen hat, das einen mörderischen Weltkrieg entfesselte und einen Völkermord unvorstellbaren Ausmaßes beging. Die vorliegende Untersuchung soll untersuchen, wie die Geschichtsbücher auf diese Wandlungen reagiert und welche Antworten sie auf diese Umwälzungen gefunden haben. Die Forschung hat dem Geschichtsunterricht oft vorgeworfen, er habe bereits im Kaiserreich übersteigerten Nationalismus, Militarismus und Autoritätsgläubigkeit verbreitet und damit die ideologischen Grundlagen des nationalsozialistischen Regimes gelegt.15 Von besonderem Interesse ist daher die Frage, inwieweit die Geschichtsbücher der deutschen Volksschulen Elemente des nationalsozialistischen Weltbildes verbreitet bzw. welche Faktoren diese Entwicklung begünstigt haben. Im Gegenzug wird zu fragen sein, inwieweit die Geschichtsbücher französischer Volksschulen derartige Elemente enthielten bzw. ob und warum sie gegenüber diesen immun waren. Bislang galten in der Schulbuchforschung die Jahre bis 1960 als eine Zeit der Kontinuität, in der die Geschichtsbücher sich zwar oberflächlich dem jeweiligen Regime anpassten, ohne ihre Geschichtsdeutung grundsätzlich ändern zu müssen. Abgesehen von der kurzen Vichy-Periode dominierte in Frankreich während des 15 U.a. Schallenberger, Geschichtsbild der Wilhelminischen Ära und der Weimarer Zeit.

Fragestellung 19

gesamten Untersuchungszeitraumes die republikanische Staatsform, deren Schulhistoriographie sich nur wenig änderte.16 Auch für Deutschland, wo sich verschiedene Staatsformen ablösten, konstatierte die Forschung, dass die Geschichtsbücher sich nur wenig wandelten. Erst in den 1960er Jahren hätten sich die schulischen Darstellungen in Frankreich und Deutschland grundlegend geändert.17 Die folgende Untersuchung soll daher klären, inwieweit sich die Geschichtsdarstellung ungeachtet einer bemerkenswerten, vielleicht in erster Linie vordergründigen Kontinuität zwischen 1900 und 1960 verändert hat. Die klassische Methode der Schulbuchforschung sind Querschnitte. Sie greifen sich einen historischen Inhalt heraus und untersuchen, wie die Schulbücher verschiedener Zeiten, Schulformen oder Länder diesen darstellen. So hat Koppetsch beispielsweise in 1789 aus zweierlei Sicht untersucht, wie deutsche und französische Schulbücher die Französische Revolution darstellten, und Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Schulgeschichtsschreibungen herausgearbeitet.18 Dieser Ansatz hat gezeigt, wie verschieden die Perspektiven auf dasselbe Ereignis sind. Darüber hinaus blieb der Erkenntniswert der Querschnittsstudien begrenzt. Denn wenn verschiedene nationale Schulgeschichtsschreibungen einzelne Epochen, Strukturen und Ereignisse anders deuten, liegt dies vor allem an den Rezeptionskontexten und weniger daran, dass die Bücher die Geschichte auf völlig andere Weise erzählen und mit Sinn aufladen. Es überrascht nicht, dass die deutschen Bücher die Französische Revolution deutlich skeptischer beurteilten als die französischen. Dies liegt nicht unbedingt daran, dass die deutschen Lehrwerke eine Demokratisierung der Gesellschaft rundweg ablehnten. Viele Bücher hatten lediglich Vorbehalte dagegen, ein Ereignis aus dem ungeliebten Nachbarland Frankreich in positivem Licht darzustellen. Selbst ein konservatives, antirepublikanisches französisches Lehrwerk wird der Revolution von 1789 hingegen positive Seiten abgewinnen: weniger, weil das Buch die Umwälzungen an sich begrüßte, sondern vielmehr, weil es sich um ein Ereignis der eigenen nationalen Geschichte handelte. 16 Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale, S. 2; Choppin, Alain, Le livre à l’école, in: François Jacquet-Francillon / Renaud d’Enfert / Laurence Loeffel (Hg.), Une histoire de l’école. Anthologie de l’éducation et de l’enseignement en France XVIIIe–XXe siècle, Paris 2010, S. 259–265, hier S. 263. 17 Durando, Sylvie / Pierre Guibbert, Les sommaires d’une histoire sommaire. Les tables des matières des manuels de la première Histoire (Allemagne, Angleterre, Espagne, France, Italie) 1890–1990, in: ISBF, Jg. 21 (1999), H. 2, S. 125–146, hier S. 128; Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale, S. 2. 18 Koppetsch, 1789 aus zweierlei Sicht.

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Betrachtet man beispielsweise, wie die deutschen Bücher die Stein-Hardenbergschen Reformen und die „Befreiungskriege“ darstellten,19 wird offensichtlich, dass deutsche Schulbücher mehr Sympathien für eine demokratische Umgestaltung der Gesellschaft hegten, als der Blick auf die Französische Revolution vermuten lässt. Daher ist es nicht immer sinnvoll, gleiche Ereignisse in zwei Schulbuchhistoriographien zu vergleichen. Es ist wesentlich aufschlussreicher, die gesamte Darstellung der Schulbücher zu untersuchen und zu ermitteln, welche Funktion bestimmte historische Inhalte und ihre Deutung für das Geschichtsbild der Bücher einnahmen. Diese Herangehensweise ist zwar erheblich aufwändiger, da sie die Analyse tausender Seiten voraussetzt: Die Geschichtsbücher für Volksschulen umfassen selten weniger als 200 Seiten. Allerdings sind derartige Globaluntersuchungen deutlich aussagekräftiger, da nur der Blick auf die gesamte Darstellung das Geschichtsbild eines Buches offenlegt. In diesem Sinne wird die vorliegende Untersuchung die deutschen und französischen Bücher von der Vorgeschichte bis zur jeweiligen Gegenwart analysieren.

1.2 Stand der Forschung

Schul- und Bildungsgeschichte sind ein beliebtes Forschungsfeld, das sowohl die Geschichtswissenschaft als auch die historische Erziehungswissenschaft und die diversen Fachdidaktiken bearbeiten. Diese Untersuchung kann daher nicht den Anspruch erheben, die Literatur zu den deutschen und französischen Volksschulen erschöpfend auszuwerten. Um den schulischen Rahmen zu skizzieren, in dem die untersuchten Geschichtsbücher erschienen sind, stützt sie sich in erster Linie auf das Standardwerk Histoire de l’enseignement et de l’éducation en France20 sowie auf das Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Sofern nötig, werden diese beiden Werke durch aktuelle Literatur ergänzt. Die Kontexte, in denen französische und deutsche Volksschulen bislang erforscht wurden, sind verschieden, und somit unterscheiden sich die Prämissen der Forscher, die sich mit ihnen beschäftigen. Während die französische Wissenschaft die école primaire weithin als Erfolgsmodell sieht, das das Land modernisiert, demokratisiert 19 S. unten, Kap. 5.1.4.2. 20 Mayeur, Françoise, Histoire générale de l’enseignement et de l’éducation en France, Bd. 3: De la Révolution à l’École républicaine, 1789–1930, Neuaufl., Paris 2004; Prost, Antoine, Histoire générale de l’enseignement et de l’éducation en France, Bd. 4: L’école et la famille dans une société en mutation (depuis 1930), Neuaufl., Paris 2004.

Stand der Forschung 21

und vereinigt hat, betrachtet die deutsche Forschung die Volksschule ihres Landes oft als Instrument des preußisch-deutschen Obrigkeitsstaates, das die Schüler zu unmündigen Untertanen erziehen sollte. Tatsächlich dürfte die Funktion der Volksschule in den beiden Ländern ähnlich gewesen sein. In beiden Ländern haben die Volksschulen bürgerliche Werte in der breiten Bevölkerung durchgesetzt. In der deutschen und französischen Forschung erscheint diese Entwicklung jeweils in einem anderen Licht. Während der französische Bildungsforscher Albertini lobt, die Volksschulen hätten Frankreich „zivilisiert“ („civiliser“), spricht der deutsche Historiker Kuhlemann von der „Disziplinierung“ durch die preußischen Volksschulen.21 Ein Vergleich zwischen beiden Schulsystemen bleibt ein spannendes Desiderat. Man müsste überprüfen, ob das Bild einer überwiegend emanzipatorischen Politik in Frankreich und einer eher repressiven Politik in Deutschland einer empirischen Untersuchung standhält. Die vorliegende Studie leistet einen Beitrag zu einem umfassenderen Vergleich, indem sie diese Frage für ein Unterrichtsfach und sein Hauptmedium beantwortet. Von allen Schulfächern genießt der Geschichtsunterricht eine besondere Aufmerksamkeit seitens der historischen Bildungs- und Schulforschung. Das lässt sich zum einen damit erklären, dass die meisten Wissenschaftler, die sich mit Bildung und Schule in einer historischen Perspektive beschäftigen, gelernte Historiker sind oder sich zumindest besonders für Geschichte interessieren. Zum anderen gilt der Geschichtsunterricht als bedeutendes Schulfach, da Schüler dort Meinungen und Gesinnungen ausbilden. Historiker haben seine Bedeutung erst in den letzten Jahrzehnten zu schätzen gelernt. Lange Zeit galt das Schulfach Geschichte als eine Art Nebenprodukt der universitären Geschichtswissenschaft. Schallenberger, der Nestor der historischen Schulbuchanalyse, verteidigt seine Untersuchung zum Geschichtsbild der wilhelminischen Ära und der Weimarer Zeit noch betont defensiv mit den Worten, auch Geschichtsschulbücher seien Geschichtsschreibung, „wenn auch qualitativ geringwertige, um nicht zu sagen primitive“.22 Dieses Verständnis von Geschichtsunterricht ist heute überholt. Wenn man das Schulfach Geschichte lediglich als Instanz betrachtet, die wissenschaftliche Erkenntnisse trivialisiert, verkennt man, dass der Unterricht – insbesondere an den Volksschu21 Albertini, Pierre, L’école en France du XIXe siècle à nos jours. De la maternelle à l’université, 2. überarb. Aufl., Paris 2006, S. 117; Kuhlemann, Frank-Michael, Modernisierung und Disziplinierung, Sozialgeschichte des preußischen Volksschulwesens 1794–1872, Göttingen 1992. 22 Schallenberger, Das Geschichtsbild der Wilhelminischen Ära und der Weimarer Zeit, S. 25.

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len – vielen Zielen folgt, die der universitären Geschichtswissenschaft fremd erscheinen. Ein Hauptziel des Geschichtsunterrichts lag darin, die nationale Identität der Schüler zu entwickeln und zu stärken sowie ihre Loyalität zum Staat zu sichern.23 Die jüngere Geschichtswissenschaft hat die Art und Weise, in der der Unterricht dieses Ziel realisierte, inzwischen als Forschungsfeld entdeckt. Demzufolge interessierte sich die Forschung primär für die Frage, wie das Schulfach Geschichte die politische Orientierung der Schüler beeinflusste. Der französische Geschichtsunterricht gilt als Vermittler eines dogmatischen Republikanismus. Dabei wurde gelegentlich ignoriert, dass ein großer Teil der Schüler keine staatlichen, sondern katholische Schulen besuchte, die ein nicht-republikanisches Weltbild vermittelten. Dem deutschen Geschichtsunterricht warf die Forschung oft vor, seit dem Kaiserreich ein autoritäres und chauvinistisches Geschichtsbild entworfen zu haben, das die ideologischen Grundlagen der NS-Herrschaft gelegt hätte.24 Erst jüngere Untersuchungen haben ein differenzierteres Bild gezeichnet und darauf hingewiesen, dass weltanschauliche Elemente wie der völkische Nationalismus, der für die NS-Ideologie konstitutiv war, erst im späten Kaiserreich und in der Weimarer Republik Einzug in den Geschichtsunterricht gehalten haben. Das Volksschulfach Geschichte blieb im Kaiserreich oft in einem Monarchismus verhaftet, der stärker auf den Partikularstaat bezogen war als auf Deutschland, geschweige denn auf ein deutsches „Volk“.25 Als problematisch erwies sich hierbei, dass die Forschung bislang primär die Geschichtsbücher der höheren Schulen in den Blick genommen hat, die aufgrund ihrer Wissenschaftsorientierung weniger anfällig waren für Veränderungen der politischen Situation. Die Volksschulbücher haben, wie die folgende Arbeit zeigen wird, Veränderungen der Gesellschaft schneller aufgegriffen. Es ist umstritten, wie bedeutend Bücher für den Geschichtsunterricht sind. Aus den oben erwähnten Gründen bleiben sie die wichtigsten Quellen, die zum 23 Meissner, Andrea, Die Nationalisierung der Volksschule. Geschichtspolitik im Niederen Schulwesen Preußens und des deutschsprachigen Österreich 1866–1933/38, Berlin 2009, Diss. Berlin 2005, S. 64. 24 Gies, Horst, Antidemokratische Geschichtslehrer und antirepublikanischer Geschichtsunterricht in der Weimarer Republik, in: Reinhard Dithmar (Hg.), Schule und Unterricht in der Weimarer Republik, Ludwigsfelde 2001, S. 180–213. In der französischen Forschung hält sich das Bild bis in die Gegenwart: Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale; Alexandre, Philippe, Le patriotisme à l’école en France et en Allemagne, 1871– 1914. Essai d’étude comparatiste, in: Stefan Fisch / Florence Gauzy / Chantal Metzger (Hg.), Lernen und Lehren in Frankreich und Deutschland. Apprendre et enseigner en Allemagne et en France, Stuttgart 2007, S. 80–103, hier S. 85. 25 Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule; Weichlein, Nation und Region.

Stand der Forschung 23

Geschichtsunterricht Auskunft geben. Die Schulbuchforschung ist inzwischen ein eigener Forschungsbereich, der sich nicht nur mit den Inhalten der Schulbücher aller Fächer beschäftigt, sondern auch mit ihrer Produktion, Verbreitung und Rezeption. Die deutsch-französischen Beziehungen gaben der Forschung wichtige Impulse. Bereits in den zwanziger Jahren bemerkten Lehrer und Historiker aus den beiden Ländern, dass die nationalistischen Darstellungen des zeitgenössischen Geschichtsunterrichts die Beziehungen der beiden Länder belasteten. Über die Geschichtsbücher wollten versöhnungsbereite Lehrer und Historiker Einfluss auf die Geschichtsbilder der Bevölkerung nehmen. Diese „Pioniere“ der Schulbuchforschung sendeten sich gegenseitig die Bücher ihres Landes zu, um gemeinsam Eckpunkte für eine Darstellungsweise zu finden, die frei von Feindbildern war. Dieses Projekt scheiterte in den dreißiger Jahren am mangelnden Willen der NSHerrscher. Nach dem Weltkrieg griffen Historiker und Lehrer die Ideen der Vorkriegszeit wieder auf. Ihre Zusammenarbeit mündete 1951 in die „Deutsch-französische Vereinbarung über strittige Fragen europäischer Geschichte“, die bis heute Vorbild für Schulbuchkommissionen in aller Welt ist.26 Im Jahr 1951 gründete Georg Eckert in Braunschweig das „Internationale Institut für Schulbuchverbesserung“, das sich seitdem zu einer weltweit anerkannten und führenden Institution entwickelt hat und heute den Namen „Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung“ trägt. Es ist weiterhin ein zentrales Anliegen der Schulbuchforschung, den Blick für Eigen- und Fremdwahrnehmung zu schärfen. Daneben entstanden zahlreiche Studien, die die pädagogische, didaktische und methodische Entwicklung der Textgattung „Schulbuch“ in den Blick nahmen. Parallel zur internationalen Schulbuchforschung erwachte in Deutschland ein breites Interesse an historischen Geschichtsbüchern. In den fünfziger Jahren entstanden die ersten wissenschaftlichen Arbeiten auf diesem Feld. Dieses Interesse speiste sich in erster Linie aus der Frage, inwiefern die schulischen Geschichtsbil26 Claret, Geschichtsschulbücher in den deutsch-französischen Beziehungen, S.  18–20; Rümenapf-Sievers, Rosemarie, Georg Eckert und die Anfänge des Internationalen Schulbuchinstituts, in: Ursula A. J. Becher / Rainer Riemenschneider (Hg.), Internationale Verständigung. 25 Jahre Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig, Hannover 2000, S. 116–122; Riemenschneider, Rainer, Vom Erbfeind zum Partner. Schulbucharbeit mit Frankreich, in: ebd., S. 166–179; Hinrichs, Ernst / Falk Pingel, Georg Eckert (1912–1974) und die internationale Schulbuchforschung, in: Paul Leidinger (Hg.), Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik vom Kaiserreich bis zur Gegenwart. Festschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands zum 75jährigen Bestehen, Stuttgart 1988, S. 334–349.

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der die NS-Ideologie vorbereitet und verbreitet hatten. Dabei geriet vor allem der Geschichtsunterricht des Kaiserreiches in den Fokus der Aufmerksamkeit. In Frankreich blieb das Interesse an historischen Schulbüchern vergleichsweise gering. Während zahlreiche deutsche Bibliotheken über eine Schulbuchsammlung verfügen,27 listen die Kataloge französischer Bibliotheken historische Lehrwerke meist gar nicht auf. Ein Grund für dieses Desinteresse dürfte sein, dass das Geschichtsbild der Nachkriegsjahre sich nicht wesentlich von demjenigen der Dritten Republik unterschied. Erst die Vergangenheitsbewältigung der neunziger Jahre hat dazu geführt, dass die Forschung einen kritischen Blick auf den französischen Geschichtsunterricht des 19. und frühen 20. Jahrhunderts warf. Die Methoden der Schulbuchforschung folgten der Entwicklung anderer Felder der Geschichtswissenschaft. Sie sollen hier anhand von wichtigen deutschfranzösischen Schulbuchvergleichen nachgezeichnet werden. Am Anfang der Schulbuchforschung standen Untersuchungen, die die Inhalte der Schulbücher kriteriengeleitet zusammenfassten, meist in Form eines historischen Querschnittes. Beispielhaft sei Tiemanns Studie zur Vorgeschichte des Krieges von 1870/71 in deutschen und französischen Schulgeschichtsbüchern erwähnt, die chronologisch nacherzählt, wie sich die Darstellung des Krieges entwickelte.28 Erdmann führte mit ihrer Studie Die Römerzeit im Selbstverständnis der Franzosen und Deutschen29 quantitative Methoden auf dem Feld der deutschen Schulbuchforschung ein. Sie maß nach, wie viele Quadratzentimeter bestimmte Inhalte in deutschen und französischen Schulbüchern einnahmen, und zog daraus Rückschlüsse, wie wichtig bestimmte Themen für das jeweilige Land waren. Dieser Ansatz erwies sich nicht als besonders aussagekräftig und wurde nicht weiterverfolgt. Das Konzept des „Mythos“, das in der Geschichtswissenschaft seit den neunziger Jahren Karriere macht, hat auch die Schulbuchforschung inspiriert. Bauvois-Cauchepin untersuchte deutsche und französische Mythen in Schulbüchern und verglich dabei Mythen, die in beiden Ländern eine ähnliche Bedeutung haben. Dem deutschen Mythos „Luther“ stellte sie den französischen Mythos „1789“ gegenüber, „Friedrich II.“ verglich sie mit „Louis XIV“. Bauvois-Cauchepins Studie leidet darunter, dass sie die preußisch-protestantische bzw. die republikanische Schulbuchschreibung mit dem deutschen bzw. französischen Nationalmythos gleichsetzt und darüber die 27 Herausragend sind die Sammlungen der Universitäten Augsburg und Nürnberg-Erlangen. 28 Tiemann, Dieter, Die Vorgeschichte des Krieges von 1870/71 in deutschen und französischen Schulgeschichtsbüchern, Diss. Wuppertal 1976. 29 Erdmann, Die Römerzeit im Selbstverständnis der Franzosen und Deutschen.

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Vielfalt der schulischen Geschichtsbilder aus dem Blick verliert.30 Grundsätzlich ist dieser Ansatz fruchtbar, da er anders als herkömmliche Querschnitte den Rezeptionskontext berücksichtigt und danach fragt, welche Funktion ein historischer Inhalt innerhalb der gesamten nationalen Geschichtserzählung einnahm.31 Die Schulbuchforschung hat hingegen die erzähltheoretische Diskussion um die sprachlichen Grundlagen von Geschichtsschreibung, die zahlreiche neue Ansätze zur Analyse historiographischer Texte hervorgebracht hat, bislang weitgehend ignoriert. Dies ist umso erstaunlicher, als Marienfeld und Overesch bereits 1986 feststellten, dass Schulbuchforschung sich mit der Sprache der Lehrwerke bislang nicht hinreichend befasst habe, obwohl diese weitgehende Rückschlüsse auf das zu Grunde liegende Weltbild und Wissenschaftsverständnis erlaube.32 Werke wie der Sammelband Kriegsnarrative in Geschichtslehrmitteln greifen Theoriebegriffe wie „Narrativ“ zwar auf, bieten aber in der Regel nicht mehr als die herkömmlichen Inhaltsangaben der Bücher.33 Die vorliegende Arbeit möchte diese Lücke schließen und untersuchen, welche Erzählstrukturen deutsche und französische Geschichtsbücher prägten.

30 Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale. Vor allem aber ist der Blick Bauvois-Cauchepins auf die deutsche Schulbuchgeschichte stark von der Faszination der NS-Lehrwerke gelenkt, so dass ihr „Mythos“ Luther lediglich der NS-Deutung des Reformators entspricht: S. unten, Kap. 5.1.2.3. 31 Wegweisend ist Furrers Die Nation im Schulbuch. Die Studie arbeitet sehr überzeugend „Leitbilder“ der Schweizer Geschichte heraus wie etwa „Freunde und Feinde“ oder die „Sehnsucht nach dem Uralten“, die mögliche Kriterien für vergleichende Studien bieten könnten: Furrer, Markus, Die Nation im Schulbuch. Zwischen Überhöhung und Verdrängung. Leitbilder der Schweizer Nationalgeschichte in Schweizer Geschichtslehrmitteln der Nachkriegszeit und Gegenwart, Hannover 2004, S. 6. 32 Marienfeld, Wolfgang / Manfred Overesch, Deutschlandbild und deutsche Frage in den geschichtlichen Unterrichtswerken der Bundesrepublik Deutschland und in den Richtlinien der Bundesländer 1949–1983, o.O. o.J. [Braunschweig 1986]. 33 Furrer, Markus / Kurt Messmer (Hg.), Kriegsnarrative in Geschichtslehrmitteln. Brennpunkte nationaler Diskurse, Schwalbach i. Ts. 2009. Methodisch innovativ, aber leider kursorisch ist: Pflüger, Christine, Die Vermittlung von Erzählmustern und analytischen Kategorien im Schulgeschichtsbuch, in: Saskia Handro (Hg.), Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung, Berlin 2006, S. 67–85.

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1.3 Methoden und Gliederung

Die Umgangssprache bezeichnet mit dem Wort „Erzählen“ eine konkrete und emotional ansprechende Art und Weise, Ereignisse darzustellen. Bis in die 1970er Jahre verstand auch die Geschichtswissenschaft unter „erzählender Geschichtsschreibung“ eine Form der Darstellung, die sich, wie etwa die Werke Golo Manns, von belletristischen Vorbildern inspirieren ließ und dadurch anschaulich wirken wollte.34 In den Debatten der 1970er Jahren erst etablierten Geschichtstheoretiker wie Baumgartner und Rüsen den Begriff „Erzählung“ als Bezeichnung für die Form der Erkenntnis, die für die Geschichtswissenschaft charakteristisch ist. „Erzählen“ ist demnach der Vorgang, durch den vergangenes Geschehen zu (sinnhafter) Geschichte wird.35 Dies lässt sich an einem Beispiel erläutern, das der Schriftsteller Edward Morgan Forster gefunden hat. Der Satz „Der König starb, und darauf starb die Königin“ beschreibt bloß eine chronologische Abfolge von Ereignissen. Zu einer sinnhaften Geschichte werden sie, wenn sie in einen logischen Zusammenhang zueinander gebracht werden wie im Satz: „Der König starb, und darauf starb die Königin aus Gram.“36 Erst die Erklärung über die Gefühle der Königin verknüpft die beiden singulären Ereignisse und stellt sie in einen sinnhaften Zusammenhang. Diese Erklärung unterscheidet die Geschichte von der bloßen Chronik. Auch wenn man davon ausgeht, dass jede Geschichtsdarstellung, die nicht einfach nur Fakten aneinanderreiht, „erzählt“, bedeutet dies nicht, dass es keinen 34 Zur Mehrdeutigkeit des Begriffes vgl. Pandel, Hans-Jürgen, Wer erzählt wie für wen Geschichte? Geschichten von Sklaven und Sklavenhändlern, in: Ulrich Baumgärtner / Waltraud Schreiber (Hg.), Geschichts-Erzählung und Geschichts-Kultur. Zwei geschichtsdidaktische Leitbegriffe in der Diskussion, München 2001, S. 11–28, hier S. 11–14. 35 Rüsen, Jörn, Historisches Erzählen, in: ders., Zerbrechende Zeit. Über den Sinn der Geschichte, Köln / Weimar / Wien 2001, S. 43–105; Danto, Arthur Coleman, Analytical Philosophy of History, Cambridge 1965; Baumgartner, Hans-Michael, Erzählung und Theorie in der Geschichte, in: Jürgen Kocka / Thomas Nipperdey (Hg.), Theorie und Erzählung in der Geschichte, München 1979, S. 259–289; Hardtwig, Wolfgang, Theorie oder Erzählung. Eine falsche Alternative, in: ebd., S. 290–299; ders., Formen der Geschichtsschreibung. Varianten des historischen Erzählens, in: ders., Hochkultur des bürgerlichen Zeitalters, Göttingen 2005, S. 19–34. 36 Edward Morgan Forsters Unterscheidung von „story“ und „plot“ ist zitiert nach Martinez, Matias  / Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, 7. Aufl., München 2007, S. 108–111. Vgl. Busse, Jan-Philipp, Zur Analyse der Handlung, in: Peter Wenzel (Hg.), Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorien, Modelle, Probleme, Trier 2004, S. 23–49.

Methoden und Gliederung 27

Unterschied zwischen wissenschaftlicher und literarischer Historiographie gibt. Hayden White provozierte die Fachwelt in den 1970er Jahren mit der These, dass Geschichte keine Wissenschaft, sondern Kunst sei, da der Historiker einen „essentially poetical act“ vollbringe.37 Aus der Menge der Überlieferung, den Quellen, wähle ein Historiker bestimmte „data“38 aus und ordne diese zu einer Erzählung, wobei er bestimmte Erzählstrategien verwende, die seine historische Darstellung prägen. Haydens Metahistory ist zu einem Klassiker der Geschichtstheorie avanciert und fehlt in keiner einschlägigen Untersuchung. White hat die geschichtstheoretische Diskussion befruchtet, seine Thesen sind aber in ihrer Radikalität nicht haltbar.39 Whites Kritiker haben unter anderem erwidert, dass man Wissenschaft und Literatur nach ihrer Referentialität unterscheiden könne: wissenschaftliche Texte seien faktual und referentiell, d.h., sie verweisen auf eine außertextuelle Wirklichkeit; literarische Texte hingegen seien fiktional, da sie ohne diesen Verweis auskämen.40 Nachdem die Geschichtswissenschaft einige Jahre brauchte, um, in Fuldas Worten, die „poetologische Pille“ zu „schlucken“,41 hat sich der oben gezeichnete Begriff des „Erzählens“ heute weitgehend in Geschichtswissenschaft und -didaktik durchgesetzt. Er hat sich bereits in Lehrplänen niedergeschlagen.42 37 Hayden White, Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe, Baltimore 1973, S. X. 38 Der englische Ausdruck von White wurde beibehalten, um eine Verwechslung mit der Bedeutung des deutschen Wortes „Daten“ im Sinne von „Zeitpunkte“ zu vermeiden; vgl. White, Metahistory, S. X. 39 Zur Kritik an White vgl. u.a. Lüsebrink, Hans-Jürgen, Tropologie, Narrativik, Diskurssemantik. Hayden White aus literaturwissenschaftlicher Sicht, in: Wolfgang Küttler / Jörn Rüsen / Ernst Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs. Band 1: Grundlagen und Methoden der Historiographiegeschichte, Frankfurt 1993, S. 355–364; Koselleck, Reinhart, Einführung, in: Hayden White, Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses, 2. Aufl., Stuttgart 1991, S. 1–6; Rüsen, Jörn, Die vier Typen des historischen Erzählens, in: ders., Zeit und Sinn. Strategien historischen Denkens, Frankfurt a. M. 1990, S. 153–230. 40 Hamburger, Käte, Die Logik der Dichtung, 3. Aufl., München 1987 (1. Aufl., Stuttgart 1957); Martinez  / Scheffel, Erzähltheorie, S.  8–19; Süssmann, Johannes, Geschichtsschreibung oder Roman? Zur Konstitutionslogik von Geschichtserzählungen zwischen Schiller und Ranke (1780–1824), Stuttgart 2000, Diss. Berlin 1998, S. 30; Kittstein, Ulrich, „Mit Geschichte will man etwas.“ Historisches Erzählen in der Weimarer Republik und im Exil (1918–1945), Würzburg 2006, S. 46. 41 Fulda, Daniel, Die Texte der Geschichte. Zur Poetik modernen historischen Denkens, in: Poetica, Jg. 31 (1999), H. 1–2, S. 27–60, Zitat auf S. 30. 42 In der universitären Geschichtsdidaktik ist das narrativistische Modell fest verankert:

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Von diesen Überlegungen ausgehend gliedert sich die folgende Schulbuchuntersuchung in vier Hauptetappen: Das zweite Kapitel wird den institutionellen Rahmen abstecken, ohne den der Geschichtsunterricht an den Volksschulen nicht verständlich ist. Das dritte Kapitel wird untersuchen, welche Rolle der Erzähler in den Schulgeschichtsbüchern spielte und welche Techniken er einsetzte, um das historische Geschehen zu erzählen und eine Distanz zwischen Leser und Geschehen zu erzeugen oder zu reduzieren. Das vierte Kapitel wird das historische Geschehen untersuchen, das die Geschichtsbücher ihren Lesern präsentierten. Im fünften Kapitel werden drei verschiedene Formen untersucht, mit denen Schulbücher das historische Geschehen zu einer sinnhaften Geschichte verknüpften. Um den Text lesbar zu gestalten, werden die theoretischen Grundlagen der jeweiligen Ansätze hier nur begründet und kursorisch vorgestellt. Sofern nötig, finden sich zu Beginn der jeweiligen Kapitel detailliertere Ausführungen. Der Erzähler, mit dem sich das dritte Kapitel beschäftigen wird, ist das Aussagesubjekt des Textes und damit die Instanz, die die Distanz zwischen Geschichte und Leser bestimmt.43 Es ist weithin unüblich, im Zusammenhang mit Geschichtsbüchern, also mit faktualen Texten, von einem Erzähler zu sprechen – geht doch die literaturwissenschaftliche Erzählforschung davon aus, dass man nur in fiktionalen Texten Autor und Erzähler unterscheiden könne. In faktualen Texten hingegen seien die beiden Instanzen identisch, da der Autor den Inhalt seines Textes selbst verantworten müsse.44 Allerdings hat sich die literaturwissenschaftliche Erzählforschung bislang fast ausschließlich mit Fiktion beschäftigt und faktuale Texte vernachlässigt. Der Romanist Rüth, der sich mit Erzählstrukturen bei den Schreiber, Waltraud u.a., Historisches Denken. Ein Kompetenz-Strukturmodell (Basisbeitrag), in: Andreas Körber / Waltraud Schreiber / Alexander Schöner (Hg.), Kompetenzen historischen Denkens. Ein Strukturmodell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik, Neuried 2007, S. 17–53, hier S. 19; Barricelli, Michele, Narrativität, in: ders.  / Martin Lücke (Hg.), Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts, Bd. 1, Schwalbach i. Ts. 2012, S. 255–280. Die Lehrpläne der Länder Berlin und Brandenburg sind z.B. narrativistisch ausgerichtet: Rahmenlehrplan für die gymnasiale Oberstufe. Geschichte, hg. v. d. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin, Berlin 2006. 43 Vgl. auch die „Merkmale illusionsbildender und -durchbrechender Texte“ bei Bauer, Anke / Cornelia Sander, Zur Analyse von Illusionsbildung und -durchbrechung, in: Peter Wenzel (Hg.), Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorien, Modelle, Probleme, Trier 2004, S. 197–222, hier S. 214–220. 44 Genette, Gérard, Discours du récit. Essai de méthode (1972), in: ders., Discours du récit, Paris 2007, S. 219–222; Martinez / Scheffel, Erzähltheorie, S. 84.

Methoden und Gliederung 29

Annales-Historikern beschäftigt hat, unterstreicht, dass historiographische Texte einen Erzähler haben, da der Autor dort nicht mit seiner eigenen Stimme spricht. Die Identität von Autor und Erzähler sei kein textuelles, sondern ein pragmatisches Kriterium. Leser begriffen einen historiographischen Text als Teil eines kollektiven Projektes, des Schreibens der Vergangenheit.45 Andere Wissenschaftler wie HansJürgen Lüsebrink, Wolfgang Hardtwig, Paul Nolte oder Stefan Fisch, die sich näher mit Geschichtsschreibung befasst haben, gehen von der Existenz eines Erzählers in historiographischen Texten aus.46 In Geschichtsbüchern, die in Schulen eingesetzt werden, sind Erzähler und Autor in keinem Fall identisch, obwohl die Literaturwissenschaft diese als faktuale Texte begreift. Schulbuchautoren sprechen schließlich nicht mit ihrer eigenen Stimme. Sie äußern keinesfalls ihre eigenen Geschichtsdeutungen, sondern ordnen diese einer mehrheitsfähigen oder halb-offiziellen Version der Geschichte unter. Der Erzähler in Geschichtsbüchern ist daher nicht mit dem Autor gleichzusetzen, sondern eine abstrakte Verkörperung des Schulsystems und seiner amtlich geprüften Geschichtsschreibung. Oft ist der Erzähler im Text greifbar. Er tritt in der 1. Person Plural oder in Indefinitpronomen wie „man“ im Deutschen bzw. „on“ im Französischen auf. Auch in Geschichtsbüchern, in denen der Erzähler nicht offen im Text auftritt, ist er präsent. Dies gilt in besonderem Maße für Überschriften. Dort grenzt der Erzähler nicht nur Sinneinheiten voneinander ab, sondern kommentiert das Geschehen. Wenn das nationalsozialistische Schulbuch So ward das Reich das Kapitel zur Reformation mit der Überschrift „Der Geist der Freiheit erwacht“ versieht, dann interpretiert der Erzähler das Geschehen als Teil einer völkischen Erwachungsbe45 Rüth, Axel, Erzählte Geschichte. Narrative Strukturen in der französischen AnnalesGeschichtsschreibung, Berlin / New York 2005, S. 33–36; Provenzo, Eugene F. / Annis N. Shaver / Manuel Bello, Preface, in: dies (Hg.), The Textbook as Discourse. Sociocultural Dimensions of American Schoolbooks, London 2011, S. VII-IX, hier S. VII. 46 Lüsebrink, Hans-Jürgen, Französische Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert . Das Beispiel Michelet, in: Wolfgang Küttler / Jörn Rüsen / Ernst Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs, Band 3: Die Epoche der Historisierung, Frankfurt a. M. 1997, S.  218–228; Hardtwig, Formen der Geschichtsschreibung; Nolte, Paul, Darstellungsweisen deutscher Geschichte. Erzählstrukturen und „master narratives“ bei Nipperdey und Wehler, in: Christoph Conrad / Sebastian Conrad (Hg.), Die Nation schreiben. Geschichtswissenschaft im internationalen Vergleich, Göttingen 2002, S. 236–268; Fisch, Stefan, Erzählweisen des Historikers. Heinrich von Treitschke und Thomas Nipperdey, in: Wolfgang Hardtwig  / Harm-Hinrich Brandt, Deutschlands Weg in die Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur im 19. Jahrhundert, München 1993, S. 54–62.

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wegung.47 Auch weniger eindeutige Überschriften unterwerfen das historische Geschehen einer bestimmten Bedeutung. Während protestantisch geprägte Geschichtsbücher im Untersuchungszeitraum die Überschrift „Reformation“ wählten, betitelten katholisch geprägte Bücher das gleiche Geschehen als „Glaubensspaltung“48 und verliehen ihm damit eine völlig andere Bedeutung. Die Geschichtstheorie hat den Erzähler bislang kaum näher untersucht. Daher baut diese Untersuchung hier über weite Strecken auf der literaturwissenschaftlichen Erzähltheorie auf. Die wichtigste Grundlage sind die Arbeiten von Gérard Genette, die in Deutschland vor allem Martinez und Scheffel rezipierten und verbreiteten.49 Den Ansatz von Genette haben bereits andere historiographiegeschichtliche Untersuchungen herangezogen.50 Es stellt eine besondere Herausforderung dar, literaturwissenschaftliche Ansätze einzubeziehen, da diese ein nichthistorisches Erkenntnisinteresse haben. Während die Geschichtstheorie in der Regel danach fragt, was die Form der Erzählung für die Interpretation eines Ereignisses bedeutet, steht bei der Literaturtheorie meist die ästhetische Wirkung im Mittelpunkt. Daher wird das dritte Kapitel auf literaturwissenschaftlicher Grundlage fünf Erzählertypen entwickeln, die sich als Instrument der Schulbuchuntersuchung eignen. Im zweiten Schritt der Schulbuchanalyse bzw. im vierten Kapitel wird untersucht, welche Ereignisse und Strukturen das historische Geschehen umfasst, das die Schulbücher ihren Lesern präsentierten. Dieser Teil entspricht am ehesten dem, was eine klassische, inhaltsorientierte Schulbuchanalyse leistet. Eine Untersuchung, die auf übergreifende Erzählstrukturen zielt, kann nicht auf die Analyse der Inhalte verzichten, da es sich hierbei um grundlegende Bausteine einer Erzählung handelt. Zudem ist bereits die Auswahl des Geschehens Teil seiner Deutung. Eine Darstellung, die Kriege und Schlachten in den Mittelpunkt rückt, vermittelt 47 Blume, Heinrich, So ward das Reich. Deutsche Geschichte für die Jugend (Volk und Führer. Deutsche Geschichte für Schulen, hg. v. Dietrich Klagges), Bd. 1, 2. unveränderte Aufl., Frankfurt a. M.: Diesterweg 1941, S. 147. 48 Z.B. in den konfessionellen Ausgaben von Kahnmeyer, L. [udwig]  / H. [einrich] Schulze, Anschaulich-ausführliches Realienbuch enthaltend Geschichte, Erdkunde, Naturgeschichte, Naturlehre und Chemie, Ausgabe A, Nr. 1, vollständige Ausgabe, 56. Aufl., Bielefeld / Berlin: Velhagen und Klasing 1904, S. 57; Kahnmeyer, L. [udwig] / H. [einrich] Schulze, Realienbuch enthaltend Geschichte, Erdkunde, Naturgeschichte, Physik, Chemie und Mineralogie, Ausgabe A, für katholische Schulen, Realienbuch Nr. 28, bearb. v. Fr. [anz] Liekefett, 141.–150. Aufl., Bielefeld / Leipzig 1913, S. 63. 49 Genette, Discours du récit; Martinez / Scheffel, Erzähltheorie. 50 Z.B. Rüth, Erzählte Geschichte.

Methoden und Gliederung 31

ein anderes Bild der Vergangenheit als ein Lehrwerk, das den Blick auf soziale Zusammenhänge lenkt. Da diese Untersuchung das historische Geschehen nur summarisch betrachtet, fragt sie zum Beispiel nicht nach der Darstellung bestimmter Herrscher oder Angehöriger des Volkes, sondern lediglich danach, welche sozialen Gruppen als Akteure hervortraten. Dieses Kapitel wird einerseits die verschiedenen Betrachtungsebenen der Geschichte wie die Militär-, Politik-, Wirtschafts- oder Kulturgeschichte untersuchen. Außerdem wird es danach fragen, welche Akteure das historische Geschehen bestimmten. Da die Nation in den deutschen und französischen Lehrwerken ein zentraler oder der zentrale Akteur der Geschichte war, wird das Kapitel analysieren, wen diese Nation umfasste und wie sie definiert war. Im fünften Kapitel wird die Schulbuchuntersuchung drei verschiedene Formen historischer Sinnbildung untersuchen, die das geschilderte Geschehen zu deutenden Geschichtserzählungen verbanden: die Sinnbildung durch Metaerzählungen, durch Zeitverlaufsvorstellungen und durch Gattungsschemata. An den Begriffen „Metaerzählung“, „Meistererzählung“ oder „Großerzählung“ kommt keine narrativistisch orientierte historiographische Untersuchung vorbei. Sie avancierten in den letzten Jahren zu zentralen Begriffen von Geschichtstheorie und -wissenschaft. Welche Bedeutung sie haben, ist allerdings umstritten. Nach François Lyotard, der die Ausdrücke Grand récit und métarécit einführte, ist ein métarécit eine abstrakte Erzählung, die in der Moderne gesellschaftliche Einrichtungen, politische Praktiken und Denkweisen legitimierte.51 Hier wird unter einer Metaerzählung eine abstrakte narrative Struktur verstanden, die einzelne Phänomene zu konkreten Erzählungen strukturiert. Dieser Prozess vollzieht sich eher unbewusst als bewusst. Ein Beispiel wäre die Erzählung von der „Säkularisierung“, die verschiedene Ereignisse der Vergangenheit zu einer sinnhaften Geschichte verbindet. Im deutschsprachigen Raum hat sich der Begriff „Meistererzählung“ stärker verbreitet. Er geht, wie im fünften Kapitel ausgeführt wird, auf eine bewusst oder unbewusst unglücklich gewählte Übertragung des englischen Ausdrucks master narrative zurück. Anders als dieser bezieht die Übersetzung „Meistererzählung“ sich meist auf konkrete historiographische Texte, die als „Meistererzählung“ bezeichnet werden und als Ergebnis bewusster wissenschaftlicher Arbeit gelten. Damit geht in der deutschen Übertragung die narrativistische Vorstellung verloren, dass narrative Strukturen die Geschichtsschreibung zunächst unbewusst bestimmen. 51 Lyotard, Jean-François, La condition postmoderne. Rapport sur le Savoir, Paris 2010, S. 7.

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Um den hier gewählten Ansatz von diesen „Meisterzählungen“ abzugrenzen, verwendet diese Untersuchung den Begriff „Metaerzählung“ und versteht darunter im Sinne Lyotards eine abstrakte Erzählstruktur, die oberhalb der konkreten, erzählten Geschichte liegt. Die Zeitverlaufsvorstellungen, die historische Ereignisse über die zeitliche Distanz hinweg zu einer Geschichte verknüpfen, gelten hier als zweite Form historischer Sinnbildung. Die Schulbuchforschung hat sich bislang kaum mit der Zeitdeutung der Bücher befasst. Dies überrascht, da „Zeitbewusstsein“ und „Historizitätsbewusstsein“ spätestens, seit Pandel „Dimensionen des Geschichtsbewusstseins“ definiert hat, zu zentralen Kategorien der deutschen Geschichtsdidaktik aufgerückt sind.52 Herangehensweise und Begrifflichkeit dieser Arbeit bauen auf Jörn Rüsens vier Typen historischen Erzählens auf. Die Erzählertypen bilden jeweils auf andere Weise Sinn über Zeiterfahrungen. Rüsen unterscheidet traditionale von exemplarischer, genetischer und kritischer Sinnbildung.53 Dieses Modell hat sich inzwischen in empirischen Untersuchungen bewährt.54 In den hier untersuchten Schulbüchern lassen sich drei von vier Typen nachweisen. Da Rüsen sein 52 Pandel, Hans-Jürgen, Dimensionen des Geschichtsbewusstseins, in: Geschichtsdidaktik, Jg.  12 (1987), H.  2, S.  130–142. Das Strukturmodell von Körber, Schreiber und Schöner räumt der Zeitlichkeit eine wichtige Rolle innerhalb der „Historischen Fragekompetenzen“ ein: Schreiber, Waltraud, Kompetenzbereich historische Fragekompetenzen, in: Andreas Körber / Waltraud Schreiber / Alexander Schöner (Hg.), Kompetenzen historischen Denkens. Ein Strukturmodell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik, Neuried 2007, S. 155–193, hier S. 174–176. Die Zeitverlaufsvorstellungen von Schülern wurden untersucht von: Borries, Bodo von, Verknüpfung der Zeitebenen im Geschichtsbewusstsein? Zu Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartswahrnehmungen und Zukunftserwartungen ost- und westdeutscher Jugendlicher 1992, in: Jörn Rüsen, (Hg.): Geschichtsbewusstsein. Psychologische Grundlagen, Entwicklungskonzepte, empirische Befunde, Köln 2001, S. 281–315. 53 Rüsen, Die vier Typen des historischen Erzählens. 54 Borries, Bodo von, Jugend und Geschichte. Ein europäischer Kulturvergleich aus deutscher Sicht, Opladen 1999, S. 225–229; Grethlein, Jonas, Das Geschichtsbild der Ilias. Eine Untersuchung aus phänomenologischer und narratologischer Perspektive, Göttingen 2006; Magull, Gabriele, Sprache oder Bild? Unterrichtsforschung zur Entwicklung von Geschichtsbewusstsein, Schwalbach i. Ts. 2000; Barricelli, Michele, Schüler erzählen Geschichte. Narrative Kompetenz im Geschichtsunterricht, Schwalbach i. Ts. 2005; Seixas, Peter, Historisches Bewusstsein. Wissensfortschritt in einem post-progressiven Zeitalter, in: Jürgen Straub (Hg.), Erzählung, Identität und historisches Bewusstsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte, Frankfurt a. M. 1998, S. 234–265.

Methoden und Gliederung 33

Modell anhand der Hauptepochen der modernen europäischen Historiographiegeschichte entwickelt hat, beziehen seine Typen sich in erster Linie auf Arten der Zeitbildung, die in den europäischen Geschichtsschreibungen bis zum Historismus dominierten. Untersuchungen, die diesen Zeitrahmen überschreiten, müssen daher mit Rüsens Erzählertypen flexibel umgehen. Daher wird die folgende Untersuchung Rüsens Modell um den „mythischen Erzählertypen“ ergänzen, der beschreibt, wie eine mythische Zeitverlaufsvorstellung in völkisch inspirierten historiographischen Texten des frühen 20. Jahrhunderts historisches Geschehen zu Geschichten verband. Hayden Whites Gattungsschemata bilden die dritte Form historischer Sinnbildung, die diese Arbeit als Analyseinstrument einsetzt. Hayden Whites Meta­ history ist nicht nur ein Klassiker der Historiographiegeschichte, der die Debatte um die narratologischen Grundlagen der Geschichtsschreibung entfacht hat. Sein Modell bringt, wie die folgende Untersuchung zeigt, einen großen Erkenntnisgewinn bei der Untersuchung der Geschichtsschulbücher. White geht davon aus, dass Historiker sich in ihren Darstellungen unbewusst von den Strategien der fiktionalen Literatur leiten lassen, und entwickelt ein Modell anhand der vier master tropes („Basistropen“) Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie. Diese kombinierten modes of emplotment („Arten narrativer Strukturierung“) durch die Gattungsschemata Komödie, Tragödie, Epos und Satire, formal argument („formale Argumentation“) und ideological implication („ideologische Schlussfolgerung“). Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen haben, wie oben bereits geschildert, Whites Ausführungen kritisiert. Historiker warfen ihm vor, mit seiner Untersuchung nur der älteren Historiographie gerecht zu werden und zu ignorieren, dass die Geschichtsschreibung sich zu einer arbeitsteiligen, methodisch begründeten Wissenschaft weiterentwickelt hatte.55 Der Romanist Hans-Jürgen Lüsebrink hielt die feste Verbindung von Tropen, narrativer Strukturierung, formaler Argumentation und ideologischer Schlussfolgerung für empirisch nicht haltbar.56 Obwohl White selbst betonte, dass Metahistory kein Werkzeug für eine Textanalyse bereitstellt,57 haben zahlreiche Historiker das Modell übernommen und erfolgreich empirisch angewendet. Allerdings hat bislang niemand Whites gesamtes Schema in einer größeren Studie daraufhin überprüft, ob es als Werkzeug der 55 Z.B. Hardtwig, Formen der Geschichtsschreibung, S. 26. 56 Lüsebrink, Hayden White aus literaturwissenschaftlicher Sicht. Vgl. oben, Anm. 39. 57 White, Hayden, The Image of Self-Representation. Interview mit Domanska u. Hans Keller, in: Diacritics, Jg. 24 (1994), H. 1, S. 91–100, S. 93.

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Historiographiegeschichte taugt. Hingegen haben einige Studien Whites Idee aufgegriffen, dass die Gattungsschemata Tragödie, Komödie, Epos und Satire historiographische Darstellungen narrativ strukturieren, und diesen Ansatz auf konkrete Textkorpora angewendet.58 Diese Gattungsschemata dienen auch in der folgenden Untersuchung als Analysekategorien. Die methodische Herangehensweise bestimmt den Aufbau dieser Arbeit. Die Oberkapitel der Arbeit stellen die eben erwähnten Ansätze jeweils in einem Kapitel vor und wenden diese an. Auch die Gliederung innerhalb der Kapitel ist zunächst thematisch aufgebaut, die Chronologie spielt nur eine untergeordnete Rolle. Die thematische Gliederung bietet sich an, da sich die Erzählweise der französischen Schulbücher in der Regel während des Untersuchungszeitraumes kaum verändert hat. Die zahlreichen Querverweise im Text machen zeitliche und kausale Zusammenhänge zwischen den einzelnen Themen deutlich. Um deutsch-französische Gemeinsamkeiten und Unterschiede klar herauszuarbeiten, wird diese Untersuchung die Befunde zu den Schulbüchern beider Länder nur in Ausnahmefällen in getrennten Unterkapiteln präsentieren. Wo dies sinnvoll erscheint, verknüpft der Text die Ergebnisse integrativ miteinander.

1.4 Auswahl der Quellen

Die genauen Grenzen des Untersuchungszeitraums sollen gewährleisten, dass das französische und deutsche Korpus vergleichbar sind. Das bedeutet, dass die Volksschule innerhalb des gewählten Zeitraumes der quantitativ bestimmende Schultyp war und dass das Schulbuch in diesem Zeitraum dort als Leitmedium im Geschichtsunterricht fungierte. Daher bieten sich die Abgrenzungen um 1900 und 1960 an. Vor dem Jahr 1900 blieben Geschichtsbücher an deutschen Volksschulen ein Luxusgut, so dass die Quellenbasis dort im 19. Jahrhundert deutlich brüchiger ist als für die französischen écoles primaires im gleichen Zeitraum. In Bayern gab es erst seit der Jahrhundertwende überall Geschichtsunterricht an den Volksschulen. Nach 1960 verlor die Volksschule ihren Charakter als Schulform für die große Mehrheit der Bevölkerung. In Frankreich bereiteten Schulreformen die Gesamt-

58 Hunt, Lynn, Politics, Culture and Class in the French Revolution, Berkeley 1984; Ross, Dorothy, Grand Narrative in American Historical Writing. From Romance to Uncertainty, in: AHR, Jg. 100 (1995), S. 651–677.

Auswahl der Quellen 35

schule der siebziger Jahre vor, in Deutschland gewann die quantitative Expansion der Gymnasien und Realschulen an Geschwindigkeit. Da deutsche Volksschüler erst in den letzten Jahren ihrer schulischen Laufbahn Geschichtsunterricht hatten, werden hier ausschließlich Bücher für die Sekundarstufe untersucht, die im Sprachgebrauch der Zeit „Oberstufe“ hieß. Von den französischen Büchern wurden ausschließlich Bücher für die Mittelstufe, den cours moyen, ausgewählt, da er am ehesten mit der Oberstufe der deutschen Volksschule zu vergleichen ist. Diese Bücher enthalten alle einen kompletten Durchgang durch die französische Geschichte.59 Der cours supérieur der Volksschulen ist quantitativ weniger bedeutend, da ihn nur wenige Schüler besuchten. Sein Profil entspricht eher dem der deutschen Mittel- bzw. Realschulen.60 Es wurden lediglich Bücher untersucht, die für die Hände der Schüler bestimmt waren.61 Um zeitliche Veränderungen innerhalb des Untersuchungszeitraumes von 1900 bis 1960 zu beobachten, wurden die Schulbücher in jeweils vier verschiedene Generationen eingeteilt. Aus jeder Generation wurden, wie unten erklärt wird, die acht am meisten verbreiteten Bücher untersucht. Im französischen Korpus orientieren sich diese Generationen an den jeweiligen Lehrplänen, in deren Folge sich neue Schulbücher etablierten bzw. die etablierten Lehrwerke grundlegend überarbeitet wurden. Die Einschnitte sind demzufolge die Lehrpläne von 1923, die den Geschichtsunterricht modernisierten, die Lehrpläne von 1941, die das Fach den Vorstellungen des Vichy-Regimes gemäß veränderten, und die Lehrpläne von 1945, die diese Veränderung in Teilen wieder rückgängig machten. Da die Schulbuchproduktion des Vichy-Regimes quantitativ unbedeutend war, wurden für die Zeit, in der die Lehrpläne von 1941 galten, nur vier Geschichtsbücher untersucht. Die Lehrpläne von 1938 spielen hier keine Rolle, da sie den cours moyen nicht veränderten.62 Innerhalb des deutschen Korpus werden die Zäsuren parallel 59 Selbst die Lehrwerke, die den Geschichtsstoff „progressiv“ anordneten, enthalten immer eine Wiederholung des gesamten Geschichtsstoffes. „Progressiv“ bedeutet hier, dass die Lehrwerke vom cours élémentaire bis zum cours moyen nur einen einzigen Durchgang durch die französische Geschichte machten und nicht zwei, sich wiederholende Durchgänge wie „konzentrisch“ aufgebaute Lehrwerke. 60 S. unten, Kap. 2.1. 61 Choppin, Alain, Le manuel scolaire, une fausse évidence historique, in: Histoire de l’éducation (2008), H. 117, S. 7–56, hier S. 19–36. 62 Programmes et instructions de 1938. Horaires des Écoles primaires. Programmes des trois dernières années. Certificat d’études primaires, hg. v. d. Fédération générale des pupilles de l’École publique, Paris 1938.

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zu den politischen Umbrüchen der deutschen Geschichte gesetzt, da sie anders als in den Gymnasien im Volksschulbereich entscheidende Faktoren der Veränderung waren.63 Demzufolge unterscheidet die folgende Untersuchung zwischen den Geschichtsbüchern des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des nationalsozialistischen Regimes und der Bundesrepublik bzw. der DDR. Die Übergangsphase von 1945 und 1949 wurde nicht berücksichtigt, da hier nur wenige neue Lehrwerke entstanden, die nicht wieder aufgelegt wurden. Einige Forscher haben gefordert, eine Schulbuchuntersuchung müsse alle Titel untersuchen, die innerhalb des Untersuchungszeitraumes erschienen sind.64 Dies ist, wenn man die gesamte Darstellung der Schulbücher untersucht, wegen der großen Zahl der erschienenen Bücher weder einlösbar noch sinnvoll, da die Erzählungen der Bücher sich insgesamt relativ ähnlich sind. Daher werden hier die jeweils am weitesten verbreiteten Lehrwerke untersucht. Die genauen Auflagenzahlen lassen sich heute bedauerlicherweise nicht mehr ermitteln.65 Lediglich der heute erhaltene Bestand erlaubt Rückschlüsse auf die ursprüngliche Verbreitung. Die folgende Untersuchung orientiert sich am Bestand von deutschen und französischen Bibliotheken, die über herausragende Schulbuchsammlungen verfügen. Dies sind in Deutschland die Bibliothek des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung (Braunschweig), die Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (Berlin) und die Deutsche Nationalbibliothek (Frankfurt am Main / Leipzig). In Frankreich wurden die Bibliothek des Institut National de Recherche Pédagogique (Lyon), die Bibliothek des Musée national de l’Éducation (Rouen) und die Bibliothèque nationale de France (Paris) konsultiert. 66 Als Geschichtsbücher gelten hierbei auch die historischen Kapitel von den Lehrwerken für den Realien- bzw. Sachunterricht, nicht jedoch historische Lesebücher, da diese keine fortlaufende Geschichtserzählung enthalten.67 63 S. unten, Kap. 2.6.3. 64 Meyers, Peter, Friedrich II. von Preußen im Geschichtsbild der SBZ/DDR. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsunterrichts in der SBZ/ DDR. Mit einer Methodik zur Analyse von Schulgeschichtsbüchern, Braunschweig 1983, Diss. Bonn 1982, S. 71. 65 Die Recherchen zu dieser Untersuchung bestätigen einen älteren Befund: Schallenberger, Geschichtsbild der Wilhelminischen Ära und der Weimarer Zeit, S. 31/2. 66 Das Korpus orientiert sich an der Zahl der Auflagen, die in den Bibliotheken stehen, da eine hohe Auflagenzahl dafür spricht, dass die Werke weit verbreitet waren. Doppelte Exemplare einer Ausgabe wurden nicht gezählt. 67 Wenn die Bücher keine Angabe zur Schulform enthielten, wurde überprüft, ob sie dem Lehrplan der Volksschule folgten. Da man erst seit den Bestimmungen über die Neuord­

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In Frankreich unterschied sich anders als in Deutschland die politische Ausrichtung der kirchlichen Schulen stark von derjenigen der staatlichen écoles pri­ maires. Zwischen einem Viertel und einem Fünftel der Schüler entzog sich den staatlichen Schulen, um auf katholischen Privatschulen zu lernen. Vor allem deren Geschichtsbücher hoben sich von den Lehrwerken der staatlichen Schulen ab. Daher werden pro Generation die sechs meistverbreiteten Bücher des staatlichen Schulwesens und die zwei meistverbreiteten Bücher der katholischen Privatschulen untersucht. Um dem föderalen Charakter des deutschen Bildungssystems gerecht zu werden, untersucht diese Arbeit Bücher aus verschiedenen Ländern. Zwar übte Preußen in Kaiserreich und Weimarer Republik eine „bildungspolitische Leitfunktion“68 aus, die sich auf dem Schulbuchmarkt niedergeschlagen hat. Dennoch unterschieden sich die landesspezifischen Geschichtsbücher bzw. die regionalen Ausgaben der nationalen Lehrwerke voneinander. Daher werden für das Kaiserreich und die Weimarer Republik je sechs preußische Lehrwerke ausgewählt sowie ein bayerisches und ein braunschweigisches69 als Vertreter der süd- und norddeutschen Länder. Für die nationalsozialistische Periode werden in Ermangelung eines braunschweigischen Geschichtsbuches ein bayerisches und sieben preußische Lehrwerke untersucht. Unter den sechs am meisten verbreiteten Geschichtsbüchern der jungen Bundesrepublik befinden sich zwei Lehrwerke aus Bayern, zwei aus Nordrhein-Westfalen, eines aus Niedersachsen und eines aus Baden-Württemberg. Diese Auswahl repräsentiert die föderale Vielfalt der frühen Bundesrepublik in angemessener Weise, zumal die Bücher meist in mehreren Ländern zugelassen waren.70 Die DDR hat nur zwei verschiedene Bücher für den Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe zugelassen, die hier beide untersucht werden. Insgesamt ergibt sich so ein Korpus von 60 Schulbüchern. Wenn ein nung des Mittelschulwesens in Preußen vom 3. Februar 1910 klar zwischen Volks- und Mittelschulen unterscheiden kann, gilt für die Jahre vor 1910 die Integration der klassischen Antike als Unterscheidungsmerkmal zwischen Volks- und Mittelschulen. 68 Führ, Christoph, Zur deutschen Bildungsgeschichte seit 1945, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 6: 1945 bis zur Gegenwart, Teilband 1: Bundesrepublik Deutschland, hg. v. Christoph Führ / Carl-Ludwig Furck, München 1998, S. 1–24, hier S. 4. 69 Auch Oldenburg wäre interessant gewesen, da es zu diesem Land eine sehr gute Untersuchung gibt: Günther-Arndt, Hilke, Geschichtsunterricht in Oldenburg 1900–1930, Oldenburg 1980. Die Entscheidung fiel zu Gunsten Braunschweigs, da dort der reichsweit einzige Versuch gemacht wurde, ein konsequent republikanisches Buch auf den Markt zu bringen. 70 S. unten, Kap. 2.9.

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Lehrwerk mehrere Teile hatte, gehörten die einzelnen Bände bisweilen verschiedenen Auflagen an. Diese unterschieden sich meist nur in Details voneinander. Sofern innerhalb einer Generation verschiedene Auflagen erschienen, die stark voneinander abwichen, werden diese in die Untersuchung einbezogen. An einigen Stellen werden zum Vergleich andere Lehrwerke herangezogen, etwa regionale oder konfessionelle Varianten der untersuchten Geschichtsbücher oder Ausgaben für andere Schulformen.71 Geschichtsbücher sind im Wesentlichen das Produkt von drei verschiedenen Diskursen. Zunächst fließen die Vorstellungen der Kultusbürokratie in die Schulbücher ein, die sich am deutlichsten in den Lehrplänen und in den staatlichen Zulassungsverfahren manifestieren. Außerdem schlagen sich die Ergebnisse der pädagogischen, didaktischen und methodischen Diskussionen über den Geschichtsunterricht in den Lehrwerken nieder. Schließlich beeinflussen alte und neue Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft die Darstellungen der Schulbücher. Um die Befunde der Schulbuchanalyse zu erklären, wurden diese drei Diskurse in den Blick genommen. Dabei geht es nicht darum, die zeitgenössischen Diskussionen vollständig wiederzugeben, sondern die Diskurse punktuell einzubeziehen, um die Schulgeschichtsschreibung aus ihrem Produktionskontext heraus zu erklären. Die Entwicklung der Geschichtswissenschaft in Deutschland und Frankreich ist hinreichend erforscht, so dass ein Blick in die Quellen, also in die zeitgenössischen Werke der Fachhistorie, nicht notwendig ist. Um den fachdidaktischen und pädagogischen Diskurs zu ergründen, wertet die Untersuchung neben herausragenden Einzelschriften die Jahrgänge der relevanten Lehrerzeitschriften aus. Wenn sich Fachhistoriker in diesen Zeitschriften zu didaktischen oder methodischen Fragen äußern, gelten sie als Teilnehmer des fachdidaktischen Diskurses. Für Frankreich werden das Journal des instituteurs et des institutrices untersucht sowie das offiziöse Manuel général de l’instruction primaire. Hinzu kommt das Bulletin de la Société générale d’éducation et d’enseignement, das die Vorstellungen der Lehrer widerspiegelte, die auf katholischen Privatschulen unterrichteten.72 Das Bul­ 71 Im Literaturverzeichnis wurde bei den Schulbüchern immer auch der Verlag aufgenommen, da auf diese Weise die Kontinuität zwischen verschiedenen Lehrwerken offensichtlich wird. Die Verlage bezeichneten die Einzelbände der Lehrwerke unterschiedlich mit den Ausdrücken „Band“, „Heft“ und „Teil“, wobei diese Bezeichnungen oft innerhalb eines einzigen Lehrwerkes variierten. Hier soll daher grundsätzlich von „Bänden“ die Rede sein. 72 Letzteres erschien nur bis 1947. Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es keine vergleichbare katholische Publikation mehr. Da die hitzigen Debatten um das Verhält-

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letin de la Société des Professeurs d’histoire et de géographie de l’enseignement public wurde nicht in die Untersuchung einbezogen, da es sich ausschließlich mit dem Geschichtsunterricht an höheren Schulen beschäftigte. Im Gegensatz dazu richteten sich die deutschen Geschichtslehrerzeitschriften Vergangenheit und Gegenwart (1911–1944) und Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (seit 1950) auch an die Lehrer der Volksschulen. Erstere ist laut Baumgärtner ein „Kristallisationspunkt der geschichtsdidaktischen Diskussion“.73 Die Zeitschrift der DDR-Geschichtslehrer, Geschichte in der Schule, wandte sich ohnehin an alle Lehrer des Einheitsschulsystems. Um den volksschulspezifischen Diskurs um den Geschichtsunterricht zu ergründen, wertet die Untersuchung zudem Der Volksschullehrer. Organ für die Interessen der Volksschule aus, die Zeitschrift des Deutschen Volksschulvereins,74 Die deutsche Schule (Weinheim), das Organ des Deutschen Lehrervereins bzw. der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, und die Allgemeine deutsche Lehrerzeitung als Zeitschrift der Allgemeinen deutschen Lehrerversammlungen. Des Weiteren werden amtliche Anweisungen zum Geschichtsunterricht in die Untersuchungen einbezogen. Für Frankreich sind dies die vier Lehrpläne von 1882, 1923, 1941 und 1945, die während des Untersuchungszeitraumes den Geschichtsunterricht im cours moyen regelten, sowie diverse Anordnungen, die diese modifizierten. Der deutsche Fall ist komplizierter. Innerhalb der größeren Länder Bayern und Preußen wurden die Lehrpläne zu Beginn des Jahrhunderts von den Bezirken und Gemeinden erstellt. Das Land Preußen erstellte mit den Allgemeinen Bestimmungen von 1872 und den Richtlinien von 1923 lediglich Rahmencurricula, die Lehrkräfte und Bildungsbürokraten vor Ort präzisierten und den lokalen Bedingungen anpassten. So lernten beispielsweise die Volksschüler im Regierungsbezirk Trier die Geschichte von „Gallien und Germanien unter römischer Herrschaft“, während ihre Berliner Altersgenossen sich ausschließlich mit den Germanen beschäftigten.75 Einige dieser Lehrpläne wurden in diese Unternis von Kirche und Staat in dieser Zeit aus den staatlichen Zeitschriften verschwanden, kann man davon ausgehen, dass es keinen spezifisch katholischen Diskurs mehr zum Geschichtsunterricht gab. Zur Auswahl vgl. Charmasson, Thérèse (Hg.), Histoire de l’enseignement. XIXe-XXe siècles. Guide du chercheur, 2. Aufl., Paris 2006, S. 563–566. 73 Baumgärtner, Ulrich, Transformationen des Unterrichtsfaches Geschichte. Staatliche Geschichtspolitik und Geschichtsunterricht in Bayern im 20. Jahrhundert, Idstein 2007, S. 133. 74 Einschließlich der Zeitschrift Der Klassenlehrer, des Vorgängers von Der Volksschullehrer. 75 Lehrplan für die preußischen Volksschulen nach den Bestimmungen des neuesten Mi-

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suchung einbezogen, für das Königreich Bayern etwa die Lehrpläne von Unterfranken, Oberbayern und München. Das bayerische Kultusministerium erstellte erstmals 1926 einheitliche Lehrpläne und ließ es sich während der nationalsozialistischen Herrschaft nicht nehmen, die reichsweiten Lehrpläne durch eigene Richtlinien zu ergänzen. Für die Zeit nach 1945 werden die Lehrpläne der Länder Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen untersucht sowie die Lehrpläne der DDR von 1951 und von 1955/56. Anders als der französische Staat hatten die deutschen Länder bzw. deren Bezirke das Recht, die Zulassung der Schulbücher zu genehmigen.76 Diese Studie beschäftigt sich nicht primär mit der Zulassungspraxis. Sie wertet lediglich die erhaltenen Zulassungslisten aus, um Informationen zum Einsatz der untersuchten Bücher zu erhalten. Derartige Listen finden sich in den jeweiligen Amtsblättern der Kultusbehörden. Da in Preußen die Provinzen und Bezirke für die Zulassung zuständig waren, fließt zudem Archivmaterial aus dem Landesarchiv Berlin und dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv in die Untersuchung ein. Die Bestände des Niedersächsischen Staatsarchivs Wolfenbüttel wurden konsultiert, um die Zulassungspraxis vor 1918 und die Entstehung des offiziellen braunschweigischen Lehrwerkes Geschichtsbilder zu erforschen. All diese Materialien stehen aber nicht im Zentrum der Arbeit. Ihr Zweck ist lediglich, den Diskurs der Bücher zu erklären und in den historischen Kontext einzuordnen.

nisterialerlasses vom 31. Januar 1908, bearbeitet von praktischen Schulmännern, Trier 1909; Grundlehrplan der Berliner Gemeindeschule, Neudruck, Berlin 1908. 76 S. unten, Kap. 2.6.1.

2 Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

2.1 Die Volksschule als Teil eines gegliederten Schulsystems

Die Positionen, die die deutschen und französischen Volksschulen im Schulsystem ihrer Zeit einnahmen, ähnelten sich. Die Bildungssysteme der beiden Länder waren in je „zwei Reiche“77 aufgeteilt, die durch eine scharfe Grenze voneinander getrennt waren. In Deutschland gab es die höheren Schulen, auf die vorwiegend die Kinder aus gebildeten Schichten gingen. Zu diesen zählten unter anderem das Gymnasium, das Realgymnasium und die Oberrealschule. Die Kinder aus weniger gebildeten Schichten besuchten in der Regel niedere Schulen, zu denen die Volksschulen und die Realschulen zählten. Die einzige Ausnahme im Untersuchungszeitraum bildete die DDR, die eine Gesamtschule ins Leben rief. Die französischen Volksschulen, die écoles primaires („Primarschulen“) hießen, boten eine allgemeine Bildung für die breite Masse der Bevölkerung, während die écoles secondaires („Sekundarschulen“), zu denen collège und lycée zählten, Schüler aus gehobenen Schichten auf Führungspositionen in der Gesellschaft vorbereiteten.78 Das folgende Kapitel soll auf der Basis der bisher erschienenen Literatur das deutsche und das französische Volksschulwesen kurz vergleichen, um die grundsätzlichen Rahmenbedingungen des Geschichtsunterrichts an Volksschulen festzuhalten. Das föderale System in Deutschland erschwert den Vergleich. Es werden jeweils Beispiele für die Länder angeführt, deren Schulbücher in der folgenden Untersuchung herangezogen werden. Insgesamt ähnelten sich die quantitative Bedeutung, die das Volksschulwesen in den beiden Ländern hatte, seine Funktion im Schulsystem und die Ausbildung der Lehrer. Grundsätzlich unterschieden sich hingegen das Verhältnis zwischen Schule und Religion sowie das Prestige und Selbstbewusstsein der Volksschulen. Die deutsche und die französische Volksschule waren die zahlenmäßig bedeutendste Schulform innerhalb des jeweiligen Bildungssystems. Im Jahr 1911 besuchten 89,7% der Knaben und 91,2% der Mädchen in Preußen eine Volksschule.79 Im 77 Kluchert, Gerhard / Hellmut Becker, Die Bildung der Nation. Schule, Gesellschaft und Politik vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, Stuttgart 1993, S. 1. 78 In dieser Untersuchung werden deutsche Volksschulen und französische écoles primaires beide als „Volksschulen“ bezeichnet, um den Text lesbarer zu machen. 79 Lundgreen, Peter, Schulsystem, Bildungschancen und städtische Gesellschaft, in: Hand-

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

Laufe des Untersuchungszeitraums bröckelte diese Dominanz. Aber noch 1952 besuchten in der Bundesrepublik 80% der 13-Jährigen die Oberstufe der Volksschule, 1959 waren es immerhin noch 70%.80 In Frankreich ist das quantitative Übergewicht der Volksschulen noch deutlicher. Im Jahrgang 1928/29 besuchten 291.000 Schüler die écoles secondaires, während die écoles primaires im gleichen Zeitraum 4.000.000 Kinder und Jugendliche beschulten. Die Prozentwerte für einen einzelnen Jahrgang dürften noch eindrucksvoller sein als die absoluten Zahlen, da die Schüler der höheren Schulen üblicherweise länger im Schulsystem blieben als die Volksschüler. Die stete Expansion des höheren Schulwesens veränderte dieses Zahlenverhältnis bis zum Ende der fünfziger Jahre nicht wesentlich.81 Betrachtet man den Ausbau des Volksschulwesens in den beiden Ländern, ergeben sich wieder überwiegend Gemeinsamkeiten. Frankreich und die deutschen Länder hatten bereits im 19. Jahrhundert die allgemeine Schulpflicht eingeführt und das gesamte Territorium mit einem dichten Netz an Volksschulen überzogen. Die Dauer des Schulbesuchs lag in den deutschen Ländern tendenziell über der Anzahl der Jahre, die französische Schüler in ihren Volksschulen verbrachten. In Frankreich hatten Jules Ferrys Schulgesetze von 1881/82 festgelegt, dass alle französischen Kinder zwischen 6 und 13 Jahren die Schule besuchen mussten. Die Schulpflicht betrug somit sieben oder acht Jahre, je nachdem, ob die Schüler mit fünf oder sechs in die Schule kamen. Wenn Schüler das Abschlussdiplom certificat d’études primaires élémentaires erworben hatten, endete ihre Schulpflicht bereits im Alter von 11 Jahren, sie mussten nicht mehr den cours supérieur, ein Art Aufbaustufe, besuchen. Dies gelang der Hälfte der Schüler. Erst die Volksfrontregierung verlängerte die Schulpflicht bis zum 14. Lebensjahr. Ab 1959 mussten die jungen Franzosen bis zum 16. Lebensjahr in die Schule gehen, wobei die meisten dies bereits vor diesem Datum taten.82 In Preußen bestand bereits seit dem 18. Jahrhundert Unterrichtspflicht. Um 1900 mussten preußische Schüler zwischen dem 6. und dem 14. Lebensjahr, also 8 Jahre, in die Schule gehen. Bayern hingegen buch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 4: 1870–1918. Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, hg. v. Christa Berg, München 1991, S. 304–313, hier S. 307. 80 Furck, Carl-Ludwig, Allgemeinbildende Schulen. Das Schulsystem, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 6: 1945 bis zur Gegenwart, Teilband 1: Bundesrepublik Deutschland, hg. v. Christoph Führ / Carl-Ludwig Furck, München 1998, S. 282– 356, hier S. 296. 81 Prost, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 4, S. 18–21. 82 Ebd., S. 26 u. S. 166; Dancel, Enseigner l’histoire, S. 139.

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führte erst 1913 das 8. Pflichtschuljahr ein. Die Weimarer Republik verankerte schließlich die achtjährige Schulpflicht in ihrer Verfassung. Einige Länder verpflichteten ihre Schüler allerdings zu einem sieben- bzw. neunjährigen Schulbesuch. Erst das nationalsozialistische Regime zwang Bayern, seine Kinder 8 Jahre zu beschulen.83 Die DDR und die meisten Länder der Bundesrepublik hielten zunächst an der achtjährigen Volksschulpflicht fest und verlängerten erst 1959 bzw. in den sechziger Jahren die allgemeine Schulpflicht auf 10 Jahre.84 Die allgemeine Schulpflicht verhinderte nicht, dass ein Teil der Kinder sich dem Schulbesuch zumindest vorübergehend entzog. Eine französische Studie von 1904 kam zum Schluss, dass 4% der städtischen und 10% der ländlichen Schüler mehr als vier Monate pro Jahr in der Schule fehlten.85 Erst 1930 setzte der französische Staat die Schulpflicht endgültig durch.86 Preußen und Bayern scheinen das Problem der Schuldistanz im Laufe des 19. Jahrhunderts in den Griff bekommen zu haben.87 Neben der Organisation in Zwergschulen waren die langen Fehlzeiten der Schüler einer der Gründe, weswegen der Geschichtsunterricht zu Beginn des Jahrhunderts nicht progressiv, sondern konzentrisch aufgebaut war. Das bedeutet, dass die Lehrer jedes Jahr, bisweilen zeitlich versetzt, die gleichen Inhalte durchnahmen. Dies sollte verhindern, dass das historische Wissen der Schüler „Lücken“ bekam.88 83 Zymek, Bernd, Schulen, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 5: 1918– 1945. Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur, hg. v. Dieter Langewiesche / Heinz-Elmar Tenorth, München 1989, S. 155–208, hier S. 166 u. S. 195. 84 Furck, Allgemeinbildende Schulen. Das Schulsystem, S.  296; Baske, Siegfried, Allgemeinbildende Schulen. Das Schulsystem, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 6: 1945 bis zur Gegenwart, Teilband 2: Deutsche Demokratische Republik und neue Bundesländer, hg. v. Christoph Führ / Carl-Ludwig Furck, München 1998, S. 159–202, hier S. 174–184. 85 Grèzes-Rueff, François / Jean Leduc, Histoire des élèves en France. De l’Ancien Régime à nos jours, Paris 2007, S. 68. 86 Loison, Marc, L’école primaire française. De l’Ancien Régime à l’éducation prioritaire, Paris 2007, S. 245. 87 Sauer, Michael, Vom „Schulehalten“ zum Unterricht. Preußische Volksschule im 19. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien 1998, S. 20; Liedtke, Max, Von der erneuerten Verordnung der Unterrichtspflicht (1802) bis 1870. Gesamtdarstellung, in: Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens, Bd.  2: Geschichte der Schule in Bayern. Von 1800 bis 1918, hg. v. Max Liedtke, Bad Heilbrunn 1993, S. 11–133, hier S. 60/1. 88 Vgl. Loison, L’école primaire, S. 245; Dancel, Enseigner l’histoire, S. 63/4; Programmes officiels des Écoles primaires élémentaires. Interprétations, Divisions, Emplois du temps, hg. v. F. Mutelet / A. Dangueuger, 3. Aufl., Paris 1911, S. 132.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

Die Schülerschaft in beiden Ländern war sozial weitgehend homogen. Die Schulsysteme erhoben nicht einmal theoretisch den Anspruch, die Schüler gemäß ihrer Begabung den verschiedenen Schulformen zuzuweisen. Um 1900 fiel die Entscheidung, welche Schulform ein Kind besuchte, bereits mit der Einschulung.89 Die Schüler der höheren Anstalten gingen von der ersten Klasse an auf die „Vorschulen“ der Gymnasien bzw. auf die petites classes der lycées. Im Gegensatz zu den Volksschulen waren diese Klassen kostenpflichtig. Die Schulwahl hing damit nicht von der Begabung des Kindes ab, sondern vor allem von den Karrierevorstellungen und den finanziellen Möglichkeiten der Eltern. Folge dieses Systems war, dass die Schüler der jeweiligen Schulen aus ähnlichen Schichten kamen. Während in den Volksschulen die Kinder von Bauern, Arbeitern, Handwerkern und kleinen Angestellten gemeinsam lernten, blieben die Kinder des Bürgertums in den höheren Schulen unter sich.90 Während in Frankreich der Wechsel zwischen den Schulsystemen nicht vorgesehen war, konnten deutsche Volksschüler im Kaiserreich unter Umständen auf eine höhere Schule übertreten. Für begabte Schüler erwies sich die geringe Regelungsdichte in Deutschland von Vorteil, da sie eine Vielfalt von Volksschulen mit unterschiedlichen Bildungsambitionen zuließ.91 Einem Teil der Volksschulen gelang es im Kaiserreich, sich zu Mittelschulen weiterzuentwickeln. Dieser neue Schultypus etablierte sich zwischen Volksschulen und Gymnasien und wurde in Preußen 1910 von den Volksschulen abgegrenzt.92 Kritiker warfen dem deutschen Schulsystem vor, soziale Ungleichheit zu reproduzieren und damit die Herrschaftsverhältnisse zu sichern. Interessant ist, dass in Frankreich die Volksschulen nur selten in den Verdacht gerieten, die unteren Schichten am sozialen Aufstieg zu hindern. Ganz im Gegenteil, das Volksschulwesen galt als wesentlicher Motor des sozialen Aufstiegs, obwohl es ähnlich wie 89 Eine Ausnahme bilden Bayern und einige andere Länder, die bereits im Kaiserreich durchgesetzt hatten, dass alle Kinder in eine gemeinsame Grundschule gingen: Buchinger, Hubert, Die Schule in der Zeit der Weimarer Republik. Gesamtdarstellung, in: Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens, Bd.  3: Geschichte der Schule in Bayern. Von 1918 bis 1990, hg. v. Max Liedtke, Bad Heilbrunn 1997, S. 15– 75, hier S. 63. 90 Ein statistischer Beleg liegt nur für Deutschland vor: Lundgreen, Schulsystem, Bildungschancen und städtische Gesellschaft, S. 309. 91 Prost, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 4, S. 234; Kuhlemann, Frank-Michael, Niedere Schulen, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 4: 1870–1918. Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, hg. v. Christa Berg, München 1991, S. 179–227, hier S. 189/9. 92 Zymek, Schulen, S. 158/9.

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in Deutschland für Volksschüler kaum Möglichkeiten gab, schulischen Erfolg mit einem Hochschulstudium zu krönen. Diese gegensätzliche Einschätzung überrascht. Die tatsächlichen Aufstiegschancen der Volksschüler in beiden Ländern hat die Forschung bislang nicht ermittelt. Ein umfassender historischer Vergleich der europäischen Volksschulen wäre daher ein spannendes Desiderat. Die Grenze zwischen höheren und niederen Schulen wurde in beiden Ländern im Laufe des 20. Jahrhunderts durchlässiger bzw. abgeschafft. Bereits im Kaiserreich forderten linke Bildungspolitiker, die Trennung zwischen den Schulformen aufzuheben. Die Weimarer Republik verbot 1920 zunächst die Vorschulen der Gymnasien und führte reichsweit eine vierjährige Grundschule ein, in der alle Schüler gemeinsam lernten. Das Projekt, das Schulsystem darüber hinaus zu vereinheitlichen, scheiterte am Widerstand der bürgerlichen Parteien.93 Auch NS-Regime und Bundesrepublik haben die Gesamtschule nicht durchgesetzt. Da immer weniger Schüler nach der vierten Klasse auf den Volksschulen blieben, entwickelten Volksschuldidaktiker in den fünfziger Jahren mit dem Konzept der „volkstümlichen Bildung“ eine eigenständige Bildungsidee, die ihren Unterricht grundsätzlich von demjenigen des Gymnasiums und der Realschule unterschied.94 Erst die Reformen der sechziger Jahre führten in den oberen Klassen der Volksschulen, die nun Hauptschulen hießen, einen wissenschaftsorientierten Unterricht ein, der die Schüler auf das Berufsleben vorbereitete.95 Die DDR hingegen fusionierte die Volksschulen, die Mittelschulen und die unteren Klassen der Gymnasien 1946 zu einer achtjährigen „Grundschule“. Sie wandelte diese Gesamtschule ab 1955 in die „Mittelschule“ um, die sie ab 1959 zur „Zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule“ weiterentwickelte.96 Die französischen Volksschulen genossen bei ihrer Klientel ein vergleichbar hohes Ansehen, so dass es zunächst keine Debatte über eine Einheitsschule gab. Die Expansion des enseignement primaire supérieur ermöglichte zudem einen Bildungsaufstieg innerhalb des Volksschulsystems. Absolventen der Volksschulen 93 Ebd., S. 165. 94 Furck, Allgemeinbildende Schulen. Entwicklungstendenzen und Rahmenbedingungen, S. 250; Baumgärtner, Transformationen des Unterrichtsfaches Geschichte, S. 134; Alavi, Bettina, Geschichte „light“ in der Volksschule!? Volkstümliche Bildung in der Nachkriegszeit, in: Wolfgang Hasberg / Manfred Seidenfuß (Hg.), Modernisierung im Umbruch. Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht nach 1945, Berlin 2008, S. 317– 332. 95 Furck, Allgemeinbildende Schule. Das Schulsystem, S. 295/6. 96 Baske, Allgemeinbildende Schulen. Das Schulsystem, S. 295.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

konnten an diesen weiterführenden Schulen das Brevet élémentaire erwerben, das den Weg zu niederen Posten im Staatsdienst oder zum Beruf des Volksschullehrers ebnete. Anders als die deutschen Mittelschulen waren die écoles primaires supé­ rieures und die cours complémentaires der Volksschulen, die diesen weiterführenden Unterricht erteilten, ein fester Bestandteil des Volksschulwesens. Den Unterricht erteilten Volksschullehrer, die weder über eine höhere Schulbildung noch über eine akademische Ausbildung verfügten.97 Die Franzosen schätzten diese Schulen, da sie die Schüler praxisnah und in kurzer Zeit ausbildeten. Die besten Schüler der Volksschulen zogen die höheren Volksschulen oft den Gymnasien vor. Auch nach 1930, als die Kostenfreiheit für Gymnasien eingeführt wurde, blieb der Andrang auf die höheren Volksschulen hoch. Ihre Eingangsprüfung war schwerer als diejenige der Gymnasien.98 Der Gedanke einer Einheitsschule tauchte in Frankreich erst nach dem Ersten Weltkrieg auf. Inspiriert durch den klassenübergreifenden Einsatz an der Front, machten sich zahlreiche Veteranen für diese Idee stark. Glaubt man der Forschung, hat die französische Linke vor dem Ersten Weltkrieg den Klassencharakter des französischen Schulsystems schlichtweg übersehen.99 Die französische Bildungspolitik vereinheitlichte 1925 und 1926 zunächst die Rekrutierung der Lehrer und die Lehrpläne für die unteren Klassen der Volksschule und die petites classes der höheren Schulen. Ab dem Ende der zwanziger Jahre passten die Schulbuchverlage ihr Angebot dieser Politik an und gaben gemeinsame Schulbücher für Volksschulen und Unterklassen der lycées und collèges heraus. Die Regierung verzichtete aber darauf, die Schulen selbst zusammenzulegen. Erst 1932 erfolgte ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur französischen Gesamtschule. Die Regierung beschloss, dass der Besuch der höheren Schulen kostenlos sein müsse. Diese Maßnahme führte allerdings nicht zu einem Massenansturm auf die höheren Schulen, da das Enseignement primaire supérieur den Bildungserwartungen der aufstrebenden Mittelschichten eher entsprach als die humanistisch ausgerichteten höheren Schulen. Erst das Regime von Vichy weichte die Grenzen zwischen Enseignement primaire und Enseignement secondaire auf, indem es die weiterführenden Schulen des Volksschulsystems den höheren Schulen zuschlug. Diese Maßnahme sollte 97 Mayeur, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 3, S. 609–612. 98 Prost, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 4, S. 248–251. Kritischer gegenüber den höheren Volksschulen äußert sich Crubellier, Maurice, L’École républicaine (1870– 1940). Esquisse d’une histoire culturelle, Paris 1993, S. 45. 99 Loison, L’école primaire, S. 269–274; Prost, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 4, S. 237.

Die Volksschule als Teil eines gegliederten Schulsystems 47

eigentlich die humanistische Bildung stärken. In der Tat wertete sie die höheren Volksschulen auf, so dass die Regierung von Vichy gegen ihre ursprüngliche Absicht die Weichen zur „Demokratisierung“ des Schulsystems stellte. Nachdem die Bildungspolitik der Vierten Republik weitgehend gelähmt war, bauten schließlich die Regierungen der Fünften Republik das französische Schulwesen ab 1959 schrittweise zu einem Gesamtschulsystem um.100 Betrachtet man das Verhältnis von niederem und höheren Schulwesen sowie die Möglichkeiten der Volksschüler, sich bis zu einem Hochschulstudium emporzuarbeiten, stellt man fest, dass die Grenze zwischen den beiden „Reichen“ in Frankreich noch weniger durchlässig war als in Deutschland. Umso mehr erstaunt, dass in Frankreich die Differenzierung nach sozialer Herkunft lange unumstritten war, während die deutsche Sozialdemokratie die deutsche Volksschule bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Produkt der Klassengesellschaft betrachtete.101 Gerade die französische Linke betrachtete das Volksschulwesen als Vorzeigeprojekt der Dritten Republik, das sozialen Aufstieg ermöglichte.102 Wie erwähnt warfen Bildungshistoriker und linke Bildungspolitiker den deutschen Volksschulen vor, sie hätten die Bildung der unteren Gesellschaftsschichten beschränkt und nicht entfaltet. Dieser Vorwurf fehlt in Frankreich. Diese Untersuchung kann nicht klären, ob das deutsche Schulwesen tatsächlich den sozialen Aufstieg in stärkerem Maße bremste. Der Vergleich der Geschichtsbücher wird allerdings zeigen, dass zumindest der Geschichtsunterricht an den deutschen Volksschulen bis in die fünfziger Jahre tatsächlich von dem Gedanken geprägt war, Volksschüler benötigten anders als Gymnasiasten nur ein begrenztes historisches Reflexionsvermögen. Der Geschichtsunterricht der französischen Volksschulen zielte im Gegensatz dazu darauf, den Volksschülern Fähigkeiten zu historischem Denken zu vermitteln, die dem Niveau der höheren Schulen vergleichbar waren. Auf diesem Feld lässt sich daher durchaus bestätigen, dass die deutsche Volksschule noch bis ins 20. Jahrhundert eher die Bildung ihrer Schüler begrenzte als förderte. Das würde ansatzweise erklären, warum die deutsche Linke die Volksschulen nicht als Aufstiegsmotoren betrachtete.

100 Ebd., Bd. 4, S. 225–309. 101 Kluchert / Becker, Die Bildung der Nation, S. 1. 102 Mayeur, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 3, S. 614 u. S. 617.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

2.2 Die Ausbildung der Volksschullehrer

Die Ausbildung der Volksschullehrer ähnelte sich weitgehend. Zunächst einmal gab es in beiden Systemen keine Fach-, sondern Klassenlehrer. Es gab daher keine besonders ausgebildeten Lehrer für das Fach Geschichte, sondern die Volksschullehrer unterrichteten aufgrund einer breiten Ausbildung alle Fächer. In beiden Ländern kamen die Volksschullehrer zu Beginn des Jahrhunderts selbst aus dem niederen Schulsystem. Sie verfügten nicht über ein Hochschulstudium, sondern erhielten an besonderen staatlichen Ausbildungsstätten fachlichen und methodischen Unterricht. Auf diese Ausbildung nahm der Staat einen ungleich größeren Einfluss als auf das Studium der künftigen Gymnasiallehrer. In beiden Ländern gab es innerhalb des Untersuchungszeitraumes einen Trend zur Akademisierung der Volksschullehrerbildung. Wer zu Beginn des 20. Jahrhunderts Volksschullehrer werden wollte, durchlief eine dreijährige Ausbildung, die in Preußen und Bayern auf einem staatlichen Lehrerseminar und in Frankreich auf einer école normale stattfand. Um die Eingangsprüfung dieser Institute zu bestehen, absolvierten die deutschen Lehrer eine private oder staatliche zweijährige Präparandenanstalt, während ihre französischen Kollegen die Klassen des enseignement primaire supérieur absolvieren mussten. Die Ausbildung im Lehrerseminar bzw. in der école normale umfasste Kurse in allen Schulfächern und in Pädagogik. Der Unterricht an den écoles normales war, folgte man Marc Loison, von „einem schwindelerregenden Enzyklopädismus“ („un encyclopédisme vertigineux“) geprägt.103 Die angehenden Lehrer beider Länder wohnten in Internaten. Ihr Alltagsleben war einer strikten Disziplin unterworfen. Während die Forschung für Deutschland oft den Zwangscharakter dieser Ausbildung hervorgehoben hat, betont Stratmann, dass die meisten Seminaristen die Regeln des Zusammenlebens, etwa die Verpflichtung, Hochdeutsch zu sprechen, als sinnvoll betrachteten. Die Seminare hätten ihre Schüler zu Multiplikatoren bürgerlicher Werte wie Fleiß, Ordnung und Pünktlichkeit ausgebildet. Diese Ausbildung habe erfolgreich den gemeinsamen beruflichen Habitus geprägt.104 In beiden Ländern sollten die Seminaristen bzw. normaliens nicht nur fachliche und methodische Kenntnisse erwerben, sondern bestimmte Werte und Verhaltenswei103 Loison, L’école primaire, S. 285/6. Vgl. Albertini, L’école en France, S. 114. 104 Stratmann, Hildegard, Lehrer werden. Berufliche Sozialisation in der Volksschullehrer-Ausbildung in Westfalen (1870–1914), Münster u.a. 2006, Diss. Münster 2004, S. 109 u. S. 305/6; Prost, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 4, S. 205.

Die Ausbildung der Volksschullehrer 49

sen verinnerlichen. Die Ausbildung endete mit der Ersten Volksschullehrerprüfung bzw. dem brevet supérieur. Vor der endgültigen Festanstellung musste der Lehrer noch eine stärker schulpraktisch ausgerichtete Prüfung absolvieren: die Zweite Volksschullehrerprüfung bzw. das certificat d’aptitude pédagogique.105 Im Laufe des 20. Jahrhunderts akademisierten die deutschen und französischen Bildungspolitiker den Beruf des Volksschullehrers. Preußen ersetzte die Seminare in den zwanziger Jahren durch Pädagogische Akademien. Dort lernten die künftigen Lehrer einen kritischen, wissenschaftsorientierten Zugang zu den Fächern kennen, anstatt nur Wissen auswendig zu lernen. Die Studenten dieser Akademien hatten das Abitur, das Volksschüler in Aufbauklassen und neu eingerichteten Deutschen Oberschulen erwerben konnten. Allerdings stammte nur ein Teil der Studenten der Pädagogischen Akademien von diesen Schulen, da der Beruf des Volksschullehrers nun für die Absolventen der anderen höheren Schulen attraktiv wurde. Langfristig hat sich so die Struktur der Volksschullehrerschaft entscheidend verändert. Bayern hingegen hielt in der Weimarer Zeit – auch aus finanziellen Gründen – an der seminaristischen Ausbildung fest. Braunschweig ging wie Thüringen, Sachsen, Hamburg, Hessen und Mecklenburg-Schwerin bereits dazu über, die Volksschullehrer an den Universitäten und Technischen Hochschulen auszubilden.106 105 Sauer, Michael, Volksschullehrerbildung in Preußen. Die Seminare und Präparandenanstalten vom 18. Jahrhundert bis zur Weimarer Republik, Köln  / Wien 1987, v.a. S. 93/4, S. 95, S. 98 u. S. 132; Schmaderer, Franz Otto, Geschichte der Lehrerbildung in Bayern, in: Max Liedtke (Hg.), Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens, Bd. 4, Bad Heilbrunn 1997, S. 407–440; Béguier-Parrot, Claudine, Les instituteurs des Deux-Sèvres du début du XXe siècle, La Crèche 2007, S.  113–163; Condette, Jean-François, Histoire de la formation des enseignants en France (XIXeXXe siècles), Paris 2007, S. 102–130. Braunschweiger Volksschullehrer besuchten ein einheitliches sechsklassiges Seminar, so dass dort die gesamte Volksschullehrerausbildung unter staatlicher Aufsicht stand: Wieden, Claudia bei der, Vom Seminar zur NSLehrerbildungsanstalt. Die Braunschweiger Lehrerausbildung 1918 bis 1945, Köln / Weimar / Wien 1996, S. 26/7. Ansonsten glich die Ausbildung derjenigen in Preußen: Schild, Hans-Joachim, Niedersächsische Schul- und Bildungsgeschichte im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Aus dem Nachlass des Verfassers hg. v. Brigitte Schild, bearb. v. Cord Alphei, Hildesheim / Zürich / New York 1998, S. 89. 106 Schmaderer, Lehrerbildung, S. 423; Wieden, Vom Seminar zur NS-Lehrerbildungsanstalt; Müller-Rolli, Sebastian, Lehrer, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd.  5: 1918–1945. Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur, hg. v. Dieter Langewiesche / Heinz-Elmar Tenorth, München 1989, S. 240– 258, hier S. 241–244.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

Das nationalsozialistische Regime vereinheitlichte die Volksschullehrerbildung 1937. Es dehnte das preußische Modell der Pädagogischen Akademien unter dem Namen „Hochschule für Lehrerbildung“ auf das gesamte Reich aus.107 1940/41 gründete das Regime zusätzlich Lehrerbildungsanstalten, die Volksschullehrer wieder nicht-akademisch ausbildeten. In der Forschung ist umstritten, ob diese Maßnahme vorwiegend kriegsbedingt war oder ob die Nationalsozialisten die Volksschullehrerbildung planmäßig reseminarisieren wollten.108 Mit der Gründung der Bundesrepublik kehrte die föderale Vielfalt in den Westen des Landes zurück. Während Bayern und Baden-Württemberg ihre Volksschullehrer noch an Seminaren ausbildeten, richteten andere Bundesländer Pädagogische Hochschulen ein oder bildeten ihre Volksschullehrer an Universitäten aus. Insgesamt zeichnet sich ein klarer Trend zur Akademisierung ab, da die Bundesländer langfristig alle ihre Volks- bzw. Hauptschullehrerausbildung an Hochschulen verlagerten. Die DDR hingegen regelte die Lehrerausbildung einheitlich. Sie experimentierte zu Beginn der fünfziger Jahre mit einer akademischen Lehrerbildung, kehrte aber rasch wieder zur Ausbildung an außeruniversitären Einrichtungen zurück. Außerdem rekrutierte das Regime zahlreiche neue, politisch genehme „Neulehrer“, die in Schnellkursen ihren Beruf erlernten.109 Das System der Lehrerbildung war in Frankreich deutlich stabiler als in Deutschland. Die Dritte Republik hielt bis zu ihrem Ende am System der écoles normales fest. Das Regime von Vichy hingegen ließ 1940 die écoles normales schließen, da es der republikanischen Lehrerausbildung aus ideologischen Gründen misstraute. Volksschullehrer sollten nun in Gymnasien das Abitur ablegen und anschließend eine einjährige pädagogische Ausbildung in einem institut de formation profession­ nelle absolvieren. Die Vierte Republik führte das Monopol der écoles normales 107 Ebd.; Blömeke, Sigrid, „… auf der Suche nach festem Boden“. Lehrerausbildung in der Provinz Westfalen 1945/46. Professionalisierung versus Bildungsbegrenzung, Münster u.a. 1999, Diss. Paderborn 1999, S. 38 u. S. 45/6. 108 Wieden, Vom Seminar zur NS-Lehrerbildungsanstalt, S.  210–212. Vgl. Gutzmann, Ulrike, Von der Hochschule für Lehrerbildung zur Lehrerbildungsanstalt. Die Neuregelung der Volksschullehrerausbildung in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre Umsetzung in Schleswig-Holstein und Hamburg, Düsseldorf 2000. 109 Müller-Rolli, Sebastian, Lehrerbildung, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 6: 1945 bis zur Gegenwart, Teilband 1: Bundesrepublik Deutschland, hg. v. Christoph Führ / Carl-Ludwig Furck, München 1998, S. 398–411; ders., Lehrerbildung, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 6: 1945 bis zur Gegenwart, Teilband 2: Deutsche Demokratische Republik und neue Bundesländer, hg. v. Christoph Führ / Carl-Ludwig Furck, München 1998, S. 254–256.

Die Ausbildung der Volksschullehrer 51

wieder ein. Allerdings bereiteten die Schulen nun in den ersten drei Jahren auf das Abitur vor und folgten einem ähnlichen Lehrplan wie die Gymnasien. In einem vierten Schuljahr erwarben die künftigen Lehrer methodische und pädagogische Fähigkeiten. Da in den fünfziger Jahren Volksschullehrer fehlten, durften auch normale Abiturienten an diesem Schuljahr teilnehmen. Bis in die siebziger Jahre hinein dominierten allerdings die Volksschullehrer, die eine klassische Ausbildung an einer école normale erhalten hatten.110 Die große Mehrheit der Lehrer, die zwischen 1900 und 1960 an deutschen und französischen Volksschulen Geschichte unterrichtete, hatte somit keine wissenschaftliche Ausbildung in Geschichte. Das Wissen, das sie selbst in ihrer Volksschulzeit erworben hatten, ergänzten und vertieften sie an Präparandenanstalten und Seminaren, Aufbauschulen bzw. Deutschen Oberschulen oder an écoles pri­ maires supérieures und écoles normales. Der Unterricht dort zielte nicht wie das Hochschulstudium auf eine eigenständige Auseinandersetzung mit Geschichte, sondern er vermittelte grundlegendes Wissen. Ein preußischer Seminarist hatte zu Beginn des Jahrhunderts drei Jahre lang je zwei Wochenstunden Geschichtsunterricht. Der Staat bemühte sich, diesen Geschichtsunterricht ideologisch zu kontrollieren. Der Lehrplan von 1901 sah aber auch vor, dass die angehenden Volksschullehrer selbstständig Quellen studierten und wissenschaftliche Texte lasen, was einen Hauch akademischer Bildung in die Seminargebäude brachte.111 Mit der Gründung der Pädagogischen Akademien bekam die Geschichtsdidaktik einen Platz im Stundenplan der künftigen Lehrer. Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich ergeben sich, wenn man betrachtet, wer die künftigen Lehrer ausbildete. An den Seminaren, an den Pädagogischen Akademien und an den Pädagogischen Hochschulen arbeiteten einerseits Volksschullehrer, die sich innerhalb des Volksschulwesens nach oben gearbeitet hatten. Außerdem lehrten an diesen Ausbildungsstätten auch Gymnasiallehrer, die über eine universitäre Ausbildung, oftmals eine Promotion, verfügten und dadurch eine Verbindungsstelle zwischen dem Geschichtsunterricht an der Volksschule und der universitären Geschichtswissenschaft bildeten. Diese Gymnasiallehrer schufen ein „Bildungsgefälle“ innerhalb der Seminare, das Konflikte 110 Prost, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 4, S. 205–208. 111 Lehrpläne für Präparandenanstalten und Lehrerseminare, sowie methodische Anweisungen zu beiden Plänen, in: Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, Jg. 43 (1901), H. 8/9, S. 600–641, hier S. 634. Vgl. Sauer, Volksschullehrerbildung in Preußen, S. 132/3.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

zwischen den seminaristisch gebildeten Volksschullehrern und den akademisch gebildeten Lehrern auslöste.112 Anders als an deutschen Ausbildungsstätten gab als an den écoles normales keine Lehrer mit einer akademischen Ausbildung. Das Lehrpersonal dieser Schulen rekrutierte sich aus der Volksschullehrerschaft. Die besten Absolventen der écoles normales konnten an die écoles normales supérieures in Saint-Cloud und in Fontenay übertreten und dort die Lehrberechtigung für die Lehrerausbildung erwerben. Daher hatte der Geschichtsunterricht an den écoles normales kaum institutionelle Verbindungen zur universitären Geschichtswissenschaft. Der Wissenstransfer von der Universität zur Schule beschränkte sich auf Konferenzen, die in einigen Universitätsstädten Volks- und Hochschullehrer an einen Tisch brachten.113 Der fehlende Kontakt zur außerschulischen Welt führte dazu, dass die Volksschulen sich zu einem geschlossenen System entwickelten. Sie konservierten den Geist ihrer Gründungszeit, der 1880er Jahre, und entwickelten sich zu Trägern eines dogmatischen Republikanismus. Die Rechte und moderate Republikaner kritisierten häufig die ideologische Färbung der Volksschullehrerausbildung.114 Andererseits blieben die écoles normales von dem Dauerkonflikt zwischen Ausbildern mit höherer und niederer Schulbildung verschont, der für Deutschland charakteristisch war. Die Beziehungen zwischen Volksschule und Universität waren daher deutlich entspannter.115

2.3 Das Prestige der Volksschule und das Selbstbewusstsein ihrer Lehrer

Auch wenn sich die Stellung der französischen und deutschen Volksschule innerhalb des gegliederten Schulsystems ähnelte, so unterschieden sie sich, was das Prestige der Schule und das Selbstbewusstsein ihrer Lehrer anging. Die deutschen Volksschullehrer gehörten zu den „Unterprivilegierten“ des Schulsystems. Sie waren mit ihrer Stellung tendenziell unzufrieden. Neidvoll blicken sie auf das höhere 112 Ebd., S. 120–130; Stratmann, Lehrer werden, S. 156. 113 Vgl. z.B. Édouard Gillet, L’histoire et la méthode concentrique à l’école primaire, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 48 (1903/04), H. 9, 22.11.1903, S. 117– 119. 114 Mayeur, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 3, S. 612/3; vgl. z.B. E. Bonne, Pour les écoles normales, in: Manuel général. Partie générale, Jg.  93 (1925/26), H.  3, 10.10.1925, S. 58/9. 115 S. unten, Kap. 2.8.

Das Prestige der Volksschule und das Selbstbewusstsein ihrer Lehrer 53

Gehalt und Sozialprestige der akademisch gebildeten Gymnasiallehrer, die nach Bölling für die Volksschullehrer „zum Modell kollektiver Selbstidentifikation“ wurden.116 Im Gegensatz dazu fühlten sich ihre französischen Kollegen als Angehörige einer „Aristokratie“.117 Zeitgenössische Aussagen von Volksschullehrern bestätigen diesen Eindruck. Der Direktor der école normale supérieure von Saint-Cloud, die in einem ehemaligen Schloss untergebracht war, richtete an seine Schüler, die sich aus den besten Volksschullehrern rekrutierten, die Worte: « Enfants du peuple et choisis dans son élite, vous allez être accueillis dans les restes des palais de nos rois pour y recevoir une éducation princière. »118 In den Lehrerzeitschriften, die hier untersucht wurden, vertraten Volksschullehrer den Anspruch, die künftige Elite des Landes auszubilden.119 Charles Peguy bezeichnete die Volksschullehrer als „schwarze Husare“ („hussards noirs“), die ähnlich wie die berüchtigte Spezialtruppe der Revolutionsarmee die Werte der Republik in die Welt trugen.120 Marc Bloch tadelte zwar in L’étrange défaite den angeblich mangelnden Patriotismus der Volksschullehrer, unterstrich aber zugleich, die Volksschulen hätten dem Land bessere Dienste geleistet als die Gymnasien und die Universitäten: Instituteurs, mes frères, qui, en grand nombre, vous êtes, au bout du compte, si bien battus; qui, au prix d’une immense volonté, aviez su créer, dans notre pays aux lycées somnolents, aux universités prisonnières des pires routines, le seul enseignement peut-être dont nous puissions être fiers.121 116 Bölling, Rainer, Volksschullehrer und Politik. Der Deutsche Lehrerverein 1918– 1933, Göttingen 1978, Diss. Münster 1977, S. 18 u. S. 227; Kluchert / Becker, Die Bildung der Nation, S. 81. 117 Prost, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 4, S. 207/8. 118 „Kinder des Volkes, ihr seid ausgewählt worden aus seiner Elite und werdet hier empfangen in den Überresten der Schlösser unserer ehemaligen Könige, um eine wahrhaft fürstliche Ausbildung zu bekommen.“ Zitiert nach: Mayeur, Histoire générale de l’enseigne­ment, Bd.  3, S.  615. Vgl. das Urteil Golo Manns: Schulz, Matthias, Golo Manns Bildungs­erfahrungen in Deutschland und Frankreich. Von Schloss Salem nach St. Cloud (1923–1935), in: Stefan Fisch / Florence Gauzy / Chantal Metzger (Hg.), Lernen und Lehren in Frankreich und Deutschland. Apprendre et enseigner en Allemagne et en France, Stuttgart 2007, S. 41–46. 119 Vgl. z.B. Louis-Bertrand, F., Causeries d’un inspecteur. Dogmatisme historique, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 59 (1912/13), H. 13, 15.12.1912, S. 98. 120 Compagnon, Béatrice / Anne Thévenin, L’école et la société française, Brüssel 1995, S. 44. Vgl. Loison, L’école primaire, S. 286. 121 „Volksschullehrer, meine Brüder, die ihr euch, in großer Zahl, letztlich so gut geschla-

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

Anders als in Deutschland fühlten sich eher die Gymnasiallehrer in der Defensive gegenüber einer Volksschullehrerschaft, die oftmals eine höhere Wertschätzung durch die Bildungsverwaltung erfuhr.122 Das positive Bild der Volksschule spiegelte sich im französischen Film wieder. Während das französische Kino die Gymnasiallehrer gerne als weltfremde Schulmeister karikierte, traten die Volksschullehrer auf der Leinwand als idealistische, selbstlose Helden auf.123 Der Mythos der französischen Volksschule lebte in der Nachwelt weiter. Die französischen Lieux de mémoire widmeten dem Volksschulwesen drei Artikel, in denen sie das Lesebuch Le Tour de la France par deux enfants, das Dictionnaire de pédagogie und das Geschichtsbuch, das Ernest Lavisse für Volksschulen geschrieben hat, zu Erinnerungsorten kürten.124 Betrachtet man deutschen Diskussionen über Schule, erscheint es nahezu undenkbar, dass ein Professor derart begeistert von den Volksschullehrern sprechen würde wie Marc Bloch, sie gar als „seine Brüder“ bezeichnete. In den deutschen Lehrerzeitschriften finden sich keinerlei Spuren eines vergleichbaren Selbstverständnisses. Auf einer Tagung in Calw, auf der 1948 Geschichtslehrer aller Schulformen mit Hochschullehrern zusammenkamen, entzündeten sich so heftige Konflikte, dass die Akademieleitung sich gezwungen sah, getrennte Seminare für Studienräte und Volksschullehrer einzurichten.125 Artikel wie „O arme, verachtete Volksschule!“ zeugten von der großen Schwierigkeit der Volksschullehrer, sich

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gen habt; die ihr, um den Preis einer ungeheuren Gutwilligkeit, in unserem Land, das schlaftrunkene Gymnasien hat und in der schlimmsten Routine gefangene Universitäten, vielleicht die einzige Bildungseinrichtung geschaffen habt, auf die wir stolz sein können.“ Bloch, Marc, L’étrange défaite. Témoignage écrit en 1940. Nouvelle édition enrichie de textes inédits, Paris 1957, S. 184. Verneuil, Yves, Identités et compétences professionnelles dans les années 1920. Les professeurs de lycée, les «  primaires  » et l’inspection d’académie, in: Histoire de l’éducation 2009, H. 121, S. 43–66, hier v.a. S. 44/5. Sullerot, Évelyne, Images des enseignants dans plus de 40 films des années 1942–1962, in: Recherche et formation (1996), H. 21, S. 37–41. Nora, Pierre, Lavisse, instituteur national. Le „Petit Lavisse“, évangile de la République, in: ders. (Hg.), Les lieux de mémoire, Bd. 1: La République, Paris 1984, S. 247–289; ders., Le „Dictionnaire de pédagogie“ de Ferdinand Buisson. Cathédrale de l’école primaire, in: ebd., S. 353–378; Ozouf, Jacques / Mona Ozouf, „Le Tour de la France par deux enfants“. Le petit livre rouge de la République, in: ebd., S. 291–321. Zur Nachwirkung im Kino vgl. Gauthier, Guy, La représentation des enseignants dans le cinéma français (1964–1994), in: Recherche et formation (1996), H. 21, S. 43–56. Lehmann, Eduard, Geschichte an der Akademie für Unterricht und Erziehung Calw. Ein Erfahrungsbericht, in: GWU, Jg. 1 (1950), S. 289–301, hier S. 297.

Das Prestige der Volksschule und das Selbstbewusstsein ihrer Lehrer 55

vom Bild der „Armenschule“ zu lösen. In besagtem Artikel schildert ein Volksschullehrer, wie eine Mutter in Tränen ausbricht, als sie erfährt, dass ihr Sohn ein Stipendium für eine Mittelschule bekommt. Diese Tränen nimmt der Pädagoge zum Anlass, das schlechte Ansehen seiner Bildungseinrichtung zu kritisieren: Was muss sie [die Mutter, d. Verf.] nicht alles über die Mittelschule, ihre Bedeutung und ihre Leistungen gelesen oder gehört haben, um in ihr gleichsam die Pforte eines irdischen Paradieses für ihr Kind zu erkennen! Und wie muss ihr demgegenüber die Volksschule erscheinen! Sammelplatz der materiell und geistig Armen und Elenden, für die es auch im späteren Leben keine Hoffnung gibt, denen unabwendbar das Los blüht, ein Lasttier der Gesellschaft zu sein und zu bleiben!126

Im nationalen Gedächtnis spielt die deutsche Volksschule ebenfalls eine untergeordnete Rolle. Zwar gibt es in den Deutschen Erinnerungsorten eine ganze Sektion zur „Bildung“, aber keinen einzigen Artikel, der in irgendeiner Weise Volksschulen thematisiert. Dabei galt das preußische Volksschulwesens in seiner Zeit als vorbildlich.127 Das Ansehen der Volksschule wirkte sich auf die Strahlkraft ihres Geschichtsunterrichts aus. Die Artikel aus der Lehrerzeitschrift Vergangenheit und Gegenwart, die sich mit der Volksschule beschäftigten, trugen ihr Anliegen äußerst defensiv vor. August Tecklenburg schrieb im ersten Jahrgang der Zeitschrift: „Man wird daher weder das Gesamte der Volksschularbeit noch das einzelne Unterrichtsfach für belanglos halten dürfen.“128 Dieser Tenor unterscheidet sich fundamental vom Selbstbewusstsein der französischen Volksschullehrer, die sich und ihren Geschichtsunterricht als zentrale Träger des republikanischen Staates begriffen. Das geringe Prestige des Volksschullehrerberufes schlug sich in den Bewerberzahlen nieder. 126 O arme, verachtete Volksschule!, in: Der Volksschullehrer, Jg.  10 (1916), H.  23, 8.6.1916, S. 178/9, hier S. 178. Vgl. N., L., Der Volksschullehrer und das Volk, in: ebd., S. 179/80. Das Wort „Armenschule“ findet sich noch bei: Eckl, Ludwig, Geschichtsunterricht und Volksschule, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 24 (1934), S. 169– 178, hier S. 160. 127 François, Étienne, / Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 3, S. 9–104; Trouillet, Bernard, „Der Sieg des preußischen Schulmeisters“ und seine Folgen für Frankreich 1870–1914, Köln / Wien 1991. 128 Tecklenburg, August, Vom Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 90–106, hier S. 90. Ähnlich defensiv äußerte sich Hans Ebeling etwa 40 Jahre später: Ebeling, Hans, Der Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: GWU, Jg. 2 (1951), S. 347–360, hier S. 347.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

Während es den französischen Volksschulen stets leicht fiel, neue Lehrer zu finden, fehlten an den deutschen Volksschulen oft Interessenten für den Lehrerberuf.129 Die deutschen Volksschullehrer neigten ähnlich wie ihre französischen Kollegen tendenziell den Parteien der Linken und der linken Mitte, insbesondere den Linksliberalen, zu. Die Ausrufung der Weimarer Republik begründete kein neues Selbstbewusstsein der Volksschullehrer im Sinne der republikanisch orientierten instituteurs. Überdurchschnittlich viele Volksschullehrer schlossen sich dem Nationalsozialismus an.130 Ob die NS-Politik das Selbstbewusstsein der Volksschullehrer stärkte, lässt sich aus den Lehrerzeitschriften nicht eindeutig lesen, da die Autoren in ihren Artikeln sicherlich Vorsicht walten ließen. Es ist aber wahrscheinlich, dass die antiintellektuelle Ausrichtung der nationalsozialistischen Bildungspolitik bei den Volksschullehrern auf fruchtbaren Boden fiel. Ein Pädagoge konstatierte 1933 erfreut, nun seien alle Schulen „Volksschulen“ geworden. Auch die höhere Bildung habe ihren Schwerpunkt auf das „völkische“ Bildungsgut verlagert.131 Außerdem kam den Volksschullehrern entgegen, dass das NS-Regime höheren Bildungsabschlüssen eine geringe Wertschätzung zumaß. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sich die bundesdeutschen Volksschullehrer damit abfinden, dass die hergebrachte Hierarchie zwischen Volksschullehrern und Lehrern höherer Schulen wieder deutlicher markiert war.132 Die DDR hingegen beseitigte die Unterschiede zwischen den Lehrern, indem sie die verschiedenen Schulformen zu einer Gesamtschule fusionierte. Wie erklärt sich, dass in Deutschland das Selbstbewusstsein der Volksschullehrer geringer war als in Frankreich, obwohl ihre Position innerhalb des Schulsystems, ihre Rekrutierung und Ausbildung sich ähnelten? Die materielle Versorgung der Lehrer kommt als Grund kaum in Frage, da die Bezahlung den französischen Lehrern ständig Grund zur Klage gab.133 Zunächst hat die staatstragende Funktion, die die Republik ihren Volksschullehrern zuschrieb, deren Selbstwertgefühl beflü129 Mayeur, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 3, S. 620; Sauer, Preußische Volksschule, S. 71–73; Titze, Hartmut, Lehrerbildung und Professionalisierung, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 4: 1870–1918. Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, hg. v. Christa Berg, München 1991, S. 345–370, hier S. 357 u. S. 360. 130 Bölling, Volksschullehrer und Politik, S. 227 u. S. 205–208. 131 Lacroix, Wilhelm, Mythos und Feier als Erziehungskräfte in der völkischen Schule, in: Die deutsche Schule, Jg. 37 (1933), H. 7, S. 340–348, hier S. 345. 132 Zymek, Schulen, S. 180/1. 133 Mayeur, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 3, S. 618.

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gelt. Die Volksschullehrer begriffen sich selbst als Boten der Republik, die die Werte von 1789 in alle Ecken des Landes trugen.134 Die republikanischen Politiker ließen keinen Zweifel daran, dass der Ausbau des Volksschulwesens für sie ein zentrales Anliegen war. Sie überzogen das gesamte Land mit einem dichten Netz moderner Schulgebäude, die oftmals eine zentrale Rolle im Stadtbild einnahmen. Deren charakteristisches Merkmal waren die zwei Eingänge für Jungen und Mädchen. Die rechte Opposition denunzierte diese Gebäude gerne als „Schulpaläste“ („palais scolaires“).135 Da das Parlament in Frankreich ab 1871 die Geschicke des Landes bestimmte, kam der Bildung der breiten Masse eine viel höhere Bedeutung zu als in Deutschland. Dort setzte sich die parlamentarische Regierungsform erst 1918 und 1919 durch. Auch nach diesem Datum blieb der Parlamentarismus lange umstritten. Dies erklärt, dass die Deutschen die Erziehung der künftigen Eliten für wichtiger hielten als die Ausbildung der breiten Masse. Der andere wichtige Grund für das Selbstbewusstsein der französischen Volksschullehrer lag in der hermetischen Trennung zwischen Volksschulen und höheren Schulen. Die Forschung hat die Aufteilung in „zwei Reiche“ meist als Bildungsschranke betrachtet. Demgegenüber soll hier argumentiert werden, dass gerade diese Autonomie es den französischen Volksschulen ermöglichte, sich als eigenständige Schulform zu profilieren, Anerkennung zu bekommen und eine Rolle als Motor sozialen Aufstiegs zu spielen. Die Grenze zwischen den beiden Schulsystemen war, wie oben festgestellt, weniger durchlässig als in Deutschland. Die Volksschullehrer rekrutierten nicht nur ihren eigenen Nachwuchs aus ihrer Schülerschaft. Sie besetzten auch alle Führungspositionen innerhalb des Schulsystems mit Absolventen der Volksschule. Fast alle Dozenten, die an den écoles normales künftige Volksschullehrer ausbildeten, hatten selbst eine Volksschule, eine école normale und schließlich eine école normale supérieure besucht. Auch unter den Dozenten der beiden écoles normales supérieures überwogen die Absolventen des Volksschulwesens. Nur selten unterrichteten Gymnasiallehrer oder Professoren der Universitäten an diesen Einrichtungen. Die Lehrerausbilder waren zwar, aus einer akademischen Perspektive betrachtet, geringer qualifiziert als Hochschulabsolventen. Kritiker bemängelten außerdem, das Volksschulwesen sei „ein geschlossenes System“ („un vase clos“), das kaum Anstöße von außen aufnahm.136 Dieses System hatte aber zwei Vorteile, 134 Prost, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 4, S. 204. 135 Loison, L’école primaire, S. 254–257. 136 Mayeur, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 3, S. 615/6.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

die nicht von der Hand zu weisen sind. Zum einen kannten die Lehrerausbilder den Beruf des Volksschullehrers und das Milieu, in dem er arbeitete, aus eigener Erfahrung. Zum anderen eröffnete sich den begabteren Volksschullehrern mit der Dozententätigkeit an den écoles normales und an den écoles normales supérieures die Möglichkeit, innerhalb des Volksschulwesens Karriere zu machen. Die französischen Volksschullehrer waren sich dieser Vorteile bewusst. Als Zay, der Bildungsminister der Volksfrontregierung, an den écoles normales Gymnasiallehrer einsetzen wollte, scheiterte er am hartnäckigen Widerstand der Volksschullehrer.137 In Deutschland hingegen besetzten Akademiker meist die Führungspositionen in den Seminaren. Begabte Volksschullehrer konnten zwar Karriere machen. Zielten sie allerdings über die Ebene des bloßen Seminarlehrers hinaus und wollten Rektor, Prorektor, Seminaroberlehrer, Seminardirektor oder Kreisschulinspektor werden, mussten sie zunächst höhere Abschlüsse erwerben.138 Ähnlich gestalteten sich im Untersuchungszeitraum die Aufstiegsmöglichkeiten auf Posten in der Schulleitung. Französische Volksschullehrer, die die Berechtigung für das Lehramt an écoles normales und an écoles primaires supérieures erworben hatten, konnten das certificat d’aptitude à l’inspection des écoles primaires et à la direction des écoles normales ablegen, das ihnen Zugang zu Posten in der Schulverwaltung und in der Leitung der écoles normales gab.139 In Deutschland brauchten Volksschullehrer für Posten in der Leitung von Volksschulen mindestens eine Berechtigung für das Lehramt an Mittelschulen.140 Sie verließen also das Volksschulsystem und kehrten dann als Absolventen einer anderen Schule oder einer Universität in eine Führungsposition im Volksschulwesen zurück. Sie teilten sich diese Führungspositionen mit Akademikern, die ausschließlich eine höhere Schulbildung genossen hatten und vorwiegend aus dem Bürgertum kamen, aber keine der prestigeträchtigeren Stellen an einem Gymnasium bekommen hatten. Dieses Nebeneinander von seminaristisch gebildeten Volksschullehrern, Volksschullehrern mit höherem Schulabschluss und von sich deklassiert fühlenden Akademikern 137 Prost, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 4, S. 205 u. S. 210. 138 Stratmann, Lehrer werden, S. 156; Sauer, Volksschullehrerbildung in Preußen, S. 120– 130; Titze, Lehrerbildung und Professionalisierung, S. 363/4. 139 Art. „Certificat d’Aptitude à l’Inspection des Écoles Primaires et à la Direction des Écoles Normales“, in: Buisson, F. [erdinand] (Hg.), Nouveau dictionnaire de pédagogie et d’instruction primaire, Paris 1911, digitalisiert auf: Institut français de l’éducation, Éditions électroniques, URL: http://www.inrp.fr/edition-electronique/ lodel/dictionnaire-ferdinand-buisson/document.php?id=2284, 14.5.2012. 140 Bölling, Volksschullehrer und Politik, S. 18.

Die Position des Geschichtsunterrichts innerhalb des Fächerkanons 59

schuf eine ständige Spannung innerhalb des Volksschulwesens. Während ein französischer Volksschullehrer während seiner Ausbildung und seines Berufslebens nur selten einem Absolventen des höheren Schulsystems begegnete, trafen im deutschen Volksschulwesen permanent Absolventen der niederen oder höheren Schulen aufeinander und traten in Konkurrenz zueinander.

2.4 Die Position des Geschichtsunterrichts innerhalb des Fächerkanons

Der Geschichtsunterricht war seit dem 19. Jahrhundert ein fester Teil des Fächerkanons an deutschen und französischen Volksschulen. An preußischen Volksschulen war Geschichte seit den Allgemeinen Bestimmungen von 1872 ein Pflichtfach, in Bayern gab es erst ab 1900 Geschichtsunterricht als eigenständiges Volksschulfach.141 Das Zweite Kaiserreich machte Geschichte 1867 zum Pflichtfach an allen französischen Volksschulen. Vier Jahre später allerdings stellten französische Schulräte fest, dass die meisten Volksschulen das Fach noch nicht unterrichteten. Die Dritte Republik setzte schließlich durch, dass alle französischen Volksschüler tatsächlich Geschichtsunterricht bekamen.142 In beiden Ländern nahm das Fach in der Stundentafel etwa zwei Stunden pro Woche ein. Während der Geschichtsunterricht in Deutschland erst in der Oberstufe der Volksschule, meist in der fünften oder sechsten Klasse, einsetzte, begann er in Frankreich bereits in der classe enfantine, der Vorschulklasse. Die Lehrpläne von 1923 machten allerdings Schluss mit dieser frühkindlichen historischen Erziehung. Das Schulfach setzte nun erst im cours élémentaire ein, also etwa im Alter von sieben Jahren.143 Obwohl das Fach Geschichte nur ein Nebenfach war, kam ihm als meinungsbildendem Fach eine besondere Bedeutung im Schulkanon zu. Den Bildungsbehörden war bewusst, dass der Geschichtsunterricht nicht nur Kenntnisse über die 141 Baumgärtner, Transformationen des Unterrichtsfaches Geschichte, S. 58. 142 Garcia, Patrick / Jean Leduc, L’enseignement de l’histoire en France de l’Ancien Régime à nos jours, Paris 2003, S. 87 u. S. 90. Bruter betont, dass das Zweite Kaiserreich bereits die Grundlagen des Geschichtsunterrichts gelegt hatte, der für das französische Schulwesen prägend werden würde: Bruter, L’enseignement de l’histoire nationale. 143 Arrêté réglant l’organisation pédagogique et le plan d’études des écoles primaires publiques. Programmes annexés, abgedruckt in: Manuel général. Partie générale, Jg. 48 (1882), H. 31, 5.8.1882, S. 477–487, hier S. 482; Les nouveaux programmes des écoles primaires (Arrêtés du 23 février 1923), abgedruckt in: Manuel général. Partie générale, Jg. 90 (1922/23), H. 25, 10.3.1923, S. 425–431, hier S. 427.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

Vergangenheit, sondern auch Werte und politisch-gesellschaftliche Leitbilder vermittelte. Die Vorschriften für die écoles normales von 1920 erinnerten deren Dozenten daran, welche nationale Bedeutung der Geschichtsunterricht der künftigen französischen Volksschullehrer hatte: Instituteurs, ils seront dans chaque commune, les représentants de l’esprit national ; le réseau de nos écoles est l’armature de la patrie. Et de tous les enseignements de l’école, c’est, avec celui de la morale civique, celui de l’histoire qui peut le plus solidement unir les volontés français.144

Nahezu alle deutschen und französischen Lehrpläne nutzten die meinungsbildende Funktion des Geschichtsunterrichts und übertrugen ihm zahlreiche Aufgaben, die über den Kenntniserwerb hinausgingen. Während Münchener Volksschullehrer im Geschichtsunterricht des Kaiserreiches auf die „Weckung des Sinnes für das Edle und Große und auf die Erzeugung vaterländischer Gesinnung“ hinarbeiten sollten, waren ihre Nachfolger in der frühen Bundesrepublik angehalten, im Fach Geschichte „Sachlichkeit und Gerechtigkeit, Vaterlandsliebe und Toleranz“ zu vermitteln sowie „Verständnis und Mitverantwortung für die politischen Gegenwartsaufgaben“.145 Dennoch dürfte Pierre Noras Behauptung, der Geschichtsunterricht habe den gesamten Geist an den französischen Volksschulen geprägt, der Perspektive des Historikers geschuldet sein und die Bedeutung des Faches überschätzen. Betrachtet man die Lehrerzeitschriften, so spielte das Fach in der Volksschule für die Lehrer lediglich eine Nebenrolle. Französische Volksschullehrer, die sich für den 144 „Als Volksschullehrer werden sie in jeder Gemeinde die Vertreter des nationalen Geistes sein. Das Netz unserer Schulen ist die Rüstung des Vaterlandes. Und von allen Schulfächern ist der Geschichtsunterricht zusammen mit dem Unterricht in Bürgerlicher Moral das Fach, das am festesten die französische Willenskraft einen kann.“ Instructions du 30 décembre 1920 relatives à l’organisation des écoles normales, in: Bulletin administratif du ministère de l’instruction publique (1920), Bd. 113, H. 2450, 13.11.1920, S. 1482–1484. 145 Lehrplan für die Werktagsvolksschulen der Königlichen Haupt- und Residenzstadt München, 1912, S. 66; Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen, in: Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (1950), H.  14, 28.8.1950, S. 217–271, hier S. 238. Vgl. Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, in: ebd., Jg. 60 (1926), H. 16, 29. Dezember 1926, S. 127–168, hier S. 164; Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus v. 30.4.1936 Nr. IV 17939 über die Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, in: ebd., Jg. 70 (1936), H. 4, 16.5.1936, S. 49–59, hier S. 50/1.

Die Position des Geschichtsunterrichts innerhalb des Fächerkanons 61

Geschichtsunterricht einsetzten, beklagten sich, das Fach sei zweitrangig, da es im certificat d’études primaires élémentaires keine schriftliche Prüfung in Geschichte gab. Die Schulräte entschieden, ob sie die Kandidaten in Geschichte oder in Erdkunde mündlich prüfen wollten. Ein Pädagoge bemängelte im Journal des instituteurs das geringe historische und geographische Wissen der Volksschüler. Diese würden sich nicht auf die Prüfung in Geschichte und Erdkunde vorbereiten, da sie wüssten, dass dieser Teil des Examens unwichtig sei. Erst wenn man diese Prüfung schriftlich abnähme, sei „Schluss mit lustig“ („fini de rire“), da die Schüler Geschichte und Erdkunde nun ernst nehmen müssten.146 Im Zuge der Lehrplanreform von 1938 wertete das Ministerium die Sachfächer auf und wandelte die mündliche in eine schriftliche Prüfung um.147 In Deutschland stand der Geschichtsunterricht lange Zeit im Schatten des Religionsunterrichts, der das wichtigere meinungsbildende Fach war. Symbolisch erhielt das Fach Religion ein besonderes Gewicht, da es in allen Lehrplänen des Kaiserreiches an erster Stelle vor allen anderen Fächern stand. Der Religionsunterricht nahm bis 1925 in Preußen vier Wochenstunden in jeder Stufe ein. Der Berliner Grundlehrplan von 1908 widmete dem evangelischen und katholischen Religionsunterricht 20 von 66 Seiten, dem Geschichtsunterricht hingegen gerade einmal zweieinhalb Seiten.148 Das Übergewicht des Religionsunterrichtes blieb während der Zeit der Weimarer Republik erhalten.149 Die materielle Ausstattung des Geschichtsunterrichts war in Frankreich deutlich besser als in Deutschland. Ein Dekret von 1890 legte fest, dass alle Schüler des cours moyen und des cours supérieur über Geschichtsbücher verfügten. Diese Regelung stellte das Fach immerhin über die Naturwissenschaften, die Geographie und die Staatsbürgerkunde, in denen kein Schulbuch vorgeschrieben war.150 Die Auf146 Deum, Achille, L’Oral « écrit » au Certificat d’Études primaires, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 44 (1899/1900), H. 21, 18.2.1900, S. 374–379, hier S. 378. Vgl. Le Chevalier, L., L’épreuve d’histoire au certificat d’études, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 53 (1908/09), H. 45, 1.8.1909, S. 535/6. 147 Dancel, Enseigner l’histoire, S. 64 u. S. 133–141. 148 Grundlehrplan der Berliner Gemeindeschule, 1908. 149 Richtlinien des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung für die Lehrpläne der Volksschulen mit den erläuterten Bestimmungen der Art. 124– 150 der Reichsverfassung und des Reichs-Grundgesetzes vom 28. April 1920, 4., durchgesehene Aufl., Breslau 1923, S. 40. 150 Garcia / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S. 112. Vgl. Saindenis, E., À propos du choix des livres nécessaires à l’école primaire, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 57 (1910/11), H. 24, 5.3.1911, S. 190.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

lagenzahlen zeigen, dass die Volksschulen wohl flächendeckend über Geschichtsbücher verfügten. Gauthier / Deschamps’ Histoire de France für den cours moyen erreichte bis 1922 die Gesamtauflage von 1.030.000 Exemplaren.151 Im Vergleich zu den deutschen Büchern der Zeit waren die französischen Lehrwerke deutlich aufwändiger gestaltet. Sie enthielten zahlreiche Bilder und hatten ein ansprechendes Layout.152 Die materielle Ausstattung der deutschen Volksschulen zeigte klar den Vorrang des Religionsunterrichts, in dem jeder Schüler über ein Buch verfügte. Neidvoll blickten Lehrer, die sich für den Geschichtsunterricht einsetzten, auf den Religionsunterricht. Eine ihrer Hauptforderungen war, dass der Geschichtsunterricht ein Buch brauche, das „ähnlich der Bibel als Kanon in der Schule zu gebrauchen“ sei.153 Im Kaiserreich verhinderten die Kultusbehörden zum Teil gezielt den Einsatz von Geschichtsbüchern. Alleine besser ausgestattete Volksschulen verfügten über Lehrwerke für das Fach. Gegen Ende der zwanziger Jahre nahmen die Auflagenzahlen der Geschichtsbücher für Volksschulen zu. Erst die Länder der frühen Bundesrepublik und die DDR statteten alle (Volks-)Schulen flächendeckend mit Büchern für das Fach Geschichte aus.154 Obwohl der Geschichtsunterricht an französischen Volksschulen ein Nebenfach war, gelang es ihm, in der Öffentlichkeit eine überproportionale Aufmerksamkeit zu erlangen. Mehrere der großen öffentlichen Debatten um die Schule entzündeten sich am Geschichtsunterricht. Der „Schulbuchkrieg“ zwischen Laizisten und gläubigen Katholiken, der selbst die Nationalversammlung beschäftigte, bezog sich vor allem auf die Bücher für den Geschichts- und den Staatsbürgerunterricht. Auch die öffentliche Diskussion um den Patriotismus in der Schule drehte sich vor allem um diese beiden Fächer. Der Geschichtsunterricht wurde in Frankreich zu einem brisanten Politikum. Es ist überaus bezeichnend für das Schulsystem, dass die Debatten sich nicht auf das höhere, sondern auf das niedere Schulwesen bezogen. Außerdem genoss der Geschichtsunterricht an den französischen Volksschulen 151 Gauthier / Deschamps, Cours moyen d’histoire de France. Cours moyen. Certificat d’études, 14. Aufl., Paris: Hachette 1922. 152 Beispielhaft sei hier verwiesen auf die Jugendstil-Graphik von Lavisse, Ernest, Histoire de France. Cours Moyen, 14. Aufl., Paris 1919 [unveränderte Neuauflage der Ausgabe von 1913]. Seit den 1930er Jahren verbesserte der technische Fortschritt die Illustration nochmals deutlich. 153 Weigand, Heinrich, Der erste Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 107–111; Tecklenburg, August, Vom Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: ebd., S. 90–106. 154 S. unten, Kap. 2.9.

Der Einfluss der Religion auf den Geschichtsunterricht 63

deutlich mehr Aufmerksamkeit seitens der universitären Geschichtswissenschaft als in Deutschland.155 Interessanterweise waren die Vorlieben der Schüler genau entgegengesetzt. Die Umfragen, die die junge Erziehungswissenschaft zur „Beliebtheit“ der Schulfächer durchgeführt hat, kamen nahezu alle zu dem Schluss, dass der Geschichtsunterricht bei den deutschen Volksschülern eines der beliebteren Fächer war.156 Für Frankreich gibt es zwar keine empirische Grundlage, wohl aber die konstante Klage der Volksschullehrer, ihre Schüler würden den Geschichtsunterricht als Strafarbeit empfinden.157 Gemeinsam war beiden Schulsystemen, dass der Geschichtsunterricht eher die männlichen Schüler interessierte. Eine deutsche Untersuchung von 1905 kam zu dem Schluss, dass Geschichte bei den männlichen Volksschülern nach Turnen und Zeichnen das beliebteste Fach war, bei den Mädchen hingegen eines der unbeliebteren Fächer.158 « Les filles n’aiment pas l’histoire », behauptete auch der französische Volksschullehrer Colin, der in einer Umfrage das Geschichtswissen von Volksschülern untersucht hatte. Mädchen würden deutlich geringere historische Kenntnisse als Jungen besitzen. Colin verwies darauf, dass Volksschullehrer dieses Ergebnis jeden Tag in der Schule bestätigen könnten.159

2.5 Der Einfluss der Religion auf den Geschichtsunterricht

Die Schule war einer der wichtigsten Kampfplätze in der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat, die das 19. Jahrhundert prägte und deren Auswirkungen noch weit ins 20. Jahrhundert hineinragten. Was das Verhältnis von Staat und Kirche angeht, unterschieden sich das deutsche und französische Schulsystem deutlich voneinander. Während die Dritte Republik Staat und Kirche trennte, spielten die Kirchen im deutschen Schulwesen stets eine wichtige Rolle. Da kon-

155 S. unten, Kap. 2.8. 156 Freudenthal, Herbert, Kind und Geschichte. Über Methoden zur Erfassung des historischen Bewusstseins, in: Zeitschrift für pädagogische Psychologie und Jugendkunde, Jg. 34 (1933), H. 1, S. 8–29, hier S. 9. Vgl. bspw. Stern, William, Über Beliebtheit und Unbeliebtheit der Schulfächer, in: ebd., Jg. 7 (1905), H. 4, S. 267–296, hier S. 286. 157 Garcia / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S. 165. 158 Stern, Über Beliebtheit und Unbeliebtheit, S. 276/7. 159 „Die Mädchen mögen Geschichte nicht.“ Colin, G., Une enquête sur l’Enseignement historique, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 91 (1923/24), S. 869/70.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

fessionelle Fragen sich auf den Geschichtsunterricht auswirkten, soll das Spannungsverhältnis zwischen Staat und Kirche hier kurz dargestellt werden. Der preußische Staat beanspruchte seit dem Kulturkampf die Aufsicht über die Volksschulen. Er setzte aber das Schulaufsichtsgesetz nicht konsequent durch, so dass bis zum Ende des Kaiserreiches oft noch Geistliche die Schulaufsicht auf Kreisebene ausübten.160 In Bayern saßen bis 1918 geistliche Schulaufsichtsbeamte in den Kreisschulkommissionen der Regierungsbezirke.161 Im Herzogtum Braunschweig war die Volksschule fest in kirchlicher Hand. Das lutherische Konsistorium leitete und organisierte bis 1918 das Volksschulwesen.162 An den deutschen Volksschulen war der Religionsunterricht ein bedeutendes Unterrichtsfach. Im Kampf um Ressourcen war Religion eine wichtige Konkurrenz für das Schulfach Geschichte.163 Die Weimarer Republik und ihre Länder setzten zwar die staatliche Aufsicht des Volksschulwesens durch. Aber was die Wochenstundenzahlen und die Ausstattung mit Schulbüchern anging, konnte der Geschichtsunterricht immer noch nicht mit dem Religionsunterricht mithalten.164 Auch außerhalb des Schulfaches Religion spielten christliche Orientierungen eine Rolle. Folgt man den Lehrplänen, unterrichteten die Volksschullehrer im Kaiserreich alle Fächer auf der Grundlage eines christlichen Weltbildes. Die Braunschweiger Volksschulen hatten beispielsweise die Aufgabe, ihren Schülern die „Grundlagen christlicher und nationaler Bildung […] zu gewähren“.165 Von allen 160 Kuhlemann, Niedere Schulen, S. 184/5. 161 Bock, Irmgard, Das Schulwesen 1871–1918. Gesamtdarstellung, in: Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens, Bd. 2: Geschichte der Schule in Bayern. Von 1800 bis 1918, hg. v. Max Liedtke, Bad Heilbrunn 1993, S.  395–463, hier S. 408/9. 162 Vorwort zu den Beständen des Staatsministeriums für Kultus und Wissenschaft im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel, verf. von Dieter Lent, bearb. von Gudrun Fiedler, Wolfenbüttel 2002, in: Niedersächsisches Staatsarchiv, URL: http:// aidaonline.niedersachsen.de/, 4.1.2012. 163 Auch die Lehrer nahmen diese Konkurrenz wahr: Schremmer, Wilhelm, Fragestellungen des heutigen Geschichtsunterrichts, in: Die deutsche Schule, Jg. 30 (1926), H. 1, S. 16–22, hier S. 20. 164 S. unten, Kap. 2.9. 165 Minimal-Lehrplan für die Volksschulen des Herzogtums Braunschweig, in: Die das Volksschulwesen des Herzogtums Braunschweig betreffenden Gesetze und Verordnungen nebst den wichtigsten Verfügungen, Reskripten, Bekanntmachungen u.s.w., zusammengestellt v. Adolf Frick, 2., vermehrte Aufl., Braunschweig 1899, S. 63–113, hier S. 63. Nordrhein-westfälische Volksschulen beispielsweise sollten „Unterricht und Erziehung auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte gestalten“:

Der Einfluss der Religion auf den Geschichtsunterricht 65

deutschen Regimen hat allein die DDR Staat und Kirche konsequent getrennt, den Religionsunterricht abgeschafft und den kirchlichen Einfluss auf das Schulsystem unterbunden.166 Die überwältigende Mehrzahl der deutschen Volksschulen war im Untersuchungszeitraum außerdem als Konfessionsschulen organisiert. Zwischen 1886 und 1906 besuchten 90% der katholischen und 95% der evangelischen Volksschüler eine Schule ihrer Konfession.167 Als die republikanische Regierung in Preußen versuchte, die Kirche aus dem Bildungssystem zu verdrängen, verursachte sie eine massive Protestwelle, die zur Wahlniederlage von SPD und DDP bei den preußischen Landtagswahlen von 1921 beitrug. Im Weimarer Schulkompromiss setzte das Zentrum durch, dass der Freistaat Preußen an der konfessionellen Gliederung des Volksschulwesens festhielt. Auch das nationalsozialistische Regime setzte auf diesem Gebiet keine entscheidenden Reformen durch.168 In den westdeutschen Bundesländern hielten sich die Konfessionsschulen. Bayern forcierte nach dem Weltkrieg zunächst eine Rekonfessionalisierung der Volksschulen zulasten der bestehenden Simultanschulen, ging aber wie die anderen Länder dazu über, seine Schulen schrittweise zu säkularisieren und zu simultanisieren.169 Nicht nur die Volksschulen selbst, auch die Lehrerbildung in Seminaren und Pädagogischen Akademien blieb bis zum NS-Regime und darüber hinaus konfessionell organisiert.170 Diese konfessionelle Gliederung wirkte sich auf den Geschichtsunterricht aus. Bis ins NS-Regime boten einige Schulbuchverlage evangelische und katholische Ausgaben ihrer Geschichtsbücher an. Was den einen als „Reformation“ galt, bezeichneten die anderen als „Kirchentrennung“.171 Außerdem dürfte die konfes-

166

167 168 169 170 171

Richtlinien für die Volksschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, Erlass des Kultusministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 8. März 1955, Düsseldorf [ca. 1955], S. 1. Dienst, Karl, Bildungspolitik und Kirchen, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 6: 1945 bis zur Gegenwart, Teilband 2: Deutsche Demokratische Republik und neue Bundesländer, hg. v. Christoph Führ / Carl-Ludwig Furck, München 1998, S. 54–67, hier S. 57. Kuhlemann, Niedere Schulen, S. 185. Zymek, Schulen, S. 166 u. S. 194/5. Buchinger, Hubert, Volksschule und Lehrerbildung im Spannungsfeld politischer Entscheidungen (1945–1970), München 1975. Müller-Rolli, Lehrer, S. 242. Kahnmeyer  / Schulz, Realienbuch, 1904, S.  57; dies., Realienbuch für katholische Schulen, 1913, S. 63.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

sionelle Organisation der Lehrerbildung konfessionsspezifische Geschichtsdeutungen in der Lehrerschaft gestärkt haben. Die Dritte Republik trennte in Frankreich Staat und Kirche konsequent. Die Schulgesetze der 1880er Jahre schafften den Religionsunterricht an staatlichen Schulen ab, verbannten Kruzifixe aus den Klassenzimmern und verboten Ordensangehörigen, dort zu unterrichten. Die Volksschule entwickelte sich nach diesen Gesetzen zu einer Bastion des französischen Laizismus. Die meisten Lehrer an den staatlichen Schulen erkannten sich in der republikanischen Ideologie wieder, in deren Zentrum die Trennung von Staat und Kirche rückte. Dieser „bekenntnisfreie Glaube“ („foi laïque“) war nach Prost eine säkularisierte Religion, die eine Gruppe liberaler Protestanten um Ferdinand Buisson geschaffen hatte. Über die staatliche Lehrerausbildung erreichte diese Ersatzreligion alle Volksschullehrer.172 Sie verband verschiedene Elemente miteinander. Ihr „Zement“ („ciment“)173 war ein unerschütterlicher Glaube an den Fortschritt. Die Lehrer selbst sahen sich als Träger einer Mission. Die katholische Kirche galt als deren natürliche Gegnerin. Infolge der laizistischen Schulgesetze gründeten die Angehörigen der Orden Privatschulen, in denen die christliche Religion weiterhin Grundlage des Unterrichts war. Diese katholischen Schulen erfreuten sich vor allem im konservativen Westen des Landes einer großen Beliebtheit. In einigen bretonischen Departements besuchte über die Hälfte der Volksschüler diese Einrichtungen. Die katholischen Schulen waren kostenpflichtig, aber dank der Unterstützung reicher Gemeindemitglieder standen sie auch Schülern aus ärmeren Haushalten offen. Im Jahrgang 1925/26 ging ein Fünftel der Schüler auf katholische Schulen, im Jahrgang 1938/39 immerhin noch ein Sechstel.174 So entstand neben dem staatlichen Volksschulwesen und dem höheren staatlichen Schulwesen ein drittes, von den ersten beiden nahezu autonomes Schulsystem, das seine Lehrpläne selbstständig bestimmte, eigene Schulbücher verwendete und seine Lehrer in besonderen Ausbildungsstätten auf ihren Beruf vorbereitete. Der Konflikt zwischen den beiden Systemen schlug sich auf der lokalen Ebene nieder. Viele Dörfer verfügten über zwei Schulen, die ihre eigene Klientel, ihre eigenen Feste und ihre eigenen Bräuche hatten. Der Konflikt zwischen den beiden Systemen 172 Buisson, Ferdinand, La Foi laïque. Extraits de discours et d’écrits (1878–1911), mit e. Vorwort v. Raymond Poincaré, Paris 1912. 173 Prost, Antoine, L’enseignement en France 1800–1967, Paris 1968, S. 385. Vgl. Frajerman, Laurent, L’engagement des enseignants (1918–1968). Figures et modalités, in: Histoire de l’éducation (2008), H. 117, S. 57–96, u.a. S. 64. 174 Prost, Histoire générale de l’enseignement, Bd. 4, S. 474–477.

Der Geschichtsunterricht und die politischen Rahmenbedingungen 67

blieb nach Prost zunächst ein „Kalter Krieg“ („la guerre reste froide“). Erst die endgültige Trennung von Staat und Kirche im Jahr 1905, die die „Neutralität“ („neutralité“) garantieren sollte, heizte die Atmosphäre so stark an, dass „ein unaufhörlicher Kleinkrieg zwischen den Schulen“ („une incessante guérilla scolaire“) ausbrach. Der Staat verbot Ordensangehörigen grundsätzlich den Lehrerberuf. Die meisten Lehrer der staatlichen Schulen unterstützten die laizistische Politik der Regierung, ausgesprochen antiklerikale Schulbücher erfreuten sich großer Beliebtheit. Gläubige Lehrer an Schulen und Hochschulen sahen sich einer Hexenjagd ausgesetzt. Katholische Eltern gründeten 1907 die Organisation Pères de famille, die sich zum Ziel setzte, den Antiklerikalismus im öffentlichen Schulsystem zu bekämpfen. 1909 verdammten die Bischöfe offiziell die „neutrale bekenntnisfreie Schule“ („école laïque neutre“) und setzten zahlreiche Schulbücher auf den Index.175 Der Geschichtsunterricht stand, wie in der folgenden Untersuchung deutlich wird, in dieser Auseinandersetzung an vorderster Front. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts entspannte sich der Konflikt.

2.6 Der Geschichtsunterricht und die politischen Rahmenbedingungen 2.6.1. Die staatliche Kontrolle des Geschichtsunterrichts

Geschichte ist ein Fach, in dem Schüler ihre politische Identität schulen. Alle politischen Regime in Deutschland und Frankreich versuchten daher, den Geschichtsunterricht an den niederen Schulen ihren Vorstellungen zu unterwerfen. Während in Frankreich der Zentralstaat die Vorgaben für den Geschichtsunterricht machte, waren in Deutschland die Länder für diese Aufgabe zuständig. Nationale Vorgaben gab es abgesehen von den beiden deutschen Diktaturen lediglich 1953 mit den „Empfehlungen“ der Kultusministerkonferenz. Diese hatten allerdings kaum Auswirkungen auf die Curricula der Länder.176 175 Prost, Histoire de l’enseignement 1800–1967, S. 203–210, Zitate auf S. 204 u. S. 210; Amalvi, Les guerres des manuels. 176 Empfehlung der Kultusminister-Konferenz vom 17.12.1953 in Bonn. Betreff: Grundsätze zum Geschichtsunterricht, abgedruckt in: GWU, Jg. 5 (1954), S. 132–141; Kuss, Horst, Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland (1945/49–1990). Eine Bilanz, Teil I, in: GWU, Jg. 45 (1994), H. 12, S. 735–758, hier S. 745.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

Insgesamt kann man davon ausgehen, dass der französische Staat zumindest im öffentlichen Schulwesen einen stärkeren Einfluss auf den Geschichtsunterricht ausübte als die staatlichen Institutionen in Deutschland. Die einzigen Ausnahmen stellten NS-Zeit und DDR dar, als auch in Deutschland der Staat stärker in den Geschichtsunterricht eingriff. In Frankreich entzogen sich allein die kirchlichen Schulen teilweise dem staatlichen Zugriff. Die französischen Volksschullehrer waren deutlich strengeren Kontrollen unterworfen und mussten sich regelmäßigen Bewertungen durch Schulräte unterziehen. Diese achteten in erster Linie darauf, dass die Lehrer die Inhalte der Lehrpläne angemessen umsetzten. Zudem gab es für die Schüler mit dem certificat d’études primaires eine zentrale Abschlussprüfung, die auswendig gelerntes Wissen abprüfte. Um ihre Zöglinge optimal auf diese Prüfung vorzubereiten, mussten die Volksschullehrer sich eng an die staatlichen Vorgaben halten. Auch die Erzählungen in den Schulbüchern deuten darauf hin, dass der Einfluss des Staates in Frankreich insgesamt stärker war. Während die deutschen Bücher oft ganz unterschiedliche Schwerpunkte setzten und in ihrer Geschichtsdarstellung deutlich voneinander abwichen, ähnelten sich die Erzählungen in den französischen Büchern stark. Dies verweist zum einen darauf, dass es in Frankreich wohl einen größeren Konsens darüber gab, was zur nationalen Geschichte zählte und wie diese zu deuten war. Zum anderen zeigt sich hier, dass es dem Staat gelang, Inhalte und Deutungen in den Geschichtsbüchern und wohl auch im Geschichtsunterricht effektiver zu kontrollieren.177 Die Kontrolle der Schulbücher war unterschiedlich organisiert. In den deutschen Ländern gab es ein staatliches Zulassungsverfahren. In Frankreich wählten die Lehrer im Prinzip die Bücher frei. Nur in wenigen Fällen entschloss sich der Staat, Bücher ausdrücklich zu verbieten. Das Verbotsverfahren lag in den Händen des Conseil supérieur de l’instruction publique, der aus Beamten des Ministeriums und aus Vertretern der wichtigsten französischen Bildungsinstitutionen bestand.178 Dies geschah beispielsweise 1901 und 1903, als das Gremium sich entschloss, zwei 177 Vgl. Picard, Emmanuelle, Programmes et prescriptions. Le cadre réglementaire de la fabrique scolaire de l’histoire, in: Dies. / Laurence de Cock (Hg.), La fabrique scolaire de l’histoire. Illusions et désillusions du roman national, Marseille 2009, S. 19–27, hier S. 21. 178 Art. „Conseil supérieur de l’instruction publique“, in: Buisson, F. [erdinand] (Hg.), Nouveau dictionnaire de pédagogie et d’instruction primaire, Paris 1911, digitalisiert auf: Institut français de l’éducation, Éditions électroniques, URL: http://www.inrp.fr/ edition-electronique/lodel/dictionnaire-ferdinand-buisson/document.php?id=2447, 14.5.2012.

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katholische Schulbücher zu verbieten. Im Jahr 1905 untersagte der Conseil den Lehrern, die Histoire de France zu verwenden, die der Pazifist Gustave Hervé verfasst hatte.179 1940 verbot die Vichy-Regierung sechs links-republikanische Geschichtsbücher, 1943 setzte sie weitere 33 Lehrwerke für den Geschichtsunterricht auf den Index.180 Sofern der Zentralstaat ein Buch nicht ausdrücklich verbot, entschieden die Lehrer selbst darüber, welches Buch sie einsetzten. Auf ihren jährlichen Konferenzen erstellten sie Listen mit wünschenswerten Büchern, die die Schulräte zu Departement-Listen zusammenfassten.181 In Preußen hatten die Provinzialschulkollegium bzw. die Bezirksregierungen die Kompetenz, Volksschulbücher zuzulassen oder abzulehnen. In Bayern waren formal die Kreise für die Zulassung zuständig, die tatsächliche Entscheidungsgewalt lag allerdings beim Kultusministerium in München. 1895 richtete das Königreich Bayern eine siebenköpfige Zulassungskommission ein, die aus Beamten des Ministeriums, Schulräten, Lehrern und je einem Vertreter der beiden christlichen Konfessionen bestand. Diese Kommission lehnte 65% der vorgeschlagenen Lehrwerke ab und genehmigte lediglich 20% der Schulbücher ohne Änderungsauflage.182 Im Herzogtum Braunschweig lag die Zulassung in den Händen des evangelischen Konsistoriums, nach der Revolution nahm das Staatsministerium selbst die Verfassung eines Geschichtsbuches in die Hand.183 179 Amalvi, Les guerres des manuels, S. 373. 180 Garcia / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S. 171. 181 Dancel, Enseigner l’histoire, S. 73; Bendick, Rainer, Staatlich kontrollierte Schulbuchzulassung. Ein Beitrag zur „Qualitätssicherung“ der Lehrwerke oder ein Reflex auf spezifisch deutsche Erfahrungen?, in: GWU, Jg. 49 (1998), S. 754–760, S. 755. 182 Müller, Walter, Schulbuchzulassung. Zur Geschichte und Problematik staatlicher Bevormundung von Unterricht und Erziehung, Kastellaun 1977, S. 112–185; Sauer, Michael, Zwischen Negativkontrolle und staatlichem Monopol. Zur Geschichte von Schulbuchzulassung und -einführung, in: GWU, Jg. 49 (1998), H. 3, S. 144–156, hier S.  153–155; Liedtke, Max, Schulbücher, in: Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens, Bd. 2: Geschichte der Schule in Bayern. Von 1800 bis 1918, hg. v. Max Liedtke, Bad Heilbrunn 1993, S.  571–580, hier S.  572–576; Prüfung der Volksschullesebücher durch die Regierungen. Allgemeine Grundsätze, in: Zentralblatt, Jg. 44 (1902), H. 4, 30.4.1902, S. 326–333; Deutsches Lesebuch für Schulen, in: ebd., Jg. 65 (1923), H. 13, 5.7.1923, S. 257/8; Verfahren bei Genehmigung von Volksschulbüchern, in: ebd., Jg. 68 (1926), H. 4, 20.2.1926, S. 63. 183 Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel, 14 Alt Fb. 3 Nr. 436: Beschaffung und Einführung von neuen Schul- und Lehrbüchern (1898–1915); ebd., 14 Alt Fb. 3 Nr. 162: Anschaffung von Lehrmitteln für Landschulen (1820–1916); ebd., 12 Neu 9, Nr. 3633/2: Geschichtslehrbuch (1928–1934), Zitat aus: Kleine Anfrage Nr. 16 an die

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Das NS-Regime zentralisierte die Abfassung und die Prüfung von Schulbüchern in der „Reichsstelle für das deutsche Schul- und Unterrichtsschrifttum“. Zudem mussten dort alle Schriftstücke gemeldet werden, die in deutschen Schulen eingesetzt wurden. Auch die DDR begnügte sich nicht damit, Bücher zuzulassen. Sie führte mit dem Lehrbuch für den Geschichtsunterricht ein Einheitswerk für alle Schüler ein, das ein Autorenkollektiv im Auftrag des Ministeriums erstellte. Die westdeutschen Bundesländer kehrten zur traditionellen Zulassungspolitik zurück. Sie richteten Kommissionen für die Zulassung ein und veröffentlichten regelmäßig Listen mit allen Büchern, die in dem jeweiligen Land zugelassen waren. Es gelang den deutschen Ländern und ihren Institutionen nicht, den Schulbuchmarkt vollständig zu kontrollieren. Die Lehrer ließen auch Bücher anschaffen, die nicht auf diesen Listen standen. Anton von Wehner, der von 1903 bis 1912 bayerischer Schulminister war, gab offen zu, dass die Lehrer die Zulassungslisten oft nicht beachteten.184 Angesichts der strikten deutschen Zulassungspolitik mag es verwundern, dass es in Deutschland eine größere Vielfalt auf dem Schulbuchmarkt gab, während die französischen Lehrwerke sich stark ähnelten. Die Heterogenität in Deutschland ist nicht allein dem Föderalismus geschuldet, da auch die Schulbücher, die in einem Bundesland zugelassen waren, sich stark voneinander unterschieden. Sie lässt sich eher dadurch erklären, dass der normierende Druck, den das certificat d’études primaires ausübte, so stark war, dass die Schulbuchautoren auch ohne direkte Kontrolle die detaillierten staatlichen Vorgaben respektierten. Dies galt vermutlich auch für den Unterricht, den die Lehrer tatsächlich hielten, da sie sich darum bemühten, ihre Schüler optimal auf die Abschlussprüfung vorzubereiten. 2.6.2. Der Geschichtsunterricht und der Wandel der politischen Rahmenbedingungen in Frankreich

Während der ersten 60 Jahre des 20. Jahrhunderts war die politische Verfassung Frankreichs deutlich stabiler als diejenige Deutschlands. In Frankreich behauptete sich die Dritte Republik bis zur Niederlage von 1940. Die Forschung banalisiert das Regime von Vichy zwar heute nicht mehr als „Einschub“ („parenthèse“) in der

Braunschweigische Regierung durch den Herrn Landtagspräsidenten vom 19. April 1929. 184 Müller, Schulbuchzulassung, Zitat von Wehner auf S. 128/9.

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französischen Geschichte.185 Dennoch markiert es keinen so tiefen Einschnitt wie die nationalsozialistische Machtübernahme in der deutschen Geschichte. Nach dem alliierten Sieg kehrte Frankreich mit der Vierten Republik zur demokratischen Verfassung zurück. 1958 rief Charles de Gaulle die Fünfte Republik aus, die politisch und kulturell keinen fundamentalen Bruch mit der Vierten vollzog. Die größere politische Kontinuität in Frankreich schlug sich im Geschichtsunterricht nieder. Die Vorgaben der Bildungspolitik, die Diskussionen unter den Fachleuten und die Erzählungen in den Schulbüchern wandelten sich im Untersuchungszeitraum weniger stark als in Deutschland. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts avancierte der Geschichtsunterricht zu einem der wichtigsten Konfliktfelder in der Auseinandersetzung zwischen Laizisten und kirchentreuen Katholiken. Klerikern und Laien war der zunehmend antireligiöse Grundton der Bücher an den staatlichen Schulen ein Dorn im Auge. Sie beklagten, die Geschichtsbücher würden das christliche Mittelalter verdammen, die Verdienste der katholischen Kirche leugnen, Protestanten und Ketzer aufwerten, das Ancien Régime negativ zeichnen und die Revolution verklären.186 In der Tat war seit dem Beginn des Jahrhunderts eine neue, mit den Worten Noras „republikanischere“ („plus républicain“)187 Generation von Schulbüchern erschienen, die die Republik deutlich positiver von der Monarchie absetzte und die katholische Kirche offen kritisierte. Bei den Volksschullehrern erfreuten sich diese Bücher großer Beliebtheit.188 Nachdem der Staat in den Jahren 1901 und 1903 zwei katholische Schulbücher verboten hatte, starteten die französischen Bischöfe eine Gegenoffensive und 185 Conan, Eric / Henry Rousso, Vichy, un passé qui ne passe pas, Neuaufl., Paris 1996, S. 29. 186 Diese Kritik an den Geschichtsbüchern schlug sich in zahlreichen Artikeln in der katholischen Presse nieder. Vgl. z.B. Lescoeur, L., Ce qu’on enseigne aux petits enfants à l’école officielle, in: Bulletin de la Société générale, Jg. 39 (1908), H. 3, S. 324–328. 187 Nora, Lavisse, instituteur national, S. 267. 188 Von den Büchern aus dem Korpus der Jahre bis 1923 gehörten dazu: Devinat, E. [ugène], Histoire de France. Cours moyen. Préparation au certificat d’études primaires, Paris: Mutteroz et Martinet 1908; Gauthier  / Deschamps, Cours moyen d’Histoire de France. Certificat d’études, Paris: Hachette 1916; Rogié, L. [ouis]E. [ugène] / P. [aul] Despiques, Histoire de France. Cours moyen. Certificat d’études. Édition suivie de l’Histoire de la Bretagne, v. J. Lelarge  / E. Bourdon, Paris: Rieder 1922. Vgl. Art. Devinat, Gauthier  / Deschamps u. Rogié  / Despiques, in: Amalvi, Christian, Répertoire des auteurs de manuels scolaires et de livres de vulgarisation historique de langue française. De 1660 à 1960, Paris 2001, S. 90, S. 122 u. S. 242.

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veröffentlichten 1909 eine Liste mit „schlechten Schulbüchern“ („mauvais manuels“), die gläubige Katholiken weder besitzen noch lesen sollten. Die kirchlichen Schulen durften diese Bücher nicht mehr verwenden. Die Bischöfe forderten die Gläubigen auf, ihre Kinder auf die katholischen Privatschulen zu schicken. Der Besuch einer staatlichen Schule war nur in Ausnahmefällen akzeptiert. Kirchentreue Väter, die seit 1907 im Verein Pères de famille organisiert waren, übten Druck auf die staatlichen Lehrer aus, damit diese die entsprechenden Lehrwerke ebenfalls aus dem Verkehr zogen.189 Außerdem exkommunizierte die französische Kirche den Schulbuchautor Brossolette, weil er in seiner Histoire de France geschrieben hatte, Johanna von Orleans „glaubte, ‚Stimmen‘ gehört zu haben“ („croyait avoir entendu des ‚voix‘“).190 Die Reaktion auf Seiten der Laizisten war entsprechend heftig. Sie deuteten jede Kritik an den staatlichen Büchern als Beweis für die Intoleranz und den Fanatismus der Kirche und warfen nun ihrerseits den katholischen Lehrwerken vor, die Geschichte Frankreichs zu verfälschen.191 Beide Lager trugen die Auseinandersetzung in die Nationalversammlung, wo Bildungsminister Doumergue 1910 höchstpersönlich das katholische Geschichtsbild kritisierte. Der Konflikt schlug sich auf der lokalen Ebene nieder. Besonders betroffen waren die katholischen Regionen im Westen Frankreichs, wo die staatlichen Schulen zahlreiche Schüler verloren. Viele Eltern verboten ihren Kindern, die „schlechten Bücher“ zu benutzen, und riskierten damit, dass die staatlichen Volksschulen diese Schüler vorübergehend ausschlossen. Die Priester wiederum drohten renitenten Gläubigen damit, ihnen die Sakramente zu entziehen. Diese Drohung nahmen zahlreiche republiktreue Familien ernst.192 In den folgenden Jahren verlor der Konflikt an Schärfe. Der Erste Weltkrieg überlagerte die Gegensätze zwischen Laizisten und kirchentreuen Katholiken. Die 189 Lettre pastorale des cardinaux, archevêques et évêques de France sur les droits et les devoirs des parents relativement à l’école, in: Bulletin de la Société générale, Jg.  40 (1909), H. 10, S. 725–735. Von den Büchern aus dem Korpus sind die Lehrwerke aus der vorangegangenen Anmerkung betroffen. 190 Art. Brossolette, in: Amalvi, Répertoire des auteurs de manuels scolaires, S. 50; Brossolette, Histoire de France, 1909, S. 38, eigene Herv. Wegen der geringeren Auflagenzahlen ist dieses Werk erst im Korpus der Jahre nach 1923 enthalten. 191 Vgl. z.B. Saindenis, E., Leurs livres, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 57 (1910/11), H. 28, 2.4.1911, S. 226/7. 192 Amalvi, Les guerres des manuels, S.  379–386; Garcia  / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S. 142/3; Freyssinet-Dominjon, Jacqueline, Les manuels d’histoire de l’école libre (1882–1959). De la loi Ferry à la loi Debré, Paris 1969, S. 67–82.

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Spaltung in staatliche und katholische Schulen blieb aber ein bestimmender Faktor im Geschichtsunterricht. Die beiden Schulsysteme hatten eigene Geschichtsbücher, deren Deutungen sich deutlich voneinander unterschieden. Erst in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg näherten sich die beiden Deutungsweisen der französischen Geschichte an. Die staatlichen Geschichtsbücher milderten die oftmals polemische und überzogene Kritik an der katholischen Kirche ab. Die katholischen Lehrwerke versöhnten sich mit der Republik.193 Ein anderer Konflikt brach zu Jahrhundertbeginn zwischen Befürwortern und Gegnern eines ausschließlich national orientierten Geschichtsunterrichts aus. Die politische Rechte, die sowohl die Katholiken als auch die republiktreuen Nationalisten umfasste, verdächtigte Geschichtslehrer und -bücher, internationalistisches und pazifistisches Gedankengut zu verbreiten. Sie würden die patriotische Erziehung der Schüler vernachlässigen und die Verteidigungsbereitschaft Frankreichs untergraben. Betrachtet man französische Geschichtsbücher der Dritten Republik vom heutigen Standpunkt aus, erscheint dieser Vorwurf geradezu absurd. In der Zeit selbst beäugte auch ein großer Teil des republikanischen Lagers misstrauisch jeden Versuch, ein Geschichtsbild zu zeichnen, das nicht ausschließlich auf die Nation und ihre militärischen Leistungen ausgerichtet war.194 Erst die pazifistische Stimmung nach dem Ersten Weltkrieg erlaubte es, Chauvinismus, Kriegsverherrlichung und Germanophobie in der Schule zu hinterfragen. Diese Entwicklung stellte eine der wichtigsten Veränderungen in den Geschichtsbüchern der Dritten Republik dar. Die Lehrpläne von 1923 und die Neuauflagen der Geschichtsbücher, die infolge dieser Lehrpläne erschienen, atmeten noch den Geist der Vorkriegs- und der Kriegszeit. Der Unmut einiger Lehrer gegen diese Politik entlud sich 1923 auf einer Tagung des Syndicat national des instituteurs. Der pazifistische Volksschullehrer Gaston Clémendot stellte in seinem Vortrag „Faut-il enseigner l’histoire?“ den Geschichtsunterricht an Volksschulen in Frage und warf dem Fach vor, es erziehe zum Militarismus.195 Dieser Artikel entzündete in der pädagogischen Presse eine Diskussion über die Kriegsgeschichte, die mehrere Jahre andauerte. Die Autoren des Manuel général de l’instruction primaire, des Journal des instituteurs et des institutrices und des Bulletin de la Société générale d’éducation et d’enseignement verteidigten zwar alle die Notwendigkeit des 193 Ebd., S. 263. S. unten, z.B. Kap. 5.1.2.1. 194 Amalvi, Les guerres des manuels, S.  362–368; Garcia  / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S. 144–149; Alexandre, Le patriotisme à l’école en France et en Allemagne, S. 94–97. 195 Dancel, Enseigner l’histoire, S. 39–41.

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Geschichtsunterrichts, einige kritisierten aber die Dominanz des Militärischen. Gegen Ende der zwanziger Jahre kam, wie das dritte und das vierte Kapitel dieser Arbeit zeigen werden, eine neue Generation von Lehrwerken auf den Markt, die sich von den chauvinistischen, germanophoben und militaristischen Denkmustern der Vorkriegszeit abwandte. Nach der Niederlage von 1940 geriet die Volksschule ins Fadenkreuz der Kritik. Franzosen aller politischen Lager beschuldigten sie, den Verteidigungswillen der Franzosen geschwächt zu haben. Auch der Historiker Marc Bloch, der, wie oben dargestellt, die Arbeit der Volksschullehrer durchaus schätzte, ermahnte die Volksschule, aus der Niederlage Konsequenzen zu ziehen und pazifistische Ideale aus dem Klassenzimmer zu verbannen.196 Das Regime von Vichy versuchte, den Geschichtsunterricht in seinem Sinne umzugestalten. Das Bildungsministerium verhängte Berufsverbote für Andersdenkende, verbot Schulbücher197 und wechselte leitende Beamte aus. Bereits 1941 veröffentlichte der Staat einen neuen Lehrplan, der für den Geschichtsunterricht einige wichtige Neuerungen brachte. Die französische Forschung hat bislang vor allem betont, dass das neue Regime die Inhalte des Unterrichts kaum antastete.198 Betrachtet man allerdings, wie hier in Kapitel 5.2.6, die Zeitverlaufsvorstellungen, die dem Geschichtsbild des neuen Lehrplanes zu Grunde liegen, erkennt man, dass das Vichy-Regime mit einem der Kernstücke des republikanischen Geschichtsbildes brach. Während die Geschichtsbücher der Dritten Republik ein genetisches, vom Fortschritt bestimmtes Geschichtsdenken transportierten, das die Veränderungen in der Geschichte Frankreichs betonte, unterstrichen die neuen Lehrpläne die „Beständigkeit“ („continuité“) in der Geschichte des Landes, die die verschiedenen politischen Regime überdauert haben sollte.199 Allerdings blieben die meisten Neuerungen des Vichy-Regimes weitgehend wirkungslos, da Zeit und materielle Ressourcen fehlten. Zudem dürften die Neuerungen auf das tiefe Misstrauen der meist stramm republikanischen Volksschullehrerschaft gestoßen sein. Nicht zuletzt dürfte die deutsche Zensur dafür gesorgt haben, dass chauvinistische oder gar anti-deutsche Elemente in den Büchern nicht überhandnahmen. Allerdings erschienen in den Jahren des Vichy-Regimes zahl196 Bloch, Étrange défaite, S. 184. 197 Eine Liste der Verbote von 1941 ist abgedruckt in: Livres scolaires interdits, in: Manuel général. Partie administrative, Jg. 107 (1939/41), 14.12.1940, S. 50. 198 Garcia  / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S.  172–175; Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale, S. 144–146. 199 Plan d’études et Programmes des Écoles primaires élémentaires. Programmes de 1941 et Instructions du 5 mars 1942, 16. Aufl., Paris 1942, S. 61/2.

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reiche neue Geschichtsbücher, die noch den Schulbuchmarkt der Vierten Republik dominierten. Daher kann man das Jahr 1941 mit Recht als Zäsur in der Entwicklung des Geschichtsbuchmarktes betrachten. Diese neuen Lehrwerke ähnelten allerdings den Büchern der Dritten Republik. Lediglich die Histoire de France von Maurel / Equy / Faÿ enthielt Elemente eines faschistoiden Geschichtsbildes. Die Lehrwerke von Audrin / Dechappe / Dechappe und von Troux / Girard unterschieden sich von ihren Vorgängerwerken lediglich dadurch, dass sie die Monarchie etwas positiver zeichneten und Revolution und Republik ambivalenter darstellten.200 Der Geschichtsbuchklassiker von Lavisse erschien während der Vichy-Jahre Jahre nahezu unverändert.201 Da die Mehrzahl der Lehrer und der Schulräte im Amt blieb, wirkte sich der Regimewechsel vermutlich auf den tatsächlich gehaltenen Unterricht noch weniger aus als auf die Schulbücher. Die Lehrpläne von 1945 machten die ideologischen Änderungen des VichyRegimes wieder rückgängig. Die neuen Geschichtsbücher, die unter dem VichyRegime zum ersten Mal erschienen waren, entfernten offene petainistische Elemente und zeichneten die Monarchie der republikanischen Tradition entsprechend in etwas düstereren Farben. Sogar das faschistoide Lehrwerk von Maurel / Equy / Faÿ wurde 1952 und 1953 leicht überarbeitet neu aufgelegt, wenngleich der Name von Bernard Faÿ, der unter Vichy ein hoher Bildungsfunktionär war, vom Deckblatt verschwand.202 Einige der radikal-republikanischen Lehrwerke der Dritten Republik wie die Geschichtsbücher von Aymard und von Besseige / Lyonnet erlebten nach dem Zweiten Weltkrieg Neuauflagen,203 spielten aber im Vergleich zu der großen Menge gemäßigt-republikanischer Lehrwerke keine Rolle mehr. Auch im katholischen Schulsystem dominierten nun gemäßigte Bücher, deren Darstellun200 Beispielhaft sei hier auf die Abschnitte verwiesen, die das Verhalten des Königs in der Französischen Revolution darstellen: Audrin E. [ugène]  / M. [arcelle] Dechappe  / L. [ucien] Dechappe, Notre France. Son histoire. Premier cycle. Cours moyen, Paris: Charles-Lavauzelle 1942, S. 123–133; Troux, Albert / Albert Girard, Histoire de la France des origines à 1919. Second cycle. Certificat d’études, Paris: Hachette 1942, S. 328 u. S. 353. 201 Lavisse, Ernest, Histoire de France, Complément cours moyen. Classe de 8e des lycées et collèges, 33. Aufl., Paris: Colin 1932; ders., Histoire de France, Cours moyen. Première et deuxième années, Neuaufl., 44. Aufl., Paris: Colin 1943. 202 Maurel, Blanche / Jean Equy, Histoire de la France et des Français. Cours moyen et supérieur, classes de huitième et septième, Paris: Gigord 1953. 203 Aymard, A. [ubin], Histoire de France. Préparation au Certificat d’Études primaires, Paris: Hachette 1946; Besseige, P. [ierre]  / A. [ntoine] Lyonnet, Histoire de France. Cours moyen et supérieur. Classes élémentaires des lycées, Paris 1948.

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gen denen des republikanischen Lagers immer mehr glichen. Die Lehrerzeitungen der Vierten Republik beschäftigten sich vor allem mit pädagogischen Fragen und enthielten keine Artikel zu politischen Debatten um den Geschichtsunterricht. Dies ist ein weiteres Zeichen dafür, dass die Geschichtsbilder der beiden Lager sich immer stärker angenähert haben. 2.6.3. Die Auswirkungen der politischen Umbrüche der deutschen Geschichte auf den Geschichtsunterricht

Die politische Verfassung Deutschlands war deutlich weniger stabil. 1918 erlebte Deutschland den Übergang von der Monarchie zur demokratischen Republik, 1933 die Machtübernahme des nationalsozialistischen Regimes und 1949 schließlich die Rückkehr zur Demokratie im Westen bzw. die Installierung einer sozialistischen Volksrepublik im Osten des Landes. Diese Regime griffen unterschiedlich stark in den Geschichtsunterricht ein. Die staatlichen Schulbehörden des Kaiserreiches sicherten über das Zulassungsverfahren, dass vorwiegend Lehrbücher in die Hände von Schülern und Lehrern gelangten, deren Darstellungen Staat, Monarchie und Religion legitimierten und stützten. Lediglich in größeren Städten gelang es kommunalen Behörden und Lehrervereinen, liberalere und kritischere Bücher zu etablieren.204 In den Lehrerzeitungen äußerte sich der Unmut der Pädagogen an der dynastischen Geschichtsschreibung, die sich vor allem an Leben und Taten der Fürsten orientierte.205 Die preußische Regierung, die nach dem Umbruch von 1918/1919 an die Macht gekommen war, ergriff zunächst energische Maßnahmen, die den Geschichtsunterricht den neuen politischen Verhältnissen anpassen sollten.206 Bereits im 204 Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule, S. 76. 205 Kabisch, Richard, Erziehender Geschichtsunterricht, in: Der Volksschullehrer, Jg.  8 (1914), H. 20, S. 313–316, hier S. 313; Tecklenburg, August, Vom Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 90–106, hier S. 91. Zu Bayern vgl. Trapp, Walter, Der Einfluss der Regierungsform der Monarchie auf den Geschichtsunterricht in den bayerischen Volksschulen, Diss. München 1971. 206 Die Forschung hat die Auswirkungen des Regimewechsels auf den Geschichtsunterricht unterschiedlich beurteilt. Einen Bruch zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik betonen Pingel, Falk, Geschichtslehrbücher zwischen Kaiserreich und Gegenwart, in: Paul Leidinger (Hg.), Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik vom Kaiserreich bis zur Gegenwart. Festschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands zum 75jährigen Bestehen, Stuttgart: Klett 1988, S.  242–260, hier

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November 1918 veröffentlichte der preußische Volksbildungsminister Adolph Hoffmann einen Erlass, in dem er den bisherigen Geschichtsunterricht verdächtigte, „Volksverhetzung“ betrieben zu haben, und die Geschichtslehrer dazu ermahnte, „tendenziöse und falsche Belehrungen über den Weltkrieg und dessen Ursachen zu vermeiden“.207 Im Dezember 1919 verbot das Ministerium den Lehrern, die alten Geschichtsbücher zu verwenden.208 Diese Maßnahmen riefen Proteste von Eltern, Schülern und Lehrern hervor. Dies spricht nicht unbedingt dafür, dass diese Lehrer allesamt antirepublikanisch oder undemokratisch waren. Vor allem die Gymnasiallehrer fühlten sich angegriffen. Der Vorwurf, sie hätten „Volksverhetzung“ betrieben, kränkte sie in ihrem Selbstverständnis, einen unpolitischen und wissenschaftsorientierten Geschichtsunterricht zu halten.209 Da die Forschung vor allem auf die Frage der politischen Einstellung fixiert war, hat sie bislang nicht hinreichend betont, dass es einen Lehrer unabhängig von seiner politischen Haltung vor ein gewaltiges praktisches Problem stellt, wenn die Schulverwaltung einerseits den Gebrauch der existierenden Bücher verbietet und andererseits keine Ressourcen bereitstellt, um neue Bücher zu erstellen und zu verbreiten.210 Die preußische Regierung machte relativ spät Vorgaben, wie die Lehrer einen republiktreuen Unterricht gestalten sollten. 1922 hatten sich die Unterrichtsminister der Länder auf Richtlinien für die Mitwirkung der Schulen und Hochschulen zum Schutze der Republik geeinigt, die eine republikanische Ausrichtung des

207 208 209 210

S. 245–248; Kuss, Horst, Geschichtsunterricht zwischen Kaiserreich und Republik. Historisches Lernen und politischer Umbruch 1918/19, in: GWU, Jg.  55 (2004), H. 7/8, S. 422–441. Eine stärkere Kontinuität sehen u.a. Jung, Die Geschichtserzählung in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht seit 1900 unter besonderer Berücksichtigung der Volksschule, in: Siegfried Quandt / Hans Süssmuth (Hg.), Historisches Erzählen. Formen und Funktionen, Göttingen 1982, S. 104–128, hier S. 111; Gies, Antidemokratische Geschichtslehrer und antirepublikanischer Geschichtsunterricht, hier v.a. S. 183. Geschichtsunterricht, Schulbibliotheken, Revolution, Gegenrevolution und Religionsunterricht für Dissidenten, in: Zentralblatt, Jg.  60 (1918), H.  12, 20.12.1918, S. 708/9. Umarbeitung der Lehrbücher, in: Zentralblatt, Jg.  61, 1919, H.  12, 20.12.1919, S. 672/3. Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule, S.  153; Kuss, Geschichtsunterricht zwischen Kaiserreich und Republik, S.  428–430; Gies, Antidemokratische Geschichtslehrer und antirepublikanischer Geschichtsunterricht, v.a. S. 189. Ersparung von Papier bei den Lehr- und Lernmitteln, in: Zentralblatt, Jg. 64 (1922), H. 7, 5.4.1922, S. 127.

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Geschichtsunterrichts und seiner Bücher anordneten.211 Erst 1923 veröffentlichte das Volksbildungsministerium Richtlinien für die Lehrpläne der preußischen Volksschulen. Diese nahmen die meisten der Forderungen auf, die die Lehrer schon zu Ende des Kaiserreiches in ihren Zeitschriften aufgestellt hatten.212 Sie reduzierten den Anteil der Politik- und Militärgeschichte und stellten staatliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche und geistige Entwicklung gleichberechtigt nebeneinander. Im Mittelpunkt der Geschichte standen nun nicht mehr die Monarchen, sondern das „deutsche Volk“. Dieser Begriff, der ausdrücklich das „Grenz- und Auslandsdeutschtum“ einschloss, war zweifellos ethnisch aufgeladen. Die Verschiebung von den Monarchen zum „Volk“ hatte aber auch eine demokratische Ausrichtung. Beide Bedeutungen des Begriffs sind im didaktischen Diskurs und in den Schulbüchern so eng miteinander verbunden, dass man sie schwerlich trennen kann.213 Die Passage der Richtlinien, die sich auf Geschichte und Staatsbürgerkunde bezog, enthielt Auszüge aus den Republikschutz-Richtlinien der Unterrichtsminister, so dass die preußischen Volksschullehrer unmissverständlich zur Republiktreue verpflichtet wurden. Die hier untersuchten Lehrpläne der Städte Berlin und Hannover haben diese Richtlinien loyal umgesetzt.214 Das bayerische Kultusministerium sah nach dem Wegfall der Monarchie keinen besonderen Reformbedarf im Geschichtsunterricht. Anders als in Preußen blieben die alten Lehrbücher in Gebrauch.215 Der Lehrplan für die Volksschulen, den das Kultusministerium 1926 veröffentlichte, nahm ebenfalls einige Forderungen progressiver Lehrer auf. Der Geschichtsunterricht drängte das dynastische Prinzip zurück und nahm Elemente der Kultur- und Sozialgeschichte auf. Die bayerischen Vorgaben waren deutlich stärker auf die Nation bezogen als die preußischen. Der

211 Richtlinien für die Mitwirkung der Schulen und Hochschulen zum Schutze der Republik, in: Zentralblatt, Jg. 64 (1922), H. 16, 20.8.1922, S. 363–364. 212 Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 27–29. 213 Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule, S. 159. 214 Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für die Grundschule und die oberen Jahrgänge der Volksschule mit dem Lehrplan für die Volksschulen der Stadt Berlin vom Jahre 1924, Berlin 1924, S. 35/6; Lehrplan für die Volksschulen der Stadt Hannover, Hannover 1928, S. 35–37. 215 Baumgärtner, Transformationen des Unterrichtsfaches Geschichte, S.  109–117; Liedtke, Max, Schulbücher (1918–1933), in: Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens, Bd. 3: Geschichte der Schule in Bayern. Von 1918 bis 1990, hg. v. Max Liedtke, Bad Heilbrunn 1997, S. 136–159, hier S. 137.

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Gedanke, der Geschichtsunterricht trage zum Schutz der Republik bei, fehlte hier.216 Der Freistaat Braunschweig leitete die weitestgehenden Änderungen ein. Das Land einigte sich in der Weimarer Zeit zwar nicht auf einen Lehrplan für die Volksschulen, schrieb aber den niederen Schulen die Schulbücher vor. Die Wahl des Geschichtsbuchs entfachte eine regelrechte Schulbuch-Guerilla zwischen den politischen Lagern. Die sozialdemokratischen Regierungen der ersten Jahre ließen ein republikanisches Geschichtsbuch mit regionalem Bezug erstellen, das alle Volksschüler des Landes verwenden sollten. Als 1924 eine bürgerliche Koalition die Regierung übernahm, brach die Arbeit an dem Lehrwerk ab. Erst die SPDAlleinregierung, die zwischen 1927 und 1930 die Geschicke des Freistaates lenkte, vollendete das Projekt und veröffentlichte das republikanisch orientierte Einheitslehrwerk Geschichtsbilder. Die Opposition protestierte im Landtag gegen das Geschichtsbuch, das eine „bewusste Verhetzung der Kinder im marxistisch-klassenkämpferischen Sinne“ betreibe. Als die NSDAP 1930 mit Hilfe einer rechten Koalitionsregierung an die Macht kam, ließ sie das Lehrwerk unverzüglich aus den Schulen entfernen.217 Die Schulbuchverlage reagierten alle, wenngleich nicht mit der gleichen Konsequenz, auf die veränderten politischen Bedingungen nach 1918/19. In den ersten Nachkriegsjahren erschienen kaum neue Geschichtsbücher. Die Lehrwerke der Vorkriegszeit wurden im Sinne der neuen Verhältnisse überarbeitet, die Zahl der Neuauflagen blieb gering. Das lag nicht an der politischen Einstellung der Verlage und ihrer Autoren, sondern an der schlechten Wirtschaftslage und an den unklaren Vorgaben der Regierungen. Als die ökonomische Lage sich Mitte der zwanziger Jahre besserte und die großen Länder ihre Lehrpläne und Richtlinien erlassen hatten, brachten fast alle Verlage neue Realien- und Geschichtsbücher für Volksschulen auf den Markt. Von den acht Weimarer Lehrwerken, die hier untersucht werden, hielten Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch und Nehrings Vaterlän­ dische Geschichte, zwei Neuauflagen aus der Vorkriegszeit, an einer monarchisch orientierten Geschichtsschreibung fest. Neue Werke wie das Geschichtsbuch für die 216 Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1926, S. 164–168. 217 Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel, 12 Neu 9 Nr. 3635: Abfassung eines Geschichtslehrbuches für Volks- und Mittelschulen (1923–1925); ebd., Nr. 3633/2: Geschichtslehrbuch (1928–1934); Weiterbenutzung der alten Lesebücher, in: Amtliche Nachrichten für das braunschweigische Schulwesen, Jg. 4 (1922), Stück 2, 30.3.1922, S. 68; Lehrplanbearbeitung, in: ebd., Jg.  4 (1922), Stück 4, 25.10.1922, S. 112; Bestellung von Lernmitteln, in: ebd., Jg. 7 (1925), Stück 2, 25.4.1925, S. 43–45.

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deutsche Jugend, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Hirts Arbeits- und Tatsachen­ hefte, Schaffensfreude und natürlich die Braunschweiger Geschichtsbilder republikanisiserten die Geschichtserzählung, indem sie die Rolle der Monarchen relativierten und die Errungenschaften demokratischer Bewegungen würdigten.218 Die Forschung hat dem Geschichtsunterricht oftmals vorgeworfen, er habe zum Scheitern der Weimarer Republik beigetragen.219 Die Anschuldigung ist in dieser Härte allenfalls für den gymnasialen Geschichtsunterricht zu halten, dessen Lehrer sich erheblich schwerer als die Volksschullehrer damit taten, ihren traditionellen Unterricht infrage zu stellen. Das lag zum einen daran, dass die Studienräte sich aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung stärker als Stütze des alten Systems begriffen hatten. Zum anderen erschwerte die Orientierung an der scheinbar objektiven Wissenschaft ein Umdenken. In den Volksschulbüchern findet sich, wie auch Meissner betont, kaum offener Antirepublikanismus. Die Dolchstoßlegende, die die Republik diskreditierte, schlug sich dort nicht nieder. Die gymnasiale Ausgabe von Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend hingegen enthielt Passagen im Sinne dieser Legende, die in der Volksschulausgabe fehlten.220 Wenn die Bücher eine Revision des Versailler Vertrages und Solidarität mit dem „Grenz- und Auslandsdeutschtum“ propagierten, lässt dies nicht den Rückschluss zu, die Bücher seien antirepublikanisch,221 da diese Vorstellungen bis weit ins linke Lager hinein konsensfähig waren. Der überbordende Nationalismus, den die Bücher propagierten, bedrohte nicht die republikanische Staatsform an sich. Schließlich ließ die französische Republik ähnlich nationalistische Geschichtsbücher verbreiten, um den Bestand der Republik zu stützen. Am treffendsten deutete Meissner die Haltung der Weimarer Geschichtsbücher zur Republik. Sie kommt zu der Erkenntnis, dass die „Diskursfelder“ von „Republikanismus“ und „antidemokratischem Nationalismus“ sich so stark überschneiden. Es sei daher nicht möglich, zwei Lager scharf voneinander zu trennen.222 Die folgende Untersuchung wird zeigen, dass gerade tendenziell republikanische Bücher wie Schaffensfreude einen aggressiven ethnischen Nationalismus transportierten, während konservative Werke 218 Das bayerische Lehrwerk Aus der Geschichte unseres Volkes nimmt hier eine mittlere Position ein. 219 Gies, Antidemokratische Geschichtslehrer und antirepublikanischer Geschichtsunterricht, S. 180; Kuss, Geschichtsunterricht zwischen Kaiserreich und Republik, S. 422. 220 Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule, S. 227 u. S. 241. 221 Diese Folgerung zieht z.B. Gies, Antidemokratische Geschichtslehrer und antirepublikanischer Geschichtsunterricht, S. 197. 222 Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule, S. 229.

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wie Nehrings Vaterländische Geschichte in einem geradezu friedlich wirkenden Monarchismus verharrten. Insgesamt vermittelten die Weimarer Geschichtsbücher überwiegend 223 Einstellungen und Denkbilder, die für die Entwicklung einer pluralistischen Demokratie gefährlich waren. Allerdings handelte es sich dabei nur selten um plumpe antirepublikanische Deutungen. Problematisch waren vor allem tieferliegende Strukturen der Erzählungen, die auf den ersten Blick nicht ins Auge fallen. Pädagogischen und gesellschaftlichen Moden folgend, wählten die Schulbücher, wie das dritte Kapitel dieser Arbeit zeigen wird, eine distanzlose, belletristische Darstellungsweise. So förderten sie einen emotionalen und irrationalen Zugang zur Welt zulasten von argumentativen und rationalen Denkweisen, die unabdingbar für die Diskussionskultur einer Demokratie sind. Wie Kapitel 5.1.2.2 zeigen wird, dominierte die Einigungserzählung in den deutschen Geschichtsbüchern. Der Appell zur nationalen Geschlossenheit und zur Unterordnung unter die Nation, der mit ihr verbunden war, hatte eine starke anti-pluralistische Stoßrichtung. Schließlich strukturierten die deutschen Volksschulbücher die deutsche Geschichte als Tragödie, in der die Deutschen als Volk erschienen, das in der Geschichte stets zu kurz gekommen war, um den Erfolg seiner Arbeit betrogen wurde und willentlich von den anderen Völkern ausgeschlossen wurde. Dieses Bild war die Basis eines aggressiven Nationalismus’. Diese Strukturen liegen allerdings auf Ebenen, die den damaligen Betrachtern verborgen blieben, da diese sie als selbstverständlich wahrnahmen. Vor diesem Hintergrund geht der Vorwurf eines Teils der Forschung, die republikanischen Regierungen haben nicht energisch genug auf den Geschichtsunterricht eingewirkt, ins Leere, da die Zeitgenossen nicht unbedingt in der Lage waren, diese Erzählstrukturen zu durchschauen. Die NS-Diktatur griff massiv in den Geschichtsunterricht ein. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte erhielt das Reich Kompetenzen im Bildungsbereich. Aber auch das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung brauchte fünf Jahre, um neue Lehrpläne für die Volksschulen zu erstellen. Im Bereich des Geschichtsunterrichts konnten sich die Verantwortlichen zunächst nicht darauf einigen, wie das künftige offizielle Geschichtsbild aussehen sollte. Ein Teil der Verantwortlichen orientierte sich am völkisch-neuheidnischen Geschichtsbild Rosenbergs und wollte alle vorgeblich „fremden“ Elemente aus der deutschen 223 Die Ausnahme bildet oft, aber nicht immer, das sozialdemokratisch inspirierte Lehrwerk aus Braunschweig: Geschichtsbilder. Zum Gebrauch für den Geschichtsunterricht in den Volksschulen des Freistaates Braunschweig, Braunschweig: Rieke 1929.

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Geschichte ausschließen. Demgegenüber beharrte die Gegenpartei darauf, dass der Unterricht alle Epochen der deutschen Geschichte würdigen müsse. So gab es bis 1939 lediglich ein Flickwerk an Erlassen und Schulungen, die den Geschichtsunterricht den neuen Verhältnissen anpassen sollten.224 Die Geschichtsbücher passten sich rasch der Ideologie des neuen Regimes an und folgten dabei den Richtlinien für die Geschichtslehrbücher von 1933.225 Zwar hat die Forschung bislang betont, dass die politischen Veränderungen von 1933 die Geschichtsbücher zunächst nicht berührten, sondern dass erst die Lehrpläne von 1939 zu Neuerungen führen.226 Das rührt allerdings daher, dass die Forschung sich bislang vorwiegend mit Büchern für die Gymnasien beschäftigt hat, an deren Wissenschaftsanspruch die politischen Neuerungen zunächst abperlten. So wurde die gymnasiale Ausgabe von Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend erst 1939 überarbeitet, während sich die Volksschulausgabe bereits 1934 den neuen Bedingungen anpasste. Die Neuauflage von 1939 hat die nationalsozialistische Ausrichtung des Lehrwerkes lediglich akzentuiert und der Rassenideologie einen breiteren Raum eingeräumt.227 Auch die anderen hier untersuchten Werke haben 224 Genschel, Helmut, Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht im nationalsozialistischen Deutschland, in: Klaus Bergmann / Gerhard Schneider (Hg.), Gesellschaft, Staat, Geschichtsunterricht. Beiträge zu einer Geschichte der Geschichtsdidaktik und des Geschichtsunterrichts von 1500–1980, Düsseldorf 1982, S. 261–294, v.a. S. 265. 225 Richtlinien für die Geschichtslehrbücher, in: Zentralblatt, Jg.  75 (1933), H.  15, 5.8.1933, S. 197–199. 226 Genschel, Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht, S.  268; Gies, Horst, Geschichtsunterricht unter der Diktatur Hitlers, Köln / Weimar / Wien 1992, S. 63/4; Zymek, Schulen, S. 191. Diese Aussage wird bis in die jüngste Zeit wiederholt: Erdmann, Elisabeth, Bilder in deutschen und französischen Geschichtsschulbüchern seit dem 19. Jahrhundert bis heute, in: Carsten Heinze / Eva Matthes (Hg.), Das Bild im Schulbuch, Bad Heilbrunn 2010, S. 143–154, hier S. 146. 227 Kumsteller, Bernhard  / Ulrich Haacke  / Benno Schneider, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend. Volksschulausgabe (3 Bde.), bearb. von Wilhelm Rödiger, beratende Mitarbeit v. Hero Silomon-Liegnitz, Leipzig: Quelle und Meyer 1928/29; Kumsteller, Ulrich / Ulrich Haacke / Benno Schneider, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend. Für die Jüngeren. Mittelstufe, beratende u. krit. Mitarb. von Otto Schlunke, 37. Aufl., Leipzig: Quelle & Meyer 1935; dies., Geschichtsbuch für die deutsche Jugend. Kl. 2, Mitarb. von G. [erhard] Ottmer, 1. Aufl., Leipzig: Quelle & Meyer 1939; Kumsteller, Bernhard / Ulrich Haacke / Benno Schneider, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend. Volksschulausgabe (3 Bde.), bearb. von Wilhelm Rödiger u. Ernst Ziemann, Leipzig: Quelle und Meyer 1934; Kumsteller, Bernhard  / Ulrich Haacke  / Benno Schneider, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend. Volksschulausgabe (3 Bde.), be-

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bereits unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in vorauseilendem Gehorsam ihre Darstellung geändert. Nach der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg verboten die Alliierten nicht nur den Einsatz der nationalsozialistischen Geschichtsbücher, sondern sie strichen Geschichte als Unterrichtsfach zunächst komplett von den Stundentafeln. Als das Fach ab 1947 in den verschiedenen westdeutschen Ländern wieder erlaubt wurde,228 benutzten die Schüler übergangsweise die Bücher aus der Weimarer Republik. In den westdeutschen Bundesländern entstanden ab den späten vierziger Jahren völlig neue Geschichtsbücher, die Werke aus der Weimarer Republik oder gar aus dem Nationalsozialismus wurden nicht fortgeführt.229 Inhaltlich knüpften Geschichtslehrer, Didaktiker und Lehrplangestalter an den Geschichtsunterricht der Weimarer Republik an. Anders als in der ersten deutschen Demokratie stellten sie sich vorbehaltlos hinter die demokratische Staatsform und vermittelten daher verstärkt demokratische Traditionen der deutschen Geschichte. Außerdem betonte der Geschichtsunterricht nun die Einbindung der deutschen in die europäische Geschichte.230 Insgesamt überwogen moderat konservative und liberale Stimmen in der didaktischen Diskussion, progressive Didaktiker blieben Außenseiter. Das prominenteste Beispiel dürfte der Braunschweiger Methodiker Georg Eckert sein. Als Leiter des „Geschichtspädagogischen Arbeitskreises“ entwarf er die Grundlagen für einen Geschichtsunterricht, der nationale Grenzen überwand, Politik- und Gesellschaftsgeschichte integrierte und demokratische Traditionen der deutschen Geschichte in den Mittelpunkt rückte.231

arb. von Wilhelm Rödiger u. Ernst Ziemann, Leipzig: Quelle und Meyer 1939. 228 Mayer, Ulrich, Neubeginn oder Wiederanfang? Geschichtsdidaktik im Westen Deutschlands, in: Wolfgang Hasberg / Manfred Seidenfuß (Hg.), Modernisierung im Umbruch. Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht nach 1945, Berlin 2008, S. 99–113, hier S. 109. 229 Eine Ausnahme bildet Kamps Neues Realienbuch, das in der Bundesrepublik in überarbeiteter Fassung wieder auf den Markt gebracht wurde: Helm, Horst, Kamps Neues Realienbuch, Bochum: Kamp [ca. 1957]. 230 Kuss, Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht in der Bundesrepublik, S. 745/6. 231 Barricelli, Michele, Didaktische Räusche und die Verständigung der Einzelwesen. Georg Eckerts Beitrag zur Erneuerung des Geschichtsunterrichts nach 1945, in: Wolfgang Hasberg / Wolfgang Seidenfuß (Hg.), Modernisierung im Umbruch. Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht nach 1945, Berlin 2008, S.  261–290. Zur Entwicklung des Geschichtsunterrichts in der Nachkriegszeit vgl. auch die anderen Beiträge des zitierten Sammelbandes.

84

Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

Die Schüler in der sowjetischen Besatzungszone erhielten bereits im Herbst 1946 wieder Geschichtsunterricht. Die Richtlinien schrieben dem Geschichtsunterricht eine zentrale Rolle bei der Umgestaltung der deutschen Gesellschaft zu. Anders als die Weimarer Lehrpläne stellten sie nicht die historischen Inhalte in den Mittelpunkt, sondern die erzieherische Aufgabe des Faches Geschichte. Nach der „Zwei-Linien-Theorie“ lernten die Schüler, bestimmte Kräfte wie den preußischen Militärstaat oder die deutschen Fürsten negativ zu beurteilen, und „fortschrittliche“ Kräfte wie die aufständischen Bauern der Frühen Neuzeit oder die Revolutionäre von 1848 positiv zu würdigen.232

2.7 Der Einfluss des pädagogischen Denkens auf den Geschichtsunterricht

Die pädagogischen Diskussionen des frühen 20. Jahrhunderts sind durch die Anstöße der Reformpädagogik geprägt. Deren Vordenker forderten eine „Erziehung vom Kinde aus“. Demzufolge sollte der Unterricht seine Inhalte nicht mehr einfach von den Wissenschaften ableiten, sondern von Interesse und Entwicklungsstand des Schülers ausgehen. Außerdem sollte der Schüler diese Inhalte nicht mehr rezeptiv erwerben, sondern sie selbsttätig, also durch eigenes Handeln erarbeiten. Für den Geschichtsunterricht stellte die Reformpädagogik eine große Herausforderung dar. Wer sich mit der Vergangenheit auseinandersetzt, beschäftigt sich mit einem Inhalt, der in der Lebenswelt der Schüler kaum sichtbar und nur durch intellektuelle Anstrengung zugänglich ist. Was genau „Handeln“ im Zusammenhang mit historischem Lernen bedeutet, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Für die heutige deutsche Fachdidaktik gilt der Wandel vom „Pauk-“ zum „Denkfach“ als Umsetzung des Strebens nach Handlungsorientierung.233 In den hier untersuchten 232 Handro, Saskia, Geschichtsunterricht und historisch-politische Sozialisation in der SBZ und DDR (1945–1961). Eine Studie zur Region Sachsen-Anhalt, Weinheim / Basel 2002, Diss. Leipzig 2001, v.a. S. 42–44. Vgl. Lehrplan für Grundschulen. Geschichte. 5. bis 8. Schuljahr, hg. u. bestätigt vom Ministerium für Volksbildung der Deutschen Demokratischen Republik, ausgearb. v. Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut, Berlin u.a. 1951. Vgl. u.a. Wildangel, Ernst, Fortschrittliche Geschichtsschreibung als Erbe und Aufgabe, in: Geschichte in der Schule, Jg. 1 (1948), H. 1/2, S. 30–34; Oelßner, Fred, Welches Erbe wir ablehnen, in: Geschichte in der Schule, Jg. 4 (1951), H. 2, S. 49–52. 233 Alavi, Bettina, Waren die Geschichtsdidaktiker auch Reformpädagogen? Eine Annä-

Der Einfluss des pädagogischen Denkens 85

didaktischen Schriften finden sich allerdings keine Belege dafür, dass die Zeitgenossen diese Definition teilten. Dort galten vielmehr Anschauung durch Originalquellen, Handarbeit – also etwa das Bauen einer Modellburg – oder das emotionale „Nacherleben“ der Vergangenheit als „Handeln“ des Schülers im Geschichtsunterricht. Die französischen Volksschullehrer ignorierten die Impulse der Reformpädagogik weitgehend. Erst die – gescheiterte – Kommission Langevin-Wallon, die in den vierziger Jahren einen Vorschlag zur Neuordnung des Schulsystems vorlegte, unternahm einen Versuch, die neuen Ideen systematisch in den französischen Schulen zu verankern.234 Der Unterricht an französischen Schulen blieb aber lehrerzentriert und fachorientiert.235 Ein Grund für diese Beharrungskräfte war sicherlich der „geschlossene“ Charakter des Volksschulsystems, das kaum Innovationen von außen aufnahm. Die Reformpädagogik fand als zunächst eher bürgerlich geprägte Strömung keinen Zugang zu dieser Welt. Es ist wohl kein Zufall, dass Roger Cousinet, einer der wenigen Reformpädagogen in der französischen Volksschulverwaltung, keine traditionelle Volksschulkarriere236 durchlaufen hatte, sondern aus dem Bürgertum stammte und ein literaturwissenschaftliches Studium absolviert hatte. Cousinet blieb als Schulrat ein Außenseiter, den die Hierarchie offen anfeindete.237 In den untersuchten Lehrerzeitschriften finden sich kaum explizite Hinweise auf die Theoretiker oder die Ideen der Reformpädagogik. Im Gegensatz dazu rezipierten die deutschen Volksschullehrer die reformpädagogischen Ideen aufmerksam. Sie finden sich an zentralen Stellen in den Zeitschriften für Volksschullehrer.238 Georg Kerschensteiner, eine der zentralen Figu-

234 235 236 237 238

herung anhand einer Unterrichtsnachschrift aus der Weimarer Republik, in: Wolfgang Hasberg / Manfred Seidenfuß (Hg.), Geschichtsdidaktik(er) im Griff des Nationalsozialismus?, Münster 2005, S. 43–55, hier S. 50/1. Garcia / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S. 165–168. Skiera, Ehrenhard, Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart. Eine kritische Einführung, München 2003, S. 358. S. oben, Kap. 2.1 u. 2.2. Ottavi, Dominique, Roger Cousinet et la société enfantine, in: Annick Ohayon / Dominique Ottavi  / Antoine Savoye (Hg.), L’éducation nouvelle, histoire, présence et devenir, Bern u.a. 2004, S. 125–143. Z.B. Heege, Fritz, Anfangsunterricht in der Arbeitsschule. Ein Bericht aus der Schularbeit, in: Die deutsche Schule, Jg. 27 (1923), H. 4, S. 163–166; Andräß, Erich, Der Geschichtsunterrichts in der Volksschule auf entwicklungspsychologischer Grundlage, in: Die deutsche Schule, Jg. 30 (1926), H. 1, S. 22–32, hier S. 24; Schaefer, P., Kerschensteiner †, in: Der Volksschullehrer, Jg. 26 (1932), H. 3/4, 28.1.1932, S. 1.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

ren der Reformpädagogik, setzte als Münchener Stadtschulrat bereits im Kaiserreich zentrale Forderungen der Neuerer im Münchener Schulsystem durch.239 Die damalige Geschichtsdidaktik und -methodik war von reformpädagogischen Ideen beeinflusst. Ihre Beiträge zum Geschichtsunterricht sind vom heutigen Standpunkt aus ambivalent zu bewerten. Sie haben einerseits die Grundlage dafür gelegt, dass sich Geschichte vom „Pauk-“ zum „Denkfach“ wandelte, andererseits aber mit ihrer Kritik an der Wissenschaftsorientierung des Unterrichts einen irrationalen Zugang zu Geschichte bevorzugt, der die Vergangenheit der kritischen Reflexion enthob.240 Diese Ambivalenz tritt deutlich in einem Artikel des Reformpädagogen Erich Andräß hervor. Schülerorientierung spielte für ihn eine wichtige Rolle. Da Kinder sich nicht für Geschichte interessierten und sie in ihrer Lebenswelt nicht vorkäme, habe abstrakte „historische Bildung“ in der Volksschule keinen Platz. Geschichtliches Wissen sei für einen Staatsbürger nicht unbedingt nötig, schließlich sind für Andräß „gerade die Naiven, die Unwissenden sehr gute Staatsbürger“.241 Diese Bildungsfeindlichkeit war für viele Volksschullehrer anschlussfähig, da sie eine Abgrenzung zu den akademisch gebildeten Gymnasiallehrern erlaubte. Diese Denkweise bildete zudem die theoretische Basis für das rein affirmative Geschichtsverständnis der Nationalsozialisten, das jeder Reflexion entbehrte. Obwohl die Reformpädagogik in Deutschland und Frankreich unterschiedlich stark war, ähnelten sich die didaktischen Diskussionen zum Geschichtsunterricht in beiden Ländern. Die Pädagogen diskutierten darüber, wie man die Schüler im Unterricht stärker aktiviere. Es ist bemerkenswert, dass die didaktischen Diskussionen sich während des Untersuchungszeitraumes wenig änderten. Das spricht dafür, dass die Überführung in die Schulpraxis zu wünschen übrig ließ. Die folgende Schulbuchanalyse wird Auskunft darüber geben, wann und inwieweit neue pä­dagogische Ideen Eingang in die Lehrwerke gefunden haben. Eine der wichtigsten Innovationen war die Forderung, der Geschichtsunterricht müsse vom Lokalen ausgehen, also vom Umfeld, das der Schüler aus eigener Anschauung kennt. In Deutschland ist dieser Ansatz unter dem Schlagwort der 239 Welch, Steven R., Das Schulwesen von 1871–1918. Oberbayern, in: Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens, Bd. 2: Geschichte der Schule in Bayern. Von 1800 bis 1918, hg. v. Max Liedtke, Bad Heilbrunn 1993, S.  465–476, hier S. 470/1. 240 Vgl. Alavi, Waren die Geschichtsdidaktiker auch Reformpädagogen?, S.  43/4 u. S. 54/5. 241 Andräß, Erich, Der Geschichtsunterrichts in der Volksschule auf entwicklungspsychologischer Grundlage, in: Die deutsche Schule, Jg. 30 (1926), H. 1, S. 22–32, v.a. S. 26.

Der Einfluss des pädagogischen Denkens 87

„Heimat“ diskutiert worden,242 das im weiteren politischen und gesellschaftlichen Diskurs um die nationale Identität eine zentrale, überaus ambivalente Rolle spielte.243 Auch wenn ein ähnlich ideologisch aufladbarer Begriff in Frankreich fehlte, ist die Orientierung am Lokalen eine zentrale Forderung der französischen Debatten um den Geschichtsunterricht. Französische Pädagogen bemühten sich darum, die Geschichte anschaulicher zu machen, indem sie vom „kleinen Vaterland“ („petite patrie“) ausgingen.244 Die Forderung, die Schüler sollten selbsttätig sein, findet sich ebenfalls in beiden Ländern. Zahlreiche französische Pädagogen favorisierten induktive Methoden, bei denen die Schüler von anschaulichem Material ausgehend allgemeine Schlussfolgerungen auf die Geschichte zogen. Daher diskutierten Didaktiker, inwiefern es sinnvoll sei, im Geschichtsunterricht Quellen einzusetzen. Während Schriftquellen eher als Medium der höheren Schulen galten, favorisierten die Volksschuldidaktiker Bildquellen und Historienbilder, aus denen die Schüler die historischen Ereignisse induktiv erschlossen.245 Die deutschen Didaktiker hatten weitergehende Vorstellungen vom „Handeln“ der Schüler. In der „Arbeitsschule“ sollte der Geschichtsunterricht die Schüler so gut wie möglich aktivieren. Die Vorstellungen, was das konkret in der Praxis bedeutete, klafften allerdings weit auseinander.246 242 S. unten, Kap. 4.3.5. Vgl. z.B. Tecklenburg, August, Schule und Heimat. Wegweiser zur Umgestaltung des Unterrichts von der Heimat aus. Unter besonderer Berücksichtigung des Geschichtsunterrichts, 2. Aufl., Hannover 1909; Zur Reform des Geschichtsunterrichtes, in: Der Volksschullehrer, Jg. 6 (1912), H. 36, 5.12.1912, S. 481/2. 243 Confino, Alon, Konzepte von Heimat, Region, Nation und Staat in Württemberg von der Reichsgründungszeit bis zum Ersten Weltkrieg, in: Dieter Langewiesche / Georg Schmidt (Hg.), Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, S. 345–359. 244 S. unten, Kap. 4.3.3. 245 Garcia / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S. 140/1. Vgl. z.B. Mestralet, M., Histoire vécue… ou l’histoire vécue in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 78 (1931/32), H. 42, 8.7.1932, S. 638/9. Gegen den Quelleneinsatz an Volksschulen spricht sich aus: Bonne, E., L’enseignement de l’histoire à l’école primaire, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 92 (1924/25), H. 4, 18.10.1924, S. 82/3. Zum Bildeinsatz s. z.B. Margaux, Paul, La civilisation enseignée par l’image, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 73 (1905/06), H. 30, 28.4.1906, S. 351/2; Brossolette, Léon, Gravures historiques, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg.  77 (1930/31), H.  29, 11.4.1931, S. 452/3; F.C., L’enseignement par l’image in: Bulletin de la Société générale, Jg. 34 (1903), H. 8, S. 744–746. 246 Engeler, Knut, Geschichtsunterricht und Reformpädagogik. Eine Untersuchung zur

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

Die Forderung, den Unterricht anschaulicher zu machen, war keine Innovation der Pädagogen des frühen 20. Jahrhunderts, blieb aber ein zentrales Element ihrer Vorstellungen. Französische Didaktiker begnügten sich damit, diese Anschaulichkeit durch Bilder, Originalquellen und den Besuch außerschulischer Lernorte herzustellen. Die französischen Lehrpläne von 1923 setzten dem Prinzip der Anschaulichkeit klare Grenzen. So empfehlenswert es sei, den Schülern gegenständliche Quellen wie Münzen oder historische Gebäude zu zeigen, so gefährlich sei es, durch filmische oder literarische Rekonstruktionen die Illusion zu erwecken, man könne die Vergangenheit vollständig vergegenwärtigen.247 In Deutschland hingegen forderte der didaktische Mainstream, der Unterricht müsse die Geschichte selbst vergegenwärtigen. Dazu sollten die Lehrer – und die Schulbücher – die Vergangenheit so dramatisch schildern, als nehme man an ihr unmittelbar teil. Das dritte Kapitel wird die Diskussionen um diese Distanzlosigkeit gegenüber der Vergangenheit nachzeichnen und untersuchen, wie sie sich auf die Schulbücher ausgewirkt hat.

2.8 Das Verhältnis des Geschichtsunterrichts zur universitären Geschichtswissenschaft

Anders als die höheren Schulen hatten die Volksschulen nicht den Anspruch, einen wissenschaftsorientierten Unterricht anzubieten, der die Schüler auf die Universität vorbereitet. Daher war stets umstritten, welche Rolle die Universitätshistorie für die niederen Schulen spielte sollte. Alle deutschen und französischen Pädagogen, die sich zu dieser Frage äußerten, waren sich darin einig, dass der Geschichtsunterricht an der Volksschule sich nicht damit begnügen dürfe, die wissenschaftliche Geschichte didaktisch zu reduzieren. Das Volksschulfach unterrichte, so der französische Schulrat Déghilage, nicht „die Geschichte bloß um der Geschichte willen“ („l’histoire uniquement pour l’histoire“), sondern vor allem Praxis des Geschichtsunterrichts an höheren Schulen der Weimarer Republik, Berlin / Münster 2009, Diss. Oldenburg 2008, S. 140–169. 247 Instructions relatives au nouveau plan d’études des écoles primaires élémentaires (Arrêtés du 23 février 1923), abgedruckt in: Manuel général. Partie générale, Jg.  90 (1922/23), H.  41, 30.6.1923, S.  769–791, hier S.  779; Graff, Nécessité de l’enseignement de l’histoire, in: Bulletin de la Société générale, Jg.  56 (1925), H.  7, S. 611–621, hier S. 619; Couderc, E. / J. Ferry, L’histoire locale à l’école primaire, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 123 (1954/1955), H. 3, 9.10.1954, S. 38–41.

Das Verhältnis des Geschichtsunterrichts zur universitären Geschichtswissenschaft 89

wegen „des intellektuellen, moralischen und patriotischen Ertrages“ („le profit intellectuel, moral et patriotique“) für die künftigen Generationen. Der Volksschullehrer dürfe daher nicht nur die wissenschaftliche Geschichtsdarstellung imitieren: « Ne singeons pas le professeur de l’enseignement supérieur. »248 In Frankreich gab es vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts Debatten darüber, wie der Unterricht das Spannungsverhältnis zwischen der Wissenschaftsorientierung und dem pädagogischen Auftrag des Faches auflösen sollte.249 Die französischen Pädagogen begriffen die von der Wissenschaft gestaltete Geschichtserzählung als objektiv. Ihre Aufgabe sahen sie darin, diese Darstellung auf ihren pädagogischen Wert hin zu überprüfen. Dies lässt sich exemplarisch am Beispiel der Debatte zeigen, die in den zwanziger Jahren den Militarismus im Geschichtsunterricht thematisierte. Radikale Kritiker der Militärgeschichte forderten die Abschaffung des Geschichtsunterrichts. Sie bezweifelten keinesfalls, dass militärische Ereignisse die Geschichte geprägt hatten. Sie kritisierten lediglich, dass diese grausame und kriegerische Geschichte den Schülern keine positiven moralischen Lehren vermittle. Aber auch die Verteidiger des herkömmlichen Unterrichts griffen diese moralische Argumentation auf und unterstrichen, wie der Akademieinspektor Bonne, dass die Kriegsgeschichte einen pädagogischen Wert habe: Certes, l’étude du passé nous enseigne que, blessée, saignante, terrassée par des forces hostiles, l’humanité a traversé des heures sombres où elle semblait menacée dans toutes ses forces vives comme la civilisation semblait elle-même menacée dans toutes les institutions imaginées par les hommes pour rendre leur existence plus digne d’être vécue. Mais l’étude du passé ne nous enseigne-t-elle pas en même temps qu’avec sa merveilleuse puissance de résurrection, l’humanité est sortie victorieuse de toutes ces crises douloureuses et que, dans son allure générale, la civilisation poursuit sa marche vers plus de liberté, plus d’égalité,

248 „Äffen wir nicht den Hochschullehrer nach.“ Déghilage, P., La neutralité scolaire. Neutralité historique, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 58 (1911/12), H. 18, 21.1.1912, S. 145/6 u. H. 19, 28.1.1912, S. 169/70, hier S. 169. Vgl. Art. „Geschichtsunterricht“, in: Wilhelm Hehlmann (Hg.), Pädagogisches Wörterbuch, 1. Aufl., Leipzig 1931, S. 75. 249 Vgl. z.B. Laugier, A., L’appréciation des faits en Histoire, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 67 (1900), H. 36, 7.9.1900, S. 565; Delvaille, J. / P. Berger, Histoire et morale, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 68 (1901), H. 4, 6.4.1901, S. 209/10; Berth, É., Histoire et morale, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 69 (1902), H. 38, 20.9.1902, S. 594; Laguerre, O., Comment l’école primaire doit enseigner le patriotisme, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 51 (1906/07), H. 33, 12.5.1907, S. 333.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

plus de bien-être et, partant, plus de bonheur pour l’espèce humaine? Et c’est cette leçon bienfaisante qu’on voudrait supprimer pour nos élèves !250

Konservative Pädagogen wiesen darauf hin, dass gerade die Militärgeschichte einen besonderen moralischen Wert habe, da sie die Wehrbereitschaft der jungen Franzosen schule.251 An dieser Debatte ist bezeichnend, dass die französischen Volksschullehrer anders als ihre deutschen Kollegen niemals daran zweifelten, dass die Geschichtsdarstellung, die ihnen die Wissenschaft vermittelte, die einzig mögliche war. Ein Teil der Pädagogen war eher dazu bereit, das Schulfach Geschichte abzuschaffen, als seine Inhalte und seine Darstellungsweise zu hinterfragen. Gegen Ende der Dritten Republik geriet die moralische Aufladung des Schulfaches Geschichte erstmals in die Kritik. Der Erziehungsminister Anatole de Monzie selbst wandte sich gegen die „moralisierende Anmaßung“ („prétention moralisatrice“) des Geschichtsunterrichts der öffentlichen Schulen und forderte, der Unterricht solle sich auf die historischen Fakten beschränken.252 250 „Sicherlich lehrt uns das Studium der Vergangenheit, dass die Menschheit, verletzt, blutig und von feindlichen Mächten überwältigt, dunkle Stunden erlebt hat, in denen sie mit allen ihren lebendigen Kräften bedroht schien, so wie die Kultur selbst bedroht schien mit allen Einrichtungen, die die Menschen sich erdacht hatten, um ihr Dasein lebenswerter zu machen. Aber lehrt uns das Studium der Vergangenheit nicht zugleich, dass die Menschheit mit ihrer wunderbaren Fähigkeit zur Wiederauferstehung siegreich aus all diesen schmerzhaften Krisen hervorgegangen ist und dass die Kultur in ihrer grundlegenden Ausrichtung ihren Weg weitergeht in Richtung von mehr Freiheit, mehr Gleichheit, mehr Wohlbefinden und folglich mehr Glück für das Menschengeschlecht? Und diese segensreiche Lektion möchte man unseren Schülern vorenthalten!“ Bonne, E., L’Histoire et la Géographie à l’école primaire, in: Manuel général. Partie générale, Jg.  91 (1923/24), H.  12, 15.12.1923, S.  265/6 u. H.  15, 5.1.1924, S. 335/6, hier S. 335. Vgl. Poilane, E., L’histoire à l’école primaire, in: ebd., H.  23, 1.3.1924, S.  525/6; L’histoire à l’école primaire, in: ebd., H.  36, 31.5.1924, S.  853/4; Bonne, E., L’enseignement de l’histoire à l’école primaire, in: ebd., Jg.  92 (1924/25), H. 2, 4.10.1924, S. 29–31, H. 4, 18.10.1924, S. 82/3 u. H. 5, 25.10.1924, S. 103. 251 Crousaz-Crétet, L., L’enseignement de l’histoire à l’école, in: Bulletin de la Société générale, Jg. 54 (1923), H. 10, S. 486–491, hier S. 491; Graff, Nécessité de l’enseignement de l’histoire, in: ebd., Jg. 56 (1925), H. 7, S. 611–621. Zu den Auswirkungen der Debatte auf die Schulbücher s. unten, Kap. 4.1.1. 252 Guy-Grand, Georges, La querelle de la morale et de l’histoire, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 100 (1953/54), H. 1, 12.9.1953, S. 3/4, hier S. 4; ders., De la liberté à la contrainte, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 100 (1953/54), H. 2, 19.9.1953, S. 49–51, hier S. 49.

Das Verhältnis des Geschichtsunterrichts zur universitären Geschichtswissenschaft 91

Obwohl die französischen Pädagogen vor allem den pädagogischen Wert des Schulfaches im Blick hatten, blieb das Verhältnis zwischen dem Geschichtsunterricht an den französischen Volksschulen und der universitären Geschichtswissenschaft spannungsfrei. Die Geschichtsbücher orientierten sich weitgehend an den Darstellungen der Historiker. In den pädagogischen Debatten überwogen Stimmen, die auf eine gegenseitige Kooperation zwischen den verschiedenen Teilsystemen des Bildungswesens setzten. In einigen Universitätsstädten gab es, wie oben erwähnt, Konferenzen zwischen Vertretern der Volksschulen, der höheren Schulen und der Geschichtswissenschaft. Das Maß, in dem sich der Historiker Ernest Lavisse für den Geschichtsunterricht an den Volksschulen interessierte, war außergewöhnlich. Der Sorbonne-Professor war zwar eine Ausnahmeerscheinung, prägte aber die Beziehungen zwischen Schule und Universität entscheidend. Sein Einfluss war so groß, dass Pierre Nora ihn als „Volksschullehrer der Nation“ („instituteur national“) bezeichnete. Lavisse arbeitete an Lehrplänen mit und veröffentlichte zahlreiche Beiträge in Lehrerzeitschriften. Die erste Ausgabe seiner „kleinen“ Histoire de France für Volksschulen veröffentlichte er 1876, etwa 30 Jahre vor dem Erscheinen seiner „großen“ Histoire de France, die sich an erwachsene Leser richtete. Dieses Schulbuch erschien bis auf kleinere Überarbeitungen unverändert bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Nora verglich seine Wirkungskraft mit der Bibel: « Le Petit Lavisse […] répandit à millions d’exemplaires un évangile républicain dans la plus humble des chaumières ».253 Allein die Neuausgabe des Lehrwerkes für den cours moyen von 1912 erschien bis 1939 in 40 verschiedenen Auflagen mit insgesamt 3.574.000 Exemplaren.254 Die Gründe für die gute Zusammenarbeit von Volksschule und Universität lagen zum einen im Aufbau des Schulwesens, der oben dargestellt wurde.255 Die Autonomie des Volksschulwesens und das Selbstbewusstsein seiner Lehrer ermöglichten einen nahezu reibungsfreien Umgang zwischen den Teilen des Bildungswesens. Zum anderen ließen sich die pädagogischen Prioritäten, die die französischen Lehrer im Geschichtsunterricht setzten, mit einer Orientierung an der Wissenschaft gut vereinen. Anders als der deutsche Geschichtsunterricht, der die Schüler emotional ansprach, zielte der Geschichtsunterricht an französischen Volksschulen darauf, die rationale Urteilskraft der Schüler zu fördern. Diese Vor253 „Der Kleine Lavisse brachte ein republikanisches Evangelium in millionenfacher Auflage bis in die bescheidenste Hütte.“ Nora, Lavisse, instituteur national, S. 247. 254 Lavisse, E. [rnest], Histoire de France. Cours moyen. Première et deuxième années, 40. Aufl., Paris: Colin 1939. 255 S. oben, Kap. 2.1.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

stellung durchzieht die Lehrerzeitschriften aus sechs Jahrzehnten wie ein Leitmotiv.256 Zwar sollten die Schüler nicht selbst über Geschichte urteilen, sondern lediglich das Urteil des Lehrers nachvollziehen. Nichtsdestotrotz appellierte diese Verfahrensweise in erster Linie an den Verstand und erst in zweiter Linie an die Gefühle der Schüler. Die emotionale Bindung der Schüler an die Nation und ihre Geschichte spielte ebenfalls eine wichtige Rolle im Geschichtsunterricht. Allerdings findet sich in den untersuchten Zeitschriften kein Artikel, der einen Gegensatz zwischen emotionalem und rationalem Zugang zur Geschichte aufmacht. Die bereits oben zitierten Lehrpläne von 1923 erwähnten zwar, dass es Personen gäbe, die einen Widerspruch sähen zwischen der wissenschaftlichen Fundierung des Unterrichts und seinem Auftrag, das „patriotische Gefühl“ („sentiment patriotique“) zu pflegen. Allerdings sei dies nur ein scheinbarer Gegensatz, da Frankreichs Leistung in der Geschichte einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalte: « Le patriotisme français n’a rien à craindre de la vérité. »257 Allgemein dominierte in den französischen Lehrerzeitschriften ein heute recht naiv anmutender Glaube daran, dass die Geschichtswissenschaft die Vergangenheit objektiv richtig rekonstruieren könne. Nur wenige Pädagogen äußerten sich skeptisch gegenüber diesem Objektivitätsanspruch. Der Schulrat Louis-Bertrand bezeichnete die Geschichte als „von allen Wissenschaften die vielleicht unsicherste, die verführerischste und die trügerischste“ („la moins sûre, peut-être, de toutes les sciences, la plus séduisante et la plus trompeuse“). Aus dieser Erkenntnis folgerte 256 Z.B. Louis-Bertrand, F., Causeries d’un inspecteur. Dogmatisme historique, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 59 (1912/13), H. 13, 15.12.1912, S. 98; Brun, H., L’esprit de justice dans l’enseignement de l’histoire à l’école primaire, in: Manuel général. Partie générale, Jg.  77 (1909/10), H.  18, 15.1.1910, S.  205–207 u. Nr. 19, 22.1.1910, S. 220–222; L’histoire à l’école primaire, in: ebd., Jg. 91 (1923/24), H. 36, 31.5.1924, S. 853/4. 257 „Der französische Patriotismus muss die Wahrheit nicht fürchten.“ Instructions relatives au nouveau plan d’études des écoles primaires élémentaires (Arrêtés du 23 février 1923), abgedruckt in: Manuel général. Partie générale, Jg.  90 (1922/23), H.  41, 30.6.1923, S. 769–791, hier S. 778. Tiemann hat festgestellt, dass die französischen Geschichtsbücher für die Volksschulen deutlich emotionaler seien als ihre gymnasialen Entsprechungen: Tiemann, Dieter, Emotionen bei der Vermittlung und Rezeption von Geschichte in Frankreich, in: Bernd Mütter / Uwe Uffelmann (Hg.), Emotionen und historisches Lernen. Forschung – Vermittlung – Rezeption, Frankfurt a. M. 1992, S. 117–122, hier S. 120. Der folgende deutsch-französische Vergleich zeigt, dass Erstere dennoch deutlich stärker an den Verstand der Schüler appellierten als die deutschen Volksschulbücher.

Das Verhältnis des Geschichtsunterrichts zur universitären Geschichtswissenschaft 93

er, man dürfe das Geschichtsbuch nicht zu „einer Art von Evangelium der modernen Zeiten“ („une sorte d’Évangile des temps modernes“) machen, aus dem man predige wie ein Priester. Der Geschichtslehrer müsse offenlegen, dass die Deutung der Vergangenheit oft umstritten sei. Schließlich dürfe der Geschichtsunterricht keine „sturen, kompromisslos urteilenden und sogar intoleranten Schüler“ („des élèves entêtés, absolus, voire intolérants“) heranziehen, sondern er müsse „den Geist öffnen und die Urteilskraft ausbilden“ („ouvrir l’esprit et former le jugement“).258 Anders als in Frankreich gab es im deutschen Volksschulwesen eine hitzige Debatte über das Verhältnis des Volksschulfaches Geschichte zur Geschichtswissenschaft. Die Universitätshistoriker nahmen wenig Anteil an den Problemen des Geschichtsunterrichts an Volksschulen. Der einzige Fachwissenschaftler, der sich in den untersuchten Zeitschriften äußerte, war der Kulturhistoriker Lamprecht,259 der innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft eine Außenseiterrolle hatte. Zahlreiche Pädagogen forderten gar, das Schulfach solle sich von der akademischen Geschichtsschreibung lösen. Ein wissenschaftsorientierter Geschichtsunterricht bedeute für die Volksschüler eine „Verfrühung“, da Kinder im Volksschulalter noch keine abstrakten Zusammenhänge herstellen könnten.260 Der Bildungsauftrag des Geschichtsunterrichts an der Volksschule unterscheide sich so stark von den Zielen der Geschichtswissenschaft, dass diese keine Referenz für die niederen Schulen sei. Der Reformpädagoge Ernst Linde behauptete nicht nur, eine „streng wissenschaftliche Darstellung“ stünde der „Kindertümlichkeit“ des Unterrichts entgegen, sondern er bestritt grundsätzlich den Wahrheitsbegriff der Wissenschaft: Wir haben nicht wissenschaftlichen, sondern volkstümlichen Geschichtsunterricht zu erteilen. Die mythische oder halbmythische Gestalt, welche die großen geschichtlichen Persönlichkeiten oder Begebenheiten in Gemüt und Phantasie des Volkes empfangen haben, ist auch eine Wahrheit, und gewiss eine lebendigere, zeugungskräftigere und die

258 Louis-Bertrand, F., Causeries d’un inspecteur. Dogmatisme historique, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 59 (1912/13), H. 13, 15.12.1912, S. 98. 259 Z.B. Lamprecht, Karl, An die Freunde der Kinderforschung, in: Allgemeine deutsche Lehrerzeitung, Jg. 57 (1905), H. 11, 17.3.1905, S. 129/30. 260 Andräß, Erich, Der Geschichtsunterricht in der Volksschule auf entwicklungspsychologischer Grundlage, in: Die deutsche Schule, Jg. 30 (1926), H. 1, S. 22–32; Ebeling, Hans, Der Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: GWU, Jg. 2 (1951), S. 347– 360, hier S. 348; Spieler, Albert, Stufen des geschichtlichen Bewußtseins, in: GWU, Jg. 6 (1955), S. 396–407 u. S. 480–492, hier S. 404.

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Volksgemeinschaft fester einende, als sie die zerpflückende Kleinarbeit der wissenschaftlichen Forschung je hervorbringen vermag.261

Der anti-akademische Reflex, der sich in diesen Worten spiegelt, ist durchaus typisch für die Position der Reformpädagogen zum Geschichtsunterricht, die sich vor allem in der Zeitschrift Die deutsche Schule niederschlug. Die Skepsis gegenüber der Geschichtswissenschaft nährte sich nicht nur aus einem plumpen anti-akademischen Impuls. Sie spiegelte auch eine sich abzeichnende Neuorientierung der geschichtsphilosophischen Diskussion wider.262 Einige Pädagogen äußerten eine differenziertere Kritik gegenüber dem Objektivitätspostulat, das die Geschichtswissenschaft des Historismus geprägt hatte. Sie rückten von der Vorstellung ab, es gäbe genau eine wahre Rekonstruktion der Vergangenheit, und betonten stattdessen die Standortgebundenheit jeder Geschichtsdarstellung. Bernhard Kumsteller, Studienrat und Autor des Geschichtsbuchs für die deut­ sche Jugend, das an Volksschulen einen enormen Erfolg hatte, erläuterte, warum er sich vom Objektivitätspostulat des Historismus abwendete: […] wir kehrten wie die Romantiker zum Urgrund, ‚zu den Müttern‘ zurück und stellten die Frage: was bedeutet uns Geschichte als Wissenschaft? Etwas ganz anderes als dem 19. Jahrhundert! Das 19. Jahrhundert betrieb die sogenannte objektive Geschichtsbetrachtung, losgelöst vom Subjekt. Dass es eine eindeutige Geschichte gibt, darin waren sich im Grunde sowohl Comte wie Ranke einig. […] So wie der Photograph die Wirklichkeit auf seiner Platte projiziert, so ist die Geschichte die haarscharfe Wiedergabe des Lebens, für alle genau so ausschauend, wenn nur die Forschung richtig war. Wir dagegen verfolgen Troeltsch-Simmelsche Gedankengänge. Geschichte ist uns etwas Funktionelles, wie Simmel sagt, Subjektives. Geschichte ist keine Photographie, Geschichte ist Auswahl, auf mich bezogenes Leben, ist etwas Schicksalhaftes in Auswahl und Auffassung.263

261 Linde, Ernst, Vorfragen des Geschichtsunterrichts, in: Die deutsche Schule, Jg.  24 (1920), H. 9, S. 404–406, Herv. im Orig. 262 Z.B. Schleier, Hans, Epochen der deutschen Geschichtsschreibung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Wolfgang Küttler  / Jörn Rüsen  / Ernst Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs, Bd.  1: Grundlagen und Methoden der Historiographiegeschichte, Frankfurt a. M. 1993, S. 133–156, hier S. 146. 263 Kumsteller, Bernhard, Grundsätzliches. Referat vor der Historischen Gesellschaft in Göttingen am 8. Juli 1924, in: ders. u.a. (Hg.), Der neue Weg im Geschichtsunterricht. Beiträge und Beispiele, Leipzig [1925], S. 5–9, hier S. 5.

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Die Erkenntnis, dass eine Geschichtsdarstellung niemals objektiv ist, bleibt bis heute eine der zentralen Herausforderungen des Geschichtsunterrichts. Die moderne Geschichtsdidaktik folgert aus dieser Einsicht, der Geschichtsunterricht müsse thematisieren, dass historische Erkenntnis standortgebunden ist und dass es stets verschiedene Arten gibt, Geschichte zu erzählen und zu deuten. Die Mehrzahl der Volksschuldidaktiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zog aus der gleichen Einsicht einen anderen Schluss. Wenn Geschichtsdarstellungen ohnehin nicht objektiv sind, folgerten sie, könne man den Schülern mit gutem Recht eine subjektive Geschichtserzählung vermitteln. Braun schrieb in Die deutsche Schule: „Ich halte nicht viel vom so genannten Neutralbleiben im Gesinnungsunterricht. Es muss da Farbe bekannt werden, wenn man nicht zur Maschine werden will.“264 Diese Forderung wurde vor allem in Deutschland populär, wo sie im Laufe der zwanziger und dreißiger Jahre die Hegemonie im Diskurs über den Geschichtsunterricht erlangte. Deutsche Volksschullehrer forderten meist, der Geschichtsunterricht solle nicht an den Verstand der Schüler appellieren, sondern Emotionen auslösen. Er sollte, so der zeitgenössische Duktus, die Jugend „ergreifen“, „packen“ und „fesseln“.265 Zu einem Topos wurde die Idee, der Geschichtslehrer an den Volksschulen solle sich weniger von der Wissenschaft leiten, als vielmehr von der Belletristik inspirieren lassen. Der Methodiker Alois Clemens Scheiblhuber wies auf die besonderen Qualitäten der künstlerischen Geschichtsdarstellung hin: Wo der Forscher nur weiß, was gesagt wurde und was geschah, da weiß der Künstler auch, was seine Person denkt und fühlt. Für ihn ist alles durchsichtig, was für den Geschichtsforscher oft dunkel bleiben muss. […] Wo die Geschichte nur Geister zeigen kann, da zeigt der Künstler Menschen aus Fleisch und Blut.266

In dem Maße, in dem die Zweifel an der Objektivität der Geschichtswissenschaft wuchsen, wandten sich die Volksschullehrer literarischen Formen der Geschichts264 Braun, Siegfried, Über Geschichte und Geschichtsunterricht, in: Die deutsche Schule, Jg. 23 (1919), H. 9, S. 363–370, hier S. 367/8. 265 Stieve, Friedrich, Das Mittelalter für Kinder, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 11 (1921), S. 223–230, hier S. 227/8; Alfred Dobritzsch, Unhistorische Überlieferungen in unseren Lehrbüchern, in: ebd., Jg. 11 (1921), S. 210–217; Fehring, Max, Kind und Geschichte. Vier Betrachtungen zur Neuordnung des Geschichtsunterrichts, in: ebd., Jg. 12 (1922), S. 209–217, hier S. 211. 266 Scheiblhuber, Alois Clemens, Vom Erlebnis im Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 54–58, hier S. 57.

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schreibung zu. In Deutschland nahmen Schulbücher zahlreiche fiktionale Elemente auf.267 Diese Skepsis gegenüber einem rein rationalen Zugang zur Geschichte ist ambivalent. Einerseits schärfte sie das Bewusstsein dafür, dass historisches Lernen immer eine affektive Dimension hat. Andererseits führte der emotionale Zugang zur Geschichte dazu, dass die Schüler Wissen nicht reflektiert erwarben, sondern davon überwältigt wurden. Die Volksschullehrer des Nationalsozialismus führten diese Emotionalisierung des Geschichtsunterrichts fort. Einige von ihnen verschärften sie, indem sie die „liberale Geschichtswissenschaft“, ihre Quellenkritik und ihr Objektivitätspostulat grundsätzlich ablehnten. An die Stelle der „nüchternen Aneinanderreihung ‚objektiver‘ Tatsachen“ sollte, so Walter Gehl, eine „Geschichtsbetrachtung für uns deutsche Menschen“ treten.268 Erst nach dem Umbruch von 1945 gewann das Objektivitätspostulat im Geschichtsunterricht wieder an Bedeutung. Hans Mombauer rechnete 1950 mit dem „mythischen“ Geschichtsverständnis der Nationalsozialisten ab und forderte eine „objektiv betriebene Historie“, die den „redlichen, aber mühevollen Weg […] zur ungeschminkten Wahrheit“ leite.269 Die meisten Lehrpläne, die die Bundesländer erließen, erklärten die „Wahrheit“ ausdrücklich zum Grundprinzip des Geschichtsunterrichts.270 Diese Forderung wirkt aus postmoderner Sicht reichlich naiv und wird von der heutigen Didaktik tendenziell belächelt.271 Betrachtet man allerdings den Kontext der Zeit, erweist sich das 267 Weiß, Christian, Zwischen Geschichtswissenschaft und historischer Belletristik. Tendenzen zur Fiktionalisierung in deutschen Geschichtsschulbüchern 1900–1960, in: Susanne Popp / Bernd Schönemann (Hg.), Historische Kompetenzen und Museen, Idstein 2009, S. 270–285. 268 Gehl, Walter, Völkische Geschichtsbetrachtung, in: Die deutsche Schule, Jg.  37 (1933), H. 9, S. 425–431, hier S. 425. Vgl. Gies, Horst, Die Rolle der Gefühle im Geschichtsunterricht des Dritten Reiches und der DDR, in: ders., Geschichte, Geschichtslehrer, Geschichtsunterricht. Studien zum historischen Lehren und Lernen in der Schule, Weinheim 1998, S. 29–50, hier v.a. S. 35. 269 Mombauer, Hans, Mythos und Historie, in: GWU, Jg.  1 (1950), S.  270–286, hier S. 277. Vgl. Wilmans, Ernst, Politische Entscheidung und Geschichtsunterricht. Zu Weniger, Neue Wege im Geschichtsunterricht, in: GWU, Jg. 1 (1950), S. 485–495. 270 Richtlinien für die Volksschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, 1955, S. 10; Richtlinien für die Volksschulen des Landes Niedersachsen, Braunschweig 1957, S. 59. Die bayerischen Vorgaben sprechen von einer „möglichst sachlichen Darstellung“: Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen, 1950, S. 238. Vgl. Block, Hermann, Der Geschichtsunterricht in den Volksschulen der westdeutschen Bundesländer, in: GWU, Jg. 4 (1953), S. 288–292, hier S. 292. 271 Schwarz, Christopher, Zwischen Abendland und Arbeitswelt. Richtlinien und Lehr-

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Streben nach der geschichtlichen „Wahrheit“ als Abkehr vom irrationalen Zug des Weimarer und des nationalsozialistischen Geschichtsunterrichts. Dennoch dominierte auch in der westdeutschen Nachkriegszeit die Vorstellung, Volksschüler müssten Geschichte in erster Linie emotional erfassen. Die Volksschulen der fünfziger Jahre orientierten sich am Konzept der „volkstümlichen Bildung“. Demzufolge sollte der Geschichtsunterricht zumindest in den unteren Klassen der Volksschule „weniger in rationaler Distanz auf die absolute Wahrheit gerichtet [sein] als auf das Verlangen, unmittelbar Gemüt und Willen zu mobilisieren“.272 Die Referenzwissenschaft des Volksschulfaches Geschichte war demzufolge nicht die Geschichtswissenschaft, sondern die Pädagogik.273 Stimmen, die eine stärkere Orientierung an der Fachwissenschaft forderten, blieben in der Minderheit.274 Dies änderte sich erst mit der „Verwissenschaftlichung“, die mit dem Umbau der Volksschule zur Hauptschule erfolgte. Mit dem gegliederten Schulsystem verschwand in der DDR die Vorstellung, es gäbe einen volkstümlichen Zugang zur Geschichte, der sich kategorial vom rationalen Zugang der akademischen Welt unterscheide. Zwar griff der Geschichtsunterricht der DDR reformpädagogische Traditionen der zwanziger Jahre auf, die einen emotionalen Zugang zur Geschichte privilegierten. Insgesamt orientierte sich das Schulfach Geschichte am Prinzip der Wissenschaftlichkeit. Clauss schrieb in Geschichte in der Schule, der Lehrervortrag dürfe „suggestiv auf die Kinderseele wirken“, aber nur unter der Bedingung, dass er „objektivem Wissen, sachlichen Schlüssen und echten Wertungen im Lehrerbewusstsein entspringe“.275 Die Schüler der DDR sollten lernen, sachlich über Geschichte zu urteilen. Das Ergebnis dieses Prozesses war zwar nicht offen, da das Urteil der Schüler sich an den Theorien des historischen Materialismus orientieren musste. Dennoch markierte diese Herangehensweise einen Bruch mit einer deutschen Volksschultradition, da die Schüler nun die rationale Argumentation über den gefühlsmäßigen Zugang zur

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pläne für den Geschichtsunterricht an der Volksschule nach 1945, in: Wolfgang Hasberg / Manfred Seidenfuß (Hg.), Modernisierung im Umbruch. Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht nach 1945, Berlin 2008, S. 153–167, hier S. 162. Freudenthal, Herbert, Volkstümliche Bildung. Begriff und Gestalt, München 1957, S. 136/7. Alavi, Geschichte „light“ in der Volksschule?!, S. 320. Graff, K. H., Über die Umlaufgeschwindigkeit von der Wissenschaft zur Schule, in: GWU, Jg. 2 (1951), S. 235–240. Clauss, Gertrud, Die Methode des neuen Geschichtsunterrichts in der Grundschule, in: Geschichte in der Schule, Jg. 1 (1948), H. 3, S. 26–36, hier S. 33.

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Geschichte stellen sollten. Die Erkenntnis, dass der streng wissenschaftsorientierte Unterricht der ersten Nachkriegsjahre Schüler und Lehrer überforderte,276 führte dazu, dass die Lehrpläne von 1955/56 das Prinzip der Anschaulichkeit in den Vordergrund rückten.277 Dieses stellte die Wissenschaftsorientierung aber nicht grundsätzlich in Frage.278 In den französischen Lehrerzeitschriften spielte der Gedanke, Geschichtsunterricht müsse die Schüler anders als die akademische Geschichtswissenschaft emotional erreichen, keine Rolle. Selbst ein Pädagoge wie Henri Brun, der forderte, Volksschullehrer sollten die Geschichte manchmal dichterisch vortragen, stellte die Orientierung des Schulfaches Geschichte an der Wissenschaft nicht in Frage.279 Sicherlich gab es auch in Frankreich Forderungen, den Geschichtsunterricht stärker an fiktionalen Darstellungsformen zu orientieren. Sonst hätten die Lehrpläne von 1923 die Lehrer wohl nicht ausdrücklich angewiesen, von realistischen Rekonstruktionen der Vergangenheit wie dem Kino abzusehen: […] il est dangereux de les [les élèves, d. Verf.] faire assister ou participer à des « reconstitutions » où la vérité historique est fatalement violée. Le cinéma lui-même, si utile lorsqu’il s’agit de reproduire des scènes réelles, le mouvement et la vie des objets ou des êtres actuels, risque de transformer l’histoire dans un roman à la Dumas père et de créer, par suite, dans l’esprit de nos écoliers, de déplorables erreurs. L’histoire est une résurrection, soit. Mais le passé n’en est pas moins le passé. Et c’est donner de lui une idée fausse que de faire croire qu’il est le présent.280 276 Zahlreiche Lehrer kritisierten das wissenschaftsförmige Lehrbuch für den Geschichts­ unterricht und warfen ihm seine „Stofffülle“ und mangelnde „Anpassung des Lehrstoffes an die Aufnahmefähigkeit der Schüler“ vor: Z.B. Meinck, Willi, Zu den Kritiken am neuen Geschichtsbuch, in: Geschichte in der Schule, Jg.  4 (1951), H.  4, S. 180–185. 277 Lehrplan für Mittelschulen. Geschichte. 5. Klasse, hg. v. Ministerium für Volksbildung, Berlin 1956. 278 Handro, Geschichtsunterricht in der SBZ und DDR, v.a. S. 46/7, S. 55/6 u. S. 60/1. 279 Brun, Henri, La poésie de l’histoire à l’école primaire, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 78 (1910/11), H. 11, S. 121–2. 280 „[…] es ist gefährlich, sie [die Schüler, d. Verf.] an ‚Wiederherstellungen‘ teilnehmen oder teilhaben zu lassen, in denen die historische Wahrheit in verhängnisvoller Weise verletzt wird. Das Kino, das an sich so viel Nutzen bringt, wenn es darum geht, wirkliche Szenen, die Bewegung gegenwärtiger Objekte und Personen nachzustellen, läuft Gefahr, die Geschichte in einen Roman nach Art Dumas’ des Älteren zu verwandeln und im Geist unserer Schüler bedauerliche Irrtümer zu erzeugen. Geschichte ist in der Tat Wiedererweckung. Aber die Vergangenheit bleibt dennoch Vergangenheit. Man

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Wie die folgende Schulbuchanalyse zeigen wird, folgten die Schulbuchautoren dieser Linie und hielten an wissenschaftsförmigen Geschichtsbüchern fest.281 Es mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, dass ausgerechnet das deutsche Volksschulwesen, in dem zahlreiche Akademiker wirkten, so starke anti-akademische Reflexe entwickelte. Betrachtet man das Bildungsgefälle, das durch die Zusammenarbeit verschieden ausgebildeter Lehrer entstand, dann kann man diese antiakademischen Reflexe als Distinktionsstrategie der Volksschullehrer deuten, mit der sie den Eigenwert ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Erfahrungen gegenüber den akademisch gebildeten Lehrern, Ausbildern und Funktionsträgern unterstrichen. Letztere wiederum bedienten sich des anti-akademischen Diskurses, um ihre Tätigkeit im niederen Schulwesen gegenüber den ehemaligen Kommilitonen aufzuwerten, die Posten im höheren Schulwesen oder an Universitäten erhalten hatten. Die französischen Volksschullehrer, die sich bis in höchste Staatsämter hocharbeiten konnten, ohne einem einzigen Akademiker zu begegnen, benötigten keine derartige Distinktionsstrategie. Wissenschaft und Volksschule arbeiteten hier miteinander, wobei ihre jeweiligen Aufgaben klar getrennt waren. Die Wissenschaft hatte für die objektiv richtige Darstellung der Geschichte zu sorgen, während die Volksschulen diese auf ihren pädagogischen Wert hin überprüften.

2.9 Die Bücher des Geschichtsunterrichts

Das Schulbuch war im 20. Jahrhundert das Leitmedium des Geschichtsunterrichts. In Frankreich gehörte das Lehrwerk bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Grundausstattung der Volksschüler. Während das Geschichtsbuch zunächst in der Hand des Lehrers blieb, der den Schülern vorlas, entstanden in den Jahren 1875–1885 erstmals Bücher, die sich direkt an die Schüler wendeten.282 Viele französische Lehrer empfanden die Bücher als Konkurrenten ihres eigenen Vortrags. Andere gingen dazu über, die Schüler nur noch aus dem Buch vorlesen zu lassen. Das Ministerium und namhafte Didaktiker wandten sich gegen diese Praxis und würde eine falsche Vorstellung von ihr erzeugen, wenn man glauben machen ließe, dass sie Gegenwart ist.“ Instructions relatives au nouveau plan d’études des écoles primaires élémentaires (Arrêtés du 23 février 1923), abgedruckt in: Manuel général. Partie générale, Jg. 90 (1922/23), H. 41, 30.6.1923, S. 769–791, S. 779. 281 S. unten, Kap. 3.4. 282 Garcia / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S. 112/3. Vgl. Ogier, Le rôle du manuel.

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verlangten, dass die Bücher lediglich den Vortrag des Lehrers stützten.283 Da die Schüler im certificat d’études primaires das Wissen wiedergeben mussten, das von den Lehrplänen vorgeschrieben war, ist anzunehmen, dass diese Vorträge meistens nicht stark von den Lektionen der Bücher abwichen. Wie oben erwähnt, ähnelten sich die Inhalte der französischen Bücher sehr. Die politische Deutung der Bücher wich allerdings voneinander ab. Den größten Gegensatz gab es erwartungsgemäß zwischen den Lehrwerken für staatliche und katholische Schulen. Anders als bei den konfessionellen Varianten der deutschen Bücher handelte es sich hier nicht um verschiedene Ausgaben eines Lehrwerks. Republikanische und katholische Bücher wurden von unterschiedlichen Autoren und Verlagen herausgegeben. Die katholischen Lehrwerke unterstrichen stärker den Anteil der Kirche und der Monarchie an der Entstehung des modernen Frankreichs.284 Auch innerhalb dieser beiden Lager konnten die Lehrer zwischen Büchern mit verschiedenen politischen Ausrichtungen wählen. Bei den republikanischen Büchern reichte das Spektrum von eher konservativen Lehrwerken wie der His­toire de France von Blanchet285 bis hin zu ausgesprochen linken Geschichtsbüchern wie der Histoire de France von Brossolette.286 Im staatlichen Schulwesen war zunächst Lavisse’ Histoire de France der unbestrittene Marktführer.287 Im katholischen Sektor hatte das Lehrwerk von Émile Segond, das zwischen 1893 und 1951 in 73 Auflagen erschien, eine ähnlich dominante Position.288 Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts kam mit den Lehrwerken von Devinat, von Gauthier / Deschamps, von Rogié / Despiques und von Brossolette eine ganze Reihe von dezidiert antiklerikalen und radikal-republikanischen Büchern auf den Markt und machte Lavisse im republikanischen Lager 283 Saindenis, E., Le rôle du livre dans l’enseignement primaire, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg.  54 (1909/10), H.  28, 3.4.1910, S.  230; Garcia  / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S. 165. 284 Freyssinet-Dominjon, Les manuels d’histoire de l’école libre. Vergleiche mit den weltlichen Büchern findet man bei Amalvi, De l’art et la manière d’accommoder les héros de l’histoire de France. 285 Blanchet, Désiré, Histoire de France. Cours moyen. Préparation au Certificat d’études, 236. Aufl., Paris: Belin 1913. 286 Brossolette, Histoire de France. Cours moyen. Certificat d’études, Paris: Delagrave 1937. 287 Da sich auch andere Werke zahlreicher Ausgaben erfreuten, ist es allerdings falsch, wenn Pierre Nora behauptet, Lavisse’ Geschichtsbuch habe eine Art „Quasi-Monopol“ besessen: Nora, Lavisse, instituteur national, S. 267. 288 Art. Segond, in: Amalvi, Répertoire des auteurs de manuels scolaires, S. 250.

Die Bücher des Geschichtsunterrichts 101

Konkurrenz. Diese Lehrwerke dominierten den republikanischen Geschichtsunterricht gemeinsam mit dem Lavisse bis zum Ende der Dritten Republik.289 Erst das Verbot der radikal-republikanischen Bücher durch das Vichy-Regime verschaffte einer neuen Generation von Geschichtsbüchern die Gelegenheit, den Schulbuchmarkt aufzurollen. Die neuen Lehrwerke von Audrin / Dechappe / Dechappe, Troux / Girard und Chaulanges / Chaulanges waren bis zum Ende der Vierten Republik marktführend. Sie waren deutlich weniger radikal-republikanisch als die Vorkriegsbücher. Diese wurden zwar nach 1944 wieder aufgelegt, sie waren aber bei weitem nicht mehr so verbreitet wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Im katholischen Bereich gab es eine ähnliche Entwicklung. Die Geschichtsbücher von Guillemain / Le Ster, die ab den dreißiger Jahren marktführend waren, gaben sich deutlich weniger konservativ als die katholischen Lehrwerke, die zu Jahrhundertbeginn erschienen waren. Insgesamt kann man konstatieren, dass die französischen Geschichtsbücher langlebig waren, da sie über Jahrzehnte hinweg nahezu unverändert wieder aufgelegt wurden. Amalvis Répertoire des auteurs de manuels scolaires zeichnet ein genaues Bild von den Karrieren der französischen Schulbuchautoren. Universitätsprofessoren wie Ernest Lavisse oder Gymnasiallehrer wie Paul Despiques stellten eher eine Ausnahme dar. In der Regel hatten die Autoren selbst die oben geschilderten Karrierestufen der Volksschullehrer durchlaufen und waren nun Direktoren der écoles normales oder Schulräte. Typisch ist der Lebensweg von Martial Chaulanges (1903–1983). Er stammte aus einfachen Verhältnisse im Departement Corrèze, wo er selbst die Volksschule besuchte. Er schlug die Ausbildung zum Volksschullehrer ein und besuchte die école normale, anschließend die école normale supérieure in Saint-Cloud. 1938 legt er mit der agrégation in Geschichte und Geographie ein Examen außerhalb des Volksschulwesens ab, um ab 1940 als inspecteur d’Académie und ab 1959 als inspecteur général de l’instruction publique Spitzenpositionen im Volksschulwesen einzunehmen. Neben diesen Tätigkeiten gab er seit 1947 gemeinsam mit seiner Frau Simone eines der erfolgreichsten französischen Geschichtsbücher heraus. Simone Chaulanges war eine der wenigen Frauen, die an der Abfassung der Schulbücher beteiligt war. Eine andere Ausnahme stellt „Mademoiselle“ Mialliers-Souvigny dar, die unter dem Pseudonym „Gauthier / Deschamps“ eines der erfolgreichsten Geschichtsbücher der Dritten Republik veröffentlichte.290 289 Das im Folgenden zitierte Lehrwerk von Aubin Aymard ist lediglich eine Überarbeitung der Histoire de France von Gauthier / Deschamps. 290 Art. Chaulanges, in: Amalvi, Répertoire des auteurs de manuels scolaires, S. 67; Art.

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

Anders als in Deutschland gab es ab den dreißiger Jahren Lehrwerke, die sich sowohl an Volksschulen als auch an höhere Schulen richteten, da sich die Lehrpläne für beide Bildungsgänge angenähert hatten. Es gibt allerdings keine Studien darüber, wie viele collèges und lycées diese „Einheitsbücher“ („livres uniques“) tatsächlich verwendeten. In Deutschland setzten sich Geschichtsbücher erst im Laufe des Untersuchungszeitraumes an den Volksschulen durch. In Preußen schrieben die Allgemeinen Bestim­ mungen von 1872 vor, dass die Schüler sich eine Fibel, ein Lesebuch und Bücher für den Religionsunterricht anschafften. In der Regel hatte lediglich der Lehrer ein Geschichtsbuch, die Schüler mussten sich meist mit den historischen Texten im Lesebuch begnügen. Allein besser ausgestattete Volksschulen durften ihre Schüler dazu verpflichten, „kleinere Leitfäden für den Unterricht in den Realien“ zu kaufen.291 Auf lokaler Ebene finden sich Beispiele dafür, dass Geschichtsbücher flächendeckend eingesetzt wurden. Die Schulräte des Regierungsbezirkes Arnsberg berichteten von ihren Revisionen, dass „fast in sämtlichen Schulen die Kinder nicht eingeführte Geschichtsleitfäden in den Händen“ hatten.292 Die Stadt Berlin genehmigte 1908 sogar offiziell die Einführung von Realienbüchern für die Oberstufen der Volksschule und stattete auch bedürftige Schüler mit diesen Büchern aus.293 Gauthier-Deschamps, in: ebd., S. 122. 291 Allgemeine Bestimmungen des Königlich Preußischen Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten vom 15. Oktober 1872 betreffend das Volksschul-, Präparanden- und Seminar-Wesen, in: Zentralblatt, Jg. 14 (1872), H. 10, S. 585–597, hier S. 588. Der Einsatz von Geschichtsbüchern ist nach dem Lehrer Albert Beck der wichtigste Vorzug des französischen vor dem deutschen Geschichtsunterricht: Beck, Albert, Studienreise nach Frankreich und französisches Volksschulwesen (Schluss), in: Allgemeine deutsche Lehrerzeitung, Jg. 57 (1905), H. 9, S. 101–104, H. 10, S. 114–117 u. H. 11, S. 128/9, hier S. 128. 292 Beseitigung von Leitfäden, besonders für den Geschichtsunterricht in den Schulen (Schreiben der Regierung von Arnsberg an die Kreisschulinspektoren vom 8. Mai 1906), in: Schulvorschriften für den Geschichtsunterricht im 19./20. Jahrhundert. Dokumente aus Preußen, Bayern, Sachsen, Thüringen und Hamburg bis 1945, eingel. und hg. v. Dörte Gernert, Köln / Weimar / Wien 1994, S. 117. Einen ähnlichen Befund gibt es für Sachsen: Thiel, Ulf, Historische Bildung in Sachsen 1830 bis 1933. Ein Längsschnitt zur Genese des sächsischen Geschichtsunterrichts vor dem Hintergrund der Entwicklung von Schulstrukturen und Geschichtslehrerbildung, Hamburg 2012, S. 348. 293 Realienbücher (Verfügung vom 30. September 1908, 1322 Sch. II. 08), in: Sammlung aller für die Berliner Gemeindeschulen und Hilfsschulen gültigen allgemeinen Verfügungen des Magistrats und der Städtischen Schuldeputation, hg. v. L. H. Fischer, Ber-

Die Bücher des Geschichtsunterrichts 103

Das lutherische Konsistorium des Herzogtums Braunschweig, das bis 1918 das Volksschulwesen des Landes leitete, lehnte Anträge auf Realienbücher in der Regel ab. Der spärliche Aktenbestand im Niedersächsischen Staatsarchiv lässt allerdings den Schluss zu, dass diese Bücher dennoch an einigen Volksschulen in der Hand der Schüler waren. Bereits 1898 bat der Schulvorstand von Altendorf das Konsistorium darum, die Einführung des Lettauschen Realienbuches „nachträglich“ zu genehmigen. Der Schulvorstand begründete diesen Schritt damit, dass das Buch sich „seit Jahren“ in der Hand von immer mehr Schülern befunden habe.294 Das bayerische Kultusministerium lehnte es regelmäßig ab, Realienbücher zuzulassen. Kultusminister von Wehner gab allerdings 1908 zu, dass die Neuauflagen dieser Bücher darauf hindeuten, dass die Schulen sie trotzdem benutzten.295 1916 ließ das Ministerium erstmals ein Geschichtsbuch für Volksschulen zu.296

lin 1912, S. 180. Vgl. Preisverzeichnis der Bücher, welche von der Schulkommission für Rechnung der Stadt an bedürftige Kinder der Gemeindeschulen geschenkweise verabfolgt werden dürfen (Sch. 28. 10. 1910), in: ebd., S. 208–212; Landesarchiv Berlin, A Rep. 000-02-01: Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin, Nr. 1429: Acten der Stadtverordneten zu Berlin betreffend die Lehrmittel für die Kommunal. Armenschulen, nun Gemeindeschulen (1833 bis 1912), Auszug aus dem amtlichen stenographischen Bericht über die Sitzung der Stadtverordneten-Versammlung am 28. März 1905; ebd., A Rep. 020-01: Magistrat der Stadt Berlin, Städtische Schuldeputation, Nr. 534–541: Lehrmittel für bedürftige Kinder (1882–1911), hier Nr. 538, November 1905 bis 1907, u. Nr. 541, Dezember 1910 bis 1911. Vgl. Sauer, Preußische Volksschule, S. 43. 294 Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel, 14 Alt Fb. 3 Nr. 436: Beschaffung und Einführung von neuen Schul- und Lehrbüchern (1898–1915), Brief vom Schulvorstand zu Altendorf die Einführung des Lettauschen Realienbuches betreffend an das Herzogliche Konsistorium zu Wolfenbüttel vom 14. November 1898. Vgl. ebd., Brief von Superintendent Drude an das Herzogliche Konsistorium zu Wolfenbüttel vom 13. Mai 1904, Brief von Pastor Tornen, Delligsen, an das Konsistorium vom 25. Februar 1903 u. Brief von Pastor Fricke zu Deensen an das Herzogliche Konsistorium zu Wolfenbüttel vom 4. Mai 1904. Der einzige Hinweis auf ein zugelassenes Realienbuch findet sich in: 14 Alt Fb. 3 Nr. 162: Anschaffung von Lehrmittel für Landschulen (1820–1916), L. Graf, Lehndorf an das Herzogl. Braunschw. Lüneburg. Konsistorium in Wolfenbüttel vom 9. Mai 1912. 295 Müller, Schulbuchzulassung, S. 128/9. 296 Verzeichnis der zum Gebrauche für den Unterricht in den Volksschulen und Fortbildungsschulen zugelassenen und für Volksschullehrer empfohlenen Werke und Lehrmittel, in: Ministerialblatt für Kirchen und Schulangelegenheiten im Königreich Bayern, Jg. 52 (1916), S. 163.

104

Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

Die Produktion von Geschichts- und Realienbüchern für deutsche Volksschulen blieb bis Ende der zwanziger Jahre deutlich hinter dem französischen Vergleich zurück. Während die französischen Geschichtsbücher Millionenauflagen erreichten, druckten die deutschen Verlage die Realienbücher und die Merkbücher für den Geschichtsunterricht lediglich in geringen Auflagen. Das am meisten verbreitete Werk, das Realienbuch von Kahnmeyer / Schulze, erreichte bis in die zwanziger Jahre lediglich eine Gesamtauflage von 315.000 Exemplaren.297 Geschichtsbücher waren zwar quantitativ weniger verbreitet als in Frankreich und standen zudem in Konkurrenz zu den Lesebüchern. Dennoch sind sie bereits zu Beginn des Untersuchungszeitraumes Leitmedium im Geschichtsunterricht, da die Lehrer aus ihnen vorlasen. Erich Andräß schildert, gestützt auf eigene Erfahrungen und auf die Lektüre aktueller Methodikbücher, den Verlauf einer typischen Geschichtsstunde um 1930 folgendermaßen: Zunächst liest der Lehrer aus dem Buch vor, um anschließend durch Fragen und andere Impulse bestimmte Stellen zu vertiefen oder durch den eigenen Vortrag hervorzuheben und zu ergänzen.298 Erst ab dem Ende der zwanziger Jahre erhielten immer mehr Volksschüler ein eigenes Geschichtsbuch. Während die Schüler im Volksstaat Preußen offiziell keine Bücher für den Geschichtsunterricht bekamen,299 erschien in Bayern neben den wenigen offiziell zugelassenen Merkbüchern noch eine Reihe weiterer kleiner Geschichtslehrwerke für Volksschulen.300 Die SPD-Regierung des Freistaates Braunschweig ließ 1929 ein offizielles Geschichtsbuch für alle Volksschulen des Landes verfassen.301 Die Bestände des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung zeigen, dass die Geschichtsbücher der Weimarer Zeit insgesamt deutlich höhere Auflagenzahlen erreichten als ihre Vorgängerwerke aus dem Kaiserreich. Marktführer unter den reinen Geschichtsbüchern war die Volksschulausgabe von Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, dessen literarischer 297 Meyer, Horst, Velhagen & Klasing. Einhundertfünfzig Jahre. 1835–1985, Berlin 1985, S. 201. 298 Andräß, Erich, Die Anschauung im Geschichtsunterricht der Volksschule, in: Die deutsche Schule, Jg. 34 (1930), H. 8, S. 469–477, hier S. 469/70. 299 Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 41. 300 Liedtke, Schulbücher (1918–1933), S.  150/1; Nachtrag zum Lehrmittelverzeichnis für die Volksschulen, in: Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums, Jg. 56 (1931), S. 145–148. Die Versorgung mit Büchern war aber, wie Eckl konstatiert, im Jahr 1934 noch mangelhaft: Ludwig Eckl, Geschichtsunterricht und Volksschule, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 24 (1934), S. 169–178, hier S. 171. 301 Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel, 12 Neu 9, Nr. 3633/2: Geschichtslehrbuch (1928–1934).

Die Bücher des Geschichtsunterrichts 105

Stil den Vorstellungen der Volksschullehrer entgegenkam. Die Bücher enthielten vermehrt Bilder und Zeichnungen, die graphische Aufmachung war deutlich aufwändiger als im Kaiserreich. Die Bücher wurden umfangreicher, die ersten Verlage boten nun wie für die Gymnasien einen Band für jedes Schuljahr an. Unter dem nationalsozialistischen Regime erhöhten sich die Auflagenzahlen der Geschichtsbücher weiter. Der vermehrte Einsatz von Geschichtsbüchern schreibt nicht nur die bisherige Tendenz fort, sondern es war ein Anliegen der neuen Machthaber, die Volksschulen flächendeckend mit Geschichtsbüchern auszustatten, um die nationalsozialistische Ideologie an den Schulen zu verankern.302 Die tatsächliche Einführung der Bücher konnte sich allerdings, wie das Beispiel des Regierungsbezirkes Potsdam zeigt, bis in die vierziger Jahre verzögern,303 sofern die Kriegswirtschaft überhaupt noch die Versorgung mit Geschichtsbüchern zugelassen hat. Flächendeckend haben sich Geschichtsbücher wohl erst in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten durchgesetzt. Sie hatten, wie im Folgenden deutlich wird, inzwischen nicht nur einen festen Platz in den Lehrmittelverzeichnissen der Bundesländer. Die hohen Auflagenzahlen zeugen davon, dass die meisten Volksschüler in den fünfziger Jahren über ein eigenes Geschichtsbuch verfügten. Anders als in Frankreich war die Schulbuchproduktion regional ausgerichtet. Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch erschien in dutzenden regionalen und konfessionellen Ausgaben. Für nahezu jedes Land und für jede preußische Provinz gab es je eine Ausgabe für katholische, evangelische und gemischtkonfessionelle Schulen. Die anderen Lehrwerke für den Geschichtsunterricht hatten oft regionale Schwerpunkte, reichsweite Geschichtsbücher blieben die Ausnahme. Erst in der Zeit der Weimarer Republik entstanden Lehrwerke, die sich an Schüler in ganz Deutschland wandten.304 Aber selbst die Gleichschaltung im NS-Regime verhinderte nicht, dass bayerische Volksschüler weiterhin eigene Geschichtsbücher ver-

302 Neueinführung von Schulbüchern, in: Zentralblatt, Jg. 76 (1934), H. 17, 5.9.1934, S. 262. 303 Landeshauptarchiv Brandenburg, Regierung zu Potsdam, Abteilung für Kirchen- und Schulwesen, Pr. Br. Rep. 2A Regierung Potsdam II Gen. Nr. 1412, Sonderakten betreffend Lesebücher, Geschichtsbücher vom 1.1.1929–12.9.1942, Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung EIIa Nr. 15a Gesch. 24/42 (a) betr. Geschichtsbücher für Volksschulen, 4.2.1942. 304 Kawerau schreibt, in allen Ländern außer Bayern würden preußische Bücher verwendet: Kawerau, Siegfried, Denkschrift über die deutschen Geschichts- und Lesebücher vor allem seit 1923, Berlin 1927, S. 6.

106

Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

wendeten.305 In der frühen Bundesrepublik hatten fast alle Werke einen regionalen Schwerpunkt, waren aber meist in mehreren Ländern zugelassen. Eine Ausnahme spielt Bayern, das ausschließlich bayerische Schulbücher zugelassen hat.306 Diese Regionalisierung schlug sich, wie unten geschildert, in den Geschichtserzählungen der Bücher nieder.307 Allein die DDR ließ keine regionalen Varianten zu. Die Autoren der deutschen Volksschulbücher arbeiteten als Lehrer, Rektoren, Seminarlehrer und Schulräte; im Kaiserreich waren etwa 18% der Autoren Gymnasiallehrer.308 Wenn man die Karrierewege im Volksschulwesen betrachtet, liegt die Vermutung nahe, dass die Zahl der ausgebildeten Gymnasiallehrer noch höher lag, da Führungspositionen in den Volksschulen und den Präparandenanstalten oft von Lehrern mit der Fakultas für Höhere Schulen ausgeübt wurden. Deutlich häufiger als in Frankreich erscheinen größere Herausgeberkollektive als Autoren 305 Foerschl, Georg, Merkbuch für die deutsche Geschichte, München / Berlin: Oldenbourg 1941; Eichelsbacher, Josef August, Geschichte des deutschen Volkes. Merkbuch für fränkische Volkshauptschulen, München: Oldenbourg [ca. 1937]. 306 Ausgewählt sind die Verzeichnisse, in denen die Bücher zugelassen wurden, die hier untersucht werden: Verzeichnis der lernmittelfrei genehmigten Bücher nach dem Stand vom 1.2.1957, in: Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (1957), H. 5, 1.2.1957, S. 81–136, hier S. 122/3; Genehmigte Schulbücher, in: Schulverwaltungsblatt für Niedersachsen, Jg.  4 (1952), H.  7, 15.7.1952, S. 154/5; Genehmigte Schulbücher, in: ebd., Jg. 6 (1954), H. 3, 15.3.1949, S. 56/7; Genehmigte Lehrbücher, in: ebd., Jg. 8 (1956), H. 5, 15.5.1956, S. 120; Verzeichnis des vom Schulbuchausschuss beim Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen in der Zeit vom 16. August bis 1. November 1952 genehmigten und zugelassenen Schulbücher, in: Amtsblatt des Kultusministeriums. Land Nordrhein-Westfalen, Jg. 4 (1952), H. 12, 1.12.1952, S. 148–150; Verzeichnis des vom Schulbuchausschuss beim Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen in der Zeit vom 1. November 1952 bis 15. Februar 1953 genehmigten und zugelassenen Schulbücher, in: ebd., Jg.  5 (1953), H. 3, 1.3.1953, S. 27–29; Verzeichnis des vom Schulbuchausschuss beim Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen in der Zeit vom 1. Juli 1955 bis 4. Oktober 1955 genehmigten und zugelassenen Schulbücher, in: ebd., Jg. 7 (1955), H. 11, 1.11.1955, S. 4–6. 307 S. unten, Kap. 4.3.5. 308 Jacobmeyer ordnet die Autoren den Schulformen zu, in denen sie arbeiten, nimmt aber anders als das französische Répertoire des auteurs de manuel scolaires kaum ihre Karrierewege in den Blick. Es ist davon auszugehen, dass die hier für das Kaiserreich angeführten Zahlen sich im Untersuchungszeitraum nicht wesentlich verändert haben: Jacobmeyer, Wolfgang, Das deutsche Schulgeschichtsbuch 1700–1945. Die erste Epoche seiner Gattungsgeschichte im Spiegel der Vorworte, Bd. 1, Berlin 2011, S. 182, S. 207 u. S. 228.

Fazit 107

der Bücher. Meist werden sie lediglich als „Herausgeber“ oder „Bearbeiter“ aufgeführt. Anders als in Frankreich waren die Autoren der Schulbücher ausnahmslos männlich.

2.10 Fazit

Die deutschen und französischen Volksschulen der Jahre 1900 bis 1960 lassen sich gut miteinander vergleichen, da beide Schulformen eine ähnliche Funktion innerhalb ihres Schulsystems eingenommen haben. Sie beschulten fast ausschließlich die Kinder der mittleren und unteren Gesellschaftsschichten. Damit besuchte die erdrückende Mehrheit der Schüler, etwa 90% eines Jahrgangs, Volksschulen. In Frankreich wie in Deutschland hatten die Volksschüler in den oberen Jahrgangsstufen etwa zwei Wochenstunden Geschichtsunterricht. Dieser wurde von Lehrkräften erteilt, die kein fachwissenschaftliches Studium hatten, da an den Volksschulen beider Länder Klassen- und keine Fachlehrer arbeiteten. Dem besonderen Bildungsauftrag und Selbstverständnis der Volksschulen folgend, sollte das Schulfach Geschichte nicht nur historisches Wissen vermitteln, sondern darüber hinaus bestimmte Werte und Einstellungen transportieren. Jedes Regime, das auf den Geschichtsunterricht einwirkte, hatte andere Vorstellungen davon, wie dieser Wertekanon genau ausgestaltet sein sollte. Aber alle Staatsformen des Untersuchungszeitraumes gaben dem Schulfach Geschichte den Auftrag, die Verbundenheit der Schüler mit der eigenen Nation zu stärken. Es überrascht nicht weiter, dass der Einfluss der Religion an den deutschen Volksschulen größer war als an den staatlichen französischen Schulen, die von der Mehrheit der französischen Schüler besucht wurden. Bemerkenswert ist hingegen, wie stark sich das Selbstbewusstsein und das Prestige der Volksschulen in den beiden Ländern unterschieden. Das französische Volksschulsystem galt als Vorzeigeprojekt der Dritten Republik, das breiten Bevölkerungsschichten den sozialen Aufstieg ermöglichte und den republikanischen Gedanken in der Öffentlichkeit verankerte. Die deutschen Volksschulen hingegen kämpften während des Untersuchungszeitraumes gegen das Bild der „Armenschule“, die lediglich eine zweitklassige Bildung vermittelte. Diese Bilder wirkten auf die Wertschätzung zurück, die dem Geschichtsunterricht der Volksschulen zukam. Während die deutschen Volksschullehrer sich in Lehrerzeitschriften gegen das Vorurteil wehrten, ihr Geschichtsunterricht sei gegenüber dem des Gymnasiums unbedeutend, genoss das Volksschulfach Geschichte in Frankreich die Aufmerksamkeit der

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Der Geschichtsunterricht an den Volksschulen

breiten Öffentlichkeit, die im Geschichtsunterricht der écoles primaires ein wichtiges Feld der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat ausmachte. Darüber hinaus unterschied sich auch die Art und Weise, in der Volksschüler im Fach Geschichte lernten. Die französischen Volksschulen stellten ebenso wie die Schulen der DDR einen rationalen Zugang zur Geschichte her. Die Schüler sollten zwar nicht selbst über Geschichte urteilen, aber sie sollten zumindest das Urteil des Lehrers verstandesmäßig nachvollziehen und begründen. Auf diese Weise sollte der Unterricht die historisch-politische Urteilskraft der künftigen Staatsbürger fördern. Im Gegensatz dazu favorisierten die deutschen Pädagogen einen emotionalen Zugang zur Geschichte. Der Geschichtsunterricht der Volksschulen sollte anders als derjenige der Gymnasien weniger die intellektuellen Fähigkeiten der Schüler ansprechen, sondern vor allem ihre Gefühle. Es gab keinen Konsens darüber, dass das Fach Geschichte historisch-politische Urteils- und Analysefähigkeit schulen sollte, um die Partizipationsmöglichkeiten der Absolventen zu stärken. Auf dem Feld des Geschichtsunterrichts bestätigt sich daher die These, die deutsche Volksschule habe das intellektuelle Potential ihrer Schüler vernachlässigt und die Bildungsambitionen der unteren und mittleren Bevölkerungsschichten begrenzt.

3 Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

3.1 Theoretische Vorüberlegungen

Bereits lange vor der Postmoderne ist offensichtlich bekannt gewesen, dass man Geschichte nicht als reine Abbildung vergangener Wirklichkeit betrachten kann. Nicht nur die Deutung der Vergangenheit ist umstritten, sondern bereits ihre Rekonstruktion hängt vom Standpunkt des Betrachters ab und ist in hohem Maße subjektiv. Diese Herausforderung war den Pädagogen des beginnenden 20. Jahrhunderts bewusst. Die Frage, wie Schülern das Erkenntnisproblem der Geschichte vermittelt wurde, soll hier unter dem Begriff „Distanz“ erörtert werden. Wenn Darstellungen von Geschichte thematisieren, dass Geschichte von Quellen abhängig ist und verschiedene Deutungen zulässt, so verdeutlichen sie diese Distanz. Wenn sie die Illusion erzeugen, man könne vergangenes Geschehen unmittelbar beobachten, detailgenau rekonstruieren und eindeutig beurteilen, reduzieren sie diese Distanz. Betrachtet man eine Geschichtsdarstellung als Text, dann ist die Instanz, die diese Distanz bestimmt, das Aussagesubjekt des Textes, das man als „Erzähler“ bezeichnet.309 Im Folgenden sollen zunächst die literaturwissenschaftlichen Erzähltheorien daraufhin untersucht werden, welche Strategien Erzähler einsetzen, um die Distanz zwischen Leser und Erzähltem zu bestimmen. Dabei wird der Fokus darauf gelegt, inwiefern man diese Strategien auf die Distanz von Gegenwart und Vergangenheit übertragen kann. Anschließend soll auf der Grundlage dieser Strategien eine Typologie von fünf Erzählern in Geschichtsbüchern entworfen werden. Anhand dieser Typologie soll dann die Distanz zwischen Gegenwart und Vergangenheit im Korpus untersucht werden.

309 Vgl. die „Merkmale illusionsbildender und -durchbrechender Texte“ bei Bauer, Anke / Cornelia Sander, Zur Analyse von Illusionsbildung und -durchbrechung, in: Peter Wenzel (Hg.), Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorien, Modelle, Probleme, Trier 2004, S. 197–222, hier S. 214–220.

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Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

3.2 Die Mittel zur Bestimmung der Distanz in historiographischen Texten 3.2.1. Die explizite Thematisierung der Distanz

Naheliegend wäre es, die Distanz zwischen Gegenwart und Vergangenheit offen im Schulbuch zu thematisieren. Schulbücher können zum einen angeben, dass Geschichtsschreibung von Quellen abhängig ist. Das Weimarer Geschichtsbuch Schaffensfreude machte seine Leser im ersten Kapitel mit der Mittelbarkeit historischer Erkenntnis vertraut: Wir wissen, dass zur Zeit Christi der größte Teil unseres heutigen deutschen Vaterlandes von den alten Germanen besiedelt war. In den Büchern römischer Schriftsteller können wir davon lesen. Aber schon lange, lange vor den Germanen wohnten Menschen in unserer Heimat, vor 20.000, vielleicht vor 100.000 Jahren schon. Woher wir Kunde von diesen Urbewohnern haben? Auffindung von Gräbern und Wohnstätten mit Waffen, Schmuckstücken, Töpfen und anderen Gebrauchsgegenständen [sic!]. Diese Dinge reden zu uns und erzählen uns von jenen Urmenschen, gerade wie ein Buch uns darüber berichten würde.310

Diese Stelle zeigt, dass eine Thematisierung nicht unbedingt eine besonders große Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart schafft. Die Vorstellung, dass man in den römischen Quellen verlässliche Informationen zu Germanien fände oder dass Überreste „wie ein Buch“ aus der Steinzeit berichten würden, zeugt von einer naiv anmutenden Quellengläubigkeit. Die Schüler bekommen den Eindruck, die historische Quelle ermögliche einen direkten Zugriff auf die Vergangenheit. Zumindest erfahren die Schüler, dass Wissen über die Geschichte immer über Quellen vermittelt wird. Zudem können die Schulbücher thematisieren, dass Quellen keineswegs eindeutige Rückschlüsse auf die Vergangenheit zulassen und verschiedene Deutungen der Geschichte ermöglichen. Schließlich schaffen Schulbücher dadurch Distanz, dass sie offenlegen, wie viele historische Bezeichnungen von der gegenwärtigen Forschung erfunden worden sind. Das Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, das ab 1951 in der DDR eingesetzt wurde, zählte west- und ostgermanische Stämme auf und fügte hinzu „Diese

310 Wendling, Karl, Schaffensfreude. Ein Schülerarbeitsbuch für die deutsche Heimatschule. Erster Teil: Geschichte, Frankfurt a. M.: Diesterweg 1925, S. 1, Herv. im Orig.

Die Mittel zur Bestimmung der Distanz 111

bezeichnen wir als Westgermanen“ bzw. „Diese bezeichnen wir als Ostgermanen“, um klarzustellen, dass es sich um moderne Bezeichnungen handelt.311 3.2.2. Die Herstellung von Mittelbarkeit durch die Wahl des Erzählmodus

Der Erzählmodus erlaubt es einem Autor, eine mehr oder weniger große Nähe zwischen Leser und geschildertem Geschehen herzustellen, indem er den Erzähler hervortreten lässt oder diese Instanz bewusst zurücknimmt. Bereits Plato hat im dritten Buch von Der Staat zwei verschiedene Arten gegenübergestellt, wie Literatur Wirklichkeit wiedergibt. In der diegesis („einfache Erzählung“) spreche der „Dichter“ in seinem eigenen Namen, ohne seinen Leser glauben zu lassen, dass ein anderer spreche. In der mimesis („Nachahmung“) hingegen versuche er, sich zu verbergen. So erwecke er die Illusion, dass ein anderer, also eine Figur selbst, spreche.312 Die moderne Erzähltheorie hat diese Unterscheidung aufgegriffen. Während die angelsächsische Literaturwissenschaft von showing und telling spricht, konnte der Anglist Franz K. Stanzel in Deutschland das Begriffspaar „berichtende Erzählung“ und „szenische Darstellung“ einführen. Hier soll die Begrifflichkeit der deutschen Erzähltheoretiker Matias Martinez und Michael Scheffel verwendet werden, die in erster Linie auf den Arbeiten des französischen Literaturwissenschaftlers Gérard Genette aufbaut.313 Dieses bipolare Modell, das den „dramatischen“ vom „narrativen Modus“ unterscheidet, ist nicht nur zu einem anerkannten Klassiker der Erzähltheorie geworden.314 Rüth hat dieses Modell bereits eingesetzt, als er die Erzählstrukturen historiographischer Texte untersuchte. 315 Es kann auch in den Schulbüchern, die hier untersucht werden, Trennschärfe herstellen. Allerdings soll dieses Phänomen im Folgenden wie bei Stanzel und Quinkertz als „Modus“ bezeichnet werden, und nicht wie bei Genette bzw. Martinez und Schef-

311 Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, 5. Schuljahr, Bd. 1, Berlin / Leipzig: Volk und Wissen 1951, S. 257. 312 Platon, Der Staat, 3. Buch, übers. u. hg. von Karl Vretska, Stuttgart 2000. 313 Martinez / Scheffel, Erzähltheorie, S. 47–63; Genette, Discours du récit, S. 163–189. 314 Quinkertz, Ute, Zur Analyse des Erzählmodus und der verschiedenen Formen von Figurenrede, in: Peter Wenzel (Hg.), Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorien, Modelle, Probleme, Trier 2004, S. 141–161, hier v.a. S. 148. 315 Rüth, Erzählte Geschichte.

112

Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

fel als „Distanz“, da dieser Ausdruck hier bereits für die übergeordnete Fragestellung des Kapitels verwendet wird.316 Im narrativen Modus bleibt der Erzähler präsent. Das Erzähltempo ist relativ hoch, d.h., die Erzählzeit ist deutlich kürzer als die erzählte Zeit. Mit Eberhard Lämmert und Genette könnte man von „zeitraffendem Erzählen“ sprechen. Außerdem beschränkt sich die Erzählung im narrativen Modus, mit den Worten von Bartes und Chatman, auf die kernels („Kerne“), die wesentlichen Elemente des Geschehens. Eine besonders ausgeprägte Form des narrativen Modus sind Zusammenfassungen oder Kommentare des Geschehens. Der dramatische Erzählmodus hingegen nimmt den Erzähler zurück. Er verlangsamt das Erzähltempo, so dass die Erzählzeit sich der erzählten Zeit annähert. In historiographischen Texten wird das Tempo allerdings selten so stark reduziert, dass man von „zeitdeckendem“ oder sogar „zeitdehnendem“ Erzählen sprechen könnte. Der dramatische Modus reichert die Erzählung mit zahlreichen Details an. Neben die Kerne treten so zahlreiche satellites („Satelliten“), die mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun haben. Nach Roland Barthes soll dieser Detailreichtum einen effet de réel („Realitätseffekt“) hervorrufen. Die Distanz zwischen Leser und Erzählung schrumpft, so dass der Eindruck entsteht, der Leser beobachte das Geschehen unmittelbar.317 Die Schulbücher, die hier untersucht werden, verwendeten beide Modi. Der Beginn der Schlacht im Teutoburger Wald erschien im Anschaulich-ausführlichen Realienbuch von Kahnmeyer / Schulze im narrativen Modus: Arglos brach er [Varus, d. Verf.] aus seinem Lager auf und zog ohne strenge Ordnung und mit vielem Gepäck durch den dichten Wald an der Weser dahin. Hier aber fielen die Germanen aus dem Dickicht des Waldes die Römer an, anfangs einzeln, dann in dichten Haufen.318 316 Stanzel, Franz K., Theorie des Erzählens, 8. Aufl., Göttingen 2008, S. 53; Quinkertz, Zur Analyse des Erzählmodus; Genette, Discours du récit, S.  163–189; Martinez  / Scheffel, Erzähltheorie, S. 67 ff. Diese Titel betrachten Distanz und Fokalisierung als zwei Parameter des Modus. Allerdings ist die Verwendung des Wortes Modus bei Martinez und Scheffel höchst inkonsistent, da die beiden Literaturwissenschaftler im Text ihres Buches auch von dramatischem und narrativem Modus sprechen und dabei das gleiche Phänomen meinen, das hier als Modus bezeichnet wird. 317 Martinez / Scheffel, Erzähltheorie, S. 39–44 u. S. 49–51; Genette, Discours du récit, S. 163–189; Lämmert, Eberhard, Bauformen des Erzählens, Stuttgart 1955, S. 83 f.; Barthes, Roland, L’effet de réel, in: Œuvres complètes, Bd. 2, hg. v. Éric Marty, Paris 1994, S. 479–484. 318 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 6.

Die Mittel zur Bestimmung der Distanz 113

Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend schilderte die gleiche Begebenheit zunächst ebenfalls narrativ, um dann in den dramatischen Modus zu wechseln: Am nächsten Morgen ging es langsam durch den aufgeweichten Boden weiter. Plötzlich stürzte ein römischer Soldat hin, von einem Speer getroffen. Ein neuer Speer, ein Stein; von allen Seiten flogen die Spieße aus dem Dickicht hervor. „Verrat!“ „Überfall!“ „Weiter, weiter,“ befahl Varus, „dass wir ins Freie kommen!“319

Der dramatische Modus gibt dem Leser das Gefühl, die Vergangenheit unmittelbar zu beobachten. Der Text wird anschaulicher, enthält aber deutlich weniger Informationen als die Textpassage des Realienbuchs. Die Wiedergabe von gesprochenen Worten oder von Gedanken, die im obigen Beispiel auftaucht, ist ein besonderer Fall. Die literaturwissenschaftliche Erzählforschung hat hierfür mehrstufige Modelle entwickelt. Ihre Pole bilden auf der einen, narrativen Seite die durch den Erzähler vermittelte „erzählte Rede“ und auf der anderen, dramatischen Seite die „zitierte Rede“, die scheinbar einen unmittelbaren Zugriff auf das Geschehen erlaubt. Diese Arbeit orientiert sich an der Begrifflichkeit von Quinkertz, die die Ansätze von Genette, Martinez und Scheffel zusammenfasst und mit der angelsächsischen Terminologie abgleicht. Die Formen der Rede- und Gedankenwiedergabe sind im Folgenden dem Grad ihrer Mittelbarkeit nach geordnet, die Beispiele sind frei erfunden.320 Im „Gesprächs-“ bzw. „Gedankenbericht“ fasst der Erzähler die Information in seinen Worten zusammen: Die Römer sprachen von Verrat (bzw. fühlten sich verraten).

Werden Worte oder Gedanken in der „indirekten Rede“ bzw. im „indirekten Gedankenzitat“ wiedergegeben, stehen im Hauptsatz die Rede- bzw. die Gedankenformel des Erzählers und im Nebensatz die nicht-wörtliche Figurenrede oder -gedanken: Die Römer riefen (bzw. dachten), sie seien verraten worden.

319 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 13. 320 Quinkertz, Zur Analyse des Erzählmodus, S.  148–151; Genette, Discours du récit, S. 163–189; Martinez / Scheffel, Erzähltheorie, S. 51–63.

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Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

Die „erlebte Rede“ bzw. das „erlebte Gedankenzitat“ haben eine Mittelposition zwischen narrativem und dramatischem Modus. Hier werden Worte bzw. Gedanken einer Figur in der 3. Person und im Präteritum formuliert: Sie waren verraten worden!

Die „direkte Rede“ bzw. das „direkte Gedankenzitat“ wirken noch unmittelbarer. Hier leitet ein verbum dicendi wie „sagen“, „sprechen“ oder „denken“ die direkte Wiedergabe von Worten bzw. Gedanken ein: Die Römer riefen (bzw. dachten): „Verrat!“

Die unmittelbarsten Formen, Worte und Gedanken wiederzugeben, sind die „freie direkte Rede“ bzw. das „freie direkte Gedankenzitat“, das ohne Einführungsformel des Erzählers und Anführungszeichen auskommt: Verrat!

Die erlebte Rede, das erlebte Gedankenzitat, die freie direkte Rede und das freie direkte Gedankenzitat vermischen die Perspektiven von Erzähler und Figur. Dieses Phänomen berührt den Bereich der „Perspektive“, der im nächsten Kapitel untersucht wird. Das obige Zitat aus dem Geschichtsbuch für die deutsche Jugend mischt direkte und freie direkte Rede, da die Anführungszeichen den Leser darauf hinweisen, dass hier eine Figur und nicht etwa der Erzähler spricht. Wissenschaftsförmige historiographische Texte verwenden üblicherweise den narrativen Modus. Zum einen lässt sich vergangenes Geschehen selten so detailgenau rekonstruieren, dass man es dramatisieren könnte. Zum anderen bringt eine dramatische Schilderung keinen Erkenntniswert, sondern sie lädt die Darstellung lediglich emotional auf. Die hier untersuchten Schulbücher verwendeten den dramatischen Modus, auch wenn er meist auf einige Abschnitte beschränkt blieb. Wie in den folgenden Kapiteln gezeigt wird, setzten die Schulbuchautoren die Dramatisierung bewusst ein, um die Vergangenheit zu veranschaulichen und zu vergegenwärtigen. Da der dramatische Modus üblicherweise fiktionalen Werken vorbehalten ist, bringt er ein fiktionales Element in Schulbuchtexte.321

321 Weiß, Zwischen Geschichtswissenschaft und historischer Belletristik, S. 275/6.

Die Mittel zur Bestimmung der Distanz 115

3.2.3. Die Perspektivierung der Erzählung

Eine weitere Möglichkeit, die Distanz zum vergangenen Geschehen zu verändern, ist die Wahl der Perspektive,322 von der aus erzählt wird. Dabei geht es um die Frage, wer das Geschehen in einer Erzählung sieht bzw. wahrnimmt. Die literaturwissenschaftliche Erzähltheorie unterscheidet in der Regel drei verschiedene Typen der Perspektivierung.323 Bei der „auktorialen Perspektive“, von Genette focalisation zéro („Nullfokalisierung“) und von Martinez und Scheffel „Übersicht“ genannt, weiß und sagt der Erzähler mehr, als irgendeine der Figuren weiß oder wahrnimmt. Vor Genette hat die Literaturtheorie dieses Phänomen als „allwissenden Erzähler“ bezeichnet.324 Wenn der Erzähler genauso viel sagt, wie eine Figur weiß, spricht man von einer „aktorialen Perspektive“. Diese bezeichnet Genette als focalisation interne („interne Fokalisierung“), Martinez und Scheffel sprechen von „Mitsicht“. Der Leser nimmt das Geschehen aus dem Blickwinkel einer beteiligten Figur wahr; er erfährt deren Gedanken und Gefühle. Die „neutrale Perspektive“, von Genette focalisation externe („externe Fokalisierung“) und von Martinez und Scheffel „Außensicht“ genannt, ist durch einen Erzähler gekennzeichnet, der weniger weiß, als die Figur sagt.325 Diese Perspektiven treten selten durchgängig in einem Text auf. Meist wechseln sich verschiedene Perspektiven ab. Die moderne wissenschaftliche oder wissenschaftsförmige Geschichtsschreibung verwendet ausschließlich die neutrale Perspektive, da Historiker sich nicht anmaßen, in das Innere der historischen Akteure zu blicken. Auch persönliche Quellen wie Briefe oder Tagebücher lassen nur begrenzt Rückschlüsse darauf zu, was im 322 Genette, Discours du récit, S. 194–204; Martinez / Scheffel, Erzähltheorie, S. 63–67. Diese Texte sprechen von Fokalisierung. Hier soll der in der Geschichtswissenschaft übliche Terminus Perspektive gebraucht werden. 323 Die wichtigsten Ausnahmen bilden Stanzels Typenkreis von 1987 und Cohns Modell mit vier Typen: Stanzel, Theorie des Erzählens, S.  81; Cohn, Dorrit, Transparent Minds. Narratives Modes for Presenting Consciousness in Fiction, Princeton 1978. 324 Genette hat den Begriff „allwissender Erzähler“ dahingehend differenziert, dass er die Perspektive von der Stimme getrennt hat. 325 Genette, Discours du récit, S. 194–204; Martinez / Scheffel, Erzähltheorie, S. 63–67; Strasen, Sven, Zur Analyse der Erzählsituation und der Fokalisierung, in: Peter Wenzel (Hg.), Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorien, Modelle, Probleme, Trier 2004, S. 111–140, hier S. 123/4, hat an Genettes Modell kritisiert, dass die Perspektive mit der Sicht, aber nicht mit Gefühlen und Gedanken zu tun habe. Dieses Argument ist insofern irreführend, als Gefühle und Gedanken ein Teil der Wahrnehmung sind, um die es nach Martinez und Scheffel in Fragen der Perspektive geht.

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Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

Inneren einer Person vorgeht. Sie geben keine Gedanken oder Gefühle wieder, sondern sie dokumentieren, welche Äußerung ein historischer Akteur von sich gibt. Die auktoriale Perspektive ist in modernen geschichtswissenschaftlichen Texten wenig gebräuchlich. Die Historiker des 19. Jahrhunderts hingegen bedienten sich dieser Erzählperspektive gelegentlich.326 Nur selten findet sich die aktoriale Perspektive. Sie gilt als typisch für fiktionale Texte und wird, z.B. bei Duby, vor allem in ironischer Absicht verwendet.327 Die neutrale Perspektive stellt die größte Distanz zwischen dem historischen Geschehen und der Gegenwart her, da der Leser alle historischen Akteure nur von außen betrachtet. Die auktoriale Perspektive erlaubt Nähe zur Vergangenheit, da sie einen direkten Zugang zum Inneren historischer Akteure suggeriert. Sie wahrt allerdings immer eine gewisse Distanz, da ein auktorialer Erzähler nicht an die Perspektive eines historischen Akteurs gebunden ist. Die größte Nähe zwischen Leser und Vergangenheit stellt die aktoriale Perspektive her. Sie vermittelt dem Leser den Eindruck, er könne die Vergangenheit aus dem Blickwinkel eines zeitgenössischen Akteurs betrachten und dessen Emotionen und Gedanken teilen. Kennzeichen für auktoriale oder aktoriale Perspektiven sind Verben der inneren Vorgänge wie „denken“, „fühlen“ oder „hoffen“. Sie treten niemals in einer neutralen Perspektive auf. In der auktorialen Perspektive teilt ein allwissender Erzähler mit, was historische Akteure wahrnehmen. In der aktorialen Perspektive suggeriert der Erzähler, er blicke direkt in das Innere einer historischen Gestalt. Ein bayerisches Schulbuch der 1950er Jahre vermittelte seinen Lesern den Eindruck, er lese die Gedanken der Deutschen des Vormärzes: Österreicher, Preußen und Sachsen, Bayern, Württemberger und Hessen beseelte der gleiche Wille nach Freiheit. Sie alle fühlten sich als Söhne eines Volkes und hofften, dass nach dem Kriege wieder ein Deutsches Reich erstehen werde.328

Für die auktoriale oder die aktoriale Perspektive sind außerdem erlebte Rede, erlebte Gedankenzitate, freie direkte Rede und freie Gedankenzitate charakteristisch, die die Gedanken oder die Äußerungen von historischen Akteuren ohne verba dicendi in der dritten Person wiedergeben. Nicht immer ist eindeutig, wer der Urheber einer Äußerung sein soll. Fragt das Schulbuch Mit eigener Kraft „Wo 326 Lüsebrink, Michelet, S. 221; Hardtwig, Formen der Geschichtsschreibung, S. 33. 327 Rüth, Erzählte Geschichte, S. 80–82. 328 Scherl, Josef, Geschichte unseres Volkes, Bd. 4, 2. Aufl., München: Oldenbourg 1954, S. 23, eigene Herv.

Die Mittel zur Bestimmung der Distanz 117

blieb das verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker?“, erfährt der Leser nicht, ob ein historischer Akteur oder ein übergeordneter Erzähler spricht. Wenn hingegen dasselbe Buch die Fragen „War das mühsam ersparte Geld wieder verloren? Kam wieder eine Inflation?“329 stellt, spricht es nicht mit der Stimme eines allwissenden Erzählers, sondern formuliert die Gedanken eines Zeitgenossen, der den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte nicht kennt. Das reduziert die Distanz zum Geschehen, da die Perspektiven von Erzähler und historischem Akteur verschmelzen. Deiktische Angaben wie „heute“, „morgen“, „jetzt“ oder „hier“ sind ein eindeutiges Kennzeichen einer aktorialen Perspektive. Sie perspektivieren die Umgebung der historischen Akteure von deren Hier-und-Jetzt-Standpunkt aus. Dadurch vermischen sie ebenfalls die Perspektiven von Erzähler und historischem Akteur. Der Satz „Von den fernen Grenzen Chinas her brausten die mongolischen Steppensöhne quer durch Asien auf ihren struppigen Pferdchen heran wie der Wirbelwind“,330 der 1954 in einem bundesrepublikanischen Geschichtsbuch erschien, schilderte die Expansion der Hunnen zweifellos aus dem Blickwinkel eines westeuropäischen Beobachters. Verben der inneren Wahrnehmung, erlebte Rede und die Verwendung deiktischer Angaben verringern nicht nur die Distanz zwischen Leser und Geschehen, sondern sie sind nach Käthe Hamburger auch Signale für fiktionalen Sprachgebrauch.331 Die Verwendung auktorialer und vor allem aktorialer Perspektiven ist daher ein Zeichen für eine Fiktionalisierung der Geschichtsbücher.332

329 Boeck, Otto u.a., Mit eigener Kraft. Unterrichtswerk für Volksschulen, Fachband Geschichte, Bd. 4, 4. Aufl., Stuttgart: Klett 1960, S. 30 u. 38. 330 Jaitner, Willy R., Unsere Geschichte. Geschichtsbuch für Volksschulen, unter Mitarbeit v. Hans Mann / Wilhelm Stodt, Bd. 1, 2. Aufl., Düsseldorf: Schwann 1954, S. 42, eigene Herv. 331 Die Kombination von deiktischer Angabe und Präteritum hat die Literaturwissenschaftlerin als „episches Präteritum“ bezeichnet: Hamburger, Logik der Dichtung, S. 64–78; Vogt plädiert dafür, das epische Präteritum weniger als Tempusphänomen zu deuten, denn als „Überlagerung von Erzählerstimme und Figurenstimme“: Vogt, Jochen, Aspekte erzählender Prosa. Eine Einführung in Erzähltechnik und Romantheorie, 9. Aufl., München 2006, S. 39. 332 Weiß, Zwischen Geschichtswissenschaft und historischer Belletristik, S. 276.

118

Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

3.2.4. Der Zeitpunkt des Erzählens

Während es bei der Wahl der Perspektive darum geht, von welchem Standpunkt das Geschehen gesehen, also wahrgenommen wird, bestimmt der „Zeitpunkt des Erzählens“ den zeitlichen Abstand zwischen dem Geschehen und dem Akt des Erzählens. Die Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart erscheint umso kleiner, je näher die beiden zusammenliegen. Die ältere Erzähltheorie hat Perspektive und Zeitpunkt des Erzählens noch nicht getrennt diskutiert. Erst Genette differenziert zwischen der Frage „Wer sieht?“, die er der Kategorie „Modus“ zurechnet, und der Frage „Wer spricht?“, die er in der Kategorie „Stimme“ behandelt.333 Genette unterscheidet zwischen vier verschiedenen Formen: Die narration ultérieure („späteres Erzählen“), bei dem der Akt des Erzählens zeitlich nach dem Geschehen liegt, ist der Regelfall in Belletristik und Geschichtsschreibung. Bei der narration antérieure („früheres Erzählen“), einem eher seltenen Typ, liegt der Akt des Erzählens vor dem eigentlichen Geschehen. Die narration simultanée („zeitgleiches Erzählen“) bedeutet, dass Zeitpunkt des Erzählens und das Erzählte zeitlich zusammenfallen wie bei einer Fußballreportage. Ungewöhnlich hingegen ist die narration intercalée („eingeschobenes Erzählen“), bei der die Grenze zwischen handelnder Figur und Erzähler verschwimmt wie in einem Briefroman.334 Alle Bücher, die hier untersucht werden, sind mehr oder weniger konsequent chronologisch aufgebaut und enden in der Gegenwart.335 Sofern das spätere Erzählen dominiert, verringert sich der Abstand zwischen dem Zeitpunkt des Erzählens und der erzählten Zeit mit jedem Kapitel. Am Ende des Buches fallen beide Zeitpunkte zusammen, so dass die letzten Passagen zeitgleich erzählt werden. Gelegentlich gibt der Erzähler an anderen Stellen vor, zeitgleich zu erzählen, um eine größere Spannung zu erzeugen und die Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu verringern. Es ist sinnvoll, zwischen Perspektive und Zeitpunkt des Erzählens zu differenzieren, da dies zwei verschiedene Verfahren sind, um die Distanz zwischen Gegenwart und historischem Geschehen zu bestimmen. Dies macht das folgende Beispiel 333 Genette, Discours du récit, S. 13–20; Martinez / Scheffel, Erzähltheorie, S. 67–69. 334 Genette, Discours du récit, S. 223–236; Martinez / Scheffel, Erzähltheorie, S. 69–75. 335 Eine Ausnahme stellt Nehrings Darstellung zur preußischen Geschichte dar, die die Geschichte regressiv erzählte: Nehring, L. [udwig], Vaterländische Geschichte. Ein Merk- und Wiederholungsbuch für die Volksschulen des Ostens der Monarchie, Bd. 1: Brandenburgisch-Preußische Geschichte. Anhang: Der Weltkrieg 1914/16, 21. Aufl., Breslau: Handels Verlag 1916.

Die Mittel zur Bestimmung der Distanz 119

zu den Plünderungen der schwedischen Soldateska deutlich. Kamps Neues Reali­ enbuch, das 1938 erschien, reduzierte die Distanz, indem es die Plünderungen zunächst aus einer neutralen Perspektive darstellte und schließlich in die Sicht eines Zeitgenossen überblendete: Was war aus den tapferen Schweden geworden seit ihres Königs Tod? Wegelagerer und Plünderer, die Dörfer und Höfe anzündeten, die Truhen aufschlugen, Kirchen beraubten, mit gierigen Händen rafften und raubten, Bürger und Bauern zu Tode marterten! Hinter aufgeworfenen Schanzen und Landwehren verteidigten die Bauern ihr armselig [sic!] Leben, die verwüsteten Äcker, die zertretenen Saaten, die Ruinen ihrer Häuser, aus denen Brombeergebüsch wucherte, in denen Füchse ihre Löcher gruben. War das Weltende gekommen?336

Das Geschichtsbuch für die deutsche Jugend von 1929 stellte das gleiche Geschehen durchgehend aus einer neutralen Perspektive dar. Das Buch stellte Nähe zum Geschehen her, indem der Erzähler das Geschehen gleichzeitig schilderte: Angstvoll starren die Bauern nach dem Horizont, ob Feuerschein die Nähe der Raubhorden anzeigt. Oft genug sind sie unversehens da. ‚Heraus, was ihr habt, Bauernhunde!‘ Truhen und Schränke fliegen in Splitter, die gierigen Hände der Trossweiber und Buben wühlen nach Kostbarkeiten. Das Vieh wird aus den Ställen gezerrt. Was die Wagen nicht fassen, fliegt auf die Straße und wird angezündet.337

Das gleichzeitige Erzählen suggeriert dem Leser, dass er Geschehen zeitgleich verfolgt, ohne die Perspektive eines historischen Akteurs einzunehmen. Dabei wechselt das Tempussystem: Während in Geschichtserzählungen in der Regel das Präteritum bzw. das imparfait und das passé simple dominieren und Vorzeitigkeit durch Plusquamperfekt bzw. plus-que-parfait ausgedrückt werden, bringt gleichzeitiges Erzählen das Präsens und das Perfekt mit sich bzw. das présent und das passé composé. Dieses Tempussystem, oft „historisches Präsens“ genannt, ist in wissenschaftsförmigen historiographischen Texten nicht üblich. Im untersuchten Korpus tritt es gelegentlich auf.

336 Kamps Neues Realienbuch für Schule und Haus. Neubearbeitung, Geschichte bearb. v. W. [ilhelm] Hüls, 31. Aufl., Bochum: Kamp 1938, S. 87. 337 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 7.

120

Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

3.2.5. Die Identität von Erzähler und historischem Akteur

Auch wenn der Erzähler mit einem historischen Akteur identisch ist, verringert sich die Distanz zwischen Gegenwart und historischem Geschehen. Genette behandelt dieses Phänomen unter dem Begriff personne („Person“). Martinez und Scheffel sprechen von der „Stellung des Erzählers zum Geschehen“, die festlegt, in welchem Maße der Erzähler am Geschehen beteiligt ist. Die Erzähltheoretiker ordnen dieses Phänomen in die Kategorie „Stimme“ ein, da es hier nicht um die Wahrnehmung, sondern um den Akt des Erzählens selbst geht.338 Diese Untersuchung verwendet den Begriff „Identität“, da der Erzähler sich in historiographischen Texten in der Regel nicht direkt am Geschehen beteiligt, sondern sich lediglich mit einem bestimmten historischen Akteur identifiziert. Da der Erzähler in Geschichtsschulbüchern oft in der 1. Person Plural auftritt, schafft die Identifikation dieser Instanz mit einem historischen Akteur eine besondere Nähe zwischen diesem und dem Leser. Das bundesrepublikanische Lehrwerk Mit eigener Kraft erklärte 1959 den Versailler Vertrag folgendermaßen: Die Gegner hatten unsere Kolonien genommen und sich die Eisen- und Kohlengebiete in Lothringen, an der Saar und in Oberschlesien angeeignet.339

Es bleibt einem Leser normalerweise überlassen, ob er sich als Teil dieses epochenübergreifenden „Wir“ begreift. Da dieses Buch direkt an den Schüler adressiert ist, dürfte dieser sich von diesem „Wir“ eingeschlossen fühlen.340

3.3 Die fünf Typen historischer Erzähler im Schulbuch 3.3.1. Überblick

Die verschiedenen Erzähltechniken, die eben geschildert worden sind, lassen sich nicht direkt auf die Geschichtsschreibung übertragen. Die narratologischen Modelle der Literaturwissenschaft zielen oft auf ästhetische oder wirkungsästhetische Kriterien, die in einer historischen Untersuchung nur bedingt von Belang sind. Im 338 Genette, Discours du récit, S. 254–264; Martinez / Scheffel, Erzähltheorie, S. 80–84. 339 Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 4, 1959, S. 34. 340 Zum Verhältnis von Erzähler und Adressat vgl. Martinez  / Scheffel, Erzähltheorie, S. 84–89.

Die fünf Typen historischer Erzähler im Schulbuch 121

Folgenden werden daher auf der Grundlage der literaturwissenschaftlichen Modelle fünf Typen des Erzählers im Geschichtsbuch entworfen. Sie verdichten die Eigenheiten der Erzähler in den untersuchten Lehrwerken idealtypisch. Die Typen lassen sich nach der Distanz ordnen, die sie zwischen Leser und Geschichte herstellen, und ermöglichen es, Entwicklungen im Untersuchungszeitraum nachzuzeichnen. Der bezeugende Erzähler stellt die geringste Distanz zwischen Gegenwart und Vergangenheit her. Er erzählt die Geschichte, als beobachte er sie direkt. Er suggeriert, er sei selbst vor Ort, oder er nimmt die Perspektive eines historischen Akteurs ein. Diese implizite Sympathielenkung ist deutlich subtiler als die explizite Kommentierung.341 Der betroffene Erzähler vermischt zwei verschiedene Perspektiven und Zeitebenen und ist dadurch nicht weniger suggestiv als der erste Typ. Er stellt zwar eine größere Distanz her, solange er von der Warte des gegenwärtigen Beobachters aus spricht. Bisweilen gibt er vor, das Geschehen aus dem Blickwinkel eines historischen Akteurs zu verfolgen. Wie ein Chronist erzählt der berichtende Erzähler. Er reiht Ereignisse aneinander, ohne zeitübergreifende Zusammenhänge herzustellen. Er bewahrt einerseits Distanz zu den Ereignissen, ist aber nicht in der Lage, den Erkenntnisprozess von Geschichtsschreibung deutlich zu machen. Der kommentierende Erzähler stellt eine größere Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart her, da er die Geschichte von einem gegenwärtigen Standpunkt aus zusammenfasst, bedeutet und beurteilt. Die größte Distanz erzeugt der moderierende Erzähler, der seine Abhängigkeit von Quellen thematisiert und verschiedene Deutungen von Geschichte nebeneinander stellt. In jedem untersuchten Werk finden sich Merkmale verschiedener Erzählertypen, so dass die einzelnen Erzähler innerhalb der Schulbücher lediglich dominieren, aber nicht ausschließlich auftreten. Dabei taucht der berichtende Erzähler besonders häufig auf, so dass man ihn als Grundform des historischen Erzählers betrachten kann. Er tritt allenfalls in Büchern mit einem dominanten bezeugenden Erzähler völlig in den Hintergrund. Eine besondere Aufmerksamkeit gilt den Illustrationen in den Lehrwerken. Sind diese besonders realistisch, suggerieren sie ebenfalls einen unmittelbaren Zugang zur Vergangenheit. Wenn sie hingegen ihren Kon­ 341 Vgl. Vorein, Christian, Von „nordischen Herren“ und „slawischen Untertanen“. Textstrategien zur Etablierung von Freund- und Feindbildern in Geschichtslehrbüchern der NS-Zeit, in: Arsen Djurović / Eva Matthes (Hg.), Freund- und Feindbilder in Schulbüchern. Concepts of Friends and Enemies in Schoolbooks, Bad Heilbrunn 2010, S. 43–54, hier S. 46.

122

Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

struktcharakter offenlegen, unterstreichen sie die Distanz zwischen Leser und Vergangenheit.

Erzähler

bezeugend

betroffen

berichtend

kommentierend moderierend

Thematisierung der Erkenntnis

unmöglich

unmöglich

unmöglich

möglich

notwendig

Mittelbarkeit

dramatisch

wechselnd

schwach narrativ

stark narrativ

stark narrativ

Perspektive

aktorial auktorial neutral

aktorial auktorial neutral

auktorial neutral

auktorial neutral

neutral

Zeitpunkt des Erzählens

gleichzeitig später

gleichzeitig später früher

später

später

später

Identität

möglich

möglich

möglich

möglich

unmöglich

Distanz

schwach ←

→ stark

Tabelle 1: Die Typen von Erzählern im Geschichtsbuch

Beobachter aus dem 21. Jahrhundert mögen einwenden, dass all diese Strategien, die Distanz herzustellen, rein rhetorische Mittel sind, die von einem Schüler durchschaut werden konnten. Schließlich werde dieser nicht ernsthaft glauben, dass man die Vergangenheit detailgenau rekonstruieren und unmittelbar betrachten könne. Diese Position trägt allerdings weder dem intellektuellen Entwicklungsstand der Volksschüler noch dem Lernumfeld in den Volksschulen des frühen 20. Jahrhunderts Rechnung. Keine Stelle in den Büchern und keine überlieferte Äußerung von Lehrern, Methodikern und Schulbuchautoren deutet daraufhin, dass die Schüler einen Sinn dafür entwickeln sollten und entwickelt hätten, dass die Erzählung im Geschichtsbuch ein Konstrukt war, das keinen Absolutheitsanspruch erheben konnte. Die fünf Typen des Erzählers im Geschichtsbuch sollen im Folgenden genauer herausgearbeitet werden.

Die fünf Typen historischer Erzähler im Schulbuch 123

3.3.2. Die Sicht aus der Froschperspektive: Der bezeugende Erzähler

Ein Erzähler, der das historische Geschehen so unmittelbar wie möglich darstellt, soll hier als „bezeugender Erzähler“ oder „Augenzeuge“342 bezeichnet werden, da er die Vergangenheit so schildert, als habe er sie mit eigenen Augen gesehen. Diese Erzählsituation soll es dem Schüler ermöglichen, sich gedanklich in eine andere Epoche zu versetzen. Da diese Nähe zum Geschehen in faktualen Texten nicht vorkommt, bringt ein bezeugender Erzähler fiktionale Elemente ins Lehrbuch. In Lehrwerken, die einen Augenzeugen einsetzen, dominiert über weite Strecken der dramatische Modus. Der bezeugende Erzähler bietet keine lückenlose Geschichtsdarstellung mehr, sondern er konzentriert sich auf Ereignisse und Personen, die ihm wichtig erscheinen. Diese gestaltet er dramatisch aus, er verlangsamt das Erzähltempo. Zahlreiche Details sollen einen Zeitkolorit herstellen und dem Leser das Gefühl geben, das Geschehen unmittelbar mitzuverfolgen. Der bezeugende Erzähler betrachtet das vergangene Geschehen nicht nur, wie der Berichterstatter, der Kommentator oder der Moderator, aus einer auktorialen bzw. neutralen Perspektive. Er kann auch einen aktorialen Blickwinkel einnehmen und die Vergangenheit aus der Sicht eines historischen Akteurs schildern. Dabei wählt er meist eine Nebenfigur, die die Handlung aus einer gewissen Distanz betrachtet. Das Buch Sie alle bauten Deutschland von 1942 erfand einen germanischen Bauern, der beobachtete, wie der Statthalter Varus in sein Dorf einzog: Als Sigast gerade aus dem Hof bog, bemerkte er, wie aus dem Walde ein Zug bewaffneter Männer nahte. Der Dorfschulze legte die Hand über die Augen, um besser sehen zu können. Im grellen Sonnenlicht erkannte er schimmernde Brustpanzer und funkelnde Helme. Sofort wendete er den Wagen und benachrichtigte die Dorfbewohner.343

Die Verben „bemerken“ und „erkennen“ signalisieren, dass das Geschehen aus der Perspektive von Sigast geschildert wurde, ebenso die deiktische Angabe, die mit dem Wort „nahen“ verbunden ist.

342 Der Begriff tauchte bereits in der didaktischen Literatur auf, die hier untersucht wurde. Otto Schinke forderte, der Lehrer müsse Anschauung stiften und berichten wie ein „Augenzeuge“: Schinke, Otto, Phantasie und historische Wahrheit im Geschichtsunterricht, in: Der Volksschullehrer, Jg. 8 (1914), H. 23, S. 363–366, hier S. 363. 343 Hausmann, Heinrich / Reinhold Thiele / Adolf Kroll, Sie alle bauten Deutschland. Ein Geschichtsbuch für die Volksschule, Bd.  1: Von Armin bis zur Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, Breslau: Handels-Verlag 1942, S. 5.

124

Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

Deutlich seltener wählt der Augenzeuge die Perspektive eines wichtigen historischen Akteurs. Im selben Buch findet sich eine Stelle, in der der Erzähler die Gedanken Friedrichs I. vor einem Treffen mit Heinrich dem Löwen wiedergibt: Wo blieb der Herzog nur? Unruhe überfiel ihn. Kämpfte der Löwe mit den Slawen? Schlug er sich wieder mit den Erzbischöfen von Bremen und Köln herum? Friedrich wusste, dass sie alle den Löwen hassten seiner wilden, herrischen Art und seiner Erfolge wegen. Wieder spähte der Kaiser nach Norden. Er strich sich über die müden Augen. Eine Erinnerung quälte ihn.344

Wenn der bezeugende Erzähler eine aktoriale Perspektive einnimmt, tritt er in der Regel in der 3. Person Singular auf, d.h., der Erzähler identifiziert sich nicht mit einer Figur, nimmt aber deren Blickwinkel ein. Augenzeugen, die die 1. Person Singular verwenden, tauchen im Korpus nicht auf. Die Distanz zwischen Leser und vergangenem Geschehen wäre in diesem Fall so gering, dass die Vergegenwärtigung möglicherweise selbst Anhängern einer radikalen Fiktionalisierung zu weit gegangen wäre. Wählt der Augenzeuge eine auktoriale oder neutrale Perspektive und tritt in der 1. Person Plural auf, gibt er vor, physisch in der Vergangenheit anwesend zu sein. Das NS-Buch So ward das Reich von 1941 schilderte eine germanische Werkstatt aus der Sicht eines Erzählers, der selbst vor Ort war. Formulierungen wie „Schauen wir Meister Wieland einmal zu“, „Nun müssen wir warten“ oder „Wir treten mit dem Meister in die Hütte und lassen uns erzählen“ erzeugen die Illusion, man könne die Vergangenheit problemlos rekonstruieren. Das Buch setzte außerdem einen Botenbericht ein, um Informationen zur Vergangenheit zu liefern, die sich aus der Szene in der Werkstätte nicht erschließen ließen. Es ließ einen Binnenerzähler auftreten, der einen germanischen Schmied in eine Diskussion verwickelte und ihn fragte: „So ist Germanien doch nicht ein so wildes, unwegsames Land, wie man uns erzählt hat?“345 Auf diese Weise legte das Lehrwerk die römischen Vorstellungen Germaniens einer fiktiven Figur in den Mund. Der bezeugende Erzähler setzt diese Art des Botenberichts häufig ein, da er wie das klassische Drama die Einheit von Zeit, Raum und Handlung wahrt. In der Regel tritt ein Augenzeuge, der eine auktoriale oder neutrale Perspektive einnimmt, nicht selbst im Text auf. Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche

344 Ebd., S. 50. 345 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 22.

Die fünf Typen historischer Erzähler im Schulbuch 125

Jugend von 1929 beschrieb ein germanisches Dorf im dramatischen Modus, ohne dass der Erzähler sichtbar wurde: Ein Wanderer arbeitet sich mühsam auf verwachsenem Pfade durch den wilden Wald. Unheimlich ist’s hier. Wer weiß, ob aus dem Dickicht nicht plötzlich mit gellendem Gelächter ein Waldgeist hervorbricht und ihn ins Moor hetzt! In der Hand trägt der Fremde einen Spieß mit eiserner Spitze und über seinem wollenen Umhang ein Schwert; sein Gürtel ist mit goldich [sic!] glänzender Bronze geschlagen. Eine große Sicherheitsnadel (Fibel) hält den Mantel zusammen.346

Während in den ersten drei Sätzen nicht ganz klar ist, durch wessen Blickwinkel die Szene geschildert wurde, macht die sorgfältige äußere Beschreibung des Wanderers deutlich, dass dieser von außen betrachtet wird. Allerdings ist der Erzähler im Gegensatz zum obigen Beispiel nicht selbst im Geschehen präsent. Das Präsens, das in zwei der vier gewählten Beispiele auftaucht, verwendet der berichtende Erzähler häufig. Das gleichzeitige Erzählen verstärkt die Illusion, man könne das vergangene Geschehen unmittelbar verfolgen. In den meisten Fällen liegt beim Augenzeugen der Zeitpunkt des Erzählens nach dem historischen Geschehen. Da er an eine zeitgenössische Perspektive gebunden ist, die Geschichte gewissermaßen aus der Froschperspektive sieht, kann der bezeugende Erzähler keine Informationen über den künftigen Verlauf der Geschichte geben. Fragen der historischen Erkenntnis kann er daher nicht thematisieren. Auch besonders realistische Illustrationen vergangenen Geschehens sollen hier als bezeugende Elemente gelten. Realistische Bilder suggerieren ihren Betrachtern, dass sie ein authentisches Bild der Vergangenheit bieten. In welchem Maße Bücher hochauflösende Bilder einsetzen, hängt natürlich von technischen und finanziellen Faktoren ab. Aber auch die technisch weniger aufwändigen Zeichnungen erheben bisweilen explizit den Anspruch, die vergangene Wirklichkeit abzubilden. Die Histoire de France von Besseige und Lyonnet, die 1935 erschien, suggerierte den Schülern, sie könnten Condé auf einer schematischen Zeitung der Schlacht bei Rocroi genau so sehen, wie die Szene sich zugetragen hatte: « Vous voyez, sur le dessin, le duc d’Enghien au moment où il donne l’ordre d’arrêter la poursuite, qui dégénérait en massacre. »347 346 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 3. 347 Besseige, Pierre / A. [ntoine] Lyonnet, Histoire de France. Cours moyen. 1er degré. Préparation au Certificat d’études primaires. Classes de 7e et de 8e des lycées et collèges, Paris / Strasbourg: Istra 1935, S. 40.

126

Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

3.3.3. Geschichtsschreibung mit Ausrufezeichen: Der betroffene Erzähler

Der „betroffene Erzähler“ oder der „Betroffene“ ist nicht minder suggestiv. Er mischt kommentierende und bezeugende Elemente so, dass der Leser nicht immer genau unterscheiden kann, ob er die Vergangenheit aus der Perspektive eines historischen Akteurs oder eines gegenwärtigen Erzählers betrachtet. Im Gegensatz zum Kommentator beschränkt der Betroffene sich nicht darauf, das Geschehen zusammenzufassen, zu interpretieren und zu beurteilen. Der betroffene Erzähler bezieht innerhalb der Vergangenheit Position. Er identifiziert sich so stark mit Akteuren, dass er mit ihnen leidet oder sich mit ihnen freut. Die Ausrufezeichen, die für den Betroffenen typisch sind, dokumentieren seine emotionale Verstrickung in das geschilderte Geschehen. Ein betroffener Erzähler wechselt den Grad der Mittelbarkeit, je nachdem, wie spannend oder anschaulich er eine Erzählung gestalten möchte. Charakteristisch für ihn ist, dass er seine Perspektive wechselt. Im Extremfall springt der Erzähler innerhalb eines Absatzes zwischen dem Blickwinkel eines historischen Akteurs und der Vogelperspektive des Erzählers. Das NS-Buch So ward das Reich von 1941 schilderte die Belagerung Wiens zunächst aus Sicht der eingeschlossenen Österreicher, um sich kurz darauf vom gegenwärtigen Standpunkt des Erzählers an die Österreicher zu wenden: Allein mit der Bürgerschaft und einer Besatzung von 12.000 Mann steht Graf Rüdiger. Was ist das gegen 200.000 Türken, Tataren und andere wilde Völkerschaften Asiens! […] 60 Tage schon dauert die Belagerung. In höchster Not schickt Graf Rüdiger ein ganzes Bündel Raketen als Hilfeschrei in die Luft. Und über dem Kahlenberge steigt die Antwort auf. Die Befreier sind da! Ein Heer aus allen Teilen Deutschlands, von Elbe, Main und Rhein rückt an. Herzog Karl von Lothringen führt es. Auch andere Völker kämpfen mit. Die Schlacht tobt, das Besatzungsheer bricht aus den Toren. Sieg! Sieg! gellen die deutschen Hörner. Zerborsten ist das Türkenheer, wild flutet es zurück. Riesige Beute ward den Siegern. Im Zelte des türkischen Feldherrn findet man die Briefe Ludwigs! Ungarn wird zurückgenommen. Dank dir, wiedergewonnene Ostmark, du hast damals Deutschland gerettet!348

Wie das Beispiel zeigt, kann beim betroffenen Erzähler der Zeitpunkt des Erzählens innerhalb eines Abschnittes wechseln. Da er die Perspektive eines historischen Akteurs einnehmen kann und zudem den weiteren Verlauf der Geschichte kennt, 348 Blume, So ward das Reich, Bd. 2, 1941, S. 2.

Die fünf Typen historischer Erzähler im Schulbuch 127

kann der Betroffene nicht nur gleichzeitig und später erzählen, sondern er kann im Gegensatz zu den anderen Erzählertypen die Technik des früheren Erzählens wählen. Die Histoire de France von Gauthier und Deschamps, die 1916 erschien, schilderte die französische Niederlage bei Poitiers: Poitiers! Épouvantable désastre !… Le roi Jean se bat comme un lion, seul au milieu de la mêlée. Son jeune enfant, Philippe, âgé de douze ans, lui fait un bouclier de son frêle corps, et crie en faisant un geste sublime de protection: « Père, gardez-vous à droite !… père, gardez-vous à gauche !… » Mais la bravoure du roi Jean ne peut conjurer les résultats de la témérité et de l’indiscipline des chevaliers…. Le roi de France sera le prisonnier des Anglais! Et notre pays, déjà si malheureux, verra les horreurs de la guerre civile.349

Der Zeitpunkt des Erzählens liegt hier während der Schlacht, aber der Erzähler kannte bereits ihren Ausgang, da er seine Darstellung mit einer Klage über die französische Niederlage begann. Das Ausrufezeichen signalisiert, dass der Erzähler emotional vom Ausgang der Schlacht betroffen war. Schließlich wechselte der Erzähler vom gleichzeitigen zum früheren Erzählen und schilderte Ereignisse, die für einen Zeitgenossen in der Zukunft lagen. Der ,Betroffene kann sich mit einem historischen Akteur so stark identifizieren, dass er mit diesem in der 1. Person Plural verschmilzt. Da sich die Perspektiven von Erzähler und Akteuren hier ohnehin stark vermischen, ist diese Gleichsetzung besonders wirkungsvoll. Der Erzähler von Guillemains Histoire de France gab nicht nur vor, die Gedanken der Franzosen angesichts der habsburgischen Dominanz in Europa zu kennen, sondern er fühlte mit der französischen Nation des 17. Jahrhunderts: « […] nous ne nous sentons pas rassurés devant la puissance de la Maison d’Autriche. »350 Im Extremfall teilt der betroffene Leser seinen Lesern mit, was sie empfinden sollen. Devinats Histoire de France warnte vor der Textstelle, in 349 „Poitiers! Schreckliches Desaster!… König Johann kämpft wie ein Löwe, allein inmitten der Menge. Sein junges Kind, Philipp, 12 Jahre alt, formt mit seinem zarten Körper einen Schild und, während es eine erhabene Schutzgeste macht, schreit es: ‚Vater, passt rechts auf !… Vater, passt links auf !‘ Aber die Tapferkeit des Königs kann die Ergebnisse des Leichtsinns und der Disziplinlosigkeit seiner Ritter nicht aufwiegen… Der König von Frankreich wird Gefangener der Engländer sein! Und unser Land, das bereits so unglücklich ist, wird die Schrecken des Bürgerkriegs erleben.“ Gauthier / Des­ champs, Histoire de France, 1916, S. 22. 350 „Wir fühlten uns unsicher angesichts der Macht des Hauses Österreich.“ Guillemain, H. [enri]  / F. [rançois] Le Ster, Histoire de France. Du Cours moyen au Certificat d’études, Paris: École 1948, S. 192.

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Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

der es die Verbrennung Johannas von Orléans schilderte: « On ne peut lire le récit de sa mort affreuse sans verser des larmes. »351 Der betroffene Erzähler ist nicht in der Lage, den Erkenntnisprozess der Geschichtsschreibung offen zu thematisieren, da die ständige Vermischung der Zeitebenen die Distanz zum Geschehen schwinden lässt. 3.3.4. Geschichte aus der Sicht des Chronisten: Der berichtende Erzähler

Ein „berichtender Erzähler“ oder „Berichterstatter“ reiht wie ein Chronist Ereignisse aneinander, die historisch relevant scheinen. Seine Erzählung ist von Aktionsverben dominiert und enthält zahlreiche Zeitadverbien wie „dann“, „hierauf “ oder „schließlich“. Der berichtende Erzähler erzeugt, verglichen mit den anderen Typen, eine mittlere Distanz zwischen Gegenwart und historischem Geschehen. Einerseits ist er sparsam mit Effekten, die Unmittelbarkeit signalisieren. Andererseits tritt er im Text nicht offen in Erscheinung, so dass er die Mittelbarkeit der Geschichte nicht deutlich machen kann. Ein Berichterstatter erhebt den Anspruch, die Geschichte so lückenlos wie möglich zu erzählen. Da er sich nicht für epochenübergreifende Entwicklungen interessiert, reiht er Ereignis für Ereignis aneinander. Ein berichtender Erzähler verzichtet in der Regel auf Synthesen oder Kommentare. Das heißt keinesfalls, dass ein berichtender Erzähler die Ereignisse objektiv wiedergibt. Allerdings äußert er seine Deutung nicht offen, sondern sie ist in der Auswahl und der Darstellung der berichteten Ereignisse verborgen. Die katholisch geprägte Histoire de France von Segond beispielsweise schilderte die Bartholomäusnacht, ohne die katholische Partei explizit zu verurteilen oder zu entschuldigen. Der kurze Text, der das Massaker thematisierte, endete allerdings mit dem Satz: « Dans beaucoup de villes, le clergé donna asile aux protestants menacés de mort. »352 Dieses Detail ließ die Rolle der katholischen Kirche in einem positiven Licht erscheinen, ohne dass der Erzähler dies explizit deutlich machte. Der berichtende Erzähler hält Überschriften so neutral wie möglich. Er meidet Begriffe, die bereits eine Deutung des Geschehens implizieren. Stattdessen verwendet er als 351 „Man kann die Erzählung von ihrem schrecklichen Tod nicht lesen, ohne Tränen zu vergießen.“ Devinat, Histoire de France, 1908, S. 24. 352 „In vielen Städten gewährte der Klerus den Protestanten, die vom Tod bedroht waren, Asyl.“ Segond, E. [mile], Histoire de France depuis la guerre de Cent ans jusqu’à nos jours avec une révision des origines jusqu’à 1328. Cours moyen, 16., durchges. und überarb. Aufl., Paris: Hatier 1910, S. 163.

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Überschriften bevorzugt Staats- und Volksbezeichnungen wie „Das Römische Reich“ oder „Die Römer“, Namen von Dynastien oder Herrschern. Da ein berichtender Erzähler scheinbar objektiv wiedergibt, was passiert ist, kann er den Prozess der Überlieferung selbst nicht thematisieren. Die Perspektive des berichtenden Erzählers ist entweder auktorial oder neutral, je nachdem, ob er vorgibt, über Gefühle und Gedanken der geschilderten Akteure Bescheid zu wissen. Ein berichtender Erzähler nimmt hingegen niemals eine aktoriale Perspektive ein, da er sonst seine scheinbar indifferente Haltung gegenüber dem geschilderten Geschehen aufgeben müsste. Das spätere Erzählen dominiert, da der berichtende Erzähler die Vergangenheit vom Standpunkt der Gegenwart aus schildert. Eine Identifikation des Erzählers mit einem historischen Akteur ist möglich. Dieses Phänomen findet sich jedoch seltener als in den Lehrbüchern, die einen bezeugenden, betroffenen oder kommentierenden Erzähler haben, da der Berichterstatter nur selten offen im Buch auftritt. Ein berichtender Erzähler verwendet vorwiegend den narrativen Modus. Die Erzählzeit ist immer deutlich kürzer als die erzählte Zeit. Die Erzählung beschränkt sich in der Regel auf zentrale Begebenheiten und vernachlässigt Details. Die Distanz zum historischen Geschehen schrumpft nur an einigen Stellen so stark, dass der Leser das Gefühl hat, das vergangene Geschehen unmittelbar zu beobachten. 3.3.5. Der Blick aus der Vogelperspektive: Der kommentierende Erzähler

Der „kommentierende Erzähler“ oder „Kommentator“ tritt im Text sichtbar auf. Er beschränkt sich nicht darauf, vergangenes Geschehen chronologisch zu berichten, sondern er fasst es in Synthesen zusammen und kommentiert es. Der Kommentator stellt epochenübergreifende Zusammenhänge zwischen historischen Phänomenen her, indem er einzelne Ereignisse in einen weiteren Kontext einordnet. Er betrachtet die Geschichte aus der Vogelperspektive, da er stets den weiteren Fortgang der Ereignisse kennt. Darüber hinaus teilt er seinem Leser explizit seine Deutung des Geschehens mit, er be- oder verurteilt historische Akteure oder erklärt ihr Verhalten vor dem Hintergrund ihrer Zeit. Auch wenn seine Deutung oft parteiisch und autoritär ist, schafft der kommentierende Erzähler eine relativ große Distanz zwischen dem gegenwärtigen Leser und dem historischen Geschehen. Der kommentierende Erzähler bedient sich vorwiegend des narrativen Modus’. Allerdings ist hier der Grad an Mittelbarkeit deutlich höher als beim berichtenden Erzähler. An einigen Stellen tritt der Erzähler offen in Erscheinung, manchmal wendet er sich direkt an seinen Leser. Meist sind dies lediglich Äußerungen wie

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„Ihr seht, dass“ oder „Erinnert euch daran“. Gelegentlich finden sich im Korpus direkte Appelle an die Leser. Lavisse rief mit großem Pathos die französischen Kinder dazu auf, die Opfer des Weltkrieges nicht zu vergessen: « Enfants de France, n’oubliez jamais que, si vos pères et vos frères ont supporté toutes ces misères, c’est pour vous, pour que vous-mêmes n’ayez pas à les supporter plus tard, pour qu’il ne puisse plus jamais y avoir de guerre dans le monde. »353 Oft verkleidet der Erzähler seine Kommentare in Form von Fragen und Arbeitsaufträgen. Während die Aufgaben in den untersuchten französischen Büchern die Schüler lediglich dazu aufforderten, gelerntes Wissen wiederzugeben, stellten die deutschen Bücher ihren Lesern Fragen, die auf eine Interpretation des Geschehens zielten. Oft waren diese Fragen allerdings so eindeutig formuliert, dass sie dem Schüler eine Antwort in den Mund legten. Das Arbeitsbuch Schaffensfreude beklagte die „Sprachmengerei“ im 17. Jahrhundert und wollte von den Schülern wissen: „Was halten wir heute von der Anwendung von Fremdwörtern?“ Dasselbe Buch gab seinen Lesern sogar oft Stichworte für die Antwort vor, die ihre Deutung lenken sollten. Nachdem die Schüler eine nacherzählte Einhard-Quelle und eine fiktionale Geschichtserzählung von Friedrich Lienhard zu den Sachsenkriegen Karls des Großen gelesen hatten, sollten sie selbst Stellung beziehen: „Urteilt über die Sachsen! Kämpfen für ihr Höchstes: Glauben und Volksfreiheit. Altgermanische Treue; Zähigkeit der Niederdeutschen.“354 Der Deutungsspielraum der Schüler war so gering, dass es sich hier eher um einen Kommentar des Erzählers handelt als um eine Stellungnahme der Schüler. Der kommentierende Erzähler nimmt wie der Berichterstatter immer eine auktoriale oder eine neutrale Perspektive ein. Er betrachtet, analysiert und kommentiert das Geschehen von der Warte eines gegenwärtigen Beobachters aus. Wenn er ein Ereignis schildert, dann weiß er bereits, was in Zukunft passieren wird. Nachdem der Erzähler in Scherls Geschichte unseres Volkes die Bauernkriege geschildert hatte, gab er seinen Lesern einen Ausblick auf die künftige Entwicklung: „Die großen Blutopfer des Landvolkes und der Tod seiner besten Männer lähmten für Jahrhunderte die Kraft des deutschen Bauernstandes.“355 Der Zeitpunkt, an dem der Kommentator erzählt, liegt immer in der Gegenwart, da er das vergangene Geschehen aus der Retroperspektive betrachtet. 353 „Kinder Frankreichs, vergesst nie, dass eure Väter und Brüder, wenn sie all dieses Elend ertragen haben, dies für euch getan haben, damit ihr dieses später nicht ertragen müsst, damit es nie wieder Krieg gibt in der Welt.“ Lavisse, Histoire de France, 1943, S. 253. 354 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 63 u. 18. 355 Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 22.

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Da der kommentierende Erzähler offen im Text auftritt, neigt er stärker als der Berichterstatter dazu, historische Akteure in der 1. Person Plural zu schildern. Französische Bücher verwendeten diese Möglichkeit deutlich öfter. Während die deutschen Bücher das „Wir“ erst ab dem Ersten Weltkrieg einsetzten, verwendeten die französischen Lehrwerke das „nous“ etwa ab den Italienischen Kriegen durchgängig, wenn sie von der französischen Nation sprachen. In Aymards Histoire de France erschien dieser überzeitliche Akteur besonders häufig: Louis XIV est victorieux dans ses premières guerres. Un moment, la Hollande est envahie par nos soldats. L’Espagne doit nous céder la Flandre et la Franche-Comté à la paix de Nimègue (1678).356

Da der kommentierende Erzähler fest in der Gegenwart verankert ist, kann er den Abstand zwischen der Lebenswelt der Schüler und dem vergangenen Geschehen thematisieren. Rogié und Despiques erläuterten ihren Lesern die Andersartigkeit des mittelalterlichen Frankreich: Vous voyez, mes chers enfants, la France d’aujourd’hui grande et forte dans son unité. Reportez-vous par la pensée à plusieurs siècles en arrière et essayez de vous la représenter, divisée en plusieurs centaines de petites provinces, avec un chef ou seigneur à peu près indépendant à leur tête.357

Handlungen oder Einstellungen historischer Akteure, die den Schülern vor dem Hintergrund ihres Wertesystems befremdlich erscheinen, können von einem kommentierenden Erzähler aus dem historischen Kontext heraus erklärt werden. So konnte Lavisse die Sachsenkriege Karls des Großen beschreiben und den Kaiser zugleich positiv deuten. Die Massaker, die Karl anordnete, seien der Tatsache geschuldet, dass seine Zeit allgemein grausamer gewesen sei: 356 „In seinen ersten Kriegen ist Ludwig XIV. siegreich. Einmal marschieren unsere Soldaten in Holland ein. Spanien muss uns im Frieden von Nimwegen Flandern und die Franche-Comté abtreten.“ Aymard, A. [ubin], Histoire de France. Cours moyen et supérieur. Préparation au Certificat d’études (Cours Gauthier et Deschamps), Paris: Hachette 1927, S. 51, eigene Herv. 357 „Ihr seht, meine lieben Kinder, dass Frankreich heute in seiner Einheit groß und stark ist. Versetzt euch in Gedanken einige Jahrhunderte zurück und versucht euch vorzustellen, wie es in hunderte kleine Provinzen gespalten war, eine jede mit einem mehr oder weniger unabhängigen Feudalherren oder Chef an der Spitze.“ Rogié, L. [ouis]E. [ugène]  / P. [aul] Despiques, Histoire de France et de ses Institutions et Notions sommaires d’Histoire générale. Cours moyen. Certificat d’études, Paris: Rieder 1930, S. 22.

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Charlemagne voulut les faire chrétiens. Il alla dans leur pays plus de trente fois. Il brûla leurs villages et détruisit leurs moissons. Un jour, il fit couper la tête à des centaines et à des centaines de Saxons. Il n’était pourtant pas méchant. Mais, dans ce temps-là, les hommes faisaient des choses qui nous paraissent aujourd’hui atroces.358

Der Kommentator ist daher eine unabdingbare erzähltechnische Voraussetzung der genetischen Geschichtserzählung, die sich im 20. Jahrhundert im Volksschulbuch durchsetzte.359 Außerdem ist der kommentierende Erzähler im Gegensatz zum Berichterstatter in der Lage, den Prozess historischer Erkenntnis selbst zu thematisieren. Allerdings beschränkte sich dies in den untersuchten Büchern meist auf die Forschungen zur Vorgeschichte. Die Schüler erfuhren etwas über die Arbeit der Forscher, über Ausgrabungen und die verschiedenen Zeugnisse der Vergangenheit. Meist betonten die Bücher den Unterschied zwischen der Vorgeschichte und ihren Quellen einerseits sowie der eigentlichen Geschichte andererseits, die sich auf schriftliche Zeugnisse stütze. Während sie in der Regel darauf hinwiesen, dass die Quellen für die Urgeschichte nur bedingt Auskunft geben würde, galten schriftliche Quellen den Büchern als ausreichende Grundlage für eine eindeutige Geschichtserzählung.360 Von allen untersuchten Büchern thematisierten allein das DDR-Werk Lehrbuch für den Geschichtsunterricht und das bundesrepublikanische Schulbuch Unsere Geschichte die Abhängigkeit der Geschichte von schriftlichen Quellen. Auch wenn der Kommentator meist eine eindeutige Sicht auf die Geschichte vorgibt, kann er im Gegensatz zum berichtenden, zum bezeugenden oder zum betroffenen Erzähler eine diskursive Auseinandersetzung mit der Geschichte ermöglichen. Da er seine Argumentation offenlegt, ist seine Geschichtsdeutung nachvollziehbar und transparent, so dass ein Schüler ihr widersprechen kann. Allerdings gab es in keinem untersuchten Schulbuch einen Erzähler, der den

358 „Karl der Große wollte sie zu Christen machen. Er ging über dreißig Mal in ihr Land. Er verbrannte ihre Dörfer und zerstörte ihre Ernte. Eines Tages ließ er [Karl der Große, d. Verf.] hunderten und hunderten von Sachsen den Kopf abschlagen. Er war jedoch nicht grausam. Aber, in jenen Zeiten machten die Menschen Dinge, die uns heute grau­ sam erscheinen.“ Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 21, Herv. im Orig. 359 S. unten, Kap. 5.2.4. 360 Eindrücklich ist dies in Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 1 u. 4, wo die Germania von Tacitus als in allen Aspekten verlässliche Quelle gilt.

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Schülern vermittelte, dass Geschichte auf verschiedene Weise gedeutet werden konnte. 3.3.6. Geschichtsschreibung mit Fragezeichen: Der moderierende Erzähler

Der „moderierende Erzähler“ oder „Moderator“ benutzt Erzählstrategien, die bereits auf den Geschichtsunterricht nach 1970 verweisen. Der Moderator macht den Prozess historischer Erkenntnisgewinnung transparent, er legt seine Quellen offen, stellt die Methoden historischer Forschung vor und lässt verschiedene Urteile über die Vergangenheit zu. Er respektiert einerseits den Grundsatz der Multiperspektivität, indem er die Perspektiven verschiedener historischer Akteure zu Wort kommen lässt. Andererseits hält er sich an das Prinzip der Kontroversität, d.h., er spiegelt gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Dissens über die Deutung der Vergangenheit wieder. Der moderierende Erzähler wählt den narrativen Erzählmodus, da Dramatisierungen die Illusion von Unmittelbarkeit hervorrufen und die Schüler emotional überwältigen. Wenn er den dramatischen Modus dennoch einsetzt, thematisiert er seine Vorgehensweise.361 Erzähltechniken wie die Identität von Erzähler und historischem Akteur oder gleichzeitiges Erzählen verbieten sich dem moderierenden Erzähler, da er die Distanz zwischen Gegenwart und Vergangenheit deutlich macht. Der Moderator wird gemäß gegenwärtigen Vorstellungen multiperspektivischen Geschichtsunterrichts definiert. Er dominierte in keinem der hier untersuchten Lehrwerke, es finden sich aber durchaus einige Ansätze, die die Entwicklungen des Geschichtsunterrichts ab 1960 vorwegnehmen. Die meisten moderierenden Elemente finden sich in Büchern mit einem Kommentator. Die Geschichtsdeutung eines Kommentators mag autoritär sein, aber er äußert sie offen und verbirgt sie nicht wie ein berichtender Erzähler in einer scheinbar objektiven Darstellung. So kann ein Schüler sich mit ihr auseinandersetzen und ihr gegebenenfalls widersprechen. Zudem thematisiert der kommentierende Erzähler den Unterschied zwischen 361 Zur Multiperspektivität vgl. Bergmann, Klaus, Art. „Multiperspektivität“, in: ders. u.a. (Hg.), Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5. Aufl., Seelze-Velber 1997, S. 301–303. „Überwältigungsverbot“ und „Kontroversitätsgebot“ sind neben der „Ausrichtung auf die Analyse- und Handlungsfähigkeit“ Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses, den die Politikdidaktik 1976/77 zur Grundlage für politische Bildungsarbeit machte: Sutor, Bernhard, Politische Bildung im Streit um die „intellektuelle Gründung“ der Bundesrepublik Deutschland. Die Kontroversen der siebziger und achtziger Jahre, in: APuZ, Jg. 52 (2002), H. 45, S. 17–27, hier S. 17.

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Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

Moralvorstellungen, Werten und Praktiken seiner Gegenwart und der geschilderten Vergangenheit. So scheint es sich beim Moderator um eine Weiterentwicklung des kommentierenden Erzählers zu handeln. Da hier keine Schulbücher untersucht wurden, die nach 1960 erschienen, mag der Typ des Moderators als eine etwas undifferenzierte Kategorie erscheinen. Es wäre sicher angebracht, diesen Typ noch genauer zu beschreiben. Dies müssten allerdings andere Untersuchungen leisten.

3.4 Die Ausgestaltung der Erzähler in den untersuchten Büchern 3.4.1. Die Dominanz des berichtenden Erzählers zu Beginn des 20. Jahrhunderts

In den meisten deutschen und französischen Büchern, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erschienen, dominierte der berichtende Erzähler.362 Er erzählte in chronologischer Reihenfolge alle Begebenheiten der deutschen und französischen Geschichte, die erwähnenswert erschienen. Dieses Prinzip führte dazu, dass die Lehrer sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vor allen Dingen mit dem „Gespenst der Stofffülle“ beschäftigten. Ihre größte Herausforderung schien zu sein, aus dem wachsenden Wissen über die Vergangenheit die Inhalte des Geschichtsunterrichts auszuwählen. Die jüngste Vergan362 Augé, Claude / Maxime Petit, Histoire de France, Cours moyen pour les écoles à deux classes distinctes, 24. Aufl., Paris: Larousse [ca. 1913]; Blanchet, Histoire de France, 1913; Une réunion de professeurs, Histoire de France. Cours moyen illustré, Tour / Paris: Mame / Gigord [ca. 1908]; Segond, Histoire de France, 1910; Franke, M. [ax] / O. [tto] Schmeil (Hg.), Realienbuch, unter Mitw. v. R. [ichard] Lehmann / P. [aul] Lorenz, Ausg. A für evangelische Schulen, 2., verm. u. verb. Ausg., Leipzig / Berlin: Teubner 1907; Ferdinand Hirts Neues Realienbuch, bearb. v. Heinrich Kerp u.a., Breslau: Ferdinand Hirt 1910; Kahnmeyer, L. [udwig]  / H. [ermann] Schulze, Anschaulichausführliches Realienbuch Nr. 23. Für die Schulen des Herzogtums Braunschweig, Große Ausgabe, Mit Geschichte des Weltkrieges, 13. Aufl., Bielefeld / Leipzig: Velhagen und Klasing 1918; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  1, 1916 u. Bd. 2, Deutsche Geschichte, 14. Aufl., Breslau: Handels-Verlag 1915; Polack, Fr. [iedrich], Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte. Ein Leitfaden für Volks- und Bürgerschulen, 103. Aufl., Gera: Hofmann 1900; Weigand, Heinrich, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, Hannover / Berlin: Meyer 1904; Wenning, Ed. [uard], Merkbuch zum Geschichtsunterricht an den Oberklassen der Volkshauptschulen des Regierungsbezirkes Oberbayern mit Ausnahme der Kgl. Haupt- und Residenzstadt München. Nach den Forderungen der oberbayerischen Lehrordnung, 9. u. 10. unveränderte Aufl., München: Oldenbourg [1918].

Die Ausgestaltung der Erzähler 135

genheit oder neue Bereiche der Geschichtswissenschaft wie Kultur- oder Vorgeschichte zu integrieren, war daher eine reales Problem für den Geschichtsunterricht.363 Die berichtenden Erzähler der älteren Schulbücher bewahrten meist eine gewisse erzählerische Distanz gegenüber dem historischen Geschehen. Nur an wenigen Stellen wechselten sie in den dramatischen Modus, meist um Begebenheiten zu schildern, denen sie eine besondere Bedeutung in der Geschichte zuschrieben. Die französischen Bücher erzählten oft Ereignisse der französischen Revolution im dramatischen Modus. Deutsche Bücher setzten diese Technik meist dann ein, wenn sie die Schlachten der preußischen Armee schilderten.364 Außerdem stellten die Bücher oft Anekdoten im dramatischen Modus dar, die eine moralische Lehre enthielten. Diesen kam in den dominant exemplarischen Geschichtserzählungen365 der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eine zentrale Stellung zu. Die meisten von ihnen thematisierten Patriotismus, Loyalität zum Herrscherhaus und militärische Tapferkeit. Das Anschaulich-ausführliche Realienbuch, das reich an Anekdoten war, zitierte eine Begebenheit aus dem Siebenjährigen Krieg, die die Anhänglichkeit der preußischen Soldaten an ihren König illustrierte: Ein gefangener bayrischer General traf auf dem Schlachtfelde einen preußischen Grenadier, der in seinem Blute schwamm. Beide Beine waren ihm abgeschossen. Aber ruhig saß er da und rauchte seine Pfeife Tabak. „Es wundert mich,“ sagte der General zu ihm, „dass du trotz deiner Schmerzen noch so vergnügt die Pfeife rauchst.“ Kaltblütig entgegnete der Verwundete: „Ick sterw for Fritze!“366

Das Niederdeutsche sollte hier besondere Authentizität suggerieren. Der Berichterstatter dramatisierte wie hier in der Regel nur die Wiedergabe von Worten und 363 Spanuth, Heinrich, Der Stoff des Geschichtsunterrichts in der Volksschule, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 22 (1932), S. 400–418, hier S. 401, Anführung im Original; Tecklenburg, August, Vom Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: ebd., Jg. 1 (1911), S. 90–106; Weigand, Heinrich, Der erste Geschichtsunterricht, in: ebd., Jg. 1 (1911), S. 107–111. 364 Z.B. Augé  / Petit, Histoire de France, 1913, S.  125; Blanchet, Histoire de France, 1913, S.  162; Segond, Histoire de France, 1910, S.  259/60; Réunion, Histoire de France, 1908, S. 110; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 98; Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900. Folgende Titel setzten diese Technik kaum ein: Hirts Neues Realienbuch, 1910; Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904. 365 Zur Dominanz exemplarischen Erzählens vgl. unten, Kap. 5.2.3. 366 „Ich sterbe für Friedrich!“ Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 98.

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nicht die Wiedergabe von Ereignissen, die erzähltechnisch anspruchsvoller wäre und noch authentischer wirken würde. Da der berichtende Erzähler den Konstruktcharakter der Geschichte nicht offenlegt, fehlten in diesen Büchern Hinweise auf Quellen oder auf widerstreitende Deutungen der Vergangenheit. Es finden sich allenfalls kommentierende Hinweise darauf, wenn historisch nicht belegbare Sagen und Legenden im Schulbuch auftauchen. Kahnmeyer / Schulzes Anschaulich-ausführliches Realienbuch versah beispielsweise die Darstellung von Heinrich I., der die Königskrone an seinem Finkenherd entgegennahm, mit dem Zusatz „der Sage nach“. Angesichts der ungeheuren Menge von Legenden und Anekdoten in diesem Schulbuch verwendete das Buch derartige Hinweise allerdings eher sparsam.367 Der berichtende Erzähler findet sich oft in den deutschen Büchern. Zwar enthielten diese bereits im Kaiserreich vermehrt Zusammenfassungen und Kommentare, die charakteristisch für den kommentierenden Erzähler sind. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn man die Ausgaben von Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch von 1904 und 1910 vergleicht. In den Weimarer und nationalsozialistischen Ausgaben des Werkes wuchs die Bedeutung kommentierender Elemente stetig.368 Dennoch fällt, besonders im Vergleich zu Frankreich, die Dominanz des berichtenden Erzählers ins Auge. Sie schlug sich in allen Büchern des Kaiserreichs nieder und dauerte in einigen Büchern bis in die Zeit der Weimarer Republik fort, wo u.a. die Ausgaben von Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch und Nehrings Vaterländische Geschichte einen berichtenden Erzähler hatten. In Manns Lebendiger Geschichte hielt sich der Berichterstatter sogar noch in der frühen Bundesrepublik.369 367 Z.B. ebd., S. 26. 368 Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1904; dies., Realienbuch, 1911; dies., Realienbuch enthaltend Geschichte, Erdkunde, Naturgeschichte, Physik, Chemie und Mineralogie. Neubearbeitung für den Arbeitsunterricht, Ausgabe A, Nr. 154, vollständige Ausgabe, neubearb. v. E. [mil] Borchers, A. [lbert] Gieseler, G. [ustav] Niemann u. W. [ilhelm] Wurthe, Ausgabe für die Rheinprovinz, bearb. F. [ranz] Schättling, Ausgabe für evangelische Schulen, Bielefeld / Berlin: Velhagen und Klasing 1931; dies., Realienbuch enthaltend Geschichte, Erdkunde, Naturgeschichte, Physik, Chemie und Mineralogie. Neubearbeitung, Ausgabe A, Nr. 192, neubearb. v. E. [mil] Borchers / A. [lbert] Gieseler / Th. [heodor] Müller / C. [arl] Schnabel, Ausgabe für die Rheinprovinz, bearb. v. F. [ranz] Schättling, Bielefeld / Berlin: Velhagen und Klasing 1938. 369 Fikenscher, F. [ritz], Aus der Geschichte unseres Volkes. Merkbuch für bayerische Volkshauptschulen, München  / Berlin: Oldenbourg 1932; Lüpcke, Richard, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte. Erste Gruppe: Geschichte (4 Bde.), 1. Aufl., Breslau: Hirt 1927/28; Nehring, Ludwig, Vaterländische Geschichte. Ein Merk- und Wieder-

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Die deutschen Schulbuchautoren des beginnenden 20. Jahrhunderts realisierten damit zeitgenössische Vorstellungen von Geschichtsunterricht. Die Teilnehmer der Historikertage, unter denen sich viele Geschichtslehrer befanden, wehrten sich gegen eine politische Instrumentalisierung des Schulfaches Geschichte und forderten einen überparteilichen Geschichtsunterricht. Deshalb verzichteten die Lehrbücher auf eine explizite Kommentierung historischen Geschehens und zogen sich hinter die scheinbar objektive Rekonstruktion der Ereignisse zurück. Dabei reflektierten sie die eigene Standortgebundenheit nicht. Schließlich wiesen sie im Namen der Überparteilichkeit alle Geschichtsdeutungen, die vom Mainstream des Faches abwichen, als „parteiisch“ zurück. Dies betraf meist marxistische oder andere linke Ansätze.370 An den Volksschulen war das Ideal der Überparteilichkeit deutlich schwächer als an den höheren Schulen.371 Wie die folgenden Kapitel zeigen, kritisierten vor allem Lehrer der Volksschulen die scheinbare Objektivität der schulischen Geschichtserzählung. In Frankreich findet sich alleine in den Lehrwerken, die Segond, Augé / Petit und das Autorenkollektiv des Verlages Mame / Gigord verfassten, ein berichtender Erzähler. Wie oben beschrieben, war die Verbreitung der republikanischen Ideale explizites Ziel des staatlichen Schulsystems. Ziel des Geschichtsunterrichts war es daher nicht nur, eine scheinbar neutrale Darstellung der Geschichte zu vermitteln, sondern er sollte Republik und Demokratie historisch begründen. Spätestens in den Diskussionen zur religiösen Neutralität, die Frankreich um das Jahr 1905 bewegten,372 zerbrach die Illusion, ein berichtender Erzähler könne neutral sein.373 Zwar beriefen sich beide Seiten darauf, die Hüter der Neutralität („neutralité“) zu sein, und warfen der jeweils anderen Seite vor, die Geschichtserzählungen aus Parteiinteresse zu verzerren. Katholische und republikanische Lehrerzeitungen druckten seitenlange Listen ab, die die vermeintlichen Geschichtsfälschungen der

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holungsbuch für mehrklassige Volksschulen des preußischen Volksstaates (2 Bde.), Breslau: Handels-Verlag 1930 u. 1926; Mann, Hans, Lebendige Geschichte. Arbeitshefte über Heimat, Vaterland und Welt im Wandel der Jahrhunderte (3 Bde.), Bonn: Dümmlers 1959, 1956 u. 1957. Börtzler, Friedrich, Die Lage unserer Geschichtslehrbücher, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 9 (1919), S. 223–232; Neubauer, Friedrich, Zur Neuordnung des Geschichtsunterrichts, in: ebd., Jg. 11 (1921), S. 49–65. Baumgärtner, Transformationen des Unterrichtsfaches Geschichte, S. 44 u. S. 134. S. oben, Kap. 2.5. Amalvi, Les guerres des manuels.

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Gegenseite dokumentieren sollten.374 Im Lauf der Debatte mehrten sich vor allem im laizistischen Lager Stimmen, die sagten, vollständige Neutralität sei in der Schule gar nicht möglich. Der Honorarschulrat Saindenis sprach von verschiedenen „Kulturen“ in Frankreich, deren Geschichtsbilder nichts miteinander gemeinsam hätten: Nos adversaires ont des subtilités de pensée et de langage qui déconcertent ceux qui sont étrangers à leur culture. Que peut-il y avoir de commun entre ceux qui conçoivent l’histoire à la manière de Michelet et ceux qui jugent les personnes et les choses d’après le P. Loriquet?375

Ein Klima, in dem offen über Geschichtsdeutungen gestritten wurde, begünstigte die Abkehr vom scheinbar objektiven berichtenden Erzähler in den französischen Büchern. 3.4.2. Das Hervortreten des kommentierenden Erzählers

Die Methodiker des frühen 20. Jahrhunderts äußerten zunehmend Unmut über die Dominanz berichtender Elemente. Le Chevalier warf dem Geschichtsunterricht vor, er sei oft nur „eine mehr oder weniger detaillierte Aufzählung von Fakten, Namen und Daten, von Schlachten, von Verträgen usw.“ („une énumération plus ou moins détaillée de faits, de noms et de dates, de batailles, de traités etc.“).376 Siegfried Braun warnte davor, der Geschichtsschreiber dürfe nicht zum „langweiligen, unfruchtbaren Notizensammler herabsinken“. Da Objektivität ohnehin 374 Z.B. Cambuzat, Fr., La lutte scolaire. Encore la neutralité, in: Bulletin de la Société générale, Jg. 42 (1910), H. 9, S. 847–855; Lescœur, L., Ce qu’on enseigne aux petits enfants à l’école officielle, in: Bulletin de la Société générale, Jg.  40 (1908), H.  4, S.  324–328; Saindenis, E., Leurs livres, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 57 (1910/11), H. 28, 2.4.1911, S. 226/7. 375 „Unsere Gegner kennen gedankliche und sprachliche Spitzfindigkeiten, die die verwirren, die ihrer Kultur fremd sind. Was für Gemeinsamkeit kann es geben zwischen denjenigen, die die Geschichte nach der Art von Michelet begreifen, und denjenigen, die die Personen und Sachen gemäß Pater Loriquet beurteilen?“ Ebd., S. 227; vgl. P. Déghilage, La neutralité scolaire et l’histoire des religions, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 60 (1913/14), H. 19, 25.1.1914, S. 223/4. 376 Le Chevalier, L., L’histoire à l’école primaire, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg.  48 (1903/04), H.  36, 29.5.1904, S. 392. Vgl. für Deutschland Fikenscher, Fritz, Das epische Prinzip im Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 4 (1914), S. 137–144, hier S. 137.

Die Ausgestaltung der Erzähler 139

nicht erreicht werden könne, sei es besser, wenn der Geschichtsunterricht zu den Ereignissen Stellung nehme.377 Diese Kritik schlug sich in den Schulbüchern nieder. Der berichtende Erzähler verlor seine Dominanz gegenüber Typen wie dem Kommentator, dem Augenzeugen und dem Betroffenen, die das vergangene Geschehen stärker werteten bzw. perspektivierten. Der kommentierende Erzähler trat in den französischen Büchern häufig auf. Sein Prototyp ist der Erzähler in Lavisse’ Histoire de France. Er schilderte die gesamte französische Geschichte als stringente Erzählung, die auf die Vollendung der Einheit und der Freiheit Frankreichs ausgerichtet war. Dabei trennten die Bücher zunächst zwischen berichtenden Passagen und den Kommentaren. Lavisse ließ Letztere kursiv drucken. Außerdem fasste er am Ende wichtiger Kapitel die Überlegungen des Erzählers in „Allgemeinen Überlegungen“ („Réflexions générales“) zusammen. In den Lehrwerken von Blanchet, Augé / Petit und Brosselette traten Kommentare nur in den Schlussfolgerungen bzw. den Wiederholungen der einzelnen Kapitel auf, bei Rogié und Despiques beschränkte sich der kommentierende Erzähler auf die Vorworte der Kapitel. Die Bücher, die ab den zwanziger Jahren erschienen, vermischten berichtende und kommentierende Elemente stärker. In den Geschichtsbüchern, die nach 1923 erschienen, finden sich dominant kommentierende Erzähler bei Aymard, bei Bernard / Redon, bei Faÿ / Maurel / Equy und bei Ozouf /Leterrier. In Deutschland nahmen kommentierende Elemente in den Schulbüchern zu, vorwiegend kommentierend erzählte Bücher blieben eine Ausnahme. In der Weimarer Republik entstanden im Geschichtsunterricht Arbeitsbücher, die dem reformpädagogischen Gedanken der Arbeitsschule verpflichtet waren und die Schüler zu Selbsttätigkeit erziehen sollten. Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte bestand aus zwei Teilen: dem Buch Deutsches Werden, das fiktionalisierte Geschichtserzählungen und Quellen enthielt, und dem eigentlichen Schulbuch, in dem der Schüler wichtige Fakten und Arbeitsaufträge zu den Texten aus Deutsches Werden fand.378 Ähnlich war Schaffensfreude aufgebaut. Die Geschichtserzählungen und Quellen sind hier nicht in einem eigenen Band zusammengestellt, sondern der Lehrer musste diese Texte selbst aus verschiedenen Büchern wie beispielsweise dem Neuen geschichtlichen Lesebuch von Reiniger und Nickol379 zusammenstellen. In Hirts 377 Braun, Siegfried, Über Geschichte und Geschichtsunterricht, in: Die deutsche Schule, Jg. 23 (1919), H. 9, S. 363–370, hier S. 368. 378 Lindhorst, J. [ohannes] u.a., Deutsches Werden (Ferdinand Hirts Sachlesehefte, 1. Gruppe: Geschichte), 4 Bde., Breslau: Hirt 1925–1927. 379 Reiniger, Max / Hermann Nickol (Hg.), Neues geschichtliches Lesebuch, Bd. 1, 25.

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Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

Tatsachen- und Arbeitsheften und in Schaffensfreude trat daher nur im eigentlichen Schulbuch ein kommentierender Erzähler auf, während in den Texten, die die eigentliche Grundlage des Unterrichts bildeten, andere Typen von Erzählern dominierten. In Teubners Sachkunde und in Unserer Geschichte beschränkte der Kommentator sich auf den zweiten und dritten Band bzw. den zweiten Band, während im ersten Band ein betroffener Erzähler dominierte.380 Anscheinend traute man jüngeren Schülern noch nicht zu, den Abstraktionsgrad zu verarbeiten, mit dem ein Kommentator das Geschehen betrachtete. Für die unteren Klassen schufen diese Bücher einen bezeugenden Erzähler, der eine geringere Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellte. Die NS-Bücher enthielten alle starke kommentierende Elemente, die den Schülern das Geschichts- und Weltbild der Nationalsozialisten vermitteln sollten. Allerdings dominierten hier der betroffene oder der bezeugende Erzähler. Überwiegend kommentierend sind die Erzähler der NS-Ausgaben von Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch, von Nehrings Vater­ ländischer Geschichte und des bayerischen Merkbuches zum Geschichtsunterricht.381 Das ist deswegen bemerkenswert, da die Vorgängerwerke dieser konservativen Reihen in der Zeit der Weimarer Republik weitgehend am berichtenden Erzähler festhielten, da er ihnen eine scheinbar neutrale Haltung erlaubte.382 Unter den Büchern der frühen Bundesrepublik kannten allein die Geschichte unseres Volkes und Aus deutscher Vergangenheit kommentierende Erzähler. Diese erzählten die Geschichte zwar durchaus unmittelbar, anschaulich und bisweilen dramatisierend, insgesamt aber bleibt ihre kommentierende Stimme dominant.383 Die beiden Geschichtsbücher der DDR wurden von einem Kommentator erzählt. Dieser präsentierte eine sozialistische Erzählung, die alle sozialen Konflikte der Vergangenheit als Vorgeschichte von Oktoberrevolution und Staatsgründung der

380 381 382 383

Aufl., Langensalza: Beltz 1926; dies. (Hg.), Neues geschichtliches Lesebuch, Bd. 2, 10. u. 11. Aufl., Langensalza: Beltz 1922. Eckl, Ludwig, Teubners Sachkunde für Volksschulen. Geschichte. Fachband (4 Teile), 3. Aufl., Leipzig / Berlin: Teubner 1931. Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1938; Nehring, Ludwig, Vaterländische Geschichte. Ein Merk- und Wiederholungsbuch (2 Bde.), Breslau: Handels-Verlag 1940 u. 1936; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941. Vgl. oben, Kap. 3.4.1. Nett, Benedikt, Aus deutscher Vergangenheit. Ein Arbeitsbuch für Geschichte. Ausgabe A für Bayern. 5. bis 8. Schuljahr, 4. Aufl., Donauwörth: Auer [ca. 1954]; Scherl, Geschichte unseres Volkes, 1951–1954.

Die Ausgestaltung der Erzähler 141

DDR deutete. Kennzeichnend für diesen kommentierenden Erzähler ist die kontrafaktische Argumentation. Der Erzähler belehrte die historischen Akteure an zahlreichen Stellen darüber, was sie eigentlich hätten tun sollen. Das Lehrbuch von 1957 warf den Aufständischen des „Großen Deutschen Bauernkriegs“ vor, sie „hätten nicht erkannt, dass die Änderung ihrer Lage durch die Beseitigung der Herrschaft der Feudalherren möglich war, wie es Thomas Münzer immer wieder gelehrt hatte“. Münzer wiederum wurde kritisiert, weil er „nicht erkannt [hatte], dass die Unterschiede zwischen Armen und Reichen damals noch nicht beseitigt werden konnten.“ Zunächst hätte man die Macht der Grundbesitzer beseitigen müssen.384 Da alle historischen Akteure mit den Maßstäben der kommunistischen Revolutionen der Gegenwart gemessen wurden, bot das Lehrbuch für den Geschichts­ unterricht über weite Strecken eine Geschichtserzählung im Konjunktiv. Das klare Urteil über die historischen Akteure war bereits von den Lehrplänen vorgegeben. Die Lehrpläne, die ab 1955 entstanden, schoben zwischen die Auflistung der Inhalte sog. „Bemerkungen“ ein, denen die Lehrer entnahmen, wie sie die Geschichte kommentieren sollten.385 Wie oben dargelegt wurde, sind kommentierende Elemente in Frankreich häufiger als in Deutschland. In den Debatten um die Laizität diskutierten Methodiker, Lehrer, Politiker und Bürger offen über divergierende Deutungen der Geschichte, so dass die Pluralität der Geschichtsbilder offensichtlich wurde. Außerdem eignete sich der Kommentator gut als Erzähler für französische Bücher, da er die historische Kontextualisierung von historischen Akteuren erlaubt. Die Frage nach einem angemessenen historischen Urteil war zentral in der französischen Diskussion zum Geschichtsunterricht. Brun, Professor an einer école normale, schilderte in einem Artikel im Manuel général einen Dialog zwischen einem Lehrerausbilder und künftigen Volksschullehrern. Der Ausbilder bestand darauf, dass es nicht genügt, die Ereignisse so zu schildern, wie sie waren. Die eigentliche Aufgabe des Lehrers bestünde darin, Personen der Vergangenheit zu beurteilen: C’est cela. Mais il ne suffit pas, en histoire, d’être vrai pour être sans reproche. Sage [Name eines fiktiven Schülers, d. Verf.] nous dit que l’histoire a pour mission de juger les hommes, et pour devoir de les juger comme ils le méritent. Or, c’est dans cette partie de son enseignement, c’est dans ses jugements, dans ses commentaires, que le maître est sujet à faillir et peut prêter au blâme. 384 Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 2, 1952, S. 192–194. 385 Am Beispiel des Bauernaufstandes: Lehrplan für Grundschulen. Geschichte, 1951, S. 29/30; Lehrplan Geschichte. 6. Klasse. Mittelschule, 1957, S. 8.

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Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

Dabei dürfe der Lehrer sich weder zu sehr von seinen eigenen Werten leiten lassen noch sich völlig an das Wertesystem einer vergangenen Epoche anpassen. So könne man Ludwig den Heiligen nicht deswegen verurteilen, weil er Gotteslästerern die Zunge abschneiden ließ. Genauso wenig aber könne man die Verbrechen der Religionskriege alleine mit den Zeitkontext entschuldigen.386 Die offiziellen Stellen wiesen die Lehrer ausdrücklich darauf hin, dass sie historische Figuren immer in den zeitlichen Kontext einordnen müssten, um nicht „ungerecht“ („injuste“) über sie zu urteilen.387 Derartige Überlegungen finden sich in den deutschen methodischen Schriften weit seltener. Da, wie im Folgenden gezeigt wird, die Geschichtserzählungen in der deutschen Volksschule weitgehend entzeitlicht waren,388 benötigten die deutschen Bücher keinen Kommentator, der historische Figuren kontextualisierte. Die Stärke des Kommentators in Frankreich spiegelte zudem Charakteristiken des Schulsystems wieder. Während deutsche Schulbuchautoren darum bangen mussten, dass ein Werk von den staatlichen Behörden zugelassen wurde, wählten in Frankreich die Lehrer frei ihr Geschichtsbuch aus. Die französischen Lehrer bevorzugten anscheinend Bücher, die eine klare Deutung enthielten. Da es zwei Schulsysteme gab, die sich ideologisch unterschieden, boten die Verlage Lehrwerke an, die zu deren Deutungssystemen passten. Der kommentierende Erzähler lässt sich nicht mit einer bestimmten ideologischen Ausrichtung verbinden. Er dominierte sowohl im republikanisch-nationalistischen Geschichtsbuch von Lavisse, in der links-republikanischen Geschichtsdarstellung von Aymard als auch im klerikalen-faschistischen Lehrwerk von Faÿ / Maurel / Equy.389 386 „Um in Geschichte tadellos zu sein, genügt es nicht, wahr zu sein. Sage hat uns gesagt, die Aufgabe der Geschichte sei es, über die Menschen zu urteilen, und ihre Pflicht sei es, sie so zu beurteilen, wie sie es verdienen. Nun aber ist genau das der Teil seines Unterrichts, in dem er sich irren oder Anlass zu Tadel geben kann.“ Brun, H., L’esprit de justice dans l’enseignement de l’histoire à l’école primaire, in: Manuel général. Partie générale, Jg.  77 (1909/10), Nr. 18, 15.1.1910, S.  205–207 u. Nr. 19, 22.1.1910, S. 220–222. 387 Programmes officiels des Écoles primaires élémentaires, 1911, S. 133. 388 S. unten, Kap. 5.2.5. 389 Lavisse, Histoire de France, 1919; ders., Histoire de France, 1932; ders., Histoire de France, 1943; ders., Histoire de France, Cours moyen. Première et deuxième années, Neuaufl., 54.  Aufl., Paris: Colin 1959; Aymard, Histoire de France, 1927; Faÿ, Bernard / Bl. [anche] Maurel / Jean Equy, Histoire de France des origines à nos jours. Enseignement primaire. 2e cycle. Préparation au Certificat d’Études, Paris: Gigord 1942/43.

Die Ausgestaltung der Erzähler 143

3.4.3. Die Konjunktur des bezeugenden Erzählers in Deutschland

Während sich einige, vorwiegend französische Bücher dazu entschieden, synthetisierende und kommentierende Elemente zu verstärken, nahmen andere, nahezu ausschließlich deutsche Bücher den entgegengesetzten Weg und wählten den Blick aus der „Froschperspektive“. Der Idealtyp eines solchen bezeugenden Erzählers tritt in den Weimarer Ausgaben von Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend auf, dem am meisten verbreiteten Lehrwerk seiner Zeit.390 Das Werk verzichtete auf eine zusammenhängende Geschichtserzählung. Es reihte stattdessen einzelne Szenen aus der deutschen, europäischen und nordamerikanischen Geschichte aneinander. Kumsteller verwendete über weite Strecken den dramatischen Modus, die meisten seiner Figuren waren fiktiv. Im dritten Kapitel lernten die Schüler ein germanisches Dorf aus der Perspektive eines Wanderers kennen, im vierten Kapitel konnten sie die Diskussionen germanischer Bauern über Varus verfolgen. Das fünfte Kapitel dramatisierte die Fällung der Donareiche, eine Diskussion sächsischer Bauern und einen Besuch in Karls Kaiserpfalz. Zwar nahm die Dichte der dramatischen Szenen im Laufe des Lehrwerks ab, aber auch die Veränderungen der Industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts wurden noch szenisch dargestellt.391 Wenn der Erzähler selbst zu Wort kam, nahm er in der Regel die Perspektive eines historischen Akteurs ein, der die Zukunft noch nicht kannte. Heutiges Wissen über den Fortgang der Ereignisse verkleidete Kumstellers Erzähler in bedeutungsschwangere Spekulationen über die Zukunft, die aber stets den Horizont der historischen Akteure berücksichtigten. Am Ende des ersten Bandes bilanzierte der Erzähler die Lage in Deutschland vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges: Das ganze Volk war in zwei Bekenntnisse gespalten, die einander in Todfeindschaft belauerten. Jedes Jahr konnte der schrecklichste Religionskrieg losbrechen. Und gerade

390 Zu Kumstellers Erfolg vgl. Kawerau, Denkschrift über die deutschen Geschichts- und Lesebücher, S. 9 u. S. 127. Auch die Bestände des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung deuten darauf hin, dass das Geschichtsbuch für die deutsche Jugend das am meisten verbreitete Geschichtsbuch in den Volksschulen der Weimarer Republik war. 391 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 3–10, S. 12/3, S. 20–24, Bd. 3, 1928, S. 2–4 u. S. 24–32.

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Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

in dieser Zeit wurde Frankreich ein mächtiger, reicher, einheitlicher Staat. Dunkle Wolken hingen über Deutschlands Zukunft.392

Anders als von der Forschung bislang angenommen, hat die „Erzähldidaktik“, die den erzeugenden Erzähler favorisierte, bereits auf die Weimarer Volksschulbücher einen großen Einfluss gehabt.393 In anderen Weimarer Büchern dominierte der Augenzeuge zwar nicht durchgehend, war aber stark. In den beiden Arbeitsbüchern Schaffensfreude und Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte dominierte zwar der kommentierende Erzähler. In den Geschichtserzählungen, die diesen Arbeitsbüchern zu Grunde liegen, finden sich aber zahlreiche Geschichten, die von einem Augenzeugen erzählt wurden. Die meisten dieser Erzählungen stammten von Autoren des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wie Gustav Freytag, Felix Dahn, Sophus Ruge, Hermann Löns oder Max Reiniger. Schaffensfreude verwendete darüber hinaus zahlreiche Gedichte von Schriftstellern wie August von Platen oder Karl Joseph Simrock als Grundlage für den Unterricht. Die Schüler sollten anhand dieser fiktionalen Texte das vergangene Geschehen rekonstruieren. Allerdings verwiesen die Arbeitsbücher nicht nur auf fiktionale Geschichtserzählungen, sondern auch auf Quellen, die man nicht unbedingt einem bezeugenden Erzähler zuordnen kann. Schließlich gab es in den beiden Arbeitsbüchern Ansätze, diese Quellen zur Grundlage eines wissenschaftsorientierten und diskursiven Geschichtsunterrichts zu machen. Wie die Auswahl der Quellen und die dazugehörigen Arbeitsaufträge zeigen, war das aber Ziel nicht, die Schüler zu Quellenkritik zu erziehen. Die Texte sollten lediglich die völkisch-nationalistische und borussianische Deutung des Kommentators mit der Stimme eines Dokumentes aus der Zeit bezeugen. Deutsches Werden, der Erzählungs- und Quellenband zu Hirts Tatsachen- und Arbeitsheften, enthielt zum 17. Jahrhundert beispielsweise eine offizielle schwedische Quelle, die den Kriegseintritt rechtfertigte, die Erinnerungen eines Magdeburger Bürgers, der die Zerstörung seiner Stadt erlebt hatte, Erlasse der brandenburgischen Kurfürsten zur Aufnahme von Flüchtlingen und zur Verbesserung der Landwirtschaft, die deren positive Rolle dokumentierten, das Edikt von Nantes, das die Intoleranz des französischen Königs zeigte, und zwei Berichte von Brandenburger Bürgern über die Einfälle der schwedischen Armee. 392 Ebd., Bd. 1, 1929, S. 75. 393 Ursula Bechers macht „erzählende Texte“ vorwiegend in Büchern für höhere Schulen aus und datiert ihren Einzug in die Volksschulbücher erst auf die frühe Bundesrepublik: Becher, Schulbuch, S. 50.

Die Ausgestaltung der Erzähler 145

Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich keine Berichte von Bauern finden, die sich über die preußische Armee beklagen. Die Arbeitsaufträge in Schaffensfreude zeigen ebenfalls, dass die Quellen lediglich die Deutung des Buches unterstützen sollten. Die Schüler sollten, nachdem sie eine Quelle zu Kurfürst Friedrich I. gelesen hatten, wiedergeben, was sie über die „Widersetzlichkeit des Adels gegen des Kaisers Vertreter“ und die „Tatkraft Friedrichs“ erfahren hatten. Die Quellen hatten somit wie die fiktionalen Texte eine rein illustrierende Funktion. Ihre Authentizität verlieh dem kommentierenden Erzähler die Glaubwürdigkeit eines Augenzeugen, so dass man die Quellen größtenteils als Zeichen der Präsenz eines bezeugenden Erzählers deuten kann. Mit dem Ende der Weimarer Republik hatte das Phänomen des Augenzeugen seinen Zenit überschritten. Das Geschichtsbuch für die deutsche Jugend dokumentiert den Rückgang des bezeugenden Erzählers im Nationalsozialismus. Die nationalsozialistischen Ausgaben des Lehrwerkes enthielten zwar immer noch zahlreiche dramatische Stellen. Allerdings trat hier deutlich ein überzeitlicher kommentierender Erzähler hervor, der die Vergangenheit vom Standpunkt der Gegenwart aus deutete.394 Das einzige Geschichtsbuch der NS-Zeit, in dem ein bezeugender Erzähler dominierte, war Sie alle bauten Deutschland von Hausmann / Thiele / Kroll.395 Dieses Lehrwerk setzte den Augenzeugen noch konsequenter ein als die Weimarer Ausgabe des Geschichtsbuches für die deutsche Jugend. Die einzelnen Szenen, die dramatisiert wurden, waren nur locker durch eine Rahmenerzählung verbunden. In den anderen NS-Büchern gab es zwar zahlreiche Passagen, die von einem Augenzeugen geschildert werden. Insgesamt dominierte aber der betroffene Erzähler. In der Bundesrepublik dominierte der bezeugende Erzähler in Ebelings Deut­ scher Geschichte, dem Vorgängerwerk seines Buches Reise in die Vergangenheit, in dem der Augenzeuge bis in die neunziger Jahre weiterlebte.396 Die anderen Bücher der Bundesrepublik und der DDR verzichteten zunächst auf dramatisierte Passagen. Die bislang in der Forschung häufig geäußerte Ansicht, der Geschichtsunterricht hätte hier eine Tradition der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus ungebrochen fortgeführt, ist daher, was die Schulbücher angeht, nicht haltbar.397 394 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, 1934. 395 Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, 3 Bde., 1942. 396 Ebeling, Hans, Deutsche Geschichte. Vereinfachte Ausgabe B in Einzelheften, hg. v. Geschichtspädagogischen Förderkreis Braunschweig, Braunschweig: Westermann, 9 Bde., 1952–1961. 397 Bonna, Rudolf, Die Erzählung in der Geschichtsmethodik von SBZ und DDR. Nebst

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Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

Erst gegen Ende der fünfziger Jahre erlebten die beiden deutschen Staaten eine Renaissance des bezeugenden Erzählers. Das ostdeutsche Lehrbuch für den Geschichtsunterricht von 1957 dramatisierte seine Darstellung stärker als das Vorgängerwerk von 1951. Gleiches gilt für die Neufassung der bayerischen Geschichte unseres Volkes von 1955, die auf den Zusatz „Merk- und Arbeitsbuch“ verzichtete und ihren Lesern eine „episch breitere Darstellung der ausgewählten Ereignisse“ versprach.398 Zwei der Bücher unternahmen den Versuch, den Prozess historischer Erkenntnis zu dramatisieren. Füßlers Geschichte des deutschen Volkes schilderte im ersten Kapitel, wie eine Gruppe von verwunderten Schülern einem „unbekannten Mann mit einem langen Bart und einer goldenen Brille“ begegnet. Der Lehrer erklärt ihnen, dieser Mensch sei ein Forscher. Er habe in der Höhle einen Schatz gefunden, der „eine ganz geheimnisvolle Geschichte zu erzählen“ habe. Daraufhin beginnt der Fremde, die Geschichte des deutschen Volkes zu erzählen, so dass die Geschichtserzählung von diesem Binnenerzähler vorgetragen wird.399 Es ist fraglich, ob derartige Geschichten tatsächlich den Prozess historischer Erkenntnis kritisch beleuchten sollten. Ziel war wohl eher, wie ein Artikel in Die deutsche Schule von 1938 forderte, „durch anekdotenhaft eingestreute Fundberichte“ die „Achtung vor den Wissenschaften“ zu fördern.400 Betrachtet man allein die Illustrationen, kehrt sich der Befund um: Französische Bücher enthielten deutlich mehr bezeugende Elemente als deutsche. Französische Schulbuchautoren setzten massiv Bilder ein, weil oder obwohl sie sich ihrer suggestiven Kraft bewusst waren – für das katholische Bulletin de la Société générale d’éducation et d’enseignement waren Bilder ein „schnelleres Gift“ („un poison plus rapide“) als das „unmoralische und antireligiöse Buch“ („le livre immoral et antireligieux“) selbst.401 Die französische Didaktik schätzt den Erkenntniswert der

398 399 400 401

einem Quellenband, Bochum 1996, Diss. Dortmund 1995, S. 60; Becher, Schulbuch, S. 50. Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 1, 1960, S. 5; Mühlstädt, H. [erbert] / E. Schenderlein / E. Wegner, Aus vergangener Zeit. Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, 5. Schuljahr, 1957. Füßler, Wilhelm, Geschichte des deutschen Volkes für die deutsche Schuljugend, Bd. 1: Von der Urzeit bis zum Ende des Mittelalters, Gießen: Roth [ca. 1935], S. 1; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 5. Gerhardt, Barbara, Wer sind wir? Vorgeschichte in der Schule, in: Die deutsche Schule, Jg. 42 (1938), H. 2, S. 56–60, hier S. 60. F. C., L’enseignement par l’image, 1903, in: Bulletin de la Société générale, Jg.  35 (1903), H. 8, S. 744–746, hier S. 744/5.

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Bilder sehr.402 Außerdem wendete Frankreich für den Geschichtsunterricht gerade an Volksschulen mehr materielle Ressourcen auf. Da in Deutschland aus finanziellen Gründen lange überhaupt keine Geschichtsbücher eingesetzt wurden, standen die Autoren und Verlage unter dem Druck, so billig wie möglich zu publizieren. Allerdings spielten bei der Bildwahl auch didaktische Überlegungen eine Rolle. Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend und nationalsozialistische Bücher, deren Erzähler die Geschichte nah erscheinen ließen, druckten Abbildungen, deren Realismus an Fotografien erinnert.403 Die bundesrepublikanischen Bücher hingegen wendeten sich vom Realismus der NS-Zeit wieder ab und verzichteten auf detailgenaue Rekonstruktionen historischer Szenen, obwohl die materiellen Voraussetzungen durchaus gegeben waren. Dort dominierten schematische Zeichnungen, deren Konstruktcharakter unübersehbar war.404 Außerdem druckten sie Fotografien von gegenständlichen Quellen ab. Der bezeugende Erzähler, der seit den zwanziger Jahren in den deutschen Schulbüchern auftauchte, realisierte Vorstellungen zum Geschichtsunterricht, die sich ab der Jahrhundertwende in Deutschland entwickelten und in den zwanziger und dreißiger Jahren die methodische Diskussion dominierten. Volksschuldidaktiker forderten bereits im späten Kaiserreich, die Geschichtslehrer sollten nicht mehr nur bloßes Wissen vermitteln, sondern den Schülern die Vergangenheit anschaulich vergegenwärtigen. Schüler sollten die Geschichte nicht allein mit dem Verstand lernen, sondern sie „erleben“. Die Geschichtsdidaktik hat dieses Phänomen unter den Schlagworten „novellistische Methodik“405 „Erzähldidaktik“ und „Geschichtserzählung“ diskutiert. Sie verstand unter „Erzählen“ zunächst eine anschauliche, bildreiche und suggestive Form des Lehrervortrags oder des Schulbuchtextes.406 402 Erdmann, Bilder in deutschen und französischen Geschichtsschulbüchern, S. 150. 403 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 68; Blume, So ward das Reich, Bd. 2, 1941, S. 17. 404 Ein Beispiel für besonders charakteristische Zeichnungen ist Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, s. Coverseite. 405 Für Ulrich Peters war der „novellistische Geschichtsunterricht“ eine von sieben zeitgenössischen Strömungen der Geschichtsmethodik. Der Ausdruck geht auf August Tecklenburg zurück, der ihn abwertend verwendete: Peters, Ulrich, Methodik des Geschichtsunterrichts an höheren Lehranstalten, Frankfurt a. M. 1928, S. 8–10. 406 Schneider, Gerhard, Art. „Geschichtserzählung“, in: Klaus Bergmann u.a. (Hg.), Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5. Aufl., Seelze-Velber 1997, S.  434–440, hier S. 434; Filser, Karl, Holzweg oder Königsweg? Erzählungen im Geschichtsunterricht, in: Eugen Kotte (Hg.), Kulturwissenschaften und Geschichtsdidaktik, München 2011, S. 99–130, hier S. 100–103; Brauer, Juliane / Martin Lücke, Emotionen, Ge-

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Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

Da der Begriff „Erzählen“ in Geschichtswissenschaft und -didaktik heute mehrdeutig ist, wurde jüngst vorgeschlagen, von einer „Fiktionalisierung“ des Geschichtsunterrichts zu sprechen. Schließlich sei es den Anhängern dieser Methode darum gegangen, Techniken der Belletristik zu übernehmen, um emotional auf die Schüler einzuwirken.407 In dieser Arbeit ist von „Erzähldidaktik“ die Rede, wenn von der theoretischen Begründung des Phänomens die Rede ist. Der Ausdruck „Fiktionalisierung“ bezeichnet hier den konkreten Niederschlag der Erzähldidaktik im Geschichtsunterricht. Die Forschung hat das Phänomen, das hier betrachtet wird, als Aspekt des Themas „Geschichtserzählung“ untersucht. Diese Definition bezieht sich auf Texte, die den Schülern schriftlich oder mündlich präsentiert werden. Der Nürnberger Volksschullehrer Alois Clemens Scheiblhuber gilt als Begründer der Erzähldidaktik. 1901 veröffentlichte er seine Beiträge zur Reform des Geschichtsunterrichts. Die einzelnen Erzählungen, die Ereignisse der Geschichte thematisierten, sollten sich an die Regeln der klassischen Dramentheorie halten und die Einheit von Zeit, Raum und Handlung berücksichtigen. Die Erzähler sollten „detaillieren“, „motivieren“ und „verkindlichen“, also bildhafte Details verwenden, die Beweggründe der Akteure darstellen und Bezüge zur Lebenswelt der Schüler herstellen. Scheiblhuber ergänzte diese drei Prinzipien später um die Vorgaben, der Geschichtsunterricht solle „dramatisieren“, „personifizieren“, „lokalisieren“, „kostümieren“, „vereinfachen“ und „konkretisieren“.408 Ab 1904 veröffentlichte er mit seiner Deutschen Geschichte ein Geschichtsbuch, das diese Theorie in die Praxis umsetzte. Scheiblhuber war dem Einsatz von Quellen im Geschichtsunterricht gegenüber durchaus aufgeschlossen. Er wies aber darauf hin, dass nicht für alle Epochen schichte und historisches Lernen. Einführende Überlegungen, in: dies. (Hg.), Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Geschichtsdidaktische und geschichtskulturelle Perspektiven, Göttingen 2013, S. 11–26, hier S. 51. 407 Weiß, Zwischen Geschichtswissenschaft und historischer Belletristik. Zum Begriff des „Erzählens“ in der Geschichtsschreibung vgl. oben, Kap. 1.3. Zur Erzähldidaktik vgl. Schneider, Geschichtserzählung, 1997; Bonna, Die Erzählung in der Geschichtsmethodik von SBZ und DDR; Jung, Die Geschichtserzählung in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht; Rohlfes, Joachim, Geschichtserzählung, in: GWU, Jg. 48 (1997), H. 12, S. 736–743; Engeler, Geschichtsunterricht und Reformpädagogik, S. 184–199. 408 Scheiblhuber, Alois Clemens, Beiträge zur Reform des Geschichtsunterrichts. Mit Materialien für den Geschichtsunterricht, Straubing 1901; ders., Kindlicher Geschichtsunterricht. Streitfragen und Geschichten, Nürnberg 1905.

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Quellen vorlägen und dass diese lediglich die Sicht der Menschen widerspiegelten, die schreiben konnten. Seine fiktionalen Erzählungen sollten daher auch Menschen aus dem „Volk“ zu Wort kommen lassen. Zudem könnten sie kulturgeschichtliche Entwicklung fassen, zu denen die Quellen oft schwiegen.409 Wenn Michael Jung behauptet, die „Geschichtserzählung“ sei für den obrigkeitshörigen Geschichtsunterricht des Kaiserreiches besonders geeignet,410 verkennt er ihre progressiven, tendenziell anti-monarchischen Elemente. Scheiblhubers Theorien wurden unter deutschen Volksschullehrern und -didaktikern enorm populär. Die Fiktionalisierung, die er forderte, konnte an den Geschichtsunterricht des Kaiserreiches anknüpfen. Dort wurde das Fach Geschichte oft auf der Grundlage des Lesebuchs unterrichtet. Die Erzähldidaktik griff auch Gedanken der Reformpädagogik auf. Die Vorstellung, die Emotion über den Verstand zu stellen, entsprach den antiintellektuellen Impulsen der Neuerer.411 Nahezu alle Autoren, die in der reformpädagogisch inspirierten Zeitschrift Die deutsche Schule publizierten, teilten Scheiblhubers Vorstellungen. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die Erzähldidaktik sich stark in den Arbeitsbüchern Schaf­ fensfreude und Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte niederschlug. Alle Lehrpläne der Weimarer Zeit erklärten, die dramatisierte Geschichtsdarstellung eigne sich gut für den Unterricht in der Volksschule, und forderten die Lehrer auf, die geschichtlichen Ereignisse „in Handlung umzusetzen“.412 Diese Ideen fielen in Deutschland auf fruchtbaren Boden, da die deutschen Volksschullehrer, wie oben geschildert,413 in struktureller Opposition zur universitären Geschichtswissenschaft standen. Daher kann man die Abwendung von der universitären Geschichtswissenschaft als Distinktionsstrategie deuten, mit der die Volksschullehrer ihren Unterricht gegenüber Universität und Gymnasium aufwerteten. Um den Vorwurf zu kontern, ihr Geschichtsunterricht sei minderwertig, 409 Ders., Das Erlebnis in seiner Bedeutung für den Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 54–58, hier S. 56. 410 Jung, Die Geschichtserzählung in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht, S. 110/1. 411 Schneider, Gerhard, Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht am Ende des Kaiserreichs (vornehmlich in Preußen), in: Paul Leidinger (Hg.), Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik vom Kaiserreich bis zur Gegenwart. Festschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands zum 75jährigen Bestehen, Stuttgart 1988, S. 54– 67, hier S. 60. 412 Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 27; Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1926, S. 165. 413 S. oben, Kap. 2.8.

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verwiesen sie darauf, dass ihre „anschaulichen“ Erzählungen die Schüler „begeistern“ könnten, was der „blasse[n]“ und „abstrakte[n]“ wissenschaftsförmigen Darstellung nicht gelänge.414 Außerdem wirkten sich Entwicklungen der Literatur- und Filmgeschichte auf den Unterricht aus. Die Technik, die der Augenzeuge einsetzt, erinnert nicht von ungefähr an filmische Darstellungen von Geschichte. Wie diese gibt er vor, die Vergangenheit realistisch zu rekonstruieren und zu visualisieren. Der Aufstieg des Augenzeugen ist daher undenkbar ohne den Siegeszug des Kinos und insbesondere des Historienfilms in den zwanziger Jahren. Realistische Darstellungsprinzipien waren auch in der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts in Mode. Der moderne Autor sollte die Realität zeigen und nicht erzählen.415 Besonders historische Romane hatten im frühen 20. Jahrhundert einen großen publizistischen Erfolg. Ihre Autoren traten zunehmend selbstbewusst auf. Sie pochten darauf, dass ihre Art, die Vergangenheit literarisch zu verarbeiten, eine besondere Qualität aufweise und bisweilen der wissenschaftlichen Darstellung überlegen sei.416 Diese Vorstellung schlug sich im methodischen Diskurs und in den Geschichtsbüchern nieder. Für Scheiblhuber war das fiktionalisierte Geschichtsbild nur die Grundlage für den Geschichtsunterricht. Es sollte die Fakten vermitteln, mit deren Hilfe der Schüler schließlich über das vergangene Geschehen urteilen sollte: „Man zeigt dem Kinde erst: So war es! Und dann erst läßt man es darüber urteilen.“417 Ulrich Haacke, einer der Autoren von Kumstellers stark fiktionalisiertem Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, brachte seine Schüler in einer Musterstunde dazu, kontro414 Fehring, Max, Kind und Geschichte. Vier Betrachtungen zur Neuordnung des Geschichtsunterrichts, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 12 (1922), S. 209–217, hier S. 211/2. 415 Quinkertz, Zur Analyse des Erzählmodus, S. 143. 416 Hardtwig, Wolfgang, Geschichte für Leser. Populäre Geschichtsschreibung in Deutschland im 20. Jahrhundert, in: ders., Deutsche Geschichtskultur im 19. und 20. Jahrhundert, München 2013, S. 153–176, v.a. S. 162/3; Ullrich, Sebastian, „Der Fesselndste unter den Biographen ist heute nicht der Historiker.“ Emil Ludwig und seine historischen Biographien, in: Wolfgang Hardtwig / Erhard Schütz (Hg.), Geschichte für Leser. Populäre Geschichtsschreibung in Deutschland im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2005, S. 36–56; Kittstein, Historisches Erzählen, S. 124–148; Segelcke, Elke „Die Fiktion des Faktischen“. Zum Verhältnis von Geschichtsschreibung und literarischer Moderne in der Weimarer Republik, in: Heinrich-Mann-Jahrbuch, Jg.  15 (1997), S. 77–86. 417 Scheiblhuber, Alois Clemens, Das Erlebnis in seiner Bedeutung für den Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 54–58, hier S. 58.

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vers über eine fiktionalisierte Textstelle zu diskutieren.418 Dieser zweite, verarbeitende Schritt verlor im Laufe der methodischen Diskussion der Weimarer Republik zunehmend an Bedeutung. Erich Andräß lobte einen Erzählband der progressiven Bremer Arbeitsgemeinschaft, da dieser auf die Reflektion der fiktionalisierten Erzählungen verzichtete: Wenn man die beiden Arbeitsweisen, die der Bremer und die Scheiblhubers, nebeneinander stellt, wird der Unterschied deutlich. Scheiblhubers Erzählungen verlangen eine Auswertung, eine Nachbehandlung, ein Herausschälen des geschichtlichen Gehaltes. Die Arbeiten der Bremer bestehen und wirken auf Grund ihrer Geschlossenheit und ihrer hohen künstlerischen Form ohne das. Sie sind um ihrer selbst willen da.419

Der Stimme aus der Vergangenheit sollte demnach eine derart große Autorität verliehen werden, dass Diskussion oder Widerspruch zu ihrer Deutung nicht möglich waren. Auch in der DDR hatte der novellistische Geschichtsunterricht Anhänger. Der Methodiker Stohr hob in Geschichte in der Schule die Vorzüge der durch einen bezeugenden Erzähler gekennzeichneten „Lehrererzählung“ gegenüber dem „Lehrervortrag“ hervor. Die „Erzählung“ erziele eine „intensive Gefühlsregung“ und habe demzufolge „starke erzieherische Wirkungen“.420 Die Renaissance des bezeugenden Erzählers erklärt sich vor allem mit der Erfahrung, dass das fachlich ambitionierte, wissenschaftsförmige Lehrbuch von 1951 die Schüler der neuen Gesamtschule421 deutlich überfordert hatte. Von den untersuchten französischen Bücher hatte kein einziges einen dominanten bezeugenden Erzähler. Zwar verwendeten auch französische Bücher gelegentlich den dramatischen Modus, um bestimmte Ereignisse anschaulicher und spannender zu schildern, dies beschränkte sich aber auf einige Passagen. Fast immer waren diese dramatisierten Szenen nicht in den Haupttext des Buches integriert, 418 Alavi, Waren die Geschichtsdidaktiker auch Reformpädagogen?; vgl. Haacke, Ulrich, Arbeitsunterricht, Tatsachenbuch, Lesebuch, in: Kumsteller, Bernhard u.a. (Hg.), Der neue Weg im Geschichtsunterricht. Beiträge und Beispiele, Leipzig [1925], S. 10–13; ders., Lehrprobe: Auf dem Kreuzzuge, in: ebd., S. 20–23. 419 Andräß, Erich, Die Anschauung im Geschichtsunterricht der Volksschule, in: Die deutsche Schule, Jg. 34 (1930), H. 8, S. 469–477, hier S. 472. 420 Stohr, Bernhard, Lehrervortrag oder Lehrererzählung? Ein Vorschlag für eine einheitliche Terminologie auf dem Gebiete der mündlichen Darbietungen im Geschichtsunterricht, in: Geschichte in der Schule, Jg. 8 (1955), H. 4, S. 209–217, hier S. 217. 421 S. oben, Kap. 2.1.

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sondern standen, grafisch vom Rest abgetrennt, in den „Lektüren“ am Ende eines Kapitels. In den Lehrwerken von Gauthier / Deschamps, von Augé / Petit und von Audrin / Dechappe / Dechappe nahmen die Lektüren immerhin die Hälfte des Platzes im Buch ein. Allerdings sank die Zahl dieser dramatisierten Stellen im Lauf des Untersuchungszeitraums. An die Stelle kaum verbürgter anekdotischer Texte traten zunehmend Quellen. Die Ursache dafür, dass der bezeugende Erzähler in Frankreich kaum auftaucht, dürfte die Wissenschaftsorientierung des Geschichtsunterrichts an der Volksschule sein. Anders als in Deutschland war, wie oben dargestellt,422 das Verhältnis zwischen Volksschulen und Universität spannungsfrei. Die akademische Forschung war während des gesamten Untersuchungszeitraumes das Leitbild des Geschichtsunterrichts, literarische Formen von Geschichtsdarstellung hatten keinen Vorbildcharakter. Zweifellos ist der Augenzeuge der Erzähler, der die geringste Distanz zwischen Gegenwart und vergangenem Geschehen herstellt. Er entfaltet eine hohe Suggestivkraft, da er seine Geschichtsdeutungen auf scheinbar authentische Aussagen historischer Akteure stützt. Zwar realisiert der Augenzeuge progressive Ideen, zugleich aber entwirft er ein „eindeutiges Geschichtsbild“.423 Dieses ist nicht diskursiv verhandelbar, da man schwer einer Aussage widersprechen kann, die aus dem Mund eines historischen Akteurs zu stammen scheint. Er stellt zudem eine der Grundlagen der Entzeitlichung in deutschen Geschichtsbüchern dar, die im Folgenden thematisiert wird.424 Indem der Augenzeuge in den zwanziger und dreißiger Jahren den Lauf der Geschichte in fiktive Einzelszenen auflöste, blockierte er die klassische lineare Fortschrittserzählung.425 3.4.4. Die Herausbildung eines betroffenen Erzählers

Der betroffene Erzähler kennt zwei unterschiedliche Ausprägungen. Einige Bücher verwendeten betroffene Erzähler, die überwiegend von der Gegenwart aus kommentierten, aber gelegentlich ihre Verortung in der Gegenwart verließen, um die 422 S. oben, Kap. 2.8. 423 Riekenberg, Michael, Die Zeitschrift Vergangenheit und Gegenwart (1911–1944). Konservative Geschichtsdidaktik zwischen liberaler Reform und völkischem Aufbruch, Hannover 1986, Diss. Hannover 1984. 424 S. unten, Kap. 5.2.5. 425 Dieser Zusammenhang wurde bereits konstatiert bei Hasberg, Wolfgang, Klio im Geschichtsunterricht. Neue Perspektiven für die Geschichtserzählung im Unterricht?, in: GWU, Jg. 48 (1997), H. 12, S. 708–726, hier S. 718.

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Perspektive eines historischen Akteurs einzunehmen. Sie stellten Fragen wie „Was sollte das Volk noch glauben?“ oder riefen „Das Abendland war befreit, das Kreuz hatte über den Halbmond gesiegt!“ Das zeigt die emotionale Identifikation mit einer Perspektive.426 Andere Bücher setzten zahlreiche bezeugende Elemente ein und wechselten ständig zwischen den Perspektiven, so dass die Darstellung extrem suggestiv wirkt. Während die betroffenen Erzähler in den Weimarer, bundesrepublikanischen und in den meisten französischen Büchern zur ersten Gruppe gehören, kann man die betroffenen Erzähler in den nationalsozialistischen Lehrwerken und in zwei links-republikanischen französischen Büchern in die zweite Gruppe einordnen. Unter den Büchern der Weimarer Republik finden sich betroffene Erzähler in den sozialdemokratisch geprägten Geschichtsbildern aus Braunschweig und in Teubners Sachkunde. Beide Bücher dramatisierten zahlreiche Szenen, aber sie vermischten nur manchmal die Perspektiven von Erzähler und historischen Akteuren. In Teubners Sachkunde schlug sich die Perspektive der historischen Akteure oft in Überschriften wie „Ein Ende hat die Not“ oder „Revolution!“ nieder.427 Die bundesrepublikanischen Werke Unsere Geschichte und Mit eigener Kraft setzten den betroffenen Erzähler ähnlich zurückhaltend ein. Je weiter die Bücher im Lauf der Geschichte fortschritten bzw. je älter die angesprochenen Schüler waren, desto seltener mischten die beiden Bücher die Perspektiven von Akteur und Erzähler. Die NS-Bücher hingegen machten exzessiven Gebrauch von den erzählerischen Möglichkeiten des betroffenen Erzählers. Das beliebte Geschichtsbuch für die deutsche Jugend erschien noch nach 1933. Die Bearbeiter ergänzten und bearbeiteten nicht nur die Inhalte des Buches. Sie fügten außerdem in die Darstellung, die dominant bezeugend erzählt wurde, zahlreiche Kommentare ein, die das Geschehen von einem gegenwärtigen nationalsozialistischen Standpunkt aus beurteilten. Das Buch schilderte die Kämpfe zwischen Römern und Germanen einerseits weiterhin aus der Perspektive der Zeit, andererseits hatte der Erzähler nun Informationen, über die ein Augenzeuge nicht verfügt. Er beklagte, die beiden Völker hätten „vergessen“, dass Römer und Germanen einst ein Volk waren. Der Erzähler kannte nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft der Germanen bzw. Deutschen und fragte von einem gegenwärtigen Standpunkt aus: „Was wäre aus unserem Volk geworden, wenn diese Römlinge recht behalten hätten!“428 426 Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 4, 1960, S. 32 u. Bd. 1, 1959, S. 43. 427 Eckl, Teubner Sachkunde, Bd. 2, 1931, S. 7 u. Bd. 3, 1931, S. 6. 428 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 18 u. S. 20; vgl.

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Auf ähnliche Weise passten sich Füßlers Geschichte des deutschen Volkes und Kamps Neues Realienbuch den nationalsozialistischen Anforderungen an.429 Das Buch So ward das Reich, das vom nationalsozialistischen Braunschweiger Ministerpräsidenten Klagges herausgegeben wurde, trieb das Prinzip des betroffenen Erzählers auf die Spitze. Der Erzähler wechselte, wie im obigen Beispiel zur Belagerung Wiens,430 ständig zwischen den Perspektiven hin und her. Er nahm die Vergangenheit aus der Akteursperspektive wahr und beurteilte sie zugleich von der Warte des heutigen Betrachters. Bisweilen wirkt die Vermischung der Wahrnehmungsebenen unfreiwillig komisch. Der Erzähler berichtete vom „jauchzenden Klang“ der germanischen Luren und bedauert: „Bis heute ist es nicht gelungen, Luren zu gießen die einen gleich schönen Ton erzeugen.“431 Auch in Frankreich finden sich die verschiedenen Ausprägungen des betroffenen Erzählers. Während das katholische Lehrwerk von Guillemain / Le Ster und die gemäßigt-republikanische Histoire de France von Bernard / Redon Erzähler hatten, die nur an manchen Stellen Perspektiven von historischem Akteur und Erzähler vermischten, nutzten die antiklerikalen und links-republikanischen Bücher von Gauthier / Deschamps, von Devinat und von Besseige / Lyonnet diese Technik exzessiv. Allerdings trennten die drei Werke zwischen dem eigentlichen Text, in dem berichtende und kommentierende Elemente dominierten, und den „Lektüren“, in denen der Erzähler verschiedene Perspektiven vermischte. Da die „Lektüren“ in den drei Büchern mindestens die Hälfte des Platzes einnahmen, gelten ihre Erzähler hier als dominant betroffen. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass der betroffene Erzähler sich in einigen Volksschulbüchern der Weimarer Republik durchsetzen konnte. Schließlich forderten Methodiker seit dem späten Kaiserreich die „bewusst einseitige, warmherzige Parteinahme“, da nur diese die „charakter- und persönlichkeitsbildende Kraft des Geschichtsunterrichts“ entfalte.432 Wie erklärt sich, dass der Betroffene in den NS-Büchern den Augenzeugen verdrängte bzw. überlagerte? Bereits nach der ders., Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 11/2. 429 Füßler, Wilh. [elm] / Wilh[elm] Loos, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1: Von der Urzeit bis 1648, Gießen: Roth [1932]; Kamps neues Realienbuch für Schule und Haus, neu bearb. v. J. [osef ] Dierkesmann  / W. [ilhelm] Fleitmann  / G. [ottfried] Kortländer, 19. Aufl., Bochum: Kamp 1929. 430 S. oben, Kap. 3.3.3. 431 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 26. 432 Linde, Ernst, Vorfragen des Geschichtsunterrichts, in: Die deutsche Schule, Jg.  24 (1920), H. 9, S. 404–406, hier S. 404.

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Machtübernahme kritisierten Methodiker die Erzähldidaktik. Max Fehring forderte 1934, man dürfe nicht bei der Geschichtserzählung stehenbleiben, sondern müsse die Ereignisse stärker deuten: Je anschaulicher und eindringlicher ein Einzelbild gestaltet ist, desto notwendiger ist eine über den Einzelakt sich erhebende deutende Haltung, desto wichtiger ist es, dem Ereignis in seinem kernhaften Durchdringen geschichtliche Bedeutung zu verleihen. Aus dem Geschehen muss Geschichte werden, kann Geschichte werden, wenn wir es in einem Zusammenhang sehen, in seiner Auswirkung und seiner Schicksalsträchtigkeit. Ein Unterricht, der an den farbigen Einzelheiten, an dem lebendigen Schein der Erzählung hängenbleibt – wie es das Kind wohl gern möchte –, führt nicht zur Geschichte, sondern daran vorbei.433

Auch der bayerische Lehrplan von 1936 hielt fest, die Erzähldidaktik widerspräche der „nationalsozialistischen Geschichtsauffassung“, da sie Geschichte in Geschichten „auflöse“. Stattdessen müsste der Unterricht die „großen Entwicklungslinien“ herausarbeiten.434 Zwar gab es weiterhin Methodiker wie Walter Voigtländer, die „die Geschichte selbst reden lassen“ wollten. Allerdings sah Voigtländer sich veranlasst, dem Vorwurf zu widersprechen, seine bezeugende Darstellung strebe nach Objektivität. Er verwies darauf, dass auch in der reinen Darstellung eine „Tendenz“ liege, „aber eine tiefere, die aus dem Kampf der geschichtlichen Ideen selbst heraus gewachsen ist“.435 Es erweist sich als schwieriger, die Vorliebe einiger französischer Bücher für den betroffenen Erzähler zu erklären, da die didaktische Literatur zu diesem Thema schweigt. Wohl fällt auf, dass vor allem links-republikanische, antiklerikale Schulbücher sich für diesen Erzähler entscheiden. Dieses Konzept stieß anscheinend bei linken Lehrern auf Anklang, da die Histoire de France von Gauthier / Deschamps, 433 Fehring, Max, Die Jugendschrift im Dienste geschichtlicher Bildung, in: Die deutsche Schule, Jg. 38 (1934), H. 5, S. 237–243, hier S. 238/9; vgl. Preiss, Rudolf, Gedanken zu einem Leitbuch der deutschen Geschichte für Volksschulen, in: Die deutsche Schule, Jg. 47 (1943), H. 1, S. 5–11. Ein Plädoyer für einen wissenschaftsgestützten Geschichtsunterricht hingegen hält Eckl, Ludwig, Geschichtsunterricht und Volksschule, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 24 (1934), S. 169–178, hier S. 176. 434 Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1936, S. 51. 435 Voigtländer, Walter, Politische Erziehung im Geschichtsunterricht, in: Die deutsche Schule, Jg. 38 (1934), H. 5, S. 208–216, hier S. 212. Andere Pädagogen rechtfertigten die Erzähldidaktik noch in nationalsozialistischer Zeit: Kleinmann, Otto, Vom Geschichtsunterricht in der Volksschule. Zum Aufsatz von Ludwig Eckl, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 24 (1934), S. 341–346.

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das erste Lehrwerk, das einen betroffenen Erzähler hatte, publizistisch enorm erfolgreich war.436 Womöglich lässt sich die emotionale Aufladung, die der betroffene Erzähler erzeugte, mit der Hitze des Schulbuchstreits von 1909/10 erklären. Schließlich verzichtete der Nachfolger des Werkes von Gauthier / Deschamps, die Histoire de France von Aymard, die ab 1926 erschien, auf einen betroffenen Erzähler. Der Betroffene ist in der Darstellung stärker präsent als der Augenzeuge. Dadurch vermittelt er in höherem Maße die Mittelbarkeit von Geschichtsschreibung. Da er die Perspektiven von historischen Akteuren und gegenwärtigem Erzähler vermischt, ist der Betroffene nicht minder suggestiv als der Augenzeuge. Nicht umsonst tritt er in stark ideologisch geprägten Werken wie in den links-republikanischen französischen und in den nationalsozialistischen Schulbüchern auf. Der ständige Wechsel zwischen den Zeitebenen verwischt die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Der betroffene Erzähler wirkte einer Historisierung des geschilderten Geschehens entgegen, da die Vergangenheit für ihn immer noch präsent ist. Diese Entzeitlichung war nicht unbedingt intendiert, in der Forderung nach einer „Vergegenwärtigung“ oder einer „Wiederbelebung“437 der Vergangenheit aber zumindest schon angelegt.438 3.4.5. Ansätze eines moderierenden Erzählers

Die Arbeitsbücher der zwanziger Jahre enthielten bereits Elemente, die auf den moderierenden Erzähler verwiesen. Wie oben gezeigt wurde, forderten die Bücher die Schüler dazu auf, den Blickwinkel von historischen Akteuren zu übernehmen. Allerdings sollten die Schüler sich in allen Fällen in Perspektiven einfühlen, die mit der Deutung des Erzählers übereinstimmten. Auch die bayerische Geschichte des deutschen Volkes, deren erste Fassung sich als „Merk- und Arbeitsbuch“ begriff, ließ nur Perspektiven zu, die die Aussagen des Erzählers stützten. Nachdem die 436 S. oben, Kap. 2.4. 437 Scheiblhuber, Alois Clemens, Vom Erlebnis im Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 54–58, hier S. 57; Freudenthal, Herbert, Die Ausbildung des Geschichtslehrers an der Volksschule (Vortrag auf der Breslauer Tagung des Verbandes Deutscher Geschichtslehrer), zitiert nach: Amling, Die Breslauer Tagung des Verbandes Deutscher Geschichtslehrer, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 16 (1926), S. 450–453, siehe S. 452. Ähnlich Stieve, Friedrich, Das Mittelalter für Kinder, in: ebd., Jg. 11 (1912), S. 223–230, hier S. 226. 438 Zu den Zeitverlaufsvorstellungen vgl. unten, Kap. 5.2.

Die Ausgestaltung der Erzähler 157

Schüler das Kapitel über die Christianisierung Deutschlands gelesen hatten, sollten sie berichten, was ein römischer Händler den Bewohnern des Alpenvorlandes vom Christentum erzählt haben mag, sie sollten sich „in die Lage eines Glaubensboten“ versetzen und überlegen, was ein Wanderer von einem Kloster erzählte, der dort „Obdach und Wegzehrung“ bekommen hatte.439 Obwohl die Auswahl der Blickwinkel einseitig war – es fehlt bspw. eine heidnische Sichtweise –, zeigte sich hier bereits ein Ansatz zur multiperspektivischen Geschichtsdarstellung. Netts Aus deutscher Vergangenheit enthielt einen Ansatz zur Urteilsbildung im modernen Sinn. Die Kapitel zur Revolution von 1848 und zu Bismarck präsentierten den Schülern verschiedene Argumente für oder gegen eine These und forderten sie zu einem eigenen Urteil auf.440 In Deutschland und Frankreich setzten die Bücher zunehmend Quellen ein. Die beiden Fassungen des ostdeutschen Lehrbuches für den Geschichtsunterricht von 1951, der zweite Band des nordrhein-westfälischen Werkes Unsere Geschichte, die Histoire de France von Ozouf und Leterrier sowie Audrins Notre France. Son Histoire waren hier Vorreiter, wenngleich sie die Quellen vorwiegend illustrierend einsetzten. Die Illustrationen in den Büchern der Nachkriegszeit verdeutlichten die Mittelbarkeit von Geschichte stärker als ihre Vorgänger. Wenn Bücher wie Bernard / Redons Histoire de France, das Lehrbuch für den Geschichtsunterricht der DDR und Unsere Geschichte vermehrt Fotos abbildeten, die historische Gebäude, Gegenstände, Gemälde und Quellentexte zeigten, mag dies der besseren materiellen Ausstattung geschuldet sein. Zumindest in der Bundesrepublik druckten Bücher wie Geschichte unseres Volkes, Lebendige Geschichte, Mit eigener Kraft und Aus deutscher Vergangenheit statt der Abbildungen historischer Szenen nun vermehrt schematische Zeichnungen, die ihren Konstruktcharakter offenlegten. In Frankreich blieben Bücher wie die Histoire de France von Ozouf oder Chaulanges / Chaulanges, die erstmals nach dem Krieg erschienen, den Rekonstruktionen historischer Szenen treu. Das Potential, die Mehrdeutigkeit der Vergangenheit zu thematisieren, schöpft keines der Bücher aus. Es gibt nur eine entsprechende Stelle im Korpus. Das bundesrepublikanische Buch Aus deutscher Vergangenheit präsentierte verschiedene Thesen, woher die Indogermanen stammten: „Eine Gruppe von Forschern sagt: Sie [die Indogermanen, d. Verf.] hatten ihre Heimat an der Nordsee und Ostsee

439 Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 1, 1960, S. 69/70. 440 Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 130 u. S. 133.

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Der Erzähler und die Distanz zwischen Leser und Geschichte

[…]. Andere Forscher sagen: Diese neue Menschenart wanderte aus Asien zu uns ein und vermischte sich mit den Steinzeitmenschen.“441

3.5 Fazit

Der berichtende Erzähler, der in deutschen und französischen Schulbüchern zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominierte, geriet in den Diskussionen zum Geschichtsunterricht zunehmend in die Kritik. Pädagogen bemängelten, dass die zurückhaltende Erzählweise des Berichterstatters nur scheinbar objektiv sei. Geschichtsbücher sollten nicht mehr einfach Ereignisse aneinanderreihen, sondern stärker Zusammenhänge deutlich machen und interpretieren. Schulbuchautoren wählten drei verschiedene Strategien, um die Lehrwerke zu modernisieren. Französische Bücher setzten überwiegend einen kommentierenden Erzähler ein, der das historische Geschehen vom Standpunkt der Gegenwart aus zusammenfasste und kommentierte. Dieser Erzähler trat offen im Text auf und schuf so eine größere Distanz zwischen Gegenwart und Vergangenheit als der Berichterstatter. Einige deutsche Bücher entschieden sich für einen bezeugenden Erzähler, der das historische Geschehen aus der Perspektive von Zeitzeugen schilderte. Diese Erzählsituation suggerierte dem Leser, er habe einen unmittelbaren Zugang zum vergangenen Geschehen. Die Distanz zur Vergangenheit verringerte sich. Die dritte Strategie, der Einsatz eines betroffenen Erzählers, mischte kommentierende und bezeugende Elemente. Der Erzähler konnte einerseits das vergangene Geschehen von der Gegenwart aus zusammenfassen und andererseits die Perspektive von Zeitzeugen einnehmen. Diese Erzählsituation wahrte zwar über weite Strecken die Distanz zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Da der Betroffene sich an anderen Stellen anmaßt, aus der Perspektive historischer Akteure zu blicken, und die Zeitebenen vermengte, ist er ebenso suggestiv wie der Augenzeuge. Während Weimarer, bundesrepublikanische und die meisten französischen Lehrwerke den Betroffenen zurückhaltend einsetzten, nutzten links-republikanische französische und nationalsozialistische Bücher sein Potenzial zur Emotionalisierung der Darstellung voll aus. Insgesamt hoben die Erzähler in den französischen Büchern die Distanz zwischen Leser und Vergangenheit hervor, während die deutschen Bücher diese Distanz 441 Nett, Aus deutscher Vergangenheit, ca. 1954, S. 7.

Fazit 159

eher verringerten. Man kann diesen Unterschied mit der Krise des historistischen Denkens erklären, die in Deutschland stärker als anderswo die Erklärungskraft der universitären Geschichtswissenschaft in Frage gestellt hat.442 Geschichtslehrer und -methodiker favorisierten eine Geschichtserzählung, die für die Gegenwart Sinn stiftete. Die Rekonstruktion und möglichst objektive Deutung der Vergangenheit befriedigte ihre Vorstellungen nicht mehr, sie wünschten sich einen emotionaleren Zugang. Diese Krise wirkte sich nicht auf Frankreich aus, da die Geschichtswissenschaft und ihr Objektivitätspostulat für den Geschichtsunterricht an den Volksschulen stets vorbildlich waren.

442 Vgl. unten, Kap. 5.2.6.

4 Das historische Geschehen

4.1 Die Betrachtungsebenen der Geschichte 4.1.1. Die Dominanz von Politik- und Militärgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Die Histoire de France von Brossolette warb auf ihrer Titelseite damit, dass es ihr eher um das Volk als um die Fürsten („Le Peuple plutôt que les Princes“) gehe und mehr um Kultur als um Schlachten („La Civilisation plutôt que les Batailles“). Außerdem gebe sie der Gegenwart den Vorzug vor weit entfernt liegenden Zeiten („Notre époque de préférence aux périodes lointaines“). Ein Leser des 21. Jahrhunderts, dem dieses Buch in die Hände fällt, wird allerdings überrascht sein, wie viele Schlachten das Buch schildert, welche überragende Rolle Fürsten spielen und welch großen Anteil Mittelalter und Frühe Neuzeit haben. Dennoch ist das Lehrwerk im Vergleich seiner Zeit fortschrittlich, denn es realisierte früh inhaltliche Forderungen der zeitgenössischen Didaktik und griff Entwicklungen der vierziger und fünfziger Jahre voraus. Das folgende Kapitel wird untersuchen, welche Erscheinungen, Ereignisse und Akteure das Geschehen umfasst, das für die Schulbücher „Geschichte“ ausmacht. Es wird zunächst untersuchen, welchen Raum Betrachtungsebenen wie Außenpolitik oder Sozialgeschichte einnahmen. Hierauf wird es in den Blick nehmen, welche Akteure die Darstellungen der Schulbücher prägten, um abschließend mit der Nation den Hauptakteur der Bücher in den Blick zu nehmen. Zu Beginn des Jahrhunderts dominierte in französischen und deutschen Schulbüchern eine Politikgeschichte, in der kriegerische Ereignisse besonders viel Raum einnahmen. In beiden Ländern orientierte die Gliederung der Bücher sich fast durchgehend an den Zäsuren der politischen Geschichte. Eine Ausnahme bildet nur das Mittelalter, dessen kultureller und sozialer Geschichte die Bücher ein eigenes Kapitel widmeten. Die französischen Bücher enthielten zudem meist ein Kapitel zur wirtschaftlichen, sozialen und technischen Entwicklung im 19. Jahrhundert. Wie dominant Politik und vor allem Krieg waren, wird offensichtlich, wenn man beispielsweise betrachtet, wie deutsche und französische Bücher Leben und Regentschaft zweier herausragender Herrscher, Ludwigs XIV. (1638–1715) und

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Friedrichs II. (1712–1786), darstellten. Diese Herrscher lassen sich gut vergleichen, da beide zahlreiche Kriege geführt und wichtige innenpolitische Reformen angestoßen haben.443 In den französischen Büchern nahm die Militärgeschichte tendenziell mehr als die Hälfte des Ludwig-Kapitels ein. In der gemäßigt-republikanischen Histoire de France von Lavisse lag der Anteil sogar bei zwei Dritteln, in Brossolettes radikal-republikanischem Lehrwerk nur bei einem Viertel. Die Bücher hoben Namen von Schlachten und Friedensschlüssen grafisch hervor, die die Schüler auswendig lernen sollten.444 Etwa ein Viertel widmeten die Lehrwerke biografischen Angaben zu Ludwig, seinen Ministern und Generälen. Anders als in Deutschland wendeten die französischen Bücher knapp ein Fünftel des Platzes für die Kunst-, Philosophie- und Literaturgeschichte auf. Allerdings ist hier der Primat des Politischen deutlich. Geistige wie soziale und ökonomische Entwicklungen wurden der Gliederung der politischen Geschichte unterworfen. Kulturelle Errungenschaften hatten keinen Eigenwert, sondern waren lediglich Indikatoren nationaler Größe.445 In den Büchern, die im Kaiserreich erschienen, nahmen Militär und Kriege knapp die Hälfte des Friedrich-Kapitels ein. Die Innen- und Wirtschaftspolitik handelten die Lehrwerke in einem einzigen Unterkapitel ab, das Titel wie „Als Landesvater“ oder „Friedenswerke“ trug. Den Rest des Platzes beanspruchten biografische Angaben. Die Illustrationen der Bücher unterstützten die Dominanz der Militärgeschichte. Allein Hirts Neues Realienbuch zeigte den König nicht im Krieg, sondern auf einer Besichtigungsreise.446 443 Die Zeit, in der Ludwig XIV. minderjährig war, wird hier nicht mitgerechnet. Die Zuordnung zu den verschiedenen Bereichen der Geschichte ist nicht immer eindeutig, da manche Ereignisse wie die Anlegung von Kolonien militärische und zivile Politik vermischen. Daher wurde hier auf Prozentangaben verzichtet. Zur Darstellung von Ludwig XIV. in französischen und von Friedrich II. in deutschen Schulbüchern vgl. Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale, S. 204–214. 444 Didaktiker beklagten, dass die Abschlussprüfungen in Geschichte sich auf Kriege, Schlachten, Verträge und dynastische Entwicklungen beschränkten: Deum, Achille, L’oral « écrit » au Certificat d’Études primaires, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 44 (1899/1900), H. 21, 18.2.1900, S. 374–379, hier S. 375. 445 Augé / Petit, Histoire de France, 1913, S. 73–89; Blanchet, Histoire de France, 1913, S. 119–137; Devinat, Histoire de France, 1908, S. 74–92; Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916, S. 70–79; Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 99–120; Réunion, Histoire de France, 1908, S. 128–157; Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S. 104–116; Segond, Histoire de France, 1910, S. 189–228. 446 Hirts Neues Realienbuch, 1910, S.  84–93; Franke  / Schmeil, Realienbuch, 1907,

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Das historische Geschehen

Die Dominanz der Militärgeschichte lässt sich sicherlich aus dem Wunsch heraus erklären, militärische Werte zu vermitteln und die jungen Staatsbürger darauf vorzubereiten, mit der Waffe für ihr Land zu kämpfen. Die Kritik an der Militärgeschichte wurde oft mit dem Argument zurückgewiesen, die Darstellung kriegerischer Erfolge sichere die Landesverteidigung. Crousaz-Crétet schrieb im Bulletin de la Société générale, Kriege müssten weiterhin die Darstellung beherrschen, damit der Geschichtsunterricht Dankbarkeit gegenüber denjenigen vermittle, die für Frankreich gekämpft hätten. Sonst brächte die Schule „eine Herde von Internationalisten ohne patriotische Überzeugungen“ („un troupeau d’internationalistes, sans convictions patriotiques“) hervor, die unfähig sei, „den nationalen Boden zu verteidigen“ („défendre le sol national“).447 Außerdem führten die Vertreter der Militärgeschichte an, dass sich vor allem männliche Schüler für Schlachten und Kriege interessierten und so einen Zugang zur Vergangenheit bekämen. Kulturelle und soziale Zusammenhänge galten einigen Pädagogen im Vergleich zur Militärgeschichte als wenig ansprechend.448 Ein weiterer Grund, weswegen die Politik und hierbei vor allem die (kriegerische) Außenpolitik dominierte, lag im Zuschnitt der Bücher auf die jeweiligen Herrscher. Da diese, wie im folgenden Kapitel gezeigt wird, die Hauptakteure der Bücher waren, stand ihr innen- und außenpolitisches Handeln im Mittelpunkt der Darstellung.449 Die bewusste Vermittlung militärischer Werte und das angebliche oder tatsächliche Interesse der Schüler waren keinesfalls die einzigen Gründe, weswegen Kriege so eine wichtige Rolle in den Geschichtsbüchern spielten. Die Schlachtengeschichte S. 88–97; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 94–105; dies., Realienbuch, Braunschweig, 1918, S.  49–57; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  1, 1916, S. 27–32; Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 74– 80; Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S.  44–46; Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 17/8. 447 Crousaz-Crétet, L., L’enseignement de l’histoire à l’école, in: Bulletin de la Société générale, Jg.  54 (1923), H.  10, S.  486–491, hier S.  491. Vgl. Graff, Nécessité de l’enseignement de l’histoire, in: ebd., Jg. 56 (1925), H. 7, S. 611–621. 448 Erziehender Geschichtsunterricht, in: Der Volksschullehrer, Jg.  8 (1914), H.  20, S. 313–316, hier S. 314; Linde, Ernst, Vorfragen des Geschichtsunterrichts, in: Die deutsche Schule, Jg.  24 (1920), H.  9, S.  404–406, hier S.  404; Graff, Nécessité de l’enseignement de l’histoire, in: ebd., Jg. 56 (1925), H. 7, S. 611–621, hier S. 616; Brossolette, L., Une forte leçon, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg.  80 (1933/34), H. 27, 31.3.1934, S. 417/8. 449 Diesen Zusammenhang stellten bereits die Zeitgenossen her: Erziehender Geschichtsunterricht, in: Der Volksschullehrer, Jg. 8 (1914), H. 20, S. 313–316, hier S. 313.

Die Betrachtungsebenen der Geschichte 163

war zu Beginn des 20. Jahrhunderts so tief im Bewusstsein der Menschen verankert, dass viele Pädagogen glaubten, Geschichte sei die Darstellung von Krieg und Politik. In diesem Sinne behauptete Laguerre, man würde die Vergangenheit verfälschen, wenn man den Kriegen im Geschichtsunterricht weniger Raum einräumen würde.450 Dieses Argument wirkt plausibel, wenn man die Schulbücher mit Werken der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft vergleicht. Dort dominierte in viel stärkerem Maße und viel länger die Politikgeschichte. Die einschlägigen Bände der Bibliographien zur französischen Geschichtswissenschaft zeigen klar, dass im Mutterland der innovativen Annales-Schule bis zum Zweiten Weltkrieg die klassische Politikgeschichte vorherrschte.451 Nimmt man Gebhardts Handbuch von 1931 als Spiegelbild der deutschen Universitätshistorie, ergibt sich für Deutschland ein ähnliches Bild.452 Es ist daher nicht erstaunlich, dass Geschichte für historisch gebildete Menschen in erster Linie aus Kriegen bestand. 4.1.2. Der Aufstieg der Wirtschafts-, Kultur- und Sozialgeschichte

Der Anteil der Innenpolitik blieb während des Untersuchungszeitraumes in etwa gleich, wenngleich sich hier die Schwerpunkte geändert haben. Der Raum, den die Bücher der Außenpolitik und hier vor allem den Kriegen widmeten, ging deutlich zurück. Parallel dazu gewannen Themen der „Kulturgeschichte“ bzw. der „histoire de la civilisation“ immer mehr Bedeutung. Hier soll dieser Prozess kurz 450 Laguerre, Odette, Comment l’école primaire doit enseigner le patriotisme, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg.  51 (1906/07), H.  33, 12.5.1907, S.  333/4, hier S. 334. Vgl. Séguin, K., L’histoire à l’école primaire. Conférence faite à l’école normale de la Seine par M. Lavisse, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 78 (1910/11), H. 22, 11.2.1911, S. 255; Gehl, Walter, Gedanken über den Aufbau eines neuzeitlichen Geschichtsunterrichts, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 12 (1922), S. 49–69, hier S. 56. 451 Bspw. Répertoire bibliographique de l’histoire de France, Bd. 6 (1930/31), hg. v. der Société Française de Bibliographie, Paris 1938, Neudruck Aalen 1972; Bibliographie annuelle de l’histoire de France du cinquième siècle à 1939, Bd. 3 (1955), hg. v. Centre National de la Recherche Scientifique, Institut d’Histoire Moderne et Contemporaine, Paris 1956. 452 Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 2: Vom Zeitalter Friedrichs des Großen bis zur neuesten Zeit, völlig neu bearb. von Robert Holtzmann, 7. Aufl., Stuttgart u.a. 1931. Der Gebhardt ist natürlich selbst ein konservatives Medium. Dennoch ist interessant, dass die Schulbücher den Trend schneller aufgriffen als das StandardHandbuch der Universitätshistorie.

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Das historische Geschehen

dargestellt werden. Wie die Schulbücher diese zeitgenössischen Konzepte genau umsetzten, soll das nächste Unterkapitel schildern. In Frankreich kehrten die Bücher einige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg von der Militärgeschichte ab. Während die Neuauflagen der älteren Werke die bisherige Ausrichtung beibehielten,453 senkten die Bücher, die neu erschienen, den Anteil des Militärischen. Im Beispielkapitel zu Ludwig XIV. betrug er noch etwa ein Drittel. Besonders weit ging die radikal-republikanische Histoire de France von Besseige / Lyonnet, die alle Kriege und Friedensschlüsse Ludwigs in Kleindruck auf einer einzigen Seite zusammenfasste.454 Die Bücher räumten auch sozialen Entwicklungen mehr Raum ein. Das Buch von Aymard beispielsweise brachte jeweils eine Doppelseite über „Die französische Gesellschaft von 1610 bis 1715“ („La société française de 1610 à 1715“) und „Leben und Gesellschaft im 18. Jahrhundert“ („La vie et la société au XVIIIe siècle“), während das Vorgängerwerk von Gauthier und Deschamps in einer kurzen Lektüre lediglich den „Arbeiter vor 89“ („L’ouvrier avant 89“) thematisierte.455 Es war der Pazifismus der Volksschullehrer und ihrer Gewerkschaften, der den Rückgang der Militärgeschichte antrieb und damit einer in Frankreich weit verbreiteten Kriegsverdrossenheit Ausdruck verlieh.456 Der Volksschullehrer Gaston Clémendot stellte auf einem Gewerkschaftskongress 1923 den Geschichtsunterricht an Volksschulen in Frage. Er warf dem Fach vor, es erziehe zum Militarismus. Damit stieß er eine breite Debatte in der Lehrerschaft und in der Gesellschaft an. 453 Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 99–120; ders., Histoire de France, 1932, S. 99– 120. 454 Aymard, Histoire de France, 1927, S. 44–57; Bernard, Paul / F. [rantz] Redon, His­ toire de la France et de la Civilisation française des origines à nos jours précédée de quelques notions d’Histoire Ancienne. Le livre unique d’histoire, Paris: Nathan 1938, S. 133–148; Besseige / Lyonnet, Histoire de France, 1935, S. 41–47; Brossolette, His­ toire de France, 1937, S. 79–99. Kriege nehmen über die Hälfte der Darstellung ein in: Guillemain, H. [enri] / [François] Le Ster, Histoire de France. Cours moyen. Certificat d’études, Paris: École 1937, S. 145–160; Rogié / Despiques, Histoire de France, 1930, S. 104–116; Segond, E. [mile], Histoire de France depuis 1610 jusqu’à nos jours avec une révision des origines jusqu’en 1610. Cours moyen. Certificat d’études, 33. überarb. Aufl., Paris: Hatier 1927, S. 196–223. 455 Aymard, Histoire de France, 1927, S. 56/7 u. S. 70/1; Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916, S. 87. 456 Horne, John, Der Schatten des Krieges. Französische Politik in den zwanziger Jahren (aus dem Englischen übersetzt von Detlev Mares), in: Hans Mommsen (Hg.), Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung. Sozialer Wandel und Formveränderung der Politik, Köln / Weimar / Wien 2000, S. 145–164.

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Lehrer und Didaktiker führten meist pädagogische Argumente gegen die Militärgeschichte an. Sie bezweifelten nicht, dass Kriege der wichtigste Faktor der menschlichen Entwicklung waren, sondern sie fragten sich, ob man das Fach aus erzieherischen Gründen an Schulen unterrichten dürfe.457 Der Anteil des Militärischen sank auch in den Schulbüchern, die unter dem Vichy-Regime entstanden, weiter. Das katholisch-faschistoide Lehrwerk von Faÿ / Maurel / Equy beurteilte zwar die militärische Expansion unter Ludwig positiv, reduzierte aber wie die Bücher von Audrin / Dechappe / Dechappe und von Troux / Girard die Militärgeschichte auf ein Viertel des Textes.458 In den meisten Büchern der Vierten Republik nahmen Kriege nur noch zwischen einem Fünftel und einem Drittel des Raumes ein.459 Ausnahmen bildeten lediglich die Neufassung der Histoire de France von Lavisse sowie die katholischen Bücher.460 In den pädagogischen Zeitschriften gab es kaum noch Diskussionen zu diesem Thema, so dass wohl inzwischen ein Konsens darüber bestand, dass Kriege keine so wichtige Rolle in der Darstellung einnehmen sollten. Die deutsche Entwicklung von der Militär- zur Sozial- und Kulturgeschichte verlief weniger gradlinig. Die Schulbücher, die nach dem Ersten Weltkrieg erschienen, werteten ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklungen deutlich auf. In den Kapiteln über Friedrich II. beispielsweise sank der Anteil der Militärgeschichte auf etwa ein Drittel der Darstellung.461 Diese Veränderung entsprach den 457 S. oben, Kap. 2.8. 458 Audrin / Dechappe / Dechappe, Histoire de France, 1942, S. 62–91; Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, Bd. 2, 1943, S. 31–80; Troux / Girard, Histoire de France, 1942, S. 230–271. Allein in der Neuauflage des Lavisse bleibt der Anteil des Militärischen konstant hoch: Lavisse, Histoire de France, 1943. 459 Audrin E. [ugène] / M. [arcelle] Dechappe / L. [ucien] Dechappe, Notre France. Son histoire. Cours moyen et supérieur des écoles primaires. Classes de 8e et 7e des lycées et collèges, Paris: Charles-Lavauzelle 1955, S. 138–153; Bernard, P. [aul] / F. [rantz] Redon, Nouvelle Histoire de la France et de la Civilisation française. Cours moyen, Paris: Nathan 1950, S. 103–114; Chaulanges, M. [artial] / S. [imone] Chaulanges, His­ toire de France. Cours moyen. Classes de 7e et 8e, Paris: Delagrave 1959, S. 90–105; Ozouf, R. [ené]  / L. [ouis] Leterrier, Histoire de France. Cours moyen et supérieur. Classes de 8e et 7e des lycées et collèges, Paris: Belin 1952, S. 112–127; Troux, Albert / Albert Girard, Histoire de la France. Cours moyen, Paris: Hachette 1947, S. 40–49. 460 Lavisse, Histoire de France, 1959, S. 99–120; Guillaume / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 203–219; Baron, E. [tienne], Histoire de la France. Cours moyen et supérieur et Classe de Septième, 4. Aufl., Paris: Magnard 1946, S. 210–235. 461 Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 2, 1931, S. 15–20; Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, S.  24/5; Geschichtsbilder, 1929, S.  69–72; Kahn-

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Forderungen zahlreicher Lehrer und Didaktiker, die bereits in der Vorkriegszeit die „Schlachtengeschichte“ kritisiert hatten und die „Kulturgeschichte“ aufwerten wollten.462 Nicht alle Kritiker hatten, wie der Pädagoge Konrad Brichta betonte, eine pazifistische Orientierung. Schlachten seien für ihn irrelevant, da sie nicht auf die Gegenwart wirkten, sondern nur bis zum nächsten Friedensschluss. Überflüssig seien strategische Darstellungen, wie sie die „Bierbankstrategen“ unter den Lehrern gerne ausführten.463 In diesem Sinne schrieben die preußischen Lehrplänen von 1923 vor, der Geschichtsunterricht solle die „Entwicklung des staatlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und geistigen Lebens im deutschen Volke“ darstellen und Kriege „hauptsächlich nach ihren Ursachen und Folgen […] würdigen“.464 Das NS-Regime maß dem Militärischen wieder einen höheren Stellenwert bei. Im Beispielkapitel zu Friedrich II. nahmen Kriege und Eroberungen nun wieder über die Hälfte des Platzes ein.465 Es ist naheliegend, dass dieser Trend im Weltbild

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meyer  / Schulze, Realienbuch, 1931, S.  98–110; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 2, 1928, S. 12–18; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1926, S. 11–14; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 74–78. Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 27–41, stellt eine Ausnahme dar. Die Schlesischen Kriege nehmen dort zwei Drittel des Raumes ein. Tecklenburg, August, Vom Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 90–106, hier S. 96/7; Erziehender Geschichtsunterricht, in: Der Volksschullehrer, Jg. 8 (1914), H. 20, S. 313–316; vgl. Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule, S. 111/2. Vgl. Jacobmeyer, Das deutsche Schulgeschichtsbuch 1700–1945, S. 185. Brichta, Konrad, Grundsätzliches zur Stoffauswahl im Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 11 (1921), S. 145–164; Mitteilungen vom Verbande deutscher Geschichtslehrer, in: ebd., Jg. 10 (1920), S. 43–47; Fehring, Max, Kind und Geschichte. Vier Betrachtungen zur Neuordnung des Geschichtsunterrichts, in: ebd., Jg. 12 (1922), S. 209–217; Rolle, Hermann, Erziehung zu deutscher Staatsgesinnung, in: Die deutsche Schule, Jg. 23 (1919), H. 2, S. 65–72; Witte, Erich, Reform des Geschichtsunterrichts, in: ebd., S. 362/3; Linde, Ernst, Vorfragen des Geschichtsunterrichts, in: ebd., Jg. 24 (1920), H. 9, S. 404–406. Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 27. Blume, So ward das Reich, Bd. 2, 1941, S. 15–25; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S.  50–52; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd.  2, 1934, S.  177–195; Hausmann  / Thiele  / Kroll, Sie alle bauten Deutschland, Bd.  2, 1942, S. 97–105; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 108–117; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S.  96–103; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd.  2, 1937, S.  28–41. Eine Ausnahme bildet Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1936, S. 11–14.

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der Nationalsozialisten gründete, demzufolge die gesamte menschliche Existenz „Kampf “ sei. Der bayerische Lehrplan von 1936 gab dementsprechend vor, die Schüler sollten „unsere Geschichte als einen steten auf- und abwogenden Kampf um die rassisch-völkische Erhaltung und Gestaltung germanisch-deutschen Wesens erleben“.466 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg reduzierten die Bücher dauerhaft den Anteil der Militärgeschichte zu Gunsten von sozialen, wirtschaftlichen, technischen und geistigen Entwicklungen. In den bundesrepublikanischen Geschichtsbüchern nahm das Militärische im Beispielkapitel zu Friedrich II. durchschnittlich ein Drittel des Textes ein. Alle Bücher enthielten nun Kapitel zum Alltag der einfachen Menschen in dieser Zeit.467 Die Lehrbücher der DDR hoben noch stärker wirtschaftliche und soziale Entwicklungen hervor. Die Schlesischen Kriege blieben aber weiterhin Teil der Geschichtserzählung, wenngleich die Bücher sie vor allem schilderten, um die „Eroberungskriege“ Preußens zu brandmarken.468 Der Anteil der Politikgeschichte blieb in etwa konstant, wobei sich der Schwerpunkt deutlich änderte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschränkte sich die Politikgeschichte der Schulbücher weitgehend auf die Taten der Herrscher. Im Laufe des Untersuchungszeitraumes änderte sich das Politikverständnis der Schulbücher und es rückten, wie das Kapitel zu den „Akteuren“ der Schulgeschichte zeigen wird, andere Gesellschaftsschichten in den Fokus der Schulbücher. Schulbehörden und Didaktiker verteidigten den politischen Schwerpunkt, den die Schulbücher setzten, erfolgreich gegen den Anspruch der Kulturgeschichte. Entgegen den Hoffnungen einiger Pädagogen führten die Demokratisierungen von 1918/19 und 1945/49 nicht dazu, dass die Kultur zur leitenden Betrachtungsebene der Schulgeschichte aufstieg. Der Didaktiker Erich Weniger wehrte sich 1950 gegen eine kulturgeschichtliche Wende und warnte davor, dass diese zur „Flucht aus der politischen Verantwortung“ führe, da gerade eine Demokratie politische Geschichte brauche.469 466 Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1936, S. 50. 467 Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd.  5, 1954, S.  60–90; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 27–49; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 93–101; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 2, 1956, S. 18/9 u. S. 22; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 65–85; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 3, 1960, S. 42–47. 468 Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 2, 1952, S. 301–328; Mühlstädt, Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, 7. Schuljahr, 1959, S. 1–28. 469 Weniger, Erich, Zur Frage der Richtlinien für den Geschichtsunterricht, in: GWU, Jg. 1 (1950), S. 32–36, hier S. 34.

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Das historische Geschehen

4.1.3. Die Ausgestaltung der schulischen Wirtschafts-, Kultur- und Sozialgeschichte

Der Aufstieg der Kulturgeschichte spiegelt einen Trend wider, der die Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts prägte. Die Entwicklung in den Schulbüchern ist dennoch erstaunlich, da sie die Verschiebungen in der Geschichtsschreibung schneller umgesetzt hat als die universitäre Wissenschaft. 470 Die „Historische Gesellschaft zu Berlin“ sprach sich in ihren „Richtlinien für den Geschichtsunterricht“ von 1920 gegen die Stärkung von „Kulturgeschichte und Soziologie“ in der Schule aus, da man über diese keine „verwertbaren Kenntnisse“ habe.471 Der Innovationsvorsprung der Volksschulen vor der Universität relativiert ein Stück weit die Meinung, dass Schulbücher Medien seien, die Veränderungen nur langsam aufgreifen. Akademische Vorbilder für die schulische Kulturgeschichte fehlten weitgehend. Die deutschen Volksschullehrer rezipierten die Schriften von Karl Lamprecht,472 der mit seinen kulturgeschichtlichen Fragestellungen ein Außenseiter in der deutschen Historikerzunft blieb. In Frankreich entwickelten die Historiker der Annales-Schule in dieser Zeit neue Ansätze in der Geschichtswissenschaft. In den Lehrerzeitschriften finden sich aber keine Anzeichen dafür, dass die Volksschullehrer sich mit deren Werken auseinandersetzten. Dieses Desinteresse rührt vermutlich daher, dass das französische Volksschulwesen, wie oben geschildert,473 fast keine institutionellen Berührungspunkte mit der Universität hatte. Da die Hochschulen kaum Vorbilder boten, ist es interessant zu untersuchen, wie die Volksschullehrer kulturelle, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge ausgestaltet haben. In der Regel haben die Schulbücher die Kultur-, Wirtschaftsund Sozialgeschichte mit der Erzählung der politischen Geschichte verwoben. 470 Z.B. Schleier, Epochen der deutschen Geschichtsschreibung, S. 147. 471 Richtlinien für den Geschichtsunterricht, beschlossen von einem Ausschuss der Historischen Gesellschaft zu Berlin, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg.  11 (1921), S. 190–192, hier S. 191. 472 Lamprecht ist fast der einzige Wissenschaftler, der in den Zeitschriften zur Volksschule auftaucht: Schinke, Otto, Phantasie und historische Wahrheit im Geschichtsunterricht, in: Der Volksschullehrer, Jg. 8 (1914), H. 23, S. 363–366; Lamprecht, Karl, An die Freunde der Kinderforschung, in: Allgemeine deutsche Lehrerzeitung, Jg. 57 (1905), H.  11, S.  129/30; Sturm, K. F., Karl Lamprecht. Zur Einführung in seine Deutsche Geschichte, in: Allgemeine deutsche Lehrerzeitung, Jg. 60 (1908), H. 39, S. 465–470. Vgl. Thiel, Historische Bildung in Sachsen, S. 296–299. 473 S. oben, Kap. 2.8.

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Dies war in Frankreich selbstverständlich, da die Lehrpläne den strikt chronologischen Durchgang durch die Geschichte vorschrieben. Die Bücher enthielten demzufolge für jeden Zeitabschnitt ein Unterkapitel, das sich mit der „Civilisation française“ der entsprechenden Zeit beschäftigte.474 In Deutschland entschieden die Lehrwerke sich ebenfalls für eine integrierte Darstellung. Die einzige Ausnahme bilden Ferdinand Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, deren vierter Band unter dem Titel „Durch die Jahrhunderte“ mehrere Längsschnitte zu Wirtschaft, Handel und Kultur anbot.475 Das ist insofern erstaunlich, als staatliche Vorgaben der Länder und Gemeinden beide Möglichkeiten kannten. Die bayerische Lehrordnung, die preußischen Richtlinien, der Berliner Lehrplan schrieben Längsschnitte vor, der Hannoveraner Lehrplan die integrierte Darstellung.476 Die Schulbücher haben sich in der Praxis zu Gunsten Letzterer entschieden. Es ist wenig überraschend, dass Schulbücher mit einer linken Tendenz wie die Histoire de France von Brossolette, das Geschichtsbuch von Besseige / Lyonnet, die braunschweigischen Geschichtsbücher oder die Lehrbücher der DDR der Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte mehr Raum gaben als die anderen Bücher. Die drei erstgenannten Lehrwerke waren bis zum Zweiten Weltkrieg die einzigen Bücher, die überhaupt Fragen der gesellschaftlichen Hierarchie thematisierten. Entsprechend harsch waren zumindest in Deutschland die Reaktionen auf diese Neuerung. Die braunschweigischen Geschichtsbilder, deren linke Tendenz ein heutiger Leser übersehen würde, wurden nicht nur wegen ihrer „bewusst tendenziös-sozialistisch[en]“ Ausrichtung gescholten. Problematisch, so der Rezensent der Zeitschrift Vergangenheit und Gegenwart, sei auch die „Auswahl des Stoffes“.477 Die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Inhalte der Bücher bezogen sich meist auf das konkrete Lebensumfeld der Menschen, also auf die Fragen, wie Menschen einer Zeit wohnten, arbeiteten oder sich kleideten. Die Geschichte der Frau ist ab den zwanziger Jahren ein Thema der deutschen Schulbücher, in Frankreich findet sie sich fast gar nicht. Technische Innovationen und ihre ökonomischen Auswirkungen nehmen einen wichtigen Raum ein. Meist spiegelt sich in den 474 Besonders systematisch in Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938. 475 Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 4, 1928. In den anderen Büchern folgten auf den Durchgang durch die Geschichte einige Kapitel zur Sozialkunde. 476 Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1926, S. 167/8; Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 29; Lehrplan für die Stadt Berlin, 1924, S. 35/6; Lehrplan für die Stadt Hannover, 1928, S. 36/7. 477 Unterrichtsmittel für Volksschulen, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 21 (1931), S. 236–247, hier S. 237/8.

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Darstellungen weiterhin die Dominanz der Politikgeschichte wieder. Die Kunst vergangener Zeiten sollte in den Büchern vor allem die Leistungen der eigenen Nation illustrieren. Wenn Teubners Sachkunde Albrecht Dürer als „deutsche[n] Maler“ vorstellt, geht es weniger darum, was Dürers Stil auszeichnet. Dem Buch war vor allem wichtig, dass Dürer „die deutsche Malweise wieder zu Ehren“ brachte.478 Ähnliches galt, wenn auch in geringerem Maße, für die technischen Erfindungen und die Entdeckungen. Selbst die Darstellung sozialer Nöte diente vor allem der Politikgeschichte. Deutsche Schulbücher schilderten etwa die Not der frühneuzeitlichen Bauern, um angebliche politische Missstände anzuprangern wie die Einführung des „fremden“ römischen Rechts oder den Zerfall der Zentralgewalt.479 Weltliche Bücher aus Frankreich akzentuierten das Elend der Bauern vor 1789, um das Ancien Régime zu diskreditieren.480 Aber auch wenn die Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Schulbücher nach wissenschaftlichen Maßstäben unscharf blieb, zeugt sie von der Innovationsfreude und der fachlichen Offenheit des Geschichtsunterrichts an den Volksschulen.

4.2 Die Akteure der Geschichte 4.2.1. Der Rückgang der personalisierenden Geschichtsschreibung

Es ist inzwischen ein Gemeinplatz, dass nicht nur einzelne „Männer“ Geschichte machen, wie dies einst Heinrich von Treitschke formulierte. Wissenschaft und Gesellschaft interessieren sich heute für die ganze Bandbreite historischer Akteure. Unter einem „Akteur“ wird im Folgenden jede Person, jede Gruppe und jede abstrakte Kraft verstanden, denen die untersuchten Bücher eine Rolle im Lauf der Geschichte zuschrieben. Während die Geschichtsbücher zu Beginn des Jahrhunderts vor allem einzelne Personen in den Mittelpunkt stellten, traten im Laufe des Untersuchungszeitraums zunehmend Kollektivakteure als Handlungsträger auf. Diese Tendenz ist in beiden Schulbuchgeschichten ungebrochen und unabhängig vom Wechsel der politischen Regime. 478 Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 41. 479 Z.B. Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 9, S. 21 u. S. 58; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 2, 1934, S. 138. 480 Z.B. Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S. 132/3; Besseige / Lyonnet, His­ toire de France, 1935, S. 55.

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Dieser Befund überrascht nicht unbedingt. Bemerkenswert ist aber die überragende Bedeutung, die handelnde Einzelpersonen zu Beginn des Jahrhunderts hatten. Die Schulgeschichtsschreibung des Kaiserreichs orientierte sich stark an der Genealogie der Herrscherhäuser. Die Lebenszeit der Herrscher gab den strukturellen Rahmen für die Gliederung der Schulbücher vor. Franke / Schmeils Rea­ lienbuch beispielsweise benannte neun Kapitel nach römisch-deutschen Kaisern, elf nach preußischen Fürsten und jeweils ein Kapitel nach Napoleon I. und Napoleon III. Nur zehn Kapitel hatten Überschriften, die sich an Sachgegenständen wie „Die Völkerwanderung“ oder „Vorgeschichte der Mark Brandenburg“ orientierten. Islam und Christianisierung wurden in den Kapiteln „Mohammed“ und „Bonifatius“ thematisiert. Diese Kapitel begannen in der Regel mit Jugend und Charakter der beschriebenen Person und endeten mit ihrem Tod. Sie schilderten selbst das Ableben detailliert. Franke / Schmeils Realienbuch widmete dem „Heimgang“ Wilhelms I. 22 Zeilen und berichtete, dass er noch auf dem Todesbett ein wichtiges Schriftstück unterschrieben hatte. Fast immer gab es ein eigenes Unterkapitel zur Gattin des Monarchen. Die Bücher ordneten alle Ereignisse und Entwicklungen der Biografie des Herrschers unter. Eisenbahnen und Industrialisierung in Preußen tauchten im Unterkapitel „Friedrich Wilhelms III. Sorge für sein Land“ auf. Auch Kunst und Wissenschaft schilderten die Bücher als Ergebnis fürstlicher Förderung. Das Realienbuch von Franke und Schmeil listete im Unterkapitel „Kunst und Wissenschaft“ auf, welche Gebäude Friedrich Wilhelm IV. errichten ließ, und fügte hinzu, dass der König die Fertigstellung des Kölner Doms nicht mehr erlebte. Zu „Wissenschaft und Kunst“ unter Wilhelm II. berichtet dasselbe Buch, dass der Kaiser die Technischen Hochschulen, auf denen Baumeister und Ingenieure eine „vorzügliche Ausbildung“ erhielten, den Universitäten gleichstellte. Künstler und Dichter erhielten eine „machtvolle Förderung“. Außerdem habe der Kaiser in Berlin die Siegesallee anlegen lassen. Alle anderen Errungenschaften stellt das Buch dar, ohne auf einen Akteur zu verweisen: An der Verbesserung des Bildungssystems „wird unermüdlich gearbeitet“, prachtvolle Bauwerke „schmücken“ die Reichshauptstadt. Andere prägende Gestalten der preußischen Geschichte wie Bismarck oder Moltke qualifizierte das Buch als „getreue Helfer“ des Monarchen ab.481 Die genealogische Gliederung dominierte auch die anderen Geschichtsbücher, die im Kaiserreich erschienen. Nehrings Vaterländische Geschichte und Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch waren besonders stark auf Herrscher und Einzelpersonen 481 Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. II, S. 128, S. 112/3, S. 116, S. 133 u. S. 125.

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ausgerichtet. Letzteres erklärte sogar das Aufkommen des Rittertums so, als resultiere diese epochale Veränderung aus der Entscheidung eines einzelnen Königs: Darum verordnete er [Heinrich I., d. Verf.], dass seine Vasallen mit ihren Dienstleuten von Zeit zu Zeit zu Pferde erschienen; […]. Seitdem verlor der Kriegsdienst zu Fuß allen Glanz und alle Ehre, aus dem Volksheer wurde ein Ritterheer, und aus den Kampfübungen der Reiter gingen allmählich die Turniere oder Ritterspiele hervor.482

Anekdoten aus dem Leben der Fürsten waren im Kaiserreich ein zentraler Inhalt der Geschichtsbücher. Sie sollten die fürstlichen Tugenden, meist Tapferkeit oder Wohltätigkeit, veranschaulichen, wie der folgende Auszug aus Pollacks Bildern aus der alten und vaterländischen Geschichte zeigt: Als König Friedrich Wilhelm II. sie (Königin Luise) an ihrem Geburtstage fragte, was sie sich noch wünschte, antwortete sie: „Noch eine große Hand voll Gold für die Armen!“ „Wie groß?“ forschte der König. „So groß wie das Herz des besten Königs!“ war die Antwort. Und sie erhielt, was sie wünschte, um viele Arme zu beglücken.483

Allein Weigands Merkbuch für die Deutsche Geschichte schwächte den Bezug auf die Herrscher ab. Es unterbrach die Genealogie der Preußenkönige zwischen Friedrich II. und Wilhelm I. und fasste die Zwischenzeit in den Kapiteln „Wie das deutsche Volk in Knechtschaft lebte“, „Die Freiheitskriege“ und „Einrichtungen und Erfindungen der Neuzeit“ zusammen.484 Der Übergang zur Republik in Deutschland setzte der starken Fixierung auf die Monarchen ein Ende. Die Autoren, die die Vorkriegsbücher neu bearbeiteten, strichen alle Kapitel und Abschnitte, die biografische Details zum Leben von Fürsten enthielten. Mit Ausnahme der Königin Luise verschwanden alle Herrschergattinnen aus den Schulbüchern. Dennoch personalisierten die Bücher der Weimarer Republik die Geschichte in hohem Maße. Bismarck, der in den dynastischen Erzählungen des Kaiserreichs nur ein „Helfer“ des Kaisers war, rückte zur zentralen Figur der jüngeren Geschichte auf. Er setzte allerdings lediglich um, was das „Volk“ seit Beginn des Jahrhunderts wollte. Ferdinand Hirts Tatsachen- und 482 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, Beispiel auf S. 27. Vgl. dies., Realienbuch, Braunschweig, 1918, S. XVII; vgl. Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 7. 483 Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1901, S. 80. 484 Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S. 4. Die übrigen Bücher sind in etwa genauso stark auf Herrscher ausgerichtet wie Franke / Schmeils Realienbuch: Hirts Neues Realienbuch, 1910; Nehring, Vaterländische Geschichte, 1915/16; Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918.

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Arbeitshefte führten, nachdem sie die Ergebnisse des Wiener Kongresses vorgestellt hatten, aus, „[w]ie sich das deutsche Volk zu diesen Beschlüssen stellte“. „Die Deutschen“ hätten „ein einiges Deutsches Reich“ gewollt. 1848 „erhebt“ sich nach den Tatsachen- und Arbeitsheften „das Volk“ und will „die deutsche Reichsfrage lösen“. Zur Reichsgründung bemerkt das Lehrwerk zumindest, dass „man in Nordund Süddeutschland einmütig der Meinung [war], dass die schönste Frucht des gemeinsamen Ringens die Gründung des Deutschen Reiches sein müsse“. Bismarck kam in dem Buch die Rolle als „Schmied des Deutschen Reiches“ zu, der den angeblichen Wunsch aller Deutschen realisierte.485 Die Lehrwerke entfernten Monarchen wie Friedrich I., die nicht zum ethnischen Nationalismus der zwanziger Jahre passten. Stattdessen werteten sie Figuren wie Armin, Widukind, Heinrich den Löwen und Wallenstein auf. Allerdings schrieben die Bücher diesen Akteuren die Aufgabe zu, den Willen des Volkes zu erkennen und umzusetzen. Die Bücher erzählten auch Sozial- und Kulturgeschichte biografisch und stilisierten Dürer, Liszt oder Krupp zu deren „Helden“.486 Die Personalisierung schien den Büchern so wichtig zu sein, dass sie fiktive Figuren erfanden, wenn die Quellen keine Personen nannten.487 Eine Ausnahme bildeten lediglich die sozialdemokratischen braunschweigischen Geschichtsbilder, die konsequent kollektive Akteure zu Handlungsträgern machten. 485 Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 3, 1928, S. 3/4, S. 5/6, S. 22 u. S. 10; vgl. Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 3, 1931, S. 1, S. 9 u. S. 15; Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 33; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1931, S.  133 u. S.  146; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1928, S. 1/2 u. S. 22–24; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 98, S. 99 u. S. 101. In Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1926, S. 25–31 hatte das Volk keinen Anteil an der Einigung. Zum Bismarck-Bild der Weimarer Republik vgl. Hardtwig, Wolfgang, Der Bismarck-Mythos. Gestalt und Funktionen zwischen politischer Öffentlichkeit und Wissenschaft, in: ders. (Hg.), Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918–1939, Göttingen 2005, S. 61–90. 486 Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 4, S. 11/2, S. 23/4 u. S. 41, Bd. 2, 1931, S. 1–4, Bd. 3, 1931, S. 4/5, S. 9–16 u. S. 16/17; Geschichtsbilder, 1929, S. 69–72; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1931, S. 151/2; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 11–13, S. 21/2 u. S. 38/9, Bd. 2, 1929, S. 4–6, Bd. 3, 1928, S. 4–6, S. 11–24 u. S. 42–45; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 1, 1928, S. 6, S. 15, S. 26 u. S. 34, Bd. 2, 1928, S. 4, Bd. 3, 1928, S. 8 u. S. 10–29: Man beachte hier besonders die Hinweise auf die Lektüren; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1926, S. 23/4; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 9–11, S. 28–30, S. 45, S. 59/60, S. 100–116. 487 Vgl. unten, Kap. 3.4.3.

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Anders als der Führergedanke vermuten ließ, schwächten die nationalsozialistischen Schulbücher die Bedeutung handelnder Individuen. Zwar stellte beispielsweise das Buch Sie alle bauten Deutschland seine Darstellung unter das Motto „Männer machen Geschichte“. Der Text hingegen erweckte den Eindruck, all die dargestellten „Männer“ seien nur Statisten im sich stets wiederholenden Kampf der Deutschen um ihre „Freiheit“ gewesen, die keinen originellen Beitrag zum Verlauf der Geschichte leisteten.488 Die Akteure, die in den NS-Erzählungen im Vordergrund standen, trugen die Handlung nur scheinbar. Tatsächlich verkörperten selbst zentrale Figuren wie Heinrich der Löwe oder Luther lediglich mythische Typen wie den „Eroberer“ oder den „Retter“ und gewannen kein eigenes Profil.489 Entscheidend waren Kräfte, die im Hintergrund walteten, wie metaphysische Instanzen, Strukturen oder Gesetze. Der Bedeutungsverlust der Individuen ist eine Facette einer weitergehenden Konjunktur mythischen Erzählens, die unten dargestellt wird.490 Während die Geschichtsbücher der DDR individuelle zu Gunsten von kollektiven Akteuren zurücksetzten, verwendeten die Bücher der frühen Bundesrepu­blik individuelle und kollektive Akteure. Allein die Darstellung des NS-Regimes war in den westdeutschen Lehrwerken stark personalisiert. Überschriften wie „Diktatoren stürzen die Welt ins Unglück“, „Adolf Hitler vereinigt die Deutschen im ‚Dritten Reich‘“, „Eigenmächtig und selbstherrlich zerreißt Hitler die letzten Fesseln des Versailler Vertrags“ oder „Hitlers Maßlosigkeit entfesselte den zweiten [sic!] Weltkrieg“ machten Hitler zum alleinigen Urheber der Entwicklungen.491 Diese Personalisierung entsprang allerdings weniger einer didaktischen Vorliebe für handelnde Individuen, sondern sie relativierte die Schuld von Millionen Tätern, Mitläufern und passiven Bürgern. 488 Hausmann / Thiele / Kroll, Sie alle bauten Deutschland, 1942. 489 Diese Tendenz ist besonders ausgeprägt in: ebd.; Blume, So ward das Reich, 1941; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, 1934. Sie ist weniger deutlich in: Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, 1934; Kamps Neues Realienbuch, 1938; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938. Sie fehlt in Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  1, 1940 u. Bd.  2, 1936. 490 S. unten, Kap. 5.2.6. 491 Beispiele aus Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 4, 1960, S. 37–50. Vgl. Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 9, 1953, S. 84–128; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 139– 147; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S.  162–169; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 3, 1957, S. 48–51; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 4, 1954, S. 95– 112.

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Im republikanischen Frankreich waren die Bücher der Vorkriegszeit nicht ganz so stark auf Herrscher ausgerichtet wie die Bücher des Kaiserreiches. Nur selten finden sich Abschnitte zur Jugend, zur Gattin oder zum Tod eines Herrschers. Die Lehrwerke schrieben Leistungen in Kunst und Wissenschaft nicht unbedingt den Herrschern zu. Aber selbst die links-republikanische Histoire de France von Rogié und Despiques räumte ein, dass man zu Recht vom „Jahrhundert Ludwigs XIV.“ („siècle de Louis XIV“) spreche, da dieser die Künste gefördert habe. Auch die französischen Bücher gliederten die Zeit vor 1789 streng genealogisch. Erst bei der Darstellung des 19. Jahrhunderts änderte sich die Gliederung. Es ist kein Zufall, dass das genealogische Prinzip allein in der katholisch-konservativen Histoire de France von Segond über 1789 hinausreichte. Das Lehrwerk gliederte auch die Dritte Republik nach deren Präsidenten, obwohl diese im Verhältnis zu Premierministern und Parlament kaum politischen Einfluss hatten.492 Dies zeigt vielmehr, dass das Lehrwerk an der monarchischen Struktur grundsätzlich festhielt. Wenn französische Bücher die Rolle der Monarchen im Laufe des Untersuchungszeitraumes zurückdrängten, heißt dies keinesfalls, dass sie auf eine Personalisierung verzichteten. Stattdessen werteten sie andere Akteure, etwa Minister, Generäle und Erfinder, auf. Die republikanisch-nationalistische Histoire de France von Lavisse stellte einen arbeitsamen, rechtschaffenen Colbert einem eitlen, verschwendungssüchtigen Ludwig XIV. gegenüber.493 Die links-republikanische Histoire de France von Brossolette ging noch weiter. Sie stellte die „Blütezeit der absoluten Monarchie“ („L’apogée la monarchie absolue“) in vier Unterkapiteln dar, von denen das erste „Colbert, der Organisator der nationalen Arbeit“ („Colbert organisateur du travail national“) hieß, während die anderen den „Kriegen“ („guerres“) und dem „Despotismus“ („despotisme“) Ludwigs XIV. bzw. Künsten und Wissenschaften in seiner Regierungszeit gewidmet waren. Dadurch ordnete das Buch die positiven Entwicklungen dem Minister zu und machte den Monarchen für negative Aspekte verantwortlich.494 Einige französische Schulbücher erklärten komplexe Zusammenhänge, indem sie diese auf Charakter und Leidenschaften einzelner Personen zurückführten. Die Histoire de France von Lavisse menschelte besonders stark. Isabeau von Bayern, der Bischof von Beauvais, der 492 Augé / Petit, Histoire de France, 1913; Blanchet, Histoire de France, 1913; Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916; Lavisse, Histoire de France, 1919; Réunion, His­toire de France, 1908; Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, Beispiele auf S. 113/4 u. S. 277; Segond, Histoire de France, 1910, Beispiel auf S. 358–371. 493 Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 99–105. 494 Brossolette, Histoire de France, 1937, S. 79–97.

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Jeanne d’Arc verurteilt hatte, und Ludwig XI. galten als „böse“ („méchant“), Colbert war „traurig“ („triste“) über den Zustand der Finanzen und Louvois war „eifersüchtig“ („jaloux“) auf Colbert.495 Insgesamt veränderte sich die Rolle, die Einzelpersonen in den französischen Schulbüchern spielten, im Untersuchungszeitraum wenig. In den sozial- und kulturgeschichtlichen Abschnitten, die zunehmend Raum einnahmen, spielten Individuen kaum eine Rolle. Die monarchische Staatsform ist mit Sicherheit der Hauptgrund, weswegen Einzelakteure und vor allem Herrscher eine so herausragende Rolle in den Büchern des Kaiserreiches spielten.496 Die meisten Lehrpläne schrieben ausdrücklich vor, dass die herrschende Dynastie im Mittelpunkt des Geschichtsunterrichts stehen sollte.497 Den Volksschullehrern dieser Zeit war bewusst, dass die Herrschergeschichte, die sie unterrichteten, die Monarchie festigen sollte. Dies stieß in der überwiegend linksliberal eingestellten Lehrerschaft auf Protest. Die Zeitschrift Der Volksschullehrer warf dem zeitgenössischen Geschichtsunterricht 1914 vor, die Fürsten und ihre Vorfahren in einer Art darzustellen, „dass sie über das Menschliche und Wirkliche hinausgehoben erscheinen, als eine Art höherer Macht, die nur Erhabenes und Großes zeigt und vollbringt“. „Die Nation, das ‚Volk‘“ sei in dieser Geschichtserzählung „weniger als der Kometenschweif für seinen Kern“.498 Die monarchische Ausrichtung des Geschichtsunterrichts war nicht allein dafür verantwortlich, dass die Schulbücher die Geschichtserzählung so stark personalisierten. Schließlich hat die Personalisierung der Geschichte das Ende der Monarchien in Frankreich und Deutschland um Jahrzehnte überlebt. Auch Pädagogen, die der monarchischen Erzählung kritisch gegenüberstanden, räumten Einzelpersonen eine zentrale Stellung in den Geschichtserzählungen ein. Dies mag einerseits 495 Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 48/9, S. 53, S. 54, S. 102 u. S. 104. 496 Ähnlich war die Situation in dieser Zeit an englischen Schulen: Quesel, Carsten, Pä­ dagogik und politische Kultur in England 1870–1945, Bern u.a. 2005, v.a. S. 488–494. 497 Allgemeine Bestimmungen, 1872, S. 596; Schul- und Lehrordnung für die Volksschulen des Königlichen Bayerischen Regierungsbezirkes Oberbayern (mit Ausnahme der Königlichen Haupt- und Residenzstadt München). Amtliche Ausgabe, München 1890, u.a. S. 84; Minimal-Lehrplan des Herzogtums Braunschweig, 1899, S. 94. 498 Erziehender Geschichtsunterricht, in: Der Volksschullehrer, Jg.  8 (1914), H.  20, S. 313–316, hier S. 313; vgl. Tecklenburg, August, Vom Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 90–106, hier S. 91; Weigand, Heinrich / August Tecklenburg, Der Geschichts-Unterricht nach den Forderungen der Gegenwart. Ein methodisches Handbuch im Anschlusse an die Deutsche Geschichte von H. Weigand und A. Tecklenburg, 3. u. verb. Aufl., Berlin / Hannover 1906, Bd. 1, S. 42.

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daran liegen, dass sie gemäß Treitschkes Devise „Männer machen Geschichte“ glaubten, dass Individuen und ihre Entscheidungen die wichtigsten Triebkräfte der Geschichte waren. Andererseits favorisierten viele Lehrer und Didaktiker aus pädagogischen Gründen eine personalisierte Geschichtserzählung. Sie glaubten, historische Persönlichkeiten, ihr Leben und ihre Charaktereigenschaften seien Schülern leichter zu vermitteln als abstrakte Zusammenhänge. Ernst Linde war zwar der Meinung, dass weder der rein „kollektivistische“ noch der rein „individualistische“ Ansatz der Materie gerecht werde. Den Schülern zuliebe müsse die Schulgeschichtsschreibung aber auf jeden Fall personalisieren: Doch wird auch hier das Streben nach Kindertümlichkeit immer wieder zur Bevorzugung der Schicksale und Handlungen einzelner, zur biografischen Methode im weitesten Sinne führen. So wenig wie ein Drama kann auch der Geschichtsunterricht für Kinder „Helden“ entbehren.499

Diese Motivation der Personalisierung hat auch den Übergang in die Republik unbeschadet überdauert, sie wurde von dem reformpädagogischen Bemühen um „Kindertümlichkeit“ noch weiter genährt. 4.2.2. Das Auftreten von Kollektivakteuren

Kollektivakteure500 spielten in monarchisch orientierten Büchern kaum eine Rolle. Die Geschichtsbücher des Kaiserreiches, die Weimarer Ausgaben von Kahnmeyer / 499 Linde, Ernst, Vorfragen des Geschichtsunterrichts, in: Die deutsche Schule, Jg.  24 (1920), H. 9, S. 404–406, hier S. 404. Die französischen Pädagogen formulierten dies ähnlich, aber zurückhaltender: F., Ce que doit être l’enseignement de l’histoire pour les enfants de 5 à 7 ans, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 67 (1900), H. 19, 12.5.1900, S. 295/6; Vilquin, A., La méthode progressive et l’enseignement de l’Histoire, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 91 (1924), H. 44, 26.7.1924, S. 1039/40; Programmes officiels des Écoles primaires élémentaires, 1911, S. 20. 500 Unter Kollektivakteuren sollen im Folgenden Gruppen von Menschen verstanden werden, denen die Schulbücher gemeinsame Gedanken, Aussagen oder Handlungen zuschrieben. Kollektivsingulare wie „der Deutsche“, „der Bauer“ oder „der Franzose“, die Kollektivakteure im Singular darstellen, stärken den Eindruck, diese Gruppen seien homogen und geschlossen. Anthropomorphisierungen von politisch-territorialen Einheiten wie „Deutschland“ oder „Europa“ gelten hier als Kollektivsingulare, sofern die Bezeichnung sich auf die Gesamtheit der Bewohner bezieht wie im Satz „Deutschland litt unter den Qualen des Krieges“. Beschreiben die Bücher hingegen das Handeln staatlicher Einrichtungen wie im Satz „Deutschland erklärte Frankreich

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Schulzes und Nehrings Lehrwerken sowie die frühen katholischen Lehrwerke aus Frankreich vermieden Kollektivakteure selbst, wenn sie Ereignisse wie die Französische Revolution schilderten, zu denen größere Menschenmengen zweifelsohne etwas beigetragen haben. Nach der Darstellung von Kahnmeyer / Schulzes Rea­ lienbuch „kam die Revolution zum Ausbruch“, „war die Aufregung fürchterlich“, „brach der Aufruhr offen hervor“ und „wurde der Aufruhr immer größer“. Gruppen von Menschen traten allein im Satz „Bewaffnete Pöbelhaufen durchzogen Paris“ auf.501 Im Gegensatz zu den weltlichen Geschichtsbüchern schilderte die katholische Histoire de France von Segond die revolutionären Ereignisse von 1789, ohne „Volk“ („peuple“) oder „Nation“ („nation“) zu erwähnen. Das Buch bezeichnete revolutionäre Menschenmassen als „Pöbel“ („populace“), der von „Rädelsführern“ („meneurs“) aufgehetzt worden sei, oder als „Krawallmacher“ („émeutiers“). An anderen Stellen verwendete das Buch durchaus den Ausdruck „Volk“, etwa wenn die Rede davon war, dass dieses einen neuen Minister oder König „mit Freude empfing“ („accueilli avec joie“). Insgesamt spielten Kollektivakteure hier eine geringere Rolle als in den weltlichen Büchern, oft traten sie lediglich im Passiv auf wie im Satz: « Le peuple avait souffert et tremblé sous la terreur. »502 Kollektivakteure waren typisch für alle Schulbücher, für die das „Volk“ die Legitimationsquelle politischen Handelns war. Sie schrieben diesem gemeinsame Gedanken und Taten zu. Gemäß Aymards Histoire de France wollten „die Franzosen“ („les Français“) des 18. Jahrhunderts freier und untereinander gleicher sein sowie besser verwaltet werden. „Das Land“ („le pays“) sei am Ende der Revolution „müde und überdrüssig“ („las et dégoûté“) gewesen, „Frankreich“ („la France“) habe den Ersten Konsul „geliebt und bewundert“ („aimait et admirait“).503 den Krieg“, gelten Ausdrücke wie „Deutschland“ oder „Europa“ als Metonyme für die jeweiligen Regierungen und nicht als Verkörperung von Kollektiven. 501 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 107; vgl. Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 95; Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 98; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, Braunschweig, 1918, S. 61/2; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1916, S. 32; Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 81; Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S.  18/9; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1926, S. 14; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1931, S. 115–118. Eine Ausnahme bildet Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S. 44– 46. 502 „Das Volk hatte unter dem Terror gelitten und gezittert.“ Segond, Histoire de France, 1910, S. 236–268 u. S. 282. Vgl. Réunion, Histoire de France, 1908, S. 187–212; Segond, Histoire de France, 1927, S. 251–276. 503 Aymard, Histoire de France, 1927, S. 64, S. 90 u. S. 102.

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Allerdings waren diese Bücher keineswegs alle republikanisch oder demokratisch ausgerichtet. Auch radikalnationalistische Bücher, die autoritäre Formen von Herrschaft favorisierten, verwendeten vorwiegend Kollektivakteure. Die Fronten verliefen nicht zwischen „rechten“ und „linken“, zwischen „reaktionären“ und „progressiven“, sondern zwischen monarchisch orientierten Büchern und Lehrwerken, die eine wie auch immer geartete Herrschaft des „Volkes“ propagierten. Diese heterogene Gruppe umfasste für Frankreich die weltlichen Bücher und die jüngeren katholischen Lehrwerke, unter anderem die proto-faschistische Histoire de France von Faÿ / Maurel / Equy. In der Zeit der Weimarer Republik finden sich Kollektivakteure in den sozialdemokratisch inspirierten Geschichtsbildern, den gemäßigt-republikanischen Lehrwerken wie Hirts Tatsachen- und Arbeitsheften und Teubners Sachkunde für Volksschulen, aber auch in Werken wie Schaffensfreude oder Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, deren Republikanismus bereits völkische Akzente setzte. Kollektivakteure waren außerdem stark in den nationalsozialistischen Lehrwerken, in den beiden Ausgaben des Lehrbuches für den Geschichtsunterricht der DDR und in den Geschichtsbüchern der Bundesrepublik vertreten. Diese Bücher passten ihre inhaltlichen Schwerpunkte an und rückten Themen wie Aufstandsbewegungen im Mittelalter, Ostkolonisation, Bauernkrieg oder „Befreiungskriege“ in den Mittelpunkt. Diese Themen eigneten sich gut, um den Anteil des „Volkes“ an der deutschen Geschichte zu verdeutlichen. Linke Schulbücher verwendeten häufig Kollektivakteure. Die Histoire de France von Brossolette machte bereits für die Zeit der Karolinger Angaben über den Willen des „Volkes“. Zudem schrieb das Werk den Fortschritt der Kultur nicht nur einzelnen Personen, sondern den „Völkern“ zu. Über die Zeit von 1598 bis 1681 schrieb das Buch beispielsweise: « Malgré tant de malheurs, les peuples n’interrompent pas leur effort de civilisation. » In den napoleonischen Kriegen treten auch andere europäische Völker auf: « Les peuples […] allaient prendre leur revanche sur Napoléon, et malheureusement aussi sur la France ».504 Kennzeichnend für die dezidiert linken Bücher ist, dass sie nicht nur das Volk in seiner Gesamtheit, sondern häufig soziale Schichten oder Berufsgruppen wie „die Bürger“ oder „die Bauern“ als Kollektivakteure auftreten ließen. Während die meisten Geschichtsbücher die spezifischen Interessen verschiedener Gruppen innerhalb des Volkes ausblendeten, machten die braunschweigischen Geschichtsbilder und die Histoire 504 „Trotz vieler Unglücksfälle unterbrachen die Völker nicht ihre kulturelle Anstrengung.“ und „Die Völker nahmen Rache an Napoleon und unglücklicherweise auch an Frankreich.“ Brossolette, Histoire de France, 1937, S. 11, S. 77 u. S. 202.

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de France von Brossolette soziale Schichten zu denkenden und handelnden Akteuren. Die Geschichtsbücher der DDR kollektivierten die Erzählung stark. Handelnde Akteure waren Klassen. Während der Ostkolonisation verdrängten demzufolge nicht deutsche Siedler die slawischen Bewohner Mittelosteuropas, sondern „deutsche Feudalherren“ kämpften gegen „slawische Bauern“. Die DDR-Bücher konstruierten eine jahrhundertelange Kontinuität deutscher „Eroberungszüge“ in Richtung Osten. Die Verantwortung für diese Aggressionen trugen in der Logik der Schulbücher nicht „die Deutschen“, sondern lediglich die deutschen, preußischen und österreichischen „Feudalherren“.505 Je nationalistischer die Bücher waren, d.h., je mehr sie die Nation über alle anderen kollektiven Identitäten stellten, desto stärker anthropomorphisierten sie die Kollektivakteure „Volk“ und „Nation“ und visualisierten ihre Körperlichkeit. Sie betrachteten die Nation nicht mehr als Verband einzelner Personen, sondern als homogene und geschlossene Einheit. Lavisse’ Histoire de France stellte Frankreich als Körper dar, der wie ein menschliches Wesen erkrankt, genest und sogar stirbt. Während der Religionskriege sei das Land „in Lebensgefahr“ („en danger de mort“) gewesen, dank der Politik Heinrichs IV. sei es wieder genesen: « La France se guérissait des maux qu’elle avait soufferts pendant les guerres. »506 Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend gibt dem deutschen Volk nicht nur ein „Herz“ und eine „Seele“, sondern stellt seine Körperlichkeit plastisch dar: „Das deutsche Volk reckte sich im Vollbesitz seiner Kraft.“507 Die nationalsozialistischen Bücher anthropomorphisierten die Nation bzw. das Volk besonders drastisch. Im bayerischen Merkbuch für die deutsche Geschichte ist das deutsche Volk beim Ausgang des Dreißigjährigen Krieges „ausgeblutet“, sein Blut wurde „ausgerottet“, Deutschland ist „todwund“, Pest und Hunger „fraßen am deutschen Volkskörper“. Die Blutmetapher verwendete das Buch konsequent. Bei allen Kriegsdarstellungen wies das Buch auf das „vergossene“ deutsche oder nordische Blut hin. Die Niederlage der Kimbern und Teutonen wurde zum „ersten großen Blutopfer der germanischen Rasse“ erklärt. In der Völkerwanderung und in den Kreuzzügen sei das „deutsche Blut“ zum „Kulturdünger“ für „fremde Erde“ geworden. Die Entdeckungen der Frühen Neuzeit sprächen schließlich für die 505 Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 2, 1952, S. 72–77; Mühlstädt, Bauern, Bürger und Feudalherren, 1959, S. 54–57. 506 „Frankreich kurierte die Übel aus, die es während der Kriege erlitten hatte.“ Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 81 u. S. 87. 507 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 12 u. S. 42, Bd. 3, 1928, S. 24.

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„schöpferische Kraft des deutschen Blutes“. Um den Eindruck zu verstärken, dass ethnische Kollektive geschlossene Einheiten sind, verwendete das Buch wie andere nationalsozialistische Lehrwerke bevorzugt Kollektivsingulare wie „der nordische Mensch“, „der Bauer“ oder „der Jude“.508 Die weltlichen Bücher aus Frankreich machten nicht nur das Volk, sondern auch die „Republik“ selbst zu einem Akteur der Geschichte. Alle politischen Maßnahmen und Projekte, die nach 1870 unternommen wurden, schrieben die Bücher nicht mehr einzelnen Politikern oder deren Parteien zu, sondern der „Republik“ selbst. Rogié / Despiques’ Histoire de France führte unter der Überschrift „Das Werk der Dritten Republik“ („L’œuvre de la Troisième République“) aus, die „Republik“ habe die Schulden des Empire zurückgezahlt, die Armee gestärkt, das Bildungssystem ausgebaut, die Rechte der Arbeiter geschützt und Frankreich wieder in den Kreis der Mächte zurückgeführt. Die „Republik“ wird zu einem Kollektivakteur, der nicht nur handelt, sondern auch denkt: La République n’a pu encore réduire, autant qu’elle l’aurait voulu, le chiffre des contributions indirectes, qui atteignent surtout les pauvres. Elle cherche à rendre plus équitable la répartition des impôts : elle songe à demander davantage aux classes possédantes et moins aux déshérités de la fortune.509

Einige Bücher verbanden zumindest einige Projekte mit bestimmten Politikern oder Regierungen, aber alle Bücher blendeten innere Konflikte, Krisen und Skandale zu Gunsten einer positiven globalen Bilanz der Dritten Republik aus. Die Auseinandersetzung zwischen Laizisten und gläubigen Katholiken, die 1905 in die Trennung von Staat und Kirche mündete, taucht nur in wenigen Büchern auf. 508 Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, S. 45, S. 32, S. 19, S. 31, S. 40, S. 42 u. S. 73. Im Folgenden wird jeweils ein Beispiel für eine besonders drastische Anthropomorphisierung, für eine Blutmetapher und für einen Kollektivsingular angeführt: Blume, So ward das Reich, Bd. 2, 1941, S. 108, Bd. 1, 1941, S. 47 u. Bd. 2, 1941, S. 48; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 31, S. 67 u. S. 26; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 194, S. 66 u. S. 195; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 92, S. 162 u. S. 98; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 18 u. S. 53; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1940, S. 28 (Beispiele für Antropomorphisierungen und Kollektivsingulare finden sich in diesem Werk nicht). 509 „Die Republik konnte die Summe der indirekten Abgaben, die vor allem die Armen treffen, noch nicht so stark senken, wie sie es gewollt hätte. Sie versucht, die Steuerlast gleichmäßiger zu verteilen: Sie denkt darüber nach, mehr von den besitzenden Klassen zu fordern und weniger von den Besitzlosen.“ Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S. 257.

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Das historische Geschehen

Diese Darstellung hielt sich in Grundzügen bis in die fünfziger Jahre. Ein differenzierteres und zugleich negativeres Bild der Dritten Republik zeichneten lediglich die katholischen Lehrwerke von Segond und von der „Réunion de professeurs“ sowie die katholisch-faschistoide Histoire de France von Faÿ / Equy / Maurel und die Ausgabe der weltlichen Histoire de France von Bernard / Redon aus der Dritten Republik.510 Die zeitgenössischen Pädagogen begründeten die Verwendung von Kollektivakteuren damit, dass man die monarchisch geprägten Geschichtsbücher demokratisieren müsse. Die Zeitschrift Der Volksschullehrer schrieb: In unseren Zeiten ist das Volk, die Nation, nicht mehr eine passive Masse, nicht mehr ein Objekt für Kauf, Tausch oder blindes Werkzeug in der Hand des einen, der seine Geschicke lenkt. Darum kann auch ein Geschichtsunterricht, der in der lange Zeit beliebten und anerkannten Weise die „großen Persönlichkeiten“ und ihre Taten zum alles beherrschenden Mittelpunkt macht […] unserer Zeit nicht mehr genügen.511

Bürgerliche und konservative Kreise hielten im Gegenzug die Kollektivakteure für den Ausdruck eines dezidiert linken Geschichtsbildes. Ernst Linde beschrieb zwei Lager, die um die Zukunft des Geschichtsunterrichts stritten. Auf der einen Seite gäbe es eine „personalisistische“, auf der anderen eine „kollektivistische“ Geschichtsauffassung. Letztere setzte der Pädagoge mit einer sozialistischen Einstellung gleich. In der Tat stellten linke und weltliche Schulbücher oft Kollektivakteure in den Mittelpunkt ihrer Erzählungen. Linde übersah allerdings, dass Kollektivakteure auch in nationalistisch gefärbten Geschichtserzählungen eine zentrale Rolle spielten, die ansonsten keine linken Positionen ausdrückten. Vermutlich stellten Handlungsträger wie „die Deutschen“ oder „das Volk“ für den Pädagogen keine kon­ struierten Kollektive dar, sondern selbstverständliche Akteure der Geschichte.512 510 Réunion, Histoire de France, 1908, S. 283–309; Segond, Histoire de France, 1910, S. 358–371; Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938, S. 277–292; Segond, His­ toire de France, 1927, S. 358–367; Faÿ / Equy / Maurel, Histoire de France, Bd. 2, 1943, S. 247–264. 511 Erziehender Geschichtsunterricht, in: Der Volksschullehrer, Jg.  8 (1914), H.  20, S. 313–316, hier S. 313. Vgl. Mobois, L’histoire à l’école primaire, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 50 (1905/06), S. 102/3; Poilane, E., L’histoire à l’école primaire, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 91 (1923/24), H. 23, 1.3.1924, S. 525/6; L’histoire à l’école primaire, in: ebd., H. 36, 31.5.1924, S. 853/4. 512 Linde, Ernst, Vorfragen des Geschichtsunterrichts, in: ebd., Jg.  24 (1920), H.  9, S. 404–406, hier S. 404.

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Die Zunahme von Kollektivakteuren ist daher, anders als Linde glaubte, ein vielschichtiger Prozess. Sicherlich ist sie Teil einer Demokratisierung der Geschichtsbücher. Handlungssubjekt der Geschichte waren nicht mehr einige wenige, sondern die Masse der Menschen. Die Art, in der die Bücher Kollektivakteure darstellten, transportierte aber nicht unbedingt demokratische Werte. Da die Bücher diesen Kollektiven häufig gemeinsame Gefühle und einen einheitlichen Willen zuschrieben, tendierten Bücher mit vielen Kollektivakteuren dazu, innere Konflikte innerhalb eines Landes oder einer Schicht zu verdecken oder die Ansicht eines bestimmten Lagers mit der allgemeinen Meinung gleichzusetzen. Wenn die links-republikanische Histoire de France von Brossolette schreibt „ganz Frankreich“ („toute la France“) habe sich über die Auflösung der reaktionären Kammer von 1815 gefreut, schließt das Lehrwerk all diejenigen aus der Nation aus, die dieses Parlament gewählt und unterstützt haben.513 Auf diese Weise verkürzten die Bücher differenzierte Meinungsbildungsprozesse stark. In noch viel höherem Maße gilt dies für die stark antropomorphisierenden nationalistischen und nationalsozialistischen Darstellungen. Die Einführung kollektiver Akteure hatte damit neben ihrer emanzipatorischen Wirkung zweifellos eine anti-pluralistische Stoßrichtung. 4.2.3. Die Konjunktur außerweltlicher Akteure

Die Geschichtswissenschaft der Aufklärung und des 19. Jahrhunderts hat die Art und Weise rationalisiert, mit der Menschen die Vergangenheit erklärten. Während vormoderne Formen der Sinnbildung die Kontingenz vergangenen Geschehens auflösten, indem sie auf göttliche Kräfte verwiesen, erklärte die Geschichtswissenschaft die Vergangenheit über innerweltliche kausale Beziehungen. Damit hat sie entscheidend zur „Entzauberung“ der Welt beigetragen. Aus den deutschen Geschichtsbüchern verschwanden religiöse Erklärungsmuster erst gegen Anfang des 20. Jahrhunderts. Letzte Reste finden sich noch im Korpus. Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch etwa schrieb 1904 über Napoleons Aufstieg: „Bald trat an die Spitze der Republik ein Mann, in dessen Hand Gott seine eiserne Zuchtrute legte. “ Dieser Eingriff Gottes verschwand in der Weimarer Ausgabe des Buches.514 Die weltlichen französischen Volksschulbücher stellten keine religiösen oder anderen außerweltlichen Bezüge her. Anders sah es in den katholischen Geschichtsbüchern aus. Das Lehrwerk der Réunion de professeurs eröffnete seine Erzählung 513 Brossolette, Histoire de France, 1937, S. 212. 514 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 107; dies., Realienbuch, 1931, S. 118.

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mit der Feststellung, das Klima, die Grenzen und die Lage Galliens zeugten von einer besonderen Aufmerksamkeit der „Vorsehung“ („Providence“). Sie schienen das Land dazu zu bestimmen, der Wohnsitz eines großen Volkes zu werden. Auch in der Histoire de France von Guillemain / Le Ster wirkten göttliche Kräfte auf die französische Geschichte ein. Die Wendung im Hundertjährigen Krieg sei nicht nur Gottes Hilfe zu verdanken, sie sei auch eine Botschaft an die Franzosen gewesen: « Or c’était le moment marqué par Dieu pour nous sauver; et, pour nous montrer que notre délivrance était bien son œuvre. » Der Sieg im Krieg sei Gottes Mitleid („pitié“) zu verdanken. Als „Wunder“ („miracle“) galt dem Buch nicht nur die Wendung im Hundertjährigen Krieg, sondern auch der Sieg an der Marne und das Kinderbild, das Widukind auf einer Hostie erschien.515 Von diesem katholischen Buch abgesehen erscheint die Vergangenheit in den französischen Geschichtsbüchern als ein Geschehen, das man rational erklären kann. Dieser religiöse Typ außerweltlicher Erklärungsmuster, der Gott zum Akteur der Geschichte macht, lässt sich dadurch erklären, dass in den deutschen Volksschulen des Kaiserreiches und in den katholischen Volksschulen in Frankreich alle Fächer zur religiösen Erziehung beitragen sollten. Der Minimal-Lehrplan für die Volksschulen des Herzogtums Braunschweig machte es gar zu einer der Hauptaufgaben des Geschichtsunterrichts, „das Walten Gottes in der Geschichte nach[zu] weisen“.516 Ähnliche Gedanken haben die Pädagogen im katholischen Schulwesen in Frankreich bewegt. So ist die Erkenntnis, dass „wir Gott auf allen Seiten der Geschichte sehen können“ („nous voyons Dieu dans toutes les pages de l’histoire“) für Graff ein Grund, das Fach Geschichte an Volksschulen zu unterrichten.517 In der Weimarer Republik verschwanden derartige Verweise auf das göttliche Wirken aus den deutschen Geschichtsbüchern. Umso erstaunlicher ist es, dass nun neue, nicht-religiöse außerweltliche Akteure auftauchten. Vorreiter dieser Entwicklung war Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, das dem historischen Geschehen eine heilsgeschichtliche Dimension zuschrieb. Bereits im 17. Jahrhundert habe das „Schicksal“ Brandenburg-Preußen zum „Hüter der Ost- und Westgrenze des Reiches“ gemacht. 1866 sei dann die „Zeit der Erfüllung“ gekom515 „Dies war nun aber der Zeitpunkt, den Gott bestimmt hatte, um uns zu retten; und um uns zu zeigen, dass unsere Befreiung tatsächlich sein Werk war.“ Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S.  144, S.  138, S.  353 u. S.  90. Vgl. Garcia  / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S. 116. 516 Minimal-Lehrplan des Herzogtums Braunschweig, 1899, S. 93. 517 Graff, Nécessité de l’enseignement de l’histoire, in: Bulletin de la société générale, Jg. 56 (1925), H. 7, S. 611–621, hier S. 620.

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men. Auch „Glück“ und „Wunder“ beeinflussen in Kumstellers Geschichtsbuch mehrmals den Lauf der Geschichte.518 Während das Weimarer Geschichtsbuch diesen heilsgeschichtlichen Plan lediglich andeutete, avancierte er in einigen nationalsozialistischen Büchern zum zentralen Faktor der Geschichtserzählung.519 Blumes So ward das Reich deutete die gesamte Weltgeschichte als einen vom Schicksal gewollten Aufstieg Deutschlands zur führenden Macht. Alles, was dieser Entwicklung entgegenstand, begriff das Buch als Verstoß gegen einen höheren Plan. Widukind galt dem Buch zwar als Kämpfer für altgermanische Freiheiten. Er habe sich aber dem „Schicksal“ beugen müssen, da Karl der Große die „Einigung aller Germanen des Festlandes“ realisiert und damit die Grundlage für das Deutsche Reich des Mittelalters gelegt hätte. Die Geschichte dieses Reiches hätten zwei „Schicksalslinien“ bestimmt, die das Buch in einer Karte visualisierte.520 Während sich die Expansion des Reiches nach Italien als verhängnisvoll erwiesen hätte, sei die Aufgabe des deutschen Volkes die Eroberung von Land im Osten des Kontinents gewesen. Selbst die Menschen, die diese Gebiete bewohnten, scheinen diesen übergeordneten Plan zu kennen: „Die Wenden musterten den Zug [der deutschen Siedler, d. Verf.], als ahnten sie ihr Schicksal.“ An anderen Stellen führt das Buch historische Entwicklungen direkt auf das Einwirken des „Schicksals“ zurück.521 Die übrigen nationalsozialistischen Bücher waren weniger explizit, verwiesen aber ebenfalls auf außerweltliche Kräfte, um die Ereignisse der Vergangenheit zu erklären.522 Mit dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes verschwanden die außerweltlichen Akteure aus den deutschen Schulbüchern. Ein Teil der Fachdidaktik hat die Konjunktur außerweltlicher Akteure aktiv unterstützt. In Voigtländers Geschichtsverständnis spielte der Glaube an das Schicksal eine entscheidende Rolle: 518 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 16 u. Bd. 3, 1928, S. 17. Beispiele für „Glück“: ebd., Bd. 2, 1929, S. 35; Bd. 3, 1928, S. 63. Beispiele für „Wunder“: ebd., Bd. 2, 1929, S. 37 u. Bd. 3, 1928, S. 87. 519 Vgl. Blackburn, Gilmer W., Education in the Third Reich. A Study of Race and His­ tory in Nazi Textbooks, Albany 1985, S. 75–92. 520 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 102. 521 Ebd., S. 72, S. 102, S. 125 u. S. 174, Bd. 2, 1941, S. 52 u. S. 153. 522 Z.B. Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S. 16 u. S. 67; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 34; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 111 u. S. 218; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 80, S. 89, S. 115 u. S. 129; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1934, S. 5. Eine Ausnahme bildet Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1940 u. Bd. 2, 1936.

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Rasse und Schicksal sind Grundbegriffe geschichtlichen Erkennens. Sie öffnen den Blick vom Reiche der Geschichte aus in das Reich der Natur und in das Reich des Glaubens. Nur der Glaube an eine höhere Notwendigkeit bewahrt uns bei der Betrachtung einer Welt von Kämpfen vor dem Sturz in die Sinnlosigkeit.523

Es würde zu kurz greifen, den Bezug auf das Schicksal und die Vorsehung lediglich als schulische Umsetzung der NS-Ideologie zu deuten. Schließlich hat mit Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend bereits ein republikanisches Weimarer Lehrwerk die Konjunktur außerweltlicher Akteure eingeleitet. Man muss diese Entwicklung vielmehr als Teil einer mentalen Entwicklung betrachten, die die deutsche Gesellschaft schon vor dem Nationalsozialismus geprägt hatte. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlor die wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung in der Gesellschaft an Erklärungskraft. Im Zuge dieser „Krise des Geschichtsbewusstseins“ griffen die verschiedenen Diskurse über Geschichte wieder vermehrt außerweltliche Erklärungsmuster auf. Diese „Wiederverzauberung“524 der Geschichte schlug sich in den Schulbüchern nieder. Zum einen erklärten die Schulbücher geschichtliche Entwicklungen vermehrt über das Einwirken von außerweltlichen Akteuren wie dem „Schicksal“ oder der „Vorsehung“. Zum anderen nahmen, wie unten gezeigt werden soll,525 in den deutschen Schulbüchern mythische Sinnbildungsmuster zu und blockierten die Entfaltung des genetischen Erzählens, das für die wissenschaftliche Geschichtsdarstellung kennzeichnend ist. Beide Entwicklungen können nicht ohneeinander gedacht werden. Nach der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands verschwanden die außerweltlichen Akteure aus den Schulbüchern. Der führende Pädagoge Felix Messerschmid erklärte diese Entwicklung damit, dass der demokratische Staat wieder die Verantwortung jedes Einzelnen in den Mittelpunkt stelle. Geschichte sei das „Ergebnis von unzähligen verborgenen und offenen Einzelerscheinungen“, deren „Last“ dem

523 Voigtländer, Walter, Politische Erziehung im Geschichtsunterricht, in: Die deutsche Schule, Jg. 38 (1934), H. 5, S. 208–216, hier S. 216. Vgl. Ortmeyer, Benjamin, Mythos und Pathos statt Logos und Ethos. Zu den Publikationen führender Erziehungswissenschaftler in der NS-Zeit: Eduard Spranger, Herman Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen, 2. durchgesehene Aufl., Weinheim / Basel 2010, S. 341–345. 524 Hardtwig, Wolfgang, Die Krise des Geschichtsbewusstseins in Kaiserreich und Weimarer Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus, in: ders., Hochkultur des bürgerlichen Zeitalters, Göttingen 2005, S. 77–102, hier S. 92. 525 S. unten, Kap. 5.2.6.

Die Definition und Darstellung der eigenen Nation 187

Menschen „keine ‚Vorsehung‘, kein Mandatar des Weltgeistes, kein ‚tragisches Schicksal‘“ abnehme.526

4.3 Die Definition und Darstellung der eigenen Nation 4.3.1. Die zentrale Rolle der Nationalgeschichte

In der Zeitschrift Die deutsche Schule schilderte die Volksschullehrerin Barbara Gerhardt 1938 ein Erlebnis, das ihre Vorstellungen vom Geschichtsunterricht verändert habe. Sie habe eine Stunde zum Krieg zwischen Sachsen und Franken gehalten. „Trotz des erregenden Inhalts“ seien die Schüler gleichgültig geblieben. Dieser „Bann“ sei erst gelöst worden, als eine Schülerin fragte: „Aber – wer sind wir denn nun? Die Sachsen oder die Franken?“ Diese Frage ist für die Pädagogin „die kürzeste und erschöpfende Formel […] für die Aufgabe des Geschichtslehrers“. Der Geschichtsunterricht solle Antwort geben auf die Frage „Wer sind wir?“527 Wenngleich diese „Formel“ durch den nationalsozialistischen Kontext zusätzlich überspitzt wurde, ist sie durchaus typisch für den Geschichtsunterricht an deutschen und französischen Volksschulen. Im Gegensatz zu den höheren Schulen, die im Rahmen ihres humanistischen Bildungsideals im weitesten Sinne abendländische Geschichte vermittelten, beschränkten sich die niederen Schulen auf die Geschichte der eigenen Nation bzw. auf die Inhalte, die sie dieser zuordneten. Die Nation war somit der Hauptakteur in den Geschichtsbüchern. Die Inhalte der Lehrwerke waren so strukturiert, dass die Schüler die gesamte Geschichte aus der nationalen Perspektive betrachteten. Begegnungen mit anderen Völkern waren daher stets ein Aufeinandertreffen von „Uns“ und „Ihnen“.528 Daher wird im Folgenden untersucht, wie dieser Hauptakteur ausgestaltet war und welche Vorstel-

526 Messerschmid, Felix, Neue Wege im Geschichtsuntericht, in: GWU, Jg.  1 (1950), S. 36–46, hier S. 41. Allein die Vorstellung, man könne die deutsche Geschichte mit einer Tragödie vergleichen, in der die Akteure einer übergeordneten Macht ausgeliefert sind, hielt sich, wie unten gezeigt wird, noch in den Schulbüchern der Bundesrepublik: S. unten, Kap. 5.3.3. 527 Gerhardt, Barbara, Wer sind wir?, in: Die deutsche Schule, Jg. 42 (1938), H. 2, S. 56– 61, hier S. 56/7. 528 Vgl. Telus, Magdalena u.a., The „we“ vs „they“ opposition. An interdisciplinary debate with articles, in: ISBF, Jg. 19 (1997), H. 2, S. 137–162.

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Das historische Geschehen

lungen von „Vaterland“, „eigener Nation“ oder „eigenem Volk“ die Bücher transportierten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Geschichtsunterricht an den Volksschulen so stark auf die nationale Erzählung beschränkt, dass selbst Strukturen wie die Industrialisierung oder der Feudalismus, die aus heutiger Sicht nur in europäischer oder globaler Perspektive verständlich sind, als französische bzw. preußischdeutsche Phänomene galten. Nichts in Rogié / Despiques Kapitel „Die Feudalgesellschaft“ („La société féodale“) lässt darauf schließen, dass es auch außerhalb Frankreichs die Welt aus Rittern, Burgen und Bauern gegeben hätte, die das Buch schilderte. Abschließend urteilte das Lehrwerk, die Feudalgesellschaft sei „eine der unglücklichsten Perioden unserer Geschichte“ („une des périodes les plus malheureuses de notre histoire“) gewesen. In dieser Logik überrascht es nicht, dass das Buch an anderer Stelle von 17 herausragenden Wissenschaftlern des 19. Jahrhunderts immerhin zwölf Franzosen nennt.529 Allein die Entdeckung Amerikas und die Erfindungen der Frühen Neuzeit galten als globale oder europäische Ereignisse. Die Bücher des deutschen Kaiserreichs enthielten zwar einige Informationen über „Die Reformation in den Nachbarstaaten Deutschlands“.530 Dies spricht allerdings weniger für ein Interesse an der Geschichte anderer Länder als für die starke protestantische Orientierung der eigenen Geschichte: Derzufolge begriffen die Bücher die Glaubenskämpfe im europäischen Ausland als Teil der eigenen Geschichte. Es mag durchaus Volksschulen im Kaiserreich gegeben haben, die die Geschichte der Antike und anderer Länder im Geschichtsunterricht behandelten. Die Grenze zwischen Volks- und Mittelschule war lange Zeit fließend. Die Lehrwerke, die sich an beide Schulformen wandten, gingen daher über die nationale Geschichte hinaus.531 Erst die preußischen Bestimmungen für Mittelschulen von 529 Rogié / Despiques, Histoire de France, 1909, S. 31–34, S. 64–66, S. 22–28 (eigene Herv.) u. S. 283–288. Ein deutsches Beispiel wäre Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 26–28, S. 49–51, S. 44/5 u. S. 99–101. 530 Hirts Neues Realienbuch, 1910, S.  95 u. S.  58/9; Franke  / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 66; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 70–73; dies., Realienbuch, Braunschweig, 1918, S. 25; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1915, S. 27. Keine Angaben zur außerdeutschen Reformation finden sich in: Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S. 36/7; Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 18/9. 531 Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 81/2 u. S. 61– 63, das auch für Mittelschulen bestimmt war, enthielt relativ ausführliche Abschnitte zur Geschichte anderer Länder. Das Realienbuch von Kahnmeyer / Schulze hatte ei-

Die Definition und Darstellung der eigenen Nation 189

1910 legten den Unterschied zwischen dem Geschichtsunterricht an Volks- und Mittelschulen fest: Während Ersterer sich ausschließlich mit der nationalen Geschichte beschäftigte, behandelten die Geschichtslehrer an Mittelschulen auch die antike Geschichte.532 Bereits die Titel der Geschichtsbücher für den cours moyen, die mit einer Ausnahme alle „Geschichte Frankreichs“ („Histoire de France“) hießen, deuten an, dass der Geschichtsunterricht an Volksschulen sich auf die Geschichte des Landes Frankreich konzentrierte. Lediglich die Lehrpläne für den cours supérieur sahen Unterricht in „allgemeiner Geschichte“ („Histoire générale“) vor. Darunter verstanden die Lehrpläne die Geschichte der antiken Welt und Elemente der europäischen Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Allerdings ging dieser Unterricht an der Masse der Schüler vorbei, da zu Beginn des Jahrhunderts nur wenige Schüler die Volksschule bis zum cours supérieur besuchten. Zudem war der Inhalt des cours supérieur nicht relevant für das certificat d’études primaires, so dass er für Lehrer und Schüler erheblich weniger wichtig war als die nationale Geschichte.533 In dem Maße, in dem sich die Schülerzahlen im cours supérieur erhöhten, verschwand die allgemeine Geschichte aus seinen Lehrplänen. Die Programmes von 1923 sahen vor, allgemeine Geschichte nur noch „abhängig von der Geschichte Frankreichs“ („en fonction de l’histoire de France“) zu unterrichten.534 Wie die Stoffverteilungspläne zu diesem Lehrplan und die Bücher der zwanziger und dreißiger Jahre zeigen, bedeutete dies, dass es abgesehen von der antiken Geschichte keine eigenständigen Unterrichtseinheiten über außerfranzösische Geschichte gab. Der Unabhängigkeitskrieg der USA oder die Gründung des Deutschen Reiches kommen in allen Büchern vor, nahmen aber lediglich ein paar Zeilen ein.535 Bis 1960 integrierten deutsche und französische Lehrwerke zunehmend Ereignisse und Entwicklungen aus der antiken Geschichte und aus der Geschichte anderer Länder und näherten sich damit dem Geschichtsunterricht der höheren

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nige Ausgaben, die Kapitel zur alten Geschichte enthielten: Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1904, S. I–XL. Bestimmungen über die Neuordnung des Mittelschulwesens in Preußen vom 3. Februar 1910, in: Zentralblatt, Jg. 52 (1910), H. 3, S. 345–408, hier S. 384. Garcia / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S. 92. Instructions relatives au nouveau plan d’études des écoles primaires élémentaires (Arrêtés du 23 février 1923), abgedruckt in: Manuel général. Partie générale, Jg.  90 (1922/23), H. 41, 30.6.1923, S. 769–791, hier S. 778. Z.B. Aymard, Histoire de France, 1927, S. 66 u. S. 140; Segond, Histoire de France, 1927, S. 241 u. S. 349.

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Schulen an, der neben der nationalen Geschichte stets die Vergangenheit anderer europäischer und teilweise außereuropäischer Länder thematisiert hatte.536 Dabei betrachteten Lehrpläne und Bücher die antiken Kulturen nicht als Teil der „eigenen“ Geschichte. Frankreich galt als Erbe der mediterranen Kulturen.537 Die Bücher verwoben seine Geschichte aber nicht „integrativ“ mit der alten Geschichte, sondern stellten beide „additiv“538 nebeneinander. Dies zeigt sich in Buchtiteln wie „Geschichte Frankreichs und der französischen Kultur von den Anfängen bis heute, eingangs einige Grundkenntnisse Alter Geschichte“ („Histoire de la France et de la Civilisation française des origines à nos jours précédée de quelques notions d’Histoire Ancienne“),539 vor allem aber in der Gliederung der Bücher: Die Geschichte Galliens war kein Teil der antiken Welt, sondern die Bücher stellten sie additiv hinter die Lektionen zu Altem Orient, Griechen und Römern. Die Weimarer Republik hat die Beschränkung auf nationale Geschichte nicht grundsätzlich infrage gestellt. Die meisten Lehrwerke beschränkten sich auf die deutsch-preußische Geschichte und widmeten lediglich Ludwig XIV., der Französischen Revolution und Napoleon einige Absätze. Nur zwei Lehrwerke inte­ grierten darüber hinaus außerdeutsche Entwicklungen. Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, das von einer nationalistisch-republikanischen Geschichtsdeutung geprägt war, schilderte seinen Lesern die Unabhängigkeitskriege der Niederlande, der Schweiz und der USA.540 Ferdinand Hirts Tatsachen- und Arbeits­ hefte enthielten Tabellen, die die Geschichte wichtiger europäischer Staaten zusammenfassten.541 Die preußischen Richtlinien von 1923 vermerkten immerhin: „Die Geschichte anderer Völker ist soweit in Betracht zu ziehen, als durch sie die deutsche entscheidend beeinflusst worden ist.“542 Im nationalsozialistischen Deutschland galt wie zuvor, dass die Volksschulen sich auf die nationale Geschichte beschränken sollten. Erst der Geschichtsunterricht 536 Eine Ausnahme bildet lediglich der gymnasiale Unterricht der NS-Zeit in Deutschland. 537 Z.B. Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938, S. 9; Faÿ / Equy / Maurel, Histoire de France, Bd. 1, 1942, S. 4 u. S. 53. 538 Begrifflichkeit aus: Schönemann, Bernd, Nationale Identität als Aufgabe des Geschichtsunterrichts nach der Reichsgründung, in: ISBF, Jg. 11 (1989), H. 2, S. 107– 127, hier S. 111/2. 539 Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938. 540 Kumsteller, Geschichtsbuch für deutsche Jugend, Bd.  1, 1929, S.  53/4 u. S. 74/5, Bd. 2, 1929, S. 43/4. 541 Z.B. Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 2, 1928, S. 11. 542 Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 28.

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der Nachkriegszeit integrierte die außerdeutsche Geschichte. Die DDR unternahm mit dem Lehrplan von 1951 einen radikalen Versuch, mit der nationalen Tradition der deutschen Volksschule zu brechen. Sie schaffte das mehrgliedrige Schulsystem ab. Außerdeutsche Geschichte blieb damit nicht mehr den Gymnasiasten vorbehalten, sondern wurde zum Thema aller Schulen. Dabei gingen die Schulen der DDR weiter als die Gymnasien des Kaiserreiches und der Weimarer Republik: Die Schüler lernten nicht nur antike und europäische Geschichte, sie erwarben auch historische Kenntnisse über außereuropäische Kulturen. Das Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, das ab 1951 erschien, bot in vier Bänden zu je etwa 300 Seiten eine Weltgeschichte, die auch Kapitel zur chinesischen oder zur polnischen Vergangenheit enthielt. Dieser Umfang überforderte Schüler und Lehrer,543 so dass die Lehrpläne von 1955/56 sich im Wesentlichen wieder auf die deutsche Geschichte beschränkten. Das Nachfolgewerk von 1957 ähnelte daher in Umfang und nationaler Ausrichtung wieder stärker den Volksschulbüchern der Vorkriegszeit. Kapitel über soziale Unruhen in anderen Ländern, etwa den Sklavenaufstand unter Spartakus, traten in den neuen DDR-Büchern neben die nationale Geschichte.544 Auch in der Bundesrepublik öffnete sich der Geschichtsunterricht für außerdeutsche Geschichte. Allerdings gingen die Bundesländer und Lehrbücher dort unterschiedliche Wege. Während niedersächsische Volksschulen die Inhalte des Geschichtsunterrichts um die römische Antike erweiterten, blieb Bayern der Tradition der Volksschulbildung treu und beschränkte den Geschichtsunterricht weiterhin auf die deutsche und bayerische Geschichte.545 Das Lehrwerk Aus deut­ scher Vergangenheit, das in Bayern und Nordrhein-Westfalen zugelassen war, hatte demzufolge eine Ausgabe „Nordwest“, die ein Kapitel über „Die Kulturen des Altertums“ enthielt, während dieses Kapitel in der bayerischen Ausgabe fehlte.546 Ähnlich wie in Frankreich integrierten die Bücher die Antike nicht in die eigene Geschichte, sondern stellten sie additiv neben oder vor die nationale Geschichte. Mit eigener Kraft begann mit der Geschichte „unseres Vaterlandes“ in der Vorzeit 543 Meinck, Willi, Zu den Kritiken am neuen Geschichtsbuch, in: Geschichte in der Schule, Jg. 4 (1951), H. 4, S. 180–185. 544 Zum Beispiel Spartakus: Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 1, 1951, S. 219– 223; Mühlstädt / Schenderlein / Wegner, Aus vergangener Zeit, 1957, S. 37–53. 545 Richtlinien für die Volksschulen des Landes Niedersachsen, 1957, S. 62; Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen, 1950, S. 22/3. 546 Nett, Aus deutscher Vergangenheit, Ausgabe C, Bd. 1, 1954, S. 12–19; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, Ausgabe A, 1954, S. 11.

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und schilderte die Kulturen von „Rotgießern“, Kelten und Germanen in Mitteleuropa.547 Daran schloss sich ein Kapitel über Ägypter, Juden, Griechen und Römer an, das mit den Christenverfolgungen endete. Hierauf ging das Buch in der Zeit wieder zurück zu den germanischen Wanderungen von Jütland nach Süden und fuhr mit der germanisch-deutschen Geschichte fort. Die antiken Kulturen galten dem Lehrwerk nicht als Teil der eigenen Geschichte, sondern lediglich als „Vorbilder und Lehrmeister“, die an geeigneter Stelle in den Verlauf der nationalen Geschichte eingeblendet wurden. Das Kapitel zu Ägypten war mit dem Rest der Erzählung lediglich verbunden durch den einleitenden Satz: „Als bei uns die Steinzeitbauern lebten, war das Niltal dicht bewohnt vom Volk der Ägypter.“ Es ist bezeichnend, dass das Buch von einem „Volk“ spricht. Das Buch schilderte die verschiedenen Kulturen weniger als Teil einer sich fortentwickelnden Menschheitsgeschichte, sondern es stellte verschiedene ethnisch definierte Kulturen und deren Geschichte nebeneinander.548 Wie bereits die republikanischen Weimarer Bücher ergänzten die bundesrepublikanischen Lehrwerke die nationale Geschichte um diejenigen außerdeutschen Ereignisse, die sich in ihre historische Befreiungserzählung549 einfügten. In allen Büchern gab es Kapitel über den nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg und über die Französische Revolution, umfangreichere Bücher wie Jaitners Unsere Geschichte, Ebelings Deutsche Geschichte oder Manns Lebendige Geschichte thematisierten die Parlamentarisierung Großbritanniens oder die Verwestlichung Russlands.550 Die Lehrerschaft war gespalten in der Frage, ob die außerdeutsche bzw. -französische Geschichte ihren Platz in der Volksschule haben sollte. Die Befürworter einer europäischen oder globalen Darstellung waren wohl in der Minderheit. Bonne etwa rechtfertigt die allgemeine Geschichte lediglich, indem er ihren Wert für die nationale Geschichte hervorhebt. Die allgemeine Geschichte sei eine wich-

547 Zur Integration der keltischen Geschichte in die nationale vgl. Kap. 4.3.3. 548 Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 1, 1960, S. 2–30. Vgl. Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 7–43; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, Ausgabe C, Bd. 1, 1954, S. 5–19. 549 S. unten, Kap. 5.1.4.2. 550 Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 3, 1960, S. 37–47; Bd. 4, 1960, S. 2–15; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 5, 1954, S. 92–95 u. S. 135–145 u. Bd. 6, 1953, S. 5–56; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 49–81; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 101–112; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 2, 1956, S. 20–27; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 89–105.

Die Definition und Darstellung der eigenen Nation 193

tige Stütze der französischen Fortschrittserzählung, da die vergangene Entwicklung Frankreichs nicht ohne die Beiträge anderer Länder zu verstehen sei.551 Didaktische Literatur und amtliche Vorschriften führten zwei Gründe dafür an, warum die Volksschule sich auf nationale Geschichte beschränken solle. Zum einen waren Kultusbeamte und Pädagogen sich darin einig, dass Unterricht in nationaler Geschichte den Patriotismus der Schüler fördern würde. Nach den französischen Lehrplänen von 1923, 1941 und 1945 sollte der Unterricht der „Erweckung und Entfaltung des patriotischen Gefühls“ („éclosion et évanouissement du sentiment patriotique“) dienen.552 Der deutsche Geschichtsunterricht sollte im Kaiserreich die Liebe zu „Vaterland und Herrscherhaus“ fördern. Die Lehrpläne der Weimarer Republik, des nationalsozialistischen Deutschlands, der Bundesrepublik und der DDR machten die „Liebe zu Volk und Vaterland“ oder die „Liebe zum eigenen Volk“ zum Unterrichtsziel.553 Charles Penz schrieb im Manuel général, er stelle sich Geschichtsunterricht zunächst einmal als „patriotische Geschichte in jedem Sinne des Wortes vor“ („une histoire patriotique dans tous 551 Bonne, E., L’Histoire et la Géographie à l’école primaire, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 91 (1923/24), H. 12, 15.12.1923, S. 265/6; Berquier, E., De l’histoire et de son action morale et sociale, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg.  51 (1906/07), H. 42, 14.7.1907, S. 440/1, hier S. 441; Vonolfen, Wilhelm, Geschichtliche Denk- und Urteilsweise!, in: Der Volksschullehrer, Jg. 22 (1928), H. 49, S. 446– 449. 552 Instructions relatives au nouveau plan d’études des écoles primaires élémentaires (Arrêtés du 23 février 1923), abgedruckt in: Manuel général. Partie générale, Jg.  90 (1922/23), H. 41, 30.6.1923, S. 769–791, hier S. 778; Instructions relatives au nouveau plan d’études des écoles primaires élémentaires, in: Plan d’études et programmes des écoles primaires élémentaires. Programmes de 1941 et Instructions du 5 mars 1942, 16. Aufl., Paris 1942, S. 46–102, hier S. 65; Instructions relatives à l’application de l’arrêté du 17 octobre 1945 fixant les horaires et les programmes, 7 décembre 1945, abgedruckt in: Bulletin officiel de l’Éducation nationale (1946), H.  1, 10.1.1946, S. 93/4, hier S. 94. 553 Beispiele aus Minimal-Lehrplan des Herzogtums Braunschweig, 1899, S. 93; Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 27; Richtlinien für die Volksschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, 1955, S. 10. Vgl. Richtlinien für die Volksschulen des Landes Niedersachsen, 1957, S.  60; Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1926, S. 164; Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1936, S. 50; Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen, 1950, S. 22; Lehrplan für Mittelschulen. Geschichte. 9. Klasse, hg. v. Ministerium für Volksbildung, Berlin 1955, S. 3. Derartige Ziele fehlen in: Schul- und Lehrordnung für die Volksschulen des Königlich Bayerischen Regierungsbezirkes Oberbayern, 1890.

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Das historische Geschehen

les sens du mot“), da ein französischer Geschichtslehrer bei allem Wunsch nach Unparteilichkeit die französische Geschichte nicht als „Geschichte gegen Frankreich“ („Histoire contre la France“) erzählen könne.554 Zum anderen unterstrichen deutsche und französische Pädagogen in zahlreichen Äußerungen, dass die Volksschulen sich anders als die höheren Schulen auf wesentliche und auf naheliegende Dinge beschränken müssten, da die allgemeine Geschichte die Schüler überfordere. Daher sei nur die Geschichte der näheren Umgebung und des eigenen Landes Thema des Unterrichts. Für außerdeutsche und außerfranzösische Geschichte bleibe an der Volksschule kein Raum.555 Insbesondere den französischen Volksschullehrern erschien die Beschränkung auf die nationale Geschichte als derart selbstverständlich, dass sie in ihren Äußerungen oft die französische Geschichte als „allgemeine Geschichte“ („histoire générale“) bezeichneten.556 Dementsprechend war ein französischer Volksschullehrer verwundert, als er ein belgisches Geschichtsbuch las und feststellen musste, dass dort nichts über die Errungenschaften der französischen Kultur stand, etwa über das „vielleicht unvergleichliche menschliche Werk in Übersee“ („l’œuvre humaine, incomparable peut-être, réalisée outre-mer“), das Frankreich geleistet habe.557

554 Penz, Charles, L’histoire qu’on enseigne, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 118 (1950/1951), H. 11, 24.2.1951, S. 130. Vgl. Lavisse, [Ernest], L’histoire à l’école, in: Manuel général. Partie générale, Jg.  71 (1904), H.  35, 27.8.1904, S.  418–420, hier S. 418. Die Entwicklung des deutschen Volkes und seiner Kultur, in: Der Volksschullehrer, Jg. 21 (1927), H. 7/8, S. 63/4. 555 Für Deutschland z.B. Tecklenburg, August, Vom Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 90–106, hier S. 95; Brichta, Konrad, Grundsätzliches zur Stoffauswahl im Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 11 (1921), S. 145–164, hier S. 149. Für Frankreich z.B. Bonne, E., L’Histoire et la Géographie à l’école primaire, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 91 (1923/1924), H. 12, 15.12.1923, S. 265/6 u. H. 15, 5.1.1924, S. 335/6. 556 Bloch, Camille, L’enseignement de l’histoire à l’école primaire, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 45 (1901/1902), H. 42, 14.7.1901, S. 81/2; Saindenis, E., L’enseignement de l’histoire locale à l’école primaire, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 60 (1913/1914), H. 10, 23.11.1913, S. 111; Hennemann, Préparation de classe et sens historique, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 75 (1928/1929), H. 1, 29.9.1928, S. 5. 557 Maréchal, J., Notre histoire et celle des autres…, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 126 (1958/1959), H. 20, 7.2.1959, S. 13–15, hier S. 15.

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4.3.2. Die französische Nationalgeschichte zwischen ethnischer und politischer Definition

Die französischen Schulbücher taten sich leichter als die deutschen damit, die eigene Nation zu definieren. Sie hatten klare Vorstellungen von Frankreich und änderten diese während des Untersuchungszeitraumes kaum. Sie verstanden Frankreich in erster Linie als staatlich-politische Einheit. Außerdem enthielten sie Passagen, die auf ein geographisches und ein ethnisches Nationsverständnis hinweisen. Für die meisten Bücher aber war Frankreich keine von der Natur vorgegebene Einheit, sondern im Laufe eines Jahrhunderte dauernden Prozesses entstanden.558 Diese Einigungserzählung schilderte nicht nur die territoriale Expansion des französischen Staates, sondern sie stellte auch die innere Nationsbildung und die Entwicklung eines französischen Nationalgefühls dar. Die Frage des nation building war politisch stark aufgeladen, da es auch darum ging, welchen Akteuren die französische Nation ihre Existenz verdankt. Während die katholischen Bücher die Rolle der Kirche und der Könige betonten, hoben die weltlichen Bücher stärker die Bedeutung des Volkes und seiner Vertreter hervor.559 Neben die Vorstellung, Frankreich sei in einem Jahrhunderte dauernden politischen Prozess entstanden, traten in zahlreichen Büchern geographische Definitionen von Frankreich. Die Bücher lösten den scheinbaren Widerspruch zwischen diesen beiden Vorstellungen auf, indem sie die politische Entstehung des Landes als Realisierung einer seit je existierenden geographischen Einheit schilderten. Die Bücher betonten, dass Frankreich „natürliche Grenzen“ („frontières naturelles“) an Mittelmeer, Pyrenäen, Atlantik, Ärmelkanal, Rhein und Alpen habe. Die territoriale Entwicklung Frankreichs deuteten sie demzufolge als Annäherung oder Entfernung von diesen „natürlichen Grenzen“. Der Vertrag von Basel, der Frankreich das linke Rheinufer zusprach, galt den meisten Büchern als der Zeitpunkt, zu dem dieses Ziel realisiert war.560 558 Damit geben die Schulbücher das Nationsverständnis wider, das die Geschichtswissenschaft prägte: Agulhon, Maurice, Die nationale Frage in Frankreich. Geschichte und Anthropologie, in: Etienne François (Hg.), Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich. 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1995, S. 56–65, hier S. 1. 559 S. unten, Kap. 5.1.2.1. 560 Z.B. Blanchet, Histoire de France, 1913, S.  187; Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 183; Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1955, S. 212. Zur Vorstellung der „natürlichen Grenzen“ Frankreichs: Kreutz, Wilhelm, Der umkämpfte Rhein. Zur

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Das historische Geschehen

Einige Bücher begründeten diese Grenzen historisch und wiesen darauf hin, dass die „natürlichen Grenzen“ von 1795 das Territorium des antiken Galliens wiederherstellten.561 In den Büchern, die bis in die dreißiger Jahre erschienen, war dieser Zusammenhang besonders offensichtlich. Gleich auf den ersten Seiten erfuhren die Schüler, dass die Grenzen Galliens an Mittelmeer, Pyrenäen, Atlantik, Ärmelkanal, Rhein und Alpen gelegen hätten. Die Bücher betonten zugleich, dass Frankreich mit dem antiken Gallien identisch sei.562 Die Vorstellung, diese Grenzen seien die ursprünglichen Grenzen des Landes, weckte den Eindruck, Frankreich habe ein historisches Recht auf dieses Territorium. So legitimierten die Bücher nicht nur die Wiedererlangung Elsass-Lothringens, sondern auch die Annexion des gesamten linken Rheinufers. Diese geographische Vorstellung von der französischen Nation war einerseits unverhohlen expansionistisch, andererseits delegitimierte sie jeden Versuch, Frankreich über diese Grenzen hinaus auszudehnen. Die italienischen Kriege, die späten Kriege Ludwig XIV. und Napoleons I. galten den Büchern daher als ungerechtfertigte Eroberungskriege.563 Die „Geschichte Frankreichs“, die die Bücher schilderten, bezog sich allerdings nicht auf die Vergangenheit des gesamten französischen Territoriums, sondern lediglich auf die verschiedenen Formen des französischen Staates. Ein Gebiet wurde erst dann Gegenstand der „Geschichte Frankreichs“, wenn es in diesen französischen Staat eingegliedert wurde. Bretonische, korsische oder provenzalische Schüler erfuhren daher nichts über die ältere oder besondere jüngere Vergangenheit ihrer

deutschen und französischen Rheinideologie zwischen 1870 und 1930, in: Richard W. Gassen / Bernhard Holoczek (Hg.), Mythos Rhein. Ein Fluss in Kitsch und Kommerz, Ludwigshafen 1992, S. 43–57; Nordman, Daniel, Des limites d’État aux frontières nationales, in: Pierre Nora (Hg.), Les lieux de mémoire, Bd. 2: La nation, Paris 1986, S. 35–61. 561 Brossolette, Histoire de France, 1937, S. 174; Ozouf / Leterrier, Histoire de France, 1952, S. 161; Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916, S. 135. 562 Augé / Petit, Histoire de France, 1913, S. 5; Blanchet, Histoire de France, 1913, S. 6; Devinat, Histoire de France, 1908, S. 3; Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916, S. 2; Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 5 u. S. 10; Réunion, Histoire de France, 1910, S. 1/2; Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S. 1/2; Aymard, Histoire de France, 1927, S. 12; Guilleman / Le Ster, Histoire de France, 1937, S. 12; Segond, His­ toire de France, 1927, S. 6. 563 Z.B. Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 120 u. S. 183; Gauthier / Deschamps, His­ toire de France, 1916, S. 57, S. 72, S. 116 u. S. 147; Brossolette, Histoire de France, 1937, S. 51, S. 86 u. S. 209.

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Region. Das Geschehen in der französischen Provinz thematisierten die Bücher lediglich, wenn es für die Entwicklung in der Hauptstadt relevant war. Ethnisch-kulturelle oder sprachliche Definitionen der Nation tauchten in den französischen Schulbüchern gelegentlich auf. Der Satz „Unsere Vorfahren, die Gallier“ („Nos ancêtres, les Gaulois“), der nach gängiger Meinung typisch für den Geschichtsunterricht der Dritten Republik war, steht in dieser Eindeutigkeit nur in der links-republikanischen Histoire de France von Gauthier / Deschamps.564 Einige Bücher verstanden zwar die Franzosen ebenfalls als Abstammungsgemeinschaft, gaben aber ein etwas differenzierteres Bild von der Ethnogenese der Franzosen. Lavisse’ Histoire de France erwähnte, dass sich auch eine geringe Anzahl Römer und wenige Franken unter die Gallier gemischt haben. Im Wesentlichen aber stammten die Franzosen von den Galliern ab: « Le fond de notre population est donc resté gaulois. Les Gaulois sont nos ancêtres. ».565 Andere Bücher schilderten wie das Lehrbuch von Segond die Ethnogenese des „französischen Volks“ („peuple français“) aus Galliern, Römern und „Barbaren“ („barbares“), an der alle drei Völker einen ähnlichen Anteil hatten.566 Die Ausgabe von Segonds Histoire de France von 1927 und die Nachkriegsausgabe des Lehrwerks von Bernard / Redon bezeichneten die Franzosen als „Rasse“ („race“) im Sinne einer ethnischen Gemeinschaft.567 Im Gegensatz zu den deutschen Geschichtsbüchern wiesen die französischen Lehrwerke nur selten auf die „verwandtschaftlichen“ Beziehungen zwischen Franzosen und Auswanderern französischer Abstammung hin. Allein Lavisse stellte die frankophonen Bewohner Kanadas als „Français d’origine“ („Franzosen der Abstammung nach“) vor: « […] ils parlent français et ils n’ont pas oublié la France, où sont nés leurs ancêtres. »568

564 Gauthier, Histoire de France, 1916, S. 2. 565 „Die Grundlage unserer Bevölkerung ist also gallisch geblieben. Die Gallier sind unsere Vorfahren.“ Lavisse, Histoire de France, 1919, S.  26. Vgl. Aymard, Histoire de France, 1927, S. 21; Faÿ / Equy / Maurel, Histoire de France, Bd. 1, 1942, S. 55. 566 Segond, Histoire de France, 1910, S. 20. Vgl. Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S. 10, die nur Gallier und Römer zu den Vorfahren der Franzosen rechnet. Einige Bücher wiesen darauf hin, dass bereits die Gallier aus einer Mischung verschiedener Völker entstanden sind: Réunion, Histoire de France, 1910, S. 2; Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938, S. 9. 567 Segond, Histoire de France, 1927, S.  204; Bernard,  / Redon, Histoire de la France, 1950, S. 175. 568 „Sie sprechen Französisch und sie haben Frankreich, wo ihre Vorfahren geboren sind, nicht vergessen.“ Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 126.

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Die meisten Bücher thematisierten Fragen der Abstammung nicht explizit. Was das Verhältnis des modernen Frankreichs zum antiken Gallien angeht, verwendeten die meisten Bücher Formulierungen wie: « […] notre pays a été désigné sous le nom de Gaule et ses habitants s’appelaient les Gaulois ».569 So setzten die Bücher Gallien und Frankreich gleich, ohne zugleich eine ethnische Kontinuität zu postulieren. Es wäre denkbar, dass die Bücher die Abstammung der modernen Franzosen von den antiken Galliern nicht explizit ausführten, da diese für den zeitgenössischen Leser selbstverständlich war. Als zu Beginn der dreißiger Jahre eine Diskussion über den Geschichtsunterricht in den Kolonien entbrannte, kritisieren drei von vier Beiträgen in den Lehrerzeitschriften lediglich, dass französische Klassen in Afrika den Satz « Nos ancêtres les Gaulois avaient les yeux bleus et les cheveux blonds » zitieren mussten. Dass alle Schüler in Paris, Biarritz und Straßburg diesen Satz lernten, erschien ihnen nicht absurd.570 Lediglich ein Schulrat, dessen italienisch-korsischer Name Spinelli die Polyethnizität des modernen Frankreichs andeutet, machte seine Kollegen darauf aufmerksam, dass der Satz keineswegs eine reale Abstammung bedeute. Wenn man französischer Staatsbürger werde, nehme man auch die Geschichte des Landes an: « Au lieu de rire, ou même de sourire nous devrions être émus quand, avec toute sa sincérité, un petit bonhomme garanti bon teint récitera “Nos ancêtres les Gaulois” car il s’est donné la même mère que nous et ce geste seul commande le respect. »571 Man kann vermuten, dass ethnische Vorstellungen von der Nation unter den Lehrern stärker waren, als dies die Schulbücher vermuten lassen. Die politischstaatliche Vorstellung der Nation hingegen dominierte in den Schulbüchern. Sie verstärkte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als Frankreich seine Kolonien in der Union française stärker an das Mutterland band. Die Schüler lernten nun nicht nur, wie sich die französische Nation im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet 569 „[…] unser Land wurde Gallien genannt und seine Bewohner hießen Gallier.“ Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S. 1, Herv. im Orig. 570 „Unsere Vorfahren, die Gallier, hatten blaue Augen und blonde Haare.“ Davesne, A., Nos ancêtres les Gaulois, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 100 (1932/33), H. 19, 28.1.1933, S. 366/7; Imbert, Robert, Nos ancêtres les Gaulois, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 80 (1933/34), H. 27, 31.3.1934, S. 418/9; Dupuy, Aimé, Nos ancêtres les Gaulois, in: ebd., H. 30, 21.4.1934, S. 471/2. 571 „Anstatt zu lachen oder auch nur zu lächeln sollten wir ergriffen sein, wenn ein garantiert echt gefärbter junger Mann ganz ernst wiederholt ‚Unsere Vorfahren, die Gallier‘, denn er hat die gleiche Mutter gewählt wie wir und allein diese Geste gebietet Respekt.“ Spinelli, J., Nos ancêtres les Gaulois, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 100 (1932/1933), H. 27, 25.3.1933, S. 509.

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hat, sondern sie erfuhren auch, dass in Gegenwart und Zukunft Bewohner der französischen Kolonien zu Franzosen würden.572 Die staatlichen Vorgaben erlauben kaum Rückschlüsse darauf, welche Definition der Nation der Geschichtsunterricht vermitteln sollte. Anders als die deutschen Lehrpläne sprachen die französischen Vorgaben nie von der Geschichte des „französischen Volkes“, sondern stets von der „Geschichte Frankreichs“.573 4.3.3. Die deutsche Nationalgeschichte zwischen ethnischer und politischer Definition

Die deutschen Schulbücher entwarfen ebenfalls unterschiedliche Vorstellungen von der eigenen Nation. Anders als in Frankreich war zudem unklar, worauf sich ein politischer Nationsbegriff überhaupt beziehen sollte, ob sich Ausdrücke wie „Nation“, „Vaterland“ oder „Volk“ auf die Partikularstaaten oder auf Deutschland als Ganzes bezogen bzw. wie das Verhältnis von deutscher und partikularstaatlicher Geschichte gestaltet werden sollte. Im Gegensatz zu Frankreich gab es keinen Versuch, die Nation primär geographisch zu definieren. Die Bücher erzählten nicht die Vergangenheit des deutschen bzw. preußischen, braunschweigischen oder bayerischen Territoriums, sondern sie beschränkten sich auf die Vergangenheit des mittelalterlichen Reiches bzw. des preußischen, braunschweigischen oder bayerischen Staates und der sie tragenden (deutschsprachigen) Bevölkerungen. Erst die späteren Bücher der DDR und die Lehrwerke aus dem Süden der Bundesrepublik nahmen Elemente einer geographischen Definition der Nation auf, indem sie das römische, keltische und slawische Erbe zum Teil der eigenen Geschichte machten. Das DDR-Lehrwerk Bauern, Bürger und Feudalherren stellte ausführlich die Lebensweise der slawischen Stämme „in unserem Vaterland“ dar.574 Eine weitere Ausnahme bildeten die regionalen

572 Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1942, S. 227; Bernard / Redon, Histoire de la France, 1950, S. 196. 573 Z.B. Instructions relatives au nouveau plan d’études des écoles primaires élémentaires (Arrêtés du 23 février 1923), abgedruckt in: Manuel général. Partie générale, Jg. 90 (1922/23), H. 41, 30.6.1923, S. 769–791, hier S. 778/9. 574 Mühlstädt, Bauern, Bürger und Feudalherren, 1959, S. 37–42 u. S. 76–79. Aus dem Süden der Bundesrepublik: Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 1, 1960, S. 8–11; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 9; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 1, 1960, S. 21–25.

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Varianten und Ausgaben, die im folgenden Unterkapitel vorgestellt wurden. Diese schilderten jeweils die Geschichte eines bestimmten Territoriums. Das Nationsverständnis der Bücher des Kaiserreiches war strikt politisch definiert. Zur eigenen Geschichte gehörten Ereignisse, die relevant für das Alte Reich, für Preußen, Bayern oder Braunschweig in seiner jeweils historischen Form waren. Da die Schulbücher fast ausschließlich eine Geschichte der Herrscher und ihrer Familien schilderten, tauchte die Bevölkerung nicht als eigener Akteur, sondern vorwiegend als Massen von Untertanen auf. Keine Stelle in den Büchern beschrieb diese Untertanen als ethnisch homogen. Allein die antike Geschichte hatte mit den „Germanen“ einen Bezugsrahmen, der eindeutig ethnisch definiert war. Die Lehrwerke stellten eine direkte Verbindung zu den Germanen her, indem sie diese als „alte Deutsche“ bezeichneten.575 Erst nach der Gründung der Weimarer Republik verstärkten die Bücher die Elemente ethnischer Nationsvorstellungen.576 Diese Entwicklung verlief parallel zum Aufstieg des „Volkes“ als Hauptakteur der Geschichte. Oft findet sich in den Lehrwerken der Weimarer Republik wie auch in den Büchern der Bundesrepublik ein politisches Verständnis der Nation. Die meisten Bücher erzählten die Geschichte von Deutschland und seinen Teilstaaten. Die ethnischen Deutschen außerhalb der deutschen Staaten waren für die Lehrwerke kein Teil der deutschen Geschichte. Es gibt aber zahlreiche Stellen, die für ein ethnisches Nationsverständnis sprechen. Alle Bücher wiesen den preußischen Richtlinien gemäß577 darauf hin, dass nur ein Teil der „Deutschen“ in den damaligen Reichsgrenzen lebte. Schaffensfreude fragte seine Leser nach dem Kapitel zu den Auslandsdeutschen suggestiv, ob die „natio575 Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 1; Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 1; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 1; dies., Realienbuch für Braunschweig, 1918, S. 1; Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S. 1; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1915, S. 1; Polack, Bilder aus der Geschichte, 1900, S. 1. Eine Ausnahme bildete Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 1. 576 Meissners Analyse von bayerischen Lesebüchern kommt zum Schluss, dass diese Entwicklung bereits im späten Kaiserreich einsetzte und der Integration der bayerischen Identität in eine deutsche förderlicher war als die Hohenzollernsche Herrschergeschichte: Meissner, Andrea, Von der Waffenbrüderschaft zum Volkstum. Die Transformation des Nationalismus in bayerischen Volksschul-Lehrbüchern zwischen liberaler und katholischer Dominanz 1858–1933, in: ZBLG, Jg.  70 (2007), H.  3, S. 853–885, hier S. 865. 577 Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 27. Vgl auch: Kennedy, Katharine, Eastern Borderlands in German Schoolbooks 1890–1945, in: Paedagogica Historica, Jg. 43 (2007), H. 1, S. 29–43.

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nale Einigung“ denn „heute“ erreicht sei.578 Wenn Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend den Verlauf des Ersten Weltkriegs schildert, erwähnt das Lehrwerk ausdrücklich, dass die deutschen Soldaten den Siebenbürger Sachsen begegneten und in der Ukraine „blitzsaubere deutsche Dörfer“ sahen.579 Weiteres Zeichen einer Ethnisierung des Nationsverständnisses waren die Germanenstämme der Völkerwanderung, die seit der Weimarer Republik deutlich mehr Raum in den Geschichtsbüchern einnahmen. Erst die Machtergreifung der Nationalsozialisten führte ein eindeutig ethnisches Bild der Nation ein. Zwischen 1933 und 1945 war es Hauptziel des Geschichtsunterrichts, dass die Schüler sich als Teil einer ethnisch definierten Gemeinschaft begriffen. Die Bücher projizierten die ethnische Definition der Nation in die Vergangenheit zurück und maßen alle Formen germanischer oder deutscher Herrschaft daran, ob sie diese ethnische Gemeinschaft hinreichend nach außen abgegrenzt hatten. Nach Lesart von Füßlers Geschichte des deutschen Volkes sind bereits die „indogermanischen Völker“ der Vorzeit „untergegangen“, da „die nordischen Eroberer sich an ihrem edlen Blute versündigten“ und sich mit den „Unterworfenen“ „vermischten“. Während diese Deutung sich nur in vier Lehrwerken findet, führten alle NS-Werke das Verschwinden der Germanenreiche der Völkerwanderungszeit darauf zurück, dass die Germanen in andere Völker eingeheiratet hätten.580 Die Nationsvorstellungen, die die Geschichtsbücher transportierten, lassen sich nicht in allen Fällen aus den Lehrplänen ableiten. Während die preußischen All­ gemeinen Bestimmungen bis zum Ende des Kaiserreiches an einer reinen Herrschergeschichte festhielten, setzten braunschweigische und Münchener Lehrpläne bereits vor dem Ersten Weltkrieg die Geschichte des „deutschen Volkes“ aufs Programm.581 In der Zeit der Weimarer Republik präzisierten die preußischen 578 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 99. 579 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1928, S. 59 u. S. 61. Zu den „Auslandsdeutschen“ vgl. Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 2, 1934, S. 283. 580 Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 13 u. S. 49. Beide Deutungen finden sich in Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 17 u. S. 57/8; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 22 u. S. 38/9; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 27. In den folgenden Büchern findet sich diese Deutung nur bei der Völkerwanderung: Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S. 19; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 3; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 26; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1940, S. 17. 581 Allgemeine Bestimmungen, 1872, S.  596; Minimal-Lehrplan des Herzogtums Braunschweig, 1899, S. 93; Lehrplan für München, 1912, S. 66. In den Lehrplänen

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Richtlinien, dass die vorgeschriebene „Geschichte des deutschen Volkes“ ethnisch zu verstehen sei, da sie das „Grenz- und Auslandsdeutschtum“ einschließen müsse.582 Die NS-Lehrpläne führten diesen Ansatz fort und stellten klar, dass die „Geschichtsbetrachtung über den reichsdeutschen Raum“ hinausgehen und „das Schicksal der Volksteile außerhalb der Reichsgrenzen im Auge […] behalten“ solle.583 Die Nachkriegslehrpläne sprachen zwar von der Geschichte des „Volkes“, definierten diese aber nicht näher.584 4.3.4. Das Verhältnis von französischer, regionaler und lokaler Geschichte

Das Konzept der Heimat hatte für das Selbstverständnis der Deutschen des frühen 20. Jahrhunderts und für ihre Vorstellungen von der eigenen Nation eine zentrale Bedeutung. Sie gilt der Forschung als Metapher, die die Nation mit der erfahrbaren näheren Umgebung verband.585 Auch der Geschichtsunterricht versuchte, einen Zugang zur Vergangenheit über die unmittelbare Umgebung zu schaffen. Die Forderung nach „Heimatgeschichte“ ist eines der zentralen Anliegen deutscher Pädagogen. Aus der deutschen Perspektive ist eher überraschend, dass die Forderung nach „Lokalgeschichte“ („histoire locale“) auch im hoch zentralisierten Frankreich eine wichtige Rolle im Diskurs über den Geschichtsunterricht einnahm, während die französische Forschung das Phänomen bereits in den Blick genommen hat.586

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von Oberbayern und Unterfranken fehlt jegliche entsprechende Vorschrift: Schulund Lehrordnung für die Volksschulen des Königlich Bayerischen Regierungsbezirkes Unterfranken und Aschaffenburg. Amtliche Ausgabe, Würzburg 1913; Schul- und Lehrordnung für die Volksschulen des Königlichen Bayerischen Regierungsbezirkes Oberbayern, 1890. Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 27. In Bayern gibt es keine entsprechende Präzisierung: Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1926, S. 164–166. Richtlinien für Volksschulen. Erlass des Herrn Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 15.12.1939, in: Schulvorschriften für den Geschichtsunterricht im 19./20. Jahrhundert. Dokumente aus Preußen, Bayern, Sachsen, Thüringen und Hamburg bis 1945, eingel. und hg. v. Dörte Gernert, Köln / Weimar / Wien 1994, S. 139–143, hier S. 142. Z.B. Bildungsplan für bayerische Volksschulen, 1950, S. 22. Confino, Konzepte von Heimat, Region, Nation und Staat. Vgl. Thiesse, Anne-Marie, Ils apprenaient la France. L’exaltation des régions dans le discours patriotique, Paris 1997; Chanet, L’École républicaine et les petites patries.

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Schon im 19. Jahrhundert veröffentlichten einige Verlage Schulbücher, die sich ausschließlich mit der Geschichte einer bestimmten Region beschäftigten. Vor allem katholische Schulbuchverlage boten Regionalausgaben an. Von den fünf bretonischen Regionalgeschichten, die im Musée de l’Éducation vorhanden sind, richteten sich drei an katholische Schulen.587 Das zeigt, dass das Regionale tatsächlich eher dem anti-republikanischen Lager zuzurechnen ist. Aber auch einige weltliche Bücher nahmen Rücksicht auf regionale Besonderheiten. Die Histoire de France von Rogié / Despiques erwarb man einzeln oder zusammen mit einer Histoire de la Bretagne oder einer Petite Histoire de l’Algérie.588 Selbst die republikanisch-nationalistische Histoire de France von Ernest Lavisse hatte eine regionale Ergänzung für die Bretagne.589 Ab den dreißiger Jahren erhielten die nationalen Ausgaben der Schulbücher Verweise auf lokale Ereignisse.590 Die Diskussion um die Lokalgeschichte hatte in Frankreich eine starke politische Dimension, da ihre Befürworter im Verdacht standen, die „unteilbare Nation“ spalten zu wollen. Als Maurice-Louis Faure, Bildungsminister im zweiten Kabinett von Briand, die Lokalgeschichte zum Inhalt des Geschichtsunterrichts machen wollte, diskreditierten seine Gegner das Projekt, indem sie auf die südfranzösische Herkunft des Ministers verwiesen.591 Daher wiesen nahezu alle Pädagogen, die der 587 Poisson, Henri (Abbé, Vicaire instituteur), Histoire de Bretagne. Pour les enfants, Rennes: Imprimerie commerciale de Bretagne; Le Béchec, Edmond, Petite Histoire de Bretagne, o.O. 1943; Levron, Jacques, Petite histoire de Bretagne, Grenoble / Paris: Arthaud 1946. 588 Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922; dies., Histoire de France. Cours moyen. Certificat d’études. Petite Histoire de l’Algérie. Honoré d’une souscription du Gouvernement Général de l’Algérie, v. Émile Jacquard, Paris: Rieder 1910. Vgl. Bernard, P. [aul Joseph] / F. [rantz] Redon, L’Algérie. Histoire, colonisation, géographie, administration à l’usage des Cours Supérieurs de l’Enseignement Primaire, des Classes d’Enseigne­ ment Primaire Supérieur et des Candidats aux Administrations Algériennes, Neuaufl., Alger: Typo-Litho / Carbonel 1937. 589 Langlois, Ch. [arles]-V. [ictor], Histoire de Bretagne. À l’usage des classes élémentaires des lycées et collèges et des élèves qui recherchent le Certificat d’Études Primaires, Paris: Colin 1891. 590 Z.B. Faÿ / Equy / Maurel, Histoire de France, 1942; Ozouf / Leterrier, Histoire de France, 1952. 591 Circulaire du 25 février 1911 relative à l’enseignement de l’histoire et de la géographie locales, in: Bulletin administratif du ministère de l’instruction publique (1913), Bd. 89, Nr. 1970, S. 270/1; Mention, Léon, Sur l’enseignement de l’histoire et de la géographie locales, in: Manuel général. Partie générale, Jg.  79 (1910/11), H.  38, 3.6.1911, S. 445/6, hier S. 445.

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Lokalgeschichte einen größeren Platz einräumen wollten, darauf hin, dass diese „eine Schule des Patriotismus“ („une école de patriotisme“) sei.592 André Balz hielt Kenntnisse der lokalen Geschichte sogar für eine Voraussetzung, um Nationalgefühl der Schüler zu entwickeln: « Et mieux ils connaîtront la petite patrie, miux [sic!] ils seront préparés à aimer la grande. »593 Der Lokalgeschichte kam somit die Aufgabe zu, die nationale Geschichte mit lokalen Beispielen zu illustrieren. Die Lehrer sollten bedeutende lokale Ereignisse thematisieren, die zeigten, wie lokale und nationale Geschichte miteinander verknüpft sind. Auf der Grundlage der hier untersuchten Quellen ist es schwierig zu sagen, ob mit der Forderung nach Lokal- und Regionalgeschichte regionalistische Tendenzen verbunden waren. In den Lehrerzeitschriften gab es kaum Stimmen, die mit der „histoire locale“ den französischen Zentralismus abmildern wollten. Allein das Manuel général zitierte den Schriftsteller Francis Delais, der sich darüber beschwerte, dass allen französischen Kindern die Geschichte der Île de France als ihre eigene verkauft werde.594 Ganz anders war die Lage im katholischen Schulwesen. Seinen Pädagogen und Geistlichen bot die lokale und regionale Erinnerung die Möglichkeit, ein Gegengewicht zum republikanischen Zentralismus und zur offiziellen Geschichtspolitik zu bilden. Adolphe-Marie Duparc, der Bischof von Quimper, forderte 1928, dass alle bretonischen Volksschüler Sprache und Geschichte ihrer Region erlernen sollten. Wenn die Bretonen mehr über ihre Geschichte wüssten, wären sie stolz auf ihre Kultur und würden sich nicht mehr schämen, ihrer Sprache zu sprechen. 1930 ließ der Bischof an allen katholischen Volksschulen seiner Diözese Unterricht in bretonischer Sprache und Geschichte einführen. Die Diözese von Bayonne hatte bereits 1924 drei verschiedene Lehrpläne für Sprache und Kultur der Gascogne, des Béarns und des Baskenlandes entwickelt. Diese Lehrpläne zeigen ähnlich wie die Rede von Duparc, dass die katholische Kirche die regionale Geschichte pflegen wollte, um monarchistische und anti-revolutionäre Erinnerungen in einigen Regionen in eine sinnstiftende Geschichtsdeutung zu überführen. Für Duparc 592 Bloch, Camille, L’enseignement de l’histoire à l’école primaire, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 46 (1901/02), H. 8, 17.11.1901, S. 81/2. 593 Balz, André, L’histoire à Fontaine-Guérin, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 79 (1912), H. 49, 17.8.1912, S. 569. Vgl. z.B. Saindenis, E., L’enseignement de l’histoire locale à l’école primaire, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 60 (1913/14), H. 10, 23.11.1913, S. 111. 594 Balz, André, Mon franc parler. Les déformations de l’enseignement historique, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 93 (1925/1926), H. 42, 10.7.1926, S. 832.

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war das „Heldentum, mit dem die christliche Bretagne der revolutionären Tyrannei widerstanden hat“ („l’héroïsme avec lequel la Bretagne chrétienne a résisté à la tyrannie révolutionnaire“), ein wichtiges Ereignis der bretonischen Geschichte. Der baskische Lehrplan schrieb das Thema „Das Baskenland und die Religionsverfolgung unter der Terrorherrschaft“ („Le Pays basque et la persécution religieuse sous la Terreur“) vor.595 4.3.5. Das Verhältnis von deutscher, partikularstaatlicher und lokaler Geschichte

Wenn die politische Prägung des Nationsbegriffes in Deutschland schwächer blieb als in Frankreich, dann liegt das nicht nur an der Stärke ethnisch-völkischer Nationsvorstellungen seit den zwanziger Jahren, sondern auch daran, dass nicht klar war, welche staatlich-politische Einheit in der Geschichte für die „deutsche Nation“ steht. Der eingangs zitierte Fall, in dem Schüler eine Lehrerin fragen, ob denn nun „Wir“ die Franken oder die Sachsen seien, bringt das Problem auf den Punkt. Auch in späteren Epochen der Geschichte ist das Verhältnis von Partikularstaat und Reich eine Herausforderung für die Schulbuchautoren. Sie mussten dort, wo die Interessen der brandenburgisch-preußischen oder bayerischen Herrscher sichtlich mit der Politik des Reiches kollidierten, eine Darstellung finden, die die Politik des Partikularstaats mit dem gedachten Interesse „Deutschlands“ aussöhnte. Die preußischen Geschichtsbücher, die im Kaiserreich erschienen, boten keine kohärente nationale Geschichtserzählung, sondern sie stellten eine „deutsche“ Geschichte, die von der Antike bis in die Frühe Neuzeit reichte, neben die brandenburgisch-preußische Dynastiegeschichte. Diese additiven Darstellungen unterteilten die Geschichte in zwei Bereiche, die sich zeitlich überlappten. Die deutsche Geschichte begann bei den Germanen und endete mit dem Dreißigjährigen Krieg. Hierauf gingen die Bücher einige Jahrhunderte in der Zeit zurück und schilderten die brandenburgisch-preußische Geschichte von der Völkerwanderungszeit oder von der Gründung der Mark bis zur Gegenwart. Diese Zweiteilung, die die Chronologie der Geschichte aushebelte, unterstrich die borussianische Geschichtsdeutung: Während die Bücher die deutsche Geschichte des späten Mittelalters als 595 Le régionalisme breton. Allocution de Mgr. Duparc, in: Bulletin de la Société générale, Jg. 59 (1928), H. 12, S. 1098–1102; L’enseignement du breton dans les écoles catholiques du diocèse de Quimper, in: ebd., Jg. 61 (1930), H. 11, S. 786/7; L’enseignement des langues régionales. Lettre circulaire de Mgr. Gieure, in: ebd., Jg. 55 (1924), H. 3, S. 166–176.

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Niedergang darstellten, der mit dem Westfälischen Frieden seinen Tiefpunkt fand, stilisierten sie die aufsteigende Großmacht Preußen zum Retter Deutschlands. Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch beendete die Darstellung der deutschen Geschichte mit dem Satz: „In dieser Nacht leuchtete nur ein Hoffnungsstern: das Geschlecht der Hohenzollern, das in Brandenburg mächtig emporstrebte.“596 Von diesem Datum an schilderten die Bücher keine deutsche Geschichte mehr, sondern sie beschränkten sich ausschließlich auf Preußen. Der Begriff „borussianische“ Geschichtsschreibung trifft daher die Inhalte der meisten Schulbücher des Königreiches Preußen nur bedingt. Im Grunde genommen handelt es sich um eine preußische Geschichte, die nur locker mit einer deutschen Geschichte verbunden war. Ein Ausdruck wie „Vaterland“ oder „Volk“ konnte sich sowohl auf Preußen als auch das gesamte Deutschland beziehen. Hirts Neues Realienbuch bezeichnete den „Brandenburgisch-Preußische[n] Staat“ als „engeres Vaterland“ gegenüber dem deutschen „Vaterland“. Das Buch stellte heraus, dass Kurfürst Friedrich Wilhelm ein „echt deutscher Mann“ war, betonte aber zugleich, der Monarch sei der Urheber der preußischen Nationsbildung. Bei seinem Regierungsantritt hätten die Bewohner Preußens sich noch nicht als ein „Volk“ begriffen. Erst der Kurfürst habe seinen Untertanen das Gefühl vermittelt, „dass sie einem Vaterlande und einem Volk“ angehörten.597 Die Geschichtsbücher des Herzogtums Braunschweig und des Königreiches Bayern boten ihren Schülern bereits eine integrale Darstellung. Die Lehrwerke verknüpften in den Kapiteln über Mittelalter und Frühe Neuzeit Reichsgeschichte mit braunschweigischer bzw. bayerischer Geschichte. Dabei werteten sie Kaiser aus den herrschenden Dynastien der Welfen und Wittelsbacher wie Otto IV. oder Ludwig den Bayern auf. Ab dem Dreißigjährigen Krieg wechselten sich Kapitel zur preußischen und zur jeweiligen Landesgeschichte ab. Im braunschweigischen Geschichtsbuch hat Preußen deutlich mehr Gewicht. Aber auch das bayerische Geschichtsbuch lieferte einen Abriss brandenburgisch-preußischer Geschichte und stellte Friedrich II. ausführlich dar, während Maria Theresia nur am Rande 596 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 78. Vgl. Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1916 u. Bd. 2, 1915; Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900; Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte. In der Braunschweiger Ausgabe des zitierten Buches fehlt dieser Satz: Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, Braunschweig, 1918, S. 37. 597 Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 66, S. 75 u. S. 76, Herv. i. Orig.

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auftauchte.598 Dieses kleindeutsche Geschichtsbild setzte sich durch, da eine kleine Elite liberaler Kultusbürokraten, Lehrer und Historiker, deren Geschichtsbild sich nicht unbedingt mit dem der Bevölkerungsmehrheit deckte, die Grundzüge des bayerischen Geschichtsunterrichts bestimmte.599 Zudem kam diese integrale Darstellung dem Nationsbegriff der bayerischen Lehrer entgegen, die nach der Reichseinigung die hergebrachten bayerischen mit „deutschen“ Geschichtsbüchern ersetzten, die sie aus Preußen importierten.600 Im Geschichtsunterricht der Weimarer Republik setzte sich der integrale Typus der Geschichtsdarstellung durch, der Fokus aber lag weiterhin auf Preußen.601 Die preußischen Richtlinien von 1923 ordneten an: „Die ältere brandenburgischpreußische Geschichte ist nicht gesondert zu behandeln, sondern in den Rahmen der deutschen Geschichte einzubeziehen. Von der Zeit des Großen Kurfürsten ab tritt die brandenburgisch-preußische Geschichte in den Vordergrund.“602 Für die Schulbücher, die Leser in ganz Deutschland ansprechen wollten, bedeutete dies, dass die deutsche Geschichte der letzten drei Jahrhunderte weitgehend preußische Geschichte war. Die Darstellung wurde zwar gesamtdeutscher, behielt aber ihren borussianischen Anstrich. Der „Tiefpunkt“ der deutschen Geschichte war nun nicht mehr wie im Kaiserreich der Westfälische Frieden, sondern die Einnahme Straßburgs durch Ludwig XIV., die 1681 stattgefunden hatte. Anschließend gingen die Bücher in der Zeit zurück und setzten beim Beginn der Regierungszeit von Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640–1688) ein. So trennten sie den Fall Straßburgs darstellerisch von der mehr als ambivalenten Frankreichpolitik des Kurfürsten und setzten den Niedergang des Reiches vom Aufstieg Brandenburg-Preußens ab. Dadurch bewahrten die Bücher borussianische Geschichtsdeutung und republikanisierten sie, 598 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, Braunschweig, 1918; Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918. Vgl. die Angaben in den Lehrplänen: Minimal-Lehrplan des Herzogtums Braunschweig, 1899, S. 94; Schul- und Lehrordnung für die Volksschulen des Königlichen Bayerischen Regierungsbezirkes Oberbayern, 1890, S. 63. 599 Körner, Hans-Michael, Geschichtsunterricht im Königreich Bayern. Zwischen deutschem Nationalgedanken und bayerischem Staatsbewusstsein, in: Karl-Ernst Jeismann (Hg.), Bildung, Staat, Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Mobilisierung und Disziplinierung, Stuttgart 1989, S. 245–255, hier S. 253; Meissner, Von der Waffenbrüderschaft zum Volkstum, S. 855. 600 Trapp, Der Einfluss der Regierungsform der Monarchie, S. 203. 601 Am additiven Modell hält allein fest: Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1930 u. Bd. 2, 1926. 602 Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 27/8.

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indem sie statt des dynastischen den staatlichen Aspekt betonten. In der Weimarer Ausgabe von Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch war nicht mehr das „Geschlecht der Hohenzollern“ der Retter Deutschlands, sondern der „preußische Staat“.603 Im Gegensatz zu den preußischen Büchern des Kaiserreiches verwiesen die Weimarer Lehrwerke zumindest am Rande auf Entwicklungen außerhalb Preußens. Allerdings erwähnten sie andere deutsche Länder meist mit der Absicht, die erfolgreichen, am Wohl der deutschen Nation orientierten preußischen Fürsten gegenüber den verschwenderischen, eigensüchtigen anderen deutschen Fürsten aufzuwerten. Das Buch Schaffensfreude kritisierte die „Ausländerei“ der deutschen Fürsten des 17. Jahrhunderts, also die Imitation des französischen Vorbildes im Absolutismus. Zudem warf das Lehrbuch ihnen ihr „verschwenderisches Hofleben“ vor sowie die „Aussaugung des Landes, als ob das Land nur der Fürsten wegen da wäre“. Die sächsischen Kurfürsten galten dem Schulbuch als besonders unverantwortlich. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, hingegen habe an „Tüchtigkeit und Bedeutung alle damaligen Fürsten weit überragt“. Außerdem, lobte Schaffens­ freude, sei er als einziger deutscher Fürst dem „räuberischen französischen König“ entgegengetreten.604 Es mag verwundern, dass ausgerechnet die Geschichtsbücher der Weimarer Republik preußische Herrscher so stark zulasten der anderen Fürsten aufwerteten. Diese Entwicklung lässt sich erklären, wenn man bedenkt, dass die preußischen Bücher aus der Vorkriegszeit es wohl trotz allem preußischen Patriotismus nicht wagten, die Vorfahren anderer Fürsten des Reiches massiv zu kritisieren. Der Mythos von der Rettung Deutschlands durch Brandenburg-Preußen verschwand nicht mit dem Ende des Kaiserreiches, sondern er wurde zum integralen Bestandteil der republikanisch-nationalistischen Geschichtsdeutungen der Weimarer Lehrwerke. Anstelle der preußischen und bayerischen Herrschergeschlechter trat nun das preußische und bayerische Volk. Das bayerische Lehrwerk Aus deutscher Vergan­ genheit verstand unter „unsere Ahnen“ die „Franken, Schwaben und Bayern“. Schaffensfreude etwa wies ausdrücklich darauf hin, dass 1813 nicht das „deutsche Volk“ Deutschland gerettet hat, sondern das „preußische“.605 Und noch die nati603 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 78; dies., Realienbuch, 1931, S. 99. 604 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 67–71. Vgl. Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 2, 1931, S. 7–12; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd.  2, 1929, S.  16–22; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd.  2, 1928, S. 6–12; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1926, S. 4–8. 605 Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S.  52; Wendling, Schaffensfreude, 1925,

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onalsozialistische Ausgabe von Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend spiegelt den Konflikt von preußischer und deutscher Identität wieder, wenn es die Kriege Friedrichs II. beschreibt: „Als Preußen sind wir stolz auf die Waffentaten unserer Väter unter dem großen König, als Deutsche schmerzt uns das bittere Leid, das sie unsren Brüdern im Süden unseres Vaterlandes zufügen mussten.“606 Erst die Bücher der Nachkriegszeit beendeten diese Dominanz der preußischen Geschichte. Die Lehrwerke schilderten eine deutsche Geschichte, die Ereignisse aus allen Teilen der jeweiligen deutschen Länder umfasste, und setzten dabei ihrem Verbreitungsgebiet entsprechend regionale Schwerpunkte. Die Schüler im vormals preußischen Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein erwarben nun nicht mehr ausschließlich Kenntnisse zur preußischen Geschichte der Frühen Neuzeit, sondern sie lernten neben der Entwicklung im Westen und Norden Deutschlands die Geschichte Österreichs.607 Die bayerischen Bücher der Bundesrepublik versuchten, das Land Bayern durch das Konstrukt der „Stämme“ zu ethnisieren und so in eine ethnisch definierte Nation einzubinden. Sie betonten die Kontinuität der Stämme seit der Spätantike, machten sie zu Hauptakteuren der deutschen Geschichte und schilderten Bayern als Zusammenschluss der „süddeutschen Stämme“. Scherls Geschichte unseres Volkes schrieb: „Wohl waren sie [Altbayern, Schwaben, Franken und Pfälzer] in ihrem Wesen und ihrer Geschichte verschieden. Sie verbanden jedoch ihre Kräfte und Tugenden zum Segen der neuen, größeren Heimat Bayern.“608 Die DDR setzte den Borussozentrismus der Vorkriegszeit fort. Zwar führten die Bücher für die Entwicklungen der deutschen Geschichte auch Beispiele aus dem Westen und Süden Deutschlands auf, die auf dem damaligen Territorium der Bundesrepublik lagen. Die Schüler lernten beispielsweise die mittelalterlichen Rathäuser anhand von Abbildungen aus Hildesheim und Augsburg bzw. Münster und Duderstadt kennen.609 Eigenständige Entwicklungen in anderen Regionen, S. 96/7. 606 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1937, S. 41/2. 607 Ebeling, Deutsche Geschichte, 9 Bde., 1952–1961; Jaitner, Unsere Geschichte, 2 Bde., 1. Aufl., 1953; Mann, Lebendige Geschichte, 3 Bde., 1. Aufl., 1952/3. 608 Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 107. Vgl. ebd., Bd. 1, 1955, S. 49; Bd. 3, 1957, S. 105; Bd. 4, 1954, S. 24 u. S. 30. Vgl. Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 12 u. S. 21. 609 Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 2, 1952, S. 109/10; Mühlstädt, Herbert, Bauern, Bürger und Feudalherren. Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, 6. Schuljahr, 1959, S. 94.

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etwa in Sachsen, kamen in ihren Geschichtsbüchern aber nur am Rande vor. Zwar erschien Preußen nun überwiegend in schlechtem Licht als „preußischer Militärund Beamtenstaat“ und als Land der „Junker“.610 Dennoch blieb das Land in den DDR-Büchern der Hauptschauplatz der deutschen Geschichte, gegen den andere deutsche Länder und Regionen nur nebensächlich waren. Die starke Stellung der Geschichte der Länder war politisch gewollt. Mit Ausnahme des nationalsozialistischen Staates und der DDR war Bildung eine Angelegenheit der Länder. Diese nutzten die Geschichtsbücher, um die partikularstaatliche Identität zu stärken. Davon zeugen die Lehrpläne. Noch die Richtlinien von 1923 sahen vor, die brandenburgisch-preußische Geschichte ab der Zeit des „Großen“ Kurfürsten Friedrich Wilhelm „in den Vordergrund“ zu stellen. Braunschweigische und bayerische Lehrpläne rückten Herrscher aus den jeweiligen Dynastien und regionale Besonderheiten in den Mittelpunkt.611 Insbesondere der Freistaat Bayern der Nachkriegszeit versuchte, die bayerische Identität durch einen bayerischregional ausgerichteten Geschichtsunterricht zu stärken, der eine Alternative zur borussianischen Geschichtsdeutung liefern sollte.612 Die jungen Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen verzichteten auf eine eigene Landesgeschichte.613 In den Lehrerzeitschriften sind einige Äußerungen überliefert, die darauf schließen lassen, dass die starke Stellung der partikularstaatlichen Geschichte nicht unbedingt auf die Zustimmung der Lehrerschaft stieß. Der Seminaroberlehrer Seyfert etwa kritisierte 1905 die Preußenlastigkeit des Berliner Lehrplans: 610 Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 2, 1952, S. 307; Zeise, Roland / Herbert Mühlstädt, Das Volk steht auf. Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, 7. Schuljahr, T. 1, 1958, S. 5. 611 Allgemeine Bestimmungen, 1872, S. 596; Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 27/8; Schul- und Lehrordnung für die Volksschulen des Königlichen Bayerischen Regierungsbezirkes Oberbayern, 1890, S. 53, S. 62/3 u. S. 81–84; Lehrplan für München, 1912, S. 66–71; Schul- und Lehrordnung für Unterfranken, 1913, S. 68/9; Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1926, S. 167/8; Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen, 1950, S.  22/3. Allein der bayerische Lehrplan von 1936 kannte keine „bayerische Geschichte“, sondern spricht nur noch allgemein von „Stammesgeschichte“ und von „bajuwarischem Raum“: Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1936, S. 50. 612 Fenn, Monika, Demokratisierung und Heimatorientierung im Geschichtsunterricht der bayerischen Volksschule (1945–1955), in: Wolfgang Hasberg / Manfred Seidenfuß (Hg.), Modernisierung im Umbruch. Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht nach 1945, Berlin 2008, S. 129–151, v.a. S. 133 u. S. 149. 613 Richtlinien für die Volksschulen des Landes Niedersachsen, 1957, S. 59–69; Richtlinien für die Volksschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, 1955, S. 10–12.

Die Definition und Darstellung der eigenen Nation 211

Der Standpunkt, von dem aus der Stoff für die Geschichte gewählt worden ist, ist der, den die Hauptstadt Preußens einnehmen darf: eben der preußische. Es lässt sich nichts dagegen einwenden. Ob aber für des deutschen Reiches Hauptstadt nicht doch eine stärkere Betonung des deutschnationalen Gedankens angemessen gewesen wäre, sei dahingestellt.614

Im Gegensatz zur Geschichte der näheren Umgebung, von den Pädagogen „Heimatgeschichte“ genannt, schienen die Lehrer die partikularstaatliche Geschichte, die die Kultusministerien starkmachten, für nicht mehr zeitgemäß zu halten. Die Heimatgeschichte, die deutsche Entsprechung der „histoire locale“, spielte bereits in den Geschichtsbüchern des Kaiserreiches eine wichtige Rolle. Zwar gingen die Erzählungen der deutschen, bayerischen und preußischen Geschichte nicht auf regionale Besonderheiten ein. Dafür boten zahlreiche Lehrwerke Sonderkapitel oder Ergänzungshefte für regionale Geschichte. Das weit verbreitete Realienbuch von Kahnmeyer / Schulze gab ab 1911 Ausgaben für alle preußischen Provinzen heraus. Die Provinzialausgaben enthielten Kapitel zur Geschichte der Provinz, integrierten diese allerdings nicht in die preußisch-deutsche Geschichte, sondern stellten sie additiv neben die Haupterzählung.615 Die Deutsche Geschichte von Weigand / Tecklenburg hat bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts „Ergänzungshefte“ für verschiedene Provinzen herausgegeben.616 Die Vaterländische Geschichte von Nehring trug den Untertitel „für die Volksschulen des Ostens der Monarchie“ und enthielt einige Abschnitte zur Geschichte der östlichen preußischen Provinzen und zur älteren polnischen Geschichte.617 In Bayern hatten die fränkischen Bezirke eigene Lehrpläne und eigene Geschichtsbücher, die regionale Besonderheiten thematisierten.618 614 Seyfert, R., Der Grundlehrplan der Berliner Gemeindeschulen, in: Die deutsche Schule, Jg. 9 (1905), H. 2, S. 93–105 u. H. 3, S. 150–161, hier S. 156. 615 Z.B. Kahnmeyer, L. [udwig] / H. [ermann] Schulze, Realienbuch, neubearbeitet von E. [mil] Borchers / A. [lbert] Gieseler, Ausgabe für Hannover, bearbeitet von P. Medrow, 114.–119. Aufl., Bielefeld / Berlin 1911; Kahnmeyer, L. [udwig] / H. [ermann] Schulze, Ausführlich-anschauliches Realienbuch enthaltend Geschichte, Erdkunde, Naturgeschichte, Naturlehre und Chemie, Ausgabe B, Nr. 77, Mittlere Ausgabe, neubearb. v. E. [mil] Borchers / A. [lbert] Gieseler / L. [udwig] Imhäuser, Ausgabe für die Provinz Sachsen, bearb. v. Franz Müller, 79.–81. Aufl., Bielefeld / Berlin 1915, S. 1–52. 616 Z.B. Tecklenburg, Aug. [ust], Ergänzungsheft für die Provinz Hannover, Hannover: Meyer 1896. 617 Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1915, S. 11, S. 15 u. S. 27. 618 Eichelsbacher, Josef August, Bilder aus Frankens Vergangenheit. Für den heimatlichen Geschichtsunterricht und für das Haus, München: Oldenbourg 1914; ders., Merk-

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Das historische Geschehen

Im Laufe des Untersuchungszeitraumes verstärkten die Schulbuchautoren die Bezüge auf regionale Geschichte. Zahlreiche Arbeitsaufträge forderten die Schüler dazu auf, die Spuren historischer Ereignisse oder Strukturen in der näheren Umgebung zu suchen. Besonders konsequent setzte dies Scherls Geschichte unseres Volkes um. Im Kapitel zum Frankenreich etwa forderte das Lehrwerk die Schüler dazu auf, bayerische Ortsnamen mit Bezug zu den Franken zu erklären oder Orte auf die typisch fränkischen Endungen -heim und -hausen zu suchen. Die Auflösung des Landes Preußen im Jahr 1947 trug zur Regionalisierung des Schulbuchmarktes bei, da die neuen Bundesländer deutlich kleiner waren, so dass die Schulbücher deutlich näher an der regionalen Geschichte waren. Die meisten Bücher richteten sich nun nur an ein bestimmtes Bundesland. Ebelings Deutsche Geschichte und Netts Aus deutscher Vergangenheit erschienen in verschiedenen Landesausgaben.619 Sieht man vom bayerischen Fall ab, erzählten die Lehrwerke keine Landesgeschichten im Sinne etwa einer stringent erzählten Geschichte des Landes Niedersachsen, sondern sie stellten die deutsche Geschichte dar und illustrierten sie am lokalen und regionalen Beispiel. Autoren und Verlage reagierten damit auf die Forderung, die Heimatgeschichte solle im Unterricht mehr Raum einnehmen. Wie in Frankreich zieht sich diese Forderung durch die gesamte didaktische Literatur. Noch klarer als im französischen Fall kann man daher konstatieren, dass die Heimatgeschichte nicht im Widerspruch zur kleindeutsch-borussianischen Nationalgeschichte steht, sondern diese am lokalen Beispiel veranschaulicht. Wie bereits Meissner konstatierte, „reproduziert“ die Heimatgeschichte in der Volksschule lediglich „die Topoi eines auf Preußen als Entität bezogenen Gedächtnisses“. Edgar Weyrich etwa behauptete in Vergan­ genheit und Gegenwart, die Heimat sei das „vollkommenste Lehrmittelkabinett“

buch für den geschichtlichen Unterricht für fränkische Volkshauptschulen. 6. und 7. Schülerjahrgang, München: Oldenbourg 1930; ders., Geschichte des deutschen Volkes. Merkbuch für fränkische Volkshauptschulen, München: Oldenbourg [ca. 1937]. 619 Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 5, 1953; Ebeling, Hans, Deutsche Geschichte. Vereinfachte Ausgabe B in Einzelheften, Bd. V: Das Zeitalter des Absolutismus. Landesausgabe Schleswig-Holstein, hg. v. Geschichtspädagogischen Förderkreis Braunschweig, Braunschweig: Westermann 1954; Nett, Aus deutscher Vergangenheit. Ausgabe A für Bayern, 1954; ders., Aus deutscher Vergangenheit. Ein Arbeitsbuch für Geschichte, Ausgabe C Nordwest (2 Teile), Donauwörth: Auer 1954; ders., Aus deutscher Vergangenheit. Ein Arbeitsbuch für Geschichte, Ausgabe D Baden-Württemberg (2 Teile), Donauwörth: Auer 1955.

Fazit 213

der Geschichte.620 An keiner Stelle finden sich Hinweise darauf, dass die lokale Geschichte eine Gegenerzählung zur nationalen Geschichtsdarstellung bildete.

4.4 Fazit

Zwischen 1900 und 1960 verschob sich in den Schulbüchern das Gewicht von Kriegen und Biografischem zu sozialen, ökonomischen, technischen und geistigen Entwicklungen. Während diese Entwicklung in Frankreich kontinuierlich verlief, wurde sie in Deutschland durch das nationalsozialistische Regime unterbrochen. Sie setzte sich dort aber nach 1945 fort. Vergleicht man die Inhalte der Schulgeschichte mit den Bereichen, mit denen sich die akademische Geschichtswissenschaft im gleichen Zeitraum beschäftigte, fällt auf, dass progressive Ideen sich in den Volksschulen schneller durchsetzten als an den Universitäten. Zwar waren die Gesellschafts- und Kulturgeschichte, die die Schulbücher entwarfen, weit entfernt vom analytischen Niveau, das diese Bereiche der Geschichtswissenschaft ab den siebziger bzw. achtziger Jahren erreichten, sie zeugen aber davon, dass Lehrer, Didaktiker und Schulbuchautoren für Innovationen empfänglicher waren als große Teile der Wissenschaft. Parallel dazu nahm die schulische Geschichtsschreibung immer mehr verschiedene Akteure in den Blick. Während die Schulbücher zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem große Männer und ihre Taten darstellten, traten im Laufe des Untersuchungszeitraumes immer mehr Kollektivakteure in den Büchern auf. Diese Entwicklung ist einerseits Ausdruck einer Demokratisierung des Geschichtsunterrichts. Andererseits transportierte sie antidemokratische Haltungen, da die Bücher die Kollektivakteure meist so gestalteten, dass sie interne Meinungsverschiedenheiten verdeckten. Konflikte innerhalb dieser Einheiten galten somit als etwas Negatives. Besonders weit gingen hier die radikal-nationalistischen Bücher, die die Kollektivakteure zu Lebewesen anthropomorphisierten. In den meisten untersuchten Schulbüchern ist Geschichte das Werk von Menschen. Nur in den Büchern des Kaiserreiches und in den katholischen Lehrwerken aus Frankreich wirkten göttliche Kräfte in der Geschichte. In den nationalsozialistischen Schul-

620 Weyrich, Edgar, Über Anschaulichkeit im Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 184–197, hier S. 184. Vgl. Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule, S. 122.

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Das historische Geschehen

büchern werden übernatürliche Kräfte wie das Schicksal oder die Vorsehung zu Akteuren, die die Vergangenheit der Menschen bestimmten. In beiden Ländern behandelten die Volksschulen nahezu ausschließlich eine nationale Geschichte, die selbst europäische und globale Entwicklungen als nationale Ereignisse deutete. Deutsche und französische Bücher führten sehr unterschiedliche Kriterien dafür auf um zu bestimmen, was zu dieser Geschichte zählte. Insgesamt aber war die Nation in Frankreich stärker über staatliche Einheit und Territorium definiert. Die Hinweise auf eine ethnische Definition der französischen Geschichte bleiben vergleichsweise schwach. Dies gilt auch für die Zeit des VichyRegimes. Während die Bücher des Kaiserreiches die Nation ebenfalls politisch über die Herrscher und Dynastien definierten, schilderten die Bücher ab der Zeit der Weimarer Republik die Geschichte eines deutschen „Volkes“, das vorwiegend ethnisch definiert wurde. Die Ähnlichkeiten zwischen den Diskursen um „histoire locale“ und „Heimatgeschichte“ deuten darauf hin, dass das Verhältnis von Nation und unmittelbarer Umgebung sich stärker ähnelte, als die stereotype Opposition von „Zentralismus“ und „Föderalismus“ vermuten ließe. Dabei galt in beiden Ländern die Lokalgeschichte, die die Vergangenheit der unmittelbaren Umgebung der Schüler erzählte, nicht als Gegenerzählung zur Darstellung der nationalen Vergangenheit, sondern als unmittelbarer Zugang zur nationalen Geschichte, der den Schülern die „große“ Geschichte am lokalen Beispiel illustrierte. Anders verhielt es sich mit der Geschichte größerer Einheiten, also der Partikularstaaten in Deutschland oder der französischen Regionen, die über eine eigenstaatliche Tradition verfügten. Diese wurden durchaus als Gegensatz zur nationalen Geschichtserzählung begriffen. In Frankreich nutzten dies katholisch-konservative Autoren und gestalteten die Provinzgeschichte als Ausgangspunkt einer Gegenerzählung zur französischen Nationalgeschichte. In Deutschland nutzte die Kultusbürokratie der Länder die Geschichte der Partikularstaaten, um ihre historische Legitimation zu stärken. Keiner der beiden Ansätze aber wog die Dominanz der nationalen deutschen und französischen Geschichte auf.

5 Die Formen historischer Sinnbildung

5.1 Die Sinnbildung durch Metaerzählungen 5.1.1. Theoretische Überlegungen

„Metaerzählung“, „Meistererzählung“ und „Großerzählung“ gehören zu den beliebtesten und zugleich schillerndsten Begriffen der jüngeren Geschichtswissenschaft. Es war François Lyotard, der die Ausdrücke grand récit und métarécit in die geschichtsphilosophische Diskussion einführte. 1979 prophezeite er in La condi­ tion postmoderne, die Postmoderne beende die „Vertrauensseligkeit“ („crédulité“) der Menschen in die métarécits, die die Moderne geprägt hätten. Der französische Philosoph verstand unter einem métarécit eine Erzählung, die Institutionen, politische Praktiken und Denkweisen legitimierte. Die beiden métarécits der westlichen Welt waren für ihn das récit des libertés („Freiheitserzählung“) und die Erzählung des hegelianischen esprit universel („Weltgeist“).621 In diesem Sinne verwenden Historiker oder Autoren populärer Geschichtsdarstellungen métarécits eher unbewusst als bewusst, wenn sie Ereignisse der Vergangenheit zu sinnhaften Darstellungen strukturieren. Vor allem die angelsächsische Geschichtswissenschaft hat seit den 1990er Jahren versucht, diese Begriffe für die Historiographiegeschichte fruchtbar zu machen. Sie verwendet, meist synonym, die Begriffe metanarrative, master narrative oder grand narrative. Dabei gibt es zwei unterschiedliche Arten, diese Begriffe zu verwenden.622 Einige Historiker definieren das metanarrative inhaltlich nach dem verwendeten Handlungsschema, für andere Historiker ist das Kollektiv ausschlaggebend, in dem die Erzählung zirkuliert. Gemäß der ersten Verwendungsart ist ein metanarrative eine abstrakte Erzählung, die auf einer Metaebene über einzelnen konkreten Erzählungen liegt. Lynn Hunt definiert es als „Erzählung, die eine Reihe von anderen Geschichten ordnet“.623 Ganz im Sinne Lyotards sind diese metanar­ 621 Lyotard, La condition postmoderne, S. 7 u. v.a. S. 54–58. 622 Ein kursorischer Überblick findet sich bei Middell, Matthias / Monika Gibas / Frank Hadler, Sinnstiftung und Systemlegitimation durch historisches Erzählen. Überlegungen zu Funktionsmechanismen von Repräsentationen des Vergangenen, in: Comparativ, Jg. 10 (2000), H. 2, S. 7–35, hier S. 21/2. 623 Hunt, Lynn, Geschichte jenseits von Gesellschaftstheorie, in: Christoph Conrad  /

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Die Formen historischer Sinnbildung

ratives sehr allgemein und verbinden unterschiedliche politische Lager. In dieser Logik entspräche der Ausdruck den literaturwissenschaftlichen Begriffen „Plot“, „Handlung“ oder „Erzählschema“, die ebenfalls typische Muster von Einzelerzählungen beschreiben.624 Beispiele für derartige metanarratives sind Erzählungen wie „Säkularisierung“ oder „Modernisierung“. Daneben hat sich eine zweite Art etabliert, die Begriffe zu verwenden. Für einige Historiker ist ein metanarrative eine abstrakte Erzählung, die in einem bestimmten Kollektiv zirkuliert, das mit ihrer Hilfe seine Vergangenheit darstellt. Dies kann zum einen eine bestimmte Darstellung der Nationalgeschichte sein. Es gibt derartige Erzählungen aber auch über- und unterhalb der nationalen Ebene. In diesem Sinne gäbe es nicht nur ein deutsches metanarrative, sondern auch ein europäisches, ein jüdisches, ein deutsch-türkisches oder ein bayerisches.625 Auch bestimmte politische Lager oder Schulen der Geschichtswissenschaft hätten ihre metanarratives. Allerdings verwischt diese zweite Lesart des Begriffs den Unterschied zwischen einer „Meistererzählung“ und einer „Schule“ oder einem „Paradigma“ im klassischen Sinne. Einige, vor allem deutsche Historiker verengen die Begriffe master narrative oder metanarrative noch stärker und verwenden sie, ohne der narrativitätstheoretischen Annahme zu folgen, dass Historiker diese Erzählungen unbewusst verwenden. Jarausch und Sabrow wenden sich ausdrücklich dagegen, eine „geheimnisvolle narrative Kraft zu orten“, die hinter Geschichtsdarstellungen stecke. Stattdessen solle man eher die Frage nach den Produzenten von Erzählungen stellen und untersuchen, wie diese Meistererzählungen etablieren und durchsetzen.626 Das master narrative wäre in der Lesart von Jarausch und Sabrow das Resultat gezielter geschichtswissenschaftlicher Arbeit, oft ein Einzelwerk wie Winklers Langer Weg nach Westen.627 Dieser Ansatz rückt stärker die Rolle der Historiker

624 625 626 627

Martina Kessel (Hg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Stuttgart 1994, S. 98–122, hier S. 113. Martinez / Scheffel, Erzähltheorie, S. 135. Vgl. Middell / Gibas / Hadler, Sinnstiftung und Systemlegitimation durch historisches Erzählen. Jarausch, Konrad H. / Martin Sabrow, „Meistererzählung“. Zur Karriere eines Begriffs, in: dies. (Hg.), Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 9–32, hier S. 14/5. Jarausch beispielsweise bezeichnet den Erfolg von Winklers Der lange Weg nach We­ sten als Beweis dafür, dass „nationale Meistererzählungen weiterhin beim breiten Lesepublikum populär“ sind: Jarausch, Konrad H., Rezension zu: Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen, Bd. 1: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten

Die Sinnbildung durch Metaerzählungen 217

als Schöpfer oder zumindest Herolde der master narratives in den Blickpunkt. Er steht damit eher in der Tradition der herkömmlichen Historiographiegeschichte, die Schaffen und Austausch der Historiker untersucht.628 Die deutsche Geschichtswissenschaft hat die französischen bzw. englischen Begriffe bislang unterschiedlich ins Deutsche übertragen. Es dominiert die unglückliche Übersetzung „Meistererzählung“, die den Begriff verengt und verändert. Das Adjektiv master kann zwar bedeuten, dass eine Erscheinung dominanter oder bedeutender als andere ist, meist aber bezeichnet es die Grundform bzw. das Muster einer Erscheinung.629 Demzufolge kämen die Ausdrücke „Meta-“ und „Großerzählung“ bzw. Übersetzungen wie „Basis-“ und „Mustererzählung“ der englischen und französischen Bedeutung näher.630 Der Ausdruck „Erzählmuster“, den deutsche Historiker gelegentlich verwenden, entspricht in etwa der ursprünglichen Verwendung des Begriffes master narrative – nicht umsonst könnte man diesen auch mit „Mustererzählung“ übersetzen. Allerdings ist der Ausdruck „ErzählReiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, Bd. 2: Deutsche Geschichte vom ‚Dritten Reich‘ bis zur Wiedervereinigung, München 2000, in: H-Soz-u-Kult, 04.04.2001, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1085, 14.5.2012. 628 Sabrow konstatierte zwar auf dem 43. Historikertag, der Begriff „Meistererzählung“ habe die bislang getrennten Analyserichtungen „Geschichtsbild“ und „Diskursordnung“ zusammengeführt, aber weder er selbst noch einer der folgenden Beiträge macht deutlich, wie sich die beiden Ansätze miteinander vereinbaren lassen: Sabrow, Martin, Bericht über die Sektion „Krisen und Konjunkturen der nationalen Meistererzählung im geteilten Deutschland“, in: Max Kerner (Hg.), Eine Welt – eine Geschichte? 43. Deutscher Historikertag in Aachen, 26. bis 29. September 2000. Berichtsband, München 2001, S. 290/1. 629 Die Wörter master copy oder master data werden beispielsweise mit den deutschen Begriffen „Originalkopie“ bzw. „Stammdatei“ übersetzt. Die bezeichneten Gegenstände sind nicht besser oder größer als andere Kopien oder Dateien, sondern deren Vorlage. Vgl. Pohl, Walter, Ursprungserzählungen und Gegenbilder. Das archaische Frühmittelalter, in: Frank Rexroth (Hg.), Meistererzählungen vom Mittelalter. Epochenimaginationen und Verlaufsmuster in der Praxis mediävistischer Disziplinen, München 2007, S. 23–43, hier S. 29. 630 Herz, Thomas, Die „Basiserzählung“ und die NS-Vergangenheit. Zur Veränderung der politischen Kultur in Deutschland, in: Lars Clausen (Hg.), Gesellschaften im Umbruch. Verhandlungen des 27. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Halle an der Saale 1995, Frankfurt a. M. / New York 1996, S. 91–109. Der Ausdruck „Mustererzählung“ wurde unter anderem verwendet von Schmidt-Biggemann, Wilhelm, Politische Theologie der Gegenaufklärung: Saint-Martin, De Maistre, Kleuker, Baader, Berlin 2004, S. 14.

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Die Formen historischer Sinnbildung

muster“ unscharf geblieben und bislang noch nicht eindeutig definiert worden. Bisweilen sprechen deutsche Historiker von „Narrativen“, um den Unterschied zwischen abstrakter Metaerzählung und der Erzählung als konkretem Text deutlich zu machen. In dieser Arbeit soll der Begriff „Metaerzählung“ verwendet werden, da er die ursprüngliche Bedeutung von grand récit und métarécit am besten wiedergibt. Anders als eine Übersetzung, die an einen „Meister“ denken lässt, macht das Präfix „Meta-“ deutlich, dass ein master narrative Muster und Modell ist. Der Neologismus „Narrativ“ erscheint überflüssig, da deutsche Leser sich angesichts der Konjunktur des Begriffes „Erzählen“ daran gewöhnen müssen, dass eine „Erzählung“ nicht unbedingt ein konkreter Text mit einem Anfang und einem Ende ist, sondern auch etwas Abstraktes sein kann. Gegenüber den Begriffen „Erzählmuster“ und „Handlungsschema“ hat die „Metaerzählung“ den Vorteil, dass der Begriff international anschlussfähig ist. Diese Untersuchung verwendet den Begriff „Metaerzählung“ im Sinne einer Erzählung, die auf einer Ebene oberhalb der erzählten Geschichte liegt. Der zweite Ansatz, der unter der „Metaerzählung“ eine sinnstiftende Erzählung innerhalb eines Kollektivs versteht, mag seine Berechtigung haben. Er eignet sich aber nur bedingt für die Schulbuchanalyse. Wollte man untersuchen, welchen Einfluss nationale Meistererzählungen im Schulbuch haben, bräuchte man zunächst genauere Untersuchungen darüber, worin eine deutsche oder französische Meistererzählung besteht und wie sie sich im Untersuchungszeitraum entwickelt hat. Schulbuchanalysen geben, zusammen mit Untersuchungen zu Historiographie, Publizistik und Belletristik, Auskunft darüber, was eine nationale Meistererzählung ausmacht und wie stark sie verbreitet war. In diesem Sinne legt die hier vorgelegte Untersuchung eine Grundlage dafür, die Formen nationaler Meistererzählungen in Deutschland und Frankreich genauer zu bestimmen. Das folgende Kapitel stellt die wichtigsten Metaerzählungen vor, die sich in den untersuchten deutschen und französischen Volksschulbüchern finden. Die Erzählungen werden dabei aus dem Korpus selbst herausgearbeitet. Sie sind zugleich so allgemein gefasst, dass sie anschlussfähig für andere Studien sind. Eine Meta­ erzählung soll hier definiert werden als Handlungsschema, das verschiedene Ereignisse über den Gegensatz von zwei Prinzipien zu einer Geschichte strukturiert. Diese Definition lehnt sich an literaturwissenschaftliche Forschungen an, die die binäre Struktur von Handlungsschemen herausgearbeitet haben. Nach Rexroth beruhen Metaerzählungen in Geschichtsdarstellungen darauf, dass Historiker in der Geschichte zwei „gegensätzliche[…] Ordnungsprinzipien“ ausmachen und

Die Sinnbildung durch Metaerzählungen 219

diese dann in ein „Verlaufsmuster“ überführen.631 Im Folgenden werden die wichtigsten Gegensätze herausgearbeitet, die in den deutschen und französischen Schulbüchern auftauchen. Sie bilden die Grundlage für drei Arten von Erzählungen: Die „Zivilisierungserzählung“ schildert den Gegensatz von „Natur“ und „Zivilisation“; die „Einheitserzählung“ berichtet von „Einheit“ und „Teilung“; die Freiheitserzählung schildert die Spannung zwischen „Freiheit“ und „Fremdbestimmung“. Andere Metaerzählungen wie eine „Säkularisierungserzählung“ lassen sich im Korpus ausmachen, bleiben aber Randphänomene. Ein und dasselbe Ereignis kann von verschiedenen Metaerzählungen zu einer sinnhaften Geschichte strukturiert werden. Schulbücher können die Begegnung von Römern und Germanen beispielsweise mit allen drei hier vorgestellten Metaerzählungen zu einer Geschichte verknüpfen. Sie können die römisch-germanischen Beziehungen entweder als Zivilisierungsgeschichte erzählen, also als Begegnung zwischen einer mehr und einer weniger differenzierten Kultur. Wenn ein Schulbuch seine Darstellung aus der Perspektive der nationalen Einigung gestaltet, kann es die germanischen Stammesverbände als Teil der deutschen Einigungsgeschichte erzählen und zu einem ersten Versuch nationaler Einheit stilisieren. Eine dritte mögliche Strukturierung böte die Freiheitserzählung: Ein Schulbuch könnte die Freiheit der angeblich basisdemokratisch organisierten germanischen Stämme der scheinbaren Unfreiheit im hierarchisch gegliederten, bürokratisch organisierten römischen Kaiserreich gegenüberstellen. Keines der Schulbücher ist durch eine einzelne Metaerzählung strukturiert. In der Regel überkreuzen sich mehrere Erzählungen. Es kann daher nur gefragt werden, welche Erzählungen in bestimmten Büchern, zu bestimmten Zeiten, in bestimmten politischen Lagern oder in Deutschland beziehungsweise Frankreich dominant waren. Die Geschichtsbücher können die verschiedenen Metaerzählungen im Sinne des vorangegangenen Kapitels entweder zu einer epochenübergreifenden Entwicklungslinie verzeitlichen. Die Schlacht im Teutoburger Wald wäre demzufolge der Ausgangspunkt eines nationalen Einigungsprozesses, der mehrere Jahrhunderte andauerte. Die Geschichtsbücher können Metaerzählungen aber auch als zeitunabhängige Konstante gestalten. Der Widerstand gegen die

631 Rexroth, Meistererzählungen und Praxis, S. 6. Christine Pflüger entwickelt aus einem ähnlichen Ansatz heraus ein Analysewerkzeug, das sie „Erzählmuster“ nennt: Pflüger, Vermittlung von Erzählmustern, S.  73. Zu literaturwissenschaftlichen Ansätzen vgl. Martinez / Scheffel, Erzähltheorie, S. 134–144.

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Römer wäre in diesem Fall eines von vielen Beispielen dafür, welche Konsequenzen Einigkeit und Uneinigkeit eines Volkes haben. Betrachtet man die Bücher und die pädagogischen Diskussionen, wird offensichtlich, dass die Wahl bestimmter Metaerzählungen sich tatsächlich weitgehend der bewussten Reflexion entzieht. Die Pädagogen diskutierten emotional und intensiv über die Fragen, wie mittelbar die Bücher die Vergangenheit darstellen, welche Akteure im Vordergrund der Erzählung stehen oder wie Zeitabläufe konstruiert sein sollten. Zu den Erscheinungen, die hier als Metaerzählungen verstanden werden, schwiegen sich die Pädagogen weitgehend aus. Vermutlich galt es ihnen als selbstverständlich, dass die Bücher die deutsche bzw. französische Vergangenheit als Geschichte von Einigung und Teilung darstellten. Ebenso wenig dürften republikanische Pädagogen in Frankreich ernsthaft daran gezweifelt haben, dass die französische und die Weltgeschichte als Zivilisierungsprozess verliefen. Gerade dieser unausgesprochene Konsens macht es interessant, Metaerzählungen zu untersuchen. Denn sie führen den Historiker zu den Ansichten, die die Menschen der Vergangenheit für so selbstverständlich hielten, dass sie nicht einmal darüber diskutierten. 5.1.2. Einheitserzählungen 5.1.2.1 Die französische Geschichte als Einheitserzählung

Die meisten Übereinstimmungen zwischen Deutschland und Frankreich gibt es, wenn man die Einheitserzählung betrachtet. Sie ist in deutschen und französischen Schulbüchern gleichermaßen dominant. Es ist bemerkenswert, wie sich die negative und positive Bewertung der Akteure dieser Einheitserzählungen ähnelt. Außerdem gibt es in den Schulbüchern beider Länder neben der nationalen Einheitserzählung Raum für regionale bzw. europäische Varianten. Die Einheitserzählung setzt voraus, dass die Bücher einen bestimmten politisch oder geographisch definierten Raum, bzw. eine kulturelle oder ethnische Gemeinschaft als Einheit denken. Sie projizieren diese in die Geschichte zurück. Die Einheitserzählung begnügt sich nicht damit, wichtige Entwicklungen zu schildern, die in diesem Raum abgelaufen sind, sondern sie beurteilt diese Entwicklungen danach, inwieweit sie zur Herausbildung seiner Einheit beigetragen haben. Aus deutscher Perspektive erscheint es gelegentlich so, als sei die Einheitserzählung vor allem für die Historiker der deutschen Geschichte eine Herausforderung, da es erst seit 1871 einen deutschen Nationalstaat gab. Doch obwohl Frank-

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reich über eine deutlich längere nationalstaatliche Tradition verfügte, stellte die Einheitserzählung auch die Historiker der französischen Geschichte vor eine intellektuelle Herausforderung.632 Sie mussten Ereignisse wie die Kreuzzüge633 oder die Italienischen Kriege sinnhaft in eine nationale Einheitserzählung integrieren, obwohl die historischen Akteure dieser Unternehmungen nicht nationalen, sondern religiösen, dynastischen oder ökonomischen Beweggründen folgten. Bereits das antike Gallien galt den Büchern, wie oben geschildert,634 als feste territoriale Einheit. Allerdings fehlte den Galliern, wie die meisten Bücher betonten, die innere Geschlossenheit. Sie seien den Römern unterlegen, weil sie kein einiges Land bildeten und untereinander zerstritten waren. Die Römer hätten somit von außen zum ersten Mal die politische Einheit des Landes hergestellt.635 Die Herrschaft Chlodwigs und Karls des Großen galt jeweils als Periode nationaler Einheit. Da die Darstellungen zum Frühmittelalter sich auf diese beiden Herrscherfiguren konzentrierten, entstand der Eindruck, die „Einheit“ Frankreichs sei der Normalfall, die „Teilung“ ein Ausnahmezustand. Mittelalter und feudale Gesellschaft, die in den Büchern nach dem Ende des Karlsreichs begannen, galten in den französischen Schulbüchern als eine Zeit, in der das Land gespalten war. Verantwortlich für diese Lage seien „Feudalherren“ („seigneurs“) gewesen, die die königliche Autorität nicht mehr respektiert und ständig untereinander Krieg geführt hätten. Die Wortwahl der Bücher suggerierte den Lesern, dass Frankreich vor diesem Zustand geeint war: Frankreich „zerteilt sich“ („se morcelle“), der Feudalherr „gehorchte niemandem mehr“ („il n’obéissait plus à personne“).636 Mit der Thronbesteigung des ersten Kapetingerkönigs Hugo im Jahr 987 begann in den Schulbüchern ein unaufhaltsamer Einigungsprozess. Die französischen Könige hätten im Verbund mit dem Bürgertum schrittweise die Einheit des Landes realisiert, vor allem gegen den Widerstand des Adels. Den Hundertjährigen 632 Jarausch / Sabrow, Meistererzählung, S. 26. 633 Die nationale Deutung der Kreuzzüge ist in den hier untersuchten Büchern für écoles primaires noch deutlich stärker ausgeprägt als in den Büchern aller Schulformen, die Guhe untersucht hat: Guhe, Ines Anna, Crusade Narratives in French and German History Textbooks 1871–1914, in: European Review of History – Revue européenne d’histoire, Jg. 20 (2013), H. 3, S. 367–382, v.a. S. 371–375. 634 S. oben, Kap. 4.3.2 und 4.3.3. 635 Z.B. Réunion, Histoire de France, 1910, S. 4; Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 5 u. S. 9; Besseige / Lyonnet, Histoire de France, 1935, S. 5; Chaulanges / Chaulanges, His­ toire de France, 1959, S. 6. 636 Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916, S. 7; Guillemain / Le Ster, Histoire, S. 100, Herv. im Orig.

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Krieg, die Zeit der Religionskriege und oft auch die Regentschaft Marias von Medici schilderten die Bücher als Zeiten der Spaltung und des Bürgerkrieges. Die Französische Revolution galt den weltlichen Büchern als entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem Land, da sie die letzten Überreste des Feudalismus beseitigt und die Verwaltungsstrukturen vereinheitlicht hätte. Das entschlossene Eingreifen der Revolutionsregierungen habe den Bürgerkrieg abgewendet.637 Die katholischen Bücher hingegen lobten zwar die administrative Vereinheitlichung, die die Revolution geschaffen hatte, sie charakterisieren diese aber insgesamt als Periode der Spaltung.638 Sie betonten vor allem den Anteil, den das Königtum und die Kirche an der nationalen Einheit hatten. Die Histoire de France von Guillemain beispielsweise zitierte Joseph de Maistre, der Frankreich für ein Werk seiner Bischöfe hielt: « Comme les abeilles font leur ruche, les évêques ont fait la France. » Wie in den weltlichen Büchern bildete die Nationsbildung für das Lehrwerk einen jahrhundertelangen Prozess. Allerdings sei die Einheit des Landes bereits am Ausgang des Mittelalters „vollendet“ („achevée“) gewesen. Der König sei nun Herr im eigenen Haus, das ganze Land zahle die gleichen Steuern und habe die gleichen Gesetze. „Diese Arbeit“ („Ce travail“) sei das Werk der Könige gewesen.639 Mit Ausnahme des antiklerikalen Geschichtsbuches von Brossolette würdigten die weltlichen Lehrwerke ebenfalls die Rolle der französischen Könige, wiesen aber darauf hin, dass erst die Revolution die moderne französische Nation geschaffen habe. Nach Lavisse’ Histoire de France hätten die Könige das französische Territorium geschaffen, so wie Grundbesitzer ein Feld an das andere fügen, um ihren Besitz abzurunden. Die innere Nationsbildung aber sei ein Verdienst der Revolution: « C’est vraiment la Révolution qui a créé la patrie française comme nous la connaissons et l’aimons aujourd’hui. »640 Einige weltliche Bücher sahen

637 Z.B. Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S. 36–38, S. 46, S. 84–91, S. 95 u. S. 167/8; Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 57/8, S. 89, S. 90 u. S. 176/7; Aymard, Histoire de France, 1927, S. 21, S. 23, S. 29, S. 38 u. S. 86. 638 Z.B. Segond, Histoire de France, 1927, S. 51, S. 98, S. 157 u. S. 183; Faÿ / Maurel / Equy, Bd. 1, 1942, S. 171, S. 225 u. S. 237, Bd. 2, 1943, S. 5 u. S. 146. 639 „Die Bischöfe haben Frankreich gemacht, wie Bienen ihren Stock machen.“ Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 69 u. S. 153. Vgl. z.B. Faÿ / Equy / Maurel, Histoire de France, Bd. 1, 1942, S. 225. 640 Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 55 u. S. 252. Vgl. z.B. Devinat, Histoire de France, 1908, S. 120.

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bereits in den Generalständen des Mittelalters einen wichtigen Akteur der Nationsbildung.641 Das katholische und das weltliche Lager teilten die Ansicht, dass Johanna von Orleans einen zentralen Beitrag zur französischen Einheit geleistet habe. Allerdings setzten die Bücher hier unterschiedliche Akzente. Katholische Bücher ließen Johanna als Instrument des göttlichen Willens erscheinen.642 Weltliche Bücher betonten vor allen Dingen ihre Herkunft aus dem einfachen Volk. Der Beitrag zur Nationsbildung, den sie geleistet hatte, war somit ein Verdienst des Volkes und nicht der Könige. Nach der Histoire de France von Aymard habe erst Johanna den Patriotismus der Franzosen geweckt, während das Land vorher nicht mehr als eine Ansammlung von Provinzen gewesen sei, die lediglich der Gehorsam gegenüber dem König zusammenhielt.643 In Frankreich erzählten weltliche und katholische Bücher die nationale Vergangenheit konsequent als Einigungsgeschichte. Diese war nicht bloß Gegenstand des Geschichtsunterrichts, sondern bereits ein Lernziel. Französische Pädagogen rechtfertigten den Geschichtsunterricht selbst mit dem Argument, nur er begründe die Einheit des Landes und führe den Schülern vor Augen, wie wichtig und bewahrenswert diese sei. Déghilage erklärte 1912 im Journal des instituteurs, Geschichte würde man nicht allein der Geschichte wegen unterrichten, „sondern auch und vor allem wegen des intellektuellen, moralischen und patriotischen Nutzens“ („mais aussi, mais surtout, pour le profit intellectuel, moral et patriotique“), den sie künftigen Generationen bringe. Dazu gehöre die Erinnerung an diejenigen, die Frankreich zu einer einheitlichen Nation gemacht hätten.644

641 Gauthier, Histoire de France, 1916, S. 19; Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 43. 642 S. oben, Kap. 4.3.3. 643 Aymard, Histoire de France, 1927, S.  22. Vgl. z.B. Ozouf  / Leterrier, Histoire de France, 1952, S. 74. Vgl. Julien, G., Autour de Jeanne d’Arc, in: Journal des instituteurs; Jg. 77 (1930/31), H. 20, 7.2.1931, S. 292. 644 Déghilage, P., La neutralité scolaire. Neutralité historique, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 58 (1911/12), H. 18, 21.1.1912, S. 145/6, hier S. 145. Vgl. Brossolette, Léon, L’histoire et le nationalisme, in: ebd., Jg. 77 (1930/31), H. 22, 21.2.1931, S. 319/20; Boursin, P., Quelle place faut-il faire aux idées générales?, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 92 (1924/25), H. 9, 22.11.1924, S. 190/1.

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Die Formen historischer Sinnbildung

5.1.2.2 Die deutsche Geschichte als Einheitserzählung

In den deutschen Schulbüchern war die Einheitserzählung ebenso prägend. Kapitel zu den verschiedensten Epochen machten die Klage über die deutsche „Teilung“, „Zersplitterung“ oder „Zwietracht“ zu einem Leitmotiv der deutschen Geschichte. Die Darstellung fokussierte auf Fürsten wie Karl oder Otto den Großen, die große Gebiete unter ihrer Herrschaft einigten. So entstand – wie in den französischen Büchern – der Eindruck, dies sei der historische Normalzustand. Da die Lehrwerke die gesamte Vergangenheit an diesem Zustand maßen, deuteten sie einen Großteil der deutschen Vergangenheit als Zeit der „Spaltung“. Die Vorstellung, „Uneinigkeit“ oder „Teilung“ seien für Deutschland charakteristisch, verfestigte sich zum Stereotyp, vor dessen Hintergrund die unterschiedlichsten Phänomene erfasst wurden. Lebendige Geschichte etwa wies darauf hin, dass im Unabhängigkeitskrieg der USA „wie so oft in der Geschichte Deutsche gegen Deutsche“ gekämpft hätten.645 Die Einheitserzählung strukturierte bereits den Kampf der Germanen unter Arminius gegen Rom. Fast alle Bücher schilderten die Auseinandersetzung als ersten Einigungsversuch der deutschen Geschichte. Oft deuteten Bücher den Sieg von Armin als Beispiel für geschlossenes Handeln und warnten vor germanischer „Zwietracht“, so dass hier das Leitmotiv der deutschen „Teilung“ zum ersten Mal aufschien.646 Die nationalsozialistischen Schulbücher und Kumstellers Geschichts­ buch für die deutsche Jugend von 1929 führten diesen Gedanken besonders weit, indem sie Armin zuschrieben, er habe eine Art Nationalstaat geplant.647 Manche 645 Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 2, 1956, S. 44. Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 24 u. S. 28 erklärte beispielsweise den Untergang der Germanenreiche in der Völkerwanderung und die Niederlage der Sachsen gegen die Franken jeweils mit Uneinigkeit. Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 48 erklärte die schlechte Lage Deutschlands im 16. Jahrhundert damit, dass in dieser Zeit „Spaltungen“ auftraten, die zuvor unbekannt waren, nicht nur zwischen Katholiken und Pro­ testanten, sondern auch zwischen Gelehrten und dem wenig gebildeten Volk. 646 Z.B. Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 20; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 1, 1928, S. 6. 647 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 13; Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 39; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S. 16; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 40; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 11; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 13; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 34; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 21; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1,

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Bücher sahen in Theoderich den verhinderten Gründer eines pangermanischen Großreiches.648 Das Karlsreich war für viele deutsche Bücher seit der Weimarer Republik ein weiterer Versuch, die germanischen bzw. westgermanischen Stämme zu einigen.649 Die Phase nach der Auflösung des Karlsreiches galt den Büchern als Zeit der Teilung, das Hochmittelalter als Periode der Einheit. Die folgenden knapp 400 Jahre bis zum Westfälischen Frieden stellten die Bücher als Zeit des Zerfalls dar. Dennoch suggerierten die meisten Bücher, erst der Westfälische Frieden und vor allem die beteiligten ausländischen Mächte hätten das Reich aufgelöst. Franke / Schmeils Realienbuch behauptete beispielsweise: „Durch den Frieden, der zu Münster und Osnabrück geschlossen wurde […], verlor Deutschland die vorherrschende Stellung, die es seit fast 900 Jahren in der Welt innegehabt hatte.“650 Da die Bücher die deutsche Geschichte mit der französischen, der britischen und der spanischen Geschichte verglichen, erschien diese Entwicklung als deutscher Sonderweg in einem Europa, in dem sich alle anderen Länder zu Einheitsstaaten ausgebildet hätten. Diesen „Normalweg“ verkörperte in den Schulbüchern vor allen Dingen Frankreich, dessen Staatsbildungsprozess sie dem „Zerfall“ des Reiches gegenüberstellten. Unsere Geschichte berichtete von der Einheit Frankreichs in der Frühen Neuzeit: „Alle Franzosen sahen ihr höchstes Ziel darin, das Vaterland zu vergrößern und seinen Ruhm zu mehren.“651 Die Bücher des Kaiserreiches, der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus folgten dem Muster der borussianischen Geschichtsschreibung652 und erzählten Staatsbildung und Expansion Brandenburg-Preußens als Voraussetzung der deutschen Einigung. Die bayerischen Bücher waren hier zurückhaltender, machten aber ebenfalls Preußen zum zentralen Akteur der deutschen Einigung. 1940, S. 13. 648 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 53; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 49; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 26; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 1, 1960, S. 56. 649 Z.B. Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1931, S.  23; Kamps Neues Realienbuch, S. 45; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 1, 1960, S. 85. 650 Z.B. Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 72. Vgl. ebd., S. 7–9, S. 21, S. 35 u. S. 73; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 41, S. 56, S. 109 u. S. 143. 651 Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 109/10. 652 Hardtwig, Wolfgang, Von Preußens Aufgabe in Deutschland zu Deutschlands Aufgabe in der Welt. Liberalismus und borussianisches Geschichtsbild zwischen Revolution und Imperialismus, in: ders., Geschichtskultur und Wissenschaft, München 1990, S. 103–160.

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Eine Ausnahme stellte das NS-Merkbuch dar, das diese Rolle dem Volk und Bismarck zuschrieb.653 Überraschend ist, dass die republikanisierte Form der borussianischen Einheitserzählung deutlich radikaler war als ihre monarchische Vorgängerversion in den Schulbüchern des Kaiserreichs. Die preußischen Fürsten strahlten in den Weimarer Büchern noch heller, da die Bücher nun keine Rücksicht mehr auf die Dynastien der anderen deutschen Länder nahmen und die außerpreußischen „Fürsten“ zu eigennützigen Bremsern der deutschen Einigung stilisierten. Außerdem spitzten die Weimarer Bücher die Darstellung des Westfälischen Friedens auf die Frage nach der Einheit zu. Während zu Beginn des Jahrhunderts noch im Mittelpunkt stand, dass der Friedensschluss die Kämpfe beendet und die konfessionelle Vielfalt bewahrt hatte, machten die Bücher den Friedensvertrag zunehmend für die Auflösung des Reiches verantwortlich. Diese Entwicklung war keineswegs allein dem verlorenen Weltkrieg geschuldet, sondern sie war Teil der Entmonarchisierung und Nationalisierung der Bücher, die sich bereits in den späteren Ausgaben der Bücher des Kaiserreiches abzeichnete.654 Dabei mussten die Bücher den Widerspruch auflösen, dass gerade die Herausbildung von souveränen Territorialstaaten wie Preußen zum Zerfall der Reichsgewalt beigetragen hatte. Die Lehrwerke verschwiegen oder entschuldigten preußische Bündnisse mit ausländischen Monarchen daher mit dem „Neid“ oder der „Undankbarkeit“ des Kaisers gegenüber Brandenburg-Preußen.655 Sie deuteten die Politik Preußens stets so, als hätten die preußischen Fürsten bzw. das preußische Volk stets die deutsche Einheit oder zumindest das Wohl Deutschlands zum Ziel gehabt. Oft findet sich 653 Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 20–25; Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 27–33; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S. 56–65. 654 Dies zeigt sich, wenn man zwei Ausgaben des Realienbuches von Kahnmeyer / Schulze vergleicht bzw. zwei Bücher des Verlages Teubner: Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 78; dies., Realienbuch, 1911, S. 78; Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 66/7; Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 73. Zur Weimarer Republik: Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 2, 1931, S. 6/7; Geschichtsbilder, 1929, S.  69; Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1931, S.  90–92; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 8/9 u. S. 16; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 2, 1928, S. 5; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1930, S. 40; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 62–64. Diese Deutung fehlt in: Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 21. 655 Z.B. Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1904, S.  86; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1916, S. 22; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 71; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 18.

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die Vorstellung, die preußischen Kurfürsten und Könige seien von Charakter und Gesinnung her im Gegensatz zu anderen Fürsten besonders deutsch gewesen.656 In fast allen nationalsozialistischen Büchern verfestigte sich die Vorstellung, Preußen habe schon im 17. und 18. Jahrhundert die deutsche Einheit vorbereitet, zu einem gezielten Generalplan. So habe Kurfürst Friedrich Wilhelm nach Sie alle bauten Deutschland vor dem Friedensschluss mit den Schweden gesagt: „Ist aber erst mein Brandenburg stark, kann ich auch dem armen Deutschland besser helfen, in dem seit über 20 Jahren der Krieg tobt.“657 Erstaunlich ist, wie rasch die Geschichtsbücher der Bundesrepublik die Einheitserzählung entborussifizierten. Zwar spielte Preußen immer noch eine wichtige Rolle in der deutschen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, aber kein Buch behauptete, die preußische Politik dieser Zeit habe die Einheit Deutschlands vorbereitet. Die Geschichtsbücher der Bundesrepublik und der DDR reduzierten den preußischen Anteil an der Einheit deutlich und machten das deutsche Volk insgesamt zum Träger der Nationalbewegung.658 Im Kaiserreich trat die Einheitserzählung in den Kapiteln zum 19. Jahrhundert stark zurück. Die bürgerliche Nationalbewegung fand kaum Erwähnung. Selbst die Kriege von 1864, 1866 und 1870/71 waren allein durch die Tatsache verbunden, dass sie alle von Wilhelm I. geführt wurden. Sie erschienen nicht wie in späteren Zeiten als zielgerichtete Reichseinigungskriege.659 Erst in den Büchern der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik domi656 Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 76 u. S. 81. 657 Hausmann / Thiele / Kroll, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 2, 1942, S. 84. Vgl. Blume, So ward das Reich, Bd. 2, 1941, S. 6; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 2, 1934, S. 172; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 89; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1937, S. 16. 658 Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd.  6, 1953, S.  49–57 u. S.  67–101; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 79–86; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 113/4 u. S. 123/4; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 2, 1956, S. 47–50 u. Bd. 3, 1957, S. 6/7; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 104/5; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 3, 1960, S. 12–16; Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 3, 1952, S. 240– 242; Zeise, Roland / Herbert Mühlstädt, Das Volk steht auf, 7. Schuljahr, T. 2, 1958. 659 Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 119–127; Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S.  118–125; Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1904, S.  126–136; dies., Realienbuch, Braunschweig, 1918, S.  81–88; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  1, 1916, S. 6–13 u. S. 40; Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 92–97; Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 23/4. Eine Ausnahme stellt dar: Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S. 54– 58.

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nierte die Einheitserzählung das 19. Jahrhundert, wo sie sich mit der Freiheitserzählung verband. Alle anderen Aspekte ordneten die Bücher diesen Metaerzählungen unter, sie überschrieben ihre Epochenkapitel mit Überschriften wie „Deutsches Ringen um nationale Einheit und Freiheit“, „Der Kampf um das Zweite Reich“ und „Die deutschen Einheits- und Freiheitsbestrebungen bis zur Reichsgründung durch Bismarck“.660 Der Gegensatz von Einheit und Spaltung war so prägend, dass die Weimarer und nationalsozialistischen Bücher die Erfahrung des Ersten Weltkrieges mühelos in diese Metaerzählung einordneten. Die Gebietsverluste nach dem Weltkrieg, das Anschlussverbot für Österreich und die revolutionäre Dynamik im Reich deuteten die Weimarer und nationalsozialistischen Bücher als Fortsetzung eines jahrhundertelangen Kampfes um Einheit. Sie konstruierten Parallelen zwischen Versailler Vertrag und Westfälischem Frieden, da beide Deutschland zerstückelt hätten. Auch republikanische Lehrwerke erklärten die revolutionären Ereignisse oder die innenpolitischen Konflikte der Weimarer Demokratie mit den Stereotypen deutscher „Zwietracht“ oder „Uneinigkeit“.661 In den Büchern von DDR und Bundesrepublik waren „Einheit“ und „Teilung“ zwar ebenfalls ein Leitfaden der Darstellung, aber lediglich die Geschichte unseres Volkes ordnete die innenpolitischen Konflikte der Weimarer Republik und die Zweistaatlichkeit der Nachkriegszeit ausdrücklich in diese Metaerzählung ein.662

660 Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 3, 1928; Kamps neues Realienbuch, 1938, S. III; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 3. Vgl. Gerwarth, Robert, Republik und Reichsgründung. Bismarcks kleindeutsche Lösung im Meinungsstreit der ersten deutschen Demokratie (1918–1933), in: Heinrich August Winkler (Hg.), Griff nach der Deutungsmacht. Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland, Göttingen 2004, S. 115–133. 661 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1928, S. 89; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd.  3, 1928, S.  49; Blume, So ward das Reich, Bd.  2, 1941, S. 104 u. S. 147; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 3, 1937, S. 354; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 3, 1942, S. 177 u. S. 180; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 215; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 152 u. S. 162; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1934, S. 80; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1936, S. 50. 662 Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 41 u. Bd. 4, 1954, S. 96 u. S. 133.

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5.1.2.3 Die Helden und Schurken der Einheitserzählung

Bemerkenswerte Parallelen ergeben sich, wenn man betrachtet, wie die deutschen und französischen Bücher die Akteure der Einheitsbewegungen darstellten. Die geradezu obsessive Fixierung auf die nationale Einheit führte dazu, dass die Bücher alle historischen Akteure in zwei Lager einteilten. Alle Personen oder Kollektive, deren Handeln irgendwie zu einem Einigungsprozess beigetragen hat, erschienen in positivem Licht. Alle Akteure, die ihn gehemmt haben, sahen sich Kritik ausgesetzt. Die Geschichtsbücher lösten alle Handlungsträger aus ihren familiären, sozialen, konfessionellen oder regionalen Beziehungen und beurteilten sie danach, inwieweit sie zur deutschen und französischen Einheit beigetragen hatten. Kritik traf in den deutschen und französischen Schulbüchern vor allem den Adel, aber auch Akteure, die sich von konfessionellen Überlegungen leiten ließen. Als Träger der Einigung galten die Monarchen und das Volk. Die Bücher schilderten die Politik der französischen und deutschen bzw. preußischen Monarchen meist so, als habe sie auf den modernen Nationalstaat gezielt. Sie passten deren Handeln in das nationale Raster ein. Die Italienischen Kriege, die sich kaum mit nationalen Ambitionen im modernen Sinn rechtfertigen lassen, hätten nach der Lesart der meisten französischen Schulbücher zwar keine politischen Vorteile gebracht, aber immerhin die Renaissance nach Frankreich geholt.663 Die deutschen Bücher standen nicht nur vor der Herausforderung, die Handlungen der preußischen Fürsten in einem nationalen Rahmen zu deuten. Auch die Politik der mittelalterlichen Kaiser, etwa die Italienzüge, ließ sich oft nur schwer innerhalb einer Einheitserzählung vermitteln. Den Schulbüchern des Kaiserreiches fiel dies leicht, da sie das Reich primär über den Monarchen definierten und nicht über eine Nation. Auch die Lehrwerke der Bundesrepublik integrierten die Italienpolitik der Kaiser problemlos in ihre Einheitserzählung, da sie die christliche und die europäische Dimension der nationalen Geschichte stärker betonten. Sie empfanden den feudalen, religiösen und supranationalen Charakter des Reiches nicht als Widerspruch zu seiner nationalgeschichtlichen Bedeutung. Die nationalsozialistischen und völkisch-nationalistischen Weimarer Geschichtsbücher, die den Gedanken der Nation konsequent über dynastische, soziale oder konfessionelle Gesichtspunkte stellten, kritisierten derartige Unternehmungen, 663 Z.B. Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 73; Aymard, Histoire de France, 1927, S. 28; Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1942, S. 23; Guillemain / Le Ster, His­ toire de France, 1948, S. 114 u. S. 170.

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da sie nicht den „nationalen“ Interessen gedient hätten. Die meisten dieser Bücher stellten sich im Konflikt zwischen Kaiser Friedrich und Heinrich dem Löwen auf die Seite des sächsischen Herzogs. Dieser habe die Expansion nach Osten unterstützt und damit im Gegensatz zum Kaiser nationale Politik betrieben.664 Auch in diesem Fall war die Kritik am Monarchen selbst verhalten. Während die Schulbücher die Politik der Monarchen nur selten offen in Frage stellten, stilisierten deutsche wie französische Lehrwerke jeglicher politischer Couleur und aller Epochen die Adeligen zu den Schurken der Einheitserzählung. Sie deuteten adlige Opposition gegen den Monarchen als vorsätzliche Spaltung des Landes und übten harte Kritik an ihnen. Folgt man den französischen Büchern, haben die Feudalherren im Mittelalter die französische Einheit zerstört. In der Frühen Neuzeit hätten die Großen die Einigungspolitik der Könige gefährdet und während der Französischen Revolution hätten adelige Emigranten die Nation gespalten.665 In den deutschen Büchern übernahmen die Fürsten diese Rolle. Während die Bücher des Kaiserreiches kaum Kritik an deutschen Fürsten äußerten, avancierten diese mit den Weimarer Büchern ähnlich wie in Frankreich zu den Bösewichtern der Einheitserzählung. Sie galten mit Ausnahme der preußischen Fürsten als Grund der „Zersplitterung“ Deutschlands und als Gegner der nationalen Einheit. Der Egoismus der Fürsten habe das mittelalterliche Reich geschwächt, er sei verantwortlich für die „Zersplitterung“ im Westfälischen Frieden gewesen und habe die Einigung im 19. Jahrhundert gehemmt. Die nationalsozialistischen Geschichtsbücher stellten die Fürsten noch stärker als die anderen Lehrwerke als Gegner der nationalen Einheit dar. Nach So ward das Reich und in Foerschls Merkbuch für die deutsche Geschichte sabotierten die „germanischen Fürsten“ schon den Widerstand

664 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 29; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd.  1, 1929, S.  40; Blume, So ward das Reich, Bd.  1, 1940, S.  99–104; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S. 32–34; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 93/4; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd.  1, 1942, S.  48–52; Kahnmeyer, Realienbuch, 1938, S.  57–59; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 50/1. 665 Z.B. Devinat, Histoire de France, 1908, S.  18/9, S.  65 u. S.  126; Bernard  / Redon, Histoire de la France, 1938, S. 53–56, S. 121 u. S. 185; Troux, Histoire de la France, 1947, S. 8/9, S. 34 u. S. 62.

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Arminius’ gegen die Römer.666 Die Geschichtsbücher der DDR knüpften an dieses Feindbild lückenlos an.667 Historische Akteure, die konfessionelle Interessen über scheinbar nationale Ziele stellten, zählten für die Schulbücher ebenfalls zu den „Schurken“ der Einheitserzählung. Die Konfessionalisierung der Frühen Neuzeit erschien in allen französischen Schulbüchern als Moment der nationalen Spaltung. Dies ist in den katholischen Büchern offensichtlich, da sich dort nationale und katholische Interessen deckten. Die katholischen Bücher warfen dem Protestantismus vor, Frankreich gespalten zu haben, seine Bekämpfung sei daher legitim gewesen.668 Auch das weltliche Lager, dem seine Gegner und die Forschung oft eine gewisse Protestantenfreundlichkeit attestierten,669 fand wenig Verständnis für die partikularen Interessen der französischen Protestanten. Zwar schilderten die weltlichen Bücher den Protestantismus überwiegend positiv und forderten religiöse Toleranz. Sie verurteilten die Widerrufung des Ediktes von Nantes unter Ludwig XIV., applaudierten aber der anti-hugenottischen Politik Richelieus, der das Béarns rekatholisierte und die protestantischen Sicherheitsplätze aufhob. Die Protestanten hätten „einen Staat im Staat“ („un État dans l’État“) gebildet, der die nationale Einheit gefährdet habe.670 Die Reformation gilt als nationaler Mythos der Deutschen. Protestantische Stimmen deuteten die Reformation als wichtige Etappe auf dem Weg zur Gründung der Nation.671 Die deutschen Volksschulbücher hingegen integrierten die Konfessionalisierung je nach ihrer religiösen Grundhaltung auf verschiedene Weise in die nationale Einheitserzählung. Die Geschichtsbücher des Kaiserreiches und ein Teil 666 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 38/9; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S. 16. Die gleiche Feststellung findet sich allerdings schon in Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 6. 667 Z.B. Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd.  1, 1952, S.  127, S.  200 u. S.  287; Zeise / Mühlstädt, Das Volk steht auf, T. 1, 1958, S. 9/10 u. S. 98. 668 Z.B. Segond, Histoire de France, 1910, S. 155/6; Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 176. 669 Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale, S. 221. 670 Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938, S. 122. Vgl. z.B. Blanchet, Histoire de France, 1913, S.  106; Audrin  / Dechappe  / Dechappe, Notre France, 1942, S.  53; Chaulanges / Chaulanges, Histoire de France, 1959, S. 84. 671 Chaix, Gérald, Die Reformation, in: Étienne François / Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 2, München 2003, S. 9–27. Eine französische Untersuchung hingegen behauptet, dies gälte auch für deutsche Geschichtsbücher: Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale, S. 215–223.

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der Weimarer und bundesrepublikanischen Bücher stellten die Reformation vorwiegend als religiöse Entwicklung dar und betonten ihre europäische Dimension.672 Den meisten bundesrepublikanischen Büchern und dem bayerischen Lehrwerk Aus der Geschichte unseres Volkes von 1932 hingegen galt die Reformation nicht als Schritt zum Nationalstaat, sondern als Akt der Spaltung Deutschlands und Europas.673 Allein die meisten Geschichtsbücher des Nationalsozialismus, ein Teil der Weimarer Bücher und die Lehrwerke der DDR deuteten die Reformation als Vorläufer der nationalen Einigung im 19. Jahrhundert.674 Als Gefahr für die nationale Einheit galt vielen deutschen und französischen Büchern der Pluralismus der politischen Parteien. In der Logik der Bücher gab es für Probleme eindeutige Lösungen. Meist blendeten sie Differenzen über verschiedene Lösungswege aus. Sofern sie innenpolitische Auseinandersetzungen thematisierten, deuteten sie jeglichen Konflikt als negativ, da er die innere Einheit gefährden würde. Französische Bücher führten die Probleme der Französischen Revolution darauf zurück, dass die Revolutionäre sich in zwei Parteien gespalten hätten, 672 Hirts Neues Realienbuch, 1910, S.  50–59; Franke  / Schmeil, Realienbuch, 1907, S.  58–63; Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1904, S.  60–66; dies., Realienbuch, Braunschweig, 1918, S.  20–31; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  2, 1915, S. 25; Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 55–63; Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S. 35–37; Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 13/4; Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd.  1, 1931, S.  42–46; Geschichtsbilder, 1929, S.  49–51; Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1931, S.  74–80; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  1, 1930, S. 37/8; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 127–129; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 2, 1960, S. 28–30. Die nationalsozialistische Ausgabe von Nehring verzichtete ebenfalls auf eine nationale Deutung: Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1940, S. 48. 673 Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S.  18/9; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S.  71–76; Mann, Lebendige Geschichte, Bd.  2, 1956, S.  62; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 20. 674 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 62–67; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 1, 1928, S. 41–44, v.a. S. 44; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 52–56, v.a. S. 56; Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 148– 156; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S.  40–42; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd.  1, 1935, S.  131; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd.  1, 1942, S.  72–77; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S.  81–83; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 81; Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 2, 1952, S. 179–183, v.a. S. 182; Mühlstädt, Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, 7. Schuljahr, 1959, S. 143–150, v.a. S. 149/50.

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einige beklagten die Uneinigkeit der Parteien in der Dritten Republik. 675 In Deutschland warnten, wie oben dargestellt, vor allen Dingen Weimarer und nationalsozialistische Geschichtsbücher vor innenpolitischer Uneinigkeit. In zwei Lehrwerken aus dem Kaiserreich galt allein das Vorhandensein verschiedener Parteien als Problem. Hirts Neues Realienbuch schrieb über das Paulskirchenparlament, „man hatte eingesehen“, dass „innere Zerrissenheit und Uneinigkeit“ Deutschland geschwächt hätte. Daher habe man eine Nationalversammlung einberufen. Dort seien „jedoch“ zwei Parteien entstanden.676 Allein die Präsenz von Parteikonflikten erklärte somit das Scheitern der Nationalversammlung. Nahezu alle deutschen und französischen Lehrpläne schrieben vor, die nationale Geschichte mit dem Konzept von Einheit und Teilung zu strukturieren.677 Wie die Bücher die Einheitserzählung konkret ausgestalten sollten, ließen die staatlichen Vorgaben meist offen. Da die Einheitserzählung scharf zwischen „Helden“ und „Schurken“ unterschied, entwickelte sie in den Schulbüchern eine starke antipluralistische Stoßrichtung. Deutsche und französische Schulbücher aller Epochen vermittelten den Schülern, dass Einigkeit und Geschlossenheit an sich zentrale Werte darstellten. Partikulare Interessen galten als Bedrohung der Einheit. Die Vorstellung, dass der Einzelne sich Interessen des Kollektivs unterordnen muss, beschränkte sich keineswegs auf die deutschen Bücher oder gar auf die Lehrwerke des Kaiserreichs und des Nationalsozialismus. Sie ist ein zentrales Element der pro-republikanischen Geschichtsdeutung in Frankreich und Deutschland. Da weltliche und nationalistische Schulbücher sich, wie oben gezeigt, die Nation als einheitlichen Akteur vorstellten, nahmen sie jeglichen internen Konflikt als Bedrohung der Nation wahr. 5.1.2.4 Einheitserzählungen jenseits der Nation

Das Handlungsschema „Einheit“ bezog sich nicht nur auf die nationale deutsche oder französische Ebene: Auch die preußische oder die europäische Geschichte 675 Z.B. Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 158; Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1942, S. 209; Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916, S. 141; Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, Bd. 2, 1943, S. 291; Ozouf / Leterrier, Histoire de France, 1952, S. 209. 676 Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 117; Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 115. 677 Z.B. Programmes. Instructions. Répartitions mensuelles et hebdomadaires. 1945– 1947, 1948, S.  187–195; Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1926, S. 166/7; Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1936, S. 54–59.

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konnten als Einigungsgeschichte erzählt werden. Der gleiche Prozess, den man aus einer anderen Perspektive „Herausbildung von Staatlichkeit im frühen neuzeitlichen Europa“ nennen könnte, erschien in einer Einheitserzählung zugleich als Einigungs- und Teilungsgeschichte: Während Brandenburg sich „einigte“, „teilten“ sich das Reich und Europa. Die Bücher, die diese Prozesse schilderten, mussten diese Widersprüche verbergen oder beschönigen. Die deutschen Bücher erzählten stellenweise auch die bayerische und die preußische Vergangenheit als Einigungsgeschichten. Fikenschers Aus der Geschichte unseres Volkes beklagte beispielsweise, der „bajuwarische Volksstamm, der vom Lech bis nach Wien und Graz reicht“, sei 1190 durch die Abtrennung des späteren Österreich „zerrissen“ worden.678 Preußen galt den Büchern zwar zu keiner Zeit als natürliche Einheit mit vorgegebenen kulturellen, ethnischen oder geographischen Grenzen, aber auch hier werteten die Schulbücher Opposition gegen die Zentralmacht als Verstoß gegen die Einheit des Landes. Sie setzten die Politik der Stände, die sich den Fürsten widersetzten, mit einer Gefahr für das Land selbst gleich.679 Das Handlungsmuster von Einheit und Spaltung war derart zentral, dass Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte die Entwicklung Preußens unter Friedrich Wilhelm II. (1786–1797) mit der Überschrift „Das Reich Friedrichs des Großen zerfällt“ versah, obwohl das preußische Territorium sich in dieser Zeit nahezu verdoppelte. Als „Zerfall“ deutete das Lehrwerk die Verschuldung des Landes, die kostspielige Hofführung und den fehlenden Bürgersinn. Das Buch kritisierte, die Preußen hätten keine „Volksgemeinschaft“ gebildet.680 Die Bücher für regionale Geschichte, die sich an französische Schüler wandten, strukturierten die Geschichte der Provinzen als Einheitserzählung. Sie bemühten sich meist, regionale und nationale Identität als vereinbar darzustellen. Die Petite histoire de Bretagne von Levron hob zwar hervor, dass die Bretonen die Privilegien geschätzt hätten, die die Provinz im Ancien Régime genossen hatte. Sie stellte aber zugleich klar, dass sie zugleich loyale französische Untertanen und Staatsbürger gewesen seien: « Cependant les Bretons ne séparent pas l’amour de leur pays de celui de la France. »681 Die Histoire de la Normandie von Baradel / Fallourd schil678 Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 15. 679 Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  1, 1916, S.  18; Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 75; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 18– 20; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 89. 680 Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 2, 1928, S. 23. 681 „Dennoch unterscheiden die Bretonen nicht zwischen der Liebe zu ihrem Land und der zu Frankreich.“ Levron, Bretagne, 1946, S. 9.

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derte die Entstehung des normannischen Herzogtums nicht als Bedrohung für die französische Einheit, sondern als Wegbereiter des französischen Nationalstaates. Die Normandie sei noch vor Frankreich ein „Einheitsstaat“ („un état unifié“) gewesen. Die Kapetinger hätten somit lediglich die normannischen Fürsten imitiert.682 Allein die katholische Histoire de Bretagne von Poisson stellte bretonische und französische Einheit als Gegensätze dar und warf bretonischen Adeligen vor, die Bretagne an Frankreich verraten zu haben.683 Die Einheitserzählung lenkte den Blick auf die Vergangenheit so stark, dass die Schulbücher sie nach dem Zweiten Weltkrieg problemlos von der nationalen auf die europäische Ebene übertrugen. In Frankreich, wo die europäische Dimension nur schwach ausgeprägt war, sprach allein die katholische Histoire de France von Guillemain / Le Ster von europäischer Einheit. Die „gute Idee“ („belle idée“) eines „einigen und christlichen Europas“ („l’Europe unie et chrétienne“), die Karl der Große gehabt habe, sei gescheitert, als seine Nachfolger sein Reich in verschiedene Teile aufteilten.684 Während den Schulbüchern der DDR der Gedanke, Europa sei eine Einheit, fremd blieb, nahm die europäische Einheitserzählung in den bundesrepublikanischen Büchern eine zentrale Stellung ein. Am konsequentesten war Manns Leben­ dige Geschichte, die auf zehn Doppelseiten die europäische Geschichte als Abfolge von Einigungen und Teilungen darstellte. Das Römische Reich sei die „erste europäische Einheit der Geschichte“ gewesen. Nach den Reichen von Karl dem Großen und Otto I. „zerbricht“ im Mittelalter die „politische Einheit Europas“. Die Erosion der „christlich-kulturelle[n] Einheit der abendländischen Völker“ in der „Kirchentrennung“ habe diesen Prozess beschleunigt. „Napoleons gewaltsame Europa-Lösung“ sei nur von kurzer Dauer gewesen. In der Gegenwart würden die westeuropäischen Staaten die europäische Einheit erneuern.685

682 683 684 685

Baradel, A. / P. Fallourd, Petite histoire de la Normandie, Paris: Juven 1910, S. 18/9. Poisson, Bretagne, 1930, S. 50. Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 90/1. Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 2, 1956, S. 52–67 u. Bd. 3, 1957, S. 68–71. Vgl. Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 2, 1952, S. 97; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 64 u. Bd. 2, 1960, S. 153; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 2, 1957, S. 7 u. S. 40, Bd. 3, 1957, S. 35, S. 56 u. S. 100, Bd. 4, 1954, S. 88, S. 126 u. S. 133; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 1, 1960, S. 43, Bd. 3, 1960, S. 11, S. 15 u. S. 33, Bd. 4, 1960, S. 34, S. 51 u. S. 53.

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5.1.3. Zivilisierungserzählungen 5.1.3.1 Die Dominanz der Zivilisierungserzählung in den französischen Geschichtsbüchern

Eine der drei wichtigsten Metaerzählungen, die in den untersuchten Schulbüchern auftauchte, war die Zivilisierungserzählung. Sie ordnete die Ereignisse der Geschichte in einen Gegensatz zwischen „Natur“ und „Zivilisation“ ein. Es erscheint in modernen westlichen Kulturen selbstverständlich, dass Kulturgeschichte als Entwicklung von niedrigeren zu höheren Kulturstufen beschrieben wird. Im Französischen wie in anderen europäischen Sprachen drückt bereits das Wort „civilisation“, das in „Kulturgeschichte“ („histoire de la civilisation“) steckt, aus, dass von einer Entwicklung die Rede ist: „civilisation“ bedeutet im Deutschen sowohl „Kultur“, „Zivilisation“ als auch „Zivilisierung“. Der Unterschied zwischen einem dynamischen Kulturbegriff im Französischen und einem statischen im Deutschen mag zufällig sein, er deckt sich aber mit den Befunden in den Schulbüchern: Während die französischen Lehrwerke die gesamte Geschichte als unaufhaltsame Entwicklung zu einer höheren Kulturstufe darstellten, war Kultur für die deutschen Geschichtsbücher meist etwas Statisches. Vielen deutschen Büchern galt Kultur gar als bedrohlich, als Degeneration eines idealen Naturzustandes. Die deutschen Bücher neigten dazu, Erscheinungen der Vergangenheit nicht als Teil einer Entwicklung, sondern typologisch zu deuten. Daher musste ein natürlicher Zustand nicht unbedingt etwas Ursprüngliches sein, das im Laufe der Zeit Wandel erfuhr, sondern er konnte etwas für ein bestimmtes Volk oder eine Gesellschaftsform Typisches sein, das auf Dauer gestellt war. Die deutschen Lehrwerke stilisierten beispielsweise das Rittertum zu einer solchen „eigentlichen“ Erscheinung. Als diese Gesellschaftsform sich im Spätmittelalter auflöste, galt dies einigen Lehrwerken zufolge als „Entartung“ des „eigentlichen“ Rittertums.686 Nirgendwo wird der deutsch-französische Unterschied so deutlich wie in den Kapiteln, in denen die Bücher die Vorgeschichte und die gallischen und germanischen „Vorfahren“ darstellten. Alle französischen Bücher beschrieben die römische Herrschaft über Gallien als Zivilisierungsprozess: Die Römer brachten den Gal686 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 43; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1918, S.  8; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S.  34; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 2, 1956, S. 5.

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liern, die auf einer niedrigen Kulturstufe lebten, nicht nur Frieden, Ordnung und Wohlstand, sondern sie machten ihre Provinz zu einem „zivilisierten Land“ („un pays civilisé“).687 Die Lehrwerke folgten Caesars De bello gallico und stellten die Gallier als lebenslustiges, tapferes, aber undiszipliniertes Volk vor. Die „Vorfahren“ der Franzosen wirkten wie große Kinder, ihre Zivilisierung ähnelte einem Erziehungsprozess.688 Die meisten Bücher beschränkten sich darauf, den materiellen Fortschritt in Gallien zu beschreiben. Einige Bücher beobachteten darüber hinaus einen moralischen Fortschritt und führten an, dass die gallischen Menschenopfer verschwanden689 oder dass die Menschen nach der römischen Eroberung „gebildeter“ („plus instruit“) gewesen seien.690 Die Illustration der Bücher verdeutlichte diese Zivilisierung. Die Histoire de France von Chaulanges / Chaulanges bildete auf einer Doppelseite links ein gallisches Dorf mit Strohhütten ab, zwischen denen Schweine und Hühner frei auf wild wachsendem Gras herumliefen. Auf der rechten Seite sahen die Schüler ein römisches Landhaus mit Ziegeldächern. Auf einem gepflegten Weg begleitete ein Mann zwei Ochsen im Joch. Auffallend ist die Veränderung der Haartracht: Während im ersten Bild ein Gallier mit langen Haaren und Schnauzbart im Vordergrund stand, verbargen auf dem zweiten Bild alle Personen ihre Haare mit einer Kapuze oder trugen einen Kurzhaarschnitt. Die Bildunterschrift forderte die Leser dazu auf, Gebäude und Kleidung der Menschen auf den Bildern zu vergleichen.691 In Lavisse’ Histoire de France ist der Glaube an die Zivilisierung besonders ausgeprägt. Das Buch geht davon aus, dass der Mensch selbst im Laufe der Geschichte zu einem besseren Wesen wird: Vous venez de voir des choses qui vous ont étonnés. Par exemple : les Gaulois croient faire plaisir à leurs dieux en tuant des hommes ; (…) Mais dans ce temps-là, ces actions ne semblaient pas extraordinaires. Elles nous étonnent, parce que les hommes, aujourd’hui, ne sont plus si méchants qu’autrefois ; ils sont meilleurs. Nous-mêmes, nous faisons aussi 687 Bernard / Redon, Histoire de la France, 1950, S. 16/7. 688 Diesen Gedanken hat der französische Althistoriker Jullian auf das Gallierbild in Caesars Werk bezogen, er trifft auch auf die Schulbücher zu: Camille Jullian, Histoire de la Gaule, Bd. 3: La conquête romaine et les premières invasions germaniques, Paris 1909, S. 315. 689 Z.B. Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938, S. 35. 690 Z.B. Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 12. 691 Chaulanges / Chaulanges, Histoire de France, 1959, S. 6/7. Vgl. z.B. Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938, S. 27 u. S. 35. Nicht explizit in Brossolette, Histoire de France, 1937, S. 4 u. S. 7.

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des choses qui étonneront ceux qui viendront après nous, car ils seront meilleurs que nous. Cette amélioration, c’est ce qu’on appelle le progrès.692

Lavisse’ Lehrwerk zeigt deutlich, wie stark der Fortschrittsglauben mit dem genetischen Sinnbildungstyp verknüpft war, der, wie das nächste Kapitel schildert, die französischen Bücher prägte. Die Erkenntnis, dass der Mensch sich im Laufe eines Zivilisierungsprozesses verändert, stärkte die französischen Pädagogen in ihrem Bewusstsein, dass man vergangene Handlungen nur in ihrem historischen Kontext verstehen kann. Allein zwei katholische Bücher, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienen, deuteten die römische Eroberung negativer. Die katholische Histoire de France aus den Verlagen Mame / Gigord gestand zwar zu, dass die Römer den Galliern „die Vorzüge ihrer materiellen Kultur“ („les avantages de leur culture matérielle“) vermittelten, zugleich aber hätten sie ihnen „Liebe zu Vergnügungen und Gleichgültigkeit gegenüber Vaterland und Freiheit“ („l’amour du plaisir et l’indifférence envers la patrie et la liberté“) eingeflößt.693 Die katholischen Bücher, die nach dem Lehrplan von 1923 erschienen, übernahmen die republikanische Lesart von der „Zivilisierung“ der Gallier, behielten aber die Vorstellung bei, die Römer hätten Laster ins Land gebracht. Diese „Dekadenz“ („décadence“) der Gallo-Romanen spielte eine wichtige Rolle in der katholischen Geschichtsdeutung, da sie die Christianisierung in hellerem Licht strahlen ließ.694 Als der Lehrplan von 1923 die Vorgeschichte zum Stoff des Volksschulunterrichts machte, differenzierten die Bücher den Zivilisierungsprozess noch stärker. Sie setzten die Gallier nun nicht mehr nur von den überlegenen Römern ab, sondern stellten auch ihre Überlegenheit gegenüber den früheren Bewohnern Frankreichs heraus. Deren Leben galt den Büchern als „armseliges Dasein“ („misérable 692 „Ihr habt gerade Dinge gesehen, die euch verwundert haben. Zum Beispiel: die Gallier meinten, ihren Göttern eine Freude zu machen, indem sie Menschen töteten; (…). Aber in jenen Zeiten erschienen diese Dinge als nichts Außerordentliches. Sie verwundern uns, weil die Menschen heute nicht mehr so böse sind wie früher; sie sind besser. Wir selbst machen Dinge, die diejenigen, die nach uns kommen, verwundern, da sie besser sein werden als wir. Diese Verbesserung nennt man den Fortschritt.“ Lavisse, His­toire de France, 1912, S. 26, Herv. i. Orig. 693 Réunion, Histoire de France, 1910, S. 4; Segond, Histoire de France, 1910, S. 7/8. 694 Segond, Histoire de France, 1927, S. 12/3; Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1939, S. 19; Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 62/3; Baron, Histoire de la France, 1946, S. 67.

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existence“) geprägt vom Überlebenskampf mit anderen Menschen und wilden Tieren. Allerdings habe es auch in vorgeschichtlichen Zeiten eine langsame Entwicklung „vom wilden zum zivilisierten Leben“ („de la vie sauvage à la vie civilisée“) gegeben.695 Blickt man auf andere Epochen, bestätigt sich dieser Befund. Die französischen Schulbücher stellten die gesamte Geschichte als Zivilisierungsprozess dar. Die katholischen und zahlreiche weltliche Schulbücher waren sich darin einig, dass die Christianisierung die Gesellschaft weiter zivilisierte. Die katholische Histoire de France von Guillemain / Le Ster lobte, das Christentum habe die Sklaverei abgeschafft, die „die Plage und Schande des Heidentums“ („la plaie et la honte du paganisme“) gewesen sei. Außerdem seien die Sitten sanfter geworden und man habe die Gladiatorenkämpfe verboten.696 Das antiklerikale Lehrwerk von Brossolette säkularisierte und nationalisierte diese Entwicklung und behauptete, „Gallien“ habe die Sklaverei überwunden.697 Das Mittelalter war neben der Französischen Revolution diejenige Epoche, über deren Deutung das weltliche und das katholische Lager am meisten stritten. Ein Konsens bestand darüber, dass die merowingische Dynastie für Frankreich ein Rückfall in die „Barbarei“ bedeutete.698 Die folgenden Jahrhunderte beurteilten die Bücher unterschiedlich. Die weltlichen Schulbücher stellten drastisch die Ungerechtigkeiten der feudalen Gesellschaft und die Not der Bauern dar. Devinats Histoire de France berichtete von den Leibeigenen „dieser barbarischen Zeiten“ („de ces temps barbares“), sie hätten in schlechten Jahren Rinde und Gras essen müssen. Nachts hätten sie wach bleiben müssen, um die Frösche zum Schweigen zu bringen, die den Schlaf des Feudalherren störten. Außerdem seien die Bauern die Hauptopfer in den ständigen Kriegen gewesen, die die Feudalherren gegeneinander führten.699 Die katholischen Lehrwerke hingegen priesen die Vorzüge der 695 Aymard, Histoire de France, 1927, S. 2/3. Vgl. z.B. Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938, S. 6; Ozouf / Leterrier, Histoire de France, 1950, S. 8–11. 696 Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 65 u. S. 69. Vgl. z.B. Aymard, His­ toire de France, 1927, S. 21; Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1942, S. 4. 697 Brossolette, Histoire de France, 1937, S. 15. Zum Gegensatz von weltlicher und katholischer Deutung vgl. vor allem Amalvi, De l’art et la manière d’accommoder les héros de l’histoire de France. 698 Z.B. Segond, Histoire de France, 1910, S. 15; Brossolette, Histoire de France, 1937, S. 9. 699 Devinat, Histoire de France, 1908, S. 10/1. Vgl. z.B. Besseige / Lyonnet, Histoire de France, 1935, S. 15; Chaulanges / Chaulanges, Histoire de France, 1959, S. 23–25.

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mittelalterlichen Gesellschaft und die positive Rolle der Kirche. Die Leibeigenen seien, argumentierte Segonds Histoire de France, zwar nicht frei gewesen, aber Papst und Bischöfe hätten sich dafür eingesetzt, dass sie besser behandelt wurden als die Sklaven der heidnischen Gesellschaften.700 Beide Lager deuteten die mittelalterliche Geschichte insgesamt als Zivilisierung. Während die Herabsetzung des Mittelalters den weltlichen Büchern dazu diente zu zeigen, welche Vorzüge Aufklärung, bürgerliche Gesellschaft und republikanische Regierung gebracht hatten, stellten die katholischen Schulbücher das Mittelalter insgesamt als Zivilisationssprung gegenüber der Antike dar. Französische Bücher zeigten die Neuzeit als Epoche, in der die Zivilisierung besonders schnell und umfassend war. Die Lehrwerke widmeten den Erfindungen und Entdeckungen sowie der Verbesserung des materiellen Lebens viel Raum und feierten diese enthusiastisch. Einige Bücher illustrierten den technischen Fortschritt, indem sie Bilder nebeneinanderstellten, die Maschinen und Geräte zu verschiedenen Zeiten zeigten. Die Histoire de France von Troux / Girard beispielsweise zeigte in einer Bilderreihe, wie sich die Verkehrsmittel vom römischen Ochsenkarren bis zum Automobil entwickelten.701 Dieser Fortschrittsglaube erstreckte sich in den weltlichen Büchern auf alle Bereiche des menschlichen Lebens. Einige Bücher unterstrichen, dass die Beziehungen zwischen den Menschen im Laufe der Geschichte zivilisierter geworden seien. Ab Mitte der zwanziger Jahre integrierte diese Zivilisierungserzählung den Pazifismus, der sich in der französischen Gesellschaft entfaltet hatte. Die Geschichtsbücher machten in der Vergangenheit eine Tendenz aus, Konflikte zunehmend gewaltfrei zu lösen, und äußerten die Hoffnung, die Menschen könnten in Zukunft friedlich miteinander leben. Die Histoire de France von Bernard / Redon druckte als „Zusammenfassung“ („résumé“) der gesamten französischen Geschichte ein Zitat von Louis Pasteur, das diese Zivilisierungserzählung auf den Punkt brachte: « Je crois invinciblement que la science et la paix triompheront de l’ignorance et de la guerre ; que les peuples s’entendront, non pour détruire, mais pour édifier. »702 700 Segond, Histoire de France, 1910, S. 38. Vgl. z.B. Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 105–107. 701 Troux  / Girard, Histoire de la France, 1947, S.  117; vgl. Chaulanges  / Chaulanges, Histoire de France, 1959, S. 189. 702 Bernard / Redon, Histoire de la France, 1950, S. 220. Diese Entwicklung zeichnet sich ausdrücklich in den Neuauflagen älterer Bücher ab: Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 248; Lavisse, Histoire de France, 1932, S. 265–267.

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Frappierend ist, dass die französischen Bücher, die nach 1945 erschienen, mit keinem Wort die Judenverfolgung und den Holocaust thematisierten.703 Das mag einerseits daran liegen, dass die Franzosen der Nachkriegszeit diese Themen grundsätzlich verdrängten.704 Darüber hinaus verstellte die Zivilisierungserzählung selbst den Blick auf die Katastrophenerfahrung des 20. Jahrhunderts: Der Verweis auf Auschwitz hätte die gesamte Geschichtserzählung in Frage gestellt, die von der Steinzeit bis in die Gegenwart einen stetigen Fortschritt auf allen Feldern des Lebens postulierte. Anders als in den weltlichen Büchern finden sich in den katholischen Lehrwerken Spuren der Degenerationserzählung, also einer negativ gewendeten Zivilisierungserzählung. Diese Bücher konstatierten einen moralischen und religiösen Verfall der Gesellschaft.705 Ausgesprochen kulturpessimistische Deutungen finden sich allerdings nur in der katholisch-faschistoiden Histoire de France von Faÿ / Equy / Maurel von 1943, die forderte, Frankreich solle zu den „traditionellen Tugenden der Rasse“ („les vertus traditionnelles de la race“) zurückkehren.706 Ansonsten stellten die katholischen Bücher nie die Zivilisierung an sich in Frage. Als die Histoire de France aus den Verlagen Mame und Gigord den moralischen und religiösen Verfall der Renaissancezeit beklagte, wies das Buch ausdrücklich darauf hin, dass die Künstler den christlichen Geist vergaßen, um sich an den heidnischen Sitten der Antike zu orientieren. Das Buch kritisierte damit, dass die Künstler sich an einer Stufe der Zivilisation inspirierten, die als überwunden galt.707 Negative oder ambivalente Entwicklungen der Modernisierung wie die Verarmung der Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert blendeten diese Lehrwerke aus. Aymards Histoire de France verglich die Situation des Arbeiters vor und nach der Revolution und kam zu dem Schluss, dass sich vieles verbessert habe. Die Vorstel703 Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1955, S. 267–281; Baron, Histoire de la France, 1946, S. 464; Bernard / Redon, Histoire de la France, 1950, S. 205–209; Chaulanges / Chaulanges, Histoire de France, 1947, S. 192–194; Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 373–376; Lavisse, Histoire de France, 1951, S. 264–271; Ozouf / Leterrier, Histoire de France, 1952, S. 240–249; Troux / Girard, Histoire de la France, 1947, S. 121. 704 Rousso, Henry, Le syndrome de Vichy de 1944 à nos jours, 2., veränderte Aufl., Paris 1990; Altwegg, Jürg, Die langen Schatten von Vichy. Frankreich, Deutschland und die Rückkehr des Verdrängten, München / Wien 1998. 705 Z.B. Segond, Histoire de France, 1910, S.  373; Guillemain  / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 369; Baron, Histoire de la France, S. 448. 706 Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, Bd. 2, 1943, S. 193. 707 Réunion, Histoire de France, 1910, S. 74.

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lung, dass gerade die Technisierung des späten 18. und 19. Jahrhunderts zu großen sozialen Verwerfungen führte, lag dem Buch fern, da dies der Zivilisierungserzählung widersprochen hätte.708 Die katholischen Bücher thematisierten auch die Kehrseite der Moderne. Die Histoire de France aus den Verlagen Mame und Gigord schilderte, dass die städtischen Arbeiter schlechte Luft atmeten, oft krank wurden und zahlreichen Gefahren ausgesetzt waren.709 Die Zivilisierungserzählung der Lehrwerke nahm allein Frankreich in den Blick. Noch Aymards Histoire de France schilderte die Demokratisierung, die Industrialisierung und den Aufschwung der Wissenschaften im 19. Jahrhundert als rein französische Entwicklungen. Andere Länder, europäische wie außereuropäische, tauchten nur als Nutznießer der „französischen“ Fortschritte auf.710 Auf diese Weise legitimierten die Geschichtsbücher einerseits den französischen Machtanspruch gegenüber den anderen europäischen Nationen und andererseits die koloniale Expansion nach Afrika und Asien. Die Forschung hat bereits darauf hingewiesen, dass die französischen Schulbücher die französische Eroberung Galliens ähnlich schilderten wie die französische Kolonisierung Algeriens,711 um Frankreichs Rolle in der modernen Welt historisch zu begründen. Die Betonung und Idealisierung des kulturellen Fortschritts war Ausdruck des politischen Willens der Eliten der französischen Republik. Die Lehrpläne von 1923 hielten die Lehrer dazu an, die Schüler die Fortschritte der menschlichen Kultur „spüren“ („sentir“) zu lassen.712 In dem Maße, in dem der Geschichtsunterricht die Kulturgeschichte in den Mittelpunkt rückte, gewann die Zivilisierungserzählung an Bedeutung. Die weltliche Schule feierte in dieser Zivilisierungserzählung die Republik als Höhepunkt der französischen Geschichte und begründete damit zugleich ihren Führungsanspruch in der Welt. 708 Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916, S. 87. Eine Ausnahme bildet Besseige / Lyonnet, Histoire de France, 1935, S. 114. 709 Réunion, Histoire de France, 1910, S.  309; vgl. z.B. Faÿ  / Equy  / Maurel, Histoire, Bd. 2, 1943, S. 265–268. Segond, Histoire de France, 1910, S. 115 wies seine Leser darauf hin, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen von den Erfindungen der Frühen Neuzeit profitierten. 710 Aymard, Histoire de France, 1927, S. 156/7, S. 152/3 u. S. 165. Vgl. z.B. Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S. 277; Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 244. 711 Maingueneau, Dominique, Les livres d’école de la République 1870–1914. Discours et idéologie, Paris 1979, S. 173–179. 712 Instructions relatives au nouveau plan d’études des écoles primaires élémentaires (Arrêtés du 23 février 1923), abgedruckt in: Manuel général. Partie générale, Jg.  90 (1922/23), H. 41, 30.6.1923, S. 769–791, hier S. 779.

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5.1.3.2 Der statische Kulturbegriff der deutschen Geschichtsbücher

Ganz im Gegensatz zu den primitiven Galliern der französischen Bücher erschienen die Germanen in den deutschen Lehrwerken als vorbildhaftes Volk, das gemäß seiner natürlichen Veranlagungen lebte und eine hohe moralische Kultur hatte. Die NS-Bücher trieben diese Verklärung der Germanen auf die Spitze, indem sie die Germanenzeit zur „Kulturhöhe“713 stilisierten. Aber auch die Bücher des Kaiserreiches, der Weimarer Republik, der Bundesrepublik und der DDR deuteten diese Epoche ähnlich. Während die gallischen Hütten in den französischen Lehrwerken armselig und primitiv aussahen, wirkten die Germanendörfer in den deutschen Büchern wie eine zeitlose Darstellung idyllischen Landlebens. In Teubners Sachkunde für Volks­ schulen beobachtete ein fremder Besucher solch eine Siedlung: Bald kamen sie an die ersten Häuser; sie waren aus Fachwerk gebaut. Tief hingen die Strohdächer herunter, Holzzäune schlossen die Häuser von der Straße ab. Trotz der frühen Morgenstunden war überall Leben. Da kniete eine Magd vor einem Mühlstein, dort besserte ein breitschultriger Mann seinen Wagen aus, hier saß eine Frau am Webstuhl neben der Haustür, von dorther tönte gleichmäßiger Hammerschlag.714

Außerdem schrieben die meisten Bücher, gestützt auf Tacitus’ Germania, den „Vorfahren“ überwiegend Einstellungen und Werte zu, die für sie positiv besetzt waren. Hirts Neues Realienbuch beispielsweise lobte Treue, Gastfreundschaft, Freiheitsliebe, Mut und Tapferkeit der Germanen, zudem hätten diese ihre Frauen und alte Menschen geachtet. Negativ wertete das Buch, dass die Germanen das Würfelspiel und den Streit liebten.715 Die Bücher, die vor 1945 erschienen, führten 713 Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 14. Zum Germanenbild der deutschen Schulbücher vgl. Weiß, Christian, Nos ancêtres, les blonds. Stratégies narratives et construction identitaire dans les manuels d’histoire de l’Antiquité en France et en Allemagne de 1900 à 1960, in: Monique Lebrun (Hg.), Le manuel scolaire d’ici et d’ailleurs, d’hier à demain (beiliegende CD-ROM), Québec 2007; Sievertsen, Dirk, Die Deutschen und ihre Germanen. Germanendarstellungen in Schulgeschichtsbüchern von 1871 bis 1945, Rahden/Westfalen 2013. 714 Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 1. Vgl. z.B. Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 2/3; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 4; Füßler, Geschichte unseres Volkes, Bd. 1, 1935, S. 7–9 u. S. 22/3; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd.  1, 1954, S.  35/6; Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 1, 1957, S. 23–25. 715 Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 3.

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körperliche Stärke und Kampfkraft der Germanen darauf zurück, dass die Germanen ein schlichtes und einfaches Leben führten.716 Sie deuteten damit die weniger komplexe Kultur der Germanen als Vorteil im Kampf gegen die römische Hochkultur. In dem Maße, in dem die Bücher das schlichte, einfache Leben der Germanen idealisierten, vermittelten sie den Schülern, dass Veränderung oder Weiterentwicklung dieser Gesellschaft etwas Negatives seien. Komplexere Kulturen erschienen ihnen als dekadent, ihr Einfluss galt als Abkehr von der eigenen Kultur bzw. als „Verwelschung“717. Das nationalsozialistische Lehrwerk Kamps Neues Realienbuch stellte das ursprüngliche, naturnahe Leben in Germanien dem dekadenten Leben der Großstadt Rom gegenüber: Aber während sie [die germanischen Legionäre, d. Verf.] klirrenden Schrittes durch die Straßen Roms schritten […], träumten sie von den Wäldern ihrer Heimat, von blanken Gewässern, vom Duft der Äcker. Gewiss, Rom war groß und war eine schöne Stadt. Viel Marmor, herrliche Gärten, Kampfbahnen und gewaltige Theater, Tempel und Kaufhäuser. […] Roms Bürger selbst aber dachten nicht an Opfer. Sie wussten nicht oder hatten es verlernt, Wehrhaftigkeit zu üben und mit eigenen Opfern ihr Reich zu erhalten. – Hermann aber, ein junger Offizier in Roms Heeren, geboren unter den rauschenden Eichenwipfeln des germanischen Nordens, betete zu den lichten Göttern seines Volkes: „Bewahrt mein Volk vor Rom und seinen Künsten! Lasst es stark bleiben und stolz und rein und schlicht!“718

Die Zivilisierung erschien hier nicht wie in dem französischen Beispiel als Segnung, sondern als Bedrohung der eigenen Kultur. Diese Herabsetzung der Hochkultur war in den nationalsozialistischen Geschichtsbüchern stark ausgeprägt, sie war aber auch im Weimarer Geschichtsbuch Schaffensfreude angelegt, im bundesrepublikanischen Lehrwerk Unsere Geschichte oder, unter anderen ideologischen Vorzeichen, im Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, das 1957 in der DDR erschien.719 Im Allgemeinen erzählten die deutschen Geschichtsbücher die Begegnung von Römern und Germanen nicht als Zivilisierungs-, sondern als Freiheitserzählung. Sie deuteten die römisch-germanischen Beziehungen als Versuch der Römer, einem 716 Z.B. Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 1/2; Fikenscher, Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 3; Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 23. 717 Z.B. Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 2; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 9. 718 Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 23/4. Vgl. Hirt, Realienbuch, 1910, S. 10. 719 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 8; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 34; Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 1, 1957, S. 37/8.

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anderen Volk die eigene Kultur aufzuzwingen, bzw. als Kampf um die Freiheit des germanischen Volkes. Die nationalsozialistischen Bücher und einige Lehrwerke, die in Kaiserreich und Weimarer Republik erschienen, erwähnten keinen Kulturtransfer von den Römern zu den Germanen und sprachen allenfalls von friedlichen gegenseitigen Beziehungen.720 Die anderen Schulbücher thematisierten zwar den römischen Einfluss auf die Germanen. Diese Entwicklung hatte aber bei weitem nicht den Stellenwert, der ihr in den französischen Büchern zukam, die Beziehung von Römern und Germanen wurde niemals vorwiegend als Zivilisierung erzählt. Betrachtet man spätere Epochen, wird deutlich, dass auch alle anderen Zeichen einer Zivilisierungsgeschichte in den deutschen Büchern fehlten. Das Mittelalter war hier nicht finster, ungerecht und arm wie in den französischen Büchern,721 sondern erschien als wohlgeordnete, blühende Epoche. Die mittelalterlichen Städte hätten, so Aus der Geschichte unseres Volkes, „traulich und heimelig“ ausgesehen. Die sozialdemokratisch geprägten Geschichtsbilder betonten die „Geselligkeit“ des mittelalterlichen Stadtlebens: „Nie fehlte es jahraus, jahrein an ‚Anlässen‘ und ‚Fröhlichkeiten‘. Kirchliche Feiern wechselten mit Jahrmärkten. Fast täglich gab es etwas zu schauen, zu hören, zu lachen.“722 Dementsprechend erschien die Frühe Neuzeit in den deutschen Büchern, die vor 1945 erschienen, nicht als Zeit des Aufbruchs und des Fortschritts. Einige Bücher betonten stattdessen die „Entartung“ der mittelalterlichen Kultur.723 Die Kapitel zum 17. und 18. Jahrhundert stellten die Differenzierung der Kultur geradezu als etwas Negatives dar. Die höfische Kultur der Barockzeit galt, da sie aus Frankreich stammte, als etwas Fremdes, dem die Schulbücher die „natürliche“ deutsche Art gegenüberstellten. Zu deren Verkörperung machten sie den „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., der nach Hirts Realienbuch ein „derbes, echt deutsches Wesen“ besaß, „einfach in Kleidung und Lebensweise“ war und das „gezierte französische Wesen hasste“.724 In den Kapiteln zum 19. Jahrhundert 720 Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 21; Hirts Neues Realienbuch, 1910, S.  7; Fikenscher, Geschichte unseres Volkes, 1932, S.  4. Nur schwach ausgeprägt war der Transfer in Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 14. 721 Vgl. Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale, S. 192–200. 722 Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 15; Geschichtsbilder, 1929, S. 30. Eher der französischen Lesart entspricht allein: Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 2, 1960, S. 19–25. 723 S. oben, Kap. 5.1.3.1. 724 Hirt, Realienbuch, 1910, S. 81. Vgl. z.B. Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche

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nahmen die deutschen Bücher anders als die französischen auch die Schattenseiten der Industrialisierung in den Blick.725 Auf der deutschen Seite bekam die Zivilisierungserzählung erst in den Büchern der DDR und der Bundesrepublik mehr Gewicht. Selbst die Schilderung des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts war in den deutschen Büchern nur ein Randthema. Wichtige Entdeckungen und Erfindungen galten eher als persönliche Leistungen großer Geister und als Ergebnis besonders glücklicher Umstände denn als Teil einer fortschreitenden Zivilisierung der Menschheit. Dies liegt auch daran, dass die deutschen Bücher, wie unten geschildert,726 die Geschichte nicht zu einer genetischen Darstellung verknüpften, sondern Exempla für gegenwärtiges Handeln aneinanderreihten. Andere Erzählungen wie „Einheit“ oder „Freiheit“ dominierten so deutlich über die Zivilisierungserzählung, dass das Weimarer Buch Schaffensfreude die Zeit zwischen 1815 und 1862 mit der Überschrift „Die Zeit des Rückschritts“ betitelte. Innerhalb dieses Kapitels ging es zwar auch um „wirtschaftliche Fortschritte“. Das Buch ordnete diese aber der Einheitsund Freiheitserzählung unter.727 Weder die didaktische Literatur noch die Lehrpläne machten Aussagen dazu, wie kulturelle Entwicklungen zu schildern und zu werten seien. Wenn deutsche Bücher die kulturelle Entwicklung als Faktor der Geschichte ignorierten oder abwerteten, spiegelten sie weitgehend unreflektiert die Dominanz kulturpessimistischer Diskurse im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts wider und wurden zugleich zu einem mächtigen Medium ihrer Verbreitung. 5.1.4. Freiheitserzählungen 5.1.4.1 Die demokratische Freiheitserzählung in den französischen Geschichtsbüchern

Der Gegensatz von Freiheit und Unfreiheit war in den Schulbüchern beider Länder prägend. Große Unterschiede tauchen auf, wenn man untersucht, welche Art Jugend, Bd.  2, 1929, S.  23; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd.  2, 1934, S. 173–176. 725 Vgl. z.B. Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 3, 1928, S. 25–28; Blume, So ward das Reich, Bd.  2, 1941, S.  71/2; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd.  7, 1961, S. 12; Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 3, 1952, S. 121–127. 726 S. unten, Kap. 5.2.3. 727 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 96.

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von Freiheitserzählung deutsche und französische Schulbücher schilderten. In den französischen Geschichtsbüchern fanden die Schüler eine primär demokratische Freiheitserzählung, deren einzelne Elemente berichteten, wie Menschen sich von einer despotischen Obrigkeit emanzipierten. Ihre deutschen Altersgenossen lasen eine primär nationalistische Freiheitserzählung,728 in der sich Völker von einer Fremdherrschaft befreiten. Die Übergänge zwischen den beiden Phänomenen mögen fließend sein. So deuteten etwa nationalsozialistische Schulbücher die katholische Kirche als fremde Macht, während linke Geschichtswerke die gleiche Kirche als Teil eines innenpolitischen Unterdrückungsmechanismus begriffen. Dennoch ist die Unterscheidung aufschlussreich, da der Begriff der „Fremdherrschaft“ ein wichtiger politischer Begriff im 19. und 20. Jahrhundert war.729 Aus der Art, wie der Freiheitsbegriff verwendet wurde, lassen sich Rückschlüsse auf das nationale Selbstverständnis ziehen. Besonders ausgeprägt war die demokratische Freiheitserzählung in Gauthier / Deschamps Histoire de France, dem meistverkauften Geschichtsbuch seiner Zeit. Bereits das Vorwort, das sich an die Lehrer richtete, kündigte an, die „Geschichte der Befreiung des französischen Volkes“ („Histoire de l’affranchissement du Peuple Français“) zu erzählen anstatt der „Biographie der Könige“ („biographie des rois“), die sich in anderen Büchern fände. Diesen Anspruch setzte das Buch konsequent um. Während die Idee der „Freiheit“ in der gallo-römischen Antike fehlte, zeichnete das Geschichtsbuch das Mittelalter als Zeit der „Tyrannei“ („tyrannie“) der Feudalherren. Zugleich würdigte es die Kommunen des Mittelalters als „fait considérable“ („beachtenswertes Ereignis“) der französischen Geschichte, da diese die Geburtsstätte des Dritten Standes gewesen seien.730 Eine zentrale Rolle kam den ersten Generalständen von 1302 zu: « Remarquons bien que le peuple qui, dans la société féodale, n’était rien commence à compter à partir de 1302. »731 Das 728 Dieses Phänomen hat bereits Meissner für die Weimarer Republik und das Kaiserreich beschrieben und als Ausdruck eines „rebellisch-populistischen Nationalismus“ gewertet: Meissner, Andrea, „Lieber tot als Sklave!“ Zur Kontinuität eines rebellisch-populistischen Nationalismus in Lehrbüchern der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, in: ZfG, Jg. 57 (2009), H. 10, S. 772–793. Die von Meissner untersuchten Epochen erweisen sich in der Tat als Hochphase des Phänomens, im Folgenden sollen aber auch die Kontinuitäten über die Jahre 1918 und 1945 hinaus in den Blick genommen werden. 729 Koller, Christian, Fremdherrschaft. Ein politischer Kampfbegriff im Zeitalter des Nationalismus, Frankfurt / New York 2005. 730 Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916, S. 18, S. 13 u. S. 141. 731 „Lasst uns festhalten, dass das Volk, das in der feudalen Gesellschaft nichts galt, von

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Buch projizierte auf diese Weise die Vorläufer der Französischen Revolution bereits ins Mittelalter. Es verklärte Étienne Marcel, den Anführer einer Pariser Revolte gegen das Königtum, zu einem tragischen Helden, da das mittelalterliche Frankreich dessen „republikanische Wunschvorstellung“ („ideál républicain“) „nicht verstanden“ („ne comprit pas“) hätte. Die Aufklärung, deren Schriftsteller „Gerechtigkeit und Freiheit“ („Justice et Liberté“) forderten, war eine weitere Etappe der Freiheitserzählung Gauthier / Deschamps’. Ihr eindeutiger Höhepunkt bildete die Französische Revolution von 1789. Eine stark vereinfachende Tabelle teilte die Geschichte in die Zeit „vor“ und „nach“ der Revolution ein und vermittelte den Schülern den Eindruck, alle wichtigen demokratischen und sozialen Errungenschaften der Moderne würden auf die Revolution von 1789 zurückgehen. Das Scheitern der Revolution erklärte das Lehrwerk vor allem damit, dass die Franzosen von 1792 noch nicht an die Freiheit gewöhnt waren. Das 19. Jahrhundert und seine wechselnden Regime waren für Gauthier / Deschamps die Periode, in der die Franzosen lernten, mit der Freiheit umzugehen. Eine wichtige Etappe habe die Einführung des allgemeinen Wahlrechts im Jahr 1848 gebildet. Die Dritte Republik habe schließlich die Jahrhunderte dauernde Befreiung des französischen Volkes vollendet.732 Die Grundstruktur dieser Freiheitserzählung findet sich, wenn man von den Büchern des Vichy-Regimes absieht, in allen weltlichen Geschichtsbüchern,733 wobei die Lehrbücher die einzelnen Ereignisse unterschiedlich gewichteten und deuteten. Allein die radikal-republikanischen Geschichtsbücher feierten beispielsweise Étienne Marcel als Vorläufer der modernen Demokratie,734 während andere Bücher den Aufstand Marcels lediglich erwähnten.735 Kaum Gewicht hatte die Freiheitserzählung in den katholischen Büchern bzw. in den Lehrwerken, die 1302 an etwas zählte“, ebd., S. 16. 732 Ebd., S. 23, S. 84, S. 106/7, S. 131 u. S. 135. 733 Z.B. Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 37/8, S. 43/4, S. 47, S. 129–132, S. 139–166, S. 217 u. S. 236–247; Aymard, Histoire de France, 1927, S. 19, S. 18, S. 23, S. 64/5, S. 76–101, S. 128 u. S. 148–151. 734 Neben Gauthier / Deschamps sind dies z.B. Devinat, Histoire de France, 1909, S. 21; Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S. 50; Brossolette, Histoire de France, 1937, S. 35; Bernard / Redon, Histoire de la France, 1950, S. 60. 735 Z.B. Blanchet, Histoire de France, 1913, S. 51; Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938, S. 86; Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre Histoire, 1955, S. 79. Zu Étienne Marcels Darstellung vgl. Amalvi, De l’art et la manière d’accommoder les héros de l’histoire de France, S. 205–309.

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während des Vichy-Regimes erschienen.736 Die Bücher der katholischen Schulen und des Vichy-Regimes griffen die Elemente der republikanischen Freiheitserzählung zwar auf, bewerteten sie aber völlig anders. So betonten diese Bücher, dass die städtischen Freiheiten und die Generalstände in erster Linie den französischen Königen zu verdanken seien. Étienne Marcel galt ihnen als verräterischer Rebell, die Philosophen der Aufklärung als unmoralische Aufrührer. Die Französische Revolution von 1789 beurteilten die katholischen Bücher ambivalent, die Institutionen der Dritten Republik schilderten sie mit einer gewissen Indifferenz.737 Im Laufe des Untersuchungszeitraumes bauten die katholischen Bücher mehr Elemente einer Freiheitserzählung in ihre Darstellung ein. Anders als in den weltlichen Büchern waren dort König und Kirche nicht die Gegenspieler einer sich emanzipierenden Bevölkerung, sondern sie waren Motoren einer Bewegung, die es den Franzosen im Laufe der Jahrhunderte ermöglichte, größere Freiheiten zu genießen. Guillemain und Le Sters Histoire de France hob hervor, dass die Kirche die antike Sklaverei abgeschafft hatte.738 Das Lehrwerk von Baron führte die mittelalterliche Befreiung der Leibeigenen und der Städte auf die „Anstrengungen des Königs und der Kirche“ („les efforts du roi et de l’Église“) zurück.739 Insgesamt zeigt diese Entwicklung, wie stark sich die katholische Deutung der republikanischen im Laufe des Untersuchungszeitraumes annäherte. Französische Schulbücher betonten in der gesamten Darstellung, dass Frankreich sich in den vielen Kriegen, die es führte, verteidigen musste. Zentrale Helden der französischen Schulgeschichte wie Vercingetorix oder Jeanne d’Arc sind historische Persönlichkeiten, die einem übermächtigen äußeren Feind unterlegen waren.740 736 Eine Ausnahme bildet das Lehrwerk von Lavisse, dessen Neuauflage nahezu keine Veränderungen aufwies: Lavisse, Histoire de France, 1943. Die Lehrpläne des Vichy-Regimes strichen die meisten Ereignisse, die Teil der republikanischen Freiheitserzählung waren: Plan d’études et Programmes des Écoles primaires élémentaires, 1942, S. 25– 30. 737 Z.B. Réunion, Histoire de France, 1910, S. 25, S. 30, S. 33, S. 176–178, S. 189–220 u. S.  292/3; Segond, Histoire de France, 1927, S.  54–57, S.  77, S.  88/9, S.  235–238, S. 251–283 u. S. 358/9; Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, Bd. 1, 1942, S. 118, S. 138 u. S. 169/70; Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, Bd. 2, 1943, S. 123–127, S. 128–186 u. S. 253. Weniger negative Wertungen finden sich in: Baron, Histoire de la France, 1946, S. 96, S. 112/3, S. 126; S. 258/9, S. 275–309 u. S. 425–428. 738 Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 69. 739 Baron, Histoire de la France, 1946, S. 112/3. 740 Zeng, Xiaoyang, Le vaincu plus grand que le vainqueur. Le patriotisme exalté dans les manuels scolaires de la Troisième République, in: Domitia (2005), H. 6, S. 119–125.

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So entsteht beim Leser der Bücher der Eindruck, dass Frankreich 2000 Jahre lang von fremden Mächten bedroht wurde. Anders die deutschen Schulbücher, die laufend Begriffe wie „Knechtschaft“, „unterjochen“, „unterwerfen“ oder „überfremden“ verwendeten, suggerierten die französischen Bücher nur selten, dass die Freiheit der Franzosen selbst durch derartige Auseinandersetzungen bedroht war. Ansätze zu einer nationalistischen Freiheitserzählung finden sich in den französischen Schulbüchern kaum. Nur wenige Bücher behaupteten, dass die Revolutionsarmeen 1792 nicht nur die freiheitliche Staatsform, sondern ganz Frankreich vor einer Fremdherrschaft gerettet hätten.741 Den Hundertjährigen Krieg, in dem England einen großen Teil des französischen Territoriums beherrschte, stellten die Bücher primär als Auseinandersetzung um den französischen Thron dar, die dann in den Kampf zweier Nationen mündete. Zwar äußerten einige Bücher die Sorge, Frankreich könnte seine „Unabhängigkeit“ („indépendance“) verlieren oder eine englische „Kolonie“ („colonie“)742 werden. Die Wortwahl aber vermittelte dem Leser meist nicht den Eindruck, dass es sich um einen Freiheitskampf handelte: Jeanne d’Arc „rettet“ („sauver“) Frankreich.743 Von der „Befreiung“ („libération“ oder „délivrance“) Frankreichs war nur in wenigen Büchern die Rede.744 Die nationalistische Freiheitserzählung verwendeten die Bücher vor allem bei der Schilderung der Weltkriege, wobei diese sich hier immer mit der demokrati741 Z.B. Ozouf / Leterrier, Histoire de France, 1951, S. 154. 742 Augé / Petit, Histoire de France, 1913, S. 40; Aymard, Histoire de France, 1927, S. 23. 743 Augé / Petit, Histoire de France, 1913, S. 33–40; Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 46–56; Réunion, Histoire de France, 1910, S. 32–38; Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S.  46–56; Segond, Histoire de France, 1910, S.  75–104; Aymard, His­toire de France, 1927, S. 22; Besseige / Lyonnet, Histoire de France, 1935, S. 22– 24; Bernard  / Redon, Histoire de la France, 1938, S.  85–92; Lavisse, Histoire de France, 1932, S. 46–56; Rogié / Despiques, Histoire de France, 1930, S. 46–56; Segond, His­toire de France, 1927, S. 82–108; Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1942, S. 7; Troux / Girard, Histoire de la France, 1942; Lavisse, Histoire de France, 1943, S. 46–56; Baron, Histoire de la France, 1946, S. 125–136; Bernard / Redon, Histoire de la France, 1950, S. 58–65; Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 137–149; Lavisse, Histoire de France, 1959, S. 46–56; Ozouf / Leterrier, His­ toire de France, 1952, S. 72–75; Troux / Girard, Histoire de la France, 1947, S. 14/5. 744 Blanchet, Histoire de France, 1913, S. 57; Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916, S.  25; Brossolette, Histoire de France, 1937, S.  32–40; Guillemain  / Le Ster, Histoire de France, 1937, S. 85–95; Faÿ / Maurel / Equy, Histoire, Bd. 1, 1942, S. 179; Audrin /Dechappe / Dechappe, Notre France, 1955, S. 85; Chaulanges / Chaulanges, Histoire de France, 1959, S. 48.

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schen Freiheitserzählung verband, da Deutschland und seine Verbündeten als Gefahr für die Demokratie galten. Allerdings nahmen die Weltkriege oft nur wenig Raum ein. Zwei Bücher der Nachkriegsgeneration erwähnten den Zweiten Weltkrieg nicht einmal.745 Das lag nicht nur daran, dass das Ereignis unmittelbar zurücklag – schließlich wurden die Weltkriege sehr zeitnah zum Thema des Geschichtsunterrichts. Vermutlich haben die Ereignisse das französische Selbstverständnis stark erschüttert, da sie nicht in das traditionelle französische Geschichtsbild passten, das eine sich immer weiter entwickelnde Zivilisation kennt, in der ein siegreiches Frankreich eine Führungsrolle einnimmt.746 Die gallo-römische Antike war die einzige Epoche, in der die Freiheitserzählung konsequent eine nationalistische Färbung einnahm. Der Kampf Vercingetorix’ gegen die Römer galt den meisten Büchern als nationaler Freiheitskampf, die römische Herrschaft als Verlust der Unabhängigkeit.747 Aber auch im Gallierkapitel überlagerte, wie oben erläutert wurde, die Zivilisierungserzählung die nationalistische Freiheitserzählung. Lavisse erklärte den Schülern, warum der Verlust der Freiheit weniger bedeutend sei als die positiven Aspekte der römischen Herrschaft. Mit den folgenden Worten leitete er das Kapitel ein, das die Segnungen der gallorömischen Zeit beschrieb: « [La Gaule] obéissait à des étrangers, ce qui est le plus grand malheur qui puisse arriver à un peuple. Mais les Gaulois apprirent des Romains beaucoup de choses qu’ils ne savaient pas. »748

745 Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1955, S. 268/9; Bernard / Redon, His­ toire de la France, 1950, S. 205–209; Chaulanges / Chaulanges, Histoire de France, 1959, S. 192–194; Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 372–378; Lavisse, Histoire de France, 1959, S.  264–271; Ozouf  / Leterrier, Histoire de France, 1952, S.  S. 240–247. Der Zweite Weltkrieg tauchte überhaupt nicht auf in: Baron, Histoire de la France, 1946; Troux / Girard, Histoire de la France, 1947. 746 S. oben, Kap. 5.1.3.1. 747 Z.B. Augé / Petit, Histoire de France, 1913, S. 7; Guillemain, Histoire de France, 1937, S. 17; Troux / Girard, Histoire de la France, 1942, S. 53; Chaulanges / Chaulanges, Histoire de France, 1959, S. 7. 748 „Gallien gehorchte Ausländern, was das schlimmste ist, was einem Volk widerfahren kann. Aber die Gallier lernten viele Dinge von den Römern, die sie nicht wussten.“ Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 11.

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Die Formen historischer Sinnbildung

5.1.4.2 Die nationalistische Freiheitserzählung in den deutschen Geschichtsbüchern

Die nationalistische Freiheitserzählung strukturierte in fast allen deutschen Schulbüchern drei Zeitabschnitte: die Auseinandersetzung zwischen Römern und Germanen im ersten Jahrhundert, die Napoleonischen Kriege und, wenn auch in geringerem Maße, das Zeitalter des Absolutismus. Ausnahmslos alle deutschen Geschichtsbücher erzählten die Auseinandersetzung von Römern und Germanen im ersten Jahrhundert als „Freiheitskampf “. Die Geschichtsbücher des Kaiserreichs, die mit dem Begriff „Freiheit“ sonst sparsam umgingen, feierten Armin den Cherusker als „Befreier“, der das „verhasste Joch der Fremdlinge“ abgeschüttelt hatte.749 Die sozialdemokratischen Geschichtsbilder prangerten die römische „Knechtschaft“ ebenso drastisch an wie das DDR-Lehrwerk Aus vergangener Zeit, in dem der „Freiheitskampf der Germanen“ etwa 15% des Jahrespensums einnahm.750 Die fremdenfeindliche Diktion war in den NS-Geschichtsbüchern und in einigen Weimarer Lehrwerken besonders schrill.751 Die grundlegende Entscheidung, das Aufeinandertreffen von Römern und Germanen anhand des Gegensatzes von Freiheit und Unfreiheit zu erzählen, findet sich noch in vier von sechs Lehrwerken der Bundesrepublik. Das bayerische Geschichtsbuch Aus deutscher Vergangenheit betitelte selbst den Einfall der Germanen in Rätien mit den Worten: „Auch Süddeutschland wird wieder frei“.752

749 Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 20/1. Ähnlich: Hirts Neues Realienbuch, 1910, S.  6; Franke  / Schmeil, Realienbuch, 1907, S.  8; Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1904, S.  8; dies., Realienbuch, Braunschweig, 1918, S. III; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1915, S. 3; Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 2. Weniger ausgeprägt in: Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S. 8. 750 Geschichtsbilder, 1929, S. 10/1; Mühlstädt / Schenderlein / Wegner, Aus vergangener Zeit, 1957, S.  54–67. Das Gewicht der Arminius-Episode ist im ersten DDR-Geschichtsbuch allerdings deutlich geringer: Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 1, 1951, S. 236/7. 751 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 11–13; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 9–11. Beispielhaft für die NS-Geschichtsbücher: Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 37–40. 752 Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 19. Vgl. Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 40/1; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 1, 1959, S. 24; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 1, 1960, S. 39–43.

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Einen ähnlichen Konsens gab es bei der Darstellung des Sechsten Koalitionskrieges im Jahr 1814. Dabei überrascht nicht unbedingt, dass die Bücher diesen Krieg als „Freiheitskrieg“ darstellten. Bemerkenswert ist einerseits, wie konsequent sie jegliche mögliche positive Seite der napoleonischen Herrschaft verdrängten. Selbst von den bundesrepublikanischen Büchern erwähnte alleine Unsere Geschichte, dass die französische Herrschaft für die Deutschen nicht nur den Verlust der Selbstständigkeit bedeutete, sondern dass viele Bewohner der von Frankreich annektierten Gebiete freier lebten als zuvor.753 Andererseits ist auffallend, welches überwältigende Gewicht diese Kriege in den deutschen Geschichtsbüchern hatten. Franke / Schmeils Realienbuch, das die gesamte Französische Revolution auf einer Dreiviertelseite abhandelte, widmete dem „Untergang des deutschen Reiches“, dem „Zusammenbruch“ Preußens, seiner „Erneuerung“ und den „Befreiungskriegen“ ganze zwölf Seiten, so dass diese Ereignisse ein Zehntel der gesamten Darstellung einnahmen.754 Die Attraktivität der napoleonischen Zeit lag wohl darin, dass alle politischen Lager in dem historischen Geschehen Ansätze fanden, die ihre Deutung der Geschichte unterstützten.755 Ein monarchistisch ausgerichtetes Lehrwerk wie Nehrings Vaterländische Geschichte schrieb König Friedrich Wilhelm III. und der preußischen Armee eine herausragende Rolle im Kampf gegen Napoleon zu, die völkisch orientierten Weimarer Bücher und die NS-Lehrwerke rückten Heroen der Nationalbewegung wie Arndt, Schill oder Hofer in den Mittelpunkt, und das DDR-Lehrbuch Das Volk steht auf betonte auf ganzen 48 Seiten den Kampf der „Patrioten“ aus dem einfachen Volk, wobei dort die Übergänge zur demokratischen Freiheitserzählung fließend waren.756 Allein die Bücher der Bundesrepublik räumten den napoleonischen Kriegen deutlich weniger Platz ein. Die Zeit des Absolutismus ist die dritte Periode, die deutsche Geschichtsbücher als Zeit der Fremdbestimmung darstellten. Sie deuteten die Bestimmungen des 753 Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 68/9 u. S. 73. Vgl. Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 3, 1960, S. 8–15; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 6, 1953, S. 23–54; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S.  109–116; Mann, Lebendige Geschichte, Bd.  2, 1956, S. 25; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 99–105. 754 Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 99–111. 755 Vgl. Wenzel, Kay, Befreiung oder Freiheit? Zur politischen Ausdeutung der deutschen Kriege gegen Napoleon von 1913 bis 1923, in: Heinrich August Winkler (Hg.), Griff nach der Deutungsmacht. Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland, Göttingen 2004, S. 67–89. 756 Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  1, 1916, S.  33–38; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 83–94; Zeise / Mühlstädt, Das Volk steht auf, T. 1, 1958, S. 50–98.

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Westfälischen Friedens als Verlust deutscher Souveränität. Der Vorbildcharakter des absolutistischen Frankreichs und die Barockkultur galten ihnen als Träger der Überfremdung. Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch von 1931 konstatierte eine „Verwelschung Deutschlands“ und behauptete, dass die Deutschen dieser Zeit es „für fein [hielten], alles Fremde nachzuäffen“. Während das „ohnmächtige zerrissene Deutsche Reich“ den französischen Angriffen nichts hätte entgegensetzen können, hätten die Fürsten „nach Frankreich“ geblickt und alle französischen Moden imitiert. Erst der Aufstieg Brandenburg-Preußens hätte Deutschland gerettet. Als militärische und moralische Verteidiger gegen den französischen Einfluss betrachtete das Lehrwerk vor allem den „Großen“ Kurfürst Friedrich Wilhelm und den „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. Dank der militärischen Erfolge der preußischen Herrscher habe das „nationale Selbstbewusstsein“ der Deutschen „neuen Aufschwung genommen“. Das habe zu einer neuen „Blütezeit der deutschen Dichtung“ gegen Ende des 18. Jahrhunderts geführt.757 In dieser Lesart der Geschichte erscheinen die deutschen Fürsten mit Ausnahme der preußischen Kurfürsten und Könige als Agenten einer Überfremdung. Die Kritik an der Fürstenherrschaft zielte nicht auf die monarchische Herrschaftsform, sondern auf die Tatsache, dass die Fürsten sich an einer „fremden“ Macht orientierten. Eine „Befreiung“ von ihrer Herrschaft war somit nicht durch verbesserte Partizipation möglich, sondern durch eine Ausrichtung an dem, was die Bücher als „national“ verstanden. Diese Freiheitserzählung findet sich in ähnlichem Umfang in den nationalsozialistischen Geschichtsbüchern sowie in den meisten Weimarer Lehrbüchern.758 In den Büchern des Kaiserreichs und einigen Büchern der Weimarer Republik und der Bundesrepublik war sie weniger stark ausgeprägt.759 Hingegen verzichteten 757 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1931, S. 90–92 u. S. 110/1. 758 Ebd.; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd.  2, 1929, S.  8–22 u. S. 41/2; Lüpcke, Ferdinand Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 2, 1928, S. 11/2; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1926, S. 7/8; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 62–72 u. S. 78–80; Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 166–168 u. S. 123, Bd. 2, 1941, S. 6–14; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 2, 1934, S. 152–176 u. S. 192–195; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 80 u. Bd.  2, 1942, S.  83–89; Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1938, S.  97–104 u. S. 177–120; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 87–96 u. S. 104; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1937, S. 21–25; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1936, S. 7–11. 759 Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 76 u. S. 78; Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 78/9 u. S. 99; Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900,

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einige Bücher des Kaiserreichs, die Bücher der DDR und fast alle Bücher der Bundesrepublik darauf, den Absolutismus als Zeit der Fremdbestimmung darzustellen.760 In der Bundesrepublik stand dahinter mit Sicherheit die Absicht, das deutsch-französische Verhältnis in besserem Licht erscheinen zu lassen. Auffallend ist, dass die bayerischen Bücher aller Epochen auf diese Erzählung verzichteten. Die Zeit des Absolutismus galt dort als „sinnenfrohe“ Epoche, Barockkultur und Kurfürstenherrschaft als wichtige Grundlagen der bayerischen Identität.761 Die nationalsozialistischen Lehrwerke und die völkisch-nationalistischen Weimarer Schulbücher stilisierten außerdem die katholische Kirche zu einer „fremden“ Macht, von der sich die Deutschen befreien müssten. Bereits in zwei Weimarer Büchern wandelte sich die Bewertung der Christianisierung. Sie prangerten Karls Christianisierungspolitik an und stilisierten die Sachsen zu heroischen Kämpfern für „Glauben“, „Volksfreiheit“ und „altgermanische Treue“.762 In Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend waren auch die Kreuzzüge eine ausländische Idee, über die die Deutschen nur „zweifelhaft den Kopf schüttelten“. Das Buch deutete die Reformation als Befreiung von der Bevormundung aus Rom und legte Luther in den Mund, er habe eine „freie, deutsche Kirche“ errichten wollen.763 Die meisten nationalsozialistischen Schulbücher führten diesen Ansatz weiter und warfen dem Christentum insgesamt vor, das deutsche Volk überfremdet zu haben. Die christliche, vor allem die katholische Religion galt nun als etwas, das der natürlichen Art der Deutschen fremd sei. So ward das Reich war besonders anti-

760

761

762 763

S. 69 u. S. 73; Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 2, 1931, S. 5–14; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 18/9. Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1904, S.  77/8 u. S.  84–94; dies., Realienbuch, Braunschweig, 1918, S.  37–61; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  1, 1916, S.  20–32; Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S.  42/3; Geschichtsbilder, 1929, S. 69; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 3, 1960, S. 46/7; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd.  5, Schleswig-Holstein, 1954, S.  1–91; Mann, Lebendige Geschichte, Bd.  2, 1956, S.  18/9 u. S.  22; Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 2, 1952, S. 321–328; Zeise / Mühlstädt, Das Volk steht auf, T. 1, 1958, S. 18/9. Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 15–17; Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 22/3; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 85–97; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 48–50. Das bayerische NS-Geschichtsbuch verzichtete zumindest darauf, von Fremdbestimmung zu sprechen: Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S. 45–50. Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 18; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 21/2. Ebd., S. 34 u. S. 65.

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christlich ausgerichtet. Die Bekehrung der Goten markierte für das Buch den Beginn fremden Einflusses: „Für eineinhalb Jahrtausende war Germanien durch fremden Geist vergiftet.“ Das Christentum sei „morgenländisch“, seine Überwindung ein „Kampf für die Glaubensfreiheit“.764 In dieser Lesart der Geschichte erschien es der Hälfte der Weimarer und allen nationalsozialistischen Büchern nur konsequent, die Bestimmungen des Versailler Vertrages als Verlust der Freiheit zu deuten. Schaffensfreude meinte, der Vertrag mache die Deutschen zu einem „Sklavenvolk“, Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch sprach 1931 von der kommenden „Befreiung deutschen Bodens“.765 Die NS-Bücher feierten Hitler als „Befreier“, die Machtübernahme als „Befreiung“ bzw. den Zweiten Weltkrieg als „Freiheitskampf “, der das Ende eines 2000 Jahre dauernden Kampfes des deutschen Volkes um seine Freiheit markierte.766 Die demokratische Freiheitserzählung, die in den französischen Geschichtsbüchern prägend war, blieb in Deutschland bis 1945 marginal. In den Büchern des Kaiserreiches und des nationalsozialistischen Regimes kamen Geschichten, in denen sich Menschen von einer Obrigkeit befreiten, erwartungsgemäß nicht vor. Im Kaiserreich tauchte der Begriff „Freiheit“ lediglich im Zusammenhang mit den Stein-Hardenbergschen Reformen auf.767 Die Weimarer Bücher gebrauchten das 764 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 41, S. 66–72, S. 91–93 u. S. 133. Vgl. Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S.  31 u. S.  40–42; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 61 u. S. 79, Bd. 2, 1934, S. 129–135; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 26/7, S. 43–46 u. S. 71–77; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 31–33, S. 46–52 u. S. 82–87; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 44 u. S. 94. Weniger antikatholisch waren Kamps Neues Realienbuch, 1938, S.  48, S.  54/5 u. S.  81–84. Antichristliche Vorstellungen fehlten ganz in Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1940, S. 21, S. 27/8 u. S. 48/9. 765 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 133; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1931, S. 199. Vgl. Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 44; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1928, S. 82. Vgl. Meissner, Kontinuität eines rebellisch-populistischen Nationalismus, S. 783. 766 Blume, So ward das Reich, Bd. 2, 1941, S. 158 u. S. 177; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S.  74; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd.  2, 1934, S. 414; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 2, 1942, S. 202 u. S. 209; Kahnmeyer /Schulze, Realienbuch, 1938, S. 215; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 178; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1934, S. 90. Keine Freiheitsrhetorik findet sich in Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  2, 1936, S. 53–64. 767 Z.B. Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 103–107.

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Wort „Freiheit“ inflationär, es bezog sich aber nur selten auf die Demokratisierung. Sie schilderten allein die Bauernkriege des 15. Jahrhunderts konsequent als Kampf gegen eine ungerechte Obrigkeit. Einige Bücher erklärten die Französische Revolution und den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zu Momenten der Demokratisierung, kein Lehrwerk außer den Geschichtsbildern stellte die Revolution von 1918/19 in diesen Kontext.768 Erst mit der Gründung der Bundesrepublik und der DDR etablierte sich die demokratische Freiheitserzählung in den deutschen Geschichtsbüchern. Anders als die Weimarer Bücher schilderten die westdeutschen Bücher nicht nur Amerikanische und Französische Revolution enthusiastisch als Freiheitsbewegungen, sondern unterstrichen auch die Bedeutung der Revolution von 1848 oder der Republikgründung von 1918/19 für die Demokratie.769 Eine wirklich dominante Freiheitserzählung findet sich nur in den Lehrbüchern der DDR, die die gesamte Geschichte als Freiheitskampf schilderten, der in der Gründung der UdSSR und der DDR seine Erfüllung fand. Zunächst ist es überraschend, dass die nationalistische Freiheitserzählung in den deutschen Büchern dominierte, da es anders als etwa in der irischen oder polnischen Vergangenheit in der deutschen Geschichte nicht unbedingt viele Perioden gab, die man als „Fremdherrschaft“ bezeichnen könnte. Ein Grund für die zentrale Rolle der nationalistischen Freiheitserzählung ist möglicherweise der Ursprung des deutschen Nationalismus in den „Befreiungskriegen“, die nicht von ungefähr im Lehrwerk Schaffensfreude als „heiliger Krieg“ erschienen.770 Vermut768 Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 46/7, Bd. 2, 1931, S. 20– 24, Bd.  3, 1931, S.  36 u. S.  39/40; Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S.  19, S.  25, S.  41 u. S.  43/4; Geschichtsbilder, 1929, S.  52–59, S.  88–86 u. S. 139/40; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1931, S. 80/1, S. 114–117, S. 191/2 u. S. 195/6; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 67/8, Bd. 2, 1929, S. 43–49, Bd. 3, 1928, S. 68–75; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 2, 1928, S. 19–21; Bd. 3, 1928, S. 43/4 u. S. 48/9; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1926, S. 38 u. S. 41; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 58, S. 80– 83 u. S. 126–129. 769 Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 3, 1960, S. 2–8 u. S. 19–23, Bd. 4, 1960, S. 26–28; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 5, Schleswig-Holstein, 1954, S. 151–161, Bd. 6, 1953, S. 5–18 u. S. 87–99, Bd. 9, 1953, S. 54–58; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 60–69, S. 90–94 u. S. 134–136; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 101– 109, S.  128–130 u. S.  159/60; Mann, Lebendige Geschichte, Bd.  2, 1956, S.  45/6, Bd. 3, 1957, S. 10/1 u. S. 42/3; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 90– 99, Bd. 4, 1954, S. 29–32 u. S. 89–91. 770 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 96.

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lich verweist dies darauf, dass das nationale Selbstverständnis der Deutschen exklusiver als das französische war, also stärker auf der Abgrenzung von anderen Nationen gründete. Die nationalistische Freiheitserzählung eignete sich hervorragend, um ein derartiges Selbstverständnis historisch zu begründen, da sie die Angst vor dem Fremden in die Geschichte projizierte. 5.1.5. Fazit

In den Schulbüchern beider Länder spielte die Einheitserzählung eine zentrale Rolle. Sie bezog sich fast immer auf die Nation, konnte aber auch auf den regionalen oder europäischen Kontext übertragen werden. Die Polarisierung von Einheit und Teilung führte dazu, dass die Akteure der Vergangenheit danach beurteilt wurden, welche Rolle sie in den Einigungsprozessen spielten. Deutsche und französische Schulbücher unterstrichen in der Regel die positive Rolle der Monarchen, während der hohe Adel bzw. die deutschen Fürsten als Gegenkräfte der nationalen Einigung auftraten. Die Zivilisierungserzählung, die einen Gegensatz von Kultur und Natur in den Mittelpunkt der Betrachtung stellte, dominierte in den französischen Lehrwerken. Sie schilderten die französische Geschichte als eine 2000 Jahre dauernde Entwicklung von einer niederen zu einer höheren Kulturstufe. Anders als in Frankreich galt Zivilisierung in den deutschen Geschichtsbüchern nicht unbedingt als etwas Positives. Die Bücher betrachteten die Entwicklung der Kultur tendenziell als Bedrohung einer natürlichen, einfachen und überlegenen Lebensweise. Die Freiheitserzählung war in den deutschen und französischen Lehrwerken unterschiedlich ausgeprägt. In den französischen Lehrwerken dominierte die demokratische Freiheitserzählung, die schilderte, wie sich die Menschen in einem jahrhundertelangen Prozess von ihren Obrigkeiten emanzipierten. Diese Vorstellung tauchte auch in den Büchern der DDR und der Bundesrepublik auf. In den anderen deutschen Geschichtsbüchern hingegen war die Freiheitserzählung nationalistisch aufgeladen und stellte dar, wie die Deutschen und andere Völker sich von der Herrschaft „fremder“ Völker befreiten. Diese nationalistische Freiheitserzählung verband sich mit der Zivilisationskritik. Zahlreiche deutsche Lehrwerke deuteten Veränderungen nicht als Weiterentwicklung, sondern als Annahme einer fremden Lebensweise und damit als Angriff auf die eigene Freiheit. Diese Einschätzung blieb keineswegs auf die nationalsozialistischen Schulbücher beschränkt. Sie fand sich ansatzweise in Geschichtsbüchern aller untersuchten Zeitabschnitte.

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5.2 Die Sinnbildung durch Zeitverlaufsvorstellungen 5.2.1. Theoretische Überlegungen

Das Geschichtsbuch für die deutsche Jugend von 1929 machte seine Leser im ersten Kapitel mit der Vorstellung vertraut, dass sich alles in der Welt ändern kann: „Die Sprache, die ihr sprecht, hätten eure Urahnen nicht verstanden; die Kleider, die ihr tragt, hätten sie lächerlich gefunden. Alles, was heute ist, war früher anders und wird später auch wieder anders sein. Von diesem ewigen Wechsel erzählt die Geschichte.“ Es ist kein Zufall, dass die Autoren diese Passage 1934, direkt nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, gründlich überarbeiteten. Alle Aussagen im Buch, die von der Andersartigkeit der Vergangenheit und von historischem Wandel zeugten, verschwanden. Stattdessen erfuhren die Schüler auf den ersten Seiten: „Über drei Geschlechter ist’s her, dass der alte Blücher Deutschland vom Franzosenkaiser Napoleon freimachte. Seit aber Armin der Cherusker die Römer aus Deutschland jagte, sind fast 60 Geschlechter geboren worden und gestorben.“771 Wo die Weimarer Auflage noch die Anders- und Fremdartigkeit der Vergangenheit betonte, stellte die nationalsozialistische Auflage Nähe zwischen unterschiedlichen Zeitstufen her. Das Buch zog, über 1800 Jahre hinweg, eine Analogie zwischen dem Ende der römischen Expansion in Mitteleuropa und dem Sieg über Napoleon. Es deutete die beiden Ereignisse als Teil eines überzeitlichen Konfliktes zwischen „Deutschland“ einerseits und Rom bzw. Frankreich andererseits. Die Abfolge der „Geschlechter“ verdeutlichte dem Leser, wie eng er mit den Menschen der Vergangenheit verbunden war. Grundprinzip der Geschichte waren nicht mehr Veränderung und Entwicklung, sondern Dauer und Wiederholung. Zeit ist die wichtigste Kategorie historischen Denkens. Zeitverlaufsvorstellungen verknüpfen Ereignisse und Strukturen aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander. Somit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Orientierung der Schüler. Wer glaubt, dass die Dinge immer schon so waren, wie sie sind, hat einen anderen Blick auf Gegenwart und Zukunft als ein Mensch, der davon ausgeht, dass die Bedingungen menschlichen Lebens sich fortwährend ändern. „Zeitbewusstsein“ und „Historizitätsbewusstsein“ sind, spätestens seit Pandel „Dimensi-

771 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd.  1, 1929, S.  1; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 1.

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Die Formen historischer Sinnbildung

onen des Geschichtsbewusstseins“ definiert hat, zu zentralen Kategorien der deutschen Geschichtsdidaktik aufgerückt.772 Erst das verzeitlichende historische Denken ermöglicht es dem modernen Menschen, über seinen eigenen Erfahrungshorizont hinauszublicken, Wandel zu erklären und selbstbewusst Veränderungen einzufordern oder zu gestalten. Verzeitlichendes historisches Denken ist damit die entscheidende intellektuelle Voraussetzung dafür, dass Menschen Veränderungen einfordern konnten. „Verzeitlicht“ bedeutet hier, dass Geschichte als gerichtete Bewegung dargestellt wird. Der Ausdruck „gerichtet“ impliziert keineswegs eine teleologische Geschichtsvorstellung, sondern gilt für alle Darstellungen, die vergangenes Geschehen als Prozess deuten, also z.B. als Nationalisierung, Industrialisierung oder Emanzipation.773 Im Gegensatz dazu gibt es Geschichtsvorstellungen, die die Vergangenheit „entzeitlichen“, also so erzählen, als wären Umstände menschlichen Lebens dauerhaft und keinem Wandel unterworfen. Im Folgenden wird untersucht, welche Zeitvorstellungen die Geschichtsbücher vermittelten. Kategorien und Gliederung orientieren sich an Jörn Rüsens vier Typen historischen Erzählens, die jeweils mit einer bestimmten Zeitverlaufsvorstellung verbunden sind. Diese bilden auf jeweils eine andere Weise Sinn über Zeiterfahrungen.774 In den hier untersuchten Schulbüchern lassen sich drei von vier Typen nachweisen. Die vier Typen treten in Rüsens Modell niemals in Rein772 Pandel, Dimensionen des Geschichtsbewusstseins, S. 130–142. Das Strukturmodell von Körber, Schreiber und Schöner räumt der Zeitlichkeit eine wichtige Rolle innerhalb der „Historischen Fragekompetenzen“ ein: Schreiber, Kompetenzbereich historische Fragekompetenzen, S.  174–176. Die Zeitverlaufsvorstellungen von Schülern hingegen wurden untersucht von: Borries, Verknüpfung der Zeitebenen im Geschichtsbewusstsein? 773 Rüsen, Historisches Erzählen, 2001, S. 99. Die Definition von „Verzeitlichung“ folgt Schwietring, Kontinuität und Geschichtlichkeit, S. 482. 774 Rüsen, Die vier Typen des historischen Erzählens. Eine kurze Zusammenfassung findet sich in Rüsen, Historisches Erzählen. Jüngst schränkte Rüsen den Anwendungsbereich seines Modells ein. Rüsen grenzt den historischen Sinn, für den allein sein Modell gilt, von anderen „Formen der Sinnbildung“ wie dem Mythos, der Genealogie, der Mystik, dem Kairos, der Heilsgeschichte, der Eschatologie, der Apokalypse, der Utopie etc. ab. Vgl. Rüsen, Aus Zeit Sinn machen, S. 203–210. Mit Rüsens Modell soll versucht werden, die üblichen dualistischen Auffassungen von Zeitverläufen aufzubrechen. Diese Reduktion auf ein Spannungsverhältnis von Linearität und Zyklizität bzw. von Kontinuität und Wandel haben zu Recht kritisiert: Koselleck, Reinhart, Zeitschichten, in: ders., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt a. M. 2000, S. 19– 26, hier S. 19; Schwietring, Kontinuität und Geschichtlichkeit, u.a. S. 21.

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form auf, sondern sie ergänzen sich immer gegenseitig. Daher kann im Folgenden nur von der „Dominanz“ einzelner Sinnbildungstypen gesprochen werden. Traditionales Erzählen, das in der voraufklärerischen Geschichtsschreibung dominierte, erinnert so an die Ursprünge von Lebensumständen, dass aktuelle Zeiterfahrungen als Impulse erfahren werden, diese Ursprünge zu erneuern. Die Zeit wird hier als Dauer erinnert. Traditionales Erzählen verschmilzt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer übergeordneten Einheit und dominiert in Historiographien, die traditionale Herrschaft legitimieren. Ein typisches Beispiel für traditionales Erzählen sind Herrscherlisten, die die lückenlose Herrschaft einer Dynastie oder einer Abfolge von Dynastien zeigen. Auch die oben zitierte Aneinanderreihung von Generationen fällt darunter. Aufgabe eines an der Tradition orientierten Geschichtsunterrichtes ist es, gegenwärtige Institutionen und Praktiken durch ihre Verwurzelung in der Vergangenheit zu rechtfertigen. Traditionale Sinnbildung findet sich vor allem in den Büchern des Kaiserreiches und in den französischen Büchern, die stärker monarchisch ausgerichtet waren. Exemplarisches Erzählen, der dominante Sinnbildungstyp der Aufklärung, folgt der Devise „Historia magistra vitae“ und macht zeitübergreifende Handlungsregeln sichtbar. Es stellt Kontinuität her, indem es suggeriert, dass diese Regeln zeitlos gelten. Der pädagogische Mehrwert dieser Art von Sinnbildung liegt darin, dass der Geschichtsunterricht den Schülern Lehren aufdeckt. Die Vergangenheit dient ihr als Steinbruch für Lebensregeln. Das exemplarische Erzählen projiziert aktuelle Wertvorstellungen in die Geschichte zurück und untermauert sie durch historische Exempel. Rüsen selbst hat angenommen, dass dieser Sinnbildungstyp im Geschichtsunterricht heute noch dominiert. Dies trifft im untersuchten Korpus auf die Mehrzahl der deutschen Bücher und auf einige der älteren französischen Bücher zu, da diese historische Figuren als Vorbilder und Ereignisse als Exempla schildern.775 Rüsens dritter Sinnbildungstyp, das kritische Erzählen, erinnert so an Sachverhalte, dass die Geschichte gegenwärtige Orientierungen in Frage stellen. Er stellt Kontinuität als Bruch dar. Da der Geschichtsunterricht, zumindest im Untersuchungszeitraum, Staat und Gesellschaft stabilisieren sollte, verwundert es nicht, dass dieser Sinnbildungstyp im Korpus nicht auftaucht. Pandel und von Borries

775 „Exemplarisches Erzählen“ hat nichts mit dem fachdidaktischen „Prinzip“ der Exemplarizität zu tun, das nicht auf moralische Exempla zielt, sondern auf Beispiele, anhand derer sich komplexe Strukturen erklären lassen.

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Die Formen historischer Sinnbildung

haben Zweifel daran geäußert, dass kritisches Erzählen einen eigenständigen Sinnbildungstyp darstellt.776 Der genetische Sinnbildungstyp erinnert an Veränderungen in der Vergangenheit. Die Genese ist der Prozess, durch den frühere Lebensverhältnisse zu den heutigen geworden sind. Sie stellt Kontinuität somit als Entwicklung dar. Das Ziel des Geschichtsunterrichts wäre es demzufolge, die Identität der Gegenwart in Abgrenzung zur Vergangenheit zu bestimmen bzw. Veränderung zu erklären. Genetisches Erzählen ist charakteristisch für den Historismus des 19. Jahrhunderts. Im Korpus findet es sich vor allem in den französischen Schulbüchern und in den deutschen Schulbüchern der fünfziger Jahre. Von den hier auftretenden Sinnbildungstypen ist das genetische Erzählen das einzige, das die Vergangenheit konsequent verzeitlicht.777 Da Rüsen seine Typen unmittelbar aus den Perioden der europäischen Geschichtsschreibung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert hergeleitet hat, lassen sich mit ihnen keine Arten der Geschichtsschreibung erfassen, die außerhalb dieser historiographischen Tradition oder an ihrem Rande stehen. Krameritsch kommt zu dem Schluss, dass postmoderne Geschichtserzählungen eines neuen Typs bedürfen. Er stellt neben Rüsens vier Typen noch das „Situative Erzählen“. Dieser Sinnbildungstyp findet sich in postmodernen Texten, die mehrere Erzählungen nebeneinander stellen und nach dem Prinzip der Hypertexte miteinander verbinden.778 776 Borries, Bodo von, Geschichte als gesellschaftlicher Lernprozess, in: Karl Filser / Hans Georg Kirchhoff (Hg.), Geschichte lernen heute, Bochum 1986, S.  1–10; Pandel, Hans-Jürgen, Erzählen und Erzählakte. Neuere Entwicklungen in der didaktischen Erzähltheorie, in: Marko Demantoswky / Bernd Schönemann (Hg.), Neue geschichtsdidaktische Positionen, Bochum 2002, S. 39–55, S. 45. In seinen neueren Schriften hat Bodo von Borries das kritische Erzählen wieder als eigenständigen Sinnbildungstyp betrachtet: Borries, Bodo von, „Weiße Flecken unterrichtlicher Praxis oder Versäumnisse geschichtsdidaktischer Reflexion …?“ Fundamentale Theoriefragen, in: Klaus Bergmann u.a. (Hg.), Lebendiges Geschichtslernen. Bausteine zu Theorie und Pragmatik, Empirie und Normfrage. Bodo von Borries zum 60. Geburtstag, Schwalbach i. Ts. 2004, S. 236–287. 777 Die Zusammenstellung von Rüsens Sinnbildungstypen folgt Rüsen. Die vier Typen des historischen Erzählens, S. 179–191, da Rüsen erst jüngst wieder auf diese Darstellung verwiesen hat: Rüsen, Aus Zeit Sinn machen, S.  205. Rüsens Verwendung des Begriffes „genetisch“ unterscheidet sich grundsätzlich von der angelsächsischen Verwendung des Ausdruckes „genetisches Prinzip“: Simonis, Linda, Genetisches Prinzip. Zur Struktur der Kulturgeschichte bei Jacob Burckhardt, Georg Lukács, Ernst Robert Curtius und Walter Benjamin, Tübingen 1998, Diss. Köln 1995/96. 778 Krameritsch, Jakob, Die fünf Typen des historischen Erzählens. Im Zeitalter digitaler

Die Sinnbildung durch Zeitverlaufsvorstellungen 263

Auch diese Untersuchung stößt an die Grenzen von Rüsens Modell, da die Mythisierung der Vergangenheit, die das deutsche Geschichtsbewusstsein von den zwanziger bis in die vierziger Jahre geprägt hat,779 sich nicht in das Schema der vier Sinnbildungstypen einfügen lässt. Dieses Phänomen hat sich auch in den Geschichtsbüchern niedergeschlagen. Als die deutschen Schulbuchautoren die streng dynastische Geschichtserzählung des Kaiserreiches auflösten und epochenübergreifende Zusammenhänge herstellten, verknüpften sie Phänomene über größere Zeiträume hinweg nicht nur genetisch, sondern auch durch einen Sinnbildungstyp, der im Folgenden als mythisches Erzählen bezeichnet werden soll. Während das genetische Erzählen Kontinuität über Entwicklungen bildet, erzeugt das mythische Erzählen diese Kontinuität über Analogien zwischen Phänomenen verschiedener Zeitstufen. Hier lässt sich gewissermaßen die „ewige Gegenwart“ im Geschichtsbuch nachweisen, die nach Jan Assmann das Geschichtsdenken totalitärer Systeme kennzeichnet.780 Mythen werden hier anders als im populären Sprachgebrauch nicht als Geschichten begriffen, die von der Wahrheit abweichen, sondern als erzählerische Gestaltung menschlicher Grunderfahrungen. Nach Rüsen erinnern Mythen so an frühere Zeiten, oft an Ursprünge von Gesellschaften, als seien diese nicht endgültig vergangen, sondern als Sinnquelle weiterhin wirksam.781 Mythisches Erzählen verewigt Ereignisse und Akteure, indem es sie aus ihrem zeitlichen Kontext löst und zu überzeitlichen Größen erhebt. Das einzelne Ereignis und der einzelne Akteur sind nur noch unterschiedliche Ausprägungen allgemeiner Typen. Dadurch entbindet es sie der Zufälligkeit eines konkreten Kontextes und macht historisches Geschehen zu zwangsläufigen Ereignissen. Herfried Münkler definiert Mythen als „WegerMedien, in: Susanne Popp u.a. (Hg.), Zeitgeschichte, Medien, Historische Bildung. Vorträge der 18. Zweijahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik „Zeitgeschichte – Medien – Historische Bildung“ Bonn 2009, Göttingen 2010, S. 261–281, v.a. S. 267. 779 Vgl. Hardtwig, Die Krise des Geschichtsbewusstseins, S. 91–93. 780 Assmann unterscheidet zwischen „heißen Gesellschaften“, in denen der Mythos Entwicklung und Erneuerung vorantreibt, und „kalten Gesellschaften“, die den Mythos verwenden, um Veränderungen „einzufrieren“. Das Zitat hat Assmann von George Orwell übernommen: Assmann, Jan, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, 4. Aufl., München 2002, S. 66–68, Zitat auf S. 75. 781 Rüsen, Aus Zeit Sinn machen, S.  203/4. Hans Mombauer verwendete den Begriff „Mythos“ bereits in den 1950er Jahren in diesem Sinne: Mombauer, Hans, Mythos und Historie, in: GWU, Jg. 1 (1950), S. 270–286.

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zählen des Schreckens der Kontingenz“.782 Zwar lassen auch nicht-mythische Darstellungen von Vergangenheit die Zufälligkeit von Ereignissen verschwinden, indem sie diese in einen narrativen Zusammenhang stellen.783 Mythisches Erzählen geht darüber hinaus, da es vergangene Ereignisse nicht nur als sinnvolles, sondern als zwangsläufiges Geschehen erzählt.784 Da der Mythos Ereignisse nicht innerweltlich erklärt, transportiert er eine deterministische Grundhaltung. Der Mythos ähnelt Rüsens traditionalem Erzählen,785 da er ebenso an „Ursprünge von Weltordnungen und Lebensordnungen“ erinnert und Veränderungen erzählerisch neutralisiert. Allerdings stellt die Tradition Kontinuität als „Dauer im Wandel“ her,786 während mythisches Erzählen Kontinuität über Rückkehr und Wiederholung erzeugt. Rüsen hat seinen Begriff vom traditionalen Erzählen aus der voraufklärerischen Geschichtsschreibung heraus entwickelt, die, wie die Geschichtsbücher des Kaiserreiches, zeitliche Veränderungen weitgehend ignorierte. Mythisches Erzählen hingegen reagiert auf den Wandel, indem es ihn bewusst wegerzählt. Anders als das genetische Erzählen deutete es Brüche nicht als Entwicklungen, sondern es verdeckt sie durch das Versprechen, dass das Alte stets präsent ist und jederzeit wiederkehren kann. Im Schulgeschichtsbuch konkretisiert sich der Mythos einerseits, wie Meissner unter Berufung auf Cassirer überzeugend gezeigt hat, in „Analogisierungen und Parallelisierungen“, die „vielfältige Bezüge 782 Münkler, Herfried, Politische Mythen und nationale Identität. Vorüberlegungen zu einer Theorie politischer Mythen, in: Wolfgang Frindte / Harald Pätzolt (Hg.), Mythen der Deutschen. Deutsche Befindlichkeiten zwischen Geschichten und Geschichte, Opladen 1994, S. 21–27, hier S. 22. Vgl. Münkler, Herfried, Die Deutschen und ihre Mythen, 2. Aufl., Reinbek 2011, S. 14/5 u. S. 26. 783 Rüsen, Aus Zeit Sinn machen, S. 193–195. 784 Vgl. Bizeul, Yves, Politische Mythen, in: Heidi Hein-Kircher / Hans Henning Hahn (Hg.), Politische Mythen im 19. und 20. Jahrhundert in Mittel- und Osteuropa, Marburg 2006, S. 3–14; Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, S. 66–86; Link, Jürgen / Wulf Wülfing, Einleitung, in: dies. (Hg.), Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1991, S. 7–15. 785 Auch Rüsen hat den Mythos als Typ der Sinnbildung definiert. Allerdings rechnet er mythisches Erzählen nicht wie das traditionale, exemplarische, genetische und kritische zu den „Typen historischer Sinnbildung“, sondern definiert es als eine Form nicht-historischer Sinnbildung: Rüsen, Aus Zeit Sinn machen, S.  203/4. Diese Abgrenzung überzeugt nicht, da auch mythisches Erzählen einen Zusammenhang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herstellt. Er soll im Folgenden daher als eigenständiger Typ historischer Sinnbildung verstanden werden. 786 Rüsen, Jörn, Art. „Historisches Erzählen“, in: Klaus Bergmann u.a. (Hg.), Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5. Aufl., Seelze-Velber 1997, S. 57–63.

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zwischen Ereignissen und Personen herstell[en]“.787 Darunter fällt beispielsweise die Gleichsetzung von Westfälischem Frieden und Versailler Vertrag, die die deutschen Schulbücher oft bemühten. Mythische Sinnbildung liegt außerdem vor, wenn Lehrwerke suggerieren, dass Personen und Zustände nach ihrem Tod nicht wirklich verschwunden sind, sondern weiterhin wirksam bleiben. Ein klassisches Beispiel ist der Kyffhäuser-Mythos vom schlafenden Barbarossa, der zurückkehren sollte, um das Reich wieder aufzurichten. Wenn die französische Forschung das Thema „Zeit“ im Geschichtsunterricht diskutiert, untersucht sie in der Regel die Rolle der „Kontinuität“ („continuité“) in der Darstellung. Der progressive, ununterbrochene und chronologische Durchgang durch die Geschichte sei der Ausdruck einer „kontinuistischen“ („continuiste“) Geschichtsbetrachtung. Diese sei „eines der grundlegenden Dogmen“ („un des dogmes fondamentaux“) des traditionellen republikanischen Geschichtsunterrichts gewesen. Die „diskontinuistische“ („discontinuiste“) Betrachtungsweise hingegen habe die Chronologie zu Gunsten aussagekräftiger Fallbeispiele aufweichen wollen. Die Versuche einiger Regierungen, die Kontinuität aufzubrechen, sind auf den erbitterten Widerstand der republiktreuen Volksschullehrer gestoßen.788 Die Unterscheidung von kontinuistischem und diskontinuistischem Ansatz, der sich an den Diskussionen in den Quellen orientiert, erlaubt nur begrenzt Aussagen zur Zeitdeutung im Geschichtsunterricht. Genau genommen handelt es sich weniger um zwei unterschiedliche Auffassungen von historischer Zeit, sondern eher um zwei verschiedene Ansätze, historische Inhalte auszuwählen und anzuordnen. Die Gegenüberstellung von Kontinuisten und Diskontinuisten überdeckt zudem, dass es innerhalb des kontinuistischen Lagers zwei verschiedene Vorstellungen davon gab, was Kontinuität bedeutet. Für die republikanischen Kontinuisten war die Kontinuität, wie Georges Lefebvre betont, die Voraussetzung 787 Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule, S. 26; Cassirer, Ernst, Philosophie der symbolischen Formen, Teil 2: Das mythische Denken, Darmstadt 1959. Karl Filser hat sich mit Mythen im deutschen Geschichtsunterricht beschäftigt, seine Überlegungen bleiben aber allgemein: Filser, Karl, „Wenn die Vergangenheit sich nicht fügt …“. Nationale Mythen im Geschichtsunterricht?, in: Volker Dotterweich (Hg.), Mythen und Legenden in der Geschichte, München 2004, S. 267–289. Eine völlig andere Definition von Mythen liegt zu Grunde in: Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale, S. 29. 788 Garcia, Patrick, L’enseignement de l’histoire. Passés sans origine?, in: EspacesTemps (2003), H.  82/83, S.  110–120, v.a. S.  110. Vgl. Héry, Évelyne, Le temps dans l’enseignement de l’histoire, in: Laurence De Cock / Emmanuelle Picard (Hg.), La fabrique scolaire de l’histoire. Illusions et désillusions du roman national, Marseille 2009, S. 53–67, hier S. 55.

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dafür, die „evolutionäre Entwicklung“ („le développement évolutif “) zu begreifen.789 Für die kontinuistische Geschichtsbetrachtung der Bildungspolitiker des VichyRegimes hingegen bedeutete Kontinuität, dass sich Frankreich im Laufe der Geschichte nicht verändert hatte. Diese Positionen betonen zwar beide die Kontinuität, sie transportieren aber eine völlig unterschiedliche Vorstellung davon, wie historische Zeit verläuft. Während die erste Gruppe den Zeitverlauf genetisch erzählt, hängt die zweite traditionalen und mythischen Zeitverlaufsvorstellungen an. Rüsens Modell erlaubt es daher im Gegensatz zur Opposition von Kontinuität und Diskontinuität, die verschiedenen Vorstellungen zum Verlauf historischer Zeit zu erfassen. 5.2.2. Die Reste traditionaler Sinnbildung zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Die deutlichste Spur des traditionalen Erzählens ist das strikte genealogische Gliederungsprinzip, das sich in den Büchern des Kaiserreiches findet sowie in einigen der Lehrwerke der Dritten Republik, die zu Beginn des Untersuchungszeitraums erschienen sind. In allen deutschen und in der Hälfte der französischen Volksschulbücher790 folgte Dynastie auf Dynastie, Herrscher auf Herrscher. Um die lückenlose Herrscherlinie zu dokumentieren, bekamen auch Fürsten, deren historisches Vermächtnis weniger bedeutend ist, zumindest ein eigenes Kapitel. Nur in Ausnahmefällen fassten die Bücher das vergangene Geschehen zu umfassenderen Deutungskategorien zusammen und druckten Kapitel wie „La Renaissance“ oder „Leben im Mittelalter“, die längerfristige Phänomene sichtbar machten. Natürlich liegt diese Struktur auch an der monarchischen Regierungsform in Deutschland bzw. an der Nostalgie für die Monarchie in Frankreich sowie an der Bewunderung großer Männer und an der politikgeschichtlichen Ausrichtung, die in den Schulbüchern beider Länder prägend war.791 Das würde allerdings nur bedingt erklären, warum die Schulbücher Wert darauf legten, dass die Abfolge von Herrschern lückenlos war. Dies zielte vor allem darauf, die gegenwärtigen Zustände durch ihre Dauer in der Vergangenheit zu legitimieren. Die preußischen Bücher, die im Kaiserreich erschienen, trieben dieses Darstellungsprinzip auf die Spitze. Sie ordneten fast alle Ereignisse der Abfolge der deut789 Lefebvre, Georges, À propos de l’enseignement historique, in: Revue historique, Jg. 63 (1938), H. 182, S. 1–6, hier S. 3. 790 Augé / Petit, Histoire de France, 1913; Blanchet, Histoire de France, 1913; Réunion, Histoire de France, 1908; Segond, Histoire de France, 1910. 791 S. oben, Kap. 4.1.1 und 4.2.1.

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schen und preußischen Monarchen unter.792 Wie oben geschildert, ordneten sie auch ökonomische und soziale Entwicklungen strikt in die Biographien der Herrscher ein. Die Industrialisierung etwa erschien im Unterkapitel „Friedrich Wilhelms III. Sorge um sein Land“.793 Die Lehrwerke drängten so historische Veränderungen in den Hintergrund und überdeckten sie mit der sich stets wiederholenden Biographie der Herrscher. Die deutschen Bücher schilderten weder die römische Herrschaft noch die Christianisierung noch Erfindungen und Entdeckungen des ausgehenden Mittelalters noch die Reformation noch die Industrialisierung als wesentliche Veränderungen. Die Bücher setzten damit auch die Vorgaben der preußischen Allgemeinen Bestimmungen um. Diese schrieben den Geschichtslehrern vor, vom Dreißigjährigen Krieg an die Reihe der „Lebensbilder [der Fürsten] ununterbrochen fortzuführen“. „Culturhistorische Momente“ sollte diese „Darstellung“ nur integrieren, „soweit sie dem Verständnis der Kinder zugänglich sind“.794 Die Didaktiker des Kaiserreiches kritisierten diese Vorgabe. „Lückenlosigkeit darf kein Grundsatz sein“, forderte August Tecklenburg. Stattdessen solle man die Inhalte nach ihrem patriotischen Wert und ihrer Bedeutung für die Gegenwart auswählen.795 Das bayerische und das braunschweigische Geschichtsbuch hielten sich hingegen nur bedingt an die genealogische Gliederung, da sie die Landesgeschichte und die preußisch-deutsche Geschichte miteinander verwoben, so dass keine lückenlose Genealogie entstand.796 Das deutsche Volk war, sofern es in den Büchern eine Rolle spielt, eine Größe, die sich über die Jahrtausende nicht veränderte. Die germanischen Stämme galten allen Büchern bereits als „Deutsche“ oder als „alte Deutsche“, ihr Land wurde „Deutschland“ genannt.797 An vielen Stellen unterstrichen die Bücher die histori792 Ausnahmen sind die Geschichte vor Karl dem Großen, die Kreuzzüge, das „Leben“ im Mittelalter, die Entdeckungen und Erfindungen der angehenden Neuzeit, die Reformation und der Dreißigjährige Krieg. 793 S. oben, Kap. 4.2.1. 794 Allgemeine Bestimmungen, 1872, S. 19. 795 Tecklenburg, August, Vom Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 1 (1911), S. 90–106, hier S. 102. Vgl. Reichwein, Georg, Prolegomena zur Neugestaltung des Geschichtslehrplanes, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 9 (1919), S. 49–62, hier S. 59; Gehl, Walter, Gedanken über den Aufbau eines neuzeitlichen Geschichtsunterrichts, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 12 (1922), S. 49–69, hier S. 56. 796 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, Braunschweig, 1918; Wenning, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1918. 797 Franke  / Schmeil, Realienbuch, 1907, S.  1; Hirts Neues Realienbuch, 1910, S.  1;

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sche Dauer von Akteuren und Strukturen. Wennings Merkbuch für Oberbayern hob hervor, dass die Altbayern bereits seit 14 Jahrhunderten „auf gleichem Grund und Boden“ siedelten und folgerte daraus: „Daher hängt der Altbayer mit so großer Liebe an seiner Heimat.“798 Franke / Schmeils Realienbuch schilderte die „Entstehung der Berufsstände“ so, als sei die im Mittelalter entstandene Gesellschaftsordnung bis auf den damaligen Tag wirksam.799 Die Bücher präsentierten den Volksschülern ein Geschichtsbild, in dem Wandel und Veränderung keine Rolle spielten. Dieser Befund stärkt die These, die Volksschule des Kaiserreiches sei vor allem eine „Schule der Untertanen“800 gewesen. Indem die Volksschulbücher eine Verzeitlichung der Geschichtsdarstellungen vermieden, dämmten sie das Potential des Geschichtsunterrichts ein, Wandel sichtbar zu machen und damit mögliche künftige Veränderungen anzudeuten. Die genealogische Struktur war im republikanischen Frankreich deutlich weniger verbreitet als im monarchischen Deutschland. Nur die älteren katholischen Lehrwerke und die konservative Histoire de France von Augé / Petit von 1913 hielten strikt am genealogischen Prinzip fest und führten es für die republikanische Zeit fort. Sie arbeiteten Kapitel für Kapitel die Liste der französischen Könige durch. In republikanischer Zeit betitelten sie, anders als die anderen Lehrwerke, die Kapitel einfach mit den Namen der – wenig bedeutenden – Präsidenten.801 In

798 799 800

801

Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1904, S.  1; dies., Realienbuch, Braunschweig, 1918, S. I; Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S. 1; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1915, S. 1; Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S.  1. Eine Ausnahme bildete Wenning, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1918, S. 1. Sofern die Korpora dieser Untersuchung mit denjenigen von Erdmanns Studie vergleichbar sind, ist die Lage an den höheren Schulen anders, da nach Erdmanns Studie zu allen Schulformen deutlich weniger Bücher Germanen und Deutsche gleichsetzten: Erdmann, Die Römerzeit im Selbstverständnis der Franzosen und Deutschen, S. 236/7. Wenning, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1918, S. 27. Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 39. Gies, Horst, Geschichtsunterricht und nationale Identitätsbildung in der Volksschule des Wilhelminischen Kaiserreichs, in: GWU, Jg. 57 (2006), H. 9, S. 492–509, S. 509. Vgl. Rohlfes, Joachim, Deutscher Geschichtsunterricht im 19. Jahrhundert. Staatlichpolitische Vorgaben, geschichtswissenschaftliche Maßstäbe, pädagogische Impulse, in: GWU, Jg. 55 (2004), H. 7/8, S. 382–400, S. 388. Réunion, Histoire de France, 1908, S. 292–295; Segond, Histoire de France, 1910, S. 358–371; Augé  / Petit, Histoire de France, 1913, S.  280. Das Buch unterstrich die Lückenlosigkeit dieser genealogischen Gliederung, indem es im Inhaltsverzeichnis die jeweiligen Regentschaftszeiten klein neben die Namen der Fürsten und Präsidenten

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den katholischen Lehrwerken erscheint selbst die Französische Revolution nicht als tiefer Bruch in der französischen Geschichte. Das Lehrwerk der Réunion des professeurs behauptete, dass das Ancien Régime die notwendigen Reformen ebenfalls durchgesetzt hätte.802 Insgesamt überdeckte die genetische Sinnbildung die traditionalen Elemente in den französischen Schulbüchern. Auch die katholischen und die älteren weltlichen Lehrwerke verzeitlichten die Geschichte deutlich stärker als die deutschen Volksschulbücher, die den Verlauf der historischen Zeit überwiegend traditional und exemplarisch erzählten. Nachdem das traditionale Erzählen in beiden Ländern in den zwanziger Jahren aus den Schulbüchern verschwunden war, verhalfen ihm das Vichy-Regime und in geringerem Maße das NS-Regime zu einer Wiederkehr. Allerdings war nun nicht mehr die Monarchie, sondern das Volk Träger der nationalen Tradition. Die Generationenfolgen, die das Geschichtsbuch für die deutsche Jugend und Faÿ / Maurel / Equys Histoire de France aufzählten,803 führten die monarchische Genealogie unter völkischen Vorzeichen fort. Die nationalsozialistischen Schulbücher stilisierten das deutsche Volk zu einer ahistorischen Größe, die vom Wandel der Zeit nicht betroffen zu sein scheint. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es sich nicht mit anderen Völkern mischt. Da menschliche Eigenschaften gemäß der NS-Ideologie durch das „Blut“ bestimmt sind, veränderten sich demzufolge auch das deutsche Volk und seine Eigenschaften nicht. Auch die Bedingungen, in denen das deutsche Volk lebte, scheinen ewig gleich zu bleiben. So ist die „Raumnot“ für die Lehrwerke ein „uraltes germanisches Schicksal“.804 Insgesamt aber erzählten die NS-Schulbücher die historische Kontinuität weniger im traditionalen Sinne als ungebrochene Linie, sondern eher als ein Auftauchen, Verschwinden und Wiederauftauchen von druckte. 802 Réunion, Histoire de France, 1908, S. 188. In Segond, Histoire de France, 1910, S. 185 erfuhren die Schüler zumindest, dass die französische Gesellschaft sich während der Revolution völlig geändert hat. Vgl. Koppetsch, 1798 aus zweierlei Sicht; Amalvi, De l’art et la manière d’accommoder les héros de l’histoire de France, S. 331–405; Ozouf, Mona, La révolution à l’école, in: dies., L’école de la France. Essais sur la Révolution, l’utopie et l’enseignement, Paris 1984, S. 231–249, hier S. 239. 803 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 1; Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, Bd. 1, 1942, S. VIII. 804 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 18. Vgl. Blume, So ward das Reich, Bd.  2, 1941, S.  194/5; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S.  19; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd.  1, 1935, S.  II; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 192; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 20; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1940, S. 18.

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historischen Akteuren oder Phänomenen. Daher war die mythische Sinnbildung hier deutlich stärker als die traditionale. In zwei der vier untersuchten Bücher aus der Vichy-Zeit finden sich starke Elemente traditionalen Erzählens. Die Histoire de France von Faÿ / Maurel / Equy schrieb den Franzosen einen nahezu unwandelbaren, bäuerlichen Charakter zu. Sie seien das „älteste Bauernvolk der Welt“, die alten Gallier hätten „wahrscheinlich“ („sans doute“) den heutigen Bauern geähnelt. Am Ende des Werkes fragte das Lehrwerk seine Leser, ob das gegenwärtige Frankreich sich wieder auf die „traditionellen Werte der Rasse“ („vertus traditionnelles de la race“) besinnen werde, zu denen auch die „Verbundenheit mit dem Boden“ („attachement au sol“) gehöre. Notre France enthielt ein eigenes Schlusskapitel mit dem Titel „Die Dauerhaftigkeit des französischen Strebens“ („La perpétuité de l’effort français“), stellte die Kontinuität aber stärker über die Dauer der politischen Institutionen her.805 Diese beiden Lehrwerke setzen mit dieser Aufwertung des traditionalen Erzählens Vorgaben des Vichy-Regimes um. Der Erlass von 1941 machte außer ein paar inhaltlichen Angaben und einer Anweisung zur Lokalgeschichte lediglich eine zentrale Aussage: « L’histoire de France sera enseignée en insistant sur la conti­nuité de l’effort français à travers tous les régimes pour construire, maintenir ou relever la France. »806 Die Vorgaben des Regimes präzisierten, dass es sich hier nicht um die Kontinuität im Wandel handelte, die, wie unten geschildert wird, das Kernstück des republikanischen Geschichtsbildes ausmachte. Das Rundschreiben vom 5.11.1940 forderte die Lehrer auf, im Sinne der Kontinuität die verschiedenen Regime nicht mehr als Gegensätze zu betrachten. Sie sollten aufhören, die Französische Revolution so darzustellen, als habe sie mit der Vergangenheit gebrochen.807 Der Erlass vom 5.3.1942 betonte die „geistige Verwandtschaft“ („parenté spirituelle“) und die Blutsverwandtschaft, die die Franzosen aller Zeitalter und politischen 805 Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, Bd. 1, 1942, S. 55/6 u. Bd. 2, 1943, S. 295; Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1942, S. 238/9. Das Buch spricht aber auch von der „bäuerlichen Berufung“ („vocation agricole“) Frankreichs: ebd., S. 244. 806 „Die französische Geschichte wird unterrichtet, indem Wert gelegt wird auf die alle Regime umfassende Dauerhaftigkeit des französischen Strebens, Frankreich zu erbauen, zu bewahren und wieder aufzurichten.“ Arrêté du 16 août 1941 (complété par l’arrêté du 24 décembre 1941) relatif à l’organisation de l’enseignement primaire élémentaire. Programmes annexés, in: Plan d’études et Programmes des Écoles primaires élémentaires. Programmes de 1941 et Instructions du 5 mars 1942, 16. Aufl., Paris 1942, S. 6–45, hier S. 30. 807 L’enseignement de l’histoire. Circulaire du 9 octobre 1940, abgedruckt in: Manuel général. Partie administrative, Jg. 108 (1940), 23.11.1940, S. 34/5, hier S. 35.

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Regime verbinde: « Les croisés de Godefroid de Bouillon sont du même sang que les volontaires de 1792 et les héros de l’épopée africaine. »808 Diese Rückkehr des traditionalen Erzählens reichte allerdings nicht weit. Zwei von vier untersuchten Schulbüchern der Vichy-Periode nahmen keine traditionalen Elemente auf. Die Neuauflagen der Lehrwerke von Faÿ / Maurel / Equy und von Audrin / Dechappe / Dechappe, die nach dem Krieg erschienen, entfernten diese weitgehend.809 Dennoch bleibt festzuhalten, dass das Vichy-Regime den Versuch unternahm, mit einem der zentralen Prinzipien des republikanischen Geschichtsunterrichtes, der genetischen Fortschrittserzählung, zu brechen. 5.2.3. Die Beharrungskräfte exemplarischer Sinnbildung in den deutschen Volksschulbüchern

In den deutschen Büchern dominierte bis in die Nachkriegszeit das exemplarische Erzählen, während diese Art der Sinnbildung in Frankreich rasch hinter das genetische Erzählen zurücktrat.810 Die Darstellungen interessierten sich weniger für die Rolle historischer Akteure in der Geschichte, sondern sie zielten vor allem auf die Frage, ob diese für die Gegenwart vorbildlich sind bzw. welche Lehren ihr Wirken vermittelte. Die Schlussfolgerungen, die die Schüler aus den geschilderten Exempeln ziehen sollten, spiegeln die Moral- und Wertvorstellungen des frühen 20. Jahrhunderts wieder. Meist verbargen sich hinter ihnen Appelle zu Fleiß, militärischer Tapferkeit und nationaler Geschlossenheit. Einigen Stellen sprachen explizit von „Lehren“ aus der Geschichte. Blanchets Histoire de France fasste das Kapitel zum Zweiten Kaiserreich zu zwei „Lehren“ („leçons“) zusammen: man lerne aus dieser Zeit, dass Gewalt kein geeignetes Mittel der Innenpolitik sei. Ferne mahne der verlorene Krieg gegen Preußen daran, 808 „Die Kreuzfahrer von Gottfried von Bouillon sind vom gleichen Blut wie die Freiwilligen von 1792 und die Helden des afrikanischen Epos.“ Instructions relatives au nouveau plan d’études des écoles primaires élémentaires, in: Plan d’études et programmes des Écoles primaires élémentaires. Programmes de 1941 et instructions du 5 mars 1942, 16. Aufl., Paris 1942, S. 46–102, hier S. 61/2. 809 Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, 1952; Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1955. 810 Nach Leduc betont der französische Geschichtsunterricht des frühen 19. Jahrhunderts besonders den exemplarischen Wert der Geschichte. Diese Tradition sei nur langsam geschwunden: Leduc, Jean, L’école des hussards noirs et la République des professeurs d’histoire, in: Christian Amalvi (Hg.), Les lieux de l’histoire, Paris 2005, S. 303–312, hier S. 304.

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auch im Frieden immer gerüstet zu sein.811 Oft zielten auch die Arbeitsaufträge darauf, den Schülern die entsprechende „Lehre“ zu verdeutlichen. In Schaffensfreude fassten die Schüler am Ende der Lektion zusammen, „was die alten Germanen uns heutige Deutsche lehren sollten.“812 Meist aber vermittelten die Texte die Lektionen für die Gegenwart eher implizit. So erfuhren die Leser in Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch, dass die „alten Deutschen“ keine „Verweichlichung“ duldeten. Der Satz „Der [germanische] Knabe badete fleißig“ kam sicherlich nicht ohne pädagogischen Hintergedanken in das Lehrbuch. Als Exempla dienten oft die Lebensläufe von Herrschern und anderen historischen Figuren. Die Bücher schilderten ihre Tugenden und Laster und stellten implizit oder explizit einen Zusammenhang zwischen Lebenswandel und politischem Wirken her. Die Histoire de France von Augé / Petit etwa unterstrich bei allen Herrschern, deren Wirken sie vorwiegend negativ bewertete, charakterliche Defizite. Johann II. sei „verschwenderisch, leichtsinnig und unvernünftig“ („prodigue, léger et imprudent“) gewesen, Karl VI. „verrückt“ („fou“), Karl VIII. „überheblich und unwissend“ („présomptueux et ignorant“, Heinrich III. „leichtherzig“ und „träge“ („frivole“ und „indolent“), Ludwig XV. „lasterhaft, korrupt, böse“ („vicieux, corrompu, méchant“). Im Gegenzug galt Karl V. als „weise und klug“ („sage et prudent“) und Ludwig XII. als „großzügig“ („généreux“). An Heinrich IV. lobte sie „seinen Geist, seine gute Laune, seine Einfachheit und seine Gutherzigkeit“ („son esprit, sa bonne humeur, sa simplicité et ses qualités de cœur“). Wie stark die Vorstellung gewesen sein muss, dass moralisches Verhalten und Erfolg zusammenhängen, zeigt die einzige Ausnahme, die das Buch schildert. Ludwig  XI. gilt bei Augé / Petit als „heuchlerisch, rachsüchtig, untreu und grausam“ („hypocrite, vindicatif, déloyal et cruel“). Diese Eigenschaften standen scheinbar im Widerspruch zur positiven Bilanz seiner Herrschaft, so dass das Buch unterstrich, dass Ludwig XI. „trotz seiner Fehler“ („malgré ses défauts“) ein großer König war.813 Da die französischen Geschichtsbücher starke Elemente genetischen Erzählens enthielten, war die exemplarische Sinnbildung dort niemals so dominant wie in den deutschen Lehrwerken. In den meisten deutschen Schulbüchern aus der Zeit des Kaiserreiches hingegen war die Verzeitlichung schwach. Die Kapitel stellen die verschiedenen deutschen und preußischen Herrscher vor, schilderten ihr Leben 811 Blanchet, Histoire de France, 1913, S. 252. 812 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 7. 813 Augé / Petit, Histoire de France, 1913, S. 34, S. 37, S. 48, S. 62, S. 92, S. 36, S. 49, S. 68 u. S. 46/7. Den Charakter der übrigen französischen Könige hat das Buch nicht beurteilt.

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und ihre Erfolge. Zwischen diesen Einzeldarstellungen gab es so wenige überzeitliche Verbindungen, dass die Kapitel geradezu hätten ausgetauscht werden können, ohne dass die Darstellung an Konsistenz gewonnen oder verloren hätte. Auch Ereignisse wie die Entdeckung Amerikas, die für französische Geschichtsbücher – und für heutige Betrachter – selbstverständlich Teil einer genetischen Globalisierungsgeschichte sind, hatten in den deutschen Volksschulbüchern vorwiegend einen exemplarischen Wert. Hirts Neues Realienbuch von 1910 schilderte in einem eigenen Unterkapitel zunächst, wie fleißig und wissbegierig der jugendliche Kolumbus war. Hierauf erzählte das Buch bewundernd, wie Kolumbus seine Vorstellungen gegen alle Widerstände durchsetzte und welche Führungsqualitäten er gegenüber seiner zaudernden Mannschaft bewies. Fast ebenso viel Platz wie für die erste Fahrt nach Amerika verwendete das Lehrwerk darauf, darzustellen, wie Kolumbus’ Neider am spanischen Hof ihm das Leben schwermachten. Nur einige Sätze am Ende des Kapitels erwähnten die historischen Folgen der Entdeckung Amerikas.814 Zwar nahmen die genetischen Elemente in den Kolumbus-Kapiteln im Laufe der Erzählung zu. Aber bis in die fünfziger Jahre strukturierten alle deutschen Bücher die Expedition des Kolumbus auch als Exemplum. Sie stilisierten den Seefahrer zum Beispiel eines „kühnen Mannes“ und eines „verkannten Helden“. Die Bücher Schaffensfreude und Aus deutscher Vergangenheit forderten die Schüler explizit dazu auf, an Kolumbus’ Beispiel den Spruch „Undank ist der Welt Lohn“ zu erörtern.815 Die Bücher des Kaiserreiches, in denen die exemplarische Sinnbildung besonders stark war, spielten historische Veränderungen, die in heutigen und zeitgenössischen französischen Schulbüchern zentral sind, noch weiter hinunter. Sie schilderten die Entdeckung Amerikas oder die Druckerpresse als „Erfindungen und Entdeckungen des Mittelalters“. Das ist zwar zeitlich durchaus korrekt, deutet die Geschichte aber völlig anders als ein Lehrwerk, das – wie Polacks Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte – die Neuerungen als „das Morgenrot der Neuzeit“ bezeichnete. Die Bücher des Kaiserreiches sahen die Erfindungen und Entdeckungen des ausgehenden Mittelalters weniger als Veränderungen, sondern vielmehr als Beispiele für große Leistungen einzelner Männer und ihrer Epoche.816 814 Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 48–50. Vgl. z.B. Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S. 64/5. 815 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S.  51; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 66. 816 Franke  / Schmeil, Realienbuch, 1907, S.  55–58; Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 46–50; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 54–57; Kahnmeyer / Schulze,

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Vor allem die Geschichtsbücher der beiden deutschen Diktaturen nutzten die Vergangenheit als Lieferantin zahlloser Beispiele, die gegenwärtiges Handeln orientieren sollten. Allerdings zielten diese anders als im Kaiserreich nicht auf Moral und Tugend, sondern auf die „richtige“ ideologische Lehre aus der Geschichte. Für die NS-Zeit gibt es einen Artikel, der diese Umorientierung begründet. Walter Voigtländer kritisierte in Die deutsche Schule, dass viele Volksschullehrer die Geschichte als „Beispielsammlung für moralische patriotische Belehrungen“ missbrauchten. In Zukunft müsse ein „politischer Geschichtsunterricht“ den Schülern das „Urgesetz geschichtlichen Geschehens“ aufzeigen.817 Diese „Gesetze“ führten die exemplarische Sinnbildung im Geschichtsunterricht fort, auch wenn sie auf einem anderen Weltbild fußten als die moralisierenden Darstellungen des Kaiserreichs. In diesem Sinne befand Nehrings Vaterländische Geschichte von 1940, dass die Varusschlacht „zeigt […], was ein guter Führer und ein ihm treu ergebenes Volk zu leisten vermögen“. Die Völkerwanderung „lehrt“ die Schüler, dass „eine Mischung mit fremden, minderwertigen Rassen […] der Tod eines Volkes“ ist. Die Sachsenkaiser hingegen galten als Beispiel dafür, dass „Rassenreinheit“ die Voraussetzung für politischen Erfolg ist.818 Die beiden Lehr­ bücher der DDR zogen aus den verschiedensten Ereignissen Lehren für den „richtigen“ Kampf der Arbeiterklasse.819 Die Auswahl von Geschichte und Biographien in den älteren Volksschulbüchern wirkt für einen heutigen Leser oft willkürlich. Die Forschung hat gelegentlich behauptet, dahinter wäre kein „didaktisches Konzept“ erkennbar.820 Derartige Äußerungen verkennen, dass diese Auswahl durchaus klaren Kriterien folgte. Didaktische Literatur und staatliche Verlautbarungen des frühen 20. Jahrhunderts

817 818 819 820

Realienbuch, Braunschweig, 1918, S.  6–17; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1915, S. 22–24; Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S.  52–55; Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S.  32/3; Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 13/4. Voigtländer, Walter, Politische Erziehung im Geschichtsunterricht, in: Die deutsche Schule, Jg. 38 (1934), H. 5, S. 208–216, hier S. 212–214. Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  1, 1940, S.  12, S.  17 u. S.  25. Vgl. andere Beispiele aus Blume, So ward das Reich, 1941, S. 16, S. 57 u. S. 131; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 13 u. S. 57. Z.B. Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 3, 1952, S. 70/1; Zeise / Mühlstädt, Das Volk steht auf, T. 1, 1958, S. 49. Gies, Horst, Nationale Identitätsbildung als Aufgabe des Geschichtsunterrichts in der Volksschule, in: Reinhard Dithmar / Hans-Dietrich Schultz (Hg.), Schule und Unterricht im Kaiserreich, Ludwigsfelde 2006, S. 109–135, hier S. 118.

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forderten, es müsse ein Hauptzweck des Geschichtsunterrichts sein, Exempel vorbildlichen Verhaltens und Handelns zu lehren. Der Münchener Lehrplan von 1912 legte fest, dass die „Weckung des Sinnes für das Edle und Große“ eines von vier Zielen des Geschichtsunterrichtes war. Der Arnsberger Lehrplan für den vaterländischen Geschichtsunterricht schrieb vor, welche Charakterzüge bei den einzelnen Herrschern hervorzuheben seien. Während den Schülern die „Milde“ und „anspruchslose Lebensweise“ von Wilhelm I. vorbildhaft sein sollten, wurde Friedrich I. über das Laster der „Prachtliebe“ definiert. Noch die nordrhein-westfälischen Richtlinien von 1955 erinnerten die Lehrer daran, dass die Menschen der Vergangenheit „Vorbild, Mahnung und Warnung“ seien.821 Sie entsprachen damit der zeitgenössischen Vorstellung von „volkstümlicher Bildung“, derzufolge der Geschichtsunterricht den Volksschülern konkrete Lehren aus der Geschichte vermittelte.822 Wenn die Bücher aus Kaiserreich, Weimarer Republik und Bundesrepublik mit expliziten Belehrungen sparsamer waren als die Bücher des Nationalsozialismus und der DDR, lag dies vermutlich vor allem daran, dass Erstere den Lehrern einen größeren Freiraum dabei einräumten zu bestimmen, welche genauen Lehren aus den Exempeln der Vergangenheit zu ziehen seien. In französischen Lehrwerken war die exemplarische Sinnbildung deutlich schwächer. Lehrpläne und didaktische Literatur schätzten die Geschichte ebenfalls wegen ihres Wertes als Exempel.823 Im Unterschied zu Deutschland betonten sie allerdings, man müsse historische Beispiele stets im zeitlichen Kontext betrachten. Die Bildungsfunktionäre Mutulet und Dangueguer warnten die Lehrer davor, die Men821 Lehrplan für München, 1912, S. 66; Lehrpläne für den vaterländischen Geschichtsunterricht (im Regierungsbezirk Arnsberg), 1893, in: Schulvorschriften für den Geschichtsunterricht im 19./20. Jahrhundert. Dokumente aus Preußen, Bayern, Sachsen, Thüringen und Hamburg bis 1945, eingel. und hg. v. Dörte Gernert, Köln / Weimar / Wien 1994, S. 102–108, hier S. 103/4; Richtlinien für die Volksschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, 1955, S. 11. Vgl. u.a. Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1926, S. 165. Vgl. Spanuth, Heinrich, Der Stoff des Geschichtsunterrichts in der Volksschule, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 22 (1932), S. 400–418, hier S. 405/6; Ebeling, Hans, Der Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: GWU, Jg. 2 (1951), S. 347–360, hier S. 347. 822 Alavi, Geschichte „light“ in der Volksschule?!, S. 322/3. 823 Z.B. Cotelette, A., L’utilité de l’histoire, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 72 (1925/26), H. 35, 22.5.1926, S. 527; Hénon, M., Histoire, éducation civique, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg.  73 (1926/1927), H.  29, 9.4.1927, S. 424 u. S. 456; Boursin, P., Quelle place faut-il faire aux idées générales?, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 92 (1924/25), H. 9, 22.11.1924, S. 190/1.

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schen außerhalb ihres historischen Kontextes zu beurteilen: « N’oublions pas que pour juger les hommes et les événements, nous devons d’abord bien connaître les uns et les autres, puis nous placer dans le milieu et à l’époque où ils ont vécu et où ils se sont accomplis; autrement, nous serions injustes. »824 Derartige Gedanken fehlen in den deutschen Lehrplänen, in der didaktischen Literatur und in den Geschichtsbüchern völlig. Obwohl auch französische Schulbücher die Geschichte als Schatz an moralischen Beispielen begriffen, blieb das exemplarische Denken in Frankreich in der Regel dem verzeitlichenden genetischen Erzählen untergeordnet. 5.2.4. Der Siegeszug des genetischen Sinnbildungstyps in den französischen Lehrwerken

Der genetische Sinnbildungstyp, der Veränderungen in der Geschichte erzählt und am ehesten dem modernen Verständnis von historischem Denken folgt, dominierte in fast allen französischen Büchern. Sie erzählten die Geschichte Frankreichs als stetigen Prozess der Zivilisierung, der Einigung und der Emanzipation. Anders als die deutschen Bücher, die diese Elemente enthielten, gestalteten die französischen Lehrwerke diese Erzählungen als zeitlich gerichtete Prozesse. Sie schilderten die römische Eroberung, die Entdeckungen und Erfindungen des ausgehenden Mittelalters, die Französische Revolution und die technischen und wissenschaftlichen Neuerungen des 19. Jahrhunderts als Umbrüche und deuteten diese positiv. Die Genese präsentierte sich hier in ihrer „klassischen“ Form, der Fortschrittserzählung. Die Begriffe „Wandel“ („transformation“), „Veränderung“ („changement“) und „Fortschritt“ („progrès“) sind Schlüsselwörter der Darstel-

824 „Vergessen wir nicht, dass wir, um die Menschen und die Ereignisse zu beurteilen, zunächst die einen wie die anderen gut kennen müssen, uns dann in die Lage und in die Epoche begeben müssen, in der diese gelebt und sich verwirklicht haben; sonst wären wir ungerecht.“ Programmes officiels des Écoles primaires élémentaires, 1911, S. 133. Vgl. z.B. Laugier, A., L’appréciation des faits en Histoire, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 67 (1900), H. 36, 7.9.1900, S. 565; Berquier, E., De l’histoire et de son action morale et sociale, in: Journal des instituteurs. Partie générale, Jg. 51 (1906/07), H. 40, 30.6.1907, S. 421; Brun, H., L’esprit de justice dans l’enseignement de l’histoire à l’école primaire, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 78 (1910), H. 18, 15.1.1910, S. 205–207 u. H. 19, 22.1.1910, S. 220–222, hier S. 220.

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lungen.825 Diese genetische Fortschrittserzählung entsprach der Form, in der republikanische Geschichtswissenschaftler die Geschichte strukturierten.826 Die Lehrwerke deuteten auch Ereignisse der französischen Geschichte, die sie zunächst negativ werteten, letztlich positiv, indem sie erklärten, inwiefern diese zur Jahrhunderte währenden Genese des gegenwärtigen Frankreichs beigetragen haben. Auf diese Weise integrierte Lavisse die römische Herrschaft in seine stark nationalistische Erzählung. Die Herrschaft von „étrangers“ (‚Ausländern‘) sei zwar ein Unglück, habe sich aber in diesem Fall als segensreich erwiesen, da die Gallier viel von ihren neuen Herren gelernt hätten.827 Andere negativ gewertete Ereignisse wie die Invasion der „Barbaren“, die feudalistische „Zersplitterung“, die Religionskriege oder die Zeit Ludwigs XV. galten als Rückschläge im Geschichtsverlauf, hätten aber den Fortschritt langfristig nicht aufgehalten. Brossolettes Histoire de France versicherte ihren Lesern, dass die Zivilisierung Frankreichs ein ungebrochener Prozess war: « Le XIVe et XVe siècles sont tout pleins de guerres, de révolutions et de crimes. Il semble qu’il y ait à ce moment un arrêt de la civilisation. Il n’en est rien. » Schließlich seien in dieser Zeit die Städte entstanden, die später den Aufschwung des Renaissance-Zeitalters getragen hätten.828 Die Französische Revolution ist für die weltlichen Bücher die wichtigste Zäsur in der französischen Geschichte. Lavisse’ Histoire de France betonte, dass Frankreich erst durch die Revolution zu einem „Vaterland“ („patrie“) geworden sei. Für Blanchets Lehrwerk begründete die Revolution gar „ein neues Frankreich“ („une France nouvelle“). Gauthier / Deschamps Geschichtsbuch druckte eine Doppelseite, deren Seiten plakativ den Zustand Frankreichs vor und nach der Revolution beschrieben.829 Die Freiheitserzählung der Bücher, die die gesamte französische

825 Z.B. Augé / Petit, Histoire de France, 1913, S. 8, S. 53, S. 81 u. S. 107; Rogié / Despiques, Histoire de France, 1930, S. 9/10, S. 61–66, S. 138–184 u. S. 277–288; Troux / Girard, Histoire de la France, 1942, S. 58–60, S. 378–381 u. S. 502–510; Chaulanges / Chaulanges, Histoire de France, 1959, S. 8/9, S. 55–61, S. 123–133 u. S. 164–167. 826 Garcia, Passés sans origines ?, S. 3. 827 Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 11. 828 „Das 14. und 15. Jahrhundert sind voller Kriege, Revolutionen und Verbrechen. Es scheint so, als sei die Zivilisation in diesem Moment stillgestanden. Dem war aber nicht so.“ Brossolette, Histoire de France, 1937, S. 45/6. 829 Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 177; Blanchet, Histoire de France, 1913, S. 161; Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916, S. 106/7. Vgl. Koppetsch, 1789 aus zweierlei Sicht; Amalvi, De l’art et la manière d’accommoder les héros de l’histoire de France, S. 331–405.

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Geschichte als Prozess der Demokratisierung schilderte,830 ließ die Revolution als Höhepunkt und Erfüllung einer jahrhundertelangen Geschichte erscheinen. Die erzählerische Leistung der genetischen Darstellung lag darin, dass die Revolution einerseits als Bruch und zugleich als logische Fortführung der bisherigen französischen Geschichte erschien. Diese Verknüpfung gelang den Büchern, indem sie die Spannung zwischen Neuem und Altem Regime mit dem Gattungsschema der Komödie auflösten, die, wie das nächste Kapitel zeigen wird, die Versöhnung von Gegensätzen schildert.831 Auch die französische Nation selbst war für die Bücher nichts Urwüchsiges, sondern galt als Produkt einer jahrhundertelangen Genese, an der verschiedene Akteure beteiligt waren.832 Einige Lehrwerke wiesen die Schüler darauf hin, dass sich auch moralische Maßstäbe im Laufe der Jahrhunderte geändert hätten. Lavisse’ Histoire de France schilderte die Sachsenkriege Karls des Großen drastisch und illustrierte den Text mit einem Bild, das brennende Hütten und weinende Sachsenkinder zeigt. Zugleich warnte das Buch davor, Karl nach gegenwärtigen Maßstäben zu verurteilen: « Il n’était pourtant pas méchant. Mais, dans ce temps-là, les hommes faisaient des choses qui nous paraissent aujourd’hui atroces. »833 Wie erfolgreich der genetische Sinnbildungstyp in Frankreich ist, zeigt ein Blick auf die katholischen Bücher. In den Lehrwerken, die aus dem 19. Jahrhundert stammten, dominierten noch das exemplarische und das traditionale Erzählen. In Segonds Histoire de France ist alleine das Kapitel zur Renaissance überwiegend genetisch strukturiert. Das Buch betont die positiven Veränderungen in diesem Zeitalter, bemerkt aber auch, dass die Sitten und Gebräuche wieder „heidnisch“ („païennes“) geworden seien. Es erklärte dadurch Veränderung nicht als Entwicklung, sondern als Rückfall in einen älteren, bereits überwundenen Zustand.834 In den jüngeren katholischen Büchern hingegen spielt die Genese Frankreichs eine zentrale Rolle. Allerdings setzten sie andere Schwerpunkte als die weltlichen Bücher

830 831 832 833

S. oben, Kap. 5.1.4.1. S. unten, Kap. 5.3.2. S. oben, Kap. 5.1.2.1. „Er war aber nicht böse. Aber in jenen Zeiten taten die Menschen Dinge, die uns heute grausam erscheinen.“ Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 21; ders., Histoire de France, 1932, S.  21; ders., Histoire de France, 1943, S.  21; ders., Histoire de France, 1959, S. 21. 834 Segond, Histoire de France, 1910, S.  147. Vgl. Segond, Histoire de France, 1927, S. 149; Réunion, Histoire de France, 1910, S. 73.

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und betonten deutlich stärker die Beiträge von Kirche und Christentum.835 Barons Histoire de la France listete unter der Überschrift „Die Kirche und ihre Kulturmission“ („L’Église et sa mission civilisatrice“) auf knapp zwei Seiten alle „Dienste“ („services“) auf, die die Kirche Frankreich erwiesen habe.836 Die Stärke der Genese in den französischen Schulbüchern wurde sowohl von der Didaktik als auch vom Staat gewünscht. Mit Ausnahme der Vorgaben des Vichy-Regimes schrieben alle französischen Lehrpläne vor, dass der Geschichtsunterricht die Entwicklungen in der Vergangenheit betonen müsse. In ihrem Kommentar zu den Lehrplänen von 1882 hielten Mutulet und Dangueuger fest: « Bien enseignée, l’histoire montre à la jeune génération le chemin parcouru, les progrès réalisés, les libertés obtenues en comparant la situation actuelle à celle des ancêtres […]. »837 Auch in der fachdidaktischen Literatur gab es einen Konsens darüber, dass der Geschichtsunterricht Entwicklungen und Veränderungen in den Mittelpunkt stellen müsse. Der Historiker Lavisse, der den didaktischen Diskurs seiner Zeit prägte, forderte, die Lehrer sollten fortwährend die Wörter „aujourd’hui“ („heute“) und „autrefois“ (gestern) verwenden, damit die Schüler „die Vorstellung von der Zeit und der historischen Entwicklung“ („la notion du temps et du développement historique“) bekämen.838 Allein im katholischen Bulletin de la Société 835 Guillemain  / Le Ster, Histoire de France, 1937; Guillemain  / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 31, S. 63–70 u. S. 87. Das Buch warnte allerdings abschließend, dass Fortschritt ohne die Werte der Kirche sinnlos sei: Ebd., S. 369. 836 Baron, Histoire de la France, 1946, S. 106–108 u. S. 438. Vgl. Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1937, S. 57–59; dies., Histoire de France, 1948, S. 105–109. 837 „Wenn die Geschichte richtig unterrichtet wird, dann zeigt sie der jungen Generation, welcher Weg zurückgelegt wurde, welche Fortschritte verwirklicht wurden und welche Freiheiten erlangt wurden, indem sie die gegenwärtige Situation mit derjenigen unserer Vorfahren vergleicht.“ Programmes officiels des Écoles primaires élémentaires, 1911, S. 133; Instructions relatives au nouveau plan d’études des écoles primaires élémentaires (Arrêtés du 23 février 1923), abgedruckt in: Manuel général. Partie générale, Jg. 90 (1922/23), H. 41, 30.6.1923, S. 769–791, hier S. 779; Programmes. Ins­ tructions. Répartitions mensuelles et hebdomadaires. 1945–1947, 1948, S. 183. 838 Lavisse, Ernest, L’enseignement historique en Sorbonne et l’Éducation nationale, in: ders., Questions de l’enseignement national, Paris 1885, S. 1–43, hier S. 31. Vgl. Lavisse, [Ernest], L’histoire à l’école, in: Manuel général. Partie générale, Jg. 71 (1904), H. 35, 27.8.1904, S. 418–420, hier S. 419. Zu Lavisse’ Vorstellungen von Zeitlichkeit vgl. Ringer, Fritz, Bildungs- und Geschichtstheorien in Frankreich und Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Wolfgang Küttler  / Jörn Rüsen  / Ernst Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs, Band 3: Die Epoche der Historisierung, Frankfurt a. M. 1997, S. 229–243, hier S. 239.

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générale gab es Gegenstimmen. Graff verteidigte dort die rein exemplarische Sinnbildung gegen die weltliche Fortschrittserzählung: En effet, bien que les sociétés contemporaines vivent dans des conditions très différentes de celles d’autrefois, les hommes restent bien semblables à eux-mêmes à travers les temps. Il n’y a rien de nouveau sous le soleil ; la nature humaine change peu et le récit de ce qu’ont fait les anciens […] nous est nécessaire pour ne pas tomber dans les mêmes erreurs comme pour pratiquer les mêmes vertus.839

Die genetische Sinnbildung ist charakteristisch für das Fach Geschichte an französischen Volksschulen. Die Erkenntnis, dass Frankreich und die Welt sich über Jahrtausende verändert haben und weiterhin verändern würden, ist neben dem Patriotismus und der Demokratieerziehung das wichtigste Lernziel, das der französische Geschichtsunterricht an Volksschulen vermittelte. Der oben gezeichnete Republikanismus der Volksschullehrer, ihrer Ausbilder und der Autoren der weltlichen Schulbücher dürfte dafür gesorgt haben, dass der staatlich verordnete Fortschrittsglaube sich effektiv im Geschichtsunterricht und seinen Büchern niedergeschlagen hat. Die Dritte Republik hat diesen Sinnbildungstyp so fest verankert, dass er, glaubt man modernen Forschungen, noch heute das französische Geschichtsbewusstsein prägt.840 5.2.5. Die Schwäche des genetischen Erzählens in den deutschen Volksschulbüchern

In Deutschland gab es eine langsame Entwicklung zum genetischen Erzählen, die das NS-Regime vorübergehend unterbrach. Insgesamt blieb diese Sinnbildung in Deutschland aber während des gesamten Untersuchungszeitraumes deutlich schwä839 „Obwohl die gegenwärtigen Gesellschaften heute in der Tat in ganz anderen Bedingungen leben als die früheren, bleiben die Menschen sich selbst durch die Zeiten ähnlich. Es gibt nichts Neues unter der Sonne, die menschliche Natur ändert sich wenig und die Erzählung, die man über die Alten verfasst, ist für uns notwendig, damit wir nicht die gleichen Fehler machen und genauso tugendhaft sind.“ Graff, Nécessité de l’enseignement de l’histoire, in: Bulletin de la Société générale, Jg.  56 (1925), H.  7, S. 611–621, hier S. 611/2. 840 Borries, Jugend und Geschichte; auch wenn die hier ausgeführten Überlegungen nicht ausreichen, dieses Phänomen zu erklären, so liefern sie doch einen Hinweis darauf, dass diese französische Besonderheit in der Struktur der schulischen Geschichtserzählung wurzelt.

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cher als in Frankreich. Bereits während des Kaiserreichs haben deutsche Geschichtsbücher genetische Elemente verstärkt. Polacks Aus der alten und vaterländischen Geschichte von 1900 handelte die Industrialisierung noch in wenigen Sätzen ab und deutete sie der exemplarischen Sinnbildung gemäß als Frucht eines besonders friedlichen Zeitalters. Das Buch erwähnte lediglich einige Erfindungen, die es als Beispiel dafür anführte, dass „Ackerbau, Handel, Gewerbe und geistiges Leben“ in der Friedenszeit nach 1815 „aufblühten“. Das Nachfolgewerk, Franke / Schmeils Realienbuch, subsumierte die Industrialisierung zwar immer noch unter das Kapitel „Friedrich Wilhelms III. Sorge für sein Land“, sprach aber zumindest schon von einem „völligen Umschwung des wirtschaftlichen Lebens“.841 Erst das Ende der Monarchie erlaubte es, mit dem genealogischen Ordnungsprinzip zu brechen, das die schulische Geschichtsschreibung im Kaiserreich geprägt hatte.842 Geschichtliche Zusammenhänge beschränkten sich nicht mehr auf die Lebensspanne einzelner Herrscher. Die Weimarer Lehrwerke stellten deutlich mehr zeitübergreifende Zusammenhänge her als ihre Vorgänger, sie betonten stärker die Veränderungen in der Vergangenheit. Alle Bücher enthielten nun Kapitel, die die technologischen und wirtschaftlichen Umbrüche darstellten. Ein anderes Bild ergibt sich allerdings, wenn man die politische Entwicklung bzw. das Fehlen ebendieser betrachtet. Wie oben geschildert, spielte politische Freiheit als Leitbegriff auch in den Weimarer Schulbüchern eine zentrale Rolle.843 Doch während die französische Freiheitserzählung einen Jahrhunderte dauernden Prozess der Demokratisierung schilderte, in dem die Franzosen sich schrittweise von einer Obrigkeit befreiten, gab es in den deutschen Büchern keinen qualitativen Unterschied zwischen dem germanischen Kampf um Freiheit von den Römern und dem Unabhängigkeitskrieg der Niederlande im 16. und 17. Jahrhundert. Nur an wenigen Stellen deuteten die Bücher historische Phänomene im Kontext ihrer eigenen Zeit – ein typisches Element genetischer Sinnbildung. Das Arbeitsbuch Schaffensfreude schilderte den Absolutismus einerseits als „heilsame Schule“ für die Deutschen der Frühen Neuzeit. Andererseits stellte das Lehrwerk seinen Schülern die Suggestivfrage „Wie stellen wir uns heute zur unumschränkten Monarchie?“. Da die Antwort auf diese Frage angesichts der Geschichtsdeutung des 841 Der Verlag Hofmann aus Gera ging im Teubnerverlag auf: Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 89; Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S.  112/3. Dies zeigt auch der Vergleich zweier verschiedener Auflagen von Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904; dies., Realienbuch, 1910. 842 S. oben, Kap. 4.2.1. 843 S. oben, Kap. 5.1.4.2.

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Lehrwerkes nur negativ sein konnte, lernten die Schüler hier, dass ähnliche Phänomene zu verschiedenen Zeiten anders beurteilt werden müssen.844 Anders als die französischen Bücher zeichneten die Weimarer Lehrwerke den Geschichtsverlauf nicht als eine Höherentwicklung, die auf dem Gewesenen aufbaut, sondern eher als ständiges Auf und Ab. Teubners Sachkunde für Volksschulen fasste seine Darstellung am Ende mit den Worten zusammen, in der deutschen Vergangenheit hätten sich „Auf- und Abstieg stets abgelöst“.845 Das zeigt sich bereits auf den ersten Seiten der Bücher: Während französische Bücher die Gallier als primitives Volk schilderten, das sich langsam und mit fremder Hilfe zivilisierte, galten die Germanen den deutschen Büchern der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus als zumindest moralisch vorbildhaftes Volk.846 Die Völkerwanderung, die als „germanisches Heldenzeitalter“ erschien,847 blieb langfristig erfolglos. Das Karlsreich erschien den Büchern als vorübergehende Blütezeit. Nach seinem Niedergang entstand das „Deutsche Reich“ des Mittelalters, das in allen Büchern als einer der Höhepunkte der deutschen Geschichte galt.848 Sie schilderten Spätmittelalter und Frühe Neuzeit als Phase des Niedergangs, die je nach Perspektive des Buches bereits beim Tod Friedrich Barbarossas einsetzte oder erst im 15. Jahrhundert.849 Tiefpunkt waren der Westfälische Friede und die Eroberung Straßburgs durch Frankreich, auf die der Wiederaufstieg Deutschlands unter preußischer Führung folgte. Um diese Entwicklung zuzuspitzen, setzten sich die Schulbuchautoren über die Chronologie hinweg und zogen die Eroberung Straßburgs (1681) im Text vor die Regierungszeit des „Großen“ Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1640–1688). Teubners Sachkunde kündigte so nach dem „Raub“ Straßburgs mit den Worten „Die Not hat ein Ende“ den „Aufstieg BrandenburgPreußens“ an. In den NS-Büchern trat die osmanische Belagerung Wiens hinzu, die als Beleg für deutsche „Not“ in der Frühen Neuzeit diente.850 844 845 846 847 848

Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 70. Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 3, 1931, S. 44. S. oben, Kap. 5.1.3. Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 13. Zum Bild des Mittelalters in deutschen und französischen Geschichtsbüchern vgl. Bauvois-Chauchepin, Mythologie nationale, S. 184–187. 849 Zu Barbarossa z.B.: Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 40. Zum 15. Jahrhundert z.B.: Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 48. 850 Ebd., Bd. 2, 1931, S. 7. Vgl. Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 10–12; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 66/7. Die NS-Bücher respektierten die Chronologie: Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 2, 1934, S. 156–

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Folgt man Hans-Jürgen Pandel, der Rüsens Modell der Sinnbildung aufgegriffen hat, würde man diese Darstellungsweise als „organisches Erzählen“ begreifen. Darunter versteht Pandel eine „typisch historistische Form, die mit den Begriffen Aufstieg und Verfall arbeitete“.851 Hier soll das „Auf und Ab“ der deutschen Geschichtserzählung jedoch ebenfalls als eine Form genetischer Sinnbildung verstanden werden, da sie Aufstieg und Verfall „als gerichtete Prozesse deutet(e)“.852 Allerdings sind Erzählungen von Aufstieg und Verfall eine schwache Form der Genese, da sie bestimmte Perioden nicht als Etappen auf der Entwicklung zur Gegenwart werten, sondern als eine Art Stagnation bzw. Rückschritt. Besonders deutlich wird dieser genetische Charakter in der Erzählung der preußischen Geschichte, die den „Aufstieg“ vom märkischen Kleinstaat zur europäischen Großmacht schilderte und somit ein starkes progressives Element enthielt. Anders als in Frankreich führte diese Entwicklung in den deutschen Schulbüchern nicht stetig nach „oben“,853 sondern sie bestand aus Perioden des Aufstiegs und des Abstiegs. Erst in der Bundesrepublik und in der DDR stieg die Genese zum dominanten Sinnbildungstyp neben und vor dem Exempel auf. Anders als in der Weimarer Republik erkannten die Bücher nun auch in den vormaligen „Verfallsperioden“ Elemente, die zur gegenwärtigen Kultur beigetragen hatten. Die Bücher schilderten etwa das Spätmittelalter nicht mehr ausschließlich als Zeit des Niedergangs. Während die Bücher vor 1945 die Schwächung der Kaisermacht so schilderten, als habe das gesamte deutsche Volk in dieser Zeit gelitten, traten in DDR und Bundesrepublik nun Entwicklungen in den Vordergrund, die den Niedergang der Zentralgewalt nur noch als eine von vielen Entwicklungen erscheinen lassen.854 Dies wurde möglich, weil der Fokus der Bücher nun nicht mehr ausschließlich auf Fragen der nati-

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167; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1936, S. 6/7; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 91/2. Pandel, Erzählen und Erzählakte, S. 44. Rüsen, Die vier Typen des historischen Erzählens, S.  189. Für Rüsen ist die Fortschrittsorientierung die nächstliegende Ausprägung genetischen Erzählens, aber „durch genetisches Erzählen werden auch diejenigen Zeitverlaufsvorstellungen gebildet, in denen die Veränderungen von Mensch und Welt in der Vergangenheit als Verfall erscheinen und die daher Handeln nicht an Fortschritts-, sondern an Verhinderungs- oder Rettungsperspektiven orientieren.“ Es gibt auch in den französischen Büchern die Idee von Aufstieg und Verfall, nur wird diese von einer progressiven Entwicklung dominiert. S. unten, Kap. 4.1.2.

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onalen Einheit lag, sondern stärker ökonomische und soziale Entwicklungen in den Blick nahm, die in den fünfziger Jahren positiv gedeutet wurden.855 Einer der Gründe, weswegen die Genese in den deutschen Schulbüchern so schwach war, liegt in der Art, in der die Lehrwerke den Erzähler gestalteten. Wie oben dargestellt,856 setzten die Bücher seit den zwanziger Jahren verstärkt auf den bezeugenden Erzähler, der das Geschehen aus einer zeitgenössischen Perspektive schilderte. Dieser Augenzeuge war aber nicht in der Lage, Prozesse zu beurteilen, die über seine eigene Erfahrungswelt hinausgingen. Somit reihten Bücher wie Hausmanns Sie alle bauten Deutschland oder die braunschweigischen Geschichts­ bilder lediglich einzelne Bilder aneinander, ohne zeitübergreifende Zusammenhänge herzustellen. Didaktiker begründeten die Entscheidung gegen eine genetische Darstellung damit, dass Kinder noch nicht in der Lage seien, historische Entwicklungen zu begreifen. Der Reformpädagoge Erich Andräß behauptete, Volksschüler würden sich nur für „punktförmige Tatsachen“ interessieren: [Dieses Interesse] ist mehr ein Anekdotenhunger an einzelnen Personen, Handlungen, Zuständen und Ereignissen, die früher einmal waren; ist die Neugierde am Seltsamen, Abenteuerlichen und Abweichenden, nicht aber das, was wir ihm [dem Kind, d. Verf.] in den Lehrplänen unterschieben, es ist kein Interesse am Ablauf der Geschichte. […] es bleibt völlig gleichgültig, in welcher Reihenfolge die Stoffe auftreten. Sie können bunt durcheinander gewürfelt sein wie im Kaleidoskop.857

855 Beispielhaft seien hier die Einzelbände von Ebelings neunbändiger Deutscher Ge­ schichte genannt, deren Titel darauf hinwiesen, dass die Darstellung verschiedenen Betrachtungsebenen Rechnung trug und zudem eindeutig den Wandel in der Geschichte in den Vordergrund rückte: Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 1: Von den Anfängen unserer Geschichte, 1952, Bd. 2: Mönche, Ritter, Bauern, 1953, Bd. 3: Die Bürger in ihren Städten, 1952, Bd. 4: Eine neue Zeit bricht an, 1953, Bd. 5: Das Zeitalter des Absolutismus, 1953, Bd. 6: Die große bürgerliche Revolution, 1953, Bd. 7: Die große wirtschaftliche Revolution des 19. und 20. Jahrhunderts, 1961, Bd. 8: Der Aufstieg der Weltmächte, 1953 u. Bd. 9: Das Zeitalter der Weltkriege, 1953. 856 S. oben, Kap. 3.4.3. 857 Andräß, Erich, Die Anschauung im Geschichtsunterricht der Volksschule, in: Die deutsche Schule, Jg. 34 (1930), H. 9, S. 536–546, hier S. 539. Vgl. z.B. Vortrag von Arthur Wolf „Forderungen der Gegenwart an den Geschichtsunterricht in der Volksschule“, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 11 (1921), S. 138–140, hier S. 139. Ein Plädoyer für die Schilderung von Entwicklungen macht Fehring, Max, Kind und Geschichte. Vier Betrachtungen zur Neuordnung des Geschichtsunterrichts, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 12 (1922), S. 209–217, hier S. 215.

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In diesem Sinn forderten auch preußischer und bayerischer Lehrplan in der Weimarer Zeit übereinstimmend, der Geschichtsunterricht an der Volksschule solle keine „lückenlose Auffassung der geschichtlichen Entwicklung“ vermitteln, sondern „entscheidende Ereignisse und Entwicklungsstufen […] in Form einzelner geschlossener Bilder“ darstellen.858 Die Abwertung der Genese gründete in dem Geschichtsbewusstsein, das die Deutschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelten. Die Forschung geht davon aus, dass der Fortschrittsgedanke in Deutschland schwächer verankert war als in anderen westlichen Ländern. Niedergangsvorstellungen, die seit der Jahrhundertwende europaweit Konjunktur hatten, waren dort besonders einflussreich.859 Die Niederlage im Ersten Weltkrieg hat diese Mentalität gestärkt. Fritz Friedrich und Paul Rühlmann, Herausgeber von Vergangenheit und Gegenwart, schilderten 1919, wie stark die Niederlage den Fortschrittsglauben der Geschichtslehrer erschüttert hat: „Ist es uns doch, als habe die Wissenschaft, deren Studium wir unser Leben geweiht hatten, plötzlich ihren Sinn verloren.“860 Diesem pessimistischen Geschichtsbild folgend strukturierten die Schulbücher, wie das nächste Kapitel zeigen wird,861 das vergangene Geschehen nach dem Muster der Tragödie. Diese stellt das Scheitern und das Vergebliche in der Vergangenheit heraus. Eine derartige Darstellung ließ keinen Platz für die Genese, die den Wert alles vergangenen Geschehens für die Gegenwart betont. Ein weiterer Grund für die Schwäche der Genese war die Konjunktur mythischen Erzählens, die in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg einsetzte. 5.2.6. Die Konjunktur mythischen Erzählens in deutschen und französischen Schulbüchern

Die Bücher des Kaiserreiches setzten den Mythos nur dort ein, wo die Dynastie keine Kontinuität herstellen konnte: Alle Bücher verwiesen auf den BarbarossaMythos, um das mittelalterliche Reich mit Preußen-Deutschland zu verbinden. Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch schrieb zur Reichsgründung von 1871: „Der 858 Richtlinien des Preußischen Ministeriums, 1923, S. 27; Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen, 1926, S. 165. 859 Hardtwig, Die Krise des Geschichtsbewusstseins, S. 87/8. 860 Die Aussage bezieht sich auf den Weltkrieg und nicht auf die Revolution: Friedrich, Fritz / Paul Rühlmann, Revolution und Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 9 (1919), S. 1–12, hier S. 1. 861 S. unten, Kap. 5.3.3 und 5.3.5.

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alte Barbarossa war erwacht, die Raben – Hader und Zwietracht – waren verschwunden und der längst verwelkte Baum – das Deutsche Reich – begann unter dem Zepter des Kaisers lustig zu grünen und zu blühen.“862 An allen anderen Stellen schien es ausreichend, die dynastische Kontinuität zu betonen, um die Vorstellung ungebrochener Tradition zu erzeugen.863 Erst die Bücher, die in der Weimarer Republik neu erschienen, griffen mythische Sinnbildungsmuster auf, um zeitübergreifende Zusammenhänge herzustellen. Sie deuteten die gegenwärtige Lage als Wiederkehr der Situation Deutschlands am Ende des Dreißigjährigen Krieges oder der Lage Preußens nach dem Frieden von Tilsit.864 Die meisten Analogien produzierten die deutsch-französischen Beziehungen. Der Großteil der Weimarer Bücher stilisierte diese zu einem ewigen Konflikt, der sich als Grundmuster durch alle Epochen der deutschen Geschichte zog. Das Buch Schaffensfreude deutete nicht nur die Politik Ludwigs XIV., die Napoleonischen Kriege und den Krieg von 1870/71 als Teil dieser überzeitlichen deutsch-französischen Konfrontation, sondern bereits die Schlacht im Teutoburger Wald. Die Schüler verglichen die Romanisierung damit, „(w)ie die Franzosen gegenwärtig das Saargebiet verwelschen wollen und wie sie das deutschsprechende Elsass-Lothringen gewaltsam verwelschen.“ Zwar begrüßten die Bücher am Ende oberflächlich die deutsch-französische Aussöhnung, die mit dem Vertrag von Locarno eingeleitet schien. Allerdings machte diese Annäherung eher einen kosmetischen Eindruck in einer Geschichtsdarstellung, die den deutsch-französischen Gegensatz als Konstante einer 2000-jährigen Geschichte gedeutet hatte.865 862 Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 35; Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 26 u. S. 127; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 40 u. S. 136; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1915, S. 15; Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S. 27 u. S. 58; Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 9. Allein Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 38 u. S. 97 verwies nicht ausdrücklich auf den Zusammenhang von Barbarossa-Mythos und Reichsgründung. Zum Barbarossa-Mythos vgl. Kaul, Camilla G., Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser. Bilder eines nationalen Mythos im 19. Jahrhundert, Köln  / Weimar  / Wien 2007, Diss. Bonn 2005. 863 Ein Bezug auf das Römische Reich wurde nicht gemacht. 864 S. oben, Kap. 5.1.2.2. Vgl. hierzu Schönemann, Bernd, Zur Rezeption des Dreißigjährigen Krieges in Literatur und Schule vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus, Wolznach 2000. 865 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 9. Vgl. ebd., S. 62, S. 85 u. S. 107. Vgl. Eckl, Teub­ ners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 2, 1931, S. 24/5, S. 28 u. Bd. 3, 1931, S. 43/4; Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 8/9; Kahnmeyer / Schulze,

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Einige Weimarer Bücher „verewigten“ einzelne historische Persönlichkeiten. Das Geschichtsbuch für die deutsche Jugend betonte explizit, dass Menschen über ihren Tod hinaus durch ihre Taten unsterblich werden.866 Das Buch löste zahlreiche historische Persönlichkeiten aus ihrem historischen Kontext und stellte sie nicht als Individuen dar, sondern als Repräsentanten überzeitlicher Figurenschemen wie „Führer“ oder „Retter“. Das Lehrwerk stilisierte den Reformator Luther zum „Führer“, auf den das Volk schon lange gewartet hatte: „Es grollte und bebte in Deutschland. Wenn nur ein Führer käme! (…) Der Führer lebte. Es war Martin Luther.“ Die NS-Ausgabe des Buches knüpfte an diese messianische Aufladung an und stellte Hitler explizit als Vollender von Luthers Werk dar.867 Es fällt auf, dass es gerade die gemäßigt republikanischen Bücher waren, die mythische Elemente aufgriffen, während die sozialdemokratischen Geschichtsbilder und die konservativen Lehrwerke von Kahnmeyer / Schulze und Nehring gegen diesen Trend immun waren. Unter der NS-Herrschaft erhoben fast alle Bücher das mythische Erzählen zum dominanten Sinnbildungstyp. Die nationalsozialistischen Lehrwerke deuteten nicht nur die Beziehungen zu Frankreich, sondern jegliche Außenbeziehungen des deutschen Volkes als steten „Kampf “, den sie in Dimensionen von Jahrhunderten und Jahrtausenden maßen. Je nach Schulbuch und nach Erscheinungsdatum setzten die Bücher hier unterschiedliche Schwerpunkte. Für das antiklerikale Lehrwerk So ward das Reich etwa war die Überwindung des kirchlichen Einflusses die „große Sehnsucht der Jahrhunderte“.868 Nicht weiter verwunderlich ist der scheinbar zeitlose Konflikt von „Ariern“ und Juden, den die Bücher schilderten. Bemerkenswert ist, dass die Auseinandersetzung zwischen „Europa“ und „Asien“ zu einem der unwandelbaren Hauptfaktoren der Geschichte wurde – und zwar

Realienbuch, 1931, S. 119 u. S. 146; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 13/4 u. Bd. 3, 1928, S. 88; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 1, 1928, S. 17 u. S. 50. Eine Ausnahme bildeten: Geschichtsbilder, 1929. 866 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 7 u. S. 13. Neben dem Geschichtsbuch für die deutsche Jugend finden derartige Darstellungen sich in Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 16; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 14. Letzteres forderte die Schüler dazu auf, Alarichs Tod nach Platens Gedicht Das Grab im Busento zu erzählen. 867 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd.  1, 1929, S.  62; ders., Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 80. 868 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 154.

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keinesfalls erst mit dem Ausbruch des Weltkrieges. Die 1934 überarbeitete Auflage von Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend erläuterte ihren Lesern: Wieder einmal (bei der Belagerung Wiens, d. Verf.) hatten die Deutschen Europa vor asiatischer Barbarei gerettet, wie einst die Germanen in der großen Hunnenschlacht (451), die Deutschen in der Mongolenschlacht (1241) und später Adolf Hitler durch seinen Sieg über den Bolschewismus.869

Das Interesse am Nachleben, das einige Weimarer Bücher zeigten, steigerte sich in den NS-Büchern zu einer gewissen Nekrophilie. Detailliert schilderten die Bücher das Ableben großer Gestalten sowie ihr geistiges Fortleben. In So ward das Reich „lebte der Geist des großen Preußenkönigs [Friedrich II., d. Verf.] im Volke weiter“. Darüber hinaus wusste das Buch zu vermelden, dass dessen Gruft nach der NS-Machtübernahme „weit geöffnet und erleuchtet“ war, damit der Preußenkönig „Zeuge der nationalen Wiedergeburt“ würde.870 Zudem verstärkten die Bücher die Tendenz, historische Gestalten nur noch zu Ausprägungen bestimmter Typen zu machen. Besonders verbreitet war die Gleichsetzung von Armin, Widukind und Hitler zu „Kämpfern für ein reines Deutschtum“.871 In Kamps Neuem Realienbuch scheint jegliche Zeitlichkeit zu schwinden, da Widukind dort mit eigenen Worten die Parallele zwischen ihm und Hermann zieht: „Einst kam Rom, um uns zu knechten; Hermann, der Held, schlug die Legionen […]. Freiheit und Ehre sind unsere kostbarsten Güter. Sachsen, ich rufe euch auf, sie zu verteidigen!“872 869 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1937, S. 13. Vgl. z.B. ebd., Bd. 1, 1934, S. 22 u. S. 25; Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 41, S. 42, S. 50/1, S. 63/4, S. 89, S. 148 u. Bd. 2, 1941, S. 2–4; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S. 23, S. 32, S. 35 u. S. 49; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd.  1, 1935, S.  75 u. Bd.  2, 1934, S.  165; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 12/3; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 24; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S.  39 u. S.  61. Dieser Gegensatz ist nur schwach ausgeprägt in Hausmann, Sie allen bauten Deutschland, 1942; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1940 u. Bd. 2, 1936. 870 Blume, So ward das Reich, Bd. 2, 1941, S. 25 u. S. 138. Vgl. z.B. ebd., S. 37, S. 141 u. S. 157; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 40, S. 48, S. 61 u. S. 94; Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1938, S.  26; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 12, S. 59 u. S. 103; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 8/9. 871 Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 61. Vgl. Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 40 u. S. 70/1. 872 Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 46.

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Reste des mythischen Erzählens finden sich noch in den Büchern der frühen Bundesrepublik. Der überzeitliche Gegensatz von Europa und Asien spielte in deren Büchern eine wichtige Rolle, wobei sie den christlich aufgeladenen Begriff „Abendland“ bevorzugten: „Sollten die Türken wie die Hunnen, Awaren und Ungarn das Abendland verheeren?“873 Diese Denkfigur bildet eine der wichtigsten Brücken zwischen der Schulgeschichtsschreibung des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik. Diese Kontinuität ist allerdings rein inhaltlich, der mythische Sinnbildungstyp verschwindet sonst weitgehend. Die Vorliebe der deutschen Bücher für Naturmetaphorik unterstützte die mythische Sinnbildung, wenn diese Sprachbilder den zyklischen Charakter der Natur auf die Geschichte übertrugen. Besonders beliebt war die Vorstellung, eine Epoche sei eine besondere Blütezeit gewesen.874 Häufig finden sich derartige Naturmetaphern im Weimarer Geschichtsbuch für die deutsche Jugend und in den NSGeschichtsbüchern. Ersteres verglich beispielsweise den Verlauf der deutschen Geschichte mit dem Kreis der Jahreszeiten und feierte die Einigung von 1871 mit den Worten „Es ist Frühling geworden in deutschen Landen“. Am Ende der Darstellung griff das Lehrwerk dieses Bild auf und äußerte angesichts der Gegenwart der Weimarer Republik die Hoffnung, es werde „wieder Frühling werden in deutschen Landen“.875 Neben dieser Jahreszeitenmetaphorik verwendete das NS-Buch So ward das Reich vor allem Bilder von pflanzlichem Wachstum.876 Das Heilige Römische Reich habe im 18. Jahrhundert „einer Tanne, deren Spitze abgebrochen war“ geglichen, während einzelne Männer aus den Partikularstaaten „empordrängten“, und zwar „wie die zerbrochene Tanne Kräfte sammelt, um eine neue Spitze zu bilden.“877 Derartige Bilder suggerieren, dass historische Akteure nicht vergehen, sondern wie Pflanzen mit dem Lauf der Jahreszeiten Kraft gewinnen und verlieren.

873 Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 42; vgl. ebd. S. 22 u. S. 90; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd.  1, 1952, S.  60; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd.  2, 1960, S.  41; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 1, 1960, S. 51–53, Bd. 2, 1957, S. 87/8 u. Bd. 3, 1957, S. 63; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 1, 1959, S. 27/8 u. Bd. 2, 1956, S. 16; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 19/20. 874 Z.B. Franke / Schmeil, Realienbuch, 1913, S. 99; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 44; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 57; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 61. 875 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1928, S. 17 u. S. 75. 876 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 18, S. 31 u. S. 124. 877 Ders., So ward das Reich, Bd. 2, 1941, S. 6.

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In der didaktischen Literatur der Zeit finden sich zwei Ansätze, die mythische Sinnbildung zu begründen. Kumsteller begründete den Mythos 1925 didaktisch. Ihm gehe es in erster Linie darum, komplexe Zusammenhänge zu reduzieren und durch „Vergleichen, Unterscheiden und Ordnen“ aus vielschichtigen historischen Phänomenen Typen herauszuarbeiten. Er habe in seinem Geschichtsbuch „historischen Individualitäten“ wie „der Masse, der Persönlichkeit, dem Staatsmann, dem Reformator, dem Krieger, dem Landmann, dem Mönch, dem Kaufmann“ eigene Darstellungen gewidmet, „so dass sie eine allgemein gültige Bedeutung bekamen und die Betrachtung sozusagen soziologisch ausläuft“.878 Die Begründungen, die die NS-Pädagogen gaben, lassen eher darauf schließen, dass die Konjunktur des Mythos eine geschichtsphilosophische Motivation hatte. Jäkel forderte, die Trennung zwischen den Zeitebenen aufzuheben: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden ihm [dem selbstbewussten Volk, d. Verf.] zu einer zeitlosen, ewig gültigen Darstellung seiner eigenen Art verschmelzen. Kein Geschehen, und mag es zeitlich noch so weit zurückliegen, ist für eine solche Geschichtsbetrachtung vergangen und tot […]. So war für Kleist und ist für uns die Hermannsschlacht ein unvergängliches Ereignis, bei dem wir erst in zweiter Linie nach dem genauen Sachverhalt, in erster Linie aber nach dem ewig gültigen Sinn fragen.879

Es wäre allerdings zu einfach, eine pädagogische Verwendung des Mythos in der Weimarer Republik und in der frühen Bundesrepublik von einer geschichtsphilosophischen in der NS-Zeit zu unterscheiden. Vermutlich sind beide Begründungen miteinander verwoben und in der jeweils anderen zumindest angedacht. Pädagogen der frühen Bundesrepublik wie Hans Mombauer erkannten bereits, dass der mythische Sinnbildungstyp charakteristisch für das Geschichtsbild des Nationalsozialismus war, und verurteilten ihn als „pseudo-historisches Gift“.880 878 Kumsteller, Bernhard, Grundsätzliches, S. 6/7. 879 Jäkel, Werner, Geschichte und Dichtung, in: Die deutsche Schule, Jg. 41 (1937), H. 3, S. 105–110, hier S. 107. Vgl. Philipp, Hans, Der Vorgeschichtsunterricht in der Volksschule, in: Die deutsche Schule, Jg. 41 (1937), H. 6, S. 246–254, hier S. 247. Eine etwas andere Auffassung vertrat Schmidt, der zwar das „Gleichbleibende im Geschichtsverlauf “ betont sehen wollte, dieses aber in der „Auswirkung der gleichen historischen Kräfte“ und nicht in der „Wiederkehr der gleichen historischen Ereignisse“ verortete: Schmidt, Kurt, Der Vergleich im Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 29 (1939), S. 221–245, hier v.a. S. 225. 880 Mombauer, Hans, Mythos und Historie, in: GWU, Jg.  1 (1950), S.  270–286, hier S. 276; vgl. Ebeling, Hans, Der Geschichtsunterricht in der Volksschule, in: GWU, Jg. 2 (1951), S. 347–360, hier S. 351.

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Das mag erklären, warum der mythische Sinnbildungstyp nach 1945 aus den Schulbüchern verschwand. Die Geschichtsbücher, die das Vichy-Regime in Frankreich zuließ, nahmen ebenfalls verstärkt Elemente mythischen Erzählens auf. Faÿ / Maurel / Equys Histoire de France stilisierte Karl den Großen und Napoleon zu mythischen Figuren, die mit ihrem physischen Ableben nicht wirklich verschwunden waren. Am Ende des Napoleon-Kapitels zitierte das Buch Octave Aubry, der den Garten des toten Kaisers beschrieb: Mais il y a encore d’autres fleurs (…) Ce sont des immortelles, petites-filles de celles que l’Empereur lui-même sema dans son jardin (…) Il y en avait de jaunes, de blanches, de rouges, de violettes. Il les fit fleurir. Après lui, les diverses couleurs sont mortes. N’ont survécu, ne se sont transmises, par la volonté de la terre, que les immortelles couleur de gloire. Deux fois par ans, tout Longwood en resplendit.881

Das Buch Notre France erinnerte seine Leser daran, dass der „Körper Frankreichs“ („le corps de la France“) sich in der Vergangenheit immer wieder aufgerichtet hätte, als sei er von den Toten auferstanden („comme ressuscité d’entre les morts“).882 Diese mythischen Elemente setzen die Weisungen der Vichy-Behörden um, stärker das Gleichbleibende in der französischen Geschichte zu betonen.883 Im Vergleich zu Deutschland blieb der Mythos allerdings randständig. Die Kontinuität, von der die Vichy-Lehrpläne sprachen, ließ sich auch über die traditionale Erzählweise sichern. An der Neuauflage von Lavisse’ Histoire de France ist der Trend zum Mythos gar spurlos vorübergegangen.884 Es bleibt die Frage, warum die beiden Regime bei der Suche nach dem „Immergleichen“ in der Geschichte zu so unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Die Schulgeschichtsschreibung des Vichy-Regimes musste auf der straff genetisch strukturierten republikanischen Geschichtserzählung aufbauen, die sich seit der 881 „Aber es gibt auch andere Blumen. Es sind Unsterbliche (Strohblumen, d. Verf.), Enkelinnen von denen, die der Kaiser selbst in seinem Garten gepflanzt hat (…) Es gab gelbe, weiße, rote und violette. Er brachte sie zum Blühen. Nach ihm starben die verschiedenen Farben. Nach dem Willen der Erde haben nur die Unsterblichen in der Farbe des Ruhmes überlebt und sich fortgepflanzt. Zwei Mal im Jahr bringen sie Longwood zum Leuchten.“ Faÿ / Maurel /Equy, Histoire de France, Bd. 2, 1943, S. 207. Ähnlich Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1942, S. 169. 882 Ebd., S. 238/9. 883 S. oben, Kap. 5.2.1. 884 Lavisse, Histoire de France, 1943.

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Gründung der Republik einer erstaunlichen Stabilität erfreute und sogar auf den katholischen Sektor ausgestrahlt hatte. Wie das folgende Kapitel zeigen wird, war es dieser Erzählung dank der komödienhaften Narrativierung gelungen, die Brüche der französischen Geschichte schlüssig zu erklären und alle Epochen der französischen Geschichte, also auch das Ancien Régime, sinnhaft in das republikanische Fortschrittsnarrativ zu integrieren. Das Vichy-Regime übernahm diese Erzählung weitgehend. Es begnügte sich damit, die Brüche der französischen Geschichte kleinzuschreiben und die traditionalen Elemente zu stärken. Die Geschichtserzählung des NS-Regimes hingegen zielte darauf, ganze Epochen aus der deutschen Geschichte herauszuerzählen, da die völkische Erzählung diese nicht sinnhaft integrieren konnte. Die NS-Bücher begriffen nicht nur die Weimarer Republik, sondern auch die „Fürstenherrschaft“ der Frühen Neuzeit oder die christliche Tradition des Landes als „undeutsch“. Da die Lehrwerke weite Teile der deutschen Vergangenheit aus der Geschichte ausschlossen, wäre es unmöglich gewesen, die Geschichte traditional zu erzählen. Der Mythos hingegen bot die Möglichkeit, ein ewiges, unwandelbares Deutschland zu schildern, das die als undeutsch qualifizierten Zeiten überdauerte, um in Zeiten nationaler „Wiedergeburt“ erneut hervorzutreten. Diese Art, bestimmte Epochen aus der Geschichte auszugrenzen, verband sich, wie das folgende Kapitel zeigt, mit einer tragischen Strukturierung, die das wiederholte Scheitern eines Helden erzählt. Diese Hinwendung zum Mythos spiegelte eine breitere Krise des Geschichtsbewusstseins wider. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellten antihistoristische Vorstellungen den Entwicklungsgedanken, der das Geschichtsdenken im 19. Jahrhundert bestimmt hatte, in Frage. Wolfgang Hardtwig hat das Geschichtsbewusstsein deutscher Intellektueller in Kaiserreich und Weimarer Republik untersucht und eine „Entzeitlichung“ der Geschichte konstatiert: „Das Vergangene ist nicht wirklich vergangen und potentiell immer da, und die Gegenwart war potentiell schon immer vorhanden“.885 Diese Definition trifft genau den Trend zum 885 Hardtwig, Die Krise des Geschichtsbewusstseins, S. 88–91. Vgl. Küttler, Wolfgang / Jörn Rüsen / Ernst Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 4: Krisenbewusstsein, Katastrophenerfahrungen und Innovationen 1880–1945, Frankfurt a. M. 1997. Zur Entwicklung in Frankreich vgl. Hartog, François, Régimes d’historicité. Présentisme et expériences du temps, Paris 2003, vor allem S. 113–127. Hartog sieht das moderne Geschichtsdenken durch den „présentisme“ bedroht. Dessen Durchbruch datiert er zwar erst auf 1989, er macht aber Vorläufer in den intellektuellen Strömungen der Zwischenkriegszeit aus. Jacobmeyer macht die Abkehr vom Fortschrittsdenken in den Vorworten der Geschichtsbücher aus: Jacobmeyer, Das deutsche Schulgeschichtsbuch

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mythischen Erzählen, der sich in den Schulbüchern abzeichnet. Ob der Begriff „Entzeitlichung“ das Phänomen treffend beschreibt, ist allerdings fraglich; denn anders als in Frankreich hatten die deutschen Lehrwerke die Geschichtserzählungen niemals konsequent verzeitlicht, so dass der Entwicklungsgedanke in deutschen Volksschulbüchern bis in die fünfziger Jahre hinein schwach ausgeprägt war. 5.2.7. Fazit

Rüsens Sinnbildungstypen haben sich als effektives Analyseinstrument erwiesen, um zu untersuchen, wie Schulbücher Zeitverlaufsvorstellungen entwickeln. Während sich in den französischen Schulbüchern im Untersuchungszeitraum die genetische Sinnbildung durchsetzte und die Entwicklung in den letzten 2000 Jahren betonte, blieb das exemplarische Erzählen in deutschen Büchern bis in die fünfziger Jahre hinein stark und reduzierte die Vergangenheit darauf, ein Reservoir lehrreicher Geschichte zu sein. Allerdings lässt sich die Zunahme von überzeitlichen Konstanten in den Büchern der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und des Vichy-Regimes nur erklären, wenn man das Modell von Rüsen erweitert. Diese Tendenz, die sich in der Analogisierung von Ereignissen und Personen manifestierte, wurde hier „mythisches Erzählen“ genannt. Rüsen hat sein Modell der historischen Sinnbildung aus der europäischen Historiographiegeschichte heraus entwickelt: Der traditionale Typ dominiert in der voraufklärerischen Historiographie, der exemplarische in der Aufklärung und der genetische im Historismus. Deswegen stößt die Erklärungskraft von Rüsens Modell in der Historiographie des 20. Jahrhunderts an ihre Grenzen. Denn die Zunahme atemporaler Konstanten in der Geschichtsschreibung der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus stellt keineswegs eine „Wiederkehr“ der voraufklärerischen Historiographie dar, sondern eine Reaktion auf die Kontingenzerfahrung der Moderne. Sie versucht, erfahrenen Wandel und Zufälligkeit wegzuerzählen. Diese Hinwendung zum Mythos spiegelte eine breitere Krise des Geschichtsbewusstseins wider, da in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch in Wissenschaft und Gesellschaft historistische Geschichtsbilder in die Defensive gerieten gegenüber einer entzeitlichenden Form der Geschichtsbetrachtung. In Frankreich war die genetische Fortschrittserzählung derart stark, dass sie auch die Eingriffe des Vichy-Regimes überstand. Diese waren nicht besonders umfassend, da das Regime nur kurze Zeit an der Macht blieb und Material knapp 1700–1945 Bd. 1, Berlin 2011, S. 186.

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war. Die Änderungen, die das Regime durchführte, weisen allerdings darauf hin, dass das Regime einen Bruch in der schulischen Geschichtsschreibung plante. Die neu zugelassenen Bücher stärkten mythische und traditionale Elemente und betonten nicht Veränderungen, sondern überzeitliche Konstanten und wiederkehrende Phänomene. Die Forschung, die sich lediglich mit den Inhalten der Schulbücher beschäftigt, hat diese Zäsur bislang nicht zur Kenntnis genommen und betont die Kontinuitäten im Geschichtsunterricht.886 Betrachtet man die Zeitverlaufsvorstellungen, ergibt sich ein völlig anderes Bild; denn die Schulpolitik von Vichy attackierte das Kernstück des republikanischen Geschichtsunterrichts: die genetische Fortschrittserzählung.887

5.3 Die Sinnbildung durch Gattungsschemata 5.3.1. Theoretische Überlegungen

Der amerikanische Geschichtsphilosoph Hayden White hat 1973 mit seinem Werk Metahistory eine Diskussion über die erzähltechnischen Grundlagen der Geschichte losgetreten, die bis heute andauert. White hatte die Fachwelt mit der Aussage provoziert, Geschichtsschreibung sei mehr durch literarische Strukturierung geprägt als durch wissenschaftliche Forschung. Wenn ein Historiker data („Geschehen“) in eine historiographische Darstellung umwandle, wähle er bewusst oder unbewusst eine bestimmte narrative strategy („Erzählstrategie“). Diese Strategien entsprächen den vier master tropes („Basistropen“) Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie. Sie beruhten auf einer Kombination von modes of emplot­ ment („Arten narrativer Strukturierung“) durch die Gattungsschemata Komödie, Tragödie, Epos und Satire, formal argument („formale Argumentation“) und ideo­ logical implication („ideologische Schlussfolgerung“).

886 Garcia  / Leduc, L’enseignement de l’histoire, S.  172–176; Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale, S. 144–150. Amalvis Befund, dass Analogien spätestens seit Sedan zu einem wichtigen Element französischen Geschichtsdenkens geworden sind, spiegelt sich nicht in den Schulbüchern wider: Amalvi, De l’art et la manière d’accommoder les héros de l’histoire de France, S. 26–28. 887 Faÿ / Maurel / Equy warfen den republikanischen Eliten explizit vor, den Fortschritt zu einer Religion gemacht zu haben: Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, Bd. 2, 1943, S. 295/6.

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Die Einteilung der literarischen Gattungen hat White vom kanadischen Literaturwissenschaftler Northrop Frye übernommen. Dieser verwendet dazu die Namen traditioneller Literaturgattungen.888 Diese beziehen sich nicht auf eine Textsorte, sondern auf die Art der narrativen Strukturierung, die dieser Gattung eigen ist. Wenn White oder Frye von einer „Komödie“ sprechen, dann meinen sie damit also nicht eine bestimmte Unterform des Dramas, sondern die Art der narrativen Strukturierung, die für die Komödie charakteristisch ist. In diesem Sinne können auch ein Roman oder eine historiographische Darstellung als Komödie strukturiert sein. Im Folgenden soll von der Strukturierung durch „Gattungsschemata“ die Rede sein, die neben den Zeitverlaufsvorstellungen und den Metaerzählungen die hier untersuchten Geschichtsbücher strukturieren. Nach White thematisiert eine romance („Epos“)889 einen Konflikt, in dem ein tugendhafter Held einen Gegner überwindet. Das Epos habe eine simple dialektische Struktur und endet mit dem Triumph des Guten über das Böse. Die satire („Satire“) gehe ganz im Gegensatz dazu von der Annahme aus, dass es in der Welt 888 Der Begriff „Gattung“ ist hier weit gefasst. Während die Literaturwissenschaft im strengen Sinne nur Epos, Lyrik und Drama als „Gattungen“ betrachtet, sollen hier auch deren Unterkategorien als „Gattungen“ bezeichnet werden. Frye selbst verwendet den Begriff genre („Gattung“) anders, erst White und im Anschluss an ihn Hunt bezeichnen die im Folgenden vorgestellten Kategorien als genre: Frye, Northrop, Anatomy of Criticism, Princeton 1957, S. 225–316; Hunt, French Revolution, S. 34. Lüsebrinks Einwand, Whites Kategorien seien gar keine „Gattungen“, soll hier nicht gelten, da im Folgenden keine literaturwissenschaftliche Theorie zur Kategorisierung von Texten aufgestellt wird, sondern lediglich grundlegende Strukturmerkmale von Texten herausgearbeitet werden: Lüsebrink, Hayden White aus literaturwissenschaftlicher Sicht, S. 357/8. 889 Anders als in der deutschen Übersetzung von Metahistory wird der englische Ausdruck romance hier nicht mit „Romanze“ übersetzt, da eine Romanze im Deutschen üblicherweise eine Form der Ballade bezeichnet. Frye fasst in dieser Kategorie so unterschiedliche Texte wie die Artussage, den Beowulf, die Passionsgeschichte oder die Vita des Heiligen Georg zusammen: Frye, Anatomy of Criticism, S. 173–192. Hardtwig hat als Übersetzung „Märchen“ vorgeschlagen: Hardtwig, Wolfgang, Eigentlich nichts als Tragödien, Komödien, Märchen und Satiren. Rezension zu Hayden White: Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa (ursprünglich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. Oktober 1991), in: Peter Schöttler / Michael Wildt (Hg.), Bücher ohne Verfallsdatum. Rezensionen zur historischen Literatur der neunziger Jahre, Hamburg 1998, S. 234–242, hier S. 234. Wegen der von Frye aufgeführten Texte, die er der romance zuordnet, erscheint der deutsche Begriff „Epos“ treffender.

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kein Heldentum gebe. Der Mensch könne die Welt nicht überwinden, sondern er sei ihr Gefangener. Die Überwindung des Bösen ist nicht möglich. Komödie und Tragödie lassen nach White eine partielle Befreiung des Menschen zu. Die comedy („Komödie“) beschreibe den Übergang von einer alten zu einer neuen Gesellschaft. Der Konflikt werde im Lauf der Handlung so gelöst, dass auch die Personen, die sich dem Held zunächst in den Weg stellten, am Ende versöhnt oder bekehrt würden. Diese Versöhnung sei kein dauerhafter Sieg des Guten über das Böse, sondern ein neuer Kompromiss zwischen den Kräften. Die tragedy („Tragödie“) schildere ebenfalls einen differenzierten Konflikt zwischen zwei Seiten. Dieser ende allerdings in der Katastrophe. Der Held der Tragödie habe diese Katastrophe entweder selbst verursacht, indem er gegen eine Regel verstoßen habe, oder er sei das unschuldige Opfer übermächtiger Kräfte. Die Versöhnungen, die am Ende von Tragödien stehen, stellen nach White eher eine Resignation des Menschen gegenüber den Bedingungen der Welt dar. Versöhnungen, die auf dem Weg zu dieser Erkenntnis liegen, sind immer nur von kurzer Dauer und tragen den Keim des Scheiterns bereits in sich. Anders als in der Satire gewinnt der Mensch in der Tragödie eine Einsicht: Er lernt etwas aus der Katastrophe.890 Ein gewichtiger Einwand gegen Whites Typologie zielt darauf, dass die Auswahl der Typen willkürlich sei. Genauso gut hätte White andere Gattungen wie Heiligengeschichte und Novelle auswählen können.891 In der Tat neigen einige ostmitteleuropäische Länder dazu, ihre Nationalgeschichte als Heiligen- bzw. Märtyrerlegende zu erzählen, die sich in Whites Modell nur schwer verorten lassen. In Fryes Theorie der Mythen, auf der Whites Modell beruht, erscheint die Christuslegende als Tragödie. An anderer Stelle, in seiner Theorie der Modi, betrachtet Frye die Heiligengeschichte als geistliche Form des Epos.892 Für beide Zuordnungen lassen sich gute Argumente finden. Einerseits erscheint der Märtyrer als tragischer Held, 890 White nennt diese Gattungsmuster modes of emplotment und setzt sich darüber hinweg, dass diese gar nicht dem entsprechen, was Frye mode nennt, sondern dem, was Frye als myth bezeichnet: Frye, Anatomy of Criticism, S. 31–63 u. S. 121–223; White, Metahistory, S. 7–11. 891 Das Epos, das Lüsebrink ebenfall vorschlägt, gilt hier als identisch mit Fryes Begriff romance: Lüsebrink, Hayden White aus literaturwissenschaftlicher Sicht, S. 357. Eine ganze Reihe an Ergänzungen schlägt vor: Barricelli, Michele, Historisches Lernen und narrative Emotion. Anmerkungen zu einer erzähltheoretisch orientierten Geschichtsdidaktik, die Gefühle respektiert, in: Juliane Brauer / Martin Lücke (Hg.), Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Geschichtsdidaktische und geschichtskulturelle Perspektiven, Göttingen 2013, S. 165–182, hier S. 174–176. 892 Frye, Anatomy of Criticism, S. 196 u. S. 32.

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der sich zwischen seinem Leben und seinen Überzeugungen entscheiden muss. Andererseits ist seine Welt nicht so ausdifferenziert wie die der Tragödie. Gut und Böse sind klar voneinander getrennt. Zudem scheitert der Märtyrer nicht wie der tragische Held, sondern er opfert sich für ein jenseitiges Heilsversprechen. Grundsätzlich wäre es daher durchaus möglich, Whites Schema zu erweitern. Das Korpus, das hier untersucht wird, gibt keinen Anlass dazu, das Modell zu überarbeiten, denn die Erzählungen der Geschichtsbücher lassen sich meist den Kategorien Komödie und Tragödie zuordnen. Das Gattungsschema der Satire taucht in den deutschen und französischen Volksschulbüchern nicht auf. Da Geschichtsunterricht, zumal in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, den Schülern eine sinnhafte Deutung der Vergangenheit bieten wollte, bot er keinen Raum für ein Gattungsschema, das jeden Sinn radikal negiert. Das Epos fristet in den Schulbüchern ein Schattendasein. Auch Volksschulbücher, die Zusammenhänge ja stets vereinfachen mussten, konnten die Komplexität von 2000 Jahren Vergangenheit in der Regel nicht auf ein simples Raster von Gut und Böse reduzieren. Das Epos, das einen endgültigen Sieg über das Böse erzählt, eignet sich daher allenfalls für den Schluss der Erzählung. Die Gründung des Reiches durch Preußen und die Dritte Republik konnten als endgültiger Sieg des Guten, als Ende der Geschichte, gelten. Kaum möglich war es, die 2000 Jahre davor konsequent als Epos zu strukturieren. Denn Epen berichten vom endgültigen Sieg des Guten über das Böse. Derartige Siege hätten die Schulbücher in große Erklärungsnot gebracht, denn schließlich mussten sie schildern, dass die Geschichte nach diesem Sieg noch weiterging. Die Bücher, die die gesamte Vergangenheit sinnhaft in ihre Erzählung integrieren wollten, wählten ein komplexeres Gattungsschema. Tragödie und Komödie verzichten auf eine simple Einteilung in Gut und Böse und eignen sich daher besser, um Wandel zu erzählen. Die beiden Gattungsschemata erzählen Geschichten nicht völlig verschieden, sondern setzen nur einen anderen Schwerpunkt: Während die Komödie die vorübergehende Versöhnung betont, hebt die Tragödie das Scheitern hervor. Die Gattungsschemata sind nicht im historischen Geschehen selbst angelegt, sondern werden vom Autor einer historischen Darstellung bewusst oder unbewusst gewählt. Das gleiche Ereignis kann daher nach verschiedenen Gattungsschemata strukturiert werden, wie hier kurz an der Darstellung des Karolingerreiches gezeigt werden soll. Das Karolingerreich ist in der deutschen und französischen Geschichtsschreibung ein Musterbeispiel für eine Versöhnung verschiedener Kräfte. Je nach Perspektive versöhnte das Karolingerreich die Völkerwanderungszeit mit der

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antiken Tradition, die germanischen Stämme mit dem Christentum oder die Gegensätze zwischen Stämmen und Völkern.893 Alle Schulbücher deuteten das Karolingerreich als Gründung eines neuen gesellschaftlichen Konsenses.894 Die Zeit nach Karl dem Großen galt den Büchern als Zeit des Verfalls. Das Karolingerreich erschien insgesamt als Komödie oder als Tragödie, je nachdem, wie diese beiden Elemente, das Scheitern und die Versöhnung, gewichtet waren Die meisten deutschen und französischen Bücher strukturierten das Karolingerreich mit dem Gattungsschema der Komödie. Sie glorifizierten die neue Synthese unter Karl. Der Zerfall seines Reiches erschien somit als Nebensache oder sogar als Vorgeschichte einer neuen Synthese, also des kapetingischen Frankreichs bzw. des ottonischen Deutschlands. Einige dieser Bücher betrachteten das Karolingerreich als Gründung des christlichen Abendlandes, also einer dauerhaften historischen Einheit.895 Andere Bücher hingegen betonten, dass Karl es nicht geschafft habe, etwas Dauerhaftes zu errichten, und legten damit den Schwerpunkt auf den Zerfall des Karolingerreiches. Das Scheitern überschattete hier die Versöhnung und verlieh dem Geschehen etwas Tragisches.896 Die nationalsozialistischen Bücher verstärkten diese tragische Dimension. Sie behaupteten, bereits der Akt der Versöhnung, also die Gründung des Reiches, sei nur Schein gewesen und habe bereits den Keim des Untergangs enthalten. Allein die Mischung zweier verschiedener Völker in einem Reich und das Bündnis von Kaisertum und Kirche würden gegen die Regeln verstoßen, die gemäß der nationalistischen Ideologie den Erfolg eines Staates ermöglichten. Dieser „Gesetzesverstoß“ hätte zwangsläufig zum Zerfall des Reiches geführt.897

893 Bernard / Redon, Histoire de la France, 1950, S. 39; Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 7; Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 91. 894 Eine Ausnahme bildet lediglich das sozialdemokratische Braunschweiger Lehrwerk Geschichtsbilder, das das Karlsreich nicht erwähnt. 895 Z.B. Troux / Girard, Histoire de la France, 1947, S. 7; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 1, 1928, S. 17; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 1, 1952, S. 78. Zu Karl dem Großen in deutschen und französischen Schulbüchern vgl. Bauvois-Cauchepin, Mythologie nationale, S. 178–184. 896 Z.B. Bernard / Redon, Histoire de la France, 1950, S. 46, Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 21–24. 897 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 74; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S. 24; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 64; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S.  48; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, 1942, S. 27.

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Frye hat die Helden seiner vier Gattungen auch über ihr Verhältnis zur Umwelt charakterisiert. Der Protagonist des Epos ist seinen Mitmenschen nicht nur graduell, sondern kategorial überlegen und verfügt über Kräfte, die über das menschliche Maß hinausgehen. Klassische epische Helden sind Herkules oder der Heilige Georg. Die Gegner des epischen Helden sind bisweilen Tiere, also Monster und Drachen. Seine menschlichen Antagonisten werden oft in die Nähe von Tieren gerückt. Charakteristisch für die Satire ist, dass sie Heldentum negiert. Ihre Figuren parodieren, wie Don Quichotte, oft epische Helden. Zahlreiche Satiren enden mit dem Sieg des Kleinen über den Großen. Die Helden von Komödie und Tragödie sind ihren Mitmenschen nicht kategorial überlegen, aber sie sind besondere Menschen oder Anführertypen. Während die Komödie die Integration ihres Protagonisten in die Gesellschaft thematisiert, beschreibt die Tragödie einen isolierten Helden, der außerhalb der Gesellschaft steht.898 Die folgenden Unterkapitel sollen die komödienhafte und tragödienhafte Grundstruktur der französischen bzw. deutschen Schulgeschichtsschreibung herausarbeiten. Zunächst soll ausgeführt werden, warum das Epos eine Randerscheinung in den Schulbüchern blieb. Die folgenden Unterkapitel werden analysieren, welchen Stellenwert in den Büchern „Versöhnung“ und „Katastrophe“ haben, die Grundmotive von Komödie und Tragödie.899 Dann soll gefragt werden, inwieweit die Darstellung des französischen und deutschen Volkes in den Schulbüchern den Charakteristika der Helden von Komödie und Tragödie entspricht. 5.3.2. Die epische Strukturierung als Randerscheinung in deutschen und französischen Schulbüchern

Lediglich Bücher, die einen überzeitlichen Akteur so konstruierten, dass er durch die gesamte Geschichte hindurch als positive Identifikationsfigur erschien, konnten die Vergangenheit als Epos gestalten. Dieses Gattungsschema hatte einen hohen Preis, denn die Bücher mussten konsequent alle Antagonisten dieses Akteurs als 898 Die Ausführungen Fryes zu den Helden der Mythen sind ergänzt durch die Überlegungen, in denen er Epos, Komödie, Tragödie und Satire als Modi charakterisiert: Frye, Anatomy of Criticism, S. 31–3, S. 40, S. 153, S. 173/4, S. 193, S. 213 u. S. 222/3. Frye spricht nicht von der „kategorialen“ Überlegenheit des epischen Helden, sondern davon, dass dieser seiner Umwelt überlegen sei. Er sei zwar ein Mensch, aber seine Handlungen seien wunderbar. 899 Frye spricht von architypal themes („archetypischen Themen“): Frye, Anatomy of Criticism, S. 179.

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„Bösewichte“ darstellen und aus der eigenen, nationalen Tradition ausschließen. Von den französischen Büchern wählte nur die links-republikanische Histoire de France von Brossolette diese radikale Variante. Ihr Hauptakteur war das französische Volk, das sie konsequent als „guten“ Akteur schilderte. Diese episch strukturierte Geschichte erzählte die französische Geschichte gegen die Könige des Ancien Régime, die dort weniger Führer des Volkes waren als seine Unterdrücker.900 Die wichtigsten Vertreter des Epos waren die Geschichtsbücher der DDR. Vom Beginn der kulturellen Entwicklung an standen sich in diesen Büchern zwei klar voneinander abgrenzbare Parteien gegenüber, deren Interessenskonflikt die Weltgeschichte prägte. Auf der einen Seite stand das „Volk“, auf der anderen Seite seine Unterdrücker, die je nach historischem Entwicklungsstand als „Sklavenhalter“, „Feudalherren“ oder „Kapitalisten“ bzw. „Großbürger“ auftraten. Im Laufe dieser jahrhundertelangen Auseinandersetzung verbesserten beide Seiten die Strategien, mit denen sie ihre Interessen durchsetzten. Während die Methoden der Ausbeutung von den Sklavenhalterstaaten der Antike bis zum Kapitalismus der Gegenwart effizienter und subtiler wurden, lernten die Vertreter des Volkes aus ihren Niederlagen, welche Mittel beim Kampf gegen die Unterdrücker hilfreich waren. Der Sklavenaufstand des Spartakus hatte nach den DDR-Lehrwerken keinen Erfolg, da die Sklaven „nicht einheitlich handelten“. Die deutschen Bauernaufstände des 16. Jahrhunderts seien wegen des „Verrats“ der Bürger und der adeligen Anführer der Aufstände gescheitert.901 In dieser Lesart erschien die gesamte Geschichte als epischer Konflikt zweier Parteien, die in der Auseinandersetzung der Blöcke im 20. Jahrhundert ihren Showdown finden sollte. Der Sieg des Kommunismus galt als Lösung aller Probleme der Geschichte.902 Das Epos setzte in den DDR-Schulbüchern die „Zwei-Linien-Theorie“ um, die den sozialistischen Geschichtsunterricht bestimmte und eine fortschrittliche von einer reaktionären Tradition unterschied.903 Es ist schwer zu beurteilen, ob dieses 900 Brossolette, Histoire de France, 1937, z.B. S. 53, S. 101 u. S. 109. 901 Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 1, 1951, S.  223; Mühlstädt / Schenderlein / Wegner, Aus vergangener Zeit, 1957, S. 53; Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 2, 1952, S. 198; Mühlstädt, Bauern, Bürger und Feudalherren, 1959, S. 164– 169. 902 Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 4, 1951, S. 374–377. Diese Aussage ist in der zweiten Generation der DDR-Bücher schwächer, da diese Reihe nie bis zur Gegenwart fortgeführt wurde: Pape, Erich u.a., Völker hört die Signale. Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, 8. Schuljahr, T. 2, 1959, S. 185. 903 S. oben, Kap. 2.6.3.

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Geschichtsbild, das einen Großteil der deutschen Geschichte aus dem eigenen Erbe ausschloss, für seine Rezipienten plausibel war. In den Lehrerzeitschriften findet sich keine Kritik, was natürlich auch an den diktatorischen Strukturen des Regimes liegen könnte. Langfristig hat sich diese holzschnittartige Trennung von Gut und Böse nicht gehalten. Ab dem Ende der siebziger Jahre löste die „Traditionund-Erbe“-Konzeption die „Zwei-Linien-Theorie“ ab und zielte darauf, einen Teil des als „reaktionär“ verunglimpften Erbes in die „eigene“ Geschichte zu integrieren.904 In den Geschichtsbüchern des Kaiserreiches taucht das epische Gattungsschema ebenfalls auf. Die Schulbücher des Kaiserreiches stellten kaum zeitübergreifende Zusammenhänge her, sondern reihten Herrscherporträts und „Kulturbilder“ nur locker aneinander. Daher ist es schwer, in diesen Büchern überhaupt Gattungsschemata auszumachen. Die narrative Strukturierung bezieht sich daher eher auf Einzelkapitel als auf die gesamte Erzählung. Jeder Herrscher hatte wie der Ritter im Epos ähnliche Konflikte zu bestehen. Er sollte gegen Feinde kämpfen, das Land vergrößern und den Wohlstand mehren. Der Aufstieg Brandenburg-Preußens insgesamt erschien in diesen Büchern als Epos, deren Helden die Kurfürsten und Könige waren. Das Volk, die Stände und die Armee mussten sich mit Rollen als Helfer begnügen. Die Bücher strukturierten auch die napoleonischen Kriege als Epos. Frankreich habe Preußen herausgefordert und besiegt. Preußen habe gelitten, aber die Herausforderung angenommen, seine Bauern befreit, Verwaltung und Armee reformiert. Dank dieser Anstrengungen habe es seinen Gegner besiegt.905 Die Mission Brandenburg-Preußens endete mit der erfolgreichen Reichsgründung von 1871. Der Gründungskompromiss, den die Volksschulen des Kaiserreichs schilderten, scheiterte, wie Meissner feststellt, bereits im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, so dass die Didaktik sich, wie oben geschildert, stärker heimatkundlichen, völkischen oder cäsaristischen Geschichtsdeutungen zuwendete.906 In den Schulbüchern blieb das Bild vom erfolgreichen Abschluss der Geschichte allerdings bestehen. Das epische Gattungsschema beschränkt sich daher lediglich auf einen Teil der Werke und bezog sich nie auf den gesamten Lauf der geschilderten 904 Heydemann, Günther, Geschichtsbild und Geschichtspropaganda in der Ära Honecker. Die „Erbe-und-Tradition“-Konzeption der DDR, in: Ute Daniel / Wolfram Siemann (Hg.), Propaganda. Meinungskampf, Verführung und politische Sinnstiftung 1789–1989, Frankfurt a. M. 1994, S. 161–171. 905 Z.B. Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1916, S. 32–38. 906 Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule, S. 110–112.

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Die Formen historischer Sinnbildung

Geschichte. Es gelang ihm nicht, die außerpreußische und die mittelalterliche deutsche Geschichte in die Darstellung sinnhaft einzubinden. 5.3.3. Die Versöhnung als Grundmotiv der französischen Geschichte

Französische Schulbücher stellten die gesamte Geschichte als Abfolge von Versöhnungsszenen, von immer neuen Synthesen aus Altem und Neuem dar. Die Lehrwerke begannen mit dem Zusammentreffen von Galliern und Römern. Sie lösten den Gegensatz zwischen dem einfachen, unorganisierten, sympathischen Volk und der komplexen, straff organisierten Hochkultur rasch auf, indem sie die römische Eroberung als Gründung einer neuen Synthese, der gallo-romanischen Kultur, schilderten.907 Nachdem das Römische Reich in den Wirren der Völkerwanderungszeit untergegangen war, gründeten Gallo-Romanen und Franken eine neue Kultur. Die „Versöhnung“ zwischen den alteingesessenen Bewohnern und den Invasoren manifestierte sich in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern, in der beide Völker sich vereinten, um die Hunnen abzuwehren. Weitere Momente der Versöhnung zwischen der Welt der Antike und den germanischen Neuankömmlingen sind, der Logik der Schulbücher folgend, die Taufe Chlodwigs und die Gründung des Reiches durch Karl den Großen. Die Jahrhunderte nach dem Tod Karls des Großen galten den französischen Schulbüchern als Zeit des Niedergangs und des Verfalls des Landes. Erst das Bündnis des Königtums mit einer neuen Kraft, dem Bürgertum, habe es möglich gemacht, das Land wieder zu vereinen. Dieses neue Bündnis zeigte seine Kraft im Hundertjährigen Krieg, als ein einfaches Mädchen aus dem Volk, Johanna von Orléans, König und Land rettete. Johannas Auftreten löste eine Welle des Patriotismus aus, so dass der Hundertjährige Krieg als Geburtsstunde des französischen Nationalbewusstseins galt.908 Die Religionskriege, die für die Bücher ebenfalls eine Zeit des Niedergangs und des Verfalls darstellten, endeten ebenfalls mit einer Versöhnung von Protestantismus und Katholizismus in der Figur von König Heinrich IV.909 907 Vgl. oben, Kap. 5.1.3.1. Zum versöhnlichen Grundton der französischen Schulgeschichtsschreibung jüngst: Bruter, Annie, L’enseignement de l’histoire, in: François Jacquet-Francillon / Renaud d’Enfert / Laurence Loeffel (Hg.), Une histoire de l’école. Anthologie de l’éducation et de l’enseignement en France XVIIIe–XXe siècle, Paris

2010, S. 319–324, hier S. 322.

908 S. oben, Kap. 5.1.2.1. 909 Einige radikale katholische Bücher machten die „Versöhnung“ nicht an der Toleranz des Protestantismus fest, sondern an der wiedergewonnenen Einheit im Katholizis-

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Der populäre Monarch erneuerte das Bündnis zwischen Monarchie und Bürgertum. Alle Bücher schilderten die volkstümliche Jugend des künftigen Königs und illustrierten seine Volksnähe mit Anekdoten. In der Zusammenarbeit zwischen Ludwig XIV. und Colbert lebte das Bündnis zwischen Monarchie und Bürgertum erneut auf. Allerdings schilderten die weltlichen Schulbücher diese Allianz bereits als brüchig und stellten dem fleißigen, sparsamen Minister einen eitlen, prunksüchtigen König gegenüber.910 Im letzten Jahrhundert des Ancien Régime löste sich dann das jahrhundertealte Bündnis auf. Der letzte Versuch, diese Allianz auf dem Föderationsfest von 1791 zu erneuern, erlaubte nur noch eine scheinbare Versöhnung. Der König brach das Bündnis schließlich, als er versuchte, zu den Feinden des revolutionären Frankreichs zu fliehen.911 Die nächste Versöhnungsszene, in der alle Franzosen zusammenstanden, bildete die Verteidigung des revolutionären Frankreichs, die zeigte, dass Frankreich ohne seinen König handlungsfähig war. Als 1792 eine Invasion drohte, verkündete die Nationalversammlung, das Vaterland sei in Gefahr. Die Begeisterung, mit der die Franzosen die Republik verteidigten, verkörperte in der Logik der weltlichen Schulbücher einen neuen gesellschaftlichen Konsens. Die Einigkeit des Landes, die die Lehrwerke betonten, überdeckte andere Entwicklungen im Land, die eher einen Zerfallsprozess darstellten: Die adelige Elite verließ das Land, heftige Aufstände erschütterten die Provinzen und der Terror forderte zahlreiche Opfer. Dennoch stilisierten die weltlichen Geschichtsbücher die Freiwilligen von 1792 zur Verkörperung einer neuen nationalen Einheit. Die Zeit zwischen der Revolution und der Gegenwart strukturierten die weltlichen Lehrwerke nicht mehr komödienhaft, sondern sie zeigten lediglich, wie sich der Konsens, den sie 1792 ausmachten, auf allen Ebenen durchsetzte. Keines der Regime des 19. Jahrhunderts habe einen neuen Konsens gestiftet. In jeder Regimegründung habe bereits der Keim gesteckt, der zu seinem Ende führte. Napoleon I. gründete sein Reich auf einer Gewaltherrschaft, sein grenzenloser Ehrgeiz verstrickte Frankreich in zahllose Kriege. Die letzten Bourbonenherrscher waren nicht in der mus, die das eigentliche Ziel Heinrichs IV. und von Ludwig XIV. gewesen sei: Réunion, Histoire de France, 1910, S. 101 u. S. 142/3; Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, Bd. 1, 1942, S. 252 u. Bd. 2, 1943, S. 42. 910 S. oben, Kap. 4.2.1. 911 Nach Hunt haben bereits die Zeitgenossen das Föderationsfest in einer Weise wahrgenommen, die dem Gattungsschema der Komödie entsprach: Hunt, French Revolution, S. 35.

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Lage, die Monarchie mit den Errungenschaften der Revolution auszusöhnen. Die Thronbesteigung Ludwig Philipps stellte einen klaren Fortschritt dar, da der König aus dem Haus Orléans das liberale Bürgertum an der Macht beteiligte. Aber letztlich war seine Regierungszeit wie diejenige Napoleons III. nur eine Durchgangsphase auf dem Weg zur Dritten Republik. Die weltlichen Bücher lassen keinen Zweifel daran, dass die Dritte Republik den Geist der Französischen Revolution durchsetzte. Weiterentwicklungen des republikanischen Gedankens, Kompromisse oder neue Integrationsprozesse fanden nicht mehr statt. Die Dritte Republik war in diesem Sinne kein neuer Kompromiss, sondern versprach nichts weniger als das Ende der Geschichte. Dadurch kam ein episches Element in die französischen Bücher, die ansonsten durch das Schema der Komödie geprägt waren.912 Die katholischen Geschichtsbücher strukturierten die jüngste französische Geschichte deutlich anders als die weltlichen Lehrwerke. Nicht die Revolution begründete dort einen neuen gesellschaftlichen Konsens, sondern das Kaisertum Napoleons, das die Werte des Ancien Régime mit den positiven Errungenschaften der Revolution versöhnte. Napoleon habe die antiklerikale Politik der Revolutionsregierungen rückgängig gemacht, Ruhe und Ordnung wiederhergestellt.913 Nach den katholischen Büchern gelang es keinem der Regime des 19. Jahrhunderts, einen dauerhaften gesellschaftlichen Konsens herzustellen, stets blieb die Gesellschaft gespalten. Da Frankreich sich auf der Suche nach einer erneuten Versöhnung befand, hatte die Geschichte in den katholischen Schulbüchern ein offenes Ende.914 Die französischen Schulbücher schilderten auch tragische Gestalten, rückten sie aber niemals in den Mittelpunkt des Geschehens bzw. betonten die Sinnhaftigkeit ihres Lebens. Roland, der bis zum letzten Atemzug die Nachhut Karls des Großen gegen die Sarazenen verteidigte, widmeten die Bücher selten mehr als ein 912 Da die narrative Strukturierung der Bücher sich ähnelte, seien hier lediglich beispielhaft Belege genannt für Versöhnungsszenen in der gallo-romanische Epoche, bei der Hunnenschlacht, im Hundertjährigen Krieg, in der Zeit Heinrichs IV. und im Jahr 1792: Augé / Petit, Histoire de France, 1913, S. 8, S. 11, S. 39, S. 69 u. S. 126; Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938, S. 33, S. 37, S. 90/1, S. 118 u. S. 186/7; Chaulanges / Chaulanges, Histoire de France, 1959, S. 7, S. 15, S. 46/7, S. 80–82 u. S. 128/9. 913 Ausnahmen bildeten Réunion, Histoire de France, 1910, S. 222/3, das die Revolution durchweg negativ und Napoleon durchweg positiv deutete, sowie Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, Bd.  2, 1943, S.  178, das die Revolution und das napoleonische Frankreich ablehnte. 914 Auch die „Union sacrée“ im Ersten Weltkrieg deuteten die Bücher nicht als Moment nationaler Einheit: Segond, Histoire de France, 1927, S. 380/1; Baron, Histoire de la France, 1946, S. 455.

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oder zwei Sätze.915 Die Verbrennung Johannas von Orléans hatte sicherlich eine tragische Qualität. Die Lehrwerke betonten aber stets, dass Johanna die Franzosen gegen die Engländer mobilisiert und damit die Wende des Hundertjährigen Krieges herbeigeführt hatte. Trotz ihres tragischen Todes galt Johanna als erfolgreiche Retterin des Landes. Ludwig XVI. wurde allenfalls in den katholischen Schulbüchern zu einer tragischen Figur. Die weltlichen Bücher gestanden zwar ein, dass der König Opfer einer Situation geworden war, für die er keine Verantwortung trug. Sie unterstrichen aber stets den „Verrat“ des Königs an seinem Volk und machten ihn somit für sein Schicksal verantwortlich. In den französischen Büchern gab es außerdem eine Tendenz, auch Krisen oder Ereignissen, die im nationalen Kontext negativ gedeutet wurden, eine positive Seite abzugewinnen. Die Bücher wendeten beispielsweise die zweifelhaften militärischen Erfolge der Kreuzzüge und der Italienischen Kriege ins Positive. Die Kreuzritter seien zwar gescheitert, hätten aber den Weg für Handelskontakte und Wissenstransfer geebnet. Die Italienischen Kriege seien militärisch nutzlos gewesen, hätten Frankreich aber die italienische Renaissance erschlossen.916 Der Hundertjährige Krieg galt zwar als nationale Katastrophe, die Frankreich ökonomisch und kulturell zurückgeworfen hatte. Zugleich sei er die Geburtsstunde des französischen Nationalbewusstseins gewesen.917 In dieser Logik erschien selbst die Verwüstung des Landes als sinnvolle Etappe innerhalb der französischen Geschichte. Auch die Religionskriege erlangten letztlich eine positive Bedeutung für Frankreich, da die Franzosen in diesem grausamen Konflikt den Wert der Toleranz kennengelernt hätten. Die Art, in der die Lehrwerke diese „Versöhnung“ darstellten, zeigt deutlich, wie viel Wert die französischen Schulbücher auf eine komödienhafte Strukturierung der Geschichte legten. Die Regierungszeit Heinrichs IV. galt als Blütezeit der französischen Geschichte. Sie dauerte in der Tat lediglich 16 Jahre, nahm aber in den meisten Büchern unverhältnismäßig viel Platz ein. Das historische Geschehen hätte es ebenso gut erlaubt, Heinrich IV. als tragische Figur zu schildern, also den Schwerpunkt nicht auf die Versöhnung der Konfessionen, sondern auf das Scheitern zu legen. Schließlich ermordete ein fanatischer Katholik den beliebten König. Sein Tod gefährdete die Einheit des Landes und die religiöse Pluralität. Das Edikt von Nantes von 1598, das den Büchern als Geburtsstunde der religiösen Toleranz galt, wurde bereits 1629 von Richelieu in Teilen 915 Gauthier / Deschamps, Histoire de France, 1916, S. 6. 916 S. oben, Kap. 5.1.2.3. 917 S. oben, Kap. 5.1.2.1.

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geändert und hielt, falls dies jemals die Intention Heinrichs gewesen war, die Vernichtung des französischen Protestantismus nicht auf. Da die französischen Bücher komödienhafte Strukturierungen bevorzugten, betonten sie nicht das Scheitern der Toleranzpolitik, sondern die kurze Zeit des Konfessionsfriedens.918 Während sich in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg die tragödienhaften Strukturen in den Geschichtsbüchern verstärkten, änderte die Niederlage von 1940 die positiven Geschichtsdeutungen der französischen Lehrwerke nicht. Die Bücher des Vichy-Regimes enthielten alle Nachworte, die den Schülern die Niederlage erklärten und Hoffnung für die Zukunft machten. Alle Bücher betonten, dass Frankreich sich in seiner Geschichte stets von Niederlagen erholt habe. Audrins Histoire de France teilte den Schülern mit, ihr Land habe eine „großartige Geschichte“ („une histoire magnifique“), die hoffen ließe, dass Frankreichs Lage sich bald bessere: « Des fautes, des revers, des larmes! La France s’abandonne… Mais des réveils splendides, motifs d’orgueil et de confiance. »919 Die Wahl eines Gattungsschemas entspringt keiner bewussten Entscheidung. In den staatlichen Vorgaben für den Geschichtsunterricht und in den Diskussionen der Pädagogen findet sich nichts, was Schulbuchautoren dazu bewegt haben könnte, die französische Geschichte als Komödie zu erzählen. Sie wählten dieses optimistische Gattungsschema vermutlich, weil sich in dem von der akademischen Außenwelt weitgehend abgeschnittenen französischen Volksschulsystem920 der Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts bis in eine Zeit erhalten hat, in der er in anderen Kreisen der Gesellschaft längst einer pessimistischeren Weltsicht gewichen war. Mit Sicherheit gibt es außerdem einen Zusammenhang zwischen dem Gattungsschema der Komödie und der Vorliebe der französischen Bücher für die genetische Sinnbildung. Schließlich bilden Komödien oft Übergänge von alten zu neuen Gesellschaften ab oder zeigen, wie zwei widerstreitende Kräfte sich auf einer höheren Ebene versöhnen. Diese Gattung eignet sich daher für genetische Erzählungen, da diese ebenfalls die Entwicklung von Zuständen in den Mittelpunkt stellen.

918 Z.B. Blanchet, Histoire de France, 1913, S. 85–101; Besseige / Lyonnet, Histoire de France, 1935, S. 34/5; Bernard / Redon, Histoire de la France, 1950, S. 90. 919 „Fehler, Rückschläge, Tränen! Frankreich gibt sich auf… Aber glänzendes Erwachen, Grund für Stolz und Vertrauen.“ Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1942, S. 244/5. Vgl. Troux / Girard, Histoire de la France, 1942, S. 531; Faÿ / Maurel / Equy, Histoire de France, Bd. 2, 1943, S. 295. 920 S. oben, Kap. 2.8.

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5.3.4. Die Katastrophe als Grundmotiv der deutschen Geschichte

Abgesehen von den Büchern der DDR und des Kaiserreiches strukturierten die deutschen Lehrwerke die Geschichte als Tragödie. Während die Komödie die Versöhnung in den Mittelpunkt stellt und das Epos den Sieg über das Böse feiert, strukturiert die Tragödie das Geschehen als Katastrophe. Deutsche Schulbücher, insbesondere die Lehrwerke der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, neigten dazu, negative Entwicklungen in der deutschen Geschichte zu betonen. Die deutsche Vergangenheit selbst gab dazu nicht zwangsläufig Anlass. Schließlich war Deutschland bis 1945 eine der politisch, wirtschaftlich und kulturell führenden europäischen Mächte. Daher hätte es nahegelegen, die Vergangenheit eines derart einflussreichen Landes als Erfolgsgeschichte zu erzählen. Die deutsche Geschichte erschien in den Volksschulbüchern aber nicht als positives Erbe, sondern als Belastung. Ein Grund für diese Geringschätzung der eigenen Geschichte liegt in der Vorliebe, die die Zeitgenossen für die Einigungserzählung hatten. Im Untersuchungszeitraum spielten Fragen der nationalen Einheit eine zentrale Rolle. Daher strukturierten die Schulbücher, wie oben gezeigt wurde,921 die gesamte deutsche Vergangenheit als Einigungsgeschichte. Da das deutsche Territorium vor 1871 von einer großen territorialen, konfessionellen und verfassungspolitischen Vielfalt geprägt war, konnte eine Geschichtsdarstellung, die auf die Frage der nationalen Einheit zielte, nur eine Geschichte des Scheiterns schildern. Die deutsche Vergangenheit erschien als Folge fruchtloser Versuche, einen Nationalstaat zu gründen. Eine derartige Geschichtsdarstellung bekam zwangsläufig einen negativen Zug. Die ersten Versuche, ein Reich aller Deutschen zu errichten, machten die Schulbücher bereits in der Antike aus. Einige Bücher behaupteten, bereits der Cherusker Arminius habe die germanischen Stämme dauerhaft einigen wollen. In dieser Perspektive wurde aus dem erfolgreichen „Befreier“ ein tragischer Held, dessen Pläne am Zwist seiner Landsleute gescheitert waren. Die Königreiche der Ostgoten, Westgoten und Vandalen galten als nächste gescheiterte Versuche, germanischdeutsche Reiche zu gründen. Erfolgreicher schien den Büchern das fränkische Königreich, aus dem sich das Heilige Römische Reich entwickelte. Da die Bücher dieses Gebilde als „Deutsches Reich“ betrachteten, deuteten sie es ebenfalls als gescheiterten Versuch einer Nationalstaatsgründung. Der Niedergang dieses Reiches war das zentrale Thema der mittelalterlichen Geschichte. Die Bücher schil921 S. oben, Kap. 5.1.2.2.

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derten Themen wie den Aufstieg der Städte oder die absolute Fürstenherrschaft nicht als eigenständige Phänomene, sondern als Symptome dieses Niedergangs. Sie stilisierten den Westfälischen Frieden zu einer Katastrophe von apokalyptischer Dimension und machten ihn so zum plakativen Ausdruck der gescheiterten Reichsgründung.922 In der Zeit nach dem Westfälischen Frieden schien das Land ein ohnmächtiges Opfer seiner eigenen Zerstrittenheit und fremder Eroberungslust zu sein. Die Lehrwerke stellten Frankreich als aggressive Großmacht dar, deren Ziel es war, von der Schwäche des Reiches zu profitieren. Die schwache Reaktion des Reiches, von den Schulbüchern oft als „Ohnmacht“ bezeichnet, untermauerte die tragische Struktur der Geschichtserzählung. Scherls Geschichte unseres Volkes fasste diese Deutung in einer historischen Karte zusammen, auf der kleine Figuren die Zuweisung von Opfer- und Täterrolle eindringlich illustrierten. Während auf dem Territorium des Reiches Häuser brennen, Invalide auf Krücken rumpeln und ein Bauernpaar seinen kaputten Pflug beweint, blicken an den Reichsgrenzen französische und schwedische Soldaten bedrohlich auf das Treiben im Landesinneren. Andere Soldaten tragen eine schwere Truhe aus dem Reich heraus, ein Soldat zieht eine Kuh über die Reichsgrenze. Die Figuren, die sich auf dem Boden des Reiches befinden, erscheinen als Opfer des Krieges. Täter und Profiteure blicken entweder von außen auf das Reich oder verlassen das Reich mit Beute beladen.923 Die Bücher der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus, der Bundesrepublik und der DDR erzählten auch die napoleonischen Kriege als vergeblichen Versuch, einen Nationalstaat zu errichten. Selbst die geglückte Reichsgründung von 1871 erschien nur wenigen Geschichtsbüchern als erfolgreiches Ende der Geschichte, das vergleichbar wäre mit dem Triumph der Dritten Republik, den die französischen Schulbücher inszenierten. Vielen Büchern galt das Kaiserreich als gescheiterter Nationalstaat. Während die Geschichtsbücher des Nationalsozialismus und der DDR ihr jeweiliges Regime als erfolgreichen Gegenentwurf zu den gescheiterten deutschen Staatsgründungen erklärten, endeten die Weimarer und die bundesrepublikanischen Lehrwerke, ohne eine definitive Antwort auf die deutsche Frage zu geben. Art und Grad der tragödienhaften Strukturierung unterschieden sich je nach politischem Regime. In den Büchern des Kaiserreiches tauchte die tragische Struktur nur am Rande auf. Die Völkerwanderungszeit nahm dort nur ein paar Absätze 922 Genauere Belege finden sich auf den folgenden Seiten. 923 Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 37.

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ein und enthielt keine für die Tragödie typischen Elemente.924 Auch Mittelalter und Frühe Neuzeit erschienen in den Büchern des Kaiserreiches noch nicht als konsequente Niedergangsgeschichte. Das Karlsreich, die Herrschaft Heinrichs I., Ottos I., Friedrich Barbarossas und Rudolfs I. galten als Zeiten ungetrübten Glanzes. Die Bücher wiesen auf die Schwächung der kaiserlichen Macht hin; der gleichzeitige Aufstieg der Landesherren galt aber nicht unbedingt als negative Erscheinung. Die Fürsten hätten, so Nehrings Vaterländische Geschichte, „besser für die Sicherheit im Lande [ge]sorgt“ und damit Städtebünde wie die Hanse überflüssig gemacht.925 Das bayerische Merkbuch zum Geschichtsunterricht gab dem Spätmittelalter die Überschrift „Die Zeit der Herrschaft der Landesfürsten“ und charakterisierte diese Zeit überwiegend als blühende Epoche.926 Der Westfälische Frieden markierte in den Büchern des Kaiserreiches den Tiefpunkt der deutschen Geschichte. Die Bücher, die nach 1910 erschienen, betonten die katastrophale Dimension des Westfälischen Friedens stärker. Das ist bemerkenswert, da sich hier der tragödienhafte Charakter der Weimarer Lehrwerke bereits abzeichnet. Die älteren Bücher des Kaiserreichs drückten auch ihre Freude darüber aus, dass der Krieg nun endlich vorbei war, dass die reformierte Konfession nun gleichberechtigt war und dass Preußen sein Gebiet vergrößerte. Immerhin verwies Weigands Merkbuch für die Deutsche Geschichte von 1904 die Schüler am Ende des Kapitels auf das Lied „Nun danket alle Gott“.927 Während Polacks Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte von 1900 eher nüchtern die Kriegsverluste beklagte und darauf hinwies, dass der Kaiser nur einen „Schatten von Macht“ behielt, malte Franke / Schmeils Realienbuch, das Nachfolgewerk aus dem Teubner-Verlag, die Kriegsfolgen in düstereren Farben: „Uneinig und zerrissen im Innern, gänzlich ohnmächtig nach außen, wurde das Deutsche Reich zum Gespött der ganzen Welt.“ Deutschland sei zur „Wüste“ geworden, Fremdwörter hätten seine Sprache „geschändet und verdorben“. Die Hexenprozesse, die bei Polack noch der mittelalterlichen Geschichte zugeordnet waren, haben bei Franke / Schmeil nun ihren Höhepunkt in den Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg.928 924 Z.B. Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 13. 925 Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1915, S. 21; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 50; dies., Realienbuch, Braunschweig, 1918. 926 Wenning, Merkbuch zum Geschichtsunterricht, 1918, S. 9–11. 927 Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S. 44–46. 928 Polack, Bilder aus der alten und vaterländischen Geschichte, 1900, S. 66/7 u. S. 51/2; Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 72/3. Eine ähnliche Entwicklung findet sich in zwei Ausgaben von: Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 77/8 u. S. 52/3;

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In den Weimarer Schulbüchern dominierte die Tragödie die narrative Struktur. Die Lehrwerke deuteten den Ausgang des Weltkrieges nicht nur als umfassende Katastrophe. Alle Bücher außer den sozialdemokratischen Geschichtsbildern zeichneten die Bestimmungen des Versailler Vertrages in den düstersten Farben und warfen den Entente-Mächten vor, sie hätten Deutschland oder zumindest den deutschen Handel „vernichten“ wollen.929 Diese Wahrnehmung zerstörte endgültig die Vorstellung, die deutsche Frage habe mit der Reichsgründung von 1871 eine erfolgreiche Antwort gefunden. Aber nicht nur das Kaiserreich galt als gescheitert, die Lehrwerke betonten auch in anderen Epochen stärker den tragischen Verlauf der deutschen Geschichte. Die Darstellung der Völkerwanderung fokussierte nun vor allem auf das Scheitern der Germanenreiche am Mittelmeer. In Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch von 1931 nahm beispielsweise der „Untergang“ der Ostgoten die Hälfte des Kapitels über Theoderich ein. Dramatisch schilderte das Lehrwerk, wie die letzten Goten sich „heldenmütig“ bis zum letzten Atemzug verteidigten und „unauslöschlichen Ruhm“ erwarben. Zweifellos zeigten sich hier Spuren der breiten Rezeption des Buches Kampf um Rom von Felix Dahn.930 Der Tod Alarichs war für die Bücher eine weitere tragische Geschichte. Fast alle Lehrwerke verwiesen die Schüler auf von Platens Gedicht „Der Tod im Busento“, das den Tod des „allzufrüh und fern der Heimat“ gestorbenen Königs betrauerte. Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend fügte das Gedicht kommentarlos in den Fließtext ein.931

dies., Realienbuch, 1910, S. 77–79. 929 Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd.  3, 1931, S.  27 u. S. 38/9; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1931, S. 192–195; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1928, S. 75–82; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd.  3, 1928, S.  43–48; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd.  2, 1926, S.  38/9; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 129–134. Nicht von „Vernichtung“ sprach Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 41–43. Die einzige abweichende Darstellung findet sich in: Geschichtsbilder, 1929, S. 148/9. 930 Esch, Arnold, Ein Kampf um Rom, in: Étienne François / Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 1, München 2003, S. 27–40. 931 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1931, S. 15; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 16 u. S. 19. Etwas weniger prägte der Aspekt des Unterganges die Darstellungen in Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd.  1, 1931, S. 6–8; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 1, 1928, S. 8–10; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 14/5. Er fehlt in Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1930, S. 10.

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Der Aspekt des Niedergangs beherrschte in den Weimarer Schulbüchern auch die Zeit zwischen dem Tod Kaiser Friedrich Barbarossas und dem Aufstieg Preußens. In dem Maße, in dem die Macht des Kaisers abnahm, verschlechterte sich in der Logik der Schulbücher auch die Lage in anderen Bereichen. Einige Bücher sahen in der Auflösung des Reiches den Grund dafür, dass das Rittertum „entartete“, dass die Hanse an Macht verlor oder dass Deutschland nicht mehr am Welthandel teilhatte.932 Wie im Kaiserreich galten die Regierungszeiten herausragender Kaiser als Höhepunkte der deutschen Geschichte. Das mittelalterliche Reich versöhnte gemäß den Weimarer Geschichtsbüchern Deutschtum und Christentum. Allerdings trübten die Weimarer Bücher den Glanz des mittelalterlichen Reiches und wiesen darauf hin, dass in der Struktur des Reiches bereits der Keim zu seinem Untergang steckte. Da die Kaiserkrone an die Krönung durch den Papst gebunden war, hätten die Kaiser sich in einem langen Kampf mit dem Papsttum verausgabt. Der universale Anspruch des Reiches habe die Kaiser außerdem dazu verleitet, ihre Kräfte in zahllosen Italienzügen zu vergeuden. Daher hätten sie Deutschland vernachlässigt und Zugeständnisse an die Fürsten machen müssen. Kahnmeyer / Schulzes Rea­ lienbuch von 1931 schrieb, der Kampf um die Kaiserkrone und der „Zauber des Südens“ hätten „unzählige Deutsche über die Alpen gelockt in Tod und Verderben“. Die „unnatürliche Verbindung mit Italien“ sei für Deutschland „verhängnisvoll“ gewesen.933 Die Allianz zwischen Christentum und Deutschtum, auf der das Reich gründete, war nur eine scheinbare und vorübergehende Versöhnung, der Zerfall des Reiches schien bereits vorprogrammiert. Den Westfälischen Frieden und die Zeit des Absolutismus nahmen die Weimarer Schulbücher noch stärker als ihre Vorgängerwerke als nationale Katastrophe wahr. Anders als im Kaiserreich waren nun nicht mehr die Fürsten, sondern „Deutschland“ bzw. das „deutsche Volk“ Hauptakteur der deutschen Geschichte. Diese Entmonarchisierung verstärkte die deutsche Opferrolle, denn im Gegensatz zu den Fürsten war „Deutschland“ kein eigenständiger Akteur in Krieg und Nachkriegszeit und erschien umso mehr als ohnmächtiges Objekt des Geschehens. 932 Z.B. Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 51; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 1, 1928, S. 38; Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 39. 933 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1931, S. 33. Vgl. Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 18; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd.  1, 1929, S.  40; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd.  1, 1928, S.  21; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 24. Diese Vorstellung fehlte in: Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1930.

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Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend betitelte ein Kapitel mit der Überschrift „Das sterbende Deutschland“.934 Zugleich steigerten die Bücher das Ausmaß der Kriegsfolgen. Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte behaupteten, Deutschland habe im Krieg 20 Millionen Einwohner verloren, Teubners Sachkunde für Volksschulen errechnete, das Reich habe ein Fünftel seines Gebietes abtreten müssen.935 Die Weimarer Lehrwerke führten zwar die borussianische Geschichtsdeutung fort, entkleideten sie aber ihrer epischen Struktur. Sie entmonarchisierten die borussianische Erzählung und demontierten damit ihre Helden, die brandenburgischen und preußischen Fürsten. Die Weimarer Version des Borussianismus erzählte die preußische Geschichte nicht mehr als ungebrochenen Aufstieg. Sie gewichtete die Krise des frühen 19. Jahrhunderts stärker und gab den preußischen Königen selbst die Schuld an der „katastrophalen“ Niederlage von 1806. Die republikanischen Bücher strukturierten die „Befreiungskriege“ als Tragödie. Sie schrieben die inneren Reformen, die Preußens Wiederaufstieg ermöglichten, sowie seinen Sieg über Frankreich vor allem dem preußischen oder deutschen Volk zu, während sie die Fürsten als Verräter bzw. als unfähige Feiglinge zeichneten. Das Volk habe Frankreich in der Hoffnung besiegt, dadurch die Grundlage für ein einiges und freies Deutschland zu schaffen. Auf dem Wiener Kongress hätten die Fürsten das Volk betrogen, da sie den angeblich versprochenen demokratischen Nationalstaat nicht errichteten. Der Versuch, einen deutschen Nationalstaat zu begründen, sei daher tragisch gescheitert. Teubners Sachkunde und das Geschichts­ buch für die deutsche Jugend schlossen das Kapitel zu den napoleonischen Kriegen mit dem Arndt-Zitat: „Du armes, treues deutsches Volk!“936 Die Revolution von 1848 stellten die Bücher ausschließlich als Scheitern des Versuchs dar, ein einiges und freies Deutschland zu gründen. Auch die Reichsgründung von 1871 erschien im Lichte von Weltkrieg und Versailler Vertrag als gescheitert. Der kleindeutsche Nationalstaat erschien den Büchern nun als Teillösung, aber keinesfalls als endgültige Antwort auf die deutsche Frage. Ziel müsse 934 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 7. Die Kaiser aus dem Haus Habsburg galten den Schulbüchern nicht als Repräsentanten Deutschlands. 935 Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd.  1, 1928, S.  5; Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 2, 1931, S. 6. 936 Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd.  2, 1931, S.  36; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 71. Vgl. Geschichtsbilder, 1929, S. 92/3; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 96/7. Schwächer in: Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 3, 1928, S. 1–4.

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ein Staat sein, der alle Menschen deutscher Ethnie umfasse. Außerdem versuchten die Bücher zu zeigen, dass das Scheitern des Kaiserreiches bereits vor dem Weltkrieg angelegt war. Das Geschichtsbuch für die deutsche Jugend beklagte, der „äußere Glanz des neuen Kaisertums“937 habe die Probleme des Staates verdeckt. Als Ursachen der Katastrophe gaben die Geschichtsbücher die undemokratische Struktur des Reiches an, den Materialismus der Zeit oder die innere Spaltung des Landes.938 Während die Weimarer Bücher insgesamt davon ausgingen, dass Deutschland ohne eigenes Verschulden immer wieder daran gescheitert war, einen Nationalstaat zu gründen, unterstrichen die nationalsozialistischen Lehrwerke die Vorstellung, die verschiedenen „Reiche“ seien untergegangen, weil bereits der Akt der Gründung gegen die überzeitlichen Gesetze der Rassenbiologie verstoßen habe. Diese Vorstellung untermauerte den tragischen Charakter der deutschen Geschichte. Zugleich ließ sie das „Dritte Reich“ als definitive Lösung der nationalen Frage erscheinen, da die Deutschen nun die richtigen Lehren aus einer 2000-jährigen Geschichte des Scheiterns zögen. Anders als in der Weimarer Republik begnügten die nationalsozialistischen Lehrwerke sich nun nicht mehr damit, den katastrophalen „Untergang“ der Königreiche der Völkerwanderungszeit detailreich zu schildern. Sie führten das tragische Scheitern darauf zurück, dass die Germanen gegen historische Gesetze verstoßen hätten. So ward das Reich behauptete, das nordafrikanische Vandalenreich sei zu Grunde gegangen, weil die Vandalen ihre bäuerliche Herkunft vergaßen, nicht mehr arbeiteten, „Einfachheit und männliche Härte“ nicht mehr achteten und „aufgeputzte, reiche Römerinnen und die dunkelhäutigen Töchter des Landes“ heirateten, und nicht die „rassisch wertvollen, aber derben wandalischen Frauen“. Wie in einer klassischen Tragödie sollte diese Geschichte kathartische Wirkung haben. Die Schüler lernten aus dem Ende des Vandalenreiches: „Nichts Schlimmeres gibt es für ein Volk als Rassenschande, Üppigkeit und Verweichlichung.“939 937 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1928, S. 44/5. 938 Jeweils in: Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 117; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 160; Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 24. Nur äußere Ursachen für den Krieg sah Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd.  3, 1928, S.  23–37. Die sozialdemokratisch inspirierten Geschichtsbilder, 1929, S. 109–129, deuteten das gesamte Kaiserreich überwiegend negativ. 939 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 41–58, Zitate auf S. 49/50. Vgl. Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S. 16–20; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 49; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 12/3; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 25–27; Kamps Neues Realien-

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Auf gleiche Weise akzentuierten die nationalsozialistischen Geschichtsbücher die Tragik der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches. Noch deutlicher als die Weimarer Bücher unterstrichen sie, das katastrophale Ende sei bereits in der universalen Struktur des Reiches angelegt gewesen, die die Kaiser von ihren deutschen Aufgaben abgelenkt habe. Kamps Neues Realienbuch illustrierte das Geschick der hohenstaufischen Kaiser mit dem Bild eines Adlers, der zu hoch geflogen war: „Über Berge und Wolken stieg der deutsche Aar zur Sonne empor! – stolze Höhen, tiefer Sturz! – Im schönen, aber falschen Südlande verzehrte sich auch diese Kaiserherrlichkeit bis zum Tode.“940 Das Reich schien, wie Kahnmeyer / Schulzes Realienbuch von 1937 schrieb, schon länger „dem Untergang geweiht“ zu sein.941 Einige Bücher datierten den Beginn dieser „Gefahr“ auf die Gründung des Reiches. Die Christianisierung der Franken war nach So ward das Reich eine „verhängnisvolle Tat“, da sie das Reich an eine „fremde Macht“ gebunden habe. Karl der Große habe sich nur gegen seinen Willen zum Kaiser krönen lassen, weil er geahnt habe, dass dies der „Beginn eines erbitterten Kampfes“ sein sollte. Demzufolge war in der Reichsgründung bereits der Keim des Untergangs enthalten.942 Auch das Kaiserreich war in den nationalsozialistischen Lehrwerken bereits von seiner Struktur her zum Scheitern verurteilt gewesen. Gemäß der rassistischen Weltanschauung des Nationalsozialismus bot der kleindeutsche Staat ohnehin nur eine Übergangslösung. Die Dominanz des ökonomischen Liberalismus, der Parteienpluralismus und die Emanzipation der jüdischen Deutschen galten den Büchern als Faktoren, die das Kaiserreich zum Untergang prädestinierten.943 In der Weimarer Republik hätten sich dann die Kräfte entfaltet, die das Kaiserreich destabilisiert hatten. Konsequent nutzten die Schulbücher die kathartische Wirkung der Tragödie und versprachen ihren Lesern, der neue Staat habe die richtigen buch, 1938, S. 35–39; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1940, S. 14–18. 940 Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 57. 941 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 125. 942 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 67, S. 68 u. S. 74. Vgl. Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S.  24; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 64; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 48; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, 1942, S. 27. 943 Blume, So ward das Reich, Bd. 2, 1941, S. 75–77; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S.  66; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd.  2, 1934, S. 292/3; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 2, 1942, S. 156/7; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 162–165; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 136; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1934, S. 13–16; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1936, S. 33.

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Lehren aus der deutschen Geschichte gezogen. So ward das Reich schilderte einen fiktionalen „Rückblick“, in dem Adolf Hitler auf zwei Seiten die deutsche Geschichte zusammenfasste und die entsprechenden Konsequenzen aus ihr zog.944 Das „Dritte Reich“ erschien ähnlich wie die Dritte Republik in den französischen Schulbüchern als definitive Lösung der nationalen Geschichte. Allerdings gelang es den französischen Büchern durch ihre komödienhafte Struktur, alle Epochen der Geschichte sinnhaft zu integrieren und miteinander zu versöhnen. Die tragödienhafte Struktur der nationalsozialistischen Schulbücher hingegen erklärte einen großen Teil der nationalen Geschichte für gescheitert und grenzte damit ganze Epochen aus dem deutschen Erbe aus. Die Bücher der Bundesrepublik behielten die tragödienhafte Grundstruktur der deutschen Geschichte bei. Allerdings dominierte die Einigungserzählung nicht mehr das gesamte Geschehen, ökonomische und kulturelle Entwicklungen bekamen einen eigenen Stellenwert. Zudem brach die europäische Ebene, die die bundesrepublikanischen Bücher thematisierten, das strikte Verlaufsschema der nationalen Einigungserzählung auf. Diese beiden Faktoren differenzierten die Vorstellung, die deutsche Geschichte habe stets in Katastrophen geendet. In den Kapiteln zur Völkerwanderungszeit hielt sich die tragödienhafte Fokussierung auf den „Untergang“ germanischer Völker. Zwar entfernten die Schulbücher den offenen Rassismus der nationalsozialistischen Bücher, behielten aber die moralische Botschaft, die diese vermittelten, bei. Bis Ende der sechziger Jahre, also noch im Zeitalter des Mittelmeertourismus, lernten bundesrepublikanische Schüler aus dem Schicksal der Vandalen, West- und Ostgoten, dass Germanen fern der Heimat, im heißen Klima und in einer feindlichen Umwelt nicht auf Dauer leben konnten.945 Die Geschichtsbücher der Nachkriegszeit behielten die Vorstellung bei, dass das Reich in einer Katastrophe endete. Aber nur noch Lebendige Geschichte erzählte Spätmittelalter und Frühe Neuzeit als Geschichte eines Niedergangs, der alle Bereiche des Lebens umfasste und eine Folge der Schwäche des Kaisertums war. Im Gegensatz zu „einst“ seien die Kaiser im 14. und 15. Jahrhundert nicht mehr „Wahrer und Mehrer des Reiches“ gewesen, die Fürsten hätten nur noch an ihre 944 Blume, So ward das Reich, Bd. 2, 1941, S. 139–142. Vgl. Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 192–197. 945 Stärker in: Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 1, 1960, S. 35–37; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 20–24. Schwächer in: Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 1, 1959, S. 24/5; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 1, 1960, S. 54–58. Kaum in: Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 45–48. Überhaupt nicht in: Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 1, 1952, S. 57–59.

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eigene Macht gedacht, die Ritter seien „entartet“ gewesen, in den Städten habe es soziale Spannungen gegeben und die Bauern hätten im Elend gelebt.946 Andere Bücher differenzierten den Niedergangsprozess stärker. Scherls Geschichte unseres Volkes beschrieb, wie im 13. Jahrhundert das Kaisertum an Macht verlor und die Ritter verarmten. Das Buch betonte aber, dass gleichzeitig die deutschen Städte mächtig wurden, und schwächt damit die tragische Struktur ab.947 Aus dem Lehrwerk Unsere Geschichte liest man heraus, wie schwer es für die Schulbuchautoren war, die Vorstellung eines umfassenden Niedergangs mit der Komplexität des Geschehens zu vereinbaren. Zu den Neuerungen des 15. Jahrhunderts bemerkte das Buch: „Viele Deutsche merkten gar nicht, wie es mit dem einst so mächtigen Reich immer weiter abwärts ging.“948 Unsere Geschichte gestand mit diesem Satz ein, dass Lebensrealität und Weltwahrnehmung der Menschen des 15. Jahrhunderts wohl nicht mit der Niedergangstimmung übereinstimmten, die deutsche Schulbücher mit den 400 Jahren zwischen dem Tod Friedrich Barbarossas und dem Westfälischen Frieden verbanden. Die bundesrepublikanischen Bücher beurteilten vor allem die Zeit nach dem Westfälischen Frieden anders als die Schulbücher des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Hatten die Lehrwerke bislang allein die preußischen Herrscher positiv gezeichnet und ansonsten die absolute Herrschaft der Fürsten, die höfische Kultur und den französischen Einfluss vor allem als Krisensymptome gedeutet, gewann die Epoche nun einen Eigenwert und galt nicht mehr nur als Nachspiel im „katastrophalen“ Niedergang des Reiches. Zwar waren die Geschichtsbücher der frühen Bundesrepublik weit davon entfernt, den Absolutismus im Sinne einer komödienhaften Strukturierung als neuen gesellschaftlichen Konsens darzustellen, der einen positiven Beitrag zur deutschen Geschichte geleistet habe. Zumindest aber lobten sie die kulturellen Leistungen der Epoche und gestanden außerpreußischen Fürsten zu, ihre Länder gut regiert zu haben. Unsere 946 Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 2, 1956, S. 5. 947 Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd.  2, 1957, S.  53–56. An einer anderen Stelle stellte das Lehrwerk eine kausale Verbindung her zwischen der Schwäche des Kaisertums und dem Verfall des Glaubens: ebd., Bd. 3, 1957, S. 9. Die folgenden Bücher setzten die Schwächung der Kaisermacht nicht mit einem allgemeinen Niedergang gleich: Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 34–71; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 2, 1953, Bd. 3, 1952 u. Bd. 4, 1953; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 2, 1960, S. 2–27; Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 2, 1952, S. 77–150; Mühlstädt, Bauern, Bürger und Feudalherren, 1959, S. 81–112. 948 Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 112.

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Geschichte hob zwar kritisch hervor, dass ein geistlicher Fürst wie Clemens August von Köln ein „sehr weltliches Leben“ führte, auf die Jagd ging und prunkvolle Feste feierte. Das Buch räumte ein, dass die Untertanen „trotzdem“ mit der Regierung ihrer geistlichen Fürsten „meist zufrieden“ waren.949 Die napoleonischen Kriege endeten auch in den meisten bundesrepublikanischen Büchern mit dem Scheitern der nationalen und demokratischen Ideen. Die Hälfte der Bücher erwähnte allerdings, dass einige Fürsten in kleineren und mittleren Staaten Verfassungen erließen. So schien das Engagement des Volkes nicht mehr völlig umsonst gewesen zu sein.950 Die meisten Bücher unterschlugen diese Unterschiede allerdings und hielten so die Vorstellung aufrecht, „die Fürsten“ hätten ihr Verfassungsversprechen „gebrochen“.951 Das bayerische Geschichtsbuch Aus deutscher Vergangenheit überlagerte die „Tragödie“ von der gescheiterten Nationalstaatsbildung hingegen durch eine komödienhafte Strukturierung. Das Lehrwerk deutete die Reformen der napoleonischen Zeit als Gründung eines neuen gesellschaftlichen Konsenses.952 Die Revolution von 1848 galt nicht mehr in allen Büchern als rundum gescheitert. Scherls Geschichte unseres Volkes behauptete, die Grundrechte der Paulskirchenverfassung „wirkten […] in die Zukunft und wurden zum Vorbild für unsere Verfassung“; andere Bücher erwähnten, dass zahlreiche Errungenschaften der Revolutionszeit in den Ländern bestehen blieben.953 Das Ende des Kaiserreiches im Weltkrieg erscheint weniger tragisch als in den Weimarer Büchern. Die Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges schoben die Bücher einem Wettlauf um weltweiten Einfluss zu, dessen Akteure keine weiterreichende Verantwortung trugen. Die Weimarer Republik sei bereits mit ihrer 949 Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 40–49, v.a. S. 41. Vgl. Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 2, 1960, S. 46/7; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 5, 1954, S. 51–59 u. S. 84–91; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 93–97; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 2, 1956, S. 22; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 65–72. 950 Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 3, 1960, S. 17; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 124; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 4, 1954, S. 24. 951 Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 6, 1953, S. 55/6 u. S. 68/9; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 2, 1956, S. 7. Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 86, erwähnte lediglich Weimar, obwohl auch Mittelstaaten wie Bayern und Württemberg Verfassungen erließen. 952 Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 124. 953 Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 4, 1954, S. 31. Schwächer in: Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 3, 1960, S. 23. Zu den revolutionären Errungenschaften: Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S.  103. Schwächer in: Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 6, 1953, S. 100; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 93.

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Gründung zum Scheitern verurteilt gewesen. Der Versailler Vertrag habe die junge Republik so stark belastet, dass der Weg in die Diktatur und in den Zweiten Weltkrieg bereits vorgezeichnet gewesen sei. Lebendige Geschichte zitierte eine italienische Zeitung mit den Worten, die Friedensverträge seien eine „Höllenmaschine, die später unbedingt einmal explodieren muss“. Warnend fügte das Lehrwerke hinzu: „Die Betrachtung der weiteren Geschichte Europas wird dir zeigen, ob diese Prophezeiung in Erfüllung ging oder nicht.“954 Die Darstellung des Nationalsozialismus setzte die tragödienhafte Struktur fort. Die Bücher machten Hitler allein verantwortlich für die Errichtung der Diktatur, den Ausbruch des Krieges und die Verbrechen, die Deutsche und ihre Verbündeten begingen. Das deutsche Volk erschien als hilfloses Opfer, das unter Diktatur und Weltkrieg gelitten hatte. Die Entrechtlichung, Verfolgung und Vernichtung der Juden erschien in dieser Logik lediglich als Teil des allgemeinen Leidens. Zwei der Bücher druckten den Satz „Am schlimmsten erging es den Juden“955 und verschmolzen somit Holocaustopfer und deutsche Durchschnittsbürger in einer großen Opfergemeinschaft. Der Eindruck, die Deutschen hätten in besonderem Maße im Weltkrieg gelitten, war in den Schulbüchern – und vermutlich auch in der Lebenswelt der Schüler – so dominant, dass Aus deutscher Vergangenheit seine Leser darauf hinwies, „dass die Leiden der anderen Völker [während des Weltkrieges] nicht geringer waren“ als die Leiden des deutschen Volkes.956 Nachkriegszeit und unmittelbare Gegenwart beurteilten die Bücher unterschiedlich. Zwei Schulbücher betonten, dass sie sich von der Bundesrepublik ein Ende der katastrophalen Entwicklung versprachen.957 Andere Lehrwerke schilderten die ersten Jahre der Bundesrepublik als Fortsetzung der deutschen Leidensgeschichte und äußerten nur vorsichtig die Hoffnung, die Lage würde sich bessern. Die 4. Auflage von 954 Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 3, 1957, S. 34/5, Zitat auf S. 41; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 4, 1960, S. 16–23 u. S. 29/30; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 8, 1953, S. 76–86 u. Bd. 9, 1953, S. 25–69; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 120–128 u. S. 130–132; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 144–153 u. S. 157–159; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 4, 1954, S. 74–80 u. S. 88. 955 Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 143; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 4, 1960, S. 41. 956 Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 168. Weitere Belege zur deutschen Opferrolle: Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 9, 1953, S. 128–135; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 3, 1957, S. 50/1; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 4, 1954, S. 97 u. S. 107/8. 957 Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 4, 1960, S. 50–54; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 4, 1954, S. 113–134.

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Unsere Geschichte, die etwa 1960 erschien, bezeichnete Deutschland immer noch als „verarmtes Land“.958 Auch abseits des Hauptstroms der deutschen Geschichte privilegierten die Schulbücher tragische Erzählungen. Historische Akteure wie Kolumbus oder Gutenberg, die die französischen Schulbücher in erster Linie über ihren Erfolg definierten,959 sind in den deutschen Büchern durch ihr Scheitern charakterisiert. Lehrwerke aller Epochen sahen in Kolumbus nicht nur den Entdecker Amerikas, sondern vor allem ein unverstandenes Genie, dessen wahre Größe die Zeitgenossen verkannten. Deutsche Bücher betonten stets, dass Kolumbus seine Amerikafahrt gegen alle Widerstände durchsetzen musste, von seinen Konkurrenten denunziert und von der Krone eingekerkert wurde.960 Gutenberg interessierte die deutschen Geschichtsbücher nicht nur als Erfinder der Druckerpresse, sondern auch und vor allem als Opfer des gerissenen Unternehmers Fust. Während die Druckerpresse den Geldgeber Fust laut Mit eigener Kraft „ungeheuer reich“ gemacht hatte, sei der eigentliche Erfinder verarmt gestorben. Erst die Nachwelt habe ihn durch ein Denkmal geehrt.961 Der Nationalökonom Friedrich List, den erst die Weimarer Republik in die Schulgeschichtsschreibung aufgenommen hatte, galt den meisten Lehrwerken ebenfalls als gescheitertes Genie. Die Schulbücher befürworteten seine nationalökonomischen Theorien grundsätzlich. Da List nicht alle seine Vorstellungen umsetzen konnte und in Konflikt mit den deutschen Autoritäten geriet, erklärten die Geschichtsbücher ihn zu einem verkannten Helden und wiesen darauf hin, dass der Nationalökonom verarmt und verbittert gestorben sei.962 Arminius, der 958 Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 155; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 170. Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 3, 1957, S. 58–60 beurteilte die wirtschaftliche Lage positiv, hob aber hervor, dass in Europa elf Jahre nach Kriegsschluss noch kein „Frieden“ herrsche. 959 Vgl. z.B. Segond, Histoire de France, 1910, S. 115–117; Besseige / Lyonnet, Histoire de France, 1935, S. 26/7; Audrin / Dechappe / Dechappe, Histoire de la France, 1942, S. 11 u. S. 17; Chaulanges / Chaulanges, Histoire de France, 1959, S. 55–57 u. S. 60/1. 960 S. oben, Kap. 5.2.3. 961 Z.B. Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 2, 1960, S. 26. Vgl. Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S.  58; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd.  1, 1928, S.  39; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 79/80. 962 Nicht alle Bücher erwähnten, dass List sich selbst umgebracht hat. List taucht nicht in allen Schulbüchern auf, als verkannt galt er in: Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 3, 1931, S. 4; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1928, S. 5; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 100, verweist auf: Reiniger / Nickol,

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oft als erfolgreicher Befreier firmierte, erhielt ebenfalls eine tragische Dimension, da die meisten Bücher auf die – weltgeschichtlich weniger folgenreiche – Ermordung Arminius’ durch die eigenen Verwandten hinwiesen.963 Einige Bücher fügten Arminius außerdem in die Reihe gescheiterter deutscher Reichsgründer ein und betrachteten sein Vorgehen als gescheiterten Versuch, ein „germanisches Bundesreich“ zu gründen.964 Die deutschen Volksschulbücher verwendeten häufig den Ausdruck „Untergang“, um das Scheitern ihrer Akteure zu bezeichnen. Franke / Schmeils Realienbuch sprach vom „Untergang“ der Hohenstaufen und des Deutschen Reiches. Scherls Geschichte unseres Volkes kannte den „Untergang“ Napoleons. Im ersten Band von Hausmanns Sie alle bauten Deutschland sind nicht nur die Germanenreiche der Spätantike „untergegangen“, sondern auch der preußische Ordensstaat und das Rittertum.965 Die Zahl der Stellen im Korpus ist Legion. Die Denkfigur des Untergangs verband die tragische Strukturierung der deutschen Geschichte mit der mythischen Zeitverlaufsvorstellung.966 Anders als im evolutionären Denken, das

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Neues geschichtliches Lesebuch, Bd. 2, 1922, S. 83–85; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 2, 1934, S. 240–243; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 2, 1942, S. 131; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 122; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1937, S. 76–79; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 3, 1959, S. 31/2; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 126/7; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 3, 1957, S. 9; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 4, 1954, S. 25. Als erfolgreich galt er in: Geschichtsbilder, 1929, S. 98; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd.  3, 1928, S.  8; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd.  6, 1953, S.  81–87; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 2, 1960, S. 88. Die Ausnahmen sind Weigand, Merkbuch für die Deutsche Geschichte, 1904, S. 9; Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 4; Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S.  4; Geschichtsbilder, 1929, S.  11; Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1931, S. 9. Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S.  16. Vgl. Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 13; Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1940, S. 46; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 40; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 11; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 13; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 34; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 21; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1940, S. 13. Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 22 u. S. 99; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 3, 1957, S. 88; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 13, S. 57 u. S. 71. S. oben, Kap. 5.2.6.

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Begriffe wie „Ende“ „Auflösung“ oder „Übergang“ privilegiert, geht die Vorstellung eines „Untergangs“ davon aus, dass Phänomene nicht wirklich verschwinden. Sie sind weiterhin präsent und können theoretisch wieder auftauchen oder geborgen werden. So stützt die Idee, dass Reiche, Fürsten oder Ideen „untergegangen“ sind, die mythische Sinnbildung im Schulbuch, die auf dem Gedanken fußte, dass alle Erscheinungen ewig sind und stets wiederkehren können.967 Die staatlichen Vorgaben machten keine Vorschriften, die ein bestimmtes Gattungsschema nahegelegt hätten. Wenn die deutschen Schulbücher die Geschichte überwiegend als Tragödie erzählten, griffen sie direkt gesellschaftliche und wissenschaftliche Geschichtsbilder auf. Das Phänomen spiegelt einen gesellschaftlichen Kulturpessimismus wider, der sich in Deutschland seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ausbreitete. Darin drückte sich eine gewisse Faszination für Untergangszenarien aus, die so unterschiedliche Werke wie Dahns Kampf um Rom, Wagners Ring der Nibelungen oder Spenglers Untergang des Abendlandes verband und populär machte.968 Erst in den fünfziger Jahren löste eine optimistischere Weltsicht diesen Pessimismus in der westdeutschen Gesellschaft ab.969 Die Geschichtswissenschaft hielt in der frühen Bundesrepublik am tragischen Schema der Vorkriegszeit fest und schilderte die deutsche Geschichte als Opfergeschichte.970 In Geschichtswissenschaft und -didaktik dominierten konservative Deutungen, die von Denkfiguren wie „Katastrophe“ oder „Schicksal“ durchsetzt waren.971 Dies führte dazu, dass die Geschichtsbücher lange am tragischen Gattungsschema festhielten. Anders, als bisweilen in Forschung und Öffentlichkeit behauptet,972 967 S. oben, Kap. 5.2.6 968 Hardtwig, Die Krise des Geschichtsbewusstseins, S. 87/8. 969 Buchheim, Christoph, „Wohlstand für Alle!“ Die Realisierung einer Utopie, in: Fortschrittsglaube und Zukunftspessimismus, hg. v. Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Tübingen 2000, S. 195–209. 970 Wolfrum, Edgar, Zwischen Tradition und Neuorientierung. Die Geschichtswissenschaft in Nachkriegsdeutschland 1945–1955, in: Wolfgang Hasberg / Manfred Seidenfuß (Hg.), Modernisierung im Umbruch. Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht nach 1945, Berlin 2008, S. 51–62, hier S. 55. 971 Cornelißen, Christoph, Der wiederentstandene Historismus. Nationalgeschichte in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre, in: Konrad H.  Jarausch  / Martin Sabrow (Hg.), Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 78–108, hier S. 87/8; Mayer, Neubeginn oder Wiederanfang?, S. 106. Vgl. z.B. Messerschmid, Felix, Neue Wege im Geschichtsuntericht, in: GWU, Jg. 1 (1950), S. 36–46, hier S. 36. 972 Vgl. Sabrow, Martin, Die postheroische Gedächtnisgesellschaft. Bauformen des histo-

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ist diese Selbstviktimisierung kein Produkt der Nachkriegszeit, sondern sie bildete bereits weit vor 1945 ein zentrales Element des deutschen Nationalismus. 5.3.5. Frankreich als geachtetes Mitglied der Weltgemeinschaft

Nicht allein der Verlauf der Geschichtsdarstellung machte die komödienhafte Struktur der französischen und die tragische Struktur der deutschen Geschichte aus. Auch die Art und Weise, wie die Lehrwerke die beiden Völker als Teil der weiteren Welt darstellen, zeigt die Affinität der französischen und deutschen Geschichtsbücher zu den Gattungsschemata der Komödie und der Tragödie. Die Rolle des Helden nahmen in den Schulbüchern das deutsche und französische Volk ein. Eine Ausnahme bildeten lediglich die Bücher des Kaiserreiches, in denen die deutschen und preußischen Monarchen die Hauptakteure waren, so dass es dort nicht möglich ist, einen Helden im Sinne Fryes auszumachen.973 Die Lehrwerke charakterisierten die beiden Völker wie die Protagonisten der Komödie und der Tragödie, da sie anderen Völkern zwar überlegen waren, sich aber nicht kategorial von ihnen unterschieden. Frankreich war den französischen Schulbüchern zufolge zivilisierter und, zumindest in den weltlichen Büchern, emanzipierter als die anderen Völker und war daher zum Vorkämpfer von Kultur und Freiheit berufen. Die deutschen Schulbücher schilderten die Deutschen als ein besonders tüchtiges Volk. Lediglich einige nationalsozialistische Schulbücher zeichneten die Deutschen als Übermenschen und rückten andere Menschen in die Nähe von Tieren oder Giftstoffen. Das Lehrwerk So ward das Reich entmenschlichte vermeintliche Feinde der Deutschen. Slawische Bauern wirkten dort eher wie Tiere denn wie Menschen, ein Berater Karls V. wurde als „jüdische Schlange“ bezeichnet, Deutschlands Gegner wurden als „Schädlinge“ abqualifiziert und England und Frankreich galten als „Blutsauger“.974 Die Vorstellung, dass Deutsche sich kategorial von anderen Menrischen Erzählens in der Gegenwart, in: Étienne François u.a. (Hg.), Geschichtspolitik in Europa seit 1989. Deutschland, Frankreich und Polen im internationalen Vergleich, Göttingen 2013, S. 311–322, hier S. 314/5; Schulze Wessel, Martin, Einleitung, in: ders. / K. Erik Franzen (Hg.), Opfernarrative. Konkurrenzen und Deutungskämpfe in Deutschland und im östlichen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, München 2012, S. 1–7. 973 S. oben, Kap. 4.2.1. 974 Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1940, S. 125 u. S. 153, Bd. 2, 1941, S. 71 u. S. 112. Vgl. Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 1, 1942, S. 67; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 105.

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schen unterschieden, war aber selbst in den nationalsozialistischen Lehrwerken nicht ausgeprägt, insgesamt blieb sie eine Randerscheinung. So wie der Held der Komödie in die Gesellschaft integriert ist, war das Frankreich, das die französischen Schulbücher zeichneten, ein fester Bestandteil der Gemeinschaft der Völker. Es war sogar ein besonderes Anliegen der Geschichtsbücher, den Schülern zu vermitteln, dass Frankreich in dieser Gemeinschaft besonders geliebt wurde. Das 13. Jahrhundert galt als eine der Epochen, in denen Frankreich eine besondere Strahlkraft hatte. Diese Zeit war vor allem für die katholischen und eher konservativen weltlichen Bücher ein Höhepunkt der französischen Kultur. Die Histoire de France von Audrin / Dechappe / Dechappe behauptete, Frankreich sei niemals mehr geliebt und bewundert worden als zu Zeiten Ludwig des Heiligen.975 Die Regierungszeiten Ludwigs XIV. und XV. zählten ebenfalls zu den Epochen, in denen die Welt Frankreich bewunderte und imitierte, auch wenn sie es wegen der Kriege Ludwigs XIV. nicht liebte. Für die weltlichen Bücher gründete das Prestige Frankreichs in erster Linie auf der Französischen Revolution. In der Histoire de France von Brossolette lasen die Schüler, die „Völker“ („peuples“) hätten Frankreich zu sich gerufen, da die französischen Armeen sie von den Fürsten befreien wollten: « La France, en cet instant, était aimée de tous, parce qu’elle était la Révolution, la liberté. »976 Lavisse’ Histoire de France druckte das Bild eines deutschen Dorfplatzes, auf dem französische Soldaten mit deutschen Bauern Bier tranken und mit deutschen Bäuerinnen tanzten.977 Einige weltliche Schulbücher wiesen darauf hin, dass die Kriege Ludwigs XIV. und Napoleons dem Ruf Frankreichs geschadet hätten. Frankreich hätte alleine gegen alle Länder Europas gekämpft. Diese Feststellung sollte nicht unbedingt das Bild vom französischen Prestige in der Welt verdunkeln, sondern vor allem Ludwig und Napoleon als Repräsentanten Frankreichs diskreditieren.978 Vor dem Hintergrund einer Vergangenheit, in der Frankreich fast immer ein beliebtes und bewundertes Land war, erscheinen die französischen Allianzen im 975 Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1955, S. 69. 976 „In diesem Augenblick wurde Frankreich von allen geliebt, da es die Revolution, die Freiheit verkörperte“ Brossolette, Histoire de France, 1937, S. 151, Herv. im Orig. 977 Lavisse, Histoire de France, 1912, S. 157. 978 Beispiele für die Bewunderung Frankreichs in verschiedenen Epochen: Lavisse, His­ toire de France, 1912, S.  44, S.  118, S.  135, S.  159 u. S.  246; Aymard, Histoire de France, 1927, S. 17, S. 33, S. 54 u. S. 64; Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 114, S. 134 u. S. 275; Ozouf / Leterrier, Histoire de France, 1952, S. 54, S. 118, S. 134 u. S. 164.

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Ersten und Zweiten Weltkrieg als logische Konsequenz der französischen Geschichte. Die Vehemenz, mit der die Schulbücher die Beliebtheit des Landes hervorhoben, gründete sicherlich in der Isolationserfahrung, die die französische Republik nach dem verlorenen Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 machen musste. Die Vorstellung, Frankreich sei ein beliebtes Land, blieb in den Schulbüchern ein zentraler Bestandteil des französischen Selbstverständnisses. Bis mindestens in die sechziger Jahre lernten Millionen französische Schüler aus ihren Schulbüchern, dass die ganze Welt ihr Land liebte und bewunderte. Die Bewunderung, die andere Länder Frankreich laut den Schulbüchern entgegenbrachten, rechtfertigte Frankreichs Führungsrolle in der Welt. Die Idee, dass Frankreich ein Modell für andere Völker sei, ist ein zentraler Bestandteil der „exception française“, der Vorstellung einer Sonderstellung Frankreichs.979 Außerdem legitimierten die Bücher die koloniale Expansion des Landes, indem sie die französische Ausstrahlung betonten. Sie hoben hervor, dass bereits die Kreuzzüge den Grundstein für das besondere Ansehen Frankreichs im Orient gesetzt hätten.980 Die Kolonialpolitik des 20. Jahrhunderts sollte nach den Schulbüchern nicht allein auf Gewalt beruhen, sondern Frankreich sollte eher wie ein kluger, erfahrener Freund auftreten. Da Frankreich eine kulturell führende Nation sei und ein Vorkämpfer von Demokratie und Menschenrechte, sei es dazu berufen, anderen Ländern in ihrer Entwicklung zu helfen. In der Histoire de France von Bernard / Redon studierten die Schüler das Bild einer madagassischen Schulklasse. Auf der Tafel im Raum standen deutlich lesbar die Worte „Befreundetes Frankreich“ („France amie“). Einige Seiten weiter lernten die Schüler, es sei ihre nationale Pflicht, dieses freundschaftliche Verhältnis zu den Völkern der Welt weiter zu pflegen: « Le désir de tout Français doit être aussi que la France, fidèle aux meilleurs souvenirs de son passé, toujours utile au genre humain, reste toujours et partout respectée. »981 Die übrigen Völker sollten Frankreich wegen seiner zivilisatorischen Leistungen respektieren und schätzen. In Audrins Histoire de France erfuhren die Schüler sogar,

979 Vgl. die Darstellungen in: Dambre, Marc / Richard J. Golsan (Hg.), L’exception et la France contemporaine. Histoire, imaginaire, littérature. Un colloque international des études françaises et francophones des XXe et XXIe siècles en 2007, Paris 2010. 980 Z.B. Lavisse, Histoire de France, 1919, S. 34; Segond, Histoire de France, 1927, S. 66; Guillemain / Le Ster, Histoire de France, 1948, S. 114. 981 Bernard / Redon, Histoire de la France, 1938, S. 287 u. S. 315. Vgl. Rogié / Despiques, Histoire de France, 1922, S. 266/7; Troux / Girard, Histoire de la France, 1942, S. 529; Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1955, S. 251.

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dass Frankreich von seinen Kolonien geliebt („aimé“) wurde.982 Anders als im Epos bestand zwischen Frankreich, dem Helden der Erzählung, und den anderen Ländern keine unüberwindliche Distanz, so dass auch das Verhältnis der französischen zu anderen Nationen die komödienhafte Struktur der französischen Geschichtsbücher unterstreicht. Der Staat förderte die Vorstellung von Frankreichs Rolle als Freundin der anderen Völker aktiv. Die Vorschriften für die écoles normales von 1920 forderten die Lehrer ausdrücklich dazu auf, die „historische Mission“ („mission historique“) Frankreichs zu betonen. Das Land habe „zu jeder Zeit“ („de tout temps“) als „Erzieherin des Menschengeschlechts“ („éducatrice du genre humain“) gewirkt, vor allem in der Zeit der Kreuzzüge, der Aufklärung, unter Ludwig XIV. und während der Revolution. 5.3.6. Deutschland als Außenseiter unter den Nationen

In den deutschen Schulbüchern galt das eigene Land nicht unbedingt als unbeliebt. In einigen ihrer Geschichtsbücher lernten deutsche Schüler, dass die Welt ihr Land achtete und bewunderte – von „Liebe“ wie in Frankreich war aber nirgendwo die Rede. Auffallend ist, dass es vor allem Bücher mit einer liberalen und linken Grundeinstellung waren, die sich mit dem Respekt vor Deutschland beschäftigten: die verschiedenen Geschichtsbücher aus dem Hause Teubner bzw. Klett, die Braunschweiger Geschichtsbilder und das Lehrwerk der DDR von 1957. Diesen Büchern zufolge achteten andere Länder Deutschland, weil sie seine Bauern, Handwerker oder Arbeiter für besonders fleißig hielten.983 Dieser Befund deutet darauf hin, dass eine spezifisch linke Ausprägung des deutschen Nationalbewusstseins sich ähnlich wie sein französisches Pendant zumindest teilweise über das Ansehen des Landes in der Welt definierte.

982 Audrin / Dechappe / Dechappe, Notre France, 1942, S. 247. 983 Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 30/1; Geschichtsbilder, 1929, S. 38, S. 41 u. S. 74; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 4, 1960, S. 18; Mühlstädt, Bauern, Bürger und Feudalherren, 1959, S. 3; Pape, Erich, Völker hört die Signale, T. 1, 1959, S. 69. Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 126. Die Vorstellung, der Fleiß der deutschen Bauern sei im Ausland bekannt, findet sich gleichwohl in zwei eher konservativen Büchern der Bundesrepublik: Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 57; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 2, 1957, S. 87.

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Die entgegengesetzte Annahme nämlich, dass Deutschland in der Welt nicht respektiert sei, findet sich implizit in einigen radikal-nationalistischen Geschichtsbüchern. In Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend von 1929 zeigten italienische Mönche ihre Geringschätzung gegenüber Deutschland und nannten Luther einen „dumme[n] Deutsche[n]“. Ludwig XIV. habe Deutschland als „verächtlichen Gegner“ betrachtet.984 Einige Bücher erwähnten, dass die Römer die Germanen abfällig als „Barbaren“ oder „Wilde“ bezeichneten. Da diese Bücher zugleich die Geschichte kaum verzeitlichten, wirkte diese Bezeichnung so, als würde sie auch die gegenwärtigen Deutschen beleidigen. Die nationalsozialistischen Bücher versuchten, die Vorstellung vom „barbarischen“ Germanen als ausländische Propaganda zu entlarven.985 Die Mehrzahl der Bücher beschäftigte sich nicht explizit mit der Frage, welches Ansehen Deutschland in der Welt hatte. Gleichwohl erschien Deutschland dort als Außenseiter unter den Völkern. Von der Weimarer Republik an pflegten die Schulbücher die Vorstellung, Deutschlands Entwicklung unterscheide sich grundsätzlich von derjenigen anderer europäischer Länder. Diesen „Sonderweg“ definierten die Schulbücher nicht über gesellschaftliche, ökonomische oder konstitutionelle Kriterien, sondern vor allem über den „fehlenden“ Nationalstaat. Sie betrachteten die mittelalterliche und frühneuzeitliche Entwicklung Frankreichs, Englands und Spaniens als europäischen Normalfall und verglichen ihn mit der Entwicklung des Heiligen Römischen Reiches, die sie durchweg negativ als „Zerfall“ deuteten. Nur wenige Schulbücher wiesen darauf hin, dass Italien eine ähnliche Entwicklung genommen hatte. Vergleiche mit mittel- und osteuropäischen Ländern tauchten lediglich in den DDR-Lehrbüchern auf.986 So entstand beim Leser der Eindruck, der deutsche Weg sei einzigartig gewesen, während alle anderen europäischen Nationen in der Frühen Neuzeit nationalstaatlich verfasst waren. Dies wirkte umso bedrohlicher, als es für die Bücher selbstverständlich schien, dass „Völker“ eigene Staaten hatten. Die Bücher konstatierten also nicht nur eine „verspätete“ Nationsbildung. Die Tatsache, dass Deutschland im späten Mittelal984 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 63 u. Bd. 2, 1929, S. 13. Vgl. Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 172. 985 Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 8 verweist auf: Rude, Adolf, Quellen- und Lesebuch für den Geschichtsunterricht, H. 2, 7. Aufl., Osterwiek: Zickfeldt 1924, S. 3–8; Blume, So ward das Reich, Bd.  1, 1940, S.  22 u. S.  48; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 35; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 9. 986 Z.B. Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 132; Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, Bd. 2, 1952, S. 201–210.

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ter und der Frühen Neuzeit keinen einheitlichen Staat bildete, bedeutete in der Logik der Bücher eine massive Störung des Normalzustandes. Die Verfasstheit des Reiches habe Deutschland zum Außenseiter unter den europäischen Ländern gemacht.987 Die Geschichtsbücher betonten außerdem, Deutschland sei anders als die „übrigen“ europäischen Länder von der kolonialen Expansion bis ins späte 19. Jahrhundert ausgeschlossen gewesen. Da die Bücher Deutschland lediglich mit England, Frankreich, Portugal und Spanien verglichen, entstand der Eindruck, Deutschland sei das einzige Land gewesen, das nicht an überseeischen Unternehmungen teilgenommen hatte. Nur wenige Bücher wiesen daraufhin, dass auch Deutschland vom Handel mit der neuen Welt profitierte.988 Eine Mehrzahl der Bücher schilderte das Vordringen der Europäer so, als sei Deutschland ein Nachteil entstanden, während die anderen Europäer sich bereicherten und ihre Macht ausbauten. Hirts Neues Realienbuch behauptete, Deutschland sei 250 Jahre lang „vom Welthandel ausgeschlossen“ gewesen.989 Auffallend häufig taucht in den deutschen Schulbüchern in verschiedenen Kontexten das Motiv des Alleinseins auf. Die Ostgoten, spätestens seit Dahns Kampf um Rom Projektionsfläche für deutschnationale Fantasien, galten einigen Büchern als Kämpfer auf einsamem Posten, die „allein gegen die stärkste Macht des Ostens“ gestanden hätten bzw. einer Übermacht aus Griechen, Hunnen und Germanen erlegen seien.990 Manche Bücher stilisierten die schlesischen Ritter in der Schlacht bei Liegnitz oder das Ordensheer in der Schlacht bei Tannenberg zu 987 Z.B. Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 61; Blume, So ward das Reich, Bd. 2, 1941, S. 169; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 109–112. 988 Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1904, S. 57; dies., Realienbuch, 1931; S. 73; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 1, 1940, S. 45; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S. 68. 989 Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 66. Vgl. Franke / Schmeil, Realienbuch, 1907, S. 56 u. S. 126; Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 1, 1931, S. 39; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1928, S. 38/9; Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 1, 1928, S. 36 u. S. 40; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 50/1; Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1940, S. 138; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 1, 1935, S. 125; Kahnmeyer / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 82; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 78; Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 3, 1960, S. 42; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 117; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 1, 1959, S. 65; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 2, 1957, S. 124. 990 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1929, S. 19; Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1940, S. 54/5; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 38.

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einsamen Kämpfern, die von der ganzen Welt verlassen für Deutschland oder für Europa kämpften.991 An verschiedenen Stellen schilderten die Bücher, wie Preußen alleine gegen mehrere oder gegen einen übermächtigen Feind kämpfen musste.992 Das Kapitel, in dem Kumstellers Geschichtsbuch für die deutsche Jugend die Eroberung Straßburgs schilderte, spiegelte das Motiv des Alleinseins besonders drastisch wider. Das Buch beschreibt, wie der Rat der Stadt um Hilfe rief, als die Truppen Ludwigs XIV. vor den Toren der Stadt standen: „Aber bald kamen die [vom Rat geschickten, d. Verf.] Boten zurück, verwundet und verfolgt. Straßburg war allein, von aller Welt abgeschnitten.“993 Straßburgs Fall, der in den Weimarer und nationalsozialistischen Schulbüchern für den Tiefpunkt der deutschen Geschichte stand, illustrierte ein Gefühl des Alleinseins, das in den Schulbüchern ein Grundmotiv der deutschen Geschichte war. Dieses Motiv ließ sich auch unter völlig veränderten Vorzeichen verwenden. Das bundesrepublikanische Lehrwerk Mit eigener Kraft wies seine Leser darauf hin, dass die Widerstandsbewegung im Nationalsozialismus „völlig auf sich allein gestellt“ war. Damit spielte das Geschichtsbuch nicht etwa auf die Tatsache an, dass nur wenige Deutsche im Widerstand aktiv waren. In der Tat ist die Passage so formuliert, als verkörperten die Widerstandskämpfer die Haltung der Deutschen. Das Buch beklagte, die Alliierten hätten ihnen „jegliche Hilfe“ versagt.994 Die Geschichtsbücher schilderten die Außenpolitik des Kaiserreiches als Versuch, diese Außenseiterrolle zu überwinden und einen Platz im Kreis der Weltmächte einzunehmen. Da sie die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts als Einigungserzählung strukturierten, bildete die Reichsgründung eine scharfe Zäsur. Während Deutschland in der Zeit vor 1871 politisch und wirtschaftlich unbedeutend gewesen sei, habe die Gründung des Kaiserreiches es dem Land ermöglicht, zu den anderen Mächten aufzuschließen. Zwar gaben die Bücher, die in Weimarer Republik, NS-Zeit, Bundesrepublik und DDR erschienen, der deutschen Politik eine Mitschuld an der „Einkreisung“ und sparten nicht an Kritik in Richtung Wilhelms II. Die Entstehung der Entente aber galt den Weimarer und nationalsozialistischen Büchern als französisch-englischer Versuch, Deutschland aus dem 991 Z.B. Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 104; Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 1, 1959, S. 40; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 68. 992 Z.B. Hirts Neues Realienbuch, 1910, S. 76; Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd. 2, 1931, S. 10; Hausmann / Thiele / Kroll, Sie alle bauten Deutschland, Bd. 2, 1942, S. 99. 993 Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 2, 1929, S. 12. 994 Boeck, Mit eigener Kraft, Bd. 4, 1960, S. 47/8.

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Kreis der Weltmächte fernzuhalten. Sie betonten die Isolierung des Landes und schilderten die Entwicklung des europäischen Bündnissystems so, als sei Deutschland bis auf wenige Verbündete „vereinsamt“, „allein“ und stünde „einer Welt von Feinden“ gegenüber.995 Dass die Verbündeten 1918 aus dem Weltkrieg ausschieden, deuteten einige Bücher konsequent als Zeichen dafür, dass die „Einsamkeit“ sich verschlimmerte. Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte sprachen vom „Abfall“ der Verbündeten; die nationalsozialistische Ausgabe von Kamps Neuem Realienbuch von „Verrat“.996 Die Bücher der Bundesrepublik stellten zwar die Entwicklung der Bündnislage nicht mehr als ungewollte Vereinsamung dar. Aber auch wenn die Schulbücher nicht mehr von einer aktiven „Einkreisung“ ausgingen, blieb die Vorstellung präsent, die anderen Mächte hätten Deutschland nicht gegönnt, dass es sich als Nationalstaat in den Kreis der Mächte integrierte. Da die bundesrepublikanischen Lehrwerke Deutschland in den Jahrhunderten vor der Reichsgründung als Außenseiter unter den Nationen zeichneten, erschienen Kolonialpolitik, Flottenbau und Weltkrieg durchweg als ein legitimer Versuch, diese Außenseiterrolle zu überwinden. Es galt einigen Büchern als historisches Verdienst der Bundesrepublik, dass sie Deutschland endlich in die Völkergemeinschaft integriert hat.997 In Dürers Stich „Ritter, Tod und Teufel“ verdichtete sich das Motiv des einsamen Kämpfers in einer Ikone. Als die deutschen Volksschulbücher in der Weimarer 995 Beispiele aus: Fikenscher, Aus der Geschichte unseres Volkes, 1932, S. 37; Blume, So ward das Reich, Bd. 1, 1941, S. 79; Wendling, Schaffensfreude, 1925, S. 119. 996 Lüpcke, Hirts Tatsachen- und Arbeitshefte, Bd. 2, 1928, S. 44; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 154. Folgende Weimarer und nationalsozialistische Lehrwerke machten das Motiv des Alleinseins besonders stark: Eckl, Teubners Sachkunde für Volksschulen, Bd.  3, 1931, v.a. S.  22–27 u. S.  35; Nehring, Vaterländische Geschichte, Bd. 2, 1926, S. 38; Foerschl, Merkbuch für die deutsche Geschichte, 1941, S. 67 u. S. 69; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 3, 1937, S. 299; Hausmann, Sie alle bauten Deutschland, Bd.  3, 1942, v.a. S.  158 u. S.  177; Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1938, S. 165–167 u. S. 186; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 3, 1934, S. 62; in folgenden Büchern war die Isolation Deutschlands nur ein Randaspekt oder galt als Konsequenz strategischer Fehleinschätzungen: Geschichtsbilder, 1929, v.a. S.  128/9; Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1931, v.a. S. 160 u. S. 190/1. 997 Boeck, Mit eigener Kraft, Bd.  4, 1960, S.  10–22 u. S.  54; Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd.  8, 1953, S.  76–86; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd.  2, 1960, S.  121 u. S.  154; Nett, Aus deutscher Vergangenheit, 1954, S.  147 u. S.  175/6; Scherl, Geschichte unseres Volkes, Bd. 4, 1954, S. 74–78 u. S. 123–129. Mann, Lebendige Geschichte, Bd. 3, 1957, deutet sowohl den Ersten Weltkrieg als auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in einer europäischen Perspektive.

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Die Formen historischer Sinnbildung

Republik damit begannen, Originaldokumente abzudrucken, avancierte dieses Bild zur beliebtesten Illustration in den Geschichtsbüchern. Selbst Lehrwerke, die aus Kostengründen auf Reproduktionen verzichteten, verwiesen auf dieses Bild. Dürers Stich zeigt einen Ritter, der, begleitet von einem Hund, dem Teufel und einer Personifizierung des Todes, mit gesenktem Kopf durch ein Tal oder einen Wald reitet. Fast alle Bücher deuteten den Ritter als Personifikation des deutschen Volkes. In Ebelings Deutscher Geschichte erklärte Dürer höchstpersönlich sein Bild und gab an, der Ritter stelle den Menschen dar. Er habe eine Aufgabe und müsse „Haus und Hof und Familie und eine unsterbliche Seele“ in einer „Welt voller Feindschaft und Graus“ wahren. Er gehe seinen Weg furchtlos, „trotz Tod und Teufel“. Auf die Frage, woher diese Bilder kämen, verwies der fiktive Dürer auf sein eigenes Leben und fügte bedeutungsvoll hinzu, die Burg des Ritters liege „irgendwo in unserem deutschen Land. Der Ritter reitet allenthalben über unsere Straßen…“998 Dürers Stich drückt nicht nur die Einsamkeit des Ritters in einer feindlichen Umwelt aus. Die düstere Atmosphäre des Bildes und der Tod, der dem Ritter eine Sanduhr entgegenstreckt, verweisen darauf, dass der Held des Bildes in sein sicheres Verderben reitet. Identifiziert man den Ritter mit dem deutschen Volk, macht man den tragischen Ritt in den Tod zu einer Grundtatsache der deutschen Geschichte. Der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser konstatierte in den zurückliegenden Jahrzehnten, die Franzosen litten an „Selbstliebe“ bzw. „Selbstüberschätzung“, während die Nationalkrankheit der Deutschen das „Selbstmitleid“ sei.999 Diese Diagnose trifft bereits auf die Schulgeschichtsbücher der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu. Die deutschen Lehrwerke präsentierten ihren Lesern das Bild 998 Ebeling, Deutsche Geschichte, Bd. 3, 1952, S. 64–69. Vgl. Wendling, Schaffensfreude, 1925, S.  45; Kahnmeyer  / Schulze, Realienbuch, 1931, S.  66; Blume, So ward das Reich, Bd.  1, 1941, S.  113; Füßler, Geschichte des deutschen Volkes, Bd.  1, 1935, S. 112; Kamps Neues Realienbuch, 1938, S. 75; Kumsteller, Geschichtsbuch für die deutsche Jugend, Bd. 1, 1934, S. 78; Jaitner, Unsere Geschichte, Bd. 1, 1954, S. 120. Geschichtsbilder, 1929, S. 52 meint, Dürer habe in diesem Stich lediglich ein persönliches Trauma verarbeitet. 999 Grosser, Alfred, Die deutsche Krankheit: Selbstmitleid. Interview mit Ulrich Reitz, in: Focus, Jg. 4 (1996), H. 22, 25.5.1996, zit. nach: Focus Online, URL: http://www. focus.de/politik/deutschland/deutschland-die-deutsche-krankheit-selbstmitleid_ aid_156646.html, 24.7.2014; ders., Ein Aufklärer und Moralist. Interview mit Karlen Vesper, in: Neues Deutschland, Jg. 66 (2011), 31.3.2011, S. 4, zit. nach: neuesdeutschland.de, URL: http://www.neues-deutschland.de/artikel/194403.ein-aufklaerer-und-moralist.html, 24.7.2014.

Die Sinnbildung durch Gattungsschemata 331

eines Deutschlands, das in der Weltgeschichte aus dem Kreis der Nationen ausgeschlossen war, von anderen Ländern übervorteilt wurde und keine Verbündeten hatte. Diese Vorstellung unterschied sich grundsätzlich von dem Bild eines weltweiten beliebten Frankreichs, das die französischen Geschichtsbücher zeichneten. Das nationale Selbstverständnis, das die deutschen Lehrwerke definierten, war nicht minder aggressiv als dasjenige, das die französischen Bücher verbreiteten. Während die jungen Franzosen mit der Vorstellung sozialisiert wurden, dass andere Länder geradezu darauf warteten, von der überlegenen französischen Kultur den Weg in die Zukunft gewiesen zu bekommen, lernten ihre deutschen Altersgenossen in der Schule, dass ihre Nation in 2000 Jahren Geschichte ein Außenseiter war, der stets zu kurz gekommen war. In diesem Bild war die Schlussfolgerung bereits angelegt, dass Deutschland das Recht hätte, sich einen bedeutenderen, ihm gebührenden Platz in der Welt zu erarbeiten oder zu erkämpfen. 5.3.7. Fazit

Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass Whites Modell, das nicht für Textanalysen geschaffen wurde, in der Lage war, klare Unterschiede zwischen den narrativen Strukturierungen der Bücher herauszuarbeiten, die bemerkenswerte Rückschlüsse erlauben. Nur wenige Geschichtsbücher schilderten die Vergangenheit als Epos, also als Sieg des Guten über das Böse. Der Großteil der französischen Bücher lässt sich dem Gattungsschema der Komödie zuordnen, da die französischen Lehrwerke die Vergangenheit als eine Abfolge von Versöhnungen inszenierten und Frankreich als beliebtes Mitglied der Völkergemeinschaft zeigten. Die meisten deutschen Geschichtsbücher verwendeten das Gattungsschema der Tragödie. Sie schilderten die deutsche Vergangenheit als Geschichte tragischen Scheiterns und zeichneten Deutschland als Außenseiternation, die von den anderen Mächten in der Geschichte übervorteilt worden sei. Das Geschichtsbild, das hinter diesen beiden unterschiedlichen narrativen Strukturierungen steht, unterscheidet sich fundamental. Während die französischen Bücher die nationale Vergangenheit als positives Erbe in hellem Licht darstellten, erschien die eigene Vergangenheit in den deutschen Büchern als etwas Düsteres, das für die Nation eher ein Ballast als eine Kraftquelle war. Aus beiden Geschichtsbildern kann ein aggressiver Nationalismus erwachsen. Französische Schüler konnten aus der erfolgreichen Geschichte und der Beliebtheit ihres Landes schließen, dass Frankreich dazu berufen ist, andere Nationen zu führen. Deutsche Schüler konnten aus der tragischen Geschichte ihres Landes und seiner

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Die Formen historischer Sinnbildung

Außenseiterrolle lernen, dass das Land einen Nachteil wettmachen müsse und selbstbewusster seinen Platz in der Welt einfordern sollte. Die Bücher sprachen diese Schlussfolgerungen nicht immer explizit aus, legten sie in ihren Darstellungen aber an.

6 Schlussbetrachtung

Abschließend sollen wichtige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den deutschen und französischen Büchern herausgestellt werden. Zunächst aber sollen einige wichtige Erkenntnisse zusammengefasst werden, die diese Untersuchung in Bezug auf die Zäsuren gewonnen hat, die den Geschichtsunterricht kennzeichneten. Die Arbeit konnte insgesamt bestätigen, dass die französische Schulgeschichtsschreibung zwischen 1900 und 1960 im Gegensatz zur deutschen von einer hohen Kontinuität geprägt war. Während sich Akteure und Betrachtungsebenen änderten, wandelten sich Erzählweise und Geschichtsdeutung der französischen Lehrwerke kaum. Die Auswirkungen des Vichy-Regimes hielten sich in Grenzen, da die Schulbücher, die zwischen 1940 und 1944 erschienen, sich nur in wenigen Punkten von ihren Vorgängern unterschieden. Man kann allenfalls beobachten, dass sich die Erzählungen der staatlichen Bücher denen der katholischen Lehrwerke annäherten. Dies stellt aber kein Merkmal der Vichy-Zeit dar, da die Annäherung von staatlicher und katholischer Geschichtserzählung ein langfristiger Trend war, der ab den 1930ern den Schulbuchmarkt prägte. Gravierender war, dass zwei der Lehrwerke des Vichy-Regimes von der genetischen Fortschrittserzählung abkehrten, die konstitutiv für das Geschichtsbewusstsein des französischen Republikanismus war. Die Vierte Republik machte diesen Bruch mit der republikanischen Tradition 1944 rückgängig. Die deutsche Forschung hat oft behauptet, es gäbe eine starke Kontinuität zwischen der Schulgeschichtsschreibung des Kaiserreiches und derjenigen des NS-Regimes. Wie andere jüngere Untersuchungen kann diese Arbeit das nicht bestätigen. Zu stark unterschied sich der konservative, partikularstaatlich orientierte Monarchismus der Bücher, die vor 1918 erschienen, vom völkischen Nationalismus der nationalsozialistischen Lehrwerke. Das deutsche Volk avancierte erst in den Weimarer Büchern zum zentralen Akteur der deutschen Geschichte. Der ethnische Nationalismus der Weimarer Lehrwerke hatte, auch wenn er sich überwiegend republikanisch gab, deutlich größere Schnittmengen mit dem völkischen Nationsverständnis der Nationalsozialisten. Andere Elemente, die für das NSGeschichtsbild konstitutiv waren, wie die mythischen Zeitverlaufsvorstellungen oder die tragödienhafte Strukturierung der Geschichte, zeichneten sich ebenfalls bereits in einigen Weimarer Büchern ab. Trotz dieser Kontinuitäten markierte das Jahr 1933 eine klare Zäsur in den untersuchten Schulbüchern. Die oft von der

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Schlussbetrachtung

Forschung vorgetragene Behauptung, die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten habe sich zunächst nicht auf die Schulbücher ausgewirkt, ist schlicht nicht haltbar. Es mag zutreffen, dass die Verlage die gymnasialen Lehrwerke erst anlässlich der neuen Lehrpläne von 1938 veränderten. Die Volksschulbücher hingegen passten sie direkt nach der Machtübernahme in vorauseilendem Gehorsam den Anforderungen der neuen Machthaber an. Vermutlich erlaubte die fachwissenschaftliche Ausbildung den Gymnasiallehrern eine größere Skepsis gegenüber dem NS-Geschichtsbild. Die Volksschullehrer hingegen, die sich traditionell von der Geschichtswissenschaft distanzierten, waren deutlich offener für die nationalsozialistischen Deutungen. Die Geschichtsbücher, mit denen deutsche und französische Volksschüler zwischen 1900 und 1960 lernten, ähnelten sich in vielen Punkten. In beiden Ländern waren die Schulbücher zu Beginn des Jahrhunderts stark auf die Politikgeschichte fixiert und verstanden unter Geschichte vornehmlich eine Darstellung von Kriegen, Schlachten und Friedensschlüssen. Akteure der Geschichte waren fast ausschließlich Einzelpersonen, meist Herrscher, Minister oder Militärs. In Deutschland wie in Frankreich erhoben sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg Stimmen, die kritisierten, dass die Lehrwerke der Außenpolitik und den „großen Männern“ so viel Platz einräumten. Ihre Forderungen schlugen sich erst nach dem Krieg in den Lehrwerken nieder. Die Geschichtsbücher nahmen kulturelle, gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen stärker in den Blick und machten Kollektivakteure – meist „das Volk“ oder „die Nation“ – zu den wichtigsten Akteuren des historischen Geschehens. In Deutschland machte das Ende des Kaiserreiches diese Entwicklung möglich, da die neuen Lehrpläne sich von den Forderungen der Reformer inspirieren ließen. In Frankreich hielten die Lehrpläne von 1923 zunächst am Unterricht der Vorkriegszeit fest. Erst der massive Protest der Lehrer in der Mitte der zwanziger Jahre führte dazu, dass die Schulbücher ihre Darstellungen modernisierten. Die Tendenz, Kollektivakteure zu stärken und die Militärgeschichte zurückzudrängen, hielt während des Untersuchungszeitraumes an. Allein die Lehrwerke der NS-Zeit erhöhten den Anteil des Militärischen wieder kurzfristig. Eine Rückkehr zu den Herrscherbiographien des Kaiserreiches hingegen leiteten sie nicht ein. Es ist erstaunlich, dass die Neuorientierung weitgehend ohne akademische Vorbilder verlief. Die Volksschullehrer waren fachlichen Innovationen gegenüber deutlich aufgeschlossener als die Geschichtswissenschaft. Die Sozial- und Kulturgeschichte, die die Schulbücher schilderten, mag nicht besonders tiefgründig gewesen sein, aber sie ist zweifellos ein Zeichen für den Eigenwert und die Innovationskraft des Geschichtsunterrichts an der Volksschule.

Schlussbetrachtung 335

In beiden Ländern war die Nation der wichtigste Bezugspunkt der Darstellung. Dies zeigt sich nicht nur darin, dass die Lehrwerke die Vergangenheit aus einer nationalen Perspektive bewerteten. Zugehörigkeit zur und Nutzen für die Nation waren die Hauptkriterien für die Auswahl des Geschehens, das die Schulbücher schilderten. Volksschüler lernten im Untersuchungszeitraum ausschließlich die jeweilige nationale Geschichte kennen, außerdeutsche und außerfranzösische Ereignisse tauchten nur dann auf, wenn sie für die eigene Nation von unmittelbarer Bedeutung waren. Dies unterschied den Geschichtsunterricht der Volksschulen vom Bildungskanon der deutschen Gymnasien und der französischen lycées. Außerdem schilderten die Volksschulbücher das gesamte historische Geschehen als Einheitserzählung. Sie maßen alle historischen Akteure daran, was sie zur nationalen Einheit beigetragen hatten. Erscheinungen wie die Italienzüge der römisch-deutschen Kaiser und der französischen Könige, die sich mit den Kriterien des frühen 20. Jahrhunderts nicht von einem nationalen Raster erfassen ließen, wurden entweder harsch kritisiert oder umständlich zu nationalen Unternehmungen umgedeutet. Dies traf keineswegs nur auf die deutschen Bücher zu. Auch die Darstellungen der französischen Lehrwerke kreisten geradezu obsessiv um die Frage der nationalen Einheit. Alleine das deutsche Kaiserreich und die DDR fielen aus diesem Rahmen. Die DDR-Lehrwerke bewerteten die Geschichte erwartungsgemäß von einem Klassenstandpunkt aus. Bemerkenswert ist, dass die Bücher des Kaiserreiches stärker auf die herrschenden Dynastien fixiert waren als auf die Nation. Es handelt sich bei diesen Lehrwerken eher um eine Aneinanderreihung von Herrscherporträts als um eine geschlossene Nationalgeschichte. Eine deutsche „Nation“ trat dort kaum in Erscheinung. Außerdem war zumindest in Preußen der Bezug auf den Partikularstaat noch so stark, dass man eher von preußischen Geschichtsbüchern als von deutschen Lehrwerken mit borussianischer Geschichtsdeutung sprechen sollte. Die Definitionen der Nation unterschieden sich nicht wesentlich. Deutsche und französische Schulbücher verwendeten politische, geographische und ethnischkulturelle Kriterien, um die Zugehörigkeit zur Nation zu definieren. Es überrascht sicherlich nicht, dass in Frankreich die politischen und die geographischen Kriterien im Vordergrund standen, während die deutschen Lehrwerke die Nation stärker an ethnisch-kulturellen Merkmalen festmachten. Die Ursachen für diesen unterschiedlichen Schwerpunkt lagen in den gesellschaftlich verankerten Vorstellungen von der Nation. Ähnlich lässt sich ein anderer Befund deuten: Französische Geschichtsbücher begriffen den Schlüsselbegriff der „Freiheit“, der in beiden

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Schlussbetrachtung

Ländern prägend war,1000 stärker als Emanzipation von einer autoritären Obrigkeit, während die deutschen Lehrwerke „Freiheit“ eher als Unabhängigkeit von ausländischer Vorherrschaft definierten. Hier schlägt sich nieder, dass das deutsche Nationalgefühl exklusiver war als das französische, also stärker auf der Abgrenzung von anderen Nationen gründete. Die Art und Weise, in der die Bücher den Volksschülern Geschichte vermittelten, unterschied sich stark voneinander. Die französischen Volksschulen boten – ebenso wie die Schulen der DDR – ihren Schülern einen rationalen Zugang zur Vergangenheit. Der Unterricht sollte das historische Geschehen erklären und bewerten und dabei stets den Kontext der Zeit berücksichtigen. Die Schüler blieben insofern passiv, als sie das Urteil der Bücher und der Lehrer nur nachvollziehen sollten. Dennoch appellierte der Unterricht anders als in Deutschland in erster Linie an den Verstand der Schüler. Die Erzähler, die die französischen Lehrwerke überwiegend verwendeten, machten die Distanz zur Vergangenheit sichtbar. Mit Ausnahme einiger radikal-republikanischer Bücher, die auf dem Höhepunkt des „Schulbuchkrieges“ zwischen Kirche und Staat auf den Markt kamen, trennten die Erzähler zwischen historischen Perspektiven und deutendem Kommentar und ermöglichten so eine distanzierte, verstandesmäßige Darstellung der Vergangenheit. Im Gegensatz dazu wendeten sich die deutschen Geschichtsbücher in erster Linie an die Gefühle der Schüler. Die Bücher des Kaiserreiches enthielten eine Unmenge sentimentaler Anekdoten, die die Herrscher der deutschen und preußischen Geschichte glorifizierten und die Identifikation der Untertanen mit den herrschenden Dynastien stärken sollten. Diese Anekdoten verschwanden mit der Revolution von 1918, der emotionale Zugang zur Geschichte aber blieb erhalten. Die Bücher, die seit den 1920er Jahren erschienen, verwendeten Erzählertypen, die die Distanz zwischen Schülern und Vergangenheit auf ein Minimum reduzierten. Die Schüler sollten die Ereignisse der Vergangenheit nicht rational begreifen, sondern emotional miterleben. Die Wissenschaft hatte, wie schon vor 1918, keinen Modellcharakter für den Geschichtsunterricht an den Volksschulen. Die Lehrer orientierten sich eher an literarischen Vorbildern, von denen sie sich einen direkteren und authentischeren Zugang zur Vergangenheit versprachen. In dieses Bild passt der Befund, dass in deutschen Volksschulbüchern eine ganze Reihe außerweltlicher Akteure auftraten. Während in den Geschichtsbüchern des Kaiserreiches göttliche Kräfte walteten, brachten Akteure wie das „Schicksal“ oder die „Vorse1000 Eine Ausnahme bildeten lediglich die Schulbücher des Kaiserreiches, die den Begriff der „Freiheit“ sparsam einsetzten.

Schlussbetrachtung 337

hung“ einen irrationalen Zug in die nationalsozialistischen Lehrwerke und in manche Weimarer Schulbücher. Erst der Unterricht der DDR und in geringerem Maße derjenige der Bundesrepublik setzte auf einen primär rationalen Zugang zur Vergangenheit. Dieser deutsch-französische Unterschied hatte im Wesentlichen drei Gründe. Zum einen war das Verhältnis zwischen Volksschule und universitärer Geschichtswissenschaft aufgrund der Schulstruktur in Frankreich deutlich harmonischer als in Deutschland. Daher gab es unter den französischen Volksschullehrern kein Bedürfnis, sich von der rationalen Herangehensweise der Universitäten so abzugrenzen, wie dies ihre deutschen Kollegen taten. Zum anderen spiegelten sich in den irrationalen Zügen des deutschen Geschichtsunterrichts Strömungen wider, die seit der Jahrhundertwende in Deutschland die Leitfunktion der universitären Geschichtswissenschaft in Frage stellten. Außerdem war in Deutschland die Vorstellung, die Volksschule müsse künftigen Staatsbürgern politische Bildung vermitteln, deutlich schwächer ausgeprägt als in Frankreich. Historisch-politische Urteilsbildung, die an den Verstand der Schüler appellierte, schien daher weniger notwendig zu sein, sofern sie überhaupt gewünscht war. In diesem Sinne bestätigt sich auf dem Feld des Geschichtsunterrichts der Vorwurf, die deutschen Volksschulen hätten das intellektuelle Potential ihrer Schüler nicht voll entfaltet, sondern deren Bildungschancen begrenzt. Des Weiteren ergeben sich große Unterschiede, wenn man betrachtet, welches Verständnis von historischer Zeit die Schulbücher transportierten. In Frankreich dominierten in nahezu allen Büchern genetische Zeitverlaufsvorstellungen. Diese stellten Entwicklungen und Wandel in den Mittelpunkt, deuteten die Geschichte der Menschheit als steten Zivilisierungsprozess und begriffen die moderne Welt als Produkt von Veränderungen. Die einzige Ausnahme bildeten die älteren katholischen Bücher sowie zwei Lehrwerke des Vichy-Regimes, die traditionale und mythische Formen des Zeitverlaufs bevorzugten. Die zentrale Stellung der genetischen Fortschrittserzählung war ausdrücklich von den Schulbehörden vorgeschrieben. Die Volksschüler sollten auf diese Weise das republikanische Frankreich als Weiterentwicklung und Verbesserung der französischen Monarchie begreifen. Zudem förderte die Genese ein Geschichtsbewusstsein, das die aktuelle Welt als veränderbar ansah und Wandel als etwas Positives und Schöpferisches begriff. In den deutschen Geschichtsbüchern blieben genetische Zeitverlaufsvorstellungen schwach. Die Bücher schilderten die Vergangenheit als Zeitraum, in dem die Bedingungen der menschlichen Existenz kaum Veränderung erfuhren. Den meisten Lehrwerken diente die Geschichte im Sinne der exemplarischen Zeitver-

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Schlussbetrachtung

laufsvorstellung als Steinbruch für überzeitlich gültige Lebensregeln. Die Lehrwerke verdeutlichten diese Regeln durch Beispiele aus allen Jahrhunderten. Die Bücher des Kaiserreiches legten einen besonderen Wert auf traditionale Zeitverlaufsvorstellungen, die die gegenwärtige Ordnung dadurch festigten, dass sie den Eindruck erweckten, die Verhältnisse seien schon immer so gewesen, wie die Schüler sie beim Eintritt in die Welt vorfanden. Die nationalsozialistischen und die völkisch inspirierten Weimarer Lehrwerke erklärten den Schülern zeitliche Zusammenhänge durch mythische Zeitverlaufsvorstellungen. Sie gestanden zwar zu, dass die Welt Wandel erfahren hatte. Zugleich verbreiteten sie die Vorstellung, dass die ursprünglichen Zustände weiterhin im Verborgenen vorhanden waren und durch den Mythos jederzeit zum Leben erweckt und wiederhergestellt werden konnten. Diese drei dominanten Zeitverlaufsvorstellungen förderten ein Geschichtsbewusstsein, das die Welt als unveränderlich begriff. Der statische Kulturbegriff und der Kulturpessimismus, die die deutschen Bücher entwickelten, unterstrichen diese Idee. Die Lehrwerke vermittelten den künftigen Staatsbürgern, dass Wandel etwas Bedrohliches und Negatives darstellte. Zwischen den Zeitverlaufsvorstellungen und den Whiteschen Gattungsschemata, die die Bücher favorisierten, scheint es einen gewissen Zusammenhang zu geben. Es ist nicht überraschend, dass französische Bücher, die genetische Zeitverlaufsvorstellungen bevorzugten, Ereignisse meist komödienhaft strukturierten. Schließlich bilden Komödien Übergänge von alten zu neuen Gesellschaften ab und zeigen, wie zwei widerstreitende Kräfte sich auf einer höheren Ebene versöhnen. Diese Gattung eignete sich daher für genetische Darstellungen, da diese ebenfalls die Entwicklung von Zuständen in den Mittelpunkt stellen. Die französischen Geschichtsbücher erzählten die gesamte französische Geschichte so, dass überwundene Zustände immer wie die notwendige Vorstufe zu den folgenden Epochen erschienen. Auf diese Weise gelang es ihnen, alle Zeiten und alle Regime in eine sinnhafte Erzählung zu integrieren. Diese aus den staatlichen Lehrwerken stammende Erzählung war so attraktiv, dass sie auf die katholischen Schulen ausstrahlte und anders als ihr deutsches Pendant nicht ständig in Frage gestellt wurde. Die deutschen Bücher hingegen bevorzugten eine tragödienhafte Strukturierung der Geschichte, die davon berichtete, wie der Mensch in der Geschichte an den immer gleichen Herausforderungen und Konflikten scheiterte. Das deutsche Volk erschien in den Lehrwerken als Opfer historischer Umstände, die immer wieder verhinderten, dass die Deutschen einig und frei von Fremdbestimmung lebten. Diese Geschichtsdeutung betrachtete weite Strecken der deutschen Geschichte als gescheitert. Dadurch gelang es ihr nicht, diese in eine sinnhafte Deutung zu

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überführen. Geschichte erschien hier nicht als positives Erbe, sondern als Belastung und als Mahnung an künftige Generationen. Mit Sicherheit gibt es einen Zusammenhang zwischen der Vorliebe für die Tragödie und für das exemplarische und mythische Erzählen, da beide Wiederholung und Wiederkehr zu Grundmotiven der menschlichen Existenz machen. Diese beiden Geschichtsbilder legten die Grundlage für zwei völlig verschiedene Arten des nationalen Selbstverständnisses, die auf ihre jeweilige Weise sehr aggressive Züge annehmen konnten. Beide gingen davon aus, dass die eigene nationale Geschichte eine ganz besondere Erfahrung darstellte, die sich grundsätzlich von der aller anderen Länder unterschied. Die französischen Volksschüler erfuhren die Geschichte ihres Landes als glückliche und vorbildhafte Entwicklung. Damit untermauerten die Bücher den Anspruch Frankreichs, in der Welt als führende Nation aufzutreten und anderen Völkern anhand des eigenen Modells den Weg in die Zukunft zu weisen. Sie rechtfertigten damit einen missionarischen Nationalismus, der das eigene Land als Muster von Erfolg begriff. Die deutschen Volksschüler hingegen lernten, ihr Land sei in der Geschichte stets an widrigen Umständen oder perfiden Gegnern gescheitert. Die Selbstviktimisierung ist ein zentrales Element der nationalen Identität, die die Bücher vermitteln. Anders als oftmals angenommen, ist sie nicht nur für die deutsche Nachkriegsidentität charakteristisch, sondern sie reicht weit zurück in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Selbstviktimisierung ist die Grundlage für die Vorstellung, Deutschland habe das Recht, nun besonders vehement den Platz in der Welt einzufordern, den andere ihm stets verweigert hatten. So rechtfertigte die angebliche Opferrolle einen besonders aggressiven, nach außen gerichteten Nationalismus.

7 Literaturverzeichnis

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8 Register

Historische Epochen wie die „Dritte Republik“ oder das „Kaiserreich“ erscheinen hier nur, wenn sie selbst Thema des Geschichtsunterrichts werden, und nicht wenn sie als Untersuchungszeiträume der Arbeit erscheinen. Die aufgeführten Seiten, die auf Schulbuchautoren und -bücher verweisen, umfassen nicht die Stellen im Buch, an denen die Autoren bzw. ihre Werke im untersuchten Diskurses auftauchen, sondern nur diejenigen, an denen ihre historische Bedeutung explizit gewürdigt wird. Abendland, s. Europa Absolutismus 175, 208, 252–255, 281, 308, 311, 316 Algerien 13, 203, 242 Amerika 188, 192, 257, 273, 319 Ancien Régime 71, 170, 175, 234, 269, 292, 300, 303, 304, 337 Antike, s. Römer, Germanen, Gallier, Griechen Arminius 224/5, 230/1, 244, 252, 288, 290, 307, 318/20 Arndt, Ernst Moritz 253 Aufklärung 240, 248, 249, 261, 325 Außerdeutsche/-französische Geschichte, s. Weltgeschichte Baskenland 204/5 Bauern 143, 170, 179, 180, 181, 188, 192, 239, 270, 301, 313, 316, 322, 323, 325 Bauernkriege 84, 130, 141, 179, 257, 300 Bayern 34, 39, 40, 42/3, 48–50, 59, 64, 65, 69, 70, 78/9, 103–106, 155, 167, 169, 191, 199/200, 206–212, 225/6, 234, 255, 267, 268 Befreiungskriege, s. Napoleonische Kriege Besatzungszeit (1945–1949) 83/4 Bismarck 157, 171–173, 226, 228 Bonaparte, Napoleon, s. Napoleon I. Borussianismus, s. Preußen Brandenburg, s. Preußen

Braunschweig 23, 37, 49, 64, 69, 79, 81, 103, 104, 169, 184, 199/200, 206, 210, 267, 325 Bretagne 66, 72, 203–205, 324, 325 Chaulanges, Martial 101 Chlodwig I. (fränkischer König) 221, 302 Christentum 132, 157, 171, 235, 238/9, 255/6, 267, 279, 298, 311, 314 Colbert 175/6, 303 Demokratie 14, 19/20, 47, 77–83, 137, 167, 172/3, 179, 182/3, 186, 192, 208, 213, 219, 228, 242, 246–251, 253, 256–258, 278, 280/1, 313, 317, 324 Deutsch-französische Beziehungen 23, 73/4, 196, 207, 208, 254, 255, 282, 286, 322/3 Deutsch-französischer Krieg 227, 286, 324 Dreißigjähriger Krieg 143/4, 180, 205, 206, 207, 225/6, 228, 230, 253/4, 265, 267, 282, 286, 308, 309, 311 Dritte Republik 47, 175, 181/2, 233, 248/9, 297, 304, 308, 315 Eckert, Georg 23, 83 Edikt von Nantes 144, 231, 305 Einheit 139, 144, 180, 195, 214, 219, 220– 235, 246, 258, 283/4, 300, 302–305, 307, 327, 335 Elsass(-Lothringen) 196, 207, 286 England, s. Großbritannien

Register 379

Entdeckungen 170, 180, 188, 240, 246, 267, 273, 276, 319 Erster Weltkrieg 46, 72, 73, 77, 130, 131, 164, 201, 226, 228, 250/1, 285, 304, 306, 310, 312, 317/8, 323/4, 328/9 Ethnischer Nationalismus 78, 80, 173, 180/1, 197–199, 200–202, 209, 214, 333, 335 Europa 83, 179, 229, 232, 233–235, 287– 289, 298, 315, 323, 326–329 Europäische Geschichte, s. Weltgeschichte Exception française, s. Sonderweg Faure, Maurice-Louis 203 Feudalismus 131, 141, 180, 188, 221, 222, 229, 230, 239, 247, 277, 300 Franken (westgermanische Volksgruppe) 187, 197, 205, 212, 224, 302, 307, 314 Franken (deutsche Region) 208/9, 211 Frauen 63, 101, 107, 162, 169, 243, 313 Französische Revolution 13, 24, 19/20, 53, 71, 75, 135, 178, 190, 192, 204/5, 222, 230, 232, 239, 241/2, 248–250, 253, 257, 269, 270, 276, 277/8, 303/4, 323, 325 Freiheit 89, 139, 174, 185, 215, 219, 228, 238, 243, 244/5, 246–258, 277/8, 279, 281, 288, 322/3, 335/6 Friedrich I. (römisch-deutscher Kaiser) 230, 282, 286, 309, 311, 316 Friedrich I. (preußischer König) 173, 175 Friedrich II. (preußischer König) 24, 135, 161, 165–167, 172, 206, 209, 234, 288 Friedrich Wilhelm (brandenburgischer Kurfürst) 206, 207, 208, 210, 227, 254, 282 Friedrich Wilhelm I. (preußischer König) 245, 254 Friedrich Wilhelm II. (preußischer König) 172, 234 Friedrich Wilhelm III. (preußischer König) 171, 253, 267, 281 Friedrich Wilhelm IV. (preußischer König) 171

Frühe Neuzeit 84, 160, 170, 172, 180/1, 188, 206, 225, 230, 231, 234, 240, 245, 273, 276, 281, 282, 292, 309, 315, 316, 327 Fürsten (deutsche Landesherren) 76, 84, 160, 171/2, 176, 208, 210, 224, 226/7, 229/30, 234, 254, 258, 266, 268, 292, 308, 309, 311/2, 315–317, 323 Gallier 39, 184, 190, 196–198, 221, 236– 239, 242, 251, 270, 277, 302 Gallo-Romanen 238, 247, 251, 302, 304 Gauthier-Deschamps 62, 100, 101, 155/156, 247 Generalstände, s. Ständevertretung Genette, Gérard 30, 111–113, 115, 118, 120 Germanen 39, 110/1, 112, 123–125, 130, 143, 153/4, 167, 180, 185, 192, 200/1, 205, 219, 224/5, 230, 236, 243–245, 252, 255/6, 267, 269, 272, 281, 282, 288, 298, 302, 307, 310, 313, 315, 320, 326, 327 Geschichtsbilder (Lehrwerk aus Braunschweig) 40, 79, 169 284 Gesellschaftsgeschichte, s. Sozialgeschichte Gleichheit 44, 89, 178, 181, 222 Griechen 190, 192 Großbritannien 127, 192, 225, 250, 305, 322, 326/7, 328 Habsburg 127, 312 Hauptstadt 171, 197, 211 Heiliges Römisches Reich 185, 199, 229, 230, 282, 285, 289, 307, 311, 314, 326, 335 Heinrich I. (ostfränkischer König) 136, 172, 309 Heinrich III. (französischer König) 272 Heinrich IV. (französischer König) 180, 272, 302, 304–306 Heinrich der Löwe (Herzog von Sachsen und Bayern) 124, 173/4, 230 Hermann, s. Arminius Hitler, Adolf 174, 256, 287, 288, 315, 318 Hofer, Andreas 253

380 Hugenotten, s. Protestantismus Hundertjähriger Krieg 127, 184, 221, 250, 302, 304/5 Isabeau de Bavière 175 Imperialismus, s. Kolonien Industrialisierung 143, 171, 188, 241/2, 246, 260, 267, 281 Italienische Kriege 131, 196, 221, 229, 305, 335 Italienzüge 185, 229, 311, 335 Jakobiner, s. Terrorherrschaft Jeanne d'Arc, s. Johanna von Orléans Johann II. (französischer König) 127, 272 Johanna von Orléans 128, 176, 184, 223, 249, 250, 302, 305 Hunnen 288, 289, 302, 304, 327 Kaiserreich (Deutschland) 308, 310, 313/4, 317, 328 Kapetinger 211, 235, 298 Karl der Große 130, 131/2, 185, 221, 225, 235, 278, 282, 291, 298, 302, 309, 314 Karl V. (römisch-deutscher Kaiser) 322 Karl V. (französischer König) 272 Karl VI. (französischer König) 272 Karl VIII. (französischer König) 272 Karolinger 179, 297/8 Katholizismus 22, 30, 37, 38, 39, 61, 62, 65–67, 69, 71–73, 75, 100/1, 105, 128, 137/8, 154, 181, 184, 195, 203/4, 223, 224, 231, 238, 239, 240–242, 247, 248/9, 255/6, 269, 278, 292, 302, 304/5, 323, 333, 338 Kelten 192, 199 Kolonien 197, 198/9, 235, 242, 250, 324/5, 327, 329 Kolumbus/Entdeckung Amerikas 188, 273, 319 Konfession 30, 38, 65/6, 69, 100, 105, 226, 229, 231, 235, 305/6, 307 Kreuzzüge 180, 221, 255, 267, 305, 324, 325 Kulturgeschichte 78, 135, 149, 160, 163, 165–170, 173, 176, 213, 236, 242, 334 Kumsteller, Bernhard 80, 82, 94, 104/5

Register

Laizismus 62, 66/7, 71/2, 138, 141, 181 Lamprecht, Karl 93, 168 Lavisse, Ernest 54, 75, 91, 100, 101 List, Friedrich 319 Lokalgeschichte 39, 86/7, 105/6, 202–213 Ludwig IV. (römisch-deutscher Kaiser) 206 Ludwig IX. (französischer König) 142, 323 Ludwig XI. (französischer König) 176, 272 Ludwig XII. (französischer König) 272 Ludwig XIV. (französischer König) 24, 131, 160/1, 164/5, 175, 190, 196, 207, 231, 286, 303, 323, 325, 326, 328 Ludwig XV. (französischer König) 272, 277, 323 Ludwig XVI. 303, 305 Ludwig Philipp (französischer König) 304 Luise (Königin von Preußen) 172 Luther 24, 174, 255, 287, 326 Lyotard, François 31/2, 215 Marcel, Étienne 248/9 Maria Theresia 206 Maria von Medici 222 Menschenrechte 324 Mialliers-Souvigny, s. Gauthier-Deschamps Militärgeschichte 74, 78, 89/90, 135, 160– 167, 254, 334 Militarismus 73/4, 84, 89, 90, 135, 162, 164, 210, 271 Mittelalter 71, 131, 160, 179, 185, 189, 205, 209, 221, 222, 225, 229, 230, 235, 236, 239/40, 245, 247, 248, 249, 266, 267, 268, 273, 276/7, 282/3, 285, 302, 307, 309, 311, 315, 323, 326 Monarchismus 22, 75, 76, 79, 81, 100, 135, 171, 175, 176, 204, 261, 266–268, 322, 333, 335, 336 Napoleon I. 171, 179, 183, 190, 196, 235, 253, 259, 291, 303, 304, 320, 323 Napoleon III. 171, 304 Napoleonische Kriege 20, 179, 252/3, 257, 286, 301, 308, 312, 317 Nationalsozialismus 174, 256, 315, 318, 328 Niedersachsen 37, 40, 191, 210, 212

Register 381

Nordrhein-Westfalen 37, 40, 191, 209, 210 Normandie 234/5 Oktoberrevolution 140/1 Osmanen 126, 282, 289 Österreich 127, 180, 209, 228, 234 Ostgoten 256, 307, 310, 315, 327 Ostkolonisation 179/80, 180, 185, 230 Otto I. (römisch-deutscher Kaiser) 224, 235, 309 Otto IV. (römisch-deutscher Kaiser) 206 Partikularismus, s. Bayern, Braunschweig, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Preußen Pazifismus 69, 73/4, 164–167, 240 Preußen 24, 37, 39, 41, 42, 43, 44, 48, 49, 61, 65, 69, 76–78, 84, 102, 104, 105, 144, 167, 171, 184/5, 190, 199/200, 205–212, 225–227, 234, 254, 267, 274/5, 282, 283, 285/6, 297, 301, 312, 320, 328, 335 Protestantismus 24, 30, 65, 66, 69, 71, 105, 128, 188, 224, 231/2, 255, 302, 306, 309 Reformation 29/30, 65, 188, 231/2, 255, 267, 224, 231/2 Regionalgeschichte, s. Lokalgeschichte Reichsgründung (1871) 185/6, 289, 301, 308, 310, 312, 328 Religionskriege (Frankreich) 142, 180, 222, 277, 302, 305 Republikanismus (Deutschland) 56, 77–81, 83, 172, 192, 207/8, 214, 226, 228, 233, 287 Republikanismus (Frankreich) 13/5, 16, 22, 24, 50, 52, 53, 55, 56/7, 66, 71–76, 91, 100/1, 107, 137, 155/6, 175, 179, 181/2, 204, 220, 233, 240, 242, 248, 249, 265, 270/1, 277, 280, 292, 294, 303/4, 333, 337 Revolution von 1848 48, 157, 257, 312, 317 Revolution von 1918/19 177, 228, 257 Rhein 195/6

Römer 24, 39, 153, 170, 190, 191, 192, 197, 199, 219/20, 221, 231, 235, 236–238, 240, 244/5, 247, 251, 252, 259, 267, 276/7, 281, 286, 302, 313, 326 Rudolf I. (römisch-deutscher König) 309 Russland 192 Sachsen (westgermanische Volksgruppe) 130, 131/2, 143, 187, 205, 224, 255, 278, 288 Sachsen (Kurfürstentum, Königreich bzw. Volksstaat) 49, 208, 210 Schill, Ferdinand von 253 Sonderweg/Exception française 18, 225, 324, 326 Sozialgeschichte 78, 83, 160–170, 213, 267, 284, 326, 344 Stadt 209, 242, 244, 245, 249, 277, 308, 309, 316 Ständevertretung 223, 234, 247, 249, 268, 301 Stein-Hardenbergsche Reformen 20, 256, 312, 317 Straßburg 207, 282, 328 Terrorherrschaft 178, 205, 303 Türken, s. Osmanen Urgeschichte, s. Vorgeschichte Vandalen 307, 313, 315 Vercingetorix 249, 251 Vereinigte Staaten von Amerika 189, 190, 192, 224, 257 Versailler Vertrag 80, 120, 174, 228, 256, 265, 310, 312, 318 Völkerwanderung 171, 180, 201, 205, 224, 274, 282, 297, 302, 308/9, 310, 313, 315 Vorgeschichte 132, 135, 171, 236, 238, 239 Weimarer Republik 228, 292, 314, 317/8 Welfen 206 Weltgeschichte 189–192, 214, 242, 326, 329 Westgoten 256, 307, 315 White, Hayden 27, 33/4, 294–332, 338 Widukind (sächsischer Herzog) 173, 184, 185, 288

382 Wilhelm I. (preußischer König, deutscher Kaiser) 171, 227, 275 Wilhelm II. (preußischer König, deutscher Kaiser) 171, 328 Wirtschaftsgeschichte 160, 161, 166–170, 246, 267, 281, 284, 315, 319, 334 Wittelsbach 206

Register

Weniger, Erich 167 Westfälischer Frieden, s. Dreißigjähriger Krieg Zweiter Weltkrieg 167, 174, 198, 235, 250/1, 256, 318, 328, 323/4, 329 Zweites Kaiserreich (Frankreich) 181, 271

BEITR ÄGE ZUR GESCHICHTSKULTUR HERAUSGEGEBEN VON JÖRN RÜSEN



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